Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938: Planung, Inszenierung und Wirkung [Reprint 2014 ed.] 9783050082356, 9783050038698

"[...] jeder, der sich mit der Geschichte der Moskauer Schauprozesse beschäftigt, [wird] froh sein über die gut ers

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Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938: Planung, Inszenierung und Wirkung [Reprint 2014 ed.]
 9783050082356, 9783050038698

Table of contents :
Zur Genealogie des Schreckens. Moskau 1936-1938
Vorbemerkung zur Chronik
CHRONIK
1936
1937
1938
ANHANG
Angeklagte in den Moskauer Schauprozessen 1936, 1937 und 1938
Führende KPdSU-Funktionäre
Führende Staatsfunktionäre der UdSSR
Wirtschaftsfunktionäre bei Stalin von 1929 bis 1941
Besucher in Stalins Kabinett im Kreml von 1936 bis 1938
Zentraler Apparat des NKVD unter Jagoda, Ežov und Berija
Strukturen des NKVD der UdSSR von Juli 1934 bis Februar 1941
VERZEICHNISSE
Abkürzungen
Zitierte Literatur
Redner auf dem Februar-März-Plenum des ZK der KPdSU(B) 1937
Beschlüsse des ZK der KPdSU(B) und der Regierung der UdSSR
Befehle, Rundschreiben, Telegramme und Weisungen des NKVD
Vom NKVD aufgedeckte Verschwörungen, Maßnahmen und Operationen des NKVD, Prozesse
In der Chronik erwähnte NKVD-Gefängnisse und Besserungsarbeitslager
Zeitungen und Zeitschriften
Ortsverzeichnis
Kommentiertes Namenverzeichnis

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CHRONIK DER MOSKAUER SCHAUPROZESSE

Wladislaw Hedeler

CHRONIK DER MOSKAUER SCHAUPROZESSE 1936, 1937 UND 1938 Planung, Inszenierung und Wirkung

Mit einem Essay von Steffen Dietzsch

Akademie Verlag

Titelabbildung: »Alleja pamjati zertv repressij perioda 30-50 godov« (Allee des Gedenkens für die Opfer der Repressalien der 30-50er Jahre) in Malinovka bei Astana (Republik Kazachstan). Das für die Frauen und Kinder der »Volksfeinde« eingerichtete Besserungsarbeitslager Akmolinskij lager' dlja zen izmennikov Rodiny - ALZIR existierte von 1938 bis 1953, von 1941 an mußten hier auch nach Paragraph 58 (politische Verbrechen) des Strafgesetzbuches der RSFSR verurteilte politische Häftlinge Zwangsarbeit leisten. © Wladislaw Hedeler/Leo Seidel 2003

ISBN 3-05-003869-1

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2003 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übertragung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Einbandgestaltung: Petra Florath, Berlin Druckvorlage: Peter Rotkehl, Berlin Druck : Medienhaus Berlin Bindung: Lüderitz & Bauer Printed in the Federal Republic of Germany

Inhaltsverzeichnis Steffen Dietzsch: Zur Genealogie des Schreckens Wladislaw Hedeler: Vorbemerkung zur Chronik

VII XXVII

CHRONIK 1936 1937 1938

3 129 347

ANHANG Angeklagte in den Moskauer Schauprozessen 1936, 1937 und 1938 Führende KPdSU-Funktionäre Führende Staatsfunktionäre der UdSSR Wirtschaftsfunktionäre bei Stalin von 1929 bis 1941 Besucher in Stalins Kabinett im Kreml von 1936 bis 1938 Zentraler Apparat des N K V D unter Jagoda, Ezov und Berija Strukturen des N K V D der UdSSR von Juli 1934 bis Februar 1941

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VERZEICHNISSE Abkürzungen Zitierte Literatur Redner auf dem Februar-März-Plenum des Z K der KPdSU(B) 1937 Beschlüsse des Z K der KPdSU (B) und der Regierung der UdSSR Befehle, Rundschreiben, Telegramme und Weisungen des N K V D Vom N K V D aufgedeckte Verschwörungen, Maßnahmen und Operationen des NKVD, Prozesse In der Chronik erwähnte NKVD-Gefängnisse und Besserungsarbeitslager Zeitungen und Zeitschriften Ortsverzeichnis Kommentiertes Namenverzeichnis

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Steffen Dietzsch

Zur Genealogie des Schreckens Moskau 1 9 3 6 - 1 9 3 8 I. Alles muß, so scheint es, vor allem einmal vergangen sein, um überhaupt gesehen werden zu können. Heimito von Doderer

Es gehörte zu den Konstitutionsfehlern des Kommunismus, die - klassisch von Lenin — als sogenannte >Kinderkrankheiten< kleingeredet wurden, daß man, um das Geschäft der Umwälzung auch wirklich radikal zu betreiben, Machtergreifung und Machtsicherung ausschließlich mit und auf Gewalt begründete. Die aus Exil oder Verbannung zurückkehrenden Revolutionäre vom Herbst 1917 in Petrograd — Lenin, Trotzki, Rakowski, Joffe und ihre Freunde — hatten »bis dahin im Leben des Volks noch nicht irgendwie Wurzeln schlagen können. So wurden, wohl nach dem Muster des französischen Syndikalismus, als die revolutionäre Organisation für das ganze Reich die Arbeiter- und Soldatenräte [>SowjetsdomestizierenGewaltenteilung< werden lassen. Für den Mann aber, der in Petrograd Mitte Januar 1919 das Parlament — die Allrussische Konstituierende Versammlung [die >KonstituanteTaurischen Palais< jagte (Pawel Jefimowitsch Dybenko), gehörten die »Vertreter der bürgerlichen Demokratie« nicht auf das rote Gestirn. - »Sie mochten einen süßen Traum geträumt haben: die ob ihrer Verirrungen und Greueltaten [sie?] zerknirschten Bolschewisten verlassen mit gesenkten Köpfen die Bühne der Geschichte und sagen reuevoll: >Ihr seid die gesetzliche Macht des heiligen Rußland, euch händigen wir die Schlüssel ein. Nehmt sie und regierte [...] - Ich gab den Befehl, die Versammlung zu verjagen.« 2 Lenin sanktionierte das: »Die Vertreibung der Kon-

Kurt Aram, Zur Vorgeschichte des Bolschewismus, in: Süddeutsche Monatshefte 16 (1919), Januar-Heft, S. 225f. 2 Pawel E. Dybenko, Die Rebellen. Erinnerungen aus der Revolutionszeit, Hamburg 1923, S. 138f. 1

Vili

STEFFEN DIETZSCH

stituierenden Versammlung durch die Sowjetmacht ist eine vollständige und offene Liquidierung der formalen Demokratie im Namen der revolutionären Diktatur.«3 Die bolschewistische Auffassung von Machtsicherung kommt noch einmal zugespitzt in einem Toast zum Ausdruck, den Stalin 1937 aus Anlaß des 20. Jahrestages der Oktoberrevolution ausbrachte: »Und wir werden jeden dieser Feinde vernichten, sei er auch ein alter Bolschewik, wir werden seine Sippe, seine Familie komplett vernichten. Jeden, der mit seinen Taten und in Gedanken einen Anschlag auf die Einheit des sozialistischen Staates unternimmt, werden wir erbarmungslos vernichten. Auf die Vernichtung aller Feinde, ihrer selbst, ihrer Sippen — bis zum Ende!«4 Ein solches Ende wurde ein Dreivierteljahr später auch dem Auflöser der Konstituate, dem Mitglied der ersten Revolutionsregierung, Dybenko bereitet. So faßt sich das Problem sozialistischer Revolutionen in der Neuzeit von allem Anfang an als ein tragisches in diesem Diktum zusammen: »Die Illusion der Revolution besteht darin zu glauben, daß die Opfer der Gewalt, da sie unschuldig sind an den aufgetretenen Greueltaten, mit der Gewalt gerecht umgehen werden, wenn man sie ihnen in die Hand gibt.«5 In dem Maße aber, wie diese Gewaltformen der neuen Macht dann immer wieder ihre ökonomische Kompetenzen verlieren (schon die Selbstversorgung der Sowjetunion war immer eine Zitterpartie!), verkümmern viele ihrer instrumentellen Dimensionen und Macht wird zunehmend Selbstzweck.

II. Die Bolschewiki haben allein Freiheit der Rede. Aber Freiheit, die für einen Einzigen, eine einzige Partei existiert, ist eben keine Freiheit. Paul Levi

Eine Zuspitzung dessen, was wir als kulturelle Differenz zu bezeichnen geneigt sind, bezeichnet der Begriff des Kulturbruchs. In bezug auf den Nationalsozialismus hat es sich eingebürgert, das Phänomen mit Begriffen wie >Barbarisierung< resp. >Rebarbarisierung< zu kommentieren. Man mag das für angemessen halten oder auch nicht, aber es bleibt eine merkwürdige Asymmetrie, daß für den >KulturbruchErbschaft< so gut wie aufgebraucht: man lebt erbärmlich, schicksalergeben oder in Angst, man ist administrativ an seinen Ort gefesselt, aber ständig verschwinden Leute und alltäglich hört man, was man nicht sieht: >Das heben ist schöner geworden ...< Das Jahr Siebenunddreißig war, wie es der russische Schriftsteller Juri Dombrowskij (1909—1978) einmal nannte, »ein böses, heißes Jahr, Vorbote künftigen Unheils«.6 Kurz: In diesem Jahr 1937 »war die Sowjetunion kein glückliches Land«.7 Diese Zeit des exzessiven, nach innen gerichteten und längst nicht mehr schichten-, sozial- oder klassenorientierten Massenterrors in den Dreißigern markiert einen definitiven Bruch in der Kultur socialer Revolutionen überhaupt. Diesen Kulturbruch sehen wir also nicht schon in den Greuel des Roten Terrors unmittelbar nach der Oktoberrevolution (bis 1921); der, wenn man ihn mit >kaltem< Blick betrachten könnte, der blinde, verzweifelte Blutrausch eines ums Überleben kämpfenden Neuen war. Schon aus dem Rückblick der zwanziger Jahre hatte der nichtkommunistische erste Justizminister Lenins — »den die Laune des Schicksals in die Revolution hineingetragen hatte«8 - gesagt, man kann »zugeben, daß die Repressalien jener Zeit fast unsicher und schüchtern anmuten, daß ihre Ausübung jedenfalls unter der Kontrolle der großen politischen Presse aller Parteien stand. Als man sechs Wochen nach dem Beginn der Oktoberereignisse die Tscheka organisierte, geschah das zu dem Zweck, Ordnung in die Anwendung der Repressalien zu bringen und sie aus dem Tohuwabohu der ersten fieberhaften Zeit zu befreien.«9 Der deutsche Schriftsteller Alfons Paquet, der die Geburt des Neuen Rußland >vor Ort< erleben wollte, nahm dies wahr als >BartholomäusnachtMichail PlatonowVemunftherrschaft< stammt, nämlich sein Roman Wir xl [1920], der übrigens erst 1988 in einem sowjetischen Verlag erscheinen konnte. Zudem gab es hier im Kriegskommunismus - als eine Mischung von Behauptungstrotz und Warnung an den (vor allem inneren) Feind - immerhin noch eine gewisse grausige >Glasnost< durch die Publikation einschlägiger wöchentlicher und lokaler Tscheka-Bulletins13. Auch erreichten noch besorgte Stimmen von Sympathisanten die Akteure der Revolution, so schrieb beispielsweise der alte Wladimir Korolenko im Sommer 1920, kurz vor seinem Tode, an den Volkskommissar Anatoli Lunatscharski: »Ich bin der Ansicht, daß nicht alle Mittel dem Wohl des Volkes dienen, und für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß Erschießungen auf dem Verordnungsweg, zum System erhoben und nun schon seit über einem Jahr praktiziert, nicht zu diesen Mitteln gehören.«14 Der sowjetische Diplomat Alexander Barmine, der unter dem Eindruck des Großen Terrors 1937 die Sowjetunion verließ, machte in seinen Erinnerungen das Undenkbare dieser neuartigen allumfassenden Vergeltungswut jetzt, 20 Jahre nach dem Oktober, namhaft, die sich gar nicht mehr in das ehemalige Koordinatensystem von revolutionärer Härte und Unbarmherzigkeit gegenüber dem Klassenfeind einfügen ließe: »In den ersten Jahren wurde viele antibolschewistische Sozialisten lediglich des Landes verwiesen. Der Prozeß gegen die sozialistischen Revolutionäre des Jahres 1922 hatten nur bedingte Todesurteile gebracht, obwohl die Angeklagten tatsächlich mit der Waffe in der Hand zur Zeit des Bürgerkrieges gekämpft und einen Anschlag gegen Lenin vorbereitet hatten. [...] Die Helden des Ramsinprozesses, die sich schuldig bekannten [...] wurden nach kurzer Gefängnisstrafe pardoniert und wieder in ihre früheren Stellungen eingesetzt. Die russischen Menschewiken [...] hatten lediglich lange Gefängnisstrafen erhalten. [...] Nein, Stalin würde es nie über sich bringen, das Blut seiner früheren Gefährten zu vergießen.«15 Gerade das aber geschah exemplarisch in den drei Monster-Prozessen 1936,1937 und 1938! Auf diese Weise verblaßte bzw. erbleichte aber natürlich sehr schnell der Charme universel d'Octobre — ein nostalgisches Bild, mit dem François Furet zutreffend die ursprüngliche Faszination jener Revolution veranschaulicht hatte.

12 Vgl. die deutsche Ausgabe, hrsg. von Karlheinz Kasper, Leipzig - Weimar 1991. Der Roman endet mit einer schwarzhumorigen Situationsbeschreibung im Kampf der Vernunft gegen das Chaos, die Zukünftiges schon vorwegnahm: »Aber es ist uns gelungen, auf dem quer verlaufenden 40. Prospekt eine provisorische Mauer aus Hochspannungswellen zu errichten. Und ich hoffe - wir werden siegen. Mehr noch: Ich bin sicher, daß wir siegen. Weil die Vernunft siegen muß. « (Ebd., S. 243.) 13 Vgl. Dimitri Gawronsky, Die Bilanz des Russischen Bolschewismus, Berlin 1919, S. 73f. und Sergeij P. Melgunow, Der rote Terror in Rußland 1 9 1 8 - 1 9 2 3 , Berlin 1924, sowie Paquet, Im kommunistischen Rußland, a. a. O., S. 120-125. 1 4 Wladimir Korolenko an Anatoli Lunatscharski, 19. Juni 1920, in: Sowjetliteratur 42 (1990), 1 , S . 116. 15 Alexander Barmine, Einer der entkam, übers, von T. Fabian, Wien o. J. [1948], S. 405f.

ZUR GENEALOGIE DES SCHRECKENS

XI

III. Mit dem Verstand noch keiner Rußland umfing, Noch keiner hat es mit Ellen gemessen; Mit Rußland ist es ein sonderbar Ding: Es läßt sich nur mit dem Glauben ermessen! Fjodor Tjutschew

Wieso mißlang aber jener hochgestimmte Befreiungsschlag? Revolutionstheoretisch schien man doch auf der Höhe: Indem man der alten Gesellschaft ihre eigene Melodie, nämlich die der Lüge, Heuchelei und Gewalt vorspielt, bringt man, so versprach es jenes dialektische Programm, die Verhältnisse zum Tanzen. So schien es möglich, indem man selber tief in die Sünde hineinging, die Sünde an der Wurzel packen zu können. Es ging, wie Boris Pasternak gezeigt hat, zuallererst um »die um der Barmherzigkeit willen herausgearbeitete helfende Erbarmungslosigkeit [...] um als verkörperte Vergeltung für alles Geschehene über das Alte herzufallen [...] damit es keine Rückkehr zur Vergangenheit mehr geben konnte«.16 Und man wußte: bei dieser Erlösungsaufgabe ist es, wie der Dostojewski-Leser Georg Lukács zugestand, »unmöglich zu handeln, ohne Schuld auf sich zu laden, und das jene Erlöser zwischen zwei Arten, schuldig zu werden, zu wählen hätten«, wobei es aber auch ein Kriterium richtigen und falschen Handelns gäbe: »Dieser Maßstab heißt: Opfer. Und so, wie der einzelne [...] dann die richtige Wahl trifft, wenn er auf dem Altar der höheren Idee sein minderwertiges Ich opfert, besteht eine Kraft darin, dieses Opfer auch für das kollektive Handeln zu ermessen [,..].«17 Dies charakterisiert ganz unverstellt die moralphilosophische Aufbruchsmentalität, mit der die unterschiedlichsten Leute aus den verschiedensten Gegenden Alteuropas am Ende des Ersten Weltkrieges nach SowjetRußland strebten und sich daranmachten den Einen Großen Plan zu verwirklichen - die endgültige Befreiung der Menschheit in Gang zu setzen (nicht nur diese oder jene Freiheiten zu erkungeln oder zu erklügeln). Wie sollte das bewerkstelligt werden? Jene Visionäre wollten eines jedenfalls nicht, nämlich etwa in der Kontinuität herkömmlichen politischen (und moralischen) Wirkens bleiben (Parlamentarismus, Kompromisse, Gewaltenteilung, etc.). Es galt demgegenüber einen radikalen Bruch aller historischen Kontinuität zu organisieren und zu befestigen. Wie aber ginge das? — Ab jetzt, so das ungeschriebene Gesetz revolutionären Handelns, wird nicht mehr etwa bloß aufgeklärt, nicht mehr lediglich an das Gute als ein Sollen appelliert, sondern das Gute und das Vernünftige werden - gefaßt als geschichtlich entstandene Kultur und Zivilisation - ihrerseits zuallererst als Lüge identifiziert, d. h. entlarvt und so selber zur Disposition von Umkehrung gestellt. - Das ist auch viel später noch so begründet worden: »Da jedoch der freie und gerechte Tausch selber die Lüge ist, so steht was ihn verleugnet, zugleich auch für die Wahrheit ein: der Lüge der

Boris Pasternak, Doktor Schiwago, übers, von Th. Reschke, Frankfurt/M. 1992, S. 632. Georg Lukács, Taktik und Ethik, in: ders., Schriften zur Ideologie und Politik, hrsg. von P. Ludz, Neuwied - Berlin 1967, S. 10. 16

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XII

STEFFEN DIETZSCH

Warenwelt gegenüber wird noch die Lüge zum Korrektiv, die jene denunziert.«18 Somit hat der, der für den Kommunismus kämpft, nur eine einzige Tugend: daß er für den Kommunismus kämpft! Dies war - seit ihn Bertolt Brecht in Umlauf brachte - der Topos für die alltägliche moralische Selbstpreisgabe bzw. Selbsthingabe derer, die sich unter dem Banner der Aurora versammelten — für eine historische Morgenröte. Denn alle bisherige Menschengeschichte, da sie augenfällig eine Geschichte von Gewalt, Niedertracht, Verrat und Totschlag ist — »Quälen und töten, töten und quälen, und ich lese es auf tausend Arten immer wieder, immer dasselbe«19 - bedurfte offensichtlich dringend einer solchen Morgenröte. Das, was noch nie guter Wille oder entschlossene Idee zustande gebracht hatten, weder mit Gottesfurcht oder aus Rechtsbegriffen, nämlich daß Menschen freundlich, frei und satt werden könnten auf Erden, das verkündete und begründete jetzt der Kommunismus. Der versprach — durch Marx — zweierlei: zunächst jede praktische Angelegenheit künftig an der Wurzel packen, also radikal zu sein und also dann »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«.20 Es galt also die Macht zu erringen, um genau das zu tun: alles umzustürzen, d. h. abzuschaffen, was offensichtlich den Menschen von seinesgleichen entfremdet (und was diese Entfremdung ideell verklärt), allem voran die Eigentums- und Geldverhältnisse, das damit überkommene Recht, Handel, Administration, Parlamentarismus, natürlich die Kultur dieses >Altenrohen< — Kommunismus verbindet, ist wohl begründet mit der Ahnung, daß dessen pathogenen Passionen nicht bloß üble und übliche Begleitumstände bei der Geburt von etwas >Neuem< sein werden, gleichermaßen fruchtbares wie furchtbares Chaos. Sondern daß — möglicherweise — dessen Konstruktionsidee, die Idee des Kommunismus selber von allem Anfang an falsch sein könnte, als »perhaps the most violent social experiment which has ever been car-

Maurice Merleau-Ponty, Humanismus und Terror, Frankfurt/M. 1990, S. 66. Courtois, Das Schwarzbuch, a. a. O., S. 823. 60 Leo D. Trotzki an Nikolai S. Tscheidse, 1. April 1913, Erstdruck in: Der Kämpfer (Chemnitz), 13. Januar 1925. 61 Immanuel Kant, Reflexionen zur Anthropologie, in: ders., Akademie-Ausgabe, Bd. 15.2, S. 773. 58 59

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ried out«.62 Und daß womöglich solche gigantischen Exterminierungen bzw. — mit Verlaub - Reinigungen im >Inneren< der zu befreienden Masse als Verkehrsform der kommunistischen Lösung der sozialen Frage zu begreifen wären, nämlich als die immerwährende, alltägliche Negation aller je gewachsener Lebensformen, ohne die es eben niemals auch nur kurzfristig gelingen könnte, das (marktunfahige) Gemeineigentum als neue Quelle kollektiver Existenz vorzuschreiben. Mit dem Vordringen des Kommunismus sind dann global genau solche Erfahrungen mit der Tschistka gemacht worden, egal wohin diverse Rote-ArmeeFraktionen auf ihren >Leuchtenden Pfaden< auch gelangen mögen. Es wäre der Terror des zumal >Zweiten Bolschewismus< also eine neuartige, bald ständige Erfahrung des Scheiterns der alten Idee des Politischen als der Kunst des Möglichen und des Scheiterns des modernen Projekts von >Gesellschaft< als einer formal - rechtlich verfaßten Assoziation von austauschenden Individuen zu begreifen. Wenn es denn überhaupt nur ein Scheitern war, und es nicht vielmehr eben in der planerischen, aufbauenden Absicht lag, genau jenes kulturell >Ganz Andere< mit ganz anderen Mitteln zu realisieren. Die Beherrscher eines Sechstels der Erde, wie sie selbst ihr Land, die Sowjetunion, nannten, befanden sich doch in der Praxis auf neuen, noch nie gegangenen historischen Wegen, und da wäre es ihnen doch lächerlich vorgekommen, hätten sie sich ans Gängelband >alter Texte< und deren >Reichweite< binden lassen. An die Stelle des Politischen (als provisorisch machbarem Gegenwärtigen) jedenfalls tritt die Engführung des Blicks aufs allein Künftige (weit über das Morgen hinaus). Das Utopische substituiert das Politische und die neue kommunistische Gemeinschaft wird der alten bürgerlichen Gesellschaft gegenüber als >lebendigere< Lebensform suggeriert. Dies allerdings ist ein übergreifendes Motiv aller radikalen, erlösenden Kapitalismus-Kritik. Jene >soteriologischen< Zivilisationskritiker monieren auch heute gelegentlich die vermeinte Begriffsverwirrung bei den Kritikern des Kommunismus. Bei denen gingen Kommunismus, Marxsche Theorie, Marxismus-Leninismus, Bolschewismus absichtsvoll durcheinander bzw. würden als Synonyma behandelt. Man solle aber doch gefalligst das Theorie-Programm von der Praxis (namentlicher Täter — vielfach georgischer Observanz) deutlich abheben. Ein Begehren allerdings, daß den schon ursprünglichen Anspruch der MarxEngels-Theorie aber deutlich zu reduzieren geeignet ist. Denn: Im Selbstverständnis der originär Marxschen Theorie will sich diese Theorie, gerade anders als jede andere Theorieform vorher, immer mit der revolutionären Praxis - gefaßt als eingreifendes Denken — verkoppelt wissen. Diese Theorie kann demzufolge auch rechtens als Bedingung und Konsequenz des umstürzenden Handelns geprüft werden. Als in einer Diskussion im Berliner Auswärtigen Amt am 16. November 1918 Harry Graf Kessler aus gegebenem Anlaß einmal einer allzu verständnislosen Kritik am Bolschewismus - er sei ohne jede »Idee und Bedeutung« - , entgegentrat, da wollte er »dessen Zertrümmerungstheorie im Gegenteil auf eine Grundanschauung von Karl Marx und eine Tendenz der ganzen moder-

62 Vittorio Hösle, Can we learn from Soviet History?, in: Religion, State and Society 21 (1993), 3/4, S. 363.

ZUR GENEALOGIE DES SCHRECKENS

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nen intellektuellen Welt zurückfuhren«.63 Kurz: Es ist diese revolutionierende Theorie also doch wohl auch in irgendeiner Weise für die dann revolutionierte Praxis zuständig und namhaft zu machen; das wollte sie immer auch selber, wenn es um ihre >Erfolge< ging, sollte nun aber auch hinsichtlich ihrer >Verfehlungen< gelten dürfen. Ganz so wie der Dimitri Lichatschow noch unlängst in seinen Erinnerungen vermutete, »daß die Organisation der Lager jedoch eine direkte Folge des aggressiven ideologischen Schemas des Marxismus sei (oder dessen, was für Marxismus gehalten wurde)«.64 Die ursprüngliche Marx-Engels-Theorie und ihre Weiterentwicklungen (in verschiedene Staats-, Partei- oder Ökonomietheorien) sind doch nicht zu verstehen als gewissermaßen platonischer Ideenbestand, der, was immer auch >unten< in der Wirklichkeit passiert, als Idee rein bleibt. Es verbieten sich deshalb natürlich auch alle (vor allem nach 1990 politisch motivierten) Nahrückungen der Marx-Engels-Theorie an — man rieb sich ungläubig die Augen - religiöse Texte wie die Bergpredigt, die auch nicht durch die blutige Kirchen- und Religionsgeschichte zu blamieren seien. In allen transzendenzlosen Erlösungslehren entsteht allerdings ein sozusagen Meßproblem, wenn die Aufhebung aller Entfremdung, also das Heil als irdische, zeitliche Aufgabe (d. i. als Revolution) und nicht als unendliche Aufgabe (im Glauben) definiert wird. Der Abstand zwischen Programm und Lebenswelt - theologisch die ΡarusieVerzögerung — bleibt das Hauptproblem der Umstürzler. Anfangs wird die Differenz historisch erklärt, dann werden kontinuierlich Annäherungen imaginiert, dann werden gelegentlich Verschwörungen zur Aufrechterhaltung der Differenz aufgedeckt, dann werden jene Verschwörer exekutiert und schließlich werden die Verschwörungen perpetuiert - in der Sprache des Stalinismus: Je näher der Kommunismus kommt, um so mehr verschärft sich der Klassenkampf. Die ganz unterschiedlichen Sozialrevolutionäre unseres Jahrhunderts verbindet geistig und praktisch untereinander nur wenig, aber sie sind alle doch Kommunisten in dem einzigen Sinne, daß sie nämlich die sogenannte sociale Frage radikal zu lösen gedenken unter der Bedingung der Aufhebung des Privateigentums zugunsten des Gemeineigentums. Dies aber ist die kommunistische Option beim Lösen der sozialen Frage. Das setzte allerdings, wenn es überhaupt je funktionieren sollte, eine weltrevolutionäre Idee und Praxis voraus. Denn: »Der Kapitalismus hat die Völker zu einem einzigen mächtigen Wirtschaftsorganismus zusammengeschweißt [...,] so daß die Völker gezwungen sind, an dieser Kette zu rütteln.«65 Aber: Den Aufbau des Sozialismus/Kommunismus betreiben zu wollen unter der (wenn auch erzwungenen) Hinnahme des Weiterwirkens eines immer moderneren weltmarktwirtschaftlichen Austausches im >Rest< der Welt, also die Idee des Sozialismus in einem Lande (Stalin), also einen National-Socialismus (so Trotzki über Stalin!) aufzubauen, war unter den historischen Konstellationen nach dem Ersten Weltkrieg - tragischerweise - genauso (theoretisch) absurd wie (praktisch) unausweichlich. »Die Revolution der Bolschewiken ist mehr durch Ideologien als

63 Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918-1937 [Eintrag vom 4. Februar 1919], hrsg. von W. Pfeiffer-Belli, Frankfurt/M. 1982, S. 119. 64 Lichatschow, Hunger und Terror, a. a. O., S. 148. 65 Leo Trotzki, Auf dem Wachtposten der Weltrevolution [Vortiag vom 18. November 1918 in Woronesch], in: ders., Die Geburt der Roten Armee, Wien 1924, S. 191f.

XXIV

STEFFEN DIETZSCH

durch Fakten entstanden. [...] Sie ist eine Revolution gegen das Kapital von Karl Marx. Das Kapital von Marx war in Rußland ein Buch des Bourgeois, weniger ein Buch der Proletarier. Es war die kritische Demonstration der schicksalhaften Notwendigkeit, daß in Rußland [...] eine kapitalistische Ära beginnen, eine Zivilisation westlichen Typus entstehen würde.« 66 Wie dagegen jetzt in Rußland die kommunistische Lösung der sozialen (und nationalen!) Frage in Angriff genommen wurde, das gehört zum Wandlungs- und Entstehungsprozeß des realen Kommunismus und ist nicht etwa bloß eine mentale (oder kriminelle) Schwäche seiner Exekutoren. Daß man hier etwas — aus Menschenliebe! — unternahm, und zwar von vornherein (d. h. vom originären Marx her gedacht!) ohne Hoffnung auf Erfolg, das gehört zur Tragik jener Weltverbesserer und erklärt ein wenig ihre schreckliche Rat- und Erfolglosigkeit. Lenin hat etwas davon geahnt, erinnert sei an seine ständigen nutzlosen Warnungen vor der Sowjetbürokratie. »Es ist unzweifelhaft«, so Lenin vom Podium eines Komintern-Kongresses herab, »daß wir eine enorme Anzahl von Dummheiten gemacht haben und noch machen werden. Niemand kann das besser beurteilen und anschaulicher sehen als ich (Heiterkeit ρ — als Protokollvermerk]). Warum haben wir diese Dummheiten gemacht? [...] 1. sind wir ein rückständiges Land; 2. ist die Bildung minimal, und 3. sind wir ohne Hilfe. Kein zivilisierter Staat hilft uns; im Gegenteil, sie arbeiten alle gegen uns; 4. infolge unseres Staatsapparates.«67 Und schließlich sein letzter öffentlicher Auftritt (vor dem Sowjetkongreß, am 19. November 1922) überhaupt erschöpfte sich in einem irren Lachen. 68 Die Notwendigkeit, die nun für die Menschen neu anbrechende Leidenswelt des alltäglichen ökonomischen und kulturellen Scheiterns der Befreiung durch eine alltägliche Lügenwelt zu überdecken, gehört seither zur Alltagsarbeit jedes sich sozial alternativ zum Kapitalismus verstehenden Lebensversuchs, vom Kriegszum Eurokommunismus (von Nordkorea ganz zu schweigen). Kommunismus als übergreifenden Begriff für so unterschiedliche (und sich auch politisch bekämpfende) politische Strömungen wie Bolschewismus, Pol-Potismus, Maoismus, Titoismus, >Resozismus< oder >Juchealten Adame< wehren werden, genuin mit Taten verbunden, die wir herkömmlich als Verbrechen gegen Sachen, Leib und Leben bezeichnen dürfen. Die Klage (und das Leiden) angesichts der jüngsten Hinweise auf die - unfaßbaren - Verbrechen des Kommunismus ist bei den Gebildeten unter seinen Anhängern natürlich emotional verständlich. Wird man uns, befürchten sie, die wir gerade auch heute angesichts einer schreiend ungerechten Welt radikale soziale Alternativen ermöglichen wollen, mit Hinweis auf Verbrechen jener blutigen Befreier von einst nun auch Verbrecher nennen dürfen? Das wird zumal im politischen Gerangel umständehalber gewiß geschehen, wäre aber doch praktisch folge- und belanglos. Es gibt im übrigen, und das müssen jene ertragen lernen, mindestens seit der Französischen Revolution, kein Recht auf Revolution, nur durch einigermaßen sichtbar zivilisierte (Rechts-)Folgen ist sie, wenn überhaupt, praktisch-geistig zu rechtfertigen. Nun sollte allerdings das bis heute verbreitete vegetative Wachhalten des Programms jener sogenannten sozialen >Befreiung< gar nicht, gewissermaßen nebenbei, zum kognitiven Abusus beim Erinnern an jene gigantischen Bluttaten des >Befreiens< führen. Und es sollte auch nicht — wie es allerdings Stéphane Courtois seit der Veröffentlichung des »Schwarzbuches« gerade in Deutschland erfahren muß — zur intellektuellen Diskreditierung derer führen, die sich der deprimierenden Erinnerungsarbeit stellen. Gänzlich >schief< wäre schließlich jede >eindämmendehistorisierende< Argumentation seitens der Freunde des Verewigten (Kommunismus), das ganze Unternehmen der Kommunismuskritik mit einem Hinweis auf die weltweiten Toten des kolonialen, imperialen und globalen Kapitalismus überhaupt in Frage stellen zu wollen. Das viele nun auf jene Verbrechen verweisen werden, ist eben leider kein entlastender Hinweis für den Kommunismus. Denn der Kommunismus wollte doch nicht etwa bloß die zweitschlechteste, >zweitblutigste< Menschenordnung sein, sondern eben alle menschengemachte Menschenfeindlichkeit von ehedem gerade überwinden. Was dort zur Kapitallogik und zur Profitmacherei gehören mag, könnte hier doch nur zynisch in Anschlag gebracht werden (Wo gehobelt wird fallen Späne). Die Marktwirtschaften — Wenn jeder für sich gut sorgt, ist schon gut fur alle gesorgt - wollten im übrigen auch nie die soziale Ungerechtigkeit beseitigen, sondern höchstens mildern. Gerade mit diesen >halben Sachen< aber konnten sich Kommunisten aller Länder nie abfinden. Lieber war man doch Totengräber der alten Ordnung, als >Arzt am Krankenbett des Kapitalismus^ Die Anklage gegen den Kommunismus ist also spezifischerweise wegen seiner kulturellen Differenz zu anderen Emanzipationsbewegungen und schon wegen seiner >Binnendifferenz< von Programmatik und Praxis so dringlich, zutreffend und notwendig. - Die gute Absicht für sich sei dieser sozialen Bewegung allemal geschenkt.

XXVI

STEFFEN DIETZSCH

Was aber bleibt übrig? Wohl nur die praktische massenhafte Erfahrung einer grauenvolle anthropologischen Bilanz auch jener Großen Revolution. So daß, in den Worten Immanuel Kants, »ein wohldenkender Mensch sie, wenn er sie zum zweitenmal unternehmend glücklich auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten zu machen nie beschließen würde«, denn: wollen wir etwa noch einmal, wie noch Immanuel Kant von der Französischen Revolution vielleicht vermutet konnte, wieder auf eine »moralische Anlage im Menschengeschlecht«69 abheben? Kurz: »Perhaps it will even turn out that the crisis of Marxism is only the first expression of a deeper crisis of modernity which will persist into the next century.«70 - Also bleibt vielleicht veränderungsethisch überhaupt nicht viel mehr als die Einsicht übrig, die Don Carlos dem Marquis Posa zumutet?: »O, der Einfall War kindisch, aber göttlich schön. Vorbei Sind diese Träume.«71

Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten, hrsg. von St. Dietzsch, Leipzig 1992, S. 84. Vittorio Hösle, Can we learn from Soviet History?, a. a. O., S. 365. 71 Friedrich Schiller, Don Carlos. Ein dramatisches Gedicht, Ester Akt, 2. Auftritt, in: ders., Säkular-Ausgabe, Bd. 4, Stuttgart - Berlin 1905, S. 12. 69

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Vorbemerkung Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 sind in Rußland keine archivgestützten Quelleneditionen erschienen, die über die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der drei Moskauer Schauprozesse gegen das »trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum« vom 19. bis 24. August 1936,1 das »sowjetfeindliche trotzkistische Zentrum« vom 23. bis 30. Januar 19372 oder den »antisowjetischen Block der Rechten und Trotzkisten« vom 2. bis 13. März 19383 in der UdSSR Aufschluß geben. Die Archive, in denen die diesbezüglichen Dokumente aufbewahrt werden, es handelt sich um das Archiv des Präsidenten der Russischen Föderation (AP RF) und das Zentrale Archiv des Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation (ZA des FSB), sind für ausländische und russische Forscher nicht zugänglich bzw. weitgehend gesperrt. Aus dem ZA des FSB werden Aktenbestände der Moskauer Gebietsverwaltung des NKVD4 sowie Befehle des NKVD5 an das Staatsarchiv der RF (GA RF) abgegeben, aus dem AP RF gelangen einzelne Bestände aus dem Stalin-Fonds in das Russische Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte (RGASPI)6. Die vielzitierte Öffnung der staatlichen Archive, die die Forschung in anderen Bereichen (ζ. B. auf dem Gebiet der Exilforschung und — kurzzeitig auch — der Komintern) überhaupt erst ermöglicht hat, fand mit Blick auf die Behördenarchive, in denen das die Moskauer Schauprozesse betreffende Material aufbewahrt wird, nicht statt. Einige Veröffentlichungen in der layesüja CK KPSS von 1989 bis 1991, darunter die Arbeitsberichte der im September 1987 zunächst unter Leitung von Michail Solomencev ins Leben gerufenen, seit 1988 von Aleksandr Jakovlev geleiteten Kommission des Politbüros des ZK der KPdSU zur weiteren Untersuchung der Materialien, die mit den Repressalien in den 30er, 40er und Anfang der 50er Jahre zusammenhängen, markieren sowohl den Anfang als auch das vorläufige Ende der Hinwendung zu diesem Thema.7 Da die Zeitschrift l^yestija CK KPSS im August 1991 ihr Erscheinen einstellte, wurde das von der Kommission angekündigte und mit Spannung erwartete Folgematerial nicht mehr publiziert. Die herrschende Staatspartei, die an der Untersuchung des Terrors gegen die Mitglieder der KPdSU(B) und die Eliten interessiert war, trat mit dem Zerfall der UdSSR von der politischen Bühne ab. In der Zeitschrift Istolnik, die seit 1993 erscheint, in der regelmäßig Material aus dem

Prozeßbericht 1936. Prozeßbericht 1937. 3 Prozeßbericht 1938. 4 Auf diesem Material basieren die bisher veröffentlichten 6 Bände der Erschießungslisten von Butovo (Butovskij poligon, Vyp. 1-6), der Band Martirolog 1997 und die Liste der in Kommunarka Erschossenen (Rasstrel'nye 2000). 5 Prikazy 1999. 6 Sie bilden den Grundstock des Bestandes 558 des RGASPI. Kratkij 1993, S. 192; Putevoditel' 1996, S. 233-239. 7 ICKKPSS 1989, 5; ICKKPSS 1989, 8, S. 78-94; ICKKPSS, 1989, 9. 1

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AP RF publiziert wird, ist das Thema »Moskauer Schauprozesse 1936 bis 1938« nicht mehr präsent.8 Die von Aleksandr Jakovlev geleitete Kommission existierte zunächst unter neuem Namen (die in der UdSSR ausgesparten Repressalien der 20er Jahren wurden als Arbeitsgebiet mit einbezogen), dann als Stiftung »Demokratie« weiter. In Anbetracht dieser Situation scheint es, daß Maurice Merleau-Ponty mit seiner 1947 formulierten Polemik gegen Arthur Koestler recht behalten hat: Die Schauprozesse, schrieb er in Humanismus und Terror. Versuch über das Problem des Kommunismus, sind nur unter Revolutionären verständlich, das heißt unter Menschen, die überzeugt sind, Geschichte zu machen. Dieser Lesart folgend erscheint Michail Gorbacev als einer der letzten Revolutionäre, der seit seinem Amtsantritt 1985 versucht hatte, Nikolaj Bucharin, den nach Lev Trockijs Ausweisung aus der UdSSR wichtigsten politischen Gegenspieler Stalins, zu verstehen und zu beerben. Der im Juni 1985 veröffentlichte henin-Sammeiband9 steht für den Anfang dieser Suche und Gorbacevs Rede auf der Festsitzung aus Anlaß des 70. Jahrestages der Oktoberrevolution10 markiert eine wichtige Zäsur in der Bewertung Bucharins als Theoretiker. In der eigenen Partei stieß Gorbacevs zunehmendes Interesse an Bucharin auf offenen Widerstand und Kritik. Der im Westen als »Bucharinist« bezeichnete Gorbacev scheiterte — wie sein Vorbild — bei dem Versuch, die Kommunistische Partei seines Landes von der Führung her reformieren zu wollen. Gorbacev sah sich dem Vorwurf des Revisionismus ausgesetzt. Angriffe dieser Art finden sich in Publikationen von Autoren, die sich dem orthodoxen kommunistischen Lager verbunden fühlten und fühlen.11 Die Geschichte der für Dezember 1987 geplanten, zwei Monate verschleppten und dann Anfang Februar 1988 endlich erfolgten juristischen Rehabilitierung von Nikolaj Bucharin beleuchtet schlaglichtartig die unterschiedliche Interessenlage der politischen Akteure in der UdSSR im Jahr des 100. Geburtstages und des 50. Todestages von Bucharin. Während in Westeuropa im März 1988 der Ermordung Bucharins fünfzig Jahren zuvor gedacht wurde, schafften es die für die Geschichte der KPdSU zuständigen Historiker aus dem Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der KPdSU mit Müh' und Not, bis Oktober 1988 einen Sammelband mit Bucharins Schriften zu seinem 100. Geburtstag herauszugeben. Wie stabil die alten Vorurteile, wie fest verankert im Bewußtsein die Klischees — auch nach der im Juni 1988 erfolgten politischen Rehabilitierung von Bucharin waren - spiegelte sich in der damals vorgelegten Auswahl12 aus Bucharins bis 1929 entstandenem Werk wider. Die Sammlung ausgewählter Reden und Schriften endete mit dem Jahr der Verdrängung Bucharins aus dem politischen Leben des Landes. Was Bucharin in den Jahren seines Falls bis zu seiner Verurteilung im Moskauer Schauprozeß von 1938 noch zu leisten vermochte, wurde ver-

8 Otkrytyj 1997; Kozlov 1996. 9 Leninskij sbornik 1985. Dieser im August 1984 gesetzte und im Juni 1985 für den Druck freigegebene Band enthält u. a. Lenins Randbemerkungen zu Bucharins Ökonomik der Trantformaüonsperiode. 10 Gorbatschow 1987. 11 Emel'janov 1989; Zvezda 1994; Gossweiler 1997; Wauer/Falkenhagen 2001. 12 Bucharin 1988.

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schwiegen, blieb zunächst unausgesprochen und dem faulen Kompromiß geopfert.13 Was dem »Liebling der Partei« nach seiner Verhaftung in den Folterkellern der Lubjanka angetan wurde, lag in den Archiven begraben. Das trifft auch auf sein Frühwerk zu. Bucharin wurde als Torso beerbt. 1988 ging im Jubel über den errungenen Erfolg die Erinnerung an die peinliche Inszenierung der Rehabilitierung unter. Merleau-Ponty schlug in der erwähnten Polemik eine anders gewichtete Debatte vor: »Unser Vorsatz war nicht, die Prozesse [...] noch einmal aufzurollen, sondern der Bucharin zu verstehen, so wie Koesder [im Roman Sonnenfinsternis,u der unter dem Eindruck der Schauprozesse geschrieben und 1940 abgeschlossen wurde - W. H.] versucht, Rubaschow zu verstehen. Denn der Fall Bucharin wirft ein helles Licht auf die Theorie und Praxis der Gewalt im Kommunismus, weil Bucharin sie auf sich selbst anwendet und seine eigene Verurteilung motiviert. [...] Koesders Erklärung schien uns unzureichend. [...] Die >Verteidigung< Bucharins bei den Prozessen reicht sehr viel weiter als diese Alternative von Moral und Disziplin."15 In diesem Sinne bleibt eine Analyse der Vorgeschichte, Durchführung und Nachwirkung der Moskauer Prozesse aktuell. »Und hier beginnt die Diskussion*, läßt sich mit Merleau-Ponty formulieren: »Sie besteht nicht darin zu untersuchen, ob der Kommunismus die Spielregeln des liberalen Denkens einhält (zu offensichtlich ist, daß er es nicht tut), sondern ob die Gewalt, die er ausübt, revolutionär ist und fähig, zwischen den Menschen menschliche Beziehungen herzustellen.«16 Bis auf den heutigen Tag ist es nur bedingt möglich, die Abfolge der Verhaftungen der in den drei Moskauer Prozessen 1936 bis 1938 angeklagten 54 Personen, ihre Biographien, den Verlauf der Untersuchungshaft sowie die tatsächliche Prozeßführung zu rekonstruieren. Auch ist die genaue Zahl der nach dem Muster der Moskauer Prozesse in der Provinz durchgeführten Folgeprozesse immer noch nicht bekannt. Die in der Chronik aufgelisteten Beispiele sind mit der Spitze des Eisbergs vergleichbar. Es ist nur in einigen Fällen möglich, die Querverbindungen zu dem Prozeß gegen die »Verschwörung in der Führung der Roten Armee« vom Sommer 193717 und dem vorbereiteten, aber nicht mehr durchgeführten vierten Moskauer Schauprozeß gegen die »Verschwörung in der Komintern«18 zu untersuchen. Hier ist die Quellenlage ausgesprochen dürftig. Solange die im Gesetz über die Rehabilitierung verankerte Offenlegung der Täterakten19 als immanenter Bestandteil der Rehabilitierung der Opfer politischer Repressalien an der (juristisch

13 Zwischen 1988 und 1997 erschienen folgende (im Literaturverzeichnis dieses Bandes bibliographierte) Sammlungen ausgewählter Reden und Schriften von Nikolaij Bucharin: Bucharin 1988a, Bucharin 1988b, Bucharin 1989, Bucharin 1989a, Bucharin 1990, Bucharin 1990a, Bucharin 1990b und Bucharin 1996a. ^ Koesder 1999. 15 Merleau-Ponty 1990, S. 9. 16 Merleau-Ponty 1990, S. 11. " Délo 1989. 1 β Müller 1995. 19 Sbornik 1993, S. 194-205.

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ebenfalls abgesicherten) Weigerung des Geheimdienstes, operative Akten zu deklassifizieren scheitert, wird sich die Sachlage nicht ändern. Mit einer Dokumentation der seit März 1953 vorgenommenen Rehabilitierungen von Opfern politischer Repressalien in der UdSSR ist im Jahr 2000 begonnen worden.20 Bisher liegt nur der erste Band vor, der unter anderem die Vorbereitung der Rede von N. S. Chruscev auf dem XX. Parteitag der KPdSU zum Inhalt hat. Allein die im Stenogramm des dritten Moskauer Schauprozesses von 1938 auszugsweise zitierten Verhöre, Gegenüberstellungen und Zeugenaussagen füllen 55 Bände Untersuchungsakten. Diese enthalten die von den Angeklagten während der Untersuchungshaft verfaßten Ausarbeitungen in Vorbereitung auf den Prozeß, ihre Briefe, Eingaben und Gnadengesuche. Die mehrmals umgeschriebenen, redigierten und schließlich für die Veröffentlichung freigegebenen und in dreizehn Sprachen21 übersetzten Pro^eßberichte — bis auf den heutigen Tag sind drei Bearbeitungsstufen bekannt — spiegeln nicht den tatsächlichen Verlauf der Verhandlungen vor dem Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes der UdSSR wider. Das Original des Stenogramms des Schauprozesses 1938 mit den Randbemerkungen von Ul'rich und Stalin befindet sich im AP RF, im ZA des FSB wird nur das bereits redigierte Manuskript der ersten Fassung des Stenogramms aufbewahrt. Die auf Stalins Anordnung erfolgten Filmaufnahmen des Prozesses sollen verschwunden sein. Auch Fotos aus dem Gerichtssaal existieren angeblich nicht mehr. Vom 1936 inszenierten Prozeß liegt nicht einmal ein »vollständiges« Stenogramm vor. In Dokumenten-Editionen, Erinnerungen und Memoiren22 sowie in den in Rußland verbreiteten dokumental'nye povesti (Dokumentarerzählungen), in der Tagespresse und in Fachzeitschriften veröffentlichten Artikeln finden sich einige Hinweise auf interessantes und thematisch relevantes Material aus Partei-, NKVD- und Privatarchiven. In der Regel handelt es sich um Nachdrucke23 oder um Auszüge 24 aus im Zuge der Rehabilitierung von Opfern des Stalinschen Terrors freigegebenen Straf- und Personalakten, um Lageberichte des NKVD und die umfangreiche Korrespondenz der Gefolgsleute von Stalin.25 Darüber hinaus gibt es einige wenige Publikationen und Dokumenten-Editionen, die das Leben und das Schicksal der in den Terrorjahren agierenden Volkskommissare des Inneren der UdSSR Genrich Jagoda 26 und Nikolaj Ezov27 beleuchten. Sie sind im Unterschied zu den Abhandlungen über Lavrentij Berija28 in verschwindend geringer Auflage in Provinzverlagen erschienen. Im Zentralen Archiv des FSB werden außerdem die nicht füir die Forschung freigegebenen Untersuchungsakten sowie die im Inneren Gefängnis der Hauptver-

Reabilitacija 2000a. Faschismus 1938. 22 Sto 1991; Cuev 1992; Mikojan 1999; Kaganovic 1996. 23 Asnin/Alpatov 1994; Rokitjanskij/Müüer 1996; Rokitjanskij 1999. Hedeler 2000; Koljazin 1997a. 25 Pis'ma 1995; Stalin 2001. 2|s Jagoda 1997. 2 7 Brjuchanov 1998; Poljanskij 2001. 28 Antonov-Ovseenko 1993; Berija 1994; Alekseeva 1996. 20 21

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waltung Staatssicherheit des NKVD für jeden Häftling angelegten Gefängnisakten aufbewahrt. Das trifft ebenso auf die Akten der Untersuchungsführer zu. Auszüge dieser Dokumente finden sich in den Auskunftsberichten der Staatsanwaltschaft und des KGB für die vom Politbüro des ZK der KPdSU eingesetzten Rehabilitierungskommissionen. Darunter sind sowohl Aussagen der Gefängnisaufseher, Untersuchungsführer und Folterer über die »Vorbereitung« der Gefangenen auf den Prozeß als auch die Spitzelberichte, auf Grund derer das Verfahren gegen die in den Schauprozessen 1937 und 1938 nicht zum Tode verurteilten 7 Angeklagten erneut — nur diesmal unter Ausschluß der Öffentlichkeit — aufgerollt wurde. Obwohl der Prozeßverlauf vollständig dokumentiert ist, ist es heute in Anbetracht des nicht zugänglichen Materials der Voruntersuchung nur bedingt möglich, die Aufeinanderfolge der Verhaftungswellen der Angeklagten und der Zeugen,29 das Ineinandergreifen der die Vorbereitung, die Durchführung und die Auswertving des Prozesses begleitenden Propagandakampagnen, die auf höchster Ebene abgestimmte Fabrikation der Prozeßmaterialien und die für Folgeprozesse in der Provinz relevante Signalfunktion der Moskauer Prozesse in allen Details zu rekonstruieren. Das trifft auch auf die Verfolgung der Familienangehörigen der Angeklagten30 zu. Stalins diesbezügliche, von Georgi Dimitroff im Tagebuch notierte Weisung war mehr als deutlich: »Und wir werden jeden dieser Feinde vernichten, sei er auch ein alter Bolschewik, wir werden seine Sippe, seine Familie komplett vernichten. Jeden, der mit seinen Taten und in Gedanken einen Anschlag auf die Einheit des sozialistischen Staates unternimmt, werden wir erbarmungslos vernichten. Auf die Vernichtung aller Feinde, ihrer selbst, ihrer Sippe bis zum Ende!«31 In einigen Fällen besteht die Möglichkeit, die Entstehung und Überarbeitung des im Führungszirkel der Partei erdachten, in den Gefangnissen und Folterkammern des NKVD einstudierten und mit Hilfe der Staatsanwaltschaft umgesetzten Drehbuchs aus der Innensicht der agierenden Machthaber, ihrer Gefolgsleute sowie der Opfer zu untersuchen. Hinzu kommt die überlieferte Außenwahrnehmung prominenter ausländischer Prozeßbeobachter, ins Ausland abgeschobener Oppositioneller sowie Militärs und Diplomaten, die in Anbetracht der ihnen in der UdSSR drohenden Verhaftung nicht dem Rückruf in die Sowjetunion Folge leisteten. Die Chronik basiert auf der Auswertung ausgewählter Dokumente aus den im RGASPI aufbewahrten Nachlässen von Bucharin, Ezov, Kamenev, Stalin und Zinov'ev, einigen Bucharin betreffenden Materialien aus dem Bestand »Moskauer Schauprozeß 1938« im ZA FSB und auf der Auswertung der seit 1989 in der UdSSR, in den Nachfolgestaaten der GUS bzw. in Rußland veröffentlichten Fachliteratur. Damit spiegelt die Chronik zwangsläufig auch die wechselvolle Öffnung der Archive und die sich ändernden Forschungsstrategien in Rußland wider. Auf die in der UdSSR Ende der 80er Jahre gegen den Widerstand aus den Reihen der KPdSU halbherzig begonnene und immer wieder abgebrochene Untersuchung

Hedeler/Watlin 2000. » Hedeler 1998a. 31 Dimitroff 2000, Eintrag vom 7. November 1937. 29

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des Terrors gegen die Eliten der Partei- und Staatsführung Schloß sich im neuen Rußland die Untersuchung der Zwangskollektivierung32, der Repressalien gegen die Vertreter der orthodoxen Kirche, der Deportation von Völkern und Volksgruppen33 und schließlich die Untersuchung der sogenannten nationalen Operationen des NKVD 34 an. Das Schwergewicht verlagerte sich von der genaugenommen nie richtig in Angriff genommenen Untersuchung des Terrors gegen die Eliten auf die Dokumentation des staatlich gelenkten Terrors gegen die Bevölkerung. In der hier vorliegenden Chronik werden diese ihrem Charakter und ihrer Anlage nach unterschiedlichen Angaben über Personen und Ereignisse, die den oben genannten Editionen und Archivdokumenten entnommen sind, zusammengeführt. Zur Erschließung der Bandbreite der in der Chronik ausgewerteten, ihrem Charakter nach höchst unterschiedlichen Quellen dienen die zahlreichen Register und der umfangreiche Anmerkungsapparat, der zur Handhabbarkeit der Chronik beitragen soll. Neben dem kommentierten Personenverzeichnis, das sich auf die neuesten in Rußland vorgelegten, in Details jedoch immer noch widersprüchlichen Nachschlagewerke35 stützt, werden die für den Terror zuständigen Strukturen der Partei,36 des NKVD37 und der Justiz,38 einschließlich der in diesen Bereichen agierenden Akteure vorgestellt. Nach Möglichkeit wurden in Tagebüchern überlieferte Alltagsschilderungen einbezogen. Zu den bereits vollständig erschlossen, aber erst für die Nachkriegszeit kommentierten oder in Auszügen edierten Archivbeständen gehören die sogenannten Sondermappen39 des Politbüros des ZK der KPdSU(B), in denen Beschlüsse und Entscheidungen Stalins und seiner Gefolgsleute festgehalten wurden, die Tagesordnungen der Politbürositzungen des ZK der KPdSU(B) von 1919 bis 1952 das von Stalins Sekretären geführte Buch der von Stalin in seinem Kreml-Kabinett empfangenen Besucher, die Stenogramme der Plenartagungen des Politbüros und der Zentralen Parteikontrollkommission der KPdSU(B) vom Dezember 1936,40 Februar-März 193741 und Juli 1937. Bis zur Veröffentlichung des in der Chronik ausführlich annotierten Stenogramms des Februar-März-Plenums 1937 konnten die Szenarien der Moskauer Schauprozesse weitgehend nur vom Erscheinungsbild her, über ihre Instrumentalisierung, erschlossen werden. Fred E. Schräders Publikation über den Schauprozeß 1936 ist ein Beispiel für diese Sichtweise.42 Die von Lev Trockij im Exil

Sovetskaja 2000; Tragedija 2002. Reabilitacija 2000. 34 Auswahlbibliographie in: Binner 2001; Hedeler 2002. 35 Cernev 1996; Zalesskij 2000; Ivkin 1999; Istoriceskij archiv 1998,4. 36 Politbjuro 2001. 37 Lubjanka 1997; Petrov 1999. m Waksberg 1991. » Berija 1996; Chruscev 1995; Molotov 1994; Stalin 1994. 40 In: ICKKPSS 1989,1. 41 Materialy fevral'sko-martovskogo plenuma CK VKP(b) 1937 [Materialien des FebruarMärz-Plenums des ZK der KPdSU(B) 1937], in: Voprosy istorii 1992, 2-12; 1993, 2, 5 10; 1994, 2, 6, 8, 10, 12; 1 9 9 5 , 1 - 8 , 1 0 . « Schräder 1995. 32

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und Nikolaj Bucharin im »Letzten Wort« getroffene Feststellung, daß sich alle Prozesse letzten Endes gegen Stalins Hauptfeind richteten,43 hält dieses Erscheinungsbild fest, erklärt jedoch nicht das Wesen des Terrors, der zunehmend zu einem Element der Wirtschaftsplanung wurde und vor Ort eine wichtige machtund systemstabilisierende Ventilfunktion erfüllte. Es ging um mehr als nur um die Begleichung persönlicher Rechnungen, um mehr als die Befriedigung der Rachegelüste Stalins.44 Ein Jahr nach der Veröffentlichung der redaktionellen Eingriffe in Bucharins »Letztes Wort« und der Rekonstruktion der Urfassung durch den Mitarbeiter des AP RF Jurij Murin45 gab Stefan Reinecke46 erneut die falsifizierte Fassung heraus. In Moskau erschien im Sommer 1998 ein Reprint der russischen Ausgabe des 1938 veröffentlichten Prüfberichtes, der als authentischer, bis dahin nicht publizierter Report angeboten wurde. Dieser sensationelle Fund in einem nicht näher bezeichneten »Geheimarchiv« brachte angeblich an den Tag, daß Bucharin wirklich eine Verschwörung geplant hatte und demnach zu Recht zum Tode verurteilt worden war. Sergej Alichanov, ein Dichter, brachte das Kunststück fertig, einem russischen Verlag das 1938 in 13 Sprachen übersetzte »Stenogramm« des Prozesses gegen den »Block der Rechten und Trotzkisten« als authentisches, nur für den Dienstgebrauch bestimmtes Dokument aufzuschwatzen. Vadim Rogovin knüpfte an diesen Versuch an und unternahm in seinem sieben Bände umfassenden Zyklus »Gab es eine Alternative?« den Versuch, den Schauprozeß des Jahres 1938 »in dem auch ein Körnchen Wahrheit war«, als zurecht geführten Prozeß von den ungerechtfertigten »richtigen Trotzkistenprozessen» der Jahre 1936 und 1937 abzukoppeln.47 Schräders These, daß »die Prozesse ab Mitte 1936 plötzlich hereinbrechen«, daß sie nicht direkt von den früheren Parteisäuberungen vorbereitet worden seien, daß es keine direkte Verbindung zum Kirov-Mord gäbe und die Prozesse in den Jahren des Großen Terrors nicht in einer Linie mit den ersten Schauprozessen stehen würden,48 hält einer Prüfung unter Einbeziehung der neuen zugänglichen Dokumente ebensowenig stand, wie die Behauptung, »daß die Moskauer Zentrale die Kritik der Basis am Apparat bereits aktiv unterstützt und dessen intendierten Selbstreinigungsprozeß für unerläßüch« gehalten hätte.49 Daß die Führung der Partei und des Staates nicht in sich zerstritten war, im Politbüro keine »Falken« den »Tauben» (wie die immer noch wiederholte Version behauptet) gegenüberstanden, hat Oleg Chlevnjuk in seinen Studien überzeugend gezeigt.50 Das von Ezov im Auftrag von Stalin 1935 entworfene Szenario51 zukünftiger Prozesse läßt auf die Dimension der zunächst angestrebten Säuberung schließen.

« Trotzki 1990, S. 54; Prozeßbericht 1938, S. 848. Hedeler 2002; McLoughlin 2003. 45 Murin 1995. 46 Reinecke 1996. 47 Rogowin 1998; Rogowin 1999. 48 Schräder 1995, S. 111. 49 Ebenda, S. 124. so Chlevnjuk 1996, S. 168f. 51 Hedeler 1998; McLoughlin 2003. 44

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Trotz der in der Chronik dokumentierten überall in der UdSSR durchgeführten Folgeprozesse war Stalin mit dem Tempo der Unterordnung des Staats- und Parteiapparates unter seinen Willen und mit der Wirkung der Disziplinierung in den Jahren zwischen dem XVII. Parteitag im Februar 1934 und dem XVIII. Parteitag der KPdSU(B) im März 1939 nicht zufrieden. Neun der 21 im Schauprozeß 1938 Verurteilten waren auf dem XVII. Parteitag in das ZK gewählt worden. 1.108 der 1.966 Delegierten dieses Parteitages und 98 von 139 Mitgliedern des ZK der KPdSU (B) überlebten die Jahre des Terrors nicht. Zwischen dem XVII. und XVIII. Parteitag, d. h. von Januar 1934 bis März 1939, ging die Zahl der ZK-Mitglieder auf 108 zurück. Während der Plenartagungen im Juni und Oktober 1937 sowie im Januar 1938 wurden 75 ZKMitglieder ausgeschlossen.52 Stalin ging massiv gegen seine Kritiker vor, er fühlte sich bedroht, denn 160 Delegierte hatten bei den Wahlen auf dem XVII. Parteitag gegen ihn gestimmt. In den Jahren des zweiten Fünfjahrplanes (1933—1937) wurde Stalin immer deutlicher bewußt, daß die Fachleute im Wirtschaftsapparat an der Richtigkeit seines Kurses zweifelten, während seine Gefolgsleute überfordert waren. Die Debatte über die Minimal- und Maximalvariante des ersten Fünfjahrplanes53 spricht Bände. Entscheidend war, daß hier nicht bürgerliche Spezialisten und ins Land geholte Facharbeiter gegen die Wirtschaftspolitik opponierten, sondern die an den Hoch- und Fachschulen des eigenen Landes ausgebildeten Nachwuchskader. Mit der einfachen Fortsetzung der Prozesse nach dem Muster der Prozesse gegen die Menschewiki 193154 und die Industriepartei 193155 und die aufbegehrenden Wirtschaftsfunktionäre, die in die Prozesse gegen Zinov'ev und Kamenev mündeten,56 ließ sich keine grundlegende Änderung der Situation herbeiführen. Parallel zu den drei Moskauer Schauprozessen 1936 bis 1938 wurden Bildungseinrichtungen wie das Institut der Roten Professur, Zeitschriften und Gesellschaften, die das Erbe der »Alten Bolschewiki« bewahrten, geschlossen. Bucharins Kritik an der »urspünglichen sozialistischen Akkumulation« und Ordzonikidzes Widerstand »gegen die forcierte Industrialisierung« waren mehr als deutlich. Hinzu kommt, daß die Gerichte in der RSFSR und in den Unionsrepubliken das willkürliche Vorgehen des NKVD nicht tolerierten. Auf gesetzliche Weise konnte der von Stalin im Telegramm an Kaganovic und Molotov vom 25. September 1936 benannte Rückstand von vier Jahren im Kampf gegen die Trotzkisten und Sinowjewisten nicht aufgeholt werden. Erst die Einschaltung der in der »Stalinschen Verfassung« von 1936 nicht vorgesehenen Dreier- und Zweierkommissionen, der im März 1937 eingerichteten Trojki und der im August 1937 eingesetzten Dvojki, führte zu dem von Stalin beabsichtigten Disziplinierungseffekt. Am 5. März 1937 benannte Stalin auf dem Plenum des ZK der KPdSU(B) eine annähernde Zahl der noch nicht enttarnten Doppelzüngler und Trotzkisten in

52 ICKKPSS 1989,12, S. 87; Cemev 1996, S. 14f. 53 Bucharin 1991. 54 Men'sevistskij 1999. 55 Process 1931. s« ICKKPSS 1989, 7, S. 86-93.

