Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classe
 9783322961402, 9783322962744, 3322961400

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Geschichtliche Vorbemerkungen!
Ikonographische Untersuchung
Ikonologische Untersuchung
Zur Einordnung des Mosaiks zu S. Apollinare in dieGeschichte der frühchristlichen Apsismalerei

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WISSENSCHAFTLICHE ABHANDLUNGEN DER ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

Band 29

WISSENSCHAFTLICHE ABHANDLUNGEN DER ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN

Band 29

ERICH DINKLER

Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classe

HERAUSGEGEBEN IM AUFTRAGE DES MINISTERPRÄSIDENTEN Dr. FRANZ MEYERS VON STAATSSEKRETÄR PROFESSOR Dr. h.

C.,

Dr. E. h. LEO BRANDT

Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classe

Von

Erich Dinkler

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

Über das Thema sprach der Verfasser in der Sitzung der Arbeitsgelneinschaft für Forschung

am 14. t-.:ovember 1962

ISBN 978-3-322-96140-2

ISBN 978-3-322-96274-4 (eBook)

DOI l0.1007/978-3-322-96274-4

© 1964 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Vieweg Verlag, Köln und Op1aden 1964. Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1964

THEODOR KLAUSER

zum 70. Geburtstag am 25.2.1964 und HANS FREIHERRN VON CAMPENHAUSEN

zum 60. Geburtstag am 16. 12.1963

Vorwort Die nachfolgende Abhandlung wurde in einer Kurzfassung bei der 92. Sitzung der Geisteswissenschaftlichen Abteilung der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen am 14. XI. 1962 vorgetragen. Die anschließende Diskussion ergab, insbesondere durch Beiträge von Herrn Kollegen Th. Klauser, mancherlei Anregungen, die ich dankbar aufgenommen und eingearbeitet habe. Da es in der vorliegenden Studie vor allem um die Sinndeutung der Apsiskomposition zu Classe geht, habe ich die Frage nach dem Verhältnis der ravennatischen zur byzantinischen Kunst bewußt übergangen. Ich glaubte hierzu um so mehr berechtigt zu sein, als dieses Problem nur unter Einbeziehung der Mosaiken in den übrigen frühchristlichen Kirchen Ravennas aufgenommen werden kann. Dies wird demnächst von sachkundigerer Seite geschehen, im Textband zu den "Frühchristlichen Bauten und Mosaiken von Ravenna" von F. W. Deichmann. Auf seinen 1958 erschienenen Abbildungs-Band konnten wir hier ständig verweisen. Zu danken habe ich den Herren F. W. Deichmann, Rom, und K. Weitzmann, Princeton, für Rat und überlassung von Bildvorlagen; sodann der Photo-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom und ihrem Leiter, Herrn Sichtermann, der großzügig Aufnahmen zur Verfügung stellte. Beim Lesen der Korrekturen haben meine Frau sowie die Herren C. Peddinghaus und H. J. Geischer, Assistenten am Christlich Archäologischen Seminar der Universität Heidelberg, tatkräftig geholfen, Herr Geischer auch durch Vorbereitung des Registers. Dem Westdeutschen Verlag, vor allem Frau Dr. Wöhler, bin ich für sachkundige Beratung bei der Ausstattung sowie für Geduld bei Sonderwünschen zu Dank verpflichtet. ERICH DINKLER

Heide/berg, im Juni 1964

Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................... . Geschichtliche Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . .. . ........ .

7 11

1. Beschreibung des Apsismosaiks .......................... 2. Die Interpretation des Mosaiks in der bisherigen Forschung. . .. 3. Zur Ikonographie der Haupt- und Nebenthemen ........... ,

19 19 22 25

a) Die Transfiguration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Das Kreuz im Clipeus .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Der Ti telheilige inmitten der Lämmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

25 50 72

1. Ikonographische Untersuchung

............................

11. I konologische Untersuchung

77

1. Das Kreuz als Zeichen des Secundus Adventus .............. 77 2. Transfigurationsgeschichte und Parusiegeschehen ............ 87 3. Der Titelheilige als Intercessor .......................... 100 4. Ein liturgiegeschichtlicher Hinweis ........................ 104

IH. Zur Einordnung des Mosaiks in die Geschichte der frühchristlichen Apsismalerei . . . . . . . . . . . . .. 106 Anhang

Beilage: ,De Sancto Apolenario' Verzeichnis der Abkürzungen ................................ Verzeichnis mehrfach zitierter Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Verzeichnis der Abbildungen und Tafeln (mit Quellennachweis) .... Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Verzeichnis der Bibelstellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Bildtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

118 120 122 124 129 136 137

Titelbild (Tafel I): S. Apollinare in Classe, Apsiswölbung, Clipeus mit Kreuz, Titelheiliger

Geschichtliche Vorbemerkungen! Knapp fünf Kilometer südöstlich der Stadt Ravenna, an der Straße von Classe nach Rimini, die auf halbem Wege den Rubikon quert 2, zeigt der im 10. Jahrhundert errichtete schöne Campanile die jüngste unter den großen 1 Eine dem Stande der Wissenschaft entsprechende kritische Ausgabe des für die Geschichte Ravennas und seiner Kirchen unentbehrlichen Werkes des Historikers Andreas Agnellus (Anfang des 9. Jh.) fehlt leider. Die weiterhin zu benutzenden Ausgaben seiner Chronik sind: a) Agnelli, qui et Andreas, Liber Pontificalis Ecclesiae Ravennatis, ed. O. Holder-Egger, in: :MG, Abt. Script. rer. Langobardicarum et Italicarum saec. VI-IX, Hannover 1878, 265-391. b) Codex Pontificalis Ecclesiae Ravennatis, ed. A. Testi Rasponi, in: L. A. Muratori, Rerum Italicarum Scriptores 2, ed. G. Carducci - V. Fiorini; T. II, P. III, Bologna 1924; Fase. 196--197. 200. Ferner bleibt für Sonderfragen wichtig: H. Rubeus (G. Rossi), Historiarum Ravennatum libri decem, Venedig 1589. Zur Kirchengeschichte Ravennas: L. M. Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter I, Leipzig 1897, 399 H. - A. v. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten II 4 (1924), 870. - P. F. Kehr, Italia Pontificia V, Berlin 1911, 13-112. - E. Stein, Beiträge zur Geschichte von Ravenna in späträmischer und byzantinischer Zeit, in: Klio 16 (1920),40-71. - R. Massigli, La cnfation de la metropole ecclesiastique de Ravenne, in: MelArch 31 (1911),277-290. - F. Lanzoni, Le origini delle diocesi d'Italia II, Faenza 1927, 723-767. - A. Testi Rasponi, Annotazioni sulla storia della chiesa di Ravenna dalle origini alla morte di S. Gregorio Magno, in: FelixRav 33 (1929),29 H.-H. Delehaye, L'hagiographie ancienne de Ravenne, in: AnBoll 47 (1929), 5-30. - E. Will, Saint Apollinaire de Ravenne, Straßburg 1936. - G. Lucchesi, Note agiografiche sui primi vescovi di Ravenna, Faenza 1941. - F. W. Deichmann, I titoli dei vescovi ravennati da Ecclesio a Massimiano nelle epigrafi dedicatorie di S. Vitale e di S. Apollinare in Classe tramandate da Agnello, in: Studi Romagnoli III (1952),63-67. - Vgl. ferner: G. Bovini, Principale bibliografia su Ravenna romana, paleocristiana e paleobizantina, Faenza 1962. 2 Im Jahre 49 v. Chr. lag Caesar mit seinem Heer in Ravenna, bevor er den Rubikon überschritt: "Haec senatus consulto perscribuntur a. d. VII. id. Ian. itaque V primis die bus, quibus haberi senatus potuit, qua ex die consulatum iniit Lentulus, bi duo excepto comitiali et de imperio Caesaris et de amplissimis uiris, tribunis pie bis, grauissime acerbissimeque decernitur. profugiunt statim ex urbe tribuni plebis seseque ad Caesarem conferunt. is eo tempo re er at Rauennae expectabatque suis leuissimis postulatis responsa, siqua hominum aequitate res ad otium deduci pos set. " (Caesar, Bellum Civile I, 5, 4-5; ed. Fabre, Paris 1954,6.)

