Das andere New York: Friedhöfe, Freiräume und Vergnügungen, 1790-1860 [1. Aufl.] 9783839429808

How could a sleepy town become the city that never sleeps? »The other New York« is about a neglected period: the antebel

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Das andere New York: Friedhöfe, Freiräume und Vergnügungen, 1790-1860 [1. Aufl.]
 9783839429808

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung. Terrain vague: Das unbekannte New York
1. The Making of a Metropolis. Eine historische Hinführung
1.1 Measurements of a Metropolis. Der Commissioners’ Plan als Blaupause der Stadt
1.2 The Plagued City. Stadtgesundheit, Sauberkeit und Moral
1.3 A Place to Bury Strangers. Die New Yorker Friedhofskultur des 19. Jahrhunderts
2. A Little Peace and Quiet. Urbane Erholungsräume der Mittel- und Oberschicht
2.1 Public Cemeteries and Public Gardens. Die Genese pittoresker städtischer Parks
2.2 The City of the Dead – The City of Repose. Brooklyns Parkfriedhof als Freizeitort
2.3 Central Park. Anfänge einer demokratischen Parkkultur
3. Spaces of Spectacle. New York Citys Armenfriedhöfe als Freizeitorte
3.1 Golgotha in Greenwich Village. Die turbulente Vergangenheit des Washington Square Parks
3.2 Quenching the City’s Thirst. Reservoir Square und der Durst der Metropole
3.3 The Commons and the Parade. Sport, Spiel und Spektakel im City Hall Park und am Madison Square
Schlussbemerkung. Terrain vague als Raumkategorie in historischen Studien
Abbildungen
Quellen- und Literaturverzeichnis

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Angelika Möller Das andere New York

Band 7

Die Reihe Amerika: Kultur – Geschichte – Politik wird herausgegeben von Christof Mauch, Michael Hochgeschwender, Anke Ortlepp, Ursula Prutsch und Britta Waldschmidt-Nelson.

Angelika Möller lehrt am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Stadt-, Kultur- und Sozialgeschichte der USA im langen 19. Jahrhundert.

Angelika Möller

Das andere New York Friedhöfe, Freiräume und Vergnügungen, 1790-1860

Die vorliegende Studie wurde im Jahr 2014 an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: John Bachmann, »Birds’ Eye View of New-York & Brooklyn«, New York: A. Grueber & Co., 1851, Library of Congress, Prints and Photographs Division, Washington, D.C., LC-DIG-pga-03106 (Ausschnitt). Lektorat: Ulrike Staudinger Satz: Angelika Möller Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2980-4 PDF-ISBN 978-3-8394-2980-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorwort | 7 Einleitung Terrain vague: Das unbekannte New York | 9 1. The Making of a Metropolis Eine historische Hinführung | 33

1.1 Measurements of a Metropolis Der Commissioners’ Plan als Blaupause der Stadt | 35 1.2 The Plagued City Stadtgesundheit, Sauberkeit und Moral | 54 1.3 A Place to Bury Strangers Die New Yorker Friedhofskultur des 19. Jahrhunderts | 64 2. A Little Peace and Quiet Urbane Erholungsräume der Mittel- und Oberschicht | 73

2.1 Public Cemeteries and Public Gardens Die Genese pittoresker städtischer Parks | 74 2.2 The City of the Dead – The City of Repose Brooklyns Parkfriedhof als Freizeitort | 88 2.3 Central Park Anfänge einer demokratischen Parkkultur | 104 3. Spaces of Spectacle New York Citys Armenfriedhöfe als Freizeitorte | 119

3.1 Golgotha in Greenwich Village Die turbulente Vergangenheit des Washington Square Parks | 119 3.2 Quenching the City’s Thirst Reservoir Square und der Durst der Metropole | 154 3.3 The Commons and the Parade Sport, Spiel und Spektakel im City Hall Park und am Madison Square | 189 Schlussbemerkung Terrain vague als Raumkategorie in historischen Studien | 227 Abbildungen | 233 Quellen- und Literaturverzeichnis | 235

Vorwort

Dies ist mein Buch über New York, eine Stadt, über die schon viel geschrieben wurde, aber noch längst nicht alles gesagt ist. An dieser Stelle soll den Menschen gedankt werden, die mich in den Jahren der Konzeption, Recherche, Archivarbeit und des Schreibens dieser Monografie begleitet haben. Zuerst möchte ich meiner Familie danken. Vieles, was ich in den letzten Jahren tat, spielte sich außerhalb Eures Vorstellungs- und Erfahrungsbereichs ab. Dennoch hattet Ihr Vertrauen in mein Vorhaben und wurdet nicht müde, mir Mut zuzusprechen. Ebenso muss an dieser Stelle meinen Freunden gedankt werden, allen voran Julia Staudinger, Sabine Drotleff und Charlotte Lerg, die mich regelmäßig vom Grübeln und Zweifeln abbrachten. Der größte Dank gilt freilich den Gutachtern meiner Dissertation, Christof Mauch und Ursula Prutsch. Beide begleiteten mich bereits während meines Magisterstudiums und ermunterten mich im Anschluss dazu, weiter akademisch zu arbeiten. In Oberseminaren und intensiven Einzelgesprächen brachten sie mich auf Kurs, hinterfragten mein Vorgehen kritisch und konstruktiv. Darüber hinaus warf mich Christof immer wieder ins kalte Wasser der Wissenschaft. Er zwang mich, meine comfort zone zu verlassen und gab mir dadurch neuen Freiraum. Anke Ortlepp, Jens Kersten und Helmuth Trischler sei für ihre wertvollen Hinweise Theorie und Methode betreffend gedankt; Christof Decker dafür, dass er sich bereit erklärt hat, als drittes Mitglied der Prüfungskommission zu fungieren; und den Mitarbeitern der New York Historical Society und der New York Public Library für unermüdliche Find- und Tragearbeit. Diese Dissertation hätte nicht verwirklicht werden können ohne die großzügige Unterstützung des Rachel Carson Center for Environment and Society, welches es mir ermöglichte, als Mitarbeiterin und assoziierte Doktorandin im Promotionsprogramm Umwelt und Gesellschaft mein Projekt unterschiedlichen Hörerschaften vorzustellen. Darüber hinaus gilt der Ludwig-MaximiliansUniversität München (LMU) großer Dank. Ohne deren großzügige Förderung

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der letzten Schreibphase hätte das Projekt sicher noch keinen Abschluss gefunden. Weiterhin sei der Bayerischen Amerika-Akademie, dem Lasky Center for Transatlatic Studies und dem Amerika-Institut der LMU gedankt.

Einleitung Terrain vague: Das unbekannte New York

New York City, die Stadt an der Mündung des Hudson River, steht heute emblematisch für die Vereinigten Staaten. New York ist eine Ikone des Fortschritts und der Macht der amerikanischen Nation. Seine Skyline und Häuserschluchten sind Monumente der amerikanischen Modernität.1 Dennoch deklariert der Autor Jonathan Franzen die Stadt als „the next best thing to Europe“.2 Keine andere amerikanische Metropole ist näher an Europa als New York. Dabei ist New York City keine europäische Stadt, sie ist nicht einmal die europäischste Stadt der USA.3 Vielmehr ist sie das Produkt eines doppelten Wettstreits: eines mit Europa und eines mit den anderen urbanen Ballungszentren der Vereinigten Staaten. In diesen Wettstreit trat New York im 18. Jahrhundert als Underdog ein. Im amerikanischen Kontext waren Boston und Philadelphia bis zur Amerikanischen Revolution wesentlich bestimmender.4 Ein erfolgreiches Kräftemessen mit europäischen Metropolen erschien gar bis weit in das 19. Jahrhundert hinein als illusorisch. Der Stadt fehlte es an kommerzieller, kultureller, politischer und physischer Infrastruktur. Der Hafen war zu klein, das Straßennetz lückenhaft und unübersichtlich, externe Transportwege schlecht ausgebaut, Theater und Museen Mangelware und das Rathaus als solches nicht existent. New York City war zu

1

Vgl. David Ward & Oliver Zunz, „Between Rationalism and Pluralism: Creating the Modern City“, in: David Ward & Oliver Zunz (Hg.), The Landscape of Modernity: New York City, 1900-1940 (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1997), 3-15.

2

Jonathan Franzen, „First City“, in: Jonathan Franzen, How To Be Alone: Essays (London: Fourth Estate, 2002), 181.

3

Vgl. Jean Baudrillard, Amerika (München: Matthes & Seitz, 1986), 25.

4

Vgl. Carl Bridenbaugh, Cities in Revolt: Urban Life in America 1743-1776 (New York: Alfred A. Knopf, 1965), 3-42.

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Beginn des 19. Jahrhunderts weit davon entfernt eine Weltstadt zu sein, holte aber stetig auf und wurde zur ersten Stadt auf dem Territorium der USA, die die Bezeichnung Metropole verdiente.5 Dieses Buch widmet sich dem jungen New York, der Kleinstadt an der Mündung des Hudson Rivers, die in der Antebellum Era zum kommerziellen Zentrum der USA avancierte. Ihr Potential, den großen, fürstlichen Städten Europas in der Zukunft den Rang abzulaufen, wurde bereits früh erkannt. So schrieb die englische Schauspielerin Fanny Kemble am 13. September 1832 die folgenden Zeilen in ihr Reisetagebuch: [T]he woods and waters and hills and skies alone are old here; the works of men are in the very greenness and unmellowed imperfection of youth […]. [T]he Americans are not satisfied with glorying in what they are, […] they are never happy without comparing this [New York] their sapling to the giant oaks of the old world,— and what can one say to that? Is New-York like London? No, by my two troths it is not; but the oak was an acorn once, and New York will surely, if the world holds together long enough, become a lordly city, such as we know of beyond the sea.6

Kemble besuchte die Vereinigten Staaten gemeinsam mit ihrem Vater Charles in den Jahren 1832 und 1833 zum ersten Mal und hielt ihre Eindrücke fest. Neben New York bereiste sie auch Boston und Philadelphia, doch keine der anderen beiden Städte verfügte in ihren Augen über die gleichen Möglichkeiten wie New York City.7 Diese Stadt war der kräftigste Setzling des urbanen Amerikas. Eine Stadt, die schon in ihrer Jugend raumgreifend war. New York war damals bereits „the next best thing to Europe“ und eine sich rapide entwickelnde Stadt mit Modellcharakter. Dabei wurde die Enge der Insel Manhattan zum Katalysator und nicht zum Hemmnis des urbanen Wachstums. Der Rechtsanwalt George Templeton Strong kommentierte am 27. Oktober 1850 das massive Wachstum der Stadt folgendermaßen: „How this city marches northward! The progress of 1835 and 1836 was nothing to the luxuriant, rank growth of this year.“8

5

Vgl. George J. Lankevich, American Metropolis: A History of New York City (New York: New York University Press, 1998), 112-37.

6

Frances Anne Butler [Fanny Kemble], Journal of a Residence in America (Paris: A. and W. Galignani, 1835), 56.

7

Edb., 68.

8

George Templeton Strong, „From the Diaries“, in: Phillip Lopate (Hg.), Writing New York: A Literary Anthology (New York: The Library of America, 1998), 191.

E INLEITUNG

| 11

Je weniger Platz auf der Insel zur Verfügung stand, desto stärker verlief die räumliche Ausbreitung New Yorks, zuerst horizontal und später auch vertikal.9 New York City wollte im nationalen und internationalen, im realen und imaginierten, Wettbewerb der Städte bestehen. Um das zu erreichen, bedurfte es der Expansion in allen Bereichen. Einen stringenten Plan dafür gab es nicht. In den Aussagen Strongs und Kembles zeigt sich bereits, dass New Yorks sukzessive Metropolwerdung als natürlicher und entsprechend guter und gesunder Prozess wahrgenommen wurde, der auch ohne übergreifende Organisation nicht ins Stocken kommen würde. Mit zunehmender Urbanisierung wurden allerdings die Stimmen lauter, die ein stärker strategisches Vorgehen forderten. Im Frühling des Jahres 1868 stellte sich der Dichter und Herausgeber der New York Evening Post, William Cullen Bryant, in einem Leitartikel die Frage, ob eine Stadt an sich planbar sei.10 Bryant war weitläufig als Fürsprecher von Parks und anderen Neuerungen im öffentlichen Raum bekannt. In seinem Artikel regte er eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem urbanen Wachstum an und sprach sich für eine systematische Landschaftsgestaltung aus: That „whatever is great is not made”, but grows, is an axio[m] of the fashionable philosophy that is someti[mes] pressed against those who would anticipate [the] future of great cities, and make proviso[ns] for their coming wants. [...] New York will improve in plan still more rapidly than it grows in size; and will greatly hasten the natural work of those unmeasured local and political advantages[,] which promise, within a century, to make this the first city of Christendom.11

Er war sich der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Grenzlinien bewusst, die innerhalb der Stadt verliefen, und suchte konkret nach Lösungsansätzen für die Dilemmas, die sich aus einer immer stärkeren unkontrollierten Urbanisierung ergaben. Wirtschaftliche, infrastrukturelle und soziale Interessen rücken in seinen Überlegungen in den Vordergrund. Die Faktoren, die die Stadtentwicklung

9

Zur vertikalen Expansion New York Citys siehe Sarah Bradford Landau & Carl W. Condit, Rise of the New York Skyscraper: 1865-1913 (New Haven: Yale University Press, 1996).

10

William Cullen Bryant, „Can A City Be Planned?“, in: Real Estate Record and Builders Guide, Vol. 1, No. 1 (21. Mär. 1868). Die Immobilienfachzeitschrift Real Estate Record and Builders Guide druckte Bryants Beitrag aus der New York Evening Post vom 16. März 1868 nach. Das Original aus der New York Evening Post gilt leider als nicht mehr auffindbar.

11

Ebd.

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behinderten, waren für Bryant von großer Bedeutung. Er wies auf infrastrukturelle Unzulänglichkeiten und gesellschaftliche Ungleichgewichte hin, die dazu führten, dass Erholungsorte für einen Großteil der arbeitenden Klasse schwer erreichbar waren. Er sprach sich für eine bessere Stadtplanung durch die Eliten aus und betonte, dass dies zum Vorteil aller Stadtbewohner sei.12 Sowohl die Darstellung Bryants als auch die Ausführungen von Kemble und Strong weisen auf die Herausforderungen und Möglichkeiten hin, welche die zunehmende Urbanisierung auf Manhattan Island mit sich brachte. Zudem werfen sie Fragen auf: Wer schuf und transformierte den urbanen Raum13 des jungen New York Citys? Wie geschah dies? Welche Akteure und Praktiken waren von Bedeutung? Dieses Buch soll Aufschluss darüber geben, wie New York als Ort geplant, gebaut, bewohnt, angeeignet, gefeiert, geplündert und transformiert wurde. Dabei ist zu bedenken, dass die Phasen des Lebenszyklus eines urbanen Raums von Angehörigen verschiedener Gruppen unterschiedlich wahrgenommen werden.14

12

Ebd.

13

Raum ist bis heute in Nordamerika eine der treibenden Größen der Geschichte und der Geschichtsschreibung. In unzähligen Publikationen wird die Bedeutung von Raum und Räumlichkeit für die Entwicklung der amerikanischen Nation herausgearbeitet. Der geografische Raum wird bereits seit dem Ende der 1980er-Jahre wieder als kulturelle Größe wahrgenommen. Verwendete der Humangeograf Edward Soja in Postmodern Geographies den Begriff spatial turn in Bezug auf die Schriften Michel Foucaults und Henri Lefebvres noch eher beiläufig, so sollte er im Laufe des darauffolgenden Jahrzehnts, trotz oder bedingt durch das Fehlen einer genaueren Definition und einiger Kontroversen, an Wirkmacht gewinnen. Vgl. Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns: Neuorientierung in den Kulturwissenschaften (Reinbek: Rowohlt, 2006), 284-328. Jörg Döring & Tristan Thielmann (Hg.), Spatial Turn: Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften (Bielefeld: transcript, 2009), 7. Michael Hochgeschwender, „Raum und nationale Identität in der US-amerikanischen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert“, in: Anke Köth et al. (Hg.), Building America: Die Erschaffung einer neuen Welt (Dresden: Thelem, 2005), 21-41. Jürgen Osterhammel, „Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistorie und Historische Geographie“, in: Neue Politische Literatur, 43.3 (1998), 374-397. Edward W. Soja, Postmodern Geographies: The Reassertation of Space in Critical Theory (New York: Verso, 1989), 16-21, 50.

14

Vgl. Dolores Hayden, The Power of Place: Urban Landscapes as Public History (Cambridge: The MIT Press, 1994), 15.

E INLEITUNG

| 13

Innerhalb des 19. Jahrhunderts durchlief die Insel Manhattan eine so ungeheuerliche Veränderung, wie zuvor und danach nie wieder.15 Das Rurale wurde durch das Urbane ersetzt, die Konzentration und die Enge des dichtbevölkerten Orts löste die Weite des unbesiedelten Raums ab.16 Letztlich bestanden ländliche und städtische Elemente in New York City aber Seite an Seite fort und tun dies bis heute. In The Continuing City17 setzt sich der amerikanische Geograf James Vance mit genau diesem Phänomen auseinander. Ihn beschäftigt der Entwicklungsprozess der Städte der westlichen Welt. Vance geht davon aus, dass sich geografische Veränderungen nur im Lichte historischer und sozialer Gegebenheiten vollends begreifen lassen und dass nur die Analyse des sozialen Kontexts ein aussagekräftiges Narrativ entstehen lässt. Städte, so Vance, sind die größten kulturellen und geografischen Artefakte und das Produkt des Zusammenspiels verschiedener Kräfte: „[…] at no period in urban history has a city been simply a matter of contemporary practices and thus free of the past or the future“.18 Vance bezieht in seinen Betrachtungen von Stadtentwicklungen die Vergangenheit, die Zukunft und die Gegenwart mit ein und berücksichtigt die in der Stadt ausgeübten Praktiken. Das alles hat diese Monografie im Blick, wenn sie diejenigen Praktiken genau in Augenschein nimmt, die den jungen urbanen Raum New Yorks prägen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Freizeitaktivitäten19, denen die Stadtbewohner unter freiem Himmel nachgingen und

15

Vgl. David M. Scobey, Empire City: The Making and the Meaning of the New York City Landscape (Philadelphia: Temple University Press, 2002), 1-14.

16

Generell wird in diesem Buch zwischen Raum und Ort differenziert. In Rückbezug auf die Ausführungen des Geografen Yi-Fu Tuan wird davon ausgegangen, dass der Umgang mit Raum Orte entstehen lässt. Yi-Fu Tuan, Space and Place: The Perspective of Experience (Minneapolis: University of Minnesota Press, 1977), 3.

17

The Continuing City ist eine überarbeitete Fassung der von Vance 1977 veröffentlichten Monografie This Scene of Man. In dieser betrachtet er die Stadt bereits als Organismus und mahnt die Geschichtsverdrossenheit der Geografie an. James E. Vance, This Scene of Man: The Role and Structure of the City in the Geography of Western Civilization (New York: Harper’s College Press, 1977), 3, 19. Vgl. James E. Vance, The Continuing City: Urban Morphology in Western Civilization (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1990), 13.

18

Vance, The Continuing City, 22.

19

Diese Monografie verwendet einen losen Freizeitbegriff. Freizeit wird als subjektgebundenes und entsprechend vielfältiges Vehikel zur selbstbestimmten Bedürfnisbefriedigung verstanden. Vgl. Jürgen Habermas, „Soziologische Notizen zum Verhältnis von Arbeit und Freizeit“, in: Gerhard Funke (Hg.), Konkrete Vernunft: Fest-

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darauf, wie diese Aktivitäten sich auf die Ausgestaltung der Stadt auswirken. Die Betrachtung von Freilufterholung ermöglicht eine Geschichtsschreibung, die die Stadt umfassend beschreibt. Unter freiem Himmel wurden sowohl bereits institutionalisierte als auch im weiteren Sinne noch unorganisierte Praktiken von Angehörigen aller Klassen und Ethnien ausgeübt. Dies geschah meist getrennt voneinander, gelegentlich aber auch miteinander. An bestimmten Plätzen innerhalb New Yorks trafen die Menschen unweigerlich aufeinander und tauschten sich miteinander aus. Der Mediziner Joel H. Ross hielt dazu im Jahr 1851 folgendes in seiner Reportage über New York City fest: Here [on Broadway] the old and the young, the wise and the foolish, the rich and the poor, the fop and the flirt, the banker and the beggar, meet and pass, and smile and frown, and court and scorn, and help and hinder, and jostle against each other while trying to avoid juxtaposition […].20

Ross wirft ein Schlaglicht auf den Broadway als Interaktionsraum. Trotz unterschwelligen Unbehagens und Misstrauens gab es in New York an bestimmten Plätzen soziale Integration. In der Stadt bestimmten Improvisation und Pragmatismus den Umgang mit spezifischen Orten und miteinander. Der Historiker John D. Fairfield beschreibt in The Public and Its Possibilities das Phänomen, dass Angehörige der Unterschicht die outlying commons in ihrer Freizeitgestaltung nutzten. Diese unbebauten Flächen konnten alles sein: vom brach liegenden Feld bis zum (stillgelegten) Armenfriedhof in der Nähe der Nachbarschaft.21 Fairfield geht davon aus, dass nicht nur Angehörige der Mittelklasse und Oberschicht auf der Suche nach Zerstreuung waren, sondern auch der sogenannte Pöbel, die lower orders22. Die Unterschicht war auf die sogenannten commons – Plätze mit

schrift für Erich Rothacker (Bonn: Bouvier, 1958), 219-31. Markus Lamprecht & Hanspeter Stamm, Die soziale Ordnung der Freizeit (Zürich: Seismo, 1994), 29-40. 20

Joel H. Ross, What I Saw in New York. or a Bird’s Eye View of City Life (Auburn: Derby & Miller, 1851), 164.

21

John D. Fairfield, The Public and Its Possibilities: Triumphs and Tragedies in the American City (Philadelphia: Temple University Press, 2010), 84.

22

In den ausgewerteten Textquellen verwenden die Autoren häufig den Begriff lower orders in der Beschreibung der Angehörigen der urbanen Unterschicht. Dabei variieren die Einschätzungen wer zu „den Unteren“ zählt, massiv: sowohl die Bewohner des Arbeits- und Armenhauses der Stadt, als auch Angehörige der Handwerkerzunft, Bauern, Tagelöhner und Lohnarbeiter wurden so klassifiziert. In der Stadt lebende Angehörige sichtbarer ethnischer Minderheiten, wie Afroamerikaner und Sino-

E INLEITUNG

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Allmendencharakter – angewiesen, wenn sie nach Orten suchten, an denen sie ihre Freizeit verbringen konnten. Die Unterscheidung zwischen öffentlichem (public), privatem (private) und gemeinem (common) Land war für die Entwicklung New York Citys von großer Bedeutung. Die Stadthistorikerin Elizabeth Blackmar stellt in Manhattan for Rent heraus, dass es in der durch den Bundesstaat geschaffenen Corporation of the City of New York23 de jure kein Gemeineigentum (common property) gab, sondern nur Körperschaftseigentum (public beziehungsweise corporate property) und Privateigentum. Corporate property erfüllte an vielen Stellen die Funktion von Gemeineigentum. Einerseits gab die Corporation immer wieder Teile ihres Grundbesitzes zur allgemeinen Nutzung frei. Andererseits blieb ein Großteil des öffentlichen Grundeigentums bis nach Ende des Bürgerkriegs unbebaut, so dass es von der Allgemeinheit als de facto Allmende genutzt wurde.24 Die Armenfriedhöfe New York Citys im 19. Jahrhundert waren corporate property und damit öffentliche Orte, an denen Angehörige aller Klassen zunehmend ihre Zeit verbrachten; teilweise taten sie das klar voneinander abgegrenzt, doch häufig auch gemeinsam. Das macht die Armenfriedhöfe für eine

amerikaner, zählten meist trotz ihrer beruflichen Tätigkeit zu den lower orders. Wobei ihre Anwesenheit im Stadtraum, ähnlich wie die der jüdischen Minderheit, meist wenig oder gar nicht thematisiert wurde. Vgl. Frederick Binder & David M. Reimers, All the Nations Under Heaven: An Ethnic and Racial History of New York City (New York: Columbia University Press, 1995), 1-92. Frederick Binder & David M. Reimers, The Way We Lived: Essays and Documents in American Social History, Volume 1: 1607-1877 (Lexington: D.C. Heath, 19932). 23

New York war bereits seit frühester Kolonialzeit als Körperschaft organisiert. Die Corporation of the City of New York bestand nach der Revolution fort. Der Begriff wurde aber nicht nur in juristischen Dokumenten verwendet. Die Stadtbevölkerung sprach ebenfalls in Bezug auf die Stadt verknappt von der Corporation. Hier wird der Begriff gleichsam als Synonym für New York City verwendet. Vgl. Hendrik Hartog, Public Property and Private Power: The Corporation of the City of New York in American Law, 1730 – 1870 (Ithaca: Cornell University Press, 1989), 7.

24

Elizabeth Blackmar, Manhattan for Rent, 1750-1850 (Ithaca: Cornell University Press, 1989), 149-72. Edwin G. Burrows & Mike Wallace, Gotham: A History of New York City to 1898 (New York: Oxford University Press, 1999), 140. Hartog, Public Property and Private Power, 179-181. Vgl. George Ashton Black, The History of Municipal Ownership of Land on Manhattan Island: To the Beginning of Sales by the Commissioners of the Sinking Fund in 1844 (New York: Columbia University, 1897).

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eingehende Betrachtung so interessant. Ein Schlaglicht auf die Armenfriedhöfe im entstehenden urbanen Raum New York Citys wird beleuchten, wie die sogenannten potter’s fields zugleich räumliche Manifestationen von sozialer Stratifikation einerseits und Demokratisierungsprozessen andererseits seien konnten. Die potter’s fields waren Begräbnisstätten und „unstrukturierte öffentliche Spielplätze“25, die schließlich in Parks umgewidmet wurden. Ein Faktum, das in der Stadtgeschichtsschreibung New Yorks bisher weitgehend ignoriert wurde.26 Dabei waren diese Plätze und die dort ausgeübten Praktiken und Aktivitäten – jenseits der Begräbnisriten – von kultureller Relevanz. Armenfriedhöfe waren als outlying commons Teil des unbestimmten Territoriums27 der Stadt und ermöglichten Begegnungen, die andernorts undenkbar waren. In der Antebellum Era war ein Großteil des späteren Stadtraums terrain vague im Sinne des spanischen Architekten und Kritikers Ignasi de SolàMorales. Dieser überträgt in seinem Essay „Terrain Vague“ einen Trend aus der Stadtfotografie auf die Analyse der Stadtlandschaften der Metropolen des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Terrain vague ist für ihn leerer, verlassener Raum, der einst Schauplatz von Ereignissen war. Von diesem Raum geht eine Faszination aus, die darauf hindeutet, was Städte sind und wie wir sie erfahren. SolàMorales legt seiner Analyse die Annahme zugrunde, dass urbane Vorgänge Prozesse der Entfaltung, Differenzierung und Informationsgewinnung sind, die sich in ihrer Komplexität traditionellen, strukturalistischen Analysemodellen entziehen. Er distanziert sich klar von quantitativen Methoden und betont den systemischen Charakter von Städten. Für ihn sind urbane Landschaften

25

Der amerikanische Kulturgeograf John Brinckerhoff Jackson unterscheidet zwischen zwei Arten von urbanen Freilufterholungsorten: den entworfenen Park und den unstrukturierten Spielplatz. Jackson führt Kirchhöfe, Haine und unerschlossenes Land außerhalb der Stadtmauern beispielhaft als unstrukturierte Erholungsorte an. John Brinckerhoff Jackson, Discovering the Vernacular Landscape (New Haven: Yale University Press, 1984), 127-30.

26

Einzig die Geschichte von Washington Square und dessen Ursprung als Armenfriedhof wurde bereits ausführlich erfasst. Dabei lag das Augenmerk aber primär auf der Nutzung des Platzes durch die wohlhabenden Klassen. Mit der Darstellung des Washington Squares als reiner Enklave der Oberschicht wird in dieser Monografie gebrochen.

27

Vgl. Ignasi de Solà-Morales Rubió, „Terrain Vague“, in: Cynthia C. Davidson (Hg.), Anyplace (Cambridge: MIT Press, 1995),118-23.

E INLEITUNG

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unerschöpfliche, unvollendete Systeme, die kontinuierlich der Transformation unterliegen.28 Solà-Morales’ Konzept des terrain vague lässt sich auf die Genese von New York City anwenden. Als Raumgebilde zeichnet sich dieses unbestimmte Territorium durch das Fehlen konkreter übergreifender Nutzungsvorgaben aus. Entsprechend bietet es Akteuren Platz für die individuelle Ausübung von sozialen und kulturellen Praktiken und Aktivitäten. Damit eröffnet es ein Maß an kultureller Freiheit, über das nur wenige andere urbane Raumgebilde verfügen. Terrain vague ist ein Produkt und eine Voraussetzung urbaner Entwicklungsprozesse. In seiner Reinform als „leerer Raum“ bietet es sich für historischquantitative Studien an. Mit seinem fluiden Charakter als Zwischenraum ist es Schauplatz qualitativer Untersuchungen. Anfang des 19. Jahrhunderts verfügte man auf Manhattan Island über viel leeren, verlassenen Raum. Einst von Indianern bevölkert, diente er zwischenzeitlich den Sklaven der Stadt als de facto Allmende und Friedhof, war Jagdgrund und Ackerland29 und stand nun der Transformation offen gegenüber. Im folgenden wird eine lose Definition des Begriffs verwendet: alle Orte innerhalb der Stadt, die Allmendencharakter aufwiesen und damit Handlungsraum für eine Vielzahl von Akteuren boten, werden unter dem Terminus terrain vague zusammengefasst. Dem terrain vague New York Citys waren an mancher Stelle Nutzungen zugewiesen, solange sich diese aber nicht materiell manifestierten – etwa als Park oder Gebäude – stand dieses Territorium als de facto common allen Stadtbewohnern zur Verfügung. Die auf dem terrain vague ausgeübten sozialen und kulturellen Praktiken und Aktivitäten waren wenig bis gar nicht reglementiert. Zahlreiche andere öffentliche und semi-öffentliche Orte unterlagen strikten Verhaltenskodices und Nutzungsvorgaben. Die Stadtbewohner, die sich den Bestimmungen nicht beugen konnten oder wollten, wurden ausgeschlossen.30 Die de facto commons der Stadt standen jedermann offen und zählten damit zu den demokratischsten Plätzen New Yorks. Allerdings waren sie auch Orte der Unsicherheit, da sie ihre Funktionen durch individuelle Aneignung und nicht durch rechtliche Zuschreibungen erhielten. Die in diesen „Zwischenräumen“ ausgeführten Praktiken und Aktivitäten waren, wie die Plätze selbst, durch keine Ordnung geschützt. De jure waren die de facto commons Privatbesitz oder öffentliches Eigentum. Als Allmende und Freiraum konnten sie nur solange fun-

28

Solà-Morales, „Terrain Vague“, 119, 122-23.

29

Burrows & Wallace, Gotham, 5, 33, 58.

30

Vgl. Daniel Rogers (Hg.), The New-York City-Hall Recorder for the Year 1818 (New York: Abraham Vosburgh, 1818), 141-42.

18 | D AS ANDERE N EW Y ORK

gieren, bis die privaten Investoren oder die Stadtverwaltung von ihren Landnutzungsrechten Gebrauch machten.31 Common ground in New York City war somit immer auch contested ground – umkämpfter Grund und Boden. Die demokratische Revolution in der Stadtpolitik in den 1820er-Jahren räumte einem Teil der Bevölkerung ein größeres politisches Mitbestimmungsrecht ein, was die Gestaltung von öffentlichen Plätzen anging. Letztlich blieben es jedoch die besitzenden Klassen, die über die größte Gestaltungsmacht verfügten. Sie modifizierten die „gebaute Umwelt“ (built environment) auf andere Art und Weise, als es die Angehörigen der Unterschicht tun konnten. Die Wohlhabenden konstruierten eine stabilere Lebenswelt, sowohl, was die verwendeten Materialien, als auch, was den rechtlichen Schutz betraf. Diese manifesten Lebenswelten bremsten den sozialen Wandel, wie der Autor und Kritiker Raymond Williams in The Country and the City festhält.32 Sobald Strukturen in die Landschaft eingeschrieben wurden, die durch Gesetz geschützt waren, verminderte das das Potential für gesellschaftliche Veränderungen. Doch auch die ärmere Bevölkerung im urbanen Raum war nicht vollkommen ohne Einfluss. Ihr Handeln wirkte sich auf Elitenentscheidungen bezüglich der Raumnutzung aus. Im Folgenden wird an spezifischen Beispielen gezeigt, wie die Ausgestaltung des urbanen Raums in New York City unter Mitwirkung verschiedener Akteure und unter Ausübung diverser Praktiken von Statten ging. Kaum eine Stadt ruft ein solches Forschungsinteresse hervor wie New York City. Folglich befassen sich eine Fülle von Monografien und Aufsätzen mit der Stadtlandschaft und der Entwicklung des urbanen Raums auf Manhattan Island. Allerdings legen die meisten der Autoren ihren Fokus auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg beziehungsweise auf die Veränderungen, die die Stadt in der Progressive Era und bis Mitte des 20. Jahrhunderts durchlief. Urbanes Elend und imposante architektonische Strukturen stehen im Zentrum der Analysen. Die Antebellum Era und die Veränderungen, die mit dieser Ära einhergingen, blieben bis dato weitgehend unerforscht.33 Eine der besten Studien zur Entwicklung

31

Vgl. Hartog, Public Property and Private Power, 24. Roy Rosenzweig & Elizabeth Blackmar, The Park and the People: A History of Central Park (New York: Henry Holt, 1992), 73-81.

32

Raymond Williams, The Country and the City (New York: Oxford University Press, 1973), 5.

33

Mehr als ein Drittel aller Einträge innerhalb einer erstmals im Jahr 2001 veröffentlichten bibliografischen Sammlung zur Geschichte der wichtigsten Städte der USA war New York City gewidmet. Die Periode zwischen Amerikanischer Revolution und dem Bürgerkrieg zeigt sich auch darin unterrepräsentiert. Siehe: Nicholas Kura

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New York Citys in der Zeit zwischen der Amerikanischen Revolution und dem Bürgerkrieg ist die enzyklopädisch anmutende Monografie The New Metropolis des Historikers Edward K. Spann, die viele Facetten der Stadtentwicklung in den Jahren zwischen 1840 und 1857 einfängt. In diesem Zeitraum sei, so Spann, New York City zur Metropole geworden, und zwar durch das Zutun der Angehörigen aller Klassen.34 Untersuchungen zur Stadtentwicklung New Yorks – jenseits der Analysen zur Herausbildung von Wohneigentum (residential real estate) – stellen häufig keine konsistente Verquickung sozialgeschichtlicher Trends mit den räumlichen Strukturen innerhalb der Stadt her. Kulturelle und gesellschaftliche Phänomene fungieren eher als Ornament. Das Erkenntnisinteresse der klassischen Untersuchungen zur Stadtgeschichte liegt meist in den Bereichen der Wirtschaftsoder Designgeschichte. Zwei der bedeutendsten Studien zur Entwicklung von Wohneigentum in New York City im 19. Jahrhundert entstanden in den 1980erJahren. Blackmars Monografie Manhattan for Rent und A History of Housing in New York City aus der Feder des Architekten Richard Plunz beschäftigen sich detailliert mit der Entstehung des built environment New Yorks. Dabei schließt Plunz’ Analyse der Wohnraumentwicklung zeitlich dort an, wo Blackmars endet. Obwohl beide Autoren sozialgeschichtliche Elemente mit einbeziehen, handelt es sich doch um primär architektur- beziehungsweise rechtsgeschichtliche Werke.35 Für die Erforschung des Transformationsprozesses des terrain vague sind Blackmars und Plunz’ Texte dennoch höchst relevant. Sowohl Plunz als auch Blackmar arbeiten mit dem morphologischen Paradigma Vances – wie viele andere Vertreter der new urban history. Unter Bezugnahme auf die Monografie Streetcar Suburbs36 des Historikers Sam Bass Warner versuchen new urban historians, Modelle der räumlichen Veränderungen innerhalb von Städten zu entwerfen. Geradlinige Modernitäts- und Modernisierungs-

& Tatiana Shohov, American Cities: A Bibliography (Huntington: Nova Science Pub., 2001), 21-135. Vgl. James D. Kornwolf, Architecture and Town Planning in Colonial North America, Vol. 2 (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2002), 1115-40. 34

Edward K. Spann, The New Metropolis: New York City, 1840-1857 (New York: Columbia University Press, 1981).

35

Blackmar, Manhattan for Rent. Richard Plunz, A History of Housing in New York City (New York: Columbia University Press, 1990).

36

Sam Bass Warner, Streetcar Suburbs: The Process of Growth in Boston, 1870-1900 (Cambridge: Harvard University Press, 1973).

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diskurse lenken ihre Argumentation.37 Die Entwicklung New Yorks zeichnen sie folglich als einen systematischen Prozess mit klaren zeitlichen Zäsuren, in dessen Verlauf sich die Stadt räumlich stärker ausdifferenziert, während immer mehr Land in sie integriert wird.38 Studien, die die gesamte Stadtlandschaft New Yorks analysieren, betonen die Bedeutung des Großbürgertums für die Genese und Modifikation der Stadt und halten das Erstarken der Bourgeoisie im 19. Jahrhundert für prägend.39 Inzwischen lenken aktuelle Forschungsergebnisse in der Archäologie den Blick jedoch auch auf andere Akteure, die für Stadtgeschichte bedeutsam waren. In der Monografie Unearthing Gotham tragen Anne-Marie Cantwell und Diana diZerega Wall die Ergebnisse verschiedener Ausgrabungen zusammen und zeichnen so ein wesentlich vollständigeres Bild der Ausgestaltung des urbanen Raums, das außerdem im Widerspruch zu den geradlinigen Fortschritts- und Modernitätsnarrativen der früheren Publikationen steht.40 Cantwell und Wall berichten ebenfalls von Wandel und Innovation, nur kommen sie aufgrund ihrer Quellen zu dem Schluss, dass Angehörige der Handwerker- und Arbeiterschaft und der Unterschicht an den bemerkenswerten Veränderungen im urbanen Raum maßgeblich Anteil hatten. Darüber hinaus machen sie deutlich, dass der gesellschaftliche Wert von viel gelobten Infrastruktur- und Erholungsgroßprojekten, etwa dem Croton Aqueduct und dem Central Park, besonders in den ersten Jahren nach ihrer Inbetriebnahme eher gering beziehungsweise nicht messbar war.41 Cantwells und Walls qualitative Studie ist methodisch maßgeblich für die weitere Argumentation. Quantitative statistische Daten untermauern die Ergeb-

37

Zwei regional-übergreifende Studien zur Stadtentwicklung, die auf dem gängigen Modernisierungsnarrativ aufbauen, sind: David Ward, Cities and Immigrants: A Geography of Change in Nineteenth-Century America (New York: Oxford University Press, 1971) & Robert H. Wiebe, The Search for Order, 1877-1920 (New York: Hill & Wang, 1967).

38

Vgl. Scobey, Empire City, 4. Richard Senett & Stephan Thernstrom (Hg.), Nineteenth Century Cities: Essays in the New Urban History (New Haven: Yale University Press, 1969).

39

Siehe etwa: Sven Beckert, The Monied Metropolis: New York City and the Consolidation of the American Bourgeoisie, 1850-1896 (New York: Cambridge University Press, 2001). Matthew Gandy, Concrete and Clay: Reworking Nature in New York City (Cambridge: MIT Press, 2002). Scobey, Empire City.

40

Vgl. Anne-Marie Cantwell & Diana diZerega Wall, Unearthing Gotham: The Archaeology of New York City (New Haven: Yale University Press, 2001), 119-276.

41

Ebd., 250-252. Vgl. Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 238-59.

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nisse. Im Vordergrund steht jedoch immer der qualitative Ansatz im Sinne einer new cultural history oder new cultural urban history.42 So entsteht, abseits der von anderen Autoren viel beschworenen real estate economy43, und unter Berücksichtigung von Akteuren aus allen sozialen Schichten, eine andere Geschichte der Entwicklung New Yorks. Eine kulturgeschichtliche Betrachtung, die Ereignisse, Praktiken und räumliche Strukturen sowie deren Wahrnehmung und Wertung durch Zeitzeugen in den Vordergrund rückt, und in den größeren sozialen und politischen Kontext einordnet. Je nach Fallstudie variiert dieser Kontext: stadtinterne Debatten, nationale Auseinandersetzungen und transatlantische Austauschprozesse werden reflektiert. Primärquellen aus dem 19. Jahrhundert zeichnen das Bild eines (noch) provinziellen New York Citys, ähnlich dem des von Historiker Carl Bridenbaugh beschriebenen New Yorks des 18. Jahrhunderts.44 Die Elite blickte, was die weitere Ausgestaltung der Stadt anging, gen Europa, aber auch nach Boston und Philadelphia, während sie die Angehörigen der lower orders als rückständig und bäuerlich charakterisierte. In Anlehnung an das methodische Vorgehen der Historikerin Gail Bederman in ihrer Monografie Manliness and Civilization erfolgt die Auswertung der Primärquellen und der ihnen inhärenten Diskurse.45 Für Bederman besteht ein Diskurs aus multiplen, teilweise inkonsistenten und widersprüchlichen Ideen und Praktiken und birgt in sich die Chance auf Dissens oder Gegenwehr aufgrund der potentiellen Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit.46 Besonders bei Freizeit, Erholung und Unterhaltung existiert viel Raum für Unstimmigkeiten. Dies wird

42

Das methodische Vorgehen ist geschichtswissenschaftlich und verbindet eine klassisch hermeneutische Herangehensweise mit diskursanalytischen Elementen und Fragestellungen der Raumplanung. Vgl. Lynn Hunt (Hg.), The New Cultural History (Berkeley: The University of California Press, 1989), 1-22. Chris Lorenz, Konstruktionen der Vergangenheit: Eine Einführung in die Geschichtstheorie (Köln: Böhlau, 1997), 127-88.

43

Scobey, Empire City, 9. Vgl. Blackmar, Manhattan for Rent, 1-13. Hartog, Public Property and Private Power, 1-10. Plunz, A History of Housing, xxxiii-xxxv.

44

Vgl. Carl Bridenbaugh, Cities in the Wilderness: The First Century of Urban Life in America, 1625-1742 (New York: The Ronald Press Company, 1938), 481.

45

Bederman arbeitet mit dem Diskursbegriff des französischen Soziologen Michel Foucault und modifiziert diesen für ihre Zwecke. Vgl. Gail Bederman. Manliness and Civilization: A Cultural History of Gender and Race in the United States, 18801917 (Chicago: The University of Chicago Press, 1995), 24. Vgl. Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses (Frankfurt/Main: Fischer, 1991).

46

Bederman, Manliness, 24.

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etwa in den Monografien zu den Themen Sport und Unterhaltung der Historiker LeRoy Ashby und Melvin L. Adelman deutlich. Ashbys Studie With Amusement for All analysiert ein breites Spektrum an populären Unterhaltungsformen ab den 1830er-Jahren, die ihm zufolge ihren Ursprung in der Unterschicht hatten. Zuerst als rüde, unorganisiert und moralisch verwerflich im Elitendiskurs diffamiert, wurden sie aufgrund ihres spektakulären Charakters bald Teil des Unterhaltungsmainstreams.47 Adelmans Monografie A Sporting Time widerspricht Ashby in dieser Hinsicht. Er argumentiert, dass die Elite im Sport eine Vorreiterposition innehatte – als Aktive wie als Zuschauer.48 Die Realität liegt irgendwo dazwischen. In welchem Maße sportliche oder unterhaltende Praktiken letztlich Popularität erlangten und diese auch wieder verloren, hing eng mit den Diskursen über Körperlichkeit und deren Inszenierung zusammen.49 Die Studien von Adelman und Ashby setzen einen Fokus auf organisierte Formen der öffentlichen Unterhaltung, die schließlich kommerzialisiert wurden. Sie übersehen dabei, dass die Freizeit- und Erholungspraktiken abseits des Mainstreams und der kommerzialisierten Unterhaltung ebenfalls großen Einfluss auf die Ausgestaltung des Stadtraums hatten und folglich Beachtung verdienen. Wie, wo und womit die Stadtbewohner ihre Freizeit verbrachten, lässt sich rekonstruieren, wenn man auswertet, wie Angehörige der Elite die Stadt darstellten. Unter Rückbesinnung auf Bedermans Ausführungen zur Wirkweise von Diskursen lassen sich aus diesen Beschreibungen ebenfalls Rückschlüsse auf das Erholungsverhalten der Unterschicht ziehen. Ein Bericht der privaten philanthropischen Organisation Society for the Reformation of Juvenile Delinquents50,

47

LeRoy Ashby, With Amusement for All. A History of American Popular Culture since 1830 (Lexington: University of Kentucky Press, 2006).

48

Melvin L. Adelman, A Sporting Time: New York City and the Rise of Modern Athletics, 1820-70 (Chicago: University of Illinois Press, 1986).

49

Vgl. Erika Fischer-Lichte, „Entgrenzungen des Körpers. Über das Verhältnis von Wirkungsästhetik und Köpertheorie“, in: Erika Fischer-Lichte & Anne Fleig, KörperInszenierungen: Präsenz und kultureller Wandel (Tübingen: Attempto, 2000), 19-34. Anne Fleig, „Köper-Inszenierungen: Begriff, Geschichte, Kulturelle Praxis“, in: Erika Fischer-Lichte, & Anne Fleig (Hg.), Körper-Inszenierungen: Präsenz und kultureller Wandel (Tübingen: Attempto, 2000), 7-18. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit: Der Wille zum Wissen (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1987), 10-12.

50

Zur Arbeits- und Wirkweise patriarchalischer philanthropischer Reformorganisationen in den Städten der jungen Republik siehe: Mark E. Kann, Punishment, Prisons,

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die auch in der Verwaltung des Armenhauses New Yorks aktiv war, befasst sich mit dem rüpelhaften Verhalten eines jungen Diebes und seines Komplizen und gibt gleichzeitig Auskunft darüber, wofür die Jugendlichen ihre Beute verwendet hatten: „[T]hey went to the theatre, […]“.51 Andere junge Diebe gaben ihr Geld für Museums- oder Zirkuskarten aus, oder auch einfach für Alkohol.52 Gerichtspapiere, Gesetzestexte und Memoranden sind neben Reiseerzählungen, Zeitungs- und Zeitschriftenberichten, persönlichen Memoiren, Lithografien, zeitgenössischen Romanen, Gedichten und anleitender Kinderliteratur die Quellen, die zur Rekonstruktion der vielfältigen Freizeitaktivitäten, die den Stadtraum prägten, herangezogen werden. Viele dieser gedruckten und ungedruckten Quellen stammen aus den archivarischen Beständen der New York Historical Society und der New York Public Library. Während Gesetzesentwürfe und die Berichte über laufende und abgeschlossene Gerichtsverfahren Hinweise auf illegale Freizeitpraktiken geben, sind in der anleitenden Literatur für Kinder und Erwachsene Freizeitvergnügen verbrieft, die als respektabel galten. Reise- und Stadtführer wiesen angemessene Erholungsorte aus. Neues wurde gelobt, und die Schönheit der beschriebenen Örtlichkeiten wurde betont – schließlich warb man in den Publikationen für die Stadt. Ganz anders die Reiseberichte und Erzählungen eines Teils der europäischen Autoren, die New York City im 19. Jahrhundert bereisten. Sie lenkten den Blick gezielt auf die Defizite der Stadt und auf die leeren Versprechungen, die die Reiseführerliteratur machte. Ein stärker ausdifferenziertes Bild New Yorks abseits der klassischen Stadtführer53 und Reiseerzählungen zeichnen dokumentarische Stadtdarstellungen und

and Patriarchy: Liberty and Power in the Early American Republic (New York: New York University Press, 2005), 215-54. 51

Twelfth Annual Report of the Managers of the Society for the Reformation of Juve– nile Delinquents, in the City and State of New York (New York: Mahlon Day, 1837), 30.

52

Ebd., 16, 31.

53

Der französische Philosoph und Literaturkritiker Roland Barthes kritisierte in Mythen des Alltags den Informationsgehalt des populären „Blauen Führers“ („Guide Blue“). Als Reiseführer betrachte dieser, so Barthes, die Welt eher aus ästhetischen denn aus praktischen Gesichtspunkten und helfe mit seinem starken Vergangenheitsbezug wenig dabei, sich in der Gegenwart zurechtzufinden. Die spezifische Kritik Barthes am „Blauen Führer“ lässt sich auf die Reiseführerliteratur aus dem 19. Jahrhundert übertragen. Diese legten Zeugnis von den ästhetischen Qualitäten der Stadtlandschaft New Yorks ab, nutzten zur Orientierung in der Stadt und zur Förde-

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Romane. Der Schriftsteller Phillip Lopate schreibt in der Einleitung zur Anthologie Writing New York darüber, wie sich im 19. Jahrhundert eine literarische Stilrichtung in New York etablierte, die er „Walking Down Broadway-Genre“ nennt. Verschiedene Autoren, etwa James Kirke Paulding und Nathaniel Parker Willis, bemühten sich, ein Register der scheinbar willkürlichen Fülle des Straßenlebens in der sich rapide wandelnden jungen Stadt zu erstellen.54 Die Beobachtungen dieser Autoren und Autorinnen fließen hier ebenfalls ein. Eine Reihe von Anthologien gaben weitere Anstöße. Besonders die umfangreiche illustrierte Stadtgeschichte The Iconography of Manhattan Island, 14981909, die er Architekt und historisch versierte Sammler I.N. Phelps Stokes in sechs Bänden veröffentlichte, soll hier genannt werden. Stokes trug darin Memoranden, Zeitungsartikel, Protokolle der Stadtverwaltung und Auszüge aus persönlichen Korrespondenzen zusammen, versah sie mit erläuternden Kommentaren und reicherte sie mit historischen Bild- und Kartenmaterialien an.55 Im Bereich Zeitungen und Zeitschriften sind die literarische Monatszeitschrift The Knickerbocker, or New-York Monthly Magazine56 und die New York

rung eines bestimmten Kulturverständnisses aber wenig. In Verbindung mit anderen Text- und Bildquellen bereichern sie das Bild der Stadt dennoch sehr. Vgl. Roland Barthes, Mythen des Alltags (Frankfurt/Main: Surkamp, 1967), 59, 61. 54

Phillip Lopate (Hg.), Writing New York: A Literary Anthology (New York: The Library of America, 1998), 8, 74.

55

I.N. Phelps Stokes, The Iconography of Manhattan Island, 1498-1909, Vol. 1-6 (New York: Robert H. Dodd, 1915-1928). Band 5 ist eine umfassende annotierte und chronologisch geordnete Primärquellensammlung, die vorrangig schriftliche Quellen aus dem 19. Jahrhundert enthält. Band 6 ist ein Nachtrag zu den vorherigen Bänden. Er beinhaltet Kartenmaterialien, eine Chronologie der Stadtgeschichte, die bibliografischen Informationen und ein Index mit Personen- und Institutionsverzeichnis. I.N. Phelps Stokes, The Iconography of Manhattan Island, 1498-1909, Vol. 5 (New York: Robert H. Dodd, 1926). I.N. Phelps Stokes, The Iconography of Manhattan Island, 1498-1909, Vol. 6 (New York: Robert H. Dodd, 1928).

56

Ab hier im Text kurz Knickerbocker. Zwar lag der Fokus im Knickerbocker primär auf der Publikation und Besprechung literarischer Werke, aber in Kolumnen wurden auch Lokalpolitik und kulturelle Entwicklungen behandelt. Einige der literarischen Beiträge setzten ein Schlaglicht auf die Entwicklung und die Einwohner von New York City. Zitiert werden hier immer die gebundenen Jahresausgaben.

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Times57 wichtige Quellen. Da ein großer Teil der Bevölkerung Manhattans im 19. Jahrhundert kulturell in Neuengland58 verwurzelt war, fließen auch zeitgenössische Ausführungen zu dieser Region mit ein. Die Auswertung visueller Materialien liefert spannende Erkenntnisse für die Rekonstruktion der Stadtentwicklung und der mit ihr verknüpften Freizeitpraktiken. Lithografien werden in ihrem zeitlichen Kontext interpretiert; oft feiern sie den Fortschritt der Stadt oder zeigen sich sozialkritisch. Historisches Kartenmaterial, miteinander verglichen und unter Einbeziehung der schriftlichen Quellen, lässt Schlüsse auf die reale und die imaginierte Evolution der Stadt zu. Die im Jahr 1755 vom Stadtvermesser Francis Maerschalck erstellte Karte New Yorks war ebenso Quelle wie der Commissioners’ Plan von 1811 und die umfassende Sanitary & Topographical Map of the City and Island of New York, die der leitende Ingenieur des Central Parks Egbert Viele 1865 veröffentlichte. Der Darstellung davon, wie Freizeitaktivitäten zur Entwicklung der Stadt New York beigetragen haben, gingen diverse kultur- und sozialgeschichtliche Überlegungen voraus. Als Hafenstadt und kommerzielles Zentrum verfügte das wachsende New York über eine heterogene Bevölkerung. Bereits am Vorabend des War of 1812 beheimatete die Stadt Menschen verschiedensten Ursprungs. Eingewanderte Iren, Deutsche, Engländer, Schotten, Franzosen und Juden bevölkerten die Insel, ebenso wie die alteingesessenen Knickerbocker59, freie Schwarze und Sklaven sowie die große Gruppe der Zugewanderten aus Neuengland.60 Alle diese Menschen hatten Interesse an Land und Boden im Stadt-

57

Die New York Times gibt tiefgreifend Aufschluss über die Zeitspanne zwischen 1851 und 1860. Verschiedene in ihr publizierte Beiträge zur Stadtgeschichte informieren darüber hinaus sehr gut über das frühe 19. Jahrhundert.

58

Vgl. Kathryn Clippinger Kosto, „Yankee migration“, in: Peter Eisenstadt, & LauraEve Moss (Hg.), The Encyclopedia of New York State (Syracuse: Syracuse University Press, 2005), 1734-36.

59

Die Knickerbocker waren jene Stadtbewohner holländischer und englischer Abstammung, deren Familien seit frühester Kolonialzeit auf Manhattan Island lebten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts büßten sie immer mehr an politischer und stadtgestalterischer Macht ein. Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 434, 444.

60

J.D.B. De Bow, Statistical View of the United States (Washington: A.O.P. Nicholson, 1854), 99, 399. Ira Rosenwaike, Population History of New York City (Syracuse: Syracuse University Press, 1972), 23.

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gebiet. Wer es sich leisten konnte, kaufte oder pachtete Land für private Zwecke. Alle anderen waren auf die öffentlichen Ländereien angewiesen.61 Wer in New York wie Raum einnahm, war eng mit sozialer Klasse verknüpft.62 Der französische Soziologe Émile Durkheim beschreibt den gesellschaftlichen Raum als „unterteilt und differenziert“.63 Für ihn ist eine Gesellschaft nur dann funktionsfähig, wenn sie eine Untergliederung aufweist: „Diese Organisation der Gesellschaft teilt sich natürlich dem Raum mit, den sie einnimmt. Um jeden Zusammenstoß zu vermeiden, braucht jede einzelne Gruppe einen bestimmten Raumanteil.“64 Grenzziehung ist dabei nach Durkheim etwas Künstliches, aber sie sorgt dafür, dass das Individuum sich innerhalb der Gesellschaft und des Raumes zurechtfinden kann.65 Das prominenteste Beispiel einer solchen künstlichen Grenzziehung im Stadtraum New Yorks war der 1811 verabschiedete Commissioners’ Plan, der den Straßenverlauf und somit die Landverteilung auf Manhattan Island regulierte. Durkheims Ausführungen zum Raum lassen sich durch jene des deutschen Soziologen und Philosophen Georg Simmel66 erweitern. Wie auch Durkheim

61

Vgl. Sam Bass Warner Jr., The Urban Wilderness: A History of the American City (New York: Harper & Row, 1972), 15.

62

Vgl. Henri Lefebvre, The Production of Space (Oxford: Blackwell, 2007), 77, 116. Lefebvre klassifizierte den Raum, in neo-marxistischer Tradition, bereits Mitte der 1970er-Jahre, als Produkt gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

63

Émile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1984), 30.

64

Ebd., 592.

65

Émile Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung: Studien über die Organisation höherer Gesellschaften (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1988), 71, 242. Zum Bedeutungswandel territorialer Verortungen bei Durkheim siehe: Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen: Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2006), 58-60.

66

Simmel ist für die Analyse des urbanen Raums besonders dank seines viel zitierten Aufsatzes „Die Großstädte und das Geistesleben“ aus dem Jahr 1903 relevant. Dieser gilt heute als einer der Grundlagentexte der Stadtsoziologie. Die Großstadt wird darin auf Basis von Simmels Philosophie des Geldes (1900) kulturgeschichtlich betrachtet und zum Hauptschauplatz moderner Vergesellschaftungsprozesse erhoben. Diese neuen Formen der urbanen Vergesellschaftung greift Simmel in Soziologie (1908) vergleichend zu älteren Vergesellschaftungsprozessen wieder auf. Vgl. Georg Simmel, Die Großstädte und das Geistesleben (Frankfurt/Main: Suhrkamp,

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geht Simmel davon aus, dass Grenzen etwas Künstliches sind: „ideelle Linien“.67 Er betont zugleich die Sicherheit stiftende Funktion von Grenzen in Gesellschaften, warnt aber auch vor den Konsequenzen einer zu engen Grenzziehung, da diese zum Verlust des Raumes für das Individuum führe.68 Menschliche Aktivität im Raum erschafft laut Simmel zudem „Drehpunkte“. Drehpunkte sind Orte, an denen Individuen mit verschiedenen gesellschaftlichen Hintergründen – im Sinne Durkheims – aufeinander treffen. Ob und wie sie miteinander interagieren, hängt von persönlichen Faktoren ab.69 Die urbanen Zwischenräume, das terrain vague New Yorks, sind die Drehpunkte, um die herum diese spezielle Stadtgeschichte entsteht. Sie sind durch die Praxis der Bewegung miteinander verbunden. Die Wanderung erschafft den Menschen, erklärt Simmel.70 Laufen (walking71) ist auch für den französischen Philosophen und Historiker Michel de Certeau eine grundlegende Form der Stadterfahrung. Für ihn ist die Stadt ein Text und die Stadtwanderer schreiben ihn, indem sie sich durch den urbanen Raum bewegen, ohne dass sie selbst dazu in der Lage wären, den Text zu lesen. Wer die Stadt belebt, nutzt laut Certeau Räume, für die er selbst blind ist. Die Stadt ist durch Handlungen (practices) organisiert. Diese sind als solche aber nicht greifbar.72 Certeau lenkt in seinen Ausführungen den Blick weg vom geplanten und einsehbaren geografischen

2006). Georg Simmel, Die Philosophie des Geldes (Leipzig: Duncker & Humblot, 1900). 67

Simmel, Soziologie, 620.

68

Ebd., 624, 630.

69

Simmels „Exkurs über die Soziologie der Sinne“ erklärt, wie diese Indifferenz durchbrochen werden kann. Für ihn ist das Auge das wichtigste Sinnesorgan, weil es das gegenseitige Anblicken ermöglicht – eine sinnliche Wahrnehmung, die zugleich auch einen Austausch darstellt. Ebd., 641-42, 646.

70

Ebd., 670.

71

Vgl. Michel de Certeau, The Practice of Everyday Life (Berkeley: University of California Press, 1984), 91-111. Das französische Original ist der erste Band von Certeaus L'invention du quotidien: I. Arts de Fairs (1980). Die Reihe gilt als eines der Standardwerke zur Betrachtung des alltäglichen Lebens in der Massenkonsumgesellschaft. Darin arbeitet Certeau Teile der Theorien Foucaults, Pierre Bourdieus, Immanuel Kants und anderer für seine Zwecke auf. Vgl. Michel de Certeau, L'invention du quotidien: L’Arts de Fairs (Paris: Gallimard, 1980). dt. Michel de Certeau, Kunst des Handels (Berlin: Merve Verlag, 1988).

72

Certeau, The Practice of Everyday Life, 91.

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Raum. Für ihn dringt eine metaphorische, wandernde Stadt in den Text der geplanten, lesbaren Stadt ein.73 Eine Betrachtung der Stadt als Text findet sich auch in der autobiografischen Erzählung Tristes Tropiques des französischen Anthropologen Claude LéviStrauss. In dieser hält er fest: Cities have often been linked to symphonies and poems [...]: they are in fact objects of the same kind. The city may even be rated higher since it stands at the point where Nature and artifice meet. A city is a congestion of animals whose biological history is enclosed within its boundaries, and yet every conscious and rational act on the part of these creatures helps to shape the city’s eventual character. [...] It is both a natural object and a thing to be cultivated; individual and group; something lived and something dreamed; it is the human invention, par excellence.74

Für Lévi-Strauss ist die Stadt ein Hybrid aus Künstlichkeit und Natur, ein Individual- und ein Gemeinschaftsprojekt. In ihren Grenzen tummeln sich Lebewesen, die durch ihre Aktivitäten den Charakter der Stadt prägen und sie damit erfinden. Certeau setzt das Handeln in Relation zu gesellschaftlichen Strukturen. Praktiken werden zur Quelle des Erkenntnisgewinns.75 Elementar für die Stadtgeschichte erscheint in diesem Kontext vor allem das Laufen.76 Am Beispiel des

73

Ebd., 92-93, 95-96.

74

Hervorhebungen im Original. Claude Lévi-Strauss, Tristes Tropiques (New York: Criterion Books, 1961), 127.

75

Ebd., 96.

76

Neben Certeau setzt sich auch der Literaturkritiker Walter Benjamin in seinem Passagen-Werk mit den urbanen Fußgängern auseinander. Der flâneur wird bei ihm zum Gegenpart der Masse und ist in seiner Reinform ein Entwurzelter (déraciné). Seine Heimat liegt nicht in der sozialen Klasse, der er entstammt, sondern in der Masse – in der Stadt. Der flâneur bei Benjamin ist allerdings nicht gegenüber seiner Umgebung blind, vielmehr ist er durch seinen Entdeckergeist und den Willen, immer mehr zu sehen, geprägt. Dabei ist er nicht mit dem Gaffer – dem Schaulustigen – zu verwechseln, denn der flâneur ist immer im vollen Besitz seiner Individualität und geht in seiner Funktion als Stadtwanderer nicht in der Masse auf. Walter Benjamin, The Arcades Project (Cambridge: Belknap, 1999), 429, 806, 895. dt. Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, 2. Bd. (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1982). Eine detaillierte Abhandlung zur Rolle des Flaneurs im europäischen Kontext findet sich in: Harald Neumeyer, Der Flaneur: Konzeptionen der Moderne (Würzburg: Königshausen und Neumann, 1999).

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Gehens in der Stadt zeigt Certeau, wie sich Konzepte aus der Linguistik auf die Betrachtung von Praktiken anwenden lassen. Er etabliert eine Rhetorik der füßischen Bewegung77 im Raum. Dieses Handeln, also der „Umgang mit einem Ort“78 in der Praxis, lässt für Certeau Raum entstehen.79 Das bei Certeau etablierte Verständnis, dass der Umgang mit einem Ort einen Raum entstehen lässt, wandelt der Geograf Yi-Fu Tuan ins Gegenteil. Für ihn lassen Praktiken im Raum Orte entstehen. In Space and Place setzt sich Tuan mit der Unterscheidung von space (Raum) und place (Ort) unter Einbeziehung der Kategorie experience (Erfahrung) auseinander: „Place is security, space is freedom. We are attached to the one and long for the other.“80 Die menschliche Erfahrung hat das Potential, den Raum zum Ort zu machen. Ob etwas noch Raum oder schon Ort ist, hängt von der individuellen Erfahrung und dem Umgang mit dem Raum ab. Für Tuan ist die Erfahrung von Raum und Ort – von Weite und Enge – subjektiv.81 Während bei Certeau die Akteure gegenüber dem von ihnen genutzten Raum blind sind, ist sich bei Tuan das Subjekt des Raums bewusst. Orte entstehen durch die bewusste Erfahrung und den Umgang mit Raum. Wer Raum für sich beansprucht, verfügt über Macht und schafft damit Orte im Sinne Tuans. Seine Klassifizierung von Ort und Raum liegt dem weiteren Gedankengang zugrunde. Allerdings war das New York der Antebellum Era eine neue, junge Stadt, in der das terrain vague das dominante Raumgebilde war. Zwischenräume, beziehungsweise Zwitter-Orte mit ihren vagen, unbestimmten Machtverhältnissen, standen einer heterogeneren Bevölkerung offen. Das un-

77

Die Fortbewegung zu Fuß wird bei Certeau als Praxis idealisiert. Besonders in der Betrachtung des städtischen Lebens im 19. Jahrhundert ist diese Art der physischen Bewegung von Bedeutung. Vgl. Joel A. Tarr, Patterns in City Growth (Glenview: Scott, Foresman & Co, 1975), 8-61.

78

Certeau unterscheidet zwischen Ort und Raum: „Ein Ort ist die Ordnung […], nach welcher Elemente in Koexistenzbeziehungen aufgeteilt werden. Damit wird also ausgeschlossen, daß [sic] sich zwei Dinge an derselben Stelle befinden. […] Ein Raum entsteht, wenn man Richtungsvektoren, Geschwindigkeitsgrößen und die Variabilität der Zeit in Verbindung bringt. Der Raum ist ein Geflecht von beweglichen Elementen.“ Certeau, Kunst des Handels, 217-18.

79

Stil manifestiert sich dabei auf einer symbolischen Ebene und verbindet sich mit der Vorstellung von Einzigartigkeit, während Gebrauch jenes soziale Phänomen beschreibt, durch das sich ein Kommunikationssystem real manifestiert. Gebrauch bezieht sich damit auf eine Norm. Ebd., 218.

80

Tuan, Space and Place, 3.

81

Ebd., 6, 18, 65.

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bestimmte Territorium bot Platz für institutionalisierte Praktiken, aber auch für Improvisation. Das symbolische und das ökonomische Kapital82, das den Plätzen im Elitendiskurs zugeschrieben wurde, bestimmten darüber, wie planerisch mit ihnen umgegangen wurde. Solange keine eindeutige Zuschreibung erfolgt war und sich diese nicht materiell manifestierte, blieb ein Ort weiterhin Zwischenraum, also terrain vague. Dies wird mit Blick auf die Vermessungs- und Planungsbemühungen und die zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorherrschenden Landnutzungsrechte deutlich. Die historische Hinführung in Kapitel 1 „The Making of a Metropolis“ geht darauf näher ein. Das Tempo der Stadtentwicklung und die Begrenztheit des Raumes auf der Insel machten bestehende Pläne oft zunichte. Pragmatismus und Improvisation erwiesen sich als Tugenden der Bewohner der jungen Stadt, und die Entstehung urbaner Raumgebilde und deren Modifikation stellten sich häufig als Resultat ruraler Praktiken heraus. Die anschließenden beiden Kapitel bauen auf diesem Charakter der jungen Stadt und ihrer Bewohner auf. Kapitel 2 „A Little Peace and Quiet“ bespricht Aspekte des exklusiven Freilufterholungsverhalten der wohlhabenden Stadtbewohner. Das Kapitel etabliert unter Einbeziehung zeitgenössischer Debatten die Verbindung zwischen Friedhof und Park: Beide Orte wurden als Erholungsräume genutzt. Es erklärt, dass die ästhetischen und demokratischen Ideale der professionalisierten Landschaftsarchitektur ab den 1830er-Jahren verstärkt Einzug in den Stadtraum hielten und zeigt anhand der Fallstudien Green-Wood Cemetery83 und Central Park, wie dies geschah. New York City wird in diesem Kapitel als Ort und als Idee verhandelt.84 Kapitel 3 „Spaces of Spectacle“ widmet sich den potter’s fields und deren Funktion im Stadtgefüge. Auch sie waren keineswegs nur Begräbnisstätten, sondern vollwertige Plätze der Erholung und des Amüsements innerhalb des New Yorker Stadtraums und zwar lange bevor Green-Wood Cemetery oder Central Park überhaupt angelegt waren. Bryant Park85, City Hall Park86, Madison

82

Vgl. Pierre Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen”: Leçon sur la leçon (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1987), 7-47.

83

Ab hier im Text auch kurz Green-Wood.

84

Vgl. Stephen F. Mills, The American Landscape (Edinburgh: Keele University Press, 1997), 5.

85

Innerhalb dieses Buches wird Bryant Park mit Reservoir Square – seinem offiziellen Namen im 19. Jahrhundert – bezeichnet. Der Platz wurde einst als potter’s field deklariert, aber letztlich nie als Begräbnisstätte genutzt.

E INLEITUNG

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Square Park und Washington Square Park entwickelten sich vom Armenfriedhof hin zum Stadtpark. Die erste Fallstudie mit dem Titel „Golgotha in Greenwich Village. Die turbulente Vergangenheit des Washington Square Parks” legt den Fokus auf die lokale Bedeutung von Armenfriedhöfen und schildert, wie der (ehemalige) Friedhof von Angehörigen der Unterschicht in Besitz genommen wurde und wie die Anwendung ruraler Praktiken die Gestaltung des urbanen Raums beeinflusste. Außerdem setzt sich das Unterkapitel mit der sozial-integrativen Funktion von potter’s fields auseinander. Weiterhin wird der Friedhof als umkämpfter und kontroverser Ort innerhalb der Stadt analysiert. An seinem Beispiel zeigt sich, dass Veränderungen räumlicher Strukturen sich gesellschaftlich mit einer normativen Auf- oder Abwertung des Raumes beziehungsweise des Ortes verbinden.87 Das anschließende Kapitel „Quenching the City’s Thirst. Reservoir Square und der Durst der Metropole“ wirft ein Schlaglicht auf die Inszenierung der Stadt New York im 19. Jahrhundert. Da war zum einen die Weltausstellung im Crystal Palace am Reservoir Square, deren Ausrichtung in den Jahren 1851 und 1852 der jungen Stadt New York die Möglichkeit gab, auch international als Metropole wahrgenommen zu werden. Zum anderen der Bau und die Inbetriebnahme des Croton Aqueducts, wodurch das Element Wasser für Erholungszwecke im Stadtraum enorm an Bedeutung gewann. In der Nachbarschaft des Reservoir Squares veränderten sich die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung massiv. Besonderes Gewicht haben in diesem Kapitel diejenigen Vergnügungen, die im Elitendiskurs als moralisch verwerflich deklariert wurden, da sie zur Vermischung der Klassen beitrugen. „The Commons and the Parade. Sport, Spiel und Spektakel im City Hall Park und am Madison Square“ betrachtet zwei Armenfriedhöfe deren Geschichten eng miteinander verwoben sind. Beide Orte beheimateten einst das Armenhaus und das potter’s field der Stadt und erlangten im Laufe ihrer Geschichte nationale Prominenz. Der Park vor der City Hall war einer jener Plätze, an denen sich New York City selbst feierte, aber auch die amerikanische Nation durch verschiedenste Spektakel geehrt wurde. Madison Square hingegen gilt als der

86

Meist nur The Park genannt, wird der Platz zur eindeutigen Identifizierung als City Hall Park oder „Park vor dem Rathaus“ bezeichnet.

87

Die technischen und rechtlichen Details der Umwandlung eines Armenfriedhofs in einen Stadtpark in New York werden innerhalb dieser Arbeit nur für Washington Square detaillierter besprochen. Die Parkwerdung funktionierte in den anderen Fällen, mit der Ausnahme von Reservoir Square, der nie wirklich Friedhof war, nach ganz ähnlichen Mustern.

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Geburtsort von Baseball – der American pastime. Sowohl kommerzialisierte als auch kostenlose Massenunterhaltung fanden auf diesen beiden Plätzen also statt. Weiterhin werden im letzten Kapitel die winterlichen Freizeitaktivitäten der Angehörigen aller Schichten innerhalb der Stadtgrenzen analysiert, denn schließlich lassen diese wieder den urbanen Pragmatismus und die ungeheure Kreativität und Improvisationsfähigkeit der Stadtbevölkerung aufscheinen. Dieses Buch fängt Trends der Stadtentwicklung und Praktiken im Stadtraum abseits der gängigen Fortschritts- und Modernitätsnarrative ein. Die Darstellung unterliegt folglich keiner strikten Chronologie. Die Fallstudien bewegen sich entlang der Fifth Avenue88, also am sinnbildlichen Rückgrat Manhattans auf und ab. Bis auf Green-Wood Cemetery in Brooklyn grenzt jeder der betrachteten Freizeitorte, die sich im 19. Jahrhundert etablierten, direkt an diese Straße an, beziehungsweise liegt im Fall des Parks vor der City Hall in ihrer gedachten Verlängerung gen Süden.

88

Die geografische Lage der fünf Freizeitorte lässt sich aus ihrer Vergangenheit und der Geologie der Insel Manhattan erklären. City Hall Park, Washington Square, Madison Square und Bryant Park waren einst als Friedhöfe konzipiert. Entsprechend legte man sie außerhalb der Stadtgrenzen an. Dabei waren die Stadtväter darauf bedacht, die Friedhöfe, auf flutsicherem Terrain, möglichst weit entfernt von den für den Handel und Wohnungsbau attraktiven Küstengebieten zu planen. Central Park legte man zentral im Norden der Insel an, da sich der felsige und unebene Untergrund nicht zum einfachen Häuserbau anbot. In den folgenden Kapiteln wird näher auf diese Problematik eingegangen.

1. The Making of a Metropolis Eine historische Hinführung

Bürgermeister Abram S. Hewitt war ein Advokat der arbeitenden Klasse in New York City.1 Mit Hilfe von Anwalt Emile Henry Lacombe2 und in Kooperation mit den Leitern der verschiedenen städtischen Departments versuchte er in den 1880er-Jahren, die Gestaltung und den Ausbau von Freizeitorten für die ärmeren Teile der Bevölkerung zu konsolidieren. Dem Straßenbauamt, dem Board of Street Opening and Improvement, in dem er den Vorsitz hatte, wurde das Recht zugesichert, über die Anzahl und die Lage der neu zu schaffenden kleinen Parks zu bestimmen. Weiterhin bezog der Bürgermeister die Gesundheitsbehörde der Stadt, das Board of Health, in die Parkfrage mit ein. Deren Inspektoren kamen in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass Hewitts Maßnahmen zur Schaffung von Freiräumen und Erholungsorten dem Stadtklima mehr als zuträglich sein werden und regten den Bau von mindestens zwölf weiteren an. Der Bürgermeister gab daraufhin im Oktober 1888 das Versprechen, die Anlage von Nachbarschaftsparks voranzutreiben, und zwar so schnell das Budget und die zuständigen Gerichte es erlaubten.3

1

„The Return of Hewitt“, in: The New York Times (15. Nov. 1883). „The Major’s Big Scheme. Rapid Transit as Mr. Hewitt Sees It“, in: The New York Times (1. Feb. 1888). Clifton Hood, 722 Miles: The Building of the Subways and How They Transformed New York (New York: Simon & Schuster, 1993), 21-28.

2

Lacombe hatte von 1884 bis 1887 die Position des Corporate Counsel inne, also jene des höchsten städtischen Anwalts, bevor er durch Präsident Grover Cleveland zum Bundesrichter ernannt wurde. „Emile Henry Lacombe”, Federal Judical Center, , (Zugriff: 2012-07-16).

3

„More Small Parks Wanted: Major Hewitt’s Regard for the Working People Again Shown”, in: The New York Times (21. Okt. 1888).

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Nicht alle Parkpläne Hewitts wurden letztlich umgesetzt. Dennoch dienen sie als Anknüpfungspunkt für die Geschichtsschreibung New York Citys. Hewitts Bemühungen um die Schaffung urbaner Freiflächen waren civic aspirations – bürgerliche Bestrebungen – im Sinne Fairfields. Dieser beschreibt sie als einen integralen Bestandteil der Erfahrung Amerikas. Als Produkt sowohl konservativer als auch radikaler Perspektiven, religiöser und weltlicher Anschauungen, positiver und negativer Weltsichten zeigen sich in ihnen die unterschiedlichsten Einstellungen zur menschlichen Natur und dem Leben. Fairfields Fokus liegt auf urbanen Lebenswelten als Amalgam gescheiterter und erfolgreicher Umsetzungen verschiedenster Interessen.4 Civic aspirations nahmen in New York City eine andere Gestalt an als in anderen amerikanischen Städten. Zwar waren diese dort ähnlich reaktionär wie jene in Boston und Philadelphia, allerdings ging es nicht so sehr darum, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und diese zu beheben. Die Schaffung eines lebenswerten gegenwärtigen Moments stand der Vorstellung von einer großen Zukunft hintan. Dass es sich bei New York um ein kompliziertes Produkt der menschlichen Vorstellungskraft handelt, ist hier von besonderer Bedeutung. Die Stadt konstruierte ihre Identität teilweise aus ihrer Gegenwart, aber noch viel mehr aus den Mutmaßungen über ihre Zukunft und kaum aus ihrer Geschichte.5 Diese Zukunftszugewandtheit der Metropole am Hudson River macht das Schreiben ihrer Geschichte umso interessanter. Der Innovationsdruck in New York ließ Orte, Institutionen und Personen scheinbar spurlos verschwinden, an anderer Stelle wiederauferstehen oder ging auch einfach ganz an ihnen vorüber. Als im Jahr 1898 die Five Boroughs – Manhattan, The Bronx, Brooklyn, Queens und Staten Island – konsolidiert wurden, hatte New York City seine Entwicklung hin zur Hauptstadt der amerikanischen Moderne fast abgeschlossen.6 Prägend für die Metropole waren die Jahre vor dem Zusammenschluss der fünf Bezirke: Jene Zeit, in der der Begriff New York City für die Einheit aus

4

Fairfield, The Public and Its Possibilities, 1, 3.

