Christian Garve (1742–1798): Philosoph und Philologe der Aufklärung 9783110647747, 9783110645903

From the early 1770s on, Christian Garve (1742–1798) was considered one of the luminaries of the German Enlightenment an

201 41 2MB

German Pages 410 Year 2021

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Christian Garve (1742–1798): Philosoph und Philologe der Aufklärung
 9783110647747, 9783110645903

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1 Zum Geleit
50 Jahre Garve-Forschung
2 Biographie und historischer Kontext
Kommunikation und Kontemplation
Schottische Aufklärung in Deutschland
Lessons of Violence
3 Ethik und Politik
Menschenwürde
Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie
Goodbye to Aristotle
Garves Eudämonismus
Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung«
»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse«
Garves späte Sittenlehre
4 Ästhetik, Anthropologie und Popularphilosophie
Die schöne Seele
Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie
»Schon als Thier ist der Mensch gesellig«
Ist Popularphilosophie möglich?
Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen«, bestimmt »durch den Geschmack und durch die Mode«
5 Anhang
Zeittafel
Siglenverzeichnis
Bibliographie
Personenregister

Citation preview

Christian Garve (1742 – 1798)

Werkprofile

Philosophen und Literaten des 17. und 18. Jahrhunderts Herausgegeben von Frank Grunert und Gideon Stiening Wissenschaftlicher Beirat: Stefanie Buchenau, Wiep van Bunge, Knud Haakonssen, Marion Heinz, Martin Mulsow und John Zammito

Band 14

Christian Garve (1742 – 1798)

Philosoph und Philologe der Aufklärung Herausgegeben von Udo Roth und Gideon Stiening

ISBN 978-3-11-064590-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-064774-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064619-1 ISSN 2199-4811 Library of Congress Control Number: 2020950977 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Anton Graff: Christian Garve, Öl auf Leinwand, vor 1773 Universität Leipzig, Kunsthistorisches Institut, alte Inventar-Nr. 1913/471

Inhalt Udo Roth, Gideon Stiening  Einleitung Christian Garve – Philosoph und Philologe der Aufklärung  | 1

1 Zum Geleit  Michael Stolleis  50 Jahre Garve-Forschung | 13

2 Biographie und historischer Kontext  Frank Grunert  Kommunikation und Kontemplation Arbeitsweise und philosophisches Selbstverständnis von Christian Garve  | 19 Antonino Falduto  Schottische Aufklärung in Deutschland Christian Garve und Adam Fergusons Institutes of Moral Philosophy  | 33 Johan van der Zande  Lessons of Violence Christian Garve on the French Revolution  | 55

3 Ethik und Politik  Stefanie Buchenau  Menschenwürde Die Kontroverse zwischen Garve und Kant  | 101 Andree Hahmann  Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie Die Philosophischen Anmerkungen und Abhandlungen zu Ciceros Büchern von den Pflichten  | 127

VIII | Inhalt

Johan van der Zande  Goodbye to Aristotle Christian Garve between Late and Neohumanism  | 143 Michael H. Walschots  Garves Eudämonismus | 171 Gideon Stiening  Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« Christian Garve über Politik zwischen Naturrecht und Moral  | 183 Dieter Hüning  »Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« Kants Garve-Kritik im Gemeinspruchaufsatz  | 207 Franz Hespe  Garves späte Sittenlehre | 225

4 Ästhetik, Anthropologie und Popularphilosophie  Anne Pollok  Die schöne Seele Ansätze zu einer ganzheitlichen Anthropologie bei Mendelssohn, Garve und Schiller  | 267 Ansgar Lyssy  Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie | 287 Hans-Peter Nowitzki  »Schon als Thier ist der Mensch gesellig« Garves Geselligkeitskonzept in Ueber Gesellschaft und Einsamkeit  | 301 Jutta Heinz  Ist Popularphilosophie möglich? Christian Garve als exemplarischer Popularphilosoph  | 325 Udo Roth  Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen«, bestimmt »durch den Geschmack und durch die Mode« Garves Auseinandersetzung mit dem Begriff der Mode  | 347

Inhalt | IX

5 Anhang  Zeittafel | 373 Siglenverzeichnis | 379 Bibliographie | 381 Personenregister | 399

Udo Roth, Gideon Stiening

Einleitung Christian Garve – Philosoph und Philologe der Aufklärung

1 Garve, der Aufklärer Christian Garves war ein deutschsprachiger Aufklärer, wie er im Buche steht: Gelehrt und produktiv, kritisch und an einem echten ›Wandel durch Vernunft‹ ausgerichtet; er hat umfangreiche systematische Werke verfasst und kurze funkelnde Essays, er hat bedeutende Übersetzungen geliefert und sie mit einflussreichen Kommentaren versehen; und Garve war ein Meister der Rezension – so über Kant, Lessing, Herder oder Mendelssohn. Dennoch ist ein Band über den Breslauer Aufklärer keineswegs selbstverständlich. Zwar ist Garves umfangreiches Werk reich an Anknüpfungspunkten für die verschiedensten Wissenschaften zum 18. Jahrhundert und böte mithin hinreichend Gelegenheiten für eine intensive und ausdifferenzierte Forschung, doch ist es keineswegs vollständig erschlossen ‒ von einer ›Garve-Forschung‹ kann derzeit keine Rede sein. Neben den Studien von Michael Stolleis,1 Zwi Batscha,2 Kurt Wölfel3 und Norbert Waszek,4 die Garve als ernstzunehmenden Autor in die Forschungsdebatte zum 18. Jahrhundert wieder einführten bzw. neu positionierten, wie dies auch in Johan van der Zandes Studien5 geschieht, sind es die Monographien von Claus

|| 1 Michael Stolleis: Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts. Moral und Politik bei Christian Garve. Meisenheim am Glan 1972. 2 Zwi Batscha: Christian Garves politische Philosophie. In: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte 14 (1985), S. 113–155 [Wiederabdruck in ders.: »Despotismus von jeder Art reizt zur Widersetzlichkeit«. Die Französische Revolution in der deutschen Popularphilosophie. Frankfurt a. M. 1989, S. 13–56]. 3 Kurt Wölfel: Über das essayistische Werk Christian Garves. In: GGW I, S. I–XXX; ders.: Über Garves selbständig erschienene Schrifen. In: GGW VI, S. I–XXXV. 4 Norbert Waszek: La »tendance à la sociabilité« (Trieb der Geselligkeit) chez Christian Garve. In: Revue Germanique Internationale 18 (2002), S. 71–85; ders.: The Scottish Enlightenment in Germany, and its translator Christian Garve (1742–98). In: Tom Hubbard, Ronald D. S. Jack (Hg.): Scotland in Europe. Amsterdam, New York 2006, S. 55–71. 5 Johan van der Zande: The Microscope of Experience: Christian Garve’s Translation of Cicero’s ›De Officiis‹ (1783). In: Journal of the History of Ideas 59 (1998), S. 75–94. https://doi.org/10.1515/9783110647747-001

2 | Udo Roth, Gideon Stiening

Altmayer und Leonie Koch-Schwarzer,6 die – bei allen außerordentlichen Verdiensten – mehr Gesamtdarstellungen bieten als forcierte Detailforschung.7 Die Gründe für die eher ephemere Beschäftigung der Forschungen zum 18. Jahrhundert mit Garve sind vielfältig: Die Philosophiegeschichtsschreibung muss sich aufgrund eines spezifischen Verständnisses ihrer systematischer Ausrichtung auf die Leuchttürme wie Leibniz, Wolff und Kant beschränken, und Garve zählt zu Recht nicht dazu; die Philologien sind zur Zeit eher mit sich selbst bzw. abseitigen Fragen kulturwissenschaftlicher Provenienz befasst, so den ›Sachen der Aufklärung‹, ›fremden Dingen‹ oder ›Tieren‹,8 deren Potential für die Aufklärungsforschung noch ausgemessen werden muss. Die Rechtsgeschichte hat ihre historischen Schwerpunkte weiter zurück in die Frühe Neuzeit verlegt, und die weitgespanntere Ideengeschichte legte ihren Focus in den letzten Jahren mit großem Erkenntnisgewinn auf eine sogenannte Radikale Aufklärung,9 zu der Garve aber erkennbar nicht gehört. Neben diesen Kontingenzen der Forschungsentwicklungen der für Garve an sich zuständigen Fächer dürfte noch ein weiterer Grund für die eher seltene Beschäftigung mit dessen Werken eine gewichtige Rolle spielen: Garves Texte gelten als leicht, auch als leichtfüßig, weil eben popularphilosophisch; sie sind aber in Wahrheit für den Leser des 21. Jahrhunderts durchaus schwer zu erschließen, weil sie eine Argumentationsmethode und einen Darstellungsstil pflegen, der uns heute fremd geworden scheint, und zudem historische Kontexte voraussetzen, die abge-

|| 6 Claus Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. Saarbrücken 1992; Leonie Koch-Schwarzer: Populare Moralphilosophie und Volkskunde. Christian Garve (1742–1798) – Reflexionen zur Fachgeschichte. Marburg 1998. 7 Noch in keiner Weise erschlossen sind bisher etwa die Briefe Garves, vgl. Christian Garveʼs vertraute Briefe an eine Freundin. Leipzig 1801; Briefe von Christian Garve an Christian Felix Weiße und einige andere Freunde. 2 Bde. Breslau 1803; Briefwechsel zwischen Christian Garve und Georg Joachim Zollikofer, nebst einigen Briefen des ersteren an andere Freunde. Breslau 1804; Christian Garveʼs Briefe an seine Mutter. Hg. von Karl Adolf Menzel. Breslau 1830; Friedrich von Gentz: Briefe an Christian Garve (1789‒1798). Hg. von Karl Gottlob Schönborn. Breslau 1857; hinzuzuzählen bzw. abzugleichen sind auch die über 200 (wieder-)entdeckten Briefe von und an Garve in der Universitätsbibliothek Breslau, vgl. Alexander Košenina: »Briefe eines Arztes an seinen Freund« ‒ Zwei ungedruckte Briefe Ernst Platners an Christian Garve. In: Jahrbuch der Schlesischen FriedrichWilhelms-Universität zu Breslau 31 (1990), S. 141‒151, hier S. 141f., Anm. 3); auch Garves umfängliche Rezensionstätigkeit gilt es noch zu erkunden. 8 Vgl. etwa Frauke Berndt, Daniel Fulda (Hg.): Die Sachen der Aufklärung. Beiträge der DGEJJahrestagung 2010 in Halle a. d. Saale. Hamburg 2012; Birgit Neumann (Hg.): Präsenz und Evidenz fremder Dinge im Europa des 18. Jahrhunderts. Göttingen 2015; Roland Borgards, Marc Klesse, Alexander Kling (Hg.); Robinsons Tiere. Freiburg i. Br., Wien, Berlin 2016. 9 Vgl. u. a. Jonathan Israel: Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity, 1650–1750. Oxford 2001; ders.: A Revolution of the Mind: Radical Enlightenment and the Intellectual Origins of Modern Democracy. Princeton 2009; Martin Mulsow: Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680‒1720. 2 Bde. Göttingen 2018.

Einleitung | 3

sunken sind. Garves ebenso ausufernde wie zupackende Rezensionen, seine stupenden Kommentare und die scheinbar argumentationslogisch mäandernden Abhandlungen und Essays sind schwer zu lesen und zu analysieren; dem liegt jedoch ein objektives Problem zu Grunde, das sich wie folgt formulieren ließe: Tatsächlich argumentiert Garve selten systematisch (und zwar weder induktiv noch deduktiv), sondern entwickelt seine Gedanken nach einem anderen Muster, das nicht in systematischer, sondern in methodischer Hinsicht kritisch verfährt.10 Wenn Kant in der Kritik der reinen Vernunft ausführt, dass »unser Zeitalter [d. i. das späte 18. Jahrhundert] das eigentliche Zeitalter der Kritik« sei, der sich alles zu unterwerfen habe,11 dann zeigt Garve an seinem Umgang mit anderen Texten, wie dieses ›alles‹ aussehen könnte, wenn man sich den zentralen Werken des Zeitalters verstehend, d. h. kritisch analysierend zuwendet. Im Selbstverständnis des Autors lautet dieses Vorgehen wie folgt: Es ist wahr, daß ich zu allen meinen Ideen Veranlassung brauche, und daß die Gedanken andrer die ich prüfe, mir am öftersten diese Veranlassung geben. So weit ich mich zurück erinnere, hat mein vornehmstes Nachdenken darinn bestanden, den Unterricht den ich von andern empfieng, auszulegen, zu bestreiten, zu bestätigen. Ich habe im Grunde immer fremde Werke commentirt. Damit dieß nicht meiner Eigenliebe zu sehr schmerze, überrede ich mich, daß das Denken aller andern Menschen mehr oder weniger diesen Gang nehme. Indeß kann doch auch meine Schwäche hinzukommen: ich mag weniger Genie haben hervorzubringen, als gesunde Vernunft zu beurtheilen und auszubilden, was schon gefunden ist.12

So Garve im Anhang einiger Betrachtungen über Johann Macfarlands Untersuchungen die Armuth betreffend aus dem Jahre 1785 – nicht ohne im letzten Satz hinzuzufügen: »Und hierinn haben die mir ungünstigern Beurtheiler recht.« Solch aufdringliche Zurücknahme muss man natürlich kritisch befragen, wie alle Selbstinterpretationen, aber sie könnte doch womöglich ein Ausgangspunkt sein, um das Eigentümliche der garveschen Positionierungen, Konzepte und Argumentationsbewegungen neuerlich zu überprüfen.

|| 10 Vgl. hierzu die Hinweise im Beitrag von Frank Grunert in diesem Band. 11 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Nach der ersten und zweiten Original-Ausgabe hg. von Raymund Schmidt. Mit einer Bibliographie von Heiner Klemme. Hamburg 31990, A XI. 12 Christian Garve: Anhang einiger Betrachtungen über Johann Macfarlands Untersuchungen die Armut betreffend, über den Gegenstand selbst, den sie behandeln: besonders über die Ursachen der Armuth, den Charakter der Armen, und die Anstalten sie zu versorgen. Leipzig 1785, S. IV (GGW XII).

4 | Udo Roth, Gideon Stiening

2 Garve als Gegenstand von Vorurteilen An der ›ungünstigen Beurteilung‹ als wenig originellem Denker hat sich seit 200 Jahren nicht viel geändert. Die Wasserscheide, die die vernichtenden Urteile schon der Frühromantiker – so u. a. Friedrich Schleiermachers abfälliges Urteil über die Langeweile bei der Lektüre von Gesellschaft und Einsamkeit13 – manifestierten, scheint noch für heutige Experten unüberwindbar; selbst Kurt Wölfel – wohl einer der bedeutendsten Garve-Interpreten des 20. Jahrhunderts – meinte, sicher auch von seiner Jean Paul-Begeisterung präformiert: Garve sei kein origineller Denker.14 Dieses Vorurteil versuchen die Beiträge des nachfolgenden Bandes kritisch zu prüfen, und zwar sowohl durch die Bearbeitung bislang unbekannter Werkfelder als auch durch eine übergreifende Debatte darüber, was das Eigentümliche der Verfahren und Vorgehensweisen Garves ausmacht. Die bisherigen Vorschläge – Eklektizismus oder Essayismus15 – sind solange nicht überzeugend, als nicht hinreichend geklärt ist, ob das methodisch und systematisch weitgefächerte Œuvre Garves damit vollständig zu erfassen ist. Auch die Kategorie der Popularphilosophie, die Norbert Waszek jüngst noch einmal stark gemacht hat,16 bietet für die begriffliche Erfassung der Besonderheiten der Texte Garves zwar einen gewichtigen Aspekt, erfasst allerdings nicht alle Elemente dieser eigentümlichen Form von Kritik, die Garve in über 30 Jahren der Textarbeit ausprägte.

3 Garve im Urteil der Zeitgenossen Wendet man nun den Blick von der Forschung des 20. und 21. Jahrhunderts auf die zeitgenössische Wahrnehmung der Leistungen Garves, so ergibt sich ein deutlich abweichendes Bild: Garve zählte nämlich zu den einflussreichsten Philosophen, Übersetzern und Publizisten der europäischen Aufklärung zwischen 1770 und 1800,

|| 13 Vgl. Friedrich Schleiermacher: Garves letzte von ihm selbst herausgegebene Schriften. In: Athenaeum 3 (1800), S. 129‒139; Friedrich Schlegel äußert sich weitaus boshafter zu Garves Schriften: »Garve’s Essay ein Pfahl in der Mitte, woran ein ziemlich langer Strick; er geht mit diesem so lange herum als der Strick reicht und dann wieder rückwärts« (Friedrich Schlegel. Kritische Ausgabe seiner Werke. Hg. von Ernst Behler u. a. Bd. 18: Philosophische Lehrjahre, 1796‒1800. München 1963, S. 59. 14 Vgl. Kurt Wölfel: [Art.] Garve, Christian. In: NDB 6 (1964), S. 77f. 15 Vgl. Helmut Holzhey: Philosophie als Eklektik. In: Studia Leibnitiana XV (1983), S. 19–29; Norbert Waszek: Die Popularphilosophie. In: Helmut Holzhey, Vilem Mudroch (Hg.): Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und Osteuropa. 1. Halbbd. Basel 2014, S. 403–414. 16 Vgl. ebd., S. 406–414.

Einleitung | 5

und zwar sowohl innerhalb gewichtiger Teilbereiche der Fach- oder Schulphilosophie, wie der Moralphilosophie und Politik, als auch im Zusammenhang literarischer und popularphilosophischer Diskurse der sich entwickelnden und an Dynamik gewinnenden Öffentlichkeit.17 Garve selbst unterscheidet in diesem Zusammenhang deutlich: Nicht alle Philosophie ist Popularphilosophie bzw. kann es sein, aber alle Popularphilosophie hat philosophische Grundlagen.18 Garve nahm darüber hinaus entscheidenden Einfluss auf wichtige Debatten, Kontroversen und Forschungsentwicklungen seiner Zeit. Seine durch Friedrich II. angeregte Neuübersetzung und Kommentierung von Ciceros De officiis19 war nicht nur ein großer Verkaufserfolg, sondern hatte auch immensen Einfluss auf die Moralphilosophie und deren pädagogische Umsetzung im späten 18. Jahrhundert – namentlich auf Kant.20 Sein Sprachstil in Übersetzungen und sein Darstellungsstil in Aufsätzen, vor allem beeinflusst von der Essayistik David Humes21 war seit den späten 1760er Jahren normbildend – auch für die bedeutenden Autoren der Aufklärung und des Sturm und Drang wie Lessing, Mendelssohn oder Goethe und Lenz. Diese Verbindungen sind jedoch für eine Literaturgeschichte des späten 18. Jahrhunderts erst noch zu entdecken; es ist offenbar keineswegs nur die auffällige Studentensprache, wie die eines Friedrich Christian Laukardts,22 die die enorme Sprachentwicklung der 1770er Jahr beeinflusste, sondern auch und vor allem Garves Sprachstil in seinen Übersetzungen und Kommentaren, der die genialischen Jünglinge, aber auch Schiller, Herder und Hamann beeinflusste. Doch Garves Einfluss geht deutlich weiter: Noch Georg Büchner bezieht sich affirmativ auf die Essays des Breslauer Gelehrten.23 Dessen Entwürfe zur Geschichte und Systematik einer Moralphilosophie, die den Herausforderungen der neuen Zeit

|| 17 Vgl. hierzu die biographischen Skizzen bei Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 6), S. 17–54; vgl. auch Waszek: Popularphilosophie (s. Anm. 15), S. 406–414. 18 Christian Garve: Von der Popularität des Vortrages. In: ders.: Vermischte Aufsätze, welche einzeln oder in Zeitschriften erschienen sind. Neu herausgegeben und verbessert. Breslau 1796, S. 331‒358 (GGW IV); vgl. auch den Beitrag von Jutta Heinz in diesem Band. 19 Abhandlung über die menschlichen Pflichten in drey Büchern aus dem Lateinischen des Marcus Tullius Cicero übersetzt von Christian Garve. Breslau 1783; Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Ciceroʼs Büchern von den Pflichten. Breslau 1783. 20 Vgl. hierzu Manfred Baum: Kant und Ciceros ›De officiis‹. In: ders.: Kleine Schriften. Bd. 2: Arbeiten zur praktischen Philosophie Kants. Hg. von Dieter Hüning. Berlin, Boston 2020, S. 45–56 sowie den Beitrag von Andree Hahmann in diesem Band. 21 Vgl. hierzu Garve: Von der Popularität des Vortrages (s. Anm. 18), S. 353; Christian Garve: Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Bd. 2. Breslau 1796, S. 423 (GGW I). 22 Vgl. hierzu u. a. Dirk Sangmeister: Vertrieben vom Feld der Literatur. Verbreitung und Unterdrückung der Werke von Friedrich Christian Laukhard. Bremen 2017. 23 Vgl. hierzu Susanne Lehmann: Christian Garve – eine unbekannte Quelle zu Büchners »Kato«Rede. In: Georg-Büchner-Jahrbuch 9 (1995/99), S. 7–32.

6 | Udo Roth, Gideon Stiening

auch nach 1789 gewachsen sein wollten, prägten die aufgewühlten Debatten der 1790er Jahre, in denen er zu einem der erfolgreichsten Schriftsteller aufstieg. Seine Überlegungen zum Verhältnis von Moral und Politik mussten die Jahre, in denen die Französische Revolution Europa in Atem hielt, nachhaltig beeinflussen.24 Niemand anderes als Friedrich Gentz, heute einmal mehr als »Erfinder der Realpolitik« gefeiert, erhielt gewichtige Anregungen für sein Verständnis von Politik bei seinem früheren Lehrer und langjährigem Vertrauten Christian Garve.25 Von seinem immensen Einfluss auf die akademische und populäre Philosophie, die Philologie, die Literatur und die praktische Politik ist gleichwohl zumeist lediglich die berühmte Auseinandersetzung mit Kant in Erinnerung geblieben: seine mit Johann Georg Heinrich Feder verfasste Rezension der Kritik der reinen Vernunft.26 Allerdings ist man durch neue Archiv-Funde womöglich gezwungen, die Rolle Garves bei der Verfertigung der ersten Rezensionsfassung sowie die öffentliche Kontroverse um sie neu zu bewerten.27 Auch die eher verstreuten Arbeiten zu den vielfältigen Feldern der praktischen Philosophie, zur Geschichte und Systematik einer allgemeinen Moralphilosophie sowie zur Politik, Garves eigentlichen Arbeitsfeldern nach 1770, wurden nur vereinzelt und zudem nur in älteren Studien bearbeitet.28 Sowohl die Forschung zur Spätaufklärung überhaupt als auch die zur spätaufklärerischen Moralphilosophie weisen jedoch einen Innovationsgrad auf, der als Kontext für eine hinreichende Interpretation der garveschen Position zu Moral und Politik zu berücksichtigen ist.29

|| 24 Siehe hierzu Stolleis: Staatsraison (s. Anm. 1), passim. 25 Siehe hierzu die Hinweise bei Harro Zimmermann: Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik. Paderborn u. a. 2012, S. 23, S. 28ff. u. ö. 26 Rezension zu Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Riga 1781. In: Zugabe zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen 1782, Bd. 1, 3. St., S. 40–48; siehe hierzu Klaus Petrus: »Beschrieene Dunkelheit« und »Seichtigkeit«. Historisch-systematische Voraussetzungen der Auseinandersetzung zwischen Kant und Garve im Umfeld der Göttinger Rezension. In: Kant-Studien 85 (1994), S. 280–302; die Ergebnisse dieser Studie sind aber nunmehr zu revidieren. 27 Vgl. hierzu den Brief Garves an Michael Hißmann vom 18. Oktober 1781, in: Michael Hißmann: Briefwechsel. Hg. von Hans-Peter Nowitzki, Udo Roth, Gideon Stiening und Falk Wunderlich. Berlin, Boston 2016, S. 140f.; zu einer neuen Bewertung der Vorgänge um die Göttinger Rezension der KrV siehe die »Einleitung« in: Johann Georg Heinrich Feder (1740–1821). Empirismus und Popularphilosophie zwischen Wolff und Kant. Hg. von Hans-Peter Nowitzki, Udo Roth und Gideon Stiening. Berlin, Boston 2018, S. 1‒18, hier v. a. S. 8f. 28 Vgl. hierzu u. a. Paul Müller: Christian Garves Moralphilosophie und seine Stellungnahme zu Kants Ethik. Borna, Leipzig 1905 sowie Stolleis: Staatsraison (s. Anm. 1). 29 Das gilt natürlich vor allem für die Forschung zur kantischen Ethik; siehe hierzu u. a. Ji-Young Kang: Die allgemeine Glückseligkeit. Zur systematischen Stellung und Funktion der Glückseligkeit bei Kant. Berlin, Boston 2015, geht jedoch auch weit darüber hinaus, vgl. u. a. Clemens Schwaiger: Das Problem des Glücks im Denken Christian Wolffs. Eine quellen-, begriffs- und entwicklungsgeschichtliche Studie zu Schlüsselbegriffen seiner Ethik. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995 und Kristin Reichel: Diderots Entwurf einer materialistischen Moral-Philosophie (1745–1754). Würzburg 2012.

Einleitung | 7

Eine eingehende Interpretation der späten umfangreichen Sittenlehre aus dem Jahre 1798 in ihrem historischen wie systematischen Teil fehlte bislang; gleiches galt bisher für das anthropologische opus magnum, Ueber Gesellschaft und Einsamkeit;30 beide zentralen Texte werden im nachfolgenden Band einer genauen Lektüre unterzogen.31 Zudem ist das erst in Ansätzen neu in den Blick genommene Verhältnis zwischen Kant und Garve grundlegend zu überprüfen;32 auch diese Themen werden im Folgenden verhandelt.

4 Forschungsaufgaben Insgesamt bietet ein Blick auf die bisherige Forschung zur Person und zum Werk Christian Garves ein eher einseitiges Bild. Von den frühen Invektiven Schleiermachers über Garves so genannte »Anmerkungs-Philosophie«33 hat sich der bis in die 1790er Jahre populäre und einflussreiche Aufklärer nie wirklich erholt. Insofern gibt es nicht nur weite Felder im Werk des Breslauer Aufklärers, die bislang unbearbeitet blieben, so viele der zur Klugheitslehre der Spätaufklärung beitragenden Essays – u. a. über die Geduld oder über die Unentschlossenheit34 –, die den Zeitgenossen als berühmt galten, heute aber vergessen sind.35 Neben einer analytischen Sichtung vieler heute unbekannter Texte und Forschungsfelder Garves versucht der vorliegende Band ein möglichst umfassendes und zugleich in sich differenziertes Bild des Gesamtwerkes und dessen interner Ordnungsstruktur zu geben. Zu prüfen ist hierbei, ob die von Altmayer, Stolleis und Waszek entworfene These von einer Grundlegung des Œuvres in der praktischen Philosophie tatsächlich zutrifft oder ob der epistemologische Empirismus Garves nicht doch vorrangig ist. Ist das Axiom der natürlichen Geselligkeit des Menschen

|| 30 Vgl. Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 6), S. 257ff. 31 Siehe hierzu die Beiträge von Franz Hespe und Hans-Peter Nowitzki in diesem Band. 32 Vgl. hierzu die Studie von Bernd Ludwig: Kant, Garve, and the Motives of Moral Action. In: Journal of Moral Philosophy 4 (2007), S. 183–193 sowie Michael Wolff: Moral in der Politik. Garve, Kant, Hegel. (Vortrag in Jena und Regensburg, Januar 2008). In: www.academia.edu/37673040/ Wolff_Moral_in_der_Politik_Garve_Kant_Hegel, letzer Aufruf 30.07.2020). 33 So Schleiermacher: Garve’s letzte noch von ihm selbst herausgegebene Schriften (s. Anm. 13), S. 136. 34 Christian Garve: Ueber die Geduld. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Bd. 1. Breslau 1792, S. 1‒116 (GGW I); ders.: Ueber die Unentschlossenheit. In: ebd., S. 453‒536. 35 Einen ersten Überblick zu diesem Essaywerk bietet Wölfel: Über das essayistische Werk Christian Garves (s. Anm. 3).

8 | Udo Roth, Gideon Stiening

tatsächlich der ›Schlussstein‹ der garveschen Philosophie36 (und damit nicht, wie bei Kant, die Freiheit) oder doch eher der Ausgang allen Denkens, Glaubens und Handelns um der Erfahrung?37 Oder stehen beide Felder unverbunden nebeneinander? Zwi Batscha spricht schon 1989 einerseits von einem Verdrängungsverhältnis zwischen empirischem Analytiker und philosophischem Moralisten, andererseits von einem Primat der praktischen Vernunft.38 Nimmt man jedoch Garve mit seinem opus magnum, der Schrift Gesellschaft und Einsamkeit, als Autoren der so genannten Anthropologie der Spätaufklärung,39 wofür vieles spricht, dann ist im Rahmen des von Platner, von Irving, Herder oder Forster ausgebildeten anthropologischen Monismus ein Primat der praktischen Philosophie jedenfalls anders zu bestimmen als in kantischer Weise, weil es für die Anthropologen eine substanzielle Differenz zwischen theroetischer und praktischer Vernunft gar nicht gab.40 Abschließend seien noch zwei weitere Perspektiven oder Themen angedeutet, die in den Beiträgen des nachfolgenden Bandes durchgehend berücksichtigt wurden: 1. Garve beginnt in den späten 1760er Jahren zu schreiben und zu übersetzen, seine Ferguson-Übersetzung41 macht ihn schlagartig berühmt – vor allem in jenen

|| 36 Siehe hierzu neben den angegebenen Arbeiten von Stolleis und Altmayer vor allem Waszek: La »tendance à la sociabilité« (s. Anm. 4). 37 So jetzt überzeugend Nina Hahne: Essayistik als Selbsttechnik. Wahrheitspraxis im Zeitalter der Aufklärung. Berlin, Boston 2015, S. 267ff. 38 Batscha: Christian Garves politische Philosophie (s. Anm. 2), S. 29. 39 Vgl. hierzu u. a. Hans-Jürgen Schings (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. Stuttgart, Weimar 1994; Wolfgang Riedel: Anthropologie und Literatur in der deutschen Spätaufklärung. Skizze einer Forschungslandschaft. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 6. Sonderheft, 1994, S. 93–157; Jutta Heinz: Wissen vom Menschen und Erzählen vom Einzelfall. Untersuchungen zum anthropologischen Roman der Spätaufklärung. Berlin, New York 1996; Jan Rachold: Die aufklärerische Vernunft im Spannungsfeld zwischen rationalistisch-metaphysischer und politisch-sozialer Deutung. Eine Studie zur Philosophie der deutschen Aufklärung (Wolff, Abbt, Feder, Meiners, Weishaupt). Berlin, New York 1999; Wolfgang Proß: Nachwort: ›Natur‹ und ›Geschichte‹ in Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. In: Johann Gottfried Herder: Werke. Hg. von Wolfgang Proß. 3 Bde. München 1984‒2002, Bd. 3.1, S. 833–1041; Hans-Peter Nowitzki: Der wohltemperierte Mensch. Aufklärungsanthropologien im Widerstreit. Berlin, New York 2003; Stefan Borchers: Die Erzeugung des ganzen Menschen. Zur Entstehung von Anthropologie und Ästhetik an der Universität Halle im 18. Jahrhundert. Berlin, Boston 2011 sowie Stefan Hermes, Sebastian Kaufmann (Hg): Der ganze Mensch – Die ganze Menschheit. Völkerkundliche Anthropologie, Literatur und Ästhetik um 1800. Berlin, Boston 2014. 40 Siehe hierzu u. a. Gideon Stiening: »Ganzer Mensch« statt »reiner Vernunft«. Feders Zeitschriftenprojekt Philosophische Bibliothek und seine Rezension der Kritik der praktischen Vernunft. In: Nowitzki, Roth, Stiening (Hg.): Johann Georg Heinrich Feder (s. Anm. 27), S. 209–234. 41 Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Uebersezt und mit einigen Anmerkungen versehen von Christian Garve. Leipzig 1772 (GGW XI).

Einleitung | 9

Kreisen, die ab den 1770er Jahren der Ton angeben, die Göttinger vor allem,42 aber auch bestimmte Berliner und Leipziger Wolff-Kritiker. Garve gehört schnell zur intellektuellen Elite dieser sich auf der ›Überholspur‹ des philosophischen und kulturpolitischen Weltgeistes wähnenden empiristischen Bewegung; das ändert sich jedoch deutlich in den 1780er Jahren, die neben der Kritik der reinen Vernunft und den Folgen eben auch Garves Cicero hervorbringen, die die Debatten in keineswegs nurmehr empiristischer Manier prägen. Sein Utilitarismus der späten 1780er Jahre ist mit seinem Ferguson-Kommentaren aber ebenso wenig zu verrechnen wie mit der späten, Kant-kritischen Sittenlehre – kurz: Es gibt eine Werkgeschichte im Œuvre Garves, die es womöglich mehr als bisher zu berücksichtigen gilt. 2. In den Briefen an Michael Hißmann zeigt sich eine Seite an Garve, die aus seinen Texten wenig bekannt zu sein scheint: Den Hintergrund bildet die antijudaische Rezension Hißmanns von Christian Konrad Wilhelm Dohms zentralem Werk Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden aus dem Jahre 1781.43 Garve vermutet zunächst Michaelis als Autoren der Rezension, weil dessen Antijudaismus in Göttingen bekannt war; von Hißmann offenbar eines besseren belehrt, liefert Garve zunächst eine in der Sprache bedächtige, der Sache nach aber deutliche Kritik an der Verunglimpfung der jüdische ›Race‹ durch Hißmann. Es ist, wie Garve schreibt, vor allem seine Freundschaft zu Mendelssohn, die ihm Hißmanns Urteile verunmöglichten. Das scheint aber zu einiger Gegenwehr Hißmanns geführt zu haben, auf die Garve dann wie folgt antwortet: Ich gestehe es, der große Haufe der Juden ist mir wie im Handel, so auch im Umgang, unausstehlich. Auch ihre Halbgelehrten sind nicht angenehm, davon wir einige bey uns haben. Ein gewisser Eigendünkel auf einen Vorzug der bey ihnen seltner ist, mit Zudringlichkeit Schmutz u. jüdischen Sitten verbunden, entfernt mich von den meisten. Doch habe ich von Zeit zu Zeit auch unter handelnden Juden, einen von besserm Schlage, offnerer Physiognomie, edlerer Denkungs-Art gesehen, bey welchem der SchacherGeist das gute nur verdunkelt nicht unterdrückt hatte.44

Natürlich stellt sich – wie schon bei Hißmann45 – die Frage: Sind diese Urteile systematisch relevant, also aus den anderweitigen Positionen Garves zur Anthropolo-

|| 42 Vgl. hierzu u. a. Luigi Marino: Praeceptores Germaniae. Göttingen 1770–1820. Göttingen 1995 sowie Karsten Engel: Wissenschaft in Korrespondenzen. Göttinger Wissensgeschichte in Briefen. Göttingen 2019. 43 Christian Konrad Wilhelm Dohm: Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden. Berlin, Stettin 1781 [Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. Kritische und kommentierte Studienausgabe. Hg. von Wolf Christoph Seifert. Göttingen 2015]; Rezension Hißmanns in: Zugabe zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen 1781, Bd. 1, 48. St., S. 753‒763 [ND in Michael Hißmann: Ausgewählte Schriften. Hg. von Udo Roth und Gideon Stiening. Berlin 2013, S. 285‒289]. 44 Hißmann: Briefwechsel (s. Anm. 27), S. 195. 45 Vgl. die »Einleitung« zu Hißmann: Ausgewählte Schriften (s. Anm. 43), S. 1‒22.

10 | Udo Roth, Gideon Stiening

gie – wie beispielsweise bei Christoph Meiners46 – abzuleiten, oder schlicht ein zeitgenössisch-lebensweltliches Vorurteil, ohne systematische Valenz.47 Dass Garve dennoch in vielerlei Hinsicht als Aufklärer zu bezeichnen ist und als ein solcher zu erforschen bleibt, zeigt sich u. a. an seiner gelassenen Haltung zu Polemik und Kontroverse in der akademischen oder populären Sache; so heißt es in Ueber Gesellschaft und Einsamkeit: Der bloß friedliche Umtausch der Gedanken unter klugen Leuten ist dem Geiste, zur Bereicherung so wie zu Uebung, schon sehr nützlich. Aber in einem noch weit höhern Grade wird der Verstand der Menschen durch einen freymüthigen aber freundschaftlichen Streit unter ihnen geschärft.48

In diesem Sinne mögen die nachfolgenden Beiträge verstanden werden.

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die von den Herausgebern vom 16. bis 18. März 2017 an der Ludwig-Maximilians-Universität München ausgerichtet wurde. Die Tagung wurde von der Fritz-Thyssen-Stiftung in großzügiger Weise unterstützt, wofür sich die Organisatoren ausdrücklich bedanken. Für die wertvollen praktischen und administrativen Hilfen vor, während und nach der Tagung sei an dieser Stelle Anna Axtner-Borsutzky, Zeno Bambi, Anna Keil, Felix Kraft, Anna-Dorit Lachmann und Michael Schwingenschlögl ganz herzlich gedankt. Schließlich gilt ein besonderer Dank dem Verlag Walter de Gruyter und dabei insbesondere Marcus Böhm und Anne Hiller, die sich für unseren Sammelband zu Christian Garve mit großem Engagement einsetzten. München und Münster im August 2020

|| 46 Vgl. hierzu demnächst Dieter Hüning: Meinersʼ Schrift ›Ueber die Natur der Afrikanischen Neger‹. Zu den Ursprüngen des Rassismus im Zeitalter der Aufklärung. In: Stefan Klingner, Gideon Stiening (Hg.): Christoph Meiners (1747–1810). Anthropologie und Geschichtsphilosophie in der Spätaufklärung. Berlin, Boston 2021 [i. D.]. 47 Wie dies etwa für Kants lebensweltliche, aber systematisch unbedeutende Vorurteile über Schwarze gilt, vgl. hierzu Bernd Dörflinger: Universalismus der Verschiedenheit. Kants naturhistorische Theorie der Menschenrassen – kein Fall von Rassismus. In: Aufklärung 32 (2020), S. 365‒373; vgl. auch Rainer Godel, Gideon Stiening (Hg.): Klopffechtereien – Missverständnisse – Widersprüche? Methodische und methodologische Perspektiven auf die Kant-Forster-Kontroverse. München 2012. 48 Christan Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit [Bd. 1]. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Bd. 3. Breslau 1797, S. 147 (GGW II); Hvhg. im Original.

| 1 Zum Geleit

Michael Stolleis

50 Jahre Garve-Forschung Die Herausgeber des Bandes haben mir freundlicherweise gestattet, einen kleinen und autobiographisch gefärbten Rückblick einzuschalten, der auch etwas über die Forschungslage in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts aussagt. Wenn im Jahr 2017 in München eine Tagung über Christian Garve (1742–1798) stattfindet, dann verfügen die Teilnehmer über eine Fülle von nationalen und internationalen Studien zur deutschen Philosophie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, es gibt eine Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, eine Zeitschrift Aufklärung, eine weitere Das achtzehnte Jahrhundert und viele weitere Organe zu Les Lumières und The Age of Enlightenment, vor allem in Frankreich, England und in den USA. Kurt Wölfel hat Garves Gesammelte Werke ab 1985 in 15 Bänden herausgegeben. Leonie Koch-Schwarzer hat ein in seiner Gründlichkeit kaum zu übertreffendes Grundlagenwerk zu Garve geliefert.1 Das war, wie kaum anders zu erwarten, um 1965 ganz anders, jedenfalls aus der Perspektive eines werdenden Juristen mit literarischen Interessen, aber geringen historischen oder gar philosophiehistorischen Kenntnissen. Ich war nach dem ersten juristischen Staatsexamen aus Würzburg nach München gekommen, um den Referendardienst anzutreten und um – wie damals üblich – während dieser Zeit auch meine Promotionsarbeit zu schreiben. Dabei traf ich auf den 1964 von Lund nach München berufenen schwedischen Rechtshistoriker Sten Gagnér (1921–2000),2 der gerade sein später legendär gewordenes Seminar begründete.3 Er ermunterte mich, ein Thema zu suchen, und ließ mir dabei völlige Freiheit. Ich stöberte in den unermesslichen Katalogen und Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek und stieß auf Garves Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik. Noch einige Betrachtungen über die Frage: »In wiefern ist es möglich, die Moral des Privatlebens bey der Regierung der Staaten zu beobachten?« (Breslau 1787). In diesem Jahr war auch Garves Übersetzung von William Paleys Principles of Morals and Politics (1785) unter dem Titel Grundsätze der Moral und Politik (Leipzig 1787) erschienen. Das schien mir ein interessantes Thema zu sein, zumal dann auch nicht nur die berühmte Kontroverse mit Kant in dessen Aufsatz Über den Gemeinspruch: Das mag

|| 1 Leonie Koch-Schwarzer: Populare Moralphilosophie und Volkskunde. Christian Garve (1742– 1798) ‒ Reflexionen zur Fachgeschichte. Marburg 1998. 2 Joachim Rückert: Zum wissenschaftlichen Werk von Sten Gagnér. In: Sten Gagnér: Abhandlungen zur europäischen Rechtsgeschichte. Hg. von Maximiliane Kriechbaum, Joachim Rückert und Michael Stolleis. Goldbach 2004, S. 759–786; Michael Stolleis: Sten Gagnér (1921–2000), ein großer Lehrer der europäischen Rechtsgeschichte. In: Quaderni Fiorentini 29 (2000), S. 560–569. 3 Michael Kunze: Das Mansardenseminar. In: Maximiliane Kriechbaum (Hg.): Festschrift für Sten Gagnér zum 3. März 1996. Ebelsbach 1996, S. 379–385. https://doi.org/10.1515/9783110647747-002

14 | Michael Stolleis

in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis hinzukam, sondern auch einige andere Schriften im Umkreis dieser Debatte (Günther Heinrich von Berg, Carl Theodor von Dalberg, Paul Johann Anselm von Feuerbach, Georg Forster, Friedrich von Gentz, Eberhard Friedrich Georgii, Ernst Ferdinand Klein, Ludwig Heinrich von Jakob, August Wilhelm Rehberg, Johann Georg Schlosser, Johann Adam Völlinger). Je mehr ich mich in diese Literatur der letzten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts vertiefte, desto deutlicher wurde, dass es dabei nicht um Quisquilien, sondern um entscheidende politische Fragen jener Zeit ging. Sollte es einem Fürsten bei seinen Entscheidungen als Herrscher erlaubt sein, von der für alle Menschen geltenden Moral abzuweichen, wenn er sich dabei auf das »gemeine Wohl« berufen konnte? Gab es also eine Doppelung von »Privatmoral« und »Fürstenmoral«, oder hatte sich der Fürst ohne Wenn und Aber an die in seinem Staat geltenden Gesetze zu halten – nun begann man von »Constitution« oder »Verfassung« zu sprechen – oder wenigstens an Basissätze der Ethik, die in jener Zeit allgemeine Geltung beanspruchten? Das war im Grunde der Übergang vom »aufgeklärten Absolutismus« zum Zeitalter des »Rechtsstaats« und der modernen Verfassungen. »Machtsprüche« der Regenten sollte es nicht mehr geben, das Privilegienwesen galt als ökonomisch überholt, die Regierungen sollten sich an das von den Ständeversammlungen oder Parlamenten beschlossene »allgemeine Gesetz« halten. Die Berufung der Regenten auf die Beförderung der »Glückseligkeit« der Untertanen wurde gerade in jenen Jahrzehnten als hohle Phrase angegriffen, mit deren Hilfe sich der absolutistische Staat jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum der selbstbewusster werdenden bürgerlichen Gesellschaft erlauben konnte. Dies alles schwang mit, wenn der menschenfreundliche und allseits geachtete Breslauer Philosoph Garve äußerte, für Fürsten müssten bei ihren Handlungen mit deren weitreichenden Folgen andere Maßstäbe gelten als für den einfachen Bürger. Allzu leicht konnte Garves Position als politisch pro-absolutistisch verstanden werden, zumal die Abhandlung als Nebenfrucht einer von Friedrich II. veranlassten Übersetzung von Cicero De officiis entstanden war. In einem weiteren Sinn ging es um die seit dem 16. Jahrhundert geführte Debatte, ob die Berufung auf die »Staatsräson« (ragione di stato, ratio status) einen legitimen Rechtstitel zur Durchbrechung des für alle geltenden Rechts abgeben könne. Waren Kriege, Morde, Verhaftungen von Gegnern und andere Rechtsbrüche erlaubt, wenn es um Verteidigung des Staates, um Staatsnotstand oder auch nur um Steigerung der »Glückseligkeit« aller ging? Erlaubte der von den Regenten ausgehende Glaubenszwang den »Tyrannenmord«? Durften die siegreichen Revolutionäre von 1789 die Errungenschaften der Revolution mit massenhaften Hinrichtungen verteidigen, um so die Rückkehr zum Ancien Régime zu verhindern? Hatten in diesen Umwälzungen nach 1789 die klugen und sanften Reflexionen eines Breslauer Privatgelehrten noch irgendein spezifisches Gewicht? Mit alledem konnte ich mich 1966/67 kaum belasten. Eine juristische Dissertation sollte nicht ausufern, indem sie alle diese Fragen im Kontext der Zeit diskutierte.

50 Jahre Garve-Forschung | 15

Das zweite Staatsexamen stand vor der Tür. Ich raffte also mein erstes frisch erworbenes Wissen zusammen, nutzte die bescheidene Forschungsliteratur – Garve war ja einer der »vergessenen Autoren« – und schrieb 1966 eine Abhandlung, mit der ich vor 50 Jahren in München promoviert wurde. Ein mildes Rigorosum am 24. Februar 1967 schloss das Verfahren ab. Die Zeit drängte, eine Auslandsstation innerhalb der Referendarzeit sollte folgen, und so übergab ich das Produkt vor meiner Abreise dem einfachen Dissertationsdruck.4 Nachdem ich aus dem Ausland zurückgekehrt war und das zweite Staatsexamen absolviert hatte, überarbeitete ich das Ganze noch einmal, eliminierte zahlreiche Fehler und publizierte es im Buchdruck.5 Nur diese verbesserte Fassung ist heute zitierfähig. Vergleicht man den Wissensstand des damaligen Doktoranden mit dem heutigen, wie er sich etwa im Grundriss der Geschichte der Philosophie durch Norbert Waszek präsentiert,6 so zeigen sich deutliche Verschiebungen. Die traditionell negative Konnotation der »Popularphilosophie« im Schatten Kants ist einer ausgewogeneren Betrachtung gewichen, die praktische Philosophie der Aufklärung wird heute besser und intensiver gewürdigt, die persönlichen und intellektuellen Netzwerke der Spätaufklärung wurden vielfach erhellt, vor allem aber ist die wesentlich von Garve auf den Kontinent übertragene schottische Aufklärung in ihrer Bedeutung erkannt worden.7 Insgesamt ist die Szene der Philosophiegeschichte und der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts farbiger und lebendiger geworden. Die Münchner Tagung von 2017 zieht nun nach alledem eine erfreuliche Bilanz und erweitert das Bild in alle Richtungen.

|| 4 Michael Stolleis: Die Moral in der Politik bei Christian Garve. Dissertationsdruck. München 1967. 5 Michael Stolleis: Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts. Meisenheim am Glan 1972. 6 Norbert Waszek: Die Popularphilosophie. In: Helmut Holzhey, Vilem Mudroch (Hg.): Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und Osteuropa. 1. Halbbd. Basel 2014, S. 403–414, S. 443–445. 7 Hans Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Göttingen 1973; Rudolf Vierhaus: Christian Garve (1742–1798). In: Aufklärung 2 (1987), S. 135–137; umfassend Norbert Waszek: Übersetzungspraxis und Popularphilosophie am Beispiel Christian Garves. In: Das achtzehnte Jahrhundert 31 (2007), S. 42–64.

| 2 Biographie und historischer Kontext

Frank Grunert

Kommunikation und Kontemplation Arbeitsweise und philosophisches Selbstverständnis von Christian Garve

1 Einleitung: Garve und Klein als Exempel Die Konstellation für eine produktive Zusammenarbeit war zweifellos günstig, schon die äußeren Daten weisen bemerkenswerte Parallelen auf: beide wuchsen in derselben Stadt auf, waren als Sohn eines Kaufmanns und Kürschners bzw. als Sohn eines Färbers ähnlichen, wenn nicht gleichen Standes, beide studierten zur gleichen Zeit in Halle, und zwar ungeachtet ihrer unterschiedlichen Studienfächer u. a. bei Georg Friedrich Meier. Beide kehrten wieder in die gemeinsame Heimatstadt zurück und verbrachten dort durchaus in Kontakt zueinander ungefähr zehn Jahre. Die Rede ist von dem Juristen Ernst Ferdinand Klein und dem Philosophen Christian Garve. Klein war unmittelbar nach seinem Studium nach Breslau zurückgekehrt und wurde dort 1765 Advokat. Garve war zunächst von Halle nach Leipzig gewechselt und trat dort später die Nachfolge Gellerts als außerordentlicher Professor für Philosophie an. Gesundheitlich angegriffen, gibt Garve 1772 seine Professur in Leipzig auf und kehrt ebenfalls in seine Heimatstadt zurück. Klein und Garve sind also ab 1772 in derselben, vergleichsweise übersichtlichen Stadt, und zwar bis 1782, denn dann siedelte Klein nach Berlin über und wurde dort Mitarbeiter in der von Johann Heinrich Casimir von Carmer geleiteten Gesetzeskommission, die das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten vorbereitete. Obwohl man vermuten darf, dass Garve und Klein schon früher miteinander bekannt waren, kommt es doch erst während der gemeinsamen Breslauer Zeit in den siebziger Jahren zu einem quellenmäßig belegten, allerdings auffällig späten, engeren Kontakt. Klein heiratet nämlich 1778 Juliane Dorothea Förster, die Tochter eines Cousins von Garve, so dass die Beziehung zwischen Klein und Garve seit dieser Zeit – sofern sie schon vorher bestanden haben sollte – zumindest in familiärer Hinsicht intensiviert wurde. Nach der – allerdings unbelegten – Auffassung von Klaus Berndl soll der Kontakt erst durch die familiäre Bindung hergestellt worden sein.1 Auch wenn dies der Fall sein sollte, dann war diese durch familiäre Umstände geschaffene Beziehung einigermaßen weit davon entfernt, sich im Familiären zu erschöpfen. Klein berichtet in seiner 1806 erschienenen Selbstbiographie von manchen – auch von anderen und andern|| 1 Klaus Berndl: Ernst Ferdinand Klein (1743–1810). Ein Zeitbild aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Münster 2004. S. 78 und S. 82. https://doi.org/10.1515/9783110647747-003

20 | Frank Grunert

orts beschriebenen2 – Abenden, die er mit Garve und »seiner verehrungswürdigen Mutter« zugebracht habe.3 Dass es dabei nicht um verwandtschaftliche Quisquilien ging, sondern auch um sachliche und nicht zuletzt karrieretechnische Belange, wird durch die Tatsache belegt, dass Klein dem ausdrücklich als »Freund« apostrophierten Garve eine Reihe von eigenen Artikeln vorlas, die wenig später – auf Garves Betreiben hin – unter dem Titel Vermischte Abhandlungen über Gegenstände der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit bei Schwickert in Leipzig erscheinen sollten.4 Garve hatte für Klein seine Verbindungen nach Leipzig genutzt, die Johann Heinrich Casimir von Carmer gewidmete Sammlung machte ihren Verfasser bekannt und fungierte erfolgreich als eine Art Türöffner für dessen Engagement in der erwähnten Gesetzeskommission. Einmal in Berlin, verschaffte Klein eine Empfehlung von Christian Garve »den belehrenden Umgang des ehrwürdigen Greises Spalding«; und dass »Engel, Mendelssohn, Dohm, Nicolai, von Irwing, Dietrich, Zöllner, Biester und andere nicht weniger schätzbare Gelehrte«5 – also die Mitglieder der Mittwochsgesellschaft – Kleins Freunde wurden, dürfte – obwohl er selbst dies nicht eigens erwähnt – auch von Breslau aus vorbereitet worden sein. Das gute Verhältnis wurde selbst durch sachliche und später in der Öffentlichkeit ausgetragene Differenzen nicht beschädigt. Als Klein 1789 mit seinem Schreiben an Herrn Professor Garve über die Zwangs- und Gewissens-Pflichten und den wesentlichen Unterschied des Wohlwollens und der Gerechtigkeit besonders bey der Regierung der Staaten6 kritisch auf Garves ein Jahr zuvor erschienene Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik7 reagierte, tat er dies tatsächlich in einer Weise, die – wie er in seiner Selbstbiographie festhält – die Auseinandersetzung in der Sache mit dem »Ausdruck meiner innigen Liebe und Verehrung gegen diesen vortrefflichen Mann«8 verband. Denn der ausdrücklich als Jurist argumentierende Klein spricht Garve in seiner rhetorisch als Brief gehaltenen Kritik verschiedentlich als »edlen Freund«, »teuersten Freund«, »liebsten Freund«, oder als »Besten« an, der sein Herz befragen möge, und schließt seinen in der Form verbindlichen, in der Sache aber durchaus || 2 Vgl. Friederich Ancillon: Einige akademische Gelegenheitsschriften, nemlich: Denkschrift auf Ernst Ferdinand Klein, Ueber die Philosophie der Gesetzgebung, Ueber wahre Größe. Berlin 1815. S. 18f. 3 Ernst Ferdinand Klein: [Selbstbiographie]. In: Bildnisse jetztlebender Berliner Gelehrter mit ihren Selbstbiographien. Hg. von M. S. Lowe. Berlin 1806. S. 56. 4 Ebd., S. 45. 5 Ebd., S. 53. 6 Ernst Ferdinand Klein: Schreiben an Herrn Professor Garve über die Zwangs- und GewissensPflichten und den wesentlichen Unterschied des Wohlwollens und der Gerechtigkeit besonders bey der Regierung der Staaten. Berlin 1789. 7 Christian Garve: Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik, oder einige Betrachtungen über die Frage, in wiefern es möglich sey, die Moral des Privatlebens bey der Regierung der Staaten zu beobachten. Breslau 1786 (GGW VI). 8 Klein: [Selbstbiographie] (s. Anm. 3), S. 56.

Kommunikation und Kontemplation | 21

bestimmten kritischen Diskurs mit der »Versicherung, […] daß unser philosophischer Streit […] nichts in der Hochachtung ändern könne, mit welcher ich bin und immer seyn werde«.9 Die hier angeführten, vor allem von Klein selbst eingebrachten Belege für ein persönliches Verhältnis zwischen Garve und Klein zeugen zwar von einer auch in sachlicher Hinsicht bestehenden Wertschätzung, doch scheint die erwähnte günstige Konstellation – gemeinsamer Hintergrund, gemeinsames städtisches Umfeld, ähnliche Interessen – nicht zu einer weitergehenden Zusammenarbeit geführt zu haben. Gleichwohl bieten die wenigen und auf den ersten Blick nicht aussagekräftigen Hinweise zum Verhältnis zwischen Garve und Klein auf einen zweiten Blick aber doch wichtige Stichworte und Anhaltspunkte, die zur Charakterisierung von Garves Selbstverständnis und der Praxis seiner philosophischen Arbeit dienen können. Weil sie seine philosophische Arbeit rahmen und daher auf diese Einfluss nehmen, sind sie sogar geeignet, ein Licht auf die Inhalte seines Schaffens zu werfen. Die von Klein verschiedentlich betonte Freundschaft zwischen ihm und Garve, die gepflegte, an sachlicher Auseinandersetzung interessierte Geselligkeit und die Vermittlung von in mancherlei Hinsicht wichtigen Kontakten machen schon auf Anhieb deutlich, dass es Kommunikation ist, die für Garves philosophisches Schaffen von entscheidender Bedeutung war, und zwar – wie noch zu zeigen sein wird – nicht bzw. nicht nur als Medium der Mitteilung und des Austauschs von bestimmten Inhalten, sondern als ein genuines Instrument für die Produktion von Inhalten, deren Genese sich der kommunikativen Verschränkung von Perspektiven und der gemeinsamen vernünftigen Anstrengung verdanken.

2 Kommunikation: Freundschaft als produktives Prinzip Als Christian Garve 1772 sein Amt in Leipzig mit Rücksicht auf seinen dauerhaft schlechten Gesundheitszustand aufgab und nach Breslau zurückkehrte, um dort seinem geschwächten Körper diejenige Hilfe zu gewähren, die – wie er selbst schreibt – »nur von Ruhe und mütterlicher Pflege zu erwarten«10 sei, lebte er fortan

|| 9 Klein: Schreiben an Herrn Professor Garve (s. Anm. 6), S. 100. Vgl. zum Sachgehalt der Auseinandersetzung die auf Garve und seinen Kontext konzentrierte Studie von Michael Stolleis: Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts. Meisenheim am Glan 1972, bes. S. 23–25. 10 Zitiert nach Heinrich Döring: [Art.] Garve, Christian. In: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet und herausgegeben von J. S. Ersch und J. G. Gruber. Vierundzwanzigster Theil. Leipzig 1852, S. 91–121, hier S. 94.

22 | Frank Grunert

von privaten Mitteln, die ihm aus der unternehmerischen Tätigkeit seiner Mutter und aus einem eigenen Erbteil zur Verfügung standen, als Privatgelehrter, als philosophischer Schriftsteller und Übersetzer, wobei es gerade seine Tätigkeit als Übersetzer war, die ihm half, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Denn Garve war mit finanziellen Mitteln nicht in der Weise ausgestattet, dass ihm die jährlichen 200 Taler Pension, die ihm Friedrich II. als Belohnung für die angeregte bzw. geradezu in Auftrag gegebene und tatsächlich auch ausgeführte Cicero-Übersetzung11 zukommen ließ, einerlei sein konnten. War der Absatz seiner Bücher unbefriedigend, dann gab es durchaus Anlass zur Sorge; in diesem Sinne schreibt er im April 1784 an seinen Leipziger Freund Christian Felix Weiße, »daß es von Jahr zu Jahr immer nothwendiger [werde], daß ich auch etwas Honig in den Bienenkorb eintrage, um davon zehren zu können, und ich habe keine andern Blumen, von welchen ich ihn sammeln könnte, als die Schriftsteller=Arbeit«.12 Breslau sollte Garve nur noch für wenige Reisen etwa nach Göttingen oder Berlin verlassen; die Distanz zu den intellektuell und kulturell tonangebenden Zentren machten es aus seiner Sicht umso notwendiger, das Gespräch mit seinesgleichen auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu suchen: im direkten Kontakt, etwa über einen ausgedehnten Briefwechsel,13 oder in der Auseinandersetzung mit der Literatur. Das ist nicht einfach so dahingesagt: Die Notwendigkeit zu einer über Briefe vermittelte produktive Auseinandersetzung mit Gleichgesinnten ergab sich nicht zuletzt aus der für Garve erst noch gewöhnungsbedürftigen Randlage seiner Vaterstadt – Breslau war eben nicht Leipzig – und dürfte ein philosophisches Selbstverständnis befördert haben, das Garve in seinen Briefen zu erkennen gibt und jenseits subjektiver Einsichten und Vorlieben zu einer regelrechten Programmatik mit durchaus weitreichenden theoretischen Implikationen ausbaut. Garve ist – wie er in einem Brief an seine Leipziger Freundin Wilhelmine Zitzmann schreibt – gleich in einer mehrfachen Hinsicht auf »Freunde« angewiesen,14 »Freunde« sind dann auch nicht von ungefähr das leitende Stichwort in dem ausführlichen und seine Verehrung interessanterweise nicht verhehlenden Artikel, den der Historiker und SchillerBiograph Heinrich Döring 1852 – also lange nach der unmittelbaren GarveRezeption – in Ersch und Grubers Allgemeiner Encyclopädie der Wissenschaften und Künste publizierte.15 Garve berichtet Zitzmann, nicht nur der »Bücher, Muße, Lehrer« zu bedürfen, vielmehr habe er auch »Freunde« nötig, die ihn »aufmuntern«

|| 11 Abhandlung über die menschlichen Pflichten: in drey Büchern, aus dem Lateinischen des Marcus Tullius Cicero übersetzt von Christian Garve. Breslau 1783 (GGW IX). 12 Zitiert nach: Leonie Koch-Schwarzer: Populare Moralphilosophie und Volkskunde. Christian Garve (1742‒1798) – Reflexionen zur Fachgeschichte. Marburg 1998. S. 98. 13 Siehe dazu die von Koch-Schwarzer zusammengestellte Liste der ermittelten Briefe in ebd., S. 520–549. 14 Zitiert nach Heinrich Döring: [Art.] Garve, Christian (s. Anm. 10), S. 93. 15 Vgl. ebd., passim.

Kommunikation und Kontemplation | 23

und »in einer beständigen Bewegung erhalten, deren Seele mit der meinigen gleich gestimmt, jeder von ihren Gedanken entspräche, und ihnen gleich zur Geburt hülfe«.16 Der persönlich teilnehmende und sachlich interessierte Freund ist hier nicht Gesellschafter eines gefälligen Zeitvertreibs, sondern in sokratischer Idealisierung ein intensivierender und konstruktiver Counterpart in der gemeinsamen Arbeit an der Erkenntnis; und zwar nicht nur in einer epistemischen, sondern auch in einer moralischen Hinsicht. Denn, so fragt Garve in einem Brief an Christian Felix Weiße vom 17. März 1772, »[w]as kann der Mensch, was vermag er über sich selbst? Kann er zu sich sagen: So will ich sein, und wird er es auch sogleich? Nein, so wenig, als er schöner und gelehrter wird, weil er es sich befiehlt, schöner und gelehrter zu sein. Was kann er denn? Er kann sich selbst aufmerksam betrachten; kann bemerken, was Böses und was Gutes in ihm sei und vorgehe, ohne große Scham und Stolz zu sich sagen: Das ist schlecht, das ist gut; und also, so zu sagen, einen ruhigen Zustand von sich selbst abgeben. Dazu können nun redliche und verständige Freunde helfen. Aber eben« – so fährt Garve fort – »weil diese redlich und verständig sind, so werden sie jeden Fehler, oder jeden Mangel an ihrem Freunde so bemerken, wie sie es von ihm selbst haben wollen. Sie werden ihn blos als ein schätzbares Kunstwerk der Natur ansehen, daß sie zergliedern, kennen lernen, nicht gleich geändert wissen wollen«. Es ist diese Behutsamkeit in Kombination mit der Eindeutigkeit eines Urteils, das Garve zu der Behauptung veranlasst, dass »ein Fehler, den uns unsere Freunde zeigen, und den wir uns oder ihnen frei gestehen«, ein »großer Schritt zur Vollkommenheit«, ja »schon Vollkommenheit selbst«17 ist. Der in seiner Symptomatik im Einzelnen unklare, zugleich aber offenbar symptomatisch vielgestaltige, vor allem aber schlechte und sich zunehmend verschlechternde Gesundheitszustand von Christian Garve – die Rede ist von Nervenzuständen, Hypochondrie, deutlichen Anzeichen von Depressionen, und seit den 1780er Jahren von Gesichtskrebs, alles verbunden mit Schmerzen und Erschöpfungszuständen – führt zu einer zunehmenden Vereinsamung, die Garve in einem Schreiben wiederum an Weiße eindrücklich beschreibt: »Denken sie nun, daß ich unverheirathet bin, und ohne Familienbindungen lebe, daß ich kein öffentliches Amt habe und in meinen Geschäften mit keinem Menschen zusammenkomme. Stellen Sie sich meinen einsamen Tisch vor, und die gänzliche Leere, die dann um mich herrscht, wenn ich nach einem ganzen, in meiner Studirstube, mit Lesen und Schreiben zugebrachten Tag, am Abend, erschöpft und unfähig, ferner mit den Todten umzugehen, keinen Lebendigen, als meine Domestiken, um mich sehe! Ein Hausvater, der sich dann zu seinen Kindern an den Tisch setzt, kann sehr wohl fremder Gesellschaft entbehren. Ich für meinen Theil, ich gestehe es, sehne mich

|| 16 Zitiert nach Koch-Schwarzer: Populare Moralphilosophie und Volkskunde (s. Anm. 12), S. 110f. 17 Zitiert nach Döring: [Art.] Garve (s. Anm. 10), S. 96.

24 | Frank Grunert

nach dieser.«18 In dieser Situation, die sich in seinem Todesjahr – also 1798 – weiter zuspitzt, wünscht sich Garve, »in den Armen eines Freundes Zuflucht«19 zu nehmen, Briefe von Freunden, wie Christian Felix Weiße einer ist, bieten jetzt, d. h. »auch unter den schmerzlichsten Leiden Trost und Beruhigung«. Wenn auch hier der Freund als Tröster des Leidenden im Vordergrund steht, bleibt er selbst in dieser Situation der produktive Widerpart der Reflexion, denn die tröstende und beruhigende Wirkung der Briefe von Freunden wird ausdrücklich durch »angenehme Nachrichten« verursacht, die sie nach Garves Auffassung immer enthalten. So lebt er, der sich bis zuletzt als »eine Art Schreib- und Dictirmaschine« sieht, – wie er wiederum an Weiße schreibt – »nur noch durch die Wißbegierde, durch das eigene Nachdenken und durch die Belehrungen, die ich von Freunden über Literatur und Weltbegebenheiten erhalte«.20 Auch wenn der von Garve ausführlich gepflegte Freundschaftsdiskurs die für die zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts typischen Idealisierungen enthält,21 weist die explizite Funktionalisierung der Freundschaft – der Freund als notwendiger Partner im Prozess des Erkenntniserwerbs – eine unübersehbare Verbindung zu Garves auf markanter Selbsterkenntnis beruhendem und verschiedentlich geäußerten Selbstverständnis auf. In dem bereits angeführten an Wilhelmine Zitzmann gerichteten Brief, in dem Garve vom »stillen Genuß der Glückseligkeit, Freunde zu haben« spricht, beschreibt er der Leipziger Freundin seinen Tagesablauf – morgendlicher Tee mit Mutter und Cousine, gemeinsame Lektüre, lesen und schreiben von 10 bis 12 etc. – und wartet in diesem Zusammenhang schließlich mit dem folgenden bemerkenswerten Bekenntnis auf: »Mein Geist wird ohne eine tägliche Nahrung trocken und leer. Er ist keine immer brennende Flamme, die durch ihre eigene Kraft in die Höhe steigt. Er ist wie das in Stein eingeschlossene Feuer, das nur von Zeit zu Zeit Funken gibt, und auch diese müssen erst herausgeschlagen werden«.22 Mit dieser offenen Selbstcharakterisierung beschreibt sich Garve nicht als ein Originalgenie, als ein originaler Kreator von etwas Neuem, der die Erkenntnis vorgeblich solipsistisch aus sich selbst hervorbringt, sondern ausdrücklich als ein Denker, der im kommunikativen Geflecht auf die Auseinandersetzungen mit Freunden und mit der Literatur angewiesen ist, um die eigene Produktivität in Gang zu setzen. Garves eigenes Denken verdankt sich daher zu einem nicht geringen Teil der produktiven Wirkung von Katalysatoren. Denn es ist die Beschäftigung mit anderen, nicht unbe-

|| 18 Ebd., S. 102. 19 Ebd., S. 105. 20 Ebd. 21 Vgl. für einen raschen und instruktiven Zugriff Helga Brandes: [Art.] Freundschaft. In: Werner Schneiders (Hg.): Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa. München 1995. S. 139–141 sowie ausführlicher die Beiträge in Wolfram Mauser, Barbara Becker-Cantarino (Hg.): Frauenfreundschaft – Männerfreundschaft. Literarische Diskurse im 18. Jahrhundert, Tübingen 1991. 22 Zitiert nach Döring: [Art.] Garve (s. Anm. 10), S. 94.

Kommunikation und Kontemplation | 25

dingt konkurrierenden Positionen, die Wahrnehmung und die Beschreibung von fremden Einsichten, die die Formierung eigener Auffassungen allererst ermöglicht, die dann über die Realisierung von Differenzen genauere Konturen erhalten. Das damit benannte Selbstverständnis von Garve als Philosoph – oder als philosophischer Schriftsteller – macht auch seine Arbeit als Übersetzer und Kommentator plausibel. Denn hierbei findet er genau das, was er für sein eigenes Denken braucht, nämlich die »Veranlassung«, die ihm durch die »Gedanken anderer«, die er prüft, »am öfftesten« gegeben wird.23 Insbesondere die Cicero-Übersetzung, der damit in Verbindung stehende Cicero-Kommentar und die daraus entstandene selbstständig erschienene Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik machen einen Dreischritt in Garves Arbeitsweise sichtbar, der in gewisser Weise typisch für sein gesamtes Schaffen ist.24 Originalität ist dabei übrigens nicht ausgeschlossen, im Gegenteil: Indem Garve als Ausleger eines fremden Texts sich an die Stelle eines Schriftstellers setzt, regt er seine eigene Kreativität durch eine Rezeption von Zeugnissen der Kreativität eines anderen an, was dann – nach Auffassung von Garve – in ein gemeinschaftliches Denken einmündet, das über die Mobilisierung der eigenen Vernunft dann auch zu neuen Erkenntnissen führt, bzw. führen kann.25 Freilich ist Originalität – das macht die gesuchte Beziehung zur Vorlage deutlich – nicht das vorrangig angestrebte Ziel von Garves Denken. Was hier noch wesentlich im Ausgang von einer freundschaftlichen Erörterung subjektiver Befindlichkeiten dargestellt wurde, lässt sich anhand einer ganzen Reihe anderer Texte als eine ausdrückliche Programmatik nachvollziehen, die über das Exzeptionelle des privaten Gesprächs hinausgeht und eine dem Stand des Denkens entsprechende allgemeinere Verbindlichkeit behauptet. Weil Garve in diesen Texten zugleich die Subjektivität des selbstständig Denkenden betont, der jenseits bestehender Kommunikationen eine im Wortsinne ›eigentümliche‹ Philosophie entwickelt, kann mit ihrer Hilfe eine weitere, sehr grundlegende Facette von Garves Denken in den Blick genommen werden: Kommunikation ist als produktives Moment des Denkens auf Kontemplation angewiesen, damit das kommunikativ erworbene Material des Denkens über die kontemplative Verarbeitung am Ende wieder eine soziale und eine individuelle Wirkung erzielen kann.

|| 23 Norbert Waszek: Übersetzungspraxis und Popularphilosophie am Beispiel Christian Garves. In: Das achtzehnte Jahrhundert 31.1 (2007), S. 42‒64, hier S. 58. 24 Abhandlung über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 11); vgl. dazu Christian Garve: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten. Breslau 1787 (GGW X) sowie: Garve: Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik (s. Anm. 7). 25 Vgl. dazu Christian Garve: Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken. In: Christian Garve: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Bd. 2. Breslau 1796, S. 245‒430, hier S. 381 (GGW I); vgl. auch: Waszek: Übersetzungspraxis und Popularphilosophie (s. Anm. 23), S. 60.

26 | Frank Grunert

3 Kontemplation: Privatheit des Denkens Garve kommt auf diesen Zusammenhang, freilich mit differierenden Akzentsetzungen, in unterschiedlichen kleineren und größeren Schriften zu sprechen; zu denken wäre etwa an Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken, an den kleinen Text Ueber die Muße, an die zweibändige und zum Teil posthum erschienene Studie Ueber Gesellschaft und Einsamkeit und nicht zuletzt an die kleine, 1792 zum ersten Mal in den Schlesischen Provinzialblättern erschienene Schrift Lob der Wissenschaften. Insbesondere in letzterer finden sich interessante Ausführungen, anhand deren die von Garve behauptete Bedeutung und der Zusammenhang von Kommunikation und Kontemplation sich weiter entfalten lassen. In Lob der Wissenschaften untersucht Garve den »Werth der Wissenschaften, die zur menschlichen Glückseligkeit […] viel beytragen«,26 und meint mit Wissenschaften nicht akademische Disziplinen, sondern vielmehr allgemeine Wissensgebiete der Humaniora, denen sich jeder, und zwar ausdrücklich auch neben seinen Tagesgeschäften, zuwenden kann. Es geht um die Dichtkunst und die schöne Literatur, um Geschichte, um Mathematik, Naturlehre, Philologie und nicht zuletzt um Philosophie. Garve schließt seine Überlegungen »mit einigen allgemeinen Betrachtungen«, die ihn als quasi induktiv ermitteltes Resultat seiner Beobachtungen und Überlegungen am Ende zu der Einsicht führen, dass »die Dichtkunst, die Philosophie und die Gelehrsamkeit überhaupt, einen sehr beträchtlichen Beytrag« zu derjenigen »Glückseligkeit« liefern, »die dem menschlichen Geschlechte auf Erden zu Theile geworden ist«.27 Das Resümee hebt entschieden die Bedeutung der Kommunikation für ein produktives Denken hervor und macht gleichzeitig auf die Funktion der Kontemplation aufmerksam. Denn wenn Garve das »größte Vergnügen« des gesitteten Menschen darin erblickt, dass dieser sich mit den »vorzüglichsten, oder am vorzüglichsten scheinenden Menschen« »gesellschaftlichen Umgang verschafft«, dann macht er doch sogleich deutlich, dass damit – zumindest nicht unbedingt – eine konkrete soziale Interaktion gemeint sein muss. Einen solchen »Umgang« verschaffen eben auch die auf eine rechte Art betriebenen Wissenschaften: »Sie führen uns, in die Bekanntschaft der größten, oder doch der verständigsten Männer aller Jahrhunderte und aller Nationen ein«. Der Kontakt stelle sich über deren Schriften her, in denen sie genauso sprächen, wie sie mit ihren Freunden sprachen, wenn sie »am heitersten und am liebenswürdigsten waren«.28 Die über Bücher vermittelten Wissenschaften verschaffen die »Freundschaft« mit großen Schriftstellern, sie stiften eine Sozialität, in der es allerdings weder zu einer echten || 26 Christian Garve: Lob der Wissenschaften. In: Christian Garve: Vermischte Aufsätze, welche einzeln oder in Zeitschriften erschienen sind. Bd. 1. Breslau 1796, S. 273‒358, hier S. 275 (GGW IV). 27 Ebd., S. 330. 28 Ebd., S. 321f.