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Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classe

frühchristlichen Basiliken Ra vennas an (Taf. II u. UI). Sie steht dort, wo einst die Castra Classis Praetoriae Ravennatis lagen 3, unweit der Vorstadt Caesarea und ihres Portus novus 4. Die Annahme, daß in Classe die älteste christliche Gemeinde des ravennatischen Raumes zu suchen ist, läßt sich ausreichend begründen, da Classe wohl das älteste Bistum und Missionszentrum Norditaliens - neben Mailand und Aquileia - war 5, und von hier aus erst gegen das Ende des 4. Jahrhunderts der Bischofssitz in die Stadt Ravenna selbst verlegt wurde 6 • Die Civitas Classis, die auf dem nördlichen LanghausMosaik in S. Apollinare Nuovo dargestellt ist 7, wird nicht an der Stelle der Basilika, sondern nördlich davon zu suchen sein; der antike Hafen selbst scheint nach neuesten Untersuchungen unweit der Kirche S. Maria in Porto gelegen zu haben 8 • Als Weihedatum für S. Apollinare in Classe ist der 9. Mai 549 durch eine im rechten Seitenschiff angebrachte originale Inschriftenplatte (Abb. 1) gesichert. Sie bezeugt die Translation der Gebeine des Titelheiligen in die Kirche für das gleiche Datum 9. Vermutlich lagen die 3 Die Inschrift CIL XI, 1 Nr. 2606, spricht von den Castra Praetoria Ravenn(atium), sollte aber gemäß der Lesart der Inschrift aus Fayum (Annee Epigraphique 1922 Nr. 135), wo über XotO''t'P~, XAotO'O"r" 7!P()(~'t'WP~'XL PotßEW()(70'J~ gesprochen wird, emendiert werden: ,Castra Classis Praetoriae Ravennatus' (= Ravennatis). Vgl. demnächst F. W, Deichmann, in: Enciclopedia, s. v. Ravenna. 4 Sidonius Apollinaris, Epistula 5,5; MG; Abt. Auct. Antiqu. VIII, Berlin 1887, 7: "Ravennam paulo post cursu dexteriore subeuntes; quo loci veterem civitatem novumque portum media via Caesaris ambigas utrum conectat an separet". 5 A. v. Harnack, Mission II, 870. Vgl. ferner: F. Lanzoni, Le origini delle diocesi. 6 Daher der Bau der Kathedrale in Ravenna durch Bischof Ursus (s. Anm. 32); vgl. Agnellus bei O. Holder-Egger, 288: "Iste primus hic initiavit tenplum construere Dei, ut plebes christianorum quae in singulis teguriis vagabat, in unum ovile piissimus collegeret pastor"; vgl. auch A. Testi Rasponi, Codex Pontificalis, 65. 7 Vgl. Abb. 100; 111 bei F. W. Deichmann, Ravenna; zur Inschrift vgl. CIL XI, 1 Nr. 281. Zum Thema auch G. Bovini, La raffigurazione della Civitas Classis, in: Studi storici, topografici ed archeologici sul "Portus Augusti" di Ravenna e sul territorio classicano, Faenza 1961, 67-86. 8 Dies darf man bei allen Unklarheiten im einzelnen den Auswertungen der ,LuftArchaeologie' und den Quellen entnehmen; vgl. die Anmerkung 7 genannten ,Studi storici' sowie die kürzlich erschienenen Berichte eines 1961 durchgeführten Kongresses: Convegno per 10 studio della zona archeologica di Classe a mezzo dell' aerofotografia, Faenza 1962; hierzu ferner: R. Chevallier, A Ja recherche des ports antiques de Ravenne (Rev. Beige de Phil. et d'Hist. 41, 1963,92-109). 9 Abb. 1; dazu CIL XI, 1 Nr. 295: IN HOC . LOCO . STETIT . ARCA BEATI . APOLENARIS . SACERDOTIS· ET CONFESSORIS . ATEMPORE TRANSITVS SVI . VSQVE DIAE . QVA PER VIRVM BEAT· MAXIMIANVM . EPISCOPVM . TRANSLATA EST ET INTRODVCTA . IN BASILICA . QVAM IVLIANVS . ARGENTARIVS .

Geschichtliche Vorbemerkungen

- -1. •

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Abb. 1: S. Apollinare in Classe, Translationsinschrift

Reliquien vor der Weihe auf dem südlich der Basilika sich erstreckenden Friedhof1°; dort waren sie möglicherweise bereits durch eine Memoria geehrt, von der freilich sichere Spuren fehlen. Eine weitere Inschrift ist durch den Chronisten Agnellus aus dem 9. Jahrhundert überliefert, der damals noch den Text - ebenso wie Ende des 16. Jahrhunderts G. Rossi (Rubeus) - im Narthex gelesen hat, und ihn mitteilt 11. Einhellig wird durch diese Zeugnisse A FVNDAMENTIS . AEDIFICAVIT . ET DEDICATA . AB EODEM VIRO . BEA TISSM . D . VII . ID . MAIAR VM . IND . DVODEC . OCTIES . PC . BASILI IVN VgI. ferner: C. Ricci, Tavole storiche dei mosaici di Ravenna, Fase. VII, 4, Roma 1935. 10 Der Friedhof geht anscheinend bis ans Ende des 2. Jahrhunderts zurück. Gesicherte christliche Inschriften setzen erst relativ spät ein. In konstantinische Zeit ist die durch Monogramm verzierte Anastasius Stele zu datieren. Die interpretatio christiana der an die Wende vom 2./3. Jahrhundert ansetzbaren Antifontus Stele - heute im Erzbischöflichen Museum in Ravenna, M. Mazzotti, La Basilica di Sant' Apollinare in Classe, 21, fig. 3 kann nicht aufrechterhalten werden; vgI. allgemein Th. Klauser, JbAC I (1958), 20 ff. Unsicher ist hinsichtlich der christlichen Deutung auch die Stele der Valeria Maria: M. Mazzotti, La Basilica, 23, fig. 4. 11 VgI. O. Holder-Egger, Liber Pontificalis, 330; A. Testi Rasponi, Codex Pontificalis, 198; CIL XI, 1 Nr. 294: . B· APOLENARIS SACERDOTIS BASILICA MANDANTE V B VRSICINO EPISCOPO A FVNDAMENTIS IVLIANVS ARGENTARIVS aeDIFICAVIT ORNAVIT ATQVE DEDICAVIT CONSECRANTE V r MAXIMIANO EPISCOPO DIE non. MAIAR VM IND XII OCTIES P C BASILII Zur sachlichen Differenz dieser Inschrift mit der im rechten Seitenschiff (v gI. Abb. 1 und

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Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classe

bekundet: mandans der Kirche, also Auftraggeber im juristischen Sinne, war Bischof Ursicinus (533-536); fundator, Stifter mit allen in diesem Rechtstitel gegebenen Verpflichtungen, war Julianus Argentarius, der auch als Stifter von S. Michele in Affricisco (geweiht 545) und von S. Vitale (geweiht 547) auftritt und mit einem sonst unbekannten Bacauda zusammenwirkte 12; als consecrator endlich wird, wie kurz zuvor in S. Vitale, der äußerst tatkräftige Bischof Maximianus genannt (546-c.554) 13. Bau und Weihe der Basilika, die zugleich erstmals dem Titelheiligen Apollinaris eine würdige Stätte schaffte, fällt also in die Zeit Kaiser Justinians 1., der 540 durch Belisar's Heer die Stadt hatte erobern lassen und damit den durch Theoderichs Tod 526 entstandenen Zwistigkeiten im gotischen Königshaus ein Ende setzte. Die Stadt erlebte binnen weniger Jahre eine neue Blütezeit. Als Sitz des Praefectus Praetorio 14 für Italien unterstand sie unmittelbar Byzanz. Der Kaiser, der selbst niemals die Stadt Ravenna besucht hat, nahm Einfluß auf ihre Geschicke und setzte - zunächst eine ra vennatische Bischofswahl des Jahres 546 annullierend - den aus Pola stammenden Maximian, vielleicht auf besondere Fürsprache der Kaiserin Theodora hin, zum Bischof ein. Wenn Agnellus in seinem Liber Pontificalis über Maximianus schreibt: "iste plus omnibus laboravit quam ceteri pontifices praedecessores sui ... ", so findet das zumindest in der Einzigartigkeit und Pracht der beiden in kurzer Zeit zu Ende gebauten Kirchen S. Vitale und S. Apollinare in Classe eine Bestätigung l5 • Der Gedanke legt sich nahe, daß Maximian bestrebt war, sich bei Klerus und Kirchenvolk in seiner Eignung auszuweisen. Gegen den Willen der Ravennaten wurde er durch den Kaiser von Byzanz aus eingesetzt, durch Anm. 9) sowie zur Emendierung: F. Lanzoni, Le fonti della leggenda di S. Apol1inare di Ravenna, in: Atti e memorie della r. deputazione di storia patria per le provincie di Romagna, 4° serie, 5 (1914/15), 111 H., Testi Rasponi, 198, im Apparat; F. W. Deichmann, I titoli ... , 63 H. 12 Zu ßacauda, nach Agnellus, Codex Pontificalis XXVI, 77, Schwiegersohn (?) des Julianus Argcntarius: O. Holder-Egger, a. a. O. 329 f; A. Testi Rasponi, a. a. O. 196; CIL XI, 1 Nr. 287; ferner F. W. Deichmann, FelixRav 56 (1951), 9; Ders. RQ 57 (1962), 68 Anm. 1.Julianus Argentarius ist besser bezeugt und historisch greifbar, wenngleich auch bei ihm nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, wieweit er durch zwei Jahrzehnte hindurch der große Mäzen der ravennatischen Kirchenbauten war. Die Quellen über ihn, verbunden mit einer al1e Möglichkeiten abwägenden Interpretation, bei F. W. Deichmann, FelixRav 56 (1951),5-26; vgl. auch M. Mazzotti, a. a. 0.45 H. 13 Über Maximianus: G. Bovini, FelixRav 74 (1957), 5-27; über seine Bautätigkeit: M. Maz:zotti, FelixRav 71 (1956), 5-30. 14 Zum Titel: Th. Mornrnsen, Ostgotische Studien 431, in: Gesammelte Schriften VI, Berlin 1910. 15 O. Holder-Egger, a. a. O. 330; A. Testi Rasponi, a. a. 0.196.

