Das beschleunigte Verfahren der StPO und seine rechtstatsächliche Durchführung in Berlin und Brandenburg [1 ed.] 9783428532087, 9783428132089

Regelmäßig werden Forderungen nach Entlastung der Justiz laut. Einen wesentlichen Schritt in diese Richtung versuchte de

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Das beschleunigte Verfahren der StPO und seine rechtstatsächliche Durchführung in Berlin und Brandenburg [1 ed.]
 9783428532087, 9783428132089

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Schriften zum Prozessrecht Band 216

Das beschleunigte Verfahren der StPO und seine rechtstatsächliche Durchführung in Berlin und Brandenburg Von Tobias Lubitz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS LUBITZ

Das beschleunigte Verfahren der StPO und seine rechtstatsächliche Durchführung in Berlin und Brandenburg

Schriften zum Prozessrecht Band 216

Das beschleunigte Verfahren der StPO und seine rechtstatsächliche Durchführung in Berlin und Brandenburg Von Tobias Lubitz

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Sommersemester 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 188 Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-13208-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2009 als Dissertation angenommen. Aktuelle Rechtsprechung, Gesetzgebung und Literatur konnten für die Veröffentlichung bis August 2009 berücksichtigt werden. Zu größtem Dank verpflichtet bin ich meinem Doktorvater und wissenschaftlichen Lehrer Herrn Professor Dr. Ulrich Eisenberg, der mich und diese Arbeit von Beginn an gefördert hat und dessen Anregungen und Gedanken mich stets voranbrachten. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Klaus Hoffmann-Holland für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herzlich für die geleistete Unterstützung habe ich Frau Studienreferendarin Anja Hilles, meiner Schwester, Frau Dr. Stefanie Lubitz, und Herrn Rechtsanwalt Andreas Gritsch zu danken. Für den stetigen Austausch und Rat danke ich insbesondere auch Frau Staatsanwältin Dr. Ines Müller, Herrn Rechtsanwalt Dr. Christian Reuther und Herrn Wiss. Mit. Dr. Tobias Singelnstein. In ganz besonderem Maße danke ich meinen Eltern. Ohne ihre unbedingte Unterstützung wäre so vieles, wie auch diese Arbeit, kaum möglich gewesen. Ihnen sei sie gewidmet. Nürnberg, August 2009

Tobias Lubitz

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung . . . . . . I. Methodisches Vorgehen und Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forschungsstand und offene Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Studie von Popp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Studie von Bielefeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Studie von Kohler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Studie von Bürgle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Studie von Ernst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Studie von Tiedemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen empirischen Forschens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewählte Datenerhebungsmethode und Untersuchungsanordnung . . a) Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilnehmende Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entscheidung für Aktenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Operationalisierung der zu untersuchenden Merkmale. . . . . . . . . . . . a) § 417 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 418 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 419 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 420 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Auswertungsbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aktenziehung und Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgehändigte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwertbare Fälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fälle, in denen gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt wurde . . 2. Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgehändigte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwertbare Fälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fälle, in denen gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt wurde . . 3. Vorgehen bei der Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

C. Das beschleunigte Verfahren gemäß den §§ 417–420 StPO – Geltende Rechtslage und Anwendung in Berlin und Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Voraussetzungen der Verfahrensart gem. § 417 StPO – Zulässigkeitsrahmen und Beantragung des beschleunigten Verfahrens . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Möglicher Spruchkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausdrücklich ausgeschlossene Beschuldigtengruppen . . . . . . . . . . (1) Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausländische Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltliche Voraussetzung des § 417 StPO: Eignung zur sofortigen Verhandlung auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorliegen eines einfachen Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Politisch motivierte Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Nichtdeutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Sexuell motivierte Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Fragliche Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Vielzahl vorgeworfener Taten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (g) Zu erwartende Verhängung einer Freiheitsstrafe . . . . . . (h) Der „Einfachheit“ entsprechende Straftaten . . . . . . . . . . (2) Vorliegen einer klaren Beweislage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eignung zur sofortigen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Voraussichtlicher Zeitraum zwischen Antrag und Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Möglichkeit der Verfahrensbeschleunigung gegenüber dem Regelverfahren – Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . (aa) Die gesetzliche Regelung und der Gleichheitsgrundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die Anwendung der gesetzlichen Regelung und der Gleichheitsgrundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Beschleunigung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . (4) Weitere der „Eignung“ i. S. d. § 417 StPO entgegenstehende Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verpflichtung zur Stellung eines Antrags gem. § 417 StPO . . . . e) Verhältnis zu anderen Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Antragsstellung durch die Staatsanwaltschaft – formelle Voraussetzungen, Zeitpunkt und Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Form von Antrag und Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitpunkt der Antragsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rücknahme des Antrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einwirkungsmöglichkeit des Beschuldigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

II.

III.

3. Die Voraussetzungen des § 417 StPO im Rechtsmittelverfahren . . a) Die Einlegung von Rechtsmitteln nach Durchführung eines beschleunigten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlen des Antrags gem. § 417 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehler in der Eignungsbeurteilung gem. § 417 StPO . . . . . . . . . . Rechtstatsächlicher Umgang mit den Voraussetzungen des § 417 StPO 1. Spruchkörper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umgang mit den Voraussetzungen des einfachen Sachverhalts gem. § 417 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Politisch motivierte Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtdeutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sexuell motivierte Täter – Berlin und Brandenburg. . . . . . . . . . . e) Fragliche Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vielzahl vorgeworfener Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zu erwartende Verhängung einer Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eignung zur sofortigen Verhandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Antragsstellung und Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Delikts- und Beschuldigtenstruktur der beantragten beschleunigten Verfahren gem. § 417 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung, § 418 StPO. . 1. Wegfall des förmlichen Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbleibende Prüfungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Hinreichender Tatverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kontrolle des Vorliegens der allgemeinen Prozessvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vorgehen bei Zuständigkeitsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV.

b) Anderer Zeitpunkt der Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anberaumung der Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist, § 418 Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sofortige Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ziel der besonderen Beschleunigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Freiwillige Stellung oder Vorführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Begrenzung durch das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchführung der Hauptverhandlung in kurzer Frist . . . . . . . . . . (1) Untergrenze der kurzen Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anforderungen an die Ladung des Beschuldigten . . . . . . . . . (a) Anordnung der Ladung durch den Vorsitzenden und Zulässigkeit von „Polizeiladungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sonstige Anforderungen an die Ladung und Mitteilung des Tatvorwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Obergrenze der kurzen Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Durchführung des Verfahrens – Abweichungen vom Regelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Notwendige Verteidigung im beschleunigten Verfahren . . . . . . . . . . . a) Notwendige Verteidigung gem. § 418 Abs. 4 StPO. . . . . . . . . . . . b) Notwendige Verteidigung im beschleunigten Verfahren gemäß § 140 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besonders beschleunigtes Verfahren generell Fall notwendiger Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bestellung, Auswahl und Ladung des Verteidigers . . . . . . . . . . . . e) Kritik der Regelung des § 418 Abs. 4 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Regelungen des § 418 StPO im Rechtsmittelverfahren. . . . . . . . a) Nichteinhaltung der Ladungsfrist, besonders beschleunigtes Verfahren entgegen dem Willen des Beschuldigten und Polizeiladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Durchführung beschleunigter Verfahren außerhalb der kurzen Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtbestellung eines notwendigen Verteidigers. . . . . . . . . . . . . . . Rechtstatsächlicher Umgang mit den Voraussetzungen des § 418 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensmodelle und genutzte Beschleunigungsmöglichkeiten . . . a) Zeitliche Untergrenze des in kurzer Frist durchgeführten beschleunigten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . (a) Normalähnliches beschleunigtes Verfahren . . . . . . . . . . . (b) Wegfall des förmlichen Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . (c) Zeiträume zwischen Zustellung der Ladung und Beginn der Hauptverhandlung, § 418 Abs. 2 S. 3 StPO . . (aa) Die Praxis des AG Potsdam. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V.

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(bb) Die Praxis des AG Brandenburg an der Havel . . (cc) Die Praxis des AG Nauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Die Praxis des AG Rathenow. . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Normalähnliches beschleunigtes Verfahren . . . . . . . . . . . (b) Wegfall des förmlichen Zwischenverfahrens . . . . . . . . . (c) Zeiträume zwischen Zustellung der Ladung und Beginn der Hauptverhandlung, § 418 Abs. 2 S. 3 StPO . . b) Umgang mit den Anforderungen an die Ladung des Beschuldigten gem. § 418 Abs. 2 S. 2 StPO – Landgerichtsbezirk Potsdam und Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatsächlich mit der Verfahrensart erreichte Beschleunigung und Einhaltung der Obergrenzen der kurzen Frist . . . . . . . . . . . . (1) Durchführung der Hauptverhandlung innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . (b) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Durchführung der Hauptverhandlung innerhalb von sechs Monaten nach Tatzeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . (b) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verteidigung im beschleunigten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidung des Gerichts über Durchführung eines beschleunigten Verfahrens, § 419 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterliche Prüfung der Eignung einer Sache zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafmaßobergrenze und grundsätzlicher Ausschluss von Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Ablehnungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Form der Ablehnungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weiteres Vorgehen des Gerichts nach der Ablehnungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Hinreichender Tatverdacht zu bejahen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Hinreichender Tatverdacht zu verneinen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Regelungen des § 419 StPO im Rechtsmittelverfahren . . . . . . . a) Eignung einer Sache zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überschreitung des in der Verfahrensart zulässigen Strafrahmens gem. § 419 Abs. 1 S. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtstatsächlicher Umgang mit den Voraussetzungen des § 419 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ablehnungsentscheidung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Häufigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gründe für die Ablehnungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . (a) Allgemein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bestreiten des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ablehnungsgründe, die sich bereits aus Beschuldigtenvernehmung oder Antrags-/Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ergaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bestreiten des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgehen des Gerichts nach der Ablehnungsentscheidung . . . . . . . . a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die richterliche Eignungsüberprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafmaßobergrenze und Ausschluss von Maßregeln. . . . . . . . . . . . . . a) Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verhängte Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausgang der beschleunigten Verfahren am AG Potsdam . . . b) Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verhängte Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abhängigkeiten von Entscheidungsträgern . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Beweisaufnahmerecht des beschleunigten Verfahrens, § 420 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erweiterte Verlesungsmöglichkeiten, § 420 Abs. 1 bis 3 StPO. . . . . a) Vernehmungsniederschriften und schriftliche Äußerungen, § 420 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geltung des § 252 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Geltung der Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO . . b) Behördenerklärungen, § 420 Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zustimmungserfordernis gemäß § 420 Abs. 3 StPO . . . . . . . . . . . 2. Beweisantragsrecht im beschleunigten Verfahren, § 420 Abs. 4 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gehalt der Vorschrift – Beweisantragsrecht und Amtsaufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbleibende Pflichten des Strafrichters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags. . . . . . . . . . . . . . 3. Die Regelungen des § 420 StPO im Rechtsmittelverfahren. . . . . . . . a) Frage der Anwendbarkeit des § 420 StPO im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlerhafter Umgang mit den Regelungen des § 420 StPO . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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4. Gefahren des § 420 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 420 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 420 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 420 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Offene Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendung des § 420 StPO im Berufungsverfahren . . . . . . . . . . e) Beschleunigung der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kumulierung von Abkürzungs- und Verweisungsmöglichkeiten . . . 4. Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens – Voraussetzungen und Rechtstatsächlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spruchkörper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eignung zur sofortigen Verhandlung aufgrund des einfachen Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Heranwachsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Politisch motivierte Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Nichtdeutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Fragliche Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Vielzahl vorgeworfener Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Drohende Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deliktsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschuldigtenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Form von Antrag und Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angewandtes Modell des beschleunigten Verfahrens und genutzte Beschleunigungsmöglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Normalähnliches beschleunigtes Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . (2) Umgang mit der zeitlichen Untergrenze des normalähnlichen beschleunigten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Normalähnliches beschleunigtes Verfahren. . . . . . . . . . . . . . . (2) Umgang mit der zeitlichen Untergrenze des normalähnlichen beschleunigten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umgang mit den Anforderungen an die Ladung des Beschuldigten gem. § 418 Abs. 2 S. 2 StPO im Landgerichtsbezirk Potsdam und in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zeitliche Obergrenzen einer zulässigen Durchführung beschleunigter Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

II.

(1) Der Zeitraum zwischen Antragseingang und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Zeitraum zwischen Tatzeitpunkt und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verteidigung im beschleunigten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entscheidung des Gerichts über Durchführung eines beschleunigten Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablehnungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Häufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gründe für die Ablehnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . (b) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgehen des Gerichts nach Ablehnungsentscheidung – Der Übergang ins Regelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sanktionsstruktur im beschleunigten Verfahren und Besonderheiten einzelner Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Beweisaufnahmerecht des beschleunigten Verfahrens . . . . . . . . . Abschließende Betrachtung mit rechtspolitischer Empfehlung . . . . . . . .

216 217 219 220 220 220 220 220 221 221 222 222 223 223 225

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

A. Einleitung und Fragestellung „Ein Instrument wie das beschleunigte Verfahren lasse sich natürlich leichter durchsetzen, wo eine Justiz neu aufgebaut werde, als in einem System, wo der demokratische Rechtsstaat Tradition hat.“ – Ein Sprecher des Justizministeriums Brandenburg1 begründet damit die im Unterschied zu anderen Bundesländern verwirklichte Hoffnung des Bundesgesetzgebers auf Mehranwendung des 1994 neu geregelten beschleunigten Verfahrens.2 Die ggf. nur unglücklich gewählte Formulierung der Aussage verdeutlicht zugleich, weswegen die Verfahrensart erheblicher Kritik ausgesetzt ist. Die §§ 417 bis 420 StPO ermöglichen, unter Verzicht auf eine schriftliche Anklage, mittels verkürzter Ladungsfrist und unter Einschränkung des Unmittelbarkeitsprinzips sowie unter weitgehender Aufhebung des Beweisantragsrechts, einfach gelagerte Fälle rasch abzuurteilen, damit die Strafe der Tat „auf dem Fuße folgt“ und zugleich die Justiz entlastet wird.3 Im Verfahren vor dem Strafrichter4 und dem Schöffengericht stellt die Staatsanwaltschaft den erforderlichen Antrag, wenn die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist (§ 417 StPO). Zwischenverfahren und Eröffnungsbeschluss entfallen (§ 418 Abs. 1 S. 1 StPO). Die Ladungsfrist ist nach § 418 Abs. 2 S. 3 StPO auf 24 Stunden verkürzt. Auf die Ladung kann ganz verzichtet werden, wenn sich der Beschuldigte freiwillig stellt oder vorgeführt wird (§ 418 Abs. 2 S. 1 StPO), was vor allem bei „besonders beschleunigten Verfahren“ am Tat- oder Folgetag in Betracht kommt. § 418 Abs. 3 StPO lässt die lediglich mündliche Erhebung der Anklage zu. Lehnt das Gericht die beantragte Entscheidung im beschleunigten Verfahren ab, sieht § 419 Abs. 3 StPO einen schnellen Übergang ins Regelverfahren vor. Die beschleunigte Hauptverhandlung wird gem. § 420 Abs. 1 bis 3 StPO abgekürzt durch eine erhebliche Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten bei Zustimmung u. a. des auch unverteidigten Angeklagten. Nach § 420 Abs. 4 StPO ist der Straf1

s. DIE ZEIT, 37/1998, „Das Prinzip Ruckzuck“. s. BT-Drs. 12/6853, S. 34 f.; Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994, BGBl I S. 3186. 3 s. BT-Drs. 12/6853, S. 34 f. 4 Soweit im Folgenden Personen- oder Funktionsbezeichnungen in der männlichen Sprachform gebraucht werden, gelten sie auch in der entsprechenden weiblichen Sprachform. 2

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A. Einleitung und Fragestellung

richter außerdem nicht an die Ablehnungsgründe von Beweisanträgen (§ 244 Abs. 3 bis 5, § 245 StPO) gebunden, Beweisantizipation ist zulässig. Indes darf keine schwerere Sanktion als ein Jahr Freiheitsstrafe verhängt werden (§ 419 Abs. 1 S. 2 StPO), und bei Erwartung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten gilt notwendige Verteidigung (§ 418 Abs. 4 StPO). Unterstützt wird das beschleunigte Verfahren schließlich durch die erweiterte Möglichkeit vorläufiger Festnahme und das Institut der Hauptverhandlungshaft (§ 127b StPO). Zur Praktikabilität der §§ 417 bis 420 StPO erwartete der Gesetzgeber organisatorische Bemühungen der Justiz.5 Chancen und Hoffnungen liegen in einem solch schlanken Verfahren. In Betracht kommen eine besondere spezialpräventive Wirkung der tatzeitnahen Hauptverhandlung und die bessere Erinnerungsfähigkeit der Zeugen. Mittels schneller Aburteilung von Bagatellen könne die Strafrechtspflege ausgedünnt und in ihrer Funktionsfähigkeit aufrechterhalten werden. Das Vertrauen in die Justiz werde gestärkt. Die Verfolgung bestimmter Beschuldigtengruppen, etwa solcher ohne Wohnsitz oder „reisender Täter“ werde erleichtert. Im Sinne des Beschleunigungsgrundsatzes werde dem Interesse des Beschuldigten an einem zügigen Ergebnis des belastenden Strafverfahrens entsprochen. Im Bereich der Strafverfolgung komme die Einsparung von Ermittlungsaufwand und eine Motivationssteigerung in Betracht.6 „Man könne als Polizist unmittelbar die Früchte der eigenen Arbeit sehen,“ äußerte eine Polizeibeamtin gegenüber dem Verfasser. Vertreter der Praxis beurteilen die Regelungen positiv, sie bedürften „einer grundlegenden und nachdrücklichen Förderung“7, das beschleunigte Verfahren sei eine „Möglichkeit zur Entlastung“8. Ein Amtsgerichtsdirektor meint, er habe damit Ladendiebstähle in Eisenhüttenstadt so gut wie „ausgerottet“.9 Ganz anders werden die §§ 417 bis 420 StPO vom überwiegenden10 Schrifttum beurteilt.11 Sie beinhalteten erhebliche Gefahren für Wahrheits5

s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. Vgl. zu den Zielen BT-Drs. 12/6853, S. 34 f.; Dury, DRiZ 2001, S. 210; Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 488 ff.; für das AG Bochum s. den Nw. bei Kohler, 2001, S. 95; vgl. auch Pofalla, AnwBl 1996, S. 466. 7 Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 490. 8 Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429. 9 s. DIE ZEIT, 37/1998, „Das Prinzip Ruckzuck“. 10 s. KK-Graf, Vor § 417, Rn. 2. 11 Die Kritik richtet sich gegen einzelne Regelungen oder die Verfahrensart im Ganzen, vgl. AK-StPO-Loos, Vor § 417, Rn. 6 ff.; Ambos, Jura 1998, S. 281, 291 ff.; Bandisch, StV 1994, S. 157 f.; Fezer, ZStW 106 (1994), S. 14 ff.; Hamm, StV 1994, S. 458; HK-Krehl, Vor §§ 417 ff., Rn. 3; KK-Graf, Vor § 417, Rn. 2; M-G, Vor § 417, Rn. 3 ff.; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 11 f.; Neumann, StV 1994, S. 275 f.; Ranft, 2005, Rn. 2334; Scheffler, NJW 1994, S. 2191 ff. sowie ders, NJ 1999, 113 ff.; Schlothauer, StV 1995, S. 46; SK-StPO-Paeffgen, Vor § 417, Rn. 1 ff.; Volk, 6

A. Einleitung und Fragestellung

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findung und Verteidigungsrechte.12 Durch die Verlesungsmöglichkeit des § 420 Abs. 1 StPO drohe die Überrumpelung des Angeklagten,13 § 420 Abs. 4 StPO stelle die Subjektstellung des Angeklagten in Frage.14 Das amtsgerichtliche Verfahren werde durch § 420 StPO erheblich komplizierter, da je nach Einleitung des Verfahrens drei verschiedene Regelungen über die Beweisaufnahme gelten.15 Schnelligkeit sei kein Selbstzweck,16 die Regeln des Normalverfahrens wohlüberlegt.17 Die Vereinfachungen verhinderten häufig eine umfassende Aufklärung von Tat und Täterpersönlichkeit, die Überbewertung generalpräventiver Erwägungen sei zu befürchten.18 Bei einer Verhandlung am Tat- oder Folgetag habe der Beschuldigte nicht einmal Zeit, den Schock über seine Verhaftung zu verarbeiten.19 Während manche Autoren bereits das beschleunigte Verfahren ehemaliger Prägung (§§ 212 bis 212b StPO a. F.) als „Feindstrafrecht“20 und in bestimmten Fällen als „Husarenjustiz“21 betrachtet haben, werden die §§ 417 bis 420 StPO als „eine grundsätzliche Abweichung von der liberal-rechtsstaatlichen Tradition“22 der Verfahrensart angesehen, als „autoritäre[r] Strafprozess“23 für soziale Randgruppen. Die Bandbreite der Kritik reicht von „Bedenken“ und dem Aufruf zu umsichtiger Anwendung in der Praxis24 bis hin zur Forderung nach Abschaffung der Verfahrensart.25 Im Widerstreit stehen also das Bedürfnis einer überlasteten Justiz26 nach Vereinfachung und die Befürchtung, dass der gewählte Weg des beschleu2008, § 33 Rn. 13; Wächtler, StV 1994, S. 160 ff.; KMR-Metzger, Vor § 417, Rn. 17 ff., andererseits aber Rn. 24, 27; LR25-Gössel, Vor § 417, Rn. 16 ff., 52 ff. jedoch auch Rn. 51; positiv hingegen: Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999. 12 s. AK-StPO-Loos, Vor § 417 Rn. 6 ff.; Fezer, ZStW 106 (1994), S. 14; HKKrehl, Vor §§ 417 ff. Rn. 3; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 11; Ranft, 2005, Rn. 2334; SK-StPO-Paeffgen, Vor § 417 Rn. 7. 13 s. Neumann, StV 1994, S. 276. 14 s. Wächtler, StV 1994, S. 160. 15 s. HK-Krehl, § 420 Rn. 1; M-G, § 420 Rn. 3. 16 s. SK-StPO-Paeffgen, Vor § 417 Rn. 4. 17 s. M-G, Vor § 417 Rn. 3; Scheffler, NJW 1994, S. 2191. 18 s. KMR-Metzger, Vor § 417 Rn. 18 f. m. w. Nw. 19 s. Kohler, 2001, S. 62. 20 Herzog, ZRP 1991, S. 126. 21 Lehmann, DRiZ 1970, S. 287. 22 SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 1. 23 Wächtler, StV 1994, S. 159. 24 s. etwa KK-Graf, Vor § 417 Rn. 2. 25 s. Ernst, 2001, S. 204 f.; Jeney, 2003, S. 31; Scheffler, NJW 1994, S. 2191, 2195; bereits für die frühere (engere) Regelung s. Herzog, ZRP 1991, S. 125 ff. 26 s. P.-A. Albrecht, 2005, § 25 B. VI. 5. (S. 255 f.), Braun, AnwBl 2000, S. 222; Eisenberg, 2005, § 27 Rn. 3; Meyer-Goßner, NStZ 1992, S. 167.

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nigten Verfahrens eine Erosion rechtsstaatlicher Garantien bedeutet. Eine rein dogmatische Abhandlung zu den §§ 417–420 StPO hätte keine umfassenden neuen Erkenntnisse geliefert. Zwar sind die allgemeinen Monographien zu dem neu gefassten beschleunigten Verfahren aus den Erscheinungsjahren 199727, 199828 und 199929 nicht mehr ganz aktuell,30 doch hat sich die zunächst hitzig geführte Diskussion vierzehn Jahre nach der Wiederbelebung der Verfahrensart in eine Verfestigung der extremen Positionen beruhigt. Diese weiter zu vertiefen, ohne zu überprüfen, welche Auswirkungen die Neuregelungen tatsächlich haben, schien nicht mehr nötig. Vielmehr wird das unversöhnliche Gegenüberstehen der Meinungen über eine ganze Verfahrensart auch im Mangel an empirischen Erkenntnissen gesehen. In je 40 vom Verfasser probeweise beobachteten Verfahren in Berlin und Brandenburg konnten überraschende Anhaltspunkte festgestellt werden,31 welche eine empirische Untersuchung notwendig erscheinen ließen. Die in immer wieder neuen politischen Forderungen32 aufkeimenden, in der Verfahrensart liegenden Hoffnungen, und der nach wie vor bestehende Wunsch nach Entlastung sowie die unverändert bestehende Kritik, welche mitunter „Horrorszenarien“33 zeichnet, bedürfen dringend einer Überprüfung ihrer tatsächlichen Grundlagen. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob sich der gesetzgeberische Wille verwirklicht hat, mittels der Neuregelung eine Mehranwendung und damit 27

Bürgle, 1997. Schröer, 1998; Her, 1998. 29 Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999. 30 Zu speziellen Aspekten der §§ 417 bis 420 StPO s. zudem Ernst, 2001; Kohler, 2001; Jostes, 2003; Putzke, 2004; Giring, 2005; Tiedemann, 2008. Umfangreichere Untersuchungen zum beschleunigten Strafverfahren erfolgten zuvor über einen langen Zeitraum nicht, 1962 erschien die letzte Monographie (Zimmermann, 1962), anschließend nur vereinzelt Aufsätze. Erst seit der Neufassung im Jahre 1994 besteht regeres Forschungsinteresse. 31 Die Ergebnisse der Verfahrensbeobachtungen werden nicht eigens aufgelistet, sie dienten der Themenannäherung und Entwicklung der Untersuchungskriterien. Auffällig waren u. a. die Abweichungen der beobachteten Verfahren von Berichten aus der Praxis, die Verfahrensdauer sowie das Abhängigmachen des beschleunigten Verfahrens am AG Potsdam von Kriterien wie der Geständigkeit des Beschuldigten, welche nicht gesetzliche Voraussetzungen der §§ 417 ff. StPO sind; s. zur Geständigkeit als faktischer Bedingung eines beschleunigten Verfahrens Lemke/RothsteinSchubert, ZRP 1997, S. 488, 491. 32 s. etwa die Gesetzesentwürfe des Bundesrates vom 10.11.2000 (BR-Drs. 549/00) hinsichtlich einer vorgeschlagenen Streichung des § 79 Abs. 2 JGG, um die Betreibung des beschleunigten Verfahrens auch gegen Jugendliche zu ermöglichen, sowie vom 30.11.2006 (BT-Drs. 16/3659, S. 5) u. a. mit dem Vorschlag einer Ausweitung des Strafrahmens im beschleunigten Verfahren durch Modifikation von § 419 Abs. 1 S. 2 StPO auf zwei Jahre. 33 Scheffler, NJW 1994, S. 2191. 28

A. Einleitung und Fragestellung

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eine Zeit- und Ressourcen-Ersparnis der Justiz sowie den (mutmaßlich präventiven)34 Effekt zu erreichen, dass die Strafe der Tat auf dem Fuße folge.35 Handelt es sich bei der Ablehnung der Verfahrensart im Schrifttum um eine falsche, auf Vermutungen beruhende Zurückhaltung, oder bestätigen sich die Kritikpunkte anhand eines Blicks in die Rechtstatsächlichkeit? Entsprechen das zentrale, die Verfahrensart bis zur Urteilsverkündung bestimmende Eignungskriterium (§§ 417, 419 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO) sowie die in der Diskussion als besonders geeignet genannten Fälle und Beschuldigtengruppen dem tatsächlichen Anwendungsbereich?36 Die §§ 417 bis 420 StPO können verschiedentlich gehandhabt werden,37 denkbar ist die Ausschöpfung aller Beschleunigungsmöglichkeiten, etwa mit mündlicher Anklageerhebung und Verhandlung noch am Tattag, oder die ggf. schonendere Praktizierung einer näher am Regelverfahren liegenden Variante. Wel34 Die Annahme, eine knapp auf die Tat folgende Hauptverhandlung wirke sich präventiv hinsichtlich der Begehung künftiger Straftaten aus, erscheint eingängig, ist empirisch allerdings nicht belegt. Dass im Zusammenhang der Wirkung von Sanktionen mitunter nicht leicht Eingängiges, sondern Überraschendes anzunehmen wäre, vermutete schon v. Liszt (1905, S. 346): „Wenn ein Jugendlicher oder auch ein Erwachsener ein Verbrechen begeht und wir lassen ihn laufen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder ein Verbrechen begeht, geringer, als wenn wir ihn bestrafen [. . .]“ Zu Anhaltspunkten bzgl. eines Ansteigens der Rückfallquote bei größerer Sanktionshärte bzw. zu einer Austauschbarkeit von Rechtsfolgen hinsichtlich künftiger Legalbewährung s. Eisenberg, 2005, § 42 Rn. 11, 40 ff. m. Nw.; die spezialpräventive Wirksamkeit eines schnellen „Dressurmodells“ gegenüber einer kommunikativen Einflussnahme bezweifelnd Neumann, StV 1994, S. 273, 276. 35 s. BT-Drs. 12/6853, S. 34. 36 Die vage formulierte Voraussetzung der Verfahrensart wird schwerpunktmäßig auszulegen sein und der Umgang der Praxis damit auch darum untersucht werden müssen, da die in der Diskussion und politischen Forderungen genannten Beschuldigtengruppen wie „reisende Täter“, Heranwachsende, Wohnsitzlose, gewalttätige Demonstranten, Fußballhooligans, Neonazis etc. diesem Eignungskriterium ggf. nicht entsprechen (vgl. etwa KMR-Metzger, § 417 Rn. 17; LR25-Gössel, § 417 Rn. 28; Schröer, 1998, S. 76; Zieger, 2002, Rn. 230) und im Übrigen nach den Prozessbeobachtungen in Berlin und Brandenburg gar nicht für die Verfahrensart bestimmend zu sein scheinen. s. bzgl. der Diskussion bzw. vorgebrachter Forderungen etwa BR-Drs. 549/00, Beschluss vom 10.11.2000, S. 2; Märkische Allgemeine, „Der Schläger kommt aus Kyritz“, Artikel v. 13.09.2007; für die Fußballweltmeisterschaft forderte Bundesjustizministerin Zypries Aburteilungen von Hooligans innerhalb von 24 Stunden mittels beschleunigter Verfahren, s. Interview in der Berliner Morgenpost v. 08.03.2006; ebenfalls betr. die Fußballweltmeisterschaft hinsichtlich eines „kurzen Prozess[es] mit Gewalt-Fans“ s. Stern, Hooligans on Tour, Artikel v. 19.04.2006. 37 „[S]chriftlich oder mündlich kann der Antrag nach § 417 StPO bspw. gestellt werden, „sofort oder in kurzer Frist“ wird die Hauptverhandlung gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO durchgeführt, „[d]er Einreichung einer Anklageschrift bedarf es nicht“, die Vernehmung „darf“ nach § 420 Abs. 1 StPO durch Verlesung ersetzt werden und vgl. weiter § 418 Abs. 2 S. 1, § 420 Abs. 2,4 StPO.

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A. Einleitung und Fragestellung

che Entscheidung hat die Praxis getroffen, und was folgt aus dem gewählten Weg für Beschleunigung und rechtsstaatliche Durchführung der Verfahrensart? Versucht wird, mit der Beantwortung der Fragen einen empirischen Beitrag zur Diskussion um das beschleunigte Verfahren zu leisten. Die Untersuchung im Ganzen gliedert sich folgendermaßen: – Der Hauptteil der Arbeit38 soll die einzelnen Regelungen des beschleunigten Verfahrens dogmatisch durchleuchten und dabei in der wissenschaftlichen Diskussion vernachlässigte Fragen erörtern. Im Anschluss an jeden einzelnen Paragraphen (§§ 417–420 StPO) als Regelungskomplex39 wird der rechtstatsächliche Umgang in Brandenburg und Berlin mit diesem dargestellt.40 – Danach findet eine Zusammenfassung der dogmatischen und empirischen Ergebnisse statt, welche eine Hypothesenbildung ermöglicht und erste rechtspolitische Ansätze formulieren lässt.41 – Dem voran wird das methodische Vorgehen der empirischen Untersuchung geschildert.42

38 39 40 41 42

Teil C. Teile C. I., III., V., VII. Teile C. II., IV., VI., VIII. Teil D. Teil B.

B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung I. Methodisches Vorgehen und Problematik Zur Konkretisierung und Beantwortung der aufgeworfenen Fragen war zunächst auszuwerten, welche empirischen Erkenntnisse bestehen und fruchtbar gemacht werden können, welche Hindernisse der empirischen Untersuchung entgegenstehen und ob, bzw. in welchem Maße sie überwunden werden können. Zu prüfen war, welche Datenerhebungsmethode die besten Ergebnisse für den untersuchten Gegenstand verspricht. Die oben genannten Fragen waren in konkrete, einer Untersuchung zugängliche Fragestellungen aufzugliedern, die Begriffe erhebbar und messbar zu machen. Nach Konstruktion, Testung und Überarbeitung eines geeigneten Messinstruments konnten die Daten der Stichproben für die ausgewählten Länder Brandenburg und Berlin erhoben und ausgewertet werden. 1. Forschungsstand und offene Fragestellungen Größere empirische Veröffentlichungen zu den neu geregelten §§ 417–420 StPO finden sich kaum.43 a) Die Studie von Popp Eine offenbar umfassendere Untersuchung wurde zwar von Popp44 durchgeführt, jedoch nicht veröffentlicht. Insofern ist die methodische Vorgehensweise (schon hinsichtlich Beobachtung, Aktenanalyse oder gar Befragung) nicht erkennbar. Von August 1997 bis Januar 2000 sollen 342 beschleunigte Verfahren untersucht worden sein.45 Die Zahl der analysierten Kriterien ist gering. Als Verurteilungen sollen 55 Freiheitsstrafen, 125 zur 43 Aufgrund der relativen Nähe der Erscheinungsdaten richtet sich die Darstellung der folgenden Arbeiten nicht nach zeitlicher, sondern nach einer für das inhaltliche Verständnis bestgeeignet erachteter Reihenfolge. 44 Popp, Durchführung beschleunigter Verfahren bei dem Amtsgericht Fürth, unveröffentlicht aber (vermutlich auszugsweise) wiedergegeben in KMR-Metzger, Vor § 417 Rn. 6. 45 KMR-Metzger, a. a. O.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen sowie 133 Geldstrafen ergangen sein; 10 mal sei das Verfahren eingestellt, 3 mal die Aburteilung im beschleunigten Verfahren abgelehnt worden.46 Bei diesen Angaben fehlen allerdings 16 Verfahren, um auf die Zahl 342 zu gelangen. Möglicherweise handelt es sich also um unrichtige Werte. Mutmaßen könnte man auch, dass eine Erledigungsart nicht wiedergegeben wurde, etwa „Übergang ins Strafbefehlsverfahren: 16“. 260 Urteile seien sofort rechtskräftig geworden.47 Die Art der Antragsstellung habe sich nach 139 Anträgen in Art einer normalen Anklageschrift und 175 Anträgen im Schnellverfahren unterschieden.48 Um auf die Zahl 342 zu kommen fehlen hier die Angaben über 28 Verfahren.49 Abgeurteilt worden seien 183 Diebstähle, 49 mal Trunkenheit im Verkehr, 20 mal Fahren ohne Fahrerlaubnis, 12 Straftaten nach dem AuslG, 11 mal Betrug und „6 mal vorsätzliche Körperverletzung und Hausfriedensbruch“.50 Dabei ergibt sich die für den Verfasser nicht nachzuvollziehende Gesamtzahl von 281 abgeurteilten Verfahren (bzw. 287 falls sich die Zahl 6 auf zwei Deliktsarten und nicht auf zusammengefasst bezeichnete Delikte bezieht). Mangels weiterer Informationen über die Studie und angesichts der unklaren Zahlenangaben fällt eine Gesamtwürdigung schwer. Überraschend und als zusätzliche Motivation, diese Faktoren in der eigenen Untersuchung zu analysieren, erscheint die hohe Anzahl der Freiheitsstrafen sowie der Haftanträge, welche gemeinsam mit dem Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurden.51 b) Die Studie von Bielefeld Ein Aufsatz des Präsidenten des AG Potsdam Bielefeld 52 thematisiert anhand von 5 aus dem zuständigen Dezernat zufällig ausgewählten abge46

KMR-Metzger, a. a. O. KMR-Metzger, a. a. O. 48 Von den Anträgen im Schnellverfahren seien „149 mit Haftantrag, 19 aus der U-Haft, 6 nach sofortiger Gestellung, 1 im Sammeltermin“ ergangen, s. KMR-Metzger, a. a. O. 49 Hier ist nicht vorstellbar, welche Angaben nur nicht genannt sein könnten, um die fehlende Zahl zu erklären. 50 KMR-Metzger, a. a. O. 51 Üblicherweise wird das beschleunigte Verfahren als Instrument angesehen, Bagatellen abzuurteilen, bei denen grundsätzlich auch ein Strafbefehl oder eine Einstellung gem. § 153a StPO in Betracht käme, s. LR25-Gössel, Vor § 417 Rn. 2, bzw. „Massendelikte der kleineren Kriminalität“ vorlägen, s. KMR-Metzger, a. a. O.; Paeffgen (SK-StPO, § 417 Rn. 13) meint gar, die Voraussetzung der „Einfachheit“ des § 417 StPO sei in Anbetracht des § 56 StGB grundsätzlich in Zweifel zu ziehen (und also kein beschleunigtes Verfahren anzuwenden), wenn die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in Betracht komme; dagegen aber KK-Graf, § 417 Rn. 8. 52 Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429 ff. 47

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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schlossenen Fällen die Arbeitsweise dieses Gerichts mit dem beschleunigten Verfahren. Abgeurteilt worden seien im ersten Fall lediglich ein bzw. drei Tage nach den Taten ein räuberischer Diebstahl und ein (Laden-)Diebstahl. Eine telefonische Verteidigerbenachrichtigung habe stattgefunden. In der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht sei der Ladendetektiv als Zeuge gehört worden. Der nichtdeutsche Angeklagte sei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Im zweiten Fall seien zwei nichtdeutsche Angeklagte wegen gemeinschaftlichen (Laden-)Diebstahls einen Tag nach der Tat zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Im dritten Fall sei der Angeklagte 10 Tage nach der Tat wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe mit Führerscheinsperre von 10 Monaten verurteilt worden. Zur Hauptverhandlung sei er „durch die Polizei [. . .] geladen“53 worden. Der vierte Fall betrifft Fahren ohne Fahrerlaubnis. Zwischen Hauptverhandlung und Tat habe ein Monat gelegen. Der Angeklagte habe sich mit der Durchführung des beschleunigten Verfahrens bei der Polizei einverstanden erklärt und sei von dieser zum Hauptverhandlungstermin geladen worden. Verurteilt worden sei er zu drei Monaten Freiheitsstrafe. Im letzten Fall sei der Angeklagte, der Sohn des Opfers, wegen Computerbetruges nach Einverständnis mit der Verfahrensart und Hauptverhandlungsladung durch die Polizei etwa zweieinhalb Monate nach der Tat verwarnt worden. Vorbehalten worden sei die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe. Eine Bewährungszeit von einem Jahr sei festgelegt und die Wiedergutmachung des Schadens innerhalb von sieben Monaten durch den Angeklagten auferlegt worden. In keinem Fall habe ein Eröffnungsverfahren stattgefunden.54 Die Darstellung weicht in so vielen Faktoren55 bereits von dem in Prozessbeobachtungen durch den Verfasser am selben Gericht Festgestellten 53

Bielefeld, DRiZ 1998, S. 430. Bielefeld, DRiZ 1998, S. 431. Im Anschluss an die Fallbeispiele wird von Bielefeld das gerichtsorganisatorische Vorgehen, etwa die Einrichtung von Servicegeschäftsstellen und richterlichen Bereitschaftsdiensten sowie die Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft und Polizei erläutert (DRiZ 1998, S. 431 ff.). 55 Dies sind insbesondere Verhandlungen auch vor dem Schöffengericht, wenige Tage zwischen Tat und Hauptverhandlung, räuberischer Diebstahl und Computerbetrug als beschleunigt verhandelte Delikte sowie Art und Höhe der verhängten Strafen; gleiches gilt für die mündliche Form der Antragsstellung gem. § 417 StPO, vgl. Bielefeld, DRiZ 1998, S. 432. 54

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

ab, dass sie schon vor der eigentlichen Untersuchung als zeitlich überholt bzw. als Werbemaßnahme für ein politisch gewolltes56 oder arbeitsökonomischeres Verfahren57 anzusehen sein wird. Noch aktuell und einer eingängigeren Untersuchung zuzuführen sind hingegen die mehrfach erwähnten „Polizeiladungen“.58 c) Die Studie von Kohler Kohlers rechtsvergleichende Arbeit enthält einen kleineren Untersuchungsteil zum tatsächlichen Umgang mit dem beschleunigten Verfahren.59 Die interessanten und überraschenden Ansätze könnten tiefer gehende Untersuchungen anregen. Sie erläutert das Vorgehen am AG Bochum, am AG Frankfurt a. M. und generell in Deutschland. Am AG Bochum sei zu Beginn des Pilotprojekts 1995 nur besonders beschleunigt, also am Tattag oder darauf folgenden Tag verhandelt worden. 90 Prozent der verhandelten Delikte seien Ladendiebstähle gewesen.60 Nach Kohlers Auffassung sei die zu Beginn durchgeführte pauschalierende Festnahmepraxis (mit einer Verhandlung einige Stunden nach der Festnahme oder am darauf folgenden Tag nach der Nacht in Polizeigewahrsam) mangels Prüfung eines Haftgrundes nicht vom geltenden Festnahmerecht gedeckt gewesen und auch durch den später hinzugekommenen § 127b StPO nicht legitimiert.61 Ab 1997 sei dann grundsätzlich wegen aller Delikte verhandelt worden.62 Durch das intensiv genutzte Institut der Hauptverhandlungshaft seien die Verfahren auf bis zu eine Woche ausgedehnt worden.63 Grundsätzlich sei die in Bochum praktizierte Variante die schnellstmögliche des beschleunigten Verfahrens.64 Die Vorgehensweise am AG Frankfurt stelle ein normalähnliches beschleunigtes Verfahren dar, beinhalte also keine „besonders beschleunigten 56 Auch Kohler (2001, S. 127) befürchtet aufgrund von Diskrepanzen zwischen statistischer Realität und Medienberichten „Schönrederei“ oder „politisches Wunschdenken“, Bürgle gar eine „Manipulation der öffentlichen Meinung“ (StV 1998, S. 514, 518). 57 Bielefeld spricht von einer Zeitersparnis von 50 Prozent für Geschäftsstellen und einer vergleichbaren Entlastung für Richter, s. DRiZ 1998, S. 433. 58 Diese verstoßen gegen § 213 StPO, s. dazu und zur grundsätzlichen Kritik an der Vorgehensweise LR25-Gössel, Vor § 417 Rn. 15, 20 ff. 59 Kohler, 2001, S. 93 ff. 60 s. Kohler, 2001, S. 96. 61 s. Kohler, 2001, S. 100. 62 s. Kohler, 2001, S. 101. 63 s. Kohler, 2001, S. 101. 64 s. Kohler, 2001, S. 108.

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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Verfahren“, seit jeher sei die Verfahrensart dort relativ viel genutzt worden.65 Seit 1996 habe es ein Intensivierungsprojekt insbesondere zur Entlastung der Justiz und zur Verkürzung der Untersuchungshaftdauer gegeben.66 Vor allem mittels organisatorischer Veränderungen, also Verkürzung der Aktenumlaufzeiten, personeller Aufstockung und PC-Vernetzung sei eine Beschleunigung eingetreten.67 Beschleunigt verhandelt werde grundsätzlich wegen aller Delikte, praktisch vor allem wegen Verstößen gegen das AuslG und wegen Diebstahls, seit jeher aber fast ausschließlich in Untersuchungshaftfällen.68 Dadurch erreiche man eine Verkürzung der Untersuchungshaftdauer, was Haftkosten spare.69 23 Prozent der ausgesprochenen Strafen seien Freiheitsstrafen, davon etwa zwei Drittel solche die zur Bewährung ausgesetzt würden, 77 Prozent seien Geldstrafen; der Anteil der verteidigten Beschuldigten sei mit 75 Prozent hoch.70 Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrage 36 Minuten, die Anklageerhebung geschehe mündlich, durch Verlesung des schriftlichen Antrags auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, welcher § 200 Abs. 1 StPO entsprechend formuliert sei. Von den Verfahrenserleichterungen des § 420 StPO werde kein Gebrauch gemacht.71 Die allgemeine Anwendungspraxis variiere in Art und Häufigkeit regional und von Land zu Land erheblich. Manche Gerichte führten nur besonders beschleunigte Verfahren durch, andere nur „einfach beschleunigte Verfahren“, wieder andere beide Arten zugleich.72 Vielfach werde wie im Normalverfahren schriftlich angeklagt.73 Die Hauptverhandlungsdauer sei allgemein kurz, Terminierungen geschähen von Ort zu Ort unterschiedlich im 15 Minuten-, 30 Minuten- oder Stundentakt.74 Typischer im beschleunigten Verfahren Verfolgter sei ein vorgeführter (nicht geladener), geständiger Beschuldigter, aus sozial schwachem Milieu, meist Ausländer und kein Heranwachsender, der v. a. wegen ausländerrechtlichen Verstößen oder Diebstählen angeklagt sei.75 Genaue Angaben zur Strafverteilung habe Kohler nicht erhalten, das beschleunigte Verfahren sei aber nicht ausschließlich auf den Geldstrafenbereich beschränkt.76 Im besonders beschleunigten Ver65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76

s. s. s. s. s. s. s. s. s. s. s. s.

Kohler, Kohler, Kohler, Kohler, Kohler, Kohler, Kohler, Kohler, Kohler, Kohler, Kohler, Kohler,

2001, 2001, 2001, 2001, 2001, 2001, 2001, 2001, 2001, 2001, 2001, 2001,

S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S.

102 f., 102 f., 105 f. 103 f. 107. 106. 106. 108 f., 111 f. 112. 110 f., 114 f.

S. 107. 105 ff.

124 f.

113.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

fahren sei eine wirksame Verteidigung nicht möglich, die Beschuldigten befänden sich in einem Schockzustand, nur knappe Gespräche fänden statt. Besser sei die Situation bei den normalähnlichen beschleunigten Verfahren, allerdings richte sich die Verteidigung nicht gegen den vom Gericht angenommenen Sachverhalt, sondern nur gegen das beantragte Strafmaß. Es handele sich eher um „moralischen Beistand“ und eine „Dolmetscherfunktion“, für die die Prozessführung oft gar nicht verstehenden Beschuldigten.77 Die Pflichtverteidigungsregel werde mancherorts faktisch oder gar ausdrücklich umgangen. Teilweise gebe es auch anwaltliche Bereitschaftsdienste, mit denen die Zusammenarbeit als gut bezeichnet werde.78 § 420 StPO sei ohne praktische Relevanz.79 Die Erleichterung des § 419 Abs. 3 StPO halte die Praxis für positiv, aber ohne große Auswirkungen.80 Insgesamt sei der Bedeutungszuwachs des beschleunigten Verfahrens schleppend und von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich.81 Der Wegfall des Zwischenverfahrens, auf den sich das Verfahren in der Praxis im Wesentlichen reduziere, bedeute keine große Erleichterung, da dem Zwischenverfahren vor dem Amtsgericht ohnehin keine große Bedeutung zukomme.82 Vielfach werden in der Arbeit allerdings verallgemeinernde Aussagen gewagt, obgleich eingeräumt wird, keine aktuellen oder überhaupt keine statistischen Angaben83 zu der jeweiligen Frage zu besitzen. Die Feststellungen beruhen ohne kritisches Hinterfragen der Quellen und Informationen gemischt auf „eigenen Beobachtungen, Gesprächen mit am beschleunigten Verfahren beteiligten Richtern und Staatsanwälten sowie gerichtsinternem Material . . .,“84 insbesondere ohne Angaben, auf welche Weise und wie häufig beobachtet oder befragt wurde. Daraus und aus selbst gefundenen Erkenntnissen ergeben sich Zweifel hinsichtlich der gefundenen Ergebnisse. Ein methodisch stringenteres Vorgehen war allerdings vermutlich im Rahmen einer dogmatischen rechtsvergleichenden Arbeit auch nicht angezeigt. Als wesentlicher Erkenntnisgewinn bleibt die Verschiedenheit des Umgangs mit der Verfahrensart in Deutschland. Insoweit ist eine weitere Unter77

s. Kohler, 2001, S. 115 ff. s. Kohler, 2001, S. 118 ff. 79 s. Kohler, 2001, S. 120 f. 80 s. Kohler, 2001, S. 122. 81 s. Kohler, 2001, S. 124 ff. 82 s. Kohler, 2001, S. 126. 83 Keine aktuellen Zahlen zur Verfügung gehabt zu haben, wird auf der Seite 99 (Fn. 385) angegeben, überhaupt keine statistischen oder prozentualen Angaben auf den Seiten 99 (Fn. 386), 111 (Fn. 414), 113, 114, 121 (Fn. 452), s. Kohler, 2001. 84 Kohler, 2001, S. 95. 78

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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suchung nicht nur aus methodischen Gründen nötig, sondern auch, um das aus den bisherigen Untersuchungen entstehende Bild zu vervollständigen. d) Die Studie von Bürgle Einen kleineren empirischen Teil enthält die Monographie von Bürgle85 zum neu gefassten beschleunigten Verfahren. Insbesondere die Gründe für die vor Einführung der §§ 417 bis 420 StPO geringen Anwendungszahlen beschleunigter Verfahren sowie das voraussichtliche künftige Anwendungsverhalten wurden untersucht, um Aufschluss über die Chancen einer Zielerreichung des Gesetzgebers auf vermehrte Nutzung der Verfahrensart zu erhalten.86 Mittels eines Fragebogens wurden Staats- und Amtsanwälte befragt.87 Bundesweit wurden je Bundesland grundsätzlich die Behördenleiter zweier Staatsanwaltschaften angeschrieben und um die Verteilung von Fragebögen an die Dezernenten gebeten.88 Nach Bürgle zeigten die Ergebnisse der Untersuchung, dass die gesetzgeberischen Maßnahmen in Zukunft kaum zu einer Mehranwendung oder zu einer Beschleunigung amtsgerichtlicher Verfahren führen würden.89 Vor allem die Nichteigung der meisten Fälle für die Verfahrensart und der Mangel an technischen und personellen Voraussetzungen seien die Gründe für die seltene Nutzung des beschleunigten Verfahrens früherer Prägung, daneben die Verpflichtung zur Durchführung der Verhandlung in kürzester Frist, die Bevorzugung des Strafbefehlsverfahrens sowie eine mangelnde Bereitschaft der Richter.90 Die große Mehrzahl der Befragten sähen auch keine Veranlassung, das beschleunigte Verfahren neuer Prägung häufiger anzuwenden als das bisherige. Die Regelungen brächten praktisch keine Vorteile, es werde nicht mehr für die Verfahrensart geeignete Fälle geben als früher; auch führe etwa die Vorschrift § 418 Abs. 4 StPO über notwendige Verteidigung zu Verzögerungen.91 Die interessanten Ergebnisse regen an, sich eingehender mit der Frage der „Eignung“ eines Falles für das beschleunigte Verfahren auseinanderzusetzen. Auch müssen die genannten Gründe für ablehnendes Verhalten 85 86 87 88 89 90 91

s. s. s. s. s. s. s.

Bürgle, 1997. Bürgle, 1997, S. 36 ff. Bürgle, 1997, S. 40 f. Bürgle, 1997, S. 41. Bürgle, 1997, S. 53 ff. Bürgle, 1997, S. 45 ff. zu diesen und weiteren Gründen Bürgle, 1997, S. 49 ff.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

der Praktiker dogmatisch und empirisch untersucht oder auch nur überprüft werden. Ggf. problematisch sind die Ergebnisse insoweit, als die Befragten teilweise Sonderdezernate wie Wirtschafts-, Umwelt- oder Jugendstrafsachen betreuten, so dass deren Ablehnung der Verfahrensart nicht in einer grundsätzlichen Problematik dieser, sondern lediglich in der offensichtlichen Ungeeignetheit der Fälle dieser Sonderdezernate für beschleunigte Verfahren liegen kann.92 Zu gewissem Teil werden sich die für die ablehnende Haltung genannten Gründe damit nicht auf die mit der Verfahrensart anvisierten einfachen Sachverhalte beziehen. Auch wurden „zusammenfassende, für eine Behörde insgesamt gültige Stellungnahmen [. . .] als Ausdruck der einheitlichen Auffassung aller Dezernenten einer Behörde als Rücklauf von 100% (entsprechend 259 Fragebögen) gewertet“,93 wobei außer Zweifel stehen dürfte, dass die Antworten des einzelnen Rechtsanwenders hinsichtlich Sachwissen und verfolgter Interessen von denjenigen des Behördenleiters abweichen können. e) Die Studie von Ernst Im Wesentlichen mittels der Zusammenfassung wissenschaftlicher sowie Presse-Artikel gibt Ernst94 einen Überblick betreffend die praktische Anwendung des beschleunigten Verfahrens der letzten Jahrzehnte.95 Die hohen Anwendungszahlen während der Kriegsjahre hätten sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst fortgesetzt, seien dann bald gesunken.96 Die Verfahrensart habe keine große praktische Bedeutung mehr gehabt, sei allerdings später, vor allem während der Studentenproteste 1968, verstärkt gegen Demonstranten eingesetzt worden; daneben seien Verkehrsdelikte Gegenstand beschleunigter Verfahren gewesen.97 Das Vorgehen gegen politisch unerwünschte Gruppierungen habe sich fortgesetzt.98 Bei den Verfahren in den 90er Jahren seien vor allem Delikte der Massenkriminalität wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren verhandelt worden, sehr häufig mit Nichtdeutschen als Angeklagten. Aber auch die Forderungen, gegen politisch motivierte Täter vorzugehen, würden immer wieder und erfolgreich erneuert.99 92 93 94 95 96 97 98 99

Vgl. Bürgle, 1997, S. 46. Bürgle, 1997, S. 43. Ernst, 2001. Ernst, 2001, S. 34 ff. Ernst, 2001, S. 34 f. Ernst, 2001, S. 35 f. Ernst, 2001, S. 38 f. Ernst, 2001, S. 39 ff.

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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Neben einem dogmatischen Teil und historischen Überblick enthält seine Monographie als empirische Untersuchung die Handhabung des beschleunigten Verfahrens in Bochum. Dort sei bereits kurz nach der Neuregelung des beschleunigten Verfahrens durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz ein gemeinsamer Plan von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz entwickelt worden, die neuen Möglichkeiten stark zu nutzen.100 Ziel sei es vor allem gewesen, abschreckende Wirkung zu erreichen, Zeit und Kosten zu sparen sowie das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu stärken.101 Eine besonders beschleunigte Form mit Verhandlungen am Tatoder Folgetag sei festgelegt worden. Dazu seien die Geschäftsverteilungspläne bei Gericht verändert, ein staatsanwaltschaftlicher Eildienst eingerichtet und eine polizeiliche Verfügung erlassen worden, in welchen Fällen und auf welche Weise beschleunigt vorgegangen werden sollte.102 Die polizeiliche Verfügung ist der Kern der Untersuchungen von Ernst. Darin würden als Zielgruppe des Verfahrens vor allem Wohnsitzlose und „reisende Täter“ bezeichnet,103 sowie geeignete Delikte angegeben.104 Der Polizeibeamte prüfe noch am Tatort die Eignung des Falles.105 Bei Bejahung werde der Beschuldigte mitgenommen, erkennungsdienstlich behandelt sowie gemäß Checklisten und Formblättern eingetragen und angezeigt. Er werde belehrt und nötigenfalls kurz mit einem Dolmetscher angehört. Telefonnummern von anwaltlichen Notdiensten stünden ihm zur Verfügung. Dann werde entsprechend dem Delikt bzw. der Schadenshöhe der Eildienst der Amts- oder Staatsanwaltschaft verständigt, welcher über Aufrechterhaltung der Festnahme und Beantragung des beschleunigten Verfahrens entscheide.106 Bei Zuständigkeit des AG Bochum benachrichtige der Polizeibeamte dort anschließend eine bestimmte Geschäftsstelle, teile die 100 Ernst, 2001, S. 148 f.; das entwickelte „Bochumer Modell“ sei dann auch an zahlreichen anderen Orten übernommen oder zumindest debattiert worden, s. Ernst, 2001, S. 16. 101 Ernst, 2001, S. 161; Kosten könnten insbesondere durch die Vermeidung des teuren Nachermittlungsbedarfs vermieden werden, s. Ernst, 2001, S. 162. 102 Ernst, 2001, S. 148. 103 Ernst, 2001, S. 151. 104 Insbesondere vorgeschlagen wird gem. der bei Ernst abgedruckten (allerdings immer wieder veränderten) Polizeiverfügung (Ernst, 2001, S. 158 f.) ein Vorgehen nach den §§ 417 ff. StPO bei Diebstählen im Wert von über 10 DM, speziellen Fällen des einfacheren Betruges (und damit einhergehenden Urkundenfälschungen), Computerbetruges, bestimmten Formen des Hausfriedensbruchs („Bahnhof, Verbot nach vorangegangenen Ladendiebstählen“), Sachbeschädigung und Fahren ohne Fahrerlaubnis, Verstößen gegen § 53 WaffG, bestimmten Verstößen gegen Ausländer- und Asylgesetze sowie Verstößen gegen § 29 BtMG („z. B. in der Straßenszene“). 105 s. zur nun folgenden Wiedergabe des Verfahrensablaufs Ernst, 2001, S. 159 ff.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

Personalien mit und erkläre, ob ein Dolmetscher benötigt werde. Die Geschäftsstelle benachrichtige den Richter. In Bochum werde der fertig gestellte Vorgang nun dem zuständigen Beamten der Amts- oder Staatsanwaltschaft übermittelt. Bei Zuständigkeit anderer teilnehmender Amtsgerichte werde der Vorgang nach Eignungsbejahung und Antragstellung der Staatsanwaltschaft direkt dem Gericht übergeben. Je nach Festnahmezeitpunkt werde der Beschuldigte unmittelbar in den Gewahrsam des Amtsgerichts überstellt oder am Folgetag vorgeführt. Neben der Konzentration auf Personen ohne festen Wohnsitz oder mit nicht feststehender Identität107 sei in einer Erhebung zu Beginn des „Bochumer-Modells“ festgestellt worden, dass in der Verfahrensart überproportional hoch gegen Ausländer verhandelt werde.108 Dies sei in anderen Städten ähnlich.109 Zunächst seien vor allem Diebstähle beschleunigt verhandelt worden, später sei in der Polizeiverfügung eine erhebliche Ausdehnung der für geeignet empfundenen Delikte vorgenommen worden.110 Das Verfahren könne laut Verfügung nur gegen Erwachsene, also Personen ab 21 Jahren durchgeführt werden, was eine Einschränkung hinsichtlich der Vorgaben der §§ 417–420 StPO bedeute.111 Falls das Verfahren ordentlich geführt werden könne, solle auch gegen Personen verhandelt werden, die unter Drogeneinfluss stünden.112 Nach Ernst sei die zentrale polizeiliche Verfügung mangels Zuständigkeit im Regelungsbereich formell rechtswidrig113 und verstoße in verschiedener Hinsicht gegen geltendes Recht und Verfassung: Die Knappheit der Zeit zur 106 Der Eildienst der StA beantrage ggf. auch einen Haftbefehl gem. § 127b StPO, Ernst, 2001, S. 160. Kritisch hinsichtlich der Eignungsentscheidung der StA lediglich aufgrund von telefonischen Informationen Ernst, 2001, S. 191 f. 107 s. Ernst, 2001, S. 175 ff. 108 s. Ernst, 2001, S. 178 f.: 57,2%, allerdings ohne Quellenangabe. 109 s. Ernst, 2001, S. 180 f. 110 s. Ernst, 2001, S. 183; zu der (nicht abschließenden) Deliktsauflistung s. oben Fn. 104. Ernst sieht in der Deliktsauswahl von einfachen Ladendiebstählen, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch (später aus der Verfügung entfernt), Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz usw. einen zu schematischen Zugang, welcher den gesetzlichen Vorschriften des beschleunigten Verfahrens nicht gerecht werde, sowie den Versuch ein „ordentliches“ Stadtbild zu erzeugen, also gezielt gegen bestimmte Personengruppen vorzugehen und etwa von der Öffentlichkeit als störend empfundene Drogenszenen zu bekämpfen, s. Ernst, 2001, S. 184 ff. Wieder aus der Verfügung als geeignetes Delikt entfernt worden sei das Fahren ohne Fahrerlaubnis; die generell überwiegende Erledigungsart hierfür sei das Strafbefehlsverfahren, s. Ernst, 2001, S. 187. 111 s. Ernst, 2001, S. 189. 112 s. Ernst, 2001, S. 189. 113 s. Ernst, 2001, S. 162 ff.

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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Prozessvorbereitung bei der angestrebten besonderen Verfahrensschnelligkeit beinhalte regelmäßig einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3b EMRK.114 Die umfangreiche Überlassung der Auswahl der für die §§ 417 ff. StPO geeigneten Delikte an die Polizei sowie die oft nur telefonische Mitteilung der Sachverhalte widerspreche der Kontrollbefugnis der StA.115 Der aufgrund der Verfügung regelmäßig stattfindende Freiheitsentzug sei mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig.116 Die hohe Ausländerquote sei problematisch, da in beschleunigten Verfahren gegen Ausländer keine Zeit für die nötige umfassendere Persönlichkeitswürdigung und Folgenberücksichtigung bleibe.117 Zu befürchten sei insgesamt ein Zweiklassenstrafrecht mit beschleunigten Verfahren gegen jene, die sich nicht gegen die Verfahrensart wehren könnten.118 Das „Bochumer Modell“ müsse mithin abgeschafft werden.119 Da aber auch an anderen Orten nicht der notwendige behutsame Umgang mit den Regelungen zu beobachten sei, vielmehr diese Form des „Feindstrafrechts“ extensiv angewandt werde, müssten die §§ 417–420 StPO wegen ihres hohen Missbrauchspotentials insgesamt ersatzlos gestrichen werden.120 Die kritischen Ausführungen von Ernst regen zu einem Vergleich mit gefundenen Ergebnissen nach Abschluss der Untersuchung an. Welche Form der Verfahrensart wird in Berlin und Brandenburg praktiziert? Werden die §§ 417–420 StPO bei Taten mit politischem Hintergrund angewandt? Wird überproportional häufig gegen Ausländer vorgegangen? Wie verhält es sich mit Wohnsitzlosen und Personen ohne feststehende Identität? Problematisch an einem Vergleich wird sein – und dies bezeichnet die entscheidende Schwäche der Arbeit von Ernst, – dass es sich um keine empirische Erhebung handelt, welche Fälle in Bochum wirklich beschleunigt verhandelt werden und auf welche Weise. Die polizeiliche Verfügung hat keinerlei Verbindlichkeit für die Staatsanwaltschaft und schon gar nicht für die Richter. Es ist damit unklar, inwieweit eine polizeiliche Verfügung ein realistisches Bild der Verfahrenswirklichkeit liefert.121 114

s. Ernst, 2001, S. 190. s. Ernst, 2001, S. 184, 191 ff. 116 s. Ernst, 2001, S. 194 ff. 117 s. Ernst, 2001, S. 181. 118 s. Ernst, 2001, S. 205. 119 s. Ernst, 2001, S. 203. 120 s. Ernst, 2001, S. 204 f. 121 Möglicherweise bejahen die Staatsanwälte bei jedem Vorschlag der Polizeibeamten die Voraussetzungen des § 417 StPO und lehnt kein Richter ein beantragtes beschleunigtes Verfahren gem. § 419 StPO ab. Möglicherweise wirkt die Polizeiverfügung aber auch allenfalls als grober Filter. 115

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

f) Die Studie von Tiedemann Die Dissertation von Tiedemann beschäftigt sich schließlich mit dem beschleunigten Verfahren und seinem Ablauf in Bonn.122 Die 2008 veröffentlichten Ergebnisse beziehen sich auf den Zeitraum 1997 bis 2002. Ziel der Arbeit sei die Untersuchung der Frage, wie die Neuerung des beschleunigten Verfahrens in der Praxis umgesetzt worden sei und welche Bedeutung die Verfahrensart derzeit habe.123 Überprüft werden solle, ob sie zu einer Entlastung der Justiz geführt habe, die auch rechtsstaatlich vertretbar sei.124 Die Fragen sollten insbesondere mittels der Methode der Aktenanalyse sowie ergänzend einer Befragung und auch mittels Prozessbeobachtungen gelöst werden. Die Darstellung der Erkenntnisse aus der Untersuchung sollten den Schwerpunkt der Arbeit bilden, insbesondere hinsichtlich des Ablaufs der Verfahrensart, der Hauptverhandlungshaft, der Täterpersönlichkeit und der Deliktsstruktur.125 Als Ziel wird des Weiteren angegeben, aufzeigen zu wollen, dass die Umsetzung der gesetzlichen Neuerungen nur mit erheblichem organisatorischem Aufwand bei Staatsanwaltschaften, Polizei und Gerichten möglich sei sowie, dass das beschleunigte Verfahren Gefahren für die Wahrheitsfindung und für die Beschuldigtenrechte berge.126 In kleinem Rahmen blieben dabei die Befragungen mittels eines nicht standardisierten Interviewleitfadens sowie die Prozessbeobachtungen, während bei der Aktenanalyse aus dem Zeitraum 1997 bis 2002 alle von der Staatsanwaltschaft Bonn beantragten beschleunigten Verfahren einbezogen wurden.127 Hauptsächlich angewandt werde das beschleunigte Verfahren als Ergebnis der Untersuchung bei Diebstahlsdelikten,128 die Beschuldigten seien zu 47,3% Nichtdeutsche gewesen, vor allem aus dem osteuropäischen Ausland,129 der Anteil von Betäubungsmittelkonsumenten oder Suchtkranken 122

Tiedemann, 2008. s. Tiedemann, 2008, S. 2. 124 s. Tiedemann a. a. O. 125 s. Tiedemann, 2008, S. 3. 126 s. Tiedemann a. a. O. 127 s. Tiedemann, 2008, S. 4 f. 128 Daneben bei Betrug gem. § 263 StGB, Leistungserschleichung v. a. in Form des „Schwarzfahrens“ gem. § 265a StGB, Verkehrsstraftaten gem. §§ 315 c, 316 StGB, §§ 21, 22 StVG, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB, Hausfriedensbruch gem. §§ 123, 124 StGB, Hehlerei gem. § 259 StGB, Sachbeschädigung gem. §§ 303, 304 StGB, Unterschlagung gem. § 246 StGB, verschiedenen Straftatbeständen des Ausländergesetzes, des Asylverfahrensgesetzes und des Betäubungsmittelgesetzes, teilweise auch bei Körperverletzung gem. § 223 StGB, s. Tiedemann, 2008, S. 45 f., 202 f. 129 s. Tiedemann, 2008, S. 50. 123

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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sei mit 36,2% signifikant.130 Kein fester Wohnsitz, mangelnde soziale Eingliederung und Arbeitslosigkeit seien daneben typisch.131 Von den untersuchten beschleunigten Verfahren, die mit einer Entscheidung, also Verurteilung, Freispruch oder Einstellung endeten (86,4%) sei in 46,3% eine Freiheitsstrafe verhängt worden, davon in 50,5% ohne Bewährung.132 In 63,9% der Fälle mit Antrag gem. § 417 StPO sei die Zuführung zum beschleunigten Verfahren nach erfolgter Festnahme oder aus der Hauptverhandlungshaft erfolgt.133 Mündliche Anklageerhebungen kämen nicht vor,134 das beschleunigte Verfahren finde nicht vor dem Schöffengericht statt135 und Heranwachsende hätten nach kurzer Zeit nicht mehr zur abgeurteilten Tätergruppe in Bonn gehört.136 Die erhoffte Ausdehnung der Verfahrensart habe der Gesetzgeber bundesweit nicht erreicht,137 die Neuregelungen des beschleunigten Verfahrens könnten diese auch nur bedingt fördern.138 Insbesondere würde von den Beweiserleichterungen so gut wie kein Gebrauch gemacht139 und der Wegfall des Zwischenverfahrens führe zu keinen bedeutenden Einsparungen.140 Allerdings habe die Neuregelung im Verbrechensbekämpfungsgesetz unabhängig von einzelnen Vorschriften dazu geführt, dass die Praxis ihre Organisationsabläufe überdacht und sowohl technische wie auch logistische Maßnahmen getroffen habe. Dies ergebe die Untersuchung in Bonn. Die Kooperation zwischen den Behörden und dem Gericht sei verstärkt worden. Im Kern habe all das mit der Neuregelung aber nichts zu tun.141 Das besonders beschleunigte Verfahren mit Verhandlung am Tattag oder darauffolgenden Tag habe aber in Bonn deutlich an Bedeutung zugenommen.142 Neben Klarstellungen und Anpassungen der gesetzlichen Regelung an die Rechtstatsächlichkeit143 müsse, um die Rechte des Beschuldigten zu 130

s. Tiedemann, 2008, S. 50 f., 203. s. Tiedemann, 2008, S. 203, allerdings ohne Häufigkeitszahlen, da selbst die gerichtsinternen Rechtspflegestatistiken dazu kaum Angaben beinhalten würden. 132 s. Tiedemann, 2008, S. 51; widersprüchlich dazu die Zusammenfassung auf S. 203: „46,3% aller beschleunigten Strafverfahren im Untersuchungszeitraum“. 133 s. Tiedemann, 2008, S. 207. 134 s. Tiedemann, 2008, S. 115. 135 s. Tiedemann, 2008, S. 43. 136 s. Tiedemann, 2008, S. 48. 137 s. Tiedemann, 2008, S. 209. 138 s. Tiedemann, 2008, S. 210. 139 s. Tiedemann, 2008, S. 174 f., 205 f., 210. 140 s. Tiedemann, 2008, S. 206, 210. 141 s. Tiedemann, 2008, S. 210. 142 s. Tiedemann, 2008, S. 33 f., 66 f., 201. 143 Vgl. die rechtspolitischen Empfehlungen, Tiedemann, 2008, S. 214. 131

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

wahren, ein Zustimmungserfordernis zur Verfahrensart eingeführt werden. Bislang könne dieser nämlich keinen Einfluss auf die Frage der Einleitung eines beschleunigten Verfahrens nehmen. Die notwendige Verteidigung müsse auf jede Freiheitsstrafenerwartung ausgedehnt werden, es sei nämlich sehr gut möglich, dass der Beschuldigte, von der Festnahme geschockt, seine grundlegenden Rechte nicht wahrnehme, den Prozess über sich ergehen lasse, keine berechtigten Einwände gegen den Anklagevorwurf vorbringe oder einen Rechtsmittelverzicht übereilt erkläre. Die Beschleunigung könne der Erforschung der notwendigen Tatsachen der Strafzumessung entgegenstehen sowie einer sorgfältigen Prüfung der §§ 47 und 56 Abs. 1 StGB. Ein Verteidiger könne diese Nachteile in einem gewissen Maß ausgleichen.144 Kleinere Vorbehalte bestehen hinsichtlich Teilen der empirischen Ergebnisse der Arbeit. Etwa fehlt jeder Bezug zu § 420 StPO in dem Erhebungsbogen zur umfangreichen Aktenanalyse und in der Protokollcheckliste für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.145 Keines der 29 bzw. der 25 untersuchten Kriterien widmet sich dieser zentralen Neuregelung des beschleunigten Verfahrens. Bleiben für das Ergebnis, dass diese „keine Rolle [spielen]“,146 die Aussagen dreier befragter Richter,147 wobei unklar ist, ob die laut Interviewleitfaden mit derselben Frage nach Bedeutung der vereinfachten Beweisaufnahme konfrontierten Amts- und Staatsanwälte sowie Verteidiger derselben, keiner oder der entgegengesetzten Auffassung waren.148 Ähnliches gilt für die gefundene durchschnittliche Hauptverhandlungsdauer von 45 Minuten, wofür die Erfahrungen aus den 32 teilgenommenen 144

s. Tiedemann, 2008, S. 141 ff., 204 f., 210 ff. s. zu diesen Tiedemann, 2008, S. 217 f. und 218 f. 146 Tiedemann, 2008, S. 174. 147 s. Tiedemann, 2008, S. 5, 174. 148 s. Tiedemann, 2008, S. 5, 174 f. und die Fragen 13, bzw. 10 im Interviewleitfaden für die Befragung der Staats- und Amtsanwälte der Staatsanwaltschaft Bonn bzw. im Interviewleitfaden für die Befragung der Strafverteidiger in Bonn auf S. 222 f., bzw. 224. Auf S. 175 sind hinsichtlich der Haltung gegenüber der Neuregelung auch die Staats- und Amtsanwälte genannt, sie zeigten sich sehr zurückhaltend, teilweise sogar ablehnend gegenüber der Neuregelung. Unter dem Gliederungspunkt „Ziel der Arbeit“ auf S. 3 findet sich folgende Aussage: „Auch sollen die erzielten Untersuchungsergebnisse entweder belegen oder widerlegen, ob die im Schrifttum vielfach geäußerte Kritik am beschleunigten Strafverfahren haltbar ist. Einschränkend muss hier berücksichtigt werden, dass die Aktenanalyse bei der Darstellung der vereinfachten Beweisaufnahme im beschleunigten Verfahren sowie bei der Darstellung der Rechtsmittel nicht aussagekräftig ist, weil eine vereinfachte Beweisaufnahme nicht durchgeführt und Rechtsmittel kaum eingelegt worden sind. Insgesamt wird deutlich, dass die gesetzlichen Regelungen des beschleunigten Verfahrens sehr lückenhaft und deswegen auslegungsbedürftig sind, [. . .].“ 145

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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Hauptverhandlungen angegeben werden,149 in der Protokollcheckliste für die Teilnahme an mündlichen Hauptverhandlungen jedoch kein Erhebungsmerkmal zu Beginn und Ende der Hauptverhandlung zu finden ist, sondern nur zu deren Datum.150 Insgesamt bietet die Studie aber eine Vielzahl interessanter Ergebnisse, welche mit den Ergebnissen vorliegender Arbeit zum Vergleich gebracht werden können. g) Zwischenergebnis Der dem gesamten Strafverfahrensrecht inhärente Mangel an empirischen Erkenntnissen besteht also ebenfalls hinsichtlich der §§ 417–420 StPO.151 Die dargestellten Werke können auch regional noch kein ausreichendes Bild des beschleunigten Verfahrens in der Rechtstatsächlichkeit zeichnen. Da die oben formulierten, den Normen, der kritischen Diskussion und den Gesetzeszielen geschuldeten Fragen unbeantwortet sind, erschien die grundsätzliche Untersuchung und Beschreibung der Verfahrensart in der Rechtstatsächlichkeit einschließlich der Offenlegung von Häufigkeitsverteilungen als nötig. 2. Grenzen empirischen Forschens Das Ziel einer empirischen Arbeit, Wahrheit oder gesichertes Wissen zu erlangen, ist in verschiedener Hinsicht problematisch. Bereits bei den untersuchten Quellen einer straf- oder strafverfahrensrechtlichen Forschung handelt es sich weniger um physikalische Lebensvorgänge als überwiegend um Material, das mehrere Stufen der Wertung durchlaufen hat.152 Was etwa als Straftat anzusehen ist, wird zunächst gesetzgebend, dann von den Strafver149

s. Tiedemann, 2008, S. 202. Vgl. Tiedemann, 2008, S. 218 f. Problematisch ist genauso, wenn angegeben wird, der Anteil von Betäubungsmittelkonsumenten oder Suchtkranken sei mit 36,2% signifikant (Tiedemann, 2008, S. 203), im Erhebungsbogen sich jedoch ausschließlich das Merkmal „Betäubungsmittel-Konsument“ findet, vgl. Tiedemann, 2008, S. 217. Die Ausführungen auf S. 50 f. deuten darauf hin, dass lediglich „Betäubungsmittel-Konsumenten“ mit der Zahl gemeint sind. Vgl. auch zur Diskrepanz der im Erhebungsbogen untersuchten Delikte und den im Ergebnis gefundenen die S. 217 und 45 f. 151 s. zum empirischen Forschungsbedarf im Strafverfahrensrecht H.-J. Albrecht, 2005, S. 1 ff. sowie speziell zur Seltenheit rechtstatsächlicher Erkenntnisse im Bereich der besonderen Verfahrensarten ders., a. a. O., S. 192; Von „allerdings spärlichen empirischen Untersuchungen“ zum beschleunigten Verfahren spricht auch Loos (AK-StPO, Vor § 417, Rn. 13). 152 Vgl. Eisenberg, 2005, § 12 Rn. 4. 150

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folgungsbehörden und schließlich von der Rechtsprechung wertend bestimmt. Ein mathematisch-physikalisches Vorgehen mit Messen, Zählen und der Auflistung von Häufigkeiten darf dies nicht aus den Augen verlieren, ohne einen nur scheinbaren Eindruck von Wirklichkeit zu vermitteln.153 Zweitens ist davon auszugehen, dass bereits durch die Auswahl des Forschungsgegenstandes und der Fragestellung eine Selektion geschieht sowie bei der Diskussion der ermittelten Daten eigene Werthaltungen des Forschenden einer objektiven Wahrheit im Wege stehen können.154 Beispielsweise wäre bei vorliegendem Forschungsgegenstand eine Konzentration in der Hinsicht möglich, jene Faktoren zu erforschen, welche bei der Einführung des beschleunigten Verfahrens als Gesetzesbegründung der Verfahrensart angegeben wurden. Oder aber es erfolgt eine Konzentration auf solche Faktoren, welche gegen die Normen vorgebracht wurden. Ein ernstzunehmendes Forschungsvorhaben muss sich entweder mit beidem auseinandersetzen – was dennoch nichts an der Unmöglichkeit ändert, nicht selektiv zu sein – oder zumindest die Entscheidung für eine Frage offen legen und den Grund der Untersuchung der einzelnen Kriterien klar zum Ausdruck bringen.155 Eine Selbstdisziplinierung des Forschenden ist vonnöten. Der Einfluss der problematischen Faktoren muss möglichst gering gehalten werden.156 Trotz der angezeigten Nüchternheit, hinsichtlich der Möglichkeit „gesicherte Wahrheit“ zu erlangen, wird man bei richtigem Vorgehen am Ende zumindest von erkannten Anhaltspunkten für bestimmte Vorgänge der Lebenswirklichkeit sprechen können. 153

Wobei bereits grundsätzlich Vorbehalte gegen die alleinige Annäherung an Wahrheit über Datensammlung und überprüfbare Hypothesenbildung bestehen, da hierbei die gesamtgesellschaftliche Totalität sowie die historische Dimension unberücksichtigt blieben und letztlich die Gefahr (unbewusst) ideologischen Vorgehens drohe, vgl. Adorno, 1978, S. 125 ff., 133 ff. sowie Habermas 1970, S. 44. Für eine wie hier aber eng begrenzte Fragestellung, welche sich auf wenige strafverfahrensrechtliche Normen bezieht und keine gesamtgesellschaftlichen Aussagen beabsichtigt, erscheint gewähltes, datensammelndes Vorgehen vertretbar; nötigenfalls kann die bloße Wiedergabe von Zahlen mit Sachverhaltsschilderungen ergänzt werden – wobei man hinsichtlich diesen Vorgehens wieder vor dem Problem der Selektivität steht. 154 Vgl. Eisenberg, 2005, § 12 Rn. 18; s. auch LR26-Kühne, Einl. Abschn. B Rn. 14. 155 Hier wurden jene Kriterien ausgewählt, die erstens zur Begründung für das beschleunigte Verfahren insgesamt und die neuen §§ 417 ff. StPO herangezogen wurden, zweitens kritisch beurteilt wurden und drittens möglich im Rahmen einer Aktenanalyse waren, s. dazu im Folgenden unter B. I. 4. 156 Von Bedeutung sind etwa die frühzeitige genaue Festelegung, welcher Quelle, welcher Methode man sich bedient, die Verdeutlichung der ihnen eigenen Probleme und die Offenlegung der Gründe für die Auswahl der Kriterien.