Kommunikation und Kontemplation | 27

Begegnung noch zu einem echten Gespräch kommt.29 Die Lektüre bleibt allenfalls doppelt monologisch, der Rede des Buches steht eine Rede des Lesers gegenüber, auf die das Buch selbstverständlich nicht intentional reagieren kann, insofern geht hier eine restringierte Kommunikation in eine faktisch einsame Kontemplation des Lesenden über. Die damit verbundenen produktiven Ansprüche sind freilich ausgesprochen weitreichend, und zwar sowohl mit Blick auf den denkenden Leser als schließlich Schaffenden als auch hinsichtlich seiner Zeitgenossen oder sogar seiner Nachwelt: Denn wenn der »wahre Gelehrte« durch den »Geist der großen Schriftsteller, zugleich genährt und angeflammt, die Feder zur Hand nimmt und selbst auftritt, seine Zeitgenossen oder die Nachwelt zu belehren; wenn er dann etwas hervorbringt, welches dem Ideal von Vollkommenheit in Gedanken und Schreibart, nahe kommt, dass jene Muster in seinem Geiste zurückgelassen haben: dann genießt er die höchsten Freuden, deren der Mensch, als verständiges Wesen, fähig ist, – Freude, das Schöne zugleich zu fühlen und hervorzubringen, – selbst lebhaft unterhalten zu werden, und am Nutzen und Vergnügen und andrer zu arbeiten, – sich zugleich an seiner eignen Vollkommenheit, an der Anmuth, der Erhabenheit, und dem innern Werthe der Gegenstände, – und an der von ihrer Bearbeitung zu hoffenden Wirkung, auf das Wohl seiner Nebenmenschen, zu ergötzen«.30 Der Passus ist deswegen charakteristisch, weil er alle Elemente nennt, die für Garves Vorstellung von einem idealtypischen philosophischen Arbeiten wichtig sind: Die Rezeption großer Werke als Initial der eigenen Produktion, die eigene Hervorbringung und deren Vollkommenheit nach dem Muster der Vorlage, der Nutzen des eigenen Produkts für den Mitmenschen und schließlich den damit verbundenen gleich mehrfachen Genuss, nämlich den Genuss der eigenen Produktivität als tätigen Vorgang, den Genuss an dem Produkt als etwas Vollkommenem und dem Genuss der wohltuenden Wirkung auf den Mitmenschen. Nicht von ungefähr spricht Garve hier von der »höchsten Freude, deren der Mensch als verständiges Wesen fähig ist«.31 Trotz der Einbindung der Geistestätigkeit in soziale und moralische Zusammenhänge verweist die Betonung der ›Ergötzung‹ entschieden auf das selbstständige Gewicht einer ästhetisch genossenen und dabei subjektiv betriebenen Kontemplation. Das Glück des kontemplativen Einsamen ist nicht ausschließlicher Selbstzweck, wohl aber ein entschiedenes, d. h. ganz unverzichtbares Ziel, wie überhaupt – nach Garves Auffassung – die »Glückseligkeit« nicht nur eine würdige, sondern »die einzige Trieb-

|| 29 Siehe dazu auch: Gotthard Frühsorge: Vom »Umgang« und von den Büchern. Zu Christian Garves Reflexionen bürgerlicher Existenz. In: Euphorion 81 (1987), S. 66–80. 30 Garve: Lob der Wissenschaften (s. Anm. 26), S. 324. 31 Ebd.

28 | Frank Grunert

feder« des Handelns ist.32 Weil es an der zitierten Stelle aus Garves »Glaubensbekenntniß« ausdrücklich um »sittliche Handlungen« geht, wird hier die Subjektivität des genossenen Glücks mit der Intersubjektivität moralischen Handelns vermittelt, und zwar als notwendige Verknüpfung auf der Basis einer grundsätzlichen Trennung. Das hier artikulierte Gewicht einer subjektiv genossenen und subjektiv betriebenen Kontemplation wird in Lob der Wissenschaften durch Garves Ausführungen zur Philosophie bestätigt und zugleich gesteigert.33 Philosophie ist bei Garve diejenige Wissenschaft, die nicht nur alle betreiben können, sondern in der alle auch Erfinder sind. Denn die Wahrheiten, die zu lernen seien, die dem philosophiegeschichtlichen Reservoir entnommen werden, müssen einer jeweils eigenen Prüfung unterworfen werden, und erst nachdem – so hält Garve fest – die Wahrheiten aus jeweils eigenen Erfahrungen, durch eine selbst gewählte Reihe von Schlüssen hergeleitet wurden, können sie als Eigentum, d. h. als eigene und daher eigentliche philosophische Kenntnis betrachtet werden. Diese Aneignung der Philosophie als der Prozess philosophischer ›Eigentumsbildung‹ ist theoretisch durchaus ernst zu nehmen. In Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken hat Garve – übrigens im prononcierten Anschluss an Kants Vorstellung von der Selbstgesetzgebung der Vernunft – darauf bestanden, dass die »wahrhafte intellektuelle Vollkommenheit« einer Erkenntnis nur dann erreicht werden kann, wenn der Mensch sie »vermöge eines eignen, völlig unabhängigen Gebrauchs seines Verstandes gefunden hat«.34 Das bloße Verstehen und die Akzeptanz einer richtigen Erkenntnis ist für sich genommen noch kein Ausweis von Philosophie, erst die »Erzeugnisse eines selbst und allein für sich thätigen Verstandes« können in Anspruch nehmen, Philosophie zu sein. Was hier noch als eine selbstständig apostrophierte Reproduktion einer richtigen, aber bereits vorliegenden Erkenntnis beschrieben wird, wird im Lob der Wissenschaften zunächst noch einmal wiederholt,35 dann aber in Richtung einer originären philosophischen Leistung radikalisiert, wobei die Originalität, das Je-Eigene des philosophischen Gedankens weniger eine Frage besonderer intellektueller Kompetenzen darstellt als vielmehr auf die perspektivischen Besonderheiten der je subjektiven Erkenntnisdispositionen des Erkennenden zurückzuführen sind. Insofern ist die Originalität, die Garve hier vor Augen hat, nicht zu verwechseln mit einer spezifisch produktiven philosophischen Kreativität, auf die ein neuer, d. h. bisher noch unbekannter, Beitrag zur Lösung eines philosophischen Problems zurückzu|| 32 Vgl. zur Bedeutung der Glückseligkeit bei Garve Gerhard Voswinkel: Christian Garve und das Ende der Glückseligkeitslehre. In: Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), S. 136–147; vgl. auch den Beitragvon Michael H. Walschots im vorliegenden Band. 33 Vgl. Garve: Lob der Wissenschaften (s. Anm. 26), S. 297. 34 Garve: Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken (s. Anm. 25), S. 430. 35 Vgl. Garve: Lob der Wissenschaften (s. Anm. 26), S. 297.

Kommunikation und Kontemplation | 29

führen wäre, es handelt sich hier eher um eine notwendige Privatheit von Wahrnehmungen und deren kognitiver Verarbeitung, die im Letzten nicht mehr kommensurabel sind. Philosophische Erkenntnis ist – nach der von Garve dargelegten Auffassung – nämlich insofern im Wortsinne tatsächlich ›eigentümlich‹, als sie sich »den eigenthümlichen Eindrücken der Natur auf unsere Sinne« und den »Wahrnehmungen unsrer besondren Seelenzustände«36 verdankt. Philosophische Erkenntnis ist daher in einem hohen und unhintergehbaren Maße subjektiv: »Jeder Mensch kann« daher »seine eigne Philosophie haben«,37 denn »in seinem Busen pocht ein andres Herz, als das Herz der übrigen Menschen« und in seinem Kopf »sind Werkzeuge des Denkens und Empfindens, die in dieser Gestalt, nur ihm zugehören«.38 Deshalb kann es in der Philosophie in einem strengen Sinne keine »durchgängige Uebereinstimmung der Menschen« und keine »vollkommene Mitteilung der Begriffe«39 geben. Insofern ergibt sich die Multiplikation der Philosophie nicht allein durch die Multiplizität der Philosophierenden, sondern sie wird zudem durch die Vielheit der wechselnden Aspekte und Perspektiven gesteigert, die ein einziger Mensch im Laufe seines eigenen Lebens und sogar jeweils hier und jetzt in seinen philosophischen Diskurs einbringen kann, denn »immer finden sich wieder neue Seiten unsers eignen Selbst, oder neue Beziehungen der Dinge auf uns, die sich uns aufdecken«40 und so in einem philosophischen Sinne produktiv werden. Philosophie wird damit nicht nur in sachlicher Hinsicht unendlich, sondern ist in gewisser Weise auch temporär unbegrenzt, sie ist in den Augen von Christian Garve »ein unvollendetes Drama, zu welchem wir immer neue Auftritte sammeln, dessen letzte Katastrophe wir aber in diesem Leben nicht erreichen«.41 Die solchermaßen doppelt unendliche Philosophie erhält hier ihr eigentliches Gewicht durch ihre Bedeutung für den kontemplativen Einzelnen: Obwohl sie wegen der Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens »weder zu vollkommner Gewißheit, noch zu ganz neuen Einsichten führt« macht sie doch mit der Hilfe von vergleichsweise einfachen stoischen Mitteln »das Herz ruhiger, und eben dadurch den ganzen Menschen glücklicher«.42 Dabei entfaltet sie eine geradezu selbsttherapeutische Wirkung, denn die Philosophie »macht die Seele nüchtern, wachsam, lebendig, gleichsam bey sich selbst wohnend« und dadurch bereit, »zu handeln, wo etwas gutes zu thun, nachzudenken, wo etwas zu lernen, zu empfinden, wo Schönheit oder Erhabenheit sich zeigt, kurz, keine sich öffnende Quelle der

|| 36 Ebd., S. 298. 37 Ebd., S. 303. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 304. 40 Ebd., S. 307. 41 Ebd. 42 Ebd., S. 307f.

30 | Frank Grunert

Glückseligkeit ungenutzt vorbeyzulassen«.43 Weil sie solcherart dem Menschen »durch Meditation, […] einen Genuß möglich macht, der unter allen am meisten und am längsten in seiner Gewalt steht: gibt sie ihm auch ein Gegengewicht, gegen das Verführerische sinnlicher Reitze, und ein Hülfsmittel gegen die Schläge des Schicksals«. Daher verdiene sie es, wie Garve abschließend bemerkt, als die »wahre Kunst zu leben«44 angesehen zu werden, die hier – bei aller ostentativen Betonung des Moralischen als dem »Mittelpunct unsers ganzen Wesens«45 – vom einzelnen Denkenden zu überwiegend eigenen Gunsten ausgeübt wird. Indem Garve die kontemplativ vom Einzelnen betriebene Philosophie ausdrücklich »als einen nützlichen und unterhaltenden Freund« bezeichnet, der uns durch »unser ganzes Leben hindurch«46 begleitet bzw. begleiten kann, wird der ansonsten so wichtige Freundschaftsbegriff gleichsam umkodiert: Freundschaft als ein intersubjektives Unterfangen zwischen mindestens zwei einander gewogenen Subjekten wird hier subjektiv vereinseitigt. Freundschaft ist hier nicht soziale Praxis, sondern die theoretische Fiktion eines Einzelnen, der zu seinem kontemplativen Glück auf die wie auch immer vermittelte Gegenwart eines Freundes am Ende doch nicht angewiesen ist.

4 Schluss: Das Glück des Einsamen und der Anspruch der Moral Mit seiner nachdrücklichen Wertschätzung der Kontemplation als subjektiver Vereinseitigung des ursprünglich intersubjektiv begriffenen Denkens zugunsten eines in der Einsamkeit genossenen privaten Glücks geht Garve im Lob der Wissenschaften recht weit, sie spielt auch in seinen anderen Arbeiten eine markante Rolle, so dass sich abschließend die Frage stellt, ob und inwieweit die konstatierte Einseitigkeit wieder ausbalanciert wird, oder ob die beschriebene subjektive Kontemplation – trotz aller Bedeutung von Kommunikation der eigentliche Fluchtpunkt von Garves Denken ist. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist zunächst die in Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken geradezu als Notwendigkeit behauptete Inkommensurabilität des produktiven »Selbstdenkers«, der seine für die Zeitgenossen neuen Gedanken »oft nicht in der geläufigen Sprache ausdrücken«47 kann, und sich daher erst nach weiterer Bearbeitung des Gedankens und der ihn artikulierenden

|| 43 Ebd., S. 310. 44 Ebd., S. 310f. 45 Ebd., S. 300. 46 Ebd., S. 306. 47 Garve: Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken (s. Anm. 25), S. 259.

Kommunikation und Kontemplation | 31

Sprache verständlich machen kann. Denn die spezifische Produktivität des ingeniösen Selbstdenkers, der nur durch seine Unabhängigkeit ein solcher sein kann, erfordert »Muth«, »Freyheit« und eine »Sorglosigkeit des Geistes«, die keinen »Zwang« akzeptiert und auf »Kritik« keinerlei Rücksicht nimmt. Die prima facie unvermittelbare Singularität des Selbstdenkers wird noch gesteigert, indem sie mit Begriffen wie »Genius«, »Laune«, »Zufall« und »Eingebung« in Verbindung gebracht wird, und Garve scheut sich auch nicht, im gegebenen Kontext vom »Ausschweifenden«, von »Begeisterung« und von »einer Art des Außer-sich-seyns« zu sprechen.48 Allerdings geht es hier nicht darum, Phantasmen Vorschub zu leisten, dazu ist Garve viel zu sehr Aufklärer: Die notwendige Inkommensurabilität des Selbstdenkers ist tatsächlich nur dadurch gerechtfertigt, dass dessen Arbeit »den Saamen und die Uranfänge von bessern Meditationen enthalten«, die schließlich erst dann zum »Großen und Vortrefflichen führen«, wenn weitere Arbeitsschritte aufgewendet werden, um das Inkommensurable des genialischen Beginns in tragfähige, mitteilbare und am Ende in nützliche Einsichten umzuformen.49 Das Gewicht subjektiver Kontemplation wird indes auch durch den wiederholt gepriesenen »Anblick der schönen Natur«50 betont. Garve feiert geradezu in dem kleinen Beitrag Ueber die Muße den »glücklichen Zustand«, der gegeben ist, »wenn der Mensch einen zwar nur sehr kleinen Theil des großen Weltalls, geschmückt mit allen Reitzen des Frühlings, vor sich liegen, und dessen lebendige Kräfte sich vor seinen Augen entwickeln sieht, indem er zugleich über das Ganze, über den Ursprung desselben, über seine empfindende und vernünftige Bewohner, über die Veränderungen, die mit denselben vorgegangen sind, und über die vermuthlichen Schicksale, für die sie aufbehalten sind, nachdenkt!«51 Die nicht zuletzt ästhetisch wahrgenommene Natur wird zum Katalysator für ein umfassendes Nachdenken, das seinen sinnlichen Anlass zwar übersteigt, aber dennoch nicht aufgibt: Im doppelten Genuss von sinnlicher Natur und gedanklicher Tätigkeit versetzt sich der Mensch in einen »glücklichen Zustand«.52 Die an dieser Stelle markante Singularität des sowohl glücklich Empfindenden und als auch glücklich Denkenden wird am Ende des kurzen Textes allerdings wieder aufgehoben und in eine soziale Dimension gebracht. Denn das unter den Bedingungen der »eingeschränkten Natur des Menschen« größtmögliche Glück wird zum einen an die Präsenz eines »Freundes« gebunden, »welcher den Geschmack an der Natur und die Liebe mit ihm gemein hat«, und zum anderen wird es von der Möglichkeit abhängig gemacht, »einigen Perso-

|| 48 Ebd., S. 303f. 49 Ebd., S. 304f. 50 Ebd., S. 327. 51 Christian Garve: Ueber die Muße. In: Garve: Vermischte Aufsätze (s. Anm. 26), Bd. 1, S. 263‒272, hier S. 270 (GGW IV). 52 Ebd.

32 | Frank Grunert

nen wohlzuthun, und andern Dienste zu leisten«.53 Die Subjektivität des kontemplativ erlangten Glücks, kann sich bei Garve daher tatsächlich nur sozial und vor allem moralisch realisieren, was dem faktischen Gewicht der glücklichen Kontemplation freilich keinerlei Abbruch tut. Dieses wird schließlich auch durch Garves größerer, zweiteiliger Studie Ueber Gesellschaft und Einsamkeit bestätigt. Garve betont hier einerseits, dass die Einsamkeit zwar »ein geschickter Zustand« sei, um bereits gesammelten Stoff zu bearbeiten, sie aber andererseits »an sich keinen Stoff zum Denken« bietet, so dass der einsamen Meditation »Gesellschaft, Geschäfte und Lektüren« als Medien der Stoffsammlung notwendigerweise vorangehen müssen.54 Auch wenn der Gelehrte oder der Dichter in der Einsamkeit »seine glücklichsten Stunden genießt«, so kann sie doch immer nur periodisch sein und muss »mit der Gesellschaft« wechseln, denn wenn der Gelehrte oder der Dichter »die wirkliche Welt aus dem Gesichte verliert«, werden ihre Werke »zu spekulativ« und »zu abstract«, sie lassen sich dann nicht mehr mit der Praxis vermitteln und sind unbrauchbar.55 Und doch ist in derselben Studie von der »Wollust des einsamen und stillen Nachdenkens« die Rede, die denjenigen, der sie genossen hat, kaum dazu veranlassen wird, ihr die »glänzenden Vergnügungen in der Gesellschaft«, »Gewinn bringende Geschäfte« und nicht einmal »gelehrte Arbeiten« vorzuziehen.56 Zwar spielt im Genuss des einsamen Nachdenkens auch das Verlangen nach »moralischer Veredelung und nach Beruhigung des Herzens«57 eine Rolle, doch ist dieses kontemplative Glück durchaus mit Handlungsabstinenz vereinbar – freilich praktisch und faktisch nur zeitweilig.

|| 53 Ebd., S. 272. 54 Christian Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit. Erster Band. Breslau 1797, S. 105 (GGW II); vgl. zu Garves Ueber Gesellschaft und Einsamkeit auch den Beitrag von Hans-Peter Nowitzki in diesem Band. 55 Christian Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit. Zweyter Band. Hg. von Johann Kaspar Friedrich Manso und Johann Gottlob Schneider. Breslau 1800, S. 333f. (GGW II). 56 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit, Bd. 1 (s. Anm. 54), S. 184. 57 Ebd.

Antonino Falduto

Schottische Aufklärung in Deutschland Christian Garve und Adam Fergusons Institutes of Moral Philosophy

1 Einleitende Bemerkungen In einem Brief vom März 1770 schreibt Christian Garve aus Leipzig an seine Mutter: Ein Oberst Clarke [erfährt] von einem meiner Zuhörer [...], daß ich ihm den Ferguson (ein philosophisches Werk über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, aus dem Englischen) empfohlen hätte. Er verlangt sogleich, daß er ihn zu mir führen soll; und ich gestehe es, daß ich einen von den philosophischen Köpfen, und von den besten Observateurs gefunden habe, die mir jemals vorgekommen sind.1

Offensichtlich hat Garve also schon 1770, während seiner Vorlesungen in Leipzig, Ferguson empfohlen, und zwar die deutsche Übersetzung von Fergusons Essay on the History of Civil Society (1767) durch Christian Friedrich Jünger, die 1768 in Leipzig erschienen war.2 Das ist Garves erste Nennung von Adam Ferguson. Nur zwei Jahre später, 1772, erscheint in Leipzig die erste eigene Übersetzung Garves von einem Text der schottischen Aufklärung, und zwar unter dem Titel Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Es handelt sich um die Übersetzung des Werkes Institutes of Moral Philosophy, das 1769 in Edinburgh erschienen war. Damit führte Garve eine Arbeitsweise ein, auf die er in den nachfolgenden Jahren immer wieder zurückgreifen wird: Er beschränkt sich nicht darauf, den Originaltext zu übersetzen, sondern fügt der Übersetzung einige Anmerkungen hinzu, die dem deutschsprachigen Publikum den Text und seine bemerkenswerten Charakteristika präsentiert.

|| Diese Veröffentlichung wurde durch ein Feodor-Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung unterstützt. Für den Vorschlag, mich diesem Thema vertieft zu widmen, danke ich Frank Grunert und Gideon Stiening. Für Hinweise und Kritik danke ich Heiner F. Klemme. Für die sprachliche Verbesserung des Textes bin ich Sandra Vlasta dankbar. 1 Der Brief von Christian Garve an seine Mutter, Anna Katharina Garve, datiert vom 13. März 1770 aus Leipzig; siehe hierzu Christian Garves Briefe an seine Mutter. In: Christian Garve: Gesammelte Werke. Hg. von Kurt Wölfel. 16 Bände. Hildesheim 1985–2000, hier Bd. 16.2, Hildesheim 2000, S. 40 [im Folgenden GGW, Band, Seitenzahl]. 2 Siehe Norbert Waszek: Übersetzungspraxis und Popularphilosophie am Beispiel Christian Garves. In: Das achtzehnte Jahrhundert 31.1 (2007), S. 42–64, hier S. 46. https://doi.org/10.1515/9783110647747-004

34 | Antonino Falduto

Mein Beitrag verfolgt das Ziel, die Bedeutung der Übersetzungen und Kommentare Garves von Texten der schottischen Aufklärung, insbesondere von Fergusons Institutes of Moral Philosophy, in Betracht zu ziehen. Die besondere Bedeutung der Übersetzung, Verbreitung und Popularisierung vom Werk Fergusons und der Erläuterungen Garves zu diesem Text steht im Zentrum meiner Überlegungen, weil sie die Verbindung zwischen einer Theorie des Individuums als empfindendes und vollkommenheitssuchendes Wesen einerseits und einer Theorie des Strebens nach gesellschaftlichem Zusammenhang andererseits ersichtlich machen. Meinem rezeptionsgeschichtlichen Interesse entsprechend werde ich mich im weiteren Verlauf meines Beitrags dem Werk Fergusons und Garves Anmerkungen dazu widmen.3 Mein Argumentationsgang strukturiert sich wie folgt: Ich präsentiere erstens das Werk Fergusons und insbesondere die Institutes of Moral Philosophy, wobei ich dabei einerseits das Buch Fergusons vorstellen und seine Inhalte kurz skizzieren und andererseits einige Merkmale der Übersetzung Garves hervorheben werde. Ich widme mich zweitens Garves eigenen Anmerkungen zum Text Fergusons. Dabei konzentriere ich mich auf einen speziellen Punkt, und zwar auf die Verbindung zwischen den dem Individuum als vernünftig-tierischem Wesen gewidmeten Erörterungen und den Überlegungen bezüglich des Menschen als eines gesellschaftlichen Akteurs. Hierbei möchte ich besonders Garves Lösung zur Ermöglichung dieser Verbindung analysieren. Um mein Ziel zu erreichen, konzentriere ich mich auf einen Begriff, nämlich auf den der propensity, den Garve mit dem Terminus »Begierde« übersetzt. Somit werde ich die Bedeutung der Idee der Einheit des Menschen als denkenden, fühlenden und begehrenden Wesens unterstreichen, die eine Brücke schlägt zwischen einer Theorie der Empfänglichkeit und der Begierden als Voraussetzung für die Erklärung der menschlichen Handlung einerseits und andererseits der Analyse von vernünftigen Vorbegriffen, die auf das geistige Leben zurückzuführen sind. Die Analyse der genannten einheitlichen Theorie sowie der Verbindung zwischen tierischen und vernünftigen Elementen in Garves Kommentar ermöglicht es, so meine These, die besondere Kontinuität zu zeigen, die bei Ferguson und Garve bezüglich der Idee des Menschen existiert. Beide Autoren vermochten die Einheit des Menschen als geistig-empfindendes Wesen in ihrer Vollständigkeit nur insoweit zu präsentieren, als sie davon überzeugt waren, dass dieser einheitliche Gedanke nur Sinn ergibt, wenn er einerseits mit der Theoretisierung des menschlichen Zusammenhalts in der bürgerlichen Gesellschaft und andererseits mit der Betrachtung || 3 Ich zitiere Garves Übersetzung von Adam Ferguson: Institutes of Moral Philosophy. Edinburgh 1769, und seine Anmerkungen dazu nach: Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Uebersetzt und mit einigen Anmerkungen versehen von Christian Garve. Leipzig 1772 [ND: GGW XI sowie Adam Ferguson: Grundsätze der Moralphilosophie. Translated by Christian Garve. With an Introduction by Heiner F. Klemme. Bristol 2000]. Fergusons Originaltext wird im Folgenden als Institutes zitiert; Garves Übersetzung wird als Grundsätze zitiert.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 35

des menschlichen Strebens nach individueller Vollkommenheit in Verbindung steht. Bevor ich allerdings zu diesem stärker systematisch angelegten Teil meiner Überlegungen komme, skizziere ich im Folgenden zunächst die Hauptzüge des Werkes von Adam Ferguson.

2 Adam Fergusons Institutes of Moral Philosophy und Garves Übersetzung Adam Ferguson wurde in einer armen Familie in Schottland geboren und erhielt den ersten Unterricht von seinem Vater, einem presbyterianischen Geistlichen.4 Dank eines Stipendiums schrieb er sich an der Universität St. Andrews ein, an der er 1742 seinen Magister absolvierte; anschließend wechselte er nach Edinburgh an eine theologische Hochschule. Von 1745 bis 1754 war Ferguson Feldgeistlicher eines Regiments, bevor er sich 1755 in Edinburgh niederließ, wo er ab 1757 Humes Nachfolge als Bibliothekar am Juristenkolleg antrat und anschließend zunächst (ab 1759) die Professur für Natural Philosophy und ab 1764 den Lehrstuhl für Moralphilosophie an der Universität Edinburgh innehatte, von dem er sich 1785 zugunsten seines Schülers Dugald Stewart zurückzog.5 Wie Norbert Waszek bemerkt, ist eine »angemessene Deutung von Fergusons Lehre und Werk [...] nur im Kontext der schottischen Aufklärung, insbesondere im Zusammenhang mit den Ideen von David Hume und Adam Smith, sowie auch von Francis Hutcheson und Thomas Reid« möglich, und die Bewahrung »einer doppelten Perspektive erforderlich«, weil Ferguson »ein Klassiker der Soziologie avant la lettre« ist und »gleichzeitig auch Moralist« bleibt.6 Das wohl einflussreichste Werk Fergusons ist An Essay on the History of Civil Society (1767, übersetzt als Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft).7 || 4 Zum Leben und Werk Fergusons (mit ausführlicher Sekundärliteratur) siehe Norbert Waszek: Adam Ferguson. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe hg. von Helmut Holzhey. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. Bd. 1: Großbritannien und Nordamerika, Niederlande. Hg. von Helmut Holzhey und Vilem Mudroch, unter Mitarbeit von Daniel Brühlmeier, Francis Cheneval, Simone Zurbuchen. Basel 2004, S. 603– 618, Bibliographie S. 632–635; siehe außerdem Pasquale Salvucci: Adam Ferguson. Sociologia e filosofia politica. Urbino 1972. 5 Vgl. Waszek: Adam Ferguson (s. Anm. 4), S. 605f. 6 Ebd., hier S. 612. Zu Fergusons Kontextualisierung im Rahmen der schottischen Aufklärung siehe: Iain McDaniel: Adam Ferguson in the Scottish Enlightenment. Cambridge, Mass. 2013. 7 Zu Fergusons Theorie der bürgerlichen Gesellschaft siehe insbesondere David Kettler: The Social and Political Thought of Adam Ferguson. Columbus, Ohio 1965 und, kürzlich erschienen, Craig Smith: Adam Ferguson and the Idea of Civil Society. Moral Science in the Scottish Enlightenment.

36 | Antonino Falduto

In diesem Werk wird ersichtlich, wie Ferguson sowie andere Philosophen der schottischen Aufklärung, insbesondere Francis Hutcheson und Adam Smith, an dem Prozess beteiligt waren, der die politische Ökonomie und die Soziologie aus der Moralphilosophie entstehen ließ. Christian Garve zeigt sich von diesem Prozess der Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Disziplinen aus den moralphilosophischen Untersuchungen begeistert, wenn er festhält, dass »die Ökonomie sozusagen den Zusammenfluß und Grenzposten von Politik, Moral und Naturkunde bildete und durch ihre Neuheit erfrischend auf die intellektuelle Neugierde wirkte«.8 Wie Ferguson so ist auch Garve der Überzeugung, dass alles Wissen, auch Literatur und die Schöne Künste, und die Theorie überhaupt der politischen Praxis unterstellt werden muss. Bei den Schotten findet eine Umkehrung des herrschenden Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis, zwischen theoretischem Wissen und praktischem Handeln statt; sogar rein formale Betrachtungen ästhetischer Natur werden in den Werken der schottischen Aufklärung auf soziologisch relevante Auswirkungen hin ausgeführt.9 In diesem Zusammenhang werden insbesondere im Versuch die methodologischen Grundlegungen des sozialwissenschaftlich geprägten Entwicklungsprozesses deutlich: Im Gegensatz zu den Bestrebungen, die Ursprünge der Gesellschaft aus konjekturalen, vorsozialen Stadien der Menschheit zu erklären, wird der Ursprung der bürgerlichen Gesellschaft durch Rückgriff auf empirisch verifizierbare Quellen zu erkennen versucht. Die methodologisch auf diese Weise dargestellte Entwicklungsgeschichte steht mit der Untersuchung der menschlichen Natur eng in Verbindung. Das ist in dem Werk Fergusons ersichtlich, wenn er drei Gesellschaftsformen beschreibt: die der Wilden, die der Barbaren, und die Gesellschaft der Modernen als die Gemeinschaft der in einer verfeinerten und zivilisierten Art und Weise lebenden Individuen. Die Verfeinerung der Modernen besteht darin, dank einer kommerziellen Lebeweise zur größten Vervollkommnung gekommen zu sein, in der jedes Gut in Fülle produziert

|| Edinburgh 2018. Vgl. aber auch Zwi Batscha, Hans Medick: Einleitung. In: Adam Ferguson: Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Hg. und eingeleitet von dens., übersetzt von Hans Medick. Frankfurt a. M. 1986, S. 7–91; Lisa Hill: The Passionate Society: The Social, Political and Moral Thought of Adam Ferguson. Dordrecht 2009. 8 Zwi Batscha: Christian Garves politische Philosophie. In: ders.: »Despotismus von jeder Art reizt zur Widersetzlichkeit«. Die Französische Revolution in der deutschen Popularphilosophie. Frankfurt a. M. 1989, S. 13–56, hier S. 20. An dieser Stelle zitiert Batscha aus: Christian Garve: Einige Züge aus dem Leben und Charakter des Herrn C. J. Paczensky v. Tenczin aus dem Hause Schleibitz. Breslau 1793, S. 55ff. 9 Zum Verhältnis zwischen Soziologie und Ästhetik siehe Doris Bachmann-Medick: Die ästhetische Ordnung des Handelns. Moralphilosophie und Ästhetik in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1989.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 37

wird.10 Diese gesellschaftliche Entwicklung bringt aber nicht nur Positives mit sich, sondern auch mögliche negative Folgen und Gefahren. Denn die so beschriebene Gesellschaft läuft Gefahr zu zerbrechen, weil die mechanischen Arbeitsbedingungen die Arbeiter unterdrücken und das Zusammenleben erschweren. Diese Bedingungen trennen Gefühl und Vernunft der Individuen so weit voneinander, dass ein Entfremdungsprozess einsetzt, da das Individuum weder sich selbst noch den Nächsten als Individuum wahrnimmt.11 Sowohl individuelle moralische Tugenden als auch Bürgertugenden fungieren als Korrektur der mechanisierten Gesellschaft, die zur Verfeinerung führt. Die politische Praxis wird von Ferguson als die höchste Form menschlicher Handlungen beschrieben, weil sie zur Herausbildung sozial verträglicher Prozesse beiträgt und somit der Entfremdung entgegenwirkt, indem sie wieder nach (individueller sowie sozialer) Einheit streben lässt.12 Bei diesen Analysen verfolgt Ferguson methodisch stets sein Ziel, eine Lösung zu den »Schwierigkeiten moralisch-politischen Handelns in seiner Gegenwart« zu finden, die »in der verallgemeinerten Darstellung gesellschaftlich-politischer Handlungs- und Strukturzusammenhänge« besteht.13 Ähnliche Standpunkte vertritt Ferguson auch in seinen Institutes of Moral Philosophy, die aber in der philosophischen Welt viel weniger rezipiert wurden, abgesehen von Deutschland: Denn in Deutschland verdankt dieses Werk der sehr gelungenen Übersetzung Garves und dessen Kommentaren ein viel größeres Echo als irgendwo anders in Europa, wo Ferguson fast ausschließlich als der Autor von An Essay on the History of Civil Society bekannt wurde. Ferguson veröffentlichte die Institutes of Moral Philosophy zwei Jahre nach dem Essay on the History of Civil Society. Sie waren eine Art Handbuch für die Studierenden der Universität Edinburgh, die Fergusons Vorlesungen zur Moralphilosophie besuchten. Das Werk ist in sieben Sektionen unterteilt. Nach einer kurzen Einleitung, in der Ferguson grundlegende Konzepte seiner Untersuchung behandelt, und zwar – in der Übersetzung Garves – die Begriffe Of knowledge in general (»Von der Erkenntniß überhaupt«), Of science (»Von der Wissenschaft«), Of the laws of nature (»Von den Gesetzen der Natur«), Of theory (»Von der Theorie«), Of moral philosophy (»Von der Moralphilosophie«) und Of pneumatics (»Von der Geisterlehre«),14 widmen sich die einzelnen Teile des Werkes jeweils einem spezifischen Bereich der Moralphilosophie. Ferguson unterscheidet, so wie die anderen Philosophen der schottischen Aufklärung, innerhalb des allgemeineren Begriffes der Moralphiloso|| 10 Adam Ferguson: An Essay on the History of Civil Society. Edinburgh, London 1767. Deutsche Übersetzung: Adam Ferguson: Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft (s. Anm. 7), u. a. Sektion IV.i. 11 Vgl. ebd., Sektion IV.i. 12 Vgl. u. a. ebd., Sektion I.i. 13 Batscha, Medick: Einleitung (s. Anm. 7), S. 52f. 14 Ferguson: Institutes (s. Anm. 3), S. 1–11; Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 1–10.

38 | Antonino Falduto

phie zwischen verschiedenen besonderen Disziplinen, unter denen auch die Ethik im engeren Sinne zu finden ist. Wie Ferguson in der Einleitung schreibt, ist Moralphilosophie überhaupt die Kenntniß dessen, was seyn soll, oder die Anwendung von Regeln, die die Wahl freyhandelnder Wesen bestimmen sollen. Ehe sich moralische Regeln für irgend eine besondere Gattung der Wesen festsetzen lassen, müssen erst die Facta bekannt seyn, die sich auf diese Gattung der Wesen beziehen. Ehe wir für den Menschen moralische Regeln geben können, muß erst die Geschichte der menschlichen Natur, müssen erst seine Neigungen, die ihm eigenen Vergnügungen und Leiden, sein itziger Zustand und seine künftigen Erwartungen bekannt seyn. Die Seelenlehre, oder die Naturgeschichte des Geistes, ist der Grund der Moralphilosophie.15

Methodisch beschäftigt sich also die Moralphilosophie mit präskriptiven Regeln, die auf Tatsachen zurückzuführen sind. Diese Tatsachen sind nicht beliebige, schon stattgefundene Ereignisse im Leben eines Individuums, sondern Charakteristika, die notwendigerweise in der menschlichen Natur verankert sind. Zunächst müssen Neigungen, Vergnügungen, Leiden, gegenwärtige Bedingungen des Handelnden und seine Erwartungen für die Zukunft bekannt sein, um Regeln herauszufinden, die den Handelnden führen, und aus denen dann auch moralphilosophische Normen abgeleitet werden können, von denen die künftige Handlung in einer vorhersehbaren Art und Weise bestimmt werden soll. Um zu diesen Regeln zu gelangen und somit die Ethik als besondere Disziplin innerhalb der Moralphilosophie im Allgemeinen zu erforschen, wird zunächst im ersten Teil des Buches die »natürliche Geschichte des Menschen« untersucht,16 gefolgt vom zweiten Teil, der eine »Theorie von der Seele«17 entwirft, und dem dritten Teil, der die »Wissenschaft von Gott« behandelt.18 Diesen Teilen der Moralphilosophie folgt dann ein der Ethik gewidmeter vierter Teil, der »Von moralischen Gesetzen und ihren allgemeinsten Anwendungen« betitelt ist.19 In den restlichen Teilen des Buches wird die Untersuchung durch die Erörterung der übrigen moralphilosophischen Bereiche vervollständigt, so dass Ferguson seine Forschungen dem Thema »Rechtswissenschaft«20 im fünften Teil, dem Thema »Gewissenspflichten«21 im

|| 15 Ebd., S. 9f.; ebd., S. 8. 16 Ferguson: Institutes (s. Anm. 3), S. 13–79: »Part I. The natural history of Man«; Grundsätze, S. 11–70. 17 Ebd., S. 80–120: »Part II. Theory of Mind«; Grundsätze, S. 71–105. 18 Ebd., S. 121–137: »Part III. Of the Knowledge of God«; Grundsätze, S. 106–119. 19 Ebd., S. 138–191: »Part IV. Of Moral Laws, and their most general Applications«; Grundsätze, S. 120–166. 20 Ebd., S. 191–233: »Part V. Of Jurisprudence«; Grundsätze, S. 167–202. 21 Ebd., S. 234–261: »Part VI. Of Casuistry«; Grundsätze, S. 203–229.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 39

sechsten Teil, und dem Thema »Staatskunst«22 im siebenten Teil des Werkes widmen kann. Die Ethik im engeren Sinne wird nicht nur in Bezug auf die Moralgesetze im dritten Teil, sondern auch in ihrer Verbindung zu einer Tugendlehre im Kontext des fünften Teils des Buches definiert: In diesem Fall entwickelt Ferguson, an Ciceros De officiis angelehnt, eine vollständige praktische Morallehre. Der 284 Seiten langen Übersetzung des Werks Fergusons folgt in der 1772 erschienenen, von Garve übersetzten und herausgegebenen deutschen Aufgabe, ein weiterer Teil, der fast so umfangreich (263 Seiten) wie die Übersetzung selbst ist: die Anmerkungen des Übersetzers.23 Von diesen Anmerkungen wird im folgenden Abschnitt die Rede sein; doch zuvor noch zu Garves Übersetzung selbst, durch die Garve dazu beitrug, dass Fergusons Institutes »in der weiteren deutschen Rezeption als eigentliches Hauptwerk des schottischen Philosophen« wahrgenommen wurden, durch die Garve vor allem aber »terminologisch und inhaltlich gesellschaftswissenschaftliche Fragestellungen in Deutschland« anregte.24 Eine außerordentlich wichtige Rolle für die große Resonanz auf Garves Übersetzung spielen die ersten Rezensionen des Werkes von Ferguson.25 Darunter sind insbesondere einige hervorzuheben, auf die ich im Folgenden kurz eingehen werde. Eine erste Rezension der englischen Ausgabe von Fergusons Institutes erschien in der Zugabe zu den Göttingischen Gelehrten Anzeigen.26 Der Autor dieser Rezension ist Johann Georg Heinrich Feder, der in seinem Text dafür plädierte, schnellstmöglich eine deutsche Übersetzung von Fergusons Institutes zu veröffentlichen. Nachdem Feders Wunsch erfüllt wurde und die Institutes auch auf Deutsch in der Übersetzung von Garve erschienen waren, schrieb Feder gleich eine zweite Rezension des Werks Fergusons in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen.27 In dieser Rezension lobte Feder nicht nur die Übersetzung Garves, sondern auch seine Anmerkungen in höchstem Maß. Hier einige Textstellen aus der Rezension: Ein Buch, in welchem eine Menge der wichtigsten philosophischen Begriffe enthalten ist, von einem Mann übersetzt, der die Begriffe im Kopfe hat; (Unter dieser Bedingung wünschten wir eine Uebersetzung bey der Anzeige des Originals, ohne so viel zu hoffen als nun geschehen ist.) Eine solche Uebersetzung scheint uns noch immer zum wenigsten ein so verdienstliches Werk als ein eben so gutes selbstverfertigtes Buch. Bereicherung oder Berichtigung der unent-

|| 22 Ebd., S. 262–319: »Part VII. Of Politics«; Grundsätze, S. 230–284. 23 Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 285–420. 24 Waszek: Adam Ferguson (s. Anm. 4), S. 617. Vgl. dazu auch Lutz Geldsetzer: Zur Frage des Beginns der deutschen Soziologie. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 15 (1963), S. 529–541. 25 Zu den Rezensionen des Werkes Fergusons in Deutschland siehe Heiner F. Klemme: Introduction. In: Ferguson: Grundsätze der Moralphilosophie (s. Anm. 3), S. v–x. 26 GGA, 14. Stück, 12. April 1771, S. cxiii–cxv. 27 GGA, 101. Stück, 22. August 1772, S. 860–863.

40 | Antonino Falduto

behrlichen wissenschaftlichen Sprache, neues Licht für die Ideen, durch die Bemühung aus einer Sprache in die andere sie überzutragen, aufgefunden. – Wer dieß zu schätzen weiß, wird unserem Urtheile beytreten. Aber der Uebersetzer des Fergusons hat noch durch angehängte Anmerkungen das Buch um ein Drittheil vermehrt. In ihnen liegen seine eigenen Räsonnements über Freyheit, Glückseligkeit, Immaterialität der Seele, Existenz Gottes, Unterschied zwischen thierischem Instinct und menschlichem Wesen, Stoisches und Antistoisches System, und andere wichtige Gegenstände; tief durchdachte und mit liebenswürdiger Bescheidenheit vorgetragene, kurz wahre Philosophie.28

Eine dritte Rezension, wiederum anlässlich der Übersetzung, erschien ebenfalls 1772, und zwar einige Monate vor der zuletzt zitierten Rezension Feders. Es handelt sich um eine Rezension von Christoph Martin Wieland in der Erfurtischen Gelehrten Zeitung. Wieland bot in seiner Rezension eine detaillierte Zusammenfassung von Fergusons Werk und lobte gleichfalls die kommentierende Arbeit des Übersetzers mit Nachdruck: Wir können [...] dreist behaupten, daß noch nie ein englischer strengphilosophischer Autor so gut [...] übersetzt, und so gut commentirt worden wäre. Denn auch die Anmerkungen des Hrn. Garve können allen künftigen Anmerkern zum Muster dienen.29

Eine vierte Rezension der deutschen, von Garve herausgegebenen Ausgabe von Fergusons Werk erschien 1772 in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek.30 In diesem Fall handelt es sich allerdings um eine eher negative Rezension. Es wäre auch anders nicht zu erwarten gewesen, da die Allgemeine Deutsche Bibliothek die Stimmen der Rationalisten vertrat, die sich auf eine leibnizsche oder wolffsche Tradition bezogen und der empiristischen Methode der Schotten gegenüber sehr misstrauisch blieben.31 Der Rezensent schreibt: Es lassen sich in der That nur zwey Hauptarten die Sittenlehre vorzutragen, gedenken, deren Werth nach sehr verschiednen Gründen bestimmt werden muß. Die erste ist diejenige, die man die systematische nennet, und welche die Vernunft, in so fern sie in unsere Handlungen einfließen soll, zum Vorwurf hat. [...] Moralische Schriften der zweyten Art sind diejenigen, die mit den Handlungen der Menschen in nächster Verwandtschaft stehen, die sich nicht fremder Mittel bedienen, um dieser ihre Triebfedern zu vernichten oder ihre Wirkung zu hemmen, sondern sich diese Triebfedern selbst zu Nutze machen, und in dem sie Leidenschaft mit Leidenschaft, Neigung mit Neigung und Empfindung mit Empfindung bestreiten. Schriftsteller von dieser Art sind an die strenge Methode nicht gebunden, von vorausgesetzten Principien ihre ganze Kette von Folgerungen herzuleiten.32

|| 28 Ebd. S. 860f. 29 Anon. [d. i. Christoph Martin Wieland:] Rezension. In: Erfurtische Gelehrten Zeitung (22. April 1772), S. 265–270, hier S. 266. 30 Vgl. Allgemeine Deutsche Bibliothek 17 (1772), S. 319–342. 31 Vgl. Klemme: Introduction (s. Anm. 25), S. viii–ix. 32 Vgl. Allgemeine Deutsche Bibliothek 17 (1772), S. 319f.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 41

Ferguson wäre nach dem Rezensenten weder der ersten noch der zweiten Methode gefolgt – was von seiner philosophischen Ungenauigkeit zeugt. Nichtdestotrotz werden die Anmerkungen Garves gelobt.33 Das nicht allzu positive Bild dieser letzten Rezension wird einige Jahre später, und zwar 1789, in derselben Zeitschrift durch eine weitere, sehr positive Rezension von Fergusons Institutes korrigiert. Diesmal wird die englische, 1786 erschienene Neuausgabe von Fergusons Institutes rezensiert. Es wird aber darauf hingewiesen, dass dieser Text in der deutschen Übersetzung von Garve zur Verfügung steht.34 Soviel zu den ersten Rezensionen des Werkes. Sie zeigen, dass das Werk des schottischen Philosophen in Deutschland sehr bald und extrem positiv rezipiert wurde. Wie die Rezensenten schrieben, war diese positive Aufnahme nicht nur den scharfen Gedanken Fergusons geschuldet, sondern auch den Talenten des Übersetzers. Garves scharfsinnige Übersetzungen und Reflexionen bildeten den Grund für seinen frühen Erfolg, der allerdings schon im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zu Ende ging. Dieses Verschwinden ist insbesondere dem Durchbruch des Idealismus geschuldet, der die in der schottischen Aufklärung und von Garve selbst geschätzte und propagierte empiristische Epistemologie und Methodologie nicht gutheißen konnte. Wie Friedrich Schlegel in seinen in Wien gehaltenen Vorlesungen zur Geschichte der alten und neuen Literatur prägnant zusammenfasste, bestand Garves Manko für die Idealisten darin, dass er sich besonders der Moralphilosophie der Engländer und der Alten [widmete]; der Erfolg bewies nur, daß eine solche bloß auf das Wahrscheinliche und Annehmliche gegründete und gebildete Moral und Philosophie des Lebens ohne eine tiefere Begründung und allgemeine Erkenntnis dessen, was denn eigentlich an sich wahr und gewiß ist, dem deutschen Geiste nicht genug tun könne.35

Für Schlegel war das Negative an Garves Arbeit nicht nur seine methodische Art, aus Kommentaren zur eigenständigen Philosophie zu kommen, sondern auch und genau die im vorigen Zitat dargestellte Tendenz, das Empirische und das Subjektive ins Zentrum der philosophischen Forschungen zu rücken – was Garve vor allem bei Ferguson und überhaupt bei den schottischen Philosophen hochgeschätzt hatte. Die schottischen Philosophen waren für Garve außerdem insofern wichtig, weil er in

|| 33 Vgl. ebd., S. 323. 34 Vgl. Allgemeine Deutsche Bibliothek 86 (1789), S. 151f. 35 Friedrich Schlegel: Geschichte der alten und neuen Literatur. In: Kritische Friedrich-SchlegelAusgabe, I. Abt., Bd. 6. Hg. von Hans Eichner. München, Paderborn, Wien 1961, S. 386. Zur negativen Wirkungsgeschichte Garves vgl. insbesondere Norbert Waszek: Christian Garve als Zentralgestalt der deutschen Rezeption schottischer Aufklärung. In: Schottische Aufklärung. A Hotbed of Genius. Hg. von Daniel Brühlmeier, Helmut Holzhey und Vilem Mudroch. Berlin 1996, S. 123–145, hier insbesondere S. 126–129.

42 | Antonino Falduto

ihnen »die Wortführer eines innovatorischen Denkens« fand, »dessen gesellschaftsphilosophische Geschichtsdeutung und wirtschaftstheoretische Gegenwartsanalytik die von der Aufklärung begonnene Entzauberung der Welt [...] auf fortgeschrittener Stufe betrieben«.36 Gesellschaftsinnovatorisches Denken zu verbreiten war ein Verdienst der Popularphilosophie überhaupt und Garves Verdienst insbesondere. Denn Adressat der Popularphilosophen war die bürgerliche Welt, und bei der Moralphilosophie, wie sie aus Schottland nach Deutschland kam, ging es um den Menschen in der Gesellschaft, deren Analyse eine Geschichte umfasste, in der die ökonomische Theorie als Erklärung der Veränderungen fungierte. Ebenso wie die schottische Aufklärung damit am Übergang von einer normativen Moralphilosophie zu den deskriptiven Sozialwissenschaften stand, gewann die Popularphilosophie zentrale Bedeutung bei der Einführung eines sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Diskurses im deutschen Raum.37

Aus der anthropologischen Lehre und den sozioökonomischen Thesen Fergusons zog Garve weitreichende Konsequenzen. Garve sah in der ständischen Differenzierung, die aus der Arbeitsteilung stammte, den Ursprung von Zerfall und Verlust universeller Erfahrungen und der Gefährdung der Einheit des Menschen, die konsequenterweise mit einem Entfremdungsprozess verbunden ist. Dieser Aspekt der Theoretisierung von Ferguson und Garve ist in der deutschen Ideengeschichte sehr präsent. Um diesen Aspekt zu erhellen, und zugleich aber der Eigenständigkeit der Arbeit Garves gerecht zu werden, widme ich mich im Folgenden den Anmerkungen Garves zu seiner Übersetzung von Fergusons Institutes und werde die Hauptmerkmale und Inhalte dieses Kommentars hervorheben. Bevor ich allerdings zu diesem Teil komme, skizziere ich einige Aspekte der Rezeption des Werkes von Ferguson in der Übersetzung Garves.

3 Einige Aspekte der Rezeption Garves als Übersetzer Fergusons Die Bedeutung von Christian Garve als Übersetzer und Kommentator philosophischer Werke im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts kann nicht genug hervor-

|| 36 Kurt Wölfel: Über das essayistische Werk Christian Garves. In: GGW, Bd. I.1., S. I–XXX, hier S. VIII. 37 Norbert Waszek: Die Popularphilosophie. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. Band 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, Schweiz, Nord- und Osteuropa. Hg. von Helmut Holzhey und Vilem Mudroch. Basel 2014, S. 403–414, Bibliographie S. 443–445.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 43

gehoben werden.38 Garve betrachtete das Kommentieren als eine der wichtigsten Methoden des Denkens, die in der menschlichen Natur entstehen, weil im menschlichen Geist »eigene Gedanken durch fremde« erweckt werden.39 Diesem theoretischen Credo folgend gab Garve unter anderem seine von Friedrich II. veranlasste Übersetzung von Ciceros De officiis und Aristoteles’ Nikomachischer Ethik heraus, die er mit umfangreichen Anmerkungen – eigentlich nahezu unabhängigen Abhandlungen – versah.40 Was das Werk Fergusons betrifft, ist die Übersetzung der Institutes of Moral Philosophy wegweisend und exemplarisch für die künftigen Erfahrungen Garves als Übersetzer philosophischer Werke.41 Denn diese Übersetzung brachte Garve als Übersetzer zu Ruhm und Ansehen: Dabei spielte nicht nur die sprachliche Qualität seiner Übersetzung eine Rolle, sondern auch die Tatsache, daß er dem Text Fergusons einen ausführlichen Anhang (Seiten 285 bis 420 des Buchs) in der Form eines kontinuierlichen Kommentars beigegeben hatte. Da seine Bearbei-

|| 38 Siehe u. a. Manfred Kuehn: Scottish Common Sense in Germany, 1768–1800. Montreal 1987; Fania Oz-Salzberger: The Rejection of Conflict. Adam Ferguson’s German Readers. In: Studies on Voltaire and the Eigtheenth Century 30 (1992), S. 1775–1779; Fania Oz-Salzberger: Translating the Enlightenment. Scottish Civic Discourse in Eighteenth-Century Germany. Oxford, New York 1995 (siehe insbesondere Kapitel 5: Ferguson in Germany: An Overview, S. 130–137); Norbert Waszek: The Scottish Enlightenment in Germany, and its Translator, Christian Garve (1742–98). In: Scotland in Europe. Hg. von Tom Hubbard und Ronald D. S. Jack. Amsterdam, New York 2006, S. 55–71. 39 Christian Garve: Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken. In: Christian Garve: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Zweyter Theil. Breslau 1796, S. 245–430, hier S. 380. Zu Garve als Kommentator siehe Claus Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. St. Ingbert 1992. 40 Siehe Abhandlung über die menschlichen Pflichten, in drey Büchern aus dem Lateinischen des Marcus Tullius Cicero übersetzt von Christian Garve. Breslau 1783 und Garves Kommentar dazu: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten. 3 Theile. Breslau 1783. Außerdem Die Ethik des Aristoteles, übersetzt und erläutert von Christian Garve. Erster Band: Enthaltend die zwey Bücher der Ethik nebst einer zur Einleitung dienenden Abhandlung über die verschiedenen Principe der Sittenlehre. Breslau 1798; Zweyter Band: Enthaltend die acht übrigen Bücher der Ethik. Breslau 1801; vgl. hierzu auch die Beiträge von Andree Hahmann und Johan van der Zande in diesem Band. 41 Weitere Werke, die Garve mit einigen Anmerkungen und Zusätzen versehen hat, sind Johann Macfarlans, Predigers in Edinburg, Untersuchungen über die Armuth, die Ursachen derselben und die Mittel ihr abzuhelfen. Leipzig 1785 (das ist Garves Übersetzung von John Macfarlan: Inquiries concerning the poor. London, Edinburgh 1782), und M. Payley’s Grundsätze der Moral und der Politik. Leipzig 1787 (das ist Garves Übersetzung von William Paley: The principles of moral and political philosophy. London 1785). Garve schreibt nur ein neunseitiges Vorwort zur Neuübersetzung von Adam Smiths Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776ff.). Siehe Adam Smith: Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Nationalreichtums. Aus dem Englischen der vierten Ausgabe neu übersetzt von Christian Garve und August Dörrien. 4 Bde. Breslau 1794–1796.

44 | Antonino Falduto

tung des Textes auf ein weites und positives Echo gestoßen war, konnte Garve in der Folge den Verlagen gegenüber selbstbewußt auftreten und auch Bedingungen aushandeln, die weit über der Norm lagen.42

Durch Garves Übersetzungen wurde nicht nur die deutsche Aufklärung, sondern auch Friedrich Schiller und der deutsche Idealismus (insbesondere Hegel) beeinflusst.43 Man kann die Bedeutung der Texte Fergusons und Garves exemplarisch anhand der Entwicklung des philosophischen Gedankens Friedrich Schillers verfolgen. Friedrich Schiller, der sein medizinisches Studium an der Hohen Karlsschule in Stuttgart abschloss, in die er auf Befehl von Herzog Karl Eugen und gegen den Widerstand seiner Eltern eintrat, wurde an dieser Schule durch Fergusons Text in Garves Übersetzung philosophisch sozialisiert. Nach den ersten zwei Jahren seines Jurastudiums wechselte Schiller in die Medizin und nahm zugleich Unterricht in Philosophie. Zu den Lehrern, die den jungen Schiller am meisten beeinflussten, zählte der 23-jährige Dozent Jakob Friedrich Abel, der die Neugestaltung der Philosophie an der Karlsschule in diesen Jahren übernommen hatte. Abels Schwerpunkte im Unterricht waren die sensualistische Moralphilosophie, der Empirismus, der Materialismus und die Psychologie. Was die Moralphilosophie angeht, lag in Abels Unterricht ein starker Schwerpunkt auf den Briten. Dadurch hat Schiller Fergusons Institutes of Moral Philosophy in der Übersetzung Garves studiert.44 Nicht nur in den ersten Schriften, d. h. in Schillers medizinischen Dissertationen Philosophie der Physiologie vom Herbst 1779 und Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner Geistigen von 1780, sondern auch in seinen späteren Untersuchungen, wie z. B. in den Briefen über die ästhetische

|| 42 Waszek: Übersetzungspraxis und Popularphilosophie am Beispiel Christian Garves (s. Anm. 2), S. 54. 43 Zur Bedeutung Fergusons für Friedrich Schiller, der Fergusons Institutes of Moral Philosophy durch Garves Übersetzung rezipiert, siehe Dushan Bresky: Schiller’s Debt to Montesquieu and Adam Ferguson. In: Comparative Literature 13.3 (1961), S. 239–253; Norbert Waszek: Aux sources de la ›Querelle‹ dans les ›Lettres sur l’Education Estétique de l’Homme‹ de Schiller: Adam Ferguson et Christian Garve. In: Crise et Conscience du Temps. Hg. von Jean-Marie Paul. Nancy 1998, S. 111–129. Zur Bedeutung der schottischen Aufklärung für Hegel, der die englischen Texte durch Garves deutsche Übersetzungen rezipiert, siehe Robert C. Solomon: In the Spirit of Hegel: A Study of G. W F. Hegel’s Phenomenology of Spirit. Oxford, New York 1983; Laurence Dickey: Hegel: Religion, Economics and the Politics of Spirit 1770–1807. Cambridge, New York 1987; Norbert Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of ›Civil Society‹. Dordrecht, Boston, London 1988; Norbert Waszek: Der junge Hegel und die querelle des anciens et des modernes: Ferguson, Garve, Hegel. In: Hans-Jürgen Gawoll, Christoph Jamme (Hg.): Idealismus mit Folgen. Die Epochenschwelle um 1800 in Kunst und Geisteswissenschaften. Festschrift zum 65. Geburtstag von Otto Pöggeler. München 1994, S. 37–46. 44 Siehe dazu Peter-André Alt: Schiller. Leben – Werk – Zeit. Eine Biographie. München 2000, Bd. 1, insb. S. 119; Reinhard Buchwald: Schiller. Leben und Werk. Wiesbaden 51966, insb. S. 182.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 45

Erziehung des Menschen kehren einige Gedanken wieder, die den Einfluss Fergusons in der Übersetzung Garves ersichtlich machen, wenn Schiller über die Einheit von geistiger und tierischer Natur spricht und er den Sympathiebegriff im Kontext der sozialen Interpretation des Menschen und des Zusammenhalts der Gesellschaft erläutert.45 Wenn wir aber jetzt zu Garve zurückkommen, müssen wir hervorheben, dass es selbst Garve bewusst war, wie wichtig seine Rolle als Übersetzer der schottischen Philosophen für seine Zeitgenossen in Deutschland war, damit auch im deutschsprachigen Raum eine solide Theorie der bürgerlichen Gesellschaft etabliert werden konnte. In diesem Zusammenhang notiert er: Wir würden über viele Materien der Politik und Staatswirthschaft noch weniger aufgeklärt seyn, wenn uns nicht englische Schriftsteller vorgeleuchtet hätten.46

Die gesellschaftswissenschaftlichen Themen der schottischen Aufklärung spielten also eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der philosophischen und wirtschaftswissenschaftlichen Ideen von Garve selbst.47 Es ist aber vor allem seiner Übersetzungs- und Kommentierungsarbeit zu danken, dass diese Themen in der deutschsprachigen Philosophie aufgenommen wurden.48 Das wird durch die nähere Betrachtung der Anmerkungen Garves zu Adam Fergusons Werk Grundsätze der Moralphilosophie deutlich werden.

|| 45 Siehe Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefe, erst veröffentlicht in Die Horen, Eine Monatsschrift. Hg. von Friedrich Schiller. Teil 1: S. 7–48; Teil 2: S. 167–210; Teil 6: S. 45–124 (1795). Siehe dazu: William Witte: Scottish Influence on Schiller. In: ders.: Schiller and Burns – and Other Essays. Oxford 1959, S. 29–37. 46 Christian Garve: Anhang einiger Betrachtungen über Johann Macfarlans Untersuchungen die Armuth betreffend. Leipzig 1785, S. xix. Zur Entwicklung einer Theorie der bürgerlichen Gesellschaft als Fortsetzung einer moralphilosophischen Debatte im Kontext der schottischen Aufklärung siehe William Chr. Lehmann: Adam Ferguson and the Beginnings of Modern Sociology. New York, London 1930; außerdem: Daniel Brühlmeier: Die Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie. In: Schottische Aufklärung. A Hotbed of Genius (s. Anm. 35), S. 22–38. 47 Vgl. u. a. Oz-Salzberger: Translating the Enlightenment (s. Anm. 39), hier S. 61f.: »Bad translation is sometimes blamed for the obscurity of Adam Smithʼs Wealth of Nations in its early German edition (1776–8), while Christian Garveʼs brilliant second translation and preface (1794–6) is seen as a key factor in its belated success.« Vgl. noch dazu Keith Tribe: Governing Economy. The Reformation of German Economic Discourse 1750–1840. Cambridge 1988, S. 133–148. 48 Zur Wirkung der schottischen Aufklärung und insbesondere Fergusons auf Garves Gedankenentwicklung siehe Michael Stolleis: Über die Verbindung der Moral mit der Politik. Ein Beitrag zur Spätphase der Aufklärungsphilosophie in Deutschland. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 55.2 (1969), S. 269–277.

46 | Antonino Falduto

4 Die Anmerkungen des Übersetzers zu Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie Garve beginnt seine Anmerkungen zur Übersetzung von Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie folgendermaßen: Ich habe dies Buch nicht übersezt, weil ich es für das erste und vortreflichste Lehrbuch der Moral halte; ich bin zu wenig dieses Urtheil zu fällen; und beynah, denke ich, daß bey so bekannten Wahrheiten jedes Lehrbuch gut seyn kann, nach der Absicht, wozu man es braucht: aber ich habe es übersezt, weil ich es für das Werk eines rechtschaffnen und großen Mannes halte; und weil ich glaube, daß es die Spuren davon trägt.49

Garve ist also davon überzeugt, dass das von ihm übersetzte Buch in der Lage sein kann, den »Geist der Leser [zu] bilden oder [zu] verbessern«.50 Diese Überzeugung stammt aus der Selbstbeobachtung: Einige Textstellen haben ihn selbst so lebhaft berührt, dass er sich ihnen widmen und sie mit eigenen Beobachtungen ergänzen möchte.51 Das ist die methodische Vorgehensweise, die typisch für Garve ist, nämlich die Weiterentwicklung eines philosophischen Argumentationsganges durch Kommentare. Die Mängel des Werkes von Ferguson werden dabei nicht verschwiegen.52 Es wird z. B. darauf hingewiesen, dass einigen Themen, unter anderem dem Freiheitsbegriff, eine gründlichere Untersuchung gewidmet werden sollte: Diese Materie ist von unsern Vorgängern schon erschöpft, oder vielmehr ihre Unergründlichkeit ist erwiesen; sie macht eine von den Gränzen unsers Verstandes aus. Dies einzige wäre vielleicht noch zu thun, daß man dies deutlicher zeigte, in wiefern sie eine solche Gränze ist.53

Dies vorausgesetzt, kommt es darauf an, die Empfindungen zu untersuchen, die mit der menschlichen Handlung verbunden sind. Somit kommt Garve zu einem in der schottischen Aufklärung verbreiteten Thema, nämlich der philosophischen Behandlung der Rolle der Empfindungen im Kontext der menschlichen Handlungstheorie. Garves Thesen zeugen von einer vollständigen Übereinstimmung mit den Schotten bezüglich der großen Bedeutung der philosophischen Erforschung dieses Themas –

|| 49 Christian Garve: Anmerkungen des Übersetzers. In: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 287. 50 Ebd. 51 Die »Gedanken des Verfassers haben einige bey mir [= Garve] selbst veranlasset«. Garve: Anmerkungen des Übersetzers. In: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 288. 52 Vgl. ebd.: »Einige seiner Erklärungen und Unterschiede scheinen mir willkührlich; einige seiner Entscheidungen unbewiesen; und in einigen Kapiteln vermisse ich den genauen Zusammenhang, der ohne das in der Aphoristischen Methode so leicht von dem Schriftsteller verfehlt, oder von dem Leser übersehen wird«. 53 Ebd., S. 289.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 47

was ihn oft weit von den rationalistischen Positionen entfernt. Er begründet die Verteidigung seiner sentimentalistischen Positionen durch die Überlegung, dass die Empfindungen des Menschen von Recht und Unrecht unwandelbar und gewiß, und von keinem Systeme abhängig sind; und daß [wir immer] Glück von Verdienst und die Empfindung der Lust an einer Sache, von der Empfindung des Beyfalls, den wir einer Handlung geben, unterscheiden werden [können].54

Am Anfang seiner Anmerkungen zieht Garve die Empfindungen von Nützlichkeit und Schädlichkeit und die von Verdienst und Schuld in Betracht. Er stellt fest, dass die ersteren bei verschiedenen Lebewesen beobachtbar sind, während letztere nur bei den Menschen vorkommen.55 Anhand der Untersuchung von verschiedenen Empfindungen vollzieht Garve zahlreiche Unterscheidungen zwischen verschiedenartigen Handlungen, außerdem zwischen Maschinen und Tieren, und sukzessive zwischen Tieren und Menschen, und hält somit unterschiedliche Positionen bezüglich der philosophischen Interpretationen des Freiheitsbegriffes auseinander.56 Von diesen Analysen kommt Garve dann zur Definition von Tugend, tugendhafter Handlung und des Vollkommenheitsbegriffes.57 Seine Schlussfolgerung zu diesen Themen lautet wie folgt: Die Untersuchung von der Unabhängigkeit meiner Handlungen, gesetzt auch, sie wäre nicht fruchtlos, dient höchstens zu nichts, als mir die Natur der Tugend zu erklären; aber die Untersuchung der Ursachen meiner Handlung, dient dazu, mir zum Besitz der Tugend zu verhelfen. – Ich weiß nicht, wie ich frey bin, aber ich weiß, wie ich vollkommen seyn soll.58

Nachdem Garve die individuellen ethischen Handlungen in Betracht zieht, fragt er sich weiterhin, was man zu einem anderen moralphilosophischen, normativen Bereich sagen könnte, nämlich zum Bereich der gesellschaftlichen Pflichten. Diese Frage lässt er aber zunächst unbeantwortet, damit er sich den einzelnen Teilen des Buches Fergusons widmen kann.59 In den gerade zitierten, anfänglichen Anmerkungen behandelt Garve die Themen, die ihm am meisten am Herzen liegen bzw. diejenigen, die in der zeitgenössischen philosophischen Diskussion am wichtigsten erscheinen und häufig behandelt werden: Das Thema der Freiheit und der Spontaneität, der Unterschied zwischen materiellen und geistigen Wesen.60 Dennoch ist es aber vordergründig das Thema der Vollkommenheit, dem sich Garve wiederholt in seinem Kommentar widmet. || 54 Ebd., S. 289f. 55 Vgl. ebd., S. 291f. 56 Vgl. ebd., S. 292–297. 57 Vgl. ebd., S. 296f. 58 Ebd., S. 297f. 59 Vgl. ebd., S. 298: »Aber es ist jetzt Zeit, daß wir auf die einzelnen Teile des Buches kommen«. 60 Ebd., S. 287–298.

48 | Antonino Falduto

Garve unterstreicht, dass das Individuum nur insofern Vollkommenheit erreichen kann, als jede menschliche Fähigkeit an der Erlangung dieser Vollkommenheit mitarbeitet.61 Die Vollkommenheit des individuellen Menschen muss aber auch mit der des Staates direkt in Verbindung gebracht werden.62 In diesem Zusammenhang wird einerseits das enge, notwendige Zusammenwirken von individuellem und gesellschaftlichem Aufblühen berücksichtigt, das zum Erreichen der menschlichen Vollkommenheit nötig ist: Weil der Mensch nur durch die Gesellschaft gebildet, auch nur in ihr die Gegenstände seiner Tugend findet: so ist überhaupt die Kenntniß der menschlichen Pflichten nicht von der rechten Art, wenn man nicht den Menschen im Zusammenhange mit der ganzen Natur, und besonders mit dem menschlichen Geschlechte, betrachtet.63

Es wird aber auch andererseits ein größeres Bild der Zusammenhänge von Individuum, Gesellschaft und menschlicher Gattung präsentiert: Die Behandlung der Geschichte der Menschheit wird von Ferguson vorausgesetzt, um die Möglichkeit des Erreichens individueller Vollkommenheit im Kontext eines allgemeineren Prozesses zu präsentieren. Garve lobt insbesondere die Entscheidung, die individuelle menschliche Vollkommenheit und die Vollkommenheit der Gesellschaft zu verbinden, die er bei Ferguson findet, und notiert dazu: Die Geschichte des menschlichen Geschlechts ist ein Auszug aus dem größern Werke des Verfassers. Dieser Theil seines [= Fergusons] Werks ist ihm eigen, und ist eine wichtige Einleitung zur Moral. Ehe man untersucht, wie der einzelne Mensch vollkommen werden könne: muß man erst das ganze menschliche Geschlecht in seinen mannichfaltigen Abwechselungen und Stufen der Vollkommenheit übersehen; man muß auf den großen Schauplatz des menschlichen Lebens treten, um die verschiednen Ordnungen der Menschen, die Glückseligkeit der sie genießen, die Tugend die sie ausüben, und die Wege auf welchen sie dazu gelangt sind, zu kennen.64

Die individuelle Tugend wird also explizit in Bezug auf die Gesellschaft erörtert. Allerdings reicht diese Behandlung immer noch nicht aus, um die vollständige Tragweite der Vollkommenheit ans Licht zu bringen. Um das zu erreichen, muss man einerseits den Zusammenhang zwischen dem Individuum und der Gesellschaft und andererseits den Zusammenhang zwischen dem Individuum in der Gesellschaft und der menschlichen Natur bzw. der Natur überhaupt erhellen – was erkennbar stoische bzw. ciceronianische Reminiszenzen aufweist. Diese einheitliche Idee zur Erlangung der individuellen Vollkommenheit, die Garve von Ferguson übernimmt, ist paradigmatisch für Garves ganze philosophische Perspektive. Gleiches gilt für || 61 Vgl. ebd., S. 307. 62 Ebd., S. 301f. 63 Ebd., S. 301. 64 Ebd., S. 300.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 49

Garves Theoretisierung sozialwissenschaftlicher Prozesse, in der sich das Paradigma der tugendhaften und harmonischen Zusammensetzung von individuellen Kräften auch in der konfliktfreien Zusammenarbeit der menschlichen Stände widerspiegeln muss. Man muss sich daran erinnern, dass Garve von Ferguson auch die Idee einer Einteilung der verschiedenen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft übernimmt65 und dass Garve genau die Unausgeglichenheit kritisiert, die aus der modernen Gesellschaft und ihrer Darstellung in Klassen stammt. Diese Kritik ist der Idee des universellen Zusammenhanges aller Handlungen geschuldet, die die Gedankengänge der schottischen zeitgenössischen Aufklärer widerspiegelte. Denn durch das Streben nach persönlicher Distinktion wurde die Beziehung zur Gesellschaft brüchig und trieb einen Keil zwischen das Eigeninteresse und das der Gemeinschaft. [...] Zu den Folgen des Arbeitsteilungsprozesses in den Manufakturen meinte Garve, daß der Arbeiter an persönlicher Vollkommenheit verliere, während die Produktion selbst vollkommener würde.66

Garve wurde darüber hinaus in der Arbeitsteilung und seinem Urteil dazu durch Ferguson beeinflusst. Fergusons Originalität der Erforschung der Arbeitsteilung und ihrer Konsequenzen für die bürgerliche Gesellschaft lässt sich in drei Punkten präzisieren: Die Arbeitsteilung erscheint [erstens] als die entscheidende Antriebskraft wirtschaftlicher Entwicklung. Zweitens wird die Arbeitsteilung im Rahmen der zeitgenössischen technologischen (Beginn der Industriellen Revolution) und kommerziellen (Weltmarkt) Bedingungen erörtert. Drittens erkannten die schottischen Aufklärer den notwendigen inneren Zusammenhang der Vorteile (größere Produktivität, etc.) und Nachteile des Phänomens.67

Diese Erörterungen zur Arbeitsteilung wurden in der deutschen Philosophie der Spätaufklärung sowie bei Schiller und Hegel übernommen und mit der individuellen Entfremdung in Verbindung gesetzt. Allerdings gerieten die Wurzeln der Überlegungen zu den sozialen Implikationen des Entfremdungsprozesses, die auf die schottischen Aufklärer, insbesondere auf Ferguson und auf dessen Grundlage auch

|| 65 Wobei »Garve bürgerliche Gesellschaft eben nicht mit der modernen Form der Gesellschaft identifiziert, sondern sie als das Ganze der sozialen Zusammenhänge bewertet. Bürgerlich bedeutet deshalb allgemein-gesellschaftlich. [...] In diesem Sinne können die Stufen der bürgerlichen Gesellschaft als historische Formationen der Gesamtgesellschaft verstanden werden«. Batscha: Christian Garves politische Philosophie (s. Anm. 8), S. 25. 66 Vgl. ebd. 67 Waszek: Der junge Hegel und die querelle des anciens et des modernes: Ferguson, Garve, Hegel (s. Anm. 43), S. 39.