Geschichtliche Vorbemerkungen

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Papst Vigilius empfing er auf der Reise vom Bosporus nach Italien in Patras die Bischofsweihe und mußte so dann einige Zeit vor den Toren der Stadt vergeblich auf Einlaß warten - das spricht dafür, daß Maximianus als homo novus Gründe hatte, die Vorteile des kaiserlichen Wohlwollens seiner Stadt in Bauten zu demonstrieren. Während er einerseits dem Kaiser in dessen Kirchenpolitik half - er erledigte den Dreikapitelstreit in Justinians Sinne -, bemühte er sich anderseits um das Vertrauen seiner Diözese. Nicht alles scheint freilich nach dem Willen des tatkräftigen und kirchenpolitisch weitsichtigen Bischofs, der 550 die Erhebung des ravennatischen Bischofs zum Metropolitan-Erzbischof erreichte 16, gelaufen zu sein. Der Chronist Agnellus gibt z. B. seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß es Maximian nicht möglich war, die Reliquien des Hl. Andreas für die restaurierte Kirche beim Episcopium zu gewinnen. Der Kaiser befahl das Verbleiben der Andreas-Reliquien in Byzanz, das, so wie Rom die Reliquien des Petrus, als Schwesterstadt die Gebeine des Bruders Andreas besitzen sollte. Maximian soll daraufhin zu Konstantinopel bei einer letzten, nächtlichen Andacht, die er bei den Andreas-Reliquien hielt, mit dem Schwerte den Bart des Heiligen abgeschlagen und nach Ravenna mitgenommen haben 17. Wenn es sich hier auch um legendäre Ausschmückung handelt, so ist die Episode eben doch charakteristisch, wobei als historischer Kern wohl nur die Tatsache bleibt, daß die Bartreliquie des Heiligen Andreas durch Maximian naclI Ra venna kam 18. Was wissen wir über den Titelheiligen Apollinaris? Die ältest faßbare Nachricht begegnet in einer Predigt des ravennatischen Bischofs Petrus Chrysologus (432-450): Er hat Kenntnis von Apollinaris als erstem Bischof von Ravenna und bezeugt, daß er verfolgt, vertrieben und mißhandelt wurde und an den Folgen starb; er nennt ihn "Märtyrer" und weiß offenbar von seinem Grabplatz 19. Auf Grund der ravennatischen Sukzessionsliste, in der 16 Mit Maximianus scheint ein Ringen um kirchliche Autonomie der ravennatischen Kirche einzusetzen, das schiießlich 666 unter Erzbischof Maurus zu der von Kaiser Constans 11. verliehenen Autokephalie führte (s. Anm. 37). 17 O. Holder-Egger, a. a. O. 329; A. Testi Rasponi, a. a. O. 195; vgl. auch F. Dvornik, The Idea of Apostolicity 151 H; H. Delehaye, Les origines du culte des martyrs 2, Brüssel 1933,325 H. 18 Vgl. F. Dvornik, a. a. O. 151, und G. Gerola, Il ripristino della Cappella di S. Andrea nel Palazzo Vescovile di Ravenna, in: FelixRav 41 (1932),71 H. 19 Sermo 128, MPL 52, 552 ff: "Beatus Apollinaris, primus sacerdotio, solus hanc Ecclesiam Ravennatem vernaculo atque inclyto martyrii honore decoravit. Merito Apollinaris, quia iuxta mandatum Dei sui, hic perdidit animam suam, ut eam inveniret in vitam

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Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classe

Severus als 11. Bischof die erste historisch belegte und datierbare Gestalt ist er wird für die Synode in Sardica 343 bezeugt -, errechnet man für Apollinaris in der Regel das Ende des 2. Jahrhunderts 20. Die spätere, in den Acta Sancta Sanctorum greifbare Legende freilich gibt für das Martyrium das Jahr 75 an und läßt Apollinaris Reisebegleiter des Apostels Petrus sein; gemeinsam seien beide von Antiochia nach Rom gekommen, und von hier habe Petrus seinen Schüler zur Mission nach Ravenna entsandt 21. Die authentische Translationsinschrift in Classe (Abb. 1) spricht im Unterschied zur Bezeichnung ,martyr' bei Petrus Chrysologus von ,confessor'. Man wird dieses als präzisen Terminus, ,martyr' dagegen als allgemeinere Wendung zu beurteilen haben. Apollinaris war demnach ,Bekenner', starb an den Folgen der erlittenen Verfolgungen und wurde in Classe auf dem Coemeterium beigesetzt, bis seine Gebeine durch Bischof Maximian in die Basilika überführt wurden. Zur weiteren Geschichte der Apollinaris-Reliquien ist noch zu bemerken, daß sie - wohl aus Sicherheitsgründen - im 9. Jahrhundert in die ursprünglich arianische und vor 570, auf Grund eines Ediktes J ustinians 1. vom Jahre 561, dem katholischen Kult übergebene Ecclesia S. Martini in Coelo Aureo in Ravenna transferiert wurden, was zum Wechsel ihres Titels in ,So Apollinare Nuovo' Anlaß gab 22. Die Legende läßt 1164 die Reliquien in die spätere Apollinaris-Kirche bei Remagen überführt werden, was jedoch, ebenso wie die Rückdatierung des Apollinaris ins 1. Jahrhundert und seine Verbindung mit dem Apostel Petrus, der historischen Basis entbehrt. Als älteste, historisch zuverlässige Urkunden für Apollinaris und seine Gebeine halten wir fest: die Predigt des Petrus Chrysologus und die Translationsinschrift im Seitenschiff zu Classe. Der Grundriß der Kirche (Abb. 2) zeigt eine dreischiffige, geostete Basilika, die beiderseits der polygonalen Apsis kleine Pastophorien mit eigenen Apsidiolen hat und nach Westen hin in 3 Pforten auf einen Narthex sich öffnete, dem ursprünglich noch ein Atrium vorgelegt war 23. Die Maße des Grundsempiternam. Beatus qui ita cursum consummavit, fidem servavit, ut vere primus a credentibus suo reperiretur in loeo ... Et quid plura, fratres? Egit, egit Ecclesia sancta mater, ut nusquam a suo separaretur antistite. Ecce vivit, ecce ut bonus pastor suo medius assistit in grege, nec umquam separatur spiritus, qui corpore praecessit ad tempus; praeeessit dico habitu, caeterum ipsa inter nos corporis sui habitatione quiescit." 20 B. Kötting, LThK2 1(1957),715. 21 Acta 55. Iu!. V (1727), 328-350. Der Text der Legende nach A. Testi Rasponi, a. a. O. 21 H; s. unsere Beilage 5. 118 f. 22 Zu den Einzelheiten: M. Mazzotti, La Basilica, 223 H. 23 Zum Thema ,Atrium': A. M. Schneider, RAC I, 888 f, und Bericht zur Forschungslage von eh. Delvoye, Byzantion 32 (1962), 261 H.

Geschichtliche Vorbemerkungen

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Abb.2: S. Apollinare in Classe. Grundriß (nach F. W. Deichmann)

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risses (Länge ohne Apsis: 47,25 m, Breite von Mittel- und Seitenschiffen: 30,30 m) zeigen für Länge und Breite der Kirche das Verhältnis 3: 2, während sich Länge und Breite des Mittelschiffes allein wie 3: 1 verhalten 24. Innen vor der Apsis befand sich ursprünglich ein Bema, dessen Fundamente und Ausmaße vor gut zehn Jahren festgestellt wurden 25, während die Anlage der Ring-Krypta ins 9. Jahrhundert zu datieren ist 26. Das im Mittelschiff stehende Altärchen wurde von Abt U rsus unter Erzbischof Domenicus (gest. 898) erbaut. Grabungen haben ergeben, daß hier niemals Reliquien des Titelheiligen beigesetzt waren 27.

24 F. W. Deichmann, Zu den Proportionen der Grundrisse einiger ravennatischer Basiliken, in: RQ 57 (1962), 68-73. - Bei den Proportionen sind die Mauerstärken einbezogen. 25 M. Mazzotti, a. a. O. 72 H. und fig. 19. 26 So P. Verzone, L'architettura religiosa dell' alto medievo nell' Italia settentrionale, Milano 1942, 123 f; ebenso: M. Mazzotti, FelixRav 74 (1957), 28 H, bes. 35; ders., La Basilica, 142 H. 27 M. Mazzotti, La Basilica, 89 H., fig. 24.

