Das ausländische Strafrecht der Gegenwart: Bd. 3.: Chile – England – Griechenland – Österreich [1 ed.] 9783428414772, 9783428014774

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Das ausländische Strafrecht der Gegenwart: Bd. 3.: Chile – England – Griechenland – Österreich [1 ed.]
 9783428414772, 9783428014774

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Das ausländische Strafrecht der Gegenwart Herausgegeben von Edmund Mezger Adolf Schönke † Hans-Heinrich Jescheck

Dritter Band Chile . England . Griechenland . Österreich

Duncker & Humblot . Berlin

M e z g e r - Schönke t -

Jescheck

Das ausländische Straf recht der Gegenwart Dritter

Band

Das ausländische Strafrecht der Gegenwart Herausgegeben von

Edmund Adolf

Mezger

Schö nke f

Hans-Heinrich

Dritter

Jescheck

Band

Chile · England · Griechenland · Osterreich

DUNCKER

&

HUMBLOT/BERLIN

©

1959 Duncker & Humblot, Berlin

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten Gedruckt 1959 bei Hans Winter Buchdruckerei, Berlin SW 61

Inhalt Rafael Fontecilla

Riquelme ,

Chile:

Das chilenische Strafrecht Prof. Dr. Max Grünhut,

7

Oxford:

Das englische Strafrecht Dr. Georgios

A. Mangakis,

133 Athen:

Das griechische Strafrecht Allgemeiner T e i l

255

Prof. Dr. Elias Gafos, A t h e n : Das griechische Strafrecht Besonderer T e i l Prof. Dr. Friedrich

Nowakowski,

Das österreichische Straf recht

323 Innsbruck: 415

Das chilenische Strafrecht V o n Rafael Fontecilla R i q u e l m e , Chile

Inhalt Erster Bemerkungen

Teil :

z u r G e s c h i c h t e des Strafrechts

chilenischen

1. Kap. Das chilenische Strafrecht bis zur Verkündung des Strafgesetzbuchs. — 2. Kap. Versuche zur Reform des Strafgesetzbuchs. 1. Der E n t w u r f von 1929 (Erazo-Fontecilla). 2. Der E n t w u r f von 1938 (Silva-Labatut). 3. E i n weiterer Versuch einer Gesamtreform (1942). 4. Die Teilreform. Zweiter Der

Teil:

Allgemeine Teil des Chilenischen Strafgesetzbuchs

1. Abschnitt: Das Strafgesetz. Das Verbrechen. Die Umstände, die die Verantwortlichkeit ausschließen oder ändern. — A . Das Strafgesetz. 1. Das Strafgesetz. 2. Unkenntnis des Strafgesetzes. 3. Die Auslegung de? Strafgesetzes. 4. Die Geltung des Strafgesetzes, a) Der persönliche Geltungsbereich. b) Der räumliche Geltungsbereich des Strafgesetzes, c) Dei zeitliche Geltungsbereich des Strafgesetzes. — B. Das Verbrechen. 1. Be griff. 2. Die Schuld. 3. Der Verbrechensablauf. 4. Gründe, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausschließen. I. Gründe, die die Rechtsw i d r i g k e i t ausschließen, oder Rechtfertigungsgründe. A. Notwehr. B. N o t stand. I I . Gründe der NichtZurechenbarkeit. I I I . Strafausschließungsgründe. I V . Entschuldigungsgründe. 5. Umstände, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit ändern. I. Mildernde Umstände. I I . Erschwerende U m stände. — 2. Abschnitt. Die f ü r das Verbrechen verantwortlichen Personen. 1. Verbrechensteilnahme — Mehrheit von Verbrechern. — 3. A b schnitt. V o n den Strafen. 1. Einteilung. 2. Strafzumessung. 3. Zusammentreffen von Verbrechen. — 4. Abschnitt. Zivilrechtliche Entschädigung für das Verbrechen. — 5. Abschnitt. Gründe, die die strafrechtliche Verantw o r t l i c h k e i t tilgen. Dritter Der

Teil:

b e s o n d e r e T e i l des Chilenischen Strafgesetzbuchs

Das zweite Buch des Strafgesetzbuchs: Verbrechen und Vergehen und ihre Strafen. 1. Abschnitt. Verbrechen u n d Vergehen gegen die äußere Sicherheit u n d die Souveränität des Staates (Art. 106—120). — 2. Abschnitt. V e r -

10 brechen u n d Vergehen gegen die innere Staatssicherheit (Art. 121 bis 136). — 3. Abschnitt: Verbrechen u n d Vergehen gegen die verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte (Art. 137 bis 161). § 1. Von den strafbaren Handlungen bezüglich der Ausübung politischer Rechte und der Freiheit der Presse. § 2. Von den Verbrechen u n d Vergehen, die sich auf die Ausübung der i n der Republik erlaubten religiösen Bekenntnisse beziehen (Art. 138 bis 140). § 3. Die von Privatpersonen begangenen Verbrechen u n d Vergehen gegen die Freiheit u n d Sicherheit (Art. 141 bis 147). a) Die Freiheitsberaubung, b) Die Entführung eines Minderjährigen, c) Ungesetzliche Festnahme, d) Verletzung der Wohnung, e) Verletzung des Briefgeheimnisses, f) U n gesetzliche Einforderungen. § 4. Von der Verletzung verfassungsmäßig v e r bürgter Rechte durch öffentliche Amtsträger. A. Verbrechen gegen die persönliche Freiheit. B. Unverletzlichkeit der Wohnung und des Briefgeheimnisses. C. Ungesetzliche Einforderungen. D. Strafbare Handlungen gegen andere verfassungsmäßige Rechte. — 4. Abschnitt. Von den Verbrechen gegen das öffentliche Vertrauen, von der Fälschung, dem falschen Zeugnis u n d dem Meineid (Art. 162 bis 215). § 1. Von der Falschmünzerei. § 2. Von der Fälschung von Forderungsurkunden des Staates, der Gemeinden, öffentlichen Anstalten, Aktiengesellschaften oder gesetzlich ermächtigten Emissionsbanken (Art. 172 bis 179). § 3 Fälschung von Siegeln, Stempeln, Matrizen, Marken, von Stempelpapier, Wertzeichen usw. (Art. 180 bis 192). § 4. V o n der Fälschung öffentlicher oder authentischer Urkunden (Art. 193—196). § 5. Von der Fälschung privater U r k u n d e n (Art. 197 u. 198). § 6. Über die Fälschung von Pässen, Waffenscheinen u n d Bescheinigungen (Art. 199 bis 205). § 7. Falsches Zeugnis u n d Meineid (Art. 206—212). Das falsche Zeugnis. Der Meineid. Die verleumderische Anklage oder Anzeige. Das Beibringen falscher Zeugen oder U r k u n d e n i m Verfahren. § 8. Anmaßung von Befugnissen oder Namen (Art. 213—215). — 5. Abschnitt. Die von öffentlichen Bediensteten i n Ausübung ihres Amtes begangenen strafbaren Handlungen (Art. 212—260). § 1. Unbefugte Übernahme oder Verlängerung der A m t s tätigkeit (Art. 216—219). § 2. Ungesetzliche Ernennungen (Art. 220). § 3. A n maßung von Befugnissen (Art. 221 u n d 222). §4. Prävarikation (Pflichtverletzung) (Art. 223—232). § 5. Veruntreuung öffentlicher Vermögenswerte (Art. 233—238). § 6. Betrug u n d ungesetzliche Gebührenerhebungen (Art. 239 bis 241). § 7. Untreue bei der V e r w a h r u n g von U r k u n d e n (Art. 242—245). §8. Verletzung von Geheimnissen (Art. 246—247). §9. Bestechung (Art. 248 bis 251). § 10. Widerstand u n d Ungehorsam (Art. 252). § 11. Verweigerung der Hilfeleistung u n d Entfernen v o m Dienst (Art. 253—254). § 12. Mißbrauch der Amtsgewalt gegen Privatpersonen (Art. 255—260). — 6. Abschnitt. V o n Privatpersonen begangene strafbare Handlungen u n d gegen die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung (Art. 261—341). § 1. Anschläge u n d Ungebührlichkeiten gegen die Staatsgewalt (Art. 261—268). § 2. öffentliche Ruhestörung (Art. 269). § 3 Siegelbruch (Art. 270 u n d 271). § 4. Behinderung öffentlicher Arbeiten (Art. 272). § 5. Strafbare Handlungen der (Armee)lieferanten (Art. 273 u n d 274). § 6. Verstöße gegen die Gesetze u n d Verordnungen über Lotterien, Spielhäuser u n d Pfandleihanstalten (Art. 275—283). § 7. Strafbare Handlungen, die sich auf das Gewerbe, den Handel u n d die öffentlichen Versteigerungen beziehen (Art. 284—287). § 8. Verstöße gegen die Gesetze u n d Verordnungen über verbotene Waffen (Art. 288). § 9. Vergehen i n bezug auf die M a u l - u n d Klauenseuche (Art. 289—291). § 10. Verbotene Vereinigungen (Art. 292—295). § 11. D r o h u n g m i t Anschlägen auf Personen u n d Eigen-

11 t u m ( A i t . 296—298). § 12. Befreiung Festgenommener (Art. 299—304). § 13. Über Bettelei u n d Landstreicherei (Art. 305—312). § 14. Strafbare H a n d l u n gen gegen die öffentliche Gesundheit (Art. 313—319). § 15. Verstöße gegen Gesetze u n d Verordnungen über das Beerdigen u n d Ausgraben von Leichen (Art. 320—329). § 16. Strafbare Handlungen gegen Eisenbahnen, Telegrafenanlagen u n d Briefträger (Art. 323—341). — 7. Abschnitt. Strafbare H a n d lungen gegen die Familienordnung u n d gegen die öffentliche Sittlichkeit (Art. 342—389). §1. V o n der A b t r e i b u n g (Art. 342—345). §2. Verlassen von K i n d e r n oder hilflosen Personen (Art. 346—352). § 3. Strafbare Handlungen gegen den Personenstand (Art. 353—357). §4. Entführung (Art. 358—360). §5. Die Vergewaltigung (Art. 361 und 362). §6. Verführung, Blutschande, sittliche Verderbnis Minderjähriger, unzüchtige Handlungen (Art. 363—367). § 7. Gemeinsame Bestimmungen zur Entführung, Vergewaltigung, V e r f ü h rung, Blutschande, sittlichen Verderbnis M i n d e r j ä h r i g e r und zu anderen unsittlichen Handlungen (Art. 368—372). § 8. öffentliche Verstöße gegen die guten Sitten (Art. 373—374). §9. Der Ehebruch (Art. 375—381). §10. U n gesetzliche Eheschließungen (Art. 382—389). — 8. Abschnitt. Strafbare Handlungen gegen die Person. § 1. T ö t u n g (Art. 390—393). Beihilfe zum Selbstmord. §2. Kindestötung (Art. 394). §3. Körperverletzungen (Art. 395 bis 403). § 4. Der Z w e i k a m p f (Art. 404—409). § 5. Gemeinsame Bestimmungen f ü r die §§ 1, 3 u n d 4 dieses Abschnittes (Art. 410 u n d 411). § 6. Die V e r leumdung (Art. 412—415). §7. Beleidigungen (Art. 416—420). §8. Gemeinsame Bestimmungen für die Verleumdung u n d die Beleidigung (Art. 421 bis 431). — 9. Abschnitt. Strafbare Handlungen gegen das Vermögen (Art. 432—489). § 1. Von der Aneignung einer fremden beweglichen Sache gegen den W i l l e n ihres Eigentümers (Art. 432). 1. Die Aneignung. 2. Die Aneignung muß eine bewegliche Sache zum Gegenstand haben. 3. Die Aneignung muß ohne den W i l l e n des Eigentümers der Sache geschehen. 4. Die Vorteilsabsicht. §2. Raub m i t Zwang oder Einschüchterung gegen Personen (Art. 433—439). § 3. Raub m i t Gewaltanwendung gegen Sachen (Art. 440 bis 445). §4. Der Diebstahl (Art. 446—448). §5. Gemeinsame Bestimmungen für die drei vorhergehenden Paragraphen (Art. 449—456 bis). § 6. Widerrechtliche Besitzergreifung (Art. 457—462). § 7. Hintergehung (Art. 466). § 8. Betrug u n d andere Schwindeleien (Art. 467—473). § 9. Brandstiftung u n d andere Verheerungen( A r t . 474—483 b). § 10. Von den Sachbeschädigungen (Art. 484—488). — 10. Abschnitt. Von den Quasiverbrechen (Art. 490—493). — Dritteis Buch. Von den Übertretungen (Art. 494—501).

Vierter Die

wichtigsten

Teil :

strafrechtlichen

Nebengesetze

1. Das Gesetz über die Militärrechtspflege. 2. Jugendschutzgesetz. 3. Gesetz zum ständigen Schutz der Demokratie. 4. Allgemeines Gesetz über Eisenbahnen. 5. Allgemeines Gesetz über die Elektrizitätsversorgung. 6. Die Zollordnung. 7. Gesetzesverordnung Nr. 520 über die Schaffung des Generalkommissariates f ü r Lebensmittel u n d Preise. 8. Gesetz über Alkohole u n d alkoholische Getränke. 9. Gesetz über Bankkontokorrente u n d Schecks. 10. Gesetz über die Asozialität. 11. Die Gesetzesverordnung Nr. 425 über

12 Mißbräuche i m Veröffentlichungswesen. 12. Allgemeines Wahlgesetz. 13. Gesetz Nr. 9341 über die Eintragungen i n die Wählerverzeichnisse. 14. Konkursgesetz (Nr. 4558 v o m 4. Februar 1929).

Fünfter

Teil :

Strafvollstreckungsrecht 1. Die Strafvollstreckung. — Allgemeines. 2. Die Todesstrafe. 3. Freiheitsstrafen. 4. Die bedingte Freilassung. 5. Freiheitsbeschränkende Strafen. 6. Vermögensstrafen. 7. Rechtsentziehende Strafen. 8. Bedingter Strafaufschub.