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den Reihen der KPdSU(B), die in den letzten vier Jahren von den Sicherheitsorganen nicht »zur Verantwortung gezogen wurden«. Gemessen an zwei Millionen Kandidaten und Parteimitgliedern waren 10.000 Ausschlüsse aus der Partei eine relevante Größe. Stalin verglich die Auseinandersetzung mit den Trotzkisten im Jahre 1927 mit einem Referendum. Damals, führte er aus, wandten sich von 854.000 Parteimitgliedern 730.800 gegen die Trotzkisten. 123.000 nahmen nicht an der Abstimmung teil, weil sie auf Dienstreise oder im Urlaub waren. 4.000 Mitglieder haben für die Trotzkisten Partei ergriffen und 2.600 sich der Stimme enthalten. Von den verbleibenden 121.000 hätten 10 % für die Trotzkisten stimmen können, mutmaßte Stalin. Das sind ca. 11.000 Mitglieder. Zählt man die 4.000 und jene, die sich der Stimme enthielten dazu, kommt man auf ca. 18.000. Zu dieser Zahl müssen noch etwa 10.000 Gefolgsleute Zinov'evs hinzugezählt werden, womit man auf ca. 28.000 feindlich eingestellte Mitglieder kommt. Rechnet man zu diesen noch die Rechten hinzu, ist man bei etwa 30.000, Schloß Stalin seine Rechnung ab. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt, gab er zu Bedenken, haben wir erst 18.000 verhaftet. Das heißt, es gibt noch ungefähr 12.000 unerkannte Feinde in unseren Reihen.57 Damit stand die Stoßrichtung der geplanten »Säuberungen« fest. Der Generalsekretär fügte die Vorgaben für das Vorgehen gegen die »Parteifeinde« in das Schlußkapitel der Geschichte der KPdSU(B). Kurier Lehrgang58 ein, der Generalstaatsanwalt gab den Band seiner Gerichtsreden59 erst für den Druck frei, nachdem seine Anklagerede im dritten Moskauer Schauprozeß vom Politbüro bestätigt worden war. Im Verlauf dieser Nachbereitung ging die Säuberung der Eliten nahdos in die nationalen Operationen über. Als deutlich wurde, daß die Aktivitäten des NKVD die Steuermechanismen der Parteiführung auszuhebeln und außer Kraft zu setzen drohten - es ging vor allem um die vom Politbüro verlangte Abstimmung der Verhaftungen von hohen Funktionsträgern —, ersetzte Stalin Ezov durch Berija. Am 17. November 1938 wurde der Terror durch einen ZK-Beschluß gestoppt, die Massenerschießungen verboten und die Trojki aufgelöst. Am Vorabend des dritten Fünfjahrplanes - das zeigt die Analyse des Besucherbuches von Stalins Kabinett - hatte Stalin das System, das er anstrebte, installiert. Das sich immer schneller drehende Kaderkarussell kam endlich zur Ruhe. Damit waren auch die Schauprozesse als PseudoÖffentlichkeit und Triebkraftersatz bei der Steuerung des gesellschaftlichen Lebens und der Wirtschaft in der Sowjetunion überflüssig geworden. Unter diesem Blickwinkel sind bisherige Chiffren für politisch motivierte Gewalt wie In den Fängen des NKWO oder Kommunisten verfolgen Kommunisten weitgehend überholt. In Anbetracht der heute zugänglichen Quellen geht es nicht mehr um »Säuberungen en miniature«60, sondern um staatlichen Terror, der von Parteiund NKVD-Führung geplant und getragen wurde. Stalin nutzte seine Amtszeit, um - gegen die nach ihm benannte Verfassung verstoßend - ein System von

Voprosy istorii 1995,11/12, S. 11-23. Geschichte 1939, S. 4 1 9 ^ 3 8 . 59 Wyschinski 1951. 60 Koesder 1993, S. 458. 57

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Rechtlosigkeit und Willkür durchzusetzen. Rechtsstaatliche Barrieren gegen den Staatsterror gab es nicht. Die Reglementierung — strikte Zentralisierung und Kommandomethoden - trug vor allem dazu bei, Stalins Machtposition zu stärken. Es ging um Machterhalt und Bewahrung der Hierarchie. Einzig und allein im Parteiapparat, der die staatlichen Institutionen doppelte, fielen die Entscheidungen. Gleichzeitig gewannen die Eingriffe in die Rechtsprechung an Bedeutung. Über die Durchführung der Kampagnen zur Entlarvung von »Volksfeinden« und »Schädlingen« wachte eine Ständige Kommission des Politbüros für Strafsachen. Ezov gehörte dieser Kommission seit dem 23. Januar 1937 an. Die Protokolle, die die Kommission einmal monatlich dem Politbüro zur Bestätigung vorlegte, sind der Forschung nicht zugänglich. Der bis zu Absurdität getriebene Stalinkult mündete in den Zustand völliger Kontrollosigkeit. Malenkov leitete sein Schlußwort auf dem Juli-Plenum des ZK der KPdSU 1953 mit einer eindrucksvollen Zustandsbeschreibung der im Politbüros herrschenden Situation ein.61 Unter Bedingungen der Doppelung der staatlichen Einrichtungen durch den Parteiapparat, der fehlenden innerparteilichen Demokratie (um den Apparat in Gang zu halten wurde in der Regel kooptiert, 80 % aller Parteileitungen auf Kreisebene waren nicht gewählt), dem auf die ständigen Verhaftungswellen zurückzuführenden Kadermangel, der Tatsache, daß in Großbetrieben die Zahl der ausgeschlossenen Parteimitglieder höher war als die der Mitglieder, orientierte die Parteiführung darauf, eine Atmosphäre des Mißtrauens zu schaffen. Außerordentliche Bedeutung kam der Informationspolitik als Teil der repressiven Logik zu. In Memoiren von Zeitgenossen ist von Lähmung und Angst in den Reihen der Exekutive, im Apparat der Kommunistischen Partei und der Komintern, unter Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und Milizangehörigen die Rede. Es handelte sich nicht um spontanen oder zufälligen Terror, die Zusammensetzung der den Terror planenden und ausführenden Gruppe in den Jahren der drei Moskauer Schauprozesse änderte sich nicht. Das Jahr 1940 markiert eine Zäsur in der Geschichte des Landes und im Leben Stalins. 1940 war eines seiner glücklichen Jahre. 62 Nach dem anhaltenden und immer wieder modifizierten Terror, der auch unter Berija nicht völlig abgeschafft wurde, trat eine Atempause ein. Bis 1939 war es die Regel, daß staatliche und politische Leitungen auf Unionsebene von 1929 an bis zu fünfmal ausgewechselt wurden. Die in den Statuten der KPdSU(B) enthaltenen Festlegungen über die kollektive Führung des Vortrupps der Arbeiterklasse wurden von Stalin und seinen Gefolgsleuten im Führungszirkel ignoriert. Von Fall zu Fall wurden Kommissionen, denen ausgewählte Politbüromitglieder und auserwählte Experten angehörten, zwecks Erarbeitung und Vorlage von Beschlüssen eingesetzt. Kollegien und Räte als Gremien der operativen Wirtschaftsleitung spielten nur bis zum Beginn des Großen Terrors, danach kaum noch eine Rolle. Der »Parteitag der Sieger« - fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem dritten Schauprozeß im März 1939 eröffnet — steht für das Ende der Hoffnung auf die Durchsetzung einer (gemessen an Stalins Kurs) alternativen Gesellschaftskon-

« Berija 1993, S. 313. Hedeler/Rosenblum 2001.

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zeption. Bis Oktober 1952 fand in der Sowjetunion kein Parteitag mehr statt. Zwischen einem Drittel und der Hälfte der ranghohen Funktionäre überlebte die Jahre des Großen Terrors nicht. Ihr Anteil unter den in den drei Schauprozessen Verurteilten war außerordentlich hoch. Fast zwei Drittel der Angeklagten waren vor ihrer Verhaftung als Volkskommissare, Direktoren oder Militärs tätig. In dieser Opfergruppe waren die Jahrgänge 1880 bis 1890 stark vertreten. Die neuen, seit 1939 eingesetzten Funktionsträger waren zwischen 1902 und 1911 geboren. Für sie war Stalin ein Halbgott, der einzige Schüler und Testamentsvollstrecker Lenins. Zur Edition Die Chronik zeichnet auf der Grundlage von in Rußland veröffentlichten und zugänglichen Dokumenten aus ehemaligen Archiven der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und des Volkskommissariats des Inneren die Aufeinanderfolge und die Verzahnung der Verhaftungswellen der Angeklagten und Zeugen in den drei Moskauer Schauprozessen gegen das »trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum« im August 1936, das »sowjetfeindliche trotzkistische Zentrum« im Januar 1937 und den »antisowjetischen Block der Rechten und Trotzkisten« im März 1938 nach. Die Chronik dokumentiert das Ineinandergreifen der die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der die vier geplanten Moskauer Schauprozesse begleitenden Propagandakampagnen in der zentralen und lokalen Presse, beleuchtet die auf höchster Ebene abgestimmte Fabrikation der Prozeßberichte und rekonstruiert die für die Massenverhaftungen und die Folgeprozesse in der Provinz relevante Signalfunktion der drei durchgeführten Moskauer Prozesse. Damit rückt die Entstehung und Überarbeitung der im Führungszirkel der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) erdachten, in den Gefängnissen und Folterkammern der Hauptverwaltung Staatssicherheit des NKVD der UdSSR einstudierten und mit Hilfe der Staatsanwaltschaft der UdSSR umgesetzten Drehbücher der »großen Verschwörungen« aus der Innensicht der agierenden Machthaber, ihrer Gefolgsleute sowie der Opfer ins Blickfeld. Auf die Verfolgung der Eliten, die Säuberung der Apparate der Partei- und Staatsführung in den Metropolen folgten die sogenannten nationalen Operationen des NKVD, die sich gegen Volksgruppen und Völkerschaften in der UdSSR richteten. Kommentare zu den entsprechenden Beschlüssen der KPdSU(B) und den darauf aufbauenden Befehlen des NKVD sind in die Chronik aufgenommen. Diese, wie auch die anderen aufgenommenen Auszüge und Annotationen, die den Alltag der Jahre 1936 bis 1938 aus der Sicht der einfachen Leute und der offiziellen Propaganda widerspiegeln, folgen der Sprache und damit der Diktion des Originals. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde in den meisten Fällen auf Anführungszeichen verzichtet. Der Apparat trägt zur Erschließung des Kontextes und weiterführender Literatur bei.

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VORBEMERKUNG

Danksagung Mein Dank gilt den Freunden und Kollegen in der Bundesrepublik und in Rußland, die durch ihr anhaltendes Interesse am Gegenstand und ihre beständige Unterstützung die Arbeit an der Chronik der Moskauer Schauprozesse seit 1989 beförderten und ermöglichten. Die Konzeption der Chronik fallt in die Zeit der Herausgabe und Kommentierung ausgewählter Schriften von Nikolaj Bucharin, die zunächst im Berliner Dietz-Verlag, später im BasisDruck Verlag erschienen. Während des in den Jahren 1996 bis 1998 von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur geförderten Projektes »Der dritte Moskauer Schauprozeß 1938« war es nicht nur möglich, bestehende Arbeitskontakte nach Moskau auszubauen, sondern auch Zugangsmöglichkeiten zu bis dahin gesperrten russischen Archiven zu erhalten. Daran schloß sich die Analyse der im sowjetischen Partei- und Staatsapparat geführten Debatten über die Gestaltung der Wirtschaftsplanung, in erster Linie der Kollektivierung und Industrialisierung in der Sowjetunion von 1928 bis 1942 unter besonderer Berücksichtigung der ersten drei Fünfjahrpläne in der Geschichte der UdSSR von 1928 bis 1942 als Bestandteil des vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main, initiierten Projektes »Das Europa der Diktaturen« an. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojektes über das Karagandinsker Besserungsarbeitslager des NKVD konnten die Lebenswege und Schicksale einiger Akteure, von denen in dieser Chronik die Rede ist, in Kazachstan weiter verfolgt und untersucht werden. Bei meiner Familie möchte ich mich für die Unterstützung und die Geduld, beim Akademie Verlag und insbesondere bei Herrn Peter Heyl für die Aufnahme der Chronik in das Programm sowie die sachkundige und schnelle Bearbeitung und Drucklegung bedanken. Berlin, im Juli 2003

CHRONIK

1936 Während der Verfassungsdiskussion erklärt Stalin, was er unter Demokratisierung des Landes versteht: die Fortsetzung der bisherigen Politik der Beseitigung der Kulaken als Klasse und der Zuspitzung des Klassenkampfes beim Vorwärtsschreiten zum Sozialismus. Diese dann auf dem Februar-März-Plenum des Z K der KPdSU(B) 1937 zum Gesetz erhobene Formel meint ein lineares, stetiges, permanentes Voranschreiten. Stalin operiert zur Begründung seines Kurses nicht mit genauen Zahlen, sondern mit Formeln. In seiner Rede »Über den Entwurf der Verfassung der Union der SSR« auf dem Außerordentlichen 8. Sowjetkongreß der UdSSR am 25. November 1936 spricht Stalin u. a. von 316.000 neuen Traktoren, die in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen sollen. »Wir müssen vom Bauernklepper auf das Pferd der modernen maschinellen Großindustrie umsteigen«, hatte Stalin 1933 hervorgehoben, als er über die Erfüllung des ersten Fünfjahrplanes berichtete. Doch vor dem Hintergrund der sich ändernden Losungen — an die Stelle von »Die Technik entscheidet alles!« aus dem Jahre 1931 trat 1935 die Losung »Die Kader entscheiden alles!« ist diese beeindruckende Zahl zu prüfen. Zur gleichen Zeit, als Stalin den wirtschaftlichen Aufschwung beschwor, fand in Moskau der sogenannte Mähdrescherprozeß statt. Die Direktoren der Kombinefabrik hatten Mähdrescher ausgeliefern lassen, die nicht einsatzbereit waren. Die fehlenden Teile sollten später nachgeliefert und vor Ort eingebaut werden, doch sie kamen nie an. Heute ist bekannt, daß die Industrieproduktion in der UdSSR zurückging, statt, wie im Plan vorgesehen, zu wachsen. So konnten ζ. B. statt der geplanten 40.000 Mähdrescher nur 10.000 produziert werden. Im Zuge der Zwangskollektivierung sank der Pferdebestand von 32,1 Millionen auf 21,7 Millionen - aber der Plan sah einen Anstieg auf 38 Millionen vor. Was die tatsächliche Entwicklung für ein Agrarland bedeutete, liegt auf der Hand. Zugleich sank die Getreideproduktion von 73,7 auf 69,9 Millionen, statt auf geplante 105,8 Millionen Tonnen zu steigen. D a in der Erfolgspropaganda für die die Realitäten wiedergebenden Meldungen kein Platz war, man jedoch nicht umhin kam, diese Widersprüche und Krisenerscheinungen zur Sprache zu bringen, wurde zunehmend auf das Mittel politischer Prozesse zurückgegriffen. Die Widersprüche, die in der marxistisch-lenistischen Ideologie als die eigentlichen Triebkräfte im Sozialismus galten, sollten im Gerichtssaal gelöst werden. Mit Hilfe der als Muster geführten Schauprozesse und der daran anschließenden Folgeprozesse sollten diese Triebkräfte in die gewünschte Richtung gelenkt werden. Während die Bauern auf dem Lande verhungerten, prägte Stalin die Losung: Das Leben ist schöner, das Leben ist lustiger geworden!

Januar 1936 1. Januar 1936, Mittwoch Bucharins Artikel »Oprokinutye normy« (Umgestürzte Normen) erscheint in der Regierungszeitung I^yestija. Muralov schreibt an Stalin, der seinen Brief vom Dezember 1935 unbeantwortet gelassen hatte. Er wiederholt, daß er mit Trockij gebrochen hat (ICKKPSS 1989, 9, 32). Stalin läßt diesen Brief in 30 Exemplaren vervielfältigen und an die Politbüromitglieder verteilen ( Vo^yraîiennye imena II, 1989, S. 29; Donkov, Poleiïuk 1991, S. 86). Trockij schreibt den Artikel »Brief über Rußland« {Trozki 1.1, 1988, S. 649f.). Der Angeklagte Pjatakov sagt auf dem Moskauer Schauprozeß 1937 gegen das sowjetfeindliche trotzkistische Zentrum aus: Die Zeitspanne Mitte 1935 bis Ende 1935 und Anfang 1936 ist für unsere verbrecherische Arbeit dadurch gekennzeichnet, daß dies eine Periode war, in der das Parallelzentrum versuchte, sich aus einem parallelen in das Hauptzentrum zu verwandeln und seine Tätigkeit gemäß den Direktiven, die wir von Trockij hatten, zu aktivieren, da wir damals eine Reihe Zusammenkünfte mit Sokol'nikov, mit Tomskij hatten (Prosgßbericht 1937, S. 58ß). Tomskij hob während dieser Zusammenkünfte hervor, sagt Pjatakov weiter aus, daß er sich erst mit Bucharin und Rykov beraten müsse. Pjatakov gesteht, bis 1934 die Verbindung mit Bucharin aufrechterhalten zu haben, d. h. bis zu dessen Ausscheiden aus dem von Ordjonikidze geleiteten Volkskommissariat für Schwerindustrie. Da es damals »nur wenige trotzkistische Kader« gab, blieb nach Aussagen von Pjatakov »nur die Orientierung auf den Staatsstreich«. Pjatakov berichtet weiterhin über seine Kontakte zu Radek und Bucharin sowie über Sokol'nikovs Gespräche mit Tomskij. Stanislavskij schreibt an Stalin und unterbreitet Vorschläge zur Verbesserung der Situation am Moskauer Künsdertheater (Istolnik 1997, 6, S. 130ß). Ende 1935 und im Laufe des Jahres 1936 verurteilen lokale Parteiorganisationen der KPdSU(B) die Repressalien und fassen entsprechende Beschlüsse. 1937 gibt es keine derartigen Beschlüsse mehr (Chlevnjuk 1992, S. 59). Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj (Tagebuch 1996, S. 214). 2. Januar 1936, Donnerstag Der Schwerpunkt der Berichterstattung in der ersten Ausgabe der Rundschau (Basel) liegt auf der Stachanov-Bewegung. Die Rundschau enthält auf den Seiten 17 bis 24 u. a. die Rede von Ordzonikidze auf dem Plenum des ZK der KPdSU(B) vom 21. Dezember 1935 über die Aufgaben der Schwerindustrie im Zusammenhang mit der Stachanov-Bewegung. Ordzonikidze weist im Referat die Behauptung der kapitalistischen Presse zurück, das sowjetische Wirtschaftssystem sei instabil. Im Artikel »An der Wiege der Stachanov-Bewegung« ist vom Wirtschaftsaufschwung im Donecbecken die Rede. Scerbakov informiert Stalin über die Situation im Schriftstellerverband der UdSSR und hebt hervor, daß es gilt, jede Gruppenbildung in dieser Organisation zu vermeiden (»Scast'e literatuiy« 1997, S. 204—208).

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Pjatakov ruft aus dem Volkskommissariat für Schwerindustrie bei Rakovskij an. Wenig später »traf ich mich mit Radek«, berichtet Rakovskij ( . P r ü f b e r i c h t 1938, S. 326). Kozel'skij, Leiter der Geheimen politischen Abteilung des NKVD der Ukraine, begeht Selbstmord. Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj (Tagebuch 1996, S. 216f). Der für Presse und Verlage im ZK der KPdSU(B) zuständige Tal' legt dem ZK einen Bericht über die von der Zensurbehörde 1935 geleistete Arbeit vor. Die Zensurbehörde Glavlit war in vier Sektoren untergliedert: Politische Ökonomie; Kunst und Kultur; Landwirtschaft sowie Kreisinspektion. In dem für die Politische Ökonomie zuständigen Sektor wurde die Produktion von 32 Verlagen überprüft. Der verantwortliche Redakteur und der Leiter dieses Sektors wurden als Trotzkisten endassen. Der Leiter des für die Kreisinspektion zuständigen Sektors wurde endassen, weil er als Offizier in einer der Weißen Armeen gedient hatte, die im Bürgerkrieg gegen die Rote Arbeiter- und Bauernarmee kämpften (Obscestvo 1998, S. 114-116). Ingulov leitete die Zensurbehörde von 1935 bis 1937 (.Zelenov 1997, S. 29). Ein Dokument, das den Auftakt der Formalismuskampagne markiert, ist in den Archiven nicht überliefert {Maksimenkov 1997, S. 3). Weil es keine Direktive der Parteiführung über die Durchführung dieser Kampagne gab, geriet sie von Januar bis April 1936 zu massiv und ließ sich nur sehr schwer steuern (Maksimenkov 1997, S. 9). Stalin empfängt in der Zeit von 12.55 bis 16.45 Uhr in seinem Kabinett: Kaganovic, Molotov, Ezov, Ivanov, Osinskij (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 16). 3. Januar 1936, Freitag

Pieck feiert seinen 60. Geburtstag. Stepa, der Leiter der Sonderabteilung der Tscheka in Transkaukasien, wird auf Weisung von Berija aus Tiflis abgeschoben. Ende Juni 1937 begeht er Selbstmord (/\ntonov-Ovseenko 1993, S. 131). »Die Zahl der durch Moskau fahrenden Gefängniswagen, der >schwarzen Raben0 porjadke vypolnenija instrukcii Verchovnogo suda, prokuratury i NKVD SSSR< za Nr 5521 ot 20 janvarja 1936 g.« (Über die Durchführung der Instruktion des Obersten Gerichtes, der Staatsanwaltschaft und des NKVD der UdSSR, Nr. 5521 vom 20. Januar 1936). Der von Bucharin für die Pravda zu Lenins Todestag verfaßte Artikel wird im Februar als mit der Parteilinie unvereinbar kritisiert. Steckij berichtet in der Rede zu Lenins Todestag über die Eröffnung der Antiformalismuskampagne {Maksimenkov 1997, S. 85). Im Entwurf »O sovescanii prokurorov pri Prokurature SSSR« (Über die Beratung der Staatsanwälte der UdSSR) bittet Vysinskij, die Einberufung einer Beratung der Staatsanwälte der UdSSR vom 10. bis 11. Februar 1936 zu gestatten. Sie hat die Klärung operativer Fragen mit 25-30 Teilnehmern zum Ziel. 23. Januar 1936, Donnerstag

Rundschau (Basel), Nr. 4: »Zum internationalen Lenin-Liebknecht-LuxemburgTag: Auf Lenins Bahn, unter Stalins Führung. Stalins Gelübde und der Kampf gegen den Trotzkismus«. Im Artikel heißt es: Der 12. Jahrestag seit dem Tode Lenins fallt zeitlich zusammen mit der Beendigung der letzten Säuberung der Reihen der Partei und der Kontrolle der Mitgliedsbücher ... Fest geschlossen wie nie zuvor steht die Partei um das Stalinsche ZK (i. 169); Rede M. N. Tuchacevskijs auf der 2. Session des Zentralen Exekutivkomitees; Über den Volkswirtschaftsplan der UdSSR für 1936, das vierte Jahr des Zweiten Fünfjahrplans. Kaganovic berichtet Stalin über den Zustand der Eisenbahn: Nach gründlicher Prüfung der Sachlage in Tomsk habe ich eine Reihe konkreter Maßnahmen zur Verbesserung der Lage beschlossen. Organisations fragen und technische Fragen sind berücksichtigt worden, es konnten eine Reihe auch für andere Bahnlinien lebenswichtige Fragen angesprochen werden. Es hat sich herausgestellt, daß es in Tomsk eine Gruppe von Konterrevolutionären und Saboteuren gibt, darunter ehemalige Kolcak-Leute, die die Reorganisation der Bahnlinie unterlaufen wollen. Ich habe neue Leiter eingesetzt und bitte um Bestätigung und die Veröffentlichung der Maßnahmen in der Presse. Stalin stimmt zu, alles, was Kaganovic vorschlägt, zu verwirklichen und die entsprechenden Beschlüsse nur in den Regionalzeitungen, jedoch nicht überregional zu veröffentlichen (Stalin 2001, S. 625). Ustrjalov notiert im Tagebuch: den Dokumentarfilm über Lenin gesehen, Stalin ist der Führer (Ustrfa/ov 1998, S. 28). Ordzonikidze unterschreibt die neuen erhöhten Normvorgaben für die Kohleförderung im Donbass. Stalin empfängt in der Zeit von 16.00 bis 19.50 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Cubar', Jagoda, Krestinskij, Stomonjakov, Tuchacevskij, Frinovskij, Blagonravov, Al. Egorov, Annoga, Tal' (Jstoriceskij archiv 1995, 4, S. 19). 24. Januar 1936, Freitag

Vor dem 24. Januar 1936 schreibt Bucharin an Stalin, daß er zwei Artikel zu Geschichtsthemen in der I^yestija veröffentlichen will. Er stimmt Stalins Kritik an Pokrovskij zu. Die Beschlußvorlage über die Verbesserung der Arbeit der Tomsker Eisenbahn liegt dem Politbüro vor.

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25. Januar 1936, Sonnabend

Erstes Verhör von Ol'berg (ICKKPSS 1989, 8, 86). Ezov erwähnt in seiner Rede auf dem Februar-März-Plenum des ZK der KPdSU(B) diese Verhaftung und fuhrt aus, daß zum Zeitpunkt von Ol'bergs Verhaftung feststand, daß die Trotzkisten und Sinowjew-Anhänger zum aktiven Kampf übergegangen waren (Voprosy istorii 1994, 10, S. 16). Ezov spricht auf einer Beratung in der für Organisations- und Parteiorgane zuständigen Abteilung des ZK der KPdSU(B) und weist darauf hin, daß es auch nach der Säuberung der KPdSU(B) Feinde in der Partei gibt. Er verlangt von den Parteisekretären, daß sie mit den NKVD-Organen zusammenarbeiten müssen (Chlevnjuk 1996, S. 147). 26. Januar 1936, Sonntag

Das Büro der Kreisparteileitung kritisiert den in der Zeitung Sovetskij Sever vom 21. Januar 1936 veröffentlichten Leitartikel »12 let bez Lenina« (12 Jahre ohne Lenin). Der Chefredakteur hat es unterlassen, die Rolle Stalins in diesen Jahren zu würdigen. Die Ausgabe der Zeitung soll eingezogen, der Leitartikel neu geschrieben werden. Der Chefredakteur ist abzusetzen (Natymska/a 1997, S. 83). »Ob ucebnikach istorii« (Über Lehrbücher für das Fach Geschichte). Das ZK der KPdSU(B) und der Rat der Volkskommissare beschließen die Einsetzung einer Kommission zur Revision der Geschichtslehrbücher. Bucharin wird in die Kommission zur Verbesserung der vorgelegten Manuskripte aufgenommen (Krasnyj arcbiv 2 {75), 1936). Vernadskij notiert in sein Tagebuch: Ich denke viel über die Grundfragen des Lebens nach. Aber die >Offenbarung< kann ich nicht akzeptieren. Das Christliche ist nichts verglichen mit dem, was man während der wissenschaftlichen Arbeit erlebt (Vernadskij 1993, S. 232). Kaganovic hält sich in Irkutsk auf. Er berichtet, daß das Eisenbahndepot zerfällt. Über die Hälfte der Lokomotiven sind defekt. Im Irkutsker Eisenbahnausbesserungswerk ist eine Gruppe von Trotzkisten entlarvt worden, die Schädlings- und Zersetzungsarbeit betrieb und die Arbeiter gegen die Stachanovisten aufhetzte. Kaganovic ordnet eine erneute Überprüfung der Parteimitgliedsbücher an und nimmt Umbesetzungen in der Direktion vor (Stalin 2001, S. 626f). Stalin empfangt in der Zeit von 15.00 bis 19.00 Uhr in seinem Kabinett: Ordjonikidze, Vorosilov, Kalinin, Zdanov, Molotov, Cubar', Mikojan, Ezov, Andreev, Kaganovic, Mezlauk, G. I. Smirnov, Pjatakov, Ruchimovic, Kruglikov, Rozengol'c (Istoñceskij archiv 1995, 4, S. 18). 26.127. Januar 1936

Bucharin schreibt an Stalin über die Absicht, einen Artikel von Rolland in der I?vestija zu veröffentlichen: Da es ein politischer Artikel ist, bitte ich um Deine Weisungen. 27. Januar 1936, Montag

Bucharin veröffentlicht in der lyvestijcr. »Nuzna Ii nam marksistskaja istoriceskaja nauka? O nekotorych suscestvenno vaznych, nesostojatel'nych vzgljadach tov. Pokrovskogo« (Brauchen wir eine marxistische Geschichtswissenschaft? Über einige außerordentlich wichtige, haltlose Ansichten von Gen. Pokrovskij) (S. 4).

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Ustrjalov notiert im Tagebuch: Bucharins Artikel gegen Pokrovskij. Bucharin rehabilitiert den Objektivismus und Peter I. (Ustrjalov 1998, S. 29). Mil'jukov beruft sich auf Bucharins Artikel in seinem Beitrag über Pokrovskij für die Sovremennye ^apiski (Paris) 1937: »Velicie i padenie Pokrovskogo« (Die Größe und der Sturz von Pokrovskij) (Voprosy istorii 1993, 4, S. 122). Am gleichen Tag veröffentlicht Radek in der I^yestija »Znacenie istorii dlja proletariata« (Die Bedeutung der Geschichte für das Proletariat). Stalin, Kirov und Zdanov veröffentlichen in der Pravda einen Beitrag über den Konspekt des Schullehrbuches Geschichte. Verhör von Ol'berg. Er gesteht, ein Emissär von Trockij gewesen zu sein (.ICKKPSS 1989, 8, 86). Dimitroff schreibt an Stalin (.Oimitrov 2000, S. 24f). Kaganovic schreibt an das ZK und an Stalin. Im chiffrierten Telegramm heißt es, daß an der Krasnojarsker Eisenbahn die Lage erbärmlich ist. Ich habe vor Ort operative Maßnahmen ergriffen, teilt Kaganovic mit. Ich habe Parteisekretäre abgelöst, Reparaturzüge angefordert usw. Kaganovic bittet um die Entsendung eines verantwortlichen NKVD-Mitarbeiters nach Krasnojarsk, um vor Ort die Wühlarbeit der Spione und feindlichen Elemente am Eisenbahnknotenpunkt zu endarven. Da die Parteiorganisationen verunreinigt sind, bittet er um eine zweite, erneute Reinigung der Parteiorganisation und um den Umtausch der Parteimitgliedsbücher. Stalin empfängt in der Zeit von 14.10 bis 17.35 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Ordjonikidze, Rykov, Zinjavskij, Bardovskij, Ljutov, Langovoj, Akulov (Istoriceshj archiv 1995, 4, S. 19f). 28. Januar 1936, Dienstag

Das Volkskommissariat für Verteidigung gibt die Bewachung des Kreml an das NKVD ab. Tkalun wird zum Leiter der Wache ernannt. Heute habe ich noch im Bett die Pravda aufgeschlagen, darin ein Artikel ohne Unterschrift mit dem Titel »Surr-murr vmesto muzyki«, mit schärfster Kritik an »Lady Macbeth«. [...] Die Oper sei Ausdruck einer dekadenten Linksabweichung. Sostakovic hat sich meiner Meinung nach bei diesem düsteren, schweren Sujet vergriffen. Ich kann mir vorstellen, wie ihm jetzt zumute ist! [...] Zum Roten Direktor des Künstlertheaters ist jetzt Arkad'ev ernannt (Bulgakov 1991, S. 249f.; Maksimenkov 1997, S. 12). Sorin ist neuer stellvertretender Direktor des Marx-Engels-Lenin-Instituts, zweiter Stellvertreter ist Savel'ev und dritter Stellvertreter Orachelasvili. 29. Januar 1936, Mittwoch

Ustrjalov notiert im Tagebuch: Kinderbuchautoren haben an Versammlungen in einer Schule teilgenommen. Es ist dort genauso, wie bei der Erwachsenen. Es sind Kinder des Sozialismus (Ustrjalov 1998, S. 30). Bucharin veröffentlicht in der I^yestija »Gornye versiny« (Berggipfel) (S. 2). Adoratskij, der Direktor des Marx-Engels-Lenin-Instituts, informiert Stalin über den Stand der Verhandlungen zum Ankauf des Marx-Engels-Nachlasses. Das Ensemble des Moskauer Künstlertheaters schreibt an Stalin und Molotov und unterbreitet Vorschläge zur Verbesserung der Situation am Moskauer Künstlertheater (htocnik 1997, 6, S. 134ß). Die Führung ignoriert die Bitten der

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Schauspieler und beschließt am 2. Februar 1936, Arkad'ev als neuen Intendanten einzusetzen. Stalin empfangt in der Zeit von 18.45 bis 21.35 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Ordzonikidze, Andreev, Ezov, Kosarev, Steckij,Ja. Jakovlev (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 20). 30. Januar 1936, Donnerstag

Rundschau (Basel), Nr. 5: »Sozialistischer Wohlstand 1936. Aus dem Bericht des Genossen Mezlauk auf der ZEK-Tagung«. Kamenev: Beschäftige mich mit Griechisch und Latein, um mich abzulenken, mit toten Dingen, um nicht an die Lebenden zu denken. Xenophon oder Titus Livius kann man einfach lesen, bei Marxlektüre fangt man an nachzudenken. Weitere Briefe bis zum 10. Juni 1936 (l^yeshja, 22./23. Märζ 1990, S. 3; Nedelja, 20.-26. Juni 198S). Èjche, der Sekretär der Westsibirischen Kreisleitung der KPdSU(B), informiert im Referat auf einer Beratung der Abteilung Leitende Parteiorgane des ZK der KPdSU(B) darüber, daß von 6.000 aus der Partei ausgeschlossenen Mitgliedern 500 echte Feinde waren (Sorevnovanie< (Wettbewerb) durch >Konkurs< (wegen der Assoziation zu Konkurrenz) zu ersetzen. Eine Reihe von Volkskommissariaten sanktionierte das von Stalin kritisierte Vorgehen, und die l^yestija unter dem Chefredakteur Bucharin tut sich dabei immer noch besonders hervor. 22. Februar 1936, Sonnabend

Bucharin veröffentlicht in der I^yestija den Artikel »Druzba« (Freundschaft) (5. 4). Saginjan erklärt ihren Austritt aus dem Schriftstellerverband der UdSSR. Sie protestiert damit gegen die von der Pravda vertretene Linie im Kampf gegen den Formalismus in der Musik, der Architektur und Literatur. Artikel zum 15. Jahrestag der Verabschiedung des Dekrets über die Gründung der Staatlichen Plankommission. Poslednie novosti (Paris) enthält den Artikel von Solonevic »Posylki ν Rossiju i ν lager'« (Pakete nach Rußland und ins Lager). In ihm wird erklärt, was man beachten sollte, wenn man Pakete an die Häftlinge in den Besserungsarbeitslagern des NKVD schickt. Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj ( Tagebuch 1996, S. 222f). 23. Februar 1936, Sonntag

Der Stellvertretende Volkskommissar für Innere Angelegenheiten, Prokofev, informiert Stalin, daß in Moskau Mitglieder einer trotzkistischen Gruppe verhaftet worden sind. In der Wohnung des Verhafteten Tursov wurde das Privatarchiv von Trockij aus dem Jahre 1927 gefunden. Stalin weist Molotov und Ezov an, für das Politbüro einen Bericht über diesen Fund zu verfassen und Ezov von nun an zu den Verhören heranzuziehen. Ein entsprechender Beschluß wird am 27. Februar 1936 vom Politbüro des ZK der KPdSU(B) gefaßt. Von diesem Zeitpunkt an konnte der Geheimdienstchef Jagoda nur noch in Abstimmung mit Ezov handeln {Kovalev 1995, S. 143).

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Wirgien-Starke wird als Mitglied einer antisowjetischen konterrevolutionären rechts-trotzkistischen Organisation verhaftet (Schafranek 2003, S. 83). Das Politbüro des ZK der KPdSU(B) legt die Fristen für die Nachzahlung der Löhne an Lehrer fest. Bubnov erhält eine Rüge, in Zukunft werden alle dafür Verantwortlichen persönlich zur Verantwortung gezogen. 26. Februar 1936, Mittwoch

Verhaftung von Leow in Saratov. Fadeev schreibt an Sub (Maksimenkov 1997, S. 15). 27. Februar 1936, Donnerstag

Die Zeitungen melden den Tod von I. P. Pavlov. Das Politbüro unterbreitet den Vorschlag, die Stadt Rjazan' umzubenennen, um den Wissenschafder zu ehren. Deborin wird aus der Regierungskommission, die für die Trauerfeierlichkeiten eingesetzt ist, gestrichen. Die Illustrierte Ogonek veröffentlicht ein Foto von Stalin mit der Tochter von Markisov, Gelja Markisova; der Vater wird bald darauf repressiert (Solov'ev 1993, S. 184). Ordjonikidze schreibt an Saginjan: Ihr Austritt aus dem Schriftstellerverband war ein politischer Fehler, es ist unser Verband, in der Sowjetunion, wie können Sie schreiben, er tauge nicht, alles das richtet sich gegen die UdSSR, und Sie werden verstehen, daß ich Ihnen in Ihrer Angelegenheit nicht helfen kann (»Scast'e literatuiy« 1997, S. 212f). Stalin empfängt in der Zeit von 14.55 bis 18.45 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kalinin, Cubar', Cernov, Klejner, Ljubimov, Boldyrev, Litvinov (Istoriceskdj archiv 1995, 4, S. 19f). 28. Februar 1936, Freitag

Bucharin veröffentlicht in der l^yestija {S. 3) einen Nachruf auf I. P. Pavlov: »Pamjati velikogo ucenogo« (Dem Andenken eines großen Gelehrten). Ende Februar reist Bucharin ins Ausland, um über den Ankauf des Marx-EngelsNachlasses zu verhandeln. Auf dem Weg nach Paris macht er in Berlin Station. Hier kauft er einige Bücher von faschistischen Ideologen. Von Berlin aus fährt er nach Wien, dann nach Kopenhagen und Amsterdam weiter. In der zweiten Märzhälfte trifft er in Paris ein. Das ZK der KPdSU(B) und der Rat der Volkskommissare schlagen dem NKVD und der Staatsanwaltschaft vor, allen 1935 aus Leningrad ausgewiesenen Hochschullehrern und Studenten sowie deren Eltern die Rückkehr zu gestatten. Das Volkskommissariat für Sovchozen (Narkomsovchoz) beschließt die Aussonderung von 13.356 defekten ausländischen Traktoren und 2.165 in der Sowjetunion produzierten Mähdreschern »Kommunar«. Die Diskussion über den Beschluß »O sorevnovanii i >konkursachOb organizacii konkursa na lucsij ucebnik dlja nacal'noj skoly po élementarnomu kursu istorii SSSR s kratkimi svedenijami po vseobscej istorii«< (Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR und des ZK der KPdSU(B) >Über die Ausschreibung eines Wettbewerbs um das beste GeschichtslehrbuchPod %namenem marksi%maTemps0 rasselenii i chozjajstvennom ustrojstve pereselencev iz Ukrainy«< (Beschluß des Büros der Bezirksleitung der KPdSU(B) Kazachstan >Über die Ansiedlung und die Ausstattung der Umsiedler aus der UkraineKamskij buma%nik< (Sverdlovskaja oblast') i >Leninec< (g. Gor'kij)« (Über die Betriebszeitungen >Kamshj buma^nih (Sverdlovskaja oblast') und >Leninec< (Gor'kij) (KPSS 1987, S. 270; Partijnoe stroitel'stvo 1936, 12, S. 64). 20. Mai 1936, Mittwoch

Namentliche Abstimmung über den Beschluß des ZK der KPdSU(B), die Fälle aller inhaftierten Trotzkisten wieder aufzurollen, dem NKVD zu übergeben und die Höchststrafe zu beantragen (ICKKPSS 1989, 9, S. 36). Sitzung des Politbüros des ZK der KPdSU(B) (Politbjun 2001, S. 759-780; Stalinskoe Politbjuro 1995, S. 244). Tagesordnungspunkt 122 vom 25. April 1936 betrifft Vysinskijs Frage nach dem Strafmaß im Prozeß gegen Semencuk und Starcev. 22. Mai 1936, Freitag

Die Rundschau (Basel), Nr. 24, berichtet über die Eröffnung des Zentralen LeninMuseums in Moskau (5. 969f).

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Beschluß der Leitung des Schriftstellerverbandes der UdSSR »Über die Verbesserung der Arbeit des Hauses der Schriftsteller« (»Scast'e lìteratuiy« 1997, S. 223). Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seine Frau Anna {Florenski 2001, S. 350-355). 25. Mai 1936, Montag

Pil'njak schreibt an Mikojan {»Literaturnjjfront«, S. 15f). Ostroumova aus dem Stadtparteikomitee Igarsk schildert im Brief an Stalin und Molotov die Einschränkungen, denen die administrativ Verbannten ausgesetzt sind (ιChlevnjuk 1996, S. 154). 26. Mai 1936, Dienstag

Veröffentlichung des Entwurfs des Familiengesetzes. Gor'kij verläßt Tesseli auf der Krim ( Vaksberg 1999, S. 361). 27. Mai 1936, Mittwoch

G. E. Evdokimov bezeichnet in der Vernehmung den Terror als neue Chance der Opposition. K a l i n i n schreibt an Stalin und unterbreitet ein Programm zur Untersuchung von Lenins Gehirn {Istocnik 1994, 1, S. 83-87). Gor'kij trifft mit dem Zug in Moskau ein ( Vaksberg 1999, S. 361). »Postanovlenie bjuro Karagandinskogo obkoma VKP(b) >0 podgotovke k priemu kontingenta, vseljaemogo ν Karagandinskuju oblast' iz Ukrainy0 terroristiceskoj dejatel'nosti trockistsko-zinov'evskogo kontrrevol'jucionnogo bloka«< (Über die Spionage- und terroristische Tätigkeit des trotzkistisch-sinowjewistischen Blocks) (.ICKKPSS 1989, 8, S. 90). Im Anschluß daran legt Vysinskij den ersten Entwurf der Anklageschrift für den bevorstehenden Moskauer Schauprozeß vor. Verhör von Rejngol'd. Das Stenogramm wird am 11. August 1936 an die Mitglieder des Politbüros verschickt {Kovalev 1995, J". 128). Pjatakov informiert Ordzonikidze, daß er den Beschluß »Über die Spionage- und terroristische Tätigkeit des trotzkistisch-sinowjewistischen Blocks« gelesen hat und die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen für niederträchtige Lügen hält {Sovetskoe rukovodstvo 1999, S. 335-336). Im Leitartikel der Pravda »Den Feind erkennen können« heißt es u. a., daß die konterrevolutionäre Theorie vom Erlöschen des Klassenkampfes nur von Entarteten oder Doppelzünglern vertreten wird. Mit dem Verlust eines ihrer besten Söhne hat die Partei dafür bezahlt, daß viele Kommunisten nicht auf die eindringlichen Warnungen des Genossen Stalin hörten. Es ist eine konterrevolutionäre Gruppe enttarnt worden, der Mitglieder und Kandidaten der KPdSU(B) angehören, die es verstanden haben, bei der Überprüfung der Parteimitgliedsbücher durchzuschlüpfen. Aber sie hatten keine Chance, denn Stalin wacht wie eine Schildwache über die Einheit der Partei (Schräder 1995, S. 358-361). Stalin empfängt in der Zeit von 15.15 bis 18.20 Uhr in seinem Kabinett: Cubar', Vorosilov, Ordzonikidze, Kaganovic, Krestinskij, Rozengol'c, Kandelaki, Fridrichson (Jstorikskij archiv 1995, 4, S. 30). 8. August 1936, Sonnabend Gide zitiert in »Retuschen zu meinem Rußlandbuch« Berichte aus der Pravda über unbrauchbare Automobile (Gide 1937a, S. 17). Thiele legt seinen Lebenslauf der Kaderabteilung des EKKI vor. 9. August 1936, Sonntag Leitartikel der Pravda zum Thema »Bolschewistische Wachsamkeit an jedem Abschnitt«. Unzerstörbare Verbindung von Masse und Führung, eiserne Einheit und Geschlossenheit, endgültige Zerschlagung aller Fraktionsgruppierungen,

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Plattformen der Opposition platzten wie Seifenblasen, der Revolver ersetzte den Schuften die Plattform, Oppositionelle werden zu Banditen, um sich mit der Waffe in der Hand an die Führung heranzumachen, muß man sich in die Partei einschleichen, die Bourgeoisie geht immer mehr zu räuberischen Kampfmethoden über (.Schräder 1995, S. 362-364). 10. August 1936, Montag

Verhör von G. E. Evdokimov über Zinov'evs Direktive für Bakaev, einen Mordanschlag gegen Kirov zu organisieren. Eine korrigierte Fassung der Anklageschrift, in der nunmehr von 14 und nicht mehr von 12 Angeklagten die Rede ist, wird Stalin vorgelegt. Hinzugekommen waren der seit Dezember 1934 inhaftierte Evdokimov (ICKKPSS 1989, 7, S. 64) und Ter-Vagan'jan. Evdokimov wurde vor der Verhaftung am 10. August kein einziges Mal verhört (Prv^eßbericht 1936, S. 30). Ter-Vagan'jan schreibt einen Brief über die Verhörpraxis und wird daraufhin von Stalin auf die Liste der Angeklagten gesetzt (ICKKPSS 1989, 8, S. 86). Auch danach haben Kaganovic und Stalin die Anklageschrift noch nachgebessert (ICKKPSS 1989, 8, S. 92). Stalin erhält das »Geständnis« des Verhafteten Golubenko aus Kiev, aus dem hervorgeht, daß Pjatakov das ukrainische trotzkistische Zentrum geleitet habe (ICKKPSS, 1989, 9, S. 37). Pieck schreibt an Wehner über die Verhaftung Kreszentia Mühsams (Müller 1993, S. 94; Schröder 1994, S. 93). Während der Haussuchung bei Bermant werden Waffen und Munition gefunden (.Proyßbericht 1937, S. 222). Der Antrag von Beyes auf Überfuhrung in die KPdSU(B) wird abgelehnt. Eine Sitzung der Parteigruppe seiner Schule fand nicht statt. Ihm wird vorgeworfen, daß er unzuverlässig ist und Deutschland ohne stichhaltigen Grund verlassen hat. Dittbender bestätigt, daß Beyes durchaus hätte illegal weiterarbeiten können. Druzinin notiert im Tagebuch: Nach dem Frühstück vergebliche Suche nach einem Paar Schuhe in den Geschäften (Voprosy istorii 1997, 3, S. 119). In Moskauer Zeitungen werden die Piloten geehrt, um 11.00 Uhr wird Fliegeralarm ausgelöst. Berichte in der Deutschen Zentral-Zeitung (DZZ) über den Schauprozeß in Moskau (Österreicher 1999, S. 278ß). 11. August 1936, Dienstag

Pjatakov weist die Aussagen von Golubenko über ihn als Verleumdung zurück und schreibt an Stalin (ICKKPSS 1989, 9, S. 37). Ezov informiert Stalin über das bei der geschiedenen Frau von Pjatakov gefundene Material (Kovalev 1995, S. 191). Alle Mitglieder des Politbüros erhalten das Protokoll des Verhörs von Rejngol'd (Istolnik 1993, 2, 13, Anm. 7). Trockijs Brief vom 26. Juli 1936 an Otto [Schüssler] wird im Berliner Tageblatt und im Völkischen Beobachter vom 12. August 1936 nachgedruckt. Der Sekretär des Parteikomitees des EKKI, Kotel'nikov, schreibt an Dimitroff, Manuil'skij und Moskvin und bittet um Beistand bei der Ermittlung der Ursachen der Verunreinigung des EKKI-Apparates (Kommunisten 1993, S. 44).

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Berija informiert Ordzonikidze über die Absicht, eine Festschrift zu dessen 50. Geburtstag herauszugeben (Sovetskoe rukovodstvo 1999, 336). Pod ΐζnamenem marksi^ma, Heft 8, 1936, geht in Satz. Der Leitartikel »Der Wille des sowjetischen Volkes« beschäftigt sich mit dem Prozeß gegen das trotzkistischsinowjewistische terroristische Zentrum. Im Artikel werden u. a. Bucharin und Deborin kritisiert. Bucharin - heißt es im Artikel - hat sich, das zeigen seine Beiträge in den neuesten Sammelbänden, nicht von seinen fehlerhaften politischen und philosophischen Auffassungen distanziert. Tal' wird zum ersten Stellvertreter des Verantwortlichen Redakteurs der I^vesüja ernannt (Istocnik 1996, 6, S. 139). Stalin empfängt in der Zeit von 14.55 bis 16.10 Uhr in seinem Kabinett: Kaganovic, Vorosilov, Ezov, Cubar', Ordzonikidze, Vysinskij, Jagoda, Tal', Steckij (Jstoriceskij archiv 1995, 4, S. 31). 12. August 1936, Mittwoch

Ein Artikel von I. Karpenko, dem Sekretär des Rayonkomitees in Vjazimkovsk, erscheint in der Pravda. Er berichtet über eine Parteiversammlung in einer Fabrik und die Verstöße gegen die innerparteiliche Demokratie. Innerhalb von drei Jahren wurden in den zwölf Kombinaten 62 Parteisekretäre abgelöst, das komplette Parteikomitee war kooptiert. Die Umstrukturierung der Parteiarbeit muß unter Berücksichtigung der in der Verfassung formulierten Aufgaben erfolgen {Schräder 1995, S. 365ß). 13. August 1936, Donnerstag

Bucharin schreibt aus Taskent an Stalin, er schildert die Großbaustellen und die neuen Betriebe. Sein an Ordzonikidze geschickter Brief ist bisher nicht aufgefunden worden (Istocnik 1993, 2, S. 5). Den nächsten Brief schreibt Bucharin aus Frunze. Hier herrscht Dürre, teilt er mit, und schlägt vor, umgehend Getreide in die Region zu liefern. Chodzaev sagt während des Bucharin-Prozesses am 4. März 1938 aus (Pro^eßstenogramm 1938, S. 249)·. Im Jahre 1936 kam Bucharin nach Taskent. Ich hatte mit ihm zwei Zusammenkünfte: die eine Zusammenkunft hatte ich im Sommerhaus des ZK, wo er bei Cecher wohnte, und die zweite Zusammenkunft mit ihm hatte ich in meinem Sommerhaus bei Taskent (Pro^eßstenogramm 1938, S. 407). Bucharin bestreitet die Aussage von Chodzaev, daß er ihm Instruktionen zur Verschärfung des Terrors übergeben habe. Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seine Mutter (Florenski 2001, S. 376-378). Die Rundschau (Basel), Nr. 36, veröffentlicht den von Radek verfaßten Artikel »Bürgerliche und sozialistische Demokratie« (S. 1485—1490). Stalin empfängt in der Zeit von 15.00 bis 18.50 Uhr in seinem Kabinett: Kaganovic, Vorosilov, Ezov, Ordzonikidze, Pjatakov, Gorev, Urickij, Demjan Bednyj (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 31). 14. August 1936, Freitag

Verhaftung des Leiters des Leningrader Militärbezirks, Primakov (Strafsache M. N. Tuchacevskij) (ICKKPSS 1989, 4, S. 44). Erst im Mai 1937 gesteht er unter Folter, einer konterrevolutionären Verschwörergruppe angehört zu haben. Seine

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Frau wird am 16. Dezember 1937 verhaftet und zu 5 Jahren Verbannung verurteilt. Ihre Söhne werden zu 5 bzw. 8 Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt (Dorogoj 2001, S. 231). Remmele schreibt an Moskvin und Manuil'skij über die Zusammensetzung der Propagandaabteilung des EKKI. Verhör von Süßkind und Ter-Vagan'jan (Pro^eßbmckt 1936, S. 110). Die Anklageschrift zum Schauprozeß 1936 liegt vor (Pro^eßbericht 1936, S. 40). Sie ist vom Staatsanwalt bestätigt und zusammen mit den Akten an das Militärkollegium des Obersten Gerichtes der UdSSR zur Verhandlung auf Grund des Beschlusses des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR vom 11. August dieses Jahres in öffentlichen Gerichtsverfahren weitergeleitet worden. Der Beginn der Verhandlungen ist für den 19. August festgesetzt. Unter der Überschrift »Trotzkistische konterrevolutionäre Terroristengruppe aufgedeckt« berichtet die Rundschau (Basel) (Nr. 37, 20. 8. 1936, 9, S. 1510) über die 1936 vom NKVD endarvten trotzkistisch-sinowjewistischen Terroristengruppen. Weitere Artikel zum Thema: »Die Feinde des Volkes auf frischer Tat ertappt!« (ebd., S. 1519f). Es handelt sich hierbei um einen Nachdruck aus der Pravdtr. Im Artikel heißt es u. a.: Die Untersuchung hat die ekelerregende Gemeinschaft mit weißgardistischen Banditen, faschistischen Spionen und Diversanten an den Tag gebracht. Die ertappten Feinde versuchten, ihre Spuren zu verwischen und gestanden nur ihre moralische und politische Verantwortung. Sie hatten ständige Verbindung mit der Gestapo. Boguslavskij beginnt, Aussagen zu machen (Prüfbericht 1937, S. 221). Gide und 162 Freunde der Sowjetunion bereisen vom 14. bis 28. August 1936 die Sowjetunion (Gide 1937a, S. 14). Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seine Frau Anna und die Töchter (Florenski 2001, S. 378-384). 15. August 1936, Sonnabend

Verhör von Beloborodov, einem Gefolgsmann Trockijs (Nekrasov 1995, S. 121), durch Kogan, der auch die Verhörprotokolle erfindet. Beloborodov verweigert sechs Monate lang die Aussage. Kurz nach ihm wird auch seine Frau verhaftet (Orlov 1991, S. 92). Verhör von I. N. Smirnov (Pro^eßbericht 1936, S. 16). Die Zeitungen sind voll von Meldungen über den Prozeß, der am 19. August beginnen soll. In der Pravda ist davon die Rede, daß die Verbrecher »auf frischer Tat ertappt« worden seien. Dieser Artikel gibt die Sprachregelung für die Berichterstattung vor. Die Verschwörerorganisation soll bereits seit dem Jahr 1932 bestanden haben (Solov'ev 1993, S. 188). Berichte über die Beteiligung von Gläubigen an der Verfassungsdebatte. Viele hoffen auf den Neubau von Kirchen und schlagen die Abschaffung der Todesstrafe vor (Obscestvo 1998, S. 142). 16. August 1936, Sonntag

Remmele schreibt an Manuil'skij: Da es mir verboten ist, mich in deutsche Parteiangelegenheiten einzumischen, war ich gezwungen, auch nach der Rede des Genossen Weber zu schweigen. Remmele schreibt, daß F. David bereits während des Bürgerkrieges ein Klassenfeind war und auch mit Emel, wie ihm Thälmann

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mitteilte, nicht alles in Ordnung war. Das gibt Stoff genug, um als Ankläger auf der Parteilinie im kommenden Prozeß auftreten zu können. Es gibt noch viele liberale in der Partei, lautet der Kommentar der Pravda zum Umtausch der Parteimitgliedsbücher. Die Zeitung berichtet von der Empörung des ganzen Sowjedandes gegen die terroristischen trotzkistischen Verräter. Diese Berichte werden von der Rundschau (Basel) (Nr. 37, 20. 8. 1936, 9, S. 1510) übernommen. Landesweit wird die Forderung nach strengster Bestrafung laut, heißt es im Kommentar. Stalin teilt Kaganovic und Vorosilov mit, daß es nicht zweckmäßig sei, I. P. Uborevic zum Oberkommandierenden der Luftstreitkräfte der UdSSR zu ernennen. Stalin tritt seinen Urlaub in Soci an (Stalin 2001, S. 627). 17. August 1936, Montag

Verhaftung von Serebrjakov. Boross berichtet über den Moskauer Prozeß: Da wir diese Zeilen niederschreiben, ist über den Gegenstand des Prozesses von amtlicher Seite erst eine knappe Mitteilung der Staatsanwaltschaft veröffentlicht worden. Dazu kommt eine vierte Tatsache, die zwar in dieser amtlichen Mitteilung nicht enthalten ist, aber in kompetenten Artikeln der Presse erwähnt wird: enge intime Verbindung der trotzkistisch-sinowjewistischen Terroristen mit der Hiderschen Gestapo. [...] Das Volk begann die Früchte der revolutionären Saat zu ernten. Es ging gleichzeitig an die gewaltige, äußerst schwierige Aufgabe der sozialistischen Industrialisierung der Sowjetunion. Das Volk sah sowohl seine gewaltigen Errungenschaften als auch seine gewaltigen Aufgaben. Die Trotzkisten-Sinowjew-Anhänger sprachen aber nur von den Schwierigkeiten (Rundschau (Basel), Nr. 37, 20. 8. 1936, 9, S. 1509f). »Und jetzt das andere — der Prozeß gegen die internationalen Konterrevolutionäre Trockij und Zinov'ev. Der Prozeßverlauf deckt alles auf, Gestapo im Bunde mit Trockij, wahrhaftig ein würdiges Paar. Für mich und für alle eine große Lehre. Schon 1934/1935 hörten wir immer und glaubten zu verstehen, was es heißt: Klassenwachsamkeit, neue Formen des Klassenkampfes! Wie wenig wissen wir deutschen Genossen davon. Mitten unter uns in nächster Nähe und Umgebung sitzen Feinde, und wir sehen nichts, glauben fast nicht an diese Möglichkeit, bis dieser Prozeß abläuft.« (Tromm 1992, 2, S. 187.) Ustrjalov hält im Tagebuch die Eindrücke über den beginnenden Prozeß fest: Der Prozeß ist eine moralisch-politische Hinrichtung (Ustijalov 1998, S. 30). »Während der Gerichtsverhandlung«, die bis zum 24. August dauerte, leisteten die Angeklagten keinen Widerstand mehr. [...] Allein Smirnov, der im Prozeß zum Führer des trotzkistischen Untergrundes erklärt wurde, versuchte, einen großen Teil der ihm zur Last gelegten Beschuldigungen zurückzuweisen. Er wurde jedoch durch die Aussagen der anderen Angeklagten >überführt0 porjadke uceta truda i zarplaty specpereselencev i zakljucennych ispravitel'no-trudovych kolonij, rabotajuscich na predprijatijach«< (Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR >Über die Entlohnung von Sonderumsiedlern und Häftlingen von Besserungsarbeitskolonien, die in Betrieben arbeite») (ßkonomika 1998, S. 46—52). »Es geht um Eure Sache! Die Organisation von Mordanschlägen in der Sowjetunion — nur ein Teil der faschistischen Weltoffensive zur Völkerversklavung« (Rundschau (Basel), Nr. 57, 20. 8. 1936, 9, S. 1493f). Im Artikel ist davon die Rede, daß eine Verschwörung gegen das Leben von Stalin aufgedeckt worden ist. Sie war als Teil der faschistischen Offensive angelegt. Es geht um die Vernichtung der Mordgesellen in der UdSSR, ein Kampf, der der Unterstützung der Werktätigen aller Länder bedarf. »In wessen Dienst steht Trockij? (Brief aus Brüssel)« (Rundschau (Basel), Nr. 37, 20. 8. 1936, 9, S. 1515J.): Von Trockij distanziert sich sogar der Menschewik Abramovic. Aber Trockij ist ein erfahrener Lügner. »Die Doppelzüngler-Mörder« (Moskau, den 20. August) (Rundschau (Basel), Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1567-1569): Zinov'ev und Kamenev haben die Revolution 1917 verraten. Je geschlossener das Volk auftritt, desto wilder wird der Fa-

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schismus. Der Faschismus findet bei den trotzkistisch-sinowjewistischen Terroristen den für die Faschisten so wünschenswerten Mangel an jenem Gefühl des Abscheus bei der Wahl der der niederträchtigsten, gemeinsten Mittel des Kampfes gegen die Sowjetmacht. Der Faschismus findet in der Gestalt der Doppelzüngler, der Trotzkisten-Sinowjew-Anhänger treue Spione, die sich zu tarnen wissen (S. 1586). Morgensitzung vom 20. August Vernehmung von Kamenev. Kamenev gibt zu, Kontakte zur Lominadze-SackinGruppe, zu Zinov'ev, zur Gruppe Sljapnikov-Medvedev und zu Tomskij und Bucharin unterhalten zu haben: 1932-1933-1934 unterhielt ich persönliche Beziehungen zu Tomskij und Bucharin, um mich über ihre politischen Stimmungen zu informieren. Sie sympathisierten mit uns ( P r ü f b e r i c h t 1936, S. 68). Vernehmung von Evdokimov und Zinov'ev. Beide sagen aus, völlig gesetzmäßig beim Terror angelangt zu sein. Rjutin und Tomskij haben den Terror geplant (Prüfbericht 1936, S. 74). Abendsitzung vom 20. August Vernehmung von Smirnov, Ol'berg und Berman-Jurin. Verhaftung des Militârattachés der UdSSR in Großbritannien, Putna (Strafsache M. N. Tuchacevskij) (ICKKPSS 1989, 4, S. 44). Pieck schreibt an Dimitroff: Einige Genossen, die durch die Brüsseler Parteikonferenz wegen ihres Fraktionstreibens in der Arbeit der KPD beiseite gestellt wurden, beginnen bereits damit, die Angelegenheit zu einer Kampagne gegen die Parteiführung auszunutzen {Müller 1993, S. 119). Sedov schreibt an Trockij: Wir sind in der Anklageschrift erwähnt, L. T. bildet das Zentrum des Prozesses. Sedov bezeichnet Pjatakov und Radek als nun fast 10 Jahre auf dem Bauch kriechende Halunken (Schräder 1995, S. 175). Vom 20. bis 26. August 1936 veröffentlichen die Pravda und die I^yestija 153 Beiträge zum Moskauer Schauprozeß (Zier 1970). Kaganovic und Ezov informieren Stalin über den Prozeßverlauf. Jetzt liegt die Verstrickung der Rechten auf der Hand. In den Presseberichten sollen die Namen der Rechten nicht ausgespart, sondern genannt werden. Rejngol'd belastet Rykov, Tomskij und Bucharin. Während der Verhandlungen ist von der Existenz eines Reservezentrums die Rede [Stalin 2001, S. 636—638). 21. August 1936, Freitag

Morgensitzung Vernehmung von Gol'cman, N. Lur'e und Ter-Vagan'jan. Abendsitzung Vernehmung von F. David. Vysinskij informiert das Gericht, daß er veranlaßt habe, die Bucharin, Pjatakov, Tomskij, Uglanov (ICKKPSS 1990, 2, S. 116) und Radek betreffenden Hinweise zu prüfen und in Abhängigkeit vom Ergebnis auch juristische Schritte einzuleiten (Prüfbericht 1936, S. 117f).