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metrie der Komposition durchbrochen wird. Ihre Dreizahl und Ausrichtung zum Clipeus mit dem Gemmenkreuz lassen nicht daran zweifeln, daß Petrus sowie die Zebedaiden Jakobus und Johannes gemeint sind; denn nur diese drei begegnen in einer Szene zusammen mit Moses und Elias, nämlich in der Verklärungsgeschichte Christi, die im Markus-Evangelium 9,2-8 überliefert ist 28. Abgeschlossen wird das Mosaik der Kalotte nach unten durch ein Ornament, in dem das kunstvoll sich wiederholende A auffällt (Taf. XVIII). Kein Zweifel, daß es auf Apollinaris betonend hinweist 29, dessen lokale Bedeutung als Titelheiliger damit zusätzlich hervorgehoben wird. Zum Apsisprogramm gehört ferner, was unterhalb an den Apsiswänden, in der Fensterzone, wie auch das, was auf dem Triumphbogen erscheint 30. Zunächst, unterhalb von Apollinaris, die Bilder von vier ravennatischen Bischöfen (Taf. X-XIII), jeweils unter Baldachin und inschriftlich bezeichnet: Severus 31, Ursus 32, Ecclesius (522-532) 33, Ursicinus (533-536) 34, eine Linie, die von spätkonstantinischer Zeit bis hin zum ,mandans' der Kirche führt. Ober den Köpfen der Bischöfe, die nicht nimbiert sind, hängen zwischen gerafften Vorhängen Kronen. Ecclesius und Ursicinus - mit individualisierten Zügen - könnten nach Porträts gearbeitet sein, während die älteren, Severus und Ursus, typisiert sind. Der Triumphbogen (Taf. XIX) sodann gliedert sich in fünf Zonen: Im Scheitelbild, also oberhalb der Achse Titelheiliger-Kreuz, ein Brustbild des bärtigen Christus mit Kreuznimbus, der in der Linken das "Buch des Lebens" hält 35 und die Rechte im Segensgestus erhebt. Beiderseits im Wolkenhimmel Vgl. dazu die synoptischen Parallelen Mt 17, 1-8; Lk 9, 28-36. Vgl. Mazzotti, a. a. 0.167. 30 Zum Begriff ,Apsis' und seiner Geschichte: A. M. Schneider, RAC I, 571 H. 31 Severus wird als Teilnehmer der Synode in Sardica genannt (A. Testi Rasponi, a. a. O. 44) und als 11. Bischof (ebda. 42) in der Liste geführt (Holder-Egger 284; vgl. auch C. J. v. He/eie, Conciliengeschichte 1 2, Freiburg 1873, 533 ff.). - Während wir oben die Bischöfe in chronolog. Sequenz nennen, entspricht die Reihenfolge auf Taf. X-XIII der Anbringung in der Apsis. 32 Ursus ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Ostern 396 gestorben: A. Testi Rasponi, a. a. O. 65-69; O. H older-Egger, a. a. O. 288 f; vgl. die immer noch zuverlässigste Arbeit zur ravennatischen Bischofs-Chronologie von E. Stein, Klio 16,40-71. 33 Ecclesius wird auf 521/2-532/3 datiert: A. Testi Rasponi, a. a. 0.162-173; O. HolderEgger, a. a. 0.318-322. 34 Ursicinus folgt, evtl. nach Sedisvakanz, 533-536: A. Testi Rasponi, a. a. O. 174-180; O. Holder-Egger, a. a. 0.322-324. 35 Zum Kreuznimbus: E. Weigand, in: ByzZ 30 (1929/30), 587-595; ByzZ 32 (1932), 63-81; zum ,Buch des Lebens': L. Koep, Das himmlische Buch in Antike und Christentum (1952); Ders., RAC II, 725 H. 28 29

1. Ikonographische Untersuchung 1. BESCHREIBUNG DES APSISMOSAIKS

Betritt man das Innere der Kirche von Westen her (Taf. IV), so wird der Blick durch das Apsismosaik gefangen, das den Raum beherrscht. Das Goldkreuz auf blauem Grund, umfaßt von einer rotgrundigen, perl- und edelsteingeschmückten Gloriole, leuchtet dem Auge entgegen (Taf. VII). Das Kreuz, in lateinischer Form, trägt an den konkav geformten Enden" tropfenförmige" Perlen und ist mit Perlen und Edelsteinen besetzt; in seiner Mitte, in der Vierung, erscheint das Brustbild Christi. Das Kreuz sitzt nicht auf festem Boden auf, es schwebt vielmehr im tiefblauen Grund (Taf. I). Dieser ist mit neunundneunzig Sternen gleichmäßig besetzt, unterbrochen allein durch die apokalyptischen Lettern Alpha und Omega links und rechts des Querarmes sowie durch die Worte IX0YC oberhalb und SALUS MUNDI unterhalb des Kreuzesstammes. Die Gloriole als Ganzes tritt um so stärker hervor, als sie ihrerseits auf goldenem Grunde ruht, der im untersten Segment als schmaler Streifen die Gloriole vom Grüngelb der Landschaftszone trennt. Zuoberst ist die Goldzone von weißblauen Wölkchen durchzogen. Im Scheitelpunkt über dem Kreuz (Taf. VI) wird die Hand Gottes sichtbar, während beiderseits, etwa in Höhe des Querarmes, zwei weißgekleidete Halbfiguren in den Wolken erscheinen, laut Beischrift: Moses (rechts vom Kreuz aus; Taf. VIII) und Elias (links; Taf. IX). Moses ist unbärtig, Elias bärtig. Beide haben die Rechte zum Kreuz erhoben, die rückwärtsflatternde Chlamys deutet die Bewegung zur Mitte hin an. Eine von hier an horizontal gezeichnete Wolkenschicht schließt die Himmelssphäre ab, während in den restlichen Goldgrund die Baumkronen der unteren Zone hineinragen. In dieser unteren Mosaikhälfte tritt als zweite beherrschende Mitte der Titelheilige "Sanctus Apolenaris" hervor, axial unter der Gloriole angeordnet, frontal als Orans, in bischöflichem Ornat und mit Nimbus gegeben. Von bei den Seiten schreiten je sechs Lämmer auf ihn zu. Das Ganze steht auf grünem Wiesengrund, der besät ist mit Blumen, Sträuchern, Bäumen, dazwischen Vögel und Felsgestein. Zuoberst in der Landschaft fallen drei schneeweiße, der Gloriole zugewandte Lämmer auf, mit denen erstmalig die Sym-

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schweben die vier Evangelisten-Symbole, als solche durch die Bücher gekennzeichnet und grundsätzlich von den apokalyptischen Zoa zu unterscheiden. Mit diesem obersten Register verbunden ist die zweite Zone: Aus den Stadttoren (J erusalem und Bethlehem) bewegen sich je sechs Lämmer in Richtung nach oben, auf Christus zu. Darunter, in die durch die Bogenwölbung entstehenden Zwickel, sind hochstämmige Palmen eingefügt. Unter ihnen, nun schon in Fensterhöhe, stehen auf Podesten die Erzengel Michael (Taf. XIV) und Gabriel (Taf. XV), beide in kaiserlicher Tracht, eine Standarte haltend, auf der in griechischen Lettern das Trishagion eingetragen ist. Den Abschluß des Triumphbogens nach unten bilden Brustbilder der Evangelisten Matthäus und Lukas 36. Auf den Seitenwänden der Apsis - beiderseits der Fensterreihe - verbleiben noch zwei größere Mosaikfelder: das Opfer des Melchisedek zusammen mit dem Opfer Abels und Abrahams (Taf. XVI). Melchisedek ist als Hoherpriester dargestellt, vor ihm ein Altar, welcher Kelch und zwei Brote, die Abendmahlselemente, trägt. Zu beiden Seiten bringen Abel und Abraham ihre Opfer. Die alttestamentlichen Typen des Opfers Christi sind unhistorisch synchronisiert, und zwar im Sinne des römischen Meß-Kanons. Auf der Gegenseite wird ein Ereignis ravennatischer Kirchengeschichte festgehalten: die übergabe der Autokephalie-Privilegien vom Jahre 666 (Taf. XVII). Die Inschrift im Mosaik spricht von ,Constantinus Major Imperator' und ,Heraclii et Tiberii Imperator[ es]'. Es ist also Kaiser Constantin IV. Pogonatos, mit Brüdern, dargestellt, der am "arcopus" (= archiepiscopus) Maurus (nimbiert) vorbei die "privilegia" an den (unnimbierten) Bischof Reparatus (673-679) übergibt 37. Zur Zeit der Anbringung der Mosaiken war also Maurus (644-673) bereits verstorben. Beide Darstellungen verraten thematisch deutlich den Einfluß der Mosaiken im Presbyterium von S. Vitale 38 und lassen stilistisch sofort erkennen, daß sie einer späteren Zeit angehören. Nicht alle Mosaiken der Apsis sind also gleichzeitig anzusetzen und als Einheit zu interpretieren. Hinsichtlich des ganzen Fragenkreises der Chronologie und möglicher überarbeitungen sind wir seit über einem Jahrzehnt in der 3ß Warum gerade diese beiden, versucht O. G. v. Simson, Sacred Fortress, 61, zu begründen, aber nicht überzeugend. 37 Zur Interpretation vgl. im übrigen: C. Ricci, Tavole storiche dei mosaiei di Ravenna, Fase. VII, 29 f; G. Gerola, Il quadro storieo nei mosaiei di S. Apollinare in Classe (1916), 87 f; M. Mazzotti, La Basilica, 167. Zur Geschichte: F. Dölger, Regesten der Kaiserurkunden des oströmischen Reiches I (1924), 27; Duchesne, Le Liber Pontificalis I, Paris 1886,360. 38 F. W. Deichmann, Ravenna, Taf. 312 und 359.

