Das Bebauungsrecht im unbeplanten Innenbereich: Die Entwicklung einer Norm zwischen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Vollzug [1 ed.] 9783428475469, 9783428075461

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Das Bebauungsrecht im unbeplanten Innenbereich: Die Entwicklung einer Norm zwischen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Vollzug [1 ed.]
 9783428475469, 9783428075461

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 620

Das Bebauungsrecht im unbeplanten Innenbereich Die Entwicklung einer Norm zwischen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Vollzug

Von Eckart Scharmer

Duncker & Humblot · Berlin

ECKART SCHARMER

Das Bebauungsrecht im unbeplanten Innenbereich

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 620

Das Bebauungsrecht im unbeplanten Innenbereich Die Entwicklung einer Norm zwischen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Vollzug

Von

Eckart Scharmer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Scharmer, Eckart: Das Bebauungsrecht im unbeplanten Innenbereich : die Entwicklung einer Norm zwischen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Vollzug / von Eckart Scharmer. Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 620) Zugl.: Hagen, Fernuniv., Diss., 1991 ISBN 3-428-07546-3 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-07546-3

Inhalt Α. Einführung Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretaion und Rechtspraxis I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich von der Jahrhundertwende bis 1960 1. Die Rechtsentwicklung bis 1945

9 15

15 16

a)

Baupolizeirecht in Preußen

17

b)

Baupolizeirecht in anderen deutschen Staaten

21

c)

Fluchtliniengesetzgebung und andere Vorläufer des modernen Bauplanungsrechts in Preußen und im Deutschen Reich

23

d)

Entwürfe zu einem Städtebaugesetz für Preußen und das Reich

26

2. Das Baurecht von 1945 bis zum Bundesbaugesetz

28

a)

Aufbaugesetze der Länder

b)

Planungsgesetz für Groß-Berlin

30

c)

Bauordnungen der Länder zwischen 1945 und 1960

31

3. Zusammenfassung II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960 1. Die Materialien zu § 34 BBauG 1960

28

33 35 35

a)

Die Entwicklung bis zum Regierungsentwurf

35

b)

Die Regelung für den nicht beplanten Innenbereich im Regierungsentwurf und im BBauG 1960

37

c)

Zusammenfassung

2. Rechtsinterpretation und Rechtspraxis bis Mitte der siebziger Jahre

41 41

a)

Die Interpretation des § 34 BBauG durch Literatur und Rechtsprechung....

42

b)

Die Anwendung des § 34 BBauG in den Gemeinden in der Phase der BauHochkonjunktur

60

3. Zusammenfassung III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979 1. Die Novellierung 1976

61 64 64

a)

Gründe fur die Novellierung des BBauG

64

b)

Anstöße aus der Praxis zur Änderung des § 34

65

c)

§ 34 im Regierungsentwurf

67

d)

Die Neufassung im parlamentarischen Verfahren

69

6

Inhalt

2. Die Änderung der Abgrenzung des Innenbereichs zum Außenbereich durch die " Beschleunigungsnovelle " 1979

74

a)

Investitionshemmnisse im Baubereich

74

b)

Überlegungen zu einem erweiterten Bestandsschutz fur Betriebe

75

c)

Die Problematik historisch entstandener Streubebauung

76

d)

Die Kontroverse in der parlamentarischen Beratung

78

3. Zusammenfassung der Ziele und Änderungen der Novellen 1976 und 1979 4. Formung der Neufassung durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und Auswirkungen auf die Rechtspraxis

81 82

a)

Reaktionen auf die Novellen in der Literatur

82

b)

Die Rechtsprechung zu § 34 BBauG 1976

84

c)

Auswirkungen der Novellen 1976 und 1979 in der Rechtspraxis

88

5. Zusammenfassung I V . § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990

94 96

1. Anstöße für die Erarbeitung des Baugesetzbuchs

96

2. Die Neufassung des § 34 im Baugesetzbuch

99

a)

Änderungsvorschläge der vom Bundesbauminister eingesetzen Arbeitsgruppe

b)

§ 34 im Regierungsentwurf zum BauGB

102

c)

Stellungnahmen im weiteren Gesetzgebungsverfahren und Endfassung im Baugesetzbuch

104

99

3. Erste Erfahrungen der Praxis mit der Neufassung

107

4. Die Änderung des § 34 BauGB auf Zeit durch das Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch im Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz

108

5. Zusammenfassung

113

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

115

I. Gesetz im Wandel

115

II. Gründe für Novellierungen

118

1. Gesetzesnovellierung als Ergebnis politischer Anforderungen

120

2. Novellierungen aufgrund geänderter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen

125

3. Novellierung als Reaktion auf Vollzugsprobleme und auf die Gestaltung der Norm durch die Rechtsprechung

127

III. Novellierung und "Gesetzesflut"

132

7

IV. Akteure im Novellierungsprozeß 1. Das Kommunikationsnetz der Fachleute

137 137

2. Gesetzesreferent und "innerer Kreis" der Fachbeamten

138

3. Richter des Bundesverwaltungsgerichts

139

4. Verbände

140

5. Sachverständige und Wissenschaftler

141

6. Abgeordnete

145

V . Wirkung der Novellen

148

1. Novellierungsziele und - Wirkungen

149

2. Innovationsbegrenzende Faktoren bei Novellierungen

152

3. Dynamik des politischen Systems und Persistenz des Rechtssystems

154

Literaturverzeichnis

157

Α. Einführung Der Wandel einer Rechtsnorm zwischen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Vollzug Rechtsnormen im Wandel Auf den ersten Blick erscheint es so, als nehme eine Rechtsform nach dem Durchgang durch den parlamentarischen Prozeß mit ihrer Verkündung und Veröffentlichung feste, unverrückbare Gestalt an. Betrachtet man nur den Wortlaut einer Rechtsnorm, so ist dies natürlich richtig, es sei denn, die Rechtsnorm würde durch Novellierung verändert. Betrachtet man jedoch den rechtlichen Regelungsgehalt einer Norm und zusätzlich ihre Wirkung auf soziale Prozesse, so stellt sich heraus, daß eine Norm nicht nur eine Entstehungsgeschichte, sondern auch eine Verlaufsgeschichte hat. Der Regelungsgehalt im einzelnen und die Wirkung auf die Wirklichkeit nimmt nach dem Inkrafttreten der Norm erst nach und nach Gestalt an und unterliegt deshalb einem ständigen Wandlungsprozeß. Im Gegensatz zum Wortlaut der Norm wird ihre Gestalt, daß heißt ihr normativer Inhalt, durch den Gesetzgeber häufig nur in Umrissen festgelegt und präzisiert. Die Details der Gestalt der Norm werden häufig erst im Laufe des Normvollzuges im einzelnen sichtbar. Bestimmendes Element dieses Vollzuges ist dabei die Interpretation der Norm durch die Rechtsprechung. Man kann also von einem Prozeß der Konkretisierung und Ausfüllung der Norm im Laufe ihrer Anwendung ausgehen. Im Verlaufe dieses Prozesses werden zwar verschiedene Aspekte des Norminhaltes ausgeleuchtet, auch er mündet jedoch nicht in einen statischen Endzustand. Vielmehr kommt es in der Praxis häufig zu Veränderungen der Vollzugsbedingungen oder zu Richtungsänderungen in der Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, so daß auch im weiteren Verlauf des Bestehens einer Norm ihre Inhalte einem Wandel unterliegen. Dabei kann es geschehen, daß nicht nur einzelne Details der Norm, sondern sogar wesentliche Elemente ihrer Gestalt modifiziert werden. Wie im weiteren Verlauf der Untersuchung im einzelnen dargestellt wird, hängt auch die Wirkung einer Norm nicht allein von ihren Inhalten, vom normativen Befehle ab, sondern in wesentlichem Umfang auch von den allgemeinen oder jeweiligen örtlichen Anwendungsbedingungen und von den Interessenlagen und Handlungsweisen ihrer Anwender und Adressaten. Diese Ab-

10

Α. Einführung

hängigkeit von Anwendungsbedingungen und Anwendern hat zur Folge, daß die Normwirkungen durch die Veränderung ökonomischer oder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in wesentlichem Umfang beeinflußt werden können. Die folgende Untersuchung wird dabei zeigen, daß die Änderungen der Normwirkungen durch die Rahmenbedingungen im Einzelfall von größerem Gewicht sein können als Effekte förmlicher Gesetzesänderungen. Es soll deshalb die These aufgestellt werden, daß Inhalt und Wirkung von Normen einem dynamischen Kräftefeld ausgesetzt sind, das durch die sozioökonomischen Rahmenbedingungen beeinflußt und von Handlungen verschiedener Akteure bestimmt wird und das im Ergebnis dazu fuhrt, daß Rechtsnormen in ihrem Normbefehl und in ihrer Wirkung einem ständigen Wandel unterliegen.

§ 34 Bundesbaugesetz als Gegenstand der Untersuchung Die Entwicklung einer Norm in diesem Kräftefeld wird im folgenden anhand der für das Städtebaurecht zentralen Vorschrift des § 34 Bundesbaugesetz (BBauG) untersucht, der Regelung über die Zulässigkeit von Bauvorhaben im unbeplanten Innenbereich. Das Besondere an dieser Vorschrift ist, daß sie eine Durchbrechung eines Leitgedankens des Bundesbaugesetzes ermöglicht, nämlich des Grundsatzes der Planmäßigkeit. Nach diesem in § 1 BBauG niedergelegten Grundsatz soll die bauliche Nutzung der Grundstücke durch Bauleitplanung vorbereitet und geleitet werden. § 34 BBauG enthält die Ausnahme von diesem Grundprinzip und läßt unter bestimmten Voraussetzungen die Bebauung von Grundstücken in bebauten Ortsteilen auch ohne Bebauungsplan zu. Nicht nur in der Phase nach Inkrafttreten des BBauG 1960, sondern bis in die heutigen Zeit hat diese Vorschrift für die Genehmigungspraxis in den Gemeinden erhebliche Bedeutung. In zahlreichen Gemeinden sind bis heute Teile des Gemeindegebiets nicht überplant, so daß diese Ausnahmevorschrift in der dortigen Genehmigungspraxis immer noch die Regel bildet. Auch rechtsdogmatisch ist die Vorschrift von besonderem Interesse: Konstruktion und Auslegung der Vorschrift bestimmen zum einen die Grenze zum Prinzip der Planmäßigkeit: Je weiter die Grenze der Zulässigkeit nach § 34 gezogen wird, desto weniger werden Planverfahren erforderlich. Zum andern konkretisiert die Vorschrift die Sozialbindung des Eigentums, denn sie bestimmt die Grenze der Baufreiheit im nichtbeplanten Innenbereich. Des-

Der Wandel einer Rechtsnorm zwischen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Vollzug

11

halb kann in § 34 BBauG ebenfalls ein Prüfstein fur die sozialstaatlich geprägte Eigentumsordnung des Grundgesetzes gesehen werden. Ein Weiteres weckt das Interesse an ihrer Entwicklung: Das Regelungsmodell des § 34 BBauG hatte kein Vorbild in den Bauvorschriften, die dem Bundesbaugesetz aus dem Jahre 1960 vorangingen. Regelungstechnisch betrat der Gesetzgeber Neuland, indem nun die Zulässigkeit von Bauvorhaben in Bereichen ohne speziellen Bebauungsplan nicht mehr durch allgemeine gesetzliche Regelungen zu Art und Maß der zulässigen Bebauung bestimmt wurde, sondern durch die Anknüpfung an Art und Maß der Bebauung in der Umgebung. Zudem war das gesetzliche Regelungsprogramm zunächst so offen und ausfüllungsbedürftig, daß ihr Inhalt erst im weiteren Verlauf ihrer Geltung konkretisiert wurde. Schließlich war die Vorschrift bisher viermal Gegenstand von Gesetzesnovellierungen, die politisch und in der Fachwelt umstritten waren, nämlich 1976, 1979, 1986 und 1990. Die Vorschrift wurde von mehreren Autoren Ende der 70er Jahre als ein Beispiel fur ihre Kritik an der "Normenflut", der Überproduktion des Gesetzgebers, genommen. Vor allem die Novellierung aus dem Jahre 1976 stieß auf vielfache Kritik. § 34 BBauG 1960 eignet sich deshalb in besonderem Maße für die Untersuchung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte einer Norm.

Fragestellungen Anhand der Entwicklungsgeschichte des § 34 BBauG kann das Kräftefeld, der die Norm unterliegt und können die Einflußnahmen der Akteure, die Inhalt und Wirkung der Norm mitbestimmen, beobachtet und analysiert werden. Aufschlußreich ist vor allem, das Zusammenwirken der Akteure in der Langzeitperspektive, über mehrere Stufen der Änderung der Rahmenbedingungen und des Gesetzes, zu verfolgen. Das Kräftefeld der Norm wird im wesentlichen durch drei Pole bestimmt, den Gesetzgeber, der die Norm erstellt und verändert, die Vollzugspraxis, die sie anwendet und die höchstrichterliche Rechtsprechung, die bei der Normkonkretisierung eine gewichtige Rolle spielt. Im folgenden wird zunächst der Einfluß der höchstrichterliche Rechtsprechung auf Ausgestaltung und Veränderung der Norm untersucht. Daß die Funktion der Rechtsprechung häufig über eine nur ausfüllende Interpretation der Norm hinausgeht und den Bereich der Normgestaltung tangiert, ist bekannt. Am Beipiel des § 34 BBauG kann untersucht werden, ob und inwieweit die Rechtsprechung gar in ein

12

Α. Einführung

konkurrenzhaftes Verhältnis zum Gesetzgeber tritt, indem sie die Vorschrift in ihr Bild des Verhältnisses von Planung und Einzelgenehmigung einpaßt und damit den Gesetzgeber teilweise nicht nur interpetiert, sondern korrigiert. In der weiteren Gesetzesentwicklung läßt sich darstellen, wie die Rechtsprechung auf die Gegensteuerungsversuche des Gesetzgebers reagiert. Inwieweit verhält sie sich "sperrig" gegenüber den Änderungsversuchen und inwieweit werden die Gesetzeskorrekturen in das dogmatische Konzept der Rechtsprechung eingebaut. Im Verhältnis des Gesetzgebers zur Vollzugspraxis ermöglicht die Langzeitperspektive die Untersuchung, ob und inwieweit faktisch eine Autonomie der Rechtsanwender besteht, die in der praktischen Handhabung der Vorschrift die Berücksichtigung lokalpolitischer Wünsche und Erfordernisse ermöglicht und weiter, inwieweit feinsinnige Normdifferenzierungen der Rechtsprechung und durch die Novellierungen des Gesetzgebers von der Praxis nachvollzogen werden. Dies kann mit dem Einfluß verglichen werden, den er Wandel ökonomischer und gesellschaftlicher Rahmenbedigungen auf den Vollzug hat. Die Langzeitbeobachtung ermöglicht auch, die Akteure, die Gesetzgebung und Novellierungen beeinflussen, in ihren Handlungen und Motivationen zu erfassen. Wodurch werden Gesetzesnovellierungen ausgelöst? Wo liegt die treibende Kraft für die Novellen? Welche Bestimmungsfaktoren sind für die Änderungen überhaupt und für einzelne Umformulierungen der Vorschriften verantwortlich? Besteht eine Konkurrenz zwischen politischen Legitimationserfordernissen und fachlichen Notwendigkeiten? Welche Faktoren begünstigen die häufig beklagte "Gesetzesflut"? Durch die Einbeziehung der Wirkungsseite von Novellierungen kann darüber hinaus untersucht werden, wie die Vollzugspraxis auf häufige Gesetzesänderungen reagiert. Schlägt sich die Hektik des Gesetzgebers in einem Zickzackkurs der Praxis nieder? Oder behält der Vollzug seinen Kurs relativ unberührt durch die Wortlautkorrekturen bei? In welchem Verhältnis stehen überhaupt der Änderungsaufwand für die Novellierungsverfahren zur Änderungswirkung in der Anwendungspraxis?

Gang der Untersuchung Der Entwicklungsprozeß des § 34 BBauG/BauGB, seine Änderungen durch den Gesetzgeber, die Formung durch die Rechtsprechung und die Reaktionen in der Anwendungspraxis sind Gegenstand des Teils Β der Untersu-

Der Wandel einer Rechtsnorm zwischen Gesetzgeber, Rechtsprechung und V o l l z u g 1 3

chung. Rechtssetzungsakt, Rechtsinterpretation und Rechtsvollzug sollen in ihren Wechselwirkungen chronologisch beschrieben werden, um daraus letztlich Folgerungen für Fragestellungen der Gesetzgebungslehre ziehen zu können. Gegenstand dieses Teils ist auch die Beschreibung des Einflusses wechselnder sozio-ökonomischer Rahmenbedingungen und verschiedener Akteure auf die Norm, sowie der Versuch, die Motivationen der Handelnden soweit möglich aufzudecken. Teil C beginnt mit einer Untersuchung des Bebauungsrechts im nichtbeplanten Innenbereich vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, um zu klären, inwieweit Gesetzgeber, Rechtsprechung und Verwaltungen bei der Schaffung bzw. Interpretation des § 34 BBauG an bisherigen Erfahrungen anknüpfen konnten (I). Es folgt die Untersuchung der Entstehungsgeschichte des § 34 BBauG 1960, seine Formung durch die Rechtsprechung und die Anwendung in der Praxis (II). Anschließend werden die Novellierungen des § 34 in den Jahren 1976 und 1979 dargestellt sowie die darauf folgenden Interpretationen durch das Bundesverwaltungsgericht und die Auswirkungen auf den Vollzug (III). 1985 wurde dann das Baugesetzbuch erarbeitet, das ebenfalls einige Änderungen des § 34 mit sich brachte. Die vorerst letzte Novellierung für die Vorschrift enthielt das Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch, das als Teil des Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes 1990 in Kraft trat (IV). In Teil C wird der Versuch gemacht, aus den Erkenntnissen der Gesetzesgeschichte des § 34 BBauG/BauGB Folgerungen für die Gesetzgebungslehre zu formulieren. Es wird der politischen Prozeß der Novellierungen analysiert und zunächst festgestellt, welche Gründe einerseits zu den Novellen es BBauG/BauGB insgesamt, andererseits zu den Einzelkorrekturen bei § 34 geführt haben und auf welche Mechanismen die zu beobachtenden Aktivitäten des Gesetzgebers zurückzuführen sind. Diese Untersuchung wird ergänzt durch eine Beleuchtung der Akteure, die am Novellierungsprozeß beteiligt sind und der Wirkungen, die durch die Novellen ausgelöst wurden, oder vielmehr, warum die Wirkungen in der Praxis im Vergleich zum gesetzgeberischen Aufwand eher gering geblieben sind.

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis I . Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich von der Jahrhundertwende bis 1960 M i t dem Bundesbaugesetz aus dem Jahre 1960 wurde die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben einer umfassenden bundesrechtlichen Regelung unterworfen. Das Gesetz differenzierte zur Regelung der Bebaubarkeit eines Grundstücks je nach dessen Lage zwischen vier Ausgangssituationen: - Grundstücke im Geltungsbereich eines qualifizierten (§ 30);

Bebauungsplans

- Grundstücke in Gebieten, für die die Gemeinde beschlossen hat, einen Bebauungsplan aufzustellen (§ 33); - Grundstücke innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile, für die die Gemeinde noch nicht beschlossen hat, einen qualifizierten Bebauungsplan aufzustellen oder für die die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist (§ 34); - Grundstücke im Außenbereich (§ 35). M i t dieser Gesamtregelung schuf der Gesetzgeber ein geschlossenes System der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit, das in dieser Art bisher nicht bestanden hatte. Weder im Reichsrecht, noch im Recht der Einzelstaaten der Weimarer Republik, noch im Recht der Bundesländer fand sich eine derartige, umfassende Regelung der Bebaubarkeit von Grundstücken. Für einzelne Elemente der Gesamtregelung konnte der Gesetzgeber allerdings auf Vorbilder in älteren Gesetzen zurückgreifen. So konnten die Vorschriften über beplante Gebiete an die landesrechtlichen Regelungen in den Aufbaugesetzen anknüpfen. Diese Gesetze enthielten darüber hinaus auch Sicherungsinstrumente für die Zeit der Planaufstellung. Bei der Außenbereichsvorschrift konnten die Erfahrungen mit § 3 der Bauregelungsverordnung 1 von 1930 genutzt werden. Ohne Vorbild war demgegenüber das Regelungsmuster der planungsrechtlichen Zulässigkeit im nichtbeplanten Innenbereich:

1

Verordnung über die Regelung der Bebauung v. 15.2.1936, RGBl. I, S. 104.

16

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteipretation und Rechtspraxis

"§ 34 Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile In Gebieten, für die die Gemeinde noch nicht beschlossen hat, einen Bebauungsplan im Sinne des § 30 aufzustellen, oder für die die Aufstellung eines solchen Bebauungsplans nicht erforderlich ist, ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es nach der vorhandenen Bebauung und Erschließung unbedenklich ist. " Das bemerkenswerte und neue an dieser Vorschrift war, daß mit ihr für sämtliche nicht beplanten Innenbereiche eine Generalnorm gefunden wurde, die den Maßstab für die bauliche Zulässigkeit der jeweiligen örtliche Situation, nämlich der "vorhandenen Bebauung und Erschließung", entnimmt. Im folgenden soll die Rechtslage im nicht beplanten Innenbereich bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes untersucht werden.

1. Die Rechtsentwicklung bis 1945 Obwohl mit dem Bundesbaugesetz von 1960 insgesamt 67 planungsrechtliche Einzelgesetze und Verordnungen aufgehoben worden waren 2, hatte es eine § 4 BBauG 1960 vergleichbare planungsrechtliche Gesamtregelung für den unbeplanten Innenbereich nicht gegeben3. Vielmehr waren, wie die folgende Ubersicht zeigen wird, im nichtbeplanten Bereich Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubare Grundstücksfläche bisher in landesrechtlichen oder örtlichen baupolizeirechtlichen Vorschriften mit unterschiedlich groben Einzelregelungen festgelegt. Die Regelung von Art und Maß der baulichen Nutzung war bis zum Erlaß der Aufbaugesetze im wesentlichen Gegenstand des Baupolizeirechts. Die Entwicklung in Preußen und anderen Deutschen Staaten wird im folgenden kurz skizziert 4 .

2 3

Vgl. die Auflistung der aufgehobenen Vorschriften in § 186 BBauG 1960.

Ein Vorläufer des § 34 BBauG findet sich allerdings in der drei Jahre zuvor in Kenntnis der BBauG-Entwürfe erlassenen hessischen Bauordnung, vgl. unten Kap. I 2 c). 4 Vgl. zur Entwicklung des Baupolizeirechts im einzelnen Zinkahn, Willy, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, Kommentar zum Bundesbaugesetz, Stand 1985, Einleitung, Rdnr. 4. Vgl. die Auflistung der aufgehobenen Vorschriften in § 186 BBauG 1960.

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

17

a) Baupolizeirecht in Preußen Die Grundlage des preußischen Baupolizeirechts bilden die Vorschriften des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ARL) von 1794. In § 5 ALR I 8 war der Grundsatz der Baufreiheit formuliert: "In der Regel ist jeder Eigentümer seinen Grund und Boden mit Gebäuden zu besetzen oder seine Gebäude zu verändern wohl befugt. " Das Preußische Allgemeine Landrecht ging aber keineswegs von einer unbeschränkten Baufreiheit aus, wie die Eingrenzung im darauf folgenden § 6 zeigt: "Doch soll zum Schaden oder Unsicherheit des gemeinen Wesens oder zur Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze kein Bau und keine Veränderung vorgenommen werden" Bis auf diese allgemeinen Regelungen gab es in Preußen - im Gegensatz zu anderen deutschen Staaten - keine gesamtstaatlichen Regelungen für den Baubereich, insbesondere gab es keine preußische Bauordnung. Statt dessen erfolgte die Regelung des Bauwesens in Preußen vornehmlich durch örtliche Baupolizeiverordnungen 5. Diese Verordnungen stützten sich auf die polizeiliche Generalklausel zur Gefahrenabwehr nach § 10 ALR I I 176, die 1931 durch § 14 Abs. 1 Polizeiverwaltungsgesetz 7 abgelöst wurde. Die Baupolizeiverordnungen mußten deshalb zunächst auf reine Gefahrenabwehr beschränkt werden. Öffentliche Wohlfahrtspflege durfte mit diesen Verordnungen nicht betrieben werden, wie das preußische OVG im "Kreuzberg-Urteil" im Jahre 19188 betont hatte. Erst mit dem Preußischen Wohnungsgesetz9 wurden die Regelungsmöglichkeiten der Baupolizeiverordnungen erweitert. Nach Art. 4 des Gesetzes durften die "Bauordnungen"

5

Vgl. Balz-Fischer, Preußisches Baupolizeirecht, 6. Aufl., Berlin 1934, S. 14.

6

"Die notwendigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizei". 7 Polizeiverwaltungsgesetz v. 1. Juni 1931, G S. 77. § 14 Abs.l: "Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um der Allgemeinheit oder dem Einzelnen Gefahren abzuwenden, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht ist." 8

Urteil vom 14.6.1882, PrOVG Bd. 9, 353.

9

Vom 28.3.1918, G S . 23.

2 Scharmer

18

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteipretation und Rechtspraxis

auch Regelungen enthalten, um reine Belästigungen und Verunstaltungen zu verhindern. Aufgrund der genannten Rechtgrundlagen wurden in Preußen nach und nach für Städte und Regierungsbezirke Baupolizeiverordnungen erlassen. 1919 bestanden etwa 300 derartiger Bauordnungen 10. Um diese Flut unterschiedlicher Bauordnungen zu vereinheitlichen, erließ der preußische Staatskommissar für das Wohnungswesen 1919 den Entwurf einer Einheitsbauordnung für die Städte. 1931 gab der Minister für Volkswohlfahrt den Entwurf für eine Bauordnung für das "platte Land" heraus 11. Die örtlichen Baupolizeivorschriften enthielten zum einen Regelungen der Materie des Bauordnungsrechts im heutigen Sinne. Sie entielten darüber hinaus Vorschriften zur baulichen Ausnutzbarkeit der Grundstücke, also zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche. Später - nach Inkrafttreten der Regelung in Art. 4, § 1 Preußisches Wohnungsgesetz - kamen Vorschriften zur Art der baulichen Nutzung hinzu. Die Bauordnungen enthielten jedoch keine Vorschriften zur Bebaubarkeit eines Grundstücks überhaupt. Die generelle Bebaubarkeit der Grundstücke wurde durch Fluchtlinien- und Freiflächenpläne auf der Grundlage des Preußischen Fluchtliniengesetzes von 1875 und das preußische Ansiedlungsgesetz von 1876 eingegrenzt. Die Zuständigkeit für die Festsetzung von Fluchtlinien wurde mit dem Fluchtliniengesetz den Gemeinden übertragen 12. Die Entwicklung des baurechtlichen Instrumentariums der polizeilichen Bauordnungen läßt sich am Beispiel der Bauordnungen für Berlin darstellen 13. Bis 1925 galten für den Stadtkreis von Berlin und die Vororte unterschiedliche Bauordnungen. Die Baupolizeiverordnungen für den Stadtkreis Berlin von 1887 und 1897 schrieben lediglich das Maß der baulichen Nutzung durch Bestimmung der zulässigen Geschoßzahl und den Anteil der überbaubaren Grundstücksfläche vor. Ab 1925 enthielten die Verordnungen auch Regelungen zur Art der baulichen Nutzung, mit denen gewerbliche und industrielle Nutzungen eingeschränkt wurden.

10

Vgl. Baltz-Fischer, S. 273.

11

Vgl. Baltz-Fischer, S. 274.

12

Vgl. unten Kap. I c).

13

Vgl. zur Entwicklung des Baurechts in Berlin auch Peter von Feldmann, Berliner Planungsrecht, 1. Aufl., Berlin 1985, S. 4 ff.

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

19

Die Bauordnung für die Stadt Berlin von 1925 teilte das Stadtgebiet erstmals nach der Art der Nutzung in folgende Flächen ein 14 : - Wohngebiete; - gegen üble Dünste, Rauch und Geräusch geschützte Gebiete; - Industriegebiete; - Geschäftsviertel. Das Maß der baulichen Nutzung wurde durch Einteilung in die Bauklassen I - V bestimmt, die die Zahl der zulässigen Geschosse (2-5), die Bauweise (offen oder geschlossen), die überbaubare Grundstücksfläche (1/10 - 6/10) und die Bebauungstiefe festlegten. Die Bauordnungen für die ländlichen Gebiete enthielten weniger differenzierte Regelungen als die Bauordnungen der Städte. Dennoch wurde auch in ihnen, jeweils für das gesamte Gebiet eines Regierungsbezirks, das Maß der Nutzung und ansatzweise auch die Art der Nutzung in einem groben Raster festgelegt. Als Beispiel soll im folgenden die Baupolizeiverordnung für die Stadt- und Landgemeinden des Regierungsbezirks Köln vom 22. Mai 1930 in der Fassung15 vorgestellt werden, die bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes galt. Die Verordnung galt für die Stadtgemeinden und die in der Präambel aufgeführten Landgemeinden des Regierungsbezirks. Ausgenommen waren die Städte Bonn und Köln, die eigene Bauordnungen erlassen hatten: § 7 der Baupolizei Verordnung ("Bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke") enthielt zunächst die Ermächtigung für Städte und Ortschaften, Art 1 6 und Maß der Bebauung durch die Ausweisung von Baugebieten und Baustufenordnungen in begrenztem Rahmen selbst zu regeln. Soweit besondere örtliche Vorschriften nicht bestanden, waren für die Bebauung u.a. folgende Grenzen einzuhalten: Es war nur die offene Bauweise zulässig; Die Geschoßzahl war grundsätzlich auf zwei begrenzt. Jedoch waren Wohngebäude mit drei Vollgeschossen zulässig "an denjenigen Straßen,

14 Vgl. § 8 der Bauordnung fur Berlin v. 3.11.1925, Gemeindeblatt der Stadt Berlin, S. 515, neugefaßt am 9.11.1929, Amtsblatt fur die Stadt Berlin, S. 1188. 15 Fassung mit dem 14. Nachtrag vom 30.9.1957. 16 Es war die Einteilung der Baugebiete in Wohngebiete, Geschäftsgebiete, Gewerbegebiete, Industriegebiete, Gemischte Gebiete und Kleinsiedlungsgebiete vorgesehen.

20

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

Straßenteilen und Plätzen der Städte und der geschlossen gebauten Dörfer, an denen diese Bauweise bereits die Regel bildet oder, wenn es sich um neu angelegte Straßen handelt, wegen der Lage und Zweckbestimmung dieser Straße vorgesehen ist. " Die bebaubare Grundstücksfläche war für die bebauten Gebiete begrenzt auf: - 5/10 bei geschlossener dreigeschossiger Bauweise, - 6/10 bei geschlossener zweigeschossiger Bauweise und - 4/10 bei offener Bauweise. Die zulässige Gebäudehöhe ("Straßenfronthöhe") richtete sich nach der Straßenbreite: - Straßenbreite bis 6 m: Höhe = 8 m - Straßenbreite 6 bis 10 m: Höhe = Straßenbr. + 2 m - Straßenbreite über 10 m: Höhe = Straßenbr. 4- 1,5 m (höchstens 14 m). Die Art der baulichen Nutzung wurde nicht generell festgelegt. § 7b enthielt jedoch eine Ermächtigung, in bestimmten Ortsteilen durch Polizeiverordnung nur Wohngebäude, in anderen nur gewerbliche Anlagen zuzulassen. Im übrigen war über die Zulässigkeit von gewerblichen Anlagen in der Nachbarschaft von Wohngebäuden in der Einzelgenehmigung zu entscheiden: "Den Baugenehmigungsbehörden bleibt es überlassen, die Errichtung solcher gewerblicher Anlagen, die beim Betriebe durch Verbreitung übler Dünste, durch starken Rauch oder ungewöhnliches Geräusch Gefahren, Nachteile oder Belästigung für die Nachbarschaft oder das Publikum überhaupt herbeizuführen geeignet sind, innerhalb der gebauten Ortslage zu untersagen und dafür eine dem einzelnen Falle angepaßte Entfernung von ihr vorzuschreiben." Bereits vor der Aufnahme dieser Regelung in die Baupolizeiverordnungen konnten Einzelverfügungen zur Beschränkung störender Gewerbebetriebe auf der Grundlage der polizeiliche Generalklausel zur Gefahrenabwehr erlassen werden 17 .

17

Vgl. Baltz-Fischer, S. 64.

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

21

M i t den preußischen Bauordnungen war also gewährleistet, daß Art und Maß der baulichen Nutzung entweder - vor allem in den Städten - durch räumlich konkretisierte, flächendeckende Baugebiets- und Baustufeneinteilungen oder durch die groben Regelungen der Baupolizeiverordnungen fur die Regierungsbezirke festgelegt waren. 18

b) Baupolizeirecht in anderen deutschen Staaten Im Gegensatz zum zersplitterten preußischen Baurecht hatten die anderen Staaten ihr Baurecht um die Jahrhundertwende weitgehend kodifiziert und damit für ihren Staat vereinheitlicht 19 . Auch diese Bauordnungen enthielten neben dem Bauordnungsrecht nach heutiger Einteilung Regelungen bauplanerischen Inhalts, nämlich Bestimmungen zu Art und Maß der baulichen Nutzung. Als Beispiel soll das sächsische Baugesetz vom 1. Juli 1900 dargestellt werden. Das Gesetz löste eine große Zahl von Ortsbauordnungen und "ortsgesetzlichen Bauregulativen " ab, denen die Landesgesetzgebung zuvor großen Spielraum gelassen hatte20. Zur Art der baulichen Nutzung enthielt § 86 eine Ermächtigung zur Abwehr schädlicher Immissionen durch Einzel fall verfugung. Die Baupolizeibehörde hatte darauf zu achten, daß die Nachbargrundstücke nicht durch Rauch, Ruß, Wasserverunreinigung, nachteilige Gase, störende Geräusche, Erschütterungen oder üble Ausdünstungen geschädigt oder in erheblicher Weise belästigt wurden. Darüber hinaus konnten durch Ortsgesetz einzelne Gemeindegebiete bezeichnet werden, die ausschließlich oder vorzugsweise für gewerbliche Anlagen bestimmt waren.

18 Ab 1907 konnte zudem die baupolizeiliche Genehmigung versagt werden, wenn durch das Bauvorhaben Straßen und Plätze der Ortschaften oder das Ortsbild überhaupt "gröblich" verunstaltet wurden. Rechtsgrundlage fur diese über die Gefahrenabwehr hinausgehenden Befugnisse war das Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftliche hervorragende Gegenden vom 15.7.1907 (GS S. 260). 19 Vgl. Allgemeines Baugesetz für Sachsen v. 1 .Juli 1900; Bauordnung fur Bayern (mit Ausnahme der Stadt München) v. 17.Februar 1901; Allgemeine Bauordnung für Hessen v. 7. August 1902; Bauordnung von Anhalt v. 10. Juni 1905; Badische Landesbauordnung v. 1. September 1907; Landesbauordnung für Württemberg v. 28. Juni 1910; 20 Vgl. Carl Graf Vitzhum von Eckstädt, Das sächsische Baugesetzbuch vom 1. Juli 1900, Leipzig 1936, S. 1.

22

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

Zur Bauweise bestimmte § 94, daß - soweit ortsgesetzlich nichts anderes geregelt war - nur freistehende Einzel- oder Doppelhäuser errichtet werden durften. Die Höhe der Gebäude durfte nach § 98 die Straßenbreite nicht überschreiten und war auf das Höchstmaß von 22 m beschränkt. Die Zahl der Geschosse war nach § 99 in ländlichen Gemeinden und in den Außenbezirken der Gemeinden mit städtischem Charakter auf zwei begrenzt, im übrigen auf drei. Allerdings konnten in Gemeinden mit mehr als 50 Tsd. Einwohnern durch Ortsgesetz bis zu fünf Geschossen zugelassen werden. Zur überbaubaren Grundstücksfläche legte § 100 fest, daß in Neubaugebieten zu Wohnzwecken nicht mehr als 3/10 der Grundfläche überbaut werden durfte. Durch Ortsgesetz konnte dieser Wert jedoch bis auf 7/10 erhöht werden. Die Bebauungstiefe von Wohngebäuden einschließlich etwaiger Flügelbauten durfte nach § 102 bei geschossener Bauweise 16 m, bei offener Bauweise 20 m nicht überschreiten. Ahnlich wie das sächsische Baugesetz enthielten auch die Bauordnungen der anderen Staaten konkrete Grundanforderungen zur Regelung von Art und Maß der baulichen Nutzung. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung, wie Geschoßzahl, Gebäudehöhe, überbaubare Grundstücksfläche und Bauweise, entweder in örtlichen Baupolizeivorschriften für das Gemeindegebiet oder in Landesgesetzen enthalten waren. Landesgesetze und Regelungen für den ländlichen Raum bedienten sich dazu einfacher und relativ grober Höchstwerte. Die Bauordnungen der Städte enthielten in Baustufenordnungen differenziertere Festlegungen. Die Notwendigkeit, Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung zu treffen, wurde erst nach und nach erkannt und in die Vorschriften aufgenommen. Die beschriebenen Höchstwerte zum Maß der baulichen Nutzung galten jeweils flächendeckend für Stadtgebiete, Bezirke oder das gesamte Staatsgebiet. Deshalb bestand keine Bedürfnis, für die Zulässigkeit im nichtbeplanten Innenbereich eine Generalnorm zu schaffen, wie später in § 34 Bundesbaugesetz 1960. Eine derartge generelle Regelung fand sich auch nicht in den Vorläufern des modernen Planungsrechts, zu denen vor allem die Fluchtliniengesetzgebung gerechnet wird.

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

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c) Fluchtliniengesetzgebung und andere Vorläufer des modernen Bauplanungsrechts in Preußen und im Deutschen Reich Die polizeilichen Bauordnungen regelten zwar Art und Maß der baulichen Nutzung auf einem Grundstück, sie begrenzten jedoch nicht die Bebaubarkeit der Grundstücke überhaupt. Jedes Grundstück war grundsätzlich in den Grenzen der Bauordnungen bebaubar. Durch das lawinenartige Wachstum der Städte ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstand die Notwendigkeit, die Neuerschließung von Grundstücken zu begrenzen und zu steuern. Ab 1875 wurden in Preußen und im Reich Gesetze mit planungsrechtlichem Inhalt erlassen, die erste Ansätze zur Steuerung der Bebauung des noch nicht erschlossenen (Außen-) Bereichs enthielten. Die bebauten Bereiche bedurften weitgehend keiner Regelungen, weil sich ein Rahmen für die bauliche Weiterentwicklung der Innenbereiche aus den Bestimmungen der Baupolizeiordnungen ergab. Diese Zielrichtung der ersten Planungsgesetze läßt sich schon der Fluchtliniengesetzgebung in Preußen entnehmen, deren Herausbildung heute als repräsentativ für die Gestaltung des modernen Baurechts bezeichnet wird 2 1 . So enthält das preußische Fluchtliniengesetz von 187522 Baubeschränkungen an Straßen- und Baufluchtlinien, die durch Bebauungspläne der Gemeinden festgesetzt wurden 23 sowie eine Ermächtigung zum Erlaß von Ortsstatuten, mit denen die Errichtung von Wohngebäuden bis zur Fertigstellung der Straßen untersagt werden konnte 24 . Mit diesen Regelungen sollten die Gemeinden vor unwirtschaftlichen Aufwendungen für Erschließungsanlagen und vor zu hohen Entschädigungsforderungen geschützt werden 25. Zuvor waren die Fluchtlinien in polizeilichen Verordnungen festgelegt worden. Die Gemeinden hatten auf die Fluchtlinienfestlegung nur wenig Einfluß, sie waren aber straßenbaupflichtig und mußten die Grundeigentümer für die Beschränkung der Grundstücksnutzung entschädigen26. Mit dem neuen Gesetz wurde also einerseits die Zuständigkeit für die Fluchtlinienfestlegung den Gemeinden übertragen, andererseits wur21

Vgl. Schmidt-Assmann, Grundfragen des Städtebaurechts, Göttingen 1972, S. 22.

22

Preußisches Gesetz betr. die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2.7.1875 (GS S. 561). Das preußische Fluchtliniengesetz war Vorbild für ähnliche Gesetze in den Ländern, vgl. Oelker, Bauaufsichtsrecht, Berlin u.a. 1954, S. 134. 23 24

Vgl. §§ 2 und 11 pr. Fluchtliniengesetz. Vgl. § 12 pr. Fluchtliniengesetz.

25 Vgl. Förster, Die Entwicklung des Baurechts in Berlin seit der Jahrhundertwende, in: Berlin und seine Bauten, Teil II, Berlin 1964, S. 7. 26 Vgl. Ernst, Zur Geschichte des Bau- und Bodenrechts, BBauBl. 1953, S. 206.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

den die Gemeinden durch die Einfuhrung des Bauverbots und einer Anliegerbeitragspflicht wirtschaftlich entlastet27. Das preußische Ansiedlungsgesetz von 187628 beschränkte die Errichtung neuer Wohngebäude "außerhalb einer im Zusammenhang gebauten Ortschaft". Der zweite Abschnitt dieses Gesetzes, das 1904 neugefaßt wurde 29 , führte eine Genehmigungspflicht für Wohngebäude im Außenbereich ein. Die Genehmigung war von der ausreichenden Erschließung abhängig und konnte auf Einspruch eines Grundstücksnachbarn versagt werden, wenn durch das Wohnhaus die benachbarte Grundstücksnutzung gefährdet wurde 30 . Auch die Reichsgesetzgebung kannte keine planungsrechtlichen Vorschriften für den nichtbeplanten Innenbereich. Die wichtigsten Vorschriften des Reichs für den Baubereich befaßten sich mit der Behebung der Wohnungsnot nach dem ersten Weltkrieg (Behebungsverordnung von 191931 sowie mit der Förderung und Regelung von Neuansiedlungen (Reichssiedlungsgesetz von 191932; Reichsheimstättengesetz von 192033; Wohnsiedlungsgesetz von 193334. Im Jahre 1936, also bereits unter nationalsozialistischer Herrschaft, wurde mit der Bauregelungsverordnung 35 eine der bedeutensten planungsrechtlichen Reichsvorschriften erlassen, die auch nach 1945 noch als rechtswirksam angesehen wurde. Sie galt sogar als eine der wichtigsten Vorschriften des Nachkriegsbaurechts 36. Die Verordnung erweiterte zum einen die Befugnis, durch Baupolizeiverordnung Baugebiete auszuweisen (Kleinsiedlungsgebiete, Wohngebiete, Gewerbegebiete, Geschäftsgebiete, Gewerbegebiete) und ging

27

Vgl. Zinkahn, Rdnr. 3.

28

Gesetz betreffend die Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grundstücksteilungen und die Gründung neuer Ansiedlungen vom 25.8.1876 (GS S. 405). 29

Gesetz betreffend die Gründung neuer Ansiedlungen vom 10.8.1904 (GS S. 227).

30

Vgl. §§15 und 16 Ansiedlungsgesetz. Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 15.1.1919 (RGBl. S. 69).

31 32

Reichssiedlungsgesetz vom 11.8.1919 (RGBl. S. 1429). Reichsheimstättengesetz vom 10.5.1920 (RGBl. S. 926). 34 Gesetz über die Aufschließung von Wohnsiedlungsgebieten vom 22.9.1933 (RGBl. I, S. 659). 35 Rechtsverordnung über die Regelung der Bebauung vom 15.2.1936 (RGBl. I, S. 104), erlassen aufgrund der Ermächtigung des Gesetzes über einstweilige Maßnahmen zur Ordnung des deutschen Siedlungswesens vom 3.7.1934 (RGBl. I, S. 568). 36 Die Bedeutung der Vorschrift betont Thiel, Stichwort "Regelung der Bebauung" in: Wandersieb (Hrsg.), Handwörterbuch des Städtebau- Wohnungs- und Siedlungswesens, Stuttgart 1959, S. 272. 33

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

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dabei über die Regelungsmöglichkeiten nach dem preußischen Wohnungsgesetz hinaus 37 . Zum andern enthielt die Verordnung in § 3 Abs. 1 - insoweit anknüpfend an das preußische Ansiedlungsgesetz - eine generelle Baubeschränkung für den Außenbereich: "Für bauliche Anlagen, die außerhalb von Baugebieten oder, soweit solche nicht ausgewiesen sind, außerhalb eines im Zusammenhang gebauten Ortsteils ausgeführt werden sollen, soll die baupolizeiliche Genehmigung versagt werden, wenn ihre Ausführung der geordneten Entwicklung des Gemeindegebietes oder einer ordnungsmäßigen Bebauung zuwider laufen würde." Die Formulierung zur Abgrenzung des Außenbereichs vom Innenbereich, die dem preußischen Ansiedlungsgesetz entnommen war 38 , wurde später in das Bundesbaugesetz übernommen. Die Bauregelungsverordnung enthielt also einerseits Vorschriften zu planerischen Festsetzungsmöglichkeiten in den Baupolizei Verordnungen, andererseits für den Außenbereich. Generelle Baubeschränkungen für den nicht beplanten Innenbereich enthielt die Verordnung jedoch nicht. Der Grund dafür läßt sich den Erläuterungen zur Bauregelungsverordnung im Ausführungserlaß vom 19.2.193639 entnehmen: "Innerhalb dieser Gebiete (im Zusammenhang gebaute Ortsteile) reichen die baurechtlichen Vorschriften der Länder für die notwendige Versagung der Bauerlaubnis im wesentlichen aus. Außerhalb der Gebiete dagegen sind die den Baugenehmigungsbehörden zur Verfügung stehenden Handhaben im allgemeinen heute noch unzulänglich. " Damit wird die Einschätzung bestätigt, daß durch die generellen Regelungen der Landesbauordnungen und die Baupolizeiverordnungen die Bebaubarkeit der Innenbereichsgrundstücke hinreichend eingegrenzt war, so daß für eine Generalnorm für den unbeplanten Innenbereich kein Bedürfnis gesehen wurde.

37

Vgl. zu den Erweiterungen im einzelnen Oelker, W., Bauaufsichtsrecht, Berlin u.a. 1954, S. 144. 38 § 13 preußisches Ansiedlungsgesetz von 1876 spricht allerdings noch von einer im Zusammenhang gebauten "Ortschaft". 39 Erlaß des Reichsarbeitsministers betr. Ausweisung von Baugebieten und Abstufungen der Bebauung (RArbBl. S. 42).

26

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

d) Entwürfe zu einem Städtebaugesetz für Preußen und das Reich Die Beurteilung, daß eine Generalnorm für den unbeplanten Innenbereich nicht für erforderlich gehalten wurde, wird weiter dadurch erhärtet, daß die in der Weimarer Republik diskutierten Entwürfe für ein Städtebaugesetz, mit dem die verstreuten baurechtlichen Vorschriften zusammengefaßt werden sollten, ebenfalls keine Norm für den nichtbeplanten Innenbereich vorsahen. Mit dem Referentenentwurf für ein preußisches Städtebaugesetz, der 1925 erstmals veröffentlicht wurde, sollte das zersplitterte preußische Recht zusammengefaßt und weiterentwickelt werden. Der Entwurf wurde zunächst 192640 und dann mit einigen Änderungen noch einmal 192941 in die parlamentarische Beratung eingebracht, jedoch nie verabschiedet 42. Der Entwurf sah als wichtigste Planungsinstrumente der Gemeinden Flächenaufteilungspläne und Fluchtlinienpläne vor. Mit den Flächenaufteilungsplänen sollte die städtebauliche Entwicklung der Gemeinden vorausschauend geordnet werden (§1). Die Gemeindefläche konnte in Grünflächen, Verkehrsflächen, Bergbauflächen, Industrieflächen und Wohnflächen gegliedert werden (§2). Auf der Grundlage der Flächenaufteilungspläne war die Aufstellung von Fluchtlinienplänen vorgesehen, die die Bebauung und die Aufteilung des Geländes im einzelnen regelten (§ 18). Mit den Fluchtlinien sollten Straßen, Plätze und Wege, Verkehrsbänder, Erholungsflächen und Kleingärten abgegrenzt werden. Mit der Einbeziehung von Erholungs- und Kleingartenflächen ging der Entwurf zwar über die Regelungsmöglichkeiten des preußischen Fluchtliniengesetzes, nicht aber des Preußischen Wohnungsgesetzes hinaus. Nach § 44 Abs. 1 des Entwurfs sollte es bei der bisherigen Aufteilung bleiben, wonach die Gemeinden mit den Fluchtlinienplänen zwar über die Bebaubarkeit der Grundstücke generell, also über das "ob" und "wo" einer Bebauung entscheiden konnten, aber in staatlichen Baupolizeiverordnungen ("Bauordnungen") der Inhalt dieses Baurechts, die Ausnutzbarkeit des Grundstücks nach Art und Maß der Bebauung, festzulegen war: "Die bauliche Ausnutzbarkeit der Grundstücke ist durch die Bauordnung nach Grundflächen und Höhe abzustufen und nach Maßgabe des § 45 43 ab-

40

Staatsrat 1926, Drucks. 209.