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In der Rundschau (Basel) heißt es hierzu: In den vorhergehenden Sitzungen haben einige Angeklagte (Kamenev, Zinov'ev und Rejngol'd) bei ihren Aussagen auf Tomski), Bucharin, Rykov, Uglanov, Radek, Pjatakov, Serebrjakov und Sokol'nikov als auf Personen hingewiesen, die in dem einen oder anderen Grade an jener verbrecherischen konterrevolutionären Tätigkeit beteiligt sind, für die im gegenwärtigen Prozeß Angeklagten zur Verantwortung gezogen werden. [...] daß ich [Vysinskij] gestern angeordnet habe, Ermitdungen über diese Erklärungen der Angeklagten in bezug auf Tomskij, Rykov, Bucharin, Uglanov, Radek und Pjatakov einzuleiten, und daß die Staatsanwaltschaft, entsprechend dem Ergebnis dieser Ermittlungen das Verfahren seinen gesetzlichen Gang nehmen lassen wird (Proagßbericht 1936, S. 117f). Serebrjakov und Sokol'nikov sind derart belastet, daß sie zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden. Die Rundschau (Basel) druckt den Artikel von Radek aus der l^vestija »Die trotzkistisch-sinowjewistische Faschistenbande und ihr Einpeitscher Trockij« nach (Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1571J). Radek unterstreicht, daß niemand an der Blutschuld dieser Leute zweifeln wird. Unter der Überschrift »Keine Gnade!« erscheint ein Artikel von Rakovskij in der Pravda. Die Rundschau (Basel) druckt ihn nach (Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1571J). Rakovskij unterstreicht seine Sympathie für Stalin, den Führer: Ich wende mich an alle Freunde in der Sowjetunion und im Ausland, an alle rechtschaffenen Leute, die zu Trockij noch ein Verhältnis bewahrt haben mögen als politischem Führer und erkläre ihnen: Rückt ab von Trockij, dessen Hände vom Blut des edlen, ehrlichen, mutigen und der Arbeiterklasse grenzenlos ergebenen Sergej Kirov befleckt sind! »Schonungslos müssen die verachtungswürdigen Mörder und Verräter vernichtet werden«, unter dieser Überschrift erscheint der Artikel von Pjatakov in der Pravda. Die Rundschau (Basel) (Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1573) übernimmt auch ihn: Brennende Scham erfüllt mich, schreibt Pjatakov, wenn ich daran denke, daß ich in den Jahren 1925 bis 1927 mit diesem Banditen zusammenging, f...] Mir fehlen die Worte, um meine Empörung und meinen Abscheu auszudrücken. [...] Diese Leute müssen beseitigt werden wie Unrat, der die frische Luft des Sowjetlandes verpestet. Remmele schreibt an Dimitroff über die Kommentierung der TrotzkistenProzesse in den Zeitschriften Das Wort und Die neue Weltbühne. Bredel spricht in der Versammlung des Verbandes der Sowjetschriftsteller über den Prozeß (DZZ, 23. 8. 1936; Nachdruck: Freitag 1. 9. 1995, S. 11). Die Mitglieder der KPD werden von der Kaderabteilung des EKKI überprüft. Unter ihnen ist Bronska (Plener 1997, S. 84). Versammlung der Moskauer Organisation des Schriftstellerverbandes. Es geht um die Berichterstattung über den Prozeß. B. Gessen wird wegen seinen Kontakten zu den verurteilten Karev (dessen Aussage vom 5. Juni 1936) und N. Lur'e verhaftet und bis zum 19. November 1936 verhört (Gorelik 1995, S. 132ß). Kaganovic und Cubar' informieren Stalin über die schlechte Ernte in Kazachstan. Sie bitten um zusätzliche Getreidelieferungen in die Region (Stalin 2001, S. 638f).

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Dimitroff notiert im Tagebuch: Ein Brief von Kagan[ovic] über die »Wühlarbeit« (anonymes Schreiben gegen Mfanuilskij]). 22. August 1936, Sonnabend

Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj (Tagebuch 1996, S. 234). Morgensitzung Rede von Vysinskij. Er erinnert an Stalins Äußerungen aus dem Jahre 1933 über die Zuspitzung des Klassenkampfes beim Wachstum des Sowjetstaates und unterstreicht, daß die Aussagen der Angeklagten nicht erfunden sind (Pro^eßbericht 1936, S. 133f). Abendsitzung Letzte Worte der Angeklagten. Tomskij begeht Selbstmord. Er hinterläßt einen Abschiedsbrief an Stalin, in dem er die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zurückweist (ICKKPSS 1989, 5, S. 71). Wie Tomskijs Sohn Jurij (einziges überlebendes Mitglied dieser Familie) berichtet, erschoß sich sein Vater unmittelbar nach einem unerwarteten Besuch Stalins {Medwedew 1992, 2, S. 38). Sedov an Trockij. Trockij an Sedov. Trockij an Durand Hönefoss. Die unbekannten Größen des Prozesses sind Ol'berg, Berman-Jurin, David (Krugljanskij), M. Lur'e, N. Lur'e und jetzt neuerdings Slomovitz und Kunt. Pfemfert und seine Frau Ramm haben Ol'berg als GPU-Spitzel endarvt {Schräder 1995, S. 175-178). Neumann wird in der französischen Ausgabe der 'Rundschau als Komplize von Doriot bezeichnet. Kaganovic, Ezov und Ordzonikidze informieren Stalin über den Selbstmord von Tomskij. Wir zweifeln nicht daran, heißt es, daß er ebenso wie Lominadze durch seinen Freitod die Spuren verwischen wollte. Stalin erhält den Wortlaut der Anklageschrift mit der Bitte um weitere Weisungen {Stalin 2001, S. 639-641). 23. August 1936, Sonntag

Morgensitzung Letzte Worte der Angeklagten. Abendsitzung Mitteilung in der Pravda, aus der hervorgeht, daß der Selbstmord von Tomskij als Eingeständnis der Schuld gewertet wird. Er hat sich in seinen konterrevolutionären Verbindungen mit den trotzkistisch-sinowjewistischen Terroristen verstrickt. Uglanov wird in Tobol'sk verhaftet {ICKKPSS 1990, 2, S. 126). Urteilsverkündung im Moskauer Schauprozeß gegen Zinov'ev, Kamenev und Smirnov. In Krasnojarsk wird Direktor Subbotin vorgeworfen, er habe den Betrieb durch die Einstellung klassenfremder Elemente, gemeint ist Sedov, verunreinigt.

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Brief von Pieck an Florin, geschrieben in Moskau am Tage vor der Urteilsverkündung im Prozeß gegen Kamenev, Zinov'ev, G. E. Evdokimov, F. David u. a. (In den Fängen 1991, S. 275-283). W. Haenisch beschreibt im Brief an Pieck sein Verhältnis zu M. Lur'e, der gerade vor Gericht steht (Stammberger 1999, S. 115f.). Die Rundschau (Basel) übernimmt aus der Pravda den Artikel »Verachtungswürdige Verteidiger der Mörder der Gestapoagenten. Die Pravda zum Telegramm der Zweiten Internationale« (Moskau, 23. August) (Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1544). Soweit der Redaktion bekannt ist, heißt es im Artikel, hält es der Rat der Volkskommissare nicht für nötig, auf das Telegramm zu antworten. »Trockij, Zinov'ev, Kamenev und die Gestapo. Ein Artikel der >Pravda«< (Moskau, 23. August 1936) (Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1569): Zwischen diesen Gestapoagenten und zwischen Trockij, Zinov'ev und Kamenev bestand kein Unterschied, weder in den Anschauungen noch in den Methoden ihrer verbrecherischen Tätigkeit. Der Gerichtsprozeß hat anschaulich gezeigt, welch menschlicher Abschaum in diesen Terrorbanden organisiert war und aus welchem Pack Trockij und Himmler (der Chef der Gestapo) ihr Heer zusammensetzen. »Die >Pravda< zur Rede von Vysinskij« (Moskau, 23. August) (Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1571). Die Existenz eines trotzkistisch-sinowjewistischen Terrorzentrums von 1932 bis 1936 in Moskau ist bewiesen, heißt es im Artikel. Hinter diesem Programm steckt die widerliche Schweineschnauze des Faschismus. Vysinskij bezeichnete die Angeklagten als tolle Hunde und forderte auf, sie so rasch als möglich unschädlich zu machen. Berichte in der DZZ über den in Moskau stattfindenden Schauprozeß (Österreicher 1999, S. 278ß). Stalin schlägt vor, die Anklageschrift zu überarbeiten und stärkere Formulierung gegen Trockij und Sedov aufzunehmen: Es muß in irgendeiner Form darauf hingewiesen werden, daß sie zur Verantwortung zu ziehen sind. Das die Urteile endgültig sind, wissen wir, darüber muß man sich aber nicht in der Anklageschrift äußern. Die Artikel von Rakovskij, Radek und Pjatakov sind gut gelungen. Stalin weist an, Glebova, Kamenevs Frau, nach Moskau zu holen und intensiv über Kamenevs Kontakte nach Frankreich zu vernehmen (Stalin 2001, S. 642). 24. August 1936, Montag

»Das Urteil« (Moskau, den 24. August) (Rundschau (Basel), Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1553-1563). Presseberichte über den Selbstmord von Tomskij. Im Leitartikel der Pravda wird hervorgehoben, daß das Urteil im Volk mit Genugtuung und Einmütigkeit begrüßt wird. In den Prozeßtagen kam die Einheit und Geschlossenheit des Sowjetvolkes mit der Partei Lenins und Stalins, mit der Sowjetregierung und mit dem großen geliebtesten Führer der Völker, dem Genossen Stalin, dem das Volk den Namen »die Sonne des Sozialismus« verliehen hat, erneut zum Vorschein. Stalin führt das 170-Millionen-Volk zum freudvollen und glücklichen Leben. Preobrazenskij veröffentlicht in der Pravda den Artikel »Dem Höchstmaß an Verrat und das höchste Strafmaß«. Luftparade und Flugschau in Tusino bei Moskau. Um 2.30 Uhr wird das Urteil verkündet.

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Um 4.30 Uhr reichen die Verurteilten Zinov'ev, Kamenev, N. Lur'e und Smirnov Gnadengesuche an das Präsidium des Gesamtrassischen Zentralexekutivkomitees ein {Kovalev 1995, S. 137-140). Dimitroff notiert im Tagebuch: Das Urteil ist vollstreckt. Er wußte, daß die Anklage einzig und allein auf den Geständnissen der Angeklagten beruhte. Dazu hatte ihn auch Feuchtwanger befragt. Ljandres und Bucharin treffen am 24. oder 25. August in Frunze ein, an dem Tag, als Zinov'ev, Kamenev und die anderen schon zum Tode verurteilt, aber noch nicht hingerichtet worden sind. Bucharin schickt direkt aus Frunze ein Telegramm an Stalin, in dem er darum bittet, die Vollstreckung des Urteils aufzuschieben, um ihm eine Gegenüberstellung mit Zinov'ev zur Feststellung der Wahrheit zu ermöglichen ÇLarina-Bucharina 1989, S. 298; Istocnik 1993, 2, S. 12, Anm. 4). Smirnov wird verurteilt (ICKKPSS 1991, 6, S. 72). Bucharin schreibt an Stalin über die militärisch-strategische Bedeutung des Pamir-Gebietes und schildert die Ungereimtheiten in der Region auf wirtschaftlichem Gebiet {Istocnik 1993, 2, S. 5). Remmele schreibt an Manuil'skij. Er möchte über Rejngol'd aussagen, nachdem er den Prozeßbericht in der Pravda gelesen hat: Ich bitte dringend um meine baldige Vernehmung. Veröffentlichung der Resolution des ZK der KPD »zu den trotzkistisch-sinowjewistischen Verbrechen gegen die Arbeiterklasse« (Rundschau (Basel') 1936, Nr. 42). Ezov und Kaganovic informieren Stalin über die Schaffung eines nationalen Friedenskomitees. Stalin gibt zu bedenken, daß die Nachrichtenagentur TASS von Kleinbürgern durchsetzt ist und schlägt eine gründliche Reinigung dieses wichtigen Apparates vor. Ezov, Kaganovic, Vorosilov und Ordzonikidze informieren Stalin über die Ablehnung aller Gnadengesuche durch das Politbüro des ZK der KPdSU(B) und das Zentrale Exekutivkomitee. Kaganovic informiert Stalin, daß im Laufe des Jahres 12.000 Werktätige aus der Flugzeugindustrie als Schädlinge endassen wurden. Da die voraussichtliche Zahl der Einzuberufenden 13.000 beträgt, bittet Ordzonikidze aus diesem Industriezweig niemanden zur Armee einzuberufen. Vorosilov ist seinerseits lediglich bereit, 5.000 Wehrpflichtige freizustellen. Stalin weist daraufhin an, die Zahl der Unabkömmlichen auf 10.000 zu erhöhen (Stalin 2001, S. 642-646). Der Rektor der Wirtschaftsakademie Mancev wird ins Präsidium des Obersten Volkswirtschaftsrates berufen {Smirnov 2001, S. 257). Nacht zum 25. August 1936 Erstes Verhör von Putna (Strafsache Tuchacevskij) (ICKKPSS 1989, 4, S. 44), am 31. August gesteht er die Existenz eines »parallelen« und eines »Moskauer« trotz kistischen Zentrums. 25. August 1936, Dienstag »Das ganze Sowjetland begrüßt das Urteil über die Mörder (Moskau, 25. August)« (Rundschau (Basel), Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1573). Das Urteil ist vollstreckt, heißt es im Artikel: Einen derartigen Urteilsspruch haben wir erwartet. Diesem

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heiligen Schwur schließt sich das ganze Land, das Proletariat der ganzen Welt an. Cachin und der CGT-Sekretär Racamond stimmen dem Urteil gegen die Trotzkisten-Sinowjewisten zu (Paris, 25. August) (Rundschau (Basel), Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1575). Obwohl den im Schauprozeß Angeklagten von Jagoda und Stalin für ihr Geständnis das Leben versprochen (Nekrasov 1995, S. 180) wurde, werden die am Vortag im Schauprozeß verurteilten Smirnov, Ter-Vagan'jan, Preobrazenskij und Mrackovskij hingerichtet (ICKKPSS 1991, 6, S. 71-89). Gide verläßt die Sowjetunion. S. S. Kamenev gestorben. Hirsch schreibt an Stalin und Dimitroff über die Kader- und Personalpolitik der KPD {Müller 1993, S. 119). Richter (Schubert) verfaßt am 6. Februar 1937, d. h. am Vorabend des FebruarMärz-Plenums des ZK der KPdSU(B), auf dem das Signal für die Vorbereitung des Moskauer Schauprozesses 1938 gegeben wurde, einen ausführlichen Lebenslauf, dessen roter Faden der Nachweis war, daß er stets vorbehaltlos die Position der Partei und der Kommunistischen Internationale verteidigt und dafür gekämpft hatte. Der Bericht ist — verglichen mit dem am 25. August 1936 geschriebenen Lebenslauf - so abgefaßt, daß die Entscheidung der Brüsseler Konferenz der KPD, ihn wegen einer Reihe sektiererischer Fehler zu verurteilen, auf den sechs eng beschriebenen Seiten regelrecht untergeht. Richter kann nicht mehr so wie im August 1936 von sektiererischen Fehlern sprechen, im Februar 1937 muß er bereits eine Reihe derartiger Fehler zugeben. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum die ausführlichere Beschreibung der Linientreue im Lebenslauf so in den Vordergrund rückt. Im Zuge der Nachbereitung des Bucharin-Prozesses wird Richter erschossen {Hedeler 2001a, S. 370-383). 25./26. August 1936

Abstimmung im ZK über den Ausschluß von Sokol'nikov. Das Sekretariat des EKKI schickt ein von Dimitroff unterschriebenes Chiffretelegramm mit der Forderung, die genannten Artikel sofort in der kommunistischen und nahestehenden Presse zu veröffentlichen, an alle Kommunistischen Parteien. Verhör von Sokol'nikov über die Leitung der konterrevolutionären Gruppen. 26. August 1936, Mittwoch

»Rechtsgelehrter Pritt für die Sowjetjustiz - gegen die Intervention Citrines im Trockij-Zinov'ev-Prozeß« (London, 26. August) (Rundschau (Basel), Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1544f). Pritt hebt im Artikel hervor, daß er persönlich den Prozeß verfolgen konnte. Die Angeklagten waren nicht von Mißhandlungen gezeichnet und hatten vor Gericht keine Angst, sie verzichteten zudem freiwillig auf einen Verteidiger, wandten sich frei und so oft sie wollten, an das Gericht. Es war ein beispielhafter Prozeß. Antwort an Citrine (Moskau, 26. August) (Rundschau (Basel), Nr. 38, 27. 8. 1936, 9, S. 1573). Collard und Lazarus, beide Mitglieder der Labour Party und als Rechtsanwälte tätig, haben den Prozeß verfolgt, und protestieren deshalb auf das schärfste gegen das Telegramm der SAI.

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Die Parteiversammlung des EKKI beschließt, daß sich jeder Genösse verpflichtet, auf seine Umgebung zu achten sowie die Parteiorganisation von allen Verdächtigungen rechtzeitig zu informieren (Kommunisten 1993, S. 45). Gural'skij wird aus der KPdSU(B) ausgeschlossen, er war bereits am 7. August 1935 aus dem Apparat des EKKI endassen worden. Panteleev, »Ja rabotai dobrosovestno i nebezrezul'tatno« (Ich habe aufrichtig und nicht ergebnislos gearbeitet) (Istorija Kominternovca 1997, S. 5). Das Parteibüro des Kirover Kreiskomitees in Krasnojarsk beschließt, Subbotin wegen Vernachlässigung der Wachsamkeit eine Rüge auszusprechen ( V o p r o s y istorii 1993, 10, S. 138). Verhaftung von Sokol'nikov. Leznev in der Pravda. »Trotzkistische Nester im Moskauer >Haus des Buches0 sostojanii politiceskoj bditel'nosti ν partorganizacijach Gortranlesa i standi Gor'kij«< (Beschluß der Po-

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litabteilung der Gor'kij-Eisenbahn >Über die politischen Wachsamkeit in den Parteiorganisationen von Gortranles und der Station Gor'kijIzvestija< einen Bericht über die Feinde und die Liberalen in einigen Schriftstellerorganisationen. [...] Woher hatte Bel'jaevskij die Information, daß Vojtinskaja eine Trotzkistin ist? [...] Es hat sich herausgestellt, daß Vojtinskaja niemals Trotzkistin war. Erst kürzlich, am 9. August 1936 hatte sie im Parteikomitee des Instituts der Roten Professur für Literatur mitgeteilt, daß

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sie einige Male im Haus der Trotzkistin Serebrjakova gewesen sei. Das Parteikomitee Schloß sie daraufhin sofort aus, ohne den Sachverhalt zu prüfen. So können nur Leute verfahren, die bemüht sind, »sich rückzuversichern«. [...] Es bleibt jedoch noch das nicht gelöste Problem des Journalisten Bel'jaevskij, der so rücksichtslos und unverantwortlich die Spalten der sowjetischen Presse mißbrauchte. (.Schräder 1995, S. 373ß). A. Weiss, Karikaturist bei der DZZ, wird aus der KPD ausgeschlossen. In der von Breton auf einem Meeting verlesenen Erklärung »Die Wahrheit über den Moskauer Prozeß« heißt es: Wir bestreiten mit euch auf das entschiedenste die Stichhaltigkeit der Anklage, die angesichts des Vorlebens der Angeklagten und trotz der angeblichen >GeständnisseReichstagsbrandBesprechungen< gerufen. Es handelt sich um Gegenüberstellungen mit den inzwischen Verhafteten (.Antonov-Ovseenko 1986, S. 211). 8. November 1936, Sonntag

Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Das Leben ist heiter geworden (Garns 1998, S. 35). Trockij schreibt an Sedov {Schräder 1995, S. 235, 236). 9. November 1936, Montag

Der Gesundheitszustand von Ordzonikidze verschlechtert sich. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Der ganze politische Rummel wurde unverhohlen in Alkohol ertränkt (Garros 1998, S. 36).' 10. November 1936, Dienstag

Trockij schreibt an Puntervold; Sedov schreibt an Trockij. Er vermutet, daß Trockijs Briefe durch eine Zwischeninstanz von der GPU gelesen werden {Schräder 1995, S. 237ß). 11. November 1936, Mittwoch

Verhaftung von Scholze. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Die Werktätigen haben am Großen Jahrestag alles vertrunken und verkaufen jetzt ihre Habseligkeiten {Garros 1998, 37). 12. November 1936, Donnerstag

Die Rundschau (Basel), Nr. 51, erscheint. Aus dem Inhalt: »Der 7. November in Moskau« {S. 2067). Trockij schreibt an Sedov {Schräder 1995, S. 240f.). Gide zitiert in »Retuschen zu meinem Rußlandbuch« Berichte aus der Pravda über unbrauchbare Autoersatzteile, die von der Fabrik in Jaroslav geliefert wurden {Gide 1937a, S. 16). 13. November 1936, Freitag

Ordzonikidze erhält eine Denkschrift mit Spitzelberichten, die seinen Tätigkeitsbereich betreffen {Chlevnjuk 1992, S. 84). Tagebucheintragungen von Stange {Stange 1998, S. 170): Am Abend fand in unserem Haus eine Versammlung anläßlich der Organisation der Bürgerwehren statt. Angarov schreibt an Stalin, Kaganovic und Andreev und berichtet über die Rechenschaftslegung von B. Pil'njak am 28. Oktober vor der Leitung des Schriftstellerverbandes {Istocnik 1997, 6, S. 143-145). Der Mitarbeiter des NKVD in Novosibirsk Knjazev-Vetoskin erklärt seinen Austritt aus der KPdSU(B) und quittiert seinen Dienst beim NKVD. Er wird sofort verhaftet und wegen Verbindungen zu Trotzkisten angeklagt (Tepljakov 1997, S. 247).

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Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seine Schwiegertochter Natalja {Florenski 2001, S. 404-410). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen' {Garros 1998, S. 38ß). Stalin empfängt in der Zeit von 17.50 bis 19.35 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Litvinov (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 32). 14. November 1936, Sonnabend

Soznovskij wird bis zum 16. November verhört. Die von Berija verfaßte Broschüre »Zur Geschichte der bolschewistischen Organisation in Transkaukasien« erscheint. Dem Politbüro des ZK der KPdSU(B) liegt ein Entwurf über die von Dal'stroj zu realisierenden Aufgaben vor. 15. November 1936, Sonntag

Verhaftung von Turok. Der Stellvertretende Leiter der Sverdlovsker Eisenbahn gehört zu den Angeklagten im Radek-Prozeß im Januar 1937. Gide zitiert in »Retuschen zu meinem Rußlandbuch« aus einem Bericht der Pravda über unbrauchbare chirurgische Instrumente. Uber 50 % der Produktion ist Ausschuß {Gide 1937a, S. 19). 16. November 1936, Montag

Verhör von Jakovlev. Das Verhörprotokoll wird Bucharin vorgelegt {Voprosy istorii 1992, 2/3, S. 37). Verhaftung von I. A. Knjazev. Verhör von Kulikov. Ulbricht schreibt an Pieck (Müller 1993, S. 97). Dem Politbüro des ZK der KPdSU(B) liegt ein Bericht über die trotzkistische Diversantengruppe in West-Sibirien vor. Davies notiert im »Tagebuch«: Heute hat der Präsident meine Vollmacht als sein Botschafter der Vereinigten Staaten an die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken unterzeichnet und bekanntgegeben (Davies 1943, S. 3). 17. November 1936, Dienstag

Graf von der Schulenburg, der deutsche Botschafter in Moskau, wird beim sowjetischen Außenminister Litvinov vorstellig, um für eine Reihe von verhafteten deutschen Staatsbürgern zu intervenieren {Schafranek 1990, S. 27). Der Leiter der Kreisdienststelle der Gebietsverwaltung des NKVD in Kamenka, Leutnant S. S. Ivanov, informiert den Sekretär der Kreisleitung der KPdSU(B) in Kamenka, Volkov, über die Endarvung einer konterrevolutionären Jugendorganisation (Vosvrasceme 1995, S. 47f). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Wir führen ein Hungerdasein, aber noch geht es {Garros 1998, S. 40f). 18. November 1936, Mittwoch

Gide zitiert in »Retuschen zu meinem Rußlandbuch« Berichte aus der Pravda über unbrauchbare Schallplatten, die von der Fabrik in Noginsk geliefert wurden {Gide 1937a, S. 17).

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Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen' (Garns 1998, S. 41f). 19. November 1936, Donnerstag

Rundschau (Basel), Nr. 52, berichtet über die Erfolge in der Sowjetunion. Trockij schreibt an Sedov (.Schräder 1995, S. 244ß). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Zehn Tage mußten wir auf den Lohn warten (Garns 1998, S. 42ß). 19. bis 22. November 1936

Unter Vorsitz von Ul'rich findet in Novosibirsk ein Prozeß über die Vorfalle in Kemerovo statt. Angeklagt sind: Noskov, Subin, Kurov, Lascenko, Andreev, Kovalenko, Leonenko, Pesechonov und der deutsche Ingenieur Stickling (Pro^eßbericht 1937, S. 12). Der Leiter des NKVD Vrublevskij wird abgesetzt. Sechs Betriebsleiter werden zum Tode verurteilt, drei Mitglieder der Führung, unter ihnen ein deutscher Ingenieur, zu zehn Jahren Haft begnadigt. Der Fall des Chemiekombinats Kemerovo wird ausgeklammert und gesondert verhandelt. 7 der 17 in dieser Sache Angeklagten werden beschuldigt, dem Westsibirischen trotzkistischen Zentrum anzugehören. Von dieser Verbindung zum Moskauer Zentrum wird auf dem bevorstehenden Schauprozeß in Moskau die Rede sein (Tepljakov 1997, S. 244f). 20. November 1936, Freitag

Artikel in der Pravda: »Der Prozeß gegen die konterrevolutionäre trotzkistische Schädlingsgruppe im Bergwerk von Kemerovo« {Schräder 1995, S. 393—396). Bol'iemk, Heft 22, 1936, im Druck. Redaktion: Steckij, Knorin, Pospelov, Tal'. Aus dem Inhalt: Diskussion über die Stalinsche Verfassung; Tal' kritisiert in einem Artikel über den Gegenstand der politischen Ökonomie die von Bucharin in der »Ökonomik der Transformationsperiode« formulierte völlig falsche Definition. Berezin kommentiert im Artikel »Über die schmählichen Restauratoren des Kapitalismus, Schädlinge und Agenten der faschistischen Bourgeoisie« den Prozeß in Kemerovo. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Schon die ganze Revolutionszeit über ist das Leben generell in der Tagespresse kaum beleuchtet worden, oder doch nur die eine Seite (Garns 1998, S. 43f). 21. November 1936, Sonnabend

Nach der Verhaftung meiner Schwester Wilke, von der ich am 16. September erfuhr, beschuldigte mich das Partkom des IMEL [Marx-Engels-Lenin-Institut], daß ich über die Verbindung meiner Schwester mit dem Terroristen-Trotzkisten M. Lur'e und seiner Frau früher nicht gesprochen hätte. Das entspricht nicht den Tatsachen, schreibt Golda Fröhlich an Pieck. Nachdem sich diese Anschuldigung nicht aufrechterhalten lassen, wirft man ihr das Verschweigen einer Reihe Fakten vor. Die Partkomsitzung vom 25. September beschloß deshalb meinen Ausschluß aus der Partei bei zwei Stimmenthaltungen; die Parteiversammlung vom 7. Oktober bestätigte den von Zorkij beantragten Ausschluß. Diskussion entwickelte sich nicht. ... Wieso konnte eine einmütige Stellungnahme für meinen Ausschluß ohne Diskussion erfolgen. Von den Versammlungen, in denen über

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sie entschieden wurde, blieb sie ausgeschlossen. G. Fröhlich kritisiert nicht die Verletzung des Statuts, sondern sucht und findet den Hauptgrund in ihrem schlechten Auftreten, in ihrer Vertrauensseligkeit und ungenügenden Wachsamkeit. Sie nimmt alles auf sich — mit einer Ausnahme: Angriffe gegen ihren Mann, der sich auf Grund der Haft in Deutschland nicht verteidigen kann, weist sie mit Nachdruck zurück: »Genösse Ricklin, Mitglied des Partkom hatte in einer früheren Parteiversammlung eine Äußerung, die Gen. Horst Fröhlich vor etwa 4 Jahren in einem Privatgespräch mit einem Genossen gemacht haben soll: >daß die Arbeit im Institut langweilig sei und im Institut Schlafmützen sitzen< (oder so ähnlich) als eine antiparteiliche charakterisiert. Abgesehen davon, daß es eine Takdosigkeit ist, über eine solche Äußerung eines Genossen, der im faschistischen Gefängnis sitzt, sich nicht dazu äußern kann, in der Parteiöffentlichkeit zu sprechen, verursachte diese Mitteilung von einem Genossen in verantwortlicher Funktion, selbstverständlich Mißtrauen [...].« Lur'e wird vorgeworfen, eine Gruppe aus ehemaligen Ultralinken — in diesem Zusammenhang fällt der Name von Wittfogel — ins Leben gerufen und geleitet zu haben {Hedekr2001, S. 165). Dem Politbüro des ZK der KPdSU(B) liegt ein Antrag auf die Umbenennung des nach Pjatakov benannten Chemiewerkes in Groznyj vor. Im Pravda-Artikel »Der Prozeß gegen die konterrevolutionäre trotzkistische Schädlingsgruppe im Bergwerk von Kemerovo« wird über die Morgen- und Abendsitzung vom 19. November sowie die Morgensitzung vom 20. November berichtet {Schräder 1995, S. 397-404). 22. November 1936, Sonntag

Verhaftung von Leo Roth. Wir bekommen täglich Massagen. Das hilft unseren Nerven. Unterhalten uns über unser grauenhaftes Leben und lesen Zeitungen (Bulgakov 1991, S. 277). Die deutschsprachige Broschüre von Ponomarev »Die Trotzki-Sinowjew-Bande. Eine direkte Agentur des Faschismus« geht in Satz. Sedov schreibt an Trockij {Schräder 1995, S. 245). Artikel in der Pravda. »Der Prozeß gegen die konterrevolutionäre trotzkistische Schädlingsgruppe im Bergwerk von Kemerovo«. Die Anweisungen zur Sabotage, heißt es im Artikel, kamen über Pjatakov und Muralov aus Berlin {Schräder 1995, S. 404-411). Stalin empfängt in der Zeit von 16.00 bis 19.25 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Kalinin, Andreev, Ordzonikidze, Mikojan, Cubar', Rudzutak, Ezov, Manuil'skij, Litvinov, Mezlauk, Antipov, Grin'ko, Kruglikov (Istorileskij archiv 1995, 4, S. 35). 23. November 1936, Montag

Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj (Tagebuch 1996, S. 235f). Nevskij sagt während der Verhöre aus, daß er sich mit Bucharin oft über die Anwendung des Terrors unterhalten habe. Am 25. Mai 1937 gibt Nevskij zu Protokoll, zu dieser Aussage von den Untersuchungsführern gezwungen worden zu sein. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen' {Garros 1998, S. 45).

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Verhör von Kippenberger über seine Spionagetätigkeit im Auftrage der Gestapo. Artikel in der Pravda: »Der Prozeß gegen die konterrevolutionäre trotzkistische Schädlingsgruppe im Bergwerk von Kemerovo«. Abendsitzung vom 21. November 1936. Rede des Staatlichen Anklägers, des stellvertretenden Staatsanwalts der Union der SSR, des Genossen Roginskij {Schräder 1995, S. 411-419.) 25. November bis 5. Dezember 1936 Stalin: »Uber den Entwurf der Verfassung der Union der SSR. Bericht auf dem Außerordentlichen 8. Sowjetkongreß der UdSSR« {Stalin 1976, S. 57-90). Bucharin hört die Rede von Stalin im Radio, da er nicht am Sowjetkongreß teilnimmt. Usttjalov hört die Rundfunkübertragung und fertigt einen Konspekt von Stalins Rede an {Usttjalov 1998, S. 58f). Ljam schreibt an Kalinin. Sie weiß nicht, ob ihr Mann noch am Leben ist, er arbeitete vor seiner Verhaftung in der für Landwirtschaft zuständigen Redaktion der ¡^vestija. Er wollte dort schon immer wegen der »Macken Bucharins« weg, er wollte zur Pravda wechseln. Jetzt ist ihr Mann durch Medvedev, einen ehemaligen Mitarbeiter, der zehn Jahre mit ihm zusammengearbeitet hat, belastet worden. Ljam wurde am 25. August 1936 als Trotzkist aus der Redaktion entlassen. Die Parteiversammlung in der Redaktion, die diesen Ausschluß diskutierte, dauerte fünf Tage. Ljam schreibt, daß ihr Mann Opfer einer Intrige geworden ist und bittet Kalinin um Beistand. Ribbentrop und der japanische Botschafter in Deutschland unterzeichnen in Berlin den Anti-Komintern-Pakt. 26. November 1936, Donnerstag Svanidze hört Stalins Rede im Rundfunk. Die Schädlinge haben alles daran gesetzt, daß Stalin schlechter zu hören war als die anderen Redner, notiert sie im Tagebuch. Usttjalov notiert im Tagebuch: Diktatur und Demokratie. Demonstration der Stärke {Usttjalov 1998, S. 54). Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seine Frau Anna und die Tochter Ol'ga {Florenski 2001, S. 410-415). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Schade, daß ich die Stalin-Rede nicht hören konnte. Unsere Mitarbeiter waren unterschiedlicher Meinung. Was bringt uns die neue Verfassung? {Garros 1998, S. 45-47) 27. November 1936, Freitag Die Rundschau (Basel), Nr. 53, berichtet über den Verlauf des außerordentlichen 8. Sowjetkongresses und das Referat Stalins über den Entwurf der Verfassung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Darin ist u. a. von den Veränderungen im Leben der UdSSR in der Periode von 1924 bis 1936 die Rede (5. 2117-2125). A. Komját: »Der Prozeß von Novosibirsk. Harte Strafen für die trotzkistisch-faschistischen Arbeitermörder, Schädlinge und Spione!« {S. 2155— 2159.) Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Wer alleinstehend ist und 300 Rubel verdient, lebt erträglich und hat genug zu essen. Für drei Rubel kann man reichlich in der Kantine essen (Garros 1998, S. 47ß).

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28. November 1936, Sonnabend

Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Wir brauchen mindestens 20 Rubel am Tag, wir verdienen zu zweit aber nur acht. Heute habe ich von Fleisch geträumt (Garros 1998, S. 48ß). 29. November 1936, Sonntag

Die amtliche Definition der Sabotage wird erweitert. Vysinskij ordnet an, innerhalb eines Monats alle in Frage kommenden Fälle aufzurollen. Die deutschsprachige Broschüre von Ponomarev »Die Trotzki-Sinowjew-Bande. Eine direkte Agentur des Faschismus« geht in Druck. 30. November 1936, Montag

Verhör von Kulikov. Das Protokoll geht Bucharin zu ( Voprosy istorii 1992, 2/3, S. 36). Verhör von Sokol'nikov (Pro^eßbericht 1937, S. 6). Ende November reist Feuchtwanger nach Moskau. Als ich Stalin sah, schreibt Feuchtwanger, war der Prozeß gegen die erste Terroristengruppe, gegen Zinov'ev und Kamenev, vorbei, die Angeklagten waren verurteilt und erschossen worden, und gegen die zweite Trotzkistengruppe, gegen Pjatakov, Radek, Bucharin und Rykov, schwebte ein Verfahren, man wußte aber nur dunkel, wessen diese letzteren bezichtigt wurden, und man wußte noch nicht, ob, wann und gegen wen unter ihnen ein Prozeß stattfinden werde. Krestinskij trifft sich während des 8. Außerordentlichen Sowjetkongresses konspirativ mit M. N. Tuchacevskij. Sie beschließen, effektivere Kontakte zu Trockij herzustellen und verständigen sich über ihre Beteiligung an der Vorbereitung des Aufstandes. Trockijs Antwort traf Ende Dezember, Anfang Januar ein. Ikramov gibt später zu Protokoll: Das war während des Sowjetkongresses im November oder Anfang Dezember 1936. Während des Sowjetkongresses traf ich Bucharin auf der Treppe. Bucharin schlug vor, Turkestan an die Engländer abzutreten (Pro^eßbencht 1938, S. 394). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': In den Warteschlangen an den Brotläden prügeln sie sich (Garros 1998, S. 49ß).

Dezember 1936 Es verhielt sich aber so, daß Bucharin am 8. Kongreß der Räte überhaupt nicht teilgenommen hatte. Obwohl er zur Verfassungskommission gehörte, war es ihm nicht möglich, diesem Kongreß beizuwohnen, weil damals, im Dezember 1936, schon das Untersuchungsverfahren gegen ihn lief und er ein geächteter Mann war, der seine Wohnung nicht mehr verließ. Wir hatten zu Hause zusammen Stalins Rede im Radio gehört (Larina-Bucharina 1989, S. 227). Nikolaevskij veröffentlicht im Socialisticeskij vestnik, Nr. 23/24, den Artikel »Kak podgotavlivalsja Moskovskij process?« (Wie der Moskauer Prozeß vorbereitet wurde). 1. Dezember 1936, Dienstag

Feuchtwanger trifft in Moskau ein. Dem Politbüro der KPD liegt eine von der Kaderabteilung erstellte Liste mit 36 Namen angeklagter deutscher Kommunisten vor {Müller 1993, S. 131). Bucharin informiert Molotov über die seit dem letzten Schauprozeß gegen ihn erhobenen Anschuldigungen und seine Versuche, diese zu widerlegen (Sovetskoe rukovodstvo 1999, S. 357-360). N. Chruscevs Rede fallt Solov'ev besonders unangenehm auf, weil ausschließlich von Stalin die Rede war (Solov'ev 1993, S. 190). Die für Landwirtschaft zuständige Abteilung der kazachischen Bezirksleitung der KPdSU(B) informiert das ZK der KPdSU(B) über die Erfüllung des Beschlusses zur Ansiedlung der Umsiedler aus der Ukraine. »Informacija sel'skochozjajstvennogo otdela Kazkrajkoma VKP(b) »O vypolnenii postanovlenija CK VKP(b) ot 28 aprelja 1936 g. o stroitel'stve i chozjajstvennom ustrojstve pereselencev iz USSR ν Severo-Kazachstanskuju oblast'« (1% istoriipoljakov ν Ka^akstane, S. 34ß). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen' (Garros 1998, S. 5Of). 2. Dezember 1936, Mittwoch

Bucharin schreibt an Stalin und protestiert gegen die Verleumdungen in der Pravda hinsichtlich der Situation in der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (ICKKPSS 1989, 5, S. 73). Stalin empfangt in der Zeit von 14.15 bis 18.25 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Kaganovic, Zdanov, Kalinin, Akulov, Ja. A. Jakovlev, Andreev, Ι. V. Kosior, Ljubcenko, Tal', Steckij, Vysinskij, Krylenko, Ikramov, Berija, Sulimov, Gikalo, Goloded, Chruscev, Èjche, G. I. Petrovskij, Litvinov, Mikojan, Ordzonikidze, Cubar' (Jstorikskij archiv 1995, 4, S. 33f). 3. Dezember 1936, Donnerstag

Ordzonikidze hält eine Rede vor Mitarbeitern der Kautschukindustrie. Die Vorwürfe an seine Adresse, daß viele seiner Mitarbeiter - bis hin zu den Stellvertretern - Schädlinge gewesen sind, werden immer häufiger vorgebracht (Kommunist 1991, 13, S. 62f).

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Es heißt, daß Ordzonikidze Mitarbeiter um sich schart, ohne auf ihre Vergangenheit große Aufmerksamkeit zu legen. Zum 1. Dezember hatten von den 743 Genossen des Volkskommissariats für Schwerindustrie 42 Parteistrafen, darunter 12 wegen ehemaliger Mitgliedschaft in trotzkistischen Organisationen, 80 gehörten früher nicht-bolschewistischen Parteien an, außerdem beschäftigt Ordzonikidze 160 ausgeschlossene Parteimitglieder, 169 parteilose Mitarbeiter, die früher anderen Parteien angehörten, 71 ehemalige weiße Offiziere, 94 vorbestrafte Schädlinge, 131 Mitarbeiter aus der ehemaligen Handelsbourgeoisie, 133 Adlige und 287 Offiziere (Chkmjuk 1992, S. 116fi). Die Rundschau (Basel), Nr. 54, begleitet die Verfassungsdebatte in der UdSSR. In der Ausgabe sind die Reden von Litvinov und Molotov veröffentlicht. P. L. [d. i. Paul Lang] kommentiert den Prozeß in Novosibirsk: »Ein Schlag gegen den Faschismus« (S. 2189ß). Im Artikel stellt er den Bezug zu dem zwei Jahre zurückliegenden Mord an Kirov her. Vorkommnis in der Internationalen Lenin-Schule: ein Student klebt ein MarxPorträt auf ein Zinov'ev-Bild. Bol'fevik, Heft 23, 1936, im Druck. Redaktion: Steckij, Knorin, Pospelov, Tal'. Aus dem Inhalt: Stalin und Molotov über die Verfassung. Stalin empfangt in der Zeit von 17.25 bis 18.25 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Ezov, Dimitroff, Akulov, Zdanov, Andreev, Kerzencev, Vorosilov, Kaganovic, Zdanov, Kalinin, Ja. Jakovlev, Tal', Litvinov, Mikojan, Ordzonikidze (Istorileskij archiv 1995, 4, S. 33fi). 4. Dezember 1936, Freitag

Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Wegen des Brotmangels ist die Hektik unter den Menschen noch größer. Sechs bis acht Stunden in der Schlange ist keine Ausnahme. Und sie sagen, es gäbe Krieg (Garros 1998, S. 51). Tagebucheintragungen von Stange (Stange 1998, S. 171fi)·.Über ihre Reisen mit der Frauenbeauftragten der Nord-Eisenbahn. Mein Leben ist irgendwie leer geworden. Verhör von Radek (Kovalev 1997, S.169fi). Haftbefehl für Metcger-Rauze ausgestellt (Kolja^n 1997a, S. 35). Denier schreibt an Gide: Er habe Gides Rede auf der Totenfeier für Gor'kij gehört und befürchtet, Gide habe sich blenden lassen. Jetzt atme er erleichtert auf. In der Sowjetunion haben die Menschen zwei Gesichter. Gide zitiert aus diesem Brief in »Retuschen zu meinem Rußlandbuch« (S. 132). Im Zusammenhang mit dem Schauprozeß 1937 finden sich in Dimitroffs »Tagebuch« mehr Eintragungen als über den vorhergehenden. Bereits am 4. Dezember 1936 notierte er über das Plenum des ZK der KPdSU(B): Referat Ezovs über die konterrevolutionäre Tätigkeit der Trotzkisten und Organisationen der Rechten — Pjatakovs, Sokol'nikovs, Serebrjakovs u. a., Uglanovs, Culimovs, Kruglikovs, Kotovs. (In der Ukraine sind 400, in Leningrad 400, im Ural 150 verhaftet, usw.) Referate Bucharins und Rykovs (Tränen und Erklärungen unschuldig zu sein!). Referat Stalins — »Einem ehemaligen Oppositionellen darf man kein einziges Wort glauben.« Tomskijs Selbstmord als letzte verzweifelte Form des Kampfes gegen die Partei... Referate Molotovs und Kaganovics. (Molotov zitiert aus dem Brief Bucharins an Vorosilov: »politische Feiglinge«.)

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Plenum des ZK der KPdSU(B) vom 4. bis 7. Dezember 1936. Ezov hält auf dem Plenum das Referat »Über die antisowjetischen, trotzkistischen und rechten Organisationen« (ICKKPSS 1989, 1, S. 129). Dem Referat lag eine 1935 unmittelbar im Anschluß an die Ermordung Kirovs entstandene und von Stalin redigierte Ausarbeitung über die »große Verschwörung« unter dem Titel »Von der Fraktion zur offenen Konterrevolution« zugrunde (ICKKPSS, 1989, 8, S. 82/.; 1989, 5, S. 75; Hedeler 1998, S. 61-75). Ezov war an die Stelle von Jagoda, der Stalin zufolge zu langsam vorging, getreten. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten im zentralen Apparat des NKVD 699 Mitarbeiter, 238 von ihnen, darunter auch an der Peripherie tätige Mitarbeiter, wurden verhaftet (Voprosy istorii 1994, 10, S. 21). Verhör von Radek unter Anwendung von Folter (ICKKPSS 1989, 9, S. 40/.; Prüfbericht 1937, S. 9 und 148; Kovalev 1995, S. 197). Radek sagt unter Folter aus, daß er bis zum 4. Dezember gelogen habe. Verhör von I. A. Knjazev ( P r ü f b e r i c h t 1937, Χ 13 und 15). Verhör von Pjatakov ( P r ü f b e r i c h t 1937, S. 15). Dieses Verhörprotokoll liegt Bucharin vor. Er zitiert daraus in seiner Erklärung vom 20. Februar 1937. Plenartagung des ZK der KPdSU(B) (ICKKPSS 1989, 1, S. 122). — Vorsitzender: Eröffnung des Plenums (Kein Stenogramm) — Stalin: Über die Endfassung der Verfassung (Kein Stenogramm) — Molotov u. a. über die Verfassung (Kein Stenogramm) — Ezov: Über die Rechten und Trotzkisten (Kein Stenogramm) — Bucharin: Prenija po dokladu Ezova. Bucharin verteidigt sich: Ich habe an Ezov einen Brief geschrieben, ich habe in der Angelegenheit I. P. Pavlov fur Stalin ein gutes Wort eingelegt, ich liebe Stalin, ich hasse ihn nicht. Während Rollands Gespräch mit Gor'kij kam das u. a. zur Sprache. Wieso stellt man mich mit dem Arbeiterfeind Radek auf eine Stufe? Immer ist die Rede von 1928/29. Bucharin betont, daß er die Rjutin-Plattform nicht gelesen hat. Weitere Redner: — Stalin (Kein Stenogramm) — Rykov — Èjche (Kein Stenogramm) — Molotov — Kosior — Sarkizov — Kaganovic vergleicht Bucharins Rede auf der Plenartagung mit dem Letzten Wort eines Angeklagten. 5. Dezember 1936, Sonnabend

In den Pausen der Plenartagung finden Gegenüberstellungen von Bucharin und Rykov mit Kulikov, Soznovskij und Pjatakov statt. Da die Beweise nicht ausreichen, um die Beschuldigten zu einem Geständnis zu zwingen, wird die Klärung der Frage auf Antrag Stalins auf das nächste Plenum vertagt. Die Klärung geht zunächst mit der Ausdehnung der Verhaftungswelle einher. Ende 1936/Anfang 1937 werden u. a. Astrov, Radin (d. i. Singerman) und Neste rov, bei allen handelt es sich um Schüler von Bucharin, verhaftet (ICKKPSS 1989, 5, S. 76; 1990, 2, S. 32).

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Verhör von Radek. 6. Dezember 1936, Sonntag

Verhör von Radek. Verhör von Pjatakov. Verhör von Kulikov. Er sagt aus, Bucharin habe ihm 1932 die Weisung erteilt, Stalin zu ermorden. Vysinskij schickt diese Aussage am 7. Dezember an Stalin. Berichte über Feuchtwangers Aufenthalt in Moskau (aus dem Archiv der Unionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (VOKS) verfaßt von Karavkina, Mitarbeiterin der 2. Westabteilung des VOKS. Auf Wunsch der russischen Seite arbeitet Feuchtwanger einige vorgegebene Passagen über Gide in sein Referat ein (Literaturnajagaceta, 4. 10. 1989, S. 13). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Krieg in Spanien (Garros 1998, S. 31ß. Tagebucheintragungen von Stange (Stange 1998, S. 173): Gestern abend wurde die neue Stalinsche Verfassung angenommen. Seit dem Morgen gibt es Demonstrationen, die Menschen sind fröhlich. Zelte mit verschiedenen leckeren Dingen wurden aufgestellt, sogar Tische mit weißen Tischdecken und allen möglichen Erfrischungen zu niedrigen Preisen. Ustrjalov hält im Tagebuch Eindrücke von den Feiern fest: Stalin — das ist Losung und Name zugleich. Wir haben keine Wahl mehr (Ustrjalov 1998, S. 60f.). 7. Dezember 1936, Montag

Plenartagung des ZK der KPdSU(B). Die Plenartagung geht mit der Rede von Stalin (Kein Stenogramm) zu Ende. Dimitroff notiert im »Tagebuch«: Stalin schlägt vor, die Frage Bucharin—Rykov nicht zu entscheiden, sondern die Untersuchung fortzusetzen, da die Gegenüberstellung von Pjatakov u. a. mit Bucharin und Rykov auf die Notwendigkeit hinweist, die Untersuchung dieser Angelegenheit bis zum Ende zu fuhren (Dimitroff 2000, S. 137; Pjatnickij 1998, S. 53). Ezov schreibt an Stalin und schickt ihm das Material des Verhörs von Kulikov vom Vortag. Bucharin verfaßt eine Erklärung »An alle Mitglieder und Kandidaten des ZK der KPdSU(B)« (ICKKPSS 1989, 5, S. 73). Das Parteikomitee erteilt Kotel'nikov, Alichanov und Sirnis den Auftrag, die Materialien über die Zusammensetzung der Parteiorganisation für die Periode 1923 bis 1924 sowie ihre Beschlüsse zu den Fragen der trotzkistischen Opposition zu studieren (Kommunisten 1993, S. 44). Die Rundschau (Basel), Nr. 55, berichtet über den 8. Sowjetkongreß und veröffentlicht das Referat Stalins über den Entwurf der Verfassung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Svanidze bedauert, daß sie ihr Tagebuch nur sehr unregelmäßig führt. 8. Dezember 1936, Dienstag

Schaffung des Volkskommissariats für Rüstungsindustrie der UdSSR. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Man hat aufgehört, mit dem Finger auf uns zu zeigen (Garros 1998, i". 52f).

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9. Dezember 1936, Mittwoch

Vysinskij verweigert Ordjonikidze die Unterstützung. Ordjonikidze stimmt am 21. Dezember Vysinskij zu (Chlevnjuk 1992, S. 86). Verhaftung von Saluckij (Rasstrel'nye 1993, S. 60). 10. Dezember 1936, Donnerstag

Die Rundschau (Basel), Nr. 56, übernimmt aus der Pravda den Artikel »Lachen und Weinen von André Gide« (S. 2234—2236), darin heißt es u. a., daß Gide ein Opfer geschickter antisowjetisch gesinnter Geschäftemacher geworden ist (.Í. 2236). 11. Dezember 1936, Freitag

Das Politbüro des ZK der KPdSU(B) bestätigt die stellvertretenden Befehlshaber der Militärbezirke für politische Arbeit. Bulgakov schreibt an Ermolinskij (Vinogradov 1996, S. 5). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Ich habe in den Geschäften nichts mehr abbekommen, die Werktätigen hatten den Fleischabfall schon gekauft {Garros 1998, S. 52ß). 12. Dezember 1936, Sonnabend

Verhör von Sokol'nikov (.ICKKPSS 1989, 9, S. 45). Gide zitiert in »Retuschen zu meinem Rußlandbuch« Berichte aus der Pravda über 8 Millionen unbrauchbare Schulhefte, die von der Fabrik in Rostov geliefert wurden {Gide 1937a, S. 18). 13. Dezember 1936, Sonntag

Krieger/Creutzburg schreibt »Einige Bemerkungen zu meinem Ausschluß«. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Stokkung bei der Brotversorgung. Zur Volkszählung hat man mir 15 Häuser anvertraut {Garros 1998, S. 53ß). 14. Dezember 1936, Montag

Sedov schreibt an Trockij {Schräder 1995, S. 258ß). Gide zitiert in »Retuschen zu meinem Rußlandbuch« Berichte aus der Pravda über die Sabotage in der Stahlproduktion {Gide 1937a, S. 16). Ustrjalov wird gebeten, einen Artikel über die Verfassung für die I^yesüja schreiben (JJstijalov 1998, S. 61). 15. Dezember 1936, Dienstag

Bucharin schreibt an Stalin und nimmt zum Artikel in der Pravda Stellung. Zur Unterstützung des Propagandisten. Die rechten Abtrünnigen, die Verteidiger der Restauration des Kapitalismus. Darin heißt es u. a.: Als die Partei 1928 nach der Zerschlagung der trotzkistisch-sinowjewistischen Konterrevolution erfolgreich den Getreidestreik der Kulaken liquidierte und die subversive Organisation der Schädlinge in der Industrie vernichtete, führten die Rechtsopportunisten mit Bucharin, Rykov, Tomskij und Uglanov an der Spitze einen wütenden Kampf gegen die Generallinie der Partei. Darauf folgen Ausführungen über die Mittelbauern, die Kulaken, und die Haltung der Bucharinschule. Die Rede ist von »Bucharins Verhandlungen mit dem Oberbanditen Kamenev«. Es wird festgestellt,

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daß der VI. Komintern-Kongreß Bucharins restaurative Plattform verworfen hat. Bei ihren Attacken griffen die Rechten stets auf das Arsenal der Trotzkisten zurück. Die Bucharinsche Theorie vom Hineinwachsen und Verlöschen des Klassenkampfes kam ihnen gelegen. Stalin hat diesen Kurs in seiner Rede auf dem April-Plenum 1929 kritisiert. »In diesen Tagen, da der 8. Sowjetkongreß der UdSSR die Stalinsche Verfassung bestätigt hat, tritt die niederträchtige Rolle der Trotzkisten und Rechten deutlicher denn je hervor. Einem ehemaligen Oppositionellen darf man nicht aufs Wort glauben. Keinem einzigen!« {Schräder 1995, S. 420-426.) Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Heute haben sie gleich aus drei Läden Brot gebracht. Wir machten aus verschiedenen Abfällen Fladen, jetzt rumort es in den Gedärmen (Garns 1998, S. 54). Muralov beginnt auszusagen (Proagßbericht 1937, S. 254). 16. Dezember 1936, Mittwoch

Vysinskij schreibt an Molotov. Er ist mit dem Vorschlag von Ezov einverstanden, Untersuchungssgefangene für bis zu zehn Tagen in Milizrevieren einzusperren. Vysinskij besteht darauf, daß die Untersuchungsgefangenen in dieser Zeit mit einer warmen Mahlzeit täglich versorgt werden. Dimitroff notiert ein langes Zitat aus den Aussagen Sokol'nikovs während des Verhörs am 12. Dezember im Tagebuch: Verhör von Sokol'nikov vom 12. 12. 36: Frage: Die Untersuchung stellt hiermit fest, daß Trockij im Ausland und das Zentrum des Blocks in der UdSSR Verhandlungen mit der Hitler- und der japanischen Regierung aufgenommen haben mit dem Ziel: Erstens, einen Krieg Deutschlands und Japans gegen die UdSSR zu provozieren; zweitens, zur Niederlage der UdSSR in diesem Krieg beizutragen und diese Niederlage für den Ubergang der Macht an den Block der Rechten zu nutzen; drittens, im Namen der künftigen Regierung des Blocks der Hitler- und japanischen Regierung territoriale und wirtschaftliche Zugeständnisse zu machen. Bestätigen Sie das? Antwort: Ja, ich bestätige das. Frage; Geben Sie zu, daß diese Tätigkeit des Blocks direkter Vaterlandsverrat ist? Antwort: Ja, das gebe ich zu. Stalin empfangt in der Zeit von 19.00 bis 0.10 Uhr in seinem Kabinett: Ordzonikidze, Molotov, Vorosilov, Kaganovic, Dimitroff, Manuil'skij, Mezlauk, Gamarnik, Ruchimovic, Al. Egorov, Grin'ko, Mikojan, Litvinov, Stomonjakov (Istoriieskij archiv 1995, 4, S. 36). 17. Dezember 1936, Donnerstag

Die Rundschau (Basel), Nr. 57, veröffentlicht u. a. Vysinskijs Rede auf dem 8. Sowjetkongreß »Sowjetverfassung und Sowjetjustiz« (X 2248). Weitere Artikel: Grußwort des ZK der KPD an Stalin vom 13. Dezember; »Für revolutionäre Wachsamkeit. Die rechten Abtrünnigen und Verteidiger der Restauration des Kapitalismus«, hierbei handelt es sich um den Artikel aus der Pravda (Moskau, den 15. Dezember) ('S. 2267f). Darin heißt es u. a.: Die Jahre nach dem XVI. Parteitag haben gezeigt, daß die Rechten Restauratoren nach wie vor geschworene Feinde der Partei geblieben sind. Sie tragen den Dolch im Gewände und warten einen günstigen Moment zu neuen Minierarbeiten ab. ... 1932 schu-

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fen die Volksfeinde Uglanov, Rjutin, Slepkov, Mareckij zusammen mit den Trotzkisten eine illegale, konterrevolutionäre Organisation zum Kampfe gegen die Partei und die proletarische Diktatur. ... Die Führer der zerschmetterten Rechtsopposition erfüllten nicht ihre Verpflichtungen, die sie auf dem XVI. Parteitag übernommen hatten, sondern setzten ihre aktive Unterstützung der Feinde des Sozialismus fort. So stellte sich ζ. B. im Januar 1933 heraus, daß Tomskij, Rykov und der Rechtsopportunist Smidt Verbindung mit der konterrevolutionären Gruppe Éjsmont, Tolmacev und I. N. Smirnov unterhielten. Auch nach Annahme der Verfassung wird ihr konterrevolutionäres Tun nicht geduldet, keinem einzigen von ihnen wird geglaubt. Bucharin wird in dem Artikel nicht erwähnt. Bol'sevik, Heft 24, geht in Druck. Redaktion: Steckij, Knorin, Pospelov, Tal'. Aus dem Inhalt: Knorin schreibt über die Avantgarderolle der Kommunistischen Partei und kommentiert den Artikel 126 der Verfassung. Der Philosoph Sitkovskij schreibt über die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus. 18. Dezember 1936, Freitag

Dimitroff notiert im »Tagebuch«: — Feuchtwanger und Maria Osten bei uns. Über den Prozeß: 1) unverständlich, warum die Angeklagten solche Verbrechen begangen haben; 2) unverständlich, warum alle Angeklagten alles gestehen und dabei wissen, daß ihnen dies das Leben kosten wird; 3) unverständlich, warum außer dem Geständnis der Angeklagten keine Beweise vorgelegt wurden; 4) unverständlich, warum derart harte Strafen gegen politische Gegner, wo doch das sowjetische Regime so mächtig ist, daß ihm von denen, die im Gefängnis saßen, keine Gefahr drohte. Die Protokolle des Prozesses sind nachlässig zusammengestellt, voller Widersprüche und nicht überzeugend. Der Prozeß wurde (ungeheur) durchgeführt (Dimitroff2000, S. 140). Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seine Frau Anna und seinen Sohn Michail {Florenski 2001, S. 415-420). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen' (Garros 1998, S. 55ß). 19. Dezember 1936, Sonnabend

Verhör von Pjatakov. Verhör von Kotov. Das Verhörprotokoll geht Bucharin zu (Voprosy istorii 1992, 2/3, S. 37). Trockij verläßt Norwegen. Während der Überfahrt schreibt er »Stalins Verbrechen«. Feuchtwanger wird von Dimitroff empfangen, um über den Trotzkistenprozeß zu reden. Den Inhalt des Gesprächs hat die Mitarbeiterin der Unionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland (VOKS) Karavkina, die mit Feuchtwanger gearbeitet hat, festgehalten: Hat von seinem Besuch bei Dimitroff erzählt. Ist extra zu ihm gefahren, um mit ihm über den Trotzkistenprozeß zu sprechen. Er sagte, daß Dimitroff sehr aufgeregt war, als er mit ihm über dieses Thema sprach. Dimitroff redete anderthalb Stunden, konnte ihn aber nicht über-

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zeugen. Feuchtwanger teilte mir mit, daß man im Ausland den Prozeß voller Ablehnung betrachtet und niemand glauben wird, daß 15 überzeugte Revolutionäre, die ihr Leben so oft auf eine Karte gesetzt haben, an Verschwörungen beteiligt waren und auf einmal, alle miteinander gestanden und freiwillig bereuten (Lit,eraturnajagaceta, 4. 10. 1989, S. 13). Erklärung von Pjatakov, daß den Kolchozen alles weggenommen wird und eine Hungersnot herrscht (Solov'ev 1993, S. 190). Stalin empfängt in der Zeit von 17.05 bis 17.25 Uhr in seinem Kabinett: Varejkis, Chachanjan (Istonceskij archiv 1995, 4, S. 36). 19. bis 27. Dezember 1936

Sitzung der Allunionsakademie der Landwirtschaftswissenschaften, Diskussion über Genetik und Selektion. Es kommt zum Streit zwischen Lysenko und Vavilov. 20. Dezember 1936, Sonntag

Preobrazenskij wird an seinem Verbannungsort in Kazachstan erneut verhaftet (ICKKPSS 1991, 6, S. 73). Verhaftung von Mar'jasin, Vorsitzender der Staatsbank, seit Juli 1936 Mitarbeiter des ZK der KPdSU(B). Radzivilovskij berichtet Ezov über die Verhaftung und den Verlauf des Verhörs von Drejcer und Pikel' (ICKKPSS 1989, 8, S. 83). Das Militärtribunal des Obersten Gerichts unter Leitung von Ul'rich tagt in nichtöffentlicher Sitzung. B. Gessen und Apirin stehen in Verbindung zu den Mördern Kirovs. Beide werden zum Tode verurteilt und am selben Tag erschossen (Gorelik 1995, S. 133). Dem Politbüro des ZK der KPdSU (B) liegt ein Entwurf vor, der die Endassung von in den Fall der konterrevolutionären trotzkistisch-sinowjewistischen Organisation verwickelten Mitarbeitern aus dem Zentralen Exekutivkomitee und die Aberkennung der ihnen verliehenen staatlichen Auszeichnungen vorsieht. S. B. Ingulov schreibt an Molotov, daß er unter der Zensur leide (htocnik 1996, 3, S. 143). Gide zitiert in »Retuschen zu meinem Rußlandbuch« aus Berichten der I^vestija und Pravda über den Kampf j*egen das Analphabetentum (Gide 1937a, S. 19). Tagebucheintragungen von Stange (Stange 1998, S. 173-179)·. Bericht über die Konferenz der Frauen der Kommandeure der Roten Armee vom 20. bis 23. Dezember. Am 24. Dezember gibt Kaganovic für alle ein Bankett im Klub. 21. Dezember 1936, Montag

Dimitroff notiert im Tagebuch: Bei Stalin (Geburtstag- 57 Jahre). Molotov, Vorosilov, Kagan[ovic], Ordjonikidze, Andr[eev], Mikojan, Ezov, Rudzutak, Skirjatov, Bubnov, Mezlauk, Ljubimov, Chruscev, Bulganin, Budennyj, Blücher, [Al.] Egorov, [M. N.] Tuchacevskij, Sovarisjan, Gamarnik, Manuil[skij] und Fr[inovskij]. (Stalins Kinder waren nicht da. — Niemand aus dem Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten. Mechlis war auch nicht da.) - (Bis 5.30 Uhr morgens!)