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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Konkret war dazu im nächsten Schritt die für die Fragestellung bestgeeignete Forschungsmethode zu ermitteln. 3. Gewählte Datenerhebungsmethode und Untersuchungsanordnung a) Befragung Denkbar waren Befragungen157 von Protagonisten der Strafverfolgung und Strafjustiz, welche mit der Verfahrensart befasst sind. Es hätten freie oder standardisierte Interviews mit Polizisten, Amts- und Staatsanwälten sowie Strafrichtern und eventuell politischen Entscheidungsträgern geführt werden können. Fraglich war aber bereits die Möglichkeit und Bereitschaft einer ausreichend großen Zahl von Beteiligten, sich Zeit für die Beantwortung der Fragen zu nehmen. Ein grundsätzliches Problem der Methode ist die Abhängigkeit der Ergebnisse vom Erinnerungsvermögen der Personen sowie die Nichtüberprüfbarkeit der Richtigkeit der Antworten, die statt von Wahrheit auch von Rechtfertigungsmechanismen oder (beispielsweise arbeitsökonomischen) Interessen der Institutionen geprägt sein können.158 Im Besonderen erschien diese Vorgehensweise unpassend, da ein wichtiger Teil der Arbeit genaue Zeitpunkte und Zeiträume wie bspw. diejenigen zwischen Tatbegehung und der Hauptverhandlung ermitteln sollte. b) Teilnehmende Beobachtung Bereits zu Beginn der Arbeit wurden teilnehmende Prozessbeobachtungen in Berlin und Brandenburg durchgeführt, um sich der Thematik anzunähern. Damit lag nahe, diese Methode für die gesamte Arbeit anzuwenden. Vorteilhaft ist insbesondere, dass eventuell später nicht in den Akten vermerkte Geschehnisse, Äußerungen und Gesamteindrücke festgehalten werden können. Dies spricht zugleich aber einen erheblichen Nachteil der Vorgehensweise an. Gefundene Ergebnisse sind im Nachhinein vielfach nicht überprüfbar. Auch der Forschende selbst ist mangels Wiederholbarkeit der Situation nicht in der Lage, eigene Fehler zu korrigieren.159 Die Prozessakten können zur Überprüfung oft nicht herangezogen werden, da Äußerungen 157

s. hinsichtlich des methodischen Vorgehens ein aktuelles Beispiel bei Müller, 2008, S. 96 ff. 158 Zum Vorgehen von Staatsanwaltschaften aufgrund institutionalisierter Handlungsnormen s. Singelnstein, MschrKrim 86 (2003), S. 1 ff. 159 Verfälschungen können auftreten durch Wahrnehmungstäuschungen des Forschenden. Unabhängig davon ist der verzerrende Einfluss der bewussten Beobachtungssituation auf die Quelle (also den Strafrichter) zu beachten, s. Eisenberg, 2005, § 13 Rn. 43.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

oder Geschehnisse vielfach gar nicht oder anders in den Akten enthalten sind.160 Vor allem aber musste die Methode für viele der im Einzelnen interessierenden Fragen ausscheiden. In den oft nur wenige Minuten dauernden Hauptverhandlungen werden Merkmale wie Eingangszeitpunkt des Falles bei der Staatsanwaltschaft, des Antrags gem. § 417 StPO bei Gericht oder der Ladung des Beschuldigten nicht genannt. Inwieweit Anklageschriften oder später Urteile abgekürzt werden, ist nicht ersichtlich. Das weitere Vorgehen des Gerichts bei Nichterscheinen des Angeklagten kann nicht verfolgt werden. Insgesamt ist das Begleiten eines beschleunigten Verfahrens von seinem Beginn bis zu seinem Abschluss nicht möglich. c) Entscheidung für Aktenanalyse Da die Möglichkeit des Experiments nicht offen stand, wurde schließlich die Aktenanalyse angedacht. Bei dieser Methode blickt der Untersuchende bedenklicherweise grundsätzlich nicht auf die Lebenssachverhalte selbst, sondern auf deren Einordnung durch andere. Das Lebens- und Prozessgeschehen wird in routinierter, arbeitsökonomischer Weise in die juristische Fachsprache übersetzt, vielfach mit Hilfe von Formblättern.161 Die tatsächlichen Äußerungen der Gerichtspersonen und aller anderer am Prozess Beteiligter fehlen oft oder werden interpretiert und in vorformulierte Sprache überführt.162 Es ist damit selten eine situationsbezogene Analyse möglich, warum bestimmte Entscheidungen getroffen wurden. Die Akten sind nicht angelegt, um Forschungsfragen zu lösen.163 Sie sollen vielmehr das Vorgehen der Strafverfolgungs- und Justizpersonen als legitim und überprüfbar niederschreiben, nicht zuletzt um aufzuzeigen, dass die Entscheidung inhaltlich und formell richtig und damit nicht von einer höheren Instanz aufhebbar zustande gekommen ist. Nachgewiesen werden soll die Einhaltung von Verfahrensvorschriften und Fristen.164 Die Gefahr dabei ist, dass nur solche 160

Zu den Gründen einer eigenen „Aktenrealität“ s. im Folgenden unter dem nächsten Gliederungspunkt. 161 Zur Kritik dieser zunehmenden Praxis s. LR26-Kühne, Einl. Abschn. F Rn. 206. 162 Typischerweise in Prozess- und Ermittlungsakten zu findende Beispiele sind: „Der Angeklagte erklärt, er verzichte auf die Einlegung von Rechtsmitteln“ oder „Der Angeklagte räumt den Vorwurf ein.“ 163 s. Dölling, 1984, S. 269. 164 s. hinsichtlich strafverfahrensrechtlich relevanter Fristen bspw. § 98 Abs. 2, § 100 Abs. 2 StPO, § 100b Abs. 1, 2, § 115 Abs. 2, § 117 Abs. 4, 5, § 121 Abs. 1, § 135, § 229, § 314, § 341 Abs. 1, § 410 Abs. 1 (alle StPO), §§ 77 b, 78 StGB sowie speziell hinsichtlich der Fristen im beschleunigten Verfahren § 418 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 3 StPO.

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Dinge vermerkt sind, die die Entscheidung rechtfertigen und ihr entgegenstehende gerade nicht.165 Zugleich dienen die Akten der Nachvollziehbarkeit für andere Prozesse und der Erleichterung künftiger Verfahren. Insgesamt kann aus der Nichterwähnung von Geschehnissen also keineswegs darauf geschlossen werden, dass sie nicht stattfanden. Angaben verschiedener am Prozess beteiligter Personen werden durchaus aus anderen (bspw. taktischen) Gründen, als dem Versuch, Wahrheit zu finden, getätigt.166 Problematisch ist überdies, dass es sich bei Strafakten um Datenmaterial handelt, dessen Großteil mehrere Stufen der Wertung durchlaufen hat. Die Akten zeigen vielfach nicht den Lebenssachverhalt, sondern wie das Gericht ihn beurteilt hat. Dies wiegt umso schwerer, wenn bei der wertenden Entscheidungsfindung auf Informationen Bezug genommen wurde, welche ihrerseits Wertungen unterlagen.167 Noch mehr Einschränkungen sind in den Fällen anzunehmen, in denen die Entscheidungen nur abgekürzt und gar unter Verweisungen auf andere abgekürzte Entscheidungen wiedergegeben sind. Diese zunehmende Praxis168 erschwert die Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit, so dass nicht ausschließbar andere, auch institutionelle Interessen als Wahrheit zu der getroffenen Entscheidung geführt haben können. Es ist beispielsweise nicht möglich, aus den Akten eine Aussage darüber zu treffen, welche aufgeklärten Delikte in welchem Zeitraum an welchem Ort stattgefunden haben. Vielmehr wird man nur davon sprechen können, zu welchen Verurteilungen wegen bestimmter Delikte es kam. Die gesamte Problematik kann hingegen ein Gewinn sein, wo gerade bestimmte prozessuale Vorgehensweisen untersucht werden. Mag man auch keine überprüfbare Wahrheit hinsichtlich des Geschehens bestimmter Delikte erfahren, so sind bspw. der Eingangszeitraum von Schriftstücken, die Einhaltung von Formalien und das (formelle) prozessuale Vorgehen bei bestimmten Geschehnissen genau vermerkt. 165

s. Blankenburg, 1975, S. 195, Langer, 1994, S. 341 ff. Auch ein Geständnis kann etwa durch ausgeübten Druck oder bewusst falsch erfolgen, wenn die Erwartung besteht, dadurch zu einem besseren Ergebnis des Verfahrens zu gelangen; s. zum Ganzen Eisenberg, 2005, § 13 Rn. 27 ff. Zu vermuten ist, dass sich die Problematik durch die Zunahme von Deals in Strafverfahren noch wesentlich verstärkt hat. 167 Vgl. Eisenberg, 2005, § 13 Rn. 30. 168 s. z. B. die Neuregelung § 115 Abs. 1 S. 2–4 StVollzG (BT-Drs. 15/2252, S. 6 f.; 15/4537, S. 1 ff.): „Der Beschluß stellt den Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammen. Wegen der Einzelheiten soll auf bei den Gerichtsakten befindliche Schriftstücke, die nach Herkunft und Datum genau zu bezeichnen sind, verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Das Gericht kann von einer Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.“ 166

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Bewusst auf Einschränkungen ist also dort zu achten, wo Aussagen über zuvor bewertete Daten stattgefunden haben, hingegen sind Daten wie das Vorgehen bei der Ablehnungsentscheidung gem. § 419 StPO wissenschaftlich verwertbarer.169 Ein weiterer entscheidender Vorteil der Methode ist, dass Akten eine ganze Fülle von Informationen und Merkmalen in bereits systematisch aufbereiteter Weise liefern.170 Im Vergleich dazu wäre eine bloße Statistikanalyse nicht ausreichend. Die Statistiken des Bundes und der Länder weisen lediglich einzelne Kriterien, wie die Zahl der Anträge gem. § 417 StPO oder die Zahl der Verfahren in denen eine Hauptverhandlung mir vorangegangener Hauptverhandlungshaft gem. § 127b StPO erfolgte, aus.171 Überdies erfolgen bei der Aktenanalyse keine Einschränkungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit der erhobenen Daten, da die Situation nicht wie bei der bewussten Beobachtung beeinflusst wurde. Auch können möglicherweise Schlüsse aus in den Akten dokumentierten Fehlern oder Nichterwähnungen gezogen werden. Vor allem aber können die beschleunigten Verfahren von Anfang bis Ende begleitet werden. Da gerade der Umgang der staatsanwaltschaftlichen und justiziellen Praxis mit dieser Verfahrensart untersucht werden soll, erschien die Aktenanalyse als die vielversprechendste Methode. 4. Operationalisierung der zu untersuchenden Merkmale Bereits oben formuliert wurden die Grundfragen, erstens der Verwirklichung des gesetzgeberischen Zieles, mittels der Neuregelungen die Verfahrensart stärker zu nutzen172 und damit die Justiz zu entlasten sowie den mutmaßlich erzieherischen Effekt zu erreichen, dass die Aburteilung der Tat auf dem Fuße folge. Handelt es sich zweitens bei der gänzlichen oder 169 Gleichwohl muss bedacht werden, dass etwa eine Ablehnungsentscheidung gem. § 419 StPO, die mit „keinem einfachen Sachverhalt“ begründet wird, auch ganz andere Motive haben kann als die formulierten. 170 Aufgrund der Möglichkeit der Untersuchung großer Datenmengen mit ökonomischen Mitteln handelt es sich auch um eine häufig genutzte Methode der Kriminologie, vgl. Dölling 1984, 269. 171 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.3 (für das Jahr 2005, S. 22 f.) sowie die Statistik der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg bzgl. Anklage, Strafbefehl und beschleunigtem Verfahren, zu finden unter der Rubrik Statistik auf der Seite http://www.gsta.brandenburg.de (zuletzt abgerufen am 29.07.2009). Allerdings können diese Statistiken hilfsweise und vergleichend bei der Beurteilung der ausgewerteten Daten herangezogen werden. 172 Dies meint auch, inwieweit die Praxis bereit ist, die reformierte Verfahrensart insgesamt anzunehmen oder ob sie sich lediglich jener Bereiche des beschleunigten Verfahrens bedient (wie des Wegfalls des Zwischenverfahrens), die bereits bestanden.

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teilweisen Ablehnung der Verfahrensart in der Literatur um übervorsichtige Vermutungen, oder bestätigen sich die Kritikpunkte anhand eines Blicks in die Rechtstatsächlichkeit? Entsprechen das zentrale, die Verfahrensart bis zur Urteilsverkündung bestimmende Eignungskriterium (§§ 417, 419 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO) sowie die in der Diskussion als besonders geeignet genannten Fälle und Beschuldigtengruppen dem tatsächlichen Anwendungsbereich? Welche Beschleunigungsmöglichkeiten nutzt die Praxis, entscheidet sie sich für besonders beschleunigte oder für normalähnliche Verfahren und wie werden die Individualrechtsgarantien berücksichtigt? Eine Lösung dieser allgemeinen Fragen geschieht durch die Aussonderung einer Vielzahl von Kriterien aus den gesetzgeberischen Zielen, der wissenschaftlichen und politischen Diskussion und vor allem der Normen des beschleunigten Verfahrens selbst (§§ 417–420 StPO).173 Untersucht wird deren Erfüllung bzw. Umsetzung in der Rechtstatsächlichkeit. Die zu untersuchenden Kriterien können operationalisiert und systematisch den einzelnen Regelungen der §§ 417–420 StPO zugeordnet werden. a) § 417 StPO Im Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht stellt die Staatsanwaltschaft schriftlich oder mündlich den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist.

Wann findet das beschleunigte Verfahren tatsächlich Anwendung? Vermutungen gehen dahin, dass aus systematischen sowie arbeitsökonomischen Gründen die Verfahrensart im Wesentlichen vor dem Strafrichter, nicht vor dem Schöffengericht, durchgeführt wird.174 In welchem Verhältnis stehen schriftliche und mündliche Antragsstellungen auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren?175 Geschieht die schriftliche Antragsstellung gemeinsam mit der Anklageschrift und wie wird diese gefasst? Wie häufig erfolgt die Antragsstellung (mündlich) in einer besonders beschleunigten Verfahrensvariante, in Sammelterminen, bei 173 Die Regelung § 127b StPO wird nicht gesondert gewürdigt, sie beinhaltet Probleme, die nicht im Zentrum dieser Arbeit stehen; zur vertieften Würdigung s. Fülber, 2000; Giring, 2005; Stintzing/Hecker, NStZ 1997, S. 569 ff.; Zur Erklärung der niedrigen Anwendungszahlen des § 127b StPO s. Giring 2005, S. 33 ff., S. 37 ff. 174 Vgl. KK-Graf, § 417 Rn. 1, M-G, § 417 Rn. 1; Volk, 2008, § 33 Rn. 13. 175 Gerade auch, weil die mündliche Antragsstellung in bestimmen Fällen in der Literatur sehr kritisch beurteilt wird, s. LR25-Gössel, § 417 Rn. 11, § 418 Rn. 19 sowie Vor § 417 Rn. 16 ff.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

sofortiger Gestellung oder Vorführung, zusammen mit einem Haftantrag gem. § 127b StPO oder auch nach vorangegangener Untersuchungshaft? Ferner verglichen werden soll der typische Zeitpunkt der Antragsstellung sowie seiner eventuellen Rücknahme, gemessen an dem, was im Gesetzgebungsverfahren als erwünscht bzw. was in Literatur und Rechtsprechung als zulässig beurteilt wird.176 Werden unzureichende Anträge gestellt?177 Welche Sachverhalte werden rechtstatsächlich als „einfach“, also als „für alle Beteiligten leicht, beim ersten Betrachten überschaubar“178 angesehen und wann liegt zugleich179 eine „klare Beweislage“ vor? Gibt es einen Deliktskatalog nach dem schematisch (vielleicht schon bei der Polizei) eine Zuordnung geschieht? Eine klare Beweislage wird bei sicheren Beweismitteln oder einem glaubwürdigen Geständnis angenommen,180 ein einfacher Sachverhalt grundsätzlich nicht181 bei bestimmten Tatmotivationen (sexuelle oder politische), einer großen Zahl unterschiedlicher Delikte, fraglicher Schuldfähigkeit oder der Notwendigkeit die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten zu erforschen (wie bei Heranwachsenden)182. Gelten diese Meinungen der Literatur auch in der Praxis oder sind dort andere Kriterien vorherrschend? Sind Beschuldigte, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen in dieser Verfahrensart überrepräsentiert?183 176 s. etwa einerseits HK-Krehl, § 417 Rn. 5; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 85 f. und andererseits BayObLGSt 1987, S. 55, 57; Ernst, 2001, S. 60; Jostes, 2003, S. 25 ff.; Schröer, 1998, S. 106. 177 s. z. B. M-G, § 419, Rn. 15 sowie hinsichtlich unzureichender Anklagen OLG Frankfurt a. M. StV 2000, S. 299. 178 KMR-Metzger, § 417 Rn. 16: „allgemeine Meinung“. 179 Entgegen dem Wortlaut des § 417 StPO müssen regelmäßig beide Voraussetzungen kumulativ gegeben sein. Wenn zwar ein einfacher Sachverhalt, aber keine klare Beweislage oder wenn eine klare Beweislage, aber kein einfacher Sachverhalt vorliegen, wird die Sache kaum je zur sofortigen Verhandlung geeignet sein, vgl. OLG Stuttgart StV 1998, 585, 586; Ernst, 2001, S. 54; KK-Graf, § 417 Rn. 7; LR25-Gössel, § 417 Rn. 26; M-G, § 417 Rn. 16; Ranft, 2005, Rn. 2332; Sprenger, NStZ 1997, S. 574 f.; a.A.: Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 78; SK-StPO-Paeffgen, § 417 Rn. 12, 14. 180 Im Einzelnen ist vieles streitig, Lemke/Rothstein-Schubert etwa gehen von einer unklaren Beweislage bei bloßem Schweigen oder Bestreiten des Schuldvorwurfs aus (ZRP 1997, S. 488, 491). 181 s. zu diesen Meinungen KMR-Metzger, § 417 Rn. 17 f. 182 Vgl. Ostendorf, 2009, § 109 Rn. 10; Zieger, 2002, Rn. 230. 183 Davon geht Herzog aus (ZRP 1991, S. 125, 126). Es kann jedoch in Anbetracht der ausländerrechtlichen Konsequenzen (§§ 53 ff. AufenthG), insbesondere einer der Verurteilung nachfolgenden Abschiebung, eine intensive Persönlichkeitserforschung, bzw. eine besondere Berücksichtigung der Tatfolgen gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB vonnöten sein, welche dem „einfachen Sachverhalt“ i. S. d. § 417 StPO entgegenstehen. Kritisch auch Ernst (2001, S. 181).

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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Für die „Geeignetheit“ darf eine Vielzahl von allgemeinen Umständen, die einem beschleunigten Verfahren oder einem Strafverfahren an sich entgegenstehen können, nicht vorliegen. Es muss eine sofortige, gleichwohl verantwortungsvolle Entscheidung des Gerichts möglich sein,184 welche grundsätzlichen Prozessvoraussetzungen, den Verdachtserfordernissen sowie den Zuständigkeiten genügt und nicht von vornherein Zielen und Grundsätzen des Strafverfahrens185 entgegensteht. Hierbei interessiert, wie Staatsanwaltschaft und Gericht werten und prozessual vorgehen. Möglicherweise kann dabei bereits ein Bild des typischen Falles entwickelt werden. Welche als bestimmte Delikte beurteile Verhaltensweisen welcher Personen werden gem. §§ 417–420 StPO abgeurteilt? Verursachten die Taten hohe oder niedrige Schäden? Wird tatsächlich gegen besonders dreiste Täter vorgegangen und finden sich die vielzitierten Fußballrowdies, politischen Täter und Wohnsitzlosen unter den Beschuldigten? Bestätigt sich eventuell die kritische Annahme186, dass mit einer Verfahrensart „zweiter Klasse“ gegen sozial Benachteiligte187 vorgegangen wird, die sich nicht wehren können188?“ 184

s. Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 488, 490. Etwa der Ermittlung der Wahrheit, dem Finden einer gerechten Entscheidung und der Gewährleistung wirksamer Verteidigung, vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 35; Schröer, 1998, S. 73. 186 s. Ernst, 2001, S. 205; Wächtler, StV 1994, S. 159, 160. 187 Soziale Benachteiligung lässt sich hinsichtlich der Angaben, die bei einer Aktenanalyse zur Verfügung stehen, am treffendsten mit den Kriterien erfassen, welche üblicherweise für Armut verwendet werden. In den Mitgliedstaaten der EU gilt jemand als armutsgefährdet, dessen Äquivalenzeinkommen unter 60% des mittleren Äquivalenzeinkommens (Median) des jeweiligen Mitgliedstaats liegt. Diese 60%-Stufe wird allgemein als Armutsgefährdungsgrenze bezeichnet, sie lag im Jahr 2004 in Deutschland bei einem Äquivalenzeinkommen von 10274 Euro jährlich, bzw. 856 Euro pro Monat. Wessen Einkommen unterhalb der 50%-Stufe liegt, wird nicht mehr nur als armutsgefährdet, sondern bereits als relativ einkommensarm bezeichnet. Unterhalb der 40%-Stufe gilt man als arm, dies bedeutet ein Äquivalenzeinkommen von 6849 Euro pro Jahr bzw. 571 Euro pro Monat, s. Statistisches Bundesamt, Armut und Lebensbedingungen – Ergebnisse aus LEBEN IN EUROPA für Deutschland 2005, S. 17 f. Erfasst wird, welcher Prozentsatz der beschleunigt Abgeurteilten sich unterhalb dieser 40%-Grenze befindet. (Bei weiteren Personen im Haushalt geschieht die Berechnung des Äquivalenzeinkommens mittels eines Gewichtungsschlüssels; der Bedarf des ersten Erwachsenen wird mit 1, des zweiten Erwachsenen oder eines Kindes über 14 Jahren mit 0,5, der eines Kindes unter 14 Jahren mit 0,3 gewertet, s. a. a. O., S. 12. Der festgelegte Armutswert liegt damit noch etwas unter dem sog. soziokulturellen Existenzminimum oder sächlichen Existenzminimum, welches die Bundesregierung für das Jahr 2005 für Alleinstehende mit insgesamt 7.356 Euro jährlich, also 613 Euro monatlich angibt, s. Fünfter Existenzminimumbericht, BT-Drs. 15/2462, S. 5. 188 Zur geringeren Überführungsresistenz und höheren Geständnisbereitschaft sozioökonomisch schwacher Gruppen s. Eisenberg, 2005, § 31 Rn. 45 m. w. Nw. 185

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

b) § 418 StPO (1) Stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag, so wird die Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist durchgeführt, ohne dass es einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf. Zwischen dem Eingang des Antrags bei Gericht und dem Beginn der Hauptverhandlung sollen nicht mehr als sechs Wochen liegen. (2) Der Beschuldigte wird nur dann geladen, wenn er sich nicht freiwillig zur Hauptverhandlung stellt oder nicht dem Gericht vorgeführt wird. Mit der Ladung wird ihm mitgeteilt, was ihm zur Last gelegt wird. Die Ladungsfrist beträgt vierundzwanzig Stunden. (3) Der Einreichung einer Anklageschrift bedarf es nicht. Wird eine solche nicht eingereicht, so wird die Anklage bei Beginn der Hauptverhandlung mündlich erhoben und ihr wesentlicher Inhalt in das Sitzungsprotokoll aufgenommen. § 408 a gilt entsprechend. (4) Ist eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten, so wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, für das beschleunigte Verfahren vor dem Amtsgericht ein Verteidiger bestellt.

Werden die verschiedenen, vom Normalverfahren abweichenden, Beschleunigungsmöglichkeiten der Absätze 1 bis 3 genutzt und falls ja, auf welche Weise? Wird generell nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden? Das Gesetz spricht von Durchführung der Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist, aber welche Beschleunigung wird tatsächlich erreicht? Zu untersuchen ist der Zeitraum zwischen Antragseingang und dem Beginn der Hauptverhandlung in der Rechtstatsächlichkeit. Aber auch der Zeitraum zwischen Tat und Hauptverhandlung ist von großem Interesse, denn es ist erklärtes Ziel des beschleunigten Verfahrens, dass die Aburteilung der Tat auf dem Fuße folge. Im Rahmen dieser Fragen können die Zeitpunkte noch genauer aufgegliedert werden, um herauszufinden, auf welchen Bearbeitungsstufen möglicherweise Zeit verloren geht und auf welchen sie im Vergleich zum Normalverfahren gespart wird.189 Wie bemisst sich bei Ladung des Beschuldigten (statt Selbststellung oder Vorführung) die durchschnittliche Dauer zwischen Zustellung und Beginn der Hauptverhandlung? Die gesetzlich vorgesehene Ladungsfrist von 24 Stunden wird aufgrund von Art. 6 Abs. 3b MRK regelmäßig unzureichend sein, da auf diese Weise nicht ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung verbleibt.190 189

Letztere Frage wird anhand von Statistiken untersucht werden, da eine echte Vergleichsuntersuchung mit Normalverfahren im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist.

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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Geschehen von der StPO bislang nicht vorgesehene „Ladungen“ durch die Polizei?191 Wie bemisst sich das Verhältnis von schriftlichen Anklageschriften zu mündlichen Erhebungen der Anklage und wie wird jeweils vorgegangen? Was wird bei mündlicher Erhebung protokolliert? In welchem Umfang wird zur Ermöglichung besonders beschleunigter Verfahren von der Institution der Hauptverhandlungshaft gem. § 127b StPO Gebrauch gemacht? Wie häufig wird ins Strafbefehlsverfahren übergegangen und auf welche Weise? Was geschieht bei Ausbleiben des Angeklagten? Wie viele Verfahren finden mit dem ab einer erwarteten Freiheitsstrafe von sechs Monaten notwendigen Verteidiger192 statt und wie geschieht die Bestellung, Auswahl und Ladung? Wird der Beschuldigte vor der Bestellung i. S. d. § 142 Abs. 1 S. 2 StPO zur Auswahl befragt?193 c) § 419 StPO (1) Der Strafrichter oder das Schöffengericht hat dem Antrag zu entsprechen, wenn sich die Sache zur Verhandlung in diesem Verfahren eignet. Eine höhere Freiheitsstrafe als Freiheitsstrafe von einem Jahr oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf in diesem Verfahren nicht verhängt werden. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist zulässig. (2) Die Entscheidung im beschleunigten Verfahren kann auch in der Hauptverhandlung bis zur Verkündung des Urteils abgelehnt werden. Der Beschluss ist nicht anfechtbar. (3) Wird die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt, so beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (§ 203); wird nicht eröffnet und die Ent190 Die zulässige Ladungsfrist auf drei Tage festsetzend KMR-Metzger, § 418 Rn. 22 sowie LR25-Gössel, § 418 Rn. 23; hingegen 24 Stunden als grundsätzlich ausreichend ansehend KK-Graf, § 418 Rn. 7, M-G, § 418 Rn. 8, die im Einzelfall eine längere Fristbemessung oder eine Ablehnung der Verfahrensart vorschlagen. 191 So die Praxis des AG Potsdam erläuternd nämlich Bielefeld (DRIZ 1998, 429, 432), diese jedoch u. a. aufgrund eines Verstoßes gegen § 213 StPO als gesetzeswidrig einordnend Gössel (LR25, Vor § 417 Rn. 22). 192 Es bestehen Vermutungen, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte den als störend empfundenen § 418 Abs. 4 StPO umgehen, s. Jeney, 2003, S. 25; M-G, Vor § 417, Rn. 5; Volk, 2008, § 33 Rn. 13. 193 Die Geltung der §§ 141 ff. StPO für das beschleunigte Verfahren ist umstritten, eine vorherige Befragung des Beschuldigten zur Pflichtverteidigerauswahl ist ggf. geeignet, das Beschleunigungsziel zu beeinträchtigen. s. zu unterschiedlichen Positionen etwa HK-Krehl, § 418 Rn. 6 und Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 10.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

scheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt, so kann von der Einreichung einer neuen Anklageschrift abgesehen werden.

In welcher Häufigkeit treten Abweichungen der Eignungsbeurteilung des Gerichts von derjenigen der Staatsanwaltschaft (oder der Polizei) auf? Welche Sachverhalte werden als ungeeignet angesehen und weshalb? Hier sind nun auch die erst in der Hauptverhandlung relevant werdenden Kriterien zu erfassen, welche der Eignung entgegenstehen. Werden beispielsweise Verhandlungsunterbrechungen oder Aussetzungen des Verfahrens grundsätzlich oder im Einzelfall als Ablehnungsgrund beurteilt? Ist die geständige Einlassung des Beschuldigten abweichend von der gesetzlichen Regelung faktisch Verfahrensvoraussetzung? Insgesamt ist die Häufigkeit der Ablehnungsbeschlüsse von großem Interesse, da ein meist folgendes Strafbefehls- oder Normalverfahren dann mehr Zeit und Arbeit gekostet hat, als es ohne die anfängliche Zuordnung zu den §§ 417–420 StPO erfordert hätte, so dass bei hohen Zahlen ungewollt und möglicherweise unbemerkt gerade ein das Hauptziel des beschleunigten Verfahrens vereitelnder Effekt eintreten könnte. Welche sind die angegebenen Gründe in dem bekanntzumachenden und zu begründenden194 Ablehnungsbeschluss? Wie wird nach der Ablehnung vorgegangen? Nimmt das Gericht die Neuregelung des vereinfachten Übergangs ins Regelverfahren gem. § 419 Abs. 3 StPO an, oder werden die Akten wie früher entgegen der Mussvorschrift ohne Prüfung an die Staatsanwaltschaft zurückgegeben?195 Welche Strafen werden in welchem Maß verhängt? Zu überprüfen ist, ob es tatsächliche Anhaltspunkte für die kritische Befürchtung gibt, dass in der Verfahrensart häufig die kriminalpolitisch unerwünschten kurzfristigen Freiheitsstrafen unter sechs Monaten verhängt werden?196 Werden Verkehrsdelikte beschleunigt verhandelt und Fahrerlaubnisse entzogen?197 194 Die Begründungs- und Bekanntmachungspflicht folgt aus den §§ 34, 35 StPO, s. M-G, § 419 StPO Rn. 7. 195 Letzteres vermutet Sprenger, NStZ 1997, S. 574, 575 f. 196 Dies unter anderem aufgrund einer Umgehung des als störend empfundenen § 418 Abs. 4 StPO, vgl. Jeney, 2003, S. 25; M-G, Vor § 417, Rn. 5; Volk, 2008, § 33 Rn. 13. Loos geht indes davon aus, dass sich die §§ 417–420 StPO lediglich für Fälle eignen, in denen eine Verurteilung zu einer Geldstrafe zu erwarten ist (AKStPO, Vor § 417, Rn. 16). 197 Es besteht die Einschätzung, dass beschleunigte Verfahren insbesondere bei Verkehrsdelikten von den Betroffenen erwünscht sind, s. www.rechtsanwalt-pokrant. de/verkehrsrecht.htm (zuletzt überprüft am 30.07.2009); Loos (AK-StPO, Vor § 417

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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d) § 420 StPO (1) Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten darf durch Verlesung von Niederschriften über eine frühere Vernehmung sowie von Urkunden, die eine von ihnen stammende schriftliche Äußerung enthalten, ersetzt werden. (2) Erklärungen von Behörden und sonstigen Stellen über ihre dienstlichen Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse sowie über diejenigen ihrer Angehörigen dürfen auch dann verlesen werden, wenn die Voraussetzungen des § 256 nicht vorliegen. (3) Das Verfahren nach den Absätzen 1 und 2 bedarf der Zustimmung des Angeklagten, des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft, soweit sie in der Hauptverhandlung anwesend sind. (4) Im Verfahren vor dem Strafrichter bestimmt dieser unbeschadet des § 244 Abs. 2 den Umfang der Beweisaufnahme.

In welchem Umfang wird von den erweiterten Verlesungsmöglichkeiten der Absätze 1 und 2 Gebrauch gemacht, die nach Wortlaut der Norm nicht angewandt werden müssen? Werden bspw. weiterhin Zeugen geladen, deren bereits bestehende schriftliche Aussagen verlesen werden könnten?198 § 420 Abs. 1 StPO will gerade auf die Ladung des Zeugen zur Hauptverhandlung verzichten. Wie wird dann im beschleunigten Verfahren mit § 252 StPO umgegangen? Welche Art Behördenerklärungen bzw. Erklärungen sonstiger Stellen werden verlesen und in welchem Umfang? Stellt das Zustimmungserfordernis nach § 420 Abs. 3 StPO rechtstatsächlich ein Hindernis dar, d.h. wird die Zustimmung gelegentlich oder gar häufig verweigert? Werden die Erleichterungen der Absätze 1 und 2 bei einem Angeklagten ohne Verteidiger angewandt?199 In welcher Weise erfolgt die Belehrung über die Folgen des Einverständnisses?200 Wird eine „konkludente Zustimmung“ als ausreichend erachtet? Rn. 13) nimmt an, dass Verkehrsdelikte heutzutage kaum mehr beschleunigt verhandelt werden. 198 Vereinzelt wird davon ausgegangen, dass auch Praktiker zurückhaltend bis ablehnend auf die Neuregelung reagieren, s. Bürgle, StV 1998, S. 514, 517. 199 Die Zustimmung des unverteidigten Angeklagten ist insoweit problematisch, als er ohne Akteneinsichtsrecht einem ihm unbekannten Verfahren zur Verlesung ihm unbekannter Schriftstücke zustimmen soll. s. zur teils vehementen Kritik Ranft, NStZ 2004, S. 424, 429; Schlothauer, StV 1995, S. 46; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 29. 200 Zu protokollieren sind Zustimmungserklärung und Verlesungsbeschluss, s. Loos (AK-StPO, § 420 Rn. 16); ob hinsichtlich der Belehrung Erkenntnisse aus den

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

Beschränkt sich die Praxis betr. den Absatz 4 bei dem Ablehnungsbeschluss eines Beweisantrags in der Begründung auf die Formel, „die Beweiserhebung sei zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“?201 Werden die Verlesungsmöglichkeiten des § 420 StPO auch in der Berufungsinstanz angewandt?202 Finden sich Anhaltspunkte, welche die intensive Kritik203 an den Beweiserleichterungen bestätigen, etwa eine rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbare Relativierung des Ziels der Wahrheitsfindung, der Subjektsstellung des Angeklagten und seiner Verteidigungsmöglichkeiten? Erschwert § 420 StPO ggf. in Kumulierung mit anderen Abkürzungs- und Verweisungsmöglichkeiten der §§ 417 ff. StPO und des übrigen Strafverfahrensrechts die Überprüfbarkeit und tauchen Anhaltspunkte für eine erhöhte Ungenauigkeit und Fehlerhaftigkeit auf? Erfüllt sich die Hoffnung des Gesetzgebers durch die Regeln über die Verkürzung der Beweisaufnahme erstens die Hauptverhandlung tatsächlich zu beschleunigen und zweitens die Praxis dadurch zu einer vermehrten Anwendung der Verfahrensart zu bewegen?204

Akten gewonnen werden können, bleibt abzuwarten, nötigenfalls muss auf die Prozessbeobachtungen zurückgegriffen werden. 201 Diese Formulierung sieht § 77 Abs. 3 OWiG vor und soll nach einer Ansicht auch im beschleunigten Strafverfahren zulässig sein, s. KK-Graf, § 420 Rn. 8; KMR-Metzger, § 420 Rn. 17; M-G, § 420 Rn. 11. Die andere Ansicht lehnt sie als Leerformel und den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzend ab, s. HK-Krehl, § 420 Rn. 5; LR25-Gössel, § 420 Rn. 41 f.; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 112. 202 Der Wortlaut des § 420 Abs. 1 bis 3 StPO ist diesbezüglich offen, nach herrschender, aber nicht unumstrittener Ansicht, sollen die Beweisregeln, wie das beschleunigte Verfahren insgesamt, auf die erste Instanz beschränkt sein, s. etwa OLG Stuttgart, StV 1998, S. 585, 587; KMR-Metzger, § 419 Rn. 37; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 9; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 31 bzw. für die Gegenposition M-G, § 420 Rn. 12, § 419 Rn. 17 und ähnlich Ranft, 2005, Rn. 2354, 2362. 203 s. AK-StPO-Loos, Vor § 417 Rn. 7 f.; Bandisch, StV 1994, S. 153, 157; Dahs, NJW 1995, S. 553, 556 f.; Ernst, 2001, S. 137 ff.; Hamm, StV 1994, S. 456 ff.; HK-Krehl, Vor § 417 Rn. 3, § 420 Rn. 1; KK-Graf, Vor § 417 Rn. 2; Kohler, 2001, S. 63 ff.; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 11 f.; M-G, Vor § 417 Rn. 5 f.; Neumann, StV 1994, S. 273, 275 f.; Scheffler NJW 1994, S. 2191 ff., NJ 1999, S. 113, 117; SK-StPO-Paeffgen, Vor § 417 Rn. 4 ff.; Wächtler, StV 1994, S. 159 f. Aufgrund der besonders kritischen Beurteilung, insbesondere der Forderung nach Abschaffung, einschränkender Auslegung bzw. Zurückhaltung der Praxis hinsichtlich dieser zentralen Neuregelung des beschleunigten Verfahrens, sind Häufigkeit und Art der Anwendung von besonderem Interesse. 204 Vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 34 f.

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e) Der Auswertungsbogen Mithin wurde für diese zu untersuchenden Kriterien folgender Auswertungsbogen entwickelt der hier zum besseren Verständnis in weitgehend nicht abgekürzter Form wiedergegeben wird. Damit konnten die Akten bereits abgeschlossener Strafverfahren, bei denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, mittels EDV ausgewertet werden. Der Bogen wurde zunächst an zwanzig Akten getestet, bereinigt und erweitert, bis er vorliegende, abschließende Form fand, welche dann auf alle Akten, einschließlich der ersten Testakten angewandt wurde. Aktenzeichen Beschleunigtes Verfahren „Besonders beschleunigtes Verfahren“ (Erläuterung des Sachverhalts) Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens Delikt (nach Beurteilung StA) (ggf. Zahl der Taten) Schadenshöhe/Sachwert Tatzeit gem. § 8 StGB; Zeitpunkt abschließender Bericht Polizei; Zeitpunkt Eingang bei StA Zeitpunkt Eingang Antrag StA205 gem. § 417 StPO bei Gericht – mündlich – schriftlich – in besonders beschleunigter Verfahrensvariante – im Sammeltermin – bei sofortiger Gestellung oder Vorführung – zusammen mit einem Haftantrag gem. § 127b StPO – nach vorangegangener Untersuchungshaft – unter Einreichung einer Anklageschrift; – Verwendung der Möglichkeit des § 200 II S. 2 StPO – mündliche Anklageerhebung 205

Sowohl in Berlin als auch in Brandenburg wird von der Möglichkeit gem. § 142 GVG Gebrauch gemacht, so dass der Bereich einfacher Kriminalität weitgehend der Amtsanwaltschaft zugewiesen ist, s. die OrgStA des Landes Berlin I 1. (2), VI 17 sowie die OrgStA des Landes Brandenburg § 20 ff. Mangels Relevanz für die zu untersuchenden Fragen wird der Einfachheit halber im Folgenden nicht differenziert, ob ein Amts- oder Staatsanwalt tätig geworden ist, sondern einheitlich von der Staatsanwaltschaft gesprochen.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

Rücknahme des Antrags (Zeitpunkt, Gründe) Rücknahme der Anklage (Zeitpunkt, Gründe) Ladung des Angeklagten – Zeitpunkt der Zustellung genauer Zeitpunkt der Hauptverhandlung (laut Ladung, falls vorhanden); ggf. Verlegung Dauer Hauptverhandlung (min) Gericht Richter Geburtsjahr, Geburtsmonat Beschuldigter Dt. Staatsangehörigkeit alternativ welche Familienstand Arbeit Bildungsstufe Monatliches Einkommen bei Vernehmung gem. § 243 Abs. 2 S. 3 StPO unter 40% des mittleren Äquivalenzeinkommens Deutschland 2004 (571 e Monat) Ablehnung gem. § 419 III StPO (Grund)206 Wechsel in Normalverfahren (Grund und genaues Vorgehen, insbesondere Eröffnungsbeschluss gem. § 203 StPO) Verteidiger – Wahlverteidiger – Pflichtverteidiger – gem. § 418 IV StPO (Anhaltspunkte für § 142 I S. 2 StPO?) – gem. § 140 StPO Eintragungen im BZR – Zahl – einschlägige – letzte zurückliegende – Zeitpunkt – Sanktionierungsart 206 Wo kein reines Messen mit Zahlen möglich war oder wo sich Besonderheiten ergaben, die über die Fragestellung „ja/nein“ hinaus interessant waren, wurde ggf. zusätzlich beschreibend-qualitativ vorgegangen. Zur gegenseitigen Ergänzung von Methoden s. Hoffmann-Holland, 2007, S. 95 f.

I. Methodisches Vorgehen und Problematik

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– letzte zurückliegende einschlägige – Zeitpunkt – Sanktionierungsart – „Bewährungsversager“ – Besonderheiten, bspw. viele Delikte in kurzem Zeitraum vor nun relevantem Vorwurf Geständnis § 420 I II III IV – Erläuterungen – Sonstiges zur Beweisaufnahme (insbes. Beweisanträge) Ladung von Zeugen Aussagen Anklage StA in Anklageschrift (hinsichtlich angeklagter Delikte und Zahl) Hauptverhandlung – Antrag StA Vom Gericht verhängte Rechtsfolge Urteilsbegründung insbes. generalpräventive Gesichtspunkte § 267 IV StPO Sofort Rechtskraft eingetreten (Erläuterungen) „einfacher Sachverhalt und klare Beweislage“ i. S. d. § 417 StPO mit Erläuterungen: – Tatmotivationen (sexuelle oder politische) – große Zahl (unterschiedlicher) Delikte – fragliche Schuldfähigkeit – Notwendigkeit die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten zu erforschen – Heranwachsender – BtM/Alkohol-Abhängigkeit nach Angaben Beschuldigter – Nichtgeständigkeit – Nichtdeutscher Sonst. Bemerkungen (spezielle Belange, Dreistigkeit im Vorgehen, Fußballrowdy usw.)

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

Der Auswertungsbogen wurde auf abgeschlossene Verfahren angewandt, bei denen ein Antrag im beschleunigten Verfahren gestellt wurde. Die Ergebnisse werden themenzusammenhängend nach der dogmatischen Darstellung und Diskussion des jeweiligen Paragraphen erörtert. II. Aktenziehung und Auswertung Die Untersuchung erfolgte für Berlin und den Landgerichtsbezirk Potsdam in Brandenburg, was auf den Besonderheiten Berlins mit einem eigenen „Schnellgericht“207, der deutschlandweit vergleichsweise hohen Nutzungszahl Brandenburgs208 sowie der regionalen Nähe beider Länder gründete. Insbesondere sollte aufgrund der vermuteten regionalen Verschiedenheit der Anwendung beschleunigter Verfahren209 eine auch vergleichende Untersuchung durchgeführt werden. 1. Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Am 03.06.06 wurde zunächst an die Generalstaatsanwaltschaft Brandenburg das Ersuchen um Einsicht in 200 Akten bereits abgeschlossener Verfahren aus dem Jahre 2005 gerichtet, bei denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde. Das gewählte Jahr entsprach dem Bedürfnis einerseits abgeschlossene, also nicht wegen laufender Vollstreckungsentscheidungen nicht zur Verfügung stehende, zugleich aber aktuelle Fälle210 zu erhalten. 207 Der Begriff wird in den Prozessakten und auch im Geschäftsverteilungsplan (AG Tiergarten 2008, S. 117) verwendet. Für Verfahren gem. den §§ 417–420 StPO sind in Berlin zwei eigene Abteilungen des AG Tiergarten eingerichtet worden. (Für den Bereich der Berliner Amtsgerichte sind alle Strafsachen beim AG Tiergarten konzentriert.) Verhandelt wird nicht im Gerichtsgebäude des AG Tiergarten, sondern in einem Seitenflügel des LKA am Tempelhofer Damm, s. den Geschäftsverteilungsplan des AG Tiergarten 2008, Besonderer Teil, D I. 1. (S. 26 f.) und V. (S. 44 f.) sowie Sowada, 2002, S. 468. 208 s. die Werte in Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2006, S. 22 f. und Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2007, S. 22 f. sowie Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429, 433 und Scheffler, NJ 1999, S. 113. 209 Diese folgt aus den verschiedenen Möglichkeiten, beschleunigte Verfahren anzuwenden; vgl. nur die verschiedenen Varianten, welche die Gesetzesfassung der §§ 417–420 StPO beinhaltet (s. oben, Fn. 37). Vgl. zu der Annahme auch Kohler, 2001, S. 124 ff. 210 Ein „Fall“ wird in dem Sinne verwendet, dass dieser die Komplexität eines (oder mehrerer) justiziell erledigter Sachverhalte umfasst, welche von der Staatsanwaltschaft (gemeinsam) angeklagt wurden und hinsichtlich derer eine (gemeinsame) Entscheidung des Gerichts erging, so dass sie stets in einer Akte zusammengefasst sind und einen Vorgang mit einem Aktenzeichen darstellen. Die erste aus-

II. Aktenziehung und Auswertung

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Nach Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft Potsdam, bei der die abgeschlossenen Strafverfahren aus dem LG-Bezirk Potsdam lagern, wurde schließlich die Einsichtnahme in 150 fortlaufende abgeschlossene Fälle genehmigt. a) Ausgehändigte Fälle Die Akteneinsicht und Auswertung erfolgte vom 19.07.2006 bis 01.11.2006. Insgesamt ausgehändigt wurden in Brandenburg für den LGBezirk Potsdam schrittweise 154 Fälle ab dem 01.04.2005 als Eingangsdatum bei der Staatsanwaltschaft, wovon allerdings 2 doppelt herausgegeben wurden, da sie in der staatsanwaltschaftsinternen Datenbank versehentlich zweimal an unterschiedlicher Stelle registriert waren.211 Ein weiterer Fall konnte nicht verwertet werden, da es sich um ein Verfahren handelte, bei dem die Staatsanwaltschaft gem. § 153 Abs. 1 StPO von der Verfolgung abgesehen und zu keinem Zeitpunkt einen Antrag gem. § 417 StPO gestellt hatte. Dies war ebenfalls auf eine Falschkennzeichnung in der Verfahrensdatenbank zurückzuführen. b) Verwertbare Fälle Verwertbare Verfahren, also solche in denen die Staatsanwaltschaft einen Antrag gem. § 417 StPO auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gestellt hatte, lagen mithin 151 vor. c) Fälle, in denen gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt wurde Von diesen 151 wurde in 147 Fällen gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt, es fand also zumindest eine beschleunigte Hauptverhandlung statt. In 4 Verfahren wurde eine Ablehnungsentscheidung noch vor einer Hauptverhandlung getroffen. Davon ergingen Sachurteile im beschleunigten Verfahren, also Verurteilungen, Freisprüche oder Anordnungen sonstiger Rechtsfolgen,212 in 83 Fällen. (In 7 Fällen traf das Gericht im Laufe des Verfahrens eine Ablehnungsentscheidung, in 37 Fällen wurde das Verfahren gem. den §§ 153 ff. StPO bzw. gem. § 47 JGG eingestellt, allerdings auch stets erst innerhalb einer gehändigte Akte wird als Fall 1 bezeichnet, die zweite als Fall 2 etc. In den Fällen aus Berlin beginnt die Zählung wiederum mit Fall 1. 211 Fall 60 war bereits als Fall 16 ausgewertet, Fall 49 bereits als Fall 21. 212 Vgl. KK-Schoreit, § 260 Rn. 16; Ranft, 2005, Rn. 1835.

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B. Zielsetzung, Grenzen und Ablauf der empirischen Untersuchung

Hauptverhandlung gem. den §§ 417 bis 420 StPO, in 20 Fällen wurde gem. den §§ 407 Abs. 1 S. 1, 408 a, 418 Abs. 3 S. 3 StPO ins Strafbefehlsverfahren übergegangen.) Der Ablauf kann als reibungslos bezeichnet werden, das Vorhaben traf auf freundliche Unterstützung. 2. Berlin Am 07.09.2006 wurde an den Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Berlin ebenfalls ein Ersuchen um Einsicht in Akten bereits abgeschlossener Verfahren aus dem Jahre 2005 gerichtet, welchen ein Antrag gem. § 417 StPO zugrunde lag. Nach Rücksprache mit dem Behördenleiter wurde das Ersuchen an die Amtsanwaltschaft Berlin, welche den Großteil der beschleunigten Verfahren bearbeitet,213 weitergereicht. Entsprechend der erhaltenen Zahl in Brandenburg wurde die Einsichtnahme in 150 Akten beantragt. Schließlich konnten aus behördenökonomischen Gründen nur 88 Akten bewilligt und bei der Amtsanwaltschaft Berlin abgeholt werden. Das IT-Referat ermittelte zuvor alle beschleunigten Verfahren. Die Behörde führte dann eine einfache Zufallsauswahl durch, bei der 11 der 12 Abteilungen berücksichtigt werden konnten. a) Ausgehändigte Fälle Die Einsichtnahme und Auswertung erfolgte vom 15.12.2006 bis 30.03.07. Insgesamt zur Abholung ausgehändigt wurden schließlich 94 Akten (88 in der Auflistung der Amtsanwaltschaft genau bezeichnete sowie 6 zusätzliche, nicht auf der Liste bezeichnete, beschleunigte Verfahren). Bei zwei Fällen waren Strafbefehle erlassen und zu keinem Zeitpunkt Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gestellt worden.214 Dies ist auf eine Falschkennzeichnung in der internen Datenbank oder ein Versehen bei der Aktenausgabe zurückzuführen. Als weiteres Versehen war ein Fall doppelt aufgelistet.215 b) Verwertbare Fälle Damit lagen 91 verwertbare Fälle vor. 213

Bei 40 beobachteten Verfahren am „Schnellgericht“ Tempelhofer Damm waren ausschließlich Amtsanwälte beteiligt. 214 Fälle 70, 76. 215 Akten 5, 6.

II. Aktenziehung und Auswertung

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c) Fälle, in denen gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt wurde In keinem Fall wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren sofort, also noch vor einer Hauptverhandlung abgelehnt. In allen 91 Fällen wurde mithin (ggf. zunächst) gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt. Davon ergingen Sachurteile im beschleunigten Verfahren in 80 Fällen. (In 4 Fällen traf das Gericht im Laufe des Verfahrens eine Ablehnungsentscheidung, in 7 Fällen wurde gem. den §§ 407 Abs. 1 S. 1, 408 a, 418 Abs. 3 S. 3 StPO ins Strafbefehlsverfahren übergegangen. Zu Verfahrenseinstellungen kam es in den ausgewerteten Berliner Verfahren nicht.) Auch in Berlin kann der Ablauf als reibungslos, die Unterstützung als freundlich bezeichnet werden. 3. Vorgehen bei der Auswertung In die Auswertung wurde außer den jeweils 3 unverwertbaren Fällen in Berlin und Brandenburg immer diejenige Gruppe und Zahl der Fälle einbezogen, die Aussagen treffen können. Beispielsweise sagt die Gruppe der Antragsstellungen gem. § 417 StPO etwas aus über die Art der Sachverhalte, bei denen die Staatsanwaltschaft ein beschleunigtes Verfahren für geeignet hält, nicht aber, ob diese Sachverhalte dann auch beschleunigt verhandelt werden, vgl. § 419 Abs. 1 S. 1 StPO. Im Landgerichtsbezirk Potsdam wurde nach den einzelnen Gerichten AG Potsdam, AG Brandenburg an der Havel, AG Nauen und AG Rathenow nur differenziert, soweit Unterschiede in der Vorgehensweise auffällig wurden.216 Die sich aus Größe und Form der Stichprobe ergebenden Verzerrungen müssen freilich bei der Ergebnisinterpretation berücksichtigt werden. Gleichwohl stellt vorliegende deskriptiv-explorative Studie eine der umfassendsten veröffentlichten empirischen Untersuchungen zum beschleunigten Verfahren gem. den §§ 417–420 StPO dar. Möglich wurde für die untersuchten Länder eine Beschreibung der rechtstatsächlichen Handhabung der Normen und der Verfahrensart einschließlich der Angabe von Häufigkeitsverteilungen. So konnten nicht lediglich auf Vermutungen beruhende Hypothesen und – in Bezugsetzung zu bereits bestehenden Erkenntnissen – rechtspolitische Ansätze formuliert werden. 216

Von den 151 verwertbaren Fällen entfielen 82 auf das AG Potsdam, 43 auf das AG Brandenburg an der Havel, 18 auf das AG Nauen und 8 auf das AG Rathenow. Das Verhältnis spiegelt weitgehend das tatsächliche Fallaufkommen wider.

C. Das beschleunigte Verfahren gemäß den §§ 417–420 StPO – Geltende Rechtslage und Anwendung in Berlin und Brandenburg Im Folgenden sollen die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 417–420 StPO dargestellt werden. Im Anschluss an jeden Regelungskomplex wird der rechtstatsächliche Umgang mit diesem aufgezeigt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf praxisrelevanten Fragen. I. Die Voraussetzungen der Verfahrensart gem. § 417 StPO – Zulässigkeitsrahmen und Beantragung des beschleunigten Verfahrens 1. Anwendungsbereich a) Möglicher Spruchkörper Gem. § 417 StPO stellt die Staatsanwaltschaft im Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht schriftlich oder mündlich den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhaltes oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Der Wortlaut der Norm umfasst beide Spruchkörper.217 Indes begrenzt § 419 Abs. 1 S. 2 StPO die in der Verfahrensart höchstens zu verhängende Rechtsfolge auf ein Jahr Freiheitsstrafe. Damit würden dem Schöffengericht nur jene Sachverhalte zufallen, bei denen ein Verbrechen voraussichtlich nur mit gemilderter oder Mindeststrafe sanktioniert würde.218 Dieser schmale Bereich passt nicht zu den auch in den Gesetzesbegründungen vorgesehenen, flankierenden organisatorischen Maßnahmen, die zu der gewünschten Mehranwendung geschaffen werden müs217 Das erweiterte Schöffengericht scheidet schon aufgrund der inhaltlich nicht vereinbaren Voraussetzungen des „Umfangs der Sache“ gem. § 29 Abs. 2 S. 1 GVG und der „Einfachheit des Sachverhalts“ gem. § 417 StPO sowie prozessual mangels Eröffnungsbeschlusses im beschleunigten Verfahren (vgl. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO, § 29 Abs. 2 S. 1 GVG) als Spruchkörper aus. 218 Für alle Vergehen bis zu der gem. § 419 Abs. 1 S. 2 StPO möglichen Sanktion von einem Jahr Freiheitsstrafe ist der Strafrichter als Einzelrichter zuständig, §§ 24, 25 GVG.

I. Die Voraussetzungen der Verfahrensart gem. § 417 StPO

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sen.219 Die Einrichtung solcher lohnt nur, wenn eine Vielzahl von Fällen regelmäßig eingeht und mithilfe von Formblättern, Bereitschaftsdiensten u. ä. routiniert durch Massenanfall Zeit gespart werden kann. Obwohl § 417 StPO das Schöffengericht ausdrücklich erwähnt, wird die Verfahrensart nur vor dem Strafrichter als Einzelrichter stattfinden.220 b) Ausdrücklich ausgeschlossene Beschuldigtengruppen (1) Jugendliche221 Gemäß § 79 Abs. 2 JGG ist das beschleunigte Verfahren nach den §§ 417–420 StPO bei Jugendlichen unzulässig.222 (2) Ausländische Truppen Nach Art. 27 NATO-Truppenstatut-ZA fanden keine beschleunigten Verfahren gegen Mitglieder ausländischer Truppen, deren zivilen Gefolge sowie deren Angehörige statt; der Artikel ist jedoch weggefallen und damit eine Anwendung der Verfahrensart auf diese Personengruppe unproblematisch möglich.223

219

s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. Die These wird im empirischen Teil überprüft. Von einer kaum mehr als theoretischen Zuständigkeit des Schöffengerichts geht auch Kohler (2001, S. 24) aus; ähnlich M-G, § 417 Rn. 1; eine Anwendung in nicht unerheblichem Maße hingegen vermutet Schröer, 1998, S. 68. 221 Jugendlicher ist, wer zur Tatzeit vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist, § 1 Abs. 2 JGG. 222 Zu Heranwachsenden s. im Folgenden [C. I. 1. c) (1) (a)]. Zu einem erfolglosen Versuch, die Betreibung des beschleunigten Verfahrens der StPO mittels einer Streichung des § 79 Abs. 2 JGG auch gegen Jugendliche zu ermöglichen s. den Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 10.11.2000 (BR-Drs. 549/00); kritisch hinsichtlich teilweise anzutreffender Modelle der Praxis, die Norm zu umgehen Eisenberg, 2009, § 79 Rn. 3a. Zum vereinfachten Jugendverfahren s. §§ 76–78 JGG. 223 Dies gilt seit dem 29.03.1998, vgl. das Änderungsabkommen vom 18.03.1993 (BGBl 1994 II S. 2598, 2605) sowie Art. 1 Abs. 1 Nr. 1, Art. 5 Abs. 2 des Ratifizierungsgesetzes (BGBl 1994 II S. 2594) i. V. m. der Bekanntmachung über das Inkrafttreten (BGBl 1998 II S. 1691); s. KMR-Metzger, § 417 Rn. 2; anders noch M-G, § 417, Rn. 5, KK-Graf, § 417 Rn. 2. 220

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

c) Inhaltliche Voraussetzung des § 417 StPO: Eignung zur sofortigen Verhandlung auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage (1) Vorliegen eines einfachen Sachverhalts Voraussetzung des Antrags gem. § 417 StPO ist die Eignung der Sache zur sofortigen Verhandlung aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage. Der Normwortlaut „einfacher Sachverhalt“ ist offen und abstrakt gestaltet. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, eine breitere Anwendung der Verfahrensart zu erreichen.224 Grammatisch gilt als „einfach“, was jedem sofort eingängig, was eben nicht kompliziert ist.225 Auch umfangreichere Fälle könnten vom Wortsinn noch „einfach“ sein, sofern sie nur eine erhöhte Arbeitszeit aber keine schwierige Struktur aufweisen. In systematischer Hinsicht nicht „einfach“ sind jene Sachverhalte, bei denen von Gesetzes wegen ein erhöhter Analyse- und Kommunikationsbedarf insbesondere hinsichtlich einer intensiven Erforschung der Persönlichkeit vonnöten ist (nicht zuletzt in Form der Beiziehung eines Sachverständigen oder der Jugendgerichtshilfe). Wenn Anlass besteht, die Person des Beschuldigten und sein Vorleben genau zu erforschen, kommt auch gem. Nr. 146 Abs. 1. S. 2 RiStBV das beschleunigte Verfahren nicht in Betracht. Dem entspricht das Ziel des Gesetzgebers, mittels der Verfahrensbeschleunigung zu erreichen, dass die Strafe der Tat „auf dem Fuße folgt“ und bei häufigerer Anwendung auch die Justiz entlastet wird.226 Vor diesem Hintergrund muss als „einfach“ angesehen werden, was schnell abgeurteilt werden kann, hingegen nicht, was einer schnellen Aburteilung im Wege steht. Falsch verstanden wäre, aufgrund der Hoffnung erhöhter Anwendung, eine sachlich besonders umfangreiche Delikts- und Beschuldigtenvielfalt einzubeziehen. Entsprechend dem Ressourcen sparenden Hauptziel der Beschleunigung soll nur das gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt werden, was denn auch insgesamt zu einer Einsparung an Aufwand und Zeit führt. Gewünscht ist eine Konzentration auf alle einfachen Dinge, die routiniert in hoher Zahl abgearbeitet werden können.227 224 s. BT-Drs. 12/6853, S. 34; auch vor diesem Hintergrund wird die Auslegung geschehen müssen. 225 Einfach und leicht überschaubar muss der Sachverhalt für alle Beteiligten, einschließlich des Beschuldigten sein, s. Schröer, 1998, S. 77. 226 s. BT-Drs. 12/6853, a. a. O. 227 Es muss die Möglichkeit bestehen, den Sachverhalt „schematisch“, „mechanisch“ zu ermitteln, s. Dähn, Baumann-FS, S. 355; Schünemann, NJW 1968, S. 975. Rein rechtliche Schwierigkeiten berühren die Einfachheit des Sachverhalts indes

I. Die Voraussetzungen der Verfahrensart gem. § 417 StPO

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Vor diesem Hintergrund lässt sich fallgruppenartig auflisten, wann jedenfalls kein einfacher Sachverhalt i. S. d. § 417 StPO vorliegt: (a) Heranwachsende228 Während bei Jugendlichen das beschleunigte Verfahren der §§ 417–420 StPO gem. § 79 Abs. 2 JGG ausgeschlossen ist, gilt dies für Heranwachsende nicht. § 109 JGG verweist weder bei Anwendung des Jugend- noch des Erwachsenenstrafrechts auf § 79 Abs. 2 JGG.229 Allerdings verlangt § 105 Abs. 1 JGG hinsichtlich der Frage, ob Jugendstrafrecht anzuwenden ist, bei jedem Heranwachsenden eine Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit bzw. die Prüfung, ob es sich bei seiner Tat um eine Jugendverfehlung handelt. Im gesamten Verfahren ist die Jugendgerichtshilfe heranzuziehen, §§ 38 Abs. 3 S. 1, 107 JGG. Gem. § 109 Abs. 1 S. 1 JGG ist für alle Heranwachsenden bereits im Vorverfahren § 43 JGG anzuwenden, welcher Ermittlungen über die Persönlichkeit des Beschuldigten etwa in Form der Untersuchung seiner Lebens- und Familienverhältnisse vorschreibt. Eine Erforschung der Persönlichkeit des Täters ist in dem Schnellverfahren der §§ 417–420 StPO praktisch aber nicht möglich.230 Auch die Verwaltungsvorschrift Nr. 146 Abs. 1 S. 2 RiStBV stellt fest, dass das beschleunigte Verfahren nicht in Betracht kommt, wenn Anlass besteht, die Person des Beschuldigten und sein Vorleben genau zu erforschen. Ohne eine Persönlichkeitserforschung besteht bei Heranwachsenden die Gefahr, wertlose Rechtsfolgen zu verhängen.231 Der „einfache Sachverhalt“ des § 417 StPO, der nicht zuletzt auf der Möglichkeit der schnellen Massenbearbeitung fußt,232 lässt sich mit den Anforderungen des JGG nicht vereinbaren. Ein beschleunigtes Verfahren gegen Heranwachsende kann von vornherein nicht durchgeführt werden.233 grundsätzlich nicht, s. KK-Graf, § 417 Rn. 8, LR25-Gössel, § 417 Rn. 27, können allerdings der Eignung zur sofortigen Verhandlung entgegenstehen, vgl. HK-Krehl, § 417 Rn. 2. 228 Heranwachsender ist, wer zum Tatzeitpunkt 18, aber noch nicht 21 Jahre alt ist, § 1 Abs. 2 JGG. 229 Auch schreibt der bereits für das bisherige beschleunigte Verfahren existierende § 109 Abs. 2 S. 3 vor, dass im Falle der Anwendung der Verfahrensart auf einen Heranwachsenden (der nach materiellem Jugendstrafrecht abgeurteilt wird) die Rechtsmittelbeschränkungen des § 55 Abs. 1 und 2 nicht gelten. 230 s. Roxin, 1998, § 59 Rn. 1; ebenso bereits zu der ehemaligen, engeren Regelung der §§ 212 – 212b StPO Fezer, ZStW 1994, S. 1, 14. 231 s. Erlemann, 1988, S. 95. 232 s. o. C. I. 1. c) (1). 233 Der möglicherweise in Einzelfällen als Lücke empfundene Raum zwischen dem (aber auch nur bedingt vergleichbaren) vereinfachten Verfahren für Jugendliche

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

(b) Politisch motivierte Täter Bei politisch motivierten Tätern234 besteht im Hinblick auf eine sinnvolle und wirksame Auswahl der Art und Bemessung der Rechtsfolge besonderer Persönlichkeitserforschungsbedarf.235 Ein „einfacher Sachverhalt“ i. S. d. § 417 StPO scheidet damit aus.236 Der wiederholt geäußerte und mitunter umgesetzte politische Wunsch, gerade diese Verfahrensart gegen politische Täter einzusetzen237 bestätigt nur die Ungeeignetheit. Bei diesen häufig emotional aufgeladenen Delikten droht in einem beschleunigten Verfahren die Beweiswürdigung zu kurz zu kommen und die Gefahr der Überbewertung generalpräventiver Zwecke.238 Ein Missbrauch der Verfahrensart bei politisch motivierten Taten erfolgte in der NS-Zeit, aber auch in der bundesrepublikanischen Geschichte immer wieder.239 Ohne die nötige Gelassenheit eines Normalverfahrens geschieht die unzulässige Aburteilung im Sinne eines „Feindstrafrechts“.240 Dies zeigte sich zuletzt bei den beschleu-

und dem beschleunigten Verfahren bei Erwachsenen muss, solange nicht eine wie bei Jugendlichen speziell auf die Altersgruppe passende Lösung getroffen wurde (vgl. §§ 76 ff. JGG), durch ein zügig durchgeführtes Normalverfahren ausgefüllt werden. Ebenfalls aufgrund von § 43 JGG für „in der Praxis [. . .] kaum durchführbar“ hält Ostendorf (2009, § 109 Rn. 10) das beschleunigte Verfahren bei Heranwachsenden; „regelmäßig“ unzulässig ist es nach Zieger, 2002, Rn. 230, LR25-Gössel, § 417 Rn. 28, KK-Graf, § 417 Rn. 8, HK-Krehl, § 417 Rn. 7; a. A. hingegen Putzke, 2004, S. 105 ff. 234 Zur Begriffsbestimmung s. den Überblick bei v. Danwitz, 2004, Rn. 108 ff. 235 Zu Erfordernissen eines straf- und strafverfahrensrechtlichen Umgangs mit politischen „Hass-Taten“ s. Schneider, Kriminalistik 2001, S. 21, 27; zur Strafzumessung bei (links- oder rechts)extremen Motiven von Taten s. Ermert, 2007, S. 397 ff. 236 s. KMR-Metzger, § 417, Rn. 17, Schröer, 1998, S. 76; a. A.: Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 34. 237 s. etwa S. 2 des Beschlusses aus dem Jahre 2000, BR-Drs. 549/00 oder BTDrs. 12/6853, S. 18 f. 238 s. Lehmann, DRiZ 1970, S. 287 ff.; SK-StPO-Paeffgen, § 417 Rn. 5. 239 s. zur NS-Zeit die Nachweise bei Ernst, 2001, S. 27 ff.; betr. die Studentenunruhen 1968 Schünemann, NJW 1968, S. 975; aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Äußerung des damaligen Justizministers Heinemann im Handelsblatt vom 20.02.1968: „Es sollte [. . .] öfter von dem beschleunigten Verfahren Gebrauch gemacht werden [. . .] auch außerhalb von Demonstrationen und Unruhen, damit den ‚Schellgerichten‘ das Odium von Standgerichten genommen werde“; bzgl. der Ausschreitungen nach der Verhaftung des PKK-Führers Öcalan, s. Ernst a.a.O, S. 41 f. 240 Der von Jakobs (ZStW 1985, S. 751 ff.) geprägte und von Herzog (ZRP 1991, S. 125, 125 f.) nach einem historischen Überblick des praktischen Umgangs mit der Verfahrensart auf das beschleunigte Verfahren angewandte Begriff des „Feindstrafrechts“ wird jedenfalls bei Vorgehen gegen politisch motivierte Tätergruppen zutreffen. Der „Feind“ wird nicht mehr als Bürger angesehen, mit ihm wird zwecks Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung „kurzer Prozess“ gemacht.

I. Die Voraussetzungen der Verfahrensart gem. § 417 StPO

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nigten Verfahren nach Ausschreitungen anlässlich des G-8-Gipfels in Heiligendamm.241 (c) Nichtdeutsche Die Ausländereigenschaft steht einem „einfachen Sachverhalt“ i. S. d. § 417 StPO nicht grundsätzlich entgegen. Allerdings haben Nichtdeutsche nach einer strafrechtlichen Sanktion mit ausländerrechtlichen Konsequenzen zu rechnen, die sich nicht selten gravierender für sie auswirken als die eigentliche Strafe.242 Die Verhandlung in einem beschleunigten Verfahren darf dies nicht vernachlässigen. Zu differenzieren ist folgendermaßen: Unproblematisch beschleunigt abgeurteilt werden können die (aufgrund des im Normalverfahren schwierigen und kostenintensiven Nachermittlungsaufwandes) besonders im Fokus der beschleunigten Verfahrensart stehenden sog. durchreisenden Täter. Bei Nichtdeutschen, die im Inland leben, ist zu prüfen, inwieweit im Falle einer Verurteilung schwerwiegende ausländerrechtliche Konsequenzen drohen.243 Ist von besonderen Folgen nach Mitteilung 241

Strukturell kann ein Interesse des Staates bestehen, unerwünschten politischen Protest eskalieren zu lassen, damit dieser die Unterstützung der Mehrheit verliert und mit polizeilichen und justiziellen Mitteln zu bekämpfen ist. Früher bekannt gewordene Anhaltspunkte sind der Auftritt eines V-Mannes als Scharfmacher bei gewalttätigen Anti-Atomkraft-Protesten (Süddeutsche Zeitung, „Minister lüftet Tarnung eines Spitzels“, Artikel v. 18.01.1983, Seelmann, ZStW 95 (1983), S. 797) sowie das gewaltprovozierende Verhalten eines Berliner Staatsschutzbeamten bei den Ausschreitungen 1983 in Krefeld (Ostendorf/Meyer-Seitz, StV 1985, S. 73, 76). In Heiligendamm befanden sich am 02.06.2007, dem ersten Demonstrationstag und Tag der gewaltsamen Ausschreitungen unter den Demonstranten verdeckte Ermittler, die sich durch „außergewöhnlich aggressives Verhalten gegenüber der Polizei“ hervorgetan haben, so der Vorwurf des RAV in Focus online, „Zivilpolizisten sollen provoziert haben“, Artikel v. 06.06.2007; zumindest der Einsatz eines verdeckten Ermittlers wurde von der Polizei eingeräumt, Spiegel online, „Polizei bestätigt Einschleusen von Zivilbeamten“, Artikel v. 08.06.2007; s. auch http://de.wikipedia.org/ wiki/G8-Gipfel_in_Heiligendamm_2007 (zuletzt überprüft am 30.07.2009). Weniger als 72 Stunden nach den Ausschreitungen wurde der erste (nicht vorbestrafte) Täter im beschleunigten Verfahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit schwerem Landfriedensbruch verurteilt. Er erhielt zehn Monate Haft ohne Bewährung. Der Mann soll „mehrfach mit Steinen gezielt nach Polizisten“ geworfen haben. Nach Angaben der Gerichtssprecherin bezeugten zwei Polizeibeamte die Übergriffe. Einem vom Angeklagten aufgebotenen Entlastungszeugen folgte das Gericht nicht, so Spiegel online, „Randalierer zu zehn Monaten Haft verurteilt“, Artikel v. 05.06.2007, focus online, „Zehn Monate Haft für Steinewerfer“, Artikel v. 05.06.2007; einen Tag später wurden sieben weitere festgenommene Personen in Schnellverfahren zu bis zu zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, NDR online, „Weitere Steinewerfer von Rostock verurteilt“, Artikel v. 06.06.2007. 242 s. Ventzke, StV 1994, S. 337 ff. 243 Zu denken ist vor allem an die Ausweisung gem. den §§ 53 ff. AufenthG.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

der strafrechtlichen Reaktion an die Ausländerbehörde gem. § 87 Abs. 4 AufenthG nicht auszugehen, so steht die Eigenschaft als Nichtdeutscher dem „einfachen Sachverhalt“ ebenfalls nicht entgegen.244 Drohen hingegen erhebliche Entscheidungen245, so liegt aufgrund des dann nötigen Persönlichkeitserforschungsbedarfs und der besonderen Berücksichtigung der Wirkungen der Strafe gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB die Voraussetzung des „einfachen Sachverhalts“ gem. § 417 StPO nicht vor. Zusammengefasst steht die Ausländereigenschaft einem „einfachen Sachverhalt“ also nur bei faktischen Inländern bei einer drohenden Freiheitsstrafe und freiheitsentziehenden Vorstrafen in Anbetracht der §§ 53 ff. AufenthG entgegen.246 (d) Sexuell motivierte Täter Strukturell ungeeignet für eine beschleunigte Verhandlung und einem einfachen Sachverhalt entgegenstehend sind Täter mit sexuellen Motiven,247 schon wegen des Bedarfs, die Täterpersönlichkeit und die Tathintergründe intensiv zu ermitteln. Vereinbaren lässt sich das beschleunigte Verfahren auch nicht mit der besonderen Behutsamkeit, die wegen der Gefahr, die Opfererfahrung durch die Belastung des Strafverfahrens noch zu verstärken, erforderlich ist. (e) Fragliche Schuldfähigkeit Fraglich ist, ob Zweifel an der Schuldfähigkeit des Täters einen Sachverhalt als nicht mehr „einfach“ i. S. d. § 417 StPO erscheinen lassen. Aufgrund der für die Prüfung der §§ 20, 21 StGB regelmäßig erforderlichen Beiziehung eines Sachverständigen248 wird man dies annehmen müssen. Systematisch sind außerdem die im Zusammenhang mit den §§ 20, 21 StGB stehenden Maßregeln der §§ 63, 64 StGB im beschleunigten Verfahren gerade ausgeschlossen (§ 419 Abs. 1 S. 2 StPO). Daneben zu treffende 244

Führt die Verurteilung lediglich zu einer Geldstrafe, so liegt grundsätzlich kein Ausweisungsgrund vor, vgl. die §§ 53 ff. AufenthG. 245 Insbesondere die erneute Verhängung einer Freiheitsstrafe bei freiheitsentziehenden Vorstrafen können gem. den §§ 53 ff. AufenthG, speziell gem. § 53 Nr. 1 AufenthG die Ausweisung zur Folge haben. 246 Ggf. kann sich die Ungeeignetheit zur sofortigen Verhandlung darüber hinaus aus Sprachproblemen ergeben. 247 s. KMR-Metzger, § 417 Rn. 17. 248 s. Fischer, 2009, § 20 Rn. 60 – Lediglich im Falle einer Alkoholisierung bei der Tatbegehung mit bekannten Blutalkoholkonzentrationswerten genügt in der Regel die eigene Sachkunde des Gerichts.

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Persönlichkeitserforschungen hinsichtlich der ggf. als Bewährungsweisung zu erteilenden Entzugs- und Heilungsmöglichkeiten sowie Anstaltsaufenthalte des § 56 StGB i. V. m. § 56c Abs. 3 StGB stehen der Einfachheit ebenfalls entgegen. Im Bereich der nicht vorliegenden bzw. verminderten Schuldfähigkeit etwa im Rahmen der Beschaffungskriminalität geht es eher um Hilfe bzw. um schuldindifferente Präventivmaßnahmen als um routinierte, schnelle Aburteilung. Die dafür notwendige kommunikative Erörterung und Übereinstimmung des Verurteilten mit der Rechtsfolgenauswahl lässt sich nicht mit der für § 417 StPO erforderlichen „Einfachheit“ verbinden. (f) Vielzahl vorgeworfener Taten Eine schnelle Erledigung kann nicht geschehen, also ein „einfacher Sachverhalt“ ebenfalls regelmäßig nicht angenommen werden, wenn einem Täter gleich eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt wird.249 (g) Zu erwartende Verhängung einer Freiheitsstrafe Erfolgt die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, so ist hinsichtlich der Strafaussetzung zur Bewährung § 56 Abs. 1 StGB zu beachten. § 56 Abs. 1 S. 2 StGB schreibt die Ermittlung verschiedener Umstände des Verurteilten, u. a. eine Persönlichkeitserforschung vor. Bereits zuvor hat gem. § 47 Abs. 1 StGB eine solche Persönlichkeitserforschung zu erfolgen, falls die Freiheitsstrafe unter sechs Monate dauern soll, ein Zeitrahmen, der in Anbetracht der Höchstdauer der Freiheitsstrafe im beschleunigten Verfahren von einem Jahr (§ 419 Abs. 1 S. 2 StPO) und der gleichzeitigen Anwaltspflicht bei zu erwartender Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten (§ 418 Abs. 4 StPO) nicht selten sein wird. Nahe läge, in Anbetracht dieser Voraussetzungen bei drohender Freiheitsstrafe (zum Zeitpunkt der Antragsstellung gem. § 417 StPO) einen „einfachen Sachverhalt“ generell nicht anzunehmen.250 Entgegen steht aber der Wille des Gesetzgebers, die Verhängung der Freiheitsstrafe im beschleunigten Verfahren zuzulassen, vgl. §§ 419 Abs. 1 S. 2, 418 Abs. 4 StPO. Diesen Konflikt zwischen der Voraussetzung des „einfachen Sachverhalts“ des § 417 StPO und dem gleichzeitigen Willen, Freiheitsstrafen in der Verfahrensart nicht auszuschließen, wird man nur in der Form lösen können, dass Freiheitsstrafen lediglich in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ein restriktiver Umgang mit der Rechtsfolge ist bei ei249 s. HK-Krehl, § 417 Rn. 2; LR25-Gössel, § 417 Rn. 28; SK-StPO-Paeffgen, § 417 Rn. 13. 250 So Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 9 f., SK-StPO-Paeffgen, § 417 Rn. 13.

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ner, in den Rechten des Beschuldigten erheblich verkürzten Verfahrensart auf der einen Seite und dem schwersten Eingriff des Staates für den Bürger auf der anderen Seite auch aus rechtsstaatlicher Sicht angezeigt. Darüber hinaus sind schon unabhängig von den §§ 417–420 StPO von Gesetzes wegen (§ 47 StGB) aufgrund der schädlichen Auswirkungen251 die (allein zu erwartenden) kurzen Freiheitsstrafen regelmäßig nicht zu verhängen. In den selten anzunehmenden Ausnahmefällen tritt das auch für die Hauptverhandlung geltende Beschleunigungsziel (§ 420 StPO) in dieser zur Verwirklichung der Erfordernisse der §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 1 S. 2 StPO zurück. Ist absehbar, dass sich die Bewährungsprognose schwierig gestalten wird, ist von vornherein kein „einfacher Sachverhalt“ gegeben.252 (h) Der „Einfachheit“ entsprechende Straftaten Damit zeichnet sich ein Bild ab, welche Taten typischerweise nach dieser gesetzlichen Voraussetzung des § 417 StPO zur beschleunigten Aburteilung geeignet sind. Exemplarisch sind zweckentsprechende Massenvergehen jene des Diebstahls gem. § 242 StGB, insbesondere des Ladendiebstahls, des Betruges gem. § 263 StGB, soweit die Begehung in einfacher Form derjenigen des Ladendiebstahls entspricht, einschließlich damit einhergehender Urkundenfälschungen gem. § 267 StGB sowie des Erschleichens von Leistungen gem. § 265a StGB. In Betracht kommt die beschleunigte Aburteilung bei Sachbeschädigungen nach dem 27. Abschnitt des StGB oder bei Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB, wobei aber meist nicht mehr die günstige Situation des Massenanfalls gleichartiger Sachverhalte mit routinierten Zeugenaussagen bestehen wird.253 Nur bedingt geeignet werden Vergehen sein, bei denen eine persönliche Interaktion zwischen Opfer und Täter stattfindet, wie etwa Beleidigung gem. § 185 StGB, Körperverletzung gem. § 223 StGB oder gar gem. § 224 StGB, da hier, anders als bei einem Ladendiebstahl und den vergleichbaren Vergehen, die Urteilsfindung kaum je ohne eine umfassende Zeugenanhörung auskommen wird, was einer raschen routinierten Aburteilung entgegensteht. Das Fahren ohne Fahrerlaubnis gem. den §§ 2, 21 StVG lässt sich gleichfalls beschleunigt verhandeln, ebenso 251 Bei einer kurzfristigen Freiheitsstrafe sind keine positiven „resozialisierenden“ Maßnahmen möglich. Hingegen erfolgen ggf. die negativen, möglicherweise gar kriminalitätsfördernden Auswirkungen des Herausgerissenwerdens aus dem sozialen Umfeld, des Verlusts des Berufes sowie des Abbaus der Hemmschwelle vor dem Strafvollzug, s. BT-Drs. 10/5828, S. 4. 252 KMR-Metzger, § 417 Rn. 17. 253 Zu §§ 124 ff. StGB s. indes oben C. I. 1. c) (1) (b).