50 | Antonino Falduto

auf Garve zurückzuführen sind, in der Rekonstruktion der Rezeptionsgeschichte dieser Ideen in Deutschland in Vergessenheit.68 Um das ersichtlich zu machen, kann man exemplarisch auf Garves ausführliche Darstellung des Vollkommenheitsbegriffes als Streben nach Einheit hinweisen. Dies wird in den Anmerkungen zum zehnten Abschnitt des zweiten Kapitels im ersten Teil des Buches von Ferguson thematisiert, der den Titel Of Propensity trägt – Natürliche Triebe in der Übersetzung Garves.69 Ferguson unterscheidet bei der menschlichen Handlung zwischen propensity, sentiment, desire und volition.70 In der Übersetzung Garves lesen wir: Die Thätigkeit der menschlichen Natur besteht in natürlichen Trieben, Empfindnissen, Begierden und Entschlüssen des Willens.71

Propensities/Natürliche Triebe sind entweder tierischer oder vernünftiger Natur. Unter den letzteren sind die »Neigung zur Geselligkeit« (affection to society) und die »Begierde nach Vorzug« (desire to excel) hervorzuheben.72 In diesem Zusammenhang schreibt Ferguson: Alles, was wir als ein Beförderungsmittel der Erhaltung ansehen, rechnen wir zu den Gütern. [...] Alles, was die Wohlfahrt der Gesellschaft befördert, wird als ein Gut betrachtet. Alles, wovon wir glauben, daß es in sich selbst eine Vollkommenheit ausmache, oder uns einen Vorzug gewähre, halten wir für gut.73

Ferguson äußert sich sehr spärlich zu dem propensity-Begriff. Er vergisst dabei aber nie, die Bedeutung der Gesellschaft auch im Zusammenhang zu dieser Kraft des Individuums hervorzuheben. Garve seinerseits entwickelt eine facettenreiche Theorie des Begehrens und der Begierden. Er schreibt zunächst: Propensity soll nicht heißen Trieb [...]. Es soll die in der Natur der Seele selbst liegende [sic] Arten der Tätigkeit bezeichnen [...]. Ein solcher Trieb, gerichtet gegen einen bestimmten äusseren Gegenstand, ist Begierde.74

|| 68 Vgl. Roy Pascal: The Concept of Bildung and the Division of Labour: W. von Humboldt, Fichte, Schiller, Goethe. In: ders.: Culture and the Division of Labour. Three Essays on Literary Culture in Germany. Coventry 1974, S. 5–30. 69 Ferguson: Institutes (s. Anm. 3), S. 69–72; Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 61–63. Vgl. auch Garve: Anmerkungen des Übersetzers. In: ebd., S. 307. 70 Ferguson: Institutes (s. Anm. 3), S. 69. 71 Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 61. 72 Ferguson: Institutes (s. Anm. 3), S. 70; Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 62. 73 Ferguson: Institutes (s. Anm. 3), S. 71; Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 63. 74 Ferguson: Institutes (s. Anm. 3), S. 70; Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 62.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 51

Nachdem er daran erinnert hat, dass Ferguson zwischen tierischen und vernünftigen Trieben unterscheidet, notiert er weiter: Wenn er [= der Mensch] nichts weiter fühlt, wenn er sich selbst ganz aus den Augen verliert, wenn er ganz in dem Gegenstande seiner Begierde existiert: so sey er nur Thier. [...] Bey den thierischen Begierden will der Mensch nur die Sache genießen, und vergißt sich selbst: bey den vernünftigen will er sich selbst und seine Vollkommenheit genießen, und denkt an die Sache, weil sie ihm diesen Genuß befördert oder hindert.75

Der Unterschied zwischen den tierischen und den vernünftigen Begierden ist substantiell: Die tierischen Begierden verhindern, dass der Mensch seine eigene Person als Ziel der Handlung betrachtet. Das würde er machen, wenn er die Handlung nur nach der Gegenständlichkeit richten würde. In diesem Fall würde sich der Mensch ausschließlich nach seiner tierischen Natur und ihrer Realisierung richten. Darin kann aber die menschliche Vollkommenheit nicht bestehen. Vollkommenheit wird von dem Menschen erzielt, wenn die vernünftigen Begierden in ihm die Oberhand gewinnen. Das heißt nicht, dass dabei die Tierheit im Menschen verloren geht. Garve unterstreicht immer, dass die vernünftigen Begierden nie an und für sich allein im Menschen vorhanden sind oder sein können, weil der Mensch ein Mittelglied in der Kette der existierenden Wesen ist, das etwas Mittleres zwischen bloßer tierischer Empfindsamkeit und reiner Geistigkeit ist. Garve schreibt hierzu: Nur die Begierde nach Vollkommenheit [scheint mir] eine ganz reine vernünftige Begierde zu sein, weil sie ganz allein auf den Menschen selbst geht; die aber niemals so unvermischt wirklich existiert, sondern sich immer mit dem sinnlichen Eindruck irgend eines Gegenstandes vermischt, einem Eindruck, der von der Vollkommenheit, die durch ihn hervorgebracht oder befördert wird, ganz unterschieden ist.76

Die vernünftige Begierde lässt den Menschen am besten nach Vollkommenheit streben, indem sie ihn nach einem bewussten Leben streben lässt, das nicht die Gegenständlichkeit, sondern die Menschheit ins Zentrum rücken lässt. Da aber im Menschen die vernünftige Begierde immer mit der tierischen Begierde vermischt vorkommt, besteht Vollkommenheit auch zugleich darin, nach der gleichgewichtigen Zusammensetzung von beiden verschiedenartigen Begierden zu streben. Darüber hinaus spielen die Geselligkeit und das Streben nach Zusammenhalt in einer Gesellschaft für das Erlangen der Vollkommenheit als realisierte Einheit von tierischer und vernünftiger Natur eine gewichtige Rolle. Denn nur in der Gesellschaft kann sich der Mensch nicht ausschließlich dem Erreichen der Gegenstände widmen, von denen er Gebrauch machen muss, um zu überleben, sondern darüber hinaus auch sich selbst und seinem bewussten Leben:

|| 75 Garve: Anmerkungen des Übersetzers. In: Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 315, 316. 76 Ebd., S. 318.

52 | Antonino Falduto

Wenn die Mittel der Erhaltung für den Menschen, durch Errichtung der Gesellschaft, reichlicher werden; wenn er Ueberfluß für sich findet, zu dessen Herbeyschaffung er nicht seine ganze Zeit und Kräfte braucht; wenn er zugleich durch die Mittheilung der Ideen aufgeklärt wird: dann fängt er an, einen Endzweck seiner Handlung in sich selbst zu finden.77

Der Mensch erkennt ein höheres Gut an, das in ihm selbst und seiner Einheit als Mensch besteht: Von diesem Augenblicke an, arbeitet er zwar in Gesellschaft mit dem übrigen menschlichen Geschlecht, und mit dem Reich aller lebendigen Wesen, dazu, sich zu erhalten, und sich und seinen Freunden die Hülfsmittel des physischen Lebens zu verschaffen [...]. Aber er weiß nun, daß die Natur nicht sowohl diese vielen Triebe im Menschen erweckt hat, um ihm jene Bequemlichkeiten zu gewähren: als ihn vielmehr den Reiz jener Vergnügungen und Vortheile aufstelle, um diese Triebe in Bewegung zu setzen; um einem denkenden Wesen Materie zu Vorstellungen, einem empfindlichen Geiste Stoff zu Empfindungen, einem wohlwollenden Geiste Mittel der Gutthätigkeit, einem thätigen Gelegenheit zu Beschäftigungen zu geben. – Dann nimmt jede Sache, leblose und lebendige, eine andre Gestalt für ihn an. Die Gegenstände und Veränderungen wurden zuerst von ihm nur angesehen; jetzo, insofern sie Handlungen und Aeusserungen seiner Vollkommenheit veranlassen.78

Der Mensch ist erst durch die Gesellschaft und die Arbeitsteilung in der Lage, eine neue Gestalt von jeder Sache, die er betrachtet, zu haben. Wenn er vorher die Sachen nur als Gegenstände angesehen und wahrgenommen hat, von denen er Gebrauch machen könnte, hat er jetzt ein Bewusstsein davon, dass diese Sachen in ihrem Vorhandensein nicht nur Objekte an sich, sondern auch Objekte für ihn sind, die als mögliche Äußerungen seiner Vollkommenheit zur Realisierung eines bewussten Lebens führen – oder zumindest auf den Weg dahin. Dass dieser Weg riskant sein kann, weil die Arbeitsteilung, die die Realisierung eines bewussten Lebens ermöglicht, auch zur Entfremdung von sich selbst führen kann, habe ich schon vorher vermerkt. Dass aber das arbeitsteilige Leben der einzige Weg zur menschlichen Vollkommenheit ist, wird von Garve nicht bestritten. Er ist der Überzeugung, dass der Mensch nur in der Gesellschaft und ausschließlich durch die Aufteilung der verschiedenen menschlichen Aufgaben in einer bürgerlichen Gesellschaft in der Lage sein kann, sich der Realisierung seiner Vollkommenheit zu widmen: Arbeite [...], um dein Brod zu gewinnen, dein Vermögen in Sicherheit zu stellen, dein Ansehn zu vermehren; um deinen Freunden, deiner Stadt, deinem Vaterlande alle diese Vortheile zu verschaffen; aber wisse, daß du selbst weit mehr der Endzweck bist, warum jene Sachen von mir auf deinen Weg gelegt worden, damit du dich mit denselben bearbeiten, deinen Verstand

|| 77 Ebd., S. 320. 78 Ebd., S. 321f. Diese Textstelle wird wortwörtlich von Friedrich Schiller in § 10 (»Aus der Geschichte des Individuums«) seiner dritten medizinischen Dissertation (Friedrich Schiller: Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner Geistigen. Stuttgart 1780) übernommen.

Schottische Aufklärung in Deutschland | 53

brauchen, dein Herz mit Neigung anfüllen, deinen Fleiß und deinen Muth üben könnest; als daß die Erwerbung jener Sachen der Endzweck wäre, warum ich dich gemacht habe. Daher, wenn du alle diese Sachen verfehlst: so bleibt dir noch immer der höchste Endzweck unverletzt.79

Die menschliche Vollkommenheit besteht also nicht in der Vollkommenheit des reinen Geistes. Dies ist eine nur auf die göttliche Natur zutreffende Vollkommenheit.80 Die menschliche Vollkommenheit besteht aber auch nicht in der Befriedigung aller körperlichen Empfindungen. Dies wäre eine nur auf die tierische Natur zutreffende Vollkommenheit.81 Die menschliche Vollkommenheit ist von den genannten Vollkommenheitsarten insofern verschieden, als der Mensch »ein mittleres oder ein aus beyden zusammengesetztes Wesen« ist.82 Menschliche Vollkommenheit muss folglich in der gleichgewichtigen Zusammensetzung beider Naturen bestehen, d. h. göttlicher und tierischer, in einer einheitlichen Substanz, so dass sowohl tierische Begierden als auch vernünftige Begierden in einer harmonischen Art und Weise die menschliche Handlung lenken können, indem die vernünftige Begierde führt und die tierische dabei nicht ausgeblendet wird. Die Einheit des Menschen wird u. a. in Hinblick auf seine Begierden definiert und menschliche Vollkommenheit wird durch die somit entstandenen Handlungen erreicht, was erfolgen kann, wenn das individuelle, tugendhafte Begehren mit der Gesellschaft und darüber hinaus mit der gesamten menschlichen Gattung im Einklang steht. Dieser Gedanke, den Garve der Lektüre Fergusons entnimmt, entnehmen wiederum spätere Philosophen der deutschen Aufklärung und des deutschen Idealismus, unter anderem Friedrich Schiller, der Lektüre Garves.

|| 79 Ebd., S. 324f. 80 Vgl. ebd., S. 323. 81 Vgl. ebd. 82 Ferguson/Garve: Grundsätze (s. Anm. 3), S. 323.

Johan van der Zande

Lessons of Violence Christian Garve on the French Revolution

1 Introduction Herodotus tells the story about a discussion between Xerxes, king of Persia, preparing to invade Greece, and Demaratus, the exiled king of Sparta who had found a new home at his court. Asked whether he thought the Greeks would dare to wage battle against their much stronger enemy, Demaratus warned Xerxes not to underestimate them and in particular not the Spartans. First, they would never recognize him as their overlord and willingly become his slaves, and second, they would fight to the bitter end because to do so was the law, their master, for which they had greater awe than the Persian soldiers had for their king.1 Christian Garve translated the story, in 1796, and added a commentary. While granting both the craftsmanship of the ancient Greek constitutions and a supposedly inherent Greek predisposition to abide by their laws, these factors were not enough, he argued, to explain how reverence for their constitutions, that is, respect for certain persons and families in monarchies and aristocracies, and for certain ideas about institutions in democracies, could endure over time. Far more important to Garve were social-psychological reasons such as the reputation of founder-legislators, the public conviction of a constitution’s eminence, or more broadly the force of habit and public opinion, as well as contingent factors such as the accidental survival of a nation in times of war or its educational level. And Garve believed that such causes also played a role in his own present. He then raised the singular case, as he called it, of France where the people’s devotion both to their country’s laws and to the ruling family had ceased to exist abruptly and had to be replaced by respect for new laws created out of the blue. »Reason presumes, but experience demonstrates that this is very difficult«, he commented. Without the habitual self-evident observance of law he doubted that mere consent would be sufficient to convince people to comply with a new constitution. If, inevitably, imperfect laws were introduced, many people would not observe them, government would be reduced to anarchy and rule by law turned into violent enforcement. Compared to the revolutions in England, in which Garve saw no more than a change of monarchs, and in America, where the rebellious states had liberated themselves from English rule but left their constitutions intact, the break with the past was much more radical in France. Within a few years || 1 Herodotus: Histories, VII.101–105. https://doi.org/10.1515/9783110647747-005

56 | Johan van der Zande

the royal family was destroyed, the nobility exiled, and the old ways of ruling the country abolished while at the same time religious institutions and habits began to totter. Garve found it hard to believe that the professed intelligence and virtue of the new rulership could be sufficient replacements. The Revolution, in other words, was for him an uncertain transition period between a lost established order and a not yet accepted new order without any tradition. Never before, he wrote, had humans carried out such a dangerous experiment. Yet that was exactly why he also found it fascinating to follow its process and thought it unwise to predict its outcome.2 The step from Herodotus’s story to the French Revolution shows that by the end of the eighteenth century the Classics were still the standard by which to measure one’s own time even if only to point out the differences. It also shows the continuing interest in Germany in the ongoing Revolution. The general pattern of the German response to the Revolution was from initial support to eventual disappointment and rejection. Garve was no exception although even as late as 1796, when his Herodotus commentary was published, while highly dubious about the Revolution he was not yet willing to give up on it. He was exceptional, however, in the persistence with which he followed the extraordinary events in France and continuously commented on them in various essays and in his private correspondence. It helped that as a nonacademic he was less subject to censorship.3 His intense interest itself followed from the anthropological-philosophical viewpoint from which he analyzed the Revolution. He always had been most interested in how various social classes, from kings to peasants, adapted their behavior to changing circumstances. Garve’s contemporaries recognized this and praised his talent for moral-psychological studies.4 Paying attention to human character and expressing its features was one of his favorite occupations, Garve himself remarked in a letter to his friend Christian Felix Weiße. And to another Leipzig friend he wrote that in politics, in particular, no one could praise or criticize with more reason than he who knew the hearts of the people involved.5 Momentous changes, he observed, fascinated because in the first flush of || 2 Christian Garve: Ueber zwey Stellen des Herodotus. In: id.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. 5 vols. Breslau 1792–1802, vol. 2, pp. 1–126, here pp. 74–126, esp. pp. 116–120 (GGW I). 3 One reason Göttingen philosopher Johann Georg Heinrich Feder’s lost his job was because of an essay published in 1792 in which he insisted on the scholarly right to free discussion about the Revolution. See Zwi Batscha: J. G. H. Feder zwischen Aristokraten und Demokraten. In: id.: Despotismus von jeder Art reitzt zur Widersetzlichkeit. Die französische Revolution in der deutschen Popularphilosophie. Frankfurt a. M. 1989, pp. 57–125, here pp. 57f. Feder’s essay itself on pp. 298– 307. 4 Karl Gottlob Schelle: Briefe über Garve’s Schriften und Philosophie. Leipzig 1800, p. 377. 5 Garve to Weiße, 21 April 1790. In: Briefe von Christan Garve an Christian Felix Weiße und einige andere Freunde. 2 vols. Breslau 1803, vol. 1, p. 400 (GGW XV). Garve to Georg Joachim Zollikofer, Summer 1784. In: Briefwechsel zwischen Christian Garve und Georg Joachim Zollikofer nebst einigen Briefe des erstern an andere Freunde. Breslau 1804, p. 353 (GGW, XVI/1).

Lessons of Violence | 57

victory they stirred high hopes of future successes. Comparing the raptures of political fanatics to those of religious zealots, he explained that political enthusiasts (Schwärmer), too, aimed for a still absent and conceptually unclear order of things. They perceived the realization of this quasi divine order as their first duty and did not care if it caused the breakdown of all natural and moral sentiments. They were cruel and persecutory on the one hand but also did not mind their own martyrization on the other hand. And if natural causes thwarted the desire to do more good than individuals could possibly achieve the political enthusiast found solace in imagining invisible forces supporting him.6 Clearly, Garve’s fascination with the Revolution as a social-psychological phenomenon did not mean endorsement of its principles. In fact, his doubts about the Revolution emerged early on. »Much that at first filled me with admiration and joy I now see in an adverse light«, he wrote to Weiße in December 1791.7 There is no trace of this early euphoria in his published writings and correspondence, however, and in any case it must have already evaporated by the Summer of 1789. In his letters to Weiße of September 1789 and April 1790, when he mentioned the Revolution for the first time, he was only cautiously supportive. Much wisdom and lots of luck would be needed to give the new state structure, solidity, and permanence, he observed, foreseeing that France would be lingering in a state of dissolution for a long time to come.8 In 1797, Garve explained his retraction from his early »passionate prejudice« in favor of its success as the result of the lessons the Revolution itself had taught him. »One often must withdraw from what reason seemed to prescribe to what experience has taught.«9 After a brief discussion of the way he became more familiar with revolutionary events, this essay will explore the lessons Garve learned from the course of the Revolution, from his passionate and then cautious support in 1789 to his final renunciation eight years later.

2 Reaction to Burke News of the revolutionary events came only slowly and piecemeal to the provincial backwater of Breslau. When Garve spent a month in Berlin, in May 1790, he had access to many people better informed than he was as well as to books and journals that explained what was happening in greater detail and this, he acknowledged

|| 6 Christian Garve: Ueber die Schwärmerey. In: id.: Versuche (s. note 2), vol. 5, pp. 337–406, here pp. 372–374 (GGW III). 7 Garve to Weiße, 11 December 1791. In: Briefe (s. note 5), vol. 2, pp. 35–49, here p. 44. 8 Garve to Weiße, 9 September 1789 and 4 April, 1790. In: ibid., vol. 1, p. 377, p. 404. 9 Christian Garve: Ueber die Veränderungen unsrer Zeit in Pädagogik, Theologie und Politik (1797). In: GGW IV/2, pp. 189–288, here p. 192 and p. 254.

58 | Johan van der Zande

shortly afterward, caused him to become »more interested« in the Revolution. Only then, one year after the beginning of the Revolution, did he find himself in a position to conclude that the pre-1789 conditions in France fully warranted the Revolution. Even if the new French constitution was not ideal, the country could not return to its old condition and in the end probably would be better-off.10 This qualified endorsement of the Revolution pales in comparison to the cheerful optimism his compatriot Friedrich Gentz displayed in their correspondence. »The spirit of the age blows strongly and vividly within me«, Gentz wrote to Garve in March 1790, »it really is time that humanity wakes up from its long sleep: I am young and therefore warmly sympathize with the general striving for freedom that is surfacing everywhere«.11 A Breslau native, Gentz had moved to Berlin at an early age and then to Königsberg to study with Immanuel Kant. In 1784 the twenty-year old wrote to praise Garve’s translation of Cicero’s On Duties, the work that turned him into a lifelong Garve admirer. After Garve had taught rulers their duties, Gentz called on him, in 1790, now to also address their subjects and remind them of their rights.12 In the same year he found the lodgings Garve used during his stay in Berlin and he also undertook the proofreading of Garve’s first work on the Revolution, his essay on the National Assembly’s decree of 1789 to secularize the church’s property. During their discussions in Berlin Garve came to see more clearly the necessity of the Revolution, but he had long passed the stage of Gentz’s enthusiasm. Gentz at that time was still living in the universe of Kantian philosophy, his »old foster-mother« as he called it (and evenly dividing his attention between the Critical and the anthropological philosopher, he also proofread the Critique of Judgment). Inclined to deduce political events from rational principles, Gentz continued to think along these lines for almost a year after Garve’s return to Breslau. The Revolution, he wrote to Garve in December 1790, »is the first practical triumph of philosophy, the first example of a form of government being constructed upon principles and upon a coherent logical system. It gives hope and provides comfort to humankind groaning under so many age-old evils«.13 Before long, however, Gentz would change his mind and make his career as an anti-revolutionary author and diplomat culminating in his position of adviser to Count Metternich and chief secretary of the Congress of Vienna in 1815. By April 1791 he had found the book that would change his outlook and determine the rest of his

|| 10 Garve to Weiße, 11 August 1790. In: Briefe (s. note 5), vol. 1, pp. 417f. 11 Friedrich Gentz to Garve, 5 March 1790. In: Briefe von und an Friedrich von Gentz. Ed. by Friedrich Carl Wittichen. 5 vols. Munich, Berlin 1909, vol. 1, p. 159. 12 Ibid. 13 Gentz to Garve, 5 December 1790. In: ibid., pp. 178f.

Lessons of Violence | 59

life, Edmund Burke’s Reflections on the French Revolution.14 From their correspondence it seems possible that Garve had drawn Gentz’s attention to the book which he himself had been reading »not without interest« in a French translation in February 1791.15 The only German review of the Reflections appeared at the end of that year in the Göttingen Gelehrte Anzeigen. The reviewer, Hanover official Ernst Brandes, knew Burke personally and although much harsher than Burke on French absolutism before 1789 expressed similar anti-revolutionary sentiments in his 1790 work Politische Betrachtungen über die Französische Revolution (Political Observations on the French Revolution).16 Garve, however, by the Spring of 1791 still had reservations about the Reflections. He thought of it as the work of a prosecutor rather than that of a philosopher, but one who combined knowledge with eloquence and made the reader think even when it failed to tell the full truth.17 He welcomed Gentz’s seminal translation of the Reflections two years later as a masterpiece both as a translation and for the additional five essays Gentz had appended, which Garve thought were »worthy of the English (sic) author«. In fact, they emulated his own practice of supplying translations with extensive commentaries.18 But Garve’s praise

|| 14 Gentz’s essay Ueber den Ursprung und die oberste Prinzipien des Rechts, in which he defended human rights was published at the same time in Berlinische Monatsschrift, April 1791, pp. 370–396, but had already been written in the Fall of 1790. Garve’s influence is notable in Gentz’s exclusion of national and international law from natural law. See Werner Goldschmidt: Friedrich Gentz – vom ›aufgeklärten Menschenfreund‹ zum ›Ultrapraktiker‹ im Kampf gegen die Revolution. In: Arno Herzig, Inge Stephan, Hans G. Winter (Eds.): »Sie, und nicht wir.« Die Französische Revolution und ihre Wirkung auf Norddeutschland und das Reich. 2 vols. Hamburg 1989, vol. 2, pp. 439–67, here p. 445. 15 Like others Günther Kronenbitter: Wort und Macht. Friedrich Gentz als politischer Schriftsteller. Berlin 1994, pp. 323–329, surmises the influence of Wilhelm von Humboldt on Gentz’s conversion, in Berlin Garve had introduced Gentz to Humboldt. 16 Anon. [Ernst Brandes]: Review of Burke’s Reflections. In: Göttingische Anzeigen von Gelehrten Sachen, Nov. 26, 1791, pp. 1897–1907; Brandes befriended Burke during his stay in England in 1785– 1786; in 1789 Burke intended to make Brandes his undersecretary in case he would join the government as a minister under Charles James Fox. On Brandes see Frieda Braune: Edmund Burke in Deutschland. Heidelberg 1917 [ND Nendeln 1977], pp. 74–118. Weiße praised Reflections as »a very good aristocratic book« and Gentz’s translation as a masterwork. Weiße to Duke Friedrich Christian von Augustenburg, 8 April 1793. In: Claus Träger: Die Französische Revolution im Spiegel der deutschen Literatur. Leipzig 1975, p. 192. 17 Gentz to Garve, 19 April 1791. In: Briefe (s. note 11), pp. 203f. Garve to Weiße, 25 February 1791. In: Briefe (s. note 5), vol. 2, p. 5; Bond suggests without elaborating that Gentz’s political conversion was part of a larger transformation of character; see M. A. Bond: The Political Conversion of Friedrich von Gentz. In: European Studies Review 3/1 (1973), pp. 1–12, here pp. 10f. In 1773 Garve had translated Burke’s Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful (1757). 18 Garve to Weiße, February 19, 1793. In: Briefe (s. note 5 ), vol. 2, p. 106. Gentz translated the English original of Burke’s Reflections, which he had »stumbled upon«; he liked neither the French translation nor an anonymous German translation (published in Vienna in 1791), as he mentioned in

60 | Johan van der Zande

did not necessarily indicate a greater esteem for Burke’s critique, for while his approval of the Revolution had been lukewarm from at least the Summer of 1789 on, he was not yet condemning it outright. With the bourgeois self-image an important theme in his later work he wrote to Weiße, in December 1791, about one’s legal position in society undeniably determining the side one chose in the Revolution. In other words, an Archimedean point was impossible because self- reflection exposed one’s own involvement in the process, which in Garve’s case also explained its appeal. Looked down upon by the nobility, he observed, the bourgeois would not mind more equality whereas the nobleman feared to be deprived of his privileges. The Revolution’s most beneficial outcome, he ventured, would perhaps be the separation of the possible from the chimerical, in particular with regard to equality between these two social orders.19 His hope could only be justified on the un-Burkean premise of the Revolution’s legitimacy.20

3 The Right to Resistance The outbreak of the Revolution curtailed a minor debate in Germany on the connection of politics with morality. Garve’s treatment of this topic in the commentary to his Cicero translation of 1784 had aroused the suspicion that he had applied a double standard to rulers and their subjects. Because of his dissatisfaction with this particular section of the commentary even Johann Feder, who reviewed the work for the Göttingische Gelehrte Anzeigen and had been very positive of Garve’s other works, could not bring himself to unequivocally recommend this book.21 Garve explained himself in three long footnotes added to the third edition of his translation in 1787 and appended a 155 page essay, Ueber die Verbindung der Politik mit der || his letter to Garve of April 19, 1791. See also Kronenbitter: Wort und Macht (s. note 15), pp. 338–340. A second edition of Gentz’s translation was published in 1794. For a brief overview in English see John Whiton: Friedrich Gentz and the Reception of Edmund Burke in Post-Revolutionary Germany. In: German Life and Letters 46.4 (1993), pp. 311–318. 19 Garve to Weiße, 11 December 1791. In: Briefe (s. note 5), vol. 2, pp. 44f. In contrast to Garve’s well-known admiration for the nobility’s sprezzatura, his rejection of their political and legal preeminence in the state has not been recognized. Similar in Christian Garve: Fragmente zur Schilderung des Geistes, des Charakters und der Regierung Friedrich des Zweyten. 2 vols. Breslau 1798, vol. 2, pp. 216 (GGW VII). 20 Burke recognized revolution as a last resort and identified it with anarchy. »To avoid therefore the evils of inconstancy and versatility […] we have consecrated the state, that no man should approach to look into its defects or corruption but with due caution; that he should never dream of beginning its reformation by its subversion.« Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France. Ed. by Leslie G. Mitchell. Oxford 1993, p. 96f. 21 Anon. [Johann Georg Heinrich Feder]: Review of Garve’s Cicero translation. In: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 28 February 1784, pp. 337–346, esp pp. 343f.

Lessons of Violence | 61

Moral (On the Connection of Politics with Morals), also published separately, further exploring the issue but only succeeding in drawing heavier fire.22 His critics, among them Ernst Ferdinand Klein, a Prussian official and distant relative of both Garve and Gentz, generally condemned from legal and theological points of view what they considered his licensing of absolutist power politics by historically relativizing the basis of all justice.23 Even as late as 1800 Garve’s critical admirer Karl Gottlob Schelle censured him for transforming moral into historical judgments.24 Focusing exclusively on this topic, however, misses other points Garve made, among them his considerations about the modes under which revolution was desirable or permissible, who should be its leaders, and whether violence should be used. When Garve wrote about revolution he never had fundamental social change in mind. In his 1786 philosophical-anthropological work on the character of the peasantry east of the Elbe river he spoke out against a sudden reversal in the relationship between the manor lords and their serfs, advocating careful reform instead.25 »Full equality among citizens without class differences is impossible«, he wrote in one of his aphorisms.26 It is not known how Garve reacted to the artisan unrest in Breslau in late April 1793. The journeymen’s revolt against their guild masters had no revolutionary intent, but it was easy for their opponents to make a comparison with events in France. The »tumult« was bloodily crushed at the cost of 53 lives. Whatever Garve’s position on the riots may have been, he probably was upset by the disproportionate use of violence by the authorities: Ten years later the editors of his correspondence with Weiße thought it prudent not to publish Garve’s letters between early April and late June 1793.27 Regardless, for Garve revolution did not mean

|| 22 Christian Garve: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten. 3 vols. Breslau 1783, 3rd ed. 1787), vol. 3, pp. 165–229, here pp. 166f., pp. 198–201, pp. 227– 229 (GGW X). Garve: Ueber die Verbindung der Politik mit der Moral. Breslau 1788 (GGW VI). 23 The discussion of this debate in Michael Stolleis: Die Moral in der Politik bei Christian Garve. Munich 1967. 24 Schelle: Briefe über Garve’s Schriften und Philosophie (se.note 4), p. 397. 25 Christian Garve: Ueber den Charackter der Bauern und ihr Verhältniß gegen die Gutsherren und gegen die Regierung (1786). In: GGW IV/1, p. 155. The passage appeared unchanged in the 1790 edition (p. 137). 26 Christian Garve: Aphorismen aus dem Nachlaß. Ed. by Alexander Košenina. Hannover 1998, p. 15. 27 Briefe von Garve to Weiße. In: Briefe (s. note 5), vol. 2, p. 115, note. In 1880 Jakob Minor published several letters from Weiße’s Nachlass, among them four by Garve, but not those excluded from the Garve-Weiße correspondence; presumably these are no longer in the Nachlass; Jacob Minor: Briefe aus Ch. F. Weisses Nachlass. In: Archiv für Literaturgeschichte 9 (1880), pp. 453–507. As a result of the Breslau »tumult« a representative assembly, repressed by Frederic II, was reestablished consisting of the learned professions, merchants, and burghers (among them the guild masters). Arno Herzig a. Rainer Sachs: Der Breslauer Gesellenaufstand von 1793. Die Aufzeichnungen des Schneidermeisters Johann Gottlieb Klose. Darstellung und Dokumentation. Göttingen 1987,

62 | Johan van der Zande

social but political change within the traditional framework of republic (either democratic or aristocratic) and monarchy. Changing from one of these systems to another one, that is, revolution, necessarily presupposed the vindication of a preceding peaceful or violent rebellion, of breaking existing law. In his pre-revolutionary writings Garve justified this first phase of any revolution. In the section of the Cicero commentary on the connection between morals and politics, Garve compared the state to a beautiful work of art. The metaphor indicates that he traditionally saw the state as a work of genius by state founders. Understandably, he remarked, the reckless destruction of a work of art would arouse indignation and the desire to punish the offender, but no one would care if a work of art without any order or design was falling apart. Similarly, he concluded, to overthrow a disdained, imperfect government did not seem to be as big a crime as the breakdown of a well-regarded, orderly and well-administrated one. How else, he asked rhetorically, to explain Europe’s indifference toward the revolution in a »big aristocratic country« known for its protracted disorder and lawlessness? (presumably a reference to the first Polish partition in 1772). Garve here shared the Prussian notion of Poland’s backwardness which permitted intervention in its affairs in the name of the progress of civilization.28 By contrast, Garve noted, Venice survived in dangerous times because of the high esteem for its constitution and the wisdom of its magistrates. And although Venice’s maritime arrogance infuriated other nations, he had no doubt that if it was threatened by revolution Great Britain would easily find allies to step in and protect the city. Ostensibly, Garve here wrote about the acceptability of foreign intervention in states troubled by internal unrest. Indeed, the bulk of the commentary section was about finding arguments in favor of the moral right of rulers to meddle in the affairs of other states and even occupy them regardless of the rules of international law or legally binding treaties. As his subjects’ depositary, as Garve called him, the sovereign (whether one person or a council) was charged with their protection not only by defending them against outside threats, but also by promoting the balance of power in Europe that helped establish a more peaceful international order in analogy to the already existing peace and order in their own country. The point of Garve’s exercise was that by virtue of their unique position in the state, morality for rulers was not comparable to that for subjects, allowing the ruler degrees of (violent) action that could not possibly be tolerated in the latter. Making the happiness of all of Europe the modern ruler’s moral guide was at the heart of his commentary, he wrote || pp. 9–12, pp. 16f. Garve knew the guilds well: after the death of her husband, in 1747, his mother had continued to operate his dyeing business until she sold it in the early 1780s. 28 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 3, pp. 180f. According to Andreas Pečar and Damien Tricoire the notion of a backward Poland although originating in Prussia was common among French philosophes: Andreas Pečar, Damien Tricoire: Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne? Frankfurt a. M., New York 2015, pp. 52–56.

Lessons of Violence | 63

to Weiße.29 At the same time Garve depicted the rulers’ plight in highly realistic terms, using historical examples to show that the invocation of reason of state could be, often had been, and still was abused for selfish reasons, while simultaneously giving a short but fascinating account of warfare in cultural terms including the idea of the play element in violent conflict.30 Garve solved the tension between ideal and reality by placing his hope in a eudaemonistic philosophy of history according to which humankind was continuously striving for perfection as a more harmonious whole, or happiness, a conviction based on his belief in a Providential world plan.31 The signs of the actual working of this plan Garve found in humankind’s sociability. Trade and commerce and the cultivation of the arts and sciences contributed to people increasingly living in greater proximity of each other and in doing so, he was convinced, they advanced the chances of peaceful coexistence. For closer contact, he argued, reinforced the inclination to value what people had in common rather than what divided them. By this Garve meant both their common nature as human beings and what as enlightened, thinking people they had in common as a result of acculturation processes. For this reason Garve polemicized against a form of patriotism that treasured the individuality of one’s own nation above that of others. The nation was not a natural entity, he argued against Rousseau: »If nature is one, all people share the same goal, and their power and the laws of their development essentially are in agreement, how can a nation deviate from others without at the same time becoming unnatural?«32 In stark contrast to modern notions national identity, in Garve’s view, was something belonging to the childhood of humanity when nations were more isolated from each other than they were currently. Sanctioned by tradition, the nation had acquired an »alien form« (fremde Gestalt) and the physiognomy of the nation so deformed was for him »full of ugly stains, its way of thinking wrong, and its character reprehensible«.33 Morals and politics necessarily evolve with the cultural level in general, he argued elsewhere, because the less complicated conditions of earlier cultural stages did not allow for more precise moral concepts.34 From a philosophical-historical perspective in which what people had in common was valued morally higher than what divided them, it further followed that in case of collision the interests of the individual subject were secondary to the higher interests of the state because it involved more people, and state interests secondary to the even higher interests of humanity because it involved all people. »Private || 29 Garve to Weiße, End 1784. In: Briefe (s. note 5), vol. 1, p. 354. 30 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 3, pp. 188f. 31 Ibid., p. 223. 32 Ibid., pp. 220–222. 33 Ibid., pp. 223f. Similarly ten years later in Christian Garve: Einige Gedanken über die Vaterlandsliebe (1795). In: GGW 1, p. 197, pp. 207–210. 34 Garve: Aphorismen (s. note 26), p. 23.

64 | Johan van der Zande

interest is subordinate to the interest of the whole« as Garve reformulated the classical maxim of the well-being of all as the supreme rule.35 This moral arithmetic brought him back to his point of departure. Unsettling his critics, it also followed for him that more populous nations had, under certain circumstances, a moral right, or even duty, to dominate smaller nations, to interfere in their affairs, or conquer them, all in the name of contributing to international peace. In his view a nation whose institutional framework showed little cohesion, like an inferior work of art, was in fact a mere aggregate of disparate elements without any order and should be dissolved since it did not serve the ultimate goal. »The highest conceivable law of all human action is to do what is most useful to humankind as a whole«, and again: »everything is right that is beneficial to humankind as a whole«.36 Although the second Polish partition of 1792 certainly was an extraordinary event worthy of the revolutionary times they were experiencing, Garve commented in another letter to Weiße, it was a consoling thought that from now on Poland would be better governed than it used to be. Later perhaps, he ventured, its inhabitants would bless an episode that now seemed merely destructive.37 The all important point of Garve’s pre-revolutionary political thought, maintained until at least 1792, was that despite the danger of possible abuse his moral arithmetic justified the change of a nation’s constitution. With the goal of humankind’s security and happiness in mind Garve thus legitimized constitutional change in moral rather than in legal terms as he made quite clear in the response to his critics in Ueber die Verbindung der Moral mit der Politik. Law was an instrument of preservation, he explained there. Its goal was to prescribe the status quo and maintain the established institutional relationships among ruler, the social orders, and the subjects. International law had the same purpose of preserving existing relationships among states. But as a tool of preserving the status quo the law was opposed to change and if no one had ever departed from the law, things presently would be the same as they were »a thousand years ago«.38 In other words, immutable law offered no opening to moral improvement and therefore also no hope of realizing humankind’s ultimate goal. Consequently, at this point Garve broke with the contractual model of state formation since it tied the hands of both ruler and subjects in changing existing conditions. For Garve, history showed that despite this model things did change, that rulers and citizens alike often had disregarded international and positive law and often for the better. It is a »law of nature« (that is, not natural law, but Garve’s providential world plan) that »imperfect situa-

|| 35 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 3, p. 235. Cicero: De Legibus, III.iii.8: »Salus populi suprema lex esto.« See also Plato: Republic, IV, 420 B. 36 Garve: Ueber die Verbindung (s. note 22), p. 40, p. 56. 37 Garve to Weiße, April 10, 1793. In: Briefe (s. note 5), vol. 2, p. 113. 38 Garve: Ueber die Verbindung (s. note 22), p. 69.

Lessons of Violence | 65

tions are changeable«, even when rapid change inevitably meant breaking the law and was accompanied by acts of injustice.39 The contents of this law of nature should not be confused with natural human rights that could not be surrendered in the social contract. In Garve’s view humans did not actively exercise their inalienable rights when fomenting revolution, they were merely the tools providence used to bring about their own moral perfection.40 Rather than being a philosophical-legal notion, Garve’s law of nature expressed a philosophical-historical conviction. But it proved hard to reconcile this conviction with his empiricist approach to the problem of revolution. The nation was for him a political entity whose members, or at least its elite members, were, if necessary, morally entitled to violently overthrow the current constitution by themselves or by asking for foreign intervention to help them achieve their goal. However, the price he paid for granting them this moral prerogative was an almost negligible role for the moral philosopher, who could prescribe in general terms the goals of revolution, but only in hindsight could pronounce on the morality of the way the nation had interpreted the world plan since this was exclusively determined by historical circumstances. The task of the moral philosopher collapsed into that of the philosophical historian who in his work elucidated past and present opinions in the nation. From the outset of his career Garve had assumed this role for the philosopher: »If Philosophy cannot be the commander in control of events, she at least must follow as a historian.« He formulated this task of the philosopher again in the Cicero commentary: »moral philosophers of every era in a certain sense are also the historians of their time«.41 Most decidedly Garve expressed himself in the commentary to his 1787 translation of William Paley’s Principles of Moral and Political Philosophy, where he wrote that »[H]umans always philosophize according to the circumstances in which they find themselves«, that is, moral judgments always had to be historically accounted for.42 Yet Garve’s emphasis on the historical conditions of moral judgments did not amount to moral relativism because his belief in the existence of

|| 39 Ibid., pp. 5f., p. 91f. Burke also allowed for resorting to revolution when life and liberty were threatened: »It is the first and supreme necessity only, a necessity that is not chosen but chooses, a necessity paramount to deliberation, that admits of no discussion, and demands no evidence, which alone can justify a resort to anarchy.« According to Burke the French were in no such position in 1789, yet had chosen for revolution instead of reform. Burke: Reflections (s. note 20), p. 97, p. 135. See Richard Bourke: Empire and Revolution. The Political Life of Edmund Burke. Princeton, Oxford 2015, pp. 723f. 40 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 2, p. 171: »Revolutions prepare themselves; people are their tools rather than their initiators.« 41 Ibid., p. 228. 42 Garve: Prüfung der Fähigkeiten (1767). In: GGW V, p. 4; Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 2, p. 228; id.: M. Payley’s Grundsätze der Moral und Politik. Aus dem Englischen übersetzt von C. Garve. 2 vols. Breslau 1787, vol. 2, p. 520 (GGW XIV).

66 | Johan van der Zande

a providential plan justified his expectation of increasingly higher degrees of morality both within and among states. Garve discussed actual revolution in a state, as opposed to foreign intervention to support or suppress it, in only fifteen pages in Ueber die Verbindung der Politik mit der Moral. If foreign intervention ideally was driven by the desire for a more coherent and peaceful Europe, it was civil unrest within a state that provoked involvement in its affairs. At first sight, Garve seemed to contradict himself. Rather than support even well-considered change, he wrote, intervention should aim at restoring the status quo ante because this ensured continuous stability. For all true improvements in a state were the effect of increased experience and of more enlightened notions, provided these developments were not interrupted by political revolution.43 But Garve was not backtracking from transforming the constitution to reforming it because reform was his preferable kind of change if circumstances allowed for it. But if the security of the intervening power was not at stake, its ruler should always support the party in favor of freedom of conscience against religious compulsion, of enlightenment against ignorance, and of the »spirit of rational liberty« against despotism. When in one of his historical examples Garve granted that Louis XIV in 1689 had sound reasons to support the Stuarts, he at the same time believed that posterity’s opposite judgment was dictated by »the voice of liberty and enlightenment secretly speaking from the heart of all humans«. The Glorious Revolution originated only in part of the nation, but in Garve’s view it had been the largest, the most respectable, and most enlightened part. If one would not allow this reputable part to initiate departures from the constitution or the succession to the throne, »no nation would be able to remove a tyrant or a repressive government«, a rule clearly in defiance of the »noble desire for liberty«. In fact, he noticed, no revolution ever began with a nation’s unanimous consent. In short, »impartial critics« had found Louis XIV’s motivations either less pure or not enlightened enough and luckily the »interest of humanity« had succeeded, if only in hindsight.44 Published in 1788 this was easily Garve’s most outspoken expression in favor of revolution and perhaps it had sparked his early hopes for a similar result in France. If Garve’s philosophical-empirical approach to revolution could not prescribe what was morally allowed or not, and the revolution itself could only be validated in hindsight, the question for the philosopher witnessing contemporary civil unrest was why aspiring revolutionaries should be believed or given the benefit of the || 43 Garve: Ueber die Verbindung (s. note 22), pp. 105–109. Perhaps Garve was thinking of the unrest in the Dutch Republic in 1787 where he suspected foreign manipulation of the Patriot movement (p. 120), but he did not mention the Prussian intervention that put an end to their revolution. 44 Ibid., p. 109, pp. 116–121. In his Paley commentary Garve discussed the difficulty whether and when to join a revolution when its outcome was still in the balance, but he also argued to be lenient to those who could not accommodate themselves to the new regime; see Garve: M. Payley’s Grundsätze (s. note 42), vol. 2, pp. 518–525.

Lessons of Violence | 67

doubt. Garve’s response in the case of the French Revolution was the notion of public opinion.

4 Public Opinion One of the major terms for contemporaries to assess what was going on in France was public opinion. In Germany this was more difficult than in France or Britain because traditionally both elements of the term, öffentlich (public) and Meinung (opinion), had different connotations. In Zedler’s Universal-Lexicon öffentlich (Publicum) was a legal term pertaining to the sovereign as opposed to private persons, and a Publicist was someone who wrote about or taught constitutional law. Philosophically, Meinung referred to probable knowledge and, more negatively, to changing or stubbornly supported opinions about a philosophical conclusion. But Meinung also referred to a completely unfounded notion (characteristally described as eine Opinion) to which the proverb that the world is ruled by opinions applied (mundus regitur opinionibus).45 In the first, philosophical sense Meinung apparently was a private matter and due to personal shortcomings, such as the inability to reason properly, a corrupted will, or obstinacy. In the second, proverbial sense it was not an individual flaw but characteristic of human imperfection and associated with the force of habit. A case in point is Christian Thomasius, who before he changed his mind had accepted the common opinion (gemeine Meinung) about the malignancy of witches »because that is what I had heard and read without giving it a further thought«.46 Either way, German philosophers at the time had no reason to have a high opinion about Meinung and the connection with the legal concept of public would not have been obvious to them. The Zedler entry on Meinung was taken word for word from Johann Georg Walch’s Philosophisches Lexicon of 1726 and appeared unchanged in the fourth edition of that work published in 1775. Soon after mid-century, however, the notion of the public having an opinion appeared. In his essay Das Publicum, of 1755, constitutional lawyer Friderich Carl von Moser did not think of Publicum in legal terms pertaining to the sovereign but, in a wide sense, as an entity comprising all humans or

|| 45 Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Vol. 29. Leipzig 1741, col. 1138f. (entry »Publicum«); vol. 20 (1739), col. 347f. (entry »Meinung«). 46 Christian Thomasius: Absolvirung einer ungegründet angegebenen Hexe. In: id.: Ernsthaffte aber doch muntere und vernünfftige Thomasische Gedancken und Erinnerungen über allerhand auserlesene juristische Händel. Halle 1720, pp. 197–206, here p. 197. In the same sense in France the term opinion publique was already used in the sixteenth century, e. g. in Montaigne’s essays on custom and on physiognomy (Michael de Montaigne: Essais, I.23; III.12).

68 | Johan van der Zande

at least all state inhabitants. Concepts like common good or the common welfare (das gemeine Beste, die gemeine Wohlfahrt), belonged to them. In a more narrow sense the public were those people engaged in topics involving human society and who formed an opinion about these topics regardless of the truth content of their opinions. Reintroducing the legal connotation, but now as a metaphor, Moser made this public the tribunal (Richterstuhl) of actions and writings of public figures. Implied but crucial was that this tribunal was not operating in secret; it was an open court. In this narrow sense public opinion apparently was for Moser the false vox populi whose irresistibility made it vox dei. As a Pietist, public opinion in this sense was therefore for him a mere cynical device to which everyone, from rulers to the destitute, paid homage in order to obtain its praise or pity; the pious Christian was above that sort of thing.47 Although the idea of public opinion as an arbiter in public affairs itself was indicative of the emerging public sphere in Germany, Moser’s unfavorable view did little to make it attractive. It represented the mere opinion of people being swayed by the issues of the day as opposed to the mature judgment of the informed thinker. For less pious Christians, however, the search for a German public, its composition, commitment, and competence, was under way. Considering the political, social, and religious fragmentation of the German lands as well as the great trust, at least since the end of the Thirty Years’ War, in the sovereign prince and his bureaucracy, this was not an easy task and the results were far from unequivocal. Comparison with classical democracies let some authors deplore the impossibility of a public under modern conditions, others believed that in absolute monarchies patriotic devotion to the common good was possible.48 Accordingly, some extended their ideal public to potentially the whole nation while others limited it to its intellectual elites. But although general magazines, whose number and circulation substantially increased, informed their subscribers on various topics, including politics, and in their pages several controversies had battled it out, the reading public was geographically too divided to generate a German public opinion. Local reading clubs obviously suffered from the same problem. The only thing writers and public agreed upon, it seems, was the much lamented absence of a populous capital city like Paris or London where public opinion would have been tangible. Georg Forster, the Mainz revolutionary, still bemoaned, in 1793, how far Germany was behind countries

|| 47 Friderich Carl von Moser: Das Publicum (1755). In: id.: Gesammelte moralische und politische Schriften. 2 vols. Frankfurt a. M. 1763, vol. 1, pp. 202–234. In the entry on Richterstuhl in Zedler’s Lexicon the metaphorical sense is not mentioned; Zedler: Universallexikon (s. note 45), vol. 31 (1742), col. 1418–1421; apparently it was a recent invention employed later in the century in expressions such as »tribunal of history«, »tribunal of reason«, and so on. 48 Benjamin W. Redekop: Enlightenment and Community. Lessing, Abbt, Herder, and the Quest for a German Public. Montreal 2000. It may have been different in the fifty or so self-ruling but mostly small free and imperial cities.

Lessons of Violence | 69

blessed with such a leading center. Although the home of seven-thousand writers, he wrote, the German nation as a whole was lacking in both public spirit (Gemeingeist) and public opinion. Whereas the English were familiar with public spirit and the French with public opinion, to Germans, Forster maintained, these terms still needed to be explained. The purpose of this observation, as a modern historian explains, apparently was to point out the unlikelihood of a revolution breaking out in Germany any time soon.49 Initially, Garve used the terms opinion or general opinion, and in the Cicero commentary for the first time also public opinion (öffentliche Meinung) but without explanation, assuming that his readers already were familiar with the term. Here he still thought it was within the bounds of possibilities for the ruler to ignore public opinion.50 Soon he changed his mind and emphasized its irresistible force. In politically dangerous circumstances, he wrote in 1788, even the most absolute monarch would not be powerful enough to follow his own inclinations, but was carried away by the nation’s general opinion that dictated his actions.51 Even before the outbreak of the French Revolution, and before Forster, Garve accepted public opinion as an irresistible force in politics, if not yet in history. But only in an essay from about 1794 did Garve reflect on this concept and turned it into something more manageable. Public opinion, he wrote, was already presented as a tool in the preparation of the Revolution, relentlessly applied in every phase of the Revolution, and often employed by the revolutionaries as a qualitas

|| 49 Georg Forster: Ueber die öffentliche Meinung (Fragment eines Briefes) (1793). Quoted in HansErich Bödeker: »... l’instrument de la Révolution est en même temps son âme«: L’opinion publique chez Georg Forster. In: European Review of History 13 (2006), pp. 373–83, here p. 373, p. 379. Bödeker explains the political message for Germany of Forster’s often quoted remarks. 50 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 1, pp. 277; vol. 3, p. 70, p. 98, p. 168 note, p. 265. He also used terms such as »allgemeine Meynung«, »Meynung der Welt«, »Meynung der Gesellschaft«. 51 Garve: Ueber die Verbindung (s. note 22), p. 42. Wilhelm Bauer attributed the popularization of the term »opinion publique‹ as an irresistible force of change to Jacques Necker in France, and of »öffentliche Meinung« to Christoph Martin Wieland in Germany (Gespräche unter vier Augen, 1798). Bauer: Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grundlagen. Tübingen, 1914, p. 17, p. 25. But already in 1780 Swiss historian Johann Heinrich Füßli used public opinion as an irresistible force in his history of a fifteenth-century Zurich mayor: Johann Heinrich Füßli: Johann Waldmann, Ritter, Bürgermeister der Stadt Zürich. Ein Versuch die Sitten der Alten aus den Quellen zu erforschen. Zürich 1780, p. 119: »Er [Waldmann] konnte alles unterdrücken, nur die öffentliche Meinung nicht« (He [Waldmann] could suppress everything, except public opinion). In Scotland David Hume did not use the term public opinion but he believed that all government was founded »on opinion only«. David Hume: On the first Principles of Government (1741). In: id.: Essays. Moral, Political and Literary. Ed. by Eugene F. Millar. Indianapolis 1985, p. 32. See also Paul Sagar: The Opinion of Mankind. Sociability and the Theory of the State from Hobbes to Smith. Princeton, NJ 2018.

70 | Johan van der Zande

occulta in an attempt to explain and justify their actions.52 Garve found the evidence for this view in Forster’s essay Parisische Umrisse (Parisian Sketches), in which Forster had reported from Paris that public opinion, centered in that city, was the soul and driving force of the Revolution and was both reflected and expressed by the actions of the National Assembly and the Convention.53 Describing public opinion in this way during the Reign of Terror and in the last few months of his life Forster transformed the Revolution from a series of events caused by human intentions, successes, and failures into an episode of an autonomous historical process. From active agents the revolutionaries were demoted to tools of a higher order, and the sympathetic observer frightened by the turn of events was powerless. »For the first time in my life I don’t have any solution and am lost like a child that has no energy to feed itself«, Forster wrote to his wife in April, 1793, and half a year later: »The lava of the Revolution majestically flows and spares no-one [...] Providence rules and we flow with the current.«54 If nothing else, the powerful metaphor of the relentless, ruthless lava flow best conveys what the irresistibility of public opinion meant to Forster. Yet, like Garve before 1789, he wanted to believe that the end justified the means. Liberty could not possibly flourish under Robespierre, he granted, and for a while would only »find a sanctuary in the hearts of man«; but while certainly detrimental to those currently living, ultimately, he hoped, this would benefit the general development of Europe.55 Forster could have gleaned this idea from a history of the French Revolution by the Huguenot pastor Jean-Paul Rabaut de St. Etienne, a former Vice-President of the National Assembly guillotined in December 1793. A first generation idealistic reformer Rabaut was despised by Burke as entirely representative of those »who direct the operations of the machine now at work in France«.56 In Rabaut’s Précis historique de la Révolution française of 1792 the

|| 52 Garve: Ueber die öffentliche Meinung. In: Versuche (s. note 2), vol. 5, pp. 291–334, here pp. 293– 95 (GGW III). The essay must have been written shortly after Forster’s death, mentioned on p. 295. Rousseau’s closely related general will has origins going back to Pascal; see Patrick Riley: The General Will before Rousseau. The Transformation of the Divine into the Civic. Princeton, NJ 1986. 53 Georg Forster: Parisische Umrisse (1793/94). In: id.: Werke. 4 vols. Ed. by Gerhard Schreiner. Frankfurt a. M. 1970, vol. 3, pp. 727–776, here pp. 729–735, pp. 739–748. Forster’s essay is analyzed in Bödeker: »... l’instrument de la Révolution« (s. note 49). 54 Forster to Therese Forster, 27 April 1793; 1 November 1793. In: Forster: Werke (s. note 53), vol. 4, p. 851, p. 923. The image of both an all- devouring but also purifying volcanic eruption was used only during the reign of Terror: Mary Ashburn Miller: A Natural History of Revolution: Violence and Nature in the French Revolutionary Imagination, 1789–1794. Ithaca, NY 2011, pp. 148–160. See also Joachim von der Thüsen: Schönheit und Schrecken der Vulkane. Zur Kulturgeschichte des Vulkanismus. Darmstadt, 2008, pp. 141–162; on Forster, pp. 157–161. I am grateful to Arnold Heumakers for referring me to von der Thüsen’s book. 55 Forster to Ludwig Ferdinand Huber, 11 November 1793. In: Forster: Werke (s. note 53), vol. 4, p. 933. 56 Burke: Reflections (s. note 20), p. 168 note.

Lessons of Violence | 71

notion of opinion took central place. Shaped during the reign of Louis XV as an »enlightened tribunal«, public opinion, in his view, eventually led to the convocation of the Estates General (of which Rabaut was elected a member), and after the fall of the Bastille the »invincible phalanx« of public opinion, centered in Paris, succeeded in wrestling the new Constitution from the king and his court.57 Before the Revolution Forster had admired Garve and, like Gentz, was impressed by the Cicero commentary.58 Forster also assumed a providential plan at work in humanity’s striving for perfection, and turning from philosophical ideals to practical action he allocated to the Revolution the most important role in the realization of this plan.59 Garve thus found himself between two extremes, one an early enthusiast, who after reading Burke’s Reflections rejected the Revolution, the other an active revolutionary, who already had given short shrift to Burke in 1790 and refused to translate his »drivel« (the Reflections) into German.60 Philosophically, Garve had more in common with Forster than with the Kant-educated Gentz. He shared Forster’s trust in humanity’s irrepressible progress in enlightenment and morality, while both men admitted that temporary regresses were possible and, except during the reign of Terror, Forster thought of it as driven by human initiative. But without giving up on the notion that change for the better was inevitable, Garve had increasing doubts about the use of violence in the Revolution as the proper tool to realize its ideals. Accordingly, he mitigated Forster’s revolutionary account of the role of public opinion as an autonomous driving force into a more controlled outlet of the nation’s convictions. He did not yet seem to have known about Rabaut’s history of the Revolution, but in a later essay he would exploit some of Rabaut’s related ideas. For unknown reasons Garve’s essay on public opinion was published only posthumously. The essay was a philosophical-historical exploration, the first of its kind on this topic in Germany. As Garve explained, the new adjective »public« joined to »opinion« pointedly associated the dominant opinion in a nation with the public realm, understood as that which pertained to government. In the definition of its pre|| 57 Jean-Paul Rabaut de St. Etienne: Précis historique de la Révolution française. Paris 1792, pp. 77f., p. 99, p. 117, p. 120. 58 Georg Forster to Therese Heyne (his fiancee), July 1785. In: Hans Erich Bödeker: Die Bibliothek eines Aufklärers: Georg Forster. In: Aufklärung 6.1 (1991), pp. 95–123, here p. 119. 59 Forster: Parisische Umrisse (s. note 53), p. 737. 60 Forster to Christian Gottlob Heyne (his father-in-law), 9 December 1790. In: Forster: Werke (s. Note 53), vol. 4, p. 640. In his letter to Heyne of January 1, 1791, Forster was more moderate (p. 642); by contrast, in a letter to Christian Friedrich Voß, June 4, 1791, Forster hailed Thomas Paine’s »admirable« Rights of Man, which, considering his position in Mainz, he unfortunately could not translate because it was »too democratic« (p. 661). On Burke also: Georg Forster: Geschichte der Englischen Literatur vom Jahre 1790 (1791). In: Forster: Werke (s. note 53), vol. 3, pp. 293–365, here pp. 319–329. Forster, like Gentz, did not think much of the French translation of the Reflections which Garve had used (p. 320).

72 | Johan van der Zande

revolutionary inventors opinion became public when many or most citizens found themselves in agreement about judgments each of them independently had already formed beforehand. Public opinion therefore, Garve added, was not to be confused with following tradition, the force of habit, or the result of upbringing because lacking the basic criterion of thinking for oneself these normative modes had nothing to do with forming an independent opinion. Further, the possibility of agreement among people who did not know each other, had not arranged anything, and did not acknowledge a common authority in their judgments, was guaranteed by the nature of truth itself which, at a certain level of cultural development, produced common concepts and convictions. Reason and history, according to Garve, proved that such non-prearranged agreements among many people were highly effective in supporting change in church and state. In fact, the longer the agreement remained tacit to its participants, the more vehement its eventual disclosure would be and would also have greater effect as more people would relish their discovery that others shared their opinion. Some of them would assemble a party that helped them to further spread the newly discovered truth or, as Garve expressed himself euphemistically, try to bring matters in line with it. What he had in mind was what he took to be the best example of this process, namely Luther’s Reformation. Like Forster, Garve downplayed the role of the individual as the initiator of world historical events. Luther did not produce the Reformation, his sermons and writings only resonated because many people before him had come to the same conclusions and recognized themselves in what he propagated. In Garve’s historical-psychological approach their tacit agreement explained why Luther acquired a vast following and his movement could spread so quickly.61 Garve did not mention the violence of the Peasants’ War in the wake of the Reformation, nor the bloody wars of religion in Europe until 1648. Obviously, favoring what he (and many other enlightened Protestants at the time) perceived as Protestantism’s rationality over ritual Catholicism he preferred the effect of the Reformation above that of the ongoing revolution in France. This raised what for Garve was the main question of his topic: whether public opinion was always and unerringly also true. Humans have no other ideas of objects but their own and, in the absence of an independent authority to compare them with, they cannot judge whether these are accurate representations. In this empiricist-philosophical view, in which first principles were mere arbitrary concepts, the »sceptic’s sophisms« were not entirely avoidable because the knowing subject and the known object could not demonstrably converge. Absolute certainty, Garve concluded, was impossible and to various degrees truth could only be approached. Logically, it might seem evident that when many or most people found themselves agreeing on their independently formed opinions, all subjective and objective acci|| 61 Garve: Ueber die öffentliche Meinung (s. note 52), pp. 296–301.

Lessons of Violence | 73

dental qualities must have been eliminated and what was shared therefore could be nothing but the truth. This objection fell short, Garve argued, because it was quite possible that each individual had made the same mistakes. Similar conditions, such as climate, form of government, religion, cultural level, and so on, affected the way of thinking in a nation and led to the same but wrong opinions. The national mentalities these conditions inspired explained for Garve why unpleasant systems, such as the ancient Greek and Roman mythological religions or medieval papal supremacy, nonetheless could have prevailed for long periods of time with the approval of the nation’s best thinkers, although to later, more enlightened thinkers, equally unanimous, they seemed absurd. It would be wrong, Garve argued again, to attribute responsibility to individuals for this situation or to look for priestcraft (apparently a reference to the myth of the three impostors) and other conspiracy theories (a reference to the suspected Jesuit conspiracy of the 1780s) as possible explanations. To him such long-lasting systems were plainly the result of voluntarily agreed-upon opinion.62 For Garve, then, although he agreed with Forster that public opinion was a primary historical force and deserved respect, it plainly did not always advance truth and it would be better to be suspicious and limit its scope. This conclusion clearly mirrored his increasing weariness of the Revolution. After this formal treatment Garve elaborated on the practical conditions that hampered the flourishing of truthful public opinion in a nation. Leisure time and the ability to think for oneself were necessary requisites for its formation, he wrote. But in states where social and intellectual elites dominated to the degree that their words were law, there was no public opinion but only an echo, an authoritarian voice slavishly repeated by the many empty-headed. Public opinion could only be present in states and religions where independent thinking was allowed and a lively interest existed in political and religious issues. Yet Garve not only excluded from public opinion expert knowledge and the abstract sciences inaccessible to the unlearned but, ostensibly with his own time in mind, also topics such as metaphysics and religion because there subjective opinion ruled supreme. These contentious issues therefore were unlikely to produce public opinion or even much of a lasting agreement among the contestants. (He himself publicly was conciliatory to both his Kantian and orthodox Lutheran opponents.) Accordingly, Garve restricted the proper range of public opinion to politics, economics, and the fine arts, subjects he thought pertained to the public domain and were comprehensible in everyday experience.63 But here it made a difference to him whether public opinion was about the principles governing politics and the fine arts in general, or about particular events, persons, and works of art. Arriving at an agreement on principles required a high

|| 62 Ibid., pp. 302–309. 63 Ibid., pp. 309–314.

74 | Johan van der Zande

level of culture, but even when not necessarily correct, the quick judgments many people passed on war and peace, politicians, and poets were far more likely to be wrong, and the more passionate these judgments were, the less they could be trusted. Since, against proper philosophical sequence, agreements on principles in fact did not govern those on particulars, the historical-cultural process only slowly proceeded through trial and error toward approximate truths. Even when in a nation the art of thinking-for-oneself was becoming the norm, Garve concluded, many people were still prone to make errors and in doing so compromised public opinion. He therefore preferred the absence of public opinion over being subjected to one that originated in the passions. Garve here entered the contemporary discussion about what it meant to enlighten the nation. With other philosophers he on principle supported the dispersion of enlightenment, the »cultivation of reason«, but as long as people could not make proper judgments it would be better, he thought, not to have them make any judgments at all. Independent opinionating without the ability to think-for-oneself only resulted in defiance of the law with no real constitutional improvements in sight.64 This brought Garve to his other main point, the difficulty of identifying public opinion. His arguments indicate that he was talking not about public opinion in general but specifically about revolutionary Paris. First, it was impossible, he pointed out, to determine through which agency public opinion expressed itself; vote counting by itself did not reveal whether the voting was rigged or not. One could only observe what the general will of the many was when they cheered on or shouted down the few capable of clearly stating their opinions. But other thinkers who had their own clear opinions remained silent, although their potential followers could outnumber other parties (or in modern parlance constitute a silent majority). Second, when the most brazen speakers had succeeded in pushing through their opinions, or were backed up by the authorities, their opponents would withdraw from the public eye even when they did not change their opinions. In Garve’s example, in sixteenth-century England the population at large did not change their religion four times under four successive monarchs; rather each time one party came to power the others withdrew. (During the reign of Fredrick William II Garve himself followed this model.) Third, because party leaders and instigators of revolution based their mandate on the people, they always appealed to public opinion to justify their actions. But exactly the leader’s authority imploded the authority of public opinion and made it suspicious. These leaders also frightened those with different opinions, who could well be in the majority but lacked a common conviction. This even happened (Garve digressed) in the scholarly world in which authority and influence were less outspoken. The more respect was shown to public opin-

|| 64 Ibid., pp. 314–319.

Lessons of Violence | 75

ion, Garve concluded, the more aversion one should have against the founding of parties whether in politics or in philosophy.65 More important, however, is Garve’s notion of party in politics, religion, or philosophy, as an organization that always strove for absolute power and in the process silenced other parties by rhetoric and/or violence. He did not think therefore of parties in the high-minded Burkean sense of serving the public interest, but exclusively associated them with (extreme) partisanship. If the Revolution had not taught him otherwise, he wrote elsewhere, he would not have believed that party strife could be so bitter and dreadful.66 This explains why Garve, against Forster, believed that (revolutionary) party claims to respond to public opinion were unwarranted; the goal of his essay on public opinion, he wrote, was to remind revolutionaries of this disconnect. Since Garve held on to the idea that public opinion was the driving force of changes in the state’s constitution what, then, was his alternative to how to achieve this goal? Obviously, when many thinking individuals discovered they agreed with each other about possible constitutional corrections, the time had arrived to implement them. But for Garve implementation was endangered when at such a crucial point in time parties took over; success was only possible in quiet times much as the thinking process itself required a peaceful environment. Outside interference should therefore be banned, in particular in order to prevent vociferous outsiders from having an intimidating influence on more modest thinkers. Only if the condition of non-interference was fulfilled the reconstitution of the state had a chance. The result of Garve’s reasoning was that only peace and quiet enabled change, reform replaced revolution. Further, among those able to think for themselves, Garve assigned an important role to writers, exactly those people whom Forster had denied any influence on shaping public opinion in Germany, and whom Burke had blamed for stirrung up the Revolution since they had, in France, »great influence on the publick mind«.67 But for Garve, if they were not radicals, these writers were still mainly responsible for spreading ideas which otherwise would remain in the dark. Writers also spread their own mistakes, he granted, but this was part of the human condition and by means of reciprocal corrections this imperfection would not imperil the slow process of approaching truth. Writers in particular, then, were instrumental in shaping public opinion. At the same time they were also its mouthpiece as they brought up for discussion issues which before had been hidden in individual minds. Although everything evidently depended on their sense of responsibility for the common

|| 65 Ibid., pp. 319–323. 66 Christian Garve: Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätzen der Sittenlehre. Breslau 1798, p. 261f. (GGW VIII). 67 Burke: Reflections (s. note 20), p. 112.

76 | Johan van der Zande

cause, these writers, using Moser’s judicial metaphor, gradually delivered all the legal documents of the process for the public’s judgment (den Richterstuhl des Publicums).68 The metaphor Garve employed cannot conceal that it was not legal clerks, but philosophers like himself who embodied public opinion in an enlightened nation. What for Forster had been a particularly revolutionary concept based on the people at large, in a leap of faith Garve, wary of violence, turned into confidence in the development of an enlightened public led by judicious thinkers. Yet, while keeping the lava flow from happening he still allowed for making changes in the constitution, but only when initiated by the enlightened elite.

5 Theory and Practice Garve’s pre-1789 thoughts on revolution enabled him in principle to embrace the outbreak of the French Revolution as a hopeful sign of humankind’s moral progress. Of course, he could not possibly find support for this view in Burke, who in light of his pessimistic Christian assessment of the world’s imperfection had made the »atheistic« faith in human perfectibility a main target in his Reflections. No doubt, Burke would have counted Garve among the main perpetrators of this »political metaphysics«. If in turn Garve perhaps was baffled by Burke’s belief in the world’s unchanging moral order while simultaneously defending the Glorious Revolution, he certainly was mystified by Kant’s rejection of the permissibility of any revolution at all, and in this he was not alone. The issue came up when Kant responded to a five page appendix to Garve’s 1792 essay Ueber die Geduld (On Patience) in which Garve expressed his unhappiness with the lack of any connection between making a theoretical point and its practical application in Kant’s moral philosophy.69 The result was another German debate in which Kant’s Über den Gemeinspruch: ›Das mag in der Theorie richtig sein, stimmt aber nicht für die Praxis‹ (On the Old Saw: ›This Might be True in Theory, but It Doesn’t Apply in Practice‹) was followed by essays by Gentz and the Hanoverian official August Wilhelm Rehberg. All of their essays appeared in the 1793–1794 volumes of the Berlinische Monatsschrift. Two other related essays by Garve were first delivered as lectures for a local Breslau club and only published posthumously in a collection of his essays.70

|| 68 Garve: Ueber die öffentliche Meinung (s. note 52), pp. 323–331. »Only writers can spread enlightenment in a nation«, Garve wrote to Friedrich Schiller, 17 October 1794. In: Friedrich Schillers Werke. Nationalausgabe. Vol. 35. Ed. by Günter Schulz with Liselotte Blumenthal. Weimar 1964, p. 75. 69 Garve: Ueber die Geduld (1792). In: GGW I, p. 81, pp. 111–116. 70 The debate is discussed in Michael Stolleis: Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts. Meisenheim am Glan 1971, pp. 78–102. See also Claus Altmeyer:

Lessons of Violence | 77

Kant responded only in the first section of Über den Gemeinspruch to Garve’s worries. Here Kant addressed the problem of theory and practice in the realm of private morality, which Garve’s account on patience had been limited to. He reproached Garve for his psychological method that was based on the mechanisms of physical necessity and left no room for the freedom of the morally autonomous person. He referred to Garve’s conviction that freedom was philosophically unexplainable and wondered why he had not developed a concept of freedom which would have given him at least the possibility of categorical imperatives. But for Garve philosophical systems only justified one’s particular view of moral freedom, they could not explain it unambiguously because the notion of freedom marked a limit to where reason could go.71 The second section of Kant’s essay, dealing with the relationship of theory and practice in constitutional law, pertained to the issue of the legitimacy of revolution but ignored Garve’s pre-1789 essays. It has been suggested that this part was meant as a rejoinder to Gentz, who in his introduction to the Burke translation had pointed to the unsuitability of universal principles for practical life.72 And indeed, in his fight against the forces of historical contingency, Kant acted as the philosophical lawgiver in defending theory against empiricism. Civil society, he argued, was contractually established on the principle that in exchange for the protection of its contractors from each other, they had given up their right to judge whether the laws enforced by the sovereign to uphold the contract were just or not. Contesting his rule would establish a competing sovereign which was impossible since it defied the contract’s primary purpose. Therefore »all resistance against the supreme legislative, all incitement to turn the subjects’ discontent into violence, all rebellion that ends in open revolt, is the highest and most punishable crime in the commonwealth because it destroys its foundation. This prohibition is absolute«.73 Kant would not even allow for crisis situations necessitating an otherwise illegal act. His proscription of resistance followed straight from his notion that practice, that is, moral action in state and society, was not the application of some specific theory, but that its guiding rules were contained in the general principles of || Aufklärung als Popularphilosophie: Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. St. Ingbert 1992, pp. 480–495; Howard H. Williams: Christian Garve and Immanuel Kant. In: Enlightenment and Dissent 19 (2000), pp. 171–192, here pp. 186–190. 71 Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793). In: Immanuel Kant: Werke in 12 Bänden. Ed. by Wilhelm Weischedel. Frankfurt a. M. 1977, vol. 11, pp. 125–190, here p. 139. Kant referred to Garve’s Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 1, p. 69. Already in his Ferguson translation Garve had mentioned his problem with the concept of freedom. Christian Garve: Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Leipzig 1772, pp. 289–298 (GGW XI). 72 Steven Lestition: Kant and the End of the Enlightenment in Prussia. In: Journal of Modern History 65 (1993) pp. 57–112, here p. 96; see also Harro Zimmermann: Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik. Paderborn 2012, pp. 81–85. 73 Kant: Über den Gemeinspruch (s. note 71), p. 156.