5

Vgl. Cantwell & Wall, Unearthing Gotham, 3.

6

Einen guten Überblick über den Prozess der Konsolidierung der Five Boroughs gibt der Sozialhistoriker David C. Hammack in seiner Monografie Power and Society. David C. Hammack, Power and Society: Greater New York at the Turn of the Century (New York: Russell Sage Foundation, 1982), 185-229. Ein stärker detailverliebtes Abbild der Auseinandersetzung über den Zusammenschluss von Manhattan, Brooklyn, Queens, Staten Island und der Bronx zeichnen Burrows und Wallace in „Imperial City“, dem Abschlusskapitel ihres Überblickswerks über die Geschichte New Yorks. Burrows & Wallace, Gotham, 1219-36.

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Manhattan und der Bronx stand.7 Der Aufstieg und das massive Wachstum der Hafenstadt im 19. Jahrhundert hatten verschiedene Ursachen. Im Folgenden wird ein Teil der Entwicklungen die New York City durchlief, als Grundlage der sich in Kapitel 3 anschließenden Fallstudien skizziert. Das Hauptaugenmerk liegt in Anbetracht der Forschungsfragen auf den Raum-, Wirtschafts-, Hygiene- und Klassendiskursen, welche die Stadt prägten.

1.1 Measurements of a Metropolis. Der Commissioners’ Plan als Blaupause der Stadt Die ersten vier Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren eine aufregende wenngleich unsicherere Zeit in New York. Die Stadt hatte sich zuvor nur schleppend von den im Unabhängigkeitskrieg verursachten Schäden erholen können. Große Teile Manhattans fielen während des Krieges Bränden zum Opfer. Besonders verheerend war das Feuer vom 21. September 1776. Es brach am Abend wahrscheinlich im Fighting Cocks – einer Taverne am Hafen – aus und wurde vom Seewind immer weiter gen Norden getragen. Dabei zerstörte es mehrere Häuserblocks und die erste im Jahre 1698 errichtete Trinity Church an der Kreuzung von Wall Street und Broadway.8 Die schweren Brände innerhalb der Stadtgrenzen in der Revolutionszeit boten New York City die Chance, sich im Wiederaufbau neu zu erfinden. Im 18. Jahrhundert schöpfte man diese Möglichkeit allerdings noch nicht voll aus, sondern rekonstruierte, was in den Flammen verloren gegangen war. Der Advent des neuen Jahrhunderts ließ den Drang zur Erneuerung wachsen.9 Die Erforschung und Strukturierung Manhattans rückte in den Vorder-

7

In der vorliegenden Arbeit bezeichnet der Begriff New York City primär die Einheit aus Manhattan und Bronx. Manhattan wird synonym für New York City verwendet.

8

Ebenfalls verheerend zeigte sich ein Brand im Dezember 1796, der schwere Schäden im Handelszentrum im Süden der Insel verursachte. Burrows & Wallace, Gotham, 241-42, 362.

9

Sowohl die Beschreibung der Topografie Manhattans als auch die der Gestaltungsmerkmale des Commissioners’ Plan in diesem Kapitel beruhen auf zwei Karten. Zum einen auf einer Interpretation des Plans durch den Kartografen William Bridges aus dem Jahr 1811, zum anderen auf einer 1821 veröffentlichten Reproduktion des vom leitenden Vermesser der Kommission John Randel Jr. angefertigten Commissioners’ Plan. William Bridges, „This Map of the City of New York and Island of Manhattan, as Laid out by the Commissioners Appointed by the Legislature, April

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grund. Schon 1686 wurde in der Dongan Charter of the City of New York festgelegt, dass der englischen Siedlung New York, die damals nur einen Bruchteil der Insel einnahm, die politische Verfügungsgewalt über die Gesamtheit der Insel gehörte. Das Statut sprach der Stadt das Eigentum an alle Landflächen Manhattans zu, die noch nicht anderweitig vergeben waren. Damit fiel fast das komplette Gebiet nördlich der 23rd Street in Gemeindebesitz.10 In den folgenden Jahren veräußerte New York Teile seiner öffentlichen Ländereien, primär um öffentliche Dienstleistungen zu finanzieren. Nach der Revolution benötigte die Stadt jedoch weitaus mehr Finanzmittel, um die Kriegsschäden zu beheben und die Kriegsschulden zu tilgen. Im Jahr 1785 beauftragte aus diesem Grund der Stadtrat – der New York City Common Council11 – die Kartierung und spätere Auktion der Northern Commons, ein mehr als fünf Quadratkilometer großer öffentlicher Landbesitz im nördlichen Manhattan, der anfangs über die Middle Road – heute Fifth Avenue – zu erreichen war.12 Die Stadt verkaufte in den folgenden vier Jahren knapp 800.000 m2 Land. 1797 beschloss man, das Gebiet weiter zu erschließen, um die Attraktivität der Grundstücke zu steigern. Der Common Council ließ den Vermesser Casimir Goerck13 zwei Straßen projektieren, die parallel zur Middle Road verliefen – die heutige Park Avenue und Sixth Avenue. Zwischen den Straßen wurden 4.000 m2 große Parzellen ausgemessen, anders als zuvor stand davon aber nur die Hälfte

3rd, 1807 is Respectfully Dedicated to the Mayor, Aldermen and Commonalty thereof” (New York, 1811). John Randel Jr., „The City of New York as Laid out by the Commissioners with the Surrounding Country / by their Secretary and Surveyor John Randel, Junr.” (New York: P. Maverik, 1821). 10

Eine Abschrift der Charter wurde 1908 von den Buchrestaurateuren von Gaylord Brothers in Syracuse, New York erstellt. Thomas Dongan, The Dongan Charter of the City of New York (Syracuse: Gaylord Brothers), 1908. Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 92.

11

Von hier an kurz Common Council.

12

Bridges, Map Of The City Of New York (1811). Edward K. Spann, „The Greatest Grid: The New York Plan of 1811”, in: Daniel Schaffer (Hg.), Two Centuries of American Planning (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1988), 14.

13

Goerck war ein Fürsprecher der kompletten Vermessung von Manhattan Island. Er machte eine Eingabe bei der Stadtverwaltung, in der er diese anhielt, eine Vermessung der Insel in Auftrag zu geben. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1339.

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zum Verkauf, die anderen konnten mit einer Laufzeit von 21 Jahre gepachtet werden.14 New York City besaß damals volle rechtliche Zuständigkeit für seine öffentlichen Ländereien, allerdings war unklar, in wessen Kompetenzbereich die Erschließung privater Grundstücke fiel. Weiterhin herrschte Uneinigkeit über die Straßenverläufe auf der Insel. Folglich zirkulierten Anfang des 19. Jahrhunderts verschiedene, teils widersprüchliche Karten, die die existierende Grundstücksverteilung und das Straßennetz abbildeten und zudem Vorschläge für öffentliche Plätze, neue Straße und Parks enthielten. So zeigte sich in Washington Irvings spöttischer Publikation A History of New York15 aus dem Jahre 1809 weniger eine akkurate historische Beschreibung der Stadtentwicklung in der frühen Kolonialzeit16, sondern vielmehr eine Reflexion der sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf Manhattan Island abspielenden Debatten um die weiterführende Gestaltung der Stadt. Irvings Publikation wird häufig als reine Reaktion auf die Veröffentlichung von Samuel Latham Mitchills Stadtführer The Picture of New-York aus dem Jahr 1807 gesehen.17 Mitchill hebt New York City darin auf eine Ebene mit den europäischen Metropolen Paris und London. Seine Beschreibung der Stadt versteht New York als Produkt ökonomischer Interessen und fordert zugleich zu mehr Planung und Reflektion auf.18 Irvings Spötteleien in Bezug auf New Amsterdam19 legen eine andere Vorgehensweise nahe:

14

Michael Joseph O’Brien, Irish Settlers in America: A Consolidation of Articles from the Journal of the American Irish Historical Society, Vol. 1 (Madison: University of Wisconsin Press, 1979), 337. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1348. David Watkin, A History of Western Architecture (London: Lawrence King Publishing, 2005), 533.

15

Irving veröffentlichte seinen Bericht über die Genese der Stadt ursprünglich unter seinem wohl bekanntesten Pseudonym Diedrich Knickerbocker. Washington Irving, Letters of Jonathan Oldstyle, Gent; Salmagundi; A History of New York; The Sketch Book, New York: The Library of America, 1983, 366.

16

Irvings A History of New York lagen durchaus Recherchen zur holländischen Vergangenheit der Insel zu Grunde, jedoch verzerrte er diese in seiner burlesken Darstellung der frühen Kolonialzeit. Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 418.

17

Vgl. Samuel Latham Mitchill, The Picture of New-York; or the Traveller’s Guide through the Commerical Metropolis of the United States (New York: I. Riley & Co., 1807). Irving, Letters of Jonathan Oldstyle, 1096.

18

Mitchill, The Picture of New-York, viii.

19

New Amsterdam war bis zur Eroberung durch die Engländer 1664 die Hauptstadt der holländischen Kolonie Nieuw-Nederland. Nach der Übernahme durch England wur-

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An ingenious plan was proposed by Mynheer Ten Broek [...]; but to this Mynheer Hardenbroeck was diametrically opposed [...]. To this proposition Ten Broek (or Ten Breeches) replied with a look of as much scorn as he could possibly assume. He cast the utmost censure upon the plan of his antagonist, [...]. In this manner did the profound council of NEW AMSTERDAM [sic] smoke, and doze, and ponder from week to week, month to month, and year to year in what manner they should construct their infant settlement – mean while the town took care of itself, and like a sturdy brat which is suffered to run about wild, unshackled by clouts and bandages [...] increased so rapidly in strength and magnitude, that before the honest burgomasters had determined upon a plan, it was too late to put in execution […].20

Irvings Vorstellungen zur holländischen Vergangenheit New Yorks lassen sich als Kommentar zu den Debatten zwischen seinen Zeitgenossen bezüglich der weiteren Gestaltung der Stadt lesen.21 Viele Auseinandersetzungen im Common Council verliefen ähnlich wie jene zwischen den Stadtvätern in Irvings New Amsterdam. Uneinigkeit war eines der bestimmenden Elemente der Stadtpolitik. In Irvings mythischer Verklärung der Geschichte trieb der Lauf der Dinge die Stadtentwicklung auf die bestmögliche Art und Weise voran. Im New York des frühen 19. Jahrhunderts bedurfte es jedoch der Vermittlung und Hilfestellung was die Raumplanung anbelangte. Die von Irving beschriebene ethnisch-homogene koloniale Gemeinschaft wies, bis auf ihrer Streitlust, nur bedingt Gemeinsamkeiten mit der Gesellschaft New Yorks im Jahr 1809 auf. Gotham22 verfügte schon im Jahr 1800 über eine

den sowohl die Stadt als auch die Kolonie zu Ehren des Herzogs von York in New York umbenannt. 20 21

Irving, Letters of Jonathan Oldstyle, 450, 452. war eine Fiktion, aber die Irvings New Amsterdam

Protagonisten hatten reale Vor-

bilder. Bei Erstveröffentlichung dieser Geschichte New Yorks waren die beiden Männer Theophilus Hardenbrook (Hardenbroeck) und John Ten Brook (Ten Broek), die sich häufig uneins waren, Mitglied im Common Council der Stadt. Vgl. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1334, 1527. 22

Der Spitzname Gotham (kurz für Goats’ Town) für New York City wird Irvings Salmagundi-Reihe zurückgeführt. In seinen Essays verwendet Irving den Begriff vermehrt im Kontext seiner spöttischen Beschreibung der Insel Manhattan und ihrer Bewohner. Diese werden von ihm oft als wichtigtuerische Schafsköpfe portraitiert. Im Laufe der Zeit verlor der Begriff Gotham diese negative Konnotation. Heute zählt er neben Empire City, The Big Apple und The City That Never Sleeps zu den

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verhältnismäßig heterogene Bevölkerungszusammensetzung.23 Zudem war die Stadt zu diesem Zeitpunkt politisch immer noch größtenteils von Albany aus fremdbestimmt.24 Im ausgehenden 18. Jahrhundert erlangte Stadtplanung einen höheren Stellenwert in den noch jungen Vereinigten Staaten.25 Vielerorts strebten die Stadtväter eine simple, den Nutzen maximierende Stadtgestaltung an.26 Das rechtwinklige Gitternetz (the grid) wurde daraufhin zum Identifikationsmerkmal der amerikanischen Städte. Geradlinig verlaufende Straßen wurden von rechtwinkligen gleichgroßen Grundstücken gesäumt. Nirgendwo in den Vereinigten Staaten hatte die Einführung des grid größere Bedeutung als in New York City.27 In der jungen Republik war stadtplanerischer Erfolg an Politik, Wirtschaft und Design gekoppelt. Grundbesitzer und Geschäftsmänner verfügten über nicht unbeachtliche Machtbefugnisse, was die Ausgestaltung des urbanen Raums betraf.28 Entsprechend benötigte man in New York City mehrere Anläufe bis zur Verabschiedung eines bindenden Plans für die weitere Stadtentwicklung. Nach den Vermessungen Manhattans durch Goerck beauftragte der Common Council im Januar 1804 den für den Straßenbau zuständigen Beamten – den Street Commissioner – mit der Erstellung eines kohärenten Stadtplans. Zu dieser Zeit hatte New York City seinen Rang als politisches Machtzentrum29 der Vereinigten Staaten bereits eingebüßt. Die Hafenstadt zeigte sich aber darum bemüht, das

populärsten Spitznamen beziehungsweise Synonymen für die Stadt. Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, xii. 23

Ebd., 419.

24

Allan Nevins, Abram S. Hewitt: With Some Account of Peter Cooper (New York: Harpers & Brothers, 1935), 471.

25

Aufschluss über die verschiedenen Traditionen der Raumplanung in den Vereinigten Staaten liefert der von Robert Fishman herausgegebene Sammelband The American Planning Tradition. Robert Fishman (Hg.), The American Planning Tradition: Culture and Policy (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2000).

26

Schon früh verfügten Städte im kolonialen Amerika über das Gitternetzmuster als Organisationsprinzip – etwa Philadelphia. Auch die Designvorschläge des Architekten Pierre L’Enfant aus dem Jahr 1791 für die neue Hauptstadt Washington, D.C. basierten auf diesem Muster. Spann, „The Greatest Grid”, 11, 13.

27

Ebd., 11.

28

Ebd., 13.

29

Zwischen 1785 und 1790 war New York die Hauptstadt der Vereinigten Staaten.

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wirtschaftliche Zentrum des Landes zu werden, nachdem sie schon das Bevölkerungszentrum war.30 Das massive Bevölkerungswachstum und die erstarkten Handelsinteressen verlangten nach einer effizienteren Stadtgestaltung. Das wirtschaftliche Herzstück New Yorks war die dicht besiedelte Südspitze der Insel. Die engen und verwinkelten Straßen dort erschwerten Besuchern und Einheimischen die Orientierung. Eine im Jahr 1807 in Mitchills Stadtführer veröffentlichte Karte der Stadt, die auf den Aufzeichnungen des Stadtvermessers William Bridges basierte, illustriert den gedrungenen unübersichtlichen Charakter der Stadt besonders östlich des Broadways und südlich der Pump Street – heute Canal Street. Die Neureglung und Ordnung des städtischen Raums wurden entsprechend öffentlich diskutiert.31 Das zu erwartende Bevölkerungswachstum der kommenden Jahrzehnte nahmen private Erschließungsgesellschaften zum Anlass, neue Straßen zu konzipieren und eigenmächtig anzulegen. Aus Furcht, dass diese privaten Neuanlagen die Situation nur weiter verschlechtern würden, schaltete sich die Stadtregierung ein. 1803 erließ man eine erste Verordnung, die es Privatunternehmern verbot, Straßen anzulegen, sofern keine vorherige Genehmigung durch den Common Council erfolgt war.32 Der Street Commissioner sollte einen verbindlichen Plan für die Anlage und Erschließung neuer Wege erstellen. Dieser Plan sollte auch Plätze für Militärparaden, Vergnügungen und andere öffentliche Zwecke ausweisen. Der Kommissar sollte außerdem feststellen, welche Straßen ohne Genehmigung angelegt worden waren und folglich geschlossen werden mussten, und auch, welche Gebäude entlang dieser Straßen ohne Erlaubnis errichtet worden waren und folglich zum Abriss freigegeben waren. Des Weiteren hielt der Stadtrat fest, dass der von Goerck erstellte Stadtplan und die von Architekt Joseph F.

30

1790 kam es zur ersten Volkszählung in den USA. Mit knapp 33.000 Einwohnern war New York City offiziell die bevölkerungsreichste Stadt. Zehn Jahre später wies der Zensus mehr als 60.000 Einwohner für Manhattan aus. Rosenwaike, Population History, 16. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1417. „Through the Decades Fast Facts, 1790-2010“, United States Census Bureau, , (Zugriff: 2013-06-27). Von hier an kurz „Fast Facts“.

31

Spann, „The Greatest Grid”, 14. Mitchill, The Picture of New York.

32

Board of Assistants of the City of New York, Documents of the Board of Assistants of the City of New York, Vol. 1 (New York, 1835), 319.

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Mangin33 verfassten Feldnotizen als Grundlage des neu zu erstellenden Plans dienen würde. Im März 1804 legte der Street Commissioner dem Common Council einen weitreichenden Plan in Einklang mit allen Vorgaben vor. Die unklare Rechtslage und die generelle Uneinigkeit im Stadtrat wegen der zu befürchtenden rechtlichen Auseinandersetzungen mit Grundbesitzern hatten zur Folge dass der Plan nicht umgesetzt wurde.34 Zu diesem Zeitpunkt verfügte einzig der Bundesstaat New York über das Recht, verbindliche Gesetze zu erlassen, und so bat der Common Council der Stadt im Februar 1807 die Regierung in Albany um Hilfe, bei der Planung des Straßenverlaufs auf der Insel. Ziel war es, ein Straßennetz zu schaffen, das einheitsstiftend und ordnungsschaffend zugleich war und sich als nützlich und gesundheitsfördernd erweisen würde. Die Mitglieder des Common Councils waren sich der institutionellen Schwächen ihres Gremiums bewusst. Der Rat besaß keine Autorität, bindende Verordnungen für spätere Administrationen zu erlassen, eine bundesstaatlich ernannte Kommission würde jedoch über die Amtszeiten der Mitglieder des Stadtrats hinaus agieren können und wäre mit genügend Autorität ausgestattet, um einen verbindlichen Plan auszuarbeiten. Im März 1807 kam der Rat zu einer Übereinkunft darüber, wer die Mitglieder der Vermessungskommission sein sollten. Man schlug der Staatsregierung den Geogra-

33

Der französischstämmige Architekt Joseph François Mangin ist heute hauptsächlich für seine Beteiligung am Bau der City Hall, des Rathauses, New Yorks, bekannt. Mangin hatte gemeinsam mit dem Architekten John McComb 1802 einen Plan für den Bau des Rathauses eingereicht. Er wurde im Oktober 1802 angenommen, jedoch bat der Common Council um eine Kostenreduktion, die durch den Verzicht auf den Einsatz von Marmor an der Rückseite des Gebäudes erreicht wurde. Kaum jemand konnte sich damals vorstellen, dass New Yorks Bebauungsgrenze in naher Zukunft nördlich der City Hall liegen würde und so sparte man an der Gestaltung von deren Rückseite. McComb wurde im März 1803 zum Architekten des Gebäudes ernannt und Mangins Name verschwand sukzessive aus den öffentlichen Dokumenten zum Bau. Anfang des 20. Jahrhunderts flammte das Interesse an Mangin wieder auf. So berichtete die New York Times im September 1915 über die Auseinandersetzungen zur Ehrung Mangins im Bezug auf die City Hall. Die Erben McCombs verweigerten die Wiederaufnahme des Namen Mangin in die Baupläne des Rathauses. „Dispute over Share in City Hall’s Fame“, in: The New York Times (26. Sep. 1915). Vgl. Dumas Malone (Hg.), Dictionary of American Biography (London: Oxford University Press, 1933), 231-32.

34

Spann, „The Greatest Grid”, 16. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1417, 1420.

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fen Simeon De Witt, den Staatsmann Gouverneur Morris und den Anwalt und Senator John Rutherford vor. Am 3. April gab man in Albany den Bitten aus New York City nach und verabschiedete ein Gesetz, das den Kommissaren das Recht zusicherte, Straßen und öffentliche Plätze auf der Insel zu projektieren.35

Abbildung 1: Von William Bridges erstellte Karte New York Citys (1807)

35

New York State, Laws of the State of New-York (Albany: Webster and Skinner, 1809), 125-130. Spann, „The Greatest Grid”, 17.

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Morris, Rutherford und De Witt ernannten John Randel zum leitenden Vermesser und Schriftführer. Dieser nahm seine Aufgaben ab dem Jahr 1808 wahr.36 Die Pflichten der Kommission schrieb das Gesetz von 1807 klar vor. Ihr oblag es nicht nur, die gesamte Insel nördlich der Canal Street zu vermessen, sondern auch die Landfläche bis 120 Meter vom Ufer ins Wasser hinein. Bei der Vermessung und Projektierung von Straßen galt es zudem zu beachten, dass die neuen Durchfahrtsstraßen eine Breite von mindestens 18 Metern aufwiesen und alle anderen Straßen mindestens zwölf Meter breit zu sein hatten. Diese Vorgaben sollten sicherstellen, dass New York neben dem Broadway bald über weitere prestigeträchtige Verkehrsadern verfügen würde. Neben wirtschaftlichen und ästhetischen Gesichtspunkten ging es aber auch um die Verbesserung der Stadtgesundheit. Straßen und öffentliche Plätze sollten Menschen- und Güterströme effizient steuern und gleichzeitig so angelegt sein, dass sie die Luftzirkulation auf der Insel begünstigten. Auf dem von den Kommissaren zu erstellenden Plan würde zudem die Ziehung von Grundstücksgrenzen basieren.37 Die Arbeiten der Kommission und ihres Vermessers Randel wurden aber immer wieder behindert. An vielen Stellen war es die Geologie, die es ihnen erschwerte ihre Vermessungen vorzunehmen. Gravierender war allerdings der Widerstand der Bevölkerung. So berichtete Randel: [I]n the absence of the Commissioners, I was arrested by the Sheriff on numerous suits instituted against me as agent of the Commissioners, for trespass and damage committed by my workmen, in passing over grounds, cutting of branches […] to make surveys under instructions by the Commissioners.38

36

John Randel, Jr., „City of New York, North of Canal Street, in 1808 to 1821“, in: D.T. Valentine (Hg.), Manual of the Corporation of the City of New York (New York: Edmund Jones, 1864), 847. Zum Leben und weiteren Wirken von Randel siehe: Marguerite Holloway, The Measure of Manhattan: The Tumultuous Career and Surprising Legacy of John Randel, Jr., Cartographer, Surveyor, Inventor (New York: W.W. Norton & Company, 2013).

37

New York State, Laws (1809), 130. Die Vermessung bis weit jenseits des Ufers war für die Veräußerung der Ufergrundstücke notwendig. In der Kolonialzeit wurden diese nach Vergabe durch die neuen Eigner vermessen um festzustellen, ob und wo sich die Anlage von Piers und Bootseinlaufstellen lohnte und an welcher Stelle sich durch Auffüllung und Befestigung Land gewinnen ließe. Diese Aufgabe nahm ihnen die Stadtverwaltung nun ab. Vgl. Hartog, Public Property and Private Power, 49. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1527-28.

38

Randel, „City of New York“, 848.

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Sowohl wohlhabende Landbesitzer im Nordteil der Insel als auch Kleinbauern sahen ihre wirtschaftlichen Interessen durch die Aktivitäten der Vermesser bedroht und schalteten mehrfach den Sheriff der Stadt ein, der Randel und seine Mitarbeiter wiederholt wegen Landfriedensbruch verhaftete. Im Gesetzesentwurf zur Vermessung hatte man die Grundbesitzproblematik schlichtweg ignoriert und musste nun nacharbeiten. Man erließ ein Erweiterungsgesetz, das den Vermessern das Recht zusicherte, privaten Grundbesitz bei Tageslicht ohne Voranmeldung zu betreten. Auch legte das Gesetz fest, dass Kommissionsmitglieder während ihrer Amtszeit kein Land in den zu vermessenden Gebieten erwerben durften oder dort Bauvorhaben verwirklichen konnten, um Machtmissbrauch zu vermeiden. Die Anliegen der privaten Landbesitzer wurden ebenfalls beachtet. Für Schäden, die durch die Vermesser verursacht wurden, erfolgten Ausgleichszahlungen. Allerdings erhielten die Kommissare auch das Recht, Grundbesitzer gegen Abfindung zu enteignen, falls deren Landbesitz sich mit einer der neu projektierten Straßen überschnitt. Randels Bericht zufolge waren diese Kompensationsleistungen großzügig bemessen. Ferner profitierten viele der ehemaligen Kläger finanziell massiv von der Erschließung ihre Grundstücke.39 Der Plan, der dann im Frühjahr 1811 dem Common Council vorgelegt wurde, übertraf die gestellten Anforderungen deutlich.40 Die Kommission hatte eine Landfläche neu erfasst und geplant, die fünfmal größer war als das existierende Stadtgebiet. Dabei sahen die Männer das Wachstumspotential New Yorks als eher gering an. Sie gingen davon aus, dass sich die Inselfläche von Harlem aus nach Süden und von New York City aus nach Norden füllen würde. Das heutige Midtown, also das Gebiet zwischen 42th Street und 59th Street, sahen sie als neuen Vorort und Wohnsitz der wohlhabenden Klassen. Die vorsichtigen Prognosen der Kommission in Bezug auf das Bevölkerungswachstum standen im klaren Kontrast zur Medienberichterstattung der Zeit. Manche Zeitungen sagten eine Verzwölffachung der Bevölkerung bis zum Jahr 1850 auf 700.000 Einwohner voraus und beriefen sich dabei auf die Ergebnisse der Volkszählungen.41 Die Kommissare rechneten mit etwa 400.000 Einwohnern bis zur Mitte des Jahrhunderts, die sich im Gebiet südlich der 34th Street ballen würden, zum einen wegen

39

New York State, Laws (1809), 475-76. Randel, „City of New York”, 848. Spann führt an, dass die Kommissare, auch aufgrund ihre Abstammung und Verbindungen zu New York und dessen Umland, stark darum bemüht waren, weder Grundbesitzer noch Erschließungsunternehmen gegen sich auf zu bringen. Spann, „The Greatest Grid”, 18.

40

Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1531-32.

41

Spann, „The Greatest Grid”, 16, 18-19.

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der hohen Kosten für öffentlichen und privaten Nahverkehr, zum anderen, weil sich das Straßennetz erst noch im Aufbau befand. Der Zensus von 1850 wies für New York City dann real 515.000 Bewohner aus, die sich in der Tat an der Südspitze Manhattans sammelten.42 Der Commissioners’ Plan, der nicht wie angedacht dazu beitrug, die überfüllten Armen- und Arbeitergegenden New Yorks zu entlasten, legte der Stadt ein striktes geometrisches Muster für die weitere Entwicklung auf. Sein Gitternetz bestand aus dreißig Meter breiten und zwischen zehn und neunzehn Kilometer langen Avenues, die in Nord-Süd-Richtung parallel verlaufen sollten. Diese wurden von 155 von Ost nach West verlaufenden Straßen überschnitten. Die geplanten Streets waren achtzehn bis dreißig Meter breit und lagen jeweils 61 Meter weit auseinander. Zudem beinhaltete der Plan die Anlage von zehn kleinen rechteckigen öffentlichen Plätzen, sowie von drei dreieckigen, die sich entlang des Broadways fanden. Dieser wurde an einigen Stellen begradigt, um einen effektiven Verkehrsfluss zu gewährleisten.43 In das parallele Korsett, in das sich die anderen Nord-Süd-Verbindungsstraßen pressten, wurde er aber nicht gezwängt. Neben viel Lob erntete der Plan dann auch Kritik. Die Einfachheit und die Schmucklosigkeit des Straßenverlaufs wurden von Zeitgenossen und später auch von Architekturkritikern, Soziologen und Historikern wie etwa Lewis Mumford44 bemängelt. Die Kommissare verteidigten ihren Entwurf mit ökonomischen Argumenten: Kreisverkehre, oval angelegte öffentliche Plätze und ähnliche städtebauliche Gestaltungselemente seien sicherlich schön anzusehen, wären jedoch kostspielig und unzweckmäßig. Rutherford, De Witt und Morris betrachteten die Stadt unter Effektivitäts- und Wirtschaftsgesichtspunkten. New York City war, anders als Washington, D.C., kein auf Repräsentation ausgelegter Regierungssitz. Gotham war für die Kommissare ein Ort, an dem Unterbringungsmöglichkeiten für eine

42

Rosenwaike, Population History, 16. D.T. Valentine, Manual of the Corporation of the City of New York (New York: Edmund Jones & Co. Printers, 1866), 759. Scobey, Empire City, 65-66.

43

Randel, „City of New York“, 848. Spann, „The Greatest Grid”, 18.

44

In der Monografie The City in History übt Mumford allgemein harsche Kritik an der Gitternetzstruktur der neuen amerikanischen Stadtpläne, die er in starkem Gegensatz zu älteren informelleren Strukturen sah. In Mumfords Interpretation sind das grid und dessen Abwandlungen Auswüchse einer militaristischen Tradition, die nach Uniformität und Kontrolle strebt und dabei den Respekt für das historisch Charakteristische vermissen lässt. Lewis Mumford, The City in History: Its Origins, Its Transformations, and Its Prospect (New York: Harcourt Brace, 1961), 388.

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wachsende Bevölkerung bei beschränktem Platzangebot geschaffen werden mussten und der zugleich einfach zu navigieren sein sollte.45 Der Einsatz des rechten Winkels in Straßenplanung und Grundstückvermessung versprach den einfachen und kostengünstigen Bau von Häusern, in denen es sich komfortabel leben ließ. Zudem, so das Argument, gewährleistete die Anordnung der Straßen auch bei dichter Bebauung der Grundstücke eine angemessene Luftzirkulation auf der Insel, die besonders in den drückend heißen Sommermonaten von Bedeutung war. Die Überzeugung der Kommissare, dass die von ihnen projektierten Straßen und das die Stadt umschließende Meer für die Klimatisierung der New Yorks ausreichend sein würden, teilten viele nicht, und so wurde die Forderung nach der Konzeption von mehr öffentlichen Parks und Freiflächen laut, und dies in einer Zeit, in der New York City noch eine Kleinstadt an der Südspitze einer grünen Insel war. Auf Drängen der Elite erfuhr der als bindend konzipierte Plan dann auch bald nach seiner Verabschiedung Erweiterung.46 Die Kommissare hatten bereits die Schaffung dreier relativ großer Freiflächen im zukünftigen Stadtgebiet festgelegt. Östlich der neuen First Avenue zwischen 7th Street und 10th Street sollte der neue Marktplatz New Yorks entstehen. Dieser verfügte über einen direkten Zugang zum East River und würde das neue Herzstück des Handels der Stadt sein, so die Kommission. Der neue zentrale Großmarkt, so spekulierte man, hätte zudem positive Auswirkungen auf die Stadtgesundheit. Als Handelszentrum Manhattans sollte der Markt kleinere Lebensmittelgeschäfte mit frischen Waren beliefern und damit die lokalen Nachbarschaftsmärkte mit ihren fragwürdigen Hygienebedingungen ablösen. Besonders im Sommer führte die Entsorgung organischer Abfälle in der Nähe der Verkaufsorte zu nicht unwesentlicher Geruchsbelästigung und Ansammlungen von Ungeziefer. Zudem nahmen die alten Marktplätze wertvolles Bauland in den dicht besiedelten Gebieten der Insel ein.47 Zwischen Fourth Avenue und Fifth Avenue, eingeschlossen von 89th Street und 94th Street, hatte die Kommission Observatory Place vorgesehen. Der Platz

45

Spann, „The Greatest Grid”, 20. Valentine, Manual of the Corporation (1866), 75962.

46

Spann, „The Greatest Grid”, 20-21. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1531.

47

Spann, „The Greatest Grid”, 21-22. Valentine, Manual of the Corporation (1866), 757-59, 762. Vgl. John Griscom, The Sanitary Condition of the Laboring Population of New York with Suggestions for Its Improvement (New York: Harper & Brothers, 1845).

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würde den Wasserspeicher New York Citys beherbergen, sobald ein geeignetes Aquädukt konzipiert und konstruiert war und so die Wasserversorgung der Stadt zukünftig sicherstellen. In der Zwischenzeit diente Observatory Place, wie es der Name schon sagt, als Aussichtspunkt für die Beobachtung des Nachthimmels.48 Die größte der angedachten Freiflächen war die Parade. Der Exerzierplatz für die Miliz sollte fast die gesamte Fläche zwischen Third Avenue und Seventh Avenue und 23rd Street und 34th Street einnehmen. Einzig die nordöstliche Ecke des Platzes, an der sich eine Gerberei, Kip – eine alte Siedlung aus holländischer Kolonialzeit – und der Anfang der Post Road befanden, sparte man aus.49 Die Parade sollte der Verteidigung der Stadt hauptsächlich vor britischen Angriffen dienen. Die Lage des Exerzierplatzes geriet aber früh in die Kritik. Zu weit entfernt vom Stadtkern versprach der Militärstützpunkt nur geringen Schutz vor Angriffen auf dem Seeweg. Weiterhin war der Exerzierplatz zu klein bemessen, um seinen Aufgaben gerecht werden zu können. Die Verantwortlichen argumentierten aber, dass die Kosten der Anlage eines größeren Platzes weiter südlich in keinem Verhältnis zu dessen Nutzen stünden.50 Morris, Rutherford und De Witt trafen ihre planerischen Entscheidungen auf ökonomischer Basis. Die zu erwartenden Kosten und die potentiellen Erträge einer Unternehmung wurden immer mitgedacht. Auch das grid selbst scheint Ausdruck dieses Denkens. Der Commissioners’ Plan enthält topografische Informationen zu Relief, Wasservorkommen und Bodennutzung auf Manhattan Island und weist bestimmten Parzellen, wie etwa dem Market Place, bewusst Nutzungsmöglichkeiten zu. Den Verlauf der neuen Straßen passte man jedoch nicht an die Bodenbeschaffenheiten an. So ziehen sich in der Plankarte die Avenues und Streets geradlinig und problemlos über den emporragenden Schieferfels. Der Historiker David M. Scobey verweist in seiner Monografie Empire City folglich den Plan in das Reich der kartografischen und rechtlichen Fiktion.51 Orientiert man sich an den Ausführungen des Stadthistorikers John W. Reps zur Bedeutung von lithografischen Abbildungen für den urbanen Raum, so war der Commissioners’ Plan allerdings mehr als nur ein Ausdruck reinen Wunsch-

48

Valentine, Manual of the Corporation (1866), 763. Observatory Place war verhältnismäßig weit vom Stadtkern New York Citys entfernt, lag aber in der Nähe zum Dorf Harlem. Zudem verfügte der Platz über eine Anhöhe, die ihn zum optimalen Aussichtspunkt für astronomische Beobachtungen machte.

49

Benson John Lossing, Pictorial Field Book of the Revolution (New York: Harper & Brothers, 1850), 597.

50

Spann, „The Greatest Grid”, 22.

51

Scobey, Empire City, 66.

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denkens. Reps schreibt über die Bedeutung der Darstellung von Städten aus der Vogelperspektive im 19. und frühen 20. Jahrhundert und erklärt die Popularität dieser Darstellungsform. Den Panoramen gelang es, Städte auf eine Art und Weise abzubilden, wie sie sonst von niemandem real gesehen werden konnten. Reps misst den Abbildungen, neben ihrer Werbewirkung nach außen, sinnstiftendes Vermögen nach innen zu. Die Lithografien zeigten häufig Dinge, die real (noch) nicht existierten (wie etwa die Brooklyn Bridge vor ihrer Fertigstellung im Jahr 1883), machten sie damit im Stadtkontext denkbar und schufen so ein Gefühl von Sicherheit gegenüber Innovationen.52 Der niederländische Architekt Rem Koolhaas bezeichnet in seiner Monografie Delirious New York Darstellungen von New Amsterdam aus der Vogelperspektive während der holländischen Kolonialzeit bereits als „an urban science fiction“53. Karten als Collagen aus realer und imaginierter zukünftiger Gestalt der Stadt, unter Rückbezug auf europäische Gestaltungstraditionen und Darstellungsweisen, machten New York laut Koolhaas zu einer urbanen Utopie, die sich an den Weichbildern europäischer Metropolen orientierte. New York City wurde dementsprechend bereits früh als bevölkerungsreiche, dicht besiedelte Stadt imaginiert. Es war darüber hinaus ein Ort, an dem all das Gute aus der Alten Welt schließlich zusammengeführt werden konnte.54 Der Commissioners’ Plan war zweifellos eine kartografische und rechtliche Fiktion. Ebenso blind gegenüber Topografie und Grundbesitzverhältnissen wie frühere Darstellungen, verhalf er New York City zu einer Struktur, die baulich nicht zwingend einfach umzusetzen war, die aber in ihrer Simplizität von einem Großteil der Bevölkerung nachvollzogen werden konnte. In den Jahren des rapiden urbanen Wachstums war der Plan einer der wenigen Sicherheit stiftenden Parameter. New York City war erstmals durch den Commissioners’ Plan in einer Flächenausdehnung über die gesamte Insel Manhattan konzipiert und die Stadt begann tatsächlich umgehend damit, sich immer schneller am Gitternetz entlang nach Norden zu ranken. In The City in History diagnostiziert Mumford, dass die Industriestadt ein zwiespältiges Geschöpf sei, welche zwar Fortschritt verkörpere, dabei aber von

52

John W. Reps, Views and Viewmakers of Urban America: Lithographs of Towns and Cities in the United States and Canada, Notes on the Artists and Publishers, and a Union Catalog of Their Work, 1825-1925 (Columbia: University of Missouri Press, 1984), 3.

53

Rem Koolhaas, Delirious New York: A Retroactive Manifesto for Manhattan (New York: Monacelli, 1994), 15.

54

Ebd., 15-16.

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Nachlässigkeit beherrscht sei.55 New York City kämpfte im 19. Jahrhundert stark mit diesem Zwiespalt. In der bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich einflussreichsten Stadt der Vereinigten Staaten trafen Reichtum auf Elend, neue Technologien auf alte Werte, Einheimische auf Fremde und private auf öffentliche Interessen. Der Aufstieg New Yorks war eng mit dem Hafen und den Wasserwegen der Stadt verbunden.56 Die Entkolonialisierung Lateinamerikas öffnete neue Märkte und die sich industrialisierenden Staaten Europas dürsteten ab Beginn des 19. Jahrhunderts nach amerikanischen Landwirtschaftsprodukten, wie Baumwolle und Weizen.57 Deren Transport effektiver zu gestalten, war folglich von großer Bedeutung für New York City. Der War of 1812 und die damit einhergehenden Einschränkungen des Seehandels hatten gezeigt, dass ein Bedarf an neuen Transportwegen bestand. Politiker und Geschäftsmänner hatten dies früh erkannt und so war es Bürgermeister De Witt Clinton, der sich im Jahr 1815 für den Bau eines Kanals einsetzte, der den Hudson River mit den Großen Seen verbinden sollte, um damit den Mittleren Westen zu erschließen. Vorschläge für den Bau eines solchen Kanals kursierten schon gut zehn Jahre zuvor. Clinton vermochte es jedoch als Erster, genügend Unterstützung zu erlangen, um für dessen Bau bei der Staatsregierung in Albany zu plädieren.58 Obwohl er von den Angehörigen der demokratischen politischen Maschine Tammany Hall verhöhnt wurde, gelang es Clinton, seinen Vorschlag durchzusetzen.59 Mit dem Bau von „Clinton’s Big Ditch“, wie der Eriekanal spöttisch genannt wurde, begann man im Jahr

55

Mumford, The City in History, 458.

56

Robert G. Albion, The Rise of the New York Port, 1815-1860 (New York: Charles Scribner’s Sons, 1939), 9-10.

57

Burrows & Wallace, Gotham, 429.

58

Ebd.

59

De Witt Clintons politische Karriere und Einflussnahme war eines der größten Ärgernisse für die politische Maschine. Der Neffe von Gouverneur George Clinton wurde wiederholt in hohe politische Ämter berufen, sehr zum Leidwesen Tammany Halls. Seine Ernennung zum Vorsitzenden des Council of Appointment – jener staatlichen Behörde die für die Besetzung öffentlicher Ämter (darunter das des Polizeichefs) zuständig war – führte zu einem beträchtlichen politischen Bedeutungsverlust von Tammany Hall. Seit seiner Ernennung zum Bürgermeister von New York City im Jahr 1803 versuchte Tammany Hall alles um Clinton aus dem Amt zu drängen, meist mit wenig oder nur kurzfristigem Erfolg. Vgl. Oliver E. Allen, The Tiger: The Rise and Fall of Tammany Hall (New York: Addison-Wesley Publishing Company, 1993), 17-18, 24, 29, 32.

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1817. Sieben Jahre später war der Kanal fertig gestellt.60 Nun sollte sich zeigen, ob sich Clintons Prophezeiung aus einer Ansprache vom 26. April 1824 erfüllen würde: The city will, in the course of time, become the granary of the world, the emporium of commerce, the seat of manufactures, the focus of great monied operations […]; and before the revolution of a century, the whole island of Manhattan, covered with habitations and replenished with a dense population, will constitute one vast city.61

Anders als von Clinton erwartet kamen die Güterströme anfangs nicht aus dem Mittleren Westen über den Kanal nach New York, vielmehr eröffnete der Eriekanal den Farmern und Kleinbauern entlang seines Verlaufs in Upstate New York neue Märkte. Dennoch war die künstliche Wasserstraße ein Erfolg, der in den Folgejahren andernorts Nachahmung fand.62 Der wirtschaftliche Aufschwung lockte immer mehr Menschen in die Stadt, und so schien sich Clintons Prognose von einer vollständigen Besiedelung und Bebauung der Insel bis zum Jahr 1924 zu bewahrheiten. Wie sich das Wachstum und die damit einhergehende Stadterneuerung vollzogen, traf jedoch nicht immer auf Gegenliebe. So war 1856 in der Zeitschrift Harper’s New Monthly Magazine zu lesen: New York is notoriously the largest and least loved of any of our great cities. Why should it be loved as a city? It is never the same city for a dozen years altogether. A man born forty years ago finds nothing, absolutely nothing, of the New York he knew. If he chances to stumble upon a few old houses not yet leveled, he is fortunate. But the landmarks, the objects, which marked the city to him, as a city, are gone. […] there is scarcely one historic house left standing in our greatest city.63

60

Burrows & Wallace, Gotham, 429. Der amerikanische Wirtschaftshistoriker Peter L. Bernstein verfasste mit Wedding of the Waters eine umfangreiche Monografie zum Bau des Eriekanals. Bernstein arbeitet darin die verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Diskussionen, die sich vor und während der Konstruktion des Kanals und nach dessen Eröffnung entspannen, auf. Peter L. Bernstein, Wedding of the Waters: The Erie Canal and the Making of a Great Nation (New York: W.W. Norton & Company, 2005).

61

De Witt Clinton, in: David Hosack (Hg.), Memoir of De Witt Clinton (New York: J. Seymour, 1829), 478.

62

Burrows & Wallace, Gotham, 431.

63

„Editor’s Easy Chair“, in: Harper’s New Monthly Magazine, Vol. 13, No. 74, (Jul. 1856), 272-73.

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Die Kritik an der geschichtsvergessenen Stadtentwicklung in Harper’s wirft ein Schlaglicht auf den schnelllebigen Charakter New Yorks und kontrastiert die aufstrebende Stadt mit London64, einer Metropole die trotz ihres kommerziellen Erfolgs auch ihrer Geschichte verhaftet blieb.65 Dies schien in New York schon aufgrund der demografischen Zusammensetzung nicht möglich. Die vergleichsweise hohen Geburtenraten und die Begabung New Yorks, Neuankömmlinge anzulocken und zum Bleiben zu bewegen, waren wichtige Faktoren in diesem Prozess. In den USA zog es insbesondere die Einwohner Neuenglands nach in die Stadt. Der wirtschaftliche, religiöse und soziale Einfluss der konservativen Neuenglandelite kam dort entsprechend zum Tragen. Ihre Wirkmacht war so groß, dass der Autor Brander Matthews im Jahr 1894 in seinem Buch Vignettes of Manhattan, das er Theodore Roosevelt gewidmet hatte, gegenüber dem späteren Präsidenten erklärte: „[…] I do not hold you to be a typical New-Yorker, since you came from Dutch stock, and first saw the light here on Manhattan Island, whereas the typical New-Yorker is born of New England parents.“66 Roosevelt stammte aus einer alteingesessenen New Yorker Familie. Er zählte genau wie Irving zu den Knickerbockern. Nach Ende des Unabhängigkeitskrieges begann New York immer größere Gruppen von Immigranten aus Europa anzuziehen. Die meisten der neuen Bewohner der Stadt kamen von den britischen Inseln, allen voran Irland. Doch auch die Auswanderung aus Deutschland und Frankreich trug zum Anwachsen der Bevölkerung bei. Bereits in den 1820er-Jahren machten Einwanderer mehr als elf Prozent der Einwohner der Stadt aus.67 Dieser Trend sollte sich fortsetzen. So schrieb der Dichter Walt Whitman in seinem Gedicht „Mannahatta“ über die Stadt:

64

Der Vergleich mit London sollte im Verlauf des 19. Jahrhunderts für New York City immer wichtiger werden. Nahm die Stadt an der Themse zuvor noch eine Vorbildfunktion ein, so wurde sie ab den 1850er-Jahren im Lichte der rapiden Entwicklung New Yorks immer stärker als Rivalin gesehen. Auf die Dichotomie zwischen London und New York wird in Kapitel 3.2 stärker eingegangen.

65

„Editor’s Easy Chair“, 272.

66

Brander Matthews, Vignettes of Manhattan (New York: Harper & Brothers Publishers, 1894).

67

Albion, The Rise of the New York Port, 241-51. Rosenwaike, Population History, 15, 20, 22-23.

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Numberless crowded streets, high growths of iron, slender, strong, light, splendidly uprising toward clear skies, […] Immigrants arriving, fifteen or twenty thousand in a week, […] A million people—manners free and superb—open voices— hospitality—the most courageous and friendly young men, City of hurried and sparkling waters! city of spires and masts! City nested in bays! my city!

68

In Whitmans Gedicht, das im Jahr 1860 zum ersten Mal als Teil von Leaves of Grass veröffentlich wurde, sucht der Autor nach einem Herausstellungsmerkmal der Stadt, in der er so viele Jahre seines Lebens verbracht hat. Letztlich wird ganz Manhattan mit seinen Gebäudestrukturen, alt eingesessenen Bewohner und Neuankömmlingen zur Besonderheit. „Mannahatta“ zeichnet ein positives Bild der heterogenen Gesellschaft69 New Yorks: das Wirtschaftswachstum, der Bevölkerungsanstieg und seine Ursachen sowie die Veränderungen der Baustruktur werden reflektiert.70 In der Zeit zwischen 1840 und 1865 entsprach New York City in vielerlei Hinsicht der Beschreibung des Dichters. Kirchturmspitzen ragten gen Himmel, die Stimmung in der Stadt war getragen von Betriebsamkeit und Aufbruch.

68

Sculley Bradley et al. (Hg.), The Collected Writings of Walt Whitman: Leaves of Grass: A Textual Variorum of the Printed Poems, Vol. II (New York: New York University Press, 1980), 419-20. Anmerkung: Die Groß- und Kleinschreibung, die Interpunktion und die Versumbrüche innerhalb des Gedichts wurden aus Sculleys Edition der Werke Whitmans übernommen. Auf die Einfügung der redaktionellen Ergänzung [sic] wurde verzichtet.

69

Die heterogene Bevölkerungszusammensetzung, die Whitman pries, brachte auch Probleme mit sich. So erschütterte eine Reihe von gewalttätigen Aufständen die Insel. Am prominentesten wohl der Astor Place Riot im Jahr 1849 und die Draft Riots des Jahres 1863. Die gesellschaftlichen Spannungen in New York City Mitte des 19. Jahrhunderts fanden hier ihren drastischsten Ausdruck. Zu Ganggewalt und Aufruhr in der Stadt siehe exemplarisch: Tyler Anbinder, Five Points: The 19th Century New York City Neighborhood that Invented Tap Dance, Stole Elections, and Became the World's Most Notorious Slum (New York: Simon & Schuster, 2010). Herbert Ashbury, The Gangs of New York: An Informal History of the Underworld (New York: Alfred A. Knopf, 1927). Iver Bernstein, The New York City Draft Riots: Their Significance for American Society and Politics in the Age of the Civil War (New York: Oxford University Press, 1990).

70

Vgl. Bradley, The Collected Writings of Walt Whitman, 419-20.

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Whitmans New York war ein Produkt des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1830er-Jahre. Dieser verbesserte die Lebensbedingungen der Handwerkerzunft in der Stadt merklich. Jedoch verschlechterten sich die Lebensbedingungen für die arbeitenden Klassen. Zum einen kam es zu einem starken Anstieg der Mieten, zum anderen war es für Bauherren und Vermieter wenig attraktiv, in den Bau oder Erhalt von Wohnungen für die Arbeiterklasse zu investieren. Die zu erwartenden Profite waren vergleichsweise gering, da Modernisierungsmaßnahmen kaum bis keine steuerlichen Vorteil mit sich brachten, und so verfiel die historische Bausubstanz.71 Immerhin engagierten sich einige Industrielle wie der Eisenproduzent James Allaire72 für den Bau von Arbeiterunterkünften in Fabriknähe. So entstanden ab Mitte der 1830er-Jahre in der Lower Eastside die ersten mehrstöckigen tenement houses.73 Die Unterbringung der eigenen Arbeiterschaft in fabriknahen Mietskasernen war dabei sowohl im Interesse der Unternehmer als auch in dem der Arbeiter,74 denn das von privaten Betreibern geführte Nahverkehrssystem erschloss bestimmte Teile der Stadt nicht oder nur unzureichend.75 Zudem waren die Kosten für eine Einzelfahrt vergleichsweise hoch, sodass die ersten pferdegezogenen Omnibusse, die ab dem Jahr 1827 entlang des Broadways verkehrten, vornehmlich von der Mittelklasse genutzt wurden. Für die breite Masse der Arbeiterschaft blieb New York eine walking city76. Die Distanzen zwischen

71

Burrows & Wallace, Gotham, 587-88. Cantwell & Wall, Unearthing Gotham, 200203.

72

John Leander Bishop, Edwin Troxell Freedly & Edward Young, A History of American Manufactures from 1608 to 1860, Vol. 2 (Philadelphia: Edward Young & Co., 1864), 362, 587-88. Burrows & Wallace, Gotham, 587.

73

Burrows & Wallace, Gotham, 587.

74

Die Lebenswelten der Mittel- und Arbeiterklasse wandelten sich im frühen 19. Jahrhundert massiv. Eine stärkere Trennung von Arbeitsplatz und Heim fand statt. Durch die Professionalisierung der Industrie und des Handels kam es zu einer Auslagerung der Geschäftstätigkeit in separate Läden, Manufakturen und Fabriken jenseits der mittelständischen Wohnstätten. Bot man zuvor der Arbeiterschaft im eigenen Haus Obdach, so suchte diese nun in Mietswohnungen Unterbringung. Blackmar, Manhattan for Rent, 109-10. Cantwell & Wall, Unearthing Gotham, 206-209.

75

John Anderson Miller, Fares, Please!: A Popular History of Horse-Cars, StreetCars, Buses, Elevateds and Subways (New York: Dover, 1960), 1.

76

Ebd., 3, 5-7. Warner, The Urban Wilderness, 81-83. Vgl. Tarr, Patterns in City Growth, 8-61. Den Begriff walking city verwendet Warner erstmals 1973 in seiner Monografie zur urbanen Entwicklung Bostons: Warner, Streetcar Suburbs, 15.

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Wohnung, Arbeitsstätte sowie Markt legte man hauptsächlich zu Fuß zurück. Entsprechend lukrativ war es für Vermieter, existierende Mietshäuser in unmittelbarer Nähe zu den Produktionsstätten immer stärker auszulasten.77

1.2 The Plagued City. Stadtgesundheit, Sauberkeit und Moral Es war zu dieser Zeit, dass New York City nicht nur zur wirtschaftlich erfolgreichsten Stadt der Vereinigten Staaten aufsteigen sollte, sondern auch zur schmutzigsten. Müll und dessen Beseitigung wurden zu einem der Hauptprobleme in den überfüllten Arbeiterquartieren. Die Aufträge zur Reinigung der Straßen wurden durch öffentliche Auktion an privaten Unternehmen vergeben Die günstigsten Angebote erhielten dabei den Zuschlag. Fehlkalkulationen der Unternehmen sorgten dafür, dass sich auf und an den Straßen Schlamm, Mist und Müll türmten.78 Die Berge braunen stinkenden Matschs erhielten von der Stadtbevölkerung die Beinamen Corporate Pudding oder Bloodgood Pies.79 Das rapide Wachstum New Yorks führte zudem dazu, dass die Gerbereien, Brennereien, Schlachthäuser, Stallungen und Armenfriedhöfe, die man an den Stadtrand verbannt hatte, Teil der neuen Nachbarschaften wurden.80 Darüber hinaus sank die Qualität des zu Verfügung stehenden Trinkwassers stark auf-

77

Burrows & Wallace, Gotham, 587.

78

Ebd., 588.

79

Simeon De Witt Bloodgood war zu dieser Zeit der Vorsitzende der für die Straßenreinigung zuständigen Behörde. Er war eine einflussreiche Persönlichkeit in Albany und New York City. Bloodgood verfügte unter anderem seit 1829 über Anleihen in einer Versicherung, der Clinton Insurance Company, war neben Irving und dem ehemaligen Bürgermeister Philip Hone im Jahr 1835 Teilnehmer an einem Treffens zur Gründung einer Knickerbocker society, die sich der Geschichtsschreibung New Yorks widmete, und zeigte sich zudem immer wieder in politische Entscheidungsprozesse involviert. Charles Haynes Haswell, Reminiscences of an Octogenarian of the City of New York: 1816 to 1860 (New York: Harper & Brothers, 1896), 168. Philip Hone, The Diary of Philip Hone, Volume I, 1828-1851 (New York: Dodd, Mead and Company, 1889), 132-33. New York State, Laws of the State of New-York (Albany: W.M. Gould & Co., 1828), 550.

80

Burrows & Wallace, Gotham, 588.

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grund von Verunreinigungen. Die Forscher des Lyceum of Natural History81 schätzen im Jahr 1829, dass innerhalb eines Tages mehr als einhundert Tonnen Exkremente aus der Stadt in das umliegende Schwemmland gelangten, aus dem sie gemeinsam mit anderen löslichen Abfallstoffen ihren Weg ins Grundwasser fanden. Besonders die im Süden Manhattans gelegenen Brunnen förderten in den 1830er-Jahren unsauberes, gesundheitsbedenkliches Wasser zu Tage. Viele Stadtbewohner betrachteten den Sachverhalt mit einem gewissen Sinn für Humor. Häufig war zu lesen, dass New York über das beste Wasser verfüge, denn es diene nicht nur zum Waschen und Kochen, sondern sei zugleich auch Abführmittel.82 Sauberes Wasser wurde zur wertvollen Handelsware. Die ärmere Bevölkerung war auf die kostenfreien öffentlichen Pumpen angewiesen, während Angehörige der Mittelschicht ihr Wasser häufig von Straßenhändlern kauften, die dieses aus weniger verschmutzten Gebieten der Insel bezogen. Auch die Oberschicht hatte mit der Wasserknappheit zu kämpfen. Zwar besaßen deren Haushalte Wasseranschlüsse der Manhattan Company, die es jedoch versäumte, ihr Versorgungsnetzwerk im Laufe der Jahre an den steigenden Bedarf anzupassen.83 Lebensbedrohlich war die Wasserknappheit für Mitglieder der Oberund gehobenen Mittelschicht aber nicht. Verheerende Ausmaße nahm diese in den überfüllten Armen- und Arbeitervierteln der Stadt an, in denen man Cholera, Typhus, Gelbfieber und Feuer scheinbar nichts entgegenzusetzen hatte. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wurde New York City regelmäßig von Gelbfieberepidemien heimgesucht. Der erste Bericht über einen Ausbruch in der Stadt stammt aus dem Jahr 1702. Besonders verheerend zeigte sich die von Stechmücken übertragene Virusinfektion in den Jahre 1795 und 1798. Bis zum Jahr 1822 brach die Krankheit fast jährlich auf

81

Das Lyceum wurde 1817 zur Förderung der Wissenschaften in New York gegründet. Im Laufe der Jahre engagierten sich die dort ansässigen Forscher immer stärker für den internationalen Wissensaustausch. Die Institution besteht bis heute fort, firmiert aber mittlerweile unter dem Namen New York Academy of Sciences. Zur Entwicklung von wissenschaftlichen Gesellschaften in New York City im 19. Jahrhundert siehe: Douglas Sloan, „Science in New York City, 1867-1907“, in: Isis 71 (Mär. 1980), 35-76.

82

Charles E. Rosenberg, The Cholera Years: The United States in 1832, 1849 and 1866 (Chicago: University of Chicago Press, 1987), 16-17.

83

Burrows & Wallace, Gotham, 589. Gandy, Concrete and Clay, 27-28. Vgl. Gerard T. Koeppel, Water for Gotham (Princeton: Princeton University Press, 2000), 70101.

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Manhattan Island aus. Die auf der Insel praktizierenden Ärzte führten deren Erscheinen häufig auf die natürlichen Ausdünstungen des Bodens, die Miasmen84, zurück. Die faulige, schmutzige Moorluft New York Citys in den Sommermonaten wurde ebenso zum Auslöser erklärt, wie die dreckigen Straßen und die Armenbevölkerung der Stadt. Entsprechend griff die Stadtregierung ein und wandte sich an die Staatsregierung in Albany mit der Bitte um Hilfe. Im Jahr 1798 wurden die existierenden Gesundheitsbestimmungen durch neue ersetzt und die Gründung des Health Office durch die Staatsregierung bewilligt. Dieses bestand aus drei Kommissaren, die die Einhaltung der verschärften Quarantänebestimmungen überwachten.85 Bis ins Jahr 1804 war das Health Office die einzige permanent bestehende Gesundheitsbehörde der Stadt. Andere kleinere Unterbehörden, die neue Gesundheits- und Hygienegesetzgebungen vorschlugen und durchsetzten, waren immer nur temporär in Krisenzeiten aktiv. Mit der Schaffung des Office of the City Inspector entstand bereits in den 1790er-Jahren eine permanente Aufsichtsbehörde. Dem Inspektor kamen mehrere Aufgaben zu. Er hatte sicherzustellen, dass sämtliche Stadtverordnungen befolgt wurden, sammelte Informationen über öffentliche Missstände und erstattete dem Stadtrat darüber Bericht. Der Inspektor hatte aber keinerlei Befugnis, Änderungsvorschläge zu unterbreiten oder Vergehen gegen die Gesundheitsverordnungen zu ahnden.86 Das machte den City Inspector zum Chronisten der Probleme der Stadt. Er rief diese immer wieder ins Bewusstsein der Gemeinschaft und stand ihnen doch machtlos gegenüber. In den Bemühungen um mehr Autonomie von Albany entschied sich der Stadtrat New Yorks für die Gründung einer eigenen Gesundheitsbehörde im Jahr 1804. Die Corporation schuf eine Institution, die mit der Abfassung eines entsprechenden Gesetzvorschlags an die Staatsregierung betraut wurde. Dieser beinhaltete die Schaffung eines permanent existierenden Board of Health mit weitreichenden Machtbefugnissen. Der Vorschlag wurde in Albany angenommen und ab März 1805 verfügte New York City über eine permanente Gesundheitsbehörde. Diese bestand aus dem Bürgermeister, dem Stadtrichter, fünf Mit-

84

Vgl. Alain Corbin, The Foul and the Fragrant: Odor and the French Social Imagination (Cambridge: Harvard University Press, 1986), 142-44. Im französischen Original von 1982 Le Miasme et la Jonquille, die deutsche Übersetzung aus dem Jahr 1984 trägt den Titel Pesthauch und Blütenduft: Eine Geschichte des Geruchs.

85

John Duffy, The Sanitarians: A History of American Public Health (Champaign: University of Illinois Press, 1992), 57. Plunz, A History of Housing, 3.

86

Duffy, The Sanitarians, 57.

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gliedern des Ältestenrats der Stadt und den drei Kommissaren des Health Office.87 Im selben Jahr brach erneut Gelbfieber aus und das Board of Health hatte seine erste Bewährungsprobe zu bestehen. Bereits in den vorangegangen zehn Sommern wurde die Insel von der Krankheit heimgesucht und entsprechend gut vorbereitet war man 1805: die betroffenen Gegenden wurden evakuiert, medizinische Hilfe bereitgestellt, die Straßen gesäubert, und strikte Quarantänemaßnahmen durchgesetzt. Die Gelbfieberausbrüche in New York verliefen dann auch vergleichsweise milde und entsprechend groß war das Lob für die neue Behörde. In den folgenden Jahren blieben Gelbfiebererkrankungen fast vollständig aus und das Board versank in die Bedeutungslosigkeit. Zwar wurden jährlich nach der Berufung des Bürgermeisters88 durch den Gouverneur auch die neuen Mitglieder des Board of Health ernannt, doch dessen Aufgaben und Befugnisse bestanden lediglich auf dem Papier fort.89 Nur selten machte es in den folgenden Jahrzehnten von seinen Rechten Gebrauch. Im Jahr 1832 brach – wenig überraschend – die Cholera in New York City aus. Über den Seeweg hatte die Krankheit ihren Weg von Europa nach Nordamerika gefunden. Das Board of Health sprach strikte Quarantänebestimmungen für Schiffe aus, die aus potentiellen Ansteckungsgebieten im Hafen einliefen, aber erst nachdem die Krankheit bereits die ersten Opfer gefordert hatte, wurden sie auch durchgesetzt. Die Handelsinteressen New Yorks standen über dem Schutz vor der Cholera, auch weil nicht sicher war, wie genau die Krankheit sich ausbreitete.90 Weder Miasmen noch direkter Kontakt zu Erkrankten schienen für

87

Ebd., 58.

88

Der Gouverneur des Staates New York ernannte seit 1777 den Bürgermeister von New York City. Im Jahr 1821 ging diese Befugnis an den Common Council der Stadt über. Ein Zusatz zur Staatverfassung legte 1834 fest, dass der Bürgermeister jährlich, durch direkte Wahl, von den Bürgern der Stadt zu bestimmen sei. Erster, direkt gewählter Bürgermeister nach Ende der britischen Kolonialherrschaft war der Demokrat Cornelius Van Wyck Lawrence; dieser besiegte den Whig-Kandidaten Guilian C. Verplanck mit einem Vorsprung von 181 Stimmen. Vgl. Kenneth T. Jackson (Hg.), The Encyclopedia of New York City: Second Edition (New Haven: Yale University Press, 2010), 230, 807. Joseph Shannon, Manual of the Corporation of the City of New York (New York: E. Jones & Co., 1869), 649-50.

89

Duffy, The Sanitarians, 58.

90

Burrows & Wallace, Gotham, 589-90. Charles Bowles Fripp, „Statistics of the City of New York“, in: Journal of the Statistical Society of London, Vol. 2, No. 1 (Feb. 1839), 8.

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ihr Auftreten verantwortlich oder vonnöten zu sein. Der französische Historiker Alain Corbin argumentiert in The Foul and the Fragrant, dass sich durch die Choleraepidemie von 1832 der medizinische Diskurs wandelte. Ging man zuvor davon aus, dass entweder Miasmen oder die Berührung eines Erkrankten zur Ansteckung führten, so folgerte man im Anschluss an die Epidemie, dass Exkremente und andere Ausscheidungsprodukte ebenfalls eine Gefahr darstellten. Medizinische Diskurse wurden dadurch verstärkt zu Klassendiskursen, denn besonders diejenigen, die im eigenen „stinkenden Schlamm“ hausten, waren stärker von Krankheiten betroffen – sowohl in der bürgerlichen Vorstellung, als auch in der Realität.91 Bereits im Frühsommer 1832 stellte die Ärztevereinigung New Yorks die Forderung nach einer umgehenden Säuberung der Straßen der Stadt auf um eine mögliche Choleraepidemie zu verhindern. Zudem appellierte das fünfzehnköpfige Komitee der New York Medical Society dafür, dass alle Plumpsklos und Klärgruben mit Branntkalk zu desinfizieren seien, ebenso sprach man sich für die Einrichtung von Notfallkrankenhäusern aus.92 Die Forderungen stießen jedoch auf taube Ohren. Zum einen fehlte jeder Beweis, dass sich durch diese kostenintensiven Maßnahmen ein Ausbruch der Krankheit tatsächlich verhindern ließ, zum anderen ging man davon aus, dass nur die Teile der Bevölkerung, die eine Vorbelastung aufwiesen, überhaupt zum Opfer werden würden. Die Ausführungen zu den predisposing causes zeigten zudem, dass viele Angehörige der Mittel- und Oberschicht – somit auch Mediziner – der Ansicht waren, dass das moralische Verhalten eines Patienten den Behandlungserfolg bestimme. Jene Mitglieder der Bevölkerung, die sich sündigen und unmoralischen Praktiken verschrieben hätten, wären ohnehin nicht heilbar, da ihre Erkrankung die gerechte Strafe Gottes für ihre Vergehen darstelle.93 Die öffentlich geführten medizinischen Debatten waren einerseits von einem Glauben an den Fortschritt der Wissenschaft getragen, konnten sich andererseits aber den dominanten puritanischen Moralkonzeptionen der Zeit nicht entziehen. Besonders deutlich zeigt sich diese Mischung aus wissenschaftlichem Fortschrittsglauben und Religiosität bei Sylvester Graham, einem der ersten Verfechter einer vegetarischen und alkoholfreien gesundheitsfördernden Lebensweise. In

91

Corbin, The Foul and the Fragrant, 142-44.

92

Rosenberg, The Cholera Years, 22.

93

Burrows & Wallace, Gotham, 590. Charles Cadwell, Outlines of a Course of Lectures on the Institutes of Medicine (Lexington: William Tanner, 1823), 179.

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seinen Predigten und Schriften verwies der Presbyterianer immer wieder auf den Zusammenhang zwischen Moral und Gesundheit.94 Mitte Juni 1832 erreichten die Nachrichten vom Ausbruch der Cholera in Montreal und Quebec New York City. Bürgermeister Walter Browne verhängte daraufhin eine Quarantäne. Einzig mit Erlaubnis des Board of Health durften sich Schiffe der Stadt weiter als auf 270 Meter nähern, auf dem Festland begann die Sperrzone zweieinhalb Kilometer vor der Stadtgrenze. Das Board erteilte aber weiterhin Genehmigungen zur Einreise ins Stadtgebiet, während bereits Handzettel mit Warnhinweisen und Selbsthilfeanleitungen zirkulierten und einige der Zeitungen der Stadt Sonderausgaben zum Thema druckten. Apotheker und Mediziner sprachen Empfehlungen für mögliche Heil- und Hilfs-mittel aus: Laudanum, Campher, Opium und Senfwickel zählten zu den populärsten.95 Ende Juni kam es schließlich auch in New York zum Ausbruch der Krankheit. Vorerst war aber nur inoffiziell von Cholera die Rede, denn Durchfallerkrankungen waren, besonders in den Sommermonaten, in New York City keine Seltenheit. Dennoch entschied sich die Ärztevereinigung der Stadt dazu, in der Angelegenheit offiziell zu verkünden, dass mindestens neun Menschen in New York an Cholera erkrankt seien, von denen nur eine Person überlebt hätte. Am 3. Juli – nur einen Tag nach der Bekanntmachung – verließen Angehörige der Oberschicht die Stadt in Scharen. Kutschen und Dampfschiffe brachten die Elite in Sommerhäuser, Landsitze und Pensionen im Umland, während die Armen und

94

Burrows & Wallace, Gotham, 590. Zum Zusammenhang von Gesundheit und Moral siehe: Sylvester Graham, Lectures on the Science of Human Life (London: Horsell, Aldine Chambers, 1849). In seinem Vorwort und den Anmerkungen zu Lewis Conaros Discourses on a Sober and Temperate Life macht Graham diese Verbindung besonders deutlich. Lewis Conaro, Discourses on a Sober and Temperate Life (New York: Mahlon Day, 1833), iv-xiv, 165-78.

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Die Empfehlungen basierten auf den Erfahrungen der Gelbfieberepidemien, welche die Stadt zuvor heimgesucht hatten und ebenso auf Berichten aus den europäischen Metropolen, die vor New York von der Cholera betroffen waren. So zirkulierte auf Manhattan Island der Nachdruck eines Pamphlets aus Edinburgh, das fünf mögliche Heilmittel anpries. Zudem druckte die Zeitung Observer Berichte und Hinweise zum Verlauf der Cholera in Paris ab. Die Ärzte der Stadt richteten sich bei der Behandlung ihrer Patienten danach. John Pintard, Letters from John Pintard to his Daughter Eliza Noel Pintard Davidson, 1816-1833, Vol. 4 (New York: New York Historical Society, 1941), 72. Rosenberg, The Cholera Years, 22.

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die Arbeiter zurück blieben. In der Stadt fielen im Sommer 1832 etwa dreieinhalbtausend Menschen der Cholera zum Opfer.96 Die Berichte über Verbreitung und Auswirkungen der Krankheit in New York füllten die Zeitungen und die persönlichen Korrespondenzen der Stadt. Während die Bestatter mit dem Abtransport und der Beerdigung der Toten kaum nachkamen, versuchten einige der Stadtbewohner die herrschende Hysterie abzumildern97; so auch John Pintard, der Mitbegründer der New York Historical Society. Pintard blieb während der Krisenzeit in der Stadt. Das tat er nicht nur in Ermangelung eines Landsitzes. Er sah für sich und seine Familie keine direkte Bedrohung. Die Krankheit befiel fast ausschließlich die niederen, moralischverderbten Schichten, zudem erfreuten sich alle in der Familie nach eigener Aussage besonders guter Gesundheit. Der schnelle, oftmals tödliche Verlauf der Cholera in den Armenvierteln war für Pintard Grund zur Erleichterung, denn je schneller die Krankheit den menschlichen Abschaum, von dem sie sich hauptsächlich zu ernähren schien, aufgebraucht habe, um so schneller könne man die Quarantäne wieder aufheben und zur Normalität zurückkehren.98 Viele seiner Zeitgenossen teilten Pintards Auffassungen. Seine Ausführungen spiegeln die weit verbreitete Annahme, dass die Ober- und Mittelschicht den Armen und der Arbeiterklasse moralisch überlegen sei. Die Cholerawelle hatte aber auch andere soziale Folgen. Viele der Wohlhabenden nahmen die Armen und deren Leiden durch die Epidemie zum ersten Mal bewusst wahr und versuchten Hilfe zu leisten. Kirchen und vermögende Händler schlossen sich zusammen und sammelten für die Bedürftigen. Suppenküchen wurden eingerichtet, Kleiderspenden verteilt und offensichtlich Kranke wurden in Hospitäler gebracht. Obwohl das Mitgefühl – besonders in Bezug auf die Leiden der Kinder – zunahm, verweigerten die privaten Krankenhäuser die Aufnahme von Cholerapatienten. Die städtische Krankenhäuser, allen voran das Bellevue Hospital99, fingen den Großteil der Erkrankten auf. Mehr als 600 Choleraopfer starben in diesem Krankenhaus.100

96

Burrows & Wallace, Gotham, 591.

97

Ebd.

98

Pintard, Letters from John Pintard to his Daughter, Vol. 4, 66, 68, 75.

99

Kapitel 3.3 dieser Monografie setzt ein Schlaglicht auf das Bellevue Krankenhaus und den angeschlossenen Armenfriedhof.

100 Dudley Atkins (Hg.), Reports of Hospital Physicians, and Other Documents in Relation to the Epidemic Cholera of 1832 (New York: G. &. C. & H. Carvill, 1832), 12. Burrows & Wallace. Gotham, 591-92.

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Im Rahmen der vom Board of Health geleiteten Hilfsmaßnahmen kam es zudem zur Reinigung des Slums der Stadt. Die Überbevölkerung bestimmter Stadtteile machte diese zu perfekten Brutstätten für die Krankheit. Das Board entschloss sich, geleitet von den Erfahrungen aus den Gelbfieberepidemien der jüngeren Vergangenheit, zur Evakuierung der Viertel. Die Räumung der überfüllten Mietshäuser hatte Proteste von Seiten der Vermieter zur Folge. Diese sahen ihre wirtschaftlichen Interessen bedroht, denn es erfolgte keine Kompensation für die Mietausfälle, ebenso war unklar ob die Menschen nach Ende der Epidemie in die verlassenen Stadtteile zurückkehren würden. Andere profitierten, denn andernorts wurden Häuser angemietet und am Stadtrand errichtete man Baracken zur temporären Unterbringung der Flüchtlinge. Die philanthropischen Organisationen, die die Armenhäuser New Yorks betrieben, wurden mit der Versorgung der Umgesiedelten mit Kleidung, Nahrung und Medikamenten beauftragt. Ende Juli erreichte die Epidemie ihren Höhepunkt, danach sank die Zahl der Neuerkrankungen stetig und ab Mitte August kehrten die Bewohner in ihre alten Nachbarschaften zurück. Nachdem die Stadt Ende August für sicher erklärt worden war, kehrte das Leben vollends wieder ein.101 Die Ursachen der Epidemie wurden noch für geraume Zeit kontrovers diskutiert. Das Board of Health berichtete, dass die Armen irischer Abstammung aufgrund ihres Lebenswandels am stärksten von der Krankheit betroffen waren. Deren angenommene Zügellosigkeit, ihre Liebe zum Alkohol und bestimmte Strukturen des Zusammenlebens wurden als Gründe für den Ausbruch der Cholera gesehen. Die Krankheit stilisierte man in protestantischen Kreisen zur gerechten Strafe Gottes für die Sünder.102 Für andere war Cholera kein Produkt göttlichen Eingreifens, sondern das Ergebnis der von den Menschen geschaffenen gesellschaftlichen Ungleichheiten. Diese radikalen Vordenker forderten die Schaffung von sozialer Gerechtigkeit durch die gestaffelte Besteuerung des Ein-

101 Burrows & Wallace, Gotham, 593. 102 Ebd. Die Ausführungen des Board of Health spiegeln, ebenso wie die Aussagen von John Pintard, die nativistische Einstellung der Führungselite der Stadt wieder. Die irische Einwanderung seit dem Jahr 1830 führte zum Erstarken einer sich gegen Katholiken richtenden Fremdenfeindlichkeit. Vgl. John Higham, Strangers in the Land: Patterns of American Nativism, 1860-1920 (Piscataway: Rutgers University Press, 2002), 3. Eine frühe weiterreichende Analyse der Anfänge des Nativismus in den USA findet sich in der Monografie The Protestant Crusade, 1800-1860 des Historikers Ray Allen Billington: Ray Allen Billington, The Protestant Crusade, 18001860: A Study of the Origins of American Nativism (Madison: University of Wisconsin, 1938).

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kommens. Zudem schlugen sie die Anlage eines Parks für die Arbeiterklasse in Corlear’s Hook vor. Der im 7th Ward in der Lower Eastside gelegene Arbeiterwohnbezirk erlebte seit den späten 1820er-Jahren einen Abstieg. Prostitution und Kriminalität zeichneten das Viertel aus. Die Reformer hofften dem durch einen respektablen Freizeithort für die Arbeiterklasse beizukommen. Die zuständigen Behörden und mögliche Investoren erachteten das Projekt aber als nicht rentabel und wandten sich stattdessen lukrativen Vorhaben zu. 103 Besonders wichtig und gewinnbringend für alle Bevölkerungsschichten erschien die Erschließung neuer Wasserreserven für die Stadt. Im Oktober 1832 stellte der Common Coucil Geldmittel zur Verfügung um herauszufinden wie man New York City am günstigsten und besten mit Wasser versorgen könne. Ein im Dezember veröffentlichter Bericht benannte den Croton River im nahegelegen Westchester County als ideale Wasserquelle. Im Jahr 1833 wandte sich der Stadtrat an die Staatsregierung mit der Bitte um die Schaffung einer staatlichen Wasserkommission. Dieser wurde stattgegeben. Unter der Leitung des ehemaligen Bürgermeisters Stephen Allen führte die Kommission die 1832 begonnenen Untersuchungen fort und kam zu dem Ergebnis, dass der Bau eines Aquäduktes vom Croton River104 nach New York die wohl beste Lösung sei. Die kalkulierten Kosten in Höhe von fünf Millionen Dollar brachten das Vorhaben jedoch ins Stocken. Wer diese tragen sollte, war vorerst unklar und so ruhte das Projekt bis Ende der 1830er-Jahre.105 Großprojekte für das Allgemeinwohl wurden in New York ab den 1830erJahren immer stärker debattiert und auch umgesetzt. Blackmar sieht eine Ursache dafür in der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für weiße Männer im Jahr 1826. Politische Mitbestimmung war von da an nicht länger an Eigentum gekoppelt und weiterhin wurde per Volksentscheid über die Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen entschieden. Durch die Ausweitung des passiven Wahlrechts auf die Eigentumslosen büßten die Angehörigen der Eliten einen Teil ihrer politischen und stadtgestalterischen Privilegien ein. Die Liberalisierung des Wahlrechts und die Durchsetzung und Weiterentwicklung des Commissioners’ Plans veränderten New York City maßgeblich. Der Stadtregierung gelang es in den 1820er-Jahren, ihre Befugnisse gegenüber dem Bundesstaat New York aus-

103 Burrows & Wallace, Gotham, 594. 104 Die Geschichte des Croton Aqueducts ist Ausgangspunkt von Kapitel 3.2. Dort wird auf das Thema Wasserversorgung ausführlicher eingegangen. 105 Burrows & Wallace, Gotham, 594. Vgl. Charles King, A Memoir of the Construction, Cost, and Capacity of the Croton Aqueduct (New York: Charles King, 1843), 137.