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wie der Gebrauch eines nicht versicherten Fahrzeuges im Straßenverkehr gem. §§ 1, 6 PflVG. Schwieriger ist, ob darüber hinaus andere Verkehrsdelikte im weiteren Sinne geeignet sind. Die ggf. bestehende Erwünschtheit der Verfahrensart durch derlei Beschuldigte254 kann nicht allein ausschlaggebend sein. Zunächst gibt es eine hohe Zahl prima facie unproblematischer Konstellationen von Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB. Allerdings kann die damit häufig einhergehende Maßregel des § 69 StGB oder die Nebenstrafe des § 44 StGB (etwa für den Berufskraftfahrer) so erheblich sein, dass kein schnell aburteilbarer Sachverhalt gegeben scheint. Gleichwohl stünde die gänzliche Ablehnung dieses Delikts im Widerspruch zum Gesetz. § 419 Abs. 1. S. 3 StPO erlaubt ausdrücklich die Entziehung der Fahrerlaubnis in der Verfahrensart. Mithin wird der scheinbare Widerspruch zwischen § 417 StPO und § 419 Abs. 1 S. 3 StPO in der Form zu lösen sein, dass Delikte gem. § 316 StGB aufgrund ihrer Häufigkeit und Vergleichbarkeit gemäß den §§ 417–420 StPO abgeurteilt werden können, das Beschleunigungsziel in der Hauptverhandlung selbst allerdings hinter der Erörterung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten zurückstehen muss. Die §§ 315 b, c StGB werden aufgrund des häufig komplexeren Sachverhalts kaum in Betracht kommen und insbesondere bei Erfordernis einer gutachterlichen Untersuchung ausscheiden. (2) Vorliegen einer klaren Beweislage Die Staatsanwaltschaft stellt gem. § 417 StPO den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, „wenn die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“. Weitere nach dem Wortlaut ausdrücklich alternativ mögliche Voraussetzung des § 417 StPO ist also die Eignung zur sofortigen Verhandlung aufgrund der „klaren Beweislage“. Indes ist schwer vorstellbar, inwieweit eine Eignung zur sofortigen Verhandlung gegeben sein kann, wenn zwar eine klare Beweislage, aber kein einfacher Sachverhalt vorliegt. Oder inwieweit eine Eignung zu bejahen ist, wenn zwar ein einfacher Sachverhalt, allerdings keine klare Beweislage den Fall auszeichnet. Entgegen dem Wortlaut der „nicht brauchbaren [Gesetzes]fassung“255 müssen also die Voraussetzungen des „einfachen Sachverhalts“ und der „klaren Beweislage“ in aller Regel kumulativ, nicht alternativ gegeben sein, damit eine Eignung zur sofortigen Verhandlung bejaht werden kann.256 Wird teilweise vermutet, 254 Vgl. www.rechtsanwalt-pokrant.de/verkehrsrecht.htm (zuletzt überprüft am 23.07.2009). 255 s. LR25-Gössel, § 417 Rn. 25. 256 s. OLG Stuttgart StV 1998, 585, 586; Ernst, 2001, S. 54; KK-Graf, § 417 Rn. 7; LR25-Gössel, § 417 Rn. 26; M-G, § 417 Rn. 16; Ranft, 2005, Rn. 2332;

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dass eine alternative Konstellation denkbar sei, in der zwar ein schwieriger Sachverhalt vorliege, der aber aufgrund der klaren Beweislage mittels eines Geständnisses sofort aufgehellt wäre,257 so ist dies nicht zutreffend. Eine sofortige Verhandlung bei schwierigem Sachverhalt, die sich allein auf das Geständnis verlässt, würde in Anbetracht der zahlreichen Gründe und Motive für falsche Geständnisse258 der Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO nicht gerecht. Eine Beweislage ist „klar“, wenn ein Fall bereits als aufgeklärt erscheint.259 Dies wird man bei einem überprüften, plausiblen Geständnis annehmen können. Aber auch ein Sachverhalt, in dem bislang keine Äußerung des Beschuldigten vorliegt, kann dies erfüllen. Bei mehreren, sich gegenseitig untermauernden Beweismitteln, z. B. den übereinstimmenden Zeugenaussagen verschiedener neutraler Personen, wird die Beweislage klar erscheinen. Schwieriger ist, ob die Voraussetzung bei einem bestreitenden Beschuldigten erfüllt sein kann.260 Das dann auftretende Erfordernis mehrerer anderer Beweismittel könnte dagegen sprechen. Andererseits ist das Bestreiten als natürliches Verteidigungsmittel in der Praxis nicht die Ausnahme und durch andere sichere Beweismittel auszugleichen, die ja bereits vorliegen können. Vor allem aber sind Wortlaut und Gesetzeszweck261 nicht mit einer so starken Einengung zu vereinbaren, die das beschleunigte Verfahren von der geständigen Kooperation abhängig machen, also faktisch zu einem Konsensualverfahren ausgestalten würde.262 Keine „klare Beweislage“ besteht bei sich widersprechenden Zeugenaussagen, der Erforderlichkeit von Sachverständigengutachten, welche die Alltagsroutine übersteigen (wobei es diesbezüglich meist schon an einem „einfachen Sachverhalt“ fehlen wird),263 wie schon bei Uneinigkeiten zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht hinsichtlich des Vorliegens von hinreichendem Tatverdacht.264 Ist die Notwendigkeit einer umfangreichen BeweisaufSprenger, NStZ 1997, S. 574 f.; a. A.: Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 78; SKStPO-Paeffgen, § 417 Rn. 12, 14. 257 s. Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 80. 258 Etwa das Bemühen um mildere Sanktion in einer aussichtslos erscheinenden Situation, die Verdeckung anderer Taten durch die zu erwartende Einstellung der Ermittlungen bei einem Geständnis, Schutz Dritter, Nötigung durch Dritte oder unzulässiger Vernehmungsdruck, s. zu diesen und weiteren Eisenberg, 2008, Rn. 731 ff. m. w. Nw. 259 Kohler, 2001, S. 26. 260 Lemke/Rothstein-Schubert gehen von einer unklaren Beweislage bei bloßem Schweigen oder Bestreiten des Schuldvorwurfs aus (ZRP 1997, S. 488, 491). 261 Ausdrückliches Ziel ist die häufigere Anwendung, s. BT-Drs. 12/6853 S. 34. 262 Denn auch de lege ferenda für ein Zustimmungsrecht: Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 14. 263 s. o. C. I. 1. c) (1) (e).

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nahme abzusehen, so ist die Voraussetzung der „klaren Beweislage“ nicht erfüllt.265 (3) Eignung zur sofortigen Verhandlung Aufgrund des einfachen Sachverhalts und der klaren Beweislage muss die Sache gem. § 417 StPO „zur sofortigen Verhandlung geeignet sein“. (a) Voraussichtlicher Zeitraum zwischen Antrag und Hauptverhandlung Der Hauptverhandlungstermin muss hinsichtlich des Wortlauts sogleich anberaumt werden können. Systematisch steht dieses Erfordernis in Zusammenhang mit § 418 Abs. 1 StPO, welcher mit dem zweiten Satz266 in unstimmiger Weise erweitert wurde. Danach sollen nun zwischen dem Eingang des Antrags bei Gericht und dem Beginn der Hauptverhandlung nicht mehr als sechs Wochen liegen. Mit den Worten „zur sofortigen Verhandlung“ des § 417 Abs. 1 StPO und der Durchführung der Hauptverhandlung „sofort oder in kurzer Frist“ gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO lässt sich das nur schwer vereinbaren.267 Von einem beschleunigten Verfahren wird man kaum mehr sprechen können, wenn der Beginn der Hauptverhandlung in Anbetracht der Sollvorschrift bis mehr als eineinhalb Monate nach Antragsstellung stattfindet.268 Bislang ging die überwiegende Auffassung von einer Frist von nicht mehr als zwei Wochen aus.269 Rechtfertigen sich doch die Einschränkungen der Beschuldigtenrechte durch das Ziel einer Aburteilung, „die der Tat auf dem Fuße folgt“. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie auf Verteidigung (Art. 20 Abs. 3 GG) wird u. a. durch die Auslassung des Zwischenverfahrens (§ 418 Abs. 1 S. 1 StPO), die Verkürzung der Ladungsfrist (§ 418 Abs. 2 S. 3 StPO), die Entwertung des Beweisantragsrechts und die Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten (§ 420 StPO) eingeschränkt. Dies bedarf der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, welche hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs die Beschleunigung aus spezialpräventiven aber auch Entlastungsgründen als legitimes Ziel verfolgt, indes s. LR25-Gössel, § 417 Rn. 31. s. KK-Graf, § 417 Rn. 9. 266 Eingeführt im Rahmen des 1. Justizmodernisierungsgesetz, s. BGBl. 2004 I, 2198, 2203. 267 „Platterdings unvereinbar“, LR25-Gössel, § 417 Rn. 32. 268 Vgl. M-G, § 418 Rn. 5. 269 Regelmäßig, bzw. strikt einzuhalten, s. OLG Stuttgart NJW 1998, 3134 f., 1999, 511; KK-Graf, § 417 Rn. 10 bzw. LR25-Gössel, § 417 Rn. 32. 264 265

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hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) bei zu großer Entfernung von dem Beschleunigungsziel nicht mehr zu rechtfertigen ist. Die Einschränkung der Ermittlung der Wahrheit durch die Beschränkung des Beweisantragsrechts (§ 420 Abs. 4 StPO) ist mit der besseren Erinnerungsfähigkeit von Zeugen ohnehin kaum, bei größeren Zeiträumen keinesfalls mehr auszugleichen.270 Somit darf die sechswöchige Frist des § 418 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht ausgeschöpft werden,271 und eine Eignung zur sofortigen Verhandlung gem. § 417 StPO ist eben nicht gegeben, wenn eine solche Ausschöpfung zu erwarten, sondern nur, wenn von einer Aburteilung innerhalb von zwei Wochen auszugehen ist. Konkret bedeutet dies, dass die Geschäftslage des Gerichts eine derart zeitnahe Verhandlung zulassen muss,272 sowie dass alle Beweismittel bereits zur Verfügung stehen.273 Bislang wurde als Bedingung angenommen, dass die Hauptverhandlung voraussichtlich in einem Termin ohne längere Unterbrechung abgeschlossen werden könne.274 Dem könnte der Wortlaut des neuen § 418 Abs. 1 S. 2 StPO entgegenstehen, der nun eine Frist zwischen Antrag und „Beginn“ der Hauptverhandlung festlegt. Indes wird schon ein „einfacher Sachverhalt“ 270 Die Vorschrift des § 417 StPO ist überdies restriktiv auszulegen, um einer schleichenden Abschaffung des Beweisantragsrechts vor dem Amtsgericht entgegenzutreten. Bereits bei Einführung der §§ 417 ff. StPO wurde befürchtet, dass eine faktische Abschaffung des Beweisantragsrechts durch § 420 Abs. 4 StPO in der Verfahrensart Pilotmodell sein solle, s. Scheffler, NJW 1994, S. 2191, 2193. In der Tat gab es auch entsprechende oder noch weitergehende politische Forderungen, s. die Erörterung bei Bandisch, StV 1994, S. 153, 154 f. sowie BR-Drs. 331/94. Zu besorgen ist nun, dass solche Vorhaben „durch die Hintertür“ mit Normen wie § 418 Abs. 1 S. 2 StPO eingeführt werden, die eher unauffällig sind und nach der Begründung nur „hemmende Unsicherheiten klären“ (vgl. BR-Drs. 378/03, S. 27). Ähnliches geschah bereits mit § 411 Abs. 2 S. 2 StPO, der eine ganz erhebliche Zahl von Strafverfahren betreffen dürfte. Eine derartige Erosion ist jedoch in Anbetracht der Entwicklung des Beweisantragsrechts als tragendes Prinzip der Überwindung des bloßen Inquisitionsprozesses (vgl. Fezer, StV 1995, S. 263, 268; Schulz, GA 1981, S. 301, 304) nicht nur hinsichtlich Art. 103 Abs. 1 GG inakzeptabel, nähert sie sich doch den Grundprinzipien der Verfassung an, welche gebieten, auch den Beschuldigten einer Straftat nicht als bloßes Objekt, sondern Subjekt des Prozesses anzusehen (Art. 1 GG). 271 s. Ranft, 2005, Rn. 2337; M-G, § 418 Rn. 5: nur in Ausnahmefällen. 272 s. OLG Düsseldorf NStZ 1997, S. 613; nach Vorstellung des Gesetzgebers soll dies durch dem beschleunigten Verfahren entsprechende organisatorische Maßnahmen von Gerichten und Staatsanwaltschaften ermöglicht werden, s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 273 s. HK-Krehl, § 417 Rn. 4; M-G, § 417 Rn. 17. 274 s. OLG Stuttgart NJW 1998, S. 3134, 3135; KK-Graf, § 417 Rn. 10.

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und eine „klare Beweislage“ i. S. d. § 417 StPO nicht vorliegen, wenn zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung mehr als einen Termin benötigt. Eine bereits abzusehende Verhandlung in mehreren Terminen entfernt sich von dem die Verfahrensverkürzungen rechtfertigenden Beschleunigungsziel und ist den §§ 417–420 StPO systemfremd. Der Wortlaut des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO ist also auch in dieser Hinsicht misslungen bzw. unzulässig aufweichend. Die Erwartung einer über einen Termin hinausgehenden Verhandlung (bzw. mehrerer bereits abzusehender nötiger Unterbrechungen) steht der Eignung zur sofortigen Verhandlung i. S. d. § 417 StPO entgegen. Die Annahme, dass die erforderliche Verfügbarkeit der Beweismittel gegebenenfalls dadurch ausgeglichen werden könne, dass eine erleichterte Beweisaufnahmesituation gem. § 420 Abs. 1 bis 3 StPO zu erwarten sei,275 entbehrt nicht eines gewissen Zynismus, hängt diese Situation doch u. a. von der in der Hauptverhandlung zu erteilenden Zustimmung des Beschuldigten (§ 420 Abs. 3 StPO) ab,276 dürfte aber der Realität des mit den §§ 417–420 StPO anvisierten, sozioökonomisch schwachen277 und damit wenig überführungsresistenten278 Beschuldigtenklientels entsprechen. (b) Möglichkeit der Verfahrensbeschleunigung gegenüber dem Regelverfahren – Art. 3 Abs. 1 GG Fraglich ist, ob die Eignung zur sofortigen Verhandlung darüber hinaus verlangt, dass eine Hauptverhandlung im Normalverfahren erst erheblich später durchgeführt werden könnte. Gem. § 417 StPO muss die Sache „zur sofortigen Verhandlung geeignet“ sein, gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO wird die „Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist“ durchgeführt. Diese nicht relative Formulierung spricht gegen die Notwendigkeit einer Prüfung, ob das Verfahren gem. den §§ 417–420 StPO erheblich schneller ginge.279 Die eingefügte Konkretisierung des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO, welche einen Regelzeitraum von sechs Wochen zwischen Antragseingang und Hauptverhandlung vorschreibt, scheint dies zu bestätigen. Andererseits stellt sich die Frage, inwieweit „beschleunigte“ Verfahren gerechtfertigt sind, wenn sie sich ohne die Einschränkungen der §§ 417–420 StPO für den Beschuldigten 275

s. KK-Graf, § 417 Rn. 10; KMR-Metzger, § 417 Rn. 28. Eine eventuelle Vorabklärung dieser Frage widerspricht (wie überhaupt jede Kommunikation zwischen der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht und dem Beschuldigten vor der Hauptverhandlung) der beschleunigten Verfahrensrealität. 277 s. Ernst, 2001, S. 175 ff., 205; SK-StPO-Paeffgen, Vor § 417 Rn. 7; Wächtler, StV 1994, S. 159, 160; diese These wird im Rahmen der empirischen Untersuchung überprüft. 278 s. Eisenberg, 2005, § 31 Rn. 45 m. w. Nw. 279 Vgl. LR25-Gössel, § 417 Rn. 32. 276

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genauso schnell durchführen lassen. Wenn keine zeitliche Ersparnis möglich ist, ist fraglich, ob es im Belieben von Staatsanwaltschaft und Gericht stehen kann, ob für einen Beschuldigten die Regelungen des Normalverfahrens mittels der §§ 417–420 StPO eingeschränkt werden oder nicht. Darin könnte ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegen. (aa) Die gesetzliche Regelung und der Gleichheitsgrundsatz Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, wesentlich gleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln, ohne dass hierfür ein sachlich rechtfertigender Grund vorliegt.280 Dem müssen zunächst die Normen (§§ 417–420 StPO) gerecht werden. Vergleichbare Gruppen sind die Beschuldigten „N“ und die Beschuldigten „B“, welche beide vor dem Amtsgericht wegen einfacher oder mittelschwerer Kriminalität im unteren Bereich abgeurteilt werden. Die Ungleichbehandlung liegt darin, dass die Gruppe „N“ im Normalverfahren, die Gruppe „B“ hingegen gem. den §§ 417–420 StPO beschleunigt abgeurteilt wird, also unter Einschränkung der Beschuldigtenrechte. Die Ungleichbehandlung müsste verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Die Anforderungen daran differieren nach der Rechtsprechung des BVerfG nach der Intensität, welche die Ungleichbehandlung für den Betroffenen zeitigt.281 Bei Ungleichbehandlungen von geringer Intensität geschieht lediglich eine Willkürkontrolle, eine Rechtfertigung liegt bereits im Bestehen irgendeines sachlichen Grundes. Bei Ungleichbehandlungen von größerer Intensität ist die Ungleichbehandlung nur durch einen gewichtigen sachlichen Grund gerechtfertigt, sie muss im Sinne einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung einen legitimen Zweck verfolgen, sowie geeignet, erforderlich und angemessen sein, diesen Zweck zu erreichen. Die Intensität nimmt zu, je mehr nach Personengruppen, nicht nach Sachverhalten ohne Personenbezug differenziert wird, je weniger Einfluss der Betroffene auf das Kriterium der Ungleichbehandlung hat, und je mehr der Gebrauch grundrechtlicher Freiheiten durch die Ungleichbehandlung erschwert wird. Die Eignung i. S. d. § 417 StPO differenziert nicht nach Personengruppen. Allerdings verlangt das BVerfG auch nicht eine ausdrücklich personenbezogene Differenzierung. Die engere Bindung gilt auch, wenn die Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt.282 Vor und nach der Gesetzesneufassung wurden 280

s. BVerfGE 1, S. 14, 16 f.; 49, S. 148, 165. s. zu alldem BVerfGE 95, S. 267, 316 f.; 99, S. 367, 388; 107, S. 27, 45 f.; Pieroth/Schlink, 2008, Rn. 438 ff. 281

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Vermutungen geäußert,283 für deren tatsächliche Anwendung es auch Anhaltspunkte gibt,284 dass die Verfahrensart gegen ganz bestimmte Personengruppen gerichtet ist, nämlich jene der sozial Schwachen, der Betäubungsmittelabhängigen und der Nichtdeutschen. Aus dem Gesetz selbst lässt sich dafür nicht viel entnehmen. Man könnte argumentieren, dass durch die Vagheit des Kriteriums „Eignung aufgrund einfachen Sachverhalts oder klarer Beweislage“ die sichtbare Gefahr bestehe, einen Missbrauch in der Auswahl zu ermöglichen. Doch der Gesetzgeber hat die Formulierung mit dem Willen zur breiteren Anwendung begründet.285 Für eine größere Intensität der Ungleichbehandlung spricht indes, dass der Betroffene die Ungleichbehandlung nicht beeinflussen kann, insbesondere steht ihm, anders als etwa beim Strafbefehlsverfahren, kein Einspruchsrecht gegen das beschleunigte Verfahren zu. Die Regelungen des § 420 Abs. 1, 2 StPO bedürfen gem. § 420 Abs. 3 StPO seiner Zustimmung, allerdings wird diese spezielle Regelung angesichts der mangelnden juristischen Kenntnisse der meisten Beschuldigten gerade ohne Verteidiger als nicht schützend angesehen.286 Erschwert wird zudem der Gebrauch grundrechtlicher Freiheiten bei jenen die gem. den §§ 417–420 StPO abgeurteilt werden. Dies sind Art. 2 Abs. 2 GG, denn der erleichterte Haftgrund des § 127b StPO gilt nur bei Erwartung eines beschleunigten Verfahrens,287 Art. 103 Abs. 1 GG (hinsichtlich der Einschränkungen des Beweisantragsrechts, besonders i. V. m. der Annahmeberufung gem. § 313 Abs. 1, 2 StPO)288 sowie das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG in der Ausprägung des „fairen Verfahrens“ und des Rechts auf Verteidigung.289 Angesichts der größeren Intensität der Ungleichbehandlung genügt eine bloße Willkürkontrolle nicht, ein gewichtiger sachlicher Grund ist zur Rechtfertigung nötig. Die Ungleichbehandlung muss einen legitimen Zweck verfolgen sowie geeignet, erforderlich und angemessen sein, diesen Zweck zu erreichen. Zweck der Ungleichbehandlung zwischen im Normalverfahren und beschleunigt Abgeurteilten, also i. S. d. § 417 StPO nicht geeigneten und ge282

s. BVerfGE 99, S. 367, 388. s. SK-StPO-Paeffgen, Vor § 417 Rn. 7; Wächtler, StV 1994, S. 159, 160. 284 s. Ernst, 2001, S. 175 ff., 205. 285 s. zur noch weiteren Fassung des Gesetzesentwurfs (die dann im Vermittlungsausschuss zur jetzigen Form abgeändert wurde) BT-Drs. 12/6853, S. 35. 286 s. Ranft, NStZ 2004, S. 424, 429. 287 Sogar von einem Verstoß des Haftgrundes gegen Art. 2 Abs. 2 GG geht Kohler aus (2001, S. 77 ff.). 288 „Noch verfassungsgemäß“, OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 273 f. 289 Vgl. dazu Schröer, 1998, S. 58 ff. 283

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eigneten Sachverhalten, ist die Aussonderung aller Sachverhalte, die aufgrund ihrer Einfachheit bzw. Beweisklarheit nicht der komplexeren Regeln des Normalverfahrens bedürfen und bei denen dadurch eine Aburteilung erreicht werden kann, die der Tat auf dem Fuße folgt und außerdem die Justiz entlastet.290 Neben einem spezialpräventiven, in seiner Wirksamkeit schwer zu beurteilenden Ziel steht also als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege,291 ein legitimes Ziel. Die Ungleichbehandlung müsste zur Erreichung dieses Ziels geeignet sein. Hier ist bereits der Gesetzgeber skeptisch, hofft aber, dass die Hemmnisse durch Schaffung begleitender organisatorischer und personaler Maßnahmen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten ausgeräumt werden.292 Der Bedeutungszuwachs erfolgte indes schleppend, die gesetzlichen Änderungen führten kaum zu einer stärkeren Nutzung.293 Allerdings stiegen die Zahlen zumindest zu Beginn an und unterscheiden sich in ihrer Entwicklung von Bundesland zu Bundesland. Vor allem kommt dem Gesetzgeber eine gewisse Einschätzungsprärogative zu; dem für die Gesetzgebung zuständigen Organ ist ein Vertrauensvorsprung bei der Beurteilung und Einschätzung empirischer Zusammenhänge zuzugestehen.294 Dass die Ungleichbehandlung also generell ungeeignet in diesem Sinne ist, den Zweck zu erreichen, kann nicht angenommen werden. Die Ungleichbehandlung müsste zur Erreichung des angestrebten Zwecks notwendig sein. Es dürfte kein milderes, ebenso wirksames Mittel geben. Hier käme in Betracht, die Differenzierung beizubehalten, aber den Beschuldigten ein Zustimmungsrecht zu der Verfahrensart einzuräumen. Möglicherweise würde dann eine erhebliche Zahl Beschuldigter eine Aburteilung gem. den §§ 417–420 StPO ablehnen, so dass der Zweck nicht eben so gut erreicht werden könnte. Eine schnelle Aburteilung ließe sich auch ohne eine Ungleichbehandlung für alle Verfahren vor dem Amtsgericht erreichen, wenn man die personelle und organisatorische Situation umfassend verbessern würde. Dafür fehlen indes die fiskalischen Mittel. Die Ungleichbehandlung ist notwendig zur Erreichung des angestrebten Zwecks. Schließlich müsste die Ungleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen. Auf der einen Seite steht die Benachteiligung des Beschuldigten, der sich, ohne sich wehren zu können, in 290

Vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 34. s. dazu BVerfGE 51, S. 324, 343 ff. 292 s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 293 s. Kohler, 2001, S. 124 ff.; ebenso M-G, Vor § 417 Rn. 1; zu den Gründen hierfür Bürgle, StV 1998, S. 514 ff. 294 s. Pieroth/Schlink, 2008, Rn. 282; Hufen, 2007, § 9 Rn. 20. 291

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einem beschleunigten Verfahren befindet, welches ihm die Ausübung mehrer Grund- und Prozessrechte erschwert. Andererseits folgt aus Art. 6 EMRK Abs. 1 S. 1 sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) auch ein Recht des Beschuldigten, „in angemessener Frist“ abgeurteilt zu werden. Die Funktionstüchtigkeit der Justiz soll erhalten bleiben. Allerdings wäre die Bemühung um letztere Interessen verfehlt, wenn durch das schnelle Verfahren Wahrheit, Gerechtigkeit und Friedensfunktion – Ziele und Rechtfertigung des Strafprozesses – auf der Strecke blieben. Dies kann bei einer sofortigen Verhandlung (mitunter noch am Ort der Tat), einem mündlichen Antrag gem. § 417 StPO, einer mündlichen Erhebung der Anklage ohne Einreichung einer Anklageschrift (§ 418 Abs. 3 StPO), der weitgehenden Aufhebung der Unmittelbarkeit des Verfahrens gem. § 420 StPO Abs. 1 bis 3 StPO sowie der faktischen Abschaffung des Beweisantragsrechts gem. § 420 Abs. 4 StPO nicht ausgeschlossen werden. Letztlich besteht darin die Gefahr, dass sich der Zweck selbst aufhebt. Dann wäre die Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber verlässt sich hierbei in fragwürdiger Weise auf die Staatsanwaltschaft, welche zu berücksichtigen habe, dass die Verteidigung und die Garantie einer gerechten Entscheidung durch die in der Verfahrensart möglichen Vereinfachungen nicht beeinträchtigt würden.295 Erhebliche Zweifel bestehen also schon an der Angemessenheit der gesetzlichen Fassung, welche allenfalls in einem behutsamen, restriktiven Umgang noch als gerechtfertigt angesehen werden kann, was wiederum durch die weite und wenig bestimmte Formulierung296 der Eignungskriterien des § 417 StPO erschwert wird. (bb) Die Anwendung der gesetzlichen Regelung und der Gleichheitsgrundsatz Die Auslegung von Normen durch die Rechtsprechung und die Verwaltung hat in verfassungskonformer Weise zu geschehen (Art. 1 Abs. 3 GG), hier insbesondere gem. Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Aburteilung gem. den §§ 417–420 StPO, die nicht schneller als im Normalverfahren erfolgen kann, sondert nicht die geeigneten Sachverhalte aus, um eine Aburteilung zu ermöglichen, die der Tat auf dem Fuße folgt und außerdem die Justiz entlastet.297 Damit wird die Ungleichbehandlung 295 s. BT-Drs. 12/6853 S. 35; auch Graf hofft auf eine maßvolle und verantwortungsbewusste Anwendung der Normen durch die Praxis, damit Verteidigung, Wahrheit und gerechte Entscheidung nicht im „kurzen Prozess“ untergehen (KK, Vor § 417, Rn. 2). 296 s. KMR-Metzger, § 417 Rn. 29; Kohler, 2001, S. 64; SK-STPO-Paeffgen, § 417 Rn. 9.

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mangels Beschleunigung dem rechtfertigenden legitimen Ziel nicht gerecht und ist außerdem nicht verhältnismäßig i. e. S.298, weswegen ein solches Vorgehen in jedem Einzelfall verfassungswidrig wäre. Mithin ist eine Sache nur zur sofortigen Verhandlung geeignet, wenn sie (sofort oder) in erheblich kürzerer Zeit als im Normalverfahren durchgeführt werden kann.299 (cc) Beschleunigung im Ermittlungsverfahren Aus diesem Gedanken folgt als Voraussetzung der „Eignung“ i. S. d. § 417 StPO ebenfalls eine Grenze für die Dauer des Ermittlungsverfahrens, bzw. für den Zeitraum zwischen Tatzeitpunkt und (zu prognostizierendem Zeitpunkt der) Hauptverhandlung. Zwar ergeben sich aus den §§ 417, 418 StPO anders als für den Zeitraum zwischen Antrag und Hauptverhandlung keine genauen Fristen, von einem „beschleunigten Verfahren“ kann aber in gewissen Evidenzsituationen nicht mehr gesprochen werden. Das heißt zwar, dass hierbei ein deutlich größerer Rahmen möglich ist als die kurze Frist i. S. d. §§ 417, 418 StPO. Ist jedoch bereits mehr als ein halbes Jahr zwischen Tat und zu prognostizierendem Hauptverhandlungszeitpunkt vergangen, so ist das Ziel einer Aburteilung, die der Tat auf dem Fuße folgt, in keiner Weise mehr zu erreichen und es findet sich keine Rechtfertigung mehr für die verfahrensverkürzende Ungleichbehandlung der §§ 417–420 StPO.300

297 Gründe, dass Staatsanwaltschaft bzw. Gericht gleichwohl ein Interesse haben können in ungerechtfertigter Weise gem. den §§ 417–420 StPO vorzugehen, liegen etwa in Bequemlichkeit, dem Bedürfnis, ein „schärferes Schwert“ gegen missliebige Beschuldigte zu haben oder auch nur in politischen Vorgaben, welche hohe statistische Werte bei „beschleunigten Verfahren“ einfordern. 298 s. o. C. I. 1. (3) (a). 299 s. OLG Düsseldorf NStZ 1997, S. 613; Loos/Radtke, NStZ 1995, S. 569, 573; Pfeiffer, 2002, § 417 Rn. 3. 300 Die Erreichung des Ziels eines beschleunigten Verfahrens ist bei mehr als sieben Monaten zwischen Tat und Antrag nicht zu erreichen, daher eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren ersichtlich ungeeignet, OLG Stuttgart (Beschl. v. 19.06.1998), NJW 1998, S. 3134 f. = StV 1998, S. 479; OLG Stuttgart (Beschl. v. 11.08.1998), StV 1998, 585, 586; ebenso KMR-Metzger, § 417 Rn. 24; ungeeignet bei „mehreren Wochen oder sogar Monaten“ zwischen Tat und Antrag bzw. Tat und Hauptverhandlung, Ranft, 2005, Rn. 2337; Dauer dürfe „nicht lange“ gewesen sein, Schroeder, 2007, Rn. 171; der Verfahrensrealität nicht gerecht wird Scheffler (NStZ 1999, S. 268), der für das Ermittlungsverfahren sogar nur eine Frist von einer Woche zulassen will; einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Tat und Hauptverhandlung für nicht erforderlich hält hingegen KK-Graf, § 417 Rn. 10.

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(4) Weitere der „Eignung“ i. S. d. § 417 StPO entgegenstehende Kriterien Von selbst versteht sich, dass eine Eignung gem. § 417 StPO nicht in Betracht kommt, wenn bereits abzusehen ist, dass im Falle einer Verurteilung die Strafmaßobergrenze des § 419 Abs. 1 S. 2 StPO überschritten würde bzw. eine nach dieser Regelung unzulässige Maßregel erforderlich wäre. Nicht aus dem Wortlaut der §§ 417–420 StPO sondern aus den Grundprinzipien, die ein Strafverfahren verfolgt und verfassungsrechtlich verfolgen muss,301 ergibt sich daneben, dass eine Eignung für ein beschleunigtes Verfahren nicht vorliegen kann, wenn dieses die Wahrheitsermittlung oder das Finden einer gerechten Entscheidung302 beeinträchtigen würde.303 Abgesehen davon, dass nach hier vertretener Auffassung in diesen Fällen bereits kein einfacher Sachverhalt gegeben ist,304 gilt dies exemplarisch bei emotional aufgeladenen Situationen wie politischen Protesten mit Gewalttätigkeiten, bei denen die Gerechtigkeit unter einer momentanen Überschätzung des generalpräventiv Notwendigen leiden und die friedensstiftende Funktion des Strafprozesses nur in der „Atmosphäre ruhiger Gelassenheit“ des Regelverfahrens erreicht werden kann.305 Das Recht, sich wirksam zu verteidigen, darf nicht beeinträchtigt werden,306 insbesondere muss der Beschuldigte gem. Art. 6 Abs. 3b EMRK ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung haben.307 Ungeeignet ist die Sache freilich ebenfalls, wenn Verfahrensvoraussetzungen fehlen oder kein hinreichender Tatverdacht besteht.308 Zusammengefasst muss also eine sofortige, aber gleichwohl verantwortungsvolle Entscheidung des Gerichts möglich sein,309 die über den Willen 301

s. dazu bspw. Kühne, 2007, Rn. 1 ff., 20, 264 ff., Roxin, 1998, § 1 Rn. 2 ff. Vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 35. 303 Generell skeptisch hinsichtlich der Erreichung dieser Ziele in einem beschleunigten Verfahren, Bandisch, StV 1994, S. 153, 157 f., Wächtler, StV 1994, S. 159 ff. 304 s. oben C. I. 1. c) (1) (b). 305 s. Schünemann, NJW 1968, S. 975, 976. 306 s. BT-Drs. 12/6853, S. 35. 307 Dies ist v. a. bei besonders beschleunigten Verfahren von Relevanz und besonders problematisch, falls sie noch an Ort und Stelle der Deliktsbegehung, also bspw. im Fußballstadion stattfinden sollen, oder wenn nur ausgewählte Verteidiger zu den Beschuldigten gelassen werden, bevor die tatnahe Verurteilung erfolgt, wobei letzteres im Rahmen der Verfahren anlässlich der Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm beklagt wurde. 308 s. BGH NStZ 2000, 442, 443; KMR-Metzger, § 417 Rn. 19 f., 23. 309 s. Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 488, 490. 302

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zur Beschleunigung nicht die generellen Voraussetzungen eines Strafverfahrens aus den Augen verliert. Die Prüfung der Eignung zur sofortigen Verhandlung hat nicht nur gem. § 419 Abs. 1 S. 1 StPO durch das Gericht, sondern bereits durch die Staatsanwaltschaft zu erfolgen.310 Dies ergibt sich aus der Formulierung des § 417 StPO, dem Willen des Gesetzgebers,311 und dem Ziel der Verfahrensökonomie, welches durch die Stellung ungeeigneter Anträge in sein Gegenteil verkehrt wäre. d) Verpflichtung zur Stellung eines Antrags gem. § 417 StPO Entgegen der früheren Gesetzesfassung „stellt“ die Staatsanwaltschaft gem. § 417 StPO in geeigneten Fällen einen Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, ist also dazu verpflichtet. Nach der Erwartung des Gesetzgebers soll dies jedoch nicht zu einer geringeren Anwendung von Strafbefehlsanträgen führen. Die Verfahrensart soll neben Strafbefehlen häufiger zur Anwendung kommen.312 Der Druck zur vermehrten Antragsstellung durch die Verpflichtung verliert sich indes in der wenig konkreten Formulierung des § 417 StPO.313 Die Ablehnungsentscheidung, es liege keine Sache vor, die „auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist“, kommt einer Ermessensausübung gleich. e) Verhältnis zu anderen Verfahrensarten Von großer praktischer Bedeutung ist das Verhältnis der §§ 417–420 StPO zu den konkurrierenden vereinfachten Verfahrensarten. Dies sind die §§ 153 ff. StPO sowie das Strafbefehlsverfahren gem. den §§ 407 ff. StPO, letzteres vor allem angesichts des ähnlichen Rechtsfolgenrahmens in §§ 407 Abs. 2 und 419 Abs. 1 StPO. Eine Einstellung wegen Geringfügigkeit gem. § 153 StPO stellt die schnellste, arbeitssparendste und den Beschuldigten am wenigsten belastende Vorgehensweise dar, es wird keinerlei Sanktion oder Maßnahme verhängt. In den für sie in Betracht kommenden Bagatellvergehen geht sie einem Antrag gem. § 417 StPO wie auch einem Strafbefehlsverfahren vor.314 310 s. M-G, § 417 Rn. 17; KK-Graf, § 417 Rn. 12; Pfeiffer, § 417 Rn. 3; teilw. a. A.: KMR-Metzger, § 417 Rn. 25. 311 s. BT-Drs. 12/6853, S. 35. 312 s. BT-Drs. a. a. O. 313 Vgl. auch KMR-Metzger, § 417 Rn. 29; SK-STPO-Paeffgen, § 417 Rn. 9. 314 s. KMR-Metzger, Vor § 417 Rn. 31.

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Ähnliches gilt für eine Einstellung nach Erfüllung von Auflagen gem. § 153a StPO. Auch dieses Verfahren ist arbeitsökonomischer für Staatsanwaltschaft und Gerichte sowie weniger belastend für den Beschuldigten, u. a. hängt es gem. § 153a Abs. 1 S. 1 StPO von seiner Zustimmung ab. Allerdings könnte man ein beschleunigtes Verfahren als justizförmiges Verfahren vor dem Richter vorziehen. Sieht man aber den erheblich größeren Arbeitsaufwand, die Einschränkung der Beschuldigtengarantien gem. den §§ 417–420 StPO und beachtet man zugleich, dass bei einem Verfahren gem. § 153a StPO keine echten Strafen bzw. strafähnliche Sanktionen verhängt werden, der Beschuldigte nicht als vorbestraft gilt, also keine Stigmatisierungswirkung eintritt, so hat § 153a StPO Vorrang.315 Diskutieren könnte man allenfalls eine Konkurrenz zum Regelverfahren. Ab einer Tatschwere, welche die Verhängung einer echten Kriminalstrafe nötig macht, scheidet § 153a StPO indes aus und die §§ 417–420 StPO treten in Konkurrenz zum Strafbefehlsverfahren gem. §§ 407–412 StPO. Dieses Verhältnis erscheint problematisch. Beide Verfahrensarten formulieren eine Anwendungsverpflichtung. Gemäß § 407 Abs. 1 S. 2 StPO und gem. § 417 StPO „stellt“ die Staatsanwaltschaft den Antrag.316 Dabei überschneiden sich die jeweils vorgesehenen Strafrahmen. Insbesondere decken die im Strafbefehlsverfahren verhängbaren Sanktionen die des beschleunigten Verfahrens fast vollständig ab, vgl. § 407 Abs. 2 und § 419 Abs. 1 S. 2 StPO. Voraussetzung des Strafbefehls ist gem. § 407 Abs. 1, 2 StPO hinreichender Tatverdacht hinsichtlich eines vor dem Strafrichter (oder dem Schöffengericht)317 abzuurteilenden Vergehens, welches der Anordnung einer in § 407 Abs. 2 StPO genannten Rechtsfolge bedarf, hingegen nicht einer Hauptverhandlung. Voraussetzung eines Antrags auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren ist gem. § 417 StPO hinreichender Tatverdacht318 hinsichtlich eines vor dem Strafrichter (oder dem Schöffengericht) abzuurteilenden Vergehens (oder Verbrechens),319 welches der Anordnung einer Rechtsfolge bis zu der 315 s. Ernst, 2001, S. 88 ff.; Loos/Radtke, NStZ 1995, S. 569 f.; die gleichen Erwägungen gelten für das Verhältnis zu § 153b StPO. 316 s. aber oben C. I. 1. d). 317 Gem. dem geänderten § 25 GVG ist der Strafrichter stets für Vergehen zuständig, wenn eine höhere Freiheitsstrafe als 2 Jahre nicht zu erwarten ist und im Strafbefehlsverfahren darf gem. § 407 Abs. 2 S. 2 höchstens eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängt werden, so dass die Nennung des Schöffengerichts mangels Zuständigkeit überflüssig geworden ist. 318 s. o. C. I. 1. c) (4).

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Grenze in § 419 Abs. 1 StPO bedarf und aufgrund des einfachen Sachverhalts und320 der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Gem. § 419 Abs. 1 S. 2 StPO ist im beschleunigten Verfahren auch eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr ohne Aussetzung zur Bewährung zulässig. Das Strafbefehlsverfahren kann regelmäßig „einfacher, schneller und mit geringerem Aufwand“321 als das beschleunigte Verfahren durchgeführt werden. In allen Sachverhalten, in denen also ein Strafbefehl möglich ist, ist dieser einem Antrag gem. § 417 StPO vorzuziehen. Dies ist auch ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers, nach dem die Anwendung der §§ 417–420 StPO nicht zu einem Rückgang der Strafbefehle führen soll.322 Drei Situationen ergeben sich aus den Voraussetzungen der Verfahrensarten, in denen allerdings die §§ 417–420 StPO vorrangig sind. Erstens das Erfordernis einer Hauptverhandlung, etwa aus generalpräventiven Gründen oder weil eine Entscheidung ohne persönlichen Eindruck vom Beschuldigten nicht sinnvoll erscheint. Zweitens das Erfordernis einer Haftstrafe ohne Bewährung. Schließlich das Vorliegen eines Verbrechens, das theoretisch im beschleunigten, nicht aber im Strafbefehlsverfahren abgeurteilt werden kann. Allerdings ist gegenüber diesen Gründen gewisse Skepsis angezeigt. Der Strafrahmen wird im beschleunigten Verfahren praktisch nicht über ein halbes Jahr Freiheitsstrafe hinausgehen, ist doch bei Erwartung einer höheren Sanktion die Bestellung eines Verteidigers vonnöten, § 418 Abs. 4 StPO.323 Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten ist indes gem. § 47 StGB nur bei besonderen Umständen zulässig, welche die Verhängung unerlässlich machen. Verbrechen werden nach den Voraussetzungen des § 417 StPO und den zu schaffenden flankierenden Maßnahmen faktisch im beschleunigten Verfahren nicht abgeurteilt werden. Bleibt also das Erfordernis einer Hauptverhandlung aus generalpräventiven Erwägungen, welche dann bei Eignung gem. § 417 StPO dem Regelverfahren vorzugehen hat. Generalpräventive Argumentationsmuster stehen allerdings nicht zuletzt mangels empirischer Überprüfbarkeit teilweise in der Kritik.324 Mitunter wird darum angenommen, dass kein großer Anwendungsbereich zwischen den anderen verein319 Die Aburteilung von Verbrechen vor dem Schöffengericht lässt sich praktisch nicht mit den Verfahrensvoraussetzungen vereinbaren, s. o. C. I. 1. a). 320 Die Voraussetzungen müssen entgegen dem Gesetzeswortlaut in aller Regel kumulativ, nicht alternativ vorliegen, s. etwa OLG Stuttgart StV 1998, S. 585, 586 sowie oben C. I. 1. c) (2). 321 BT-Drs. 12/6853, S. 35. 322 s. BT-Drs. a. a. O. 323 Vgl. M-G, Vor § 417, Rn. 5, § 417 Rn. 1; Volk, 2008, § 33 Rn. 13. 324 s. P.-A. Albrecht, 2005, S. 43 ff., Eisenberg, 2005, § 41 Rn. 1 ff., Kunz, 2001, § 7 Rn. 22 f.

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fachten Verfahrensarten und dem Regelverfahren für das beschleunigte Verfahren verbleibt.325 Es ist davon auszugehen, dass vielerorts ministerielle oder staatsanwaltschaftsinterne Regelungen bestehen, die von hier gefundenen Ergebnissen abweichen können, etwa bei welchen Delikten oder nach wie vielen Vorstrafen statt einer Einstellung bzw. eines Strafbefehls das beschleunigte Verfahren anzuwenden ist.326 Dies nicht nur, um die Entscheidung des einzelnen Staatsanwalts zu erleichtern und die zur Beschleunigung erforderliche „Mechanisierung“ des Verfahrens zu erreichen, sondern auch, weil das beschleunigte Verfahren ein öffentlichkeitswirksames Instrument der Rechtspolitik ist. Die Justiz kann Handlungsfähigkeit demonstrieren. Bei konsequentester Anwendung der Normen auf bestimmte Gruppen gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die entsprechende Straftatbegehung zurückgeht; indes ist (wie häufig bei örtlich begrenzten rigiden Maßnahmen) anzunehmen und wurde denn auch mitgeteilt, dass es sich insoweit um eine Verdrängung der Straftatbegehung an andere Orte handelte.327 Im Privatklageverfahren können die §§ 417–420 StPO nicht angewandt werden. Nebenklage ist auch im beschleunigten Verfahren zulässig, kann jedoch praktisch mit den schnellen, routinierten Abläufen kollidieren, so dass letztlich im Regelverfahren verhandelt werden muss. 2. Die Antragsstellung durch die Staatsanwaltschaft – formelle Voraussetzungen, Zeitpunkt und Rücknahme a) Die Form von Antrag und Anklage Der Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 417 StPO ist nicht mit der Anklage(schrift) identisch.328 Dies ergibt sich aus 325 s. Bürgle, StV 1998, S. 514, 518; a. A. Lemke/Rothstein-Schubert, die u. a. auf statistische Zahlen aus Brandenburg verweisen, gemäß denen sowohl die Strafbefehls- als auch die beschleunigten Verfahren angestiegen sind. 326 s. z. B. Nr. 3.1. der Richtlinien zur Anwendung des beschleunigten Verfahrens nach den §§ 417 ff. der Strafprozessordnung in Schleswig-Holstein, Gl.-Nr.: 3121.2, Amtsbl. Schl.-H. 1998, S. 686: „Wiederholte Ladendiebstähle“. Für Nichteignung i. S. d. § 417 StPO bei Wiederholungstätern aufgrund des Bedürfnisses einer Persönlichkeitserforschung, jedenfalls ab Dreifachtätern aber Loos (AK-StPO, Vor § 417 StPO, Rn. 14). 327 s. Kohler (2001, S. 99) für Bochum sowie die Angaben des AG-Direktors von Eisenhüttenstadt in: DIE ZEIT, 1998/37, „Das Prinzip Ruckzuck“. 328 Er stellt eine besondere Prozessvoraussetzung für das Prozessieren in dieser Verfahrensart dar, s. AK-StPO-Loos, § 417 Rn. 17; KK-Graf, § 417 Rn. 3; LR25-Gössel, § 417 Rn. 6; M-G, § 417 Rn. 9.

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§ 418 Abs. 3 StPO, welcher eine Anklageschrift für entbehrlich erklärt, für den Fall der Nichteinreichung einer solchen aber die Anklageerhebung und Protokollierung ihres wesentlichen Inhalts bei Beginn der Hauptverhandlung vorschreibt. Antrag und Anklage können nach Gesetzeswortlaut gem. den §§ 417, 418 Abs. 3 StPO mündlich gestellt bzw. erhoben werden. Dieses Element der Verfahrensbeschleunigung wird desto interessanter für die Staatsanwaltschaft, je dichter Tat und Hauptverhandlung zusammenrücken. Insbesondere bei sofort vorgeführten oder sich selbst stellenden Beschuldigten im Rahmen „besonders beschleunigter Verfahren“ kann die Vorgehensweise Erleichterung bringen.329 Indes ist bei Beschleunigungen in einem Maße, da der Staatsanwaltschaft nicht die Zeit bleibt, den Antrag und die Anklageschrift schriftlich niederzulegen, Art. 6 Abs. 3b EMRK zu beachten. Dem Beschuldigten muss ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung gewährt werden. Gössel hält die mündliche Anklageerhebung erst in der Hauptverhandlung mit dem Anklageprinzip aus § 151 StPO und den Pflichten im Rahmen des § 213 StPO für unvereinbar.330 Möglich sei die Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins und damit die Anordnung der Untersuchung durch das Gericht, ohne vorherige Anklage und Kenntnis eines Antrags gem. § 417 StPO. Eine derart „blinde“ Vorgehensweise stünde im Widerspruch zur Nachprüfungspflicht des Gerichts, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens eines hinreichenden Tatverdachts. So könnte ein Beschuldigter der Belastung einer öffentlichen Hauptverhandlung ausgesetzt werden, ohne dass hinreichender Tatverdacht vorläge und seine Täterschaft (möglicherweise neben anderen Verdächtigen) lediglich in Betracht käme.331 Darin lägen „gewisse Züge des längst überwunden geglaubten geheimen Inquisitionsprozesses“ und eine gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verstoßende Herabwürdigung des Beschuldigten zum Objekt des Verfahrens; § 418 Abs. 3 StPO sei verfassungskonform zu beschränken.332 Entsprechend müsse dem Richter bei der Anberaumung der Hauptverhandlung auch schon der Antrag gem. § 417 StPO vorliegen.333 All dem ist hinsichtlich der Zeit, die gem. Art. 6 Abs. 3b EMRK dem Beschuldigten zu seiner Verteidigung zu gewähren ist, jedenfalls da zuzustimmen, wo der Beschuldigte den Vorwurf erst konkret in der Hauptverhandlung erfährt. Sieht man außerdem, dass ein für die §§ 417–420 StPO ungeeignetes Verfahren, das erst in der Hauptverhandlung als solches er329 330 331 332 333

Vgl. LR24-Rieß, § 212 Rn. 17. LR25-Gössel,Vor § 417 Rn. 17 f. s. Gössel a. a. O. LR25-Gössel,Vor § 417 Rn. 16, 18 f. LR25-Gössel, § 417 Rn. 11.

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kannt wird, zu größeren Verzögerungen führen kann, als wäre es sogleich im Regelverfahren verhandelt worden,334 so erscheint nur eine schriftliche Antragsstellung und Anklage vor Anberaumung der Hauptverhandlung als sinnvoll.335 Nach empirischen Anhaltspunkten beraumen die Richter eine Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren ohnehin nicht an, wenn nicht zuvor eine schriftliche Anklageschrift eingereicht wurde.336 „[D]ie Anklage nach Möglichkeit schriftlich nieder[zu]legen“ sieht „zur Erleichterung“ trotz § 418 Abs. 3 StPO auch die Verwaltungsvorschrift Nr. 146 Abs. 2 RiStBV vor.337 Aufgrund der klaren Unterscheidung von Antrag und Anklage in den §§ 417, 418 Abs. 3 StPO, der gerade angeführten Erörterungen sowie der erheblichen Einschränkung der Förmlichkeiten in den §§ 417–420 StPO ist es nicht möglich, über diese hinausgehend eine gänzlich fehlende Anklage dadurch auszugleichen, dass eine Antragsschrift, welche den Erfordernissen des § 200 Abs. 1 S. 1 StPO genügt, als Anklage „angesehen werden kann“.338 Der Antrag gem. § 417 StPO hat zum Ausdruck zu bringen, dass beschleunigt verhandelt werden solle. Eine spezielle Form ist nicht vorgeschrieben.339 Freilich empfiehlt es sich, um einerseits Missverständnisse (etwa die Anregung eines zügig durchgeführten Regelverfahrens) zu vermeiden und andererseits eine höhere Beschleunigung zu erreichen, Formblätter mit der ausdrücklichen Formulierung zu verwenden, dass gem. 334 Im Falle der Ablehnung ist gem. § 419 Abs. 3 StPO bei hinreichendem Tatverdacht ein Eröffnungsbeschluss zu treffen, andernfalls die Akten an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben; einfach im Regelverfahren weiterverhandelt werden darf nicht; der Erlass eines Eröffnungsbeschlusses nach Gewährung rechtlichen Gehörs ist aber nur dann praktikabel, wenn der Richter im abgelehnten beschleunigten Verfahren nach dem Geschäftsverteilungsplan zugleich zuständig für die Verhandlung im Regelverfahren ist, s. M-G, § 419 Rn. 9 m. Nw. 335 A. A. M-G, § 417 Rn. 11. 336 s. Bürgle, StV 1998, S. 514, 517. 337 Wird nach anderer Ansicht die Anklage gleichwohl mündlich erhoben, so ist ihr wesentlicher Inhalt in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen (§ 418 Abs. 3 S. 2 StPO). „Die schriftliche Fixierung des Inhalts der mündlichen Anklageerhebung ist zwingend erforderlich, weil auch für eine spätere Überprüfung festgehalten werden muß, was dem Besch. nach Abschluß der Ermittlungen konkret vorgeworfen wurde“, so OLG Frankfurt StV 2000, S. 299. Daraus folgt: „Es begründet ein zur Verfahrenseinstellung führendes Verfahrenshindernis, wenn in einem beschleunigten Verfahren der Inhalt der schriftlich fixierten mündlichen Anklageerhebung nicht erkennen läßt, was dem Angeklagten konkret vorgeworfen wird“, s. OLG Frankfurt a. a. O. 338 So aber OLG Hamburg NJW 1966, S. 2179; indes kritisch auch Zimmermann, 1962, S. 83, Jostes, 2003, S. 38, ihm zustimmend M-G, § 417 Rn. Rn. 11. 339 s. Schröer, 1998, S. 108 f. m. Nw.

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§ 417 StPO ein Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gestellt werde. Auch wird es dem reibungsloseren Ablauf dienen, wenn die Staatsanwaltschaft eine knappe Begründung der Entscheidung gem. § 417 StPO und das Vorliegen der allgemeinen Prozessvoraussetzungen beifügt, um die gerichtliche Eignungsentscheidung gem. § 419 Abs. 1 S. 1 StPO zu erleichtern.340 Die Anklage kann mit dem Antrag gem. § 417 StPO verbunden werden, muss dies aber nicht. Die (nach hier vertretener Auffassung stets auszufertigende) Anklageschrift muss den Erfordernissen des § 200 Abs. 1 S. 1 StPO genügen.341 Gem. § 200 Abs. 2 StPO kann von der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird, was im beschleunigten Verfahren praktisch immer der Fall sein wird.342 b) Zeitpunkt der Antragsstellung Frühestmöglicher Zeitpunkt für die Stellung des Antrags auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren ist der Abschluss der Ermittlungen gem. § 169a StPO, welcher auch beim beschleunigten Verfahren in den Akten vermerkt sein muss.343 Der Antrag kann auch noch nach Erhebung der Anklage gestellt werden.344 Nach Gesetzeswortlaut ist ein mündlicher Antrag zulässig, was darauf hindeuten könnte, dass dieser erst in der Hauptverhandlung gestellt werden kann. Andererseits könnte damit auch eine (fern)mündliche Stellung des Antrags beim zuständigen Gericht vor Anberaumung der Hauptverhandlung gemeint sein. Nach hier vertretener Auffassung ist ein mündlicher Antrag ohnehin nicht sinnvoll.345 Nach anderer Meinung ist eine (mündliche oder schriftliche) Antragsstellung noch nach Eröffnungsbeschluss bis zur Vernehmung des Angeklagten zur Sache zulässig, da die §§ 417–420 StPO auch eine Beschleunigung durch die Hauptverhandlung anstreben, nicht nur durch Wegfall des Zwischenverfahrens.346 Weshalb aber aus der bloßen Möglichkeit, noch eine Beschleunigung zu erreichen, zugleich auf die Zulässigkeit derselben zu schließen ist, erscheint unklar. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO erklärt einen Eröffnungsbeschluss für ent340

s. Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 83. s. OLG Hamburg StV 2000, S. 127 m. w. Nw. 342 s. o. C. I. 1. a). 343 s. HK-Krehl, § 417 Rn. 5; Ranft, 2005, Rn. 2338. 344 s. KK-Graf, § 417 Rn. 5: „Allgemeine Meinung“. 345 s. o. C. I. 2. a). 346 s. HK-Krehl, § 417 Rn. 5; KK-Graf, § 417 Rn. 5; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 85 f.; SK-StPO-Paeffgen, § 417 Rn. 10. 341

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behrlich, was als Anordnung, nicht als Option zu verstehen ist,347 so dass ein Vorgehen gem. § 203 StPO schon deutlich macht, dass nicht mehr im beschleunigten Verfahren verhandelt werden soll. Ist ein Eröffnungsbeschluss erlassen, so besteht ein Verfahrenshindernis für die Verfolgung der gleichen Tat mit einem anderen Verfahren.348 Etwas anderes gilt nur, wenn ausdrücklich gesetzliche Ausnahmen vorgesehen sind, etwa der Übergang ins Strafbefehlsverfahren gem. § 408a StPO. Solange jedoch eine Klagerücknahme möglich ist (§ 156 StPO), ist als ein Minus dazu der Übergang vom Normalverfahren (oder Strafbefehlsverfahren) ins beschleunigte Verfahren möglich.349 Ist das Hauptverfahren bereits eröffnet, so kann ein Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren hingegen nicht mehr gestellt werden.350 c) Rücknahme des Antrags Fraglich ist, ob der Antrag gem. § 417 StPO von der Staatsanwaltschaft zurückgenommen werden kann und falls ja, bis zu welchem Zeitpunkt. Die §§ 417–420 StPO lösen das Problem nicht, § 419 Abs. 2 S. 1 StPO bestimmt lediglich, dass das Gericht die Entscheidung im beschleunigten Verfahren bis zur Verkündung des Urteils ablehnen kann. Im Regelverfahren kann die Anklage bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit, also bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses351 zurückgenommen werden, vgl. § 156 StPO. Dann verliert die Staatsanwaltschaft grundsätzlich die Dispositionsbefugnis.352 Analog dazu erscheint auch die Möglichkeit der Rücknahme des Antrags gem. § 417 StPO als zulässig. Gemäß § 418 Abs. 1 S. 1 StPO ergeht im beschleunigten Verfahren allerdings kein Eröffnungsbeschluss, so dass ein entsprechender Zeitpunkt auszumachen ist. Die Aufgabe des Eröffnungsbeschlusses gem. § 207 StPO erfolgt im beschleunigten Verfahren in Form der inhaltlichen Bestimmung und UmgrenVgl. KMR-Metzger, § 418 Rn. 9; LR25-Gössel, § 418 Rn. 1, 3; Ranft, 2005, Rn. 2345. 348 s. BayObLGSt 1987, S. 55, 57; M-G, § 207, Rn. 13. 349 s. KMR-Metzger, § 417 Rn. 11. 350 s. BayObLGSt 1987, S. 55, 57; Ernst, 2001, S. 60; Jostes, 2003, S. 25 ff.; KMR-Metzger, § 417 Rn. 11; Kohler, 2001, S. 33; LR25-Gössel, § 417 Rn. 14; M-G, § 417 Rn. 12; Schröer, 1998, S. 106. Zweifelhaft ist indes, ob bei Vergessen des Eröffnungsbeschlusses im Regelverfahren bis zur Vernehmung des Beschuldigten zur Sache noch ein Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gestellt werden kann, so aber OLG Oldenburg NJW 1960, S. 352, M-G, § 417 Rn. 12, KMR-Metzger, § 417 Rn. 11. 351 s. BGHSt 29, 341, 343; Beulke, 2008, Rn. 279; KK-Gmel, Vor § 213 Rn. 2; a. A. Roxin, 1998, § 38 Rn. 9. 352 s. M-G, § 156 Rn. 1; Kühne, 2007, Rn. 300. 347

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

zung des Prozessgegenstandes durch den Vorsitzenden vor der Belehrung gem. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO.353 Der Tatvorwurf wird erläutert, der Beschuldigte erklärt, ob er zu dieser Sache aussagen will oder nicht. Der Beginn der Vernehmung zur Sache stellt damit im beschleunigten Verfahren die eigentliche Eröffnung der Untersuchung dar, so dass in diesem Zeitpunkt die Rechtshängigkeit eintritt.354 Entsprechend erscheint eine Rücknahme des Antrags gem. § 417 StPO nur bis zu diesem Moment als zulässig.355 Dagegen könnte sprechen, dass die Staatsanwaltschaft in einer Verfahrensart, in der die üblichen Garantien eingeschränkt sind, bis zum Ende, also bis zur Verkündung des Urteils, ein Mittel haben sollte, der Beschleunigung des Verfahrens entgegenzuwirken.356 Auch sei an § 411 Abs. 3 S. 1 StPO zu erkennen, dass die Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft nicht generell mit der Rechtshängigkeit endet.357 Eine analoge Anwendung des § 156 StPO sei nicht zwingend anzuerkennen.358 Indes lässt sich dieses Argument umkehren. Gerade das Fehlen einer Regelung wie § 411 Abs. 3 S. 1 StPO im beschleunigten Verfahren zeigt, dass ein solcher Gedanke dort nicht gelten soll. Auch ist nicht zu beantworten, woher überhaupt ein Recht genommen werden kann, den Antrag zurückzunehmen, wenn nicht aus einer Analogie zu § 156 StPO.359 Schließlich scheint die Sorge, dass es für den Beschuldigten bedrohlich sei, wenn die Staatsanwaltschaft nicht die Möglichkeit habe, bis zur Urteilverkündung das Gericht, welches die mangelnde Eignung zur beschleunigten Aburteilung nicht erkenne, mit einer eigenen Rücknahme abzubremsen, an der Realität vorbeizugehen.360 Sollte das Gericht im Einzelfall entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft an einem beschleunigten Verfahren festhalten wollen, so könnte diese durch 353

s. Ranft, 2005, Rn. 1118. s. BayOblG NJW 1998, S. 2152, 2153; BayOblGSt 1987, S. 55, 57; OLG Oldenburg NJW 1961, S. 1127; AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 14; KMR-Metzger, § 417 Rn. 32; Mayer, JuS 1993, S. 496, 498. A. A. LR25-Gössel, § 417 Rn. 20. Zu beachten ist, dass die Rechtshängigkeit im beschleunigten Verfahren auflösend bedingt ist. Lehnt das Gericht eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren ab und erlässt keinen Eröffnungsbeschluss (vgl. § 419 Abs. 3 StPO), so erhält die Staatsanwaltschaft ihre volle Entschließungsfreiheit zurück, s. Ranft, 2005, S. 2347, Loos/ Radtke, NStZ 1995, S. 569, 572. 355 s. OLG Oldenburg NJW 1961, S. 1127; AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 14; Jostes, 2003, S. 28 ff.; LR24-Rieß, § 212a Rn. 2; M-G, § 417 Rn. 13; Pfeiffer, 2002, § 417 Rn. 2; Schröer, 1998, S. 107 f. 356 s. SK-StPO-Paeffgen, § 417 Rn. 11. 357 BayOblG NJW 1998, S. 2152, 2153; KMR-Metzger, § 417 Rn. 32. 358 BayOblG NJW 1998, S. 2152, 2153; Kohler, 2001, S. 34. 359 Vgl. LR25-Gössel, § 417 Rn. 16. 360 Im konkreten Fall ging es denn auch darum, dass der Staatsanwaltschaft die beschränkte Rechtsfolgenkompetenz im beschleunigten Verfahren nicht ausreichte, vgl. BayOblG NJW 1998, S. 2152. 354

I. Die Voraussetzungen der Verfahrensart gem. § 417 StPO

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ihr Prozessverhalten, insbesondere durch eine verweigerte Zustimmung gem. § 420 Abs. 3 StPO gleichwohl die Hauptverhandlung weitgehend normalisieren.361 Angesichts der ohnehin problematischen Einführung zweier verschiedener Hauptverhandlungsarten für das Amtsgericht362 ist eine klare Grenze zu Beginn der Verhandlung angezeigt. § 419 Abs. 2 S. 1 StPO lässt die Ablehnung einer Entscheidung im beschleunigten Verfahren nur durch das Gericht zu. Entsprechend der Möglichkeit bei einem zuerst angestrebten Normalverfahren nur bis zum Erlass eines Eröffnungsbeschlusses, einen Antrag gem. § 417 StPO stellen zu dürfen,363 endet die Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft mit Eintreten der Rechtshängigkeit im beschleunigten Verfahren bei Beginn der Vernehmung des Beschuldigten zur Sache.364 Bis zu diesem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in einem beschleunigten Verfahren kann dann auch die Anklage zurückgenommen werden.365 d) Einwirkungsmöglichkeit des Beschuldigten Ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten besteht nicht,366 genauso wenig wie eine Widerspruchmöglichkeit gegen eine Aburteilung gem. den §§ 417–420 StPO.367 361

Dass mangels Eröffnungsbeschluss und aufgrund der Ablehnungsmöglichkeit des Gerichts – wonach die Staatsanwaltschaft ihre Entschließungsfreiheit wiedererlange – überhaupt keine Bindung der Staatsanwaltschaft eintreten solle (vgl. OLG Celle NStZ 1983, S. 233 m. abl. Anm. Treier), ist hingegen nicht überzeugend. Erstens ist ein anderer Zeitpunkt auszumachen, an dem die Rechtshängigkeit eintritt und die Verfügungsgewalt über die Sache auf das Gericht übergehen soll, zweitens zeigt die Ablehnungsregelung (des heutigen § 419 StPO) ja nur, dass eben das Gericht und nicht mehr die Staatsanwaltschaft das beschleunigte Verfahren stoppen kann, s. Schröer, 1998, S. 107 f. 362 s. M-G, Vor § 417 Rn. 5. 363 s. oben C. I. 2. b). 364 s. OLG Oldenburg NJW 1961, S. 1127; AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 14; Jostes, 2003, S. 28 ff.; LR24-Rieß, § 212a Rn. 2; M-G, § 417 Rn. 13; Pfeiffer, 2002, § 417 Rn. 2; Schröer, 1998, S. 107 f.; a. A.: (bis zur Verkündung des Urteils) BayOblG NJW 1998, S. 2152 m. abl. Anm. Schröer, NStZ 1999, S. 213 f.; Fülber/Putzke, DRiZ 1999, S. 196, 200 f.; HK-Krehl, § 417 Rn. 5; KMR-Metzger, § 417 Rn. 32; KK-Graf, § 417 Rn. 6; Kohler, 2001, S. 34 f.; LR25-Gössel, § 417 Rn. 21; SKStPO-Paeffgen, § 417 Rn. 11. 365 s. AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 14; KK-Graf, § 418 Rn. 4; KMR-Metzger, § 418 Rn. 4 f.; SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 16; a. A. OLG Celle NStZ 1983, S. 233 m. abl. Anm. Treier; HK-Krehl, § 417 Rn. 5: Bis zur Urteilsverkündung. 366 Gleichwohl kann dem Wunsch des Beschuldigten natürlich gefolgt werden, zumal dann ein zügiger und reibungsloser Ablauf zu erwarten ist.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

3. Die Voraussetzungen des § 417 StPO im Rechtsmittelverfahren a) Die Einlegung von Rechtsmitteln nach Durchführung eines beschleunigten Verfahrens Urteile, die im beschleunigten Verfahren ergangen sind, können mit der Berufung gem. § 312 StPO oder mit der Sprungrevision gem. § 335 StPO angefochten werden. Gegen das Berufungsurteil nach Anfechtung eines im beschleunigten Verfahren ergangenen Urteils ist die Revision zulässig. Betreffend die §§ 312 ff. StPO findet auch die Regelung über die Annahmeberufung Anwendung (§ 313 StPO).368 In Anbetracht der Voraussetzungen des § 417 StPO sowie der (rechtstatsächlich vermutlich durch § 418 Abs. 4 StPO noch stärker eingeschränkten)369 Strafobergrenze des § 419 Abs. 1 S. 2 StPO, kann eine vermehrte Anzahl von Geldstrafen auch im untersten Bereich im beschleunigten Verfahren erwartet werden, so dass die Annahmeberufung häufig relevant sein kann. Aufgrund der Einschränkung der Beschuldigtenrechte im beschleunigten Verfahren, insbesondere der Verkürzung des Beweisaufnahmerechts gem. § 420 StPO, ist dies nicht unproblematisch. Auf diese Weise kann dem Angeklagten die Durchsetzung eines Entlastungsbeweises gänzlich unmöglich gemacht werden.370 Auch wenn dies noch nicht verfassungswidrig ist,371 so ist doch darum und weil bei Verfahrensvereinfachungen generell mehr Rechtsfehler zu erwarten sind, ein zurückhaltender Umgang mit der Verwerfung einer Berufung aufgrund offensichtlicher Unbegründetheit angezeigt.372 b) Fehlen des Antrags gem. § 417 StPO Die Auswirkungen der Durchführung eines beschleunigten Verfahrens, ohne dass ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt war, bestimmen sich nach der Rechtsqualität desselben. Der Antrag stellt eine besondere Prozessvoraussetzung für das Prozessieren in dieser Verfahrensart dar.373 Sein Vorliegen ist von Amts wegen zu prüfen. Im Berufungsverfahren kann er nicht 367 s. oben C. I. 1. c) (2). De lege ferenda für ein Zustimmungsrecht: Loos/ Radtke, NStZ 1996, S. 7, 14. 368 s. Ranft, 2005, Rn. 2353; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 113. 369 Vgl. etwa Jeney, 2003, S. 25; Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 488, 491; Scheffler, ZRP 1998, S. 455, 456. 370 s. M-G, Vor § 417 Rn. 6. 371 s. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, S. 273 f. 372 s. Schröer, 1998, S. 192; Ernst, 2001, S. 144. 373 s. AK-StPO-Loos, § 417 Rn. 17; KK-Graf, § 417 Rn. 3; LR25-Gössel, § 417 Rn. 6; M-G, § 417 Rn. 9.

I. Die Voraussetzungen der Verfahrensart gem. § 417 StPO

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nachgeholt werden. Fehlt er, so heben Berufungs- wie Revisionsgericht das Urteil des AG auf und stellen das Verfahren ein.374 Gleiches gilt bei fehlender bzw. unzureichender Anklage im beschleunigten Verfahren.375 c) Fehler in der Eignungsbeurteilung gem. § 417 StPO Umstritten ist, wie sich Fehler des Amtsgerichts in der Rechtsmittelinstanz auswirken, welche die Beurteilung der Eignung zur sofortigen Verhandlung auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage betreffen. Dabei steht nicht die falsche Auslegung der gesetzlichen Geeignetheitsmerkmale im Mittelpunkt. Deren Überprüfbarkeit im Berufungsund Revisionsverfahren wird man kaum absprechen können.376 Die Prognose durch das erste Gericht, dass aufgrund eines einfachen Sachverhalts und377 einer klaren Beweislage die Eignung vorgelegen habe, wird hingegen vielfach einer Überprüfbarkeit entzogen gesehen.378 Begründungen finden sich kaum. Lediglich ein Urteil zum beschleunigten Verfahren in früherer Gestalt äußert sich inhaltlich zu der Frage:379 In der Entscheidung des AG, dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf ein beschleunigtes Verfahren zu entsprechen, liege nur eine Vorentscheidung, die mit der Wiederaufnahme des Verfahrens oder einem Eröffnungsbeschluss vergleichbar sei. Unterlaufe bei diesen, etwa beim Eröffnungsbeschluss hinsichtlich des hinreichenden Tatverdachts, ein Fehler, so beeinflusse dieser das weitere Verfahren auch nicht.380 Dem kann nicht zugestimmt werden. Von der Eignungsbejahung durch den Richter hängt nicht nur die Dauer ab, die aufgrund der §§ 217 Abs. 1, 418 Abs. 1, 2 dem Beschuldigten zur Vorbereitung seiner Verteidi374

s. BayObLG NJW 1998, S. 2152; KK-Graf, § 419 Rn. 17; Ranft, 2005, Rn. 2355; Tiedemann, 2008, S. 185 f.; a. A. KMR-Metzger, § 419 Rn. 42: Zurückverweisung an das Amtsgericht. 375 s. OLG Hamburg StV 2000, S. 127; OLG Frankfurt StV 2000, S. 299; OLG Frankfurt StV 2001, S. 341 f. 376 Vgl. Jerusalem, NJW 1966, S. 1278 f.; KK-Graf, § 419 Rn. 18; SK-StPOPaeffgen, § 419 Rn. 13. 377 Die Voraussetzungen müssen entgegen dem Gesetzeswortlaut in aller Regel kumulativ nicht alternativ vorliegen, s. etwa OLG Stuttgart StV 1998, S. 585, 586 sowie oben C. I. 1. c) (2). 378 s. AK-StPO-Loos, § 419 Rn. 16; M-G, § 419 Rn. 12; Schröer, 1998, S. 197; BayOblGSt 1997, 15, 17; eine Überprüfung soll danach nur in der Hinsicht erfolgen, dass die Nichteignung zur beschleunigten Verhandlung zu anderen Verstößen, etwa zu einer unzulässigen Beeinträchtigung der Verteidigung oder der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht geführt hat. 379 s. OLG Hamburg NJW 1966, S. 1278 ff. 380 s. OLG Hamburg NJW 1966, S. 1278, 1280; dem folgend Schröer, 1998, S. 197.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

gung gegeben wird und ob ein Zwischenverfahren stattfindet. Vor allem entscheidet die positive Beurteilung der Voraussetzungen des § 417 StPO über die Art des Beweisrechts, also insbesondere über die Frage, ob eine erhebliche Einschränkung des Beweisaufnahmerechts Anwendung findet.381 Angesichts der Missbrauchsmöglichkeit und des vielfach stattgefundenen Missbrauchs der Verfahrensart in der Vergangenheit hinsichtlich der Einbeziehung völlig ungeeigneter Fälle in beschleunigte Verfahren382, muss es eine Überprüfungsmöglichkeit geben.383 Diese ist in der Berufungsinstanz auch nicht darum entbehrlich, weil das beschleunigte Verfahren mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils beendet und in der Berufung ein Normalverfahren sei, weswegen es nicht mehr auf eine fehlerhafte Eignungsbejahung ankomme.384 Erstens fällt es schwer, von einem „Normalverfahren“ zu sprechen, wenn eine Berufungsverhandlung auf ein erstinstanzliches Verfahren folgt, welches ohne Zwischenverfahren, Eröffnungsbeschluss und ggf. ohne Anklageschrift stattfand, welche im Berufungsverfahren nicht nachgeholt werden.385 Zweitens wird die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Berufungsverhandlung gerade wieder eingeschränkt (§ 325 StPO). Drittens lässt die in der Auffassung enthaltene Annahme, der Beurteilungsfehler hinsichtlich der Eignung sei irrelevant, da der daraus resultierende Entscheidungsfehler in der Berufungsverhandlung aufgehoben werde, die tatsächliche Arbeitsweise der Gerichte außer Betracht. Ein Angeklagter, der rechtsfehlerhaft in einer Verfahrensart abgeurteilt wird, welche aufgrund der Einschränkung der Förmlichkeiten schon an sich eine erhöhte Zahl von Fehlern erwarten lässt (was umso mehr gilt, wenn die zentrale Eignungs381

Vgl. Kohler, 2001, S. 56. Beispiele finden sich nicht nur in der NS-, sondern auch in der bundesrepublikanischen Geschichte, s. Ernst, 2001, S. 27 ff., 41 f.; Schünemann, NJW 1968, S. 975. Neben dem ungeeigneten Einbeziehen politisch motivierter Delikte kann die Verfahrensart dazu verführen, die kaum abzuarbeitende Zahl der Beschuldigten dadurch zu reduzieren, dass beschleunigte Verfahren unabhängig vom Vorliegen der Eignungsvoraussetzungen des § 417 StPO durchgeführt werden, vorzugsweise gegen unverteidigte und wenig überführungsresistente Beschuldigte. Eine weitere Gefahr sieht das OLG Stuttgart (StV 1998, S. 585, 587): „Der Senat verkennt nicht, daß Amtsgerichte geneigt sein könnten, die Voraussetzungen des beschleunigten Verfahrens zu großzügig auszulegen und – nach Antragstellung durch die StA gem. § 417 StPO – Strafverfahren zeitlich wie Normalverfahren zu betreiben, sie jedoch als beschleunigte Verfahren zu bezeichnen, um sich die Beweiserleichterungen des § 420 StPO zu verschaffen.“ 383 Dies gilt in rechtspolitischer Hinsicht gerade auch, falls man nicht eine Abschaffung des Beweisantragsrechts für das gesamte erstinstanzliche Verfahren vor dem AG wünscht. 384 So aber Gössel (LR25, § 417 Rn. 42 ff.) und Metzger (KMR, § 419 Rn. 37 ff.). 385 s. umfassend Ranft, 2005, Rn. 2354 sowie NStZ 2004, S. 424 f. (Nach Ranft folgt dann allerdings auch das Berufungsverfahren teilweise den Regeln des beschleunigten Verfahrens, s. a. a. O.) 382

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

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voraussetzung der Einfachheit nicht eingehalten wird), kann sich nicht darauf verlassen, dass das daraus resultierende ggf. falsche Ergebnis in der grundsätzlich neuen Berufungsverhandlung korrigiert wird. Justizielles Handeln ist nicht zuletzt aufgrund arbeitsökonomischer Interessen darauf gerichtet, Rechtsmittel und Aufhebungen zu vermeiden.386 Entscheidungen werden so getroffen und begründet, dass sie als kaum angreifbar erscheinen.387 Dies spiegelt sich auch in der Häufigkeit der Rechtsmittelverwerfungen wider.388 Ob also eine Eignung aufgrund des einfachen Sachverhalts und der klaren Beweislage gegeben war, kann von den Rechtsmittelgerichten überprüft werden.389 Nur so ist sichergestellt, dass nicht auch erkennbar schwierige Sachverhalte aufgrund einer vereinfachten Beweisaufnahme festgestellt werden.390 Die Überprüfung findet nach dem Maßstab der Vertretbarkeit statt.391 II. Rechtstatsächlicher Umgang mit den Voraussetzungen des § 417 StPO 1. Spruchkörper a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Vermutet wurde, dass, anders als ein erster Blick auf die Fassung des § 417 StPO erwarten lässt, das beschleunigte Verfahren praktisch ausschließlich vor dem Strafrichter (§ 25 GVG) stattfindet.392 Tatsächlich wurde in keinem einzigen Fall vor dem Schöffengericht verhandelt und bei keinem einzigen der Anträge das Schöffengericht als Spruchkörper angegeben.393 386

s. P.-A. Albrecht, 2005, S. 252; Lautmann, 1972, S. 166 ff. Eisenberg, 2005, § 40 Rn. 6. 388 s. Eisenberg, a. a. O. 389 s. OLG Stuttgart StV 1998, S. 585 ff.; Herzler, NJ 2000, S. 399, 404; KKGraf, § 419 Rn. 18; Kohler, 2001, S. 56; Radtke, JR 2001, S. 138 f.; im Ergebnis auch Ranft, 2005, Rn. 2354. 390 s. KK-Graf, § 419 Rn. 18 sowie Rn. 18b zu den Konsequenzen des Verstoßes. 391 Denn auch wenn die Eignung, wie sich aus § 419 Abs. 2 StPO ergibt, bis zum Urteil in 1. Instanz vorliegen muss, enthält sie doch ein prognostisches Element, das in der Retrospektive nicht vollumfänglich geprüft werden kann, s. Radtke, JR 2001, S. 133, 139. 392 s. o. C. I. 1. a) sowie ähnlich Kohler, 2001, S. 24; M-G, § 417 Rn. 1; eine Anwendung vor dem Schöffengericht in nicht unerheblichem Maße vermutete Schröer (1998, S. 68). 387

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Von den 10 Verfahren, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt und die mutmaßliche Tat von einem Heranwachsenden begangen wurde (6,62% der verwertbaren Fälle), war vergleichbar bei keinem das Jugendschöffengericht, sondern stets der Jugendrichter als Einzelrichter (§§ 107, 108, 33, 34 JGG) angegeben. In den 6 nicht sofort abgelehnten Fällen wurde dann vor dem Jugendrichter als Einzelrichter verhandelt. Außer in diesen 10 Fällen fanden alle Verfahren vor dem Strafrichter als Einzelrichter statt. b) Berlin Die Daten für Berlin bestätigen das Ergebnis. Es wurde nicht vor dem Schöffengericht verhandelt. Alle 91 Fälle entschied der Strafrichter als Einzelrichter, der auch in jedem Antrag als Spruchkörper angegeben war.

2. Umgang mit den Voraussetzungen des einfachen Sachverhalts gem. § 417 StPO a) Heranwachsende (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Wie bereits erwähnt, wurde in 6,62% der verwertbaren Fälle ein Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 417 StPO gestellt, obwohl es sich bei den Beschuldigten um Heranwachsende handelte.394 Die Voraussetzung des einfachen Sachverhalts gem. § 417 StPO ist bei Heranwachsenden jedoch nicht gegeben.395 Die Staatsanwaltschaft in Brandenburg ist hier also anderer Auffassung. Allerdings wurden von diesen insgesamt 10 Fällen 4 noch vor einer Hauptverhandlung vom Gericht gem. § 419 StPO als ungeeignet abgelehnt. Dies waren die einzigen Verfahren von allen 151, die bereits vor der Hauptverhandlung als ungeeignet abgelehnt wurden. Als Begründung war stets angegeben, dass die „Hauptver393 Die Behandlung der Frage, ob vor dem Berufungsgericht die Regeln der §§ 417–420 StPO anwendbar sind und ob tatsächlich vor dem Berufungsgericht beschleunigt verhandelt wird, erfolgt im Rahmen der Behandlung des § 420 StPO. 394 Fälle 10, 24, 25, 48, 68, 74, 76, 80, 83, 103. Jugendliche sowie Mitglieder ausländischer Truppen kamen in den beschleunigten Verfahren nicht vor, bei ersteren sind die §§ 417–420 StPO unzulässig, § 79 Abs. 2 JGG, bei letzteren inzwischen nicht mehr, s. o. C. I. 1. b) (2), doch überrascht dies in Anbetracht der geringen Zahl zu erwartender Fälle nicht. 395 s. o. C. I. 1. c) (1) (a).

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

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handlung nicht sofort oder in kurzer Frist, § 418 Abs. 1 StPO, stattfinden kann“. Drei der vier Ablehnungsentscheidungen erfolgten zu Zeitpunkten, da noch ca. drei Wochen verblieben wären, um die gesetzliche Frist gemäß dem Wortlaut des § 418 Abs. 1 StPO auszuschöpfen.396 Möglicherweise erschien hier also das beschleunigte Verfahren auch aufgrund der Heranwachsendeneigenschaft und damit einhergehender Verpflichtungen als ungeeignet. Von den verbliebenen 6 Verfahren wurde in einem eine Verwarnung und Auflage gem. den §§ 14, 15 Abs. 1 Nr. 3 JGG verhängt, alle anderen wurden eingestellt. Von einer Teilnahme der im gesamten Verfahren heranzuziehenden Jugendgerichtshilfe (§§ 38 Abs. 3 S. 1, 107 JGG) war in drei der sechs beschleunigt verhandelten Verfahren nichts ersichtlich.397 In einem wurde sie von der Staatsanwaltschaft benachrichtigt, zur Hauptverhandlung erschien aber kein Vertreter.398 In zwei Verfahren war ein Vertreter der JGH anwesend,399 erklärte jedoch in einem davon, dass ein Gespräch mit dem Beschuldigten nicht stattgefunden habe.400 Eine ordnungsgemäße Beteiligung der JGH stellte in den beschleunigten Verfahren gegen Heranwachsende damit die Ausnahme dar. Trotz möglicher revisionsrechtlicher Relevanz derlei Defizite401 bestehen allerdings verschiedene empirische Erkenntnisse, dass dies ein nicht auf das beschleunigte Verfahren begrenztes Problem darstellt.402 Eine ordnungsgemäße Beteiligung der JGH in gerade einem von sechs Verfahren gem. den §§ 417–420 StPO ist jedoch besonders augenfällig. Die Pflicht zur Heranziehung der Jugendgerichtshilfe gem. §§ 38 Abs. 3 S. 1, 107 JGG lässt sich offenbar nicht mit der gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO sofort oder in kurzer Frist durchzuführenden Hauptverhandlung vereinbaren. (2) Berlin Keiner der Beschuldigten war Heranwachsender. Offenbar wird gegen diese Altersgruppe in Berlin – nach hier vertretener Ansicht zu Recht – nicht beschleunigt verhandelt. 396

s. aber oben C. I. 1. c) (3) (a). Fälle 25, 68, 80. 398 Fall 10. 399 Fälle 83, 103. 400 Fall 103. 401 s. Eisenberg, 2009, § 107 Rn. 15 ff., § 38 Rn. 52 ff., § 50 Rn. 31 f.; Schaffstein/Beulke, 2002, S. 226. 402 s. Momberg, MschrKrim 65 (1982), S. 65, 70 f.; Streng, 2008, § 6 Rn. 111 m. w. Nw. 397

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

b) Politisch motivierte Täter (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Kein Fall behandelte politisch motivierte Kriminalität. Vermutlich nimmt also auch die brandenburgische Praxis einen einfachen Sachverhalt bei derlei Beschuldigten nicht an, möglicherweise befand sich aber nur zufällig keiner in den gezogenen Akten, zumal die politisch motivierte Kriminalität im Hellfeld relativ selten ist.403 (2) Berlin Auch hier fanden sich keine politisch motivierten Täter. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass in Berlin politisch motivierte Delikte generell nicht beschleunigt verhandelt werden. Zumindest in den Strafverfahren, die sich an die regelmäßigen Ausschreitungen um den 1. Mai anschließen, wurden in der Vergangenheit Anträge gem. § 417 StPO gestellt, um besonders beschleunigte Strafverfahren einzuleiten.404 Dass solche Fälle nicht in dem Aktenmaterial enthalten sind, wird, abgesehen von der eher geringen Zahl dieser,405 daran liegen, dass das erhaltene Aktenmaterial gar keine besonders beschleunigten Verfahren enthielt.406

403 Im gesamten Land Brandenburg weist die Statistik des LKA für das Jahr 2005 insgesamt 1914 Fälle politisch motivierter Kriminalität aus (davon bspw. 97 rechtsextrem motivierte Gewaltdelikte) von insgesamt 222.714 Straftaten, also einen Gesamtanteil von jedenfalls unter einem Prozent, wobei die Prozentzahl nicht genauer angegeben werden kann, da bei der Gesamtzahl der Straftaten nicht alle Delikte politisch motivierter Kriminalität erfasst sind, insbesondere nicht die reinen Staatsschutzdelikte – s. dazu die „Gesamtbewertende Übersicht – PMK im Land Brandenburg im Jahr 2005“, LKA BB, Abt. IV MI BB sowie die PKS Brandenburg 2005, S. 20. 404 s. die Pressemitteilung Nr. 30/2006 vom 29.05.2006 der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, zu finden unter: http://www.berlin.de/sen/justiz/strafverfolgung/ presse/archiv/20060529.1540.40960.html (zuletzt abgerufen am 29.07.2009). 405 2006 lag der statistische Anteil der politisch motivierten Kriminalität am Gesamtstraftatenaufkommen der PolSt Berlin bei 0,7%, s. die „Lagedarstellung der Politisch Motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2006“ herausgegeben vom Polizeipräsident in Berlin (LKA 5), S. 6. 406 Ausführlich zu den Gründen im Folgenden bei der Erörterung der angewandten Verfahrensmodelle im rechtstatsächlichen Teil zu § 418 StPO.