78 | Johan van der Zande

practical reason itself. General theory (practical reason) could not lead to revolution not because it was »mere theory« but because it denied the right to resistance. The price Kant paid for his inability to philosophically explain individual historical events, however, was complete immobility. Under an absolutist sovereign above the law the nation as a moral-legal entity had no possible way to remove even the harshest oppressor from office. Resorting to freedom of the press, »the only Palladium of the people’s rights«, offered no release since it was dependent on the goodwill of the omnipotent ruler, and when not within the limits of respect for the constitution, as Kant stipulated, potentially an instrument of change no less subversive than the right to resistance. In Metaphysics of Morals (1797) Kant added that resistance was not allowed either to a government established by revolution.74 In the same work Kant also would blame Louis XVI for having started the Revolution by convoking the Estates General.75 For Burke, more precisely, not the convocation itself but the terms on which the Estates were convoked were revolutionary, the new selection methods for the First and Third Estates and the disproportion between the Third Estate and the other two: »These changes, unquestionably the king had no right to make.«76 By the time of the theory-practice controversy Garve already had developed a more sophisticated account of the Revolution’s origins as the effect of anonymous historical forces. He explained its outbreak as the explosion of the agitations emerging from kings wishing to expand their authority, members of the parlements defending their habits and established rights, and enlightened classes whose convictions were incompatible with both.77 Part of Garve’s response to the Kantian diktat in his first Breslau lecture, on the limits of civil obedience, reflected this insight. Interpreting Kant’s ban on the right to resistance under all circumstances as a throwback to the divine right of kings, he was surprised to find »the first of our philosophers« returning to a concept that Enlightenment political thought had jettisoned. He explained this move by Kant’s desire to save his philosophical principles in the face of historical fact. Kant’s absolutist lawgiving reason, he wrote, could not cope with the uncertainties inherent in practical decisions such as

|| 74 Kant: Metaphysik der Sitten. In: Werke (s. note 71), vol. 8, p. 442. 75 Ibid., p. 465. 76 Edmund Burke: Letter to a Member of the National Assembly 1791. In: id.: Reflections (s. note 20), pp. 284f. In 1792 Burke blamed the king for pulling down »the pillars which upheld the throne«. Bourke: Empire and Revolution (s. note 39), pp. 761f. 77 Garve: Fragmente (s. note 19), vol. 1, p. 228. Garve had written most of this work in the years following the death of the Prussian king in 1787, but the work as a whole was not published until 1798. Since he believed the final outcome of the Revolution »still far away and uncertain«, he probably wrote this part sometime between 1789 and the early 1790s. His inspiration, discussed pp. 212– 229, was the second marquis d’Argenson who in his Loisirs d’un ministre d’état (1787) argued that the (pre-revolutionary) French government was not so much defined by laws as well by habits, the entitlements of the various social and religious corpora, and ceremonies.

Lessons of Violence | 79

choosing the right time for putting up resistance to an unbearable yoke. Waiting until the whole nation was ready meant effectively giving up on the idea of revolution. But since there were no clear criteria for the number of people or the severity of suppression to justify revolution, Garve suspected that Kant had realized that these kinds of questions could not be answered a priori and so decided to cut the knot in favor of his principles.78 For Garve this was of course the wrong decision, not because as an empiricist he presumably could not grasp the supposed profundity of Kant’s philosophy, but because for him a formal principle could never motivate people to act morally. Kant retorted that his moral law could do just that because of our respect for it, independent of our desires and intentions. Unconvinced, Garve told his Breslau audience that »[political] unrest always originates from passions, never from principles«,79 and as has been seen in his Herodotus commentary would argue that respect for the law alone was not enough to motivate people. No doubt, this position allowed him greater understanding of the darker sides of political reality than a purely intellectual approach could. But in his lecture Garve did not elaborate on this theme. In their responses to Kant’s provocative thesis Gentz and Rehberg, both Kant adepts, acknowledged a realm where theoretical knowledge ruled supreme, in particular the moral law from which no deviation was possible. But having also become practiced administrators they now demanded a certain autonomy for the social, practical realm where theory could not penetrate. Gentz proposed a constitutionally anchored right to continuously reform a nation’s constitution.80 For unknown rea-

|| 78 Christian Garve: Ueber die Gränzen des bürgerlichen Gehorsams in Beziehung auf den Aufsatz von Kant über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig seyn, taugt aber nicht für die Praxis. In: GGW IV, pp. 389–414, here p. 400f. In his introduction to Kant – Gentz – Rehberg: Über Theorie und Praxis (Frankfurt a. M. 1967), editor Dieter Henrich first denies Kant’s accommodation to his own principles (p. 28), but then writes that his system’s consistency governed Kant’s judgment (p. 30). Claus Altmeyer first dismisses Garve’s »inappropriate« reaction and opines that his empiricism ruled out access to Kant’s philosophy, but then goes on to credit Garve for pointing out the intrinsic weakness of Kant’s argument; Altmeyer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. note 70), pp. 485–487. Bernd Ludwig offers a more balanced discussion but in his conclusion reverts to the old saw that Garve »could not or did not want to understand« Kant’s reasoning. Bernd Ludwig: Kant, Garve, and the Motives of Moral Action. In: Journal of Moral Philosophy 4.2 (2007), pp. 183– 193. 79 Garve: Gränzen (s. note 78), pp. 393f. Also in Garve: Eigene Betrachtungen (s. note 66), p. 8. The notion of sterile reason was not developed in reaction to Kant but already had been a persistent theme in Johann Georg Sulzer’s Berlin Academy lectures of the 1750s, but best formulated in his Allgemeine Theorie der schönen Künste (1771–1774; 2nd ed. Leipzig 1793; repr. 4 vols., Hildesheim 1994), vol. 3, p. 78: »Reason produces knowledge but knowledge itself cannot dictate conduct.« 80 Friedrich Gentz: Nachtrag zu dem Räsonnement des Herrn Professor Kant über das Verhältniß zwischen Theorie und Praxis. In: Berlinische Monatsschrift, December 1793, pp. 518–554; August Wilhelm Rehberg: Ueber das Verhältnis von Theorie zur Praxis. In: Berlinische Monatsschrift, February 1794, pp. 114–143.

80 | Johan van der Zande

sons Garve did not respond to Gentz’s contribution, although in a second lecture, held sometime in the spring of 1794, he reacted to Rehberg’s. Due to the imperfection of human knowledge, Garve maintained, the discrepancy between theory and practice was not limited to the social realm but reached everywhere from moral philosophy to the mechanical sciences, in political prudence as well as in that of law.81 But the theme of resistance had disappeared from the discussion. More to the point in the present context was Garve’s readjustment of his own rule of the moral right to resistance at the end of his first lecture in late 1793 or very early 1794. After having pointed out some more problematic effects of Kant’s opposition to political resistance, Garve reiterated the question he had posed before 1789: What would have become of humankind and of nations if never a tyrant had been chased away, no despotic authority had met resistance, no senseless constitution had been destroyed, if reason and wisdom had never used violence to transform an evil order of things and of society?82

But while in this way continuing to legitimatize revolution in order to safeguard humankind’s progression to harmony and happiness, even Garve had no more tolerance for the violence the Revolution continued to generate. In early 1793, in what proved to be the turning point in his thoughts on the Revolution, he had called the execution of the French king legally indefensible and politically utterly pointless.83 In the very next paragraph of his Janus-like lecture on the limits of civil obedience he now wondered whether the Revolution actually was warranted at all given the level culture had reached in his time. As a result of the Revolution, he remarked, commerce and industry – for him driving forces of sociability – were greatly endangered and moral decadence was on the rise. Historically, he counted, there had been only three successful revolutions, those that brought about the Roman Republic, the Dutch Revolt, and the Glorious Revolution, which sobering fact by itself, he now argued, should give pause to any nation contemplating revolution.84 For the philosopher who measured political and moral actions by their outcome rather than by their motives, the unfolding Revolution in France necessitated a return to its origins in order to reconsider the conditions and circumstances which were turning it into an apparent failure. From the three characteristics of his notion of revolution – its moral justification; fomented, at least initially, by only part of the nation; and if necessary with a limited use of violence – Garve now questioned the

|| 81 Garve: Ueber den Unterschied von Theorie und Praxis, in Beziehung auf die Abhandlung eines andern Schriftstellers über denselben Gegenstand in der Berlinischen Monatsschrift. In: GGW IV, pp. 415–427. 82 Garve: Gränzen (s. note 78), p. 406. 83 Garve to Weiße, 19 February 1792. In: Briefe (s. note 5), vol. 2, p. 106. 84 Garve: Gränzen (s. note 78), pp. 408–410.

Lessons of Violence | 81

last two. Allowing only part of the nation to initiate a revolution, he recognized, had been a mistake. As long as this part did not succeed in winning the nation’s approval for its initiative it was no more than a faction and it acted like one. Revolution actually began as factional warfare, was civil war, he now acknowledged, and with it the nature of the revolt changed accordingly. Eager for victory, the factions preferred to destroy each other rather than winning them over to their own cause. Extremists on all sides prevailed and since civil wars were fought with greater passion than wars among states, violence tended to get out of control as the religious strife of the previous century proved to him. Combating the defective order of tyranny with the absolute disorder of civil war, Garve concluded, »certainly was very dangerous«.85 By further arguing that reason and virtue still were in need of the reins of civil order and obedience, however, Garve in effect made the outcome of revolution, the morally higher level of the nation, simultaneously the condition for beginning one, and thus either practically impossible or unnecessary. In the same lecture in which he criticized Kant for banning any resistance, Garve reached a similar conclusion; but he did so a posteriori, after learning from the actual violence and factional warfare going on in France.

6 Property Rights Garve had first dealt with the problem of issues splitting the revolutionary nation into warring factions in the essay, proofread by Gentz, on the National Assembly’s decree of November 1789 to secularize (in its original meaning of transferring ecclesiastical possessions to lay control) the property of the Roman Catholic church. It surely was no accident that Garve later in that very same month first expressed his dismay with the course the Revolution was taking.86 In itself the Assembly’s action upheld a venerable tradition. The French kingdom had seized property from the Huguenots in 1685, from the Jansenists in 1709, and from the Jesuits in 1764. But this concerned relatively isolated segments in or outside of the church. This time it involved the whole church and moreover was part of a sustained drive to eliminate the church from its position of power in France culminating in the Civil Constitution of the Clergy issued in July 1790. Contemporaries and historians alike have considered the Civil Constitution (confirmed in the Concordat of 1801 between the First Consul

|| 85 Ibid., p. 412. In his essay Ueber die Moralität in den Staatsverfassungen added to the Burke translation, Gentz similarly required the agreement of all to begin a revolution. Edmund Burke: Betrachtungen über die Französische Revolution. Transl. and ed. by Friedrich Gentz. 2 vols. Berlin 1793, vol. 2, pp. 144–174, here p. 159. 86 Garve to Weiße, 14 November 1789. In: Briefe (s. note 5), vol. 1, p. 380.

82 | Johan van der Zande

and the pope) the single most divisive measure of the Revolution, not least because it transformed a political revolution into a social revolution. The confiscation of church property was already one of the most important issues in Burke’s Reflections. Burke was convinced of the importance of religion for civil society and to play its proper role the church establishment had to be free, that is, independent from king and nobility. That was why church property, from which it derived its income, had to be inviolable. For Burke, the sanctity of the church’s landed property was guaranteed when it was treated like the property of an individual and thus subject to the law on the same terms.87 Then came the French »madness« of the confiscation project that provoked Burke’s outrage. The National Assembly’s brazen attack on the church by depriving it from its income was nothing less than an infringement on the »law, on usage, the decisions of the courts, and the accumulated prescription of a thousand years«. The Assembly’s members should have known that their duty was to the property of the citizen and not to the demands of the state’s creditors: »The claim of the citizen is prior in time, paramount in title, superior in equity.« Turning the clergy into state servants did not alter the fact that not even the most arbitrary government had ever »robbed without mercy« people from their allowances. Nor had many barbarous conquerors ever made so terrible a »revolution in property«. Burke explained this assault on the church as the combined effort of a coalition of »political Men of Letters« zealously intent on the destruction of Christianity, and a financial class eager to convert the vast estates of the church into monied property.88 Disagreeing with Burke, Gentz in a comment to his translation of the Reflections opined that legally nothing prohibited the legislative majority in a nation from completely abolishing any corporation. A different question was whether it was politically prudent to enrage so many people. The Assembly should have done everything to protect the living members of the clergy from the deprivation of their dignity and privileges they had enjoyed in society as well as from the financial losses they suffered. Invoking the desperate financial situation of the state for not having done so Gentz thought was a lame excuse; »the people are the state«. Plundering thousands to enrich millions was still plunder. While legal, the secularization remained for Gentz an act of glaring injustice. And he had no good word for any of the motivations that had prompted the Assembly, in particular because it had done France no good at all: the state deficit that its measure was supposed to diminish had quadrupled. The violence, disloyalty, and thoughtlessness of it all, Gentz concluded, was

|| 87 Burke: Reflections (s. note 20), p. 101: »The state is not the proprietor, either for use or dominion, but the guardian only and the regulator.« 88 Ibid., pp. 106–115.

Lessons of Violence | 83

enough to understand why Burke believed the danger to inviolability of property to be one of the more horrible aspects of the Revolution.89 The first section of Garve’s essay on this topic, Einige Betrachtungen, veranlaßt durch das Dekret der Nationalversammlung in Frankreich über die Güter der Geistlichkeit (Some Observations prompted by the Decree of the National Assembly in France on the Clergy’s Properties) appeared at the same time as the first edition of Burke’s Reflections in November 1790. He had submitted the last two sections before the end of that year but somehow their publication was delayed until late Spring 1791 (for which the editors of the Berlinische Monatsschrift [Berlin Monthly] apologized).90 The essay as a whole therefore could not have been a reaction to the Reflections which Gave had read only in the beginning of 1791. The immediate occasion for the essay probably was a series of articles in the same journal on the financial situation in France. Their author, later Prussian finance minister Carl August Struensee, was rather critical of Necker’s stewardship and doubted the financial benefit of the confiscation.91 But already in his Cicero commentary Garve had expressed his thoughts about the distribution of wealth and individual rights within a social system. For Cicero the protection of the interests of individual property owners was a major goal of the state. No state act should invade their property rights for it was their hope to safeguard it that had prompted them to seek the protection of the state in the first place. Except in case of emergency, property taxes were out of the question. The wealthy should not be allowed to lose their property just to relieve debtors from their burden. Agrarian laws such as the Gracchi had introduced were detrimental to social harmony, for robbing people from property owned for generations merely created enemies of the state. Fair administration of the law and the courts was therefore the duty of those in charge of the state’s affairs.92 But in his commentary Garve observed that Cicero had only taken account of such cases where state interference in private property was indeed unjustifiable. There were other cases, however, when government was impossible without private people having to sacrifice some of their possessions. Almost all economic advances such as abolishing old monopolies and guilds or improvement of the state’s infrastructure affected the property of some people. Like Gentz would argue three years later political prudence was required and the motivation needed to be pure: Claiming to promote the com-

|| 89 Burke: Betrachtungen (s. note 85), vol. 1, pp. 165–170. 90 Garve: Einige Betrachtungen, veranlaßt durch das Dekret der Nationalverrsammlung in Frankreich über die Güter der Geistlichkeit. In: GGW IV, pp. 17–116. Orig. in: Berlinische Monatsschrift, November 1790, pp. 318‒344; May 1791, pp. 429‒455; June 1791, pp. 507‒537. 91 Karl August von Struensee: Ueber den neuesten Finanzzustand Frankreichs. In: Berlinische Monatsschrift, March 1790, pp. 205–219; May 1790, pp. 390–414. 92 Cicero: De officiis, II.xxi‒xxiv.72–84. Burke: Reflections (s. note 20), p. 115, remarked that even the amount of goods of conquered citizens for sale at the ancient Roman »auctions of rapine« was never as big as that of the vast church property in France.

84 | Johan van der Zande

mon weal could be no more than a pretext to enrich those in power. Moreover, in contemporary Europe the belief that equality of property served the common weal had dissipated. While wealthy property owners were not prepared to surrender their property forever they were willing, Garve assumed, to contribute to the common weal and support the poor. To get people to cooperate or to acquiesce in sacrificing some of their property they needed to be educated: Without an enlightened sense of what was good for all only the state’s authority and power could force private interests to comply. The validity of Garve’s argumentation rested on his principled rebuttal of Cicero’s (and later Burke’s) belief in the sanctity of private property. What united people in civil society (the state), he counterargued, was not only »love of property« but the desire to enjoy a satisfactory existence (Begierde nach Wohlseyn) as such and as far as external factors enabled it. From this it followed that property was not a goal in itself but only a tool to secure this kind of existence.93 Evidently, Garve’s notion that the right to private property was not absolute accorded with his conviction, discussed above, that in the end the well-being of all prevailed over that of the individual. At the same time he thought that momentous changes in the state that violated private property should be left to slowly evolving notions about what was appropriate in the circumstances rather than to revolutions and their usual bad side effects.94 When revolution arrived Garve had to rethink the matter. In the first part of his essay he addressed the problem of secularization from two angles. First he discussed at some length whether it was a good idea to have the clergy derive their income from church property or to be paid a state salary instead. Where Burke vehemently denied the second option, Garve’s approach was more historical. For him the first method was typical of the rough conditions of a pre-commercial society without an elaborate division of labor. By putting socio-economic, judicial, and spiritual power in one hand, the higher clergy had become despotic rulers of the faithful in general and the people living on their lands in particular, which allowed them to drain the financial resources of the state. At the same time the impoverished lower clergy were crouching on an equally low cultural level as the unenlightened lower classes among whom they lived and were supposed to educate. Garve drew a drastic conclusion from his historical analysis. The only way to remedy the situation he had sketched was state intervention in the clergy’s property rights for which the sixteenth-century Reformation had set an example. Only in times of great upheaval like the Reformation and now the French Revolution, he thought, was it possible to break the time-honored vested interests of the powerful church. Following his reasoning this would bring the socio-economic and legal status of the church in a Catholic country in line with the level achieved in Protestant countries and bridge

|| 93 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 2, pp. 160–170. 94 Ibid., p. 171.

Lessons of Violence | 85

the cultural differences between higher and lower clergy to the benefit of the education of the people at large. In Garve’s mind (before he could know Burke’s position), therefore, there was no doubt that the Assembly’s action to substitute salary for income from land was »useful«, his term to indicate moral progress toward humanity’s goal of harmony and happiness.95 The question was whether the Assembly’s secularization of church land also was justifiable from a legal point of view.96 Considering his usual non-legal approach to politics this might at first seem surprising. Before 1789 he surely would not have taken up the question of legality since as set out in the first part of his essay the condition for moral progress had been satisfied. In the Cicero commentary he had written that the concept of property expressed a moral relationship. Its foundation was not physical ownership but public opinion: the respect others paid to it and the owner’s awareness of their respect.97 Garve elaborated on this idea in the essay Ueber die Verbindung der Moral mit der Politik. Declaration of ownership or invested labor (as in John Locke’s Two Treatises on Civil Government) were not enough to indisputably assure oneself of one’s property, even less so the symbolic means of enclosure or fencing. Social intercourse and shared cultural values worked much better, but enjoying respect and not having to take recourse to the use of force was what really made it possible to undisturbedly enjoy one’s property. In this proper sense, according to Garve, property expressed the moral relationship among people, the owner and all others, and it was this preceding relationship (only legally anchored afterwards) that gave the owner the certainty of his ownership, even if he lacked the physical power to protect his property.98 Garve’s concern with legality regarding property rights was therefore in the end the same as that with respect to international and positive law: Since legality followed opinion and not the other way around, could these rights be morally violated or not? Garve presented the two opposing opinions he offered on this matter as equivalent, but in the end he left no doubt on whose side he stood. The party of the opponents of all intervention, which he elsewhere identified with Locke, assumed that property was sacred since it was the foundation of civil society.99 In the eyes of the opponents nothing could justify its violation and no evil could match interference with property rights. They held this true for individual as well as corporate property, especially so in the case of the clergy, whose wealth in large part originated from

|| 95 Garve: Dekret (s. Note 90), p. 48. 96 Ibid., pp. 48–116, in the last two sections of the original publication. 97 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 3, p. 175. 98 Garve: Ueber die Verbindung (s. note 22), pp. 18–27. 99 In the question of property Garve thought of the emerging liberal concept as a foreign, British import. On this topic see Hans Erich Bödeker: Menschenrechte im deutschen publizistischen Diskurs vor 1789. In: Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft. Ed. by Günter Birtsch. Göttingen 1987, pp. 392–433, here pp. 399–409.

86 | Johan van der Zande

legitimate gifts and bequests which for individuals constituted property in the full sense. If the clergy could not demonstrate legal title to their oldest possessions, they could point to prescription (Verjährung) without which no property ever was secure. At this point Garve inserted a fifteen page commentary in which he discussed the importance of the church’s charitable foundations for the provision for younger children from noble families, and in Catholic countries the importance of monasteries for younger children of bourgeois families. Time and custom had created a moral right to their expectations to build a career in these institutions. From this perspective it would therefore be a grave injustice if the state would cut off these expectations and alienate so many respected people by suddenly taking away the right of using and enjoying something they had good reason to count on. In other words, such a revolution would create its own enemies far beyond the members of the clergy directly involved, or more precisely initiate a social revolution. The interventionist party was not at a loss for an answer. Garve first reiterated his argument of the primacy of the common weal. Its abuse as a pretext for unjust acts by greedy rulers or rebellious subjects was no argument against the correctness of this principle. Further (and again differing from Burke), individual property really was different from corporate property. Individuals were natural persons who perpetuated themselves and with them their property whereas corporate bodies were voluntary institutions whose permanence depended on the agreement of its continuously changing members. Some corporations, such as the guilds or widows’ institutions, merely aimed at the private interests of its members. The state had little to do with them and certainly not with the wealth they accumulated. Other corporate bodies, however, among them the clergy, were founded with the express purpose to assist in the state’s functions and were only continued because of the state’s continuous need for their services. From this point of view, the state obviously had a greater say here because the fortunes this kind of body amassed were tied not to their members as natural persons but to their public usefulness. Their property rights were therefore less perfect and more subject to the state’s authority. Even if one kindly overlooked the fact that the clergy had acquired much of its property in improper ways (with Garve evoking the lively image of fathers-confessor encircling wealthy but childless people on their deathbeds), the next argument ran, the principle of prescription could not change the public purpose of the property so acquired. Against the argument that the Assembly’s arbitrary change of use of church land affected many more people than the clergy, Garve further argued, it could be objected that not everyone had an equal claim. The presently living clergy certainly had the right to count on what the state previously had promised and guaranteed them. But this was much less true for the members of noble families whose expectations to be provided for were frustrated. Their claim itself excluded other, non-noble members of society. It amounted to usurpation of clerical functions by a group of people who by their lack of proper education were unqualified for the careers they sought and to which they were attracted only by the prospect of large emoluments.

Lessons of Violence | 87

After having presented both cases to the »public’s tribunal«, Garve ostensibly refused to take sides. It was premature to do so, he argued, when »a great nation is experimenting in a matter the outcome of which is still so much in doubt and with regard to its result only experience, our most reliable teacher, will enlighten us best about what is possible and what is proper«.100 Garve thus remained true to his view that the law did not determine the permissibility of drastic political action. The validity of the law itself was a question of opinion and its applicability therefore in the end something about which not a court of law or self-appointed philosophical lawgivers should decide but the public at large in its own tribunal. Effectively, however, Garve took sides in favor of the interventionists, and the real dilemma for him therefore was not whether the interventionists’ arguments were better – in his view they clearly were, although he did not say so here – but whether they should prevail in the particular case of the Assembly’s decree. He was by no means sure about this, however, and cautioned the public not to rush to a decision. [I]t is as yet not up to anybody to pass judgment on a matter that still has to be examined from more angles and by persons from various classes and various viewpoints before the useful and the necessary is properly separated from their relationship to what is just and what is reasonable.101

The real issue for Garve was, as it had been for him in the Cicero commentary and would also be for Gentz, not one of legality but of political prudence. In a letter to Gentz written before the delayed publication of the second part of his essay, Garve worried whether his Berlin friends did not think this part to be illadvised. Gentz reassured him that Johann Joachim Spalding, until the Woellner Edict the foremost Protestant leader in Prussia whose acquaintance Garve had made in Berlin, did not think so at all and was wondering why Garve had any scruples about this. Still in favor of the Revolution at this time, Gentz himself found the essay timid rather than bold or dangerous.102 But apparently Garve was fearing a repetition of the polemics following the publication of his Über die Verbindung der Moral mit der Politik. He was well aware that the second part of his essay on the Assembly’s decree continued the same line of thought and this time he was not dealing with historical examples but with a hot political issue that, considering what he saw as the spreading of revolutionary fire, could have repercussions for the Holy Roman Empire. Not in the mood for a renewed fight, Garve went to some length to convince

|| 100 Garve: Dekret (s. note 90), p. 102. 101 Ibid., p. 101. 102 Gentz to Garve, 19 February 1791. In: Briefe (s. note 11), vol. 1, pp. 187–194, here 188. In his Burke translation two years later Gentz defended Garve on this issue by pointing to a cautious discussion in Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 2, p. 172. Burke: Betrachtungen (s. note 85), vol. 1, pp. 244f., note.

88 | Johan van der Zande

his readers of the different situations in Germany and France. In the Holy Roman Empire, he argued, the higher clergy had advanced to the status of sovereign worldly rulers whose titles of Bishop and Archbishop, election by the aristocratic body of the cathedral chapter (Domkapitel), and spiritual jurisdiction were the only reminders of their ecclesiastical origins. The name had remained the same but the thing had changed. They were now sovereign rulers, and while their form of government might be defective it would be unjust to secularize their states. By contrast, in France the clergy, notwithstanding its wealth, had remained subjects of the state and whatever happened to them during the Revolution, their fate could never be a model for other countries to follow, or so Garve thought. The thrust of his argument lay elsewhere. First, if the goal was redistribution of wealth, Garve found any intervention unacceptable. In this sense the sanctity of private property was for him, too, the only guarantee of social peace, the indestructible rock of civil society. Examples from Lycurgus to the Gracchi proved to him that there were no easy answers to the admittedly sometimes distressing problem of economic inequality, but redistribution usually made things worse. This already had been Garve’s opinion in the Cicero commentary as it implied the kind of social revolution he would reject in his 1786 essay on the peasants east of the Elbe. Second, however, emphasizing the political repercussions, if the goal was a revolution in the state’s constitution, in casu a greatly diminished role in the state for France’s clergy, Garve now distanced himself from the use of violence he previously had seen as an inevitable side effect of such upheavals, at least when carried out against the will of many or most of those involved. The loss of property was bad enough for those directly affected, he now held (and again Gentz argued after him), but worse were the passions set free on such occasions, animosity on the side of the losers and their supporters and greed on that of their opponents. Because of the danger of civil war, Garve’s psychological-political conclusion had evolved into the consideration that serious political reforms, even if rationally sound, should not run ahead of the opinion of the many (among the propertied classes at least) who disapproved of them, and certainly not in cases where religion was involved. If the Assembly proved to have misjudged the nation’s mood, had not consulted it enough, or if the results of its decree would turn out to be less satisfying than expected, he commented, civil war in France was certainly a possibility. Clearly Garve had taken to heart the argument of the opponents of intervention, Burke among them, about running the risk of civil war if important parts of the public were alienated from the revolution. The peril of factional strife was easily the most powerful lesson the revolution was teaching him.

Lessons of Violence | 89

7 Factional warfare In an other essay three years later Garve tried to come to terms with the problem why revolutions tended to derail and disintegrate into bitter internecine feuds. As usual, he used the genre of a commentary on an existing text as the vehicle to express his thoughts. This time it was Jonathan Swift’s short story Meditation upon a Broom-Stick to which Garve attached a »Serious Commentary«. Reading to the pious Lady Berkeley, Swift had played a little joke on her by inserting a two page story in a book to divert himself from its devout contents. Contemplating the fate of a broomstick, the story’s narrator realized it was not much different from that of humans who imagined themselves universal reformers in their determination to clean up every nook and cranny by raising clouds of dust where there was none before, covering themselves with the dirt they pretended to sweep away, and ending their days by being thrown out or burned for firewood. For Garve the story not only applied to the revolution in France. Reformers of many stripes, from the Gracchi in ancient Rome, to Arnold of Brescia and Cola di Rienzi in medieval Rome, Etienne Marcel in Paris, and Oliver Cromwell in England, began to clean up the state and ended up making a greater mess.103 Garve offered two answers to the question of how this reversal came about. The first answer rested on his new insight that political power never was uncontested. Any would-be reformer, legitimate or revolutionary, necessarily spent much time and energy securing and maintaining his power base, but this very activity at the same time distracted him from devoting himself to his larger goals. This amounted to open or secret warfare with his often embittered opponents, most of them adherents of the old order that was being overthrown. The means to win this war was for the reformer to establish a loyal faction of his own or continue the one that brought him to power. »Every reformer must, when he wants to be successful, put himself at the head of a faction.«104 His followers, however, rebellious to begin with and prone to establishing sub-factions, are a difficult lot to control, almost as difficult as beating the enemy factions. Because of this war on two fronts, in acute personal danger, and his rule not yet firmly established, the reformer is tempted to commit all the

|| 103 Christian Garve: Ein ernsthafter Commentar über einen Scherz (1796). In: GGW V, pp. 429–467. Jonathan Swift: A Meditation Upon a Broom-Stick: According to the Style and Manner of the Honorable Robert Boyle’s Meditations (1703). In: The Writings of Jonathan Swift. Ed. by Robert A. Greenberg and William B. Piper. New York 1973, pp. 421f. The background of Swift’s spoof was revealed by Thomas Sheridan in his Life of the Rev. Dr. Jonathan Swift (1784, 2nd ed., London 1787, pp. 37–39), and meant to exonerate Swift from the accusation of having intentionally insulted Boyle. Friedrich Heinrich Jacobi published the story and Sheridan’s account in German translation in Neues Deutsches Museum, October 1789, pp. 405–417, esp. pp. 412–417. 104 Garve: Ernsthafter Commentar (s. note 103), p. 445.

90 | Johan van der Zande

injustices usually connected with civil war. If the war continues for some time the momentum for reform disappears and what began as a reform program comes to an end in a long struggle of ambition and thirst for power and revenge. On this analysis of the factional nature of any reform movement, as opposed to the character of the reformers, Garve built his second answer. It ran as follows. As the revolutionary experience in France abundantly proved (and could not be discovered a priori, he added), the length of revolutionary war itself causes the faction leaders to give up on their initially lofty and virtuous enterprise. If they fail to quickly turn the revolution into a success, the initiators tend to loose their grip on events and a much less committed second generation of revolutionaries takes over, radicalizing the revolution in the process. All revolutions, Garve observed, as soon as they continued for a while, followed the exact same course as the French Revolution. It is a basic truth »that every great reform in church and state, which is not quickly brought to a conclusion and therefore not finished by the initiators, is subject to the danger of having its spirit and goals perverted«.105 But here much also depended for Garve on the kind of ruler willing to run this risk. A monarchy or hereditary aristocracy could accomplish much less in this regard than a democracy because, ideally (agreeing with Forster’s later assertion), a majority in the Assembly indicated agreement with the majority of the nation. This is a key issue for understanding Garve’s argument. He interpreted the French Revolution here neither as a modernizing movement, nor as a social revolution, but, as did many contemporaries including many revolutionaries, exclusively in terms of an experiment in classical democracy. The two related problems were then whether such a democracy, traditionally associated with small territories and city states, was possible at all in a large country like France, and above all whether the Assembly and its successors were the true mirror of the nation’s mood or on the contrary were dominated by demagogues and their fiery rhetoric to move an audience in any direction.

8 Demagogues and Democracy Garve’s psychological approach directed him to the treatment of demagogues rather than democracy. In his preference for this philosophical-anthropological genre he was aided by an extensive knowledge of ancient literature. The idea of an unbroken continuum between ancient and modern times enabled Garve to see a comparison || 105 Ibid., p. 456. Gentz, by contrast, saw the radicalization into what he called a »total revolution« as the result of the connection of the National Assembly with the rebellious mob on July 14, 1789. See Gentz: Versuch einer Widerlegung der Apologie des Herrn Makintosh. In: Burke: Betrachtungen (s. note 85), vol. 2, pp. 226–300, here pp. 240–245.

Lessons of Violence | 91

between them as instructive on two accounts. Recent experience of Revolutionary events made that distant past more comprehensible, and in turn knowledge of that past illuminated modern times by noting both agreements and differences. For Garve, therefore, the Revolution did not invalidate the Ciceronian dictum about history as the teacher of life; it confirmed it. As will be seen, however, the educational function of history was predicated on the study of a more or less timeless national character, even as Garve deplored contemporary pride in its continued existence. And it worked only by seeing the Revolution as primarily a Parisian (as opposed to a French) affair, so as when Garve observed that in terms of membership the Convention was about as numerous as an Athenian public meeting. Convinced of the possibility to throw light on both the past and the present by comparing ancient and modern revolutionary political practice Garve brought his knowledge to bear on the question of contemporary demagogues. Thus, during Robespierre’s Reign of Terror in 1794, Garve translated a passage from Thucydides on the Athenian demagogue Cleon, to which he added an introduction and commentary. Dubbed by Thucydides the most violent man in Athens, Cleon was the demagogue who in a public speech urged his fellow citizens to take the severest possible revenge on the Mitylenians, their former allies (or rather vassals, as Garve would have it), for their defection early in the Peloponnesian War. All Mitylenian men ought to be killed, all others enslaved, and the city razed. Although on second thought the Athenians disagreed with Cleon, they still ordered a thousand male Mitylenians to be killed, the city walls razed, and the land divided among Athenian colonists. In the introduction to his translation, Garve referred to a recent essay on Cleon by Göttingen historian Arnold Heeren who by comparing the fate of Mithylene with the destruction of Lyon had brought attention to a man and a story »extremely capable of making us acquainted with both democracy and demagogues«.106 His own translation, first published in a local Silesian journal in 1794, was republished for a Germany-wide audience only in 1796, but Garve did not think that with the fall of Robespierre it had lost its relevance. The »democratic spirit still dominates the new constitution« and the »tragedy«, as he now summarized the course of the Revolution, had not yet come to an end. The light the story of Cleon threw on the shortcomings of democracy and on »its scum, that he [Cleon] was« would »cure us from the prejudice excited by the lovely-sounding name of liberty

|| 106 Christian Garve: Uebersetzung und Erläuterung der Rede Kleons, eines Atheniensischen Demagogen im 47sten Kapitel des 3ten Buchs des Thucydides. In: GGW IV, pp. 448–515, here p. 457. Arnold H. L. Heeren: Mitylene und Lion (1794). In: id.: Vermischte historische Schriften. 3 vols. Göttingen 1821, vol. 3, pp. 241–252. After the defeat of the Royalist and Girondist uprising the National Convention ordered, in October 1793, Lyon (Lion) to be destroyed. Many rebels were killed and buildings demolished until the death of Robespierre.

92 | Johan van der Zande

toward a democratic constitution«.107 Garve’s increasingly vehement language mirrored his increasing disgust with revolutionary violence. From his reading of classical sources Garve deduced two main techniques demagogues used to exploit the shortcomings of democracies: false eloquence and flattery. The first consisted in the ability to make an impression on a mixed, uneducated crowd. The demagogue sought to play the role of prosecutor whereby, characteristically according to Garve, Cleon as well as his Parisian descendants were inclined to take increasingly extreme positions. If the choice was between peace or war, between mercy or revenge, Cleon invariably would opt for the latter. The violence of vehement and exaggerated speech itself impassioned a weak-minded people, rousing them to agree to any extreme proposal. In his comment on Cleon’s argument that pity was wrong for enemies who showed no pity toward Athens, Garve drew a comparison to the bloodthirstiness of Marat and Barrère, who similarly sought to suppress the »voice of humanity«, explaining their rage by the easily provoked passions in a democracy. Flattery, the other technique of demagogues ancient and modern, consisted in the incessant but selective self-glorification of the nation, bragging especially about its dignity and grandeur. Garve astutely observed that »for the demagogue the nation as a whole is great and good, smart and virtuous, but an individual who stands out among the crowd, if he does not belong to their faction, is a dimwit or a villain«.108 Even the demagogue’s occasional rebuke of the nation raised rather than depressed his stock. Again, the similarity with revolutionary France was apparent to Garve. Here at the latest it also becomes clear, however, that Garve was not so much comparing ancient Athens with modern France, but two populations with supposedly similar cultural-psychological characteristics, both being vain, factious, fickle, and enthusiastic, courteous when not disturbed by others but furious with enemies, having flashes of piercing inspiration but no talent for persistent contemplation, and so on.109 The eighteenth-century notion of a more or less fixed national character reduced nations to types and in the worst case to caricatures, but as a heuristic tool it forced comparison between them from a cross-historical viewpoint in relation to external factors such as climate and location. It helped to explain why a nation (had) developed in different or similar ways than others in regard to its sustenance, cultural habits, social organization, and government, among other things. It was the

|| 107 Christian Garve: Rede Kleons (s. note 106), pp. 453f., p. 458. Garve mentioned that according to Thucydides it was not Cleon’s background as a Gerber (tanner) why »all decent people« disliked his influence on the crowd, but the way he had risen to that position and exercised it (p. 462f.). Garve wrote his essay only one year after the Breslau authorities had violently suppressed the journeymen’s »tumult« (s note 27). 108 Ibid., p. 468, p. 492, pp. 512–514. 109 Ibid. 456. In Ueber die Moden (1792; GGW I, p. 138) Garve pointed in regard to the Revolution to the disconnect between the French character and the seriousness needed in politics.

Lessons of Violence | 93

guiding principle of Garve’s essay. On the basis of the perceived likeness between the national character of Athens and France his psychological analysis of Cleon’s demagoguery could clarify why the Revolution had taken the direction it had and what probably was lying ahead. The issue for Garve therefore was the match between democracy and national character, a topic with which he dealt at some length in another comment on Cleon’s speech. A democratic constitution, either pure or mixed, direct or representative, could thrive among the Swiss, Dutch, English, and Americans, he observed, because these nations were temperamentally characterized by composure and a certain unpretentiousness in their way of thinking. The public meetings typical of the democratic constitution required that most members silently listened to what others had to say, if only for the sake of orderly procedure. They had to give up their own ambition to shine and sink their egos, so to speak, in a continuous effort of selfabnegation. The meeting’s leaders meanwhile would not seek the admiration of the other members for their rhetorical skills and other abilities, but were willing to instruct the more or less silent majority on the issues at hand. Not brooding, flights of fancy, and sudden fits of passion, but a sense of quiet inquiry should prevail in the assembly hall. As an illustration for this thesis Garve quoted from Euripides, that »philosophical poet«, who has a kind of Cincinnatus – a stouthearted man, not often in town, farming his own land – address the public assembly of Argos on the occasion of deciding Orestes’ fate.110 Cincinnatus was one of those citizens who did the most for the common good without speaking much about it and for Garve a classical model of the kind of citizen that had made the American Revolution so successful. But he couldn’t find a trace of this model in either Athens or in France. Following this reasoning, democracy in a larger nation was not in itself impossible, yet doomed to fail in France by fault of its national character. Apart from France’s unsuitableness for democracy, however, this kind of constitution suffered for Garve from some inherent weaknesses. First, in contrast to a monarch or an aristocratic senate most participants in a democratic assembly had no direct experience or knowledge of the things they had to decide about, making them dependent on hearsay and demagogues. Second, many people in a democracy should be involved in the execution of the decisions being made. But as Garve distilled from Cleon’s speech and Demosthenes’ repeated admonitions, over time most people tended to relinquish their commitment to the common good.111 Most problematic, finally, was what to Garve seemed the almost unsurmountable psychological hurdle in a democracy for the minority to adhere in good faith to a majority’s decision that until that point it had fought tooth and nail. He very much doubted that veneration for an assembly’s majority could replace the traditional deference to

|| 110 Garve: Rede Kleons (s. note 106), p. 482, pp. 501–506. Euripides: Orestes, 917–922. 111 Garve: Rede Kleons (s. note 106), p. 485, p. 507–510.

94 | Johan van der Zande

a monarch or to aristocrats as the basis for respect for the law.112 Even though by Garve’s own account democracy fitted the character of a few contemporary nations, his basic distrust in its workings added to his historical- psychological conclusion that in a nation like France, whose character it definitely did not suit, creating a democracy was the last goal its revolutionaries should have chosen.

9 The Lessons of the Revolution Garve finally renounced his belief in revolution in a 1797 essay in which he assessed contemporary changes in pedagogy, religion, and politics. In contrast to religion, where without hesitation he took the side of the reformers, in politics he now unequivocally chose a position not unlike Burke’s, although not for the same reason. »In matters of statecraft and constitution I declare my faith in the party of the conservatives« (or in the religious language Garve used: the orthodox party, the Altgläubigen). No matter what the merits of political revolution were, there was every reason to join those who resisted it because »in regard to constitutions and governments time itself is an essential part of perfection«.113 Revolutionaries were now in Burkean terms »political speculative minds«, who combined vivid imaginations with the will to immediately realize any ideal of greater perfection and happiness while exaggerating the plight of the oppressed. Going beyond Burke, Garve included among them not only Rousseau, Mably, and Sieyès, but also Locke, defender of the inviolability of property rights as well as the right to resistance.114 In accounting for his change of mind, Garve mentioned the lessons the course of the French Revolution had taught him. It was a summary of the insights he had expressed in his earlier essays. His »passion« for the initial stage of the Revolution had lasted only as long as its initiators had followed up on their principles, which he identified with »the work of philosophy and patriotism«. But he now recognized that one could not count on the continuous cooperation of so many people required for such an undertaking. Once the population used violence against the government, he now also recognized, the door to civil war was opened. Faction leaders had || 112 Ibid., p. 487, pp. 510–512. In a letter to a friend Garve wrote that »the world has never before seen anything so mad as the present constitution in Paris.« It probably was a reference to the recently reorganized commune of Paris based on universal male suffrage. Garve to Geheimrat von Thümmel, April 23, 1793. In: Briefwechsel (s. note 5), pp. 416f. The new national Convention based on democratic principles was only proclaimed in July 1793 but was never put into effect. 113 Garve: Veränderungen unsrer Zeit (s. note 9), p. 253, p. 247. Cf. Burke’s famous panegyric on prejudice in favor of old institutions, in Reflections (s. note 20), p. 87: »We cherish them to a very considerable degree […] because they are prejudices.« 114 Rousseau, Mably, and Locke are mentioned in Rabout: Précis historique (s. note 57), p. 76, p. 80, p. 81; Garve dealt with Rabaut later in his essay.

Lessons of Violence | 95

lost the control over their followers to demagogues, and while not all revolutions devoured so many revolutionary generations so quickly or ended up with a bloodthirsty Robespierre, the fate of a nation intent on change would always be subject to the play of fortune and passion. Considering the limits of human understanding, any attempt at revolution therefore was »criminal«.115 When in his last work Garve acknowledged the conflict between the duty to contribute to the perfection of the state’s constitution (for which philosophers delivered the ideas116), and the duty to subject oneself to the existing order, he required unqualified obedience. It was not because this order was good or rational but because without organized society, however oppressive the situation, no Bildung and no virtue could exist.117 Yet Garve did not surrender his basic conviction of the perfectibility of humankind. The alternative to revolution was not simply political and social reform or a speculative vision of the progress of world history. Garve’s alternative was more interesting and amounted to the concept of a history of opinion, or even broader a history of mentalities. He expanded on an idea he had found in Rabaut’s Précis historique de la Révolution française of 1792, the work that may have had an influence on Forster’s Parisische Umrisse but which Garve apparently did not know yet when he wrote his essay on public opinion. In his Précis historique Rabaut distinguished between three kinds of revolution. The first amounted to no more than a change of royal personnel as happened, Garve added in his summary, during the Glorious Revolution when William III replaced James II, even when some in the country seized the opportunity to establish or restore their own rights. The second occurred when one nation, anxious about its physical survival, conquered another one and substituted its constitution for its own. As an example Rabaut used the European colonization of the West and East Indies. The success of both of these revolutions was decided rather quickly and the accompanying violence limited (or so Rabaut believed). The third kind of revolution was of an entirely different nature and consisted in the fundamental transformation of the nation’s opinions or mentality. Slow and merciless, it was a war between intransigent opponents because after || 115 Garve: Veränderungen unsrer Zeit (s. note 9), pp. 254–256. 116 Perhaps Garve was thinking of Gentz, who in November 1797 addressed a printed Sendschreiben (missive) to remind the new king Friedrich William III, among other things, of his duties to protect freedom of the press. But according to Goldschmidt it was an opportunistic effort on Gentz’s side to get an influential position in the new government. When that did not work out he entered the Austrian state service in 1802. Goldschmidt: Friedrich Gentz (s. note 14), pp. 456f. 117 Garve: Eigene Betrachtungen (s. note 66), pp. 252–266, esp. pp. 253f. In Philosophische Anmerkungen (s. note 22), vol. 1, p. 117 Garve could still see why following the norms of the time the Romans destroyed Carthage (146 BCE), although he disagreed when Cicero (De officiis, I.ii.35) also justified the destruction of the unthreatening Celtiberian city of Numantia (133 BCE). He repeated his disagreement about Numantia in Eigene Betrachtungen (p. 217), but there he now reacted violently to all violence: »Who doesn’t hate Cato, that so-called wise man, with his never-ending: delenda est Carthago!«

96 | Johan van der Zande

a successful transformation reversion to the old situation was impossible. It was also the most dangerous of the three.118 According to Rabaut two such transformations of opinion had taken place in Europe. The first was the invasion of the barbarians that put an end to the Western Roman Empire and eventually resulted in the rule of superstition and the rise of feudalism. The second, for which the philosophical eighteenth century had paved the way, was the ongoing effort to replace servitude and inequality of rights with liberty and equality. It had begun in America, was continued in France, and hopefully resonated all over Europe. The Revolution in France, as Garve summarized Rabaut’s argument, was made possible because changing opinions on royal dignity, on the differences between the three orders, on the administration of justice and finances, and on religion and the clergy had slowly undermined the monarchy.119 What in Rabaut’s notion of transformational revolutions particularly appealed to Garve was their irresistible push. Where in the essay on public opinion he had stressed its political importance, following Rabaut he now put it in a philosophicalhistorical perspective. In the histories of religion, philosophy, and opinion, he commented, one discovers, although one could not completely explain it, that concepts developed forward in time in a straight line, or if they occasionally did divert never reversed direction. Even Julian Apostata could not resurrect the ancient pagan religions once they had lost their previous esteem. Papal supremacy, once the rule, was gone forever, Descartes’ vortices were superseded by Newton’s law of attraction, the Aristotelian categories by those of Kant. Garve used these examples to emphasize the non-violent character of such changes in opinion. Everything proves that conviction or human belief is by no means determined by violence, and against the greatest odds always progresses in a direction to which it is drawn for reasons presently perceived as highly plausible or by the most apparent deception.120

Garve thought the same could be true of this kind of revolution in the constitution of the state, regardless of the fierce resistance the defenders of the old order would offer. Following Rabaut, the reason why such revolutions actually were protracted

|| 118 Rabaut: Précis historique (s. note 57), pp. 286f. (theses I‒III); this second edition of the work contains Rabaut’s Réflexions politiques sur les circonstances présentes (pp. 285–314), a numbered lists of 63 theses about revolution, which Garve partly summarized in Veränderungen unsrer Zeit (s. note 9), pp. 258–265. The first edition, also of 1792, was titled Almanach historique de la Révolution française and did not yet contain Rabaut’s Réflexions. 119 Rabaut: Précis historique (s. note 57), pp. 287–292 (theses III–XV); Garve: Veränderungen unsrer Zeit (s. note 9), p. 261. 120 Ibid., p. 263. Another influence on Garve was Condorcet’s Esquisse d’un tableau historique des progrès humain (1795), which he highly admired, entertaining the »quiet desire« that many of Condorcet’s egalitarian ideas might come true. Garve to Weiße, 17 August 1795. In: Briefe (s. note 5), vol. 2, p. 206.

Lessons of Violence | 97

and turbulent, he explained, was that not all people changed their minds at the same time or to the same degree. The resulting conflicts among parties could not be resolved instantly because people changed their convictions only over time. It took Catholics and Protestants until the Westphalian Peace to adapt to the more tolerant viewpoints that put an end to their wars.121 Despite renouncing violence, then, Garve’s belief in progress forced him to admit its inevitable occurrence in revolutions involving political-religious opinions. His solution to this problem was to have the slowly changing opinions coincide with the point in time where change was acceptable to most people. He presented three examples of changing political mentalities which in the end, he hoped, would be enough to topple an unbearable but crumbling regime by revolutionaries doing little more than proclaiming what history already had wrought. First, the belief in the divine right of kings had given way to the general conviction, in civilized European states, that states and government rights were man-made instruments for the happiness of all. Admittedly, the other side of the picture was that a non-arbitrary government with circumscribed tasks also implied citizens less inclined to blindly obey transgressing governments and in some circumstances were more easily stirred to rebellion. In the second place, as the differences between the social orders were slowly disappearing, the ancient and medieval notion of natural inequality was no longer acknowledged, in particular not between nobility and bourgeoisie. Garve did not spell out the possible political consequences of this change to which he emphatically subscribed.122 Finally, philosophers and politicians alike now generally accepted Montesquieu’s separation between legislative and judiciary powers. Two other trends, however, although also wide-spread, were for Garve less acceptable, the to him peculiar British notion of the inviolability of property rights and the equally peculiar French revolutionary idea of representative popular government as the best form of administering a territorial state.123 Given the ambivalence of these historical forces, and the continuous threat of violence, Garve could do little else than produce a variation on the mirror-forprinces genre for would-be revolutionaries and contra-revolutionaries. In his conclusion he required the greatest possible restraint from the proponents of transformational change in pursuing their ideas, especially those English and French ideas he was not convinced of. He called on their opponents to stop denying the undeniable and recognize the fact that inherent human rights in fact did exist (without telling what these consisted of). And he asked both sides to do everything to avoid

|| 121 Ibid., pp. 263–265. 122 In Ueber die Maxime Rochefaucaults: das bürgerliche Air verliehrt sich zuweilen bey der Armee, niemals am Hofe (1792; GGW I, p. 443), Garve thought the prospect dim for the Revolution to destroy the dividing lines between the orders. 123 Garve: Veränderungen unsrer Zeit (s. note 9), pp. 260–277.

98 | Johan van der Zande

revolution and civil war. Sobered by the Revolution’s unrelenting violence his volte face was complete. Now firmly convinced of the inadvisability of violent revolutionary change and substituting for it the future outcome of a hopefully more effective history of opinion, the question of the right to resistance had become moot. On a trip to Breslau, in late Spring 1797, Gentz also paid a visit to Garve. Possibly, but unprovable, it was this visit that convinced Garve to completely break with any sympathies he still might have had for the Revolution. At the time Gentz was working on a history of the Revolution (that was never published) and had been collecting original documents at great expense.124 His explanations of many points of this »unique event« made his visit very worthwhile to Garve. During Gentz’s stay in Breslau or shortly afterward Garve wrote in a letter to Weiße how much he appreciated his conversations with Gentz, calling him one of Berlin’s brightest intellects.125 Garve died a year later and five years after that his correspondence with Weiße was published, an invaluable source of Garve’s evolving thoughts on the French Revolution. Gentz esteemed it highly and not only because he was pleased to read Garve’s high opinion of him. He would give a great deal if he could call Garve back to life for another ten years.126 Garve would then have survived until 1813 and support Gentz when the latter was still a Burkean enlightened reformist. Given six years more he perhaps would be even sympathetic with the later, reactionary Gentz who, at the Carlsbad conference in 1819, drafted the proposal to prohibit the convocation of representative assemblies, that peculiar French revolutionary notion.

|| 124 Gentz did publish a book-long history Ueber den Gang der öffentlichen Meinung in Europa in Rücksicht auf die französischen Revolution in the first three issues of his Historisches Journal (1799). 125 Garve to Weiße. 15 June 1797. In: Briefe (s. note 5), vol. 2, pp. 248f. 126 Gentz to Karl Gustav Brinckmann, 25 August 1803. In: ibid., pp. 148f.

| 3 Ethik und Politik

Stefanie Buchenau

Menschenwürde Die Kontroverse zwischen Garve und Kant Die Aufklärung markiert eine zentrale Etappe in der Geschichte des Menschenwürdebegriffs. Dass sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ein neues Begriffskompositum »Menschenwürde« ausbildet, zeugt von tieferen philosophischen Umwälzungen. Zwar besitzt der Begriff selbst noch nicht die gleiche rechtliche Stellung wie heute. So verwendet die französische Déclaration des droits de l’homme et du citoyen von 1792 den Begriff »dignité« ungeachtet ihrer innovativen Forderungen eher in der alten und herkömmlichen Bedeutung: sie stipuliert, »der Mensch und Bürger sei zu allen öffentlichen Würden, Ämtern und Stellungen [toutes dignités, places et emplois publics] zugelassen«.1 Nichtsdestotrotz prägt sich der neue Gedanke aus, dass der Mensch seine Würde oder seinen Anspruch auf Achtung nicht verliert, wie menschlich oder unmenschlich er sich auch verhalten mag:2 politische Institutionen und allgemeine Menschenrechte sollen ihm den Schutz dieser Würde verbürgen. Der Breslauer Philosoph Christian Garve spielt in dieser Geschichte des Würdebegriffs eine zentrale Rolle. Zunächst war er als moderner Ausleger Ciceros selbst ein wichtiger Denker der Menschenwürde. An dem, was Johan von der Zande die »Cicero-Renaissance des 18. Jahrhunderts« nennt, nahm Garve aktiv teil.3 Im Jahre 1783 übersetzte und kommentierte er auf über 800 Seiten Ciceros klassisches Würdetraktat De officiis (Von den Pflichten). In diesem Kommentar, der den Titel Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Ciceros Büchern von den Pflichten trägt, gibt Garve der aufklärerischen Debatte über die Würde und Bestimmung des Menschen eine neue Wendung. Sein Kommentar stellt einen ersten und sehr konkreten Versuch dar, die alten Begrifflichkeiten von honestas, dignitas und officium von der römischen Republik in die moderne, politische und wirtschaftliche Gegenwart und bürgerliche Gesellschaft zu übertragen. Die »stoischen« Grundgedanken || 1 Déclaration des droits de l’homme et du citoyen. Paris 1792, Artikel 6: »Da alle Bürger vor […] [dem Gesetz] gleich sind, sind sie alle gleichermaßen, ihren Fähigkeiten entsprechend und ohne einen anderen Unterschied als den ihrer Eigenschaften und Begabungen, zu allen öffentlichen Würden, Ämtern und Stellungen [toutes dignités, places et emplois publics] zugelassen.« 2 Siehe in der umfassenden Forschungsliteratur, insbesondere Michael Rosen: Dignity: Its History and Meaning. Cambridge 2012; Jeremy Waldron: Dignity, Rank & Rights. Oxford 2012. Zu Kant: Oliver Sensen: Kant on Human Dignity. Berlin 2011; schon Sensen hebt zu Recht Ciceros Einfluss auf Kant hervor. 3 Siehe Johan van der Zande: In the Image of Cicero: German Philosophy between Wolff and Kant. In: Journal of the History of Ideas 56 (1995), S. 419–42 und ders.: The Microscope of Experience: Christian Garve’s Translation of Cicero’s De officiis. In: Journal of the History of Ideas 59 (1998) S. 75–94. https://doi.org/10.1515/9783110647747-006

102 | Stefanie Buchenau

zu diesem Kommentar legt Garve schon 1772 in dem Kommentar zu seiner Übersetzung von Adam Fergusons Grundsätzen der Moralphilosophie dar. In mehreren Aufsätzen führt er auch die Überlegungen über die Humaniora, das Bildungsprogramm des Menschen und Weltbürgers, weiter. Er arbeitet hier ein eigenes ästhetisches Programm von »Teilnehmung« und Partizipation aus. Garves Bedeutung liegt aber außerdem in seiner Rolle als Vordenker von Kants Menschenwürdebegriff und praktischer Philosophie. Beide Philosophen pflegen einen lebenslangen Dialog, und Kant bringt seine große Wertschätzung dem Breslauer Kollegen gegenüber zu mehreren Gelegenheiten klar zum Ausdruck: Er hält ihn für einen »würdigen Gelehrten« und für einen »Philosophen in der ächten Bedeutung dieses Wortes«.4 In der Tat scheint Garves Ferguson-Kommentar schon Kants systematischen und kritischen Ansatz in der ersten Kritik zu prägen, die Garve im Jahre 1782 mit Feder rezensiert.5 Dass Garve sich in seiner Rezension nicht auf die moralphilosophischen Thesen einlassen möchte und bestimmte Prämissen Kants scharf kritisiert, war für Kant sicherlich enttäuschend. Aber deshalb bricht der philosophische Dialog zwischen den beiden Denkern nicht ab.6 In seinem CiceroKommentar von 1783 liefert Garve Kant zentrale philosophische Bausteine und Denkanstöße. Diese finden offenbar direkt gleich in mehreren Schriften Kants ihren Niederschlag. Es folgt zwar bis 1798 kein weiterer brieflicher Austausch. Der philosophische Austausch aber wird durchaus und äußerst intensiv fortgesetzt. Nur kurze Zeit später entwirft Kant einem Bericht Hamanns zufolge seine Grundlegung der Metaphysik der Sitten zunächst als eine Antwort auf Garve, sogar als einen »AntiGarve«. Am 18. Februar 1784 findet diese Antikritik gegen Garve in einem Brief Hamanns an Scheffner erstmals Erwähnung. Der Sage nach arbeitet unser lieber Pr Kant der sich des Maler Becker Haus gekauft an einer Antikritik – doch der Titel ist noch nicht ausgemacht – gegen Garvens Cicero als eine indirecte

|| 4 Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten. In: AA VI, S. 206 und ders.: Über den Gemeinspruch. Das mag in der Theorie richtig sein taugt aber nicht für die Praxis. In: AA VIII, S. 278. 5 Diese verkürzte Rezension wurde 1782 in der Zugabe zu den Göttingischen Gelehrten Anzeigen veröffentlicht, die ungekürzte Fassung etwas später in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, Anhang zu dem 37. bis 52. Bande, 2. Abteilung, Herbst 1783, S. 838–862. 6 Als Garve 1783 aus dem Inkognito tritt und sich brieflich als der bzw. als einer der beiden Verfasser der Göttinger Rezension zu erkennen gibt, macht Kant in seiner Antwort vom 7. August 1783 aus seinen Ärger und Unwillen keinen Hehl. Aber er bringt auch seine Verehrung Garves klar zum Ausdruck: Er habe »schon lange« in der Person Garves »einen aufgeklärten philosophischen Geist und einen durch Belesenheit und Weltkenntnis geläuterten Geschmak verehrt«. Und da Garve ihm erklärt, die Rezension sei ohne sein Einverständnis von seinem Kollegen [Feder] radikal gekürzt und verstümmelt worden und sich für das Unrichtige entschuldigt, nimmt Kant diese Entschuldigung an.

Menschenwürde | 103

Antwort auf desselben Recension in der A. d. Bibl. Seine Absicht ist es auch gewesen, in die Berl. Monatsschrift etwas über die Schönheit zu liefern.7

Am 2. Mai behauptet Hamann schließlich in einem Brief an Herder die Verwandlung dieser Antikritik in »einen Prodromum über die Moral«, d. h. eine Vorbereitung oder Grundlegung. Die Grundlegung ist damit der Ort, an dem Kant seine Auseinandersetzung mit Garve am direktesten austrägt; aber auch in der späteren Schrift Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein taugt aber nicht für die Praxis knüpft Kant direkt an die frühere Diskussion über die Freiheit an. Spuren dieser Auseinandersetzung lassen sich auch in einer Reihe von weiteren zentralen Schriften finden, so zum Beispiel in der Idee einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, der zweiten und der dritten Kritik. Garve seinerseits sieht sich selbst rückblickend als einen »Wetzstein«, der es Kant erlaubt habe, seinen Argumenten größere Schärfe zu verleihen. Er glaubt, in dieser Funktion »nicht ganz unnütz […] für andere gewesen zu seyn«, wenn er auch »als schneidendes Instrument wenig ausgerichtet habe«.8 Garves Bedeutung für Kant ist bisher nur unzureichend erfasst worden. Seine strategische Rolle als Adressat der Polemik in der Grundlegung ist zwar formell in fast allen Kommentaren zur Grundlegung anerkannt worden,9 aber dann wiederum auch nicht, denn wie Jens Timmermann, der hier repräsentativ für eine allgemeinere Haltung in der Kantforschung ist, schreibt: »The Groundwork is too complex […] to be inspired by two second-rate philosophers (i. e. Cicero und Garve).«10 Ein allzu eng gefasster systematischer Zugang zu Kant scheint bisher der Rekonstruktion dieses Dialogs im Wege gestanden zu haben. Man verkennt, dass Kant gerade deshalb die Auseinandersetzung mit Garve sucht und vertieft, weil er selbst die Besonderheit seiner eigenen Cicerolektüre klären und seinen Gedanken über die Würde eine konkretere Gestalt geben möchte. Der Blick auf Garves Kommentar kann des|| 7 Vgl. Hamann an Herder, 18. Februar 1784 und 2. Mai 1784. In: Johann Georg Hamann: Briefwechsel. Hg. von Arthur Henkel. 7 Bde. Frankfurt a. M. 1955–1979, Bd. 5, S. 127ff. und S. 143ff. 8 Garve schreibt: »Wenn ich die Geschichte meines Lebens überdenke: so glaube ich in der Tat, mir das Verdienst, welches Horaz aus übergroßer Bescheidenheit zu seinem einzigen gemacht, anmaßen zu dürfen: ich glaube nicht ganz unnütz als Wetzstein für andere gewesen zu seyn, wenn ich auch als schneidendes Instrument wenig ausgerichtet habe. Selbst in meinen Schriften habe ich die Wissenschaften nicht mit großen und neuen Entdeckungen bereichert, aber ich habe manche Leser zum Nachdenken gebracht.« In: Christian Garve: Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Breslau 1789. In: GGW VIII, S. XIII. 9 Allgemeiner zum Verhältnis von Garve und Kant siehe auch Albert Stern: Über die Beziehungen Chr. Garve’s zu Kant. Leipzig 1884; Michael Stolleis: Staatsräson, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts, Meisenheim am Glan 1972; Carlos Gilbert Melches: Der Einfluß von Christian Garves Übersetzung Ciceros De officiis auf Kants Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Regensburg 1994. 10 Jens Timmermann: Kant’s Groundwork of the Metaphysics of Morals. A Commentary. Cambridge 2007, Introduction, p. xxviii.

104 | Stefanie Buchenau

halb helfen, die großen Denkzusammenhänge, Affinitäten und Differenzen zu klären. Er kann gleichzeitig einen Schlüssel zu Kants manchmal kryptischen Thesen liefern: Er zeigt, dass Kant an einer größeren Debatte teilhatte, in der die alten Begrifflichkeiten Würde (dignitas), Ehre (honestas) und Schicklichkeit (proprietas) von neuen gesellschaftlichen, ökonomischen und ästhetischen Voraussetzungen ausgehend innovativ gedeutet werden.

1 Garves Kommentar Wie vormals die Scholastik und bestimmte Traditionen der jüdischen Philosophie, die in Moses Mendelssohn und Salomon Maimon aufklärerische Repräsentanten finden, betreibt Garve Philosophie als Übersetzung und Kommentar. Im Grunde habe er immer fremde Werke kommentiert. Die philosophische Textgattung des Kommentars erlaubt ihm, an frühere Denktraditionen anzuknüpfen und alte Ideen für neue Debatten fruchtbar zu machen. Sie schließt aber Originalität nicht aus. Der fremde Text bietet ihm die Gelegenheit und den notwendigen Anreiz für die Entwicklung eigener Gedanken: Es ist wahr, dass ich zu allen meinen Ideen Veranlassungen brauche, und dass die Gedanken andrer, die ich prüfe, mir am öftesten diese Veranlassung geben. So weit ich mich zurück erinnere, hat mein vornehmstes Nachdenken darinn bestanden, den Unterricht, den ich von anderen empfing, auszulegen, zu bestreiten, zu bestätigen.11

Gerade die Fremdheit, der Unterschied und Vergleich ermögliche die Klärung der eigenen Begriffe. »Alles was uns veranlasst zu vergleichen, befördert das Nachdenken«, schreibt Garve. Die Cicero-Übersetzung selbst ist nun zwar eine Auftragsarbeit. Sie erfüllt einen im Gespräch geäußerten Wunsch Friedrichs des Großen und wird vom König mit 3000 Reichstalern belohnt. Der angehängte Kommentar aber ist es nicht. Es handelt sich hier um eine eigenständige philosophische Arbeit, die bei seinen Zeitgenossen auf lebhaftes Interesse stieß, bevor sich spätere Philosophen wie Schleiermacher verächtlich von Garves »Anmerkungsphilosophie« und »Unphilosophie«12 abwandten. Offensichtlich waren nur Garves Zeitgenossen noch bereit und imstande, die impliziten Thesen und Garves subtile, da indirekte Positio-

|| 11 Christian Garve: Anhang einiger Betrachtungen über Johann Macfarlands Untersuchungen die Armuth betreffend. Leipzig, 1785. Vorrede, S. 4; vgl. hierzu auch Kurt Wölfel: Vorrede zu Garves Übersetzungen. In: GGW IX, S. I–XLIX. 12 Vgl. Friedrich Schleiermacher: Garves letzte von ihm selbst herausgegebene Schriften. In: Athenaeum 3.1. (1800), S. 136.

Menschenwürde | 105

nierung zu den aufklärerischen Debatten über seinen Kommentar zu verstehen.13 Nicht das »römische Kleid«, sondern die Ideen, Argumente und Begriffe, und zwar insbesondere die griechischen und stoischen, auf die sich Cicero erklärterweise stützt, sind es, die Garve interessieren; so schreibt er in der Einleitung seines Kommentars: Insbesondere aber enthält gegenwärtige Schrift des Cicero, da sie von den Pflichten handelt, gerade diejenigen Ideen, welche in dem ganzen Gebiete menschlicher Erkenntnisse, am wenigsten das ausschließende Eigenthum irgend eines Menschen oder Zeitalters sind, am wenigsten das Kleid desselben tragen dürfen.14

Wie Cicero im Jahre 44 vor Christus die griechische Philosophie und ihre Begrifflichkeiten in die Realität der römischen Republik übersetzte, so möchte Garve sie in die gesellschaftliche Realität des Jahres 1783 übertragen. Diese Übersetzungsleistung erfordert aber zunächst die Rückkehr zu und Reflexion auf den stoischen Kern. Sie erfordert des Weiteren eine vertiefte Auseinandersetzung mit Ferguson und die Entwicklung von Gedanken aus dem Traktat selbst und Garves Kommentar von 1772. Denn schon Ferguson ist dem späten Garve zufolge im Grunde stoisch.15 Und in Garves Kommentar zu Ferguson waren durch die Gegenüberstellung von Epikureismus und Stoa auch schon Cicero und zumindest De finibus präsent. Es gilt deshalb, den Ideen das römische Kleid abzustreifen; sie so vorzutragen, dass sie »auf den deutschen Leser eine gleiche Wirkung tun als die lateinisch ausgedrückten der Urschrift auf den Römer getan haben«.16 Garves Anmerkungen seien »zum Verstehen des Cicero, nur an wenig Orten notwendig. Oft erklären sie gerade das, was nur demjenigen Schwierigkeiten machen kann, der den Cicero am besten versteht«.17

|| 13 Offenbar hat Mendelssohn Garve zu der Übersetzung Ciceros ermutigt, vgl. den Brief von Mendelssohn an Garve vom 22. April 1783 in: Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hg. von Alexander Altmann u. a. Bd. 13: Briefwechsel 3. Bearb. von Alexander Altmann. Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, S. 102f. 14 Christian Garve: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten. 3 Bde. Breslau 1783, Bd. 1, Vorrede, unpaginiert. Ich beziehe mich im Folgenden auf die erste, von Kant gelesene Ausgabe und nicht auf die in den GGW abgedruckte neue und verbesserte Auflage von 1787/88. 15 Christian Garve: Uebersicht über die vornehmsten Pricipien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsere Zeiten. Breslau 1798. In: GGW VIII, S. 158: »Fergusons System ist im Grunde das ächt-Stoische, von Spitzfindigkeiten Uebertreibungen und Paradoxien gereinigt, und auf seinen wesentlichen Inhalt zurückgebracht, der darin besteht: daß der Mensch seine Glückseligkeit nur in der stets zunehmenden Vollkommenheit seiner ganzen Natur finden, – und daß er diese Vollkommenheit nur durch eine ununterbrochene Reihe wohlthätiger und patriotischer Handlungen, mit Klugheit und Muth ausgeführt, durchs ganze Leben vermehren kann.« 16 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. Anm. 14), Bd. 1, Vorrede, unpaginiert. 17 Ebd.

106 | Stefanie Buchenau

2 Selbstschätzung als Grund der Freiheit Garves Cicero-Kommentar zeigt, dass die Menschenwürde auch ihm ein philosophisches Anliegen ist. Diese begreift er in Übertragung des gesellschaftlichen und hierarchischen Würdemodells auf die Gesamtheit aller Wesen, als eine Form von Menschenehre. In der modernen bürgerlichen Gesellschaft könne Ehre »nicht einfach ein Standesattribut des Adels« sein, wie Garve in einem späteren Kapitel seiner Abhandlung über die »Lebensart« (genus vitae) ausführt. Die Betrachtung von Ehre als Standesattribut des Adels entspräche dem »Vorurteil des Stolzes, das sich in dieser Klasse selbst nebst den dazu gehörigen Ritualen, den blutigen Fehden und Ehrenduellen«,18 noch gehalten habe. Das Vorurteil habe »diese Begriffe, welche an sich allgemein sind, auf einen gewissen Stand eingeschränkt, und eben deshalb haben sie sich tiefer eingewurzelt, sind sie heiliger gehalten worden, weil sie zugleich Unterscheidungszeichen desselben geworden sind«.19 Dieses Vorurteil könne und müsse durch eine allgemeine Konvention aller Staaten oder aber eine fortgehende Aufklärung bekämpft und ausgelöscht werden, denn: So lange das Wort Ehre noch etwas ausdrückt, welches das Eigenthum eines Standes, nicht das Vorrecht des Menschen ist, so lange es eine Ehre giebt, von welcher man gar nicht sagen kann, auf welchem Theil des Wesens, auf welcher Eigenschaft, auf welcher Handlung des Menschen sie beruhe, die lediglich einen Namen und die öffentliche Meinung zum Grunde hat (und gerade ist die Ehre des Edelmanns, die mit dem Degen verteidigt wird, von dieser Art) so wird dieselbe nothwendig durch jeden Angriff zerstört werden, und sie wird nicht anders gerettet werden können als durch den Untergang dessen, der sie angegriffen hat.20

Kurz: Ehre sei eigentlich nicht einem bestimmten Stande vorbehalten, sondern ein Titel und Vorrecht aller Menschen. Genauer gesagt hat jeder Stand nur dann seine eigene Ehre, wenn die Gesellschaft sich zuerst auf die eigene allgemeine Menschenehre oder -würde zurückbesinnt. Menschenwürde ist, wie es in gewisser Hinsicht auch Cicero schon dachte, ein der Bürgerwürde übergeordnetes Prinzip. Wie für seine aufklärerischen Zeitgenossen (Spalding, Mendelssohn, Herder) geht es auch Garve darum, das Gefühl der eigenen Würde oder »dieser Erhabenheit der Seele, vermöge dessen er jeden Menschen als seines Gleichen, und Glück, Stand, Reichtum, als unbeträchtliche Vorzüge ansieht« philosophisch zu denken. Auch er nimmt Abstand von dem Gedanken einer theoretischen und deutlichen Vernunfteinsicht in Rangordnung und Rang. Seine Originalität besteht hier zunächst in einer radikaleren Rückwendung zu Ciceros stoischem Würde- und Welt-

|| 18 Ebd., Bd. 1, S. 249. 19 Ebd., S. 250f. 20 Ebd.