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Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Die Kirchgänger sehen sich vorsichtig um, ob sie auch niemand denunziert (Garros 1998, S. 56f). Stalin schreibt an Caballero und spricht sich für die Vereinigung aller republikanischen Kräfte gegen die Interventen aus. Alichanov schreibt an Mühlmann, daß noch nicht entschieden ist, ob Marta Globig aus der Partei ausgeschlossen wird oder nicht. 22. Dezember 1936, Dienstag Verhör von Cetlin. Bucharin schreibt an Vorosilov. Diesen Brief schickte er zusammen mit dem Brief an Stalin über Cetlins Aussagen mit dem Kurier weg (Larina-Bucharina 1989, S. 386). Bucharin über Cetlins Aussage (Voprosy istorii 1992, 2/3, S. 23). Feuchtwanger schreibt einen Artikel über Gide für die Pravda {Literaturnaja gaceta, 4. 10. 1989, S. 13). Verhör von Radek {Pro^ßbericht 1937, S. 6, 10, 11). Trockij kommentiert die möglichen Zugeständnisse der Sowjetunion an den deutschen und japanischen Kapitalismus. Mertens teilt auf die Anfrage bezüglich Marta Globig mit, daß über ihren Ausschluß noch nicht entschieden worden sei, da ihr Mann aus der Haft entlassen worden ist. Verhör der Angeklagten Cirkov und Paskevic wegen Sabotage bei der Orenburger Eisenbahn. Im Soàalistileskij vestnik erscheint der erste Teil des Briefes eines alten Bolschewiken (Fel'Itinskij 1993, S. 29). 23. Dezember 1936, Mittwoch Verhör von Pjatakov. Verhör von Afanas'ev. Das Verhörprotokoll wird Bucharin zugestellt (Voprosy istorii, 1992, 2/3, S. 30). Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seine Schwiegertochter Natalja (Florenski 2001, S. 420-432). Verhaftung von Mar'jasin. Der Direktor des Waggonbaubetriebes aus dem Ural befindet sich gerade zur Kur in Soci. Man wirft ihm vor, einen Anschlag auf Ordzonikidze geplant zu haben (/tertvy 1999, S. 91). Die Rundschau (Basel), Nr. 58, veröffentlicht die Verfassung der UdSSR (S. 22772284). Im Prai>í¿2-Artikel »Die staatsfeindliche Tätigkeit der ehemaligen Leiter der Orenburger Eisenbahnlinie« heißt es u. a.: Am 21. Dezember begann vor dem Transportkollegium des Obersten Gerichtshofes der Union der SSSR unter Vorsitz des Genossen Mezin ... die Verhandlung gegen die ehemaligen leitenden Funktionäre der Orenburger Eisenbahnlinie. Sie sabotierten die Umstellung der Lokomotiven von Öl- auf Kohlefeuerung (Schräder 1995, S. 427f). Der Club der Jugend des 7. Arrondissements schreibt an Gide: Die Clubleitung protestiert gegen die von Gide verbreiteten Verleumdungen über die Sowjetunion und wählt Gide als Ehrenpräsident ab.

DEZEMBER 1936

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Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen' (Garros 1998, S. 57). 24. bis 27. Dezember 1936

Verhör von Zajcev. Das Verhörprotokoll geht Bucharin zu ( Voprosy istmi 1992, 2/3, S. 30). Artikel in der Pravda: »Die staatsfeindliche Praxis der ehemaligen Leiter der Orenburger Eisenbahnlinie« {Schräder 1995, S. 428—430). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Anstehen nach dem Paß. Von 7.00 bis 19.00 Uhr {Garros 1998, i". 57-59). 25. Dezember 1936, Freitag

Verhör von Koselev. Das Verhörprotokoll geht Bucharin zu (Voprosy istorii 1992, 2/3, S. 35). 26. Dezember 1936, Sonnabend

Verhör von Radek. Das Verhörprotokoll geht Bucharin zu. Stalin empfängt in der Zeit von 19.55 bis 22.00 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Rozenberg {Istorileskij archiv 1995, 4, S. 36). 27. Dezember 1936, Sonntag

Sitzung des Politbüros des ZK der KPdSU(B) {Politbjun 2001, S. 813-827; StaUnskoe Potitbjum 1995, S. 246). Verhör von Radek. Das Verhörprotokoll geht Bucharin zu {Voprosy istorii 1992, 2/3, S. 8). Mechlis gibt Feuchtwanger seinen Artikel über Gide für die Pravda mit Überarbeitungswünschen zurück. Er beanstandet vor allem die Passagen über den Personenkult (Literatumaja gaceta, 4. 10. 1989, S. 13). Verhaftung von Tomlenov. Sedov schreibt an Trockij: Ich lege meinen Brief an Fritz Adler bei. Er hat die Broschüre geschrieben und will seitdem nichts tun {Schräder 1995, S. 264—271). Im Artikel der Pravda »Die verbrecherische staatsfeindliche Praxis der ehemaligen Leiter der Orenburger Eisenbahnlinie« wird die Verhandlung und das Urteil im Orenburger Eisenbahnprozeß kommentiert {Schräder 1995, S. 430f). Tagebucheintragungen von Stange {Stange 1998, S. 179): Es war für mich ein schweres Jahr. Stalin empfangt in der Zeit von 14.00 bis 16.15 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Grin'ko, Mezlauk, Ivanov (Narkles), Vorosilov, Ruchimovic, Orlov (Marine), Aljakrickij, Ordzonikidze (Istorileskij archiv 1995, 4, S. 36). 28. Dezember 1936, Montag

Verhör von Radek. Lakoba gestorben (Antonov-Ovseenko 1993, S. 88). Verhör von Karpov. Er sagt über Bucharins feindselige Haltung gegenüber Stalin aus, Bucharin habe sich zum Terror bekannt {Kurt'jaev 1995, S. 266). Gide schreibt an den stellvertretenden Bundessekretär der Freunde der Sowjetunion in Nizza {Gide 1937a, S. 113-116).

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DEZEMBER 1936

Stalin empfangt in der Zeit von 14.45 bis 18.20 Uhr in seinem Kabinett: Ljubcenko, Vorosilov, Ordzonikidze, Molotov, Ruchimovic, M. Kaganovic, Ezov, Ljubcenko, Ja. Jakovlev, Demcenko, Gajster, Verminicev (istoriceskij archiv 1995, 4, S. 3t5). 29. Dezember 1936, Dienstag Verhör von Radek. Bucharin schreibt an Vorosilov, der entgegnet, daß die Untersuchung alles an den Tag bringen wird. Feuchtwanger beschwert sich zunehmend über die Unannehmlichkeiten des Lebens in Moskau. Warum wurde »Jud Süß« so lange verboten etc. (Uteraturnaja gaceta, 4. 10. 1989, S. 13). Agranov wird bis zu seiner Ablösung durch Frinovskij im April 1937 Leiter der Hauptverwaltung Staatssicherheit. Ja. L. Berman übernimmt die Leitung des Lehrstuhls Staatsrecht am Institut der Roten Professur {Smimov2001, S. 257). Die Untersuchungshaft von Kippenberger und Brunner würde am 4. Januar 1937 enden. Bibke, Leutnant des NKVD, beantragt die Verlängerung der Untersuchungshaft um zwei Monate bis zum 4. März 1937. Mironov stimmt zu. Stalin empfängt in der Zeit von 18.30 bis 20.00 Uhr in seinem Kabinett: Vorosilov, Ordzonikidze, Molotov, Andreev, Ezov, Mikojan, Jakovlev, Carev, Ivanov, Tankilevic, Cubin (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 36f). 30. Dezember 1936, Mittwoch Rundschau (Basel), Nr. 59. Aus dem Inhalt: »Für revolutionäre Wachsamkeit: Die rechten Abtrünnigen und Verteidiger der Restauration des Kapitalismus«, in dem aus der Pravda vom 15. Februar 1936 übernommenen Beitrag (S. 2327—2330) ist von Bucharin die Rede, der rechtsopportunistische Elemente in der Komintern um sich schart. Dimitroff folgt im »Tagebuch« der sowjetischen Lesart bezüglich des bevorstehenden Schauprozesses. In dem von ihm unterzeichneten Chiffretelegramm des Sekretariats des EKKI an die Kommunistischen Parteien ist erneut die Forderung enthalten, einen systematischen Kampf gegen die Trotzkisten, die eigentlich konterrevolutionäre Terroristen und Agenten der Gestapo sind, zu führen. Insbesondere wird die Notwendigkeit unterstrichen, »ihre gegen Stalin gerichteten Verleumdungen zu widerlegen und diesen Lügen eine umfassende Popularisierung seiner gigantischen revolutionären Tätigkeit, seiner Rolle als Führer des internationalen Proletariats und der Werktätigen aller Welt entgegenzusetzen«. 31. Dezember 1936, Donnerstag Verhör von Kulikov. Stalin ruft Seboldaev ins Politbüro zum Bericht über die schlechte Situation in der Parteileitung in Azovo-Cernomorsk (Beschluß am 2. Januar 1937). Von Dezember 1936 bis Ende Januar 1937 verläßt Bucharin nicht die Wohnung. Es ist eine Art freiwilliger Hausarrest. Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj (Tagebuch 1996, S. 237). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Ich ging zur Volkszeitung (Garros 1998, S. 59).

D E Z E M B E R 1936

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Stalin empfangt in der Zeit von 13.30 bis 17.00 Uhr in seinem Kabinett: Vorosilov, Ordzonikidze, Molotov, Andreev, Zdanov, Ezov, Kosarev, Seboldaev, Ruchimovic, M. Kaganovic, Tuchacevskij, Alksnis, Tupolev, Archangel'skij, Bazanov, Lavrov, Polikarpov, Neman, Sakrier, Suchoj, Cernysev (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 36). »Ich veröffentlichte«, schrieb Victor Serge, »ohne Mittel und Unterstützung unwiderlegliche Analysen der drei großen Schwindelprozesse. Die Ereignisse haben jede Zeile davon bestätigt, bis hin zu solchen >Details< wie diesem: ich kündigte an, daß Radek, der zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt war, nicht mehr lange leben werde: er wurde im Gefängnis ermordet. Da ich die Menschen und Rußland kenne, muß ich wiederholen, daß die alten Bolschewiki von einem solchen Parteifanatismus, einem solchen sowjetischen Patriotismus durchdrungen waren, daß sie dadurch fähig wurden, die schlimmsten Qualen hinzunehmen, daß sie eben dadurch aber auch unfähig eines Verrates waren. Ihre Geständnisse selbst beweisen ihre Unschuld. Der totalitäre Staat beruht auf einem so vollkommenen System der Überwachung und der inneren Spionage, daß jede Verschwörung unmöglich war. [...] Der Massenmord stand unter dem Gesetz einer grausamen Logik. Die Macht wollte am Vorabend des Krieges die Ersatzmannschaften beseitigen und die Sündenböcke bestrafen, um Schuldige für die Hungersnot, für die Desorganisation der Transporte, für die Not zu finden, für die sie selbst verantwortlich war. Waren aber erst einmal die ersten Bolschewiki ermordet, so mußte man natürlich auch alle anderen ermorden, weil sie zu Zeugen geworden waren, die nicht verzeihen konnten. Außerdem mußten nach den ersten Prozessen jene beseitigt werden, die sie eingeleitet hatten und die die Hintergründe kannten, damit die konstruierte Legende glaubhaft wurde. Der Mechanismus der Ausrottung war so einfach, daß man vorhersehen konnte, welchen Weg er gehen würde. Ich kündigte Monate vorher das Ende Rykovs, Bucharins, Krestinskijs, Smilgas, Rakovskijs, Bubnovs an. [...] Als Antonov-Ovseenko, der Revolutionär, der 1917 das Winterpalais gestürmt hatte, der Elende, der soeben in Barcelona meinen Freund Andres Nin und den anarchistischen Philosophen Camillo Berneri hatte ermorden lassen, von seinem Posten in Spanien abberufen wurde, um das Amt des Volkskommissars für Justiz zu übernehmen, das leer stand, nachdem Krylenko im Dunkeln verschwunden war, sagte ich voraus, daß er verloren sei; er war es.« (Serge 1991, S. 374f)

1937 Die sowjetische Wirtschaft produziert im Jahr pro 100 Einwohner je 2 Uhren, pro 1.000 Einwohner 4 Grammophone, 3 Nähmaschinen, 3 Fahrräder, 2 Fotoapparate, 1 Rundfunkempfänger und 6 Motorräder pro 100.000 Einwohner {Osokina 1998, S. 184). Im Parteiverlag der KPdSU(B) erscheint der Band »V. I. Lenin i I. V. Stalin o Jakove Michajlovice Sverdlove« (Lenin und Stalin über Sverdlov). Sverdlov wird als beispielhafter Funktionär der Stalinschen Garde dargestellt. Der Terror gegen die Militär- und Miliz fuhrung wird geplant. Ezov zeichnet die Namenslisten der zu repressierenden Militärs ab und weist die Mitarbeiter der operativen Abteilungen des NKVD an, hart durchzugreifen (Nekrasov 1995, S. 195ß). Das für Georgien vorgegebene Plansoll für Erschießungen durch das NKVD beträgt 1.500. Der Plan wurde von der eingesetzten Trojka mit 10.000 Todesurteilen und 30.000 Verhaftungen übererfüllt (Nekrasov 1995, S. 199). Von 1935 bis 1937 ist Mel'nikov Leiter des Nachrichtendienstes des EKKI. Von November 1936 bis April 1937 ist Pauker Leiter der Abteilung Wache der Hauptverwaltung Staatssicherheit. Redens ist Leiter der OGPU des Moskauer Gebiets. Von 1937 bis 1939 ist Astachov Berater an der Sowjetischen Botschaft in Berlin. Über die Folter in Lefortovo unter dem Gefangnisdirektor Zimin, der 1938 verhaftet wird, liegen Aussagen des Gefängnisarztes Safronov vom 7. Mai 1956 vor. Außerdem arbeiteten im Gefängnislazarett: Rozenblum, der Arzt Smirnov, der Feldscher Karpenko (Leiter der Apotheke), Kvakin, Orlova und Smirnova (Soprotivlenie 1992, S. 128ß). Ezov spielt eine wichtige Rolle bei der Umgestaltung des Gefängnisses Suchanovskaja tjurma in ein Sondergefängnis. In diesem Gefängnis kommen 52 Arten der Folter zur Anwendung. Abakumov und Rjumin tun sich als Folterknechte besonders hervor (Vol'ja 1994, S. 115ff.).

Januar 1937 Schlangen vor den Brotläden in den Städten (Osokina 1998, S. 196). Berichte des NKVD über das Abschlachten von Vieh im Gebiet Jaroslavl', die Bauern haben kein Geld mehr für Viehfutter. Die Abwanderung aus den Dörfern in die Städte ist beachtlich, oft sind es über 50 % der arbeitsfähigen Bauern, die ihre Dörfer verlassen. Das NKVD erarbeitet Sonderberichte über Hungertote in den Monaten Dezember 1936 und Januar 1937. 1936 war die Lage genau so miserabel wie in den Hungerjahren 1931 bis 1932. Um der Situation Herr zu werden, wurden zusätzliche Lebensmittelläden und Bauernmärkte eröffnet. Das Kartensystem soll so schnell wie möglich abgeschafft werden. In Moskau sind Abendkleider und Smokings im Angebot. In den Monaten Januar und Februar 1937 fällt das NKVD 88 Urteile, verhaftet 189 Personen und schließt bis März die Untersuchung weiterer 41 Fälle mit 186 Verhafteten ab {Osokina 1998, S. 203). Von Januar bis Juli 1937 werden 102 von 606 Mitarbeitern des EKKI-Apparates entlassen {Adibekov 1997, S. 191). Krinickij, Sekretär des Saratover Gebietskomitees der KPdSU(B), berichtet Stalin über die Säuberung im Deutschen Autonomen Gebiet {Del' 1997, S. 98f). Auf dem Juli-Plenum 1957 wurde mitgeteilt, daß in den Jahren 1937 und 1938 in der UdSSR 681.692 Menschen erschossen worden sind. 1937 werden vom Militärkollegium 4.602 Militärangehörige verurteilt. 1937 und 1938 werden Stalin 383 Listen mit Namen von zu verurteilenden Personen vorgelegt. Je nach Vermerk »1« (Todesstrafe) oder »2« (Besserungsarbeitslager) auf der Akte, sanktioniert das Militärkollegium das Urteil {Suvenirov 1995, 4, S. 137-146). 1937/38 liegen Stalin zahlreiche Erschießungslisten vor, unter anderem 17 Listen mit den Namen von Todeskandidaten aus dem Leningrader Gebiet. Darunter waren 3.349 Militärs (Kovalev 1995, S. 189). Brunner wird aus dem Butyrka-Gefängnis in die Lubjanka verlegt und dem Untersuchungsrichter vorgeführt: »Wir haben alle Dokumente der Komintern über Sie. Wir wissen, daß Sie eine ehrliche Kommunistin sind, aber Sie haben nicht gesehen, was für Leute um Sie herum saßen. Wenn wir die Spione gefunden haben, dann lassen wir Euch übrige frei. Helfen Sie uns, die Spione zu finden und verheimlichen Sie uns nichts.« (Brunner 1990, S. 381.) Verhaftung von Pasukanis, am 4. September 1937 findet der Prozeß statt. Die gesamte Familie Cejtlin (fünf Brüder und zwei Schwestern) wird verhaftet. »Als die Welle der Repressalien 1938 etwas abflaute und die Führer örtlicher Parteiorganisationen anfingen, den Mitarbeitern des NKVD zur Last zu legen, sie hätten physischen Zwang auf die Häftlinge ausgeübt, war es niemand anders als Stalin, der den Sekretären der Gebiets- und Regionalkomitees der Partei sowie den ZKs der nationalen Kommunistischen Parteien, den Volkskommissariaten für Innere Angelegenheiten und den Verwaltungsleitern des NKVD am 10. Januar 1939 ein chiffriertes Telegramm schickte. In diesem Telegramm heißt es:

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JANUAR 1937

Das ZK der KPdSU(B) erklärt, daß die Anwendung physischen Zwanges durch das NKVD seit 1937 vom ZK der KPdSU(B) zugelassen ist. Die >Anwendung physischen Zwanges< ist eine allzu gelinde Bezeichnung dessen, was in Wirklichkeit vor sich ging. Es gab Folter, Mißhandlung durch Prügeln, Schlafentzug, Nachtverhöre nach dem >Fließbandprinzip< (die Untersuchungsführer lösten sich ab, dem Häftling wurde keine Pause gegönnt), stundenlanges Stehen, die Androhung, daß man mit den Angehörigen und nahen Bekannten abrechnen würde, und vieles mehr. Was den Zeitpunkt betrifft, von dem an vom NKVD gefoltert worden war, log Stalin. Die Folter setzte man schon vor 1937 ein.« Die von Kaganovic eigenhändig unterschriebenen Haftbefehle bzw. Genehmigungen zur Verhaftung von 1.587 Transportarbeitern, die in den Jahren 1937 bis 1939 Opfer der Repressionen geworden sind, füllen fünf Bände (Jakovlev 1993, S. 232). Von Januar bis Mai 1937 leitet Alichanov die Kaderabteilung der Komintern. Seit Sommer 1936 wird der gesamte Kaderbestand überprüft. Wehner legt dem Sekretariat der Komintern den »Beitrag zur Untersuchung der trotzkistischen Wühlarbeit in der deutschen antifaschistischen Bewegung (Die deutschen Trotzkisten und die Gestapo)« vor. 1. Januar 1937, Freitag

Leitartikel der Pravda: »Nas vedet velikij kormcij« (Uns führt der große Steuermann). Zar'ja Vostoka berichtet über den vergangenen Prozeß (Antonov-Ovseenko 1993, S. 94). »Gebe Gott, daß das Jahr 1937 glücklicher werde als das vergangene« (Bulgakov 1991, S. 279). Krasnyj archiv. htorileskij fymal, Bd. 1 (80), 1937, im Satz. Im Impressum ist nur noch von einem Redaktionskollegium die Rede. Zuvor gehörten der Redaktion an: Chefredakteur Berzin, Maksakov, Pasukanis und Rotstejn. Beschluß über die Auflösung des SVIRLag. Das Lager besteht bis zum 1. Oktober 1937 (Ioß 2001, S. 35). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Wir hoffen aufbessere Zeiten (Garros 1998, S. 60). Tagebucheintragung von I. D. Frolov: Das vergangene Jahr wird als gewaltige Kolumne bedeutender Ereignisse in den Annalen des Sozialismus verzeichnet werden (Frolow 1998, S. 109-112). Tagebucheintragungen von Stange, sie führt ihr Tagebuch bis März 1938 (Stange 1998, S. 179f.): Es graut einem, wenn man bedenkt, wie die Menschen im allgemeinen und Ingenieure im besonderen heutzutage leben. Vom 1. Januar 1937 bis zum 15. Oktober 1938 verhaftet das NKVD von Jaroslavl' 7.884 Personen {Very 2001, S. 241). 2. Januar 1937, Sonnabend

Leitartikel der Pravda: »Delo gromadnogo politiceskogo i chozjajstvennogo znacenija« (Eine Angelegenheit von gewaltiger politischer und wirtschaftlicher Bedeutung). Im Artikel wird an Lenins Äußerungen über die Bedeutung der Statistik im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Volkszählung erinnert. Trockij ist den vierten Tag unterwegs. Aus Oslo kam die Weisung, daß er bis zur Ankunft in Mexico Kommunikationsverbot hat (Trockij 1994, S. 151).

JANUAR 1937

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In dieser Zeit soll Krestinskij mehrere Briefe an Trockij geschrieben haben, sagt Bessonov während der Vernehmung am ersten Tag im Prozeß gegen den Block der Rechten und Trotzkisten 1938 aus. Der Leiter der Kaderabteilung der Internationalen Lenin-Schule, Gorskij, informiert die Geheime politische Abteilung der Hauptverwaltung Staatssicherheit des NKVD der UdSSR über die Aktivitäten ehemaliger Studenten der Internationalen Lenin-Schule, die als Trotzkisten entlassen worden sind. Stalin empfängt in der Zeit von 19.00 bis 21.40 Uhr in seinem Kabinett: Ordjonikidze, Kaganovic, Molotov, Vorosilov, Zdanov, Andreev, Mikojan, Ezov, Ljubimov ilstorileskij archiv 1995, 4, S. 37). 3. Januar 1937, Sonntag

Dimitroff notiert im Tagebuch: - Telefongespräch mit Vorosilov. (»Wenn wir uns persönlich treffen, wird es Gerede geben. Es ist besser, die Fragen im ZK zu klären [...] Feuchtwanger will mich und Stalin treffen. Sagt, daß er Sie getroffen hat, war er nicht zufriedengestellt durch das Gespräch?«) Die Pravda veröffentlicht den Artikel »O dosrocnom vypolnenii proizvodstvennogo plana 1936 goda« (Über die vorfristige Erfüllung des Produktionsplanes für das Jahr 1936), er enthält Berichte der Volkskommissare über die Planerfüllung an Stalin und Molotov; und den Beitrag von Steckij, »Novyj klass politiceskogo vospitanija« (Die neue Klasse der politischen Erziehung), der von Initiativen in Städten und in der Provinz, die Verfassung zu studieren, handelt. Den lichten Seiten des Lebens in der Neuen Welt werden die Schattenseiten aus der Welt des Kapitals gegenübergestellt. Bulgakov schreibt an seinen Bruder Nikolaj in Paris über sein neues Stück »Zojkina kvartira« (Zojkas Wohnung). Er bittet seinen Bruder, zu prüfen ob darin Entstellungen und Eigenmächtigkeiten zu finden sind. Die Regie darf nichts zulassen, was antisowjetischen Charakter trägt und deshalb für mich als Staatsbürger der UdSSR unannehmbar ist und folgenreich sein kann. Das ist die Hauptsache {Bulgakov 1991, S. 279). Stalin empfängt in der Zeit von 20.00 bis 0.10 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Tairov, Orlov, Ancipo-òkunskij, Suric (Jstoricesky archiv 1995, 4, S. 38). 4. Januar 1937, Montag

Leitartikel der Pravda: »Revol'jucionnaja bditel'nost' i pod"em partijnoj raboty« (Revolutionäre Wachsamkeit und Aufschwung der Parteiarbeit). Der Prozeß gegen die trotzkistisch-sinowjewistische Bande hat gezeigt, heißt es u. a. im Artikel, daß die Kapitalisten bei uns ihre Handlanger finden, der Prozeß gegen die Mörder von Kemerovo hat gezeigt, daß die Trotzkisten und Sinowjew-Anhänger nicht vor Vergiftungen der Werktätigen zurückschrecken, um den Unmut gegen die Sowjetordnung zu wecken. Sie haben sich in Rostov am Don verschanzt, sich getarnt, oder in der Kiever Organisation Fuß gefaßt, in der es besonders viele Doppelzüngler gibt. Sehr viele Kommunisten waren betriebsblind, sahen nur die Ertrags- oder Produktionszahlen und achteten nicht auf die verkappten Feinde. In Niznij Tagil beginnt die 14. Parteikonferenz, auf der Kabakov und Okudzava Mar'jasin beschuldigen, eine trotzkistische Bande geleitet zu haben (¿eriiy 1999, 5. 91).

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JANUAR 1937

Ustrjalov -wird gebeten, einen Artikel über Puskin für die Investi]a zu schreiben (Ustrja/ov 1998, S. 28). Verhör von Pjatakov über seine Schädlingstätigkeit von 1934 bis 1936 (Pro^eßbericht 1937, S. 12). Molotov zitiert daraus auf dem Plenum am 28. Februar 1937 (Voprosy istorii 1993, 8, S. 4). Krestinskij sagt im Schauprozeß 1938 aus, zu diesem Zeitpunkt zusammen mit Rozengol'c nach dem Ausscheiden von Pjatakov dem Zentrum beigetreten zu sein {Pro^eßbericht 1938, S. 203). Pjatakov sagt über seine Schädlingstätigkeit im Volkskommissariat für Schwerindustrie aus. Molotov zitiert daraus auf dem Plenum am 27. Februar 1937. Anweisung der Hauptverwaltung Lager des NKVD der UdSSR, daß von nun an Ärztekommissionen in den Besserungsarbeitslagern gegen Bezahlung Schwangerschaftsunterbrechungen vornehmen dürfen. Stalin empfangt in der Zeit von 16.05 bis 19.10 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Berija, Kerzencev, Stomonjakov, Litvinov, Tairov, Rozengol'c, Grin'ko (Istoriceskijarchiv 1995, 4, S. 38). 5. Januar 1937, Dienstag

Leitartikel in der Pravda: »Vor den Puskin-Tagen«. Weitere Artikel sind dem Aufschwung des sozialistischen Wettbewerbs gewidmet. Fabriken und Betriebe antworten auf den Brief der Stahlkocher. Verhaftung des Volkskommissars für Arbeit der RSFSR Smidt. Am 3. Juni wird er wegen Zugehörigkeit zur Organisation der Rechten zu 10 Jahren verurteilt, am 29. Juli 1938 erneut angeklagt und erschossen {Politikskie 1993, S. 362). Die Pravda veröffentlicht einen Artikel über die Lebensweise des Ersten Sekretärs der Ladozsker Kreisleitung Surnin. Am 13. Januar und 9. Februar folgen weitere Artikel, in denen Erste Sekretäre vorgestellt werden. Trockij erinnert sich an die Pressemeldungen nach der Ermordung von Kirov, damals wurde behauptet, er habe dem Attentäter einen Brief geschrieben. Das war eine GPU-Provokation (Trockij 1994, S. 152f). Gide antwortet auf das Schreiben der Leitung des Clubs der Jugend des 7. Arrondissements vom 23. Dezember 1936. Die Leitung hatte gegen die von Gide ausgesprochenen Verleumdungen protestiert und ihn als Ehrenpräsident abgewählt {Gide 1937a, S. 118f). 6. Januar 1937, Mittwoch

Die Pravda berichtet über die Tagung der Budget-Kommission des Zentralen Exekutivkomitees. Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften Cicibabin und Ipat'ev verlieren die Staatsbürgerschaft der UdSSR. Tabejkin: »Trockistskie posledysi. Ot kirgizskogo korr. Pravdy« (Trotzkis Gefolgsleute. Vom kirgizischen Korrespondenten der Pravda). Im Bericht über das Plenum der Bezirksleitung der Kommunistischen Partei (Bolschewiki) Kirgiziens und den Umtausch der Parteimitgliedsbücher werden Beispiele für Vetternwirtschaft und mangelnde Wachsamkeit angeführt. Die Leiter des Büros und des Sekretariats sind abgelöst worden, das von ihnen geschickt geknüpfte konterrevolutionäre Netz beginnt zu zerfallen, heißt es im Artikel. Volkszählung in der UdSSR.

JANUAR 1937

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Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Heiligabend. Arbeit für die Volkszählung (Garros 1998, S. 60ß). 7. Januar 1937, Donnerstag

Die Pravda berichtet über die Verstöße gegen die Direktiven des ZK über die Aufnahme in die KPdSU(B) in Gor'kij: »Protiv narusenija direktiv CK VKP(b) o prieme ν partiju«. Sergunov berichtet aus Prag über die Zersetzungsarbeit der Gestapo in der Tschechoslowakei. Die Rundschau (Basel) veröffentlicht den Artikel »Eine erfolgreiche Bilanz. Das letzte Jahr des zweiten Fünfjahrplans beginnt« (Nr. 1, 1937, 9). Im Socialisticeskdj vestnik erscheint der zweite Teil des Briefes eines Alten Bolschewiken (Fel'stinskij 1993, S. 29). Vor seiner Ankunft in Mexico notiert Trockij im Tagebuch, daß er Angst vor einem Attentat der GPU habe. Die Stalinsche Bürokrade hat ein gewaltiges Lügengebäude geschaffen, um die Kluft zwischen Wort und Tat zu verbergen. Die Partei, das NKVD und die Komintern arbeiten dabei Hand in Hand. Im Westen kann man sich keine Vorstellung von der Menge der Propagandaliteratur zum Kampf gegen die linken machen. Stalins Arbeitszimmer ist die zentrale Leitstelle dieses Kampfes. Von hier aus werden alle Fäden gezogen (Trockij 1994, i". 153). Mitkevic schreibt an den Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Gorbunov, und teilt mit, daß er dazu beitragen möchte, den dialektischen Materialismus in der Physik durchzusetzen (Gorelik 1995, S. 143). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Ein gesegnetes Fest den Rechtgläubigen (Garros 1998, S. 61). Stalin empfängt in der Zeit von 14.00 bis 18.50 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kaganovic, Vorosilov, Ordjonikidze, Mezlauk, Chruscev, Lichacev, Dybec, Galeev, S. Ginzburg, Prokofev, Mikojan (2mal), Kalinin, Mel'bart, Litvinov, Suric, Kandelaki {Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 38). 8. Januar 1937, Freitag

Der Leitartikel der Pravda ist dem zweiten Stachanov-Jahr gewidmet. Jetzt geht es darum, heißt es, alle Werktätigen auf das Niveau der Stachanovisten zu heben, denn von 244 Stahlkochern im Donbass haben nur 75 die vom Bestarbeiter Masaj vorgegebene Norm erreicht. Dolinov aus dem Moskauer Betrieb »Serp i molot« beschreibt die Folgen formaler Leitung »Plody formal'nogo rukovodstva« (Früchte der formalen Leitung). Die von ihm genannten Beispiele aus der Parteischulung zeigen, wie unbekannt eigentlich die jüngste Parteigeschichte ist. Im Parteilehrjahr dominieren Lobeshymnen auf die KPdSU(B). Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seinen Sohn Kirill (Florenski2001, S. 435^437). Trockij kommt in Tampico an (Trockij 1994, S. 161). Verhör von Hess und der Ehefrau von Taubenberger, Else Taubenberger, durch Hauptmann Volynskij und den Leiter der 3. Abteilung der Hauptverwaltung Staatssicherheit, Ilk, im Fall Kippenberger. Stalin empfängt in der Zeit von 15.30 bis 19.00 Uhr in seinem Kabinett: Feuchtwanger, Tal', Mironov (die Pravda druckt am nächsten Tag einen Bericht und ein Foto der Begegnung) (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 38).

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9. Januar 1937, Sonnabend

Die Pravda erscheint mit einem Foto von Feuchtwanger, Stalin und Tal' auf der Titelseite. Aus dem Inhalt: Soms, Leiter der Politverwaltung des Narkomsovchoz der UdSSR, schreibt über »Arbeit und Löhne in den Sovchozen«; Kronanwalt Pritt kommentiert das Strafrecht der UdSSR. Pritt hatte am 7. Januar in Brüssel eine vielbeachtete Vorlesung über das Strafrecht gehalten. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Ich wollte den Festtagsritus aufschreiben, aber ich fange schon an zu vergessen (Garros 1998, S. 61f.). Verhör von Arnol'd. Ezov und Vysinskij schicken Stalin den zweiten, überarbeiteten Entwurf der Anklageschrift im Schauprozeß 1937. Während der Voruntersuchung gab es keine für alle Angeklagten geltende Anklageerhebung, die Fälle wurden erst kurz vor Beginn des Schauprozesses zusammengefugt. Demnach wurden auch die Angeklagten erst unmittelbar vor Prozeßbeginn endgültig ausgewählt (ICKKPSS 1989, 9, S. 41). Stalin redigierte die zweite Fassung der Anklageschrift und ersetzte Clenov durch Turok (Jakovlev 1993, S. 233). Ul'rich und Vysinskij fassen während der Sitzung des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR den Beschluß, Rjutin durch ein Sondertribunal verurteilen zu lassen. Rjutin wird in nichtöffentlicher Verhandlung auf Grundlage des Gesetzes vom 1. Dezember 1934 verurteilt. Das Schnellverfahren gegen Rjutin findet am nächsten Tag statt (ICKKPSS 1990, 3, S. 162). Vysinskij versorgt Ordzonikidze mit Berichten über qualitativ minderwertige Lieferungen aus Moskauer Betrieben nach Leningrad. Es kommt zu Verhaftungen, Entlassungen und Parteiausschlüssen (Chlevnjuk 1992, S. 88, 89). Von 743 gemaßregelten Mitgliedern und Kandidaten werden 42 mit Parteistrafen belegt, 80 werden dafür bestraft, daß sie vor ihrem Eintritt in die KPR(B) anderen Parteien angehörten oder in der weißen Armee gedient hatten. Die Regierung Mexicos gewährt dem aus Norwegen eingetroffenen Trockij Asyl. Erstes Verhör von Kippenberger, Gegenüberstellung mit Hirsch. Stalin empfängt in der Zeit von 14.05 bis 15.40 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Ordzonikidze, Ezov, Kalinin, Kaganovic, Litvinov, Krylenko, Vysinskij (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 38ß). 10. Januar 1937, Sonntag

Leitartikel der Pravda: »Die Sowjetunion — das zahlungsfähigste Land der Welt«. Verurteilung und Hinrichtung von Rjutin und Saluckij (ICKKPSS, 1990, 3, S. 162). Hinrichtung von Smilga (Politiceskie 1993, 295). Gegenüberstellung von Kippenberger und Hess. Sowjetische Hochschullehrer kritisieren die Vernachlässigung der Gesellschaftswissenschaften in den Lehrplänen (Solov'ev 1993, S. 140-230). Stalin empfängt in der Zeit von 15.10 bis 18.20 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kaganovic, Vorosilov, Ordzonikidze, Ezov, Kosior, Postysev, Il'in, Steckij, Mar'in, Bruskin, Dybec, Djakonov, Novoselov, Peterko (Istoriieskij arcbiv 1995, 4, S. 39).

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11. Januar 1937, Montag Im Leitartikel der Pravda unter der Überschrift »Po velikoj doroge kommunizma« (Auf der Heerstraße des Kommunismus) werden die Erfolge in der Wirtschaftsentwicklung des Landes gewürdigt. Das zweite Stachanov-Jahr hat glänzend begonnen, heißt es im Artikel. Rolland übt Kritik an Gide. Er entspricht damit einer Bitte der ausländischen Arbeiter aus Magnitogorsk. Als sie und ihre russischen Kollegen hörten, daß sie von Gide als faul und träge geschildert wurden, wiesen sie auf die Erfolge der Wirtschaftsentwicklung hin und sahen darin den besten Beweis, um Gides Lügen zu widerlegen. Rolland schrieb daraufhin an die russischen Arbeiter: Ich verstehe Ihren Unmut, aber es handelt sich einfach um ein dummes Buch. Vorosilov schlägt entsprechend Urickijs Vorschlag vom 20. Dezember 1936 dem Politbüro vor, Artuzov und Steinbrück von der Militärabwehr dem NKVD zur Verfügung zu stellen (Gorbunov 1998, S. 55). Verhör von Zajcev und Astrov, sie werden auf den Prozeß gegen Bucharin vorbereitet. Florin schreibt an Alichanov (über Wehner) {Müller 1993, S. 106). Baumann wird von einem Sondergericht verurteilt (In den Fängen 1991, S. 29). Verhör von Kippenberger und Gegenüberstellung mit Hess. Bucharin bittet Stalin, bei der Gegenüberstellung mit Radek anwesend zu sein {Rodina 1995, 10, S. 60). Dimitroff notiert im Tagebuch: - Habe die Aussagen von Radek und Ust[rjalov] gelesen. — Die Schuld Bucharins steht außer Zweifel. Stalin empfangt in der Zeit von 15.25 bis 17.45 Uhr in seinem Kabinett: Postysev, Molotov, Ordjonikidze, Kaganovic, Vorosilov, Rozengol'c (Jstorileskij arthiv 1995, 4, S. 39). 12. Januar 1937, Dienstag Die Pravda berichtet über die Eröffnung der 3. Tagung des Zentralexekutivkomitees und über das Referat von Grin'ko, dem Volkskommissar für Finanzen. Berija erinnert im Artikel »Znamenatel'naja data« (Ein bedeutendes Datum) (S. 4) an den 30. Jahrestag der Parteiorganisation von Batumi. Der Artikel enthält als Illustration das Gemälde von Kutateladze, das Stalin an der Spitze des Demonstrationszuges zeigt (S. 5). Bucharin beendet die Arbeit an der Erklärung »An alle Mitglieder und Kandidaten des ZK der KPdSU(B)«. Sie liegt zusammen mit der Erklärung vom 7. Dezember 1936 den Mitgliedern des Politbüros vor {ICKKPSS 1989, 5, S. 75/.; Rodina 1995 10, S. 62). Bucharin äußert sich zur Gegenüberstellung mit Radek und den von Radek vorgetragenen Lügen. Nikolaev sei der Mörder Kirovs, sagt Radek aus - und Bucharin habe das gewußt, denn er sei ein Rechter gewesen. Dieses Gespräch habe vier Tage nach dem Mord an Kirov stattgefunden. Bucharin weist darauf hin, und das läßt sich mit den Eintragungen in Stalins Besucherbuch belegen, daß er am Tag nach dem Mord wußte, daß es sich beim Mörder um einen Zinov'ev-Anhänger gehandelt hat. Das hatte ihm Stalin selbst gesagt. Radek konnte von der Begegnung zwischen Bucharin und Stalin nicht wissen (ICKKPSS 1989, 7, i'. 69; 1989, 5, S. 76; Rodina 1995, 10, S. 63). Verhör von Zajcev.

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Nachdem es Bucharin gelungen ist, Radeks Aussagen zu widerlegen, tritt Astrov auf und sagt gegen Bucharin aus. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Das Badehaus ist jetzt Luxus für uns (Garros 1998, S. 62ß). 13. Januar 1937, Mittwoch

Leitartikel der Pravda: »Bjudzet rosta narodnogo blagosostojanija« (Der Staatshaushalt des zunehmenden Volkswohlstandes). Svecova, ein 12jähriges Mädchen, schreibt an Stalin. Im Brief heißt es u. a.: Wir haben nichts zu essen, keine Kuh, kein Pferd (Kommunist 1990, 1, S. 94—96). Astrov belastet während der Gegenüberstellung Bucharin im Beisein Stalins (Rodina 1995, 10, S. 63). Nachdem er seine Rolle bestanden hatte, wurde er auf Anweisung Stalins am 9. Juli aus der Haft entlassen. Er erhielt Arbeit und Wohnung in Moskau (ICKKPSS 1989, 5, S. 84). Bucharin nimmt zu den Aussagen von Radek (über die Ermordung Kirovs durch Zinov'ev-Anhänger) während einer Gegenüberstellung im Beisein von Stalin (.ICKKPSS 1989, 7, S. 69) im ZK der KPdSU(B) Stellung (ICKKPSS 1989, 5, S. 76). Verhör von Zajcev. Florin schreibt an Alichanov {Müller 1993, S. 113). Das ZK der KPdSU(B) faßt einen Beschluß über das Kiever Gebietskomitee und das ZK der Kommunistischen Partei (Bolschewiki) der Ukraine. Kaganovic prüft die Situation vor Ort (Izvestija< arbeitete, führte ich mit ihm Gespräche über den Terror (Prozeßbericht 1937, S. 109). Nach der Ermordung von Kirov unterhielten wir uns häufiger darüber. Radek hält den individuellen Terror für einen unseriösen Weg. Radek nennt während des Verhörs Tuchacevskij und Putna als Mitverschwörer. Abendsitzung Vernehmung des Zeugen Romm. Vernehmung von Sokol'nikov (Prozeßbericht 1937, S. 161ß). Ich weiß, daß Kamenev Verhandlungen mit Bucharin und Rykov führte. ... Die Rechten traten jedoch nicht dem Block bei. Sie erklärten, daß sie zwar mit allem einverstanden seien, aber ihre besondere Organisation, ihre zentrale Gruppe beibehalten und mit dem vereinigten Zentrum lediglich Kontakt aufrechterhalten wollten. ... die Rjutin-Plattform brachte die allen drei Gruppen gemeinsame Ansicht zum Ausdruck. Was die Weiterentwicklung dieses Programms betrifft, so waren die fuhrenden Mitglieder des Zentrums der Ansicht, daß unsere Revolution als isolierte Revolution sich nicht als eine sozialistische Revolution behaupten könne, daß die Theorie des Kautskyschen Ultraimperialismus und die ihr verwandte Theorie des Bucharinschen organisierten Kapitalismus sich als richtig erwiesen habe {Prozeßbericht 1937, S. 165). Der Weg zur Macht führt über die Wiederherstellung der kapitalistischen Elemente, die die sozialistischen verdrängen und in einem bestimmten Maße ersetzen sollten (Prozeßbericht 1937, S. 171).

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Weißberg-Cybulski wird in Char'kov zur Gebietsverwaltung des NKVD bestellt (Weißberg-Cybulski 1993, S. 29). Stalin empfangt in der Zeit von 20.50 bis 23.00 Uhr in seinem Kabinett: Zdanov, Vysinskij, Mechlis, Tal' (Istorikskij arcbiv 1995, 4, S. 41). 25. Januar 1937, Montag

Leitartikel der Pravda: »Torgovcy rodinoj« (Heimatverkäufer). Der Grundtenor der Berichterstattung über den Prozeß lautet: Das ganze Land ist von der Welle des Volkszorns erfaßt. Die Werktätigen scharen sich noch enger um die Partei und verfluchen die Judasse. Neben den Berichten enthält die Pravda zahlreiche Fotos von Meetings. So von der Kundgebung in der Fabrikhalle des 1. Staatlichen Kugellagerwerkes in Moskau. Auf dem Foto ist der Redner, es handelt sich um den Leiter der Schleiferei Solov'ev, zu sehen. Auch auf Seite 4, unter der Rubrik »Aus dem Gerichtssaal« sind Fotos veröffentlicht. Im Artikel von Galin »Residenten des Faschismus« heißt es: Im Saal ist es still. Der Panzerkommandant Gromov ballt die Fäuste, der grauhaarige Schmied aus dem Leningrader »Kirov«-Werk hört gespannt zu, der Stachanovist Smetanin und Akademiemitglied Orbeli lauschen den Worten des Anklägers. Der Angeklagte Sokol'nikov wird als klein, und geduckt beschrieben. Seine Goldzähne glänzen, der lächelnde Henker erklärt dem Gericht voller Zynismus, wie er hochstehende Funktionäre angeworben hat. Auf Seite 5 der Ausgabe ist ein Bericht über die Kundgebung in der Konditoreifabrik »Babaev« in Moskau veröffentlicht. Arbeiter aus dem Stickstoffwerk im Donbass berichten, wie die Schädlinge in ihrem Betrieb Stachanov-Arbeiter umgebracht haben. Die von ihnen absichtlich überlasteten Anlagen explodierten. Das ist das Werk der trotzkistischen Bande. Über 13 Arbeiter wurden bei der Explosion verletzt. Mehr als 800 Arbeiter haben den Brief an die Pravda unterschrieben. Morgensitzung Vernehmung des Zeugen V. F. Loginov. Er sagt aus, wie beim Bau des StaroJenakievsker Veredlungswerkes der Bau der Kohlenwäsche sabotiert wurde. Abendsitzung Vernehmung von Muralov. Der Untersuchungshäftling Ol'berg wendet sich mit einem Brief an seinen Untersuchungsführer. Darin beschreibt er, wie man ihn folterte, um Geständnisse zu erpressen. Nach den Verhören übermannte ihn Todesangst (Kovalev 1995, S. 126). Navasin, Mitarbeiter der sowjetischen Handelsvertretung in Paris, wird ermordet (.Besedovshj 1997, S. 444). Die in Norwegen erscheinende Aftenposten dementiert Berichte über die Verhandlungen von Pjatakov mit Trockij in Oslo. Weißberg erhält eine Vorladung des NKVD. Im Leitartikel der Pravda ist davon die Rede, daß Radek Trockijs Kontakte zu den deutschen Faschisten gutgeheißen hat.

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Stalin empfangt in der Zeit von 18.10 bis 22.05 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kaganovic, Vorosilov, Ordzonikidze, Cernov, Klejner, Urickij, Mrackovskij, Gikalo {Istontesky archiv 1995, 4, S. 41). 26. Januar 1937, Dienstag

Morgensitzung Fortsetzung der Vernehmung von Sestov über dessen Sabotage- und Diversionstätigkeit im Kohlerevier. Stroilov berichtet, wie ausländische Facharbeiter gegen die Sowjetregierung aufgehetzt wurden (Pro^eßbericht 1937, S. 295). Abendsitzung Anhörung der Sachverständigen. Sie weisen auf die falsche Bauplanung im Kuzbas hin. Seliscev schreibt an Ezov und bittet um Aufenthaltserlaubnis für Moskau (Anfin/ Aipatov 1994, S. 152). Stalin empfangt in der Zeit von 15.10 bis 18.25 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Ordzonikidze, Kaganovic, Akulov, Ezov, Vorosilov, Kalinin, Ruchimovic {Istoriteskij archiv 1995, 4, S. 41). 27. Januar 1937, Mittwoch

Verhaftung von Rakovskij. Er wird im Moskauer Schauprozeß 1938 angeklagt (.ICKKPSS, 1989, 1, S. 115; ICKKPSS, 1989, 5, S. 89). Entgegen der Verlautbarung aus dem NKVD liegt nichts gegen ihn vor, die ihn angeblich belastenden Aussagen von Pjatakov, Kasparova, Nikolaev und Ter-Vagan'jan sind nichtssagend und haidos bzw. von NKVD-Mitarbeitern erfunden. Die Ernennung Ezovs zum Generalkommissar für Staatssicherheit wird bekannt gegeben. Die Pravda veröffentlicht ein Porträt von Ezov. Die Pravda meldet, daß Sedov, Trockijs Sohn, versucht habe, Arbeiter zu vergiften. Sedov war seinem Vater nicht ins Exil gefolgt, sondern in der Sowjetunion geblieben. Morgensitzung Vernehmung von I. A. Knjazev und Turok. Abendsitzung Die Gutachter legen ihre Berichte über die Ursachen der Unglücksfalle in den Bergwerken vor (Pn^eßbericht 1937, S. 4 9 3 j f f ) . Geschlossene Sitzung des Militärkollegiums des Obersten Gerichts. Stalin empfangt in der Zeit von 21.20 bis 22.50 Uhr in seinem Kabinett: Gamarnik, Vysinskij {Istoriieskij archiv 1995, 4, S. 41). 28. Januar 1937, Donnerstag

Das Politbüro des ZK der KPdSU(B) beschließt, das Februar-März-Plenum für den 20. Februar einzuberufen. Alle Redner (die Liste liegt am 31. Januar vor) werden beauftragt, die Entwürfe ihrer Reden bis zum 5. Februar vorzulegen. An

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diesem Tag wird die endgültige Tagesordnung des Plenums angenommen (Chlevnjuk 1992, S. 96). Der Entwurf der Anklageschrift für den Schauprozeß wird von Ul'rich ausgearbeitet und an Ezov im ZK der KPdSU(B) zur Kenntnisnahme geschickt. Die Parteiführung wird gebeten, dem Urteil zuzustimmen. Ul'rich hatte für alle Angeklagten die Todesstrafe gefordert. Nach der redaktionellen Bearbeitung wurden Radek und Sokol'nikov nicht zum Tode verurteilt (Kovalev 1995, S. 214). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Riesige Schlangen, Gedränge vor den Brotläden. Teure Sorten, fürs Proletariat ganz ungünstig (Garros 1998, S. 65ß). Tagebucheintragung von I. D. Frolov: Über die Ernennung von Ezov zum Generalkommissar (Froloiv 1998, S. 115). Stalin empfängt in der Zeit von 16.40 bis 19.30 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kaganovic, Ordjonikidze, Vorosilov, Andreev, Ezov {Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 41). 29. Januar 1937, Freitag

Im Mittelpunkt der Berichterstattung in der Rundschau (Basel), Nr. 4, steht der Prozeß gegen das sowjetfeindliche trotzkistische Zentrum (Pjatakov, Radek, Sokol'nikov, Serebrjakov, Muralov, Lifsic, Drobnis, Boguslavskij, Knjazev, Ratajcak, Norkin, Sestov , Stroilov, Turok, Grase, Pusin, Arnol'd). Die Ausgabe enthält Beiträge von Vysinskij, Gottwald und Feuchtwanger über den Prozeß. Jagoda wird vom Zentralen Exekutivkomitee außer Dienst gestellt (Kovalev 1995, 5. 152; Nekrasov 1995, S. 181). Ich gestehe noch eine weitere Schuld, erklärt Radek bei seinem letzten Auftritt. Als ich meine Schuld bereits zugegeben und die Organisation aufgedeckt hatte, weigerte ich mich weiterhin, über Bucharin auszusagen. Ich wußte: Bucharins Lage ist genauso hoffnungslos wie meine, denn wir haben die gleiche Schuld, wenn nicht juristisch, so doch im Wesen der Sache. Aber wir sind eng befreundet, und die Freundschaft des Geistes ist die stärkste von allen. Ich wußte, daß Bucharin genauso erschüttert ist wie ich, und war überzeugt, daß er vor der Sowjetmacht ein aufrichtiges Geständnis ablegen würde. Deshalb wollte ich ihn nicht an Händen und Füßen gefesselt dem Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten ausliefern. Ich wollte, daß er wie unsere anderen Kader die Möglichkeit erhält, die Waffen niederzulegen (Medwedew 1992, 2, S. 45f). Davies nimmt als Gast am Prozeß gegen Radek teil (Davies 1943, S. 24). Stalin empfängt in der Zeit von 16.15 bis 20.15 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kaganovic, Andreev, Ezov, Ul'rich, Vysinskij, Mikojan, Ordzonikidze, Vorosilov, Mechlis, Tal', Chruscev, Stomonjakov (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 41ß). 30. Januar 1937, Sonnabend

Am nächsten Vormittag stand ich wieder vor dem Untersuchungsrichter (Weiß'berg-Cybulski 1993, S. 59). Der Untersuchungsrichter fordert ihn auf, zu kapitulieren und erwähnt, daß Muralov nach acht Monaten Verhör den Widerstand in der U-Haft aufgegeben hat. Weißberg-Cybulski darf das Gebäude der Gebietsverwaltung des NKVD verlassen. Er selbst kann die Vorladung nicht erklären: Es ist nur ein Teil jener Welle von Unruhen und Mißtrauen, die durch das ganze Land

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geht. Den politischen Sinn dieser Erscheinung verstehe ich selbst nicht. ... Man kann nicht kämpfen. Man muß weggehen (Weißberg-Cybulski 1993, S. 68). Verurteilung von Pjatakov. Er war bis zu seiner Verhaftung am 12. September 1936 Mitglied des ZK der KPdSU(B) und Stellvertretender Volkskommissar für Schwerindustrie. Pjatakov und Muralov wenden sich mit Gnadengesuchen an das Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees {Kovalev 1995, S. 212ß). An das Präsidium des ZEK der UdSSR von dem zum höchsten Strafmaß verurteilten G. L. Pjatakov Bitte um Begnadigung Durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR bin ich heute zum höchsten Strafmaß — Erschießen - verurteilt worden. Im qualvollen Bewußtsein meiner Schuld habe ich mich entschlossen, mich mit der Bitte um Begnadigung an das Präsidium des ZEK der UdSSR zu wenden, wissend, daß ich bis zum letzten Tage meines Lebens, wenn es mir gewährt wird, standhaft und treu zum Nutzen der Sowjetmacht leben und arbeiten werde. Ich habe alles aufgedeckt, was ich über die konterrevolutionäre Tätigkeit der Trotzkisten und über meine eigene wußte. Ich habe nichts verborgen. In all den Monaten der Haft und in den schwersten Tagen des Prozesses habe ich mich oft selbst geprüft, in mir ist kein einziger, nicht der geringste Rest Trotzkismus geblieben. In mir ist keine Erbitterung, kein Anflug von Unbeugsamkeit. Das gestattet mir, das Präsidium des ZEK aufrichtig zu bitten, mir das Leben zu bewahren. All das Wissen, über das ich verfüge, alle meine Kraft und meine ganze Energie, und sei es in der Gefängnishaft, werde ich zum Wohle der Sowjetmacht einsetzen, zum Nutzen der Sowjetunion. In tiefer Reue für alles Begangene bitte ich das Präsidium des ZEK der UdSSR mir die Möglichkeit zu geben, meine Schuld durch beharrliche Arbeit und Treue zur Sowjetmacht, der Kommunistischen Partei und ihren Führern zu tilgen. Es ist qualvoll, mit dem Schandmal des Volksfeindes, des Verräters und Treulosen zu sterben. Ich bitte das Präsidium des ZEK um die größtmögliche Milde, um Begnadigung. G. Pjatakov 30. 1. 1937 An das Präsidium des ZEK Gesuch Am 30. Januar 1937 bin ich durch das Urteil des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR zum höchsten Strafmaß — Erschießen — verurteilt worden. Ich habe eine Reihe schwerwiegender Verbrechen gegen das Volk und den sowjetischen Staat begangen. Ich bin mir meiner Schuld völlig bewußt geworden, als ich aufrichtig und ohne etwas zu verheimlichen über alle meine Verbrechen berichtete. Ich bin 60 Jahre alt. Ich möchte den Rest meines Lebens voll und ganz dem Wohle des Aufbaus unserer Großen Heimat widmen. Ich bringe den Mut auf, das Gesamtrussische ZEK der UdSSR inständig zu bitten, mein Leben zu schonen. Nikolaj Ivanovic Muralov 30. Januar 1937, Moskau

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Artikel der Pravda nach dem Schauprozeß: »Prigovor suda — golos naroda« (Das Urteil des Gerichts - des Volkes Stimme) (Istorija 1994, S. 148-150). Göring im Reichstag: Die Schauprozesse sind nicht mehr als ein Spektakel. Tagebucheintragung von I. D. Frolov: Heute wurde kontrolliert, ob wir auf den Krieg vorbereitet sind {Frolow 1998, S. 115). Die Intendantin des Leningrader Marionettentheaters Saporina notiert im Tagebuch: Gestern flüsterte mir Petrov-Vodkin bei Belkins zu: Ich bin absichtlich nicht zur Versammlung gefahren, wo man sich für die Todesstrafe für die Trotzkisten aussprechen mußte. Also riefen sie nachts an. »Sag deine Meinung, Kusma Sergejewitsch«, sagte er. »Na klar«, sagte ich, »natürlich. Und wofür sind die anderen?« - »Für die Verurteilung aller, sowohl in der staatlichen Administration als auch in der Partei.« (Schaporina 1998, S. 333-336) Davies kommentiert den Prozeß gegen Radek und die Propagandaveranstaltungen (Dames 1943, S. 39f). Ustrjalov vergleicht im Tagebuch die Reaktion der Moskauer auf den Prozeß mit Radiosendungen aus Deutschland. Die Leidenschaften der Masse ( Ustrjalov 1998, S. 28). Die Mitarbeiter des NKVD und die Häftlinge der Gefangnisse und Besserungsarbeitslager des NKVD wurden in der Volkszählung wie folgt erfaßt. Es gab drei sogenannte Spezialkontingente: A, B, C. Unter A fielen Mitarbeiter, unter B: kasernierte militärische Formationen (darunter die Armee mir ihren 1.682.569 Mann, offiziell durfte die Zahl 1.300.000 genannt werden) und paramilitärische Einheiten; C enthielt die Angaben über. Gefangene und Lagerinsassen. Dennoch waren unter C waren nicht alle Deportierten oder Umsiedler erfaßt, wenn ein Gebiet mit einem Besserungsarbeitslager oder eine Ansiedlung der Umsiedler zu einer dorfähnlichen Siedlung erklärt wurde, wurden die betreffenden Personen als Zivilisten gezählt. Insgesamt betrug diese Zahl 2.389.570. Im Jahr 1939 waren es bereits 3.742.914. Das heißt, in Besserungsarbeitslagern, Gefängnissen und in Verbannung befanden sich 1937 1,8 bis 2,2 Millionen Menschen, 1939 waren es 2,6 bis 2,9 Millionen. Während 1937 die Zahl der Häftlinge (in Gefängnissen) und der Sonderumsiedler überwog, waren es 1939 die Häftlinge in Besserungsarbeitslagern des NKVD. 31. Januar 1937, Sonntag Ezov wird als Referent zum Tagesordnungspunkt der »Fall Bucharin und Rykov« auf dem Februar-März-Plenum des ZK der KPdSU(B) eingesetzt. Dimitroff notiert im Tagebuch: - Sekretariat (erweiterte Sitzung). Über die Kampagne im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen das antisowjetische trotzkistische Zentrum. (Cach[in], Kut. W. [Vaillant-Couturier], Humb[ert]Dr[oz], Linderot, Schalker.) Stalin empfängt in der Zeit von 17.00 bis 20.50 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kaganovic, Vorosilov, Ordzonikidze, Andreev, Mikojan, Ezov, Mezlauk, Cernov, Ja. Jakovlev, Kalmanovic, Rozengol'c, Krestinskij (Jstoriceskij archiv 1995, 4, S. 42).

Februar 1937 Anfang Februar 1937 erschienen drei Tschekisten in der Wohnung Bucharins und übergaben ihm die Anordnung, daß er aus dem Kreml auszuziehen habe. [...] Plötzlich klingelte das Haustelefon des Kreml. Stalin war am Apparat. »Nun, wie geht's Dir, Nikolaj?«, fragte Stalin, als ob nichts wäre. Bucharin antwortete, bei ihm seien gerade drei Leute aus der Kommandantur des Kreml mit der Aufforderung, sofort auszuziehen. Ohne Fragen zu stellen, sagte Stalin laut: »Jag' sie doch alle zum Teufel!« Die ungebetenen Gäste verschwanden natürlich auf der Stelle {Medwedew 1992, 2, S. 47). Im RGASPI, Fond 17, opis' 71, Otdel rukovodjascich partijnych organov. Kollekcija dokumental'nych materialov ob oppozicijach 1921—1937gg. (Abteilung Leitende Parteiorgane. Sammlung von Dokumenten über die Opposition 1921— 1937) sind u. a. folgende Aufstellungen abgelegt: Parteimitglieder, die die Plattform der 83 vom 25. Mai 1927 unterschrieben haben, mit dieser sympathisierten. Teilnehmer am Prozeß Januar 1935 und Januar 1937. Parteiapparat nach Gebieten, 1935 bis 1937 Listen ausgeschlossener Mitglieder. Parteiapparat nach Gebieten, zum 1. Januar 1937 ausgeschlossene Mitglieder. Lebensläufe von Sympathisanten der Opposition, die zum 15. Februar 1937 ausgeschlossen wurden. Parteimitglieder nach Gebieten, die beim Umtausch der Parteimitgliedsbücher ausgeschlossen wurden. Mitglieder in zentralen Parteiorganen mit Parteistrafen. Mitarbeiter in politisch administrativen Organen, die zum 1. Februar 1937 ausgeschlossen wurden. Vom 1. Januar 1937 bis 20. Juni 1937 umgesetzte Parteiarbeiter, die der Opposition nahestanden. Auskunftsberichte über führende Parteifunktionäre im Transportwesen und Industrie, die Parteistrafen hatten und mit der Opposition sympathisierten. Auskunftsberichte über führende Parteifunktionäre im Transportwesen und Industrie, die wegen Zugehörigkeit zur Opposition endassen und aus der Partei ausgeschlossen wurden. Auskunftsberichte über ausgeschlossene bzw. verhaftete führende Parteifunktionäre in Landwirtschaft, Planung, Finanzen, Handel, die der Opposition nahestanden. Auskunftsberichte über fuhrende Funktionäre aus Wissenschaft, Kultur, Propaganda, Agitation, Presse, Verlage, die der Opposition nahestanden. Auskunftsberichte über führende Funktionäre aus Wissenschaft, Kultur, Propaganda, Agitation, Presse, Verlage, die vom 1. Januar 1937 bis 2. Juni 1937 endassen wurden. Verhaftung von Kamkov. Nachdem er als Zeuge im Bucharin-Prozeß ausgesagt hat, wird er am 29. August 1938 erschossen. 1. Februar 1937, Montag

Das ZK der KPD begrüßt in einer Erklärung den Terror in der UdSSR (Kommunisten 1993, S. 17). Ordjonikidze zweifelt in seiner Rede während des Empfangs von Arbeitern der petrolchemischen Industrie (einen Tag nach dem Prozeß gegen Pjatakov) an der Richtigkeit der Erklärung, daß die Havarien und Mißstände auf Sabotage zurückzuführen sind. Zur Begründung zitiert er wörtlich aus einem Vortrag, den er im

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Juni 1936 gehalten hatte, und in dem die Rede davon war, daß 90 % der Ingenieure zuverlässige Leute sind {Pravda, 8. 3. 1937, S. 2). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Tatsache ist doch, daß wir vom Sozialismus nur reden: Ringsum geht es ausschließlich ums Fressen (Garros 1998, S. 66-68). Wehner legt den im Januar für das Sekretariat der Komintern verfaßten Bericht »Ein Beitrag zur Untersuchung der trotzkistischen Wühlarbeit in der deutschen antifaschistischen Bewegung (Die deutschen Trotzkisten und die Gestapo)« dem NKVD vor. 2. Februar 1937, Dienstag

Die Komsomol'skaja pravda zeichnet im Artikel »Kapitalisticeskoe okruzenie i ego agentura« die Geschichte der kapitalistischen Umkreisung und ihrer Agentur bis zum Sachty-Prozeß 1928 nach (Istonja 1994, S. 150-154). Wehner schickt Pieck seinen Bericht. Dimitroff notiert im Tagebuch: - Feuchtwanger bei mir (Komintern). (In Begleitung von Maria Osten.) Den stärksten Eindruck hat auf ihn gemacht a) die Ausbildung und der Wissensdurst der Jugend, b) der Plan zum Aufbau von Moskau. Über den Prozeß: 1) Diversionsakte, Spionage, Terror - sind bewiesen. 2) Bewiesen ist ebenfalls, daß Trotzki inspiriert und geführt hat. 3) Die Übereinkunft von Trotzki mit Heß und den Japanern ist nur durch die Selbstbezichtigungen der Angeklagten belegt. — Es gibt keinerlei Beweise! 4) Daß Radek und Sokol'nikov nicht zum Tode verurteilt wurden, wird im Ausland als Beweis gewertet werden, daß sie absichtlich solche Aussagen gemacht haben, um ihr Leben zu retten. 5) Belastend ist der Eindruck, den die unflätige Beschimpfung der Angeklagten hervorruft. Das sind Feinde, die es verdienen, vernichtet zu werden. Aber sie haben nicht aus persönlichen Interessen gehandelt und hätten nicht als (Schüften, Feiglinge, Reptilien) usw. bezeichnet werden dürfen. 6) Warum solch ein Lärm um den Prozeß. - Unklar. In der Bevölkerung ist eine Atmosphäre außerordentlicher Unruhe entstanden, gegenseitige Verdächtigungen, Denunziationen usw. Der Trotzkismus ist tot, wozu eine solche Kampagne? Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': In den Warteschlangen nach Brot und Erbsen ist es heute besonders angenehm (Garros 1998, S. 68). Nacht zum 3. Februar 1937

Verhaftung von Kavrajskij, nachdem er um Wiederaufnahme in die KPdSU(B) gebeten hatte (Starkov 1991, S. 140). 3. Februar 1937, Mittwoch

Hol'sevik, Heft 3, 1937, im Druck. Redaktion: Steckij, Knorin, Pospelov, Tal'. Aus dem Inhalt: Leitartikel »Das Urteil des Gerichts - das Urteil des Volkes«; Rubinstejn: »Schmachvolle Vaterlandsverräter und faschistische Söldlinge«.