41

Preußischer Landtag 1928/29, Nr. 3015.

42

Vgl. dazu im einzelnen Zinkahn, Rdnr. 11. 43 Diese Vorschrift ermöglichte die Trennung von Wohn- und Industrieflächen und den Ausschluß von belastenden Anlagen.

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

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zugrenzen. Der Bauordnung ist nach Bedarf als Anlage ein Plan beizufügen, aus dem die einzelnen Baustufen ersichtlich sind (Baustufenplan)." Für den Fall, daß entsprechende Regelungen in den Bauordnungen fehlten, setzte der Entwurf in § 44 Abs. 2 eine feste Grenze für das Maß der Bebauung: "Wo die Bauordnung Baustufen nicht festsetzt, dürfen nur Gebäude in offener Bauweise mit nicht mehr als zwei Vollgeschossen errichtet werden. " Damit folgte der Entwurf dem Grundgedanken der preußischen Bauordnungen für ländliche Bezirke und anderer Landesbauordnungen, für nichtbeplante Gebiete das Maß der baulichen Nutzung einem groben Höchstmaß zu unterwerfen. Der Entwurf wurde nie verabschiedet. Er scheiterte vor allem an der Frage der Verbindlichkeit der Darstellungen des Flächenaufteilungsplans und an der Entschädigungsproblematik 44. An diese erfolglosen Bemühungen um eine Kodifizierung des Städtebaurechts in Preußen knüpfte 1931 das Reichsarbeitsministerium mit dem Referentenentwurf für ein Reichsstädtebaugesetz an 45 . Der Gesetzentwurf unterschied zwischen dem Wirschaftsplan, mit dem die "Grundzüge der Geländenutzung" - vor allem die Art der baulichen Nutzung - darzustellen waren 46 und dem Bebauungsplan, dessen Aufgabe es war, die Grenzen der Verkehrs- und Grünflächen, der sonstigen Straßen, Wege und Plätze sowie der Bebaubarkeit der Grundstücke rechtsverbindlich durch Fluchtlinien festzulegen. Der Entwurf überließ Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung besonderen Bauvorschriften, die nach Maßgabe des Landesrechts aufgestellt werden sollten (§13 Abs. 1 Satz 2): "Soweit ein Bebauungsplan für Bauflächen aufgestellt wird, müssen in Verbindung mit ihm die erforderlichen Bauvorschriften, insbesondere über 44 Vgl. zur Diskussion in Preußen: Arntz, Betrachtungen zum Entwurf eines preußischen Städtebaugesetzes, Städtebau, 27/28, S. 89; Koeppen, Ein preußisches Städtebaugesetz, Städtebau 25/26, S. 161; Rappaport, Schaden und Entschädigung im Entwurf zum preußischen Städtebaugesetz, Städtebau 27/28, S.55; Wagner, Der Städtebaugesetzentwurf und der Berliner Städtebau, Berlin 1929. 45

Reichsarbeitsblatt 1931, S. I. 226; vgl. zum Inhalt des Entwurfs im einzelnen Zinkahn, Rdnr. 23. 46 Nach § 2 waren folgende Darstellungen möglich: land- und forstwirtschaftliche Flächen, Verkehrsflächen, Bauflächen, Industrieflächen, Grünflächen und Bergbauflächen.

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

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die Bauklasseneinteilung und über die Bauweise (§38), festgesetzt werden. Sie sind Bestandteile des Bebauungsplans." Im Unterschied zum preußischen Entwurf wurde die Zuständigkeit fur die Aufstellung der Bauvorschriften über die "Ausnutzbarkeit der Grundstücke" (Bauklassen, Baustufen, Baustaffeln) und über die Bauweise (§ 38) den Gemeinden übertragen, oblag also nicht mehr der staatlichen Baupolizei. Für den nichtbeplanten, bebauten Bereich sah dieser Entwurf keine Zulässigkeitsregelungen vor. Er enthielt allerdings die Möglichkeit, in bebauten Gebieten eine zeitlich befristete Bausperre während der Aufstellung eines Bebauungsplans, mit dem die bestehende Bebauung geändert werden sollte, festzusetzen 47. Der Entwurf wurde zwar in den Reichstag eingebracht und im Wohnungsausschuß beraten. Bedenken einiger Länder, das Reich habe mit dem Entwurf seine Gesetzgebungskompetenz überschritten, die auf eine Grundsatzkompetenz beschränkt war, konnten 1932 vor der Auflösung des Reichstages nicht mehr ausgeräumt werden 48. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Arbeiten an dem Gesetzentwurf nicht weiterverfolgt. Statt dessen wurde 1936 die Bauregelungsverordnung erlassen (vgl. oben Kap. I c).

2. Das Baurecht von 1945 bis zum Bundesbaugesetz a) Aufbaugesetze der Länder Nach 1945 wurden neue baurechtliche Vorschriften zunächst nur auf Landesebene erlassen. Dem akuten Bedarf in der Wiederaufbauphase entsprechend erließen die Länder in den Jahren 1948 und 1949 Trümmergesetze, danach Aufbaugesetze 49. Die Aufbaugesetze, die 1960 durch § 186 BBauG aufgehoben wurden, enthielten - trotz unterschiedlicher Ausgestaltung im einzelnen - bereits weitgehend die planungsrechtlichen Instrumente, die später in

47 § 17 Abs. 2: "Für Gebiete, für die Bebauungsplan rechtsverbindlich festgesetzt ist, kann eine zeitlich begrenzte Bausperre dann verhängt werden, wenn die Abänderung des Bebauungsplans erforderlich und beabsichtigt ist. Das gleiche gilt für bereits bebaute Gebiete, für die ein Bebauungsplan bisher nicht besteht, wenn ein solcher aufgestellt wird, um im öffentlichen Interesse eine Änderung in der Bebauung oder an den bestehenden Straßen und Plätzen herbeizuführen (...)" 48 49

Vgl. dazu Zinkahn, Rdnr. 23. Vgl. die Zusammenstellung bei Zinkahn, Rdnr. 34 und 35.

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

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das Bundesbaugesetz aufgenommen wurden. Überwiegend ermächtigten sie die Gemeinden, zur Sicherung einer geordneten Planung das Gemeindegebiet ganz oder teilweise zum Aufbaugebiet zu erklären. Für das Aufbaugebiet war ein Flächennutzungsplan (auch Wirtschaftsplan, Leitplan oder Ubersichtsplan genannt) aufzustellen, in dem die beabsichtigte Entwicklung des städtebaulichen Aufbaus sowie die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen darzustellen waren. Auf der Grundlage dieses Plans sollten dann für einzelne Teile des Aufbaugebiets Durchführungspläne (auch Bebauungspläne genannt) erstellt werden. Der Inhalt des Durchführungsplans entsprach weitgehend dem späteren Bebauungsplan nach dem Bundesbaugesetz. Nach dem nordrhein-westfälischen Aufbaugesetz 50 waren z.B. darzustellen: - die Aufteilung des Plangebiets in Grünflächen, Verkehrsflächen und Bauflächen, - die Verkehrseinrichtungen, die Hauptversorgungs- und Entwässerungsleitungen, - die Nutzungsart und der Nutzungsgrad der Bauflächen, - die Bebauung der einzelnen Baugrundstücke nach Fläche und Höhe und die Aufgliederung der Baumassen. Die Aufbaugesetze enthielten also - anders als die Entwürfe für ein Städtebaugesetz in der Weimarer Republik - keine Aufspaltung mehr in Fluchtlinien mit Aussagen zur generellen Bebaubarkeit der Grundstücke auf der einen und Bauordnungen mit Aussagen zum Inhalt der baulichen Ausnutzbarkeit auf der anderen Seite. Beide Ebenen wurden - wie für den Bebauungsplan nach dem Bundesbaugesetz heute selbstverständlich - in einem Plan zusammengefaßt 51. Die Aufbaugesetze sahen darüber hinaus alle wichtigen Durchsetzungsinstrumente für die Aufbaugebiete vor, wie Vorkaufsrechte, Bausperre, Grenzregelung, Umlegung und sogar Bau- und Instandsetzungsgebote, die erst mit der Novellierung 1976 in das Bundesbaugesetz Eingang fanden 52. Da die Aufbaugesetze in den meisten Ländern allein für die Durchführung von Baumaßnahmen in den Aufbaugebieten geschaffen wurden, finden sich 50

Vgl. § 10 Abs. 2 Aufbaugesetz NW v. 29.4.1952, GVB1. S. 75. Das hessische Aufbaugesetz v. 25.10.1948 (GVB1. S. 139) unterschied allerdings weiter zwischen Bebauungsplänen und Ortsbaurecht. 51

52 Vgl. z.B. den Abschnitt "Anordnungen von Baumaßnahmen" im Aufbaugesetz Niedersachsen, i.d.F. vom 17.5.1955 (GVB1. S. 195).

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

keine generellen Regelungen fur andere Gemeindeteile. In keinem Aufbaugesetz finden sich Regelungen über nichtbeplante Innenbereiche.

b) Planungsgesetz fur Groß-Berlin Abweichend von den Flächenstaaten entwickelte sich das Bauplanungsrecht in Berlin. Im August 1949 beschloß die Stadverordnetenversammlung von Groß-Berlin das "Gesetz über die städtebauliche Planung für Groß-Berlin (Planungsgesetz)"53, mit dem das Planungsrecht von Grund auf neu geregelt werden sollte. Dieses Gesetz war für die weitere Entwicklung des Baurechts der Bundesrepublik von erheblicher Bedeutung, weil der Verfasser des Berliner Planungsgesetzes, Wilhelm Dittus, später für die Erarbeitung eines entsprechenden Bundesgesetzes nach Bonn geholt wurde 54 . Deshalb knüpften die ersten Entwürfe zum Bundesbaugesetz unverkennbar an das Berliner Planungsgesetz an 55 . Das Berliner Planungsgesetz56 schreibt eine vierstufige Bauleitplanung vor, die in der Entwurfsbegründung wie folgt umrissen wird: "Das vorliegende Planungsgesetz faßt die frühere sog. Landesplanung mit der städtebaulichen Planung (...) zu einer einheitlichen Planungsaufgabe zusammen, für welche die Bezeichnung "Bauleitplanung" angewendet wird. Sie schreitet in vier Stufen vom Gebietsplan, der sich auf das umgebende Einflußgebiet von Groß-Berlin miterstreckt, über den Flächennutzungsplan und den Generalbebauungsplan zum Bebauungsplan fort, der die abschließenden und durchweg verbindlichen Festsetzungen bringt. " Der Bebauungsplan sollte nach § 16 alle auch heute üblichen Festsetzungen enthalten, nämlich die Eigenschaft eines Grundstücks als Bauland und die überbaubare Grundstücksfläche, Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise sowie Stellung und Richtung der Gebäude. Da die bauordnungsrechtliche Materie nicht - wie später beim BBauG - ausgespart werden mußte, waren im Bebauungsplan ebenfalls Festsetzungen zur Gestaltung der Bauwerke vorgesehen.

53 54

Gesetz vom 22.8.1949, VOB1. für Groß-Berlin, I, S. 301.

Vgl. zu dieser personellen Verbindung Wambsganz, Stand der Baugesetzgebung, BBauBl. 1952, S. 99. 55 Vgl. dazu auch Förster, Die Entwicklung des Baurechts in Berlin seit der Jahrhundertwende, in: Berlin und seine Bauten, Teil II, Berlin 1964, S. II 1. 56 Vgl. auch Feldmann, S. 12 ff.

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

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In Abschnitt IV des Gesetzes "Wirkungen des Bebauungsplans" wird ein geschlossenes System der planungsrechtlichen Zulässigkeit von baulichen Anlagen entworfen, das von der Prämisse einer grundsätzlichen Planbedürftigkeit baulicher Vorhaben ausgeht. Dieser Grundsatz kommt in der Formulierug des § 14 Abs. 3 zum Ausdruck: "Jede wesentliche Bautätigkeit ist durch vorherige Aufstellung eines Bebauungsplans zu regeln. " Infolge dieser Grundentscheidung enthält das Zulässigkeitsystem der §§18 und 19 keine Regelung für den unbeplanten Innenbereich. Nach § 18 Abs. 1 (Bebaubarkeit von Grundstücken nach Maßgabe eines Bebauungsplans) dürfen bauliche Anlagen nur zugelassen werden, wenn ein Bebauungsplan festgesetzt, das Grundstück nach ihm bebaubar und keine Umlegung erforderlich ist. Eine Ausnahme zu diesem Grundsatz sieht Absatz 3 5 7 vor: Auch auf Grundstücken, für die eine Bebauungsplan noch nicht festgesetzt oder geändert ist, kann ein Bauvorhaben zugelassen werden, wenn es den in Aussicht genommenen Regelungen nicht widerspricht und der Bauantragsteller sich diesen unterwirft. Absatz 3 enthält also eine § 33 BBauG vergleichbare Regelung. Der anschließende § 19 formuliert die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die "Bebaubarkeit von Grundstücken, für die ein Bebauungsplan nicht festgesetzt werden soll", nämlich für Außenbereichsgrundstücke. Dadurch, daß das Gesetz für den nichtbeplanten Innenbereich keine Zulässigkeitsvorschrift enthielt, entstand dort allerdings keine Bausperre. Denn nach den Überleitungsvorschriften (§ 23) wurden bisherige Regelungen, soweit sie Inhalt eines Bebauungsplans sein konnten, erst durch die Festsetzungen eines neuen Bebauungsplans ungültig. Somit blieben für die Bebauung des Innenbereichs in Berlin vorläufig die flächendeckend bestehenden Festsetzungen der Bauordnung von 1929 maßgebend58.

c) Bauordnungen der Länder zwischen 1945 und 1960 Unabhängig von den neuen Trümmer- und Aufbaugesetzen behielten in den Ländern die bestehenden Landesbauordnungen auch nach 1945 ihre Gültigkeit. Somit galten auch die dort enthaltenen allgemeinen Vorschriften zu Art und Maß der baulichen Nutzung fort. Diese Regelungen wurden erst 57 § 18 Abs. 2 regelt die Zurückstellung von Bauanträgen während der Änderung eines Bebauungsplans. 58

Vgl. Feldmann, S. 13.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

durch § 186 BBauG 1960 und § 25 BauNVO 1962 aufgehoben, soweit sie nach neuerem Verständnis - basierend auf dem Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgericht vom 16.6.195459 - dem Bauplanungsrecht zuzuordnen waren. Zwischen 1945 und 1960 wurden in den Ländern Schleswig-Holstein (1950), Hessen (1957) und Berlin (1958) neue Bauordnungen erlassen, die Regelungen zu Art und Maß der baulichen Nutzung enthielten. Interessant unter dem Blickwinkel der Rechtsentwicklung im unbeplanten Innenbereich ist die Hessische Bauordnung vom 6. Juli 1957, die - drei Jahre vor der Verabschiedung des Bundesbaugesetzes und in Kenntnis der dazu vorliegenden Entwürfe - als erste Bauordnung Vorschriften enthielt, die in ihrem Regelungsmuster der späteren Regelung in § 34 BBauG schon sehr nahe kamen. In § 4 der Hessischen Bauordnung von 1957 findet sich der Grundsatz, daß ein Grundstücke nur bebaubar ist, wenn es "a) innerhalb eines im Baugebietsplan (§5 des Aufbaugesetzes) ausgewiesenen Baugebietes liegt oder, b) falls ein Baugebietsplan nicht vorhanden ist, innerhalb eines im Zusammenhang gebauten Ortsteils liegt oder c) nach dem Generalbebauungsplan ( § 4 des Aufbaugesetzes) für eine Bebauung vorgesehen ist. " Die Art der baulichen Nutzung hatte sich - soweit vorhanden - nach dem Baugebietsplan zu richten. Für den nichtbeplanten Bereich bestimmte § 8 Abs. 1 Satz 2: "Soweit Baugebietspläne nicht vorliegen, wird die Eigenart der Baugebiete durch das sonstige Ortsrecht oder, sind entsprechende Vorschriften nicht vorhanden, durch die tatsächliche Eigenart der baulichen Nutzung bestimmt." Für das Maß der baulichen Nutzung enthielt § 18 Abs. 2 folgende Regelung: "Liegt ein Baugebietsplan nicht vor, richtet sich der Umfang der baulichen Ausnutzbarkeit nach dem sonstigen Ortsbaurecht oder, sind entsprechende Vorschriften nicht vorhanden, nach der Eigenart des Baugebietes und nach der überwiegenden tatsächlichen Ausnutzung der umliegenden bebauten

59

BVerfGE 3, 407.

I. Das Bebauungsrecht im nichtbeplanten Innenbereich

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Grundstücke unter Anwendung der entsprechenden Vorschriften dieses Gesetzes" In der Hessischen Bauordnung findet sich also erstmals das Regelungsmuster, daß für nicht beplante Grundstücke Art und Maß der baulichen Nutzung aus der Eigenart der umgebenden Bebauung zu entnehmen waren 60 . Maßstab für die Ausnutzbarkeit war dabei die "überwiegende" tatsächliche Ausnutzung umliegender bebauter Grundstücke. Dieser Maßstab war deutlich enger, als der später von der Rechtsprechung zu § 34 BBauG 1960 entwikkelte Maßstab.

3. Zusammenfassung Die Untersuchung des Baurechts bis 1960 kann dahin zusammengefaßt werden, daß eine § 34 BBauG vergleichbare Regelung für den nicht beplanten Innenbereich nicht bestand. Art und Maß der baulichen Nutzung richteten sich nach baupolizeilichen Landesgesetzen und -Verordnungen. Dort war das Maß der baulichen Nutzung für alle Baugebiete nach groben Rastern als Höchstmaß festgelegt. Nach und nach fanden auch Regelungen zur Art der baulichen Nutzung - beginnend bei der Abgrenzung von industrieller Nutzung und Wohnnutzung - Eingang in Landesbauordnungen und örtliche Baupolizeiverordnungen . Diese baupolizeilichen Regelungen reichten aus, um die bauliche Entwicklung in den bebauten Ortsteilen hinreichend zu kanalisieren. Deshalb zielten die ersten Gesetze mit planungsrechtlichem Inhalt und die Entwürfe für ein preußisches und ein Reichs-Städtebaugesetz nur auf die noch nicht bebauten Gebiete oder auf Bereiche, in denen größere Veränderungen vorgesehen waren. Für die bauliche Entwicklung im Bestand hielt man generelle Regelungen nicht für erforderlich. Die Aufbaugesetze, die nach 1945 in den Ländern erlassen worden waren, stellten ein differenziertes Planungsinstrumentarium speziell für Aufbaugebiete zur Verfügung, jedoch keine Vorschriften für nicht beplante Gemeindeteile. Einen anderen Weg ging man nur in Berlin, wo das Berliner Planungsgesetz von 1949 den Anspruch erhob, ein Planungsrecht für das gesamte Gebiet Groß-Berlins zu schaffen. Nach diesem Gesetz war die vollständige 60 Ansatzweise findet sich die Bezugnahme auf die umgebende Bebauung allerdings schon in früheren Bauordnungen, z.B. in § 78 Abs. 6 Baugesetz des Saarlandes v. 19.7.1955 (VB1. S. 1159), für die Bestimmung der Zulässigkeit belästigender Anlagen in bestimmten Ortslagen.

3 Scharmer

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

Uberplanung des Stadtgebietes vorgesehen, so daß kein Bedarf für neue Regelungen für den nichtbeplanten Innenbereich gesehen wurde.

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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I I . Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960 1. Die Materialien zu § 34 BBauG 1960 a) Die Entwicklung bis zum Regierungsentwurf Der erste Referentenentwurf zu einem Baugesetz für die Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 195061 wurde von Wilhelm Dittus erarbeitet, der bereits das Planungsgesetz für Berlin ausgearbeitet und an einem Bayerischen Baugesetz mitgearbeitet hatte. Wie beim Berliner Planungsgesetz stand auch bei diesem Entwurf das Prinzip der Planmäßigkeit im Vordergrund. Dittus selbst bezeichnete dieses Prinzip als einen besonders wichtigen materiellen Leitgedanken des Entwurfs 62 . Das Planmäßigkeitsprinzip wird dementsprechend im ersten Absatz des Gesetzentwurfs wie folgt formuliert: "Die gesamte Bebauung in Stadt und Land, die zu ihr gehörigen baulichen Anlagen und Einrichtungen, sowie die mit der Bebauung in Verbindung stehende Nutzung des Bodens sind durch eine von übergeordneten Gesichtspunkten herkommende, immer mehr ins einzelne gehende Planung vorzubereiten und zu leiten (Bauleitplanung)." Die Bauleitplanung sollte in einem vierstufigen Sytem erarbeitet werden

(§ 2): 1. der Landesplan als vorbereitender überörtlicher Plan, 2. der Flächennutzungsplan und 3. der Generalbebauungsplan als vorbereitende örtliche Pläne, 4. der Bebauungsplan als endgültiger örtlicher Plan. Bereits diese vier Stufen der Bauleitplanung zeigen die Nähe des Entwurfs zum Berliner Planungsgesetz. Wie in diesem Gesetz war auch in dem Referentenentwurf keine Vorschrift über die Bebaubarkeit von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich vorgesehen. Die Bebaubarkeit der Grundstücke war generell in § 141 Abs. 1 des Entwurfs geregelt: "Eine Baugenehmigung (§ 155) darf nur erteilt werden, wenn

61 Vgl. Dittus, Entwurf zu einem Baugesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kassel, September 1950. 62

Vgl. Dittus, Einfuhrung, S. 95.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

a) der Bebauungsplan gemäß § 28 endgültig festgesetzt und das Grundstück nach ihm bebaubar ist und wenn b) zur Ausführung des Bauvorhabens keine Um- oder Zusammenlegung notwendig ist oder wenn das Vorhaben diesen Verfahren nicht entgegensteht. " Im zweiten Absatz dieser Vorschrift findet sich eine Regelung über die Zurückstellung von Bauvorhaben. Der dritte Absatz sieht - wie das Berliner Recht - für Grundstücke, für die ein Bebauungsplan noch nicht festgesetzt ist, vor, daß eine Baugenehmigung ausnahmsweise erteilt werden kann, wenn das Vorhaben den in Aussicht genommenen Regelungen nicht widerspricht und der Bauantragsteller sich ihnen unterwirft. Die darauf folgende Vorschrift (§ 142) enthält die Voraussetzungen für die Bebauung von Grundstücken, für die eine Bebauungsplan nicht festgesetzt werden soll, also für den Außenbereich. Eine Regelung für den unbeplanten Innenbereich war nicht vorgesehen. Die fehlende Regelung für nichtbeplante Innenbereiche legt zunächst die Vermutung nahe, daß der Verfasser des Entwurfs von der vollständigen Überplanung aller Baugebiete einer Gemeinde nach einer Übergangszeit ausging. Andererseits ergibt sich aus § 26 Abs. 1 des Entwurfs (Aufstellung des Bebauungsplans), daß Dittus den Grundsatz der Planmäßigkeit primär auf die noch nicht bebauten Bereiche bezogen hatte: "Jede planerisch bedeutsame Bautätigkeit ist durch vorherige Aufstellung eines Bebauungsplans zu regeln (...). Auch in überwiegend bebauten Gebieten ist der Bebauungsplan dann aufzustellen, wenn er notwendig ist, um eine Verbesserung des bestehenden baulichen Zustands anzubahnen." Aus dem Entwurf und den Erläuterungen läßt sich nicht entnehmen, nach welchen Kriterien Bauvorhaben in bebauten Bereichen zugelassen werden sollten. Allerdings bestimmte § 218 des Entwurfs, daß bestehende Regelungen bis zur Festsetzung neuer Bebauungspläne weitergelten sollten, soweit sie Inhalt eines Bebauungsplans sein konnten. Auf der Grundlage bestehenden Ortsbaurechts und der Auffangregelungen in den Landesbauordnungen wäre deshalb während der Übergangsphase die Bebaubarkeit der Grundstücke im Innenbereich ausreichend bestimmt gewesen. Offenbar hielt Dittus die Steuerung der Bebauung in diesen Bereichen mit dem Überleitungsrecht für hinreichend abgedeckt. Gegen den ersten Referentenentwurf wurden so gravierende Bedenken vorgebracht, daß in den folgenden Jahren zunächst einmal wesentliche

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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Grundfragen der Baurechtsmaterie geklärt werden mußten. Im "Weinheimer Gutachten" (Gutachten über die Erfordernisse der Bau- und Bodengesetzgebung) wurden 1952 eigentums- und entschädigungsrechtliche Fragen vorgeklärt. In demselben Jahr wurde in Bad Dürkheim die Hauptkommission für die Baugesetzgebung gebildet, der Vertreter des Bundesministeriums für Wohnungsbau und der Bauministerien der Länder angehörten 63. 1954 erstattete das Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung, des Bundesrats und des Bundestags ein Rechtsgutachten zur Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich des Bau- und Bodenrechts 64. Erst im März 1956 veröffentlichte die Hauptkommission für die Baugesetzgebung den Entwurf eines Baugesetzes65. Dieser Entwurf entsprach in den Grundzügen bereits den späteren Regelungen des Bundesbaugesetes 1960. Mit geringen Änderungen wurde der Entwurf am 26.7.1956 als Regierungsentwurf beschlossen und im September dem Bundesrat zugeleitet66. Obwohl der Bundsrat den Entwurf ablehnte, weil die Länder Regelungen über Organisation und Zuständigkeiten als Eingriff in ihre Kompetenzen ansahen, brachte ihn die Bunderegierung in den Bundestag ein 67 . Da die Beratungen des Entwurfs in der zweiten Legislaturperiode nicht mehr abgeschlossen werden konnten, beschloß die Bundesregierung in der dritten Legislaturperiode, im Februar 1958, eine überarbeitete Fassung erneut als Regierungsentwurf und leitete ihn dem Bundesrat und dem Bundestag zu 68 .

b) Die Regelung für den nicht beplanten Innenbereich im Regierungsentwurf und im BBauG 1960 Die drei angesprochenen Entwürfe - Kommissionsentwurf, Regierungsentwurf 1956 und Regierungsentwurf 1958 - stimmten in den für diese Untersuchung bedeutsamen Fragen im wesentlichen überein. Ausgangspunkt für die Ordnung der städtebaulichen Entwicklung war das Planmäßigkeitsprinzip, wie es später auch im BBauG 1960 beschlossen wurde. Alle Entwürfe sahen vor, daß die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke durch Bauleit63

Vgl, zur Kommissionsarbeit und zur gesamten Entwicklung Zinkahn, Einleitung Rdnr. 37

64

Vgl. BVerflG, Gutachten vom 16.6.1954, BVerfGE 3, S. 407.

ff. 65

Vgl. die Veröffentlichung in der Schriftenreihe des Bundesministers fur Wohnungsbau, Band 7 (Text) und Band 9 (Begründung), Bonn 1958. 66 BR-Drucks. Nr.326/1/56. 67 BT-Drucks. Nr. 2/3028. 68 BR-Drucks. Nr. 47/1/58 und BT-Drucks. Nr. 3/336.

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

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planung vorzubereiten und zu leiten sei (§ 1 Abs. 1). Die Bauleitplanung war in den Entwürfen noch dreistufig vorgesehen: der Flächennutzungsplan und der Gesamtaufbauplan als vorbereitende Bauleitpläne und der Bebauungsplan als verbindlicher Bauleitplan. Jedoch wurde die Aufstellungspflicht für Bauleitpläne bereits in den ersten Entwürfen durch die Bestimmung des § 2 Abs. 1 eingegrenzt, wonach Bauleitpläne nur aufzustellen waren, sobald und soweit es erforderlich ist. Eine umfassende Uberplanung aller Gemeindeteile oder zumindest der bebauten Gemeindeteile wurde von den Entwurfsverfassern offenbar schon damals nicht für sinnvoll gehalten. Das wird aus der Begründung der Entwürfe zu § 2 deutlich: "Absatz 1 stellt sicher, daß nicht unnötige und undurchführbare Pläne aufgestellt werden. Bauleitpläne sind erst, dann aber stets aufzustellen, wenn ein Bedürfnis dafür vorliegt, d.h. wenn wesentliche bauliche Veränderungen in der Gemeinde zu erwarten sind oder wenn sich aus anderen im öffentlichen Interesse gelegenen Gründen, namentlich aus Gründen des Verkehrs oder der Erschließung, die Notwendigkeit dafür ergibt." 69 Ein weiterer Beleg für die damalige Vorstellung, daß Bebauungspläne nur im erforderlichen Umfang aufzustellen waren, findet sich in einer Vorschrift zu Teilbebauungsplänen, die im Kommissionsentwurf noch vorgesehen, in späteren Entwürfen jedoch nicht mehr enthalten war. Die Vorschrift ermöglichte ausdrücklich eine räumliche und sachliche Beschränkung der Bebauungspläne. Die Pläne konnten entweder das ganze Gemeindegebiet umfassen oder sich auf Teile beschränken; sie brauchten nur einzelne Festsetzungen zu enthalten. Ursprünglich sollte also die Möglichkeit, "einfache" Bebauungspläne für das gesamte Gemeindegebiet aufzustellen, ausdrücklich im Gesetz angesprochen werden 70 . Übereinstimmend regelten die drei Entwürfe das System der Zulässigkeit von Vorhaben in den Grundzügen bereits so, wie es später im BBauG 1960 beschlossen wurde. Die Regelung über die Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich wurde aus dem Kommissionsentwurf unverändert in die Regierungsentwürfe übernommen:

69

BT-Drucks. Nr. 2/3028, S. 79.

70

Vgl. § 13 Kommissionsentwurf, Begründung S. 43.

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39

"§38 Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile Ist ein Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 nicht eingeleitet oder die Aufstellung eines solchen Bebauungsplans nicht erforderlich, so ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile die baurechtlich genehmigungsbedürftige Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zulässig, wenn 1. das Vorhaben nach der vorhandenen Bebauung und Erschließung unbedenklich ist und 2. Vorschriften dieses Gesetzes und sonstige baurechtliche Vorschriften der Durchführung des Vorhabens nicht entgegenstehen." Aus der Begründung läßt sich entnehmen, daß die Verfasser des Regierungsentwurfs in der Genehmigung im unbeplanten Innenbereich eine planerische, städtebauliche Entscheidung sahen. Mit der Entscheidung sollte der Bebauungsplan im Einzelfall ersetzt werden. Dies steht in deutlichem Widerspruch zur späteren Vorstellung einer streng an der Umgebung orientierten, gebundenen Entscheidung. "Sind im Bebauungsplan nicht alle Festsetzungen getroffen, die für die städtebauliche Beurteilung eines Baugesuchs notwendig sind, oder liegt ein Bebauungsplan nicht vor, so übernimmt die Baugenehmigungsbehörde insoweit auch die Funktion der Planung. Ihr obliegt in diesen Fällen also zugleich die städtebauliche Entscheidung. " 7 1 Die weitere Einzelbegründung zu der Vorschrift enhält leider nur wenige Zusatzinformationen. "Da rechtsverbindliche Festsetzungen nicht bestehen, kann bei der Beurteilung von Baugesuchen nur auf die gegebenen tatsächlichen Verhältnisse, d.h. auf die vorhandene Bebauung und Erschließung, abgestellt werden." 72 Damit ergibt sich das Spannungsverhältnis, daß die Beurteilung von Baugesuchen im unbeplanten Innenbereich einerseits als Planung im Einzelfall charakterisiert wird, daß andererseits die vorhandene Bebauung den Maßstab für die Beurteilung abgeben sollte. Offenbar war keine freie städtebauliche Planung gemeint, sondern eine an städtebaulichen Gesichtspunkten orientierte Einbindung in die tatsächliche Baustruktur.

71

BT-Drucks. Nr. 3/336, S. 69.

72

BT-Drucks. Nr. 3/336, S. 72.

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Der Regierungsentwurf wurde im Deutschen Bundestag am 20.6.1958 in erster Lesung beraten und an die Ausschüsse überwiesen 73. Der federführende 24. Ausschuß für Wohnungswesen, Bau- und Bodenrecht behandelte die Vorschrift über die Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile in drei Lesungen74. Ausweislich der Kurzprotokolle der drei Sitzungen wurde die Vorschrift nicht kontrovers behandelt. Es wurde lediglich die für mehrere Zulässigkeitstatbestände erhebliche Frage behandelt, ob der Gemeinde bei der Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde ein Anhörungsrecht (so der Bundesratsvorschlag) oder ein Zustimmungsrecht zugestanden werden sollte. Für das Zustimmungsrecht wurde vorgebracht, daß in der Vorschrift über den unbeplanten Innenbereich "die Planungshoheit der Gemeinde übertragen" sei 75 . Der Ausschuß folgte dem Vorschlag der Kommunalen Spitzenverbände und votierte für ein Zustimmungsrecht. Die endgültige Formulierung des § 34 BBauG 1960 erarbeitete ein eingesetzter Redaktionsausschuß76. Bei den Redaktionsarbeiten wurde die Nr. 2 der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Regierungsentwurfs gestrichen, wonach Vorschriften des BBauG und sonstige baurechtliche Vorschriften der Durchführung des Vorhabens nicht entgegenstehen sollten. Offenbar hielt man diesen Zusatz für entbehrlich, nachdem die Beachtung sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften in § 29 vorab geregelt worden war. Es sollte mit der Streichung jedoch keine materielle Änderung bewirkt werden. Es kann demnach angenommen werden, daß nach der Vorstellung der Ausschuß mi tglieder die Genehmigungsentscheidung im unbeplanten Innenbereich eine städtebauliche Einzelentscheidung unter Beachtung der sonstigen Vorschriften des BBauG darstellte. Im schriftlichen Bericht des Ausschusses wird für die endgültige Fassung des § 34 BBauG keine Begründung gegeben, weil der materielle Inhalt dem Regierungsentwurf entspreche. Das Erfordernis des Einvernehmens der Gemeinde wird wie folgt begründet: "Der Ausschuß beabsichtigte mit dieser Regelung eine Zweigleisigkeit des Genehmigungsverfahrens zu unterbinden, zugleich aber zu gewährleisten,

73

Vgl. Sten.Prot, der 33. Sitzung, S. 1839 A - 1851 Α.

74

1. Lesung: 17. Sitzung am 12.11.1958; 2. Lesung: 29. Sitzung am 4.3.1959 und 31. Sitzung am 19.3.1959; 3. Lesung: 62. Sitzung am 28.1.1960. 75 76

Vgl. Kurzprotokoll der 29. Sitzung, S. 18.

Vgl. Kurzprotokoll der 62. Sitzung und Schriftlicher Bericht des 24. Ausschusses, BTDrucks. 3/1794, S. 27.

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daß die Baugenehmigungsbehörde im städtebaulichen Sachbereich nicht gegen den Willen der Gemeinde entscheiden kann." 77

c) Zusammenfassung Der erste Referentenentwurf zum Bundesbaugesetz von 1950 entsprach in seiner Grundkonzeption dem Berliner Planungsgesetz. Als Leitgedanke wurde das Prinzip der Planmäßigkeit betont. Generelle Zulässigkeitsregelungen für nichtbeplante Ortsteile waren deshalb - wie in dem Berliner Gesetz nicht vorgesehen. Auch in späteren Entwurfsfassungen zum Bundesbaugesetz hatte das Prinzip der Planmäßigkeit einen hohen Stellenwert, jedoch wurden die Grenzen des Prinzips deutlicher herausgestellt. Bebauungspläne sollten nur bei konkretem Bedürfnis aufgestellt werden, insbesondere für die Neuerschließung von Baugebieten und für wesentliche städtebauliche Veränderungen. Die später in Kraft getretene Formulierung des § 34 findet sich - nur wenig verändert - erstmals in § 38 des Entwurfs der Hauptkommission für die Baugesetzgebung 1956. Allerdings nannte der Entwurf neben dem Erfordernis der "Unbedenklichkeit" zusätzlich als weitere Genehmigungsvoraussetzung, daß die sonstigen Vorschriften des Bundesbaugesetzes und sonstige baurechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen durften. Aus der Entwurfsbegründung läßt sich belegen, daß die Entwurfsverfasser in der Genehmigungsentscheidung im nicht beplanten Innenbereich eine städtebauliche Planungsentscheidung im Einzelfall zur Einbindung eines Vorhabens in die Umgebungsbebauung sahen. Bei dieser städtebaulichen Entscheidung sollten dann auch die anderen Vorschriften des BBauG beachtet werden. Auch im beratenden Bundestagsausschuß bestand - soweit ersichtlich - diese Vorstellung. Mit der endgültigen Formulierung des Redaktionsausschusses, in der der Bezug zu den sonstigen Vorschriften des BBauG nicht mehr genannt wurde, sollte diese Auffassung nicht aufgegeben werden.

2. Rechtsinterpretation und Rechtspraxis bis Mitte der siebziger Jahre Die bauplanungsrechtliche Regelung für den nichtbeplanten Innenbereich in § 34 BBauG 1960 war - wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt - bisher

77

Vgl. Schriftlicher Bericht des 24. Ausschusses, BT-Drucks. 3/1794, S . l l .

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

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weitgehend ohne Vorbild und betrat regelungstechnisches Neuland. Welche Anwendungsprobleme und Rechtsfragen beim Vollzug der neuen Vorschrift auftraten und wie diese Fragen gelöst und in ein konsistentes dogmatisches Gerüst integriert werden konnten, war Gegenstand zahlreicher Beiträge in der Literatur und von Gerichtsurteilen nach 1960. Die Ausformung der Vorschrift und die Klärung der wesentlichsten Auslegungsfragen nahm mehr als zehn Jahre in Anspruch. Dieser Klärungs- oder Findungsprozeß war für den Vollzug von beachtlicher Bedeutung, denn § 34 gab für die Genehmigungsentscheidung nur ein dürres Begriffsgerüst vor, in dem nur das Ziel der Genehmigungsprüfung in unbestimmten Rechtsbegriffen grob umrissen wurde. Die spätere Entwicklung des § 34 in den nachfolgenden Novellierungen, bei denen der Umfang der Vorschrift jeweils erheblich ausgeweitet wurde, verdeutlicht rückschauend, welches Regelungsvakuum die knappe "Unbedenklichkeitsklausel" 1960 enthielt. Dieser Prozeß der schrittweisen Bestimmung des Regelungsgehalts des § 34 BBauG soll im folgenden anhand der ersten Kommentierungen in der Literatur und an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nachvollzogen werden.

a) Die Interpretation des § 34 BBauG durch Literatur und Rechtsprechung Die ersten Erläuterungen der Kommentarliteratur zu § 34 waren noch recht knapp. So kam der Kommentar von Schütz-Frohberg in seiner ersten Auflage 1960 mit 11/2 Druckseiten für die Kommentierung des § 34 aus78. Dennoch hatten Literatur und obergerichtliche Rechtsprechung bereits nach wenigen Jahren die wichtigsten Auslegungsfragen zu § 34 herausgearbeitet. Einige der in der Literatur bereits Anfang der 60er Jahre behandelten Anwendungsprobleme haben die Rechtsprechung und den Gesetzgeber bis in die jüngste Zeit immer wieder beschäftigt. Im folgenden soll die Entwicklung der Rechtsinterpretation der wichtigsten Begriffe des § 34 dargestellt werden.

aa) Anwendungsbereich des § 34 BBauG

Zu erheblichen Kontroversen in Literatur und Rechtsprechung führte bereits der erste Satz des § 34 BBauG 1960, der den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift definiert. Nach dem Wortlaut kam § 34 nur solange zur 78

Vgl. Schütz und Frohberg, Kommentar zum Bundesbaugesetz, 1. Aufl., Neuwied u.a. 1960, S. 115/116.

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Anwendung, bis ein Aufstellungsbeschluß für einen qualifizierten Bebauungsplan gefaßt war: "In Gebieten, für die die Gemeinde noch nicht beschlossen hat, einen Bebauungsplan im Sinne des § 30 aufzustellen (...)" Nach dem Aufstellungsbeschluß sollte sich die Zulässigkeit nach § 33 BBauG richten. Dementsprechend folgerte Fickert in seiner Kommentierung von 1960, mit dem Aufstellungsbeschluß der Gemeindevertretung werde der darin festgelegte Geltungsbereich des künftigen Bebauungsplans den Bestimmungen des § 34 entzogen79. Vorhaben seien dann nur noch unter den Voraussetzungen des § 33 zulässig ("wenn nach dem Stand der Planungsarbeiten anzunehmen ist, daß das Vorhaben den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entgegenstehen wird"). Der Planaufstellungsbeschluß löse eine relative Veränderungssperre aus. Die Veränderungssperre nach § 14 werde demgegenüber dann erlassen, wenn die in dem aufzustellenden Bebauungsplan zu lösende städtebauliche Aufgabe so schwierig sei, daß die relative Veränderungssperre nicht ausreichend sei. Dem Wortlauf des § 34 BBauG folgend prüfte die obergerichtliche Rechtsprechung in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des BBauG bei Fällen im unbeplanten Innenbereich als Voraussetzung für die Anwendung des § 34 BBauG zunächst, ob für das Gebiet ein Planaufstellungsbeschluß erfolgt war 80 . Gegen diese Auslegung nach dem Gesetzeswortlaut wurden jedoch in der Literatur verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht. Bereits in der ersten Kommentierung von Schütz-Frohberg 81 wird eingewandt, bei dieser Auslegung des § 33 könnten Baugesuche für Vorhaben, die nach der vorhandenen Bebauung unbedenklich seien, ohne zeitliche Begrenzung gestoppt werden. Darin liege eine erhebliche Einschränkung der Baufreiheit, zudem ohne die Kontrolle der höheren Verwaltungsbehörde wie bei § 14, so daß § 33 als Enteignungsvorschrift anzusehen sei. Für Fälle der Überschreitung der Vieijahresfrist fehle eine Entschädigungsvorschrift. Deshalb sei § 33 verfassungswidrig. Diesen Bedenken schlossen sich später andere Kommentatoren an, wobei sie allerdings unterschiedliche Konsequenzen zogen: Schrödter 82 schlug unter

79 80 81 82

Vgl. Fickert, § 33 Anm. 5. Vgl. OVG Münster, Urteil v. 29.5.62, BRS Bd. 13, S. 5. Vgl. Schütz und Frohberg, Kommentar zum Bundesbaugesetz, § 33 Anm. 1. Vgl. Schrödter, Bundesbaugesetz, Berlin 1964, § 33 Anm. 5.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

Berufung auf das OVG Lüneburg 83 vor, daß dort, wo die künftigen Festsetzungen eines Bebauungsplans noch nicht zu übersehen seien, die Voraussetzungen des § 34 den Vorrang haben sollten. Erst wenn der Stand der Planungsarbeiten die künftigen Festsetzungen konkret erkennen ließe, trete die Beurteilung des Vorhabens nach § 33 an die Stelle der Beurteilung nach § 34. Der Kohlhammer-Kommentar plädierte demgegenüber für eine entsprechende Anwendung der Entschädigungsregelungen für die Veränderungssperre in § 18 BBauG 84 . Geizer 85 schlug vor, § 33 ausschließlich als zusätzlichen positiven Zulässigkeitstatbestand anzuwenden. Dazu sei der Wortlaut des § 34 verfassungskonform zu korrigieren. § 34 müsse wie folgt gelesen werden: "In Gebieten, für die ein Bebauungsplan im Sinne des § 30 nicht besteht, ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es nach der vorhandenen Bebauung und Erschließung unbedenklich ist". Diese Interpretation, die zuerst das OVG Münster vertreten hatte 86 , bei dem Geizer als Richter tätig war, wurde allerdings nicht von allen Obergerichten akzeptiert. So vertrat das OVG Berlin in einem Urteil vom 16.12.63 87 noch die Auffassung, § 33 sei verfassungsgemäß, weil die Entschädigungsregelung des § 18 entsprechend angewandt werden könne. Der Lösungsvorschlag von Geizer wurde offenbar auch vom Bundesverfassungsgericht für gangbar erachtet. Dieses hatte auf eine Vorlage des VG Bremen hin, noch vor einer förmlichen Entscheidung, auf die verfassungskonforme Auslegung des § 33 BBauG durch das OVG Münster hingewiesen. Die Vorlage wurde daraufhin zurückgenommen. Die Auslegung des OVG Münster war auch von der Bundesregierung in einer Stellungnahme als zutreffend bezeichnet worden 88 . Mit seinem Urteil vom 17.12.6489 Schloß sich auch das Bundesverwaltungsgericht dieser Auslegung an:

83

Urteil v. 6.7.1962, DVB1. 1962, S. 757. Zitiert nach Schröter, a.a.O. 85 Vgl. Gelzer, Konrad, Das neue Bauplanungsrecht, Köln 1964, § 165 - 168; ders., DVB1. 1964, S. 129. 84

86

Urt.v. 17.10.1963, HGBR Rechtspr. 2, 16.

87

BRS Bd. 14, Nr. 36.

88

Vgl. Gelzer, Fußnote 287.

89

- I C 36.64 -, BRS Bd. 15, Nr. 14.

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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"§ 33 BBauG enthält einen positiven Zulässigkeitstatbestand, begründet dagegen nicht die Unzulässigkeit eines Vorhabens. " Das Gericht begründete die vom Wortlaut abweichende Entscheidung u.a. damit, daß auch die Bodenverkehrsgenehmigung nach § 19 BBauG nur die drei Bereiche kenne: Lage im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nach § 30, im Zusammenhang bebauten Ortsteil und im Außenbereich. Dies müsse auch für die Zulässigkeit von Vorhaben gelten. § 33 könne deshalb die Vorschriften der §§ 30, 34 und 35 nur modifizieren, aber keinen eigenen Bereich bilden. Andernfalls könne durch den Planaufstellungsbeschluß ohne zeitliche Begrenzung eine faktische Veränderungssperre erlassen werden. Dies sei mit Art. 14 GG nicht zu vereinbaren. Demgegenüber werde der Wortlaut des § 34 BBauG "nicht dem erkennbaren Sinn der Vorschrift gerecht". Diese verfassungskonforme Auslegung der §§33 und 34 BBauG korrigierte nicht nur den Wortlaut der Vorschriften, sondern auch den eindeutig geäußerten Willen des Gesetzgebers. Nach der Begründung zu § 33 (im Entwurf § 37) im Regierungsentwurf zum BBauG 90 sollte nach einem Aufstellungsbeschluß "der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung bei Bauvorhaben oder der Nutzungsänderung baulicher Anlagen bereits Rechnung getragen werden". Derartige Vorhaben müßten deshalb den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans entsprechen. Auch das Verhältnis zur Veränderungssperre war im Regierungsentwurf durchdacht: "Sollen während der Aufstellung eines Bebauungsplans auch baurechtlich nicht genehmigungsbedürftige Vorhaben mit den Planungsabsichten in Einklang gebracht werden, so bedarf es hierzu einer Veränderungssperre." Diese Funktion des § 33 wurde in den Sitzungen des Bauausschusses des Bundestages nicht bestritten. Auch nach dem Bericht des Ausschusses im Bundestag sollte der materielle Inhalt des § 33 nicht geändert werden 91 . Die entschädigungsrechtliche Problematik des § 33 war allerdings offenbar weder von den Verfassern des Regierungsentwurfs noch im Ausschuß erkannt worden. Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war somit der Gesetzgeber in einer für das Zulässigkeitssystem gewichtigen Frage korrigiert

90 91

BT-Drucks. 3/336, S. 72.