Abkürzungsverzeichnis a.a.O.

=

am angeführten O r t

Abs.

=

Absatz

a. E.

=

am Ende

Art.

=

Artikel

Bd.

=

Band

C. B.

=

Código Bustamente (Gesetz über das internationale P r i v a t recht)

D. O.

=

Diario Oficial (Gesetzblatt)

ed.

=

edición (Auflage, Ausgabe)

Edit. GOG, G V G

= =

Editor oder casa editora (Verlag) Gerichtsorganisationsgesetz, Gerichtsverfassungsgesetz (Código Orgànico de Tribunales)

Imp.

=

imprenta (Druckerei)

i. V. m.

=

i n Verbindung m i t

Nr.

=

Nummer

Rev. C. Pen.

=

Revista de Ciencias Penales (Zeitschrift für wissenschaften), Santiago de Chile

Rev.(de)Der. =

Strafrechts-

Revista de Derecho (Rechtszeitschrift), Concepción, Repùblica de Chile

Rev. (de) Der. y Jur. = Revista de Derecho y Jurisprudencia (Zeitschrift für Recht u n d Rechtsprechung), Santiago de Chile S.

=

Seite

StGB

=

Strafgesetzbuch (Código Penal)

StPG

=

Strafprozeßgesetz (Código de Procedimiento Penal)

Vol.

=

Volùmen oder Tomo (Band)

ZGB

=

Zivilgesetzbuch (Código Civil)

Ziff.

=

Ziffer

ZPG

=

Zivilprozeßgesetz (Código de Procedimiento civil)

Hinweis* Gesetzestexte. Die Gesetze werden i m Diario Oficial, dem einzigen a m t lichen Veröffentlichungsorgan des Landes sowohl für Gesetze als auch f ü r Verordnungen, veröffentlicht. F ü r die rechtlichen Wirkungen eines Gesetzes ist das D a t u m seiner Veröffentlichung i m Diario Oficial maßgebend (Art. 7 StGB). Außerdem sind die Gesetze i n folgenden Werken abgedruckt, die m a n i n der Nationalbibliothek oder i n der Bibliothek des Nationalkongresses einsehen k a n n : a) i m B o l e t i n de las Leyes y Decretos, herausgegeben von der Regierung; b) i n „Leyes publicadas en Chile" (die i n Chile veröffentlichten Gesetze), enthaltend die von 1810 bis 1918 veröffentlichten Gesetze. Diese Sammlung w u r d e von Ricardo A n g u i t a herausgegeben. Santiago de Chile, Edit. Barcelona (1912—1918), 5 Bde.; c) i n der Recopilación de leyes, por órden numèrico (Sammlung der Gesetze, i n numerischer Reihenfolge), zusammengestellt v o m Staatsrat, nach dessen Beseitigung (1925) v o m Innenministerium u n d gegenw ä r t i g durch die Contraloria General der Republik. Ferner g i b t es eine Sammlung der „Códigos de la Repùblica de Chile" (Gesetzbücher der Republik Chile) i n amtlichen Ausgaben, die v o n der E d i t o r i a l Juridica de Chile veröffentlicht werden (1953 ff.). Uber die Geschichte der Gesetzgebung k a n n man die Boletines de Sesiones Ordinarias y Extraordinarias, ediciones oficiales (die amtlichen Berichte über die ordentlichen u n d die außerordentlichen Sitzungen — amtliche Ausgaben) heranziehen, die sich i n der Nationalbibliothek u n d i n der Kongreßbibliothek befinden. I n diesen amtlichen Berichten sind die Diskussionen über die Gesetzentwürfe u n d die anderen Gesetzgebungsvorarbeiten wiedergegeben.

* Die m i t * versehenen Fußnoten sind Anmerkungen des Ubersetzers.

Erster

Teil

B e m e r k u n g e n z u r Geschichte des chilenischen S t r a f r e c h t s

Erstes

Kapitel

Das chilenische Strafrecht

bis zur

Verkündung

des Strafgesetzbuchs L i t e r a t u r : Santiago Lazo, Los Códigos chilenos anotados. Código Penal. Introducción, detalle histórico de nuestra legislación penal; Santiago de Chile, Edit. Poblete Cruzat, 1915. — Jiménez de Asùa, Códigos Penales Ibero-americanos, Caracas, Edit. Andrés Bello, 1946, Bd. I. S. 18. — Ders., Tratado de Derecho Penal, Bd. I, Buenos Aires, Edit. Losada, 1950, S. 912.

Grundsätzlich kann man sagen, daß das Strafgesetzbuch der Republik Chile nicht dem Erneuerungsdrang gefolgt ist, der sich in den anderen südamerikanischen Ländern feststellen läßt. Es wurde 1874 verkündet und ist seit 1875 in Kraft. Nur die Gesetzbücher Boliviens (1834) und Haitis (1835) sind älter. Jedoch w i l l uns scheinen, daß die in unserem von den modernen wissenschaftlichen Strömungen und der modernen Gesetzestechnik unberührt gebliebenen Strafgesetzbuch zu bemerkende Lethargie nicht mehr lange dauern kann. I n der Tat läßt sich nicht verkennen, daß w i r uns i n jüngster Zeit mit Unruhe den strafrechtswissenschaftlichen Untersuchungen zugewandt haben. Die vorhandenen Reformentwürfe sind ein klarer Beweis dafür, daß die chilenischen Juristen eine neue Strafgesetzgebung wenigstens erstreben. I n Santiago, der Hauptstadt Chiles, besteht eine ausschließlich dem Studium des Strafrechts gewidmete Einrichtung, das Instituto de Ciencias Penales (Institut für Strafrechtswissenschaften), dem sich eine große Anzahl hinzugehöriger Institutionen anschließt. Außerdem haben w i r eine Revista de Ciencias Penales (Zeitschrift für Strafrechtswissenschaften), die 1935 unter der Schirmherrschaft des Seminario de Derecho Penai y Medicina Legal (des Seminars für Strafrecht und gerichtliche Medizin) der rechts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Chile gegründet worden ist und die strafrechtliche Lehre sowie die Rechtsprechung unserer Gerichte verbreiten soll. 2

Ausländisches Strafrecht

III

18

Das chilenische Strafrecht

Angesichts dieses Fortschrittseifers, dieses Strebens einer m i t Begeisterung für die Pflege des S traf rechts kämpf enden jungen Juristengeneration scheint eine frohe Hoffnung über unserem alten Strafgesetzbuch zu erstrahlen, das trotz seines hohen Alters die Strafgerechtigkeit nicht an der gehörigen Erfüllung der ihr zukommenden Aufgaben hindert. Auch bei einem alten Gesetzbuch können die Vorschriften i m Einklang mit dem Fortschritt der Wissenschaft ausgelegt werden, wenn es von einer gelehrten Richterschaft gehandhabt wird, die ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit von den anderen Staatsgewalten entfalten kann. Der Acker ist bereitet und der Same ausgestreut. Hoffen w i r auf die Ernte. Inzwischen wollen w i r sehen, wie der Gang des Strafrechts i n Chile gewesen ist. Als unsere politische Emanzipation stattfand und w i r uns von Spanien befreiten (1810), herrschten in unserem Lande spanische Gesetze. Da die „Novisima Recopilación", deren zwölfter Abschnitt von Verbrechen und Strafen handelt, fünf Jahre vor Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges veröffentlicht wurde, kann man sie wohl als das letzte spanische Gesetzbuch bezeichnen, das in unserem Vaterlande galt. Sie hob jedoch die früheren Gesetze nicht auf; i h r Gesetz Nr. 3 im zweiten Abschnitt des dritten Buches ließ sie im Gegenteil ausdrücklich in Kraft. So mußte man die Gesetze in einer bestimmterRangfolge anwenden, deren Wiedergabe untunlich wäre. Trotzdem sei daran erinnert, daß der Fuero Real, dessen Buch I V die Strafgesetzgebung enthielt, und die Siete Partidas, deren siebente Abteilung dem Strafrecht gewidmet war, den Vorrang hatten. Diese spanischen Gesetze bildeten also das bei der Entstehung der Republik Chile geltende Strafrecht. Unsere unabhängigen Regierungen erkannten jedoch vom ersten Augenblick an die Notwendigkeit, eigene Gesetze — ein wesentliches Merkmal jeder unabhängigen Nation — zu erlassen. So ergingen strafrechtliche Gesetze über verschiedene Gegenstände, von denen die folgenden erwähnt seien: Das Gesetz vom 9. November 1811 bedrohte die Verfasser herabwürdigender Veröffentlichungen m i t Strafe; das vom 23. Juni 1813 enthielt Bestimmungen über die Pressefreiheit; das vom 9. Juni 1817 drohte den Räubern die Todes- oder Prügelstrafe an, je nach der Menge des geraubten Gutes; das vom 20. Oktober 1831 bestimmte, daß die Trunkenheit weder mildernder Umstand noch Strafausschließungsgrund sei; ein weiteres vom 20. Oktober 1831 ordnete an, daß der

Bemerkungen zur Geschichte des chilenischen Straf rechts

19

Verletzte dem Schuldigen die Strafe weder ganz noch teilweise erlassen könne, räumte ihm jedoch das Recht ein, einen Vergleich bezüglich der Zivilklage abzuschließen; nach dem Gesetz vom 5. Januar 1838 sollte bei der Strafzumessung die persönliche Lage des Angeklagten in Betracht gezogen werden; am 7. August 1849 wurde das allgemeine Gesetz über Diebstahl und Raub erlassen, und das Gesetz vom 29. August 1850 ersetzte die Prügelstrafe 1 durch die Zuchthausstrafe; usw. usw. 2 . Aber während diese auf Einzelgebiete beschränkten Gesetze erlassen wurden, wuchs in den Männern unserer Regierungen mehr und mehr der Wunsch nach einer völligen Reform der Strafgesetzgebung, und so finden w i r schließlich in der Verordnung des Präsidenten Bulnes vom 18. Dezember 1846 die erste Bekundung des Strebens nach einer nationalen Kodifikation. Diese Verordnung hatte zwar keinen praktischen Erfolg, ist aber dennoch als erster Anstoß zur Schaffung eines Strafgesetzbuches und wegen ihrer juristischen Grundsätze, die die Rechtskultur des Zeitalters widerspiegeln, äußerst wichtig. Sie hat folgenden Wortlaut: „Santiago, den 18. Dezember 1846. Überzeugt von der dringenden Notwendigkeit, das Strafgesetzbuch i m Einklang m i t den Grundsätzen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit, die uns die Vernunft und die Philosophie des Jahrhunderts vorschreiben, zu erneuern, damit seine Bestimmungen dem Zustand unserer Gesellschaft und den Neuerungen, die seit geraumer Zeit i n das System der Verbrechensbekämpfung eingeführt worden sind, angeglichen werden, habe ich beschlossen und verordne: A r t . 1. Es w i r d hiermit eine Kommission ernannt, die sich aus den Herren Antonio Varas, José Victorino Lastarria, Antonio Garcia Reyes und Manuel Antonio Tocornal zusammensetzt und einen Entwurf zu einem Strafgesetzbuch sowie einen weiteren zu einer Strafprozeßordnung auszuarbeiten hat. Grundlage für den erstgenannten sollen das neue Strafgesetzbuch von Spanien und die vor seiner Annahme von der Nueva Granada an ihm vorgenommenen Änderungen sein. A r t . 2. Bei der Schaffung des Entwurfs zum Strafgesetzbuch soll die Kommission den Verbrechen eine Einteilung geben, die 1 Die Prügelstrafe wurde durch Ges. vom geführt und erst durch das Gesetz Nr. 9347 — veröffentlicht — endgültig abgeschafft. 2 Der T e x t dieser Gesetze ist in der von gebenen Sammlung „Leyes Promulgadas en Chile, Edit. Barcelona, 1912, zu finden.