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Molcanov, Leiter der Geheimen politischen Abteilung der OGPTJ und der Geheimen politischen Abteilung der Hauptverwaltung Staatssicherheit des NKVD wird verhaftet und am 9. Oktober 1937 erschossen. Die NKVD-Gebietsverwaltung in Novosibirsk meldet die Unterbesetzung mit operativen Mitarbeitern nach Moskau. Es fehlen 97 Mitarbeiter. Um die Lücke zu schließen, werden 40 Kursanten der Milizschule abberufen und die verbleibenden Stellen mit Komsomol- und Parteimitglieder besetzt (Tepljakov 1997, S. 249). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Ich las die Anklagerede des Staatsanwalts im Prozeß gegen das trotzkistische Zentrum wunderbar! Ein schlauer Kopf, dieser Vysinskij. Du betrachtest einen Menschen, und plötzlich entpuppt er sich als Schurke, als Verräter (Garros 1998, S. 68-70). Im Völkischen Beobachter heißt es über die Moskauer Prozesse: Wenn Stalin recht hat, dann hat eine Horde von Verbrechern die Revolution gemacht. Stalin empfangt in der Zeit von 17.30 bis 23.45 Uhr in seinem Kabinett: Kaganovic, Andreev, Malenkov, Ja. Jakovlev, Michailov, Paskua, Molotov, Vorosilov (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 42). 4. Februar 1937, Donnerstag

Verhör von Nesterov, Zeuge im Bucharin-Prozeß 1938. Die Rundschau (Basel), Nr. 5, kommentiert das Urteil im zu Ende gegangenen Moskauer Schauprozeß. Viele Angriffe richten sich gegen Trockij, der seine Karte auf den Krieg setzt. Lang: »Das Gerichtsurteil über die Trotzkisten. Ein Sieg des antifaschistischen Kampfes« (S. 161ß). Weitere Artikel: »Die deutschen Arbeiter und Spezialisten in Moskau begrüßen den vernichtenden Schlag gegen die Agenten der Kriegstreiber«; Jaroslavskij: »Wer sind die Angeklagten?« (5. 217ß). Walecki schreibt über Radek und Koplenig, über die »Verräter am Werk Lenins«. Ernst Fischer kommentiert die Geständnisse der Angeklagten. Verhör von Pfeifer, der zugibt, Agent der Gestapo gewesen zu sein. Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR »Über den Bau des Schriftstellerhauses« {»Scast'e literatuij« 1997, S. 228). Der Bau muß bis zum 15. April fertiggestellt werden. Um diesen Termin zu halten, werden nur vier statt der geplanten fünf Stockwerke gebaut. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Mir träumte von einer Prozession mit Ikonen (Garns 1998, S. 70f). Tagebucheintragung von I. D. Frolov: Ivan Sacharovic ist an einem chronischen Magenleiden verstorben (Frolrnv 1998, S. 116). Davies berichtet in einem Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten über den Prozeß gegen Radek. Seit dem Prozeß kursieren wilde Gerüchte in Moskau (Davies 1943, S. 28ff.). 5. Februar 1937, Freitag

Beschluß des Präsidiums des EKKI über »Die Ergebnisse des Trotzkistenprozesses«, darin heißt es u. a., daß der Prozeß unter Wahrung aller möglichen Garantien der Objektivität verlief. Das Sekretariat des EKKI hatte im Januar 1936 eine Kommission zur Uberprüfung des Apparates geschaffen, die von Moskvin, dem ehemaligen Stellvertreter der OGPU, geleitet wurde. Die Protokolle der Sitzungen dieser Kommission endeten in der Regel mit der Auflage: von der Ar-

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beit im Apparat des EKKI zu entbinden (RGASPI, F. Op. 21, D.52, L 4). Dimitroff hat die Protokolle geprüft und gegengezeichnet. Im Bericht vom 5. Februar über die Arbeit dieser Kommission wurde festgestellt, daß 387 Fälle von Mitarbeitern des EKKI und anderer internationaler Organisationen überprüft wurden. 58 Funktionäre wurden aus politischen Motiven entlassen, was in der Regel die Verhaftung nach sich zog. Der Beschluß enthält die Aussage, daß der Trotzkismus zu einer internationalen Agentur des Faschismus geworden ist. Stalin geht das nicht weit genug. Verhör von Kotov, dem Vorsitzenden der Sozialversicherung im Gewerkschaftsvorstand (Voprosy istorii 1992, 2¡3, S. 35). Die Zentrale Kontrollkommission schließt Preobrazenskij als Konterrevolutionär aus der KPdSU(B) aus (ICKKPSS 1991, 6, S. 74). Zwischen Ordzonikidze und Stalin kommt es zum Streit. Anlaß ist die Festlegung der Tagesordnung des Februar-März-Plenums (Chlevnjuk 1992, S. 97). Ordzonikidze, der die Vorwürfe gegen seine Unterstellten zurückweist, erteilt (u. a. Gelperin) den Auftrag, die Vorfalle in Kemerovo aufzuklären. Den Abschlußbericht der Kommission kritisiert Molotov auf dem Februar-März-Plenum, weil in ihm das Wort »Schädlinge« nicht vorkommt. Die Zar'ja Vostoka berichtet über ein antisowjetisches trotzkistisches Zentrum in Georgien (Antonov-Ovseenko 1993, S. 75). Artikel von Krylenko: »Vrag naroda - Trockij« (Der Volksfeind Trockij) in der I^vestija (Trockij 1994, S. 206-210). Davies zu Gast bei Rozengol'c, Volkskommissar für Außenhandel. Auch Vorosilov, Mikojan, Vysinskij und Rozov, Leiter der Amtorg in New York, waren anwesend (Davies 1943, S. 18). Stalin empfängt in der Zeit von 16.20 bis 22.10 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kaganovic, Vorosilov, Zdanov, Ezov, Andreev, Mikojan, Ordzonikidze, Litvinov, Semenov (Istorifeski/ archiv 1995, 4, S. 42). 6. Februar 1937, Sonnabend

Richter verfaßt am Vorabend des Februar-März-Plenums des ZK der KPdSU (B), auf dem das Signal für die Vorbereitung des Moskauer Schauprozesses 1938 gegeben wird, einen ausführlichen Lebenslauf, dessen roter Faden der Nachweis ist, daß er stets vorbehaltlos die Linie der Partei und der Komintern verteidigt und dafür gekämpft hat. Der Bericht ist - verglichen mit dem am 25. August 1936 geschriebenen Lebenslauf - so abgefaßt, daß die Entscheidung der Brüsseler Konferenz, ihn wegen einer Reihe sektiererischer Fehler zu verurteilen, auf den sechs eng bedruckten Seiten regelrecht untergeht. Richter konnte nicht mehr so wie im August 1936 von sektiererischen Fehlern sprechen, im Februar 1937 muß er bereits »eine Reihe« derartiger Fehler zugeben. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum die ausfuhrlichere Beschreibung der Linientreue im Lebenslauf so in den Vordergrund rückt. Im Zuge der Nachbereitung des Bucharin-Prozesses wird Richter erschossen. 7. Februar 1937, Sonntag

Ulbricht zur Berichterstattung über die KPD im Sekretariat des EKKI. Primakova schreibt an den Militärstaatsanwalt und bittet um Auskunft über das Schicksal ihres verhafteten Ehemannes (Dorogoj 2001, S. 231ß).

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E. S. Ginzburg wird in Kazan' aus der KPdSU(B) ausgeschlossen. Stalin empfangt in der Zeit von 16.30 bis 19.15 Uhr in seinem Kabinett: Ordzonikidze, Zdanov, Ezov, Andreev, Kaganovic, Molotov, Vorosilov (Jstorifeskij archiv 1995, 4, S. 42). 8. Februar 1937, Montag

Renimele schreibt an die Internationale Kontroll-Kommission über seine Kontakte zu dem in Ungnade gefallenen Bucharin: Bucharin kannte ich aus seiner Tätigkeit in der Komintern, und da ich lange Zeit Vertreter der KPD beim EKKI war, hatte ich viel mit ihm zu tun. Seit seinem Abgang von der Komintern, bei dem ich mitgewirkt habe, habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. In meinem Buche »Die Sowjetunion« polemisierte ich seitenlang gegen seine Theorien. Rykov und Uglanov kannte ich, habe aber nie mit ihnen gesprochen. Andere Personen des Angeklagtenkreises kannte ich nicht. Verhaftung von Spiridonova in Ufa. Ezov erteilt den Befehl, einige besonders renitente Häftlinge in Gefängnisse mit verschärftem Haftregime zu überfuhren (Nekrasov 1995, S. 194ß). Ezov verlangt, ihm die Namen derjenigen mitzuteilen, die sich mit Eingaben an ihn gewandt hatten (Kovalev 1995, S. 242). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Noch steht uns das Durcharbeiten der Verfassung bevor (Garros 1998, S. 71ß). Stalin empfängt in der Zeit von 16.30 bis 21.30 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, L. M. Kaganovic, Ordjonikidze, Vorosilov, Andreev, Zdanov, Mikojan, Ezov, M. M. Kaganovic, Il'jusin, Caplin (Istorileskijarcbiv 1995, 4, S. 44). 9. Februar 1937, Dienstag

»Pis'mo Narkoma vnutrennich del SSSR Ezova Predsedatelju SNK SSSR Molotovu o promfinplane Otdela trudovych kolonij NKVD na 1937 g.« (Brief des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten der UdSSR Ezov an den Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare Molotov über den Finanzplan der Abteilung Besserungsarbeitskolonien des NKVD) (Ékonomika 1998, S. 56—64). Sitzung des Stadtparteiaktivs der KPdSU(B) in Niznij Tagil. Okudzava gesteht trotzkistische Fehler ein. Aus Moskau trifft eine Gruppe von Inspektoren ein. Als keine Berichte nach Moskau geschickt werden, ruft Molotov die Kommissionsmitglieder zur Ordnung. Auf dem ZK-Plenum am 28. Februar bezeichnet er Okudzava und Mar'jasin als Trotzkisten. Okudzava ist zu diesem Zeitpunkt (16. Februar) bereits abgesetzt und als Doppelzüngler verhaftet (¿ertvy 1999, S. 91). Trockij schreibt seine »Rede über den Moskauer Prozeß« (Trotqki 1988, Bd. 1.2, S. 1012f). Mansfeld, Regieassistent, wird als Agent des deutschen Geheimdienstes zu 10 Jahren verurteilt. Stalin empfangt in der Zeit von 17.50 bis 19.55 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Urickij (2mal), Nikonov (2mal), Goloded (Istorileskij anhiv 1995, 4, S. 44). 9./10. Februar 1937

Ordzonikidzes Bruder Papuli, der im November verhaftet worden war, wird zum Tode verurteilt und erschossen.

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Terror in Marij El. Vorgehen gegen nationale Volksgruppen. Cavajn der sich in seinen Briefen wie ein Konterrevolutionär geäußert hatte, wird verhaftet und am 11. November 1937 zum Tode verurteilt und erschossen (Tragedija 1997, S. 3—6). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Um 6.00 Uhr ging ich weg, um mich nach Brot anzustellen. Ich habe etwas Brennholz gestohlen {Garros 1998, S. 72ß). Tagebucheintragung von I. D. Frolov: Die Puskin-Tage werden überall als echtes Volksfest begangen (Froloiv 1998, S. 117). Ustrjalov notiert im Tagebuch, daß ihm einige seiner Vorlesungen entzogen und anderen Dozenten übertragen werden. Sein Artikel über Puskin wird nicht gedruckt {Ustrjalov 1998, S. 69). 10. Februar 1937, Mittwoch

Vernehmung von Pasukanis. Ihm wird vorgeworfen, Führer einer konterrevolutionären terroristischen Organisation der Rechten und Linken in der Ukraine zu sein [Smimov 2001, S. 53). 11. Februar 1937, Donnerstag

Ezov schreibt an Stalin. Er bittet um die Bestätigung seiner Vorschläge zur Umgestaltung der Gefängnisse für Untersuchungshäftlinge und Verurteilte. Stalin an Dimitroff: Ihr alle dort in der Komintern arbeitet dem Feind in die Hände (Kommunisten 1993, S. 47). Es lohnt nicht, einen Beschluß zu fassen; ein Beschluß ist eine verbindliche Sache. Besser ist ein Brief an die Parteien. Er erklärt, wie dieses Dokument beschaffen sein müßte: 1) Sie lassen außer acht, daß die europäischen Arbeiter denken, alles rühre von der Auseinandersetzung zwischen mir und Trfockij] und wegen St[alins] schlechtem Charakter her. 2) Man muß darauf hinweisen, daß diese Leute gegen Lenin gekämpft haben, gegen die Partei zu Lenins Lebzeiten. 3) Zitieren, was Lenin über die Opposition sagte: »jegliche Opposition in der Partei unter Bedingungen der Sowjetmacht [...] gleitet ab in Weißgardistentum«. 4) Auf das Stenogramm des Prozesses verweisen. Die Aussagen der Angeklagten zitieren. 5) Ihre Politik und ihre Tätigkeit zur Vorbereitung der Niederlage der Sowjetunion anprangern. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Uberall Kriminelle! Und das, obwohl sie in der Partei sind (iGarros 1998, S. 73ß). Rundschau (Basel), Nr. 6. Aus dem Inhalt: »Friedrich Adler und das Hotel Bristol in Kopenhagen« (S. 253); »Sektionen der Kommunistischen Internationale zum Urteil« (S. 254); »Das ZK der KPD an das ZK der KPdSU (Moskau, 6. Februar)«. Verhaftung von Enukidze. Verhaftung des Physikers Fok in Leningrad (Gorelik 1995, S. 151). 12. Februar 1937, Freitag

Kapica schreibt an Stalin wegen der ungerechtfertigten Verhaftung des Physikers Fok: Die Verhaftung wirkt auf uns so wie die Ausbürgerung von Einstein (Istori/a 1994, S. 168). Fok wird wieder freigelassen.

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Ich bin ein Gefangener. ... Man läßt mich nicht heraus ... Zu Hause werde ich nicht gespielt und im Ausland bestohlen {Bulgakov 1991, S. 280). 13. Februar 1937, Sonnabend

Verhör von Radin, Zeuge im Bucharin-Prozeß. Florenskij schreibt aus dem Besserungsarbeitslager Solovki an seine Frau Anna (Florenski 2001, S. 444-451). Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Ich erzähle vom Gefängnis und vom Lager (Garros 1998, S. 75). Stalin empfängt in der Zeit von 17.00 bis 21.40 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Ordzonikidze, Vorosilov, Ezov, Kaganovic, Molotov, Ruchimovic, Mechlis, Al. Egorov {Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 44). 14. Februar 1937, Sonntag

Die reglementierende Basis der deutschen Operation ist weitaus weniger detailliert als die der anderen nationalen Operationen des NKVD, das trifft vor allem auf den Beginn der Operation zu. Mit Ausnahme des Befehls Nr. 00439 konnte bisher nichts dokumentiert werden, was direkt mit der darauffolgenden Massenoperation zusammenhängt. Uns liegt kein Befehl über den Beginn der deutschen Operation vor. Offensichtlich hat es ihn auch überhaupt nicht gegeben — für 1937/38 kein Einzelfall. Und deshalb bleiben, ungeachtet aller Parallelen zwischen der deutschen und polnischen nationalen Linie der Repressalien noch eine Reihe von Fragen, die die Spezifik der deutschen Operation betreffen. Antworten auf diese Fragen lassen sich unter Rückgriff auf Dokumente aus früheren Zeiten finden. In diesem Zusammenhang sind zwei Direktiv-Briefe der Hauptverwaltung Staatssicherheit des NKVD, die Anfang 1937 herausgegeben wurden, wichtig. Der erste Brief (Nr. 12 vom 14. Februar 1937) »Über die terroristische, Diversions· und Spionagetätigkeit der deutschen Trotzkisten, die im Auftrage der Gestapo auf dem Territorium der Union der SSR durchgeführt wird« hatte bedeutenden Einfluß auf den Charakter der darauffolgenden Repressalien gegen die Politemigranten aus Deutschland. (Dem Brief ist ein Leitfaden über die Tätigkeit der Auslandsorganisationen der deutschen Trotzkisten angefügt.) Namentlich erwähnt sind u. a. Aquila (Julius Sas), Willi Budich, Burg (Gustav König), Alexander Emel (Moisej Il'ic Lur'e) und Fritz Schimanski. Im zweiten Direktiv-Brief (Nr. 26 vom 2. April 1937) »Über die zunehmende Aktivität der deutschen Spionageorgane und spezieller Einrichtungen der faschistischen Partei (der ausländischen und außenpolitischen Abteilungen der >Antikominternlinken< Kommunisten, dann haben wir gemeinsam in der Redaktion der l^vestija gearbeitet, und wir sind immer noch Mitglieder der Akademie der Wissenschaften. Ich hatte mit Bucharin 1918/19 politische Meinungsverschiedenheiten. Mit unserer politischen und theoretischen Freundschaft war es Ende 1918 vorbei. Bucharin und ich haben zu drei Fragen unterschiedliche Auffassungen: 1) Ich war immer für den Aufbau des Sozialismus in einem Land. 2) Die zweite Frage betraf die Möglichkeit des Thermidors in der UdSSR. 3) Die dritte zielte auf die Möglichkeit eines Blockes mit Trockij. Die tiefgehendsten Meinungsverschiedenheiten mit Bucharin hatte ich auf dem Gebiet der Theorie. Er ist kein Dialektiker (S. 5). Zwischenruf von Akulov: Komm endlich zur Sache! Zwischenruf von Stalin: Das ist doch alles nur Geschichte (S. S). Nein, es ist nicht nur Geschichte, mir geht es um Bucharins Rolle in der I^vestija. Sie kennen Bucharins Angewohnheit, mit Leuten auf der Straße lange Gespräche über ihn beschäftigende Fragen zu führen. So begann Bucharin einmal mit mir ein Gespräch über die Definition des dialektischen Widerspruchs und der Kategorie Qualität. Es war 1932 oder 1933, damals beschäftigte ihn dieses Problem. Er war der Meinung, daß es nur Quantitäten gibt. Ich wollte ihm damals ausführlich darauf antworten, habe es dann aber unterlas-

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sen. Als Ökonom interessieren mich andere Fragen. Unsere Meinungsverschiedenheiten sind geblieben, ich glaube, er hat vieles einfach nicht verstanden. Außerdem war ich schon lange vor Bucharin in der Redaktion der I^yestija, mich hat niemand nach meiner Meinung gefragt, ob ich ihn dort haben will oder nicht. Ich kenne Bucharin viel zu gut. Als Radek und Kamenev in die Redaktionsarbeit einbezogen wurden, kam es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten in der Redaktion. Nun zur Akademie der Wissenschaften. Wir sollten dort vor allem als Wissenschaftler und nicht als Politiker tätig werden (S. 9). Bucharin hörte irgendwann auf, die Parteiversammlungen der Parteigruppe der Akademie der Wissenschaften zu besuchen (5. 10). Abschließend schlägt Osinskij vor, Bucharin und Rykov vor Gericht zu stellen {Voprosy istorii 1992, 11/12, S. 3-10). Redner Jaroslavskij: Hoffentlich reden wir im ZK unserer Partei das letzte Mal über den Verrat von Mitgliedern des ZK der KPdSU(B) an der Partei. Bucharin und Rykov bewegen sich voll und ganz auf der Linie des Soäalistileskij vestnik. Das geht aus der Untersuchung durch das NKVD hervor. Zweifellos handelt es sich bei ihnen um Verräter. Jetzt fangen die Menschewiki damit an, Bucharin und Rykov zu verteidigen. Bisher haben wir Bucharin immer verschont. Jetzt hat er uns den Hungerstreik erklärt. Hat das NKVD bezüglich der Rjutin-Plattform auf das Archiv der Zentralen Kontrollkommission zurückgegriffen?, will Jaroslavskij wissen (S. 12). Dort liegt interessantes Material, aus dem hervorgeht, daß die Rechten die Rjutin-Plattform verfaßt haben. Erinnern Sie sich nur an die Organisation der Werktätigen Bauernpartei ('S. 12). Als Bucharin widerspricht und um Richtigstellung bemüht ist, erfolgt ein Zwischenruf von Stalin: Es ist Dein außerordentlicher Glaube an die Kraft des Kapitalismus (Χ 13). Wir kennen Bucharins Interesse an theoretischen Fragen, fuhrt Jaroslavskij weiter aus. Nur weil er wußte, was die Rjutin-Plattform enthält, hat er sich nicht dafür interessiert, als er aus dem Urlaub im Pamir zurückkam (S. 14). Er schließt mit dem Vorschlag, Rykov und Bucharin aus der KPdSU (B) auszuschließen und sie vor Gericht zu stellen (Voprvsy istorii 1992, 11/12, S. 10-14). Redner Ikramov: Er geht davon aus, daß Bucharin und Rykov durch das dem Politbüro vorliegende Material der konterrevolutionären terroristischen Schädlingsarbeit überfuhrt sind. Das Bucharin während der Übergangsperiode auf den Terror gesetzt hat, ist erwiesen (S. IS). Auf dem VI. Weltkongreß der Komintern hat Bucharin ein antibolschewistisches Projekt vorgelegt, das auf heftige Kritik von Stalin stieß. Stalin korrigierte Bucharins Programmaussagen über den Sozialismus. Er betonte die Zuspitzung des Klassenkampfes beim Aufbau des Sozialismus. Im Unterschied zu Bucharin betonte Stalin im Programm der Komintern die Auseinandersetzung mit der linken Sozialdemokratie. Abschließend erinnert Ikramov an Lenins Bemerkungen zu Bucharins »Ökonomik der Transformationsperiode« (i-. 18). Er schlägt vor, Bucharin und Rykov dem Gericht zu übergeben und zu isolieren, um auf diese Weise ihrer antisowjetischen Tätigkeit ein Ende zu machen {Voprosy istorii 1992, 11/12, S. 14-19; ICKKPSS 1989, 5, S. 91). Nach einer Pause von 10 Minuten erhalten Bucharin und Rykov das Wort. Nach ihnen faßt Ezov die bisherige Diskussion zusammen. Als erster Redner nach der Pause spricht Bucharin. Er übergeht die persönlichen Angriffe einzelner Redner und wendet sich ausschließlich den Angriffen prinzipieller Natur zu. Cetlin berief sich in seinen Aussagen auf den Entwurf des Pro-

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gramms der Komintern, Ikramov hingegen stützt sich auf den Entwurf der Thesen zur Lage. Ikramov verwechselt demnach die eine Debatte mit einer anderen. Der Brief, den er an Vorosilov schrieb, enthält nichts Konterrevolutionäres, gibt Bucharin zu bedenken (S. 4). Er weist den Vorwurf zurück, daß er mit Stalins Gutmütigkeit rechne. Stalins Autorität reicht bis in die Lenin-Zeit zurück. Mit Stalin ist es wie mit Lenin, bringt Bucharin vor, der höchsten Autorität gegenüber tritt man anders auf als gegenüber dem Politbüro, man kann offener sein usw. (S. 4). Was das NKVD betrifft, so hat es selbstverständlich Verleumdungen gegen ihn, Bucharin, gegeben. Das Stenogramm verzeichnet Lärm und Unruhe, als Bucharin darauf zu sprechen kommt, wie Geständnisse und Falschaussagen fabriziert worden sind. In diesem Zusammenhang greift er vor allem Mechlis an (S. 3). Von diesem Zeitpunkt an wird Bucharin immer wieder von Zwischenrufen unterbrochen. Molotov und die anderen verlangen von ihm, daß er von den Geständnissen der Angeklagten ausgeht, anstatt seine Verteidigung auszubauen. Darauf entgegnet Bucharin, daß dies unmöglich ist, denn die Angeklagten widerrufen häufig das, was sie am Vortag gestanden (S. 6). Die Verhafteten wissen genau, wie die allgemeine Atmosphäre ist (.Γ. 7). Selbstverständlich habe ich Zweifel am Apparat des NKVD, wenn ich mir nur vorstelle, wieviel entlarvte Doppelagenten es dort gibt, von denen Ezov hier gesprochen hat. Das zu wiederholen ist doch kein Angriff auf das ZK. Da er trotzdem immer wieder unterbrochen wird, sagt Bucharin, daß er auch aufhören kann, wenn man ihm nicht zuhören will. Hier greift Stalin ein und fragt, warum Bucharin es vorzieht zu schweigen. Bucharin entgegnet, daß er reden will. Bin ich hier vor dem Tribunal oder im ZK, fragt er (5. 8). Da er davon ausgeht, die persönlichen Angriffe gegen ihn widerlegt zu haben, wendet er sich der Frage nach dem angeblich von ihm geleiteten Zentrum der Rechten zu. An Molotov gewandt weist er darauf hin, daß auch Jaroslavskij nach dem Brester Frieden zur Gruppe der »>linken< Kommunisten« gehörte (S. 12). Danach geht es um Bucharins Tätigkeit in der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und um Publikationsvorhaben des Marx-Engels-Lenin-Institutes, an denen er beteiligt war (S. 14). Bucharin bittet die Opponenten um Auskunft, welchen Sammelband sie eigentlich meinen. Jeder greift heraus, was ihm gerade paßt. Da er nicht weiß, worum es eigentlich geht, kann er nicht dagegen argumentieren. Bucharin spricht bereits anderthalb Stunden, wirft Molotov ein, lassen Sie ihn endlich zum Ende kommen. Diese Replik geht in Zwischenrufen wie »Ins Gefängnis mit ihm!« unter (S. 17; Voprosy istorii 1993, 2, S. 3-17). Leitung: Molotov Redner Rykov: Er beginnt mit der Feststellung, daß dies wohl die letzte Parteiversammlung in seinem Leben ist, an der er teilnimmt. Was kann ich noch beweisen?, fragt er. Meine politische Beichte habe ich bereits abgelegt (J". 19). Stalins Zwischenruf: Es gibt Leute, die gestehen, auch wenn es schreckliche Dinge sind, die sie gestehen. Rykov antwortet darauf, daß es Situationen gibt, aus denen man nur dann herauskommt, wenn man etwas gesteht, was es nicht gegeben hat (S. 20). Berija: Die Plattform-Leute sind Ihnen alle bekannt (S. 21). Rykovs Rede wird immer wieder von Zwischenrufen unterbrochen. Alles, was gegen uns vorgebracht wird, hebt er hervor, reicht höchstens bis 1934, über die Jahre 1935

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und 1936 ist nichts gesagt worden (S. 22). Und das, obwohl nach den Aussagen gegen uns das Zentrum gerade in dieser Zeit zu arbeiten begann. Stalins Zwischenruf: Wer verlangt denn von Dir, daß Du Dich hier belasten sollst? (S. 26) Rykov entgegnet darauf: Aber das liegt doch auf der Hand ( Voprosy istorii 1993, 2, S. 17-26). Leitung: Andreev Redner Ezov: Nun reden wir schon den vierten Tag über die Angelegenheit Bucharin und Rykov. Bucharin und Rykov haben auf die gegen sie vorgebrachten politischen Anschuldigungen nichts zu entgegnen gewußt. Sie haben die laufende Untersuchung und die vorhergehenden Prozesse in Zweifel gestellt (S. 26). Sie haben sich so verhalten, wie es bürgerliche Anwälte tun. Damit geben sie allen Feinden im In- und Ausland ein Zeichen. Zwischenruf von Bucharin: Das ist doch wohl die Höhe, eine Unverschämtheit ist das (X 27). Die Untersuchung bringt immer wieder neue Sachverhalte an den Tag, das ist nicht unsere Logik, sondern die der Untersuchungshäftlinge. Ezov präsentiert neue, Bucharin belastende Dokumente. Der Versammlungsleiter untersagt Bucharin die Zwischenrufe, er solle endlich aufhören zu stören (5. 28). Ezov bringt Bucharins Verbindung zu den Kirov-Mördern ins Spiel, Mezlauk vergleicht daraufhin Bucharin in einem Zwischenruf (5. 28) mit Judas: Auch Judas hat Jesus geküßt. Bucharin hatte, um Ezovs Unterstellung, er habe Lenin verraten, an sein Verhalten am Totenbett von Lenin erinnert. Ezov kommt abschließend auf die RjutinPlattform zu sprechen. Der Angeklagte Smidt, sagt er, hat alles gestanden (S. 30). Immer dann, wenn Bucharin anfängt zu protestieren, unterbricht ihn Stalin durch Zwischenrufe (S. 31). Ezov schlägt abschließend vor, eine Kommission zu wählen, die mit der Untersuchung des Falles Bucharin und Rykov beauftragt werden soll (Voprosy istorii 1993, 2, S. 26—33). Andreev teilt daraufhin mit, daß eine Kommission gebildet wird, die den Beschlußentwurf in der Angelegenheit Bucharin und Rykov ausarbeitet. Mikojan wird als Vorsitzender der Kommission benannt, der außerdem Andreev, Stalin und Molotov angehören. Stalin schlägt außerdem vor, auch noch Antipov und Gamarnik aufzunehmen. Die Abendsitzung beginnt um 20.00 Uhr. Abendsitzung vom 26. Februar Leitung: Andreev ( Voprosy istorii 1993, 5, S. 3-23) Redner Zdanov (5. 3—14): Er trägt das Referat zum 2. Tagesordnungspunkt vor. Im Herbst oder Winter, fuhrt er aus, müssen wir Neuwahlen für den Obersten Sowjet nach dem neuen Wahlsystem durchführen. Das bedarf der gründlichen Vorbereitung der Partei auf die Wahlen und macht eine Umgestaltung der gesamten Parteiarbeit erforderlich. Eine Wendung zur Demokratisierung des Landes und die Durchführungen von Volksbefragungen ist möglich, die neue Verfassung ist ein mächtiger Impuls im Kampf gegen die Bürokratie. Das direkte, allgemeine, gleiche Wahlrecht ist eingeführt. Aber wir haben keine Erfahrungen im Aufstellen von mehreren Kandidaten und in der Durchführung geheimer Wahlen (5. 4). Wir brauchen auch weiterhin eine starke Diktatur, um die Aktivitäten der Angehörigen der ehemals herrschenden Klasse zu unterdrücken. Die

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Partei muß wissen, wie sie mit feindlichen Kandiaten und mit feindlicher Agitation umgeht. Es gibt schon Beispiele, daß während geheimer Wahlen Popen anstelle der kandidierenden Parteisekretäre gewählt worden sind (5. 5). Das neue Wahlsystem bedeutet mehr Transparenz in der Tätigkeit der Institutionen. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Wir haben nur 2 Millionen Kommunisten im Land. Sämtliche Parteiorgane von den Parteigruppen bis hin zu den höchsten Leitungsorganen müssen in geheimer Wahl gewählt worden sein. Das sieht das Prinzip des demokratischen Zentralismus vor. Statt dessen wird kooptiert {S. 8). Unter den Kooptierten sind zahlreiche Parteifeinde. Es mangelt an Demokratie in der Partei, abgestimmt wird nach Listen, nicht nach Personen, eine kollektive Führung gibt es nicht, die im Statut festgeschriebene Rolle der Versammlungen und Plenartagungen wird ignoriert. Der Redner unterstreicht, daß Parteikollektive nicht das Recht haben, Verhaftungen zu befehlen. Als Zdanov von Neuwahlen spricht, fragt Stalin nach, von welchen Neuwahlen die Rede sei (S. 13). Zdanov antwortet darauf, es handelt sich um die Wahlen, die auf der Grundlage des neuen Wahlgesetzes erfolgen. Es ist möglich und nötig, die Praxis des Kooptierens in der KPdSU(B) völlig abzuschaffen (Voprosy istorii 1993, 5, S. 3—14). In allen Leitungsebenen der Gliederungen der Kommunistischen Partei sind im Durchschnitt 11,6 % der Leitungsmitglieder kooptierte Genossen, in Kiev sind es 22,8 %, in Weißrußland sind es 26,2 %, in Kreis- und Stadtparteileitungen in Moskau sind es 17 %, in Leningrad sind es 17,2 %, im Schwarzmeergebiet sind es 17,5 %, in Dnepropetrovsk sind es 26,7 %, in Weißrußland sind es 28,9 %, in Voronez sind es 29,8 %, in Armenien sind es 30 %, in den Gebietsparteileitungen schwankt die Zahl zwischen 14 und 59 %, in Char'kov sind von 158 gewählten Mitgliedern und 34 Kandidaten der Stadtleitung nur noch 59 im Amt, in Klein-Archangel'sk im Kursker Gebiet sind 18 von 23 Leitungsmitgliedern kooptiert, im Gebiet Mcensk 22 von 26, in Gomel' 40 von 52, im Gebiet Oranienbaum 15 von 22, im Gebiet Ustjuz 11 von 12. Der Versammlungsleiter Andreev weist darauf hin, daß ihm keine weiteren Wortmeldungen vorliegen. Er will Êjche auf die Rednerliste setzen, aber der will erst an nächsten Tag sprechen, da er nicht vorbereitet ist. Darauf meldet sich Jaroslavskij zu Wort. Redner Jaroslavskij berichtet über die antireligiöse Propaganda vor Ort. In der UdSSR gibt es 39.000 registrierte religiöse Organisationen mit einem Aktiv von ca. 1 Million Gläubigen (Zwischenruf: Sie untertreiben!) (S. 14). Im Ergebnis der Volkszählung haben wir Hinweise auf einen hohen Anteil von Gläubigen unter

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der Bevölkerung (S. 1 S). Die Popen organisieren Fußballspiele und Chöre. Die Parteiorganisationen irren, wenn sie meinen, mit der Schließung der Kirchen sei alles erledigt. Es gibt viel mehr administrative Maßnahmen als notwendig. Er fordert abschließend auf, einen Beschluß zu fassen, damit die Parteimitglieder vor Ort wissen, was sie machen sollen (Voprosy istorii 1993, 5, S. 14—16). Redner Varejkis spricht über die Partei und den Übergang zum neuen Wahlsystem, wobei er häufig von Stalin unterbrochen wird. Stalins Zwischenrufe häufen sich dann, wenn es um das Parteiaktiv geht, wenn die Rede von der Kooptierung ist. Varejkis vertritt die Meinung, daß das Parteiaktiv durch die Kooptierung schwerer zu erziehen ist. Ja, man kommt ohne Kooptierung aus. Stalin stellt diese Äußerung in Frage (S. 18; Voprosy istorii 1993, 5, S. 16-18). Redner Bogusevskij berichtet über die Ergebnisse der Überprüfungen im Rundfunk, legt dar, worüber und wie berichtet wird. In Anbetracht der möglichen Vorstöße der Feinde im Vorfeld und während der Wahlen gewinnt die Massenagitation an Bedeutung. So werden ζ. B. nicht jene Meldungen und Berichte gesendet, die die Kehrseite des Faschismus beleuchten, weil der Rundfunk nicht über diese Informationen verfügt. Im Radio werden nur die Meldungen über die diplomatischen Erfolge und Aktionen der Faschisten übertragen (S. 19). Den Redaktionen stehen nur die von TASS freigegebenen Kurzmeldungen zur Verfügung. Über die Stachanov-Arbeiter erfährt man so gut wie nichts (S. 20). In der Inlandsberichterstattung dominieren hohle Phrasen. Die Rundfunkredakteure erzählen nur das nach, was bereits in den überregionalen Zeitungen veröffentlicht worden ist. Die technische Qualität der Übertragungen ist unter Niveau (S. 22). Es kommt zu einem Wortwechsel über das Gesundheitswesen. Hier wäre es angebracht, hebt Bogusevskij hervor, wenigstens einige Erfolgsmeldungen zu bringen (1Voprosy istorii 1993, 5, S. 18-23). 27. Februar 1937, Sonnabend

Leitartikel der Pravda·. »Pravdivost' i cestnost'« (Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit). Die Partei belügt nicht nur derjenige, der die Unwahrheit sagt, sondern auch derjenige, der gegenüber der Partei ihm bekannte feindliche Tätigkeit verschweigt. Ein kommunistischer Funktionär, der von den Plänen und den Absichten des Feindes weiß, und der seine Organisation nicht davon in Kenntnis setzt, ist bereits kein Kommunist mehr, sondern ein Handlanger des Feindes. In der Ausgabe wird am Beispiel von Sverdlovsk die Verantwortungslosigkeit bei der Auswahl der Parteifunktionäre kritisiert. Für die Zeit vom 27. Februar 1937 bis 29. September 1938 sind 383 von Stalin und anderen Politbüromitgliedern unterzeichnete Erschießungslisten überliefert. Außerdem existieren von Stalin unterschriebene Listen mit Namen von Personen, die ohne Verfahren zu exekutieren sind. Solche Listen liegen für den Zeitraum vom 16. Juni 1937 bis 10. Juni 1938 vor {Rasstnl'nye 2000, S. 497J). Parteiversammlung des österreichische Sektors der Internationalen Lenin-Schule in Moskau. Der »Fall Reisberg« steht auf der Tagesordnung. Verhaftung von Dzafarova (Levina) {Memorial-Aspekt 1993, S. 14). Sie war mit Zinov'evs Sohn, S. G. RadomysPskij, verheiratet. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Diebstahl wird immer häufiger (Garros 1998, S. 80).

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Fortsetzung der Plenartagung des ZK der KPdSU(B) Morgensitzung vom 27. Februar Leitung: Andreev ( Voprosy istorii 1993, 6, S. 3-30) Redner Ejche: Er äußert sich zum Referat von Zdanov und weist auf schon jetzt absehbare Probleme hin, die in West-Sibirien mit der Einführung der geheimen Wahlen auftreten können. Im letzten halben Jahr wurden in West-Sibirien 612 Parteisekretäre von Kreis- und Stadtparteileitungen ausgewechselt. 25 % der Sekretäre aller Kreis- und Stadtleitungen wurden abgelöst. Nur 17 % wurden im Zuge regulärer Wahlen neu gewählt (S. 3). Das ist ein richtiger Kurs, denn so kann die Vetternwirtschaft ausgemerzt werden. Die Parteimitglieder treten nicht in Erscheinung. Wir haben viele Agitatoren, die sich nur so nennen, aber nie in Erscheinung treten, hebt er hervor. In einem Textilbetrieb sind nur 3 von 12 vorhandenen Agitatoren in der Lage aufzutreten. Die Parteimitglieder müssen sich vor der Bevölkerung bewähren (5. 4). Mit Blick auf die bevorstehende Wahlkampagne führt Éjche aus, daß mit feindlichen Angriffen am ehesten aus den abgelegenen Provinzen zu rechnen ist. Der Feind wird jede Gelegenheit nutzen, unsere Kandidaten zu diskreditieren. In den letzten 11 Jahren sind allein in West-Sibirien 93.000 Mitglieder aus der KPdSU(B) ausgeschlossen worden. Jetzt haben wir 44.000 Parteimitglieder (S. 5). So ähnlich sieht es auch in den Arbeitskollektiven aus. Es gibt Betriebe, in denen es mehr ausgeschlossene Parteimitglieder gibt als ordentliche Mitglieder. Wir müssen die Wahlkampagne bezirksübergreifend organisieren. In unserer Region gibt es viele ehemalige Kulaken. Auch das müssen wir berücksichtigen (Voprosy istorii 1993, 6, S. 3—6). Redner Kosior: Beispiele für die Schlupfwinkel des Klassenfeindes gibt es genug. Zdanov hat die Fragen richtig gestellt. Wir müssen jetzt nicht mit den Mitteln der Massenversammlungen arbeiten, sondern individuell auf die Wähler zugehen. Noch stützen wir uns auf die Großbetriebe (i". 6). Und dennoch gehören ca. 50 bis 60 % der Wähler anderen Kategorien an. Die Intellektuellen und die Angestellten sind ein besonderes Völkchen. Wir werden mehr mit ihnen arbeiten müssen. So wandten sich ζ. B. religiöse Vereinigungen mit der Bitte, Glückwunschtelegramme an Stalin und die Regierung zu veröffentlichen, an uns. In der Ukraine waren die Verantwortlichen unsicher, ob die Antragsteller das dürfen oder nicht. Die Gläubigen spekulieren auf die Stimmung der Massen. Stalin hat erkannt, daß die Gläubigen uns nur überlisten wollen. Wir wissen so gut wie nicht, was die kleinen Handwerker denken. In den Betrieben geht die Agitation zu 60 bis 80 % an den Leuten vorbei, sie bleibt ohne Biß (S. 8). Es muß möglich sein, die übergeordnete Leitung zu kritisieren, was bisher als takdos galt (J. 9). Varejkis sagte, daß im Ergebnis geheimer Wahlen neue Parteiaktive entstehen würden. Die Kooptierung hat in der Ukraine dazu geführt, daß innerhalb von 2 bis 3 Monaten fast 50 Mitglieder in die Bezirksleitung kooptiert wurden. Die Partei beginnt, die Staatsorgane zu doppeln. In den Augen der Bevölkerung können die staatliche Organe nichts entscheiden. Und das ist die Grundstimmung im Vorfeld der Wahl. In der Partei ist seit 1934 die Praxis der ständigen Kooptierung verbreitet. In den Stadtparteiorganisationen gibt es keine gewählten Funktionäre mehr. Das zieht Vetternwirtschaft nach sich. Es gibt Städte, in denen schon das dritte (vollständig kooptierte) Parteikomitee agiert. Sämtliche Mitglieder der vorhergehen-

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den Komitees sind verhaftet. Deshalb hat keine Parteikonferenz oder Hauptversammlung stattgefunden. Es ist nicht üblich, den Genossen zu sagen, warum der bisherige Erste Sekretär entfernt worden ist (Voprosy istorii 1993, 6, J". 6-12). Redner Chataevic: Er spricht zum Referat von Zdanov und zu den Thesen zum 4. Tagesordnungspunkt. Es gilt, die geheimen Wahlen vorzubereiten, indem die Kritik und Selbstkritik verbessert wird. Der Redner berichtet, daß er 1929 und in den Jahren davor regelmäßig Versammlungen in den Grundorganisationen der KPdSU(B) besucht hat, dazu hat er schon seit einem Jahr keine Zeit mehr. Er hat höchstens noch Zeit, sich mit dem Vorsitzenden oder den Mitgliedern des Parteiaktivs zu unterhalten. Die Kluft zwischen den einfachen Mitgliedern und der Leitung sowie zwischen Parteimitgliedern und Parteilosen wird immer tiefer (S. 14). Es den Gegnern gelungen, sich in die Reihen der KPdSU(B) einzuschleichen. Wir müssen unsere Agitationsarbeit unter den Massen verbessern. Bei uns ist eine allgemeine Vorzeigepropaganda verbreitet, die Menschen müssen alle Fragen, die sie bewegen, stellen dürfen. Er selbst hatte Angst, man würde ihn kritisieren oder er würde sich blamieren. Wir müssen alle Eventualitäten bei den Wahlen, d. h. auch eventuell erforderliche Neuwahlen einkalkulieren (Voprosy istorii 1993, 6, S. 12-16). Redner Kalinin: Éjche sagte, es gibt kein Wahlgesetz. Wer so argumentiert, will die Wahl kippen. Das Grundlegende steht in der neuen Verfassung. Nicht das Wahlgesetz, die Verfassung sagt alles über die bevorstehenden Wahlen aus. Es muß nur noch entschieden werden, wie viele Delegierte ein okrug [Wahlbezirk] aufstellen darf. Mehr muß man zu Éjche nicht sagen. Außerdem gibt es in der UdSSR verschiedene Verfassungen, wir können demnach keinen einheitlichen Entwurf rausschicken. Alles wird noch geprüft und präzisiert. So müssen die Wahlkreise unter Berücksichtigung der jeweiligen Stärke der Parteiorganisation festgelegt werden (5. 17). Wir benötigen Wahllokale für jeweils 2.000 Wähler. Im Zuge der technischen Vorbereitung der Wahlen müssen auch die ideologischen und politischen Einzelheiten geklärt werden (Voprosy istorii 1993, 6, J. 16-18). Redner Chruscev: Wir planen jetzt die Parteiarbeit während der Wahlen. Berija will die Namen der in Moskau kooptierten Parteimitglieder wissen. Wir haben die Parteistruktur in Moskau verändert, hebt Chruscev hervor. Statt der 10 Bezirke haben wir nun 23, damit wird die Zahl der Grundorganisationen überschaubarer. Früher gab es Bezirke mit bis zu 600 Grundorganisationen, ich kann nicht alle 600 Parteisekretäre kennen, jetzt sind es nur noch 300 Basisgruppen. Was die Umstrukturierung und Modernisierung Moskaus betrifft, so darf man keine Angst haben, einen Baum zu fällen oder alten Plunder abzureißen, wenn man aus Moskau eine richtige Stadt machen will (5. 20). Er wird immer wieder durch Zwischenrufe von Kaganovic und Berija unterbrochen (Voprosy istorii 1993, 6, S. 18-21). Redner L. Mirzojan: Es gibt bereits Beispiele für die Wiedereröffnung und den Neubau von Moscheen in Mittelasien. Unsere Parteiorganisationen waren nicht in der Lage, dem offensiv entgegenzutreten. In Turkestan gibt es eine berühmte Moschee. Zwischenruf von Postysev: Reißt das Ding doch ab, dann hat das ein Ende! (5. 22) Wir haben die Moschee nicht abgerissen, sondern als Architekturdenkmal erhalten. Geistliche halten in den Moscheen Veranstaltungen über die neue Verfassung ab. Unsere Funktionäre sind in erster Linie Wirtschaftsfunktio-

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näre und nicht Massenführer. Die Kooptierung löst eine Kette ohne Ende aus. Wir haben sehr viele Kooptierte (S. 23). Jede freigewordene Stelle wird durch Kooptierung sofort besetzt. Wenn wir auf diese Praxis verzichten, wird der Gegner vor allem von der Basis her gegen uns vorgehen. Die Bürokratisierung der Rechenschaftslegung ist vor Ort so weit vorangeschritten, daß sie jeden Sinn verloren hat ( Voprosy istorii 1993, 6, S. 21-25). Redner Popok: Die Praxis der Kooptierung, der Bevorzugung der Wirtschaftsarbeit anstelle der im Statut verankerten ideologischen ist zur Regel in den Parteiorganisationen geworden. Die Erfüllung der Wirtschaftsfunktionen hat die politische Arbeit verdrängt (i". 25). In Turkmenien und in Kazachstan nehmen die Aktivitäten der feindlichen Kräfte zu. Auch wenn mit Blick auf die Wahlen alles ordentlich und dem Gesetz nach erfolgt, darf die Aussaatkampagne nicht unter der Wahlvorbereitung leiden. Auch ist zu berücksichtigen, ab wann die Wege passierbar sind. Die Kulaken und die Geistlichen werden jetzt aus den Besserungsarbeitslagern entlassen. In die Dörfer zurückgekehrt, fordern sie die Aufnahme in die Kolchozen und berufen sich auf ihre in der Verfassung verankerten Rechte. Auch die nationalistisch eingestellten Elemente an den Hochschulen werden aktiv (S. 26). Der Sowjetapparat ist zu träge und leistet den Vorurteilten Vorschub {Voprosy istorii 1993, 6, S. 25-27). Redner Kabakov: Stalins Zwischenruf: Wie sieht es bei Ihnen aus, haben Sie alle auseinandergejagt, oder sind ein paar Funktionäre Übriggeblieben? Kabakov antwortet: Einige sind noch übrig. Vor der Stalinschen Verfassung fühlten sich die Menschen rechtlos. Zwischenrufe: Lüge, Verleumdung etc. Bei uns war die Kooptierung weit verbreitet. Rundfunk und Kino befinden sich in einem miserablen Zustand (S. 28). In den endegenen Bibliotheken steht noch die feindliche Literatur. Die Handelsorganisationen haben die Makulatur zum Verpacken aufgekauft. Die Lebensmittel werden in Reden von Zinov'ev oder Tomskij eingewickelt. Wir haben 2.140 Betriebe und Einrichtungen, aber nur 508 Grundorganisationen der KPdSU(B). Über 100 Sekretäre der Grundorganisationen haben Parteistrafen oder Rügen wegen irgendwelcher Abweichungen (Voprosy istorii 1993, 6, S. 27-29). Andreev mahnt zur Eile und teilt mit, daß sich die Kommissionsmitglieder jetzt zur Sitzung im Saal des Politbüros zusammenfinden. Pause bis 18.00 Uhr Abendsitzung vom 27. Februar Leitung: Andreev Rednerin Kalygina fragt eingangs, ob die Parteiorganisationen auf neue Wahlen vorbereitet sind. In ihrem Funktionsbereich in Voronez ist die Wahlvorbereitung schwach. Viel Zeit bliebt zur Vorbereitung nicht mehr. Skirjatov kritisiert die Situation im Landwirtschaftsinstitut, wo es sehr viele Trotzkisten und Rechte gibt. In den letzten Tagen sind dort 20 Trotzkisten entlarvt worden (S. 4). Mit den Stachanovisten wird nicht gearbeitet (Voprosy istorii 1993, 7, S. 3—5). Redner Steckij: Es ist richtig, daß wir jetzt mit der Vorbereitung auf die Wahlen zum Obersten Sowjet in unseren Parteiorganisationen beginnen (S. 5). Der früher geheim geführte Wahlkampf wird jetzt öffentlich geführt werden müssen. Unsere Kandidaten werden auf Gegenkandidaten treffen. Jetzt ist klar, was hinter Radeks Forderung in der Verfassungskommission steckt, jedem Bürger das

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Recht einzuräumen, während der Wahlen zu kandidieren. Nur Aushöhlung und konterrevolutionäre Absichten. Zwischenruf von Stalin: Die Dorfsowjets können unseren Feinden in die Hände fallen. Genösse Chruscev, fuhrt Steckij weiter aus, hat in seiner Rede auf eine in Rjazan' enttarnte Sozialrevolutionäre Organisation hingewiesen. Es gibt auch noch Reste trotzkistischer und rechter Gruppen (S. 6). Wir haben viel getan, um die Verfassung zu propagieren. 60-70 % der Wahlkreise sind uns sicher. Zwischenruf von Stalin: Das Vertrauen hat Grenzen. Nicht die gesamte Bevölkerung steht hinter der KPdSU(B) (Voprosy istorii 1993, 7, S. 5-7). Redner Evdokimov berichtet über die Aktivitäten der Klassenfeinde in Taganrog und Rostov. Andreev weist darauf hin, daß E. G. Evdokimov eigentlich nicht zum Tagesordnungspunkt Wahlvorbereitung gesprochen hat, er bittet die folgenden Redner, das Reglement einzuhalten ( Voprosy istorii 1993, 7, S. 7-11). Redner Postysev will auf Stalins Referat eingehen, will darüber berichten, wie die Kiever Organisation der KPdSU(B) unterwandert worden ist. Die Konterrevolution hat Erfolge zu verzeichnen, weil sie sich der Kontrolle entziehen kann. Seit 1934 finden in Kiev keine Parteikonferenzen mehr statt. Stalins Zwischenruf: Wie ist es mit den Parteiwahlen? (S. 13) Es ist an der Zeit, faßt Postysev zusammen, die Mängel abzustellen und das Statut einzuhalten (Voprosy istorii 1993, 7, S. 11-14). Die Rede von Postysev (Chkvnjuk 1992, S. 111) ist die eines Kritisierten und im Anschluß daran Begnadigten. Nach einem inszenierten Proteststurm, Kaganovic war die Rolle des Hauptanklägers zugewiesen, war Postysev gezwungen, allen Vorwürfen zuzustimmen und seine Rede als durch und durch verlogene Rede zurückzunehmen. Als letzte Rednerin in der Diskussion zum Referat von Zdanov spricht Krupskaja. Im Zusammenhang mit den Wahlen tritt das generelle Problem, daß der Verbesserung der Arbeitsqualität, deutlich hervor. Jetzt muß sich unsere Arbeit in der Praxis beweisen. Sie berichtet über Briefe und Reiseberichte, die sie zur Situation im Lande erhält. Sie handeln ζ. B. von der Klubarbeit, der antireligiösen Propaganda und der Volksbildung (Voprosy istorii 1993, 7, S. 14—17). Nachdem 15 Redner das Wort ergriffen haben, faßt Zdanov die Diskussion im Schlußwort zusammen ( Voprosy istorii 1993, 7, S. 17-21). Entschließung des Plenums des ZK der KPdSU(B) zum Referat von Zdanov »Über die Vorbereitung der Parteiorganisationen auf die Wahlen zum Obersten Sowjet der UdSSR nach dem neuen Wahlgesetz und über die Umgestaltung der parteipolitischen Arbeit« {Voprosy istorii 1993, 7, S. 21-23). »Der Fall der Genossen Bucharin und Rykov«, Entschließung des Plenums des ZK der KPdSU(B) zum Referat von Ezovs {Vopnsy istorii 1993, 7, S. 23ß). Redner Stalin: (In Voprosy istorii 1993, 7, S. 24, wird mitgeteilt, daß das Stenogramm von Stalins Referat in der Abendsitzung nicht aufgefunden werden konnte. Das von Stalin redigierte Manuskript ist später veröffentlicht worden in: Voprosy istorii 1994, 1, 12f.) Stalin berichtet im Auftrag der Kommission zum 1. Tagesordnungspunkt über das Ergebnis ihrer Arbeit. In der Kommission gab es keine Gegenstimmen gegen den Beschluß, Bucharin und Rykov als Mitglied bzw. Kandidat aus dem ZK und aus der KPdSU (B) auszuschließen. Diskussionen gab es über die Frage, ob sie dem Militärtribunal zu übergeben sind oder nicht und was zu tun ist, wenn sie nicht den Justizorganen überstellt werden.

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1) Ein Teil der Kommissionsmitglieder war für ihre Erschießung. 2) Andere sprachen sich für ihre Verurteilung zu 10 Jahren Gefängnis aus. 3) Eine dritte Gruppe forderte, sie dem Gericht zu übergeben, ohne das Urteil vorab zu bestimmen. 4) Eine vierte Gruppe verlangte, sie nicht vor ein Tribunal zu stellen, sondern den Fall dem NKVD zur Untersuchung zu übergeben. Die Genossen, die diesen Vorschlag unterbreitet hatten, konnten sich schließlich durchsetzen. Im Ergebnis der Diskussion wurde einstimmig der Beschluß gefaßt, Bucharin und Rykov aus dem ZK und der KPdSU(B) auszuschließen und sie dem NKVD zu übergeben. Die Kommission stellte fest, daß es keinen Unterschied zwischen Bucharin und Rykov im Hinblick auf das Auftreten auf dem Plenum, und keinen Unterschied zum Auftreten der Trotzkisten und Sinowjew-Anhänger gibt. Mit der letzten Feststellung war die Kommission nicht einverstanden, und betonte, es gäbe einen gewichtigen Unterschied. Und dieser Unterschied spricht fur sie. Bucharin und Rykov sind nicht wie die Trotzkisten zuvor aus der Partei ausgeschlossen und dann wieder aufgenommen worden, sie haben sich in den letzten Jahren nichts zu Schulden kommen lassen. Sie hatten auch keine Parteistrafen, sieht man davon ab, daß Bucharin aus dem Politbüro entfernt und Rykov als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare abgesetzt wurde. Der von Stalin verlesene Beschluß wurde mit zwei Stimmenthaltungen (Bucharin und Rykov hatte sich der Stimme enthalten) angenommen. Damit wird die Sitzung auf den nächsten Tag, 12.00 Uhr vertagt. Bucharin wird verhaftet. Die Spravka über Bucharins Verhaftung wird von Kogan ausgestellt, Kurskij bittet um die Genehmigung der Verhaftung, Agranov bestätigt sie, Vysinskij ist einverstanden. Bucharins Vater, I. G. Bucharin, wird nach der Verhaftung seines Sohnes Nikolaj im Februar 1937 aus der Druckerei, in der als Korrektor arbeitete, entlassen und lebt bis zu seinem Tod 1940 von Gelegenheitsarbeiten. Weitere Dokumente: »Protokol zasedanija komissii Plenuma CK VKP(b) po delu Bucharina i Rykova. 27 fevralja 1937 g.« (Protokoll der Sitzung der Kommission des Plenums des ZK der KPdSU(B) in der Angelegenheit Bucharin und Rykov) (.ICKKPSS 1989, 5, S. 79-81). Entschließung über Bucharins Verhaftung und seine Uberstellung an das NKVD (.ICKKPSS 1989, 5, S. 82f). Folgende, den Prozeß gegen Bucharin vorbereitende NKVD-Mitarbeiter werden später verhaftet: Ezov, Frinovskij, Agranov, Nikolaev, Dmitriev, Cerpento, Z. M. Usakov, Cistov, Passov, Kogan, Gerzon, Glebov, Lulov (ICKKPSS 1989, 1, S. 118). Es liegt Frinovskijs Aussage vom 11. April 1939 über die Manipulation der »Geständnisse« durch die Untersuchungsführer des NKVD vor. Bucharin sitzt in einer Zelle zusammen mit Sarickij, der über die gemeinsame Haftzeit am 3. Juli 1956 aussagt. 28. Februar 1937, Sonntag

Kassiber von Thälmann mit der Forderung, die Kampagne gegen Hirsch einzustellen, denn er könne nicht für die Verhaftung verantwortlich gemacht werden. Kippenberger habe diesen Kassiber nicht weitergeleitet und so Hirsch belastet.