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glücklichen Lage, daß bei der notwendig gewordenen Neubefestigung der Mosaiken der Mörtelboden untersucht und folgendes Ergebnis gewonnen werden konnte 39. Der Mitte des 6. Jahrhunderts, also dem ursprünglichen Schmuck, gehören an (Taf. XIX): die Mosaiken der Apsiswölbung sowie die vier Bischöfe am Apsisgewände und, seitlich am Triumphbogen, die Erzengel. Ins 7. Jahrhundert zu datieren sind die Mosaiken der Zonen des Triumphbogens mit den zwölf Lämmern und den bei den Palmen, ebenso an der Apsiswand die Privilegienübergabe und das Melchisedek-Opfer. Die Mosaiken der obersten Zone des Bogens mit Christus-Medaillon und Evangelisten-Symbolen entstammen dem 9., die Porträts von Matthäus und Lukas, unterhalb der Erzengel, erst dem 11./12. Jahrhundert. Es gehört also auch - was früher oft bezweifelt wurde - der Titelheilige Apollinaris mit zum ursprünglichen Programm 40. Gewiß sind auch am Hauptbild des Apsisgewölbes Ausbesserungen vorgenommen worden, besonders an der Landschaft zur Rechten des Apollinaris, doch können sie nicht die Komposition als Ganzes in ihren ikonographischen Elementen in Zweifel stellen. Wir beschränken uns in der folgenden Untersuchung bewußt auf die für das Bildprogramm des Weihejahres 549 gesicherten Darstellungen. Dies mag um so mehr berechtigt sein, als die Restaurierungsarbeiten nichts Sicheres über den ursprünglichen Schmuck der restlichen Flächen erbracht haben. Die Bildbeschreibung hat bereits eine Vielzahl von Themen in der Gesamtkomposition gezeigt, so daß, auch wenn wir uns auf das gesichert ursprüngliche Apsisprogramm beschränken, die Frage nach dem inneren Verhältnis der Haupt- und Nebenthemen zueinander vorsichtig zu erörtern sein wird. 2. DIE INTERPRETATION DES MOSAIKS IN DER BISHERIGEN FORSCHUNG Die Apsiskomposition zu Classe ist als ikonographisch und ikonologisch "komplizierteste Darstellung der frühchristlichen Kunstgeschichte" bezeichnet worden 41. In der Tat stellt sich einer methodisch gesicherten Interpretation das Fehlen von Parallelen oder Analogien entgegen. Bereits der Einsatz zur Wir fußen auf dem Bericht von M. Mazzotti, La Basilica, 162 H., vgl. dort tav. VI H. Die Ursprünglichkeit wurde seit F. Wickhoff, RQ 3 (1889), 158 H immer wieder angezweifelt. Man vermutete statt des Titelheiligen das apokalyptische Lamm auf dem Paradiesesberg. 41 c.-o. Nordsträm, Ravennastudien, Stockholm 1953, 135. 39

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Auslegung birgt in sich eine Vorentscheidung. In der Regel wird von der Transfigurations-Thematik ausgegangen und dementsprechend im Goldkreuz in der Gloriole ein Symbol des verklärten Christus gesehen. Man pflegt darauf zu verweisen, daß die Transfiguration die einzige aus dem Leben des geschichtlichen Jesus genommene Szene sei, die die frühe Kirche des Westens für eine Apsisdarstellung ausgesondert habe 42. Als der deutschrömische Archäologe A. de Waal 1902 erstmalig über das Thema der ,Ikonographie der Transfiguration in der älteren Kunst' schrieb 43, ging er davon aus, daß in Classe mit der manus divina im Scheitel der Apsiskalotte Gottes Stimme (Mk. 9, 7) gemeint sei: "Dies ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören"; daß ferner im Gemmenkreuz mit dem Christusbild der verklärte Herr auf dem Berge Tabor symbolisiert werde, so daß man von einer " transfigurierten Transfiguration" sprechen könne. - Zum geschichtlichen Verständnis des Mosaiks kaum etwas beitragend ist das Buch von E. Uehli, das bereits mit der Eintragung des anthroposophischen Sonnenzeichens ins Kreuz sich die Einsicht in die Tiefe des Bildes versperrt 44. Die neueren Interpretationsversuche fußen auf dem Werk von A. Grabar, Martyrium, in dem er mehrfach auf das Mosaik in Classe zu sprechen kommt 45. Vielleicht ist es der Leitgedanke dieses Buches, der zu stark den Blickpunkt der Einzelinterpretation bestimmt und so den Akzent verschiebt. Grabar nämlich sieht im Titelheiligen als Märtyrer die Schlüsselfigur der Gesamtkomposition 46 und ordnet die übrigen Themen letztlich dem über dem Märtyrergrabe angebrachten Bild des Apollinaris unter. Freilich erkennt auch er den ambivalenten Charakter der Transfigurations-Darstellung, nämlich deren Doppelung in eigentliche Verklärungsgeschichte und Siegeskreuz im Clipeus, so daß er den Charakter der Komposition als "mi- historigue" und "mi-abstrait" bezeichnen kann und von" theophanie historigue interpretee comme une vision eschatologigue ou perpetuelle" zu sprechen vermag 47. Doch E. Steinmann, Die Tituli und die kirchliche Wandmalerei, 60. RQ 16 (1902), 25-40. 44 E. Uehli, Die Mosaiken von Ravenna 4 (1957). In anderer Weise willkürlich ist j. Kurth, Die Wandmosaiken von Ravenna 2 (1912), der z. B. die besondere Form der Verklärungsdarstellung auf eine Vision des Heiligen Apollinaris in der Pineta von Classe zurückzuführen versucht, bei der sich ihm auch "die Vögel des irdischen Waldes zu befiederten Bewohnern des Paradieses" (210) verwandelt hätten! 45 A. Grabar, Martyrium II, Paris 1946; vgl. bes. 193 H. 46 A. a. O. II, 75. 47 A. a. O. II, 193-196. 42

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bleibt bei Grabar gleichwohl das Schwergewicht der Auslegung auf dem Titelheiligen, dessen Funktion als Intercessor richtig gesehen wird. Gegenüber Grabar war der Versuch von O. G. von Sims on 48, die Verklärung mit der Kreuzigung zu verbinden und die exaltatio cruci~ mitanklingen zu lassen, eine Verengung. Einen gewissen Abschluß in der neueren Interpretation brachten sodann G.-O. Nordströms Ravennastudien 49. In der Auslegung des Classe-Mosaiks schließt sich der schwedische Forscher teilweise Grabar an, besonders darin, daß er ganz vom Titelheiligen und seiner betonten Stellung ausgeht. Wenn dann aber Nordström im Blick auf das Kreuz den Gedanken des Secundus Adventus aufnimmt und auch die sachliche Verbindung zwischen Verklärungsgeschichte und Parusiehoffnung aus einer Predigt des Johannes Chrysostomus erhebt, so deutet er ein Thema an, das bisher zu wenig gesehen wurde und das im weiteren leider auch bei Nordström bewußt wieder zurückgestellt wird. An eben diesem Punkte aber setzt unser Interesse ein und unser Versuch, in Aufnahme der Arbeiten von F.]. Dölger und E. Peterson weiter in die künstlerische und theologische Absicht des Apsismosaiks einzudringen. Peterson schrieb in einem erstmalig 1944 erschienenen Aufsatz: "Das Kreuz in der Apsis stellt nicht das Kreuz dar, das in Jerusalem verehrt wurde oder das sich in Himmelserscheinungen über Jerusalem gezeigt hat (im Jahre 351), sondern das Kreuz in den Darstellungen der Apsiden stammt aus dem liturgischen Brauch, nach Osten hin zu beten vermittels eines Kreuzes, das Symbol des eschatologischen Glaubens ist." 50 Was hier generell gesagt ist - wenngleich von Peterson m. E. unrichtig bereits auf das 2. Jahrhundert als Brauch zurückgeführt 51 - , würde nun, auf das Kreuz in Classe angewandt, bedeuten, daß es sich hier nicht um eine symbolische Ersetzung der Figur Jesu Christi handeln kann, sondern um das ,Zeichen', das beim Secundus Adventus Christus vorangeht. Mit dem Sinn der Ankündigung des Herrn verbindet sich dabei der des Sieges, denn der zum Endgericht ankommende Kyrios O. G. 'von Simson, 5acred Fortress, 43 H. 5. o. Anm. 41; vgl. dazu die Besprechung von F. W. Deichmann, ByzZ 48 (1955), 409-413, und W. Ensslin, HZ 180 (1955), 394 f. 50 E. Peterson, La Croce e la preghiera verso l'oriente, in: EphLiturg 58 (1944), 3 H, jetzt erweitert in: E. Peterson, Frühkirche, Judentum und Gnosis, 15-35; das Zitat: 31 f; der Brief Cyril!'s an Konstantius (MPG 33, 1165 ff), der von der Kreuzesvision des gleichen Jahres berichtet, wird freilich auf 357 datiert. - F. J. Dölger, 501 5alutis 2, 1925. 51 E. Peterson, Frühkirche, 29, schließt zu rasch von literarischen Anklängen in den apokryphen Apostelakten zurück auf kultischen Brauch und von hier auf ein vorauszusetzendes Wandkreuz. 48

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wird durch das Kreuz als np6apofLoC; in seiner Ho h e i t angekündigt. Bei dieser Interpretation wäre also das Kreuz eindeutiges Symbol des aus der Zu ku n f t zu erwartenden Kyrios. Doch damit ist bereits eine These herausgestellt, die methodisch vorerst allein leitende Frage sein darf. Und wenn diese Frage bejaht werden könnte, so ist damit doch die Komposition als Ganzes noch nicht erklärt. Der Entwurf in Classe ist er s t - und ein mal i g, jedenfalls für unsere Kenntnis spät antiken Bildbestandes, deren fragmentarischer Charakter uns freilich immer bewußt sein muß. Bei dieser Sonderstellung ist anzunehmen, daß der theologischen Absicht, die hinter dem Entwurf steht, eine wesentliche Rolle zukommt.