Vgl. Schriftlicher Bericht des Ausschusses fiir Wohnungswesen, Bau- und Bodenrecht, zu BT-Drucks. 3/1794, S. 11.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

worden 92 . Die entsprechende Anwendung der Entschädigungsregelung des §18 BBauG wäre sicherlich näher am Willen des Gesetzgebers, die Vorlage beim Bundesverfassungsgericht die rechtlich sauberste Lösung gewesen. Im Bundesbauministerium wurde die Entscheidung dennoch begrüßt, wie eine Anmerkung von Zinkahn zu dem Urteil ausweist93. Kritisiert wurde die Entscheidung allerdings vom Hess. VGH 9 4 , der die Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut des § 34 als verfassungswidrig bezeichnete. Auf diese Kritik hin bestätigte das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung ausdrücklich noch einmal in dem Urteil vom 13.6.196995.

bb) Im Zusammenhang bebauter Ortsteil

Wenig grundsätzlich neue Probleme warf der Begriff des "im Zusammenhang bebauten Ortsteils" auf. Mit dem Begriff war bereits in § 3 Bauregelungsverordnung von 1936 (vgl. oben Kap. Β I 1) der bebaute Bereich vom Außenbereich abgegrenzt worden. Deshalb hatte er schon damals für die Genehmigungsfahigkeit von Gebäuden entscheidende Bedeutung. Leicht verändert ("im Zusammenhang gebaute Ortschaft") war er auch schon in § 13 des preußischen Ansiedlungsgesetzes von 1876 enthalten. Da der Begriff also nicht neu war, konnte sich die Kommentierung bei seiner Auslegung auf die Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts, aber auch auf Verwaltungsgerichtsurteile aus der Zeit nach 1945 beziehen96. Das preußische OVG hatte den Begriff des Ortsteils dahin ausgelegt, daß es sich um einen Häuserkomplex handeln müsse, der in tatsächlichem, räumlichem Zusammenhang gebaut sei 97 . Allerdings müsse es sich um einen planvollen Zusammmenhang mehrerer Gebäude handeln. Planlos und zerstreut nur in ei-

92

Vgl. auch die spätere Kritik der Entscheidung durch Schmidt-Eichstaedt, Die Zulässigkeit des Bauens innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nach § 34 des novellierten Bundesbaugesetzes, JZ 1978, S. 12 ff. 93 94 95 96

Vgl. Zinkahn, Anmerkung zum Urteil des BVerwG v. 17.12.64, DVB1. 1965, S. 287. Vgl. Urt. v. 25.11.66, BRS Bd. 17, Nr. 16. Buchholz, BVerwG 406.11 § 34 BBauG Nr. 23.

Vgl. die ausfuhrliche Wiedergabe der Rechtsprechung bei Fickert, Bauvorhaben - Baunutzung - Baunachbarrecht, Systematische Erläuterung der §§ 29 - 39 des BBauG sowie der Baunutzungsverordnung, Köln 1962, § 34 Anm. 1 b aa; sowie bei Richter, Zum Begriff des im Zusammenhang bebauten Ortsteils nach dem BBauG, DÖV 1964, S. 440. 97 PrOVG Bd. 5, S. 400.

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nem bestimmten räumlichen Verhältnis zueinander stehende Gebäude fielen nicht unter den Begriff 98 . Die Grundzüge dieser Rechtsprechung wurden später vom Bundesverwaltungsgericht für das BBauG 1960 übernommen. Den Leitsatz für die Definition des Ortsteils formulierte das Gericht in seinem Urteil vom 6.11.1968": "Ortsteil im Sinne der §§ 19 Abs. 1 und 34 BBauG ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. " In späteren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts wurde diese Definition noch weiter erläutert, jedoch nicht mehr geändert 100. Auch für die Frage, wann ein Grundstück innerhalb des Bebauungszusammenhangs liegt, konnte sich die Literatur auf Ausführungen älterer Rechtsprechung stützen. Dennoch warf diese Frage in der Praxis und dementsprechend auch in der Rechtsprechung immer wieder große Probleme auf. Die Rechtsprechung hatte für einen wesentlichen Teilaspekt dieser Problematik in den 50er Jahren gerade eine Korrektur vorgenommen. 1953 hatte das OVG Münster noch unter Verweis auf das Preußische OVG die Ansicht vertreten, daß sich ein Grundstück auch dann innerhalb des Bebauungszusammenhangs befinde, wenn es sich unmittelbar an einen im Zusammenhang gebauten Häuserkomplex anschließe101. Später korrigierte das Gericht seine Rechtsprechung dahin, daß ein Anschlußvorhaben am Rande eines Bebauungszusammenhangs den Ortsteil erweitere und deshalb zum Außenbereich gehöre 102 . Dieser Auffassung schlossen sich die anderen Obergerichte und die Literatur an. Allerdings wurden für die Abgrenzung zum Außenbereich noch recht unterschiedliche Definitionen gewählt. So formulierte das OVG Münster später, ein Baugrundstück liege in der Regel innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, wenn es mit zwei Seiten an bebaute Grundstücke des Orts-

98

PrOVG Bd. 12, S. 377.

99

- IV C 31.66 -, BRS Bd. 20, Nr. 36.

100 Vgl. bis 1976 die Entscheidungen vom 22.3.72, BRS Bd. 25, Nr. 38; vom 17.11.72, BRS Bd. 25, Nr. 41; vom 12.6.73, BRS Bd. 27, Nr. 41; vom 13.2.76, BRS Bd. 30, Nr. 40 und vom 25.5.1976, BRS Bd. 30, Nr. 38. 101

OVG Münster, Urt. v. 31.3.1953, DVB1. 1954, S. 56.

102

OVG Münster, Beschl. v. 6.2.56, BBauBl. 1956, S. 540.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

teilsgrenze 103. Von Schütz wurde der Grundsatz aufgestellt, daß zum im Zusammenhang bebauten Ortsteil alle Grundstücke gehörten, "die innerhalb der Linien liegen, die von den am Rande der Siedlung liegenden Häusern zueinander gezogen werden können" 104 . Für die Frage, wann die Unterbrechung des Bebauungszusammenhangs noch als Baulücke anzusehen sei, zog Fickert die Grenze bei "etwa 50 m Straßenfront" 105. Das Bundesverwaltungsgericht erteilte allen geometrischen und schematischen Faustformeln eine Absage und betonte bereits mit seiner ersten Entscheidung zu dieser Frage am 6.12.1967 106 , daß die Zuordnung eines Grundstücks zum Innen- oder Außenbereich eine Frage der Wertung des Einzelfalls sei: "Wo die Grenze eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils und damit die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich verläuft, läßt sich nur aufgrund einer echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts beurteilen; bei dieser Wertung kann nur eine komplexe, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigende Betrachtungsweise im Einzelfall zu einer sachgerechten Entscheidung führen." Damit wurde diese für die Bebaubarkeit des Grundstücks entscheidende Frage der Einzelfall-Kasuistik der unteren Gerichtsinstanzen übertragen und die Entscheidungsunsicherheit bei den Genehmigungsbehörden eher verstärkt als verringert. In seiner zweiten Entscheidung zu dieser Frage, am 12.2.1968 107 , formulierte das Gericht dann folgenden Leitsatz: "Ein Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 BBauG reicht so weit, wie die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt. " Dieser Obersatz wurde in acht Entscheidungen bis 1976 weiter ausgeführt. Bedeutsam war vor allem die Entscheidung vom 1.12.72 108 zur Frage des "Außenbereichs im Innenbereich", wonach eine Baulücke nicht gegeben ist, "wenn die Fläche so groß ist, daß sie in den Möglichkeiten ihrer Bebauung von der bereits vorhandenen Bebauung nicht mehr geprägt wird".

103 OVG Münster, Urt. v. 30.10.1963, HGBR Rechtspr. 2, 13; vgl. auch Gelzer, Das neue Planungsrecht, Köln 1964, § 108. 104 105 106 107 108

Vgl. Schütz und Frohberg, Kommentar zum Bundesbaugesetz, § 19 Anm. 2. Vgl. Fickert, § 34 Anm. 1 d. - IV C 94.66 -, BRS Bd. 18, Nr. 57. - IV Β 47.67 -, BRS Bd. 20, Nr. 33. - IV C 6.71 -, BRS Bd. 24, Nr. 36.

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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cc) Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans

Als klärungsbedürftig in § 34 stellte sich auch die Frage heraus, ob nichtqualifizierte, "einfache" Bebauungspläne im unbeplanten Innenbereich berücksichtigt werden mußten 109 . Die Frage war deshalb von erheblicher praktischer Bedeutung, weil in vielen Städten ältere Bauvorschriften - z.B. Baustufenpläne - als übergeleitete Bebauungspläne weitergalten, bei denen jedoch Festsetzungen über örtliche Verkehrsflächen fehlten, so daß § 30 nicht anwendbar war und sich die Zulässigkeit folglich nach § 34 richtete. Die Literatur und das OVG Lüneburg gingen von der Geltung der nichtqualifizierten Pläne aus, die als Rechtsnormen auch im nichtbeplanten Innenbereich zu beachten seien 110 , insbesondere auch mit dem einleuchtenden Hinweis darauf, daß sonst die Überleitungsvorschrift des § 173 Abs. 4 weitgehend leer laufe und entwertet würde. Lediglich Geizer und das OVG Münster 111 beharrten zunächst darauf, daß einfache Bebauungspläne im nichbeplanten Innenbereich keine Berücksichtigung fanden, weil der klare Gesetzeswortlaut ausschließlich auf die vorhandene Bebauung abstelle. Dem trat das BVerwG mit seinem Urteil vom 18.8.64 112 entgegen: "Die vorhandene Bebauung ist für die Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nur maßgeblich, soweit die städtebauliche Ordnung nicht durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans geregelt ist. " Es verwies darauf, daß auch ein nichtqualifizierter, "einfacher" Bebauungsplan ein vollwertiger Bebauungsplan sei, dessen Rechtsverbindlicheit sich schon aus dem 1. Teil (Bauleitplanung) des BBauG ergebe. Der mit dem Bebauungsplan verfolgte Zweck würde aber durchkreuzt, wenn sich die rechtliche Zulässigkeit von Vorhaben gemäß § 34 ausschließlich nach der vorhandenen Bebauung richte. Aus § 30 ergebe sich nicht, daß ein Bebauungsplan ohne die dort genannten Mindestfestsetzungen unerheblich wäre. Vielmehr ergebe sich aus der Vorschrift nur, daß im Geltungsbereich eines nichtqualifizierten Bebauungsplans die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Planfestsetzungen für seine Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen 109 Vgl. Neuhausen, Müssen nichtqualifizierte Bebauungspläne im Baugenehmigungsverfahren berücksichtigt werden? Bauamt und Gemeindebau 1961, S. 578. 110 Vgl. Schütz und Frohberg, § 34 Anm. 1; Fickert, Anm. 4; Schrödter, § 34 Anm. 2; OVG Lüneburg, Urteil v. 31.8.1961, DVB1. 1961, S. 824. 111 Vgl. Geizer, § 176; OVG Münster, Urt. v. 18.7.1961, DÖV 1962, S. 272 und vom 11.12.62, DVB1. 1963, S. 634. 112 - I C 63.62 -, BRS Bd. 15, Nr. 19.

4 Scharmer

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

nicht genüge. Die Festsetzungen müßten durch eine andere Grundlage für die Entscheidung der Zulässigkeit des Vorhabens ergänzt werden. Als zusätzliche Entscheidungsgrundlage kämen § 33, § 34 oder § 35 in Betracht.

dd) Nachbarschützende Funktion des § 34 BBauG

Als klärungsbedürftig stellte sich schon bald die Frage heraus, ob ein Grundstücksnachbaf durch eine unter Verstoß gegen § 34 erteilte Baugenehmigung in "eigenen Rechten" verletzt sein konnte und deshalb klagebefugt war. Dies setzte voraus, daß § 34 nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Schutz des Nachbarn dienen sollte. Wie bei anderen Fragen der Auslegung läßt sich ein Schwenk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts feststellen: In der ersten Entscheidung des 1. Senats des Gerichts vom 29.8.1961, in der über die Klage des Eigentümers eines Wohngrundstücks gegen die Baugenehmigung für eine benachbarte Schreinerei zu befinden war, wurde festgestellt, die Genehmigung eines nicht unbedenklichen Vorhabens könne gegebenenfalls auch Rechte eines Nachbarn verletzen 113. Demgegenüber entschied der 4. Senat am 13. Juni 1969, aus § 34 lasse sich kein dem Nachbarn eingeräumtes subjektives Recht entnehmen. Die Formulierung des § 34 stelle auf die vorhandene Bebauung in einem nicht näher bezeichneten und im Einzelfall nur mit Schwierigkeiten feststellbaren Gebiet ab. Deshalb sei eine praktikable Abgrenzung eines berechtigten Personenkreises nicht möglich 114 . Statt dessen verweist das Gericht auf die Möglichkeit der Nachbarklage aufgrund der Verletzung von Art. 14 GG: "Durch eine gegen § 34 verstoßende Baugenehmigung kann ein Dritter in seinen Eigentumsrechten verletzt sein, wenn die Genehmigung bzw. ihre Ausnutzung die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert und dadurch den Nachbarn schwer und unerträglich trifft". Acht Jahre später erweiterte das Gericht den Drittschutz dadurch, daß es auf ein "objektivrechtliches" Gebot der Rücksichtnahme im Rahmen der Prüfung des § 34 abstellte, dem drittschützende Wirkung zukomme, "soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen

1,3

- I C 36.60 -, NJW 1962, S. 507.

114

Vgl. Urteil v. 13.6.1969, BVerwGE Bd. 32, S. 173.

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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ist" 1 1 5 . In der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird das Gebot der Rücksichtnahme, das zuvor aus Art. 14 hergeleitet worden war, als Bestandteil des "Einfugens" interpretiert, so daß nun wieder davon auszugehen ist, daß § 34 unter Umständen nachbarschützende Funktion hat 116 .

ee) Unbedenklichkeit

nach der vorhandenen Bebauung

Literatur und Rechtsprechung bis 1969 Die Interpretation des Kernbegriffs des neuen § 34 BBauG, nämlich der "Unbedenklichkeit" eines Vorhabens nach der vorhandenen Bebauung, entwickelte sich erst allmählich. Für die Ausfüllung dieses Begriffs konnte nicht auf Rechtsprechung zu früheren Gesetzen zurückgegriffen werden, weil er ohne Vorbild war. Zu klären waren in den ersten Jahren drei Hauptfragen: erstens, in welche Beziehung das Vorhaben zu der vorhandenen Bebauung zu treten hatte, vor allem, ob und inwieweit es der Umgebungsbebauung entsprechen mußte; zweitens, welche Bedeutung bei der Beurteilung der Unbedenklichkeit die Planungsziele in § 1 Abs. 4 BBauG haben sollten und drittens, ob und inwieweit die Regelungen der BauNVO 1962 für die Beurteilung herangezogen werden durften. Zur Frage der Orientierung des Vorhabens an der vorhandenen Bebauung führte Schütz in der ersten Kommentierung von 1960 aus, ein Vorhaben sei unbedenklich, "wenn es nach Art und Maß, Stellung und Abstand der üblichen örtlichen Bebauung entspricht" 117 . Schrödter verwies in seinem 1964 erschienen Kommentar auf den Wortlaut des § 18 HessBauO und führte aus, ein Vorhaben sei unbedenklich, wenn es sich "nach der Eigenart des Baugebietes und nach der überwiegenden tatsächlichen Nutzung der umliegenden bebauten Grundstücke richtet" 118 . Vergleichsmaßstab sollte also die "übliche" bzw. "überwiegende" Bebauung in der Umgebung sein.

115 BVerwG, Urt. v. 25.2.1977, BRS Bd. 32, Nr. 157. Vgl. auch Weyreuter, Felix, Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme und seine Bedeutung fur den Nachbarschutz, Baurecht 1975, S. 1; Hüttenbrink, Zum nachbarschützenden Charakter des Rücksichtnahmegebots im unbeplanten Innenbereich gem. § 34 BBauG - ein konturloses Rechtsinstitut?, ZfBR 1983, S. 209. 116

Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.5.1986, NVwZ 1987, S. 128.

117

Vgl. Schütz und Frohberg, § 34 Anm. 1. Dieser Interpretation Schloß sich auch Fickert an, § 34 Anm. 2. 118

Vgl. Schrödter, Bundesbaugesetz, § 34 Anm. 1.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

Recht ausführlich setzte sich die in demselben Jahr erschienene Erläuterung von Gelzer mit dem Begriff auseinander. Er formulierte folgenden Obersatz zu seinen Ausführungen: "Die neuen Vorhaben müssen sich an die vorhandene Bebauung angleichen und dürfen deshalb (...) nicht abweichen in der Art und dem Maß der baulichen Nutzung, in der Bauweise und in der Inanspruchnahme der überbauten Grundfläche. " 1 1 9 Bei Gelzer fand sich auch bereits der Begriff der "näheren Umgebung", die abgegrenzt werden müsse, um die vorhanden Bebauung zu beurteilen 120 . Im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung führte Gelzer aus, sei ein Vorhaben unbedenklich, wenn es von den entsprechenden Werten der Nachbargrundstücke "nicht merkbar" abweiche. Geringfügige Abweichungen genügten jedoch nicht, um ein Vorhaben als bedenklich anzusehen121. Auch die Rechtsprechung des OVG Münster stellte für die Zulässigkeit eines Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung auf den "überwiegenden" und "typischen" Charakter der Umgebungsbebauung ab 122 , dem das Vorhaben entsprechen müsse. Von erheblicher Bedeutung für die Rechtsentwicklung war die Frage, ob das neue Vorhaben auch an den Leitsätzen der Bauleitplanung (§ 1 Absätze 1, 4 und 5 BBauG) zu messen sei. Dies wurde vom BVerwG in seiner ersten Entscheidung zu § 34 vom 29.8.61 123 eindeutig bejaht: "Für die Bestimmung des Begriffs 'unbedenklich' in § 34 BBauG sind die Richtlinien zu beachten, die das Gesetz für die Bauleitplanung aufgestellt hat (...) § 34 soll in solchen Gebieten, für die die Aufstellung eines Bebauungsplans noch nicht beschlossen oder nicht erforderlich ist, die Durchsetzung der Ziele des BBauG sichern. Unbedenklich i.S. dieser Vorschrift und damit zulässig kann daher nur eine solches Vorhaben sein, das den gesetzlichen Zielen der Bauleitplanung entspricht. Bei der Handhabung des § 34 BBauG ist also die Baubehörde ebenso wie bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Gemeinde an die gesetzliche Forderung einer in Berücksichtigung der vorhandenen Bebauung sachgerechten Leitung der weiteren Bebaung gebunden."

119 120

Vgl. Gelzer, Das neue Bauplanungsrecht, Köln 1964, § 173. Vgl. Gelzer, § 174.

121

Vgl. Gelzer, § 179.

122

Vgl. OVG Münster, Urt. v. 29.5.62, BRS Bd. 13, S. 5. - I C 36.60 -, NJW 1962, S. 507.

123

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

53

Das Gericht folgte damit den Vorstellungen des Gesetzgebers, wonach bei der Entscheidung im unbeplanten Innenbereich die städtebaulichen Ziele des BBauG im Einzelfall zu verwirklichen seien (vgl. oben, Kap. II b). Die Auffassung des BVerwG, die in dem Beschluß vom 13.8.1966 noch einmal ausdrücklich bestätigt wurde 124 , setzte sich auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung durch und bestimmte die Spruchpraxis der 60er Jahre 125 . Am ausgeprägtesten schlug sie sich in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg nieder: "Im nichtbeplanten Innenbereich hat die vorhandene Bebauung keine normative Bedeutung. Sie ist tatsächlicher Anknüpfungspunkt für die Grundsätze des modernen Städtebaus, die ihren Niederschlag in dem § 1 Abs. 35 BBauG gefunden haben." 126 In der Literatur war die Anwendung der Planungsgrundsätze bei der Beurteilung der Unbedenklichkeit allerdings nicht unumstritten. Während Geizer sie befürwortete, wenn auch nur in Ausnahmefallen 127, lehnte Schütz die Einbeziehung der Grundsätze in die Prüfung der Unbedenklichkeit ab. Er argumentierte, es komme lediglich auf die tatsächlichen Zustände an. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts finde im Gesetz keine Stütze 128 . Schließlich war es für die Auslegung des Begriffs der Unbedenklichkeit von großer Bedeutung, daß die 1962 erlassene Baunutzungsverordnung in § 24 Abs. 2 die sinngemäße Anwendung ihrer Vorschriften für die Fälle des § 34 BBauG anordnete. Dazu war das Baugebiet nach der tatsächlichen Eigenart der näheren Umgebung zu bestimmen. Auch die Höchstwerte zum Maß der Nutzung in § 17 Abs. 1 BauNVO durften nicht überschritten werden. § 24 Abs. 3 BauNVO sah zusätzlich eine Befreiungsmöglichkeit von den Vorschriften der BauNVO entsprechend § 31 BBauG vor 1 2 9 . Durch die entsprechende Anwendung der Zulässigkeitsregelungen der Baunutzungsverordnung für Baugebiete wurde die Beurteilung der Unbedenklichkeit deutlich erleichtert. 124

- IV Ρ 149.65 -, BBauBl. 1967, S. 351.

125

Vgl. z.B. OVG Münster, Beschl. v. 20.6.63, BRS Bd. 14, S. 49, Bay. VGH, Urt. v.l.4.66, BRS Bd. 17, Nr. 30 und die Bekräftigung des BVerwG, Beschl. v. 13.8.66, BRS Bd. 17, Nr. 32. 126 Urt. v. 9.1.69, BRS Bd. 22, Nr. 38; vgl. auch die Entscheidungen des Gerichts vom 2.12.65, BRS Bd. 16, Nr. 22 und vom 9.7.68, BRS Bd. 20, Nr. 178. 127

Vgl. Geizer, § 182.

128

Vgl. Schütz, 2. Aufl., Neuwied u.a. 1962, § 34 Anm. 1.

129 Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung) vom 26. Juni 1962 (BGBl. S. 429).

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

Allerdings regten sich schon früh kritische Stimmen in der Literatur, die zunächst § 24 Abs. 2 Satz 3 BauNVO für rechtlich bedenklich hielten, der festlegte, daß im unbeplanten Innenbereich die Höchstwerte für das Maß der baulichen Nutzung aus § 17 Abs. 1 BauNVO nicht überschritten werden durften. Gelzer kritisierte diese Regelung, weil dadurch § 34 BBauG abgeändert werde. § 34 bestimme, daß sich die Beurteilung allein nach der vorhandenen Bebauung zu richten habe. Dem Verordnungsgeber fehle für die Abänderung des § 34 BBauG durch die BauNVO die gesetzliche Ermächtigung 130 . Dieser Auffassung folgte das OVG Münster im des Jahre 1964 131 : Es entschied, § 24 Abs. 2 Satz 3 BauNVO sei unwirksam. Die Bedenken wurden zunehmend auf die gesamte Regelung des § 24 Abs. 2 BauNVO übertragen 132. Mitte der 60er Jahre waren sich alle Obergerichte einig, daß die Vorschrift mangels Ermächtigungsgrundlage ungültig sei 133 . Übereinstimmend gingen die Gerichte jedoch davon aus, daß die Vorschriften der BauNVO dennoch sinngemäß Anwendung im unbeplanten Innenbereich fänden, weil sich aus ihnen die städtebauliche Unbedenklichkeit und insoweit die Ubereinstimmung mit den Zielen des § 1 BBauG ergebe 134. Deshalb wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Unbedenklichkeit eines Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung weiterhin meist derart festgestellt, daß aus der näheren Umgebung ein fiktives Baugebiet der BauNVO bestimmt und die Zulässigkeit des beantragten Vorhabens in diesem Baugebiet nach den Baugebietsvorschriften der BauNVO beurteilt wurde 135 . Die Rechtsprechung bis Ende der 60er Jahre war also - etwas vereinfacht von den Grundsätzen geprägt, daß als Maßstab der Unbedenklichkeit die überwiegende, typische Bebauung der näheren Umgebung heranzuziehen sei, daß die Ziele der Bauleitplanung bei der Einzelfallbeurteilung zu beachten seien und daß dies durch entsprechende Anwendung der BauNVO zu geschehen habe.

130 131

Vgl. Gelzer, § 179. Dieselben Bedenken äußerte auch Schrödter, § 34 Anm. 1. Urt. v. 11.12.64, BRS Bd. 12, Nr. 12.

132 Vgl. Meyer (Senatspräsident am OVG Lüneburg), Zur Geltung des § 24 der BauNVO, DVB1. 1964, S. 518. 133 Vgl. V G H BW, Urt. v. 13.4.65, BRS Bd. 16, Nr. 26 (noch offengelassen); OVG Lüneburg, Urt. v. 20.10.65, BRS Bd. 16, Nr. 25; Hess. VGH, Urt. v. 31.8.66, BRS 17, Nr. 29. 134 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 20.10.65, BRS Bd. 16, Nr. 25, OVG Münster, Urt. v. 20.11.67, BRS Bd. 18, Nr. 25. 135 Dies sollte allerdings nicht schematisch in jedem Falle erfolgen, vgl. Bay. V G H , Urt. v. 1.4.66, BRS Bd. 17, Nr. 30; OVG Münster, Urt. v. 20.11.67, BRS Bd. 18, Nr. 25.

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum "bodenrechtlich relevanten Widerspruch" Mit seinem Urteil vom 23.4.1969 136 leitete das BVerwG nun eine Rechtsprechung ein, die von diesen Grundsätzen nicht unwesentlich abwich und für die weitere Entwicklung der Anwendung des § 34 BBauG und für künftige Novellen entscheidend war. In dem Urteil ging es um die Unbedenklichkeit zweier Hühnerställe mit 250 Hühnern in einem Gebiet, das sowohl Elemente eines Dorfgebiets als auch eines allgemeinen Wohngebiets und eines Mischgebiets enthielt. Das OVG Münster hatte die Unbedenklichkeit im wesentlichen deshalb verneint, weil die Umgebung des Grundstücks nicht vorwiegend zur Unterbringung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe diene. Deshalb entspreche das Gebiet einem allgemeinen Wohn- oder einem Mischgebiet. In diesen Gebietstypen sei jedoch die geplante Nutzung unzulässig. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte diese Argumentation ab und verwies die Sache zurück. In seiner Begründung ging es davon aus, daß Maßstab der Unbedenklichkeit unmittelbar allein der in der Umgebung des Baugrundstücks tatsächlich vorhandene Baubestand sei. Bei der Bestimmung des Gebietscharakters müsse zwar die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden, jedoch dürfe nur vernachlässigt werden, was die vorhandene Bebauung in keiner Weise präge oder sich gar als echter Fremdkörper darstelle. Wenn ein Gebiet nicht ganz unerhebliche Elemente eines Dorfgebiets enthalte, so sei es eben auch ein Dorfgebiet. Die Verbindung zwischen der vorhandenen Bebauung und der Unbedenklichkeit habe einen negativen Gehalt 137 : "§ 34 BBauG verlangt nicht, daß neue Vorhaben mit der bereits vorhandenen Bebauung übereinstimmen und eine in ihr etwa zum Ausdruck kommende Konzeption fortsetzen. Selbst die Formulierung, daß sich ein Vorhaben der vorhandenen Bebauung 'anpassen', sich ihr 'einfügen' müsse, könnte mißverstanden werden. Es genügt, wenn das Vorhaben mit der vorhandenen Bebauung in dem Sinne vereinbar ist, daß seine Ausführung keinen bodenrechtlich relevanten Widerspruch hervorruft. Insofern gilt - zumal vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG - daß ein Vorhaben der vorhandenen Bebauung nicht (positiv) zu entsprechen braucht, sondern für seine Zulässigkeit ausreicht, daß es ihr nicht widerspricht. Ein

136 137

- IV C 12.67 -, BVerwGE Bd. 32, S. 31 ff., BRS Bd. 22, Nr. 42, DVB1. 1970, S. 69. BVerwG, BVerwGE Bd. 32, S. 32.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

Widerspruch wird insbesondere dann vorliegen, wenn der hinzutretende Bau die vorhandene Situation mehr als nur geringfügig verschlechtert. " Nach diesen Grundsätzen, die später von den Kommunen als "Verschlechterungsrechtsprechung" bezeichnet wurden 138 , konnten die städtebaulichen Ziele des BBauG bei der Entscheidung der Unbedenklichkeit keine entscheidende Bedeutung mehr haben. Folgerichtig führte das BVerwG aus, § 1 Abs. 4 und 5 BBauG sei nur für die Prüfung heranzuziehen, ob eine Veränderung sich als Verschlechterung darstelle, bzw. "ob ein Widerspruch zur vorhandenen Bebauung bodenrechtlich relevant ist". Auch der Beitrag der Baunutzungsverordnung sei - als Richtlinie und sachverständige Konkretisierung städtebaulicher Ziele - auf diese Prüfung beschränkt. Wie § 1 BBauG könne sie nur Berücksichtigung finden, wenn sich nicht schon aus § 34 eindeutig die Bedenklichkeit oder Unbedenklichkeit eines Vorhabens ergeben habe. Nach dieser Rechtsprechung konnte es also dem Grundstückseigentümer nach § 34 BBauG nicht verwehrt werden, eine den Zielen des BBauG und den Vorschriften der BauNVO widersprechende städtebauliche Situation durch neue Gebäude fortzusetzen oder gar geringfügig zu verschlechtern. Damit wurde eine deutliche Wende gegenüber der bisherigen Rechtsprechung der Obergerichte eingeleitet, die auch in wesentlichen Punkten von der ersten Entscheidung des BVerwG zu § 34 vom 29.8.1961 (vgl. oben S. 61) abwich. Daß die Entscheidung 1969 auch von den Obergerichten als einschneidende Richtungsänderung empfunden wurde, zeigt das Vorwort von Konrad Gelzer zum 22. Band der Baurechtssammlung: "Die neue Rechtsprechung zu § 34 BBauG zeigt den Umfang auf, in dem durch höchstrichterliche Rechtsprechung die Anwendung einer der wichtigsten Vorschriften des Bauplanungsrechts neuen Grundsätzen unterworfen werden kann, und wie abhängig die Auslegung gesetzlicher Begriffe von einer verwaltungsgerichtlichen Interpretation ist". Die "Verschlechterungsrechtsprechung" wurde in späteren Entscheidungen des BVerwG bekräftigt und nur insoweit eingeschränkt, als in dem Urteil v. 25.1.1974 139 festgestellt wird, ein bodenrechtlich relevanter Widerspruch könne auch bei einer nur geringfügigen Verschlechterung der gegenwärtig gegebenen Situation dann vorliegen, "wenn nach Lage der Dinge mit dem künftigen Eintritt von (negativen) Folgewirkungen gerechnet werden muß".

138 139

Vgl. Schmidt-Eichstaedt, Fußnote 32. - IV C 72.72 -, BVerwGE Bd. 44, S. 302 ff.

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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Es sollte also die "negative Vorbildwirkung" eines Vorhabens mit berücksichtigt werden. Mit diesen Auslegungsschritten des Bundesverwaltunsgerichts hatte der zentrale Begriff des § 34 BBauG 1960 insgesamt eine Form erhalten, die von den Vorstellungen, die im Gesetzgebungsprozeß sichtbar wurden, in wesentlichen Punkten abwich: § 34 war in den Materialien zum BBauG noch als Planungsentscheidung im Einzel fall beschrieben worden, bei der über den Begriff der "Unbedenklichkeit" den Planungsgrundsätzen des § 1 Abs. 4 BBauG auch in nichtbeplanten Gebieten zur Geltung verholfen werden sollte. Nun wurde § 34 zugunsten der Grundstückseigentümer und zu Lasten der Verwirklichung der städtebaulichen Ziele des BBauG als Recht des Grundstückseigentümers zur Fortsetzung und geringfügigen Verschlechterung der städtebauliche Situation interpretiert, wobei die positiven Planungsgrundsätze nur noch als Indikator für eine Verschlechterung berücksichtigt werden durften. Eine Zusammenfassung dieser neuen Grundauffassung zu § 34 und einen Einblick in die systematischen Überlegungen, die zu dieser Auslegung führten, gab Sendler, Richter am Bundesverwaltungsgericht, in einem Aufsatz aus dem Jahre 1968 140 . Sendler führt aus, bei § 34 fehle es im Gegensatz zu § 30 an einem positiven Willen des örtlichen Planungsgesetzgebers141. Deshalb sei hier der Planungsgesetzgeber des Bundes gewissermaßen stellvertretend für den schweigenden örtlichen Planungsgesetzgeber tätig geworden. § 34 sei also Planersatz, nicht aber ein Ersatzplan, mit dem sich der örtliche Planungsgesetzgeber beruhigen könnte. Der Planersatz sei, weil er vom ortsfernen Bundesgesetzgeber geliefert worden sei, notwendig grobmaschig. § 34 lasse deshalb manches hingehen, was der konkret planende örtliche Gesetzgeber nicht hinnehmen würde oder nicht hinzunehmen brauchte. Bei § 34 habe also im Zweifel die Baufreiheit Vorrang 142 . Der Unterschied dieser Auslegung zum Regelungsmodell der Gesetzesmaterialen liegt auf der Hand: § 34 wird als grobmaschiges, auf der Ebene des Bundesgesetzgebers geknüpftes Netz interpretiert und nicht als Rahmen, in den durch Einzel fallentscheidungen ein an den Ziel Vorstellungen des § 1

140 Vgl. Sendler, Zulässigkeit von Bauvorhaben. Die §§ 29 bis 34 des Bundesbaugesetzes, BBauBl. 1968, S. 12 ff. und 63 ff. 141 Vgl. Sendler, Zulässigkeit von Bauvorhaben, S. 13. 142 Vgl. Sendler, Zulässigkeit von Bauvorhaben, S. 67.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteipretation und Rechtspraxis

BBauG und den örtlichen Bedürfnissen ausgerichtetes fall spezi fisch feinmaschiges Netz eingepaßt werden kann. Diese Auslegung betont nicht nur den Grundsatz der Baufreiheit, sondern sie hat für Sendler zusätzlich eine pädagogische Funktion: "Gerade die Tatsache, daß bei § 34 manches hingenommen werden muß, soll den örtlichen Planungsgesetzgeber, wenn er dies nicht will, zwingen, konkret zu planen und damit seinen positiven Willen zu äußern. Damit hat § 34 zumindest auch die Funktion, einen Planungsdruck auszuüben. Wenn es anders wäre, dann brauchten wir im Grunde für bebaute Ortsteile gar keinen Plan; sein Aufgabe könnte - im Verein mit der Baunutzungsverordnung ( . . . ) - der § 34 im Grunde genommen genau so gut erfüllen. Vielleicht könnte er das sogar noch besser, weil er es dem örtlichen Planungsgesetzgeber erspart, sich festzulegen, konkret zu werden, eigene Vorstellungen und Ziele zu entwickeln, und weil er ihm die Möglichkeit zu geben scheint, alles offen zu halten, flexibel zu reagieren und je nach Bedarf mit dem nun ja nicht gerade sehr trennscharfen Begriff der Unbedenklichkeit zu manipulieren." 143 Damit wird das rechtspolitische Grundanliegen Sendlers (und wohl auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts) deutlich: Die Gemeinden sollen zur Planung - und damit zur Nutzung der rechtsstaatlich geregelten Verfahren der Planaufstellung - gezwungen werden, wenn sie die Baufreiheit begrenzen wollen. Den örtlichen Entscheidungsträgern soll ein Ausweichen auf flexible Entscheidungen im Einzel fall möglichst verwehrt werden. Auch hierin liegt eine - eigentumsrechtlich motivierte - Tendenzverschiebung gegenüber den Vorstellungen der Gesetzesmotive, wonach Planung in bebauten Gebieten nur für Fälle der Veränderung der vorhandenen Situation für erforderlich gehalten wurde. Wie die spätere Entwicklung zeigte (siehe unten Kap. Β II b), konnte das pädagogische Mittel, durch die Betonung der Baufreiheit die Gemeinden zu verstärkter Planung zu drängen, in der Praxis kaum greifen: Im Gegensatz zu der empirischen Vermutung, die der These Sendlers zugrunde lag, daß die Gemeinden in den unbeplanten Gebieten über den vorhandenen Rahmen hinausgehende Bebauungen verhindern wollten, ging in den 60er Jahren die Tendenz in den Gemeinden eher dahin, weitreichende bauliche Verdichtungen zuzulassen. Diesen Zielen kam die baufreundliche Auslegung der Literatur und der Rechtsprechung entgegen, weil damit ohne vorherige Aufstellung von Bebauungsplänen auch Vorhaben zugelassen werden konnten, die nach 143

Sendler, Zulässigkeit von Bauvorhaben, S. 13.

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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Art und Maß von der "überwiegenden" Bebauung in der Umgebung teilweise abwichen. Der Grundansatz Sendlers, daß im unbeplanten Innenbereich im Zweifel die Baufreiheit Vorrang habe, hatte eine weite Interpretation des Begriffs der Unbedenklichkeit zur Folge: Unbedenklich sei - stark vereinfacht - alles, was auch geplant werden könnte. In diesem Sinne könne auch § 1 Abs. 4 BBauG herangezogen werden. Nicht jedoch im umgekehrten Sinne: "§ 34 erlaubt das, was auch geplant werden könnte, verbietet aber nicht, was eine zulässige Planung durchaus verbieten könnte, aber eben nicht verboten hat." 1 4 4 In Anwendung dieses Grundsatzes beurteilte Sendler auch eine störende Anlage als zulässig, die im unbeplanten Bereich ohne Schutzabstand oder Schutzstreifen neben einem Wohngebiet erichtet werden sollte 145 . Er begründete dieses Ergebnis mit der damals offenbar noch vorherrschenden Meinung, ein derartiges Nebeneinander dürfe ja auch mittels Bebauungsplan zugelassen werden. Dieses Beispiel zeigt, welche Verschlechterung der städtebaulichen Situation im Interesse der Baufreiheit hingenommen wurden. Der Baugenehmigungsbehörde wurde damit im unbeplanten Innenbereich nur noch eine geringe Steuerungskompetenz zugestanden. Darüber hinaus kann an dem Beispiel gezeigt werden, daß die pädagogische Strategie einen entscheidenden Mangel hatte: Gerade die Zulassung städtebaulicher Verschlechterungen nach § 34 erschwerte es den Gemeinden, durch Bauleitplanung ordnend entgegenzusteuern, weil durch diese Rechtsprechung Genehmigungsanspiiiche entstanden, die im Planungsfalle entschädigt werden mußten. Drohende Entschädigungsansprüche aber hindern in der Praxis die Aufstellung von Bebauungsplänen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Interpretation des Begriffs "Unbedenklichkeit" durch das BVerwG gegenüber dem im Gesetzgebungsprozeß sichtbar werdenden Regelungsmodell die Baufreiheit betonte (bei entsprechender Schwächung der Sozialbindung des Eigentums) und der örtlichen Entscheidungsebene Regelungskompetenzen im Einzel fall verwehrte. Damit war bereits angelegt, daß in den unbeplanten Iniienbereichen die städtebaulichen Ziele des Bundesbaugesetzes nicht erfüllt und Ver-

144

Vgl. Sendler, Zulässigkeit von Bauvorhaben, S. 68. Vgl. Sendler unter Berufung auf einen unveröffentlichten Beschluß des BVerwG vom 16.12.1963 - I B 162.63 145

60

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

schlechterungen der städtebaulichen Situation nicht verhindert werden konnten.

b) Die Anwendung des § 34 BBauG in den Gemeinden in der Phase der Bau-Hochkonjunktur Nach empirischen Berichten über die Handhabung des § 34 Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre kam die Betonung der Baufreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vielen Gemeinden in ihren expansiven Entwicklungszielen sehr gelegen. Im damals zu verzeichnenden "Bauboom" tendierten sie ohnehin dazu, auch strukturverändernde Bauvorhaben größeren Umfangs weitgehend ungeplant und vor allem ohne vorangehende Bebauungsplanung zuzulassen146. Nach damaligen städtebaulichen und architektonischen Vorstellungen wurden Hochhausanlagen und futuristische Stadtzentren inmitten kleinteiliger Bebauungsstruktur als zukunftsweisend bewundert und als kommunale Prestige-Objekte wohlwollend unterstützt. Verwaltungshochhäuser und große Kaufhausblöcke innerhalb historischer Altbaubestände, Punkthochhäuser am Stadtrand zwischen zweigeschosssigen Einzelhäusern, Terrassenhäuser an landschaftlich reizvollen Hängen, die später als städtebauliche Fehlentwicklungen erkannt wurden, entstanden vielfach ohne Bebauungsplan nach § 34 BBauG. Aus Ratsprotokollen ist belegt, daß z.T. die Überzeugung vorherrschte, § 34 ersetze einen Bebauungsplan, wobei auch zu beachten sei, daß "nicht nur die bestehende, sondern auch die zukünftige Bebauung in die Prüfung einzubeziehen" sei 147 . Diese Praxis ging zwar über die Grundsätze der Rechtsprechung noch hinaus, sie hielt sich aber weitgehend in der von Sendler 1 4 8 geäußerten Vorstellung, § 34 erlaube das, was auch geplant werden könne - wobei Sendler offenbar den Planungsspielraum der Gemeinden erheblich weiter auslegte, als dies nach heutigen Grundsätzen der Rechtsprechung angenommen wird. Die weite Interpretation des § 34 durch die Rechtsprechung wurde also bei einem Teil der Gemeinden als willkommene Unterstützung großzügiger kommunaler Baupolitik genutzt. Anfang der 70er Jahre regte sich jedoch bei 146 Vgl. Scharmer/Wollmann/Argast, Rechtstatsachenuntersuchung zur Baugenehmigungspraxis, Schriftenreihe 03 "Städtebauliche Forschung" des Bundesministers fiir Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bonn-Bad Godesberg 1985, S. 39. 147 148

Aus einem Ratsprotokoll des Jahres 1973, zitiert nach Scharmer/Wollmann/Argast. Vgl. oben Kap. B i l d .

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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solchen Städten Widerstand, die den Wert ihrer historischen Bausubstanz erkannt hatten und die sich bemühten, ihre alten Stadtkerne vor Umnutzungsprozessen durch das Vordringen des tertiären Sektors zu schützen. Dieses Ziel ließ sich mit § 34 in der Form, die das Bundesverwaltungsgericht ihm gegeben hatte, kaum erreichen. Die Initiative dieser Städte, besonders der Arbeitsgemeinschaft Bamberg-Lübeck-Regensburg, gab u.a. den Anstoß für die Korrektur der Rechtsprechung durch die Novelle des BBauG 1976 149 .

3. Zusammenfassung Der erste Referentenentwurf zum Bundesbaugesetz von 1950 entsprach in seiner Grundkonzeption dem Berliner Planungsgesetz. Als Leitgedanke wurde das Prinzip der Planmäßigkeit betont. Generelle Zulässigkeitsregelungen für nichtbeplante Ortsteile waren deshalb - wie in dem Berliner Gesetz nicht vorgesehen. Auch in späteren Entwurfsfassungen zum Bundesbaugesetz hatte das Prinzip der Planmäßigkeit einen hohen Stellenwert, jedoch wurden die Grenzen des Prinzips deutlicher herausgestellt. Bebauungspläne sollten nur bei konkretem Bedürfnis aufgestellt werden, insbesondere für die Neuerschließung von Baugebieten und für wesentliche städtebauliche Veränderungen. Die 1961 in Kraft getretene Formulierung des § 34 findet sich - nur wenig verändert - erstmals in § 38 des Entwurfs der Hauptkommission für die Baugesetzgebung 1956. Allerdings nannte der Entwurf neben dem Erfordernis der "Unbedenklichkeit" zusätzlich als weitere Genehmigungsvoraussetzung, daß die sonstigen Vorschriften des Bundesbaugesetzes und sonstige baurechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen durften. Aus der Entwurfsbegründung läßt sich belegen, daß die Entwurfsverfasser in der Genehmigungsentscheidung im nicht beplanten Innenbereich eine städtebauliche Planungsentscheidung im Einzelfall zur Einbindung eines Vorhabens in die Umgebungsbebauung sahen. Bei dieser städtebaulichen Entscheidung sollten dann auch die anderen Vorschriften des BBauG beachtet werden. Auch im beratenden Bundestagsausschuß bestand - soweit ersichtlich - diese Vorstellung. Mit der endgültigen Formulierung des Redaktionsausschusses, in der der Bezug zu den sonstigen Vorschriften des BBauG nicht mehr genannt wurde, sollte diese Auffassung nicht aufgegeben werden.

149

Vgl. unten Kap. Β III 1.

62

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

Die knappen und ausfiillungsbedürftigen Begriffe des § 34 BBauG 1960 erhielten durch die Auslegung in Literatur und Rechtsprechung während der ersten zehn Jahre ihrer Geltung präzisere Konturen. Für die wichtigsten Anwendungsfragen wurden Lösungen gefunden, die zumeist bis heute die ständige Rechtsprechung bestimmen, soweit sie der Gesetzgeber nicht durch spätere Novellierungen korrigiert hat. Beim Kernbegriff des § 34, bei der Frage der "Unbedenklichkeit", entwikkelte das Bundesverwaltungsgericht ab 1969 allerdings eine Rechtsprechung, die deutlich von dem Regelungsmodell, das sich während des Gesetzgegungsprozesses abgezeichnet hatte, abwich. Bis dahin hatten sich die Obergerichte zur Beurteilung der Unbedenklichkeit, ausgehend von der überwiegenden, typischen Bebauung der Umgebung, an den Planungszielen des § 1 BBauG und ihrer Konkretisierung in der BauNVO orientiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1969 war jedoch jede Bebauung zulässig, die keinen bodenrechtlich relevanten Widerspruch zu Umgebungsbebauung hervorrief und die vorhandene Situation nicht mehr als geringfügig verschlechterte. Die Planungsziele des § 1 BBauG sollten nur noch als Indikator für eine Verschlechterung herangezogen werden. Eine den Zielen des § 1 BBauG widersprechende städtebauliche Situat i o n konnte danach durch neue Gebäude also fortgesetzt, ja geringfügig verschlechtert werden. Mit diesem Rechtsprechungsschwenk wurde die Baufreiheit zulasten der Sozialbindung des Eigentums betont und die Zulässigkeit deutlich erweitert. Die erleichterte Zulassung baulicher Vorhaben im unbeplanten Innenbereich hatte nicht etwa eine verstärkte Planungstätigkeit der Gemeinden zu Folge (was mit der Rechtsprechung offenbar intendiert war), sondern begünstigte in den Zeiten des "Baubooms" der 60er Jahre die Genehmigung auch strukturverändernder Bauvorhaben in den Gemeinden ohne vorausgehende förmliche Planung. Mit der Kritik an den städtebaulichen Entwicklungen dieser Zeit wuchs jedoch auch die Kritik an der "Verschlechterungsrechtsprechung" des Bundesverwaltungsgerichts. Dies war ein wesentlicher Anstoß für die spätere Novellierung des § 34 BBauG. Unter den Bauordnungen der Länder, die zwischen 1945 und 1960 erlassen wurden, finden sich nur in der Hessischen Bauordnung von 1957, die in Kenntnis der Regierungsentwürfe zum Bundesbaugesetz von 1956 erarbeitet wurde, Vorschriften, die dem Regelungsprogramm des § 34 mit seiner Anknüpfung an die Umgebungsbebauung entsprachen. Mit § 34 verließ also das Baurecht im nicht beplanten Innenbereich - sieht man einmal von der hessischen Regelung von 1957 ab - erstmals die bisherige Normstruktur der zwar

II. Entstehung und Entwicklung des § 34 BBauG 1960

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groben, aber konkret gefaßten Regelungen über Art und Maß der baulichen Nutzung und ersetzte diese Vorschriften durch eine Generalklausel, die für die Bestimmung der Bebaubarkeit eines Grundstücks nach Art und Maß der Nutzung an die Struktur der Umgebungsbebauung anknüpfte.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinteretation und Rechtspraxis

I I I . Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979 1. Die Novellierung 1976

a) Gründe für die Novellierung des BBauG Die Vorbereitungen für die Novellierung des BBauG 1976 begannen Anfang der 70er Jahre. Grund für die Novellierungsbestrebungen und Hauptziel des ersten Referentenentwurfs von 1972 war es, die Verbesserungen für ein soziales und demokratisches Planungs- und Bodenrecht, die mit dem Städtebauförderungsgesetz 1972 für Sanierungsgebiete eingeführt worden waren, nun auch in das BBauG zu übernehmen. Eine Novelle mit diesem Ziel wurde von Bundeskanzler Brandt in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 angekündigt. Die Novellierungsarbeiten konzentrierten sich deshalb auf die Regelungsbereiche Entwicklungsplanung, verbesserte Bürgerbeteiligung, die Planverwirklichungsgebote und vor allem die Abschöpfung der durch öffentliche Planung ausgelösten Bodenwertsteigerungen. Diese Themenbereiche - insbesondere der Planungswertausgleich zur Eindämmung der Bodenspekulation - standen auch im Mittelpunkt der folgenden parlamentarischen und öffentlichen Diskussion. Im Bundesbauministerium wurde die Strategie verfolgt, die Novellierung auf die Übernahme wichtiger Elemente aus dem Städtebauförderungsgesetz zu begrenzen. Andere Regelungsbereiche, die sich in der mehr als zehnjährigen Erfahrung mit dem BBauG als revisionsbedürftig erwiesen hatten, sollten erst bei einer späteren Novellierung in Angriff genommen werden. Auf dieser späteren Stufe sollten vor allem die Bereiche Bodenverkehr, Umlegung und Erschließung neu überdacht werden. Für später aufgeschoben wurde auch der Gedanke, das StBauFG und das BBauG wieder zu einem Gesetz zu verbinden. Durch dieses System der Teilnovellierungen erhoffte sich das Ministerium eine schnellere Durchsetzung der Gesetzesänderung im parlamentarischen Verfahren, das man von zusätzlichen Belastungen freihalten wollte. Obwohl sich die Kommunalen Spitzenverbände zunächst ausdrücklich gegen das Verfahren der Teilnovellierungen wandten 150 , konnte das Bundesbauministerium seine Strategie weitgehend durchhalten.