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Verhaftung von Bessonov, er wird im Bucharin-Prozeß angeklagt (Pro^eßbericht 1938, S. 776), bis zum 30. Dezember hat er nichts gestanden. In der Haft wird er durch den NKVD-Mitarbeiter »Blagin« bespitzelt. Blagin sagt darüber am 6. Mai 1939 aus. Haussuchung in Bucharins Datscha. Morgensitzung Leitung: Andreev Als Redner zum 3. Tagesordnungspunkt ergreift Molotov, der anstelle von Ordzonikidze spricht, das Wort {Voprosy istorii 1993, 8, S. 3—26). Er redet bis 14.25 Uhr, da Kaganovic für seine Rede ca. 2 Stunden veranschlagt hat. In seiner Rede, die die Situation in der Schwerindustrie zum Inhalt hat, zitiert Molotov aus Briefen an Ordzonikidze (Chkmjuk 1992, S. 132ß). Ordzonikidze hatte einen Beschlußentwurf ausgearbeitet und an Stalin weitergeleitet. Darin war der Vorschlag enthalten, das Volkskommissariat zu beauftragen, die Schädlingsarbeit vor Ort zu überprüfen und nach zehn Tagen einen Bericht vorzulegen. Bereits zuvor hatte Ordzonikidze seine Mitarbeiter diesbezüglich instruiert. Ein Artikel, der Licht auf diese Angelegenheit wirft, erschien am 21. Februar in der Zeitung des Volkskommissariats, Za industriali^aciju. Molotov zitiert aus den Aussagen von Pjatakov vom 4. Januar 1937 über seine Schädlingstätigkeit im Volkskommissariat ('S. 4). Die Nichterfüllung der Planaufgaben in den Jahren 1935 und 1936 in wichtigen Volkswirtschaftszweigen (Kohleförderung, chemische Industrie, Transportwesen) ist auf die Sabotage der Trotzkisten im jeweiligen Volkskommissariat zurückzuführen (S. 5). Zahlreiche Verantwortliche für Havarien sind bereits verurteilt und erschossen worden (S. 10). Auch im Schiffbau und in der Landwirtschaft waren Schädlinge, unter ihnen Sokol'nikov und Serebrjakov, am Werk. Die Besonderheit der Schädlingstätigkeit besteht darin, daß die Feinde über die Parteiorganisationen in die Betriebe eindringen (J. 11). Auch hierfür führt Molotov Zeugenaussagen an (S. 12). Die Schlußfolgerung, die Molotov zieht, lautet, nicht einzelne Fälle sind herauszugreifen, sondern mit Hilfe der Selbstkritik ist die Situation grundlegend in den Griff zu bekommen. Diese Lehre von Sachty ist in Vergessenheit geraten (S. 14). Wir müssen die laufenden Prozesse zur Erziehung unserer Kader nutzen. Bewußte Disziplin und Ehrlichkeit gegenüber dem Staat ist die Grundvoraussetzung unseres Erfolges. Es ist auch möglich, ehemalige Trotzkisten für die Arbeit zu gewinnen (S. 19). Pause bis 17.30 Uhr. Abendsitzung Leitung: Andreev Als nächster Redner spricht Kaganovic (Voprosy istorii 1993, 9, S. 3-32) zum 3. Tagesordnungspunkt. Der Schwerpunkt der Diskussion liegt auf der Berichterstattung über die Planerfüllung im Volkskommissariat für Transportwesen. Kaganovic hatte Anfang 1935 die Leitung des Volkskommissariats übernommen. Zunächst geht der Redner am Beispiel von Serebrjakov auf die bisher entlarvte Schädlingsarbeit, auf die Diversion und die Spionage der japanisch-deutschentrotzkistischen Agenten Ende 1933, Anfang 1934 ein (S. 4). Wir müssen, hebt

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Kaganovic hervor, die Spezifik dieser Schädlingsarbeit aufdecken und unsere Fehler selbstkritisch beleuchten. In dem Maße, in dem der Sozialismus wächst, wächst auch der Widerstand gegen ihn. Im Transportwesen ging die Entlarvung der Schädlingsarbeit langsamer vor sich als in der Industrie. Womit wir es heute zu tun haben, reicht bis zum Sachty-Prozeß und zum Prozeß gegen die Industriepartei zurück. Deshalb begann der Aufschwung in der Schwerindustrie früher als im Transportwesen. Er verweist auf das Verhör von Serebrjakov. Letzterer gibt seine Kontakte zu Arnol'dov zu, einem erfahrenen Mitarbeiter des Transportwesens, der keine Anweisungen brauchte, und aus eigener Erfahrung wußte, was er zu tun hatte. 1935 kam das Transportwesen fast zum Erliegen, weil die Normen für die Durchlaßfähigkeit der Stationen heruntergesetzt wurden. Dann kam es zu einem Treffen mit Lifsic, der zugegeben hatte, von Serebrjakov angeleitet worden zu sein. In der Resolution des Plenums ist von sechs Arten der Schädlingsarbeit die Rede. So gab es ζ. B. im Volkskommissariat für Verkehrswesen eine Durchlaß- und Belastbarkeitskarte der Eisenbahnlinien. Die Überlastung ließ sich also sehr gut organisieren. So haben die Spione und Schädlinge ihre Arbeit legalisieren können. Die Schädlingsarbeit hatte eine eigene Schädlingsdialektik. So haben die Schädlinge unsere jungen Ingenieure verdorben (5. 6). Fast alle Teilnehmer der Dispatcher-Konferenz wurden als Schädlinge entlarvt [der Redner bezieht sich auf die Jahre 1934 und 1935], Er verwahrt sich dagegen, daß er es gewesen sei, der die Verschwörung aufgedeckt hatte, nein, es seien das Parteikollektiv und Stalin persönlich gewesen. Letzterem allein gebührt das Verdienst. Fünf Gruppen von Schädlingen wurden entlarvt - vom Lokführer bis hin zum technischen Ingenieur. Die Mitglieder wurden verhaftet und sind bereits verurteilt (unter den Verhafteten sind: Kudrevatyj, Vasil'ev, Bratin, Becker, Arnol'dov, Markovic, German, Abuasvili, Medzichovskij). Als wir in die Offensive gingen, zogen sie sich in den Untergrund zurück. Die Fahrpläne wurden nicht eingehalten, Verspätungen von über 6 Stunden im Personenverkehr waren die Regel, die Nachrichtenverbindung zwischen den Stationen war anfällig (J\ 8). Viel geht auf bewußte Sabotage zurück (S. 10). Die Arbeitsorganisation und das Bildungsniveau halten nicht mit den Anforderungen Schritt. In der Projektierung ist das Schädlingsunwesen am verbreitetsten (S. 11). Stalin persönlich hatte Mitarbeiter im Transportwesen überprüft, die ihm besonders verdächtig vorkamen (S. 12). So hatte im April 1936 das ZK auf seiner Beratung beschlossen, Revisoren der Dispatcher-Arbeit einzusetzen. Sie inspizierten vor Ort und waren nur mir persönlich unterstellt. Mrackovskij hat die Verbindung zwischen Karaganda und Petropavlovsk auf Schädlingsart organisiert. Wir haben 26 für die Landesverteidigung wichtige Knotenpunkte (die viel zu groß sind) untersucht und 446 Spione enttarnt. Auf elf Eisenbahnlinien passieren 50 % der Unfälle. Also sitzen insbesondere auf diesen Linien die Schädlinge fest. Auf jeder Strecke gibt es Havarien. Unfallfreie Strecken haben wir nicht. Alles hängt vom subjektiven Faktor ab (S. 15). Alle Hinweise auf objektive Bedingungen treffen nicht zu. Kaganovic führt Beispiele für die Schädlingsarbeit an: Der Trotzkist Romanov hat die Zugeinfahrt nicht gemeldet, der Weichensteller Zybin hätte den Zusammenstoß verhindern können, hat jedoch nicht aufgepaßt. Daraufhin habe ich die Revision des Falls und die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Trotzkisten beantragt. Dafür trage schließlich ich als Volkskommissar die Verantwor-

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tung. Der Weichensteller wird selbstverständlich freigesprochen, der Trotzkist hingegen muß mit einer Strafe rechnen. Oder ein anderes Beispiel: Trotzkisten führten einen Zusammenstoß von zwei Zügen am 27. Januar herbei. So wollten sie sich für den am 30. Januar beendeten Prozeß rächen. Die Trotzkisten haben einen Personen-Schnellzug auf einen Güterzug, der Erdöl transportierte, auffahren lassen. Beispiele für die Sabotage gibt es auch im Gleisbau (.5". 17). In Doneck ist eine Gruppe deutscher Faschisten, die Züge zum Entgleisen brachte, endarvt worden (S. 18). Stalin las den Befehl, der fünfmal überarbeitet worden war und empfahl mir, noch keine Entscheidung zu fallen, sondern die Leiter der Eisenbahnlinien und einige Praktiker vorzuladen und mit ihnen die Sache zu untersuchen (S. 19). Die Fluktuation der Arbeitskräfte bei der Bahn ist sehr hoch. In der Stachanov-Kampagne haben wir ca. 560.000 Eisenbahner geschult. Es waren in der Regel Bauern, die im Winter an den Strecken arbeiten und im Frühjahr wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Um Arbeitskräfte zu binden, ist Entlohnung, materielle Interessiertheit und die Versorgung mit Wohnungen wichtig (S. 21). Gegenwärtig erfolgt eine Umgruppierungen der technischen Kader. Die Kader sind das Wichtigste. Ein Sabotageakt legt 40.000 km Eisenbahnstrecke lahm. Es kommen neue, junge Kader nach dem Sachty-Prozeß zur Eisenbahn. Die Alten waren gegenüber der Einführung neuer Technik nicht aufgeschlossen genug. Von 177 leitenden Mitarbeitern des Volkskommissariats gehörten zum 1. Januar 1935 36 parteifeindlichen Gruppierungen oder der Opposition an, sie alle sind verhaftet (5. 23). Innerhalb von zwei Jahren konnten wir 99 von ihnen ersetzen. Kaganovic hatte die Observierung von verdächtigen Funktionären durch die GPU veranlaßt (5. 24). Unter den Verhafteten waren: Emsanov, Rozencvejg, Fufrjanskij, Arnol'dov, Mironov, Tomlenov, Lifsic und Emsanov. So haben wir ζ. B. aus der Politabteilung 299 Trotzkisten herausgesäubert, aus dem Apparat des Volkskommissariats 220 Mitarbeiter, davon waren 109 Trotzkisten. 7 der Stellvertreter waren Schädlinge: Lomonosov, Serebrjakov, Borisov, Mironov, Sof und Lifsic. Kaganovic fordert, daß die Wirtschaftsfunktionäre der GPU bei der Endarvung der Spione helfen müssen (S. 25). Er berichtet ausführlich, wie er von Stalin unterstützt wurde, nachdem er zunächst auf Lifsic hereingefallen war. Ferner waren im Eisenbahnwesen 485 Gendarmen, 220 Sozialrevolutionäre, 1.415 weiße Offiziere, 282 Schädlinge und 440 Spione tätig. 1935 gab es 807 Trotzkisten, 1936 waren es schon 3.800. Unter den 156.000 im Transportwesen Beschäftigten sind 75.000 aus der KPdSU(B) ausgeschlossene Mitglieder (S. 28). Die Faschisten werden weiter Diversanten und Schädlinge zu uns schicken, merkt der Redner unter Hinweis auf Sachty und die Industriepartei an. 10 Minuten Pause. Leitung: Andreev Redner Sarkizov: Er bezieht sich auf die Reden von Molotov und Kaganovic, über die Lehren aus der Entlarvung der Schädlingstätigkeit, Diversion und Spionage der japanisch-deutschen-trotzkistisch-sinowjewistischen Agenten und rechten Konterrevolutionäre. Die Schuld, daß es im Donbass zur Sabotage kam, trägt in erster Linie die Parteiorganisation (S. 14). Dort waren deutsche trotzkistische Agenten am Werk, sie sabotierten die Umsetzung der Stachanov-Methoden. Im

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Ergebnis dessen ging die Arbeitsproduktivität rapide zurück. In diesem Punkt ist der Bergbau mit dem Transportwesen vergleichbar. In der Bezirksleitung war der Doppelzüngler und Trotzkist Saev für die Kohleförderung verantwortlich. Wegen ihm büßten wir täglich 10-15.000 Tonnen Kohle durch Havarien und Katastrophen ein. Er trieb die Löhne in die Höhe, sabotierte die Einfuhrung neuer Technik, veranlaßte die Schließung von kleinen Gruben (i'. 16). Sarkizov schlägt vor, die Leitungen in die Nähe der unmittelbaren Produktions Stätten zu verlegen (.S. 17). Hinzu kommt die Praxis, daß das Volkskommissariat einfach Mitarbeiter vor Ort als Leiter einsetzt, ohne sich vorab zu konsultieren. In mehreren Fällen mußten wir uns an das ZK der Kommunistischen Partei (Bolschewiki) der Ukraine wenden und darauf hinweisen, daß es den einen oder anderen Kader belastendes Material gibt. Wir werden alles daransetzen, den Kampf gegen die Schädlinge und Saboteure noch intensiver und schonungsloser zu führen, als bisher (Voprosy istorii 1994, 1, S. 13-18). Redner Gurevic: Er berichtet, wie das Volkskommissariat für Schwerindustrie auf dem Gebiet der Kohleveredlung gegen Schädlinge und Saboteure vorgeht. Die Verluste waren 1936 sehr hoch, die Produktionssteigerung gering (ζ. B. in der Schwefelsäureproduktion). Dank dem persönlichen Einsatz von Ordzonikidze begann sich die Lage zu bessern. Die Instruktionen werden immer noch nicht befolgt, was oft Arbeitsunfälle nach sich zieht. Stalins Zwischenruf: Hier Abhilfe zu schaffen, reicht nicht aus! Gurevic stimmt dem sofort zu und geht zur Kritik an der Berichterstattung in der Presse über. Nach Havarien schreiben die Zeitungen über die gute Laune der Bergleute und darüber, daß sie gerne einfahren. Er erinnert an die Kampagnen in der bolschewistischen Presse vor der Revolution. Damals haben wir jede Möglichkeit genutzt, die Verantwortlichen an den Pranger zu stellen (S. 20). Postysev ruft dazwischen: Es gibt feu wenig Selbstkritik bei euch (S. 21). Gurevic erinnert an Ordzonikidze, der die Situation mit der zum Zeitpunkt des Sachty-Prozesses verglich. Im Unterschied zu 1928, als wir uns auf bürgerliche Spezialisten stützen mußten, haben wir jetzt genug eigene Kader, es gilt, sie parteilich zu stählen, dann kann uns nichts mehr passieren. Kosior fragt: Das hat Sergo wirklich gesagt? Gurevic erwidert, daß viele Funktionäre wegen der falschen Anschuldigungen sehr zurückhaltend mit der Selbstkritik sind. Doch nur sie können Initiatoren sein. Kosior bemerkt: Ihren Ausführungen nach wird das nicht sobald der Fall sein (5. 21; Voprosy istorii 1994, 1, S. 18—22). Redner Bagirov: Alles, was Molotov und Kaganovic hier vorgetragen haben, trifft auch auf die Erdölförderung zu. Es wäre ein Wunder, wenn unsere Feinde diesen wichtigen Industriezweig ignorieren würden (S. 25). In Baku werden 70 % des Erdöls der UdSSR gefördert. Er führt Beispiele für Havarien in den Jahren 1935 und 1936 an. Kapiljusnikov, der das wissenschaftliche Forschungsinstitut in Baku leitete, verstieg sich in einer Plenartagung des Rates des Volkskommissariats für Schwerindustrie dazu, die Sowjetmacht anzugreifen. Angeblich mißachten und geringschätzen wir die Leistungen der Wissenschaftler (S. 24). Doch es ließen sich noch mehr Beispiel für das freche Auftreten der Intelligenzler anführen. Ginzburg, ein Freund von Sedov, reiste mit einer Delegation nach Amerika, um die Erdölförderung zu studieren. Er trieb sich in der Welt herum und hat nichts gemacht, außer einen Artikel für die Pravda zu schreiben. Als Mechlis dazwischenruft: Wir haben das nicht gedruckt!, bemerkt Bagirov, also muß das in der

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I^yestija veröffentlicht worden sein (X 24). Dann wendet er sich der Blockbildung von Τ rotzkisten-Sinowjew-Anhänger mit den Nationalisten zu. Zwischen Moskau und Azerbajdzan bestanden enge Kontakte. Was im Prozeß 1937 aufgedeckt worden ist, trifft auch auf Azerbajdzan zu. Einige Führer der nationalistischen konterrevolutionären Organisationen, die sich als Parteifunktionäre tarnten, sind bereits verhaftet (S. 27). Die Pflege der Nationalsprache wurde zur Belebung nationalistischer Abweichungen mißbraucht (Voprosy istorii 1994, 1, S. 22-28). Andreev schlägt vor, am 1. März keine Morgensitzung, sondern nur eine Abendsitzung, die um 18.00 Uhr beginnt, abzuhalten. In der Rundschau (Basel), Nr. 9, heißt es im Artikel »Die Rolle der POUM als Waffenhilfe für den Faschismus« u. a.: »Die POUM ist heute völlig in den Händen der Leute, die früher der reinen trotzkistischen Gruppe, den sogenannten xLinken Kommunisten angehört haben und ihre fast ausschließliche Hauptaufgabe in einem blindwütigen und haßerfüllten Kampf gegen die Kommunistische Partei, die Kommunistische Internationale und die Sowjetunion erblicken. Diese Leute, an ihrer Spitze ein gewisser Nin und Gorkin, haben die von Maurin begründete >Arbeiterpartei für marxistische Einigung< zu einem Instrument gemacht, durch das sie versuchen, die konterrevolutionäre Politik Trockijs, die sie offen vor den Arbeitern niemals verteidigen können, auf einem Umweg in die Arbeiterbewegung einzuschmuggeln. Sie betonen zwar immer wieder, daß sie keine Trotzkisten seien - ebenso wie es auch die trotzkistischen Führer der SAP tun - , aber sie empfangen ihre Weisungen von Trockij, und vor kurzer Zeit war Sedov, der Sohn Trockijs, in Barcelona und hat mit Gorkin und Nin konferiert« (S. 378).

März 1937 Die Säuberung erfaßt den Ural. In Saratov setzt eine Selbstmordwelle ein. Krestinskij auf dem Bucharin-Prozeß (5. 280): Nach M. N. Tuchacevskijs Rückkehr aus dem Urlaub spricht er mehrmals mit ihm über den Aufstand, als er nicht nach Großbritannien reisen darf, beeilt er sich mit den Vorbereitungen auf den Putsch. Bjulleten' opposai, Nr. 54/55, März 1937: Trockij kommentiert in mehreren Beiträgen den letzten Moskauer Schauprozeß. 1. März 1937, Montag

Die Pravda berichtet über die Mißstände in der ukrainischen Parteiorganisation, in Char'kov, Azovo Cernomorsk und in Sachty. Eintragung im Tagebuch von Arsilovskij, einem Buchhalter aus Tjumen': Ich habe angefangen, für die Wandzeitung unseres Werkes zu schreiben (Garros 1998, S. 81 f ) . Abendsitzung der Plenartagung des ZK der KPdSU(B) (Voprosy istorii 1994, 2, S. 3-29 und 1994, 6, S. 3-23) Leitung: Andreev Redner Zavenjagin (Voprosy istorii 1994, 2, S. 3-6): Die Entwicklung der Schwerindustrie bleibt nicht hinter der in den kapitalistischen Staaten zurück, was uns aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß Schädlinge und Saboteure am Werk sind. Es hapert bei der Zulieferung, die Planung ist dilettantisch, Havarien sind an der Tagesordnung. Die Arbeitsproduktivität in unseren Betrieben ist geringer als in kapitalistischen Betrieben. Die Selbstkosten und der Ausschuß sind viel zu hoch (S. 3). Marjazin hat die Kohleveredlung sabotiert. Ein anderes Problem ist die Arbeitskräftesituation in Magnitogorsk. Wir müssen in entlegenen Gebieten Arbeitskräfte anwerben, denn Bauern aus der Region einzustellen, ist uns untersagt (S. 5). Wir benötigen eine Eisenbahnanbindung und müssen die vorhandenen Strecken in Stand setzen (S. 6). Redner Ruchimovic (Voprosy istorii 1994, 2, S. 6-10): Nachdem wir von dem Oberbanditen Pjatakov erlöst sind, müssen wir uns an die Arbeit machen. Wir arbeiten mit vorsintflutlichen Methoden. Wir sind froh, wenn wir wenigstens zwei von vier geplanten Werken in Betrieb nehmen können (S. 7). Während wir rumeiern, können die Saboteure im Trüben fischen. Die Saboteure sind auch in Rüstungsbetriebe vorgedrungen, u. a. in Werke, in denen chemische Kampfstoffe hergestellt werden (S. 8). 1932 hatten die Partei- und Wirtschaftsfunktionäre noch die Gelegenheit, regelmäßig vor Ort zu sein. Jetzt frißt sie der Papierkrieg auf. Redner Antipov (Voprosy istorii 1994, 2, S. 10-15): Die letzten Prozesse haben jedem von uns den Feind und seine Taktik deutlich vor Augen geführt. Ungeachtet von Stalins beständiger Aufforderung, wachsam zu sein, waren wir gegenüber Parteimitgliedern im Volkskommissariat für Leichtindustrie zu vertrauensselig

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(S. 11). In der Textil- und Glasindustrie ist der Ausschuß viel zu hoch. Die Gehälter und Löhne werden auf dem Lande mit Verspätung ausgezahlt. Nicht alle Funktionäre haben mit der vom XVII. Parteitag der KPdSU (B) geforderten Umgestaltung der Arbeit begonnen (5. 14). Redner Pachomov ( Voprosy istorii 1994, 2, S. 15-19): Nach diesem Plenum können wir nicht mehr so weiterarbeiten wie bisher. Er legt eine Liste mit Namen von 77 Leitern der Binnenschiffahrt vor. Zwei Drittel von ihnen sind bereits verhaftet (51. 16). Stalins Zwischenruf: Ein bißchen wenig! Ich sagte Ihnen, Genösse Stalin, das ist erst der Anfang. Darauf nennt Pachomov Beispiele für weitere enttarnte Saboteure. Der angekündigte Redner Manaenko spricht nicht in der Diskussion. Nach der Pause von 10 Minuten ergreift als nächster Redner Ezov das Wort: Meine Selbstkritik werde ich morgen vortragen. Heute möchte ich mit der Kritik beginnen. Die Situation in den Volkskommissariaten ist schlecht. Und trotzdem haben die Funktionäre so gut wie nichts getan, um uns bei der Enttarnung der Schädlinge zu helfen, sie haben das in vielen Fällen sogar unterlaufen. Zwischenruf von Stalin: Das ist sehr zurückhaltend formuliert! Ezov stimmt zu und weist darauf hin, daß er jetzt 4 1/2 Monate im Amt ist. In dieser Zeit gab es nicht einen einzigen Anruf aus irgendeinem Volkskommissariat, hebt er hervor, in dem mir das Vorhandensein von verdächtigen Mitarbeitern mitgeteilt wurde. Das Gegenteil ist der Fall, wenn wir jemanden verhaften wollten, waren die Vertreter der Volkskommissariate dagegen und stellten sich schützend vor die Verdächtigen (5. 21). Sie verstehen einfach nicht, daß ein Schädling unter unseren Bedingungen 70—80 % seiner Arbeit gut machen muß, um während der verbleibenden Zeit Schaden anzurichten. Zwischenruf von Stalin: Er wird sich seine Kräfte für den Kriegsfall aufheben, um dann richtigen Schaden anrichten zu können! Zwischenruf von Postysev: Und in der Zwischenzeit wird er revolutionäre Reden halten! Ich habe mir die Fälle der letzten fünf Monate vorgenommen und analysiert, fährt Ezov fort: im Volkskommissariat der RSFSR für Verkehrswesen 137 Fälle fur Leichtindustrie 141 Fälle für Lebensmittelindustrie 100 Fälle für kommunale Wirtschaft 60 Fälle für Binnenhandel 82 Fälle für Landwirtschaft 102 Fälle für Finanzen 35 Fälle für Volksbildung 228 Fälle Die Schädlinge haben Diversionsakte aller Art organisiert. So gab es z. B. 1935 1936 auf fünf Schiffahrtslinien 1846 2849 Zwischenfälle auf der oberen Volga 576 963 in West-Sibirien 1610 1866 Nordschiffahrt 1018 1590 (S.22). Außerdem führt Ezov Beispiele dafür an, wie sich die Trotzkisten aus dem Staatshaushalt finanziert haben. A. S. Svanidze hat das auf unsere Bitte hin ge-

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prüft. Er zitiert aus dem Verhör von Bystrov vom Vortag, der Rykov und Tomskij belastet hatte (S. 27). Ljubimov wird aufgefordert, zur Situation im Volkskommissariat für Leichtindustrie Stellung zu nehmen. Er antwortet darauf, daß er sich bereits in die Rednerliste eingetragen hat und das Wort ergreifen wird, sobald er an der Reihe ist (J. 28). Nicht alle genannten Beispiele, hebt Ezov abschließend hervor, gehen auf das Konto der Trotzkisten. Die Vertreter der Volkskommissariate sollten die Gelegenheit nutzen, sich hier dazu zu äußern. Leitung: Andreev Redner Éjche {Voprosy istorii 1994, 6, S. 3—6)·. Er stimmt den richtungweisenden Referaten von Molotov und Kaganovic zu. Die Aktivitäten der Trotzkisten und der Rechten an volkswirtschaftlichen Knotenpunkten zwingen uns zu höherer Aufmerksamkeit, hebt er hervor. Er erinnert in diesem Zusammenhang an die Aussagen von Pjatakov. Wer die Havarien ausschließlich als technische Vorkommnisse betrachtet, hat deren wahres Wesen nicht erkannt. Oft ist die mangelhafte Kontrolle von oben daran schuld. Er nennt Beispiele für veraltete Sicherheitsvorschriften und die Gleichgültigkeit von Behörden, die für Kontrollen im Rahmen der Gewerkschaften zuständig sind. So gibt es eine Einrichtung im Zentralrat der Gewerkschaften, der die Kesselaufsicht obliegt. Zwischenruf von Svernik: Die gibt es nicht. Doch, es gibt sie, und sie arbeitet sogar noch nach den heute völlig veralteten Richtlinien aus dem Jahre 1928 (S. 5). Dann wendet er sich der Situation in Sibirien zu. In einem Bergwerk gab es 1936 1.600 Unglücksfälle. Von 3.000 Bergleuten wurden 1.600 verletzt. Leiter des Bergwerkes war ein Trotzkist, er ist jetzt verhaftet. Aus alledem müssen wir unsere bolschewistischen Lehren ziehen. Redner Ljubimov (Voprosy istorii 1994, 6, S. 6-11): Er spricht zur Situation in der Leichtindustrie nach dem letzten Moskauer Schauprozeß. Das Volkskommissariat war eine Hochburg der Trotzkisten. Als er der von Ezov gegebenen Einschätzung zustimmt, mehren sich die Zwischenrufe, warum er das bisher immer abgestritten habe (S. 6). Daraufhin nennt er Beispiele für Endassungen von zu ihm strafversetzten Rechtsabweichlern und »>linken< Kommunisten«. Die Rechten und die Linken haben ihre Organisationen zusammengelegt. Die Leitung dieses Zusammenschlusses lag bei ehemaligen Anhängern von Tomskij. Wir müssen die zurückbleibenden Betriebe erkennen und sie mitziehen. Vor allem in der Leichtindustrie bedarf es großer Anstrengungen. Er zählt betroffene Betriebe und Namen endarvter Saboteure und Schädlinge auf. Der Ausschuß in der Produktion macht oft die Hälfte der Gesamtproduktion aus. Wo schlecht gearbeitet wird, sind Schädlinge am Werk. Von einer Stachanov-Bewegung kann in seinem Volkskommissariat keine Rede sein. Die Hauptaufgabe, die jetzt vor uns steht, ist die Einführung neuer Technik und neuer Technologien (S. 10). Pause bis 12.00 Uhr. Es gibt den Vorschlag, die Debatte am darauffolgenden Tag gegen 15.00 Uhr zu beenden. Dengel, Mitglied der IKK, wird Vertreter der KPD beim EKKI. In der Zeitschrift Die Internationale erscheint sein Artikel über den Trotzkismus. Verhaftung von Weißberg-Cybulski. Bis zum 1. März wurden in fünf Volkskommissariaten insgesamt 1.193 Mitarbeiter verhaftet (Molotov in seiner Rede

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auf dem Februar-März-Plenum). Wir vermieden aber, auf russische Themen einzugehen (Weißberg-Cybulski 1993, S. 75). 2. März 1937, Dienstag

Artikel in der Pravda gegen die Vetternwirtschaft bei der Auswahl der Kader, gefordert wird ein richtiger Umgang mit geheimen und internen Dokumenten der KPdSU (B). Morgensitzung Leitung: Andreev Redner Levcenko (Voprosy istorii 1994, 6, S. 11-14): Er stimmt den Reden von Molotov und Kaganovic zu. Als Kaganovic uns vor einem Monat zum erstenmal mit seiner Ausarbeitung vertraut machte, haben wir nicht die Tragweite seiner Ausführungen verstanden (S. 12). Bis 1935 wurden die Pläne nicht erfüllt, obwohl wir Wirtschaftsfunktionäre hart arbeiteten. Inzwischen wurde der Lokomotivpark zu Schrott gefahren. Während wir an der Steigerung der durchschnittlichen Geschwindigkeit und der gefahrenen Kilometer arbeiteten, setzten die Schädlinge und Spione ihre Sabotage fort. Die ersten Gruppen sind in Ilovajsk verhaftet. Wir versuchen jetzt, mit stachanovistischen Methoden die Folgen der Schädlingsarbeit zu überwinden. Redner Mikojan (Voprosy istorii 1994, 6, S. 14—20)·. Molotov und Ezov hatten recht, als sie darauf hinwiesen, daß es nicht nur im Volkskommissariat für Schwerindustrie Fälle von Schädlingstätigkeit und Sabotage gibt. Er will über die Sabotage in der Lebensmittelindustrie sprechen. 1933 hat es in Odessa Beispiele für Vergiftung durch verdorbene Konserven gegeben. Die Rechten und die Trotzkisten agieren gemeinsam. Wir konnten uns nicht vorstellen, das sie zu Saboteuren werden (S. 15). Der Redner erinnert an Stalins These von der Zuspitzung des Klassenkampfes beim Aufbau des Sozialismus und weist darauf hin, daß unter den Schädlingen auch ehemalige Mitglieder der Partei der Konstitutionellen Demokraten, ehemalige Offiziere etc. zu finden sind. Stalin hat 1933 alles richtig vorhergesagt. Damals wollten wir ihm nicht glauben. Der Redner führt Beispiele für die Zersetzungsarbeit der Trotzkisten an. Es gibt noch viele beleidigte Menschen und nicht enttarnte Feinde in unserem Land, die von den Rechten und Trotzkisten angeworben werden können (S. 16). Die Hauptsache besteht jetzt darin, die Feinde rechtzeitig zu entlarven. Wir dachten, die Trotzkisten gehen in die entlegensten Orte, weil die Bedingungen dort am schwierigsten sind, und sie so ihre Ergebenheit gegenüber der Partei beweisen können. Wie haben wir uns geirrt (5. 17). Sie sind dorthin gegangen, um in Ruhe sabotieren zu können. In den Fleischkombinaten haben wir spezielle Parteiorganisatoren eingesetzt (S. 18). Wir müssen das in unserem Lande erreichte Niveau nicht mit dem der Zarenzeit, sondern mit dem in den entwickelten kapitalistischen Ländern vergleichen. Es stimmt nicht, daß jene Arbeiter und Funktionäre, die die ihnen gestellten Pläne erfüllen, auch in jedem Fall gute Arbeiter sind. Auch einige Trotzkisten haben gut gearbeitet. Es gibt noch genug verborgene Feinde. Gute, gestandene Leute sind auf die Trotzkisten hereinfallen, weil es ihnen an Kompetenz mangelte. Viele Produktionsarbeiter sind verunsichert, ob die Weisungen der Direktion immer richtig sind. Eine Stachanov-Bewegung ist unter solchen Bedingungen unmöglich.

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Redner Kalmanovic (Voprosy istorii 1994, 6, S. 20—23): Alles, was bisher gesagt wurde, trifft auch auf das Volkskommissariat für Sovchozen zu. Die Schädlinge haben unsere Finanzplanung durcheinander gebracht. Doch der Hauptmangel ist, daß wir nie den Plan als Ganzes erfüllen (5. 21). Das haben die Schädlinge ausgenutzt. Ein weiteres Problem ist, daß wir nicht ohne Zuschüsse arbeiten können. Als vom Prämiensystem die Rede ist, schaltet sich Budennyj ein: Er bezeichnet es als ein Schädlingssystem, das nicht auf die Prämierung der Besten, sondern auf die Zersetzung der Wirtschaft zielt. Du hast hier und heute ja nicht einmal einen einzigen Schädling endarvt, wirft Kaganovic ein (5. 22). Ich prüfe jetzt alles das, was Preobrazenskij, als er noch nicht abgesetzt war, gemacht hat, antwortet Kalmanovic daraufhin. Morgensitzung vom 2. März Leitung: Andreev Als letzter Redner zum Tagesordnungspunkt spricht Vorosilov (Voprosy istorii 1994, 8, S. 3-17). Er beginnt mit der Feststellung, daß die Feinde tief in die Poren unseres Apparates eingedrungen sind. Die Reden der Genossen Molotov, Kaganovic und Ezov handelten davon. Alle Anwesenden, die meisten sind an führender Position in den Volkskommissariaten tätig, versprachen, ab sofort anders zu arbeiten, den Feinden den Weg zu versperren. Wenn wir unsere Versprechungen auch nur zu 95 % wahr machen, dann kommen wir gut voran. Denn jeder der hier anwesenden Wirtschaftsfunktionäre ist Zulieferer eines anderen. Trotzkisten und japanisch-deutsche Spione saßen in allen Volkskommissariaten. Die Lieferungen an die Rote Armee klappten nicht. Ich bin kein Freund der Selbstkritik, fürchte aber die Kritik durch die Partei nicht (S. 4). In meinem Funktionsbereich sind sehr viele, wenn auch noch längst nicht alle Schädlinge im ingenieurtechnischen Personal entlarvt (S. 5). Hier ist ein Exkurs in die Geschichte angebracht. Alle Moskauer Militärschulen waren seit 1923 fest in der Hand der Trotzkisten. Vorosilov zitiert aus seinem Briefwechsel mit Kuzmicev. Ich habe auch Briefe von allen anderen Verhafteten. Sie alle hatten sich mit der Bitte um Unterstützung an ihn gewandt und auf die haltlosen Anschuldigungen hingewiesen. Vorosilov nennt (J". 7) Pjatakov einen Oberbanditen (S. 8). Zinov'evs Sekretär Pikel' sagte am 4. Juli 1936 über die Militärverschwörung aus (.f. 9). Pjatakov belastete Tomskij durch seine Aussage vom 26. Oktober 1936, er gehöre zum Kreis der Verschwörer (S. 11). Seit Trockijs Weggang haben wir in den vergangenen 12 bis 13 Jahren ca. 47.000 Militärangehörige hinausgesäubert. 21.000 kamen neu zur Armee ('S. 12). Zur Zeit beläuft sich der Kommandeursbestand auf 107.000 Mann (S. 12), wir haben zwölf Militärakademien und ein Veterinärinstitut, an denen 11.000 Hörer eingeschrieben sind. An 75 Militärschulen studieren 64.400 Mann (5. 13). Im Zuge der Säuberungen im Parteiapparat der Armee haben wir 3.328 Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen, 555 wegen Trotzkismus und konterrevolutionärer Gruppenbildung, von diesen haben wir 400 sofort aus der Armee entlassen. Zur Zeit dienen ca. 700 ehemalige Anhänger von Trockij und Zinov'ev in der Armee. Sie alle sind uns namentlich bekannt, wir haben sie unter Kontrolle. Vorosilov macht Zahlenangaben zum Funktionärsbestand in der Armee (S. 14).

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Nach der Pause hält Molotov das Schlußwort (Voprosy istorii 1994, 8, S. 17—29). Mir ist, führt er einleitend aus, während der Diskussion klar geworden, daß ich nicht genug zugespitzt habe. Bei einigen Rednern hatte man den Eindruck, daß sie gar nicht verstanden haben, worum es eigentlich geht (S. 17). Der Beschluß über die Lehren der Schädlingstätigkeit im Verkehrswesen und die Entschließung zum Referat von Stalin über die Lage in den Parteiorganisationen (siehe Voprosy istorii 1994, 10, S. 3-13) müssen unser Leitfaden sein. Die von uns angenommene Resolution fixiert natürlich nur den Ausgangspunkt unseres Kampfes. Vom 1. Oktober 1936 bis 1. März 1937 haben wir Mitglieder folgender trotz kistischer Gruppen verurteilt: aus den Volkskommissariaten für Schwerindustrie und Rüstungsindustrie 585 Personen, aus dem Volkskommissariat für Volksbildung 228, aus dem Volkskommissariat für Leichtindustrie 141, aus dem Volkskommissariat für Verkehrswesen 137, aus dem Volkskommissariat für Landwirtschaft 102, aus dem Volkskommissariat für Lebensmittelindustrie 100, aus dem Volkskommissariat für Binnenhandel 82, aus dem Volkskommissariat für Gesundheitswesen 64, aus dem Volkskommissariat für Forstwirtschaft 62, aus dem Volkskommissariat für örtliche Industrie 60, aus dem Volkskommissariat für Post- und Fernmeldewesen 54, aus dem Volkskommissariat für Finanzen 35, aus dem Volkskommissariat für Wasserwirtschaft 88, aus dem Volkskommissariat für Sovchozen 35, aus dem Volkskommissariat für den nördlichen Seeweg 5, aus dem Volkskommissariat für Außenhandel 4, aus Akademien und Hochschulen 77, aus Verlagen und Redaktionen 68, aus Gerichten und der Staatsanwaltschaft 17, aus dem Staatsapparat 65. Auf das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten und das Volkskommissariat für Verteidigung gehe ich nicht ein, davon war bzw. wird noch die Rede sein (5. 18). Danach wendet sich Molotov der Frage nach der Erziehung der Kader zu. Im einzelnen geht er auf die Selbstkritik, den Umgang mit der Technik und die Einstellung zur Sowjetmacht ein. Unsere Wirtschaftskader haben wenig zur Enttarnung der Schädlinge und Saboteure beigetragen. In seiner Rede spricht Molotov zwei Volkskommissare direkt darauf an ('S. 20). Er erinnert in diesem Zusammenhang an Stalins Äußerungen zum Sachty-Prozeß. Vor kurzem waren Kontrollkommissionen vor Ort, u. a. in Kemerovo. In ihrem 54 Seiten umfassen Bericht taucht das Wort Schädling oder Schädlingstätigkeit überhaupt nicht auf. Im Bericht der Kommission, die sich im Donbass aufhielt, werden die Rückstände auf die veraltete Technik zurückgeführt (S. 21). Selbstverständlich darf man nicht alles den Schädlingen zur Last legen, aber man darf auch nicht von ihrem Tun abstrahieren. Wir haben nicht nur eine moralische, sondern auch eine juristische Verantwortung. Der Verhaftete Smidt ist zwei Tage vor seiner Internierung für die Auszeichnung mit dem Lenin-Orden vorgeschlagen worden. Es ist nicht zur Auszeichnung gekommen. Dieses Beispiel beleuchtet schlaglichtartig unsere fehlende Wachsamkeit (S. 24). Das hat auch Auswirkungen auf die Methoden der Leitungstätigkeit (5. 25). Viele der Pläne sind zu niedrig angesetzt. Unsere Wirtschaftsfunktionäre müssen uns helfen, den Wettbewerb zu organisieren (J. 27). Die Stachanov-Arbeiter helfen uns, die Schädlinge zu entlarven. M. I. Ul'janova lehnt es ab, Namenslisten derjenigen in der Zeitung Gudok zu veröffentlichen, denen es untersagt ist, bei der Eisenbahn zu arbeiten. Wir müßten das dann für jedes Volkskommissariat machen. Dies ist mit der Verfassung

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unvereinbar. Kaganovic besteht trotzdem auf der Veröffentlichung der Namenslisten. Sein Vorschlag wird angenommen. Vorsitzender: Pause bis zur Abendsitzung um 19.00 Uhr, die eine geschlossene Sitzung sein wird. An ihr dürfen nur Kandidaten und Mitglieder des ZK, Mitarbeiter des NKVD, der Zentralen Kontrollkommission und die Bevollmächtigten des ZK für die Kreise und Bezirke teilnehmen. Auf der Tagesordnung steht das Referat von Ezov. Abendsitzung vom 2. März Leitung: Andreev Redner Ezov (Voprosy istorii 1994, 10, S. 13—27): Zum erstenmal wurde ein solches Referat in einer Plenartagung des ZK notwendig, denn die Lehren aus der Verschwörung betreffen auch die Organe des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten. Stalin bezeichnete die Sicherheitsorgane als bewaffneten Vortrupp unserer Partei (Zwischenruf von Stalin: Hier wird eine Korrektur notwendig sein!) (5. 14). Stalin hat im Oktober 1936 im Telegramm an die Mitglieder des Politbüros darauf hingewiesen, daß die Organe vier Jahre zu spät gekommen sind. Dieser Rückstand muß erklärt werden. Ein Vergleich unserer Organe mit ausländischen Diensten ist haidos, weil ihre soziale Basis eine völlig andere ist und sie ganz andere Aufgaben haben. Der Kampf muß eine Zuspitzung erfahren, aber nicht als Fortsetzung der Massenverhaftungen von 1933 geführt werden (S. 15). In den Jahren 1935 und 1936 fielen 80 % der Verhafteten nicht in die Kompetenz des NKVD. Um sie hätte sich eigentlich die Miliz kümmern müssen. Diese Praxis zog nach sich, daß wir den Kampf gegen die wirklichen Feinde vernachlässigten. 1933 wurden ζ. B. 10 von 30 Mitgliedern der Gruppe um Slepkov aus der Haft endassen. Von den 87 verhafteten Mitgliedern der Gruppe um Smirnov erhielten die meisten nur geringfügige Strafen, 9 wurden kurz nach dem Prozeß endassen. Als drittes Beispiel führt Ezov die Endassung von Trotzkisten nach der Verhaftung von Ol'berg an (S. 16). Wir hatten und haben eine breite Front von Feinden und haben Erfahrungen im Kampf gegen eine derartig breite Front. Wir führten Kampagnen durch, um Mitarbeiter zu werben, anstatt sie selber auszusuchen. Die Papierflut muß eingedämmt und die operative Arbeit verbessert werden. Zwischenruf von Berija: Man braucht eine erprobte Agenturarbeit. Ezov stimmt zu und betont, daß die Führungsoffiziere der Geheimen Mitarbeiter gut ausgebildete Leute sein müssen. Das trifft auf das In- und Ausland zu (S. 18). Im System des NKVD gibt es Sondergefangnisse und Politisolatoren. Letztere, ζ. B. die in Suzdal' und Cel'jabinsk, gleichen eher Zwangserholungsheimen als Gefängnissen. Die Haftordnung gestattet, daß die Häftlinge ein kollektives Leben im Gefängnis führen und ihre konterrevolutionäre Arbeit fortsetzen (S. 19). Sie bekommen Literatur und Papier in unbegrenztem Umfang. Es gab auch Vodka für die Häftlinge und die Frauen durften ihre Männer besuchen. Für die Dauer des Besuchs wohnten sie in den Zellen. Rogaceva, die Schwester des Mörders von Kirov, ist im Gefängnis mit einem Sozialrevolutionär zusammengezogen und hat dort auch ihr Kind zur Welt gebracht. Auf Stalins Frage, wem die Gefängnisse unterstehen, antwortet Ezov, daß die Gefängnisse der Geheimen politischen Abteilung des Volkskommissariats für Innere

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Angelegenheiten, d. h. Molcanov unterstanden. Unsere Administration, fuhrt er weiter aus, fürchtete sich vor Hungerstreiks. Am 16. Oktober 1934 ordnete die Geheime politische Abteilung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten an, den Konterrevolutionären eine extra Essensration auszuteilen. Die Verbindung zur Außenwelt war nicht unterbrochen. Die Gefangenen durften sogar Sport treiben. Und die Wärter mußten für die Gefangenen Balljungen sein. Im November 1936 waren im zentralen Apparat des NKVD 699 Mitarbeiter beschäftigt. In der Hauptverwaltung Staatssicherheit arbeiteten 329, in der Miliz und in der Armee 159. In dieser Zeit mußten wir 238 Mitarbeiter des zentralen Apparates verhaften und 107 aus der Hauptverwaltung Staatssicherheit. Unter den Verhafteten sind sehr viele aktive Trotzkisten (S. 21). Pitsudski hat Spione bei uns eingeschleust. Schon damals war uns klar, daß die rechten und linken Oppositionellen sich zusammentun (5. 25). Das damals im NKVD vorhandene Material, ζ. B. gegen Rjutin und Éjsmont wurde nicht verwendet. Viele der Verhafteten kamen wieder frei. Die Oppositionellen wurden von NKVDMitarbeitern gewarnt. So wurde ζ. B. Artemenko durch Grigor'ev gewarnt. Radek hatte im Januar 1935 einen Geheimcode für den Briefwechsel mit Trockij aufbewahrt. Als Radek verhaftet wurde, hat man aber nichts gefunden. Das sind keine Lappalien. Danach wendet sich Ezov den Versäumnissen von Molcanov zu und faßt zusammen, daß er kein Einzeltäter war (S. 25). Stalin fragt nach, ob Molcanov verhaftet ist. Ja, antwortet Ezov, aber die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Vergleichbare Fälle gab es auch in anderen Regionen. 10 Minuten Pause. »Uroki vreditel'stva, diversii i spionaza japono-nemecko-trockistskich agentov. Rezoljucija plenuma CK VKP(b) po dokladam tt. Molotova i L. Kaganovica, prinjataja 2 marta 1937 g.« Entschließung der Plenartagung vom Februar-März 1937 (Über die Lehren der Schädlingstätigkeit, der Diversion und Spionage der japanisch-deutschen trotzkistischen Agenten) (1Voprosy istorii 1994, 10, S. 3-15). Kirsanova, Leiterin der Internationalen Lenin-Schule in Moskau, berichtet Vinogradov über den Kampf gegen die Trotzkisten in der Kreisleitung der KPdSU (B) im Frunze-Stadtbezirk. 3. März 1937, Mittwoch

Chruscev schreibt an Stalin und das ZK der KPdSU(B) und teilt mit, daß nach der Aufdeckung der konterrevolutionären Tätigkeit Bucharins und Rykovs im Moskauer Komitee der KPdSU(B) Gesuche von Arbeitern und gesellschaftlichen Organisationen aus Moskau eingegangen sind, die nach Bucharin und Rykov benannten Straßen und Einrichtungen umzubenennen. Es handelte sich um das Tuberkulose-Institut, das Straßenbahndepot, den Klub der Straßenbahner, die Bucharin-Straße in Moskau (in Volocaevskaja-Straße umbenannt), die Weberei und die Arbeiterfakultät. Stalin: »Über die Mängel der Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung der trotzkistischen und sonstigen Doppelzüngler. Referat und Schlußwort auf dem Plenum des ZK der KPdSU(B). 3. und 5. März 1937« {Stalin 1976, S. 119160).

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Die Zeitschrift ]arovi^aaja druckt die Rede nach und Prezent, Lysenkos Mitarbeiter, vergleicht in einem darauffolgenden Artikel die trotzkistisch-bucharinistische Opposition mit den oppositionellen Genetikern. Unter Hinweis auf den Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR und des ZK der KPdSU(B) vom 3. März 1936 wird im Beschluß vom 17. November 1938 an die Bedeutung der vernachlässigten Agenturarbeit innerhalb des NKVD erinnert (Organy 1995, £ 4). Balickij berichtet auf dem Februar-März-Plenum über die Mängel bei der Endarvung der Trotzkisten in der Ukraine. Wenn wir alles richtig gemacht hätten, hätten wir Pjatakov früher enttarnt. Molotovs Zwischenruf: Für einen Tschekisten, der auch Kommunist ist, ist nicht die operative Seite der Sache, sondern der politische Aspekt das Entscheidende (Voprosy istorii 1994, 12, S. 20-22). Morgensitzung vom 3. März Leitung: Andreev Redner Evdokimov (Voprosy istorii 1995, 2, 5. 3—7): Er beginnt mit der Feststellung, daß er sich wegen die Rede von Ezov schäme. Wie ist es nur um die Organe des NKVD bestellt, in denen er 14 Jahre lang, bis 1933, gearbeitet hat. Auch die Rede von Jagoda, der hier das Wort ergriff, ist eine faule, unparteiische Rede. Um die Leute, die Jagoda bedauert, ist es nicht schade, es ist schade, daß wir die Verschwörung gegen Kirov so spät aufgedeckt haben. Jagoda hat sich von den Massen abgeschüttet und die falschen Kader ausgewählt. Es kommt zum Wortwechsel mit Jagoda, der das bestreitet. Es ist nicht Jagodas, sondern Stalins Verdienst, das wir den Sachty-Fall aufgedeckt haben. Zwischenruf von Mikojan: Erzähl, wie es war (S. 4). Vor Sachty haben wir im Nordkaukasus, in Cecenien und in Dagestan dem Bandenunwesen ein Ende gemacht (S. 5). 1927 hatte ich in Soci eine Begegnung mit Stalin (S. 6). Ich habe ihm die Lage geschildert, er hat mir Ratschläge gegeben, wie mit der, wie er sagte, bewußten Sabotage umzugehen sei. Ich bin zurückgefahren, habe die Jungs zusammengetrommelt und ihnen die Weisung, aufzuräumen, übermittelt. Man warf uns damals vor, die Bürgerkriegsmethoden von 1918/19 anzuwenden. Jagoda, der gute Beziehungen zu Rykov hatte, saß da und unternahm nichts. Er glaubte nicht, daß an den Berichten über Sachty etwas Wahres ist. Zwischenruf von Jagoda: Denken Sie etwa, ich war daran beteiligt? Evdokimov antwortet darauf, daß es nicht bei Molcanov bleiben wird (X 7). Zwischenruf von Jagoda: Sie sind wohl von Sinnen? Evdokimov entgegnet darauf, daß Jagoda als Generalkommissar der Staatssicherheit abgesetzt werden muß. Redner Litvinov: Einige Genossen staunten, als sie hörten, daß ich hier auftrete. Doch ich bin in erster Linie Parteimitglied, und als ZK-Mitglied geht mich alles etwas an. Außerdem müssen wir die Selbstkritik breiter fassen, als wir es bisher getan haben. Wir beschränken uns in der Regel auf unser Ressort. Ich möchte über die Agenturarbeit des NKVD im Ausland sprechen. In der Regel sind wir über unsere Gegner im Ausland gut informiert. In der letzten Zeit erhalte ich jedoch sehr viele Falschmeldungen. Einige Agenten schreiben einfach aus Tageszeitungen ab. Nun zu der Leibwache (S. Umka — Der weiße Bär«< {»Literatumjj front«, S. 22): Das Stück ist unwürdig, an einem sowjetischen Theater aufgeführt zu werden. Beschluß des Politbüros des ZK der KPdSU(B) über die Vorlage von Maßnahmeplänen zur Überwindung der Folgen der Schädlingstätigkeit durch die Volkskommissariate. Beschluß des Politbüros des ZK der KPdSU (B) über zusätzliche Investitionen für den Bau von Eisenbahnstrecken durch die Hauptverwaltung Lager des NKVD im Fernen Osten. 22. April 1937, Donnerstag

Rozengol'c schreibt an Stalin und Molotov und bittet, die Vorlage des Berichts auf den 25. Mai 1937 zu verschieben, um die Vorschläge über die Verhinderung der Schädlingstätigkeit zu überdenken und durcharbeiten zu können. Verhaftung von Sanin. Vom 22. bis 25. April 1937 gestehen die Verhafteten Gaj und Prokofev, daß Tuchacevskij u. a. Militärs mit Jagoda in Verbindung standen (Krovatyj 1997). Verhaftung von Reisberg. 23. April 1937, Freitag

Beschluß des ZK der KPdSU(B) »Über die Parteiorganisationen in den neu gegründeten Unionsrepubliken«. Litvinov legt dem Politbüro des ZK der KPdSU (B) einen Entwurf über die Ausweisung von verhafteten Deutschen vor. Verhör von Koselev zur Vorbereitung des Bucharin-Prozesses. Tuchacevskij quittiert die ihm von Vorosilov zur Kenntnis gegebene Mitteilung des NKVD über das auf ihn geplante Attentat. Stalin empfängt in der Zeit von 17.05 bis 21.45 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Kaganovic, Andreev, Ezov, ? (Istoriceskij archiv 1995, 4, S. 50). 24. April 1937, Sonnabend

Brjullova-Saskol'skaja, eine Mitbegründerin der Gesellschaft Alter Bolschewiki, wird nach ihrer Endassung aus der Verbannung erneut verhaftet, am 26. September verurteilt und am 9. Oktober 1937 erschossen (PoHticeskie 1993, S. 44).

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25. April 1937, Sonntag

Bulanov sagt aus, daß Jagoda ein Rechter war. Bulanov spielte die Rolle seines Handlangers. Vermittels der Sonderberatung beschützte ich die verbannten Rechten. Jagoda war fasziniert von Hitlers »Mein Kampf« und sagte einmal, Bucharin wird mein Goebbels sein (Jagoda 1997, S. 500-508). Es gibt das Gerücht, daß Krjuckov, Gor'kijs Sekretär, verhaftet ist. ... die iVelernjaja MoskvaProzeß< eröffnet«; »Tiefste Abscheu in Holland«. Davies nimmt von nun an täglich als Gast an der Gerichtssitzung im BucharinRykov-Prozeß teil. Jede ausländische Gesandtschaft, hält er im Tagebuch fest, bekam nur eine Karte bewilligt, daher mußte ich ohne Dolmetscher hingehen (.Davies 1943, S. 205).

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Der Prozeß gegen den »Block der Rechten und Trotzkisten« findet vom 2. bis 13. März 1938 statt. Angeklagt sind: Bucharin, Rykov, Jagoda, Krestinskij, Rakovskij, Rozengol'c, V. I. Ivanov, Cernov, Grin'ko, Zelenskij, Bessonov, Ikramov, Chodzaev, Sarangovic, Zubarev, Bulanov, Levin, Pletnev, Kazakov, Maksimov-Dikovskij und Krjuckov. Im Archiv des Präsidenten der Russischen Föderation werden die erste Fassung des Prozeßstenogramms und das von Bucharin vorgetragene »Letzte Wort« aufbewahrt. Nach jeder Sitzung wurde das Stenogramm Ul'rich, Matulevic, Ievlev und Sar'janov zur Redaktion vorgelegt. Die Eingriffe in den Text wurden mit dem Ziel vorgenommen, keinen Zweifel an der Schuld der Angeklagten aufkommen zu lassen und positive Äußerungen der Angeklagten über die UdSSR und die Politik der KPdSU (B) zu tilgen. Stalin hat diese Fassung durchgesehen und seine Änderungen eingefugt (Murin 1995, 1, S. 61—76). Morgensitzung. Beginn um 12.00 Uhr (1CKKPSS 1989, S. 5) Bucharin wünscht keinen Verteidiger, er will sich selbst verteidigen. Die Anklageschrift wird verlesen. Spionage, Terror und Wiederherstellung des Kapitalismus — so lauten die wichtigsten Punkte der Anklage. Es wird eine Verbindung zu den Prozessen gegen Tuchacevskij am 11. Juli 1937 und gegen die georgischen bürgerlichen Nationalisten am 9. Juli 1937 konstruiert. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Sowjetmacht ist eine Folge der Schädlingsarbeit. Für die hohen Steuern und die unregelmäßige Lohnauszahlung wird Grin'ko verantwortlich gemacht. Zelenskij hat die Planung der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln durcheinandergebracht, Ikramov Aufstände der Kulaken organisiert. Bucharin hat gestanden, daß der Block der Rechten und Trotzkisten seit 1932 den Weg des Terrors beschritt. Bucharin ist der geistige Vater des Terrors, für die Durchführung waren andere in seinem Auftrag verantwortlich. Nachdem Krestinskij sich »nicht schuldig« bekennt, wird die Verhandlung für 20 Minuten unterbrochen. Was geschah in dieser Zeit? Zweifellos entschied man, die Reihenfolge des Verhörs der Angeklagten zu verändern. Als erster wurde Bessonov verhört, dem im >Szenarium< des Prozesses eine besondere Rolle zugedacht war. Er habe den Rechten Trockijs Direktiven überbracht {Medwedew 1992, 2, S. 53). Aussagen und Verhör von Bessonov. Bucharin (Pro^eßbericht 1938, S. 45) bestätigt die von Bessonov erwähnten Kontakte zu Pjatakov im Jahre 1932. Vysinskij zu Bessonov: Soll ich Ihnen vielleicht helfen? Bessonov zu Vysinskij: Ich glaube, daß Sie es besser machen werden, als ich es könnte {Pn^eßbericht 1938, S. 47). Krestinskij widerspricht Bessonovs Aussagen vor Gericht. Er beruft sich auf bei der Haussuchung beschlagnahmte Briefe an Trockij, von denen Vysinskij behauptet, sie existieren nicht (Pro^eßbericht 1938, S. 57). Abendsitzung Vernehmung von Grin'ko. Es geht um die Abtrennung der Westukraine, um die Schädlingsarbeit auf den Großbaustellen und um die Sabotage der Erntekampagnen. Rykov stimmt dem im Hinblick auf das Budget von 1937 zu. Das Viehsterben in Ost-Sibirien im Frühjahr 1936 (Aussage von Cernov) geht auf eine

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Aktion der Rechten zurück (Pro^eßbericht 1938, S. 113). Sie wurde in der Hoffnung auf Bauernaufstände organisiert. Grin'ko sagt aus, daß Rykov ihn ständig instruiert habe. Stalin empfangt in der Zeit von 16.10 bis 16.15 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Kaganovic (Istoriieskij archiv 1995, 516, S. 9). 3. März 1938, Donnerstag

Leitartikel in der Pravda:. »Cudovescnye zlodejanija pravo-trockistskoj bandy« (Teuflische Untaten der rechts-trotzkistischen Bande). Im Artikel heißt es: Gestern wurde die Anklageschrift verlesen, es gibt kein Verbrechen, das die Verräter nicht begangen hätten. Stalin führte auf dem Februar-März-Plenum des ZK der KPdSU (B) aus, daß es sich bei den Oppositionellen nicht mehr um eine politische Strömung, sondern um Verbrecher handelt. In Baku fand eine Allunionsberatung der Erdölarbeiter statt. 400 Erdölarbeiter unterzeichnen einen Brief an Genossen Stalin. Sie weisen darauf hin, daß es noch viele Mängel gibt und die Planerfüllung zum Ende des Jahres 1937 nicht zufriedenstellend war. Das Jahr 1938 begann mit einem schlechten Start. Da die Erdölindustrie Grundlage des Wirtschaftswachstums ist, verpflichten sich die Unterzeichner, alle Kräfte anzuspannen und den Plan zu erfüllen. Neben der Veröffentlichung der Anklageschrift berichtet die Pravda über die Morgensitzung: »Dnevnik utrennego zasedanija« (Tagebuch der Morgensitzung) und über die Abendsitzung: »Svora krovavych sobak« (Das Meute von Bluthunden). M. Kol'cov berichtet aus dem Gerichtssaal. Darauf folgen Beiträge über Kundgebungen von Arbeitern und Bauern, die die Bestrafung der entlarvten Banditen fordern (S. 7). Die Entschließung der Arbeiter des Betriebes »Serp i Molot« mündet in die Forderung: »Razdavit' gadinu!« (Das Geschmeiß zertreten!). Die Versammlung der Arbeiter der Abend- und Nachtschicht am 2. März im »Frunze«Werk verflucht die faschistischen Bastarde: »Prokljatie fasistkim vyrodkam!« Von der Versammlung in der Werkzeugmaschinenfabrik »Ordzonikidze« ist im Artikel »Cudovescnoe zlodejanie« (Teuflische Untaten) die Rede. Alle Resolutionen beginnen mit denselben Worten: Nachdem -wir die Meldungen über die Anklageschrift hörten - und enden mit Lobeshymnen auf Stalin und Ezov. Bauern aus Rostov und Arbeiter aus Dnepropetrovsk fordern am Abend des 2. März auf Kundgebungen die Erschießung der Angeklagten. Dieser Forderung schließen sich die Matrosen der Rotbannerflotte an. Im Wohnheim des Kugellagerwerkes hören die Arbeiter die Übertragung der Anklagerede im Radio. Die Übertragung dauert von 18.00 bis 1.50 Uhr. In Alekseevsk werden für die Zeit des Prozesses 3.200 Radiopunkte eingerichtet. Weitere Berichte treffen aus der Leningrader Fabrik Skorochod, aus Maschinen-Traktoren-Stationen in Orenburg und aus dem Institut für Klinische Physiologie der Akademie der Wissenschaften der Ukrainischen SSR ein. Davies trifft sich mit Litvinov (Όavies 1943, S. 202). Morgensitzung. Beginn um 11.00 Uhr Vernehmung von V. I. Ivanov. Sein Weg führte von der zaristischen Geheimpolizei Ochrana zu den »>linken< Kommunisten«. Er sagt aus, daß die Rechten schon immer, aber besonders seit 1932 für die baldmögliche Machtergreifung eintraten.

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Das Stenogramm vermerkt Unruhe im Gerichtssaal, als Bucharin, der sich selbst verteidigt, den Mitangeklagten Ivanov befragt (Proifeßbericht 1938, S. 137). Ivanov weicht einer Beantwortung der von Bucharin gestellten Fragen aus {S. 138f). Als Bucharin feststellt, Ivanov habe nicht auf seine Fragen geantwortet, wird die Verhandlung für kurze Zeit unterbrochen. Vysinskij geht nach der Pause in die Offensive und befragt Bucharin über dessen sowjetfeindliche Tätigkeit 1928. Er zitiert aus dem Verhör von Bucharin vom 25. Dezember 1937. Bucharin weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die ihm ausgehändigten Akten eine andere Paginierung als die, aus denen Vysinskij zitiert, haben. Daraufhin wird er vom Vorsitzenden verwarnt (S. 142). Bucharin weist die Auslegung der Formulierung »offene Kämpfe« als »gewaltsame Kämpfe« zurück. Da er 1932 nicht im Nordkaukasus war, konnte er sich nicht mit Ivanov - wie dieser behauptete - getroffen haben. Ivanov befolgt daraufhin einen Hinweis von Vysinskij und verlegt die Begegnung mit Bucharin in das Jahr 1928. Danach wird Subarev in den Zeugenstand gerufen. Subarev hatte in der Voruntersuchung Rykov durch die Aussage belastet, daß er 1932 das Ernährungswesen absichtlich falsch organisiert habe (S. 154). Rykov habe auch vom geplanten Anschlag auf Molotov im Dezember 1936 gewußt. Vor 1917 hatte Subarev - ebenso wie Ivanov — mit der Ochrana zusammengearbeitet. Das bestätigte der als Zeuge vorgeladene Vasil'ev, ein ehemaliger Polizeioberst, unter dem Subarev als Spitzel gearbeitet hatte (ICKKPSS 1991, 6, S. 78). Abendsitzung. Beginn um 18.00 Uhr Rakovskij belastet Krestinskij. Verhör von Krestinskij. Verhör von Rykov (S. 173) über seine Kontakte zu Jagoda. Wir haben das Rjutin-Programm zweimal im Landhaus von Tomskij unter meiner Leitung diskutiert. Bucharin war nur das erste Mal, als die Thesen ausgearbeitet wurden, dabei. An der zweiten Zusammenkunft nahm er nicht mehr teil (S. 178). Anwesend waren noch Uglanov und Smidt. Bucharin konnte nicht jedes Mitglied der Verschwörerorganisation kennen, bemerkt Rykov. Ivanov gehörte dazu. Außerdem haben wir Éjsmont, Slepkov und A. P. Smirnov in den Kaukasus geschickt, um die Unzufriedenheit der Kulaken bis zu jeder Art offener Aktion zu verschärfen {S. 181). Als Bucharin Rykov ins Wort fällt, um im Interesse der historischen Genauigkeit nachzufragen, wird er sofort von Vysinskij unterbrochen. Slepkov brauchte keine Instruktionen, da er ein hinreichend qualifizierter Mensch war. [...] Bucharin gibt zu, ab 1932 Hochverrat begangen zu haben (S. 184). Vysinskij bringt gegen Bucharin vor: Ich interessiere mich jetzt nicht für Ideologie, sondern für Kriminologie (S. 185). Rykov weigert sich, auf die Frage, seit wann er auf Terror setzte, zu antworten. Er will keine bestimmten Zeitpunkte angeben, will sich nicht festlegen. Berichte über den Prozeß in der Rundschau (Basel), Nr. 10. Aus dem Inhalt: »Zum Prozeß gegen die abscheuliche Verschwörergruppe des >Blocks der Rechten und Trotzkisten«< (übernommen aus der Pravda vom 24. Februar) (5. 301); »Genösse Marcel Cachin zum Prozeß gegen den >Block der Rechten und TrotzkistenHimmel< auf die sündige Erde herab2usteigen und die niederträchtigsten Missetaten, die abscheulichen Verbrechen einzugestehen. [...] Bestien im Käfig. Zum Glück des Volkes sind sie im Käfig, hinter Schloß und Riegel, von erprobten Posten scharf bewacht. Kommentare zum Bucharin-Prozeß im Völkischen Beobachter. »Die ganze Sowjetunion von Gerüchten überschwemmt. Eine Reihe von Volkskommissaren erkrankt«; »Geständniseifer wirft die ganze Regie über den Haufen«. Am Sonnabend, heißt es im Artikel, begann die Sitzung des Moskauer Schauprozesses mit der Vernehmung des ehemaligen Sowjetbotschafters in London und Paris, Rakovskij. Bereits am Freitagabend war Rakovskij einem kurzen Verhör unterzogen worden. Im Artikel »Geständnisse mit Hilfe des Notizbuches« wird die Vernehmung von Zelenskij kommentiert, der seine Aussagen aus einem Heftchen abliest. Im Artikel »Ausländer entlarven Moskaus Prozeßlügen« werden die Anklageschrift und die Geständnisse kommentiert. Im Bericht aus London werden drei Briten zitiert, die die Aussagen von Rakovskij als Lügen zurückweisen. Unter ihnen ist Lady Muriel Paget. Das trifft auch auf Rosmer zu, der Krestinskijs Aussagen zurückweist und bereits ein diesbezügliches Telegramm an Vysinskij geschickt hat. 7. März 1938, Montag Im Prlinken< Kommunisten« Bucharin an. Danach Pause bis zur Abendsitzung. Über Bucharins Verhalten während der Zeugenvernehmung (Kovalev 1995, S. 257-260). Abendsitzung. Beginn um 18.00 Uhr Fortsetzung der Vernehmung von Jakovleva. Bucharin fragt sie, ob ihr bekannt ist, daß auch Kujbysev, Men'zinskij und Jaroslavskij zu den »>linken< Kommunisten« gehörten. Vysinskij weist diese Frage als nicht zur Sache gehörig ab (i". 494). Der Vorsitzende belehrt Bucharin, wie er seine Fragen zu formulieren hat. Alle folgenden Fragen, die Bucharin Jakovleva stellt, werden von Vysinskij abgelehnt und als Obstruktion der Arbeit des Gerichts bezeichnet (S. 507). Darauf folgen die Vernehmungen der Zeugen Mancev, Kamkov und Karelin. Bucharin ist Karelin im Verlauf der Voruntersuchung gegenübergestellt worden. Nach einer Pause von 10 Minuten bekommen die Sachverständigen das Wort. Sie legen dem Gericht die Information über die Untersuchung der Ermordung von Gor'kij vor. Krupskaja schreibt an Stalin. Sie weist auf Erscheinungen des großrussischen Chauvinismus an einigen Schulen in nichtrussischen Gebieten hin (ICKKPSS 1989, 3, S. 179).