2*

3. August 1876 wieder eini m D. Of. vom 21. J u l i 1949 Ricardo Anquita herausgeChile", Bd. I, Santiago de

20

Das chilenische Strafrecht

mildernden und erschwerenden Umstände m i t möglichster Bestimmtheit einzeln aufführen, die Strafen genau und bestimmt abstufen uind ihre Höchst- und Mindestgrenzen für jedes Verbrechen festsetzen, damit die Strafe in jedem Falle unter Berücksichtigung der mildernden und erschwerenden Umstände angemessen sei und die Willkürlichkeit möglichst ferngehalten werde. A r t . 3. Die Kommission soll den Verbrechen, die in Chile am häufigsten vorkommen, ihre besondere Aufmerksamkeit widmen, ohne sie jedoch durch unverhältnismäßige Schwere der Strafen ausrotten zu wollen; sie soll vielmehr den aus Unwissenheit entstandenen Verbrechen und den anderen, die wegen des Alters, des Geschlechts oder eines Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnisses des Täters nicht auf einen verderbten Willen zurückzuführen, sondern Ausfluß einer mehr oder minder wirksamen äußeren Gewalt oder das Werk der Unerfa'hrenheit und Schwäche sind, größere Milde angedeihen lassen. Schließlich soll sie i m Auge behalten, daß das Gefängnis ein wirksames M i t t e l zur Besserung der Schwerverbrecher darstellt und auf diese Weise die Todesstrafe weitgehend ersetzt. Es dürfen aber auch keine Besserungsmittel, die der Bestrafung von Verfehlungen i n der Anstalt vorbehalten bleiben sollen, für die Abstufung der Strafen verwendet werden, . . . " usw. Aus nicht bekannten Gründen hatte die ernannte Kommission, der ausgezeichnete Juristen der damaligen Zeit angehörten, keinen Erfolg. Durch Verordnung vom 26. Oktober desselben Jahres wurde Antonio Garcia Reyes beauftragt, einen Strafgesetzentwurf auszuarbeiten. Er sollte seine Reformgrundsätze der Regierung vorlegen, damit sie i n einer zu diesem Zweck ernannten Kommission erörtert würden. Da aber dieser Auftrag an Garcia Reyes nicht ausgeführt wurde, erließ die Regierung 1856 eine neue Verordnung, mit der sie Manuel Carvallo in ähnlicher Absicht ernannte. Dieser erfüllte die i h m übertragene Aufgabe voll und ganz. Er arbeitete einen Entwurf zu einem Strafgesetzbuch für die Republik Chile aus, dessen erstes und zweites Buch in den Jahren 1856 und 1859 veröffentlicht wurden. Zu bemerken ist noch, daß Carvallo außerdem auf Grund einer Anordnung der Regierung das Strafgesetzbuch des Königreichs Belgien ins Spanische übersetzte (1869), was darauf hinweist, daß die Regierung unseren Gesetzesverfassern das belgische Gesetzbuch als Vorbild hinstellen wollte — ein Gedanke, der, wie w i r noch sehen werden, keinen Erfolg hatte. Es scheint aber, daß die Regierung mit dem Entwurf von Manuel Carvallo nicht zufrieden war, denn durch Verordnung vom 17. Januar 1870 wurde eine letzte Kommission mit dem Auftrag ernannt, den

Bemerkungen zur Geschichte des chilenischen Strafrechts

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S t r a f g e s e t z e n t w u r f abzufassen. Sie setzte sich aus f ü h r e n d e n Rechtsg e l e h r t e n zusammen, n ä m l i c h A l e j a n d r o Reyes, E u l o g i o A l t a m i r a n o , José d e m e n t e Fabres, José A n t o n i o G a n d a r i l l a s , José V i c e n t e A v a l o s , D i e g o A r m s t r o n g u n d M a n u e l R e n j i f o . Z w e i J a h r e später k a m noch A d o l f o Ibanez h i n z u . Diese K o m m i s s i o n e r a r b e i t e t e d e n E n t w u r f , aus d e m nach g e r i n g f ü g i g e n Ä n d e r u n g e n das heute geltende Chilenische Strafgesetzbuch w u r d e . Sie b e g a n n m i t i h r e n S i t z u n g e n a m 8. M ä r z 1870 u n d beendete i h r e A r b e i t a m 22. O k t o b e r 1873; unterdessen h i e l t sie 175 S i t z u n g e n ab, ü b e r die P r o t o k o l l e a u f g e n o m m e n w u r d e n , i n denen d i e V e r h a n d l u n g e n ü b e r die verschiedenen A r t i k e l n i e d e r g e l e g t s i n d 3 . D i e erste w i c h t i g e Frage, die sich der K o m m i s s i o n stellte, w a r d i e nach der G r u n d l a g e , die der E n t w u r f h a b e n sollte, d e n n die R e g i e r u n g f o r d e r t e , h i e r i n den G r u n d z ü g e n des belgischen Gesetzes v o n 1877 zu folgen. D i e K o m m i s s i o n t e i l t e indessen diese A n s i c h t n i c h t u n d bev o r z u g t e i n i h r e n V e r h a n d l u n g e n als G r u n d l a g e das spanische Gesetz v o n 1850 4 . Es ist durchaus l o b e n s w e r t , daß unsere Gesetzesverfasser d e m spanischen Gesetzbuch d e n V o r z u g gaben, d e n n es ist sehr v i e l bes t i m m t e r u n d g e n a u e r u n d besitzt eine bessere S t r u k t u r als das belgische Gesetzbuch 5 . ·'* Diese Protokolle sind i n einem Bande veröffentlicht: „Actas de las Sesiones de la Comisión Redactora del Código Penal Chileno", Santiago de Chile, Edit. Imprenta de la Republica, 1873. — Richter und A n w ä l t e ziehen sie ständig zur Auslegung des Strafgesetzes heran, denn eines der i n A r t . 19 Z G B f ü r jede Gesetzesauslegung genannten M i t t e l ist die glaubw ü r d i g e Entstehungsgeschichte des Gesetzes. 4 Bei der Entscheidung für den Vorrang des spanischen Gesetzes vor dem belgischen dachte man daran, daß die Einteilung des ersten logischer w a r u n d unsere Sitten mehr m i t denen des spanischen Volkes übereinstimmten; sogar die Annehmlichkeit, daß ein glänzender Kommentar zum Spanischen Strafgesetzbuch vorhanden war, den Francisco Pacheco verfaßt hatte und dessen S t u d i u m sehr w o h l nützlich sein konnte, spielte eine Rolle. Es sei bemerkt, daß das Spanische Strafgesetzbuch von 1850 (das m i t dem von 1848 fast übereinstimmt) bei der Reform von 1870 weder in seinen Grundgedanken noch i n seiner Technik wesentlich geändert wurde. Das Gesetz v o n 1848 hat Anregungen aus dem Brasilianischen Strafgesetzbuch von 1830 übernommen, das seinerseits eine Nachbildung des Neapolitanischen Strafgesetzbuchs darstellt, w i e dieses eine solche des Französischen von 1810 ist; es gehört zum französischen Gesetzgebungszweig m i t dem Napoleonischen Strafgesetzbuch als gemeinsamen Stamm (vgl. Jiméncz de Asua, Tratado de Derecho Penal, Bd. I S. 575). 5 Jiménez de Asua weist darauf hin, daß das belgische Gesetz die Notw e h r noch immer als gerechtfertigte Tötung bei den Verbrechen gegen Personen eingeordnet hat, ebenso wie die alten Gesetze, z. B. die Partidas u n d das Französische Strafgesetzbuch von 1810, es taten, während das spanische daraus schon ein I n s t i t u t des allgemeinen Teils gemacht hatte (vgl. Jiménez de Asùa, Códigos Penales Iberoamericanos, Edit. Andrés Bello. Caracas. 1946, Bd. I S. 18).

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Das chilenische Strafrecht

Nach Beendigung ihrer Arbeiten legte die Kommission der Regierung den hergestellten Entwurf vor. Man beauftragte Renjifo m i t der Abfassung der Botschaft, m i t der der Entwurf dem Nationalkongreß zugeleitet wurde 6 . Nach beendetem Gesetzgebungsverfahren wurde der Entwurf am 12. November 1874 als Gesetz verkündet. Dieses trat a r i 1. März 1875 i n Kraft. So erfüllte sich schließlich das Bestreben unserer Regierungen nach so vielem Bemühen um die Kodifikation des Strafrechts. I n der Folgezeit wurden einige Gesetze erlassen, die das Strafgesetzbuch ergänzen, und Versuche völliger oder teilweiser Reformen unternommen, die bisher noch keinen Erfolg hatten. Auf all dies kommen w i r an gegebener Stelle zu sprechen.

Zweites

Kapitel

Versuche zur Reform des Strafgesetzbuchs

1. D e r E n t w u r f

von

1929

(Erazo-Fontecilla)7

Literatur: Ernst von Beling, Gerichtssaal, Band 101, Heft 2—5 (1932). — Der., Proyecto de Código Penal für Chile, Sonderdruck der Kritischen Vierteljahresschrift, Band 24 (München 1931), H e f t 4, S. 489. — A r t u r o Santoro , I l progetto d i Codice Penale Chileno, Scuola Positiva, Bd. I (Milano 1930), S. 474. — Eusebio Gómez, L a Reforma Penal en Chile, Revista de Derecho Penai, Buenos Aires, 1930, Jahrgang I, No. 4, S. 387 bis 394, u n d Jahrgang I I , No. 1. — Ladislao Thot, E l Proyecto de Código Penai Chileno, Revista de Identifìcacion y Ciencias Penales, L a Plata, Rep. Argentina, 1929, Jahrgang I I , Bd. I V , Nr. 12, S. 423. — Eugenio Cuelio Calón, E l Proyecto de Código Penal Chileno, Revista General de Legisl a t i o n y Jurisprudencia, Madrid, 1930, Bd. 157. — Luis Jiménez de Asùa, Códigos Penales Iberoamericanos — Estudios de Legislación Comparada, Caracas, Edit. Andrés Bello, 1946, Bd. I, S. 19. — Ders., Tratado de Derecho penal, Bd. I, S. 914. — Rafael Fontecilla , Breve historia de la Legislación Penal en Chile. — L i b r o I del Proyecto de 1929, sus fuentes, comentarios y critica, Santiago de Chile, Edit. Cisneros, 1930, S. 197—427.

Von der Verkündung des Strafgesetzbuchs (1874) bis zum Jahre 1921 sprach man i n Chile außerhalb der Fachvorlesungen in der juristischen Fakultät nicht vom Strafrecht. — Unter der Präsidentschaft von Carlos Ibânez ernannte Justizminister Osvaldo Koch m i t Verordnung vom 21. Juni 1928 eine Kommission, die einen Strafgesetzentwurf ausarbeiten und der Regierung vorlegen sollte. Diese hielt aber nur G Der T e x t der Botschaft findet sich i n allen Ausgaben des Chilenischen Strafgesetzbuchs. 7 Der amtliche W o r t l a u t wurde als „Proyecto de Código Penal" veröffentlicht (Santiago de Chile, Edit. Irnprenta Nacional, 1929).

Bemerkungen zur Geschichte des chilenischen Strafrechts

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eine einzige S i t z u n g ab u n d e r r i c h t e t e e i n P r o t o k o l l , das n i c h t g e b i l l i g t w u r d e . I m H i n b l i c k d a r a u f , daß d i e A r b e i t e n n i c h t w e i t e r g i n g e n , ließ M i n i s t e r K o c h die K o m m i s s i o n nach e i n e i n h a l b J a h r e n f a l l e n u n d bea u f t r a g t e die R i c h t e r E d u a r d o Erazo u n d R a f a e l F o n t e c i l l a m i t der A n f e r t i g u n g eines S t r a f g e s e t z e n t w u r f s u n d dessen V o r l a g e a n die R e g i e r u n g . Sie f ü h r t e n i h r e n A u f t r a g aus, u n d 1929 w u r d e d e m K o n greß d e r erste S t r a f g e s e t z e n t w u r f zugeleitet. D a m i t b e g a n n d i e Ref o r m . — D e r E n t w u r f ist k u r z . E r e n t h ä l t 341 A r t i k e l , die sich auf d r e i B ü c h e r v e r t e i l e n 8 . D e r K o n g r e ß e r n a n n t e eine K o m m i s s i o n z u s e i n e m S t u d i u m , die sogar einige S i t z u n g e n a b h i e l t u n d noch d a z u die ersten 18 A r t i k e l m i t g e r i n g e n Ä n d e r u n g e n b i l l i g t e ; aber i n f o l g e p o l i t i s c h e r W i r r e n , die d e n P r ä s i d e n t e n Ibanez z w a n g e n , d i e R e g i e r u n g n i e d e r z u l e g e n , t r a t sie n i c h t w i e d e r z u s a m m e n . 2. D e r

E n t w u r f

von

1938 ( S i l

va-Labatut)

L i t e r a t u r : Luis Jiménez de Asua, Códigos Penales Iberoamericanos, S. 24. — Ders., Tratado de Derecho penal, Bd. I, S. 918. — Federico Pena Cereceda, Observaciones al nuevo Proyecto de Código Penal, Rev. C. Pen. 1938, S. 379. — Eduardo Brücher Encina, Anotaciones Médico-Legales al proyecto de Código Penal Silva-Labs tut, Rev. C. Pen. 1938, S. 471. — J. A. 8 Das erste Buch (Allgemeine Vorschriften) enhält keine Begriffsbestimm u n g des Verbrechens mehr, w o h l aber beschreibt es k l a r Vorsatz u n d Fahrlässigkeit. Die Definition des Vorsatzes umfaßt nicht n u r den direkten, sondern auch den bedingten Vorsatz. Die mildernden u n d erschwerenden Umstände, die i m geltenden Strafgesetzbuch auf bestimmte Fälle beschränkt bleiben, sind i m E n t w u r f in sehr weitgefaßten Formulierungen herausgearbeitet, wodurch dem Richter eine größere Freiheit i n der Strafzumessung eingeräumt werden kann. Der Rechtsirrtum i m Strafrecht w i r d zum ersten Male behandelt. Täterschaft und Teilnahme unterliegen grundsätzlich derselben Strafe. Hehlerei bzw. Begünstigung verweist der E n t w u r f als selbständigen Tatbestand i n Buch I I . Neu aufgenommene Rechtsinstitute sind die Sicherungsmaßnahmen, der bedingte Strafaufschub u n d die gerichtliche Verzeihung (gerichtliche Strafbefreiung). Die Verbrechen der Gefangenenentweichung und der Verletzung des Urteils finden sich nicht m e h r i m ersten Buch. Die Todesstrafe ist ebenso wie die Prügelstrafe abgeschafft u n d die unbestimmte Verurteilung eingeführt, ferner die Dreiteilung (in Verbrechen, Vergehen u n d Übertretungen) durch die Zweiteilung (Vergehen und Übertretungen) ersetzt und das fehlgeschlagene Verbrechen, das jetzt i m Versuch aufgeht, beseitigt worden. Die aus dem Verbrechen herrührende zivilrechtliche Verantwortlichkeit w i r d besonders berücksichtigt. — Das 2. Buch, das von den Verbrechen i m besonderen handelt, b r i n g t folgende Neuerungen: Die Systematik beginnt m i t der Tötung anstatt m i t den Verbrechen gegen die Staatssicherheit. Die Tötung m i t E i n w i l l i g u n g (Euthanasie, A r t . 85) w i r d milder bestraft, die U n t e r brechung der Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung gerechtfertigt, sofern schwere moralische Störungen bei der F r a u vorliegen (Art. 92), die Ansteckung m i t einer Geschlechtskrankheit oder beim Stillen unter Strafe gestellt (Art. 96) u n d das D e l i k t der Schmähung unter geringer Abweichung von Verleumdung u n d Beleidigung geschaffen (Art. 112); der Ehebruch schließlich ist kein Verbrechen mehr usw. — Buch I I I handelt von den Übertretungen.