150

Vgl. Deutscher Städtetag (Hrsg.), Besseres Planungs- und Bodenrecht, Vorschläge des Deutschen Städtetages zur Novellierung des BBauG, Reihe E, DST-Beiträge zur Stadtentwicklung, Köln 1973; Stellungnahme des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zur Novellierung des Bundesbaugesetzes vom 31.8.1973, S. 9: "(...) eine Reform des Bundesbaugesetzes in Stu-

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

65

Allerdings ließ es sich nicht vermeiden, zusätzlich einzelne Vorschriften in die Novellierung einzubeziehen, deren Revision bereits politisch gefordert wurde. Hierzu gehörte insbesondere § 35 BBauG. Diese Vorschrift wurde teilweise als zu eng empfunden und war schon mehrfach Gegenstand parlamentarischer Aktivitäten. Obwohl die Regelung in § 35 BBauG zum Bauen im Außenbereich an die Bestimmungen über das Bauen im Außenbereich in der bis 1960 gültigen Bauregelungsverordnung anknüpfte, war es in der Praxis offenbar vermehrt zu Ablehnungen von Baugesuchen gekommen. Die restriktive Handhabung löste bei steigendem Baulandbedarf und kletternden Bodenpreisen zunehmend politische Aktivitäten aus. So hatten die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP bereits am 28. Juni 1966 einen Initiativ-Entwurf eingebracht, mit dem die Bebauung an den Ortsrändern erleichtert werden sollte. Vorgesehen war eine Ermächtigung der Länder, durch Landesgesetz Vorhaben zuzulassen, die sich an die vorhandene Bebauung anschließen. Darüber hinaus sollten die Anforderungen an die Abwasserbeseitigung durch Änderung des § 34 WHG verringert werden. Nachdem der Novellierungsvorschlag jedoch im Abstimmungsverfahren mit den Verbänden und Landesreferenten einhellig abgelehnt worden war 151 und sich zudem herausstellte, daß die Probleme mit dem Wasserhaushaltsgesetz ausschließlich durch eine besonders strenge Handhabung in Bayern ausgelöst worden waren, wurde die Beratung des Entwurfs vom zuständigen Ausschuß 1967 zunächst um ein Jahr verschoben 152 und dann nicht weiter verfolgt. In den folgenden Jahren kam es noch mehrfach zu parlamentarischen Anfragen 153 zu § 35, so daß die Überprüfung der Vorschrift im Zuge der Novellierung nicht zu umgehen war.

b) Anstöße aus der Praxis zur Änderung des § 34 Unproblematisch und zunächst nicht novellierungsbedürftig - zumindest nicht in diesem Durchgang - erschien demgegenüber die Regelung für das fen, wie sie die Bundesregierung vorsieht (ist) bedenklich. (...) Vor allem können so die Zusammenhänge von Planen, Ordnen, Finanzieren und Bauen nicht voll berücksichtigt werden. (...) Die Entstehungsgeschichte des Bundesbaugesetzes zeigt, daß eine Novellierung eine Gesamtkonzeption verlangt." 151 So bezeichnete beispielsweise der Deutsche Städtetag in seiner Stellungnahme vom 20.10.1966 den Entwurf als "bedenklich und auch gefahrlich". 152 Beschluß des Ausschusses für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen - 9. Ausschuß - in seiner Sitzung am 9.3.1967.

5 Scharnier

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

Bauen im unbeplanten Innenbereich in § 34 BBauG. Im Vorfeld der Novellierung war diese Vorschrift weder im parlamentarischen Bereich noch von den Verbänden als besonders problematisch und änderungsbedürftig thematisiert worden 154 . In den ersten Referentenentwürfen findet sich deshalb kein Änderungsvorschlag zu § 34 BBauG. Der erste Anstoß für eine Revision des § 34 BBauG hatte seine Wurzeln in den Erneuerungsproblemen der historischen Altstädte. Im September 1973 schlossen sich die Städte Bamberg, Lübeck, Regensburg zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, um gemeinsam Initiativen zur Erhaltung ihrer Altstädte zu entwickeln und um Verbesserungen des rechtlichen und finanziellen Instrumentariums zu erreichen. Ende 1973 legten die Verwaltungsfachleute der drei Städte ein Arbeitspapier mit ersten Überlegungen zur Erhaltung und Erneuerung der alten Städte vor. Einer der Schwerpunkte der darin geübten Kritik am städtebaurechtlichen Instrumentarium betraf § 34 BBauG. In dem Arbeitspapier 155 wurde zunächst darauf verwiesen, daß die neuen Instrumente des StBauFG lediglich in kleineren Sanierungsgebieten angewendet werden könnten, so daß in dem weitaus größten Teil der Innenstadtgebiete die bauliche Entwicklung über § 34 BBauG gesteuert werden müsse. Diese Vorschrift sei jedoch in der Form, die sie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefunden habe, keine Hilfe zur Lenkung des städtebaulichen Geschehens in den Altstädten. Sie sei eher geeignet, "(...) dort eine Verfestigung städtebaulicher Mißstände herbeizuführen, weil die Rechtsprechung die Unbedenklichkeit von Vorhaben im unverplanten Innenbereich in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, umgebungsbezogen wertet. Eine an den Planungszielen des § 1 BBauG ausgerichtete Beurteilung des jeweiligen Einzelvorhabens für sich allein ist aus der Rechtsprechung nicht erkennbar. " Die Städte stünden deshalb in der Situation, daß sie Vorhaben für zulässig erklären müßten, die - in Übereinstimmung mit der in der Umgebung vorhandenen Bebauung - städtebauliche Mißstände fortsetzten, verfestigten oder gar

153

Vgl. Anfrage des Abg. Burger, BT-Drucks. 5/3350 Nr. 7 und des Abg. Dr. Häferle, BT-Drucks. 5/3878. 154 Allerdings hatte der Deutsche Städtetag in seinem Entwurf für ein neues Bau- und Bodenrecht bereits am 6.2.1989 vorgeschlagen, für die Prüfung der Unbedenklichkeit § 35 Abs. 3 Satz 1 BBauG entsprechend anzuwenden, d.h. ein Vorhaben abzulehnen, wenn es die dort aufgeführten öffentlichen Belange beeinträchtigt. 155

Vgl. Arbeitsgemeinschaft Bamberg-Lübeck-Regensburg, Überlegungen zur Erhaltung und Erneuerung alter Städte, Regensburg 1973, S. 8.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

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noch in geringfügigem Umfang verstärkten oder eine spätere Sanierung sogar erschwerten. Die Arbeitsgemeinschaft schlug deshalb eine Ergänzung des § 34 um einen Abs. 2 vor: "Die Gemeinde kann durch Satzung Altstadtgebiete bezeichnen, in denen Vorhaben unzulässig sind, die städtebauliche Mißstände verfestigen oder verstärken oder eine spätere Sanierung nicht nur unerheblich erschweren können. Die Vorschriften über den Schutz und die Erhaltung von Baudenkmälern finden uneingeschränkt Anwendung." Als Alternative wurde angeregt, für Städte, die über große Flächen erneuerungsbedürftiger historischer Bausubstanz verfügen, eine § 15 StBauFG ähnliche Genehmigungspflicht einzuführen.

c) § 34 im Regierungsentwurf Während nach Besprechungen mit der Arbeitsgemeinschaft im Bundesbauministerium bereits an einer neuen Formulierung für § 34 gearbeitet wurde, setzte sich Anfang März 1974 zusätzlich das Land Nordrhein-Westfalen für eine Änderung des § 34 BBauG ein 156 : Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Art und Maß der baulichen Nutzung sehr weit auslege, wurde vom Innenminister des Landes beklagt, daß die Kommunen dazu neigten, von der im Bundesbaugesetz vorgesehenen Aufstellung von Bebauungsplänen abzusehen und statt dessen das Baugeschehen innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ausnahmslos über § 34 BBauG zu lenken. Diese Handhabung laufe dem Ziel des BBauG, die städtebauliche Entwicklung in Stadt und Land zu ordnen, letztlich entgegen. Es sei deshalb dringend geboten, dieser Entwicklung durch eine Neufassung entgegenzutreten. Dabei unterstützte das Land einen Formulierungsvorschlag, der in der Fachkommission Bauaufsicht der ARGEBAU erarbeitet worden war. Dieser Vorschlag entsprach bereits in den Grundzügen der später vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Fassung des § 34 Abs. 1 BBauG 1976. Vor allem enthielt er bereits die beiden wesentlichen Abweichungen vom alten Recht, nämlich

156

Interview v. 4.8.1982 mit einem Mitarbeiter des Bundesbauministeriums.

68

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

- die Verengung des Zulässigkeitsmaßstabs, indem der Begriff der "Unbedenklichkeit" nach der vorhandenen Bebauung durch das Erfordernis des "Einfügens" in die Eigenart der näheren Umgebung ersetzt wurde, sowie - die Bindung der Zulässigkeit eines Vorhabens - unabhängig von der Umgebung - an die gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse. In der folgenden Fassung wurde § 34 dann in den Regierungsentwurf 57 vom 10.5.1974 aufgenommen:

"Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es den Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht widerspricht, sich nach Art und Maß entsprechend der tatsächlichen Eigenart der näheren Umgebung in die vorhandene Bebauung einfügt, die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben, die Erschließung gesichert ist und sonstige öffentliche Belange nicht entgegenstehen. " Darüber hinaus wurde die Ermächtigungsgrundlage für Vorschriften der Baunutzungsverordnung in § 2 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 BBauG neu gefaßt. Danach konnten durch Rechtsverordnung Vorschriften erlassen werden über "die nähere Bestimmung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer baulichen und sonstigen Nutzung unter Berücksichtigung der Grundsätze des § la Abs. 5 und 6 in Gebieten, für die Bebauungspläne im Sinne des § 30 nicht aufgestellt sind. " Die Begründung des Regierungsentwurfs verweist auf erhebliche Schwierigkeiten, zu denen § 34 des geltenden Rechts geführt habe. Gewisse Unsicherheiten für die Entscheidungen im Einzelfall hätten sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 34 BBauG und zu § 24 BauNVO ergeben. In der Praxis werde die Gefahr der unkontrollierten städtebaulichen Enwicklung innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile gesehen. Manche Gemeinden hätten in den bebauten Ortslagen auf die Aufstellung von Bauleitplänen verzichtet und so die Planungsverpflichtung nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes umgangen. Sie ließen sich davon leiten, daß die

157

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugesetzes, BR-Drucks. 300/74.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

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weitgefaßten Tatbestäde des § 34 BBauG ihnen die erforderlichen Handhaben geben würden. Die vorgeschlagene Neufassung binde die Zulässigkeit der Nutzung stärker als bisher an die tatsächlich vorhandene Bebauung. Die vorhandene Bebauung sei aber dann kein Maßstab, wenn sie nicht den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse entspreche. Durch die Änderung der Verordnungsermächtigung in § 2 Abs. 10 werde die Grundlage für eine Rechtsverordnung geschaffen, in der die näheren Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile bestimmt werden könne, nachdem das Bundesverwaltungsgericht § 24 Abs. 2 wegen nicht ausreichender Ermächtigungsgrundlage für unwirksam erklärt habe.

d) Die Neufassung im parlamentarischen Verfahren Die Neufassung des § 34 passierte ohne Widerspruch die ersten parlamentarischen Hürden. Im Bundesrat wurden keine Änderungsanträge zu dieser Vorschrift gestellt. In den Debatten in der 407. Sitzung des Bundesrates am 21.6.1974 und der 1. Lesung in der 120. Sitzung des Bundestages am 27.9.1974 beherrschten die Themen Planungswertausgleich, Planverwirklichungsgebote und Bürgerbeteiligung die politischen Auseinandersetzungen, während § 34 nicht angesprochen wurde. Nicht anders verlief die erste Phase der Beratungen im federführenden Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (15. Ausschuß), der in seiner 31. Situng am 5.11.1974 die Beratungen zur Novelle aufnahm. Die ersten Beratungen dienten vor allem der Information des Ausschusses. Es wurden zwei Planspiele zum Gesetzentwurf durchgeführt 158 sowie Verbände und Sachverständige angehört 159. Schwerpunkte der Planspiele waren die Bereiche Planungswertausgleich, Stadtentwicklungsplanung und Plan Verwirklichungsgebote in Wuppertal sowie die Anwendung der Novelle in kleinen Städten und Gemeinden des ländlichen Raumes, Planungswertausgeich und Bauen im Außenbereich in Ingelheim. Neben diesen Themen blieb für die Problme des unbeplanten Innenbereichs keine Zeit mehr. Lediglich in den schriftlichen Voten wurde zu § 34 Stellung genommen. Die Planspieler hielten die Neufassung des § 34 für ausreichend, wenn die Möglichkeit geschaffen 158

Am 5. und 6. 11.1974 in Wuppertal und am 21. und 22. 4. 1975 in Ingelheim. Anhörung der Verbände am 13.11.1974 und am 26.2.1975, der Sachverständigen am 12.11.1974 und am 22.1.1975. 159

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

werde, die Maßstäbe für den Begriff "Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse" durch Rechtsverordnung des Bundesbauministeriums auszufüllen und dies nicht der Rechtsprechung überlassen werde 160 . Bei den Stellungnahmen der Verbände wurde § 34 nur selten angesprochen. Der Zentralverband der deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V. sowie der Deutsche Handwerkskammertag monierten die Unbestimmmtheit des Begriffs der sonstigen öffentlichen Belange161. Grundsätzliche Kritik kam nur von Deutschen Anwaltsverein, der im wesentlichen für die Beibehaltung der alten Formulierung plädierte, weil deren Begriffe durch die Rechtsprechung geklärt seien, während die Neufassung wieder Unsicherheit bringe. Mit dem Tatbestandsmerkmal "Entgegenstehen öffentlicher Belange" ergebe sich die Gefahr, daß zunächst einmal Bauvorhaben abgelehnt würden, bis rechtlich zutreffende Ablehnungsgründe geschaffen seien 162 . Bei der Anhörung der Sachverständigen verwies Sieverts auf die erhebliche Bedeutung des § 34 für den Städtebau, ohne jedoch daraus Folgerungen für die Formulierung des § 34 zu ziehen163. Adrian forderte in seiner schriftlichen Stellungnahme, daß für § 34 die sinngemäße Anwendung des § 35 Abs. 3 Satz 1 (öffentliche Belange) vorzusehen sei 164 . Während also im förmlichen Gesetzgebungsverfahren die Neufassung des § 34 kaum thematisiert wurde, war sie Gegenstand weiterer Fachdiskussionen. Die Arbeitsgemeinschaft Bamberg-Lübeck-Regensburg war mit ihrer Studie zu Problemen der Erhaltung und Erneuerung alter Städte inzwischen auf breite Resonanz gestoßen. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau des Bundestages hatte auf einer Sitzung in Lübeck eine Entschließung gefaßt, in der er "nachdrücklich alle Bemühungen und Bestrebungen (unterstützt), geschlossene historische Städte und Ortskerne in ihrer überkommenen Authentizität unter Bewahrung ihres historisch funktionalen Zusammenhangs zu erhalten und zu erneuern" 165.

160

Vgl. Deutscher Bundestag, Stenographisches Protokoll der 48. Sitzung des 15. Ausschusses ν. 21.4.1975, S. 55. 161 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenographisches Protokoll der 34. Sitzung des 15. Ausschusses ν. 13.11.1974, S. 92 und 125. 162 Vgl. Stellungnahme des Verwaltungsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins vom 2.12.1974, S. 21. 163 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenogr. Protokoll der 33. Sitzung des 15. Ausschusses v. 12.11.1974, S. 5. 164 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenogr. Protokoll der 33. Sitzung des 15. Ausschusses v. 12.11.1974, S. 77. 165 Entschließung des Ausschusses v. 9.10.1974.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

71

In Besprechungen mit den Fachleuten des Bundesbauministeriums wirkte die Arbeitsgemeinschaft darauf hin, in den Entwurf eine eindeutige Abgrenzung von Fällen des Vorliegens eines qualifizierten Bebauungsplans aufzunehmen und den Begriff der "öffentlichen Belange" weiter zu konkretisieren. In einem veränderten internen Entwurf wurde beiden Anliegen Rechnung getragen 166 . Danach enthielt § 34 nun den Hinweis, daß er nur für Ortsteile gelte, "für die § 30 keine Anwendung findet". Die öffentlichen Belange wurden insoweit konkretisiert, als die Zulässigkeit auch daran gebunden wurde, "daß das Ortsbild nicht beeinträchtigt wird". Eine andere Erweiterung des Regierungsentwurfs zu § 34 ging auf eine Sitzung der Fachkommission Städtebau der ARGEBAU im April 1975 zurück, nämlich die sinngemäße Anwendung der Vorschriften der Baunutzungsverordnung im unbeplanten Innenbereich, also der spätere Abs. 3. Diese Erweiterungen wurden von den Regierungsfraktionen auf der 55. Sitzung des 15. Ausschusses am 11.6.1975 in die Beratungen eingebracht. Thema der ausführlichen Diskussion des Ausschusses zu § 34 waren jedoch nicht diese Erweiterungen, sondern ein Vorschlag aus der CDU/CSUFraktion, den Gemeinden zu ermöglichen, durch Satzung die nach § 34 für eine Bebauung geeigneten Gebiete im Innenbereich bestimmen zu können. Mit Unterstützung des Vertreters des Deutschen Landkreistages argumentierten die Abgeordneten, in der Praxis einiger höherer Verwaltungsbehörden würden zur Bebauung gut geeignete Grundstücke am Ortsrand kleinerer Gemeinden dem Außenbereich zugeordnet, wodurch auch Bauwünsche in geringem Umfang für den Eigenbedarf der Ortsansässigen verhindert würden. Den Gemeinden müsse eine Satzungsermächtigung für Abrundungs- und Grenzfalle gegeben werden. Mitglieder der SPD-Fraktion äußerten demgegenüber die Befürchtung, daß sich die Gemeinden ihrer Planungspflicht entziehen und daß die Ziele der Landesplanung unterlaufen werden könnten. Mit der Ankündigung der Fraktion der CDU/CSU, bis zur nächsten Sitzung einen konkreten Formulierungsvorschag einzubringen, wurde die Entscheidung vertagt 167 . In der Folgezeit setzte sich vor allem der Deutsche Landkreistag für die Satzungsregelung ein 168 . Als auch auf der nächsten Sitzung des Ausschusses zu diesem Thema am 19.9.1975 keine Einigung zu § 34 und auch zu § 35 - gefunden wurde, setze der Ausschuß eine ad-hoc-Arbeits-

166

Vgl. Interview v. 4.8.1982 mit einem Mitarbeiter des Bundesbauministeriums. Vgl. Deutscher Bundestag, Kurzprotokoll der 55. Sitzung des 15. Ausschusses am 11.6.1975, S. 1 4 - 2 4 . 167

168

So in einem Schreiben am 24.6.1975 an den Vorsitzenden des 15. Ausschusses.

72

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

gruppe zur Klärung der Probleme ein 169 . In der Arbeitsgruppe setzten sich die Befürworter der Satzungsregelung durch. Der Vorschlag, der am 1. Oktober vom Ausschuß gebilligt wurde 170 , sah vor, daß in den Geltungsbereich der Satzung auch Grundstücke einbezogen werden konnten, durch die der im Zusammenhang bebaute Ortsteil abgerundet wird, wenn dies mit einer geordneten städtebauliche Entwicklung vereinbar ist 171 . Im abschließenden Bericht und Antrag des Auschusses zur Änderung des BBauG 172 wird die Neuregelung des § 34 einleitend damit begründet, daß die bei der bisherigen Anwendung aufgetretenen Unsicherheiten beseitigt werden sollten. Es solle dem besonderen Anliegen eines verstärkten Schutzes erhaltenswerter Bausubstanz Rechnung getragen werden. Die Gemeinden sollten die städtebauliche Entwicklung grundsätzlich durch Bebauungspläne ordnen. Die Neufassung, deren Regelung nicht nur eine Klarstellung sei, solle die Kommunen verstärkt zur Aufstellung von Bebauungsplänen veranlassen. Hinsichtlich der Abgrenzung der im Zusammenhang bebauten Ortsteile seien immer wieder Zweifelsfragen aufgetreten, ob ein Grundstück dem bebauten Ortsteil zuzurechnen ist oder ob es bereits zum Außenbereich gehört. Deshalb werde die Gemeinde ermächtigt, den im Zusammenhang bebauten Ortsteil "eindeutig" von anderen Bereichen abzugrenzen. Dabei könnten auch einzelne Grundstücke einbezogen werden, die nicht dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil zuzurechnen seien, diesen aber abrundeten. Mit dem neuen Absatz 3 werde nun durch Gesetz die Anwendung der Baunutzungsverordnung innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ermöglicht, nachdem dafür zuvor durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage bestanden habe. Dies entspreche einem seit langem bestehenden Bedürfnis der Praxis. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde § 34 BBauG nicht mehr geändert, so daß die Vorschrift nach der Zustimmung des Bundesrats und des Bundestages173 in folgender Fassung am 1.1.1977 in Kraft trat 174 : 169

Vgl. Deutscher Bundestag, Kurzprotokoll der 58. Sitzung des 15. Ausschusses, S. 17. Vgl. Deutscher Bundestag, Kurzprotokoll der 60. Sitzung, des 15. Ausschusses, S. 9. 171 Die vorgeschlagene Fassung wurde mit kleineren Änderungen in der dritten Lesung des Ausschusses in der 75. Sitzung am 28.1.1976 beschlossen, vgl. Kurzprotokoll S. 27. 172 Vgl. BT-Drucks. 7/4793, S. 34. 170

173 Der Deutsche Bundestag beschloß das Gesetz am 11.3.1976. Nach Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat wegen des abgabenrechtlichen Teils des Gesetzes erfolgten die endgültigen Beschlüsse des Bundestages am 20.5.1976 und des Bundesrats am 4.6.1976. 174 Vgl. die Neubekanntmachung des Bundesbaugesetzes vom 25.8.1976, BGBl. I, S. 2256.

. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

73

"§ 34 Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist, sofern § 30 keine Anwendung findet, ein Vorhaben zulässig, wenn es den Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht widerspricht und es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung unter Berücksichtigung der für die Landschaft charakteristischen Siedlungsstruktur einfügt, die Erschließung gesichert ist und wenn sonstige öffentliche Belange nicht entgegenstehen, insbesondere die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben und das Ortsbild nicht beeinträchtigt wird. (2) Die Gemeinden können die Grenzen für die im Zusammenhang bebauten Otsteile oder Teile davon durch Satzung festlegen. In den Geltungsbereich der Satzung können auch Grundstücke einbezogen werden, durch die der im Zusammenhang bebaute Ortsteil abgerundet wird, wenn dies mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist und wenn auf solchen Grundstücken die zulässige Nutzung nach den Absätzen 1 und 3 Satz 1 bestimmt werden kann. Die Satzung bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. § 6 Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend. Auf die Veröffentlichung der Satzung findet § 16 Abs. 2 entsprechende Anwendung. (3) Werden in einer aufgrund des § 2 Abs. 8 erlassenen Rechtsverordnung Baugebiete bezeichnet und entspricht die Eigenart der näheren Umgebung nach der vorhandenen Bebauung einem dieser Baugebiete, so ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn es nach der Verordnung in dem Baugebiet zulässig wäre. Nennt eine aufgrund des § 2 Abs. 8 erlassene Rechtsverordnung Höchstwerte für das Maß der baulichen Nutzung, so dürfen diese Zahlen, bezogen auf die in der Umgebung überwiegend vorhandene tatsächliche Geschoßzahl, nicht überschritten werden. Abweichungen von Satz 2 können im Einzelfall zugelassen werden, wenn die in Absatz 1 bezeichneten Belange gewahrt bleiben. "

74

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

2. Die Änderung der Abgrenzung des Innenbereichs zum Außenbereich durch die "Beschleunigungsnovelle" 1979

a) Investitionshemmnisse im Baubereich Die Wurzeln für die zweite Novellierung des BBauG reichen bis 1977 zurück, in das Jahr des Inkrafttretens der ersten Novelle zum BBauG. Gesamtwirtschaftliche Probleme und Schwächen in der Baukonjunktur führten 1977 zu einer öffentlichen Diskussion über Investitionshemmnisse im Baubereich. Für verzögerte Investitionen wurden vornehmlich zu langsame und zu bürokratische Genehmigungsverfahren verantwortlich gemacht. Unter Bundeskanzler Schmidt faßte das Bundeskabinett am 31.8.1977 einen Beschluß zur Entbürokratisierung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren im Bereich des Bauwesens. Es wurde eine Studiengruppe beim Bundesbauministerium eingesetzt, der Vertreter mehrerer Bundesressorts, der im Bundestag vertretenen Parteien, der Länder, der Kommunalen Spitzenverbände, der Verbände im Bauwesen und der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden angehörten. Die Studiengruppe nahm im November 1977 ihre Arbeit auf und veranlaßte zunächst eine Bestandsaufnahme der Beschleunigungsmöglichkeiten von Genehmigungsverfahren in Bund und Ländern und stellte Änderungsvorschläge zusammen. Diese Arbeiten waren u.a. auf der Ebene der Länder Ausgangspunkt für spätere Novellierungen der Landesbauordnungen mit dem Ziel, die Baugenehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu verkürzen 175 . Auch innerhalb des Bundesbauministeriums wurden Überlegungen angestellt, inwieweit durch eine Änderung des BBauG Bebauungsplanverfahren und Baugenehmigungen beschleunigt und vereinfacht werden könnten. Es wurde der Entwurf für ein "Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht" erarbeitet. Der vorläufige Referentenentwurf vom Mai 1978 enthielt Änderungsvorschläge für mehrere Verfahrensvorschriften. So wurde z.B vorgeschlagen, im Rahmen der Bauleitplanung Flächennutzungs- und Bebauungsplan-Ände rungsverfahren als "Parallelverfahren" zu ermöglichen, die Genehmigungspflicht für Auflassungen im Außenbereich zu streichen, durch Verfahrensänderungen die Umlegung zu beschleunigen und die "Heilungsvorschriften" für Bebauungspläne zu erweitern. In der Begründung wurde ausgeführt, daß diese Novelle nicht die bereits anläßlich der Novelle 1976 angekündigte, gründliche Revision des Recht des Boden Verkehrs, der Bodenordnung und 175

Interview v. 4.8.1982

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

75

der Erschließung enthalte, an der noch gearbeitet werde. Mit diesem Gesetzentwurf wolle die Bundesregierung in ihrem Zuständigkeitsbereich für das Baurecht dazu beitragen, Hemmnisse und Schwierigkeiten für Investitionen abzubauen. Dasselbe werde von den Ländern für das Bauordnungsrecht erwartet 176 .

b) Überlegungen zu einem erweiterten Bestandsschutz für Betriebe In dem Referentenentwurf war auch eine Änderung des § 34 vorgesehen, mit dem Ziel, Genehmigungen für bestehende Betriebe in der Nähe von Wohngebieten, also in städtebaulichen Gemengelagen, zu vereinfachen. Aus dem Ruhrgebiet waren Klagen über erhebliche Schwierigkeiten bei der Genehmigung von Erweiterungen baulicher Anlagen im unbeplanten Innenbereich alter Industriegemeinden gekommen, die durch die Verengung der Zulässigkeit in § 34 BBauG 1976 zusätzlich erschwert worden seien. Da nach einer Umfrage in Nordrhein-Westfalen in der Stahlbranche die Betriebsstandorte zu 93% und Erweiterungsflächen zu 86% nicht durch Bebauungspläne abgesichert waren, sahen Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften hierin eine erhebliche Erschwerung notwendiger Erweiterungs- und Ersatzinvestitionen. Der vorläufige Referentenentwurf sah deshalb vor, § 34 einen Abs. 4 anzufügen, durch den bauliche Veränderungen an bestehenden Betrieben, die der Erhaltung des baulichen Bestands des Betriebs oder der Anpassung an veränderte betriebliche oder wirtschaftliche Verhältnissen dienten, ausnahmsweise zugelassen werden konnten 177 .

176

Vgl. die Begründung zum vorläufigen Referentenentwurf vom 22.5.1978, S. 4.

177

§ 34 Abs. 4 des vorläufigen Referentenentwurfs war offensichtlich der Vorläufer des § 34 Abs. 3 BauGB, allerdings sehr viel komplizierter: "(4) Von dem Erfordernis des Einfugens im Sinne der Absätze 1 und 3 kann bei sonst unzulässigen baulichen Anlagen und Einrichtungen ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Betrieb rechtmäßig errichtet worden ist und die genannten baulichen Maßnahmen 1. der Erhaltung des baulichen Bestands oder 2. der Anpassung an veränderte betriebliche oder sonstige wirtschaftliche Verhältnisse dienen und zur Fortführung des Betriebs erforderlich sind oder 3. nach den Planungen des Betriebs bereits zu einem Zeitpunkt beabsichtigt waren, zu dem sie nach den in diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften auf den hierfür vorgesehenen Grundstücken hätten zugelassen werden können. Bei der Entscheidung über die Ausnahme ist auch zu berücksichtigen, ob Möglichkeiten für eine dem Betrieb zumutbare Verlagerung bestehen. Bei der Erteilung der Ausnahme sollen durch geeignete Nebenbestimmungen bereits vorhandene oder weitere Auswirkungen des

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

76

Im Juni 1978 fanden die ersten Beratungen des Referentenentwurfs mit den Ländern und den Verbänden statt. Das Novellierungsvorhaben wurde insgesamt begrüßt. Die Verbände, einschließlich der Kommunalen Spitzenverbände, bestätigten auch die Erforderlichkeit einer Regelung über die Verbesserung des Bestandsschutzes für Betriebe. Gleichzeitig wurde jedoch sichtbar, daß der Novellierungsvorschlag in der vorgelegten Fassung noch nicht ausgereift war und - vor allem beim Deutschen Städtetag - auf Widerstände stieß. Aus den Reihen der SPD wurden zudem grundsätzliche Bedenken vorgetragen. Um nicht die beschleunigte Verabschiedung des gesamten Entwurfs in Frage zu stellen, entschied man sich im Bundesbauministerium, auf die Änderung des § 34 in dieser Novellierung zu verzichten 178 . Der Entwurf zu § 34 Abs. 4 wurde deshalb nicht in den Regierungsentwurf aufgenommen.

c) Die Problematik historisch entstandener Streubebauung Die Ausklammerung des § 34 aus dieser Novelle schien auch deshalb geboten, weil sich erhebliche politische Kontroversen um diese Vorschrift wegen einer Außenbereichsproblemaik ankündigten, die die Beschleuigungsnovelle zu belasten drohten. Von der CDU/CSU-Opposition, dem Land Niedersachsen und einigen Verbänden war schon bald nach Inkrafttreten der Novelle von 1976 die Änderung sowohl des § 34 als auch des § 35 gefordert worden, um das Bauen an den Ortsrändern und im Zusammenhang mit ehemals privilegierten Gebäuden zu erleichtern. 1977 war diese Problematik Gegenstand von Anfragen der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und in einigen Landtagen179. In Niedersachsen hatte die restriktive Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des OVG Lüneburg zu § 35 dazu geführt, daß in Gebieten mit historisch entstandener Streubebauung Baulückenschließungen und Anträge auf Erweiterungen nicht genehmigt werden konnten. Der Bauausschuß des Bundestages verlegte seine Sitzung vom 19.4.1978 nach Oldenburg, um Betriebs auf die Umgebung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht verhindert oder soweit wie möglich eingeschränkt werden. Anstelle von Nebenbestimmungen zur erteilten Ausnahme können in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen der Gemeinde und dem über den Betrieb Verfügungsberechtigten entsprechende Vereinbarungen getroffen werden." 178

Interview v. 4.8.1982 mit einem Mitarbeiter des Bundesbauministeriums. Vgl. Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU im Dt. Bundestag v. 24.10.1977 (BT-Drucks. 8/1072); Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf die Kleine Anfrage 640 der C D U vom 4.1.1977 im Landtag Nordrhein-Westfalen (LT-Drucks. 8/1655). 179

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

77

sich über die Probleme und Schwierigkeiten beim Vollzug der §§34 und 35 des Bundesbaugesetzes zu unterrichten 180. Bei einer Besichtigung von Beispielsfallen in Ostfriesland stand die Problematik von Kanalreihendörfern ("Fehnsiedlungen") im Vordergrund. Der reihenförmigen Bebauung entlang der Kanäle und Straßen, die ihre Wurzel in der früheren Nutzung des Bodens zur Torfgewinnung hatte, wurde vom OVG Lüneburg die Ortsteilqualität nach § 34 BBauG abgesprochen 181. Baulückenschließungen und Erweiterungen waren deshalb nach § 35 zu beurteilen und aufgrund der restriktiven Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 182 meist unzulässig, weil die "Verfestigung einer Splittersiedlung" zu befürchten war. Die niedersächsische Landesregierung schlug deshalb vor, die Länder im BBauG zu ermächtigen, durch Rechtsverordnung bestimmte bauliche Erweiterungen im Außenbereich erleichtert zuzulassen183. Bereits auf dieser Sitzung des Bundestags-Bauausschusses zeichnete sich ab, daß sowohl die Vertreter des Bundesbauministeriums als auch die Abgeordneten der SPD den Vorschlägen aus den Reihen der CDU für eine baldige Änderung der §§34 und 35 reserviert gegenüberstanden. Da ihre Änderungswünsche in den Referentenentwürfen zur Beschleunigungsnovelle nicht berücksichtigt worden waren, brachte die Fraktion der CDU/CSU Mitte 1978 einen Gesetzentwurf zur Änderung der §§ 34 und 35 BBauG in den Bundestag ein 184 . Im Außenbereich sollten Erweiterungen von Wohngebäuden und von gewerblichen Betrieben erleichtert werden. Vor allem wurde eine Abwägungsklausel für die Beurteilung der öffentlichen Belange nach § 35 Abs. 3 BBauG vorgeschlagen. § 34 sollte um einen Absatz 3 erweitert werden, der die Gemeinden ermächtigen sollte, durch Satzung Gebiete mit besonderer Wohnsiedlungsstruktur als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festzulegen. Dieser Vorschlag enthielt bereits die wichtigsten Elemente des späteren § 34 Abs. 2a BBauG 1979. Um die Vorschläge entwickelten sich Mitte 1978 politische und fachliche Kontroversen. Das Bundesbauministerium blieb dennoch bei seiner Strategie, Änderungen der §§34 und 35 aus der Beschleunigungsnovelle auszuklammmern. Der

180 181

Vgl. Kurzprotokoll der 27. Sitzung des 15. Ausschusses v. 19.4.1978. Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 5.10.1977 - V I OVG A 115/76 -

182

Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.5.1967, BRS Bd. 18, Nr. 44. Einen entsprechenden Vorschlag hatte das Land Niedersachsen bereits in den letzten Bundesrats-Durchgang der Novelle 1976 im Bundesrat - unter Berufung auf eine Entschließung des niedersächsichen Landtags vom 9.4.1975 (Drucks. 8/678) - eingebracht (BR-Drucks. 190/1/76 v. 30.3.76). Dort hatte der Vorschlag jedoch keine Mehrheit gefunden. 183

184

Vgl. BT-Drucks. 8/1970 v. 4.7.78.

78

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

Regierungsentwurf vom 29.9.1978 185 enthielt deshalb weder Regelungen zur Gemengelagen- noch zur Außenbereichsproblematik. In der Begründung wird ausgeführt, zwar gebe es Schwierigkeiten im Gesetzesvollzug im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich, jedoch sei noch nicht ausreichend geklärt, ob die Probleme aus der Gesetzesfassung oder aus dem Gesetzesvollzug resultierten. Es seien auch Änderungen der Einführungserlasse der Länder zur Novelle des BBauG 1976 geplant. Die Erfahrungen aus diesen Änderungen seien abzuwarten. Eingehende Beratungen zu diesen Problemen würden die zügige Behandlung der Beschleunigungsnovelle verzögern.

d) Die Kontroverse in der parlamentarischen Beratung Die politische Kontroverse darüber, ob die Änderungen zu §§ 34 und 35 noch in die Beschleunigungsnovelle aufgenommmen werden sollten, bestimmte die weitere parlamentarische Behandlung sowohl des von der CDU/CSU eingebrachten Initiativantrages als auch des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Beschleunigungsnovelle. Sie war zentraler Gegenstand der ersten Lesung des Initiativantrags im Deutschen Bundestag am 5.10.1978 186 , der Beratungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung im Bundesrat 187 und der folgenden Beratungen im Bauausschuß des Bundestages. Im Bundesrat wurde der Änderungsantrag des Landes Niedersachen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, die §§34 und 35 (im wesentlichen entsprechend dem Gesetzentwurf der CDU/CSU) zu ändern, zunächst im Unterausschuß "Städtebaurecht" in der Sitzung vom 16.10.1978 abgelehnt 188. Wenige Tage später, am 23.10.1978, wurde der Antrag dann jedoch in der Sitzung des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen mit der Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder angenommen189. Diese Entscheidung wurde am 10.11.1978 vom Bundesratsplenum bestätigt190. Dieses der politischen Couleur des Landes entsprechende Entscheidungsverhalten deutet auf die zunehmende Politisierung des Themas hin.

185 186 187

Vgl. BR-Drucks. 446/78. Vgl. BT-Protokoll der 109. Sitzung v. 5.10.1978, S. 8608 ff. Vgl. BR-Drucks. 446/1/78 und Prot, der 465. Sitzung v. 10.11.1978.

188 Vgl. BRat, Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses "Städtebaurecht" des Ausschusses fur Städtebau und Wohnungswesen am 16.10.1978. 189 Vgl. BRat, Niederschrift über die 209. Sitzung des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen am 23.10. 1978, S. 13 ff. 190 Vgl. BRat, Niederschrift der 465. Sitzung am 10.11.1978, S. 449.

. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

79

Die Kontroverse um die Einbeziehung der Änderung der §§34 und 35 in die Beschleunigungsnovelle durchzog dann auch die Sitzung des Bauausschusses des Bundestages am 14.2.1978, in der sich der Ausschuß erstmals mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung befaßte. Eine Einigung konnte nicht gefunden werden, jedoch wurde ein vernehmlich eine interfraktionelle Arbeitsgruppe eingesetzt, in der die Änderungsvorschläge zu §§ 34 und 35 vorgeklärt werden sollten 191 . Die Arbeitsgruppe bediente sich in ihren Beratungen der Unterstützung von Fachleuten aus dem Bundesbauministerium, den Ländern und den Kommunalen Spitzen verbänden. Ihr lagen zudem die Ergebissse einer Umfrage zur Erforderlichkeit der Novellierung der §§34 und 35 durch die Kommunalen Spitzenverbände vor. Die Ergebnisse der Umfrage waren allerdings recht uneinheitlich. Während sich die vom Städtetag befragten Städte überwiegend gegen die Novellierung aussprachen, überwogen bei der Städten und Gemeinden des Städte- und Gemeindebundes und bei den vom Landkreistag befragten Kreise Stimmen, die Gesetzesänderungen befürworteten. Die Arbeitsgruppe erarbeitete in fünf Sitzungen ein Ergebnis, das sowohl für § 34 als auch für § 35 in beschränktem Umfang Änderungen vorsah. Der Änderungsvorschlag zu § 34 ging auf Vorarbeiten des Deutschen Städtetages und der Fachbeamten des Bundesbauministeriums zurück. Die Gemeinden sollten nach dem Vorschlag in einem neuen § 34 Abs. 2a ermächtigt werden, Gebiete mit besonderer Wohnsiedlungsstruktur durch Satzung als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festzusetzen. Im Gegensatz zu dem weitgehend gleichlautenden Vorschlag im Gesetzentwurf der CDU/CSU sollte die Festsetzung jedoch nur erfolgen können, wenn das Gebiet im Flächennutzungsplan dargestellt ist. Das Ergebnis der Arbeitsgruppe wurde in den Sitzungen des Bauausschusses des Bundestages am 9. und 16.5.1979 beraten. In diesen Sitzungen plädierte die CDU/CSU-Fraktion noch einmal für die Aufnahme einer Regelung zur Gemengelagenproblematik in § 34 Abs. 4. In der Zwischenzeit hatten sich auch der DIHT und der BDI für eine zusätzliche Erleichterung von Genehmigungen für Erweiterungen bestehender Betriebe ausgesprochen. Die Koalitionsfraktionen von SPD und FDP stimmten zwar schließlich dem Vorschlag der Arbeitsgruppe zur Änderung der §§34 und 35 im Hinblick auf die Außenbereichs- und Streusiedlungsproblematik zu, weil andernfalls die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat zu befürchten war. Sie hielten den Stand der Beratungen für eine Regelung der Gemengelagenproblematik jedoch nicht für reif, um die gewünschte Änderung in § 34 auf191

Vgl. Deutscher Bundestag, Kurzprotokoll der 44. Sitzung des 15. Ausschusses, S. 13.

80

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

zunehmen. Die Fraktionen einigten sich schließlich auf eine Beschlußempfehlung für den Bundestag, in der die Bundesregierung beauftragt werden sollte, die Gründe für die Probleme bei der Genehmigung von betrieblichen Modernisierungs- und Erweiterungsmaßnahmen zu untersuchen und gegebenenfalls Vorschläge für eine gesetzliche Regelung vorzulegen 192 . In dem Bericht des Ausschusses vom 21.5.1977 wird als Ziel der Neuregelung in § 34 Abs. 2a herausgestellt, daß damit eine sinnvolle städtebauliche Entwicklung in solchen Gebieten eingeleitet werden könne, deren Zuordnung zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil auf Grund überkommener Wohnsiedlungsstruktur zweifelhaft sei, ohne gleichzeitig einer Zersiedlung der Landschaft Vorschub zu leisten 193 . In der Sitzung des Bundestages vom 31.5.1979 wurde die Beschleunigungsnovelle in 2. und 3. Lesung einstimmig angenommen. Auch die Beschlußempfehlung wurde einstimmig gebilligt 194 . Im Bundesrat befaßte sich der Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen am 5. Juni 1979 mit dem Gesetzentwurf, das Plenum am 22. Juni 1979. Das Land Bremen stellte den Antrag, den Vermittlungsausschuß anzurufen, weil durch die neue Regelung in § 34 Abs. 2a bebaubare Gebiete geschaffen werden könnten, die nicht alle Vorbedingungen einer städtebaulichen Ordnung erfüllten. Auch der Vertreter des Landes Schleswig-Holstein wandte sich gegen § 34 Abs. 2a, kritisierte jedoch umgekehrt, daß die dort genannte Voraussetzung der Darstellung des Gebiets im Flächennutzungsplan in der Praxis Schwierigkeiten bereite. Der Absatz werde deshalb in der Praxis keine Bedeutung gewinnen. Auch Niedersachsen wünschte weitere Erleichterungen und beantragte deshalb eine Sonderregelung in § 188 BBauG mit der Ermächtigung für das Land Niedersachsen, Gebiete mit besonderer Siedlungsstruktur bestimmen zu können, in denen Vorhaben im Außenbereich erleichtert zugelassen werden können. Alle Anträge wurden jedoch von der Mehrheit der Länder abgelehnt. Die Beschleunigungsnovelle vom 6.7.1979 wurde am 13.7.1979 im Bundesgesetzblatt verkündet 195 und trat am 1.8.1979 in Kraft.

192

Vgl. Deutscher Bundestag, Kurzprotkoll der 50. Sitzung des 15. Ausschusses am

16.5.79. 193 Vgl. Beschlußempfehlungen und Bericht des 15. Ausschusses vom 21.5.1979, BTDrucks. 8/2885, S. 38. 194 Vgl. Deutscher Bundestag, Niederschrift der 157. Sitzung (8.Wahlperiode), S. 12575 ff. 195

BGBl. I, S. 949

. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

81

3. Zusammenfassung der Ziele und Änderungen der Novellen 1976 und 1979

Auf das Wesentliche reduziert können Ziele und Maßnahmen des Gesetzgebers bei den Novellierungen des § 34 BBauG 1976 und 1979 wie folgt beschrieben werden: - Durch das Erfordernis des "Einfugens" anstelle der "Unbedenklichkeit" und die Bindung an die öffentlichen Belange sollte die Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stärker an die umgebene Bebauung gebunden und an städtebaulichen Zielen gemessen werden. Es war also eine Korrektur der bisherigen Spruchpraxis der Gerichte, die als "VerschlechterungsRechtsprechung" bezeichnet worden war, gewollt. Gleichzeitig sollten die Gemeinden angehalten werden, städtebauliche Entwicklungen verstärkt über Bebauungspläne zu steuern, statt durch Einzelentscheidungen nach §34. - Die Regelung, wonach die Vorschriften der Baunutzungsverordnung entsprechend anzuwenden waren, wenn die nähere Umgebung eines Vorhabens einem Baugebietstyp dieser Verordnung entsprach, sollte der Praxis die schwierige Prüfung des Einfügens durch die operationalisierten Regelungen der BauNVO erleichtern. Mit dieser Änderung wurde an die entsprechende Regelung in § 24 Abs. 3 BauNVO 1962 angeknüpft, die von der Rechtsprechung wegen der nicht eindeutigen Gesetzesermächtigung im BBauG für unwirksam erklärt worden war. - Durch die Ermächtigung der Gemeinden, die Grenzen für die im Zusammenhang bebauten Ortsteile durch Satzung festzulegen, sollten die häufig auftretenden Zweifelsfalle hinsichtlich der Einordnung eines Grundstücks in den Innenbereich eindeutig geklärt werden. Zusätzlich zielte die Abrundungsmöglichkeit auf Erweiterungen des Innenbereichs in geringem Umfang. - M i t der 1979 eingeführten Satzungsregelung in § 34 Abs. 2a wollte der Gesetzgeber die Zulässigkeit von Vorhaben in locker bebauten Gebieten mit besonderen Wohnsiedlungsformen erweitern, die trotz ihres innenbereichsähnlichen Charakters nach den Kriterien der Rechtsprechung dem Außenbereich zuzuordnen waren.

6 Scharmer

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

82

4. Formung der Neufassung durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und Auswirkungen auf die Rechtspraxis

Bei der Untersuchung der Reaktionen und Wirkungen, die durch die Novelle ausgelöst wurden, zeigt sich, daß letztlich der Ertrag der Neufassung unerwartet gering blieb, weil das Bundesverwaltungsgericht die Neuerungen der Novelle durch seine Interpretation teilweise wieder in die Nähe der früheren Spruchpraxis zurückführte. Weder wurden die Erwartungen der Praxis erfüllt, die im Gesetzgebungsprozeß Auslöser für neue Formulierungen waren, noch bestätigten sich die Befürchtungen und Risiken, die in der Literatur zu den Auswirkungen des neuen Rechts beschriebenen worden waren.

a) Reaktionen auf die Novellen in der Literatur Das Echo auf die Novellierungen in der Fachliteratur war geteilt. Vor allem aus den Reihen der Richterschaft wurde beklagt, daß durch die Novelle von 1976 wieder Unsicherheit in die Interpretation des § 34 getragen worden sei. So führte Schlichter, Mitglied des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts, aus, es sei nicht ganz zu unrecht die Frage aufgeworfen worden, ob die durch die Novellierung des § 34 BBauG verursachte Rechtsunsicherheit ein allzu hoher Preis für die mit der Neufassung verbundenen Verbesserungen sei 196 . Baumeister 197 vertrat die Ansicht, durch die Reform hätten sich Inhalt und Bedeutung von § 34 grundlegend gewandelt. Während bisher unter Betonung der Baufreiheit eine rein repressive Kontrolle eines Bauvorhabens auf Unbedenklichkeit stattgefunden habe, müßten nun die Bauanträge auch auf Übereinstimmung mit Planungszielen überprüft werden. Zwar müsse das gesetzgeberische Ermessen auf inhaltliche Neubestimmung der Zulässigkeit des Bauens im unbeplanten Innenbereich natürlich anerkannt werden, jedoch habe der Gesetzgeber die bisherige Baufreiheit im nicht beplanten Innenbereich praktisch in einen Zustand der Zulässigkeitsunsicherheit umgewandelt. Schrödter bezweifelte sogar die Verfassungsmäßigkeit der Neufassung des § 34 BBauG. Trotz der vorgesehenen Entschädigungsregelung in Art. 3 § 10 Abs. 2 des Änderungsgesetzes sei die Neufassung mit der Rechtsträgergaran-

196

Vgl. Schlichter, § 34 BBauG als Planersatz? in: Baufreiheit und Stadtentwicklung, Seminarbericht, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin 1978, S. 43 ff. 197 Vgl. Baumeister, Verwirrende Reform. Auslegung und Abwandlung des § 34 BBauG durch Rechtsprechung und Gesetzgebung, in: Bachof (Hrsg.), Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, München 1978, S. 23 ff.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

83

tie des Art. 14 GG nicht vereinbar 198. Diese Beurteilung wurde allerdings von anderen Autoren nicht geteilt 199 . Diesen kritischen Stimmen aus den Reihen der Rechtsprechung standen nur wenige Autoren gegenüber, die die Neufassung des § 34 positiv einschätzten. Schmidt-Eichstädt200, Mitarbeiter beim Deutschen Institut für Urbanistik, verwies darauf, daß die Modifikation des § 34 als eine Reaktion des Gesetzgebers auf eine höchst eigenwillige Auslegung dieser Vorschrift durch das Bundesverwaltungsgericht zu sehen sei. Zum einen habe sich die Rechtsprechung schon bezüglich des Verhältnisses des § 34 zu § 33 BBauG bewußt über den Wortlaut des § 34 hinweggesetzt201. Zum andern habe die Rechtsprechung den Sinngehalt des Wortes "unbedenklich" geradewegs in sein Gegenteil verkehrt. Unbedenklich könne nach dem Wortlauf nur ein Vorhaben sein, das man ohne Bedenken gestatten könne, weil der Sachverhalt einfach und klar sei. Demgegenüber seien nach der Rechtsprechung nur Vorhaben unzulässig, die erhebliche Verschlechterungen mit sich brächten, die also zwar bedenklich, aber noch nicht sehr bedenklich seien. Aufgrund dieser Rechtsprechung hätten sich die Zulässigkeitsvorausetzungen des § 34 in der Praxis als unzulänglich erwiesen. Auch Bielenberg, der im Bundesbauministerium Verantwortung für die Novelle trug, verwies darauf, daß die Novelle des § 34 weitgehend eine Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewesen sei 202 . So habe die Entscheidung, daß die entsprechende Anwendung der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung wegen der unzureichenden Ermächtigungsgrundlage in § 2 Abs. 10 Nr. 3 BBauG 1960 unzulässig sei, zur Folge gehabt, daß die gerade für die Gebiete nach § 34 notwendige Konkretisierung der Zulässigkeitsvoraussetzungen über die Baunutzungsverordnung nicht mehr möglich gewesen sei. Die Rechtsprechung habe eine starke Verunsicherung der Praxis zur Folge gehabt. Der neue Absatz drei, der die Anwendung der Baunutzungsverordnung regelt, sei auf dringende Initiative der Bundesländer und der kommunalen Spitzenverbände aufgenommen worden. Auch die Ersetzung des Begriffs "unbedenklich" durch das Erfordernis des "Einfügens" ziele direkt gegen die "Verschlechterungsrechtsprechung" des Bundesverwaltungsgerichts. Bei Übertragung der Rechtsprechung auf ein 198

Vgl. Schrödter, in: Die Novelle zum Bundesbaugesetz, DVB1. 1977, S. 165.