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

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c) Nichtdeutsche (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam In 3,31% der Beantragungen gem. § 417 StPO war der Beschuldigte kein deutscher Staatsbürger. Von diesen 5 Fällen wurde auch in allen gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt. Die Eigenschaft „Nichtdeutscher“ kann einem „einfachen Sachverhalt“ i. S. d. § 417 StPO entgegenstehen, vor allem, wenn in Anbetracht drohender ausländerrechtlicher Konsequenzen eine intensive Persönlichkeitserforschung, bzw. eine besondere Berücksichtigung der Tatfolgen gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB vonnöten ist; dies betrifft vor allem in Deutschland lebende Ausländer, bei denen die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu erwarten ist und welche bereits entsprechende Vorstrafen haben.407 Eine solche Konstellation war in keinem der Fälle gegeben. Alle Beschuldigten waren zwar faktische Inländer, aber bei der schwersten Sanktion handelte es sich um eine Geldstrafe im mittleren Bereich. Anders als teilweise vermutet,408 ist keine Überrepräsentation Nichtdeutscher zu beobachten. Die „reisenden Täter“, welche in der Diskussion oft im Fokus der Verfahrensart stehen,409 kamen ebenfalls gar nicht vor. In einem Fall410 erwies sich die Sache als zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren ungeeignet und das Gericht beschloss in der Hauptverhandlung gem. § 419 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens, „weil der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist und die Hinzuziehung eines Dolmetschers erforderlich erscheint“. Dies, obwohl sowohl aus der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung das Sprachproblem hervorging als auch insbesondere bereits in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft angeregt war: „Dem Angeschuldigten ist ein Dolmetscher zu laden“. Eine zu rasche gerichtliche Abarbeitung, die derlei übersieht, kostet im Endergebnis mehr Ressourcen, als wäre überhaupt kein Antrag gem. § 417 StPO gestellt worden.411

407

s. o. C. I. 1. c) (1) (c). Vgl. z. B. Herzog, ZRP 1991, S. 125, 126; Ernst, 2001, S. 180 f. 409 Vgl. etwa das Ausschussprotokoll 12/361, S. 2 Landtag Nordrhein-Westfalen, Rechtsausschuss, 12. Sitzung (nicht öffentlich), abgedruckt bei Ernst, 2001, Anhang S. 282. 410 Fall 143. 411 Die Problematik fiel öfter auf. Im Fall 81 etwa erfolgte eine Ablehnungsentscheidung in der Hauptverhandlung, nachdem der wegen Trunkenheit im Verkehr Angeklagte ein Nachtrunkverhalten behauptete. Dies hatte er allerdings auch schon in der polizeilichen Vernehmung erklärt. 408

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Davon abgesehen erschien die justizielle Bearbeitung beschleunigter Verfahren mit nichtdeutschen Beschuldigten im Landgerichtsbezirk Potsdam den Voraussetzungen des § 417 StPO entsprechend und routiniert. (2) Berlin In 23,08% der beantragten beschleunigten Verfahren (21 Fälle) war der Beschuldigte kein deutscher Staatsbürger. Die Zahl ist deutlich höher als diejenige der Auswertung für Brandenburg. Die sehr hohen Ausländeranteile, von denen teilweise für das beschleunigte Verfahren ausgegangen wird,412 bestätigt sie allerdings nicht. 23,08% entspricht beinahe exakt der durchschnittlichen Zahl nichtdeutscher Verurteilter bundesweit im Jahr 2005.413 Außerdem ist zu beachten, dass Berlin mit 13,9% einen deutlich höheren Ausländeranteil hat als Brandenburg mit 2,6%.414 Entgegen der hier vertretenen Auffassung wurde auch bei mit Freiheitsstrafe vorbestraften faktischen Inländern, denen erneut eine freiheitsentziehende Sanktion drohte, ein beschleunigtes Verfahren beantragt. In einem dieser drei Fälle wurde die Aburteilung im beschleunigten Verfahren im Laufe des Verfahrens aus anderen Gründen gem. § 419 StPO abgelehnt. Die beiden anderen Fälle endeten im beschleunigten Verfahren mit Freiheitsstrafe. Die Problematik liegt in der dann drohenden schwersten ausländerrechtlichen Konsequenz, der Ausweisung. Diese existenzbedrohende Folge muss ausreichend gewürdigt werden, was in einem beschleunigten Verfahren nicht geschehen kann. Der Persönlichkeitserforschungsbedarf und die Berücksichtigung der Wirkungen der Strafe gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB stehen einem „einfachen Sachverhalt“ gem. § 417 StPO entgegen. Ein Umgang mit der Problematik in der Form, dass zumindest das Beschleunigungsziel in der Hauptverhandlung von den Richtern zurückgestellt worden wäre, fand nicht statt, beide Hauptverhandlungen dauerten je 20 Minuten. In vier Fällen waren Dolmetscher beteiligt, was den Verlauf des beschleunigten Verfahrens nicht beeinträchtigte. Auffällig war erneut, dass keiner der Nichtdeutschen der Gruppe der „reisenden Täter“ zugerechnet werden konnte. 412

s. Ernst, a. a. O., S. 178 f.: 57,2%, allerdings ohne Quellenangabe, bzw. die Angaben des Richters Blanke bei Herzog, ZRP 1991, S. 125, 126.: 90%. 413 Auf die zweite Dezimalstelle gerundet ergibt sich für das Jahr 2005 ebenfalls die Zahl 23,08%, für das Jahr 2006 22,78%, s. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2006, Tabelle 8.1. 414 s. die Bevölkerungsstatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg für das Jahr 2006, zu finden unter www.statistik-berlin-brandenburg.de (zuletzt abgerufen 29.07.2009).

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

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d) Sexuell motivierte Täter – Berlin und Brandenburg Beschuldigte mit sexuellen Motiven kamen entsprechend ihrer Ungeeignetheit für das beschleunigte Verfahren in keinem Fall vor. e) Fragliche Schuldfähigkeit (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Kein Fall beinhaltete eine Prüfung der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit. Die zahlreichen Sachverhalte mit teils erheblichen angegebenen Blutalkoholkonzentrationen der Beschuldigten waren solche der §§ 315 c, 316 StGB. Zu skizzieren sind jedoch folgende Sachverhalte des untersuchten Fallmaterials: Bei einem Beschuldigten mit „psychisch/seelischer Behinderung“, der Schokoriegel im Wert von 2 e entwendet hatte, wurde das Verfahren ohne weitere Prüfung im Hinblick auf eine andere Verurteilung gem. § 154 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung vorläufig eingestellt.415 Eine Einstellung gem. § 153 Abs. 1, 2 StPO ohne weitere Prüfung erfolgte bei einem „geistig behinderten“ betreuten Heranwachsenden sowie einem betreuten 84-Jährigen, denen ebenfalls ein Diebstahl geringwertiger Sachen vorgeworfen wurde.416 Einige Beschuldigte bezeichneten sich in der Hauptverhandlung ausdrücklich als alkoholabhängig und befanden sich mitunter vor oder in einer Langzeittherapie, ein Beschuldigter gab an, dass er drogenabhängig sei und der Diebstahl der Beschaffung weiterer Drogen gedient habe. Bei anderen Fällen war aus der Höhe der erreichten Blutalkoholkonzentration und zahlreichen Vorstrafen, die im Zusammenhang mit Alkoholkonsum standen, zumindest Ähnliches zu vermuten. Im Fall 51 nahm der alkoholabhängige Beschuldigte laut Anklageschrift in erheblich alkoholisiertem Zustand Sachen von geringem Wert einem anderen in der Absicht weg, die Sachen sich oder einem Dritten zuzueignen, §§ 242, 248 a, 21, 53 StGB, nämlich erst eine Flasche Vodka im Wert von 5,65 e, sodann in einem anderen Supermarkt eine Flasche Korn für 3,79 e. In der fünfzehnminütigen Hauptverhandlung erfolgte laut Protokoll keine Erörterung der Alkoholisierung bei der Tatbegehung und keine Prüfung einer mangelnden oder verminderten Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21 StGB, 415 416

Fall 19. Fall 68, 84.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

ebenso wenig finden sich im Urteil Ausführungen hierzu. Nach Angaben des Kaufhausdetektivs zur ersten Tat betrat der Beschuldigte allerdings den Markt „torkelnd [. . .] Er war volltrunken“. Auf dem Anzeigeformular des Supermarkts fehlt die Unterschrift des Beschuldigten, stattdessen wurde dort vermerkt: „-volltrunken-“. Die zweite Tat und erneute Entdeckung des Beschuldigten geschah nur 40 Minuten später im nächstliegenden Supermarkt. Der vielfach einschlägig Vorbestrafte wurde für die beiden Taten abweichend von der Anklageschrift ohne Anwendung von § 21 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt, welche der Strafrichter nicht zur Bewährung aussetzte. Im Fall 13 wurde ein zweiundzwanzigjähriger, alkoholabhängiger, mehrfach einschlägig vorbestrafter Beschuldigter wegen Diebstahls zweier Flaschen hochprozentigen Alkohols gem. den §§ 242, 248a StGB zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf seine Aussage, er „habe viel Braunen getrunken an dem Tag“ wurde im Weiteren nicht eingegangen, es fand keine Erörterung hinsichtlich der §§ 20,21 StGB statt. Ähnlich liegt Fall 102, in dem eine Verurteilung zu 4 Monaten Freiheitsstrafe ohne Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung wegen Diebstahls geringwertiger Sachen (Alkohol und Lebensmittel) gem. den §§ 242, 248a StGB erfolgte, der Beschuldigte allerdings angab: „Brauchte Alkohol. Hatte Alkohol getrunken.“ Im Fall 57 erfolgte die Verurteilung eines Fahrradfahrers gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 1 StGB zu einer Geldstrafe. Der Beschuldigte, der angab, nichts mehr zu wissen, wies zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 3,16 mg/g auf. Bei einem Wert in dieser Höhe ist (auch bei § 316 oder § 315c StGB) § 20 StGB zu prüfen bzw. zumindest die Annahme von Schuldfähigkeit näher zu begründen,417 was nicht geschah. Letztere Beispiele wären mangels eines einfachen Sachverhalts hinsichtlich der erforderlichen Prüfungen für eine Aburteilung gem. den §§ 417–420 StPO ungeeignet gewesen und können erste Anhaltspunkte sein, dass zur Erreichung der Beschleunigung Einschränkungen hinsichtlich der Ziele Wahrheit und Gerechtigkeit akzeptiert werden. (2) Berlin Zweifel am Vorliegen der Schuldfähigkeit werden in Berlin nicht als Hinderungsgrund gesehen, einen Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zu stellen. In 13,91% der 91 Verfahren, in denen ein Antrag 417

s. Fischer, 2009, § 316 Rn. 52, § 20 Rn. 20 m. Nw.

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

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gem. § 417 StPO gestellt wurde, wurde die Strafe aufgrund von § 21 StGB gemildert (12 Fälle). Jeder 5. Beschuldigte des Fallmaterials war nach eigenen Angaben und Aktenlage eindeutig alkohol- oder drogenabhängig (19,78%), bei vielen weiteren bestanden deutliche Anhaltspunkte für Suchtzustände. Abgesehen von den generellen Bedenken hinsichtlich der Aburteilung solcher Fälle in einem beschleunigten Verfahren418, fiel die pauschalisierende Umgehensweise mit den §§ 20, 21 StGB auf: Ein Sachverständiger zur Klärung der Schuldfrage wurde in keinem Verfahren herangezogen. Im Fall 51 stand der Täter bei 4 von 6 Diebstählen, die gemeinsam abgeurteilt wurden, unter dem Einfluss von Alkohol, zwei Mal wurde eine Messung durchgeführt, welche Atemalkoholkonzentrationen von 0,85 und 1,89 Promille ergab. Beide Werte liegen noch unter einer BAK von 2 Promille, ab der, wenigstens bei minderschweren Delikten, nach einem statistischen, wenn auch nicht schematisch anwendbaren Erfahrungssatz, verminderte Schuldfähigkeit nahe liegt.419 Für alle sechs Fälle wurde daraufhin im Urteil von verminderter Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB ausgegangen. Eine Begründung erfolgte nicht. Im Fall 69 lautete der Vorwurf auf Diebstahl von Brot und Brötchen im Wert von 2,19 e und der Beschuldigte gab an, betrunken gewesen zu sein und nicht gewusst zu haben, was er tue. Eine Erörterung von § 21 StGB erfolgte nicht. f) Vielzahl vorgeworfener Taten (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Ein Antrag nach § 417 StPO hinsichtlich einer gemeinsamen beschleunigten Aburteilung mehrerer Straftaten gem. § 53 StGB erfolgte in 6 Fällen.420 Bei zwei dieser Fälle wurde eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 419 StPO abgelehnt, einmal „weil die Hauptverhandlung nicht sofort oder in kurzer Frist, § 418 Abs. 1 StPO stattfinden [konnte],“ im anderen Fall in der Hauptverhandlung selbst (§ 419 Abs. 2 S. 1 StPO), weil nach Einlassung der Beschuldigten „kein einfacher Sachverhalt“ mehr vorlag. In einem weiteren Fall wurde ein beschleunigtes Verfahren wegen Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB in der Hauptverhandlung verbunden mit einem Verfahren wegen Beleidigung gem. § 185 StGB in zwei Fällen.421 418 419 420 421

s. o. C. I. 1. c) (1) (e). s. Lackner/Kühl, § 21 Rn. 3, BGHSt 37, 231, 233 ff. Fälle 3, 23, 36, 40, 48, 51. Fall 97.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Die Fälle mehrerer mutmaßlicher Straftaten gem. § 53 StGB hatten verschiedene Straßenverkehrsdelikte oder Diebstähle zum Gegenstand. Dabei waren stets lediglich zwei, einmal drei Taten zur Last gelegt. Eine Vielzahl vorgeworfener Taten, welche mangels einfachen Sachverhalts einer Eignung i. S. d. § 417 StPO entgegenstünde, kam nicht vor. (2) Berlin Ein Antrag nach § 417 StPO hinsichtlich einer gemeinsamen beschleunigten Aburteilung mehrerer Straftaten gem. § 53 StGB erfolgte in 21 Fällen. Die im Vergleich zum Landgerichtsbezirk Potsdam verhältnismäßig hoch erscheinende Zahl ergibt sich vor allem daraus, dass alle 16 Anklagen wegen Erschleichens von Leistungen gem. § 265a StGB mehrere Taten behandelten, was daraus folgt, dass die Beförderungsunternehmen erst bei wiederholten Taten Strafanzeige erstatten und Strafantrag stellen.422 In den übrigen Fällen bezog sich der Vorwurf auf eine gemeinsame Aburteilung mehrerer Diebstähle (4 Fälle) und auf eine Körperverletzung gem. § 223 StGB, die gemeinsam mit einer Sachbeschädigung gem. § 303 StGB abgeurteilt werden sollte. Zu einer Ablehnungsentscheidung gem. § 419 StPO kam es in keinem dieser Verfahren. Die Fälle mehrerer mutmaßlicher Straftaten gem. § 53 StGB hatten eine unterschiedliche Zahl von Taten zum Gegenstand, wobei außer hinsichtlich der Vorwürfe gem. § 265a StGB die Zahl von 5 einzelnen Taten nicht überschritten wurde. Wird ein (wegen einer Vielzahl von Taten) nicht mehr einfacher Sachverhalt gem. § 417 StPO gleichwohl beschleunigt verhandelt, so ist zu befürchten, dass das Beschleunigungsziel auch in der Hauptverhandlung nicht zurückgestellt wird, um den schematischen Ablauf (etwa mit 10 Terminierungen am Vormittag) insgesamt nicht zu stören. Ggf. geschehen dann weitere Rechtsfehler und die Zurückstellung des Wahrheitszieles im Strafprozess. Im Fall 51 etwa wurde bei 5 mutmaßlichen Ladendiebstählen gem. den §§ 242, 248 a, 53 StGB ein beschleunigtes Verfahren beantragt, welches dann mit einem weiteren Verfahren wegen eines Ladendiebstahls gem. den §§ 242, 248a StGB verbunden wurde. Die Dauer der beiden stattfindenden Hauptverhandlungen betrug zusammengerechnet 19 Minuten. Zum ersten Hauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte nicht, laut Hauptverhandlungsprotokoll konnte eine „ordnungsgemäße Ladung [. . .] nicht festgestellt werden“. Zwar ist im beschleunigten Verfahren eine Ladung 422

s. Jahresbericht des Berliner Datenschutzbeauftragten 1998, Kapitel 3.3.

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

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gem. § 418 Abs. 2 StPO nicht stets erforderlich, erfolgt aber eine Ladung, so beträgt die Ladungsfrist 24 Stunden, § 418 Abs. 2 S. 3 StPO. Diese – ohnehin in Anbetracht von Art. 6 Abs. 3b EMRK äußerst knappe – Frist wurde nicht eingehalten. Die Staatsanwaltschaft ging laut Handakte für den Strafantrag unzutreffend von sieben Taten aus. Die im Urteil angegebenen Tatzeitpunkte sind teilweise unkorrekt. Bei 4 der Taten stand der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol, zwei Mal war eine Messung durchgeführt worden, welche 0,85 und 1,89 Promille ergaben. Für alle sechs Fälle wurde daraufhin im Urteil von verminderter Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB ausgegangen. Eine Begründung erfolgte nicht. Im Verlauf des gesamten Verfahrens kam es zu Problemen mit der Postzustellung, da der Beschuldigte immer wieder unter anderem Namen und wenigstens mit 5 verschiedenen Postleitzahlen angeschrieben wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass die ungenaue Arbeitsweise im ganzen Verfahren aufgrund des Zeitdrucks bei nicht einfachem Sachverhalt erfolgte. Betreffend die Vergehen des Erschleichens von Leistungen gem. § 265a StGB wurde ein beschleunigtes Verfahren auch bei bis zu 9 mutmaßlichen Straftaten zur gemeinsamen Aburteilung beantragt. Allerdings lagen in diesen Verfahren stets gleichartige, vorgefertigte Formulare mit Tatort, Zeitpunkt und Begehungsweise vor. Die größere Zahl der Vergehen scheint damit einem einfachen Sachverhalt gem. § 417 StPO nicht unbedingt entgegen zu stehen. Allerdings besteht bei einem solchen Vorgehen die Gefahr, dass mit den einzelnen Vorwürfen zu pauschal umgegangen wird. Bestritt der Beschuldigte in der Hauptverhandlung zwei der sechs Tatbegehungen, wurde er nur wegen vier verurteilt, ohne dass etwa dann Zeugen geladen wurden. Allerdings ist davon auszugehen, dass in Anbetracht des untersten Bagatellbereichs dieser Verstöße auch in einem Regelverfahren keine andere Vorgehensweise zu beobachten wäre. g) Zu erwartende Verhängung einer Freiheitsstrafe Angegeben werden hier die Fälle, in denen eine Freiheitsstrafe verhängt wurde und zugleich in der Hauptverhandlung laut Protokoll keine neuen, dem Beschuldigten zum Nachteil gereichenden Tatsachen bekannt wurden, wobei letzteres nie der Fall war. Tendenziell kann man davon ausgehen, dass in diesen Fällen zum Zeitpunkt von Antrag und Anklage auch eine Freiheitsstrafe erwartet werden konnte.423

423 In einem Fall in Berlin (Fall 20) beantragte die Staatsanwaltschaft allerdings nur Geldstrafe und das Gericht verhängte gleichwohl eine Freiheitsstrafe.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

(1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Von den 151 Verfahren, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, endeten 7,28% mit einer Freiheitsstrafe, das sind 13,25% der 83 Sachurteile im beschleunigten Verfahren. In diesen 11 Fällen wurde in 5 die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt, in 6 hingegen nicht. Insbesondere aufgrund der Umstands- und Persönlichkeitserforschungen, welche gem. den §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 1 StGB vorgeschrieben sind, bei gleichzeitigem Willen des Gesetzgebers, die Freiheitsstrafe im beschleunigten Verfahren zuzulassen, ist diese Sanktion nur in Ausnahmefällen zu verhängen und hat in solchen das Beschleunigungsziel in der Hauptverhandlung zurückzutreten.424 Problematisch erscheinen dann Hauptverhandlungsdauern von 9 oder 10 Minuten bei den Freiheitsstrafen, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden.425 Die durchschnittliche Dauer dieser Hauptverhandlungen betrug 16,67 Minuten. (2) Berlin Von den 91 Verfahren, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, endeten 17 Fälle, also 18,68%, mit einer Freiheitsstrafe, in drei dieser Fälle erging die Freiheitsstrafe aber nach Ablehnung im Regelverfahren.426 17,5% der 80 Sachurteile, die im beschleunigten Verfahren ergingen, lauteten auf Freiheitsstrafe. Als Ausnahmesanktion erscheinen diese 14 Freiheitsstrafen (bei denen 2 mal die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde) nicht. Die Hauptverhandlungsdauer reichte von lediglich 8 bis hin zu 245 Minuten, der Durchschnitt betrug 43,29 Minuten. 3. Eignung zur sofortigen Verhandlung Die Erörterung des praktischen Umgangs mit der Voraussetzung der „Eignung zur sofortigen Verhandlung“ gem. § 417 StPO kann aufgrund des Zusammenhangs mit § 418 StPO427 sinnvoll erst im Themenbereich dieser Norm erörtert werden.428 424

s. o. C. I. 1. c) (1) (g). Fall 141, 142. 426 Bezüglich der zu erwartenden Freiheitsstrafenverhängung bei Antragsstellung müssen die 3 Fälle mitgerechnet werden. 427 s. o. C. I. 1. c) (3) (a). 428 Es muss bspw. auch das richterliche Verhalten gem. § 418 Abs. 1 StPO ausgewertet sein, um sagen zu können, wann ein von der Staatsanwaltschaft gestellter Antrag gem. § 417 StPO nicht mehr zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Berau425

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

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4. Antragsstellung und Anklage Alle 151 Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren im Landgerichtsbezirk Potsdam waren in schriftlicher Form gefasst, eine nach dem Wortlaut des § 417 StPO mögliche mündliche Antragsstellung kam nicht vor. Die Formulierung ist stets eindeutig, am Ende der schriftlichen Anklage „[. . .] wird beantragt, gemäß § 417 StPO im beschleunigten Verfahren zu verhandeln.“ Erläuterungen, weshalb sich das jeweilige Verfahren als beschleunigtes eignet, erfolgen nicht. Auch das Vorliegen der anderen speziellen Voraussetzungen der §§ 417–420 StPO wird in den Anträgen nicht ausgeführt. Anträge in Sammelterminen, bei sofortiger Gestellung oder Vorführung, zusammen mit einem Haftantrag gem. § 127b StPO oder auch nach vorangegangener Untersuchungshaft wurden nicht gestellt. Anderes wäre aufgrund der bestehenden empirischen Erkenntnisse zu erwarten gewesen. Bei der Untersuchung von Popp erging über die Hälfte der Anträge im Rahmen einer besonderen Form des beschleunigten Verfahrens.429 Die Anklagen erfolgten in allen 151 Fällen in schriftlicher Form. Antrag und Anklage waren immer verbunden. Nach Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) wird also trotz des Wortlauts von § 418 Abs. 3 S. 1 StPO stets gem. § 170 Abs. 1 StPO eine Anklageschrift eingereicht und gemeinsam mit dieser die Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 417 StPO beantragt. Alle Anklageschriften waren in der gem. § 200 Abs. 2 S. 2 StPO möglichen, abgekürzten Form gefasst, das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen wurde nie dargestellt. Eine Rücknahme des Antrags (oder der Anklage) erfolgte in keinem Fall. Dem entsprach das Vorgehen in Berlin. Alle Anträge und Anklagen waren in schriftlicher Form gefasst und miteinander verbunden. Anträge in Sammelterminen, bei sofortiger Gestellung oder Vorführung, zusammen mit einem Haftantrag gem. § 127b StPO oder auch nach vorangegangener Untersuchungshaft wurden nicht gestellt. Die Anklageschriften waren in der abgekürzten Form gefasst. Die Rücknahme eines Antrags wurde nicht festgestellt. Äußerlich wird in diesem Verfahrensabschnitt vom Regelverfahren also lediglich durch das Anfügen der Standardformulierung für den Antrag auf men Richter eine Hauptverhandlung kürzestmöglich, etwa innerhalb von 24 Stunden an, so kann auch ein gegen Ende der Frist gestellter Antrag noch zur „sofortigen Verhandlung“ geeignet sein. 429 s. (auch zu den Vorbehalten gegenüber der Untersuchung) oben B. I. 1. a).

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Verhandlung im beschleunigten Verfahren abgewichen. Dadurch zeichnet sich bereits ein erstes Bild des Modells ab, welches für das beschleunigte Verfahren im LG-Bezirk Potsdam und in Berlin praktiziert wird. 5. Delikts- und Beschuldigtenstruktur der beantragten beschleunigten Verfahren gem. § 417 StPO a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Die 151 Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren hatten folgende Delikte zum Gegenstand: 66 mal Diebstahl430 gem. § 242 StGB (43,71%), davon 46 mal Diebstahl geringwertiger Sachen gem. §§ 242, 248a StGB, 49 mal Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB (32,45%), 21 mal eine Variante des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gem. §§ 2, 21 StVG (13, 91%), 17 mal eine Variante des Gebrauchs eines nicht versicherten Fahrzeuges im Straßenverkehr gem. §§ 1, 6 PflVG (11,26%), 6 mal Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c StGB (3,79%) sowie 2 mal Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB (1,32%).431 In einem weiteren Fall wurde über den Vorwurf der Beleidigung gem. § 185 StGB in zwei Fällen entschieden, wobei dieses Verfahren erst in der Hauptverhandlung mit dem beantragten beschleunigten Verfahren wegen Trunkenheit im Verkehr verbunden wurde, so dass § 185 StGB in dieser Zählung nicht auftaucht. In den beiden gezählten Fällen, welche tatmehrheitlich auch Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort zum Vorwurf hatten, wurde die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt. Damit entsteht ein überschaubares Bild von letztlich fünf verschiedenen Deliktsarten der einfachen Massenkriminalität, bei denen die Staatsanwaltschaft Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren stellt. Dies überrascht insofern, als die §§ 417 bis 420 StPO außer durch die in der Verfahrensart verhängbare Sanktionshöhe kein Delikt ausdrücklich ausschließen. Und bspw. Erschleichen von Leistungen gem. § 265a StGB wird im Regelfall keinen komplizierteren Sachverhalt beinhalten als die Delikte der Auswertung. Hier könnte die Praxis die Verfahrensart weiter auswei430

Es handelte sich ausnahmslos um Ladendiebstähle. Die Zahlen und die Prozentangaben übersteigen dabei leicht 151 Fälle bzw. 100%, da bei 12 beantragten Verfahren dieselbe Handlung des Beschuldigten gem. § 52 StGB mehrere Strafgesetze verletzte bzw. gem. § 53 StGB mehrere Straftaten gemeinsam abgeurteilt werden sollten. Wurde also beispielsweise einem Beschuldigten in einem Verfahren eine Trunkenheit im Verkehr und zugleich das Fahren ohne Fahrerlaubnis vorgeworfen, so taucht dieser Fall in der Zählung zweimal auf; sollten bei einem beantragten Verfahren gem. §§ 242, 53 StGB drei Diebstähle abgeurteilt werden, so wurde dieses nur einmal als Delikt § 242 gezählt. 431

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

Diebstahl Trunkenheit im Verkehr Fahren ohne Fahrerlaubnis Gebrauch eines nicht versicherten Fahrzeugs im Straßenverkehr

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Gefährdung des Straßenverkehrs Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

Abbildung 1: Landgerichtsbezirk Potsdam

ten432 bzw. wäre gem. § 417 StPO („stellt“) sogar dazu verpflichtet.433 Allerdings verlangt die „Einfachheit“ i. S. d. § 417 StPO die Möglichkeit einer routinierten, „mechanischen“ Sachverhaltsermittlung, welche sich bei einer geringeren Vielfalt der Delikte besser erreichen lassen dürfte.434 Jedenfalls sind die immer wiederkehrenden gleichen Straftaten ohne auch nur vereinzelt auftauchende andere Delikte und ihre besonders geringe Zahl ein klares Zeichen, dass polizei- und staatsanwaltschaftsinterne Normen bestehen, welche einen entsprechenden Katalog festlegen, der die meisten Straftaten aus einer Eignungsprüfung für die §§ 417–420 StPO von vornherein ausschließt. Dafür spricht auch, dass alle ausgewerteten Diebstähle Ladendiebstähle waren, bei denen hinsichtlich der Möglichkeit einer schnellen Bearbeitung stets eine Anzeige mit Sachverhaltsschilderung auf einem Formblatt vorliegt.435

432 s. dazu auch Lemke/Rothstein-Schubert (ZRP 1997, S. 488, 491), welche für das Jahr 1995 in Brandenburg noch andere Delikte aufführen, die beschleunigt abgeurteilt wurden. 433 s. aber oben C. I. 1. d). 434 s. o. C. I. 1. c) (1). 435 Nach der PolSt beträgt der Anteil der Ladendiebstähle im Jahr 2006 an allen erfassten Diebstahlsfällen lediglich 16,83%; 31,5% aller registrierten Diebstähle ohne erschwerende Umstände seien Ladendiebstähle gewesen, s. PKS 2006, Tab. 1, Tab. 131. Die Bereitstellung eines Katalogs von für die Verfahrensart besonders geeigneten Taten durch das AG für die Polizei berichtet Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429, 432.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Auffällig ist daneben, dass der Katalog offenbar § 315c StGB enthält, welcher nicht typischerweise einfache Sachverhalte i. S. d. § 417 StPO umfasst.436 Dies und die generell hohe Zahl von Straßenverkehrsdelikten aus dem 28. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB deuten auf eine über die bloße Erfüllung der Voraussetzungen des § 417 StPO hinausgehende, kriminalpolitische Motivation hin, etwa in der Hinsicht, wegen der grundsätzlichen besonderen Schadensintensität der Delikte437 mittels einer öffentlichen Hauptverhandlung präventiv einzuwirken oder aber auch im Interesse des Beschuldigten einen frühen Hauptverhandlungstermin zu ermöglichen. Genauso könnte die Beweissituation besonders geeignet für das beschleunigte Verfahren sein, da regelmäßig die Zeugenaussagen mehrerer Polizeibeamter sowie ggf. ein Messergebnis der Atem- oder Blutalkoholkonzentration vorliegen. Die Tatfolgen der Vergehen waren von eher geringem Ausmaß, insbesondere wurde bei den Straßenverkehrsdelikten in keinem Fall eine Fremdperson gesundheitlich geschädigt, und die Schadenshöhen bei den Diebstahlsdelikten lagen überwiegend im Bagatellbereich, womit hier gemeint ist, dass bereits 46 Fälle unter § 248a StGB subsumiert werden konnten, aber auch der durchschnittliche Entwendungswert der übrigen 20 betrug lediglich 50,18 e, der durchschnittliche Entwendungswert aller Diebstahlsdelikte 24,14 e. Auch bei solchen Diebstählen wurde ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt und diese auch beschleunigt verhandelt, bei denen ausschließlich geringwertige Lebensmittel entwendet wurden (also ehemals privilegierter „Mundraub“ gem. § 370 Abs. 1 Nr. 5 a. F. StGB), ein Delikt, das andernorts ausdrücklich aus der Verfahrensart ausgeschlossen wurde.438 Trotz erster Anhaltspunkte bereits bei den Prozessbeobachtungen überraschte sehr, dass alle typischerweise für die Verfahrensart diskutierten Beschuldigtengruppen oder Delikte nicht vorkamen. Kein einziger Fall enthielt einen „reisenden Täter“, gewalttätiges Verhalten im Rahmen von Massenveranstaltungen (etwa Fußballrowdies) oder auch nur besonders „dreiste Tatbegehungsweisen“. Weder Ausländerdelikte noch solche mit politischem Hintergrund waren enthalten. Vielmehr waren Nichtdeutsche eher unter- als überrepräsentiert. Wohnsitzlose fielen ebenfalls nicht auf. 436

s. o. C. I. 1. c) (1) (h). Vgl. dazu Eisenberg, 2005, § 46 Rn. 3, 5 ff. 438 Fälle 34, 100, 134. So erklärte etwa der Direktor des AG Bochum Meyer: „Nicht im beschleunigten Verfahren wollen wir beispielsweise die Sozialhilfeempfänger haben, die ein paar Lebensmittel mitnehmen; das ist im Vorfeld geklärt worden. Unser Ziel ist es, die Tätergruppe zu erreichen, die wir sonst erfahrungsgemäß nicht bekommen, etwa die Tätergruppe mit sehr lockerem oder ohne inländischen Wohnsitz“, s. Ausschussprotokoll 12/361, S. 2 Landtag Nordrhein-Westfalen, Rechtsausschuss, 12. Sitzung (nicht öffentlich), abgedruckt bei Ernst, 2001, Anhang S. 282. 437

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

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Betreffend die Beschuldigtenstruktur bestanden Annahmen, die §§ 417–420 StPO seien auf die Aburteilung sozial Benachteiligter ausgerichtet.439 Die Einkommenssituation der Angeklagten im beschleunigten Verfahren erschien grundsätzlich als schlecht. Sie konnte in 127 von 147 Fällen, in denen gem. den §§ 417 bis 420 StPO verhandelt wurde, erfasst werden.440 Entscheidend waren die Angaben aus der Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse durch den Vorsitzenden gem. § 243 Abs. 2 S. 3 StPO.441 Soziale Benachteiligung wurde hier nicht mittels der Armutsgefährdungsgrenze von 60% des mittleren Äquivalenzeinkommens Deutschlands, sondern mittels der Armutsgrenze von 40% des mittleren Äquivalenzeinkommens erfasst.442 Diese Schwelle, unterhalb derer jemand in Deutschland als arm gilt, lag für das Jahr 2004 bei einem Einkommen von 6849 Euro im Jahr bzw. 571 Euro pro Monat. 46,46% der erfassbaren Beschuldigten, gegen die beschleunigt verhandelt wurde, hatten weniger zur Verfügung, galten mithin als arm (59 Beschuldigte), das Einkommen von 53,54% (68 Beschuldigte) lag oberhalb dieser Grenze. Im Vergleich dazu galten in Deutschland im Jahre 2004 4% als arm.443 Allerdings lässt sich ohne einen Vergleich mit entsprechenden Delikten im Regelverfahren nur gesichert festhalten, dass sich mit 46,46% ein hoher Prozentsatz sozial benachteiligter Beschuldigter im beschleunigten Verfahren findet. Damit kann bereits festgestellt werden, dass die praktische Ausgestaltung in Brandenburg von der Diskussion um die Verfahrensart wenig berührt wird. Das beschleunigte Verfahren scheint, abgesehen vom Herausgreifen bestimmter Delikte, eher an das Regelverfahren angelehnt.

439

s. oben B. I. 4. a). Keine Angaben lagen insbesondere in den Fällen vor, in denen gem. den §§ 407 Abs. 1 S. 1, 408 a, 418 Abs. 3 S. 3 StPO ins Strafbefehlsverfahren übergegangen wurde, wenn der Beschuldigte nicht zur Hauptverhandlung erschien. 441 Insgesamt kann so eine Aussage über jene getroffen werden, bei denen es tatsächlich eine beschleunigte Hauptverhandlung gab, was zugleich exakter erschien, da die Angaben des Angeklagten bei der Vernehmung gem. § 243 Abs. 2 S. 3 StPO genauer vermerkt sind als solche, auch nur teilweise vorzufindende, bei Beschuldigtenvernehmungen der Polizei. Wären in der Akte Widersprüche hinsichtlich der Angaben im Prozess zu finden, die ja auch aus taktischen Erwägungen hinsichtlich der Höhe der Geldstrafe getroffen worden sein könnten, so wäre der jeweilige Fall nicht gezählt worden; dies kam jedoch nicht vor. 442 s. oben B. I. 4. a). 443 s. Statistisches Bundesamt, Armut und Lebensbedingungen – Ergebnisse aus LEBEN IN EUROPA für Deutschland 2005, S. 18. 440

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

b) Berlin Die 91 Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren hatten folgende Delikte zum Gegenstand: 63 mal Diebstahl gem. § 242 StGB (69,23%), davon 42 mal Diebstahl geringwertiger Sachen gem. §§ 242, 248a StGB444 und einmal versuchter Diebstahl in einem besonders schweren Fall gem. den §§ 242, 22 i. V. m. 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB,445 16 mal Erschleichen von Leistungen gem. § 265a StGB (17,58%), dabei stets „Schwarzfahren“ und geringwertig gem. §§ 265a Abs. 3, 248a StGB, 3 mal Fahren ohne Fahrerlaubnis gem. §§ 2 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG (3,3%), 3 mal Bedrohung gem. § 241 Abs. 1 StGB (3,3%), 2 mal Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 Abs. 1 StGB (2,2%), je 1 mal Beleidigung gem. § 185 StGB, Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB, Hehlerei gem. § 259 Abs. 1 StGB, Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB und Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB (jeweils 1,1%).446 Die Deliktsstruktur ist relativ breit. Auch wenn aufgrund der relativ kleinen Stichprobe keine verallgemeinernden Aussagen getroffen werden können, ist doch erkennbar, dass nicht nur wenige Deliktsarten, die sich gegen bestimmte Rechtsgüter richten, beschleunigt verhandelt werden. Dies entspricht grundsätzlich der Regelung des § 417 StPO. Der Problematik, dass eine Beschleunigung nur bei routiniertem Massenanfall, insbesondere auch mit Formblättern etc. erreicht wird, was zugleich Bedingung für die „Einfachheit“ i. S. d. § 417 StPO ist, kann offenbar in Berlin durch ein eigenes „Schnellgericht“447 besser begegnet werden. 444 In zwei Fällen (14 und 86) wandte indes das Gericht die einen Strafantrag für erforderlich erklärende Norm § 248a StGB hinsichtlich der Sachwerte 40,00 e, bzw. 47,22 e nicht an, ging also nicht mehr von einem Diebstahl geringwertiger Sachen aus. Zur strittigen Frage der Grenze der Geringwertigkeit vgl. etwa OLG Oldenburg NStZ-RR 2005, S. 111 (30 e) und OLG Hamm NJW 2003, S. 3145 (50 e). 445 Darüber hinaus wurden zwei Diebstähle gem. § 25 Abs. 2 StGB gemeinschaftlich begangen. 446 Die Zahlen und die Prozentangaben übersteigen dabei leicht 91 Fälle bzw. 100%, da bei einem beantragten Verfahren gem. § 53 StGB zwei verschiedene Straftaten gemeinsam abgeurteilt werden sollten, die beide gezählt wurden. In den anderen Verfahren, in denen die §§ 52, 53 StGB relevant waren, war dies stets in der Form, dass es sich um das gleiche Delikt handelte, also bspw. 5 gemeinsam abzuurteilende Vergehen des Erschleichens von Leistungen oder tateinheitliche Beleidigung gegenüber mehreren Personen. Hier wurde das Delikt jeweils nur einmal pro Fall gezählt. 447 Der Begriff wird in den Prozessakten und im Geschäftsverteilungsplan (AG Tiergarten 2008, S. 117) verwendet. Beschleunigte Strafverfahren werden in Berlin zentral durch zwei Abteilungen des AG Tiergarten in einem Gebäude des LKA am Tempelhofer Damm durchgeführt.

II. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 417 StPO

Diebstahl

Beleidigung

Erschleichen von Leistungen

Betrug

Fahren ohne Fahrerlaubnis

Hehlerei

Bedrohung

Sachbeschädigung

Trunkenheit im Verkehr

Körperverletzung

107

Abbildung 2: Berlin

Deutlich überwiegen die Diebstahlsdelikte. Anders als im Landgerichtsbezirk Potsdam sind auch besonders schwere Fälle Gegenstand des beschleunigten Verfahrens und solche, die nicht in Form des Ladendiebstahls begangen wurden (z. B. Taschendiebstahl). Die allermeisten Vergehen gem. § 242 StGB waren allerdings auch in Berlin Ladendiebstähle. 7 mal wurden ausschließlich Lebensmittel entwendet (11,11% der Diebstahlsdelikte), viele Male Lebensmittel gemischt mit Gebrauchsgütern. Insgesamt fiel speziell in Berlin auf, dass entwendete Genussmittel oder Luxusgüter deutlich in der Minderzahl waren, hingegen vor allem einfache Kleidungsstücke, Werkzeug oder Drogerieartikel, wie Zahnpasta und Waschmittel, gestohlen wurden, so dass sich bzgl. der Diebstähle nicht etwa ein Bild von sich auf Beutezug befindlichen reisenden Tätern, sondern eher der abgeurteilten Begehrlichkeits- oder Armutskriminalität abzeichnete. Daneben gab es Fälle in denen Alkohol, oft zusammen mit Lebensmitteln, entwendet wurde. Ebenfalls beschleunigt verhandelt werden Delikte wie Bedrohung, Beleidigung oder Körperverletzung, die aufgrund der persönlichen Täter-OpferInteraktion und dem nötigen Hören von Zeugen für das beschleunigte Verfahren eher ungeeignet erschienen. Hinsichtlich der Beschuldigtenstruktur war in Berlin bereits die hohe Zahl der Alkohol- oder Drogenabhängigen auffällig.448 Viele weitere befanden sich nach eigenen Angaben in Therapie, hatten Therapieerfahrung bzw. gaben an, bald eine solche beginnen zu wollen. Die erwähnten Probleme 448

s. oben C. II. 2. e) (1).

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

Landgerichtsbezirk Potsdam

Berlin

Abbildung 3: Beschuldigte in beschleunigten Verfahren unterhalb der Armutsgrenze

waren der vielfältigsten Art, wobei häufig körperliche und psychische Erkrankung, teilweise auf ehemaligem Missbrauch von Drogen und Alkohol beruhend, angegeben waren. In einigen Akten waren Suizidversuche oder akute Suizidgefährdung erwähnt. Zwei Verurteilte verstarben, während die Vollstreckung betrieben wurde.449 Die Einkommenssituation der Angeklagten im beschleunigten Verfahren war auffallend schlecht. Sie konnte in 87 von 91 Fällen, in denen gem. den §§ 417 bis 420 StPO verhandelt wurde, erfasst werden. 73,56% der Angeklagten (64 Angeklagte), gegen die beschleunigt verhandelt wurde, hatten weniger als 571 Euro monatlich zur Verfügung, galten mithin als arm. 26,44% der Angeklagten lagen darüber (23 Angeklagte). III. Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung, § 418 StPO § 418 StPO regelt den weiteren Verlauf des beschleunigten Verfahrens, sofern das Gericht den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht ablehnt. Gem. § 419 Abs. 1 S. 1 StPO hat das Gericht dem Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zu entsprechen, wenn sich die Sache zur Verhandlung in diesem Verfahren eignet.450 Dann wird die Hauptverhandlung ohne förmliches Zwischenverfahren (§§ 199 ff. StPO) sofort oder in kurzer Frist durchgeführt, § 418 Abs. 1 S. 1 StPO. § 418 Abs. 2, 3 StPO lässt hinsichtlich der Ladung und der Anklage weitere Verkürzungen gegenüber dem Regelverfahren zu. Als Ausgleich zu die449 450

Fälle 25, 51. Zu den Eignungsvoraussetzungen s. oben C. I. 1. c).

III. Der Weg zur beschleunigten Hauptverhandlung gem. § 418 StPO

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sen und anderen Rechtseinbußen des Beschuldigten im beschleunigten Verfahren wird ihm gem. § 418 Abs. 4 StPO ein Verteidiger bestellt, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten ist. 1. Wegfall des förmlichen Zwischenverfahrens Die Hauptverhandlung wird „sofort oder in kurzer Frist durchgeführt, ohne, dass es einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf,“ § 418 Abs. 1 S. 1 StPO. Nicht schon aus dem Wortlaut („bedarf“), aber aus dem Beschleunigungszweck der §§ 417–420 StPO ergibt sich, dass der Wegfall des Zwischenverfahrens als zentrales Beschleunigungselement zwingend ist. Damit sind die §§ 199, 201 ff. StPO unanwendbar.451 a) Verbleibende Prüfungspflichten (1) Hinreichender Tatverdacht Fraglich ist indes, ob das Gericht trotz der Nichtanwendbarkeit von § 203 StPO einer Prüfungspflicht hinsichtlich des hinreichenden Tatverdachts unterliegt. Eine solche wäre für die mit § 418 Abs. 1 S. 1 StPO beabsichtigte Beschleunigung kontraproduktiv. Allerdings wird die Prozessökonomie noch mehr beeinträchtigt, wenn Verfahren gegen nicht hinreichend Tatverdächtige bis in die Hauptverhandlung gelangen. Vor allem ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine öffentliche strafrechtliche Hauptverhandlung gegen einen nicht hinreichend Tatverdächtigen durchzuführen. Dies würde ihn entgegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zum bloßen Objekt des Verfahrens herabwürdigen.452 Mithin besteht auch nicht nur ein Recht zur Prüfung des hinreichenden Tatverdachts,453 das Gericht ist zur Prüfung verpflichtet.454 (2) Kontrolle des Vorliegens der allgemeinen Prozessvoraussetzungen Die allgemeinen Prozessvoraussetzungen müssen wie in jeder Verfahrensart auch bei einem Vorgehen gem. den §§ 417 bis 420 StPO jederzeit vorliegen und sind damit bei Eingang des Antrags gem. § 417 StPO bei Gericht zu prüfen.455 Zu denken ist vor allem an das Eingreifen der deutschen 451 452 453 454 455

Vgl. KMR-Metzger, § 418 Rn. 9; Ranft, 2005, Rn. 2345. s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 13, Vor § 417 Rn. 18. So noch Kleinknecht/Meyer-Goßner43, § 418 Rn. 3. s. KK-Graf, § 418 Rn. 2: „heute einhellige Auffassung“. s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 5.

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Gerichtsbarkeit, die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten, das Vorliegen eines wirksamen Strafantrags bzw. ersatzweise die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft, keine anderweitige Rechtshängigkeit und keine entgegenstehende Rechtskraft oder andere Art des Strafklageverbrauchs. (3) Vorgehen bei Zuständigkeitsfragen Speziell hinsichtlich der Zuständigkeit ergeben sich aufgrund der Nichtgeltung der §§ 201 ff. StPO und der Regelungen des beschleunigten Verfahrens Besonderheiten. Statt einer Ablehnung gem. § 204 StPO bei örtlicher Unzuständigkeit456 wird die Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 419 StPO abgelehnt.457 Gleiches gilt bei der Annahme des Amtsgerichts, ein höheres Gericht sei zuständig. § 209 Abs. 2 StPO ist nicht anwendbar. Hält der Strafrichter das Schöffengericht für zuständig oder umgekehrt, besteht der Konflikt also innerhalb des Amtsgerichts, so handelt es sich um eine abweichende Situation. Vor beiden Spruchkörpern können gem. § 417 StPO beschleunigte Verfahren stattfinden. In den §§ 417–420 StPO selbst ist das Problem nicht gelöst, § 209 StPO ist wegen der in § 418 Abs. 1 S. 1 StPO getroffenen Regelung über das Nichtergehen eines Eröffnungsbeschlusses nicht anwendbar. Für das Strafbefehlsverfahren trifft § 408 Abs. 1 StPO eine Regelung. Abgegeben wird danach die Sache durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft an den für richtig gehaltenen Spruchkörper. Helfen könnte mithin für das beschleunigte Verfahren eine analoge Anwendung der §§ 209, 408 Abs. 1 StPO.458 Anzuzweifeln ist aber nicht nur, dass hinsichtlich der §§ 417 bis 420 StPO eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Immerhin steht die Verfahrensart unter dem besonderen Anspruch der Beschleunigung und kennt das eigene Institut der Ablehnung gem. § 419 StPO. Es ist auch schon keine vergleichbare Interessenlage gegeben. Die Eignung zur sofortigen Verhandlung und die Durchführung der Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist gem. den §§ 417, 418 Abs. 1 S. 1 StPO sind keine Voraussetzungen des Strafbefehlsverfahrens. Einer Abgabe gem. § 408 Abs. 1 StPO steht dort nichts im Wege. Sehr zweifelhaft ist, dass es im beschleunigten Verfahren Fälle gibt, in denen trotz einer Abgabe 456

Vgl. KK-Schneider, § 204 Rn. 3 m. Nw.; s. aber auch M-G, § 16 Rn. 4. Mit Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache endet die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit, s. KK-Graf, § 418 Rn. 3. 458 So Schröer, 1998, S. 115 ff., SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 7 m. Nw. 457

III. Der Weg zur beschleunigten Hauptverhandlung gem. § 418 StPO

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die Frist des § 418 Abs. 1 StPO459 einzuhalten wäre.460 Überdies muss eine Eignung zur sofortigen Verhandlung gem. § 417 StPO u. a. aufgrund des einfachen Sachverhalts vorliegen. Erforderlich ist eine Konzentration auf alle einfachen Dinge, die routiniert in hoher Zahl abgearbeitet werden können.461 § 419 Abs. 1 S. 2 StPO begrenzt die in der Verfahrensart verhängbare Rechtsfolge auf ein Jahr Freiheitsstrafe. Damit würden dem Schöffengericht nur jene Sachverhalte zufallen, bei denen ein Verbrechen voraussichtlich nur mit gemilderter oder Mindeststrafe sanktioniert würde.462 Dieser schmale Bereich passt weder zu den mit der Verfahrensart anvisierten einfachen Sachverhalten noch zu den in den Gesetzesbegründungen vorgesehenen flankierenden organisatorischen Maßnahmen, die zu der gewünschten Mehranwendung geschaffen werden sollen.463 Bei der vorliegenden Frage geht es nun um Fälle, die fälschlicherweise an das Schöffengericht gegeben wurden oder fälschlicherweise gerade nicht an das Schöffengericht gegeben wurden, generell also um Fälle, die schon per se ungeeignet für das beschleunigte Verfahren sind.464 Bei diesen kam es nun zusätzlich zu einem Fehler oder wird zumindest vom Gericht zusätzlich ein Fehler angenommen. Für eine solche nicht mit dem Fall des § 408 Abs. 1 StPO vergleichbare Situation steht das Institut der Ablehnung gem. § 419 StPO zur Verfügung.465 Eine einheitliche Vorgehensweise bei allen Zuständigkeitsproblemen dient darüber hinaus der Praxistauglichkeit der Verfahrensart. b) Anderer Zeitpunkt der Rechtshängigkeit Im Regelverfahren tritt die Rechtshängigkeit mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses ein.466 Ein solcher ergeht im beschleunigten Verfahren gemäß § 418 Abs. 1 S. 1 StPO nicht, so dass ein entsprechender Zeitpunkt auszumachen ist. Die Aufgabe des Eröffnungsbeschlusses gem. § 207 StPO er459 s. zu dieser richtigerweise nur zwei Wochen betragenden Frist oben C. I. 1. c) (3) (a). 460 Für möglich hält dies Schröer, 1998, S. 117. 461 s. o. C. I. 1. c) (1). 462 Für alle Vergehen bis zu der gem. § 419 Abs. 1 S. 2 StPO möglichen Sanktion von einem Jahr Freiheitsstrafe ist der Strafrichter als Einzelrichter zuständig, §§ 24, 25 GVG. 463 s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 464 Im empirischen Teil wird die Annahme überprüft, dass auch praktisch darum überhaupt keine beschleunigten Verfahren vor dem Schöffengericht stattfinden. 465 Ebenso HK-Krehl, § 418 Rn. 1; KK-Graf, § 418 Rn. 3; M-G, § 418 Rn. 2. 466 s. BGHSt 29, 341, 343; Kindhäuser, 2006, § 14 Rn. 14; KK-Gmel, Vor § 213 Rn. 2; nach Roxin hingegen tritt sie mit Einreichen der Anklageschrift ein (1998, § 38 Rn. 9).

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folgt im beschleunigten Verfahren in Form der inhaltlichen Bestimmung und Umgrenzung des Prozessgegenstandes durch den Vorsitzenden vor der Belehrung gem. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO.467 Der Tatvorwurf wird erläutert, der Beschuldigte erklärt, ob er zu dieser Sache aussagen will oder nicht. Der Beginn der Vernehmung zur Sache stellt damit im beschleunigten Verfahren die eigentliche Eröffnung der Untersuchung dar, so dass in diesem Zeitpunkt die Rechtshängigkeit eintritt.468 Allerdings ist die Rechtshängigkeit im beschleunigten Verfahren auflösend bedingt. Lehnt das Gericht eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren ab und erlässt keinen Eröffnungsbeschluss (vgl. § 419 Abs. 3 StPO), so erhält die Staatsanwaltschaft ihre volle Entschließungsfreiheit zurück.469 2. Anberaumung der Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist, § 418 Abs. 1 S. 1 StPO Gemäß § 418 Abs. 1 S. 1 StPO wird die beschleunigte Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist durchgeführt. § 418 Abs. 2 S. 1 StPO erklärt eine Ladung für entbehrlich, wenn der Beschuldigte sich freiwillig stellt oder dem Gericht vorgeführt wird. Damit ermöglicht § 418 StPO Staatsanwaltschaft und Gericht zwei Vorgehensweisen: Das besonders beschleunigte Verfahren, bei dem der Beschuldigte sich freiwillig stellt oder vorgeführt wird und die Hauptverhandlung sofort stattfindet. In Betracht kommt eine Anberaumung am Tat- oder Folgetag. Die andere Möglichkeit gem. § 418 StPO wird hier als normalähnliches beschleunigtes Verfahren bezeichnet470: Der Beschuldigte wird geladen, wenn auch mit verkürzter Frist, und zwischen Tattag und Hauptverhandlung können durchaus mehrere Wochen liegen.

467

Ranft, 2005, Rn. 1118. s. BayOblG NJW 1998, S. 2152, 2153; OLG Oldenburg NJW 1961, S. 1127; AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 14; KMR-Metzger, § 417 Rn. 32; Mayer, JuS 1993, S. 496, 498; a. A. LR25-Gössel, § 418 Rn. 2. 469 s. Loos/Radtke, NStZ 1995, S. 569, 572; Ranft, 2005, S. 2347. 470 „Einfach beschleunigtes Verfahren“ wird es bei Schlüchter/Fülber/Putzke genannt (1999, S. 45). 468

III. Der Weg zur beschleunigten Hauptverhandlung gem. § 418 StPO

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a) Sofortige Durchführung (1) Ziel der besonderen Beschleunigung Die Hauptverhandlung wird sofort durchgeführt, § 418 Abs. 1 S. 1 StPO. „Sofort“ bedarf keiner exakten Definition. Der Zeitraum wird bestimmt durch das Interesse, die Hauptverhandlung so schnell als nur möglich anzuberaumen. Sofort kann die Hauptverhandlung durchgeführt werden, wenn sich der Beschuldigte freiwillig zur Hauptverhandlung stellt oder dem Gericht vorgeführt wird (§ 418 Abs. 2 S. 1 StPO). In praktischer Hinsicht ermöglicht werden besonders beschleunigte Verfahren durch Schaffung bestimmter Voraussetzungen bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten. Schon der Gesetzgeber wünschte zu den §§ 417–420 StPO eine Anpassung der organisatorischen, personellen und technischen Strukturen an die Verfahrensart. Gedacht war an Bereitschaften bei Staatsanwaltschaften und Gerichten, schneller zur Verfügung stehenden Dolmetschern, Schreibkräften, Sitzungssälen sowie Haftplätzen.471 Üblicherweise prüft noch am Tatort der Polizeibeamte die Eignung des Falles zum besonders beschleunigten Verfahren.472 Bei Bejahung erfolgen erkennungsdienstliche Behandlung, Anzeige und Benachrichtigung der erforderlichen Stellen. Dann wird der Bereitschaftsdienst der Staatsanwaltschaft verständigt, welcher über Aufrechterhaltung der Festnahme und Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren entscheidet. Der Antrag geht sofort an den (Bereitschafts-)Richter. Verhandelt wird am Tattag oder tags darauf bzw. mithilfe des Instituts der Hauptverhandlungshaft innerhalb einer Woche, vgl. § 127b Abs. 2 S. 2 StPO. In letzterem Falle beraumt der Haftrichter auch den Termin zur Hauptverhandlung an, fungiert also in Personalunion als (funktionell zuständiger) erkennender Richter.473 Modelle des besonders beschleunigten Verfahrens werden gemäß bestehenden Erkenntnissen nicht überall und in unterschiedlicher Häufigkeit genutzt.474 (2) Freiwillige Stellung oder Vorführung Damit die Hauptverhandlung sofort stattfinden kann, also insbesondere keine Ladung erforderlich ist, muss sich der Beschuldigte freiwillig stellen oder vorgeführt werden, § 418 Abs. 2 S. 1 StPO. Eine freiwillige Stellung setzt voraus, dass von staatlicher Seite keine tatsächliche oder scheinbare 471 472 473 474

s. s. s. s.

BT-Drs. 12/6853, S. 36. etwa zum Vorgehen in Bochum wiedergegeben von Ernst oben B. I. 1. e). LR25-Gössel, Vor § 417 Rn. 14. Kohler, 2001, S. 108 f., 124 f.

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Pflicht zum Erscheinen auferlegt wurde.475 Entscheidend ist, dass der sich stellende Beschuldigte nicht davon ausgeht, dass sein Nichterscheinen sanktioniert würde.476 Auch bei einem Beschuldigten, der sich in Haft befindet und auf seinen Wunsch vorführen lässt, wäre die Voraussetzung erfüllt, wobei dies ein eher theoretischer Fall sein wird.477 Von größerer praktischer Bedeutung ist, dass ein Angeklagter, der in anderer Sache anwesend ist, sich bereit erklärt, dass auch eine weitere Tat im beschleunigten Verfahren entschieden wird.478 Hier ist die Freiwilligkeit durch den Vorsitzenden besonders anzusprechen, andernfalls droht eine Überrumpelung des Beschuldigten. Zu differenzieren ist bei Terminsmitteilungen durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht. Verdeutlichen diese, dass ein Erscheinen zur Hauptverhandlung freiwillig ist und erscheint der Beschuldigte, so liegt eine freiwillige Stellung vor. Geben sich die Terminsmitteilungen indes den Anschein einer förmlichen Ladung und erwecken insbesondere den Eindruck, im Falle des Nichterscheinens drohten Sanktionen, so liegt keine freiwillige Stellung des daraufhin anwesenden Beschuldigten vor. Die praxisrelevantere Vorführung hingegen bedeutet, dass das Erscheinen des Beschuldigten vor Gericht unabhängig von seiner Zustimmung veranlasst wird; die behördliche Verwahrung aus der vorgeführt wird, kann eine vorläufige Festnahme (§§ 127, 127b StPO) oder auch eine Hauptverhandlungs-, Untersuchungs-, oder Strafhaft sein.479 Mit einer Vorführung nach § 128 StPO insbesondere aufgrund vorläufiger Festnahme nach § 127b StPO kann bei Urteilsfällung am Tag der Vorführung ggf. der Erlass eines Haftbefehls entbehrlich werden.480 In § 418 Abs. 2 S. 1 StPO ist kein eigenes Recht zur Vorführung enthalten,481 ein Festhaltegrund aus anderem Recht (§§ 127, 127 b, 128 StPO) muss noch fortbestehen.482 Zur Ermöglichung einer sofortigen Verhandlung müssen allerdings alle Beweismittel vorliegen und etwaige Zeugen geladen sein. Begrenzt wird die besondere Beschleunigung überdies durch die Geeignetheitsprüfung 475

s. SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 11. s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 29. 477 Entschieden zuletzt vom Reichsgericht, RGSt 66, S. 109, 111 f. 478 Vgl. KG DAR 1956, S. 334 f. 479 s. KMR-Metzger, § 418 Rn. 21. 480 s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 30. 481 s. AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 10; HK-Krehl, § 418 Rn. 2; SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 12. 482 s. aber zur berechtigten Kritik an einer Vorgehensweise gem. § 127b StPO Giring (2005, S. 397 ff.); Kohler, 2001, S. 77 ff.; M-G, § 127b Rn. 2 f. 476

III. Der Weg zur beschleunigten Hauptverhandlung gem. § 418 StPO

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gem. §§ 417, 419 Abs. 1 S. 1 StPO sowie die anderen, trotz Wegfall des Zwischenverfahrens verbleibenden Prüfungspflichten des Gerichts.483 Zu beachten sind die Beschuldigtenrechte, insbesondere gem. Art. 6 Abs. 3b EMRK das Recht, ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu haben. (3) Begrenzung durch das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung Bei Art. 6 Abs. 3b EMRK kommt es weniger auf eine formale Sicht als darauf an, dass dem Beschuldigten tatsächlich die Möglichkeit verbleibt, einen Verteidiger zu konsultieren, Akteneinsicht zu nehmen oder Entlastungsbeweise zu beschaffen.484 Der Zeitraum, den Art. 6 Abs. 3b EMRK vorschreibt, lässt sich schwer generell bestimmen.485 Bei einer umfangreichen Sache ist deutlich mehr Zeit zu geben, damit diese im Sinne der Vorschrift „ausreichend“ ist. Betreffend das beschleunigte Verfahren bedeutet dies, dass bei Einhaltung der Voraussetzungen des „einfachen Sachverhalts“ und der „klaren Beweislage“ i. S. d. § 417 StPO grundsätzlich keine breiten Zeiträume erforderlich wären. Ob aber Verfahrensweisen wie die Aburteilung direkt nach Verhaftung im Rahmen von Massenveranstaltungen, also insbesondere besonders beschleunigte Verfahrensweisen, bzw. generell Eilund Schnellverfahren gegen Art. 6 Abs. 3b EMRK verstoßen, hat weder die Kommission noch der Gerichtshof bisher entschieden.486 Der Bundesgesetzgeber hegt indes selbst Zweifel, inwieweit die von ihm getroffene Regelung, insbesondere hinsichtlich der 24-Stunden-Ladungsfrist gem. § 418 Abs. 2 S. 3 StPO den Anforderungen gerecht wird, wobei ja die Zeiträume bei besonders beschleunigten Verfahren etwa mit Vorführung noch kürzer sein können: „[E]ine Hauptverhandlung, die höchstens ein bis zwei Tage nach der Tat stattfindet, kann die Wahrheitsfindung gefährden, weil entlastende Umstände nicht aufgeklärt werden können [. . .] und verkürzt ggf. das Recht des Beschuldigten, über ausreichend Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen.“487 Gleichwohl wurde davon abgesehen, die 24-Stunden-Ladungsfrist zu verlängern oder generell einen Mindestzeitraum für die Verfahrensart einzuführen. Die Ladungsfrist müsse vielmehr im Ein483

s. oben C. III. 1. a). s. IntKommEMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 479. 485 s. EKMR, E 12.10.1978, 7909/74, DR 15, 160, 162. 486 s. IntKommEMRK-Vogler, Art. 6 Rn. 495; Simon, 1998, S. 29. Generell ist nach der Spruchpraxis aber Voraussetzung für Verstöße, dass sich der Beschuldigte gegen zu kurze Zeiträume zu wehren versucht hat, s. EKMR, E 3./4.10.1972, 4681/70, CD 43, 1. 487 BT-Drs. 12/6853, S. 36. 484

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zelfall verlängert oder das beschleunigte Verfahren als ungeeignet abgelehnt werden.488 Richtigerweise sind 24 Stunden generell zu kurz, und man wird stets eine zumindest dreitägige Ladungsfrist fordern müssen, um Art. 6 Abs. 3b EMRK gerecht zu werden.489 Zu lösen ist die Frage hier jedoch hinsichtlich der Fälle der sofortigen Verhandlung (besonders beschleunigte Verfahren), in denen die Ladung aufgrund der Selbststellung oder der Vorführung gerade entbehrlich ist, vgl. § 418 Abs. 2 S. 1 StPO. Nach § 418 Abs. 1 S. 1 StPO kann die Hauptverhandlung „sofort“ durchgeführt werden. Eine feste Drei-Tages-Frist kann hier keine Lösung sein. Denn im Falle der freiwilligen Gestellung liegt ja gerade ein Einverständnis des Beschuldigten mit dem Hauptverhandlungstermin vor. Die Vorführung, also das unabhängig von der Zustimmung des Beschuldigten aus behördlicher Verwahrung veranlasste Erscheinen, meint Fälle, in denen sich der Beschuldigte häufig bereits in Haft befindet, bzw. bei nicht sofortiger Hauptverhandlung ggf. in Untersuchungs- oder Hauptverhandlungshaft genommen wird. Eine fixe Frist hieße in diesen Fällen mitunter Haft oder Haftverlängerung, obwohl sie eventuell nicht nötig wäre. Auch hier ist auf die Freiwilligkeit abzustellen. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3b EMRK läge darin, den Beschuldigten gegen seinen Willen sofort, also insbesondere am Tat- oder Folgetag, vorzuführen und abzuurteilen. Ihm bliebe keine Zeit zur gewünschten Vorbereitung seiner Verteidigung, im Extremfall müsste er sie erst in der Hauptverhandlung aufbauen.490 Eine Hauptverhandlung darf mithin gegen einen Vorgeführten, bei dem zuvor keine Ladungsfrist eingehalten wurde, nur mit dessen ausdrücklicher Zustimmung stattfinden; hierüber ist er vor Beginn der Hauptverhandlung zu belehren.491 Ist er allerdings damit einverstanden, dass die Hauptverhandlung sofort stattfindet, so ist dies zu respektieren. b) Durchführung der Hauptverhandlung in kurzer Frist Wird die Hauptverhandlung mangels freiwilliger Stellung oder Vorführung nicht sofort durchgeführt, so geschieht dies gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO in kurzer Frist. Der Beschuldigte wird geladen, § 418 Abs. 2 S. 1 488

s. BT-Drs. a. a. O. s. Dünnebier, GA 1959, S. 273; HK-Krehl, § 418 Rn. 2; KMR-Metzger, § 418 Rn. 22; LR25-Gössel, § 418 Rn. 23; vgl. auch Schröer, 1998, S. 152 f.; weniger streng KK-Graf, § 418 Rn. 7: 24-Stunden-Frist ist im Einzelfall unzureichend. 490 s. Scheffler, NJW 1994, S. 2191; Simon, 1998, S. 35. 491 s. Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 45; ihnen folgend auch Ernst, 2001, S. 99 f.; Gössel und Metzger plädieren für eine Ablehnung gem. § 419 StPO, wenn der Beschuldigte zu erkennen gibt, dass er seine Verteidigung eingehender vorbereiten möchte (LR25, § 418 Rn. 28 bzw. KMR, § 418 Rn. 14, § 417 Rn. 27). 489

III. Der Weg zur beschleunigten Hauptverhandlung gem. § 418 StPO

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StPO. Die Beschleunigungsmöglichkeiten dieses normalähnlichen beschleunigten Verfahrens liegen im Wegfall des Zwischenverfahrens (§ 418 Abs. 1 S. 1 StPO), in der grundsätzlichen Konzentration auf einfach gelagerte Fälle (§ 417 StPO), in den verkürzten Beweisregeln gem. § 420 StPO sowie in einer Verkürzung der Ladungsfrist, die laut § 418 Abs. 2 S. 3 StPO 24 Stunden betragen soll. In praktischer Hinsicht wird die Beschleunigung ermöglicht und erweitert, indem auch hier mit Bereitschaftsgerichten oder festen Gerichtstagen gearbeitet wird, bzw. im Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts ein oder mehrere Richter hinsichtlich ihrer funktionellen Zuständigkeit als Schnellrichter vorgesehen werden. Aktenlaufzeiten werden verkürzt und der Informationsaustausch zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht mittels technischer Ausstattung oder personeller Aufstockung verbessert.492 In der Anklageschrift oder dem ihr entsprechenden Schriftstück im beschleunigten Verfahren, welches gewöhnlich zusammen mit dem Antrag gem. § 417 StPO eingereicht wird, wird regelmäßig gemäß § 200 Abs. 2 S. 2 StPO auf die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen verzichtet.493 Die Hauptverhandlung wird vom Vorsitzenden gem. § 213 StPO in der kurzen Frist des § 418 Abs. 1 StPO anberaumt. Das Vorgehen ähnelt noch erheblich dem Regelverfahren und stellt die wohl überwiegende Praxis des beschleunigten Verfahrens dar.494 (1) Untergrenze der kurzen Frist Auch die Durchführung beschleunigter Verfahren in kurzer Frist wird hinsichtlich des Mindestzeitraums zwischen Ladung und Hauptverhandlung durch das Recht, ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu haben (Art. 6 Abs. 3b EMRK), begrenzt. Davon, dass die 24 Stunden, welche die reguläre Ladungsfrist des § 217 StPO gem. § 418 Abs. 2 S. 3 StPO ersetzen, in dieser Hinsicht stets ausreichend sind, geht niemand, auch nicht die amtliche Begründung aus.495 Innerhalb von 24 Stunden kann man keinen Verteidiger konsultieren, Entlastungsbeweise be492 Eingerichtet werden können etwa eigene Abteilungen für beschleunigte Verfahren, deren Computer vernetzt sind. 493 Eine Anklageschrift ist im beschleunigten Verfahren gem. § 418 Abs. 3 StPO entbehrlich, wird aber (in entsprechender Form) gem. Nr. 146 Abs. 2 RiStBV empfohlen und ist nach hier vertretener Auffassung auch notwendig, s. oben C. I. 2. a). 494 s. zum Ganzen LR25-Gössel, Vor § 417 Rn. 13. 495 s. BT-Drs. 12/6853, S. 36 sowie oben C. III. 2. a) (2); aufgrund der von sonstigen Fristen der StPO abweichenden Terminologie von Stunden erfolgt auch die Berechnung abweichend, Fristbeginn ist die Stunde der Zustellung, s. HK-Krehl, § 418 Rn. 2; LR25-Gössel, § 418 Rn. 23.

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schaffen oder gar Akteneinsicht nehmen, wobei in Anbetracht der Zulässigkeit von Ersatzzustellung auch im beschleunigten Verfahren496 die tatsächlich verbleibende Zeit sogar noch kürzer sein kann. Weshalb der Gesetzgeber gleichwohl diese Frist festgelegt hat, ist nicht ersichtlich. Behelfen könnte man sich damit, in allen Fällen, in denen diese sichtlich nicht ausreicht, die Frist zu verlängern oder die Eignung zur beschleunigten Verhandlung abzulehnen.497 Doch wird man im Zeitpunkt der Ladung noch nicht wissen, inwieweit der Beschuldigte mehr Zeit benötigt, so dass zahlreiche zu knapp terminierte Hauptverhandlungstermine verlegt werden müssten. Oder das beschleunigte Verfahren wird ohne Not häufig abgelehnt und ggf. gem. § 419 Abs. 3 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen. Beides stört einen geregelten Ablauf der Verfahrensart und verläuft dem Ziel der Beschleunigung konträr. Denkbar wäre nur, dass auf bestimmte Beschuldigte in der Verfahrensart gesetzt wurde,498 die sich weniger zur Wehr setzen können499 und wenn sie keinen Verteidiger mehr erreichen, eben ohne erscheinen.500 Dieser Ansatz wäre jedoch schon hinsichtlich Art. 3 GG nicht zu rechtfertigen.501 Auch darf ein fest normierter Beschuldigtenschutz nicht von der Einzelentscheidung eines Richters abhängig gemacht werden.502 Richtigerweise ist die Ladungsfrist des § 418 Abs. 2 S. 3 StPO darum von vornherein auf 3 Tage festzusetzen,503 was das Mindestmaß der Vorbereitungszeit einer Verteidigung gem. Art. 6 Abs. 3b EMRK auch bei einem einfachen Sachverhalt darstellt. Lediglich in seltenen Einzelfällen können Umstände bekannt sein, welche eine 24-Stunden-Frist ausnahmsweise rechtfertigen. Eine Ladungsfrist von drei Tagen ist auch von Gesetzes wegen unproblematisch möglich, § 418 Abs. 2 S. 3 StPO gestattet beliebig längere Ladungsfristen, 496

s. OLG Hamburg NJW 1966, S. 2180. So die amtliche Begründung (BT-Drs. 12/6853, S. 36) und dem folgend: KKGraf, § 418 Rn. 7; M-G, § 418 Rn. 8. 498 Zu Vermutungen und Anhaltspunkten hinsichtlich sozial schwacher, betäubungsmittelabhängiger und nichtdeutscher Beschuldigter s. SK-StPO-Paeffgen, Vor § 417 Rn. 7; Wächtler, StV 1994, S. 159, 160; Ernst, 2001, S. 175 ff., 205. 499 Zur geringeren Überführungsresistenz s. Eisenberg, 2005, § 31 Rn. 45 m. w. Nw. 500 Anhaltspunkte dafür fanden sich bei den Prozessbeobachtungen im Vorfeld sowohl in Berlin als auch am AG Potsdam. Zwei Beschuldigte äußerten, ihren Verteidiger nicht mehr erreicht zu haben, ein weiterer erklärte, sein Verteidiger habe den raschen Termin nicht einrichten können. 501 Vgl. dazu oben C. I. 1. c) (3) (b). 502 s. Jeney, 2003, S. 24 m. Nw. 503 s. Dünnebier, GA 1959, S. 273; HK-Krehl, § 418 Rn. 2; KMR-Metzger, § 418 Rn. 22; LR25-Gössel, § 418 Rn. 23; vgl. auch Schröer, 1998, S. 152 f.; differenzierend Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 45 ff. 497

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solange sich das Verfahren noch im Rahmen einer Durchführung in „kurzer Frist“ befindet. (2) Anforderungen an die Ladung des Beschuldigten (a) Anordnung der Ladung durch den Vorsitzenden und Zulässigkeit von „Polizeiladungen“ Gem. § 214 Abs. 1 S. 1 StPO ordnet der Vorsitzende die zur Hauptverhandlung erforderlichen Ladungen an. Der Termin zur Hauptverhandlung wird ebenfalls vom Vorsitzenden anberaumt, § 213 StPO. Anzuzweifeln wäre dies für das beschleunigte Verfahren insofern, als ein Wegfall des Eröffnungsbeschlusses auch zur Unanwendbarkeit der §§ 213 ff. StPO führen könnte.504 Dem widerspricht aber schon eine grammatische Auslegung: § 418 Abs. 1 S. 1 StPO regelt eine Durchführung der Hauptverhandlung, „ohne dass es einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf“. Die amtliche Überschrift des Vierten Abschnitts des Zweiten Buches der StPO (§§ 199–212 b) lautet „Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens“, jene des Fünften Abschnittes „Vorbereitung der Hauptverhandlung“. Nach dem Wortlaut des § 418 Abs. 1 S. 1 StPO sind also nur die Regeln der §§ 199 ff. StPO grundsätzlich unanwendbar, was auch systematisch stimmig ist. Denn in den §§ 213 ff. StPO finden sich mit der Zuständigkeit zur Terminsanberaumung, der Zuständigkeit zur Anordnung der Ladungen, den Regelungen zur Herbeischaffung von Beweismitteln etc. Vorschriften, über welche die §§ 417–420 StPO keine Regelung treffen. Unanwendbar sind lediglich § 215 StPO und § 217 Abs. 1 StPO.505 Wo eine Sonderform des Strafverfahrens keine Sonderregelung trifft, bleiben die allgemeinen Regeln bestehen. Damit gelten die §§ 213 ff. StPO grundsätzlich.506 Zuständig für Terminsanberaumung (§ 213 StPO) sowie zur Anordnung aller Ladungen (§ 214 Abs. 1 S. 1 StPO) ist allein der Vorsitzende.507 Indes bestehen Modelle des beschleunigten Verfahrens in der Praxis, im Rahmen derer Polizeibeamte für beschleunigte Verfahren geeignet erachtete Fälle eigenständig auswählen, freie Hauptverhandlungstermine aus einem 504 Schröer (1998, S. 142) geht davon aus, dass die §§ 213 ff. StPO „zunächst nicht anwendbar“ sind. 505 Einige Regelungen der §§ 222a ff. StPO passen inhaltlich ebenfalls nicht zum beschleunigten Strafverfahren gem. den §§ 417–420 StPO. 506 s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 21. 507 Betr. die Ladungen s. HK-Krehl, § 418 Rn. 2; M-G, § 418 Rn. 7; Pfeiffer, 2002, § 418 Rn. 3; zum Ganzen s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 16, 21, Vor. § 417, Rn. 17; nach Schröer (1998, S. 150 f.) gelten die §§ 213, 214 StPO sinngemäß.