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Das chilenische Strafrecht

Roux, Proyecto de Código Penal Chileno, Rev. C. Pen. 1938, S. 481. — Gustavo Labatut , L a Peligrosidad de las personas naturales en el Proyecto de Código Penal Chileno, Rev. C. Pen. 1938, S. 289. — Pedro Silva, E l Proyecto de Código Penal, Rev. C. Pen. 1938, S. 480. D e r E n t w u r f erschien m i t e i n e r k l e i n e n P r ä a m b e l , i n der die T r a g w e i t e d e r R e f o r m e r k l ä r t w i r d . E r besteht aus 403 A r t i k e l n u n d ist in drei Bücher eingeteilt9. 3. E i n

weiterer

Versuch

einer

Gesamtreform

(1942)

U n t e r d e r Präsidentschaft v o n J u a n A n t o n i o Rios M o r a l e s w u r d e folgende höchste ( i m D i a r i o O f i c i a l N r . 19 254 v o m 8. M a i 1942 v e r öffentlichte) V e r o r d n u n g erlassen: „ S a n t i a g o , d e n 20. A p r i l 1942. I c h habe beschlossen u n d verordne: Es w i r d eine K o m m i s s i o n e r n a n n t , die e i n e n R e f o r m e n t w u r f f ü r das Strafgesetzbuch u n d die S t r a f p r o z e ß o r d n u n g e h r e n h a l b e r ausa r b e i t e n u n d der R e g i e r u n g v o r l e g e n soll u n d aus f o l g e n d e n P e r 9 Die strafbaren Handlungen zerfallen i n Vergehen und Übertretungen (zu den letzten gehören auch die bloßen Zuwiderhandlungen). Das V e r brechen w i r d nicht mehr definiert u n d das fehlgeschlagene Verbrechen beseitigt. Der absolut untaugliche Versuch bleibt straflos, aber m i t der Möglichkeit, Sicherungsmaßnahmen zu verhängen. I n der Aufzählung der die Strafe ausschließenden Umstände ist die spanische Formel von der v o r übergehenden Geistesstörung enthalten. Bei der Strafzumessung soll die Gefährlichkeit des Verbrechers berücksichtigt werden; der E n t w u r f gibt eine Regel, sie zu beurteilen (Art. 44). Die Todesstrafe w i r d beibehalten. Unter den besonders erwähnenswerten Neuerungen befinden sich die Z u lässigkeit unbestimmter Strafen i n gewissen Fällen (Art. 42—59), die bedingte Verurteilung (Art. 76 ff.) u n d die bedingte Entlassung (Art. 79). Die Gefangenenentweichung u n d die Verletzung der Verurteilung sind aus dem ersten Buch entfernt u n d i m zweiten Buch untergebracht worden (Art. 303), während Hehlerei u n d Begünstigung den Charakter eines selbständigen Delikts erlangt haben (Art. 302). Schließlich stellt der E n t w u r f i m siebten Abschnitt des ersten Buches den Grundsatz der strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen auf. Die Systematik des Besonderen Teils (des zweiten Buches) glaubte man m i t den Verbrechen gegen das Leben (Tötung, Kindestötung, Abtreibung usw.) beginnen zu sollen. Die Ansteckung m i t einer Geschlechtskrankheit oder beim Stillen w i r d unter Strafe gestellt. Verbrechen gegen die Ehre sind nur die Schmähung und die Beleidigung; die Verleumdung verschwindet als selbständiger Tatbestand. Besondere Erwähnung verdienen die Betrugstatbestände, bei denen man die kasuistischen Aufzählungen vermieden hat. Z u ihnen gehört auch die unberechtigte Aneignung (Art. 218). Die falsche oder verleumderische Anschuldigung (Art. 290) erscheint k l a r definiert, w o m i t der w i r r e Begriff des A r t . 211 des geltenden StGB überwunden ist. Dies sind in großen Zügen die M e r k m a l e unseres zweiten amtlichen E n t wurfs. Sein W o r t l a u t wurde unter dem T i t e l „ E n t w u r f des Strafgesetzbuchs (Proyecto de Código Penal)" veröffentlicht (Santiago de Chile, Edit. Dirección General de Prisiones, 1938).

Bemerkungen zur Geschichte des chilenischen Strafrechts

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sonen besteht: don Rafael Fontecilla, Richter am Appellationsgerichtshof von Santiago; don Franklin Quezada Rogers, Richter am Appelationsgerichtshof von Santiago; don Urbano M a r i n Rojas, Staatsanwalt am Appellationsgerichtshof von Santiago; don Guillermo Fuentes Ramos, Rechtsanwalt, und don Oscar Gajardo Villarroel, Rechtsaaiwalt. Das A m t des Sekretärs der Kommission soll der Sekretär des Fünften Strafgerichts von Santiago, don Juan Pomés Garcia, ebenfalls ehrenhalber, versehen. Dies soll eingetragen, mitgeteilt, veröffentlicht und i n das Boletin de Leyes y Decretos der Regierung aufgenommen werden. Rios Morales. J. Ortuzar Rojas." Die ernannten Personen hielten eine vorbereitende Sitzung ab. Man dachte gleich an eine Gesamtreform und beauftragte Rafael Fontecilla, einen Vorentwurf (des allgemeinen Teils) abzufassen. A m 28. August desselben Jahres trat die Kommission unter dem Vorsitz des Justizministers, Jerónimo Ortùzar, erneut zusammen. Anwesend waren die Herren Rafael Fontecilla, Urbano Marin, Oscar Gajardo und Franklin Quezada. Fontecilla legte den Allgemeinen Teil seines Entwurfs vor, und man beschloß, ihn als Grundlage für die nun beginnenden A r beiten zu verwenden. Er besteht aus 117 Artikeln, die sich auf folgende Abschnitte verteilen: 1. A b s c h n i t t : Allgemeine Grundsätze. 1. Kapitel: Von der Anwendung der Strafgesetze. — 2. Kapitel: Von den Verbrechen. — 3. Kapitel: Von der Schuld. 2. A b s c h n i t t : Von den Gründen, die die Verantwortlichkeit ausschließen: 1. Kapitel: Von den Rechtfertigungsgründen. — 2. Kapitel: Von den Gründen der Nichtzurechnungsfähigkeit. — 3. Kapitel: Von den Strafausschließungsgründen. 3. A b s c h n i t t : Von den Umständen, die die Strafstufen ändern. 1. Kapitel: Von den mildernden Umständen. — 2. Kapitel: Von den erschwerenden Umständen. — 3. Kapitel: Wirkungen der mildernden und erschwerenden Umstände; von ihrem Zusammentreffen und ihrer Wirkung auf andere Beteiligte. 4. A b s c h n i t t : Von der Mehrheit der Verbrechen, Strafgesetze und Verbrecher. 1. Kapitel: Formen der Wiederholung. — 2. Kapitel: Zusammentreffen von Strafgesetzen. — 3. Kapitel: Mehrheit von Verbrechern.

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Das chilenische Strafrecht

5. A b s c h n i t t : Von den Strafen. 1. Kapitel: Von ihrer Aufzählung und Einteilung. — 2. Kapitel: Von der Dauer, der Rechtsnatur und den Wirkungen der Strafen. — 3. Kapitel: Von der Strafzumessung. 6. A b s c h n i t t : Von den Sicherungsmaßnahmen. 1. Kapitel: Von ihrer Regelung. 7. A b s c h n i t t : Zivilrechtliche Verantwortlichkeit. 1. Kapitel: Von den zivilrechtlichen Folgen des Verbrechens. 8. A b s c h n i t t : Bedingter Straferlaß. 1. Kapitel: Seine Regelung. 9. A b s c h n i t t : Von der richterlichen Verzeihung. 1. Kapitel: Ihre Regelung. 10. A b s c h n i t t : Von der Tilgung der Verbrechen und dem Erlöschen der Strafen. 1. Kapitel: Von der Tilgung der Verbrechen. — 2. Kapitel: Vom Erlöschen der Strafen. Die Kommission beschloß, die Ausführungen Fontecillas über die i n seiner Ausarbeitung enthaltener. Rechtsinstitute sowie i h r angebracht erscheinende Änderungen und Bemerkungen i n das Protokoll aufzunehmen. Die Arbeiten gediehen i n der genannten Sitzung bis zur vollständigen Erledigung aller das Strafgesetz betreffenden Fragen. Da aber Justizminister Ortiizar das Ministerium aufgeben mußte, trat die Kommission nicht wieder zusammen, denn sein Nachfolger interessierte sich nicht für die Probleme der Strafrechtsreform. 4. D i e

Teilreform

L i t e r a t u r : Luis Jiménez de Asua, Tratado de Derecho Penal, Bd. I, S. 919. — Héctor Brain Rojas, Observaciones al Proyecto de Reforma del Código Penal Chileno, Rev. de Der. Nr. 68 (1949, S. 209) bis Nr. 80 (1952).

M i t den Jahren schwand die Absicht einer Gesamtreform und wandelte sich schließlich zu dem Bemühen um eine Teilreform. So wurde am 15. Juni 1945 durch Verordnung des Justizministeriums eine neue Kommission gebildet, zu der folgende Herren gehörten: Gregorio Schepeler, Richter am Obersten Gerichtshof; Luis Agüero und Franklin Quezada, beide Richter am Appellationsgerichtshof von Santiago; Ernesto Bianchi Tupper, ehemals Richter am selben Gerichtshof; Gustavo Montero, Richter an einem Strafgericht; Luis Cousino Mac Iver, Präsident des Instituts für Straf rechts wissenschaf ten; Miguel Schweitzer, außerordentlicher Professor für Strafrecht an der Universität von Chile; Julio César Olavarria, Generaldirektor des Gefängniswesens, und die Rechtsanwälte Eduardo Novoa und Abraham Drapkin. Die Verordnung umriß auch genau die Arbeit der Kommission, damit

Der Allgemeine Teil des Chilenischen Strafgesetzbuchs

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sie n i c h t m e i n e n sollte, es h a n d l e sich u m die F e r t i g s t e l l u n g eines d r i t t e n S t r a f g e s e t z e n t w u r f s . Es h e i ß t d o r t : „ E s w i r d eine K o m m i s s i o n e r n a n n t , welche die f ü r das Strafgesetzbuch e r f o r d e r l i c h e n d r i n g e n d e n R e f o r m e n a u s a r b e i t e n u n d der R e g i e r u n g vorschlagen soll, ohne jedoch d e n . A u f b a u u n d die H a r m o n i e s e i n e r g e g e n w ä r t i g e n B e s t i m m u n g e n z u durchbrechen." So e n t s t a n d eine K o m m i s s i o n , der d i e H ä n d e z u einer Neuschaffung gebunden waren, denn „der A u f b a u u n d die H a r m o n i e " des g e l t e n d e n Gesetzbuchs d u r f t e n n i c h t angetastet w e r d e n . Seine aus der klassischen Schule s t a m m e n d e n G r u n d s ä t z e m u ß t e n t r o t z des F o r t s c h r i t t s u n v e r ä n d e r t b l e i b e n , den die Strafrechtswissenschaft i n z w i s c h e n erreicht h a t t e 1 0 .

Zweiter

Teil

D e r A l l g e m e i n e T e i l des C h i l e n i s c h e n Literatur cisco Pacheco, M a n u e l Tello, Reformado de

Strafgesetzbuchs

:

W e r k e s p a n i s c h e r V e r f a s s e r : Joaquin F r a n E l Código Penal concordado y comentado, Madrid, Edit. 4. A u f l . 1870 (4 Bde.). — Salvador Viada, Código Penal 1870, Madrid, Edit. A. San M a r t i n , 4. A u f l . 1890, (4. Bde.). —

10 Das erste Buch besteht aus 107 A r t i k e l n , i n denen der Allgemeine Teil geregelt ist. Als kennzeichnend sind vor allem anzuführen: Die Begriffsbestimmung des Verbrechens w i r d beibehalten, aber das Wort „ w i l l e n t l i c h " i n i h r durch „vorsätzlich" ersetzt u n d daher das Verbrechen folgendermaßen definiert: „Verbrechen ist jede vorsätzliche Handlung oder U n t e r lassung, die v o m Gesetz unter Strafe gestellt ist" (Art. 1). Vorsatz u n d Fahrlässigkeit werden nicht definiert, u n d das Fahrlässigkeitsdelikt heißt w e i t e r h i n Quasi-Delikt. Die Dreiteilung der strafbaren Handlungen (Verbrechen, Vergehen u n d Übertretungen) bleibt. Jedoch verschwindet das fehlgeschlagene Verbrechen, u n d n u r das vollendete Verbrechen u n d der Versuch werden behandelt. Bei R ü c k t r i t t vom Versuch und absolut u n tauglichem Versuch unterbleibt die Bestrafung. Die erschwerenden u n d die mildernden Umstände werden w i e i m geltenden Gesetzbuch i n Einzelgruppen aufgeteilt. Hehlerei u n d Begünstigung sind keine F o r m der M i t schuld mehr (Art. 15). Die Todesstrafe u n d die Gradabstufungen für die Strafzumessung werden beibehalten, die Einschließung und die Ausweisung an einen bestimmten Ort beseitigt. Die Geldstrafe k a n n i n der von den früheren E n t w ü r f e n vorgeschlagenen F o r m ratenweise gezahlt werden (Art. 73), aber die Nichtzahlung hat Freiheitsstrafe zur Folge (Art. 73). Die bedingte Entlassung (Art. 74) u n d der bedingte Straferlaß (Art. 83) sind dem ersten Buch dieses Entwurfs ebenfalls eingefügt. I m vierten Abschnitt ist die aus dem Verbrechen herrührende zivilrechtliche Verantwortlichkeit geregelt. Die Gefangenenentweichung u n d die Verletzung der Verurteilung stehen aus logischen u n d methodischen Gründen nicht i m Allgemeinen Teil. — Z u r Zeit findet eine Revision des zweiten Buches über die V e r brechen i m einzelnen statt; dieser T e i l ist noch nicht veröffentlicht. — Der W o r t l a u t des ersten Buches w u r d e als Proyecto de Reforma del Código Penal, L i b r o I (Santiago de Chile, Edit. Dirección General de P r i siones, 1946) veröffentlicht.