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zubauen, und öffentliche Eingriffe in die Raumwirtschaft (spatial economy) der Stadt erfolgten stärker als zuvor. Ziel war es, die Stadtlandschaft auf eine Art und Weise zu organisieren, von der alle Bürger profitierten.106 In der Konzeption er Angehörigen der Mittel- und Oberschicht legten das Haus und das Viertel Zeugnis über den moralischen Charakter ihrer Bewohner ab. Die heruntergekommenen Arbeiterwohngegenden wurden folglich als Brutstätten von Krankheit, Sünde und Laster portraitiert.107 Um dem unmoralischen Treiben Einhalt zu gebieten, nahm sich die Stadtregierung neuer Strategien in der Nachbarschaftsgestaltung an. Zum Schutz von Privateigentum und als Demonstration öffentlicher Autorität begann man mit der Sanierung von bestimmten Vierteln. Die alten Armen- und Arbeitergegenden mit ihren verwahrlosten Mietshäusern nahmen wertvollen Grundbesitz im Süden Manhattans ein. Deren Bereinigung sahen Stadtregierung und Reformer als Quell des wirtschaftlichen und moralischen Wohlergehens der Stadt.108 Die Verordnungen des Common Council zur Ausgestaltung der Stadt waren bis in das frühe 19. Jahrhundert formelhaft aufgebaut. Immer war die Rede von – nicht weiter spezifizierten – Vorteilen bestimmter Maßnahmen für die Öffentlichkeit. Durch die stärkere Verwebung New Yorks mit der nationalen Wirtschaft und mit der politischen Erstarkung größerer Teile ihrer Bevölkerung sah sich die Stadtregierung gezwungen, ihre Argumentation anders aufzubauen.109 Der Begriff Allgemeinwohl musste neu definiert werden. War vorher immer von den Vorteilen aller die Rede, so wurde nun immer häufiger deutlich, dass nicht alle im gleichen Maße von Eingriffen durch die öffentliche Hand profitierten. Der Ausbau der Stadtinfrastruktur wurde weiter als eine Angelegenheit im Gemeinschaftsinteresse beurteilt. Das Finanzierungsmodell für die Durchführung von Baumaßnahmen änderte sich jedoch. Seit Ende der Kolonialzeit trugen Stadt und Bundesstaat die Erschließungskosten vollständig selbst. Nun oblag es der Stadtregierung herauszufinden, wer aus dem Bau von Straßen und anderen Infrastrukturarbeiten sofort direkten Nutzen zog. Der Ältestenrat kam im Rückbezug auf ältere Praktiken zu dem Ergebnis, dass die Kosten für Straßenausbau und Stadterneuerung von den Anliegern mit zu tragen waren. In der Einschätzung der Regierung profitierten vor allem Grundeigentümer von den Infrastrukturmaßnahmen. Erschlossenes Land erzielte höhere Gewinne in Verkauf, Verpachtung und Vermietung. Durch Einführung des Anliegerfinanzie-

106 Blackmar, Manhattan for Rent, 149, 155-56. 107 Ebd. 150. Vgl. Griscom, The Sanitary Condition, 2-7. 108 Ebd., 151. 109 Vgl. Warner, The Urban Wilderness, 57-64.

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rungsmodells verstärkte sich die Verbindung zwischen Grundstücksbesitzern und der Stadtregierung und somit auch zwischen öffentlichem und privatem Eigentum. Modifikationen an öffentlichem Land wurden nun durch private Mittel und Steuern finanziert. Die neue Regelung rief ein verstärktes Interesse der Grundstückseigentümer daran hervor, Teil des politischen Entscheidungsprozesses zu sein. Die besitzende Klasse New Yorks forderte sich in der Folge ein noch stärkeres Mitbestimmungsrecht ein, was die Gestaltung der urbanen Infrastruktur anbetraf, für die sie ja an vielerlei Stellen zu zahlen hatte.110 Besonders der Erhalt, die Anlage und die Umgestaltung von öffentlichen Freiflächen wurden viel diskutiert. Als Teil der urbanen Infrastruktur hatten diese ebenso wie die Straßen Auswirkungen auf die Grundstückswerte auf der Insel. Während die Anlage von Parks in der Umgebung meist eine Steigerung des Wertes der Anliegergrundstücke zur Folge hatte, verringerten andere Arten von Freiflächen diesen.111 In erster Linie waren es Friedhöfe, die von der Planungselite als Hemmnisse des Fortschritts und Problemfälle gesehen wurden.

1.3 A Place to Bury Strangers. Die New Yorker Friedhofskultur des 19. Jahrhunderts Im frühen 19. Jahrhundert kam es zu Reformen des Beerdigungswesens in New York. In Folge dessen wandelte sich auch der kulturelle Stellenwert der Orte der letzten Ruhe. Sie waren mehr als nur Begräbnisstätten und dadurch in immer geringerem Maße tatsächlich letzte Ruhestätte der dorthin verbrachten Toten. Friedhöfe allgemein sind Schauplätze. Ihr Aufbau und ihre Ausgestaltung legen Zeugnis vom wechselnden Umgang der Lebenden mit den Toten im Laufe der Geschichte ab. Sie sind diskursive Räume, in denen Religion, Ästhetik, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur miteinander in Austausch treten. Die Nutzung, Ausgestaltung und auch das Verschwinden von Friedhöfen geben viel über die Vergangenheit preis. Besonders im urbanen Kontext erlebten diese Orte massiven Wandel. Standen sie im Europa des Mittelalters noch im Zentrum der Stadt, so wurden sie ab der Neuzeit in deren Peripherie gedrängt. Die Bestattungsrituale Nordamerikas waren von denen des alten Europas stark beeinflusst. Man übernahm etwa die formalistische, symmetrische Gräberanordnung und legte Friedhöfe bevorzugt in den Randgebieten der Siedlungen und Städte und nicht in deren Kern an. Allerdings gab es auch Ausnahmen. So wurden Kirchhöfe in

110 Vgl. Blackmar, Manhattan for Rent, 159. 111 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 32-33, 48.

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dicht besiedelten Nachbarschaften häufig, obwohl man sie bereits für mögliche Seuchenherde hielt, trotz besseren Wissens und Gewissens, für Bestattungen genutzt. Überdies trug das urbane Wachstum zur Eingliederung der einst in der Peripherie gelegenen Friedhöfe in den Stadtraum bei.112 Im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelten sich auch die ästhetischen Diskurse in Bezug auf die letzten Ruhestätten. Die Hinwendung zum Pittoresken und zum Naturalistischen in deren Ausgestaltung ließ die Totenstädte auf beiden Seiten des Atlantiks zum Zufluchtsort des Bürgertums im Zeitalter der steigenden Industrialisierung erwachsen. Der Bedeutungswandel von Friedhöfen im Mittel- und Oberschichtenmilieu wurde schon vielfach untersucht, ebenso wie der transatlantische Transfer ästhetischer Ideale.113 Interessant erscheint die Auslassung von Unterschichtenakteuren in den Friedhofsnutzungsnarrativen. Bürgerliche Familien flanierten in den Vereinigten Staaten wie in Europa über die neu angelegten rural cemeteries114. Dies taten sie ab den 1840er-Jahren, geführt von Hinweisbüchern, die die Grabmonumente prominenter Zeitgenossen und einflussreicher Familien als Sehenswürdigkeiten listeten.115 Die Angehörigen der Unterschicht und der Arbeiterklasse schienen diese Orte nicht zu frequentieren. Sie suchten andere, weniger stark regulierte Plätze in ihrer Freizeit auf: Die outlying commons waren ihre Rückzugsorte.116 Diese Frei-

112 Norbert Fischer & Markwart Herzog (Hg.), Nekropolis: Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden (Stuttgart: Kohlhammer, 2005), 13. Vgl. James J. Farrell, Inventing the American Way of Death, 1830-1920 (Philadelphia: Temple University Press, 1980), 3-98. 113 Vgl. ebd. 114 Im Deutschen werden diese häufig als Parkfriedhöfe bezeichnet. Der deutsche Begriff Parkfriedhof umfasst jedoch nicht nur rural cemeteries, die sich durch eine dichte Bepflanzung mit Bäumen und Sträuchern und durch geschlungene Wegverläufe auszeichnen, sondern auch lawn cemeteries (Rasenfriedhöfe), welche über weitläufige Grasflächen und geometrische Weganordnungen verfügen und garden cemeteries (Gartenfriedhöfe), die englische Gartenbautraditionen in die Friedhofgestaltung einbeziehen. Im Rahmen der Arbeit werden die Begriffe rural cemetery und Parkfriedhof synonym verwendet, da die im Untersuchungszeitraum erwähnten Parkfriedhöfe alle in die Kategorie der rural cemeteries fallen. Vgl. Sloane, The Last Great Necessity, 1991. 115 Siehe dazu Kapitel 2.1. Vgl. John W. Reps, The Making of Urban America: A History of City Planning in the United States (Princeton: Princeton University Press, 1965), 225-31. 116 Fairfield, The Public and Its Possibilities, 84.

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flächen, darunter die von der Stadt New York unterhaltenen Gemeindefriedhöfe, teilten sie sich bemerkenswerter Weise mit den Angehörigen der Mittel- und Oberschicht. Auch die Elite nutzte weniger pittoreske und respektable Orte in ihrer Freizeitgestaltung. Das geschah zum einen wohl aus pragmatischen Gründen. Zum anderen aber auch aus einer Faszination für das Abscheuliche heraus. Das Andere, das Unsaubere, das wenig Schickliche besaß durchaus Anziehungskraft.117 Während die Gelbfieber- und Choleraepidemien im 18. und 19. Jahrhundert die Friedhöfe in New York City an ihre Kapazitätsgrenzen gebracht hatten und zur Eröffnung neuer Gräberfelder zwangen, veränderte sich auch die Begräbniskultur innerhalb der Stadt. Es war ungewiss, was die Krankheiten auslöste und wie sie sich ausbreiteten. Empirische Untersuchungen durch Mediziner und die in den Zeitungen veröffentlichten Berichte über den Verlauf der Epidemien suggerierten, dass Ausbruch und Verbreitung der Krankheiten in unmittelbarem Zusammenhang mit den Friedhöfen der Stadt standen. Bereits 1798 stellte die Medical Society eine Verbindung zwischen Gelbfieber und den Friedhöfen der Stadt her und machte eine Eingabe beim Common Council. Sie ordnete ein Verbot von Beerdigungen im Stadtraum südlich der Canal Street in den Monaten zwischen Mai und November an.118 Im Jahr 1803 entschied die Staatsregierung in Albany, dass der Common Council New Yorks über das Recht verfüge, Beerdigungen zu untersagen und zwar wann immer es seine Mitglieder für notwendig hielten.119 Bis 1822 oblag es einem Unterausschuss des Stadtrates über Schließungen von Friedhöfen und das temporäre Verbot von Bestattungen individuell zu entscheiden. Der Ausschuss war aber, ähnlich wie der Common Council an sich, ein behäbiges und uneiniges Gremium mit geringen politischen Machtbefugnissen. In den meisten Fällen wurden die Eingaben nicht bearbeitet oder schlichtweg ignoriert. Mit Ausnahme der potter’s fields, in denen Arme oder Unbekannte auf Kosten der Gemeinde beerdigt wurden, waren alle weiteren Friedhöfe in New York City in Besitz der Kirchen. Als Privatbesitz genossen diese rechtlichen Schutz durch die Verfassung der Vereinigten Staaten und die Gesetze des Bundesstaates New York. Zudem besaßen die Kirchen keinen geringen Einfluss in der Stadtpolitik. Jedes Mitglied des Stadtrats war mit einer der Kirchen auf pri-

117 Vgl. Stephen J. Greenblatt, „Filthy Rites“, in: Stephen J. Greenblatt, Learning How to Curse: Essays in Early Modern Culture (New York: Routledge, 1990), 63. 118 John Duffy, A History of Public Health in New York City, 1866-1966 (Russell Sage Foundation, 1968), 218. 119 Hartog, Public Property and Private Power, 71.

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vater Ebene affiliiert und entsprechend darum bemüht, diese nicht zu verprellen. Die religiöse Autorität der Kirchen wurde ebenso wenig angegriffen wie deren Rechte als private Grundstückeigner.120 Dennoch kam es Anfang des 19. Jahrhunderts zu einer erfolgreichen Reglementierung der Begräbnispraktiken auf Manhattan Island. Die Armenfriedhöfe im Gemeindebesitz sowie die Kirchhöfe durchliefen diverse Transformationen. Handelt der Common Council auch nicht wie von der Ärztekammer vorgeschlagen präventiv, so beugte er sich doch gelegentlich der öffentlichen Meinung. Im Sommer 1807 verbot man etwa der African Methodist Episcopal Church weitere Bestattungen auf dem Kirchhof in der Church Street im Süden Manhattans. In den Jahren zwischen 1802 und 1807 hatte man etwa 750 Leichen in die Grüfte und Gräber der Kirche verbracht. Beschwerden der Anwohner über den vom Grundstück ausgehenden Verwesungsgeruch in den Sommermonaten veranlassten den Common Council eine Schließung des Friedhofes zu erwirken. Zum Ausgleich teilte man der Kirche ein Stück Land im potter’s field der Stadt zu.121 Die Kirchen reformierten ihre Gräberfelder aber auch eigeninitiativ. So beschloss die Verwaltung der an der Kreuzung von Wall Street und Broadway gelegenen Trinity Church bereits im Jahr 1784 erste Bestattungsbeschränkungen. Zwar nahm die Kirche fortlaufend neue Mitglieder auf, jedoch verbat sie die Anlage neuer Gräber und Grüfte auf dem Kirchhof. Einzig Familien, die bereits eine Begräbnisstätte besaßen, durften ihre Angehörigen weiter dort beisetzen. Trinity reagierte mit dieser Maßnahme auf die massive Überfüllung des Friedhofs und der Grüfte. Zudem war die Kirche zu dieser Zeit in einen Rechtsstreit mit der Stadt verwickelt, und die Zukunft des Friedhofs war entsprechend ungewiss. Einige Gruppen sprachen sich für die Enteignung Trinitys aus, nachdem der Kirchenvorstand im Unanhängigkeitskrieg auf Seiten Englands gestanden hatte. Nach Kriegsende sollte die Kirche für ihr illoyales Verhalten mit dem Verlust ihrer Ländereien zahlen. Bereits im Jahr 1776 fiel das Kirchengebäude dem

120 Ebd. 121 Carolee Inskeep, The Graveyard Shift: A Family Historian's Guide to New York City Cemeteries (Orem: Ancestry Publishings, 2000), 2, 4. Es ist wahrscheinlich, dass die Schließung des Friedhofs der afroamerikanischen Gemeinschaft auch rassistisch motiviert war. Andere private Friedhöfe in der Gegend waren in Folge der Gelbfieberepidemien ähnlich überfüllt gewesen, wurden jedoch nicht stillgelegt.

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verheerenden Großbrand in New York City zum Opfer122 – Bestattungen wurden dort aber weiterhin durchgeführt. Während des Kriegs setzte man einen Großteil der Gefallenen der Stadt im Kirchhof bei. Nach dessen Ende hatten dort so viele ihre letzte Ruhe gefunden, dass kaum noch Platz für weitere Bestattungen blieb. Gleich wo er versuchte ein neues Grab auszuheben, stieß der Totengräber fast unweigerlich auf Knochen oder Leichen und musste zudem in den Grüften Familienmitglieder wortwörtlich übereinander stapeln.123 Trotz des damals noch reichhaltigen Platzangebots auf der Insel, sahen sich die Totengräber New Yorks mit Verhältnissen konfrontiert, die jenen in den wesentlich dichter besiedelten europäischen Metropolen glichen. Zeitzeugenberichten zufolge beherbergte der Friedhof der Trinity Church die sterblichen Überreste von mehr als 160.000 Menschen.124 Die genaue Zahl lässt sich nur schwerlich bestimmen. Die noch heute sichtbare Bodenerhöhung des Kirchgrundstücks, in Kontrast zu den es umschließenden Gehwegen und Straßen, zeugt aber von der Einbringung großer Mengen organischen und anorganischen Materials in den Boden.125 Die fast jährlich erfolgenden Ausbrüche von Gelbfieber und die immer stärkere Ansprache der Mediziner an die Politik trugen in den 1820er-Jahren Früchte. In Folge der Gelbfieberepidemie des Jahres 1822 setzte sich Bürgermeister Stephen Allen, für ein Verbot bestimmter Arten von Bestattungen in den Stadtgrenzen ein. Der Common Council teilte seine Ansichten über die negativen Auswirkungen der Begräbnisse von Seuchenopfern in der Stadt. Am 31. März 1823 trat eine neue Verordnung in Kraft. Diese verbot Beerdigungen, auch auf den privaten Friedhöfen New Yorks, südlich der Canal Street: Weder durften Gräber neu ausgehoben, noch bestehende Grüfte zu Bestattungszwecken geöffnet werden. Zuwiderhandlungen wurden durch eine Geldstrafe in Höhe von 250 Dollar geahndet. Die neue Gesetzgebung war wesentlich strikter, als alles was dem Bürgermeister vorgeschwebt hatte. Allen hielt in seinen Memoiren fest, dass der Common Council keinen allgemeinen Bann hätte aussprechen sollen. Vielmehr wäre ein Verbot von Erdgräbern und offenen Grüften, sofern es sich

122 Im Jahr 1792 gelang es den Disput um den Kirchenbesitz beizulegen. Trinity durfte seine Ländereien behalten und begann in der Folge mit dem Wiederaufbau des Kirchengebäudes. Burrows & Wallace, Gotham, 281. 123 Ebd., 268-69. Inskeep, Graveyard Shift, 194. 124 Inskeep, Graveyard Shift, 194. Vgl. Corbin, Foul and the Fragrant, 57-58. William Berrian, An Historical Sketch of Trinity Church, New-York (New York: Stanford and Swords, 1847), 286. 125 Vgl. Inskeep, Graveyard Shift, 194.

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bei diesen nicht um die Familiengräber der Eliten handelte, angemessen gewesen. Die Gleichbehandlung aller Klassen im Tod lehnte Allen ab – wie viele andere seiner Zeitgenossen. Die Bestattungsprivilegien der Oberschicht ließen sich in Anbetracht der wiederkehrenden Epidemien aber nicht aufrechterhalten.6 Mediziner erklärten die Ausdünstungen der verwesenden Leichen zur Krankheitsursache.7 Entsprechend hatte eine Auslagerung der Toten aus dem Bereich der Lebenden zu erfolgen. Der Historiker Hendrik Hartog stellt in Public Property and Private Power heraus, dass diese Trennung in New York City nicht allein dem medizinischen Diskurs entsprang. Die Förderung des urbanen Wachstums und wirtschaftliche Interessen spielten eine ebenso große Rolle. Die Stadtväter machten Friedhöfe als Hemmnisse des Fortschritts aus, denn in deren Nähe stagnierten die Grundstückswerte. Die von den Gräberfeldern ausgehenden Geruchsbelästigungen in den Sommermonaten und die noch schlechtere Qualität des Trinkwassers in deren Umgebung, trugen maßgeblich zum Wertverlust des umliegenden Landes bei.8 Weiterhin verfügten Friedhöfe als letzte Ruhestätte über eine Beständigkeit, die sonst kaum ein städtischer Ort aufwies. Sie erfuhren kaum Zerstörung durch Feuer, Stürme oder Fluten. Vielmehr belegten sie Land und machten es für andere Nutzungen unbrauchbar. Im Stadtrat stilisierte man Friedhöfe zu Störenfrieden im urbanen Gefüge. Sie waren ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, dessen man sich nicht schnell entledigen konnte. Friedhöfe zeugten von einer unorganisierten, verletzlichen Stadt, die New York City nicht länger sein konnte oder wollte, entsprechend ging man gegen sie vor. Die Reorganisation des Stadtraums durch den Common Council stieß jedoch auch auf Widerstand: Kirchen und Privatpersonen protestierten gegen dessen Vorgehen. Der Stadtrat hatte ein Beerdigungsverbot im Stadtgebiet verhängt. Eine Verfügung, an welchen Orten Beerdigungen künftig stattzufinden hatten, wurde aber nicht erlassen.9 Die städtischen Kirchen reichten zuerst Beschwerde und dann Klage ein. Sie hatten das Land, auf dem sich ihre Friedhöfe befanden, meist von der Stadt gepachtet. Die Pachtverträge hielten fest, dass die Grundstücke nur zur Beisetzung der Toten genutzt werden durften. Darüber hinaus erzielten die Kirchen der Stadt

126 Vgl. Hartog, Public Property and Private Power, 72. 127 Edward Miller, „Report on the Malignant Disease which prevailed in the City of New-York in the Autumn of 1805“, in: The Edinburgh Medical and Surgical Journal (Vol. 3, 1807), 278. 128 Hartog, Public Property and Private Power, 73. 129 Ebd., 73-74.

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einen großen Teil ihrer Einnahmen durch die Bereitstellung von Grabstätten. Nach dem Verbot von Beerdigungen durch den Stadtrat kam es weder zur Zuweisung neuer Friedhofsgrundstücke noch zu einer Auflösung der alten Pachtverträge. Die Kirchen zahlten weiter für Land, das sie effektiv nicht mehr nutzen konnten. Der Eingriff der Stadtregierung drohte einige der Gotteshäuser in eine tiefe finanzielle Krise oder gar den Ruin zu stürzen.130 Um die Landnutzungsrechte entbrannte ein erbitterter rechtlicher Kampf, den die Stadt letztlich für sich entschied. Die Kirchen beriefen sich auf mehr als einhundert Jahre Tradition in ihren Bestattungspraktiken, doch final waren in New York City die Gegenwart und die Zukunft wichtiger als die Vergangenheit. Die Richter befanden, dass die Stadt in Einklang mit den Staatsgesetzen zum Schutz der Allgemeinheit gehandelt hatte und keine Kompensationsleistungen zu erbringen waren.131 In den Urteilen wurde den Friedhöfen ihre kulturelle und emotionale Relevanz nicht abgesprochen. Die Richter mahnten aber an, dass Privilegien nicht ewig aufrecht zu erhalten seien, besonders nicht, wenn von deren Beibehaltung eine Gefahr für die Allgemeinheit ausginge: There is something sacred in those peaceful sepulchers [sic] in which the remains of our fathers and kindred repose, and where we have cherished the hope of one day being gathered with them; and I am aware that it is an ungracious task to mar those feelings which cling to the remembrance of those who were dear to us in life, and to apply the strict rules and principles of law to this hallowed species of property […]. I know of no right that will permit either an individual or a corporation to use its property free from those restraints[,] which the legislature may from time to time impose for the public welfare.132

Infolge der Verfahren wurde den Kirchen aber das Recht eingeräumt, die ehemaligen Friedhofsgrundstücke anderweitig zu nutzen mit der Empfehlung, den Boden möglichst nicht für „weltliche“ Zwecke zu verwenden.133 Trotz seines zukunftsorientierten Wirtschaftsdenkens verfügte New York City doch noch über ein gewisses Traditionsbewusstsein. Die letzten Ruhestätten der Ahnen

130 Ebd., 74-75. 131 Jacob Wheeler (Hg.), Reports of Criminal Law Cases with Notes and References, Vol. 3 (New York: Gould and Banks, 1825), 237-63. 132 Ebd., 245-46, 247-48. 133 Ebd., 247.

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sollten (vorerst) unberührt bleiben, während man sich der Schaffung neuer Grabstätten zuwandte.134 Bis in die 1830er-Jahre hinein prägten zwei Friedhofstypen die New Yorker Stadtlandschaft: der Kirchhof (churchyard) und der städtische Armenfriedhof (potter’s field).135 Die Kirchhöfe der Stadt glichen aus ästhetischer Sicht jenen in England. Die rechtliche Stellung und die gesellschaftliche Funktion der Kirchen waren jedoch andere. Als vom Staat getrennte private Unternehmen mussten sie mit wesentlich weniger Unterstützung auskommen. Dementsprechend boten Kirchen Bestattungen und Gemeindemitgliedschaften als Dienstleistungen gegen Bezahlung an. Nur denjenigen, die es sich leisten konnten, wurde eine Beerdigung im Kirchhof zuteil.136 Alle anderen fielen in den Verantwortungsbereich der Corporation. Entsprechend richtete die Stadt New York potter’s fields auf Gemeindeboden, für die Beisetzung der Armen und unbekannten Toten, ein. Die Armenfriedhöfe legte man außerhalb des besiedelten Stadtgebiets an. Besonders Parzellen, die von wenig kommerziellen Wert waren, wurden ausgewählt. Sumpfige Areale nördlich der Stadt, die dennoch verhältnismäßig gut durch Straßen oder Wasserwege angebunden waren, wurden zu Gräberfeldern umfunktioniert. Wenn das Stadtwachstum einen Armenfriedhof einholte, oder wenn alle Gräber gefüllt waren, legte man diesen still und eröffnete einen neuen weiter im Norden der Insel.137 Ähnlich wie nach der Stilllegung der Kirchhöfe gab es auch bei den Armenfriedhöfen Einschränkungen bezüglich der weiteren Nutzung des Landes. Diese hatten allerdings eher pragmatische, als religiös-moralische Gründe. Potter’s fields waren aufgrund des Fehlens von Grabsteinen und anderen Friedhofsornamenten in geringerem Maße Orte der Andacht als die Kirchhöfe. Vielmehr waren sie zentral gelegene Freiflächen auf einer immer stärker bebauten Insel. Als Baugrundstücke boten sich die ehemaligen Friedhöfe nicht an, denn die Kosten

134 Zur Krise des Bestattungswesens in New York City Mitte des 19. Jahrhunderts siehe: John Rousmaniere, Green Oasis in Brooklyn: The Evergreens Cemetery, 18492008 (Kittery: Smith/Kerr, 2008), 38-53. 135 Vgl. David Charles Sloane, The Last Great Necessity: Cemeteries in American History (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1991), 4-5. 136 Einzig die katholischen Kirchen der Stadt setzten Angehörige der Armenbevölkerung in ihren Kirchhöfen bei, allerdings nur solange diese in Kirchenobhut, also innerhalb der Mauern einer von der Kirche unterhaltenen humanitären Einrichtung verstorben waren. Vgl. Archibal John Stephens, A Practical Treatise of the Laws Relating to the Clergy, Vol. I (New York: W. Benning & Co., 1848), 201-202. 137 Vgl. Sloane, The Last Great Necessity, 7.

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für die notwendigen Exhumierungen und die Umbettungen der Leichen vor Baubeginn waren hoch, die zu erwartende Rendite aus dem Verkauf der Ländereien, trotz steigender Grundstückswerte, verhältnismäßig gering.138 Zudem war ein Großteil der Opfer der Cholera- und Gelbfieberepidemien im Schnellverfahren in den Armenfriedhöfen beigesetzt worden. Die Unsicherheit ob des genauen Ursprungs und der Verbreitung der beiden Krankheiten führte dazu, dass man in New York City darauf bedacht war, die potentiell immer noch ansteckenden sterblichen Überreste weiterhin unter der Erde zu belassen. Außerdem nutzte man die Armenfriedhöfe auch zur Beisetzung der tierischen Stadtbewohner. So zahlte der Stadtrat dem Friedhofsaufseher Cornelius Myers im Jahr 1832 einen Zuschuss für die Beerdigung von Hunden in Höhe von 81,75 Dollar.139 Auch deren Gebeine hätten vor einem Verkauf des Landes wohl entfernt werden müssen. Die stillgelegten und teilweise auch die sich in Betrieb befindlichen Armenfriedhöfe New Yorks erfüllten mit ihrem Freiflächencharakter aber noch viel wichtigere soziale Funktionen, als nur Begräbnisstätte zu sein. In der jungen Stadt war es anfänglich von großer Bedeutung gewesen, Raum für die Toten zu schaffen. Mit fortschreitender Stadtausdehnung wurden die designierten Totenstädte aber immer stärker zu Orten der Lebenden. Die Mittel- und Oberschicht entdeckte in den 1830er-Jahren die nach europäischem Vorbild angelegten rural cemeteries als exklusive Freizeitorte für sich, während die Armenfriedhöfe Plätze blieben, an denen Angehörige der verschiedenen Klassen aufeinander trafen und miteinander in Austausch traten. Potter’s fields waren die Setzlinge der späteren Stadtparks, Orte des Spiels, des Spektakels und der Subsistenz auf Manhattan Island. Sie waren außergewöhnliche intra-urbane Freiräume. Für lange Zeit gehörten sie zum (partiell) unbestimmten Territorium der Stadt. Allerdings zeigten sich bereits um die Jahrhundertwende und verstärkt ab den 1820er-Jahren Bemühungen innerhalb der Mittel- und Oberschicht, aus dem terrain vague vollwertige Parks zu machen.

138 Burrows & Wallace, Gotham, 358, 579-80. 139 New York City Common Council, Proceedings of the Board of Assistants, Vol. II (New York: Craighead & Allen, 1837), 42.

2. A Little Peace and Quiet Urbane Erholungsräume der Mittel- und Oberschicht

Die ersten öffentlichen Parks in Amerika dienten nicht Erholungszwecken. Sie waren Land aus Gemeindebesitz, das zu Weideflächen, Paradeplätzen oder zur Zierde der Stadt umgestaltet worden war. In den meisten Städten an der Ostküste Nordamerikas gab es solche Parks mit Allmendecharakter. Den ersten öffentlichen Park in unserem heutigen Verständnis, als Freizeit- und Erholungsort, schuf man im Jahr 1733 in New York City. Die Corporation pachtete Land am Fuße des Broadways um dort Bowling Green anzulegen. Dieser Stadtpark sollte nur dem Vergnügen und nicht der Subsistenz dienen. Mitte des 18. Jahrhunderts griffen auch andere Städte entlang der Ostküste, etwa Newport, Philadelphia und Boston, die Idee des Parks als reinem Erholungsort auf. Waren öffentliche Freiflächen zuvor für die Aufzucht von Vieh in der Stadt unabdingbar, so wurden sie nun auch für deren menschliche Bewohner zum essentiellen Lebensbestandteil.1 Bridenbaugh fängt in Cities in Revolt die sich wandelnde Bedeutung öffentlicher Parks im kolonialen Amerika ein: „In a public park […] a colonial could find some relief as well as pleasure, fresh air, and green grass“.2 Bridenbaugh reflektiert hier die Anfänge einer neuen Freizeitkultur. In seinen Ausführungen wird aber auch der exklusive Charakter der ersten genuinen Parks ersichtlich. Das eingezäunte Bowling Green war ein Segen für die New Yorker, die ihre Abende dort verlebten oder in einem der feinen Gärten in der Nähe von Fort George flanierten. Um die Schönheit dieser Orte zu erhalten, reglementierte die

1

Donald Simon, „Green-Wood Cemetery and the American Park Movement“, in: Irwin Yellowitz (Hg.), Essays in the History of New York City: A Memorial to Sidney Pomerantz (London: Kennikat Press, 1978), 62-63. Vgl. Charles Hemstreet, When Old New York Was Young (New York: Charles Scribner’s Sons, 1902), 1-15.

2

Bridenbaugh, Cities in Revolt, 36.

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Stadt sie allerdings stärker. Zäune wurden als Barrieren gegen eine unsachgemäße Nutzung als Weideland oder Allmende errichtet und Regelkataloge zum angemessenen Verhalten in den Parks erstellt.3

2.1 Public Cemeteries and Public Gardens. Die Genese pittoresker städtischer Parks Nach der Amerikanischen Revolution verlor ein Teil der alten Stadtparks in New York City seinen exklusiven Charakter. Dort vollzog sich das urbane Wachstum so schnell, dass der Corporation kaum Zeit blieb, Land für die öffentliche Nutzung auszuweisen. Die rapide Stadtentwicklung auf engem Raum führte, gepaart mit der relativen politischen Behäbigkeit der Stadtväter und des Bundesstaates, zu einer Verknappung öffentlichen Raums und dies in einer Zeit, in welcher der Großteil von Manhattan Island unbebaut war.4 Die Rivalität zwischen den Städten an der Ostküste der USA wuchs. Das wirtschaftliche und kulturelle Konkurrenzdenken beflügelte gepaart mit finanziellem Wohlstand Veränderungen innerhalb der Stadtlandschaft. Lokalpatriotische city booster trieben diesen Wandel voran. Sie waren die Werbemänner des Urbanen. In ihrer Rhetorik beschworen sie die Größe und Erhabenheit der Städte, in denen sie wirkten. Entsprechend bescheinigten sie den Orten, deren Entwicklung sie voranzutreiben gedachten, bereits wirtschaftlichen Vorsprung und architektonische Schönheit, als diese real noch gar nicht existierten.5 Mit dem Wachstum der urbanen Gemeinschaft erstarkte im 19. Jahrhundert der Drang das Erscheinungsbild New Yorks zu verbessern. Die booster machten es sich zur Aufgabe, die Stadt attraktiver erscheinen zu lassen, um so noch mehr neue Bewohner anzuziehen. Man pries Klima und Wirtschaftsmacht an und bewarb Infrastrukturmaßnahmen und innovative Vergnügungsorte. Häufig ließen sich die angestrebten Neuerungen aber nicht realisieren.6 In Pamphleten und

3

Ebd.

4

Simon, „Green-Wood Cemetery“, 63.

5

Daniel J. Boorstin, The Americans: The National Experience (New York: Vintage Books, 1967), 114. Scobey, Empire City, 48-52.

6

Vgl. Simon, „Green-Wood Cemetery“, 63.

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Stadtführern schwärmte man währenddessen von der Stadt als Gesamtkunstwerk. Ein Ort an dem Wohlstand auf Amüsement und Kultur traf.7 Das Wachstum in den vier Jahrzehnten nach Ende der Revolution hatte aus der Kleinstadt New York offiziell ein urbanes Zentrum gemacht. Ein stärkeres Eingreifen in die Stadtraumgestaltung der jungen Metropole schien unabdingbar. Innerstädtische Freiräume und pittoreskes Ambiente wurden zur Mangelware und die Bevölkerung begann die Abwesenheit der Natur im Urbanen zu beklagen. Folglich wurde die Bedeutung von Parks innerhalb der Stadt ab den 1830erJahren stärker diskutiert. Diese Debatten fügten sich in die zeitgenössischen Diskussionen über die relativen Vorzüge von Stadt und Land ein. City boosters und andere, die den Mehrwert der Stadt schon früh erkannt hatten, sahen im pittoresken Stadtlandschaftsdesign eine Möglichkeit, die wahrgenommenen Unzulänglichkeiten des urbanen Lebens abzumildern oder gar ganz aufzuheben. Durch die Einführung von ländlichen Elementen in das städtische Design hoffte man Frieden und Sicherheit in einer sich immer weiter diversifizierenden Gesellschaft zu erzeugen.8 Die ideale Stadt war das Produkt einer Verschmelzung des Urbanen und des Ruralen. Sie verband die Tugenden des Landes mit jenen der Stadt. Ländliche Traditionen und Moralvorstellungen wurden in der Stadt mit Wachstum, Fortschritt und Wohlstand verknüpft. Stadt und Land wurden für Visionäre und Experten Konzepten, die miteinander zu vereinbaren waren. New York füllte sich mit immer mehr Immigranten und Migranten, die aus ländlichen Gegenden kamen, und die Schaffung einer lebenswerten urbanen Umwelt durch die Einführung ländlicher Gestaltungselemente wurde stärker propagiert. Reformer wie der Pastor Henry Whitney Bellows argumentierten Mitte des 19. Jahrhunderts, dass sich die religiösen Werte des ländlichen Amerika auch in der Stadt entfalten könnten, wenn nur die städtische Welt angemessen gestaltet werde.9 Die Stadt könne so als Ganzes moralischer, gesünder und wohlhabender werden. In der Argumentation für eine Verländlichung der Stadt paarten sich moralische Imperative mit dem Lobgesang auf die Schönheit der Natur, auf Freiraum, frische Luft und Sonnenlicht.

7

Vgl. Mitchill, The Picture of New-York, iii-viii. John D. McKinnon, Descriptive Poems Containing Picturesque Views of the State of New-York (New York: T. & J. Swords, 1802), 59-79.

8

Simon, „Green-Wood Cemetery“, 63-64. Vgl. Raymond Williams, Culture and Society, 1790-1950 (Garden City: Anchor Books, 1960), xi-xviii.

9

Ebd., 64.

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Urbane Naturalisten wie der Arzt David Hosack10, Bryant und der Landschaftsarchitekt Andrew Jackson Downing setzten sich für eine Verschmelzung von Stadt und Land ein. Hosack legte im Jahr 1801 mit Elgin Garden den ersten botanischen Garten New Yorks an. Dieser befand sich fünfeinhalb Kilometer nördlich der City Hall in der Nähe der Middle Road. Dort kultivierte Hosack selbst Pflanzen zu medizinischen Zwecken, bis er den Garten im Jahr 1811 an den Bundesstaat New York überschrieb.11 Als Mediziner war Hosack von den Heilkräften der Pflanzen überzeugt, aber auch von deren wirtschaftlichen und ästhetischen Werten. Sein botanischer Garten sollte dem Landwirt, dem Botaniker, dem Mediziner und dem Industriellen zugleich von Nutzen sein.12 Hosacks Garten war ein Ort der Weiterbildung und hatte letztlich sogar Vorbildfunktion für die öffentlichen Gärten New Yorks. Die Sorgfalt, mit der der Mediziner seine Anpflanzungen pflegte, und sein Sinn für Ordnung und Ästhetik fanden Nachahmung. Genau wie Hosacks Gewächshäuser und Gartenanlagen nördlich der Stadt standen die neu angelegten pleasure gardens in New York aber nicht allen Teilen der Bevölkerung offen. Orte wie Niblo’s Garden, an der Kreuzung von Broadway und Prince Street, und Vauxhall Garden,13 an der Abzweigung von Bowery zu Broadway waren populäre Sommerrückzugsorte der wohlhabenden Klassen. Beide Gärten waren mit funktionalen Theaterspielstätten und Ausstellungsräumen verknüpft. Dort, so die Argumentation, trafen natürliche Schönheit und Kultur aufeinander.14 Die pleasure gardens waren der Natur allerdings wenig nachempfunden. Der letzte Vauxhall Garden, der in den späten 1820er-Jahren durch die Anlage von Lafayette-place (heute Lafayette Street) ge-

10

Hosack war sowohl der Leibarzt von Alexander Hamilton als auch der von Aaron Burr. Nach dem Duell der beiden Politiker wurde er mit der Behandlung des verwundeten Hamilton betraut. Alexander Eddy Hosack, A Memoir of the Late David Hosack (Philadelphia: Lindsay & Blakiston, 1861), 300.

11

David Hosack, Statement of Facts Relative to the Establishment and Progress of the Elgin Botanic Garden (New York: C.S. Van Winkle, 1811), 1.

12

Ebd., 2-3.

13

Vauxhall Garden war nach dem gleichnamigen Freizeitort in London benannt. Der Garten in der Nähe von Bowery und Broadway war der dritte und letzte Vauxhall Garden New York Citys. Der erste Freizeithort mit diesem Namen eröffnete 1750 in der Nähe von Greenwich Village – der zweite lag schon an der Bowery, jedoch weiter südlich auf Höhe der Broome Street. Vgl. Hemstreet, When Old New York Was Young, 288-93.

14

Vgl. John Disturnell (Hg.), The Traveller’s Guide Through the State of New York, Canada, &c. (New York: J. Disturnell, 1836), 17.

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teilt wurde, verfügte immerhin über erste naturalistische Elemente innerhalb seiner Beet- und Wegeanlagen, war jedoch übergreifend formalistisch und nicht pittoresk ausgestaltet.

Abbildung 2: Hosacks botanischer Garten (1825)

Von besonderer Bedeutung für die Weiterentwicklung der öffentlichen Gärten und Parks New Yorks war neben der Botanik als Wissenschaft auch die Gartenbaukunst als Wirtschaftszweig. Die Landschaftsarchitektur erlebte innerhalb der USA im beginnenden 19. Jahrhundert eine Professionalisierung. Beeinflusst vom englischen Gartenbau waren es Landschaftsarchitekten wie Downing und später Frederick Law Olmsted und Calvert Vaux die große Wirkmacht im urbanen Raum entfalten sollten. Downing zählt zu den Vordenkern im Bereich der lebenswerten Gestaltung des Urbanen durch Verländlichung. In vielen seiner späten Aufsätze führt er die Vorteile der Einbringung natürlicher Schönheit in den städtischen Raum aus.15

15

Unter der Überschrift „Landscape Gardening“ fasst der erstmals im Jahr 1853 – kurz nach Downings Tod – veröffentlichte Sammelband Rural Essays seine Aufsätze zur Ausgestaltung des urbanen Raums und zum Verhältnis von Stadt und Land zusammen. Andrew Jackson Downing, Rural Essays (New York: Leavitt & Allen, 1858), 101-202.

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Abbildung 3: Darstellung der Gestaltung des Vauxhall Gardens (1803)

Downing war ein Fürsprecher des naturalistischen Landschaftsdesigns. Seine Entwürfe richteten sich gegen die formalistisch-geometrischen Gartenanordnungen, die im 18. und frühen 19. Jahrhundert üblich waren und er insistierte darauf, dass die Wertschätzung der Schönheit der Natur und die Entwicklung einer nationalen Architektur innerhalb der USA die Schlüssel zur kulturellen Entwicklung der Nation seien. Zur Autorität im Bereich der Wohnarchitektur und Landschaftsgärtnerei wurde Downing ironischer Weise im gleichen Jahrzehnt, in dem P.T. Barnum zur bestimmenden Größe im populärkulturellen Leben New York Citys wurde. Während sich der Schausteller Barnum dem Skurrilen, dem Sinnlichen, der Eitelkeit und der Täuschung im Bereich der theatralischen und musealen Unterhaltung verschrieb, sah sich Downing zur Disziplinierung und zur Verfeinerung des Geschmacks der Nation berufen.16 Downings Leser und die Besucher von Barnums Museum hatten aber etwas gemein: Sie reagierten auf die rapiden technologischen Neuerungen und konsumkulturellen Veränderungen, mit denen sie konfrontiert waren, wenn auch auf

16

Downings Ausführungen zu Architektur und Landschaftsgestaltung entfalteten ihre größte Wirkmachtin den 1840er- und 1850er-Jahren. David Schuyler, Apostle of Taste: Andrew Jackson Downing, 1815-1852 (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1996), 1-3.

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unterschiedliche Weise. Die Besucher von Barnums Museum schienen dem Wandel offener gegenüberzustehen und suchten Zerstreuung im Unerwarteten, im noch nie Gesehenen. Downings Leser hingegen zeichneten sich durch ein Verlangen nach Sicherheit und Stabilität aus.17 Sie waren auf der Suche nach Bestätigung dafür, dass sie die richtigen Entscheidungen getroffen hatten, was die Ausgestaltung ihres Lebens betraf. Der Historiker David Schuyler führt in der Monografie Apostle of Taste aus, dass Downing sein Publikum aus den Bevölkerungsgruppen rekrutierte, die auf die Weiterentwicklung der amerikanischen Nation hofften und zugleich versuchten, nationale Zugehörigkeit durch die Ausbildung eines lokalen sense of place zu empfinden. Man band sich regional und dachte national.18 Auch wenn Downings Karriere auf den ersten Blick mit Mittelklassen- und Oberschichtenidealen des Wohnens und der Landschaftsgestaltung in Verbindung gebracht werden kann, so war er doch eine der Leitfiguren was die Demokratisierung von Kultur betraf. Er war davon überzeugt, dass guter Geschmack erlernbar sei und sich somit auf allen Ebenen der Gesellschaft gleichermaßen ausbreiten könne. Downing entwarf also auch bequeme und gepflegte Unterbringungen für die weniger wohlhabenden Mitglieder der Bevölkerung19 und setzte er sich für die Schaffung von kulturellen Institutionen für alle Klassen ein. Parks, Gärten, Museen, Bibliotheken und andere Stätten intellektueller und moralischer Ausbildung sollten allen Bürgern offen stehen. So schrieb er in seinem Aufsatz „The New-York Park“ aus dem Jahr 1851: Open wide, therefore, the doors of your libraries and picture galleries […]. Build halls where knowledge shall be freely diffused among men, and not shut up within the walls of narrow institutions. Plant spacious parks in your cities, and unloose their gates as wide as the gates of morning for the whole people. As there are no dark places at noon day [sic], so education and culture – the true sunshine of the soul – will banish the plagued spots of democracy; […].20

Downings professionelle Hinwendung zum urbanen Landschaftsdesign deutet sich in seinem Interesse an der Gestaltung eines lebenswerteren New Yorker

17

Eine trennscharfe Grenzziehung zwischen den Besuchern des Museum und den Bewunderern Downings ist sicherlich nicht möglich. Allerdings verfügten die Kunden Barnums meist über einen geringeren gesellschaftlichen Status als Downings Leser.

18

Schuyler, Apostle of Taste, 3.

19

Vgl. Ebd., 135.

20

Downing, Rural Essays, 152.

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Stadtraums bereits an. Zuvor waren seine Entwürfe eher mit dem ländlichen Leben und den neu entstehenden Vororten verknüpft.21 Downing kam zu dem Schluss, dass es seine Aufgabe sei, den Geschmack der amerikanischen Öffentlichkeit in Landschaftsgestaltungsfragen zu schulen. Seiner Auffassung nach hatten Amerikaner keine Schwierigkeiten damit, Pläne in die Tat umzusetzen. Ihnen mangele es jedoch an ästhetischem Feingefühl. Downing wollte eine Ästhetik entwickeln, die mit dem amerikanischen Pragmatismus vereinbar war.22 Seine Entwürfe zeichneten sich besonders in der Frühphase seiner Karriere durch einen starken naturwissenschaftlichen Bezug aus. Mit dem Erscheinen von A Treatise on the Theory and Practice of Landscape Gardening23 trat die Wissenschaft bei Downing jedoch in den Hintergrund. Seine Kritik war nun immer häufiger ästhetischer und sozialer Natur. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wie etwa zur richtigen Bodenbeschaffenheit für die Anpflanzung blieben aber die Basis seiner landschaftsarchitektonischen Entwürfe. Downing entwarf weiterhin Landsitze und Cottages, doch ab Ende der 1840er-Jahre beschäftigte er sich immer mehr mit Städten und deren Gestaltung. So nahm er etwa im Jahr 1850 das Angebot an, die öffentlichen Freiflächen der Hauptstadt Washington, D.C. zu konzipieren.24 Zudem zeigte er sich sehr angetan von den neu angelegten Stadtfriedhöfen in Boston, Brooklyn und Philadelphia. In seinem Essay „Public Cemeteries and Public Gardens“ aus dem Jahr 1849 setzte er sich mit der Bedeutung von rural cemeteries in den wachsenden Städten der jungen Nation auseinander.25 Für Downing waren die weitläufigen Parkfriedhöfe, mit deren Anlage man in den 1830er-Jahren begonnen hatte, ein Ausdruck des öffentlichen Geschmacks und des Fortschritts der Nation. Er lobte ihre ästhetischen Qualitäten und prognostizierte, dass ihre Popularität dank der natürlichen Schönheit der Orte26 weiter wachsen würde:

21

Einen knappen Überblick über die Herausbildung und Weiterentwicklung der amerikanischen Vororte bietet der Essay der Stadthistorikerin Dolores Hayden: „What Is Suburbia? Naming the Layers in the Landscape, 1820 –2000“ in: Anke Ortlepp, & Christoph Ribbat (Hg.), Taking Up Space: New Approaches to American History (Trier: Wissenschaftlicher Verlag, 2004), 1-20.

22

Schuyler, Apostle of Taste, 29.

23

Andrew Jackson Downing, A Treatise on the Theory and Practice of Landscape Gardening (New York: George B. Putnam), 1850.

24

Schuyler, Apostle of Taste, 192-203.

25

Downing, Rural Essays, 154-59.

26

Ebd., 154.

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The great attraction of these cemeteries, to the mass of the community, is not in the fact that they are burial-places, or solemn places of meditation for the friends of the deceased, or striking exhibitions of monumental sculpture, though all these have their influence. […] The true secret of the attraction lies in the natural beauty of the sites, and in the tasteful and harmonious embellishment of these sites by art. […] Indeed, in the absence of great public gardens, such as we must surely one day have in America, our rural cemeteries are doing a great deal to enlarge and educate the popular taste in rural embellishment. They are for the most part laid out with admirable taste; they contain the greatest variety of trees and shrubs to be found in the country, and several of them are kept in a manner seldom equaled [sic] in private places.27

Rural cemeteries waren für Downing die Vorboten pittoresker Stadtparks. In der Monografie Geschichte des Todes betont der französische Historiker Philippe Ariès die kulturelle Relevanz von Parkfriedhöfen in den USA und in Frankreich. Sie seien Orte der Rückbesinnung und Meditation und eine philosophische Entität, in der der Kreislauf des Lebens seinen materiellen Ausdruck finde. Weiterhin erfüllen Friedhöfe laut Ariès eine bürgerlich-politische Funktion. Sie erzeugen eine, so makaber er klingen mag, räumliche Zugehörigkeit für die Angehörigen der Toten: einen final sense of place.28 Dem ersten Teil des Arguments Ariés’ widersprechen die Aussagen des Zeitzeugen Downings zur kulturellen Bedeutung von rural cemeteries in den Vereinigten Staaten. Downing und seine Zeitgenossen sahen Friedhöfe in einem weniger philosophischen Licht. Ästhetisch erfolgte eine Orientierung an der europäischen Tradition, die Praktiken im Raum passten sich jedoch den amerikanischen Gegebenheiten an. Ein final sense of place entwickelte sich aber auch in der weniger kontemplativen Atmosphäre der amerikanischen Parkfriedhöfe. Im 19. Jahrhundert bescherte der Mangel an öffentlichen Parks und Gärten in den Städten der USA den Friedhöfen einen großen Zulauf als Freizeit- und Erholungsorte. Für Downing waren die Parkfriedhöfe der jungen Nation Vorbilder der noch anzulegenden Parks. Aus der Nutzung der rural cemeteries als Freizeit-

27

Ebd., 155.

28

Vgl. Philippe Ariès, Geschichte des Todes (München: Hanser, 1980), 679-80. Die Inszenierung des Todes und die Etablierung eines final sense of place im Kontext der rural cemeteries in den USA wird in Kapitel 2.2 reflektiert. Dass auch die Friedhöfe Europas nicht so sehr Orte der Kontemplation waren, zeigt der Historiker Peter Thorsheim in seinem Aufsatz zur Friedhofskultur im viktorianischen London: Peter Thorsheim, „The Corpse in the Garden: Burial Health and the Environment in Nineteenth-Century London”, in: Environmental History (Vol. 16.1, Jan. 2011), 38-68.

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orte las er die Notwendigkeit zur Anlage öffentlicher Gärten in unmittelbarer Stadtnähe ab. Downing spekulierte, dass Parkanlagen mindestens genauso viele Besucher wie die Friedhöfe anziehen würden und attestierte den neu zu schaffenden Parks zudem einen höheren ästhetisch-erzieherischen Wert. Auf Flächen mit einer Größe von 200.000 bis 400.000 m2 sollten durch private Initiativen und mit kommunaler Unterstützung öffentliche Gärten angelegt werden. Diese sah Downing als Orte der Weiterbildung.29 Hinweisschilder und Tafeln sollten über den Anlageprozess der Parks informieren und darüber hinaus die Besucher mit Wissen über heimische Pflanzen versorgen. Auch schwebte ihm der Bau eines kleinen Auditoriums vor, in dem öffentliche Vorlesungen zur Botanik abgehalten werden konnten und die Einrichtung von Kommissionsständen die Eiscreme und andere Erfrischungen verkauften.30 In seiner Monografie The New Urban Landscape, die sich mit Neuerungen in der Stadtgestaltung in den USA im 19. Jahrhundert auseinandersetzt, widerspricht Schuyler Downing. Schuyler geht davon aus, dass Parks didaktisch von geringerer Bedeutung sind als die rural cemeteries. Dies führt er auf unterschiedliche Grundbesitzverhältnisse und Organisationsmuster zurück. Er ordnet die Friedhöfe in den Bereich des Privateigentums mit öffentlicher und privater Funktion ein, während Parks für ihn öffentliches Eigentum sind und kommt zu dem Schluss, dass Letztere aufgrund ihres inklusiveren (demokratischeren) Charakters, ihrer naturalistischen Ausgestaltung und ihrer Lage innerhalb der Stadt eine geringere anleitende Wirkung auf ihre Besucher hatten als die Friedhöfe in den Vorstädten.31 Letztlich verfügten Parks aber nur über einen anderen anleitenden Charakter als die Parkfriedhöfe. Als öffentlicher Raum waren diese mit Regeln, Ritualen und Verhaltensmustern verknüpft und wurden in New York häufig im Sinne Downings mit anderen didaktischen Elementen, etwa botanischen Lehrtafeln, ausgestattet. Anfangs beschränkte sich Downing mit seinen Plänen für öffentliche Gärten auf die Vororte. Das ist wenig überraschend, da es dort – anders als in den dicht besiedelten urbanen Zentren – noch großzügige unkultivierte Freiflächen gab. Downings Parkpläne basierten anfangs auf einem meist privatwirtschaftlichen Finanzierungsmodell. Interessierte Anwohner sollten das notwendige Kapital zum Parkbau aus eigenen Mitteln und durch den Verkauf von Anleihen und

29

Vgl. Blackmar, Manhattan for Rent, 149-51. Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 238-41.

30

Downing, Rural Essays, 157-58.

31

David Schuyler, The New Urban Landscape: The Redefinition of City Form in Nineteenth-Century America (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1986), 37-56;

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Parkprivilegien finanzieren32 und dafür einen repräsentativen und erzieherisch wertvollen Freizeitort erhalten.33 Als sich Bürgermeister Ambrose Kingsland, der den Whigs angehörte, im Jahr 1851 für die Anlage eines großen Parks in New York City aussprach, änderte Downing seinen Ansatz. Er wurde vollends zu einem Advokaten der Wiedereinführung der Natur in die Stadt und schrieb: Mayor Kingsland spreads it out to the vision of the dwellers in this arid dessert of business and dissipation – a green oasis for the refreshment of the city’s soul and body. He tells the citizens of that feverish metropolis […], that New-York [sic], and American cities generally, are voluntarily and ignorantly living in a state of complete forgetfulness of nature, and her innocent recreations.34

Downing attestiert der Natur völlige Unschuld und glorifiziert sie als Mittel gegen die wachsenden sozialen Probleme der Stadt. Er prangerte Geiz, Gier und Ignoranz von Landspekulanten, Geschäftsmännern und Grundbesitzern in New York City an: „Short-sighted economist!“35 Für den Bau eines großen Stadtparks für New York war man auf deren Unterstützung aber ebenso angewiesen, wie auf den Bundesstaat. In der Vergangenheit hatte es sich bereits gezeigt, dass die Etablierung von Institutionen, die einer breiten Öffentlichkeit dienen sollten, ohne staatliche und private Unterstützung nicht praktikabel war. Außerdem füllte sich Manhattan mit immer mehr Menschen, die sich den Luxus nicht erlauben konnten, zur Erholung aufs Land oder in die Vorstädte zu fahren. Und auch die Angehörigen jener Bevölkerungsschichten, die sich Landsitze und Tagesausflüge in die Natur leisten konnten, suchten nach Entspannungsmöglichkeiten innerhalb der Stadt.

32

Es ist davon auszugehen, dass Downings erste Parkfinanzierungspläne vom Vorgehen des Unternehmers Samuel B. Ruggles inspiriert waren. Der Immobilienspekulant ließ Gramercy Park im Jahr 1831 und Union Square Park in der Zeit zwischen 1833 und 1834 durch die Anlieger finanzieren, die ihrerseits Zugangsprivilegien zu den Parks erhielten. Im Fall von Gramercy Park bestehen diese bis heute fort. Vgl. Carole Klein, Gramercy Park: An American Bloomsbury (Boston: Houghton Mifflin, 1987), xviii. D.G. Brinton Thompson, Ruggles of New York: A Life of Samuel B. Ruggles (New York: Columbia University Press, 1946), 56-58, 62-64. Johnathan Safran Foer, Extremely Loud and Incredibly Close (Boston: Houghton Mifflin, 2005), 239.

33

Downing, Rural Essays, 158.

34

Ebd., 148.

35

Ebd.

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Nachdem es in den 1830er-Jahren zu einem Aufbrechen der formalistischen Tradition in der amerikanischen Landschaftsarchitektur gekommen war, und Gestaltungskonzepte Popularität erlangten, die die Informalität, den Naturalismus, die Romantik und das Pittoreske priesen, brauchte es noch einige Zeit, bis der Naturalismus schließlich Einzug in die Städte hielt. Amerikanische Landschaftsarchitekten orientierten sich in ihren Entwürfen an englischen Vorbildern – etwa dem Botaniker und Gartenbauer John Claudius Louden und den Landschaftsarchitekten Lancelot „Capability“ Brown und Humphry Repton. Diese Männer zählten zu den einflussreichsten Landschaftsgestaltern Europas im 18. und frühen 19. Jahrhundert.36 In „A Talk About Public Parks and Gardens“ exerzierte Downing im Oktober 1848 die Vorzüge der Parkanlangen der großen europäischen Städten durch. Im dialogisch verfassten Beitrag diskutieren der Herausgeber der Landschaftsbauzeitschrift Horticulturist und ein amerikanischer Reisender, der aus Europa zurückgekehrt ist, miteinander37. In Downings Leitartikel spricht der Heimgekehrte über die Parks, die in den großen Städten Europas allen offen stehen38 und es entspinnt sich der folgende kritische Dialog: Ed. But these great public parks are mostly the appendages of royalty, and have been created for purposes of show and magnificence, quite incompatible with our ideas of republican simplicity. Trav. Not at all. In many places these parks were made for royal enjoyment; but, even in these days, they are, on the continent, no longer held for royal use, but are the pleasure-grounds of the public generally. […] and all open to the public, without charge. Ed. Still, these are not parks or gardens made for the public; but are the result, originally, of princely taste, and afterwards given up to the public. Trav. But Germany, which is in many respects a most instructive country to Americans, affords many examples of public gardens, in the neighborhood of the principal towns, of extraordinary size and beauty, originally made and laid out solely for the general use.39

36

Reps, The Making of Urban America, 325.

37

Die Landschaftshistorikerin Judith K. Major hält fest, dass Downing sich im Leitartikel wohl auf die Reiseberichte des Agrarökonoms Henry Colman stützte. Colman bereiste Europa für seine landwirtschaftlichen Studien und kehrte im Sommer 1848 in die USA zurück. Judith K. Major, To Live in the New World: A. J. Downing and American Landscape Gardening (Cambridge: MIT Press, 1997), 115.

38

Downing, Rural Essays, 140.

39

Ebd., 140. Groß- und Kleinschreibung und Interpunktion wie im Original. Auf die Einfügung der redaktionellen Ergänzung [sic] wurde verzichtet.

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Im Zwiegespräch hinterfragt der Herausgeber die Ausführungen zur Schönheit und den demokratischen Aspekten öffentlicher Parks in Europa wiederholt. Der Heimkehrer hingegen führt an, dass es gerade in Deutschland große und schöne Gärten gäbe, die ausdrücklich für die öffentliche Nutzung geschaffen worden seien und prangert das Fehlen von solchen Parks in den wachsenden, lebendigen Städten der USA an.40 Die fundamentalen Unterschiede zwischen den (alten) Städten Europas und den (jungen) Städten der Vereinigten Staaten blendet der Bericht aber aus. Die urbanen Zentren Europas waren viel weniger stark nach sozialer Klasse segregiert als jene in Nordamerika. Öffentliche Plätze waren Zentren von Stadtvierteln, in denen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenlebten. Als man Mitte des 18. Jahrhunderts in Europa damit begann, städtische Freiflächen modisch auszugestalten, kam es kaum zur Verdrängung der weniger Wohlhabenden aus den entsprechenden Gebieten. Die alten europäischen Quartiere waren nach Ständen hierarchisch organisiert und boten ihren Bewohnern damit alle Annehmlichkeiten des täglichen Lebens auf verhältnismäßig engem Raum. Reine Wohnund Arbeitsquartiere entwickelten sich in Europa erst wesentlich später als in den USA.41 Arm und Reich waren auf Manhattan Island sehr viel stärker räumlich getrennt und das machte es den Parkfürsprechern schwer. Auch ließ sich mit Blick auf das riesige terrain vague der Stadt schwer argumentieren, dass es einen Mangel an Freiraum gebe. Das konnte bestenfalls für dicht besiedelte Stadtviertel gelten. Am Beispiel der Nutzung der Parkfriedhöfe als Ausflugsort durch die Mittelklasse wird allerdings deutlich, dass es New York City sehr wohl an strukturierten, naturnahen Erholungsorten mangelte. In „A Talk About Public Parks and Gardens“ stellt Downing dann auch zum ersten Mal die Verbindung zwischen Friedhöfen und Stadtparks her und setzt diesen Gedankengang im Aufsatz „Public Cemeteries and Public Gardens“ wenig später fort. Im Gespräch mit dem Herausgeber führt der Reisende an, dass der Erfolg der rural cemeteries – eben nicht nur als Begräbnisstätte sondern auch als Ausflugsorte – beweise, dass in der Öffentlichkeit ein Bedarf Erholungsstätten bestehe, die der Natur nachempfunden seien. Anlage und Instandhaltung der Friedhöfe könnten Wohltätigkeitsorganisationen ohne weiteres finanzieren, so dass auch an der finanziellen Durchführbarkeit von Parkprojekten kein Zweifel bestehen könne.42

40

Ebd.

41

Vgl. Mumford, The City in History, 395-99. Schuyler, New Urban Landscape, 5960.

42

Downing, Rural Essays, 144-45.

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Die Wohltätigkeitsorganisationen New York Citys hatten sich schon lange der Missionierung und Erziehung der Armen verschrieben, jedoch häufig ohne nennenswerten Erfolg. Der Reisende zitiert in diesem Zusammenhang erneut Deutschland als leuchtendes Beispiel – als einen Ort an dem Parks zum sozialen Antiseptikum wurden: If my own observation of the effect of [parks] in Germany is worth any thing, you may take my word for it that they will be better preachers of temperance than temperance societies, better refiners of national manners than dancing-schools, and better promoters of general good feeling than any lectures on the philosophy of happiness ever delivered in the lecture-room.43

Downing war mit seiner Auffassung, dass öffentliche Parks einen positiven gesellschaftlichen Effekt haben würden, nicht allein. Auch Bryant setzte sich für die Anlage von Parks ein. Bereits im Jahr 1844 sprach der sich für die Schaffung eines großen New Yorker Stadtparks aus. In einem Artikel in der New York Evening Post forderte er die Anlage eines weitläufigen Parks im Norden Manhattans. Zu diesem Zweck schlug Bryant den Kauf einer Fläche zwischen 68th Street und 77th Street, eingeschlossen zwischen Third Avenue und East River vor.44 Im Sommer des Jahres 1845 schrieb er dem befreundeten Abolitionisten Olmsted aus England. In seinem Brief prangerte Bryant den Mangel an öffentlichen Freiflächen in New York angesichts der klimatischen und demografischen Besonderheiten auf der Insel an: The population of your city, increasing with such prodigious rapidity; your sultry summers, and the corrupt atmosphere generated in hot crowded streets, make it cause to regret that in laying out New York, no preparation was made [...] for a range of parks and public gardens.45

Je stärker die Bevölkerung anwuchs und sich die Stadt ausbreitete, desto deutlicher wurde, dass die Annahmen der Kommission die den Commissioners’ Plan 1811 vorgelegt hatte nicht zutrafen. Das rechtwinklige Straßennetzwerk sorgte nämlich nicht für eine ausreichende Luftzirkulation auf der Insel. Im Gitternetz

43

Ebd., 146.

44

Reps, The Making of Urban America, 331.

45

William Cullen Bryant in: Frederick Law Olmsted, Jr. & Theodora Kimball (Hg.), Frederick Law Olmsted, Landscape Architect, 1822-1903, Vol. 2 (New York: G.P. Putnam’s Sons, 1928), 23.

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der Straßen stand die Luft besonders in den dicht bebauten Gebieten im Süden. Die Stadtbevölkerung flüchtete sich in der Sommerhitze an die Docks, um sich dort einen Hauch frische Meeresluft um die Nase wehen zu lassen oder auf die Flachdächer der Häuser, auf denen in den Abendstunden der Wind überging. So zog es auch den deutschstämmigen Journalisten Francis Joseph Grund mit seinen Besuchern während einer Hitzewelle in den 1830er-Jahren ans Meer: SOME years ago, early of a fine morning in the month of July, I was sauntering with some Southern friends down Broadway towards the Battery, [...]. The night has been most uncomfortably hot, the thermometer ranging above 90°, and the sun’s lurid glare, produced by a thick heavy mist, – the usual companion of a sultry day in America, – gave to the sleeping city the appearance of general conflagration. As long as we were in Broadway, not a breath of air was stirring, and respiration really difficult [sic]; but, when we arrived at the Bowling Green, a delicious sea-breeze imparted new vigour [sic] to our exhausted frames, and increased gradually as we were approaching the Battery.46

Grund und seine Begleiter erholten sich in der Battery im Süden Manhattans von der Hitze. Er und seine Gäste philosophierten über die wenigen Orte der Stadt, die wirklich Erholung versprachen, über die Oberschicht mit ihren Landsitzen und die rapide Entwicklung New Yorks an sich.47 Bryant mahnte bereits fünf Jahre nach der Veröffentlichung von Grunds Bericht schnelles Handeln bei der Sicherung von Parkflächen in New York an. Zwar verfüge man auf der Insel noch über diverse Freiflächen, die aufgrund der Geologie weniger günstige Voraussetzungen für eine Bebauung boten, dennoch, prognostizierte er, würde die Stadt auch diese bald überwuchern.48 Bryants Rhetorik reflektiert die Ängste der Parkfürsprecher. Diese hatten bereits früh erkannt, dass die Wahrscheinlichkeit für die Anlage eines großen Stadtparks mit jedem neu bebauten Stück Land sank, während die Notwendigkeit der Einrichtung von Freizeiträumen stieg. Downing, Bryant und später auch Olmsted und Vaux versuchten dem entgegen zu wirken. Diese Männer setzten sich für die Anlage eines weitläufigen Parks in New York City ein. Dessen Ausgestaltung sollte sich an jener der pittoresken rural cemeteries orientieren, die sich als Rückzugsort für die Mittelklasse bereits bewährt hatten.

46

Hervorhebungen im Original. Francis Joseph Grund, Aristocracy in America: From the Sketch-Book of a German Nobleman (New York: Harper Torchbooks, 1959), 103.

47

Ebd., 103-104.

48

Bryant in: Olmsted & Kimball, Frederick Law Olmsted, 23.

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2.2 The City of the Dead – The City of Repose. Brooklyns Parkfriedhof als Freizeitort Seit den 1830er-Jahren war nicht nur New York City sondern auch der Nachbar Brooklyn auf der anderen Seite des East Rivers auf dem Weg zur Großstadt. Im Jahr 1834 erlangte die Gemeinde in Kings County offiziellen Stadtstatus.49 Die Bewohner und Stadtregierung sahen sich mit Schwierigkeiten konfrontiert, die den öffentlichen Parkbau betrafen. Ähnlich wie in Gotham fiel es in Brooklyn schwer, die nötige Unterstützung für die Einrichtung eines Stadtparks zu mobilisieren. So war es auch nicht die Anlage eines öffentlichen Parks, die der Stadt ihren ersten Erholungsort bescherte. Der aus der Zusammenarbeit von privaten Investoren mit den Stadtregierungen von New York City und Brooklyn entstandene Green-Wood Cemetery50 sollte dort zum ersten Rückzugsort werden.51 Die Nutzung dieses Friedhofs als de facto Park durch die Mittelklasse beeinflusste die Parkbewegung massiv.52 Green-Wood wurde in der europäischen Tradition der rural cemeteries – also jener Friedhöfe, die in ihren Anlagen natürliche beziehungsweise ländliche Szenerien inkorporierten oder imitierten – angelegt. Ebenso wie Mount Auburn53 in Boston stand Green-Wood mit seiner pittoresken Ausgestaltung im klaren Gegensatz zu den formalen öffentlichen Gärten, die die amerikanischen Städte zu dieser Zeit zierten. Während man in Boston den neuen Friedhof bereits feierlich einweihte, war man in New York und Brooklyn noch auf der Suche nach einem geeigneten Ort für die Einrichtung eines gemeinsamen Friedhofs. Besonders auf Manhattan war die Friedhofs-

49

Benson John Lossing, History of New York City, Embracing an Outline of Events from 1609 to 1830, and a Full Account of Its Development from 1830 to 1884 (New York: George E. Perine, 1884), 579.

50

Der 1838 in Brooklyn gegründete Green-Wood Cemetery ist nicht mit dem 1852 in New Orleans angelegten Greenwood Cemetery zu verwechseln. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erhielten weitere rural cemeteries in den USA diesen Namen, darunter ein Friedhof in Fort Worth, Texas, der Friedhof der Bruderschaft Knights of Pythias in Philadelphia und ein Friedhof in Atlanta. Green-Wood in Brooklyn blieb jedoch der einzige Parkfriedhof mit Bindestrich in der Schreibweise.

51

Simon, „Green-Wood Cemetery“, 66-67. Vgl. Joseph Roach, Cities of the Dead: Circum-Atlantic Performance (New York: Columbia University Press, 1996), xi.

52

Vgl. Reps, The Making of Urban America, 325.

53

Der 1831 gegründete Friedhof war der erste rural cemetery der USA.

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situation knapp zehn Jahre nach Inkrafttreten des Beerdigungsverbotes im Süden der Insel kritisch.54 Im Herbst 1835 taten sich der Landschaftsarchitekt und Vermesser David B. Douglass und der Großgrundbesitzer und Parkfürsprecher Henry E. Pierrepont zusammen, um die Ausführung des Friedhofsprojekts voran zu treiben. Die beiden Männer besichtigten verschiedene Grundstücke, die für die Anlage eines Friedhofs in Frage kamen. Letztlich fiel die Wahl auf ein Areal südlich von Brooklyn in den Gowanus Hills.55 Die Geschichte von Green-Wood wird, ähnlich wie die des Parkfriedhofvorreiters Mount Auburn in Boston, im Lichte des Siegeszuges der pittoresken Landschaftsgestaltung in den Vereinigten Staaten geschrieben und gelesen. In zahlreichen Interpretationen von Historikern und Zeitzeugen wird die Ausgestaltung der rural cemeteries als Beleg für die sukzessive Durchsetzung einer neuen Landschaftsgestaltungstradition angeführt. Die Ausbreitung eines neuen ästhetischen Verständnisses – eine Hinwendung zum Pittoresken – wird attestiert und gelobt.56 In der Tat war die Gestalt des neuen Parkfriedhofs in Brooklyn aber weniger stark von schöngeistigen Idealen bestimmt, sondern eher von pragmatischen Entscheidungen geprägt. Das Friedhofsprojekt an sich war das Ergebnis einer Reihe von Konflikten und Problemen. Sowohl in New York City als auch in Brooklyn war man am Anfang der 1830er-Jahre auf der Suche nach neuen Begräbnisstätten. Grundbesitz auf Manhattan Island war damals bereits so kostspielig, dass die Anlage eines Großfriedhofs dort allein aus Kostengründen ausgeschlossen werden musste. Selbst wenn man die nötigen Geldmittel doch noch hätte akquirieren können, wäre das Vorhaben höchstwahrscheinlich am politischen Widerstand der Landspekulanten gescheitert. Sie gingen häufig systematisch gegen Projekte vor, die die Grundstückwerte gefährdeten.57 Von Anfang an war somit klar, dass der neue Parkfriedhof nicht auf der Insel Manhattan, sondern auf dem Gebiet von Brooklyn angelegt werden würde. Brooklyn verzeichnete zu Beginn des 19.

54

Simon, „Green-Wood Cemetery“, 67-68.

55

Ebd., 68. In den 1860er-Jahren wies man dort auch Land für Brooklyns ersten Stadtpark, den Prospect Park, aus. Leider fehlt es bis dato an einer umfassenden Monografie zur Geschichte des Parks. Eine knappe Zusammenfassung der Genese des Prospect Parks unter der Leitung von Olmsted und Vaux findet sich in: Alan Tate, Great City Parks (New York: Taylor & Francis, 2004), 123-32.

56

Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 719, 791, 972. Downing, Rural Essays, 154. Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 28, 31.

57

Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 575-80.

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Jahrhunderts prozentual einen weitaus massiveren Bevölkerungsanstieg als New York City. Mit seiner Bevölkerung von gerade einmal 12.000 Menschen im Jahr 1830 bot es aber, verglichen mit Manhattan und dessen 200.000 Bewohnern, wesentlich mehr Platz.58 Zwar stiegen auch in Brooklyn die Grundstückspreise, an jene auf der anderen Seite des East Rivers reichten sie aber bei weitem nicht heran. Die schwere Wirtschaftkrise im Jahr 1837 gab dem Friedhofsprojekt in Brooklyn dann Auftrieb. Die Grundstückswerte pendelten sich auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau ein, so dass Land für den Friedhofsbau kostengünstig erworben werden konnte. Im Frühjahr 1838 gründeten Douglass und Pierrepont mit der Unterstützung weiterer wohlhabender Bewohner von Brooklyn und New York City die Green-Wood Cemetery Corporation mit dem Ziel, mehr als 800.000 m2 Land in den Gowanus Hills für die Friedhofsanlage zu kaufen. Das Land hatten sie zuvor unter Vermerk aller Landbesitzer in der Region kartiert. Das Konsortium hatte zudem die staatliche Zusicherung erhalten, Anleihen im Wert von 300.000 Dollar zur Finanzierung des Projektes ausgeben zu dürfen sofern die Stadt Brooklyn zum Verkauf ihre Zustimmung gab.59 Die Vertreter der Friedhofsgesellschaft verfassten daraufhin ein Memorandum an den Common Council Brooklyns, in dem sie für die Anlage von GreenWood warben. Man argumentierte, dass ein Ort von unglaublicher Schönheit und großem Nutzen geschaffen werde, und dass der Standort Gowanus Hills allen anderen überlegen sei.60 Der Friedhof sollte nur unweit von Gowanus Bay – einer malerischen kleinen Bucht – angelegt werden, die man von den Hügeln auf dem Friedhofsgelände überblicken konnte. Die Bucht war bereits im Jahr 1704 mit einem öffentlichen Anlegesteg ausgestattet worden, der maßgeblich zur Erschließung des Gebiets beitrug.61 Während und nach dem Unabhängigkeitskrieg wurden große Teile des Gebiets entwaldet und mit Wegen erschlossen. Auf dem designierten Friedhofsgelände fanden sich einige natürliche Seen. Sylvan Water,

58

„Fast Facts“.

59

Lossing, History of New York City, 579-80.

60

Simon, „Green-Wood Cemetery“, 68.

61

Henry Reed Stiles, A History of the City of Brooklyn: Including the Old Town and Village of Brooklyn, the Town of Bushwick, and the Village and City of Williamsburgh, Vol. III (Albany: Joel Munsell, 1870), 573. Bereits im Jahr 1870 hatte die Bucht einen Großteil ihrer malerischen Qualitäten eingebüßt. Manufakturen, Fabriken, Gerbereien, Kohlelager und Brauereien siedelten sich in der Region an und prägten die Küstenlinie Brooklyns entlang des East Rivers nachhaltig. Vgl. Stiles, A History of the City of Brooklyn, 502-3.

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die größte und angeblich schönste Süßwasserreserve, wurde dem Friedhofsgelände im Jahr 1839 nachträglich zugeschlagen.62 Gowanus Hills gehörte nicht zu den Rückzugsorten der Elite Brooklyns. Deren Angehörige verfügten über Landsitze in größerer Entfernung von der Stadt. Zudem bot sich das hügelige Areal nicht zur einfachen landwirtschaftlichen Nutzung an. Gelegentlich sammelten die Bewohner des nahegelegen Gowanus Village dort Brennholz, Beeren oder Pilze, aber insgesamt hatte der Ort nur geringen wirtschaftlichen Wert.63 Folglich segnete der Brooklyner Stadtrat den Verkauf des Landes für die Anlage eines Friedhofs ab und kurz darauf erschien im Long Island Star – einer mit Pierrepont affiliierten Zeitung – ein Bericht, in dem die große Freude über diese Entscheidung Ausdruck fand. Darin wurde auch für Investitionen in den Friedhof geworben.64 Das Finanzierungsmodell des Friedhofs als joint-stock company auf Anleihenbasis machte es für Pierrepont und Douglass notwendig, eine breitere Öffentlichkeit vom Vorhaben der Green-Wood Corporation zu begeistern. Doch die anhaltende Wirtschaftskrise, die dem Vorhaben Auftrieb verliehen hatte, drohte es nun zum Scheitern zu bringen. Landspekulanten und private Kleinanleger waren verunsichert und zeigten sich entsprechend zurückhaltend, was Investitionen betraf. Die Finanzierung des Friedhofs aus Anleihen war so nicht durchführbar. Um das Projekt zu retten, wagten Douglass und Pierrepont einen rechtlichen Kunstgriff. Da die spekulative Natur des Unterfangens potentielle Anleger eher abschreckte als anzog, wandelte man die joint-stock company, die Gewinnüberschüsse an die Anleger ausgeschüttet hätte, in einen incorporated public trust um. Als gemeinnützige Einrichtung war dieser steuerbefreit, jedoch dazu verpflichtet, alle erzielten Gewinne in das Friedhofsgrundstück, dessen Erschließung und Instandhaltung zu investieren. Doch auch dieses Modell hatte seine Tücken. Die Finanzierung des Friedhofs hing nun direkt von den Grabinteressenten ab. Die verhältnismäßig hohen Preise für die Grabgrundstücke schreckten individuelle Käufer allerdings ab. Eine Familiengrabstätte kostete zwischen acht-

62

Lossing, History of New York City, 579-80.