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bei der Staatsanwaltschaft geführten Terminkalender abfragen, den Beschuldigten zu einem Termin „laden“ und anschließend die Akten der Staatsanwaltschaft eilig zuleiten.508 Das Gericht hält feste „Gerichtstage“ bereit509 oder führt ein eigenes „Bereitschaftsgericht“ ein. Hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit solcher Modelle ist zunächst zu differenzieren. Gemäß § 418 Abs. 2 S. 1 StPO ist eine Ladung des Beschuldigten entbehrlich, wenn er sich freiwillig zur Hauptverhandlung stellt. Ist die „Ladung“ der Polizei also lediglich eine formlose Terminsmitteilung, aufgrund derer sich der Beschuldigte freiwillig zur Hauptverhandlung stellt, so reicht dies für das beschleunigte Verfahren aus. Eine freiwillige Stellung liegt jedoch nicht vor, wenn von Seiten des Staates eine tatsächliche oder scheinbare Pflicht zum Erscheinen auferlegt wurde und der sich stellende Beschuldigte davon ausgeht, dass sein Nichterscheinen sanktioniert würde.510 Zugleich liegt aber keine Hauptverhandlungsladung vor, wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft das Erscheinen einfordern, zuständig zur Anordnung der Ladungen ist allein der Vorsitzende, § 214 Abs. 1 S. 1 StPO. Erscheint der Beschuldigte nun zur Hauptverhandlung, so stellt er sich nicht freiwillig, ist nicht vorgeführt und auch nicht geladen worden. Verstoßen wird damit gegen die §§ 214, 418 Abs. 2 StPO. Gesetzeswidrig ist die „Ladung“ durch die Polizei zu einem von ihr ausgewählten Termin in jedem Fall aufgrund eines Verstoßes gegen § 213 StPO.511 Auch verletzen beide Varianten verschiedene Prozessgrundsätze. Die Staatsanwaltschaft verliert faktisch ihre Rolle als Herrin des Ermittlungsverfahrens512 sowie ihr Anklagemonopol.513 Ermittelt die Polizei Fälle vollständig aus, trifft eine Eignungsentscheidung i. S. d. § 417 StPO und „lädt“ den Beschuldigten bereits zur Hauptverhandlung, so liegt darin strukturell ein Gesetzesverstoß gegen das Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft gem. den §§ 152 GVG, 161 StPO sowie gegen deren Leitungsfunktion im Ermittlungsverfahren gem. § 160 StPO.514 Während die Staatsanwaltschaft 508

s. Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429, 432. s. Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429, 432. 510 s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 29; SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 11. 511 s. LR25-Gössel, Vor § 417 Rn. 22. 512 s. BVerfG NJW 1976, S. 231. 513 s. dazu umfassend LR25-Gössel, Vor § 417 Rn. 15, 20 ff. Gössel sieht überdies auch einen Verstoß gegen das Akkusationsprinzip, eine schwache Wiederbelebung des Inquisitionsprozesses. 514 Zur bereits ohnehin bestehenden Schieflage zwischen Strafprozessordnung und tatsächlicher Rolle der Polizei im Ermittlungsverfahren s. Kühne, 2007, Rn. 134 ff.; hier besprochenes Ermittlungsmodell geht natürlich weit darüber hinaus. 509

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gem. § 160 Abs. 2 StPO zur Objektivität verpflichtet515 und rechtskundig ist, trifft letzteres in gleichem Maße auf die Polizei nicht zu. Zu erwarten sind Strafverfahren mit beschleunigten Hauptverhandlungen, welche eigentlich eingestellt worden wären, bzw. bei denen lediglich eine andere Erledigungsform wie das Strafbefehls- oder das Regelverfahren rechtsfehlerfrei gewesen wäre. Schon die Eignungsentscheidung gem. § 417 StPO ist ohne vertiefte Rechtskenntnisse kaum zu treffen.516 Der Vorrang der §§ 153, 153a StPO kann schwerlich exakt gewahrt werden, die Entscheidung obliegt ohnehin der Staatsanwaltschaft. Der problematischen Konkurrenz zum Strafbefehlsverfahren kann nicht begegnet werden. Staatsanwaltschaft bzw. Gericht stehen kurz vor dem Hauptverhandlungstermin vor der Entscheidung, den Sachverhalt im Hinblick auf eine mögliche Einstellung, einen nicht hinreichenden Tatverdacht oder aber einer Ungeeignetheit i. S. d. § 417 StPO zu erforschen und unter erhöhtem Aufwand abzulehnen oder den laufenden Vorgang mit bereits geladenem Beschuldigten mitzutragen. Dies angesichts eines stetig zunehmenden Zeit- und Erledigungsdrucks von Staatsanwaltschaft und Gerichten, welcher bewirkt, dass statt intensiver Sachverhalts- oder Täterpersönlichkeitserforschungen ein Streben nach möglichst rascher, effizienter Fallerledigung geschieht.517 Unvermeidbar ist, dass Beschuldigte auf diese Weise unzulässigerweise mit Hauptverhandlungen überzogen werden. Wird dann häufig erst in der Hauptverhandlung eingestellt oder ins Strafbefehlsverfahren übergegangen, so läuft das Modell zudem dem Beschleunigungsziel der §§ 417–420 StPO zuwider. (b) Sonstige Anforderungen an die Ladung und Mitteilung des Tatvorwurfs Im Übrigen gelten für die Ladung die §§ 214, 216–218 StPO, wobei § 217 Abs. 1 StPO von § 418 Abs. 2 S. 3 StPO im Zusammenhang mit den erörterten Anforderungen der EMRK modifiziert wird. Mit der Ladung wird dem Beschuldigten der Tatvorwurf mitgeteilt, § 418 Abs. 2 S. 2 StPO. Dies geschieht regelmäßig mittels Übersendung der Anklageschrift. Sofern eine solche nicht eingereicht wurde (§ 418 Abs. 3 S. 1 StPO),518 erfolgt eine § 200 Abs. 1 StPO entsprechende schriftliche Mitteilung, welche zumindest die Tat, Zeit und Ort ihrer Begehung sowie die gesetzlichen Merk515

s. BGHSt 30, 139. s. bspw. nur hinsichtlich Nichtdeutscher oder zur erwartender Verhängung einer Freiheitsstrafe oben C. I. 1. c) (1) (c), (g). 517 s. betr. die Gerichte P.-A. Albrecht, 2005, § 25 B. VI. 5. (S. 255 f.) m. w. Nw. sowie auch Meyer-Goßner, NStZ 2006, S. 53, betr. die Staatsanwaltschaft Eisenberg, 2005, § 27 Rn. 3 m. w. Nw. 518 s. aber oben C. I. 2. a). 516

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male und anzuwendende Strafvorschriften umfasst. Da nur mitgeteilt werden muss, „was ihm zur Last gelegt wird“, kann auf die Angabe der Beweismittel519 sowie gem. § 200 Abs. 2 S. 2 StPO ohnehin auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verzichtet werden.520 Den Inhalt der Mitteilung bestimmt im Einzelnen der Vorsitzende.521 (3) Obergrenze der kurzen Frist Fraglich ist, ob neben einer Fristuntergrenze auch eine Obergrenze für die Durchführung des beschleunigten Verfahrens festzulegen ist. Vor der Neufassung im Verbrechensbekämpfungsgesetz in den §§ 417 bis 420 StPO sah das beschleunigte Verfahren die Durchführung der Hauptverhandlung „sofort [. . .] oder mit kürzester Frist“ (§ 212a Abs. 1 a. F. StPO) vor. In § 418 Abs. 1 StPO wurde die Voraussetzung zu einer Durchführung „sofort oder in kurzer Frist“ erweitert. Eine zusätzliche Ausdehnung sollte auf einen Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg in Form einer 1-Monats-Frist zwischen Antragseingang und Anberaumung der Hauptverhandlung erfolgen.522 Diese wurde im Rahmen der Beratungen noch einmal zu einer Sechs-Wochen-Regelfrist erweitert,523 welche schließlich auch in § 418 Abs. 1 S. 2 StPO festgeschrieben wurde.524 Zwischen dem Eingang des Antrags bei Gericht und dem Beginn der Hauptverhandlung sollen danach nicht mehr als sechs Wochen liegen. Dieser Zeitraum erscheint als Obergrenze deutlich zu lang. Mit der Eignung „zur sofortigen Verhandlung“ des § 417 Abs. 1 StPO und der Durchführung der Hauptverhandlung „sofort oder in kurzer Frist“ gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO lässt sich die Regelung nur schwer vereinbaren.525 Von einem beschleunigten Verfahren wird man kaum mehr sprechen können, wenn der Beginn der Hauptverhandlung in Anbetracht der Sollvorschrift bis mehr als eineinhalb Monate nach Antragsstellung stattfindet.526 Überwiegend wurde bislang von einer Frist von nicht mehr als zwei Wochen ausgegangen.527 Rechtfertigen sich doch die Ein519 s. KK-Graf, § 418 Rn. 7; KMR-Metzger, § 418 Rn. 23; a. A. hinsichtlich der Beweismittel: Pfeiffer,2002, § 418 Rn. 3. 520 Das beschleunigte Verfahren wird praktisch nur vor dem Strafrichter stattfinden, s. oben C. I. 1. a). 521 s. KK-Graf, § 418 Rn. 7. 522 s. BR-Drs. 301/99 vom 06.05.1999. 523 s. BR-Drs. 301/1/99 vom 15.11.1999. 524 Eingeführt im Rahmen des 1. Justizmodernisierungsgesetz, s. BGBl. 2004 I, 2198, 2203. 525 „Platterdings unvereinbar“, LR25-Gössel, § 417 Rn. 32. 526 Vgl. M-G, § 418 Rn. 5. 527 Regelmäßig, bzw. strikt einzuhalten, OLG Stuttgart NJW 1998, 3134 f., 1999, 511; KK-Graf, § 417 Rn. 10 bzw. LR25-Gössel, § 417 Rn. 32.

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schränkungen der Beschuldigtenrechte durch das Ziel einer Aburteilung, „die der Tat auf dem Fuße folgt“. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren übersehen, obwohl insbesondere auch ausdrücklich hinsichtlich der ergangenen Rechtsprechung die breitere Anwendung gesichert und mehr Klarheit geschaffen werden sollte.528 In der Rechtsprechung wurde die Eignung nämlich gerade nicht nur abgelehnt, weil der Zeitraum mit dem Wortlaut der kurzen Frist nicht mehr vereinbar war.529 Die Eingriffe in die Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG sind nicht mehr zu rechtfertigen, wenn sich das legitime Ziel der Beschleunigung verliert.530 Somit darf die sechswöchige Frist des § 418 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht ausgeschöpft werden,531 die Hauptverhandlung muss entgegen dem Wortlaut innerhalb von zwei Wochen anberaumt werden. Allenfalls bei unvorhergesehenen Ereignissen erscheint eine geringe Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist zulässig, da dann eine Abwägung mit den durch die Ablehnung entstehenden Belastungen noch für das beschleunigte Verfahren ausfällt.532 Alle Beweismittel müssen dafür bereits zur Verfügung stehen und die Hauptverhandlung muss erwartungsgemäß in einem Termin abgeschlossen werden können.533 Erforderlich ist, dass die Belastung des Gerichts eine so rasche Aburteilung zulässt. Eine weitere Konkretisierung der Obergrenze liegt darin, dass eine beschleunigte Hauptverhandlung nicht (mehr) durchgeführt werden darf, wenn eine Beschleunigung gegenüber dem Regelverfahren nicht (mehr) möglich 528

s. BR-Drs. 301/99 vom 06.05.1999. s. OLG Stuttgart NJW 1998, S. 3134 f. 530 s. oben C. I. 1. c) (3) (a). 531 s. Ranft, 2005, Rn. 2337; M-G, § 418 Rn. 5: nur in Ausnahmefällen. 532 Der relevante Zeitraum ist dabei grundsätzlich jener zwischen dem Eingang des Antrags bei Gericht und der Durchführung der gesamten beschleunigten Hauptverhandlung(en). Während hinsichtlich der Prognose, welche die StA zu treffen hat, nach hier vertretener Ansicht eindeutig ist, dass ein Antrag gem. § 417 StPO nicht gestellt werden darf, wenn nicht von einer Aburteilung innerhalb von zwei Wochen auszugehen ist und dies ebenso für die Eignungsentscheidung des Richters gem. § 419 Abs. 1 S. 1 StPO gilt, ist aber klarzustellen, dass eine empirische Beurteilung dieser Entscheidung retrospektiv mittels Erfassen der Zeiträume der dann tatsächlich stattgefundenen Verhandlungstermine problematisch ist, da diese ja ggf. nicht absehbar waren. Anders wäre es nur, wenn festgestellt würde, dass die beschleunigten Verhandlungen im Regelfall mehrere Termine beanspruchen, eine solche Situation wäre nämlich von StA und Gericht in die Prognose miteinzubeziehen. Somit wird, um die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und die des Richters zu untersuchen, der Zeitraum zwischen Antragseingang und Beginn der beschleunigten Hauptverhandlung gemessen. Ergänzend geschieht die Messung des Zeitraums bis zur Durchführung der gesamten beschleunigten Hauptverhandlung. 533 s. oben C. I. 1. c) (3) (a). 529

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ist. Die beschleunigte Hauptverhandlung muss in erheblich kürzerer Zeit durchgeführt werden können, da sich sonst das hinsichtlich Art. 3 GG rechtfertigende legitime Ziel einer Hauptverhandlung, die der Tat auf dem Fuße folgt, verliert und das Vorgehen unverhältnismäßig wird.534 Entsprechend besteht eine Obergrenze für den Zeitraum zwischen Tat und Hauptverhandlung, also insbesondere für die Dauer des Ermittlungsverfahrens. Zwar schreiben die §§ 417–420 StPO diesbezüglich keine festen Zeiträume vor, eine Hauptverhandlung gem. den §§ 418, 420 StPO darf aber mangels möglicher Zielerreichung nicht mehr durchgeführt werden, wenn von einem beschleunigten Verfahren nicht mehr gesprochen werden kann, was jedenfalls ab einer Evidenzsituation von 6 Monaten zwischen Tat und Hauptverhandlung der Fall ist.535 „Zu langsames“ Vorgehen ist also im Rahmen der §§ 417 bis 420 StPO genauso unzulässig, wie „zu schnelles“. Es handelt sich um jeweils unterschiedliche Normverstöße. Ein beschleunigtes Verfahren hat einen relativ engen Zeitrahmen, innerhalb dessen es durchgeführt werden muss, um zulässig zu sein. 3. Weitere Durchführung des Verfahrens – Abweichungen vom Regelverfahren Abgesehen von der theoretisch möglichen mündlichen Anklageerhebung gem. § 418 Abs. 3 S. 1 StPO536 und den abweichenden Beweisregelungen des § 420 StPO, entspricht die weitere Vorbereitung537 und Durchführung des Verfahrens den Vorschriften des Regelverfahrens. Insbesondere kann bei einem ausbleibenden Angeklagten die Vorführung gem. § 230 Abs. 2 1. Alt StPO angeordnet werden, wobei in Anbetracht der kurzen Fristen die Voraussetzung der ungenügenden Entschuldigung besonders sorgfältig zu prüfen ist.538 Haftbefehl darf nicht erlassen werden.539 Gegebenenfalls muss ein neuer Termin bestimmt oder die Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 419 StPO abgelehnt werden.

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s. oben C. I. 1. c) (3) (b) (aa), (bb). s. oben C. I. 1. c) (3) (b) (cc). 536 s. dazu oben C. I. 2. a). 537 Freilich werden die §§ 222, 223, 225 StPO bei einfachen Sachverhalten und in Anbetracht der zeitlichen Obergrenze eines beschleunigten Verfahrens tatsächlich kaum zur Anwendung kommen. 538 s. KMR-Metzger, § 418 Rn. 20. 539 s. OLG Hamburg NStZ 1983, S. 40 mit zustimmender Anm. Deumeland. 535

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4. Notwendige Verteidigung im beschleunigten Verfahren a) Notwendige Verteidigung gem. § 418 Abs. 4 StPO Besonderheiten ergeben sich im beschleunigten Verfahren hinsichtlich der Verteidigung. Freilich kann sich der Beschuldigte auch in dieser Verfahrensart zu jedem Zeitpunkt des Beistandes eines Verteidigers bedienen, § 137 StPO. Anders als im Regelverfahren aber wird einem bislang unverteidigten Beschuldigten bereits bei einer Straferwartung von mindestens sechs Monaten ein Verteidiger bestellt, § 418 Abs. 4 StPO.540 Die Vorschrift wurde als Korrektiv der Beschneidung der Beschuldigtenrechte im beschleunigten Verfahren erst gemäß der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses eingefügt.541 Die Staatsanwaltschaft hat, praktischerweise gemeinsam mit dem Antrag gem. § 417 StPO, die Verteidigerbestellung zu beantragen, wenn sich abzeichnet, dass eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten ist. Fraglich ist, ob § 418 Abs. 4 StPO ggf. auch eine frühere Beantragung bereits im Vorverfahren verlangt. Eine solche könnte entsprechend § 141 Abs. 3 notwendig sein.542 Allerdings entsprechen relevante Fälle des § 141 Abs. 3 StPO, wie ermittlungsrichterliche Vernehmungen, bei denen der Beschuldigte von der Anwesenheit ausgeschlossen wird543 oder erforderliche Stellungnahmen zu Gutachten, welche gem. § 147 StPO nur mittels Verteidiger möglich sind,544 nicht der Realität des beschleunigten Verfahrens, welches auf einfache Sachverhalte beschränkt ist.545 Die wenig praxisrelevante546 Frage ist zu verneinen.547 Das Gericht entspricht dem Antrag der Staatsanwaltschaft, wenn es die Eignung zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren bejaht und ebenfalls 540 Die sechs Monate gelten für Freiheitsstrafen mit oder ohne Aussetzung zur Bewährung und für Einzel- oder Gesamtstrafen, s. OLG Bremen StraFo 1998, S. 124. 541 s. BT-Drs. 12/7837, S. 2; vgl. auch SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 1, 18. 542 So Loos (AK-StPO, § 418 Rn. 16). 543 s. BGH NJW 2000, S. 3505. 544 s. M-G, § 141, Rn. 5. 545 Einem angenommenen Zwang zur Beiordnung im ganzen Vorverfahren des Regelverfahrens bei Notwendigkeit der Beiordnung im späteren gerichtlichen Verfahren (vgl. zum Streit Eisenberg, NJW 1991, S. 1257, 1261 f.) stehen im beschleunigten Verfahren die kurzen Fristen wie auch die geringere Belastung des üblicherweise extrem kurzen und ohne einschneidende Maßnahmen vorgenommenen Vorverfahrens entgegen. 546 s. KK-Graf, § 418 Rn. 11. 547 Ebenso, wenn auch mit verschiedenen Begründungen: HK-Krehl, § 418 Rn. 5; LR25-Gössel, § 418 Rn. 49; M-G, § 418 Rn. 11; Schröer, 1998, S. 142; a. A. SKStPO-Paeffgen, § 418 Rn. 19.

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davon ausgeht, dass eine Freiheitsstrafe in Höhe von mindestens sechs Monaten zu erwarten ist.548 Nicht Recht zu geben ist der Meinung, die von einer generellen Bindung des Gerichts an den Antrag ausgeht.549 Rechtstatsächlich betrachtet unterschreitet das Gericht in der Strafverhängung in der Mehrzahl der Verfahren den Antrag der Staatsanwaltschaft zum Rechtsfolgenausspruch.550 Entsprechend erschiene eine Bindung des Gerichts an die Annahme der Staatsanwaltschaft zu früherem Zeitpunkt widersinnig. Die Bestellung eines Verteidigers gem. § 418 Abs. 4 StPO kann indes auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgen.551 Insbesondere muss dem bislang unverteidigten Beschuldigten auch noch in der laufenden Hauptverhandlung ein Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn sich zu diesem Zeitpunkt ergibt, dass eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten ist. Dies kann sich auch nach Beginn der Urteilsberatung ergeben. Dann ist die Hauptverhandlung in ihrem wesentlichen Teil in Anwesenheit des Verteidigers zu wiederholen.552 Erscheint in dieser Situation eine Durchführung der Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist nicht mehr möglich, so unterbleibt eine Verteidigerbestellung, und der Richter lehnt gem. § 419 Abs. 2 S. 1 StPO die Entscheidung im beschleunigten Verfahren ab. b) Notwendige Verteidigung im beschleunigten Verfahren gemäß § 140 StPO Zu beachten ist, dass auch andere Gründe der notwendigen Verteidigung im beschleunigten Verfahren relevant werden können. Insbesondere ist an § 140 Abs. 1, 2 StPO zu denken. Während § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO von vornherein ausscheidet, weil eine Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht gem. § 417 StPO im beschleunigten Verfahren nicht möglich ist, kommt § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO in Betracht: Ein Fall der notwendigen Verteidigung ist danach gegeben, wenn dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird. Grundsätzlich könnten angesichts der Strafobergrenze im beschleunigten Verfahren (§ 419 Abs. 1 S. 2 StPO) Verbrechen angeklagt werden, jedenfalls wenn absehbar ist, dass als Rechtsfolge lediglich die Mindeststrafe in Betracht kommt oder 548

s. KK-Graf, § 418 Rn. 11; Kohler, 2001, S. 43; M-G, § 418 Rn. 12. s. Burgard, NStZ 2000, S. 242, 244; SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 20. 550 s. Eisenberg, 2005, § 31 Rn. 48. 551 Nach dem Zeitpunkt der Beantragung gem. § 417 StPO prüft das Gericht von Amts wegen ob die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich ist, s. BayObLG NStZ 2000, S. 372, 373. 552 s. BayObLG NStZ 2000, S. 372 f.; OLG Karlsruhe NJW 1999, S. 3061, 3062. 549

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ein Strafmilderungsgrund eingreift. Doch passt die Aburteilung solcher gem. den §§ 24, 25, 28 GVG notwendigerweise vor dem Schöffengericht stattfindender Verfahren nicht zu den zu schaffenden organisatorischen Veränderungen553 und wird einem einfachen Sachverhalt gem. § 417 StPO hinsichtlich des Erfordernisses der Möglichkeit einer schematischen Sachverhaltsermittlung nicht gerecht.554 Mangels Aburteilung von Verbrechen im beschleunigten Verfahren scheidet also auch § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO als neben § 418 Abs. 4 StPO möglicher Grund notwendiger Verteidigung aus.555 Gleiches gilt für § 140 Abs. 1 Nr. 3 StPO; die Maßregel der Besserung und Sicherung des Berufsverbotes (§ 61 Nr. 6 StGB) darf gem. § 419 Abs. 1 S. 2, 3 StPO im beschleunigten Verfahren nicht verhängt werden. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist im Regelfall ausgeschlossen, da die mit der Anstaltsunterbringung u. a. gemeinte Untersuchungshaft556 mindestens drei Monate gedauert haben muss und in Anbetracht der kleinen und mittleren Kriminalität, insbesondere dem Strafhöchstmaß von einem Jahr im beschleunigten Verfahren (§ 419 Abs. 1 S. 2 StPO) eine so lange U-Haft regelmäßig unverhältnismäßig wäre. Allenfalls möglich wären Anstaltsunterbringungen in Form der Strafhaft wegen eines anderen Deliktes, wohingegen beschleunigte Verhandlungen gegen Beschuldigte, die sich mindestens drei Monate in Anstalten gem. den §§ 63, 64, 66 StGB aufgehalten haben, bzw. sich in anderen Entzugs- und Therapieeinrichtungen befunden haben, mangels einfachen Sachverhalts aufgrund des intensiven Persönlichkeitserforschungsbedarfs wiederum ausscheiden. Eine Unterbringung nach § 81 StPO i. S. d. § 140 Abs. 1 Nr. 6 StPO lässt sich nicht mit den Fristen und der Voraussetzung eines einfachen Sachverhalts im beschleunigten Verfahren vereinbaren. § 140 Abs. 1 Nr. 7 StPO ist nicht anwendbar, da sich ein Sicherungsverfahren gem. den §§ 413 ff. StPO und ein beschleunigtes Verfahren gem. den §§ 417 ff. StPO gegenseitig ausschließen. Eine notwendige Verteidigung im beschleunigten Verfahren aufgrund von § 140 Abs. 1 Nr. 8 StPO ist theoretisch denkbar, wenn auch in Anbetracht der allein möglichen Verteidigerausschließungsgründe des § 138a Abs. 1 StPO strukturell äußerst unwahrscheinlich und ohnehin nur möglich, wenn gleichwohl die Fristen des beschleunigten Verfahrens gewahrt werden. Damit bleibt § 140 Abs. 2 StPO als Auffangtatbestand. Die Voraussetzung notwendiger Verteidigung ist gegeben, wenn wegen der Schwere der 553

s. oben C. I. 1. a). s. oben C. I. 1. c) (1). 555 A. A. M-G, § 418 Rn. 13, der allerdings auch davon ausgeht, dass im beschleunigten Verfahren regelmäßig keine Verbrechen verhandelt werden, da regelmäßig nicht vor dem Schöffengericht verhandelt wird, s. § 417 Rn. 1. 556 Zu den Anstaltsunterbringungen i. S. d. § 140 Abs. 1 Nr. 5 s. M-G (§ 140 Rn. 16). 554

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Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint, oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Ein Fall notwendiger Verteidigung könnte wegen der Schwere der Tat auch im beschleunigten Verfahren gegeben sein.557 Bei der Schwere der Tat kommt es in erster Linie auf die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung an.558 Die notwendige Prognosehöhe wird unterschiedlich beurteilt, teilweise wird die Voraussetzung erst bei zu erwartender Freiheitsstrafe von zwei Jahren angenommen,559 teilweise bei zu erwartender Freiheitsstrafe von einem Jahr.560 Wieder andere sehen einen Fall notwendiger Verteidigung aufgrund der Schwere der Tat bereits bei der Erwartung von mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung.561 Damit liegen die Strafprognosehöhen allerdings sämtlich in dem Bereich, den bereits § 418 Abs. 4 StPO abdeckt, bzw. darüber, was aufgrund des Höchstmaßes von einem Jahr Freiheitsstrafe im beschleunigten Verfahren (§ 419 Abs. 1 S. 2 StPO) keine Relevanz hat. Eine notwendige Verteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO aufgrund der Schwere der Tat scheidet damit aus. Fraglich ist, ob eine notwendige Verteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO wegen Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage angesichts der Voraussetzung des einfachen Sachverhalts gem. § 417 StPO relevant werden kann. Eine schwierige Sachlage ist bei dem Erfordernis umfangreicher Beweisaufnahmen zur Feststellung von Täterschaft oder Schuld, bzw. bei dem Auftreten spezieller Probleme wie der Auseinandersetzung mit Sachverständigengutachten, anzunehmen.562 Die Rechtslage ist schwierig, wenn nicht ausgetragene Rechtsfragen entscheidungsrelevant werden oder wenn die Subsumtion Schwierigkeiten bereiten wird; derlei wurde von den Gerichten etwa angenommen, wenn die Auslegung von Normen des Nebenstrafrechts Probleme bereitete, eine Nachtragsanklage in der Berufungsinstanz unzuläs557 So M-G, § 418 Rn. 13, der allerdings entgegen hier vertretener Auffassung (s. im Anschluss Bestellung, Auswahl und Ladung des Verteidigers) auch davon ausgeht, die Bestellung gem. § 141 Abs. 1 Nr. 1 StPO gehe einer solchen gem. § 418 Abs. 4 StPO vor. 558 s. OLG Zweibrücken NStZ 1986, S. 135 m. w. Nw. und Anm. Molketin; Haller/Conzen, 2008, Rn. 236. 559 s. BGHSt 6, S. 199, 200 ff.; OLG Celle MDR 1986, S. 164. 560 s. KG StV 1982, S. 412; OLG München NJW 2006, S. 789 f. (Straferwartung von etwa einem Jahr und anwaltlich vertretener Nebenkläger). 561 s. OLG Köln StV 1986, S. 238. Eine Mindermeinung sieht notwendige Verteidigung aufgrund der Tatschwere bereits bei jeder drohenden Freiheitsstrafe gegeben (LR25-Lüderssen, § 140 Rn. 64 m. w. Nw.), was de lege ferenda wünschenswert wäre, indes nicht der Intention des Gesetzgebers entspricht, was sich u. a. an der Schaffung des sonst nicht nötigen § 418 Abs. 4 StPO zeigt (Schröer, 1998, S. 134). 562 s. KK-Laufhütte, § 140 Rn. 22 m. Nw.

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sig war, oder auch, wenn die Staatsanwaltschaft Berufung gegen einen Freispruch einlegte.563 Diese Voraussetzungen lassen sich nicht mit der Eignung gem. § 417 StPO zur sofortigen Verhandlung aufgrund eines einfachen Sachverhalts und564 einer klaren Beweislage vereinbaren. Damit bleibt als möglicher Fall notwendiger Verteidigung auch im beschleunigten Verfahren die Variante, dass ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Dies ist etwa bei Gebrechen körperlicher oder geistiger Art565 und Analphabetismus anzunehmen,566 regelmäßig auch bei Ausländern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind567 oder bei Drogenabhängigkeit im Zusammenhang mit weiteren, die Verteidigung beeinträchtigenden Umständen.568 Generell ist die Voraussetzung gegeben, wenn erhebliche Zweifel bestehen, dass der Beschuldigte im Stande ist, seine Interessen zu wahren, insbesondere der Verhandlung zu folgen und die seiner Verteidigung dienenden Handlungen vorzunehmen.569 Dem hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist auf seinen Antrag stets ein Verteidiger beizuordnen, § 140 Abs. 2 S. 2 StPO. Diese Fallgruppe notwendiger Verteidigung dürfte im beschleunigten Verfahren nicht selten relevant werden, insbesondere wenn die Praxis gerade besonders verteidigungsschwache Beschuldigtengruppen für die Verfahrensart auswählt. c) Besonders beschleunigtes Verfahren generell Fall notwendiger Verteidigung Darüber hinaus nimmt eine Ansicht an, dass in besonders beschleunigten Verfahren generell ein Fall notwendiger Verteidigung aufgrund des Anspruchs auf ein faires Verfahren gegeben sei.570 Zwar wäre dies als Gegen563

s. KK-Laufhütte, § 140 Rn. 23 m. Nw. Die Voraussetzungen müssen entgegen dem Wortlaut in aller Regel kumulativ vorliegen, s. oben C. I. 1. c) (2). 565 s. RGSt 74, S. 304 ff.; LG Lübeck StV 1986, S. 147. 566 s. OLG Celle StV 1994, S. 8. 567 s. OLG Karlsruhe NStZ 1987, S. 522; BayObLG StV 1990, S. 103; Pfeiffer, 2005, § 140 Rn. 7; dies gilt nach überzeugender Ansicht eben gerade auch – und damit besonders relevant für die §§ 417 ff. StPO – bei einfacher Sach- und Rechtslage im Hinblick auf ein faires Verfahren, s. OLG Karlsruhe NStZ 1987, S. 522; s. allerdings auch BGHSt 46, S. 178, 183 ff. 568 s. OLG Düsseldorf AnwBl 1978, S. 355 f. 569 s. HK-Julius, § 140 Rn. 16; Pfeiffer a. a. O. Gemäß dem Regelbeispiel § 140 Abs. 2 S. 1 letzter Halbsatz soll dies insbesondere auch gelten, wenn dem Verletzten ein Rechtsanwalt beigeordnet wurde, was im beschleunigten Verfahren wiederum nicht der Fall sein kann, da die Beiordnungsgründe der §§ 397 a, 406 g StPO lediglich bei Taten in Betracht kommen, welche nicht für das beschleunigte Verfahren geeignet sind. 564

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gewicht zu den Beschneidungen der Beschuldigtenrechte durch die §§ 417–420 StPO wünschenswert, lässt sich aber nicht aus den Regelungen entnehmen. Insbesondere spricht die Systematik des Gesetzes dagegen. Der Norm des § 418 Abs. 4 StPO hätte es nicht bedurft, wenn allein die Anwendung der Verfahrensart bereits ein Fall notwendiger Verteidigung wäre. Die Meinung widerspricht in Anbetracht ihrer Verzögerungs- bzw. Ausschlussfunktion der meisten Fälle für die Verfahrensart auch den gesetzgeberischen Zielen, das beschleunigte Verfahren stärker zu nutzen und den mutmaßlich erzieherischen Effekt zu erreichen, dass die Aburteilung der Tat auf dem Fuß folge. Mithin liegt nicht allein darum, weil besonders beschleunigt verhandelt wird, ein Fall notwendiger Verteidigung vor. d) Bestellung, Auswahl und Ladung des Verteidigers Hinsichtlich der Bestellung des Verteidigers im beschleunigten Verfahren gelten die §§ 141 ff. StPO jedenfalls, wenn ein Fall notwendiger Verteidigung gem. § 140 Abs. 1, 2 StPO vorliegt, was praktisch – wie soeben dargelegt – nur nach dem 2. Absatz vorkommen wird, wenn sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Geschieht die Bestellung aufgrund von § 418 Abs. 4 StPO, stellt sich die Frage, ob die §§ 141 ff. StPO, mit Ausnahme des nicht zum beschleunigten Verfahren passenden § 141 Abs. 3 StPO, ebenfalls Anwendung finden. Von Bedeutung ist dies etwa für die – ggf. bremsende – Gelegenheit des Beschuldigten, gem. § 142 Abs. 1 S. 2 StPO selbst einen Rechtsanwalt zu bezeichnen. Gegen eine Anwendbarkeit könnte sprechen, dass die Normen anders als etwa bei den §§ 117 Abs. 4 S. 3, 118a Abs. 2 S. 4 StPO nicht für entsprechend anwendbar erklärt wurden.571 Eine entsprechende Anwendbarkeit wäre indes gar nicht nötig, wenn die §§ 141 ff. StPO direkt gelten würden. Davon ist auszugehen. § 418 Abs. 4 StPO ist ein Spezialfall der notwendigen Verteidigung. Regelungen wie die §§ 117 Abs. 4 S. 3, 118a Abs. 2 S. 4 StPO beruhen auf eigenen Besonderheiten, welche sich von § 418 Abs. 4 StPO unterscheiden. Da § 418 Abs. 4 StPO keine besonderen Regelungen, etwa auch nicht über die Bestellung des Verteidigers, trifft, gelten die allgemeinen Regelungen der §§ 137 ff. und 141 ff. StPO direkt.572 Damit ist auch § 142 Abs. 1 S. 2 StPO anzuwenden. Zwar kann die vorherige Befragung des Beschuldigten das Beschleunigungsziel beeinträchtigen, das Beschleunigungsziel konkur570

Ernst, 2001, S. 106 f. s. M-G, § 418 Rn. 14. 572 s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 46. Allerdings ist § 418 Abs. 4 StPO entgegen Gössel (a. a. O. Rn. 42) und Graf (KK, § 418 Rn. 16) nicht gegenüber § 140 StPO subsidiär, vgl. AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 16; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 10; SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 21. 571

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riert jedoch mit den Verteidigungsbedürfnissen des Beschuldigten, welchen jedenfalls kein minderer Rang zukommt.573 Die Verteidigungsbedürfnisse des Beschuldigten hat der Gesetzgeber unter anderem in § 142 Abs. 1 S. 2 StPO konkretisiert. Mangels einer Sonderregelung im beschleunigten Verfahren gilt die Vorschrift.574 Das Ergebnis ist auch hinsichtlich des Zwecks des § 418 Abs. 4 StPO stimmig: Die Norm soll ein Gegengewicht zu den Einschränkungen der Beschuldigtenrechte im beschleunigten Verfahren bilden.575 Sie selbst nun wieder einschränkend auszulegen, liefe dem entgegen.576 Für die Ladung des Verteidigers gilt § 218 StPO, der Fünfte Abschnitt des Zweiten Buches der StPO findet Anwendung.577 § 218 S. 2 StPO verweist jedoch hinsichtlich der Ladungsfrist auf diejenige des Angeklagten gem. § 217 StPO. Die Ladungsfrist des Angeklagten gem. § 217 StPO findet im beschleunigten Verfahren keine Anwendung, § 418 Abs. 2 S. 3 StPO bestimmt eine wesentlich kürzere. Diese – notwendigerweise hinsichtlich des Rechts des Beschuldigten auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung auf drei Tage auszudehnende – Frist gilt auch für den ggf. gem. § 218 StPO zu ladenden Verteidiger.578 Die Bestellung des notwendigen Verteidigers gem. § 418 Abs. 4 StPO gilt gemäß dem eindeutigen Wortlaut nur für das beschleunigte Verfahren vor dem Amtsgericht, also weder für ein Regelverfahren nach einer Ablehnung gem. § 419 StPO noch für ein Berufungsverfahren, für welches die Regeln des beschleunigten Verfahrens nicht mehr anwendbar sind.579 Der 573

s. KMR-Metzger, § 418 Rn. 34. s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 47, 51. Gerade auch wegen der kurzen Fristen im beschleunigten Verfahren, welche eine Vertrauensbildung zwischen Verteidiger und Mandant erheblich erschweren, scheint es geboten, dem Beschuldigten einen Verteidiger seines Vertrauens zu ermöglichen, s. Kohler, 2001, S. 45; ebenfalls für eine Geltung des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO: AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 16; Pfeiffer, 2005, § 418 Rn. 4; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 95; a. A. M-G, § 418 Rn. 14; differenzierend KK-Graf, § 418 Rn. 12. 575 Insbesondere hinsichtlich der Beweisvereinfachungen gem. § 420 StPO, s. KMR-Metzger, § 418 Rn. 30, 34. 576 Entsprechend steht dem Beschuldigten auch die Beschwerde gegen Entscheidungen im Bestellungsverfahren im Umfang des Regelverfahrens zu, s. KMR-Metzger, § 418 Rn. 37; LR25-Gössel, § 418 Rn. 54; wiederum a. A.: KK-Graf, § 418 Rn. 17; M-G, § 418 Rn. 16. 577 s. oben C. III. 2. b) (2) (a). 578 Vgl. LR25-Gössel, § 418 Rn. 22 f. 579 Eine Mindermeinung nimmt die Geltung der §§ 417–420 StPO auch im Berufungsverfahren an und ist konsequenterweise für dieses anderer Auffassung, nicht aber für das Regelverfahren nach Ablehnung gem. § 419 StPO, s. M-G, § 418 Rn. 15. 574

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unbefriedigenden Situation, dass damit bei einer Verkomplizierung der Rechtslage die notwendige Verteidigung endet, kann bis zu einer Gesetzesänderung nur durch eine besonders sorgfältige, d.h. offenherzige Prüfung des § 140 Abs. 2 StPO in der Variante der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage entgegengetreten werden.580 e) Kritik der Regelung des § 418 Abs. 4 StPO Die Bestellung eines (natürlich nicht jederzeit terminfreien) Verteidigers und die Durchführung einer Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist werden sich regelmäßig ausschließen. Im Gegensatz zu den für die Durchführung beschleunigter Verfahren geforderten und nötigen organisatorischen Maßnahmen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten581 gibt es bei Strafverteidigern keine entsprechenden Umstrukturierungen. Nur in äußersten Ausnahmefällen, bei besonderer regionaler Fokussierung auf die Verfahrensart, ist die Einrichtung eines eigenen anwaltlichen Bereitschaftsdienstes denkbar.582 Zurückgreifen wird das Gericht demnach – wenn überhaupt – auf wenig streitlustige Pflichtverteidiger: „Anwälte, die in Strafsachen etwas versierter und nicht nur Stichwortnehmer der staatlichen Organwalter sind, dürften i. d. R. nicht kurzfristig für finanziell so uninteressante Sachen zur Verfügung stehen.“583 Die Verteidigung wird sich dann kaum gegen den vom Gericht angenommenen Sachverhalt richten, sondern eher einen „moralischen Beistand“ und eine „Dolmetscherfunktion“ für die überforderten Beschuldigten darstellen.584 Zu befürchten ist, dass darüber hinaus und statt einer Verbesserung solcher Situationen der Pseudoverteidigung, der als Korrektiv eingeführte § 418 Abs. 4 StPO schlicht umgangen wird. Zwei Wege sind gegeben, um die den Ablauf beschleunigter Verfahren störende Pflichtverteidigungsregel nicht zur Anwendung kommen zu lassen. Zum einen werden lediglich Haftstrafen beantragt und verhängt, die (knapp) unter der Sechs-Monats-Grenze des § 418 Abs. 4 StPO liegen.585 Ist dies aufgrund der Zumessungsgesichtspunkte keinesfalls mehr möglich, werden Staatsanwaltschaft und Gericht das Verfahren von vornherein nicht gem. den §§ 417–420 StPO als 580

Vgl. Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 11; KK-Graf, § 418 Rn. 14. s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 582 Geschaffen wurde ein solcher am AG Bochum, welches das beschleunigte Verfahren mittels eines eigenen Modells außergewöhnlich stark nutzt, s. Kohler, 2001, S. 102; zur Kritik des Bochumer Modells umfassend Ernst, 2001. 583 SK-StPO-Paeffgen, § 418 Rn. 21. 584 s. zu empirischen Anhaltspunkten Kohler, 2001, S. 115 ff. 585 s. Jeney, 2003, S. 25; Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 488, 491; Scheffler, ZRP 1998, S. 455, 456. 581

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beschleunigtes, sondern im Regelverfahren betreiben.586 Anders als von der Regelung gewünscht, wird also keine Pflichtverteidigung im beschleunigten Verfahren stattfinden. Damit werden Fehler bei der Strafzumessung befördert, Verfahren entgegen dem Gesetz nicht im beschleunigten Verfahren abgeurteilt, die dafür geeignet wären (Ermessensfehlgebrauch) und ein geplantes Schutzkorrektiv gänzlich aufgehoben, außer insoweit, dass eben überhaupt keine Freiheitsstrafen von 6 Monaten bis 1 Jahr beschleunigt verhängt werden.587 5. Die Regelungen des § 418 StPO im Rechtsmittelverfahren Verstöße gegen die Regelungen des § 418 StPO sind von unterschiedlicher Rechtsmittelrelevanz. a) Nichteinhaltung der Ladungsfrist, besonders beschleunigtes Verfahren entgegen dem Willen des Beschuldigten und Polizeiladungen Wird die Frist des § 418 Abs. 2 S. 3 StPO nicht gewahrt, kann der Beschuldigte gem. dem auch im beschleunigten Verfahren geltenden § 217 Abs. 2 StPO588 die Aussetzung der Verhandlung verlangen. Auch wenn nicht gem. § 228 Abs. 3 StPO über diese Befugnis belehrt wurde, kann auf die Nichteinhaltung der Ladungsfrist im Regelverfahren die Revision nicht gestützt werden; lediglich eine unrichtige Ablehnung des Aussetzungsantrags ist ein Revisionsgrund, auf dem das Urteil auch regelmäßig beruhen wird.589 Darüber hinaus gilt aber im beschleunigten Verfahren, dass bei Nichteinhaltung der dreitägigen Ladungsfrist590 und erfolgloser Bemühung des Beschuldigten um Verfahrensverschiebung oder Aussetzung regelmäßig ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3b EMRK vorliegt und damit ein Revisionsgrund, auf dem das Urteil regelmäßig beruhen wird. Gleiches gilt bei Vorführungen zu besonders beschleunigten Verhandlungen am Tat- oder Folgetag entgegen dem Willen des Beschuldigten.591 586

Vgl. M-G, Vor § 417, Rn. 5; Volk, 2008, § 33 Rn. 13. Diese Erörterungen werden im empirischen Teil überprüft, indem die Häufigkeit der Verteidigung generell, die Häufigkeit der Pflichtverteidigung und speziell jener gem. § 418 Abs. 4 StPO sowie insbesondere die Verhängung von Freiheitsstrafen von sechs Monaten oder mehr (auch im Verhältnis zu anderen Freiheitsstrafen) betrachtet wird. 588 s. LR25-Gössel, § 418 Rn. 22 sowie oben C. III. 2. b) (2) (a). 589 s. KK-Gmel, § 217 Rn. 10, M-G, § 217, Rn. 12, jeweils m. w. Nw.; großzügiger: SK-StPO-Schlüchter, § 217 Rn. 19; OLG Hamm NJW 1954, S. 1856. 590 s. oben C. III. 2. b) (1). 591 s. oben C. III. 2. a) (3). 587

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Kann, betreffend die „Polizeiladungen“, im Erscheinen des Beschuldigten nach den Terminsmitteilungen der Staatsanwaltschaft oder der Polizei keine freiwillige Stellung gesehen werden, so fehlt die gem. § 418 Abs. 2 StPO erforderliche Ladung gänzlich. Dann kann erst recht die Aussetzung der Verhandlung gem. § 217 Abs. 2 StPO verlangt werden (argumentum a minore ad maius). Ob aber ein Revisionsgrund wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 3b EMRK vorliegt, hängt von den in den „Ladungen“ tatsächlich gegebenen Zeiträumen ab. Inwieweit eine Verurteilung nach dem rechtsfehlerhaften Vorgehen mittels der „Polizeiladungen“ hinsichtlich der sonstigen Rechtsverstöße revisibel ist, entscheidet der Einzelfall. Entscheidend ist, dass das Urteil auf der Gesetzesverletzung beruht (§ 337 StPO), wofür bereits die Möglichkeit ausreichend ist.592 Dieser Nachweis wird wohl nur im Einzelfall zu führen sein.593 Die neuere Rechtsprechung eröffnet für den Fall der sofortigen Einstellung des Verfahrens in der beschleunigten Hauptverhandlung594 allerdings ggf. die Möglichkeit, wegen pflichtwidriger Anklageerhebung im außerstrafrechtlichen Wege Schadensersatz zu verlangen.595 b) Die Durchführung beschleunigter Verfahren außerhalb der kurzen Fristen Die Nichteinhaltung der kurzen Frist gem. § 418 Abs. 1 StPO, die nach dargestellter Auffassung im Regelfall 2 Wochen nicht überschreiten darf,596 kann von den Rechtsmittelgerichten überprüft werden.597 Eine Überschrei592

s. nur BGH StV 2006, S. 285. s. LR25-Gössel, Vor. § 417 Rn. 22. 594 Es wird von einer besonderen Häufigkeit ausgegangen, da das Konstrukt der Polizeiladung dazu führen wird, dass Staatsanwaltschaft und Gericht das Verfahren in die Hauptverhandlung „durchwinken“, s. oben C. III. 2. b) (2) (a). 595 Bei amtspflichtwidriger Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft, also einer nicht mehr vertretbaren Prognose hinsichtlich des hinreichenden Tatverdachts (§ 170 StPO) und darauf folgender Ablehnung der Eröffnung durch das Gericht ist ein durch die Anklageerhebung entstandener Schaden zu ersetzen, s. BGH NJW 2000, S. 2672 ff.; da ein Eröffnungsbeschluss im beschleunigten Verfahren nicht ergeht und als vergleichbarer Zeitpunkt im beschleunigten Verfahren erst die Vernehmung des Angeklagten zur Sache gilt, kommt dem ggf. nach fehlerhafter oder faktisch nicht stattfindender Prognose durch Staatsanwaltschaft und Gericht zum eigentlichen Prüfungszeitpunkt ein Freispruch ohne über das bestehende Aktenmaterial hinausgehende Erkenntnisse bzw. auch eine sofortige Einstellung des Gerichts gem. § 153 Abs. 2 S. 1 StPO nach Beginn der Hauptverhandlung gleich; s. zur zunehmenden Haftung der Staatsanwaltschaft auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung Kühne (2007, Rn. 138.1) sowie bspw. BGH StV 2004, S. 330 ff.; LG Dortmund StV 2005, S. 451 f. 596 s. oben C. III. 2. b) (3). 593

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tung begründet einen Verfahrensfehler. Das AG hätte richtigerweise eine Ablehnungsentscheidung gem. § 419 Abs. 2 StPO treffen und gem. § 419 Abs. 3 StPO die Eröffnung beschließen oder die Entscheidung im beschleunigten Verfahren ablehnen müssen. Da dem Berufungsgericht diese Möglichkeit nicht offen steht, ist die Sache in der Berufungsinstanz an das AG zurückzuverweisen. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist § 354 Abs. 2 StPO analog anzuwenden. Die andere Abteilung des AG hat dann gem. § 419 Abs. 3 StPO zu verfahren.598 In der Revisionsinstanz führt der Verfahrensverstoß ebenfalls zur Zurückverweisung.599 Einer Mitteilung von Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass das Urteil in Normalverfahren möglicherweise anders ausgefallen wäre, bedarf es dabei nicht, dies ist die notwendig zu erwartende Folge eines unzulässigen beschleunigten Verfahrens.600 Mangels Vertretbarkeit hinsichtlich der Eignungsbeurteilung gilt Vorangehendes ebenfalls in den Evidenzsituationen eines Zeitraumes von mehr als sechs Monaten zwischen Tatbegehung und Hauptverhandlung.601 597 Die andere Ansicht, die etwa hinsichtlich der Revisibilität auf § 336 S. 2 StPO verweist (LR25-Gössel, § 417 Rn. 42 f.), trägt schon formal nicht, lediglich die Entscheidung nicht im beschleunigten Verfahren zu verhandeln, ist gem. § 419 Abs. 2 S. 2 StPO der Anfechtbarkeit entzogen, s. dazu und auch zur inhaltlichen Widerlegung Radtke, JR 2001, S. 133, 138 f.; im Ergebnis ebenso Ranft, 2005, Rn. 2358. Gegen das Argument, die Problematik entspreche der Nichtanfechtbarkeit des Eröffnungsbeschlusses im Regelverfahren s. schon oben C. I. 3. c). 598 s. Ranft, 2005, Rn. 2356 f. und NStZ 2004, S. 424, 427; ihm folgend auch M-G, § 419 Rn. 13. 599 Vgl. etwa OLG Stuttgart StV 1998, S. 479 f.; Ranft, 2005, Rn. 2360 und NStZ 2004, S. 424, 427; M-G, § 419 Rn. 13. 600 s. M-G, § 419 Rn. 13; die Substanziierung der Rüge für erforderlich hält das OLG Stuttgart NStZ-RR 2002, S. 339 f. Umstritten ist überdies, ob der Rechtsfehler in der Revisionsinstanz nur auf ausdrückliche Verfahrensrüge (BayObLG StV 2000, S. 302; NStZ 2003, S. 52; OLG Düsseldorf NJW 2003, S. 1470; OLG Stuttgart NJW 1998, S. 3134 f. = StV 1998, S. 479; M-G, § 419 Rn. 13) oder von Amts wegen zu beachten sei (OLG Düsseldorf StV 1999, S. 202 f.; Müller, NStZ 2000, S. 108; Radtke, JR 2001, S. 133, 136 ff.; Ranft, 2005, Rn. 2360; NStZ 2004, S. 424, 427 f.). Letzterem ist zuzustimmen. Da die kurzen Fristen das beschleunigte Verfahren gerade ausmachen und rechtfertigen, ist deren Nichtbeachtung nicht lediglich als einfacher Verfahrensfehler zu gewichten, der nur auf einem „Irrtum“ über die zulässige zeitliche Ausdehnung gründet (so hingegen OLG Hamburg NStZ 1999, S. 266 f.). 601 s. OLG Stuttgart NJW 1998, S. 3134 f. = StV 1998, S. 479 (im Fall ging es um mehr als 7 Monate zwischen Tat und Antrag); OLG Stuttgart StV 1998, 585, 586; ebenso „für solche Evidenzsituationen“ KMR-Metzger, § 417 Rn. 24; die Revision begründender Verfahrensfehler bei „mehreren Wochen oder sogar Monaten“ zwischen Tat und Antrag bzw. Tat und Hauptverhandlung, Ranft, 2005, Rn. 2337; anders Scheffler (NStZ 1999, S. 268), der für das Ermittlungsverfahren nur eine Frist von einer Woche zulassen will; grds. a. A. KK-Graf, § 417 Rn. 10.

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c) Nichtbestellung eines notwendigen Verteidigers Der absolute Revisionsgrund § 338 Nr. 5 StPO ist gegeben, wenn eine Pflichtverteidigerbestellung entgegen § 418 Abs. 4 StPO unterblieben ist.602 Gem. den §§ 353, 354 Abs. 2 StPO wird das Urteil aufgehoben und die Sache zurück an das Amtsgericht verwiesen, welches nicht mehr gem. den §§ 417–420 StPO beschleunigt, sondern im Regelverfahren verhandelt.603 Die Durchführung der Hauptverhandlung „sofort oder in kurzer Frist“ gem. § 418 StPO ist nicht mehr möglich. In Anbetracht des von einer Ansicht vermuteten Fehlverhaltens der Praxis im Umgang mit der Norm, auch hinsichtlich sich überraschend erst in der Hauptverhandlung ergebender Strafverhängungsnotwendigkeiten von mindestens sechs Monaten, welche dann ohne Verteidiger im Urteil ausgesprochen werden, dürfte der Revisionsgrund danach nicht selten gegeben sein,604 wobei hier eher angenommen wird, dass die Norm umgangen wird. IV. Rechtstatsächlicher Umgang mit den Voraussetzungen des § 418 StPO 1. Verfahrensmodelle und genutzte Beschleunigungsmöglichkeiten a) Zeitliche Untergrenze des in kurzer Frist durchgeführten beschleunigten Verfahrens (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam (a) Normalähnliches beschleunigtes Verfahren Auf alle 147 Fälle, in denen gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt wurde,605 wandten Staatsanwaltschaft und Gericht das Modell eines normalähnlichen beschleunigten Verfahrens an. Besonders beschleunigte Verfahren, etwa am Tat- oder Folgetag fanden nicht statt. Bei keinem Beschuldigten wurde also aufgrund von Vorführung oder freiwilliger Stellung gem. § 418 602 s. OLG Karlsruhe NJW 1999, S. 3061; BayObLG NStZ 1998, S. 372 f. In der Berufungsverhandlung hingegen ist die fehlerhafte Nichtbestellung in der Vorinstanz wegen der von Grund auf neuen Verhandlung ohne prozessrechtliche Konsequenzen, das Berufungsgericht prüft vielmehr selbst, ob eine Verteidigerbestellung gem. § 140 StPO in Betracht kommt, s. Tiedemann, 2008, S. 188 f. m. w. Nw. 603 s. Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 115. 604 Vgl. Scheffler, ZRP 1998, S. 455, 456. 605 In 147 der 151 Fälle erging keine Ablehnungsentscheidung gem. § 419 StPO noch vor der Hauptverhandlung, s. oben B. II. 1. c).

IV. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 418 StPO

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Abs. 2 S. 1 StPO auf eine Ladung verzichtet.606 Es gab keine Sammeltermine, keine Anträge gem. § 417 StPO zusammen mit einem Haftantrag gem. § 127b StPO sowie generell keine Vorführungen aus der Hauptverhandlungs- oder auch Untersuchungshaft zum beschleunigten Verfahren.607 Das für das beschleunigte Verfahren geschaffene Institut der Hauptverhandlungshaft gem. § 127b StPO erscheint im Landgerichtsbezirk Potsdam rechtstatsächlich nicht von Bedeutung.608 (b) Wegfall des förmlichen Zwischenverfahrens Entsprechend der richtigerweise als zwingend zu verstehenden Vorschrift des § 418 Abs. 1 S. 1 StPO ergingen keine Entscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens. (c) Zeiträume zwischen Zustellung der Ladung und Beginn der Hauptverhandlung, § 418 Abs. 2 S. 3 StPO Die Hauptverhandlungen wurden nicht sofort, sondern in kurzer Frist durchgeführt. Dabei interessierten hinsichtlich der Frage der Zeiteinsparungsmöglichkeit im beschleunigten Verfahren sowie hinsichtlich des Umgangs mit der zeitlichen Untergrenze eines in kurzer Frist durchgeführten beschleunigten Verfahrens (§ 418 Abs. 2 S. 3 StPO)609 zunächst die Zeiträume zwischen der Stunde der Zustellung der Ladung (Fristbeginn) und Beginn der Hauptverhandlung (Fristende).610 Die Ermittlung dieser Zeiträume gestaltete sich als schwierig. Die Ladungen im beschleunigten Verfahren wurden teilweise, je nach Handhabung des zuständigen Gerichts, nicht förmlich zugestellt. Vielmehr wurde der Beschuldigte etwa am AG Potsdam von der Polizei oder der Staatsanwalt606

s. aber zu den Besonderheiten beim AG Potsdam gleich im Folgenden. Indes kam es entsprechend § 230 StPO zu Vorführungen aufgrund von unentschuldigtem Nichterscheinen zur Hauptverhandlung trotz Ladung. 608 Dies wird man nach der offiziellen Statistik bei 46 Verfahren in denen ein Beschuldigter zur (letzten) Hauptverhandlung aus der Hauptverhandlungshaft (§ 127b StPO) vorgeführt wurde auf insgesamt 2654 Verfahren in Brandenburg, die 2005 im Zeitpunkt der Erledigung als beschleunigte Verfahren anhängig waren, auch für das ganze Land Brandenburg sagen dürfen (s. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.3 für das Jahr 2005, S. 22 f.). 609 Dies insbesondere auch hinsichtlich der teilweise für das beschleunigten Verfahren befürchteten Nichteinhaltung des Rechts des Beschuldigten auf ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gem. Art. 6 Abs. 3b EMRK. 610 s. zu Frist und Berechnung HK-Krehl, § 418 Rn. 2; LR25-Gössel, § 418 Rn. 23 sowie oben C. III. 2. b) (1). 607

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schaft „formlos geladen“. Damit befanden sich in den Akten der Fälle mit der Zuständigkeit des AG Potsdam sowie (wenn auch aufgrund anderer Vorgehensweise) mit der Zuständigkeit des AG Brandenburg an der Havel und vereinzelt auch mit der Zuständigkeit des AG Nauen keine Zustellungsurkunden, welche eine Berechnung des Zeitraums ermöglicht hätten. Es bestanden insoweit lediglich – und auch nicht stets – Vermerke, welche den Tag des Abgangs der formlosen Benachrichtigung festschrieben. Folglich musste eine nach den einzelnen Amtsgerichten differenzierende Betrachtung vorgenommen werden. (aa) Die Praxis des AG Potsdam In allen Fällen des AG Potsdam wird auf den ersten Blick „geladen“. Die „Ladungen“ und Terminierungen zur Hauptverhandlung sind allerdings von 5 Ausnahmen abgesehen sämtlich von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft verfasst. Entweder teilt bereits die Polizei den von ihr ausgewählten Hauptverhandlungstermin dem Beschuldigten mit und reicht eilig die Akten an die Staatsanwaltschaft weiter. Oder die Staatsanwaltschaft wählt einen Hauptverhandlungstermin, teilt diesen dem Beschuldigten mit und reicht die Akten eilig zusammen mit dem Antrag gem. § 417 StPO an das Gericht weiter. Lediglich in den 5 Ausnahmefällen mit heranwachsenden Beschuldigten, die gem. den §§ 33, 107 JGG zur Zuständigkeit der Jugendgerichte gehören, terminierten und luden die Richter selbst.611 Die Ladungen geschehen „formlos“, sie werden nicht förmlich zugestellt. Vergleichsweise ist auch im Regelverfahren für die Ladung eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben. Gemäß Nr. 117 Abs. 1 RiStBV auf der Ebene der Verwaltungsvorschriften soll sie jedoch dem auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten förmlich zugestellt werden. Nichts anderes ist sinnvoll, muss doch die Einhaltung der Frist des § 217 Abs. 1 StPO oder auch das Vorliegen der Voraussetzung einer Vorführung gem. § 230 Abs. 2 StPO überprüfbar sein, was mithilfe der Zustellungsurkunde geschieht.612 Dies wäre für die Überprüfung der Voraussetzungen und Fristen im beschleunigten Verfahren von ebenso großer Bedeutung und geschieht gleichwohl nicht. Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich bei den vorliegenden Polizei- und Staatsanwaltschaftsladungen überhaupt um Ladungen im Sinne 611 Von den 78 relevanten Fällen des AG Potsdam mit beschleunigter Hauptverhandlung fanden 5 mit heranwachsenden Beschuldigten statt. In zwei dieser fünf Fälle wurden die Ladungen (ohne ersichtlichen Ausnahmegrund) auch förmlich zugestellt. 612 s. auch KK-Gmel, § 216 Rn. 3: Förmliche Zustellung nach § 35 Abs. 2 S. 1 nötig.

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der §§ 418 Abs. 2, 214, 216 f. StPO handelt – und damit entsprechende Fristen einzuhalten sind. Zwar werden sie auf den staatsanwaltschaftsinternen Formblättern so bezeichnet, auch erfüllen sie den Zweck einer Ladung, andererseits können sie keine rechtmäßigen Ladungen sein. Die Ladung zur Hauptverhandlung ordnet der Vorsitzende an, nicht die Polizei oder Staatsanwaltschaft, § 214 StPO.613 Auch lautet die ausdrückliche Formulierung der Zuschrift an den Beschuldigten nicht „Ladung“. Die Anschreiben des Polizeipräsidiums Potsdam614 sind mit „Terminsnachricht“ überschrieben. Nach der Anrede folgt: „In der Strafsache gegen Sie wegen [. . .] soll im beschleunigten Verfahren verhandelt werden. Als Termin zur Hauptverhandlung vor dem Strafrichter bei dem AG Potsdam [. . .] ist der [. . .] um [. . .] vorgesehen. Sofern Sie nicht freiwillig zu dem anberaumten Termin erscheinen, müssen Sie damit rechnen, durch das Gericht geladen zu werden. Die Ladung durch den Richter kann dann auch mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden.“ Es drängt sich die Frage auf, inwieweit ein in aller Regel rechtsunkundiger Beschuldigter diese Worte verstehen wird. Entscheidend für die Freiwilligkeit der Stellung ist die Sicht des Beschuldigten.615 Auf der Mitteilung steht nicht: „Ihr Erscheinen ist freiwillig.“ Vielmehr muss der Beschuldigte „damit rechnen616, durch das Gericht geladen zu werden. Die Ladung durch den Richter kann dann auch mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden.“ Dass der Rechtsunkundige erkennt, dass die Ladung erstmals durch den Richter verfasst werden muss, ihm per Post zugestellt wird und er zu diesem neu festgelegten Termin erneut noch nicht vorgeführt werden darf, sondern erst (gem. § 230 Abs. 2 StPO), wenn er auch zu diesem Termin unentschuldigt ausbleibt, wird man kaum annehmen können. Im Regelfall wird der Beschuldigte also aufgrund dieser Schreiben sich nicht freiwillig stellen, sondern vor Gericht erscheinen, um die „Zwangsmittel“ zu vermeiden. Dann hätte mangels freiwilliger Stellung oder Vorführung gem. § 418 Abs. 2 StPO nicht auf die Ladung verzichtet werden dürfen. Gegenüber dem Beschuldigten ist also nicht nur die Ladungsfrist nicht eingehalten worden, die Ladung fehlt gänzlich. Gemäß § 217 Abs. 2 StPO (argumentum a minore ad maius) könnte er die Aussetzung der Verhandlung verlangen. Freilich weiß dies kein Beschuldigter und tut es folglich auch nicht. Die Justizamtierenden können faktisch ohne Störungen im beschleunigten Ablauf diesen rechtsfehlerhaften Weg gehen. 613 Hiervon besteht für das beschleunigte Verfahren keine abweichende Regelung. s. zum Ganzen oben C. III. 2. b) (2) (a). 614 Bspw. in den Fällen 32, 50, 71, 107, 145. 615 s. oben C. III. 2. a) (2). 616 Kursivsetzung durch Verf.

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Dem entgegen könnte man der Auffassung sein, dass aufgrund der Formulierung der Terminsmitteilungen, „sofern Sie nicht freiwillig erscheinen [. . .]“, der Beschuldigte bei gehöriger Anstrengung der Geisteskräfte erkennen kann und wird, dass er keiner Erscheinenspflicht unterliegt. Etwaig verbleibende Unsicherheit wird der Beschuldigte durch Einholung von Rechtsrat ausgeräumt haben.617 Beschriebenes Modell ist danach eine Technik, den Beschuldigten zwar faktisch zu laden, rechtlich jedoch freiwillig erscheinen zu lassen. Damit liegt eine Mischform des besonders beschleunigten und normalähnlichen beschleunigten Verfahrens vor. Aus den typischerweise zu Modellen des besonders beschleunigten Verfahrens gehörenden Elementen der Vorführung oder freiwilliger Stellung zur Hauptverhandlung wird letzteres als Regelmaßnahme im normalähnlichen beschleunigten Verfahren angewandt. Durch diese Technik sind trotz der „Polizei- und Staatsanwaltschaftsladungen“ die Voraussetzungen des § 418 Abs. 2 StPO erfüllt. Denn von der (ordnungsgemäßen) Ladung kann abgesehen werden, wenn der Beschuldigte aufgrund einer „Polizeiladung“, die tatsächlich lediglich die Mitteilung eines Termins ist, freiwillig zur Hauptverhandlung erscheint. Doch gleich, wie man die Rechtspraxis des AG Potsdam qualifizieren möchte, kommt man zu einer Rechtsfehlerhaftigkeit. Zwar fehlt, schließt man sich zweiter Auffassung an, die Ladung nicht, doch ist die Terminsbestimmung durch Polizei oder Staatsanwaltschaft immer ein Verstoß gegen § 213 StPO. Die Strafprozessordnung kennt in ihrer derzeitigen Fassung wie auch von ihren Verfahrensprinzipien her keine Anberaumung eines gerichtlichen Hauptverhandlungstermins durch ein Organ der Exekutive. Gegen verschiedene Vorschriften des Strafverfahrensrechts und Verfahrensprinzipien verstoßen überdies generell die „Polizeiladungen“.618 Die Staatsanwaltschaft verliert ihre Rolle als Herrin des Ermittlungsverfahrens, ihr Anklagemonopol und ihr Weisungsrecht. Befürchtet wurde, dass in diesem Modell beschleunigte Hauptverhandlungen stattfinden, obwohl zutreffenderweise das Verfahren einzustellen gewesen wäre bzw. das Strafbefehlsverfahren vorrangig gewesen wäre. In 14 der 78 Fälle mit beschleunigter Hauptverhandlung des AG Potsdam wurde der Beschuldigte von der Polizei „geladen“ (17,95%). Die Fälle und die Formblätter der Polizei zeigen, dass keine Terminierung und „Ladung“ durch die Polizei erfolgt, wenn der Beschuldigte Heranwachsender ist oder sich bereits des Beistandes eines Verteidigers bedient. Eine auffällig hohe Einstellungsquote dieser Fälle vor Ge617 Im Ergebnis wohl in diese Richtung geht Gössel, der etwa meint, dass Freiwilligkeit der Stellung bei Verdeutlichung der Rechtslage (bei Nichterscheinen keinen Sanktionen zu unterliegen) auch gegeben ist, wenn die Terminsmitteilung äußerlich als Ladung erscheint (LR25, § 418 Rn. 29). 618 s. dazu ausführlich oben C. III. 2. b) (2) (a).

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richt, welche deutliche Anhaltspunkte für die geäußerte Vermutung geliefert hätte, war nicht festzustellen. Zwei der 14 Fälle wurden gem. § 153a Abs. 2 StPO eingestellt, bei allen anderen wurden Geldstrafen verhängt. Allerdings wurden Beschuldigte von der Polizei ausschließlich bei Straßenverkehrsdelikten geladen, welche offenbar aus kriminalpolitischen Gründen ohnehin kaum eingestellt werden, was eine praktische Lösung der erkannten Problematik darstellen könnte. Die Zeiten zwischen den „Ladungen“ und dem Beginn der Hauptverhandlung konnten also am AG Potsdam mangels Zustellungsurkunden nicht nur nicht ermittelt werden, sie sind auch ohne rechtliche Relevanz. Hält man das Erscheinen der Beschuldigten aufgrund der Terminsnachrichten der Polizei- und Staatsanwaltschaft für freiwillig, so war aufgrund der Entbehrlichkeit der Ladung gem. § 418 Abs. 2 StPO keine Ladungsfrist einzuhalten. Hält man es indes nicht für freiwillig (so dass gem. § 418 Abs. 2 StPO eine Ladung erforderlich wäre), so liegt ohnehin überhaupt keine Ladung vor, da die Ladung zur Hauptverhandlung gem. § 214 StPO der Vorsitzende anordnen muss. Dennoch sind die Zeiträume in tatsächlicher Hinsicht interessant. Untersucht wird ja auch die tatsächliche Beschleunigung gegenüber dem Regelverfahren. Auch soll eine etwaige Einschränkung des Rechts des Beschuldigten auf ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gem. Art. 6 Abs. 3b EMRK untersucht werden. Unterstellt man, dass die Terminsnachrichten bereits an dem Tag, der in den Akten unter „Abgang“ vermerkt ist, in den regulären Postweg Eingang fanden, so beträgt der durchschnittliche Zeitraum zwischen einem unterstelltem Zugang am Folgetag und dem Tag der Hauptverhandlung 10,47 Tage.619 Diese noch über der Ladungsfrist des Regelverfahrens (§ 217 Abs. 1 StPO) liegende durchschnittliche Dauer überrascht im beschleunigten Verfahren. Auch finden sich Anhaltspunkte, dass trotz der besonderen Verfahrensart keine rigide Durchsetzung der Termine versucht wird: Im Fall 71 wurde der Termin auf Bitte des Beschuldigten, im Fall 89 auf Bitte seines Verteidigers verlegt. Der kürzeste nach diesen Kriterien feststellbare Zeitraum betrug 3 Tage.620 In einem Fall,621 bei dem der Zeitraum zwischen „Ladung“ und Beginn der Hauptverhandlung aus den Akten auch nicht mittels der angewandten 619 Die Zeiträume der „Polizeiladungen“ liegen dabei verhältnismäßig etwas über denen der „Staatsanwaltschaftsladungen“. Dies wird schon daran liegen, dass die Polizei nach Terminierung und Ladung ja die Akten noch an die Staatsanwaltschaft weiterreichen muss und diese sie dann erst an das Gericht weiterreicht, also ein größerer Zeitraum aufgrund der Aktenumlaufzeiten erforderlich ist. 620 Fall 68. 621 Fall 1.

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Unterstellungen zu entnehmen war, rügte der Verurteilte in der Berufung die Nichteinhaltung der Ladungsfrist. Der wegen § 315c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung Verurteilte hatte nach der Feststellung des Gerichts betrunken mit dem Fahrrad einen Fußgängerüberweg befahren, wobei er das Rotlicht nicht beachtete und von einem PKW angefahren wurde, an dem ein Lackschaden entstand. Die Berufung begründete er u. a. damit, dass er von der am Morgen des 19.04.05 stattfindenden Hauptverhandlung erst am 18.04.05 während der Arbeit per Handy durch seinen Bewährungshelfer erfuhr. Auch den Brief mit der Ladung konnte er erst am Abend des 18.04.05, einem Montag, in seinem Briefkasten finden. Der Brief enthalte einen Poststempel vom 15.04.05. Es sei ihm darum nicht möglich gewesen, sich noch um einen Rechtsbeistand zu kümmern. Vor dem LG Potsdam hatte der Verurteilte insoweit Erfolg, als er rügte, dass die Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zuvor hatte er die Berufung auf diese Frage beschränkt, die Frage der Ladungsfrist wurde nicht weiter thematisiert. Abgesehen von diesem nicht aufzuklärenden Einzelfall ist für das AG Potsdam festzuhalten, dass die Zeiträume zwischen Mitteilung des Hauptverhandlungszeitpunktes und Hauptverhandlung sich ganz regelmäßig nicht in einem Bereich bewegen, der, wie häufig für das beschleunigte Verfahren befürchtet wird, hinsichtlich Art. 6 Abs. 3b EMRK problematisch sein könnte. (bb) Die Praxis des AG Brandenburg an der Havel Am AG Brandenburg a. d. H. wurde der Hauptverhandlungstermin in allen 43 Fällen mit beschleunigter Hauptverhandlung vom Gericht festgesetzt. Die Beschuldigten wurden sämtlich durch das Gericht geladen. Allerdings wurden die Ladungen, mit zwei Ausnahmen,622 nicht förmlich zugestellt. Eine Überprüfung der (anders als am AG Potsdam nicht ohnehin irrelevanten) Einhaltung der Ladungsfrist gem. § 418 Abs. 2 S. 3 StPO oder der Voraussetzung einer Vorführung gem. § 230 Abs. 2 StPO ist damit in den beschleunigten Verfahren des AG Brandenburg a. d. H. generell nicht möglich. Andererseits wird das Vorgehen im Vergleich zu einer förmlichen Zustellung möglicherweise zeit- und jedenfalls kostensparend sein. Wiederum können die Zeiträume ermittelt werden, die zwischen einem unterstellten Zugang am Folgetag des „formlose[n] Abgang[s]“ und dem (ersten) Hauptverhandlungstermin lagen. So lässt sich annäherungsweise ein 622

Fälle 18, 143. Ein Grund für die Abweichung war aus den Akten nicht ersichtlich. In beiden Fällen hatte allerdings die Richterin den Vorsitz, die verhältnismäßig die wenigsten untersuchten Fälle des AG Brandenburg a. d. H. bearbeitete.

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Bild der erreichten Beschleunigung und hinsichtlich ggf. zu kurzer Ladungsfristen gem. § 418 Abs. 2 S. 3 StPO i. V. m. Art. 6 Abs. 3b EMRK zeichnen. In beinahe allen Fällen war nach diesem Vorgehen der Zeitraum ersichtlich. Lediglich aus einigen Akten war auch kein Abgangszeitpunkt zu ermitteln. Der durchschnittliche Zeitraum betrug 11,25 Tage. Der kürzeste ermittelte Zeitraum betrug 3 Tage.623 Wiederum erfolgte in einem Fall auf Bitte des Beschuldigten eine Terminsverlegung. Auch am AG Brandenburg a. d. H. erfolgen grundsätzlich also keine extrem kurzfristigen Ladungen, und die Terminierungen werden auch nicht rigide durchgesetzt.

(cc) Die Praxis des AG Nauen Auch am AG Nauen wurde der Hauptverhandlungstermin stets vom Gericht festgesetzt. Polizei- oder Staatsanwaltschaftsladungen zur Hauptverhandlung fanden nicht statt. Die Mehrzahl der gerichtlichen Ladungen zur Hauptverhandlung (13 der insgesamt 18 Fälle) wurde förmlich zugestellt. Die Fälle, in denen nicht förmlich zugestellt wurde und die mithin die Überprüfung der Einhaltung der Ladungsfrist etc. unmöglich machen, dafür ggf. zeit- und kostensparender sind, wurden von derselben Richterin bearbeitet.624 Inwieweit Beschleunigungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden und inwieweit folglich die beschleunigte Verfahrensart tatsächlich vom Regelverfahren abweicht, hängt also nicht nur vom Gericht (insbesondere von dessen Größe und damit Organisationsmöglichkeit), sondern auch von der einzelnen Richterperson ab. Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Zugang der Ladung und (erstem) Hauptverhandlungstermin betrug in den Fällen mit förmlich zugestellten Ladungen 20,4 Tage. Der kürzeste Zeitraum betrug 11 Tage.625 623

Fall 124. Deren Rechtsauffassung (Fälle 37, 123, jeweils S. 1 des Hauptverhandlungsprotokolls), der Abgangsstempel und die Tatsache, dass die Post nicht zurückgelangt sei, beweise die ordnungsgemäße Ladung, begegnet Bedenken. Zum einen kann durch den Abgangsstempel der Zugang nicht festgestellt werden, und nicht die im beschleunigten Verfahren relevante genaue Stunde des Zugangs (vgl. § 418 Abs. 2 S. 3 StPO). Auch beweist das Nichtzurückgelangen eines Briefes im Gegensatz zu einer Zustellungsurkunde nicht, dass der Beschuldigte oder ein Angehöriger ihn erhalten hat. Im Fall 123 wird die Problematik der Auffassung überdies hinsichtlich der kurzen Fristen im beschleunigten Verfahren deutlich: Am 23.05. wurde im Hauptverhandlungsprotokoll vermerkt, von ordnungsgemäßer Ladung werde ausgegangen, da diese nicht zurückkam. Der Beschuldigte blieb aus, und es wurde ins Strafbefehlsverfahren übergegangen. Am 24.05. gelangte die Terminsladung zum AG mit dem Vermerk zurück: Empfänger unbekannt. 625 Fall 96. 624

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

In den Fällen mit formlosen Ladungen betrug der annäherungsweise ermittelte durchschnittliche Zeitraum zwischen einem unterstellten Zugang am Folgetag des formlosen Abgangs und dem (ersten) Hauptverhandlungstermin 12,8 Tage. Der kürzeste Zeitraum lag bei 5 Tagen.626 Damit sind erneut keine sehr kurzfristigen Ladungen zu beobachten. Die Ladungszeiten dieses kleinen Gerichts übersteigen sogar noch deutlich jene der Amtsgerichte Potsdam und Brandenburg a. d. H. Diejenigen der förmlich zugestellten Ladungen liegen bereits deutlich über dem Zeitraum, der nach hier vertretener Auffassung insgesamt zwischen dem Eingang des Antrags auf ein beschleunigtes Verfahren gem. § 417 StPO und dem Beginn der Hauptverhandlung liegen darf.627 Auffällig ist auch der deutlich kürzere Zeitraum in den Fällen ohne förmliche Zustellung, wobei offen bleibt, ob die nicht förmliche Zustellung organisatorisch schneller ablaufen kann oder bei den Richtern, die eine solche anwenden, lediglich die Motivation vorhanden ist, im Sinne eines beschleunigten Verfahrens kurzfristig zu laden. (dd) Die Praxis des AG Rathenow Die Hauptverhandlungstermine wurden in allen 8 Fällen vom Gericht festgesetzt, alle Ladungen zur Hauptverhandlung wurden förmlich zugestellt. Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Zugang der Ladung und (erstem) Hauptverhandlungstermin betrug 9,08 Tage. Der kürzeste Zeitraum betrug 4 Tage.628 Damit bestehen Anhaltspunkte, dass hinsichtlich der soeben aufgeworfenen Frage der größeren Beschleunigungsmöglichkeit bei nichtförmlicher Zustellung vielmehr der Motivation, kurzfristig zu terminieren, ausschlaggebendes Gewicht zukommt. (2) Berlin (a) Normalähnliches beschleunigtes Verfahren Auch in Berlin wurde auf alle 91 Fälle, in denen gem. den §§ 417 bis 420 StPO verhandelt wurde, das Modell eines normalähnlichen beschleunigten Verfahrens angewandt. Besonders beschleunigte Verfahren, etwa am Tat- oder Folgetag, z. B. mit Vorführungen aus der Hauptverhandlungshaft, fanden sich in den ausgehändigten Akten nicht. Auch freiwillige Stellungen 626

Fall 123. s. zu der Frist des § 418 Abs. 1 oben C. III. 2. b) (3) und ausführlich dazu im Folgenden. 628 Fälle 53, 127. 627

IV. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 418 StPO

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oder sonstige Vorführungen, welche eine Ladung gem. § 418 Abs. 2 S. 1 StPO verzichtbar gemacht hätten, kamen in den Fällen nicht vor.629 Das gänzliche Fehlen besonders beschleunigter Verfahren im Aktenmaterial überraschte. Immerhin weist die offizielle Statistik einen nicht geringen Prozentsatz von Verfahren in Berlin aus, bei denen ein Beschuldigter aus der Hauptverhandlungshaft vorgeführt wurde,630 und auch bei den Prozessbeobachtungen gab es an manchen Tagen zumindest ein oder zwei Fälle mit Vorführung aus Polizei- bzw. Hauptverhandlungshaft. Die – oft sehr kritisch betrachteten – besonders beschleunigten Verfahren seien aber aus der Zufallsauswahl nicht bewusst herausgehalten oder anderweitig zurückgehalten worden, erklärte auf Nachfragen der zuständige Sachbearbeiter der Amtsanwaltschaft Berlin. Vielmehr handele es sich einerseits eben um einen Zufall, dass solche Verfahren nicht in die gezogenen gekommen seien, andererseits sei vor allem das Wesen der besonders beschleunigten Verfahren dafür verantwortlich. Diese würden überwiegend gegen Wohnsitzlose und Nichtdeutsche durchgeführt. Werde nach einer Verurteilung zu Geldstrafe diese nicht innerhalb von 2 Wochen gezahlt, was regelmäßig eintrete, würden die Akten an die Staatsanwaltschaft Berlin zur Vollstreckung weitergegeben. Es sei also wahrscheinlich, dass die besonders beschleunigten Verfahren sich in der Mehrzahl noch zur Vollstreckung bei der Staatsanwaltschaft Berlin befänden und darum nicht in die Ziehung gelangen konnten. Ein weiterer Versuch, auch solche Fälle zur Auswertung zu erhalten, konnte nicht unternommen werden. Viele der Ergebnisse lassen sich indes übertragen und gelten insbesondere hinsichtlich der Kritikpunkte bei der besonders beschleunigten Verfahrensart eher noch verstärkt. Unmittelbar betreffen die folgenden Ausführungen normalähnliche beschleunigte Verfahren in Berlin. (b) Wegfall des förmlichen Zwischenverfahrens Auch in Berlin ergingen gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO keine Entscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens. 629 Sammeltermine und Anträge gem. § 417 StPO zusammen mit Haftanträgen gem. § 127b StPO kamen gleichfalls nicht vor. 630 631 Verfahren, in denen ein Beschuldigter zur (letzten) Hauptverhandlung aus der Hauptverhandlungshaft (§ 127b StPO) vorgeführt wurde, auf insgesamt 3144 Verfahren in Berlin, die 2005 im Zeitpunkt der Erledigung als beschleunigte Verfahren anhängig waren (20,07%), s. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.3 für das Jahr 2005, S. 22 f.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

(c) Zeiträume zwischen Zustellung der Ladung und Beginn der Hauptverhandlung, § 418 Abs. 2 S. 3 StPO „Polizeiladungen“ gibt es in Berlin nicht. Anders als im Landgerichtsbezirk Potsdam wurden die Ladungen zur beschleunigten Hauptverhandlung auch immer förmlich zugestellt. Folglich konnten die Zeiträume zwischen Zustellung der Ladung und Beginn der Hauptverhandlung unproblematisch ermittelt werden. Sichtbar wurde so einerseits die tatsächlich erreichte Beschleunigung in diesem Abschnitt des Verfahrens sowie, ob die wegen Art. 6 Abs. 3b EMRK mindestens drei Tage betragende Ladungsfrist631 eingehalten wurde. 18,28

20 15 10 5 0

10,47

11,25

AG Potsdam (unterstellt)

AG Brandenburg a. d. H. (unterstellt)

AG Nauen (teilweise unterstellt)

9,08

9,68

AG Rathenow

Berlin

Abbildung 4: Durchschnittliche Zeit (Tage) zwischen Zustellung der Ladung und Beginn der beschleunigten Hauptverhandlung

Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Zugang der Ladung und Beginn der Hauptverhandlung betrug in Berlin 9,68 Tage.632 In mehreren Fällen betrug er mehr als 15, die höchste Dauer waren exakt 20 Tage.633 In 4 Fällen wurde keine Ladungsfrist von drei Tagen eingehalten, in einem davon wurde die Ladung an einem Tag ohne Angabe der Stunde zu übergeben versucht und in den Wohnungsbriefkasten eingeworfen, am nächsten Tag um 09.30 Uhr fand die Hauptverhandlung statt.634 Damit wurde offenbar selbst der zu kurz gefasste Gesetzeswortlaut von 24 Stunden (§ 418 Abs. 2 S. 3 StPO) unterschritten. Die auch in Berlin eher lange Dauer von 9,68 Tagen scheint also nicht dem Grund geschuldet, dass man eine sehr kurze Ladungsfrist für unzulässig hält. 631

s. oben C. III. 2. b) (1). In 2 Fällen waren die Zeiträume aus den Akten mangels Angaben nicht zu entnehmen. 633 Fall 41. 634 Fall 51. 632

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b) Umgang mit den Anforderungen an die Ladung des Beschuldigten gem. § 418 Abs. 2 S. 2 StPO – Landgerichtsbezirk Potsdam und Berlin Mit der Ladung wird dem Beschuldigten der Tatvorwurf mitgeteilt, § 418 Abs. 2 S. 2 StPO. Dies geschieht bei allen Gerichten im Landgerichtsbezirk Potsdam und auch in Berlin mittels Übersendung einer Abschrift der stets bereits verfassten Anklageschrift. Ausnahme ist das AG Potsdam im Falle der „Polizeiladungen“. Die Polizei „lädt“ den Beschuldigten nach Abfrage des bei der Staatsanwaltschaft geführten Terminkalenders, leitet dann die Akten des Vorgangs, also den abschließenden Bericht, Zeugenvernehmungen und den Vernehmungsbogen einer Beschuldigtenvernehmung an die Staatsanwaltschaft weiter, die stets eine Anklageschrift verfasst und diese gemeinsam mit dem von der Polizei gewählten Hauptverhandlungstermin kurzfristig an das Gericht weiterleitet. Dadurch liegt eine Anklageschrift vor, es ist also nicht nötig, gem. § 418 Abs. 3 StPO die Anklage bei Beginn der Hauptverhandlung mündlich zu erheben und ihren wesentlichen Inhalt zu protokollieren. Allerdings wird dem Beschuldigten nicht, wie von § 418 Abs. 2 S. 2 StPO vorgeschrieben, mitgeteilt, was ihm zur Last gelegt wird. Denn zum Zeitpunkt der „Polizeiladungen“ besteht noch keine Anklageschrift, deren Abschrift übersandt werden könnte.635 Lediglich wenn man davon ausgeht, dass eine freiwillige Stellung des Beschuldigten vorliegt, wäre das Vorgehen nicht auch hinsichtlich § 418 Abs. 2 S. 2 StPO rechtsfehlerhaft. Doch selbst dann erscheint es hinsichtlich der Verteidigung des Beschuldigten und dem Anspruch auf rechtliches Gehör ebenso bedenklich wie die mündliche Anklageerhebung,636 da der Beschuldigte erst zu Beginn der Hauptverhandlung mit der Verlesung der förmlichen Anklageschrift erfährt, was ihm konkret vorgeworfen wird. Dies kann in der Praxis allenfalls dadurch abgemildert werden, dass der Beschuldigte im Rahmen seiner Vernehmung bei der Polizei in Kenntnis gesetzt wird, welchem Tatvorwurf er genau ausgesetzt ist, was allerdings bereits durch die regelmäßig angewandte Ersetzung der Beschuldigtenvernehmung durch das Eröffnen der Gelegenheit, sich schriftlich zu äußern gem. § 163a Abs. 1 S. 2 StPO wieder abgeschwächt wird, insbesondere wenn der Beschuldigte das Schreiben nicht erhalten oder nicht verstanden hat. 635 In den „Ladungen“ der Polizei heißt es lediglich bspw.: „In der Strafsache gegen Sie wegen Trunkenheit im Verkehr am 20.03.2005 gegen 23.15 Uhr soll im beschleunigten Verfahren verhandelt werden. Als Termin zur Hauptverhandlung [. . .] ist der [. . .] vorgesehen.“ Vgl. zu den Anforderungen des § 418 Abs. 2 S. 2 StPO oben, C. III. 2. b) (2) (b). 636 s. o. C. I. 2. a).