Menschenwürde | 107

bürgermodell. Schon für Cicero spielt der Mensch zweierlei Rollen und besitzt zweierlei Würden: zum einen eine Würde als Bürger, und zum anderen eine Würde als Mensch, durch die er sich vor den Tieren auszeichnet. Diesen Gedanken entwickelt Cicero insbesondere in dem Eingangskapitel von De officiis. Auch muß man einsehen, daß wir von der Natur gleichsam mit zwei Rollen [personis] ausgestattet sind; die eine davon ist eine gemeinsame daher, weil wir alle teilhaftig sind der Vernunft und des Vorzugs, durch den wir uns auszeichnen vor den Tieren [quarum una communis est ex eo, quod omnes participes sumus rationis praestantiaeque eius, qua antecellimus bestiis], von der alles Ehrenhafte und Schickliche hergeleitet [a qua honestum decorumque trahitur] und von der aus der Weg zur Auffindung des pflichtgemäßen Handelns [officii] gesucht wird; die andere aber eine, die in besonderem Sinne den Einzelnen zugeteilt ist.21

Menschenwürde besitzt der Mensch als Weltbürger. Dabei wird der Mensch/die Menschheit als ein Wesen betrachtet, das dazu berufen ist, seinen eigenen Vorzug, seine Distinktion, Differenz und Würde durch und in der Erfüllung seines Amtes (officium) selbst hervorzubringen: [Der Mensch] besitzt die vollkommene Herrschaft über die Güter der Erde. Wir freuen uns an den Wiesen und Bergen, uns gehören die Flüsse und Seen, wir pflanzen das Korn und die Bäume […] So versuchen wir schließlich durch unsere Hände mitten in der Natur gewissermaßen eine zweite Natur zu schaffen (quasi alteram naturam efficere).22

In beiden Rollen ist der Mensch ein Handelnder. Die »rühmliche Aufgabe der Tugend beruht in Tätigkeit«,23 erklärt Cicero in De officiis. In De finibus führt er den dem Menschen konstitutiven Drang nach Tätigkeit weiter aus. Der Mensch sei dazu geboren, in die Natur einzugreifen, sie zu bearbeiten, zu zähmen, sie sich zu unterwerfen und dadurch ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen.24 Derselbe Trieb nach Tätigkeit führt den Menschen in die Gesellschaft. Diese ist der eigentlichen Ort menschlicher Tätigkeit, Vervollkommnung und Differenzierung. Menschen entwickeln und vervollkommnen sich, indem sie ihre Rolle als Bürger wahrnehmen, ihr Verhalten aufeinander ausrichten, miteinander agieren und einen gesellschaftlichen Umgang pflegen. Von diesen allgemeinen Voraussetzungen her lassen sich in einer modernen, antifinalistisch und offen konzipierten Welt neue philosophische Konsequenzen ableiten. Dazu gehört für Garve, dass die Menschheit nicht durch einen Zweck, sondern durch eine Bestimmung und eine unendliche Tendenz zur Vervollkommnung, oder – mit Rousseau gesprochen – durch eine »Perfektibilität« gekennzeichnet ist. || 21 Cicero: De officiis, I, 107. 22 Cicero: De natura deorum / Vom Wesen der Götter. Übers. von Olof Gigon und Laila StraumeZimmermann. Zürich, Düsseldorf 1996, S. 2 u. S. 152. 23 Cicero: De officiis, I, 7, 21. 24 Cicero: De finibus, V.

108 | Stefanie Buchenau

Wohl deshalb führt Garve in seiner Darstellung ausdrücklich den Begriff »Vervollkommnung« ein: »Das letzte Ziel, sagen [die Stoiker], wonach alle Menschen, selbst ohne es zu wissen, hinstreben, ist sich vollkommener zu machen.«25 Zudem reicht es, so Garve, dass die eigene Tugend auf einer subjektiven Selbstschätzung oder dem Gefühl des eigenen Wertes gründet, weil dieses Gefühl die praktische Bedingung der eigenen Kraftäußerung ist. »[J]edem Wesen, das sich selbst fühlt, das sich seiner bewußt ist, muß es am meisten darauf ankommen, was es selbst sey«; der Mensch »muß sich selbst für Etwas halten«.26 Ohne ein Bewußtsein seiner Würde, ist ihm weder die Erhabenheit über die äußern Dinge, noch eine sehr lebhafte Kraftäußerung, möglich. Vielleicht ist jenes nöthig, ihn der Anstrengung fähig zu machen, die Selbstschätzung ist alsdann ein Motiv, das seine Kräfte aufbietet, sich seiner Würde gemäß zu beweisen. Vielleicht sind Stolz und Muth nur Folgen einer und eben derselben Ursache; beydes mag aus einem Gefühl der Kraft entstehen, welches insofern der Mensch sich mit andern vergleicht, ihn begierig macht, sich über sie zu erheben und abgeneigt, sich ihnen zu unterwerfen, und insofern er mit den äußern Dingen zu thun hat, ihn dreister gegen die Gefahr und gleichgültiger gegen die äußern Vortheile macht.27

Diese Idee wiederum wirft ein neues Licht auf den Zusammenhang von Würde, Freiheits- und Gottesbegriff, die grundlegende Einsichten Kants vorwegnimmt. Deren erste Skizze findet sich bereits in den Eingangspassagen des Kommentars zu Ferguson von 1772. Sie wird im Cicero-Kommentar von 1783/84 aufgenommen und entwickelt. 1772 schon wendet Garve seine Aufmerksamkeit dem philosophischen Begriff der Freiheit zu. Dessen Möglichkeit könne nicht philosophisch eingesehen werden. »Die Unergründlichkeit dieser Materie sei erwiesen; sie macht eine von den Gränzen unseres Verstandes aus.«28 Trotzdem aber könne sie deshalb praktische Geltung beanspruchen, weil dem Menschen eine Empfindung von Verdienst und Schuld eigen sei. [W]ir haben bey den Handlungen des Menschen, außer der Empfindung von Nützlichkeit und Schädlichkeit, noch die Empfindung von Verdienst und Schuld: die erste Empfindung haben wir sonst noch bey vielen Dingen außer dem Menschen; die letzte Empfindung haben wir bey keinem: Was hat also der Mensch eignes, was weder die Maschine noch das Thier hat, warum er allein gelobt und getadelt werden kann? Den Unterschied zwischen der Maschine und dem lebendigen Wesen, soll in den Schulen das Wort Spontaneität, und den Unterschied zwischen dem Thier und dem Menschen soll das Wort Freiheit ausdrücken.29

|| 25 Garve, Philosophische Anmerkungen (s. Anm. 14), Bd. 1, S. 12. 26 Ebd., S. 56. 27 Ebd., S. 57f. (Hvhg. im Original). 28 Chrstian Garve: Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Uebersetzt und mit einigen Kommentaren versehen von Christian Garve. Leipzig 1772 (GGW XI), S. 289f. 29 Ebd.

Menschenwürde | 109

Garve erläutert diesen Gedanken, indem er ein Programm skizziert, das Kant später im Detail ausführen sollte. Anstatt weiterhin vergeblich die Möglichkeit der Freiheit demonstrieren zu wollen, müsse man vielmehr deutlicher zeigen, inwiefern die Freiheit eine solche »Gränze« der Erkenntnis sei. Zu diesem Zwecke müsste man »die beyden Systeme die von der Freiheit möglich und herrschend sind, so ehrlich und unpartheisch wie möglich vorstellen«; statt die Schwierigkeiten überwinden zu wollen, müsste man vielmehr »zeigen, daß in beiden Schwierigkeiten wirklich vorhanden sind, daß diese Schwierigkeiten sich nicht heben lassen; und daß alle Versuche, die man dazu gemacht hat, entweder bloß diese Schwierigkeiten verbergen oder sie weiter hinausschieben«.30 Man müsse aber auch zeigen, dass ungeachtet der Unmöglichkeit, die Freiheit theoretisch zu beweisen, die Empfindungen des Menschen von Recht und Unrecht unwandelbar und gewiß, und von keinem Systeme abhängig sind; und daß, wir mögen die Freiheit des Menschen erklären können oder nicht, wir immer Glück von Verdienst, und die Empfindung der Lust an einer Sache, von der Empfindung des Beyfalls den wir einer Handlung geben, unterscheiden werden.31

Zwischen dem System der Fatalisten und der »Freiheit der Gleichgültigkeit« gäbe es »einen Punkt der Vereinigung, der gewiß unschätzbar ist. Wir alle glauben an das Dasein der Tugend. Dieser Glaube ist früher als alle Systeme, er hat sie erst hervorgebracht, um ihn zu rechtfertigen haben wir sie erfunden.« Im Cicero-Kommentar heißt es elf Jahre später, man müsse sich vorstellen können, dass die Natur den Menschen in die Lage versetze, über die Güte seiner Handlung selbst zu urteilen; dass der Mensch aller Unerklärlichkeit der Freiheit zum Trotz über gemeine Begriffe verfüge, nach denen diese Freiheit »völlig ausgemacht und begreiflich sey«.32 Denn das Ziel des Vernunftwesens Mensch, d. h. das, was um seiner selbst willen (propter se) oder an sich erstrebenswert ist, muss er aus eigener Kraft und aus sich selbst heraus (sponte) erzeugen können.

3 Die Naturgeschichte der Stoa Garve hebt ausdrücklich hervor, dass sich schon Cicero und »die Alten« einer naturhistorischen Methode bedienen, die auf dieser praktischen Fragestellung nach den Bedingungen der eigenen Tätigkeit und Tugend gründe.33 Wie die naturalistes des 18. Jahrhunderts stützen diese ihre Methode auf Beobachtung und Vergleich, und setzen von den äußeren, anatomischen und anderen Kennzeichen her an: || 30 Ebd. 31 Ebd., S. 290f. 32 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. Anm. 14), Bd. 1, S. 68. 33 Vgl. insbesondere Cicero: De officiis, I, 11–15 und De finibus, V.

110 | Stefanie Buchenau

Die Methode, welche die Alten erwählt haben, ist die natürlichste und beste. Sie fangen mit der Naturgeschichte des Menschen an, nehmen ihn gleichsam bei seiner Geburth auf, betrachten den Bau seines Körpers, die Bewegungen seiner Glieder, die erste Bestrebungen der Seele, welche durch diese ausgedrückt werden. Sie führen ihn durch die verschiedenen Stufen des Alters hindurch und bemerken, welches Wachsthum, welche veränderte Gestalt, welche Ausbildung zugleich mit seinem Körper und den Fähigkeiten seines Verstandes jene erste Triebe bekommen. Auf diese Weise unterscheiden sie, was Kunst und was Natur im Menschen hervorgebracht hat, was er nach seiner ersten Anlage, und was er in seiner vollständigsten Reife ist. Diesem fügen sie noch den Weg der Vergleichung hinzu. Sie glauben das Eigenthümliche der menschlichen Natur am besten kennen zu lernen, wenn sie den Unterschied derselben von denjenigen Naturen bemerken, die ihr am ähnlichsten aber doch unter ihr sind.34

Diese Fragestellung und Methode, die den Stoikern eigen ist, liefert ihrerseits offensichtlich neue Elemente zur Abwendung des Epikureismus. Sie besteht darin, den Blick zunächst auf die ersten Antriebe der Natur (prima invitamenta naturae)35 zu richten. Aus dieser praktischen Perspektive erweist sich die epikureische These, dass die Naturbestimmung des Menschen in der Erreichung von Lust und der Vermeidung von Schmerz bestehe, als unhaltbar. Es erscheint plausibler, diese Naturbestimmung in einem allen Menschen gemeinsamen Trieb zur Selbstliebe, Selbsterhaltung- und Vervollkommnung zu setzen. Denn die Beobachtung enthüllt, dass jedes Lebewesen sich selbst von Natur aus teuer ist und sich niemand selbst ein Feind ist. Dieses Selbstwertgefühl zeigt sich in der allgemeinen Furcht vor dem Tode und in dem allgemeinen Trieb nach Selbsterhaltung: einem Verlangen der Wesen nach Dingen, die ihnen nützen und einem Wunsche nach Anerkennung. Dieser Trieb kennzeichnet, wie oben erwähnt, in einem gewissen Sinne nicht nur den Menschen, sondern alle Naturwesen überhaupt: [Es] gibt bey allen einen gemeinsamen Bestand, und zwar nicht nur bey Lebewesen, sondern auch bey all den Dingen, die die Natur ernährt, vermehrt und erhält. Dabei bringt, wie wir sehen, das, was aus der Erde entsteht, vieles gewissermaßen aus eigener Kraft selbst aus sich hervor, was für das Leben und das Wachstum wichtig ist, so daß es in seiner Art zum höchsten Ziel gelangt.36

Aber im Kontrast mit anderen Lebewesen ist der Mensch ein Wesen, das über diese Naturbestimmung hinausgeht und in der Tugend aus eigener Kraft seine Vollkommenheit erreicht. Diese Naturgeschichte führt somit zur Selbsterkenntnis, als Erkenntnis der eigenen Tugend und Fähigkeit zur Selbstbestimmung, die dem Menschen eigentümlich ist, weil sie ihm »selbst gehört« und nicht auf äußere Dinge zurückgeht.

|| 34 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. Anm. 14), Bd. 1, S. 11. 35 Cicero: De finibus, V, 17. 36 Ebd., V, 26.

Menschenwürde | 111

4 Gott als Oberherr? Das Christentum kann Garve zufolge einerseits helfen, diese allgemeine und gleiche Würde aller Menschen durch die Annahme einer Gottesinstanz als Weltenschöpfer und Richter besser zu denken. Dabei erweist sich jedoch die alte augustinische Zweiweltenlehre als unvereinbar mit dem neuen Gedanken der Vervollkommnung. Für Garve (wie für seine Zeitgenossen Mendelssohn oder Herder) muss man sich vorstellen, dass die Vervollkommnung des Menschen als ein Prozess stetiger Vervollkommnung bereits im Diesseits beginnt und sich im Jenseits lediglich fortsetzt. Außerdem muss sich eine gewisse Vereinbarkeit von Demut und Würde denken lassen. Die christliche Religion, wie Garve sie vorfindet, entspricht diesen Anforderungen nicht, weil sie zwar die Möglichkeit einer Gleichheit und Freiheit im Glauben denkt, aber die Würde vergesse. Man habe »über der Tugend der Demuth, welche die Religion predigt […] das edle Gefühl seines Werths anzuempfehlen vergessen, das mit jener Demuth bestehen kann, und ohne welches wenig andre Tugenden bestehen können«. Die Tugend umfasst Garve zufolge vier Kardinaltugenden, nämlich Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung, vollendet durch die Weisheit als die Kraft, sich selbst zu »dirigiren«. Die Tapferkeit sei aber in neueren Zeiten vernachlässigt worden. Diese setze ihrerseits, wenn die Natur es auf die Äußerung von Kraft und Ausübung von Tätigkeit angelegt haben soll, zunächst einen Begriff von Selbst und Selbstschätzung voraus, oder wie Garve es an anderer Stelle sagt, »von dieser Erhabenheit der Seele, vermöge er jeden Menschen als seines Gleichen, und Glück, Stand, Reichtum, als unbeträchtliche Vorzüge ansieht«. Aus Garves Perspektive können die Stoa und Cicero hier neue Einsichten bieten. Sie erlauben es, durch Übertragung gewisser Attribute und Funktionen der antiken Götter den christlichen Gott neu zu denken. In diesem Sinne nimmt Garve in den religionssoziologischen Abschnitten des zweiten Bandes seines Kommentares eine Neudeutung Gottes vor. Dieser ist unter anderem ein Gesetzgeber und Richter, der seinen Blick auf das Ganze des menschlichen Charakters richtet: Da sie [die Alten] die Tugend als den natürlichen Zustand eines unverdorbnen und genugsam entwickelten menschlichen Geists ansahen, so konnten sie den Grund, warum dieselbe gut, und die aus ihr fließenden Handlungen pflichtmäßig seyen, nicht in dem Gehorsam gegen einen Oberherrn aufsuchen. Sie konnten nicht positive Belohnungen als Bewegungsgründe zu dem nöthig finden, was sie für die Glückseligkeit selbst hielten, noch Strafen als Abschreckungsmittel von demjenigen, was an sich das Elend des Menschen ausmacht. Die Tugend war, nach ihren Begriffen, dem Willen Gottes allerdings gemäß, und wurde dadurch ehrwürdiger, der in ihr selbst liegenden Belohnung gewisser. Aber das, was sie zur Tugend, d. h. gut

112 | Stefanie Buchenau

machte, lag in unserem Wesen, nicht in unserm Verhältnisse zu irgend einer Sache außer uns, selbst nicht zu dem höchsten Wesen.37

Die Natur oder Gott oder der Gesetzgeber im Reiche aller Vernunftwesen muss wollen können, dass ich mich selbst schätzen kann und dass ich mir meine Handlungen als eigenen Verdienst anrechnen können muss. Unter diesen Umständen muss man sich denken können, dass die Natur den Menschen zur Ausbildung eines Charakters und moralischen Charakters anhält, der sich im Widerstand gegen die Natur zu erkennen gibt. Zu diesem Ergebnis waren Cicero und die Stoa in gewissem Sinne schon selbst gelangt. Garve denkt diesen antiken Gedanken im christlichen Schema neu, indem er den Blick des göttlichen Gesetzgebers und Weisen von dem Blick des menschlichen Richters und Gläubigers unterscheidet, und zwar im Hinblick auf die Betrachtungsweisen und die zugrundeliegenden Prinzipien. Während der menschliche Richter die einzelne Handlung mit Blick auf die Konsequenzen beurteile, gehe der Blick Gottes auf das Ganze des Charakters oder der Gesinnung, die Tugend in ihrem ersten Sitz, auf den Zustand einer vollkommenen Seele und die wahre moralische Pflicht. »Er sieht, was ich bin, und wie ich es wurde, und davon läßt er mein Schicksal auf die gerechteste Weise abhangen, die alsdann zugleich die gütigste ist.«38 Sein Urteil über die Moralität, den Charakter, die Gesinnung oder den »Willen« des Menschen setzt den Bezug auf den »ganzen Menschen« voraus, »wie er sich nach und nach ausgebildet habe«,39 auf ein Ganzes der Aufführung und Schicklichkeit. Dieses Schema eines göttlichen und menschlichen Gesichtspunkts ersetzt hier das alte Schema von den vollkommenen und unvollkommenen Pflichten, das Garve als eine bloße »Schul-Subtilität« aufgibt.40 »Der Glaube an einen Gott schafft nicht die Idee der Tugend, aber er fixirt sie, weil er uns das Daseyn einer absoluten Güte versichert.«41 Im Grunde ist eine solche Tugend immer schon »Ehrliebe« (honestas), sprich: mit dem Anspruch auf Anerkennung und öffentliche Anerkennung verknüpft, wenn sie auch zunächst die eigene Selbstachtung voraussetzt: »Kraft, wo sie vorhanden ist, bringt das Gefühl von Würde hervor, so wie sie gegenseitig von demselben geweckt wird: – sie bringt also auch die Begierde hervor, von andern in dieser Würde erkannt, das heißt, von ihnen geehrt, oder über sie erhoben zu werden.«42 Auf diese Weise führt der dem Menschen eigene Drang nach Tätigkeit und Kraftäußerung den Menschen immer schon in die Gesellschaft. Wie Garve (mit Cicero und gegen Rousseau) schreibt, wird der Mensch »nur durch die Gesellschaft gebildet und [findet]

|| 37 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. Anm. 14), Bd. 2, S. 18. 38 Ebd., S. 38. 39 Ebd., S. 34. 40 Ebd., S. 39. 41 Ebd., Bd. 2, S. 28. 42 Ebd., Bd. 1, S. 59.

Menschenwürde | 113

auch nur in ihr die Gegenstände seiner Tugenden.«43 Aber Garve aktualisiert hier Cicero, indem er dessen eher statischen Begriff von Rangordnung44 in einen dynamischen verwandelt und dazu neue gesellschaftskritische, soziologische und staatsökonomische Perspektiven in die deutsche Philosophie einführt, deren Einfluss bis auf Hegel und über Hegel hinaus reicht.45 Er bedient sich in diesem Zusammenhang vor allem der Einsichten der englischen und schottischen Philosophen, die seiner Meinung nach »in ihrem Lande mehr Zugang zu gewissen Gegenständen haben, welche die Regierungsgeschäfte«, und »Materien der Politik und Staatswirtschaft« betreffen.46

5 Würde, Wert und Preis Cicero hatte Recht mit seiner Beobachtung, dass der Mensch in der Gesellschaft nach Ehre und Anerkennung, nach Rang, Distinktion und Differenzierung strebt. In den Augen der Philosophen des 18. Jahrhunderts ist diese Ehrliebe sogar die Bedingung für die Vervollkommnung des Menschen. Denn wie Garve mit Ferguson und anderen schottischen Staatsökonomen herausstellt, sind es die Ehrliebe und das Bedürfnis nach Anerkennung in der Gesellschaft, die bestimmte Bedürfnisse des Menschen und bestimmte Triebe erst hervorbringen: Sobald der Mensch sich in Umgang mit seinesgleichen einläßt, nicht nur um in der Vereinigung mit ihnen Schutz zu suchen, sondern auch um in geselligen Zusammenkünften die Freuden des Lebens zu genießen, sobald und erst alsdann wird sein Kreis von Bedürfnissen größer. Er will nunmehr Nahrungsmittel, nicht bloß für sich, sondern für die, welche mit ihm in Gesellschaft leben und bessere Nahrungsmittel um sie zu reitzen gerne bey ihm zu sein. […] [Er will] Kleider die ihn nicht nur bedecken sondern zieren, ihm ein Ansehen geben. […] immer mehr um anderer willen, als für sich selbst.47

|| 43 Garve: Adam Fergusons Grundsätze (s. Anm. 28), S. 301. 44 Viktor Pöschl stellt schon eine gewisse dynamische Dimension von Ciceros eigenem Würdebegriff heraus, insofern öffentliche Ämter in der römischen Republik im Prinzip jedem Mann zugänglich waren. Aber große Differenzen zur bürgerlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts bleiben nichtsdestotrotz bestehen; vgl. Viktor Pöschl: Der Begriff der Würde im antiken Rom und später. Heidelberg 1989. 45 Vgl. Norbert Waszek: The Scottish Enlightenment and Hegel’s Account of Civil Society. Dordrecht, Boston, London 1988. 46 Garve: Anhang einiger Betrachtungen (s. Annm. 11) S. IX u. S. XI. Garve trägt zur Verbreitung dieser Schriften im deutschsprachigen Raum bei, indem er mehrere englischsprachige Philosophen wie Adam Ferguson und Edmund Burke übersetzt. 47 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. Anm. 11), Bd. 1, S. 47.

114 | Stefanie Buchenau

Weil die Ehrliebe des Menschen in der Gesellschaft immer neue Bedürfnisse hervorbringt, führt sie zu einer Vermehrung des Fleißes und des Reichtums. Indem sie neue Mittel schafft, erlaubt sie es dem Menschen, sich neue Zwecke zu setzen. Der Wert, den seine Arbeit besitzt, ist somit nicht absolut, sondern relativ, im Hinblick auf Bedürfnisse und Nachfrage zu bestimmen. Gerade die Mehrung der Bedürfnisse trägt zur technischen Vervollkommnung der Menschheit und Ausbildung neuer Fähigkeiten bei. Aber die Ehrliebe birgt auch eigene Gefahren: Dass »die öffentliche Hochachtung einen Wert erlangt«, ist sogar in gewisser Hinsicht, wie Rousseau schreibt, der erste Schritt zur Ungleichheit und zugleich der erste Schritt zum Laster. »Der erste Vorrang, den man einigen einräumte, erzeugte hier Stolz und Verachtung, dort Scham und Neid.« Garve gesteht Rousseau indirekt zu, dass die Sozialisierung der Menschen zu einer gewissen Entfremdung führen und den Abstand zwischen ihnen vergrößern und verfestigen kann. Diese Gefahr hebt Garve bereits in seinen frühen Aufsätzen Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neueren Schriftsteller, besonders der Dichter48 und Ueber den Charakter der Bauern und ihr Verhältniß gegen die Gutsherren und gegen die Regierung49 hervor. Hier beobachtet er, dass die Stände sich in seinen Zeiten »voneinander abgesondert« haben. »Jeder entfernt sich von denen, die unter ihm sind, und zu denen, die über ihm sind, darf er sich nicht nahen.«50 Es geschieht zwar ab und zu, dass diese Entfernungen und Grenzen zwischen den Ständen überwunden werden. Die Motive zu einer solchen sozialen Mobilität sind entweder Ehrgeiz (»Eigennutz«) der Niedrigeren, Neugierde (»die Begierde belustigt zu werden«) der Höhergestellten oder wahre Offenheit und eine »edlere minder eingeschränkte Denkungsart auf beiden Seiten«. Aber in all diesen Fällen »bleibt doch der Umgang frostig, ohne diejenige Offenherzigkeit und Vertraulichkeit, die uns alleine die Kenntniß fremder Herzen gewähren

|| 48 Christian Garve: Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neueren Schriftsteller, besonders der Dichter. In: GGW V, S. 99ff. 49 Christian Garve: Ueber den Charakter der Bauern und ihr Verhältniß gegen die Gutsherren und gegen die Regierung. In: Vermischte Aufsätze, welche einzeln oder in Zeitschriften erschienen sind. Neu herausgegeben und verbessert von Christian Garve. Erster Theil. Breslau 1796 (GGW IV), S. 1– 229. Zu letzterem Aufsatz siehe auch den Beitrag von Ansgar Lyssy im vorliegenden Band. 50 Vgl. auch ebd., S. 5: »[W]eit auffallender [als die Unterschiede in den Provinzen] sind diejenigen Unterschiede, und weit wenigern Ausnahmen unterworfen, welche in jeder Nation die verschiedenen Stände von einander absondern, seitdem die Ungleichheit dieser Stände durch eine Reihe von Generationen befestigt, jedem seine eigne Beschäftigung angewiesen, jedem mehr in sich selbst verbunden, und von den übrigen getrennt hat. Zwischen den Sitten der großen Welt in allen Europäischen Hauptstädten, ist eine Aehnlichkeit, welche machen könnte, daß, wenn man aus den Gesellschaften der einen in die der andern plötzlich versetzt würde, man nur aus einem Haufe desselben Orts in das andre gekommen zu seyn glaubte. Zwischen den Sitten des Adelichen, des Bürgers, des Bauern ist, in Frankreich sowohl als in Schlesien, ein Abstand, der jedem in die Augen fällt, sobald er von der einen Classe zu der andern übergeht.«

Menschenwürde | 115

und uns in dem Umgange mit ihnen eine Quelle zu Beobachtungen eröffnen kann.« Die Absonderung der Stände lässt sich auf ökonomische Faktoren zurückführen: »Einen weit größern Unterschied unter den Menschen macht der Reichthum, als der Rang«, beobachtet Garve treffend, und fügt hinzu: »[U]nd nur dadurch, daß beide gemeinglich bey uns vereinigt zu seyn pflegen, ist die Absonderung der Stände aufs Höchste gestiegen.«51 Denn der Rangunterschied ist im Gegensatz zum Unterschied im Besitz52 temporär: Das Verhältniß, das der Befehlende gegen den Gehorchenden hat, kann er nur unter gewissen Umständen zeigen, und so lange, als die Art von Handlungen vorkömmt, die er anzuordnen versteht. Hingegen der Unterschied, den der Reichtum macht, ist beständig, erstreckt sich auf alles. Wohnung, Hausgeräthe, Kleidung, Aufwand der Tafel, Kostbarkeit der Ergötzungen, alles, was der Reiche hat und thut, ist anders als bey dem Armen.53

Unterschiede im Besitz vertiefen und verfestigen aber Standesunterschiede deshalb, weil sie ständig vor Augen stehen: »Der eine kann also seine Erhabenheit, und der andere seine Niedrigkeit niemals aus den Augen verlieren.« Aus diesen beiden Unterschieden in Rang und Besitz und aus der »langen Absonderung« entsteht schließlich ein Unterschied in »Anstand und Sitten, in der Art sich zu betragen und auszudrücken«. Diese Manieren sind wiederum »das erste, wornach wir den Vorzug und die Verdienste des Menschen messen«, so willkürlich auch diese Begriffe bald an die eine, bald an die entgegengesetzte Art, etwas zu thun und zu sagen verknüpft werden. Aus der Unverständlichkeit der Begriffe des einen für den anderen Stand ergibt sich wiederum, dass alle Bande der Mittheilung abreißen und daß alle Möglichkeit zur Wiedervereinigung aufgehoben wird. Wenn also die Mittheilung der Ideen das einzige Band der Gesellschaft seyn kann, sobald der Eigennutz schweigt und die Bedürfnisse befriedigt sind; so giebt es kein solches mehr unter Gliedern einer Nation, die eine sich fremde Sprache reden, und voneinander weder geliebt noch hochgeschätzt werden können.54

Diese Gefahr sieht Cicero noch nicht. Davon zeugt auch seine Sprache. In Garves Auge erlaubt diese es nicht, diese gesellschaftlichen Mechanismen ausreichend begrifflich auseinanderzusetzen. Während sich im 18. Jahrhundert die Stände so voneinander »abgesondert« haben, dass die Abstände unüberbrückbar geworden sind und das »allgemeine Band der Mitteilung abgerissen« ist, herrschte in der römischen Republik trotz der festen Rangordnung und Unterordnung in der Ausführung öffentlicher Geschäfte eine Art

|| 51 Ebd. 52 Vgl. zur Genese des Unterschieds im Besitz Christian Garve: Johann MacFarlans Untersuchungen über die Armuth, die Ursachen derselben und die Mittel ihr abzuhelfen. Aus dem Englischen übersetzt und mit einigen Anmerkungen und Zusätzen begleitet. 2 Bde. Leipzig 1785 (GG XII). 53 Garve: Betrachtung einiger Verschiedenheiten (s. Anm. 48), S. 101. 54 Ebd., S. 99f.

116 | Stefanie Buchenau

von Gleichheit, gegenseitigem Umgang und allseitiger Tätigkeit. Garve stellt heraus, dass in den alten Zeiten fast alle Glieder eines Standes, einer Republik miteinander bekannt gewesen waren. Sie »hatten alle ein gewisses gemeinschaftliches Interesse, Geschäfte, die sie oft zusammenbrachten, öffentliche Zusammenkünfte, wo sie sich durchaus kennen lernten; Feyerlichkeiten, an denen sie alle Theil nahmen.« Dass zugleich eine Rangordnung herrschte, konnte diese auf Gleichheit der Interessen begründeten Nähe nicht mindern. Denn der jeweilige Rang bestimmte nicht das eigentliche Sein, sondern nur die Aufgabe, Ordnung und Unterordnung bei der »Ausführung öffentlicher Geschäfte«: Das Befehlen und Gehorchen war bey denen Gelegenheiten, wo es eigentlich darauf ankam, die Pflichten seines Standes zu erfüllen, sehr strenge. Aber sobald diese Gelegenheiten vorüber waren, so stellte sich eine Art von Gleichheit wieder her.55

Wohl weil sich das Problem der Absonderung der Stände nicht mit der gleichen Brisanz stellte, verspürte Cicero nicht das Bedürfnis, zwischen Trieb zur Vervollkommnung und Geselligkeitstrieb zu unterscheiden. Er dachte noch, dass die Menschheit eines Menschen, seine Menschenehre in der gesellschaftlichen Interaktion ständig vor Augen liegt. Deshalb wohl sei es vor allem um die Würde und die Pflichten und Ämter (officii) des Adels zu tun gewesen. Er habe vor allem »für die höheren Klassen« geschrieben und habe die übrigen geschäftigen Stände der Gesellschaft vernachlässigt: Die übrigen geschäftigen Stände der Gesellschaft, welche die Bedürfnisse derselben hervorbringen, oder herbeyschaffen, dieser so ausgebreitete so unentbehrliche und so schätzbare Theil der Menschen findet zwar allerdings die allgemeinen Vorschriften der Tugend, die wegen der gleichen Natur der Menschen allen Ständen gemeinsam sind, aber er vermißt großtentheils die Anwendung dieser Vorschriften auf seine Umstände und Verhältnisse.56

Allgemeiner noch habe er »den besonderen Pflichten des Menschen einen allzu großen Stellenwert eingeräumt« und habe es versäumt, »die allgemeinen gehörig auszuführen«: Pflichten, diejenige, durch welche der Mensch seinen eigenen innern oder äußern Zustand verbessert, sind nur kurz angezeigt. Das häusliche Leben kommt in keine andere Betrachtung, als insofern es der Übergang zum bürgerlichen, und der Grund derselben ist. Die Pflichten der Religion sind völlig weggelassen.57

In unserer Gesellschaft hingegen ist es notwendig, diese überkommenen Begriffe zu revidieren.

|| 55 Ebd., S. 101. 56 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. Anm. 14), Bd. 1, S. 8. 57 Ebd., S. 9.

Menschenwürde | 117

6 Teilnehmung, Interesse und Mitteilung Wie Garve mit seiner Rede vom Vorrecht des Menschen andeutet, formuliert Cicero selbst schon eine rudimentäre Idee von Menschenehre oder -würde als honestas, dignitas und humanitas. In De oratore verbindet Cicero das Programm einer Erziehung des Menschen und Vernunftwesens mit der Bildung des Bürgers, Staatsmanns und Redners. Dieser Mensch und Bürger bereitet sich nicht direkt auf ein bestimmtes Amt vor, sondern er muss alle Fächer bis zu einem gewissen Grade beherrschen, damit er sich auf seine Mitbürger einstellen und über seine Rede und Tat auf sie wirken kann. Nur sieht Cicero in seinem historischen Kontext noch keine Notwendigkeit für ein Bildungsprogramm, das sich eigens mit der Ausbildung von »Teilnehmung« beschäftigt. Garve sieht hier eine leere Stelle im Kurrikulum. Das Individuum muss einerseits zum Menschen und andererseits zum Bürger erzogen werden. Es wird aber Garve zufolge erst dadurch überhaupt zum Menschen, dass es – in Anbetracht der Absonderung und Entfernung der gesellschaftlichen Stände und Welten voneinander – sich selbst an die Stelle seiner Mitbürger zu versetzen lernt. In diesem Sinne muss er um der Teilnehmung und der Schicklichkeit willen ein Gefühl allgemeiner Teilnehmung entwickeln. Garve, der das Fehlen eines deutschen Äquivalents zu »Interest« in seiner Ferguson-Übersetzung beklagt und mit der Übersetzung ringt,58 übersetzt offensichtlich den Begriff als einer der Ersten aus dem Englischen ins Deutsche. Unter »Interesse« versteht er »die Theilnehmung an jeder Sache, insofern sie unmittelbar auf unsre Person, und auf diese alleine Einfluß hat«. Interesse ist in seinen Augen, der lateinischen Wurzel entsprechend, ein inter-esse: Das Vermögen, den Platz in der Welt einzunehmen, der es erlaubt, den Nutzen der Dinge zu der Vervollkommnung der Menschheit zu beurteilen: Jede Sache, die uns rühren soll, muß mit uns in Verbindung stehen, aber nicht jede unmittelbar; viele erst vermittelst der menschlichen Gesellschaft, auf welche sie, und die hinwiederum auf uns einen Einfluß hat. Jede Sache, die wir begehren sollen, muß uns nützlich sein; aber nicht jede, insofern sie auf uns wirkt, und unseren Zustand angenehmer macht, sondern viele auch, insofern sie auf sie wirken, und unsre Natur dadurch vollkommener macht.59

Garve glaubt nun, dass die Kunst, also das, was das 18. Jahrhundert die Schönen Künste nennt, diese leere Stelle in Ciceros Bildungsprogramm füllen könne. Die Kunst dient in seinen Augen vor allem der Ausbildung der »Teilnahme« oder

|| 58 Garve: Adam Fergusons Grundsätze (s. Anm. 2), S. 332: »Wir haben kein Wort für Intereße. Es ist nicht Vortheil, denn dies zeigt bloß den Gegenstand an, der Intereße erregt; nicht Eigennutz, denn dieß ist der Hang der Seele, immer durch sein Intereße regiert zu werden.« 59 Ebd., S. 333.

118 | Stefanie Buchenau

»Teilnehmung« und der ästhetischen Erziehung des Menschen. Schauspiele und Romane »versetzen uns in die menschliche Gesellschaft« zurück, »von der wir gewissermaßen ausgeschlossen sind, weil sie uns Menschen von allerley Ständen, und in weit wichtigern Auftritten ihres Lebens handelnd und redend zeigen, als wir selbst zu sehen Gelegenheit haben«.60 Sie verschaffen uns »das Vergnügen, unter Menschen und unter Menschen aller Art zu sein, das wir in der Wirklichkeit verloren haben, in der Erdichtung […]; und weil sie daher zugleich den Theil unserer Kenntnisse ergänzen, den wir durch Erfahrung nicht mehr einsammeln können«.61 Diese ästhetische Erziehung zur Teilnehmung erlaubt wiederum sicherzustellen, dass wir die Sprache und Begrifflichkeiten unserer Mitbürger überhaupt verstehen; dass sie wahre »Popularität« besitzen. Sie dient der Ausbildung eines über Einzelinteressen hinausgehenden kollektiven Interesses. Dieses führt zu einer Erweiterung des eigenen Standpunkts hin zu anderen menschlichen Standpunkten, ohne dass es dafür des Aufschwungs zu einer göttlichen Perspektive bedürfe. Dieses Programm der Partizipation knüpft direkt an die aufklärerische Ästhetik und moral sense-Tradition an.62 Garve setzt sich schon in seinen frühen Rezensionen mit diesen Traditionen, mit Lessing, Herder und Burke auseinander. Zugleich unterscheidet es sich in einem entscheidenden Punkt von deren Modell der Humaniora. Es geht hier um die Ausbildung einer ästhetischen Sympathie und »Teilnehmung« im Dienste der eigenen Pflicht und Menschenwürde, wie bei Cicero selbst.

7 Kants »Anti-Garve« Wer mit der Argumentation Kants vertraut ist, erkennt zwischen den beiden philosophischen Projekten zunächst ganz zentrale Parallelen. Von dem tiefen Einfluss Garves auf Kant zeugen nicht nur Wörter und Begriffe, wie »guter Wille«, »Gesinnung«, »Interesse« und »Teilnehmung«, sondern grundsätzliche praktische, philosophische und ästhetische Perspektiven auf Tugend, Ehre und Würde. Auch Kant ist ein moderner Ciceronianer, wenn er auch seinerseits diese Nähe weniger explizit hervorhebt, einen ganz anderen philosophischen Stil pflegt und eine neue Termino-

|| 60 Garve: Betrachtung einiger Verschiedenheiten (s. Anm. 48), S. 104f. 61 Ebd., S. 130 (Hvhg. im Original). 62 Vgl. insbesondere den zweiteiligen Essay Einige Gedanken über das Interessirende, GGW V, S. 210–371 sowie dazu Doris Bachmann-Medicks Analyse von Garves Interessebegriffs in: Doris Bachmann-Medick: Die ästhetische Ordnung des Handelns. Moralphilosophie und Ästhetik in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1989, S. 164–243, vor allem S. 189: »Das Interessierende bei Garve basiert […] auf ›Vergnügen‹ im Sinne einer Handlungsneigung, die jedoch von Absichtlichkeit abgekoppelt und damit gleichsam ›interesselos‹ ist.«

Menschenwürde | 119

logie einführt.63 Schon die frühen Schriften und die Vorlesungen zur Physischen Geographie und zur Anthropologie zeugen von Kants Auseinandersetzung mit Cicero und der Stoa sowie von dem Versuch, den Menschen als Weltbürger, Betrachter und Mitspieler im Spiele der Natur neu zu bestimmen. Diese Gedanken entwickelt Kant zunächst in relativer Unabhängigkeit von Garve. Aber indem er dem praktischen Begriff von Würde als Selbstschätzung die gleiche Bedeutung zur Begründung philosophischer Ideen zuspricht, nimmt Kant in der Kritik der reinen Vernunft die von Garve in seinem Ferguson-Kommentar von 1772 gestellte philosophische Herausforderung auf. Mit seiner dritten Antinomie und der philosophischen Neubegründung der apodiktischen Gewissheit des Gesetzes und praktischen Geltung der Freiheit führt er das von Garve skizzierte philosophische Programm aus.64 Er erklärt, dass wir zwar nicht die praktische Notwendigkeit des moralischen Imperativs begreifen, wohl aber seine »Unbegreiflichbarkeit«, was aber »alles sei, was von der Philosophie zu fordern ist«.65 In seiner eigenen Anthropologie nimmt Kant außerdem auch eine »stoische«, pragmatisch ausgerichtete Sicht auf die Naturgeschichte ein. Diese fragt von Anfang an nach der eigenen Kausalität und Spontaneität, nach Anlagen, Antrieben oder, wie Kant es formuliert, nach den charakteristischen Kennzeichen des Begehrungsvermögens. Diese Frage führt sie vom Naturell aus auf den Charakter als die Sinnes- und Denkungsart und als »das Unterscheidungszeichen des Menschen als eines vernünftigen, mit Freiheit begabtem Wesens«. Auch Kant begreift dabei die Würde als Tugend und zugleich als eine bestimmte Form von »innerer Ehrbarkeit« (honestas interna), als eine gerechte Selbstschätzung (iustum sui

|| 63 Garve hatte gestanden, er sei zuweilen beim Lesen »unwillig geworden, weil ich glaubte, es müsse möglich sein, Wahrheiten, die wichtige Reformen in der Philosophie hervorbringen sollen, denen welche des Nachdenkens nicht ganz ungewohnt sind, leichter verständlich zu machen«. Die neue Sprache lasse »die Abweichung von den Gedanken anderer […] größer erscheinen, als sie wirklich ist«. Er hält an der Ansicht fest, »daß das Ganze Ihres Systems, wenn es wirklich brauchbar werden sollte, populärer ausgedrückt werden müsse und wenn es Wahrheit enthält, auch populär ausgedrückt werden kann« (AA X, S. 331f.). Kant gesteht in der Antwort, diese Materie, die er mehr als zwölf Jahre sorgfältig durchdacht hatte, sei im Vortrag nicht fasslich genug. Mangel an Popularität sei »ein gerechter Vorwurf, den man seiner Schrift machen [könne], denn in der Tat [müsse] jede philosophische Schrift derselben fähig sein, sonst verbirgt sie, über einem Dunst von scheinbarem Scharfsinn vermutlich Unsinn« (AA X, S. 339ff.). Diesen Vorwurf versucht er in den Prolegomena, aber auch in der Grundlegung und in einer Reihe weiterer Schriften zu entkräften. 64 In der späteren Schrift Über den Gemeinspruch (AA VIII, S. 285) fügt Kant erläuternd hinzu, Garve versäume es, Freiheit und Natur als zwei gegensätzliche antinomische Begriffe zu fassen: »Hr P. Garve thut (in seinen Anmerkungen zu Ciceros Buch von den Pflichten, S. 69, Ausgabe von 1783) das merkwürdige und seines Scharfsinns werthe Bekenntnis: ›Die Freiheit werde nach seiner innigsten Überzeugung immer unauflöslich bleiben […].‹ Da nun ein Beweis derselben nicht aus bloß theoretischen Gründen […] folglich nur aus moralisch praktischen geführt werden kann, so muss man sich wundern, warum Hr G. nicht zum Begriff der Freiheit seine Zuflucht nahm, um wenigstens die Möglichkeit solcher Imperativen zu retten.« 65 Kant: Grundlegung. In: AA IV, S. 463.

120 | Stefanie Buchenau

aestimium), die mit der eigenen Selbstliebe oder dem eigenen Selbstwertgefühl in enger Verbindung steht und sich aus ihm heraus und in Interaktion mit den Mitmenschen entwickelt. Dieser Gedanke findet sich zunächst in den Beobachtungen, und später, in veränderter Form, in der Anthropologie sowie in der Metaphysik der Sitten. Diese Auffassung von Ehre und Selbstachtung erweist sich auch in Kants Augen als mit einer bestimmten christlichen Tugend oder Würde als Demut und Perspektive auf einen göttlichen Herrscher und Richter, der gute Handlungen belohnt und schlechte bestraft, unvereinbar: Man muss sich vorstellen, dass der Mensch ein selbsttätiges Wesen ist und Gott oder die Natur ihm aufgibt, seine Tugend ganz alleine, ganz aus eigener Kraft und Spontaneität heraus zu entwickeln. Die christliche Perspektive auf eine göttlich legitimierte Würde des Menschen verliert damit an Relevanz. In einer Umkehrung der bisherigen Perspektive folgt ein bestimmter vernünftiger Glauben an ein völlig unabhängiges Wesen, und zwar erst aus der Verbindlichkeit des Sittengesetzes heraus. In der mehr oder weniger zeitgleich verfassten Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht wird dieser Gedanke aufgenommen und wiederum unter dem Einfluss Garves entwickelt. Das gleiche argumentative Schema ist erkenntlich, wenn Kant schreibt, man müsse sich die Natur als eine Stiefmutter und zugleich die beste aller Mütter vorstellen. Denn sie bestimme den Menschen dazu, sich selbst zu bestimmen; sie habe gewollt, dass der Mensch seine Anlagen aus sich selbst heraus entwickle, damit er »den Verdienst dafür ganz alleine habe und es sich selbst nur verdanken dürfe«.66 In dieser Vorstellung von Gott als Gesetzgeber und als schöpferisches Prinzip (Natur), das den Menschen dazu bestimmt, sich selbst zu bestimmen, sind sich Kant und Garve vollkommen einig. Kant übernimmt schließlich auch die Idee einer Menschenwürde als ein Amt oder eine Tugend, die der Standeswürde vorgeordnet werden muss. Auch für Kant erlaubt die Reflexion auf eine solche Menschenwürde oder Würde der Menschheit die eigenen Handlungen auf eine höhere, gesellschaftliche und moralische Norm von Vollkommenheit und Moralität hin auszurichten, und in dieser Welt die für die Erreichung dieses Ideals erforderlichen politischen, rechtlichen und materiellen Bedingungen zu schaffen. Diese unabschließbare Aufgabe der Vervollkommnung ist eine kollektive, und sie betrifft die ganze Menschheit. Eine solche Menschenwürde setzt allerdings eine gewisse Teilnehmung voraus. Man muss Anstand und Schicklichkeit reflektieren und lernen, sich zunächst an die Stelle eines jeden anderen zu versetzen. Diese Einsicht formuliert Kant schon in der frühen Schrift Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen von 1764. Aber spätestens in der Ausarbeitung seines ästhetischen Programms in der Kritik der

|| 66 Immanuel Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. In: AA VIII, S. 21.

Menschenwürde | 121

Urteilskraft scheint er wiederum Anregungen aus Garves Gedanken über das Interessierende und aus dessen ästhetischen Programm der Teilnehmung aufzunehmen. Dieser Aspekt von Kants Ästhetik ist bisher selten gesehen worden. Man hat zwar auf die Bedeutung der so genannten Humanitätsformel hingewiesen, Kants ästhetische Humanität aber bisher außer Acht gelassen. Kant schließt sich Garves Idee an, dass die Vervollkommnung der Menschheit nicht nur durch die Verbesserung der politischen und gesellschaftlichen Institutionen erreicht werden kann, sondern dass es auch einer ästhetischen Erziehung bedarf. In seiner Logik entwirft er ein Programm der Humaniora oder Ausbildung zur Humanität: Einen Teil der Philologie machen die Humaniora aus, worunter man die Kenntnis der Alten versteht, welche die Vereinigung der Wissenschaft mit Geschmack befördert, die Rauhigkeit abschleift und die Kommunikabilität und Urbanität, worin Humanität besteht, befördert.67

Auch Kant überträgt die Ausbildung eines allgemeinen »Teilnehmungsgefühls« auf die Kunst. Er dehnt zwar seinerseits den Bereich der Kunst über die Darstellung anthropologischer Materien auf andere Gegenstände aus, meint jedoch auch, dass die Betrachtung des Schönen dazu einlädt, sich an die Stelle eines jeden anderen zu versetzen und einen »ästhetischen Pluralismus«68 zu kultivieren: Die Propädeutik zu aller schönen Kunst, sofern sie auf den höchsten Grad ihrer Vollkommenheit angelegt ist, scheint nicht in Vorschriften, sondern in der Cultur der Gemüthskrafte durch diejenigen Vorkenntnisse zu liegen, welche man humaniora nennt; vermuthlich weil Humanität einerseits das allgemeine Theilnehmungsgefühl, andererseits das Vermögen, sich innigst und allgemein mittheilen zu können bedeutet; welche Eigenschaften, zusammen verbunden, die der Menschheit angemessene Geselligkeit ausmachen, wodurch sie sich von der thierischen Eingeschränktheit unterscheidet.69

Weil eine solche Ästhetik auf die Erziehung des Menschen angelegt ist, ist sie ihrerseits keineswegs elitär, sondern muss als Garant für die Popularität und Geltung seiner Philosophie überhaupt gesehen werden. Die gleiche ästhetische Humanität (humanitas aesthetica) thematisiert Kant auch an zwei Stellen der Metaphysik der Sitten: Dort statuiert er, »theilnehmende Empfindung ist überhaupt Pflicht«. Eine humanitas aesthetica oder »Empfänglichkeit für das gemeinsame Gefühl des Vergnügens und des Schmerzens« müsse der humanitas practica, oder dem Vermögen und Willen, sich einander in Ansehung seiner Gefühle mitzuteilen, zugrunde liegen.70 Etwas später legt Kant die humanitas aesthetica weiter, nämlich als wechsel-

|| 67 Immanuel Kant: Logik. In: AA IX, S. 45. 68 Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: AA VII, S. 127. 69 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. In: AA V, S. 355. 70 Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten. In: AA VI, S. 456.

122 | Stefanie Buchenau

seitige Liebe und Achtung, Leutseligkeit, Wohlanständigkeit und decorum aus. Deren Kultur sei »Tugendpflicht«. Sie gebiete es, »mit seinen sittlichen Vollkommenheiten untereinander Verkehr zu treiben« (officium commercii, sociabilitas), sich »nicht zu isolieren«, und den eigenen ästhetischen »Kreis« oder »Horizont«71 doch auch »als einen, der den Theil von einem allbefassenden der weltbürgerlichen Gesinnung ausmacht, anzusehen«.72 Eine solche Teilnehmung als praktisch ästhetische ist zugleich ausreichend, um auf Menschenehre zu reflektieren. Es bedarf dafür keines höheren, »göttlichen« Standpunktes.

8 Divergenzen Warum aber herrscht angesichts dieser grundlegenden Gemeinsamkeiten in der Grundlegung ein polemischer Ton vor? Wohl nicht aus persönlichen Gründen, d. h. nicht deshalb etwa, weil Kant noch über Garves Rezension der ersten Kritik verärgert gewesen wäre. Im Gegenteil scheint die Grundlegung von Kants Hochachtung gegenüber Garve und von seinem Willen zur Versöhnung zu zeugen. Die Polemik ist philosophischer Natur. Denn Kant liefert hier den zweiten Teil seiner Antwort auf die von Garve 1772 gestellte philosophische Herausforderung. Deshalb argumentiert er in gewisser Hinsicht mit und gegen Garve: mit ihm, insofern Garve in seiner Philosophie der Menschenwürde schon eine zentrale Umdeutung der christlichen Menschenwürde vornimmt; gegen ihn, insofern Garve diese nicht konsequent genug zu Ende denke. Kant scheint Garve vorzuwerfen, er argumentiere noch allzu anthropologisch und im Widerspruch zu den eigenen stoischen und popularphilosophischen Prinzipien. Kant stößt sich insbesondere an der Annahme einer »vormundschaftlichen Natur«,73 die den Menschen mit fixen Vermögen oder einem »eingepflanzten Sinn« ausstatte. Man dürfe die Moralität nicht in irgendeiner beliebig bestimmbaren »Menschennatur« und einer »besonderen Naturanlage der Menschheit«, in einem Gefühl, einem Hang, einer Richtung verankern. Denn was aus der besonderen Naturanlage der Menschheit, was aus gewissen Gefühlen und Hange, ja sogar, wo möglich, aus einer besonderen Richtung, die der menschlichen Vernunft eigen wäre, und nicht notwendig für den Willen eines jeden vernünftigen Wesens gelten müßte, abgeleitet wird, das kann zwar eine Maxime für uns, aber kein Gesetz abgeben.74

|| 71 Kant: Logik. In: AA IX, S. 41. 72 Kant: Metaphysik der Sitten. In: AA VI, S. 473. 73 Ebd., S. 425. 74 Ebd.

Menschenwürde | 123

Kant kritisiert außerdem die Begründung der Moral und eigenen Selbstschätzung in einem bloßen Gefühl. In »Liebe zu Menschen und teilnehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu tun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu sein«, bestehe nicht »die echte moralische Maxime unsers Verhaltens, die unserm Standpunkte, unter vernünftigen Wesen, als Menschen, angemessen ist«.75 Garve unterscheidet nicht klar genug zwischen Moralität und Glückseligkeit. Und schließlich trägt er dem Prinzip nicht Rechnung, dass Selbstliebe und Ehrliebe notwendig einander zuwiderlaufen müssen und dass die eigene Selbstbestimmung notwendig auf einem Selbstzwang gründen muss. »Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werte, der meiner Selbstliebe Abbruch tut.«76 In Kants Augen ist es die Aufgabe dieser alten Annahmen, die es erlaubt, tabula rasa zu machen und Garves Herausforderung philosophisch zu begegnen. Popularität kann dabei für ihn nur indirekt, über den Umweg über die Subtilitäten der Metaphysik, erreicht werden. Denn erst im Rückgriff auf die Metaphysik und die Quellen der Tugend und Ehrliebe in der reinen praktischen Vernunft kann es gelingen, auf das göttliche Prinzip der Moralität der reinen Vernunft zurückzugehen, das das ganze »Prinzip zu handeln berichtige und allgemein zweckmäßig« mache. In der Grundlegung erfolgt dieser Rückgang im Ausgang von dem schon »gemeinen Begriff der Pflicht und dem des guten Willens«, der schon dem natürlichen gesunden Verstande beiwohnt und nicht vielmehr gelehrt als nur aufgeklärt zu werden bedarf.77 Diese neue Perspektive erlaubt es ihm, die Selbsttätigkeit, Selbstgesetzgebung und Selbstbestimmung als »Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur«78 in der Vernunft als ein Vermögen allgemeiner Gesetzgebung statt in einem bloßen Gefühl und in einer bloßen Neigung zu begründen. Würde kann dabei weder von dem individuellen Ideal des Weisen her (Stoa), noch vom Blick Gottes als Gesetzgeber und Richter (Garve) begriffen werden. Vielmehr bedarf es dafür des neuen, kollektiven und fiktiven Ideal eines Reiches der Zwecke. Dieses bestimmt Kant als »eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objektive Gesetze, d. i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen auf einander, als Zwecke und Mittel zur Absicht haben«.79 Dieses Reich der Zwecke setzt sich aus Menschen und höheren Wesen zusammen. Diese »stehen allesamt unter dem Gesetz, dass jedes derselben sich selbst und alle andern niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle.« Das Oberhaupt dieses Reich der Zwecke unterscheidet sich von seinen Untertanen, insofern er das Gesetz nicht als Zwang

|| 75 Ebd. 76 Ebd., S. 401. 77 Ebd., S. 397. 78 Kant: Grundlegung. In: AA IV, S. 436. 79 Ebd., S. 433ff.

124 | Stefanie Buchenau

erfährt. Er steht auf gleicher Augenhöhe mit ihnen, insofern er ganz wie sie auch dem Gesetz unterworfen und zugleich Gesetzgeber ist. Mit diesem Verständnis von Würde als Würdigkeit nimmt Kant einen Aspekt der alten Würde und Ehrenhaftigkeit (honestas) auf. Die Würde des Vernunftwesens Menschen besteht in einer allgemeinen Ehrbarkeit, »Würdigkeit« und »Tauglichkeit«, die alle vernünftigen Wesen umfasst und ihren unbedingten Wert begründet. So schreibt Kant in einer berühmten Passage der Grundlegung: Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis, oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde. Was sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, hat einen Marktpreis; das, was, auch ohne ein Bedürfnis vorauszusetzen, einem gewissen Geschmacke, d. i. einem Wohlgefallen am bloßen zwecklosen Spiel unserer Gemütskräfte, gemäß ist, einen Affektionspreis; das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d. i. einen Preis, sondern einen innern Wert, d. i. Würde. Nun ist Moralität die Bedingung, unter der allein ein vernünftiges Wesen Zweck an sich selbst sein kann, weil nur durch sie es möglich ist, ein gesetzgebend Glied im Reiche der Zwecke zu sein. Also ist Sittlichkeit und die Menschheit, so fern sie derselben fähig ist, dasjenige, was allein Würde hat.80

9 Schluss: Garves Bedenken Dieser Gedanke enthält ein eigenes Potential, aber auch eigene Schwierigkeiten. Beide Aspekte stellt Garve im Rückblick heraus, als er im Jahre 1798 die Auseinandersetzung mit Kant wieder aufnimmt. Er schickt ihm nunmehr seine neue Aristoteles-Übersetzung, die einen Exkurs mit dem Titel Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre enthält. Wie es der beigelegte Brief zeigt, wendet er sich »in dieser letzten, traurigsten Periode« an Kant als Menschen und Freund: »Diese verborgne und stillschweigende Verbindung, welche schon lange unter uns vorhanden ist, gegen das Ende unsers Lebens noch fester zu knüpfen: dazu ist diese Zueignung bestimmt.«81 Ganz im Sinne des oben skizzierten Programms von Teilnehmung lässt er, der selbst an einem wuchernden Gesichtstumor leidet, den alternden und leidenden Kant seine Anteilnahme spüren, was Kant durchaus zu schätzen weiß.82 Gleichzeitig nimmt Garve auch die philosophische Auseinandersetzung wieder auf.

|| 80 Ebd., S. 434. 81 Garve an Kant, Mitte September 1798. In: AA XII, S. 255. 82 Kant an Garve, Königsberg, 21. September 1798: »Ich eile, Theuerster Freund! den […] Empfang Ihres liebevollen und seelenstärkenden Buchs und Briefes […] zu melden.«

Menschenwürde | 125

In seiner Uebersicht kommt Garve sehr lobend auf Kants Idee von Würde zu sprechen: Diese Idee von der Würde des Menschen, oft selbst mit Kraft und Würde des Ausdrucks, mitten unter metaphysischen Spekulationen dargestellt, reißt, durch das Große und Hervorhebende, welches sie enthält, den Leser mit sich fort, und hat auch mich für sie gewonnen.83

Vor allem die Zweckformel, in der Kant diese Forderung kleidet, begeistert Garve: Kein der Kantischen Moral eigenthümlicher Grundsatz, hat von dem ersten Augenblicke an, da ich mit ihm bekannt wurde, meine Einstimmung so völlig gewonnen: keiner hat mir, bey längerer und genauerer Betrachtung, zur Anwendung im täglichen Leben so brauchbar geschienen, – es sey, um meine Pflichten gegen andere Menschen in Augenblicken der Versuchung schleunig zu erwecken, als der Satz: – behandle jeden Menschen als Selbstzweck, keinen als bloßen Mittel für dich und zur Erreichung deiner Zwecke.84

Er sei »fruchtbar an sittlichen Belehrungen für das thätige und gesellschaftliche Leben«, verdamme die »Sklaverey, Tyranney und Gewaltigkeit«,85 bewahre »gegen Stolz und Uebermuth gegen niedrigere und gegen Kriecherei gegen höhere«.86 Aber Garve formuliert auch eine Reihe von Bedenken. So stößt er sich an Kants Unterscheidung zwischen Glückseligkeit und Würdigkeit, glücklich zu sein: Ich für meinen Theil gestehe, daß ich diese Teilung der Ideen in meinem Kopf sehr wohl begreife, daß ich aber diese Theilung der Wünsche und Bestrebungen in meinem Herzen nicht finde, daß es mir sogar unbegreiflich ist, wie irgend ein Mensch sich bewußt werden kann, sein verlangen nach Glückseligkeit selbst rein abgesondert, und also die Pflicht ganz uneigennützig ausgeübt zu haben.87

Und Garve erhebt noch einen grundsätzlicheren Einwand. Wie früher schon wirft er Kant den Mangel der Popularität seiner Kunstsprache vor, die seiner Ansicht nach mögliche Ungereimtheiten und Widersprüche maskiert, indem sie bestimmten alten Wörtern eine ganz neue, nicht eingängige Bedeutung verleihe. Darunter fallen Begriffe wie »Form« und »Stoff«; darunter fällt aber auch die »Würde«: Garve fügt

|| 83 Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre (s. Anm. 15), S. 243. 84 Ebd., S. 250. 85 Garve sieht in der Sklaverei eine dem Vorurteil und der Verblendung entspringende Herabwürdigung der Menschheit, wie er in seinem Kommentar zu Aristotelesʼ Ethik (Bd. I, 1798, S. 437) erklärt: „So sehr konnten die Menschen der Zeit, selbst die Philosophen, sich über Dingen verblenden, die sie doch beobachten konnten: so sehr konnten selbst in ihre Sprache die Verachtung und Herabwürdigung ganzer Menschen-Classen verwebt seyn: und doch mußten sie gewiß, auch in dieser Classe, die große Verschiedenheit der Individuen an Verstand und moralischer Güte wahrnehmen.“ Ich danke Johan van der Zande für den Hinweis auf diese Textstelle. 86 Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre (s. Anm. 15), S. 252f. 87 Diesen Einwand versucht Kant im ersten Abschnitt von Über den Gemeinspruch zu entschärfen.

126 | Stefanie Buchenau

obigen Komplimenten hinzu, dieser Begriff entspreche einer bestimmten philosophischen Bedeutung, nicht aber dem populären Wortgebrauch. Er habe sich »bei der Untersuchung nicht verbergen können, daß sie der Schilderung der Stoiker von ihrem Weisen, der auch in Phalaris Ofen glückselig ist, ähnlich sei, welche auch in den Schriften des Antonin und Epiktet anziehend und herzerhebend ist«. Dieser Begriff werde aber »durch Gründe, Erfahrung und Thatsachen zu wenig unterstützt […], um Ueberzeugung zu gewähren«. In dieser Beurteilung zeigt sich, dass Garve sich der Radikalität von Kants Deutung wohl bewusst ist. Daraus, dass Kant die Würde ausschließlich in der Universalität oder Form eines Gesetzes verankert, folgt, dass sie sich gerade im Absehen von der eigenen Natur, den eigenen Neigungen und dem eigenen Streben nach Glückseligkeit offenbart. Diese Fixierung ist zugleich eine Demontage des alten Begriffs, insofern sie ihn seiner ursprünglichen personalen Dimension beraubt. Aus der Menschenwürde wird eine Vernunftwürde und Würde der Menschheit. Garve zufolge erfordert diese Deutung eine allzu große »Anstrengung des Gemüths«, als dass er »ganz gefaßt, mitgenommen werden […], und hier einen großen Einfluß auf unsre Handlungen haben könne«.88

|| 88 Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre (s. Anm. 15), S. 244.

Andree Hahmann

Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie Die Philosophischen Anmerkungen und Abhandlungen zu Ciceros Büchern von den Pflichten Nimmt man heute moderne Ausgaben von Ciceros Buch Über die Pflichten in die Hand, sucht man vergeblich nach einem Hinweis auf Christian Garves Übersetzung sowie seine umfangreichen Anmerkungen. In der kürzlich von Rainer Nickel besorgten deutschen Neuübersetzung gibt es nicht einen Verweis auf Garve.1 Nicht viel besser sieht es bei älteren Werken aus. Max Pohlenz nennt in seiner umfangreichen Studie aus dem Jahr 1934 mit dem vielsagenden Titel »Antikes Führertum«2 Garve an einer Stelle und hier lediglich, um von dem Interesse Friedrich II. an Ciceros Buch zu berichten.3 Denn bekanntlich geht Garves Schrift auf eine Anregung des preußischen Königs zurück.4 Nach Garves eigener Auskunft hat seine Übersetzung dann auch den Beifall Friedrichs II. gefunden. Gleichwohl beschwert er sich, dass der König die umfangreichen Anmerkungen ignoriert habe.5 Das ist für Garve besonders irritierend, weil er selbst sehr stolz hierauf ist und darin seine eigentliche philosophische Leistung erblickt. Denn er versteht sich trotz seiner zahlreichen Übersetzungen in erster Linie nicht als Übersetzer, sondern als konstruktiver Denker. Aber auch wenn Garve nicht die erhoffte Beachtung des Königs gefunden hat,

|| 1 Rainer Nickel (Hg.): Cicero. Vom pflichtgemäßen Handeln / De officiis. Lateinisch – Deutsch. Düsseldorf 2008. 2 Max Pohlenz: Antikes Führertum: Cicero »De officiis« und das Lebensideal des Panaitios. Leipzig 1934. Zur positiven Aufnahme der Schrift, auch im englischsprachigen Raum, siehe J. Wight Duff: Ancient Leadership (Max Pohlenz: Antikes Führertum). In: The Classical Review, 49.1 (1935), S. 28f. Pöschl sieht durch den Titel falsche Erwartungen geweckt, da »der meilenweite Abstand zu deutschem Wesen und zu dem Werk, das wir heute [d. h. 1935; A.H.] beginnen [...] in gefährlicher Weise verdeckt wird« (S. 322). Siehe die Rezension von V. Pöschl in: Historische Zeitschrift 152.2 (1935), S. 321f. 3 Zum Treffen kam es, als Friedrich II. sich 1779 in Breslau, der Heimatstadt Garves, aufhielt, um dort den Frieden von Teschen auszuhandeln, der den bayrischen Erbfolgekrieg beendete. 4 Friedrich II. war selbst ein großer Verehrer der stoischen Philosophie. Angetan hatte es ihm vor allem Marcus Aurelius, der stoische Kaiser. Nach dem Tod Friedrichs vergleicht Garve den Preußenkönig mit seinem römischen Vorbild. Christian Garve: Zweites Fragment einer Vergleichung zwischen Marc-Aurel und Friedrich dem Zweyten. In: Neue deutsche Monatsschrift 2 (1795), S. 3–33 und S. 85–118. 5 Siehe Garves Brief an Zollikofer vom 3. September 1784 (entnommen aus Christian Garve: Abhandlung über die menschlichen Pflichten, aus dem Lateinischen des Marcus Tullius Cicero. Teil 1. Die Übersetzung. In: GGW IX, S. V). https://doi.org/10.1515/9783110647747-007

128 | Andree Hahmann

steht der Erfolg des Werks unter seinen Zeitgenossen doch in scharfem Kontrast zur modernen Geringschätzung. Um nur einige Verehrer zu nennen: Georg Forster hält Garve für den größten lebenden Philosophen. Friedrich Gentz sucht den Kontakt zu Garve wegen dessen Cicero. Nicht zuletzt sei hier auf Immanuel Kant verwiesen, dessen Lektüre der Übersetzung und Anmerkungen beinahe Anlass boten, einen Anti-Garve zu verfassen, aus dem dann leider nur die Grundlegung geworden ist.6 Noch zu Garves Lebzeiten sind drei verbesserte Auflagen erschienen und nach seinem frühen Tod 1798 folgen vier weitere.7 Der Erfolg der Schrift beruht sicherlich zum großen Teil auf der – zumindest aus zeitgenössischer Sicht – gelungenen, wenn auch nicht unbedingt detailgetreuen Übersetzung. Ein weiterer Grund für den Erfolg besteht wohl darin, dass Cicero vor allem stoisches Material verarbeitet hat. Und die stoische Philosophie erfreute sich im ausgehenden 18. Jahrhundert noch immer einer außergewöhnlichen Beliebtheit, galt sie vielen doch als besonderes Beispiel mannhafter Stärke. Gesucht wurde diese in der Spätaufklärung vor allem für die fromme und gottgefällige Überwindung sinnlicher Versuchungen. Das wiedererweckte Interesse zu Beginn des 20. Jahrhunderts speist sich freilich aus einer anderen Quelle. Wenn Pohlenz daher in seinem Kommentar zu Cicero fragt, »ob nicht in diesem Werke Kräfte schlummern, die auch heute noch Leben wecken können«,8 so verrät bereits ein kurzer Blick ins Vorwort, welche Kräfte Pohlenz in seinem Führerbuch bei Cicero vermutet. Hinsichtlich solch vielsagender Floskeln, muss man sich fragen, warum man auf Pohlenz’ Arbeiten zu De officiis auch heute noch gerne verweist. Rainer Nickel nimmt gleich mehrere Werke in sein Literaturverzeichnis auf.9 Wohingegen Garves Ausgabe völlig in Vergessenheit geraten zu sein scheint und kaum noch Beachtung findet, und wenn überhaupt, dann nur als Stichwortgeber für Immanuel Kant. Vor diesem Hintergrund soll in diesem Beitrag der zentrale Begriff der Pflicht und dessen Adaptation durch Garve diskutiert werden. Ich möchte zeigen, wie Garve den von den Stoikern übernommenen systematischen Zusammenhang von Moral, Vollkommenheit und Pflicht denkt. Das wird nicht nur ein Licht auf sein eigenes philosophisches Programm werfen, sondern soll auch zur begrifflichen Klärung dieses für die weitere Entwicklung der Ethik zentralen Begriffs beitragen.

|| 6 Das berichtet Hamann in einem Brief an Scheffner, datiert auf den 18. Februar 1784. Siehe Rudolf Malter (Hg.): Immanuel Kant in Rede und Gespräch. Hamburg 1990, S. 251. Zu Garves Bedeutung für Kants Fertigstellung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten siehe Jens Timmermann: Kant’s Groundwork of the Metaphysics of Morals. A Commentary. Cambridge 2007, S. xxvi–xxvii; Henry E. Allison: Kantʼs Groundwork for the Metaphysics of Morals: A Commentary. Oxford 2011, S. 5–8 und S. 52. 7 Johan van der Zande: The Microscope of Experience: Christian Garveʼs Translation of Ciceroʼs De Officiis (1783). In: Journal of the History of Ideas 59 (1998), S. 75–94, hier S. 78f. 8 Pohlenz: Antikes Führertum (s. Anm. 2), S. 4. 9 Nickel: Über das pflichtgemäße Handeln (s. Anm. 1), S. 366f.

Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie | 129

Ich gehe in vier Schritten vor: Zunächst soll der stoische Ursprung des Pflichtbegriffs sowie dessen Übersetzung ins Lateinische und Deutsche skizziert werden. Im zweiten Abschnitt wird die von Cicero gelieferte und von Garve kommentierte Begründung der Pflicht diskutiert. Der dritte Abschnitt ist der stoischen Unterscheidung zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten sowie Garves Auslegung gewidmet. Im vierten Abschnitt soll ein kurzer systematischer Ausblick auf die mit dem Pflichtbegriff verbundenen Elemente geboten werden.

1 καθῆκον (kathēkon), officium, Pflicht »Pflicht« ist die deutsche Übersetzung des von Cicero in seinem Werk verwandten officium. Bekanntlich benutzt Cicero selbst griechische Vorbilder für seine philosophischen Schriften. Heute sieht man sein Verdienst vor allem darin, dass er durch seine Übersetzungen dazu beigetragen hat, das Lateinische als philosophische Sprache zu etablieren.10 Außerdem gelten seine Schriften als wichtige Quelle zur Rekonstruktion der von ihm benutzten hellenistischen Positionen. Denn leider sind nahezu alle Schriften dieser Epoche verloren gegangen, so dass wir auf die Überlieferungen späterer Autoren angewiesen sind. Cicero spielt in diesem Kontext eine besondere und sehr wichtige Rolle, da er für seine Werke längere Auszüge aus griechischen Originalen verwendet, die er dann ins Lateinische überträgt.11 Im Fall von De officiis wissen wir, dass er sich insbesondere auf eine Schrift des Panaitios (einen Vertreter der mittleren Stoa) gestützt hat.12 Den Begriff officium verwendet Cicero zum ersten Mal in De finibus.13 Hierbei handelt es sich um den Versuch der Übertragung des griechischen καθῆκον (kathēkon). Seiner Übersetzung zugrunde liegt das lateinische opificium, was so viel heißt wie sein Werk tun. Cicero verteidigt seine

|| 10 In der neueren Forschung wird verstärkt die Eigenständigkeit und auch die Bedeutung Ciceros als philosophischer Autor betont. Siehe etwa Raphael Woolf: Cicero: The Philosophy of a Roman Sceptic. Philosophy in the Roman World. London, New York 2015. 11 Die Auszüge hat Cicero entweder selbst kopiert, oder er hat die Kopien anfertigen lassen. In einem Brief an Atticus berichtet Cicero davon, dass er Athenodorus darum gebeten hat, einen Abriss der Lehre des Poseidonios zu verfassen. Cicero: Ad atticum, XVI.11.4. Siehe beispielsweise in der Ausgabe Cicero: Letters to Atticus. Vol. I. Ed. and translated by D. R. Shackleton Bailey. Cambridge, Mass., London 1999, S. 352: »Ego autem et eius librum arcessivi et ad Athenodorum Calvum scripsi ut ad me τὰ κεφάλαια mitteret.« 12 Das gilt zumindest für die ersten beiden Bücher. Das letzte Buch nimmt Poseidonios als Vorlage, da Panaitios die dort verhandelte Frage nicht mehr diskutiert hat. 13 Cicero: Fin. III.20. Siehe die Ausgabe Cicero: Über die Ziele des menschlichen Handelns / De finibus bonorum et malorum. Hg., übersetzt und kommentiert von Olof Gigon und Laila StraumeZimmermann. Düsseldorf, Zürich 22002, S. 192.