63

Das von Pierrepont und Douglass ausgemessene Areal verfügte über keinen direkten Zugang zum Meer. Die Erreichbarkeit auf dem Landweg war durch den Verlauf des Gowanus Creeks eingeschränkt. Infolgedessen war es von nur geringem wirtschaftlichen Wert für die Grundstücksspekulanten, die nach New York nun auch langsam Brooklyn für sich entdeckten. Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 449-450, 583.

64

Der Star gehörte zu einer Reihe von Publikationen, die sich bereits in den 1830erJahren für die Wiedereinführung der Natur in die Städte aussprach. Vgl. Simon, „Green-Wood Cemetery“, 68.

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zig und einhundert Dollar, ein Einzelgrab je nach Lage zwischen zehn und fünfzehn Dollar. Einige Kirchen erwarben große Parzellen auf dem Friedhof für die Beisetzung ihrer Gemeindemitglieder, dennoch dauerte es mehrere Jahre, bis die Finanzierung des Friedhofs als gesichert galt.65 Besonders in der Anfangszeit verkaufte die Friedhofsgesellschaft nur wenige Grabgrundstücke.66 In der Stadt Brooklyn gab es nicht genügend wohlhabende Einwohner, und so galt es, die Angehörigen der Mittel- und Oberschicht New Yorks stärker für das Unternehmen zu begeistern. Im August 1839 warb der Chefredakteur des Knickerbocker Lewis Gaylord Clark in seiner Kolumne für den Friedhof: When we inquired, recently, whether the ‘awful Potters’ Field, which frowned with its long trenches upon the citizen, as he ruralized toward Harlæm [sic], was to compose the only suburban cemetery which this great and affluent metropolis might boast,’ we were ignorant of the fact, that the trustees of the ‘Greenwood [sic] Cemetery’ had selected two hundred acres of ground, on the hills of Gowanus, near Brooklyn which they were engaged in opening and improving as a Picturesque Rural Cemetery. Report speaks highly of the beauty and variety of the scenery, and of the fine views of ocean, ‘mountain, rock, and river’, which may be commanded from the grounds.67

Clark berichtet über den Mangel an angemessenen Grabstätten, selbst in den noch ländlichen Gebieten auf Manhattan Island und bewirbt Green-Wood als

65

Green-Wood Cemetery Incorporated Trust, Exposition of the Plan and Objects of the Green-Wood Cemetery an Incorporated Trust Chartered by the Legislature of the State of New York (New York: Narine & Co., 1839), 3-4. Simon, „Green-Wood Cemetery“, 68-69.

66

Simon macht in seinem Essay die Statuten zur Friedhofsgründung mit verantwortlich für den schleppenden Abverkauf. Dort war festgehalten, dass erst dann Beerdigungen stattfinden durften, wenn die Grundfinanzierung gewährleistet war. In der Begräbnisdatenbank des Friedhofs findet sich jedoch eine Reihe von Personen, die in der Zeit zwischen 1838 und 1842 auf dem Gelände beigesetzt wurden. Der Katalog weist etliche Kinder- und Familiengräber in zentraler Lage auf dem Friedhof aus, aber auch das Grab eines Mannes chinesischer Abstammung, Choo Ah, der in einem Einzelgrab hinter dem neu anzulegenden Krematorium seine letzte Ruhe fand. Vgl. Green-Wood Cemetery Burial Search, , (Zugriff: 2013-03-13). Simon, „Green-Wood Cemetery“, 69.

67

Hervorhebungen und Interpunktion wie im Original. The Knickerbocker or NewYork Monthly Magazine, Vol. XIV (New York: Clark & Edson, 1839), 201.

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eine nahe gelegene Alternative. Seine Lobpreisung der landschaftlichen Reize des Green-Wood Cemetery sowie die positive Erwähnung des Friedhofs in anderen Publikationen sollten schon bald Früchte tragen. Allerdings nicht die von der Green-Wood Corporation so dringend benötigten monetären. Der Verkauf von Gräbern ging weiterhin nur schleppend voran, die Besucherzahlen des designierten Friedhofs stiegen aber rapide. Interessierten Käufern stand das Areal zur Besichtigung offen und besonders an schönen Tagen nutzte die Mittelklasse New York Citys die Fährverbindung nach Brooklyn für einen Ausflug nach Gowanus Hills.68 Lange bevor Green-Wood seine Funktion als Friedhof in vollem Umfang erfüllte, war er bereits Freizeitort, wie viele der anderen Parkfriedhöfe in Europa und den USA auch. Die Anlage Green-Woods war von jener Mount Auburns in Boston beeinflusst gewesen. Letzterer hatte sich, ebenso wie Laurel Hill69 in Philadelphia, innerhalb kurzer Zeit zu einem populären Ausflugsort entwickelt.70 In der schriftlichen Darstellung, die die Gesellschaft nach der Umwandlung in einen incorporated public trust bezüglich des weiteren Vorgehens bei der Umsetzung des Friedhofsprojektes herausgab, wurde bereits deutlich, dass man in Brooklyn mehr im Sinn hatte, als die Schaffung eines Großfriedhofs. Mehrfach bewarb man darin Green-Wood als attraktives Ausflugsziel. Von dessen höchstem Punkt – der Spitze des 70 Meter hohen Mount Washington – ließen sich ganz Long Island und ein Großteil Manhattans überblicken. Für Green-Wood als Ausflugsort sprach auch seine geographische Nähe zu den Städten New York und Brooklyn. Während man von Boston aus gut zehn Kilometer zurücklegen

68

Simon, „Green-Wood Cemetery“, 73-74.

69

Den Gartenfriedhof von Philadelphia hatte man 1836 in Anlehnung an das Pariser Vorbild Père Lachaise angelegt. So war Laurel Hill anfangs wesentlich reicher an Ornamenten und Monumenten als Mount Auburn und später auch Green-Wood. In Boston und Brooklyn hatten die Gestalter den Fokus vorerst auf die natürliche Schönheit des Terrains gelegt, bevor sie sich mit steigender Beerdigungszahl dem öffentlichen Geschmack beugten und die Errichtung prunkvoller Grabdenkmäler zuließen und selbst Statuen und Denkmäler bauten. Mount Auburn und Laurel Hill beruhten auf anderen Finanzierungskonzepten als Green-Wood. Beisetzungen dort waren weniger kostspielig. Entsprechend nahm die Bevölkerung die rural cemeteries in Boston und Philadelphia schneller als Begräbnisstätten an. Vgl. Nehemiah Cleaveland, Green-Wood: A Directory for Visitors (New York: Pudney & Russel, 1851), 241-42. Guide to Laurel Hill Cemetery Near Philadelphia, Philadelphia: C. Sherman, 1847, 11-20.

70

Green-Wood Cemetery, Exposition of the Plan, 13.

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musste, um nach Mount Auburn zu gelangen, waren es von South Ferry in Manhattan gerade einmal vier Kilometer – aus Brooklyn war es ähnlich weit.71 Mit dem Ende der Wirtschaftskrise und bedingt durch die stetig steigenden Bevölkerungszahlen der beiden Städte verkaufte die Friedhofsgesellschaft in den Jahren nach 1842 immer mehr Grabgrundstücke. Dabei wurde Green-Wood schnell zu einem der Häfen für die Mitglieder der Mittel- und Oberschicht, die New York City nicht für ein Leben in Westchester County eintauschten.72 So war der Friedhof der erste Ort, den Downing der schwedischen Autorin und Feministin Fredrika Bremer bei ihrem Besuch in New York City im Oktober 1849 zeigte. Bremer nutzte den Ausflug mit dem Landschaftsarchitekten um sich dem Trubel der Stadt und der Aufregung um ihre Person zu entziehen. Während Downing die Kutsche die gewundenen Wege entlang steuerte, bewunderte Bremer die Landschaft, die sie stark an die großen Stadtparks in England erinnerte. Als sie und Downing nach ihrer Exkursion nach Manhattan zurückkehrten, fielen Bremer die müden, gestressten und ärmlichen Bewohner der Stadt noch stärker auf. In ihrer Reiseerzählung kommt sie daraufhin zu dem Schluss, dass es besser sei, in Green-Wood begraben zu sein, als in New York City zu leben: „Better lie and sleep on Ocean Hill than live thus on Broadway!“73 Einige Zeitgenossen wollten jedoch weder in New York City leben, noch dort begraben sein; so etwa Irving, der zu den frühesten Fürsprechern der Parkfriedhöfe gehörte. In seinem Sketch Book of Geoffrey Crayon, Gent. aus dem Jahr 1820 sprach er sich für Beerdigungen in ländlicher Kulisse nach englischem Vorbild aus.74 Ende der 1830er-Jahre zog sich Irving aber auch immer mehr aus dem urbanen Leben New Yorks zurück. Er errichtete sich eine rural residence – ähnlich der von Downing entworfenen – eingebettet in einen pittoresken Landschaftsgarten in Westchester County. Doch nicht nur das ruhige Leben auf dem Land hatten es Irving angetan, sondern auch die letzte Ruhe dort. Noch lag das Familiengrab der Irvings, in dem sowohl die Eltern als auch die Verlobte des

71

Ebd., 11, 15.

72

Simon, „Green-Wood Cemetery“, 70-71.

73

Ocean Hill war die spätere Bezeichnung des höchsten Hügels – Mount Washington – auf dem Friedhofsgelände. Fredrika Bremer, The Homes of the New World: Impressions of America, Vol. I, (New York: Harper & Brothers, 1853), 15.

74

Die einzelnen Aufsätze aus dem Sketch Book veröffentlichte Irving sukzessive im Zeitraum zwischen dem Sommer 1819 und dem Frühjahr 1820, bevor sie später im Jahr 1820 als gebundene Gesamtausgabe herausgegeben wurden. Irving, Letters of Jonathan Oldstyle, 865-76, 1101.

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Autors ihre letzte Ruhe gefunden hatten, auf dem Anwesen der Brick Church an der Kreuzung von Beekman Street und Nassau Street in Lower Manhattan.75 Seine eigene Beisetzung und die seiner Angehörigen plante Irving bereits im noch anzulegenden Sleepy Hollow rural cemetery in Tarrytown weiter nördlich im Bundesstaat New York. Nach dem Tod seines Bruders Peter 1838 arrangierte Irving die Überführung der Leiche in die Kleinstadt Dobbs Ferry. Der Junggeselle Peter sollte dort temporär beigesetzt werden, bis Irving eine passende Familiengrabstätte angelegt haben würde. Dafür ließ sich Irving jedoch viel Zeit. Erst als Anfang der 1850er-Jahre vollkommen klar war, dass das Familiengrab in der Brick Church bald dem Raumhunger New Yorks zum Opfer fallen würde, schritt er zur Tat. 1853 ließ er seine Eltern und seine Verlobte exhumieren und deren Gebeine, ebenso wie jene Peters, in den neuen pittoresken Friedhof in der Nähe von Dobbs Ferry umbetten. Dort sollte auch Irving später seine letzte Ruhe finden.76 Irving gehörte neben Bryant und dem Autor James Fenimore Cooper zu den regelmäßigen Beiträgern im Knickerbocker. Seine Ausführungen über die Vorteile von ländlichen Beerdigungen hatten Clark stark beeinflusst.77 Folglich überrascht es wenig, dass sich letzterer für Green-Wood einsetzte. An die erste knappe Erwähnung des Friedhofs in seiner Kolumne im August 1839 schloss sich im Oktober ein längerer Bericht an. Clark war selbst nach Brooklyn gefahren, um den neuen Friedhof in Augenschein zu nehmen und empfahl daraufhin seinen Lesern einen Ausflug: „The present is the season to visit this charming spot. […] Greenwood [sic] Cemetery […] is a prëeminently [sic] attractive resort“.78 An Clarks Beschreibung der malerischen Aussicht, der in Herbstfarben getauchten Bäume und Sträucher und des angenehmen Klimas auf dem Friedhof schließt sich eine vage Werbebotschaft für den Grabkauf an. Letztlich wird aber auch aus seinen Ausführungen deutlich, dass es sich bei Green-Wood mehr um einen

75

Thomas G. Connors, „The Romantic Landscape: Washington Irving, Sleepy Hollow, and the Rural Cemetery Movement“, in: Nancy Isenberg & Andrew Burstein (Hg.), Mortal Remains: Death in Early America (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2003), 194, 196.

76

Ebd., 195-96.

77

Immer wieder fanden im Knickerbocker Parkfriedhöfe unter Bezug auf Irvings Essay „Rural Funerals“ lobende Erwähnung. Vgl. Irving, Letters of Jonathan Oldstyle, 865- 76. The Knickerbocker or New-York Monthly Magazine, Vol. XVIII (New York: John Bisco, 1841), 458. The Knickerbocker or New-York Monthly Magazine, Vol. LVI (New York: John A. Gray, 1860), 103-104.

78

Hervorhebungen im Original. The Knickerbocker, Vol. XIV (1839), 379.

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Freizeithort der Mittel- und Oberschicht, als um einen Ort der letzten Ruhe handelte.79 Mit zunehmender Beerdigungszahl in den 1840er-Jahren erschienen erste Friedhofsführer, die die besten Routen und die sehenswerten Grabdenkmäler auf dem Areal auswiesen. Der Autor Nehemiah Cleaveland begann im Jahr 1847 seine Buchreihe über die rural cemeteries der Vereinigten Staaten mit einem Band zu Green-Wood.80 In diesem prophezeite er bereits, dass der Friedhof unter keinen Umständen die Beerdigungsprobleme von New York City und Brooklyn lösen würde.81 Green-Wood war ein nobles Unterfangen, aber nicht darauf ausgelegt, allen Bürgern gleichermaßen von Nutzen zu sein. Obwohl der Friedhof als incorporated public trust geführt wurde, stand er nur der zahlungsfähigen Öffentlichkeit wirklich offen. Ironischer Weise verdankt Green-Wood einen großen Teil seiner landschaftlichen Attraktivität den Finanzierungsproblemen der Anfangsjahre. Die Friedhofsgesellschaft verfügte damals nicht über das notwendige Kapital, um größere Eingriffe in die Landschaft vorzunehmen. Der Friedhofsplan sah also bis auf die Befestigung von Wegen und das Ausheben von Gräbern bei Bedarf, kaum Bodenarbeiten vor. Landschaftsgestalterisch arbeitete man in Green-Wood mit dem, was die Natur ohnehin bot. Die Wegführung orientierte sich pragmatisch an der Topografie des Geländes. Die für den Friedhofsbetrieb benötigten baulichen Strukturen, etwa die Unterbringung des Friedhofswärters und das Eingangstor, waren von simpler Gestalt. Und auch beim Ausdünnen des Baumbestands wurde vorsichtig vorgegangen.82 Stärkere Transformationen erfuhr der Friedhof erst durch Eingriffe der Grabeigner. Kirchen gestalteten die von ihnen erworbenen Gemeindegrabflächen nach ihren Vorstellungen aus. Privatpersonen errichteten eindrucksvolle Grabmonumente und bewegten zudem die Friedhofsverwaltung dazu, im Rahmen der weiteren Erschließung des Grundstücks Ausschmückungen anzubringen. Mit zunehmender Auslastung des Friedhofs wurden immer mehr Rufe nach Neuerungen laut. Das simple Eingangstor genügte den gehobenen Ansprüchen ebenso wenig wie die naturbelassenen Seen auf dem Areal. Den Grabeigentümern und Besuchern dürstete es nach Prunk, barocken und gotischen Elementen – in Stein gehauen oder in Bronze gegossen.83

79

Ebd.

80

Nehemiah Cleaveland, The Rural Cemeteries of America: Green-Wood (New York: R. Martin, 1847).

81

Ebd., 4-5.

82

Vgl. Ebd., 5, 8-11.

83

Ebd., 6-7. Stiles, A History of the City of Brooklyn, 622-630.

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Green-Wood wurde als Freizeitort und Begräbnisstätte immer populärer. Folglich führte man einen Katalog an Verhaltensregeln für den Besuch des Friedhofsgeländes ein und beschränkte den Zutritt auf Grabeigner beziehungsweise deren Gäste. Ausflügler mussten schon bald Tickets bei der Friedhofsverwaltung lösen und sonn- und feiertags blieben die Tore Green-Woods für die Allgemeinheit geschlossen. Grabeigner, die den Friedhof an diesem Tag besuchen wollten, mussten beim Aufseher Einlass erbitten. Ihre Kutschen und Pferde hatten jedoch außerhalb des Friedhofes zu bleiben. Picknicks, Rauchen, das Pflücken von Blumen, das Abbrechen von Ästen und Zweigen und das Mitführen von Hunden wurden verboten.84 In den ersten zehn Jahren seines Betriebs wurde Green-Wood zu einem stark reglementierten Erholungsort. Hatte man anfangs die Freiheit und Ursprünglichkeit, die der Ort im Vergleich zur Enge und Konstruiertheit der Stadt versprach, genossen und beworben, so zwängte man Green-Wood nun sukzessive in ein ähnliches Korsett wie andere Vergnügungsorte im öffentlichen Raum.85 Das Plädoyer für den Friedhof aus dem Jahr 1841 mutet in Anbetracht des Regelkatalogs aus dem Jahr 1851 noch wesentlich weniger realistisch an, als bei seiner Veröffentlichung in der Zeitung Daily News zehn Jahre zuvor: We find no fault with those who like to bustle through life in a whirl of steam: but for our own part we love to dally on the road, to pluck a flower here, and plant one there, and while away a little of our time in the pursuit of pleasure, among sanctified creations of nature. […] What professional man – What mechanic, but would feel better, physically and morally, to forget the season, the cares and toil incident to his pursuit, amidst the beauties of the Green-Wood Cemetery.86

In den Jahren zwischen 1838 und 1850 war Green-Wood aber tatsächlich primär Erholungsort für den Mittelstand und Bühne für die Selbstdarstellung der Elite. Am Friedhofseingang verkaufte der Pförtner Handbücher an die Besucher, die die schönsten Routen und Monumente auswiesen. Die spektakulären Grabdenk-

84

Cleaveland, Green-Wood: A Directory, 28-31.

85

Wie so häufig machte man aber auch in Green-Wood Ausnahmen von der Regel. So gewährte der Pförtner im Jahr 1854 dem jungen James Garfield – später 20. Präsident der USA – und dessen Begleitern Einlass, obwohl diese es versäumt hatten, im Voraus Tickets für den Friedhofsbesuch zu erwerben. Harry James Brown & Frederick D. Williams (Hg.), The Diary of James A. Garfield: Volume I, 1848-1871 (East Lansing: Michigan State University Press, 1967), 263.

86

Daily News, in: Simon, „Green-Wood Cemetery“, 73.

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mäler, wie etwa das des populären Dichters McDonald Clarke, der im Jahr 1842 in Green-Wood seine letzte Ruhe fand, wurden zu Anziehungspunkten für die Besucher. Die Angehörigen der Mittelschicht New York Citys, Handwerker und Kleinhändler, aber auch Buchhalter, arrangierten Halbtagesausflüge für sich und ihre Familien nach Green-Wood.87 Die New York Times kommentierte diese Entwicklung mit Blick auf einen Mangel an Parks auf Manhattan Island im Jahr 1853 folgendermaßen: „Metropolitan enterprise, finding no fitting couch within its own borders, sought out and invaded the somniferous abode of Morpheus.”88 Ein Besuch in Green-Wood, dem Reich Morpheus’, versprach die Erholung, die sich im regen Treiben auf den Straßen der Stadt nur schwerlich finden ließ. Seit dem Jahr 1814 verkehrten regelmäßig Dampfschiffe zwischen Brooklyn und Manhattan. Die Einrichtung einer preiswerten und schnellen Fährverbindung zwischen der Südspitze Manhattans und Kings County machte Brooklyn effektiv zu einem der Vororte New Yorks. Eine Fährfahrt kostete im Jahr 1840 drei Cent. Die steuerlichen Vorteile, die ein Leben in Brooklyn der Mittelklasse bot, überwogen die wöchentlichen Fahrtkosten von dreißig Cent bei Weitem.89 Ein Familienausflug am Wochenende von Manhattan nach Green-Wood kostete etwa vierzig Cent.90 Die Anreise bis zum Friedhof war außerdem zeitintensiv.91 Für Familien aus der Arbeiterklasse New Yorks mit einem geschätzten Tageseinkommen von einem Dollar und zwanzig Cent92 lag ein Ausflug nach Green-Wood im Bereich des finanziell Unmöglichen. Erschwerend kam hinzu, dass den Arbeiterfamilien in den meisten Fällen nur der freie Sonntag für Ausflüge zur Verfügung stand, also jener Tag an dem Green-Wood seine Pforten nur für die Grabeigentümer öffnete. Die Angehörigen der Mittelklasse und Ober-

87

Cleaveland, Rural Cemeteries, 13-14. „Green-Wood Cemetery“, in: Index to the New-York Municipal Gazette (1. Jan. 1848), 817.

88

„The City of Repose“, in: The New York Times (11. Aug. 1853).

89

Howard Frumkin, Lawrence Frank & Richard Jackson, Urban Sprawl and Public Health: Designing, Planning and Building for Healthy Communities (Washington, D.C.: Island Press, 2004), 27-28. Kenneth T. Jackson, Crabgrass Frontier: The Suburbanization of the United States (New York: Oxford University Press, 1985), 25-30.

90

Ausgehend von einer Familie mit drei Kindern und unter Berücksichtigung der Kosten für den Pferdeomnibustransfer und die Überquerung des Gowanus Creek.

91

Burrows & Wallace, Gotham, 719-20.

92

Vgl. The Conference on Research in Income and Wealth (Hg.), Trends in the American Economy in the Nineteenth Century (Ann Arbor: University of Michigan Press, 1960), 462.

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schicht hingegen genossen ihre Aufenthalte in Green-Wood, wohl gerade deshalb, weil sie hier unter sich blieben. Häufig besuchte man den Friedhof samstags, an besonders heißen und schwülen Tagen, aber auch unter der Woche, um Erholung für Köper und Geist in den schattigen Hainen des Areals zu suchen.93 In gleichem Maße, wie Green-Wood als Freizeithort Anziehungskraft auf die Mittelklasse ausübte, wuchs seine Popularität als Begräbnisstätte. Menschen aus den entlegensten Winkeln der Vereinigten Staaten besuchten den Friedhof und ließen sich auch dort zur letzten Ruhe betten.94 Darüber hinaus hatte der Friedhof das Potential, den dort Beerdigten posthume Berühmtheit zu bescheren. So etwa Charlotte Canda, die an ihrem siebzehnten Geburtstag, am 3. Februar 1845, bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Die Adoptivtochter eines französischen Offiziers fiel auf der Heimfahrt von ihrer Geburtstagsfeier von der Kutsche, nachdem die Pferde durchgegangen waren, und erlag kurz darauf ihren schweren Kopfverletzungen. Candas Eltern ließen zur Erinnerung an ihre Tochter ein aufwendig gestaltetes Grabmonument in Green-Wood errichten. Die neogotische Struktur aus weißem Marmor, die an ein Tabernakel erinnert, wurde zu einer der Attraktionen des Friedhofs. Der Entwurf für das Grabmonument stammte von Charlotte selbst. Sie hatte damit begonnen, ein Grabdenkmal für ihre verstorbene Tante zu entwerfen und Candas Eltern gaben die Skizzen an die Steinmetze weiter, die sie mit der Konstruktion des Mausoleums betrauten.95 Bis zur Fertigstellung ihrer letzten Ruhestätte war Candas Leichnam in der Familiengruft in der St. Patrick’s Old Cathedral an der Kreuzung von Mott Street und Prince Street in Manhattan beigesetzt. Im April 1848 wurde sie exhumiert und in das fertige Mausoleum in Green-Wood verbracht.96 Das Herzstück des Monuments ist die lebensgroße Statue Candas unter einem Baldachin. Sie war ursprünglich von zwei Engeln flankiert und siebzehn Rosenknospen schmücken ihren Hals, für jedes Lebensjahr eine. Für mitgebrachte Blumen standen zwanzig hohe Marmorvasen bereit. Eine beidseitig beschriebene Tafel vor dem Mausoleum berichtet über ihren Tod und ein Gedicht besingt ihr Leben. Die Grabstätte der jungen Frau kündet von ihrem tragischen Unfalltod, ihrer Schönheit, aber auch von ihrer intellektuellen Begabung und ihrem

93

„Green-Wood Cemetery“, in: New-York Municipal Gazette, 817.

94

Simon, „Green-Wood Cemetery“, 71.

95

Cleaveland, Green-Wood Cemetery, 68-84. „Editor’s Table“, in: The Ladies’ Repository: A Monthly Periodical, Devoted to Literature, Arts, and Religion (1. Jan. 1851), 39.

96

Cleaveland, Green-Wood Cemetery, 68-84.

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künstlerischen Talent.97 Das Grabmal zog die Besucher des Friedhofs fast schon magisch an.

Abbildung 4: Besucher vor dem Grab Charlotte Candas in Green-Wood (1851)

Candas Grab gehörte bald zu den Hauptattraktionen Green-Woods. In Reiseführern, Erzählungen und Zeitschriftenartikeln wurde ihre Grabstätte als Sehenswürdigkeit gepriesen. Das schien sehr im Interesse der Friedhofsverwaltung zu liegen, die folglich ihre Zustimmung verweigerte, als die Angehörigen Candas im Jahr 1877 eine Umbettung auf den katholischen Calvary Cemetery in Queens forderten. Das stünde in Konflikt mit dem Gründungsversprechen des Friedhofs, auf Ewig Ort der letzten Ruhe der dort Beigesetzten zu sein und außerdem hätte eine Verlegung des Mausoleums Green-Wood einer seiner Ikonen beraubt.98 Candas Tugendhaftigkeit und die Betonung der Schönheit des Grabmonuments reichten ab einem gewissen Zeitpunkt aber nicht mehr aus, um die Öffentlichkeit von ihrer Geschichte und folglich auch von Green-Wood zu begeistern. Ihr verfrühter Tod genügte als einzig tragisches Moment nicht, um dauerhaftes Interesse hervorzurufen. Bereits in den 1850er-Jahren reicherte man ihre Ge-

97

Ebd.

98

„City and Suburban News: New-York”, in: The New York Times (4. Jul. 1877).

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schichte zu Werbezwecken an. Berichte über das kinderlos gebliebene französische Einwandererpaar, das sich der kleinen Charlotte annahm und sich nach deren Tod durch die Errichtung des Grabmonuments in den finanziellen Ruin stürzte, kursierten etwa im Jahr 1851.99 Einen größeren Eindruck, als die elterliche Aufopferungsgabe und Verzweiflung nach dem Tod des einzigen Kindes, hinterließen allerdings die Beschreibungen der Liebesgeschichte von Canda und dem französischen Adeligen Charles Albert Jarrett de la Marie. Der Legende nach hatte ihr Verlobter de la Marie aus Verzweiflung über den Verlust seiner Liebsten im Jahr 1846 Selbstmord begangen. Seine Beerdigung in Green-Wood fand vier Monate nach der Candas und in unmittelbarer Nähe zu ihrem Grab im August 1848 statt.100 In früheren Publikationen zu Candas Leben und Tod hatte de la Marie allerdings keinerlei Erwähnung gefunden. Erst nach dem Bürgerkrieg hatte man Candas tragische Lebensgeschichte um die tragische Liebesgeschichte erweitert. Wie Canda war de la Marie katholischen Glaubens und mit seinem Selbstmord hatte er sich versündigt und entehrt. Möglicherweise war er deshalb nicht Teil der frühen Geschichten über Candas Leben. Eine Beisetzung in geweihter Erde war ihm verwehrt.101 Bei Green-Wood handelte es sich aber nicht um einen kirchlichen Friedhof, und so konnte er dennoch in Candas Nähe beigesetzt werden. Die spätere Aufnahme de la Maries in die Geschichte Candas lässt sich aber auch im Lichte der Werbebemühungen der Friedhofsgesellschaft lesen. Nach 1880 begannen Autoren auf beiden Seiten des Atlantiks das Verhältnis der beiden im Lichte von William Shakespeares Tragödie Romeo und Julia zu schreiben – zwei Liebende im Tod vereint.102 Die Bedeutung der Dichotomie

99

In einem Tagebucheintrag vom 7. Juli 1854 berichtet der spätere Präsident James A. Garfield über seinen Besuch von Candas Grab. Garfield prangert darin an, dass für die 26.000 Dollar, die das Monument gekostet hatte, mehreren hundert Menschen Hilfsleistungen hätten zukommen können. Die Meinung, dass Green-Wood ein Ort der Selbstdarstellung und Verschwendungssucht sei, formulierten auch andere Zeitgenossen. Allerdings nicht ohne den Ort im gleichen Atemzug anerkennend als imposante letzte Ruhestätte bedeutender Persönlichkeiten zu preisen. James A. Garfield, in: Brown & Williams (Hg.), The Diary of James A Garfield, 263. Vgl. „Editor’s Table“, in: The Ladies’ Repository, 39.

100 Karl S. Guthke, Sprechende Steine: Eine Kulturgeschichte der Grabschrift (Göttingen: Wallstein Verlag, 2006), 234. Vgl. Green-Wood Cemetery Burial Search. 101 Guthke, Sprechende Steine, 234. 102 Die Dramen Shakespeares erfreuten sich im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit in den Vereinigten Staaten. Auch waren Darstellungen von Selbstmord und Mord unter

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von Liebe und Tod in der posthumen Verehrung Candas wird etwa im Reisebericht des Autors Thomas Fitz-Patrick deutlich: [W]hile some [monuments of the dead] are special favourites [sic] of the public from the touch of Nature or romance with which they are tinged. Quite a “lion,“ in the latter respect, it the tomb of Charlotte Canda at Grennwood [sic], around which a crowd of eager visitors is to be seen ranged every Sunday, paying silent, unconscious homage to the twin deities of Leopardi103, Love and Death.104

Die Instrumentalisierung der Geschichte Candas zur Attraktivitätserhaltung deutet auf einen Bedeutungswandel des Friedhofs im Stadtraum hin.105 Der einstige Hafen der Mittelklasse war ab Mitte des 19. Jahrhunderts als Freizeitort und als Friedhof in seiner Bedeutung bedroht. Die Konkurrenz wuchs. Calvary Cemetery, im Jahr 1848 unter katholischer Leitung in Queens angelegt, trat mit Green-Wood als Begräbnisstätte in Wettbewerb. Eine Beisetzung dort kostete gerade einmal drei Dollar für ein Kind beziehungsweise sieben Dollar für einen Erwachsenen. Zudem wurden dort die Angehörigen bedürftiger katholischer Familien kostenlos und dennoch würdevoll beigesetzt.106 Außerdem begann man Ende der 1850er-Jahr in New York City mit der Anlage eines großen Stadtparks.

Herausstellung der unterliegenden Motive prominente Bestandteile der populären amerikanischen Schauerliteratur und auch der amerikanische Realismus bediente sich dieser Elemente. Vgl. Karen Halttunen, Murder Most Foul: The Killer and the American Gothic Imagination (Cambridge: Harvard University Press, 1998), 1-6. Hubert Zapf (Hg.), Amerikanische Literaturgeschichte (Stuttgart: J.B. Metzler, 2004), 147- 49,154-55. 103 Giacomo Leopardi (1798-1837) war ein populärer italienischer Dichter der romantischen Periode. 104 Interpunktion wie im Original. Thomas Fitz-Patrick, A Transatlantic Holiday or, Notes of a Visit to the Eastern States of America (London: Sampson Low, Martson & Co., 1891), 47. 105 Auch 165 Jahre nach ihrer Beerdigung ist Canda für Green-Wood von Bedeutung. So instrumentalisierte der Friedhof ihre Geschichte im Jahr 2010 im Rahmen eines Spendenprogramms für die Restaurierung und Instandhaltung der historischen Grabdenkmäler. Vgl. „Charlotte Canda, 1828-1845“, Green-Wood Cemetery, , (Zugriff: 2013-03-13). 106 Ezekiel Porter Belden, New-York: Past, Present, and Future. Comprising a History of the City of New-York: a Description of Its Present Conditions, and an Estimate of Its Future Increase (New York: Prall, Lewis & Co., 1851), 172.

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Der De-facto-Park Central Park drohte dem Quasi-Park Green-Wood Cemetery den Rang als Erholungsort abzulaufen. Green-Wood, mit seinem Doppelcharakter als Erholungsort und Friedhof, gelang es allerdings sich an die wandelnden Gegebenheiten anzupassen. Der Aufstieg anderer Freizeitorte und die Anlage neuer Friedhöfe führten nicht zu seinem Niedergang. Als Zwitter-Ort erlangte er eine Dauerhaftigkeit, die reine Parks oder Friedhöfe nicht besaßen. Sein Doppelcharakter – quasi Park und de facto Friedhof – und die damit verbundene Vielfalt von Praktiken, dienten und dienen Green-Wood als Legitimation seines Bestands. Diese Vielfalt verhinderte, dass aus dem Ort, in Sinne Tuans, wieder Raum werden konnte und verstetigten Green-Wood somit als Institution im urbanen Gefüge New Yorks. So hält der Friedhof das bei seiner Gründung gemachte Versprechen, auf immer ein Ort der letzten Ruhe zu sein, auch 175 Jahre später noch ein. Ebenso fungiert GreenWood noch heute als Erholungsort. Interessierte können geführte Touren und Rundfahrten buchen, an den vom Friedhof organisierten Vortragsreihen, Konzerten, Whiskey-Verkostungen und Lesungen teilnehmen oder auch einfach nur einen Spaziergang zwischen den Gräbern in Gowanus Hills unternehmen.107 Dennoch ging die Einrichtung des Central Parks auf Manhattan Island – und später auch die des Prospect Parks in Brooklyn – nicht spurlos an Green-Wood vorüber. Um weiterhin als Erholungsort konkurrenzfähig zu bleiben, musste der Friedhof einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und zugleich neue, kommerzialisierte Formen der Unterhaltung anbieten.

107 Vgl. Green-Wood Cemetery Tours and Events, , (Zugriff: 2013-03-13). In den 1990er-Jahren gab die Friedhofsverwaltung eine Aufarbeitung der Geschichte Green-Woods in Auftrag. Die reich mit Fotografien und Anekdoten geschmückte Monografie verfügt über einen ähnlichen Aufbau, wie die Friedhofsführer aus dem 19. Jahrhundert und dient ebenso Werbezwecken. Vgl. Jeffrey I. Richman, Brooklyn’s Green-Wood Cemetery: New York’s Buried Treasure (Lunenburg: Steinhauer Press, 1998).

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2.3 Central Park. Anfänge einer demokratischen Parkkultur Im Jahr 1869 pries der amerikanische Journalist Junius Henri Browne Central Park in seiner Geschichtensammlung The Great Metropolis: A Mirror of New York: „The great advantage of the Park is, that it is open to all, and that the poor enjoy it more than the rich, who can go where they like, and purchase what the Central gives gratis.“108 Für Browne und viele seiner Zeitgenossen war der Park vor allem ein Geschenk an die Armenbevölkerung New York Citys. Seine Pforten standen allen offen, entsprechend galt Central Park früh als die Manifestation einer neuen, demokratischen Parkkultur in den Vereinigten Staaten. Was Downing und Bryant mit Blick auf das Vorbild Europa in den 1840er-Jahren propagierten, versuchten die Landschaftsarchitekten Olmsted und Vaux und ihr leitender Ingenieur Viele in den 1850er-Jahren umzusetzen.109 Diese Männer planten einen großen Park, einen demokratischen Park, einen Park von dessen Anlage alle Teile der Bevölkerung profitieren sollten: einen „Volkspark“.110 Die Einrichtung des Central Parks Mitte des 19. Jahrhunderts beruhte auf einer Rhetorik des public good. Der Begriff „Allgemeinwohl“ war jedoch lose definiert. Bis in die 1830er-Jahre hinein wurde er hauptsächlich von der Elite für die Durchsetzung von Eigeninteressen instrumentalisiert. Das public good wurde immer dann herangezogen, wenn es um die Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen ging, von denen primär die Wohlhabenden profitierten. Mit wachsender Bevölkerungszahl, immer dramatischer verlaufenden Epidemien und Wirtschaftskrisen, begannen erste Reformer damit, eine neue und weniger exklusive Öffentlichkeit zu beschwören. Projekte, die dem public good dienten, waren nun nicht mehr primär von der Elite für die Elite, sondern von der Elite für eine

108 Junius Henri Browne, The Great Metropolis: A Mirror of New York (Hartford: American Publishing Company, 1869), 123. 109 Eine detaillierte Abhandlung der Anlage des Central Parks findet sich in der gemeinschaftlich von den Historikern Roy Rosenzweig und Elisabeth Blackmar verfassten Monografie The Park and the People: Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 15-205. 110 Vgl. Angela Schwarz, „Ein “Volkspark” für die Demokratie: New York und die Ideen Frederick Law Olmsteds”, in: Angela Schwarz (Hg.), Der Park in der Metropole: Urbanes Wachstum und städtische Parks im 19. Jahrhundert (Bielefeld: transcript, 2005), 107-130.

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angenommene breitere Öffentlichkeit, zu der auch die Armen und die Arbeiterklasse zählten.111 Entsprechen sollte auch Central Park für die Angehörigen aller Klassen nutzbar sein. Jeder Stadtbewohner und jeder Besucher würde sich an der pittoresken, landschaftlichen Schönheit des Planquadranten im Norden Manhattans erfreuen dürfen.112 Im Kontext der Werbebemühungen für die Anlage des Parks erscheint die Betonung der Bedeutung des Ortes für Frauen und Kinder als signifikant. Besonders diese sollten von der fertigen Parkanlage profitieren. Die Schriftstellerin und Sozialreformerin Catherine E. Beecher mahnte bereits in den 1840er-Jahren an, dass in den Vereinigten Staaten die Notwendigkeit bestünde, die körperliche Ertüchtigung von Frauen an der frischen Luft zu fördern. Amerika als ein Ort voller Reize drohte Frauen – die Erzieherinnen der Nation – zu korrumpieren. Als Präventivmaßnahme und Gegenmittel galt Sport im Freien: […] American women are exposed to a far greater amount of moral and intellectual excitement, than those in any other land. […], in order to escape the danger resulting from this, a greater amount of exercise in the fresh air, and all those methods which strengthen the constitution, are imperiously required.113

Die angemessene Umgebung für die körperliche und moralische Ausbildung in New York City sollte der fertige Central Park sein. Bewegung an der frischen Luft, in der malerischen und dennoch sicheren und geplanten Parkumwelt, würde das „schwache Geschlecht“ und die Jugend von den Belastungen und Zwängen des häuslichen Lebens befreien, ohne dabei jedoch Moral und Tugend in den Hintergrund zu drängen, so das gängige Argument. Die Gleichsetzung von Frauen und Kindern in der Rhetorik überrascht wenig. Beide Gruppen gehörten in der zeitgenössischen Interpretation in die Sphäre des Heims. Außerhalb dieser bedurften sie Schutz und Hege. So wurden in einem Parkführer Wege ausgewiesen, die speziell für Frauen und Kinder angelegt worden waren, um sie vor den Gefahren einer Straßenüberquerung zu schützen. Als grüne Lunge New York Citys sollte der Central Park in einer von Krankheiten, Tod und Schmutz geprägten, urbanen Welt der Genesung dienen, die Stadt mit frischer, gesunder Luft ver-

111 Vgl. Fairfield, The Public and Its Possibilities, 76. 112 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 22-25. 113 Catherine E. Beecher, A Treatise on Domestic Economy for the Use of Young Ladies at Home, and at School (New York: Harper & Brothers, 1845), 44.

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sorgen, und zudem als Fluchtpunkt die Möglichkeit bieten, den überfüllten, dreckigen Straßen für einen Augenblick zu entkommen.114 Central Park sollte als gesellschaftliches Antiseptikum wirken und die Gesundung des Individuums und der Gemeinschaft herbeiführen.115 Noch bevor sich die heilenden natürlichen Kräfte, die man dem Park zuschrieb, entfalten durften, zeigte das Parkprojekt sein soziales Potential, indem es zur wirtschaftlichen Genesung der Stadt beitrug. Der Park war nicht nur ein Erholungsort, sondern auch ein attraktiver Arbeitsplatz. Olmsted, Vaux und Viele schufen unter massivem Einsatz menschlicher Arbeitskraft einen natürlich anmutenden Rückzugsort. Die Produktion der Illusion von Natürlichkeit verlangte ingenieurtechnisches Geschick, denn an vieler Stelle stand die Natur dem Parkbauvorhaben eher im Weg. Die Ingenieure und Landschaftsgestalter hatten die Geologie der Insel zu bezwingen. Das in bestimmten Abschnitten felsige, in anderen sumpfige oder trockene Areal musste auf Form gebracht werden. Fast zehn Jahre benötigten die Arbeiter für den Parkbau nach dem ersten Spatenstich im Jahr 1857. Mit Hilfe von Hämmern, Spitzhacken und Sprengstoff schlug man sich durch den Fels. Der gewonnenen Granit- und Schieferbruch fand als Pflaster auf den Wegen des Parks und im Tunnel- und Brückenbau Verwendung.116 Das Parkprojekt war trotz der Ausnutzung der natürlichen Ressourcen der Insel kein günstiges oder einfaches Unterfangen. Nicht alle der benötigten Materialien kamen auf Manhattan vor und mussten entsprechend eingekauft werden. Zudem gab es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen der Parkkommission, dem Stadtrat, den Arbeitern und den beauftragten Subunternehmern. Die Wirtschaftskrise des Jahres 1857 machte eine Anstellung im körperlich herausfordernden Parkbauumfeld für viele Arbeiter interessant. Im November des gleichen Jahres verlangten 2.000 Männer mit Nachdruck nach Anstellung durch die Parkkommission. Das Parkprojekt versprach für sie und ihre Familien die Sicherung des Lebensunterhalts in Zeiten der Krise.117 Die Anlage des Parks bot aber nicht für alle die gleichen Chancen. Für viele Stadtbewohner bedeutete der Bau Central Parks eine Verdrängung aus ihrer

114 „A Central Park“, in: The New York Times (4. Juni, 1853), 3. A Description of the New York Central Park (New York: F. J. Huntington & Co., 1869), 46. Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 25. „Woman“, in: The Continental Monthly: Devoted to Literature and National Policy (Vol. 4.1, Jul. 1863), 110. 115 Vgl. „The Evolution of Manhattan III. Parks as Social Antiseptics“, in: The New York Times (17. April, 1904). 116 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 150-51. 117 Ebd., 151.

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einst angestammten Umgebung. Die Beschreibung der Lebenswelt der einfachen Arbeiter in New York City im 19. Jahrhundert erfolgt heute häufig im Rückgriff auf die enthüllende Publikation How the Other Half Lives des Journalisten und Sozialreformers Jacob Riis aus dem Jahr 1890. Darin problematisierte er die Enge der Arbeitermietskasernen (tenement houses) auf der Insel und regte entsprechend Reformen an. Die von Riis beschriebenen und fotografierten kleinen, dunklen, schlecht belüfteten Wohnungen, die Schlaf-, Wohn, und Arbeitsraum zugleich waren, waren bereits in den 1840er-Jahren Teil der Lebensrealität der New Yorker.118 Allerdings fanden dort nicht alle Angehörigen der Arbeiterschaft überhaupt Unterkunft. Viele bewohnten selbstgebaute Hütten in den noch nicht weiter erschlossenen Gebieten Manhattans. Nördlich der 57th Street entstanden verstreut Barackensiedlungen im terrain vague der Insel – die sogenannten shanty towns. Der Bau des Central Parks brachte eine Vertreibung von deren Bewohnern mit sich. Die Parkkommission unter Olmsteds Leitung sorgte im Jahr 1857 in den Parkgrenzen für den Abriss von etwa dreihundert Hütten. Zudem schloss man mehrere kleinere Fabriken, Schweinezuchtbetriebe und Milchproduktionsstätten auf dem Gebiet. Doch auch die Landbesetzer – squatter genannt – die außerhalb des Parkareals lebten, hatten damit umzugehen, dass sich nebenan ein Erholungsort in Bau befand.119 Die Attraktivität der Grundstücke im Norden Manhattans wuchs. Spekulanten, die das Land dort lange vor einer Bebauung bewahrt hatten, verkauften dieses nach Ende der Wirtschaftskrise mit großen Profiten – zuerst in der Upper East Side später auch in der Upper West Side. Zuvor hatte ein Teil der Landbesitzer die leerstehenden Grundstücke an die squatter zur Nutzung verpachtet. Nun zog in das ehemalige terrain vague die Elite New Yorks ein, errichtete imposante Wohnsitze und vertrieb die Armen auch aus diesem Gebiet.120 Der Bau des weitläufigen als Volkspark gedachten Erholungsortes im Norden der Insel sollte ironischer Weise zu einer Dezimierung des Lebens- und Freizeitraums der Arbeiterklasse beitragen. Deren Forderungen nach Freizeit und Freizeitorten wurden allerdings erst in den 1870er-Jahren wirklich laut, wie der Historiker Roy Rosenzweig in seiner Studie zum Freizeitverhalten von amerikanischen Arbeitern Eight Hours for What We Will konstatiert. Für die Angehöri-

118 Vgl. Jacob A. Riis, How the Other Half Lives (Carlisle: Applewood Books, 2011), 7-14, 69-74. 119 Second Annual Report of the Board of Commissioners of Central Park (New York: William Cullen Bryant, 1859), 61. Plunz, A History of Housing, 11-15. 120 Plunz, A History of Housing, 54.

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gen dieser Schicht war die Abmilderung und Eindämmung privater finanzieller Schwierigkeiten vorerst zentral. Erst die gewerkschaftliche Organisation ermöglicht den Kampf um mehr Geld und mehr Freizeit. Um die erfolgreich gewonnene Freizeit zu verbringen, so Rosenzweig, bedurfte es entsprechender Freizeiträume.121 Rosenzweigs Monografie befasst sich primär mit der Betrachtung der wachsenden Industriestadt Worcester in Massachusetts. Viele seiner Ergebnisse lassen sich aber auch auf New York City übertragen. Die Periodisierung, die der Autor anwendet, bedarf allerdings einer Erweiterung für die Betrachtung der Stadt an der Mündung des Hudson Rivers. Die von Rosenzweig im Jahr 1870 gesetzte Zäsur erscheint in Anbetracht der Stadtgeschichte New Yorks als verspätet. Dort zeigten sich viele der nationalen Trends wesentlich früher. Tatsächlich dauerte es auf Manhattan Island auch bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, bis die ersten großflächig organisierten Proteste durch die Arbeiterschaft für die Anlage von Freizeit- und Versammlungsflächen, stattfanden, aber auch vorher zeigte sich schon Widerstand im kleineren Rahmen.122 Als Ursache für die Proteste in New York City lässt sich eine weitere Verknappung des urbanen Raums attestieren. Über lange Strecken zeigten sich die Angehörigen der Unterschicht mit ihren wenig institutionalisierten und gering organisierten Freizeiträumen zufrieden. Für sie spielten, soweit sich dies überprüfen lässt, die ästhetischen Merkmale der Erholungsorte eine untergeordnete Rolle. Widerstand von ihrer Warte aus erzeugte meist der mögliche Entzug von Raum in ihrer unmittelbaren Umgebung.123 Wobei aber auch Raumverlust häufig widerstandslos in Kauf genommen wurde. Als Erklärung dafür kann die relativ hohe Mobilitätsrate der Bevölkerung innerhalb der Stadt angeführt werden. In Fortsetzung einer Tradition aus der holländischen Kolonialzeit liefen jährlich alle Mietverträge in der Stadt zum 1. Mai aus. Wer nicht gewillt oder in der Lage war, die neu festgesetzte Miete zu tragen, musste umziehen.124 Das hatte eine Nomadisierung der besitzlosen Bevölkerung zur Folge. Entsprechend gering war die Bindung an eine bestimmte Nachbarschaft und an die dort vorhandenen Freiräume. Dennoch kam es zu Individual- oder kleineren Gruppenprotesten und Widerständen, gegen den Entzug dieser Orte. Auseinandersetzungen dieser Art

121 Roy Rosenzweig, Eight Hours For What We Will: Workers and Leisure in an Industrial City, 1870-1920 (Cambridge: Cambridge University Press, 1983), 127, 153. 122 Vgl. „The Tompkins Square Nuisance“, in: The New York Times (3. Jun. 1876). 123 Ebd. 124 Burrows & Wallace, Gotham, 392. Peter Parley’s Almanac for Young and Old (Philadelphia: Desilver, Thomas, & Company, 1836), 40.

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wurden aber kaum verbrieft, weil sie nicht entlang klar auszumachender Konfliktlinien verliefen, oder von zu geringer Signifikanz für die Bevölkerung als Ganzes waren. In den wiederkehrenden Zeiten der sozialen Angst125 griffen die New Yorker jedoch stärker auf Klassenthemen, Klassenidentitäten und Klassenzugehörigkeiten zurück, wenn es um die Vertretung ihrer Interessen ging.126 Besonders durch Aktionen im Schulterschluss mit Angehörigen des gleichen Standes verschaffte sich die Unterschicht Gehör. In Zeiten der sozialen Angst bedurfte es zudem eines wesentlich geringeren Organisationsgrads bei Protesten, um ein Medienecho auszulösen. Das Jahr 1857 war in New York City eines der sozialen Angst. Die Wirtschaftskrise traf die Arbeiterschaft und Tagelöhner hart. Die Angehörigen der Oberschicht fürchteten den Verlust des eigenen Vermögens und mögliche gewaltsame Aufstände der Unterschicht. Entsprechend argwöhnisch betrachtete die Elite die von der Arbeiterschaft organisierten Demonstrationen, die im Zusammenhang mit dem Bau des Central Parks standen. Diese hatten primär wirtschaftliche Hintergründe. Man verlangte nicht nach der Einrichtung eines demokratischen Erholungsorts, sondern nach der gerechten Verteilung von Jobs im Parkbau. Eingeschüchtert durch Androhungen von Gewalt und in der Hoffnung, den Park möglichst zügig und kostengünstig einzurichten, sicherte die Parkkommission allen Interessenten, die sich in eine offizielle Liste eintrugen, eine Anstellung zu, versäumte es aber ihr Versprechen einzulösen. Wirklich schwerwiegende Konsequenzen hatte der Bruch des Versprechens jedoch nicht. Letztlich erfolgte die Vergabe von Stellen im Parkbau oftmals auf Basis politischer Allianzen und den Parteifreunden gegenüber hielt die Kommission ihr Wort.127 Nach Olmsteds Ernennung zum leitenden Architekten im Jahr 1858 sollte sich dies ändern. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt kaum über politische Bande in New York City und betrachtete die vorherrschende Korruption der Parteien mit Misstrauen. Was die Umsetzung seines Parkprojektes anging, war Olmsted Pragmatiker: Die Interessen der im Parkbau beschäftigten Arbeiter und deren

125 Der Begriff „soziale Angst“ wird hier im Sinne des französischen Historikers AndréJean Tudesq verwendet. Dieser beschäftigte sich mit Verunsicherung und sozialer Angst (peur sociale) im französischen Elitendiskurs im 19. Jahrhundert. Tudesq attestiert, dass es besonders in Zeiten der weitreichenden Unsicherheit zu weitreichender Kooperation kommt. André-Jean Tudesq, Les Grands Notables en France, 18401849, Bd. 2 (Paris: Presses Universitaires de France, 1964), 992, 1236. 126 Sean Wilentz, Chants Democratic: New York City and the Rise of the American Working Class, 1788-1850 (New York: Oxford University Press, 1984), 17. 127 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 153-57.

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politische Verbindungen kümmerten ihn wenig. Was für Olmsted zählte war die Möglichkeit, Arbeiter je nach Bedarf entlassen und anheuern zu können und ihnen direkt Anweisungen geben zu können. Seinem Diktat hatte man Folge zu leisten.128 Olmsted machte sich durch saisonale Entlassungen und Lohnkürzungen die Arbeiterschaft zum Feind. Als Arbeitgeber glaubte er nicht an die demokratischen Ideale, die er in seiner Rolle als Abolitionist und auch in seinem Werben für den Park beschwor. Der Bau hatte ohne Behinderungen durch die selbstsüchtigen Forderungen der Arbeiterschaft voran zu gehen. Was die Frage der Nutzung des fertigen Parks betraf, so war Olmsted dann aber wieder Advokat eines demokratischen Central Parks: offen für alle Klassen.129 Auch die Gestalt des Central Park war das Produkt eines demokratischen Prozesses, auf den sich die Parkväter immer wieder berufen sollten, und der Nachlässigkeit der Parkkommission, die schon bald in Vergessenheit geraten würde. Über die Form des neuen Stadtparks wollte man 1858 durch einen Designwettbewerb entscheiden. Die Parkkommission sollte diverse Vorarbeiten leisten, die sich in der Kürze das Zeit aber nicht alle durchführen ließen. Die geologischen Untersuchungen, auf denen die Parkpläne basieren sollten, wurden ebenso wenig wie die botanische Bestandsaufnahme130 vollständig ausgeführt.

128 Ebd. 129 Vgl. Justin Martin, Genius of Place: The Life of Frederick Law Olmsted: Abolitionist, Conservationist, and Designer of Central Park (Cambridge: Da Capo Press, 2011), 103-107. Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 196-99. 130 Vor der Anlage des Parks gab die Kommission die Katalogisierung aller Pflanzen auf dem Parkterrain in Auftrag. Die Botaniker und Landschaftsgärtner Charles Rawolle und Ignaz Pilát (geb. Ignatz Anton Pilát) begannen mit der Untersuchung im Sommer 1857. Ihnen gelang es, eine Vielzahl von Pflanzen zu sammeln und zu verzeichnen. Allerdings fehlen in der Studie verständlicher Weise viele der in New York heimischen Frühjahrsblüher. In den Jahren, in denen Pilát als leitender Landschaftsgärtner des Central Parks angestellt war, führte er die Katalogisierung der heimischen Flora auf dem Parkgelände fort. Unter der Leitung Piláts kam es aber auch zur Einbeziehung nicht heimischer Pflanzen – etwa des Ginkgo-Baums. Vgl. A Description of the New York Central Park, 72. Annual Cyclopædia and Register of Important Events of the Year 1870, Vol. X (New York: D. Appleton & Company, 1871), 577. Charles Rawolle & Ignaz Pilát, Catalogue of Plants Gathered in August and September, 1857 in the Terrain of the Central Park (New York: M.W. Siebert, 1857).

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So standen die Landschaftsarchitekten, die Interesse daran hatten, am Wettbewerb teilzunehmen, vor der Wahl, entweder das Areal selbst zu begehen oder sich auf die unvollständigen Fotoserien der Topografie und Vegetation zu verlassen. Die Kommission forderte außerdem, basierend auf einem Erlass vom 2. Februar 1858 – kurz vor Ablauf der Einreichungsfrist –, dass alle Parkpläne eine Kostenaufstellung zu enthalten hatten. Die Vorstellungen darüber, was der fertige Central Park kosten würde, gingen weit auseinander. Zwar waren sich alle einig, dass die Anlage von Wegen und Straßen das kostspieligste Unterfangen sein würde, aber ob dafür nun 84.000 Dollar, 315.000 Dollar oder gar 742.649 Dollar aufgewendet werden mussten, fiel ins Reich der Spekulation. Klar war nur, dass man allein für den Kauf des Parklandes das einst festgesetzte Budget von fünf Millionen Dollar aufbrauchen würde. Letztlich setzte sich Olmsteds und Vauxs Greensward Plan im Wettbewerb mit den meisten Stimmen gegen mehr als dreißig Konkurrenten durch. Jeder seriöse Teilnehmer am Designwettbewerb – einer der eingereichten Entwürfe war nicht für die Anlage eines Parks – sollte nach dessen Ende eine Aufwandsentschädigung erhalten. Zudem stellte man die gescheiterten Pläne aus und zog aus ihnen Inspiration für das weitere Vorgehen. Viele der gemachten Gestaltungsvorschläge wirkten in ihrer Simplizität naiv, ja fast kindlich, dennoch hatten sie ihren Wert.131 Der von Olmsted und Vaux eingereichte Entwurf war das Produkt laufender Verhandlungen zwischen den beiden Männern. Der Greensward Plan verfügte dadurch über eine Flexibilität, die viele der anderen Pläne nicht aufwiesen. So hatte man Brücken projektiert, sich aber noch nicht auf ein Material eingeschworen, oder Pflanzungen angedacht, aber noch nicht ausgeführt, womit bepflanzt werden sollte. Die Beiträge der anderen Teilnehmer am Wettbewerb machten deutlich was sonst noch in der Parkgestaltung möglich war und wurden somit zur Inspiration und zum abschreckenden Beispiel für Olmsted und Vaux.132 Olmsted wurde zum leitenden Architekten ernannt. Während Vaux primär gestalterisch tätig war, oblag Olmsted nun die finanzielle Verwaltung des Parkprojekts und ihm schien das Geld nur so durch die Finger zu rinnen. Im Juli 1859 hatte man bereits die Hälfte des genehmigten Budgets für den Bau aufgebraucht. Der Park war jedoch noch weit von der Fertigstellung entfernt. Die Parkkommission kalkulierte, dass eine Aufstockung des Parketats von zwei Millionen Dollar

131 „The Central Park: Exhibition of the Unsuccessful Plans for the Central Park“, in: The New York Times (13. Mai 1858). Second Annual Report Central Park, 2. 132 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 123-30. „The Central Park: Map and Description of the Plan which took the $2000 Prize for the Central Park“, in: The New York Times (1. Mai 1858), 1.

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auf mindestens 3,6 Millionen Dollar nötig sei, um das Vorhaben umzusetzen.133 Im Laufe des Sommers 1859 sah sich Olmsted immer stärkerer Kritik ausgesetzt. Die Praxis, über die weitere Gestaltung während des Baus zu entscheiden, laugte den Architekten aus und verursachte darüber hinaus immer höhere Kosten. Olmsted erkrankte und konnte seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen. Der Anwalt und Mitglied der Parkkommission Andrew Haswell Green übernahm daraufhin die Verwaltung der Finanzen des Central Parks.134 Nachdem Green die finanzielle Kontrolle über den Park erlangt hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich Olmsted und Vaux ganz aus dem Projekt zurückzogen. Green fand durchaus Gefallen an den ästhetischen Visionen der beiden Männer, befand aber, dass sie sich kostengünstiger verwirklichen ließen. Ebenso wie zuvor Olmsted, versuchte Green am Personal zu sparen. Die Entlassung von Mittelsmännern und Vorarbeitern, die Kürzung von Löhnen und die Zusammenlegung von Arbeitsprozessen sollte die Arbeit effektiver gestalten und zugleich die Ausgaben verringern. War Olmsted bei der Arbeiterschaft schon nicht sonderlich beliebt gewesen, so erzeugte Green mit seinem Beharren auf Sparmaßnahmen, die das Voranschreiten der Baumaßnahmen zu verlangsamen drohten, klassenübergreifend Missmut. In seiner Rolle als Rechnungsprüfer fing er einen Großteil der Kritik am Parkprojekt auf.135 Olmsted und Vaux begannen bald damit, sich anderen Projekten zu widmen und übergaben Green auch die gestalterische Macht. Dem leitenden Landschaftsgärtner, dem Österreicher Ignaz Pilát, gelang es auch unter der strengen Überwachung durch Green, weiterhin vorzugehen, wie es ihm beliebte. Die Ar-

133 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 180. 134 Zu den einschneidenden Sparmaßnahmen im Parkbau unter Green siehe Kapitel 7 „Andrew Green and the Model Park“, in: Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 180-205. 135 Ebd., 187. Green traf in seiner Funktion als staatlicher Kontrolleur fortwährend unpopuläre Entscheidungen. Sein Durchsetzungsvermögen und Engagement führten aber dazu, dass er immer wieder mit administrativen Aufgaben betraut wurde. Unlängst erschienen zwei Monografien, die sich um die Schreibung der Geschichte Greens in einem positiven Licht bemühen: Anita Klutsch, Andrew Haswell Green – The Father of Greater New York and his Dual Vision for a Cultivated and Consolidated Metropolis (Norderstedt: Books on Demand, 2012). Michael Rubbinaccio, New York’s Father is Murdered! The Life and Death of Andrew Haswell Green (Seattle: Pescara Publishings, 2013).

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beit von Pilát und seinen Männern war, was Central Park final zum Park werden ließ.136 Weit vor der Fertigstellung des Parks, kam es bereits im Sommer 1860 zu ersten Versuchen die Parknutzungsrechte einzuschränken. Eine protestantische Gruppe, das sogenannte Sabbath Committee, forderte die Schließung des Parks an Sonntagen, um die christliche Sonntagsruhe zu wahren. Ein Artikel aus der New York Times sprach sich am 29. Juni 1860 gegen eine solche Maßnahme aus: The fashionable classes, professional men, and people whose engagements give them some leisure every day, will visit the Park and use it for recreation on week days. But the great mass of our laboring classes are [sic] absolutely debarred from using it at all, unless they do so on Sunday.137

Ein sonntägliches Nutzungsverbot des Parks hätte eine klare Benachteiligung der Arbeiterklasse und der Armenbevölkerung bedeutet. Die Parkkommission, die das Projekt immer unter seinen demokratischen Gesichtspunkten beworben hatte, stellte sich dem dann auch entgegen. Als öffentlicher Platz sollte Central Park an allen Tagen im Jahr zugänglich sein. Auch den deutlich moderateren Forderungen des Committees – etwa musikalische Darbietungen zu unterbinden, oder den Verkauf und Verzehr von Erfrischungen wie Eiscreme und die Vermietung von Booten sonntags zu verbieten – wollte die Parkkommission nicht nachgeben. Die Kommissare argumentierten, dass Central Park allen Besuchern die gleichen Erholungsmöglichkeiten bieten solle – selbstverständlich im Rahmen der Sittlichkeit.138 Letztlich hätten Nutzungseinschränkungen und Sonntagsverbote aber auch eine Schmälerung der Parkerfahrung für die Elite bedeutet. Restriktionen, wie etwa das Sonntagsfahrverbot für Pferdewägen auf dem GreenWood Cemetery, wollte man sich im Central Park nicht auferlegen lassen. Für die wachsende leisure class139 galt es zu sehen und gesehen zu werden, und Vergnügungen, wie Karussellfahrten, Eislaufen und Konzerten unter freiem Himmel, war man auch an Sonntagen nicht abgeneigt.140

136 Annual Cyclopædia and Register of Important Events (1870), 577. Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 194. 137 „Sunday in the Central Park“, in: The New York Times (29. Jun. 1860). 138 Ebd. 139 Vgl. Thorstein Veblen, The Theory of the Leisure Class: An Economic Study of Institutions (New York: The Modern Library, 1934), 1. 140 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 222, 229-232.

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Der Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Thorstein Veblen beschreibt die Angehörigen der leisure class in seiner erstmals im Jahr 1899 erschienen Studie The Theory of the Leisure Class. Jene Mitglieder der Gesellschaft, die über ausreichend Kapital und entsprechend Freizeit verfügen, in welcher sie für andere sichtbar Luxusgüter konsumieren (conspicuous consumption), zählen für ihn zu dieser Schicht. Veblen legt in seiner Kritik an der leisure class einen Fokus auf die Verschwendung, die mit dem Geltungskonsum in Zeiten der zunehmenden Industrialisierung einhergeht. Er hält aber ebenfalls fest, dass die „feinen Leute“ kein Produkt des 19. Jahrhunderts sind. Die leisure class entwickelte sich durch die Ausdifferenzierung von Besitz und Eigentum bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt.141 Der Central Park als Produkt der Reformbemühung des 19. Jahrhunderts bot den Angehörigen der New Yorker Elite eine Bühne für ihre Selbstinszenierung. Zwar versprach ein Ausflug in den Park nicht die gleiche Erholung, die der eigene Landsitz bot, aber dort war eine öffentliche Zurschaustellung des eigenen Wohlstands unter wesentlich geringerem Aufwand und ohne den Verlust von häuslicher Privatsphäre möglich. Kleidung, Accessoires und allen voran die aufwändig gestalteten Kutschen zeugten vom eigenen Prestige. Central Park wurde durch Einwirken der Elite früh zu einem Ort der informellen Paradekultur. Pferdewagen reihten sich besonders an den Wochenenden und bei schönem Wetter wie Perlen auf einer Kette aneinander und umkreisten den Park; auch sehr zur Unterhaltung der Angehörigen der Arbeiterklasse. Für diese war Central Park zu dieser Zeit jedoch häufig Arbeitsplatz und nicht Erholungsraum: Kindermädchen fuhren den Nachwuchs der Elite dort aus, Gärtner pflegten die Anpflanzungen, Kutscher lenkten die „Paradewagen“ und Tagelöhner verdienten sich ein Zubrot durch den Verkauf von Erfrischungen.142 Neben Raum für die Schönwetterprozessionen der leisure class bot Central Park zudem die Möglichkeit, sich selbst ein Denkmal zu setzen und dies noch zu Lebzeiten. Spenden waren von der Parkkommission gern gesehen. Die Schenkungen von Statuen, Bänken und Tieren bedeuteten eine willkommene Kosten-

141 Veblen, The Theory of the Leisure Class, 1, 22, 68-101; dt. Übersetzung: Thorstein Veblen, Theorie der feinen Leute: Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen (Frankfurt/Main: Fischer Wissenschaft, 1986). Der Begriff leisure class wird in dieser Monografie für die Beschreibung der wohlhabenden Stadtbewohner New Yorks benutzt und synonym mit den Begriffen Elite, Oberschicht und the well-to-do verwendet. 142 Vgl. Matthews, Vignettes of Manhattan, 125-26. Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 222-224.

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ersparnis. Den Schenkenden brachten ihre Investitionen lobende Erwähnungen in den Jahresberichten der Parkkommission und anerkennende Berichterstattungen in den Zeitungen der Stadt ein. So löste etwa die Stiftung einer imposanten Statue Christopher Kolumbus’ durch den Händler und Kunstsammler Marshall O. Roberts ein nicht unwesentliches positives Medienecho aus. Für den Versuch, eine Bronze des ehemaligen Präsidenten Andrew Jacksons für dreißigtausend Dollar direkt an die Stadt New York, zur Nutzung in einem ihrer Parks, zu verkaufen, erntete der Bildhauer Clark Mills hingegen im Jahr 1863 nur Spott und Hohn. Central Park war ein Ort, den Mäzene zur Selbstdarstellung nutzten. Den Künstlern, die die Stiftungsobjekte fertigten, wurde vorerst nur wenig Anerkennung zuteil.143 Die Spenden der Wohlhabenden standen nicht im Gegensatz zur demokratischen Vision die Olmsted und Vaux für den Park hatten. Für Vaux war wahre Kunst inklusiv und entsprechend uneingeschränkt zugänglich. In Anlehnung an die Ausführungen Downings erklärte er: „The democratic element […] demanded of art to thrive in the open air, in all weathers, for the benefit of all, if it was worth any thing, and if not, to perish as a troublesome and useless encumbrance“.144 Der naturnahe Central Park barg das Potential, zum größten und demokratischsten Ausstellungsraum der Stadt zu werden – zu einem Ort der „echten Kunst“. Für Olmsted und Vaux verfügte der Park allerdings schon vor seiner Ausgestaltung mit Kunstwerken über demokratischen Charakter, allein aufgrund der Tatsache, dass er eine öffentliche Institution war. Central Park war ein kommunales Projekt, das in den Augen der Parkväter kulturelle Reserven für alle Teile der Bevölkerung und nicht nur die Wohlhabenden erschloss. Schon im Entstehungsprozess des Parks sah Vaux die Verwirklichung von demokratischen Idealen. Central Park war ein Produkt der Mühen aller Teile der Bevölkerung: Finanziert aus staatlichen Geldern und Anleihen durch die Elite, überwacht von Vormännern und Handwerksmeistern aus dem Mittelstand und geformt durch die Arbeitskraft der Unterschicht. Für Olmsted war Central Park eine Bühne, auf

143 „A Hero On Sale“, in: The New York Times (21. Jun. 1863). „Local Intelligence“, in: The New York Times (16. Aug. 1864). Seventh Annual Report of the Board of Commissioners of Central Park (New York: William Cullen Bryant, 1864), 53-57. „The Central Park: Gift of a Colossal Statue of Columbus by Hon. Marshall O. Roberts“, in: The New York Times (28. Mär. 1864). 144 Calvert Vaux, Villas and Cottages: A Series of Designs Prepared for Execution in the United States (New York: Harper & Brothers, 1857), 16.

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der Angehörige aller Klassen in Austausch miteinander traten. Jene, denen es an moralischem und geistigem Kapital mangelte, konnten dieses dort erlangen.145 Die Ausgestaltung des Parks mit Monumenten prominenter Persönlichkeiten und die Ausstattung der Menagerie mit Tieren aus den verschiedensten Ländern machten ihn in gewisser Weise zu einer kommunalen Bildungseinrichtung.146 Darüber hinaus ließen Schenkungen, wie etwa die von einem Dutzend Schwänen durch die Stadt Hamburg, den Park zu einem Symbol der internationalen Kooperation und Freundschaft erwachsen.147 Die New York Times berichtete im Herbst 1865 über die Bedeutung des Parks als Ort der Bildung und des Vergnügens für die Stadtbewohner: Arriving about noon we first did the honor of a call to the menagerie. [S]age old gentlemen with canes gave to admiring youngsters little titbits [sic] of natural history with pointed illustrations, and old ladies with numerous nerves and sensitive, stood very far from the bears, and the camels restraining the ardor of the younger ones, by whom the apple was yet untasted. Oh! [sic] curious little Eves!148

Olmsteds und Vauxs Stadtpark scheint in diesem Narrativ seine versprochene demokratische, ästhetische und pädagogische Funktion vollkommen zu erfüllen. Central Park wird darin als New York Citys wichtigster Erholungsort gefeiert. Auch Browne schreibt in The Great Metropolis über die wachsende Bedeutung des Ortes in der Stadtlandschaft.149 Er trifft in seiner Stadtgeschichte ähnlich ambivalente Aussagen über die Signifikanz des Central Parks wie Olmsted und Vaux. Auch für ihn ist der Park ein demokratischer Freizeitort, der letztlich aber

145 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 139. 146 Der britische Autor James Dawson Burn kritisiert in einem Bericht über seine Zeit in den Vereinigten Staaten Central Park. Für ihn bleibt dieser hinter den Erwartungen zurück. Sowohl als Bildungseinrichtung, als auch als pittoresker Landschaftspark, sei er den Parks in Europa unterlegen. Allerdings gesteht Burn auch ein, dass die Parkentwicklung in New York City noch nicht abgeschlossen sei und entsprechend Hoffnung auf Besserung bestehe. James Dawson Burn, Three Years among the Working-classes in the United States during the War (London: Smith, Elder and Co., 1865), 126-128. 147 Vgl. First Annual Report of the Improvement of the Central Park, (New York: Chas. W. Baker, 1857), 102. Olmsted & Kimball, Frederick Law Olmsted, 55. 148 „The Central Park: Autumnal Appearance of the Park – The Visitors on Saturday – The Carriages and their Occupants“, in: The New York Times (16. Okt. 1865). 149 Browne, The Great Metropolis, 121-28.

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von den Interessen und ästhetischen Vorlieben der Elite dominiert wird. Was Central Park in der Interpretation dieser Männer demokratisch macht, ist, dass seine Pforten allen offen stehen. Es ging nicht um jedermanns Mitbestimmung, sondern um Duldung von Anwesenheit. Die große Entfernung des Parks von den Elendsvierteln im Süden Manhattans machte aber selbst diese nicht notwendig. Die wirklich Armen blieben dem Park vorerst gezwungener Maßen fern. Es gab für sie kaum eine Möglichkeit, diesen kostengünstig und ohne größere Umstände zu erreichen. Die finanziell bessergestellten Angehörigen der Arbeiterschaft putzten sich für ihre wochenendlichen Besuche Central Parks soweit heraus, dass sie auch zur Mittelklasse hätten zählen können: The crowd was cosmopolitan and unhurried. For the most part it was good-natured and well-to-do [sic]. There was no beggar to be seen; there was no appealing poverty. Fathers and families were there in abundance, well-fed and well-clad, […] There was a general air of prosperity gladly displaying itself in the sunshine; the misery and the want and the despair of the great city were left behind and thrust out of mind.150

Central Park, das machen schon Rosenzweig und Blackmar in ihrer gemeinsam verfassten Monografie The Park and the People151 deutlich, war kein demokratischer Ort. Seine Entstehung basierte auf oligarchischen Machtverhältnissen, die sich rhetorisch in ein demokratisches Gewand kleideten. Die ersten erfolgreichen Jahre seines Betriebs ließen den Park zudem zu einer rhetorischen Waffe in den Händen der Landspekulanten auf Manhattan Island werden. Der Raumhunger der Metropole drohte viele der kleineren Erholungsorte der Stadt zu verschlingen, die sich auf Grund und Boden befanden, der immer teurer wurde und der nach der Eröffnung des grandiosen Central Parks nun nicht mehr unbedingt für die Freizeitgestaltung benötigt wurde, so zumindest die Argumentation: Altogether, we have as many as twenty squares or parks; but a number of these are private, and others are being converted to business uses, which is not greatly to be regretted, since we have the Central, including and overshadowing all. The best-known, exclusive of the Central, are the City Hall, Union, Madison, Stuyvesant, Washington, Tompkins, Gramercy and Manhattan.152

150 Matthews, Vignettes of Manhattan, 123-24. 151 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 211-59. 152 Browne, The Great Metropolis, 121.

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In der Geschichtsschreibung New York Citys wird Central Park zu Recht als herausragender Freizeitort dargestellt. Seine schiere Größe und der investierte Arbeitsaufwand lassen andere urbane Erholungsorte im Vergleich in den Hintergrund treten. Der Park erfüllte jedoch seine propagierte Funktion als demokratischer Freizeitort bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein nicht. Andere kleinere Stadtparks, die bereits vor der Einrichtung des Central Parks Bestand hatten, zeichneten sich – sowohl in ihrer Genese, als auch in ihrer Nutzung – durch einen wesentlich demokratischeren Charakter aus als der oligarchische Großpark.

3. Spaces of Spectacle New York Citys Armenfriedhöfe als Freizeitorte

Die Plätze, die später Washington Square, Madison Square, City Hall Park und Reservoir Square (heute Bryant Park) wurden, erlangten erstmals Bedeutung für die Stadtlandschaft New Yorks, als die vier Freiflächen als Armenfriedhöfe ausgewiesen wurden. Ähnlich wie Green-Wood Cemetery waren sie mehr als nur Orte der Trauer und des ewigen Schlafes – sie boten Raum für Spektakel, Austausch und Spiel. Die designierten potter’s fields wurden aus verschiedenen Gründen zum Freizeitort. Das massive Stadtwachstum, sich wandelnde medizinische Diskurse, aber auch Veränderungen innerhalb der Bestattungskultur New York Citys trugen zu ihrem Bedeutungswandel bei.

3.1 Golgotha in Greenwich Village. Die turbulente Vergangenheit des Washington Square Parks Washington Square Park gehört zu den in vielerlei Hinsicht umkämpften Plätzen New Yorks. Für den Kulturhistoriker Thomas Bender zählt der Park neben der Brooklyn Bridge und der Skyline zu den icons of transformation auf Manhattan Island. Laut Bender sind „Ikonen der Transformation“ jene Orte und Strukturen, die einen Moment der Stadtentwicklung repräsentieren, in dem die Stadt etwas Neues wird oder darin versagt. Die genaue Betrachtung dieser Orte oder Strukturen hilft dabei, die Komplexität der Stadtentwicklung zu erfassen, da sich in ihnen die Vergangenheit, mit der Gegenwart und der imaginierter Zukunft verwebt.1

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Thomas Bender, The Unfinished City: New York and the Metropolitan Idea (New York: New York University Press, 2002), 4-5. Bender setzte sich mehrfach mit

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Besondere Prominenz erlangten die Auseinandersetzungen, um eine mögliche Umgestaltung des Washington Square Mitte der 1950er-Jahre. Der Vorschlag des Stadtplaners Robert Moses zur Erweiterung der Fifth Avenue gen Süden und eine daraus resultierende Teilung des Parks lösten heftige Proteste der Anwohner aus. Moses’ Vision eines neuen New Yorks sah breite Straßen und eine Neuordnung verschiedener Stadtviertel vor. Slums sollten geräumt, alte Gebäude abgerissen und durch moderne Strukturen ersetzt werden. In Greenwich Village allerdings, wo er eine derartige Bereinigung anstrebte, bestand dafür in den Augen der Bewohner aus der gehobenen Mittelschicht keinerlei Notwendigkeit. Die einflussreiche Architekturkritikerin Jane Jacobs wurde zum Sprachrohr der Freunde des Washington Square Parks und pries dessen Geschichte und die Lebensqualität in der Umgebung. Jacobs und ihre Unterstützer führten eine von Erfolg gekrönte medienwirksame Kampagne, um den Park in seiner alten Form zu bewahren.2 Die Argumentation für den Erhalt von Washington Square in den 1950erJahren bezog dessen große Vergangenheit mit ein. Der Schriftsteller Henry James hatte dem Park mit dem gleichnamigen Fortsetzungsroman in Harper’s New Monthly Magazine, schon 1880 ein literarisches Denkmal gesetzt.3 James’ Geschichte spielt im New York der 1840er- und 1850er-Jahre, also in der Zeit, die die Geburt des ersten Washington Square Parks sah.4 Die Geschichte des Platzes und dessen Nutzung als Erholungs- und Freizeithort reichen allerdings

Washington Square auseinander. Sein Aufsatz „Washington Square in the Growing City“ wurde erstmals im Jahr 1982 im von der Kunsthistorikerin Mindy Cantor herausgegeben Sammelband Around the Square veröffentlicht. Eine überarbeitete Version erschien 1993 in Greenwich Village: Culture and Counterculture, bevor Bender den Essay im Jahr 2002 in sein Buch The Unfinished City aufnahm. Vgl. Thomas Bender, „Washington Square in the Growing City“, in: Mindy Cantor (Hg), Around the Square 1830-1890: Essays on Life, Letters, and Architecture in Greenwich Village (New York: New York University, 1982), 30-39. Thomas Bender, „Washington Square in the Growing City“, in: Rick Beard & Leslie Berlowitz (Hg.), Greenwich Village: Culture and Counterculture (New Brunswick: Rutgers University Press, l993), 27-35. 2

Anthony Flint, Wrestling with Moses: How Jane Jacobs Took on New York’s Master Builder and Transformed the American City (New York: Random House, 2009), 6162, 85.