199

Vgl. Battis, Novelliertes Bundesbaugesetz und Grundgesetz, DÖV 1978, S. 113 (120).

200 Vgl. Schmidt-Eichstaedt, Die Zulässigkeit des Bauens innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nach § 34 des novellierten Bundesbaugesetzes, JZ 1978, S. 12 ff. 201 202

Vgl. dazu oben Kap. Β II 2 a) aa) 2.1.1.

Vgl. Bielenberg, Schwerpunkte der Novelle zum Bundesbaugesetz, B1GBW 1977, S. 101 ff., 141 ff. u. 161 ff.

84

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterprtation und Rechtspraxis

bestimmtes Gebiet habe es zunehmend zu weiteren Verschlechterungen kommen müssen, so daß schließlich städtebauliche Mißstände hätten entstehen können.

b) Die Rechtsprechung zu § 34 BBauG 1976 Eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten der Novelle 1976 bekam das Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit, sich mit der neuen Fassung des § 34 Abs. 1 auseinanderzusetzen. Mit seinem Urteil vom 26.5.1978 203 entschied es über eine Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung, der von den Vorinstanzen nach altem Recht stattgegeben worden war. Das Gericht nahm zunächst ausdrücklich darauf Bezug, daß der Gesetzgeber mit der Neuformulierung des § 34 BBauG das Ziel verfolgt habe, die Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich schärferen Anforderungen zu unterwerfen. Selbst geringfügige Verschlechterungen seien nicht mehr gewollt. Jedoch bereite es Schwierigkeiten zu erkennen, worin die Verschärfung bestehe. Weder der Begriff "einfügen", noch der Hinweis darauf, daß das Einfügen im Vergleich zur Unbedenklichkeit eine positivere Anforderung sei, seien allein zur Klärung dieser Frage geeignet. Zur Auslegung der Neufassung entwickelte das Gericht daraufhin seine "Rahmen-" oder auch "Harmonie-" Rechtsprechung, die im Ergebnis nur in Nuancen von der bisherigen Auslegung des § 34 abwich. Das Gericht führte aus, zunächst sei nach der tatsächlichen Grundstücksnutzung in der näheren Umgebung ein Rahmen zu bilden. Dann sei das zu beurteilende Vorhaben dazu in Beziehung zu setzen. Ein Vorhaben füge sich ein, wenn es sich innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens halte, es sei denn, es lasse an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige Bebauung fehlen. Damit seien jedoch die Möglichkeiten des Einfügens noch nicht erschöpft. Bei der Einfügung gehe es nicht um Einheitlichkeit, sondern um "Harmonie". Deshalb sei auch ein Vorhaben zulässig, das den Rahmen überschreite, es sei denn, daß damit bodenrechtliche Spannungen begründet oder erhöht würden, die ein Planungsbedürfnis nach sich zögen. Ein Vorhaben, daß eine so eindeutige Verschlechterung hervorrufe, daß eine Kompensation durch Planung erforderlich werde, sei nach der neuen Formulierung unzulässig.

203

BVerwG 4 C 9/77, BVerwGE 55, S. 369 ff.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

85

Mit dieser Auslegung sind, worauf das Gericht selbst hinweist, Verschlechterungen der städtebaulichen Situation auch weiterhin nicht ausgeschlossen. Neu hinzukommende Vorhaben halten sich auch dann noch in dem Rahmen der näheren Umgebung, wenn sie sich am städtebaulich bedenklichsten Vorhaben der Umgebung orientieren, d.h. das am dichtesten bebaute Grundstück, das höchste Gebäude oder die konfliktreichste Art der Nutzung zum Vorbild nehmen. Grenze der Verschlechterung ist nur das Gebot der Rücksichtnahme auf die Nachbarbebauung, die das Bundesverwaltungsgericht jedoch nur in krassen Fällen als überschritten ansieht. Daraus folgt, daß auch durch den Begriff "einfügen" nicht verhindert wird, daß Baugebiete schrittweise baulich verdichtet werden oder daß sich die Immissionssituation in gemischt genutzten Gebieten verschlechtert. Durch die Interpretation, daß auch den Rahmen überschreitende Vorhaben zulässig sind, solange sie keine bewältigungsbedürftigen Spannungen hervorrufen, ist auch das gesetzgeberische Ziel, neue Vorhaben stärker an die bestehende Bebauung zu binden, nur z.T. erreicht. Das zeigt die Weiterführung der Rechtsprechung in der Entscheidung vom 21.11.1980 204 : Das Gericht hatte über einen Bauantrag in einem bisher unbebauten, mit Bäumen und Büschen bestandenen, ca. 100 mal 50 m großen Blockinnenbereich, d.h. über eine sogenannte "Hinterlandbebauung" zu befinden. Im Gegensatz zur Vorinstanz kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, daß die den Rahmen überschreitende Bebauung in der zweiten Reihe nicht zu bodenrechtlichen Spannungen führe, wenn damit weder die Dürchlüftung des Innenbereichs, noch die bestehende Ruhelage beeinträchtigt werde und die Bebauung auch nicht zu einer "unangemessenen" Verminderung der vorhandenen Freifläche führe. Folge dieser Rechtsprechung ist, daß bis zum Maß des am dichtesten bebauten Grundstücks der näheren Umgebung 205 städtebaulich unerwünschte Nachverdichtungen unbeschränkt zuzulassen sind und rahmenüberschreitende Verdichtungen bis zur Grenze der "Unangemessenheit". Der Unterschied zur vorangegangenen Rechtsprechung des bodenrechtlich relevanten Widerspruchs ist deshalb für das Maß der baulichen Nutzung auf Grenzfälle der Bewertung zwischen "unangemessener" und "mehr als geringfügiger" Verschlechterung reduziert.

204 205

BVerwG 4 C 30.78, BRS Bd. 36, Nr. 56.

Allerdings unter Ausschluß der "Fremdkörper", die den Gebietscharakter nicht mehr prägen, vgl. BVerwGE 55, S. 369 ff.

86

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

Der Wechsel der Begriffe von der "Unbedenklichkeit" zum "Einfügen" hat deshalb - wie auch in der Litaratur konstatiert wurde 206 - im Ergebnis nicht spürbar zu einer Verengung der Zulässigkeit im unbeplanten Innenbereich geführt. Dies liegt zunächst daran, daß der Gesetzgeber zwar das Ziel der Begriffsänderung in der Begründung deutlich gemacht hatte, aber mit dem Begriff "Einfügen" der Rechtsprechung nur wenig konkrete Vorgaben gemacht hatte. Jedoch muß es als weitere Eigenwilligkeit des Bundesverwaltungsgerichts bewertet werden, daß auch den Rahmen überschreitende Vorhaben zugelassen werden, soweit sie keinen bodenrechtlich relevanten Widerspruch hervorrufen. Es hätte die Auslegung nahe gelegen, daß sich nur das einfügt, was sich innerhalb eines Rahmens hält, zumal der Gesetzgeber ausdrücklich betont hatte, er wolle eine "engere Bindung an die vorhandene Bebauung" erreichen. Auch eine weitere Änderung in § 34 Abs. 1 blieb im wesentlichen ohne Wirkung: Die Aufnahme der Zulässigkeitsvoraussetzung, daß öffentliche Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen, insbesondere die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben und das Ortsbild nicht beeinträchtigt werden dürfen. Mit dieser Erweiterung wollte der Gesetzgeber vor allem erreichen, daß Vorhaben nicht entgegen den Planungsgrundsätzen in § 1 Abs. 5 BBauG genehmigt werden 207 . In der Rechtsprechung erlangten diese Voraussetzungen fast keine Bedeutung, weil das Bundesverwaltungsgericht in Betracht kommende öffentliche Belange entweder bereits beim Merkmal des Einfügens prüfte, wie vor allem die Anforderungen an die gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse 208, oder im Rahmen des § 34 nicht anerkannte, weil sie den verfassungsrechtlich gestützten Bauanspruch nicht aufheben könnten 209 . Letzeres gilt z.B. für entgegenstehende Darstellungen eines Flächennutzungsplans210, für Ziele der Raumordnung und Landesplanung211 und das Planerfordernis 212. Die über206 Vgl.Schlichter, Bauen im Planbereich, im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich. Ein Leitfaden, Berlin 1978, S. 30; Lenz, Der Begriff "Einfügen" bei der Zulässigkeit von Vorhaben im nichtbeplanten Innenbereich, BauR 1978, S. 329 ff.; ders., Schaffung oder Abgrenzung von Innenbereich durch Satzung, BauR 1979, S. 466 ff. (467). 207 So wurde das Regelungsziel auch in der Literatur gesehen, vgl. Bielenberg, S. 163, Schlichter, S. 31. 208 Vgl. die Rechtsprechung zum Gebot der Rücksichtnahme beim Zusammentreffen von Wohn- und Gewerbegebieten, BVerwG, Urt. v. 12.12.1975, 4 C 71.73, BVerwGE 50, S. 49, Beschl. v. 5.3.1984, 4 Β 171.83, DÖV 1984, S. 856. 209 Vgl. zusammenfassend Weyreuther, "(...) und wenn sonstige öffentliche Belange nicht entgegenstehen" (§ 34 Abs. 1 BBauG), BauR 1981, S. 1. 210 BVerwG, Urt. v. 12.6.70, 4 C 77.68, BVerwGE 32, S. 256. 211

BGH, Urt. v. 30.6.83, 3 ZR 73/82, BauR 1984, S. 49.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

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wiegende Bedeutungslosigkeit213 des Zulässigkeitsmerkmals der "sonstigen öffentlichen Belange" veranlaßte den Gesetzgeber, es bei der Neufassung des § 34 im Baugesetzbuch zu streichen (siehe unten Kap. Β IV). Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führte schließlich auch dazu, daß die praktische Brauchbarkeit des neuen Absatz drei, der die entsprechende Anwendung der Baunutzungsverordnung vorsah, gering blieb. M i t der Regelung sollte der Praxis die Prüfung des Einfügens durch die operationalisierten Zulässigkeitskriterien der Baunutzungsverordnung erleichtert werden 214 . 1979 entschied jedoch das Bundesverwaltungsgericht, daß Absatz 3 den Absatz 1 nicht verdränge, sondern nur ergänze. Wenn sich ein Vorhaben nicht einfüge, könne es auch nicht nach Absatz 3 zulässig sein 215 . Dieses Urteil hatte zur Folge, daß die Baugenehmigungsbehörde in jedem Fall Absatz 1 zu prüfen hatte und, falls sich das Vorhaben einfügte, zusätzlich Absatz 3, dessen Voraussetzungen die Zulässigkeit weiter einschränkten. Eine Vereinfachung der Zulässigkeitsprüfung war damit nicht erreicht. Eine weitere Verminderung der Bedeutung des Absatz drei hatte die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1982 zur Folge: Bauvorhaben, die sich nach Absatz 1 einfügen, sind auch nach Absatz 3 zulässig, wenn sie zwar den Baugebietsvorschriften der BauNVO widersprechen, jedoch im Wege der Befreiung zugelassen werden könnten. Nach diesem Urteil kamen nur noch wenige Fälle in Betracht, in denen Absatz 3 entscheidungserheblich werden konnte 216 . Deshalb wurde im Rahmen der Vorüberlegungen zum Baugesetzbuch erwogen, die Vorschrift wieder zu streichen. Eine Arbeitsgruppe des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, an der u.a. auch ein Mitarbeiter des Bundesbauministeriums, Bielenberg, beteiligt war, kam mit folgender Begründung zu der Empfehlung, § 34 Abs. 3 zu streichen: "Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel ist leider nicht erreicht worden. Es dürfte im Hinblick auf die Erfahrungen mit der Rechtsprechung seit An-

212

BVerwG, Urt. v. 24.10.80, 4 C 3.78, BauR 1981, S. 48.

213

In einzelnen Fallkonstellationen griff das Bundesverwaltungsgericht allerdings auf die "sonstigen öffentlichen Belange" zurück, so vor allem zur Begründung des Gebots der Rücksichtnahme gegenüber Außenbereichsvorhaben, vgl. Urt. v. 10.12.1982, DVB1. 1983, S. 349. 214 Vgl. dazu Bielenberg, S. 141 ff. 2,5 BVerwG, Urt. v. 4.5.1979, 4 C 23.76, NJW 1980, S. 605. 216 Die Vorschrift hatte allerdings praktische Bedeutung in Verbindung mit § 11 Abs. 3 BauNVO bei der Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben, vgl. BVerwG, Urt. v.3.2.84, 4 C 25.82, ZfBR 1984, S. 139.

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

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fang der 60er Jahre in diesem Bereich auch durch eine erneute Gesetzesänderung nicht zu verwirklichen sein." 217 · Insgesamt hat also § 34 BBauG 1976 durch das Bundesverwaltungsgericht eine Auslegung erfahren, die sich rechtsdogmatisch eng an der bisherigen Interpretation des § 34 BBauG 1960 orientierte. Dadurch blieben die durch die Novelle letztlich ausgelösten Rechtsänderungen gering. Dementsprechend verstummten auch in der Literatur schnell die Stimmen, die gegen die Neufassung des § 34 verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht hatten, weil die Eigentumsgarantie zu stark eingeschränkt worden sei 218 . Bei den Genehmigungsbehörden wurde die Rechtsprechung jedoch mit Enttäuschung und Kritik aufgenommen, weil das gesetzgeberische Ziel, die engere Bindung der Vorhaben an den Bestand, kaum erfüllt wurde 219 .

c) Auswirkungen der Novellen 1976 und 1979 in der Rechtspraxis Anwendungspraxis des § 34 Abs. 1 In der Rechtspraxis löste die Neufassung des § 34 BBauG 1976 stärkere Veränderungen aus als in der Rechtsprechung. Wie empirische Untersuchungen belegen, wurde der neue § 34 Abs. 1 in den Genehmigungsbehörden als deutliche Verengung der Zulässigkeit im unbeplanten Innenbereich verstanden. Eine Umfrage aus dem Jahre 1984 bei Experten aus Bauplanungs- und Bauaufsichtsämtern kommt zu dem Ergebnis, daß diese Veränderung überwiegend positiv aufgenommen wurde, u.a. weil für städtebaulich problematische Vorhaben nun bessere Einwirkungsmöglichkeiten bestanden 220 . In anderen Untersuchungen wird die positive Einschätzung der Praxis zur Novelle mit der Erhöhung der Rechtssicherheit begründet 221. Gleichzeitig verwiesen allerdings auch einige der Befragten auf die geringen materiellen

217

Vgl. Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Vereinfachung und Fortentwicklung des Städtebaurechts, Düsseldorf 1983, S. 11. 218 Vgl. vor allem Schrödter, Die Novelle zum Bundesbaugesetz, DVB1. 1977, S. 165. 219 Vgl. die kritischen Interview-Äußerungen in: Scharmer/Wollmann/Argast, Rechtstatsachenuntersuchung zu Baugenehmgigungspraxis, Berlin 1985, S. 40. 220 Vgl. zum Folgenden die Ergebnisse der Untersuchung von Scharmer/Wollmann/Argast, S. 37 ff., die auf Erhebungen in acht Fallstudienstädten und auf einer bundesweiten Befragung von 26 Mittelinstanzen, 530 Stadtplanungsämtern und 385 Baugenehmigungsämtern beruhen. 221 Vgl. Schäfer/Schmidt-Eichstaedt, Praktische Erfahrungen mit dem Bundesbaugesetz, Melle 1984, S. 198.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

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Rechtsänderungen durch die Novelle angesichts der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Die in der Praxis zu beobachtende Umorientierung und Verengung der Zulassungspraxis aufgrund der Neufassung des § 34 BBauG ist allerdings nur zu einem Teil auf die Änderung des Gesetzeswortlauts zurückzuführen. Wesentlichen Anteil an der Umorientierung hatte die mit der Gesetzesänderung verbundene Signal Wirkung, die in eine Phase des allgemeinen Wertewandels und des Uberdenkens städtebaulicher Leitbilder fiel. Bis Anfang der 70er Jahre, in Zeiten des "Bau-Booms", waren in vielen Gemeinden Vorhaben nach § 34 genehmigt worden, die die gewachsenen baulichen Strukturen deutlich sprengten und damit auch die Grenzen der Zulässigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 34 BBauG 1960 weit überschritten. Anfang bis Mitte der 70er Jahre veränderten sich jedoch die allgemeinen Anschauungen über städtebauliche Leitbilder. Im Zuge des "Wertewandels" wurde vor allem die Hochhausarchitektur der 60er Jahre kritischer bewertet und überkommene städtebauliche Strukturen und historische Gebäude als bewahrenswert erkannt. Die veränderten gesellschaftliche Wertvorstellungen, die auch den Gesetzgeber bewogen hatten, die Zulässigkeit im unbeplanten Innenbereich zu verengen, erreichten etwa zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Novelle die politischen Gremien in den Städten und Gemeinden. Die Gesetzesänderung unterstützte deshalb in der Phase der Umorientierung den Trend zum behutsameren Umgang mit bestehenden städtebaulichen Strukturen. Die Neufassung unterstützte als Signal die "Bewußtseinsbildung" in den Gemeinden. Dieser Wirkungsstrang verlief weitgehend unabhängig vom Ergebnis der dogmatisch fein ausdifferenzierten Auslegung der neuen Gesetzesformulierungen duch Literatur und Rechtsprechung. Es liegt die Annahme nahe, daß die beschriebene Umorientierung letztlich auch ohne die Gesetzesänderung, dann möglichweise etwas später, eingetreten wäre. Vergleichsweise gering blieb in der Praxis ebenfalls die Bedeutung der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen, die in § 34 Abs. 1 übernommen worden waren (Berücksichtigung der für die Landschaft charakteristischen Siedlungsstruktur, Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Beeinträchtigung des Ortsbildes, sonstige öffentliche Belange). In der zitierten Befragung von Praktikern wurde mehrheitlich mitgeteilt, daß diese Zulässigkeitsvoraussetzungen nur selten zur Ablehnung eines Vorhabens führten 222 .

222

Vgl. Scharmer/Wollmann/Argast, S. 40.

90

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

Zu diesem Ergebnis trug, wie oben ausgeführt, auch die einschränkende Auslegung der Rechtsprechung bei. Allerdings muß auch hier zwischen dogmatischer und praktischer Bedeutung der Gesetzesänderung unterschieden werden. Zulässigkeitsvoraussetzungen, die dogmatisch bereits im Begriff des "Einfügens" enthalten sind, erhalten durch ihre ausdrückliche Nennung in der Gesetzesformulierung für die Anwendungspraxis herausgehobenes Gewicht, weil sich sowohl die Sachbearbeiter in den Bauaufsichtsämtern als auch die ratsuchenden Bauherren meist zunächst an der allgemeinverständlichen Bedeutung des Wortlauts im Gesetzestext orientieren. Die ausdifferenzierte Dogmatik der Rechtsprechung zu den Gesetzesbegriffen wird oft erst in Konfliktfällen, etwa im Widerspruchsverfahren, relevant, wenn Anwälte und Experten der Verwaltung eingeschaltet werden. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, daß befragte Praktiker mitteilten, daß das Kriterium der "Beeinträchtigung des Ortsbildes" in der praktischen Zulässigkeitsprüfung mehr Gewicht habe, als ihm nach der Rechtsprechung eigentlich zukommen dürfe, die diese Zulässigkeitsvoraussetzung kompetenzrechtlich auf die städtebaulichen Merkmale reduziert hatte 223 . Zum einen werden in der Bauberatung der Bauaufsichtsämter einige Zulassungskriterien, die nach der Rechtsprechung beim "Einfügen" zu prüfen sind, wie z.B. die Höhe der Gebäude, z.T. unter dem Begriff "Ortsbild" erklärt 224 . Zum andern wird in der Praxis selten exakt zwischen der städtebaulichen (Bundesrecht) und der gestalterischen (Landesrecht) Seite des Ortsbildes unterschieden, zumal sich diese Abgrenzung kaum trennscharf nach vollziehen läßt. Eine wesentliche Motivation des Gesetzgebers für die Verengung der Zulässigkeitsbedingungen im unbeplanten Innenbereich war das Ziel, die Gemeinden verstärkt zur Bauleitplanung anzuhalten. Tatsächlich hätte man von der Novelle erwarten können, daß strukturverändernde Vorhaben, die nach altem Recht möglicherweise noch "unbedenklich", also zulässig, waren, sich nach neuem Recht nicht mehr "einfügen" und deshalb nur unter der Voraussetzung einer förmlichen Bebauungsplanung zugelassen werden können. Insoweit wird durch die Verengung der Zulässigkeit nach § 34 für kommunalpolitisch unterstützte städtebauliche Veränderungen der Planungsdruck erhöht. Soweit das Ziel der kommunalen Städtebaupolitik andererseits auf die Sicherung bestehender Strukturen und deshalb auf die Verhinderung uner-

223

Vgl. OVG Berlin, Urt. v. 3.7.1981 - 2 Β 56.80, BauR 1982, S. 550.

224

Vgl. Scharmer/Wollmann/Argast, S. 41.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

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wünschter Vorhaben ausgerichtet war, hätte die Verengung der Zulässigkeitsbedingungen die Ablehnung von Vorhaben erleichtern und dadurch struktursichernde Bebauungsplanung erübrigen müssen. Beide Erwartungen blieben weitgehend unerfüllt: Unerwünschte Strukturveränderungen, wie die sukzessive Veränderung des Gebietscharakters durch Nutzungsänderungen oder die Nachverdichtung locker bebauter Gebiete konnten nach Einschätzung der Praktiker in einigen Fällen auch mit dem Zulässigkeitskriterium des "Einfugens" nicht verhindert werden 225 . Dies ist u.a. auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückzuführen, wonach sich ein neu hinzukommendes Vorhaben innerhalb des bestehenden Rahmens jeweils das für ihn günstigste Vorhaben in der näheren Umgebung zum Vorbild nehmen kann und darüber hinaus mit seiner Realisierung selbst rahmenbildend für spätere Vorhaben wird. Auch mit der Neufassung des § 34 kann deshalb nicht verhindert werden, daß Baugebiete nach und nach ihre bisherige Eigenart verlieren 226 . Auch die Erwartung, daß die Verengung der Zulässigkeit im unbeplanten Innenbereich die Gemeinden veranlassen würde, für die Zulassung strukturverändernder Bauvorhaben verstärkt Bebauungspläne aufzustellen, statt in erweiternder Auslegung nach § 34 zu genehmigen, wurde zumindest von befragten Mitarbeitern in höheren Verwaltungsbehörden so nicht bestätigt 227 . Vielmehr zeigte sich das Bild, daß die Novelle für die Mehrzahl der Gemeinden keinen entscheidenden Einfluß auf die Planungstätigkeit hatte. Auch weiterhin wurden vielfach politisch erwünschte Vorhaben auch dann ohne vorangehendes Bebauungsplanverfahren genehmigt, wenn strenggenommen die Voraussetzungen des § 34 nicht erfüllt waren. Die recht unterschiedliche Planungs- und Genehmigungspraxis in den Gemeinden hing nach empirischen Analysen von verschiedenen Faktoren ab, nicht zuletzt von dem Verhalten der höheren Verwaltungsbehörden als Kommunalaufsichtsbehörden und von der im jeweiligen Einzel fall bestehenden Klagebereitschaft und Klagemöglichkeit der Nachbarn. Da der Nachbarschutz im unbeplanten Innenbereich jedoch durch die Rechtsprechung auf krasse Fälle beschränkt ist, nämlich auf Verletzungen des Eigentumsrechts, d.h., wenn der Nachbar "schwer und unerträglich" durch die Veränderung betrof-

225 Vgl. Scharmer/Wollmann/Argast, S. 39; zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt auch die Untersuchung von Schäfer/Schmidt-Eichstaedt, S. 198. 226 Vgl. dazu mit Beispielen aus München: Lüpke, § 34 als Planersatz?, in: Baufreiheit und Stadtentwicklung, Seminarbericht, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin 1978, S. 97 ff. 227 Vgl. Scharmer/Wollmann/Argast, S. 41.

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

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fen wird 2 2 8 , und (in den letzten Jahren ausschließlich) auf Verstöße gegen das Rücksichtnahmegebot229, steht den Nachbarn nur selten der Klageweg offen. Aus diesen Gründen waren auch nach der Novelle des § 34 weiterhin viele Fälle zu beobachten, in denen der Planungspflicht aus pragmatischen Gründen ausgewichen und die Genehmigung auf § 34 abgestellt wurde.

Anwendungspraxis des § 34 Abs. 3 BBauG 1976 Die praktische Bedeutung des § 34 Abs. 3, der die entsprechende Anwendung der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung zuläßt, blieb insoweit hinter den Erwartungen zurück, als nach der Auslegung der Rechtsprechung der Absatz 3 den Absatz 1 nur ergänzt, nicht aber ersetzt. Nach Auskunft der Experten aus der Praxis ist die Vorschrift als Ablehnungsgrund neben § 34 Abs. 1 nur selten wirksam geworden. Trotzdem wird überwiegend bestätigt, daß mit der Vorschrift die Entscheidungsfindung über die Zulässigkeit im nichtbeplanten Innenbereich erleichtert wurde. Die beiden Äußerungen scheinen sich zu widersprechen. Die Analyse der Anwendungspraxis zeigt jedoch, daß die Bedeutung des Absatz 3 in der Praxis nicht auf die Funktion beschränkt ist, auf die sie durch die Rechtsprechung reduziert wurde: "(...) die Uberdifferenzierung, zu der sich Rechtsprechung und Gesetzgeber im Hinblick auf die Anwendung der Baunutzungsverordnung im unbeplanten Innenbereich aufgeschaukelt haben, (wird) von der Praxis im Routinefall nicht mitgemacht, ja weitgehend nicht einmal mehr wahrgenommen (...). In der täglichen Baugenehmigungspraxis im unbeplanten Innenbereich wurde schon immer und wird weiterhin nach den Typen der Baunutzungsverordnung verfahren, soweit die nähere Umgebung dies zuläßt. Der Katalog der BauNVO wird in der Regel sowohl für die Zulassung wie für die Ablehnung von Vorhaben benutzt. Das bedeutet, daß bei der Routinegenehmigung weder die ältere Rechtsprechung des BVerwG vollzogen wurde, wonach die Grundsätze der BauNVO nur indirekt über § 1 BBauG, nicht aber 'schematisch' angewendet werden durften, noch die neuere Rechtsprechung, wonach für die Zulässigkeit eines Vorhabens neben Abs. 3 immer noch zusätzlich das "Einfügen" zu prüfen ist. Erst im Konfliktfall, möglicherweise erst nach Einschaltung des Rechtsamts, wird

228 229

Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.6.1969, 4 C 80.67, Buchholz 406.11 § 3 4 Nr. 21. Vgl. BVerwG, Urt.v. 31.10.1977, BVerwGE 52, S. 122.

III. Die Novellierung des § 34 in den Jahren 1976 und 1979

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der konkrete Sachverhalt unter das diffizile Verhältnis zwischen Absatz 1 und Absatz 3 subsumiert. M 2 3 °

Anwendungspraxis des § 34 Abs. 2 und 2a Im Gegensatz zu der geringen Wirksamkeit der bisher behandelten Rechtsänderungen für die Anwendungspraxis hatte der neue Absatz 2, der den Gemeinden die Möglichkeit gab, die Grenzen der im Zusammenhang bebauten Ortsteile durch Satzung festzulegen, größere praktische Bedeutung erlangt. Nach der Umfrage aus dem Jahr 1985 hatten 1/3 der Gemeinden und Städte von dieser Satzungsmöglichkeit Gebrauch gemacht231. Auch das Ziel des Gesetzgebers, durch diese "Abrundungssatzungen" die vielen Streitfälle über die Zugehörigkeit eines Grundstücks zum Innenbereich zu reduzieren, konnte nach überwiegender Meinung der Experten erreicht werden. In verschiedenen Fallstudienuntersuchungen zeigte sich, daß die Satzungen in nicht unerheblichem Maße von den Gemeinden genutzt wurden, um neue Bauplätze am Ortsrand zu schaffen, also eine maßvolle Erweiterung der Innenbereiche zu ermöglichen, ohne langwierige Aufstellungsverfahren für Bebauungspläne durchführen zu müssen. Nach Angaben der höheren Verwaltungsbehörden mußten beantragte Satzungsgenehmgiungen "häufig" bis "sehr häufig" versagt werden, weil mit der Satzung eine über die Abrundung hinausgehende Erweiterung geplant oder die Satzung nicht mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar war. Auf der anderen Seite gibt es empirische Untersuchungen, wonach die Zahl der Abrundungsgrundstücke in den Satzungen gering sei 232 . Im Gegensatz zu den "Abrundungssatzungen" nach § 34 Abs. 2 BBauG sind sogenannte "Entwicklungssatzungen" nach § 34 Abs. 2a BBauG 1979, deren Einführung zu erheblichen planungspolitischen Konflikten bei der Novelle zum BBauG 1979 geführt hatte, in der Praxis nur sehr selten erlassen worden. Nach der Befragung der höheren Verwaltungsbehörden muß davon ausgegangen werden, daß bis 1985 weniger als 40 Satzungen im Bundesgebiet erlassen worden sind. Da etwa die Häfte aller registrierten Satzungen aus dem Bezirk Weser-Ems gemeldet wurden, d.h. aus dem Bezirk, den der Bauausschuß des Bundestages besucht hatte, und der Auslöser für die Novelle war, ist festzustellen, daß die Einführung des § 34 Abs. 2a BBauG 1979 im 230 231

Vgl. Scharmer/Wollmann/Argast, S. 44.

Vgl. Scharmer/Wollmann/Argast, S. 42. 232 Vgl. Schäfer/Schmidt-Eichstaedt, S. 198, allerdings nur auf der Basis von 17 Satzungen aus 20 Gemeinden.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

Ergebnis ein "Sondergesetz" für die ostfriesischen Fehngemeinden geblieben ist.

5. Zusammenfassung

Rückschauend betrachtet, war der Ertrag der Novellen des § 34 BBauG 1976 und 1979 überraschend gering. Die meisten Änderungen zielten auf eine Korrektur der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 34 BBauG 1960. Dies gelang jedoch nur in geringem Umfang, weil das Bundesverwaltungsgericht seine Position auch unter Beachtung der neuen Formulierungen nur geringfügig korrigierte. Mit dem Begriff "einfügen" sollte erreicht werden, daß sich die Zulässigkeit von Vorhaben stärker an der Umgebungsbebauung orientierte. Zugleich richtete sich die Neuformulierung gegen die "Verschlechterungsrechtsprechung" des Bundesverwaltungsgerichts. Aber weder dogmatisch, noch in der Anwendungspraxis wurde damit viel erreicht. Dogmatisch blieb der Ertrag gering, weil das Bundesverwaltungsgericht seine Zulässigkeitsprüfung nur in geringem Maße modifizierte. In der Anwendungspraxis wurde die einschränkende Rechtsprechung dadurch überlagert, daß die bisherige, oft überdehnende Zulassung von Vorhaben im Innenbereich eher durch den gesellschaftlichen Wertewandel als durch den neuen Gesetzeswortlaut eingeschränkt wurde. Auch die Verstärkung der Planungstätigkeit aufgrund der Neufassung ließ sich nicht beobachten, weil in der Praxis die Zulassung von Vorhaben nach § 34 BBauG auch in Fällen, in denen förmliche Planung erforderlich wäre, meist sanktionslos bleibt. Die neue Forderung des Gesetzes, daß öffentliche Belange der Zulassung nicht entgegenstehen dürften, wurde von der Rechtsprechung teils im Hinblick auf die eigentumsrechtliche Problematik einschränkend interpretiert, teils dadurch unterlaufen, daß bereits im Einfügen das Entgegenstehen öffentlicher Belange geprüft wurde. Das hinter der Gesetzesformulierung stehende Ziel, den positiven Planungsleitlinien des § 1 BBauG auch im unbeplanten Innenbereich zur Wirkung zu verhelfen, setzte sich jedenfalls nicht durch. Insoweit war auch der Wortlaut der Neuformulierung nicht eindeutig genug. Auch die Einführung der Regelung in Absatz 3, wonach die Vorschriften der BauNVO in bestimmten Fällen bei der Prüfung nach § 34 BBauG entsprechend angewandt werden konnten, hatte geringe Auswirkungen. Einerseits wiederum, weil die Anwendung der Vorschrift durch die Rechtsprechung erschwert wurde. Andererseits, weil in der Praxis der feine dogmati-

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sehe Unterschied der Prüfung des Einfügens nach Absatz 1 und der Prüfung in entsprechender Anwendung der BauNVO nach Absatz 3 nur selten nachvollzogen wurde. Vielmehr hatte man schon zuvor die Unbedenklichkeit in entsprechender Anwendung der BauNVO ermittelt und bleib nun auch bei der Prüfung des Einfügens dabei. Die Ermächtigung an die Gemeinden in Absatz 2, die Grenzen des unbeplanten Innenbereichs durch Satzung festzulegen und dabei einzelne Außenbereichsgrundstücke einzubeziehen, wurde vielfach genutzt und als wesentliche Verbesserung angesehen, weil insoweit keine Bebauungsplanverfahren mehr notwendig waren. Demgegenüber wurde die politisch höchst umstrittene Satzungsmöglichkeit in § 34 Abs. 2a BBauG, mit der Streubebauungen mit historischer Siedlungsstruktur zum Innenbereich erklärt werden konnten, kaum genutzt.

96

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

I V . § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990 1. Anstöße für die Erarbeitung des Baugesetzbuchs

In seiner Regierungserklärung kündigte Bundeskanzler Kohl am 4.5.1983 an, die Bundesregierung werde Leitlinien für ein einheitliches Baurecht vorlegen 233 . Dieses Ziel der Regierung wurde in einer Erklärung des Bundesbauministers Schneider aus demselben Monat erläutert: Das Städtebaurecht sei zu kompliziert, zersplittert und werde den zukünftigen Aufgaben des Städtebaus nicht mehr gerecht. Deshalb solle es vereinfacht, zusammengefaßt und an künftigen Aufgaben des Städtebaus ausgerichtet werden 234 . Im Gegensatz zu den bisherigen, sachlich begrenzten und an aktuelle Novellierungswünsche anknüpfenden Teilnovellierungen des Bundesbaugesetzes sollte diesmal eine umfangreiche Gesamtüberprüfung des Städtebaurechts erfolgen. Eine derartige gründliche Überprüfung des Bundesbaugesetzes unter fachlichen Gesichtspunkten war bereits im Zusammenhang mit der Novelle von 1976 angekündigt worden 235 . Einerseits sollten die nunmehr über zwanzigjährigen Erfahrungen mit dem Gesetz zur Verbesserung einzelner Vorschriften genutzt, andererseits sollte das Gesetz im Hinblick auf die erkennbaren neuen städtebaulichen Aufgaben überarbeitet werden 236 . Diese fachbezogenen Novellierungsziele wurden - vor allem im politischen Raum - von Zielen der Entregelung, Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung überlagert, die ihren Ursprung in der seit Ende der 70er Jahre geführten Debatte über eine "Gesetzesflut" und das Ausufern des "Normativismus" hatten 237 . Dem Baurecht wurde - wie bereits bei der

233

Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 43 v. 5.5.1983,

S. 400. 234 Vgl. Schneider, Eigentumsbildung und Städtebauforderung im Mittelpunkt. Anmerkungen zur Baupolitik in der 10. Legislaturperiode, BBauBl. 1983, S. 482. 235 Vgl. oben Kap. Β III 1. 236 Vgl. Krautzberger/Löhr, Das neue Baugesetzbuch - Entstehung und Grundzüge der Neuregelung, N V w Z 1987, S. 177. 237 Vgl. Leisner, Gesetz wird Unsinn (...) Grenzen der Sozialgestaltung im Gesetzesstaat, DVB1. 1981, S. 849; Köstering, Abbau der Regelungsdichte als Voraussetzung für eine handlungsfähige und bürgernahe Verwaltung? Verwaltungsrundschau 1982, S. 73 ff. und 109 ff.

IV. § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990

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"Beschleunigungsnovelle" - in besonderem Maße eine Tendenz zur Übernormierung vorgeworfen 238 . Dementsprechend standen Ziele der Gesetzesvereinfachung im Mittelpunkt der Erläuterung des Gesetzesvorhabens durch Bundesbauminister Schneider bei einem Treffen mit den Präsidenten der Kommunalen Spitzenverbände im Juli 1983 239 . Der Minister führte aus, das Städtebaurecht sei im Laufe der Zeit durch Teilnovellierungen und durch Ergänzungen zu einem kaum mehr überschaubaren, zersplitterten und überkomlizierten Gesetzeswerk geworden. Die Praxis könne es kaum mehr handhaben. Das geltende Recht enthalte zahlreiche für die Praxis überflüssige Vorschriften. Deshalb sollten die Grundlagen des Städtebaus in einem einheitlichen, übersichtlichen und für den Bürger verständlichen Gesetzeswerk zusammengefaßt werden. Es seien nur solche Regelungen aufzunehmen, die von der Praxis bestätigt als unabweisbar erforderlich angesehen würden. Die bau- und planungsrechtlichen Verfahren seien zu vereinfachen und zu beschleunigen und das Bauen solle für private und öffentliche Investoren soweit wie möglich erleichtert werden. Außerdem solle die Rechtsmittelanfälligkeit im Bauplanungsrecht bei Wahrung rechtsstaatlicher Anforderungen vermindert werden. Im Verlauf der weiteren Novellierungsarbeiten und in der öffentlichen Diskussion um den Regierungsentwurf traten allerdings die Ziele der Anpassung des Gesetzes an neue Aufgaben des Städtebaus wieder in den Vordergrund. Vor allem ging es um Aufgaben des Umweltschutzes und der Umweltvorsorge sowie um die Erleichterung der Innenentwicklung zur Einschränkung des Landschaftsverbrauchs. Außerdem wurde das Ziel verfolgt, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken 240. Um eine wirklich grundlegende Überprüfung des Städtebaurechts vorbereiten zu können, war zunächst viel Zeit für die Gesetzeserarbeitung eingeplant: Bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode sollten - wie in der Regierungserklärung angekündigt - Leitlinien für ein Baugesetzbuch vorgelegt 238

vgl. Sendler, Normenflut und Richter, ZRP 1979, S. 227 (230), der als Beispiel für schlechte Gesetzgebungsarbeit das Städtebaurecht, vor allem die "kasuistisch-perfektionistisch zerfaserte Novellierung" von 1979 anfuhrt. 239 Vgl. Scholl, Bund, Länder und Gemeinden einigen sich auf gemeinsame Schritte zur Vereinfachung des Baurechts, BBauBl. 1983, S. 482. 240 Den Wandel der mit dem Baugesetzbuch verfolgten Ziele zeigt ein Vergleich zwischen den vom Bundesbauminister 1983 vorgetragenen Zielen (vgl. BBauBl. 1983, S. 482) und der Auflistung der mit dem Baugesetzbuch verwiklichten Ziele durch den Bundesbauminister nach der parlamentarischen Verabschiedung des Gesetzes im Oktober 1986, vgl. Baugesetzbuch vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Schneider: "Erste Gesamt-Kodifikation des Städtebaurechts", BBauBl. 1986, S. 626.

7 Scharmer

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

werden. Erst in der folgenden Legislaturperiode sollte das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen werden 241 . Zum Zwecke der gründlichen Revision des geltenden Rechts setzte der Bundesbauminister im September 1983 sechs Arbeitsgruppen ein, in denen Experten aus Bund, Ländern und Gemeinden das geltende Recht umfassend überprüfen und Grundlagen für ein Baugesetzbuch erarbeiten sollten 242 . Darüber hinaus wurden vom Bundesbauministerium mehrere wissenschaftliche Untersuchungen zum Vollzug des Bundesbaugesetzes und des Städtebauförderungsgesetzes initiiert ("Rechtstatsachenforschung ") 2 4 3 . Der ursprünglich vorgesehene Zeitplan für das neue Gesetz, der zwei Legislaturperioden umfaßte, wurde jedoch Anfang 1984 revidiert und drastisch gekürzt. Aufgrund des Vorschlages der "Unabhängigen Kommission zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung" unter Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Waffenschmidt ("Waffenschmidt-Kommission"), beschloß die Bundesregierung, das Verfahren so zu verkürzen, daß der Gesetzentwurf noch in der laufenden Legislaturperiode, also noch im Jahre 1986, beschlossen werden konnte 244 . Das Gesetzesvorhaben war zu einem der wichtigsten Maßnahmen der EntbürokratisierungsStrategien der Bundesregierung geworden; in absehbarer Zeit vorzeigbare Ergebnisse waren deshalb erwünscht. Der neue Zeitplan hatte zur Folge, daß von nun an jeder Novellierungsvorschlag auch unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzbarkeit innerhalb der laufenden Legislaturperiode überpüft werden mußte. Grundlegende Veränderungen des bisherigen Planungs- und Genehmigungssystems konnten deshalb bei den weiteren Überlegungen nicht mehr berücksichtigt werden. Mit dem neuen Zeitplan waren die Weichen für eine Novellierung mittleren Umfangs gestellt 245 .

241 Vgl. Deutscher Städtetag, Vorbericht für die 122. Sitzung des Hauptausschusses am 5./6.3.1985 in Heidelberg. 242 Vgl. Materialien zum Baugesetzbuch. Berichte der Arbeitsgruppen und Gesprächskreise zum Baugesetzbuch, Schriftenreihe des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Heft Nr. 03.108, Bonn-Bad Godesberg 1984. 243 244

Vgl. Schneider, BBauBl. 1986, S. 466.

Vgl. Krautzberger/Löhr, S. 178. 245 Der neue Zeitplan stieß in der Praxis deshalb auf deutliche Kritik, so z.B. im Vorbericht des Deutschen Städtetages fur die Sitzung des Hauptausschusses am 5./6.3.1985, vgl. auch Scharmer/Wollmann, Baurechtsänderung? Problembewältigung und Umweltsicherung in den Städten dulden weder Halbheiten noch Hast, Stadtbauwelt 85 (1985), S. 54.

IV. § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990

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2. Die Neufassung des § 34 im Baugesetzbuch

a) Änderungsvorschläge der vom Bundesbauminister eingesetzen Arbeitsgruppe Die Überprüfung des § 34 BBauG zählte von Anfang an zu den Novellierungszielen. Im Bericht der vom Bundesbauminister eingesetzten Arbeitsgruppen wurden mehrere Änderungsvorschläge unterbreitet, die bereits die später beschlossenen Änderungen in den Grundzügen vorzeichneten 246. Die Änderungsvorschläge der Arbeitsgruppe lassen sich in drei Hauptzielen zusammenfassen: (1) Reduzierung der Grundregel für die Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich auf das Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung; (2) Eine Abweichungsmöglichkeit von dieser Grundregel zugunsten vorhandener baulicher Anlagen; (3) Erweiterung der Satzungsregelungen über die Anwendung der Innenbereichsvorschriften für Grenzfälle zwischen Innen- und Außenbereich. (1) Der erste Vorschlag, die Reduzierung der Grundregel für die Zulässigkeit von Vorhaben im Innenbereich auf das Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung, sollte zum einen der Rechtsvereinfachung, zum andern der Erleichterung der Handhabung des § 34 in der Praxis dienen. Entfallen sollten die seit der Novelle 1976 in § 34 Abs. 1 BBauG aufgenommenen Zulässigkeiismerkmale "Berücksichtigung der für die Landschaft charakteristischen Siedlungsstruktur" und - nach Auffassung eines überwiegenden Teils der Arbeitsgruppenmitglieder - auch der Zusatz, daß "sonstige öffentliche Belange nicht entgegenstehen, insbesondere die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben und das Ortsbild nicht beeinträchtigt wird". Zur Begründung wurde angeführt, daß die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen Teil der genannten öffentlichen Belange ohnhin im "Einfügen" prüfe, andere Belange jedoch, wie die Darstellungen eines Flächennutzungsplans oder das Planungserfordernis, auch nicht als "öffentliche Belange" bei der Zulässigkeitsprüfung im unbeplanten Innenbereich berücksichtige.

246

Vgl. Materialien zum Baugesetzbuch, S. 20, 30 ff., 38 und 75.

100

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

Die Mehrheit der Arbeitsgruppenmitglieder entschied sich darüber hinaus für den Vorschlag, § 34 Abs. 3 BBauG, d.h. die entsprechende Anwendung der Baunutzungsverordnung, zu streichen. Die Begründung verweist wiederum auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: Danach sei Absatz 3 zusätzlich zum Einfügen zu prüfen, wodurch die Anwendung eher erschwert worden sei. Deshalb sei das ursprüngliche gesetzgeberische Ziel, in Fällen der eindeutigen Zuordnung zu Baugebieten nach der Baunutzungsverordnung die Genehmigungspraxis durch die alleinige Anwendung der Baunutzungsverordnung zu erleichtern, nicht erreicht worden. Mit derselben Begründung hatte sich bereits 1983 eine Arbeitsgruppe des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, in der neben Vertretern der kommunalen Seite und der Wissenschaft auch Mitarbeiter des Bundesbauministeriums beratend beteiligt waren, für die Streichung des Absatz 3 eingesetzt. Dort war die "Kapitulation" gegenüber der Rechtsprechung noch deutlicher angesprochen worden: "Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel ist leider nicht erreicht worden. Es dürfte im Hinblick auf die Erfahrungen mit der Rechtsprechung seit Anfang der 60er Jahre in diesem Bereich auch durch eine erneute Gesetzesänderung nicht zu verwirklichen sein" 247 . (2) Mit dem zweiten Novellierungsziel, zugunsten vorhandener baulicher Anlagen eine Abweichung vom Erfordernis des Einfügens zu ermöglichen, knüpfte die Arbeitsgruppe an einen Novellierungsvorschlag an, der bereits bei der "Beschleunigungsnovelle" 1979 diskutiert worden war, den man damals jedoch nicht in das Gesetz übernommen hatte, weil er den Vertreten der damaligen Koalitionsparteien noch nicht ausgereift erschienen war (s. oben Teil B, Kap. III 2 b). Der Vorschlag zielte auf eine Ausdehnung des baulichen Bestandschutzes vor allem für Betriebe in Gemengelagensituationen, bei denen bauliche Erweiterungen oder Erneuerungen oft am Erfordernis des Einfügens scheiterten. Mit der Abweichungsregel sollte in Einzelfällen die Durchführung aufwendiger Planungsverfahren vermieden werden. In der Beschreibung des Vorschlags wird ausgeführt, die Genehmigungsmöglichkeiten würden gegenüber der Rechtsprechung erweitert, weil bei rahmenüberschreitenden Vorhaben nun auch eine "Kompensation" der verschiedenen vom Vorhaben berührten Belange ermöglicht werde. Kompensation bedeute, daß durch Auflagen, Vereinbarungen und sonstige Maßnahmen ein städtebaulicher Zustand 247 Vgl. Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Vereinfachung und Fortentwicklung des Städtebaurechts, Düsseldorf, Oktober 1983, S. 11.