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Das chilenische Strafrecht

Alejandro Croizard, E l Código Penal de 1870, Madrid, Edit. J. A. Garcia, 2. Aufl. 1902 (6 Bde.). — Luis Silvela, El Código Penal estudiado en p r i n cipios y en la legislación vigente, Madrid, Edit. Ricardo Fé, 1903 (2 Bde.). — Constando Bernaldo de Quiroz, Teoria del Código Penai, en colaboración con Navarro de Palencia, Allg. Teil, Madrid, Edit. Suarez, 1911. — Eugenio Cuello Calón , Derecho Penai, Bd. I, A l l g . Teil, Barcelona, Edit. Bosch, 1940 Bd. I I , Bes. Teil, T e i l 1, Barcelona, Edit. Bosch, 1936. Bes. Teil, T e i l 2, Barcelona. Edit. Bosch, 1941. — Luis Jiménez de Asua, Tratado de Derecho Penal, Bd. I, Buenos Aires, Edit. Losada, 1950, Bd. I I , Buenos Aires, Losada, 1950, Bd. I I I , Buenos Aires, Losada, 1951, Bd. I V , Buenos Aires, Losada, 1952. W e r k e c h i l e n i s c h e r V e r f a s s e r : J. Raimundo del Rio, Derecho Penal, Santiago de Chile, Edit. Nacimento, 1935 (3 Bde.). — Ders., Elementes de Derecho Penal, Santiago de Chile, Edit. Nacimento, 1939. — Gustavo Labatut, Derecho Penal, Allg. T e i l u. Bes. Teil, Santiago de Chile, Edit. Juridica, 1951 u. 1953 (2 Bde.). — Ders., Manual de Derecho Penal, Santiago de Chile, Edit. Carabineros de Chile, 1948 (1 Bd.). — Alejandro Fuenzalida, Concordancia y comentario del Código Penal Chileno, Lima, Perii, Edit. Comercial, 1883 (3,Bde.). — Pedro Javier Fernàndez, Código Penal de la Republica de Chile, explicado y concordado, Santiago de Chile, Edit. Barcelona, 2. Aufl. 1899 u. 1900 (2 Bde.). — Robustiano Vera, Código Penal de la Republica de Chile, Santiago de Chile, Edit. L i b r e r i a Americana de Lathrop, 1886. — Ders., Teorias del Derecho Penal, Santiago de Chile, Edit. La Republica, 2. Aufl. 1882. — Federico Pena, Observaciones sobre algunas reformas introducidas en el Código Penal, Rev. C. Pen. 1946, S. 5. •— Santiago Lazo, Los Códigos Chilenos anotados, Código Penai, Origenes, concordancia, jurisprudencia, Santiago de Chile, Edit. Poblete Cruzat, 1915. — Rafael Fontecilla Riquelme, El Código Penai chileno ante las nuevas orientaciones de la Ciencia Penai, Santiago de Chile, Edit. Lagunas y Quevedo, 1932. — Schönke, Neues aus dem ausländischen Strafrecht: Chile, ZStW 60, 282 f. — Sopher, Bericht i n der Auslandsrundschau der ZStW, Bd. 57, S. 173 ff. — Pedro Ortiz Munoz, Nociones Generales de Derecho Penal, Santiago de Chile, Edit. Nacimento, Bd. I 1933, Bd. I I 193711.

Das Chilenische Strafgesetzbuch, das, wie schon gesagt, das Spanische Gesetzbuch von 1850 zum Vorbild hat, ist wie dieses, aus dem es seinen Ursprung nahm, klassisch orientiert. Es ist in untadeliger Sprache abgefaßt und kurz und besteht aus 501 Artikeln, die auf drei Bücher verteilt sind. Das erste Buch (Art. 1 bis 105) enthält den A l l gemeinen Teil, während das zweite Buch (Art. 106 bis 493) von den Verbrechen im besonderen handelt und das dritte Buch Vorschriften für die Übertretungen gibt (Art. 494 bis 501). 11

W i r müssen die wichtigsten Werke spanischer Verfasser m i t anführen, w e i l unser Strafgesetzbuch eine fast wörtliche Wiedergabe des spanischen darstellt, das von den hier erwähnten Autoren vollständig u n d gründlich erläutert wurde. Prof. Dr. Luis Jiménez de Asùa w i l l ich unter ihnen besonders hervorheben, nicht nur, w e i l er der modernste ist, sondern auch, w e i l er m i t größter Tiefgründigkeit und wissenschaftlicher Hingabe u. a. die akuten Probleme der zeitgenössischen Strafrechtsdogmatik behandelt hat.

Der Allgemeine Teil des Chilenischen Strafgesetzbuchs

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Der Allgemeine Teil gliedert sich in fünf Abschnitte und hat, kurz zusammengefaßt, folgenden Inhalt: I m ersten Abschnitt (Art. 1 bis 13) findet man u.a. die Begriffsbestimmung des Verbrechens (Art. 1) und die genaue Beschreibung der die Verantwortlichkeit ausschließenden (Art. 10), mindernden (Art. 11) oder erhöhenden Umstände (Art. 12). I m zweiten Abschnitt (Art. 14 bis 17) führt das Gesetz die für das Verbrechen verantwortlichen Personen auf und definiert die Begriffe des Täters, Gehilfen und Hehlers (Art. 14). Der dritte Abschnitt hat die Strafen zum Gegenstand; er teilt sie ein und gibt Vorschriften für ihre Anwendung (Art. 18 bis 89). Der folgende vierte Abschnitt schließlich (Art. 90 bis 92) handelt „von den Strafen, welche die sich zuziehen, die das Urteil verletzen oder während der Strafdauer von neuem ein Verbrechen begehen" und wäre besser im Besonderen Teil untergebracht worden, da er keine Beziehung zu den Grundsätzen des Allgemeinen Teils hat. Zum Schluß behandelt der fünfte Abschnitt (Art. 93 bis 105) das Erlöschen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. W i r berichten kurz über die Gegenstände von größerer Bedeutung.

Erster

Abschnitt

Das Strafgesetz. Das Verbrechen. Die Umstände, die die Verantwortlichkeit ausschließen oder ändern L i t e r a t u r : Robustiano Vera, Código Penal, S. 65. — Gustavo Labatul, Manual de Derecho Penal, S. 65 u. 105. — Pedro Javier Fernàndez , a.a.O., Bd. I, S. 63. — Sergio Fernàndez Ode, Fundación de la Ley Penal, Santiago de Chile, Edit. Gutenberg, 1936. — Alejandro Fuenzalida, a.a.O., Bd. I, S. 161. — Luis Jiménez de Asùa, L a Ley y el Delito, Caracas, Venezuela, Edit. Andrés Bello, 1945, S. 105. — Ders., E l Criminalista, Bd. V, Buenos Aires, Edit. La Ley, 1945, S. 224. A . Das Strafgesetz

1. D a s

Strafgesetz

Unser Strafgesetzbuch stellt den unabdingbaren Grundsatz der Gesetzlichkeit von Verbrechen und Strafen an den Anfang. Art. 1 erkennt mit der Begriffsbestimmung des Verbrechens als jeder willentlichen Handlung oder Unterlassung, die durch das Gesetz unter Strafe gestellt ist, ebenso wie Art. 18 mit der Vorschrift, daß kein Verbrechen mit einer anderen als der von einem vor seiner Begehung verkündeten Gesetz angedrohten Strafe zu bestrafen sei, und Art. 80 Abs. 1 mit der Bestimmung, daß auch keine Strafe i n einer anderen als der vom Gesetz vorgeschriebenen Form und lediglich unter den

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Das chilenische Strafrecht

i n seinem Wortlaut ausdrücklich angegebenen Umständen vollstreckt werden darf, nur an, daß die unmittelbare Quelle des Strafrechts das Gesetz ist — ein Grundsatz, der schon aus Art. 11 unserer politischen Verfassung hervorgeht: „Niemand darf verurteilt werden, wenn er nicht rechtmäßig auf Grund eines Gesetzes abgeurteilt wird, das vor Begehung der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Tat verkündet worden ist." Deswegen können weder die Sitte, die nach Art. 2 des Zivilgesetzbuches nur in den Fällen Recht darstellt, in denen das Gesetz auf sie verweist, noch die Moral, deren Verletzung außerrechtlichen Sanktionen unterworfen ist, noch die Rechtsprechung, d. h. die von den Gerichten übereinstimmend aufgestellten Grundsätze, unmittelbare Quellen des Strafrechts sein 1 2 . 2. U n k e n n t n i s

des

Strafgesetzes

L i t e r a t u r : Luis Jiménez de Asua, Reflexiones sobre el error de Derecho en material penal, Buenos Aires, Edit. El Ateneo, 1942, S. 15. — Leopoldo Munoz , E l error en materia penal, Santiago de Chile, Edit. I m prenta Rapid, 1941.

Es w i r d vermutet, daß das Gesetz seit seinem Inkrafttreten jedermann bekannt ist (Art. 8 ZGB). Seine Unkenntnis entschuldigt daher nicht. Der Rechtsirrtum macht die Willenserklärung nicht ungültig, fügt Art. 1452 des Zivilgesetzbuchs hinzu. Diese Grundsätze entsprechen jedoch mehr einer Fiktion und gehen an der Wirklichkeit vorbei. Die Lehre hat deshalb zunächst Ausnahmen zugelassen, schließlich sogar unser Gesetzgeber die Rechtsunkenntnis als vorsatzausschließenden Grund anerkannt. Art. 25 letzter Absatz des Gesetzes Nr. 6827 vom 14. Februar 1941 13 , das Änderungen im Übertretungsverfahren brachte, besagt, der Richter könne „den Übertreter in den Fällen entschuldbarer Unkenntnis oder erwiesenen guten Glaubens freisprechen". 3. D i e

Auslegung

des

Strafgesetzes

L i t e r a t u r : Luis Claro Solar, Explicaciones de Derecho C i v i l Chileno y Comparado, Santiago de Chile, Edit. El Imparcial, 1943, Bd. I, S. 120 (4. K a p i t e l : De la interpretación de las leyes — Von der Auslegung der Gesetze). — A r t u r o Alessandri Rodriguez u n d Manuel Somarriva Undurraga, Curso de Derecho Civil, Santiago de Chile, Edit. Nascimento, 1939, Bd. I, S. 181 (3. K a p i t e l : Interpretación de las leyes — Auslegung der Gesetze). — Rafael Fontecilla R., Interpretación Judicial de las Leyes de Procedimiento Penal, i n „Estudios de Derecho Procesal, en honor de Hugo Aisina", Buenos Aires, Edit. Ediar, 1946, S. 261. — J. Raimundo del Rio, Elementos 12 A r t . 3 Abs. 2 des Zivilgesetzbuches lautet: „Die gerichtlichen Urteile haben n u r bezüglich der Sachen bindende W i r k u n g , i n denen sie gefällt werden." 13 Diario Oficial v o m 28. Febr. 1941 (Nr. 18 900) und Recopilación de Leyes por orden numério, Edit. Nascimento 1942, S. 107.

Der Allgemeine Teil des Chilenischen Strafgesetzbuchs

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de Derecho Penal, S. 109. — Gustavo Labatut , M a n u a l de Derecho Penal, S. 71. — Luis Jiménez de Asùa, La ley y el delito, Caracas, Edit. Andres Bello, 1945, S. 128. — Ders., E l Criminalista, Bd. 5. Buenos Aires, Edit. La Ley, 1945, S. 229. — Ders., La lev penai y sa interpretación, La Habana. Cuba, Edit. Jesiis Montero. 1944, S. 164.

Unser Begriff der Gesetzesauslegung stammt aus Art. 2 des 5. Abschnitts der Einleitung zum napoleonischen Gesetzbuch: Ein Gesetz auslegen heißt, seinen Sinn suchen, um es in einem besonderen Falle anzuwenden. — Don Andrés Bello nahm die Auslegungsregeln i n den § 4 der Einleitung unseres Zivilgesetzbuchs auf. Diese Grundsätze sind bewundernswerte Hegeln der Logik und Klarheit; sie werden auch bei der Auslegung des Strafgesetzes, wie bei der aller sonstigen Gesetze der Republik, beachtet. Insgesamt können w i r wohl sagen, daß unsere Richter das Strafgesetz streng nach jenen Grundsätzen auslegen, die alle nur dem einen Zweck dienen, den Willen des Gesetzes (die ratio legis) zu suchen, um es dann demgemäß anzuwenden. — Hervorgehoben sei auch noch, daß die Auslegung durch Analogie im Strafrecht bei uns aus den Gründen, die w i r m i t Bezug auf das Gesetz als einzige Quelle des Strafrechts dargelegt haben, unstatthaft ist. Sie ist jedoch zulässig, wenn das Gesetz selbst auf sie hinweist, wie dies z. B. unter anderem in den Art. 440 Nr. 2, 468, 480 und 485 Nr. 1 des StGB geschieht. 4. D i e

Geltung

des

Strafgesetzes

in a) persönlicher, b) räumlicher, c) zeitlicher Hinsicht a) Der

persönliche

Geltungsbereich

L i t e r a t u r : Raiil Arellano Silva, Efectos de la ley penal en relación con las personas. Santiago de Chile. Edit. Universitaria, 1955.