3

Vgl. Henry James, Novels 1881-1886: Washington Square, The Portrait of a Lady, The Bostonians (New York: The Library of America, 1985), 1-189.

4

Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1817.

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noch weiter zurück. Das Areal, auf dem sich der heutige Washington Square Park befindet, erlebte im Laufe der Zeit verschiedene Verwendung. Das sumpfige Gebiet nahe Greenwich Village wurde vom Bach Minetta mit Wasser gespeist und diente zuerst den auf der Insel beheimateten Native Americans als Sommersitz. Unter holländischer Herrschaft wurde das Land von ehemaligen Sklaven bewirtschaftet, bevor Schwarze unter britischer Kolonialherrschaft ihr Recht auf Landbesitz verloren und das Gebiet Mitte des 18. Jahrhunderts vom britischen Admiral Sir Peter Warren aufgekauft wurde.5 Bis Ende des 18. Jahrhunderts sollte es recht still um das ehemalige Farmland werden. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte es erst wieder als jenseits der Bebauungsgrenze von New York City ein neuer Armenfriedhof angelegt werden sollte. Am 7. April 1797 kaufte die Stadt zu diesem Zweck Land östlich des Minetta Brook.6 Damit war das Areal, auf dem sich heute der Washington Square Park befindet, zum ersten Mal seit der holländischen Kolonialzeit wieder in Gemeindebesitz. Und auch im Bewusstsein des westlich gelegen Greenwich Village und der südlich gelegenen aufstrebenden Handelsstadt New York City erlangte der Platz an Bedeutung. Schon kurz nach dessen Erwerb durch die Stadt kam es zu ersten Protesten der Elite gegen die Anlage eines Friedhofs an dieser Stelle. In einem Memorandum, das unter anderen der Gründervater Alexander Hamilton und mehrere Mitglieder der einflussreichen Ludlow-Familie unterzeichneten, gab man zu bedenken, dass der neue Armenfriedhof nicht weit genug von der Stadt und ihren Vororten entfernt sei und in wenigen Jahren innerhalb der Stadtgrenzen liegen würde. Von noch größerer Bedeutung war jedoch, dass viele der Unterzeichner der Petition in der Nähe von Greenwich Village ihre Sommersitze errichtet hatten oder noch zu bauen gedachten und einen massiven Wertverlust ihrer Grundstücke in Folge der Anlage des potter’s fields befürchteten. So bot man der Stadtregierung im Laufe des Sommers 1797 mehrfach an, an anderer Stelle Land zu kaufen und dieses der Corporation zum Geschenk zu

5

Burrows & Wallace, Gotham, 32-33. Emily Kies Folpe, It Happened on Washington Square (Balitmore: Johns Hopkins University Press, 2002), 55. Joan H. Geismar, Washington Square Park: Phase 1A Archeological Assessment (New York: New York City Department of Parks and Recreation, 2005), 5.

6

Das Land westlich des Flusses blieb in Privatbesitz. Sowohl auf dem potter’s field, als auch auf dem benachbarten Grundstück wurden Gebäude errichtet. 1797 ordnete die Stadt den Bau eines Hauses für den Friedhofsaufseher an. Dieses wurde aus den Abrissmaterialien des alten Armenhauses der Stadt errichtet. Außerdem wurde ein Brunnen auf dem Grundstück eingelassen. Geismar, Washington Square Park, 7. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol 5, 1339, 1342, 1345.

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machen, so dass dort der neue Armenfriedhof entstehen möge. Die Stadtregierung unter Bürgermeister Richard Varick lehnte diese Vorschläge allerdings ab und der Friedhof wurde angelegt wie zuvor geplant.7 Einen ersten Härtetest hatte das potter’s field nur ein Jahr später zu bestehen. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde Manhattan Island wiederkehrend von Gelbfieber heimgesucht. Die Epidemie des Jahres 1798 hatte schwerwiegende Folgen. Mehr als zweitausend der schätzungsweise 55.000 Bewohner New York Citys starben damals.8 Ein Großteil der Opfer wurde auf dem neuen Gemeindefriedhof begraben9 und verlieh dem Ort damit eine neue kulturelle Relevanz. In einer Ansprache während der Festlichkeiten zum 53. Jubiläum der New York Historical Society am 17. November 1857 hieß es: „[Washington Square] is known to you all to have been our Golgotha during the dreadful visitations of the Yellow Fever […], and many a victim of the pestilence of prominent celebrity, was consigned to that final resting place […]“.10 Und so schreibt auch Bender in seiner Aufsatzsammlung The Unfinished City: „Washington Square was born in death.“11 Er spielt mit dieser Aussage auf die Genese des Parks aus einem Friedhof heraus an. Und erwähnt nebenbei, dass sich auch das erste Staatsgefängnis New Yorks nur unweit vom Friedhof befunden hatte. In Benders Narrativ setzt die Wende hin zum Erholungsort und Freizeitraum mit der Stilllegung des Friedhofs ein.12 Seinem Blick entzieht sich, dass nicht nur die Angehörigen der Mittel- und Oberschicht über ein distinktives Freizeitverhalten verfügten, sondern durchaus auch die Angehörigen der Unterschicht und Arbeiterklasse, welche bestimmte Formen der Freizeitgestaltung und Unterhaltung präferierten und praktizierten.

7

Stokes, The Inconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1340.

8

James Hardie, An Account of the Yellow Fever, which Occurred in the City of NewYork, in the Year 1822 (New York: Samuel Marks, 1822), 8. Der Zensus für das Jahr 1790 gab für New York City (Manhattan) knapp 33.000 Einwohner an, jener von 1800 circa 60.000. Unter Berücksichtigung der sich daraus ergebenden Wachstumsrate von etwas mehr als 80%, lässt sich die Einwohnerzahl im Jahr 1798 auf 55.000 schätzen. Vgl. „Population of New York City Boroughs (as Defined by Consolidation of 1898), 1790-2000“, in: Jackson (Hg.), Encyclopedia of New York City, 1019.

9

„Epidemics in New York“, in: The New York Times (16. Feb. 1896).

10

John W. Francis, A Discourse in Commemoration of the Fifty-third Aniversary of the New York Historical Society (New York: John F. Trow, 1857), 18.

11

Bender, The Unfinished City, 6.

12

Vgl. Ebd., 6-7.

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Washington Squares Nähe zum Newgate Prison13, das ab 1796 gebaut und 1797 eröffnet worden war, wirkte sich auf den Unterhaltungswert aus, der diesem Ort besonders (aber nicht nur) in der Unterschicht zugeschrieben wurde. Newgate entstand unter den neuen Strafgesetzverordnungen von New York State.14 Demnach waren nur noch Mord, Brandstiftung und Hochverrat mit dem Tod zu bestrafen. Alle anderen Vergehen konnten durch unterschiedlich gestaffelte Geld- oder Haftstrafen abgegolten werden.15 Schon kurz nach seiner Eröffnung wurde Newgate zu einem Auffangbecken für immer mehr Gefangene mit den unterschiedlichsten Hintergründen aus allen Teilen des Bundesstaates.16 Frauen, Männer, straffällig gewordene Jugendliche und Geisteskranke mussten gemeinsam untergebracht werden. Dementsprechend hoch war das Konfliktpotential und es kam immer wieder zu gewaltsamen Aufständen und Brandstiftungen hinter den Gefängnismauern. Besonders verheerend war ein Aufstand im Juni 1818. Dieser machte ein Eingreifen des Militärs notwendig. In Folge dieses Aufstands wurden körperliche Züchtigung und auch Hinrichtungen in der Nähe des Gefängnisses zugelassen. Auf Brandstiftung im Gefängnis stand die Todesstrafe.17 Die Hinrichtungen der Insassen von Newgate erfolgten vorerst außerhalb der Gefängnismauern. Das potter’s field, das die Stadt in Laufweite des Gefängnisses erworben hatte, wurde zu einem der Exekutionsschauplätze. Der Autor

13

Bei der planmäßigen Aufnahme des Gefängnisbetriebs 1797 war der Bau noch nicht abgeschlossen. Die Insassen wurden in den schon fertigen Räumen zusammengepfercht, bis die Bauarbeiten ihren Abschluss fanden. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1347, 1348.

14

Einen knappen Überblick über die Strafrechtsreform innerhalb der verschiedenen Staaten der USA Ende des 18. Jahrhunderts findet sich in der von Historiker Louis P. Masurs verfassten Monografie Rites of Execution: Louis P. Masur, Rites of Execution: Capital Punishment and the Transformation of American Culture, 17761865 (New York: Oxford University Press, 1989), 71-92.

15

W. David Lewis, From Newgate to Dannemora: The Rise of the Penitentiary in New York, 1796-1848 (Ithaca: Cornell University Press, 1965), 1-2, 29-30.

16

Newgate war eines von zwei geplanten Gefängnissen des Bundesstaates New York. Im Februar 1797 erfolgte die Entscheidung gegen den Bau des zweiten Staatsgefängnisses. Dieses hätte im Norden, in der Nähe von Albany, gebaut werden sollen. Stokes, The Icononography of Manhattan Island, Vol. 5, 1337.

17

Lewis, From Newgate to Dannemora, 37-38, 45, 46.

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Charles Hemstreet berichtet in Nooks and Corners of Old New York knapp über Hinrichtungen und Bestattungen von Gefangenen auf dem Armenfriedhof.18 Hemstreets Ausführungen sagen allerdings nichts darüber aus, wie sehr diese Exekutionen in New York City die Alltagskultur der Stadt prägten. Zeitzeugenberichte und Reportagen verdeutlichen, dass öffentliche Hinrichtungen bis Mitte der 1830er-Jahre eine beliebte Form der Unterhaltung waren. Exekutionen wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer populärer. Das hing unter anderem mit einer veränderten Verbrechensberichterstattung zusammen. Waren es früher die religiösen Galgenpredigten, die knapp über Straftat und Bestrafung informierten, so wurden nun säkulare Reportagen verfasst, die weitläufig zirkulierten und die Verbrechen en détail abhandelten. Die amerikanische Historikerin Karen Halttunen spricht in diesem Zusammenhang in ihrer Monografie Murder Most Foul von der „Geburt des Horrors“ und der „Pornografie der Gewalt“. Neue literarische Formen stillten die Sensationslust der Mittelklasse und Oberschicht, für deren Angehörige es gesellschaftlich immer weniger akzeptabel wurde, von Grauen und Gewalt fasziniert zu sein.19 Im Jahr 1835 legte ein Staatsgesetz fest, dass Hinrichtungen nur noch hinter den Gefängnismauern oder auf dem Gefängnishof stattfinden durften. Als Zeugen waren von da an lediglich Bezirksangestellte, direkte Verwandte des Gefangenen, einige Geistliche und maximal zwölf Bürger zugelassen.20 Bis dahin hatte die Exekutionen von bekannten Kriminellen oft ein großes Publikum angezogen. Vor den Hinrichtungen war es den Schaulustigen gestattet, Fragen zu stellen und im Anschluss durften die Körper der Hingerichteten begutachtet werden.21 Für relativ lange Zeit fanden Exekutionen auf Manhattan Island an der Stelle statt, an der heute das Rathaus – City Hall – steht. Die Bewohner dieser Gegend setzten sich bereits im Jahr 1784 für eine Verlegung der riesigen Spektakel ein. Die Menschenaufläufe während der Hinrichtungen verursachten nicht unwesentliche Schäden an ihren Grundstücken.22

18

Charles Hemstreet, Nooks and Corners of Old New York (New York: Charles Scribner’s Sons, 1899), 114.

19

Vgl. Jürgen Martschukat, Die Geschichte der Todesstrafe in Nordamerika (München: C.H. Beck, 2002), 40. Halttunen, Murder Most Foul, 33, 60, 89.

20

Michael J. Pfeifer, Rough Justice: Lynching and American Society, 1874-1947 (Chicago: University of Illinois Press, 2004), 220.

21

Stuart Banner, The Death Penalty: An American History (Cambridge: Harvard University Press, 2003), 26.

22

Ebd.

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Der Armenfriedhof, der in drei Kilometern Entfernung vom vorherigen Exekutionsplatz lag, bot genug Raum für die Schaulustigen und war von New York City aus, zu Schiff und auch zu Fuß über den Broadway, gut erreichbar. Nicht nur aus Manhattan, sondern auch aus dem nahe gelegenen Greenwich Village kamen die Menschen zum potter’s field, wo sie nicht nur ihr Unterhaltungsbedürfnis befriedigten, sondern durch den Verkauf von Speisen und Getränken auch einen kleinen Zuverdienst erzielten. Die von weiter weg angereisten Schaulustigen nahmen das Angebot an Erfrischungen gerne an: Limonaden, heißer Mais und andere Kleinigkeiten gab es zu kaufen.23 Der Verkauf von Erfrischungen an das Publikum verlieh den Hinrichtungen abseits der Exekutionsrituale Volksfestcharakter. Die letzte öffentliche Hinrichtung auf dem potter’s field nahe Greenwich fand im Jahr 1819 statt. Rose Butler, eine junge Schwarze, wurde dort für Brandstiftung gehängt.24 Die englische Missionarin Dorothy Ripley, die sich für eine bessere Behandlung von Sklaven einsetzte, begleitete Butler in ihren letzten Stunden. In An Account of Rose Butler hielt Ripley ihre Erfahrungen und die Geschehnisse fest. Sie legt den Fokus in ihrer kurzen und dennoch ausführlichen Erzählung auf die unmenschlichen Aspekte der Todesstrafe. Ihre Beschreibung der Kulisse in der Butler letztlich gehängt wurde, gibt Aufschluss darüber, wie stark öffentliche Exekutionen New York City zu Beginn des 19. Jahrhunderts kulturell formten. Mehr als zehntausend Schaulustige hatten sich am Tag der

23

Greenwich Village durchlief während des 18. und 19. Jahrhunderts mehrere Transformationen. Das Dorf, welches sich unweit New York Citys befand, hatte seine Wurzeln ebenfalls in der holländischen Kolonialzeit. Im 18. Jahrhundert entdeckten immer mehr wohlhabende New Yorker den Ort für sich und erwarben in dessen Nähe große Grundstücke die sie urbar machten, um ihre Landsitze zu errichten. Die Großgrundstücke mit ihren Herrenhäusern bestimmten das Bild Greenwichs für lange Zeit, jedoch kam es im Laufe der Jahrzehnte immer wieder zu Grundstücksaufteilungen oder Verkäufen kleinerer Parzellen – etwa wenn Familien in finanzielle Notlagen gerieten. An die Stelle der großen Sommersitze traten so sukzessive kleine Farmen, die das beständig wachsende Greenwich und das benachbarte New York mit landwirtschaftlichen Produkten versorgten. Vgl. Eric Homberger, New York City: A Cultural and Literary Companion (Oxford: Signal Books, 2002), 100-107. Thomas A. Janvier, In Old New York: A Classic History of New York City (New York: St. Martin’s Press, 2000), 114-18.

24

Folpe, Washington Square, 62.

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Hinrichtung auf dem Armenfriedhof eingefunden. Diese wurden von Soldaten und Polizei – zu Fuß und zu Pferde – überwacht.25 Der Historiker und Autor Thomas Janvier berichtet in seiner Stadtgeschichte New Yorks, die erstmals 1894 veröffentlicht wurde, von einem Bekannten. Dieser hatte sich als Kind aus dem Haus geschlichen, um der Hinrichtung Butlers beizuwohnen. Noch ganz benommen vom Spektakel erzählte der Junge dann daheim davon und handelte sich eine Tracht Prügel wegen Ungehorsams ein.26 In der Zusammenführung der beiden Geschichten zeigt sich der ambivalente Charakter der Hinrichtungsspektakel: von Teilen der Bevölkerung als Barbarei deklariert und entsprechend abgelehnt, verführten diese dennoch ein großes Publikum zur Teilnahme. Tage an denen Hinrichtungen stattfanden, besaßen einen volksfestlichen Charakter und waren zugleich von sozialer Angst geprägt. Die Spektakel stellten das fragile soziale urbane Gefüge New Yorks auf die Probe.27 Die Exekution Butlers unterschied sich allerdings in vielerlei Hinsicht von den üblichen Hinrichtungen in New York. Ripley war es gelungen, Sonderbehandlungen auszuhandeln und durchzusetzen. Butler wurde nicht, wie sonst üblich, in einem offenen Wagen zum Galgen gebracht, sondern in einer geschlossenen Kutsche. Außerdem sorgte Ripley dafür, dass Butler bis zu ihrer Hinrichtung medizinisch versorgt wurde und religiösen Beistand erhielt und überzeugte den ausführenden Sheriff davon, mit dem Binden der Fesseln bis kurz vor der Exekution zu warten.28 Nachdem Butler ihren Tod am Galgen gefunden hatte, versuchte Ripley eine Predigt zu halten – doch niemand wollte ihre Ansprache hören.29 In ihrer Nacherzählung der Ereignisse erinnert sie sich zudem an den Missmut, den sie auf sich gezogen hatte, weil sie Vergünstigungen für Butler ausgehandelt hatte.30

25

Dorothy Ripley, An Account of Rose Butler, Aged Nineteen Years, Whose Execution I Attended in the Potter’s Field (New York: John C. Totten, 1819), 8.

26

Janvier, In Old New York, 130, 133. Janvier datiert im Buch die Hinrichtung irrtümlich auf das Jahr 1822 und führt an, dass die junge Schwarze wegen Mordes gehängt worden sei. Er beruft sich dabei auf die Aussage von zwei seiner Bekannten.

27

Vgl. Tudesq, Les Grands Notables, 992, 1236.

28

Ripley, An Account of Rose Butler, 5-8.

29

Ebd. 8.

30

Ripleys Augenzeugenbericht von der Hinrichtung spiegelt diverse gesellschaftliche Problematiken des New Yorks des 19. Jahrhunderts wieder. Sklaverei, Geschlechterrollen, Religiosität, Moral und die Signifikanz von Bestrafungen in der Gesellschaft werden reflektiert. Vgl. Laceye C. Warner, Saving Women: Retrieving Evangelistic Theology and Practice (Waco: Baylor University Press, 2007) 50-55.

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Sowohl Ripleys Darstellung von Rose Butlers Hinrichtung als auch die knappe Anekdote in Janviers Buch lassen erkennen, dass die Schaulustigen gleichzeitig gebannt und ehrfürchtig waren, dass aber über all dem auch ein Gefühl von Gefahr schwebte. Das riesige Aufgebot an Soldaten und Polizisten, das Ripley beschreibt, macht deutlich, dass die Menschenaufläufe während der Exekutionen die Behörden nervös machten. Der Historiker Louis P. Masur bespricht in seiner Monografie Rites of Execution ganz konkret einige Fälle, in denen sich die Schaulustigen mehr oder minder stark in das Geschehen einmischten, oder im Nachhinein ihren Unmut Kund taten.31 Die Hinrichtung des Mörders John Young in New York City am 17. August 1797 war einer dieser Fälle. Young war nach dem Mord an Hilfssheriff Robert Barwick zum Tode verurteilt worden.32 Barwick versuchte, Young wegen seiner Schulden zu verhaften33, Young widersetzte sich der Festnahme, tötete den Hilfssheriff und floh – konnte allerdings kurz darauf festgenommen werden. Dem Prozess gegen den vom Pech verfolgten Geschäftsmann Young wurde großes öffentliches Interesse zuteil. Dies sollte sich auf die Ereignisse am Tag seiner Hinrichtung auswirken. Gouverneur John Jay entsandte auf Bitten des Sheriffs hin Truppen nach New York City, um den reibungslosen Ablauf der Exekution zu gewährleisten und mögliche Rettungsversuche im Keim zu ersticken. Weiterhin verlegte man die Hinrichtung kurzfristig vom potter’s field auf eine Freifläche in der Nähe des Krankenhauses, in dem Youngs Leichnam pathologisch untersucht werden sollte. Die Nachwehen des Doctors Riot aus dem Jahr 1788, als Mediziner des Leichenraubs zu Forschungszwecken überführt wurden, waren noch deutlich spürbar.34 Um öffentlichen Protesten zuvor zu kommen beschloss

31

Masur, Rites of Execution, 45.

32

Wilfred J. Ritz, American Judical Proceedings First Printed before 1801: An Analytical Bibliography (Santa Babara: Greenwood Press, 1984), 68-69.

33

Zur Debatte über die Abänderung der Schuldengesetzgebung innerhalb der USA im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert siehe: Bruce H. Mann, Republic of Debtors: Bankruptcy in the Age of American Independence (Cambridge: Harvard University Press, 2002), 103-108.

34

1788 war es zu gewalttätigen Aufständen in New York gekommen, nachdem zum Vorschein kam, dass Mediziner und Medizinstudenten nicht nur heimlich die Leichen auf afroamerikanische Friedhöfen exhumierten, um an diesen anatomische Untersuchungen durchzuführen, sondern auch vor denen der weißen Bevölkerung nicht Halt machten. Das Krankenhaus der Stadt wurde von einem wütenden Mob gestürmt. In den folgenden Tagen kam es zu weiteren Ausschreitungen, die mit militärischer Gewalt niedergeschlagen werden mussten. In Folge des Doctors Riot wurde

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man, Youngs Körper für kurze Zeit auf dem neuen Armenfriedhof zu begraben, ihn nachts zu exhumieren und schließlich den Chirurgen zur Untersuchung zu übergeben. Mehrere Tausend Schaulustige hatten sich zur Exekution Youngs eingefunden. In einem Artikel in der Zeitschrift Greenleaf’s New-York Journal and Patriotic Register vom 19. August war gar von 10.000 Zuschauern die Rede. Beschreibungen der Publikumsreaktion deuten auf eine getragene, wenig ausgelassene Stimmung hin. Einige Zeitgenossen wussten dies mit der militärischen Überpräsenz am Tag der Hinrichtung zu erklären.35 Die Kontroverse um die öffentliche Hinrichtung Youngs wie auch die Beschreibungen der Exekution Butlers lassen darauf schließen, dass diese Veranstaltungen im sozialen und kulturellen Leben der Stadt einen wichtigen Stellenwert hatten. Leider enthalten die Presseberichte und literarischen Aufarbeitungen der öffentlichen Hinrichtungen auf Manhattan Island wenig Informationen zu den genauen Hinrichtungsorten. In ihrer archäologischen Untersuchung des Washington Squares kommt Joan Geismar zu dem Schluss, dass seine Bedeutung als Schauplatz für Exekutionen zu vernachlässigen sei. Sie stützt sich in ihren Ausführungen darauf, dass von den neun staatlich dokumentierten Exekutionen im Zeitraum von 1797 bis 1824 sieben klar zu verorten seien und diese – bis auf jene von Rose Butler – nicht auf dem potter’s field stattgefunden hätten. Dass es innerhalb von fast dreißig Jahren auf Manhattan nur neun Hinrichtungen gegeben haben soll, ist jedoch zu bezweifeln. Die Frage nach dem Ort der Hinrichtung von Sklaven oder von Native Americans, die es ebenfalls gab, wurde von Geismar ebenso wenig gestellt, wie jene nach Exekutionen, die nicht unter Staatsrecht erfolgten.36 In einem Artikel zu Ehren des 100. Geburtstags des einflussreichen Industriellen Peter Cooper fasst Lloyd Bryce, der Ehemann von Coopers Enkeltochter,

ein neues Staatsgesetz verabschiedet, das die Exhumierung von Leichen ohne Genehmigung unter Strafe stellte und zugleich festlegte, dass die Leichen hingerichteter Krimineller an die Mediziner zur Untersuchung zu übergeben waren. Vgl. John Tyler Headley, The Great Riots of New York, 1712 to 1873 (New York: Dover, 1971), 56-65. 35

Masur, Rites of Execution, 46. Steven Wilf, Law’s Imagined Republic: Popular Politics and Criminal Justice in Revolutionary America (Cambridge: Cambridge University Press, 2010) 183-91.

36

Geismar, Washington Square, 27. Vgl. Jeannine Marie DeLombard, In the Shadow of the Gallows: Race, Crime, and American Civic Identity (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2012), 295.

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die Erinnerungen des Geschäftmanns aus jener Zeit, als Washington Square noch ein Armenfriedhof war, zusammen. Bei einem Spaziergang im Park erinnert sich Cooper daran, dort Zeuge der Hinrichtung eines Diebes geworden zu sein: „The recollection has chased me through my life like a nightmare […] and whenever I look up I see him hanging, his head bent over on one side. There he remained for several hours, with the jeering crowd about him“.37 Als Cooper sich an die Hinrichtung und die tobende Menschenmenge erinnert, fallen ihm weitere Begebenheiten ein. So berichtet er auf dem Weg durch den Park von zwei Schwarzen, die durch öffentliches Auspeitschen bestraft werden sollten. Der mit der Ausführung beauftragte Beamte ordnete an, dass die Männer sich abwechselnd gegenseitig zu züchtigen hätten. Cooper hatte geglaubt, dass dieses Arrangement eine mildere Bestrafung zur Folge hatte – doch er wurde eines Besseren belehrt. Die Situation eskalierte, als einer der Männer mit zu großer Wucht zuschlug und sein Gegenüber daraufhin Rache übte – jeder Peitschenhieb war fester als der vorherige. Cooper beschreibt Washington Square weniger als den Armenfriedhof, der er zu diesem Zeitpunkt war, sondern vielmehr als einen Schauplatz von Hinrichtungen und Züchtigungen. Er sieht die eher laxe Verwaltung New York Citys in der damaligen Zeit als Ursache für die Auswüchse.38 Die Aussagen die der zum Zeitpunkt seines Gesprächs mit Bryce neunzigjährige Cooper über den fragwürdigen und wankelmütigen Charakter des New Yorks seiner Jugend traf, fügen sich nahtlos in die Geschichtsschreibung über jene städtischen Orte ein, die Platz für die moralisch verwerfliche Aktivitäten und Amüsements aller gesellschaftlichen Schichten boten. Der zukünftige Washington Square war einer dieser Orte. Ashby verdeutlicht in With Amusement for All am Beispiel des Turmspringers Sam Patch, wie Unterhaltungsformen im frühen 19. Jahrhundert vom Boden der Gesellschaft ihren Weg nach oben antraten. Er schreibt von der Entstehung einer neuen Form des Ruhmes des Einzelnen, der weniger mit politischer und ökonomischer Leistung und Moral verknüpft war, sondern vielmehr mit Spektakel und Amüsement.39 Die Erregung öffentlichen Aufsehens wurde zur Quelle von Ruhm und Prestige. Doch nicht nur die karnevalesken Inszenierungen wagemutiger Sportler und Schausteller erlebten eine Popularisierung von unten durch alle Gesellschaftsschichten. Auch öffentlichen Hinrichtungen gelang es im Laufe der Zeit ein immer größeres und heterogeneres Publikum anzuziehen.

37

Peter Cooper in: Lloyd Bryce, „The Example of a Great Life”, in: The North American Review (April 1891), 420.

38

Ebd., 421.

39

Ashby, With Amusement for All, 8-10.

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In einer Nacherzählung seines sechsjährigen Aufenthalts in den Vereinigten Staaten schreibt der schottische Autor Peter Neilson über die Hinrichtung des Mörders John Johnson,40 die er im Jahr 1824 in New York City miterlebt hatte. Darin betont Neilson, dass in den Vereinigten Staaten weniger Hinrichtungen als in England stattfanden. Deshalb, so vermutete er, lockten sie ein viel größeres Publikum an. Er berichtet von 50.000 Schaulustigen am Tag der Exekution in New York City.41 Viele davon waren zu Neilsons Überraschung weiblich und gehörten offensichtlich der Oberschicht an. Verwundert erkundigten er und eine schottische Bekannte sich, ob diese Wahrnehmung denn richtig gewesen sei und eine junge New Yorkerin bestätigt, dass viele der feinen Damen der Stadt Hinrichtungen beiwohnten, wenn sie auch währenddessen ihre Kutschen nicht verließen.42 Mit dieser Aussage konfrontiert kommt Neilson zu folgendem Schluss über den Charakter der Frauen der Stadt: Far it be from me to surmise that dove-eyed pity for suffering humanity, resides not in the bosoms of the fair daughters of Columbia; but everything in the nature of a parade or show, carries a charm along with it, which it would appear the damsels of New York have not the fortitude to resist.43

Neilson traf diese Aussage über die offensichtliche Vergnügungssucht der New Yorker Frauen aus seiner Position als Außenstehender, der für ein europäisches Publikum schrieb. Letztlich ließen sich aber fast alle Teile der Bevölkerung von einer Hinrichtung locken. Die Exekution Johnsons brachte mehr als ein Drittel der Stadtbewohner auf einer Freifläche in der Nähe der St. Mark’s Church an der Kreuzung von Second Avenue und 13th Street zusammen.44 In der Zeitung New

40

Neilson erwähnt den Namen John Johnson in seinen Ausführungen nicht. Seine Beschreibung der Geschehnisse korrespondiert jedoch mit anderen Berichten aus der Zeit über die Hinrichtung Johnsons, die am 2. April 1824 stattfand. Vgl. Trial and Sentence of John Johnson, for The Murder of James Murray (New York: Joseph Denoues, 1824), 35. Ann Fabian, The Unvarnished Truth. Personal Narratives in Nineteenth-Century America (Berkeley: University of California Press, 2000), 7378.

41

Peter Neilson, Recollections of a Six Years’ Residence in the United States of America, Interspersed with Original Anecdotes, Illustrating the Manners of the Inhabitants (Glasgow: David Robertson, 1828), 61.

42

Ebd., 62.

43

Ebd., 62-63.

44

Trial and Sentence of John Johnson, 35-36.

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York Spectator war am 6. April 1824 zu lesen dass es nie zuvor solch einen Menschenauflauf in New York City gegeben habe. Männer, Frauen und Kinder aller Klassen und Ethnien hatten sich eingefunden und der Verurteilte zeigte sich unkooperativ, was die Durchführung der Exekutionsrituale betraf. So weigerte Johnson sich etwa, seine Schuld öffentlich zu bekennen.45 In The Unvarnished Truth beschreibt die Historikerin Ann Fabian, welch ein Alptraum eine solche Hinrichtungssituation für die ausführenden Beamten war. Jedoch blieb es in New York bis auf ein paar wenige Taschendiebstähle verhältnismäßig ruhig. Und der Zeitzeuge Neilson berichtete gar von einer gelösten Stimmung bei den ausführenden Autoritäten.46 Nach der Exekution ließ man Johnson noch 45 Minuten zur Begutachtung durch die Anwesenden am Galgen hängen. Danach übergab man seinen Körper den Medizinern zum Experimentieren mit Elektroschocks.47 Die Reaktionen auf öffentliche Exekutionen und die sich anschließenden medizinischen Studien wandelte sich in der Zeit zwischen der Hinrichtung Youngs im Jahr 1797 und jener Johnsons im Jahr 1824 massiv. Hatte es vor Youngs Hinrichtung weitreichende Proteste von Seiten der Gegner der medizinischen Forschung an Leichen gegeben, so schienen die Autopsiegegner dreißig Jahr später vollkommen verstummt zu sein. Interessant ist, dass sowohl die absolute als auch die relative Zahl der Schaulustigen bei öffentlichen Hinrichtungen männlicher Straftäter in New York City über die Jahrzehnte hinweg konstant anstieg und das obwohl es zahlreiche Bemühungen diverser Reformgruppen gab, Exekutionen gänzlich zu unterbinden oder wenigstens nicht mehr öffentlich stattfinden zu lassen.48 Die Rhetorik der Hinrichtungsgegner beruhte häufig auf der des Gründervaters und Humanisten Benjamin Rush. Dieser und andere beobachteten einen Wandel der öffentlichen Wahrnehmung und Partizipation bei Exekutionen und kamen zu dem Schluss, dass die harte öffentliche Bestrafung der Täter ihren ursprünglichen Zweck der Abschreckung nicht länger erfüllte.49

45

The New York Spectator (6. Apr. 1824), in: Fabian, The Unvarnished Truth, 77. Trial and Sentence of John Johnson, 35.

46

Fabian, The Unvarnished Truth, 77. Neilson, Recollections, 62.

47

Trial and Sentence of John Johnson, 36. John W. Francis & John B. Beck, The NewYork Medical and Physical Journal, Vol. III, (New York: E. Bliss & E. White, 1824), 225-30.

48

Jürgen Martschukat, „A Horrifying Experience? Public Executions and the Emotional Spectator“, in: Jessica C.E. Gienow-Hecht (Hg.), Emotions in American History: An International Assessment (New York: Berghan Books, 2010), 185-89.

49

Ebd., 182, 188.

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In Discipline and Punish schreibt Foucault über die zwiespältige Rolle von Zuschauern bei Exekutionen. Sie würden versammelt, um diesen beizuwohnen und um mit ihren eigenen Augen zu sehen, dass die rechtmäßige Bestrafung des Täters erfolgt ist. Ihre Pflicht sei es, Zeuge zu sein und Furcht vor möglichen Strafen zum empfinden. Sie hätten aber nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht, Zeuge zu sein.50 Im ausgehenden 18. und im frühen 19. Jahrhundert nahm die Bevölkerung der USA ihr Recht wahr, Hinrichtungen zu besuchen, der Pflicht, sich zu fürchten, kamen die Zeugen aber nicht mehr nach. Reformer wie der New Yorker Anwalt Edward Livingston sprachen von einer Verrohung der Gesellschaft durch die kontinuierliche Zurschaustellung von Hinrichtungen. Man verurteilte die Entwicklung zur Massenunterhaltung und forderte eine Verlegung hinter verschlossene Türen beziehungsweise die völlige Abschaffung der Todesstrafe.51 Die Argumentation gegen öffentliche Hinrichtungen verlief primär entlang zweier Linien: Klasse und Geschlecht. Die beständig wachsende Zahl der Schaulustigen und deren offensichtliche soziale Heterogenität führten im Laufe der Zeit im Elitendiskurs und in den Medien zu einer Stilisierung der Masse zum Mob. Dieser setzte sich in der Berichterstattung vornehmlich aus Mitgliedern der unteren Schichten zusammen und galt als irrational und gefährlich.52 Der rapide demografische Wandel der 1820er- und 1830er-Jahre führte zu einer wachsenden Furcht vor den Armen. Außerdem schien sich eine neuer Typus Krimineller zu formieren: Prostitution, Diebstahl, Fälscherei, Gewalt, Mord und Totschlag nahmen ungekannte Ausmaße in New York City an.53 Der New Yorker Richter Charles Christian warnte schon 1812 vor den Nebenprodukten der Einrichtung des neuen Staatsgefängnisses in der Stadt: „THIS [sic] excellent institution, and great receptacle for all convicts in the state […] discharges its tenants on this city, a great proportion of whom are, it is hoped; penitent, and determined to live, in future, honestly; whilst others, and there is reason to fear not a few, return on society unreclaimed.54

50

Michel Foulcault, Discipline and Punish: The Birth of the Prison (New York: Vintage Books, 1995), 58.

51

Martschukat, „A Horrifying Experience?“, 188.

52

Ebd., 191. Masur, Rites of Execution, 100-102.

53

Frank Browning & John Gerassi, The American Way of Crime (New York: G.P. Putnam’s Sons, 1980), 122-23.

54

Charles Christian, A Brief Treatise on the Police of the City of New-York (New York: Southwick & Pelsue, 1812), 8.

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Für Christian ist New York eine Stadt der vielfältigen Versuchungen, denen besonders jene Menschen erliegen, die über keine festen Bande dort verfügen.55 Seine Ausführungen reflektieren die wachsenden Gruppenanimositäten und die allgemeine Unsicherheit in der Stadt zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der scheinbare Anstieg von Sünde und Laster begünstigten die Entwicklung einer angespannten feindseligen Atmosphäre.56 In dieser Zeit unterstellte die Elite den Angehörigen der lower orders eine zunehmende Unfähigkeit zum richtigen Umgang mit öffentlich präsentierter Gewalt. Der Unterschicht mangele es an Bildung und Moral. Entsprechend sollten nur noch männliche Bürger aus der Oberschicht an Hinrichtungen teilnehmen dürfen, da einzig diese emotional und intellektuell in der Lage seien das Gesehene angemessen zu verarbeiten.57 Doch wie es sich in Neilsons Bericht über die Hinrichtung Johnsons schon andeutete, war nicht nur Klasse von Belang, auch Geschlecht wurde zum Ausschlusskriterium. Eine neue Empfindsamkeit der Frau wurde konstruiert und postuliert. So ließ sich der Zeitschrift New-York Mirror and Ladies’ Literary Gazette am 23. Dezember 1826 entnehmen, wie man sich den Charakter einer jeden Ehefrau vorzustellen haben: „The breast of a man can never experience all that the soul of a woman of sensibility is susceptible of, for it is swayed with purity of feeling, impassioned devotedness of attachment, and ardent constancy of affection […]“.58 Die neue Staatsgesetzgebung von 1835, die Exekutionen nur noch hinter Gefängnismauern zuließ, schloss weibliche Zeugen, sofern diese nicht der Familie des Verurteilten angehörten, dann auch aus.59 Die Bezeugung von Hinrichtungen wurde zu einem Privileg für weiße Männer aus der Oberschicht. Exekutionen wurden in der Folge in New York in ihrer neuen Exklusivität weiterhin als Spektakel inszeniert. Oft nahmen sich die ausführenden Autoritäten das Recht heraus, mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen zwölf Zeugen zu laden und der Gefängnishof füllte sich mit bis zu dreihundert zahlenden Gästen.60

55

Ebd., 8.

56

Vgl. Documents Relative to the House of Refuge: Instituted by the Society for the Reformation of Juvenile Delinquents in the City of New-York (New York: M. Day, 1832), 132-136.

57

Martschukat, „A Horrifying Experience?“, 191.

58

„Domestic Peace“, in: The New-York Mirror and Ladies’ Literary Gazette (No. 22, 23. Dezember 1826), 5.

59

Martschukat, „A Horrifying Experience?“, 191. Pfeifer, Rough Justice, 220.

60

Banner, The Death Penalty, 157.

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In einem Brief skizziert Child den Ablauf einer dieser semi-öffentlichen Hinrichtung in der Stadt. Sie beschreibt darin die Ereignisse rund um die geplante Exekution des Mörders John C. Colt im November 1842. Im Vorfeld zirkulierten Flugblätter in der Stadt, in denen die Bevölkerung aufgerufen wurde, Tickets für die Hinrichtung zu kaufen, um der Veranstaltung beiwohnen zu dürfen. Der Gefängnishof, auf dem Colt dem Scharfrichter gegenübertreten sollte, bot Platz für mehr als zweihundert Zuschauer. Child, als ausgesprochene Gegnerin der Todesstrafe, deckt in ihrer Darstellung des Tages der Hinrichtung die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen auf und wirft ein Licht auf die anhaltende Bedeutung von Hinrichtungen als Unterhaltungsform. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gefängnisses versammelten sich die Schaulustigen. Diejenigen außerhalb der Mauern, darunter Frauen und Kinder, lauerten auf den ersten Glockenschlag – das Signal, dass die Hinrichtungszeremonie begann. Man wartete vergebens. Colt hatte sich dem Galgen durch Selbstmord entzogen. Wer sich innerhalb der Mauern befand, bekam den leblosen Körper als Beweis präsentiert. Einige der Anwesenden beschwerten sich anschließend lauthals. Sie sahen sich um ihr Recht – in diesem Fall wohl eher um ihr Privileg –, die Exekution zu bezeugen, beraubt.61 Weiteren Aufschluss über den kulturellen Stellenwert von Hinrichtungen in New York City im 19. Jahrhundert gibt eine Legende, die sich um eine Englische Ulme im heutigen Washington Square Park rankt. Ihr zufolge fand 1824 während der Feierlichkeiten zu Ehren des Besuchs des Marquis de Lafayette eine Massenhinrichtung statt. In dieser soll die Ulme als Galgen gedient haben. So schreibt der Autor James Hodge Callender in seinem Buch Yesterdays in Little Old New York: When Lafayette was a guest of the City, he was asked to view the hanging of twenty-four highwaymen who had been captured red-handed. Whether this was intended as a graceful reminder of the scenes of the French Revolution or simply as an example of the swiftness of justice in the infant republic, history does not relate.62

Callender stellt sich die Frage, ob es sich bei dieser Massenhinrichtung von Wegelagerern um einen Akt der Ehrerbietung gegenüber einem der Helden der amerikanischen Revolution handelte oder um eine Ausdruck des Charakters der

61

Child, Letters from New-York, 233-35. Vgl. Martschukat, „A Horrifying Experience?“, 192.

62

James Hodge Callender, Yesterdays in Little Old New York (New York: Dorland Press, 1929), 174.

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jungen Republik. Die Antwort darauf muss „weder noch“ lauten. Vielmehr ist der Bericht über die angebliche Exekution von mehr als zwanzig Banditen wohl eine Collage und Vermischung verschiedener historischer Begebenheiten und Mythen. Fakt ist, dass Lafayette und sein Sohn am 16. August 1824 in New York City mit großen Ehren empfangen wurden. Die Stadt hatte sich herausgeputzt: An den Bäumen hingen Girlanden und Wimpel und Flaggen schmückten die Häuser und Straßen. Auch passierten die Gäste aus Frankreich auf ihrem Weg aus der Stadt Richtung Norden wohl den Armenfriedhof.63 Die Ulme, die im Nordwesten des Parks steht und heute den Spitznamen Hangman’s Elm trägt, war zu diesem Zeitpunkt schon gut 150 Jahre alt. Sie war aber Teil der privaten Ländereien westlich des Minetta Brook. Die Stadt kaufte dieses Land erst im Jahr 1825 von Alfred S. Pell und Thomas R. Mercein für die Anlage eines Paradeplatzes.64 Auch erscheint es als relativ unwahrscheinlich, dass die Stadtväter ausgerechnet Lafayette mit einer öffentlichen Hinrichtung unterhalten wollten, sprach sich dieser doch gegen eine Bestrafung durch den Tod aus. Sein Biograf M. Jules Cloquet schreibt über Lafayettes Einstellung zur Todesstrafe: Capital punishment was held in horrors by LAFAYETTE, who[m] constantly raised his voice against that monstrous penalty. […] He constantly inveighed against the Exceptional Tribunals, which in his opinion were nothing else than a terrible instrument placed in the hands of Despotism, to give an appearance of legality to its most atrocious acts – to murder in the name of THE LAW.65

Die Geschichte der staatlich inszenierten Hinrichtung zu Ehren Lafayettes auf dem potter’s field gehört also eher ins Reich der Legende, doch die soziale Bedeutung dieser Veranstaltungen wird aus ihr deutlich. Lafayette war einer der Helden der Revolution und genoss entsprechend hohes Ansehen in den Vereinigten Staaten. Die Tatsache, dass sich die Legende um ein Hinrichtungsspektakel zu seinen Ehren rankt, kann als Versuch der Legitimation der Praxis der öffent-

63

Vgl. A Complete History of the Marquis de Lafayette, Major General in the Army of the United States of America, in the War of the Revolution: Embracing an Account of his Late Tour thorough the United States to the Time of his Departure, September, 1825 (Hartford: S. Andrus & Son, 1846). 331-340.

64

Geismar, Washington Square, 11-12.

65

Hervorhebungen im Original. M. Jules Cloquet, in: The Punishment of Death: A Selection of Articles from the Morning Herald, Vol. II, (London: Hatchard & Son, 1837), 185.

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lichen Exekution interpretiert werden. Hinrichtungen werden darin sowohl als Mittel der sozialen Kontrolle als auch als Unterhaltungsform für Männer höchsten Ranges präsentiert und legitimiert. Der Armenfriedhof am südlichen Ende der Fifth Avenue war aber auch Schauplatz anderer Spektakel. So war er Austragungsort zahlreicher Duelle zwischen Angehörigen der höheren Klassen. Der erste Herausgeber der New York Evening Post, William Coleman und der Hafenbeamte66 Jeremiah Thompson trafen im Jahre 1803 auf dem damaligen Armenfriedhof aufeinander, um ihre Fehde auszutragen. Coleman war von Hamilton zum Herausgeber der Post ernannt worden. Dementsprechend stand er auch für dessen politische Ideale ein.67 Coleman war außerdem dafür bekannt, Konkurrenten in seinen Leitartikeln zu diffamieren. Im Jahr 1803 nahm Thompson, der politisch den Idealen Thomas Jeffersons verbunden war, dies zum Anlass, Coleman verbal zu attackieren. Es endete damit, dass Thompson Coleman zum Duell forderte. So begaben sich die beiden Männer, begleitet von Sekundanten und Ärzten, mit Pistolen bewaffnet in einer Nacht im November auf den Armenfriedhof in Greenwich Village. Aufgrund der schlechten Witterungsverhältnisse entschloss man sich, aus nur elf Metern Entfernung zu feuern. Das Duell endete, nachdem der dritte Schuss

66

Jeremiah Thompson war mit großer Sicherheit im Hafen von New York City in einer höheren Position angestellt. Jedoch lässt sich nicht näher bestimmen in welcher. Die Historikerin Emily Kies Folpe ernennt in ihrer im Jahr 2002 erschienen Monografie über die Geschichte Washington Squares zum Hafenkapitän. Die Autorinnen und Historikerinnen Martha J. Lamb und Burton Harrison schreiben ihm in ihrer Stadtgeschichte New Yorks aus dem Jahr 1896 die Rolle des Collector of the Port of New York, also jenes Bundesbeamten, der mit der Einziehung der Importsteuern beauftragt war, zu. Die Zuweisung durch Lamb und Harrison beruht wahrscheinlich auf einer falschen Leseweise der Quellen. Zwar gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen Collector mit dem Nachnamen Thompson, dessen Vorname lautete jedoch Jonathan und dieser nahm das Amt erst seit dem 13. Januar 1821 wahr. Vgl. Folpe, Washington Square, 61. Martha J. Lamb & Burton Harrison, History of the City of New York: Its Origin, Rise and Progress, Vol. III (New York: A.S. Barnes, 1896), 479. „New-York’s Customs Officers“, in: The New York Times (20. Juli, 1878).

67

Zur Bedeutung politisch motivierter Duelle in der jungen Republik siehe: Barbara Holland, Gentlemen’s Blood: A History of Dueling from Swords at Dawn to Pistols at Dusk (New York: Bloomsbury, 2003), 97-127.

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abgegeben wurde und Thompson zu Boden ging. Trotz ärztlicher Behandlung verstarb der Verwundete noch in der gleichen Nacht.68 Duelle wurden um die Jahrhundertwende zu einem ernstzunehmenden Problem in New York City. Und so sinnierte man in der Zeitung New-York Gazette and General Advertiser am 2. März 1802 bereits über Möglichkeiten diese zu unterbinden. Als Strafe für die Teilnahme an einem Duell wurden der Entzug des Wahlrechts und das Verbot öffentliche Ämter zu bekleiden diskutiert.69 Am 2. April 1803 erfolgte die Verabschiedung eines Gesetzes durch die Staatsregierung das Duelle unter Androhung genau dieser Strafen unterbinden sollte.70 Und so verwundert es wenig, dass Irving am 23. April in seinem neunten und letzten Brief als Jonathan Oldstyle im Morning Chronicle die Angelegenheit spöttisch aufgriff. Irvings Alter Ego Oldstyle verklärt darin die alten Praktiken des Duells mit Messer oder Schwert als die einzig ehrenhaften, wohingegen die Verwendung einer Pistole unelegant und emotional destabilisierend sei.71 Oldstyles Freund Quoz teilt diese Einschätzung nicht und verteidigt die neue Form des Duells: „[…] I am surprised at your ignorance of modern customs: trust me, I know of no amusement that is, generally speaking, more harmless“.72 Im weiteren Verlauf gibt Oldstyle die Ergebnisse der Diskussion seiner Bekannten zum Thema wieder und scheint angetan von der Idee Jack Stylishs. Dieser spricht sich gegen ein Verbot von Duellen aus und plant stattdessen, diese gesetzlich zu regulieren und mit Hilfe der Zeitungen zur Massenunterhaltung auszubauen.73 Irvings spöttische Darstellung gibt Aufschluss über die allgemeinen Befindlichkeiten in New York City um die Jahrhundertwende. Moral, Ehre, Rohheit und Spektakel werden diskutiert und persifliert. Duelle werden als eine Form der Oberschichtenbarbarei bloßgestellt, welche konträr zur postulierten Empfindsamkeit und Moral der oberen Klassen steht. So ist auch die Gesetzgebung, die die Praxis des Duellierens zu unterbinden suchte, deutlich auf die Oberschicht zugeschnitten. Der Entzug des Wahlrechts auf zwanzig Jahre und das Verbot, hohe Ämter zu bekleiden, wurden als Strafe für Bürger des Staates New York

68

Folpe, Washington Square, 61-62.

69

New-York Gazette and General Advertiser, in: Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1388.

70

Laws of the State of New-York, Vol. III, (Albany: Charles R. & George Webster, 1804), 334-35.

71

Irving, Letters of Jonathan Oldstyle, 40-41.

72

Ebd., 41.

73

Ebd., 42.

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für die Teilnahme an einem Duell innerhalb seiner Grenzen festgesetzt. Nichtbürger hatten je nach Gerichtsentscheid eine Strafzahlung von nicht mehr als 500 Dollar zu entrichten und eine Gefängnisstrafe von nicht mehr als sieben Jahren zu verbüßen. Weiterhin bestand die Möglichkeit Bürger, die außerhalb des Staates an einem Duell teilnahmen, dafür zu bestrafen; in welcher Weise wurde jedoch nicht spezifisiert.74 In der populären Vorstellung waren Courage, Tod und Ehre weiterhin eng miteinander verknüpft. Die vorherrschende Ehrkultur (honor culture) bestimmte, dass Angriffe persönlich zu rächen waren. Das Blutvergießen, oder Gewalt allgemein, waren Ausdruck männlicher Courage und dienten der Wiederherstellung der eigenen Ehre.75 So konnte auch die neue Gesetzgebung wenig daran ändern, dass New York weiterhin zum Schauplatz von Duellen wurde. Vizepräsident Aaron Burr und Hamilton trafen sich im Jahr 1804 zwar nicht in New York, sondern in New Jersey, um das wohl berühmteste Duell der amerikanischen Geschichte auszutragen,76 doch andere machten sich nicht die Mühe den Hudson extra für ein Duell zu überqueren. In der Elite der Stadt regte sich dann auch langsam Widerstand gegen die Praxis des Duellierens und so formierte sich im April 1809 die Anti-Duelling Association of New York. Deren Mitglieder gelobten, niemanden politisch zu unterstützen, der einst in ein Duell involviert war. Weiterhin gedachte die Gesellschaft einen Aufruf an alle Wahlberechtigten des Staates zu verfassen, es ihnen gleich zu tun77, allerdings mit wenig Erfolg. Und so berichtete Henry Brevoort, ein Mitglied des Common Council im Dezember 1827 seinem alten Freund Irving in einem Brief dass die Kampfeslust seiner Mitbürger immer noch ungebrochen sei.78

74

Laws of the State of New-York, Vol. III, (1804), 335.

75

Vgl. Richard Avramenko, Courage: The Politics of Life and Limb (Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2011), 34-36, 84.

76

Eine Vielzahl von Publikationen befasst sich mit dem Duell zwischen Hamilton und Burr. An dieser Stelle seien zwei Bücher genannt – die zeitgenössische Aufarbeitung durch Coleman von 1804 und eine Veröffentlichung neueren Datums: William Coleman, A Collection of the Facts and Documents, Relative to the Death of MajorGeneral Alexander Hamilton (New York: Hopkins and Seymour, 1804). Thomas Fleming, Duel: Alexander Hamilton, Aaron Burr and the Future of America (New York: Basic Books, 1999).

77

Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1507.

78

Henry Brevoort, in: George S. Hellman (Hg.), Letters of Henry Brevoort to Washington Irving (New York: G.P. Putnam and Sons, 1918), 178-79.

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Dabei waren es nicht mehr nur Duelle mit Pistole oder Schwert, die ausgetragen wurden. Im Januar 1828 kam es gar zu einem Faustkampf zwischen zwei Männern auf dem von der Stadt nach der Schließung des potter’s field geschaffenen Washington Military Parade Ground.79 Die New York Evening Post berichtete von der Auseinandersetzung zwischen den beiden gut gekleideten Herren, die im Beisein zweier Freunde, die als Sekundanten fungierten, stattfand. Man kämpfte etwa eine halbe Stunde in mehreren Runden gegeneinander, bevor beide Kontrahenten versehrt, aber lebendig, den Platz wieder verließen.80 Die Nachbarschaft um den 1826 angelegten Washington Military Parade Ground sollte danach nicht mehr zum Austragungsort von Zweikämpfen werden, doch andere Konflikte bahnten sich an. Bereits im Jahr 1820 erklärten die Stabsoffiziere der ersten Brigade der New York State Artillery, dass Bedarf für einen neuen Exzerzierplatzes bestünde. Der im Commissioners’ Plan nördlich des Union Place vorgesehene Platz war noch nicht angelegt und der aktuelle Paradeplatz würde in Bälde der Ziehung und Erweiterung von Straßen südlich der Canal Street zum Opfer fallen.81 Als der Common Council der Stadt 1825 die Schließung des potter’s fields östlich von Greenwich Village anordnete war unklar was mit dem Land passieren sollte. Der Armenfriedhof war vorerst wieder unbestimmtes Territorium. Zuvor hatte die Gelbfieberepidemie des Sommers 1822 maßgeblich zur Transformation der Nachbarschaft des Friedhofs beigetragen. Das potter’s field war damals zum letzten Mal Massenbegräbnisstätte. Die Opfer der Epidemie fanden dort ihre letzte Ruhe, während sich das benachbarte Greenwich Village mit den Flüchtlingen aus New York City füllte. 82 Die ansässigen Bauern schnitten ihre Maisfelder zurück und verpachteten oder verkauften diese an Unternehmer, die dort in kurzer Zeit provisorische Unterkünfte aus Holz errichteten. Neilson beschreibt seine Ankunft im völlig veränderten Greenwich Village so:

79

Stokes, The Inconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1659.

80

New York Evening Post, (15. Jan. 1828), in: Folpe, Washington Square, 62. Am 21. April 1828 erfolgte der Erlass eines neuen Staatsgesetzes das bei Duellen mit Todesfolge, unabhängig der verwendeten Waffen, eine Bestrafung für Mord vorsah. Laws of the State of New-York (Albany: E. Croswell, 1828), 431-32.

81

Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1612. Laws of the State of New-York (Albany: Gould, Banks & Gould, 1849), 286.

82

New York City Department of Health and Mental Hygiene, Protecting Public Health in New York City: 200 Years of Leadership (New York: NYC Health, 2005), 6.

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We cast anchor opposite to a part of the town deemed sufficiently healthy, nearly three miles above the point[,] which forms the southern boundary of the city. On going ashore, the bustle that prevailed was beyond description, nearly the whole of the business-part of the city being removed out to the fields[,] which skirt the suburbs.83

Der Autor berichtet von den exorbitanten Preisen, die es für die Unterbringung in den Behelfshotels zu zahlen galt und führt weiter aus, dass manch Angehöriger der Oberschicht, während er auf die Fertigstellung einer weiteren Unterkunft wartete, gar draußen auf dem Feld kampieren musste. Mit der Umsiedlung der Stadtbewohner auf die Felder des Vororts erfolgte auch eine Verlegung der geschäftlichen Tätigkeit nach Greenwich. Die kommerzielle Infrastruktur der Stadt hielt Einzug im Dorf: Banken, Versicherungen, Kaffeehäuser, Lebensmittelgeschäfte, Friseure, Auktionshäuser und Soda Shops siedelten sich an und die ehemaligen Äcker waren von einem Leben und Unternehmergeist erfüllt, wie man es sonst nur an der Südspitze Manhattans kannte.84 Manch einer sprach gar davon, ganz New York nach Greenwich zu verlegen. Mit dem Einsetzen des ersten Frosts im Oktober verließen aber die meisten der Flüchtlinge das Village und dessen Umgebung wieder. Einige entschlossen sich jedoch zu bleiben.85 Ein Eintrag aus dem Reistagebuch von Karl Bernhard Herzog zu Sachsen-WeimarEisenach aus dem Herbst des Jahres 1825 spiegelt die rapide Entwicklung Greenwichs wieder: Das Gebäude steht im Dorfe Greenwich, ist vor ungefähr 20 Jahren gebaut worden und befand sich damals ganz isolirt [sic]. Seitdem hat die Bevölkerung so zugenommen, daß [sic] Greenwich mit New-York [sic] vereinigt und das Gefängnis auf 3 [sic] Seiten mit Häusern umgeben ist; auf der 4. Seite ist der Hudson-Fluß.86

Bernard besichtigte gemeinsam mit Thomas Eddy das Staatsgefängnis und war von der Ökonomie dieser Institution und deren Lage durchaus angetan. Die gefängniseigene Manufaktur war für ihn Ausdruck der Wirtschaftsorientierung der

83

Neilson, Recollections, 5.

84

Ebd., 5-7.

85

Edward R. Ellis, The Epic of New York City (New York: Old Town Books, 1990), 219-20.

86

Hervorhebungen im Original. Karl Bernhard, in: Heinrich Luden (Hg.), Reise Sr. Hoheit des Herzogs Bernhard zu Sachsen-Weimar-Eisenach durch Nord-Amerika in den Jahren 1825 und 1826, Erster Teil (Weimar: Wilhelm Hoffmann, 1828), 208.

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USA.87 Greenwich selbst wurde zu diesem Zeitpunkt zum Finanzzentrum New Yorks und damit der USA. Während der Gelbfieberepidemie hatten viele Banken der Stadt ihre Geschäfte dorthin verlegt und sich anschließend gegen den Rückzug gen Süden entschieden. Das Village expandierte und auch die Gegend um den östlich davon gelegenen Armenfriedhof erlebte beachtlichen Wandel. Die Umsetzung des Commissioners’ Plans führte zur Erschließung von Straßen an allen Seiten des Armenfriedhofs und so errichtete man ab dem Jahr 1823 – zuerst auf der Südseite des Platzes – Häuser und Geschäfte und hob Brunnen aus. Im gleichen Jahr ordnete der Common Council weitere Arbeiten am potter’s field an. Der Vermesser Thomas Cumming wurde mit dem Abschachten des Verlaufs des Minetta Brook beauftragt und ein Jahr später wurde über die Konstruktion eines Abzugskanals verhandelt, der das sumpfige Land vollständig trockenlegen sollte.88 Ende 1824 war zudem klar, dass der Friedhof kurz davor stand, seine Kapazitätsgrenze zu erreichen. Darüber hinaus beschwerten sich die Anlieger über die voranschreitende Verwahrlosung des Platzes. Es war die Rede von nicht fachgerecht ausgeführten Bestattungen, in deren Folge Leichen, beispielsweise nach stärkerem Regen, wieder zum Vorschein kamen.89 Letztlich entschloss sich der Stadtrat dazu, für die Lebenden Platz zu schaffen und ordnete die Stilllegung des Gräberfelds und die Ebnung des Bodens durch Auffüllen an. Die archäologischen Untersuchungen aus dem Jahr 2005 im Rahmen der Sanierung des Parks ergaben dass teilweise gut zweieinhalb Meter Höhenunterschied ausgeglichen wurden. 90 Anders als bei der Stilllegung anderer Friedhöfe, entschied man sich im Fall von Washington Square gegen eine Exhumierung und Umbettung der Leichen. Die zuständige Behörde informierte den Common Council im Jahr 1826 darüber, dass der stillgelegte Friedhof in der näheren Zukunft sicherlich nicht für private Zwecke genutzt werden könne und schlug vor, den neuen Paradeplatz an dieser Stelle anzulegen.91 In A.T. Goodrichs Stadtführer für New York aus dem Jahr 1828 wird der neue Washington Square dann auch sofort als leuchtendes Beispiel für die neuen öffentlichen Plätze der Stadt angeführt.92

87

Ebd.

88

Geismar, Washington Square, 28.

89

Folpe, Washington Square, 63.

90

Geismar, Washington Square, 28.

91

Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5 1656.

92

A.T. Goodrich (Hg.), The Picture of New-York, and Stranger’s Guide to the Commercial Metropolis of the United States (New York: A.T. Goodrich, 1828), 439-40.

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Andere Zeitgenossen schilderten aber durchaus die Probleme, die es mit dem Kleinod am Fuße der Fifth Avenue gab. In einem Memorandum der Anwohner an den Common Council wird der neue Paradeplatz grundsätzlich gelobt, doch man machte zugleich deutlich, dass es noch Raum für Verbesserungen gab. Die Antragsteller erbaten vom Rat eine klare Eingrenzung des Paradeplatzes und ein Versprechen. Sie hofften zugesichert zu bekommen, dass die Kosten für die Einrichtung des Platzes nicht allein auf sie umgelegt würden, da die gesamte Stadt vom Exzerzierplatz profitieren werde und das Areal ohnehin schon in Gemeindebesitz sei. Im Memorandum führte man als leuchtendes Beispiel den Washington Square in Philadelphia an. Dieser war auch ein ehemaliger Friedhof, der nun als Paradeplatz fungierte und entsprechend ansehnlich eingezäunt und mit Beeten geschmückt war.93 Im Jahr 1829 gab die Corporation die Vermessung und Projektierung des neuen New Yorker Paradeplatzes beim städtischen Vermessers E. W. Bridges in Auftrag. Dieser entsandte Cummings für die Arbeiten. Der Forderung nach einem klaren Aufbau des Platzes wurde nachgekommen. Jedoch entschied sich die Corporation gegen Blumenanpflanzungen.94 Und so konnte man noch im Jahr 1837 über eine ganze Reihe der neuen öffentlichen Freiflächen in New York, einschließlich Washington Square, immer noch das Folgende lesen: As for the newer squares they appear as yet no better than mere vacant lots: being vacant, indeed, of everything that is attractive; and destitute alike of every living vegetable, whether tree, shrub, grass or flower. But these promenades are new; and doubtless, in twenty years from this time, with due care and attention, will be very agreeable places of resort.95

Problematischer als die Schmucklosigkeit des Platzes, sollte sich seine Nutzlosigkeit als Exerzierplatz erweisen. Der Paradeplatz wurde offiziell bereits im Rahmen der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeit am 4. Juli des Jahres 1826 eröffnet. Das Fest war ausgelassen und man verköstigte gut 10.000 Menschen: Zwei Ochsen wurden gegrillt, zweihundert

93

Memorial of the Owners of Real Estate in the Vicinity of the Washington Military Parade Ground (New York: Clayton & Van Norden, 1828,), 1-8.

94

Geismar, Washington Square, 15-16. Vgl. John Francis Richmond, New York and Its Institutions, 1609-1871 (New York: E. B. Treat, 1871), 159.

95

Asa Greene, A Glance at New York (New York: Craighead & Allen, 1837), 217-18.

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Schinken serviert und Bier in rauen Mengen ausgeschenkt.96 Nach den prunkvollen Festivitäten wurde der Platz als Trainingsgelände dem Militär übergeben. Dies brachte diverse Probleme mit sich. Die Schwächen des Areals zeigten sich bei den ersten Übungen mit schwerer Artillerie. Immer wieder brachen Kanonen während der Drills und Vorführungen im Gelände ein und gaben den Blick auf die Opfer der Epidemien der letzten Jahrzehnte frei. Auch die abgefeuerten Kanonensalven brachten immer wieder längst Vergessenes zum Vorschein.97 Das Viertel, das sich in der Nachbarschaft um das ehemalige potter’s field herum rasant entwickelte, zahlte nun den Preis für die damals gängigen Bestattungspraktiken. Die Gräber auf dem Armenfriedhof waren besonders in Krisenzeit hastig angelegt worden und die Särge befanden sich meist nur 30 bis 60 cm tief unter der Erde.98 Doch es lagen nicht nur die Schatten der Vergangenheit über dem ehemaligen Armenfriedhof, es gab auch Licht. Die neue öffentliche Freifläche zog neben Immobilieninteressenten aus der Oberschicht weiterhin die bäuerlichen Bewohner aus Greewich Village an. Diese nutzten den eingeebneten Platz als Versammlungsfläche auch nachdem die ersten Häuser der Oberschicht diesen bereits säumten.99 Für die Jahre zwischen 1829 und 1848 weisen die Akten der Stadtverwaltung keine Modifikationen am Paradeplatz aus. Entsprechend ist davon auszugehen, dass Washington Square in dieser Zeitspanne keine nennenswerten Veränderungen durch Einwirkung der Gemeinde sah. Zwar ordnete der Bürgermeister Cornelius Van Wyck Lawrence im Februar 1837 die Anlage von Bürgersteigen entlang des Platzes an, aber die Freifläche selbst wurde nicht angetastet.100 Ab dem Jahr 1837 machte zudem die angrenzende Universität das Viertel um den Washington Square zum Anziehungspunkt für Touristen. Reise-

96

Burrows & Wallace, Gotham, 580. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1660.

97

Burrows & Wallace, Gotham, 580.

98

Vgl. Robert V. Wells, „A Tale of Two Cities: Epidemics and the Rituals of Death in Eighteenth-Century Boston and Philadelphia“, in: Nancy Isenberg & Andrew Burstein (Hg.), Mortal Remains: Death in Early America (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2003), 66.

99

Burrows & Wallace, Gotham, 580.

100 Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1745.

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führer und Zeitungen priesen das Universitätsgebäude für seine „Gothick“ und „Byzantine“ Architektur.101 Der vom englischen Künstler Robert Hinshelwood gefertigte Stahlstich auf dem Deckblatt des Stadtführers New York as It Is in 1837 beinhaltet eine Ansicht des Universitätsgebäudes vom angrenzenden Washington Square aus. Die Universität steht im Hintergrund und ist vom Platz klar durch einen Holzzaun abgegrenzt. In der Darstellung spazieren eine sichtlich wohlhabende Familie mit Kindern und ein Paar über einen der Wege, Landarbeiter mähen mit Sensen das Gras im Schatten einer Ulme, während im Hintergrund zwei männliche Figuren – ein Kind und ein Jugendlicher – auf der Grasfläche toben.102 Die Einzäunung Washington Squares im Jahr 1828 verhinderte die Nutzung als Weidefläche durch die Bewohner des angrenzenden Greenwich Village. Die Trockenlegung und Einebnung des Areals führte jedoch dazu, dass sich der Platz zur Heuernte anbot. Heu war bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein wichtiges und teures Handelsgut in New York, das sich aufgrund seiner Materialeigenschaften nur schwerlich transportieren lies. Um den Heubedarf der tierischen und menschlichen Stadtbewohner zu decken, produzierte man es in New York City selbst und importierte aus dem unmittelbaren Umland. Die Herstellung von Heu war kostspielig, denn das Gras musste von Hand geschnitten und zur Trocknung aufwendig manuell gewendet werden. Der Zeitpunkt des Grasschnitts, das Wenden, die Zwischenlagerung auf Heureutern und die Lagerung in Scheunen hatten großen Einfluss auf dessen Qualität. Entsprechend begann man in New York früh mit der Regulierung von Heuproduktion und -verkauf und zog für die Überwachung Experten heran.103

101 New York Evening Post, (10. Jan. 1837), in: Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1745. Phelps’ Strangers and Citizens Guide to New York City (New York: Phelps & Watson, 1859), 40. 102 John Disturnell (Hg.), New York as It is in 1837 (New York: J. Disturnell, 1837). 103 Clay McShane & Joel A. Tarr, The Horse in the City: Living Machines in the Nineteenth Century (Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2007), 130-33. Vgl. Laws and Ordinances Made and Established by the Mayor, Aldermen & Commonality of the City of New-York (New York: Peter van Pelt, 1834), 246-51.

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Abbildung 5: Robert Hinshelwoods Darstellung der New-York University

Washington Square entwickelte sich zu einem der Orte, den die Bevölkerung der Stadt zur Heuernte nutzte. Das Mähen des Grases und dessen Trocknung ließen sich auf dem flachen und trockenen Untergrund wesentlich einfacher bewerkstelligen, als auf den rein landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Umgebung. Die vereinzelt stehenden Bäume spendeten Schatten, während die Wege, die den Paradeplatz durchzogen, den Abtransport des Heus erleichterten.104 Die Heuernte wurde zur neuen Subsistenzpraxis am Washingtan Square und löste damit das Beerenpflücken ab. Haying wurde wie whortleberrying an der Ostküste der Vereinigten Staaten im Einklang mit den Vegetationszyklen in der Zeit zwischen Juni und August praktiziert, erfreuten sich allerdings unterschiedlicher Beliebtheit. So entzog sich etwa der Staatsmann Daniel Webster in seiner Jugend in Massachusetts dem körperlich anstrengenden Heuwenden indem er für sich und seine kleine Schwester die Pferde sattelte und mit ihr in den Wald zum angenehmen und geselligen Heidelbeerpflücken ausritt.105 Die Aufschüttung und Trockenlegung des Armenfriedhofs im Rahmen der Umgestaltung zum Paradeplatz hatte unweigerlich Auswirkungen auf die dortige

104 Vgl. Disturnell, New York as It is in 1837. 105 Elizabeth A. Reed, Daniel Webster: A Character Sketch (Milwaukee: H.G. Campbell, 1903), 100.

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Vegetation. Der feuchte, unebene, saure und nährstoffreiche Boden des Friedhofs bot exzellente Wachstumsvoraussetzungen für die in New York heimische Heidelbeere106, die nach der Trockenlegung dort nicht mehr zu finden war. Um die Jahrhundertwende bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war Heidelbeerpflücken in den Sommermonaten ein essentieller Bestandteil der Sicherung des Lebensunterhalts für die Angehörigen der ärmeren Schichten in New York und Neuengland. Man sammelte für den Eigenkonsum und zum Verkauf auf dem Markt. In The Life and Correspondence of Theodore Parker berichtet dessen Biograf John Weiss über den ersten Buchkauf des jungen Parkers. Das Geld dafür hatte der Zwölfjährige im Jahr 1822 durch den Verkauf selbstgepflückter Heidelbeeren auf dem Markt in Boston verdient. Der Abolitionist, Theologe und Transzendentalist war in einer kinderreichen, verhältnismäßig armen Familie aufgewachsen.107 Solange der Armenfriedhof in Betrieb war, griffen die ärmeren Teile der Bevölkerung New Yorks und Greenwichs auf diesen als Nahrungs- und Einkommensquelle zurück. So bat der Friedhofsaufseher und Zimmermann William P. Roome den Common Council im Jahr 1811 um Erlaubnis einige der Pappeln auf dem Grundstück fällen und verwerten zu dürfen. Nachdem ihm dies versagt wurde, stellte er erneut Antrag, dieses Mal jedoch nur darauf, die Kronen der Bäume zur Holzgewinnung ausschneiden zu dürfen. Sein Vorgänger im Amt John McKenzie nutzte den Friedhof ebenfalls um einen Zugewinn zu erzielen. McKenzie wurde Ende des Jahres 1808 von der Stadt entlassen, nachdem sich herausstellte, dass er gegen Bestechung über die Exhumierung und den Diebstahl von Leichen aus dem potter’s field hinwegsah.108

106 Vgl. Lyceum of Natural History of New-York, Catalogue of Plants Growing spontaneously within Thirty Miles of the City of New-York (Albany: Websters & Skinners, 1819), 41. Zu den Wachstumsvoraussetzungen von Heidelbeeren siehe: Ermin Welzl, Biochemie der Ernährung (Berlin: De Gruyter, 1985), 141. Informationen zum durchschnittlichen Nährstoffgehalt und pH-Wert von Friedhofsböden aus: David O. Carter & Mark Tibbett, „Does Repeated Burial of Skeletal Muscle Tissue (Ovis aries) in Soil Affect Subsequent Decomposition?", in: Applied Soil Ecology 40:3 (November 2008), 529-535. Carter und Tibbett analysieren die Bodenbeschaffenheit dreier Friedhöfe, einer davon mit neutralem pH-Wert, die anderen beiden mit saurem Milieu. 107 John Weiss, The Life and Correspondence of Theodore Parker, Vol. I (New York: D. Appleton & Company, 1864), 44. 108 Geismar, Washington Square, 9.

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Neben den Medizinstudenten, die den Friedhof ungeachtet des Verbotes als Präparatquelle nutzten, waren auch Frauen und Kinder aus Arbeiterfamilien dort auf der Suche nach Verwertbarem. Vielen ärmeren Familien der Stadt gelang es nicht, auf Basis des Einkommens des Vaters allein zu überleben. Um über die Runden zu kommen, musste man kooperieren und Einfallsreichtum beweisen. Frauen aus der Unterschicht verbrachten einen Großteil ihrer Zeit auf den Straßen der Stadt, immer auf der Suche nach Nützlichem und dem einen oder anderen Luxus. Gesammelte Holzreste, Stofffetzen und Küchenabfälle aus den reicheren Stadtteilen wurden im eigenen Haushalt eingesetzt, während man Glas, Metalle und alte Seile an die Lumpenhändler am Hafen verkaufte. Die Friedhofsflora machte den späteren Washington Square wertvoll für Angehörige der Unterschicht. Man sammelte den Windbruch der Bäume als Heizmaterial und verwendete dort wachsende Kräuter als Heilmittel. Weiterhin bot der Ort die Möglichkeit der Ergänzung des Speiseplans der Arbeiterfamilien. Dieser war recht simpel: Mais, Weizen, Kartoffeln, Kohl und Hülsenfrüchte bildeten neben frischer Milch die Lebensgrundlage. Butter, Käse, Salzfleisch, Zucker, Kaffee und Tee bereicherten den Speiseplan in wirtschaftlich guten Zeiten. In den Sommermonaten baute man selbst Obst und Gemüse an und pflückte, was wild auf der Insel wuchs – beispielsweise Erdbeeren, Heidelbeeren und Apfelbeeren auf dem potter’s field und in dessen Umgebung in Greenwich.109 Allerdings begaben sich nicht nur die Angehörigen der Unterschicht im Sommer auf Beerensuche. Auch die Mittelklasse widmete sich dieser Beschäftigung, allerdings aus einer anderen Motivation heraus. So schrieb Maria Fenno, die spätere Frau von Generalstaatsanwalt Josiah Ogden Hoffman, ihrer Freundin, der Rabbinertochter Rebecca Gratz, einen Brief, in dem sie von ihrem Aufenthalt in New York im Jahr 1797 berichtete. Maria Fenno lebte während ihres Besuchs im Süden Manhattans und ging mit einem ihrer Verehrer Heidelbeeren sammeln. Das sumpfige, hügelige Areal, auf dem die Heidelbeeren wuchsen, lag vier Kilometer von der Spitze Manhattans entfernt. Um dorthin zu gelangen, nahmen Fenno und ihr Begleiter das Schiff.110 Die beiden fuhren zum romantischen Beerenpflücken nach Greenwich Village – wahrscheinlich in die unmittelbare Nähe des gerade entstehenden potter’s field. Dort hatte man bereits mit den Bodenarbeiten für die Einrichtung des neuen Friedhofs begonnen, so dass sie direkt

109 Burrows & Wallace, Gotham, 476-78. Lyceum of Natural History, Catalogue of Plants, 41, 46, 48. 110 Dianne Ashton, Rebecca Gratz: Women and Judaism in Antebellum America (Detroit: Wayne State University Press, 1997), 44.

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dort in diesem Sommer keine Beeren suchen konnten. In den Jahren zuvor war das hügelige Gebiet am Minetta Brook jedoch ein attraktiver Ausflugsort. Nach Eröffnung des Armenfriedhofs würden Aberglaube, Theorien über die Miasmen des Bodens und gesellschaftliche Konvention die Mittelklasse vom Beerensammeln dort abhalten. Die Angehörigen der Unterschicht waren weniger heikel, was die Nutzung der Ressourcen des Friedhofs anging. Sie ließen sich von den Früchten, die auf den Gräbern wuchsen, locken. Den Zwiespalt, in dem sich die Mittelklasse und die Oberschicht befanden, fängt das im Jahr 1837 im Knickerbocker abgedruckte Gedicht „Black Plume“ ein: […] To deck his grave no flower looks up, Enticing, by its sweet perfume, The wild bee to its cup. A few misshapen shrubs, that bear The whortleberry, rustle there; But in my youth I thought ill luck Would fall on him who dared to pluck, Though, glittering in morning dew, Hung temptingly their berries blue.111

Es spricht von der Versuchung, die von den Heidelbeeren, die auf einem Grab wachsen, ausgeht. Doch enthält es auch die Warnung vor einem möglichen Unglück, welches jene erwartet, die es wagen diese zu verzehren. Das Cholerajahr 1832 wirkte sich ausgesprochen schlecht auf den Ruf der Heidelbeere aus. Besonders die Geschichte der Familie des Silberschmieds Albert Bogert, die in den Medien kursierte, rief Besorgnis in der Öffentlichkeit hervor. Bogert hatte mit seiner Frau und den Kindern in der Madison Street im Südosten Manhattans gelebt.112 In nur zwei Tagen fielen zuerst Albert Bogert selbst und dann drei seiner Kinder und eine Hausangestellte der Cholera zum Opfer. In der nationalen Wochenzeitung Niles’ Weekly Register war darüber am 28. Juli 1832 folgendes zu lesen: „They all died – within 40 hours after the time

111 „Black Plume“, in: The Knickerbocker, or New-York Monthly Magazine, Vol. IX (New York: Clark & Edson, 1837), 267. 112 Das Sailor’s Magazine, and Naval Journal widmete der Cholera eine ganze Serie. Dort trug die Zeitschrift Berichte über die Krankheit und deren Auswirkungen zusammen. In der Ausgabe vom August 1833 findet sich die Schilderung der Geschichte der Bogerts: The Sailor’s Magazine, and Naval Journal, Vol. V (New York: American Seamen’s Friend Society, 1833), 71.