IV. § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990

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erreicht weden könne, der sonst nur im Wege der Planung zu ermöglichen sei 248 . Durch das Vorhaben müßten allerdings die städtebaulichen Verhältnisse verbessert und das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber nachbarlichen Belangen eingehalten werden. Der Vorschlag und seine Begründung lassen einen grundlegenden Unterschied zu den Zielen der Novelle 1976 erkennen: Ging es dem Gesetzgeber damals bei seinen Novellierungsbemühungen u.a. darum, die Gemeinden verstärkt zur Bebauungsplanung anzuhalten und ein "Ausweichen" auf § 34 einzudämmen, so sollten nun - im Gegenteil - Genehmigungen nach § 34 erleichtert werden, um den Aufwand für Planungsverfahren zu reduzieren. Die Einzelfallgenehmigung sollte damit gegenüber der Bebauungsplanung aufgewertet werden 249 . Neu war auch der Versuch, die in der Praxis verbreitete Handlungsstrategie des Aushandelns von Genehmigungen (statt einer reinen "Subsumption" des Genehmigungsfalles unter die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 34 BBauG) durch entsprechende gesetzliche Genehmigungsspielräume zu erleichtern und zu legalisieren 250. (3) Das dritte Novellierungsziel, die Erweiterung der Satzungsregelungen zum Anwendungsbereich des § 34 BBauG, knüpfte an die bisherigen Satzungsregelungen in § 34 Abs. 2 und 2a an. Zum einen traten die Arbeitsgruppen dafür ein, die bisherigen Möglichkeiten des § 34 Abs. 2 beizubehalten, wonach die Grenzen eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (deklaratorisch) festgelegt und dabei einzelne Außenbereichsgrundstücke durch Abrundung (konstitutiv) einbezogen werden konnten. Darüber hinaus wurde von einem Teil der Arbeitsgruppenmitglieder vorgeschlagen, die bisher kaum genutzte Möglichkeit der Entwicklung von Siedlungssplittern im Außenbereich zu im Zusammenhang bebauten Ortsteilen ("Entwicklungssatzung", § 34 Abs. 2a) zu vereinfachen und zu erweitern. Künftig solle allein darauf abgestellt werden, daß im Außenbereich Siedlungen vorhanden sind. Die weiteren Voraussetzungen des § 34 Abs. 2a BBauG sollten entfallen ("Gebiete mit besonderer Wohnsiedlungsstruktur, insbesondere mit historisch entstandener Streu- oder Bandbebauung"; "wenn entweder die Zuordnung zu den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen zweifelhaft ist oder die vorhandene Bebauung nicht alle Voraussetzungen eines im Zu248

Vgl. Materialien zum Baugesetzbuch, S. 38.

249

Vgl. Schäfer/Schmidt-Eichstaedt, Das Bundesbaugesetz in der Praxis, DVB1. 1984, S. 588, die mit Blick auf die Anwendungspraxis fiir ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Planung und Einzelentscheidung plädieren. 250

Vgl. zu Verhandlungsstrategien mit dem Investor in der Baugenehmigungspraxis: Scharmer/Wollmann/Argast, S. 27 ff.

102

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

sammenhang bebauten Ortsteils erfüllt, die Gemeinde jedoch beabsichtigt, ihn zu einem solchen zu entwickeln"). Auch die bisherige enge Bindung an die Darstellung des Gebiets als Baufläche im Flächennutzungsplan sollte nach Auffassung eines Teils der Arbeitsgruppe gelockert werden. Es sollte ausreichend sein, wenn die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebenden Grundzüge der städtebaulichen Entwicklung nicht entgegenstehen251. Mit diesen Vorschlägen wurden zum einen Erleichterungen für die Aufstellung von "Entwicklungssatzungen" befürwortet, die bereits anläßlich der "Beschleunigungsnovelle" 1979 im 16. Bundestagsausschuß diskutiert, jedoch von den damaligen Mehrheitsfraktionen abgelehnt worden waren (vgl. oben Teil B, Kap. III 2 d). Insoweit spiegelten die Vorschläge eines Teils der Arbeitsgruppenmitglieder die veränderten politischen Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag wider. Zum andern zielte der Vorschlag auf die Vereinfachung von Gesetzesformulierungen, die wegen ihrer Uberdifferenzierung und Kasuistik in der Literatur heftig kritisiert worden waren 252 .

b) § 34 im Regierungsentwurf zum BauGB Der Regierungsentwurf zum Baugesetzbuch, der von der Bundesregierung am 4.12.1985 beschlossen wurde 253 , folgte in seiner Grundtendenz und weitgehend auch in den Einzelheiten den Vorschlägen der Arbeitsgruppen. Das Oberziel der Änderungsentwürfe zu den Vorschriften über die Zulässigkeit von Vorhaben wurde in der allgemeinen Begründung wie folgt beschrieben 254 : "Die Änderungen der Vorschriften über die Zulässigkeit von Vorhaben sollen im Rahmen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung die Genehmigungsfähigkeit von Vorhaben unmittelbar erleichtern." Der Regierungsentwurf sah vor, die Grundregel des § 34 Abs. 1 entsprechend des Arbeitsgruppen Vorschlags im wesentlichen auf das Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung zu reduzieren und das Zulässigkeitsmerkmal "wenn sonstige öffentliche Belange entgegenstehen" zu streichen. Entgegen dem Mehrheitsvorschlag der Arbeitsgruppe sollten je-

251

Vgl. Materialien zum Baugesetzbuch, S. 32.

252

Vgl. Sendler, S. 230; Redecker, Was wird aus dem Bundesbaugesetz? DVB1. 1982, S. 130 (133). 253

BR-Drucks. 575/85 v. 20.12.1985; BT-Drucks. 10/4630 v. 10.1.1986.

254

Vgl. BR-Drucks. 575/85, S. 56.

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doch die beiden konkret in § 34 Abs. 1 genannten öffentlichen Belange, d.h. folgende Zulässigkeitsvoraussetzungen beibehalten werden: "Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. " In der Entwurfsbegründung wurde hervorgehoben, daß durch diese Änderung die Rechtslage, vor allem im Hinblick auf den Umweltschutz, nicht verändert werde, weil derartige Anforderungen bisher schon beim "einfügen", nicht jedoch bei den "öffentlichen Belangen" geprüft würden 255 . Abweichend von der Mehrheit der Arbeitsgruppenmitglieder entschied sich der Regierungsentwurf im Hinblick auf die Regelung der entsprechenden Anwendung der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung: § 34 Abs. 2 des Entwurfs sah bezüglich der Art der baulichen Nutzung vor, daß sich die Zulässigkeit allein nach den Regelungen der Baunutzungsverordnung richten sollte, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht. Auch Ausnahme- und Befreiungsregelungen sollten in diesen Fällen entsprechend anwendbar sein. Das zulässige Maß der baulichen Nutzung sollte sich künftig jedoch allein nach Absatz 1 richten. In der Begründung wurde die Vereinfachung der Genehmigungspraxis durch die Neufassung betont. Der Entwurf zu § 34 Abs. 3 enthielt die bereits in der Beschleunigungsnovelle erwogene und von der Arbeitsgruppe geforderte Erleichterung der Zulässigkeit für Erweiterungen und Erneuerungen bestehender Betriebe. Die Vorschrift war der Befreiungsvorschrift in § 31 Abs. 2 BBauG nachgebildet. Die Genehmigung wurde dementsprechend in das Ermessen der Verwaltung gestellt. Die Begründung bezog sich ausdrücklich auf Problemfalle in Gemengelagen-Situationen. Dort sollten betriebliche Investitionen erleichtert werden, weil Betriebe, anders als Wohngebäude, auf wiederkehrende Baumaßnahmen angewiesen seien. Gleichzeitig sei jedoch durch die Gesetzesformulierung gewährleistet, daß die Genehmigung nur erteilt werden könne, wenn sie städtebaulich vertretbar sei und den städtebaulichen Entwicklungsvorstellungen der Gemeinde nicht zuwiderlaufe. § 34 Abs. 4 und 5 des Entwurfs enthielten die Regelungen zur Anwendung der Innenbereichsvorschriften in Grenzfällen zum Außenbereich. Wie von der Arbeitsgruppe gefordert, wurde vorgeschlagen, die Aufstellung einer Satzung zu erleichtern, mit der im Außenbereich gelegene Siedlungen zu Innenbereichssiedlungen entwickelt werden konnten (Splittersiedlungssatzung). Jedoch sollte es - entgegen dem Arbeitsgruppenvorschlag - weiterhin dabei 255

Vgl. BR-Drucks. 575/85, S. 87.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

bleiben, daß diese Bereiche im Flächennutzungsplan als Bauflächen dargestellt sein mußten. Neu war auch der Vorschlag, daß in der Satzung einzelne Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 und 4 BauGB getroffen werden konnten und daß vor dem Erlaß der Satzungen betroffenen Bürgern und Trägern öffentlicher Belange Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben war.

c) Stellungnahmen im weiteren Gesetzgebungsverfahren und Endfassung im Baugesetzbuch Dem Bundesrat lagen bei seiner Behandlung des Regierungsentwurfs am 31.1.1986 kontroverse Stellungnahmen seiner Ausschüsse vor 2 5 6 . Der Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen wollte die Nennung der öffentlichen Belange in § 34 Abs. 1 beibehalten und um Erfordernisse des Immissionsschutzes erweitern. Außerdem sollte geprüft werden, die Abweichungsregel in Absatz 3 mit einer Ausgleichsforderung in Bezug auf die städtebaulichhe Situation zu verknüpfen. Der Agrarausschuß hatte sogar vorgeschlagen, die zu beachtenden öffentlichen Belange in Absatz 1 einzeln im Gesetz aufzuführen und dabei - gegen die bisherige Rechtsprechung - die Ziele der Raumordnung und Landesplanung und Belange der Landschaftspflege aufzunehmen. Demgegenüber hatte sich der Wirtschaftsausschuß gegen diese Verengungen der Zulässigkeit gewandt und seinerseits gefordert, die Abweichungsregelung in Absatz 3 als Rechtsanspruch auszugestalten. In der Plenarsitzung setzten sich dann die Vorschläge des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen durch 257 . Vor Beginn der Einzelberatungen des Bundestagsausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (16. Ausschuß) wurden am 12.3.1986 die Ergebnisse eines Planspiels präsentiert, das vom Deutschen Institut für Urbanistik betreut worden war 258 . Im Rahmen des Planspiels waren die Vorschriften des Regierungsentwurfs vorab in sechs Städten und Gemeinden und mit Experten aus Kreis- und Bezirksverwaltungen auf ihre Praxistauglichkeit getestet worden.

256

Vgl. BR-Drucks. 575/1/85, S. 53 ff.

257

Vgl. BR-Drucks. 575/85 (Beschluß), S. 30 ff. In ihrer Gegenäußerung lehnte die Bundesregierung diese Änderungsvorschläge ab, vgl. BT-Drucks. 10/5111. 258

Vgl. Deutscher Bundestag, Stenographisches Protokoll der 60. Sitzung des 16. Ausschusses am 12.3.1986 in Essen; Schäfer/Scharmer/Schmidt-Eichstaedt, Planspiel zum Baugesetzbuch. Methode und Ergebnisse des Praxistests - Text des Regierungsentwurfs, Berlin April

IV. § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990

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Der Praxistest zu § 34 kam zu dem Ergebnis, daß die Einfügungsklausel für alle Genehmigungsfalle beibehalten werden solle. Deshalb solle Absatz 2 nur als Zusatzerfordernis zum Einfügen formuliert werden. Zudem wurde die Formulierung des Absatz 2 wegen der unklaren Bezugnahme auf die Ausnahmevorschrift (§31 Abs. 1) kritisiert 259 . Absatz 3 sei entbehrlich, weil Betriebserweiterungen, die mit dem Gebietscharakter noch vereinbar seien, in der Praxis derzeit schon nach Absatz 1 genehmigt würden. Demgegenüber erhöhe sich bei Genehmigungen nach Absatz 3 die Gefahr von Nachbarstreitigkeiten. Für die "Splittersiedlungssatzung" nach Absatz 4 Nr. 2 in Verbindung mit einzelnen Festsetzungen nach § 9 bestehe kein Bedarf, weil die Regelung inhaltlich und verfahrensmäßig dem Bebauungsplan nahe komme. Am 14.4.1986 führte der 16. Bundestagsausschuß eine Anhörung von Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis durch 260 . In ihren Stellungnahmen äußerten sich die Sachverständigen überwiegend kritisch zu den Novellierungsvorschlägen. Mehrheitlich wurde gefordert, die Zulässigkeit nach Absatz 1 wie bisher davon abhängig zu machen, daß "sonstige öffentlichen Belange" nicht entgegenstehen; bei Absatz 2 solle es dabei bleiben, daß das "Einfügen" zusätzlich zu prüfen sei. Absatz 3 lehnten die Sachverständigen überwiegend völlig ab. Demgegenüber bezeichneten Wirtschaftsverbände diese Vorschrift als "Kernstück" der Novelle. Diese ergänzende Regelung sei erforderlich, weil die Signale der Rechtsprechung, die vielfach bereits jetzt einen erweiterten Bestandsschutz nach Absatz 1 gewähre, in der Praxis häufig nicht ankämen261. Die Satzungsregelungen in Absatz 4 und 5 stießen bei den Sachverständigen ebenfalls überwiegend auf Kritik. Die Beibehaltung der Regelungen des BBauG schien ihnen geeigneter. In einigen Stellungnehmen wurde gefordert, die für die Satzungen vorgesehene Bürgerbeteiligung auch für § 34 Abs. 1 bis 3 einzuführen 262.

1986 (Deutsches Institut für Urbanistik); Scharmer, Der Regierungsentwurf zum Baugesetzbuch im Praxistest, Zeitschrift fur Gesetzgebung 1987, S. 174. 259 Der Wortlaut der Regierungserklärung ließ nicht klar erkennen, ob Vorhaben, die nach der BauNVO nur ausnahmsweise zulässig sind, nach § 34 Abs. 2 zugelassen werden müssen oder ob dies im Ermessen der Genehmigungsbehörde stehen sollte. Dieser Kritik wurde im weiteren Verfahren durch Änderung des Wortlauts Rechnung getragen, vgl. § 34 Abs. 2 Satz 2 BauGB. 260

Vgl. Deutscher Bundestag, Stenogr. Protokoll der 62. Sitzung des 16. Ausschusses.

261

Vgl. Stellungnahme des D I H T S. 20. Positiv zu Absatz 3 äußerte sich ebenfalls der Bundesverband der Deutschen Industrie, vgl. Stellungnahme S. 10. 262

So u.a. Wollmann, Stellungnahme S. 18.

106

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

Auch in den Einzelberatungen des 16. Ausschusses wurde der Regierungsentwurf kontrovers behandelt263. Die Fraktionen der SPD und der Grünen setzten sich dafür ein, in § 34 Abs. 1 zusätzliche umweltbezogene Zulässigkeitsvoraussetzungen aufzunehmen 264. Zu Absatz 2 fordete die SPD-Fraktion, das Erfordernis des Einfügens zusätzlich aufzunehmen. Absatz 3 sollte nach Auffassung der SPD gestrichen, nach Meinung der Grünen um umweltschutzbezogene Zulässigkeitsvoraussetzungen ergänzt werden 265 . Auch die Neufassung der Absätze 4 und 5 wurde von den Fraktionen der Opposition abgelehnt. Die SPD beantragte die Beibehaltung der Absätze 2 und 2a in der geltenden Fassung des BBauG. Die Grünen setzten sich für die Streichung aller Satzungsregelungen ein, mit Ausnahme der deklaratorischen Festlegung der Grenzen der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 Abs. 4 Nr. 1). Alle Änderungsanträge wurden von den Mehrheitsfraktionen der CDU/CSU und FDP zurückgewiesen. Der Bericht des 16. Ausschusses vom 15.10.1986 266 weist einleitend zu § 34 Abs. 1 bis 3 darauf hin, die Neufassung verfolge das Ziel, auf nicht notwendige Zulässigkeitsmerkmale zu verzichten und betrieblichen Investitionen eine rechtssichere Grundlage zu geben. In der vorgelegten Fassung fanden die Umweltbelange in gebotenem Maße Berücksichtigung. Die vom Bundesrat zur Prüfung empfohlene Ergänzung des § 34 Abs. 3 um eine Ausgleichspflicht sei nicht erforderlich, weil durch das Zulässigkeitserfordernis der "städtebaulichen Vertretbarkeit" eine hinreichende Grundlage für Ausgleichsmaßnahmen vorhanden sei. Zur Begründung der Satzungsregelungen 263 Vgl. Deutscher Bundestag, Kurzprotokoll der 68. Sitzung des 16. Ausschusses, S. 8 ff.; Beschlußempfehlung und Bericht des 16. Ausschusses, BT-Drucks. 10/6166, S. 131. 264 Nach dem Antrag der SPD-Fraktion sollte § 34 Abs. 1 folgende Fassung erhalten: "Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich (...) unter Berücksichtigung der charakteristischen Siedlungsstruktur einfügt, die Erschließung gesichert ist und wenn sonstige öffentliche Belange einschließlich des Umweltschutzes nicht entgegenstehen. Das Vorhaben darf keine schädlichen Einwirkungen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes hervorrufen oder ihnen ausgesetzt werden. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Orts- und Landschaftsbild darf nicht beeinträchtigt werden."

Die Fraktion der Grünen schlug folgende Erweiterungen des Regierungsentwurfs vor: "(...) einfügt, sofern damit nicht die Fortschreibung von Mißständen verbunden ist und wenn die Erschließung gesichert ist. Dabei müssen die Anforderungen an gesunde Wohnund Arbeitsverhältnisse gewahrt sowie Belange des Umweltschutzes und des Immissionsschutzes berücksichtigt werden; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden." 265

In § 34 Abs. 3 sollte eingefügt werden "(...) und dabei Belange des Naturhaushalts und des Naturschutzes nicht entgegenstehen oder durch Ausgleichsmaßnahmen ausgeglichen werden(...)" 266

Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des 16. Ausschusses

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nach Abs. 4 und 5 führt der Bericht an, es habe sich in der Praxis in bestimmten ländlichen Teilen des Bundesgebiets ein Bedarf nach Ausweitung des Anwendungsbereichs der Satzungen herausgestellt, dem der Gesetzgeber Rechnung tragen müsse. Durch Bürger- und Trägerbeteiligung sowie durch ergänzende Fetstsetzungen werde die Qualität der Satzungen erhöht. Der Deutsche Bundestag verabschiedete das Gesetz am 23.10.1986 267 . Nach der Zustimmung des Bundesrats 268 wurde es am 8.12.1986 verkündet und trat am 1.7.1987 in Kraft 269 .

3. Erste Erfahrungen der Praxis mit der Neufassung

Drei Jahre nach Inkrafttreten des Baugesetzbuchs können über die Wirkungen der Neufassung des § 34 noch keine abgesicherten Aussagen gemacht werden. Empirische Untersuchungen liegen bisher nicht vor. Erste Einschätzungen aus der Praxis spiegelt jedoch eine Umfrage wider, die im Oktober 1989 bei elf Experten aus der kommunalen Praxis zu den bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Gesetz gemacht wurden 270 . Die Frage, ob die Neufassung des § 34 Abs. 1 (Wegfall der "für die Landschaft charakteristischen Siedlungsstruktur" und "sonstige öffentliche Belange") eine Änderung der Genehmigungspraxis bewirkt habe, wird von allen Experten verneint. Diese Antworten decken sich mit der Beobachtung, daß die weggefallenen Zulässigkeitsmerkmale angesichts der restriktiven Rechtsprechung bisher schon ohne praktische Bedeutung waren. Die Frage nach der Anwendungspraxis des § 34 Abs. 2 ergab, daß diese Vorschrift vielfach zur Anwendung kommt. Die Zahl der Anwendungsfalle wurde teils auf 1/3, teils auf über die Hälfte der Baugenehmigungen im unbeplanten Innenbereich geschätzt. Dabei traten bisher offenbar nur selten Probleme auf. Aus einer Stadt wurde allerdings berichtet, daß die Rechtsprechung häufig eine andere Gebietskategorie festelle als die Verwaltung. Eine beachtliche Veränderung der Genehmigungspraxis ist offenbar durch die 267

Vgl. Deutscher Bundestag, stenogr. Protokoll 10/241, S. 18566 ff.

268

Vgl. BR-Drucks. 500/86 (Beschluß).

269 Vgl. Gesetz über das Baugesetzbuch v. 8.12.1986 (BGBl I, S. 2191) und die Bekanntmachung des Baugesetzbuchs v. 8.12.1986 (BGBl I, S. 2253). 270 Die Umfrage "Zwei Jahre Baugesetzbuch: Was hat sich in der Praxis geändert?" wurde von Experten aus den Kommunalverwaltungen Essen, Esslingen a. N., Freiburg, Kassel, Oberhaching, Reutlingen und Stuttgart, aus den Kreisverwaltungen Bad Homburg und Nordfriesland und den Bezirksregierungen Arnsberg und Kassel beantwortet.

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Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

Neufassung des § 34 Abs. 2 nicht eingetreten, da - wie oben in Kap. Β III 4 c) dargestellt - auch unter der Geltung der bisherigen Fassungen des § 34 in der Praxis die Zulässigkeitsprüfung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in der Regel in entsprechender Anwendung der Baunutzungsverordnung erfolgte. Ein Experte wies ausdrücklich darauf hin, daß sich viele Mitarbeiter in den Verwaltungen über die Unterschiede zwischen Absatz 1 und Absatz 2 nicht im klaren seien. Genehmigungsfälle nach § 34 Abs. 3 waren nur zwei der elf befragten Experten bekannt. Jeweils ging es um die Standortsicherung von Betrieben. Als Beispiele wurden genannt: Genehmigungen einer Halle für eine Maurerfirma, von Funktionsräumen für eine Bäckerei und ein Lager für einen Einzelhandelsbetrieb. Die Umfrage erbrachte jedoch keine Erkenntnisse darüber, ob diese Gebäude auch nach Absatz 1 hätten genehmigt werden können. Das Umfrageergebnis stimmt mit anderen Expertengesprächen überein, wonach bisher nur sehr selten von der neuen Vorschrift Gebrauch gemacht wurde 271 . Die Anwendungspraxis zu den Absätzen 4 und 5 ist nach den Auskünften der Experten unterschiedlich. Z.T. wird von einer verstärkten Nutzung der Satzungsvorschriften und der Möglichkeit, einzelne Festsetzungen nach § 9 BauGB zu treffen, berichtet. Andere Experten kennen demgegenüber keine Satzungen nach den neuen Vorschriften. Der Beobachtungszeitraum dürfte gerade für Satzungen noch nicht ausreichen, um verläßliche Angaben zu erhalten.

4. Die Änderung des § 34 BauGB auf Zeit durch das Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch im Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz

Das Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz von 1990 war Teil eines wohnungspolitischen Maßnahmenpakets der Bundesregierung zur Verstärkung des Wohnungsbaus. Hintergrund dieser Maßnahmen war ein Nachfrageüberhang auf dem Wohnungsmarkt, der 1989 in zunehmendem Maße die politische Diskussion bestimmte. Mehrere Faktoren hatten ein erhebliches Ungleichgewicht auf dem Wohnungsmarkt verursacht: Insgesamt steigende Wohnflächenansprüche auf dem Hintergrund einer anhaltend positiven wirtschaftlichen Entwicklung, zunehmende Haushaltsgründungen der geburtenstarken Jahrgänge und der Zustrom von Aus- und Übersiedlern hatten zusammen vor allem in Verdichtungsgebieten die Nachfrage nach preisgünsti-

271

vgl. zu § 34 Abs. 3 BauGB das Urteil des BVerwG v. 15.2.1990, ZfBR 1990, S. 198.

IV. § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990

109

gem Wohnraum so sehr erhöht, daß es zu erheblichen Engpässen bei der Wohnraumversorgung kam. Die Situation spitzte sich Mitte 1989 zu und es verstärkte sich der öffentliche Druck auf die Bundesregierung, die seit einigen Jahren rückläufigen Wohnungsbauleistungen durch staatliche Maßnahmen zu steigern. A m 7.11.1989 beschloß die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket für den Wohnungsbau, das neben einer verstärkten Förderung des sozialen und privaten Wohnungsbaus und mietrechtlichen Änderungen eine Erleicherung der baurechtlichen Vorschriften für den Wohnungsbau vorsah. Das Bundesbauministerium legte Leitlinien für ein zeitlich befristetes Maßnamengesetz zum Baugesetzbuch vor. Der Gesetzentwurf zum Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz (WoBauErlG) wurde zur Verfahrensbeschleunigung von den Koalitionsfraktionen 272 und wortgleich von der Bundesregierung 273 in den Bundestag eingebracht. Dieses Verfahren ermöglichte die parallele Befassung des Bundesrats und des Bundestags mit der Vorlage. In der Entwurfsbegründung wurde ausgeführt, daß sich das Baugesetzbuch bewährt habe und nicht geändert werden solle. Jedoch sollten zeitlich befristete Erleichterungen des Planungs- und Baurechts dazu beitragen, daß Wohnbauland zügig und in ausreichendem Umfang ausgewiesen und die Zulassung von Wohnbauvorhaben im Rahmen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung erleichtert werde. Artikel 1 des Entwurfs begrenzte die Geltungsdauer des Gesetzes bis zum 30. April 1995. Das in Artikel 2 aufgeführte Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch (BauGB-MaßnahmenG) enthielt Regelungen zur Vereinfachung und Beschleunigung von Bebauungsplänen zur Deckung eines dringenden Wohnbedarfs, ein gesetzliches Vorkaufsrecht der Gemeinden für Wohnbauflächen im Außenbereich, Erleichterungen der Zulässigkeit von Wohnungsbauvorhaben, Fristenregelungen für die Genehmigungserteilung und die Wiedereinführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen. § 34 BauGB sollte nach dem Entwurf in zwei Punkten - auf Zeit - geändert werden: § 4 Abs. 2 BauGB-MaßnahmeG: Die Regelung in § 34 Abs. 3 BauGB, wonach Erweiterungen und Erneuerungen bestehender Anlagen zugelassen werden dürfen, wenn u.a. 272 Entwurf eines Gesetzes zur Erleicherung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften (Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz - WoBauErlG), BT-Drucks. 11/5972 v. 5.12.1989. 273

BT-Drucks. 11/6508 v. 19.2.1990.

110

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

1. die Zulassung aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit erforderlich ist oder 2. das Vorhaben einem Betrieb dient und städtebaulich vertretbar ist, sollte auf Vorhaben, die Wohnzwecken dienen, entsprechend anzuwenden sein. Außerdem wurden Fälle des dringenden Wohnbedarfs als "Gründe des Wohls der Allgemeinheit " definiert. § 4 Abs. 4 Entwurf BauGB-MaßnahmeG: "Entwicklungssatzungen" nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB können auch erlassen werden, wenn die bebauten Bereiche im Außenbereich im Flächennutzungsplan nicht als Bauflächen dargestellt sind und nicht als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festgelegt werden sollen; die erforderlichen Anlagen der Versorung und Entsorgung müssen vorhanden sein. Die erste Lesung zu dem Entwurf am 7.12.1989 im Bundestag274 war vor allem von der Kontroverse zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen über die geeigneten Maßnahmen zur Behebung der Wohnungsengpässe bestimmt. Die Opposition kritisierte die Änderungen des Verfahrensrechts als wenig wirksam und die Erleichterungen des Bauens im Außenbereich als städtebaulich bedenklich. Sie forderte zusätzliche Instrumente zur Mobilisierung von Baulandreserven, wie erweiterte Vorkaufsrechte, eine Verbesserung des Baugebots und des Einsatzes steuerrechtlicher Instrumente. Am 17.1.1990 führte der Bauausschuß des Bundestages eine öffentliche Anhörung von Verbänden und Sachverständigen zu dem Entwurf durch. Die Stellungnahmen zum Gesetzentwurf insgesamt und zu den Einzelregelungen fielen recht unterschiedlich aus. Neben vielen grundsätzlich zustimmenden Äußerungen wurde mehrfach bezweifelt, daß die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen tatsächlich geeignet seien, einen wesentlichen Beitrag zur Beseitigung der Engpässe auf dem Wohnungsmarkt zu leisten. Unter dieser Prämisse seien die erneute Änderung des Baugesetzbuchs und die dort vorgesehenen Erleichterungen angesichts drohender Beeinträchtigungen der städtebaulichen Ordnung rechtspolitisch problematisch 275. Auf überwiegende Kritik

274

Vgl. Deutscher Bundestag, Protokoll der 182. Sitzung v. 7.12.89, S. 14104-14122. Vgl. die kritischen Stellungnahmen der Stadt Nürnberg, des Zentralverbandes der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer, des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht v. Feldmann, des Deutschen Industrie- und Handelstages, des Deutschen Instituts für Urbanistik und des Deutschen Volksheimstättenwerks. 275

I V . § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990

111

stießen zudem die Erweiterungen der Zulässigkeit des Bauens im Außenbereich 276 . Soweit zu den Änderungen des § 34 Stellung genommen wurde, fand die Erweiterung des § 34 Abs. 3 für Wohnbauvorhaben überwiegend Zustimmung 277 , während die Ausdehnung der Anwendungsmöglichkeit der "Splittersiedlungssatzung" wegen der Abkoppelung vom Flächennutzungsplan, negativer Wirkungen für die Landschaft und der Gefahr von Konflikten zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Wohnnutzung fast einhellig abgelehnt wurde. M i t Beschluß vom 16.2.1990 nahm der Bundesrat zum Gesetzentwurf Stellung 278 . Ein großer Teil der zahlreichen Änderungsvorschläge wurde später in das Gesetz übernommen, u.a. die Ausweitung des Baugebots auf Fälle des dringenden Wohnbedarfs. Zur vorgesehenen Erweiterung des § 34 Abs. 3 BauGB nahm der Bundesrat nicht Stellung. Er votierte jedoch für die Streichung der Erweiterung der "Entwicklungssatzung", weil es durch die Entkoppelung vom Flächennutzungsplan zu ungeordneten, den Zielen der Raumordnung und Landesplanung widersprechenden städtebaulichen Fehlentwicklungen kommen könne 279 . In den Beratungen des Bundestags-Ausschusses280 wurden zahlreiche Empfehlungen des Bundesrats berücksichtigt. Die Oppositionsfraktionen stimmten den Änderungen überwiegend dennoch nicht zu. Insbesondere die erweiterten Zulassungsmöglichkeiten für Bauvorhaben nach § 4 des Entwurfs wurden als unvereinbar mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und mit den Anforderungen des Umweltschutzes abgelehnt. Zu § 34 beschloß der Ausschuß folgende Änderungen:

276

Vgl. dazu auch die Kritik des Arbeitskreises fur Umweltrecht, das Gesetz sei geeignet, dauerhafte und nachhaltige Veränderungen und Schädigungen der Siedlungsstruktur zu verursachen, Stellungnahme vom 24.4.1990, N V w Z 1990, S. 746. 277 Eindeutig ablehnend äußerte sich dazu nur der Bund Deutscher Architekten, der eine Verschlechterung von Wohnbedingungen befürchtete. Vgl. aber auch die kritische Darstellung von Moench, Das Maßnahmegesetz zum Baugesetzbuch, N V w Z 1990, S. 918 (921). 278 Vgl. BR-Drucks. 20/90 v. 16.2.90. 279 In der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats kündigte diese an zu prüfen, wie dem Anliegen des Bundesrats Rechnung getragen werden könne, vgl. BT-Drucks. 11/6540. 280 Vgl. dazu Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, BT-Drucks. 11/6636 v. 12.3.1990.

112

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

§ 4 Abs. 2 Maßnahmengesetz: Bei Beibehaltung des materiellen Regelungsinhalts wurde statt der Verweisung auf § 34 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Vorschrift ausformuliert 281 . § 4 Abs. 4 Maßnahmengesetz: Der Entwurf wurde in seiner rechtlichen Konstruktuion umgestellt und hinsichtlich seiner Wirkungen eingeschränkt. Anstelle einer Erweiterung der Entwicklungssatzung nach § 34 Abs. 4 wurde die Möglichkeit geschaffen, durch Satzung die Zulassung von Wohnbauvorhaben im Außenbereich entsprechend der Regelung in § 35 Abs. 4 zu begünstigen. Die Satzungsregelung wurde eingeschränkt auf Bereiche, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist. Ermöglicht wurde auch eine Erweiterung der Satzung auf Vorhaben, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. Ausdrücklich wurde aufgenommen, daß die Satzung mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sein müsse. Für die Verfahrensregelungen wurde auf § 34 Abs. 5 BauGB verwiesen, so daß den betroffenen Bürgern und berührten Trägern öffentlicher Belange Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muß 282 . In 2. und 3. Lesung wurde der Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag beschlossen283. In der lebhaften Debatte kritisierten die Oppositionsfraktionen vor allem die Außenbereichsregelungen. Die ungeplante Besiedelung des Außenbereichs werde zu einer Zerstörung der Kulturlandschaft fuhren. Der Bundesrat beschloß in seiner Sitzung am 6.4.1990 die Anrufung des Vermittlungsausschusses, weil er die Erweiterung der Zulässigkeit im Außenbereich 281

"Nach § 34 Abs. 1 und 2 des Baugesetzbuchs unzulässige Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen von zulässigerweise errichteten baulichen und sonstigen Anlagen können im Einzelfall zugelassen werden, wenn das Vorhaben Wohnzwecken dient und städtebaulich vertretbar ist und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar und die Erschließung gesichert ist. Auf § 34 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Baugesetzbuchs ist Abs. 1 Satz 1 entsprechend anzuwenden." 282

"Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, daß Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 des Baugesetzbuchs nicht entgegengehalten werden kann, daß sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleinen Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Im übrigen ist auf die Satzung § 34 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 des Baugesetzbuchs entsprechend anzuwenden. Von der Satzung bleibt die Anwendung des Absatzes 3 sowie des § 35 Abs. 4 des Baugesetzbuchs unberührt." 283

BT-Protokoll der 202. Sitzung v. 15.3.1990, S. 15658.

IV. § 34 im Baugesetzbuch 1985 und Maßnahmengesetz zum BauGB 1990

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nach § 4 Abs. 3 Maßnahmengesetz begrenzen wollte 284 . Der Vermittlungsausschuß folgte den Vorschlägen des Bundesrats teilweise 285 . Das Gesetz wurde endgültig am 10.5.1990 vom Bundestag und am 11.5.1990 vom Bundesrat beschlossen und trat am 1.6.1990 in Kraft 286 . In welchem Umfang die Gemeinden von der Ermessensvorschrift für erleichterte Genehmigungsmöglichkeiten im Innenbereich für Wohnbauvorhaben Gebrauch machen werden, läßt sich nur schwer abschätzen. Bisher sind keine Erfahrungsberichte bekannt. Die Vorschrift gibt vor allem die Möglichkeit zur Nach Verdichtung von locker bebauten Wohngebieten, indem das Maß der baulichen Nutzung in der näheren Umgebung durch An- und Umbauten erheblich angehoben werden kann. Demgegenüber werden Änderungen der Nutzungsart in Gebieten, die bisher gewerblich geprägt sind, meist an dem Erfordernis der städtebaulichen Vertretbarkeit scheitern. Die neue Satzungsmöglichkeit im Außenbereich dürfte einigen Gemeinden deshalb gelegen kommen, weil neue Bauflächen im Außenbereich geschaffen werden können, ohne daß die oft langwierigen Änderungsverfahren zum Flächennutzungsplan abgewartet werden müssen. Die Entkoppelung der Satzungen von den Darstellungen des Flächennutzungsplans im Außenbereich war seit der Novelle von 1979 aus den Reihen der jetzigen Regierungskoalition und des Städte- und Gemeindebundes gefordert worden. Die Wohnungsbauproblematik gab somit den letzten Anstoß, diesen Wünschen nachziikommen. Daß die Erweiterungen der Zulässigkeit im Außenbereich nur teilweise durch die Wohnungsproblematik, die ja in den Verdichtungsgebieten und nicht im ländlichen Raum vorherrschte, begründet war, kann auch den Ausführungen der Bundesbauministerin in der 2. Lesung des Gesetzes im Bundestag entnommen werden 287 .

5. Zusammenfassung

Die Neufassung des § 34 im Baugesetzbuch setzte zum einen eine Grundtendenz fort, die bereits in der Novelle von 1979 sichtbar wurde: Während

284 Vgl. BT-Drucks. 11/6902; Vor allem sollte die Zahl der zusätzlich eingebauten Wohnungen statt auf vier auf drei Wohnungen begrenzt werden. 285 vgl. BT-Drucks. 11/7018. 286

BGBl. I, S. 926.

287

Vgl. BT-Protokoll der 202. Sitzung, S. 15672/3, wo auf die Funktion der Vorschriften als Beitrag nicht nur zur Wohnraumversorgung, sondern auch zum Strukturwandel in der Landwirtschaft und zur Stärkung des ländlichen Raums verwiesen wird. 8 Scharmer

114

Β. Entwicklung der Rechtsnorm, Rechtsinterpretation und Rechtspraxis

die Novellierung im Jahre 1976 noch dadurch motiviert war, das Bauen ohne Bebauungsplan nach § 34 BBauG einzuschränken und enger an die öffentlichen Belange zu binden, stand seit der Novelle 1979 die Erleichterung des Bauens im unbeplanten Innenbereich, der Abbau von Verfahrensvoraussetzungen, im Vordergrund. Diese Tendenzwende des Gesetzgebers ist vor dem Hintergrund der seit Mitte der 70er Jahre zurückgehenden Baukonjuktur zu verstehen. Statt weitere Genehmigungshürden im "Bauboom" aufzubauen, ging es seitdem darum, "Investitionshemmnisse" aus dem Wege zu räumen. Zum anderen waren die Änderungen in § 34 durch das Baugesetzbuch Ausdruck der politischen "Wende" Anfang der 80er Jahre. Mehrere Korrekturen basierten auf Änderungsvorschlägen, die im Novellierungsverfahren von 1979 von den damaligen Oppositionsfraktionen eingebracht worden waren, aber nicht durchgesetzt werden konnten. So stellt sich die Streichung der "öffentlichen Belange" in § 34 Abs. 1 BauGB nur vordergründig lediglich als Vereinfachung dar. Tatsächlich wurde damit die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Betonung der Baufreiheit im Innenbereich bestätigt. Mit dem erweiterten Bestandsschutz für Betriebe in Absatz 3 BauGB wurde die Bindung von Veränderungen im unbeplanten Innenbereich an den Bebauungsplan ausdrücklich gelokkert. Die Vorschrift griff dabei die Formulierungen des Regierungsentwurfs zur Novelle von 1979 wieder auf. Auch mit den erweiterten Satzungsregelungen in § 34 Abs. 4 wurden Regelungen ins Gesetz aufgenommen, die 1979 von der damaligen Mehrheit im Bauausschuß abgelehnt worden waren. Nur die Neuregelung des Absatz 2 zur entsprechenden Anwendung der BauNVO, mit dem die Rechtsprechung zu § 34 Abs. 3 BBauG korrigiert wurde, war 1979 nicht diskutiert worden. In der Anwendungspraxis waren die Auswirkungen der gesetzgeberischen Feinkorrekturen gering. Weder Absatz 1 noch Absatz 2 führten, soweit bekannt, zu beachtlichen Änderungen der Genehmigungsprüfung im unbeplanten Innenbereich. Der erweiterte Bestandsschutz für Betriebe in Absatz 3 wurde offenbar nicht häufig angewandt. Jedoch könnte seine Wirkung auch dadurch eingetreten sein, daß zwar nicht dogmatisch differenziert nach Absatz 3 genehmigt, jedoch die Grundtendenz der Novelle, betriebliche Änderungen großzügiger zuzulassen, bei er Prüfung des Einfügens wirksam wurde.

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß I. Gesetz im Wandel Die Analyse der Entwicklung der Regelung über die Zulässigkeit von Bauvorhaben im unbeplanten Innenbereich soll im folgenden mit bisherigen Erkenntnissen der Gesetzgebungslehre verglichen werden. Der Vergleich führt zur Bestätigung vieler Aussagen, die in diesem Wissenschaftsbereich entwickelt wurden, teilweise zu deren Vertiefung und Differenzierung. Dabei erweist es sich als vorteilhaft, daß die Regelung des Bauens im unbeplanten Innenbereich über einen längeren Zeitraum verfolgt werden konnte. In dieser "Langzeitperspektive" erscheinen Gesetzesnovellierungen in einem anderen Licht, weil sie nicht als Einzelereignisse, sondern in bezug auf vorangegangene Entwicklungen und im Zusammenhang mit ihren Wirkungen untersucht werden können. Verknüpft man die Regelungen zum Bauen in nichtbeplanten Gebieten vor der Kodifizierung durch das BBauG, den Prozeß der Kodifizierung selbst, die Auslegung und Prägung des § 34 durch Literatur und Rechtsprechung, die Anwendungspraxis sowie spätere Novellierungen des Gesetzes miteinander, so zeigt sich eine rechtliche Regelung in kontinuierlichem Wandel. Die Norm steht in einem komplexen Kräftefeld, auf das unter wechselnden Rahmenbedingungen unterschiedliche Akteuere einwirken. Novellierungen sind die wichtigsten Stationen dieses Wandlungsprozesses; sie sind jedoch keineswegs die einzige Einflußnahme auf Inhalt und Steuerungswirkung der Norm. In der Entwicklung der Regelung der baulichen Zulässigkeit im unbeplanten Innenbereich bestätigt sich zunächst einmal die Feststellung von Noll, daß Gesetzgebung immer nur Rechtsänderung, nie völliger Neubeginn sei1. Auch vor der Kodifikation durch das Bundesbaugesetz waren Art und Maß der zulässigen baulichen Nutzung geregelt: Sie wurden durch landesweit oder örtlich geltende Vorschriften gesteuert, die für das Maß der baulichen Nutzung einfach strukturierte Höchstwerte festlegten und die Art der zulässigen Nutzung durch den Ausschluß erheblich belästigender Gewerbebetriebe eingrenzten. Mit § 34 BBauG trat ein völlig neues Regelungskonzept in Kraft: Anstelle der Normierung starrer Begrenzungen für das Bauen wurde durch den Begriff der "Unbedenklichkeit nach der vorhandenen Bebauung" ein offener und

1

Noll, Gesetzgebungslehre, Reinbeck 1973, S. 76.

116

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

flexibler, "situativer" Rechtsbegriff eingeführt, der für die Maßstäbe der Zulässigkeitsprüfung an die bestehende Bebauung anknüpfte. Dem Vorteil der Anpassungsfähigkeit dieser Regelung an die jeweilige Situation stand allerdings der Nachteil gegenüber, daß die gewählten Rechtsbegriffe in hohem Maße ausfüllungs- und konkretisierungsbedürftig waren. Die weitere Entwicklung zeigt, daß ein derart offenes Regelungsprogramm - unter der Geltung der Rechtsdogmatik vom voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff durch die Gerichte - erhebliche Bereiche der Normbildung an die Rechtsprechung delegiert. Das im Gesetz begründete Spannungsverhältnis zwischen dem normativen Begriff der "Unbedenklichkeit" und dem deskriptiven Anknüpfen an die vorhandene (z.T. "bedenkliche") tatsächliche Bebauung wurde in den ersten Jahren von der Rechtsprechung zugunsten normativer Zielvorstellungen gelöst. 1969 erfolgte jedoch durch das Bundesverwaltungsgericht eine Umorientierung, die eher eine Orientierung an der tatsächlichen bodenrechtlichen Situation und eine Erweiterung der Zulässigkeitsgrenze zugunsten der Baufreiheit zur Folge hatte. Dieser Rechtsprechungsschwenk stand in dem Gewicht seiner Auswirkungen einer Novelle nicht nach. Die erste größere Korrektur der Norm erfolgte also nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch eine "Rechtsprechungs-Novellierung". Seit 1970 wurde § 34 BBauG/BauGB viermal geändert. Bezieht man die Vorbereitungszeit der Novellen mit ein, so waren in den letzten 20 Jahren 15 Jahre von Novellierungsvorbereitungen oder Novellierungsverfahren betroffen (1972 - 1977; 1977 - 1979; 1983 - 1987; 1989 - 1990). Die Novellierungen des § 34 können deshalb nicht als einmalige Ereignisse aufgefaßt werden, sondern als Stationen im Wandlungsprozeß der Norm. Dabei besteht ein ständiger Kommunikationsprozeß zwischen Gesetzgeber (vor allem der M i nisterialverwaltung), Rechtsprechung und Praxis. Von einem kontinuierlichen Prozeß ist auch deshalb auszugehen, weil mit den Änderungen des § 34 nicht jeweils neue dogmatische Probleme geregelt wurden, sondern in jedem Novellierungsverfahren eine Auseinandersetzung mit denselben Grundfragen der Bebauung im unbeplanten Innenbereich erfolgte. Es ging im wesentlichen um die Fragen: - Inwieweit soll die Zulässigkeit an die Struktur der vorhandenen Bebauung gebunden werden? - In welchem Umfang sollen die Planungsziele nach § 1 BBauG in die Prüfung einbezogen werden? - Können die Vorschriften der Baunutzungsverordnung für die Prüfung der Zulässigkeit herangezogen werden?

I. Gesetz im Wandel

117

- Wie sollen Innen- und Außenbereich abgegrenzt werden? Diese Themen wurden bei Novellierungen unter wechselnden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jeweils variiert. Die Novellierungen stellen sich als Teil eines vielschichtigen politischen Prozesses dar, der von den Auswirkungen der veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, den Änderungen der politischen Mehrheitsverhältnisse - und damit der politischen Ziele - und der Stärke von Interessengruppen bestimmt ist. Die "Korrektur" der Norm aus rechtsdogmatischen Gründen, ihre rein fachlich motivierte "Verbesserung", werden von politischen Zielsetzungen überlagert. Damit zeigt sich, daß ein Ansatz in der Gesetzgebungslehre, der im wesentlichen den "technischen" Prozeß der Gesetzgebung untersucht, zu kurz greift, um die Vielschichtigkeit des Gesetzgebungsprozesses zu erfassen 2. Um das Handlungsgeflecht im Prozeß der Gesetzgebungsarbeit weiter aufzuhellen, sollen im folgenden Anlässe und Gründe für die Novellierungen genauer untersucht werden.

2 Vgl. zur Kritik an diesem "statischen" Ansatz der Gesetzgebungslehre: Steinmark, Dynamische Gesetzgebungstheorie und neue Politische Ökonomie. Ansätze zur Erklärung von Gesetzgebungsprozessen, Steinbach 1985, S. 45.

118

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

I I . Gründe für Novellierungen Üblicherweise wird zwischen dem "inneren" Gesetzgebungsverfahren, der Methodik der Entscheidungsfindung, und dem "äußeren" Gesetzgebungsverfahren, dem förmlichen Entscheidungsablauf, unterschieden3. Zu Beginn des inneren Gesetzgebungsverfahrens steht der "Problemimpuls", d.h. alle Gründe, die die gesetzgebenden Gremien dazu bewegen, normativ tätig zu werden 4. Die Analyse der Gründe, die den Gesetzgeber zur Novellierung des BBauG bzw. BauGB bewogen haben, zeigt, daß sich jeweils mehrere Problemimpulse überlagerten. Dies wurde z.B. bei der Erarbeitung des § 34 BauGB deutlich: Insgesamt wurde mit dem Baugesetzbuch das Ziel der Gesetzesvereinfachung und Entbürokratisierung verfolgt. Während des Novellierungsprozesses der einzelnen Vorschriften traten jedoch Anderungsgründe in den Vordergrund, die aus der jeweiligen Fachdiskussion folgten und die mit dem Gesamtziel der Erarbeitung des BauGB teilweise im Widerspruch standen. So knüpfte der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 34 Abs. 2 an die seit Mitte der 60er Jahre geführte Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung um die Anwednung der BauNVO im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 34 an. Die Neueinführung des Absatz 3 beruhte auf Wünschen aus Kreisen der Wirtschaft zur Ausweitung der Genehmigungsfähigkeit von gewerblichen Erweiterungen und Erneuerungen in Gemengelangesituationen. Vor allem Absatz 3 führte zu einer Erweiterung und Verkomplizierung des Gesetzes. Gründe der Gesetzesvereinfachung hätten für einen Verzicht auf diese Vorschrift gesprochen. Die unterschiedlichen, z.T. kontroversen Problemimpulse betreffen zwar dieselbe Vorschrift und beeinflussen sich wechselseitig, jedoch entstehen sie auf verschiedenen Ebenen. Politische, fachliche und regelungstechnische Fragen können Ausgangspunkt für Novellierungen sein. Die Analyse der Problemimpulse und Änderungsziele, die die Novellierungen des BBauG/ BauGB insgesamt und des § 34 ausgelöst hatten, legt es nahe, Novellierungsimpulse und Novellierungsziele in drei Hauptgruppen einzuteilen. Die Differenzierung knüpft empirisch daran an, von welchen Gruppen von Akteuren die Impulse wahrgenommen und die Ziele verfolgt wurden.