3. ZUR IKONOGRAPHIE DER HAUPTUND NEBENTHEMEN Drei Hauptthemen: Die Transfiguration - das Kreuz im Clipeus - der Titelheilige bieten sich zunächst an. Sie sind zwar jeweils untereinander verbunden wie auch mit Nebenthemen verknüpft, dürfen aber als relativ selbständige Bildelemente betrachtet werden, die wir nach vorläufiger Vereinzelung am Schlusse wieder verbinden. Es ist hierbei nötig, mit einer Übersicht über Art und Ort der Aufnahme dieser Themen in der frühchristlichen Kunst zu beginnen, um auf dem Wege des Vergleichs die Besonderheiten der Komposition in Classe zu erkennen. a) Die Transfiguration

Darstellungen der Verklärungsgeschichte sind lediglich aus einer Zeit erhalten, die nach dem Entwurf von Classe liegt, was jedoch eine Entstehung des Bildtypus vor Classe nicht ausschließt. Literarisch bezeugt ist ein Classe etwa gleichzeitiges Werk in der alten Bischofskirche von Ne a p el, S. Stephania, in der, laut Joh. Diaconus, Bischof Johannes (535-555) beim Wiederaufbau nach einem Brande Mosaikschmuck anbringen ließ: "Hic Johannes absidam ecclesiae Stephaniae, lapsam ex incendio reformavit. In qua ibidem ex musivo depinxit transfigurationem Domini Nostri ... " 52. Damit ist - bei fehlender Kenntnis der Ikonographie im einzelnen - jeden52 Chronicon Episcoporum S. Neapolitanae Ecclesiae, cap. 22: L. A. Muratori, Rerum !talic. Script. I, 2 (1725), 298 f. Zur Geschichte vgl. D. Mallardo, II calendario marmoreo di Napoli, in: EphLiturg 59 (1945),290.

Abb. 3: Sinai, Katharinenkloster, Apsismosaik der Marienkirchc

falls für die justinianische Zeit die Transfigurationsdarstellung in eInem westlichen Apsismosaik gesichert. Als erhaltenes Werk liegt zeitlich Classe am nächsten das bekannte Mosaik in der Marienkirche des Klosters S. Kat h a r i n a auf dem S i na i ein Werk von hoher künstlerischer und technischer Qualität, das K. Weitzmann Meistern aus Byzanz zuschreibt. Das Mosaik (Abb. 3) ist auf Grund von Inschriften zw. 548-565 datierbar, d. h. nach dem Tode Theodoras, aber noch zu Lebzeiten Justinians. Hier wird die Verklärung ohne Allegorisierung der drei Apostel und ohne Symbolisierung Christi dargestellt. Christus erscheint im weißen Gewande, ein Kreuznimbus läßt das Haupt mit schwarzem Haar und spitz zulaufendem Bart betont hervortreten. Die Mandorla, durch Perichoresis als Lichtquelle charakterisiert, verstärkt den Epiphaniecharakter der Szene. Ohne Nimbus sind sowohl Moses und Elias als auch die drei

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Jünger gegeben, die in symmetrischer Anordnung die Mandorla rahmen, wobei die Seitenverteilung für Moses und Elias hier umgekehrt ist wie in Classe. Petrus, unmittelbar unter dem Herrn, liegt in prostratio-Haltung mit aufgestütztem Haupt, während die Zebedaiden mit erhobenen Händen adorierend beiderseits knien. Man beachte den Kontrast zwischen den ruhigen Prophetenfiguren und den bewegten Jüngern. Da nur das MatthäusEvangelium (17,6) vom Niederfallen der Jünger spricht, muß dieser Text hier als Vorlage angenommen werden, wie überhaupt der Einfluß des MatthäusTextes auf die Bildgeschichte der Transfiguration entscheidend ist. Das epiphane Geschehen wird durch sieben Lichtstrahlen, die von Christus ausgehen, unterstrichen. M~IJ( und ~w~ sind Züge der Epiphanie! Über der Mandorla im Scheitel des die Kalotte abschließenden Bandes mit den imagines clipeatae der Apostel erscheint in einem Medaillon das Kreuz, in griechischer Form und ebenfalls durch Perichoresis als Lichtkreuz ausgezeichnet. Beiderseits des Kreuzmedaillons sind die Brustbilder von Paulus und Andreas angebracht; letzterer ersetzt Petrus, der in der Verklärungsszene erscheint. Das Kreuz ist hier nicht selbständiges Thema, sondern heilsgeschichtlicher Rahmen. Fortgeführt wird dieser in dem unteren, zur Apsiswand hin abschließenden Medaillonstreifen. Er zeigt die vier Evangelisten sowie Propheten des Alten Bundes, wobei David das zentrale Medaillon unter der Mandorla einnimmt. Angefügt sind an den Ecken, durch quadratischen Nimbus unterschieden, die Bilder der an der Ausschmückung Beteiligten: Longinus Hegumenos und Johannes Diakonos. Die gleichzeitig mit dem Mosaik der Wölbung angebrachten Darstellungen am Triumphbogen führen das theologische Programm fort: In den Zwickeln Medaillons mit dem Bilde Johannes des Täufers und Marias auf silbernem Grund 53. Darüber zwei fliegende Engel mit Szepter und Globus 53 Vgl. auch G. Sotiriou, in: TO J\m~AIKON TH~ .'IIETA-'IOPn~En~ TOT KAGOAIKOl' TH~ :\IONH~ TOl' ~INA, in: Atti dello VIII Congresso Internazionale di Studi Bizantini II, Roma 1953, 246-252 und tav. 74-88. - Man hat von hier aus Rückschlüsse auf die bei den in den Zwickeln der Triumphbogen angebrachten Medaillon-Köpfe ziehen wollen und sie als Justinian und Theodora interpretiert: Berchem-Clouzot, 246. Dagegen spricht jedoch hauptsächlich das männliche ,Portrait', das mit Sotiriou auf Johannes den Täufer interpretiert werden mull, dementsprechend das weibliche Bild auf Maria, der ja die Kirche geweiht ist. Auch die Gesamtkonzeption zwingt - nach Weitzmann (s. Anm. 54) - zu dieser Auslegung; vgl. ferner: A. Guillou, Le Monastere de la Theotokos au Sinai, in: MeJArch 67 (1955), 217-258. Endlich für das Verhältnis von Classe und Sinai: G. Galassi, I musaici Sinaitici, in: FelixRav 63 (1953), 5-30. A. Guillou kommt auf Seite 230 zu dem Schlull, dall nur das Mosaik der Transfiguration zum ältesten Bestande gehört, alles andere später oder aber als Quelle wegen völliger Restaurierung un-

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und als zentrales Medaillon das apokalyptische Lamm 54. Oberhalb des Täufers, auf unserer Abbildung leider nicht mehr erkennbar, ist Moses am brennenden Dornbusch gegeben; oberhalb Marias der Gesetzesempfang durch Moses. Angesichts des alten mit dem Sinai verbundenen Moses-Kultes - noch heute bezeichnet ein kleiner locus sanctus hinter der Apsis die Stelle des ,brennenden Dornbusches' - ist zumindest für die das Transfigurationsbild rahmenden Darstellungen eine lokale Mosestradition anzunehmen 55. Wie in Classe so ist auch hier auf eine Darstellung des ,Heiligen Berges', auf dem nach den synoptischen Berichten die Verklärung Christi sich ereignete, verzichtet. Anders als in Classe jedoch ist der eschatologische Grundgedanke ikonographisch zum Ausdruck gebracht: Lassen sich einerseits die vom Kyrios in der Mandorla ausgehenden Strahlen vom biblischen Text her verstehen - Mt. 17 sagt Vers 2 von Jesu verklärtem Antlitz, es sei w~ 0 ~AW~ und von den Jüngern, es habe sie eine Lichtwolke, 'IEtpCAY) rpWTE~'I~ (Vers 5), umfaßt-, so ist doch anderseits das Lichtkreuz über der Mandorla und noch innerhalb der Wölbung als Hinweis auf die Parusie zu verstehen. Damit aber wird im Unterschied zu vielen mittelalterlichen Transfigurationsbildern - das Geschehen von der Ebene des Historischen in die des Doxologischen und Eschatologischen erhoben. Nicht wird jedoch der synoptische Bericht spiritualisiert, vielmehr: Der verklärte und erhöhte Kyrios ist durch die Medaillons mit dem Bilde Davids und des Lammes als Sohn Davids und als gekreuzigter Gottessohn signiert. Eine bewußte Aufnahme der Zweinaturenlehre freilich wage ich dieser Medaillonrahmung nicht zu entnehmen 56, sondern möchte für die Einwirkung auf die Kunst der heilsgeschichtlichen Schau und den liturgischen Bezügen Vorrang geben. Die künstlerische Reife des Sinaimosaiks läßt es als nahezu sicher erscheinen, daß es sich nicht um einen Erstentwurf handelt, sondern daß bereits eine Bildtradition vorlag, die hier für eine größere Komposition aufgegriffen wurde. Was das Verhältnis der Mosaiken in Classe und auf dem Sinai betrifft, so dürfte man in der abstrahierenden Konzeption des ersteren mit gewiß sei. Die jüngsten Untersuchungen K. Weitzmann's haben indes alle Zweifel an der Gleichzeitigkeit aller Mosaiken auf Kalotte wie Triumphbogen behoben (mündliche Mitteilung von K. Weitzmann). - Die Sinai-Kirche geht auf den Willen Justinian's zurück, vgl. Prokopius, De aedificiis V, 8. 54 K. Weitzmann, der 1962 in einem Bonner Vortrag das Sinai-Mosaik eingehend behandelte, erkennt hier eine Vorform der Deesis und die einzige mit Christus als Lamm. 55 A. Grabar, Martyrium Ir, 165 f; eh. Ihm, Die Programme der christlichen Apsismalerei, 69 f. 56 Die These wurde vorsichtig von K. Weitzmann in dem genannten Vortrag vertreten.