Art. 5 StGB gibt m i t seiner Bestimmung: „Das chilenische Strafgesetz ist für alle Einwohner der Republik, einschließlich der Ausländer, verbindlich . ..", den persönlichen Geltungsbereich des Strafgesetzes an. Er spricht damit auch die Gleichheit vor dem Strafgesetz aus. Dieses Prinzip gilt aber nicht unbeschränkt, denn es läßt Ausnahmen zu und ist in bestimmten Fällen durch die Grundsätze der Indemnität und Immunität* sowie die verfahrensrechtlichen Vorrechte gewisser Amtsträger begrenzt. Die Ausnahmen beruhen auf Verfassungsrecht oder Völkerrecht. Die verfassungsrechtlichen Ausnahmen betreffen z. B. die Form, in der das Staatsoberhaupt verantwortlich gemacht werden kann (Art. 39 Ziff. 1 Buchst, a der Verfassung), und die Indemnität der Abgeordneten wegen der Abstimmungen und Mei* M i t I m m u n i t ä t ist die E x t e r r i t o r i a l i t ä t gemeint.

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Das chilenische Strafrecht

nungsäußerungen bei Wahrnehmung ihres Amtes (Art. 32 der Politischen Verfassung) sowie die Strafverfolgung von Abgeordneten und Ministern nach Art. 33 und 39 Ziff. 1 Buchst, b der Verfassung. Ausnahmen nach Völkerrecht (Befreiung von der Gerichtsbarkeit) sind solche zugunsten fremder Staatsoberhäupter oder diplomatischer Vertreter während ihres offiziellen Aufenthaltes im Land, zugunsten fremder Truppen, die sich nach vorheriger verfassungsmäßiger Genehmigung auf dem Staatsgebiet aufhalten, und der Besatzungen fremder Kriegsschiffe in nationalen Gewässern sowie der M i l i t ä r luftfährzeuge. Das unter dem Namen „Código Bustamente" bekannte Gesetz über das internationale Privatrecht behandelt in Buch I I I das internationale Strafrecht**. Art. 296 dieses Gesetzes stellt den Grundsatz der Gleichheit aller im Strafrecht auf. Die folgenden A r t i k e l enthalten die Ausnahmen (Art. 297 bis 301). b) Der

räumliche

Geltungsbereich

des

Strafgesetzes

L i t e r a t u r : Luis Young Reyes, Extraterritorialidad de la Ley Penal, Santiago de Chile, Edit. Carabineros de Chile, 1942. — Inés Canto Lewin, La Ley Penal y su dominio en el espacio, Valparaiso, Rep. de Chile, Edit. Dirección General de Prisiones, 1946. — Luis Jiménez de Asua, Tratado de Derecho Penal, Bd. 2, Buenos Aires, Losada, 1950, S. 670 (Territorialidad de las leyes penales — räumlicher Geltungsbereich der Strafgesetze). — Pedro Garcia de la Huerta Matte, Improcedencia de la extradición por crimenes y delitos politicos, Santiago de Chile, Imprenta Universitaria, 1925. — René Santandreu R., La extradición, Santiago de Chile, Imprenta Còndor, 1938. — R a ù l Ovalle Toro, L a extradición de los nacionales, Santiago de Chile, 1949. — Caupolicân Casanueva Vergara, Nociones sobre el asilo territorial ο politico (asilo exterior), Santiago de Chile, Edit. L a G r a t i t u d Nacional, 1943. — Rafael Fontecilla R., E l derecho de asilo politico en América y la conveniencia de una legislación uniforme, i n der „Revista de Derecho Penai", 5. Jahrgang (aiìo V), 1949, S. 23, Buenos Aires.

Unser Strafgesetzbuch folgt der gemischten Theorie, nach der das im wesentlichen gebietsbezogene Strafgesetz in Ausnahmefällen auch auf im Ausland von Angehörigen des eigenen Staates oder von Ausländern begangene Verbrechen angewendet werden kann (Art. 6 StGB und Art. 6 GVG in Verbindung m i t Art. 106, 174 und 425 StGB). Um den Geltungsbereich des Strafgesetzes zu ermitteln, ist infolge dieser ** Strafanwendungsrecht. — Der — nach seinem Verfasser benannte — Código Bustamente wurde am 20. Februar 1928 auf der Sechsten I n t e r nationalen Amerikanischen Konferenz i n Havanna von den Ländern Südund Mittelamerikas und den Vereinigten Staaten i m Rahmen einer K o n vention über internationales Privatrecht vereinbart und i n den folgenden Jahren von den meisten süd- u. mittelamerikanischen Staaten (von Chile am 6. Sept. 1933) ratifiziert.

Der Allgemeine T e i l des Chilenischen Strafgesetzbuchs

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wesensmäßigen Gebietsbezogenheit des Gesetzes die Frage zu stellen, was man unter Gebiet verstehen soll. Das Staatsgebiet w i r d i n ein natürliches (den unter einer bestimmten politischen Organisation stehenden Teil der Erde) und ein fiktives (das von den Territorial- und Küstengewässern, den Kriegs- und Handelsschiffen, dem Luftraum, dem von nationalen Streitkräften besetzten fremden Gebiet und den Botschafts- und Gesandtschaftsgebäuden gebildet wird) eingeteilt. Chile hat i n Übereinstimmung m i t völkerrechtlichen Grundsätzen, wonach die Meeresstreifen, die man Territorialgewässer oder Küstenmeere nennt, aus Verteidigungsgründen unter dem Hoheitsrecht der Uferstaaten stehen, die Ausdehnung seiner Territorialgewässer i n Art. 593 ZGB wie folgt festgesetzt: „Das Küstenmeer ist bis zur Entfernung einer spanischen Seemeile, von der Linie der tiefsten Ebbe an gerechnet, Territorialgewässer und nationales Gebiet; aber das Polizeihoheitsrecht dehnt sich zu Zwecken der Landessicherheit und der Einhaltung fiskalischer Gesetze bis zu einer i n derselben Weise gemessenen Entfernung von vier spanischen Seemeilen aus." Eine spanische Seemeile hat drei nautische Meilen und eine nautische Meile 1853 Meter. Bei Schiffen muß man unterscheiden: Kriegsschiffe genießen überall, wo sie sich befinden, den Schutz der Exterritorialität; es w i r d immer das Strafrecht des Landes, zu dem sie gehören, angewendet. Handelsschiffe stehen in eigenen Hoheitsgewässern und auf hoher See unter dem Recht ihrer Flagge; wenn sie aber i n fremden Gewässern vor Anker liegen, gilt grundsätzlich das Recht des Landes, i n dessen Hoheitsbereich sie sich aufhalten. Der Luftraum steht unter dem Hoheitsrecht des Staates, über dessen Gebiet er sich befindet. Die Verordnung m i t Gesetzeskraft Nr. 221 vom 15. M a i 1931, die den endgültigen Wortlaut der Gesetzesverordnung Nr. 675 vom 17. Oktober 1925 festsetzte, bestimmt i n A r t . 22: „Der Staat übt die volle und ausschließliche Hoheitsgewalt über den Luftraum oberhalb seines Gebietes und seiner Hoheitsgewässer aus." (D. O. Nr. 15 984 vom 30. M a i 1931). Da unsere Gesetze vornehmlich gebietsbezogen sind, rühren die hier auftauchenden Probleme von den Fällen her, in denen der Täter auf fremdes Staatsgebiet oder an Orte flüchtet, die das Recht der Exterritorialität genießen. Damit gelangen w i r zur Auslieferung, dem Rechtsinstitut, das diese Konflikte löst. Obwohl es sich um eine Materie des Strafrechts handelt, erwähnt das Gesetzbch für dieses Rechtsgebiet sie nicht, denn unsere Gesetzgeber haben sie der Regelung durch das Prozeßrecht und die m i t den verschiedenen Ländern abgeschlossenen Verträge überlassen. Insbesondere findet der von den meisten amerikanischen Staaten angenommene Código Bustamente Anwendung. 3

Ausländisches S t r a r r cht I I I

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Das chilenische Strafrecht

Als allgemeine Grundsätze des Auslieferungsrechts können w i r anführen: 1. die Nichtauslieferung der eigenen Staatsangehörigen (Art. 345 C.B.); 2. die Nichtauslieferung der wegen politischer oder m i t politischen zusammenhängenden strafbaren Handlungen Verfolgten (Art. 355 C. B.). Über die Natur der strafbaren Handlung entscheidet das ersuchte Land (Art. 355 u. 356 C. B.); 3. die aktive Auslieferung begehrt der zuständige Richter (Art. 635 StPO) m i t Billigung des Obersten Gerichtshofes (Art. 638 StPO), und das Auslieferungsersuchen w i r d auf diplomatischem Wege gestellt (Art. 639, 640 StPO); 4. die passive Auslieferung, d. h. die, um welche eine ausländische Regierung das Land ersucht, in dem sich der Täter aufhält, w i r d vor dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes (Art. 644 StPO) als Richter erster Instanz und vor einem Senat des Obersten Gerichtshofes als Gericht zweiter Instanz (Art. 654 ff. StPO) verhandelt. c) Der

zeitliche

Geltungsbereich

des

Strafgesetzes

L i t e r a t u r : Rafael Fontecilla R., Aplicación de la Ley Penal en el tiempo, Rev. C. Pen., Santiago de Chile, 1948, S. 224. — Marcelo Cibie Paolinelli, Etfectos de la ley penal en el tiempo, Santiago de Chile, Edit. Universitaria, 1954.

Die Strafgesetze gelten wie alle Gesetze der Republik vom Zeitpunkt ihrer Verkündung bis zu ihrer Aufhebung. Aus dem Satz: nullum crimen, nulla poena sine lege folgt, daß das Strafgesetz keine rückwirkende Kraft hat, d.h. das zur Zeit der Verbrechensbegehung geltende Gesetz angewendet wird. Dieser Grundsatz erfährt aber eine Ausnahme, wenn das neue Gesetz milder ist; i n diesem Falle w i r d das dem Angeklagten günstigere Gesetz angewendet. Dies folgt aus A r t . 11 der Politischen Verfassung i. V. m. A r t . 18 Abs. 2 StGB, der lautet: „Wenn nach Begehung des Verbrechens und vor Erlaß des letzten Urteils i n der Tatsacheninstanz* ein anderes Gesetz verkündet wird, das eine solche Tat straflos läßt oder eine weniger strenge Strafe auf sie androht, so hat sich ihre Beurteilung nach ihm zu richten." Über die W i r k u n g ausländischer Urteile ist folgendes zu sagen: Nach dem Grundsatz der Souveränität werden in Chile ausländische * Sentencia de termino. D i e sentencia de termino ist ein m i t ordentlichen Rechtsmitteln nicht m e h r angreifbares U r t e i l (Labatut I S. 101). Die Kassation g i l t w o h l bereits als außerordentliches Rechtsmittel. Nach A r t . 539 StPO w i r d eine sentencia de termino erst nach A b l a u f der Kassationsfrist rechtskräftig, sofern keine Kassation eingelegt worden ist.

Der Allgemeine T e i l des Chilenischen Strafgesetzbuchs

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Strafgesetze n i c h t a n g e w e n d e t u n d U r t e i l e f r e m d e r S t a a t e n n i c h t a n e r k a n n t . A r t . 304 des C ó d i g o B u s t a m e n t e m i t seiner B e s t i m m u n g : „ K e i n e r d e r v e r t r a g s c h l i e ß e n d e n S t a a t e n w e n d e t auf s e i n e m G e b i e t d i e Strafgesetze d e r ü b r i g e n a n " , w a r ü b e r f l ü s s i g .

B. Das Verbrechen 1.

Begriff

Literatur: Pacheco, a.a.O. Bd. I , S. 69. — Viada, a.a.O. Bd. I, S 25. — Groizard, a.a.O. Bd. I, S. 11. — Silvela, a.a.O. Erster Teil, S. 95. — Jiménez de Asùa, Tratado de Derecho Penal, Bde. 3 u. 4. — Cuello Calón , a.a.O. Bd. I, T e i l 1, S. 242. — Fuensalida, a.a.O. Bd. I, T e i l 1. — P. J. Fernàndez , a.a.O. Bd. I, S. 62. — Raimundo del Rio, Elementes de Derecho Penal, S. 106. — Gustavo Labatut, M a n u a l de Derecho Penal, S. 106. — Rafael Fontecilla, E l concepto j u r i dico del delito y sus principales problemas técnicos, Rev. C. Pen. 1936, S. 21. — Ders., Conceptos y función de la t i p i cidad en el Derecho Procesai Penai, Santiago de Chile, Edit. E l I m p a r cial, 1943, Bd. I, S. 79. — Luis Cousino Mac Iver, Interpretación biopsicológica del delito, Rev. C. Pen. 1944, S. 301. — A b r a h a m Drapkin , Relación de causalidad y delito, Santiago de Chile, Edit. Cruz del Sur, 1943. — Gonzalo Cabrera Goney, E l concepto j υ ridico del delito, Santiago de Chile, Imprenta Leblanc, 1941. — Eva Friedmann Bordan, E l delito preterintencional, Santiago de Chile, Edit. Lazcano, 1936. — A l v a r o Bunster, La voluntad del acto delictivo, Rev. C. Pen. 1950, S. 149. — P. Ortiz, V o l u n t a riedad y otras cuestiones, Rev. C. Pen. 1942, S. 372. — J. XJldaricio Lopez M., L a acción voluntaria y el Derecho Penal, Santiago de Chile, Edit. Imprenta Bellavista, 1910. — José M i g u e l Sepülveda White, De la relación de causalidad en el Derecho Penal, Santiago de Chile, Edit. Grafico Simliente, 1945. — Reynalda Pino Urrutia, Delitos por omìisión, Concepción, Rep. de Chile, Edit. Grâficos Arteaga, 1935. — Luis Vargas C., Delitos de omisión, Santiago de Chile. Edit. I m p . Comercial, 1933. — Rafael Gonzalez Prats , E l concepto del delito, Santiago de Chile, Edit. Electra, 1928. I m H i n b l i c k a u f die A r t d e r v o r l i e g e n d e n A r b e i t sehen w i r u n s gen ö t i g t , a u f eine dogmatische U n t e r s u c h u n g des Verbrechens z u v e r zichten, das g e g e n w ä r t i g P r o b l e m e v o n g r o ß e m Interesse a u f w i r f t , d i e w i r schon b e i a n d e r e r G e l e g e n h e i t e r ö r t e r t h a b e n 1 4 , u n d b e s c h r ä n k e n uns deshalb d a r a u f , k u r z den V e r b r e c h e n s b e g r i f f nach u n s e r e m S t r a f gesetzbuch d a r z u l e g e n . A r t . 1 b e s t i m m t d e n B e g r i f f des Verbrechens als „ j e d e w i l l e n t l i c h e H a n d l u n g oder U n t e r l a s s u n g , die v o m Gesetz u n t e r S t r a f e g e s t e l l t i s t " . Es setzt sich m i t h i n aus d r e i B e s t a n d t e i l e n z u s a m m e n : 1. e i n e r H a n d u Rafael Fontecilla R., E l conepto j uri dico del delito y sus principales problemas técnicos, Rev. C. Pen. 1936 S. 21, u n d „Geheimer Rat Dr. Ernst v o n Beling" (Dem Rektorat der Universität München als Beileidsbezeigung). Diese A r b e i t w u r d e 1933 i n den Annalen der Universität anläßlich des Ablebens des Münchener Gelehrten veröffentlicht u n d dem Rektorat der Universität München gewidmet.