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

c) Tatsächlich mit der Verfahrensart erreichte Beschleunigung und Einhaltung der Obergrenzen der kurzen Frist In verschiedener Hinsicht interessierte, welche Zeiträume zwischen Tatzeitpunkt, Antragseingang bei Gericht und der Hauptverhandlung gem. den §§ 417 bis 420 StPO lagen. Evaluiert werden sollte, ob das vom Gesetzgeber erhoffte Beschleunigungspotential tatsächlich ausgeschöpft werden kann. Oder ob im Gegensatz dazu in der Praxis gar mit Zeiträumen gearbeitet wird, welche die zulässige Durchführung eines beschleunigten Verfahrens ausschließen. Zunächst wird die Zeitspanne zwischen dem Eingang des Antrags auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 417 StPO bei Gericht und der Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung beleuchtet, sodann die Zeitspanne zwischen Tat und Hauptverhandlung. (1) Durchführung der Hauptverhandlung innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang Ohne Erreichung des Beschleunigungsziels sind die Eingriffe in die Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG durch die §§ 417 bis 420 StPO nicht zu rechtfertigen, die Frist des § 418 Abs. 1 Satz 2 StPO darf daher entgegen dem Wortlaut nach hier vertretener Ansicht grundsätzlich höchstens 2 Wochen betragen.637 (a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Antragseingang und (Beginn der)638 Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung betrug in Brandenburg im Landgerichtsbezirk Potsdam 1 Woche und 6 Tage (13,25 Tage)639 und lag damit – allerdings lediglich im Durchschnitt – knapp innerhalb der hier als noch zulässig angesehenen Grenze.640 637

s. oben C. III. 2. b) (3). s. zur Messung oben C. III. 2. b) (3) Fn. 532. 639 In 127 Fällen war der Zeitraum ersichtlich, sonst fehlten bspw. die Eingangsstempel. 640 Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Antragseingang und Durchführung der gesamten beschleunigten Hauptverhandlung(en) betrug in Brandenburg im Landgerichtsbezirk Potsdam ebenfalls 1 Woche und 6 Tage (13,42 Tage). Im gesamten Fallmaterial für den Landgerichtsbezirk Potsdam gab es nur ein beschleunigtes Verfahren mit mehr als einem Verhandlungstermin (Fall 88, AG Brandenburg a. d. H.). 13 Tage nach Antragseingang fand die erste Hauptverhandlung mit einem Zeugen statt, 21 Tage später eine zweite, zu der noch zwei weitere Zeugen geladen wurden. 638

IV. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 418 StPO

149

Deutliche Unterschiede ergaben sich, wenn man nach den jeweils zuständigen Gerichten differenziert. So wurde die größte Beschleunigung am AG Potsdam erreicht, mit durchschnittlich lediglich 4 Tagen zwischen Antragseingang und (Beginn der) Durchführung der Hauptverhandlung. Waren unzulässige „Polizei- oder Staatsanwaltschaftsladungen“ vorausgegangen, betrug der Zeitraum sogar nur durchschnittlich 3 Tage.641 Gelegentlich waren die Anträge und Anklageschriften nur 1 oder 2 Tage bei Gericht, bevor die Hauptverhandlung durchgeführt wurde, und nie länger als 5 Tage, es sei denn, es erfolgte eine Terminsverlegung auf Bitte des Beschuldigten oder seines Verteidigers. Waren die Verfahren hingegen vom Gericht anberaumt und die Beschuldigten vom Gericht geladen worden,642 so betrug der relevante Zeitraum im Durchschnitt 2 Wochen und 2 Tage, der längste, und auch insgesamt am AG Potsdam gemessene längste, Zeitraum 3 Wochen und 4 Tage. Auch zwei weitere dieser Verfahren überschritten die Zweiwochenfrist, ohne dass ein besonderer Grund dafür ersichtlich war. Am AG Brandenburg a. d. H. betrug der durchschnittliche Zeitraum 3 Wochen und 2 Tage. Lediglich bei 10 Fällen wurde die hier als zulässig erachtete Frist eingehalten, bzw. lag ein sichtbarer außerordentlicher Grund für die Überschreitung vor,643 bei 27, also beinahe drei Viertel der am AG Brandenburg a. d. H. in dieser Hinsicht messbaren Verfahren, lagen mehr als zwei Wochen zwischen Antragseingang und Durchführung der Hauptverhandlung und es war kein Grund für die Fristüberschreitung ersichtlich. Bei 2 dieser Verfahren waren auch die sechs Wochen, die § 418 Abs. 1 S. 2 StPO als Sollvorschrift wörtlich vorschreibt, nicht eingehalten, ohne dass ein besonderer Grund dafür erkennbar wurde.644 In einem weiteren Fall, auf den im Rahmen der Regelungen des § 419 StPO weiter einzugehen ist, lehnte das Gericht das beschleunigte Verfahren ab, terminierte dann aber neu und verfügte: „Verfahren bleibt als beschleunigtes Verfahren.“ Zwischen dem Antragseingang bei Gericht und dieser beschleunigten Hauptverhandlung lagen 4 Monate und 19 Tage. 641 Dabei geschahen die Erledigungen bei vorangegangenen „Polizeiladungen“ noch eiliger als bei den „Staatsanwaltschaftsladungen“, erstere lagen bei 2,9, letztere bei 3,4 Tagen. 642 Es handelte sich am AG Potsdam lediglich um 5 Fälle. 643 Die größte Beschleunigung wurde im Fall 101 mit 9 Tagen zwischen Antragseingang und Durchführung der Hauptverhandlung erreicht. 644 Die geringste Beschleunigung war im Fall 6 sichtbar, mit einer Zeit von 9 Wochen zwischen Antragseingang und Durchführung der Hauptverhandlung, wobei es in diesem Fall zu einer Verlegung auf Bitte des Verteidigers des Beschuldigten kam, die geringsten Beschleunigungen ohne ersichtlichen Grund wurden im Fall 105 und 134 mit 6 Wochen und 6 Tagen bzw. mit 6 Wochen und 4 Tagen gemessen.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Am AG Nauen betrug der durchschnittliche Zeitraum 4 Wochen und drei Tage. Die zulässigen zwei Wochen645 wurden nie eingehalten, die laut Normwortlaut zulässigen sechs Wochen nie überschritten. Am AG Rathenow lagen zwischen Antragseingang und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung durchschnittlich 9 Tage, die Zweiwochenfrist wurde in allen Fällen gewahrt (bzw. im Fall 77 aus ersichtlichem außerordentlichem Grund überschritten). Offenbar bestehen also in der Praxis im Landgerichtsbezirk Potsdam verschiedene Annahmen hinsichtlich der Eile, in der ein Verfahren durchgeführt werden muss, um noch zulässigerweise gemäß den §§ 417 bis 420 StPO verhandelt werden zu dürfen. Am AG Potsdam beeindruckt die Geschwindigkeit, wobei die Richter zumindest faktisch auch unter großem Druck stehen, wenn die Verhandlungen bereits terminiert sind. Bei ein oder zwei Tagen zwischen Eingang des Antrags und Hauptverhandlung wäre der Beschuldigte wohl nicht einmal mehr abzuladen. Am AG Brandenburg a. d. H. und am AG Nauen scheinen die Praktiker der Auffassung zu sein, dass der gesetzliche Normwortlaut entscheidend ist, was grundsätzlich allenfalls in der Hinsicht überrascht, dass am AG Brandenburg a. d. H. offenbar auch die Qualifizierung als Sollvorschrift in der Hinsicht verstanden wird, dass eine Überschreitung der sechs Wochen keines besonderen Grundes bedarf. Besonders auffällig war die strenge Einhaltung kurzer Fristen am AG Rathenow, obwohl die Hauptverhandlungstermine dort von den Richtern terminiert und die Beschuldigten förmlich geladen werden. Vergleicht man die Zahlen mit jenen des statistischen Bundesamtes für die durchschnittliche Verfahrensdauer (Anhängigkeit bei Gericht bis Erledigung), so wird doch eine erhebliche Beschleunigung sichtbar. Bei einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht in Deutschland im Jahr 2005 lagen im Durchschnitt zwischen Anhängigkeit und Erledigung 4 Monate, in Brandenburg 4,4 Monate, in Berlin 4,8 Monate. 48,4 Prozent der Verfahren dauerten ab Anhängigkeit in Brandenburg länger als 3 Monate bis zur Erledigung. In Berlin betrug die Zahl 50,3 Prozent.646 Bei den untersuchten beschleunigten Verfahren lagen zwischen dem vergleichbaren Antragseingang bei Gericht und der Erledigung hingegen in Brandenburg im Landgerichtsbezirk Potsdam lediglich 1 Woche und 6 Tage, in Berlin 2 Wochen und 5 Tage.647 Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei den Werten des statisti645

s. o. C. III. 2. b) (3). s. zu den Zahlen Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.3. (Rechtspflege Strafgerichte für das Jahr 2005), Nr. 2.5, S. 38 f. 647 Gemessen wurde hier der Zeitraum zwischen Antragseingang und Durchführung der gesamten beschleunigten Hauptverhandlung(en); s. zu Berlin unter dem folgenden Gliederungspunkt. 646

IV. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 418 StPO 35 30 25 20 15 10 5 0

151

31 23 16

13 9

Berlin

AG Rathenow

AG Nauen

AG Brandenburg a. d. H.

AG Potsdam

LG-Bezirk Potsdam

4

Abbildung 5: Durchschnittliche Zeit (Tage) zwischen Antragseingang und beschleunigter Hauptverhandlung

schen Bundesamtes die beschleunigten Verfahren enthalten sind, ein Vergleich, bei dem diese herausgerechnet wären, also noch wesentlich deutlicher ausfallen müsste. (b) Berlin Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Antragseingang und (Beginn der)648 Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung betrug in Berlin 2 Wochen und 2 Tage.649 Auch dieser Zeitraum ist, bereits im Durchschnitt, über dem hier als zulässig vertretenen. 59,38% der messbaren Verfahren überschritten die Zweiwochenfrist. Besondere Gründe waren jeweils nicht ersichtlich. Der längste gemessene Zeitraum zwischen Antragseingang und Beginn der beschleunigten Hauptverhandlung betrug 5 Wochen und 1 Tag,650 der kürzeste hingegen 1 Woche und 1 Tag.651 In Berlin wird allerdings, anders als im Landgerichtsbezirk Potsdam, wo bei Nichterscheinen des Beschuldigten regelmäßig ins Strafbefehlsverfahren übergegangen wird, meist ein neuer Termin anberaumt. Dadurch und auch aus anderen Gründen (etwa Zeugenladungen für den nächsten Verhandlungstermin nach Einlassung des Beschuldigten im 1. Verhandlungstermin), 648

s. zur Messung oben C. III. 2. b) (3) Fn. 532. Nicht einbezogen wurden die Verfahren, bei denen die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt wurde. Außerdem war in 24 Fällen mangels Angaben in den Akten (meist des Antragseingangs) der Zeitraum nicht festzustellen. Dies erstaunt in Anbetracht einer gesetzlich einzuhaltenden Frist. 650 Fall 54. 651 Fall 51. 649

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

sind in Berlin 15 der nicht abgelehnten beschleunigten Verfahren solche mit mehreren Verhandlungsterminen. Es ist in Berlin also besonders angezeigt, auch den durchschnittlichen Zeitraum zwischen Antragseingang und Durchführung der gesamten beschleunigten Hauptverhandlung(en) zu erfassen. Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Antragseingang und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung betrug in Berlin (wie bereits erwähnt) 2 Wochen und 5 Tage. Legt man den Zeitraum zwischen Antragseingang und Durchführung der gesamten beschleunigten Hauptverhandlung(en) an, so lag der längste Zeitraum nach insgesamt 4 Verhandlungsterminen bei 7 Wochen und 1 Tag.652 Auch bei den Verfahren, in denen es mehrere Verhandlungstermine gab und die dann stets den Zeitraum überschritten, waren keine besonderen Ereignisse ersichtlich, welche die Überschreitungen hätten rechtfertigen können. Meist erschienen die Beschuldigten nicht zur ersten Verhandlung oder sie bestritten die Vorwürfe, so dass ein neuer Termin mit Zeugenladungen stattfand. Dies sind jedoch keine besonderen Ereignisse in einem Strafverfahren, welche dann ein Ausnahmevorgehen zuließen. In Berlin ist also zu erkennen, dass in diesem Zeitabschnitt die Verfahren in der Mehrzahl zu lange dauern. Dies, obwohl Berlin ein eigenes „Schnellgericht“ nur für beschleunigte Verfahren eingerichtet hat. Ein Vergleich mit Brandenburg ist nur bezüglich der einzelnen untersuchten Amtsgerichte möglich. Deutlich schneller ist der Ablauf am AG Potsdam, doch ist die Vorgehensweise an diesem Gericht sehr problematisch. Aber auch das AG Rathenow hält die Zweiwochenfrist ein. Die anderen untersuchten Gerichte im Landgerichtsbezirk Potsdam wiederum gehen noch langsamer vor als Berlin. Auffällig war der unterschiedliche Umgang mit Situationen, in denen das beschleunigte Verfahren nicht in einem Verhandlungstermin abgeschlossen werden kann. Grundsätzlich gilt, dass dies – in prognostischer Hinsicht – Eignungsvoraussetzung für das Verfahren gem. den §§ 417 bis 420 StPO ist. Erschien im Landgerichtsbezirk Potsdam ein Beschuldigter nicht zu der terminierten Hauptverhandlung, so wurde regelmäßig ins Strafbefehlsverfahren übergegangen oder auch die Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 419 Abs. 2 StPO abgelehnt. Bei vehementem Bestreiten des Beschuldigten oder des in der Hauptverhandlung erkannten Erfordernisses eines Dolmetschers ergeht eine Ablehnungsentscheidung. In Berlin hingegen wird bei Nichterscheinen des Beschuldigten regelmäßig neu geladen und dann polizeilich vorgeführt. Bei intensivem Bestreiten wird oft ein neuer Termin mit mehr oder anderen Zeugen anberaumt, 652

Fall 81.

IV. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 418 StPO

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einmal gar ein Ortstermin. Der Ausprägung des Eignungskriteriums im Sinne der Erwartung nur eines Hauptverhandlungstermins wird in Berlin keine große Bedeutung beigemessen. (2) Durchführung der Hauptverhandlung innerhalb von sechs Monaten nach Tatzeitpunkt Mangels möglicher Zielerreichung eines beschleunigten Verfahrens ist die Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung sechs Monate nach dem Tatzeitpunkt nicht mehr zulässig. Solche Zeitspannen wären aber bereits Extremfälle. Das gesetzgeberische Ziel, dass die Strafe der Tat auf dem Fuß folge, verlangt wesentlich tatnähere Aburteilungen. Zu untersuchen war, welche Beschleunigung erreicht werden konnte. (a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Tatzeitpunkt und Durchführung der Hauptverhandlung betrug in Brandenburg im Landgerichtsbezirk Potsdam 2 Monate und 7 Tage. Dabei erreichten die einzelnen Gerichte unterschiedliche Beschleunigungen. So betrug der durchschnittliche Zeitraum am AG Potsdam lediglich 1 Monat und 24 Tage. Differenziert man weiter nach Art der Beschuldigtenladung fallen weitere Unterschiede auf. Die größte Beschleunigung konnte am AG Potsdam mittels der sehr problematischen „Polizeiladungen“ erwirkt werden. Bei diesen lagen im Durchschnitt zwischen Tat und Hauptverhandlung lediglich 1 Monat und 15 Tage,653 gefolgt von den „Staatsanwaltschaftsladungen“ mit 1 Monat und 24 Tagen654 und den allerdings lediglich 5 Fällen der Terminierung und Ladung durch das Gericht selbst mit 2 Monaten und 14 Tagen.655 Am AG Brandenburg a. d. H. lagen 2 Monate und 26 Tage im Durchschnitt zwischen Tat und durchgeführter beschleunigter Hauptverhandlung.656 653 Die kürzeste gemessene Zeitspanne bei mittels „Polizeiladungen“ durchgeführten beschleunigten Verfahren betrug 16 Tage. Dies war auch die insgesamt kürzeste Zeitspanne aller untersuchten beschleunigten Verfahren. Die längste Zeitspanne bei mittels „Polizeiladungen“ durchgeführten beschleunigten Verfahren betrug 2 Monate und 29 Tage. 654 Die kürzeste gemessene Zeitspanne lag hier bei 30 Tagen, die längste bei 3 Monaten und 15 Tagen. 655 Hier betrug die kürzeste Zeitspanne 1 Monat und 15 Tage, die längste 3 Monate und 16 Tage.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Am AG Nauen wurden für diesen Zeitraum im Durchschnitt 2 Monate und 24 Tage gemessen.657 Das AG Rathenow erreichte eine Beschleunigung von durchschnittlich 2 Monaten und 4 Tagen.658 Die Möglichkeit einer deutlichen Beschleunigung gegenüber dem Regelverfahren ist also erkennbar, auch wenn die genannten Zeiträume nicht dem Bild des „Ruck-Zuck-Verfahrens“659 entsprechen, das meist diskutiert wird. In keinem Fall im Landgerichtsbezirk Potsdam war die Verfahrensart wegen des Zeitraums zwischen Tat und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung evident unzulässig. Nach hier vertretener Auffassung trifft dies selbst noch für den Fall 134 am AG Brandenburg a. d. H. zu, bei dem zwischen Tat und Durchführung der Hauptverhandlung 5 Monate und 2 Tage lagen.660 Im Übrigen bestätigen die Werte zwar grundsätzlich die Vermutung, dass an größeren Gerichten mittels struktureller Maßnahmen auch eine größere Beschleunigung erreicht werden kann, allerdings sieht man etwa am Vergleich des wesentlich kleineren AG Rathenow mit dem AG Brandenburg a. d. H., dass dies nicht stets entscheidend ist. Besonders bemerkenswert ist insofern, dass das AG Rathenow anders als das AG Brandenburg a. d. H. auch alle Ladungen förmlich zustellte (und auch sonst alle Fristen strikt einhielt, gerade auch jene, die sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergeben). Deutlich wird erneut, dass der Motivation, eine wirkliche Beschleunigung zu erreichen, ggf. eine größere Bedeutung zukommen kann, als den theoretisch bestehenden organisatorischen Möglichkeiten.661

656 Die kürzeste gemessene Zeitspanne lag bei 1 Monat und 13 Tagen, die längste bei 5 Monaten und 2 Tagen. 657 Die kürzeste gemessene Zeitspanne lag bei 1 Monat und 26 Tagen, die längste bei 3 Monaten und 20 Tagen. 658 Hier war die schnellste Hauptverhandlungsdurchführung 1 Monat und 22 Tage nach Tatzeitpunkt, die langsamste 3 Monate und 3 Tage. 659 Vgl. etwa „Das Prinzip Ruck-Zuck“ in „Die Zeit“, 37/1998. 660 Für Unzulässigkeit indes Ranft (2005, Rn. 2337) sowie Scheffler (NStZ 1999, S. 268). 661 Dass Unterschiede hinsichtlich des „Ernstnehmens oder Mitziehens“ bei der Verfahrensart gegeben sind wurde bereits im Rahmen der Prozessbeobachtungen durch Äußerungen einiger Justizamtierender gegenüber dem Verfasser deutlich: Die Verfahrensart sei eben politisch von oben gewollt und man müsse mitmachen, faktisch gebe es aber kaum Veränderungen zum Regelverfahren.

IV. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 418 StPO

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(b) Berlin Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Tatzeitpunkt und Durchführung der Hauptverhandlung betrug in Berlin 4 Monate und 10 Tage, also ca. doppelt so lange wie im Landgerichtsbezirk Potsdam. Die Zeitpunkte waren bei allen 87 (nicht abgelehnten) beschleunigten Verfahren ersichtlich. Der kürzeste gemessene Zeitraum zwischen Tat und Hauptverhandlung betrug 1 Monat und 12 Tage.662 In 19 der 87 Fälle (22%) lag mehr als ein halbes Jahr zwischen der Tatbegehung und der (ersten) Hauptverhandlung, es wurde jedoch gleichwohl beschleunigt verhandelt. In 5 Fällen betrug der Zeitraum über ein Jahr, mit Spitzenwerten wie 14 Monaten und 8 Tagen,663 16 Monaten und 29 Tagen664 sowie 18 Monaten und 20 Tagen.665 In all diesen 19 Fällen war es unzulässig, ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen. Der Tatsache, dass in 8 der Verfahren eine Mehrzahl von Taten abgeurteilt wurde (insbesondere jene mit Vorwürfen gem. § 265a StGB), von denen einige näher am Hauptverhandlungstermin lagen, verstärkt auch für diese 8 die Kritik nur. Denn in diesen Verfahren ist es zusätzlich problematisch, von einem „einfachen Sachverhalt“ i. S. d. § 417 StPO auszugehen. Außerdem erscheint es keinesfalls vertretbar, eine Tat unzulässigerweise beschleunigt abzuurteilen, weil man im selben Verfahren auch noch andere Taten aburteilt, welche sich noch im zulässigen Zeitrahmen gem. den §§ 417 bis 420 StPO befinden. Im Übrigen fanden sich die Zeitüberschreitungen auch bei Einzeltaten mit Vorwürfen gem. § 185 StGB, § 303 StGB, 241 StGB oder § 242 StGB. Tatsächlich muss man also feststellen, dass eine vernünftige Erklärung oder eine Rechtsauffassung, auf die man sich stellen könnte, nicht aufzufinden ist. All diese Fälle hätten in der Berufungs- oder Revisionsinstanz kaum Bestand gehabt.666 Denn bei solchen Zeitüberschreitungen wird das vom Gesetzgeber formulierte667 und zugleich hinsichtlich Art. 3 GG rechtfertigende spezialpräventive Ziel einer Aburteilung, die der Tat auf dem Fuße folgt, ad absurdum geführt. Die Strafrechtspflege wird nicht, wie angestrebt, aufrechterhalten, 662 663 664 665 666 667

Fall 60. Fall 87. Fall 82. Fall 28. s. oben C. III. 5. b). s. BT-Drs. 12/6853, S. 34.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung 131

140 120 100 80 60

87

68

85 65

54

40 20 0 LG-Bezirk Potsdam

AG Potsdam

AG Brandenburg a. d. H.

AG Nauen

AG Rathenow

Berlin

Abbildung 6: Durchschnittliche Zeit (Tage) zwischen Tatzeitpunkt und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung

sie ist vielmehr bedroht, wenn Monate oder eineinhalb Jahre später Schadenswerte in Höhe von 76 Cent668 in einer öffentlichen Hauptverhandlung abgeurteilt werden. Tatsächlich sind es solche Zeiträume, aufgrund derer man beschleunigte Verfahren eingeführt hat. Jegliche erhoffte positive und rechtfertigende Zwecke eines beschleunigten Verfahrens, wie die bessere Erinnerungsfähigkeit von Zeugen oder die bessere Einsichtsfähigkeit von Tätern verlieren sich bei derartigem Fehlgebrauch der Verfahrensart. Hier offenbart sich, dass eine besondere Sorge begründet war, die den §§ 417–420 StPO entgegengebracht wurde: Die Normen wurden für bestimmte Sachverhalte in bestimmten Situationen geschaffen, werden allerdings auf ganz andere angewandt, weil es eben grundsätzlich angenehm und arbeitssparend ist, nicht an die Förmlichkeiten eines Regelverfahrens gebunden zu sein. Das Vorgehen in Berlin entspricht in dieser Hinsicht weder den Voraussetzungen der §§ 417 bis 420 StPO noch jenen des Art. 3 GG. 2. Verteidigung im beschleunigten Verfahren In der wissenschaftlichen Literatur wurde vermutet, dass die als Korrektiv eingeführte Vorschrift § 418 Abs. 4 StPO, welche eine notwendige Verteidigung im beschleunigten Verfahren bei Freiheitsstrafenerwartung von mindestens sechs Monaten festschreibt, umgangen wird.669 Dies, indem in der Verfahrensart lediglich Freiheitsstrafen beantragt werden, die knapp unterhalb der Sechs-Monats-Grenze liegen oder andernfalls die Geeignetheit zur sofortigen Verhandlung abgelehnt wird.

668

Fall 80. Vgl. etwa M-G, Vor § 417, Rn. 5; Volk, 2008, § 33 Rn. 13; Lemke/RothsteinSchubert, ZRP 1997, S. 488, 491. 669

IV. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 418 StPO

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a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Tatsächlich fand kein einziges beschleunigtes Verfahren der 147 relevanten Fälle im Landgerichtsbezirk Potsdam mit notwendiger Verteidigung gem. § 418 Abs. 4 StPO statt.670 Indes endeten 13,25 Prozent der Sachurteile im beschleunigten Verfahren mit einer Freiheitsstrafe, und die Mehrzahl der Freiheitsstrafendauern betrug mindestens 4 Monate. 6 Monate oder mehr wurden jedoch nie verhängt. Dies sind deutliche Anhaltspunkte, dass § 418 Abs. 4 StPO leer läuft. Der erhoffte Schutz wird nicht erreicht. Pflichtverteidigung findet in der Praxis des beschleunigten Verfahrens nicht statt. Die eigentlich verhängbare Strafhöhe von einem Jahr Freiheitsstrafe wird auf ein halbes Jahr verkürzt. Damit wird die derzeitige Regelung auch keiner rechtspolitischen Position gerecht. Das etwas halbherzig eingefügte Korrektiv läuft leer, genau wie die eigentlich vorgesehene Strafobergrenze von einem Jahr Freiheitsstrafe. Falsch wäre aber zu folgern, dass mit diesem Ermessensfehlgebrauch ein wirksamerer Beschuldigtenschutz einträte als ursprünglich beabsichtigt. Anzunehmen ist, dass Fälle beschleunigt verhandelt werden und mit einer Freiheitsstrafe knapp unterhalb der Sechs-Monats-Grenze enden, hinsichtlich derer Anklagebehörde und Gericht prima facie ein höheres Strafmaß angemessen fänden.671 Zwecks Umgehung der ungeliebten Vorschrift streben sie dann ein knapp darunter liegendes an. Im Bewusstsein dessen, ein ihrer Meinung nach zu niedriges Strafmaß anzusetzen, werden sie dieses ggf. umso rigider und ohne weitere Rücksicht auf Ergebnisse der Hauptverhandlung verfolgen. Ein solches Verhalten wird durch die Beschleunigungsstrukturen noch erheblich unterstützt. Weitere Vermutungen gingen dahin, dass eine (ordnungsgemäße) Verteidigung im beschleunigten Verfahren generell nicht stattfindet. Dies, weil auf Beschuldigtenseite typischerweise in dieser Verfahrensart die finanzielle Möglichkeit fehlt, Verteidiger zu beauftragen, auf Verteidigerseite aber auch die Möglichkeit fehlt, derart kurzfristig zur Verfügung zu stehen. In den 147 Fällen mit beschleunigter Hauptverhandlung bedienten sich 20 Beschuldigte gemäß § 137 StPO des Beistandes eines Verteidigers (13,61%). Dass die Verfahrensart gänzlich ohne Verteidigung ablaufe, konnte also nicht festgestellt werden. Auffällig war allerdings, dass 17 der 20 Fälle mit Wahlverteidiger (85%) Straßenverkehrsdelikte zum Gegenstand hatten, also einen Bereich der Kriminalität, der nach bisherigen Annahmen nicht zu den typischerweise beschleunigt verhandelten Delikten ge670 671

Auch kein anderer Fall notwendiger Verteidigung wurde gezählt. s. schon Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 488, 491.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

hört und dessen große zahlenmäßige Bedeutung in Brandenburg überraschte. Erwähnenswert ist noch ein Einzelfall,672 in dem der im beschleunigten Verfahren Verurteilte in der Berufungsbegründung u. a. angab, es sei ihm aufgrund des Zugangs der Ladung erst einen Tag vor Termin nicht mehr möglich gewesen, sich um einen Rechtsbeistand zu kümmern. b) Berlin Das Aktenmaterial in Berlin bestätigt die Annahme. In keinem Fall wurde dem Beschuldigten gem. § 418 Abs. 4 StPO ein Verteidiger bestellt. Gleichwohl endeten 14 beschleunigte Verfahren mit Freiheitsstrafen (17,5% der Sachurteile). Die Strafdauer bewegte sich stets im unteren Bereich und überstieg nie 6 Monate. In einem Verfahren wurde ein Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO beigeordnet, der Beschuldigte befand sich wegen anderer Taten in Haft. In 9 der 87 nicht abgelehnten beschleunigten Verfahren (10,34%) bediente sich der Beschuldigte eines Wahlverteidigers. Auch in Berlin finden die (normalähnlichen) beschleunigten Verfahren also nicht gänzlich ohne Verteidigung statt. Allerdings fielen einige Aussagen in den untersuchten Akten auf. Im Fall 33 war vermerkt: „Verteidiger erhielt vor Aufruf Gelegenheit zur Akteneinsicht.“ Im Fall 11 war im Hauptverhandlungsprotokoll vermerkt: „Der Angeklagte gibt an, dass sein Verteidiger heute nicht erscheinen kann.“ Der nicht geständige Angeklagte wurde daraufhin wegen Diebstahls geringwertiger Sachen gem. §§ 242, 248a StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Diese Beispiele für eine wenig ordentliche Strafverteidigung673 ergeben sich bereits aus den Akten selbst und stellen also ggf. nur einen kleinen Ausschnitt der tatsächlichen Problematik dar. So fand auch eine Richterin am Amtsgericht Tiergarten am Tempelhofer Damm im Anschluss an Verhandlungsbeobachtungen gegenüber dem Verfasser deutliche Worte: Es sei schlecht, dass ab 6 Monate ein Anwaltszwang herrsche, dies sei zu teuer. Sie habe deswegen Mitteilung gemacht, dass solche Fälle im Normalverfahren angeklagt werden sollen, dort ginge es ohne Pflichtverteidiger.

672

Fall 1. s. zu ähnlichen Befürchtungen und Anhaltspunkten Paeffgen (SK-STPO, § 418 Rn. 21) sowie Kohler (2001, S. 115 ff.). 673

V. Die Entscheidung des Gerichts gem. § 419 StPO

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V. Entscheidung des Gerichts über Durchführung eines beschleunigten Verfahrens, § 419 StPO § 419 StPO regelt die Entscheidung, die das Gericht674 zu treffen hat, wenn die Staatsanwaltschaft in einem Verfahren den Antrag gem. § 417 StPO stellt. Der Richter hat dem Antrag zu entsprechen und das beschleunigte Verfahren zu betreiben, wenn sich die Sache zur Verhandlung in dieser Verfahrensart eignet. Aus dem gleichlautenden Wortlaut mit § 417 StPO und weil die Verfahrensart nur so praktikabel ist, ergibt sich, dass hinsichtlich der Frage der „Eignung“ im Wesentlichen die gleichen Kriterien gelten, wie bei der Eignungsentscheidung der Staatsanwaltschaft gem. § 417 StPO.675 Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, so wird die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt. Der Richter wird in zweierlei Weise verpflichtet. Zum einen muss er im Falle der Eignung das beschleunigte Verfahren betreiben, vgl. § 419 Abs. 1 S. 1 StPO. Mit dieser Klarstellung soll das Ziel der Entlastung der Justiz durch Mehranwendung der Verfahrensart noch einmal betont, wie wohl auch der Skepsis der Praktiker gegenüber dieser entgegengewirkt werden.676 Zum anderen ergibt sich aus § 419 Abs. 2 StPO, dass die Eignungsprüfung nicht mit der Sichtung des Antrags der Staatsanwaltschaft und ggf. der Anklageschrift abgeschlossen ist. Vielmehr muss die Eignung zur Entscheidung im beschleunigten Verfahren bis zur Urteilsverkündung vorliegen. Ist sie nicht mehr gegeben, so muss die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt werden. Mit der zweiten Verpflichtung soll insbesondere den der Verfahrensart inhärenten Gefahren und Nachteilen durch eine fortdauernde Prüfungspflicht des Gerichts begegnet werden.677 Das Wort „kann“ in § 419 Abs. 2 S. 1 StPO formuliert also keine Entscheidungsfreiheit des Gerichts, sondern soll hinsichtlich des Zeitpunktes klarstellen, dass die Ablehnungsentscheidung eben auch noch bis zur Urteilsverkündung getroffen werden „kann“.678 Neben der Strafmaßobergrenze für die Verfahrensart regelt § 419 StPO im Wesentlichen Grund, Zeitpunkt, Vorgehensweise und Folgen der Ableh674

Entgegen dem Gesetzeswortlaut wird die Entscheidung stets der Strafrichter als Einzelrichter treffen, wie bereits ausgeführt findet das beschleunigte Verfahren nicht vor dem Schöffengericht statt, s. o. C. I. 1. a). 675 s. dazu BT-Drs. 12/6853, S. 35 f. sowie im Folgenden. 676 Skeptisch hinsichtlich einer Auswirkung der Neuformulierung im Vergleich mit dem bisherigen § 212b Abs. 1 S. 1 a. F. Gössel (LR25, § 419, Rn. 18). 677 s. AK-StPO-Loos, § 419, Rn. 2. 678 Vgl. KK-Graf, § 419, Rn. 7; KMR-Metzger, § 419 Rn. 12; Schlüchter/Fülber/ Putzke, 1999, S. 96 m. w. Nw.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

nung der Entscheidung im beschleunigten Verfahren. Daraus folgt auch die Stellung der Norm hinter § 418 StPO. Einer vertieften Erörterung bedürfen im Folgenden die Eignungsprüfung des Gerichts, die in der Verfahrensart zulässigerweise verhängbaren Rechtsfolgen sowie vor allem die Ablehnung des beschleunigten Verfahrens und schließlich die rechtsmittelrelevanten Fehler im Rahmen dieses Verfahrensabschnitts. 1. Richterliche Prüfung der Eignung einer Sache zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren Der Richter nimmt die gleiche Eignungsprüfung vor, wie schon der Staatsanwalt im Rahmen des § 417 StPO.679 Die inhaltlichen Voraussetzungen der Eignung zur Entscheidung im beschleunigten Verfahren gem. § 419 StPO entsprechen denen des § 417 StPO.680 Dies folgt aus dem identischen Wortlaut sowie daraus, dass in § 417 StPO, also im Rahmen der gleichen Verfahrensart, die Voraussetzungen der Eignung aufgezählt werden und in § 419 StPO der selbe Begriff ohne neue Aufzählung erfolgt sowie schließlich aus Sinn und Zweck der Verfahrensart, da das Beschleunigungsziel einen reibungslosen Ablauf verlangt, welcher nur bei Gleichlauf des Prüfungsinhalts möglich ist.681 Gleichwohl prüft der Richter erneut, da möglich ist, dass fälschlicherweise ein Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gestellt wurde, etwa die Voraussetzung des einfachen Sachverhalts und der klaren Beweislage missinterpretiert wurde oder ein Antrag bei einer von der Verfahrensart ausdrücklich ausgeschlossenen Beschuldigtengruppe gestellt wurde. Häufigerer Fall einer abweichenden Entscheidung des Richters wird indes sein, dass zum Zeitpunkt seiner Prüfung Umstände hinzugetreten oder neue Erkenntnisse aufgetaucht sind, welche nun die Eignung ausschließen. Erst jetzt kann auch deutlich werden, dass eine Eignung zur sofortigen Verhandlung, also ein Einhalten des zulässigen Zeitrahmens nicht mehr möglich ist. Gegebenenfalls kommt der Richter auch zu einer anderen Bewertung hinsichtlich des auch im Rahmen der §§ 417 bis 420 StPO notwendigen Vorliegens des hinreichenden Tatverdachts, des zu erwartenden Strafmaßes, welches ein Jahr Freiheitsstrafe nicht übersteigen darf (§ 419 Abs. 1 S. 2 StPO), oder der Prozessvoraussetzungen. Von besonderer Bedeutung kann die erneute Untersuchung durch den Richter sein, ob durch eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren die 679 680 681

Vgl. KMR-Metzger, § 419 Rn. 2; Kohler, 2001, S. 37. Vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 35 f. s. zu den Voraussetzungen ausführlich oben C. I. 1.

V. Die Entscheidung des Gerichts gem. § 419 StPO

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Wahrheitsermittlung oder das Finden einer gerechten Entscheidung beeinträchtigt wären. Nicht wenige Fälle sind bekannt, da die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft in emotional aufgeladenen Situationen, wie gewaltsamen politischen Protesten, unzulässigerweise beschleunigte Verfahren beantragt.682 Liegt indes die Eignung zur Entscheidung in dieser Verfahrensart vor, so ist diese auch zwingend.683 Andererseits darf freilich eine Ablehnungsentscheidung nicht ergehen, wenn der Beschuldigte freizusprechen oder das Verfahren einzustellen wäre. Dann hat das Gericht diese Entscheidung zu treffen.684 2. Strafmaßobergrenze und grundsätzlicher Ausschluss von Maßregeln Die Strafmaßobergrenze im beschleunigten Verfahren beträgt ein Jahr Freiheitsstrafe, § 419 Abs. 1 S. 2 StPO. Grund ist, dass in einer weniger rechtsförmigen Verfahrensart keine schwereren Rechtsfolgen verhängt werden sollen, also eine „Risikoobergrenze“685 gelten muss. Daraus und schon aus dem Wortlaut folgt, dass diese Grenze genauso gilt, falls gem. § 55 StGB eine Gesamtstrafe gebildet wird, bei der die im beschleunigten Verfahren verhängte Einzelstrafe noch unter einem Jahr liegt.686 Genauso wenig dürfen Geldstrafen verhängt werden, deren Entsprechung eine höhere Freiheitsstrafe als ein Jahr bedeuten würde, vgl. §§ 40, 43 S. 2, 54 Abs. 2 S. 2 StGB.687 Dabei darf nicht übersehen werden, dass bereits die zulässige Verhängung jeglicher freiheitsentziehender Sanktion in der Verfahrensart zweifelhaft ist. Grundsätzlich rührt die kurzfristige Ladung und Aburteilung eines unverteidigten Beschuldigten nach zehnminütiger Hauptverhandlung zu einer Freiheitsstrafe an die Grundprinzipien des gerechten Strafverfahrens. Konkret 682

s. oben C. I. 1. c) (1) (b). s. allerdings zu Einschränkungen aufgrund der wenig konkreten Formulierung der Voraussetzungen in § 417 StPO oben C. I. 1. d). 684 s. SK-StPO-Paeffgen, § 419 Rn. 9. 685 KMR-Metzger, Vor § 417 Rn. 25 m. Nw. 686 s. OLG Celle, NStZ 1983, S. 233 (zur früheren Verfahrensart gem. den §§ 212–212b StPO a. F.); KK-Graf, § 419 Rn. 3; LR25-Gössel, § 419 Rn. 3; M-G, § 419 Rn. 1; Pfeiffer, 2005, § 419 Rn. 4; a. A. BGH NJW 1989, S. 46 f. (zur früheren Verfahrensart gem. den §§ 212–212b StPO a. F.); Köckerbauer, NJW 1990, S. 170 ff. Aufgrund der Neuregelung für das beschleunigte Verfahren, dass dem Beschuldigten ab einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von 6 Monaten ein Verteidiger bestellt werden muss (§ 418 Abs. 4 StPO) und der Umgehungspraxis der Justiz ist allerdings anzunehmen, dass die Problematik kaum mehr eine Rolle spielen wird. 687 s. LR25-Gössel, § 419 Rn. 3; SK-StPO-Paeffgen, § 419 Rn. 5. 683

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

konkurriert der Wille des Gesetzgebers Freiheitsstrafen zuzulassen mit der gleichzeitigen Verfahrensvoraussetzung eines „einfachen Sachverhalts“ gem. § 417 StPO in Anbetracht der Pflicht zur Persönlichkeitserforschung gem. § 56 Abs. 1 StGB. Allenfalls in besonderen Ausnahmefällen und unter gleichzeitiger Einschränkung des Beschleunigungsziels innerhalb der Hauptverhandlung kann eine Freiheitsstrafe in Betracht kommen.688 § 419 Abs. 1 S. 2 StPO schließt die Verhängung von Maßregeln der Besserung und Sicherung für das beschleunigte Verfahren aus, gem. § 419 Abs. 1 S. 3 StPO ist allerdings die Entziehung der Fahrerlaubnis zugelassen. Nicht aus dem Wortlaut, aber aus der Voraussetzung des „einfachen Sachverhalts“ gem. § 417 StPO ergibt sich, dass eine lebenslange Sperre nicht erfolgen darf.689 Im Übrigen enthalten die §§ 417 bis 420 StPO keine Beschränkungen; ausgesprochen werden dürfen etwa die Nebenstrafe des Fahrverbots gem. § 44 StGB, Nebenfolgen gem. § 45 StGB sowie Verfall und Einziehung gem. §§ 73 ff. StGB.690 3. Die Ablehnungsentscheidung Die Ablehnungsentscheidung durch den Richter erfolgt, sobald die Nichteignung feststeht und gem. § 419 Abs. 2 StPO spätestens bis zur Urteilsverkündung. Aus § 419 Abs. 1 S. 1 StPO und vor allem aus § 419 Abs. 2 StPO („auch“) ergibt sich jedoch, dass die Ablehnung des beschleunigten Verfahrens bereits vor der Hauptverhandlung der Regelfall ist.691 Während der Hauptverhandlung dann wird eine Ablehnung insbesondere in Betracht kommen, wenn wegen Verzögerungen, beispielsweise wegen Nichterscheinens des Angeklagten, die kurze Frist nicht mehr eingehalten werden kann. a) Form der Ablehnungsentscheidung Die Ablehnung ergeht gem. § 419 Abs. 2 S. 2 StPO als förmlicher, nicht anfechtbarer Beschluss.692 Der Beschluss ist gem. § 34 StPO zu begründen und nach § 35 StPO bekanntzumachen.693 688

s. zum Ganzen oben C. I. 1. c) (1) (g). s. KMR-Metzger, § 419 Rn. 6; SK-StPO-Paeffgen, § 419 Rn. 6; „besonders sorgfältige Prüfung“ Gössel (LR25, § 419 Rn. 4). 690 s. LR25-Gössel, § 419 Rn. 5; Tiedemann, 2008, S. 58 m. w. Nw. 691 s. Ernst, 2001, S. 96 f. 692 Da er keine abschließende Entscheidung gem. § 464 Abs. 1, 2 StPO ist, enthält der Beschluss keine Kosten- und Auslagenentscheidung, s. KK-Graf, § 419 Rn. 11, M-G, § 419 Rn. 8. 689

V. Die Entscheidung des Gerichts gem. § 419 StPO

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Eine konkludente Ablehnung, also eine „stillschweigende Verabschiedung“ von der beschleunigten Verfahrensart etwa durch späte Terminierung, kommt wegen § 419 Abs. 2 S. 2 StPO nicht in Betracht.694 Ein eindeutiger Beschluss ist zur Fehlervermeidung auch aufgrund der nicht unkomplizierten Verfahrensweise, die der Ablehnung nachfolgt, geboten. Daneben ist die klare Abgrenzung, sowohl für das Gericht als auch für die Verfahrensbeteiligten, notwendig, weil nach bestehendem Recht unter anderem die Art der Beweisaufnahme davon abhängt, in welcher Verfahrensart sich der Beschuldigte befindet. Deshalb sowie wegen der Erfordernisse der §§ 34, 35 StPO und wegen der eindeutig geregelten Vorgehensweise in § 419 Abs. 2, 3 StPO (welche einen Eröffnungsbeschluss erst nach Ablehnungsbeschluss und nur unter weiteren Voraussetzungen zulässt), kann ein Ablehnungsbeschluss nicht konkludent in dem Erlass eines Eröffnungsbeschlusses gesehen werden und schon gar nicht in der Verbindung und späten Terminierung mit einem Regelverfahren, worin dann der schlüssige Erlass eines Eröffnungsbeschlusses liegen soll, in welchem wiederum der schlüssige Erlass des Ablehnungsbeschlusses zu sehen sei.695 b) Weiteres Vorgehen des Gerichts nach der Ablehnungsentscheidung Hält das Gericht die Sache für ungeeignet und ergeht der Ablehnungsbeschluss, so hat es nun stets weiterzuprüfen, ob hinreichender Tatverdacht besteht und die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, vgl. § 419 Abs. 3 StPO.696 Denn vom Gesetzgeber gewünscht ist nun ein vereinfachter Übergang ins Regelverfahren mittels Erlass des Eröffnungsbeschlusses. (1) Hinreichender Tatverdacht zu bejahen Bejaht das Gericht das Vorliegen des hinreichenden Tatverdachts und der übrigen Prozessvoraussetzungen, so erlässt es einen Eröffnungsbeschluss, § 203 StPO. Freilich muss dazu bereits Anklage erhoben worden sein und zwar in schriftlicher Form.697 Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist für 693

s. M-G, § 419 Rn. 7; Pfeiffer, 2005, § 419 Rn. 2. s. OLG Karlsruhe, NJW 1999, 3061, 3062; KK-Graf, § 419 Rn. 11; LR -Gössel, § 419 Rn. 25; Ranft, 2005, Rn. 2359; a. A. offenbar OLG Düsseldorf NStZ 1997, S. 613, allerdings dann mit dem Ergebnis der Verfahrenseinstellung wegen Nichterlass eines Eröffnungsbeschlusses des AG. 695 So aber BGH NStZ 2000, S. 442; KMR-Metzger, § 419 Rn. 15; KK-Graf, § 419 Rn. 13; wie hier: LR25-Gössel, § 419 Rn. 34; Tiedemann, 2008, S. 137. 696 s. BGH NStZ 2000, 442, 443; SK-StPO-Paeffgen, § 419 Rn. 10. 694 25

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das Gericht zwingend. Die Akten sollen nicht an die Staatsanwaltschaft zurückgegeben werden müssen, wie nach alter Rechtslage gem. den §§ 212 a. F. StPO, das Gericht kann und muss nunmehr vom beschleunigten ins Regelverfahren übergehen. Die Pflicht zur Eröffnung ergibt sich aus dem Wortlaut des § 419 Abs. 3 StPO („beschließt“) sowie aus dem insgesamt angestrebten Beschleunigungsziel, welches auch bei Ablehnung einen möglichst zügigen Fortgang des Verfahrens erfordert.698 Allerdings ist dieses Vorgehen aufgrund von § 199 Abs. 1 StPO nur möglich, wenn das mit der beschleunigten Sache betraute Gericht zugleich zuständig für das Regelverfahren ist. Probleme können insbesondere nach dem Geschäftsverteilungsplan der einzelnen Richter bestehen oder insoweit, dass bei einem Gericht nur Schnellverfahren konzentriert sind. Die Erlaubnis zur Eröffnung vor einem anderen Gericht sieht die StPO nur in Ausnahmefällen vor. § 419 Abs. 3 StPO enthält eine solche nicht.699 Schließlich kann ein weiteres praktisches Hindernis dem gewünschten schnellen Übergang ins Regelverfahren gem. § 419 Abs. 3 StPO entgegenstehen. Nach § 201 StPO muss dem Beschuldigten vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt werden.700 (2) Hinreichender Tatverdacht zu verneinen Fehlt es bei Ablehnung des beschleunigten Verfahrens am hinreichenden Tatverdacht oder den Prozessvoraussetzungen, so ergeht kein Eröffnungsbeschluss und die Akten werden an die Staatsanwaltschaft zurückgege697 Zum einen ist die mündliche Form selbst bei Durchführung des beschleunigten Verfahrens abzulehnen (s. o. C. I. 2. a), zum anderen lässt § 419 Abs. 3 2. Hs. nur für den Fall der Nichteröffnung den Verzicht auf die Einreichung einer neuen Anklageschrift zu, für den Fall des Eröffnungsbeschlusses wird keine Aussage getroffen, folglich muss für den Eröffnungsbeschluss eine den Anforderungen des § 200 StPO entsprechende Anklage vorliegen, s. LR25-Gössel, § 419 Rn. 37; Tiedemann, 2008, S. 138; hingegen für Ausreichen der in mündlicher Form erhobenen Anklage Graf (KK, § 419 Rn. 13); mündliche Form ausreichend aber unzweckmäßig: Metzger (KMR, § 419 Rn. 24). 698 So auch der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. Draus ergibt sich freilich auch, dass eine einfache Weiterverhandlung im Regelverfahren ausgeschlossen ist. 699 Vgl. etwa Ernst, 2001, S. 97; KMR-Metzger, § 419 Rn. 23; M-G, § 419 Rn. 9; ebenso Sprenger (NStZ 1997, S. 574, 575 f.), der auch davon ausgeht, dass die Praxis die Frage umgeht, indem der Richter des beschleunigten Verfahrens von einer Entscheidung über die Eröffnung absieht und die Akten wie nach früherem Recht an die Staatsanwaltschaft zurückgibt. 700 Einhellige Meinung, s. etwa M-G, § 419 Rn. 9; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 91.

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ben.701 Sofern bereits Rechtshängigkeit eingetreten war,702 erlischt diese nun wieder.703 Die Staatsanwaltschaft erhält die Verfügungsbefugnis über die Sache zurück und hat zu entscheiden, ob das Verfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO bzw. den §§ 153 ff. StPO einzustellen oder ob Anklage im Regelverfahren zu erheben ist. Wird letztere Entscheidung getroffen und lag auch bereits eine schriftliche Anklageschrift vor, so muss keine neue Anklageschrift eingereicht werden, § 419 Abs. 3 Hs. 2 StPO. Dann werden lediglich die Akten dem Gericht vorgelegt, und die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragt. Ein erneuter Antrag, beschleunigt zu verhandeln, kann aufgrund der Sperrwirkung des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses nicht mehr gestellt werden.704 4. Die Regelungen des § 419 StPO im Rechtsmittelverfahren a) Eignung einer Sache zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren Die Eignungsbeurteilung des Amtsgerichts kann von den Rechtsmittelgerichten überprüft werden. Die Folgen der jeweiligen Beurteilungsfehler wurden bereits erörtert.705 b) Überschreitung des in der Verfahrensart zulässigen Strafrahmens gem. § 419 Abs. 1 S. 2 StPO Ein besonders augenfälliger Verstoß ist die Nichteinhaltung der Rechtsfolgenkompetenz im beschleunigten Verfahren, insbesondere die Verhängung einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr. Eine Ansicht verweist für das Berufungsverfahren auf § 328 StPO und sieht das Berufungsgericht zu einer eigenen Entscheidung berechtigt, wel701

s. HK-Krehl, § 419 Rn. 4; Kohler, 2001, S. 39. Der Beginn der Vernehmung zur Sache stellt im beschleunigten Verfahren die eigentliche Eröffnung der Untersuchung dar, so dass zu diesem Zeitpunkt die Rechtshängigkeit eintritt, s. BayOblG NJW 1998, S. 2152, 2153; OLG Oldenburg NJW 1961, S. 1127; KMR-Metzger, § 417 Rn. 32; Mayer, JuS 1993, S. 496, 498; AK-StPO-Loos, § 418 Rn. 14; a. A. LR25-Gössel, § 418 Rn. 2. 703 s. Ranft, 2005, Rn. 2347. 704 s. OLG Hamburg, NJW 1964, 2123, 2124; LR25-Gössel, § 419 Rn. 30; ebenso: HK-Krehl, § 419 Rn. 4; Pfeiffer, 2005, § 419 Rn. 3; für die Möglichkeit eines erneuten Antrags Metzger (KMR, § 419 Rn. 34). 705 s. dazu oben C. I. 3. c) sowie zur Nichteignung aufgrund von Fristüberschreitung oben C. III. 5. b). 702

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

che bei Tat- und Schuldangemessenheit auch über der Strafmaßobergrenze des § 419 Abs. 1 S. 2 StPO liegen kann.706 Damit würde diese zentrale Zulässigkeitsvoraussetzung allerdings zu einer bloßen Anregung.707 Die Erwartung einer Strafe im Rahmen des § 419 Abs. 1 S. 2 StPO ist Teil der Eignungsprüfung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts,708 wie auch zentrale Schutzvorschrift der beschleunigten Verfahrensart.709 Somit ist die Entscheidung durch das Berufungsgericht aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Amtsgericht reduziert das Strafmaß im Rahmen des beschleunigten Verfahrens oder leitet gemäß § 419 Abs. 3 StPO vereinfacht ins Regelverfahren über.710 Im Revisionsverfahren wird bei Überschreitung der Rechtsfolgengrenze durch das Amtsgericht ebenfalls zurückverwiesen, § 354 Abs. 2 StPO.711 VI. Rechtstatsächlicher Umgang mit den Voraussetzungen des § 419 StPO 1. Die Ablehnungsentscheidung des Gerichts a) Häufigkeit (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Die Entscheidung im beschleunigten Verfahren wurde in 11 der 151 Fälle, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, abgelehnt (7,28%). In 4 Fällen erging die Ablehnungsentscheidung bereits, bevor eine 706 s. AK-StPO-Loos, § 419 Rn. 18; KMR-Metzger, § 419 Rn. 38; Schlüchter/ Fülber/Putzke, 1999, S. 113 f.; im Einzelnen ist vieles streitig, s. zusammenfassend etwa Kohler, 2001, S. 57. 707 s. SK-StPO-Paeffgen, § 419 Rn. 16, der für diesen Fall vor einer Einladung zum Institutsmissbrauch warnt; ähnlich Ranft, 2005, Rn. 2366. 708 s. BT-Drs. 12/6853, S. 35; Schröer, 1998, S. 84. 709 s. oben V. 2. 710 s. HK-Krehl, § 419 Rn. 2; Kohler, 2001, S. 56 f.; M-G, § 419 Rn. 17; SKStPO-Paeffgen, § 419 Rn. 16. 711 s. OLG Celle, NStZ 1983, S. 233, OLG Hamm, JR 1978, S. 120 (beide zur früheren Verfahrensart gem. den §§ 212–212b StPO a.F); HK-Krehl, § 419 Rn. 2; Kohler, 2001, S. 57; M-G, § 419 Rn. 18; SK-StPO-Paeffgen, § 419 Rn. 17; ebenso, aber nicht von Amts wegen zu prüfen, sondern nur auf Verfahrensrüge hin beachtlich: KK-Graf, § 419 Rn. 20; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 114; Tiedemann, 2008, S. 195 f.; wieder anders (auf die Sachrüge) Wagner, JR 1983, S. 303, 304.

VI. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 419 StPO

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beschleunigte Hauptverhandlung durchgeführt wurde. In 7 Fällen erging sie im Rahmen einer solchen. Am Amtsgericht Potsdam wurden 5 beschleunigte Verfahren abgelehnt, 4 am Amtsgericht Brandenburg a. d. H., 2 am AG Nauen und keines am AG Rathenow. Dies entspricht der Fallverteilung auf die Gerichte. Dass bei bestimmten Straftaten häufiger Ablehnungsentscheidungen ergingen als bei anderen, konnte nicht festgestellt werden. (2) Berlin Die Entscheidung im beschleunigten Verfahren wurde in 4 der 91 Fälle, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, abgelehnt (4,4%). Die Ablehnungsentscheidung erging dabei nie, noch bevor eine beschleunigte Hauptverhandlung durchgeführt wurde, also etwa bei Antragseingang, sondern stets erst im Rahmen der Hauptverhandlung (§ 419 Abs. 2 StPO). Die Zahl der Ablehnungsentscheidungen ist insgesamt gering. Die Ablehnung noch vor der Hauptverhandlung ist entgegen der gesetzlichen Annahme (vgl. § 419 Abs. 2 StPO, „auch“), die Ausnahme. Die einzigen Ablehnungen noch vor der Hauptverhandlung erfolgten alle am gleichen Gericht im Landgerichtsbezirk Potsdam durch die gleiche Richterin gegenüber Heranwachsenden.712 Die geringe Zahl entspricht der Zielerreichung der Verfahrensart im Ganzen. Nur solange die Anträge nicht häufig abgelehnt werden, ist die Verfahrensart insgesamt zeitökonomischer. b) Gründe für die Ablehnungsentscheidungen (1) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam (a) Allgemein Der förmliche Ablehnungsbeschluss ist gem. § 34 StPO zu begründen. In zwei Fällen erfolgte keine Begründung.713 In 5 Fällen zitierte die Begründung den Wortlaut einer der Voraussetzungen der §§ 417 bis 420 StPO: „Die Entscheidung im beschleunigten Verfahren wird [. . .] abgelehnt, weil die Hauptverhandlung nicht sofort oder in 712 713

s. dazu mehr gleich im Folgenden. AG Potsdam (Fall 152), AG Nauen (Fall 96).

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

kurzer Frist, § 418 Abs. 1 StPO, stattfinden kann“ (4 mal), bzw. „wegen nicht einfachem Sachverhalt“ (1 mal). In 4 Fällen wurde die Ablehnungsentscheidung konkret am Fall begründet. In diesen letzten 4 Fällen lauteten die Gründe der Ablehnung einer Entscheidung im beschleunigten Verfahren folgendermaßen: Ablehnung wegen nicht einfachem Sachverhalt wegen Nachtrunkverhalten und darum nötigem Sachverständigengutachten; Nichteignung der Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren, weil der Angeklagte die Tat bestreitet; Nichteignung, weil der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist und die Hinzuziehung eines Dolmetschers erforderlich erscheint; Nichteignung, weil der Angeklagte zum Termin nicht erschienen ist. In den 5 weiteren Fällen mit allgemeinen Begründungen können die Akten weiteren Aufschluss über die Gründe der Ablehnung geben. In dem Fall ohne „einfachen Sachverhalt“ gab der wegen § 316 Abs. 1 StGB Angeklagte in der Hauptverhandlung Nachtrunkverhalten an. Es wurde ins Regelverfahren übergegangen, in dessen Rahmen dann die Ladung von vier Zeugen erfolgte. Die 4 Fälle wegen Nichteinhaltbarkeit der „kurzen Frist“ waren die einzigen 4 Fälle im Aktenmaterial, die bereits vor der Hauptverhandlung abgelehnt wurden. Alle 4 Fälle wurden von einer Richterin mit dem gleichen Wortlaut abgelehnt. Drei der vier Ablehnungsentscheidungen erfolgten zu Zeitpunkten, da noch ca. drei Wochen verblieben wären, um die gesetzliche Frist gemäß dem Wortlaut des § 418 Abs. 1 StPO auszuschöpfen.714 Allerdings waren in allen Fällen Heranwachsende beschuldigt. Gegen Heranwachsende ist die Verhandlung im beschleunigten Verfahren ungeeignet.715 Möglich ist, dass die Richterin entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft dieser richtigen Auffassung ist und das Verfahren abbremste, aber eine Ablehnung mit „neutralem“ Wortlaut bevorzugte. In den Fällen schließlich, in denen entgegen § 34 StPO der Ablehnungsbeschluss nicht begründet wurde, kann nur aus den Akten, insbesondere dem Hauptverhandlungsprotokoll, gefolgert werden, weswegen nicht weiter beschleunigt verhandelt werden sollte. In beiden Fällen wurde die Tatbegehung in der Hauptverhandlung bestritten, im Regelverfahren sollten dann 714 s. aber oben C. I. 1. c) (3) (a); auch wenn hier eine andere Auffassung vertreten wird, fielen die Ablehnungen auf, da in den Fällen am AG Potsdam, in denen das Gericht den Hauptverhandlungstermin festlegte und die Beschuldigten lud, durchaus die hier angenommene Zweiwochenfrist überschritten und offenbar dem Wortlaut der Frist gefolgt wurde. 715 s. oben C. I. 1. c) (1) (a).

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Zeugen gehört werden. Darum wurde von einem nicht mehr einfachen Sachverhalt gem. § 417 StPO oder der Unmöglichkeit, die kurze Frist gem. § 418 Abs. 1 StPO zu wahren, ausgegangen. (b) Bestreiten des Angeklagten In einem Fall wurde die Entscheidung im beschleunigten Verfahren ausdrücklich abgelehnt, weil der Angeklagte die Tat bestritt, in mehreren Fällen ergab sich dieser Grund aus dem Zusammenhang.716 Gesetzlich ist das beschleunigte Verfahren nicht als Konsensualverfahren ausgestaltet. Eine Auffassung nimmt aber an, dass bei Bestreiten des Schuldvorwurfs oder Schweigen des Beschuldigten keine Eignung für die Verfahrensart mangels klarer Beweislage gegeben sei.717 Diese Meinung scheint also auch an den Gerichten auf Sympathie zu stoßen. Nichtgeständige Beschuldigte finden sich tatsächlich auch in allen Fällen mit Sachurteilen im beschleunigten Verfahren nur in Straßenverkehrsdelikten, insbesondere bei Trunkenheit im Verkehr, in denen die Richter offenbar die Blutprobe als ausreichend ansahen, trotz Bestreiten des Beschuldigten von einem einfachen Sachverhalt und einer klaren Beweislage auszugehen.718 (c) Ablehnungsgründe, die sich bereits aus Beschuldigtenvernehmung oder Antrags-/Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ergaben Auffällig war, dass auch aus Gründen abgelehnt wurde, welche sich bereits aus der Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei oder der Antrags-/ Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ergaben: Im Fall 81 wegen § 316 Abs. 1 StGB wiederholte der Beschuldigte nur, was er bereits bei der schriftlichen polizeilichen Vernehmung angegeben hatte, nämlich, dass er erst am Parkplatz stehend Alkohol getrunken hatte („Nachtrunkverhalten“). Die Entscheidung im beschleunigten Verfahren wurde daraufhin wegen nicht einfachem Sachverhalt abgelehnt. Im Fall 143 ergab sich aus der Beschuldigtenvernehmung und schließlich deutlich aus der Anklageschrift: „Dem Angeschuldigten ist ein Dolmetscher zu laden.“ Gleichwohl fand die beschleunigte Hauptverhandlung ohne Dol716 Eine ausdrückliche Ablehnung aus diesem Grund erfolgte auch in mehreren am AG Potsdam beobachteten Verfahren. So sagten die Richter sinngemäß stets: Wenn Sie den Tatvorwurf nicht einräumen, müssen wir im Normalverfahren verhandeln. 717 Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 488, 491. 718 Teilweise wurden in Verfahren mit Straßenverkehrsdelikten zusätzlich Zeugen geladen.

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metscher statt und wurde dann abgelehnt, „weil der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist und die Hinzuziehung eines Dolmetschers erforderlich erscheint.“ Ein anderer Grund für die Ablehnung als die Nichtgeständigkeit kommt im unbegründeten Fall 96 nicht in Betracht. Nach intensivem Bestreiten wurde ins Regelverfahren übergegangen, im Rahmen dessen dann ein Zeuge gehört wurde. Dieses intensive Bestreiten war jedoch ebenfalls bereits der Beschuldigtenvernehmung zu entnehmen. Auf diese Weise trat das Gegenteil des gewünschten Ziels der §§ 417 bis 420 StPO ein. Zu große Eile oder Unexaktheit führen dann zu längerer Verfahrensdauer, als wenn von vornherein im Regelverfahren verhandelt würde. Festzuhalten ist, dass unzulässigerweise zwei Ablehnungsentscheidungen gar nicht begründet waren. Wünschenswert wären auch nicht nur allgemein gehaltene Begründungen wie in 5 Fällen, sondern konkrete. Freilich macht sich ein Richter, der konkret begründet, immer angreifbarer. Andererseits ist der Ablehnungsbeschluss ohnehin nicht anfechtbar. (2) Berlin (a) Allgemein In Berlin wurde die Ablehnungsentscheidung stets konkret am Fall begründet: „Der Angeklagte wurde nicht polizeilich vorgeführt, daher ist eine Entscheidung in kurzer Frist nicht möglich“ (3 mal). „Wegen Erkrankung der Richterin ist eine Entscheidung in kurzer Frist nicht möglich“ (1 mal). In allen Fällen, auch in dem einen anders begründeten, erfolgte die Ablehnung innerhalb bzw. kurz nach der 2. Hauptverhandlung, also nach dem Scheitern der Hauptverhandlung trotz Anordnung der polizeilichen Vorführung, welche bei Fernbleiben des Beschuldigten in der 1. Hauptverhandlung angeordnet wird, wenn nicht ins Strafbefehlsverfahren übergegangen wird. (b) Bestreiten des Angeklagten Das Bestreiten des Angeklagten wird in Berlin nicht als Eignungsmangel und Grund für eine Ablehnung gesehen. In wenigstens 7 Fällen, die nicht Straßenverkehrsdelikte waren, bestritt der Angeklagte die Tatbegehung aus-

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drücklich und es erfolgte die Aburteilung im beschleunigten Verfahren. Auch wurde die Nichtgeständigkeit weder als Ablehnungsgrund angegeben, noch ließ sie sich aus dem Aktenzusammenhang entnehmen. 2. Vorgehen des Gerichts nach der Ablehnungsentscheidung a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Fraglich war, wie die Gerichte mit dem neu geregelten vereinfachten Übergang ins Regelverfahren umgehen. In der Literatur wird teilweise vermutet, dass die Akten entgegen der Mussvorschrift des § 419 Abs. 3 StPO ohne Prüfung an die Staatsanwaltschaft zurückgeben werden.719 Das gegenteilige Ergebnis wurde festgestellt. Die Neuregelung wird, als Ergebnis dieses Fallmaterials, angenommen. In allen abgelehnten beschleunigten Verfahren erließ der Richter gem. § 419 Abs. 3 StPO einen Eröffnungsbeschluss und leitete damit das Verfahren ins Regelverfahren über. Hinreichender Tatverdacht und das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen wurden stets bejaht. § 201 StPO wurde nicht beachtet. In den normalähnlichen beschleunigten Verfahren im Landgerichtsbezirk Potsdam hat der Beschuldigte allerdings stets bereits eine Abschrift der Anklageschrift erhalten, wenn nicht eine „Polizeiladung“ erfolgte. Ablehnungen in Fällen mit Polizeiladungen fanden sich nicht im Fallmaterial. Erneut fielen Unsicherheiten am AG Brandenburg a. d. H. auf. Neben einigen Fällen, in denen unklar war, in welcher Verfahrensart das Gericht eigentlich verhandeln wollte,720 wurde in folgendem Fall 139 jedenfalls unzulässigerweise beschleunigt verhandelt: Die Staatsanwaltschaft Potsdam beantragte mitsamt der Anklageschrift ein beschleunigtes Verfahren, der Antrag ging am 03.05.2005 beim AG Brandenburg a. d. H. ein. Vom AG wurde der Hauptverhandlungstermin auf den 31.05.2005 bestimmt. In der Hauptverhandlung erging nach 5 Minuten folgender Beschluss: „Die Aburteilung im beschleunigten Verfahren wird abgelehnt, wegen des unklaren Anklagesatzes. Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt. Neuer Termin von Amts wegen.“ 719

s. Sprenger, NStZ 1997, S. 574, 575 f. Fälle 6, 25, 88. Hier wurde davon ausgegangen, dass in diesen das beschleunigte Verfahren gewünscht war, da jeweils kein Ablehnungsbeschluss erfolgte und mit der herrschenden Meinung davon ausgegangen wird, dass es jedenfalls keine stillschweigende Verabschiedung ins Normalverfahren gibt – Die Ausnahmen, welche von diesem Grundsatz teilweise gemacht werden, also Erlass eines Eröffnungsbeschlusses oder Verbindung mit einem Normalverfahren lagen hier auch nicht vor. 720

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Am 9.06.2005 erließ die Staatsanwaltschaft Potsdam eine Verfügung, in der sie ausführte, weswegen der Anklagesatz nicht unklar sei. Am 19.06.2005 erließ daraufhin das AG Brandenburg a. d. H. folgende Verfügung: „1. Vermerk: Verf. bleibt als beschleunigtes Verf. 2. Neuer Termin z. HV. 22/09/05 [. . .].“ Das Verfahren wurde dann als beschleunigtes durchgeführt und es erging das Urteil im beschleunigten Verfahren. Ein erneuter Antrag, beschleunigt zu verhandeln, kann aufgrund der Sperrwirkung des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses aber nicht mehr gestellt werden.721 Nach dem Ablehnungsbeschluss wurde unzulässigerweise weiter beschleunigt verhandelt. Dies auch nicht nur aus formellen Gründen. Zwischen dem Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren und der beschleunigten Hauptverhandlung vom 22.09.2005 lagen 4 Monate und 19 Tage. Selbst bei extrem weiter Auslegung des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO durfte das Gericht bei seiner zweiten Terminierung für den 22.09.2005 nicht mehr von einer Eignung zur Entscheidung im beschleunigten Verfahren ausgehen. b) Berlin In Berlin wird dem Wunsch des Gesetzgebers nach Verfahrensökonomie auch bei Ablehnung des beschleunigten Verfahrens genauso entsprochen. In allen abgelehnten beschleunigten Verfahren erließ der Richter gemäß § 419 Abs. 3 StPO einen Eröffnungsbeschluss und leitete damit das Verfahren ins Regelverfahren über. Das Vorgehen entsprach dem im Landgerichtsbezirk Potsdam. Insgesamt wird in Berlin trotz der geringen Zahl der Ablehnungen auch im Vergleich mit den nicht abgelehnten Verfahren ein schematisches Vorgehen erkennbar.722 Der Beschuldigte wird vom Gericht zur Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren geladen. Erscheint er nicht, so wird er erneut geladen und die polizeiliche Vorführung angeordnet. Scheitert diese, so wird in diesem zweiten Termin das beschleunigte Verfahren abgelehnt und gemäß § 419 Abs. 3 StPO ins Regelverfahren übergegangen. Faktisch ändert sich am Ablauf wenig, insbesondere wird die Sache von denselben Richtern abgeurteilt, welche auch für die beschleunigten Verfahren zuständig sind, auch bleibt die Dauer der dann im Regelverfahren durchgeführten s. OLG Hamburg, NJW 1964, 2123, 2124; LR25-Gössel, § 419 Rn. 30; ebenso: HK-Krehl, § 419 Rn. 4; Pfeiffer, 2005, § 419 Rn. 3; für die Möglichkeit eines erneuten Antrags Metzger (KMR, § 419 Rn. 34). 722 Der konkret abgelaufene Zeitraum war nicht entscheidend. In mehreren Fällen, die etwa wegen Zeugenladungen mehrere Termine beanspruchten und länger dauerten, erfolgte keine Ablehnung. 721

VI. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 419 StPO

173

Hauptverhandlungen ähnlich. Nach diesem Übergang ins Regelverfahren ist es aber möglich, Haftbefehl zu erlassen, was im beschleunigten Verfahren verwehrt ist. Also wird der Beschuldigte nun ein drittes Mal geladen, mit dem Hinweis, dass für den Fall des erneuten unentschuldigten Fernbleibens Haftbefehl erlassen werden kann. Bei erneutem Fernbleiben wird das Verfahren ausgesetzt, Haftbefehl erlassen und schließlich ein vierter Termin anberaumt, wenn nicht statt Erlass eines Haftbefehls doch noch ins Strafbefehlsverfahren übergegangen wird. Die Bemühungen, die Rechtsfolge gegen den Beschuldigten in seiner Anwesenheit im Rahmen einer Hauptverhandlung zu verhängen, sind wesentlich intensiver als im Landgerichtsbezirk Potsdam. Für die §§ 417–420 StPO ungeeignete Sachverhalte fanden sich nicht. Zwar wurden 4 Prozent der Fälle abgelehnt, dies aber stets aus Zeitgründen und faktisch, weil anders kein Haftbefehl erlassen werden kann. In anderen Fällen wurden durchaus mehr als zwei Termine durchgeführt und längere Zeiten beansprucht, ohne dass eine Ablehnung erfolgte. 3. Die richterliche Eignungsüberprüfung Aus den Ablehnungsentscheidungen ist zu erkennen, dass es kaum Abweichungen hinsichtlich der Eignungsbeurteilung des Gerichts von derjenigen der Anklagebehörde gibt.723 Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte haben gemeinsam festgelegt, welche Fälle sich für eine Aburteilung gem. den §§ 417 bis 420 StPO eignen. Dieser Gleichlauf ist für einen ungestörten Ablauf der Verfahrensart auch entscheidend. Freilich kann aber die gemeinsame Festlegung fehlerhaft sein, wie etwa hinsichtlich der Durchführung der Verfahrensart gegenüber Heranwachsenden im Landgerichtsbezirk Potsdam oder der geringen Beachtung des rechtfertigenden Ziels der Beschleunigung in Berlin. Das Erfordernis mehrerer Hauptverhandlungstermine wird insbesondere in Berlin grundsätzlich nicht als Ablehnungsgrund betrachtet.724 Grundsätzlich wird die Nichteignung erst bei Problemen im Rahmen der beschleunigten Hauptverhandlung angenommen, nicht zuvor.

723 Ausnahme können die 4 besprochenen bereits vor einer beschleunigten Hauptverhandlung abgelehnten Fälle am AG Potsdam sein. 724 s. dazu bereits oben C. IV. 1. c) (1) (b).

174

C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

4. Strafmaßobergrenze und Ausschluss von Maßregeln a) Landgerichtsbezirk Potsdam (1) Verhängte Rechtsfolgen Die Strafmaßobergrenze gem. § 419 Abs. 1 S. 2 StPO wurde in keinem Fall überschritten, auch nicht bspw. mittels Gesamtstrafenbildung. Ausgeschlossene Maßregeln wurden nicht verhängt. Die gem. § 419 Abs. 1 S. 3 StPO zugelassene Entziehung der Fahrerlaubnis und Verhängung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB) erfolgten im beschleunigten Verfahren 31 mal im Landgerichtsbezirk Potsdam. Eine lebenslange Sperre wurde in keinem Fall verhängt. Von den 151 Verfahren, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, endeten insgesamt 11 Fälle mit einer Freiheitsstrafe (5 davon wurden zur Bewährung ausgesetzt, 6 hingegen nicht), es ergingen in 71 Fällen Geldstrafen im unteren und mittleren Bereich, aber auch über 90 Tagessätzen, und 1 mal Zuchtmittel nach dem JGG. In 37 Fällen wurde das Verfahren gem. den §§ 153 ff. StPO eingestellt, allerdings auch stets erst innerhalb einer Hauptverhandlung gem. den §§ 417 bis 420 StPO, in 20 Fällen wurde gem. den §§ 407 Abs. 1 S. 1, 408 a, 418 Abs. 3 S. 3 StPO ins Strafbefehlsverfahren übergegangen, in dessen Rahmen auch 4 mal die Entziehung der Fahrerlaubnis und eine Sperre angeordnet wurde. 11 Mal wurde die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt.

(2) Ausgang der beschleunigten Verfahren am AG Potsdam Bei genauerer Betrachtung fiel dabei eine Besonderheit am AG Potsdam auf, so dass die Frage der Nichterreichung des Beschleunigungsziels im Falle einer zu großen Zahl von Ablehnungen noch einmal aufgegriffen werden muss. 82 Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren fielen in die Zuständigkeit des AG Potsdam. 35 mal erging daraufhin ein Sachurteil im beschleunigten Verfahren, 13 mal wurde ins Strafbefehlsverfahren übergegangen, 29 mal wurde das Verfahren gem. den §§ 153 ff. StPO bzw. gem. den §§ 45, 47 JGG im Rahmen der beschleunigten Hauptverhandlung eingestellt, 5 mal wurde die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt. (Vergleichsweise ergingen in Berlin in 80 von 91 Verfahren Sachurteile im beschleunigten Verfahren, in keinem Fall wurde das Verfahren eingestellt.)

VI. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 419 StPO 7%

175

7%

13%

47%

25% 1% Freiheitsstrafe Geldstrafe Zuchtmittel nach JGG Einstellung

Übergang ins Strafbefehlsverfahren Ablehnung der Entscheidung im beschleunigten Verfahren

Abbildung 7: Ausgang der Verfahren mit Antrag gem. § 417 StPO

Wenn aber nicht einmal die Hälfte der beschleunigten Verfahren als solche enden (42,68%) und 34 von 82 Verfahren abgelehnt oder eingestellt werden, kann bereits eine Situation erreicht sein, in der das Gesamtmodell beschleunigtes Verfahren mehr Aufwand und Zeit kostet, als wenn darauf verzichtet würde und ohne Umwege oder gescheiterte Hauptverhandlungen eingestellt, im Regelverfahren verhandelt oder im Strafbefehlsverfahren vorgegangen würde. Zweitens gehen die Normen der §§ 153 ff. StPO denen der §§ 417 ff. StPO vor. Die Vielzahl der Fälle, in denen es möglich war, aus dem beschleunigten Verfahren heraus einzustellen, zeigt, dass unzulässigerweise bei Bagatellen Hauptverhandlungen durchgeführt werden, bei denen die §§ 153 ff. StPO einschlägig wären. Dies kann am AG Potsdam auch daran liegen, dass die Richter die Akten zu einem Zeitpunkt kurz vor dem bereits feststehenden Hauptverhandlungstermin erhalten, zu dem der Beschuldigte auch bereits geladen wurde.725 725 Dann wären die Beschuldigten zeitlich gar nicht mehr abzuladen und die Richter sitzen bspw. folgenden Fällen vor: Eine 22-jährige Mutter, nicht einschlägig vorbestraft, die 2 NUK-Kinderflaschen für Milch im Gesamtwert von 5,30 e gestohlen hat; ein Mann mit „psychisch/seelischer Behinderung“ der 2 Schokoriegel im Wert von 2 e gestohlen hat; eine nicht vorbestrafte Frau, die Nahrungsmittel und Kindernahrung im Wert von 17,28 e gestohlen hat; ein 84-jähriger, nicht vorbestrafter Rentner in Betreuung, der eine Schere im Wert von 14,98 e gestohlen hat; ein Mann ohne Vorstrafe, der mit 1,71 Promille betrunken Fahrrad gefahren ist; etc. (alles Fälle am AG Potsdam, bei denen eine Hauptverhandlung stattfand und dann eingestellt wurde).

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Drittens verliert die Hauptverhandlung vor dem Strafrichter an Bedeutung und an Potential, auf Beschuldigte Einfluss zu nehmen, wenn der Eindruck entsteht, dort geschehe sowieso nichts und man brauche im Übrigen nicht zu erscheinen, weil das Verfahren eingestellt werde oder eben ein Strafbefehl ergehe. Viertens ist es vor dem Hintergrund der Annahmen des Etikettierungsansatzes bedenklich, Beschuldigte, deren Verfahren in der Mehrzahl einzustellen oder auf schriftlichem Wege zu lösen gewesen wären, einer öffentlichen Hauptverhandlung auszusetzen. Öffentliche Degradierung kann sich kriminalitätsfördernd auswirken.726 Es darf im Rahmen des Vorantreibens einer neuen Verfahrensart nicht aus dem Blick verloren werden, dass auch die staatliche Reaktion auf Normbrüche Verantwortung für zukünftige Gesetzesverletzungen tragen kann.727 b) Berlin (1) Verhängte Rechtsfolgen Auch in Berlin wurden die Strafmaßobergrenze und der Ausschluss von Maßregeln gem. § 419 Abs. 1 S. 2 StPO eingehalten. Gem. § 419 Abs. 1 S. 3 StPO die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre verhängt wurde in 3 Fällen, eine lebenslange Sperre in keinem Fall. Einmal erging ein Fahrverbot gem. § 44 StGB. Von den 91 Verfahren, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, endeten in Berlin 14 Fälle mit einer Freiheitsstrafe (bzw. 17, wenn man die Rechtsfolgen der abgelehnten Fälle mit einbezieht), 2 Freiheitsstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt, 12 hingegen nicht, es ergingen 66 Geldstrafen im unteren und mittleren Bereich oder auch mit über 90 Tagessätzen, in 7 Fällen wurde gem. den §§ 407 Abs. 1 S. 1, 408 a, 418 Abs. 3 S. 3 StPO ins Strafbefehlsverfahren übergegangen, in dessen Rahmen 1 mal die Entziehung der Fahrerlaubnis und eine Sperre angeordnet wurde, 4 mal wurde die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt, zur Einstellung des Verfahrens kam es in keinem Fall. (2) Abhängigkeiten von Entscheidungsträgern Auffällig wurde im Rahmen der Auswertung, dass sich Unterschiede in der Vorgehensweise sowohl hinsichtlich Anwendung der Verfahrensart als 726 727

s. Eisenberg, 2005, § 8; Kunz, 2001, § 20. s. Meier, 2007, § 3 Rn. 96 f.