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Pjatnickaja im Tagebuch: Habe das Kind wegen einer schlechten Zensur ausgeschimpft, ich war wie von Sinnen. Im Zimmer sind Mäuse und Motten. Die Wohnung ist völlig heruntergewirtschaftet, überall liegt Unrat herum. Wir werden jetzt dafür verantwortlich gemacht. Der Hausmeister verlangt von uns, den Mülleimer auszuwaschen. Man behandelt uns wie den letzten Dreck ( G o l g o f a 1993, S. 56). Spitzelberichte über die Observierung von Landau (Gorelik 1995, S. 211). In der Führung sitzen lauter Verräter. Die herrschenden Bolschewiki haben die Moral minderwertiger Menschen. Der Völkische Beobachter kommentiert den Prozeßverlauf: Stalin, der Befreier, muß unsichtbar regieren, heißt es im Artikel »Ich bin so tief in Blut hineingewatet«. Im Leitartikel des lWiener Montagsblatt heißt es u. a.: In den Gehirnen vieler französischer, englischer, rotspanischer, belgischer oder anderer Politiker gelten nur Hider und Mussolini als >Diktatoren< und >UnterdrückerBefreierDiktatoren< und >Unterdrücker< bewegten sich mitten im Volk, frei und unbehindert, und wenn sie in die Öffentlichkeit treten, werden sie mit Begeisterung empfangen; der >Befreier< regiere ... unsichtbar hinter einer Mauer. Erschießung von 313 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Stalin empfangt in der Zeit von 16.20 bis 0.25 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Vorosilov, Kaganovic, Zdanov, Smirnov, Isakov, Andreev, Mikojan, Kalinin, Tevosjan, Isakov, Celikin, Nikitin {Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 9 f ) . 8. März 1938, Dienstag Der Leitartikel der Pravda ist aus Anlaß des Internationalen Frauentages den Patriotinnen der sozialistischen Heimat gewidmet. Die Zeitung veröffentlicht den Beschluß des ZK der KPdSU(B) zum Internationalen Frauentag. Die Berichterstattung über den Schauprozeß gegen den Block der Rechten und Trotzkisten beginnt in dieser Ausgabe erst auf Seite 4. Darunter sind Aufrufe, Erklärungen von Kollektiven und Volksgruppen. In Tbilissi haben Belegschaftsversammlungen mit ca. 3.000 Teilnehmern stattgefunden. An der Berichterstattung fallt auf, daß Stellungnahmen und Erklärungen von Einzelpersonen fehlen. Es ist immer nur von Arbeitskollektiven die Rede. In Perm' fand z. B. eine Versammlung von 400 Ärzten statt, die eine strenge Bestrafung der Angeklagten forderten. Das Mitglied des sogenannten Unionsbüros der Menschewiki ¿erevanin (Lipkin) wird in der Haft erneut angeklagt und erschossen (Politileskie 1993, S. 347). Hans Bloch (d. i. Arnold Klein), Redakteur der DZZ, wird verhaftet und am 5. Februar 1940 aus der UdSSR ausgewiesen. A. Kurella schreibt unter dem Eindruck des Schauprozesses an Dimitroff, daß Barbusse vergiftet worden sei {Vaksberg 1993, S. 12). Kerzencev informiert Molotov über den Herzanfall von Pletnev nach seiner Verhaftung. Davies über den Verhandlungstag im Bucharin-Prozeß (Όavies 1943, S. 206). Morgensitzung. Beginn um 11.00 Uhr Während des Verhörs von Jagoda kommt es zu einem Zwischenfall (Kovalev 1997, S. 240). Augenzeugen berichten, daß Jagoda, sich zum Gericht wendend, ausgerufen habe: Sie können natürlich Druck auf mich ausüben, aber gehen Sie

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nicht zu weit. Ich sage alles, was ich sagen will [...] Aber gehen Sie nicht zu weit [...] Vernehmung von L. Levin. Danach Pause bis zur Abendsitzung. Abendsitzung. Beginn um 18.00 Uhr Verhör von Bulanov, dem Privatsekretär von Jagoda. Bucharin wird während der Vernehmung mit Goebbels verglichen (5. 600), Jagoda mit Hider. Jagoda sei angeblich im Besitz von Rykovs Archiv. Auf die diesbezüglichen Fragen von Rykov gibt er nur ausweichende Antworten, worauf die Verhandlung für eine halbe Stunde unterbrochen wird. Danach bestreitet Jagoda, je im Besitz von Rykovs Archiv gewesen zu sein. Immer wieder wendet er sich an das Gericht mit der Bitte, nicht aussagen zu müssen bzw. in der Geschlossenen Sitzung Rede und Antwort zu stehen {Kovalev 1995, S. 166). Jagoda liest seine Aussagen vom Blatt ab {Kovalev 1997, S. 241). Diese Passage ist nicht in das veröffentlichte Prozeßstenogramm übernommen worden. Verhör von Krjuckov. Hinrichtung von Lipkin (Cerevanin). Pjatnickaja notiert im Tagebuch, daß ihr Sohn im Gespräch mit ihr den Vater verurteilt, weil der seine Karriere zerstört hat. Seit drei oder vier Tagen hat sie die Wohnung nicht verlassen. In der Sondernummer 11 der Rundschau (Basel) wird die Anklageschrift des Bucharin-Prozesses veröffentlicht. Trockij schreibt »Der Bucharin-Prozeß« ( T r v c h j 1994, S. 165). Der Völkische Beobachter kommentiert den Prozeßverlauf und die Vernehmungen von Bucharin: Einer der ehemals Prominentesten unter den 21 neuen Opfern der bolschewistischen Hinrichtungsjustiz bereitet der roten Prozeßregie, ähnlich wie Krestinskij, einige Schwierigkeiten. Es ist deshalb an der Zeit, zu fragen, wann auch er zu mmfassenden Geständnissem bereit sein wird. Im Artikel »Moskau wünscht keine Prozeßbeobachter. Keine Visen für Vertreter der 2. Internationale nach Sowjetrußland« heißt es, daß die sowjetische Botschaft die Erteilung von Visen verweigert, Vandervelde wollte als Prozeßbeobachter nach Moskau reisen. Die Begründung für die Ablehnung lautete: Das Ausland werde über den Verlauf des Prozesses durch die Presse genügend unterrichtet. Im Artikel »Auch Bucharin bestreitet! - Ein weiterer Regiefehler?« heißt es u. a.: In der Montagmorgensitzung des Moskauer Theater-Prozesses wurde zunächst der >Hauptangeklagte< Bucharin weiter vernommen, der zwar die >illegale Vorbereitung des Sturzes des Sowjetregimes< und >konspirative Tätigkeit* bereitwillig auf sein Schuldkonto nimmt, jedoch jegliche persönliche Verbindung zu ausländischen Nachrichtendiensten energisch bestreitet. Erschießung von 365 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. 9. März 1938, Mittwoch Leitartikel in der Pravda: »Die Jugend im Geiste des Bolschewismus erziehen«. Veröffentlichung des Beschlusses des Plenums des ZK des Komsomol »Ob osibkach, dopuscennych komsomol'skimi organizacijami pri isklujcenijach iz komsomola, o formal'no bjurokraticeskom otnosenii k apelljacijam iskljucenych iz

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VLKSM i o merach po ustraneniju étich nedostatkov« (Über die Fehler von Komsomolorganisationen beim Ausschluß von Komsomolzen, über formalbürokratisches Verhalten und die Eingaben von aus dem Komsomol Ausgeschlossenen und über Maßnahmen zur Überwindung dieser Mängel). Dieser Beschluß folgt in Anlage und Diktion dem Beschluß über die von den Parteiorganisationen zugelassenen Fehler bei der Überprüfung der Eingaben der aus der Partei ausgeschlossenen Mitglieder. M. Kol'cov schreibt im Pravda-Artikel »Iz zala suda: Krovavyj pes Jagoda« (Aus dem Gerichtssaal: Der Bluthund Jagoda) u. a.: Man wartet die ganze Zeit darauf, daß endlich Schluß ist. Es reicht, nach sechs Tagen denkt man, daß eine Steigerung kaum noch möglich ist. Aber mit jedem neuen Angeklagten zeigt der Faschismus seine widerliche Fratze auf neue, bisher unbekannte Weise. Jagoda ist eine besonders schreckliche Figur. Jagoda war kein Freund von theoretischen Erklärungen, er wollte Chef der faschistischen Regierung werden. Tuchacevskij war ebenfalls ein bonapartistischer Abenteurer. Jagoda wollte Ezov vernichten, als dieser tagelang sein Kabinett nicht verließ, um die Verschwörung aufzudekken. Jagodas treue Kettenhunde waren die angeklagten Ärzte. Morgensitzung. Beginn um 11.00 Uhr Vernehmung von Pletnev. Vernehmung von Maksimov-Dikovskij. Danach 1 Stunde Pause. Geschlossene Sitzung Bucharin wird nicht namentlich erwähnt (Pro^eßbericht 1938, S. 280). Verhör von Jagoda (Jagoda 1997, S. 242f.). Pjatnickaja notiert im Tagebuch: War in der Butyrka, dort wird nichts entgegengenommen. Dann am Kuzneckij most, dort wartete eine lange Schlange. Dann zu Gor'kijs Frau (Golgofa 1993, S. 59). Stalin empfängt in der Zeit von 20.40 bis 22.45 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Zdanov, Chruscev, Vysinskij, Seiich, Nikitin, Rovinskij, Dukel'skij (htoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 10). 10. März 1 9 3 8 , Donnerstag (kein Prozeßtag)

Im Leitartikel der Pravda »Die Kette teuflischer Verbrechen« heißt es: Die Verhöre sind abgeschlossen, in der Geschlossenen Sitzung haben Rakovskij, Grin'ko, Rozengol'c und Krestinskij über ihre Spionagekontakte zu ausländischen Geheimdiensten ausgesagt. Im Prozeß wurde überzeugend nachgewiesen, daß die Verbrechen nicht zufälliger Natur sind, sondern über 20 Jahre lang vorbereitet wurden. Die Pravda findet lobende Worte für Ezov, der es verstehe, den Feind, egal, wie er sich maskiert, zu erkennen und zur Verantwortung zu ziehen. In der Geschlossenen Sitzung, meldet die Pravda, hat Jagoda die Ermordung von Gor'kij gestanden. Im Bericht aus dem Gerichtssaal (»Iz zala suda: Otraviteli«) heißt es über die Giftmischer: Sie haben gute Manieren und einschmeichelnde Stimmen. Sie tragen Geständnisse wie Vorlesungen vor, treten auf wie kalte und zynische Mörder. Dr. Kazakov ist ein Scharlatan. Dabei haben sie bei uns unter Bedingungen gelebt und gearbeitet, die ausländische Ärzte vor Neid erblassen lassen. Sie haben die Seelen von Hasen und die Gefühle von Schlangen. Das

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Höchstmaß an Niedertracht erfordert die Höchststrafe. Der Artikel schließt mit dem Dank an die Adresse des NKVD. In einem Bericht aus Smolensk heißt es, daß die Schädlinge eine Webwerkhalle der Smolensker leinenverarbeitenden Fabrik zerstört haben und den Ausbau des Werkes sabotieren. Die Belegschaft fordert die Vernichtung der Saboteure. Die Rundschau (Basel), veröffentlicht in der Ausgabe Nr. 13 Eindrücke ausländischer Teilnehmer am Moskauer Prozeß. Unter ihnen sind Smeral (5. 397-400) und Arnot. Im Artikel »>Alte Garde< oder Schurkengalerie?« (S. 407f) heißt es: Die Angeklagten fürchteten, daß die Arbeiterklasse siegen würde - das trieb diese Leute an. Weitere Artikel: Hernandez, »Die internationale fünfte Kolonne. Freunde der Freiheit und des Friedens, schließt Eure Reihen um die Sowjetunion unter der Leitung des großen Genossen Stalin — Erklärung der Kommunistischen Partei Frankreichs«; »Macht die Niederlage der Verschwörer vollständig — Resolution des ZK der Kommunistischen Partei Großbritanniens«; »Solidaritätsorganisationen von sieben Ländern fordern strenge Bestrafung der Verbrecher«; »Die Stimme des französischen Volkes gegen die verbrecherische Verschwörung«; Gitton, »Auf falschem Weg«; Bishop, »Bürgerliche und reformistische Stimmen in Großbritannien zum Moskauer Prozeß«; »Die Wahrheit über den Moskauer Prozeß dringt durch. Sozialistische Presse gibt grundsätzlich die Schuld der Angeklagten zu«. Auf diese Beiträge folgen Kurzberichte über den Prozeßverlauf sowie weitere Erklärungen von Kommunistischer Parteien zum Prozeß: »Die Kommunistische Partei Großbritanniens zum Prozeß«; »Die Kommunistische Partei Italiens zum Moskauer Prozeß«. Verhaftung von Brand, er wird am 10. September 1938 erschossen. Verhör von Birkenhauer, er nennt 15 Namen von Mitgliedern der konterrevolutionären Gruppe. Darunter sind Dahlem, Kippenberger und Flieg. Jeden Morgen, wenn ich die Zeitung aufschlage — denke ich, was für ein Monster, dieser Jagoda! (Bulgakov 1991, S. 302.) Der Völkische Beobachter kommentiert den Prozeßverlauf: An der ärztlichen Praxis, die heute in den Krankenstuben des bolschewistischen Kremlpalastes zu Moskau ausgeübt wird, scheinen zwei Jahrhunderte medizinischen Fortschritts spurlos vorübergegangen zu sein [...] (Berliner Ausgabe, Nr. 69, S. 2). Im Artikel ist davon die Rede, daß vier Ärzte unter dem Druck von Jagoda ihre Patienten zu Tode kuriert haben. Einer von ihnen ist in der Untersuchungshaft gestorben, die anderen drei sind geständig. Bei ihnen handelt es sich um mürbe gemachte Werkzeuge, denn das eigentliche Wild, das erlegt werden soll, ist Jagoda. Zur Person von Pletnev heißt es, daß er einer der angesehensten Herzspezialisten der Welt ist. Pletnev ist zu den ihm angelasteten Verbrechen nicht fähig. Weitere Artikel: »Chamberlain brandmarkt die Moskauer Lügen«; »Auch Woroschilow schon in Ungnade?«; »Jagoda wird weiter belastet«. Erschießung von 198 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Stalin empfängt in der Zeit von 19.45 bis 21.10 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Berman, Stomonjakov (Jstoriüeskij archiv 1995, 5/6, S. 10).

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11. März 1938, Freitag

Im Leitartikel der Pravda. »Ruhm und Ehre der sowjetischen Spionageabwehr« wird daran erinnert, daß Ezov auf der Sitzung des Zentralen Exekutivkomitees am 27. Juli 1937 erklärte, daß im Unterschied zu den Volksmassen im Kapitalismus das Sowjetvolk die Sicherheitsorgane aufrichtig liebt. Stalin hob in seiner Rede auf dem Februar-März-Plenum des ZK hervor, daß die bürgerlichen Staaten Spione in die UdSSR einschleusen. Der Artikel schließt mit der Feststellung, daß das sowjetische Gericht die Stimme des Volkes erhören wird. Die folgenden Artikel greifen das Thema auf: »Das Sowjetvolk fordert einmütig die Erschießung der faschistischen Banditen, Mörder und Vaterlandsverräter«. Weitere Artikel enthalten Berichte aus Leningrad, aus Kolchozen im Moskauer Gebiet, aus Sormovo wo eine Kundgebung mit über 1.200 Teilnehmern stattfand, aus Gor'kij, Tula, Irkutsk, Erevan, Cel'jabinsk, Archangelsk und Kiev. Sogar in der Antarktis fanden Kundgebungen statt, auf denen die Todesstrafe gefordert wurde. Die Intendantin des Leningrader Marionettentheaters Saporina notiert im Tagebuch: Aber dies alles mitzuerleben ist unerträglich. Als ob man sich in der Nähe eines Schlachthauses bewegt und die Luft gesättigt ist von dem Geruch nach Blut und Kadavern (Schaporina 1998, S. 357). Morgensitzung Der Generalstaatsanwalt verliest die Anklageschrift. Vysinskij zitiert einleitend die Feststellung von Stalin, daß die Angeklagten schon lange aufgehört haben, eine politische Strömung zu sein (S. 677). Er bezeichnet alle Angeklagten als Verbrecher. Bucharin genierte sich nicht, sich in der Rolle eines Theoretikers zu zeigen. Die außerordentliche Bedeutung des gegenwärtigen Prozesses (S. 681) liegt darin, daß dieser Prozeß das Fazit des Kampfes gegen die Partei Lenins und Stalins zieht (S. 689). An erster Stelle der Anklageschrift steht Bucharin, die verfluchte Mischung aus Fuchs und Schwein (S. 697). Vysinskij kommt immer wieder auf Bucharin als Terrorist zu sprechen (S. 733). Jeder Angeklagte, hebt er hervor, trägt die Verantwortung für die Gesamtheit der Verbrechen. Pause bis 20.00 Uhr. Abendsitzung Reden der Verteidiger. Letzte Worte der Angeklagten. Apletin schreibt an Feuchtwanger, legt Zeitungsausschnitte über Moskau 1937 bei, berichtet über den Bucharin-Prozeß und erklärt, daß die Besten dem Urteil zustimmen werden. Pjatnickaja im Tagebuch: Wer zwingt uns, uns derartig zu erniedrigen? So viel Leid auf uns zu nehmen? Unsere Wohnung ist zum wiederholten Male kontrolliert worden, es wurde überprüft, ob wir nicht doch noch ein Radio besitzen. Was für widerwärtige Methoden, ob Ezov das weiß? (Golgofa 1993, S. 60.) Verhaftung von W. Haenisch, Mitarbeiter am Moskauer Marx-Engels-LeninInstitut (Stammberger 1995, S. 11). Die DZZ (14 (1938) 50, S. 4) veröffentlicht das Poem des kasachischen Volkssängers und Ordensträgers Dzambul »Der große Zorn des Sowjetvolkes« (nach der russischen Übertragung von Altajskij in der Pravda) in der Nachdichtung von F. Leschnitzer:

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Der große Zorn des Sowjetvolkes. Vernichtet sie! Mein glücklich Volk, hör meine Saiten klingen, Draus bebend nun des Zornes Töne dringen. Der Flamme gleich, loht ohne Unterlaß Mein Grimm, und dies Gedicht gebiert mein Haß, Im Eisen fingen sich die blut'gen Köter, Fuchsschlaue, wölfisch rohe Menschentöter, Die ihre Gifte sä'n mit kälterm Blut Als selbst der Nattern scheußlich graue Brut, Und deren Herz stets ohne Wärme war, Stets des Gewissens wie der Ehre bar. Verächtlich Aas, hinfälliges Geschmeiß, Faul wie Kadaver, feil um schnöden Preis! Die Schufte soll mit Hunden man vergleichen? Aufheulend wird ein Hund von dannen weichen [...] Die Heuchler soll mit Schlangen man vergleichen? Aufzischend wird die Schlange seitwärts schleichen [...] Mit nichts vergleichbar ist dies Blutgesindel, Des Mordfaschismus ekles Bastard-Mündel. Vollstreckt das Urteil schnell, das ihrer harrt, Das schwarze Pestpack sei wie Aas verscharrt! Den Reden flucht, die ihrem Maul entkamen! Entzieht den Schurken ihre Menschennamen! Vom Unheil ihres Mordwerks ungerührt, So haben sie des Krieges Brand geschürt; Verfolgten den, der teuer ist uns allen: Ausstreckten sie nach Stalin ihre Krallen, Sie fletschten ihre Zähne gegen ihn, Der allem Volke Glanz und Glück verliehn. Sie stürzten Kirow in die Gruft hinab, Sie stießen unsern Kujbyschew ins Grab, Erdrosselt haben sie die Nachtigall: Den großen Gorki brachten sie zu Fall. Hört, welchen Ruf Dshambul, der greise Dichter, Im Sinn des Volks nun richtet an die Richter: Vom Erdrund weggefegt sei dieser Kot! Der Hundeschar gebührt ein Hundetod! Empor, mein Lied, erflieg die höchste Wolke, Trag meinen Ruf zum ganzen Sowjetvolke! Mein Wort vernehme jeder Patriot: Wir bleiben Stalin treu bis in den Tod. Wir, voll der Kraft, die unsern Staat erschuf, sind kampfgewappnet auf den ersten Ruf. Lernt, Völker, lernt, geführt von Stalins Hand. Besiegt den Feind und liebt das Heimadand! Stärkt, Völker, jenes Feuers Riesenmacht,

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Das Woroschilows Reckenhand entfacht! Schützt, Völker, vor den Schlangen unsern Staat, Wie ihn verteidigt Stalins Kamerad, Lenins und Stalins treuer, großer Schüler, Der stahlhart-strenge Feind der schmutz'gen Wühler, Dess' Adlerblick spricht ihrem Treiben Hohn Er, Jeshow, ist der Liebling der Union. Stalin empfangt in der Zeit von 18.50 bis 22.45 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Kaganovic, Berija, Smirnov, Vysinskij, Ul'rich, Mikojan, Èjche, Bulganin, Sestakov, Popov (htonceskij archiv 1995, 5/6, S. 10). 12. März 1938, Sonnabend

Leitartikel der Pravda: »Tod den faschistischen Spionen!« Vysinskij forderte die Todesstrafe für 19 der 21 Angeklagten. In der Rede des Anklägers kommt der Wille des Sowjetvolkes zum Ausdruck. Es kann keine Milde geben. Im Bericht über den Prozeß wird darauf hingewiesen, daß insgesamt über 500 Menschen als Beobachter bzw. Gäste am Prozeß teilgenommen haben. Vysinskijs Rede dauerte 5 Stunden, es war eine vernichtende Analyse der Schandtaten der Angeklagten. Davies über den Verhandlungstag im Bucharin-Prozeß {Danes 1943, S. 208). Morgensitzung Letzte Worte der Angeklagten. Abendsitzung, Beginn 18.00 Uhr Letzte Worte der Angeklagten. Letztes Wort von Bucharin (5. 834; Murin 1996, 4, S. 78-92). Ich sitze schon mehr als ein Jahr im Gefängnis und weiß deswegen nicht, was in der Welt vorgeht, aber aus den zufälligen Bruchstücken der Wirklichkeit, die manchmal bis zu mir gelangen, sehe, fühle und verstehe ich, daß die Interessen, die wir so verbrecherisch verraten haben, in eine neue Phase ihrer gigantischen Entwicklung eintreten (S. 834). Als Bucharin im Letzten Wort, wie vor ihm Krestinskij, ausführlich auf jene Punkte der Anklage und die Personen eingeht, von denen er erst im Verlauf der Gerichtsverhandlung erfahren hatte, fällt ihm Sarangovic ins Wort: Hören Sie auf zu lügen! Die Rundschau (Basel) berichtet in der Sondernummer 14 über die Vernehmung der Angeklagten in der Abendsitzung vom 8. März. Verhaftung von Huppert. Vernadskij feiert seinen 75. Geburtstag. Brief von 17 Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in der l^yestija: »Keine Gnade den faschistischen Banditen!« Die DZZ kommentiert den Prozeßverlauf: »Für diese Bande faschistischer Schurken gibt es keine Gnade« (Erklärung der Akademiemitglieder Komarov, Krzizanovskij, Gubkin, Bricke, Fersman, Deborin, Borissjak, Frumkin, Bach, Adoratskij, Vinogradov, Selinskij, P. Lazarev, Richter, Savel'ev, Mitkevic und Archangel'skij).

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Die Erklärung »Keine Gnade den grauenhaften Verbrechern« unterschreiben im Namen der deutschen Sektion des Schriftstellerverbandes Becher, Barta und Erpenbeck. Huppert sitzt bis zum 29. April 1939 in Untersuchungshaft. 13. März 1938, Sonntag

Leitartikel in der Pravda·. »Das Urteil des Gerichts - das Urteil des Volkes. Heute morgen um 4.00 Uhr wurde das Urteil verkündet«. Eröffnung der Metro-Linie zwischen den Stationen Kurskij vokzal und Kievskij vokzal. Vernadskij notiert in seinem Tagebuch: Jeder Mord und jedes Todesurteil ist für mich unannehmbar {Vernadskij 1993, S. 232). Bucharin richtet ein Gnadengesuch an den Obersten Sowjet der UdSSR (Kun 1991, S. 104J). Gnadengesuch von Jagoda an den des Obersten Sowjet {Kovalev 1995, S. 171). Bucharins und Krestinskijs Gnadengesuche (Kovalev 1995, S. 262-266). An das Präsidium des Obersten Sowjets Gnadengesuch des zum Tode durch Erschießen verurteilten Ν. I. Bucharin Ich bitte das Präsidium des Obersten Sowjets um Begnadigung. Ich bin vor dem sozialistischen Vaterland schuldig und meine Verbrechen sind grenzenlos. Ich bin mir ihrer Tiefe und ihrer Schändlichkeit bewußt. Wenn ich mir erlaube, das höchste Regierungsorgan der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken um Gnade zu bitten, dann nur deshalb, weil ich mein Wissen und meine Fähigkeiten zum Nutzen der UdSSR beisteuern kann. Der einjährige Gefängnisaufenthalt war für mich in dieser Hinsicht eine derartige Schule, daß ich das Recht habe, gegenüber dem Präsidium von meiner völligen Umorientierung zu sprechen. Ich stehe auf den Knien vor der Heimat, der Partei, dem Volk und seiner Regierung und bitte das Präsidium um Begnadigung. Nikolaj Bucharin 13. März 1938 An das Präsidium des Obersten Sowjets Gnadengesuch des zur Höchststrafe verurteilen G. Jagoda Gnadengesuch Meine Schuld vor der Heimat ist gewaltig. Man kann sie nicht wiedergutmachen. Es fällt schwer, zu sterben. Vor dem Volk und der Partei flehe ich auf den Knien, mich zu begnadigen und mir das Leben zu schenken. G. Jagoda 13. 3. 1938 Das von Ν. N. Krestinskij an das Präsidium des Obersten Sowjets gerichtete Gnadengesuch Schloß mit den Worten: Außerdem bitte ich das Präsidium des Obersten Sowjets in Rechnung zu stellen, daß ich im Laufe von 20 Jahren (von 1901 bis 1921) ehrliche revolutionäre Arbeit betrieben und mich als Bolschewik an drei Revolutionen (1905, Februarund Oktoberrevolution) sowie am Bürgerkrieg beteiligt habe. Es ist mir unvorstellbar schwer, mit dem verdienten Brandmal eines Verräters und Volksfeindes

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ins Grab zu gehen. Wenn Sie mir jedoch das Leben schenken, bleibt mir die Hoffnung, mit der Zeit durch aufrichtige Arbeit diese meine Verbrechen wenigstens zum Teil zu sühnen. N. Krestinskij 13. 3.1938 Maggo, Hauptmann der Staatssicherheit, vollstreckt im Lefortovo-Gefangnis die Urteile. Verhaftung von Gohlke-Arden. Er wird angeklagt, Mitglied einer konterrevolutionären nationalsozialistischen Organisation in Deutschland und in der Sowjetunion zu sein. Nach seinem Geständnis wird er am 29. Juni 1938 erschossen. Verhaftung von Rose-Rosenke {Dehl 2000, S. 225-227). Telegramm von Rolland an Stalin mit der Bitte, Dr. Levin zu begnadigen. Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Die Hätz auf Vavilov beginnt (Sud 1999, S. 43). Pjatnickaja im Tagebuch: Heute um vier Uhr werden die Ungeheuer vernichtet. Mit ihrer Vernichtung wird mein Haß nicht geringer. Der Kampf steht bevor und der Sieg wird unser sein ( G o l g o f a 1993, S. 61). Das Urteil: alle Angeklagten zum Tod durch Erschießen verurteilt, außer Rakovskij, Bessonov und Pletnev {Bulgakov 1991, S. 302). Stalin empfängt in der Zeit von 17.55 bis 22.30 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Ezov, Kaganovic, Vorosilov, Zdanov, Kalinin, A. Gorkin (Istoriíeskij arthiv 1995, 5¡6, S. 10). 14. März 1938, Montag Leitartikel in der PraviL· »Das sowjetische Gericht hat den Willen des Volkes erfüllt«. Adoratskij, »Zizn' i dejatel'nost' K. Marksa« (Leben und Tätigkeit von K. Marx). Der Artikel ist dem 55. Todestag von Marx am 14. März gewidmet. Stalin hat die Ideen des genialen Führers und Theoretikers des Proletariats aufgenommen, bereichert und weiterentwickelt, heißt es im Artikel {S. 4). Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Erinnerungen an die Zeit nach Kirovs Ermordung. Auf dem Prozeß ist der Mordanschlag undifferenziert und nebulös zur Sprache gekommen. Es ist unklar, welche der drei Mächte — das ZK der KPdSU(B), die Regierung oder das NKVD mächtiger ist. Nach dem Prozeß muß ich besorgter als zuvor in die Zukunft sehen. Pecek wird während des Verhörs in der Kreisdienststelle Uchtomsk der Miliz des Moskauer Gebiets erschlagen. Eine darauffolgende Untersuchung ergibt, daß auf diesem Revier 40 bis 50 Gefangene während der Verhöre schwer mißhandelt worden sind {Kovalev 1995, S. 235; Nekrasov 1995, S. 195). DZZ-Artikel zum Prozeß gegen den Block der Rechten und Trotzkisten: Andersen-Nexö, »Der Prozeß«; Scharrer, »Ein Abgrund menschlicher Verworfenheit«. Die Verhöre von Saluznyj beginnen {Hillig 1997, S. 65). Erschießung von 354 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Cejtlin im Gefängnis von Vladimir. Er wird ohne Gerichtsverhandlung erschossen. Radzivilovskij hatte befohlen, alle politischen Gefangenen in Gefangnissen im Gebiet Ivanovo zu erschießen {Srejder 1995, S. 72). Stalin empfängt in der Zeit von 17.15 bis 18.15 Uhr in seinem Kabinett Molotov, Budennyj (Jstorileskij archiv 1995, 5/6, S. 10).

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15. März 1938, Dienstag

Hinrichtung von Trifonov, Mitarbeiter des Rates des Volkskommissare. Ihm werden Kontakte zu Zinov'ev und Kamenev vorgeworfen (Smirnov 2001, S. 341). Hinrichtung von V. I. Ivanov und Zelenskij. Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Brunovskij ist verhaftet. Verhaftung von Bronska (Plener 1997, S. 94). Vojtinskaja schreibt an Zdanov: Ich halte es für meine Pflicht, Sie über die Situation im Verband zu informieren. Viele parteilose Schriftsteller drängen zur Partei. Die diesbezügliche Anleitung der nationalen Schriftstellerverbände ist falsch (»Uteraturnyjfront«, S. 29—33). Postanovlenie CK VKP(b) »Ob osvescenii ν gazetach voprosov partijnoj zizni« (Über die Darstellung des Parteilebens in der Presse). Der Beschluß des ZK der KPdSU(B) legt fest, wie das Parteileben nach dem Januar-Plenum des ZK der KPdSU(B) 1938 in der Presse widerspiegelt werden soll (KPSS 1987, S. 272f.; Vartijnoe stroitel'stvo 1938, 7, S. 57). Kommentar zum Prozeß in der DZZ. »Das Urteil des Obersten Gerichtshofes ist das Urteil des ganzen Volkes«. Unmittelbar nach dem Moskauer Schauprozeß gegen den Block der Rechten und Trotzkisten, in dem Bucharin verurteilt wurde, fiel Rozenberg in Ungnade. Sein Buch über die Geschichte der politischen Ökonomie wird im Bol'ievik wegen antimarxistischer Fehler kritisiert: Zavodik, »Antimarksistskie osybki ν >Istorii politiceskoj ékonomii D. Rozenberga«< (Bol'ievik, Nr. 6, 15. 3. 1938, S. 88-96). Bucharins jüngerer Bruder, V. I. Bucharin, leitete von 1918 bis 1937 einen Textilbetrieb. Nach seiner Verhaftung 1938 begann für ihn ein 23 Jahre währenden Leidensweg durch die Besserungsarbeitslager. Seine Frau, Κ. K. Bucharina, trat ebenfalls den Weg in die Verbannung an. Während der 10 Jahre, die sie in Kazachstan verbrachte, lebten ihre zwei Kinder bei Verwandten oder in Kinderheimen. Bucharins Cousinen väterlicherseits E. E. Bucharina und V. E. Bucharina wurden ebenfalls verbannt. Stalin empfängt in der Zeit von 20.00 bis 1.00 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Ezov, Kaganovic, Bel'skij, Bakulin (Istoriceskij archiv 1995, 5¡6, S. 10). 16. März 1938, Mittwoch

Leitartikel in der Pravda: »Svora fasistskich psov unictozena« (Die Meute der faschistischen Hunde ist vernichtet). Im Artikel heißt es, daß die Waffenträger der Konterrevolution vernichtet sind. Ein anderer Artikel ist dem Empfang der Papanin-Helden am 15. März in Leningrad gewidmet. Sie haben Stalins Auftrag erfüllt. Dzambul verfaßt ein Gedicht auf die Polarhelden: »Batyram poljusa« (Die Polarrecken). Artikel zum Prozeß in der Rundschau (Basel), Sondernummer 15: »Schluß der Verhöre der Angeklagten«; »Urteilsverkündung«; »Das Urteil vollstreckt«. Der Chefredakteur der Literaturzeitschrift Notyj mir, Stavskij, wendet sich an Ezov. Aus Mandel'stam, schreibt er, wird ein Märtyrer gemacht (Nerier 1994, S. 12; Starnki 1998, 5. 215ß). Kommentar zum Prozeß in der DZZ: »Die faschistische Schlangenbrut ist zertreten«. Hans Beimler, der Sohn von Hans Beimler, wird als Mitglied der konterrevolutionären faschistischen Jugendorganisation »Hitlerjugend« in Moskau verhaftet.

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Knake schreibt an die deutsche Sektion der Komintern über seine Beziehungen zu dem verhafteten W. Haenisch. Gabriele Haenisch informiert Dengel über die Verhaftung ihres Mannes (Stammbetger 1999, S. 143-149). Erschießung von 320 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Massenerschießungen von 372 Personen durch die NKVD-Gebietsverwaltung im Fernen Osten Kniga 2001, S. 8). Stalin empfangt in der Zeit von 18.45 bis 22.05 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Vorosilov, Kulik, Savcenko, Ezov, Kaganovic, Litvinov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 10). 17. März 1938, Donnerstag

Das NKVD verhaftete vor, während bzw. nach dem Schauprozeß gegen den Block der Rechten und Trotzkisten, der vom 2. bis 12. März 1938 in Moskau stattfand, drei Teilnehmer am VII. Kongreß der Komintern. Dem Szenario des 3. Moskauer Schauprozesses folgend, wurden die ehemaligen Linksabweichler zu Rechten und Versöhnlern erklärt. Schulte, bis zum VII. Kongreß Mitglied des Präsidiums des EKKI, wurde am 21. Februar verhaftet und am 7. April 1938 zu 8 Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt, Werner am 17. März 1938, Schubert, Mitglied des Politbüros der KPD, am 22. August 1938. Damit verschwanden jene Führungsmitglieder der KPD, gegen die sich schon vor dem VII. Kongreß der Komintern die Kritik der Politkommission des EKKI richtete (Hedeler 2001a, S. 370-38J). Bol'sevik, Heft 6, im Druck. Redaktion: Steckij, Pospelov, Judin. Aus dem Inhalt: Im Leitartikel »Die rechts-trotzkistische Bande der Mörder, Spione und Vaterlandsverräter ist vernichtet« heißt es: Die Handlanger der faschistischen Geheimdienste haben ihren verdienten Tod gefunden, Bucharin wollte sogar noch während des Prozesses die Spuren verwischen, er hat zeidebens die Maske eines Spions getragen. Man muß wachsam sein und die Spione, Diversanten und Mörder gnadenlos vernichten. Vysinskijs Rede vom 11. März ist in der Ausgabe veröffentlicht. Kommentare zum Prozeß in der Rundschau (Basel), Nr. 16: Smeral, »Eine internationale konterrevolutionäre Verschwörung gegen den Frieden zerschmettert« (S. 484ß)\ Alpári, »Der Spion und faschistische Agent, der Verbrechertypus einer sterbenden Epoche« (S. 495f); »Wen verteidigen Citrine und Adler?« (S. 496f.); Smeral, »Eindrücke eines ausländischen Teilnehmers am Moskauer Prozeß« (S. 497f)\ Friedrich, »Die xliskrete Krankheit»Linken< Kommunisten« in der Pravda vom 20. Dezember 1923. Mitte April 1938, schreibt Razgon, saß ich in Zelle 26 des Butyrka-Gefangnisses. Die für 25 Gefangene ausgelegte Zelle war mit 67 Häftlingen belegt. Razgon erkannte Pjatnickij nicht wieder, er ähnelte einem Greis, trug Spuren von Schlägen im Gesicht. Der Untersuchungsführer schlug gerne mit dem Koppelschloß zu, berichtete Pjatnickij {Golgofa 1993, S. 130ß). Zu diesem Zeitpunkt sind 70 % der ca. 5.000 deutschen Politemigranten vom NKVD verhaftet (Bank 2003, S. 11). 1. April 1938, Freitag

Stalin empfängt in der Zeit von 17.00 bis 17.15 Uhr in seinem Kabinett: Vorosilov (Istorileskij archiv 1995, 5/6, S. 12). 2. April 1938, Sonnabend

Verhör von Selbiger, er wird der konterrevolutionären, trotzkistisch-terroristischen Tätigkeit in der UdSSR angeklagt.

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Vemadskij im »Tagebuch 1938«: Die ausländischen Zeitschriften vom Vorjahr sind endlich eingetroffen. Ich habe einen Brief an die Zensurbehörde Glavlit geschrieben. Die Gruppe um Georg Schmidt und Stafford wurde nach der Verhaftung von Zinov'ev aktiv. Dazu wird Selbiger am 10. September 1938 erneut verhört. Die Gegenüberstellung von Selbiger und Stafford findet am 15. Oktober 1938 statt. Ul'rich schreibt einen Bericht für Stalin, Molotov und Ezov, aus dem hervorgeht, daß die Militärstaatsanwaltschaft auf Weisung übergeordneter Organe handelt ('Voprosy istorü 1995, 4, i". 143). Verurteilung und Hinrichtung von Petermeier. N. M. Lukinas jüngerer Bruder, der Militärarzt M. M. Lukin hatte sie durch seine Aussagen am 2. und 23. April sowie am 15. Mai 1938 belastet. Der Bruder gestand nicht nur, die Wehrkraft der Armee untergraben zu haben, sondern auch, von seiner älteren Schwester Informationen über Bucharins Plan, Lenin zu ermorden, erhalten zu haben. M. M. Lukin beschuldigte außerdem seinen älteren Bruder, den Direktor des Instituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, N. M. Lukin, »Mitglied der Organisation der Rechten« zu sein. Auch M. M. Lukins Schwester, A. M. Lukina und ihr Ehemann A. A. Mere werden verhaftet. Nachdem M. M. Lukin am 14. August 1938 alle Aussagen widerrief, wurde er 22 Tage lang intensiv verhört. Wieder gestand er alles, was die Untersuchungsführer in der Lubjanka wissen wollten. In den Nächten zum 5. und 15. September wurde er verhört sowie seiner Schwester und seinem Bruder gegenübergestellt. Im Oktober 1939 hatte er sich soweit erholt, daß er es wagte, die Aussagen erneut zurückzunehmen. Stalin empfängt in der Zeit von 17.40 bis 22.10 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Zdanov, Ezov, Vorosilov, Kaganovic, Litvinov, Stomonjakov (Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 12). 3. April 1938, Sonntag Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj: Es war mir unangenehm, nach so kurzer Zeit wieder Hals über Kopf aufzubrechen, aber der Anblick dieses viehischen Lebens war so schrecklich, daß ich es nicht aushielt und regelrecht davonrannte cTagebuch 1996, S. 257f). Ich verfuge über keine Möglichkeit mehr, schreibt Rolland an Zweig, mir in der UdSSR Gehör zu verschaffen. Ich habe in den letzten sechs Monaten, wegen inhaftierter Freunde, zwanzig Briefe geschrieben; ich habe nie ein Wort der Erwiderung erhalten. Ich vermag also nichts in der Richtung, die Sie andeuten. [...] Die allzu gerechtfertigte Atmosphäre des Mißtrauens ist noch viel zu dicht, als daß man Ausländer in Massen dort empfangt [...] {Rolland 1987, S. 675). Verhör von Krylenko (Smirnov 2001, S. 36). Verhör von Lisicyn. Er gesteht, Mitglied der antisowjetischen rechts-trotzkistischen Organisation zu sein. Am 1. September wird er verurteilt und erschossen (Smirnov 2001, S. 196-202). Stalin empfängt in der Zeit von 16.20 bis 19.10 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Zdanov, Pospelov, Steckij, Leont'ev, Rubinstejn, Vorosilov (Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 12).

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4. April 1938, Montag Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Verhaftung von Avinova. Der Terror und die Verhaftungen hören nicht auf. Erste Vernehmung von Bronska. Sie wird der Spionage zugunsten einer ausländischen Macht und Mitgliedschaft in einer deutschen konterrevolutionären Spionagegruppe angeklagt (Plener 1997, S. 9). Am 5. April 1938 unterschreibt sie ihre Aussagen. Stalin empfängt in der Zeit von 16.55 bis 23.15 Uhr in seinem Kabinett: Scerbakov, Popov, Kaganovic, Molotov, Zdanov, Ezov, Mikojan, Bel'skij, Bakulin {Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 12). 5. April 1938, Dienstag Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj: Selbst im Kino in Gor'kij habe ich keine anständig angezogenen Leute gesehen. Das ist verständlich, denn wenn es schon in Moskau schwierig ist, anständige Kleidung zu bekommen, [...] was kann man da von der Provinz erwarten? (Tagebuch 1996, S. 258ß) Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Unterdrückung durch Stalin. Lenin verkörperte das Ideal, die Außenpolitik von Litvinov-Stalin isoliert das Land. Stalin watet in Blut. Bucharin ist kein Verräter. Ezov richtet das Land durch den Terror zugrunde. Endassung des Volkskommissars für Verkehrswesen Bakulin (Bijuchanov 1998, S. 117). Rapport von Solov'ev, Mitarbeiter des NKVD in Kuncevo, für Senenkov über seine Tätigkeit im NKVD seit 1936. Ludwig Rut, am 30. Januar 1938 als Spion verhaftet und am 20. Februar 1938 von der Dvojka zum Tode verurteilt, wird in Butovo bei Moskau erschossen. Erschießung von 275 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Stalin empfängt in der Zeit von 18.00 bis 19.15 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Zdanov, Ezov, Kaganovic {Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 12). 7. April 1938, Donnerstag Die 'Rundschau (Basel), Nr. 20, veröffentlicht den Artikel von Smeral, »Warum und wie muß der Prozeß studiert werden?« Im Artikel heißt es, daß es drei Wochen nach dem Ende des Prozesses zweckmäßig und notwendig ist, auf den Prozeß zurückzukommen (S. 637). Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Ringsum Terror, die Menschen hören aber nicht auf zu arbeiten. In Erevan sind alle bedeutenden Professoren verhaftet. Zavarsin sitzt seit mehreren Monaten. Die Stellen der Verhafteten nehmen Karrieristen ein. Das NKVD spioniert die Jugend aus. Der Leitartikel der l^yestija vom 6. April 1938 »Spiegel des Wohlstandes im Land« ist so leicht zu widerlegen. Klein wird erschossen (Deh/1996, S. 3-5). Reichelt, als Spion in der UdSSR am 4. Februar 1938 verhaftet und am 23. März 1938 von der Dvojka zum Tode verurteilt, wird in Butovo bei Moskau erschossen. Sameit, als faschistischer Agitator in der UdSSR am 20. Februar 1938 verhaftet und am 23. März 1938 von der Dvojka zum Tode verurteilt, wird in Butovo bei Moskau erschossen.

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Erschießung von 253 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Stalin empfangt in der Zeit von 18.25 bis 22.25 Uhr in seinem Kabinett: Malenkov, Molotov, Zdanov, Frinovskij, Rybkin, Vorosilov, Mikojan (Istoriceshj archiv 1995, 5/6, S. 12ß). 8. April 1938, Freitag

Dem Politbüro des ZK der KPdSU (B) liegt der Vorschlag vor, Ezov als Volkskommissar für Innere Angelegenheiten abzusetzen. Ezov wird Stellvertreter des Volkskommissars für Binnenschiffahrt. Beratung über die Lage im Schriftstellerverband im ZK der KPdSU(B). Stalin empfangt in der Zeit von 17.50 bis 21.45 Uhr in seinem Kabinett: Vorosilov, Mechlis, Malenkov, Molotov, Frinovskij, Terent'ev, Kaganovic, Mikojan (Istorikskij archiv 1995, 5/6, S. 13). 9. April 1938, Sonnabend

Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj: Es gibt fast nichts, was in meinem Leben normal wäre ( Tagebuch 1996, S. 259-261). Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Deborin ist krank. Wir sind von Feinden umgeben, sagte mir Moskvin. Pjatnickaja im Tagebuch: Ich bin völlig am Boden. War am 27. März beim Staatsanwalt, der mir mitteilte, daß er Erkundigungen eingeholt hat. Auch unsere Nachbarn sind jetzt verhaftet und ihre Angehörigen müssen die Wohnung räumen. Erkundigungen beim NKVD über die Kinderfürsorge. Die Sachen für den Mann wurden ihr wieder nicht abgenommen. Am 1. April war ich in der psychiatrischen Klinik, habe Galja besucht, am 2. April war ich bei Vera Knorina. Bis zum 7. April müssen die Knorins ihre Wohnung räumen. Staatsanwalt Rozovskij verlegte den Termin vom 7. auf den 9. April. Igor' geht es gut, dem Mann auch. Meine Nerven sind wie Putzlappen. Danach habe ich für Igor', der auf der Krankenstation liegt, Geld überwiesen (Golgofa 1993, S. 80). Die l^vestija meldet Ezovs Absetzung als Volkskommissar für Innere Angelegenheiten und seine Versetzung in das Volkskommissariat für Binnenschiffahrt (Nekrasov 1995, S. 205). 10. April 1938, Sonntag

Postanovlenie Ekonomsoveta pri SNK SSSR »O vydace GULagu NKVD blankovoj ssudy« (Beschluß des Wirtschaftsrates beim Rat der Volkskommissare der UdSSR »Über ein Darlehen für die Hauptverwaltung Lager des NKVD«) (ßkonomika 1998, S. 87). Pjatnickij wird vom 10. bis 14. April täglich verhört. Pjatnickij wird in der Haft während der 72 Verhöre (220 Stunden) bis zum 27. Juni 1938 brutal gefoltert. Am 14. April 1938 legt er das erste Geständnis ab (Pjatnickij 1998,109). Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Aus Moskau werden Bürger ausgesiedelt, sie hausen den ganzen Winter über in Butovo. Urteilsspruch in der Strafsache der Gruppe von Kulaken und Sozialrevolutionären. Die vier Verurteilten werden am 4. Juni 1938 erschossen (Voija 1994, 2/3, S. 2 5 f f ) .

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Stalin empfangt in der Zeit von 16.45 bis 17.00 Uhr in seinem Kabinett: Vorosilov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6,S. 13). 11. April 1938, Montag Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Die Gerüchte über die Verhaftung von Bulganin und Chruscev haben sich als unwahr herausgestellt. Ezov und Kaganovic haben je zwei Ministerien unter sich, es gibt wohl nicht genug Leute? Massenhaft werden einfache Bürger verhaftet. Der Schweizer Isaak Pruss, als Spion am 19. November 1938 verhaftet und am 23. März 1938 von der Dvojka zum Tode verurteilt, wird in Butovo bei Moskau erschossen. Erschießung von 210 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Egorov, Oberleutnant der Staatssicherheit im Gebiet Novosibirsk, wird verhaftet. Im Dezember 1938 schreibt er aus der Haft an Stalin und schildert den Verlauf der nationalen Operationen des NKVD im Gebiet und die Handlungen seines Vorgesetzten Mal'cev zur Erfüllung und Übererfüllung der vorgegebenen Limits {Bol' 1992, S. 64-66). 12. April 1938, Dienstag Pjatnickaja im Tagebuch: Mit mir geht es nur bergab. Gestern brachte man mir die Mietrechnung über 1.118,54 Rubel. Ich habe das Geld nicht. Nachts hatte ich einen schrecklichen Traum. An diesem Tag, begannen die Verhöre von Pjatnickij. Vom 10. April 1937 bis zum 27. Juli 1938 fanden 72 Verhöre durch den Untersuchungsführer Lanfang statt, die insgesamt 220 Stunden dauerten. Pjatnickij wurde im Verlauf der Verhöre gefoltert {Golgofa 1993, S. 81ß). journal de Moscou, Nr. 19. Die Feststellung, daß jeder im Ausland lebende Japaner ein Spion, jeder im Ausland lebende Deutsche ein Agent der Gestapo ist, ist keine Übertreibung (Del' 1997, S. 104). 13. April 1938, Mittwoch Die Intendantin des Leningrader Marionettentheaters àaporina notiert im Tagebuch: Von keinem der Verhafteten auch nur ein Ton. Sie verschwinden wie in der Lethe (Schaporina 1998, S. 359). Haussuchung bei Rjazanov nach dessen Verurteilung am 21. Januar 1938. Pavlenko verfaßt ein Gutachten über das Werk von Osip Mandel'stam für die 4. Abteilung der Hauptverwaltung Staatssicherheit (Nerier 1994, S. 15). Dem Gutachten liegen Schreiben von Stavskij und von der Leitung des sowjetischen Schriftstellerverbandes bei. Vom 27. bis 29. April 1938 wird darüber intern verhandelt und dann entschieden, Mandel'stam zu verhaften und zu isolieren. Am 30. April 1938 wird der Haftbefehl ausgestellt. Stalin empfängt in der Zeit von 17.10 bis 20.05 Uhr in seinem Kabinett: Malenkov, Molotov, Ezov, Vorosilov, Kaganovic, Litvinov, Merekalov, Andreev, Zubov (Istoriieskijarchiv 1995, 5/6, S. 13).

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14. April 1938, Donnerstag In der 'Rundschau (Basel), Nr. 21, erscheint von Alpári »Der stenographische Bericht des Prozesses gegen den antisowjetischen Block der Rechten und Trotzkisten« (S. 667—669) (Fortsetzung in den Ausgaben Nr. 22, 23 und 25). Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj: Ich weiß nicht, was morgen mit mir passieren kann (Tagebuch 1996, S. 261). Pjatnickijs Frau im Tagebuch: Habe lange beim Staatsanwalt gesessen, bin dann auf den nächsten Tag vertröstet worden, habe aber wieder umsonst gewartet. Unterwegs habe ich Gopner getroffen, die mir sagte, man werfe Pjatnickij Tätigkeit für die Ochrana vor. Wie hat er sich nur so verstellen können, dieser Schurke? Er hatte keine Freunde und war mir gegenüber nie aufrichtig. Was soll ich jetzt nur von ihm denken? ( G o l g o f a 1993, S. 84.) Pjatnickijs erstes Geständnis wird fabriziert (Pjatnickij 1998, S. 113-119). Das nächste Verhör findet am 2. Juli 1938 statt. Verhaftung von E. Kraft, dem Leiter der Grenz- und inneren Wache des NKVD. Erschießung von 66 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Stalin empfängt in der Zeit von 18.15 bis 19.25 Uhr in seinem Kabinett: Malenkov, Molotov, Andreev, Ezov {Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 13). 15. April 1938, Freitag Das Verfahren gegen das Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre Rakitnikov wird am Verbannungsort erneut aufgenommen und endet mit der Verurteilung zum Tode {Politiceskie 1993, S. 272). Direktive des Volkskommissariats für Justiz der UdSSR »Über die Qualifizierung konterrevolutionärer terroristischer Äußerungen« (Sbomik 1993, S. 36). Èrenburg schreibt an Seiich, Chefredakteur der l^vestija. Ich habe gelernt, im Westen zu arbeiten, ich würde gerne nach Paris gehen, um dort zu arbeiten (.htocnik 1997, 2, S. 116). Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj: Unverdientes Lob und Zuschreibungen von Wohltaten, Vergötterungen - wie man sieht, ist das alles auch in unserer Zeit möglich, nur in einer weniger direkten Form (Tagebuch 1996, i". 261ß). Arendsee schreibt nach der Verhaftung ihres Mannes an Dimitroff (Müller 2003, S. 40). Beloborodovs Frau, Frani Viktorovna, wird zum Tode verurteilt und erschossen (.Nekrasov 1995, S. 122). Stalin empfängt in der Zeit von 18.15 bis 20.05 Uhr in seinem Kabinett: Malenkov, Molotov, Andreev, Ezov, Zdanov (Jstoriceskijarchiv 1995, 5/6, S. 13). 16. April 1938, Sonnabend Bol'sevik, Heft 8, geht in Druck. Redaktion: Steckij, Pospelov, Judin. Aus dem Inhalt: Leitartikel »Ein neuer Aufschwung der parteipolitischen Arbeit«. Die Rechenschaftslegung der Parteigruppen im Vorfeld der Parteiwahlen beginnt. Stalin empfängt in der Zeit von 17.15 bis 21.40 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Zdanov, Bagirov, I. A. Nazarov, Kaganovic (.Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 13.)

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17. April 1938, Sonntag

Verurteilung von Mitgliedern der terroristischen Untergrundorganisation der Konstitutionellen Demokraten. Kodjarevskij wird aufgrund der Aussagen von Ustrjalov verurteilt. Am gleichen Tage wird der Jurist Archipov verhaftet, der seinerseits Il'in belastet (Prosim 1998, S. 186f). Beschluß des EKKI-Sekretariats über die Arbeit der Redaktions- und Verlagsabteilung des EKKI. Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj: Wann werden die Russen endlich beginnen, ein menschliches Leben zu fuhren? (Tagebuch 1996, S. 262—264.) Vernadskij im Tagebuch: Das Land kann nicht unter einem derartigen Druck leben (»Soversenno sekretno« 1990, 8, S. 10-13). Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Die Geschichtswissenschaft und die Rechtswissenschaft liegen am Boden. Es ist verboten, Eingaben an das NKVD zu richten. Die Briefkästen dafür sind entfernt worden. Die Post nimmt keine eingeschriebenen Briefe an das NKVD mehr entgegen. Die Parteimitglieder verfassen Wandzeitungen mit kritischen Artikeln über die Arbeit am Akademieinstitut. 18. April 1938, Montag

Spitzelberichte über Landau, Korec und Rumer und deren Beteiligung an der Herstellung antisowjetischer Flugblätter (Gorelik 1995, S. 211). Die Intendantin des Leningrader Marionettentheaters Saporina notiert im Tagebuch: In Leningrad sind nur die St.-Nikolaus-Kathedrale und die Kathedrale des Fürsten Vladimir nicht geschlossen (Schaporina 1998, S. 360). Stalin empfängt in der Zeit von 1.30 bis 3.50 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Vorosilov, Zdanov, Mikojan (Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 19. April 1938, Dienstag

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Gefangene und Zwangsarbeiter werden bei Arbeiten an Projekten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR eingesetzt. Stalin empfängt in der Zeit von 17.05 bis 19.45 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Kaganovic, Molotov, Zdanov, Malenkov, Ogurcov (Jstoriceskij anhiv 1995, 5¡6, S. 14). 2 0 . April 1938, Mittwoch

Pieck an Dimitroff: Ich übermittle Dir eine mir von der Kaderabteilung übermittelte Liste von Personen, die vom NKVD verhaftet wurden, über die aber bei der Kaderabteilung kein belastendes Material vorliegt. Pieck bittet um die Beschleunigung der Untersuchung und Freilassung (Dehl 2000, S. 232-238; B%G 1989, 4, S. 492; Müller 2003, S. 42). B. Pil'njak über seine Gefängnishaft: Ich bin ein anderer Mensch geworden (Sentalinskij 1995, S. 205). Einrichtung eines Sonderkonstruktionsbüros des NKVD im Leningrader Gebiet (Kruk 2001, S. 48). 2 1 . April 1938, Donnerstag

Entlassung von Koenen (Stafford) aus der NKVD-Haft (Βφ 1989, 4, S. 492). Hinrichtung von Pil'njak. Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Vor kurzem ist Kodjarevskij verhaftet worden. 1920 war er in die Strafsache des sogenannten Taktischen Zentrums verwickelt.

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In der Wandzeitung des »Lomonosov-Instituts« wurde kritisch angemerkt, daß niemand im Institut für Biogeochemie gegen meine antimarxistische philosophische Weltanschauung aufgetreten ist. Stalin empfängt in der Zeit von 16.15 bis 22.10 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Kaganovic, Molotov, Vorosilov, Zdanov, Judin, Malenkov, Aleksandrovskij, Mikojan, Ogurcov, Litvinov, Cubar' {Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 22. April 1938, Freitag

Die Überprüfung der Arbeit der Kreisdienststelle Tobol'sk des NKVD ergab, daß die Vollstreckung der Todesurteile anders organisiert werden muß. Die Leichen wurden auf dem Hof der Dienststelle, der von der benachbarten Fabrik einsehbar war, verscharrt. Zur Exekution der Verurteilten wurden außer Mitarbeitern des NKVD auch Funktionäre des Parteikomitees herangezogen (Kniga 2002, S. 283f). Stalin empfangt in der Zeit von 22.05 bis 2.10 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Kulik, Savcenko, Fed'ko (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 23. April 1938, Sonnabend

Stavskij schreibt an N. N. Nikitin über den Moskauer Klub der Sowjetschriftsteller (»Scast'e literatury« 1997, S. 280-283). Stalin empfangt in der Zeit von 15.15 bis 16.05 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Kulik, Savcenko (Jstorikskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 24. April 1938, Sonntag, Ostern

Vernadskij schreibt an Molotov und setzt sich für den Geologen Lickov ein. Pospelov schickt das Korrekturexemplar der »Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Kurzer Lehrgang« mit den Korrekturen der Redaktionsmitglieder an Zdanov. Beigelegt ist eine Mitteilung über die Zusätze und Änderungen im Vergleich zur dritten Fassung. Eingefügt wurde eine Bewertung von Plechanov als einem der Begründer der russischen sozialdemokratischen Partei sowie ein Absatz über die Kritik und Selbstkritik als Hauptmethode der Erziehung der Kader. 25. April 1938, Montag

Sitzung des Politbüros des ZK der KPdSU(B) (Poätbjuro 2001, S. 962-969; Stalinskoe Polithjuro 1995, S. 250). Feuchtwanger erhält von Apletin den Bericht über den Prozeß gegen den Block der Rechten und Trotzkisten. Dorothea Friedländer wird erschossen. Verurteilung und Hinrichtung von Peters (Smirnov 2001, S. 138). V. G. Moroz, 16 Jahre alt, wird verhaftet und am 25. Oktober 1938 zu 3 Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt, weil er seinem Bruder ins Lager geschrieben hatte. Er stirbt am 28. April 1939 (Memorial-Aspekt 1994, 5. 11). Sein Vater, G. S. Moroz, Vorsitzender der Gewerkschaft für staatlichen Handel, wird am 2. November 1937 verhaftet und erschossen. Seine Mutter, Krejndel, ist zu Besserungsarbeitslager verurteilt. Andreev schlägt Stalin vor, Tschekisten als Parteisekretäre in Omsk und Sverdlovsk einzusetzen (Sovetskoe rukovodstvo 1999, S. 393).

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Pospelov übermittelt Stalins Weisungen für Zusätze und Änderungen am »Kurzen Lehrgang«. Sie betreffen vor allem die NÖP und den Kampf der KPdSU(B) gegen die trotzkistische Opposition in den Jahren 1923/24. Das Plenum des ZK der KPdSU(B) vom Januar 1925 wird aufgewertet, die Wertung, daß der Trotzkismus als ideologische Strömung beerdigt ist, aufgenommen. Stalin empfängt in der Zeit von 17.40 bis 18.00 Uhr in seinem Kabinett: Molotov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 27. April 1938, Mittwoch

Verhaftung von Torskaja, einer Richterin am Obersten Gericht der RSFSR {Smirnov 2001, S. 301). Verhaftung von Landau. Erste Aussagen im Juli. Am 3. September unterschreibt er das Protokoll, am 21. November 1938 werden die Ermitdungen abgeschlossen. Am 24. Januar 1939 werden die Akten an die Staatsanwaltschaft übergeben, am 25. März 1939 tagt das Tribunal (ICKKPSS 1991, 3, S. 134-157). Abschluß der Untersuchung im Fall der chinesischen Organisation in Narym. 15 Mitglieder der Organisation werden zum Tode durch Erschießen verurteilt {Bol' 1992, S. 206f). Erschießung von 78 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Stalin empfängt in der Zeit von 18.10 bis 18.20 Uhr in seinem Kabinett: Judin {Istoriteskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 27. April bis 2. Juni 1938

Beschlüsse des Politbüros des ZK der KPdSU(B) (Politbjuro 2001, S. 969-979). 28. April 1938, Donnerstag

Pis'mo nacal'nika GULaga NKVD Plinera Upravljajuscemu delami SNK SSSR Bol'sakovu s uvedomleniem o mestach rasporjazenija mebel'nych predprijatij GULaga (Brief des Leiters des GULag NKVD Pliner an den Verwaltungsleiter des Rates der Volkskommissare der UdSSR Bol'sakov mit einer Aufstellung der Möbelfabriken des GULag) (Ékonomika 1998, S. 90). Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Cagin hat den Verlag durcheinandergebracht. Molotov ist mit dem Tätigkeitsbericht der Akademie der Wissenschaften zufrieden. Vozlakova schreibt aus der Haft an Vysinskij. Sie wurde als Ehefrau des Volksfeindes Aronstam verhaftet (Dorogoj 2001, S. 20f). Kapica informiert Stalin über die Verhaftung von Landau {Istorija 1994, S. 168; ICKKPSS 1991, 3, S. 136). Verhaftung von Zakovskij, dem Stellvertreter von Ezov. Stalin empfangt in der Zeit von 17.45 bis 18.10 Uhr in seinem Kabinett: Molotov (Istorileskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 29. April 1938, Freitag

Die Vollversammlung der Akademie der Wissenschaften beschließt über den Umgang mit einer Gruppe von Volksfeinden, der Gamov und B. Gessen angehören (Anlin/Alpatov 1994, S. 159; Gorelik 1995, S. 50).