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when the whole had appeared in full health. No indiscretion had been committed, except that on Sunday they had freely eaten whortleberries.“113 Bogerts Frau, die älteste Tochter der Familie und zwei weitere Kinder überlebten, ebenso das zweite Dienstmädchen des Hauses.114 Nachdem Heidelbeeren mit weiteren Cholera-Ansteckungen und Todesfällen in Verbindung gebracht worden waren, erklärte die Stadtregierung New York Citys sie im August neben frischen Erbsen und Ananas zu bedenklichen Lebensmitteln. Generell wurde der Verkauf von unreifem und grünem Obst und Gemüse auf den Märkten untersagt: The corporation of New York are [sic] prohibiting the sale, in the markets, of green and unripe fruits, especially gooseberries, apples, pears, cucumbers, green corn &c. Whortleberries have been found exceedingly pernicious. Green peas has proved [sic] fatal, in many cases. Pine apples [sic] are as deadly [a] poison.115

Nicht alle teilten die Angst vor diesen Lebensmitteln. Einige bezweifelten gar, dass die Cholera eine echte Krankheit sei. Und so traf man sich im Park Theatre in der Nähe der City Hall, um das Phänomen zu diskutieren, trank währenddessen demonstrativ Brandy mit Wasser und aß Salat, neue Kartoffeln und „whortleberry pudding“.116 Nach Ende der Epidemie erholte sich der Ruf der Heidelbeere wieder. Es ließ sich nicht nachweisen, dass sie einer der Auslöser der Cholera war. Zudem verfügte die Beere über einen nicht zu unterschätzenden kulturellen Stellenwert. Wie die Geschichte Fennos belegt, boten Gruppenausflüge zum Heidelbeerpflücken die Gelegenheit für den unverfänglichen Kontakt zwischen ledigen Frauen und Männern aus der Mittelklasse. „Whortleberrying“ lautet dann auch der Titel einer Geschichte des Autors Alfred Billings Street, in deren Mittelpunkt einer dieser Ausflüge steht. Street beschreibt eine sogenannte „whortleberry party“ in seiner Jugend in den späten 1820er-Jahren in Sullivan County im Bundesstaat New York:

113 Niles’ Weekly Register, Vol. 42 (Baltimore: H. Niles, 1832), 390. 114 Sailor’s Magazine, (1833), 71. 115 Niles’ Weekly Register, Vol. 42 (1832), 404. 116 „The Drama“, in: The New-York Mirror: A Weekly Journal Devoted to Literature and the Fine Arts (11. Aug. 1832), 3.

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We all hunt in couples – a lover and his sweetheart – and take different paths. My companion was a tall black-eyed girl, the sight of whom always made my heart beat quicker, in those unsophisticated days. […] Glorious sport! glorious [sic] times! We talked, too, as we picked – indeed why should we not – we had the whole English language to ourselves, and no one to disturb us in it […].117

In ihrer Monografie Searching the Heart diagnostiziert die Sozialhistorikerin Karen Lystra einen Wandel der Heiratsvoraussetzungen in der Mittelklasse, der mit den Geschichten Fennos und Streets in Einklang steht. Romantische Liebe wurde spätestens ab 1800 immer stärker zur Bedingung für eine Eheschließung in dieser Schicht. Liebe an sich galt als unkontrollierbare, erstaunliche Macht. In einer romantischen Beziehung unterwarfen sich die Liebenden jedoch einem stringenten Prozess, welcher der Verifikation von Emotionen diente. Man teilte sich wiederholt tiefe innere Empfindungen mit, entweder im persönlichen Gespräch oder in Briefen.118 Zum Raum der persönlichen Interaktion wurde häufig das Elternhaus der Frau – was jedoch bestimmte Restriktionen mit sich brachte. Die Ausflüge zum Beerenpflücken aber auch ein gemeinsamer Spaziergang im Park boten die Möglichkeit für einen freieren Austausch. So lässt James in seinem Roman den Weltenbummler Morris Townsend gegenüber der Arzttochter Catherine Sloper mehrfach die Bitte äußern, sich heimlich auf dem Washington Square zu treffen, da er ihr etwas zu sagen habe. Townsend drängt auf ein Treffen auf dem Platz in der Dämmerung und versichert Sloper, dass es dort sehr still sei und sie niemand sehen werde.119 James’ Geschichte spielt in der Zeit, bevor weitere Arbeiten am Square durchgeführt wurden. Damals trafen sich die Liebenden dort noch im Mondschein. Washington Square und dessen Nachbarschaft wurden nach der Stilllegung des Armenfriedhofs sukzessive zu einem der mondänsten Orte der Stadt. Immer mehr Angehörige der oberen Mittelklasse und Oberschicht bezogen in den 1830er-Jahren die Häuser, die sich entlang des Paradeplatzes und in dessen Umgebung aufreihten.120 Ab 1840 würde der Platz dem weiter südlich gelegenen

117 Alfred Billings Street, „Whortleberrying“, in: Graham’s American Monthly Magazine of Literature and Art Vol. XXXII (Jan.-Jun. 1848), 271. 118 Karen Lystra, Searching the Heart: Women, Men, and Romantic Love in NineteenthCentury America (New York: Oxford University Press, 1989), 28-29. 119 James, Washington Square, 50-51. 120 Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1700.

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St. John’s Park den Rang als soziales Zentrum der Stadt ablaufen.121 Zwar war der ländliche Einfluss des benachbarten Greenwich Village noch spürbar, doch begann man damit, den Washington Square herauszuputzen. Ende 1848 ordnete der Common Council an, dass der Holzzaun entlang der Außenseite des Platzes einem aus Eisen zu weichen hatte. Anfang April 1849 berichtete die Evening Post: „The iron railing around these grounds is now nearly completed, making it one of the pleasant promenades of the city. The old wooden fence is gone, and with it the shabby appearance and dirty looks of the square.“122 Einen Monat zuvor hatte die Stadtverwaltung zudem die Beleuchtung des Platzes mit Gaslaternen verabschiedet. Für die Konstruktion des neuen Zauns benötigte man nicht die kompletten dafür veranschlagten Geldmittel. Die Stadt beschloss daraufhin mit dem Überhang den Bau eines Springbrunnens im Zentrum des Washington Squares zu finanzieren. Dieses Vorhaben hatte der ehemalige Bürgermeister Stephen Allen bereits 1843 angeregt. Im August 1851 wurde mit den Arbeiten begonnen und bereits im Januar des folgenden Jahres zierte den Platz ein Springbrunnen. Dieser war kostengünstig in blauen Stein eingelassen und nicht wie der Brunnen im Park vor der City Hall in weißen Marmor. Der Brunnen am Washington Square verfügte aber über ein eindrucksvolleres Wasserspiel als jener vor dem Rathaus.123 New Yorks größter öffentlicher Platz der damaligen Zeit nahm damit endlich die Form an, die seine Anwohner aus der Mittel- und Oberschicht schon lang versucht hatten durchzusetzen. In einem Beitrag zu den Parks der Stadt in der New York Times aus dem Sommer 1853 schwärmte der Autor: Washington-square [sic], all glory in. It’s a noble reservation in one of the best parts of the City. Flanked on the east by the marble University buildings and Dr. HUTTON’s [sic] church, and on all other sites by the residences of that comfortable class who can keep their carriages without being charged with extravagance, it is the favorite walking-ground of our wearied people; and on all pleasant days clean children trundle their hoops, fly their kites, or play “high spy” there, from early morning till late moonlight.124

121 „The Evolution of Manhattan“. Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1673. 122 New York Evening Post (2. Apr. 1849), in: Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1818. 123 Stokes, The Iconography of Manhattan Island, Vol. 5, 1781, 1817, 1830, 1839. Zu Springbrunnen und Wasserspektakeln in New York City siehe Kapitel 3.2. 124 „The Parks That We Have”, in: The New York Times (18. Jul. 1853).

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Washington Square diente ab diesem Zeitpunkt primär der Erfüllung der Erholungsbedürfnisse seiner direkten Anwohner aus der oberen Mittelklasse. Ein im Jahr 1860 veröffentlichtes Handbuch für Handlungsreisende spricht von der Schönheit des Platzes, zeigt sich aber gegenüber der Entwicklung zum Erholungsort der Wohlhabenden überraschend kritisch: „The park contains a fountain, but its waters are not permitted to gladden the eyes of our citizens. It is situated in the midst of a wealthy population, on University Place, Waverley Place, and Fourth and Macdougal streets [sic]”.125 Mit der Ausgestaltung des Platzes durch den Springbrunnen fand die Transformation des Areals zum Park ihren Abschluss. Washington Square Park gehörte nun neben dem Park an der City Hall, der Battery und Union Square zu den Aushängeschildern der Stadt. Zu Beginn der 1850er-Jahre war der Aufbau der Nachbarschaft entlang seiner Grenzen abgeschlossen. Jedes der einst leeren Grundstücke hatte einen Besitzer und Bebauung gefunden. Nach zweieinhalb Jahrzehnten des rapiden Wachstums und Wandels stagnierte die Entwicklung des Villages. Die Angehörigen der gehobenen Mittelschicht hatten dort ihre Wohnsitze eingerichtet und gedachten zu bleiben.126 Entsprechend unberührt zeigte sich die Gegend um den Park von Trends der Stadtentwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während die Stadtgrenze weiter nach Norden wanderte, man im Süden der Insel neu baute127 und immer mehr Menschen verschiedener Herkunft die Straßen bevölkerten veränderte sich am Washington Square wenig. Die Gegend wandelte sich weder architektonisch noch demografisch nennenswert. Der Park wurde zum Bollwerk der oberen Mittelklasse gegen den Ansturm der Unterschicht. Washington Square verfügte nicht über eine demokratische Gestaltung, die alle Teile der Bevölkerung willkommen hieß. Anfang der 1870er-Jahre führte man einige Modernisierungsarbeiten im Einklang mit den Bedürfnissen und Interessen der Anwohner durch. Der Bau von Annehmlichkeiten wie Musikpavillons, Trinkbrunnen und Pferdetränken und die Einrichtung einer öffentlichen Damentoilette halfen dabei, die Attraktivität Washington Squares für die obere Mittelklasse zu sichern. In den späten 1880er-Jahren begann man mit der weiteren Ausgestal-

125 Gobright & Pratt, Union Sketch-Book: A Reliable Guide (New York: Pudney & Russel, 1860), 23. 126 Bender, The Unfinished City, 12. 127 Der Wandel im Süden Manhattans war katastrophenbedingt. Großfeuer richteten in den Jahren 1811, 1828, 1835 und 1845 massive Schäden an der Bausubstanz an. So vernichtete etwa das Feuer im Jahr 1835 fast alle Gebäude südlich der Wall Street und östlich der Broad Street. Vgl. Plunz, History of Housing, 3.

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tung des Parks. Im Jahr 1888 errichtete man dort eine Statue zu Ehren des italienischen Freiheitskämpfers Giuseppe Garibaldi, zwei Jahre später eine Büste des Ingenieurs Alexander Lyman Holley. Das größte Projekt zur Sicherung des Stellenwerts der Nachbarschaft war jedoch die Konstruktion der Washington Arch am Fuße der Fifth Avenue.128 Die Bemühungen, das Viertel als Rückzugsort der Wohlhabenden zu sichern, waren bis zur Jahrhundertwende erfolgreich. Bender beschreibt den Platz als Strudel im Fluss der Stadt. Für ihn wird Washington Square zu einer Manifestation der kollektiven Erinnerung New Yorks, zu einem Ort mit einer distinktiven Anziehungskraft. Bender zitiert in diesem Kontext die Aussagen des russischen Historikers Alexander Lakier. Dieser stellte während eines Besuchs in New York im Jahr 1857 fest, dass die Geschichte dort ihre Strahlkraft zu verlieren scheint: „It is remarkable, that the streets intersecting Broadway up to Washington Square have historical names but beyond there are numbered 1 to 131, as if history had become exhausted and refused to serve the imagination.“129 Weiterhin interpretiert Bender die Aussagen der prominenten Autoren Whitman, James und Edith Wharton und kommt zu dem Schluss, dass der Platz als Rückzugsort vor dem Trubel der Stadt eine ausgleichende Wirkung besitzt. Washington Square ist für Bender Dreh- und Angelpunkt im komplexen Prozess der Suche nach der Seele New Yorks.130 Die Geschichten, die sich um den Washington Square ranken, lassen aber vermuten, dass mehr als nur eine Seele in der Brust der jungen Stadt wohnte, einer Stadt, der eine gewisse Zerrissenheit durchaus eigen war. Die Wandlung des Golgathas New York Citys in einen Paradeplatz und später in einen Park und die vielfältige Nutzung des Ortes spiegeln den Druck wider, unter dem die Stadt in ihrer Metropolwerdung stand. Darüber hinaus zeigt sich an seinem Beispiel wie die Angehörige verschiedener gesellschaftlicher Schichten früh mit der Wandlung beziehungsweise der Genese von Urbanität umgingen. Die im Raum ausgeübten Praktiken machten diesen zu etwas Neuen – zum Ort. Der Ort verlangte daraufhin nach neuen Praktiken und die alten Praktiken verlangten nach neuen Orten. Zeitgleich mit der Stilllegung des Armenfriedhofs in Greenwich Village beschloss man die Anlage eines neuen kommunalen Gräberfeldes weiter nördlich. Ein neues potter’s field an der 42nd Street erschien den meisten der Stadtbewohner weit genug von der stetig expandieren Stadt entfernt. Dieser Ort

128 Folpe, Washington Square, 151-52. Geismar, Washington Square, 21-22 129 Alexander Lakier, in: Bender, The Unfinished City, 13. 130 Ebd., 13-14.

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sollte dann auch nicht dem Raumhunger des wachsenden New Yorks zum Opfer fallen, sondern dazu beitragen, den Durst ihrer Bewohner zu stillen.

3.2 Quenching the City’s Thirst. Reservoir Square und der Durst der Metropole Gebeutelt von Epidemien und der Hitze des Sommers verlangte die wachsende Bevölkerung New Yorks ab den späten 1820er-Jahren mit immer größerem Nachdruck nach einer verlässlichen Wasserversorgung. Bereits im Rahmen des Commissioners’ Plans wurden erste Überlegungen diesbezüglich angestellt. Die Brunnen und Regenwasserzisternen auf der Insel reichten nicht mehr für die Versorgung aller Stadtbewohner aus.131 Verunreinigungen durch Fäkalien, Abfall und menschliche und tierische sterbliche Überreste machten die Brunnen in den Sommermonaten zum Gesundheitsrisiko. Die Zisternen und andere stehende Gewässer, wie der außerhalb der Stadtgrenzen gelegene Fresh Water Pond, boten währenddessen Moskitos und Stechmücken ideale Brutstätten. Malaria war in New York City kein so großes Problem, das von den Mücken übertragene Geldfieber hielt die Stadt aber über mehr als ein Jahrhundert in den Sommermonaten in Schach. In Folge der Trockenlegung immer größerer Areale der Insel im frühen 19. Jahrhundert sank die Zahl der Gelbfieberinfektionen dann aber rasch ab. Eine bakterielle Infektionskrankheit – die Cholera – würde das Fieber ab den 1830er-Jahren als Haupttodesursache auf der Insel in der Zeit zwischen Juli und September ablösen. In der Behandlung von Gelbfieber und Cholera spielte Wasser häufig eine prominente Rolle.132 Sauberes Trinkwasser avancierte in New York City im Laufe der Zeit zum Luxusgut. Seit dem Jahr 1799 verfügte die Stadt mit der Manhattan Company über einen kommunalen Wasserversorger. Die einst gemeinsam von Burr und Hamilton gegründete Firma erfüllte ihre eigentliche Aufgabe aber nur bedingt. Sie entstand offiziell als Reaktion auf die vorangegangenen Gelbfieberausbrüche in der Stadt, die auf schmutziges Trinkwasser zurückgeführt wurden und sollte eine Wasserleitung von der Bronx bis an die Südspitze Manhattans legen. Ihr inoffizielles Ziel war die Schaffung einer Bank. Der Manhattan Company wurden vom Staat New York Bankenprivilegien zugesichert, sofern sie die Monopolstel-

131 Duffy, A History of Public Health, 209-210. 132 Charles H. Weidner, Water for a City: A History of New York City’s Problem from the Beginning to the Delaware River System (New Brunswick: Rutgers University Press, 1974), 22-23. Vgl. Duffy, A History of Public Health, 49, 74, 239.

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lung im Bereich der Wasserversorgung inne hatte. Dementsprechend interessiert war die Firma an der Ausschaltung von Konkurrenten, während zeitgleich geringer Aufwand im Bereich der Netzerweiterung betrieben wurde.133 In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens verlegte die Manhattan Company an die dreißig Kilometer Wasserleitung und versorgte damit gut zweitausend Haushalte im Jahr 1808. Innerhalb einer Stadt mit etwa 90.000 Einwohnern, war dies allerdings nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Mit den zusätzlich gebohrten Brunnen gelang es der Firma gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung New Yorks mit Wasser zu versorgen – bis 1830 steigerte sich der Wert auf immerhin 30 Prozent. Allerdings lieferten die unterirdisch verlegten hölzernen Leitungen meist kein sauberes Trinkwasser, denn die Abwässer der Stadt drangen in diese ein. Außerdem zogen die Wurzeln von Bäumen und Sträuchern Wasser aus den Leitungen, wuchsen in diese hinein, verstopften sie oder brachten sie gar zum Bersten. Oft saßen die Kunden der Manhattan Company über Tage und Wochen hinweg auf dem Trockenen und selbst wenn das Wasser durch die Leitungen floss, so war dieses meist nicht zum Verzehr geeignet. Angehörige der Mittel- und Oberschicht, deren Haushalte über Wasseranschlüsse der Firma verfügten, kauften zusätzlich frisches Wasser zum Kochen und Trinken und teilweise gar zum Waschen. Die Wasserhändler fuhren es mit ihren Wagen aus der Bronx an.134 Trotz der katastrophalen Zustände im Bereich der Wasserversorgung auf der Insel expandierte New York City weiter. Doch es wuchs auch die Einsicht, dass die Stadt mit einem übergreifenden Wasser- und Abwassersystem ausgestattet werden musste. Hatte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch eine Versorgung allein durch den Bronx River für möglich gehalten, so zeichnete sich bereits im Jahr 1830 ab, dass dieser allein nicht imstande sein würde, den Durst der Stadt zu stillen. Die Stadtväter gaben die Suche nach Alternativen in Auftrag.135 Schon im Commissioners’ Plan wurde Observatory Place als geeigneter Platz für das Rückhaltebecken eines Aquädukts ausgewiesen. Die im Jahr 1833 ins Leben gerufene Water Commission sollte entscheiden ob die Stadt durch ein Aquädukt mit Wasser versorgt werden konnte. Außerdem wurden Alternativmaßnahmen debattiert. Vorerst befassten sich die staatlich ernannten Kommissare mit der Suche nach der besten Süßwasserquelle im weiteren Umkreis. Dabei knüpfte sie an die vom New York Committee on Fire and Water136 geführten Debatten aus dem

133 Ebd., 20-21. 134 Ebd., 22-23. Vgl. Rosenwaike, Population History, 16. 135 Weidner, Water for a City, 32-37. 136 Das Komitee gehörte zu den beratenden Unterausschüssen des Common Councils.

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Jahr 1831 an. Erwogen wurden der Bau eines Kanals vom Bronx River nach Manhattan, das Anzapfen des Passaic River in New Jersey und die Stauung des Hudson Rivers.137 Der erfolgreiche Bau des Eriekanals bestärkte den Glauben an das Gelingen und den Nutzen ausgeklügelter hydraulischer Großprojekte.138 So entschied man sich gegen die verhältnismäßig simple Lösung, einen Kanal vom Bronx River nach Manhattan zu ziehen, da es zwar eine schnelle, aber keine dauerhafte gewesen wäre. Der Croton River im spärlich bevölkerten Westchester County – gut 60 Kilometer nördlich der Stadt gelegen – schien die wesentlich bessere Wasserquelle zu sein. Die Konstruktion eines Aquädukts versprach die sichere Versorgung der Stadt mit sauberem Wasser über Jahrzehnte hinweg. Die notwendigen Speicherbecken waren zudem die beste Feuerversicherung für New York City.139 Das Großfeuer im Dezember 1835 machte das Fehlen einer angemessenen Feuerschutzinfrastruktur auf Manhattan Island schmerzhaft deutlich. Zwar wurde im Jahr 1829 mit dem New York City Reservoir eine Löschzisterne an der Kreuzung von Bowery und 13th Street errichtet, von der aus sich Wasserleitungen durch die gesamte Stadt zogen, ihr Fassungsvermögen reichte aber für die Bekämpfung größerer Brände nicht aus.140 Im Jahr 1834 erteilte die Staatsregierung dem Common Council die Vollmacht zur Konstruktion eines städtischen Wasserwerks. Im Frühling des Folgejahres hatte die Stadtbevölkerung in einem Referendum über den Aquäduktbau von Westchester County nach New York City zu entscheiden. Die Mehrheit stimmte dem Vorhaben zu und somit machte sich der Common Council zur Ausgabe der ersten Anleihen im Gesamtwert von zwei Millionen Dollar zur Projektfinanzierung bereit. Trotz wirtschaftlich schwerer Zeiten fand sich eine Menge williger Anleger, sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa. Eine Investition in die Wasserversorgung New York Citys erschien vielen Anlegern als attraktiv. Allerdings gab es auch Widerstand gegen das Aquädukt. Im Norden Manhattans wehrte man sich gegen die Konstruktion der riesigen Speicher-

137 Duffy, A History of Public Health, 394-96. Gandy, Concrete and Clay, 29-30. F.B. Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct (New York: Wiley and Putnam, 1843), 69-75. 138 Vgl. Board of Aldermen, Report of the Croton Aqueduct Board in Relation to the Ways and Means of Paying the Croton Water Debt (New York: Chas. King, 1842), 569. 139 Gandy, Concrete and Clay, 29-30. 140 Duffy, A History of Public Health, 392. The Family Magazine: Or, Monthly Abstract of General Knowledge, Vol. 6 (New York: J.S. Redfield, 1839), 117.

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becken. Deren Bau drohte den Grundstückswert des umliegenden Landes zu vermindern. Zudem förderten die Brunnen im Norden der Insel noch klares und sauberes Trinkwasser zu Tage und man sah folglich keinen Bedarf für die Einrichtung eines neuen Wassersystems. Auch in Westchester County und entlang des Verlaufs des geplanten Aquädukts regte sich Widerstand. Bauern prangerten die Teilung ihrer Felder an und beklagten Zwangsumsiedlungen.141 Die Erschließung des Croton Rivers für die Wasserversorgung New Yorks hatte eine Ausweitung der „ökologischen Grenzen“ der Stadt zur Folge.142 Kam es vorher schon zum Gütertransfer mit dem Hinterland so erlangten die Beziehungen von Stadt und Umland durch den Bau des Aquädukts eine neue Qualität. Die junge, wachsende Metropole veränderte nicht nur die Landschaft auf Manhattan Island, sondern formte auch große Teile der Bundesstaaten New York und New Jersey. In ihrer Entwicklung hin zur Großstadt war New York City stark auf die Ressourcen des Festlands angewiesen. Das urbane Wachstum verdrängte die Landwirtschaft von der Insel. Frisches Obst und Gemüse kamen nun aus den Gärten New Jerseys, während Wasser mit Hilfe der Schwerkraft aus dem eigenen Bundesstaat auf die Insel transportiert wurde.143 Doch nicht nur im Umland änderte sich einiges durch den Bau des Aquädukts, mit dem 1837 begonnen wurde, auch in New York City veränderte sich vieles – wie die Stadtverwaltung erhofft hatte – zum Guten. Der Bau der neuen Wasserinfrastruktur würde die Stadt mit sauberem Trinkwasser versorgen und zum Brandschutz beitragen. Darüber hinaus erschloss das Aquädukt neue Unterhaltungs- und Erholungsmöglichkeiten für die Stadtbevölkerung. So zeitigten dessen Konstruktion und Fertigstellung den einen oder anderen Festakt. Die am Projekt beteiligten Ingenieure unter der Führung des Anwalts John Bloomfield Jervis hatten aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und ein einfach erweiterbares Wasserleitungssystem aus Eisenrohren konzipiert, in dem sich der Wasserdruck durch Schleusen regulieren ließ. Zudem wurden nicht nur zwei große Wasserspeicher auf Manhattan Island errichtet, sondern auch ein weiterer unweit des Croton Rivers. Das sogenannte Fountain Reservoir diente mit einer Wasserfläche von 1,6 km2 der Vorreinigung des Wassers. Überdies hätte es die Bewohner der Stadt mit seinem Fassungsvermögen von mehr als

141 Gandy, Concrete and Clay, 30. 142 Ebd., 19. 143 Ebd., 23. Henry D. Rogers, Description of the Geology of the State of New Jersey: Being a Final Report (Philadelphia: Sherman & Co., 1840), 48.

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zwei Millionen Kubikmetern allein über Wochen und Monate hinweg mit Wasser versorgen können.144 In gerade einmal fünf Jahren gelang den Arbeitern und Ingenieuren die Fertigstellung des Aquädukts. Die große Eröffnungsfeier am 14. Oktober 1842 versetzte die Stadt und die Nation in Staunen.145 Das Croton Aqueduct verfügte über eine vergleichbare kulturelle Bedeutung wie der Eriekanal oder später die Brooklyn Bridge. Es war eine Ikone der Transformation im Sinne Benders.146 Seine Inbetriebnahme markierte einen Wendepunkt in der Stadtgeschichte. Diskurse über Wasserknappheit und Verschmutzung wurden von Narrativen des Überflusses und der Reinheit abgelöst. Die außergewöhnlichen Ingenieursleistungen machten die Versagen der Vergangenheit vergessen und versprachen eine goldene Zukunft. Der Autor Ezekiel Porter Belden fasste 1849 die Bedeutung des Aquädukts folgendermaßen zusammen: It was constructed by a single city, during a period of great commercial embarrassment, and in the face of great natural difficulties, while yet in infancy of its growth. […] The successful accomplishment of the gigantic undertaking […] has afforded [the citizens of New York] more satisfaction than they could have derived from any [other] project, […].147

Nationalstolz und Lokalpatriotismus zugleich manifestierten sich dann in den Eröffnungsfeierlichkeiten.148 Diese zogen sich über knapp vier Monate und gipfelten in einem Festakt im Oktober 1842. Mit der Feier kleinerer Etappensiege wurde allerdings bereits im Sommer begonnen. So testeten die Ingenieure am 22. Juni die Fließgeschwindigkeit des Wassers auf der kompletten Länge des Bauwerks, indem sie ein kleines Boot, die Croton Maid, in das Aquädukt einsetzten und mit einer vier Mann starken Besatzung nach Öffnung der Schleusen von der Strömung gen Süden treiben ließen. Nach 22 Stunden Fahrt erreichten Wasser, Boot und Männer an einem Donnerstagnachmittag Harlem. Die Ingenieure in-

144 John Bloomfield Jervis, Description of the Croton Aqueduct (New York: Slamm and Guion, 1842), 22-23. Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 76-77. 145 Brooks McNamara, Day of Jubilee: The Great Age of Public Celebrations in New York, 1788-1909 (New Brunswick: Rutgers University Press, 1997), 84-91. 146 Vgl. Bender, The Unfinished City, 4-5. 147 Belden, New-York: Past, Present, and Future, 41-42. 148 Vgl. Richard Haw, The Brooklyn Bridge: A Cultural History (New Brunswick: Rutgers University Press, 2005), 24. Alan Trachtenberg, Brooklyn Bridge: Fact and Symbol (New York: Oxford University Press, 1965), 115-16.

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formierten daraufhin umgehend den Common Council und den Bürgermeister Robert Morris über die erfolgreiche Fahrt und ihr Vorhaben, am folgenden Montag mit der Befüllung des ersten Speicherbeckens zu beginnen.149 Am 27. Juni 1842 versammelten sich mehrere hundert Menschen – darunter Vertreter der Staats- und der Stadtregierung, des Militärs und der Feuerwehr – am westlich von Yorkville150 gelegenen großen Wasserspeicher. Die Ingenieure setzten die Croton Maid in Harlem wieder in das Aquädukt ein, damit sie gemeinsam mit dem ersten Wasser das Rückhaltebecken erreichte. Unter großem Jubel kam das kleine Boot in der Upper West Side an. Die anwesende Artillerie feuerte zur Feier des Tages 38 Gewehrsalven ab. Im Anschluss übergaben die Ingenieure die Croton Maid als Geschenk an die Feuerwehr der Stadt. In einer kurzen Rede wurde erneut die Größe und Pracht des Aquädukts betont. Nachdem der erste Speicher gefüllt war, wurde am 2. Juli damit begonnen das Wasser weiter gen Süden zu leiten. 151 In Murray Hill hatte die Corporation ein zweites Rückhaltebecken bauen lassen, um die effiziente Wasserverteilung auf der Insel zu gewährleisten.152 Als Standort bot sich eine Parzelle zwischen der Fifth Avenue und Sixth Avenue nördlich der 40th Street an. Nach der Stilllegung des Gräberfelds in Greenwich Village hatte die Corporation diese im Jahr 1825 zur Anlage des neuen Armenfriedhofs ausgewiesen. Das kostengünstige Stück Land eignete sich aufgrund seiner Geologie aber nicht für Bestattungen, denn der Untergrund war zu felsig. Als im Jahr 1837 mit den Bauarbeiten zum Croton Aqueduct begonnen wurde deklarierte der Ältestenrat der Stadt das Land daraufhin als mögliches Bauland. In der Literatur wurde bislang immer davon ausgegangen, dass das Grundstück, auf dem der Wasserspeicher angelegt wurde, tatsächlich als Friedhof fungierte. Aus den Protokollen des Ältestenrates der Stadt geht jedoch hervor, dass ein Stück Land weiter nördlich an der 50th Street als potters’ field diente. Es ist anzunehmen, dass sich Historiker wie Burrows und Wallace in ihren Darstellung des Ortes als Friedhof auf den New York City Guide des National Writers’ Program aus dem Jahr 1939 stützten. In diesem ist im Kontext des Stadtfriedhofs auf Ward’s Island von 100.000 Exhumierungen an der 42nd

149 King, A Memoir, 195-96. 150 Yorkville war ähnlich wie Greenwich Village zuerst landwirtschaftlich geprägt. Das Dorf mit seiner Ausdehnung zwischen 79th und 96th Street avancierte durch die Erschließung der Upper East Side im 19. Jahrhundert ebenfalls zu einer Enklave der wohlhabenden Stadtbewohner. 151 King, A Memoir, 196. 152 Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 118-19.

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Street im Jahr 1840 die Rede. Im Jahr 1840 hatte man das Fundament für den Wasserspeicher in Murray Hill allerdings bereits gelegt.153 Der felsige Untergrund der Parzelle versprach die Last des Speichers ohne weiteres zu tragen. Zudem lag das Grundstück zentral auf einem der höchsten Punkte in der Mitte der Insel. Das Bodenrelief fiel davon nach Osten, Süden und Westen ab. Der Wasserspeicher in Murray Hill verhieß damit eine gleichmäßige Wasserdistribution im südlichen Inselgebiet. Dennoch stand der Bau des Speichers lange Zeit in der Kritik. Öffentlich wurde die Frage laut, ob überhaupt ein weiteres Speicherbecken auf der Insel vonnöten sei. Das große Reservoir im Norden erschien vielen – auch in Anbetracht der prognostizierten horrenden Baukosten des Aquädukts – als ausreichend. Die Ingenieure beharrten jedoch auf dem Bau der zweiten Großstruktur weiter südlich154 und dies zu Recht, wie sich im Sommer 1842 zeigen sollte. Im Morgengrauen des 4. Juli wurde damit begonnen das Becken in Murray Hill zu befüllen. Um fünf Uhr morgens floss das erste Wasser, begleitet von Glockenläuten und Gewehrsalven, jedoch unter den Augen nur weniger Schaulustiger, in das festlich geschmückte Reservoir. Der Bürgermeister, die Mitglieder des Common Council und andere prominente Stadtbewohner fanden sich später am Vormittag ein und sahen dabei zu wie das Becken sich langsam füllte. An der Kreuzung von Fifth Avenue – an dieser entlang verliefen die Hauptleitungen – und 47th Street inszenierte man überdies anlässlich des Unabhängigkeitstages ein kleines Spektakel. Eine Wasserfontäne schoss 15 Meter hoch gen Himmel und zog ein beachtliches Publikum an. Als die Ingenieure alle Zuläufe zum zweiten Speicherbecken öffneten sank der Druck in den Leitungen allerdings rapide ab. Das Wasserspiel fiel folglich in sich zusammen und konnte erst einige Stunden später wieder in Betrieb genommen werden.155 Die mit einem Mal nur noch vor sich hin plätschernde Fontäne führte auch den Zweiflern die Bedeutung des zweiten Wasserspeichers auf der Insel vor Augen. Nur damit konnte man sicher sein, dass auch bei massiver Wasserabnahme aus dem System, etwa während eines Brandes oder in den heißen Sommermonaten generell, der Druck in den Leitungen für die Versorgung der Stadt ausreichen

153 Board of Aldermen, Proceedings of the Board of Aldermen: From November 21, 1836, to May 9, 1837, Vol. XII (New York: Common Council, 1837), 278. Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 579, 669. Inskeep, Graveyard Shift, 27. National Writers’ Program, New York City Guide (New York: Random House, 1939), 425-26. Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 68. 154 Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 118-19. 155 King, A Memoir, 196. Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 122.

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würde. Geplagt von der Angst vor einem neuerlichen Großbrand, bat Morris, kurz nachdem sich das Becken in Murray Hill zu füllen begonnen hatte, um die Zuleitung von Wasser in die Löschzisterne an der 13th Street. Sie war leer, weil es lange nicht geregnet hatte. Die Ingenieure sicherten ihre Hilfe zu und begannen damit, Wasser in das unfertige Leitungssystem, das gen Süden verlief, einzuspeisen. Allerdings dauerte es mehr als einen Tag, bis dieses gleichmäßig in das sogenannte New York City Reservoir floss. Die Leitungen südlich der 40th Street konnten nicht mit einem ähnlich gleichmäßigen Gefälle verlegt werden, wie jene im Norden. Ob Wasser zügig hindurch floss, hing direkt mit dem Pegelstand des kleineren Speicherbeckens zusammen. War dieser zu niedrig, so transportierten die Leitungen das Wasser nur zögerlich. Folglich gluckerte es gewaltig in den Leitungen, als die Zuläufe zur Zisterne geöffnet wurden als das Rückhaltebecken noch nicht ausreichend gefüllt war. Der ungleichmäßige Wasserstrom verdrängte die Luft aus den Leitungen nur unzulänglich und sofort war von Pfusch am Bau die Rede.156 Der unermüdliche Einsatz der Ingenieure brachte das Wasser aber schließlich doch zum Laufen. Sie entlüfteten das System schrittweise und schon bald war auch die Löschzisterne gefüllt. Die prunkvolle Eröffnungsfeier des Aquädukts im Oktober 1842 ließ die anfänglichen Schwierigkeiten dann schnell vollkommen vergessen. Lockten die Feierlichkeiten im Juli schon einige tausend Schaulustige aus den Nachbarschaften der Stadt nach Murray Hill so zog die von langer Hand geplante offizielle Zeremonie Menschen aus allen Teilen des Landes und sogar aus Übersee an. Zur Feier des Tages standen alle Geschäfte in New York City still.157 Zwar hatten Präsident John Tyler und auch die ehemaligen Präsidenten John Quincy Adams und Martin van Buren wegen anderer Verpflichtungen abgesagt, aber geladene Vertreter aus den Partnerstädten New Yorks und hochrangige Diplomaten nahmen neben Vertretern der Stadtverwaltung an der extravaganten Zeremonie teil.158 Von den frühen Morgenstunden bis in die Nacht reihte sich ein Festakt an den anderen. Eine extra zu diesem Anlass ausgerichtete Militärparade wusste die Massen zu begeistern, aber die Inbetriebnahme des Brunnens im Park vor dem Rathaus stellte alles Andere in den Schatten. Dessen höchste Fontäne schoss mehr als zwanzig Meter hoch gen Himmel und versetzte die Anwesenden in

156 Jervis, Description of the Croton Aqueduct, 29. King, A Memoir, 196. 157 Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 122. 158 King, A Memoir, 229-30, 236-40.

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Staunen.159 Begleitet wurde das Schauspiel vor der City Hall vom Gesang der Mitglieder der New York Sacred Music Society. Diese trugen das Lied The Croton Ode vor. Es war im Auftrag der Corporation entstanden. Sein Text stammte aus der Feder des Schriftstellers und Herausgebers George P. Morris.160 Am Tag der Feierlichkeiten ließ die Stadtverwaltung Handzettel mit dem Liedtext verteilen. Als das Orchester zu spielen begann, stimmten tatsächlich einige mit in den Gesang ein. Die Melodie, die erklang, war den Meisten wohlbekannt, handelte es sich doch um eine Adaption des Chorstücks „Coro di ninfe“ aus der populären Oper Armida von Gioachino Rossini. Am Lautesten schallten die Stimmen aber zum Abschluss des öffentlichen Festaktes. Der Zeremonienmeister Gilbert Hopkins bewegte die Massen dazu die Stadt und das Aquädukt neun Mal hochleben zu lassen. Im Anschluss zogen sich die Politiker und die geladenen Gäste in das Rathaus zum Empfang zurück und der Park leerte sich langsam. Die Feierlichkeiten waren durchweg ohne größere Zwischenfälle verlaufen. Bei der Polizei wurde der ein oder andere Taschendiebstahl angezeigt, aber ansonsten blieb es in der Stadt ruhig.161 Während der Eröffnungsfeier wurde immer wieder betont, dass New York City nun endlich über eine adäquate Wasserversorgung für alle Angehörigen der Bevölkerung verfügte und so wurde auch die Erziehungsanstalt für straffällig gewordene Kinder- und Jugendliche, das New York House of Refuge, im Jahr 1843 mit einem eigenen Hauswasseranschluss versehen. Anschließend ließen die Reformer, die die Anstalt leiteten, ein großes Badebecken auf dem Grundstück des Heims bauen. Mit seinem Fassungsvermögen von fast 19 Kubikmetern stand es den Kindern als Schwimmbad in den Sommermonaten zur Verfügung.162

159 Belden, New-York, 32. Phelps’ New York City Guide; Being a Pocket Directory for Strangers and Citizens to the Prominent Objects of Interest in the Great Commercial Metropolis (New York: T.C. Fanning, 1853), 47. 160 King, A Memoir, 299-301 161 Ebd. Die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen glichen denen während der Hinrichtungsspektakel. Das Militär und die Polizei zeigten Präsenz und überwachten die Menge, um mögliche Ausschreitungen zu verhindern oder zu unterbinden. 162 Nineteenth Annual Report of the Board of Managers of the Prison Discipline Society (Boston: Prison Discipline Society, 1844), 68, 398. Twentieth Annual Report of the Board of Managers of the Prison Discipline Society (Boston: Prison Discipline Society, 1847), 32-33, 478-479.

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The introduction of Croton water throughout the establishment has fully realized the expectations of the board of managers. The importance is clearly seen in its moral and physical effects upon the children. A large bath has been erected, capable of containing nearly five thousand gallons of water; and here the children enjoy, in proper seasons, the healthful and agreeable recreation of bathing.163

Das Baden und die Ausübung des Schwimmsports galten in der Mittel- und Oberschicht als gesundheitsfördernde und moralisch vertretbare Freizeitbeschäftigungen, sofern die richtigen Techniken Anwendung fanden. Badehäuser, wie etwa das New York Bath, die Arcade Baths und das Public Marine Bath, zogen bereits im frühen 19. Jahrhundert, durch Angebote wie Solebäder und Wassergymnastik im warmen als auch im kalten Wasser, ein großes, aber primär mittelständiges Publikum an.164 Schwimmen als eine den Körper kräftigende Form des Kaltwasserbadens erfreute sich klassenübergreifend großer Beliebtheit.165 In New York City zählte es zu den populärsten Sportarten in den Sommermonaten. Die von Wasser eingeschlossene Stadt war reich an natürlichen Badestätten: der Hudson River sowie der East River fungierten neben den diversen Seen auf der Insel als Naturfreibäder. Adelman merkt in A Sporting Time dennoch an, dass Schwimmen als sportliche Freizeitbeschäftigung trotz Zuspruch von allen Seiten in New York City nur schwer Fuß zu fassen schien. Zu diesem Schluss kommt er, da die Stadt Mitte des 19. Jahrhunderts nur über eine geringe Anzahl von Schwimmschulen und Schwimmclubs verfügte. Zudem wurden ab dem Jahr 1850 in Zeitungen und Zeitschriften die Rufe nach öffentlichen Schwimmbädern immer lauter. Diese stießen jedoch auf taube Ohren.166 Die Bitte nach der Schaffung von Gemeindeschwimmbädern hatte ihren Ursprung in der gehobenen Mittelklasse. Deren Angehörige hofften auf die Anlage kommunal finanzierter und reglementierter Badeanstalten. Dort sollten Kinder und Jugendliche, beiden Geschlechts, das sommerliche Badevergnügen, unter

163 Twentieth Annual Report of the Board of Managers, 32, 478. 164 William A. Alcott, Thoughts on Bathing (Boston: George W. Light, 1839), 16-20. Bishop Davenport, A New Gazetteer Or, Geographical Dictionary, of North America and the West Indies (Baltimore: George M’Dowell & Son, 1832), 354-55. Edwin Williams, The New-York Annual Register (New York: Peter Hill, 1833), 418. 165 Alcott, Thoughts, 16-17. 166 Adelman, A Sporting Time, 255.

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professioneller Aufsicht, genießen können und körperliche und moralische Stärkung erfahren.167 Abseits des organisierten, mit Vorschriften behafteten Schwimmsports, für dessen Aufbau sich die Mittel- und Oberschicht einsetzte, begab sich ein großer Teil der Stadtbevölkerung aber ohne gesonderte Anleitung ins Wasser. Vor allem Handwerker und Arbeiter sprangen an Samstagabenden in den heißen Sommermonaten ins kühle Nass. Zum einem zum Vergnügen, zum anderen, um sich den Schmutz am Ende einer Arbeitswoche vom Körper zu waschen. Das war jedoch nicht ganz ungefährlich. Immer wieder ertranken Schwimmer, weil sie ungeübt waren, sie die Strömung zu weit vom Ufer weg trieb, oder sie in der Hitze des Sommers einen Kreislaufzusammenbruch beim Eintauchen in das kalte Wasser erlitten.168 Der Arzt und Reformer William Alcott veröffentlichte im Jahr 1839 einen Leitfaden für den Badesport. Der aus Neuengland stammende Alcott zählte zu den einflussreichsten Lebenshilfeautoren der Zeit. Er begrüßte die Ausübung des Schwimmsports durch Angehörige aller Schichten, warnte allerdings vor den gesundheitlichen Langzeitschäden, die angeblich durch das zu lange Baden in zu kaltem Wasser ausgelöst würden.169 Alcott führte die Leiden seiner Patienten, die sonst keine direkte Ursache zu haben schienen, auf unverantwortliches Schwimmverhalten, Alkohol- und Tabakkonsum zurück. Im Laufe seiner Tätigkeit sah sich der Arzt, wie viele andere seiner Kollegen auch, immer wieder mit Wasserleichenfunden konfrontiert. In New York behinderte die Anschwemmung lebloser Körper häufig den Betrieb an den Docks.170 Bereits im Jahr 1817 erließ die Stadt ein Gesetz welches das Schwimmen in den natürlichen Gewässern reglementierte. Es untersagte das Schwimmen im East und im Hudson River in der Nähe der Fähranleger und das Baden an der Battery an der Südspitze Manhattans. Weiterhin verbot man das Schwimmen in den beiden Flüssen abseits des Schiffsverkehrs, in der Zeit zwischen sechs Uhr morgens und acht Uhr abends. Ein Verstoß gegen das Gesetz wurde mit einer Geldstrafe in Höhe von fünf Dollar geahndet. An das Tagesschwimmverbot in den beiden großen Flüssen hielten sich aber die Wenigsten, ebenso wenig wie an das im gleichen Atemzug verhängte Verbot, Drachen steigen zu lassen: „[…] if

167 Ebd., 255-56. 168 Alcott, Thoughts, 16-17. 169 Ebd. 18, 22-23. 170 Vgl. American Slavery as It Is: Testimony of a Thousand Witnesses (New York: American Anti-Slavery Society, 1839), 142. The First Annual Report of the NewYork City Tract Society (New York: D. Fanshaw, 1828), 42.

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any person […] shall raise or fly any kite, in any high-way street, lane, or alley, within the lamp or watch district of said city, every such person shall forfeit and pay for every such offence the sum of Five Dollars“.171 Solange man nicht an den befestigten Piers zum Baden ins Wasser ging, war es für die Stadtverwaltung faktisch unmöglich, Verstöße gegen das Schwimmverbot auszumachen oder gar zu ahnden und das Drachensteigenlassen ließ sich ebenso schlecht bestrafen.172 Während also die Angehörigen der Mittel- und Oberschicht New Yorks für die Einrichtung öffentlicher Bade- und Vergnügungsstätten plädierten, hatten die Angehörigen der Unterschicht diese offensichtlich schon lang gefunden. Mit Fertigstellung des Croton Aqueduct im Jahr 1842, das der Versorgung New York Citys mit sauberem Trinkwasser diente, etablierte man weitere inoffizielle Schwimmbäder.173 Die Rückhaltebecken auf der Insel – sowohl das große zwischen 79th und 86th Street, als auch jenes an der Kreuzung von Fifth Avenue und 42nd Street – waren relativ frei zugänglich. Das größere der beiden, das ebenerdige receiving reservoir, würde später in den Central Park integriert werden. Das kleinere distributing reservoir weiter südlich, an dessen Stelle heute das Hauptgebäude New York Public Library steht, entwickelte sich schon vorher zum Ausflugsort. Schon am ersten Tag seiner Befüllung zog das dort inszenierte Wasserspiel die Massen an. In der Folgezeit lockte das riesenhaft anmutende, steinerne Bauwerk selbst die Menschen nach Murray Hill. Der temple174, wie das distributing reservoir aufgrund seiner ägyptisch anmutenden Fassade genannt wurde, ragte nach Fertigstellung an seinem höchsten Punkt fast fünfzehn Meter über das umliegende Land empor, fasste gut 80.000 m3 Wasser und war durch eine steinerne Innentreppe an der Fifth Avenue begehbar.175

171 Hervorhebungen im Original. Laws and Ordinances Ordained and Established by the Mayor, Aldermen & Commonality of the City of New-York (New York: T. & J. Swords, 1817), 13. 172 Im Laufe der Zeit wuchs die Liste der im Stadtraum verbotenen Praktiken immer weiter. Bemerkenswerter Weise kam es aber nicht zu einer Anpassung der zu entrichtenden Strafzahlungen. Der Satz von fünf Dollar galt im Jahr 1817 genauso wie 1839. Vgl. By-laws and Ordinances of the Mayor, Aldermen, and Commonalty of the City of New-York (New York: William B. Townsend, 1839), 262-64. Laws and Ordinances Ordained (1817), 13. 173 Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 625-27. 174 Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 122. 175 Jervis, Description of the Croton Aqueduct, 6, 26-27. Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 119-20.

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Abbildung 6: Das Reservoir in Murray Hill (1850)

Erklomm man diese, so gelangte man zu einer Promenade, die direkt am Wasser entlang verlief. Die mehrere Meter dicken Mauern des Speicherbeckens hatten die beteiligten Ingenieure als Flaniermeile und Aussichtspunkt konzipiert. Von dort aus ließ sich fast die gesamte Insel und Teile von Brooklyn und New Jersey überblicken. Zum Schutz der Besucher war die Promenade zu den Seiten hin von Metallgeländer begrenzt, denn ein Sturz von der Bassinmauer war alles andere als ungefährlich. Auch zum Wasser hin waren als Sicherheitsmaßnahme Geländer angebracht worden. Die maximale Füllhöhe des Beckens, dessen Granitmauern nach innen und außen schräg abfielen, lag bei 1,20 Meter unterhalb des Randes. Entsprechend schwierig wäre es gewesen, dem Wasser abseits der Bootstreppen wieder zu entsteigen. Am nördlichen Ende der Mauer, die das Becken teilte, hatten die Ingenieure zwei Anlegestellen für Wartungsboote konstruiert. Der Zutritt war für Unbefugte durch ein Eisentor versperrt.176 Geschickten Kletterern und guten Schwimmer gelang es aber immer wieder, sich des Nachts Zugang zum wohl besten Schwimmbecken der Stadt zu verschaffen. Ähnlich wie andere öffentliche Einrichtungen, verfügte die Passage des Reservoirs über reguläre Öffnungs- und Schließzeiten. In der Abenddämmerung

176 Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 120-21.

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bat man die Besucher, die Promenade wieder freizugeben und schloss die Tore am Eingang an der Fifth Avenue. Nach Toresschluss gab es von außen keine Möglichkeit ans Wasser zu gelangen – von innen allerdings schon. Zum Frostschutz und für die einfache Wartung hatten die Ingenieure das Speicherbecken doppelwandig konstruiert. Im Inneren fand sich abseits der Eingangshalle ein komplexes System aus Treppen und Gängen. In diesem versteckten sich interessierte Schwimmer und Angler und warteten darauf, dass das Wachpersonal das Bassin verließ. Dann kamen sie wieder aus ihren Verstecken hervor und begaben sich nach oben ans Wasser.177 Bis ins Jahr 1856 war ein Besuch der Speicherbecken des Aquädukts auf der Insel besonders für Angler höchst attraktiv. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine Vorrichtungen, die verhinderten, dass Fische den Wasserlauf entlang im System mit nach Manhattan schwammen. Die Bassins auf der Insel boten ihnen einen optimalen Lebensraum. Im klaren, sauerstoffreichen und frostsicheren Wasser der Rückhaltebecken tummelten sich schon bald die Fische – sehr zur Freude der Angler und sehr zum Leidwesen der verantwortlichen Ingenieure. Nachdem die Wasserqualität in New York City unter den schwimmenden Bewohnern der Speicherbecken merklich zu leiden begann und diese auch immer häufiger die Leitungen weiter südlich auf der Insel verstopften, griffen die Verantwortlichen ein. An verschiedenen Stellen im System wurden feinmaschige Gitter angebracht um die Fischwanderung zu unterbinden. Dann ließ die Wasserkommission die Reservoire reinigen. Zuerst wurde der große Speicher komplett geleert und von Schmutz befreit, bevor sich dem Bassin in Murray Hill angenommen wurde. Ganz fischfrei bekam man das Wassersystem New York Citys aber auch durch diese Maßnahmen nicht.178

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Charles Fenno Hoffman, „Old Time Tales – The Man in the Reservoir“, in: Current Literature: A Magazine of Record and Review (Vol. III, Jul.-Dez. 1889), 48-49. Tower, Illustrations of the Croton Aqueduct, 120-21.

178 Annual Report of the Croton Aqueduct Department Made to the Common Council of the City of New York (New York: McSpedon & Baker, 1856), 9-10. Ebenfalls problematisch war die Verwendung von Bleileitungen innerhalb des Wassersystems. Bleivergiftungen traten besonders in den ersten Jahren nach Inbetriebnahme des Aquädukts vermehrt in New York City auf. Zuerst nahm man an, das Wasser aus Westchester County sei an sich giftig. Untersuchungen der Ärzte der Stadt und Berichte aus Europa lenkten die Aufmerksamkeit aber schon bald auf die in Privathaushalten verbauten Bleileitungen. Nach deren Austausch durch Leitungen aus Eisen erholte sich der Ruf des Croton-Wassers wieder. Vgl. Samuel L. Dana (Hg.), Lead Diseases: A Treatise from the French by L. Tanquerel des Planches, with No-

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In einer erstmals im Jahr 1848179 veröffentlichten Kurzgeschichte des Autors Charles Fenno Hoffman begibt sich der Protagonist dann auch folgerichtig an das Speicherbecken an der 42nd Street, um dort nachts zu angeln. Die Flaniermeile der Elite entlang am Wasserrand wird für ihn zum Ausgangspunkt eines unfreiwilligen Schwimmabenteuers. Besonders in den Sommermonaten waren die Bassins auf der Insel selten maximal gefüllt, so hoch war der Wasserverbrauch der Stadt. Entsprechend umständlich nähert sich Fennos Angler dem Wasser. Um seine Leine auszuwerfen, übersteigt er das Geländer mit Hilfe eines langen Stocks und arbeitet sich vorsichtig an der abfallenden Beckenwand vor. Als er die Wassermarke erreicht, verliert er auf dem nassen Granit den Halt und stürzt ins kühle Nass hinunter. Alle seine Versuche, dem Wasser wieder zu entsteigen, scheitern. Immer wieder kämpft er sich an der Mauer empor, nur um erneut abzurutschen. Daraufhin fasst er den Entschluss, am Rand des Beckens entlang zu schwimmen, in der Hoffnung, einen geeigneten Ausstieg zu finden, oder zumindest eine Stelle an der er bequem auf Rettung am nächsten Morgen warten könnte. Letztlich gelingt es ihm tatsächlich, sich an einer der Ecken des Beckens wieder an Land zu ziehen. Sein nächtliches Missgeschick bleibt aber dennoch nicht unbemerkt: Der Ich-Erzähler rühmt sich am Ende der Geschichte damit, dass es allein ihm zu verdanken sei, dass nach dem Vorfall Rettungsleitern in den Bassins angebracht wurden.180 Letztlich war die Wasserkommission ständig mit Verbesserungen und Reparaturen an Aquädukt, den Speicherbecken und den Leitungen beschäftigt. Aus ihren Dokumenten geht nicht spezifisch hervor, wann und ob überhaupt Rettungsleitern installiert wurden. Bevor mit dem Bau des Ausstellungsgebäudes Crystal Palace auf dem Nachbargrundstück des Reservoirs in Murray Hill begonnen wurde, bemühte sich die Stadtverwaltung allerdings im Jahr 1852 darum das Bassin besser abzusichern. Neue Geländer wurden eingezogen und Überlegungen über Zugangsbeschränkung zum Speicherbecken wurden angestellt. Die Stadtväter rechneten mit einem extremen Besucheransturm in Murray Hill durch die Eröffnung der Weltausstellung Exhibition of the Industry of All Nations im Folgejahr. Am Crystal Palace und am Reservoir galt es Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Im Bereich der Wasserrettung wurde die Corporation aber erst wesentlich später aktiv.

tes and Additions on the Use of Lead Pipe and Its Substitutes (Lowell: Daniel Bixby and Company, 1848), 381-82, 412-13. 179 Homer Francis Barnes, Charles Fenno Hoffman (New York: Columbia University Press, 1930), 326. 180 Hoffman, „Old Time Tales“, 48-49.

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Abbildung 7: Der große Wasserspeicher des Aquädukts westlich von Yorkville (ca. 1850)

Als in den 1860er-Jahren die Zahl der Ertrinkenden in New York City immer weiter anstieg, begann das Board of Health der Stadt mit der Einrichtung von Wasserrettungsstationen entlang der Inselküste. Zudem wurden Angehörige der Polizei als Rettungsschwimmer ausgebildet und in Wiederbelebung geschult.181 An dieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligt war die Verlegung des großen receiving reservoir in den Central Park.182 Bot sich die ebenerdig begehbare Steinstruktur westlich von Yorkville schon zum Badespaß an, so befand sie sich doch zu weit entfernt vom eigentlichen Stadtgebiet, um wirklich Erholungsort zu werden. Der im Jahr 1862 fertig gestellte Speichersee im Park lockte dann die Schwimmer zahlreich an und leider auch die Selbstmörder. Anders als ein Sprung in den Hudson River oder den East River versprach der Freitod, in einem der Binnengewässer der Insel, eine zuverlässig Bergung der Leiche. Der eine oder andere Selbstmörder mag gar darauf gehofft haben, an seinem Vorhaben

181 Annual Report of the Croton Aqueduct Department Made to the Common Council of the City of New York (New York: McSpedon & Baker, 1853), 8-9. Documents of the Assembly of the State of New-York: Ninety-Second Session, Vol. 4 (Albany: Argus Company, 1869), 321-23. 182 Zum Konstruktionsprozess des neuen Speicherbeckens innerhalb des Parks siehe: Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 40ff.

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gehindert zu werden, sei es durch das Eingreifen von Passanten oder das der Polizei, die an den frei zugänglichen Gewässern patrouillierte.183 In einer erstmals im Jahr 1897 veröffentlichten Studie setzt sich Durkheim mit dem Thema Freitod auseinander. Darin kategorisiert er Selbstmörder, die sich dazu entschließen an einem stark frequentierten Ort ins Wasser zu gehen. Diese sind, laut ihm, entweder „manisch“ oder „impulsiv“. In beiden Fällen erfolge die Handlung unbewusst und finde genau deshalb unter den Augen der Öffentlichkeit statt.184 Der Aufruhr, den ein spontaner Sprung ins Wasser bei Außenstehenden auslöste, war meist groß. In der wachsenden Stadt begann sich nämlich ein beunruhigender Trend abzuzeichnen: Die Zahl derer, die in New York den Freitod wählten, wuchs. Der Medizinhistoriker Howard I. Kushner hält in seiner Monografie American Suicide fest, dass es ab den 1850er-Jahren zu einem merklichen Anstieg der Selbstmorde in New York City kam. Zeitungsberichte führten die erhöhte Freitodrate auf einen Anstieg der deutschstämmigen Bevölkerung zurück und auch im Jahrbuch der Stadt waren auffällig viele deutschstämmige Selbstmörder in der Sektion „Crime and Suicides“ gelistet.185 Die Berichterstattung in der Presse variierte stark von Fall zu Fall. Besonders Selbstmorde angesehener Stadtbewohner, oder solche, die im Zusammenhang mit einem vorher begangenen Mord standen, wurden ausladend und detailverliebt beschrieben. Während der Freitod im Privaten durch Erhängen oft in einem Dreizeiler abgehandelt wurde.186 Je spektakulärer die Umstände, desto größer das Medienecho. Stilistisch orientierten sich die längeren Pressebeiträge an den säkularen Reportagen, die bis in die 1830er-Jahre hinein über die Hinrichtungsspektakel veröffentlicht wurden. Der genaue Ablauf des Selbstmords wurde geschildert, über Motive wurde spekuliert und teilweise wurden gar Abschiedsbriefe abgedruckt. Löste der Anstieg der Selbstmordrate echte Besorgnis aus, so

183 „A Singular Suicide: An Unknown Man Leaps into the Central Park Reservoir“, in: The New York Times (13. Jun. 1887). „Found in the Brooklyn Reservoir: The Fate of John F. Donelly, who Went in Swimming“, in: The New York Times (24. Jun. 1884). 184 Émile Durkheim, Suicide: A Study in Sociology (New York: The Free Press, 1979), 63, 65-66. 185 Howard I. Kushner, American Suicide: A Psychocultural Study (New Brunswick: Rutgers University Press, 1991), 156-58. The New York Almanac and Yearly Record for the Year 1858 (New York: Mason Brothers, 1858), 112-19. 186 Vgl. „Coroners Inquests“, in: The New York Times (27. Jan. 1860). „Murder and Suicide in the Seventeenth Ward“,in: The New York Times (18. Aug. 1858). „Suicide of a Wealthy Banker at the St. Nicholas Hotel“, in: The New York Times (1. Feb. 1863).

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versprachen Berichte über den neuen Trend veritable Unterhaltung und danach suchten die Bewohner New Yorks anscheinend ständig. Schwimmen als Individualsport versprach Abwechslung und Abkühlung in den heißen Sommermonaten. In New York City fehlte es aber an der geeigneten Infrastruktur. Besonders für ungeübte Schwimmer bot sich keine Möglichkeit zur Ausübung des Sports. Die neuen großen Freizeitorte waren absichtlich nicht mit Badeorten ausgestattet. Im Central Park gab es keine offiziellen Badestätten, ebenso wenig wie im ebenfalls von Olmsted und Vaux konzipierten Prospect Park in Brooklyn. Das hatte nichts damit zu tun, dass der Schwimmsport im Besonderen abgelehnt wurde, sondern mit dem anfänglichen Unwillen, überhaupt irgendeine Form der Sportstätte in die Parks zu integrieren. Diverse Sportclubs reichten Petitionen für die Zuweisung von Spielstätten ein, welche die Parkkommission vorerst abwies oder ignorierte.187 Die Wasserspeicherbecken und Seen in beiden Parks fungierten dennoch als Swimmingpools – wenn auch inoffiziell. The Pool auf Höhe der 100th Street auf der westlichen Seite des Central Parks war einer jener Orte, die zum Schwimmen einluden. Der kleine See mitseinen Sandstränden war ein Refugium für Wasservögel und einige neideten den Enten und Gänsen ihren Badeplatz: [A]t the eastern end [of the pool] there is a miniature beach, where one may always be pretty sure of finding the ducks and some queer geese or other, oiling their plumage for another plunge into this water, of which they have the monopoly, as against all the little boys in the world longing to emulate them in swimming.188

Etwa zur gleichen Zeit, als das Reservoir im Central Park eröffnet wurde, begann die Bevölkerung New York Citys eine Begeisterung für Schwimmwettbewerbe zu entwickeln. Nach englischem Vorbild wurden Wettkämpfe zwischen Leistungs- aber auch Amateurschwimmern, etwa im Harlem River ausgetragen. Dabei traten aber nicht nur professionelle männliche Athleten für Preisgelder gegeneinander an, auch Frauen kämpften bereits ab den 1870er-Jahren gegeneinander im kühlen Nass um Ehre und kleine Annehmlichkeiten. So gab es für die Teilnehmerinnen an einem Wettkampf im September 1873 ein Seidenkleid zu gewinnen, während sich die männlichen Zuschauer an den vergleichsweise knappen Badekleidern der New Yorker „Meerjungfrauen“ erfreuten.189

187 Rosenzweig & Blackmar, The Park and the People, 247-51. 188 A Description of the New York Central Park, 188. 189 Lisa Bier, Fighting the Current: The Rise of American Women’s Swimming, 18701926 (Jefferson: McFarland & Company, 2011), 29. „Boat Racing and Swimming

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Die wirkliche Hochzeit des Schwimmsports brach in New York City aber erst später an. Im frühen 20. Jahrhundert kämpften Athleten und Freizeitsportler vehement für die Anlage von öffentlichen Schwimmbädern. Die olympischen Schwimmerinnen Ethelda Bleibtrey und Amelia Gade Corson wurden 1928 verhaftet nachdem sie in das Reservoir im Central Park gesprungen waren. Bleibtrey und Corson unterstützen mit der Aktion die Forderungen der International Professional Swimmers Association, das Rückhaltebecken als Schwimmbad freizugeben. Doch selbst, als das Becken nach der Erschließung anderer Wasserressourcen und der Anlage von Rückhaltebecken in den Vororten nicht mehr der Trinkwasserversorgung diente, sondern nur noch dem Feuerschutz der Stadt und der Bewässerung des Parks, kam es nicht zu einer Umwandlung in ein Schwimmbecken.190 In Bezug auf den Wasserspeicher an der 42nd Street hatten bereits zuvor einige Zeitgenossen Überlegungen angestellt, wie das Reservoir in eine Badeanstalt umgewandelt werden könnte. Ein offener Brief an den Politiker Henry J. Coggeshall – dieser wurde im Jahr 1896 in der Zeitschrift The Critic veröffentlicht – zeigte noch weitere Möglichkeiten für die Umgestaltung des urbanen Raums auf. Der Autor spricht sich darin gegen die Freigabe eines Areals im Central Park für private Nutzungen aus, die im Senat des Staates New York debattiert wurde und merkt spöttisch an: „Why not take all of Central Park instead of a paltry 100 acres? Then turn the Forty-Second Street Reservoir into a natatorium, Madison Square into a bicycle course and Union Square into a beer-garden and bowling alley.“191 Die Umwandlung in ein Schwimmbad hätte das Speicherbecken in Murray Hill allerdings vielleicht retten können. Nachdem es in den 1880er-Jahren bereits nicht mehr der Wasserversorgung der Stadt diente, kaum noch gewartet wurde und dementsprechend verfiel, entschlossen sich die Stadtväter im Jahr 1899 zum Abriss der riesigen Struktur. Das Becken war undicht und eine Reparatur erschien nun nicht mehr lohnenswert – anders als nach dem Brand des benachbarten Crystal Palace im Jahr 1858.192

Matches – Ladies Contesting“, in: The New York Times (22. Jun. 1873). „Ladies’ Swimming Match“, in: The New York Times (7. Sep. 1873). 190 Bier, Fighting the Current, 190-91. Koeppel, Water for Gotham, 287-90. 191 „The Latest Raid on Central Park: An Open Letter to State Senator Coggeshall“, in: The Critic (25. Apr. 1896), 299. 192 Burrows & Wallace, Gotham, 670. „Removal of a Famous Engineering Landmark“, in: Scientific American, Vol. 81 (2. Sep. 1899), 152. Rebecca Read Shanor, The City that Never Was: Two Hundred Years of Fantastic and Fascinating Plans that Might Have Changed the Face of New York City (New York: Viking, 1988), 53.

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Der Bau des Weltausstellungsgebäudes auf dem Nachbargrundstück westlich des Reservoirs trug massiv zum Wandel in Murray Hill bei. Das Grundstück hatte man bereits während der Konstruktion des Aquädukts eingeebnet und als öffentliche Freifläche deklariert. Der sogenannte Reservoir Square bot sich zum Flanieren an. Er war aber weitaus nicht so populär wie der temple und dessen Promenade selbst. Dieser war der primäre Anziehungspunkt in der Nachbarschaft. Willige Stadtwanderer und jene, die im Besitz von Pferdekutschen waren, besuchten es regelmäßig. Die Exhibition of the Industry of All Nations sollte die Gegend aber auch für die weniger Wohlhabenden und alle, die nicht ganz so gut zu Fuß waren, erschließen. Für die Betreiber der pferdegezogenen Omnibusse wurde mit der Weltausstellung die Etablierung von Buslinien in ein anderweitig nur dünn besiedeltes Gebiet attraktiv. Deren Angebot beschränkte sich vor dem Jahr 1853 auf die dicht bevölkerten Gebiete der Insel südlich der Bond Street. Am Broadway entlang ließ es sich zwischen der Flaniermeile an der Battery und der Universität in Greenwich Village am Washington Square verhältnismäßig angenehm pendeln, nachdem der Wagenbauer John Stephenson den ersten Bus im Jahr 1831 auf die Straßen der Stadt gebracht hatte. Das Omibusgewerbe selbst hatte in New York City keine lange Tradition. In der stetig wachsenden Metropole gewann es aber schnell an Bedeutung. 1835 befuhren bereits mehr als einhundert Busse die Straßen des bebauten Gebiets der Stadt.193 Die Weltausstellung stellte für die Linienbetreiber einen starken Anreiz zur Ausweitung ihrer Netze dar. Der prognostizierte Besucheransturm versprach ihnen ordentliche Gewinne. Allerdings konnten große Gewinne auch mit leeren Versprechungen erzielt werden. Auf dem Broadway und den diversen Avenues verkehrten viele Busse mit einer Plakette, die einen Transport bis hin zum Ausstellungsgebäude versprach. Allerdings hielten die meisten bereits an der 27th Street. Einzig Fahrten mit den Bussen, die entlang der Sixth Avenue verkehrten, garantierten einen Transport direkt vor den Südeingang des Crystal Palace. Die letzten dreizehn Blocks hatten diejenigen, die den falschen Bus gewählt hatten, zu Fuß zurück zu legen. An besonders heißen Tagen erhöhten die Betreiber die Transportpreise bis auf das Zehnfache. In der New York Times erschien daraufhin ein Leitartikel, der die unhaltbaren Zustände anprangerte, mit denen sich die Stadtbewohner konfrontiert sahen, denn es war nicht nur schwierig, den Crystal Palace zu erreichen, auch der reguläre Stadtverkehr kam immer wieder zum Erliegen.194 Der Besucherstrom zur Weltausstellung in den 1850er-Jahren war nur

193 Burrows & Wallace, Gotham, 669. Miller, Fares, Please!, 5-6. 194 „How a Citizen May Get to the Crystal Palace“, in: The New York Times (8. Jul. 1853).

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ein Vorgeschmack auf die zukünftig zu erwartenden infrastrukturellen Probleme der Stadt. New York sollte weiter wachsen, seine Förderer bedachten aber häufig nicht alle Konsequenzen.195 In New York City sann man darauf, den Erfolg der internationalen Industrieund Handelsaustellung zu imitieren, welche in London im Jahr 1851 stattgefunden hatte. Prominente Geschäftsmänner und andere einflussreiche Stadtbewohner, wie der deutsch-amerikanische Bankier August Belmont, der Schiffsbauer Edward Knight Collins und auch Bryant, setzten sich dafür ein, dass auch New York einen Crystal Palace erhielt. Das Bauwerk sollte den gleichen Namen wie sein englisches Vorbild tragen und diesem auch in sonst nichts nachstehen. Im Idealfall wäre das zu bauende amerikanische Ausstellungsgebäude seinem europäischen Vorbild gar überlegen. Es würde größer sein. Der Bau sollte schneller voran gehen als in London und die Ausstattung und Ausgestaltung des New Yorker Crystal Palace sollten die des europäischen Vorbilds übertreffen.196 Mitte des 19. Jahrhunderts nahmen die city booster auf Manhattan Island erstmals nicht nur Städte an der Ostküste der USA als mögliche Konkurrenz wahr. Demografisch und wirtschaftlich verfügte New York im Jahr 1850 über einen schier uneinholbaren Vorsprung gegenüber den anderen urbanen Zentren der Vereinigten Staaten. Mehr als eine halbe Million Menschen lebten laut Zensus im Stadtgebiet. Die nächstgrößere amerikanische Stadt Baltimore verbuchte gerade einmal 169.000 Einwohner, gefolgt von Boston mit 136.000. Im folgenden Jahrzehnt schien Philadelphia aufzuholen, doch zeitgleich erwuchs New Yorks Nachbar Brooklyn auf der anderen Seite des East Rivers von der siebt- zur drittgrößten Stadt der Vereinigten Staaten.197 Im Ballungsraum New York lag folglich die größte Chance der wirtschaftlichen Großmacht England und auch anderen europäischen Metropolen die Stirn zu bieten. Beim Bau des Crystal Place orientierte man sich am Vorbild Europa – wie zuvor bei der Anlage pittoresker Stadtparks und rural cemeteries. Dieses Mal ging es aber nicht nur um die Verbesserung der eigenen Lebensqualität, sondern auch darum zu beweisen, dass man Europa in nichts nachstehe und einiges sogar besser konnte. Die schnell voranschreitenden Bauarbeiten waren für viele Zeit-

195 Nachdem sich das Croton Aqueduct nicht als die erhoffte Langzeitlösung für die Wasserversorgung New Yorks herausgestellt hatte, war auch das öffentliche Nahverkehrssystem der Stadt bald in der Krise. Dessen Erweiterung ging aufgrund seiner vorerst privatwirtschaftlichen Organisation nur schleppend voran. Siehe dazu: Hood, 722 Miles, 40-55. 196 Burrows & Wallace, Gotham, 669. 197 „Fast Facts“.

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genossen ein klares Zeichen für eine neue amerikanische Überlegenheit, oder zumindest ein Indikator dafür, dass die junge Nation allgemein – und speziell New York – aufholte.198 Die Anlage des Ausstellungsgebäudes in direkter Nachbarschaft des receiving resservoirs war sicherlich kein Zufall. Das Croton Aqueduct war eine ingenieurtechnische Meisterleistung und der temple in Murray Hill war deren imposanteste materielle Manifestation auf Manhattan. Der Kristallpalast, der die Exhibition of the Industry of All Nations beheimatete, sollte mit dem Speicherbecken einen würdigen Nachbarn haben und das in einem Gebiet, das sonst nur Ziegen und einige Holzhütten zu seinen Attraktionen zählte. Technologische Innovationen, wirtschaftliche Großleistungen und Kunst aus aller Welt würden Seite an Seite, mit einer der größten Errungenschaften des 19. Jahrhunderts in New York City stehen.199 Die riesige Struktur aus Eisen und Glas, die an ihrem höchsten Punkt, der zentralen Kuppel, mehr als 37 Meter über das umliegende Land hinaus ragte, versprach einer der neuen Anziehungspunkte der Stadt zu werden.200 Neben der Ladies’ Mile201, dem Abschnitt des Broadways zwischen 14th Street und 23rd Street, die sich als Mode- und Konsumzentrum der Stadt etabliert hatte, lockte der Palast nach seiner Eröffnung viele Besucher an – so wie es seine Initiatoren erhofft hatten. Die Eröffnungsfeierlichkeiten am 14. Juli 1853 waren als internationale Großveranstaltung angelegt. Präsident Franklin Pierce und andere einflussreiche Redner teilten sich das Podium und beschworen beim anschließenden Bankett das Anbrechen einer neuen Ära. Das Kräftemessen zwischen den Nationen sollte nicht mehr länger auf den Schlachtfeldern stattfinden. Heldentaten galt es in den Bereichen Wissenschaft und Technik zu vollbringen und die Kunst wurde zum Lehrmeister einer neuen Generation erklärt. Ironischer

198 Burrows & Wallace, Gotham, 669-70. Zum im Rahmen der Umsetzung der Ausstellung stattgefundenen transatlantischen Kulturtransfer siehe: Ursula Lehmkuhl, „Ein Kristallpalast für New York: Kulturtransfer und Nationale Identitätskonstruktion in den USA vor dem Bürgerkrieg“, in: Rechtsgeschichte 9 (2006), 12-35. 199 Burrows & Wallace, Gotham, 670. „How a Citizen May Get to the Crystal Palace“. Vgl. „Removal of a Famous Engineering Landmark“. Vgl. Koolhaas, Delirious New York, 25. 200 William C. Richards, A Day in the New York Crystal Palace and How to Make the Most of It (New York: G.P. Putnam & Co., 1853), 9. 201 Ein detaillierte Beschreibung der Entwicklung der Ladies’ Mile findet sich in: M. Christine Boyer, Manhattan Manners: Architecture and Style, 1850-1900 (New York: Rizzoli, 1985), 43-129.

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Weise waren neben einer kleinen Delegation aus England und den in New York ansässigen Konsuln nur wenige internationale Gäste anwesend.202 Die Anziehungskraft, die der Crystal Palace national und regional besaß, war dafür umso größer. In ganz Nordamerika gab es zu dieser Zeit keine vergleichbare architektonische Struktur. Ein Gebäude in Leichtbauweise, aus Eisenträgern und Glas, hatte es bis dahin weder in den USA noch in Kanada in dieser Größenordnung gegeben, und so drängten sich die Massen, um das neuartige, angeblich feuersichere Bauwerk und die Ausstellungen zu bewundern. Um den Besucherstrom zu lenken, wurden verschiedenfarbige Tickets ausgegeben. Je nach Ticketfarbe erhielten die Besucher über einen der drei Eingänge Zugang zum Gebäude.203 Schon während des Baus und erst recht nach der Eröffnung des Crystal Palace entspannen sich in New York City Debatten über die Einführung anderer Amüsements in Murray Hill. Aufgrund der Lage außerhalb der fire limits – dem dicht bebauten Gebiet der Stadt, in welchem aus Feuerschutzgründen nur Gebäude aus Stein und anderen feuerfesten Materialien errichtet werden durften – bot dieses Areal besonders Kleinunternehmern eine Chance. Bei der für den Nineteenth Ward zuständigen Steuerkommission gingen vor Eröffnung des Kristallpalasts unzählige Anträge auf die Erteilung von Ausschanklizenzen ein. Darüber hinaus wurde mit dem Bau kleiner Holzkioske in unmittelbarer Nähe des Crystal Palace begonnen204, die den Besuchern allerlei Annehmlichkeiten aber auch weniger Erquickliches boten. Die New York Times schrieb im Juli 1853 über die Gegend rund um den Kristallpalast: […] For everything within a mile of the newly-opened [sic] industrial Palace is crystal. There are Crystal Stables, and Crystal Cake Shops, and Crystal Groggeries and Ice-cream Saloons. One old woman has set up a Crystal Fruit Stall, at which oranges and bananas in every stage of decomposition, may be purchased.205

202 Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 670. Horace Greeley (Hg.), Art and Industry: As Represented in the Exhibition at the Crystal Palace, New York 1853-4 (New York: Redfield, 1853), 18-19, 33-40. 203 Burrows & Wallace, Gotham, 670. Greeley, Art and Industry, 17. 204 „The Crystal Place“, in: The New York Times (16. Jun. 1853). 205 „The Crystal Place: Yesterday at the Exhibition“, in: The New York Times (16. Jul. 1853).