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Das chilenische Strafrecht

lung oder Unterlassung, die 2. willentlich geschieht und 3. vom Gesetz m i t Strafe bedroht ist. Die Handlung besteht bekanntlich aus einer Körperbewegung, die darauf gerichtet ist, einen Erfolg in der Außenwelt hervorzurufen. Der Entschluß braucht jedoch nicht verwirklicht zu werden, es genügt vielmehr die Möglichkeit des Erfolgseintritts. So führen der Versuch und das fehlgeschlagene Verbrechen nicht zu dem Ergebnis, das der Täter sich vorgenommen hatte, und sind dennoch Handlungen i m Sinne unseres Gesetzes. Die Handlung muß äußerlich hervortreten, da sie ja geeignet sein soll, eine Veränderung i n der Außenwelt herbeizuführen. Folglich stellen kriminelle Gedanken kein Verbrechen dar. Außerdem muß sie eine menschliche, d. h. von einem Menschen erzeugte Handlung sein. Gesellschaften sind keine Verbrechenssubjekte. Es gilt der Satz „societas delinquere non potest" (Art. 39 Abs. 2 StPO) 1 5 . Die kundgegebenen Verbrechensentschlüsse, wie die Aufforderung zum Verbrechen und die Verbrechensabrede, werden nur i n den vom Gesetz besonders vorgesehenen Fällen bestraft, auf die w i r am gehörigen Ort noch zurückkommen werden. Die Vorbereitungshandlungen sind grundsätzlich straflos, falls sie nicht einen Versuch oder ein fehlgeschlagenes Verbrechen darstellen. Ausnahmsweise werden sie bestraft, wenn sie eine Gefahr i n sich bergen (wie das Innehaben von Dietrichen, A r t . 445, oder von Sprengbomben, A r t . 481). Die Unterlassung ist das Untätigsein, die Nichtausführung einer Handlung, die vorzunehmen man die Pflicht hatte. 2. D i e

Schuld

L i t e r a t u r : Jürgen Sopher Diederichs, L a culpabilidad (El elemento subjetivo del delito), Santiago de Chile, Edit. Zig-Zag, 1935. — Fernando Aguayo Acuna, I m p u t a b i l i d a d de los actos ante el Derecho Penal, Valparaiso, Rep. de Chile. Edit. Tipografica, 1908. — Carlos Ramirez Cornejo , E l dolo en materia criminal, Santiago de Chile, Edit. I m p . de Carabineros, 1924. — Eduardo Villalón Silva , E l dolo en materia penai, Santiago de Chile, Edit. J u r i dica de Chile, 1953. — Carlos ViZa Allaga , Irresponsabilidad 15 Ausnahmsweise droht das Gesetz über Versicherungsgesellschaften, Aktiengesellschaften u n d Handelsbörsen (Verordnung m i t Gesetzeskraft Nr. 251, D . O . No. 15 977 v o m 22. M a i 1931) den Kollektivpersönlichkeiten Strafen an. Siehe auch i m gleichen Sinne A r t . 33 des Ges. Nr. 6827, D . O . No. 18 900 v o m 28. Februar 1941. Vgl. zu diesem Thema: Pedro 1 Silva Fernandez , L a responsabilidad penal de las personas juridicas, Rev. de Der. y Jur., Bd. 34 (1938) S. 94. — Carlos Burr Petri , Responsabilidad penal de las personas juridicas, Santiago de Chile, Edit. L a Jurisprudencia, 1937. — Berta Urïbe Sepùlveda, L a r e sponsabilidad de las personas, Memorias de licenciados, Edit. Juridica de Chile, Bd. 29 (1953) S. 195.

Der Allgemeine T e i l des Chilenischen Strafgesetzbuchs

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penai de las muchedumbres, Santiago de Chile, Edit. I m p . Escuela de Sordomudos, 1910. — Ricardo Gonzäles Zavala , L a responsabilidad penal de los delincuentes, Santiago de Chile, Edit. I m p . Cultura, 1943. D i e S c h u l d k o m m t i n u n s e r e m S t r a f r e c h t i n z w e i F o r m e n v o r : als D o l u s (Vorsatz) u n d als F a h r l ä s s i g k e i t (Nachlässigkeit o d e r Q u a s i d e l i k t ) . B e i d e h a b e n d e n W i l l e n des T ä t e r s z u r G r u n d l a g e 1 6 . D i e F a h r l ä s s i g k e i t (das Q u a s i d e l i k t ) i s t n u r i n d e n v o m Gesetz ausd r ü c k l i c h g e n a n n t e n F ä l l e n s t r a f b a r ( A r t . 10 N r . 13 S t G B ) , d i e V e r brechen gegen d i e P e r s o n z u m Gegenstand h a b e n ( Z w e i t e s B u c h , Z e h n t e r A b s c h n i t t : „ V o n d e n Q u a s i v e r b r e c h e n " ; A r t . 490 ff.). 3. D e r

Verbrechensablauf

L i t e r a t u r : Jiménez de Asùa, E l I t e r criminis y la tentativa, i n : E l criminalista, Bd. 4, Edit. L a Ley, Buenos Aires, 1944, S. 201. — Fernando Lobos Torres , Articulos primero y séptimo del Código Penal, Tentativa, delito frustrado y consumado. Comentarios, Concordancia, Jurisprudencia. Concepción, Rep. de Chile, Edit. Valparaiso, 1931. — Sergio Fuensalida Puelma, L a proposición y la conspiración en Derecho Penal, Valparaiso, Rep. de Chile, Edit. Sociedad Edi torà Italiana, 1941. — Luis Henri quez Valenzuela, L a tentativa en materia penai, Santiago de Chile, Edit. I m p . Ahués, 1942. — Hernân Correa Letelier, Tentativa de delitos imposibles, Talea, Rep. de Chile, I m p . Poblete, 1929. D e r W e g des V e r b r e c h e n s ( i t e r c r i m i n i s ) , d. h. die A u f e i n a n d e r f o l g e d e r verschiedenen A u g e n b l i c k e u n d A b s c h n i t t e , die die s t r a f b a r e H a n d l u n g v o n i h r e r P l a n u n g i m K o p f des Verbrechers b i s z u i h r e r A u s f ü h r u n g d u r c h l ä u f t , z e r f ä l l t b e k a n n t l i c h i n d i e nachstehenden B e standteile: 16 W i r sehen uns hier einem W o r t gegenüber, dessen Sinn dunkel ist u n d das Anlaß zu vielen Auseineinandersetzungen gegeben hat. Pacheco, der mutmaßliche Urheber der Verbrechensdefinition des spanischen Strafgesetzbuches, die w i r i n das unsere übernommen haben, sagte, „daß die Willentliche H a n d l u n g oder Unterlassung Freiheit, Einsicht u n d Vorsatz voraussetzt" (a.a.O. Bd. I S. 73). Viada (a.a.O. Bd. I S. 16) u n d Groizard (a.a.O. Bd. I S. 74) haben jedoch den Vorsatz nicht als wesentlichen Bestandteil des Willens i m Bereich des Gesetzes anerkannt; aber i h r e E r örterungen sind weder tiefgehend noch zufriedenlstellend, w i e Dorado Montero bemerkt (La Psicologia C r i m i n a l en nuestro derecho legislado, Madrid, Reus, 1911, S. 195). F ü r uns ist das Problem einfacher, da es i m A r t . 2 des chilenischen StGB heißt: „ D i e Handlungen u n d Unterlassungen, die Verbrechen sein würden, w e n n sie m i t Vorsatz oder böser Absicht begangen worden wären, stellen Quasiverbrechen dar, w e n n bei dem, der sie begeht, n u r Fahrlässigkeit vorliegt." Folglich ist der Vorsatz oder die böse Absicht i n der Begriffsbestimmung des A r t . 1 miteinbegriffen. Dazu miuß m a n sich vergegenwärtigen, daß der Vorsatz nach der Auffassung unserer Gesetzgeber z u m Begriff des Verbrechens gehört. I n der 43. S i t zung der Redaktionskommission f ü r unser Strafgesetzbuch k a m m a n überein, i n A r t . 194 des Entwurfs (der dem A r t . 197 — Fälschung p r i v a t e r U r kunden — des geltenden StGB entspricht) die Worte „oder m i t dem V o r satz, i h n zu verursachen", zu streichen, w e i l der Vorsatz immer erforderlich sei, d a m i t eine T a t als Verbrechen angesehen werden könne.

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Das chilenische Strafrecht

A. Innere Vorgänge. Nach unserem Recht unterliegen innere Akte, also die Gedanken des Verbrechers, keiner Sanktion. Sie rufen keine soziale Störung hervor und können wegen ihrer Natur nicht untersucht werden. B. Zwischenstufe. Zwischen den inneren und den äußeren A k t e n liegt eine Zwischenphase, i n der sich der Entschluß, ein Verbrechen zu begehen, wörtlich (oder schriftlich, bei Drohungen) äußert. W i r haben es hier mit zwei Tatbeständen zu tun: der Verbrechensabrede (Konspiration, Komplott) und der Aufforderung zum Verbrechen, die A r t . 8 StGB in seinen Abs. 2 u. 3 wie folgt beschreibt: Eine Verabredung zum Verbrechen liegt vor, wenn zwei oder mehr Personen die Ausführung des Verbrechens oder Vergehens vereinbaren. Die Aufforderung zum Verbrechen kommt zustande, wenn der, welcher sich entschlossen hat, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, dessen Ausführung einer oder mehreren anderen Personen vorschlägt. Die Verabredung und die Aufforderung, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, sind nur i n den vom Gesetz ausdrücklich bezeichneten Fällen strafbar (Art. 8 Abs. 1 StGB), nämlich i n denen der A r t . 106 bis 111 und 121 bis 127 StGB. Der Rücktritt vom Verbrechen oder Vergehen vor Beginn seiner Ausführung und vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens gegen den Schuldigen befreit von der Strafe wegen Verbrechensabrede oder Aufforderung zum Verbrechen, vorausgesetzt, daß der Schuldige der Behörde den Plan und seine Umstände anzeigt (Art. 8 letzter A b satz). — Damit w i r d die Zuträgerei eingeführt, eine Einrichtung, die des Gesetzes unwürdig ist, jedoch auch i n den Art. 160, 192 und 295 wiederkehrt 1 6 1 1 . C. Die äußeren Akte, das sind solche, die i n deutlicherer Form i n die Außenwelt übergehen, stellen am Anfang nicht immer eine Rechtsverletzung dar. — Das Problem ist schwierig, vor allem, weil es sich u m Akte handelt, die äußerlich keinen Anfang der Ausführung des geplanten Verbrechens zeigen (der Erwerb eines Revolvers kann i n Tötungs- oder Verteidigungsabsicht geschehen). I m allgemeinen sind diese Vorbereitungshandlungen nach unserem Recht nicht strafbar, sondern nur ausnahmsweise, ζ. B. i m Falle des A r t . 445, der das M i t sichtragen von Dietrichen oder anderer zur Ausführung eines Raubes bestimmter Werkzeuge, oder des Art. 481, der das bloße Innehaben M a § 11 Ziff. 8 kennt ferner die Selbstanzeige als allgemeinen Strafmilderungsgrund.