3 4

Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, Heidelberg, 1982, S. 62. Noll, S. 72 u. 160, vgl. auch Hill, S. 53.

II. Gründe fur Novellierungen

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1. Die Ebene der "großen Politik": Novellierungsziele, die Gegenstand der Diskussion im Gesamtparlament waren, die von der Tagespresse aufgegriffen und deshalb von einem erheblichen Teil der Wählerschaft registriert wurden. 2. Die Ebene der "kleinen Politik": Novellierungsziele, die von Interessengruppen eingebracht wurden, von Fachleuten der Fraktionen und in den fachpolitischen Kreisen diskutiert wurden. 3. Die juristisch-fachliche Ebene: Novellierungsziele, die nur von einem kleinen Kreis von spezialisierten Fachleuten in den Verwaltungen und Gerichten diskutiert wurden. Diese Ziele wurden zwar auch von den am Gesetzgebungsprozeß beteiligten "politischen" Akteuren wahrgenommen, sie wurden jedoch im Verfahren nicht Gegenstand von partei- und interessenpolitischen Konflikten. Dazu gehörte die Formulierung der Änderungsvorschläge im einzelnen und die Einpassung in das juristisch-dogmatische System. Im folgenden sollen die Novellierungsziele für das BBauG/BauGB insgesamt und für die Änderung des § 34 diesen Gruppen zugeordnet werden, selbst wenn diese Zuordnung wegen vielfacher Uberschneidungsbereiche nicht immer trennscharf möglich ist und einige Novellierungsziele noch während des Verfahrens an politischer Bedeutung gewinnen oder verlieren. Der ersten Gruppe von Novellierungszielen, die bis in die "große Politik" hinein wahrgenommen werden, sind im wesentlichen die öffentlich diskutierten Gründe für die Ingangsetzung der Gesetzesnovellierung insgesamt zuzuordnen: - Novelle 1976: Die Verstärkung sozialer und demokratischer Belange im Bodenrecht, vor allem die Erweiterung der Bürgerbeteiligung, Einführung der "Gebote" und des Bodenwertausgleichs; - Novelle 1979: Die Beseitigung von " In vesti tonshemmnissen", vor allem durch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren; im weiteren Gesetzgebungsverfahren auch die Erleichterung des Bauens im Außenbereich; - Baugesetzbuch 1986: Bereinigung und Vereinfachung der Vorschriften, Erleichterung von Investitionen; später auch Fragen des Umweltschutzes; - Maßnahmengesetz 1990: Erleichterung des Wohnungsbaus; Zur zweiten Gruppe von Novellierungsthemen, die in fachpolitischen Kreisen diskutiert werden, können u.a. folgende Änderungsbereiche bei § 34 gezählt werden: - Novelle 1976: Die Begrenzung der Zulässigkeit im unbeplanten Innenbereich; die Ausrichtung der Zulässigkeit an den "öffentlichen Belangen";

120

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

die Erweiterungsmöglichkeiten des Baulandes am Rande zum Außenbereich durch Abrundungssatzungen in Absatz 2; - Novelle 1979: Die Erleichterung des Bauens in bestimmten Splitter- und Streusiedlungen durch die " Entwicklungssatzung" in Absatz 2a; - Baugesetzbuch 1986: Der erweiterte Bestandsschutz für bestehende Betriebe durch die Befreiungsvorschrift in § 34 Abs. 3. - Maßnahmengesetz 1990: Die weitere Erleichterung der Bebauung in Streuund Splittersiedlungen durch Satzung. Der dritten Gruppe von Novellierungszielen, die lediglich in einem kleinen Kreis von Fachleuten diskutiert wurden, lassen sich bei den Novellen des § 34 BBauG/BauGB beispielsweise zuordnen: - Novelle 1976: Die Behandlung "einfacher" Bebauungspläne im unbeplanten Innenbereich; Das Verhältnis zur Baunutzungsverordnung; - Novelle 1979: Die Formulierung des Absatz 2a im einzelnen; dabei die Bindung an den Flächennutzungsplan. - Baugesetzbuch: Neufassung des Verhältnisses zu BauNVO in § 34 Abs. 2; Neufassung der Satzungsregelungen in § 34 Abs. 4. - Maßnahmengesetz: Die regelungstechnische Anknüpfung der erweiterten Zulässigkeit für Wohngebäude an die Formulierung in § 34 Abs. 3. Auf der Grundlage dieser Gruppierung können Novellierungsgründe, die betreibenden Akteure und die Wirkungen von Novellen untersucht werden. Zunächst zu den wichtigsten Gründen für Novellierungen: - Gesetzesnovellierung als Ergebnis politischer Anforderungen; - Novellierungen aufgrund geänderter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ; - Novellierungen als Reaktion auf Vollzugsprobleme und auf die Rechtsprechung.

1. Gesetzesnovellierung als Ergebnis politischer Anforderungen

Gesetzgebung kann nicht allein als zweckrationaler Prozeß der fachlichen Verbesserung eines Gesetzes erfaßt werden. Vielmehr ist der Gesetzgebungsprozeß - in den Worten von Hill - als ein "Zusammenspiel verschiedener In-

II. Gründe fur Novellierungen

121

teressen und Kräfteverhältnisse in einem komplexen politischen Umfeld" 5 zu charakterisieren. Das gilt nicht nur für die Neuaufstellung von Gesetzen, sondern ebenso für Novellierungen. Die Durchdringung des Novellierungsprozesses mit Anforderungen, die aus dem politischen System folgen, beginnt bereits bei den Novellierungsimpulsen. Ein Teil der Novellierungsgründe ist nicht Resultat juristisch-fachlicher Erfordernisse, sondern Teil der Legitimationsbeschaffung der Regierung 6. Am Beispiel des Bundesbaugesetzes/Baugesetzbuchs zeigt sich, daß vor allem die Entscheidung, ob ein Gesetz überhaupt den Weg der Novellierung gehen soll, von Fragen der politischen Legitimation der Regierung überlagert wird. So ist es sicherlich kein Zufall, daß die beiden "großen" Novellen des Baurechts 1976 und 1986 jeweils im Anschluß an eine politische "Wende" erarbeitet wurden. Die Novelle 1976 stellt sich insoweit als die Formung des Bodenrechts nach den Zielen der sozial-liberalen Koalition von 1972, das Baugesetzbuch als die Umformung aus der Sicht der konservativ-liberalen Koalition dar. Beide Novellen resulierten aus dem hohen Erwartungsdruck, dem sich neue Regierungen nach einem politischen Richtungswechsel ausgesetzt sehen. Untätigkeit in wichtigen Bereichen der Leistungsgesetze könnte bei der Wählerschaft als Schwäche ausgelegt werden 7. Es handelt sich also bei diesen Novellen um politische "Richtungsnovellen". Bei der Erarbeitung des Baugesetzbuchs zeigte sich die Überlagerung der fachlichen Ebene durch Erfordernisse der Regierungspolitik schon im Verfahren. Während sich das Fachressort für die - bereits seit Jahren angekündigte - grundsätzliche Revision des Baurechts zwei Legislaturperioden Zeit nehmen wollte, beschloß das Bundeskabinett aufgrund des Vorschlages der "Waffenschmidt-Kommission" eine Verfahrensbegrenzung auf eine Legislaturperiode, weil das Gesetzesvorhaben zu einer der wichtigsten Maßnahmen der Entbürokratisierungsstrategien der Bundesregierung geworden war. Die Ergebnisse sollten deshab möglichst bald sichtbar werden.

5

Hill, S. 53.

6

Zum Gesetz als "Erzeugnis der Politik" und "vorübergehend verfestigtem Aggregatzustand" unterschiedlicher Interessen vgl. auch Zeh, Verwaltungswissenschaftliche Zugänge zur Gesetzgebungslehre, in: Schreckenberger (Hrsg.), Gesetzgebungslehre. Grundlagen - Zugänge - Anwendung, Stuttgart u.a. 1986. S. 57 ff. (58). 7 vgl. auch die Kritik von Rupp: "Das demokratische Prinzip der Regierung auf Zeit und des Machtwechsels fuhrt unter diesen Umständen fast zwangsläufig zu einem legislatorischen Zickzack-Kurs" in dem Beitrag: Politische Anforderungen an eine zeitgemäße Gesetzgebungslehre, in: Schreckenberger (Hrsg.), Gesetzgebungslehre. Grundlagen - Zugänge - Anwendung, Stuttgart u.a. 1986. S. 42 (50).

122

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

Die Novellen von 1979 und 1990 können als "KrisennoVellen" bezeichnet werden: 1977 kam die damalige Regierung unter Bundeskanzler Schmidt aufgrund gesamtwirtschaftlicher Probleme und Schwächen in der Baukonjunktur unter erheblichen Handlungsdruck. Der Abbau von Investitionshemmnissen im Baurecht wurde zum politischen Handlungsfeld. Das politische Ziel der Novelle wurde bewußt in den Gesetzestitel aufgenommen: "Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionsvorhaben im Städtebaurecht". Vergleichbar war die Ausgangslage bei der Erarbeitung des WohnungsbauErleichterungsgesetzes von 1990: Demographische und wirtschaftliche Gründe, sowie Aus- und Übersiedler führten zu einem sehr schnell steigenden Nachfrageüberhang auf dem Wohnungsmarkt. Die Regierung geriet unter Druck, die Misere durch entschlossenes Handel zu beeinflussen. Wiederum ist kennzeichnend, daß das Ziel der Novellierung im Gesetzestitel genannt wird: "Gesetz zur Erleichterung des Wohnungsbaus im Planungs- und Baurecht sowie zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften". Beiden Krisennovellen ist auch gemeinsam, daß sie die auslösenden Probleme nur marginal beeinflussen konnten: Weder konnten Verfahrenserleichterungen 1979 die Baukonjunktur wesentlich verbessern, noch trafen die Erleichterungen des Maßnahmengesetzes 1990 die wesentlichen, die Beschleunigung des Wohnungsbaus hemmenden Faktoren 8. Vielmehr stand in beiden Situationen die Demonstration der Handlungsfähigkeit der Regierung im Vordergrund der Novellierungsvorhaben. Kindermann bezeichnet Gesetze, die vor allem durch die gute Absicht überzeugen und damit Systemvertrauen erzeugen wollen, als "Alibigesetze". Bei dieser Gesetzgebung bestimme weniger die gelungene oder mißlungene Lösung gesellschaftlicher Probleme die Diskussion, als vielmehr der Versuch, den Anschein einer Lösung zu erwecken 9. Interessante Ansätze zur Erklärung von Gesetzgebungsprozessen entwikkelt Steinmark im Anschluß an die "Ökonomische Theorie der Politik" bzw. die "Neue Politischen Ökonomie" 10 . Diese Theorie versucht, Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften für die Erklärung politischer Entscheidungsprozesse nutzbar zu machen. Nach Steinmark unterliegen Politiker, weil sie

8

Vgl. dazu die Stellungnahme des Deutschen Instituts für Urbanistik zum Entwurf eines Wohnungsbau-Erleichterungsgesetzes v. 5.12.1989. 9

Vgl. Kindermann, Symbolische Gesetzgebung, in: Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 13, Opladen 1988, S. 222 (234).

II. Gründe f r Novellierungen

123

wiedergewählt werden wollen, einem Druck, sich immer wieder durch Aktionen darzustellen, einem "Zwang zu Neuem" 11 . Wie bei einem Unternehmer im Wettbewerbsprozeß sei der Politiker einem ständigen Innovationsprozeß ausgesetzt, auf den er reagieren müsse, wenn er erfolgreich sein wolle. Eine Tendenz hierzu läßt sich - auf die Mehrheitsfraktionen und die von ihr getragene Regierung bezogen - in den Novellen des Baurechts bestätigen. Vor allem zeigt sich jeweils nach einem Wechsel der politischen Mehrheitsverhältnisse ein erheblicher Erwartungsdruck für neue Richtungsentscheidungen, der sich in Novellierungsverfahren für wichtige Leistungsgesetze niederschlägt. Damit wird auch eine zweite These Steinmarks bestätigt: Danach kommt es zu einer Diskontinuität der Rechtsentwicklung durch zyklische Nachfrage nach öffentlichen Gütern in Demokratien, insbesondere im Hinblick auf Wahltermine 12 . Die Diskontinuität der Rechtsentwicklung wird von Steinmark auf einen weiteren Umstand bezogen: In der Öffentlichkeit werde nur wenigen Themen Aufmerksamkeit geschenkt. Werde jedoch eine Mangellage spürbar, dann komme es sehr schnell zu dramatischen Verstärkungseffekten in der Artikulation einer entsprechenden Nachfrage gegenüber den politischen Entscheidungsinstanzen. Einzelne Themen würden dann zur überragenden politischen Aufgabe erhoben. Dadurch entstehe massiver Druck zu raschem Handeln. Bei der Suche nach möglichen Problemlösungen gelte es für eine Regierung, nach spektakulären Maßnahmen Ausschau zu halten, die in möglichst kurzer Zeit zu vorzeigbaren Erfolgen führten. Dabei bleibe der Regierung kaum Zeit, den jeweiligen Nutzen oder die Kosten der Maßnahmen für die Bevölkerung abzuschätzen. Für sie gehe es jetzt auch vorwiegend darum, ihre Maßnahmen danach zu beurteilen, inwieweit sie zur Stärkung ihrer eigenen politischen Machtposition beitrügen. Die Regierung orientiere sich vorwiegend an den Kriterien "Schnelligkeit" und "Sichtbarkeit" der Maßnahmen13. Es liegt auf der Hand, daß diese Beschreibung auf die beiden "Krisennovellen" übertragbar ist. Schnelligkeit und Sichtbarkeit der Novellierungen standen jeweils im Vordergrund. Beide Verfahren wurden in parlamentarischen Rekordzeiten durchgeführt und in der Öffentlichkeit als Demonstration der Handlungsfähigkeit dargestellt.

10

vgl. Steinmark, Dynamische Gesetzgebungstheorie und neue Politische Ökonomie. Ansätze zur Erklärung von Gesetzgebungsprozessen, Steinbach 1985. 11

Vgl. Steinmark, S. 107 ff.

12

Vgl. Steinmark, S. 127 ff.

13

Vgl. Steinmark, S. 129.

124

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

Allerdings sind die Analysen insoweit zu modifizieren, als die politische Motivation eng mit fachlichen Motivationen verknüpft ist. Die ergriffenen Maßnahmen müssen auch fachlich zumindest geeignet sein, zur Problemlösung beizutragen und sie müssen für fachpolitische Gruppierungen wenigstens überwiegend akzeptabel sein. Politische und fachliche Eignung sind gemeinsam erforderlich für die Durchsetzung der Novelle. Die Erkenntnisse der "Neuen Politischen Ökonomie" können darüber hinaus uneingeschränkt nur für die Gruppe von Novellierungszielen bestätigt werden, die bis in die Ebene der "großen Politik" wahrgenommen werden. Sie haben also vornehmlich Gültigkeit für die Problemimpulse, die die Ingangsetzung der Novellierungsverfahren überhaupt bewirken. Demgegenüber treffen sie nur in eingeschränktem Maße für die Novellierungsziele der "kleinen Politik" zu. Da diese Novellierungsziele nicht von der weiteren Öffentlichkeit wahrgenommen werden, haben sie keinen beachtlichen politischen "Marktwert". Sie mögen zwar für das Verhältnis von einzelnen Abgeordneten zu Interessengruppen von Bedeutung sein, sie tragen jedoch nur marginal zur politischen Legitimation der Regierung bei. Dies gilt noch mehr für die dritte Gruppe von Novellierungszielen, die in der weiteren Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen werden. Die Novellierungsziele der zweiten und dritten Gruppe sind auch nicht stark genug, um eine Novellierung in Gang zu setzen. Die Änderungen des § 34 BBauG kamen nur "bei Gelegenheit" der Novellierungen von 1976 und 1979, die primär andere Ziele verfolgten, in das Gesetz. Die Entwicklung des § 34 zeigt, daß Anwendungsprobleme, die langfristig in Fachkreisen diskutiert wurden, erst dann zur Änderung einzelner Vorschriften führten, wenn aus übergeordneten politischen Gründen eine Gesetzesnovellierung anstand und sich dadurch für die Berücksichtigung derartiger Novellierungsimpulse ein "Fenster" öffnete. Die Erkenntnis, daß gerade bei der Frage, ob eine Novellierung überhaupt vorgenommen wird, fachliche und politischen Ziele eng verknüpft sind, läßt die Realisierungschancen für die regelmäßig erhobenen Forderungen nach einer "Erforderlichkeitsprüfung" für Novellen gering erscheinen 14. Noll schlägt vor, es müsse eine Stabsstelle geschaffen werden, die die Problemimpulse auf zeitliche und sachliche Dringlichkeit hin prüfen solle 15 . Die Stabsstelle käme jedoch oft zu konträren Ergebnissen, je nachdem ob sie die Erforderlichkeit 14

Vgl. etwa König, Zur Überprüfung von Rechtssetzungsvorhaben des Bundes, in: Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 13, Opladen 1988, S. 171 (173). 15

Noll, S. 75.

II. Gründe fur Novellierungen

125

und Dringlichkeit im Hinblick auf mögliche Wirkungen auf die Veränderung des zu regelnden Sachverhalts oder nach den voraussichtlichen Wirkungen auf die Legitimation der Regierung prüfen würde. Oder systemtheoretisch ausgedrückt: Eine Novelle kann aus Sicht des rechtlichen Systems überflüssig erscheinen, gleichzeitig jedoch für das politische System dringend geboten sein. Auch für die Gruppe der fachpolitischen Novellierungsimpulse bereitet eine "Notwendigkeitsprüfung" - diesmal nicht hinsichtlich der Prüfung des "Ob" der Novelle, sondern nur des "Ob" einzelner Regelungen - Schwierigkeiten, weil die Beurteilung nicht ohne partei- und fachpolitische Bewertungen erfolgen kann. Beispielsweise wurde die Notwendigkeit der Einführung der "Entwicklungssatzung" in § 34 Abs. 2a in der Novelle von 1979 zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen höchst kontrovers diskutiert. Im nachhinein zeigte sich, daß aus dieser Kontroverse eine Sonderregelung für einzelne Fehnsiedlungen in Ostfriesland hervorgegangen war, also im Maßstab eines Bundesgesetzes eine untergeordnete Problematik betraf. Aus anderer Sicht könnte die planungspolitische Bewertung jedoch auch zu dem Ergebnis gelangen, daß die Änderung schon deshalb im Interesse der betroffenen Grundstückseigentümer gerechtfertigt war, weil dadurch einzelne Baumaßnahmen ermöglicht wurden. Die Entscheidung über die Notwendigkeit einzelner Vorschriften liegt letztlich beim demokratisch legitimierten Gremium, also beim Parlament. Eben dort war diese Diskussion geführt worden. Notwendigkeitsprüfungen von Vorschriften können deshalb zwar zusätzliche Informationen in den politischen Prozeß einführen. Sie werden jedoch Novellierungen nur selten verhindern können.

2. Novellierungen aufgrund geänderter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen

Politischer Handlungsdruck basiert meist auf Veränderungen der sozioökonomischen Rahmenbedingungen. Die Reaktionsmöglichkeiten der Regierung sind meist eng begrenzt. Neben dem Einsatz finanzieller Mittel verbleibt der Einsatz "regulativer Politik", also die Schaffung oder Änderung von Gesetzen als Mittel der politischen Steuerung. Einem Wandel der Rahmenbedingungen folgt deshalb meist eine Welle von Gesetzesänderungen16. Auch die Änderungen des Städtebaurechts können ausnahmslos Änderungen der ge16

vgl. Schreckenberger, Sozialer Wandel als Problem der Gesetzgebung, Verwaltungsarchiv 1977, S. 28.

126

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

seilschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zugeordnet werden. Die Novelle von 1976 wird von den gesellschaftlichen Forderungen der späten 60er, frühen 70er Jahren durchzogen, wie dem Ruf nach Demokratisierung öffentlicher Verfahren und einer Stärkung sozialstaatlicher Belange gegenüber den Positionen der Grundeigentümer. Die einzelnen Änderungen des § 34 Abs. 1 sind u.a. Reaktionen auf städtebauliche Probleme, die sich infolge des "Baubooms" bis Anfang der 70er Jahre gezeigt hatten. Moderne Hochhausbauten, dem Zeitgeist der 60er Jahre entsprungen, wurden nach dem "Wertewandel" zugunsten historisch gewachsener Strukturen nicht mehr als Fortschritt, sondern als Zerstörung der Städte empfunden. Die Novelle von 1979 stellt sich als die gesetzgeberische Reaktion auf die Konjunktureinbrüche nach der "Energiekrise" dar. Die Phase wirtschaftlicher Schwäche hatte die Notwendigkeit der Förderung des Gewerbes in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, nachdem zuvor lange der Schutz der Wohnbebauung vor gewerblichen Immissionen die Diskussion bestimmt hatte. Nicht mehr die kostenaufwedige Sanierung unverträglichen Nebeneinanders von Wohnen und Gewerbe war das Ziel, sondern der Versuch, das Miteinander erträglicher zu gestalten. Deshalb war die "Gemengelagenproblematik" einer der wichtigen Diskussionspunkte der Novellierung von 1979, selbst wenn diese Problematik in § 34 BBauG 1979 zunächst nicht geregelt wurde, sondern sich erst in § 34 Abs. 3 BauGB niederschlug. Das Baugesetzbuch stellt sich als die gesetzgeberische Antwort auf die Kritik an Gesetzesflut und Uberbürokratisierung Anfang bis Mitte der 80er Jahre dar, die selbst als Reaktion auf die zahlreichen sozialpolitisch motivierten Gesetze der sozial-liberalen Koalition gedeutet werden kann. Die Pendelschläge öffentlicher Diskussionswellen fanden also oft ihren Abdruck in Änderungen des Städtebaurechts. Das Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz war Teil der Maßnahmen der Regierung zur Behebung drängender Wohnungsprobleme. Mit dem Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch wurde die Erwartung verbunden, daß die Ausweisung neuer Wohngebiete und der Wohnungsbau im Bestand durch die Verkürzung und Reduzierung von Verfahrensschritten und durch die Änderung von Genehmigungsvoraussetzungen beschleunigt und gefördert werden könne. Der kurze Abriß zeigt, daß im Städtebaurecht die bereits von Noll 1973 aufgestellte Forderung nach Dauerhaftigkeit und Beständigkeit der Gesetze17

II. Gründe f r Novelliengen

127

nicht eingetreten ist, daß Gesetze weiterhin "situativen Steuerungs- und Gegensteuerungsimpulsen " folgen 18 , ja daß die vielfach beklagte Hektik der Gesetzgebung und "Uberanpassung" an den sozialen Wandel 19 auch angesichts der Diskussion um die Normenflut Anfang der 80er Jahre nicht abgenommen hat. Zudem zeigt sich, daß das Phänomen legislatorischer Hektik nicht auf bestimmte politische Richtungen beschränkt ist. Offenbar eignet sich das Städtebaurecht, das wegen seiner Regelungen zu Planungs- und Genehmigungsvoraussetzungen regelmäßig als Hort bürokratischer Verfahren und Blockierungen dargestellt wird, und wegen seiner Bezüge zur konjunkturrelevanten Bauwirtschaft besonders gut dazu, öffentlichkeitswirksam die Handlungsfähigkeit der jeweiligen Regierung darzustellen. Allerdings bedarf die These der "Überanpassung" weiterer Untersuchung. Denn mit ihr scheint in Widerspruch zu stehen, daß die Rechtstatsachenforschung trotz der mehrmaligen Änderungen des § 34 eine erstaunliche Kontinuität in der Genehmigungspraxis festgestellt hat. Die jeweils neuen Vorschriften hatten nur geringen Einfluß auf die Masse der Genehmigungsfälle. Dieses Spannungsverhältnis zwischen häufiger Rechtsänderung und begrenzter Änderungswirkung soll in Kapitel II genauer untersucht werden.

3. Novellierung als Reaktion auf Vollzugsprobleme und auf die Gestaltung der Norm durch die Rechtsprechung

Nach dem Inkrafttreten einer Norm und der Implementation durch die vollziehenden Instanzen wird für den Gesetzgeber allmählich erkennbar, ob die erwarteten Wirkungen eintreten, ob sie durch Vollzugsdefizite gehemmt werden oder ob unerwünschte Nebenwirkungen den angestrebten Zustand verhindern. Werden "Korrekturen" der ursprünglichen Regelung erforderlich, so kann dies durch Novellierungen geschehen. Selbst Normen, deren Vollzug zunächst den Intentionen des Gesetzgebers

17

Vgl. Noll, S. 161.

18

Vgl. Rupp, Politische Anforderungen an eine zeitgemäße Gesetzgebungslehre, in: Schreckenberger, (Hrsg.), Gesetzgebungslehre. Grundlagen - Zugänge - Anwendung, Stuttgart u.a. 1986. S. 42 (47). 19 Vgl. Schreckenberger, Sozialer Wandel als Problem der Gesetzgebung, Verwaltungsarchiv 1977, S. 28.

128

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

entsprechen, können korrekturbedürftig werden. Rechtsnormen unterliegen auch ohne Gesetzesänderungen einem häufigen Wandel. Der Vollzug wird durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Grundüberzeugungen der Anwender mitbestimmt 20 . Ändern sich die Anwendungsbedingungen, so können sich auch die Normwirkungen verschieben. So unterschied sich der Vollzug des § 34 BBauG in der Phase der Hochkonjuktur bis Anfang der 70er Jahre, in der überwiegend eine "moderne", die alten Strukturen auflösende Architektur gewünscht wurde, deutlich von der späteren Phase, in der sich allgemein das "Leitbild" der Einpassung neuer Gebäude in bestehende städtebauliche Strukturen durchgesetzt hatte. Von entscheidender Bedeutung für den Wandlungsprozeß einer Norm ist die höchstrichterliche Rechtsprechung. Vor allem am Beispiel einer weitgehend offen formulierten, ausfullungsbedürftigen Norm wie § 34 BBauG 1960 erweist sich der erhebliche Einfluß der Rechtsprechung auf die Formung des Norminhalts. Dies bezieht sich nicht nur auf die Ausfüllung der Bereiche, zu denen sich der "historische" Gesetzgeber nicht geäußert hat. Begünstigt durch das geringe Gewicht der "historischen" Interpretationsmethode in der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt sich deren "Auslegung" teilweise als Korrektur des Gesetzgebers in Bereichen dar, die - wie den Materialien entnommen werden kann - von den Akteuren im Gesetzgebungsprozeß zwar anders "gedacht", jedoch nicht eindeutig formuliert worden waren 21 . Die Rechtsfortbildung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung wirkt über die Veröffentlichung der Entscheidung, die trotz fehlender Allgemeinverbindlichkeit üblicherweise im Vollzug beachtet wird, im Ergebnis kaum anders als eine Konkretisierung oder Korrektur durch den Gesetzgeber22. Damit tritt die Rechtsprechung in Konkurrenz zum Gesetzgeber23. Novellierungen geben dem Gesetzgeber die Möglichkeit, in den Prozeß des Normwandels zu intervenieren und Entwicklungen des Vollzugs sowie Formungen der Norm durch die Rechtsprechung in seinem Sinne zu korrigie-

20 So ist die Handhabung des § 34 im Verhältnis zur Bebauungsplanung von verschiedenen lokalen Anwendungsbedingungen, der "kommunalen Planungskultur", abhängig, vgl. Scharmer/Wollmann/ Argast, Rechtstatsachenuntersuchung zur Baugenehmigungspraxis, S. 26. 21 vgl. zur Grenzziehung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung: Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, Baden-Baden 1977, S. 216 ff. 22 Vgl. zu dem "Diffusionsprozeß von Verwaltungsgerichtsentscheidungen" Gawron, Implementation verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen, Einleitung, in: Blankenburg/Voigt (Hrsg.), Implementation von Gerichtsentscheidungen, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 11, Opladen 1987, S. 264 (272). 23

Bereits Noll stellte fest, daß Gesetzgebung und Rechtsprechung in weiten Bereichen dasselbe täten und sich gegenseitig vertreten könnten, vgl. Noll, S. 48.

II. Gründe f r Novellierungen

129

ren. Ein Teil der Novellierungsziele ist deshalb auf Änderungswünsche gegenüber der Normgestaltung durch die Rechtsprechung zurückzuführen. Bei den Änderungen des Städtebaurechts spielte allerdings in der Gruppe der Novellierungsimpulse, die die "große Politik" erreichten, die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung im allgemeinen keine wesentliche Rolle. Lediglich hinsichtlich der Problematik der Rechtssicherheit von Bebauungsplänen und der "Wohnwegeproblematik" wurden - bei der Novelle 1979 und der Erarbeitung des Baugesetzbuchs - Rechtsprechungsprobleme auch auf breiter Ebene thematisiert. Auch dort standen sie jedoch nicht im Zentrum der Novellierungsüberlegungen. Demgegenüber hatte die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung bei den Novellierungsimpulsen der zweiten und dritten Gruppe bei § 34 einen zentralen Stellenwert. Wie die Novelle von 1976 zeigt, können drei Arten der gesetzgeberischen Reaktionen auf die Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung unterschieden werden, nämlich die Kodifikation von Richterrecht, die Korrektur von Richterrecht und die Einengung richterlicher Entscheidungskompetenzen24. - Als Kodifikation vorangegangener Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts können in der Novelle 1979 die Neuregelung der Abgrenzung des § 34 zu § 33, die Einführung der Beachtungspflicht für Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans und die Aufnahme der Kriterien fur die Zulässigkeitsprüfung (Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubare Grundstückfläche) bezeichnet werden. - Die Ersetzung des Begriffs "unbedenklich" durch das Erfordernis des "Einfügens", die Hinzunahme der "öffentlichen Belange" als Zulässigkeitsvoraussetzung und die Neuregelung des Verhältnisses zur Baunutzungsverordnung in Absatz 3 korrigierten die vorangegangene "Verschlechterungs-Rechtsprechung" des Bundesverwaltungsgerichts. Daß der Gesetzgeber damit bewußt gegen die Rechtsprechung intervenieren wollte, belegt ein Aufsatz des für die Novellierung des § 34 verantwortlichen Beamten beim Bundesbauministerium 25. - Als eine Einschränkung von Entscheidungskompetenzen stellt sich die Einführung der Abrundungssatzung in § 34 Abs. 2 BBauG 1976 dar: Der sat24 Vgl. Scharmer, Der Gesetzgeber als Akteur bei der Implementation von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - am Beispiel der Baurechtsentwicklung im unbeplanten Innenbereich, in: Blankenburg/Voigt (Hrsg.), S. 308 ff. 25 Vgl. Bielenberg, Schwerpunkte der Novelle zum Bundesbaugesetz, B1GBW 1977, S. 161 (163).

9 Scharmer

130

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

zungsgebenden Gemeinde wird (in eingeschränktem Umfang) die Kompetenz zugestanden, die Grenzen zwischen Innen- und Außenbereich auch fur die Rechtsprechung bindend festzulegen. Die Häufigkeit von Streitverfahren um diese Grenzen wurde damit reduziert. Die Novelle von 1976 ist darüber hinaus ein Beleg fur die recht starke Stellung des Bundesverwaltungsgerichts in der Auseinandersetzung um die Auslegung einer Vorschrift. Wie oben gezeigt wurde, hat die Rechtsprechung einen Teil der Novellierungsansätze des § 34 BBauG 1976 durch restriktive Interpretation der Neufassung leerlaufen lassen (vgl. oben Kap. Β I I I 4 b). Nur mit eindeutigen, präzisen Formulierungen kann der Gesetzgeber das Auslegungsmonopol der Rechtsprechung eingrenzen und damit seinen Willen durchsetzen. Der Konflikt um die Aufnahme eines Satzungsrechts zur "Entwicklung" von Außenbereichsflächen zum Innenbereich im Novellierungsverfahren 1979 hatte sich an der Rechtsprechung des OVG Lüneburg entzündet, das die lükkenhafte, bandartige Bebauung der "Fehnsiedlungen" als Splittersiedlungen eingeordnet und damit dem Außenbereich zugeschlagen hatte. Der neu eingeführte § 34 Abs. 2a kann deshalb als Reaktion auf Anwendungsprobleme angesehen werden, die durch die grenzziehende Rechtsprechung ausgelöst wurden. Die Novelle von 1979 brachte darüber hinaus eine einschneidende Form der Einschränkung gerichtlicher Entscheidungskompetenzen hervor, indem die Vorschriften in §§ 155 a-c eingeführt wurden, durch die zahlreiche Fehler im Bauleitplanverfahren der gerichtlichen Kontrolle entzogen wurden. Auch bei der Erarbeitung des Baugesetzbuchs ging es um die Konkurrenz zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung, vor allem in der Materie des Erschließungsbeitragsrechts ("Wohnwegeproblematik") und der weiteren Eingrenzung der gerichtlichen Überprüfung von Bauleitplänen in den §§ 214-216 BauGB. Im Rahmen der Änderung des § 34 wurde als Begründung für die Streichung der "sonstigen öffentlichen Belange" angeführt, die Rechtsprechung habe diesem Zulässigkeitsmerkmal keine Bedeutung zukommen lassen, weil sie einen Teil der öffentlichen Belange bereits beim "Einfügen" prüfe, andere Belange im unbeplanten Innenbereich jedoch nicht durchgreifen lasse. Mit der Neufassung des § 34 Abs. 2 BauGB wurde das Verhältnis zur Baunutzungsverordnung erneut geklärt, weil die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 3 BBauG 1976 durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erschwert worden war. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß vor allem bei der dritten Gruppe, den juristisch-fachlichen Novellierungszielen, der Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ganz erhebliche Bedeutung

. Gründe f r Novellierungen

131

zukommt. Die Konkurrenz zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ist zwar selten Auslöser für eine Novellierung überhaupt, sie bestimmt jedoch in erheblichem Maße die Formulierungen der Gesetzesneufassungen im einzelnen.

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

132

I I I . Novellierung und "Gesetzesflut" Die vorangegangene Analyse der Novellierungsgrûnde gab bereits vielfaltige Hinweise auf die Mechanismen, die eine Überproduktion von Rechtsnormen, die vielfach beklagte "Gesetzesflut" begünstigen. Im folgenden sollen einige Bedingungen für die Normüberproduktion näher beleuchtet werden. Mit jeder Novellierung wird der Bestand an Gesetzen verändert und meist erweitert. Nicht die Neuregelungen machen die Masse der Gesetze aus, sondern die Regelungsänderungen. Die "Gesetzesflut" war Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre eines der zentralen Themen rechtspolitischer Abhandlungen in Fachzeitschriften und auf Tagungen26. Die Welle von Beiträgen zu diesem Thema gerade zu diesem Zeitpunkt war kein Zufall: Die öffentliche Diskussion um die Normenflut war u.a. eine Reaktion auf die produktive Phase der Reformgesetzgebung durch die sozialliberale Koalition in den 70er Jahren. Diese Beurteilung wird nicht nur durch den Zeitpunkt der Diskussion belegt, sondern auch dadurch, daß mit der Kritik an der "Überregelung" vielfach gleichzeitig eine konservative Abwehr gegen die sozialpolitisch motivierten Einschränkungen privater Eigentums- und Wirtschaftspositionen transportiert wurde. Überregelung als Freiheitsbeschränkung war einer der wichtigsten Grundgedanken der Kritik 2 7 . Als Beispiel kann auf die Kritik an der Neuregelung des § 34 Abs. 1 BBauG 1976 verwiesen werden, dessen Einschränkungen der privaten Baufreiheit im Innenbereich mehrfach als nicht notwendige gesetzgeberische Überproduktion angegriffen wurde 28 . Aber auch nach dem Wechsel der Regierungsmehrheit Anfang der 80er Jahre hat sich die Gesetzesproduktion nur vorübergehend verringert. Bereits Mitte der 80er Jahre wurde die Seitenproduktion von Gesetzen aus der Zeit vor dem Regierungswechsel überflügelt, mit steigender Tendenz. Lediglich

26

Vgl. u.a. Berner, Inflation im Recht, BayVBl. 1978, S. 617; Vogel, Zur Diskussion um die Normenflut, JZ 1979, S. 321; Sendler, Normenflut und Richter, ZRP 1979, S. 227; Leisner, "Gesetz wird Unsinn ...". Grenzen der Sozialgestaltung im Gesetzesstaat, DVB1. 1981, S. 849; Pestalozza, Gesetzgebung im Rechtsstaat, NJW 1981, S. 2081. 27

Vgl. die deutliche Kritik an "zuviel Sozial Staat" von Leisner, S. 855. Vgl. Maassen, Die Freiheit des Bürgers in einer Zeit ausufernder Gesetzgebung, NJW 1979, S. 1473, Sendler, S. 228; Redecker, Was wird aus dem Bundesbaugesetz? DVB1. 1982, S. 130. 28

III. Novellierung und "Gesetzesflut"

133

die extremen Werte der Jahre 1974 bis 1976 wurden nicht mehr erreicht 29 . Das Bundesbaugesetz/Baugesetzbuch ist seitdem zweimal geändert worden. Offenbar gibt es strukturelle Gründe im politisch-administrativen System, die eine intensive Normproduktion unabhängig von den jeweiligen Regierungsmehrheiten begünstigt. Anhand der Baurechtsnovellen, differenziert nach den drei Gruppen von Novellierungsimpulsen, konnten verschiedene Gründe für Novellierungen dargestellt werden (vgl. oben Kap. C II). Als wesentliche normproduzierende Faktoren konnten identifiziert werden: Zwänge der Legitimationsbeschaffung der Regierung, Anpassungserfordernisse aufgrund von Änderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Konkurrenz mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Bereich der rechtlichen "Fernsteuerung". Die wichtigsten Novellierungsimpulse sollen im folgenden noch einmal beleuchtet werden, um auf einen strukturellen Faktor hinzuweisen, der sich in mehrfacher Weise als die Normproduktion begünstigend erweist: Die horizontale und vertikale Gewaltenteilung in unserem Staatsgefüge. Im Bereich der die Novellierung auslösenden Gründe der "großen Politik" konnte das Erfordernis gesetzgeberischer Aktivitäten als Ausdruck und Nachweis der Handlungsfähigkeit der jeweiligen Regierung festgestellt werden, wodurch fachliche Motivationen überlagert wurden. Vor allem für die Krisennovellen 1979 und 1990 muß dieses Ergebnis vor dem Hintergrund begrenzter Steuerungsmöglichkeiten des Bundes im System der vertikalen Gewaltenteilung interpretiert werden: Werden Mangel- und Krisenerscheinungen von der durch die Medien bestimmten öffentlichen Meinung thematisiert, so entsteht für die Bundesregierung innerhalb kurzer Frist ein massiver öffentlicher Druck, Maßnahmen zur Krisenbewältigung zu ergreifen oder zumindest anzukündigen. Die Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten des Bundes sind jedoch durch die vertikale Gewaltenteilung eingeschränkt. Die Ausführung der Bundesgesetze ist grundsätzlich Sache der Länder. Beispielsweise entscheiden die unteren Landesbehörden über die Genehmigung von gewerblichen Investitionsprojekten. In Fällen, in denen zunächst Bauleitpläne zur Vorbereitung von Investitionen erstellt werden müssen, liegt der Schlüssel zur Realisierung bei den Gemeinden, die im Rahmen ihrer

29 Anzahl der Seiten des Bundesgesetzblatts, Teil I, 1972 - 1990: 1972: 2560; 1973: 2000 1974: 3744; 1975: 3186; 1976: 3884; 1977: 2260; 1978: 2100; 1979: 2392; 1980: 2356 1981: 1728; 1982: 2100; 1983: 1684; 1984: 1732; 1985: 2560; 1986: 2764; 1987: 2868 1988: 2660; 1989: 2564; 1990: 2952.

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

134

kommunalen Planungshoheit selbst bestimmen können, ob und welche Investitionen zugelassen werden. Auch die Ausweisung von Neubaugebieten zur Erhöhung der Wohnungsbautätigkeit ist Gegenstand der kommunalen Planungshoheit. Dem Bund stehen deshalb nur in geringem Maße Interventionsmöglichkeiten bis in die Ebene der Realisierung zur Verfügung. Die Bundesregierung kann nicht - wie z.B. die englische Regierung durch "circulars" 30 - direkt auf die lokale Ebene einwirken. Als indirekte "incentives" können zwar finanzielle Förderungsmittel eingesetzt werden. Begrenzte Haushaltsmittel lassen jedoch nur wenig Spielraum. Selbst in den Bereichen der Bundesfachplanungen sind schnelle Antworten auf tagespolitische Anforderungen nicht möglich, weil jede größere Maßnahme jahrelange Planungsvorbereitungen erfordert. Der indirekten Steuerung durch regulative Politik, d.h. durch Änderungen von Bundesgesetzen, mit denen vermeindlich schnellere Investitionen im Bereich des Gewerbes oder des Wohnens ermöglicht werden, kommt deshalb erhebliche Bedeutung als entlastende Aktvität zu, selbst wenn die Wirkung bei genauerer Analyse gering ist und für die aktuelle Zwangslage zu spät kommt. Die Krisennovellen des Baurechts trugen deshalb z.T. aktionistische Züge. Die geringen Wirkungschancen einzelner Änderungen werden in der öffentlichen Meinung allerdings häufig nicht durchschaut, weil das Rechtsgebäude und seine Wirkungsmechanismen immer komplizierter werden, während gleichzeitig in den Medien Recherche- und Sendezeiten pro Einzelthema abnehmen. Die normproduzierenden Wirkungen in der Gruppe der fachpolitischen Novellierungsimpulse hängen mit der Gewaltenbalance von Regierung und Opposition zusammen: Zum einen fördert jeder Machtwechsel ändernde "Richtungsnovellen", weil die jeweilige "Klientel", die der neuen Regierung nahestehenden Interessengruppen, durch Gesetzesänderungen begünstigt werden soll. Zum andern bringen politisch notwendige Kompromisse unklare und überdifferenzierte Gesetze hervor, weil im Kompromiß typischerweise "ja, aber - Entscheidungen" gefällt werden. § 34 Abs. 2a BBauG 1979 ist ein Beispiel für eine Vorschrift, die eine Satzungsmöglichkeit gibt, jedoch mit so vielen Einschränkungen versieht, daß sie regelungstechnisch überkompliziert

30

(47).

Vgl. Cullingworth, Town and Coutry Planning in Britain, 7. Aufl. London 1979, S. 42

III. Novellierung und "Gesetzesflut"

135

erscheint. Der politische Kompromiß verhindert häufig klare und einfach strukturierte Regelungen31. In der dritten Gruppe, der in der Sphäre der Fachleute verbleibenden Novellierungsthemen, könnte mehr Zurückhaltung hinsichtlich einer Ubernormierung erwartet werden. Auch hier werden jedoch Folgen der vertikalen und horizontalen Gewaltenteilung wirksam: Die vertikale Gewaltenteilung fördert die Normdifferenzierung, weil die Ausführung der Gesetze durch die unteren Verwaltungsbehörden und durch die Gemeinden nicht durch Einzelweisungen gesteuert werden kann. Deshalb ist eine Tendenz sichtbar, die Entscheidungsspielräume der ausführenden Ebene durch sehr detaillierte Regelungen einzuengen, um - wie häufig formuliert wird - einen "Mißbrauch" der Vorschrift zu verhindern. Zu demselben Ergebnis einer Überdifferenzierung führt die Konkurrenz des (fachlichen) Gesetzgebers mit der Rechtsprechung um die Norminterpretation. Die Auslegung der Rechtsprechung bringt eine auf verschiedene Fallgestaltungen differenzierte Normstruktur hervor. Will der Gesetzgeber die Interpretation korrigieren, so bietet nur die detaillierte, eindeutige und auf einzelne Fallgruppen eingehende Normregelung die Garantie, daß sich die vom Gesetzgeber intendierte Auslegung durchsetzt. Dadurch kommt es zu einem "Aufschaukeln" von Gesetzgeber und Rechtsprechung 32 im Hinblick auf die Differenzierung und Verkomplizierung der Gesetze. Diese Mechanismen zeigten sich bei der Entwicklung der Rechtsprechung zum Begriff der "Unbedenklichkeit" in § 34 BBauG 1960, der darauf folgenden Reaktion des Gesetzgebers durch die umfangreiche Umformulierung der Vorschrift in § 34 Abs. 1 BBauG 1976 und der nachfolgenden, einschränkenden Interpretation der neuen Vorschrift durch das Bundesverwaltungsericht. Demselben Muster folgte auch die Regelung der entsprechenden Anwendung der Grundsätze der Baunutzungsverordnung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung im unbeplanten Innenbereich. § 34 BBauG 1960 hatte den Bezug nicht ausdrücklich geregelt. In Abänderung der obergerichtlichen Rechtsprechung hatte das Bundesverwaltungsgericht 1969 die entsprechende Anwendung der BauNVO im wesentlichen abgelehnt. Daraufhin wurde der Bezug im BBauG 1976 durch die Neueinführung eines Abs. 3 (wortreich) wiederhergestellt. Da die Formulierung nicht eindeutig war, wurde die ent31 Vgl. Schulze-Fielitz, Der Kompromiß als Chance und Gefahr für die Rationalität der Gesetzgebung, in: Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 13, Opladen 1988, S. 290. 32 So auch Noll, S. 164 sowie Schreckenberger, Krise der Gesetzgebung? in: Ders. (Hrsg.), Gesetzgebungslehre, Grundlagen - Zugänge - Anwendung, Stuttgart u.a. 1986, S. 21 ff. (28).

136

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

sprechende Anwendung der Baunutzungsverordnung durch das Bundesverwaltungsgericht wiederum eingeschränkt. Dies provozierte dann im Baugesetzbuch eine erneute Regelung dieses Zusammenhangs. Insgesamt führte die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zu einer erheblichen Ausweitung des Umfang des § 34 BBauG/BauGB. Für den Gesetzgeber folgt aus diesen Zusammenhängen: Jede Form der abstrakteren Regelung, d.h. der Rücknahme der Regelungsdichte, hätte zwar eine Verkürzung der Gesetze, gleichzeitig jedoch eine Einschränkung der eigenen Steuerungsfahigkeit gegenüber den vollziehenden Instanzen und gegenüber der Rechtsprechung zur Folge 33 . Regelungsdichte ist also z.T. als Kompensation für Machtbeschränkungen in der gewaltenteiligen Verfassungsstruktur zu erklären. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß die hohe Normproduktion zu den tendenziell nur schwer vermeidbaren Kosten unseres Verfassungssystems gehört. Sowohl die auf politischen Wechsel angelegte Demokratie, als auch der auf Machtbalance durch horizontale und vertikale Gewaltenteilung angelegte föderale Rechtsstaat schaffen Strukturen, die eine Überproduktion von gesetzlichen Regelungen begünstigen. Aufgrund dieser Erkenntnisse muß der mögliche Ertrag aller Ansätze, die Gesetzesproduktion durch bessere Gesetzestechnik34 einzudämmen, skeptisch eingeschätzt werden.

33 Die Delegation der Normkonkretisierung auf Judikative und Exekutive vergrößert im übrigen die Unübersichtlichkeit des Rechts für den Normanwender. Darauf verweist zu Recht Hendler in seinem Beitrag: Grundprobleme der Entregelung im demokratischen Rechts- und Sozialstaat, in: Gegentendenzen zur Verrechtlichung, Jahrbuch fur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 9, Opladen 1983, S. 17 ff. (65). 34 Vorschläge zur Verbesserung der Gesetzestechnik durchziehen die gesamte Literatur zur Normenflut. Vgl. als einen der ersten Beiträge: Jellinek, Ursachen und Reduktionsmöglichkeiten der Überfülle von Rechtsvorschriften, in: Verwaltung und Fortbildung 1978, S. 62 ff.