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Während man sich in der Zeitung über die inflationäre Verwendung des Begriffs crystal erregte, frequentierten andere das neue Stundenhotel an der Sixth Avenue – die Crystal Hall of Pleasure.206 Prostitution florierte in New York City in den 1850er-Jahren, dem Jahrzehnt in dem auch William W. Sangers Studie The History of Prostitution: Its Extent, Causes, and Effects Throughout the World veröffentlicht wurde. Es handelt sich dabei um den offiziellen Bericht Sangers an das Board of Alms-House Governors der Stadt. Sanger war seit 1853 als Arzt für die Betreuung des Arbeitshauses auf Blackwell’s Island (heute Roosevelt Island) zuständig. Seine Untersuchungen im Auftrag des Gremiums, das für die Armenhäuser zuständig war, sollte dazu beitragen, New York von Prostitution zu befreien. In seiner mehr als 600-seitigen Analyse formuliert Sanger allerdings wiederholt, dass dies unmöglich sei. Einzig eine Eindämmung unter großem Aufwand hielt er für möglich.207 Statistiken über die Zahl der Prostituierten in New York in den 1850er-Jahren variieren stark. In den Erhebungen zeichnete sich jedoch ein signifikanter Anstieg in der Zeit um die Weltausstellung herum ab. Danach schien das Gewerbe je nach Statistik zu stagnieren oder weiter zu expandieren.208 Die europäischen Immigrationswellen des 19. Jahrhunderts führten in New York City zu einem rapiden Anwachsen der Bevölkerung und viele der neuen Bewohner der Stadt waren für ihr Auskommen auf Lohnarbeit angewiesen. Fairfield stellt fest, dass Angehörige der arbeitenden Klassen, allen voran junge, ledige Frauen, in dieser Zeit eine neue Identität entwickelten. Sie traten am Arbeitsplatz und auch andernorts in stärkeren Austausch miteinander und kamen auch leichter und häufiger mit Männern in Kontakt. Sie legten einen Teil ihres Lohns für Freizeitaktivitäten und Mode zurück. Da sie vergleichsweise wenig verdienten, mussten die Frauen sich arrangieren, damit sie sich bestimmte Dinge überhaupt leisten konnten. Viele sparten am Lebensnotwendigen zur Sicherung kleiner Vergnügungen. Andere setzten ihre Reize ein: „Limited financial means meant that an evenings entertainment often required sexual negotiation with a young man.“209 Nicht immer waren diese Aushandlungsprozesse direkt mit Prostitution verknüpft, aber in der Öffentlichkeit manifestierte sich durch die Ein-

206 Ebd. 207 William W. Sanger, The History of Prostitution: Its Extent, Causes, and Effects Throughout the World (New York: Harper & Brothers, 1859), iii, 19, 628 208 Vgl. Timothy J. Gilfoyle, City of Eros: New York City, Prostitution, and the Commercialization of Sex, 1790 – 1920 (New York: W.W. Norton & Company, 1992), 58. Sanger, The History of Prostitution, 34. 209 Fairfield, The Public and Its Possibilities, 219.

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wirkung der Medien ein Bild der weiblichen Lohnarbeiterinnen, als Frauen von laxer Moral, die sich in den Amüsierbezirken ein Zubrot verdienten.210 Zur Verbreitung dieser Einschätzung trugen die literarischen Aufarbeitungen der Stadtentwicklung bei.211 In den von den Stadtautoren vorgenommen Bestandsaufnahmen zeigten sich Glanz und Schattenseiten212 der zunehmenden Urbanisierung. Immer auf der Suche nach den neuen und aufregenden Facetten des Straßenlebens nahmen sich diese Autoren auch des Themas Prostitution an. In der Unterhaltungsliteratur und in der Presse erlangten Darstellungen des unmoralischen Treibens in den Bordellen, Stundenhotels und Gassen New Yorks immer größere Relevanz, auch weil skandalöse Inhalte sich positiv auf die Verkaufszahlen auswirkten. Die „Pornografie der Straße“ verfügte über eine ähnliche Anziehungskraft wie die „Pornografie der Gewalt“213. Autoren verfassten Anklageschriften, Gedichte, Schundromane und soziale Studien zum Thema. In der Presse fanden sich aufwendig illustrierte Reportagen. Die Abhandlungen des Straßenlebens oszillierten zwischen Moralpredigt und Pornografie, Kriminalroman und romantischer Verklärung, Fakt und Fiktion. Die Darstellung der Frauen schwankte zwischen berechnender Geschäftsfrau, zur Prostitution gezwungenem Opfer und promiskuitiver Sünderin.214 Die „Walking Down Broadway“ Literatur, die für New York so charakteristisch war, wurde in der Folge um die Figur des street walkers – der Dirne, des leichten Mädchens – erweitert, die herausgeputzt die Straßen der Amüsierbezirke auf der Suche nach Freiern abschritt.215 Das Nachtleben der Stadt erhielt durch die Prostituierten, aber auch einfach nur durch die Anwesenheit junger berufstätiger Frauen auf der Suche nach Zerstreuung, eine neue Komponente. Im Theaterbezirk, in der Nähe des Parks an der City Hall, in dem vorher nachts vor allem die Kutschen der Wohlhabenden verkehrten, führten nun die Angehörigen der Unterschicht ihre feinsten Kleider aus. Die Arbeiterklassenachbarschaft der Bowery war nicht weit entfernt. Dort lebten gelernte und ungelernte Arbeiter Seite an Seite mit Kleinunternehmern, Tagelöhnern, Heimarbeiterinnen, Dienstboten und Dienstmädchen. Auf der Bowery ließ sich alles mögliche im Bereich der günstigen Unterhaltung finden: billige

210 Gilfoyle, City of Eros, 60-61. 211 Vgl. Lopate, Writing New York, 8. 212 Vgl. James D. McCabe, Jr., Lights and Shadows of New York Life or, the Sights and Sensations of the Great City (Philadelphia: National Publishing Company, 1874). 213 Zur „Pornografie der Gewalt“ siehe Kapitel 3.1. 214 Gilfoyle, City of Eros, 143-60. Vgl. McCabe, Lights and Shadows, 320, 589. 215 Gilfoyle, City of Eros, 60. McCabe, Lights and Shadows, 590.

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Theater, Museen, Bars, Konzerthallen und Restaurants säumten die Straße. Auf den Gehsteigen boten Straßenhändler Austern, Süßigkeiten, Eiscreme und andere saisonale Spezialitäten an. Unter den Straßenlaternen versammelten sich die jungen Männer und Frauen, tranken und scherzten. Sie flanierten durch das Viertel, aber auch über seine Grenzen hinaus. Dabei trugen die Bowery boys und girls ihre Körper oft in kostümhafter Kleidung zur Schau.216 Mit ihrem pompösen Auftreten, ihrem umgangssprachlichen swagger217, eckten sie dabei bei Angehörigen der Oberschicht an. Modisch überspitzt, ironisch und teilweise gar frivol zeigten sich die Bewohner der Bowery und anderer Arbeitergegenden bei ihren karnevalesken Prozessionen entlang des Broadways.218 Das Unbehagen, das sie auslösten, war zum Teil groß. Doch von ihnen ging auch eine Faszination aus. In seinen American Notes berichtete Charles Dickens bereits im Jahr 1842 über das schillernde Treiben entlang des Broadways, die Bowery und die Zustände in den Five Points.219 Sein Reisebericht war gespickt mit spitzfindigen Bemerkungen und Detailbeobachtungen. So höhnt er über den Broadway und dessen extrem farbenfrohe Besucher aus allen Klassen: Heaven save the ladies, how they dress! We have seen more colours in these ten minutes, than we should have seen elsewhere, in as many days. What various parasols! what rainbow silks and satins! what pinking of thin stockings, and pinching of thin shoes, and fluttering of ribbons and silk tassels, and display of rich cloaks with gaudy hoods and linings! The young gentlemen are fond, you see, of turning down their shirt-collars and cultivating their whiskers, especially under the chin; but they cannot approach the ladies in their dress or bearing, being, to say the truth, humanity of quite another sort.220

216 Fairfield, The Public and Its Possibilities, 83. Vgl. The New-York Cries, in Rhyme (New York: Mahlon Day, 1828). 217 Aufsehenerregendes Auftreten auf der Straße oder in anderen öffentlichen Räumen wurde auch mit den Formulierungen to cut a dash und to cut a swathe bezeichnet. John Russell Bartlett, Dictionary of Americanisms. A Glossary of Words and Phrases, usually Regarded as Peculiar to the United States (New York: Bartlett & Wellford, 1848), 104, 106. 218 Vgl. Osgood Bradbury, The Belle of the Bowery (Boston: H. L. Williams, 1846), 40. George Thompson, The Gay Girls of New-York: Or, Life on Broadway; Being a Mirror of the Fashions, Follies and Crimes of a Great City (New York, 1853), 1112. 219 Charles Dickens, American Notes for General Circulation, Vol. I (London: Chapman and Hall, 1842), 191-94, 198. 220 Interpunktion wie im Original. Ebd., 194.

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Dickens’ Reiseerzählung mit ihrem spöttischen und verurteilenden Tonfall brachte ihm in den USA viel Kritik ein. Der populärste Schriftsteller der Zeit hatte einen Verriss über die amerikanische Nation und ihre Städte verfasst. Seine American Notes waren ein Affront, der allerdings einen neuen Trend auslöste: Slumtourismus. Die Armenviertel New York Citys, allen voran Five Points, wurden schon bald zur veritablen Touristenattraktion.221 Darüber hinaus begannen Kriminalromanautoren der Zeit, inspiriert von Dickens, neue Schauplätze, etwa Bordelle, Tavernen und Spielhöllen, in ihre Geschichten mit einzubeziehen. Der Literaturwissenschaftler Robert M. Dowling spricht in diesem Zusammenhang in der Monografie Slumming in New York von einer Befreiung der Autoren des literarischen Realismus, die dann in eine neue Konvention umschlug. Sexuelles Verlangen und sinnliche Stimulanz als Motor gesellschaftlicher Grenzüberschreitungen durften nun ebenso thematisiert werden, wie übermäßiger Alkoholkonsum. Was zuerst neue künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten versprach, wurde bald zum Standard. Die Darstellung der Stadt als Moloch, als Babel und Sündenpfuhl setzte sich im Kriminalroman durch.222 Urbane Chronisten, wie der Autor James D. McCabe Jr.,223 widmeten sich ebenso hingebungsvoll dem Verfall der Stadt, wie die Presse und die Belletristik. Die New York Times veröffentlichte ab den 1850er-Jahren eine Reportageserie unter dem Titel „Walks Among the New-York Poor“. Charles L. Brace, der Gründer der gemeinnützigen Children’s Aid Society, berichtete dort über seine Ausflüge in die Armenviertel der Stadt. Der Sozialreformer beschreibt darin die Lebensrealitäten der Bowery boys und girls. Neben Arbeit, Hygiene und Unterbringung beschäftigten den Methodisten primär die mangelnde Moral und Bil-

221 Robert M. Dowling, Slumming in New York: From the Waterfront to Mythic Harlem (Urbana Champaign: University of Illinois Press, 2009), 3-4. 222 Ebd., 4. Dowling attestiert in seiner Monografie eine Abschwächung der Klassenkonflikte im Laufe des 19. Jahrhunderts. Dies führt er auf eine Befreiung der Stimme der Armen durch die Autoren des Realismus zurück. Seine idealistische Interpretation der sozialen Relevanz des literarischen Realismus hat aber wenig mit der Realität zu tun. Zwar kam es in der Literatur zu einer stärkeren Aufnahme gesellschaftlicher Themen, einen wirklichen Wandel und mehr Offenheit erzeugte das aber nicht. Vielmehr flammten Vorurteile und Animositäten mit steigender Bevölkerungszahl immer stärker auf und fanden schließlich auch Einzug in die Literatur, Vgl. Chad Heap, Slumming: Sexual and Racial Encounters in American Night Life, 1885-1940 (Chicago: University of Chicago Press, 2009), 31. 223 Vgl. McCabe, Lights and Shadows.

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dung der Armen. Brace besuchte gemeinsam mit anderen Reformern die Vergnügungsorte der Unterschicht, aber auch deren Wohnungen und Arbeitsstätten. Er stieg, geführt von Eingeweihten, über die Dächer der Slums, erkundete die Bordelle und Tavernen und schaute sich eine Vorstellung im heruntergekommenen Theater in der Chatham Street (heute Park Row) an.224 Brace gehörte Mitte des 19. Jahrhunderts zu den Advokaten der Sittlichkeit in New York City. Er war eine Stimme der Moral, prangerte den Verfall der Stadt in Zeiten des Aufschwungs an und machte Lösungsvorschläge. Dabei schrieb er den Armen kaum Schuld an ihrer misslichen Lage zu. Für ihn waren Urbanität und Industrialisierung die grundlegenden Probleme. Ethnizität spielte in den Berichten von Brace eine Rolle, aber nicht als Auslöser für unsittliches Verhalten. Vielmehr war der ethnische Hintergrund einer Person maßgeblich in ihrer Wahrnehmung, Beurteilung und dann auch Ablehnung transgressiver beziehungsweise unmoralischer Praktiken, so der Reformer.225 Der triple threat of modernity226 aus Industrialisierung, Immigration und Urbanisierung, schwingt in Brace’ Texten mit, aber in abgeschwächter Form. In seinen Kolumnen vermittelte er den Eindruck, dass Besuche in den Slums relativ ungefährlich seien. Die Angehörigen der dangerous classes227 New Yorks waren seiner Auffassung nach meist harmlos.228 Brace war ein Advokat der Armen. Während die Kriminalroman- und Stadtautoren der „Pornografie der Straße“ in Druck verhalfen, versicherten seine Publikationen, dass es in den Slums für Außenseiter wenig zu fürchten galt. Gerade aufgrund dieser gegenläufigen Narrative versprachen sich viele von einem Besuch in den Armenvierteln ein spannendes, aber ungefährliches Abenteuer. Ebenso wie sich die Bowery boys und girls herausgeputzt zwischen die Wohlhabenden auf dem Broadway mischten, erkundete die Elite die Slums zum

224 „Walks Among the New-York Poor“, in: The New York Times (18. Okt. 1852). „Walks Among the New-York Poor“, in: The New York Times (21. Okt. 1852). „Walks Among the New-York Poor. Vagrant Boys“, in: The New York Times (21. Jan. 1853). 225 Charles L. Brace, The Dangerous Classes of New York And Twenty Years’ Work Among Them (New York: Wynkoop & Hallenbeck, 1872), i-iii, 129. 226 Dowling, Slumming, 3. 227 Die Bezeichnung dangerous classes für die Unterschicht entstand in der Folge der Astor Place Riots im Jahr 1849 und erfuhr Festigung im Elitendiskurs durch die Draft Riots im Jahr 1863. 228 Brace, The Dangerous Classes, i-iii.

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Vergnügen. Der wachsende Ethnozentrismus im viktorianischen Zeitalter229 ließ neben Abscheu auch eine Neugier gegenüber dem Anderen erwachsen. Es galt, die Fremden in der eigenen Stadt zu erforschen und zu begreifen. Dabei überschritten Männer wie Brace die stadträumlichen Grenzen zwischen Arm und Reich, die sich in New York City immer stärker herausbildeten. Die Slums als Terra incognita hatten eine ungemeine Anziehungskraft auf Teile der Eliten. Umgekehrt verfügten die Viertel der Reichen über einen bestimmten Appeal für die Armen. Die Praktiken die von den „Eindringlingen“ im Raum des jeweils anderen ausgeübt wurden variierten – aber nicht massiv. Üblich war es, sich gewissermaßen zu verkleiden. Während die Unterschicht sich für ihre Ausflüge aufrüschte (dressing-up) wählten die Wohlhabenden simple Kleidungsstücke (dressing-down) für ihre Besuche in den Armenvierteln. In beiden Fällen diente die jeweilige Garderobe der optischen Integration (blending in). Beim slumming durch die Oberschicht und beim reverse-slumming durch die Unterschicht galt es vorerst möglichst nicht (unangenehm) aufzufallen. Wobei sich besonders in der Progressive Era ein Trend in der Elite abzeichnete, sich beim slumming optisch nicht mehr an die Armen und die Arbeiterklasse anzupassen. Wirklich gute Einblicke erhielt, wer sich als urbaner Reformer ausgab. Genau dies tat etwa der Schriftsteller William Dean Howells in den 1890er-Jahren, um seine eigene Sensationslust zu stillen. Zur gleichen Zeit kamen Teile der Unterschicht auf die Idee reverse-slumming als Form des Protests zu nutzen. Sie demonstrierten damit gegen die sozialen Missstände und gegen das, was sie als eine Invasion der Armenviertel durch wohlhabende Gaffer wahrnahmen. Die Armen besuchten daraufhin möglichst auffällig und teilweise in größeren Gruppen organisiert in ihrer Alltagskleidung die Stadtviertel der Reichen.230 Die unsichtbare Vermischung der Klassen Mitte des 19. Jahrhunderts im sich immer weiter diversifizierenden Stadtraum war ein Phänomen das sich auf die ethnisch weißen Bewohner New Yorks beschränkte. Für Angehörige sichtbarer ethnischer Minderheiten, wie etwa Afroamerikaner oder Sinoamerikaner, bot sich diese Möglichkeit nicht. Wenig überraschend drangen die Angehörigen der Oberschicht letztlich auch in deren Nachbarschaften durch slumming ein. Die Andersartigkeit und die sinnlichen Verlockungen, die die ethnischen Enklaven versprachen, zogen die Angehörigen der Oberschicht ab den 1870er-Jahren vermehrt an – Chinatown lockte mit Opium und in Black Bohemia hoffte man auf Glück im Spiel und sexuelle Abenteuer. Das überwiegend von Afroamerikanern bewohnte Black Bohemia bildete den Abschluss des Tenderloin, des neuen

229 Dowling, Slumming, 3. 230 Heap, Slumming, 31, 139-42.

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Vergnügungs- und Rotlichtbezirks New York Citys, der sich im Zuge der Weltausstellung zwischen der 23rd Street und 42nd Street und Fifth Avenue und Eight Avenue etabliert hatte.231 Die Vorboten des Tenderloin waren die Tavernen und Stundenhotels, wie die Crystal Groggeries und die Crystal Hall of Pleasure, die bereits während der Ausstellung viele Kunden anzogen. Die von den urbanen Temperenzadvokaten gemachten Unheilprophezeiungen vor Eröffnung der Exhibition of the Industry of All Nations schienen sich zu bewahrheiten. Zwar beflügelte die Ausstellung wie erhofft die Wirtschaft New Yorks, aber nicht jeder Aspekt des Aufschwungs ging mit den postulierten Moralvorstellungen der Zeit konform und daran ließ sich schwerlich etwas ändern. Zudem erhöhten die herausgestellten Schattenseiten der Prosperität die Anziehungskraft der Stadt weiter. New York City war tatsächlich auf dem besten Weg, ein amerikanisches London zu werden. Neben dem verruchten Flair der Großstadt verfügte Manhattan außerdem über die Anziehungskraft eines Messestandorts und es war wichtig, dass dies auch künftig so blieb. Der Crystal Palace wurde im Anschluss an die Exhibition of the Industry of All Nations ab 1854 weiterhin als Ausstellungsraum genutzt. In seiner unmittelbaren Umgebung entstand ein kleines Wohn- und Arbeiterviertel. Immer noch außerhalb der fire limits der Stadt gelegen, ließen sich dort kostengünstig Holzhäuser errichten, die aber über Annehmlichkeiten wie die Wasserversorgung durch das Croton Aqueduct verfügten. So beherbergte das Gebiet nördlich des Crystal Palace im Jahr 1856 bereits mehrere Dutzend Wohnhäuser und einige Werkstätten. Das benachbarte Latting Observatory mit einer Höhe von über 90 Metern war ein weiterer Anziehungspunkt, da man von dort die ganze Stadt überblicken konnte. Der hölzerne Aussichtsturm war ebenfalls ein Produkt der Weltausstellung. Nach deren Abschluss wurde er an die Hydeville Marble Works verkauft, die das dazugehörige Gelände als Lagerfläche nutzten und den Holzturm seines Materialwerts wegen erstanden hatten. Die Spitze wurde umgehend verwertet. Der Rest des Observatoriums und die Eisdiele auf dem obersten Deck blieben aber erhalten und in Betrieb.232 In einer Küferei in der neuen Nachbarschaft bracht Ende August 1856 ein Feuer aus, dem das Observatorium zum Opfer fiel. Die Feuerwehr konnte nur das Reservoir und den Crystal Palace retten. Aus dem gesamten Stadtgebiet strömten in dieser Nacht Schaulustige herbei, um die Feuerwehrleute im Kampf

231 Ebd., 34-35. 232 „New-York City: A Conflagration – Destruction of the Latting Observatory – $150,000 worth of Property Destroyed – Narrow Escape of the Crystal Palace“, in: The New York Times (1. Sep. 1856).

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gegen die Flammen zu beobachten. Der vollständig aus Holz gebaute Turm brannte unter den Augen tausender Schaulustiger nieder – wie eine riesige in der Mitte der Insel platzierte Fackel. Über Kilometer hinweg war das Leuchten in der Nacht zu sehen. Das Spektakel war wochenlang Stadtgespräch. Dem Latting Observatory wurde nachgetrauert, denn eine touristische Attraktion war nun verloren. Für die Familien aus der Nachbarschaft, deren Häuser den Flammen zum Opfer gefallen waren, hatte die Presse nur wenig Anteilnahme übrig.233 Das eindrucksvolle Ende des Latting Observatory stimmte viele Zeitgenossen allerdings versöhnlich. Der Ausblick von oben war wunderschön gewesen. Der Brand aber war eindrucksvoller, als alles was man von oben jemals hätte sehen können. Weit abseits des dicht besiedelten Stadtgebiets hatte Feuer durchaus seinen Reiz. Welches Potential Feuer bei der Erneuerung der Stadt haben konnte, erkannte man mit steigender Besiedlungsdichte allerdings auch. In einer in New York verlegten Fachzeitschrift für Farmer und Mechaniker war im Jahr 1857 im Zusammenhang mit dem stetigen Wachstum der Stadt folgendes zu lesen: „Fires, too, have lend their help in opening grounds for finer structures […]“.234 Als 1858 mit dem Crystal Palace eine der elegantesten architektonischen Strukturen der Stadt in Flammen aufging, stellte sich die Frage, womit genau diese sich ersetzen ließ. Nachdem der Bau aus Eisen und Glas immer als feuersicher beworben worden war, war es besonders ironisch, dass der Palast in nur fünfzehn Minuten fast vollständig nieder brannte. Am 5. Oktober 1858 brach am frühen Abend ein Feuer im sogenannten lumber-room des Kristallpalastes aus. Hier lagerten vor allem Gegenstände aus Holz und Textilien. Das Feuer breitete sich zügig durch die hölzernen, mit Gas beleuchteten Treppenhäuser und Ausstellungsräume aus. Die Räume neben dem Brandherd beherbergten gerade eine Ausstellung der neuesten Lacke und Farben. Versorgt mit soviel Zündstoff, schlugen die Flammen sogleich gegen die zentrale Kuppel, während die gut zweitausend Besucher ins Freie flüchteten. Die alarmierte Feuerwehr konnte nur mehr dabei zusehen, wie die zentrale Halle des Palasts in sich zusammen fiel, während sie versuchte, wenigstens die umstehenden Gebäude und das Reservoir vor Schaden zu bewahren. Anschließend füllten Berichte über das Unglück die Zeitungen der Stadt. In der New York Times war von möglicher Brandstiftung und der Verknüpfung unglücklicher Umstände die Rede. Letztlich entstand ein Sachschaden

233 Ebd. 234 The Plough, the Loom, and the Anvil: An American Farmers’ Magazine, Vol. IX (New York: J.A. Nash & M.P. Parish, 1857), 237.

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von etwa 500.000 Dollar. Die Katastrophe hatte glücklicherweise keine Menschenleben gefordert.235

Abbildung 8: Brand des Crystal Palace im Jahr 1858

In den folgenden Tagen war die Feuerwehr mit der Sicherung des Brandortes beschäftigt. Die stehengebliebenen Nebenhallen waren stark einsturzgefährdet. Die in den Zeitungen veröffentlichten Verlustmeldungen der einzelnen Aussteller deuteten darauf hin, dass in den Ruinen ein kleines Vermögen begraben lag. Unter den Lumpensammlern der Stadt brach folglich Goldgräberstimmung aus. Metalle, Edelmetalle und eben auch Glas ließen sich exzellent weiter verkaufen. Die Feuerwehrmänner und die abbestellten Polizisten vertrieben die Glücksritter jedoch regelmäßig, auch weil nicht alle Aussteller versichert waren und darauf hofften, in den Trümmern intakte Wertgegenstände zu finden.236

235 „Burning of the Crystal Palace“, in: The New York Times (6. Okt. 1858). „Destruction of the Crystal Palace“, in: The New York Times (6. Okt. 1858), 1. „The Crystal Palace Fire“, in: The New York Times (7. Okt. 1858). „The Crystal Palace Fire“, in: The New York Times (11. Okt. 1858). „The Crystal Palace Ruins“, in: The New York Times (8. Okt. 1858). 236 „The Crystal Palace Fire“, (11. Okt. 1858). „The Crystal Palace Ruins“, (8. Okt. 1858).

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Besonders die Zuversicht, unbeschädigte Maschinenteile bergen zu können, war groß. Das Meiste blieb jedoch verloren oder war unbrauchbar. Viele der Gegenstände unter den Trümmern waren von einer dicken Schicht geschmolzenen Glases überzogen. Pistolenläufe waren damit verstopft und die Saiten von Musikinstrumenten verklebt. Für die Aussteller hatten diese Gegenstände folglich keinerlei Wert mehr. Für die Souvenir- und Kuriositätenhändler waren sie allerdings Gold wert und so öffnete man das Areal doch noch für die Lumpensammler. Während die Aufräumarbeiten voran schritten, waren sie auf der Suche nach glasierten (vitrified) Besonderheiten für den Verkauf, die bei Touristen und dem ein oder anderen sentimentalen Stadtbewohner reißenden Absatz fanden. Viele wollten eines der schillernden Ornamente, die an die jüngste Katastrophe der Stadtgeschichte erinnerte, besitzen.237 Während die Feuerwehr mit den Aufräumarbeiten beschäftigt war, fassten die Messeveranstalter in New York City den Entschluss, keinen neuen Crystal Palace an der Stelle des alten zu errichten. Reservoir Square sollte, nachdem er in zwei Jahren zwei Mal Schauplatz einer Brandkatastrophe war, vorerst unbebaut bleiben.238 Als die fire limits der Stadt sich immer weiter gen Norden schoben, wurden allerdings erste Überlegungen angestellt, wie mit dem Platz weiter zu verfahren sei. Das benachbarte riesenhafte Speicherbecken machte Reservoir Square nicht gerade zu attraktivem Bauland für private Investoren und so hielt die Stadt vorerst am Grundstück fest und begann mit der sukzessiven Umwandlung in einen Park. Dabei ging der Common Council ungemein kostenbewusst vor. So erfolgte die Einzäunung des Resservoir Squares erst 1871 im Zusammenhang mit der grundlegenden Sanierung des Washington Squares. Diese war nach Jahrzehnten der intensiven Nutzung mehr als vonnöten gewesen. Der Park vor der Universität wurde durch das Abtragen von Erde weiter eingeebnet und mit dem überschüssigen Mutterboden füllte man die Rasenflächen am Tompkins Square auf, während der Zaun, der einst den Springbrunnen des Washington Squares eingrenzte, an die 42nd Street gebracht wurde.239 In den folgenden Jahren wurden in New York City hitzige Debatten über die Zukunft des Reservoir Squares geführt; für immer konnte er nicht unbestimmtes Territorium bleiben. Das Militär beantragte in den 1870er-Jahren eine Nutzung als Munitionsdepot und Exerzierplatz. Dies wurde sowohl von den Anwohnern

237 Burrows & Wallace, Gotham, 670. „The Crystal Palace Fire: The Exhibitors among the Ruins – Meeting at the Murray Hill House“, in: The New York Times (12. Okt. 1858). 238 „The Crystal Palace Fire“, in: The New York Times (9. Okt. 1858). 239 Folpe, Washington Square, 156-57.

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als auch von der Stadtverwaltung kategorisch abgelehnt. Die Parkfläche allein war zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 1,5 Millionen Dollar wert. Der Bau eines Militärstützpunktes dort, so war man sich einig, hätte zu einer massiven Verminderung der Grundstückswerte in der Nachbarschaft geführt. Ein kurze Zeit später eingereichter Antrag, Washington Square wieder zum Paradeplatz umzuwidmen, stieß auf noch viel massiveren Widerstand.240 Daraufhin meldete sich Vaux in der Debatte um den Reservoir Square zu Wort. Er, der eine der treibenden Kräfte bei der Planung und Umsetzung des Central Parks und ein großer Unterstützer des Crystal Palace gewesen war, setzte sich 1877 für den Bau eines polytechnischen Instituts am Reservoir Square ein. Das Gebäude des Metropolitan Museum for Scientific Industry sollte an der Stelle des alten Speicherbeckens entstehen und über einen direkten Übergang zum Park auf dem Reservoir Square verfügen. Da sich die Stadt bis ins Jahr 1899 den Abriss des distributing reservoirs finanziell nicht leisten konnte wurde aber auch dieser Plan nicht verwirklicht. In den 1890er-Jahren wurden erneut Debatten über die Zukunft des Areals angestoßen. Im Kontext der möglichen Umwidmung des City Hall Gebäudes zur neuen öffentlichen Stadtbibliothek kam auch der Reservoir Square wieder ins Gespräch. Dieses Mal schaltete sich mit Green ein anderer Verantwortlicher des Central Parks ein und argumentierte für den Erhalt des Rathauses als solches. Reservoir Square wurde als der passende Ort für die neue Public Library deklariert, die der Politiker Samuel Tilden testamentarisch gestiftet hatte. Aus Tildens Vermögen finanzierte die Stadt den Bau des Bibliotheksgebäudes an der 42nd Street. Mit der Umbenennung von Reservoir Square in Bryant Park Anfang des 20. Jahrhunderts setzte New York City dann auch dem im Jahr 1878 verstorbenen Dichter ein Denkmal in der Stadt. Zwar bestand zuvor bereits Konsens, dass Bryant als einer der Fürsprecher vieler öffentlicher Projekte Anerkennung verdient hatte, nur war man sich lange uneins in welcher Form. Mehrfach wurde die Errichtung eines Monuments zu seinen Ehren vorgeschlagen und dann aus finanziellen Gründen wieder verworfen. Den öffentlichen Park, auf dessen Grund und Boden sich die neue New York Public Library befand, zu Bryants Ehren nach ihm zu benennen, entpuppte sich als angemessene und zudem kostengünstige Lösung.241 Reservoir Square war über lange Zeit aufgrund seiner Lage weitab vom dichter besiedelten Gebiet New Yorks ein Sonderfall in der Entwicklung des urbanen

240 Lisa Keller, Triumph of Order: Democracy & Public Space in New York and London (New York: Columbia University Press, 2009), 195. 241 Francis R. Kowsky, Country, Park & City: The Architecture and Life of Calvert Vaux (New York: Oxford University Press, 1998), 46, 262-63, 312-14.

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Raums auf der Insel. Als Standort außerhalb der fire limits wurde, der einst als Armenfriedhof ausgewiesenen Platz, zu einem architektonischen Laboratorium. Mit dem Crystal Palace und dem Latting Observatory beheimatete er zwei bauliche Strukturen die laut Koolhaas die Archetypen zweier grundverschiedener Gestaltungstraditionen waren: die Sphäre und die Nadel. Zwischen diesen beiden Extremen würde sich Architektur auf der Insel ab den 1850er-Jahren bewegen, dabei versuchte die eine sich die Eigenschaften der anderen einzuverleiben. Das Potential der Nadel, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, vereinte sich in den ersten Wolkenkratzern der Stadt mit dem Platz, den die Sphäre zu bieten hatte.242 Als Standort des distributing reservoirs des Croton Aqueducts belieferte der Reservoir Square zugleich andere Orte des Spektakels, wie den Park vor der City Hall, aber auch Madison Square und Washington Square, mit Wasser und erlangte so bereits kulturelle Relevanz als die Nachbarschaft um ihn herum als solche noch nicht existierte. Aquädukt und Weltausstellung ließen den designierten Armenfriedhof zum Schauplatz aufregender Begebenheiten werden und zu einem Motor der Unterhaltungsindustrie in anderen Teilen der Stadt. Mit der Etablierung des Tenderloin im Gilded Age wurde er schließlich tatsächlich Teil eines Amüsierbezirks. Reservoir Square stillte den Durst der wachsenden Metropole mit seiner Wasserinfrastruktur, vermochte es aber auch ihr Verlangen nach Unterhaltung zu befriedigen. Primär spielte sich Aufsehenerregendes vor den 1870er-Jahren aber eher weiter südlich ab.243 Der Park vor der City Hall und Madison Square zählten zu den Hauptanziehungspunkten für die Stadtbevölkerung.

242 Koolhaas, Delirious New York, 27. Vgl. Geoffrey Broadbent, Emerging Concepts in Urban Space Design (New York: Spon Press, 1990), 77-78. 243 Vgl. Henn Wilson, Wilson’s Illustrated Guide to the Hudson River (New York: H. Wilson, 1850), 23-25.

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3.3 The Commons and the Parade. Sport, Spiel und Spektakel im City Hall Park und am Madison Square Mit den Geschichten von Washington Square Park und Reservoir Square eng verwoben sind die des Madison Squares und des Parks244 vor der City Hall. Mit der vollständigen Parkwerdung des Washington Squares benötigte New York einen neuen Parade- und Exzerzierplatz. Die im Commissioners’ Plan von 1811 als Parade ausgewiesene Freifläche zwischen 23rd Street und 34th Street war zum großen Glück des Militärs zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollkommen bebaut. Im August 1840 gab der Ältestenrat der Stadt der Bitte mehrerer Offiziere nach einem neuen Trainingsgelände nach. Das Areal, auf dem einst das Armenhaus New Yorks stand, würde das Militär als Exzerzierplatz nutzen dürfen. Gleichwohl legte der Rat fest, dass sich die Armee mit einer wesentlich kleineren Fläche als mit der im Jahr 1811 vorgeschlagenen zufrieden geben musste. Ein Planquadrat zwischen 23rd Street und 26th Street und Fifth Avenue und Madison Avenue sollte zum neuen Paradeplatz New Yorks gemacht werden. Weiterhin gab man zu Protokoll, dass das Militär den Platz nur vorübergehend nutzen dürfe. Sobald die Parade – der spätere Madison Square – bedingt durch urbanes Wachstum von der Peripherie ins Zentrum New Yorks rückte, musste die Armee sie wieder freigeben.245 Madison Square war einst, ebenso wie Washington Square und der Park vor der City Hall, einer der öffentlichen Friedhöfe der Stadt gewesen. Die Einrichtung eines Hospitals in unmittelbarer Nähe hatte dafür gesorgt, dass der Platz in der Zeit zwischen 1794 und 1797 als Begräbnisstätte genutzt wurde. Bellevue246, der ehemalige Landsitz des Geschäftsmanns Pieter Keteltas, stand im Jahr 1793 zum Verkauf. Das am East River gelegene Grundstück zählte in der Zeit vor der Revolution zu den schönsten Anwesen auf der Insel und hatte auch danach durch seine Lage Nahe Kip’s Bay wenig von seiner Attraktivität und landschaftlichem Reiz eingebüßt. Die Bellevue Lane führte von den Häusern am Ufer zur Post Road und verband den Landsitz komfortabel mit dem wachsenden New York.

244 Obwohl der spätere Park vor dem Rathaus rein rechtlich nie als Allmende organisiert war, bezeichnete in die Bevölkerung New York Citys aufgrund seines Allmendencharakters dennoch mit „the Commons“. In diesem Kapitel werden die Begriffe commons und Allmende synonym für ihn verwendet. 245 Journal and Documents of the Board of Assistants, of the City of New-York, Vol 16. (New York, 1841), 199-200. 246 Von Zeitgenossen wurde dieser auch Belleview beziehungsweise Belvoir genannt.

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Der Anwalt und spätere oberster Richter des Bundesstaates New York Henry Brockholst Livingston erwarb Bellevue im Jahr 1793 vom Grammatiker und Anwalt Lindley Murray, der sich zu dieser Zeit in England aufhielt. Zum Kauf des Anwesens wurde Livingston wohl von seiner zweiten Frau Catherine gedrängt. Diese war die einzige Tochter von Keteltas.247 Livingston bezog das Anwesen aber nicht mit seiner Familie. Im Sommer 1794 verpachtete er das Haus an die Stadt zur Nutzung als Hospital. Patienten mit stark ansteckenden Krankheiten, vor allem Gelbfieber, wurden dort behandelt bis man sich im Frühjahr 1797 vorläufig gegen eine weitere Nutzung des Landsitzes als Krankenhaus entschloss. Bellevue wurde zum Veranstaltungsort umgewandelt, allerdings unter der Bedingung, dass das sogenannte house of entertainment in Krisenzeit umgehend wieder zu einem Krankenhaus gemacht werden musste. Im April des Jahres 1798 meldete die Gesundheitsbehörde New Yorks dann erneut Interesse am Landsitz an. Dieses Mal verpachtete Livingston nicht, sondern verkaufte das ganze Grundstück an die Stadt.248 In den Jahren zwischen 1794 und 1797 nutzte das Behelfskrankenhaus die nahegelegen öffentlichen Ländereien als Friedhof. Epidemieopfer, die im Hospital unbekannt oder arm verstarben, wurden nicht auf den Kirchhöfen oder in den Grüften der Stadt beigesetzt, sondern im Schnellverfahren im potter’s field an der 26th Street beerdigt.249 Durch die Einrichtung des neuen, näher an der Stadt gelegenen Armenfriedhofs in Greenwich Village kam es ab dem Jahr 1798 nicht mehr zu Bestattungen am zukünftigen Madison Square. Das 1736 gegründete Stadtkrankenhaus, zu dem das im Jahr 1798 auf Dauer eingerichtete Siechenhaus Bellevue gehörte, beerdigte seine Toten zuvor auf einem potter’s field weiter südlich auf der Insel. Das erste öffentliche Hospital der Stadt war Teil des Gefängnisses und Armenhauses, das bis zum Jahr 1796 an der Stelle stand, an der 1807 die neue City Hall gebaut werden sollte. Im Publick [sic] Workhouse and House of Correction of the City of New York stellte man damals ein Zimmer im Dachgeschoss für die Versorgung der Kranken zur Verfügung. 1797 expandierte das Krankenhaus und zog in ein neues Gebäude in der Chambers Street, unweit seines ersten Sitzes.250

247 Stokes, The Iconographie of Manhattan Island, Vol. 6, 110. 248 Ebd. 249 Reginald Pelham Bolton, Forgotten Things and Places in the City of New York (The New-York Historical Society: Manuscripts collection, 1918). 250 Bellevue: A Short History of the Bellevue Hospital and of the Training Schools (New York: Alumnea Association of Bellevue, 1916).

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In den Jahren, in denen Gefängnis und Krankenhaus zusammen gehörten, beerdigte man die Toten beider Institutionen auf einer Freifläche in unmittelbarer Umgebung. Bereits im März 1757 hatte der Common Council die Einrichtung eines Friedhofs speziell für die Bewohner des Armenhauses angeordnet. Dieser sollte direkt im Osten an das Gebäude angrenzen und innerhalb der Palisade angelegt werden, anders als der Friedhof der freien Schwarzen der Stadt, der sich außerhalb des Schutzwalls befand. Wegen Überfüllung sah man sich 1785 gezwungen ein weiteres potter’s field nördlich des Armenhauses zu eröffnen. Dieses wurde bis 1794 genutzt. Die Freifläche, die beide Armenfriedhöfe beherbergte und die später der Park vor dem Rathaus werden sollte, diente zusätzlich bis ins späte 18. Jahrhundert als die de facto Allmende der Stadt. Entsprechend vielfältig waren die Praktiken, die auf dem Areal ausgeübt wurden. Man brannte und löschte dort Kalk, stach Torf und weidete Vieh. Darüber hinaus genehmigte der Stadtrat bereits im Jahr 1731 die Einrichtung eines Munitionsdepots auf dem Grundstück und die Miliz verwendete die Freifläche als Exzerzierplatz.251 Während des Besuchs von Lafayette im Jahr 1824 hielt man im Park eine große Militärparade zu seinen Ehren ab.252 Die Massenhinrichtung zur Verabschiedung Lafayettes am Washington Square gehört, wie erwähnt, ins Reich der Legenden, das Militärspektakel vor dem Rathaus fand aber wahrhaftig statt. Der General erreichte am Samstag, den 14. August 1824, New York in Begleitung seines Sohnes Georges Washington de Lafayette an Bord der Cadmus. Die Stadt war allerdings noch nicht bereit für den Empfang des Kriegshelden. Bereits auf dem Schiff informierte das Begrüßungskomitee, angeführt vom jungen Mangle Minthorne Tompkins, dem Sohn des Vizepräsidenten Daniel D. Tompkins, Lafayette und seine Begleiter darüber, dass noch einige Vorbereitungen zu treffen seien, und man überdies für die Willkommensfeierlichkeiten nicht mit der Sonntagsruhe brechen wolle. Entsprechend plante man die offizielle Ankunft Lafayettes für den folgenden Montag. Die Wartezeit sollte der General auf dem Landsitz von Tompkins auf Staten Island verleben. Dort wurde ihm ein informeller, familiärer Empfang bereitet. Tompkins begrüßte Lafayette in Hemdsärmeln direkt am Strand – den Kopf vor der Sonne mit einer Militärmütze geschützt – und führte ihn anschließend zum Haus der Familie. Dort nahmen

251 Terrence W. Epperson, „The Contested Commons: Archaeologies of Race, Repression, and Resistance in New York City“, in: Mark P. Leone & Parker B. Potter, Jr. (Hg.), Historical Archaeologies of Capitalism (New York: Kluwer Academic/Plenum Publishers, 1999), 83-84. Inskeep, The Graveyard Shift, 6. 252 Auguste Levasseur, Lafayette in America in 1824 and 1825; or a Journal of a Voyage to the United States Vol. 1 (Philadelphia: Carey & Lea, 1829), 15-16.

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seine Frau Hannah und die Töchter der Tompkins’ die weit gereisten Gäste in Empfang.253 Während Lafayette die Ruhe auf dem Land genoss, deuteten sich auf See allerdings schon die Szenen an, die ihn in New York City erwarten würden. Von Kanonensalven über die Ankunft des Generals informiert, setzten die New Yorker Segel. Mit Menschen beladene Schiffe füllten die Bucht zwischen Manhattan Island und Staten Island, in der Hoffnung, einen ersten Blick auf den General zu erhaschen und um ihn willkommen zu heißen.254 Früh am Montagmorgen waren die Vorbereitungen für den offiziellen Empfang Lafayettes abgeschlossen. Die Stadtverwaltung entsandte eine Delegation nach Staten Island, deren Mitglieder Lafayette über den Ablauf der Feierlichkeiten zu seinen Ehren informierten. Das Dampfschiff Chancellor Livingston würde ihn am frühen Nachmittag nach Castle Garden255 an die Südspitze Manhattans bringen. An Bord des Schiffes würden alte Bekannte, prominente New Yorker, Vertreter des Militärs und der Stadtverwaltung auf den General warten. Eine Kapelle spielte zur Begrüßung „Où peut on être mieux qu’au sein de sa famille“ – eine der inoffiziellen Hymnen der Restaurationszeit in Frankreich. Die kurze Überfahrt der Chancellor Livingston begleiteten mehrere, kleinere mit Fahnen und Blumen geschmückte Schiffe und auch die Cadmus wurde, als Teil der Prozession, von zwei herausgeputzten Schleppern in den Hafen von New York gebracht.256 An Land begrüßte Lafayette eine jubelnde Menschenmenge. Sein Reiseberichterstatter Auguste Levasseur berichtet von 200.000 Schaulustigen, die sich zu Ehren des Generals an der Südspitze Manhattans versammelt hatten.257

253 Ebd., 13-14. 254 Ebd., 14. 255 Das Fort und ehemaliger Militärstützpunkt war bis in die 1820er-Jahre hinein auch als Castle Clinton bekannt. 1855 wurde es zum offiziellen Einwanderungszentrum in New York umfunktioniert bis es im Jahr 1892 von Ellis Island abgelöst wurde. In der Zeit zwischen 1824 und 1850 diente es der Stadt als Theatersaal und Konzerthaus. Vgl. Burrows & Wallace, Gotham, 1111. Alfred Norton, Norton’s Handbook of New York City (New York: Alfred Norton, 1859), 23. 256 Levasseur, Lafayette in America, 14-15. 257 Levasseurs Schätzung war reichlich optimistisch. New York verfügte zum Zeitpunkt des Besuchs Lafayettes über circa 160.000 Einwohner. Auch wenn sicherlich noch Schaulustige aus anderen Gebieten der Vereinigten Staaten angereist waren, so bleibt es unwahrscheinlich, dass sich 200.000 Menschen im August 1824 im Süden Manhattans drängten. Auch ein Fehler in der englischen Übersetzung des französischen Originals kann ausgeschlossen werden. Vgl. Levasseur, Lafayette in America,

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Abbildung 9: Lafayettes offizielle Ankunft in New York City im August 1824

Jeder Platz, der einen Ausblick auf die herannahende Schiffskolonne versprach, war besetzt. Häuser und Straßen wurden mit Girlanden, Fahnen und Blumen geschmückt und die Menschen drängten sich entlang der Route zwischen Battery und City Hall Park.258 Nachdem sich der sechsundsechzigjährige Lafayette kurz in Castle Garden ausgeruht hatte, begrüßte er die versammelten Regimente des Militärs an der Battery und bestieg danach eine von vier weißen Pferden gezogene Kutsche, die ihm zum Rathaus brachte.259 Dort wurde Lafayette offiziell von Bürgermeister William Paulding empfangen. Nach der kurzen Begrüßung im Inneren des Rathauses nahmen der General und die Vertreter der Stadtregierung ihre Plätze auf dem Portikus der City Hall ein. Von dort aus bestaunten sie das Militärspektakel im Park. Die Infanterie und Kavallerie exerzierten unter den wachsamen Augen des Staatsgastes und der Stadtbevölkerung.260 Die Schaulustigen interessierten sich jedoch weniger für die

15. Auguste Levasseur, Lafayette en Amérique en 1825 et 1825, ou Journal d’un Voyage aux Etats-Unis (Paris: Librairie Baudouin, 1829), 11. 258 John Foster, A Sketch of the Tour of General Lafayette, on His Late Visit to the United States, 1824 (Portland: A.W. Thayer, 1824), 58. 259 Levasseur, Lafayette in America, 15. 260 Ebd., 16.

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militärische Großinszenierung. Viele waren einfach angereist, um Lafayette aus der Nähe zu sehen. Der Franzose war eine lebende kulturelle Ikone und genoss als Held der Amerikanischen Revolution beachtliches Ansehen. Der Historiker Karsten Fitz schreibt in der Einleitung der Monografie The American Revolution Remembered, 1830s to 1850s, dass jede Gesellschaft über eine Entstehungsgeschichte verfügt, die das Gefühl von nationaler Identität prägt.261 Lafayette war essentieller Bestandteil des amerikanischen Schöpfungsmythos und sich seiner besonderen Position als verehrter Zeitzeuge und Zeitgenosse durchaus bewusst. So setzte er während seines Aufenthalts in New York Besuchsstunden für die breite Öffentlichkeit an. Neben Terminen bei den learned societies262 der Stadt, etwa der New York Historical Society263 und der Society of the Cincinnati, begrüßte er seine Bewunderer an zwei Stunden täglich in den Räumen der City Hall. Lafayettes Anwesenheit allein genügte, um auch in den folgenden Tagen hunderte von Besucher in den Park vor dem Rathaus zu locken. Eine Menge der Anwesenden hegte die Hoffnung, den General persönlich treffen oder zumindest einen Blick aus der Nähe auf ihn werfen zu dürfen.264 Lafayette war nicht nur eine berühmte, sondern auch eine charismatische Persönlichkeit. Bei seinen öffentlichen Auftritten verstand der Kriegsheld es, menschliche Wärme und Gefühl zu zeigen, ohne dabei Würde vermissen zu lassen. Die Historiker Edward Berenson und Eva Giloi gehen in der Einleitung zu ihrem Sammelband Constructing Charisma265 auf den Zusammenhang zwischen persönlicher Ausstrahlung, Berühmtheit und Macht im Allgemeinen ein. Für Berenson und Giloi bedingen sich Charisma und Ruhm nicht gegenseitig – Macht und Ruhm allerdings schon. Die beiden Autoren beziehen sich in ihrer Definition von Charisma auf die Ausführungen des deutschen Soziologen Max

261 Karsten Fitz, The American Revolution Remembered, 1830s to 1850s: Competing Images and Conflicting Narratives (Heidelberg: Winter, 2010), 7. 262 Zur Entwicklung der Gelehrtengesellschaften in den USA siehe: Joseph C. Kiger, American Learned Societies (Washington, D.C.: Public Affairs Press, 1963). 263 Lafayette und sein Sohn Georges Washington wurden während dieses Treffens unter der Leitung von David Hosack zu Ehrenmitgliedern der Gesellschaft ernannt. 264 Levasseur, Lafayette in America, 17. 265 Berenson und Giloi haben den Fokus des Sammelbandes bewusst auf Europa gelegt, um zu zeigen, dass nicht nur die Vereinigten Staaten über eine distinktive celebrity culture verfügen. Letztlich wenden die beiden Herausgeber aber amerikanische Paradigmen in der Betrachtung der deutschen politischen celebrity culture an. Vgl. Edward Berenson & Eva Giloi (Hg.), Constructing Charisma: Celebrity, Fame, and Power in Nineteenth-Century Europe (New York: Berghahn Books, 2013), 2-3.

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Weber über die „Charismatische Herrschaft“ und die „Veralltäglichung des Charisma“.266 Es sei die materielle Kultur, die, durch verschiedene Mechanismen, Ausstrahlung und Berühmtheit produziere und zerstöre und damit auch Machtverhältnisse verändere. Massenproduktion, Massenmedien und die Erhöhung der Bevölkerungsdichte, besonders im urbanen Raum im Laufe des 19. Jahrhunderts, trügen, so Berenson und Giloi, maßgeblich zur Verbreitung und entsprechend auch zur Verwässerung von Berühmtheit bei. Die Massenmedien bedrohen die „magischen“ Qualitäten einer Person und damit ihr Charisma.267 Eine Bedrohung der „magischen“ Qualitäten der Person durch die Massenmedien, wie sie Berenson und Giloi sehen, lässt sich zur Zeit des Besuchs Lafayettes in den Vereinigten Staaten noch nicht feststellen. Vielmehr gelang es dem General, die Menschen durch sein Auftreten in den Bann zu ziehen. Seine Rhetorik und sein Habitus waren volksnah und dennoch ließ er keinen Zweifel an seiner Überlegenheit.268 Lafayette war Gegenstand in der Ikonografie der Amerikanischen Revolution und gleichzeitig aktiv an deren Schöpfung beteiligt. Er korrespondierte etwa mit dem Maler John Trumbull, der vom Senat mit der künstlerischen Aufarbeitung der Revolution beauftragt war und unterbreitete ihm

266 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 1 (Tübingen: J.C.B. Mohr, 1956), 140-48. 267 Berenson & Giloi, Constructing Charisma, 1-2, 10-12. Vgl. Stuart Hall, „Notes on Deconstructing ’the Popular’“, in: John Storey (Hg.), Cultural Theory and Popular Culture: A Reader (Athens: The University of Georgia Press, 1998), 444-45. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 140. Der deutsche evangelische Theologe Johann Christoph Greiling verfasste bereits 1805 eine Studie zu den Ursprüngen von Popularität. Er kommt darin zu der Erkenntnis, dass das Populäre aus der Verbindung zweier gegensätzlicher Dinge entstehe: dem konkreten Denken der Angehörigen des Volkes und den abstrakten Erkenntnissen der Gelehrten. Populär ist, was Geist und Darstellung vereint. Johann Christoph Greiling, Theorie der Popularität (Magdeburg: Georg Christian Keil, 1805), 44-45, 50-51. Für Greiling hat Popularität ihren Ursprung in der Wissenschaftlichkeit. Er propagierte fast zweihundert Jahre vor der Veröffentlichung von Karl Schlögels Im Raume lesen wir die Zeit den Abstieg vom „Hochsitz der Lektüre“. Vgl. Jürgen Osterhammel, „Hinab vom Hochsitz der Lektüre!“, !“, in: Die Zeit, Nr. 42 (9. Oktober 2003), , (Zugriff: 2012-09-10). Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit: Zivilisationsgeschichte und Geopolitik (München: Carl Hanser Verlag, 2003), 14-15. 268 Vgl. Levasseur, Lafayette in America, 17.

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Sujetvorschläge.269 Die Anziehungskraft, die Lafayette in den USA besaß, war ein Produkt seiner „magischen“ Qualitäten als Kriegsheld,270 seiner Volksnähe und Fähigkeit zur Selbstinszenierung. Der Park vor der City Hall war einer der wenigen Orte in New York City, an denen ein Blick auf Zeitgenossen vom Rang eines Lafayettes geworfen werden konnte. In der Eingrenzung befand sich außerdem ein Platz, der Gelegenheit bot, die Helden vergangener Tage und Figuren aus dem Reich des Märchens und der Legende aus nächster Nähe zu begutachten.271 Das ehemalige Armenhaus auf dem Grundstück des City Hall Parks gab die Stadt im frühen 19. Jahrhundert für andere Nutzungen frei. Nach dem Bau und der Eröffnung des neuen Rathauses verlegte man das Armenhaus in den Norden an den späteren Madison Square. Im neuen Verwaltungsbezirk war kein Platz für die stetig wachsende Gruppe der Armen und Hilfsbedürftigen.272 Die Räume des ehemaligen Kranken- und Armenhauses vergab man an prominente kulturelle Einrichtungen für die symbolische Miete von einem Pfefferkorn pro Jahr. Der Arzt, Chemiker und Humanist John Griscom und anderer prominente Stadtbewohner hatten sich nach der Verlegung des Armenhauses in die Nähe von Bellevue gegen einen Abriss des Gebäudes in der Chatham Street eingesetzt. Griscom hoffte auf Laborräume für seine Forschungsarbeit, während die New York Historical Society, die Academy of Fine Arts und das Lyceum of Natural History auf günstige, temporäre Unterbringung spekulierten. Als bedeutende gemeinnützige Wissenschafts- und Bildungsorganisationen erhoben sie allesamt Anspruch auf Unterstützung durch die Stadt.273 John Scudders kommerzielles American Museum zog 1816 ebenfalls in das Gebäude ein. Der Naturalist und Präparator war zuvor als Kurator in Edward Savages Columbian Gallery and City Museum in New York tätig. Unzufrieden mit Savages Management der Sammlung aus Gemälden, Tierpräparaten, lebenden Tieren, Wachsfiguren und Folter- und Bestrafungswerkzeugen, entschloss sich Scudder dazu, die Exponate Savages’ aufzukaufen und selbst ein Museum

269 Michael G. Kammen, A Season of Youth: The American Revolution and the Historical Imagination (New York: Oxford University Press, 1978), 79-80, 85. 270 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 140. 271 Vgl. Andrea Stulman Dennett, Weird and Wonderful: The Dime Museum in America (New York: New York University Press, 1997), 18. 272 Vgl. Frances Milton Trollope, Domestic Manners of the Americans, Vol. II (London: Whittaker, Treacher, & Co., 1832), 190. 273 John Griscom, Memoir of John Griscom, LL.D. (New York: Robert Carter and Brothers, 1859), 98-99.

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zu eröffnen. Zwischen 1803 und 1809 gelang es ihm, ausreichend Kapital anzuhäufen, um die Sammlung zu erwerben. In den ersten Jahren des Museumsbetriebs mietete Scudder Ausstellungsräume unweit des City Hall Parks. Die wirtschaftlich schwierigen Zeiten während des Britisch-Amerikanischen Krieges drohten aber ihn in den Ruin zu treiben. Doch Scudders Bekanntschaft mit Pintard und die Vision, das Museum als Ort der wissenschaftlichen Ausbildung für die wenig Gebildeten zu etablieren, öffneten ihm die Tore zum ehemaligen Armenhaus.274 Er bekam einen Raum im zweiten Stock des Gebäudes zugewiesen, den er alsbald mit einer naturwissenschaftlichen Ausstellung füllte. Mehr als 600 Exponate, beschriftet in Latein und Englisch, unter der Verwendung der von Carl von Linné erdachten Nomenklatur, stellte er aus. Zudem gewann er Redner, die wissenschaftliche Vorträge für eine breite Öffentlichkeit hielten. Ähnlich wie Griscom, der in regelmäßigen Abständen Angehörige der „ungelehrten Klassen“ zu Veranstaltungen in sein Labor einlud, erlangte auch Scudders Museum schnell große Popularität.275 Während Griscom seine öffentlichen Vorträge für ein breiteres Publikum häufig stark umgangssprachlich hielt,276 würzte Scudder sein Bildungsprogramm mit Elementen aus dem Varieté. So engagierte er etwa Musiker, die inmitten der Ausstellung spielten.277 Mit der wachsenden Popularität des Museums wuchs auch dieses selbst und Scudder füllte bald nicht nur einen, sondern gleich vier Räume im ehemaligen Armenhaus mit Exponaten. Am Ende des größten Saals hatte er eine komplexe Waldlandschaft nachbauen lassen und bewarb diese als pittoreskes Meisterwerk. Scudder rühmte sich, dass es ihm gelungen sei, die Natur in einem geschlossenen Raum zu konservieren. Die Erweiterung des Museums brachte aber auch mit sich, dass nicht mehr nur Dinge von naturwissenschaftlichem Interesse ausgestellt wurden. Kuriositäten aus der von Savage übernommenen Sammlung kamen nun, ebenso wie die Gemälde und Antiquitäten, wieder ans Tageslicht.278 Nachdem das American Museum in die ehemaligen Räume des Armenhauses eingezogen war, konnte Scudder seiner Museumsleidenschaft relativ frei von finanziellen Zwängen nachgehen. Die Eintrittspreise der Institution waren nicht

274 Dennett, Weird and Wonderful, 18. 275 Griscom, Memoir, 99-100. „Lectures in the American Museum“, in: The American Monthly Magazine and Critical Review No. VI, Vol. 1 (Okt. 1817), 455. 276 Griscom, Memoir, 99. 277 Dennett, Weird and Wonderful, 18. 278 Edward P. Alexander, Museum Masters: Their Museums and their Influence (Walnut Creek: AltaMira Press, 1995), 66.

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viel geringer als die anderer Kultur- und Vergnügungseinrichtungen, und die Mietersparnis machte das Unternehmen extrem profitabel. Da sich das Museum die Räumlichkeiten mit anderen hochrangigen Institutionen der Stadt teilte, durfte Scudder auch immer wieder bedeutende Persönlichkeiten, wie etwa Präsident James Monroe, dort willkommen heißen. Zudem ging er bei der Erweiterung seiner Sammlung strategisch vor. Gemälde der amerikanischen Siege auf See gegen die Briten zierten die Wände eines der Ausstellungsräume.279 Ähnlich wie Lafayette schrieb auch der Museumsmacher mit an der Schöpfungsgeschichte der amerikanischen Nation und bezog dabei seine Leidenschaft für die Seefahrt mit ein.280 Scudders Museum war kein Kuriositätenkabinett. Als Museumsmacher und Geschäftsmann war er aber findig, was möglichst massenwirksame Werbemaßnahmen betraf. Musikalische Darbietungen gab es im Inneren des Museums für die zahlenden Gäste doch auch auf einem der Balkone des Hauses spielte immer wieder eine Band zur Unterhaltung der Öffentlichkeit. Der Dichter und Satiriker Fitz-Greene Halleck fing die kulturelle Bedeutung von Scudders Musikbalkon in seinem erstmals im Jahr 1819 veröffentlichten und später um fünfzig Strophen erweiterten Gedicht „Fanny“ ein: Sounds as of far-off bells came on his ears, He fancied ‘twas the music of the spheres. CLXXV. He was mistaken, it was no such thing, ‘Twas Yankee Doodle played by Scudder’s band; He muttered, as he lingered listening, Something of freedom and our happy land; Then sketched, as to his home he hurried fast, This sentimental song – his saddest, and his last.281

279 Winifred E. Howe, A History of the Metropolitan Museum of Art: With a Chapter on the Early Institutions of Art in New York (New York: Metropolitan Museum of Art, 1913), 76. Joel J. Orosz, Curators and Culture: The Museum Movement in America, 1740-1870 (Tuscaloosa: The University of Alabama Press, 1990), 79. 280 Das Startkapital für sein American Museum hatte Scudder als Matrose in den Jahren zwischen 1803 und 1809 verdient. Dennett, Weird and Wonderful, 17. 281 Interpunktion wie im Original. Fitz-Greene Halleck, Fanny with other Poems (New York: Harper & Brothers, 1839), 68-69.

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Hallecks bekanntestes Gedicht erwähnt Scudders Museum insgesamt vier Mal. Neben der Zeile zu „Yankee Doodle“ findet der Musikbalkon noch an zwei Stellen Erwähnung und der Autor beschließt das Gedicht gar mit den Zeilen: And music ceases when it rains In Scudder’s balcony.282

Die vierte Erwähnung findet sich in einer der fünfzig später ergänzten Strophen. Dort setzte sich Halleck kritisch mit der Umwidmung des Armenhauses zur Kultureinrichtung auseinander. Er schreibt spöttisch über das Geschenk, das denen, die reich im Geiste sind auf Kosten der Armen gemacht worden sei: And, therefore, I am silent. It remains To bless the hour the Corporation took it into their heads to give the rich in brains The worn-out mansion of the poor in pocket, Once „the old almshouse,“ now a school of wisdom, Sacred to Scudder’s shells and Dr. Griscom.283

Tatsächlich war es so, dass die Elite in New York City eine Verdrängung der Armenbevölkerung aus dem Verwaltungsbezirk forcierte. Halleck wendet sich mit seiner Satire gegen diesen sich abzeichnenden Trend zur „Kultivierung“ der Stadt – der auch in der Verlegung des Armenhauses seinen Ausdruck gefunden hatte. Die Auslagerung der Unterschicht in die Peripherie gelang damit aber nicht. Im Verwaltungsbezirk tummelten sich auch nach Verlegung des Armenhauses weiterhin Angehörige aller Klassen. Die angestrebte Bereinigung des Bezirks war gescheitert. Besonders in den Sommermonaten lockten die Darbietungen auf dem Balkon des Museums die Menschen in den Park. Der Autor Thomas Picton284 schreibt in einem seiner in den 1860er-Jahren in der Unterhaltungs- und Sportzeitschrift

282 Ebd., 71. 283 Ebd., 28. 284 Der Theater- und Zirkushistoriker William L. Slout trug dreiundzwanzig Aufsätze Pictons zusammen und gab sie im Jahr 2007 als Primärquellensammlung unter dem Namen des Autors heraus. Im Vorwort zur Sammlung hält Slout fest, dass Pictons Essays ursprünglich unter dem Pseudonym Paul Preston erschienen. Thomas Picton, Fun and Fancy in Old New York: Reminiscences of a Man about Town (Rockville: Wildside Press, 2007), 5-6.

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New York Clipper veröffentlichten Aufsätze über die Anziehungskraft von Scudders Balkon. An Samstagnachmittagen versammelten sich die „Faulenzer“ im Park vor dem Rathaus. Sie lauschten dem Orchester und warteten auf die Ziehung der Stadtlotterie.285 Auch nach dem Umzug von Scudders Museum im Jahr 1831, in ein extra errichtetes Marmorgebäude an der Kreuzung von Broadway und Ann Street, wurden die kostenlosen Konzerte zu Werbezwecken fortgesetzt und lockten ein immer größeres Publikum in den Park.286 Dieses rekrutierte sich besonders an den Samstagen aus Glücksrittern aus allen Klassen und den Kindern der Stadt.287 Lotterien waren eine bedeutende Einnahmequelle für New York City und eine kulturelle Einrichtung im Stadtgebiet. Bereits im Jahr 1814 sicherte die Staatsregierung in Albany der New York Historical Society das Recht zu Lotterien zur Eigenfinanzierung abzuhalten. Die Corporation erhielt im Jahr 1823 ebenfalls die Befugnis die Stadtfinanzen durch Verlosungen aufzubessern.288 An der Kreuzung von Broadway und Park Place befand sich die offizielle Losverkaufsstelle, in der auch die Lottomaschine aufbewahrt wurde, mit der die Gewinnzahlen gezogen wurden. An Samstagnachmittagen setzte sich von dort aus eine kleine Prozession aus Lotterieverantwortlichen und neugierigen Schuljungen Richtung City Hall in Bewegung. Die Maschine für die offizielle Lottoziehung wurde im Park aufgebaut. An der schmucklosen Rückseite des Rathauses befand sich eine Bühne, auf der die Auslosung inszeniert wurde. Ein kleines Mädchen in einem weißen Kleid und manchmal sogar mit goldenen Flügeln, spielte den Glücksengel mit verbundenen Augen.289 In seiner kindlichen Unschuld und als Miniatur der römischen Glücksgöttin Fortuna290 stand das Mädchen für die Lauterkeit des Unternehmens. Es zog die

285 Ebd., 39-40. 286 Ebd., 40. Pintard, Letters from John Pintard to his Daughter, Vol. 3, 211-12. 287 Picton, Fun and Fancy, 40. 288 Documents of the Senate of the State of New-York: Fifty-Sixth Session, Vol. 2 (Albany: E. Croswell, 1833), 2-4. 289 Picton, Fun and Fancy, 40. 290 Zur populärkulturellen Bedeutung der Antike in den jungen Vereinigten Staaten siehe: Meyer Reinhold, Classica Americana: The Greek and Roman Heritage in the United States (Detroit: Wayne State University Press, 1984), 23-49. Carl J. Richard, The Golden Age of the Classics in America: Greece, Rome, and the Antebellum United States (Cambridge: Harvard University Press, 2009), 1-40, 120-51. Caroline Winterer, The Culture of Classicism: Ancient Greece and Rome in American Intellectual Life, 1780-1910 (Balitmore: Johns Hopkins University Press, 2002), 77-78.

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Gewinnzahlen, die daraufhin der versammelten Menschenmenge präsentiert und zudem lauthals bekanntgegeben wurden. Nach Ende der Ziehung entledigte sich die Glücksfee der Augenbinde, blickte aufmunternd ins Publikum, stieg vom Podest und führte den Umzug der Gewinner zum Auszahlungsbüro an. Dort wurden die Lose erneut unter den Augen der Öffentlichkeit auf ihre Gültigkeit geprüft und die Gewinne umgehend ausgezahlt. Währen dessen spielte sich die Band auf Scudders Balkon in Rage, um möglichst viele der euphorisierten Schaulustigen und die Lotteriegewinner zu einem Besuch des Museums zu animieren.291 Das American Museum mit seinen kostenlosen und kostenpflichtigen Vergnügungen trug dazu bei, dass der Verwaltungsbezirk um das Rathaus auch nach der Verlegung des Armenhauses als Unterhaltungs- und Erholungsort für die Angehörigen aller Klassen der Stadt fungierte. Schon vor der Umwandlung in einen Stadtpark waren die sogenannten Commons ein populärer Vergnügungsort. Auch nach der Umgestaltung zum City Hall Park blieben sie Anziehungspunkt. Sie waren eine der wenigen Freiflächen im dicht bebauten Geschäfts- und Verwaltungsbezirk. Der Musikbalkon des Museums verlor jedoch im Laufe der Zeit seine Anziehungskraft. Barnum kaufte das Museum im Jahr 1841 und führte die kostenlosen Konzerte auf dem Balkon fort. Er ließ nun aber fast täglich eine Kapelle spielen, und so verloren die Darbietungen merklich an Reiz. Willis berichtet in seinen „Stadtgedanken“ in Rural Letters and Other Records of Thought at Leisure über den offensichtlichen Interesseverlust der Bevölkerung an den Darbietungen: Der Broadway war mit Leben erfüllt, doch mit Ausnahme von drei schwarzen Jungen und einem Obsthändler kümmerte die Band auf dem Balkon niemanden. Passanten versuchten, möglichst schnell von einem Ort zum anderen zu gelangen während im Hintergrund populäre Songs aus den Minstrel Shows der Zeit, etwa „Take Your Time Miss Lucy“ und „Ole Dan Tucker“, erklangen.292 Die Stadtverwaltung nutzte die Freifläche vor dem Armenhaus in der Chatham Street in der Zeit vor der Errichtung der City Hall als Armenfriedhof und

291 Picton, Fun and Fancy, 40. 292 Nathaniel Parker Willis, Rural Letters and Other Records of Thought at Leisure (New York: Baker & Scribner, 1849), 229-30. Einen guten Überblick über die populärkulturelle Bedeutung von Liedern aus dem Kontext der Minstrel Show in der Zeit vor dem Bürgerkrieg gibt die von Musikwissenschaftler William J. Mahar verfasste Monografie Behind the Burnt Cork Mask: William J. Mahar, Behind the Burnt Cork Mask: Early Blackface Minstrelsy and Antebellum American Popular Culture (Chicago: University of Illinois Press, 1999).

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als Ausgabestelle von Hilfsgütern an die wachsende Armenbevölkerung der Stadt.293 Der Platz, der sich nur unweit von Bridewell, dem Stadtgefängnis New Yorks, befand, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts die älteste Freifläche der Stadt mit Allmendencharakter. Ursprünglich lag der spätere City Hall Park außerhalb der Palisade, die die Stadt vor Angriffen durch die Native Americans schützen sollte. Das Land nördlich davon gehörte offiziell den Erben von Sara Roelofs.294 Für ihre Dienste als Übersetzerin bei den Friedensverhandlungen zwischen den Indianern und den Siedlern hatte die Kolonialregierung Roelofs’ Mann im Jahr 1673 eine relativ große Parzelle Land im Süden Manhattans überschrieben. Nach dem Tod Roelofs im Jahr 1693 teilten ihre acht Kinder das Areal aber nicht untereinander auf. Und so wurde es für die Dauer des 18. Jahrhunderts ein Teil der Commons, wenn auch durch die Palisade getrennt. Das Gebiet, auf dem sich heute City Hall und der Park befinden, wurde überwiegend von der weißen Stadtbevölkerung genutzt. Das Grundstück Roelofs’ jedoch war das Refugium der ethnisch schwarzen Stadtbewohner. Diese legten dort mit Genehmigung der Stadtregierung einen Friedhof an.295

293 Burrows & Wallace, Gotham, 364. Hemstreet, Nooks and Corners, 34. 294 Das Erb- und Grundeigentumsrecht während der Kolonialzeit und auch in der jungen Republik gestattete Männern und Witwen, über Grundeigentum zu verfügen. Frauen konnten Grund und Boden aber weder kaufen noch verkaufen. Die Kolonialregierung hatte deshalb die Landrechte an Roelofs Mann überschrieben, der diese testamentarisch an sie abtrat. Cantwell & Wall, Unearthing Gotham, 278. David E. Narrett, „Men’s Wills and Women’s Property Rights in Colonial New York“, in: Ronald Hoffman & Peter J. Albert (Hg.), Women in the Age of the American Revolution (Charlottesville: The University Press of Virginia, 1990), 106-108. 295 Cantwell & Wall, Unearthing Gotham, 279, 282-294. Die Wiederentdeckung des Friedhofs bei Bauarbeiten 1991 stieß auf großes mediales und wissenschaftliches Interesse. Archäologen und Historiker erhofften sich neue Erkenntnisse über das Leben der schwarzen Bevölkerung New Yorks in der Kolonialzeit. Leslie M. Harris, In the Shadow of Slavery: African Americans in New York City, 1626-1863 (Chicago: The University of Chicago Press, 2004) 1-2. Gemeinsam mit der Autorin Joyce Hansen veröffentlichte der leitende Archäologe Gary McGowan eine knappe Abhandlung über den Friedhof: Joyce Hansen & Gary McGowan, Breaking Ground, Breaking Silence: The Story of New York’s African Burial Ground (New York: Henry Holt and Company, 1998). Im Jahr 2006 erklärte Präsident George W. Bush den Friedhof zum National Monument und es erfolgte die Einrichtung einer Gedenkstätte. „Antiquities Act 1906-2006: African Burial Ground National Monument, New

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Auf dem Gebiet des heutigen City Hall Parks gingen währenddessen die Gerber und Ziegelbrenner ihrer Arbeit nach. Auf dem Land der Familie Roelof befand sich die größte Süßwasserreserve im Süden der Insel, der Fresh Water Pond. Als am Vorabend der Revolution der Bedarf an Lederwaren – besonders Stiefeln – massiv anstieg und die wachsende Stadt immer mehr Baumaterial verschlang, verlegten die meisten Gerber und Kalk- und Ziegelbrenner ihre Herstellungsstätten dorthin, auch weil der alte Produktionsort Beekman’s Swamp nicht mehr genug Platz bot.296 Dieser Sumpf lag unweit östlich der Allmende nahe Southstreet Seaport. Als Produktionsstätte war das Gebiet aufgrund seiner Nähe zu den Verladedocks des Hafens attraktiv. Zusätzlich ließen sich Gerbergruben dort, in der feuchten Erde in Ufernähe, einfach ausheben. Jahrzehnte der intensiven Nutzung durch die Gerbereien und Brennereien verwandelten Beekman’s Swamp allerdings in ein stinkendes, von Ratten besiedeltes Ödland.297 Dieses Schicksal sollte dem späteren Park erspart bleiben. Die Palisade verhinderte, dass die Gerber dort ihre Gruben anlegten. Außerhalb des Schutzwalls konnten die zum Teil mannstiefen Ausschachtungen einfach mit Hilfe von selbstgezogenen Kanälen mit Wasser gefüllt werden, während die Befüllung einer Grube innerhalb des Walls nicht unwesentliche Wassertragearbeit mit sich gebracht hätte. Die Trockengestelle für das Leder baute man allerdings als Schutz vor Diebstahl hinter der Palisade auf.298 New York City war, ebenso wie Newark, New Jersey, ein attraktiver Ort für die Lederherstellung. Die dort angesiedelten Schlachtbetriebe und auch Privatleute verkauften den Gerbern die Häute zur Weiterverarbeitung. Die Wälder in

York“, National Park Service: Archeology Program, , (Zugriff: 2013-04-26). 296 Burrows & Wallace, Gotham, 183. Bishop, Freedly & Young, A History of American Manufactures, Vol.1, 456. 297 William L. Stone, History of New York City: From the Discovery to the Present Day (New York: E. Cleave, 1868), 53. The Knickerbocker, or New-York Monthly Magazine, Vol. LII (New York: John A. Gray, 1858), 306-308. 298 Vgl. David H. Kennedy, The Art of Tanning Leather by a New and Improved System (New York: Baker and Godwin, 1857), 180-81. Nach Ende der Revolution kam es zu Neuerungen im Gerberhandwerk. Zwischen den Jahren 1790 und 1839 wurden mehr als 370 Patenten im Bereich Lederherstellung eingereicht. So verlegte man viele der Prozesse, die zuvor unter freiem Himmel stattgefunden hatten, in Werkstätten. Vgl. A Digest of Patents Issued by the United States from 1790 to January 1, 1839 (Washington, D.C.: Peter Force, 1840), 374-388.

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der Umgebung lieferten die für den Gerbprozess benötigten Tannine – diese wurden primär aus der Rinde der Hemlocktanne gewonnen.299 Besonders für Kinder aus ärmeren Verhältnissen war ein Ausflug zu den Trockengestellen der Gerber auf der Allmende attraktiv. Die Chancen, zu einem neuen Spielzeug zu kommen oder etwas anderweitig Verwertbares zu finden, standen dort besonders gut. Aus einem kleinen Lederfetzen ließen sich verschiedene Dinge herstellen. Ein besonders populäres Spielzeug war der sogenannte sucker: ein simpler Saugnapf, mit dessen Hilfe sich Steine und anderen flache Gegenstände vom Boden anheben ließen. Neben einem kleinen runden Stück Leder brauchte man dafür nur noch einen Faden und Wasser. Das Leder wurde eingeweicht und in der Mitte mit dem Faden abgebunden, so dass eine kleine Saugglocke entstand. Wenn man sie ausreichend feucht hielt, konnte man damit allerlei Dinge anheben und durch die Gegend schleudern.300 Die Allmende versprach aber nicht nur Spaß, sondern auch eine Einkommen. In den Vorbereitungen auf den nahenden Krieg wurde jede Hand gebraucht. Besonders den älteren Kindern konnte man Tätigkeiten wie das Abnehmen des trockenen Leders übertragen; als Ausgleich erhielten sie Geld oder geldwerte Gegenstände. Häufig waren es aber auch die Kalk- und Ziegelbrenner und Gerber selbst, die ihren eigenen Nachwuchs als Hilfe mit an den Fresh Water Pond brachten.301 Dort halfen die Jungen ihren Vätern, fanden aber auch Zeit zum Spiel. Die ebene Freifläche bot Platz zum Raufen, zum Rennen und zum Toben. Wenn es gelang, von den Kalk- und Ziegelbrennern ein wenig Kalk zu erbitten oder zu erschleichen, zogen die Kinder damit Linien für ein Spiel Himmel und Hölle (hopscotch). Solange es nicht regnete, oder wenn ungelöschter Kalk verwendet worden war, hatten die Hüpfkästchen über Tage und Wochen Bestand. Gab es einmal keinen Kalk, zogen die Kinder ihre Linien auch einfach mit dem Fuß, einem Stock oder Stein in die trockene Erde. Wer einen alten Fassring fand, konnte sich beim Reifentreiben vergnügen und später ließ sich der Fund an einen

299 Die Einrichtung des Eriekanals, der massive Bevölkerungsanstieg und die fortschreitende Abholzung der Wälder sorgten im 19. Jahrhunderts für eine sukzessive Auslagerung der Lederindustrie in die Nähe der Hemlocktannenwälder im Bundesstaat New York und nach Neuengland. Bishop, Freedly & Young, A History of American Manufactures, Vol.1, 461. Kennedy, The Art of Tanning, 43-44. 300 Mary A. Swift, First Lessons on Natural Philosophy for Children: Part Second (Hartford: Belknap & Hamersley, 1837), 140-41. 301 Vgl. Elisabeth McKee Williams, „Born in the Midst of Bloodshed and Battles: Children during the American Revolution“, in: Andrew K. Frank (Hg.), American Revolution: People and Perspectives (Oxford: ABC-CLIO, 2008), 113-14.