130 | Andree Hahmann

Übersetzung explizit gegen Einwände seines Freundes Atticus.14 Das legt nahe, dass die Übersetzung nicht unumstritten ist. Der griechische Terminus καθῆκον (kathēkon) wird als philosophischer Fachbegriff von der frühen Stoa geprägt. Zenon, der Schulgründer, soll den Begriff folgendermaßen abgeleitet haben: [τὸ καθῆκον,] ἀπὸ τοῦ κατά τινας ἥκειν,15 d. h. der Sache nach, dass die Handlung von etwas bedingt wird, was von außen herantritt. An sich betrachtet ist der Begriff unter Zenons Zeitgenossen durchaus nicht ungewöhnlich. Damit werden im Allgemeinen solche Anforderungen an Handlungen bezeichnet, die sich aufgrund bestimmter Umstände oder eingenommener Ämter ergeben. Dass der ursprüngliche griechische Begriff genauso wie das lateinische officium sehr viel mehr als die heute verstandene Bedeutung umfassen, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass darunter auch das Werk des Zuhälters fällt.16 Bereits die Stoiker verstärken jedoch den normativen Gehalt des Begriffs. So unterstreichen sie, dass es sich nicht nur ziemt, den äußeren Anforderungen zu genügen, man soll diese befolgen, da es von der Vernunft als Gesetz geboten ist. Auf diese Weise wird das Vernunftgemäße zum gesetzlich Geforderten. In Ciceros Abhandlung heißt es entsprechend, dass die Vernunft als Gesetz dem Menschen vorschreibt, wie er handeln soll.17 Eine ähnliche Entwicklung findet sich auch beim deutschen Begriff der Pflicht. Ursprünglich bezeichnet dieser einen gemeinschaftlichen Verkehr oder Umgang. Aus der Gemeinsamkeit bzw. der Gleichartigkeit hat sich die Art und Weise, wie etwas zu sein pflegt, entwickelt. Aus Sitte und Gewohnheit wird schließlich die gemeinsame Verbundenheit und die daraus hervorgehende Handlung in Anbetracht der gegebenen Verhältnisse und des Rechts.18 Das macht deutlich, dass Garves Übersetzung des lateinischen officium als Pflicht angemessen ist und nicht weiter begründet werden muss. Man sollte jedoch die ursprüngliche Bedeutung nicht ganz aus den Augen verlieren, wenn man sich die von den antiken Philosophen vorgebrachte Begründung der Pflicht vergegenwärtigt.

|| 14 Cicero: Ad Atticum. XVI.11. 4. Siehe Cicero: Letters to Atticus (s. Anm. 11), S. 352: »quod de inscriptione quaeris, non dubito quin καϑῆκον ›officium‹ sit, nisi quid tu aliud [...]«. Siehe Pohlenz: Antikes Führertum (s. Anm. 2), S. 14. 15 SVF, I.230 = Hans von Arnim (Hg.): Stoicorum Veterum Fragmenta, Leipzig 1903–1905, Bd. 1, Fragment Nr. 230. 16 Pohlenz: Antikes Führertum (s. Anm. 2), S. 14. 17 Cicero: De officiis. III. 23; 27; 31 (s. Anm. 1). Siehe auch SVF (s. Anm. 15), Bd. III, Fr. 519; 520. 18 DWB = Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbdn. Leipzig 1854–1961: [Art.] ›Pflicht‹. Bd. 13, Sp. 1752–1763.

Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie | 131

2 Die Begründung der Pflicht Garves Abhandlung folgt Ciceros Darstellung der stoischen Lehre im ersten Buch. Cicero zufolge kennen die Stoiker zwei abweichende Einteilungen in ihrer Behandlung der Pflichten. Nach der ersten wird zwischen der Begründung der Pflicht sowie den konkreten Vorschriften (praecepta) unterschieden. In seiner Übersetzung spricht Garve von einem theoretischen und einen praktischen Teil der Untersuchung.19 Die zweite Einteilung unterscheidet zwischen vollkommenen und mittleren (bzw. unvollkommenen) Pflichten.20 Garve stimmt der ersten Einteilung prinzipiell zu und betont deren Bedeutung. Der zweiten steht er hingegen sehr viel skeptischer gegenüber und vermutet, dass es sich hierbei um eine stoische Schulsubtilität handelt. Schauen wir uns zunächst die erste Einteilung an, aber insbesondere die stoische Begründung der Pflicht. Relevant ist die Bestimmung der letzten Zwecke des menschlichen Handelns. Hierzu gehen die Stoiker zurück an den Anfang des Lebens und versuchen, ausgehend vom Verhalten Neugeborener die ursprünglichen Ziele des Strebens zu ermitteln.21 Ihr Vorgehen ähnelt dem anderer hellenistischer Schulen, weshalb Cicero die stoische Argumentation mit der epikureischen kontrastiert.22 Anders als die Stoiker schließen die Epikureer, dass alle Lebewesen von Geburt an nach Lust streben und den Schmerz meiden. Garve stimmt der stoischen Zurückweisung dieser Beobachtung prinzipiell zu. Auf seine Zustimmung stößt auch das methodische Vorgehen als solches. Garve betont, dass nur eine Untersuchung der ersten Triebfedern der menschlichen Be-

|| 19 Garve: Über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 5), S. 10 ( = De officiis. I.3.7): »Die gesammte Lehre von den Pflichten zerfällt in zwey Haupttheile. Der erste ist theoretisch und enthält die Untersuchung vom höchsten Gute, und was damit zusammenhängt; der andere ist praktisch, und enthält Vorschriften für die menschlichen Handlungen, nach den verschiedenen Umständen und Bedürfnissen des menschlichen Lebens.« (»Omnis de officio duplex est quaestio: unum genus est, quod pertinet ad finem bonorum, alterum, quod positum est in praeceptis, quibus in omnis partis usus vitae conformari possit.«) 20 Garve: Über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 5), S. 10f. (= De officiis. I.3.7-8): »Es giebt noch eine andre Eintheilung der Pflichten selbst. Die Stoiker machen nämlich einen Unterscheid, unter der mittlern oder gemeinen, und zwischen der ganz vollkommnen Pflicht.« (»Atque etiam alia divisio est officii. Nam et medium quoddam officium dicitur et perfectum.«) 21 Hierunter versteht man die so genannte οἰκείωσις-Theorie der Stoiker. Zum Begriff οἰκείωσις siehe Simon G. Pembroke: Oikeiosis. In: Anthony A. Long (ed.): Problems in Stoicism. London 1971, S. 114–149, insbesondere S. 116 und S. 141 sowie George B. Kerferd: The Search for Personal Identity in Stoic Thought. In: Bulletin of the John Rylands Library of Manchester 55 (1972), S. 177–196. Zur argumentativen Form und dem Gehalt der Theorie mit weiteren Literaturangaben siehe Andree Hahmann: Aristoteles gegen Epikur. Eine Untersuchung über die Prinzipien der hellenistischen Philosophie ausgehend vom Phänomen der Bewegung. Berlin, Boston 2017, S. 157–240. 22 Siehe Cicero: Über die Ziele des menschlichen Handelns (s. Anm. 13).

132 | Andree Hahmann

gierden Aufklärung über die Natur und Gründe der Moralität verspricht.23 Denn die Entscheidung über den Vorzug einer Handlung setzt die Kenntnis ihrer Natur voraus. Das bedingt seiner Ansicht nach das Wissen des Eigentümlichen und damit Vorzüglichen der menschlichen Natur. Auf diese Weise ließe sich der Grund der Pflicht aus der Natur des Menschen selbst schöpfen. So verstanden stellen die antiken Philosophen nach Garve die »Naturgeschichte des Menschen« dar.24 In concreto folgt hieraus, dass man den Bau des Körpers und dessen natürliche Bewegungen genauso wie das Streben der Seele in Augenschein nehmen müsse. Die Stoiker verfolgen die Entwicklung des Menschen entsprechend durch die verschiedenen Entwicklungsstufen hindurch und bemerken, wie sich die ersten Triebe durch die hinzugewonnenen Fähigkeiten modifizieren. Der entscheidende Vorteil des Vorgehens besteht laut Garve darin, dass so differenziert werden kann, »was Kunst, und was Natur, im Menschen hervorgebracht hat; was er nach seiner ersten Anlage, und was er in seiner vollständigsten Reife ist«.25 Die Bestimmung dessen, was Kunst und Natur zur Entwicklung beitragen, wird dadurch geleistet, dass man bis zum Anfang des individuellen Lebens zurückgeht. Auf diese Weise werden alle kulturellen Einflüsse ausgeschaltet. Die anschließende Verfolgung durch die Stufen der Entwicklung macht dann die Unterscheidung zwischen erster Anlage und deren Vervollkommnung möglich. Die Vervollkommnung der spezifisch menschlichen Anlagen ist die Tugend und durch diese zeichnet sich der Menschen vor allen Lebewesen aus.26 Garve unterstreicht den Erfolg der Stoiker in dieser Untersuchung. So sollen sie erkannt haben, dass in der Vollkommenheit die Bestimmung des Menschen liegt, was diese zum letzten Ziel des menschlichen Strebens macht.27 Die Vollkommenheit geht zuletzt mit der Glückseligkeit einher, die der stoische Weise dadurch erreicht, dass er die äußeren Güter gering achtet. Für ihn ist nur die Tugend, und das ist die Vernunft in ihrer Vervollkommnung, ein Gut, das sittliche Laster hingegen und somit die menschliche Unvollkommenheit ein Übel.28 || 23 Christian Garve: Abhandlung über die menschlichen Pflichten, aus dem Lateinischen des Marcus Tullius Cicero. Teil 2. Die Anmerkungen. In: GGW X, S. 10. 24 Ebd., S. 11: »Die Methode, welche die Alten erwählt haben, um dieses zu untersuchen, ist die natürlichste und beste. Sie fangen mit der Naturgeschichte des Menschen an; nehmen ihn gleichsam bey seiner Geburt auf [...].« 25 Ebd. 26 Ebd., S. 12: »Die Tugend, sagen sie, ist die menschliche Vollkommenheit: sie muß also in solchen Eigenschaften liegen, die dem Menschen allein zugehören.« 27 In Übereinstimmung mit der allgemeinen stoischen Skepsis an menschlichen Kulturleistungen steht auch Garve der Kultur eher misstrauisch gegenüber. Seiner Ansicht nach handelt es sich um »krumme [...] Gänge«, die den Menschen vom Erreichen seines eigentlichen Ziels abhalten. Siehe Garve: Anmerkungen zu dem ersten Buch (s. Anm. 23), S. 12. 28 SVF (s. Anm. 15), Bd. I, Fr. 190; Bd. III, Fr. 30, 49. Siehe dazu Malte Hossenfelder: Geschichte der Philosophie. Band III. Die Philosophie der Antike 3. Stoa. Epikureismus und Skepsis. München 1995

Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie | 133

Beachtlich ist nun Garves Beurteilung der stoischen Vorstellung, die ich an dieser Stelle zitieren möchte: Stelle ich mir den Menschen als ein immer dauerndes, immer höhersteigendes Wesen vor: so ist dieses System vollkommen und ohne alle Ausnahme wahr. Stelle ich mir ihn als ein sterbliches Geschöpf vor, das nur für die Periode bestimmt ist, in welcher wir es hier sehen, so leidet es viele Einschränkungen. Denn daß in dem Zeitraume unsers Daseyns, welcher zwischen Geburt und Tod ist, die menschliche Glückseligkeit, von den äußern Umständen, der Einwirkung der Körperwelt oder andrer Menschen, nicht ganz unabhängig werden könne, ist augenscheinlich.29

Das Problem, das Garve identifiziert, besteht darin, dass die äußeren Umstände zu Lebzeiten einen zu großen Einfluss auf die Verwirklichung der menschlichen Glückseligkeit haben, indem diese die Vervollkommnung verhindern; weshalb Garve auch die Vorstellung zurückweist, dass der Mensch aus eigener Kraft diese Vervollkommnung erreichen könne.30 Daraus zieht er zwei Schlüsse: Hinsichtlich des stoischen Systems soll sich ergeben, dass sich dessen Plausibilität darin erschöpft, den Wert des Inneren gegen das Äußere hervorzuheben, sowie in ihrer Forderung, sich den äußeren Umständen anzupassen. Aus dieser Forderung ergeben sich dann auch die einzelnen Pflichten. »Dies ist das Stoische System, soweit es praktisch werden kann: und soweit ist es wahr und erhaben.«31 Alles andere schreibt Garve hingegen dem stoischen Hang zur Spekulation zu und verwirft es damit. Zweitens ist für Garve die Realisierung der menschlichen Glückseligkeit trotzdem nicht ausgeschlossen. Denn was die Stoiker noch nicht wissen konnten, ist die Unsterblichkeit der christlichen Seele. Da aber in einer unendlichen Dauer die jeweils eigentümlichen Ursachen am meisten wirken, wird sich der gute oder schlechte Charakter des Menschen schließlich durchsetzen. Unter der Voraussetzung einer unendlichen Dauer wird also auch laut Garve die Tugend selbst ihre Belohnung mit sich führen, was sie hingegen nicht unter der von den Stoikern vorausgesetzten kurzen Lebensdauer tut.32 Damit der Vorzug der inneren Güter vor den äußeren zur vollen Wirkung kommt, muss der Zeitraum, in dem die ersteren wachsen und reifen || (zweite, aktualisierte Auflage), S. 53–63. Für eine systematische Zusammenschau der stoischen Ansichten siehe Hahmann: Aristoteles gegen Epikur (s. Anm. 21), S. 233–235. 29 Garve: Anmerkungen zu dem ersten Buch (s. Anm. 23), S. 15. 30 Ebd., S. 16: »Also zu behaupten, wir können vollkommen glückselig werden, und bloß durch uns selbst; ist stolzes Vorgeben, nicht Wahrheit.« 31 Ebd. 32 Garve: Anmerkungen zu dem zweyten Buch (s. Anm. 23), S. 58: »In einem immerwährenden Daseyn, können alle anderen Ursachen von Glückseligkeit oder Unglückseligkeit nicht so viel wirken, als die, welche uns immer beywohnen, d. h. die Beschaffenheiten, Kräfte und Gesinnungen, unsers denkenden und handelnden Selbst. In kurzen Zeiträumen aber, können wohl äußere Ursachen mehr Einfluß haben [...].«

134 | Andree Hahmann

über das gegenwärtige kurze Leben hinaus ausgedehnt werden.33 Die stoische Annahme, dass Tugend als Vollkommenheit tatsächlich die Glückseligkeit realisiert, bedingt somit der Sache nach die Unsterblichkeit der menschlichen Seele.34 Hinzu kommt der für Garve wichtige Punkt, dass auch die Glückseligkeit nicht in einem fixen Zustand bestehen kann, da auch die menschliche Natur in fortdauerndem Wandel begriffen ist.35 In der Sekundärliteratur wurde bemerkt, dass Garve damit einen Gedanken von Ferguson variiert,36 den Garve als einen wahren Stoiker betrachtet.37 Das ist gut möglich. Aber die Art der Zusammenstellung erinnert bereits stark an die von Kant nur wenige Jahre später postulierte Annahme der menschlichen Unsterblichkeit. Hierauf möchte ich im vierten Abschnitt zurückkommen.

3 Vollkommene und unvollkommene Pflichten Als nächstes wendet sich Garve der zweiten stoischen Einteilung der Pflichten zu, nämlich die in vollkommene und unvollkommene Pflichten. Garve ist skeptisch, ob es sich hierbei um eine nachvollziehbare Differenzierung handelt. Er vermutet statt-

|| 33 Ebd., S. 59: »[...] so muß, um den Vorzug der innern Güter vor den äußern darzuthun, der Zeitraum, worinn jene wachsen und reifen sollen, über das gegenwärtige kurze Leben können ausgedehnt werden.« 34 In Garves Worten: »Diese Widersprüche werden gehoben, wenn wir den Weg, auf welchem gute Menschen hier schon fortgehen, ins unendliche verlängern dürfen; wenn es uns erlaubt ist, aus der Richtung, welche eine tugendhafte Seele hier nimmt, auf ein entferntes Ziel zu schließen, dem sie sich immerfort nähere« (Garve: Anmerkungen zu dem zweyten Buch [s. Anm. 23], S. 60). Der Kerngedanke von Garves Argument besteht also darin, dass die von den Stoikern geforderte Vollkommenheit in der Kürze des Menschenlebens unerreichbar ist und deshalb auch eine unsterbliche Seele benötigt. 35 Garve: Anmerkungen zu dem ersten Buch (s. Anm. 23), S. 40: »[...] so ist dabey auch eine der vornehmsten Eigenthümlichkeiten der menschlichen Natur aus der Acht gelassen worden; die, daß ihr ganzer Zustand in einer Entwickelung besteht, daß er nie ein festes bleibendes Seyn, sondern eine Reihe von Veränderungen ist. Dieser Umstand [...] macht, daß keine wahrhaftig menschliche Tugend gedacht werden kan, als die welche im Fortgange, in dem Bestreben nach einem höhern Grade von Einsicht und Güte, und in der Annäherung dazu besteht.« 36 Neben Ferguson (Idea for a Philosophy of the History of Humankind) kommt laut van der Zande auch Lessing (Erziehung des Menschen) infrage. Siehe van der Zande: The Microscope of Experience (s. Anm. 7), S. 86. 37 Christian Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsre Zeiten. Eine zu dem ersten Theile der übersetzten Ethik des Aristoteles gehörende und aus ihm besonders abgedruckte Abhandlung. Nachdruck der Ausgabe Breslau 1798. In: ders.: Gesammelte Werke. Zweite Abteilung. Selbstständig erschienene Schriften. Band VIII. Hg. von Kurt Wölfel. Hildesheim, Zürich, New York 1986, S. 158–159.

Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie | 135

dessen, dass dies eine »kleinfügige und unnütze Untersuchung« der Stoiker sei.38 Hinter Ciceros Einteilung steht die von den frühen Stoikern vorgenommene Unterscheidung zwischen καθῆκον (kathēkon) und κατόρθωμα (katorthōma).39 Diese beruht auf zwei Überlegungen: Erstens gibt es wie gesagt für die Stoiker im strengen Sinne nur ein Gut, nämlich die Tugend und ein Übel, das Laster. Das Übrige ist sittlich unbedeutend. Trotzdem erlauben die Stoiker mittlere oder vorzuziehende Güter, die προηγμένα (proēgmena), die sich aus einer relativen Beurteilung zueinander (vermutlich) mit Blick auf das Endziel ergeben. Sie haben also keinen intrinsischen Wert, sondern sind abhängig von den Umständen. Für die Stoiker können diese daher auch nicht zur wahren Glückseligkeit führen. Die κατορθώματα (katorthōmata) beziehen sich nun anders als die καθήκοντα (kathēkonta) auf solche Handlungen, die das wahrhafte Gut erfüllen. Das setzt eine vollständig entwickelte Vernunft voraus, weshalb sie aus einer vollkommenen Gesinnung und mit festem Blick auf das Endziel geschehen, d. h. in Übereinstimmung mit der Natur. Das gilt aber im eigentlichen Sinne nur für den stoischen Weisen, der allein seine Vernunft vollständig entwickelt hat. Die unvollkommenen oder mittleren Pflichten orientieren sich hingegen an den mittleren Gütern. Darunter fällt beispielsweise all das, was der menschlichen Erhaltung dient. Garve erhebt nun den naheliegenden Einwand, dass die Stoiker zwar einerseits die Tugend zum einzigen Gut erklären, andererseits jedoch eine Reihe von Pflichten zulassen, die sich auf letztlich gleichgültige Dinge beziehen.40 In seiner Erläuterung führt Garve aus, dass menschliche Handlungen unter zwei Aspekten stehend beurteilt werden: innerliche und äußerliche. So können sie einerseits mit Hinblick auf die zugrunde liegende Gesinnung beurteilt werden und andererseits unter dem Aspekt ihres äußeren Objekts. Garve pflichtet den Stoikern darin bei, dass die wahre Güte einer Handlung nicht in dem erreichten Ziel besteht, sondern in der inneren Vollkommenheit des Menschen. Die äußeren Handlungen können hingegen in Beziehung auf die innere Haltung als gut oder böse bezeichnet werden. Auch wenn Garve damit der stoischen Einteilung eine gewisse Plausibilität zuspricht, weist er ihre strikte Trennung in vollkommene und unvollkommene Pflichten trotzdem zurück. Er betont stattdessen, dass sich die Vollkommenheit des Geistes vor allem in den vollbrachten guten Handlungen zeigt. Deshalb soll es sich auch nicht um ver-

|| 38 Garve: Anmerkungen zu dem ersten Buch (s. Anm. 23), S. 17. 39 Siehe zur stoischen Unterscheidung die sehr detaillierte Diskussion mit weiteren Literaturangaben von Jacob Klein: Making Sense of Stoic Indifferents. In: Oxford Studies in Ancient Philosophy 49 (2015), S. 227–281. 40 Garve: Anmerkungen zu dem ersten Buch (s. Anm. 23), S. 17: »Nichts scheint beym ersten Anblicke ungereimter, als das System der Stoiker in diesem Puncte. Sie, welche die Tugend für das einzige Gut erklären, setzen alle die Pflichten, welche Cicero in diesem Buche ausführt, unter die gleichgültigen Dinge: unter die Sachen, die, wie Reichthum und Ehre, weder gut noch böse sind; die zwar einigen Vorzug verdienen, aber nie die wahre Glückseligkeit des Menschen befördern.«

136 | Andree Hahmann

schiedene Arten von Pflichten handeln, sondern nur um verschiedene Betrachtungsweisen derselben Handlung: Wenn die Rettung eines Ertrunkenen, nach ihren Begriffen, eine unvollkommene Pflicht ist, weil die Handlung die das Leben eines Menschen erhält, an Werth nur dem Leben gleich seyn kann, — welches letztere selbst kein wahres Gut ist: so ist sie zugleich eine vollkommene Pflicht, insofern der großmüthige Retter, dadurch einen Beweis von Muth und Menschenliebe abgelegt hat.41

Garve räumt ein, dass Handlungen mit denselben äußeren Objekten aus verschiedenen Prinzipien hervorgehen können. Deshalb unterscheiden sich die Handlungen des Weisen auch fundamental von denen des Toren, auch wenn sie in den Augen der Beobachter keine feststellbaren Unterschiede aufweisen sollten. Innerlich entsteht die Handlung aus einer anderen Gesinnung, und zwar mit allen Kräften einer vollkommenen Seele. Der Tor wird hingegen erst bzw. ausschließlich durch die äußere Gelegenheit zur Handlung aufgefordert.42 Zur Erläuterung verweist Garve auf ein bekanntes stoisches Beispiel aus Ciceros De finibus: »Ein Depositum wieder geben [...] ist eine gemeine Pflicht [...]; es auf eine gerechte Weise wieder geben, eine vollkommene [...].«43 Der Sache nach scheint das in gewisser Hinsicht die kantische Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität zu antizipieren.44 Denn unvollkommen bleibt die Pflicht, wenn die Handlung nur

|| 41 Ebd., S. 20. 42 Ebd., S. 21: »Der eine wirkt immer mit allen Kräften einer vollkommenen Seele, und diese in ihrem Zusammenhange, verbunden mit einander, und harmonisch; der andre wird erst, so zu sagen, durch die Gelegenheit aufgefordert, gestimmt.« 43 Ebd., S. 22. Siehe auch Cicero: Fin. III. 58 (s. Anm. 13), S. 224: »Da wir feststellen, daß es eine vollkommene Tat gibt, die wir die vollkommene Pflichterfüllung nennen, so wird es auch eine unvollkommene geben; so ist es eine vollkommene Tat, auf gerechte Weise ein Depositum zurückzugeben, während die bloße Pflicht darin besteht, es zurückzugeben. Die vollkommene Tat entsteht durch den Zusatz ›in gerechter Weise‹; an sich selbst aber ist schon allein das Zurückgeben eine Pflicht.« (»Quoniam enim videmus esse quiddam, quod recte factum appellemus, id autem est perfectum officium, erit autem etiam inchoatum, ut, si iuste depositum reddere in recte factis sit, in officiis ponatur depositum reddere; illo enim addito »iuste« fit recte factum, per se autem hoc ipsum reddere in officio ponitur.«) Kant greift das Beispiel des Depositums in der Kritik der praktischen Vernunft auf; siehe Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, AA V, S. 27. 44 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, AA V, S. 151: »Nun ist zwar klar, daß diejenigen Bestimmungsgründe des Willens, welche allein die Maximen eigentlich moralisch machen und ihnen einen sittlichen Werth geben, die unmittelbare Vorstellung des Gesetzes und die objectiv nothwendige Befolgung desselben als Pflicht, als die eigentlichen Triebfedern der Handlungen vorgestellt werden müssen, weil sonst zwar Legalität der Handlungen, aber nicht Moralität der Gesinnungen bewirkt werden würde.«

Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie | 137

den Verhältnissen gemäß geschieht: Die Quelle kann rein sein oder auch nicht, so Garve. Es ist genug, dass sich vernünftige Gründe hierfür angeben lassen.45 Aus einer anderen Perspektive kann der Unterschied zwischen den beiden Arten von Pflichten laut Garve auch so verstanden werden, dass die vollkommene Handlung auf das Ganze schaut, wohingegen die nur schickliche einen bloß begrenzten, durch die Umstände definierten Bereich im Blick hat. Aufgrund der übergeordneten Einsicht folgt dann auch, dass die Tätigkeit des vollkommenen Menschen immer gut ist, da jede einzelne Handlung ihre moralische Angemessenheit durch den inneren Zusammenhang mit dem ganzen Leben des Handelnden erhält. Sie geschieht also in Gleichförmigkeit und Übereinstimmung mit dem Vorhergehenden und den nachfolgenden Handlungen. In diesem Sinne heben die Stoiker hervor, dass das Leben des Weisen ein harmonisches Ganzes darstellt. Das Leben des Toren andererseits zeichnet sich gerade durch seinen fragmentarischen Charakter aus. Für ihn gilt, dass es zwar bestimmte Teile oder Abschnitte gibt, wo er aufmerksam auf die Umstände geachtet hat und seine Handlungen entsprechend den an sie gerichteten Anforderungen angemessen ausführen konnte. Tatsächlich ist er aber in diesen Fällen bloß seiner ungebildeten Natur gefolgt. Der Weise handelt andererseits nach seinem beständigen und vollkommen gebildeten Charakter und dieser ist gut.46 Das erklärt nun laut Garve ganz richtig, warum die vollkommenen Pflichten für die Stoiker immer nur eine sind oder einander gleich sind und dass die Tugend auch keine Grade zulässt.47 Und nicht die erzielte Wirkung vergrößert den Gehalt der Tugend, sondern entscheidend ist lediglich die Gesinnung des Handelnden.48

|| 45 Siehe Garve: Anmerkungen zu dem ersten Buch (s. Anm. 23), S. 23: »Sie nennen jene Pflicht καθῆκον, das Schickliche, weil bey derselben es hinlänglich ist, wenn nur die Handlung den Verhältnissen gemäß ist, unter welchen sie geschieht, die Quelle mag noch so unlauter seyn. Sie erklären sie so: es sey eine Handlung von welcher sich vernünftige Gründe angeben lassen.« Hier vermutet Garve eine Ungereimtheit in der stoischen Theorie. Er fragt, ob es noch eine höhere Güte der Handlungen geben könne, als sie nach der Vernunft getan zu haben. Die Stoiker würden Garve freilich zustimmen, jedoch zugleich einwenden, dass sie eine ganz aufgeklärte Vernunft im Auge haben. 46 Garve: Anmerkungen zu dem ersten Buch (s. Anm. 23), S. 24: »Der Weise handelt immer nur nach Charakter, und dieser ist gut« (Garve zitiert Cicero). 47 Ebd., S. 25: »Es ist nun leicht einzusehen, daß nach diesen Begriffen, die Stoiker alle vollkommene Pflichten für gleich halten mußten; daß sie keine Grade unter den Tugenden annehmen konnten.« 48 Man muss in der Bewertung deshalb auf den Menschen selber sehen und nicht auf das, was dieser ausrichtet. Garve: Anmerkungen zu dem ersten Buch (s. Anm. 23), S. 25: »Sobald man aber bey der Schätzung der Tugenden, nur auf den Menschen sieht welcher handelt, nicht auf das was er ausrichtet; auf die Gesinnungen, die ihn beseelen, nicht auf die Wirkung, die er hervorbringt: sobald können sehr ungleich wichtige Handlungen, einen gleichen moralischen Werth bekommen.«

138 | Andree Hahmann

Auch wenn Garve einiges Richtiges bei den Stoikern findet, muss er ihre Einstellung zur Tugend doch letztlich tadeln. So zweifelt er mit Berufung auf den gemeinen Verstand und die gewöhnliche Beurteilung der menschlichen Handlungen daran, dass die Umstände und der Erfolg einer Handlung überhaupt keinen Einfluss auf die Beurteilung derselben haben sollen. Garve fragt sich, ob es nicht Stufen in der Vollkommenheit der Seele gibt, die sich in den Taten äußern.49 Er kritisiert die Stoiker dafür, dass sie aufgrund reiner Schulsubtilitäten davon ausgehen, dass die Tugend keine Grade zulässt. Deshalb hat in ihren Augen kein Mensch oder nur einige wenige Auserwählte die wahre Tugend realisiert. Ebenfalls Schulsubtilität soll sein, dass zwischen diesem höchsten Grade und jedem anderen ein unendlicher Unterschied anzunehmen sei.50 Als sachlichen Grund hiergegen führt Garve erneut an, dass die menschliche Natur in ihrer kontinuierlichen Entwicklung besteht. Diese hat kein festes bleibendes Sein, sondern sie ist in einem Prozess des Werdens begriffen. Folgerichtig kann es auch keine wahrhaft vollendete menschliche Tugend geben, da auch diese nur im Fortgang besteht, d. h. im Streben nach einem höheren Grade von Einsicht und Güte.51 Garve ist jedoch vorsichtig und will sich in dieser Sache nicht festlegen; die Erfahrung soll das seiner Ansicht nach aber zumindest für den Zustand der menschlichen Seele in ihrem irdischen Dasein belegen. Plausibel findet Garve hingegen, dass die Stoiker das Wesen der Tugend mehr im Charakter des Menschen als in seinen zufälligen Handlungen suchen.52 Gleichwohl muss die Tugend erprobt werden. Denn ansonsten kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Bosheit oder Güte desjenigen, der nie herausgefordert wird, tief in der Seele verborgen bleibt.53 So lobt er die Stoiker schließlich dafür, die Tugend in || 49 Ebd., S. 26: »Gibt es nicht Stufen in der Vollkommenheit der Seele selbst, welche sich in den Thaten äußert?« 50 Ebd., S. 39: »Hingegen ist es bloße Schul-Subtilität, gar keine andre Vollkommenheit, keine Tugend zuzulassen, als die vom höchsten Grade; und noch dazu von einem Grade, welchen, nach dem eigenen Geständnisse der Stoiker, kein Mensch jemals erreicht.« 51 Ebd., S. 40: »[...] so ist dabey auch eine der vornehmsten Eigenthümlichkeiten der menschlichen Natur aus der Acht gelassen worden; die, daß ihr ganzer Zustand in einer Entwickelung besteht, daß er nie ein festes bleibendes Seyn, sondern eine Reihe von Veränderungen ist. Dieser Umstand [...] macht, daß keine wahrhaftig menschliche Tugend gedacht werden kan, als die welche im Fortgange, in dem Bestreben nach einem höhern Grade von Einsicht und Güte, und in der Annäherung dazu besteht.« 52 Ebd., S. 28. 53 Ebd., S. 31f.: »Man nimmt die Quantität des Guten oder des Uebels, das ein Mensch gethan hat, für den Maaßstab, um die Größe seines Verdienstes oder seiner Schuld zu bestimmen; und merkt nicht, daß derselbe Grad des guten oder bösen Willens, bey dem Einen durch hundert Gelegenheiten des Tages aufgefordert, gleichsam herausgelockt, in Thätigkeit gesetzt worden seyn kann, indem er bey dem Andern tief im Verborgenen seiner Seele, aus Mangel der Anlässe schlummert [...].« Garve fragt deshalb (S. 32): »Ist es nun nicht dieser gute oder böse Wille, seine herrschende Neigung, welche den Menschen achtungs- oder verabscheuungswürdig macht? Wenn ich ihn beurtheile nach seinen Thaten: so mische ich seine Umstände, seine Begebenheiten, seine Lage in

Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie | 139

der Vollkommenheit der Seele verortet zu haben, die richtig betrachtet dem Menschen keine geringe Hilfe bietet: Ich werde ruhiger in Absicht der Zukunft, weil ich in ihrer dunkeln Ferne, nicht unbekannte Strafen, längst vergangener, von mir vergessener, mir selbst vielleicht unbewusster Vergehungen, erblicke; sondern nur immer die gerechte und nothwendige Strafe des Lasters, in jeder Periode meines Daseyns, vor mir sehe; die, desto weniger Glückseligkeit zu genießen, je unvollkommener ich bin.54

4 Kritischer Ausblick oder Ausblick auf Kants Kritik Man erliegt leicht der Versuchung, die Philosophie des 18. Jahrhunderts lediglich unter dem Aspekt der Entwicklung der kantischen Philosophie zu betrachten. Auch wenn man Kants Vorgängern ihr Recht, als eigenständige Philosophen wahrgenommen zu werden, prinzipiell einräumen sollte, so ist dieses Vorgehen in Garves Fall nicht unplausibel. Denn Kant und Garve waren durch mehrere Umstände, nicht zuletzt die unglückliche Rezension der Kritik der reinen Vernunft, gut miteinander bekannt.55 Außerdem hat Kant seinen jüngeren Zeitgenossen wegen seiner Übersetzungen geschätzt.56 Der Einfluss von Garves Cicero auf Kants praktische Philosophie wurde in der Forschung vor allem hinsichtlich der Grundlegung erörtert.57 Ich möchte an dieser Stelle jedoch nicht so sehr die Grundlegung als die nur kurze Zeit später erschienene Kritik der praktischen Vernunft ansprechen. Eine Innovation der Kritik der praktischen Vernunft sind die im zweiten Hauptstück vorgestellten Postulate. Für die Unsterblichkeit der Seele argumentiert Kant auf der Basis der notwendigen Voraussetzung für die Realisierung des mit dem höchsten Gut verbundenen Anspruchs der moralischen Vervollkommnung. Man beachte nun, dass Kant in der Kritik der reinen Vernunft sein Argument für die Unsterblichkeit durch die Notwendigkeit eines künftigen Lebens für die Entlohnung des sittlichen Wohlverhaltens begründet hat. Diesen Gedanken gibt er jedoch in der Kritik der praktischen Vernunft auf. Auch wenn sich in den Vorlesungen der 1770er Jahre bereits Überlegungen finden lassen, die die völlige Entwicklung der menschlichen Intelligenz als eine

|| der Welt, mit in dieses Urtheil; ich lobe oder tadle ihn, — nach Dingen die gar nicht von ihm abhängen, die mit seiner Moralität in keinem Zusammenhange stehn.« 54 Ebd., S. 37. 55 Zur Renzension siehe Eckart Förster: The Twenty-Five Years of Philosophy. Cambridge, Mass., London 2012, S. 48–53. 56 Das geht etwa aus dem Brief Kants an Garve vom 21. September 1798 hervor, AA XII, S. 256–258. 57 Siehe Timmermann: Kant’s Groundwork (s. Anm. 6), S. xxvi–xxvii; Allison: Kantʼs Groundwork (s. Anm. 6), S. 5–8 und S. 52; Bernd Ludwig: Kant, Garve, and the motives of moral action. In: Journal of Moral Philosophy 4.2 (2007), S. 183–193.

140 | Andree Hahmann

Forderung der natürlichen Teleologie betrachten, bestehen doch wesentliche Unterschiede zwischen dieser Überlegung, die Kant explizit mit David Fordyce verbindet, und der in der Kritik der praktischen Vernunft geforderten moralischen Vervollkommnung.58 Aus diesem Grund geht man in der Forschungsliteratur auch davon aus, dass es sich hierbei um eine genuin kantische Neuerung seit 1788 handelt. In Ansehung unserer obigen Ausführungen und dem Umstand, dass Kant sehr gut mit Garves Anmerkungen zu Cicero vertraut war, ist die Vermutung zumindest nicht unbegründet, dass Garves Schrift neben der Grundlegung auch Impulse für die Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft gegeben haben könnte. Ich möchte noch auf zwei weitere Indizien aufmerksam machen. Wir erinnern uns, dass Garve in diesem Kontext auch auf die eigentümliche Natur des Menschen hinweist, die darin besteht, kontinuierlich fortzuschreiten und keinen vollendeten Zustand zu erreichen. Garve sieht in der falschen Bestimmung der menschlichen Natur einen gravierenden Mangel der stoischen Position, die diesem Umstand nicht ausreichend Rechnung trägt. Kant andererseits betont gerade den kontinuierlichen Fortschritt und verlegt die vollständige Realisierung der Entwicklung in das unendliche Fortschreiten selbst.59 Das sieht freilich für Kant nur ein unendlicher Verstand ein, nämlich der göttliche Herzenskündiger, den die Stoiker leider noch nicht kannten. Zweitens ist es vor diesem Hintergrund wohl auch kein Zufall, dass Kant in der Kritik der praktischen Vernunft die Postulate anhand der Diskussion des höchsten Guts zwischen Stoikern und Epikureern einleitet. Die Stoiker (wie die Epikureer) spielen hingegen im Kanonkapitel der Kritik der reinen Vernunft und der dortigen Diskussion des höchsten Guts keine Rolle. Stattdessen hat Kant die Konzeption des höchsten Guts dort ausgehend von Leibniz und dessen Unterscheidung zwischen einem Reich

|| 58 Siehe dazu Rolf George: Immortality. In: Proceedings of the Eighth International Kant Congress: Memphis 1995, Vol. II, Part I. Ed. by Hoke Robinson et. al., Milwaukee 1995, S. 669–677, hier S. 669. George verweist auf David Fordyce: Elements of Moral Philosophy. London 1754 (in der deutschen Übersetzung von 1757 sind vor allem die Seiten 288f. relevant). Nach George verwendet Kant das Argument zum ersten Mal in einer Vorlesung, die von Herder überliefert ist, also wahrscheinlich im Sommer 1763 (dazu AA XXVIII, S. 688, S. 1406; AA XXIX, S. 916, S. 1131). George bemerkt aber auch, dass Kant das Argument manchmal Ferguson zuschreibt (AA XXVIII, S. 688). Laut Lewis White Beck: A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason. Chicago, London 1960, S. 266 soll Addison der Erfinder des Arguments sein (1711), welches später von Platner, Crusius, Mendelssohn und Lessing adaptiert worden ist. Speziell zum vermeintlichen Einfluss von Fordyce auf Kant siehe Frederica Basaglia: La dimostrazione dellʼ immortalità dell’ anima di David Fordyce nella Kritik der reinen Vernunft. In: Philosophical Readings 3 (2011), S. 61–72. 59 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, AA V, S. 122. Für eine argumentative Rekonstruktion des Postulats der Unsterblichkeit mit Diskussion der problematischen Voraussetzungen siehe Andree Hahmann: Kant’s Critical Argument(s) for Immortality Reassessed. In: Kant Yearbook 10.1 (2018), S. 19–41.

Christian Garve als Ausleger der stoischen Philosophie | 141

der Gnaden und der Natur eingeführt.60 Hierbei handelt es sich natürlich nur um Indizien und zuletzt lässt sich wohl nicht zweifelsfrei klären, ob und inwieweit Garves Überlegungen zu den kantischen Neuerungen beigetragen haben.

5 Ergebnis Tugend und Pflicht stehen für die neuzeitlichen Autoren in einem engen Zusammenhang. Das ist bemerkenswert, weil sich dieser Zusammenhang etwa in der aristotelischen Ethik, die heute vor allem als Muster für die Tugendethik gilt, in der Art nicht feststellen lässt. Der antike Ursprung liegt hingegen in der stoischen Philosophie. Für das neuzeitliche Verständnis der Verbindung von Pflicht und Moral war vor allem Ciceros Schrift Über die Pflichten einflussreich. Als Garve das Buch übersetzt und kommentiert hat, kann er bereits auf eine lange währende systematische Auseinandersetzung mit der stoischen Philosophie blicken. Trotzdem trifft seine Schrift ganz besonders den Geschmack der Zeit, was teils an der populären Darstellung der Schrift, aber auch an der stoisch inspirierten Moralvorstellung liegt, die das 18. Jahrhundert hindurch – wie gesagt – dominant war. Fragen wir vor diesem Hintergrund erneut nach den Ursachen für den späteren Bedeutungsverlust von Garves Schrift, so ist ein Grund vermutlich in der bereits kurz nach seinem Tod einsetzenden Abkehr von der stoischen Philosophie zu sehen. Diese wurde in gewisser Hinsicht durch die kantische ersetzt. Hinzu kam das wiedererwachte Interesse an Platon und Aristoteles.61 Verschärfend tritt dann auch Garves popularphilosophisches Ziel und seine Methode hinzu. Was Letzteres betrifft, so hat sich diese nie wirklich durchsetzen können. Philosophieren in Kommentaren und Anmerkungen widerspricht fundamental dem sich immer wieder neu erfindenden systematischen Ansätzen. Es darf daher nicht verwundern, dass Garve

|| 60 Siehe Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hg. nach der 1. und 2. Originalausgabe von Jens Timmermann. Mit einer Bibliographie von Heiner F. Klemme. Hamburg 2010. Zitiert wird die Kritik der reinen Vernunft nach A und B für die erste und zweite Auflage von 1781/1787. Siehe A 812/B 840: »Leibnitz nannte die Welt, sofern man darin nur auf die vernünftigen Wesen und ihren Zusammenhang nach moralischen Gesetzen unter der Regierung des höchsten Guts achthat, das Reich der Gnaden, und unterschied es vom Reiche der Natur [...]. Sich also im Reiche der Gnaden zu sehen, wo alle Glückseligkeit auf uns wartet, außer sofern wir unseren Anteil an derselben durch die Unwürdigkeit, glücklich zu sein, nicht selbst einschränken, ist eine praktisch notwendige Idee der Vernunft.« 61 Das gilt sowohl für Schelling, der sich ausführlich mit Platons Timaeus beschäftigt hat (und sich von diesem wohl auch für seine frühe Naturphilosophie hat inspirieren lassen), als auch für Hegel, dessen Bewunderung vor allem Aristoteles galt. Siehe Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Timaeus (1794). Hg. von Hartmut Buchner. Mit einem Beitrag von Hermann Krings: Genesis und Materie. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994; Alfredo Ferrarin: Hegel and Aristotle. Cambridge 2001.

142 | Andree Hahmann

im Urteil der Nachwelt ein bleibender Ruhm als Philosoph versagt geblieben ist. Tatsächlich hat bereits wenige Jahre nach seinem Tod Friedrich Schleiermacher Garve für seine »Anmerkungs-Philosophie« getadelt.62 Schleiermacher betont in überheblichem Tonfall, dass es Garve nicht gelungen sei, ein philosophisches System auszuarbeiten. Vielmehr attestiert er seinem Vorgänger den »Kampf eines redlichen Willens mit einem kleinen Gemüth, und eines kleinen Geistes mit großen Gegenständen«.63 Natürlich kann Schleiermacher nicht ahnen, dass auch die philosophischen Systeme das folgende Jahrhundert nicht überleben werden. So ist auch sein systematischer Ansatz heute weitgehend vergessen. Es ist daher wohl eine Ironie der Geschichte, dass man Schleiermacher vor allem als Erfinder der Hermeneutik als Kunst der Auslegung und für seine Übersetzung Platons schätzt.

|| 62 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Garve’s letzte noch von ihm selbst herausgegebene Schriften. In: Athenaeum 3.1 (1800), S. 129–139, hier S. 136. 63 Ebd., S. 131: »[...] ein Kampf der zwar kein festliches Schauspiel für die Götter, für einen Menschen aber bis zur wehmüthigen Theilnahme rührend ist.«

Johan van der Zande

Goodbye to Aristotle Christian Garve between Late and Neohumanism

1 Introduction It is probably not too much to say that Aristotle was the most vilified philosopher in early eighteenth-century Germany. Identifying him with the detested school philosophy and the syllogism, terms such as »overbearing system« and »pointless subtlety« were used to express the general distaste associated with his name. Medieval heresies from Constantine to the Reformation, Christian Thomasius declared, mostly amounted to philosophical whims and thus »many millions of people were murdered and expelled not for god’s sake, but for that of the metaphysics of Aristotle.«1 Thomasius was speaking about the Middle Ages but also meant his own time, for the essay in which he aired his opinion about the lethal consequences of disagreeing about Aristotle was focused on his criticism of the worldly power of the Lutheran church. The seventeenth-century Lutheran embrace of Aristotelian metaphysics had produced a second flowering of a new, Protestant scholasticism, which its clerical and academic adherents eagerly used to denounce any religious or philosophical opponent.2 In this context liberation from the »yoke of Aristotle« was therefore an important political and religious as well as philosophical act. The entrenched position of Lutheran metaphysical Aristotelianism suffered a blow in 1694 when the statutes of the new Prussian university at Halle Thomasius helped to establish imposed restrictions on the theological faculty’s power to exercise censorship.3 As Horst Dreitzel has pointed out, however, Lutheran Aristotelianism actually did not have much in common with the scholastic medieval unitary and hierarchically organized philosophical system, but was rather an amalgam of more or less

|| 1 Christian Thomasius: Erörterung der Juristischen Frage ob Ketzerey ein Straffbares Verbrechen sey? In: id.: Auserlesene deutsche Schriften (1705). Ed. by Werner Scheiders. Hildesheim 1994, p. 325. 2 Walter Sparn: Die Wiederkehr der Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen Theologie des frühen 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1976. 3 Hanspeter Marti: Kommunikationsnormen der Disputation. Die Universität Halle und Christian Thomasius als Paradigmen des Wechsels. In: Ulrich Johannes Schneider (Ed.): Kultur der Kommunikation. Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing. Wiesbaden 2005, pp. 317–344, here pp. 322f. On Thomasius cf. Kay Zenker: Denkfreiheit. Libertas philosophandi in der deutschen Aufklärung. Hamburg 2012, pp. 159–177. https://doi.org/10.1515/9783110647747-008

144 | Johan van der Zande

autonomous disciplines. That made it possible for some of these to disappear while others survived. In this view Aristotle’s physics and mathematics were no match to the new science and were duly abandoned, and while his moral philosophy was severely criticized, his logic, poetics, and rhetoric survived well into the eighteenth century.4 When Aristotle’s metaphysics lost its dominant position, Gotthold Ephraim Lessing observed in 1753, it was replaced by his Poetics and Rhetoric which »neither [medieval] Arab nor schoolman« had ever heard about: »Among poets and rhetoricians he now rules with as much absolute power as he once did among philosophers.«5 Lessing did not mention that for more than three centuries humanists from Leonardo Bruni to Hermann Conring had celebrated neither Aristotle’s metaphysics nor his poetics but his practical philosophy and had diligently translated and commented on his Ethics and Politics. The foremost practitioner of the discipline of political Aristotelianism of his time, Conring’s 1656 Politics edition, besides the Greek text and Latin translation published earlier by other humanists, included his own philological commentary and an extensive introduction.6 While in this way he continued the humanist goal of critically appropriating classical texts, in other works Conring independently developed Aristotle’s concepts and ideas and applied them to his own time. This tenuous connection to its ancient source was characteristic of seventeenth-century political Aristotelianism as a whole in Germany. As the century progressed, however, the connection was increasingly difficult to maintain and contributed to the discipline’s obsolescence.7 By the middle of the eighteenth century Aristotelean politics, focused on the problems of rulership, had been replaced by a cluster of sciences of the state (Staatswissenschaften) concerned with the administration of the modern territorial state.8 Following calls to exclude politics from practical philosophy altogether, politics was no longer part of the course in moral philosophy that Christian Garve was to teach in Leipzig in 1772. This explains

|| 4 Horst Dreitzel: Der Aristotelismus in der politischen Philosophie Deutschlands im 17. Jahrhundert. In: Aristotelismus und Renaissance. In memoriam Charles B. Schmitt. Ed. by Eckhard Keßler, Charles H. Lohr and Walter Sparn. Wiesbaden 1988, pp. 163–192. See also Dreitzel’s overview: Politische Philosophie des Aristotelismus. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Ed. by Helmut Holzhey and Wilhelm Schmidt-Biggemann. Vol. 4/1. Basel 2001, pp. 639–672. 5 Gotthold Ephraim Lessing: Review of Michael Conrad Curtius’ German translation of Aristotle’s Poetics (1753). In: LW III, p. 181. 6 Aristotelis Politicorum libri superstites. Ed by Hermann Conring. Helmstedt 1656. 7 Horst Dreitzel: Hermann Conring und die Politische Wissenschaft seiner Zeit. In: Michael Stolleis (Ed.): Hermann Conring (1606–1681). Beiträge zu Leben und Werk. Berlin 1983, pp. 135–172; id.: Aristoteles’ Politik im Denken Hermann Conring. In: Fernando Fagiani, Gabrielle Vera (Eds.): Categorie del Reale e Storiografia. Milan 1986, pp. 33–59. 8 Hans Erich Bödeker: System und Entwicklung der Staatswissenschaften im 18. Jahrhundert. In: Reinhard Mocek (Ed.): Die Wissenschaftskultur der Aufklärung. Halle 1990, pp. 88–105, esp. pp. 89–92, pp. 98–102.

Goodbye to Aristotle | 145

why Garve skipped commenting on the section on politics in Adam Ferguson’s Institutes of Moral Philosophy that he translated into German to serve as his textbook. The reason, then, was not his supposedly typical German ignorance or lack of interest in Ferguson’s civic humanism.9 The curriculum separation, however, was indeed a decisive break with the past that eventually would determine Garve’s perception of Aristotle’s Politics. Its immediate effect, for the philosopher at least, was less familiarity with the literature on political theory. When Garve became engaged in a translation of the Politics at the end of the 1780s, he had to discover for himself some of the tenets of political Aristotelianism held a century before and even rediscover Conring’s edition. Garve’s search for secondary material (commentary and text interpretations) was an effort to revive his faltering translation project, but instead it led him in the end to discern its hopelessness; he never regained momentum and finally gave up. The question arises why Garve, at the time a celebrated translator of and commentator on classical and modern philosophical texts, stumbled on Aristotle. What aims had he set for the translation and what exactly made him realize that the plan was not feasible? To answer the question a brief introduction to Garve’s philosophical position is necessary. In the supplement volume to his overview of moral philosophies from Aristotle to Kant, Garve ironically called himself a popular philosopher, that is, »an enemy of all true philosophy«. This confession, as he called it, was no more than a sign of resignation in the face of the »now ruling party of philosophers«.10 The term popular philosophy had been used first in 1789 by early Kant-convert Karl Leonhard Reinhold to denounce a number of Kant’s academic opponents in order to exclude them from proper philosophical pursuit because they supposedly addressed an unlearned public. The expression immediately took hold and although Garve was not among Reinhold’s targets it did not take long before others successfully began to arbitrarily apply it to any thinker, academic or nonacademic, who did not live up to the scientific standards set by Kant even when they lived and worked before the first Critique was published. It is still the anachronistic practice today. Suggesting philosophical incompetence as well as a unified program that never existed, the use of this polemical expression should be abandoned and the philosophers involved be

|| 9 Cf. Fania Oz-Salzberger: Translating the Enlightenment. Scottish Civic Discourse in EighteenthCentury Germany. Oxford 1995, p. 109 and passim. In 1770 Saxon reformist statesman Gotthelf Guttschmidt, who had furthered Garve’s academic career, suggested to him to teach three courses, a philosophy survey course, one on moral philosophy, and one on politics. Garve never taught the latter. Garve to Anna Katherina Garve, 20 October 1770. In: Christian Garves Briefe an seine Mutter. Ed. by Karl Adolf Menzel. Breslau 1830 (GGW XVI.2), p. 116. 10 Christian Garve: Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Ein Anhang zu der Uebersicht der verschiedenen Moralsysteme. 2 Bde. Breslau 1798, Bd. 1 (GGW VIII).

146 | Johan van der Zande

dealt with in their own right.11 The program Garve and some of his generation favored was not disrespectful of learning when they found fault with the closed culture of academic scholars and scoffed at what they considered these scholars’ Latinbased learned chatter and erudite but pedantic and inconsequential knowledge. They did not just want to exchange the systematizer’s gravitas for the cheerfulness of the muses. Rather, rejecting current academic pedagogy they took seriously the relationship between thought and life Cicero once had favored and resurrected it.12 And with a decidedly new interest in the science of man, or philosophy of man as Garve called it, they also addressed, in the image of Cicero, besides an academic public the new educated but nonexpert classes in the name of a late humanistic Bildungsideal in the sense of fashioning man as a modern social being. A one-time professor of philosophy, who could not bear the prospect of a socially isolating academic career, Garve therefore did not approach philosophy from a disciplinary point of view, nor did he have a stake in establishing and defending its position in the academic hierarchy. While Garve was successful well into the 1790s, this educational program prepared him poorly for the resurgence of erudite classical scholarship in the form of what is commonly known as neohumanism that was part of a general process of academic professionalization from the 1780s on. By applying strict methodological rules, limiting access to proper academic training, and drawing on Kantian and Idealist philosophy, neohumanistic classical scholarship was able to reassert itself in academe as well as in the public mind.13 It, too, associated itself with a cultural Bildungsideal, not focused on molding social man, however, but on the all-round cultivation of a person of character, that is, on the individual to whom this philosophy granted unconditional freedom to realize himself as a full human being in contrast to the emphasis on external and superficial social posturing. It was modeled on highly idealized ancient Greek culture, the nature of which was to be revealed by critical analysis of its surviving texts. From Garve’s perspective, however, the neohumanists’ program entailed little more than a renewed scholastic immersion in the fine details of text criticism with questionable social merits. Confronted by neohumanism practice as it developed in the 1790s, Garve first reexamined and then abandoned publication of what otherwise would have been the first German translation of Aristotle’s Politics. In the following his dilemmas will be discussed in some detail revealing the concerns of the post-Wolffian philosopher. || 11 Johan van der Zande: What was Popular Philosophy? In: Oxford Handbook of German Philosophy in the Eighteenth Century (forthcoming). 12 Marcus Tulius Cicero: De Oratore III. xvi. 61 lamented »the undoubtedly absurd and unprofitable and reprehensible severance between the tongue and the brain«. 13 Steven Turner: Historicism, Kritik, and the Prussian Professoriate, 1790 to 1840. In: Mayotte Bollack, Heinz Wismann (Eds.): Philologie und Hermeneutik im 19. Jahrhundert. Göttingen 1983, pp. 450–477, here pp. 459ff.

Goodbye to Aristotle | 147

2 Origins and Process of Garve’s Translation Before Kant’s revolution in philosophy, contemporaries considered Garve to be one of the more important philosophers in Germany. He owed this reputation on the one hand to thoughtful essays on aesthetics and other topics, and on the other hand to his influential translations of British and classical authors and in particular to the wealth of philosophical commentary with which he supplemented them. In the present context the most important of these works was his translation of Cicero’s On Duties (De Officiis). Proposed by Frederick II, the result was little appreciated and meagerly remunerated by him, but the work was highly valued by the wider public, enjoying four editions within ten years (and two more in the early nineteenth century). It was first published in 1783 in one volume for the translation proper and three additional volumes of commentary for each of the three parts of Cicero’s work.14 In these sometimes essay-long comments Garve provided the reader with the philosophical and historical-cultural background of Cicero’s text and discussed its relevance for the present, but he also occasionally entered into a conversation with the ancient philosopher, voicing a dissenting view on philosophical grounds. One section of the commentary would eventually lead to Garve’s decade-long preoccupation with Aristotle’s Politics. In Book Three, chapters 20 and 21 of On Duties, Cicero discussed the question whether or not it was morally justified to acquire high political office by unsavory means even if subsequently it was exercised for the common good. For Cicero the answer was clear: there could be no contradiction between what was politically expedient and what was morally right. In his sixty-page commentary, entitled Einige zerstreute Betrachtungen über die Moral der Politik, Garve disagreed and defended the possibility of a political morality distinct from private morals. This view mirrored his own academic experience in the early 1770s of the curriculum exclusion of politics from ethics. Unbeknownst to him at the time (for all we know), it also was the position held by the political Aristotelians of the previous century as well as by Thomasius. In the latter’s philosophy the separation of politics from ethics was justified by pointing to bellicose religious factions in society, which only could be kept at peace by an »authoritarian« state not committed to any of these factions’ tenets, that is, by the separation of state and church.15 By contrast, Garve’s argument was not about domestic politics but about foreign relationships. He assumed, in the tradition of natural law theory, that citizens lived in organized societies whereas the rulers among each other still lived in the state of nature. The moral relationship of || 14 Johan van der Zande: The Microscope of Experience. Christian Garve’s Translation of Cicero’s De Officiis (1783). In: Journal of the History of Ideas 59 (1998), pp. 75–94. 15 Martin Kühnel: Das politische Denken von Christian Thomasius: Staat, Gesellschaft, Bürger. Berlin 2001, pp. 157–165.

148 | Johan van der Zande

rulers toward one another was therefore different both from that to their citizens and from the citizens among themselves as the latter were subject to the state’s laws. In the lawless state of nature, conversely, the unrestrained animosity among rulers inevitably found them at war with each other or preparing for war. Garve justified their warfare as necessary to defend their own country against foreign aggression or as an effort to restore the balance of power in Europe even if it required the conquest of enemy territory; under circumstances, he claimed, a state’s expansion could even contribute to a happier condition for humankind as a whole.16 This argument drew some opposition and a minor public debate ensued. From legal and theological points of view Garve’s opponents generally condemned what they considered his licensing of absolutist power politics by historically relativizing the basis of all justice.17 Actually, Garve had not explored and was not too interested in the legal and moral aspects of natural law theory that obliged the ruler to acceptable conduct because he used this theory only to make another point. In his moral philosophy results carried far more weight than the moral purity of intentions. He therefore rejected the charge in an otherwise positive review of what Garve himself termed Machiavellism. Twelve years earlier he had expressed his admiration for the Discorsi as one of the best books on politics and he even had contemplated a translation. But the Discorsi celebrated the ideal of classical civic republicanism in which virtuous citizens devoted themselves to the common weal. Its realization in Prussia could only be a dream and was replaced, not only for Garve, by the ideal of the ruler committed to serving the common weal as embodied by Frederick II who represented himself as the »first servant« of the state.18 The opposite of this ideal in which the ruler was concerned foremost with his own glory and survival was articulated in The Prince to which Garve obviously referred when he dismissed the pejorative term Machiavellism as a charge seemingly unwarranted for anybody who had read his

|| 16 Christian Garve: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten. 3 vols. Breslau 1783 (3rd ed., 1787/88), vol. 3, pp. 165–230, here pp. 165–169 (GGW X). Obviously, this argument could also be applied to Frederic II’s conquest and incorporation of Garve’s native Silesia. Perhaps Garve derived this notion from Emer de Vattel’s widespread Le Droit des Gens, ou Principes de la Loi Naturelle, appliqués à la Conduite et aux Affaires des Nations et des Souverains (1758); on Vattel see Tim L. Hochstrasser: Natural Law Theories in the Early Enlightenment. Cambridge 2000, pp. 177–182. For a similar attitude among French philosophes see the chapter »Geschichte als Zivilisationsprozess« in: Andreas Pečar, Damien Tricoire: Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Modene? Frankfurt a. M., New York 2015, pp. 50–66. 17 The discussion of this debate in Michael Stolleis: Die Moral in der Politik bei Christian Garve. Munich 1967. In Stolleis’ view Garve preached a de facto double moral standard by elevating usefulness as the only criterion for the ruler’s political actions. 18 Andreas Pečar: Die Masken des Königs. Friedrich II. von Preußen als Schriftsteller. Frankfurt a. M., New York 2016, pp. 171–182.

Goodbye to Aristotle | 149

Cicero commentary carefully.19 At its heart had been his belief that the well-being of all of Europe should be the goal of all modern rulers, he wrote to his Leipzig friend Christian Felix Weiße, but their mutual obligations could not simply be deduced from international law (Völkerrecht).20 Indeed, for Garve international law, a common religion, and the spread of enlightened ideas in the course of time certainly had created a more peaceful Europe and lessened the chances of the always possible excesses of arbitrary power. But while he believed in an even brighter future in which the differences among European nations would have been overcome, he insisted on the present state of nature among rulers as a state of war.21 He only had expressed his objection to the primacy of ethical norms in politics, much like the seventeenth-century Aristotelians also had opposed it. Since in Garve’s view morality played only a marginal role among rulers and everything depended on their personal qualities the role of moral philosophy was limited. This had been the point of his comment on Cicero. There simply were no red lines that rulers could not cross. About what was ethically allowed in politics, he wrote, philosophers had never gone much beyond the norms of their own time. In this field they were mere theoreticians whose utterances amounted to no more than wishful thinking as opposed to the rulers who had to solve practical problems in any way they saw fit; all one could do was to make more enlightened rulers out of barbaric ones.22 As his obituarist would observe, Garve approached foreign politics not from a moral philosophical perspective, he did not ask how things should be, but from a psychological perspective as he was interested in how things actually were.23 In other words, in his Cicero commentary Garve presented himself not as a moral philosopher but as a philosopher of man. Not so much to defend himself, but to further develop his ideas – »the matter is serious and weighty«,24 – Garve accord-

|| 19 Garve to Weiße, 22 April 1784. In: Briefe von Christian Garve an Christian Felix Weiße und einige andere Freunde. 2 vols. Breslau 1803, vol. 1, p. 180 (GGW XV.1). The review in Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 28 February 1784, pp. 337–346, here pp. 343ff. On his admiration for the Discorsi see Garve to Zollikofer, 29 December 1772. In: Briefwechsel zwischen Christian Garve und Georg Joachim Zollikofer, nebst einigen Briefen des ersten an andere Freunde. Breslau 1804, p. 29 (GGW XVI). A later critic, however, remarked that Garve’s judgment was based on his »Machiavellian« sense for political realism: Briefe von und an Friedrich von Gentz. Ed. by Friedrich Carl Wittichen. 5 vols. Munich, Berlin 1909, Introduction, vol. 1, p. 135. 20 Garve to Weiße, End 1788. In: Briefe (s. note 19), vol. 1, pp. 353–354. 21 Garve: Philosophische Anmerkungen (s. note 16), vol. 3, p. 195, p. 205, esp. p. 218. 22 Ibid., vol. 3, p. 191, pp. 197–199. 23 Georg Gustav Fülleborn. Christian Garve. Einige Materialien zur dessen Lebensbeschreibung und Charakteristik. In: Schlesische Provinzialblätter 28 (1798), pp. 567–581; 29 (1799), pp. 1–15, here pp. 11f. 24 Garve to Weiße, 12 March 1788. In: Briefe (s. note 19), vol. 1, p. 318. Garve did not comment on this topic in his translation of William Paley’s Principles of Moral and Political Philosophy because this work was about the relationship of citizens to the state, not about rulers. Christian Garve:

150 | Johan van der Zande

ingly ended the essay he published in 1788 with a section in the mirror for princes genre (Fürstenspiegel), critical instructions for rulers of how to conduct themselves, a tradition which, as Claus Altmeyer already concluded, was more essential to Garve’s political thought than natural law theory.25 But it provoked only more opposition. By then Garve had decided it was time to find out what the Greeks had to say about the matter. »There is no more perfect system of morals than Cicero’s On Duties, although he drew on the Greeks for everything«, he later observed.26 In the beginning of 1788 he was preparing a translation of Aristotle’s Politics and by the summer of that year he had finished almost half the work.27 Two years later he had finished a first draft – »the first brouillon«.28 Then he hesitated, was diverted by other work and health problems, and only three years later, in the spring of 1793, he made plans to publish his translation of the work sometime in the following year. But although he »studied it deeply« during the summer of 1793, he had »put little on paper«.29 In fact, he was stuck in the first Book of the Politics, put the matter of the philosophical commentary aside, and practically gave up on the project. The rub for Garve was the philosopher’s impulse to reflect on the ancient text, yet having to take care of the mere, if necessary philological handwork to produce a trustworthy text in the first place. He would »saunter on« as he put it, while simultaneously working on the publication of a volume of his own essays.30 Another two years later a friend of his, philologist Johann Caspar Friedrich Manso, in the same vein reported that Garve had not abandoned the project, but dreaded the necessary research because

|| M. Payley’s Grundsätze der Moral und Politik. Aus dem Englischen übersetzt. Mit einigen Anmerkungen und Zusätzen von C. Garve. 2 vols. Breslau 1787, vol. 2, p. 479 (GGW XIV). Garve misspelled Paley’s name as »Payley«. 25 Christian Garve: Über die Verbindung der Moral mit der Politik. Breslau 1788, pp. 141–155 (GGW VI). Here he also described rulers as the principle tools in realizing Providence’s plan with the world (p. 56). Claus Altmeyer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. St. Ingbert 1992, pp. 418–435, here p. 434. 26 Die Ethik des Aristoteles. Übersetzt und erläutert von Christian Garve. Erster Band enthaltend die zwey ersten Bücher der Ethik. Breslau 1798, p. 601 (GGW XI). 27 Garve to Weiße, 26 January 1788 and 1 August 1788. In: Briefe (s. note 19), vol. 1, p. 305 a. p. 337. 28 Garve to Friedrich August Wolf, 11 August 1790. In: Reinhard Markner: Der Briefwechsel zwischen Christian Garve und Friedrich August Wolf. In: Friedrich August Wolf. Studien, Dokumente, Bibliographie. Ed. by Reinhard Markner and Giuseppe Veltri. Stuttgart 1999, pp. 76–101, here p. 83. In his letter to Wolf of 18 October 1793, however, Garve wrote that he had finished the first draft of the translation already six years before (p. 85), which contradicts his letter to Weiße of January 26 1788 (s. note 27), where he wrote that he planned, or was engaged in, the translation: »In Nebenstunden habe ich wieder eine Uebersetzung vor […]. Das ist des Aristoteles Politik.« The »seit 6 Jahren« must be a slip of the pen by Garve or a misreading of the manuscript. 29 Garve to Weiße, 11 December 1791, 10 April 1793, 5 October 1793. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, pp. 39f., p. 116, p. 121. 30 Garve to Wolf, 18 October 1793. In: Briefwechsel (s. note 28), p. 86.

Goodbye to Aristotle | 151

of a severe eye problem and preferred to devote himself to his own philosophical work. If he were to finish the translation, it would also contain the Greek text as well as a longer commentary on Aristotle’s defense of slavery.31 This commentary, in which Garve contrasted ancient slavery with modern domestic relationships based on contract, indeed appeared in the posthumously published unfinished work where it broke off in mid-sentence.32 Not much remained of the plan and inevitably, after another two years, in 1797, Garve found himself overtaken by the announced publication of Johann Georg Schlosser’s translation of the Politics. He had known for years that Schlosser was also working on the same project and now regretted having passed up the chance to become its first German translator. Briefly contemplating whether belatedly to publish his own translation, however, Garve was not enamored of the prospect of having to add fresh commentary-essays necessitated by the further progress in the revolutions in philosophy and politics of his time.33 Like Schlosser, he found that in revolutionary times the course of events went faster than philosophical authors could comment on them. He of course also would now have to comment on Schlosser’s interpretations. The same year Garve handed his manuscript over to Georg Gustav Fülleborn, a younger contemporary and trained philologist, who had moved to Breslau in 1791 to take up the professorship of Greek, Latin, and Hebrew at the Elisabeth Gymnasium. Fülleborn would publish an amended version of Garve’s translation of the Politics in 1799, the year after Garve’s death, as well as a commentary volume in 1802 which incorporated Garve’s few notes, before Fülleborn’s own death the following year.34 In his Preface Fülleborn made an extensive comparison between Garve’s and Schlosser’s translations as well as one between Garve’s and the classicist Jean-

|| 31 Johann Caspar Friedrich Manso to Karl August Böttiger, 21 June 1795. In: Ludwig Geiger: Briefe C. F. Mansos an Karl August Böttiger. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthums Schlesiens 31 (1897), pp. 16–92, here pp. 25f. Elsewhere Garve censured Aristotle for his »deepseated prejudice about slaves as human beings incapable of happiness or not allowed to be happy.« Garve: Ethik des Aristoteles (s. note 26), p. 435. 32 Die Politik des Aristoteles. Uebersetzt von Christian Garve. Hg. Und mit Anmerkungen und Abhandlungen begleitet von Georg Gustav Fülleborn. 2 vols. Breslau 1799–1802, vol. 2, pp. 135–165. A footnote on p. 161 marks where Garve broke off and Fülleborn continued the argument. Another (pirate?) edition with different pagination was published in Vienna and Prague in 1803. 33 Garve to Weiße, 28 November 1797. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, pp. 256f. Johann Georg Schlosser: Aristoteles Politik und Fragment der Oeconomik. Aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen und einer Analyse des Textes versehen. Lübeck, Leipzig 1798. Schlosser had opposed Garve in the public debate on morals and politics. Johann Georg Schlosser: Ueber Herrn Garvens Abhandlung der Frage: In wie weit es möglich sei, die Moral des Privatlebens bei der Regierung der Staaten zu beobachten (1790). In: Johann Georg Schlosser: Kleine Schriften. 6 vols. Basel 1779–1793, vol. 6, pp. 5–98. 34 Garve: Die Politik des Aristoteles (s. note 32), vol. 1, p. iv, pp. xvi–xxvii, pp. xxix–xlviii.

152 | Johan van der Zande

François Champagne’s French translation of 1797, both in favor of his friend. But as far as one can see his only slightly altered posthumous publication of Garve’s work was no more than an act of piety. Classical philologist Johann Friedrich Degen quoted from a contemporary review according to which on the whole Garve’s and Schlosser’s translations were equally good but that in some instances the one surpassed the other in accuracy and clarity of presentation. According to another review Garve’s free translation made the text more comprehensible and clearer to the reader.35 The question is now why exactly Garve first postponed the publication of his translation and left the one substantive comment he wrote unfinished, and then left the completion and publication to Fülleborn. There were two reasons. One, hinted at above, had to do with the text critical problems the translation posed to him. The assistance he needed and tried to get from Friedrich August Wolf, Fülleborn’s teacher and the main force behind the academic revival and professionalization of classical scholarship, was not forthcoming. As will be seen, the correspondence between the two men shows the deep divide in their different approaches to Aristotle’s text. The other reason was what Garve perceived as the relatively uninteresting contents of the Politics, which defeated the purpose of his translation to allow him to comment on the events of the day. In his various essays on the French Revolution he never drew on Aristotle.

3 Classical Philology The theme of the quarrel of the ancients and the moderns had always been very attractive to Garve. Renewed interest for it in the wake of Johann Joachim Winckelmann’s writings coincided with the beginning of Garve’s career as a philosophical author and he pursued the topic to the end of his life. In reviews from those early years on books by Herder and Lessing he addressed the comparisons these authors made between the present and the classical past and often found occasion to demonstrate his own extensive knowledge of the sources.36 These reviews culminated in a long essay of 1770, in which he first measured the historical distance between the ancients and the moderns in artistic matters. The moderns, he argued against Winckelmann’s famous characterization of ancient Greek art, could not just

|| 35 Johann Friedrich Degen: Nachtrag zu der Literatur der deutschen Uebersetzungen der Griechen. Erlangen 1801, pp. 77–79. 36 Christian Garve: Review of Herderʼs Kritische Wälder oder Betrachtungen über die Wissenschaft und Kunst des Schönen. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste 9.1 (1769), pp. 20–63 and 9.2 (1770), pp 250–280; review of Lessingʼs Hamburgische Dramaturgie. In: ibid. 10.1 (1770), pp. 117–141 and 10.2 (1770), pp. 211–44.

Goodbye to Aristotle | 153

reverse the historical process and regain their »simplicity«.37 Without naming him, Garve here followed in the footsteps of Basel philosopher Isaak Iselin. In his Philosophische Muthmaßungen über die Geschichte der Menschheit of 1764 Iselin had advocated the progress of human development from an initial sensuous age to the present age of reason.38 Similarly, Garve asserted that from their direct experience the ancients used descriptive language to sensuously depict the world around them, whereas the moderns used abstract, conceptual language to explain a world they learned about indirectly by reading and instruction. Thus the political and religious institutions of the ancients were inextricably interwoven with their mythology. For the moderns this connection between the real and the poetical was lost and they only reproduced reality as art in novels and in the theater. Emulating the poetical and dramatic works of the ancients was no option for them since modern works, however much instilled with the spirit of the ancients, unavoidably displayed the character of an age becoming increasingly less sensuous. It appeared from Winckelmann’s own writings, Garve asserted, that ancient Greek art only began to speak to him after he had thoroughly acquainted himself with it, without this study its beauty perhaps would not have resonated.39 Further, in contrast to the ancients who described but didn’t explain, the moderns necessarily also had become interested in the inner workings of the soul, exploring the unconscious motives of a dramatic poem’s protagonist by observing in detail the properties and constitution of the human mind, of ways of thinking, and of customs, in short, by appealing to the concerns of the science of man. Far removed from the ancient Greek language and constitution Garve, repeatedly using the term »necessarily«, suggested that the moderns had no choice but to be modern, and translating the ancients into a mod|| 37 Christian Garve: Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller, besonders der Dichter (1770). In: GGW V.1, pp. 93–162, here pp. 144–154. In this essay Garve did not mention Winckelmann by name and instead of the famous formula ›edle Einfalt‹ he wrote »Simplicität« (p. 144). It is unlikely that he referred to David Hume’s essay Of Simplicity and Refinement in Writing (1742). 38 Isaak Iselin: Philosophische Muthmaßungen über die Geschichte der Menschheit. Basel 1764. Similarly, Johann Georg Sulzer in the entry »Die Alten« (The Ancients) of his lexicon Allgemeine Theorie der Schönen Künste (1771–1774; 2nd ed. Leipzig 1793; repr. 4 vols., Hildesheim 1994), vol. 1, p. 117: »Where they [the ancients] acted, we are satisfied to think, they were all heart, we are all spirit and mind.« 39 Garve: Review of Herder’s Kritische Wälder (s. note 36 ), p. 28. About the role of knowledge in appreciating art see also Garve’s Review of François Hemsterhuis’s Lettre sur la Sculpture. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste 11.2 (1771), pp. 296–329, here pp. 306– 308. Similarly, the rapture the poet Johann Heinrich Voß exactly described as experiencing while listening to Händel’s Messiah was caused less by the words and the music than by constructing the ideal of escaping from the restraints of reason. See Wolfgang Hirschmann: Sublime strokes. Händels Kompositionswissenschaft und die Ästhetik des Erhabenen. In: Wolfgang Hirschmann (Ed.): Händels ›Messiah‹. Zum Verhältnis von Aufklärung, Religion, und Wissen im 18. Jahrhundert. Halle 2011, pp. 18–41, here p. 38.