VI. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 419 StPO 8%

4%

177

15%

73% Freiheitsstrafe

Übergang ins Strafbefehlsverfahren

Geldstrafe

Ablehnung der Entscheidung im beschleunigten Verfahren

Abbildung 8: Ausgang der Verfahren mit Antrag gem. § 417 StPO

auch der in deren Rahmen verhängten Rechtsfolgen durch die jeweilig vorsitzende Richterperson ergaben. Von 91 Fällen hatte Richterperson X in 47 Fällen in der (letzten) Hauptverhandlung den Vorsitz, Richterperson Y in 43 Fällen.728 Betrachtet man zunächst alle Fälle im Aktenmaterial, in denen die Anklagebehörde erfolgreich eine Geldstrafe beantragte, so verhängte die Richterperson X in 70,83 Prozent der Entscheidungen genau die beantragte Höhe der Geldstrafe, in 29,17 Prozent dieser Entscheidungen blieb sie darunter. Richterperson Y hingegen blieb in 60 Prozent der Entscheidungen darunter und verhängte in 40 Prozent der Entscheidungen genau die beantragte Höhe. Die Beweiserleichterungen des § 420 StPO, welche sich besonders intensiver Kritik ausgesetzt sehen,729 wurden von der Richterperson X 5 Mal, von der Richterperson Y nie angewandt. 728 In einem Fall hatte den Vorsitz Richterperson Z. Grundsätzliche Unterschiede im Fallmaterial der jeweiligen Richterperson fielen nicht auf, was in Anbetracht der Zufallszuteilung zur jeweiligen Richterperson nach Geburtsdatum auch überrascht hätte. 729 s. AK-StPO-Loos, Vor § 417 Rn. 7 f.; Bandisch, StV 1994, S. 153, 157; Dahs, NJW 1995, S. 553, 556 f.; Ernst, 2001, S. 137 ff.; Hamm, StV 1994, S. 456 ff.; HK-Krehl, Vor § 417 Rn. 3, § 420 Rn. 1; KK-Graf, Vor § 417 Rn. 2; Kohler, 2001, S. 63 ff.; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 11 f.; M-G, Vor § 417 Rn. 5 f.; Neumann, StV 1994, S. 273, 275 f.; Scheffler NJW 1994, S. 2191 ff., NJ 1999, S. 113, 117; SK-StPO-Paeffgen, Vor § 417 Rn. 4 ff.; Wächtler, StV 1994, S. 159 f.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

Der augenfälligste Unterschied fand sich jedoch im Umgang mit der im beschleunigten Verfahren und nach § 47 StGB nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Sanktion der (kurzen) Freiheitsstrafe. Insgesamt ergingen 17 Freiheitsstrafen.730 Die Richterperson X erkannte 15 Mal auf Freiheitsstrafe, die Richterperson Y 2 Mal. Obwohl das Überschreiten des Antrags der Anklagebehörde unüblich ist,731 erkannte die Richterperson X dabei auch zwei Mal auf Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, obwohl eine solche nicht beantragt war. Sichtbar werden hier ggf. verschiedene Modelle eines einzelnen Richters von Gerechtigkeit und angemessener Strafhärte. Die Möglichkeit, das eigene Modell in rigider Form durchzusetzen, ist im weniger förmlichen, rasch abgeschlossenen beschleunigten Verfahren besonders gegeben. Kontrolle findet in Berlin kaum statt, die Staatsanwaltschaft732 ist durch die strukturell schwächere, nicht aus Volljuristen bestehende Amtsanwaltschaft ersetzt.733 9 von 10 Verfahren laufen ohne Verteidiger ab und die Verfahren finden faktisch ohne Öffentlichkeit statt. Die beschleunigten Verfahren in Berlin werden nicht in einem gewöhnlich zugänglichen Gerichtsgebäude verhandelt, sondern in einem Seitenflügel des Landeskriminalamtes.734 Ohne Kenntnis des § 169 GVG wird man diese Räume kaum betreten.735 VII. Das Beweisaufnahmerecht des beschleunigten Verfahrens, § 420 StPO Der Gesetzgeber des Verbrechensbekämpfungsgesetzes ging davon aus, dass Zeitersparnis und Entlastung durch das beschleunigte Verfahren bisheriger Prägung allein in der Verkürzung des Zwischenverfahrens lagen.736 730

In diesem Vergleich werden auch die drei nach der Entscheidung gem. § 419 Abs. 2 StPO verhängten Freiheitsstrafen berücksichtigt. 731 „Obergrenze“, s. Eisenberg, 2005, § 31 Rn. 48. 732 s. betr. Objektivität Blankenburg/Sessar/Steffen, 1978, S. 257 ff.; Eisenberg, 2005, § 27 Rn. 64; Kühne, 2007, Rn. 138. 733 Im Unterschied zu Staatsanwälten (§ 122 Abs. 1 DRiG) müssen Amtsanwälte nicht die Befähigung zum Richteramt besitzen und können nur am Amtsgericht eingesetzt werden, § 142 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und § 145 Abs. 2 GVG. 734 s. oben B. II. 735 Die Anwesenheit des Verfassers als Zuschauer zur Verfahrensbeobachtung in den beschleunigten Verhandlungen war so auffällig, dass sich beide Richterpersonen nach dem Grund der Anwesenheit erkundigten. 736 s. BT-Drs. 12/6853, S. 34; kritisch bzw. gänzlich ablehnend bereits gegenüber dem beschleunigten Verfahren bisheriger Prägung: Lehmann, DRiZ 1970, S. 287 ff.; Schünemann, NJW 1968, S. 975 f.; Herzog, ZRP 1991, S. 125 ff.; Scheffler, NJW 1994, S. 2191, 2195.

VII. Das Beweisaufnahmerecht gem. § 420 StPO

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Darum wurde beschlossen, mittels Verkürzung der Beweisaufnahme auch die Hauptverhandlung zu beschleunigen.737 Freilich konnten bereits bislang beschleunigte Hauptverhandlungen schneller durchgeführt werden als solche des Regelverfahrens, da eine Konzentration auf einfache Sachverhalte gem. § 212 StPO a. F. kürzere Vernehmungen und Beweisaufnahmen bedeutete. Knapper aufeinanderfolgende Terminierungen waren möglich und hielten die Richter zur Einhaltung der kürzeren Hauptverhandlungszeit an. Mit den §§ 417 bis 420 StPO wurden nun auch rechtliche Möglichkeiten geschaffen, die Hauptverhandlung abzukürzen. Die Straffung sollte durch eine Vergrößerung des Entscheidungsrahmens des Richters erfolgen.738 Der Gesetzgeber erhoffte sich von den Veränderungen eine verstärkte Nutzung in der Praxis.739 Die Beweiserhebung wurde vereinfacht, indem die Verlesungsmöglichkeiten von Vernehmungsniederschriften und schriftlichen Äußerungen (§ 420 Abs. 1, 3 StPO) sowie von behördlichen Erklärungen (§ 420 Abs. 2, 3 StPO) erheblich erweitert wurden. Durch § 420 Abs. 4 StPO wird das Beweisantragsrecht für die Verfahrensart „verkürzt“,740 d.h. abgeschafft,741 und Beweisantizipation in breitem Rahmen zugelassen.742 Zunächst werden die Regelungen des § 420 StPO im Einzelnen dargestellt und Streitfragen erörtert, anschließend erfolgt eine kritische Würdigung dieser zentralen Neuerung des beschleunigten Verfahrens. 1. Erweiterte Verlesungsmöglichkeiten, § 420 Abs. 1 bis 3 StPO a) Vernehmungsniederschriften und schriftliche Äußerungen, § 420 Abs. 1 StPO § 420 Abs. 1 StPO durchbricht für das beschleunigte Verfahren den in § 250 StPO niedergelegten Grundsatz des Vorrangs des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis. Gemäß § 420 Abs. 1 StPO darf die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten durch Verlesung von Vernehmungsniederschriften und schriftlichen Äußerungen ersetzt werden. Nach § 420 Abs. 3 StPO müssen Angeklagter, Verteidiger und Staats737

s. BT-Drs. 12/6853, S. 34 f. s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 739 s. BT-Drs. 12/6853, S. 34 f. 740 s. BT-Drs. 12/6853, S. 34 f. 36 f. 741 s. Schlothauer, StV 1995, S. 46. Mehr dazu im Folgenden. 742 § 420 StPO gilt auch in der Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Strafbefehl, s. § 411 Abs. 2 S. 2 StPO. 738

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

anwaltschaft dem zustimmen, soweit sie in der Hauptverhandlung anwesend sind. Die für das Regelverfahren in § 251 StPO festgeschriebenen Ausnahmen vom Grundsatz der persönlichen Vernehmung werden damit erweitert. Es wird anders als in § 251 StPO nicht zwischen früheren richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen unterschieden. Die Verlesung nichtrichterlicher Vernehmungen ist abweichend von § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO auch dann zulässig, wenn der Angeklagte keinen Verteidiger hat. Eine Relativierung erfolgt theoretisch für schwerwiegendere Fälle durch § 418 Abs. 4 StPO.743 Die Verlesungen sind außerdem gem. § 420 Abs. 3 StPO auch ohne Zustimmung möglich, wenn der Angeklagte oder der Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht anwesend sind. § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2 Nr. 1, 2, Abs. 3, 4 sowie die §§ 252, 253 StPO bleiben anwendbar. Diese im Ordnungswidrigkeitenrecht erfolgende Klarstellung (§ 77a Abs. 4 S. 2 OWiG) wurde nicht in § 420 StPO übernommen, da der Gesetzgeber die Geltung im beschleunigten Verfahren für selbstverständlich hielt.744 (1) Geltung des § 252 StPO Fraglich ist, wie § 252 StPO im Rahmen des beschleunigten Verfahrens zu verstehen ist. Nach § 252 StPO darf die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, nicht verlesen werden.745 Während der Zeugnisverweigerungsberechtigte in der Hauptverhandlung des Regelverfahrens noch einmal über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wird, will § 420 Abs. 1 StPO auf die Ladung des Zeugen gerade verzichten. Eine Verlesung gem. § 420 Abs. 1 StPO ohne Erklärung des Zeugnisverweigerungsberechtigten kommt wegen der Geltung des § 252 StPO nicht in 743

Praktisch ist dies nicht der Fall, die Vorschrift über notwendige Verteidigung wird von Staatsanwaltschaft und Gerichten umgangen, s. dazu oben C. III. 4. e) und zu den entsprechenden Ergebnissen der Aktenauswertung oben C. IV. 2. 744 s. BT-Drs. 12/6853, S. 37. Die dort zitierten Absätze und Nummern des § 251 StPO beziehen sich auf dessen ehemalige Fassung vor dem 1. JuMoG v. 24.08.2004. 745 Dabei ist anerkannt, dass § 252 StPO nicht nur ein Verlesungs- sondern ein Verwertungsverbot der früheren Aussage enthält (s. BVerfG NStZ-RR 2004, S. 18; BGHSt 2, 99, 101 ff.), streitig ist indes, ob dieses auch bei früheren richterlichen Vernehmungen gelten soll. Bejahend etwa: Beulke, 2008, Rn. 420; Hanack, JZ 1972, S. 236, 238; Roxin, 1998, § 44 Rn. 21; verneinend: BGHSt 2, S. 99, 106; 49, S. 72, 76 f.

VII. Das Beweisaufnahmerecht gem. § 420 StPO

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Betracht. Andererseits wäre es dem Beschleunigungsziel des § 420 Abs. 1 StPO gegenläufig, den Zeugnisverweigerungsberechtigten für die beschleunigte Hauptverhandlung zu laden. Die Ziele beider Normen können verwirklicht werden, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte bei geplanter Verlesung gem. § 420 Abs. 1 StPO zeitnah vor der Verhandlung befragt wird, ob er in die Verwertung einwilligt oder sich nun auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft.746 Alle Formen des Freibeweisverfahrens sind dabei zulässig, auch eine fernmündliche Äußerung des Zeugen reicht aus.747 Beruft er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, ist die Verwertung ausgeschlossen. Nicht gelten soll dies für richterliche Vernehmungsprotokolle. Bei früherer Vernehmung nach ordnungsgemäßer Belehrung durch den Richter könne ohne Einholung einer Zustimmung verlesen werden.748 Adaptiert wird hier die Position aus dem Regelverfahren, welche hinsichtlich des in § 252 StPO liegenden Verwertungsverbots zwischen nichtrichterlichen und richterlichen Vernehmungen differenziert.749 Die Übertragung auf das beschleunigte Verfahren ginge noch über die Situation des Regelverfahrens hinaus: Hier soll nicht nur der Richter als Zeuge vernommen, sondern die Vernehmungsniederschrift verlesen werden können. Dies lässt sich mit Wortlaut und Schutzzweck des § 252 StPO nicht mehr vereinbaren, der dann bei richterlichen Vernehmungen keinerlei Bedeutung mehr hätte. Gegen die Abschwächung des § 252 StPO spricht, dass der Gesetzgeber ausdrücklich davon ausging, dass § 252 StPO unberührt bliebe.750 Vor allem ist schon die Grundlage dieser Position aus dem Regelverfahren abzulehnen. Eine Unterscheidung zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen findet sich in § 252 StPO nicht. Die Ausnahme für richterliche Vernehmungen läuft der von § 252 StPO angestrebten Sicherung der Zwecke der §§ 52 bis 53a StPO entgegen. Schließlich besteht, entgegen der Behauptung, keine größere Qualität der richterlichen Vernehmung, welche einzig für eine Differenzierung sprechen könnte.751 746 s. AK-Loos, § 420 Rn. 7; HK-Krehl, § 420 Rn. 2; KK-Graf, § 420 Rn. 4; KMR-Metzger, § 420 Rn. 5; LR25-Gössel, § 420 Rn. 33. 747 s. BGH NStZ 1996, S. 295; KMR-Metzger, § 420 Rn. 5; LR25-Gössel, § 420 Rn. 33; NK-GS-Weiler, (2) § 420 Rn. 3. 748 s. HK-Krehl, § 420 Rn. 2; KK-Graf, § 420 Rn. 4; KK-OWiG-Senge, § 77a Rn. 6; KMR-Metzger, § 420 Rn. 5; M-G, § 420 Rn. 5; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 108 f. 749 BGHSt 2, 99, 106; 49, 72, 76 f.; M-G, § 252 Rn. 14; zur Diskussion s. Geppert, Jura 1988, S. 306 ff. 750 s. BT-Drs. 12/6853, S. 37.

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Aus diesen Gründen und weil im Übrigen in solchem Fall ohnehin nicht mehr von einer „klaren Beweislage“ ausgegangen werden könnte, ist auch die Meinung abzulehnen, welche, gemäß der Position für das Regelverfahren, die Vernehmung der richterlichen Verhörsperson zulassen möchte.752 (2) Geltung der Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO Die erweiterte Verlesbarkeit darf nicht die Wahrheitsermittlung beeinträchtigen. § 244 Abs. 2 StPO gilt, wie sich aus § 420 Abs. 4 StPO und den Gesetzgebungsmaterialien ergibt, ohne Einschränkung.753 Darum kann eine Verlesung nach § 420 Abs. 1 StPO auch bei Zustimmung des Angeklagten nicht ausreichend sein, wenn die Beweisperson das einzige Beweismittel ist754 oder die Vernehmungsniederschrift Lücken aufweist.755 Bei Bestreiten des Tatvorwurfs durch den Angeklagten ist die bloße Verlesung des Vernehmungsprotokolls des einzigen Belastungszeugen keinesfalls ausreichend.756 b) Behördenerklärungen, § 420 Abs. 2 StPO § 256 StPO, der für das Regelverfahren die Verlesungen bestimmter behördlicher Zeugnisse, Gutachten, Erklärungen und ärztlicher Atteste zulässt und damit den Unmittelbarkeitsgrundsatz durchbricht, wird von § 420 Abs. 2 StPO erweitert. Gemäß § 420 Abs. 2 StPO dürfen Erklärungen von Behörden und sonstigen Stellen über ihre dienstlichen Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse sowie über diejenigen ihrer Angehörigen auch dann verlesen werden, wenn die Voraussetzungen des § 256 StPO nicht vorliegen.757 751

s. Eisenberg, 2008, Rn. 1288; Beulke, 2008, Rn. 420. Insgesamt gegen die Verlesbarkeit der richterlichen Vernehmungsniederschriften ohne Rückfrage auch Kohler, 2001, S. 49 f.; Tiedemann, 2008; zweifelnd auch AK-StPO-Loos, § 420 Rn. 7; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 5. 752 So aber Schröer, 1998, S. 168. 753 s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 754 s. KK-Graf, § 420 Rn. 3. 755 s. AK-Loos, § 420 Rn. 18. 756 s. SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 25; vgl. in diesem Zusammenhang zu Auswirkungen für den Beschuldigten und zur Verteidigungssituation Hamm, StV, 1994, S. 456, 458. 757 Die Regelung entstammt ebenfalls dem OWiG, s. § 77a Abs. 2 OWiG. Die Möglichkeit der fernmündlichen Einholung einer behördlichen Erklärung nach § 77a Abs. 3 OWiG wurde nicht übernommen. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll hinsichtlich der Auslegung des § 420 Abs. 2 StPO auf Rechtsprechung und Schrifttum zu der entsprechenden Norm im OWiG zurückgegriffen werden, s. BT-

VII. Das Beweisaufnahmerecht gem. § 420 StPO

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Unter dem Vorbehalt der Zustimmung gem. § 420 Abs. 3 StPO ist die Verlesung von Erklärungen damit gegenüber dem Regelverfahren in zweierlei Hinsicht ausgedehnt worden: Den Behörden werden „sonstige Stellen“ gleichgesetzt. Mit „sonstigen Stellen“ sind Institutionen gemeint, die zwar nicht Behörden im organisatorischen Sinne sind, aber Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnehmen,758 beispielsweise öffentlich beliehene Unternehmen.759 Die zweite Ausdehnung betrifft die Art der verlesbaren Schriftstücke. Die Abgrenzung zwischen „Zeugnis und Gutachten“ in § 256 StPO wird entbehrlich, da § 420 Abs. 2 StPO pauschal Erklärungen über dienstliche Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse für verlesbar erklärt.760 Umfasst werden etwa Aktenvermerke, Briefe, Leumundszeugnisse oder Notizen über die Ermittlungsvorgänge.761 Seit der Änderung des § 256 StPO durch das 1. JuMoG v. 24.08.2004 erlaubt allerdings auch § 256 Abs. 1 Nr. 5 wenigstens die Verlesung von Protokollen sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben.762 Nur Erklärungen über dienstliche Wahrnehmungen dürfen verlesen werden, privat erlangte nicht. Grenze der Verlesbarkeit ist, wie bei § 420 Abs. 1 StPO, die richterliche Aufklärungspflicht.763 c) Zustimmungserfordernis gemäß § 420 Abs. 3 StPO Die Verlesung nach den Absätzen 1 und 2 steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Angeklagten, des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft. Dies gilt nach § 420 Abs. 3 StPO nur, soweit diese in der Hauptverhandlung anwesend sind, wobei im Falle der Hauptverhandlung trotz Ausbleibens des Angeklagten gem. § 232 StPO die Eignung gem. den §§ 417, 419 StPO besonders in Frage stehen wird.764 Drs. 12/6853, S. 37. Freilich wird nicht jedes Ergebnis im Ordnungswidrigkeitenverfahren dem Strafprozess mit seinen einschneidenderen Rechtsfolgen gerecht. 758 s. AK-Loos, § 420 Rn. 9; Kohler, 2001, S. 51 m. Nw. 759 Zu weiteren Beispielen s. KK-OWiG-Senge, § 77 a, Rn. 12. 760 Vgl. Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 109. 761 s. LR25-Gössel, § 420 Rn. 35; NK-GS-Weiler, (2) § 420 Rn. 3. 762 Zur Kritik s. etwa Eisenberg, 2008, Rn. 2200 m. w. Nw.; für restriktive Handhabung Beulke, 2008, Rn. 417; Neuhaus, StV 2005, S. 47, 52. 763 s. KK-Graf, § 420 Rn. 5. 764 Zweifelnd auch KMR-Metzger, § 420 Rn. 7.

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Der unverteidigte Angeklagte ist genau über die Folgen seines Einverständnisses aufzuklären.765 Eine „konkludente Zustimmung“ ist grundsätzlich ausgeschlossen. Sie zuzulassen ist schon im Hinblick auf die Protokollierungspflichten wenig sinnvoll.766 Einzige Ausnahme, welche das Schutzziel des § 420 Abs. 3 StPO nicht bedroht und der Realität des Strafprozesses entspricht, ist das Schweigen des Angeklagten bei ausdrücklicher Zustimmung seines Verteidigers.767 Die Korrektur der Zustimmung vor Verlesung ist ohne Angabe von Gründen möglich. Die Rücknahme unmittelbar nach der Verlesung hingegen wird teilweise befürwortet, teilweise für unzulässig erklärt. Relevant ist die Frage insbesondere für den unverteidigten Angeklagten, der durch die Verlesung der ihm unbekannten Protokolle überrumpelt werden könnte. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet die Möglichkeit der Rücknahme unmittelbar nach der Verlesung, hätte der Angeklagte doch die Zustimmung bei Inhaltskenntnis ggf. nie erteilt.768 Durch Gerichtsbeschluss wird die Verlesung angeordnet. Dieser ist ebenso wie die Zustimmungserklärung zu protokollieren.769 2. Beweisantragsrecht im beschleunigten Verfahren, § 420 Abs. 4 StPO Strengen Regeln folgt die Ablehnung von Beweisanträgen im Normalverfahren. Sie ist nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 244 Abs. 3–5, 245 StPO möglich. Im Übrigen ist Beweisantizipation unzulässig.770 Nach § 420 Abs. 4 StPO gilt für das beschleunigte Verfahren vor dem Strafrichter: Dieser bestimmt unbeschadet des § 244 Abs. 2 StPO den Umfang der Beweisaufnahme. Er ist also nicht an die Ablehnungsgründe der 765 Vgl. KMR-Metzger, § 420 Rn. 9 mit Belehrungsbeispiel; M-G, § 420 Rn. 8. S. dazu mehr im Folgenden unter „Gefahren des § 420 StPO“. 766 Vgl. AK-StPO-Loos, § 420 Rn. 12. 767 Weitergehend Göhler (2009, § 77 a Rn. 13 ff.) für die entsprechende Vorschrift des Ordnungswidrigkeitenrechts. Dessen – zweifelhafte Meinung – sowohl generell eine konkludente Zustimmung zuzulassen, wie sogar die Verweigerung der Zustimmung des Verteidigers bei Zustimmung des Angeklagten für unbeachtlich zu erklären ist auf den Strafprozess mit der Möglichkeit einer freiheitsentziehenden Sanktion nicht übertragbar. Im Ergebnis wie hier HK-Krehl, § 420 Rn. 4. 768 s. KMR-Metzger, § 420 Rn. 12; ähnlich: SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 9; a. A. etwa M-G, § 420 Rn. 8; Schlüchter/Fülber/Putzke, 1999, S. 106. 769 s. AK-StPO-Loos, § 420 Rn. 16. 770 s. Eisenberg, 2008, Rn. 198 ff.

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§§ 244 Abs. 3–5, 245 StPO gebunden. „[Er darf] einen Beweisantrag auch dann ablehnen, wenn er den Sachverhalt für genügend geklärt hält und der Auffassung ist, daß die Vernehmung eines Zeugen an der bereits vorliegenden Überzeugung des Gerichts nichts ändern würde.“771 Beweisantizipation soll damit im beschleunigten Verfahren zulässig sein. Die Vorschrift ist wiederum dem Ordnungswidrigkeitenrecht772 sowie § 384 Abs. 3 StPO des Privatklageverfahrens nachgebildet worden und nach intensivem Streit im Vermittlungsausschuss auf das Verfahren vor dem Strafrichter (und nicht mehr dem Schöffengericht) beschränkt worden.773 a) Gehalt der Vorschrift – Beweisantragsrecht und Amtsaufklärungspflicht Nach der sog. Identitätslehre würde diese Norm freilich nichts an den Pflichten des Richters und den Rechten des Angeklagten ändern. Danach gehen die Beweiserhebungspflichten aus den §§ 244 Abs. 3 bis 5, 245 StPO nicht über diejenigen aus der richterlichen Amtsaufklärungspflicht hinaus. Sie stellten nur deren Konkretisierung dar, da nur die einstmalige Rechtsprechung des Reichsgerichts, hinsichtlich der Fälle, in denen die Amtsaufklärung die beantragte Beweiserhebung nicht gebietet, in Gesetzesfassung gegossen wurde.774 Da im beschleunigten Verfahren die Geltung des § 244 Abs. 2 StPO in § 420 Abs. 4 StPO extra betont werde, ergäben sich für die Verfahrensart keine Änderungen zum Regelverfahren. Beweisanträge könnten nur aus denselben Gründen wie im Regelverfahren abgelehnt werden, Beweisantizipation sei im Übrigen unzulässig. Mag die Auffassung im Ergebnis für das beschleunigte Verfahren rechtspolitisch wünschenswert sein, kann ihr doch nicht gefolgt werden.775 Die Pflichten aus § 244 Abs. 2 StPO stimmen nur im Kern mit jenen aus § 244 Abs. 3 bis 5 StPO überein. Im Rahmen des § 244 Abs. 2 StPO hat der 771

s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. Vgl. § 77 OWiG. 773 s. BT-Drs. 12/6853, S. 11; 12/7837, S. 2 f.; 674. Plenarprotokoll des Bundesrates (23.9.1994), S. 519. Die OLG-Rechtsprechung hält die Norm für verfassungsrechtlich unbedenklich, s. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, S. 273; OLG Köln, StV 2001, S. 343. 774 s. dazu und zu weiteren Argumenten Engels, GA 1981, 21, 22; LR25-Gössel, § 420 Rn. 14 ff.; Wessels, JuS 1969, S. 1, 3 f. 775 So auch die ganz herrschende Ansicht, s. etwa: BGHSt 21, 118, 124; BGH NStZ 1985, S. 324 f.; Eisenberg, 2008, Rn. 139; Herdegen, NStZ 1984, S. 97 ff.; HK-Julius, § 244 Rn. 2; Hoffmann, 1991, S. 88 ff.; LR25-Gollwitzer, § 244 Rn. 59; M-G, § 244 Rn. 12; Widmaier, NStZ 1994, S. 415 f.; vgl. auch Frister, ZStW 105 (1993), S. 340 ff.; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 13 ff. 772

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Richter eine Vorwegwürdigung zu treffen, ob von dem fraglichen Beweismittel ein für die Entscheidung erhebliches Beweisergebnis zu erwarten ist.776 Dies ist bei der Entscheidung über einen Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 bis 5 StPO grundsätzlich verwehrt. Die eigene Einschätzung des Gerichts über die bisherige Beweislage ist hier nicht entscheidend. Würde man von der Identitätslehre ausgehen, wären die gesetzgeberischen Unternehmungen in § 384 Abs. 3 StPO, in § 77 OWiG sowie in § 420 Abs. 4 StPO gänzlich sinnfrei. Dies lässt sich schwerlich annehmen. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich formuliert, dass der Richter durch die Neuregelung für das beschleunigte Verfahren einen Beweisantrag ablehnen dürfen soll, wenn er den Sachverhalt für genügend geklärt hält.777 Die Einschränkungen des § 244 Abs. 3 bis 5, 245 Abs. 2 StPO gelten damit nicht.778 b) Verbleibende Pflichten des Strafrichters Der Strafrichter, der nur § 244 Abs. 2 StPO unterworfen ist, kann dennoch nicht nach Belieben verfahren. Er hat kein freies Ermessen.779 Das Gericht hat nach § 244 Abs. 2 StPO alle entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln. Die Prozessbeteiligten haben durch die Amtsaufklärungspflicht einen Anspruch auf Beweiserhebung.780 Beweisanträge können genauso wie im Regelverfahren gestellt werden. Die Rechtsprechung hat zu den entsprechenden Normen bereits für das Ordnungswidrigkeitenrecht formuliert: Wenn sich die Erhebung des Beweises aufdrängt oder sie zumindest nahe liegt, so ist dem Beweisantrag nachzugehen.781 Wenn etwa das bisherige Beweisergebnis allein auf der Aussage eines einzelnen Zeugen beruht, so ist einem Beweisantrag auf Vernehmung eines weiteren Zeugen, mit welcher das Beweisergebnis entkräftet werden soll, stets nachzugehen.782 776 s. LR25-Gollwitzer, § 244 Rn. 59. Das Gericht darf nämlich im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht aufgrund seiner bereits gewonnenen Überzeugung auf die weitere Beweiserhebung verzichten, wenn der Sachverhalt so eindeutig geklärt erscheint, dass bei verständiger Würdigung eine weitere Beweiserhebung die gewonnene Überzeugung nicht mehr erschüttern kann (s. zu dieser h. M. SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 15 m. Nw.), jedenfalls, wenn nicht einmal mehr die entfernte Möglichkeit dafür besteht (s. BGHSt 23, S. 176, 188; BGH NStZ 1991, S. 399). 777 s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 778 Ganz h. M., s. etwa HK-Krehl, § 420 Rn. 5; KK-Graf, § 420 Rn. 7; KMRMetzger, § 420 Rn. 16; M-G, § 420 Rn. 10. 779 s. OLG Düsseldorf NJW 1992, S. 1521, 1522; Köln VRS 81, 201, 202. 780 s. Beulke, 2008, Rn. 406. 781 s. OLG Düsseldorf NStE Nr. 3 und 7 sowie OLG Karlsruhe NStE Nr. 2, alle zu §§ 77 OWiG; OLG Düsseldorf VRS 78, S. 140 f.; ebenso: HK-Krehl, § 420 Rn. 5; KK-Graf, § 420 Rn. 7; M-G, § 420 Rn. 10.

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c) Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags Der Beweisantrag ist zu protokollieren, wie auch dessen auf § 420 Abs. 4 StPO gestützter Ablehnungsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO).783 Gemäß § 34 StPO ist der Beschluss zu begründen. Ggf. kurz dürfe die Begründung nach Auffassung des Gesetzgebers sein.784 Streitig ist, ob sie sich auf die Formel beschränken darf, die Beweiserhebung sei zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich.785 Eine solche Formel sieht § 77 Abs. 3 OWiG vor.786 Die Vorschrift ist jedoch gerade nicht in die §§ 417 bis 420 StPO übernommen worden. Derartiges gebietet auch nicht der Beschleunigungszweck. Dieser wird im Wesentlichen durch die Ablehnungsmöglichkeit erreicht. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt eine über die Leerformel hinausgehende Begründung, mithilfe derer der Angeklagte seine weitere Verteidigung ausrichten kann.787 Sie muss erkennen lassen, weswegen die Überzeugung des Gerichts derart feststeht, dass eine zusätzliche Beweiserhebung an ihr nichts ändern kann, wobei etwa auf die Beweismittel einzugehen ist, welche die Überzeugung tragen.788 Gesichert wird auf diese Weise auch ein ordnungsgemäßer Umgang mit der Aufklärungspflicht.789 Wird die Ablehnung auf einen der Gründe der §§ 244 Abs. 3 bis 5, 245 StPO gestützt, hat die Begründung deren Anforderungen zu genügen.790 3. Die Regelungen des § 420 StPO im Rechtsmittelverfahren a) Frage der Anwendbarkeit des § 420 StPO im Berufungsverfahren § 420 StPO ist nicht ausdrücklich auf die erste Instanz beschränkt worden. § 420 Abs. 4 darf allerdings nur „vor dem Strafrichter“ angewandt 782 s. OLG Düsseldorf VRS 78, S. 140, 141; BayObLG, VRS 59, S, 211, 213; Bay DAR 2002, S. 437L; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 25 (mit weiteren Rechtsprechungsbeispielen) sowie HK-Krehl, § 420 Rn. 5; KK-Graf, § 420 Rn. 7; M-G, § 420 Rn. 10. 783 s. KK-Graf, § 420 Rn. 8; M-G, § 420 Rn. 11. 784 s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 785 So KK-Graf, § 420 Rn. 8; KMR-Metzger, § 420 Rn. 17; M-G, § 420 Rn. 11. 786 Einschränkend aber bereits für das Ordnungswidrigkeitenverfahren OLG Köln StV 1988, S. 336; OLG Zweibrücken MDR 1991, 1192 f. 787 Vgl. LR25-Gössel, § 420 Rn. 42. 788 s. AK-StPO-Loos, § 420 Rn. 25. 789 s. AK-StPO-Loos, § 420 Rn. 25; neben Loos insgesamt ebenfalls gegen die Zulässigkeit der nur formelhaften Begründung: HK-Krehl, § 420 Rn. 5; Kohler, 2001, S. 53 f.; LR25-Gössel, § 420 Rn. 41 f.; Ranft, 2005, Rn. 2352; Schlüchter/ Fülber/Putzke, 1999, S. 112; Schröer, 1998, S. 184; Tiedemann, 2008, S. 173 f. 790 s. M-G, § 420 Rn. 11.

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werden. Daraus könnte man folgern, dass das Unterlassen einer solchen Regelung für die erweiterten Verlesungsmöglichkeiten gemäß § 420 Abs. 1 bis 3 StPO bedeutet, dass diese auch im Berufungsverfahren gelten sollen. Dafür spricht auch, dass es sich bei dem beschleunigten Verfahren um eine besondere Verfahrensart handelt, die mit einem Ablehnungsbeschluss gemäß § 419 Abs. 3 StPO beendet wird. Erfolge ein solcher nicht, so bleibe das Verfahren ein beschleunigtes, eben auch in der Berufung, so dass § 420 Abs. 1 bis 3 StPO auch dort gelte. Weiterhin spreche dafür die Regelung § 411 Abs. 2 S. 1 StPO des Strafbefehlsverfahrens, welche ohne ausdrückliche Verweisung unbestritten auch in der Berufung Anwendung finde.791 Allerdings kann die ausdrückliche Beschränkung des § 420 Abs. 4 StPO auch eine ganz andere Bedeutung haben. § 420 Abs. 4 StPO lautet nicht, „im Verfahren vor dem Amtsgericht. . .“, woraus in der Tat ein Umkehrschluss zu ziehen wäre. Vielmehr darf die Vorschrift im Unterschied zu den Absätzen 1 bis 3 nur vor dem „Strafrichter“ angewandt werden. Ziel könnte also ausschließlich gewesen sein, die Nichtgeltung des Absatzes 4 vor dem Schöffengericht festzuschreiben, was dann wiederum nicht für die Absätze 1 bis 3 gelte. In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich keine ausdrückliche Feststellung. Dies wird jedoch verständlich und die vorangehende Interpretation zwingend, wenn man betrachtet, dass die Regelung nach heftigem Streit im Vermittlungsverfahren auf den Strafrichter beschränkt wurde. Zuvor sollte sie wie § 384 Abs. 3 StPO lauten: Das Gericht bestimmt unbeschadet des § 244 Abs. 2 den Umfang der Beweisaufnahme.792 Auf diese Norm wurde sich auch ausdrücklich bezogen.793 Für § 384 Abs. 3 StPO ergibt sich nun aber aus der Gesetzgebungsgeschichte, dass die vereinfachte Beweisaufnahme nur in der Erstinstanz erfolgt und eine Erstreckung der Regelung auf das Berufungsverfahren einer ausdrücklichen Regelung bedurft hätte.794 Dass der Gesetzgeber an der Nichtgeltung der vereinfachten Beweisaufnahme in der Berufung nicht zweifelte, zeigen auch seine Ausführungen im Verbrechensbekämpfungsgesetzesentwurf zum geplanten § 109 Abs. 2 S. 3 JGG: „Bei einem beschleunigten Verfahren mit vereinfachter Beweisaufnahme muß eine Überprüfung in tatsächlicher Hinsicht möglich sein. Um diese zu erreichen, muß der Verurteilte aber stets Berufung einlegen. [. . .].“795 791 s. zu diesen Argumenten M-G, § 420 Rn. 12, § 419 Rn. 17; vgl. auch Ranft, 2005, Rn. 2354, 2362. 792 s. BT-Drs. 12/6853, S. 11. 793 s. BT-Drs. 12/6853, S. 36. 794 s. Schlothauer, StV 1995, S. 47; Kohler, 2001. S. 59. 795 s. BT-Drs. 12/6853, S. 41.

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In systematischer Hinsicht greift die Argumentation der Gegenmeinung nicht, dass das Berufungsverfahren nach den Regeln des § 420 Abs. 1 bis 3 StPO laufe, weil ohne Überleitungsnorm nicht in das Normalverfahren übergegangen werden könne, was nun auch an § 419 Abs. 3 StPO zu erkennen sei. § 419 Abs. 3 StPO regelt aber nur die außerordentliche und vereinfachte Überleitung vom beschleunigten Verfahren ins Normalverfahren, wenn die Sache nicht zur Verhandlung in der Verfahrensart geeignet ist.796 Ergeht ein Urteil im beschleunigten Verfahren, so ist die Instanz beendet und mit dieser Zäsur auch die Anwendbarkeit der Regeln der besonderen Verfahrensart.797 Zu der Geltung des § 411 Abs. 2 S. 1 StPO auch im Berufungsverfahren lässt sich für die § 420 Abs. 1 bis 3 StPO keine Parallele ziehen, da die Normen einer inhaltlichen Vergleichbarkeit entbehren, insbesondere nicht aus der anerkannten Erstreckung einer den Angeklagten schützenden Vorschrift auf die nächsthöhere Instanz auf die Erstreckung einer den Angeklagten benachteiligenden Regel geschlossen werden kann.798 Die Nichtanwendbarkeit der Beweiserleichterungen im Berufungsverfahren folgt auch aus der Regelung über die notwendige Verteidigung des § 418 Abs. 4 StPO, die für schwerwiegendere Fälle als Schutzvorschrift und Gegengewicht zu § 420 StPO eingeführt wurde und insbesondere die sachgemäße Ausübung des Zustimmungsrechts gewährleisten soll. Unverständlich wäre die ausdrückliche Beschränkung des § 418 Abs. 4 StPO auf das Amtsgericht bei Anwendbarkeit der Erleichterungen auch im Berufungsverfahren, hingegen folgerichtig (obwohl insgesamt nicht wünschenswert)799 bei Nichtanwendbarkeit dieser.800 Das letztlich entscheidende Argument ist, dass die Beweiserleichterungen des § 420 Abs. 1 bis 3 StPO in der Berufung gar nicht mehr angewandt werden dürfen. Das, die Erleichterungen rechtfertigende Ziel einer Aburteilung, die der Tat auf dem Fuße folgt, ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erreichbar.801 796

Bejaht das Gericht die Eignung und prozediert es in der Verfahrensart, wird den Aufgaben des Eröffnungsbeschlusses in anderer Form Genüge getan, s. dazu oben C. III. 1. b) und OLG Stuttgart, StV 1998, S. 585, 587. 797 s. OLG Hamburg, StV 2000, S. 299, 301; Stuttgart, StV 1998, S. 585, 587 und vgl. näher noch Tiedemann, 2008, S. 182 f. 798 s. SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 31. 799 Nach dem eindeutigen Wortlaut gilt die Vorschrift weder für ein Regelverfahren nach einer Ablehnung gem. § 419 StPO noch für das Berufungsverfahren, weswegen die unbefriedigende Situation eintritt, dass bei einer Verkomplizierung des Verfahrens die notwendige Verteidigung endet. s. dazu oben C. III. 4. d). 800 s. Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 9; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 31.

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Das Ergebnis entspricht im Übrigen der notwendigen Korrektur, der aufgrund der Beweiserleichterungen häufiger zu erwartenden Fehler in der Tatsachenfeststellung. § 420 StPO ist in der Berufungsinstanz nicht anwendbar. b) Fehlerhafter Umgang mit den Regelungen des § 420 StPO Die Amtsaufklärungspflicht des Richters ist nach § 420 Abs. 4 StPO für das beschleunigte Verfahren unberührt geblieben, ihre Verletzung begründet bei ordnungsgemäß erhobener Aufklärungsrüge die Revision. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht kommt etwa bei Nichterhebung nahe liegender Beweise oder bei Verlesung nach § 420 Abs. 1 bis 3 StPO trotz Umständen, welche zur persönlichen Vernehmung drängten, in Betracht.802 Die Revision ist freilich auch begründet, wenn die Verlesung nach § 420 Abs. 1, 2 StPO ohne die nach § 420 Abs. 3 StPO erforderliche Zustimmungserklärung erfolgte803 oder diese wirksam zurückgenommen wurde.804 Die Ablehnung von Beweisanträgen unterliegt in der Verfahrensart nicht den strengen Regeln des § 244 Abs. 3 bis 5 und § 245 StPO. Wehrt sich der Verurteilte gegen eine seiner Meinung nach zu Unrecht erfolgte Ablehnung eines Beweisantrags, so muss er die Aufklärungsrüge erheben.805 4. Gefahren des § 420 StPO Ernstzunehmende Gefahren für die Wahrheitsfindung beinhalten ein solch pauschaler Bruch mit Verfahrensprinzipien und die Entwertung des Beweisantragsrechts. Zunächst wird durch § 420 Abs. 1 StPO die besondere Skepsis des deutschen Strafverfahrensrechts gegenüber dem Beweis mittels Niederschriften über frühere Zeugenvernehmungen806 aufgegeben; durch § 420 801 s. AK-StPO-Loos, § 420 Rn. 28; KMR-Metzger, § 419 Rn. 37; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 9; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 31; LR25-Gössel, Vor 417 Rn. 43. 802 s. KMR-Metzger, § 420 Rn. 19; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 32. 803 s. KK-Graf, § 420 Rn. 9; LR25-Gössel, § 420 Rn. 44; M-G, § 420 Rn. 13. 804 s. KMR-Metzger, § 420 Rn. 19. Eine Ansicht nimmt darüber hinaus an, dass der unverteidigte, rechtsunkundige Angeklagte mangels Aktenkenntnis und Einschätzung der Tragweite seiner Erklärung sein Zustimmungsrecht inhaltlich nicht wirksam ausüben könne, so dass das Ersetzen einer Vernehmung durch Verlesung beim unverteidigten Angeklagten grundsätzlich einen Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip i. S. d. § 250 S. 2 StPO bedeute, welcher auf entsprechende Verfahrensrüge hin die Revision begründe, s. Ranft, NStZ 2004, S. 424, 429; Tiedemann, 2008, S. 197; vgl. auch Ernst, StV 2001, S. 367, 370. 805 s. M-G, § 420 Rn. 13; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 32. 806 s. Beulke, 2008, Rn. 410.

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Abs. 2 StPO wird schlicht festgestellt, dass hinsichtlich der Verlesung von Erklärungen von Behörden und sonstigen Stellen die Voraussetzungen des § 256 nicht vorliegen müssen. Das Fragerecht des Angeklagten (wie auch des Verteidigers und der StA, die allerdings rechts- und aktenkundig in anderer Weise von ihrem Zustimmungsrecht Gebrauch machen können) wird damit erheblich eingeschränkt. Den Verzicht auf das Unmittelbarkeitsprinzip hinsichtlich der Behördenerklärungen mit dem Vertrauensvorschuss zu begründen, der Behörden und sonstigen Stellen wegen deren Überparteilichkeit und Gründlichkeit entgegengebracht wird, schließt die Sicht des Angeklagten aus, für den dies gerade nicht gilt, wenn es sich um Strafverfolgungsbehörden handelt.807 Nicht anzunehmen ist auch, dass die nach § 420 Abs. 2 StPO frei verlesbaren Erklärungen, wie z. B. behördeninterne Vermerke, mit der Gründlichkeit eines Gutachtens oder Zeugnisses erstellt wurden.808 Entsprechend wird auf die Bedeutung der richterlichen Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gepocht,809 was in Anbetracht der wörtlichen Fassung des § 420 Abs. 1 bis 3 StPO, welche suggeriert, bei Zustimmung ist jedes „Hindernis“ beseitigt, mehr Hoffnung als Sicherheit bleiben muss. Das Zustimmungserfordernis selbst bietet in den allermeisten Fällen keinerlei Schutz. Die Verlesung nichtrichterlicher Vernehmungen ist abweichend von § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO nämlich auch zulässig, wenn der Angeklagte keinen Verteidiger hat. Dies wird den Regelfall im beschleunigten Verfahren darstellen.810 Eine Relativierung für schwerwiegendere Fälle durch § 418 Abs. 4 StPO erfolgt nicht, die Vorschrift über notwendige Verteidigung wird von Staatsanwaltschaft und Gerichten umgangen.811 Welchen inhaltlichen Wert aber hat nun die Zustimmung eines unverteidigten Angeklagten, der kein Akteneinsichtsrecht hat, zu einem ihm in der Bedeutung unverständlichen Verlesungsverfahren hinsichtlich ihm unbekannter Vernehmungsprotokolle u. a.?812 In der Literatur wird dem durch die Forderung genauer Belehrungen über die Zustimmungserklärung begegnet,813 oder die Erklärung des unverteidigten Angeklagten entgegen dem Wortlaut des § 420 Abs. 3 StPO grundsätzlich als unwirksam angesehen.814 807

s. AK-StPO-Loos, § 420 Rn. 11. s. Tiedemann, 2008, S. 165. 809 s. Schröer, 1998, S. 172; ihm folgend Tiedemann, 2008, S. 165. 810 In den ausgewerteten beschleunigten Verfahren dieser Arbeit bedienten sich in Brandenburg 13, 61% des Beistandes eines Verteidigers, in Berlin 10, 34%. Ebenso in der Regel ohne Verteidigung für Bonn Tiedemann, 2008, S. 149. 811 s. dazu oben C. III. 4. e) und zu den entsprechenden Ergebnissen der Aktenauswertung oben C. IV. 2. 812 „Unbestreitbar bizarr“, s. SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 29. 813 s. etwa KMR-Metzger, § 420 Rn. 8 f.; M-G, § 420 Rn. 8. 808

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Weitere Gefahren für die Wahrheitsfindung bestehen im Zusammenhang mit diesen Vorschriften durch die zunehmende Praxis, Entscheidungen abgekürzt und lediglich unter Verweisungen auf andere abgekürzte Entscheidungen wiederzugeben.815 Der Antrag nach § 417 StPO darf schriftlich oder mündlich gestellt werden. Ein Eröffnungsbeschluss ist nicht erforderlich, § 418 Abs. 1 S. 1 StPO. Der Einreichung einer Anklageschrift bedarf es nach dem Wortlaut des § 418 Abs. 3 S. 1 StPO nicht, bei der dann erfolgenden nur mündlichen Erhebung der Anklage wird „ihr wesentlicher Inhalt“ in das Protokoll aufgenommen. Erfolgt hingegen eine schriftliche Anklageschrift, so kann nach § 200 Abs. 2 StPO vor dem Strafrichter, also stets in der Verfahrensart,816 von der Darstellung des „wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen“ ganz abgesehen werden. Sodann erfolgen die Verlesungsmöglichkeiten nach § 420 StPO, nach dessen Absatz 2 auch interne Vermerke oder bloße Notizen verlesen werden können. Für das Urteil reicht schließlich nach § 267 Abs. 4 StPO bei Rechtsmittelverzicht oder Nichteinlegung von Rechtsmitteln die Angabe der erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden und das angewendete Strafgesetz; bei Verurteilung zu Geldstrafe bzw. auch damit kombinierter bestimmter Maßregeln, kann diesbezüglich auf den zugelassenen Anklagesatz und gar auf die mündliche Anklage gem. § 418 Ab. 3 S. 2 StPO (also letztlich auf „ihren wesentlichen Inhalt“) verwiesen werden. Diese kumulierte Anwendung von Abkürzungs- und Verweisungsmöglichkeiten817 führt zu einer Dokumentation, welche sich der Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit entzieht und dadurch Ungenauigkeit und Fehlerhaftigkeit befördert, was durch das Streben nach Beschleunigung im Einzelfall noch verstärkt werden kann. Intensiviert wird die Problematik durch ein Drängen zum Rechtsmittelverzicht.818 Hinsichtlich des Beweisantragsrechts schließlich meint zutreffend Metzger819, dass es im beschleunigten Verfahren nahe läge, als Gegengewicht zur Auffassung des Richters, es sei nur ein einfach gelagerter Fall, dem Angeklagten erweiterte Rechte bei der Beweisaufnahme, also noch über die §§ 244 Abs. 3 bis 5 und 245 StPO hinaus, zuzugestehen. 814

s. Ranft, 2005, Rn. 2362. s. dazu auch oben B. I. 3. c). 816 s. oben C. I. 1. und C. II. 1. 817 Die Problematik betrifft das Strafverfahrensrecht in zunehmender Weise, vgl. hinsichtlich der Formularisierung LR26-Kühne Einl. Abschn. F Rn. 206. Die kumulierte Anwendung strafverfahrensrechtlicher Vorschriften in noch bedenklicherer Form untersucht Puschke, 2006. 818 Vgl. etwa Tiedemann, 2008, S. 199: In 84, 6% der untersuchten beschleunigten Verfahren wurde ein Rechtsmittelverzicht erklärt. 819 KMR, Vor § 417 Rn. 22. 815

VII. Das Beweisaufnahmerecht gem. § 420 StPO

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Die gesetzliche Realität des § 420 Abs. 4 StPO sieht freilich das Gegenteil vor. Das Beweisantragsrecht ist für das beschleunigte Verfahren aufgegeben worden. Entgegen der Formulierung des Gesetzgebers820 und einiger Stimmen in der Literatur821 handelt es sich nicht lediglich um eine „Einschränkung“ oder „Verkürzung“, da der Angeklagte frei sei, dennoch Beweisanträge zu stellen. Bestehen die Regeln für die Ablehnung eines solchen Antrags nicht mehr, deren Nichtbeachtung Konsequenzen zeitigt, so ist das Beweisantragsrecht derart entwertet, dass von Abschaffung gesprochen werden muss.822 Beweisanträge verkommen faktisch zu bloßen Hinweisen an die richterliche Aufklärungspflicht. Bemühungen der höhergerichtlichen Rechtsprechung, Willkür mit neuerlichen „Beweisregeln“ entgegenzutreten, helfen auch in Anbetracht deren Vagheit kaum.823 Zu verdeutlichen ist, was es bedeutet, dem Angeklagten die Möglichkeit zu nehmen, die Beweisaufnahme durch Beweisanträge mitzubestimmen. Das Beweisantragsrecht wirkt durch das Verbot der Beweisantizipation Gefahren für die Wahrheitsermittlung entgegen, die darin liegen können, dass das Gericht im Wesentlichen selbst über Umfang und Ergebnis der Beweisaufnahme befindet.824 Bereits Glaser führte aus, dass „die Richtigkeit der Urteile, die sich der einzelne bildet, abhängig von der Gelegenheit [ist], die ihm geboten ist, sich vollständige Kenntnis der Voraussetzungen zu verschaffen, nicht minder aber auch von seiner eigenen Beschaffenheit.“825 Die Wahrnehmung, Schlussfolgerung und das Auffinden von Beweisgründen geschieht bei der einzelnen Richterperson stets innerhalb der eigenen Voraussetzungen, des eigenen Niveaus, der eigenen Interpretationsschemata. Die Einschränkung der Ablehnungsmöglichkeiten durch die §§ 244 Abs. 3 bis 5, 245 StPO eröffnen vor allem für den Angeklagten und seinen Verteidiger die Möglichkeit, Einfluss auf die Wahrheitsfindung außerhalb der antizipativen tatrichterlichen Vorstellungen zu nehmen.826 Dem Angeklagten diese Möglichkeit zu nehmen, rührt an die Grundfesten des auf Wahrheitssuche gerichteten Strafprozesses. Wie sehr sich die jeweiligen Vorstellun820

s. BT-Drs. 12/6853, S. 34 f., 36 f. s. M-G, Vor § 417 Rn. 6; Tiedemann, 2008, S. 173. 822 Ebenso Bandisch, StV 1994, S. 157; Hamm, StV 1994, S. 458; NK-GS-Weiler, (2) § 420 Rn. 1, 6 f.; Scheffler, NJ 1999, S. 113; Wächtler, StV 1994, S. 160. 823 s. zur Verpflichtung dem Beweisantrag nachzugehen, wenn sich die Beweiserhebung „aufdrängt oder sie zumindest nahe liegt“ OLG Düsseldorf NStE Nr. 3 und 7 sowie OLG Karlsruhe NStE Nr. 2, alle zu §§ 77 OWiG; OLG Düsseldorf VRS 78, S. 140 f.; ebenso: HK-Krehl, § 420 Rn. 5; KK-Graf, § 420 Rn. 7; M-G, § 420 Rn. 10. 824 s. Eisenberg, 2008, Rn. 139 a. 825 Glaser, 1883, S. 342. 826 s. eingehend KK5-Herdegen, Vor § 244 III. 821

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

gen, Interpretationen und Wertungen einzelner Richterpersonen unterscheiden, fiel auch in dieser Arbeit im rechtstatsächlichen Teil auf.827 Verfehlt wäre es, sich darauf zu berufen, dass es sich im Rahmen des beschleunigten Verfahrens lediglich um „einfache Sachverhalte“ und eine „klare Beweislage“ handelt. Erstens werden diese unscharfen Voraussetzungen in der Praxis nicht eingehalten.828 Zweitens kann gerade die Auffassung, es ja ohnehin mit einem einfachen Sachverhalt und einer klaren Beweislage zu tun zu haben, dazu führen, fälschlicherweise keine weitere Aufklärung für nötig zu erachten.829 Im Vermittlungsausschuss des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Abschaffung des Beweisantragsrechts auf das Verfahren vor dem Strafrichter begrenzt (§ 420 Abs. 4).830 Diese Regelung schützt noch weniger als die zum selben Zeitpunkt eingeführte Vorschrift über notwendige Verteidigung (§ 418 Abs. 4 StPO). Das beschleunigte Verfahren findet nach seinen systematischen Voraussetzungen ohnehin ausschließlich vor dem Strafrichter statt,831 was die empirische Untersuchung in Berlin und Brandenburg bestätigt hat.832 Von 151 beantragten beschleunigten Verfahren im Landgerichtsbezirk Potsdam und 91 beantragten beschleunigten Verfahren in Berlin wurde kein einziges bei dem Schöffengericht beantragt. Die eventuell erwartete Wirkung dieser halbherzigen Einschränkung verpufft also gänzlich, in allen stattfindenden beschleunigten Verfahren ist § 420 Abs. 4 StPO anwendbar. Insgesamt ist § 420 StPO damit, bereits vor einem Blick in die Rechtstatsächlichkeit, abzulehnen. Unter alleiniger Betonung von Beschleunigung und Effizienz ist eine Norm entstanden, die zu große Gefahr läuft, dem auf Wahrheit ausgerichteten Strafprozess und der Subjektstellung des Angeklagten entgegenzuarbeiten.833 827

s. oben C. VI. 4. b) (2) sowie C. II. 2. e). s. etwa oben C. II. 2. a), c), e), g). 829 s. Kohler, 2001, S. 53. Auch stellt der gelegentlich zu vernehmende Hinweis auf die ohnehin nur geringe Zahl von Beweisanträgen vor dem Amtsgericht nur einen zusätzlichen Grund für die Nichtbrauchbarkeit der Norm dar. 830 s. BT-Drs. 12/6853, S. 11; 12/7837, S. 2 f.; 674. Plenarprotokoll des Bundesrates (23.9.1994), S. 519. 831 s. oben C. I. 1. a). 832 s. oben C. II. 1. 833 Zur vielfältigen Kritik oder gänzlichen Ablehnung s. AK-StPO-Loos, Vor § 417 Rn. 7 f.; Bandisch, StV 1994, S. 153, 157; Dahs, NJW 1995, S. 553, 556 f.; Ernst, 2001, S. 137 ff.; Hamm, StV 1994, S. 456 ff.; HK-Krehl, Vor § 417 Rn. 3, § 420 Rn. 1; KK-Graf, Vor § 417 Rn. 2; Kohler, 2001, S. 63 ff.; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 11 f.; M-G, Vor § 417 Rn. 5 f.; Neumann, StV 1994, S. 273, 275 f.; Scheffler NJW 1994, S. 2191 ff., NJ 1999, S. 113, 117; SK-StPO-Paeffgen, 828

VIII. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 420 StPO

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VIII. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 420 StPO 1. Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam In den 147 Fällen mit beschleunigter Hauptverhandlung im Landgerichtsbezirk Potsdam kamen die Beweisregeln des § 420 StPO in keinem Fall zur Anwendung. 2. Berlin In 5 der 91 Fälle mit beschleunigter Hauptverhandlung wurde auf § 420 StPO zurückgegriffen. a) § 420 Abs. 1 StPO In allen 5 Fällen wurde gem. § 420 Abs. 1 StPO die Vernehmung eines Zeugen durch Verlesung ersetzt. Die Protokollierung lautete folgendermaßen: „Im alls. Einverständnis b. u. v. Gem. § 420 StPO wird die Aussage des Zeugen [. . .] vom [. . .] verlesen.“

Die protokollierten Reaktionen auf die Verlesungen fielen unterschiedlich aus: Im Fall 29 etwa äußerte der wegen Diebstahls in zwei Fällen gem. §§ 242, 53 StGB Angeklagte zu den beiden verlesenen Zeugenaussagen der Ladendetektive laut Protokoll: „Stimmt“, bzw. „stimmt so“. Entsprechend hieß es im auf eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 8,– e lautenden Urteil, „[d]er Angeklagte [. . .] akzeptierte den Inhalt der gem. § 420 Abs. 1 StPO verlesenen Aussagen der Zeugen“. Im Fall 59 äußerte der eines Diebstahls geringwertiger Sachen gem. §§ 242, 248a StGB beschuldigte, unter Betreuung stehende und alkoholkranke Angeklagte nach der Verlesung der Zeugenaussage des Ladendetektivs: „Ich habe keine Erinnerung. Ich bestreite dies aber nicht. Ich war in einer Schnapstrinkphase. Ich habe durch meine Alkoholerkrankung oft Gedächtnislücken und wurde ins Khs. eingeliefert.“ Vor § 417 Rn. 4 ff.; Wächtler, StV 1994, S. 159 f. Teilweise bestehen auch Bemühungen, die Norm mittels Auslegung leer laufen zu lassen, vgl. etwa LR25-Gössel, § 420 Rn. 8 ff., Tiedemann, 2008, S. 163.

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In das Urteil, welches auf Freiheitsstrafe von 1 Monat und 2 Wochen lautete, fand dies in folgender Weise Eingang: „[. . .] Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, aufgrund seines Alkoholkonsums keine Erinnerung an den Vorfall mehr zu haben. Er habe häufiger Gedächtnislücken. Er hat die gem. § 420 Abs. 1 Strafprozessordnung verlesene Aussage des Zeugen [. . .] akzeptiert und wurde durch diese überführt. [. . .] Bei der Strafzumessung wurde der gem. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des § 242 StGB zugrundegelegt. Innerhalb dieses Rahmens konnten zugunsten des Angeklagten sein als Geständnis gewertetes Akzeptieren der Zeugenaussage, [. . .] berücksichtigt werden [. . .].“

Im Fall 43 war der wegen eines Diebstahls geringwertiger Sachen gem. §§ 242, 248a StGB Angeklagte nicht bereit, sich zu äußern. Im Protokoll folgt also auf die Verlesung der Zeugenaussage des Ladendetektivs gem. § 420 Abs. 1 StPO keine Reaktion. Verlesen wurde noch der Bundeszentralregisterauszug, dann wurde die Beweisaufnahme geschlossen. In den gem. § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Urteilsgründen fand sich dazu keine Aussage: „Gründe (abgekürzte Fassung gemäß § 267 Abs. 4 StPO) Am [. . .] entwendete der Angeklagte in den Geschäftsräumen der Firma [. . .] einen Spanngurt zum Verkaufspreis von 3,59 e. Der Angeklagte hat sich des Diebstahls einer geringwertigen Sache gemäß §§ 242, 248a StGB schuldig gemacht. Gegen ihn war unter Berücksichtigung der Rückgabe der Ware, des geringen Warenwertes und seiner einschlägigen Vorstrafe eine tat- und schuldangemessene Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20,– e zu verhängen. Richterunterschrift“

b) § 420 Abs. 3 Eine qualifizierte834 oder anders geartete Belehrung über die Folgen der Zustimmungserklärung wurde aus den Akten nicht ersichtlich. In den beobachteten Verhandlungen am AG Tiergarten, in denen § 420 StPO zur Anwendung kam, erfolgte keine Belehrung.835 834

Vgl. zu einer Musterformulierung KMR-Metzger, § 420 Rn. 9. Die Vorsitzende erklärte jeweils, sie habe vorliegend die Aussage des Zeugen X. Sodann stellte sie mit der Intonation eines Ausrufungssatzes die Frage: Stimmen Sie der Verlesung zu? 835

VIII. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 420 StPO

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Von der erweiterten Verlesungsmöglichkeit des § 420 Abs. 1 StPO wurde Gebrauch gemacht, wenn der Angeklagte unverteidigt war. In allen 5 Fällen war der Angeklagte ohne Verteidiger. Der unverteidigte Angeklagte, der ohne Akteneinsichtsrecht einem ihm unbekannten Verfahren zur Verlesung ihm unbekannter Schriftstücke zustimmen soll, scheint in Berlin also der Regelfall zu sein.836 Nicht unproblematisch ist auch die sichtbar gewordene Verurteilung ohne Überprüfung durch das Gericht oder Fragemöglichkeit des Angeklagten, lediglich aufgrund einiger Zeilen eines Ladendetektivs, gerade auch bei rauschbedingter Nichterinnerung des Angeklagten, schon wegen eines persönlichen Interesses einer solchen Zeugenperson an der Erfüllung des Deliktstatbestandes (Fangprämien). c) Offene Fragen Wie das Spannungsverhältnis zwischen § 420 Abs. 1 StPO und § 252 StPO von der Praxis gelöst wird, ob eine konkludente Zustimmung zur Verlesung (ggf. in bestimmten Konstellationen) als ausreichend angesehen wird, welche Art von Behördenerklärungen verlesen werden und wie der Ablehnungsbeschluss im Rahmen des § 420 Abs. 4 StPO erfolgt, konnte auch für Berlin nicht geklärt werden. Im gesamten Fallmaterial fanden sich lediglich die 5 bereits erwähnten Verlesungen gem. § 420 Abs. 1 StPO, welche zu den Fragen keine Aussage erlaubten. d) Anwendung des § 420 StPO im Berufungsverfahren In lediglich einem Fall837 mit Anwendung des § 420 StPO legte der zu einer Freiheitsstrafe Verurteilte Berufung ein. Die StA regte an, für die Berufungsverhandlung keine Zeugen zu laden, „da nach hiesiger Auffassung § 420 I StPO auch im Berufungsverfahren gilt [. . .].“ Das Gericht folgte dem nicht und lud den Zeugen, dessen Aussage erstinstanzlich verlesen worden war, sowie einen Sachverständigen. § 420 StPO wurde nicht mehr angewandt.

836 s. zur Kritik Ranft, NStZ 2004, S. 424, 429; Schlothauer, StV 1994, S. 46; SK-StPO-Paeffgen, § 420 Rn. 29 und oben C. VII. 4. Für Nichtigkeit dieser Zustimmungserklärungen und Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip, welcher auf entsprechende Verfahrensrüge hin die Revision begründe s. Ranft, NStZ 2004, S. 424, 429; Tiedemann, 2008, S. 197; vgl. auch Ernst, StV 2001, S. 367, 370. 837 Fall 59.

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e) Beschleunigung der Hauptverhandlung Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungen, in denen § 420 StPO zur Anwendung kam, betrug 18 Minuten, die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungen in Berlin ohne Beweiserleichterungen betrug 21 Minuten. 3. Kumulierung von Abkürzungs- und Verweisungsmöglichkeiten Die Abkürzungsmöglichkeit des § 200 Abs. 2 S. 2 StPO wurde in den Fällen aus dem Landgerichtsbezirk Potsdam und in den Fällen aus Berlin stets genutzt. Ebenso wurde die Abkürzungs- und Verweisungsmöglichkeit des § 267 Abs. 4 StPO angewandt, außer etwa, wenn Rechtsmittel eingelegt wurden. Dies gilt auch für die Fälle, in denen die Beweiserleichterungen des § 420 StPO zur Anwendung kamen. Doch unabhängig von diesen fielen aufgrund der Kumulierung dieser Abkürzungs- und Verweisungsmöglichkeiten und aufgrund des eiligen Vorgehens nicht nur Gefahren für Überprüfbarkeit und Wahrheit, sondern tatsächlich auch Fehler und Ungenauigkeiten auf. Im abgekürzten Urteil des Falles 5 (Berlin) wird „wegen der Einzelheiten“ auf die Anklageschrift verwiesen. Diese Anklageschrift klagt drei Fälle an. Die Verurteilung erfolgt aufgrund von acht Fällen. Der Widerspruch klärt sich bei Durchsicht der Akte auf. Es wurde vergessen, auf die zweite Anklageschrift des verbundenen Verfahrens zu verweisen, welche die anderen Taten anklagt, aufgrund derer verurteilt wurde. Im Fall 51 (Berlin) fiel neben anderen Ungenauigkeiten die falsche Datumsangabe hinsichtlich einer Tat im abgekürzten Urteil auf sowie in der Handakte das falsche Ausgehen der Amtsanwaltschaft von 7 (statt 6) Taten und das Zugrundelegen dieser 7 bei der Berechnung der Gesamtstrafe, und das Übernehmen dieses Antrags durch das Gericht im Urteil, obwohl dann richtigerweise wegen 6 Taten. Im Fall 57 wurden zwei Personen des gemeinschaftlichen Diebstahls gem. §§ 242, 25 Abs. 2 StGB angeklagt. Als gestohlene Waren wurden Schokolade und diverse Fleisch- und Wurstwaren zum Gesamtverkaufspreis von 50,77 e angegeben. Indes sind dies nur die entwendeten Waren der einen Angeschuldigten (2). Die andere Angeschuldigte (1) entwendete andere Waren auf andere Weise zum Gesamtverkaufspreis von 51,55 e. Dies wurde – wohl aufgrund der ähnlich formulierten Angaben des Hausdetektivs und des ähnlichen Warenwerts – vom bearbeitenden Amtsanwalt übersehen. Dabei wird schon in der Strafanzeige deutlich formuliert:

VIII. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 420 StPO

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„Der Zeuge, Herr X, beobachtete in seiner Eigenschaft als Hausdetektiv, wie die Beschuldigten (2) und (1) jeweils mehrere Lebensmittelartikel aus der Auslage entnahmen und jeweils in ihre Einkaufstaschen, welche an ihren mitgeführten Kinderwagen hingen, hineinsteckten. Dabei postierten sich die Beschuldigten absichtlich so, dass sie jeweils vor Blicken des Personals vermeintlich geschützt waren [. . .] Eigentums/Vermögensschaden (e) 102, 32 e.“

Im Übrigen ergibt sich dies eindeutig aufgrund der Vorgangsschilderungen des Ladendetektivs, Bl. 8, 9 d. A. In der Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei gestanden beide Beschuldigte die oben geschilderten Vorwürfe. Dies wurde von der zuständigen Richterin bemerkt und mit folgenden Worten der Amtsanwaltschaft mitgeteilt: „[. . .] Meines Erachtens keine gemeinsame Begehung, s. Bl. 4 + Bl. 8+9: Jeder Ang. werden eigene Waren zugeordnet. Bitte Ankl umstellen [. . .].“ Hierauf reagierte der bearbeitende Amtsanwalt lediglich hinsichtlich der Frage der gemeinsamen Begehung, nicht jedoch hinsichtlich der Problematik der jeweils zugeordneten Waren: „Meines Erachtens liegt gemeinschaftliche Begehungsweise vor. Die Angeklagten deckten sich gegenseitig ab. (Bl 4 +). Die A. wohnen unter der gleichen Anschrift [. . .].“ Daraufhin wurde ohne weiteres ein Hauptverhandlungstermin anberaumt und im Hauptverhandlungsprotokoll finden sich neben den Vordrucken und den Angaben zu den persönlichen Verhältnissen lediglich folgende Äußerungen der nichtdeutschen Angeklagten: (1): „Der Vorwurf trifft zu.“ (2): „Der Vorwurf trifft zu. Wir machen das nie wieder.“ Sodann wurde „aufgrund der glaubhaften Geständnisse der Angeklagten“ verurteilt wegen gemeinschaftlichen Diebstahls von Waren im Wert von 50,77 e. Eine eingehendere Untersuchung als die dreizehnminütige Hauptverhandlung und die Ladung des Ladendetektivs als Zeugen hätten zweifelsohne zu einer anderen Verurteilung geführt. Die Abkürzungs- und Verweisungsmöglichkeiten sowie die Eile erweisen sich als die Wahrheitsfindung beeinträchtigend und als Möglichkeit, persönliche Verantwortung für eine Entscheidung wegzuverweisen.

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C. §§ 417–420 StPO – Rechtslage und tatsächliche Anwendung

4. Interpretation der Ergebnisse Obwohl stellenweise in der Literatur vermutet,838 überraschte die seltene Anwendung des durch die Neuregelung des beschleunigten Verfahrens eingeführten § 420 StPO. Im Landgerichtsbezirk Potsdam gar kommen die Beweisregeln nach dem ausgewerteten Aktenmaterial überhaupt nicht zur Anwendung.839 Verschiedene Interpretationen bieten sich dafür an. Zunächst muss man sich erneut vor Augen führen, dass die Anwendung der Norm auch bei Zustimmung nach § 420 Abs. 3 StPO fakultativ ist, die Vernehmung „darf“ nach § 420 Abs. 1 StPO durch Verlesung ersetzt werden, Erklärungen „dürfen“ nach Abs. 2 verlesen werden. Auch ist es dem Strafrichter durch § 420 Abs. 4 StPO nicht verboten, die Ablehnung von Beweisanträgen gleichwohl auf § 244 Abs. 3 bis 5, § 245 StPO zu stützen. Das Gericht kann also die Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren entsprechend dem Regelverfahren durchführen. Dass dies auch tatsächlich geschieht, könnte einerseits daran liegen, dass die Beweisregeln des § 420 StPO als nicht notwendig erachtet werden, andererseits daran, dass deren rechtsstaatliche Risiken von einer Anwendung abschrecken. Die grundsätzliche Anwendung des beschleunigten Verfahrens als Konsensualverfahren im Landgerichtsbezirk Potsdam,840 also die Annahme der Nichteignung bei Bestreiten des Angeklagten (außer bei Straßenverkehrsdelikten) spricht für Ersteres. Handelt es sich um einen einfachen Sachverhalt und gesteht der Angeklagte die Tat, so erscheint die weitere Beweiserhebung, und also deren Erleichterungen, als überflüssig.841 Indes kann auch der unerwünschte Bruch mit rechtsstaatlichen Traditionen ursächlich sein. Immerhin beraumen die Richter auch keine Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren an, wenn nicht zuvor eine schriftliche Anklageschrift eingereicht wurde, obwohl diese Möglichkeit § 418 Abs. 3 StPO vorsieht.842 Schließlich wurden vereinzelt Zeugen geladen, deren Vernehmung durch Verlesung hätte ersetzt werden können, was nicht geschah. In Berlin wurden die 5 Fälle, in denen § 420 StPO zur Anwendung kam, von derselben Richterperson bearbeitet.843 Im Übrigen wurden auch in Bers. LR25-Gössel, § 420 Rn. 1. Auch in den örtlichen Prozessbeobachtungen wurde nicht auf § 420 StPO zurückgegriffen. 840 s. dazu oben C. VI. 1. b) (1) (b). 841 s. aber Eisenberg, 2008, Rn. 15 f., 727 ff. 842 s. Bürgle, StV 1998, S. 514, 517; Tiedemann, 2008, S. 115; zum selben Ergebnis kam vorliegende Arbeit, s. oben C. II. 4. 843 s. dazu auch oben C. VI. 4. b) (2). 838 839

VIII. Rechtstatsächlicher Umgang mit § 420 StPO

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lin Zeugen geladen, deren Aussagen gem. § 420 Abs. 1 StPO hätten verlesen werden können. Die Hoffnung des Gesetzgebers durch die Regeln über die Verkürzung der Beweisaufnahme die Hauptverhandlung zu beschleunigen und dadurch die Praxis zu einer vermehrten Anwendung der Verfahrensart zu bewegen, erscheinen nach dem Blick in die Rechtstatsächlichkeit als nicht erfüllt. Weder offenbart sich ein beachtliches Beschleunigungspotential bei deren Anwendung, noch ist die Praxis überhaupt gewillt – von Ausnahmen abgesehen – die rechtsstaatlich bedenkliche Norm zur Anwendung zu bringen. Die wenigen Fälle hingegen, in denen auf § 420 StPO zurückgegriffen wurde, bestätigen die Kritik an der Regelung.

D. Schluss I. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens – Voraussetzungen und Rechtstatsächlichkeit a) Spruchkörper Die Verfahrensart kommt lediglich vor dem Strafrichter zur Anwendung. Zwar sind nach § 417 StPO Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht zu stellen, und trifft § 420 Abs. 4 StPO eine nach Spruchkörper unterschiedliche Regelung hinsichtlich des anzuwendenden Beweisantragsrechts, doch begrenzt § 419 Abs. 1 S. 2 StPO die im beschleunigten Verfahren höchstens zu verhängende Rechtsfolge auf ein Jahr Freiheitsstrafe, so dass aufgrund der Zuständigkeit des Schöffengerichts gem. §§ 28, 25 GVG nur der schmale Bereich bestimmter Verbrechensfälle verbleibt. Dieser wird weiter begrenzt durch die Regelung über notwendige Verteidigung ab einer Freiheitsstraferwartung von sechs Monaten gem. § 418 Abs. 4 StPO, welche von der Praxis als störend empfunden wird und damit geeignet ist, den tatsächlichen Sanktionsrahmen auf unter sechs Monate Freiheitsstrafe zu senken. Ggf. verbleibende Ausnahmefälle lassen sich nicht mit der Verfahrensart vereinbaren, die zur Beschleunigung auf flankierende organisatorische Maßnahmen der Praxis und den Eingang einer Vielzahl einfacher Sachverhalte, die routiniert abgearbeitet werden können, konzentriert sein muss. Tatsächlich richtete sich im gesamten Fallmaterial kein Antrag gem. § 417 StPO an das Schöffengericht. Weder im Landgerichtsbezirk Potsdam noch in Berlin wurde ein beschleunigtes Verfahren vor dem Schöffengericht durchgeführt.844

844 Entsprechend richtete sich in den Fällen mit Heranwachsenden der Antrag stets an den Jugendrichter, nie an das Jugendschöffengericht, vgl. oben C. II. 1. a). Von einer Anwendung des beschleunigten Verfahrens in nicht unerheblichem Maße auch vor dem Schöffengericht ging noch Schröer aus (1998, S. 68). Zum selben empirischen Ergebnis wie hier kommen Kohler (2001, S. 110) und Tiedemann (2008, S. 43).

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

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b) Eignung zur sofortigen Verhandlung aufgrund des einfachen Sachverhalts Die Eignung zur sofortigen Verhandlung aufgrund des einfachen Sachverhalts und kumulativ, nicht alternativ, der klaren Beweislage, ist Voraussetzung eines Antrags gem. § 417 StPO. Nicht „einfach“ sind Sachverhalte, bei denen von Gesetzes wegen ein erhöhter Analyse- und Kommunikationsbedarf, insbesondere hinsichtlich einer intensiven Erforschung der Persönlichkeit, notwendig ist. Wenn Anlass besteht, die Person des Beschuldigten und sein Vorleben genau zu erforschen, kommt auch auf der Ebene der Verwaltungsvorschriften gem. Nr. 146 Abs. 1. S. 2 RiStBV das beschleunigte Verfahren nicht in Betracht.845 Bestimmte Merkmale Beschuldigter stehen damit der Durchführung eines beschleunigten Verfahrens entgegen. (1) Heranwachsende Bei Heranwachsenden verlangt § 105 Abs. 1 JGG hinsichtlich der Frage, ob Jugendstrafrecht anzuwenden ist, eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit, bzw. die Prüfung, ob es sich bei der Tat um eine Jugendverfehlung handelt. Gem. §§ 109 Abs. 1 S. 1, 43 JGG sind Ermittlungen über die Persönlichkeit des Beschuldigten etwa in Form der Untersuchung seiner Lebens- und Familienverhältnisse bereits im Vorverfahren einzuholen. Nicht zu vereinbaren sind außerdem die Durchführung der Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO und die Pflicht, im gesamten Verfahren die Jugendgerichtshilfe heranzuziehen, §§ 38 Abs. 3 S. 1, 107 JGG.846 Im Landgerichtsbezirk Potsdam in Brandenburg stellt die StA auch bei Heranwachsenden Anträge gem. § 417 StPO. 4 dieser insgesamt 10 Fälle wurden jedoch vom Gericht noch vor Durchführung einer Hauptverhandlung als ungeeignet abgelehnt. Von den verbliebenen 6 Verfahren wurde in einem eine Verwarnung und Auflage gem. den §§ 14, 15 Abs. 1 Nr. 3 JGG verhängt, alle anderen wurden eingestellt. Eine Teilnahme der im gesamten Verfahren heranzuziehenden Jugendgerichtshilfe (§§ 38 Abs. 3 S. 1, 107 JGG) konnte in drei der sechs beschleunigt verhandelten Verfahren nicht festgestellt werden. In einem wurde ein Vertreter von der Staatsanwaltschaft benachrichtigt, kam aber nicht zur 845

Zum Kriterium der klaren Beweislage gem. § 417 StPO s. oben C. I. 1. c) (2). Bei Jugendlichen ist das beschleunigte Verfahren der §§ 417 bis 420 StPO bereits gem. § 79 Abs. 2 JGG ausgeschlossen. 846

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D. Schluss

Hauptverhandlung. In zwei Verfahren war ein Vertreter anwesend, erklärte jedoch in einem davon, dass ein Gespräch mit dem Beschuldigten nicht stattgefunden habe. Eine ordnungsgemäße Beteiligung der JGH stellte damit im beschleunigten Verfahren erwartungsgemäß die Ausnahme dar. In Berlin wurden bei Heranwachsenden keine Anträge gem. § 417 StPO gestellt.847 (2) Politisch motivierte Täter Besonderer Persönlichkeitserforschungsbedarf besteht auch bei politisch motivierten Tätern im Hinblick auf eine sinnvolle und wirksame Auswahl der Art und Bemessung der Rechtsfolge.848 Eine beschleunigte Verhandlung ist hier ungeeignet, da eine Überbewertung generalpräventiver Zwecke und eine oberflächliche Beweiswürdigung drohen.849 In den untersuchten Akten aus dem Landgerichtsbezirk Potsdam fand sich kein Fall politisch motivierter Kriminalität (die allerdings im Hellfeld in Brandenburg statistisch auch weniger als 1% der Straftaten ausmacht). Auch in der Untersuchung zu Berlin fanden sich keine politisch motivierten Täter. Es ist jedoch bekannt, dass in der Vergangenheit in Berlin bei Strafverfahren, die sich an die regelmäßigen Ausschreitungen um den 1. Mai anschlossen, Anträge gem. § 417 StPO gestellt wurden, um besonders beschleunigte Strafverfahren einzuleiten.850 (3) Nichtdeutsche Bei der Eigenschaft „nichtdeutsch“ ist zu differenzieren, sie steht einem „einfachen Sachverhalt“ nicht grundsätzlich, sondern nur bei faktischen Inländern bei einer drohenden Freiheitsstrafe und freiheitsentziehenden Vorstrafen 847 Auch in Bonn habe die Praxis Heranwachsende nach kurzer Zeit aus dem Anwendungsbereich der Verfahrensart herausgenommen, da die Beteiligung der JGH nicht oder nicht ordnungsgemäß gewährleistet werden konnte, so die empirische Untersuchung von Tiedemann (2008, S. 48). 848 Zu Erfordernissen eines straf- und strafverfahrensrechtlichen Umgangs mit politischen „Hass-Taten“ s. Schneider, Kriminalistik 2001, S. 21, 27; zur Strafzumessung bei (links- oder rechts)extremen Motiven von Taten s. Ermert, 2007, S. 397 ff. 849 s. Lehmann, DRiZ 1970, S. 287 ff.; SK-StPO-Paeffgen, § 417 Rn. 5. 850 s. die Pressemitteilung Nr. 30/2006 vom 29.05.2006 der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, zu finden unter: http://www.berlin.de/sen/justiz/strafverfolgung/ presse/archiv/20060529.1540.40960.html (zuletzt abgerufen am 29.07.2009).

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

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in Anbetracht der §§ 53 ff. AufenthG entgegen. Die Ungeeignetheit zur sofortigen Verhandlung kann sich darüber hinaus aus Sprachproblemen ergeben. In 3,31 Prozent der Anträge gem. § 417 StPO war der Beschuldigte im Landgerichtsbezirk Potsdam kein deutscher Staatsbürger. Die hinsichtlich der Voraussetzung eines beschleunigten Verfahrens problematische Konstellation kam nicht vor. Alle beschuldigten Nichtdeutschen waren zwar faktische Inländer, aber bei der schwersten Sanktion handelte es sich um eine Geldstrafe im mittleren Bereich. In einem Fall wurde die Verhandlung im beschleunigten Verfahren vom Gericht in der Hauptverhandlung abgelehnt, weil der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig war und die Hinzuziehung eines Dolmetschers erforderlich erschien (was sich indes bereits aus der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung und besonders deutlich aus der Anklageschrift der StA ergab). Mit 23,08% deutlich höher war die Zahl in Berlin. Die Stadt hat jedoch mit 13,9% auch einen deutlich höheren Ausländeranteil als Brandenburg mit 2,6%. Beschleunigte Verfahren wurden auch bei mit Freiheitsstrafe vorbestraften faktischen Inländern beantragt, denen erneut eine freiheitsentziehende Sanktion drohte. In einem dieser drei Fälle wurde die Aburteilung im beschleunigten Verfahren im Laufe des Verfahrens aus anderen Gründen gem. § 419 StPO abgelehnt. Die beiden anderen Fälle endeten im beschleunigten Verfahren mit Freiheitsstrafe, die Hauptverhandlungen dauerten je 20 Minuten. Dass sich die nötige Persönlichkeitserforschung und die Berücksichtigung der Wirkungen der Strafe gem. § 46 Abs. 1 S. 2 StGB aufgrund der drohenden schwersten ausländerrrechtlichen Konsequenz nicht mit den Voraussetzungen eines beschleunigten Verfahrens vereinbaren lassen, wurde nicht berücksichtigt. Als nicht störend für den Ablauf der beschleunigten Verfahren erwies sich in Berlin der Einsatz von Dolmetschern. Anders als vielfach für das beschleunigte Verfahren angenommen,851 konnte eine Überrepräsentation Nichtdeutscher in Brandenburg und Berlin nicht festgestellt werden, auch die 23,08% in Berlin entsprechen beinahe exakt der durchschnittlichen Zahl nichtdeutscher Verurteilter bundesweit im Jahr 2005.852 Überraschenderweise kamen auch „reisende Täter“, welche 851 Vgl. Herzog, ZRP 1991, S. 125, 126; Ernst, 2001, S. 180 f.; Kohler, 2001, S. 113. 852 Auf die zweite Dezimalstelle gerundet ergibt sich für das Jahr 2005 ebenfalls die Zahl 23,08%, für das Jahr 2006 22,78%, s. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2006, Tabelle 8.1.