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Ersetzung Christi durch das Kreuz und Allegorisierung der Jünger durch Lämmer wohl eine jüngere Stufe der Ikonographie zu erblicken haben auch wenn nicht immer die Abstraktion eine figürliche Darstellung voraussetzen muß 57. Auf die These Grabars, daß der Archetypus der Sinaidarstellung für ein Sanktuar auf dem Berge Tabor geschaffen wurde 58, kommen wir unten zurück. Bereits E. Steinmann hatte 1892 außer dem Sinai-Mosaik eine römische freilich sehr viel spätere Darstellung - zum Vergleich mit Classe herangezogen 59 , und zwar in SS. Nereus et Achilleus unweit der Caracallathermen, um 800 (Abb.4). Von dem heute verlorenen Gesamtprogramm der Apsis ist lediglich dies Mosaik - auf dem Triumphbogen - erhalten, das die Verklärung zeigt. Wieder ist der Matthäus-Text leitend: Christus, weißgekleidet, umgeben von der Mandorla, ist gerahmt von Elias und Moses, während die Jünger - in prostratio - nach außen gerückt sind, die zwei Zebedaiden vom Beschauer aus rechts, Petrus links 60. Seitlich sind an die Darstellung angeschlossen: die Verkündigung an Maria (links), die thronende Gottesmutter im Nikopoia-Typus (rechts). Ungeachtet der geringen Qualität des Mosaiks ist es für uns wichtig. Was die Komposition für den Vergleich mit Classe interessant macht, ist der ikonographische Kontext: Die mit 57 Die einfache Tatsache, daß wir ,abstrahierende' Darstellungen von Kreuzigung und Auferstehung, z. B. im ,Anastasiskreuz' der Passionssarkophage, vor den Darstellungen der Kreuzigung und des leeren Grabes haben, warnt vor jeder in der Logik des Begriffes ,Abstraktion' liegenden Verallgemeinerung. 58 A. Grabar, a. a. O. Ir, 165. Es mag in diesem Zusammenhang der Hinweis am Platze sein, daß die Verbindung der Transfigurationsgeschichte, die nach Mk 9,2 auf einem öpo~ u~1)A6v (nach 2. Ptr 1,18: ä.ywv Ilpo~) lokalisiert ist, mit dem Berge Tabor erst im 4. Jh. vorausgesetzt werden darf. Erstmalig greifbar ist sie in den um 348 anzusetzenden Katechesen Cyrill's von Jerusalem (XII, 16: MPG 33, 744 B). Die oft genannten Stellen bei Origenes, in denen er Zitate aus dem Hebräer-Evangelium bringt (In Joh. II, 12; In Jerem. Horn. XV, 4: vgl. E. Klostermann, Apocrypha Ir [KIT 8, 1910J, 5; Hennecke 3 I, 108) haben keinen Bezug auf die Verklärungsgeschichte. Die Stelle in Pseudo-Origenes, Selecta in Psalmos, und zwar zu Ps. 88, 13 (MPG 12, 1548), gehört ans E. 4. Jh. und setzt die noch vage bleibende Verbindung von Tabor und Hermon auf Grund des Ps. 88, 13: @()(ßNP ){()(l 'EP[1.NV sv Ti{) OV6[1.()(TL GOU aY()(AAdGOVT()(L in Euseb's fragmentarisch überliefertem Psalmenkommentar voraus (MPG 23, 1092). Bei Hieronymus ist die Verbindung dann vollzogen: Epist. 46, 13 (CSEL 54, 344) und 108, 13 (CSEL 55, 323). - Die Lokalisierung der Transfiguration auf Tabor hat insofern alle Wahrscheinlichkeit gegen sich, als der Berg zur Zeit Jesu befestigt war und somit die in der Geschichte vorausgesetzte Einsamkeit verhindert wird: Polybius V, 70 und Josephus, Bell. Jud. IV, 1,8; ferner Encyclopaedia Biblica IV (1903), 4881 ff.; F. M. Abel, Geographie de la Palestine I, 1933 2 ,353 ff.; E. Kutsch, in: RGG3 VI, 598 (Lit.). 59 E. Steinmann, Tituli, 60. 60 Vgl. auch Nordsträm, Ravennastudien, 123.

Abb. 4: Rom, 55. Nereus et Achilleus, Mosaik des Triumphbogens

Abb. 5: Rom, 5. Prassede, Zenokapelle, Mosaik über dem Altar

Wahrscheinlichkeit anzunehmende einstige Darstellung in der Apsiskalotte zeigte nach einem zur Zeit des Kardinals Baronius in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts angefertigten Gemälde 61 ein großes Gemmenkreuz vor einem Purpurvorhang, zu dessen Seiten der Wolkenhimmel angedeutet war, zu Füßen beiderseits je drei Lämmer heranschreitend. Sollte wirklich die alte Apsiskomposition in dem Gemälde festgehalten sein, so ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß der Entwurf von Classe hier von Einfluß 61 Vgl. die Abbildung des heute in der Biblioteca Vaticana befindlichen Gemäldes bei Armellini-Cecchelli, Le chiese di Roma II, Rom 1941, tav. XXIX (nach 5eite 768).

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war. Denn auffallend ist die Verbindung von Gemmenkreuz und Lämmern mit der Transfiguration sowie die Stellung des Kreuzes als eigentlicher Mittelpunkt der Komposition. Doch bleibt das Ganze zu ungesichert, um ikonographiegeschichtliche Folgerungen zu erlauben, da eben das Gemälde nur den - vielleicht schon mehrfach restaurierten - Zustand des 16. Jahrhunderts wiedergibt und schwerlich Gewähr für Alter und Authentie zu bieten vermag. Eine weitere, ebenfalls dem Frühmittelalter angehörende Darstellung der Verklärung gibt das Mosaikfragment in der Zeno-Kapelle von S. Pr ass e d e zuR 0 m, um 820 (Abb. 5). Neu ist hier die Einbeziehung von Moses und Elias in die Mandorla hinein; Petrus, nimbiert, steht dagegen außen, zur Rechten von Christus, wobei die bis zum Rand seines Nimbus führende zweite Linie der Mandorla fast wie eine theologische Korrektur aussieht, die dem Apostelfürsten besonderen Anteil an der Doxa geben möchte - sofern nicht technisches Ungeschick waltet. Daß hier - wie Nordström 62 meint - der Lukastext unterliege, ist der Darstellung kaum zu entnehmen, denn das Beschattetwerden von der Wolke bezieht sich in allen synoptischen Parallelen auf die drei Jünger insgesamt. Man wird auch hier mit Matthäus zu rechnen haben, sofern nicht einfach einer Bildvorlage gefolgt wird. Die prostratioHaltung der Zeugen ist fortgefallen. Die Komposition ist im übrigen als doxologische Repräsentation des Heilsgeschehens aufgefaßt - soweit sich dies der fragmentarischen Erhaltung ablesen läßt. Endlich ist noch hinzuweisen auf ein nur literarisch bezeugtes Transfigurations-Mosaik in der Apo s tel kir c he zu K 0 n s t a n tin 0 p e I, das sich im justinianischen Neubau befand, und zwar in der nördlichen Kuppel. Nikolaos Mesarites gibt Mitte des 12. Jahrhunderts eine ausführliche Beschreibung 63 , aus der A. Heisenberg den Schluß gezogen hat, die Mosaiken seien, wenn nicht auf Justinian, so doch auf Justinos II. (565-578) zurückzuführen 64. Sehr viel ist auf Grund des Mesarites-Textes für die Darstellung nicht zu entnehmen: Gesichert ist nur eine Differenzierung in der Haltung zwischen den drei Jüngern, die Kennzeichnung von Moses durch das Gesetzesbuch und von Elias durch Fellkleid. Erwähnung findet auch die ,Stimme Gottes' im Scheitel. Im übrigen ist der Text so stark in der Linie erbaulicher

c.-o. Nordsträm, Ravennastudien, 123. Der griech. Text, einer Ambrosianischen Handschrift entnommen, wird von A. He;senberg, Grabeskirche und Apostelkirche Ir, Leipzig 1908, 32 H, mit Übersetzung gebracht. 64 Vgl. A. Heisenberg, a. a. O. 167 f. G2

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Bildmeditation gehalten, daß die Festlegung eines ikonographischen Typus sich verbietet. Da wir bereits von der Möglichkeit sprachen, daß der Abstraktion in Classe eine figürliche Verklärungsdarstellung voranging, so muß gefragt werden, ob sich - vielleicht in Buchmalerei oder Elfenbeinkunst - eine ältere Bildtradition greifen läßt. Zwei Darstellungen sind hier ikonographisch umstritten: zunächst eine Szene auf der Rückseite der Li p san 0 t h e k zu B res c i a (Abb. 6), die im Zusammenhang der Ananias-Saphira-Darstellung angefügt ist, und die Stuhlfauth 65 , sowie mit gewissem Vorbehalt auch Kollwitz 66, als verkürzte Transfiguration deutet: Christus zwischen Moses und Elias, auf den Wolken stehend. Die drei Jünger-Zeugen seien hier fortgefallen; die Hand Gottes neben dem Kopf Christi habe bei einer Berufungsgeschichte oder auch bei einer Erscheinung des Auferstandenen 67 wenig Sinn, wohl aber bei der Verklärung. Anderseits läßt der wellenförmige Grund, auf dem die Figuren stehen, eher an Wasser als an Wolken denken. Eine verkürzte Transfiguration bleibt zweifelhaft. Bei der zeitweilig auf Transfiguration gedeuteten Szene auf der Holztür von S. S abi n a zuR 0 m (Abb. 7), die Christus zwischen Palmen stehend zeigt, von zwei nimbierten bärtigen Figuren im Pallium flankiert, kann von Transfiguration 68 keine Rede sein. Auch die vielfach seit]. Wiegand vertretene These, daß Christus mit den Emmausjüngern dargestellt sei, ist wohl eher eine Verlegenheitslösung 69. Am überzeugendsten ist in der Deutung R. Delbrück 70, der von der symbolischen Bedeutung der ,Perle' in der Hand Christi ausgeht und in der Linie der östlichen Theologie darin ein Symbol für das ,Wort Gottes' oder für das ,Gottesreich' sieht 71 und in der Szene eine abgewandelte Traditio legis erkennen möchte.