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APRIL 1938

Information von Jäkel an das ZK der KPD und die deutsche Vertretung beim EKKI über die Lage der deutschen Emigranten (Dehl 2000, S. 143-149; Müller 2003, S. 41). Stalin empfangt in der Zeit von 18.40 bis 22.50 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Kaganovic, Molotov, Vorosilov, Skirjatov, Litvinov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 30. April 1938, Sonnabend

W. Hirsch schreibt an Stalin, daß das EKKI nicht schnell genug auf seine Aussagen gegen Kippenberger reagiert habe, denn sonst hätten die Verhaftungen eher stattgefunden. Verhaftung von Rudol'f, dem Leiter der Artillerie der Roten Armee, er wird am 20. Februar 1939 erschossen. Die Zahl der ausländischen diplomatischen Vertretungen geht unter dem Druck des NKVD rapide zurück. Mitte November 1937 sind von sieben Konsulaten Deutschlands nur noch zwei übrig, in Kiev und in Novosibirsk. Im Mai 1938 werden auch diese geschlossen.

Mai 1938 Weißberg-Cybulski: Jetzt verhaftete man schon typische Stalinisten. Der Strom der im Gefolge des Bucharin-Prozesses Verhafteten ebbte ab. Im Mai gingen die meisten auf Etappe ( Weißberg-Cybulski 1993, S. 263). Pjatnickij beginnt nach 10 Monaten Haft Aussagen zu machen. 1. Mai 1938, Sonntag

Das Moskauer Komitee der Antifaschistischen Arbeiterpartei gibt das Flugblatt: »Der Stalinsche Faschismus« heraus. Es ist in der Strafakte von Kapica und Landau abgelegt. Bo/'fevik, Heft 9, enthält den Artikel von Ulbricht »Bor'ba protiv voennoj politiki Gidera ν Germanii« (Der Kampf gegen die Kriegspolitik Hitlers in Deutschland) (X 65-76). Absetzung des Ersten Sekretärs des ZK der KP(B) Kazachstans L. I. Mirzojan. Sein Nachfolger, Ν. A. Skvorcov, ist bereits in Alma-Ata (Srejder 1995, S. 109-169). 2. Mai 1938, Montag

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Die Zeitungen vom 1. Mai sind eigentlich Zeitungen vom 30. April. Völlig geisdos und nichtssagend. Die Bürokratie ist unter Niveau. Gestalten wie in den Romanen von Scedrin oder Gogol'. O. Mandel'stam wird in die Lubjanka eingeliefert. Leserbriefe an die Krest'janskaja gaceta über Schädlingstätigkeit in den MTS. Diese Briefe künden von ständigen Konflikten zwischen Kolchozbauern und MTSMitarbeitern (Oblcestvo 1998, S. 250). Verhaftung von Kosior, er war von Juli 1928 bis Januar 1938 Erster Sekretär der Kommunistischen Partei (Bolschewiki) der Ukraine. In der Nacht zum 26. Februar 1939 wird er erschossen. Stalin empfängt in der Zeit von 17.30 bis 18.10 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 3. Mai 1938, Dienstag

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Ich beginne damit, mich in den Dialektischen Materialismus einzuarbeiten. Anhand eines Buches von 1934, dessen Autoren alle hingerichtet sind. Es ist ein zielloser und schmerzender Terror. Jetzt finden vor allem Verhaftungen unter Mikrobiologen statt. Man muß stoisch arbeiten. Kapica unterschreibt die Weisung über den Ausschluß von Landau aus der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (Istorija 1994, S. 168). Die Lehrerin Spitz, sie hatte Jagodas Kindern Privatunterricht erteilt, und ihr Mann werden als Spione verhaftet (Schafranek 2003, S. 81). Stalin empfangt in der Zeit von 16.20 bis 20.30 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Malenkov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 4. Mai 1938, Freitag

Stalin empfängt in der Zeit von 19.45 bis 23.30 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Vorosilov, Fed'ko, Malenkov {Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 15).

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MAI 1938

5. Mai 1938, Donnerstag

Bedingungen im Gefängnis von Sverdlovsk (Jakir 1972, S. 86). Stalin empfangt in der Zeit von 23.10 bis 3.15 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Dimitroff, Gottwald (1storileskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 6. Mai 1938, Freitag

Verhaftung der ältesten Schwester von Jagoda, Znamenskaja-Jagoda. Sie wird am 16. Juni 1938 erschossen. Insgesamt werden 15 Angehörige von Jagoda und seiner Frau verhaftet und zum Tode bzw. zu Zwangsarbeit in Besserungsarbeitslagern verurteilt (.Nekrasov 1995, S. 185). Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Komarov äußert sich nicht zur Verhaftung bzw. zu den Ausschlüssen von Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. 7. Mai 1938, Sonnabend

Verhör von Lutz (Deb/2000, S. 225-227). 9. Mai 1938, Montag

Anweisung, Mandel'stam aus dem Inneren Gefängnis der Lubjanka in das ButyrkaGefängnis zu verlegen. 10. Mai 1938, Dienstag

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Èjche ist verhaftet! Aus Poltava werden Verhaftungen gemeldet. Sogar über 80jährige Akademiemitglieder sind darunter. Srejder erfahrt von der Verhaftung von Angehörigen seiner Ehefrau in Moskau. Er schreibt daraufhin an Ezov (Srejder 1995, J. 112). 11. Mai 1938, Mittwoch

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Molotov und Kaganovic kritisieren an dem ihnen am 8. Mai vorgelegten Bericht der Akademie der Wissenschaften den Hang zum Theoretisieren. Der Arbeitsplan der Akademie für das Jahr 1938 wurde von der Regierung nicht bestätigt. Die Pravda veröffentlicht einen Artikel, der die von Molotov und Kaganovic geäußerten Kritikpunkte bereits enthält. Vor allem wird das schwache Vorgehen gegen die Schädlinge beanstandet. Stalin empfängt in der Zeit von 19.15 bis 20.45 Uhr in seinem Kabinett: Molotov, Zdanov, Malenkov (Istorifaskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 12. Mai 1938, Donnerstag

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Das Gefühl der Unbeständigkeit des Bestehenden nimmt immer mehr zu. Die politische Begründung des anhaltenden Terrors ist noch unsinniger als ich dachte. Die Willensschwäche der Führung, das niedrige Niveau der Parteikader, die in dem mir bekannten Milieu auftauchen, alles das veranlaßt mich zu der Annahme, die gegenwärtige Situation sei eine Vorübergehende. Mitin und Adoratskij sind dumme Kerle. Pjatnickaja im Tagebuch: In der Warteschlange vor dem Gefängnis, die Menschen kommen am Tag vorher und stehen die Nacht hindurch an (Golgofa 1993, S.89).

MAI 1938

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13. Mai 1938, Freitag

G. Gog schreibt an Ezov und bittet, ihm die Ausreise in die USA zu gestatten {Stammbetger 1999, S. 173-180). 14. Mai 1938, Sonnabend

Mandel'stam ist immer noch im Inneren Gefängnis der Lubjanka. Ein »Tjuremnoe delo« (Gefángnisakte) wird zusätzlich zum »Sledstvennoe delo« (Untersuchungsakte) angelegt {Nerier 1994, S. 18). 15. Mai 1938, Sonntag

Pjatnickaja im Tagebuch: Zuerst in der Matrosskaja tisina, um eine Auskunft über den kranken Sohn zu erhalten, von dort aus zum Kuzneckij most 24. Heute kam die Stromrechnung (Golgofa 1993, S. 90). Molotov hält das Referat auf der Ersten Allunionsberatung der Hochschullehrer (Abdruck in Krasnyj archiv 1938, 3, S. 5-15). 16. Mai 1938, Montag

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Man sagt, Steckij und Èjche seien verhaftet, Egorov und Budennyj rehabilitiert. In Saratov hat man ca. 10 Leute erschossen. Die Saratover Universität hat darunter gelitten, es stand in den Regionalzeitungen. Brief von Mokrousova an die Krest'janskaja gaceta (Bauernzeitung) über die Situation in ihrem Kolchoz im Dneprgebiet von 1936 bis 1938 und den Kampf gegen die Schädlingstätigkeit {Obtfestvo 1998, S. 292). Haenisch, Mitarbeiter am Marx-Engels-Lenin-Institut, wird erschossen {Stammberger 1995, S. 11). Eva Friedländer schreibt an das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR, um die Ausbürgerung ihres Ehemannes Walter Friedländer nach Deutschland zu verhindern {Obttestvo 1998, S. 183). Erschießung von 154 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. 17. Mai 1938, Dienstag

Stasova schreibt an Stalin. Sie bittet ihn um Hilfe in ihrer Angelegenheit und um einen Termin, da er auf die Bitte, sie anzurufen, nicht reagiert hat. Stasova wurde beschuldigt, gegen den Staat und die Partei aufgetreten zu sein. Das von ihr vorgebrachte entlastende Material wurde ignoriert. Das kommt einer moralischen und physischen Vernichtung gleich, schreibt sie an Stalin {Istotnik 1994, 6, S. 96). Verhör von Mandel'stam im Inneren Gefängnis der Lubjanka {Nerier 1994, S. 18-20). Stalins Rede im Kreml auf der Allunionsberatung der Hochschulfunktionäre. Er ruft zum Kampf gegen die alten Autoritäten, die ihren Elfenbeinturm nicht verlassen, auf (veröffentlicht in Krasnyj archiv 1938, 3, S. 3 f ) . Pjatnickaja im Tagebuch: Mein Kind ist krank und kann nicht in den Ferien wegfahren. Vater und Sohn Büren werden als Agent der deutschen Aufklärung bzw. als Mitglied der Organisation der »Hitlerjugend« in der UdSSR verurteilt. Sofia Mezlauk wird zu 8 Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt.

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MAI 1938

Erschießung von 172 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. 18. Mai 1938, Mittwoch

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Der Bürokratismus des Apparates ist unvorstellbar. Auf dem Lande gibt es nichts zu essen und keine Textilien. Es gibt ein Ziel, aber keinen Plan. 19. Mai 1938, Donnerstag

Sluzebnaja zapiska Zamestitelju Predsedatelja Ékonomsoveta pri SNK SSSR Mikojanu o neobchodimosti obespecenija stroek GULaga NKVD kabelem (Schreiben an den Stellvertretenden Vorsitzenden des Wirtschaftsrates beim Rat der Volkskommissare der UdSSR Mikojan über die Bereitstellung von Kabel für die Baustellen der Hauptverwaltung Lager des NKVD) (Èkonomika 1998, S. 91). Pjatnickaja im Tagebuch: Mein Sohn ist aus dem Komsomol ausgeschlossen worden. Verhör von Bronska. Sie widerruft ihre Aussage {Plener 1997, S. 94). Aus Anlaß des 92. Geburtstages von Dzambul Dzafaev, dem ältesten Volkssänger Kazachstans, erscheinen 1938 in der UdSSR Sammlungen seiner Lieder und Poeme aus den Jahren 1936 bis 1938 in kasachischer, usbekischer, baschkirischer und russischer Sprache. Die vom Schriftstellerverband besorgte Ausgabe enthält die Bitte an die Leser, dem Verlag Meinungen zum Buch mitzuteilen, sowie das Versprechen, die interessantesten Leserzuschriften zu veröffentlichen. Mit einem Echo war zu rechnen, denn Dzambul war am 19. Mai 1938 auf Beschluß des Präsidiums des Obersten Sowjets für sein Schöpfertum mit dem Lenin-Orden und am 26. Mai 1938 auf Beschluß des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR mit dem Orden des Roten Arbeitsbanners ausgezeichnet worden. In Vorbereitung der Ehrungen des Preisträgers gab der Gewerkschaftsverlag ein Bändchen mit Materialien für Klubs und Bibliotheken heraus. Es handelte sich um eine Handreichung für die Kulturobleute zur Durchführung von Klubabenden und die Gestaltung einer Ausstellung über Leben und Werk des Volksdichters und Ordensträgers. Stalin empfängt in der Zeit von 15.40 bis 16.05 Uhr in seinem Kabinett: Vorosilov, Judin (Jstoriceskij archiv 1995, 5¡6, S. 14). 20. Mai 1938, Freitag

Cirkuljar NKVD SSSR Nr 106 »O porjadke ustrojstva detej repressirovannych roditele) ν vozraste svyse 15 let« (Rundschreiben des NKVD der UdSSR Nr. 106 »Über den Umgang mit über 15jährigen Kindern von repressierten Eltern«). Die Kinder der Repressierten im Alter von 15 bis 17 Jahren, die keine Angehörigen mehr haben, werden in die Kinderheime eingeliefert. »Ob ustranenii izvrascenij ν soderzanii detej repressirovannych roditele) ν detskich domach« (Befehl des NKVD SSSR Nr. 00309 »Über die Abschaffung der Mißstände bei der Unterbringung von Kindern Repressierter in den Kinderheimen des NKVD«) {Gulag 2000, S. 455f).

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21. Mai 1938, Sonnabend

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Keine Milch und keine Molkereiprodukte. Die I^yestija ist ohne die gegen mich angekündigte Polemik erschienen. Stalin empfángt in der Zeit von 16.30 bis 17.30 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Vorosilov, Smirnov (Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14). 22. Mai 1938, Sonntag

Dem Politbüro des ZK der KPdSU(B) liegt der Vorschlag vor, Kaganovic 2ur Inspektion in den Donbass zu schicken. Gural'skij wird aus der Haft endassen und arbeitet als Informant des NKVD (Panteleev 1997, S. 5). 23. Mai 1938, Montag

»Rasporjazenie Èkonomsoveta pri SNK SSSR o vydelenii fondov kabelja dlja stroek GULaga NKVD« (»Weisung des Wirtschaftsrates beim Rat der Volkskommissare der UdSSR über die Bereitstellung von Kabel für die Baustellen der Hauptverwaltung Lager des NKVD«) (.Ékonomika 1998, S. 92). Skirjatov und Cesarskij schreiben an Stalin und Ezov über die Überprüfung der Angaben im Brief von Solochov an Stalin über Dienstvergehen des NKVD in Rostov am Don. Was Solochov über überfüllte Gefangnisse und Folterungen schreibt, hat sich bis auf einen Fall, wo noch die Aussagen des im Lager befindlichen Verurteilten eingeholt werden mußten, nicht bestätigt. Alle Angeklagten haben sich schuldig bekannt, alle Befragten betonen ferner, nie gefoltert worden zu sein. Es stimmt nicht, daß die Gebietsverwaltung des NKVD eine Verleumdungskampagne gegen Solochov organisiert hat. Bis auf kleine Formfehler sei alles in Ordnung und entsprechend den Vorschriften erfolgt (Istocnik 1993, 5/6, S. 5-13). Pjatnickaja im Tagebuch: Zum bereits verschobenen Termin zum Anwalt, er hat ihn wieder verlegt, jetzt auf den 25. Mai. Stalin empfängt in der Zeit von 21.00 bis 22.15 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Molotov, Vorosilov, Pettovskij (Jstoriceskij archiv 1995, 516, S. 14). 26. Mai 1938, Donnerstag

Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Sitzung der Sektionen Technik, Mathematik und Naturwissenschaften der Akademie der Wissenschaften. Es gibt ein neues Buch von den Eurasiern. Die Wissenschaft ist nicht das Werk eines Einzigen, sondern ein Kollektivwerk über Generationen. Pjatnickaja im Tagebuch: Igor' ist weder in der Taganka noch in Lefortovo. Verurteilung von Jähring, stellvertretender Redaktionssekretär der DZZ, er kommt am 25. Oktober 1938 im Besserungsarbeitslager um. Vysinskij veröffentlicht in der Pravda den Artikel »Die Aufgaben der sowjetischen Prokura tur«. Erschießung von 216 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Stalin empfängt in der Zeit von 16.35 bis 20.35 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Vorosilov, Gorbac, Saposnikov, Timosenko (Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 14).

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27. Mai 1938, Freitag Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Sitzung der Sektionen Technik, Mathematik und Naturwissenschaften der Akademie der Wissenschaften. Der Kampf um die materialistische Weltanschauung wird zivilisiert und nicht mehr im Rahmen des Dialektischen Materialismus geführt. Es gibt eine neue Form der bürgerlichen Hinrichtung. Der Mensch verschwindet aus dem Blickfeld und hat keinen Kontakt mehr zu seinen Angehörigen. Hat man das bei Hitler abgeguckt? So werden Religionskriege geführt. Pjatnickaja im Tagebuch: Am Kuzneckij most bekam ich statt einer Antwort ein neues Formular. Die Antwort hierauf erhalte ich in 2 Wochen. Erschießung von 162 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. 28. Mai 1938, Sonnabend Hans Beimler (Junior) wird aus der NKVD-Haft entlassen. Erschießung von Sauer (Stammberger 1995, S. 11). Bronska wird die Anklageschrift vorgelegt. Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Gestern kam es im Präsidium zu einer Konfrontation zwischen Vavilov und Lysenko. Historiker und Ökonomen, Mitglieder der Kommunistischen Partei und des Jugendverbandes werden verhaftet. Eine extreme Verschlimmerung der Situation. Pjatnickajas letzte Eintragung in ihrem Tagebuch ( G o l g o f a 1993, S. 100). Der 1937 verhaftete Mitarbeiter der DZZ Fodor wird erschossen. Lissauer, als Mitglied der Organisation »Hitlerjugend« in der UdSSR am 11. Februar 1938 verhaftet und am 17. Mai 1938 von der Dvojka zum Tode verurteilt, wird in Butovo bei Moskau erschossen. Roscher, als Spion in der UdSSR am 9. Januar 1938 verhaftet und am 17. Mai 1938 von der Dvojka zum Tode verurteilt, wird in Butovo bei Moskau erschossen. Erschießung von 230 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. 29. Mai 1938, Sonntag Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Vysinskij hat gestern gesprochen, man hat den Eindruck, er könne gleich das Gegenteil von dem, was er sagte, beweisen. In Pjatigorsk 18 Personen verhaftet. Stavskij schreibt an Fadeev über die Stellung gegenüber den Parteilosen (»Scast'e literatuiy« 1997, S. 283f.). Kuhls, als deutscher Spion am 14. März 1938 verhaftet und am 17. Mai 1938 von der Dvojka zum Tode verurteilt, wird in Butovo bei Moskau erschossen. Erschießung von 262 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. 30. Mai 1938, Montag Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Gestern Sitzung der Akademie. Chaotisch. Das Referat von Deborin war banal, dabei ist er doch ideologisch gebildet. Es haben auch Lakaien gesprochen und Propagandareden gehalten.

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31. Mai 1938, Dienstag

Bol'Sevik, Heft 10/11, geht in Druck, herausgegeben von einem Redaktionskollegium. Aus dem Inhalt: Savickij rezensiert den Bericht über den Schauprozeß 1938 »Sudebnyj otcet po delu antisovetskogo >pravo-trockistskogo bloka«< Hinrichtung von Quittner (Schafranek 2003, S. 76). Verhör von Schulte durch das NKVD. Gegenstand der Vernehmungen ist seine Einreise in die UdSSR und Auskünfte über Florin, Dahlem und Schubert, die sich auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935 als Sektierer geäußert haben. Die Deutsche Volks^eitung veröffentlicht folgenden Beschluß: Das ZK der KPD hat Münzenberg wegen Verstößen gegen die Grundsätze der Partei und wegen Verletzung der Parteidisziplin aus dem ZK ausgeschlossen und seiner Funktionen enthoben. Wegen weitergehender Anschuldigungen ist vom ZK der KPD ein Untersuchungsverfahren bei der IKK der KI beantragt worden. Münzenberg hat Intrigen gegen die Parteiführung und gegen die Volksfrontpolitik der Partei, deretwegen er schon früher eine Parteistrafe erhielt, fortgesetzt und hat in seinem politischen Verhalten gegen die elementarsten Grundsätze der Kommunistischen Partei verstoßen. Münzenberg hat sich geweigert, wichtigen Beschlüssen der Partei nachzukommen. Die gegen Münzenberg vorliegenden weitergehenden Anschuldigungen wegen Doppelspiel gegenüber der Partei und Volksfrontpartnern der Partei durch bewußte Durchkreuzung der Volksfrontpolitik der Partei und der für einen Kommunisten unzulässigen Verbindungen bedürfen dringend der Untersuchung. Da sich Münzenberg unter haltlosen Vorwänden der Verantwortung vor der Parteiführung entzieht, hat diese bei der IKK beantragt, das Verfahren gegen Münzenberg durchzuführen (Rundschau (Basel), Nr. 30, S. 1003). Erschießung von 150 zum Tode Verurteilten durch das NKVD in Butovo bei Moskau. Stalin empfangt in der Zeit von 16.00 bis 19.30 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Kalinin, Andreev, Molotov, Vorosilov, Zdanov, Chruscev, Mikojan, Cubar' (Isiorileskij archiv 1995, 5/6, S. 14).

Juni 1938 In Novosibirsk wird eine konterrevolutionäre deutsche Organisation enttarnt, alle 12 Mitglieder werden am 18. Oktober 1938 erschossen (Bol' 1992, S. 152). 1. Juni 1938, Mittwoch

Verhör von Schulte durch das NKVD. Verhör von Beutling, der Müller von der Kaderabteilung der Komintern belastet, im Auftrag des rechts-trotzkistischen Blocks Attentate vorbereitet zu haben. Stalin empfangt in der Zeit von 21.00 bis 23.35 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Kalinin, Andreev, Molotov, Vorosilov, Chruscev, Malenkov, Majskij, Petrovskij, Mikojan (Istoriceshj arcbiv 1995, 5/6, i". 14). 2. Juni 1938, Donnerstag

Uber die Rubrik Parteileben der Archangel'sker Bezirkszeitung Pravda Severa »Ob otdele partijnoj zizni Archangel'skoj oblastnoj gazety >Pravda SeveraSevernjj raboajÜber die Verhaftungen, die Verteidigung und die Verfahrensführung«< zu. Damit wird die vom Januar-Plenum des ZK der KPdSU(B) 1938 vorgegebene Orientierung bezüglich der Lenkung der Massenoperationen korrigiert. Von nun an sollten Verhaftungen und Verurteilungen (wie im Artikel 127 der Verfassung vorgegeben) wieder ausschließlich von Gerichten bestätigt und durchgeführt werden. Die Trojkas und andere außergerichtliche Organe werden aufgelöst (Bijuchanov 1998, S. 120ff). Der gemeinsame Beschluß der Volkskommissare und des ZK der KPdSU(B) vom 17. November 1938, der die Beendigung von Massenoperationen anordnet, legt ausdrücklich fest, daß die »Säuberung« keineswegs abgeschlossen ist. Künftig muß der Untersuchungsapparat des NKVD gewisse Rechtsnormen (Bestätigung von Haftbefehlen durch die Staatsanwaltschaft, die korrekte Wiedergabe von Aussagen in Verhörprotokollen, Beschränkung der Dauer der Untersuchungshaft usw.) einhalten. Aber in einem typischen Willkürakt gegenteiligen Charakters erlaubt Stalin weniger als zwei Monate später seinen Tschekisten, »die Methode

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[...] von körperlicher Gewalt [...] als außerordentliche Maßnahme« anzuwenden. Am Tag des deutschen Überfalls traten neue Repressionsmaßnahmen in Kraft. Die Entlassung von »Konterrevolutionären und Kriminellen aus Lagern, Gefangnissen und Kolonien« wird unterbunden, der Abtransport von Deutschen, Polen und anderen (nicht definierten) Ausländern zur Sklavenarbeit angeordnet und die Verhaftung über alle der »antisowjetischen Agitation« Verdächtigen verfügt. Zudem räumt man kurz darauf der einzigen noch existierenden außergerichtlichen Instanz, der Sonderberatung des NKVD, erstmals das Recht ein, auch Todesurteile zu fällen. Somit gerät die Jeshowschtschina zur markantesten Zwischenstation eines staatlichen Repressionskontinuums, einer Art Interregnum des Grauens und der Brutalität, die eine sichtbare und eine verborgene Seite aufweist. Die bekannte Stoßrichtung der Jeshowschtschina trifft den Partei- und Staatsapparat in einem von Stalin und seinen Mitstreitern inszenierten »gigantic coup d'état«. [...] Das vergleichsweise unterbelichtete zweite Gesicht des Massenterrors unter Stalin-Ezov wendet sich der Gesamtbevölkerung zu, die von »fremden Elementen« zu säubern ist. Solche angesichts der Ende der 30er Jahre propagierten Homogenisierung der sowjetischen Gesellschaft in diese nicht integrierbaren Gruppen unterliegen einem denkbar einfachen Vernichtungsgrundsatz: Man verhaftet sie meistens deswegen, weil sie Fremdartiges verkörpern und nicht weil sie einer konkreten Straftat verdächtigt sind oder eine solche begangen hatten. Die Verhaftungstrupps der Polizei verfahren, wie schon erwähnt, meistens nach der Fragebogenmethode (po ankete). Die notwendigen Angaben sind zuhauf vorhanden, da man in dem bei jeder Eingabe an die sowjetische Bürokratie ausgefüllten Formular auch in Spalten eintragen muß, die für die Rubriken Nationalität, soziale Herkunft, sozialer Stand (vor und nach 1917), Parteizugehörigkeit und Tätigkeit im Bürgerkrieg (Dienst bei den weißen oder roten Truppen) reserviert sind (McLaughlin 2001, i". 83). Stalin empfängt in der Zeit von 19.00 bis 22.45 Uhr in seinem Kabinett: Berija, Frinovskij, Malenkov, Molotov, Zdanov (Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 24). 19. November 1938, Sonnabend

Das Politbüro beginnt, sich mit dem Fall Ezov zu beschäftigen. Stalin empfängt in der Zeit von 17.50 bis 4.20 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Berija, Ezov, Frinovskij, L. M. Kaganovic, Malenkov, Mikojan, Molotov, Skirjatov, Vlasik, Vorosilov, Zdanov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 24). 20. November 1938, Sonntag

Verhaftung von Redens. Ihm wird vorgeworfen, ein polnischer Spion zu sein. 21. November 1938, Montag

Agenturbericht aus Kaunas über die politische Situation in Litauen (Organy 1995, S. 9-15). Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Bei laufenden Buchprojekten werden die Namen der Verhafteten durch die ihrer Sekretäre ersetzt. Verhaftung von Cesarskij, dem Leiter der Abteilung Statistik im Zentralen Apparat des NKVD. Er wird am 21. Januar 1940 erschossen. Ezovs Frau Evgenija begeht Selbstmord.

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Stalin empfangt in der Zeit von 21.00 bis 1.15 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Berija, Mechlis, Mikojan, Molotov, Vorosilov, Zdanov (.Istoriceskij archiv 1995, 5/6, i". 24). 22. November 1938, Dienstag

Sitzung des Politbüros des ZK der KPdSU(B) (Politbjuro 2001, S. 1002-1007; Stalinskoe Po/itbjuro 1995, S. 250). Tagesordnungspunkt 111 vom 14. November 1938 betrifft Vysinskijs Frage nach dem Strafmaß im Prozeß gegen die Wirtschaftsdiversanten im Bezirk Kursk. Vernadskij im »Tagebuch 1938«: Dort, wo die Einschlagstelle des Tungusker Meteoriten ist, leben 18.000 Sonderumsiedler. Die Parteileitung dort ist schon zweimal völlig ausgewechselt worden. Das neue Rußland wird nicht von den Kommunisten geschaffen, sondern von den Sonderumsiedlern. Hierbei handelt es sich um eine interessante Form der Verwendung von Sklavenarbeit. Die Macht der Kommunisten, die von der Vergangenheit lebt, hält sich nur vermittels von Gewalt. Stalin empfangt in der Zeit von 17.50 bis 1.15 Uhr in seinem Kabinett: Merekalov, Vorosilov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 24). 23. November 1938, Mittwoch

Bazilevic wird als Mitglied einer faschistischen militärischen Verschwörerorganisation verhaftet {Dorogoj 2001, S. 32). Befehl des NKVD über die Vereinheitlichung der Erarbeitung von Strafakten. Es sollen spezielle operative Abteilungen der Untersuchungsbehörde geschaffen werden (Organy 1995, S. 7). Dann war die Reihe an Moskvin. Dimitroff notiert in seinem Tagebuch: — M[oskvin] ist ins NKVD beordert worden. Er ist nicht zurückgekommen! Am nächsten Tag notierte er die von Ezov erhaltene Information: — Bei Ezov (auf der Datscha). »Mjoskvin] war fest mit dieser ganzen Bande verbunden. Inwiefern er diese Verbindungen in der letzten Zeit unterhielt, muß geklärt werden. Ebenso, ob er nicht irgendeinem ausländischen Geheimdienst in die Falle gegangen ist, der Druck auf ihn ausgeübt hat — auch das wird geklärt.« Trilisser, der Leiter der Auslandsabteilung der OGPU, unter dem Pseudonym Moskvin bis 1937 Sekretär der Komintern, wird verhaftet und am 1. Februar 1940 erschossen. Ezov zum letzten Mal bei Stalin (Österreicher 1999, S. 299ß). Stalin empfängt in der Zeit von 22.00 bis 1.00 Uhr in seinem Kabinett: Ezov, Molotov, Vorosilov {Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 24. November 1938, Donnerstag

Beschluß des Politbüro des ZK der KPdSU (B) zur Petition von Ezov {Stalinskoe Volitbjuro 1995, S. 168). 25. November 1938, Freitag

Ezov wird auf eigenen Wunsch von der Funktion als Volkskommissar für Innere Angelegenheiten entbunden. Der Beschluß des ZK der KPdSU(B) über die Ernennung von Berija zum Volkskommissar des Inneren wird verabschiedet.

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NOVEMBER 1938

Tromm: Gerüchte wegen der Verhafteten gehen um (Vierter 1997, S. 215). Am Abend wird Dimitroff zum neuen Stellvertreter Ezovs, Berija, bestellt. Dieser sagt zu Dimitroff: Eine Reihe von Fällen muß man überprüfen. Es gibt die Anweisung, auf Vorschlag Stalins, eine Instruktion im Hinblick auf die Verhaftungen zu erarbeiten. Im Anschluß an dieses Gespräch wendet sich Dimitroff mit einem Brief an Stalin. Gen. Stalin J . W . Politbüro des ZK der KPdSU(B). Seit gestern habe ich vorübergehend alle Funktionen übernommen, die der verhaftete Moskvin als Mitglied des Sekretariats des EKKI zu erfüllen hatte (Führung des Nachrichtendienstes, Kontrolle der Geschäftsleitung, Regelung der Finanzfragen). Das wird auf Dauer meine Kräfte übersteigen. Es wäre dringend erforderlich, die Delegation der KPdSU(B) im EKKI durch einen geeigneten Genossen aufzufüllen, dem man diese Arbeit übertragen könnte. [Gestrichen: Dazu kommt, daß auch Gen. Manuilski ernsthaft erkrankt ist und einer dringenden andauernden Behandlung bedarf.] Dies ist um so dringender, als der verhaftete Volksfeind zweifellos vieles im Apparat des EKKI sabotiert hat, was jetzt bei laufender Arbeit umgehend korrigiert und umgebaut werden muß. Ich bitte um Ihre Unterstützung bei der umgehenden Ernennung eines solchen Genossen. Mit kommunistischem Gruß G. Dimitroff. Eine Antwort hat Dimitroff auf diesen Brief nicht erhalten. Die Komintern erreicht eine Flut von Briefen und Eingaben mit der Bitte, Leben zu retten oder Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Ungeachtet dessen, daß solche Bemühungen negativ eingeschätzt werden könnten, haben sich Dimitroff und andere Funktionäre, darunter Pieck, Koplenig, Togliatti und Florin, oft für Verhaftete eingesetzt. In der Regel handelte es sich um Personen, die sie selber gut kannten, oder für die Vertreter der Kommunistischen Parteien beim EKKI eintraten. Ihre Briefe an das NKVD oder die Staatsanwaltschaft kommen mit der lakonischen Antwort zurück, daß die Betreffenden zurecht verurteilt seien. Die Listen der Repressierten, für die sich Dimitroff einsetzt, enthalten oft Hunderte Namen (darunter viele Bulgaren, aber auch Deutsche, Ungarn und Politemigranten aus anderen Ländern). Diese Eingaben ändern nichts an der allgemeinen Situation, obwohl sie für einige Komintern-Mitarbeiter wirklich die Rettung bedeuten. Stalin empfängt in der Zeit von 18.50 bis 22.15 Uhr in seinem Kabinett: Berija, Malenkov, Molotov, Skirjatov (Istorileskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 26. November 1938, Sonnabend

Zum Befehl des NKVD der UdSSR Nr. 00762 »O porjadke osuscestvlenija postanovlenija SNK SSSR i CK VKP(b) ot 17 nojabrja 1938, 26 nojabrja 1938« (Über die Durchführung des Beschlusses des Rates der Volkskommissare der UdSSR und des ZK der KPdSU(B) vom 17. November 1938« (Pamjat' 2000, S. 739—747) gibt es wenige Wochen später eine entsprechende Direktive des

NOVEMBER 1938

453

NKVD und der Staatsanwaltschaft der Union der SSR vom 26. Dezember 1938 (Organy 1995, S. 16-21). Ν. M. Lukina, Bucharins erste Frau, wurde am Vorabend des 1. Mai 1937 verhaftet. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes verbot der Leiter der Krankenstation des Butyrka-Gefängnis jedes Verhör. Das erste Vernehmungsprotokoll in der Strafakte trägt das Datum 26. November 1938. Das zweite Verhör findet in der Nacht zum 22. Januar 1939 statt, bis zur nächsten Vernehmung am 15. Juni 1939 vergeht ein halbes Jahr. Stalin empfängt in der Zeit von 15.45 bis 18.40 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Molotov, Osipov, Vorosilov, Zdanov (Jstorileskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 26. November 1938 bis 4. Januar 1939

Beschlüsse des Politbüros des ZK der KPdSU(B) (PoMjuro 2001, S. 1007-1015). 27. November 1938, Sonntag

Die Kontrolle der Printmedien geht von Stalin auf Zdanov über ÇMaksimenkov 1997, S. 53). Stalin empfangt in der Zeit von 18.00 bis 23.10 Uhr in seinem Kabinett: Berija, Litvinov, Mikojan, Misakova, Molotov, Svernile, Zdanov (Jstorileskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 28. November 1938, Montag

Dimitroff legt Stalin einen Beschlußentwurf vor und fragt im Zusammenhang mit dem Vorschlag, das Dokument zu veröffentlichen, an, ob es angebrachter ist, mit der Veröffentlichung bis zum Ende der Voruntersuchung gegen die verhafteten ehemaligen Führer der polnischen Kommunistischen Partei zu warten. Stalins Antwort ist kurz: »Die Auflösung kommt zwei Jahre zu spät. Man muß auflösen, aber m. E. nichts darüber veröffentlichen.« Erst danach löst das EKKI die Kommunistischen Partei Polens auf, obwohl der Beschluß von sechs Präsidiumsmitgliedern am 16. August 1938 unterzeichnet worden war. Verhör von Kader-Müller/G. Brückmann durch das NKVD. Zurbenko wird verhaftet, er war von 1937 bis 1938 Leiter der 9. Abteilung (otdelenija) der 4. Abteilung (otdela) der Verwaltung der Hauptverwaltung Staatssicherheit des NKVD. Sein Stellvertreter Petrovskij-Palej erschießt sich, als er von der Verhaftung seines Vorgesetzten erfährt. Stalin empfängt in der Zeit von 20.45 bis 0.20 Uhr in seinem Kabinett: Berija, Mikojan, Molotov, Moskatov, àvernik {Jstorileskij archiv 1995, 5¡6, S. 25). 29. November 1938, Dienstag

Stalin empfängt in der Zeit von 19.50 bis 23.10 Uhr in seinem Kabinett: Berija, M. M. Kaganovic, Malenkov, Mikojan, Misakova, Molotov (Jstorileskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 30. November 1938, Mittwoch

Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj: Ich kann keine Ruhe finden. Mein Zustand (der moralische, natürlich) ist fürchterlich. Heute bekam ich die offizielle Benachrichtigung der Moskauer Anwaltschaft, daß meine Beschwerde wegen Mama ohne Folgen eingestellt wurde (Tagebuch 1996, S. 271).

Dezember 1938 1. Dezember 1938, Donnerstag

Pis'mo zamestitelja Narodnogo komissara vnutrennich del SSSR Filaretova zamestitelju Predsedatel'ja SNK SSSR Mikojanu s pros'boj zamenit' rabotajuscich na rybnych promyslach DAL'Laga zakljucennych vol'nonaemnymi rabocimi (.Ékonomika 1998, S. 121)-A. I. Egorov verhaftet. Stalin empfangt in der Zeit von 23.05 bis 0.25 Uhr in seinem Kabinett: Berija, Chruscev, L. M. Kaganovic, Malenkov, Mikojan, Molotov, Skirjatov, Vorosilov, Vysinskij {Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 4. Dezember 1938, Sonntag

Vernehmung von Müller von der Kaderabteilung der deutschen Vertretung beim EKKI durch das NKVD. Verhaftung von Ersov, dem Leiter der NKVD-Gebietsverwaltung von JaroslavF. Er wird am 21. Dezember aus der KPdSU(B) ausgeschlossen {Veroj 2001, S. 258). Hauska wird aus der UdSSR nach Deutschland ausgewiesen (Koljaijn 1997a, 5. 120). Stalin empfangt in der Zeit von 20.20 bis 1.45 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Mikojan, Molotov, Trofimov, Ul'mer (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 6. Dezember 1938, Dienstag

Stalin veranlaßt die Haftendassung des Sohnes von Sverdlov, der im Januar 1938 als Trotzkist verhaftet worden war (Istocnik 1995, 6, S. 128f). Stalin empfängt in der Zeit von 19.30 bis 21.50 Uhr in seinem Kabinett: Berija, Μ. M. Kaganovic, Mikojan, Molotov, Vorosilov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 7. Dezember 1938, Mittwoch

Ezov wird abgelöst, an seine Stelle tritt Berija. Vier Monate später, am 10. April 1939, wird Ezov in das Suchanovskaja-Gefängnis verbracht. Stalin empfängt in der Zeit von 23.35 bis 3.15 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Berija, Litvinov, Malenkov, Mikojan, Molotov, Pospelov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 25). 8. Dezember 1938, Donnerstag

Befehl des NKVD der UdSSR Nr. 00786 »O porjadke soglasovanija arestov s ob"javleniem Postanovlnija SNK SSSR i CK VKP(b) po etomu voprosu ot 1 dekabrja 1937 g.« (Über die Abstimmung der Verhaftungen mit dem Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR und des ZK der KPdSU (B) zu dieser Frage vom 1. Dezember 1937). In Karelien werden jene Mitarbeiter des NKVD mit der Durchsetzung des Befehls beauftragt, die bisher die Anklageschriften fälschten {(luchin 1999, S. 75). 9. Dezember 1938, Freitag

Die Investi]a meldet: Ezov tritt als Volkskommissar für Innere Angelegenheiten zurück. Er bleibt weiterhin Volkskommissar für Schiffahrt.

DEZEMBER 1938

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10. Dezember 1938, Sonnabend

Tagebuchaufzeichnungen von Podlubnyj: Ich fand Arbeit im Radioladen (Tagebuch 1996, S. 271-273). Cernousov aus Odessa beschreibt in einem Brief an Kalinin das in der Amtszeit von Ezov vom NKVD begangene Unrecht (ObScestvo 1998, S. 194). 11. Dezember 1938, Sonntag

Dimitroff notiert im Tagebuch: — [V. N.] Merkulov hat angerufen: es ging um das Visum für Julius. (Gegen ihn liegt »einiges« im NKVD vor.) 12. Dezember 1938, Montag

M. Kol'cov fuhr nach einem Vortrag über den »Kurzen Lehrgang« im Haus der Schriftsteller noch einmal in die Redaktion der Pravda. Dort wurde er bereits von Mitarbeitern des NKVD erwartet und verhaftet. »auch kolzow verhaftet in moskau. meine letzte russische Verbindung mit drüben. niemand weiß von tretjakow, der japanischer spion< sein soll, niemand weiß von der neher, die in präg im auftrag ihres mannes trotzkistische geschäfte abgewickelt haben soll, reich und assja lacis schreiben mir nie mehr, grete bekommt keine antwort mehr von ihren bekannten im kaukasus und in leningrad. auch bela kun ist verhaftet, der einzige, den ich von den politikern gesehen habe, meyerhold hat sein theater verloren, soll aber opernregie machen dürfen, literatur und kunst scheinen beschissen, die politische theorie auf dem hund, es gibt so etwas wie einen beamtenmäßig propagierten dünnen bludosen proletarischen humanismus« (Brecht 1977, S. 23). Antipov aus Cerepovec beschreibt in einem Brief an das ZK der KPdSU (B) die unerträgliche Situation der Familien auf den Bahnhöfen des Landes und führt Beispiele für die Willkür des NKVD im Leningrader Gebiet an (Obscestvo 1998, S. 191f). 13. Dezember 1938, Dienstag

Stalin empfängt in der Zeit von 19.30 bis 3.30 Uhr in seinem Kabinett: Bagirov, Berija, Molotov, Zdanov (Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 26). 14. Dezember 1938, Mittwoch

Stalin empfängt in der Zeit von 20.20 bis 2.30 Uhr in seinem Kabinett: Litvinov, Mikojan, Molotov {Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 26). 15. Dezember 1938, Donnerstag

Dem Politbüro des ZK der KPdSU (B) liegt der Beschluß über die Einstellung von neuen Mitarbeitern im NKVD vor. Bis zum Jahresende stehen Fragen des NKVD regelmäßig auf der Tagesordnung des Politbüros. Stalin empfangt in der Zeit von 20.20 bis 1.10 Uhr in seinem Kabinett: Berija, Bulganin, Gorkin, L. M. Kaganovic, M. M. Kaganovic, Loktionov, Mikojan, Molotov, Vorosilov, Zdanov (Jstoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 26). 16. Dezember 1938, Freitag

Landau wird über den Abschluß der Untersuchung in seinem Fall informiert (.ICKKPSS 1991, 3, S. 151).

456

DEZEMBER 1938

17. Dezember 1938, Sonnabend

Vernadskij schreibt an Vysinskij (htolnik 1995, 6, S. 88)\ Er setzt sich für Sachovskij ein. Er saß bereits 1919 bis 1921 als Mitglied des »Taktischen Zentrums« in Haft (Prosim 1998, S. 112J). Stalin empfängt in der Zeit von 12.45 bis 17.50 Uhr in seinem Kabinett: L. M. Kaganovic, Kalinin, Kulik, Mikojan, Molotov, Savcenko, Vorosilov, Zdanov (Istori(eskijarchiv 1995, 5/6, S. 26). 18. Dezember 1938, Sonntag

Stalin empfangt in der Zeit von 14.10 bis 14.40 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, L. M. Kaganovic, Kalinin, Molotov, Skirjatov, Vorosilov, Zdanov ('htorileskij archiv 1995, 5/6, S. 26). 19. Dezember 1938, Montag

Beschluß des Rates der Volkskommissare der UdSSR, des ZK der KPdSU(B) und des Zentralrats der Gewerkschaften der Sowjetunion »Uber das Verbot des Ausschlusses von Kolchozbauern aus den Kolchozen« (Lenin 1987, S. 356—359). Stalin empfangt in der Zeit von 13.35 bis 17.15 Uhr in seinem Kabinett: Berija, Efremov, M. M. Kaganovic, Molotov, Ponomarenko, Scerbakov (htorileskij archiv 1995, 5/6, S. 26). 20. Dezember 1938, Dienstag

Die Krestjanskaja gaceta veröffentlicht unter der Rubrik »Gericht« den Artikel »Narusiteli Stalinskogo ustava kolchoznoj zizni«, darin ist von Verletzungen des Kolchozstatuts im Moskauer Gebiet die Rede (Obïcestvo 1998, S. 254). Vernehmung von O. V. Tret'jakova (Kolja^in 1997a, S. 133). Stalin empfängt in der Zeit von 16.35 bis 18.05 Uhr in seinem Kabinett: Berija, L. M. Kaganovic, Malenkov, Mikojan, Molotov, Svernile, Zdanov (htorileskij archiv 1995, 5/6, S. 26). 21. Dezember 1938, Mittwoch

Stalin empfangt in der Zeit von 16.45 bis 22.45 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Bajdukov, Gromov, Litvinov, Malenkov, Mikojan, Molotov, Zdanov {Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 26f). 22. Dezember 1938, Donnerstag

Stalin empfangt in der Zeit von 16.00 bis 21.30 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Gorkin, L. M. Kaganovic, M. M. Kaganovic, Mikojan, Molotov, Sedin, Vorosilov, Zdanov (Istorileshj archiv 1995, 5/6, S. 27). 23. Dezember 1938, Freitag

Stalin empfängt in der Zeit von 19.35 bis 23.30 Uhr in seinem Kabinett: Bajdukov, Cizevskij, Gromov, Jumasev, L. M. Kaganovic, Kasirin, Molotov, Popov, Vorosilov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 27). 24. Dezember 1938, Sonnabend

Die Bauernzeitung Krestjanskaja gaceta berichtet über das glückliche Leben auf dem Lande (OhUestvo 1998, S. 238).

DEZEMBER 1938

457

Verhaftung von M. D. Berman, das ehemalige Führungsmitglied des NKVD und Volkskommissar fur Verkehrswesen wird am 7. Marc 1939 erschossen. 25. Dezember 1938, Sonntag

Dem Politbüro des ZK der KPdSU(B) liegt der Beschluß über den Leiter der Sonderabteilung der Hauptverwaltung Staatssicherheit des NKVD vor. Pjatnickaja wird von 16.00 bis 1.30 Uhr verhört: »Ja, ich bin voller Haß auf das NKVD, das die Menschen quält.« Daraufhin wird das Verhör bis zum 27. Dezember 1938 unterbrochen. Stalin empfangt in der Zeit von 16.00 bis 21.50 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Berija, Cuvikov, L. M. Kaganovic, Litvinov, Mikojan, Molotov, Skrynnikov, Vorosilov, Zuravlev (Jstorileskij archiv 1995, 5/6, S. 27). 26. Dezember 1938, Montag

Prikaz NKVD i Prokurora SSSR »Ob otmene resenij byvsich troek NKVD« Nr. 001214 (Befehl des NKVD und des Staatsanwaltes der UdSSR Nr. 001214, »Über die Aufhebung der Beschlüsse der ehemaligen Trojkas des NKVD«). Bericht eines NKVD-Mitarbeiters über bei Pjatnickaja am 27. Oktober 1938 beschlagnahmte Tagebuchaufzeichnungen und Dokumente. Molotov reicht im Politbüro einen Beschluß-Entwurf über die Theater ein (Maksimenkov 1997, S. 50). 27. Dezember 1938, Dienstag

Fortsetzung des Verhörs von Pjatnickaja, von 20.30 bis 2.10 Uhr wird sie über ihre antisowjetische Tätigkeit vernommen. Stalin empfangt in der Zeit von 17.30 bis 22.00 Uhr in seinem Kabinett: Gorkin, Gromov, L. M. Kaganovic, Malenkov, Misakova, Molotov, Svernik, Vorosilov, Zacharov, Zdanov (Istorile!kij archiv 1995, 5/6, S. 27). 28. Dezember 1938, Mittwoch

Verhör von Müller im NKVD. Er widerruft seine Aussage vom 3. August 1938, Gestapo-Agent gewesen zu sein. Ich habe mir das ausgedacht, weil die Aussagen mir abverlangt wurden. Als Agenten der Gestapo benennt er. Beutling, MostMeier, Dittbender, Beiford, Rose-Rosenke. Beschluß des Rats der Volkskommissare der UdSSR, des ZK der KPdSU(B) und des Zentralrats der Gewerkschaften »Über die Maßnahmen zur Festigung der Arbeitsdisziplin, zur Verbesserung der staatlichen Sozialversicherung und zur Bekämpfung von diesbezüglichen Verstöße« (Lenin 1987, S. 359—363). Petuskov schreibt an Senenkov und schildert die Situation in der Kreisdienststelle Kuncevo. Stalin empfangt in der Zeit von 19.35 bis 22.40 Uhr in seinem Kabinett: Malenkov, Mikojan, Molotov, Svernik, Zdanov (Istorileskij archiv 1995, 5j6, S. 27). 29. Dezember 1938, Donnerstag

Die Akte von Schulte wird um die Angaben vervollständigt, wann und wie er in die UdSSR eingereist ist. Linin, der Kommandant des KARLag, steht vor Gericht. Er wird für die Mißwirtschaft im KARLag verantwortlich gemacht.

DEZEMBER 1938

458 30. Dezember 1938, Freitag

Stalin empfangt in der Zeit von 19.35 bis 23.45 Uhr in seinem Kabinett: Andreev, Berija, L. M. Kaganovic, Malenkov, Mikojan, Molotov, Vorosilov, Zdanov (Istoriceskij archiv 1995, 5/6, S. 27f). 31. Dezember 1938, Sonnabend

Abschluß der Untersuchung im Fall der koreanischen Organisation in Narym. Fünf Mitglieder der Organisation werden zum Tode durch Erschießen verurteilt {Bol' 1992, S. 328f). Stalin empfängt in der Zeit von 18.50 bis 21.35 Uhr in seinem Kabinett: L. M.

Verurteilte in der UdSSR in den Jahren 1936 bis 1938 (Kniga 1996, S. 15):

1936 1937 1938

Verurteilte

davon zum Tode

Tribunal Gericht

Kollegium Sonderberat. Trojka OGPU NKVD

274.670 790.665 554.258

1.118 353.074 328.618

114.383 39.694 95.057

45.060

18.969 17.911 45.768

141.318 688.000 413.433

Verhaftete Personen allein im Gebiet Sverdlovsk ( i e r t v y 1999, S. 94): 1936-2.428; 1937-28.724; 1938-17.016 Wenn man den Statistiken der Hauptverwaltung Staatssicherheit des NKVD Glauben schenkt, wurden von Juli 1937 bis Dezember 1938 608 Bürger Deutschlands verhaftet. Diese Zahl ist unvollständig, weil einige örtliche Organe des NKVD die statistischen Berichte nicht rechtzeitig vorlegten, die Differenz wird wohl höchstens bei 10-15 % liegen. Demnach wurden in anderthalb Jahren annähernd 660-700 deutsche Bürger verhaftet. Komplizierter ist es, die Zahl der im ersten Halbjahr 1937 verhafteten Deutschen zu bestimmen. Nach den Angaben des NKVD wurden in dieser Zeit 309 Ausländer verhaftet. Schätzungsweise 30-40 % von ihnen waren wohl deutsche Staatsbürger. Im Ergebnis kommt man zu einer Gesamtzahl von 750-820 verhafteten deutschen Bürgern in den Jahren 1937 und 1938. Diese Zahl stimmt weitgehend mit den Angaben der Deutschen Botschaft überein. Darunter sind vor allem deutsche Angestellte, die in der Industrie und im Transportwesen tätig waren und die auf der Grundlage des Befehls Nr. 00439 verhaftet wurden, ferner deutsche Staatsbürger, die nach separaten Fällen, d. h. nicht im Zuge der operativen Befehle verhaftet wurden. Vielleicht sind darunter auch deutsche Staatsbürger, die im Rahmen der deutschen »Albumoperation« verhaftet worden sind. Angaben über die verhafteten Politemigranten, die zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung formell im Besitz der sowjetischen Staatsbürgerschaft waren, wurden in den Berichten des NKVD in der Regel nicht unter der Rubrik »deutsche Staatsangehörige« geführt. Diese Personen und auch andere »umstrittene« Kategorien wurden als »Personen ohne Staatsbürgerschaft« oder als »Sonstige« erfaßt.

ANHANG

Angeklagte in den Moskauer Schauprozessen 1936, 1937 und 1938 Prozeß gegen das »trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum« 19.-24. August 1936

Bakaev, I. P. Berman-Jurin, K. W. (Hans Stauer) Drejcer, Ε. A. Evdokimov, G. E. Gol'cman, E. S. Kamenev, L. B. Krugljanskij, 1.1. (Fritz David) Lur'e, N.

Lur'e, M. I. (Emel) Mrackovskij, S. V. Ol'berg, V. P. Pikel', R. V. Rejngol'd, 1.1. Smirnov, I. N. Ter-Vagan'jan, V. A. Zinov'ev, G. E.

Prozeß gegen das »sowjetfeindliche trotzkistische Zentrum« 23.-30. Januar 1937

Arnol'd, V. V. Boguslavskij, M. S. Drobnis, Ja. N. Grase, 1.1. Knjazev, I. A. Lißic, Ja. A. Muralov, Ν. I. Norkin, B. O. Pjatakov, Ju. L.

Pusin, G. E. Radek, Κ. B. Ratajcak, S. A. Serebrjakov, L. P. áestov, Α. Α. Sokol'nikov, G. Ja. Stroilov, M. S. Turok, I. D.

Prozeß gegen den »Block der Rechten und Trotzkisten« 2.-13. März 1938

Bessonov, S. A. Bucharin, Ν. B. Bulanov, P. P. Cernov, M. A. Chodzaev, F. U. Grin'ko, G. F. Ikramov, Α. I. Ivanov, V. I. Jagoda, G. G. Kazakov, I. Ν. Krestinskij, Ν. Ν.

Krjuckov, P. P. Levin, L. G. Maksimov-Dikovskij, V. A. Pletnev, D. D. Rakovskij, Ch. G. Rozengol'c, A. P. Rykov, Α. I. Sarangovic, V. F. Zelenskij, I. A. Zubarev, P. T.

Führende KPdSU-Funktionäre* Mitglieder und Kandidaten des Politbüros des ZK der KPdSU(B)

gewählt auf dem Plenum am 10. Februar 1934 Mitglieder:

Kandidaten:

Andreev, Α. A. Kaganovic, L. M. Kalinin, M. I. Kirov, S. M. Kosior, S. V. Kujbysev, V. V. Molotov, V. M. Ordzonikidze, G. K. Stalin, I. V. Vorosilov, K. E.

Cubar', V.Ja, (ab 1. 2. 1935 Mitgliede s 16. 6. 1938) Chruscev, N. S. (ab 14. 1. 1938) Éjche, R. I. (ab 1. 2. 1935) Εζον, Ν. I. (ab 12. 10. 1937 Mitglied) Mikojan, Α. I. (ab 1. 2. 1935 Mitglied) Petrovskij, G. I. Postysev, P. P. (bis 14.1.1938) Rudzutak, Ja. É. (bis 26. 5.1937) Zdanov, A. A. (ab 1. 2.1935

Mitglieder des Sekretariats des ZK der KPdSU(B)

Kaganovic, L. M. Kirov, S. M. Stalin, I. V. Zdanov, Α. Α.

Sekretäre: Εζον, Ν. I. (ab 1. 2.1935) Andreev, Α. Α. (ab 28. 2.1935)

Mitglieder und Kandidaten des Orgbüros des ZK der KPdSU(B)

Mitglieder:

Kandidaten:

Andreev, Α. A. Εζον, Ν. I. Gamarnik, Ja. B. Kaganovic, L. M. Kirov, S. M. Kosarev, Α. V. Kujbysev, V. V. Mechlis, L. Z. (seit 14.1.1938) Stalin, I. V. Steckij, A. I. Svernik, Ν. M. Zdanov, A. A.

Kaganovic, M. M. Krinickij, A. I.

* Nach Zalesskij 2000, S. 527-538.

463

FÜHRENDE PARTEIFUNKTIONÄRE Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees der KPdSU(B)

gewählt auf dem XVII. Parteitag 1934 Mitglieder: Alekseev, P. A. Antipov, Ν. K. Badaev, Α. E. Balickij, V. A. Barman, Κ. Ja. Berija. L. P. Bubnov, A. S. Cernov, Μ. A. Chataevic, Μ. M. Chruscev, N. S. Cubar', V.Ja. Cudov, M. S. Cuvyrin, Μ. E. Èjche, R. I. Enukidze, A. S. Evdokimov, E. G. Εζον, Ν. I. Gamarnik, Ja. B. Ikramov, A. Ivanov, V. I. Jagoda, G. G. Jakir, I. É. Jakovlev,Ja. A. Kabakov, I. D. Kaganovic, L. M. Kaganovic, Μ. M. Kalinin, M. I. Kirov, S. M. Knorin, V. G. Kodackij, I. F. Kosarev, Α. V. Kosior, I. V. Kosior, S. V. Krinickij, Α. I. Krupskaja, N. K. Krzizanovskij, G. Kujbysev, V. V. Lavrent'ev, L. I. Lebed', D. Z. Litvinov, M. M.

Kandidaten Ljubimov, I. E. Lobov, S.S. Manuil'skij, D. Z. Mezlauk, V. I. Mikojan, Α. I. Mirzojan, Α. I. Molotov, V. M. Nikolaeva, Κ. I. Nosov, I. P. Ordzonikidze, S. Petrovskij, G. I. Pjatakov, Ju. L. Pjatnickij, I. A. Postysev, P. P. Razumov, M. O. Ruchimovic, M. L. Rudzutak, Ja. É. Rumjancev, I. P. Ryndin, Κ. V. Seboldaev, B. P. Stalin, I. V. Steckij, Α. I. Sulimov, D. E. Svernik, N. M. Uchanov, Κ. V. Varejkis, I. M. Vorosilov, K. E. Zdanov, A. A. Zelenskij, I. A. Zukov, I. P.

Bagirov, M. D. Blagonravov, G. I. Bljucher, V. K. Brojdo, G. I. Bucharin, Ν. I. Budennyj, S. M. Bulganin, N. A. Bulin, A. S. Bykin, Ja. Β. Demcenko, Ν. Ν. Deribas, T. D. Egorov, A. I. Èliava, S. Ζ. Eremin, I. G. Filatov, Ν. Α. Gikalo, Ν. F. Goloded, I. M. Grin'ko, G. F. Grjadinskij, F. P. Isaev, U. D. Jurkin, T. A. Kalmanovic, M. I. Kalygina, A. S. Kaminskij, G. N. Komarov, N. P. Kubjak, N. A. Kul'kov, M. M. Kuricyn, V. I. Lepa, A. K. Ljubcenko, S. A. Lozovskij, S. A. Makarov, I. G. Mechlis, L. Z. Michajlov, M. E. Michajlov, V. M. Mirzojan, L. I. Musabekov, G. K. Osinskij, V. V. Pachomov, N. I. Pavlunovskij, I. P. Polonskij, V. I.

Popov, N. N. Poskrebysev, A. N. Pozern, B. P. Pramnek, È. K. Ptucha, V. V. Rozengol'c, A. P. Rykov, A. I. Sarkizov, S. A. Sedel'nikov, A. I. Semenov, B. A. Serebrovskij, A. P. Smorodin, P. I. Sokol'nikov, G. Ja. Stejngardt, A. M. Strievskij, K. K. Struppe, P. I. Subrikov, V. P. Svarc, 1.1. Tomskij, M. P. Tovstucha, I. P. Tuchacevskij, M. N. Uborevic, I. P. Ugarov, A. I. Unslicht, I. S. Veger, E. I. Vejnberg, G. D. Zatonskij, V. P. Zavenjagin, A. P.

Führende Staatsfunktionäre der UdSSR* Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der UdSSR

02. 02.1924 - 19.12.1930 19. 02. 1930 - 06. 05. 1941 06.05.1941 - 1 5 . 0 3 . 1 9 4 6

Rykov, Α. I. Molotov, V. M. Stalin, I.V.

Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare

14. 05.1934 - 25. 01.1935 10. 03.1941 - 15. 03.1946

Kujbysev, V. V. Voznesenskij, N. A.

Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare

16. 01.1926 - 25. 05.1937 05. 11. 1926 - 10. 11.1930 11.08.1928-01.12.1930 10.11.1930 - 14. 05.1934 22.12.1930 - 09.10.1931 25. 04.1934 - 25. 02.1937 27. 04.1935 - 21. 06.1937 22. 07. 1937 - 15. 03. 1946 17.10. 1937 - 01.12. 1937 19. 01.1938 - 03. 05. 1938 21.08.1938-15.05.1944 16.09.1938-15.05.1944 04. 04. 1939 - 10. 03. 1941 08. 05. 1939 - 26. 08. 1943 31. 05. 1939 - 15. 05.1944 17. 04.1940 - 15. 03. 1946 17. 04. 1940 - 15. 05. 1944 17.04.1940-15.05.1944 07. 05.1940 - 15. 03.1946 16. 09.1940 - 15. 05.1944 03. 02.1941 - 15. 03.1946 10. 03. 1941 - 15. 05. 1944 06. 05. 1941 - 16. 08. 1942

Rudzutak, Ja. È. Ordzonikidze Smidt, O.Ju. Kujbysev, V. V. Andreev, A. A. Mezlauk, V. I. Antipov, N. K. Mikojan, Α. I. Mezlauk, V. I. Kosior, I. V. Kaganovic, L. M. Bulganin, N. A. Voznesenskij, N. A. Zemljacka, R. S. Vysinskij, A.Ja. Kosygin, A. N. Pervuchin, M. G. Malysev,V.A. Vorosilov, K. E. Mechlis, L. Z. Berija, L. P. Saburov, M. Z. Molotov, V. M.

Geschäftsführer des Rates der Volkskommissare der U d S S R

17. 07. 29.12. 23. 03. 29. 03. 31. 07. 17.12. 10. 06. 14.11.

1923 1930 1933 1937 1937 1938 1939 1940 -

29. 12.1930 23. 03. 1933 29. 03. 1937 31. 07. 1937 05. 11. 1938 04. 06.1939 14.11. 1940 13. 03. 1949

Gorbunov, N. P. Kerzencev, P. M: Mirosnikov, 1.1. Arbuzov, M. F. Petrunicev, N. A. Bol'sakov, I. G. Chlomov, M. D. Cadaev, Ja. E.

FÜHRENDE STAATSFUNKTIONÄRE

465

Vorsitzende des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR 3 0 . 1 2 . 1 9 2 2 - 17. 0 1 . 1 9 3 8 Kalinin, M. I. 3 0 . 1 2 . 1 9 2 2 - 17. 01. 1938 Petrovskij, G. I. 21. 0 5 . 1 9 2 5 - 1937 Musabekov, G. 3 0 . 1 2 . 1 9 2 2 - 16. 06. 1937 Cervjakov, A. G. 21. 0 5 . 1 9 2 5 - 21. 07.1937 Ajtakov, N. 21. 05. 1925 - 17. 06.1937 Chodzaev, F. U. 18. 03.1931 - 04. 0 1 . 1 9 3 4 Maksum, N. 04. 0 1 . 1 9 3 4 - 09.1937 Rachimbaev, A. R. Sekretäre des Zentralen Exekutivkomitees der UdSSR 30. 12.1922 - 03. 0 5 . 1 9 3 5 Enukidze, A. S. 03. 0 5 . 1 9 3 5 - 09. 07.1937 Akulov, I. A. 09. 07.1937 - 17. 0 1 . 1 9 3 8 Gorkin, A. F. Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR 17. 0 1 . 1 9 3 8 - 19. 0 3 . 1 9 4 6 Kalinin, M. I. Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR 17. 01. 1938 - 05. 0 3 . 1 9 5 3 Gorkin, A. F. Vorsitzender des Unions-Sowjets des Obersten Sowjets der UdSSR 12. 0 1 . 1 9 3 8 - 10. 0 2 . 1 9 4 6 Andreev, Α. A. Vorsitzender des Nationalitäten-Sowjets des Obersten Sowjets der UdSSR 12. 01. 1938 - 10. 0 2 . 1 9 4 6 Svernik, Ν. M.

Das Politbüro tagt am das Orgbüro tagt am

1., 8., 16. und 23., um 14.00 Uhr, 5. und 17. um 18.00 Uhr.

* Ivkin 1999, S. 10-29; Zalesskij 2000, S. 540f. - Nach Inkrafttreten der neuen Verfassung der UdSSR wird anstelle des ZEK der Oberste Sowjet gewählt.

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