154 | Johan van der Zande

ern idiom was therefore not an easy task. Understanding the ancient Greeks required extensive study not just of their language but of the wider culture in which they wrote. Besides grammar and vocabulary, focusing on the text, one should also study their laws, religion, and economics, emphasizing material and cultural aspects.40 The program Garve described here was nothing else but that of philology. Traditionally, philology in a narrow sense comprised the study of language, but in a wider sense also included historical knowledge (antiquitates) in such a way that philology and litterae humaniores came to mean one and the same thing.41 This concept had been part of the great revival of Greek philology, initiated early in the eighteenth century by Richard Bentley in England and followed by Tiberius Hemsterhuis, Lodewijk Caspar Valckenaer, and David Ruhnken in Leiden, the main center of Greek learning by the middle of the century. German philologists, in particular in Göttingen, Leipzig, and Halle, profited from the works of these scholars later in the century. The broad philological approach beyond the narrow theological interest in Greek as well as Latin, however, had unintended consequences. Thorough knowledge of both languages was seen as the primary access to the cultures with which they were inextricably intertwined, but since these cultures were long gone Greek and Latin were increasingly considered grammatically dead languages. In the transition from Latin as the lingua franca and preferred means of scholarly communication some scholars, like Thomasius, began to write in a German still shaped by Latin. For Garve and his contemporaries this now old-fashioned habit violated the integrity of their native language. The new awareness of the strangeness of the two ancient languages created the problem of how to properly translate not just from a dead language into a living language, but from a past culture into a modern thriving culture.42 Accordingly, during the early 1790s, in preparation for his commentary on Aristotle’s Politics, Garve immersed himself in the ancient Greeks: Herodotus and Thucydides, Euripides and Plutarch, but also Göttingen historian Arnold Heeren’s Ideen über Politik, den Verkehr, und den Handel der verschiedenen Völker der alten Welt. The first volume of Heeren’s work was published in 1793 and Garve found it congenial to his own ideas.43 »Reading the Greeks uninterruptedly«, Garve observed in

|| 40 Christian Garve: Verschiedenheiten (s. note 37), esp. p. 133 and p. 160; on the science of man pp. 138f., p. 161. 41 Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Vol. 27 (1741), col. 1985 (entry »Philologie«). 42 On the disappearance of Latin as an active language see Jürgen Leonhardt: Latein. Geschichte einer Weltsprache. Munich 2009, pp. 260–266. 43 Garve to Weiße, 10 April 1793, 26 June 1793. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, p. 113, p. 116; to Manso, 24 July 1793, ibid., p. 363. Arnold Hermann Ludwig Heeren: Ideen über Politik, den Verkehr, und den Handel der verschiedenen Völker der alten Welt. 2 vols. Göttingen 1793–1796.

Goodbye to Aristotle | 155

1794, »more than ever before I got to know the spirit and character of this nation and its language […] little by little I hope to have seen with my own eyes the full extent of the most important Greek literature«.44 That by itself was not enough, however. For a reliable translation and commentary provincial Breslau did not have the proper resources: »I lack philological and critical tools«, he had written earlier, asking Leipzig friends for advice about the best editions and commentaries.45 In preparing the Cicero translation a decade earlier Garve had taken the trouble of traveling to Göttingen where he attended lectures on Roman antiquity by the famous classicist Christian Gottlob Heyne for several months. Heyne’s lectures covered almost all the sub-disciplines of classical philology and he had been one of the first German philologists to thoroughly deal with the political, cultural, and literary history of the ancients.46 For whatever reason, this time around Garve made do with borrowing books from, among others, another outstanding philologist, his old mentor and friend Friedrich Wolfgang Reiz in Leipzig. As a young professor in that city in the early 1770s, Garve had closely cooperated with Reiz on a Greek edition of Aristotle’s Rhetoric. In 1776 Reiz had published an excerpt of the Politics and in 1786 the Poetics; the first volume of a never completed Herodotus edition he dedicated to Garve. Garve in turn gratefully observed that his philosophy was much indebted to Reiz who had first pointed out to him the close relationship between linguistic and national characteristics hidden in classical texts.47 That never forgotten lesson already had borne fruit in his reviews of Lessing and Herder and in particular in his essay on the comparison between ancients and moderns. As professor and university librarian Reiz would have been very helpful to Garve. Unfortunately, after Garve had returned a book to his old friend but saving up a number of questions related to Aristotle for a later letter, Reiz suddenly died in early 1790 leaving him without this invaluable source of information.48 Another friend and admirer of Reiz, Friedrich August Wolf, seemed the obvious substitute for the loss. An infant prodigy, Wolf had taught himself ancient and modern languages with iron self-discipline in solitary study. In Göttingen he did not get along with Heyne and so he did not participate in Heyne’s philological seminar. But he ransacked the university library, headed by Heyne, and still a student himself he

|| 44 Garve to Weiße, 18 October 1794. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, pp. 147f. 45 Garve to Weiße, 26 January 1788. In: Briefe (s. note 19), vol. 1, p. 305. Garve to Christian Friedrich von Blankenburg, 10 April 1788, 1 August 1788 (Apelsche Kultur-Stiftung at Ermlitz; MS 600-215, 216). 46 On Heyne’s »critical philology« see Fee-Alexandra Haase: Christian Gottlob Heyne (1720–1812). Ein begriffsgeschichtlicher Beitrag der Philologie des 18. Jahrhunderts zur wissenschaftlichen Kritik. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 23.2 (2000), pp. 105–117. 47 Garve to Weiße, 13 February 1790. In: Briefe (s. note 19), vol. 1, p. 391. See also the tribute to Reiz in Garve’s introduction to his Eigene Betrachtungen (s. note 10), no page nos. (p. xivf.). 48 Garve to Weiße, 14 September 1789. In: Briefe (s. note 19), vol. 1, p. 375.

156 | Johan van der Zande

began to earn his living by privately teaching younger students about Xenophon, Demosthenes, and other Greek authors. In 1783 the Prussian education minister Karl Abraham von Zedlitz appointed the twenty-four year old Wolf to professor of philology at the university of Halle giving him the chance to put the study of philology on a new footing and so become the leading figure of early neohumanism. With the founding of the Seminarium Philologicum, in 1787, Wolf formally cut the strong ties with the study of theology and established classical philology as a discipline of its own, called Altertumswissenschaft, or the scientific study of antiquity. Wolf decidedly departed from the pursuit of scholarship as the erudite accumulation of knowledge and its transmission through lexicons and textbooks. And to what he called the »lower criticism« of the text-based method, Wolf added a »higher criticism«, or »divinatory criticism«, that, as historians did, used circumstantial evidence and conjectures to arrive at a high degree of probability of a text’s meaning. Operating on both levels the philologist reached the certainty of scientific proof. At the same time the ancient texts had normative value for him. Philology, as he later formulated it, was »the knowledge of human nature as exhibited in antiquity«.49 A born teacher, he wished to introduce his students to the same high ideals he himself had of his discipline as a spiritual and character building exercise. Only when Wolf’s hermeneutical-historical method began to unravel the classical past did it become the source of tension with the neohumanist notion of Greece as the exemplary nation that embodied the full development of the mind and soul of civilized man. It was Wolf who informed Garve of Reiz’s death in 1790 in a letter accompanying his recent edition of Demosthenes’ oration against Leptines to which Reiz had contributed. Wolf mentioned Reiz’s suggestion to him to not only make Garve’s acquaintance but also to involve Garve in their planned publication of a journal on ancient literature. Nothing came of the journal, nor of Wolf’s plan to publish in cooperation with Garve a Latin edition and commentary of Aristotle’s Poetics from Reiz’s personal papers. More important in the present context is that Wolf had learned, most likely from Reiz, of Garve’s plan to translate the Politics and volunteered his assistance.50 Garve’s response was not too enthusiastic. He declined Wolf’s offer to contribute to the Poetics edition for health reasons, and even though the rough draft of his translation was finished at the time, he doubted that it would ever see the light of day.51 Garve did not give a reason for his pessimism, but an essay by his new townsman Fülleborn, published in 1791, offers a clue. In this essay Fülleborn deplored the || 49 Friedrich August Wolf: Darstellung der Alterthumswissenschaft (1807). In: id.: Kleine Schriften. 2 vols. Ed. by Gottfried Bernhardy. Halle 1869, vol. 2, pp. 808–895, here at pp. 830–833, p. 884. On Wolf’s seminar see William C. Clark: Academic Charisma and the Origins of the Research University. Chicago 2006, esp. pp. 174f. 50 Wolf to Garve, 9 May 1790. In: Briefwechsel (s. note 28), pp. 79f. 51 Garve to Wolf, 11 August 1790. In: ibid., pp. 81–83.

Goodbye to Aristotle | 157

lack of philological exploration of classical philosophical, as opposed to the wellresearched poetical texts. This most important point highlights the enormity of the task Garve unwittingly had set himself. For while many of Aristotle’s works served as sources of Greek history, Fülleborn continued, their authenticity had not yet been confirmed nor the texts themselves firmly established, a comment explicitly referring to the Politics.52 It is possible that Fülleborn mentioned this work because he knew Garve was working on it. If that was indeed the case, Fülleborn here also expressed Garve’s conundrums with the translation. In fact, Fülleborn’s crucial observation is corroborated by Degen’s supplement to his bibliography of German translations from the Greek, published in 1801. Degen commented with respect to Schlosser’s translation that it was the first translation of an important work »that until now was for many readers a closed book, partly because of its internal difficulties and partly because its text variants had not previously been cleaned up«.53 Fülleborn would have agreed. Besides the translations of Garve and Schlosser, he observed, it was thanks to the recent philological-critical examinations of Göttingen philosopher Johann Gottlieb Buhle that the beginnings of a proper understanding of Aristotle had finally emerged.54 This remark referred to the critical edition of the Organon as well as the Poetics and Rhetoric Buhle had started to publish in the handsome volumes of the Editiones Bipontinae in 1791 – a year after Garve had expressed his doubt to Wolf about the publication of his translation – and finished only in 1804.55 In his response to Wolf, Garve praised the Demosthenes edition and counted Wolf among those who had made possible the progress of the study of classical antiquity in their own time: »The interpretation of the ancients, I think, has never before been carried out with so much expertise, in such good taste, and with so much philosophical spirit.« He liked in particular Wolf’s way of quoting his sources verbatim since, considering the lack of libraries and time most readers, including himself, would not be able to check these for themselves. Yet Garve emphasized his need for historical and antiquarian explanation, »things that belong to the make-up || 52 Georg Gustav Fülleborn: Über die Geschichte der ältesten Griechischen Philosophie. In: id. (Ed.): Beyträge zur Geschichte der Philosophie 1 (1791), pp. 37–48, here at pp. 44f. The reprint (Brussels 1968) includes only the second edition of 1796 of the first two issues of Fülleborn’s journal, but the few changes he made did not affect this particular passage. Fülleborn offered a translation of the first Book of Aristotle’s Metaphysics in his Beyträge 2 (1792), pp. 143–196. 53 Degen: Nachtrag (s. note 35), p. 76. 54 Georg Gustav Fülleborn: Bruchstücke über Aristoteles Philosophie und Manier. In: id.: Beyträge (s. Note 52), 9 (1798), pp. 170–188, here at p. 170 note. 55 Johann Gottlieb Buhle: Aristotelis opera omnia graece ad optimorum exemplarium fidem recensuit, annotationem criticam, librorum argumenta et novam versionem adjecit. 5 vols. Zweibrücken 1791–1804. The edition contains Aristotle’s Prior and Posterior Analytics, On Interpretation, Topica, Poetics, and Rhetoric. See Friedrich Butters: Ueber die Bipontiner und die Editiones Bipontinae. Zweibrücken 1877, pp. 49–51.

158 | Johan van der Zande

of states, the customs, and circumstances of the time«, while downplaying the need for textual criticism. A layperson [in philology], he noted, often could substitute lucky conjectures for textual criticism if he paid close attention to the context, was sensitive to the spirit of the author, and in the reading process found out the peculiarities of both the language and the author he was translating.56 This argument was exactly the opposite of the reason he had given when he had wished to consult Reiz in the previous year and an early sign of his ambivalent feelings toward increasingly higher standards of philological precision. In principle, however, Garve’s conjecturing did not deviate from Wolf’s higher criticism.

4 Garve versus Wolf Garve returned to the philological problems a couple of years later when he personally met Wolf in Halle. He found he could learn much from this »most erudite among the local professors«, and he had no doubt Wolf would like to share his knowledge.57 Their conversation does not yet seem to have brought out the differences between the philosopher and the philologist that later on came into the open. Very likely, Wolf pointed to the resources Garve could use for a revision of the draft translation. Either on his outward journey or on his way home, or possibly on both occasions, Garve spent some time in Dresden and although he only mentioned social visits, visits to various artists, and to the Painting Gallery in his letters, he also must have visited the library.58 For in his letter to Wolf of April 1793, in which he announced his intention to spend the summer of that year working on the translation, he mentioned that he had the Dresden library send him all the tools he had found there.59 In his next letter to Wolf of October 1793 he explained what he had been doing during the previous summer. In great detail the long letter – nine pages in print – laid out the textual problems Garve had encountered in translating the Politics. Garve’s draft of the Politics, it now turned out, had been done almost without any text-critical help except for the Greek edition with Latin translation by the Renaissance scholar and Joseph Scaliger student Daniel Heinsius of 1621. If his hesitation to publish his translation had been motivated by fear of its inadequacy he

|| 56 Garve to Wolf, 11 August 1790. In: Briefwechsel (s. note 28), pp. 81–83. 57 Garve to Weiße, 6 August 1793. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, p. 74. 58 Garve’s letters to Manso, July 1792, and to Weiße of 31 October 1792. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, p. 316; p. 86. On his outward journey in July 1792 Garve spent twelve days in Dresden and on his return journey in October 1792 eight days. 59 Garve to Wolf, 18 April 1793. In: Briefwechsel (s. note 28), p. 84. In a letter to Blankenburg Garve also mentioned the importance of the Dresdner library for him: Garve to Blankenburg, 14 October 1793 (Apelsche Kultur-Stiftung at Ermlitz; MS 600-220).

Goodbye to Aristotle | 159

found ample justification in his reading of the newly acquired Dresden material which »consisted of the principal interpreters and the best editions«. Among Aristotle interpreters Garve mentioned Juan Ginés de Sepulveda (1548) and Antonio Montecatini (1587–1597), whose books he could find locally, and Hubert van Giffen (1608) which he did not have. Since he knew that Wolf esteemed Giffen and had acquired a copy of the volume, he asked if Wolf would be willing to lend it to him. Among Politics editions Garve listed those by Pietro Vettori (1552), Friedrich Sylburg (1587), Theodor Zwinger (1582), Denis Lambinus (1567), and Isaac Casaubon (1590), as well as the Latin translation of the Politics by Joachim Camerarius (1581). But, Garve stated, out of all the editions Hermann Conring’s 1656 edition with commentary had served him best. More correct and complete than other editions it had informed him about the corruptions of the text as the cause of its incomprehensibility.60 Even at this point, however, there is no indication that Garve associated Conring with the school of political Aristotelianism of the previous century or that he was aware of this tradition at all. However that may be, the result of his reading and consulting all this new material was disastrous for his translation. Touching it up would not do, a wholesale revision was in order. »I haven’t written a line of the translation that can remain as it is«, he wrote to Manso.61 For only now, he admitted to Wolf, did he recognize how incomprehensible and corrupt Aristotle’s text actually was in some places and so irreparably damaged in others that one could only guess its meaning. A recension, or critical revised version of Aristotle’s text, should therefore precede any commentary. Such a recension was beyond his capacity, he wrote, and so he fell back on his tested technique of contextual reading to find out the text’s meaning, although to his own surprise for the first time in his life he also found some pleasure in emending ancient texts; he presented several examples from the Politics for Wolf’s judgment.62 The whole of Garve’s letter expressed the hope to find in Wolf a competent and interested adviser, as Reinhard Markner rightly remarks in the introduction to his edition of the Garve-Wolf correspondence. But to Garve’s disappointment Wolf did not react at all. Markner explains the lack of response to Garve’s collegial overtures as the scholar’s rejection of an amateur. This characterization is correct insofar as Wolf was an early specimen of the modern professional scholar committed to his discipline’s strict methodology and communicating almost exclusively only with his peers at the level of his thorough

|| 60 Garve to Wolf, 18 October 1793. In: Briefwechsel (s. note 28), pp. 86f., p. 92. Schlosser collected almost the same source material as Garve: besides Conring he mentioned Victorius (=Vettori), Sylburg, Zwinger, Lambinus, and Heinsius; instead of Camerarius he used Ramus’ translation. Schlosser: Aristoteles Politik (s. note 33), Foreword, p. vi, pp. ix–xii. Although admittedly not a philological expert himself, in his comments Schlosser self-assuredly was often critical of Conring. 61 Garve to Manso, 18 July 1793. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, p. 332. 62 Garve to Wolf, 18 October 1793. In: Briefwechsel (s. note 28), pp. 85f. (corrupt text), p. 89 (recension), pp. 89–93 (example emendations).

160 | Johan van der Zande

expertise in an otherwise limited field of inquiry. At first sight Markner’s judgment also seems confirmed by Garve’s first letter to Wolf in which he pictured himself as an ignoramus in classical studies. But by this somewhat overdrawn recognition of his lacking philological skills Garve by no means surrendered his philosophical stance to philology’s methodological superiority. From his point of view modern philology’s heightened prestige looked quite different. While respecting and welcoming Wolf’s expertise, he did not believe that philological precision constituted the only possible or even preferable approach to the study of classical antiquity. The opposition for Garve was not the modern one between scholar and amateur. Indeed, he denied the logic of such an opposition and feared its social consequences in as far as by dissolving the Ciceronian connection between philosophy and life it encouraged the scholar’s isolation from society. Instead he acknowledged cooperation, or a division of labor, between the scholar-expert and the philosopher. But he understood the latter not in the sense of someone in search of timeless and universal truths, such as Kant and the Idealists claimed, but in that of the philosopher who acknowledged as humanly possible only probable, time-bound, »useful« knowledge to also be disseminated among the educated classes beyond the narrow circle of academic experts. Garve now became adamant both about the danger of runaway philological meticulousness and the need for useful and widespread knowledge. The first point he made most forcefully in a letter of 1796 to Wolf. After reproaching him for not having responded to his long letter of three years before, Garve took Wolf to task about the latter’s Prolegomena ad Homerum (1795). Employing the method of higher criticism, Wolf had argued that the Homeric poems originated in an oral tradition involving one or more authors and had acquired their familiar format and coherence only over several centuries after they first were written down in the sixth century B.C.E. When Wolf later observed that Bentley’s 1711 critical Horace edition, »a text many readers always had accepted at face value«, was received »with a mixture of astonishment, envy, quiet admiration, and loud grumbling«, he may well have referred to his own experience.63 Garve, for one, lamented the fact that men of such competence and thorough knowledge as Wolf in philology and Kant in philosophy seemed determined to narrow down their fields of expertise to the point where the amount of reliable knowledge became almost negligible. Wolf’s destructiveness would only lead to irreparable damage of the Homeric past. Traditional sources that had transmitted our knowledge of that time had now been proven to be untrustworthy. Garve duly admired Wolf’s genius and he applauded his efforts to establish authentic texts

|| 63 Friedrich August Wolf: Bentley. In: id.: Kleine Schriften (s. note 49), vol. 2, pp. 1030–1096, here p. 1050. Anthony Grafton shows the extent to which Wolf’s theses actually were anticipated. Anthony Grafton: Prolegomena to Friedrich August Wolf (1981). In: id.: Defenders of the Text. Cambridge, Mass. 1991, pp. 214–243.

Goodbye to Aristotle | 161

as the secure basis for the interpretation of their history, authorship, and meaning. But there precisely was the catch. In this case Wolf’s higher criticism had fallen far short of this lofty goal. He had first destroyed the value of the Homeric poems as a historic document and then failed to substitute anything else, leaving the reader with a shattered past from which no meaning could be extracted. »It’s incredible how such an edifice of belief and veneration begins to crumble once it is shaken by the discovery of fake fragments.« If Homer would lose his credibility as a portrayer of life and customs (Sittenmahler), Garve wrote to Weiße, his most deserved reputation would diminish accordingly.64 But as an adherent of natural religion he had no such worries about the effects of biblical philology although Wolf had modeled his historical method on this discipline.65 What Garve expected from Wolf instead came down to a request not to know more but to know better. He wished Wolf to devote himself to the explanation and development of a full picture of ancient Greece in its most splendid and most wellknown era as he previously had done in his Demosthenes for the workings of the political and judicial systems of Athens and Sparta.66 From Garve’s point of view, then, the opposition was not between expert and amateur, but between two approaches to the past within the study of philology. One approach was what he perceived as the ruthless pursuit of philology for its own sake, whatever the consequences for our picture of the past. Dabbling in text criticism himself, he commented: I begin to see why this kind of criticism, which I otherwise considered a most tasteless business, can attract people with a talent for it so much so that in the end they don’t care about the book’s content anymore if they only can correct spelling mistakes.67

It was the pre-Kantian philosopher’s disdain for narrow specialism and the resulting disparity between verba and res, that is, his conviction that focusing too much on the text obstructed the view of classical reality. As if to substantiate Garve’s low opinion of this activity Suzanne Marchand observes that Wolf’s Prolegomena »is more an introduction to the mental world of the academic philologist than to that of

|| 64 Garve to Weiße, 14 April 1796. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, pp. 215. 65 According to Manso »the bible or rather [Lutheran] orthodoxy has most to fear« from Wolf’s Prolegomena. Manso to Böttiger, 21 June 1795. In: Briefe (s. note 31), p. 23. Grafton: Defenders (s. note 63) points to Wolf’s admiration for the Göttingen biblical scholar Johann Gottfried Eichhorn. 66 Garve to Wolf, 23 April 1796. In: Briefwechsel (s. note 28), pp. 93–99. Garve also recommended Wolf to restrain himself in his scholarly disputes on the Homeric question with Herder, Voß and Heyne. 67 Garve to Manso, 18 July 1793. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, p. 333.

162 | Johan van der Zande

Homer, who figures in the work only as a distant voice, speaking from the murky depths of an illiterate – and hence irrecoverable – age«.68 The other approach, Garve’s own, focused on the effort to historically understand classical antiquity’s politics and customs in their broadest sense. This was the philological-anthropological approach he shared with Heyne, Reiz, and the earlier Wolf of the Demosthenes edition, but only to some degree with neohumanists like the mature Wolf. Apparently, Wolf had told Wilhelm von Humboldt about his correspondence with Garve and Humboldt, disquieted by the tension between Wolf’s hermeneutics and his philhellenism, emphasized the same need for a satisfying picture of the customs and ways of thinking of the ancient world »as Garve also mentions in his letters«.69 But Garve was far from accepting the neohumanist veneration of the ancient Greeks as a model nation and he approvingly noted Friedrich Nicolai’s derision of their sacralization of everything Greek. Reading the ancient Greeks had convinced him that they were not elevated above the rest of humankind and increasingly he found that they were »more like us«.70 This was not a retraction of his earlier distinction between the sensuous ancients and the rational moderns. Rather, Garve’s recognition of a shared if flawed humanity refuted identification with an ideal. For him the pursuit of extensive historical knowledge of the classical past was not an incentive to obliterate the distinction between past and present and turn modern Germans into idealized Greeks or, as Wolf later formulated this hermeneutics of what would come to be called historicism, »to exterminate the forms of the present and, as it were, to leave our usual existence«.71 The alternative for Garve was not so much hermeneutical distance as it was to have the classical past principally serve as a foil for the present. The past for him made possible the comparison by which to measure the present, illuminating both in the process. Only comparison between past and present enabled the modern philosopher to reflect on contemporary conditions and events and to thoughtfully observe his contemporaries’ ways of thinking, customs, and the inner qualities of the human spirit. Not veneration for and identification with the past, but points of similarity and difference made com|| 68 Suzanne L. Marchand: Down from Olympus. Archeology and Philhellenism in Germany, 1770– 1790. Princeton 1996, p. 20. 69 Wilhelm von Humboldt to Wolf, 22 May 1793. In: Wilhelm von Humboldt: Briefe an Friedrich August Wolf. Ed. by Philip Mattson. Berlin, New York 1990, p. 51. As Mattson notes, Humboldt likely referred to Garve’s letters to Wolf since none of Garve’s works has the word »Briefe« in the title. On this difference between Humboldt and Wolf see Frederick C. Beiser: The German Historicist Tradition. Oxford 2011, p. 184. Nevertheless, Wolf played a leading role, beside Humboldt, in founding the Berlin University where he became a professor in 1810. 70 Garve to Weiße, 12 June 1798. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, p. 269, said in regard to Friedrich Schlegel and the Athenäum. Wolf spoke of the last aim of Altertumswissenschaft »as the entrance, as it were, to what the priests of Eleusis called epoptie or perception of the most sacred«. Wolf: Darstellung (s. note 49), p. 883. 71 Ibid., p. 886.

Goodbye to Aristotle | 163

parison between the classical past and the modern present possible in the first place. Philology, therefore, should produce readable, trustworthy texts, not destroy the possibility of comparison by demolishing the coherence of the past. This philosophical ideal of a useable past had been at the heart of Garve’s translations of Cicero’s On Duties as well as Aristotle’s Politics. In the foreword to the first edition of On Duties Garve explained that Cicero’s accessible style allowed him to achieve a similar effect in German, namely to present »useful truths«.72 This goal was equally distant from the new academic philological method as from the philhellenism of the neohumanists. To Wolf, however, Garve’s ideal surely must have appeared as the infringement of philosophia, seeking more general truths, on the territory of philological historia, rejecting all philosophical commentary not based on thoroughly examined factual truths. What might have caused him to frown on reading Garve’s long letter therefore were not so much the example emendations Garve had included, but the insistence on the philosophical use of the Politics, so when Garve wrote that »its philosophical examination (which necessarily must accompany the translation) could induce interesting essays of one’s own«.73 After the requirement for a usable past the need for »interesting« commentaries was Garve’s second point. What exactly did he mean by »interesting«? In the commentary to his translation of Adam Ferguson’s Institutes of Moral Philosophy Garve listed several English terms for which he found no easy German equivalents. Among these was Intereße, which he explained as the sympathy (Theilnehmung) for anything which directly affected oneself.74 At the same time he elaborated on this idea in his essay on interestedness (das Interessirende), defining it as an aesthetic category that described the mutual relationship between the interesting aesthetic object and the subject who inadvertently is drawn into it, gets interested in it. The condition for this reciprocity was the resemblance between the object and subject in terms of time and circumstances, in particular as displayed in the vivid portrayal of characters in bourgeois drama. Excluding everything sensational || 72 Christian Garve: Abhandlung über die menschlichen Pflichten, aus dem Lateinischen des Marcus Tullius Cicero. Vol. 1. Breslau 1783; 3rd ed., 1787, p. xiii, p. xxvii; on philological issues pp. xx– xxvii (GGW IX). Swiss philologist Johann Jakob Hottinger, who had studied with Heyne and in 1774 visited Leiden, wrote that Garve had done an outstanding but not a perfect job as no one could. Marcus Tullius Cicero: Von den Pflichten. Aus der Urschrift übersetzt und mit philologischcritischen Anmerkungen von Johann Jakob Hottinger. 2 vols. Zürich 1800, vol. 1, pp. viii–x; criticism of Garve: vol. 2, p. 124, p. 156, p. 232, p. 235–239, p. 249. 73 Garve to Wolf, 18 October 1793. In: Briefwechsel (s. note 28), p. 86. Garve publically explained his reader-oriented method of translation and the need for commentaries in the foreword to his Ethics translation, which for unknown reasons is not included in the GGW edition of the work. 74 Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Uebersetzt und mit einigen Anmerkungen versehen von Christian Garve. Leipzig, 1772, pp. 332f. (GW XI). The other English terms Garve discussed were ridicule, public spirit, emulation, probity, candeur, pleasure, public repute, and tendency (ibid., pp. 330–352).

164 | Johan van der Zande

and exotic, this resemblance in turn enabled the subject-spectator (or reader) to reflect on various aspects of his own situation and adapt his behavior accordingly. Garve’s preference of bourgeois drama over other art forms followed from his assertion, unsurprisingly for an anthropological philosopher, that nothing was more interesting than the human being.75 When in opposition to Wolf’s stringent philological method Garve felt the need to stress the importance of philosophical commentary on his translations, he exchanged the theater for the European stage, the poet for the philosopher. If in the essay on interestedness he had shown how the dramatic poet could be interesting to an audience of reflective spectators, he now assigned this task to the philosopher of man who enlightened an educated public with his interesting psychological-historical ruminations on the human condition or, prompted by his translations of other philosophers, produced interesting commentaries in the same spirit. Here, too, the resemblance between the object, that is, the interesting philosophical commentary, and the experiences of the interested reader should be as close as possible in order for the philosopher to connect with his public. In his own publications the philosopher could be as effective as the poet, but applying the concept of interestedness to his translations was a different matter. First, it obviously required a reader-oriented as opposed to a text-oriented approach. The latter highlighted the strangeness of the foreign text while in contrast Garve in his essay explicitly denied that the unfamiliar could be interesting. One could be drawn into what initially was foreign by discovering its relevance for oneself, Garve seemed to argue, but as long as something was perceived as foreign it could not be of interest. His exclusion of the possibility of empathy with what remained foreign explains the insoluble differences between him and his neohumanist opponents for whom closeness to the original text outweighed any stylistic casualties in the translation.76 Karl Schelle, otherwise favorably disposed toward Garve, criticized him for his »inflexibility and lack of receptivity to foreign authors«, in particular in regard to his translations of On Duties and Ethics: »The author is nowhere to be seen while Garve is everywhere.«77 Similarly, in a devastating review of Garve’s last published works future Plato-translator Friedrich Schlei-

|| 75 Christian Garve: Einige Gedanken über das Interessirende (1771/72, 1779). In: id.: Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. 2 vols. Leipzig 1802, vol. 1, pp. 210–371, here pp. 210–223, pp. 233–239 (GW V.1). On Garve’s essay see Doris Bachmann-Medick: Die Ästhetische Ordnung des Handelns. Moralphilosophie und Ästhetik in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1989, pp. 163–241. 76 Lawrence Venuti: The Translator’s Invisibility. A History of Translation. London 1995 uses the terms »foreignizing« and »domesticating« translations. See also Norbert Waszek: Übersetzungspraxis und Popularphilosophie am Beispiel Christian Garves. In: Das Achtzehnte Jahrhundert 31/1 (2007), pp. 42‒64, here pp. 56‒61. 77 Karl Gottlob Schelle: Briefe über Garve’s Schriften und Philosophie. Leipzig 1800, p. 53.

Goodbye to Aristotle | 165

ermacher sharply rebuked his former fellow townsman for translating Aristotle’s systematic moral philosophy into his own, unsystematic, way of thinking.78 But second, for the possibility of producing interesting commentaries the reader-oriented translator depended not just on a trustworthy text but also on the relevance of its contents. In the case of translations from the English, such as Garve’s German renditions of Ferguson, Burke, and Paley, this was relatively unproblematic because of a shared modern European context, but it was far more complicated in the case of the classical cultures as he pointed out in his essay on interestedness. The Greeks and Romans surely are the two peoples we know best from antiquity. And yet, how greatly differs our understanding of the constitution and way of life of the inhabitants of Rome and Athens from a sensuous perception. How many gaps are there in the most complete accounts, how many facts our reason is barely able to combine and our imagination even less able to grasp in their entirety.79

Here resemblance, it is clear, was hard to come by. It was exactly in regard to philosophical content that the Politics in the end did not deliver and made impossible the prospect of resemblance. At the latest by the time he had finished the first draft, in 1790, Garve realized that against his expectation of possible alternatives to Cicero’s position on the combination of politics and morals it turned out to be a common feature in ancient political thought. To make things worse, his disappointment with the Politics concerning this issue was not compensated for by other interesting material suitable for commentary. The work was able to suddenly cheer him up by its »bright, thorough, and abundant ideas«, but more often than not its »empty, uninteresting content« made him despair.8080 The second and the fifth Book of the Politics he found most to his liking. The second Book, containing constitutional designs by philosophers and lawgivers, appealed to him because it enabled comparison with other information on Aristotle’s judgments and so allowed for a better understanding of Aristotle and his time. The fifth Book, dealing with revolutions, was of interest because it was proof of the acumen and insights of the »immortal man«, i. e. Aristotle, as it often confirmed the experiences made during the French Revolution and thus made one better understand one’s own time. (Yet, as stated before, in his essays on the Revolution Garve never drew on Aristotle.) The first Book, by contrast, contained many »useless subtleties«, the seventh was »very tiresome because of the subtlety of irrelevant examinations«, and in the eighth the || 78 Friedrich Schleiermacher: Garve’s letzte noch von ihm selbst herausgegebenen Schriften. In: Athenäum 3.1 (1800), pp. 129–139, here p. 137. In a later essay Schleiermacher ascribed scholarly status to his own text-oriented method because of its close connection to academic philology. The new text-oriented method began with Johan Heinrich Voß’ 1793 Homer translation. 79 Garve: Einige Gedanken über das Interessirende (s. note 75), p. 238. 80 Garve to Manso, 18 July 1793. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, p. 332.

166 | Johan van der Zande

long inquiries on music were »much too specific«.81 The worlds of the academic philologist and this philosopher could not be further apart. From this perspective it is no longer surprising that Wolf found it impossible to bridge the gap between them, although probably mere laziness was responsible for not responding to Garve’s letter: Elsewhere he remarked that he was getting used to being reproached for negligence in letter-writing.82 As far as Garve was concerned, what he needed for his philosophical commentary was a generally accepted and interesting text. When he felt the Politics failed to supply this foundation, and in vain had turned to Wolf for assistance in textual matters, there was not much point for him in pursuing the idea even before Schlosser published his own translation.

5 From Politics to Ethics Instead of pursuing the publication of the Politics (besides being engaged in many other writings, among them a translation of Adam Smith) Garve was to first publish a translation of Aristotle’s Nicomachian Ethics. In this case it did not bother him at all that there already was a German translation of this work with notes and commentary published in 1791 by Berlin pastor and Kant adept Daniel Jenisch.83 Indeed, Garve knew that a third person, Wolf student Friedrich Delbrück, had a finished translation in manuscript. In a letter of December 1790 he had given Delbrück some advice on the eighth book of the Ethics and even sent him his own translation of the second part of this book for comparison. Delbrück thereupon took the liberty to publish an article in which he favorably compared Garve’s translation to those of Jenisch and of himself.84 Taken together there were no less than five German translations of the Ethics and Politics in the 1790s. Add to this the two English translations

|| 81 Garve to Wolf, 18 October 1793. In: Briefwechsel (s. note 28), p. 86, pp. 88f. See also Garve to Manso, 24 July 1793. In: Briefe (s. note 19), vol. 2, pp. 366–368, where in regard to Book Two he compared Aristotle with Plutarch and wrote: »If I come to the commentary on Aristotle I will in reference to this book add a brief revision of all the accounts of the laws and customs of the ancient Spartans (the sources for this are not inexhaustible), a comparison between them, attempts to solve the contradictions, and my final ideas on this nation and their state.« 82 Wolf to Heyne, 14 December 1795. In: Friedrich August Wolf: Prolegomena to Homer. Ed. by Anthony Grafton, Glenn W. Most and James E. G. Zetzel. Princeton 1985, p. 240. 83 Daniel Jenisch: Die Ethik des Aristoteles, in zehn Büchern. Aus dem Griechischen mit Anmerkungen und Abhandlungen. Danzig 1791. 84 Johann Friedrich Gottlob Delbrück: Ueber die verdeutschte Ethik des Aristoteles. In: Berlinische Monatsschrift 18 (1791), pp. 459–477. Delbrück’s translation was published as Versuch einer deutschen Uebersetzung des achten Buchs der Ethik des Aristoteles. In: Philosophisches Magazin 3 (1790), pp. 217–235, pp. 304–332.

Goodbye to Aristotle | 167

by William Ellis of 1778 and John Gillies of 1797, as well as the French translation by Jean-François Champagne, also from 1797, and one can speak of a veritable Aristotle renaissance at the end of the eighteenth century.85 As the motivations for these translations differed, it is not entirely clear how this accumulation of Aristotle translations should be interpreted beyond the eighteenth-century revival of Greek philology. Anyway, Garve evidently already had begun on his translation of the first two books of the Ethics even before he gave up on his commentary on the Politics. The work was only published eight years later shortly before his death in 1798.86 To the translation proper Garve added two separate volumes, also published in 1798. One, intended as an introduction to the translation, was his Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsre Zeiten, the other Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Ein Anhang zu der Uebersicht der verschiednen Moralsysteme.87 The emphasis in all three books was on the examination, or rather refutation, of large parts of Kant’s rigid moral philosophy. In a section directed against an anti-Aristotelian passage in Kant’s Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre Garve defended a modified version of Aristotle’s concept of right moral conduct as the mean between the extremes of too much and too little.88 Evidently, in the course of his study of Aristotle, his experience with textual problems and his disappointment in the content of the Politics, Garve’s attention had shifted from morals in politics to the politics of morals. The shift from politics to morals was made possible because Garve categorically denied the close connection between the two, which he thought was constitutive of ancient but altogether alien to modern thought. That had been his objection to Cicero which had led to his involvement with Aristotle, although the last sentence of the Ethics – »Let us then begin our discussion« – famously announces the inquiry into moral conduct to be continued in the Politics. In his commentary on the first book of the Ethics Garve wrote: »This is characteristic of ancient morals, which we also find in Cicero’s On Duties and which gives it a spirit of its own and leads to specific in|| 85 William Ellis: A Treatise on Government. Transl. from the Greek of Aristotle. London 1776; John Gillies: Aristotle’s Ethics and Politics, comprising his Practical Philosophy. Transl. from the Greek. Illustrated by Introductions and Notes. 2 vols. London 1797. La Politique d’Aristote, ou la Science des Gouvernements, ouvrage trad. du Grec avec des notes historiques et critiques. Par le Cit[oyen]. Champagne. 2 vols. Paris, an 5 [1797]. 86 Manso published Garve’s translation of the remaining eight books in 1801 with some commentary by Garve and himself. 87 Garve: Die Ethik des Aristoteles (s. note 26); Christian Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsre Zeiten. Breslau 1798 (GGW VIII); Garve: Eigene Betrachtungen (s. note 10). 88 Garve: Die Ethik des Aristoteles (s. note 26), pp. 609–614. Similar in Garve: Uebersicht (s. note 87), pp. 2–31. Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (1797). In: id.: Werke in 12 Bänden. Ed. by Wilhelm Weischedel. Frankfurt a. M. 1979, vol. 8, p. 566.

168 | Johan van der Zande

quiries, namely that it is seen as a part of politics.«89 And while Aristotle might have been the first to philosophize in the systematic manner of the moderns, as Garve had stated in 1770, as a political thinker he definitely belonged to the ancients.90 Aristotle’s idea of man as a political animal, taken as a member of the state, Garve now argued, »is basically wrong«. Every individual had his purpose within himself and would only narrowly develop, and therefore partly not develop, if he were merely considered as a citizen. It is not as if Garve was opposed to seeing political association (the state) as a most important source of man’s moral duties; on the contrary, but this came for him only after man’s moral destiny as a human being as such. For Aristotle political association was the sole environment in which humans could completely pursue their natural potentialities, the highest good, in contrast to the associations from which it developed, such as family or village, each of which pursued only a specific good. But for Garve, states did not derive their legitimacy from a supreme good they embodied, but from the assent of the governed in the form of public opinion about those who ruled them. The governed should be lawabiding citizens of course, but mere outward conformity with their country’s laws did not affect their morality as human beings, the pursuit of which alone could make them more perfect and happier.91 The state, in other words, did not serve transcendent goals for Garve. The distinction between human being and citizen, in as far as their moral constitution was concerned, was for Garve a modern phenomenon which the ancients knew nothing about. In terms of the quarrel of the ancients and the moderns Garve, in this regard too, was decidedly modern. A comparison with the classical scholar and Scottish historiographer-royal, John Gillies, makes his position even clearer. Although Garve translated Gillies’ work on Frederick II, he does not seem to have known about Gillies’ translations of Aristotle’s Ethics and Politics, published in a two-volume set in 1797 and reprinted in 1804 and several more times during the nineteenth century. Gillies intended the publication as a companion to his 1786 History of Ancient Greece (also translated into German), but the revolutions in America and France supplied him with an additional and more potent motive. These revolutions would not have happened, he argued, if not for the natural law theory of the social contract that made government subject to the consent of the governed, a »theory admirably fitted, indeed, for producing revolutions and sedition«. Gillies considered John Locke the first and principal author of this theory, and it was time, he wrote, that men »should return from the school of Locke to that of Aristotle«. Against the social contract theory Gillies strongly endorsed Aristotle’s notion of the political animal; the Politics was the only book in which government was placed on

|| 89 Garve: Die Ethik des Aristoteles (s. note 26), p. 407. 90 Garve: Review of Lessing’s Hamburgische Dramaturgie (s. note 36), pp. 218f. 91 Garve: M. Payley’s Grundsätze der Moral und Politik (s. note 24), vol. 2, p. 482.

Goodbye to Aristotle | 169

a solid foundation and it was clear on the origins of government. Far from government being dependent on the consent of the governed, in Aristotle’s system it was »coeval with society and society with men«.92 By contrast, Garve both before and after 1789 held onto the social contract theory even if the contract itself admittedly was fictitious. Government for him was a matter of continuous consent by the governed, the thesis first defended in the Cicero translation. He thought so, however, not so much from a theoretical, natural law position as from a historical perspective, that is, in his case, always with an eye to its practical applicability in concrete historical circumstances. With Scottish philosophers such as Ferguson and Smith, Garve at the same time could therefore assume that man (the human being as opposed to the citizen) always had been a social creature and the state of nature historically nonexistent. Only on this assumption could he explore in his work the constant changes of social phenomena and the social order itself as it developed under whatever government. To the philosopher reflecting on the social constellations of his time, that is, as a practitioner of the science of man, Aristotle’s Politics was of no use. In seventeenth-century political Aristotelianism, too, politics only concerned the citizen while it explicitly admitted that happiness could also be achieved outside the state.93 But there is no indication that Garve’s reading of Conring, or for that matter of Thomasius, who also had insisted on the separation of ethics from politics, had inspired him. He owed them nothing because this notion had been the very issue in his Cicero commentary and the resulting public debate which had led him to Aristotle in the first place and only then to Conring. If Garve liked Conring’s edition of the Politics best of all the commentators, it was because he found confirmed what he himself had thought all along for different reasons. For in contrast to his late humanist predecessor Garve was not interested in holding up Aristotle as a standard against which to measure contemporary problems as both Gillies and Schlosser also did. Although in terms of dimension, organization, and function modern European states were radically different from the ancient Greek (city) states, Schlosser believed Aristotle still had relevant messages to offer to a Europe in revolutionary turmoil. He urged his contemporaries not to lose sight of Aristotle’s basic rule of morality in politics, that is, the notion of honor, proper behavior (Ehrbarkeit), and cautioned them to heed in particular Aristotle’s advice not to act rashly in matters of state reform. The ongoing relevance of the Politics justified his translation.94 This model function of Aristotle was alien to Garve. He rather was interested in a historical text that enabled him to better understand the characteristic features of

|| 92 Gillies: Aristotle’s Ethics and Politics (s. note 85), vol. 1, p. viii; vol. 2, p. 2, p. 6, p. 12. 93 Dreitzel: Der Aristotelismus (s. note 4), pp. 170–173. 94 Schlosser: Aristoteles Politik (s. note 33), vol. 1, p. xxxix–xl; p. 156, n. 92.

170 | Johan van der Zande

the political conditions in both past and present. In other words, the question for Garve was not whether Aristotle’s thoughts on politics were still relevant, which might well be the case, but whether his work contained ideas interesting enough to offer the eighteenth-century philosopher the possibility to produce his own reflections on topics important to his contemporaries. Past and present philosophies functioned for him like a whetstone sharpening his mind, a metaphor he applied to himself when, at the end of his life, he hoped his own philosophical writings had been the whetstone for sharpening the mind of others.95 As he already had indicated in the foreword to the Cicero-translation, the translation was not a goal in itself, but only a tool for the philosopher. The Ethics gave Garve the opportunity to compare Aristotle with Kant and so to understand the moral systems of both philosophers more fully. But the Politics did no such thing. Garve already had dealt extensively with the question about morality in politics in his Cicero commentary and repeating himself would not make sense. Unfortunately for the later historian, Garve also found the text of Aristotle’s Politics as a whole too corrupt and too uninteresting to sustain extended philosophical commentary. But precisely this condition demonstrates the difference between his own philosophical position and that of neohumanism.

|| 95 Garve: Eigene Betrachtungen (s. note 10), no page nos. (p. xiii).

Michael H. Walschots

Garves Eudämonismus 1 Einführung Die meisten Studierenden oder Philosophen werden den Namen Christian Garve erst durch die Werke Immanuel Kants kennenlernen. Bekannt als Autor oder Mitautor der berühmten Göttinger Rezension der Kritik der reinen Vernunft war Garve ein wichtiger Gesprächspartner Kants, mit dem er auch Themen der praktischen Philosophie diskutierte. Der erste Teil von Kants Aufsatz über ›Theorie und Praxis‹ hat zum Beispiel den Untertitel: »Zur Beantwortung einiger Einwürfe des Hrn. Prof. Garve.«1 In diesem Aufsatz bezeichnet Kant Garve als einen »würdig[en] Mann«,2 bevor er seine eigene Position sowohl gegenüber dessen Interpretation derselben als auch gegenüber der von Garve vertretenen Position ausdifferenziert. Obwohl Kant in diesem kurzen Text relativ oft Garves Aufsatz Ueber die Geduld zitiert, lernen wir hier doch relativ wenig von dessen Philosophie kennen. Wenn wir aber andere Stellen in Kants Werken untersuchen, in denen Garve explizit oder implizit diskutiert wird, stellen wir fest, dass Kant seinen Breslauer Kollegen als »Eudämonisten« bezeichnet.3 Der Versuch also, Garves Moralphilosophie besser zu verstehen, könnte mit der Charakterisierung beginnen, die am bekanntesten ist, nämlich mit der von Kant. Ziel ist es deshalb, in dieser Studie zu untersuchen, ob und in welchem Sinne Garve ein Eudämonist ist. Zunächst ist es hilfreich, Kants Charakterisierung von Garve als Eudämonisten näher darzustellen. In dem Essay Ueber die Geduld, 1792 als Teil seiner Versuche über verschiedene Gegenstände veröffentlicht, schreibt Garve – die Bedeutung und Implikationen dieser Passage werden später noch näher diskutiert: Der, welcher sagt, es ist ein Gott, sagt zugleich, die Welt hat einen Zweck, und dieser Zweck ist die Glückseligkeit der empfindenden Geschöpfe.4

Darauf folgt eine Fußnote, in der Garve seine eigene Position mit der Perspektive kontrastiert, aus der heraus

|| 1 Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, AA VIII, S. 278. 2 Ebd. 3 Siehe AA VIII, S. 395, Anm. und AA VI, S. 377. 4 Christian Garve: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Literatur, und dem gesellschaftlichen Leben. Erster Theil. Breslau 1792, S. 81. https://doi.org/10.1515/9783110647747-009

172 | Michael H. Walschots

die Beobachtung des moralischen Gesetzes, ganz ohne Rücksicht auf Glückseligkeit, [als] der einzige Endzweck des Schöpfers angesehen werde. […] Der Tugendhafte strebt also, diesen Principien zufolge, unaufhörlich darnach, der Glückseligkeit würdig, aber – in so fern er wahrhaft tugendhaft ist – nie darnach, glückselig zu seyn.5

Gemeint ist natürlich Kants Position, der in zwei früheren Texten, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) und der Kritik der praktischen Vernunft (1788), geschrieben hatte, dass moralisches Handeln mit dem Streben danach, der Glückseligkeit würdig zu sein, identifiziert wird.6 Wie bereits anhand der oben zitierten Passage angedeutet, lehnt Garve dies ab. Er wendet dagegen ein: Ich für mein Theil gestehe, daß ich diese Theilung der Ideen mit meinem Kopfe sehr wohl begreife, daß ich aber diese Theilung der Wünsche und Bestrebungen in meinem Herzen nicht finde; – daß es mir sogar unbegreiflich ist, wie irgend ein Mensch sich bewußt werden kann, sein Verlangen, der Glückseligkeit würdig zu seyn, von dem Verlangen nach Glückseligkeit selbst, rein abgesondert, – und also die Pflicht ganz uneigennützig ausgeübt zu haben.7

Ziel dieses Beitrags ist nicht, Garves Kritik und die Antwort Kants im Detail zu diskutieren. Es soll aber darauf hingewiesen werden, dass Garve in diesen Passagen seinen Zweifel darüber ausdrückt, ob wir je handeln können, ohne auf unsere eigene Glückseligkeit Rücksicht zu nehmen. Er suggeriert stattdessen, dass das Streben nach Glückseligkeit der Beweggrund – oder, wie Garve es nennt, der ›Bewegungsgrund‹ – moralischer Handlungen ist – zumindest scheint Kant Garves Position so zu verstehen. In zwei Texten, die nach dem Erscheinen der Versuche veröffentlicht wurden, nämlich der Aufsatz Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie und die Metaphysik der Sitten, erwähnt Kant die Position eines besonderen »Eudämonist[en]«, der einen ähnlichen Einwand vorbringt. In diesen Texten schreibt Kant dem Eudämonisten folgende Position zu: [D]ie Lust (Zufriedenheit), die ein rechtschaffener Mann im Prospect hat, um sie im Bewußtsein seines wohlgeführten Lebenwandels dereinst zu fühlen, (mithin die Aussicht auf seine künftige Glückseligkeit) sei doch die eigentliche Triebfeder, seinen Lebenswandel wohl dem Gesetze gemäß) zu führen.8

Mit anderen Worten: Der Eudämonist nimmt an, dass unser Streben, der Glückseligkeit würdig zu sein, nichts anderes als das Streben nach Glückseligkeit selbst ist, die hier als bloßes Vergnügen oder Zufriedenheit verstanden wird. Wenn Kant Garve also als Eudämonisten klassifiziert, dann ist dies am Besten so zu verstehen, dass er ihm die Meinung zuschreibt, nach der moralisches Handeln auf das Streben nach

|| 5 Ebd., S. 111f. 6 AA IV, S. 393 und AA V, S. 110ff. 7 Garve: Versuche (s. Anm. 4), S. 112. 8 AA VIII, S. 395f., Anm.

Garves Eudämonismus | 173

Glückseligkeit reduzierbar ist. Für eine Erschließung der garveschen Moralphilosophie kann es also ein guter Ausgangspunkt sein zu prüfen, ob diese Interpretation zutreffend ist – oder ob Kants Interpretation von Garve ein Missverständnis ist, so wie er ja auch glaubt, dass Garve seine Position missverstanden habe. Es lässt sich dabei jedoch eine Zweideutigkeit des Terminus ›Eudämonismus‹ feststellen. Einerseits behauptet Garve, dass die Glückseligkeit des Menschen der Endzweck der Schöpfung ist. Hier wird Eudämonismus mit einer teleologischen Annahme über den Finalzweck der Welt in Verbindung gebracht und bezeichnet auch den Grund, warum die Welt überhaupt geschaffen wurde. Andererseits wurde Garves skeptischer Zweifel an der Möglichkeit, ohne Rücksicht auf Glückseligkeit handeln zu können, bereits angeschnitten. Wenn Kants Interpretation dieses Gedankens richtig ist, dann ist Garve Eudämonist im Sinne eines Hedonisten: Man handelt bloß deshalb moralisch, weil man Vergnügen sucht. Damit zerfällt der Begriff des Eudämonismus einerseits in einen idealen Existenzgrund der Welt, andererseits in einen realen Handlungsgrund konkreter Individuen. Es ist deswegen das Hauptziel dieses Aufsatzes, diese Zweideutigkeit aufzulösen. Ich argumentiere dafür, dass der Eudämonismus, den Kant Garve zuschreibt, sich hauptsächlich auf die teleologische Annahme eines letzten Zwecks der Welt bezieht, die aber auch mit der psychologischen Annahme verknüpft ist, dass Menschen letztendlich nur durch ihr Streben nach Glück motiviert sind. Es wird dabei klar, dass Garve kein Vertreter des Hedonismus ist, da Glückseligkeit mehr als nur sinnliches Vergnügen ist. Garves moralphilosophische Position kann vielmehr als Egoismus bezeichnet werden, da er betont, dass das menschliche Handeln immer die eigene Glückseligkeit als Ziel hat. Das folgende Argument besteht aus drei Abschnitten. Im ersten Abschnitt (2) soll die relevante Terminologie dargelegt werden und Garves Beziehung zum aristotelischen Begriff der Eudaimonia diskutiert werden. Im zweiten Abschnitt (3) wird Garves Begriff der Glückseligkeit umrissen. Im dritten und letzten Abschnitt (4) wird Garves Motivationstheorie diskutiert und gefragt, auf welche Weise sich alle menschliche Handlungen auf Glückseligkeit richten. Es soll also ein Kernbegriff der Moralphilosophie Garves erklärt (und ein Missverständnis darüber aufgeklärt) werden. Dabei soll auch die bekannteste Interpretation von Garves Moralphilosophie evaluiert werden.

174 | Michael H. Walschots

2 Terminologie Garve hat die Nikomachische Ethik übersetzt und mit Anmerkungen versehen, welche Aufschluss über seine Rezeption der aristotelischen Tradition geben. In seinen Anmerkungen zum vierten Kapitel des ersten Buches9 betont Garve, dass der hier verwendete Begriff der Glückseligkeit ein zentraler Begriff in der Moralphilosophie ist: [D]er Begriff der Glückseligkeit [kommt], als Grundbegriff der Sittenlehre, in dieser Stelle, zum ersten Mahle im Aristoteles, und selbst zum ersten Mahle im menschlichen Geschlechte [vor].10

Er betont, dass es »lehrreich« sei, diesen Begriff zu untersuchen und seine Bedeutungsnuancen im Altgriechischen zu bestimmen, da sich »um diesen Begriff […] noch in unsern Tagen die Hauptuntersuchungen der vornehmsten Moralisten«11 drehen. Eine zentrale Definition des Begriffs der Glückseligkeit finden wir im vierten Kapitel des ersten Buches der Ethik: Die Glückseligkeit, heißt es, ist der letzte Zweck des Menschen. […] Zwey andere Ausdrücke in der Griechischen Sprache, gut leben, und gut handeln, […] sollen, wie jedermann dafür halt, eben so viel bedeuten, als glückselig seyn.12

In seinen Erläuterungen betont Garve, dass dieses Verständnis des Glückseligkeitsbegriffs oft in der altgriechischen Sprache und in den antiken Schriften anzutreffen ist. Anhand von historischen Texten und Briefen wissen wir, dass Glückseligkeit bei den älteren Griechen vor allem ›wohl [zu] leben (eu zen)‹ bedeutet oder ›wohl [zu] handeln (eu prattein)‹, was dem aristotelischen Begriff der Glückseligkeit sehr ähnlich ist. Aristoteles selber identifiziert Glückseligkeit mit gutem Leben und Handeln. Garve betont, dass die Glückseligkeit »in ihrer eigentlichen Benennung, eudaimonia, auf den abergläubischen Begriff älterer Zeiten, daß die Schicksale jedes Menschen von seinem Schutzgeist bestimme würden, hinweist.«13 Ein wichtiger Punkt ist dann folgender: Garve übersetzt das griechische Wort ›eudaimonia‹ mit dem deutschen Ausdruck ›Glückseligkeit‹, aber meines Wissens nach benutzt er weder die Begriffe der ›Eudaimonia‹, des ›Eudämonismus‹, noch bezeichnet er sich

|| 9 Die Reihenfolge der Bücher in Garves Übersetzung der Nikomachischen Ethik korrespondiert nicht mit unseren modernen Ausgaben. Zum Beispiel ist das vierte Kapitel des ersten Buches, das dem Begriff der Glückseligkeit gewidmet ist, in Garves Übersetzung das zweite Kapitel des ersten Buches. Hier beziehe ich mich gleichwohl auf die moderne Unterteilung und Anordnung der Kapitel. 10 Christian Garve: Die Ethik des Aristoteles. Erster Band. Breslau 1798, S. 419. 11 Ebd. 12 Ebd., S. 414. 13 Ebd., S. 420.

Garves Eudämonismus | 175

selbst als ›Eudämonisten‹. Er spricht nur von dem Begriff der Glückseligkeit und manchmal auch von dem »Glückseligkeits-System.«14 Garves Erläuterungen zu der Ethik von Aristoteles beinhalten wenig mehr, was für die Zwecke der hier vorgetragenen Argumentation relevant wäre. Es wird aber ersichtlich werden, dass Garves Verständnis der Glückseligkeit dem aristotelischen Begriff sehr nahe kommt. Im nächsten Abschnitt soll dagegen gezeigt werden, dass die Idee der Glückseligkeit dennoch auch als Endzweck der Schöpfung zu verstehen ist.

3 Glückseligkeit Garve präsentiert eine relativ klare Definition der Glückseligkeit in seiner Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre (1798). Mit seiner Kritik an der aristotelischen Ethik diskutiert er auch die Triebe und Bedürfnisse des Menschen, zu denen auch der Trieb nach Glückseligkeit gehört. Obwohl es »unzählig« viele körperliche Triebe gibt,15 so gibt es jedoch nur wenig geistige Triebe. Der Geist ist »das vernünftig denkende und wollende Wesen«16 und strebt erstens nach Selbsterhaltung, wie alle anderen Dinge, die ihre eigene Existenz empfinden können; zweitens strebt er nach Glückseligkeit oder »nach einem Zustande, in welchem er sich wohl befindet, und dessen Fortdauer er wünscht«.17 Die Definition endet hier und interessanterweise heißt es dann nur noch, dass wir die Glückseligkeit nicht weiter erklären können. Garve betont: »Wer nicht weiß, was das heißt, sich seiner bewußt seyn, und sich wohl befinden: den wird es keine Philosophie lehren; denn er ist kein Mensch, kein lebendiges Wesen.«18 Es scheint also, dass Mensch zu sein auch bedeutet, einen Begriff vom eigenen Wohl zu haben. Glückseligkeit ist hauptsächlich eine Art Wohlbefinden, nach dessen Fortdauer unser Geist notwendigerweise strebt. Kurz nach der oben zitierten Definition heißt es dann weiterhin, dass das Wohlbefinden der Glückseligkeit nicht »mit dem sinnlichen Vergnügen […] einerley«19 zu setzen ist. Eine solche Reduktion käme einer Leugnung der eigenen geistigen Dimension gleich20 – Glückseligkeit ist nicht auf sinnliches Vergnügen reduzierbar.21 || 14 Christian Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter Aristoteles an bis auf unsre Zeiten. Breslau 1798, S. 150. 15 Ebd., S. 19. 16 Ebd. 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Siehe Christian Garve: Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Breslau 1798, S. 22.

176 | Michael H. Walschots

Auch wenn Glückseligkeit selbst nicht weiter erklärt werden kann, so ist uns doch die Natur unseres Strebens nach Glückseligkeit vertraut. Dieses Streben »geht ins Unendliche, sowohl der Dauer, als dem Grade nach.«22 Mit diesen zwei Merkmalen präzisiert Garve seine Definition von Glückseligkeit: »Glückseligkeit ist dauerhaftes und sich vermehrendes Wohlbefinden, ein unerklärlicher, aber allen Menschen verständlicher Begriff.«23 Wenn die Glückseligkeit nicht mit sinnlichem Vergnügen identisch ist, dann stellt sich die Frage, worin sie denn sonst besteht. Garve spricht diesbezüglich manchmal von dem »Wohlbefinden des Geistes.«24 Dieses Wohlbefinden hat zwei Komponenten und zwei verwandte Triebe oder Kräfte: Die Erkenntniskraft und den Willen.25 Die Vollkommenheit der Erkenntniskraft oder »das Wohlbefinden des Geistes, in so fern er ein denkendes Wesen ist, beruht auf der Menge und auf der Wahrheit der Ideen.«26 Die Vollkommenheit des Willens oder »das Wohlbefinden des Geistes, in so fern er innerlich nach etwas strebt, oder den Körper zu äussern Thätigkeiten bewegt, beruht auf Sittlichkeit.«27 Diese zwei Triebe haben ein besonderes Merkmal, nämlich dass sie unbegrenzt steigerbar sind: »Wir können immer weisere und bessere Menschen werden.«28 Glückseligkeit besteht in der Vollkommenheit der Erkenntniskraft und in der Vollkommenheit des Willens. Garve definiert Glückseligkeit auch als etwas, das über den Begriff des Guten hinausgeht. In der Schrift Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre heißt es, dass das Wort ›gut‹ in jeder Sprache benutzt wird und dass es auf eine große Klasse von Vorstellungen referiert, zum Beispiel sowohl auf die Gegenstände der Vorstellungen als auch auf ihre Ursachen. Garve aber will die Verwendung des Wortes ›gut‹ auf eine kleinere Gruppe der Gegenstände beschränken, nämlich »nur dasjenige Begehrungswürdige und Begierde Erweckende, welches aus dem Geiste und aus Selbstthätigkeiten entsteht.«29 Für die Sinne, den Körper und die Gefühle haben wir andere Wörter – nämlich »Angenehm, Reizend, u.s.w.«30 Auf Basis dieser Unterscheidung sagt Garve, das Wort Glückseligkeit »setzt zu dem Begriffe des Guten den des Immerwährenden hinzu«31 und ist deswegen ein »immerwährender wünschenswerther Zustand.«32 Der Grund, warum Glückseligkeit nicht

|| 22 Garve: Uebersicht (s. Anm. 14), S. 20. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Ebd. 28 Ebd., S. 21. 29 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 21), S. 18. 30 Garve: Uebersicht (s. Anm. 14), S. 18. 31 Ebd., S. 21. 32 Ebd.

Garves Eudämonismus | 177

mit sinnlichen Vergnügen identisch ist, hat mit der Idee des ›Immerwährenden‹ zu tun; jedes Vergnügen ist schnell vorbei und es gibt immer unersprießliche »Zwischenräume« zwischen einzelnen Momenten desselben. Nur »die Thätigkeit der höheren Vernunft«33 füllt diese Zwischenräume – nur sie »kann ohne Ausnahme sich immer äußern und jeden Moment des Lebens ausfüllen.«34 Ob wir krank oder gesund sind, mutig oder stark, man kann immer »auf gleiche Weiße recht und schicklich, oder unrecht und verkehrt handeln.«35 Aus diesem Grund ist der Begriff der Glückseligkeit mit dem der Tugend verbunden, da es nur die Tugend ist, »welche den begehrungswürdigen, – oder […] den angenehmen Zuständen des Menschen das Zusammenhängende und das Fortwährende geben kann.«36 Interessanterweise schreibt Garve auch, dass das Vergnügen nicht völlig aus der Glückseligkeit ausgeschlossen ist; eine vollkommene Konzeption der Glückseligkeit greift vielmehr auf den Begriff des Vergnügens zurück, wenn auch diese Begriffe nicht miteinander identisch sind. Da wir nun eine erste Definition von Glückseligkeit erarbeitet haben, können wir uns ihrer Funktion als Zweck der Schöpfung zuwenden. Wie oben erwähnt, ist das Streben nach Glückseligkeit einer der Grundtriebe des Geistes. Im Allgemeinen ist die Glückseligkeit für Garve der Hauptzweck aller lebendigen Wesen. Er argumentiert dafür in seinem Werk Ueber das Daseyn Gottes und betont, dass der Theismus das Dasein Gottes am adäquatesten erklären kann. Demnach ist es ein denkendes Wesen, das die Welt gemacht hat und das für die Ordnung der Welt, die Regelmäßigkeit der Bewegungen darin und die Organisierung von Pflanzen, Tieren usw. verantwortlich ist.37 Gott werden im Theismus auch die dafür notwendigen Eigenschaften zugeschrieben, welche wir normalerweise als unbegrenzt beschreiben – nur so kann er die Welt in ihrer Form schaffen. Mit diesem Theismus ist auch ein teleologisches Element verbunden: Garve zufolge können wir keinen Begriff von Gott haben, ohne zu denken, dass die Natur einen Zweck hat und dass Gott alles darin mit einer besonderen Absicht geschaffen hat.38 Dann stellt sich aber die Frage, wie genau dieser (stets notwendigerweise mitzudenkende) Endzweck der Schöpfung zu konzipieren ist. Garve argumentiert, dass die Kräfte, die die Welt gemacht haben, denkende Kräfte zu sein scheinen, weil ihre Effekte analog zu denen von denkenden Wesen – i. e. Menschen – zu verstehen sind.39 Wenn wir die Schöpferrolle einnehmen und denken, wie wir diese Welt gemacht hätten, so hätten wir sie wohl auf eine ähnliche || 33 Ebd., S. 22. 34 Ebd. 35 Ebd., S. 22f. 36 Ebd., S. 23. 37 Christian Garve: Ueber das Daseyn Gottes. Neue Auflage. Breslau 1807, S. 129. 38 Ebd., S. 197f. 39 Ebd., S. 198.

178 | Michael H. Walschots

Weise organisiert, wie es tatsächlich der Fall ist, weil so das Wohl der weltlichen Wesen am Besten gefördert werden kann. In diesem Kontext erwähnt Garve ein noch ausführlicher zu diskutierendes Thema, nämlich dass die Glückseligkeit der einzige Bewegungsgrund der menschlichen Handlungen ist.40 Aufgrund dieses Alleinstellungsmerkmales wissen wir, dass Glückseligkeit auch der Grund für die Handlungen Gottes sein muss, wenn es Gott denn gibt. Wir können den Bewegungsgrund der Schöpfung zwar nicht mit Sicherheit erkennen, aber die Bewegungsgründe, die wir kennen, sind auch die einzigen, die wir Gott sinnvollerweise zuschreiben können. Wir können den Zweck Gottes nicht mit Gewissheit kennen und insbesondere bleibt es uns stets verborgen, ob nun die Glückseligkeit der Endzweck oder vielleicht nur ein Zwischenzweck ist, der zu einem uns unbekannten Endzweck hinführen wird.41 Wenn es aber einen Gott gibt, dann ist die Glückseligkeit mindestens ein Zweck Gottes, auch wenn die Glückseligkeit des Menschen gleichwohl nicht der einzige Endzweck der Schöpfung sein kann. Wie Garve in seinem Aufsatz Ueber die Geduld erklärt, ist das Dasein und Wohlsein aller Tiere auch ein Teil des Endzwecks der Schöpfung: das »Daseyn und das Wohlseyn der Thiere ist mit zu dem System von Glückseligkeit zu rechnen.«42 Ein verwandtes Thema, das oben schon angerissen wurde, betrifft den Bewegungsgrund menschlichen Handelns. Ist die Glückseligkeit auch der Hauptzweck des Menschen? Und, wenn ja, ist dann unsere eigene Glückseligkeit unser Zweck oder vielleicht eher die Glückseligkeit der Gesellschaft? Worin besteht Garves Motivationstheorie? Dies soll nun im folgenden Abschnitt diskutiert werden.

4 Glückseligkeit als Bewegungsgrund Nachdem er die Glückseligkeit mit dem Endzweck der Schöpfung identifiziert und sie zudem mit der Tugend verknüpft hat, stellt Garve in seiner Schrift Eigene Betrachtungen die Frage, ob »die Ausübung der Tugend ohne Rücksicht auf Glückseligkeit bestehen« könne.43 Ich möchte nun versuchen, Garves Antwort auf diese Frage darzulegen und zu erörtern. Die Aufgabe der Eigenen Betrachtungen ist es, »die Summe meiner moralischen Ideen« zusammenzufassen. Garve präsentiert seine Ideen unter den drei Titeln: »1) von den Triebfedern der sittlichen Handlungen; 2) von der gesetzgebenden Vernunft; und 3) von der sittlichen Freyheit.«44 In diesem Abschnitt soll nun vor allem das Thema des ersten Titels diskutiert werden.

|| 40 Ebd., S. 199. 41 Ebd., S. 204–206. 42 Garve: Versuche (s. Anm. 4), S. 116. 43 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 21), S. 23. 44 Ebd., S. 4.

Garves Eudämonismus | 179

Garve fasst seine Ideen über die Triebfeder der Sittlichkeit nur äußerst knapp zusammen, wenn er betont, »daß die Glückseligkeit, in dem wahren Sinne genommen, eine sehr würdige, und in der That die einzige Triebfeder sittlicher Handlungen sey.«45 Insbesondere meint Garve, dass die sittlichen Triebfedern auf einfachere Triebfedern reduzierbar sind. Wie es später in demselben Text heißt: Die »sinnlichen Triebe, an denen Pflanze und Thier Antheil nehmen, [können] die Grundlage der Triebfedern seyn […], durch welche die edelsten Handlungen des sittlich freyen Menschen hervorgebracht werden.«46 Der sittliche Trieb ist nicht identisch mit oder reduzierbar auf einen ursprünglichen Trieb wie das Vergnügen. Der Antrieb zur moralischen Handlung ist vielmehr auf einem fundamentalen und zeitlich vorhergehenden Trieb begründet, der sich im Laufe der Zeit aufgrund unseres zunehmenden Erkenntnisstandes zu einem feineren und eigenständigen Trieb hin entwickelt. Der »thierische Trieb« des Kindes wird vor allem von den Gefühlen der Lust und Unlust angeregt.47 Mit zunehmender körperlicher Reife und umfassenderer Erkenntnis werden unsere einfachen Begriffe auch zu immer komplexeren Begriffen. Gleichzeitig aber entwickeln sich unsere Triebe. Zuerst begehren wir nur das Vergnügen und bedienen uns dabei vor allem einfacher Begriffe wie ›das Süße‹ usw. Wenn wir älter werden, erwerben wir Begriffe wie ›das Gute‹ und dehnen diesen abstrakten Begriff auf eine Reihe von Unterbegriffen aus, z. B. auf das Gute der Gesellschaft, das Gute vom Geld, das Gute der Wissenschaft usw. Dabei ist wesentlich, dass die Entwicklung unserer Sachkenntnis der Ausrichtung unserer Motivation voranschreitet. Alle komplexen Begierden »setzen eine Erkenntniß gewisser Gegenstände, die Einsicht von dem Zusammenhange zwischen Ursache und Wirkung, ein Wohlgefallen an Schönheit und Geistesbeschäftigung voraus.«48 Diese Erkenntnisse sind z. B. Handlungsregeln. Je komplexer eine Erkenntnis ist, um so komplexer sind auch die moralischen Regeln; selbst Regeln der Geschicklichkeit (also bloß technisches Wissen) werden zu moralischen Gesetzen, d. h. »solche[n], welche auf das ganze Leben und den Zusammenhang aller Handlungen gehen.«49 Während sich unser Wissen vergrößert, »vereinigen sich all jene Begierden in das gemeinschaftliche Verlangen nach Glückseligkeit.«50 Mit letzterem ist eine neue Begierde gemeint, die sich auf die »Regelmäßigkeit der Handlungen« richtet.51 Und noch einmal: Um jene Vereinigung der Güter, auf welche die einzelnen Begierden gerichtet sind, möglich zu machen, müssen sie einander untergeordnet werden. Dieß kann nur nach jenen Regeln ge-

|| 45 Ebd. 46 Ebd., S. 46. 47 Ebd., S. 70. 48 Ebd. 49 Ebd., S. 71. 50 Ebd. 51 Ebd.

180 | Michael H. Walschots

schehen, welche aus der Verbindung und Subordination aller unserer Erkenntnisse entstehen. Aus der Klugheit muß Weisheit werden.52

Wir müssen auf vernünftige Weise nach unseren Zielen streben und unsere Begierden müssen die richtige Beziehung zueinander haben. Nur so begehren wir nicht nur bloßes Vergnügen oder materielle Güter, sondern die Glückseligkeit überhaupt. Diese besteht in einer Art Handlung, nämlich in einer vernünftigen und geordneten Handlung, und unser ganzes Leben muss auf dieses Ziel hin ausgerichtet werden. Obwohl das Streben nach Glückseligkeit mit einer Entwicklung des Wissens verbunden wird, so ist doch klar, dass Wissen allein nicht zureichend ist, moralisch zu handeln. Wie Garve in seinen Eigenen Betrachtungen schreibt, sind Vorstellungen und Triebfedern »wesentlich von einander unterschieden, und in der menschlichen Natur getrennt.«53 Um uns zu moralischem Handeln zu motivieren, brauchen wir mehr als eine moralische Regel: »Aus einer bloßen Regel, also auch aus einem Gesetze, kann nie eine Triebfeder werden.«54 Um moralisch zu handeln, müssen wir nicht nur die richtigen Erkenntnisse als bloß intellektuelle Vorstellungen haben (Regeln, Gesetze, usw.), sondern auch die richtige Triebfeder. Die obigen Passagen stellen klar, dass Erkenntnisse nicht aus Triebfedern hergeleitet werden können (oder umgekehrt), sondern dass beide vielmehr unabhängig voneinander entwickelt werden müssen. Moralische Handlungen setzen deshalb eine kognitive Entwicklung und auch eine besondere Begierde nach Glückseligkeit voraus. Um noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Wir haben bislang noch nicht festgestellt, ob Garve als Hedonist oder Egoist gelten muss oder ob es vielleicht noch eine dritte Alternative gibt. Es scheint klar zu sein, dass er kein Hedonist ist, da die Glückseligkeit nicht mit sinnlichen Vergnügen identisch ist, auch wenn sie die einzige Triebfeder unseres Handelns sein mag. Aber bedeutet dies, dass unser Handeln auf eigene Glückseligkeit gerichtet ist – und dass Garve damit als Egoist zu gelten hat? Eine mögliche Antwort finden wir in seinen Bemerkungen zu den britischen Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts. In seiner Uebersicht teilt Garve alle Varianten der Moralphilosophie in zwei Klassen: erstens die britischen Moralphilosophen, die »die Moral ganz allein auf die Empfindung und das Empfindungsvermögen gründen wollen«, und zweitens die deutschen, die »die Moral ganz aus den Einsichten und der Vernunft hergeleitet [haben].«55 In der ersten Klasse gibt es noch zwei untergeordnete Gruppen, erstens »das System der Selbstliebe« und zweitens »das Princip des Wohlwollens.« Ersteres System der Selbstliebe »ist im Grunde von dem Glückseligkeits-Systeme nicht unter|| 52 Ebd. 53 Ebd., S. 8. 54 Ebd. 55 Garve: Uebersicht (s. Anm. 14), S. 149.