H. G. StuhZ/auth, Die altchristliche Elfenbeinplastik, Freiburg-Leipzig 1896, 54. j. Kallwitz, Die Lipsanothek von Brescia, 29. 67 R. Delbrück, Probleme der Lipsanothek in Brescia (1952), 32 H; W. F. VaZbach, Elfenbeinarbeiten der Spät antike und des frühen Mittelalters 2, Mainz 1952, 56 Nr. 107. 68 Diese Deutung findet sich beispielsweise bei H. G. StuhlJauth, Elfenbeinplastik, 54, und bei j. ReiZ, Die altchristlichen Bildzyklen des Lebens Jesu (1910), 32 Anm. 5. Eindeutig ablehnend hiergegen: J. Kallwitz, a. a. O. 47. 69 j. Wiegand, Das altchristliche Hauptportal an der Kirche der hl. Sabina, Trier 1900, 77 H. 70 R. Delbriick, Notes on the Wooden Doors of Santa Sabina, in: ArtBull 34 (1952), 139-145; hier auch weitere Literatur. 71 Es wird mit Recht verwiesen auf Mt 7,6 und 13,46; a. a. O. 142. 65

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Abb. 6: Brescia, Museo Civico, Lipsanothek, Rückseite, Detail

Abb. 7: Rom, S. Sabina, Holztür, Detail

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Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classe

Der überlieferte a m b r

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s i a n i s ehe Ti t u I u s :

,,[Transfiguratio Domini in Monte] Maiestate sua rutilans sapientia vibrat Discipulisque Deum, si possint cernere, monstrat" 72 läßt an eine Darstellung der Verklärung denken. Damit könnte zunächst für das Ende des 4. Jahrhunderts die Existenz eines Transfigurationsbildes angenommen werden, auch wenn wir über dessen Ikonographie im einzelnen nichts auszusagen vermögen und auch nicht durch den Titulus uns zur Festlegung des Ursprungs im Westen verleiten lassen dürfen. Entscheidend aber spricht gegen Folgerungen aus dem Titulus, daß die ambrosianische Autorschaft keinesfalls gesichert und ein pseudo-ambrosianisches Epigramm wahrscheinlicher ist 7:1. Die Frage nach einer möglicherweise in Classe und auf dem Sinai aufgenommenen Bildtradition der Verklärung ist damit jedoch noch nicht negativ beantwortet. Der Ort, ihr nachzugehen, wäre die Buchillustration. Die folgende - unvollständige - Zusammenstellung kann nicht Untersuchung, sondern nur Anregung in dieser Hinsicht geben. Hypothetisch bleibt dabei eine Miniatur im Ra b u I a c 0 d e x (Abb. 8), der auf das Jahr 586 datiert ist 74. Auf einer der Kanontafeln (III, fo!. 7 r ) wird als linke Randminiatur einer Dreiergruppe nimbierter Männer im Pallium gegeben, zwei bärtig, einer unbärtig. Die Typik des rechten, mit weißem Haar, läßt auf Petrus schließen, die des unbärtigen auf Johannes, so daß die Mittelfigur auf Jakobus zu deuten wäre, zum al nichts auf Christus hinweist. Die Dreiergruppe wird durch eine blaue Rahmung zusammengehalten. Der Grund ist grün und zieht sich seitlich der 72 Die überschrift ist sekundär. Zum Text vgl. A. Merkle, Die ambrosianischen Tituli, in: RQ 10 (1896), 185 ff, 214; sowie E. Steinmann, a. a. O. 60. Vgl. ferner: DACL I, 1, 1462; H.-V. v. Schoenebeck, Der Mailänder Sarkophag und seine Nachfolge, Rom 1935, 18 f; 21, 121 f. n Der kritischen Haltung zur Frage der ambrosianischen Authentie, vertreten besonders durch M. Schanz, Geschichte der röm. Literatur IV, 1 (1904), 210 und wiederholt in der 2. Auflage (1914), 232, stehen als Verfechter der Echtheit gegenüber: A. Merkle, a. a. O. und C. Weyman, Beiträge zur Geschichte der ChristI. Latein. Poesie (1929), 37 H. Siehe auch die Notiz bei E. Dekkers, Clavis Patrum Latinorum (Sacris erudiri III, 1961), 35, und jetzt die neue Edition der Texte bei A. Hamman: Mignc, Patrologiae Cursus Complctus, Series Latina, Supplementum I, Paris 1958, 587 H. über die Tituli sowie grundsätzlich über das Wirken von "Ambrosius als Auftraggeber von Kunstwerken" vgl. M. Cagiano de Azevedo in: Arte Lombarda VIII (1963), 54-76 (mit Lit.). 74 Vgl. jetzt auch C. Cecchelli, f. Furlani, M. Salmi, The Rabbula Gospels, Olren-Lausanne 1959, 58, Taf. fol. 7a.

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Abb. 8: Florenz, BibI. Laur., Cod. Plut. I, 56, fol. 7" Evangeliar des Rabula, Kanontafel 3

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Abb.9: Paris, BibI. Nationale, Cod. gr. 510, fol. 75

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Gruppe nach oben, ohne daß jedoch daraus eine Gebirgslandschaft zu erschließen wäre. Die rechte Randminiatur ist ausradiert; hier läßt sich zwar nicht mit Sicherheit, aber als wahrscheinlich - eine größere ChristusDarstellung annehmen. Zwei alttestamentliche Gestalten an den oberen Ecken sind als Jesaja und Hiob bezeichnet. Das Schaf in der linken unteren Ecke begegnet als rahmendes Tiermotiv auch in der Erweckungs-Szene. Zunächst erscheint es gewagt, auf Grund dieser Reste an eine Transfiguration zu denken. Und doch wird die Möglichkeit nicht ganz auszuschließen sein, wenn man einen Blick in die Buchillustration der späteren Jahrhunderte wirft. Die erste nachikonoklastische Handschrift aus Byzanz, Co d. g r a e c. 510 der Bibliotheque Nationale zu Paris, der Homilien Gregors von Nazianz enthält und zwischen 880-886 entstanden sein muß 75, bringt unter den fünf Vollbildern eine Darstellung der Transfiguration bzw. Metamorphosis. Zwar enthäl t der beglei tende Homilien -Text keiner lei Anspiel ung auf die Verklärungsgeschichte, so daß Weitzmann freie Aufnahme eines Vollbildes aus einer illustrierten Bibelhandschrift annimmt. Die Darstellung (Abb.9) gliedert sich, worauf Weitzmann besonders aufmerksam macht, in zwei Zonen, wobei die obere hier durch den Christus umgebenden gelblichen Licht-Kreis, die untere durch das bräunliche Gebirge betont erscheint, das durch helles Grün nach unten abgeschlossen wird. Die Seiten verteilung ähnelt Classe. Zur Rechten Christi: Moses; zur Linken: Elias, beide mit in den Licht-Kreis hineingenommen, ohne ganz um faßt zu sein. In der unteren Zone, außerhalb der Gloriole, die Jünger. Unter Moses: Petrus, die Rechte zu Christus erhoben; unter dem Licht-Kreis in Halb-Proskynese: Johannes; unter Elias: Jakobus, der sich mit erhobenem Arm gegen das Licht schützt. Alle Gestalten haben Goldnimbus, bei Christus mit eingelegtem Kreuz. Von oben kommt aus den Wolken herab die Hand Gottes, ebenfalls durch Licht verklärt 76. Die Miniatur des Gregor-Codex steht ikonographisch dem Mosaik in Classe näher als etwa dem des Sinai, obgleich die Transfiguration nicht durch Lämmer-Symbolik und Lichtkreuz ,trans figuriert' wird. Es sind einige, in der Bildgeschichte variierende, hier aber übereinstimmende Einzelzüge, die 7" K. Weitzmann, Die Byzantinische Buchmalerei des 9. und 10. Jahrhunderts, Berlin 1935,2 f; Ders., Illustrations in Roll and Codex (1947), 197; C. R. Marey, Notes on East Christian Miniatures, in: ArtBul!. XI (1929), 89, verweist auf die enge Verwandtschaft der Ikonographie mit dem Fragment eines Leningrader Lektionars, ibid. fig. 103. 76 Vgl. auch H. Omant, Facsimiles des Miniatures des plus anciens Manuscrits Grecs de la Bibliotheque Nationale du VIe au XIve siede (1902 und 1929 2 ), Taf. XXVIII; sowie in DA CL VI, 2, fig. 5420 (und Spalte 1685).

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Das Apsismosaik von S. Apollinare in Classc

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