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von Sprengbomben oder von Stoffen, die eindeutig zur Brandstiftung oder zum Hervorrufen von Verheerungen hergerichtet sind, unter Strafe stellt. Versuch

Die äußeren Vorgänge aber, die vollständig in den Bereich des Strafrechts fallen, sind die Ausführungsabschnitte Versuch, fehlgeschlagenes Verbrechen und Vollendung. Gemäß A r t . 7 Abs. 3 liegt Versuch vor, „wenn der Schuldige m i t der Ausführung des Verbrechens oder Vergehens durch unmittelbar auf seine Begehung gerichtete Handlungen beginnt, aber noch eine oder mehrere zu seiner Vollendung fehlen". Erforderlich sind unmittelbar auf die Tatausführung gerichtete Handlungen; dadurch unterscheidet sich der Versuch von den Vorbereitungshandlungen, die nur mittelbar auf die Verbrechensbegehung abzielen 17 . Eine ausdrückliche Vorschrift über die Straflosigkeit des Rücktritts vom Versuch — wie i n A r t . 3 des spanischen StGB, des Vorbildes unseres Gesetzes18 — fehlt, aber die Rechtsprechung unserer Gerichte hat sich dahin festgelegt, den Täter nicht zu bestrafen, der nach Beginn der Ausführungshandlungen freiwillig zurücktritt 1 9 . Das

f e h1 g e s c h 1ag e η e

Verbrechen

Unser Strafgesetz kennt noch immer einen Abschnitt zwischen begonnenem Versuch und Verbrechensvollendung, den es fehlgeschlagenes Verbrechen nennt. A r t . 7 Abs. 2 lautet: „Ein fehlgeschlagenes Verbrechen oder Vergehen liegt vor, wenn der Verbrecher seinerseits alles zur Vollendung des Verbrechens oder Vergehens Erforderliche getan hat, dieses aber aus Gründen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht zustande kommt." Das fehlgeschlagene Verbrechen unterscheidet sich vom Versuch dadurch, daß es subjektiv (für den Tatbegeher) vollendet ist, da er alles ihm Mögliche zur Vollendung des Verbrechens getan hat, dieses aber objektiv (im Hinblick auf das Opfer) fehlschlug, weil der Erfolg nicht der Absicht des Verbrechers entsprach. 17 Unsere Gerichte vertreten die Ansicht, zum Mordversuch gehöre die Vornahme von Handlungen, die i n eindeutiger Weise auf den Vorsatz des Täters hinweisen, den T o d eines Menschen herbeizuführen, indem er n ä m lich Ausführungshandlungen solcher A r t u n d Schwere begeht, die n a t ü r licherweise genau auf die Herbeiführung des Erfolges abzielen (Corte Suprema — Oberster Gerichtshof —, Gaceta de los Tribunales, 1927, 2. Halbjahr, S. 584). 18 A r t . 3 Abs. 2 des Span. StGB v o n 1850 lautete: „Versuch liegt vor, w e n n der Schuldige die A u s f ü h r u n g des Verbrechens u n m i t t e l b a r durch äußere Handlungen beginnt, aber aus einem anderen G r u n d oder Z u f a l l als seinem eigenen f r e i w i l l i g e n R ü c k t r i t t nicht alle Ausführungshandlungen, die das Verbrechen zur Folge haben würden, v o r n i m m t . " 19 Corte Suprema, Gaceta de los Tribunales, 1936, 1. Halbjahr, S. 273.

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Das chilenische Strafrecht

Das v o l l e n d e t e

Verbrechen

Das StGB definiert das vollendete Verbrechen nicht, aber man kann sagen, daß es vorliegt, wenn nach Ausführung aller dem Verbrechen eigentümlichen und i h m wesentlichen Handlungen der gewünschte Erfolg eintritt. Das Verbrechen ist somit nach unserem Recht i n allen seinen Ausführungsabschnitten (des Versuchs, des fehlgeschlagenen und des vollendeten Verbrechens) strafbar. Zu beachten bleibt indessen, daß die Übertretungen nur bei Vollendung bestraft werden (Art. 9). 4.

Gründe,

die die s t r a f r e c h t l i c h e lichkeit ausschließen

Verantwort-

L i t e r a t u r : Jiménez de Asùa, Derecho Penal, M a d r i d 1925, S. 83. — Ders., Tratado de Derecho Penal (s. ο. S. 28), Bd. 4, S. 19. — A b r a h a m Drapkin, Jurisprudencia de las circunstancias eximentes de responsabilidad criminal, Santiago de Chile, E d i t Dirección General de Prisiones, 1936. — Antonio Valenzuela Diaz, Estudios sobre exención de responsabilidad penal, Santiago de Chile, E d i t Universitaria, 1917. — Bernabò Jara , Anotaciones a l art. 10 del Código Penai, Concepción, Rep. de Chile, Edit. L i b r e r i a y Encuadernacion, 1911.

Die Gründe, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausschließen, sind i n Art. 10 StGB aufgezählt; es gibt aber noch weitere, die verstreut i m Strafgesetzbuch erscheinen. W i r führen sie i m folgenden, nach der Lehre i n drei Gruppen eingeteilt, an: 1. Gründe, die die Rechtswidrigkeit ausschließen; 2. Gründe der NichtZurechenbarkeit; 3. Strafausschließungsgründe. I. Gründe, die die Rechtswidrigkeit ausschließen, oder Rechtfertigungsgründe A. Notwehr L i t e r a t u r : Héctor Soriano Letelier, L a légitima defensa, Santiago de Chile, Edit. Talleres Grâficos Gutenberg, 1934. — Gustavo Lopez Sola, L a légitima defensa, Santiago de Chile, Edit. Universitaria, 1955 — Juan Concha Urbina, Jurisprudencia de la légitima defensa 1915 a 1929, Valdivia, Rep. de Chile, Edit. I m p . Moderna, 1947.

Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr umfaßt nicht nur die eigene Verteidigung (Art. 10 Ziff. 4), sondern auch die anderer Personen (Art. 10 Ziff. 5 und 6). Das Gesetz zählt allgemein drei Voraussetzungen der Notwehr auf: a) einen rechtswidrigen Angriff; b) vernunftgemäße Notwendigkeit des angewendeten Mittels zur Verhinderung oder Abwehr des Angriffs; c) Fehlen zureichender Aufreizung seitens dessen, der sich verteidigt.

Der Allgemeine T e i l des Chilenischen Strafgesetzbuchs

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B. Notstand L i t e r a t u r : A n a Grunberg Ritsman, E l estado de necesidad en el Derecho Penal, Santiago de Chile, Edit. L a Sud-américa, 1940.

Die gesetzlichen Voraussetzungen des Notstandes sind: a) ein vorhandenes oder drohendes Übel, das verhütet werden soll und b) größer als das zu seiner Verhütung verursachte ist; c) ein anderes, weniger Schaden stiftendes M i t t e l kann zu seiner Verhinderung nicht angewendet werden (Art. 10 Ziff. 7). C. Handeln i n Erfüllung einer Pflicht oder i n gesetzmäßiger Ausübung eines Rechts, einer Hoheitsgewalt, eines Berufes oder eines Amtes (Art. 10 Ziff. 1 0 p . I I . Gründe der NichtZurechenbarkeit L i t e r a t u r : Fernando Sanhueza Castellón, E l No. 1 del art. 10 del Código Penal, Santiago de Chile, Edit. I m p . L a Economia, 1922.

Das Gesetz erklärt den Irren oder Wahnsinnigen, sofern er nicht i n einem lichten Augenblick gehandelt hat, und den, der aus einem von seinem Willen unabhängigen Grund völlig des Verstandes beraubt ist, wegen Fehlens der geistigen Gesundheit für strafrechtlich nicht verantwortlich (Art. 10 Ziff. 1). — Nicht verantwortlich sind ferner der Minderjährige unter 16 Jahren (Art. 10 Ziff. 2 2 0 a ) und der Minderjährige zwischen 16 und 18 Jahren, sofern nicht feststeht, daß er m i t Unterscheidungsvermögen gehandelt hat (Art. 10 Ziff. 3 2 0 b ) . Wegen Fehlens einer Handlung ist nicht verantwortlich, wer unter unwiderstehlicher Gewalt etwas tut (Art. 10 Ziff. 9), und ebenso bleibt straffrei, wer von unüberwindlicher Angst getrieben ist und dabei etwas begeht (Art. 10 Ziff. 9).

I I I . Strafausschließungsgründe L i t e r a t u r : Victor Manuel Flores Castelli , De las excusas absolutorias de l a responsabilidad penal, Chilian, Rep. de Chile, Edit. Talleres Grâficos de „ L a Discusión", 1930.

Die (persönlichen) Strafausschließungsgründe streut. Es handelt sich u m

sind i m StGB ver-

2( * Die V i v i s e k t i o n b e i Tieren oder bei Versuchen an lebenden Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken u n d die Sportverletzungen sind ebenfalls Gründe, die die Rechtswidrigkeit ausschließen; aber das StGB berücksichtigt sie nicht. 20a i. d. F. d. Ges. Nr. 4447 v. 23. Okt. 1928 über den Jugendschutz, aob i. d. F. d. Ges. Nlr. 11183 v o m 10. J u n i 1953.

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Das chilenische Strafrecht

a) die gefühlsmäßigen Beziehungen zwischen Angehörigen (Straflosigkeit der Begünstigung bzw. Hehlerei, Art. 17 letzter Absatz); b) Gründe des ehelichen Ansehens und der väterlichen Gewalt (Straflosigkeit der Verletzung von Geheimnissen zwischen Ehegatten oder gegenüber Kindern oder Zöglingen, A r t . 146 Abs. 2); c) Gründe des Familiengutes (Straflosigkeit von Diebstählen, Betrügereien und Sachbeschädigungen zwischen bestimmten Angehörigen, A r t . 489); d) Gründe öffentlicher Zweckmäßigkeit (Straflosigkeit der ständigen oder Aufrührer, die sich unterwerfen, Art. 129).

Auf-

IV. Entschuldigungsgründe Es gibt noch andere Gründe, bei denen die Verantwortlichkeit wegen fehlenden Vorsatzes entfällt. W i r nennen sie Entschuldigungsgründe. Als solche können w i r anführen: I r r t u m oder Unkenntnis i m Falle des A r t . 23 des Ges. Nr. 6827, geschuldeten Gehorsam (bei Verletzung verfassungsmäßig garantierter Rechte durch öffentliche Bedienstete, A r t . 159; wegen Nichterfüllen eines Befehls s. A r t . 226) und Zufall (Art. 10 Ziff. 8 u. 12). 5. U m s t ä n d e ,

die die

strafrechtliche

Verantwortlichkeit

ändern

I. Mildernde Umstände Die mildernden Umstände, die eine Minderung der Strafe zur Folge haben, sind subjektiver, i n der Person des Täters liegender A r t . Sie lassen die Gefahr geringer und die Möglichkeit sozialer Anpassung größer erscheinen. — Unser Strafgesetzbuch zählt sie i n A r t . 11 abschließend auf. Dies ist beanstandet worden; man fordert eine weite Vorschrift, die alle Fälle erfaßt, die das Leben bietet, und i n denen der Mensch aus unmöglich vorauszusehenden Gründen straffällig werden kann. Außerhalb der allgemeinen Strafmilderungsgründe, die auf alle Verbrechen anwendbar sind, gibt es noch besondere, wie ζ. B. den des A r t . 250 Abs. 2, der die Strafe für die zugunsten eines Beschuldigten von bestimmten Angehörigen begangene Bestechung mildert, oder den des A r t . 344 Abs. 2, wonach die Frau wegen der zur Rettung ihrer Ehre ( = Verheimlichung ihrer Schande) — von ihr selbst oder m i t ihrer Zustimmung von einem anderen — begangenen Abtreibung milder bestraft wird.

Der Allgemeine T e i l des Chilenischen Strafgesetzbuchs

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I I . Erschwerende Umstände L i t e r a t u r : Eduardo Brücher Encina, Consideraciones sobre la reincidencia delictual en Chile, Rev. C. Pen., 1938, Bd. 4, S. 57. — Eïirique Concha Escala , Las circumstancias agravantes de l a responsabilidad c r i minal, Santiago de Chile, Edit. I m p . Dirección General de Prisiones, 1937. — A b d ó n Sepùlveda Gamonal, L a reincidencia, Santiago de Chile, Edit. Gutenberg, 1948. — Manlio Scheggia Ferrera , L a reincidencia y su comprobación, Santiago de Chile, Edit. Gràfico Condor, 1929.

Die erschwerenden Umstände sind wie die mildernden erschöpfend aufgezählt (Art. 12 StGB). Sie bewirken wegen des stärkeren verbrecherischen Willens oder, besser gesagt, der größeren Gefährlichkeit, die sie verkörpern, eine Erhöhung der Strafe (Art. 63). Sie haben ebenfalls subjektiven Charakter und sind allgemein, d. h. auf alle Verbrechen anwendbar. Das Gesetz kennt indessen auch einige besondere erschwerende Umstände (Art. 109 letzter Abs., 112 letzter Abs., 115 letzter Abs., 119, 120, 122, 141 letzter Abs., 148 Abs. 2, 149 letzter Abs., 150 Nr. 1 Abs. 2, 248, 257 Abs. 2, 262, 271, 286, 291, 296 Abs. 5, 307, 325, 326, 345, 348, 366, 368, 384 Abs. 2, 400, 401, 408, 436 letzter Abs., 447 und 449 StGB). Schließlich gibt es noch eine Gruppe von Umständen, die je nach der A r t und den Umständen des Verbrechens mildernd oder erschwerend wirken. Sie bestehen darin, daß „der Verletzte der Ehegatte, ein gesetzlicher Blutsverwandter oder Verschwägerter i n gerader Linie oder i n der Seitenlinie bis zum zweiten Grad, natürlicher Elternteil oder natürliches oder anerkanntes nicht eheliches K i n d des Verletzten" ist (Art. 13). Es handelt sich also um Umstände gemischter Rechtsnatur, da sie mildernd oder erschwerend wirken können. Das Angehörigen Verhältnis erscheint i n unserem Gesetzbuch bei den (persönlichen) Strafausschließungsgründen der A r t . 17 letzter Absatz (Hehlerei) und 489 (Diebstahl, Betrug, Sachbeschädigung) als strafbefreiender, beim Verwandten- oder Ehegattenmord (Art. 390) und bei den Körperverletzungen (Art. 400) sowie bei Entführung, Vergewaltigung, Verführung, Blutschande, sittlicher Verderbnis Minderjähriger und anderen unzüchtigen Handlungen (Art. 371 Abs. 1) als erschwerender, bei Kindestötung (Art. 394) und der Bestechung (Art. 250 Abs. 2) als mildernder Umstand. Sonst sagt das Gesetz nicht, wann es die Verantwortlichkeit erhöht oder mindert; A r t . 13 enthält darüber nichts. Der spanische Schriftsteller Francisco Pacheco meint, man müsse zwischen den Vermögensverbrechen und den Verbrechen gegen die Person unterscheiden: Bei den ersten wirke das Angehörigenverhältnis als mildernder, bei den letzten als erschwerender Umstand (a.a.O. Bd. 1 S. 214).

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Das chilenische Strafrecht Zweiter

Abschnitt

D i e für das Verbrechen verantwortlichen 1. V e r b r e c h e n s t e i l n a h m e



Personen

Mehrheit

von

Verbrechern L i t e r a t u r : Rafael Fontecilla R., E l concurso de delincuentes en u n mismo délita y sus principales problemas juridicos, Revista de Derecho Penal, 1. Jahrgang