IV. Akteure im Novellierungsprozeß

137

I V . Akteure im Novellierungsprozeß A m Gesetzgebungsprozeß sind zahlreiche Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Einflußpotentialen beteiligt. Dem "formellen" Gesetzgeber, Bundestag und Bundesrat, kommen in diesem Prozeß zwar entscheidende Kontrollbefugnisse zu, bei der Identifizierung des "informellen Gesetzemachers" 35 stehen jedoch andere Akteure im Vordergrund, insbesondere die Fachleute der Bundes- und Landesregierungen und der Verbände. Das Beispiel der Bundesbaugesetzgebung gibt Einblicke in das Zusammenspiel der wichtigsten Akteure des Novellierungsprozesses.

1. Das Kommunikationsnetz der Fachleute

Die Gesetzgebungsarbeit beginnt nicht erst mit den Vorbereitungen konkreter Novellierungen. Auch ohne konkrete Novellierungsvorhaben wird die Entwicklung des Gesetzesvollzugs in der Ministerialverwaltung vom zuständigen Gesetzesreferenten beobachtet. Es findet ein kontinuierlicher Austausch zwischen den Fachleuten eines Regelungsbereichs in Verwaltungen, Wissenschaft und Rechtsprechung über neueste einschlägige Urteile, über Anwendungsprobleme und denkbare Gesetzesänderungen statt. Medien dieses Kommunikationsprozesses sind einerseits die Fachzeitschriften, in denen sowohl Urteile als auch Aufsätze abgedruckt werden, andererseits institutionalisierte Fachgremien, wie die ARGEBAU zur Abstimmung zwischen Bund und Ländern und die Fachausschüsse der Kommunalen Spitzenverbände, sowie regelmäßig stattfindende Tagungen und Fortbildungsveranstaltungen, auf denen die Fachleute zusammentreffen. Dadurch besteht ein ständiges Informationsnetz, mit dessen Hilfe seinen Teilnehmern jeweils die wichtigsten Diskussionsstränge und Neuerungen seines Fachgebiets vermittelt werden. Für den Gesetzesreferenten kommen als Informationssquellen Anfragen aus der Vollzugspraxis und von Interessengruppen sowie die Besichtigung von "Problemfällen" hinzu. Diese Methode der Vollzugsbeobachtung trägt allerdings die Gefahr in sich, daß die Wahrnehmung zu sehr von Grenz- und Problemfällen geprägt wird, die die Widerspruchsbehörden und die Rechtsprechung beschäftigen, während die "Normalfälle", die die Praxis viel stärker bestimmen, in den Hintergrund geraten. Die Orientierung an den "kranken Fällen" kann bei späteren Novellierungen dazu fuhren, daß immer 35

So Noll, Gesetzgebungslehre, S. 44.

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C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

differenziertere Regelungen von Spezialfällen eingeführt werden, die den Regelvollzug eher erschweren und in ihrer Wirkung insgesamt marginal bleiben. Dieser Gefahr könnte durch verstärkte empirische Beobachtung der Gesetzesanwendung auf wissenschaftlicher Basis begegnet werden. Derartige Vollzugsuntersuchungen sind vom Bundesbauministerium in den letzten Jahren zwar verstärkt in Auftrag gegeben worden 36 , von einer regelmäßigen Gesetzesbeobachtung mit Hilfe sozialwissenschftlicher Methoden kann jedoch weiterhin nicht gesprochen werden.

2. Gesetzesreferent und "innerer Kreis" der Fachbeamten Steht eine Gesetzesnovellierung an - aus Gründen der "großen" Politik - so ist zu entscheiden, welche Änderungen in das Verfahren aufgenommen werden sollen und wie die Änderungen zu formulieren sind. Diese Phase der Erstellung des Referentenentwurfs wird wesentlich von den verantwortlichen Gesetzesreferenten geprägt, die - in Abstimung mit der Leitung des Ministeriums - über das Aufgreifen von Änderungsvorschlägen und die konkreten Formulierungsentwürfe entscheiden. Die Handlungsspielräume der Ministerialbeamten sind allerdings dadurch beschränkt, daß bereits bei der Erstellung des Referentenentwurfs die voraussichtliche Akzeptanz durch die später im Novellierungsprozeß beteiligten Vertreter anderer Bundesverwaltungen, der Länder und Verbände sowie durch die Mehrheitsfraktionen im Bundestag vorausgedacht werden muß. Auch die Fachbeamten können deshalb nicht "unpolitisch" agieren, sondern müssen bestehende "Machtverhältnisse" in ihr Kalkül einbeziehen37. Bereits in dieser Phase der Gesetzesvorbereitung werden - neben Kontakten zu parteipolitischen Diskussionskreisen und zu bestimmten Verbänden z.T. systematisch Fachleute außerhalb des Bundesministeriums einbezogen. Zur Vorbereitung des Baugesetzbuchs (später auch bei der Baunutzungsverordnung) wurden zu mehreren Themenbereichen Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen unter Leitung der zuständigen Gesetzesreferenten des Bundesbauministeriums fachliche Vertreter aus den Landesministerien und den kommunalen Spitzen verbänden mitarbeiteten.

36

Vor allem Rechtstatsachenuntersuchungen zum Bundesbaugesetz und zum Städtebauförderungsgesetz. 37 Vgl. dazu die Darstellung von Blankenburg/Treiber, Bürokraten als Politiker, Parlamentarier als Bürokraten, Die Verwaltung 1972, S. 273.

IV. Akteure im Novellierungsprozeß

139

Mit der Zusammensetzung der Arbeitsgruppen nimmt ein kleiner Kreis von Fachleuten Gestalt an, die durch ihre Zuständigkeit fur dasselbe Fachgebiet in verschiedenen Institutionen verbunden sind. In diesen engeren Kreis von Fachleuten gehören neben dem Gesetzesreferenten des Bundesbauministeriums die jeweiligen Referenten der Landesministerien und die Beigeordneten (z.T. auch Referenten) der insoweit "begünstigten" Verbände, der kommunalen Spitzenverbände. Sie nehmen - weitgehend in Personalunion an mehreren Stationen des Gesetzgebungsprozesses Einfluß: - In dem entsprechenden Fachausschuß der ARGEBAU, der sowohl für die Vorbereitung als auch für den späteren Vollzug der Novellen (Mustererlaß) von großer Bedeutung ist; - in den zuständigen Ausschüssen bzw. Unterausschüssen des Bundesrats, dessen Änderungsvorschläge regelmäßig zu Detailkorrekturen der ursprünglichen Entwürfe führen; - z.T. in den Sitzungen des Bundestagsausschusses (allerdings ohne Stimmrecht) und - die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände bei der allgemeinen Anhörung der Verbände im Bundestagsausschuß. Dieser Kreis von "Insidern" hat im Novellierungsprozeß erhebliche Einflußmöglichkeiten auf die Ausgestaltung der Gesetzesänderungen im einzelnen. Ihr faktisches Durchsetzungspotential ist um so größer, je geringer das Interesse an den Einzelthemen bei den politischen Akteuren im Gesetzgebungsprozeß (Abgeordnete, Interessengruppen) ist, d.h., je weniger einzelne Formulierungen im Verfahren "politisiert" werden. Am größten ist ihr Einfluß also bei den juristisch-fachlichen Einzelfragen der dritten Gruppe von Novellierungsthemen. Dieser innere Kreis verkörpert - zusammen mit den Verantwortlichen im Bundesressort - die "fachliche" Seite des "Gesetzemachers". Nicht zuletzt gehen aus ihrem Kreis später auch ein Teil der Aufsätze und Kommentierungen zum geänderten Gesetz hervor. Damit wird die spätere Interpretation der Neufassungen vorgeprägt.

3. Richter des Bundesverwaltungsgerichts

In dem beschriebenen "inneren Kreis" von Fachleuten fehlt eine wichtige und einflußreiche Gruppe: Die fachlich zuständigen Richter der Obergerichte und vor allem des Bundesverwaltungsgerichts. Sie müssen sich aus institutionellen Gründen aus dem Prozeß der Gesetzesgestaltung heraushalten, obwohl

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C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

ein Teil der Novellierungen gerade auf einer Auseinandersetzung mit den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts beruht. Viele Formulierungen des neuen Rechts hängen zudem in ihrer Wirksamkeit davon ab, daß sie später von der Rechtsprechung in der vom Gesetzesreferenten erwarteten Weise ausgelegt werden. Vor allem am Beispiel der Vorschriften über die Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung von Fehlern bei der Bauleitplanung und beim Versuch der klareren Regelung des Erschließungsbeitragsrechts hatte die Prognose darüber, wie das Bundesverwaltungsgericht reagieren würde, zentrale Bedeutung. Diese starke Stellung der Richter des Bundesverwaltungsgerichts im späteren Vollzug bringt es mit sich, daß auch die Gesetzesvorbereitung nicht völlig ohne Kontaktaufinahme zu ihnen erfolgt. Zum einen finden parallel zu den Novellierungsarbeiten Fachtagungen statt, auf denen die Novellierungsentwürfe vorgestellt und diskutiert werden. Richter des Bundesverwaltungsgerichts sind dort umworbene Referenten. Das Gebot richterlicher Zurückhaltung läßt zwar eine Vor-Beurteilung von Formulierungsentwürfen nicht zu, jedoch werden die persönlichen Einschätzungen der Richter anhand der Erläuterung denkbarer Auslegungsprobleme und durch die Art der Darstellung in Umrissen sichtbar. Zum anderen fanden zumindest während der Vorbereitungen zur Novelle des Bundesbaugesetz 1976 und zum Baugesetzbuch Treffen zwischen den Gesetzesreferenten und Mitgliedern des für das Städtebaurecht zuständigen 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts statt, bei denen anstehende Regelungen erörtert wurden. Schließlich können die Positionen der Richter z.T. Zeitschriftenaufsätzen entnommen werden, die während des Novellierungsprozesses veröffentlicht werden.

4. Verbände

Die Beteiligung der Verbände im Rechtssetzungsverfahren ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen38. Für ihren Einfluß auf die Baugesetzgebung müssen zwei Gruppen unterschieden werden. Die kommunalen Spitzenverbände haben im Gesetzgebungsverfahren eine privilegierte Stellung. Ihre Vertreter gehören zum oben beschriebenen "inneren Kreis" von Fachleuten. Dadurch sind sie nicht nur bei der Vorbereitung der Novellen in den wichtigsten Gremien anwesend, sondern auch bei

38

Vgl. Schneider, Gesetzgebung, S. 61, Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, S. 86 m.w.N.

IV. Akteure im Novellierungsprozeß

141

den Beratungen des Bauausschusses des Bundestages über den Gesetzentwurf. Zwar haben sie keine Entscheidungskompetenz, sondern nur Anhörungsrechte 39, jedoch darf die Bedeutung der argumentativen Einflußnahme bei Fachfragen nicht unterschätzt werden. Die Einflußnahme auf Einzelthemen, die nicht durch interessen- und parteipolitische Konflikte "besetzt" sind, hängt kaum von der formalen Stimmbefugnis der im Ausschuß Anwesenden ab. Diese herausgehobene Stellung der kommunalen Spitzenverbände 40 bei der Vorbereitung und Entscheidung von Gesetzen, die von Kreisen und Gemeinden durchgeführt werden, ist zum einen sinnvoll, weil damit Kenntnisse und Erfahrungen der Vollzugsebene stärker in den Gesetzgebungsprozeß einfließen können. Zum zweiten ist die Sonderstellung unter den Verbänden dadurch gerechtfertigt, daß die kommunalen Spitzenverbände nicht Partialsondern Allgemeininteressen vertreten. Schließlich kommt die kommunale Ebene - durch Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz abgesichert - einer dritten Stufe im Staatsaufbau nahe. Ihre nur mittelbare Vertretung durch den Bundesrat wäre dieser Stellung wenig angemessen. Die sonstigen Verbände treten im parlamentarischen Verfahren nur bei der Anhörung von Sachverständigen und Verbänden öffentlich in Erscheinung. Ihre wichtigsten Einflußkanäle laufen über den direkten Kontakt zum jeweiligen Bundesministerium oder zu einzelnen Abgeordneten. Ihre Interessen müssen bei Diskussionen und Entscheidungen im Bundestagsausschuß jeweils von einem der dort Anwesenden vertreten und unterstützt werden. Ihre Einflußnahme ist deshalb im Vergleich zu den kommunalen Spitzenverbänden indirekt.

5. Sachverständige und Wissenschaftler Der Einfluß von Sachverständigen-Anhörungen (Hearings) zu Beginn der Ausschußberatungen über den Gesetzesentwurf scheint bei den Novellen zum Bundesbaugesetz/Baugesetzbuch eher gering gewesen zu sein. Allerdings erreichen diese öffentlichen Ausschußsitzungen regelmäßig auch die Tagespresse; sie sind also vergleichsweise öffentlichkeitswirksam. Die Anhörungen zur Novelle 1976, zum Baugesetzbuch und zum Wohnungsbau-Erleichte39 40

Vgl. § 72 Abs. 3a GeschO BT.

Vgl. Leidinger, Die Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände an der Gesetzgebung im Bund und in den Ländern, in: Politik als gelebte Verfassung, FS für Friedrich Schäfer, Opladen 1980, S. 162.

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C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

rungsgesetz waren dadurch geprägt, daß die angehörten Sachverständigen in wesentlichen Fragen zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Das dürfte dadurch zu erklären sein, daß die Beantwortung der den Sachverständigen vorgelegten "fachlichen" Fragen ohne Einordnung in das politische Wertesystem kaum möglich ist. Konträre Stellungnahmen zu den Kernfragen der Novellen werden zudem dadurch begünstigt, daß jede Fraktion "seine" Sachverständigen vorschlagen kann, von denen sie die Fundierung ihrer jeweiligen Position erhofft. Vielfach kommt es deshalb zur "Neutralisierung" gegensätzlicher Stellungnahmen. Sowohl bei der Novelle 1976 als auch beim Baugesetzbuch wurde das Instrument des Planspiels zur Vorbereitung der Beratungen im Ausschuß genutzt 41 . Nach der Begrifflichkeit der Gesetzgebungslehre handelte es sich allerdings um "Praxistests", einer Vorab-Kontrolle der vorgeschlagenen Rechtsnormen mit den künftigen Normanwendern in ausgewählten Verwaltungen, nicht aber um "Planspiele" im engeren Sinne, bei denen die Spieler in einer Art "Laborexperiment" mit konstruierten Bedingungen konfrontiert werden 42 . Die eigentliche Arbeit der Praxistests fand deshalb in den Planspielgemeinden statt, wo zusammen mit den Vollzugsbehörden "vor Ort" typische Planungs- und Genehmigungsfälle unter Annahme der Geltung der Anderungsentwürfe "durchgespielt" wurden. Im Praxistest zum Baugesetzbuch wurden insgesamt 90 Einzelfälle in dieser Art analysiert. In einer ganztägigen Sitzung des Bauausschusses des Bundestages wurden die zusammengefaßten Ergebisse dieser Einzeltests dann in Form eines Rollenspiels am Beispiel ausgewählter Fälle präsentiert. Der Praxistest kann Informationen über die Eignung vorgeschlagener Gesetzesänderungen zur Erreichung der gesteckten Ziele, über die Verständlichkeit und Eindeutigkeit der Formulierungen und die Praktikabilität der vorgesehenen Verfahren erbingen. Vor allem für den Test von Gesetzesnovellierungen eignet sich diese Methode, weil bei Novellierungen die Vollzugsstrukturen bereits bestehen und die Simulation von Vorschriftenänderungen am Beispiel realer Fälle erleichtert wird. Bei der Diskussion des Baugesetzbuchs im Bundestagsausschuß waren die Ergebnisse des Planspiels deshalb

41 Vgl. Scharmer, Der Regierungsentwurf zum Baugesetzbuch im Praxistest, Zeitschrift fiir Gesetzgebung 1987, S. 174; Schäfer/Scharmer/Schmidt-Eichstaedt, Planspiel zum Baugesetzbuch, Berlin 1986. 42 Vgl. zur Unterscheidung: Böhret/Hugger, Der Praxistest von Gesetzentwürfen, BadenBaden 1980.

143

IV. Akteure im Novellierungsprozeß

von erheblicher Bedeutung. Zahlreiche Formulierungen des Regierungsentwurfs wurden aufgrund der Vorschläge geändert. Gleichzeitig wurden aber auch die Grenzen des Beitrags von Praxistests im Gesetzgebungsverfahren sichtbar: Der Erkenntnisgewinn durch den Praxistest kann nicht weiter gehen, als die Simulations- und Prognosefahigkeit der am Test teilnehmenden Vollzugsbeamten. Diesen wird die Prognose der eigenen Reaktion auf bestimmte Änderungen zwar leichtfallen. Nur in begrenztem Maße sind jedoch die Reaktionen anderer Akteure, wie der Bürger oder der Rechtsprechung sowie Wechselwirkungen bei komplexen Zusammenhängen prognostizierbar. Zudem ist auch bei sorgfältiger Auswahl der Testgemeinden nur ein kleiner Kreis der späteren Vollzugspraxis vertreten. Welche Wirkungen letztlich durch die Änderungen ausgelöst werden, kann auch der Praxistest nur näherungsweise voraussagen. Die Notwendigkeit einer Novellierung insgesamt (erste Gruppe der Novellierungsthemen) ist weitgehend von der Wirkung der Novellierung im politischen Umfeld, weniger von ihren späteren Auswirkungen nach Jahren des Vollzuges bestimmt. Im Praxistest ist deshalb die "Null-Variante" für die Novellierung insgesamt in der Regel von vornherein ausgeblendet. Denn zumindest im Verfahrensstand nach Beschluß des Regierungsentwurfs erscheint die Einstellung des Gesamtverfahrens politisch ausgeschlossen. Sollte der Test zu dem Ergebnis kommen, daß die Novelle (fachlich) nicht notwendig ist, so wäre der Gesetzgeber nicht daran interessiert, diese durch wissenschaftliche Methoden aufgedeckte "Intelligenzlücke" 43 zu schließen, solange die Novelle aus Gründen der politischen Legitimationsbeschaffung notwendig ist. Ein Teil der Änderungsvorschläge des Regierungsentwurfs beruht auf planungspolitischen Wertungsentscheidungen, die nur in eingeschränktem Maße wissenschaftlichen Prognosemethoden zugänglich sind. Zwar können einige der Prämissen, auf denen die Wertungen beruhen, überprüft werden, es bleibt jedoch ein erheblicher Anteil an den Entscheidungen, die wertend erfolgen 44 .

43

Vgl. Wollmann, Gesetzgebung als experimentelle Politik - Möglichkeiten, Varianten und Grenzen erfahrungswissenschaftlich fundierter Gesetzgebungsarbeit, in: Schreckenberger (Hrsg.), Gesetzgebungslehre. Grundlagen - Zugänge - Anwendung, Stuttgart u.a. 1986, S. 72 (92). 44

Insoweit ist die Erwartung von Noll, empirische "weitgehend" ersetzen, zu optimistisch (vgl. Noll, S. 125).

Forschung

könne

Wertungen

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C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

So hätte z.B. eine wissenschaftliche Untersuchung zur Notwendigkeit der "Entwicklungssatzungen" in § 34 Abs. 2a BBauG 1979 ermitteln können, daß die neue Regelung eine Sondervorschrift für wenige Spezialfälle bleiben würde. Dennoch wäre offen geblieben, ob die gesetzliche Regelung auch angesichts der geringen Zahl von Anwendungsfällen gerechtfertigt war. Zu § 34 Abs. 3 BauGB, der einen erweiterten Bestandsschutz für bestehende Betriebe regelt, stellten die Planspielgemeinden heraus, daß derartige Fälle in der Praxis üblicherweise bereits nach § 34 Abs. 1 gelöst würden. Jedoch konnte der Praxistest weder die Darstellung widerlegen, daß es Gemeinden gebe, die Absatz 1 enger auslegten, noch entscheiden, ob selbst eine Erleichterung in wenigen Fällen die vorgesehende Vorschrift rechtfertigt. Die Stärke des Praxistests liegt vor allem bei der Eignungsprüfung der Gesetzeskonstruktion und -formulierung im einzelnen, d.h. im Bereich der dritten Gruppe der Novellierungsgegenstände. Demgegenüber sind seine Uberzeugungsmöglichkeiten in den von politischen Wertungen bestimmten Novellierungsthemen gering. Als Beleg können die Resultate des Praxistests zum Baugesetzbuch angeführt werden: Rund 1/4 der Vorschläge wurde im späteren Gesetz berücksichtigt, und zwar vornehmlich Vorschläge, die Verfahrensaspekte und Einzelformulierungen betrafen. Nicht berücksichtigt wurden jedoch 3/4 aller Vorschläge, vor allem solche, die planungspolitische Komponeten aufwiesen. Der materielle Einfluß der Praxistests war also letztlich nicht allzu groß. Der Einfluß eines Praxistests wird nicht zuletzt vom Zeitpunkt seiner Durchführung bestimmt. Nach dem Beschluß des Regierungsentwurfs ist die Anderungsbereitschaft in der Ministerialverwaltung verständlicherweise nicht mehr sehr groß, weil bereits erhebliche Abstimmungsleistungen auf der Basis des Entwurfs erbracht wurden. Die Abgeordneten im Bundestagsausschuß könnten zwar Änderungen des Regierungsentwurfs durchsetzen, jedoch zeigt sich insgesamt eine geringe Bereitschaft der Mehrheitsfraktionen, gegen den Entwurf "ihres" Ministers zu agieren. Bei den Praxistests bewahrheitete sich insgesamt die Aussage von Wollmann, daß Testergebnisse um so weniger Einfluß haben, "je stärker die zu treffenden Entscheidungen grundsätzliche, letztlich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Wertsystemen begründete Positionen der Parteien, aber auch die Positionen mächtiger Interessengruppen berühren" 45 . Unabhängig von der Durchsetzungkraft der Ergebnisse der Praxistests zu den Baurechtsänderungen hatten sie im Gesetzgebungsverfahren eine weitere, 45

Wollmann, S. 89.

IV. Akteure im Novellierungsprozeß

145

wichtige Funktion: Die Abgeordneten im Bauausschuß sind - von wenigen Ausnahmen abgesehen - keine Experten des Stadtebaurechts. Zur Beurteilung der ihnen vorgelegten Vorschläge im Bereich dieser komplexen Regelungsmaterie fehlt ihnen oft die Kenntnis über die Wirkungszusammenhänge in der Praxis. Bei der Präsentation des Praxistests erhalten sie die Möglichkeit, sich in direktem Kontakt mit den Sachbearbeitern aus der Vollzugspraxis und anhand anschaulicher Fälle über typische Abläufe in der Praxis zu informieren. Die spätere Diskussion im Bauausschuß wird dadurch für die Abgeordneten leichter nachvollziebar 46. Der Praxistest hat also die Nebenfunktion eines "Crashkurses" für Abgeordnete.

6. Abgeordnete

Bei den Abgeordneten fallt auf, daß ihre rechtlich gegebenen Entscheidungsbefugnisse und damit ihre potentiellen Einflußmöglichkeiten ungleich größer sind als die tatsächlich feststellbaren Einflußnahmen. Begrenzt nur durch die Verfassung und die Entscheidungsrechte des Bundesrats könnte das Parlament vorgelegte Gesetzentwürfe völlig umschreiben. Tatsächlich waren die von den Abgeordneten durchgesetzten Änderungen der Regierungsentwürfe am Beispiel der Novellierung des § 34 jedoch eher gering. Zunächst ist festzuhalten, daß auch fur die Baugesetznovellen die allgemeine Erkenntnis bestätigt werden kann, daß die wichtigen Entscheidungen in den Ausschüssen, nicht aber im Plenum des Bundestags fallen. Nur die Novellierungsthemen der "großen Politik" bestimmen die Debatten der Lesungen im Bundestag, jedoch werden auch zu diesen Themen dort keine Entscheidungen gefällt. Der Zwang zur Spezialisierung der Abgeordneten läßt den notwendigen Sachverstand für die Entscheidungen nur im jeweils zuständigen Ausschuß erwarten. Selbst im Bauausschuß des Bundestags befassen sich nicht alle Abgeordneten mit gleicher Intensität mit jedem Gesetz. Die Fraktionen benennen einzelne Abgeordnete oder kleine Arbeitsgruppen, die sich jeweils einer Thematik genauer annehmen. Deshalb werden die Verhandlungen im Ausschuß zu einem Gesetzesvorhaben jeweils nur von wenigen Abgeordneten geführt. Die im Vergleich zu ihren Kompetenzen geringe Einflußnahme der Abgeordneten auf den Regierungsentwurf ist bei der näheren Beobachtung des Gesetzgebungsprozesses nicht überraschend. Zunächst ist von großer Bedeutung, daß zum Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Bundes46

Vgl. Scharmer, Der Regierungsentwurf zum Baugesetzbuch im Praxistest, S. 179.

146

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

tag üblicherweise zahlreiche Vorentscheidungen bereits gefällt worden sind. Die fachlichen Problemlösungen sind von dem spezialisierten Gesetzgebungsreferenten der Ministerial Verwaltung in Zusammenarbeit mit der beschriebenen Gruppe fachlicher "Insider" ausgearbeitet und mit allen politisch einflußreichen Gruppierungen abgestimmt worden. Wieso sollte der fachlich ohnehin unterlegene Abgeordnete die derart abgesicherten Vorschläge in Zweifel ziehen47? Im Ausschuß werden deshalb grundsätzlich nur Änderungsvorschläge diskutiert, die politisch zwischen den Parteien oder zwischen Interessengruppen umstritten sind. Unstrittige Novellierungsthemen passieren den Ausschuß auch dann ohne jede Diskussion, wenn sie in ihrer Wirkung von großer Bedeutung sind 48 . Bei unstrittigen Themen (insbesondere Novellierungsthemen der dritten Gruppe) bleibt die Dominanz des "inneren Kreises" der Fachleute deshalb unangefochten. So wurden bei der Novellierung des BBauG von 1976 im Bauausschuß des Bundestags die für die Rechtsdogmatik zentralen Änderungen des § 34, nämlich die neuen Zulässigkeitskriterien des "Einfügens" und der "öffentlichen Belange" sowie das Verhältnis zur Baunutzungsverordnung, nicht angesprochen. Die Diskussion drehte sich ausschließlich um die umstrittene Frage, ob den Gemeinden die Möglichkeit gegeben werden sollte, die Innenbereiche durch Satzung auszuweiten. Diese Problematik war erst nach Beschluß des Regierungsentwurfs aufgegriffen worden. Die Ausschußarbeit konzentriert sich also auf die offenen, umstrittenen Fragen. Auch bei derartigen Fragen ist die Änderungsbereitschaft der Abgeordneten der Mehrheitsfraktionen allerdings gering, weil die im Regierungsentwurf niedergelegte Position in der Regel ja bereits die politische Position dieser Fraktionen berücksichtigt. Regierungsentwurf und Mehrheitsfraktionen liegen auf einer Linie. Die Bereitschaft der Mehrheitsfraktionen, gegen das "eigene" Bundesressort zu agieren, ist gering. So wurden bei den Beratungen zum Baugesetzbuch Änderungsempfehlungen des Praxistests nur insoweit aufgenommen, als sie vom Bundesbauministerium selbst akzeptiert worden waren. Eine abweichende Konstellation bestand bei der Novelle 1979: Gegen den ursprünglichen Willen der Abgeordneten der Merheitsfraktionen wurde § 34 Abs. 2a (in abgeschwächter Form) aufgenommen, weil die Oppositionsfraktion durch die damals vom Bundestag abweichenden Mehrheitsverhältnisse 47

Auch mit Hilfe des wissenschaftlichen Fachdienstes des Parlaments kann der fachliche Vorsprung des Ministeriums nicht ausgeglichen werden, vgl. Schneider, Gesetzgebung, S. 55. 48 Schneider sieht die Funktion der Parlamentarier vornehmlich in der Kontrolle der vorangegangenen Arbeit der Ministerialbürokratie, vgl. Schneider, Gesetzgebung, S. 80.

IV. Akteure im Novellierungsprozeß

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im Bundesrat über ein größeres Machtpotential verfügte. Um dem Scheitern des Gesetzes im Vermittlungsausschuß vorzubeugen, mußten in den Ausschußberatungen Zugeständnisse gemacht werden. Die Novellierungen des § 34 bestätigen im übrigen die These von SchulzeFielitz, daß Kompromisse nicht im Ausschuß selbst, sondern in "parakonstitutionellen Gremien" erarbeitet werden 49. Sowohl bei der Novellierung 1976 als auch 1979 mußten hinsichtlich der Satzungsregelungen in § 34 Kompromisse gefunden werden. In beiden Fällen geschah dies nicht im Ausschuß, sondern in Arbeitsgruppen, die mit Abgeordneten aller Fraktionen besetzt und durch den Gesetzgebungsrefereten des Bundesbauministeriums unterstützt wurden.

49 Vgl. Schulze-Fielitz, Der Kompromiß als Chance und Gefahr fiir die Rationalität der Gesetzgebung, in: Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 13, Opladen 1988, S. 290 (293).

148

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

V. Wirkung der Novellen In diesem Kapitel soll der Versuch gemacht werden, den bereits in Kapitel II. angesprochenen Widerspruch aufzuhellen, der sich zwischen gesetzgeberischer Überaktivität auf der einen und der vergleichsweise hohen Kontinuität beim Vollzug des § 34 auf der anderen Seite zeigt 50 . Die vierfache Änderung des § 34 in den letzten 15 Jahren kann als Beleg fur den Vorwurf gelten, daß der Gesetzgeber "Überanpassung" an veränderte Umstände betreibe und situativen Steuerungs- und Gegensteuerungsimpulsen folge 51 . Gleichzeitig kommt die Beobachtung der Praxis jedoch zu dem Ergebnis, daß sich im praktischen Vollzug des § 34 BBauG/BauGB durch die Novellen von 1976, 1979 und 1986 nur wenig verschoben hat: - Novelle 1976: Die neue Einfügungsregel und die Nennung der öffentlichen Belange machten zwar das gesetzgeberische Ziel sichtbar, die Zulässigkeit gegenüber der bisherigen Rechtsprechung zu verengen. Die künftig gewünschte Grenze der Zulässigkeit blieb jedoch unscharf und konnte deshalb von der Rechtsprechung einschränkend interpretiert werden. In der Praxis wurde die Neufassung allerdings als "Signal" aufgenommen, die bisherige extensive Genehmigungspraxis nach § 34 einzuschränken. Die Regelung zur entsprechenden Anwendung der BauNVO war nicht eindeutig formuliert und wurde von der Praxis in ihrem Unterschied zur Einfugungsregel nicht nach vollzogen. Nur die Möglichkeit, "Abrundungssatzungen" zu erlassen, wurde häufig genutzt. - Novelle 1979: Die Voraussetzungen für die Aufstellung von "Entwicklungssatzungen" waren so einschränkend formuliert, daß dieses Instrument nur vereinzelt angewandt wurde. - Baugesetzbuch 1986: Mit der "Bereinigung" des § 34 Abs. 1 (Streichung der "Berücksichtigung der für die Landschaft charakteristischen Siedlungsstruktur" und der "sonstigen öffentlichen Belange") waren keine Rechtsänderungen bezweckt; die klärende Neufassung der entsprechenden Anwendung der BauNVO in Abs. 2 hatte materielle Rechtsänderungen nur in Sonderfällen zur Folge; der erweiterte Bestandsschutz für Betriebe ent-

50

Eine vollständige Untersuchung aller Wirkungsbedingugen ist damit nicht beabsichtigt, vgl. dazu die ausfuhrliche Zusammenstellung von Einflußfaktoren auf die Gesetzeswirkung bei Zeh, Wille und Wirkung der Gesetze, Heidelberg 1984, S. 519 ff. 51

Vgl. Rupp, S. 47.

V . Wirkung der Novellen

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fernte sich kaum von der schon zuvor geübten Praxis; die Wirkung der Neufassung der Satzungsregelungen ist noch nicht hinreichend sichtbar. Im Vergleich zu den Unterschieden der praktischen Handhabung des § 34, die aus der jeweiligen lokalen Politik und "Planungskultur" in den Gemeinden folgen und zu den Änderungen dieser Praxis durch die Verschiebungen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, des Wertewandels", fallen deshalb die Wirkungen der Novellen - von den Wirkungen der "Abrundungssatzungen" einmal abgesehen - auffallig gering aus. Diese geringen Änderungswirkungen der Novellen werfen die Frage auf, ob damit die Ziele des Gesetzgebers verfehlt wurden oder - wenn weiterreichende Änderungen nicht bezweckt waren, ob sich dann dieser Änderungsaufwand "gelohnt" hat.

1. Novellierungsziele und - Wirkungen Zu Recht ist in verschiedenen Arbeiten darauf hingewiesen worden, daß die Bestimmung von Zielen "des Gesetzgebers" und ihr Vergleich mit den Gesetzeswirkungen problematisch ist 52 . In das Gesetz gehen verschiedene, z.T. widersprüchliche Intentionen unterschiedlicher Akteure ein, die nur teilweise offen geäußert werden. Fachliche Ziele aus dem Bereich des Baurechts werden von Zielen überlagert, die ihre Wurzeln in den Anforderungen des politisch-administrativen Systems haben. Je nach Wahl der Sichtweisen und Intentionen stellt sich die "Erfolgsbilanz" unterschiedlich dar. Zur Ermittlung des geäußerten Willens des Gesetzgebers kann zwar der Gesetzestext herangezogen werden, unterstützt durch den Bericht des federführenden Ausschusses, der für umstrittene Regelungen zumindest Aufschluß über die Intentionen der Mehrheitsfraktionen gibt. Für unstrittige Regelungen kann der Gesetzestext durch die Begründung zum Regierungsentwurf ergänzt werden, die Angaben zu den Zielen der Ministerial Verwaltung enthält, die sich - wenn sie im parlamentarischen Prozeß nicht in Frage gestellt wurden als "Wille des Gesetzgebers" durchgesetzt haben. Daß jedoch bei dieser Vorgehensweise ein Teil der Intentionen ausgeblendet wird, die zur Erklärung von Novellierungsprozessen unverzichtbar sind, wurde bereits in Kapitel C II. aufgezeigt:

52

Vgl. dazu ausfuhrlich: Zeh, Wille und Wirkung der Gesetze, S. 43 ff. m.w.N.

10 Scharnier

150

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

Bei den Novellierungsimpulsen der Ebene der "großen Politik", die für die Baurechtsnovellen insgesamt auslösend waren, fand eine Überlagerung der fachlichen Novellierungsziele durch politische Legitimationsaspekte statt. Die Wirkungskontrolle hinsichtlich der fachlichen Ziele (Demokratisierung des Städtebaus; Beschleunigung von Investitionen, Entbürokratisierung des Rechts, Beschleunigung des Wohnungsbaus) kann zu einer völlig anderen Erfolgsbilanz führen als die der vermuteten Nebenziele, wie die Darstellung der Durchsetzungskraft und Handlungsfähigkeit einer Regierung. Schon mit dem erfolgreichen Abschluß des Novellierungsverfahrens, möglichst verknüpft mit einem positiven Presseecho, war die Novellierung im Hinblick auf die politischen Intentionen erfolgreich. Ob die erwarteten Wirkungen später auch eingetreten sind, wird zumindest auf der Ebene der "großen" Politik nicht mehr thematisiert. So ist z.B. die Wirkung der "Beschleunigungsnovelle" von 1979 auf den beklagten "Investitionsstau" nie untersucht oder öffentlich diskutiert worden 53 . Am Beispiel der fachpolitischen Novellierungsziele der zweiten Gruppe lassen sich die Folgen des Umstandes ablesen, daß sich im Gesetzgebungsverfahren unterschiedliche Akteure mit abweichenden Intentionen einigen müssen54. Anhand der Wirkungen des dann gefundenen Kompromisses läßt sich ermessen, inwieweit sich die Akteure letztlich durchsetzen konnten. Die geringe Wirkung von Gesetzesänderungen kann deshalb auch Folge von Kompromissen im Gesetzgebungsverfahren sein. Selbst die Wirkungslosigkeit einer Vorschrift kann für bestimmte Akteure als Erfolg erscheinen. Das ist beispielweise der Fall, wenn eine aus dem politischen Raum geforderte Gesetzesänderung von dem engeren Kreis der Fachleute nicht akzeptiert und deshalb durch einschränkende Formulierungen neutralisiert wird. Beispielsweise wurde § 34 Abs. 2a in der Novelle 1979 auf Betreiben der Oppositionsfraktion und gegen den zunächst geäußerten Willen des Bundesbauministeriums und der Mehrheitsfraktionen aufgenommen. Das Bundesbauministerium wollte die "Beschleunigungsnovelle" nicht durch Änderungen der §§34 und 35 belasten. Gemeinsam mit der Mehrheitsfraktion hielt das Ministerium die Änderungsvorschläge zudem zunächst für unausgereift. Auf53 Damit bestätigt sich die Einschätzung von König, daß Leistungsnachweise von Regierungen oft weniger durch Auswirkungen auf gesellschaftliche Abläufe als vielmehr durch den Vorweis erlassener Gesetze erbracht bzw. durch Hinweise auf unterlassene oder gescheiterte Gesetze in Zweifel gezogen werden könnten, vgl. König, Zur Überprüfung von Rechtssetzungsvorhaben des Bundes, in: Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 13, Opladen 1988, S. 171 (175); vgl. dazu auch Steinmark, S. 129. 54

Vgl. zu Kompromissen in der Gesetzgebung auch Schulze-Fielitz, S. 290.

V. Wirkung der Novellen

151

grund des Druckpotentials der Oppositionsfraktion durch umgekehrte Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat wurde schließlich im Kompromißwege der geforderte § 34 Abs. 2a doch eingeführt. Entgegen vorgelegten Formulierungsvorschlägen wurde jedoch als Bedingung für die Aufstellung der "Entwicklungssatzung" die Darstellung des Gebiets im Flächennutzungsplan als Baufläche eingefügt. Diese Erschwerung der Anwendungsbedingungen stellte sich später als einer der die Anwendungshäufigkeit hemmenden Faktoren heraus. Dieses Ergebnis kann auch derart gedeutet werden, daß die von den "Politikern" geforderte Regelungssänderung vordergründig zwar eingeführt, jedoch in ihren (unerwünschten) Auswirkungen von der Seite der "Fachleute" erfolgreich abgewehrt werden konnte. Ähnliches könnte für die neu in § 34 Abs. 3 Baugesetzbuch übernommene Genehmigungserleichterung für bestehende Betriebe gelten: Die mit vielen Anwendungsbedingungen gespickte Formulierung des § 34 Abs. 3 läßt sich auch als Versuch interpretieren, die politisch erwünschte Genehmigungserleichterung zwar zu gewähren, jedoch nicht ausufern zu lassen und auf wenige "unschädliche" Fälle zu begrenzen. Die Novellierungsziele der dritten Gruppe, die nur im engeren Kreis der Fachleute diskutiert werden, waren beim Baugesetzbuch schon nach der geäußerten Intention häufig auf die "Klarstellung" des geltenden Rechts oder auf dessen Bereinigungen, nicht aber auf Rechtsänderungen bezogen. Soweit Rechtsänderungen intendiert waren, wie bei § 34 Abs. 2 und 4, betrafen sie Randkorrekturen. Wie schwierig im übrigen der Nachweis der Wirkungen gesetzlicher Regelungen ist, zeigt noch folgende Überlegung: Die mangelnde Wirksamkeit der erleichterten Genehmigungsmöglichkeit für bestehende Betriebe in § 34 Abs. 3 BauGB wurde daraus gefolgert, daß die Vorschrift dem Vernehmen nach in der Praxis nur selten genutzt wird, zumal ihre Anwendung die Genehmigung der höhern Verwaltungsbehörde voraussetzt. Der Verzicht auf die Anwendung der neuen Vorschrift fällt den Gemeinden um so leichter, als sie vergleichbare Ergebnisse bisher schon unter Anwendung des § 34 Abs. 1 erzielen konnten. Die letztlich mit der Vorschrift intendierte Wirkung könnte jedoch in der Praxis dadurch eingetreten sein, daß die Diskussion im Gesetzebungsverfahren und die Einführung der neuen Vorschrift in der Praxis als "Signal" aufgenommen wurde, die faktischen Handlungsspielräume bei der Genehmigung nach § 34 Abs. 1 zugunsten bestehender Betriebe großzügiger auszulegen55. Eine derartige "SignalWirkung" konnte auch hinsichtlich der Einfügungsregel 1976 festgestellt werden, die zwar nach der Interpretation

152

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

durch das Bundesverwaltungsgericht dogmatisch nicht viel änderte, jedoch zusammen mit einer allgemeinen Umorientierung zugunsten erhaltenswerter städtebaulicher Stukturen die Handhabung des § 34 in der Praxis beeinflußte.

2. In novations begrenzende Faktoren bei Novellierungen

Die Gegenüberstellung unterschiedlichster Intentionen, die von verschiedenen Akteuren mit Gesetzesänderungen verbunden sind, zeigte bereits mehrere Ursachen auf, die im Gesetzgebungsprozeß zu einer Begrenzung innovativer Vorschriftenänderungen führen. Im folgenden sollen diese Ursachen zusammengefaßt und um Faktoren aus dem Implementationsprozeß erweitert werden. Im Gesetzgebungsprozeß selbst wirken folgende Umstände innovationsbegrenzend: - Bei Vorschriften, die sich im Grundsatz bewährt haben, besteht auf der Seite des Gesetzesreferenten die Tendenz - unterstützt vom engeren Kreis der Fachleute - Gesetzesänderungen auf überschaubare und maßvolle Innovationen zu begrenzen. - Die Abgeordneten widersetzen sich diesem vorsichtigen Kurs nicht, zumal ein Teil der aus den Anforderungen des politischen Systems folgenden Novellierungsziele schon dadurch erreicht wird, daß bestimmte Vorschriften überhaupt geändert werden. - In Fällen, in denen Kompromisse eingegangen werden müssen, sorgen bereits die "ja-aber" - Formulierungen für eingeschränkte Innovationsfähigkeit. Für den Novellierungsprozeß kann damit insgesamt eine weitere These bestätigt werden, die Steinmark aus Grundsätzen der "Neuen Politischen Ökonomie" für Gesetzgebungsprozesse abgeleitet hat: Die Gesetzgebung sei eine Disziplin der Vorsicht. Für die Entscheidungsträger bestehe nur wenig Anreiz, echte Innovationen hervorzubringen. Gesetze seien deshalb oftmals als "künstliche Produktdifferenzierungen" zu klassifizieren 56.

55 56

Vgl. zu Vorwirkungen des Gesetzes durch dessen Diskussion: Zeh, S. 50. Vgl. Steinmark, S. 119.

V . Wirkung der Novellen

153

Die Novellen zu § 34 belegen, daß im späteren Implementationsprozeß der Gesetzesänderungen weitere Faktoren innovationsbegrenzend wirken. Für das Ausmaß der Änderungswirkung ist - wie vor allem anhand der Neufassung des § 34 BBauG 1976 sichtbar wurde - entscheidend, welchen Inhalt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Neufassung gibt 57 . Wie zahlreiche Äußerungen in Aufsätzen von Richtern belegen, herrscht bei der Rechtsprechung das Interesse vor, das bisherige dogmatische Gebäude zu erhalten 58 . Dementsprechend wurde bei den Interpretationen zu Neufassungen des § 34 jeweils eine konservative Tendenz sichtbar. Einschränkende Interpretationen der Rechtsprechung waren allerdings vom Gesetzgeber mit verursacht, weil die gewählten Formulierungen (z.B. das "einfügen") nicht eindeutig, sondern in hohem Maße auslegungsbedürftig waren. Daraus folgt, daß sich nur eindeutige Formulierungen des Gesetzgebers gegen das Auslegungsmonopol der Rechtsprechung durchsetzen können. Die im Novellierungsverfahren festgestellte Tendenz, die Änderungen auf Randkorrekturen zu begrenzen, trägt einen weiteren innovationshemmenden Effekt in sich: Detail- und Randkorrekturen treffen in ihrer Feinkörnigkeit auf eine Praxis, die derartige Ausdifferenzierungen nicht mehr verarbeiten kann. Die mit dem Vollzug betrauten Mitarbeiter in den kommunalen Ämtern sind aufgrund ihrer Ausbildung und aufgrund der Breite der Rechtsbereiche, die sie zu vollziehen haben, vielfach nicht in der Lage, die feinen Auslegungsunterschiede, die zwischen den hochspezialisierten Experten der Ministerialverwaltungen und der Rechtsprechung diskutiert werden, nachzuvollziehen und umzusetzen. Gesetzesdifferenzierungen werden deshalb z.T. nicht mehr verstanden und bleiben deshalb für den "NormalVollzug" wirkungslos. Erst im Streitfall, meist erst nach Einschaltung des Rechtsamts, kommen derartige Unterschiede wieder zum tragen. Deshalb wäre es für den Gesetzgeber angezeigt, die gesetzlichen Regelungen auf die wichtigen Grundstrukturen zu begrenzen und sich nicht auf Feinkorrekturen zu verlegen. Der in Kap. C III. beschriebene Einflußzuwachs des Bundes durch ausdifferenzierte Gesetzesformulierungen gegenüber der Rechtsprechung und der Anwendungspraxis

57 Im Bundesbaugeetz/Baugesetzbuch läßt sich eine erhebliche Bedeutung der Interpretation durch die Rechtsprechung fur die Gesetzeswirksamkeit in mehreren Bereichen nachweisen. Dies ist allerdings nicht ungeprüft auf andere Gesetze übertragbar. Zeh hat die Rechtsprechung für die von ihm untersuchten Gesetze bei den weniger wichtigen Einflußfaktoren eingeordnet (vgl. Zeh, S. 530). 58 Vgl. z.B. die richterliche Schelte der Novelle des § 34 BBauG 1976 bei Baumeister, Verwirrende Reform. Auslegung und Abwandlung des § 34 BBauG durch Rechtsprechung und Gesetzgebung.

154

C. Gesetzesnovellierung im politischen Prozeß

nimmt im Verhältnis zur Praxis von einem bestimmen Differenzierungsgrad an wieder ab.

3. Dynamik des politischen Systems und Persistenz des Rechtssystems

Die Gegenüberstellung der Novellierungsaktivitäten auf Seiten des Gesetzgebers auf der einen und der Vollzugspraxis des § 34 in den Baugenehmigungsbehörden auf der anderen Seite verweist auf Bereiche unterschiedlicher Veränderungsdynamik. Der zunehmenden Novellierungsaktivität des Gesetzgebers steht eine vergleichsweise kontinuierliche Anwendungspraxis gegenüber. Der Weg vom Novellierungsimpuls bis zum Einzelvollzug des Gesetzes kann als Prozeß des Herausfilterns von Änderungspotentialen beschrieben werden. Wie dargestellt, sind die Novellierungsimpulse mit Anforderungen der politischen Legitimationsbeschaffung der Regierung durchsetzt. Da diese Anforderungen z.T. bereits durch das Verfahren selbst erfüllt werden, verringert sich insoweit der Veränderungsdruck auf die novellierten Vorschriften. Darüber hinaus wird ein Teil der im Novellierungsverfahren vorgebrachten Anderungsziele im weiteren Prozeß begrenzt und "kleingearbeitet". Der Filterprozeß läuft über die Formulierungen des Gesetzgebungsreferenten und der im Verfahren beteiligten Fachbeamten, die politische Kompromißbildung, die einschränkende Auslegung durch die Rechtsprechung bis zu Beharrungstendenzen und Wahrnehmungsschranken bei den Rechtsanwendern. Ein zusätzlicher Aspekt wird sichtbar, wenn die in dem Prozeß der Normänderung Beteiligten eingeteilt werden in die Akteure des "politischen Sytems", die eher auf politische Legitimationsbeschaffung ausgerichtet sind, und des "Rechtssystems", denen die fachlich-dogmatischen Ziele näher stehen. Unter diesem Blickwinkel zeigt sich ein erhebliches Beharrungsvermögen des "Rechtssystems" gegenüber der Dynamik des "politischen Systems". Etwas vergröbert läßt sich die im großen und ganzen festgestellte Stabilität des § 34 im Vollzug trotz mehrfacher Novellierungen auch als eine erfolgreiche Abwehr z.T. tagespolitisch motivierter Änderungsversuche der "Politiker" durch die "Fachleute" interpretieren. Auf diesem Hintergrund kann abschließend die Frage, inwieweit die immer wieder erhobene Forderung nach Stabilität, Dauerhaftigkeit und Berechenbarkeit der Gesetze für § 34 erfüllt wurde, differenziert beantwortet werden: Es zeigt sich zwar eine sehr bewegte Oberfläche mehrerer Gesetzesänderungen in vergleichsweise kurzer Zeit und damit verbunden eine er-

V. Wirkung der Novellen

155

hebliche Ausweitung und Verkomplizierung des Gesetzestextes. Die Grundstrukturen bei der Prüfung der Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich haben sich dennoch in der Praxis kaum verschoben; insoweit ist die Forderung nach Stabilität des Gesetzes trotz der Überaktivität des Gesetzgebers weitgehend erfüllt.

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