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D. Schluss

oft im Fokus der Diskussion über die Verfahrensart stehen,853 in keinem Fall vor. Freilich werden diese eher Fälle besonders beschleunigter Verfahren betreffen. (4) Fragliche Schuldfähigkeit Die für die Prüfung der §§ 20, 21 StGB regelmäßig erforderliche Beiziehung eines Sachverständigen schließt bei Zweifeln an der Schuldfähigkeit die Einfachheit des Sachverhalts gem. § 417 StPO aus. Eine Prüfung der Schuldfähigkeit erfolgte in Brandenburg in keinem Fall, obwohl eine solche mehrfach nahe gelegen hätte, etwa, wenn ein alkoholabhängiger wegen Diebstahls einer Flasche Vodka und einer Flasche Korn Beschuldigter und zu einer Freiheitsstrafe Verurteilter, laut Angaben des Ladendetektivs „volltrunken“ war, den Markt „torkelnd“ betrat und schon die Anklageschrift die Anwendung des § 21 StGB vorsah.854 In Berlin werden Zweifel am Vorliegen der Schuldfähigkeit nicht als Hinderungsgrund gesehen, einen Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zu stellen. Wenigstens jeder 5. Beschuldigte des Fallmaterials war alkohol- oder drogenabhängig. Ein Sachverständiger wurde zur Klärung der Schuldfrage nie herangezogen. In 13,91% der beantragten beschleunigten Verfahren wurde die Strafe aufgrund von § 21 StGB gemildert. (5) Vielzahl vorgeworfener Taten Eine Vielzahl vorgeworfener Straftaten im selben Verfahren, welche einem einfachen Sachverhalt gem. § 417 StPO entgegenstünde, kam in Brandenburg nicht vor. Die meisten Verfahren hatten nur eine Tat zum Gegenstand. In Berlin wurden häufiger mehrere Taten in einem beschleunigten Verfahren abgeurteilt, was sich jedoch überwiegend als unproblematisch erwies, insbesondere, da es sich vor allem um Erschleichen von Leistungen gem. § 265a StGB in Form des „Schwarzfahrens“ mit stets gleichartigen, vorgefertigten Formularen mit Tatort, Zeitpunkt und Begehungsweise handelte. 853 Vgl. etwa das Ausschussprotokoll 12/361, S. 2 Landtag Nordrhein-Westfalen, Rechtsausschuss, 12. Sitzung (nicht öffentlich), abgedruckt bei Ernst, 2001, Anhang S. 282; BT-Drs. 13/2576, S. 3; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/5743, S. 3. Vgl. auch den Aufsatz von Präsident des AG Potsdam Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429 ff. 854 Fall 51, s. mehr dazu und zu weiteren Beispielen oben C. II. 2. e) (1).

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

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(6) Drohende Freiheitsstrafe Aufgrund des einem einfachen Sachverhalt entgegenstehenden § 56 Abs. 1 StGB und regelmäßig auch § 47 StGB, jedoch dem gleichzeitig zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers Freiheitsstrafe im beschleunigten Verfahren zuzulassen, vgl. §§ 419 Abs. 1 S. 2, 418 Abs. 4 StPO, ist ein restriktiver Umgang mit dieser Rechtsfolge angezeigt. Kommt sie ausnahmsweise zur Anwendung, hat das Beschleunigungsziel in der Hauptverhandlung zur Verwirklichung der Erfordernisse der §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 1 S. 2 StPO zurückzutreten. In den untersuchten Akten aus Brandenburg lauteten 13,25 Prozent der 83 Sachurteile im beschleunigten Verfahren auf Freiheitsstrafe. In 5 dieser 11 Fälle wurde die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt, in 6 hingegen nicht. Problematisch erscheinen Hauptverhandlungsdauern von 9 oder 10 Minuten bei den Freiheitsstrafen, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden.855 Die durchschnittliche Dauer dieser Hauptverhandlungen betrug 16,67 Minuten. 17,5% der 80 Sachurteile im beschleunigten Verfahren lauteten in Berlin auf Freiheitsstrafe. Die Vollstreckung von 2 dieser 14 Freiheitsstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Hauptverhandlungen dauerten lediglich 8 bis hin zu 245 Minuten, der Durchschnitt betrug 43,29 Minuten. Die gebotene Zurückhaltung ist nicht zu beobachten, weder hinsichtlich der absoluten Anwendungszahlen, noch hinsichtlich der Kürze der Hauptverhandlungen. Als unzutreffend stellte sich die Auffassung heraus, dass die Verfahrensart tatsächlich auf Geldstrafen beschränkt ist.856 c) Deliktsstruktur Die 151 Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren im Landgerichtsbezirk Potsdam hatten folgende Vergehen zur Grundlage: 43,71% Diebstahl gem. § 242 StGB (ausnahmslos Ladendiebstahl und zu über zwei Dritteln Diebstahl geringwertiger Sachen gem. §§ 242, 248a StGB), 32,45% Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 StGB, 13,91% Fahren ohne Fahrerlaubnis gem. §§ 2, 21 StVG, 11,26% Gebrauch eines nicht versicherten Fahrzeuges im Straßenverkehr gem. §§ 1, 6 PflVG, 3,79% Gefährdung 855

Fall 141, 142. So Hellmann, NJW 1997, S. 2145, 2147 m. w. Nw.; Loos/Radtke, NStZ 1996, S. 7, 13; ähnlich Stintzing/Hecker, NStZ 1997, S. 569, 573. Zum Ergebnis wie hier kommen Kohler, 2001, S. 106; Tiedemann, 2008, S. 51 f., 203 f. 856

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D. Schluss

des Straßenverkehrs gem. § 315c StGB sowie 1,32% Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB.857 Die geringe Vielfalt der Delikte überrascht in Anbetracht der §§ 417 bis 420 StPO, welche, außer durch die Sanktionsobergrenze, kein Delikt ausdrücklich ausschließen. Hier könnte die Praxis die Verfahrensart ausweiten858 bzw. wäre gem. § 417 StPO („stellt“) sogar dazu verpflichtet. Allerdings verliert sich die Verpflichtung in der wenig konkreten Formulierung des § 417 StPO („Eignung“) und verlangt die „Einfachheit“ i. S. d. § 417 StPO die Möglichkeit einer routinierten, „mechanischen“ Sachverhaltsermittlung, welche sich bei einer geringeren Vielfalt der Delikte besser erreichen lassen dürfte. Zur Praktikabilität der Verfahrensart und Erreichung der bestmöglichen Beschleunigung bestehen offenbar polizei- und staatsanwaltschaftsinterne Normen, welche einen entsprechenden Katalog festlegen, der die meisten Straftaten aus einer Eignungsprüfung für die §§ 417–420 StPO von vornherein ausschließt.859 Die Tatfolgen der Vergehen waren von geringem Ausmaß, die Schäden lagen überwiegend im Bagatellbereich.860 Während Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren auch bei der andernorts aus der Verfahrensart ausdrücklich ausgenommenen Entwendung ausschließlich geringwertiger Lebensmittel (also ehemals privilegierter „Mundraub“ gem. § 370 Abs. 1 Nr. 5 a. F. StGB) gestellt wurden, fanden sich nicht die sonst typischerweise für die Verfahrensart diskutierten Delikte (gewalttätiges Verhalten im Rahmen von Massenveranstaltungen, „besonders dreiste Tatbegehungsweisen“, Ausländerdelikte, Delikte mit politischem Hintergrund, „reisende Täter“). Art und Häufigkeit der Straßenverkehrsdelikte aus dem 28. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB hingegen deuten auf eine, über die bloße Erfül857 Die Zahlen und die Prozentangaben übersteigen dabei leicht 151 Fälle bzw. 100%, da bei 12 beantragten Verfahren dieselbe Handlung des Beschuldigten gem. § 52 StGB mehrere Strafgesetze verletzte bzw. gem. § 53 StGB mehrere Straftaten gemeinsam abgeurteilt werden sollten. Wurde also beispielsweise einem Beschuldigten in einem Verfahren eine Trunkenheit im Verkehr und zugleich das Fahren ohne Fahrerlaubnis vorgeworfen, so taucht dieser Fall in der Zählung zweimal auf; sollten bei einem beantragten Verfahren gem. §§ 242, 53 StGB drei Diebstähle abgeurteilt werden, so wurde dieses nur einmal als Delikt § 242 StGB gezählt. 858 s. dazu auch Lemke/Rothstein-Schubert (ZRP 1997, S. 488, 491) welche für das Jahr 1995 in Brandenburg noch andere Delikte aufführen, die beschleunigt abgeurteilt wurden. 859 Von einem solchen durch das AG bereitgestellten Katalog berichtet auch Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429, 432. 860 s. dazu oben C. II. 5. a), bspw. durchschnittlicher Sachwert aller Diebstahlsdelikte 24,14 e.

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

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lung der Voraussetzungen des § 417 StPO hinausgehende, kriminalpolitische Motivation im Landgerichtsbezirk Potsdam hin.861 Teilweise andere Vergehen hatten die 91 Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren in Berlin zur Grundlage: 69,23% Diebstahl gem. § 242 StGB (davon zwei Drittel Diebstahl geringwertiger Sachen gem. §§ 242, 248a StGB), 17,58% Erschleichen von Leistungen gem. § 265a StGB, stets „Schwarzfahren“ und geringwertig gem. §§ 265a Abs. 3, 248a StGB, 3,3% Fahren ohne Fahrerlaubnis gem. §§ 2 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, 3,3% Bedrohung gem. § 241 Abs. 1 StGB, 2,2% Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 Abs. 1 StGB, jeweils 1,1% Beleidigung gem. § 185 StGB, Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB, Hehlerei gem. § 259 Abs. 1 StGB, Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB und Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB.862 In den eigens eingerichteten Abteilungen des AG Tiergarten, die in Berlin für beschleunigte Verfahren zuständig sind („Schnellgericht Tempelhofer Damm“), stört die Einbeziehung von mehr Deliktsarten den reibungslosen Ablauf offenbar nicht. In Übereinstimmung mit den zu Beginn der Untersuchung erörterten anderen empirischen Arbeiten überwiegt deutlich § 242 StGB in Form des Ladendiebstahls. Er scheint das klassische Delikt des beschleunigten Verfahrens zu sein. Bei 11,11% der Diebstahlsdelikte waren die entwendeten Waren ausschließlich Lebensmittel. Bzgl. der Diebstähle insgesamt ergab sich nicht etwa das erwartete Bild von sich auf „Beutezug“ befindlichen reisenden Tätern, sondern eher der abgeurteilten Begehrlichkeits-, Armuts- oder Suchtkriminalität. d) Beschuldigtenstruktur Betreffend die Beschuldigten im beschleunigten Verfahren bestanden Annahmen, die §§ 417–420 StPO seien auf die Aburteilung sozial Benachteiligter ausgerichtet. Die Einkommenssituation der Angeklagten im beschleunigten Verfahren erschien grundsätzlich als schlecht, sie konnte für Brandenburg in 127 von 147 Fällen, in denen gem. den § 417 bis 420 StPO verhandelt wurde, erfasst werden. Soziale Benachteiligung wurde mittels der Armutsgrenze von 40% des mittleren Äquivalenzeinkommens Deutsch861

s. zum Ganzen ausführlich oben C. II. 5. a). Die Zahlen und die Prozentangaben übersteigen dabei leicht 91 Fälle bzw. 100%, da bei einem beantragten Verfahren gem. § 53 StGB 2 verschiedene Straftaten gemeinsam abgeurteilt werden sollten, die beide gezählt wurden. In den anderen Verfahren, in denen die §§ 52, 53 StGB relevant waren, war dies stets in der Form, dass es sich um das gleiche Delikt handelte, also bspw. 5 gemeinsam abzuurteilende Vergehen des Erschleichens von Leistungen oder tateinheitliche Beleidigung gegenüber mehreren Personen. Hier wurde das Delikt jeweils nur einmal pro Fall gezählt. 862

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D. Schluss

lands gemessen (571 Euro monatlich bzw. 6849 Euro im Jahr 2004). 46,46% der erfassbaren Beschuldigten, gegen die beschleunigt verhandelt wurde, hatten weniger zur Verfügung. In Berlin fiel die hohe Zahl Alkohol- oder Drogenabhängiger, physisch und psychisch Erkrankter und nach eigenen Angaben Suizidgefährdeter auf. Zwei Verurteilte verstarben, während die Vollstreckung betrieben wurde. Die in 87 der 91 Fälle erfassbare Einkommenssituation war sehr schlecht. 73,56% der Angeklagten, gegen die beschleunigt verhandelt wurde, hatten weniger als 571 Euro monatlich zur Verfügung, galten mithin als arm. e) Form von Antrag und Anklage Nach Gesetzeswortlaut können Antrag und Anklage im beschleunigten Verfahren mündlich gestellt bzw. erhoben werden, §§ 417, 418 Abs. 3 StPO. Diese Möglichkeit steht u. a. in Konflikt mit den Prüfungspflichten des Gerichts, droht doch die „blinde“ Anberaumung der Hauptverhandlung und Anordnung einer Untersuchung.863 Tatsächlich waren alle 151 Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren im Landgerichtsbezirk Potsdam mittels Formblättern in schriftlicher Form gefasst, und alle 151 Anklagen erfolgten schriftlich. Zum identischen Ergebnis kommt die Untersuchung in Berlin. Von der Möglichkeit der mündlichen Antragstellung und Anklageerhebung gem. §§ 417, 418 Abs. 3 StPO wird in der Praxis kein Gebrauch gemacht.864 2. Angewandtes Modell des beschleunigten Verfahrens und genutzte Beschleunigungsmöglichkeiten a) Landgerichtsbezirk Potsdam (1) Normalähnliches beschleunigtes Verfahren Auf alle 147 Fälle im Landgerichtsbezirk Potsdam, in denen gem. den §§ 417–420 StPO verhandelt wurde,865 wandten Staatsanwaltschaft und Ge863 s. oben C. I. 2. a); für verfassungskonforme Beschränkung des § 418 Abs. 3 StPO s. Gössel (LR25 Vor § 417 Rn. 16 ff.). 864 Bestätigt werden können damit die empirischen Ergebnissen von Bürgle (StV 1998, S. 514, 517), nach denen Richter eine Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren nicht anberaumen, wenn nicht zuvor eine schriftliche Anklageschrift eingereicht wurde.

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

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richt das Modell eines normalähnlichen beschleunigten Verfahrens an. Besonders beschleunigte Verfahren, etwa am Tat- oder Folgetag fanden nicht statt. Bei keinem Beschuldigten wurde also aufgrund von Vorführung oder freiwilliger Stellung gem. § 418 Abs. 2 S. 1 StPO auf eine Ladung verzichtet.866 Es gab keine Sammeltermine, keine Anträge gem. § 417 StPO zusammen mit einem Haftantrag gem. § 127b StPO sowie generell keine Vorführungen aus der Hauptverhandlungs- oder auch Untersuchungshaft zum beschleunigten Verfahren.867 Das für das beschleunigte Verfahren geschaffene Institut der Hauptverhandlungshaft gem. § 127b StPO erscheint im Landgerichtsbezirk Potsdam, wie nach der Statistik auch in ganz Brandenburg, rechtstatsächlich ohne Bedeutung. Das förmliche Zwischenverfahren entfiel zur Beschleunigung entsprechend § 418 Abs. 1 S. 1 StPO in jedem Fall. (2) Umgang mit der zeitlichen Untergrenze des normalähnlichen beschleunigten Verfahrens Hinsichtlich der Frage der Zeiteinsparungsmöglichkeit im beschleunigten Verfahren sowie hinsichtlich des Umgangs mit der zeitlichen Untergrenze eines in kurzer Frist durchgeführten beschleunigten Verfahrens (§ 418 Abs. 2 S. 3 StPO) interessierten die Zeiträume zwischen der Stunde der Zustellung der Ladung (Fristbeginn) und Beginn der Hauptverhandlung (Fristende). Überprüft werden sollte, ob die aufgrund des Rechts, ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu haben (Art. 6 Abs. 3b EMRK), als zu kurz angesehene Ladungsfrist von 24 Stunden868 genutzt wird. Der Messung stand entgegen, dass an drei der vier einbezogenen Amtsgerichte „formlos“, bzw. auf untypischem Wege, „geladen“ wurde, so dass meist keine Zustellungsurkunden eine Berechnung des Zeitraumes ermöglichten. Eigens zu nennen ist der besondere Weg des Amtsgerichts Potsdam: Die „Ladungen“ und Terminierungen zur Hauptverhandlung werden von Polizei oder Staatsanwaltschaft verfasst. Entweder teilt bereits die Polizei 865 In 147 der 151 Fälle erging keine Ablehnungsentscheidung gem. § 419 StPO noch vor der Hauptverhandlung, s. oben B. II. 1. c). 866 s. aber zu den Besonderheiten beim AG Potsdam gleich im Folgenden. 867 Indes kam es entsprechend § 230 StPO zu Vorführungen aufgrund von unentschuldigtem Nichterscheinen zur Hauptverhandlung trotz Ladung. 868 Zweifelnd bereits der Gesetzgeber, s. BT-Drs. 12/6853, S. 36; zum Ganzen oben C. III. 2. b) (1).

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D. Schluss

den von ihr aus einem, bei der Staatsanwaltschaft geführten Kalender ausgewählten Hauptverhandlungstermin dem Beschuldigten mit und reicht eilig die Akten an die Staatsanwaltschaft weiter, oder die Staatsanwaltschaft wählt einen Hauptverhandlungstermin, teilt diesen dem Beschuldigten mit und reicht die Akten eilig zusammen mit dem Antrag gem. § 417 StPO an das Gericht weiter. Es handelt sich um „formlose Ladungen“, sie werden nicht förmlich zugestellt. Rechtmäßige Ladungen i. S. d. §§ 418 Abs. 2, 214, 216 f. StPO sind dies nicht, der Vorsitzende ordnet gem. § 214 StPO die Ladungen an. Gleichgültig ob man die „Terminsnachrichten“ des Polizeipräsidiums Potsdam in der Weise qualifiziert, dass aufgrund ihrer freiwillig i. S. d. § 418 Abs. 2 S. 1 StPO erschienen wird und also auf eine Ladung verzichtet werden darf, oder, wofür der Wortlaut der Schreiben eher spricht, keine freiwillige Gestellung vorliegt869 und darum auch mangels Vorführung nicht hätte auf die Ladung verzichtet werden dürfen, handelt es sich um rechtsfehlerhaftes Vorgehen. Die Terminsbestimmung durch Polizei oder Staatsanwaltschaft ist immer ein Verstoß gegen § 213 StPO. Die Strafprozessordnung kennt in ihrer derzeitigen Fassung wie auch von ihren Verfahrensprinzipien her keine Anberaumung eines gerichtlichen Hauptverhandlungstermins durch ein Organ der Exekutive. Die „Polizeiladungen“ im Speziellen verstoßen überdies noch gegen weitere Vorschriften des Strafverfahrensrechts. Die Staatsanwaltschaft verliert ihre Rolle als Herrin des Ermittlungsverfahrens, ihr Anklagemonopol und ihr Weisungsrecht.870 Die Zeiten zwischen den „Ladungen“ und dem Beginn der Hauptverhandlung konnten also am AG Potsdam mangels Zustellungsurkunden nicht nur nicht ermittelt werden, sie sind auch ohne rechtliche Relevanz.871 Den869 Wörtlich ist formuliert: „Sofern Sie nicht freiwillig zu dem anberaumten Termin erscheinen, müssen Sie damit rechnen, durch das Gericht geladen zu werden. Die Ladung durch den Richter kann dann auch mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden.“ Dass der (rechtsunkundige) Beschuldigte, dessen Sicht entscheidend ist, erkennt, dass die Ladung erstmals durch den Richter verfasst werden muss, ihm per Post zugestellt wird und er zu diesem neu festegelegten Termin erneut noch nicht vorgeführt werden darf, sondern erst gem. § 230 Abs. 2 StPO, wenn er auch zu diesem Termin unentschuldigt ausbleibt, erscheint wenig überzeugend. Der Beschuldigte wird vor Gericht erscheinen, um die „Zwangsmittel“ zu vermeiden. 870 s. zum Ganzen ausführlich oben C. III. 2. b) (2) (a) und oben C. IV. 1. a) (1) (c) (aa) sowie LR25-Gössel, Vor § 417 Rn. 15, 20 ff. 871 Hält man das Erscheinen der Beschuldigten aufgrund der Terminsnachrichten der Polizei- und Staatsanwaltschaft für freiwillig, so war aufgrund der Entbehrlichkeit der Ladung gem. § 418 Abs. 2 StPO keine Ladungsfrist einzuhalten. Hält man es indes nicht für freiwillig, so dass gem. § 418 Abs. 2 StPO eine Ladung erforderlich wäre so liegt überhaupt keine vor, da die Ladung zur Hauptverhandlung gem. § 214 StPO der Vorsitzende anordnen muss.

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

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noch war eine Annäherung an die Zeiträume aufgrund der Frage einer tatsächlichen Beschleunigung gegenüber dem Regelverfahren und einer etwaigen Einschränkung des Rechts des Beschuldigten auf ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung (Art. 6 Abs. 3b EMRK) von Interesse. Unterstellt man, dass die Terminsnachrichten bereits an dem Tag, der in den Akten unter „Abgang“ vermerkt ist, in den regulären Postweg Eingang fanden, so ist der durchschnittliche Zeitraum zwischen einem unterstellten Zugang am Folgetag und dem Tag der Hauptverhandlung 10,47 Tage, ein Zeitraum der noch über der Ladungsfrist des Regelverfahrens liegt (§ 217 Abs. 1 StPO) und ein ganz anderes Bild erzeugt, als auch regional für das beschleunigte Verfahren gezeichnet wurde.872 Am AG Brandenburg an der Havel wurden die Beschuldigten sämtlich vom Gericht geladen. Die Ladungen wurden regelmäßig nicht förmlich zugestellt. Der durchschnittliche Zeitraum zwischen einem unterstellten Zugang am Folgetag des „formlose[n] Abgang[s]“ und dem ersten Hauptverhandlungstermin betrug 11,25 Tage. Der kürzeste ermittelte Zeitraum betrug 3 Tage.873 Am AG Nauen (wo es ebenfalls keine Polizei- oder StA-Ladungen gab) spaltete sich der Anteil der förmlich zugestellten und nichtförmlichen Ladungen auf, bei ersteren betrug der durchschnittliche Zeitraum zwischen Zugang und erstem Hauptverhandlungstermin 20,4 Tage (der kürzeste 11 Tage), bei letzteren der annäherungsweise ermittelte durchschnittliche Zeitraum 12,8 Tage (der kürzeste 5 Tage). Die Hauptverhandlungstermine am AG Rathenow schließlich wurden in allen 8 Fällen vom Gericht festgesetzt, alle Ladungen zur Hauptverhandlung wurden förmlich zugestellt. Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Zugang der Ladung und erstem Hauptverhandlungstermin betrug 9,08 Tage. Der kürzeste Zeitraum betrug 4 Tage. Die Zeiträume verdeutlichen, dass im Landgerichtsbezirk Potsdam das beschleunigte Verfahren grundsätzlich nicht in einer Weise betrieben wird, welche das Recht des Beschuldigten auf ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung bedroht. Auch wurden Hauptverhandlungstermine in einigen Fällen verlegt, wenn der Beschuldigte oder sein Verteidiger darum baten. Dass nichtförmliche Ladungen, welche einer Überprüfung der Einhaltung der Ladungsfrist gem. § 418 Abs. 2 S. 3 StPO oder der Voraussetzung einer Vorführung gem. § 230 Abs. 2 StPO entgegenstehen, zu größerer Beschleu872 873

Vgl. Bielefeld, DRiZ 1998, S. 429 ff. Fall 124.

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D. Schluss

nigung führen, ist durch das vergleichsweise schnelle Vorgehen am AG Rathenow trotz förmlicher Ladungen widerlegt. b) Berlin (1) Normalähnliches beschleunigtes Verfahren Auch in Berlin wurde auf alle 91 Fälle, in denen gem. den §§ 417 bis 420 StPO verhandelt wurde, das Modell eines normalähnlich beschleunigten Verfahrens angewandt. Besonders beschleunigte Verfahren, etwa am Tatoder Folgetag, z. B. mit Vorführungen aus der Hauptverhandlungshaft, fanden sich in den ausgehändigten Akten nicht. Auch freiwillige Stellungen oder sonstige Vorführungen, welche eine Ladung gem. § 418 Abs. 2 S. 1 StPO verzichtbar gemacht hätten, kamen in den Fällen nicht vor.874 Die Ergebnisse betreffen also normalähnliche beschleunigte Verfahren in Berlin. Auch in Berlin ergingen gem. § 418 Abs. 1 S. 1 StPO keine Entscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens. (2) Umgang mit der zeitlichen Untergrenze des normalähnlichen beschleunigten Verfahrens „Polizeiladungen“ gibt es in Berlin nicht. Anders als im Landgerichtsbezirk Potsdam wurden die Ladungen zur beschleunigten Hauptverhandlung auch immer förmlich zugestellt. Der damit unproblematisch ermittelbare durchschnittliche Zeitraum zwischen Zugang der Ladung und Beginn der Hauptverhandlung betrug in Berlin 9,68 Tage. In mehreren Fällen betrug er mehr als 15, die höchste Dauer war 20 Tage. In 4 Fällen wurde keine Ladungsfrist von drei Tagen eingehalten, in einem davon wurde die Ladung an einem Tag (ohne Angabe der Stunde) zu übergeben versucht und in den Wohnungsbriefkasten eingeworfen, am nächsten Tag um 09.30 Uhr fand die Hauptverhandlung statt. Damit wurde offenbar selbst der zu kurz gefasste Gesetzeswortlaut von 24 Stunden (§ 418 Abs. 2 S. 3 StPO) unterschritten. Die auch in Berlin durchschnittlich eher lange Dauer von 9,68 Tagen ist also nicht dem Grund geschuldet, dass man eine sehr kurze Ladungsfrist für unzulässig hält. 874

Zu den Gründen des gänzlichen Fehlens besonders beschleunigter Verfahren im Aktenmaterial trotz Stattfindens solcher Verfahren am AG Tiergarten am Tempelhofer Damm s. oben C. IV. 1. a) (2) (a).

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

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c) Umgang mit den Anforderungen an die Ladung des Beschuldigten gem. § 418 Abs. 2 S. 2 StPO im Landgerichtsbezirk Potsdam und in Berlin Mit der Ladung wird dem Beschuldigten der Tatvorwurf mitgeteilt, § 418 Abs. 2 S. 2 StPO. Dies geschieht bei allen Gerichten im Landgerichtsbezirk Potsdam und auch in Berlin mittels Übersendung einer Abschrift der stets bereits verfassten Anklageschrift. Ausnahme ist das AG Potsdam im Falle der „Polizeiladungen“, da die Anklageschriften erst verfasst werden, nachdem die Polizei die Terminsnachrichten an die Beschuldigten versandt und die Akten an die StA weitergeleitet hat. Nur wenn man davon ausgeht, dass eine freiwillige Stellung des Beschuldigten vorliegt, wäre das Vorgehen nicht auch hinsichtlich § 418 Abs. 2 S. 2 StPO rechtsfehlerhaft. Auch dann bestehen aber, wie bei der mündlichen Anklageerhebung, Bedenken hinsichtlich der Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten, der ggf. erst in der Hauptverhandlung genau erfährt, was ihm vorgeworfen wird. d) Zeitliche Obergrenzen einer zulässigen Durchführung beschleunigter Verfahren Untersucht wurden die Zeiträume zwischen der Antragsstellung gem. § 417 StPO und der Durchführung der Hauptverhandlung sowie die Zeiträume zwischen Tatbegehung und Durchführung der Hauptverhandlung nicht nur, um herauszufinden, welche Beschleunigung der Praxis durch die Verfahrensart gelingt. Die Einschränkung der Beschuldigtenrechte durch das beschleunigte Strafverfahren und die Ungleichbehandlung gegenüber Beschuldigten des Regelverfahrens wird verfassungsrechtlich durch das Ziel gerechtfertigt, eine Aburteilung zu erreichen, die der „Tat auf dem Fuße folgt“ und dadurch zugleich die Justiz entlastet. Die verfassungsrechtlich nötige Einhaltung dieses Ziels begrenzt die Durchführung beschleunigter Verfahren in zeitlicher Hinsicht. Nach hier vertretener Auffassung dürfen zum einen zwischen dem Antrag, ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen und der beschleunigten Hauptverhandlung grundsätzlich nicht mehr als zwei Wochen liegen. Bei Einführung der Sollvorschrift des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO im Jahr 2004 hat der Gesetzgeber verkannt, dass Rechtsprechungsentscheidungen die Eignung zur Aburteilung im beschleunigten Verfahren nicht nur deswegen verneinten, weil deren Anberaumung mit dem ehemaligen Wortlaut nicht mehr

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D. Schluss

zu vereinbaren war, sondern auch, weil das die Verfahrensart rechtfertigende Ziel nicht mehr erreicht werden konnte.875 Zum anderen, und dies wohl weitgehend unstreitig, ist eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren nicht mehr möglich, wenn bereits mehr als ein halbes Jahr zwischen der Tatbegehung und einem möglichen Hauptverhandlungszeitpunkt liegen. Hier ist evident, dass das Ziel einer Aburteilung, die der Tat auf dem Fuße folgt, unerreichbar ist und sich keine Rechtfertigung mehr für die verfahrensverkürzende Ungleichbehandlung der §§ 417–420 StPO findet.876 (1) Der Zeitraum zwischen Antragseingang und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Antragseingang und (Beginn der) Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung betrug in Brandenburg im Landgerichtsbezirk Potsdam 1 Woche und 6 Tage (AG Potsdam 4 Tage, AG Brandenburg a. d. H. 3 Wochen 2 Tage, AG Nauen 4 Wochen 3 Tage, AG Rathenow 9 Tage). In Berlin betrug der durchschnittliche Zeitraum 2 Wochen und 2 Tage. Vergleicht man die Zahlen mit jenen des statistischen Bundesamtes für die durchschnittliche Verfahrensdauer, so wird eine erhebliche Beschleunigung sichtbar. Bei einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht in Deutschland im Jahr 2005 lagen im Durchschnitt zwischen Anhängigkeit und Erledigung 4 Monate, in Brandenburg 4,4 Monate, in Berlin 4,8 Monate, Werte, in denen die beschleunigten Verfahren mit enthalten sind. Ein Vergleich, bei dem diese herausgerechnet wären, würde also noch deutlicher ausfallen. 875

s. oben C. III. 2. b) (3). Gegen Ausschöpfung der Frist des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO bzw. lediglich in Ausnahmefällen auch Ranft, 2005, Rn. 2337, bzw. M-G, § 418 Rn. 5. 876 s. oben C. I. 1. c) (3) (b). Die Erreichung des Ziels eines beschleunigten Verfahrens ist bei mehr als sieben Monaten zwischen Tat und Antrag nicht mehr möglich, daher eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren ersichtlich ungeeignet, OLG Stuttgart (Beschl. v. 19.06.1998), NJW 1998, S. 3134 f. = StV 1998, S. 479; OLG Stuttgart (Beschl. v. 11.08.1998), StV 1998, 585, 586; ebenso KMR-Metzger, § 417 Rn. 24; ungeeignet bei „mehreren Wochen oder sogar Monaten“ zwischen Tat und Antrag bzw. Tat und Hauptverhandlung, Ranft, 2005, Rn. 2337; Dauer dürfe „nicht lange“ gewesen sein, Schroeder, 2007, Rn. 171; der Verfahrensrealität nicht gerecht wird Scheffler (NStZ 1999, S. 268), der für das Ermittlungsverfahren sogar nur eine Frist von einer Woche zulassen will; einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Tat und Hauptverhandlung für nicht erforderlich hält hingegen Graf (KK, § 417 Rn. 10).

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

217

Die für zulässig erachtete Zweiwochenfrist wird am AG Rathenow nicht, am AG Potsdam kaum (3 Fälle), am AG Brandenburg a. d. H. regelmäßig (27 mal), am AG Nauen stets überschritten; in der Mehrzahl der Fälle wurde sie auch in Berlin überschritten. Dies überrascht freilich in Anbetracht des Wortlauts des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO wenig.877 Nicht zu erwarten, d. h. erschreckend, war indes das Ergebnis zur Nähe von Hauptverhandlung und Tat. (2) Der Zeitraum zwischen Tatzeitpunkt und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Tatzeitpunkt und Durchführung der Hauptverhandlung betrug in Brandenburg im Landgerichtsbezirk Potsdam 2 Monate und 7 Tage (AG Potsdam 1 Monat und 24 Tage,878 AG Brandenburg a. d. H. 2 Monate und 26 Tage, AG Nauen 2 Monate und 24 Tage, AG Rathenow 2 Monaten und 4 Tage). In keinem Fall im Landgerichtsbezirk Potsdam war die Verfahrensart wegen des Zeitraums zwischen Tat und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung evident unzulässig. Nach hier vertretener Auffassung trifft dies selbst noch für einen Fall am AG Brandenburg a. d. H. zu, bei 877

Auffällig wurde im Einzelnen die besondere Beschleunigung am AG Potsdam (wobei die Richter faktisch auch unter großem Druck stehen, wenn die Verhandlungen bereits von Polizei oder StA terminiert sind, bei ein oder zwei Tagen zwischen Eingang des Antrags und der bereits anberaumten Hauptverhandlung wäre der Beschuldigte wohl nicht einmal mehr abzuladen), die gelegentliche Überschreitung auch der Sechswochensollvorschrift des gesetzlichen Wortlauts ohne besonderen Grund am AG Brandenburg a. d. H. und die strenge Einhaltung kurzer Fristen am AG Rathenow, obwohl die Hauptverhandlungstermine dort von den Richtern terminiert und die Beschuldigten förmlich geladen werden. Deutlich wurde weiter der unterschiedliche Umgang mit Situationen, in denen das beschleunigte Verfahren nicht in einem Verhandlungstermin abgeschlossen werden kann, was in prognostischer Hinsicht Eignungsvoraussetzung für das Verfahren gem. den §§ 417 bis 420 StPO ist. In Berlin wird in Unterschied zu den beschleunigten Verfahren im Landgerichtsbezirk Potsdam bei Nichterscheinen des Beschuldigten regelmäßig neu geladen und dann polizeilich vorgeführt. Bei intensivem Bestreiten wird oft ein neuer Termin mit mehr oder anderen Zeugen anberaumt, einmal sogar ein Ortstermin. Diesem Eignungskriterium wird offenbar in Berlin keine große Bedeutung beigemessen. 878 Die kürzeste gemessene Zeitspanne bei mittels „Polizeiladungen“ durchgeführten beschleunigten Verfahren betrug 16 Tage. Dies war auch die insgesamt kürzeste Zeitspanne aller untersuchten beschleunigten Verfahren. Die längste Zeitspanne bei mittels „Polizeiladungen“ durchgeführten beschleunigten Verfahren betrug 2 Monate und 29 Tage.

218

D. Schluss

dem zwischen Tat und Durchführung der Hauptverhandlung 5 Monate und 2 Tage lagen.879 Im Übrigen bestätigen die Werte zwar grundsätzlich die Vermutung, dass an größeren Gerichten mittels struktureller Maßnahmen auch eine größere Beschleunigung erreicht werden kann, ggf. kommt aber auch der Motivation, die Verfahrensart richtig zu nutzen, eine entscheidende Bedeutung zu; siehe etwa das wesentlich kleinere AG Rathenow, welches alle Ladungen förmlich zustellte und auch sonst alle Fristen strikt einhielt, auch jene, die sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergeben, im Vergleich mit dem Vorgehen am AG Brandenburg a. d. H. Der durchschnittliche Zeitraum zwischen Tatzeitpunkt und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung betrug in Berlin 4 Monate und 10 Tage, also etwa zweimal so lange wie im Landgerichtsbezirk Potsdam. Der kürzeste gemessene Zeitraum zwischen Tat und Hauptverhandlung betrug 1 Monat und 12 Tage. In 19 der 87 Fälle (22%) lag mehr als ein halbes Jahr zwischen der Tatbegehung und der ersten Hauptverhandlung, es wurde jedoch gleichwohl beschleunigt verhandelt. In 5 Fällen betrug der Zeitraum über ein Jahr, bis hin zu 18 Monaten und 20 Tagen. All diese 19 Fälle hätten in der Berufungs- oder Revisionsinstanz kaum Bestand gehabt.880 Jegliche erhoffte positive und rechtfertigende Zwecke eines beschleunigten Verfahrens, wie die bessere Erinnerungsfähigkeit von Zeugen, die bessere Einsichtsfähigkeit von Tätern oder die Vertrauensstärkung in die Justiz verlieren sich bei derartigem Fehlgebrauch der Verfahrensart. Bei solchen Zeitüberschreitungen wird das vom Gesetzgeber formulierte881 und zugleich hinsichtlich Art. 3 GG rechtfertigende spezialpräventive Ziel einer Aburteilung, die der Tat auf dem Fuße folgt, ad absurdum geführt.

879 Für Unzulässigkeit indes Ranft (2005, Rn. 2337) sowie Scheffler (NStZ 1999, S. 268). 880 s. oben C. III. 5. b). und OLG Stuttgart NJW 1998, S. 3134 f. = StV 1998, S. 479 (im Fall ging es um mehr als 7 Monate zwischen Tat und Antrag); OLG Stuttgart StV 1998, 585, 586; ebenso „für solche Evidenzsituationen“ KMR-Metzger, § 417 Rn. 24; die Revision begründender Verfahrensfehler bei „mehreren Wochen oder sogar Monaten“ zwischen Tat und Antrag bzw. Tat und Hauptverhandlung, Ranft, 2005, Rn. 2337; anders Scheffler (NStZ 1999, S. 268), der für das Ermittlungsverfahren nur eine Frist von einer Woche zulassen will; grds. a. A. KK-Graf, § 417 Rn. 10. 881 s. BT-Drs. 12/6853, S. 34.

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

219

3. Verteidigung im beschleunigten Verfahren Vermutet wurde, dass die als Korrektiv eingeführte, indes von der Praxis als störend empfundene Vorschrift des § 418 Abs. 4 StPO, welche eine notwendige Verteidigung im beschleunigten Verfahren bei Freiheitsstrafenerwartung von mindestens sechs Monaten festschreibt, umgangen wird.882 Dies, indem in der Verfahrensart allenfalls Freiheitsstrafen beantragt werden, die knapp unterhalb der Sechs-Monats-Grenze liegen, im Übrigen die Geeignetheit zur sofortigen Verhandlung abgelehnt wird. Tatsächlich fand kein beschleunigtes Verfahren der 147 relevanten Fälle im Landgerichtsbezirk Potsdam mit notwendiger Verteidigung gem. § 418 Abs. 4 StPO statt.883 Allerdings endeten 13,25 Prozent der Sachurteile im beschleunigten Verfahren mit einer Freiheitsstrafe und die Mehrzahl der Freiheitsstrafendauern betrug mindestens 4, aber nie 6 oder mehr Monate. § 418 Abs. 4 StPO kam auch in Berlin nicht zur Anwendung. Dort endeten 14 beschleunigte Verfahren mit Freiheitsstrafen (17,5% der Sachurteile). Die Strafdauer bewegte sich stets im unteren Bereich, und überstieg nie 6 Monate. Dies sind deutliche Anhaltspunkte, dass § 418 Abs. 4 StPO leer läuft. Die nicht dem Gesetz entsprechende Ablehnung eines beschleunigten Verfahrens bei einer Freiheitsstraferwartung von mehr als 6 Monaten, also die Herabsetzung des Strafrahmens der Verfahrensart von 1 Jahr (§ 419 Abs. 1 S. 2 StPO) auf diese Grenze und die Ausschaltung der für schwerwiegendere Fälle gedachten Schutzvorschrift des § 418 Abs. 4 StPO wird wohl keiner rechtspolitischen Position gerecht. Die Annahme, dass im beschleunigten Verfahren Verteidigung generell nicht stattfinde, konnte indes nicht bestätigt werden. In den 147 Fällen mit beschleunigter Hauptverhandlung im Landgerichtsbezirk Potsdam bedienten sich 20 Beschuldigte gemäß § 137 StPO des Beistandes eines Verteidigers (13,61%). In Berlin waren dies 9 von 87 Fällen (10,34%). Ggf. bestehen aber Abweichungen von einer ordnungsgemäßen, dem Regelverfahren vergleichbaren Verteidigung.884

882

Vgl. etwa M-G, Vor § 417, Rn. 5; Volk, 2008, § 33 Rn. 13; Lemke/RothsteinSchubert, ZRP 1997, S. 488, 491. 883 Auch kein anderer Fall notwendiger Verteidigung wurde gezählt. 884 s. zum Ganzen oben C. III. 4. e) und C. IV. 2.

220

D. Schluss

4. Entscheidung des Gerichts über Durchführung eines beschleunigten Verfahrens a) Ablehnungsbeschlüsse (1) Häufigkeit Wie häufig das Gericht die Entscheidung im beschleunigten Verfahren ablehnt, war zu untersuchen, nicht zuletzt, da ein meist folgendes Strafbefehls- oder Normalverfahren dann mehr Zeit und Aufwand gekostet hat, als es ohne die anfängliche Zuordnung zu den §§ 417–420 StPO erfordert hätte, so dass bei hohen Zahlen ungewollt gerade ein das Hauptziel des beschleunigten Verfahrens vereitelnder Effekt eintreten könnte. Die Zahl der Ablehnung beschleunigter Verfahren durch das Gericht war mit 7,28% im Landgerichtsbezirk Potsdam885 und mit 4,4% in Berlin886 gering und entspricht damit der Zielerreichung der Verfahrensart. Die Ablehnung noch vor der Hauptverhandlung ist entgegen der gesetzlichen Diktion887 die Ausnahme.888 (2) Gründe für die Ablehnungen (a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Verschiedene ausdrückliche oder aus dem Zusammenhang zu entnehmende Gründe für die Ablehnungen wegen Nichteignung aufgrund des nicht einfachen Sachverhalts oder der Nichteinhaltbarkeit der kurzen Frist fanden sich in den Fällen aus dem Landgerichtsbezirk Potsdam; so das Bestreiten des Angeklagten, das Erfordernis noch Zeugen zu hören oder ein Sachverständigengutachten einzuholen, die Notwendigkeit eines Dolmetschers bzw. das Nichterscheinen des Beschuldigten zum Termin. In 4 Fällen, in denen allgemein die Nichteinhaltbarkeit der kurzen Frist als Grund der Ablehnung genannt war, legen die Umstände nahe, dass die Heranwachsendeneigenschaft ursächlich war. 885 11 von 151 Fällen; in 4 Fällen erging der Ablehnungsbeschluss bereits, bevor eine beschleunigte Hauptverhandlung durchgeführt wurde, in 7 Fällen erging er im Rahmen einer solchen. 886 4 von 91 Fällen; der Beschluss erging stets erst im Rahmen der Hauptverhandlung gem. § 419 Abs. 2 StPO. 887 Vgl. § 419 Abs. 2 S. 1 StPO: „auch“. 888 Die einzigen Ablehnungen noch vor der Hauptverhandlung erfolgten alle am selben Gericht im Landgerichtsbezirk Potsdam, durch dieselbe Richterperson gegenüber Heranwachsenden.

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

221

Die nach § 34 StPO erforderliche Begründung des Ablehnungsbeschlusses fehlte in zwei Fällen. Neben manchen ggf. zu großer Eile geschuldeten, damit aber der Effizienz abträglichen Ablehnungen aus Gründen, welche sich bereits aus der Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei oder der Antrags-/Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ergaben, fiel das Bestreiten der Tatbegehung durch den Angeklagten als Ablehnungsgrund auf. Gesetzlich ist das beschleunigte Verfahren nicht als Konsensualverfahren ausgestaltet. Eine Auffassung nimmt aber an, dass bei Bestreiten des Schuldvorwurfs oder Schweigen des Beschuldigten keine Eignung für die Verfahrensart mangels klarer Beweislage gegeben sei.889 Diese Meinung scheint also an den Gerichten im Landgerichtsbezirk Potsdam auf Sympathie zu stoßen. (b) Berlin In Berlin wurden die Ablehnungen damit begründet, dass eine Entscheidung in kurzer Frist nicht möglich sei, weil der Angeklagte nicht polizeilich vorgeführt wurde (3 mal) bzw. wegen Erkrankung der Richterin (1 mal). Das Bestreiten des Angeklagten wird in Berlin nicht als Eignungsmangel und Grund für eine Ablehnung gesehen. b) Vorgehen des Gerichts nach Ablehnungsentscheidung – Der Übergang ins Regelverfahren In der Literatur wurde mitunter vermutet, dass die Akten entgegen der Mussvorschrift des § 419 Abs. 3 StPO ohne Prüfung nach wie vor an die Staatsanwaltschaft zurückgegeben werden.890 Der neu geregelte vereinfachte Übergang ins Regelverfahren wird als Ergebnis dieser Untersuchung indes von der Praxis angenommen. In allen abgelehnten beschleunigten Verfahren erließ der Richter gem. § 419 Abs. 3 StPO einen Eröffnungsbeschluss und leitete damit das Verfahren ins Regelverfahren über, sowohl in den Fällen des Landgerichtsbezirks Potsdam891 als auch in den Fällen aus Berlin. Dem Wunsch des Gesetzgebers nach Verfahrensökonomie auch bei Ablehnung des beschleunigten Verfahrens wird also entsprochen. 889

s. Lemke/Rothstein-Schubert, ZRP 1997, S. 488, 491. s. Sprenger, NStZ 1997, S. 574, 575 f. 891 s. aber zu einer erneuten beschleunigten Verhandlung nach vorangegangenem Ablehnungsbeschluss (trotz dessen Sperrwirkung) am AG Brandenburg a. d. H. oben C. VI. 2. a). 890

222

D. Schluss

In Berlin wurde ein schematisches Vorgehen erkennbar. Die Ablehnungen erfolgen stets nach Nichterscheinen des Beschuldigten zum ersten und zweiten Hauptverhandlungstermin, wegen Nichteinhaltbarkeit der kurzen Frist, doch faktisch, damit dann im Regelverfahren Haftbefehl angedroht und erlassen werden kann. Die Bemühungen, die Rechtsfolge gegen den Beschuldigten im Rahmen einer Hauptverhandlung zu verhängen sind intensiv, die Nichteignung eines Sachverhalts für das beschleunigte Verfahren kam in Berlin indes überhaupt nicht vor.892 5. Sanktionsstruktur im beschleunigten Verfahren und Besonderheiten einzelner Gerichte a) Brandenburg – Landgerichtsbezirk Potsdam Von den 151 Verfahren, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, endeten insgesamt 11 Fälle mit einer Freiheitsstrafe (5 davon wurden zur Bewährung ausgesetzt, 6 hingegen nicht), es ergingen 71 Geldstrafen im unteren und mittleren Bereich, auch i. H. v. über 90 Tagessätzen, und 1 mal Zuchtmittel nach dem JGG. In 37 Fällen wurde das Verfahren gem. den §§ 153 ff. StPO eingestellt, allerdings auch stets erst innerhalb einer Hauptverhandlung gem. den §§ 417 bis 420 StPO, in 20 Fällen wurde gem. den §§ 407 Abs. 1 S. 1, 408 a, 418 Abs. 3 S. 3 StPO ins Strafbefehlsverfahren übergegangen. 11 mal wurde die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt. Die gem. § 419 Abs. 1 S. 3 StPO zugelassene Entziehung der Fahrerlaubnis und Verhängung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB) erfolgten im beschleunigten Verfahren 31 mal. Eine lebenslange Sperre wurde in keinem Fall verhängt. Augenfällig war die Einstellungsquote am AG Potsdam. Lediglich 42,68% der beschleunigten Verfahren endeten auch als solche mit einem Sachurteil, 35,37% wurden eingestellt.893 Hier kann bereits eine Situation erreicht sein, in der das Gesamtmodell beschleunigtes Verfahren verzögernd wirkt. Der Vorrang der §§ 153 ff. StPO wird nicht beachtet. Auch ist es bedenklich, Beschuldigte, deren Verfahren in der Mehrzahl einzustellen oder auf schriftlichem Wege zu lösen gewesen wären, einer öffentlichen Hauptverhandlung auszusetzen und zwar sowohl hinsichtlich deren Rechte als 892 Auch der konkret abgelaufene Zeitraum war nicht entscheidend. In mehreren Fällen, die etwa wegen Zeugenladungen mehrere Termine beanspruchten und länger dauerten, als die abgelehnten, wurde weiter beschleunigt verhandelt. 893 Daneben 5 Ablehnungen und 13 mal Übergang ins Strafbefehlsverfahren, s. zum Ganzen oben C. VI. 4. a) (2).

I. Zusammenfassung der Ergebnisse

223

auch hinsichtlich des Ziels künftiger Legalbewährung und des leichtfertigen Verspielens ggf. bestehender präventiver Möglichkeiten öffentlicher Hauptverhandlungen. b) Berlin Von den 91 Verfahren, in denen ein Antrag gem. § 417 StPO gestellt wurde, endeten in Berlin 14 Fälle mit einer Freiheitsstrafe, 2 Freiheitsstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt, 12 hingegen nicht, es ergingen 66 Geldstrafen im unteren und mittleren Bereich, auch i. H. v. über 90 Tagessätzen, in 7 Fällen wurde gem. den §§ 407 Abs. 1 S. 1, 408 a, 418 Abs. 3 S. 3 StPO ins Strafbefehlsverfahren übergegangen, 4 mal wurde die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt, zur Einstellung des Verfahrens kam es in keinem Fall. Die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre verhängt wurde in 3 Fällen, eine lebenslange Sperre wurde in keinem Fall verhängt. Einmal erging ein Fahrverbot gem. § 44 StGB. Betrachtet man die verhängten Rechtsfolgen als „typisch“ für die beschleunigte Verfahrensart, ist zu berücksichtigen, dass sich deutliche Unterschiede (in der Anwendung des beschleunigten Verfahrens und der Verhängung von Rechtsfolgen) durch die jeweilig vorsitzende Richterperson ergeben können. Ein daraus folgendes Ungleichgewicht für Angeklagte wird durch die weniger förmliche Verfahrensart und die konkrete Durchführung in Berlin noch begünstigt.894 6. Das Beweisaufnahmerecht des beschleunigten Verfahrens In keinem der 147 Fälle mit beschleunigter Hauptverhandlung im Landgerichtsbezirk Potsdam kamen die Beweisregeln des § 420 StPO zur Anwendung. In Berlin wurde in lediglich 5 von 91 Fällen auf sie zurückgegriffen. Dabei war ausschließlich § 420 Abs. 1, 3 StPO in Form der Ersetzung der Vernehmung eines Zeugen durch Verlesung von Relevanz. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungen, in denen § 420 StPO zur Anwendung kam, betrug 18 Minuten, die durchschnittliche Dauer 894 Verhandelt werden die beschleunigten Verfahren in Berlin in einem Seitenflügel des Landeskriminalamtes weitestgehend ohne Öffentlichkeit, in 9 von 10 Fällen ohne Verteidigung und vor der strukturell schwächeren Amtsanwaltschaft als Anklagebehörde. s. zum Ganzen oben C. VI. 4. b) (2).

224

D. Schluss

der Hauptverhandlungen in Berlin ohne Beweiserleichterungen betrug 21 Minuten. Im Landgerichtsbezirk Potsdam wie in Berlin wurden auch Zeugen geladen, deren Aussagen gem. § 420 Abs. 1 StPO hätten verlesen werden können. Unabhängig davon fielen Fehler in der Bearbeitung der Fälle aufgrund der Kumulierung von Beschleunigungs-, Abkürzungs-, und Verweisungsmöglichkeiten auf. Mag die weitestgehende Nichtannahme der Regelungen des § 420 StPO durch die Praxis auch überraschen,895 so ist die Zurückhaltung uneingeschränkt zu befürworten. Der § 420 StPO inhärente Verzicht auf das Unmittelbarkeitsprinzip und die Aufgabe des Beweisantragsrechts beinhalten erhebliche Gefahren für die Wahrheitsfindung und die rechtsstaatliche Durchführung eines Strafprozesses.896 Vor den erweiterten Verlesungsmöglichkeiten schützt das Zustimmungserfordernis gem. § 420 Abs. 3 StPO den regelmäßig unverteidigten Angeklagten nicht. Inakzeptabel ist der Regelungsgehalt des – euphemistisch formulierten – § 420 Abs. 4 StPO. Die Einschränkung der Ablehnungsmöglichkeiten durch die §§ 244 Abs. 3 bis 5, 245 StPO eröffnet vor allem für den Angeklagten und seinen Verteidiger die Chance, Einfluss auf die Wahrheitsfindung außerhalb der antizipativen tatrichterlichen Vorstellungen zu nehmen.897 Dem Angeklagten diese Beteiligung zu nehmen, rührt an die Grundfesten des auf Wahrheitssuche gerichteten Strafprozesses. Eine Entschärfung durch die ohnehin nur „einfachen Sachverhalte“ und die „klare Beweislage“ geschieht nicht, die Voraussetzungen werden nicht eingehalten898 und die Auffassung, es ja ohnehin mit einem einfachen Sachverhalt und einer klaren Beweislage zu tun zu haben, kann gerade dazu führen, fälschlicherweise keine weitere Aufklärung für nötig zu erachten.899 Keinerlei Limitierungs- oder Schutzfunktion tritt schließlich durch die im Vermittlungsausschuss eingefügte900 Begrenzung der Abschaffung des Beweisantragsrechts auf das Verfahren vor dem Strafrichter nach § 420 Abs. 4 StPO ein. Das beschleunigte Verfahren findet nach seinen systematischen Voraussetzungen und nach dem Ergebnis dieser Untersuchung ohnehin ausschließlich vor dem Strafrichter statt. 895 Vermutet indes schon von Gössel (LR25, § 420 Rn. 1). Zum selben Ergebnis wie hier kommen die Untersuchungen von Tiedemann (2008, S. 174 f.) und Kohler (2001, S. 120 f.). 896 s. zum Ganzen oben C. VII. 4. 897 s. eingehend KK5-Herdegen, Vor § 244 III. 898 s. etwa oben C. II. 2. a), c), e), g). 899 s. Kohler, 2001, S. 53. 900 s. BT-Drs. 12/6853, S. 11; 12/7837, S. 2 f.; 674. Plenarprotokoll des Bundesrates (23.9.1994), S. 519.

II. Abschließende Betrachtung mit rechtspolitischer Empfehlung

225

Die seltene Anwendung der Norm in Berlin bestätigt die Kritikpunkte. Stets wurde die Verlesungsmöglichkeit des § 420 Abs. 1 StPO beim unverteidigten Beschuldigten angewandt, der ohne Akteneinsichtsrecht zu einem ihm in der Bedeutung unverständlichen Verlesungsverfahren hinsichtlich ihm unbekannter Zeugenaussagen zuzustimmen hatte. II. Abschließende Betrachtung mit rechtspolitischer Empfehlung Die Hoffnungen des Gesetzgebers901 mittels der zentralen Neuregelung § 420 StPO, also einer erheblichen Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten sowie der Abschaffung des Beweisantragsrechts, eine Beschleunigung auch der Hauptverhandlung und dadurch eine Mehranwendung beschleunigter Verfahren zu erreichen, sind nach Ergebnis dieser Untersuchung gescheitert. Glücklicherweise gescheitert, denn die Regelungen beinhalten erhebliche Gefahren für die Wahrheitsfindung wie für die rechtsstaatliche Durchführung eines Strafprozesses. § 420 StPO wurde in den untersuchten Fällen aus Brandenburg überhaupt nicht, in Berlin nur sporadisch angewandt. Die seltenen Fälle der Anwendung ließen keine Beschleunigung, aber die Stimmigkeit der Kritik an der Norm erkennen. Betrachtet man die offiziellen Statistiken, so muss man folgern, dass sich die erhoffte Mehranwendung der Verfahrensart insgesamt bundesweit nicht durchgesetzt hat. Die Anwendungszahlen sind im Durchschnitt nach Einführung der §§ 417 bis 420 StPO kurz angestiegen, um sich dann auf lediglich 4 Prozent aller erledigten amtsgerichtlichen Verfahren einzupendeln902 – genau das beklagte geringe Niveau, das den Gesetzgeber zur Neuregelung bewog.903 Die Zahlen nehmen neuerdings sogar weiter ab.904 Allerdings gibt es Unterschiede von Land zu Land905 und die Untersuchung hat gezeigt, dass eine Beschleunigung durchaus erreicht werden kann. 901

s. BT-Drs. 12/6853, S. 2, 34 f. Prozentsatz der erledigten Verfahren vor dem Amtsgericht, die durch Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren eingeleitet wurden: 2002 4,0% (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2002, S. 12); 2003: 4,1% (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2003, S. 14). 903 s. BT-Drs. 12/6853, S. 34. 904 2004: 3,5%, 2005: 3,2%, 2006: 2,8%, 2007: 2,9%, s. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2004, S. 22, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2005, S. 22, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2006, S. 22, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2007, S. 22. 905 s. nur die unterschiedlichen Werte in Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2006, S. 22 f. und Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege Strafgerichte 2007, S. 22 f. 902

226

D. Schluss

So betrug der durchschnittliche Zeitraum zwischen Antragseingang bei Gericht und Durchführung der beschleunigten Hauptverhandlung im Landgerichtsbezirk Potsdam etwas unter, in Berlin etwas über 2 Wochen. Vergleichweise lagen die Zeiträume zwischen Anhängigkeit und Erledigung bei amtsgerichtlichen Verfahren 2005 bundesweit bei 4 Monaten, in Brandenburg bei 4,4, in Berlin bei 4,8 Monaten.906 Auch verdeutlichen die Zeiten im Landgerichtsbezirk Potsdam, dass eine Antwort mit Hauptverhandlung auf einen ggf. stattgefundenen Rechtsbruch nicht unbedingt lange auf sich warten lassen muss: Der durchschnittliche ermittelte Zeitraum im beschleunigten Verfahren zwischen Tatzeitpunkt und Durchführung der Hauptverhandlung betrug 2 Monate und 7 Tage.907 Diese Beschleunigungen gründen sich freilich nicht auf § 420 StPO. Genausowenig wurden die Möglichkeiten der mündlichen Antragsstellung und Anklageerhebung genutzt oder die Varianten besonders beschleunigter Verfahren mit Verhandlung am Tattag bzw. mittels des Instrumentes der Hauptverhandlungshaft.908 Das Vorgehen ähnelt sowohl in Berlin als auch in Brandenburg vielmehr dem eines Regelverfahrens. Nur eine solche Durchführung erscheint indes auch rechtsstaatlich vertretbar. Wie aber wird dann die Beschleunigung erreicht bzw. ist sie erreichbar? Die Antwort liegt nach Gesamtschau der Ergebnisse in der grundsätzlichen Konzentration auf einfache Sachverhalte, dem Wegfall des Zwischenverfahrens, den schnelleren Ladungen, der engeren Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten, der Verkürzung von Aktenumlaufzeiten, der knapperen Terminierung von Hauptverhandlungsterminen auch in dem Sinne, dass eine ganze Vielzahl an Terminen, teilweise im 15-Minuten-Takt an einem Vormittag stattfindet, so dass allein dadurch ein (selbstgesetzter) Druck zur schnellen Hauptverhandlung entsteht, sowie in der besonderen Motivation „beschleunigte Verfahren“ durchzuführen.909 Dies überraschte freilich. Die beschleunigten Verfahren laufen weniger gem. den §§ 417–420 StPO als gemäß den Regelungen für Normalverfahren ab. „Horrorszenarien“, die vereinzelt befürchtet wurden910 fanden sich denn auch nicht. Das Recht auf ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidi906

In diesen Werten sind überdies die beschleunigten Verfahren mitenthalten. Vgl. aber die Zeiten für Berlin oben C. IV. 1. c) (2) (b). 908 s. aber oben C. IV. 1. a) (2) (a). 909 Von besonderer Motivation der Beteiligten berichtet etwa auch Dury, DRiZ 2001, S. 207 ff. s. zu den Anhaltspunkten in der Untersuchung etwa die Vorgehensweise am AG Rathenow oben C. IV. 1. a) (1) (c) (dd) sowie C. IV. 1. c) (1) (a), (2) (a). 907

II. Abschließende Betrachtung mit rechtspolitischer Empfehlung

227

gung etwa scheint im Landgerichtsbezirk Potsdam nicht, in Berlin kaum bedroht. Manche Vorgehensweisen bedürfen aber deutlicher Kritik oder zu deren Verhinderung gar der Korrektur des Gesetzes. Die Voraussetzungen der Verfahrensart werden nicht ausreichend beachtet. Beschleunigt verhandelt wird mitunter gegen Beschuldigte hinsichtlich derer die notwendige intensive Erforschung der Persönlichkeit oder andere systematische Voraussetzungen den „einfachen Sachverhalt“ gem. § 417 StPO ausschließen. Die am AG Potsdam praktizierte Variante, Beschuldigte von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei zur Hauptverhandlung zu „laden“, verstößt gegen § 213 StPO und verschiedene Verfahrensprinzipien. Die Strafprozessordnung kennt keine Anberaumung eines gerichtlichen Hauptverhandlungstermins durch ein Organ der Exekutive. Zugleich ist die dort festgestellte Einstellungsquote derart, dass das beschleunigte Verfahren insgesamt möglicherweise gar nicht mehr beschleunigend wirkt. In bedenklicher Weise wird gegen Beschuldigte, deren Verfahren mehrheitlich einzustellen oder auf schriftlichem Wege zu lösen gewesen wären, eine öffentliche Hauptverhandlung anberaumt. In einem beachtlichen Teil der Fälle lagen in Berlin zwischen Tat und beschleunigter Hauptverhandlung über sechs Monate bis hin zu eineinhalb Jahren. Hier scheint das Bewusstsein gänzlich zu fehlen, dass sich Einschränkungen einer beschleunigten Verfahrensart gegenüber dem Regelverfahren nur bei tatsächlicher Beschleunigung rechtfertigen. Jegliche erhoffte positive Zwecke, wie die bessere Erinnerungsfähigkeit von Zeugen, die bessere Einsichtsfähigkeit von Tätern oder die Vertrauensstärkung in die Justiz, verlieren sich bei derartigem Fehlgebrauch der Verfahrensart. Das hinsichtlich Art. 3 GG rechtfertigende spezialpräventive Ziel einer Aburteilung, die der Tat auf dem Fuße folgt, wird ad absurdum geführt. Zu begrüßen wäre in Berlin auch die Verhandlung beschleunigter Verfahren in regulären Gerichtsgebäuden.911 Daneben wurde deutlich, dass die Kumulation von Beschleunigungs- Abkürzungs- und Verweisungsmöglichkeiten die Fehleranfälligkeit erhöhen, die Überprüfungsmöglichkeiten vermindern und zu einem Abschieben von Verantwortung führen können. Hinsichtlich Kritik, Diskussion und politischen Forderungen betreffend die §§ 417 bis 420 StPO fiel auf, dass die „typischen Beschuldigten“ gar nicht vorkommen. Keine Wohnsitzlosen, keine Hooligans, keine Vielzahl 910

s. Scheffler, NJW 1994, S. 2191. Derzeit geschieht die Aburteilung im Seitenflügel eines Gebäudes der Berliner Polizei (LKA) am Tempelhofer Damm. 911

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D. Schluss

von Nichtdeutschen, keine „reisenden Täter“ und keine „besonders dreist vorgehenden Jungerwachsenen“ wurden beschleunigt abgeurteilt. Dass die §§ 417 bis 420 StPO ein Verfahren „zweiter Klasse“ für sozial Benachteiligte darstellen, stand weiter in Frage. Für Berlin ist das Ergebnis deutlich, die Einkommens-, aber auch Gesundheitssituation der dort beschleunigt Abgeurteilten ist erschreckend. Allerdings bleibt offen, inwieweit dies eine besondere Problematik der §§ 417 bis 420 StPO (über die Auswahl typischer Delikte der Armutskriminalität hinaus) darstellt. Erlauben auch die empirischen Ergebnisse allein keine allgemeingültigen Aussagen, so kann abschließend in Verbindung mit den Ergebnissen des dogmatischen Teils und vor allem in Verbindung mit den zitierten Ergebnissen der anderen empirischen und dogmatischen Untersuchungen eine rechtspolitische Empfehlung abgegeben werden. Die vorgeschlagenen Änderungen würden die praktische Durchführbarkeit der Verfahrensart kaum beeinträchtigen bzw. stellenweise ausweiten, andererseits die Gefahren beschleunigter Verfahren vermindern: – Klarstellung, dass der einfache Sachverhalt und die klare Beweislage kumulativ, nicht alternativ vorliegen müssen; – Streichung des Schöffengerichts, dessen Zuständigkeit sich systematisch nicht mit den Voraussetzungen der Verfahrensart vereinbaren lässt; – Stellung des Antrags gem. § 417 StPO in schriftlicher Form aus Praktikabilitäts- sowie Rechtssicherheitserwägungen; – Klarstellung, dass ein Antrag nicht mehr gestellt werden darf, wenn die Tatzeit bereits so fern liegt, dass die Ziele der Verfahrensart nicht mehr erreicht werden können. § 417-Vorschlag Im Verfahren vor dem Strafrichter stellt die Staatsanwaltschaft schriftlich den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts und der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist. Zwischen Tatzeit und voraussichtlichem Zeitpunkt der Hauptverhandlung dürfen nicht mehr als sechs Monate liegen.

– Kürzung der, nach Wortlaut des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO zulässigen Sechswochenfrist zwischen Antragseingang bei Gericht und dem Beginn der Hauptverhandlung auf zwei Wochen, da eine Sechswochenfrist der verfassungsrechtlich erforderlichen Beschleunigung nicht gerecht wird; zugleich Beibehaltung der Frist als Sollvorschrift für Ausnahmefälle; relevanter Zeitpunkt des Fristendes ist aber die Durchführung, nicht der Beginn der Hauptverhandlung; „Beginn der Hauptverhandlung“ suggeriert fälschlicherweise, dass eine Eignung für das beschleunigte Verfahren

II. Abschließende Betrachtung mit rechtspolitischer Empfehlung

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auch gegeben sei, wenn mehrere Hauptverhandlungstermine abzusehen sind; – Verlängerung der Ladungsfrist auf 3 Tage; 24 Stunden sind nicht ausreichend um dem Recht des Beschuldigten auf ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung zu genügen; nach Untersuchung dieser Studie nahezu keine Beeinträchtigung der Praxis hierdurch; – Streichung der Möglichkeit der mündlichen Anklageerhebung; diese Vorgehensweise beinhaltet erhebliche Gefahren und wird von der Praxis nicht angenommen; – Streichung der Pflichtverteidigungsregel ab einer Freiheitsstraferwartung von mindestens sechs Monaten; die Vorschrift führt lediglich dazu, dass ausschließlich darunter liegende Freiheitsstrafen beantragt werden, bzw. versucht wird, das Strafmaß darunter zu „drücken“ und andernfalls das Regelverfahren beantragt wird; eine mitunter vorgeschlagene Ausweitung auf die ganze Verfahrensart würde die Anwendung der §§ 417 ff. StPO beenden; zwecks Sicherung der Beschuldigtenrechte muss die Regelung nach hier vertretenem Vorschlag nicht beibehalten werden, da § 420 StPO ersatzlos zu streichen ist, aufgrund dessen § 418 Abs. 4 StPO für schwerwiegendere Fälle eingefügt wurde. Die Streichung entspricht den aus der Praxis geäußerten Wünschen; – Klarstellung (der vermeintlichen Selbstverständlichkeit), dass das Gericht für Ladung wie Terminierung zuständig ist. § 418-Vorschlag (1) Stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag, so wird die Hauptverhandlung sofort oder in kurzer Frist durchgeführt, ohne dass es einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf. Zwischen dem Eingang des Antrags bei Gericht und der Durchführung der Hauptverhandlung sollen nicht mehr als zwei Wochen liegen. (2) Der Beschuldigte wird nur dann geladen, wenn er sich nicht freiwillig zur Hauptverhandlung stellt oder nicht dem Gericht vorgeführt wird. Mit der gerichtlichen Ladung wird ihm mitgeteilt, was ihm zur Last gelegt wird. Die Ladungsfrist beträgt 72 Stunden. (3) § 408a gilt entsprechend.

– Streichung des Schöffengerichts, im Übrigen Beibehaltung der Regelungen des § 419 StPO, insbesondere des vereinfachten Übergangs ins Regelverfahren, die sich bewährt haben; § 419-Vorschlag (1) Der Strafrichter hat dem Antrag zu entsprechen, wenn sich die Sache zur Verhandlung in diesem Verfahren eignet. Eine höhere Freiheitsstrafe als Freiheits-

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D. Schluss

strafe von einem Jahr oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf in diesem Verfahren nicht verhängt werden. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist zulässig. (2) Die Entscheidung im beschleunigten Verfahren kann auch in der Hauptverhandlung bis zur Verkündung des Urteils abgelehnt werden. Der Beschluss ist nicht anfechtbar. (3) Wird die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt, so beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (§ 203); wird nicht eröffnet und die Entscheidung im beschleunigten Verfahren abgelehnt, so kann von der Einreichung einer neuen Anklageschrift abgesehen werden.

– Ersatzlose Streichung von § 420 StPO in Anbetracht der in der Norm liegenden Gefahren sowie der gleichzeitig bestehenden Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit; – Streichung des damit bedeutungslos gewordenen § 411 Abs. 2 S. 2 StPO. Freilich stellt sich nach der Untersuchung auch die Frage nach der Gesamtberechtigung legislativer Unternehmungen wie der §§ 417 bis 420 StPO. Unverständlich ist, weshalb der Gesetzgeber den Weg für sein seit langem verfolgtes Ziel der Entlastung und Effizienzsteigerung912 stets über den Abbau von Individualrechten verfolgt.913 Erkennt man dann, dass diese beschneidenden Regelungen selbst nicht zu einer Entlastung und Effizienzsteigerung führen, so erscheint deren Belassung im Gesetz – oder gar eine Ausweitung – als sinnloser Abbau von Rechtsstaatlichkeit.

912 s. nur die Begründungen der Entwürfe zum 1. StVRG (BT-Drs. 7/551, S. 32 ff.), zum StVÄG 1987 (BT-Drs. 10/1313, S. 16 ff.) sowie das Rechtspflegeentlastungsgesetz von 1993 (BGBl I, 1993, S. 50 ff.) und den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (BT-Drs. 16/3038, S. 1 ff.). Ein Begründungsdefizit mangels empirischer Belege beklagen etwa Barton, StV 1996, S. 690 ff. und Kempf, StV 1997, S. 208 ff. 913 Vgl. HK-Krehl, Einleitung Rn. 3; LR26-Kühne, Einl. Abschn. F Rn. 204.

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Sachverzeichnis Ablehnungsentscheidung 162 ff., 166 ff., 220 ff. – Anschlussprüfung 163 ff. – Form 162 f., 167 f. – Gründe 167 ff., 220 f. – Häufigkeit 166 f., 174 f., 220 – konkludente 163 Akten, Rückgabe an Staatsanwaltschaft 164 f. Aktenanalyse – Bedenken 38 ff. – Vorteile 39 f. Aktenziehung 52 ff. Alkohol 95 ff., 107 f. Amtsaufklärungspflicht 185 f. Anklage 79 ff., 101 f. – fehlende 81 – Form 80 f., 101 f., 210 – Rücknahme 85, 101 f. – Verbindung mit Antrag gem. § 417 StPO 82 Anklageprinzip 80 Annahmeberufung siehe Rechtsmittelverfahren Antrag gem. § 417 StPO 79 ff., 101 f. – Einwirkungsmöglichkeit Beschuldigter 85 – Form 79 ff., 101 f., 210 – nach Ablehnungsbeschluss 165 – Rücknahme 83 ff., 101 – Verpflichtung zur Stellung 76 – Zeitpunkt 82 Anwendungsbereich 56 ff. Armut 104 ff., 108 Aufklärungspflicht 182 Ausländer siehe Nichtdeutsche Ausländische Truppen 57

Auswertung, Vorgehen bei 55 Auswertungsbogen 49 ff. Belehrung 184, 196 beschleunigtes Verfahren – Befürchtungen 16 f. – besonders beschleunigtes Verfahren 112 ff., 211 – empirische Veröffentlichungen 21 ff. – enger Zeitrahmen 124 – Instrument der Rechtspolitik 79 – Kontrolle 178 – Kritik 16 f. – Missbrauch 60 – Möglichkeiten verschiedener Handhabung 19, siehe auch praktizierte Modelle – Monographien 18 – neue politische Forderungen 18 – normalähnliches beschleunigtes Verfahren 116 ff., 136, 144, 210 ff. – praktizierte Modelle 21 ff., 101 f., 113, 117, 136 ff., 200 f., 210, 214 – Verfahren „zweiter Klasse“ 43 – Verhältnis zu anderen Verfahrensarten 76 ff., 121, 175 – Voraussetzungen 56 ff., 89 ff. – Ziele 16, 18, 167, 225 ff. – Zustimmung 116 Beschleunigung 113, 117, 143 f., 148 ff., 153 ff., 174, 210 ff., 226 – gegenüber Regelverfahren 69 ff., 141 ff., 150, 215 ff. – im Ermittlungsverfahren 74 f., 153 ff., 216 ff.

Sachverzeichnis Beschuldigtengruppen – ausgeschlossene 57 – festgestellte 104 f. – in der öffentlichen Diskussion 19 Beschuldigtenstruktur 104 f., 107 f., 209 f. Bestreiten 169 ff. Beweisantragsrecht 68, 184 ff. – Entwertung 190 ff. Beweisaufnahmerecht 178 ff., 195 ff., 200 f., 223 f. – Anwendbarkeit im Berufungsverfahren 187 ff., 197 – Kritik 190 ff. Beweislage, klare 65 ff. – und einfacher Sachverhalt 65 f. Binnennormen 79, 103, 173 Bochumer Modell 29 ff. Deliktskatalog, interner 103 Deliktsstruktur 102 ff., 207 ff. Dolmetscher 170 Einstellungsvorschriften 76 f. Eignung gem. § 417 StPO 58 ff., 67 ff., 75 f., 203 f., siehe auch sofortige Verhandlung – Entscheidung des Gerichts 159 ff., 173, 220 f., siehe auch Ablehnungsentscheidung – Fehler siehe Rechtsmittel – restriktive Auslegung 68, 73 – Verfahrensvoraussetzungen 75 – Zeitraum 159 Einschätzungsprärogative 72 empirisches Forschen, Grenzen 35 f. Ermittlungen, wesentliches Ergebnis der 117 Ermittlungsverfahren 74 f. – Rolle der Polizei 120 f. Etikettierung 176

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Fälle, untersuchte – Aushändigung 53 f. – Auswertung 55 – beschleunigte Verhandlung 53 ff. – Verwertbarkeit 53 f. Fangprämie 197 Forschung, strafverfahrensrechtliche – Forschungsbedarf 35 – Quellen 35 Forschungsmethoden – Aktenanalyse 38 ff. – Befragung 37 – Beobachtung 37 f. Forschungsstand 21 ff. Freiheitsstrafe – Ausnahmesanktion 63 f., 100, 161 f. – Beschleunigungsziel 63 f., 100 – drohende 63 f., 100, 207 – kurze 64 Frist des § 418 Abs. 1 S. 1 StPO – Obergrenze 122 ff., 148 ff., 151 f., 153 ff., 215 ff. – Untergrenze 115 ff., 137 ff., 211 ff., siehe auch Ladungsfrist Frist des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO 67 f. Fußballweltmeisterschaft 19 G-8-Gipfel Heiligendamm 61, 75 Geldstrafe 207 Gleichheitsgrundsatz 70 ff. Haftbefehl 124 Hauptverhandlung – Anberaumung siehe Termin – Beschleunigung 178 f., 198, 200 f. – mehrere Termine 68 f. – Unterbrechungen 68 f. – Vorbereitung und Durchführung gem. § 418 StPO 108 ff. Hauptverhandlungshaft 137, 145 Heranwachsende 59, 90 ff., 168., 203 f.

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Sachverzeichnis

Identitätslehre 185 Jugendgerichtshilfe 91 Jugendliche 57 Justiz – Funktionstüchtigkeit 72 – Personalsituation 72 Konsensualverfahren 66 Kumulation, von Abkürzungen und Verweisungen 192, 198 f. Ladung 114 f., 119, 121 f., 137 f., 145, 147, 215 – polizeiliche 119 f., 138 ff., 146 f., 211 f. – staatsanwaltschaftliche 119 f., 138 ff., 211 f. – Zustellung, förmliche 141 ff., 146, 211 ff. Ladungsfrist 115, 117 f., 137 ff., 146, 211 ff. Maßregeln 161 f., 174 ff. Motivation siehe Tatmotivation Nachtrunkverhalten 169 Nebenklage 79 Nichtdeutsche 61, 93 ff., 204 ff. Operationalisierung 40 ff. Organisation, behördliche 113, 117 Privatklageverfahren 79 Proteste, gewalttätige 61 Prozessvoraussetzungen 109 f. Rechtsfolgen – Abhängigkeit von Entscheidungsträger 176 ff. – verhängte 174 ff., 222 f. Rechtshängigkeit 111 f.

Rechtsmittel – Annahmeberufung 86 – besonders beschleunigtes Verfahren 133 – Beweisaufnahmerecht 190 – Fehlen der Anklage 87 – Fehlen des Antrags gem. § 417 StPO 86 f. – Fehler in der Eignungsbeurteilung 87 ff. – justizieller Umgang 88 f. – Nichtbestellung notwendiger Verteidiger 136 – Nichteinhaltung der Frist des § 418 Abs. 1 StPO 134 f. – Nichteinhaltung der Ladungsfrist 133 – Polizeiladungen 134 – Strafrahmenüberschreitung 165 f. – unzureichende Anklage 87 – Voraussetzungen des § 417 StPO 86 ff. rechtspolitische Empfehlung 225 ff. Sachverhalt, einfacher 58 ff., 90 ff., 102 f., 203 Sammeltermine 101, 137 Sanktionierung, schnelle 19 Sanktionsstruktur 174 ff., 222 f. Schöffengericht siehe Spruchkörper Schuldfähigkeitsfragen 62 f., 95 ff., 206 – pauschalisierende Umgehensweise 97 Sechs-Monats-Grenze 74 f., 123 f., 153 ff. sofortige Verhandlung – Zeitraum „Antrag bis Hauptverhandlung“ 67 ff., 148 ff. – Zeitraum „Tat bis Hauptverhandlung“ 74 f., 153 ff. soziale Benachteiligung 43, 104 f., 107 f., 209 f. Spruchkörper 56 f., 89 f., 202

Sachverzeichnis Stellung, freiwillige 113 f. Strafbefehlsverfahren 77 ff. Strafmaßobergrenze 161 f., 174 ff. – faktische 132 f., 156 ff. Strafverfahren, Ziele 73 Studentenproteste 1968 60 Suchtmittel 95 ff., 108 Suizid 108 Taten, Vielzahl vorgeworfener 63, 97 ff., 206 Täter, reisende siehe Beschuldigtengruppen Tatfolgen 104 f. Tatmotivation – politische 60 f., 92, 204 – sexuelle 62, 95 Tatverdacht, hinreichender 109, 163 f. Termin – Anberaumung der Hauptverhandlung 119 f., 137 ff. – gerichtliche Mitteilung 114, 119 f., 137 ff. – polizeiliche Mitteilung 120 f., 138 ff. – staatsanwaltschaftliche Mitteilung 114, 120 f., 138 ff. Übergang, vereinfachter ins Regelverfahren 163 f., 171 ff., 221 f. Überrumpelung 114 Untersuchungsanordnung 37 ff. Unzuständigkeit 110 f.

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Verfahrensrechte, Einschränkung der 67 f., 71 Verlesungsmöglichkeiten 179 ff., 195 ff. – Behördenerklärungen 182 f. – richterliche Vernehmungsprotokolle 181 f. – Zeugnisverweigerungsrecht 180 ff. Verteidigung 156 ff., 219 – ausreichend Zeit zur Vorbereitung 75, 114 ff., 117 f., 141 ff., 211 ff. – Auswahl 130 f. – Bestellung 130 f. – Ladung 130 f. – „moralischer Beistand“ 132 – notwendige 125 ff., 219 – Umgehung der notwendigen 132, 157 f., 219 Verweisungsmöglichkeiten 192 Vorführung 113 f., 124 Wahrheit 193 f. Wohnsitzlose siehe Beschuldigtengruppen Zeitersparnis, Möglichkeit der 69 ff., 143 f. Zuständigkeitsfragen 110 f. Zustimmungserfordernis 183 f. Zwischenverfahren 109, 137, 145 f.