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der Lumpensammler am Hafen verkaufen. In der pädagogischen Literatur der Zeit, wird klar zwischen angemessenen und unangemessenen Aktivitäten differenziert, und spezielle Spielplätze für Jungen und Mädchen galten als Selbstverständlichkeit. So schreibt Child in ihrem Spielbuch The Girls Own Book, dass Himmel und Hölle eines der wenigen Jungenspiele ist, die auch für Mädchen angemessenen seien, sofern das Spiel auf einem sicher eingezäunten Grundstück oder in einem Garten stattfinde.302 Die von Child und anderen Sozialreformern und Kinderspielbuchautoren vorgenommene Trennung zwischen den Sphären von Jungen und Mädchen steht im Einklang mit den Mittelklassekonzeptionen von Geschlechterrolle im 19. Jahrhundert. Mädchen, die tugendhaften, naiven und schwachen Wesen, bedurften angeblich des besonderen Schutzes, während Jungen spielerisch auf ihre Aufgaben als Beschützer und finanzielle Versorger vorbereitet werden mussten. Die propagierte Differenzierung zwischen der weiblichen und der männlichen Welt – bereits im Kindesalter – hielt allerdings der Realität nicht stand. Die Versuche, die Kindheit zu domestizieren, wie der Historiker Howard Chudacoff es in seiner Monografie Children At Play nennt, scheiterten an verschiedenen Faktoren.303 Der Mittelklasse fiel die Aufteilung der Welt des Spiels in männliche und weibliche Bereiche zumindest rhetorisch wesentlich leichter als der Arbeiterklasse und der Armenbevölkerung.304 Die verbrieften Erwachsenvorstellungen von angemessenem Kinderspiel und die tatsächlich vorliegenden Praktiken gingen aber oft weit auseinander. In einem Erlebnisbericht aus dem Jahr 1835 schreibt ein dreizehnjähriger Junge, der in der Institution for the Deaf and Dumb – der Sonderschule New Yorks für Gehörlose und geistig und körperlich Beeinträchtigte – das Lesen und Schreiben erlernt hatte, über die Kinder einer Familie aus dem ländlichen Amerika beim integrierten Spiel. Die Jungen und Mädchen spielen gemeinsam in der naturnahen Umgebung ihres Elternhauses. Sie spielen mit einem Bollerwagen und Schalup-

302 Vgl. Blackmar, Manhattan for Rent, 150. Lydia Maria Child, The Girl’s Own Book (New York: Clark Austin & Co., 1833), 281. William Clarke, The Boy’s Own Book: A Complete Encyclopedia of All the Diversions, Athletic, Scientific, and Recreative, of Boyhood and Youth (Boston: Munroe and Francis, 1829, 28-33. Eliza Leslie, American Girl’s Book, or Occupation for Play Hours (Boston: Munroe & Francis, 1831), 120. 303 Chudacoff überschreibt das zweite Kapitel seiner Monografie mit „An Attempt to Domesticate Childhood and Play, 1800-1850“. Howard P. Chudacoff, Children At Play: An American History (New York: New York University Press, 2007), 39-40. 304 Vgl. Ebd., 42-43.

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pen, die sie aus Holzresten gebaut haben. Eine über einen Baumstamm gelegte Bohle wird zur Wippe. 305 Die Kinder halten sich nicht an die Spielregelwerke der Erwachsenen, sondern improvisieren mit Alltagsgegenständen. Die Spannungen zwischen den Erwachsenenvorstellungen und der Realität des Kinderspiels, die Chudacoff ausmacht, deuten sich in der Erzählung des Jungen bereits an. Auch wenn er eine rurale Szene beschreibt, so hat seine Geschichte dennoch Bedeutung für die Betrachtung der Spielpraktiken im urbanen Raum. An vielerlei Stelle lassen sich Parallelen zwischen dem Leben der urbanen Unterschicht und dem der bäuerlichen Familien im ländlichen Amerika erkennen. In beiden Gruppen war man häufig auf die Arbeitskraft aller Familienmitglieder angewiesen, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Kinder trugen zum Familieneinkommen bei und hatten entsprechend weniger und andersartige Freizeit zur Verfügung als ihre Altersgenossen aus der Mittel- und Oberschicht.306 Dennoch gab es für sie Zeit zum Spiel. Der Historiker John Rickards Betts schreibt in der Einleitung zu seiner Monografie America’s Sporting Heritage über den spontanen Charakter, den Sport und Spiel in den Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert besaßen.307

305 Documents of the Assembly of the State of New-York: Fifty-Eighth Session, Vol. 4 (Albany: E. Croswell, 1835), 52. Die Institution for the Deaf and Dumb veröffentlichte als gemeinnützige Vereinigung, ebenso wie die Blindenschule (New-York Institution for the Blind) regelmäßig Berichte über den Fortschritt und Nutzen ihrer Arbeit für die gesamte Gemeinschaft. Beide Organisationen hatten fortwährend politische Überzeugungsarbeit zu leisten, was die Notwendigkeit und den Erfolg ihrer Aktivitäten betraf. Entsprechend erschienen in den Jahresberichten der Institution for the Deaf and Dumb schriftliche Arbeiten der Schüler, um so von der Qualität der Ausbildung dort zu überzeugen. Vgl. An Account of the New-York Institution for the Blind (New York: G.P. Scott & Co., 1833), 3, 12-18. 306 Chudacoff, Children At Play, 41. 307 John Rickards Betts, America’s Sporting Heritage: 1850-1950 (Reading: AddisonWesley Publishing Company, 1974), vi. Betts Monografie basiert auf seiner bereits 1951 eingereichten Dissertation zur Sportgeschichte der Vereinigten Staaten, die auf nur geringes wissenschaftliches Interesse stieß. 1968, als sich eine Popularisierung der Sportgeschichtsschreibung abzeichnete, begann er mit der Überarbeitung des Manuskripts für die Veröffentlichung; er starb jedoch 1971, ohne diese beendet zu haben. Der Verlag entschied sich dennoch für die Veröffentlichung des Buchs. Betts Sohn Richard half bei der Zusammenfügung der Textteile. Allerdings fehlen in den letzten Kapiteln gelegentlich die Angaben zu Primärquellen und Sekundärliteratur, in Kapitel 9 gibt es keinerlei Literatur- und Quellenangaben.

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Betts stellt fest, dass Sport und Spiel, genau wie Theater, Tanz und Musik, eine Ablenkung vom alltäglichen Leben waren. In seiner Analyse bezieht er sich allerdings nicht auf Kinderspiele, sondern auf die Vergnügen der Erwachsenen. Der sportliche Wettstreit zwischen Männern habe, so Betts, in der Gesellschaft eine Ventilfunktion. Sport sei ein Fluchtpunkt, der die unangenehmen Seiten des Lebens vergessen ließe und Menschen im freundlichen Wettstreit zusammen führe. Betts positivistische Sportgeschichte nimmt die noch junge Republik als Ausgangspunkt. Menschen traten, laut ihm, immer dann in spielerischen Wettstreit, wenn ihre Zeit es zuließ. Folglich waren die praktizierten Spiele und Sportarten im urbanen Raum relativ simpel und anfangs häufig Adaptionen ländlicher Freizeitpraktiken. So passten Männer die Jagd und andere Waldsportarten an die Gegebenheiten der Stadt an.308 Ab den 1830er-Jahren wurde der Jagdsport angesichts zunehmender Besiedlungsdichte im New Yorker Stadtgebiet immer stärker reguliert.309 Die Männer in New York City mussten neue angemessene Freizeitbeschäftigungen auftun und entdeckten mit Baseball ein Kinderspiel für sich. Heute gilt der Sport als die American pastime, jenes Spiel das die Nation begeistert und eint. Bereits 1866 bezeichnete Charles A. Peverelly, ein New Yorker Händler und Sportberichterstatter für diverse Zeitungen und Zeitschriften, das Spiel als „The National Game“ in seinem Buch The Book of American Pastimes.310 Die Wurzeln des organisierten und kommerzialisierten Spiels reichen weit zurück. Zu jener Zeit, als Peverelly den Sport bereits zum Nationalspiel erhoben hatte, steckte Baseball, in seiner Ausprägung als Zuschauersport, noch in den Kinderschuhen. Doch Peverelly sollte mit seiner Einschätzung Recht behalten. Baseball geht auf das alte englische Kinderspiel rounders zurück. Dieses trat gemeinsam mit Kricket und Billard311 die Reise über den Atlantik an. Rounders avancierte ab den 1820er-Jahren in den jungen USA bereits unter seinem neuen

308 Ebd. 309 Vgl. The Charter of the City of New-York with Notes Thereon (New York: Childs & Devoe, 1836), 202. 310 Charles A. Peverelly, The Book of American Pastimes (New York: Charles A. Peverrelly, 1866), iv, 334. 311 Billard zählte ebenfalls zu den klassenübergreifend populären Freizeitbeschäftigungen. In Tavernen und Bars wurde es von Angehörigen der Unterschicht gespielt, aber auch in den Clubräumen der Elite und in manchem Privathaushalt fanden sich Billardtische. Dabei bot der Sport besonders in den Wintermonaten oder bei schlechtem Wetter willkommene Abwechslung. Vgl. Adelman, A Sporting Time, 220-29.

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Namen base ball oder goal ball312 zur Freizeitaktivität für Erwachsene.313 Der Sport gehörte zu den einfachen Kinderspielen (minor games), die der Autor William Clarke in The Boy’s Own Book beschrieb. Dieses wurde erstmals im Jahr 1828 in London veröffentlicht und ein Jahr später auch in den Vereinigten Staaten.314 1834 erschien unter dem Titel The Book of Sports eine populäre Ausgabe des Buches für den amerikanischen Markt die der Autor Robin Carver entsprechend überarbeitet hatte. Darin wurde nun die englische Bezeichnung rounders durch die amerikanische base ball beziehungsweise goal ball ersetzt.315 Carver begründete die Umbenennung sogar: Die amerikanische Benennung des Spiels beziehe sich auf die Ausgestaltung des Spielfeldes mit bases und nicht auf die Praxis des Rundenlaufens (doing rounds).316 Baseball war schon früh ein Bestandteil der Sporttradition New Yorks. So praktizierten etwa Soldaten während der Amerikanischen Revolution das Ballspiel als Zeitvertreib, abseits vom aktiven Dienst. Auch an den Universitäten betrieben die Studenten den Sport schon Ende des 18. Jahrhunderts.317 In New York City war es aber nicht nur das englische Erbe, das zur Verbreitung des Sports beitrug, auch die holländische Vergangenheit der Insel spielte eine Rolle. Die Sportwissenschaftler John Lucas und Ronald Simon halten in ihrer Monografie Saga of American Sport fest, dass das holländische Erbe New York City wesentlich offener für Vergnügungen jeder Art machte.318 Bridenbaugh attestiert in Cities in the Wilderness: „Life among all ranks was gayest at New York, where a long tradition of easy joviality reached back to its earliest founding.

312 Robin Carver, The Book of Sports (Boston: Lilly, Wait, Colman, and Holden, 1834), iv, 37-39. 313 Vgl. John Thorn, Baseball in the Garden of Eden: The Secret History of the Early Game (New York: Simon & Schuster, 2011), 65. 314 Clarke, The Boy’s Own Book. 315 Clarkes Buch erntete viel Lob in den Vereinigten Staaten, war jedoch relativ teuer. Carvers überarbeitet amerikanische Version kostete einen Bruchteil des Geldes. Im Vorwort zu ersten Ausgabe erklärt Carver klar seine Intention ein möglichst großes Publikum anzusprechen. Bestimmte Spiele aus dem englischen Original hatte er, zum Schutz der Moral seiner Leser, nicht aufgenommen. Carver, Book of Sport, viiviii. 316 Ebd., 37-39. Vgl. Harold Seymour, Baseball: The Early Years (New York: Oxford University Press, 1960, 1989), 5. 317 Seymour, Baseball, 5-6. 318 John A. Lucas & Ronald A. Smith, Saga of American Sport (Philadelphia: Lea & Febiger, 1978), 21.

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Even the common man here found existence more amusing.“319 Zwar gab es auch in New York Verbote, die das Ballspiel in der Stadt untersagten, doch setzten sich die Stadtbewohner mit den verschiedensten gesellschaftlichen Hintergründen immer wieder darüber hinweg. Geahndet wurden die Verstöße nämlich kaum.320 Weitere Grundlagen des Erfolgs von Baseball waren die Einfachheit und Anpassungsfähigkeit des Spiels. Der (einstige) Kindersport ließ sich sehr leicht an lokale Gegebenheiten anpassen. Mannschaftsstärke, Spielfeldgröße und Ausrüstung richteten sich häufig nicht nach Regelbüchern, sondern nach den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Zwar gehörte Baseball zu jenen Sportarten, für die man eine bestimmte Ausrüstung brauchte, doch diese konnten entweder günstig gekauft oder aus Alltagsgegenständen improvisiert werden. Das Spielfeld ließ sich mit geringem Aufwand durch Steine oder Stöcke markieren. Als Schläger boten sich Axt- und Werkzeugstiele, Wagenachsen oder dickere Äste an. Die Bälle konnten ebenfalls selbst hergestellt werden, in dem ein Stück Gummi oder ein mit Schrottmunition gespickter Korken mit Garn umwickelt und dann in einen Lederfetzen eingebunden wurde.321 Alles was zum Baseballspielen nötig war, konnte auf den Straßen New Yorks gefunden werden: Beim Lumpensammeln, bei der Arbeit und Ausbildung in Handwerksbetrieben und in der Landwirtschaft fiel die nötige Ausstattung für die Armen und die Arbeiterschaft ab. Als Spielfelder fungierten unbebaute Flächen in den einzelnen Stadtvierteln. In Hinterhöfen und auf Bau- und Müllplätzen trugen Kinder und Jugendliche aus der Unterschicht ihre Ballspiele aus. In den ausgestalteten öffentlichen Parks und den privaten Stadtviertelparks waren ihre Spiele nicht erwünscht. Das verhältnismäßig raue und dynamische Baseballspiel stellte eine Bedrohung für die geordneten Parkanlagen dar und war folglich verboten. Die Stadtregierung verbot im Jahr 1839 außerdem Ringwurf, Wettrennen, Weitwurf und das Betreten des Rasens in ihren Parks und erneuerte die Verordnung fortlaufend.322 Als Zuschauersport sollte sich Baseball in New York City erst ab den 1850er-Jahren durchsetzen, folglich ließ die Anlage kommunaler Spielfelder auf sich warten und die Freizeitsportler aus allen Schichten improvisierten, was die Durchführung der Spiels anbelangte. Der Sporthistoriker John Thorn beschreibt

319 Bridenbaugh, Cities in the Wilderness, 434-35. 320 Thorn, Baseball in the Garden, 66. 321 Seymour, Baseball, 7-8. 322 By-laws and Ordinances of the Mayor, Aldermen, and Commonalty of the City of New-York (New York: John S. Voorhies, 1845), 321-22.

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in Baseball in the Garden of Eden die geheimen Anfänge des Spiels als Elitensport. Er hält fest, dass für erwachsene Männer bis in die 1840er-Jahre hinein nur wenige Arten der körperlichen Ertüchtigung und Erholung als respektabel galten, so etwa die Mitgliedschaft in einem Schützenverein. Das Praktizieren eines Kinderspiels zählte nicht dazu.323 So traf sich eine Gruppe von Gentlemen vorerst heimlich zum Baseballspiel auf dem ehemaligen Armenfriedhof in der Nähe des Bellevue Krankenhauses. Im Jahr 1845 sollte aus dieser Gruppe der Baseballclub Knickerbocker hervorgehen.324 Den Platz teilten sie sich mit anderen Baseballbegeisterten, darunter eine Gruppe schwarzer Jugendlicher aus dem nahen Greenwich Village. Diese nutzen den Ort in erster Linie an ihren freien Sonntagen zum Spiel und das sehr zum Missfallen der weißen als auch der schwarzen Stadtgemeinschaft. Im Oktober 1840 nahm sich der Herausgeber der afroamerikanischen Wochenzeitschrift The Colored American des Themas an. Er verurteilte den Verstoß der Jungen gegen die Sonntagsruhe und forderte deren Eltern zum Eingreifen auf: We wish to call attention to the practice of the lads of our City, who, in great numbers, are resorting to the suburbs of the city, as high as 25th or 30th Street, for the purpose of ball playing. And we wish the parents of our people to look well to their boys, some of who[m], we are informed by a friend, as well as by the Journal of Commerce, have been seen in those sections of the City, on the Sabbath, playing ball.325

Die Herausgeber des Journal of Commerce waren die Abolitionisten David Hale und Gerard Hallock.326 Hale und Hallock kämpften für die Abschaffung der Sklaverei in der gesamten Nation327 und hofften dabei auf die Unterstützung der Kirchen.328 Es stellte also ein Problem dar, wenn schwarze Jugendliche gegen das sonntägliche Spielverbot in New York City verstießen, denn das drohte die

323 Thorn, Baseball in the Garden, 65. 324 Seymour, Baseball, 15. Thorn, Baseball in the Garden, 66. 325 The Colored American, in: Randall Brown, „Blood and Baseball“, in: Base Ball: A Journal of the Early Game (Vol. 3, Nr. 1, 2009), 25, < http://ourgame.mlblogs.com/ 2011/11/28/blood-and-base-ball/>, (Zugriff: 2013-05-06). 326 Vgl. William H. Hallock, Life of Gerard Hallock: Thirty-three Years Editor of the New York Journal of Commerce (New York: Oakley, Mason & Co., 1869), 219-229. Joseph P. Thompson, Memoir of David Hale: Late Editor of the Journal of Commerce (New York: John Wiley, 1850), 180-238. 327 Im Bundesstaat New York hatte man die Sklaverei bereits 1827 abgeschafft. 328 Thompson, Memoir of David Hale, 113, 196.

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Kirchen zu verprellen. Mit dem Aufruf in einer der wichtigsten Publikationen der afroamerikanischen Gemeinschaft der Stadt hoffte man das Problem zu beheben.329 Die schwarzen Jugendlichen und auch Angehörige der weißen Unterschicht trafen sich aber weiter zum sonntäglichen Spiel am späteren Madison Square. Ihre wenige Freizeit nutzten sie für Sport und Spiel. Die elitären Knickerbocker waren allerdings nicht sonderlich begeistert, dass sie ihren Spielplatz und ihr Spiel mit den Angehörigen der lower orders teilen mussten und so verlegten sie den Austragungsort ihrer Matches und transformierten gleichzeitig den Sport. Letztlich wurde Baseball schnell zum populären Zuschauer- und Aktivensport. Das Spiel bestach durch Einfachheit und Dynamik, etwa im Vergleich zu Kricket. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Baseball ein Sport, der wie kein anderer emblematisch für die amerikanische Nation stand. Der Autor Horrace Traubel attestierte in einem Gespräch mit Whitman: „Baseball is the hurrah game of the republic!“330 Whitman entgegnete seinem Biografen gewohnt poetisch-überspitzt: „[I]t’s our game: that’s the chief fact in connection with it: America’s game: has the snap, go, fling, of the American atmosphere – belongs as much to our institutions, […] as our constitutions, laws: is just as important in the sum total of our historic life“.331 Der im Jahr 1858 geboren Traubel wuchs bereits in einer Welt mit Baseball als Massenunterhaltung auf. Für ihn war der Sport schon immer mit Jubel und Spektakel verbunden. Der fast vierzig Jahre ältere Whitman hingegen hatte den Aufstieg des Spiels in der jungen Nation mitverfolgen können. Die Knickerbocker waren nicht unwesentlich daran beteiligt gewesen. Noch bevor ihr Spielfeld in der Nähe von Bellevue dem geplanten Madison Square zum Opfer fallen konnte, verlegte die Mannschaft ihr Spiel nach Murray Hill. Auf dem Grundstück des designierten Armenfriedhofs in Murray Hill entstand

329 Die Bedeutung von race innerhalb des professionalisierten Baseballspiels wurde bereits vielfach besprochen. Dabei beschränkten sich die meisten Autoren aber auf das 20. Jahrhundert. Darüber hinaus fehlt es an einer übergreifenden historischen Studie, die sich mit der Rolle von Ethnizität innerhalb des Sports abseits der Profi-Ligen beschäftigt. Vgl. James Edward Brunson III, The Early Image of Black Baseball: Race and Representation in the Popular Press, 1871-1890 (Jefferson: McFarland & Company, 2009). Kyle McNary, Black Baseball: A History of African-Americans and the National Game (London: PCR, 2003). 330 Horace Traubel, With Walt Whitman in Camden, January 21 to April 7, 1889 (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 1953), 508. 331 Walt Whitman, in: Traubel, With Walt Whitman, 508.

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zu dieser Zeit an der Kreuzung von 42nd Street und Fifth Avenue das kleinere Speicherbecken des Croton Aqueducts. Unweit dieser Baustelle trafen sich die Männer auf einer Brache zum Spiel. Doch auch von dort wurden sie vertrieben, dieses Mal durch den Bau der Eisenbahn.332 Ab dem Jahr 1845 suchten die Knickerbocker eine neue Spielstätte, ebenso wie der junge New York Base Ball Club, dessen Mitglieder sich anfangs auch auf dem zukünftigen Madison Square zum Spiel getroffen hatten333. Die Knickerbocker fanden ihr neues Spielfeld schließlich, genau wie diverse Kricketvereine und der New York Base Ball Club, in New Jersey.334 Den Gentlemen war lange wenig daran gelegen, Baseball der breiten Masse der Bevölkerung zugänglich zu machen. Vielmehr zelebrierte der Club das Spiel im elitären Ambiente der Elysian Fields in Hoboken. Der Ausflugsort am Ufer des Hudson Rivers bot seinen Besuchern atemberaubende Ausblicke und gute Restaurants.335 In der pittoresken Umgebung der Elysian Fields begannen die New Yorker Baseballvereine damit, gegeneinander anzutreten.336 Dabei zeigte sich in den Spielen vorerst wenig technische Raffinesse und Einheitlichkeit. Baseball als Elitensport war, ähnlich wie Kricket, um die Einhaltung sozialer Konventionen bemüht: höfliches und zuvorkommendes Auftreten auf dem Spielfeld und abseits davon wurden propagiert und von den Hobbysportlern exerziert.337 Ab den späten 1840er-Jahren traten die diversen Baseballclubs der Stadt immer regelmäßiger in Wettstreit miteinander. Waren Lokalturniere anfangs nur zu besonderen Anlässen, etwa Vereinsjubiläen, ausgerichtet worden, so fanden diese bald immer häufiger statt. Das Kräftemessen mit anderen Mannschaften erhöhte den Reiz des Spiels für die Spieler und die ersten Zuschauer. Der Umzug nach New Jersey hatte die Knickerbocker dazu bewegt, eine Vereinssatzung zu verfassen. Der Ortswechsel stellte die Mannschaft vor diverse Probleme, die sie

332 Vgl. Thorn, Baseball in the Garden, 66-67. 333 Ebd., 65. 334 Seymour, Baseball, 15. 335 John W. Barber & Henry Howe, Historical Collections of New Jersey: Past and Present (New Haven: John W. Barber, 1868), 533. Thomas R. Gordon, The Gazetteer of the State of New Jersey (Trenton: Daniel Fenton, 1834), 158. 336 Thorn hält fest, dass eine klare Grenzziehung zwischen den diversen New Yorker Baseballvereinen, die ab den 1840er-Jahren entstanden, nicht möglich ist. Mitglieder der Knickerbocker spielten auch für den New York Base Ball Club und den Gotham Club. Häufig entstanden neue Vereine weil sich Mitglieder von den etablierten Clubs abspalteten. Thorn, Baseball in the Garden, 71. Vgl. Seymour, Baseball, 15. 337 Seymour, Baseball, 15.

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so zu lösen gedachten. Die Unpünktlichkeit mancher Spieler war bereits ein Ärgernis, als der Club noch auf Manhattan Island spielte. Hoboken war nur mit der Fähre zu erreichen. Wer die richtige verpasste, ließ die anderen mindestens eine Stunde lang warten. Entsprechend erhob der erste Punkt der Satzung die Pünktlichkeit zum obersten Gesetz. Punkt sechs gestattete es, die Mannschaften mit anwesenden Nichtvereinsmitgliedern zu vervollständigen, wenn zu Spielbeginn nicht ausreichend viele Mitglieder anwesend waren. Außerdem verbriefte die Satzung die Grundregeln des Spiels, die Größe des Spielfelds und die angemessenen Wurf- und Schlagtechniken.338 Die Knickerbocker hatten also aus der Notwendigkeit heraus ihr Spiel auch Nicht-Vereinsmitgliedern geöffnet und einen ersten simplen Regelkatalog erstellt. Dieser wurde von den anderen Vereinen übernommen. In Brooklyn und Queens wurden weitere Spielfelder für die Elitensportler angelegt und auch die Presse begann sich bald für den Sport zu interessieren und immer ausführlicher zu berichten.339 Bis zur triumphalen Rückkehr des professionalisierten Baseballspiels an den Madison Square sollte jedoch noch einige Zeit vergehen. Barnum kaufte 1874 das ausgediente Eisenbahndepot nördlich des Parks und begann mit dessen Umbau zum Amphitheater. Ein Projekt, das vorerst wenig erfolgreich war. Aufgrund von Baumängeln ereigneten sich einige schwere Unfälle. Daraufhin entschlossen sich die Mitglieder des unter Barnums Namen neu gegründete Unterhaltungskonglomerats dazu den sogenannten Madison Square Garden von Grund auf neu anzulegen. Der Neubau sollte Heimstatt für Sport, Theater, Musik, Kunst und Kultur sein. Auch Baseball als sommerlicher Freiluftsport fand in der Nähe der Veranstaltungszentrums seinen Platz. Im Winter 1890 wurde im Madison Square Garden dann das erste professionelle Hallenbaseballturnier organisiert. Das Spiel war mittlerweile so populär und entsprechend rentabel, dass die Veranstalter jede Möglichkeit zur Verlängerung der Saison nutzten.340

338 By-laws and Rules of the Knickerbocker Base Ball Club: Adopted September 23d, 1845, Revised, April, 1848 (New York: W.H.B. Smith, 1848), 1-15. Thorn, Baseball in the Garden, 71. Vgl. „The Draft. Out-Door Sports: The Turf. Base Ball. Yachting. The New Comet“, in: The New York Times (8. Aug. 1862). 339 Seymour, Baseball, 15-16. 340 „Indoor Baseball Games. Professional Contests in Madison Square Garden Beginning To-Day“, in: The New York Times (23. Dez. 1890). „The Madison-Square Garden: A Magnificent Place of Amusement to Be Erected on the Site“, in: The New York Times (10. Jun. 1880). „The Record of the Place. A Brief History of the Madison-Square Garden since Its Transformation as a Place of Amusement“, in: The New York Times (22. Apr. 1880).

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Die Professionalisierung verdrängte die Gentlemen aus dem Reihen der Aktiven; sie waren bald nur noch auf den Rängen und an den Seitenlinien der Spielfelder zu finden. Berufssportler übernahmen den Platz und diese rekrutierten sich nicht aus der Elite, sondern aus der Mittelklasse und noch viel häufiger aus der Unterschicht. In den Aufgabenbereich der Baseballclubs fiel die Zusammenstellung erfolgversprechender Teams. Während an den Universitäten der USA das Spiel weiterhin als Elitensport unter Beibehaltung strenger Konventionen der Höflichkeit praktiziert wurde, wehte auf den neuen Baseballplätzen bei Profispielen ein rauerer Wind.341 Talente fanden sich überall auf den Straßen New Yorks. Hatten die Angehörigen der Eliten ihr Baseballspiel einst in die städtische Peripherie verlegt, so gingen Kinder und Jugendliche aus der Unterschicht damals weiterhin auf Manhattan Island ihren Spielen nach. Die rapide Stadtentwicklung versorgte sie mit geeigneten Spielstätten. Im Rahmen der sukzessiven Umsetzung des Commissioners’ Plans wurden immer wieder Grundstücke trockengelegt und eingeebnet.342 In den Wochen und Monaten, in denen Baugrundstücke brach lagen, wurden sie oft als Austragungsort für verschiedene Spiele genutzt. Als temporäre, wandernde Spielfelder waren diese Plätze essentieller Bestandteil der Sportkultur der Unterschicht. Wo die nächste vergängliche Spiel- und Versammlungsstätte entstand, ließ sich den Zeitungen und amtlichen Bekanntmachungen entnehmen. Oftmals sprach es sich auch einfach so herum, weil die, die spielen wollten häufig auch dort am Bau arbeiteten. Die informell erworbenen Erholungsorte der Unterschicht waren für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen interessant. In der Nutzung ihrer geringen Freizeit zeigte sich die Erwachsenbevölkerung der Arbeiterklasse recht beständig. Männliche Arbeiter frequentierten die Saloons in der Nähe ihrer Arbeitsstätte oder Wohnung, während Frauen ihre freien Stunden häufig daheim verbrachten. Kurze Wege, das Vorhandensein einer Unterhaltungsinfrastruktur und vergleichsweise geringe Kosten, das waren die Bedingungen, die die Arbeiterklasse an ihre Freizeitaktivitäten stellte. Das Bier nach Feierabend daheim oder in einer Bar gehörte dazu, genau wie die Unterhaltung auf dem Treppenabsatz. Die Kinder hingegen gingen auf Erkundungstour

341 Walter Camp, Walter Camp’s Book of College Sports (New York: The Century, 1900), 169. William R. Hooper, „Our National Game“, in: Appletons’ Journal of Literature, Science and Art. Volume Fifth (New York: D. Appleton & Company, 1871), 225-26. 342 Vgl. Stone, History of New York City, 186-87.

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durch die Stadt, auf der Suche nach Freizeitorten und Vergnügen im terrain vague und darüber hinaus.343 Die Darstellungen, wie die erwachsene Bevölkerung aus der Unterschicht ihre Freizeit verbrachte, stehen klar im Gegensatz zu den Beschreibungen der dynamischen Kinderaktivitäten. Der loafer, als ein Hybrid aus Certeaus Stadtwanderer und Walter Benjamins flâneur, ist ein besonders gutes Beispiel dafür, wie lethargisch und melancholisch sich die Freizeit der Erwachsenen teilweise gestaltete. In einem Beitrag in der von der Harvard University herausgegebenen Zeitschrift, Harvardiana aus dem Jahr 1837 findet sich folgende allgemeine Beschreibung: „A Loafer is nearly synonymous with a hanger-on, a lounger, a toadeater, an idler, or a vagabond of any description, though none of these terms can so fully or beautifully express its meanings.“344 Der loafer – also der urbane Bummler, Faulenzer und Lebemensch trotz beschränkter Mittel – habe sich zuerst in New York City gezeigt. Er käme ursprünglich aus der Unterschicht, doch fände sich mittlerweile in allen Rängen der Gesellschaft dieser Typus Mensch, etwa der Loafer Diabolical an den Universitäten: der faule Student, der auch seinen Kommilitonen die Zeit stehle.345 Der spöttische Nachruf auf den loafer Benjamin Smith aus dem Knickerbocker zeigt, wie auf Manhattan Island den Treppenhockern, den Trunkenbolden und jenen, die einfach in den Tag hinein lebten, die besten Lebensvoraussetzungen geboten wurden. In den Augen des Bummlers wird jeder Platz in New York City zum Erholungsort.

343 Vgl. „Loafers and Loafing“, in: Harvardiana (Vol. III., 1837), 301-304. Rosenzweig, Eight Hours, 35-36, 42. 344 Hervorhebungen wie im Original. Ebd., 301-302. 345 Ebd., 304. Der Knickerbocker setzte sich im Jahr 1836 mit dem Ursprung des Begriffs loafer auseinander. Im mit „Lo[a]ferania“ überschriebenen Artikel entspinnt sich eine Diskussion in der einer der Teilnehmer den Ausdruck auf die Verknappung von low fellow – low feller – low f’ler – loafer im amerikanischen Englisch zurückführt. Ein Anderer sieht die Wurzeln des Begriffs im Französischen, der Nächste im Griechischen. Einigkeit herrscht darüber, dass der loafer ein Angehöriger der Unterschicht ist. Einer der Diskutanten unterstellt sogar loafer seien all jene auf der Suche nach einem Laib Brot – loave [sic] – die Hungrigen der Stadt. The Knickerbocker, or New-York Monthly Magazine, Vol. VIII (New York: Clark & Edson, 1836), 403404.

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Young Benjamin Smith – like all remarkable young men, – had original views of this world. He considered it […] as a large dormitory, […] a stupendous cook-shop [and] an unbounded loafing-ground. […] Ask him why the wharves and pier-heads were constructed? ‘Fine places to stretch in the sun!’ was his answer. […] ‘Why the corporation opened fair streets, – laid sidewalks, – labeled the corners?’ ‘To point out the shortest cut to the best loafing-grounds!’346

Smith und die anderen loafer waren aufgrund ihrer beschränkten Mittel meist Fußgänger.347 Als Schlendriane verlangsamten sie den Fluss der Stadt, begrüßten jedoch den Fortschritt, da dieser ihr Leben noch weitaus bequemer gestaltete. Das junge New York, als eine Stadt der Fußgänger, war allerdings nicht nur ein Ort für Bummler. Nach englischem Vorbild erfreuten sich auch Laufen und dynamische Formen des Gehens, häufig unter dem Begriff pedestrianism zusammengefasst, als Wettbewerbssportarten großer Beliebtheit.348 Laufen und Gehen zählten in New York City vor der Popularisierung von Baseball zu den beliebtesten Zuschauersportarten. Adelman merkt an dass Zeitungen und Zeitschriften bereits in den 1820er-Jahren von Laufspektakeln in der Stadt berichteten. Sie waren größtenteils privat organisiert und durch Wetten finanziert. Auf Pferderennen und Wettläufe durfte in der Stadt gewettet werden und so koppelte man die beiden Veranstaltungen sogar gelegentlich miteinander.349 Das Wetten bei Laufsportspektakel galt als moralisch vertretbar und wurde entsprechend gesellschaftlich akzeptiert, während das Setzen auf Hahnen- und Hundekämpfe und ebenso auf Boxkämpfe immer stärker in die Kritik geriet. Bereits früh wurden diese sogenannten blood sports mit Verbrechen und Sünde assoziiert. Häufig beheimateten Keller in heruntergekommenen Häusern die Boxringe, cock-pits und Hundekampfarenen. Das blutige Kräftemessen hatte seine Heimat in den Armenvierteln New Yorks. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erholte sich Boxen von seinem schlechten Ruf. Der Sport wurde professionell organisiert und in neuen Turnhallen ausgeübt und damit massentauglich. Die grausamen Hunde- und Hahnenkämpfe, die auf den Tod eines der beiden in den Ring geworfenen Tiere hinausliefen, blieben eine Attraktion in den Arbeiter- und Armenvierteln, wobei das kostengünstigere rat-baiting, dem teuren Hundekampf

346 The Knickerbocker, or New-York Monthly Magazine, Vol. VI (New York: Clark & Edson, 1835), 63-64. 347 Ebd., 64. 348 Adelman, A Sporting Time, 21. 349 Ebd., 212. The Revised Statutes of the State of New-York, Vol. I (Albany: Packard & Van Benthuysen, 1829), 661-62.

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Konkurrenz machte. Beim rat-baiting füllte man die Hundekampfarena mit einer bestimmten Anzahl von Ratten und wettete darauf, wie lange der in die Manege gelassene Jagdhund brauchte, um sie alle zu erlegen. Dabei stieß dem Hund meist nicht sonderlich viel zu und er konnte viel häufiger zu Kämpfen antreten, als die Sieger der regulären Hundekämpfe, die nach einem Sieg immer erst wieder zu Kräften kommen mussten. Die nagenden Kontrahenten fing man einfach auf der Straße ein oder züchtete sie günstig selbst. Auch Angehörige der Elite konnte man regelmäßig dabei beobachten, wie sie Wetten in den Tierkampfarenen New Yorks abschlossen.350 Die Angehörigen der Oberschicht hatten ganz allgemein ein nicht zu unterschätzendes Interesse an Wettkämpfen fast jeder Art und besuchten diese entsprechend häufig. Insbesondere Pferderennen erfreuten sich großer Beliebtheit. Auf den Rennbahnen traten im Rahmenprogramm der Pferderennen Läufer aus dem Arbeiter- und Einwanderermilieu gegeneinander an. Der ehemalige Bürgermeister von New York City, Philip Hone, berichtet in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1835 von einer dieser Laufveranstaltungen. Der Händler Samuel L. Stevens und der Anwalt Samuel L. Gouverneur waren eine Wette eingegangen. Gouverneur – der Schwiegersohn von Präsident Monroe – wettete, dass Stevens nicht in der Lage sein würde, einen Mann zu finden, der die Distanz von zehn Meilen in einer Stunde oder weniger zu laufen vermochte. Daraufhin schrieb Stevens, ein Wettrennen aus, mit einem Preisgeld in Höhe von 1000 Dollar. Dieses Preisgeld sollte zwischen allen Läufern aufgeteilt werden, die die Distanz in weniger als einer Stunde zurücklegten. Am 24. April traten, nach Monaten des Werbens durch Stevens, neun Läufer auf dem Union Race Course auf Long Island gegeneinander an. Nur drei bewältigten die sechzehn Kilometer überhaupt. Henry Stannard, ein Bauer aus Connecticut, gewann das Rennen an diesem Freitag, unter den Augen hunderter Schaulustiger, mit einer Zeit von 59 Minuten und 48 Sekunden.351 Stevens hatte die Veranstaltung vorab in der Hoffnung auf ein möglichst breites Teilnehmerfeld stark beworben und damit ebenfalls ein großes Publikum angelockt. Jung und Alt und Arm und Reich drängten sich beim Platzieren von

350 Daniel Rogers (Hg.), The New-York City-Hall Recorder for the Year 1816 (New York: Charles N. Baldwin, 1817), 67-69. Frederick Van Wyck, Recollections of an Old New Yorker (New York: Liveright, 1932), 113-14. Vgl. Adelman, A Sporting Time, 229-30, 240-45. 351 Hone, The Diary of Philip Hone, Volume I, 139-40.

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Wetten auf der Rennbahn.352 Im Anschluss an das Spektakel stieg die Anzahl der professionell ausgerichteten Wettläufe in New York City massiv an.353 Trotz der anfangs verhältnismäßig hohen Preisgelder für die Läufer waren die Wettläufe für die Veranstalter rentabler als der Pferdesport. Kontrahenten konnten mit Flugblättern und Annoncen geworben werden und besondere Ausrüstungsgegenstände waren nicht erforderlich. Investoren witterten die Gelegenheit, äußerst profitable Massenveranstaltungen auszurichten. Dabei kam ihnen zugute, dass viele Menschen von außergewöhnlichen körperlichen Leistungen fasziniert waren. Man schuf eine Wettkampfinfrastruktur, in der die Zeitmessung eine immer größere Bedeutung spielte. Es ging also nicht mehr nur um den Sieg im aktuellen Rennen – es konnten auch Rekorde aufgestellt und gebrochen werden. Der Laufsport erhielt dadurch eine weitere Wettbewerbsebene.354 Die meisten der frühen Wettkampfläufer gehörten der Handwerker- oder Arbeiterklasse an. Viele besserten damit ihr Einkommen auf. Aber die Bewohner von New York City widmeten sich nicht nur aus finanziellen Gründen dem Laufsport. Angehörige der Eliten maßen sich beim Laufen und Gehen mit Gleichgestellten und auch die Mitglieder der Unterschicht liefen gegeneinander aus Prestigegründen. Dabei traten die wenigsten vor großem Publikum auf den Rennbahnen gegeneinander an. Freiflächen in Arbeitergegenden oder am Rande der Stadt wurden zum Austragungsort von kleinen privaten Wettkämpfen. Während es bei den Massenveranstaltungen besonders um die Ausdauerkomponente des Laufsports ging und die Wettbewerbe über immer längere Distanzen ausgefochten wurden, waren im kleineren Rahmen eher Schnelligkeit und Geschick von Bedeutung. Sprint- und Hürdenläufe gab es praktisch nur im persönlichen Wettstreit. Hier maß man die Kräfte unter wesentlich geringerem Zeitaufwand und auf kleinerem Raum.355 Laufen war für die Angehörigen der Unterschicht in der Regel allerdings kein Zeitvertreib, sondern in erster Linie die reguläre Fortbewegungsmethode. Die wachsende Stadt New York verlangte ihren Bewohnern im Bereich der

352 Ebd., 139 353 Die Wettrennen erhielten im Laufe der Zeit eine immer stärkere nationalistische und rassistische Komponente. Adelman schreibt, dass immer mehr ausländische Athleten und Angehöriger ethnischer Minderheiten in den Wettbewerben antraten. Dies erhöhte die Anziehungskraft des eher uneleganten Laufsports weiter. Die Siege weißer, in den Vereinigten Staaten geborener Männer wurden als besonderer Triumph gefeiert. Adelman, A Sporting Time, 213-14. 354 Ebd., 212, 215. 355 Vgl. Ebd., 214, 218-19. The Knickerbocker, Vol. VIII, 60.

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Fortbewegung per pedes immer mehr ab. Die Wegstrecken zwischen Arbeitsstätte und Wohnung wurden sukzessive länger, während die Stadtgrenze sich immer weiter nach Norden schob. Tatsächlich war eine Erhöhung der individuellen Gehgeschwindigkeit die Folge. Auf kommunaler Ebene wurde durch die Umsetzung des Commissioners’ Plans die dazu notwendige Straßen- und Wegestruktur geschaffen. Im neuen Straßennetz gewann die Auswahl der richtigen Route zunehmend an Bedeutung: Mied man die überfüllten Abschnitte des Broadways und einige seiner Seitenstraßen, gelangte man deutlich zügiger von A nach B.356 Für bestimmte Teile der Bevölkerung, die sich recht agil bewegten, waren die entschleunigten Abschnitte New Yorks aber durchaus attraktiv. Einige der besten Läufer der Stadt, die Taschendiebe, gingen dort ihrem Handwerk nach. Diese kultivierten neben der Kunst des unbemerkten Diebstahls auch das dynamische und ausdauernde Wegrennen für den Fall, dass sie ertappt wurden. Diebe, Zeitungsjungen, unlizenzierte Straßenhändler und Spieler flohen vor Polizei, Schuldeneintreibern und anderen Verfolgern zu Fuß.357 Das Fangenspielen der Kindheit erfuhr durch sie Übertragung in den ernsthafteren Kontext des Erwachsenalters. Die Fortbewegung zu Fuß war die wichtigste Transportmöglichkeit der lower orders in New York City und hatte mit Spazierengehen nichts zu tun. In der Mittel- und Oberschicht kam dem pedestrianism eine andere Bedeutung zu. Man begeisterte sich für die Laufspektakel auf den Rennbahnen und später auch im Madison Square Garden und für Literatur über die Abenteuer von Langstreckenläufern auf der ganzen Welt. Eine Reihe von Autoren veröffentlichte Erzählungen, Gedichte und Erlebnisberichte über die noblen Fußgänger der Zeit: Männer, die, im Laufe von Wochen und Monaten mehrere hundert Kilometer zu Fuß zurückgelegt hatten und dabei exotische aber auch bekannte Orte erkundeten, berichteten von ihren Erfahrungen, während die Öffentlichkeit von den körperlichen Großleistungen schwärmte.358

356 George Lippard, New York: Its Upper Ten and Lower Million (Cincinnati: H.M. Rulison, 1853), 52. Vgl. Cantwell & Wall, Unearthing Gotham, 202. Rosenwaike, Population History, 33, 35-36, 48-49. The Crayon, Vol. V (New York: W. H. Tinson, 1858), 202. 357 Asbury, The Gangs of New York, 15, 63. Lippard, New York, 51-52. 358 Siehe exemplarisch: John Dundas Cochrane, Narrative of a Pedestrian Journey through Russia and Siberian Tartary, from the Frontiers of China to the Frozen Sea and Kamtchatka, Vol. I & II (London: Charles Knight, 1824). Thomas Elworth, Sketches of Incidents and Adventures in the Life of Thomas Elworth, the American Pedestrian (Boston: Thomas Elworth, 1844). Alexander Wilson, The Foresters: a

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Laufen gehörte als Aktiven- und Zuschauersport, ähnlich wie Baseball, zu den populären Freizeitbeschäftigungen in den Frühlings- und Sommermonaten in New York City. Zwar fanden auch vereinzelt Spiele und Wettläufe im Winter statt – witterungsbedingt aber meist mit geringem Zulauf.359 In der kalten Jahreszeit widmete sich die Bevölkerung der Stadt anderen Freizeitaktivitäten. Einen Großteil des Unterhaltungsprogramms wurde in die Innenräume verlegt, allerdings erfreuten sich auch diverse Wintersportarten großer Beliebtheit. Die Angehörigen der Mittel- und Oberschicht amüsierten sich in den schneereichen Wochen häufig bei Schlittenfahrten in der winterlichen Stadt. Die Presse schwärmte in den höchsten Tönen von dem Vergnügen, das ein Ausflug in einem der pferdegezogenen Schlitten bereitete und betonte die Schönheit der Winterlandschaft, durch die man sich zügig bewegte. Die Schlittenfahrten erfüllten eine ähnliche soziale Funktion wie die Ausflüge zum Heidelbeerpflücken in den Sommermonaten. Männer und Frauen genossen die winterlichen Ausflüge gemeinsam und nutzten sie, um mit dem anderen Geschlecht in informellen Kontakt zu treten. Bemerkenswerter Weise unterlagen die Schlittenfahrten dafür aber keiner Kritik in der Öffentlichkeit. Was in der Kutsche geschah, war von außen nicht wirklich sichtbar. Das Innere des Schlittens stellte einen privaten Raum dar. Junge Frauen und Männer aus der Mittel- und Oberschicht konnten dort ungestört Kontakt miteinander aufnehmen. Gemeinsame Spaziergänge an einem lauen Sommerabend in den öffentlichen Parks waren da verfänglicher.360 Noch bemerkenswerter erscheint, dass Ausfahrten im Schlitten selbst an Sonntagen geduldet und sogar gefördert wurden. Die Geschäfte der Fuhrunternehmer standen in New York sonntags still, folglich waren mehr Pferde zur Vermietung an Privatpersonen verfügbar als während der Arbeitswoche. Dies kam den Angehörigen der leisure class zugute. Sie wollten sehen und gesehen werden und so ließen sie ihre Schlitten anspannen und fuhren aus. Um welch lukratives Geschäft es sich bei der Pferde- und Schlittenvermietung handelte, wird in Clay McShanes und Joel Tarrs Monografie The Horse in the City deutlich. Im New Yorker Stadtraum war das Fahren mit einem Pferdeschlitten im Durchschnitt an nicht mehr als zehn Tagen im Jahr überhaupt praktikabel. Winter, wie jener der Jahre 1836 und 1837, in denen der Schnee insgesamt fast drei Monate

Poem, Descriptive of a Pedestrian Journey to the Falls of Niagara, in the Autumn of 1804 (Newtown: S. Siegfried & J. Wilson, 1818). 359 Adelman, A Sporting Time, 214. 360 Ebd., 256. Vgl. James, Washington Square, 50-51. William L. M’Clintock [John Neal], John Beedle’s Sleigh Ride, Courtship, and Marriage (New York: C. Wells, 1841), 3, 12.

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die Straßen bedeckte, waren eine Seltenheit. Um möglichst großen Profit aus den Schneefällen zu schlagen, sorgten die Schlitten- und Pferdeverleiher dafür, dass der Schnee in der Stadt nicht geräumt wurde. Bis 1859 gab es kaum Bemühungen die Hauptverkehrsader Broadway von Schnee und Eis zu befreien.361 Das Ausfahren in edel ausgestalteten Schlitten zählte zu den Privilegien der Oberschicht. Doch Handwerker und Arbeiter genossen ebenfalls winterliche Kutschfahrten. Lebensmittelhändler und Metzger tauschten die Räder ihrer Transportwägen gegen Kufen aus und ließen sich und ihrer Familien von den Arbeitspferden durch den Schnee ziehen. Im Winter war man nicht weniger findig als im Sommer. So erregte ein Bewohner von Brooklyn nicht unwesentliches Aufsehen, als er einen Hühnerstall zum Schlitten umfunktionierte indem er diesen auf den Kopf stellte und am Dach Kufen anbrachte.362 Einige geschäftstüchtige Unternehmer bauten Heuwagen zu Großschlitten für den Winter um. Unter der Woche konnten damit weiterhin Güter durch die verschneiten Straßen transportiert werden. Am Wochenende verkaufte man, gegen die Personenbeförderungsgesetze der Stadt verstoßend, günstige Tickets für Gemeinschaftsschlittenfahrten an Angehörige der Unterschicht.363 Fahrten mit den provisorischen Schlitten waren durchaus riskant. Immer wieder kam es zu mehr oder minder schweren Unfällen.364 Aber nicht nur von den behelfsmäßigen selbstgebauten Schlitten, die von den Angehörigen der Unterschicht genutzt wurden, ging eine Gefahr aus: Die prachtvollen Gefährte der Wohlhabenden waren ebenso unfallanfällig. Verhältnismäßig oft gingen die Pferde mit den Wagen durch. Außerdem wurde die Geschwindigkeit der Schlitten auf dem Schnee unterschätzt. Sie kippten in Kurven um, überschlugen sich oder prallten auf den engen Straßen gegeneinander.365 Die populären Nachtfahrten über größere Distanzen waren besonders risikoreich. Große Gruppen junger Gentlemen und Damen begaben sich in mehreren Schlitten auf nächtliche Exkursionen und legten Entfernungen von bis zu achtzig Kilometern zurück. Dabei machten sie bei diversen Tavernen am Wegesrand Rast. Dort wärmten sie sich mit heißem Whiskey Punch auf, tanzten und feier-

361 McShane & Tarr, The Horse in the City, 90-91. 362 Ebd., 91. The Dublin Penny Journal (Dublin: Philip Dixon Hardy, 1834-35), 402. 363 Laws and Ordinances of the Corporation of the City of New-York (New York, 1823), 75-76. McShane & Tarr, The Horse in the City, 91. 364 Vgl. Oliver L. Barbour, Reports of Cases in Law and Equity in the Supreme Court of the State of New York, Vol. 36 (Albany: W.C. Little, 1862), 217-18. 365 McShane & Tarr, The Horse in the City, 91.

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ten.366 Das erste dieser Gasthäuser außerhalb der Stadtgrenzen war Corporal Thompson’s Roadhouse, in der Nähe des zukünftigen Madison Squares. Nur unweit der Palisaden gelegen, war es, neben dem Theater in der Nähe des City Hall Parks, häufig der Ausgangs- oder Endpunkt eines vergnüglichen Abends.367 Unglücklicherweise endeten die trunkenen und ausgelassenen Ausflüge vereinzelt in Unfällen. Die besonders schweren Unfälle instrumentalisierte die Temperenzbewegung in ihrem Kampf gegen den Alkoholkonsum.368 Sie veröffentlichte Schreckensgeschichten um für ein abstinentes Leben zu werben. Besonders ausführlich beschrieben die Erzählungen, die von den Temperenzadvokaten veröffentlicht wurden, die Verletzungen, die sich die verunglückten Personen in Folge ihres Alkoholkonsums zugezogen hatten.369 Viel am Verhalten der Vergnügungssüchtigen änderte sich aber nicht. Zu groß waren die Versuchungen, die sich ihnen am Wegesrand und in der Stadt boten: „New York is perhaps one of the gayest and most dissipated cities in the universe, and presents a thousand temptations […]“.370 New York war früh nicht nur eine der zügellosesten und versuchungsreichsten Städte der jungen Vereinigten Staaten, sondern auch Heimat einiger besonders einfallsreicher Zeitgenossen. Der Ressourcenreichtum der Hafenstadt machte es auch den ärmsten Teilen der Bevölkerung möglich, mit ein wenig Kreativität die Freizeitvergnügen der Mittel- und Oberschicht nachzuahmen. Neben den selbstgebauten, großen, pferdegezogenen Schlitten ließen sich auch andere Wintersportgeräte und Ausrüstungsgegenstände selbst fertigen oder improvisieren. Schaufeln und Kehrbleche wurden zu Behelfsrodelschlitten für die Kinder, wenn nicht sogar aus Holzresten und Fassreifen mit handwerklichem Geschick richtige Rodelschlitten gebaut wurden. Die passende Winterbekleidung improvisierte man ebenfalls. Hosenbeine wurden über den Stiefeln zugebunden, so dass kein Schnee in die Schuhe eindringen konnte. War die Hose dafür (bereits) zu kurz, so banden sich findige Wintersportler Zeitungspapier oder Stroh als Stulpen um

366 The Dublin Penny Journal, 402. 367 Burrows & Wallace, Gotham, 430-31, 484-85. Frank Leslie’s Popular Monthly, Vol. 34 (New York: Frank Leslie, 1892), 544. 368 Vgl. Thurlow W. Brown, Minnie Hermon: or, the Night and Its Morning, a Tale for the Times (New York: Miller, Orton & Mulligan, 1855), 283-84. 369 Die Temperenzschriften waren den gleichen literarischen Traditionen verhaftet, wie die populären Berichte über Mord und Gewaltverbrechen, welche dezidiert für ein Mittel- und Oberschichtenpublikum verfasst wurden. Vgl. Halttunen, Murder Most Foul, 61. 370 The Dublin Penny Journal, 402.

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die Unterbeine. Auch Stofffetzen und andere Lumpen nutzten die Armen, um sich wetterfest zu machen. Wintersportorte gab es im gesamten Stadtgebiet. Die Topografie der Insel hielt den einen oder anderen Hügel für eine kurze Abfahrt mit den kleinen Rodelschlitten bereit. Sobald Straßen und Eisenbahnschienen von der Stadt geräumt wurden, entstanden Schneeberge, die sich für eine kurze Abfahrt anboten.371 Der stinkende Corporate Pudding des Sommers auf den kleinen Schutthalden der Stadt wurde von verhältnismäßig sauberen Schneebergen abgelöst. Sie dienten den Kindern nicht nur als Schlittenabfahrten, sondern auch als Deckung bei Schneeballschlachten. Schneeballschlachten in den Wohngegenden der Stadt waren, ähnlich wie das Baseballspiel, nicht gerne gesehen. Sie wurden also bevorzugt auf dem freien Feld ausgetragen, denn wenn eine Fensterscheibe zu Bruch ging, zog das meist eine Tracht Prügel oder andere Bestrafungen nach sich.372 Hauptsächlich waren es Jungen, die sich zum Kriegsspiel im Schnee trafen. Um sich nicht allzu weit von der sicheren Stadt zu entfernen, nutzten sie häufig unbebaute Freiflächen und den Paradeplatz zur Austragung ihrer winterlichen Kämpfe. Die rivalisierenden Gruppen standen sich dort wie Regimente im Krieg gegenüber. Es wurde unbarmherzig gefeuert. Die Getroffenen zogen sich hinter Bäume und Schutzwälle, in Gräben oder – wenn es die Zeit und die Schneemengen erlaubten – in vorher angelegte Forts zurück. Meist wurden harmlose Stellungskriege ausgetragen, doch gelegentlich eskalierten die Auseinandersetzungen und das unterlegene Regiment wurde vom Platz vertrieben und durch die Sieger unter weiterem Beschuss durch das ganze Viertel zurück nach Hause gejagt. Auch verlief das Kriegsspiel nicht immer verletzungsfrei. Besonders Schneebälle, in denen sich Steine und anderer Unrat verbargen, waren gefährliche Geschosse. Und so verließen oft echte Verwundete das Schneeballschlachtfeld.373 Im späten 19. Jahrhundert nahm sich der Illustrator und Mitbegründer der Boy Scouts of America Daniel Carter Beard der Verletzungsproblematik an. Beard entwickelte ein ausgeklügeltes Regelwerk für Schneeballschlachten, das

371 Bernard Mergen, Snow in America (Washington, D.C.: Smithsonian Institution Press, 1997), 36-37. Vgl. American Railroad Journal and Mechanics’ Magazine, Vol. XIII (New York: George C. Schaeffer & Egbert Hedge, 1841), 136. 372 Vgl. Henry Adams, The Education of Henry Adams: An Autobiography (Boston: Houghton Mifflin Company, 1918), 41. 373 Vgl. Ebd.

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er in der Kinderzeitschrift St. Nicholas Magazine publizierte.374 Darin gab er Anleitungen zum Schneefortbau und unterbreitete Vorschläge für die passende selbstgebaute Schnellballschlachtausrüstung. Beard berief sich in seinen Ausführungen auf die Erfahrungen aus seiner Kindheit. Schneeballschlachten bereicherten damals die Pausen zwischen den Schulstunden und wurden unter Einhaltung eines komplexen Regelkatalogs ausgetragen.

Abbildung 10: Illustration einer städtischen Schneeballschlacht

Farbige Fahnen, so Beard, stellten die Regimentszugehörigkeit klar heraus, Schilde zum Schutz der eigenen Person wurden getragen und Schlitten zum

374 Daniel C. Beard, „A Snow Battle“, in: St. Nicholas Magazine, Vol. 8, No. 3 (Jan. 1881), 235-36. Daniel C. Beard, „Snow-Ball Warfare“, in: St. Nicholas Magazine, Vol. 7, No. 3 (Jan. 1880), 263-66.

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Schneeballmunitionstransport eingesetzt. Zudem gab es klare Bestimmungen zur Behandlung von Gefangenen und Verrätern. Sie durften in der Produktion neuer Munition eingesetzt werden. Verräter wurden vorher durch Einseifen mit Schnee bestraft. Was die Geschosse anging, so mahnte Beard, keine Schneebälle zu verwenden, die mit Eis gespickt oder mit Wasser beschwert waren, um Verletzungen zu vermeiden. Ebenso war körperliche Gewaltanwendung verboten.375 Beard und andere Reformer wollten Wintersport sicherer gestalten. Für das Mittelklasseklientel, welches das St. Nicholas Magazine ansprach, waren seine Ausführungen sicherlich Anleitung und Inspiration. Allerdings erwiesen sich einige der empfohlenen Ausrüstungsgegenstände als eher hinderlich, besonders nach starken Schneefällen und bei Schneeverwehungen: Die beladenen Munitionsschlitten sanken im Tiefschnee mit ihren schmalen Kufen ein und die Schilde behinderten die Bewegungsfreiheit. Dennoch verzichten die Kinder auch bei größeren Schneemengen nicht auf das Spiel draußen. Die Kinder aus Handwerker- und Arbeiterfamilien tobten auch ohne umfangreiche Ausrüstung im Schnee. Sie stürzten sich in die weichen Schneewehen, gruben Höhlen und bauten Schneemänner und Iglus. Diese Winterspiele abseits der dynamischen Schneeballschlachten empfahl das St. Nicholas Magazine auch für Mädchen. Dabei wurden besonders die bildhauerischen Möglichkeiten betont, die das Material Schnee bot. Der Autor Samuel Van Brunt regte die jungen Schneekünstler dazu an, sich an der Ausformung eher ungewöhnlicher Skulpturen zu versuchen. Er schlug den Bau von Schneeschweinen, Schneeeulen und stereotypischen Franzosen, einschließlich eines Schnurrbarts aus Schnee, vor. 376 Plastiken, die die Zeit nicht überdauern würden, durften durchaus Triviales zum Gegenstand haben. Der Schnee, als kostenloses und vergängliches Material, erhielt seinen eigenen Stellenwert in der künstlerischen und kreativen Tradition der USA. Der Amerikanist Bernard Mergen schreibt in seiner Monografie Snow in America über die verschiedenen Haltungen, die Amerikaner im Laufe der Zeit gegenüber Schnee entwickelten. Er unterstellt eine chronologische Entwicklung von der Erduldung der weißen Pracht, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, hin zur Erforschung und kreativen Nutzung ab den 1840er-Jahren. Als paradoxe Materie verfüge Schnee über einen unvorhersehbaren und einen messbaren Charakter zugleich. Er war Metapher und Realität.377

375 Ebd. Mergen, Snow, 83. 376 Samuel Van Brunt, „Snow-Sports for Girls and Boys“, in: St. Nicholas Magazine, Vol. 7, No. 4 (Feb. 1880), 320-22. 377 Mergen, Snow, xvi-xvii.

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Abbildung 11: Illustration eines Schneeschweins aus „Snow-Sports for Girls and Boys“

Der Autor Johnathan Franzen beschreibt in seiner autobiografischen Erzählung The Discomfort Zone die transformative Wirkung von Schnee. Jede gewöhnliche Oberfläche würde durch ihn verzaubert. In gewisser Hinsicht hatte das wachsende New York, ähnlich wie der Schnee, das Potential zum „transformative enchantment of ordinary surfaces“, wie Franzen es nennt.378 Die commons, de facto Allmenden und potters’ fields, kurz das terrain vague der Stadt, erfuhren durch die Bewohner der jungen Stadt die eine oder andere zauberhaft anmutende Verwandlung. In einer Zeit, in der etwa Olmsted, eine ästhetische Gleichschaltung der Stadtlandschaft fürchtete,379 waren sie unerwartete Bollwerke gegen die Uniformität. In ihrer Funktion als Freizeitorte entsprachen sie dabei allerdings nicht durchgängig den hohen ästhetischen Werten der Eliten. Vielmehr waren sie Textbausteine innerhalb der Stadt wie Lévi-Strauss380 sie beschreibt. Sie erfüllten wechselnde Funktionen in der Komposition der Stadtlandschaft und waren elementare Bestandteile der Verwandlung New York Citys von der kleinen Hafenstadt hin zur Metropole.

378 Jonathan Franzen, The Discomfort Zone: A Personal History (London: Harper Perennial, 2007), 103. 379 Vgl. David Schuyler & Charles E. Beveridge (Hg.), The Papers of Frederick Law Olmstead, Volume III: Creating Central Park (Baltimore: John's Hopkin's University Press, 1983), 196. 380 Vgl. Strauss, Tristes Tropiques, 127.

Schlussbemerkung Terrain vague als Raumkategorie in historischen Studien

Die symbolische und physische Verwandlung der Zwischenräume im Stadtraum ist ein anhaltendes Phänomen. So verwendet Solà-Morales den Begriff terrain vague in seiner Beschreibung der postindustriellen Stadt. Er benennt damit Resträume – Orte die übrig geblieben sind. Diese scheinbar verlassenen Plätze wurden in den letzten Jahren besonders in der Stadtgeografie, Soziologie und politischen Wissenschaft in Bezug auf die urbanen Herausforderungen der Stadt des 21. Jahrhunderts rezipiert.1 Die historischen Entwicklungen, die dem terrain vague unterliegen, blenden diese Studien allerdings größtenteils aus. In ihnen bieten die verlassenen Orte Raum für neue Entwicklungen (urban renewal). Das unbestimmte Territorium ist darin einzig Platz für die Umsetzung zukunftsträchtiger Ideen, eine Arena der Innovation, wie sie die zukunftzugewandte Metropole New York in der Enge der Insel Manhattan immer wieder benötigt. Die mit dem terrain vague verknüpften Geschichten werden im Erneuerungsprozess aber meist ausgeblendet beziehungsweise durch diesen ausgelöscht. Die Geschichten, die sich um die verschiedenen öffentlichen Plätze New York Citys ranken, machen deutlich, dass das Raumgebilde terrain vague für historische Studien von Bedeutung ist. Mit seinem fluiden Charakter als Zwischenraum beziehungsweise Zwitterort ist es nämlich auch Schauplatz von Ereignissen und nicht nur wieder frei gewordener Raum. Besonders in der kulturgeschichtlichen Betrachtung des Stadtraums ist ein Blick auf das terrain vague lohnenswert. Als nicht näher bestimmtes Territorium bietet es sozial marginalisierten Gruppen Freiraum zur Ausübung kultureller Praktiken. Mit seinen fehlenden Nutzungsvorgaben wurde es in New York City im 19. Jahrhundert auch

1

Vgl. Patrick Barron & Manuela Mariani (Hg.), Terrain Vague: Interstices at the Edge of the Pale (London: Routledge, 2013).

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zum Freizeitlaboratorium für die Angehörigen der Eliten. Wo immer Orte ohne starre Nutzungsbestimmungen existierten, entdeckten sie die Bewohner des Stadtraums als Freiräume und nutzten sie. Das Potential der des noch nicht näher bestimmten Raums und der Brache wurde in der Geschichte immer wieder ausgeschöpft, aber die dazugehörigen Geschichten gerieten in Vergessenheit. Dies hat viel mit den im urbanen Raum bestehenden Machtstrukturen zu tun. Marginalisierte Gruppen, etwa die Armen und Angehörige der Arbeiterschaft, verbrieften ihre im öffentlichen Raum ausgeführten Aktivitäten nicht, beziehungsweise ihre Berichte überdauerten die Zeit nicht. Angehörige der Oberschicht wählten sich häufig das terrain vague zur Ausübung gesellschaftlich sanktionierter Unternehmungen und verbrieften diese folglich ebenfalls nicht. Dennoch finden sich Berichte über das unbestimmte Territorium und seine Nutzungen im 19. Jahrhundert. Gesetzestexte und Stadterzählungen geben Aufschluss über ein anderes New York: abseits von architektonischen Großprojekten, dem Wirken der Bourgeoise und politischen Machtkämpfen. Sie künden von einer Stadt, die auf dem Weg ist, eine Metropole zu werden und in der sich die Angehörigen aller Schichten Freiräume suchen. Die (designierten) Friedhöfe New Yorks mit ihrem Freiflächencharakter wurden dabei zu den prominentesten und bedeutendsten Erholungsorten auf der Insel Manhattan. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden ihnen Allmendeneigenschaften zugeschrieben. Damit waren sie (Inter)-Aktionsräume für alle Stadtbewohner. Als Orte der letzten Ruhe verfügten sie über klare äußere Grenzen und eine Beständigkeit, die anderen unbebauten Flächen im Stadtraum nicht gegeben war. Sie waren Teil des terrain vague der Stadt, bevor sie zu Madison Square, Washington Square, Bryant Park und City Hall Park und somit zu Orten von stadthistorischer Bedeutung wurden. Aufgrund ihres einstigen Status als unbestimmtes Territorium wird noch heute viel über ihre Vergangenheit spekuliert. Die Beschreibung der Exhumierungen im Bryant Park für den Bau der New York Public Library ist ebenso Produkt dieser Spekulationen, wie die Geschichte der Hangsman’s Elm im Washington Square Park. Das terrain vague ist anerkanntermaßen Schauplatz historischer Ereignisse. Um diese zu rekonstruieren, ist das Verständnis von zeitgenössischen kulturellen Praktiken und den damit verbundenen Diskursen unerlässlich. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die potter’s fields New York Citys vollständig zu Stadtparks umgewandelt. Das war nur aufgrund ihres geringen gesellschaftlichen Stellenwerts überhaupt erst möglich. Die kommerziell ausgerichteten oder mit den Kirchen der Stadt assoziierten Friedhöfe der Mittel- und Oberschicht wurden niemals so drastisch umgewidmet. Green-Wood Cemetery in Brooklyn ist als Begräbnisstätte bis heute unangetastet und zählt seit dem Jahr

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2006 zu den National Historic Landmarks der USA. Wie ähnlich Friedhöfe und Stadtparks von der Bevölkerung in ihrer Freizeit genutzt wurden, zeigt das Beispiel Green-Wood besonders klar. Auch dieser Ort, der juristisch bis heute als Friedhof verfasst ist, war anfangs vor allem ein exklusiver Park für die Mittelund Oberschicht. Ein Zwitterort, an dem Bestattungsriten und Freizeitvergnügen zusammenkamen. Zudem war er ein leuchtendes Beispiel dafür, dass die Erhaltung und Einführung von ländlichen Komponenten in den Stadtraum New Yorks möglich und wichtig waren. Seine Ausgestaltung inspirierte populäre Landschaftsarchitekten wie Downing, Olmsted und Vaux dazu, stadtnahe und stadtinterne Erholungsorte zu konzipieren und zu konstruieren, am prominentesten wohl Central Park. An diesem Park zeigt sich allerdings besonders deutlich, dass die von der Planungselite als demokratisch beworbenen Freizeitorte ihre Funktion nicht erfüllten. Central Park war in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens eine stadtnahe Enklave der Oberschicht und kein Erholungsort für jedermann. Die weiter südlich auf Manhattan gelegenen (ehemaligen) potter’s fields und andere Freiflächen waren hingegen echte Freiräume, in einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Stadt. Ihre Nähe zu den dicht besiedelten Teilen der Insel machte sie zu attraktiven stadtinternen Erholungsorten. Madison Square, Washington Square, Bryant Park und City Hall Park sind die besten Beispiele dafür. Prozesse der sozialen Integration und Verdrängung fanden dort statt: von besonderer kulturgeschichtlicher Bedeutung sind dabei die dort ausgeübten Praktiken. Das andere New York zeigt sich im Umgang der Stadtbewohner mit dem terrain vague. Das unbestimmte Territorium war in der Enge der Insel Manhattan Hemmnis und Katalysator der Stadtentwicklung zugleich. Es verhalf der New York dazu, zu Whitmans Stadt der Kirchturmspitzen und Masten zu werden, zur von Koolhaas beschriebenen Stadt der Nadeln und Sphären und letztlich zur Metropole und Hauptstadt der amerikanischen Moderne. Orte, die sowohl Ikonen der Transformation als auch Symbole des Stillstands und der Resignation sind, sind der Schlüssel zu diesem Paradoxon. Das andere New York erzählt die Geschichte des wenig glamourösen oder repräsentativen New Yorks, aber auch jene der Jubeltage und großen lokalen, nationalen und internationalen Ereignisse in der Antebellum Era. Es berichtet von einer Stadt auf der Suche nach einer kulturellen Identität in Zeiten wachsenden Pluralismus’. Dazu wirft es ein Schlaglicht auf die Zwischenräume und Zwischenzeiten, in denen New York City dabei war, zu etwas neuem zu werden oder darin versagte. Diese Geschichte bricht mit den von Sozialhistorikern über lange Zeit propagierten Annahmen, dass sozial marginalisierte Gruppen kaum Wirkmacht

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in der Gestaltung des urbanen Raums besaßen und zudem nicht über Freizeit oder ein distinktives Freizeitverhalten verfügten. Die Analyse der Praktiken, die auf dem terrain vague der Stadt ausgeübt wurden, zeichnet ein anderes Bild. Sie macht deutlich, dass der urbane Raum nicht nur ein Produkt neuer Technologien und des Fortschrittsdenkens der Eliten war, sondern auch ein Ergebnis ruraler Praktiken der Unterschicht. Am Beispiel des unbestimmten Territoriums zeigt sich wie ländliche Subsistenzstrategien und Improvisation im Freizeitbereich die Stadtlandschaft prägten. Das terrain vague war außerdem der Ort, an dem die Stadtbewohner sich trafen, um Vergnügungen nachzugehen, die anderenorts verboten waren oder die als moralisch verwerflich galten. Die Hinrichtungsspektakel in New York City, die alle gleichermaßen anzogen, machten den Ort zum Interaktionsraum für die Angehörigen aller Klassen. Als schlichte Freifläche war er Spielfeld und Ort der Entspannung und des Innehaltens. Gleichzeitig wurden Grund und Boden in der wachsenden Stadt immer wertvoller. Am Beispiel des terrain vague zeigt sich besonders deutlich wie sich Veränderungen räumlicher Strukturen gesellschaftlich mit einer normativen Auf- beziehungsweise Abwertung eines Ortes verbinden. Das unbestimmte Territorium New York Citys in der Antebellum Era war ein umkämpfter und kontroverser Ort. In diesem Zwischenraum verbanden sich Pragmatismus und Idealismus miteinander. Für Angehörige aller Klassen war es möglich, sich Teile des terrain vague temporär anzueignen. Diese Prozesse der Inbesitznahme und der persönlichen Entfaltung veränderten sein symbolisches Kapital fortlaufen, während sein ästhetischer Wert als eher gering angesehen wurde. Zu der Zeit, als Olmsted die gestalterische Gleichschaltung innerhalb der Stadtlandschaft fürchtete, wurde das terrain vague dann aber zum Bollwerk gegen die Uniformität des grid, denn hier bot sich im Kleinen die Möglichkeit, die planerischen Fehler der Vergangenheit auszumerzen oder zumindest abzumildern. Der Architekt Brian Knight sieht die ganze Stadt als Palimpsest dem immer wieder neue Schichten hinzugefügt werden.2 Das terrain vague kann im urbanen Kontext als ein Blatt angesehen, von dem die Inhalte bereits gelöscht sind, noch steht aber nicht fest, was Neues darauf geschrieben werden soll. Der Germanist und Komparatist Andreas Huyssen fragt in der Einleitung zu Present Pasts: Urban Palimpsests and the Politics of Memory, inwiefern die Trope des Palimpsests sich tatsächlich auf den urbanen Raum anwenden lässt. Er verschließt

2

Brian Knight, „The Belmont Tunnel and Toluca Yard.“, in: James P. Cramer & Jennifer Evans Yakopolus (Hg.), Almanac of Archtitecture and Design 2006 (Atlanta: Greenway Communications, 2005), 12.

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sich der Idee, die Stadt rein als Text zu sehen. Ihn beschäftigen Materialität und formelle Traditionen. Die Stadt als Text im Sinne von Claude Lévi-Strauss genügt Huyssen nicht. Für ihn sind es die gelebten Orte, welche die Stadterinnerung prägen.3 Das terrain vague ist einer dieser gelebten Orte. Mit seinem fluiden Charakter als Zwischenraum bietet es ein Maß an kultureller Freiheit, über das andere Plätze im öffentlichen Raum nicht verfügen. Seine diversen Nutzungen etwa als Freizeit- und Erholungsort, als Arena für das Austragen von Konflikten und als Ort der Subsistenz zeugen davon. Sein Potential als Raumkategorie wurde in historischen Analysen bislang nicht ausgeschöpft. Das terrain vague ist ein Produkt und eine Voraussetzung urbaner Entwicklungsprozesse. Im Rahmen dieser entsteht und verschwindet es fortwährend. In seiner Reinform als „leerer Raum“ bietet es sich für historisch-quantitative Studien zur Stadtentwicklung an. Als Zwischenraum erwächst es zum Schauplatz qualitativer Untersuchungen im kulturgeschichtlichen Bereich.

3

Andreas Huyssen, Present Pasts: Urban Palimpsests and the Politics of Memory (Stanford: Stanford University Press, 2003), 7.

Abbildungen Umschlagbild: John Bachmann, „Birds’ Eye View of New-York & Brooklyn“, New York: A. Grueber & Co., 1851, Library of Congress, Prints and Photographs Division, Washington, D.C., LC-DIG-pga-03106. Abbildung 1: William Bridges, „Plan of the City of New York: With the Recent and Intend Improvements”, New York: Isaac Riley, 1807, New York Public Library, D.C. Haskell, Manhattan maps, 642. Abbildung 2: „The Elgin Botanic Gardens“, New York: D.T. Valentine, 1825, Columbia University – Digital New York City. Abbildung 3: G. Hayward, „Vauxhall Garden 1803“, New York: D.T. Valentine, 1856, Library of Congress, Prints and Photographs Division, Washington, D.C., LC-USZ62-115483. Abbildung 4: Grab Charlottes Candas, aus: Nehemiah Cleaveland, Green-Wood: A Directory for Visitors, New York: Pudney & Russel, 1851. Abbildung 5: Robert Hinshelwood, „New-York University.“ New York: John Disturnell, 1837, New York University Archives, Washington Square Area Image Collection. Abbildung 6: „The Croton Water Reservoir“, New York: Augustus Fay, 1850, New York Public Library, The Eno Collection of New York City Views, Eno 267. Abbildung 7: „View of the Great Receiving Reservoir“, New York: N. Currier, ca. 1850, Library of Congress, Prints and Photographs Division, Washington, D.C., LC-USZC2-3140.

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Abbildung 8: „Burning of the New York Crystal Place on Tuesday Oct. 5th 1858“, New York: Currier and Ives, 1858, New York Public Library, The Eno Collection of New York City Views, Eno 350. Abbildung 9: Antony Imbert & Samuel Maverick, „Landing of Gen. Lafayette at Castle Garden, New York, 16th August 1824“, New York, 1826, New York Public Library, The Eno Collection of New York City Views, Eno 94. Abbildung 10: „Snow Ball Battle“, aus: Daniel C. Beard, „A Snow Battle“, in: St. Nicholas Magazine, Vol. 8, No. 3 (Jan. 1881), 236. Abbildung 11: Daniel C. Beard, „Making Snow-Pigs“, aus: Samuel Van Brunt, „Snow-Sports for Girls and Boys“, in: St. Nicholas Magazine, Vol. 7, No. 4 (Feb. 1880), 320.

Quellen- und Literaturverzeichnis Zeitungen und Zeitschriften Appletons’ Journal of Literature, Science and Art Current Literature: A Magazine of Record and Review Frank Leslie’s Popular Monthly Graham’s American Monthly Magazine of Literature and Art Harper’s New Monthly Magazine Harvardiana Index to the New-York Municipal Gazette Journal of the Statistical Society of London Niles’ Weekly Register Real Estate Record and Builders Guide Scientific American St. Nicholas Magazine The American Monthly Magazine and Critical Review The Continental Monthly: Devoted to Literature and National Policy The Crayon The Critic The Dublin Penny Journal The Edinburgh Medical and Surgical Journal The Family Magazine: Or, Monthly Abstract of General Knowledge The Ladies’ Repository: A Monthly Periodical, Devoted to Literature, Arts, and Religion The Knickerbocker, or New-York Monthly Magazine. The New-York Mirror and Ladies’ Literary Gazette The New-York Mirror: A Weekly Journal Devoted to Literature and the Fine Arts The New York Times The North American Review The Sailor’s Magazine, and Naval Journal

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Philipp Kutzelmann Harte Männer Professional Wrestling in der Kultur Nordamerikas 2014, 220 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2708-4

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Amerika: Kultur – Geschichte – Politik Charlotte A. Lerg Amerika als Argument Die deutsche Amerika-Forschung im Vormärz und ihre politische Deutung in der Revolution von 1848/49 2011, 392 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1670-5

Ursula Prutsch, Enrique Rodrigues-Moura Brasilien Eine Kulturgeschichte 2013, 264 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2391-8

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