Garves Eudämonismus | 181

schieden«56 – und dies ist auch der Ausdruck, mit dem Garve seine eigene Position beschreibt. Es gibt aber auch im Begriff der Selbstliebe eine Zweideutigkeit. Wenn wir nur das epikureische System meinen, nach dem wir nur sinnliche Lust begehren, dann wird Garve dieses System ablehnen. Wenn damit aber gemeint sein soll, dass wir immer nach wahrer Glückseligkeit streben – welche nicht nur auf das sinnliche Vergnügen beschränkt ist, sondern auch Gesundheit, Wohlbefinden und immerwährende Vollkommenheit aller Menschen umschließt –, dann kann dieses System mit guten Gründen vertreten werden. Die Selbstliebe, so Garve, muss breiter verstanden werden als dies im Epikureismus der Fall ist. Ebenfalls noch der ersten Klasse der Moralphilosophie zugeordnet ist »das Princip des Wohlwollens,« am ehesten repräsentiert von den schottischen Moralphilosophen. Dieser Theorie nach ist es die Klugheit, die uns nach unserem eigenen Nutzen streben lässt, während die Tugend uns nach dem Wohlsein anderer streben lässt. Dieses System ist »im Grunde von dem der Geselligkeit nicht wesentlich unterschieden«57 und damit anscheinend auch mit Garves eigenem Glückseligkeitssystem identisch. Garve macht es hier aber nicht ganz deutlich, wie sich seine eigene Position zu diesem System verhält, auch wenn dies genau die Frage ist, der wir eingangs nachgehen wollten. Beispielsweise heißt moralisches Handeln nach Francis Hutcheson, dass wir uneigennützig nach der Glückseligkeit anderer zu streben haben und nicht nur nach unserer eigenen Glückseligkeit.58 Vertritt Garve eine ähnliche Position? In diesem Kontext impliziert das System der Glückseligkeit, dass die Vereinigung der Menschen zu Gesellschaften notwendig ist, um uns zu erhalten, zu verbessern und gesund zu leben.59 Anderswo schreibt Garve, dass die Gesellschaft unentbehrlich ist, um glückselig zu werden.60 Dabei deutet er an, dass unser Interesse für die Gesellschaft aus unserem Eigeninteresse stammt. So heißt es beispielsweise in den Eigenen Betrachtungen, dass der Mensch »Umgang und Menschen [braucht], denen er seine Ideen mittheile; er braucht andere, welche ihm in der Noth, andere, welche ihm in Geschäften beystehen, andere endlich, welche für sein Vergnügen sorgen. Diese persönlichen Dienste kann er nur von Personen erwarten, deren Liebe er sich erworben hat.«61 Deswegen ist anzunehmen, dass die Glückseligkeit mehr als bloßes sinnliches Vergnügen ist. Man muss dafür auch Teil einer Gesellschaft werden, denn es ist unser Streben nach unserer eigenen Glückseligkeit, das uns anleitet, auch die Glückseligkeit anderer zu fördern. || 56 Ebd., S. 150. 57 Ebd., S. 152. 58 Siehe Francis Hutcheson: An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue. Hg. von Wolfgang Leidhold. Indianapolis 2008, S. 102f. 59 Garve: Uebersicht (s. Anm. 14), S. 153. 60 Siehe ebd., S. 13 und Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 21), S. 156. 61 Ebd.

182 | Michael H. Walschots

5 Schluss Hier sollte Garves Eudämonismus dahingehend untersucht werden, welche Rolle der Begriff der Glückseligkeit in seiner Moralphilosophie spielt. Am Anfang haben wir gesehen, dass diese Rolle in der Interpretation Kants nur auf unzureichende und unklare Weise zur Geltung kommt. Durch Kant bekommt man den Eindruck vermittelt, dass die Glückseligkeit eine Rolle in Garves Teleologie spielt, in seiner Moralpsychologie, oder beides zusammen. Ich habe aber dafür argumentiert, dass die Glückseligkeit in beiden Bereichen zur Geltung kommt. Einerseits ist die Glückseligkeit aller empfindenden Wesen der Endzweck der Schöpfung, wobei Glückseligkeit nicht nur sinnliches Vergnügen bedeutet, sondern sowohl körperliches als auch geistiges Wohlbefinden. Andererseits ist die Glückseligkeit der einzige Beweggrund unseres Handelns. Garve ist aber kein Hedonist, wie Kant suggeriert, wohl aber, so das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung, ein Vertreter einer egoistisch ausgerichteten Moralphilosophie.

Gideon Stiening

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« Christian Garve über Politik zwischen Naturrecht und Moral [W]ürde auch der strengste Moralist, jene Maaßregel welche die Staatskunst eingab, haben mißbilligen können? Christian Garve: Moral und Politik, S. 126.

1 Zur Einführung: Ein »höchster gemeinschaftlicher Vater und Regierer« Kurz vor Ende seiner 1788 erschienenen einflussreichen Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik bietet Christian Garve seinem Leser eine anschauliche Zusammenfassung der Ergebnisse des vorhergehenden Traktats, und zwar in Form einer in 43 Absätzen verfassten Anleitung für einen zukünftigen Regenten.1 Der Prinz wird in seine Rollen als ›Gesetzgeber‹, als ›oberster Richter‹, als ›Stellvertreter des Staatskörpers nach innen und außen‹ und als ›Hausvater der Familie‹ durch einen Schutzengel eingeführt, der seinen königlichen Eleven für diese Einweisung in die Prinzipien seines politischen Amtes so hoch über die Erde emporhebt, dass er das gesamte europäische Staatengefüge überblicken kann. Garve liefert spätestens mit diesem Abschluss der Abhandlung einen klassischen Fürstenspiegel,2 und zwar anhand von Grundsätzen einer »auf die Politik angewandten Moral«,3 nicht ohne hinzuzufügen, dass man sich jenen Schutzengel auch als »Gewissen« des Princeps vorzustellen habe, das als solches nicht allein die eigenen Untertanen, sondern die Menschheit im Blick haben müsse. Den 43. und letzten Paragraphen bilden Ausführungen zu der entscheidenden Grundlegung einer auf den Nutzen für die Menschheit ausgerichteten ›moralischen Politik‹, deren Erkenntnis Garves Schutzengel emphatisch beschwört: || 1 Christian Garve: Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik, oder einige Betrachtungen über die Frage, in wiefern es möglich sey, die Moral des Privatlebens bey der Regierung der Staaten zu beobachten. Breslau 1788, S. 141–156 (GGW VI). 2 So auch Claus Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. St. Ingbert 1992, S. 434; allerdings grenzt Altmayer die Tradition des Fürstenspiegel gegen die des Naturrechts ab, als ob das Naturrecht nicht eben zum herausragenden Inhalt der Erziehung eines aufgeklärten Herrschers gehört habe, wie u. a. das Beispiel Joseph II. zeigt; vgl. hierzu Helmut Reinalter: Joseph II. Reformer auf dem Kaiserthron. München 2011, S. 12f. 3 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 141. https://doi.org/10.1515/9783110647747-010

184 | Gideon Stiening

Nichts aber kan diese Vereinigung der Menschen, und deine Pflicht, ihnen allen, wo es möglich ist, nützlich zu seyn, dir in einem so hellen Licht zeigen, als der Gedanke, daß ein höchster gemeinschaftlicher Vater und Regierer der Menschen vorhanden sey. Ja sie sind alle, auch die geringsten deiner Unterthanen, auch die Einwohner fremder Staaten, mit dir eines Geschlechts, und zwar eines göttlichen Geschlechts. Es ist wirklich ein Plan in der Natur entworfen, sie durch Tugend zur Glückseligkeit zu führen. Dazu leuchtet die Sonne: um deßwillen drehen sich die Weltkörper in ihren Kreisen – dazu ist der menschliche Körper so künstlich gebaut, dazu ist die Erde mit so unzähligen Gütern bereichert, dazu hat die menschliche Seele ihre Fähigkeiten, dazu das menschliche Geschlecht in der Sprache ein Mittel seiner Verbindung bekommen. Und in diesem großen ewigen Plan sollst du eintreten – in ihn mehr als sonst irgend jemand mitwirken. Eben das Wesen welches dich als Mensch schuf, welches dich als Königssohn gebohren werden ließ, welches Jahrhunderte zuvor schon diesen deinen Staat bildete, und ihn deinen Ahnherrn unterwarf: eben das Wesen ist der Schöpfer, der Freund und der Wohlthäter aller der Menschen die jetzt unter dir stehn, und auf die du Einfluß hast. Wenn du deine Herrschaft anwendest sie weiser und glücklicher zu machen: so wirkst du mit dem höchsten Geist gemeinschaftlich und unter Menschen in der erhabensten Sphäre.4

Mit großem Nachdruck verweist das je eigene Gewissen einen jeden Herrscher auf seine entscheidende Aufgabe hin, im Geiste des Schöpfers seine Untertanen – und, wie sich zeigen wird, auch die aller anderen Herrscher – mit dem Ziel zu regieren bzw. zu behandeln, deren Nutzen und damit deren Glückseligkeit und Weisheit zu mehren. Nimmt man ›Weisheit‹ mit Leibniz als die Befähigung des Menschen zur praktischen Anwendung seiner Vernunft für die Verbesserung seiner und seiner Mitmenschen Glückseligkeit,5 dann richtet sich das Ziel einer gottgefälligen Politik durch einen von Gott als Regenten eingesetzten Princeps auf die unmittelbare und mittelbare Mehrung der menschlichen Eudaimonia – Politik wäre damit in ihrem Kern schöpfungstheologisch begründeter und nur so legitimierter politischer Eudämomismus.6 Man muss davon ausgehen, dass Garve ein Jahr vor Ausbruch der Französischen Revolution, die er durch kritische Hinweise auf Staatsrevolutionen 1788 schon zu wittern scheint,7 gute Gründe dafür hatte, eine in dieser Weise theologisch fundierte Politik zu propagieren. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass die eigentümliche Kombination aus hobbesschem Naturzustandstheorem, utilitarischer Staatszweckbestimmung und bedingter Funktionalisierung ethisch-politischer Prinzipien den Breslauer Gelehrten zum Rückgriff auf eine politischen Moraltheologie drängte || 4 Ebd., S. 155f. 5 Vgl. hierzu Gottfried Wilhelm Leibniz: Von der Glückseligkeit. In: ders.: Philosophische Schriften. Hg. und übersetzt von Hans Heinz Holz. Darmstadt 1965, S. 391–401, hier 391: »Weisheit ist nichts anderes als die Wissenschaft der Glückseligkeit, so uns nämlich zu Glückseligkeit gelangen lehrt.« 6 Zu dieser im späten 18. Jahrhundert weit verbreiteten Proposition vgl. u. a. Gideon Stiening: »Politische Metaphysik«. Zum Verhältnis von Politik und Moral bei Isaak Iselin. In: xviii.ch. Jahrbuch der Schweizer Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts 5 (2014), S. 136–162. 7 Siehe hierzu Garve: Abhandlung (s. Anm. 1) S. 118; vgl. hierzu den Beitrag von Johan van der Zande in diesem Band.

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 185

bzw. sie ihm ermöglichte, die die Aufklärung seit Pufendorf und Locke mit guten Gründen zurückzudrängen versucht hatte.8 Für den nachfolgenden Versuch einer Rekonstruktion der politischen Theorie Garves ist zu berücksichtigen, dass er die politprudentiellen Mittel und Ziele herrscherlichen Handelns mit den normativen Ordnungen von Recht und Ethik zu vermitteln sucht. Damit reflektiert Garve auf ein seit Machiavelli topisches Problem neuzeitlicher Politik,9 das eine ausschließlich technisch-praktische Prudentialität, die dem politischen Handeln eignen muss, mit den Mitteln einer tatsächlichen Normativität ethischer und/oder rechtlicher Provenienz einzuhegen suchte.10 Dass bei diesem Versuch begründungstheoretische Inkonsequenzen entstehen, wurde von der Forschung mehrfach herausgearbeitet;11 die theonome Grundlegung dieser ›Politik‹ und deren Lösungsfunktion wurden jedoch bislang übersehen.

2 Naturrecht und Naturzustand im späten 18. Jahrhundert Die Debatten über die Möglichkeit eines Naturrechts, die zwischen dem frühen 17. und dem mittleren 19. Jahrhundert europaweit ausgetragen wurden, zählen zu den gewichtigsten Kontroversfeldern der an Auseinandersetzung reichen Aufklärung.12

|| 8 Siehe hierzu u. a. Diethelm Klippel: Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts. Paderborn 1976; Bernd Heidenreich, Gerhard Goehler (Hg.): Politische Theorien des 17. und 18. Jahrhunderts. Staat und Politik in Deutschland. Mainz 2011; Wolfgang Rother: Naturrecht, Staat und Politik vor der Französischen Revolution. In: Helmut Holzhey, Vilem Mudroch (Hg.): Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und Osteuropa. 1. Halbbd. Basel 2014, S. 633–713. 9 Vgl. hierzu u. a. Gideon Stiening: Politisch-theologischer Anti-Machiavellismus. Die Rechtslehren Francisco de Vitorias, Philipp Melanchthons und Francisco Suárez’. In: Andreas Höfele, Jan-Dirk Müller, Wulf Oesterreicher (Hg.): Die Frühe Neuzeit: Revisionen einer Epoche. Berlin, Boston 2013, S. 357–390. 10 Auch Kant macht hierzu in kritischer Distanz zu Garve einen Vorschlag, vgl. hierzu Gideon Stiening: Empirische oder wahre Politik? Kants kritische Überlegungen zur Staatsklugheit. In: Dieter Hüning, Stefan Klingner (Hg.): Kants Entwurf Zum ewigen Frieden. Baden-Baden 2018, S. 259–276. 11 Vgl. hierzu Michael Stolleis: Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts. Moral und Politik bei Christian Garve. Meisenheim am Glan 1972; Michael Wolff: Moral in der Politik. Garve, Kant, Hegel. (Vortrag in Jena und Regensburg, Januar 2008). In: www.academia.edu/37673040/Wolff_Moral_in_der_Politik_Garve_Kant_Hegel; letzer Aufruf 30.07.2020). 12 Vgl. hierzu Hans Welzel: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. Göttingen 41962; Wolfgang Röd: Geometrischer Geist und Naturrecht. Methodengeschichtliche Untersuchungen zur Staatsphilosophie im 17. und 18. Jahrhundert. München 1970; Merio Scattola: Das Naturrecht vor dem Natur-

186 | Gideon Stiening

Vor allem hier musste sich entscheiden, ob es eine überpositive normative Ordnung gibt, die – zumindest relativ – unabhängig von theologischen Vorgaben objektive Geltung und subjektive Verbindlichkeit beanspruchen konnte und in dieser Weise einen Ordnungsrahmen für positive Gesetzgebung, aber auch für internationale Beziehungen abgab. Dabei führte die Entwicklung von bzw. die Referenz auf naturrechtliche Argumente keineswegs ausschließlich, wie eine neuere Aufklärungsforschung glauben machen will, zur politischen Affirmation des Absolutismus;13 vielmehr konnte der Bezug auf überpositives Recht in seiner – zumeist – anthropologischen Fundierung zur Zurückweisung von sozialen, geschlechtlichen und ethnischen Sonderkonditionen dienen – vor dem Naturrecht waren alle gleich.14 Der goldenen Regel oder dem Postulat des Erstrebens des Guten und des Vermeidens des Bösen hatte sich eben auch der Adel, spätestens seit Bodin gar jeder Souverän zu unterwerfen.15 Allerdings wiesen die ratio-status-Lehren seit Machiavelli, verstärkt seit dem späten 16. Jahrhundert – also in Konkurrenz zu Bodin – mit Nachdruck darauf hin, dass man sich von Bindungen an normative Ordnungen – seien sie rechtlicher, seien sie moralischer Natur – wohl verabschieden müsse, um den Erfordernissen neuzeitlicher Herrschaft Rechnung tragen zu können.16 Schon

|| recht. Zur Geschichte des ›ius naturae‹ im 16. Jahrhundert. Tübingen 1999; Gerald Hartung: Die Naturrechtsdebatte. Geschichte der Obligatio vom 17. bis 20. Jahrhundert. Freiburg, München 21999; Diethelm Klippel: Ideen zu einer Revision des Naturrechts. In: Jahrbuch für Recht und Ethik 8 (2000), S. 73–90; Frank Grunert: Normbegründung und politische Legitimität. Zur Rechts- und Staatsphilosophie der deutschen Frühaufklärung. Tübingen 2000; Sebastian Kaufmann: Die stoisch-ciceronianische Naturrechtslehre und ihre Rezeption bis Rousseau. In: Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne. Hg. von Barbara Neymeyr, Jochen Schmidt und Bernhard Zimmermann. 2 Bde. Berlin, New York 2008, Bd. 1, S. 229–292; Daniel Eggers: Die Naturzustandstheorie des Thomas Hobbes. Berlin 2008; Vanda Fiorillo, Frank Grunert (Hg.): Das Naturrecht der Geselligkeit. Anthropologie, Recht und Politik im 18. Jahrhundert. Berlin 2009; Die Naturrechtslehre des Francisco Suárez. Hg. von Oliver Bach, Norbert Brieskorn und Gideon Stiening. Berlin, Boston 2017. 13 So Steffen Martus: Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild. Hamburg 2015, S. 74ff. 14 Vgl. Diethelm Klippel: Naturrecht als politische Theorie. Zur politischen Bedeutung des deutschen Naturrechts im 18. und 19. Jahrhundert. In: Hans Erich Bödeker, Ulrich Herrmann (Hg.): Aufklärung als Politisierung – Politisierung der Aufklärung. Hamburg 1987, S. 267–293. 15 Jean Bodin: Sechs Bücher über den Staat. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Bernd Wimmer. Eingeleitet und hg. von Peter Cornelius Mayer-Tasch. 2 Bde. München 1981/86, Bd. 1, S. 213. 16 Vgl. hierzu u. a. Friedrich Meinecke: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte. München 1957, S. 2f.; Michael Behnen: »Arcana – haec sunt ratio status«. Ragion di Stato und Staatsräson. Probleme und Perspektiven. In: Zeitschrift für historische Forschung 14 (1987), S. 129–195; Herfried Münkler: Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsräson in der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1987; Michael Stolleis: Arcana Imperii und Ratio Status. Bemerkungen zur politischen Theorie des frühen 17. Jahrhunderts. In: ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit.

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 187

Arnold Clapmarius macht dies mehr als deutlich17 und auch bei Christian Wolff scheint die Bastion naturrechtlicher Verbindlichkeit für den absoluten Herrscher geschleift.18 Es ist allerdings der Sache wenig angemessen, von dem neuzeitlichen Naturrecht zu sprechen. Schon das frühneuzeitliche Dreigestirn Suárez, Grotius und Hobbes lässt sich wohl nur in ihren grundlegenden Differenzen für Kontur und Begründung naturrechtlicher Normen erfassen.19 Auch Pufendorf und Locke oder Thomasius und Wolff sind bei allen gemeinsamen Interessen an einer – wenn nicht säkularen, so doch säkularisierten – Naturrechtstheorie vor allem in ihren erheblichen Unterschieden zu betrachten.20 So ist das Naturrecht Georg Friedrich Meiers nur in einer von diesen, auch kontroversen Vorgaben sich lösenden Kontur zu verstehen;21 auch muss das Naturrecht Johann Gottlieb Heinecciusʼ betrachtet werden als ein solches, dessen eigentümlich polittheologische Grundlegung zwar einige Vorgaben von Thomasius einlöste, insgesamt aber ein höchst eigenständiges Format aufweist;22 und die Spätaufklärung brachte mit ihrer empirio-rationalistischen Anthropologievorstellung ebenfalls neue Modelle von Naturrecht hervor, die den status naturalis enger an den status civilis band oder beide gar identifizierte.23 || Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts. Frankfurt a. M. 1990, S. 37–72; Rüdiger Voigt: Staatsräson. Steht die Macht über dem Recht? Baden-Baden 2012. 17 Vgl. hierzu Gideon Stiening: Das Recht auf Rechtlosigkeit. Arnold Clapmarius’ De Arcanis rerumpublicarum zwischen politischer Philosophie und Klugheitslehre. In: Hanspeter Marti, Karin Marti-Weissenbach (Hg.): Nürnbergs Hochschule in Altdorf. Beiträge zur frühneuzeitlichen Wissenschafts- und Bildungsgeschichte. Wien, Köln, Weimar 2014, S. 191–211. 18 Vgl. hierzu Frank Grunert: Vollkommenheit als (politische) Norm. Zur politischen Philosophie von Christian Wolff (1679–1754). In: Bernd Heidenreich, Gerhard Göhler (Hg.): Politische Theorien im 17. und 18. Jahrhundert. Darmstadt, Mainz 2011, S. 164–184 sowie Alexander Aichele: [Art.] Naturrecht. In: Robert Theis, Alexander Aichele (Hg.): Handbuch Christian Wolff. Wiesbaden 2018, S. 269–290. 19 Vgl. hierzu Gideon Stiening: Appetitus societatis seu libertas. Zu einem Dogma politischer Anthropologie zwischen Suárez, Grotius und Hobbes. In: Herbert Jaumann, Gideon Stiening (Hg.): Neue Diskurse der Gelehrtenkultur. Ein Handbuch. Berlin, Boston, 2016, S. 389–436. 20 Vgl. hierzu Knud Haakonssen: Natural Law and Moral Philosophy. Cambridge 1996 oder erneut Hartung: Obligatio (s. Anm. 12), passim. 21 Vgl. hierzu u. a. Dieter Hüning: Das Recht zu »allen Tugenden, zu allen rechtmäßigen Handlungen, und zu allen Sünden«. Naturrecht und Naturzustand in Georg Friedrich Meiers Recht der Natur. In: Georg Friedrich Meier (1718–1777). Philosophie als »wahre Weltweisheit«. Hg. von Frank Grunert und Gideon Stiening. Berlin, Boston 2015, S. 259–283. 22 Siehe hierzu demnächst Frank Grunert, Knud Haakonssen (Hg.): Love as the Principle of Natural Law. The Natural Law Theory of Johann Gottlieb Heineccius (1681–1741) and its Contexts. Boston, Leiden 2021 [i. D.]. 23 Vgl. hierzu u. a. Frank Grunert: Das Recht der Natur als Recht des Gefühls. Zur Naturrechtslehre von Johann Jacob Schmauss. In: Jahrbuch für Recht und Ethik/Annual Review of Law and Ethics 12 (2004), S. 137–153; Merio Scattola: Das Naturrecht der Triebe, oder das Ende des Naturrechts: Johann Jacob Schmauß und Johann Christian Claproth. In: Das Naturrecht der Geselligkeit. Anthropo-

188 | Gideon Stiening

Diese Berücksichtigung der noch keineswegs hinreichenden Ausdifferenzierung des naturrechtlichen Feldes gilt allerdings nicht nur systematisch, sondern auch historisch; dass naturrechtliche Autoren, die nach 1780 ihre Konzepte entwarfen – so auch Garve – einmal zu den Formationen eines ›neueren deutschsprachigen Naturrechts‹ gerechnet würden,24 war ihnen selbst keineswegs bewusst.25 Im Gegenteil, dass sich das kantische Vernunftrecht in seiner Leistungsfähigkeit gegen die von Pufendorf, Thomasius und Wolff, nach 1750 aber vor allem von Achenwall ausgehenden Konzepte durchsetzen würde, war keineswegs ausgemacht. Wolfgang Rother hat anschaulich demonstriert, welche Anzahl und systematische Diversität von Vermittlungsversuchen es seit den 1790er Jahren zwischen pufendorfschen oder wolffschen Konzepten und den kantischen Innovationen gab.26 Selbst Ludwig Gottfried Madihn, Jurist und Naturrechtslehrer in Frankfurt an der Oder lehrte und publizierte noch in den späten 1790er Jahren in einer streng an Pufendorf orientierten Weise, als habe es weder Rousseau, noch Kant, noch Erhart gegeben. Als Lehrer Heinrich von Kleists hat er aber nachhaltigen Einfluss auf dessen kritische Auseinandersetzung mit dem Naturrecht ausgeübt, dessen politische Problemlagen im Michael Kohlhaas gestaltet werden.27 Kurz: Ohne die philosopiehistorischen Kategorien von Fortschritt und Rückschritt aufgeben zu müssen28 und damit die Unter|| logie, Recht und Politik im 18. Jahrhundert. Hg. von Vanda Fiorillo und Frank Grunert. Berlin 2009, S. 231–250; Dieter Hüning: »Eine fruchtbare philosophische Fiktion«. Michael Hißmanns Beitrag zur Anthropologisierung des Naturzustandes. In: Michael Hißmann (1772–1784). Ein materialistischer Philosoph der deutschen Aufklärung. Hg. von Heiner F. Klemme, Gideon Stiening und Falk Wunderlich. Berlin 2012, S. 121–145; Gideon Stiening: »Der Naturstand des Menschen ist der Stand der Gesellschaft«. Herders Naturrechts- und Staatsverständnis. In: Dieter Hüning, Gideon Stiening, Violetta Stolz (Hg.): Herder und die Klassische Deutsche Philosophie. Festschrift für Marion Heinz zum 65. Geburtstag. Stuttgart-Bad Cannstatt 2016, S. 115–135. 24 Vgl. hierzu Diethelm Klippel: Kant im Kontext. Der naturrechtliche Diskurs um 1800. In: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2001, S. 77–97; Hartung: Obligatio (s. Anm. 12), S. 207–227. 25 Eine der Ausnahmen bildet sicherlich Johann Georg Hamann; vgl. hierzu Gideon Stiening: »Gegen die Zeiten und das System eines Hobbes«. Hamanns Kritik des Naturrechts im Kontext. In: Eric Achermann, Johann Kreuzer, Johannes von Lüpke (Hg.): Johann Georg Hamann: Natur und Freiheit. Akten des 11. Internationalen Hamann-Kolloquiums 2015. Göttingen 2020, S. 277–307. 26 Vgl. Wolfgang Rother: Natur- und Staatsrecht im Zeitalter der Revolution. In: Helmut Holzhey, Vilem Mudroch (Hg.): Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und Osteuropa. 2. Halbbd. Basel 2014, S. 1260–1294. 27 Vgl. hierzu Joachim Rückert: »… der Welt in der Pflicht verfallen …«. Kleists ›Kohlhaas‹ als moral- und rechtsphilosophische Stellungnahme. In: Kleist-Jahrbuch 1988/89, S. 375–404; Gideon Stiening: Zwischen gerechtem Krieg und kluger Politik. Naturrecht, positives Recht und Staatsraison in Kleists Michael Kohlhaas. In: Frieder von Ammon, Cornelia Rémi, Gideon Stiening (Hg.): Literatur und praktische Vernunft. Festschrift für Friedrich Vollhardt zum 60. Geburtstag. Berlin, Boston 2016, S. 485–522. 28 Vgl. hierzu Wolfgang Röd: Fortschritt und Rückschritt in der Philosophiehistorie. In: Rolf W. Puster (Hg.): Veritas filia Temporis? Philosophiehistorie zwischen Wahrheit und Geschichte. Festschrift für Rainer Specht zum 65. Geburtstag. Berlin, New York 1995, S. 31–43 sowie Gideon

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 189

scheidung eines älteren von einem neueren Naturrecht – denn Kants Vernunftrecht ist ein Fortschritt gegenüber dem älteren Naturrecht29 – ist es doch für eine ideengeschichtlich angemessene Rekonstruktion des naturrechtlichen Feldes unerlässlich, auch die von Kant unabhängigen oder gar Kant-kritischen Varianten jener kontroversen Konstellationen naturrechtlicher Begründungstheorien zu werfen, die sich in den 1780er und 1790er Jahren ausbildeten. In diesem Kontext prägt Garve mit seinem Konzept von Naturrecht und Politik eine eigenständige Stimme aus, die zwar der kantischen Kritik zu Recht verfällt,30 in ihren kontextuellen Bedingungen und begründungstheoretischen Leistung aber zunächst rekonstruiert werden muss. Schon hier kann festgehalten werden, dass Garve eine weitgehend positive und produktive Hobbes-Rezeption und dessen Vorstellung von einem bellum omnium contra omnes im Naturzustand aufwies, und dies – gegen den Trend der nahezu durchgehend Hobbes-kritischen Aufklärung31 – insbesondere für die Fragen internationaler Beziehungen fruchtbar machte.

3 Ziel souveränen Handelns: Die ganze Menschheit Dabei scheint es Garve vor allem darum zu gehen, den seit Machiavelli garstig breiten Graben zwischen einer technisch-praktischen Staatskunstlehre und einer naturrechtlich fundierten normativen Staatszwecketheorie zu überwinden, und zwar mithilfe eines Utilitarismus, den er nicht als Klugheitslehre interpretiert, sondern zur moralisch-praktischen Theorie nobilitiert. Die Verbindung von Politik und Moral, also von notwendig politischer Klugheit des Regenten und erwünschter Bindung seines Handelns an überpositive Normen erfolgt durch einen überindividuel|| Stiening: »Es gibt gar keine verschiedenen Arten von Menschen.« Systematizität und historische Semantik am Beispiel der Kant-Forster-Kontroverse zum Begriff der Menschenrasse. In: Rainer Godel, Gideon Stiening (Hg.): Klopffechtereien – Missverständnisse – Widersprüche? Methodische und methodologische Perspektiven auf die Kant-Forster-Kontroverse. München 2012, S. 19–53. 29 Diesen Fortschritt dokumentiert Kant im Übrigen in seinen Vorlesung seit 1784 selbst; vgl. hierzu Heinrich P. Delfosse, Norbert Hinske, Gianluca Sadun Bordini (Hg.): Stellenindex und Konkordanz zum »Naturrecht Feyerabend«. Stuttgart-Bad Cannstatt, Bd. 2, S. 5–87. 30 Vgl. hierzu Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. In: AA VIII, S. 370ff. 31 Vgl. hierzu u. a. Hans-Peter Marti: Naturrecht, Ehrbarkeit und Anstand im Spiegel frühaufklärerischer Hobbeskritik. Lambert van Velthuysens Briefdissertation De principiis justi et decori und ihre Aufnahme in der deutschen Schulphilosophie. In: Aufklärung 6.2 (1991), S. 69–95; Horst Dreitzel: Hobbes-Rezeptionen. Zur politischen Philosophie der frühen Aufklärung in Deutschland. In: Politisches Denken. Jahrbuch 2001, S. 134–174; Merio Scattola: »Ein Stein des Anstoses«: Thomas Hobbes und die deutsche Naturrechtslehre des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. In: Dieter Hüning (Hg.): Der lange Schatten des Leviathan. Hobbes politische Philosophie nach 350 Jahren. Vorträge des internationalen Arbeitsgesprächs am 11. und 12. Oktober 2001 an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Berlin 2005, S. 331–354.

190 | Gideon Stiening

len Nutzenkalkül, der allerdings – an sich ohne normative Qualität32 – zu einer moralisch-praktischen Maxime überhöht wird. Es ist gleichsam die Pflicht aller Regenten, für ein Gemeinwohl zu sorgen, dass durch die utilitaristische Formel vom ›höchsten Glück der größten Zahl‹ konkretisiert wird: Man kan sich eine Stufenleiter von Begriffen denken, durch welche das was man gemeinhin Staats-Interesse und Staatsräson nennt, aus der natürlichen und ersten Vorstellung von Glückseligkeit einer Nation entstand. Diese erste und natürliche Vorstellung nemlich ist: ›Eine Nation oder der Staat ist glücklich, wenn die Menschen aus welchen er besteht, glücklich sind.‹ Aber das Schicksal einer Menge muß nach dem größern Theile geschätzt werden. Das Wohl des Staats wird also das Wohl der meisten Glieder desselben seyn.33

An diesem Kriterium für ein Verständnis von Gemeinwohl wird Garve festhalten, auch wenn er sich die Frage stellt, wonach denn dieses schwer zu erfassende telos politischen Handelns bemessen werden könnte. Vor allem aber: Was genau verpflichtet den Herrscher, diesem Ziel nachzustreben? Klar ist, dass er ständische und individuelle Unterschiede des Glücksverständnisses seiner Untertanen zu berücksichtigen hat; klar ist aber auch, dass bei allen Diversitäten die (innere und äußere) Sicherheit des Staates »das erste Moment der Glückseligkeit« ist, so dass »Macht und Einfluß eines Regenten« entscheidende Bedingungen des Erreichens jenes Staatszwecks ausmachen.34 Garves durchaus konsequenter und für die 1780er Jahre in der deutschsprachigen Diskussion noch ungewöhnliche Utilitarismus35 hat nun eine Reihe von Auswirkungen, deren erste ein auf den staatspolitischen Nutzen ausgerichteter Rechtsbegriff darstellt, weil – bei allen Schwierigkeiten der Umsetzung – »die absolute Größe des Nutzens, den sie [sc. die Regenten] stiften, der richtige Maaßstab des Rechts« ist.36 Es kann kaum deutlich genug betont werden, dass diese rein funktionalistische Bestimmung des Rechts bzw. der Rechte weder von Machiavellis Gesetzes- noch von Wolffs Rechtsverständnis substanziell unterschieden ist,37 die beide Recht und Gesetz als Mittel für die vorausgesetzten Zwecke der Souveränitätserhaltung, der Wohlfahrt und der

|| 32 Siehe hierzu AA IV, S. 399ff. 33 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 50f. 34 Beide Zitate ebd., S. 52. 35 Zweifellos übernimmt er diese Ausrichtung aller Politik an Nützlichkeitserwägungen von Hume, vgl. hierzu David Hume: Untersuchungen über die Prinzipien der Moral. Übersetzt und hg. von Gerhard Streminger. Stuttgart 21996, S. 133ff. 36 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 49. 37 Vgl. hierzu insbesondere Dieter Hüning: Die Schrankenlosigkeit des jus puniendi in Wolffs Naturrechtslehre. In: Jürgen Stolzenberg, Oliver-Pierre Rudolph (Hg.): Christian Wolff und die Europäische Aufklärung. Akten des 1. Internationalen Christian-Wolff-Kongresses, Halle (Saale), 4.– 8. April 2004. 4 Bde. Hildesheim, Zürich, New York 2007, Bd. 3, S. 293–310.

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 191

Sicherheit verstehen.38 Für Machiavelli sind daher Gesetze gleichzusetzen mit dem innen- wie außenpolitisch einzusetzenden Militär, sie sind Mittel für den Zweck der politischen Selbsterhaltung.39 Garve weicht lediglich im Hinblick auf die spezifisch utilitaristische Konkretisierung dieser Ziele von den Vorstellungen des Florentiner und des Hallenser Meisterdenkers ab, doch auch für ihn bleiben Recht und Gesetze Instrumente der Stabilitäts- und Wohlfahrtssicherung. Die zweite gewichtige Konsequenz der utilitaristischen Bestimmung der Zwecke des Regierens bei Garve besteht darin, dass durch die bedingungslose Quantifizierung der Adressaten der Glücksmaximierung eine Begrenzung auf die je eigenen Untertanen nicht zu begründen ist. Vielmehr muss sich das politische Handeln eines Souveräns, das auf das größtmöglich Glück der größtmöglichen Zahl ausgerichtet ist, auf die Menschheit als ganze beziehen; nach einem gleich noch zu betrachtenden Argumentationsschritt heißt es hierzu: Und diesem Verhältnisse, so bald als sie einsehen, und so weit als sie es einsehen, ist es auch ihre Pflicht, gemäß zu handeln. Sie, deren Handlungen durch den Zusammenhang mit den Handlungen andrer Regenten, auf viele Nationen, oft auf ganze Welttheile Einfluß haben, müssen auch das Wohl des menschlichen Geschlechts im Ganzen, als ihren wahren und letzten Zweck erkennen. Nun sind alle Regeln der Tugend sowohl als die Regeln der Gerechtigkeit eben auf dieses allgemeine Wohl gerichtet. Sie sind deßwegen verpflichtet, weil ihre Ausübung nothwendig ist, wenn die Menschen bey einander leben, und glücklich leben wollen. Alle Regeln aber müssen der Absicht der Regel untergeordnet seyn. Und es ist also unstreitig wahr, ›alles ist Recht, was dem menschlichen Geschlecht im Ganzen ersprieslich ist.40

Garve wird mit diesem Argument Eingriffe mächtiger Souveräne in andere Staaten legitimieren können und dies auch konsequent aus jener Prämisse ableiten;41 drängender als eine erneute Rekonstruktion dieses utilitaristisch legitimierten Imperia-

|| 38 Dass dieser utilitaristische Gesetzesfunktionalismus auch für den von der europäischen Aufklärung gefeierten Cesare Beccaria und dessen Verständnis von Verbrechen und Strafen gilt, lässt sich nachlesen bei Dieter Hüning: Philosophie der Strafe. Aspekte der Grundlegung des Strafrechts in der neuzeitlichen Naturrechtslehre. Berlin 2021 [i.D.] sowie Gideon Stiening: »Chi teme il dolore ubbidisce alle leggi«. Suizid und attische Liebe in den Strafrechtstheorien Christian Wolffs, Cesare Beccarias und Johann Adam Bergks. In: Chiara Conterno, Astrid Dröse (Hg.): Deutsch-italienischer Kulturtransfer im 18. Jahrhundert: Konstellationen, Medien, Kontexte. Bologna 2020, S. 81–110. 39 Vgl. hierzu Niccolò Machiavelli: Il Principe / Der Fürst. Italienisch/Deutsch. Hg. und übersetzt von Philipp Rippel. Stuttgart 2009, S. 64: »Noi abbiamo detto di sopra come a uno principe è necessario avere e sua fondamenti buoni; altrimenti di necessità conviene che rovini. E principali fondamenti che abbino tutti li stati, così nuovi come vecchi o misti, sono le buone legge e le buone arme. E perché non può essere buone legge dove non sono buone arme, e dove sono buone arme conviene sieno buone legge, io lascerò indrieto el ragionare delle legge e parlerò delle arme.« 40 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 56. 41 Vgl. ebd., S. 52ff.

192 | Gideon Stiening

lismus42 ist jedoch die Beantwortung der Frage, wie jene zu Beginn des Zitats aufgerufene Pflicht zu einem Ausrichten des souveränen Handelns auf das »menschliche Geschlecht im Ganzen« zu begründen ist. Eine rein politprudentielle Begründung, nach der das Ausgreifen auf andere Staaten und deren Untertanen die eigenen Sicherheit bessern hülfe, reicht für eine tatsächliche Pflicht nicht aus; sie wäre dann lediglich ein kluger Rat, dem ein Herrscher je nach Bedarf und Möglichkeiten Rechnung tragen könnte – oder auch nicht. Garve spricht jedoch ausdrücklich von der Pflicht eines jeden Princeps, nicht allein die eigenen Untertanen, sondern die ganze Menschheit zu beglücken. Einen ersten Hinweis auf die Gründe für die Verbindlichkeit dieser Pflicht bieten Garves Ausführungen über die Legitimität physischer Gewalt im Kriege, deren Grausamkeiten sich nur, aber auch hinreichend wie folgt legitimieren ließen: Aber der welcher allen Menschen das Leben gegeben, und alle Gesetze des Todes unterworfen hat, kann ja wohl über das Leben eines einzelnen Menschen, über das Daseyn einzelner Nationen gebieten. Wenn er durch die allgemeinen Gesetze der Natur Zerstörung zu einem so wesentlichen Theil seines Plans gemacht hat, als Hervorbringen: so kann er ja auch wohl in einem besondern Falle Menschen zum Werkzeuge der Zerstörung machen.43

Es ist niemand anderes als der Schöpfer, der das Leben »eines einzelnen Menschen« gibt und nimmt, und der daher auch über das »Daseyn einzelner Nationen« zu befinden hat. Das Verbindungsglied sind die »allgemeinen Gesetze der Natur«, zu denen ›Werden und Vergehen‹ ebenso gehört, wie zu den politischen Entwicklungen ganzer Staaten.44 Das klingt schon in eigentümlicher Weise nach Georg Büchners St. Just, der in einer großen Konventrede zwar nicht den Schöpfer, wohl aber das Schicksal bemüht, um die Gewalt des revolutionären Krieges durch eine Analogie mit der Gewalt der Natur zu legitimieren.45 Solche Legitimation sozialer Vorgänge durch natürliche Prozesse ist aber nur durch die Referenz auf eine transzendente Instanz möglich,46 wie nur durch sie Sein zum Sollen erklärt werden kann; das sollte noch die politische Romantik eines Adam Müller bestätigen.47 Nicht zufällig bedient sich auch Garve häufig der Vorsehung, als deren Werkzeug sich jeder politische || 42 Vgl. hierzu Stolleis: Staatsraison (s. Anm. 11), S. 13ff. 43 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 58. 44 Zu dieser Parallelisierung oder gar Identifizierung der entia physica mit den entia moralia vgl. auch ebd., S. 61. 45 Georg Büchner: Danton’s Tod. In: ders.: Sämtliche Werke und Schriften. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Burghard Dedner und Thomas Michael Mayer. 10 Bde. Darmstadt 2000–2013, Bd. 3.2, S. 45f. 46 Und so sind es diese theonom fundierten Parallelen zwischen Natur und Kultur, die ins 19. Jahrhundert verweisen; anders dazu Stolleis: Staatsraison (s. Anm. 11), S. 2ff., der Garve in die Vorgeschichte des Liberalismus einordnet. 47 Vgl. Adam Müller: Elemente der Staatskunst. Sechsundreißig Vorlesungen. Berlin 1936 [EA 1809].

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 193

Herrscher, wenn er sich und sein Amt denn richtig versteht, begreifen solle. Im Zusammenhang der Lobpreisung aller politischen Herrscher als Daseinsvorsorger der Menschheit heißt es: Sie zusammengenommen sind die großen Vorsteher der Menschheit; sie bestimmen durch ihre vereinigte Summe von Weisheit und Tugend, oder von Thorheit und Laster, – unter allen moralischen Ursachen am meisten, – den Grad der Glückseligkeit und des Elendes auf Erden in jedem Zeitalter. Sie lenken durch den Zusammenfluß ihrer Unternehmungen den Lauf der menschlichen Dinge, und veranlassen, handelnd oder leidend, durch ihre Thaten und durch ihre Schicksale, die größten, und noch dazu immerwährende Veränderungen in dem Zustande der gesammten Menschheit: – Veränderungen durch welche diese in Entwicklungen ihrer Kräfte, und in der Annäherung zu ihrer Vollkommenheit, bald weiter gebracht bald verzögert wird. Wenn sie auf der einen Seite Stellvertreter der Nationen sind: so sind sie auf der andern die ersten Werkzeuge der Vorsehung.48

Als Stellvertreter der Nationen sind die Souveräne der Staaten mithin vor allem »Werkzeuge der Vorsehung« und nur insofern streng auf die Ausrichtung ihres Handelns auf das Geschöpf der ganzen Menschheit und deren Sicherheit und Wohlfahrt zu verpflichten. Dass dieses Argument kein äußerer Zierrat ist, sondern im Zentrum der politischen Theorie Christian Garves steht, soll sich im Folgenden zeigen.

4 Garves Naturzustandstheorem I Schon bei einem kurzen Blick auf Garves Naturzustandstheorie und deren Funktion für den weiteren Argumentationsgang im Hinblick auf die Suche nach der Ermöglichung einer Bindung souveräner Herrschaftshandlungen an überpositive Normen lässt sich dieses theonome Fundament dokumentieren: Zunächst wird der Naturzustand von Garve wie folgt in die Diskussion eingeführt: Die Frage, ob die Moral des Privatmannes auf das Regierungshandeln des Souveräns anzuwenden ist, muss die Unterschiede beider ›Personen‹ berücksichtigen, und dabei gilt: Sind Privatpersonen verbunden durch die Tugenden und das positive Recht des Staates, dessen Untertanen sie sind, so stehen die moralischen Personen der Staaten, die nach Garve identisch sind mit den absoluten Souveränen, im Verhältnis des Naturzustandes zueinander.49 Weil es folglich keine übergeordnete Zwangsgewalt gibt und nach Garve damit kein Recht, haben sich die Herrscher um ihr je eigenes Wohl zu bekümmern.50 Was dieses Wohl ausmacht, darüber entscheiden allerdings aus|| 48 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 56, vgl. auch S. 74, S. 79, S. 92 u. ö. 49 Auch diese Distinktion und ihre spezifische Ausprägung scheint von Humes Ableitungen beeinflusst; vgl. Hume: Prinzipien der Moral (s. Anm. 35), S. 126f. 50 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 77f.

194 | Gideon Stiening

schließlich sie selber, es gilt mithin das ipse-iudex-Prinzip.51 Diese – an Elemente der hobbesschen Naturzustandstheorie gemahnende52 – Konzeption wird nun im Folgenden in ihrem ontologischen Status konkretisiert: Diese Materie vom Naturstande ist schon aus verschiedenen Gesichtspuncten untersucht worden. Man zweifelt, und mit Recht, ob derselbe je unter einzelnen Menschen statt gefunden habe. Aber wenn er auch nie vorhanden gewesen ist, so ist deswegen doch die hypothetische Untersuchung, was bey Voraussetzung völliger Unabhängigkeit, Menschen einander leisten können und sollen, nicht unnütz, wenn doch die wirklichen Zustände der Menschen sich jener Independenz bald mehr, bald weniger nähern.53

Diese Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen verzichtet der Empirist Garve in diesem Zusammenhang auf empirische Voraussetzungen seiner naturrechtlichen Argumentation: Der Naturzustand wird als Hypothese für rechtlogische Deduktionen bezeichnet, verwendet und damit ausdrücklich als empirischer Zustand zurückgewiesen.54 Garve beklagt diesen Mangel an Erfahrungsbezug zwar im nächsten Satz, das methodische Problem sei aber nicht zu vermeiden und für die folgenden Deduktionen auch unerheblich. Zum anderen geht es – nicht etwa wie bei Hobbes – bei der Referenz auf einen nur hypothetischen Naturzustand um Fragen der Herrschaftslegitimation,55 sondern darum, was Menschen einander leisten, d. h. was sie im Zustand der Herrschafts- und Rechtsfreiheit füreinander tun können. Der Grund für diese den bellum onmium begrenzende Humanität besteht in einer Pflichtenordnung, die auch im Naturzustand gelte und gelten müsse, weil ohne die Geltung und Verbindlichkeit von ethischen Normen das exeundum e statu naturali nicht zu denken, zu begründen und so zu leisten sei: Diejenigen welche gesagt haben, daß vor Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft de Menschen gar keine Pflichten gegen einander hatten, haben ohne Zweifel den Grund der bürgerlichen Pflichten selbst aufgehoben. Denn wenn in der Natur der Menschen und in ihren natürlichen Verhältnissen, keine solche Bewegungsgründe zu Handlungen liegen, die wir als

|| 51 Vgl. ebd., S. 7–11. 52 Vgl. hierzu Stolleis: Staatsraison (s. Anm. 11), S. 32ff. 53 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 5. 54 Die Debatte über den ontologischen Status des Naturzustandes prägt die Naturrechtstheorien seit dem mittleren 18. Jahrhundert; Garve bezieht sich u. a. auf Ferguson, der vor allem in der History of civil society bestritten hatte, dass es einen realen Naturzustand vor dem status civilis gegeben habe; vgl. hierzu u. a. Hasso Hofmann: Zur Lehre vom Naturzustand in der Rechtsphilosophie der Aufklärung. In: Reinhard Brandt (Hg.): Rechtsphilosophie der Aufklärung. Symposion Wolfenbüttel 1981. Berlin, New York 1982, S. 12–46 sowie Jan Rolin: Der Ursprung des Staates. Die naturrechtlich-rechtsphilosophische Begründung von Staat und Staatsgewalt im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts. Tübingen 2005, S. 15–32. 55 Vgl. hierzu Dieter Hüning: Freiheit und Herrschaft in der Rechtsphilosophie des Thomas Hobbes. Berlin 1998.

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 195

Verbindlichkeiten ansehen können: woher soll das Verbindliche des ersten Actus kommen, durch welchen die bürgerliche Gesellschaft errichtet worden ist?56

Auch wenn es also nach Garve mit Hobbes keine Naturrechte im Naturzustand gibt, weil die unbedingte äußere Freiheit im status naturalis lediglich ein ius in omnia und damit ein Recht auf Nichts generiert,57 so gibt es doch für Individuen im hypothetischen und für Regenten im realen internationalen Naturzustand Pflichten, deren ethischer Status aus der Unmöglichkeit rechtlicher Normativität im Naturzustand notwendig folgt. Machte den Naturzustand von Pufendorf bis Mendelssohn aus,58 dass es naturrechtlich begründete Pflichten gegen Gott, gegen andere und gegen sich selber gibt, wobei die beiden letzteren häufig aus der ersten Pflicht abgeleitet wurden,59 so können diese Pflichten nach Garve keine naturrechtlichen Charakter haben, sondern lediglich einen ethischen. Folglich wird Garve auch eine hobbessche Einsicht mehrfach bestätigen – die weitgehende Rechtsfreiheit dieses Zustandes – und doch nachzuweisen suchen, dass es praktische Postulate für jeden Herrscher gibt, die durchaus begründbar sind: Sie sind allerdings Gesetzen so gut wie wir alle unterworfen. Aber diese Gesetze sind nicht auf mamorne Tafeln geschrieben, und werden nicht durch eine Obrigkeit die das Schwert über ihrem Haupte hält, aufrecht erhalten. Ihr eigner Verstand muß sie dieselben lehren, und in ihrem Herzen müssen sie die Sanction davon finden.60

Diese weder göttlichen noch menschlichen positiven ›Gesetze‹ laufen gleichwohl auf ein Handeln hinaus, das den bellum omnium contra omnes auf interstaatlicher Ebene – gar zunehmend – verhindert; sie sind allerdings nicht in naturrechtlicher Hinsicht überpositiv, sondern in ethischer. Wie bei den Naturrechten aber wird sie der menschliche Verstand in ihrer objektiven Geltung und das menschliche Herz in ihrer subjektiven Verbindlichkeit dem einzelnen Gemüt aufzeigen. Aufgrund der Rechtlosigkeit des status naturalis gilt es also für die eigentümliche Normativität im Naturzustand zu berücksichtigen: »›Für Menschen im Naturstande, für Regenten,

|| 56 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 11f. 57 Siehe hierzu Thomas Hobbes: De Cive / Vom Bürger. Lateinisch / Deutsch. Übersetzt von Andree Hahmann, hg. von dems. und Dieter Hüning. Stuttgart 2017, S. 44/45ff. 58 Siehe hierzu die präzisen Ausführungen bei Hartung: Naturrechtsdebatte (s. Anm. 12), S. 69–81. 59 Vgl. hierzu u. a. Moses Mendelssohn: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum. In: ders.: Ausgewählte Werke. Studienausgabe. 2 Bde. Hg. von Christoph Schulte, Andreas Kennecke und Grażyna Jurewicz. Darmstadt 2009, S. 129–206, hier S. 150: »Im Grund machen in dem System der menschlichen Pflichten, die gegen Gott keine besondere Abtheilung; sondern alle Pflichten des Menschen sind Obliegenheiten gegen Gott. Einige derselben gehen uns selbst, andere unsere Nebenmenschen an. Wir sollen, aus Liebe zu Gott, uns selbst vernünftig lieben, seine Geschöpfe lieben, so wie wir aus vernünftiger Liebe zu uns selbst verbunden sind, unsere Nebenmenschen zu lieben.« 60 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 11.

196 | Gideon Stiening

kömmt es nicht sowohl auf Regeln des Rechts, als auf Bildung ihres Geistes und Charakters an.‹«61 Bevor dieser Argumentationsgang auf der Ebene der innerstaatlichen Pflichten der Regenten weiter verfolgt werden kann, soll durch einen kurzen Blick auf die Naturrechtsdebatten in den 1770er und 1780er Jahren eine Besonderheit der garveschen Position verdeutlicht werden: Allein die Tatsache, dass er den reinen Naturzustand als eine Hypothese betrachtet – selbst die internationalen Beziehungen, die diesem Zustand nahekommen, weil es keine übergeordnete Zwangsgewalt gibt, sind durch ein Netz von bilateralen Verträgen von diesem Zustand unterschieden62 – trennt Garves Konzeption vom Mainstream der durch Pufendorf oder Wolff und seine Schule geprägten Debatten über Grund und Zweck eines Naturzustands.63 Schon für Pufendorf ist nämlich der Eintritt in den status civilis kein unbedingtes Postulat, sondern bleibt der Freiheit jedes Einzelnen überlassen, so dass er gegenüber dem formierten Staat im Naturzustand verbleiben kann; dieser Zustand ist und bleibt also vollkommen real.64 Auswirkungen hat diese dezidiert anti-hobbessche, für das 18. Jahrhundert höchst einflussreiche Konzeption des status naturalis noch beispielsweise auf Christoph Martin Wieland, der diesen Zustand in seinem Diogenes-Romans ausführlich gestaltet. Sein Diogenes hat nämlich keine Lust, sich den Zwängen jener Stadt und damit dem status civilis zu unterwerfen, an deren Rand er lebt und mit der er durchaus interagiert.65 Umgekehrt kann sich nach Achenwall ein Staat entschließen, einzelne Untertanen in den Naturzustand zu entlassen, wenn sie sich unangemessen, also aufrührerisch verhalten.66 Kleists Kohlhaas beruft sich auf eben diesen Fall – allerdings weil ihm sein Recht trotz vielfältiger Versuche verweigert wird. Er sieht sich gegenüber zunächst Sachsen, dann auch Brandenburg durch eine Rechtsverweigerung im Verhältnis des Naturzustandes, allerdings durch Unrecht erzwungen. In all diesen Beispielen, die bis in frühe 19. Jahrhundert reichen, ist der status naturalis durchaus als realer Zustand vor, in bzw. neben dem status civilis gedacht.67

|| 61 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 11. 62 Ebd., S. 6f. 63 Siehe zum folgenden Hofmann: Zur Lehre vom Naturzustand (s. Anm. 54), S. 15ff; Hartung: Obligatio (s. Anm. 12), S. 199ff:, Hüning: Michael Hißmanns Beitrag (s. Anm. 23), passim. 64 Vgl. hierzu Samuel von Pufendorf: Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur. Hg. und übersetzt von Klaus Luig. Frankfurt a. M. 1994, u. a. S. 141ff. 65 Vgl. hierzu u. a. Gideon Stiening: Glück statt Freiheit – Sitten statt Gesetze. Wielands Auseinandersetzung mit Rousseaus politischer Theorie. In: Wieland-Studien 9 (2016), S. 61–103. 66 Gottfried Achenwall, Johann Stephan Pütter: Anfangsgründe des Naturrechts. (Elementa iuris naturae). Hg. und übers. von Jan Schröder. Frankfurt a. M. 1995, S. 263ff. 67 Vgl. hierzu u. a. auch John Locke: Two Treatises of Government. Hg. von Peter Laskett. Cambridge 1988, S. 269–278.

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 197

Natürlich sind diese Vorstellungen eines realen Naturzustands so konturiert, dass sie keineswegs rechtsfreie Räume gestalten. Im Gegenteil gibt es sowohl bei Pufendorf, als auch bei Locke, Wolff oder Achenwall eine Fülle naturrechtlicher Normen, an die sich die in ihm lebenden Menschen zu halten haben und auch halten werden – vorausgesetzt sie sind keine Atheisten.68 Für den Voluntaristen Pufendorf gibt es nämlich eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass naturrechtliche Nomen nicht nur Geltung, sondern auch Verbindlichkeit haben; in De officio heißt es dazu: Damit das Gesetz seine Wirkung bei denjenigen, denen es gegeben worden ist, ausüben kann, ist Kenntnis des Gesetzgebers und von Gesetz selber erforderlich. […] Den Gesetzgeber zu kennen, ist höchst einfach. Denn das Licht der Vernunft zeigt, dass niemand anderes der Urheber des Naturrechts ist als der Schöpfer des Universums. (1.2.6) Wenn auch der Nutzen dieser Gebote offensichtlich ist, so ist doch für ihre Geltung als Gesetz notwendige Voraussetzung, dass es einen Gott gibt, der in seiner Vorsehung alles lenkt, und der den Menschen die Verpflichtung auferlegt hat, die Gebote der Vernunft wie Gesetze, die von ihm kraft des angeborenen Lichts der Vernunft verkündet worden sind, zu befolgen. (1.3.10)

Von all dem, also der Realität eines neben dem Staat existierenden Naturzustandes sowie der unmittelbaren Bindung naturrechtlicher Normen an eine verbindlichkeitsgarantierende Gottesinstanz hat sich Garve offenbar verabschiedet. Für die späten 1780er Jahre ist diese Position immerhin signifikant; noch zu dieser Zeit – Kant hatte sich zur Frage des Naturrechts noch nicht öffentlich verhalten – ist ein positiver Bezug auf den Atheisten und Despotisten Hobbes durchaus problematisch. Garve hat das auch in den vielfältigen Rezensionen69 und selbst noch in neuerer Forschungsliteratur zu spüren bekommen.70 Gleichwohl bleibt die mit Hobbes geleistete Einsicht Garves in die Rechtlosigkeit des Naturzustandes der Staaten richtig71 – || 68 Zur These eines angeblichen ›Naturrechts von und für Atheisten‹ vgl. Dieter Hüning: Das Naturrecht der Atheisten. Zur Debatte um die Begründung eines säkularen Naturrechts in der deutschen Aufklärungsphilosophie. In: Religion und Aufklärung. Akten des Ersten internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie (Münster, 30. März bis 2. April 2014). Hg. von Albrecht Beutel und Martha Nooke. Tübingen 2016, S. 409–424; zur Kritik hieran vgl. Gideon Stiening: Gott und der gerechte Krieg. Kants kritische Auseinandersetzung mit Achenwalls Ius naturae. In: Stefan Klingner, Dieter Hüning (Hg.): Kants Naturrecht Feyerabend. Leiden, Boston 2021 [i.D.]. 69 Vgl. hierzu ausführlich Stolleis: Staatsraison (s. Anm. 11), S. 37ff und S. 72ff. 70 Siehe hierzu die Hobbes-kritischen Invektive bei Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 2), S. 418ff. 71 Welch scharfe Kritik Garve für diese Einsicht erhielt, lässt sich nachlesen in einem Brief Friedrich Gentzens vom 24. Oktober 1789, wo es heißt: »Wende ich die Grundsätze auf die Staaten an, so finden ich, daß es auch unter Staaten keinen eigentlichen Stand der Natur giebt. Denn entweder sind zwei Staaten durch ihre Lage so getrennt, daß sie auch nicht in einer einzigen Connexion mit einander stehen: alsdann aber sind sie einander Nichts; oder sie sind in irgend eine Verbindung getreten, sie sei so einseitig, so wenig umfassend als man will: sogleich entstehen Verabredungen,

198 | Gideon Stiening

und ebenso überraschend, weil er an der Bindung des Herrschers durch eine theonome Normativität in diesem Zustand gleichwohl festhalten wird. Bevor zu diesem Argumentationsschritt überzugehend ist, muss noch festgehalten werden, dass Garve jeden Princeps auch in innenpolitischer Hinsicht in einer Stellung sieht, die von den Begrenzungen seiner Handlungen durch das positive Recht befreit ist. Schon in dem oben aufgerufenen Zitat, das von einer spezifischen Bindung aller Souveräne an Gesetze sprach, die gleichwohl weder auf Marmortafeln geschrieben seien noch durch staatliche Zwangsgewalt ihre Geltung und Verbindlichkeit erhielten, wurde dieser Sachverhalt deutlich. In den 43 Paragraphen des Fürstenspiegels zum Ende der Abhandlung heißt es dazu gleich zu Beginn: »Ueberdieß bist du der oberste Richter der Menschen in deinem Lande. In allen andern Ländern findest du niemanden der dein Richter sey. Das Vorrecht ist groß: aber die Last welche dir dadurch aufgelegt wird, ist noch viel größer. Andre werden geleitet durch Gesetze: du sollst dich selbst leiten. Andre dürfen in den meisten Fällen nur die Handlungen nach unwandelbaren Regeln, – du mußt oft die Regeln selbst prüfen. Wie viel mehr ist deinen Einsichten und deinem moralischen Gefühl als den Einsichten und den Gewissen andrer Menschen überlassen! Welche Aufforderung an dich, jene so vollständig, dieses so empfindlich, beyde so richtig machen als es möglich ist!«72

Auch für Garve wie für eine lange Tradition staatspolitischer Theoretiker seit der Antike ist jeder Herrscher dem Prinzip des Princeps legibus solutus unterworfen, das ihn in allen seinen Handlungen als Legislator, Exekutor und Judikator von den Gesetzen seines Landes befreit.73 Damit aber ist Garves Herrscher von allen denkbaren Rechtspflichten befreit, von den positiven des Staates wie von den überpositiven des Naturrechts. Gleichwohl soll jeder Herrscher nicht allein nach politprudentiellen Kriterien der ratio status agieren, sondern spezifischen Gesetzen unterworfen sein, die nach diesen Ausgrenzungen nur noch ethische, also Tugendpflichten sein können.74 Wie schon erwähnt, ist die höchste dieser Tugendpflichten die Mehrung der Glückseligkeit möglichst vieler Untertanen und der ganzen Menschheit, und unter diese Maxime soll die Fähigkeit der politischen Klugheit subsummiert werden: Insofern also das was du Staats-Interesse nennst mit der Glückseligkeit der größten Zahl der Einwohner deines Landes einerley ist: insofern kanst du vieles dafür wagen, und jeden der diesem Interesse im Wege steht, mit Kühnheit bestreiten. Du kanst dieß um so viel mehr, weil du

|| Verträge und Rechte«; zitiert nach Friedrich von Gentz: Briefe an Christian Garve. (1789–1798). Hg. von Carl Schönborn. Breslau 1857, S. 15. 72 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 142. 73 Vgl. hierzu u. a. Dieter Wyduckel: Princeps legibus Solutus. Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts und Staatslehre. Berlin 1979. 74 Vgl. hierzu auch Hume: Prinzipien der Moral (s. Anm. 35), S. 126f.

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 199

hier des Widerstandes viel weniger finden, der gewagten Schritte weit weniger benöthigt seyn wirst.75

Weil alle Souveräne also – durch keinerlei Rechtspflichten gebunden – nur ihrer Vernunft und ihrem Gewissen folgen müssen, besteht jener erhebliche Bedarf an der Ausbildung ihres Verstandes und ihres Herzens, deren Zusammenspiel gewährleisten soll, dass sich der als moralische Maxime interpretierte utilitaristische Staatszweck mit den besten Mitteln der Staatskunst verbindet. Ein Beispiel dieser Ausbildung des Regenten zum tugendhaften und politklugen Herrscher ist für Garve die eigenen Abhandlung. Dabei ist der sowohl innerstaatlich als auch im Rahmen internationaler Beziehungen an kein Recht gebundene Herrscher auf spezifische Handlungsziele auszurichten, die mit einem erneuten Blick auf Garves Naturzustandstheorie erläutert werden können.

5 Garves Naturzustandstheorem II Garve ergänzt seinen anfänglichen Hobbes-Bezug um substanziell andere Elemente bei der konkreteren Ausführung des Naturzustandes; dieser sei nämlich durch insgesamt drei Momente zu charakterisieren: Erstlich, jeder muß nicht nur für seine Sicherheit selbst sorgen, sondern jeder ist auch allein Richter darüber, was zu seiner Sicherheit gehört. Zweytens die Gewissens- und die Zwangspflichten sind in Absicht des wirksamen Grundes ihrer Verbindlichkeit, nicht unterschieden; oder mit andern Worten, der unabhängige Mensch hat keine andre Bewegungsgründe gerecht zu handeln, als die er auch hat, wohlthätig zu seyn. Drittens, das Eigenthumsrecht wird nicht durch so deutliche und so unverletzliche Regeln bestimmt.76

Der Naturzustand ist nach Garve also erstens dadurch bestimmt, dass jeder Mensch für sein eigenes Überleben sorgt und über die Mittel ausschließlich selbst entscheidet. Erkennbar werden diese Sachverhalte in deskriptiven Urteilen erfasst, also keinerlei Normen entfaltet. Selbst das ipse-iudex-Prinzip ist eine Tatsache, kein Anspruch. Im Hinblick auf das anthropologische Grunddatum der Selbsterhaltung ist der Naturzustand für Garve das, was Carl Schmitt als wesentliches Element des Ausnahmezustandes bestimmte: die Abwesenheit aller Form von Normativität.77 Zweitens aber – und darin findet die Analogie zu Schmitt ihre Grenze – sind im Naturzustand innere und äußeren Pflichten, Gewissens- und Zwangspflichten iden-

|| 75 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 149. 76 Ebd., S. 7. 77 Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. Berlin 92009, S. 18.

200 | Gideon Stiening

tisch. Entscheidend ist zum einen, die genaue Formulierung zu beachten, denn es gibt nicht gar keine äußeren Pflichten im Naturzustand, sondern diese sind lediglich identisch mit den inneren; und zum anderen ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass es überhaupt Pflichten im Naturzustand gibt, nämlich – wie schon mehrfach hervorgehoben – ethische, deren Geltung also gegenüber dem Unterschied von status naturalis und status civilis indifferent ist. Diese gleichsam uneinschränkbare Geltung ethischer Normen unterscheidet Garve aber eben nicht nur von Schmitt, sondern auch von Hobbes, der die Verbindlichkeit von Moral eng an den status civilis band.78 Worin aber besteht bei Garve die Normquelle dieser ethischen Pflichten? Drittens macht den Naturzustand ein problematischer Eigentumsbegriff aus, der vom Besitz nur schwer zu unterscheiden sei, wie Garve ausführt: »Eigenthum, sage ich, ist ein moralisches Verhältnis, zwischen Personen. Es ist mit dem Besitz eins und dasselbe, wenn der Mensch allein ist.«79 Mit den umfangreichen Ausführungen zu diesem dritten Element des Naturzustandes, das eine komplexe Auseinandersetzung mit Wolffs Reflexionen auf dessen Eigentumsbegriff ausführt,80 verfolgt Garve mehrere Ziele: Zum einen macht er mit Hume deutlich, dass es Eigentum nur unter den vertraglichen Bedingungen des status civilis geben kann, der recht eigentlich erst Besitz zum Eigentum erhebt;81 zum anderen weist er erneut mit Hume darauf hin, dass es Sache der menschlichen Klugheit, weil zu Nutzen aller einzelnen Menschen ist, die Sicherheit des Eigentums durch den Ausgang aus dem Naturzustand zu erhalten. Hatte Hume jedoch ausschließlich auf die »Grade menschlicher Klugheit« im Hinblick auf das Verlassen jenes »wilden Zustands« gesetzt,82 worin ihm Garve in einem ersten Schritt gefolgt war, indem er ebenfalls behauptet, dass die Menschen »Verstand genug haben werden, um einzusehen, wie nützlich es für alle ist«,83 Eigentumsgarantien zu erhalten. Gleichwohl erweitert er dieses Argument um die auch für den Naturzustand geltende Erkenntnis, »daß wo mehrere Menschen beysammen sind, Friede unter ihnen die erste und nothwendigste Bedingung ist,

|| 78 Vgl. hierzu Thomas Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Hg. von Iring Fetscher. Frankfurt a. M. 1984, S. 131f. 79 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 21. 80 Vgl. hierzu Christian Wolff: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle 1754 [WGW I.19], S. 116–185; zu einer differenzierten Analyse der Kontroverse mit Wolff vgl. Stolleis: Staatsraison (s. Anm. 11), S. 27ff. 81 Hume: Prinzipien der Moral (s. Anm. 35), S. 120ff.; siehe hierzu auch Christel Fricke: Die Eigentumsfrage bei David Hume und Adam Smith. In: Andreas Eckl, Bernd Ludwig. München 2005, S. 118–132. 82 So David Hume: Traktat über die menschliche Natur. Hg. von Reinhard Brandt. 2 Bde. Hamburg 1989, Bd. 2, S. 235f. 83 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 26.

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 201

unter welcher nur allein es jedem einzeln möglich wird, an seinem Wohl zu arbeiten«.84 Es ist also nicht allein die Klugheit der Besitzsicherung durch Eintritt in den Gesellschaftszustand, sondern auch die Einsicht in die Friedensbedingungen für jedes Verfolgen des eigenen und des allgemeinen Wohls, die das exeundum nahelegt, zwar hat auch diese Einsicht keine normative Qualität, aber sie ist mehr oder anders als reine Privatklugheit. Garve überträgt nun – und hierin besteht sein eigentliches Interesse an der ausführlichen Behandlung des Besitz- und Eigentumsproblems im Naturzustand – seine Überlegungen auf die Ebene der internationalen Beziehungen. Hier zeigt sich, weil die »positiven Vorschriften des Völkerrechts« keinen echten Rechtscharakter haben, dass die einzelnen Souveräne über den Umfang ihres »Staat-Eigenthums«85 selbst entschieden können und müssen. Auf diesem Feld im Besonderen kommt es folglich auf die Befähigung zur Anwendung ausgebildeter Verstandes- und Herzensleistungen an, um der Erkenntnis der notwendigen Einhaltung des Friedens angemessen Rechnung tragen zu können: Die Staaten und ihre Beherrscher haben sich jenes Rechts nicht ohne Ausnahme begeben können. Besonders in den Fällen, wo die Fragen über das Eigenthum wirklich verwickelt sind, und wo die Verträge nicht deutliche Ansprüche thun, (welche Fälle der Civil-Richter nach Analogien entscheiden müßte,) erlaubt ihnen Vernunft und Natur, nach ihrer eignen Einsicht des allgemeinen Besten zu handeln.86

Garve ist zwar davon überzeugt, dass »mit jeder Generation das Völkerrecht sowohl vollständiger als heiliger wird«;87 doch bleibt dies, weil die Souveräne keine Richter über sich haben und zumeist lediglich bilaterale Verträge geschlossen werden, die nach Bedarf der ratio status auch wieder aufgekündigt werden können, eine Hoffnung auf graduelle Verbesserungen eines insgesamt defizitären Zustands. Umso mehr kommt der Vernunft und der Weisheit eines jeden Herrscher besonderes Gewicht zu. Doch die Frage bleibt: Wer garantiert die praktische Notwendigkeit der ihnen ausdrücklich auferlegten Pflichten?

|| 84 Ebd., S. 25. 85 Ebd., S. 28. 86 Ebd., S. 35. 87 Ebd., S. 32.

202 | Gideon Stiening

6 Abschluss: Der Schöpfer als Verbindlichkeitsinstanz Garve übernimmt die seit Hobbes als Prämisse anthropologisch fundierter Naturzustandstheorie firmierende Annahme eines Selbsterhaltungstriebes, der aufgrund des Mangels einer mit Zwangsgewalt ausgestatteten Instanz hinsichtlich seiner Mittel und Zwecke vom einzelnen Herrscher selbst zu realisieren ist. Dieses Argument bleibt allerdings eines der theoretischen Anthropologie, weil damit keinerlei normative Qualitäten verbunden werden. Eine Ableitung eines Rechts auf Selbsterhaltung aus dem Trieb zur Selbsterhaltung wie bei Hobbes gibt es hier nicht.88 Vielmehr wird dieses Grunddatum einer theoretischen Anthropologie mit einem der praktischen Anthropologie verbunden, indem dem einzelnen, um seine Sicherheit besorgten Princeps im Naturzustand gleichursprünglich die Ausrichtung seines Handelns an inneren Pflichten attestiert wird, deren Verbindlichkeit den bellum ominum contra omnes einhegen soll. Natürlich musste sich vor diesem Hintergrund die Frage stellen, was denn die Geltung und Verbindlichkeit dieser inneren Normen, die zugleich äußere sein sollen, nach Garve garantiert? Und natürlich stellt sich dann auch die Frage, wenn schon innere und äußere Pflichten zusammenfallen, fallen dann im Naturzustand auch Geltung und Verbindlichkeit dieser Pflichten zusammen? Diese Garantieinstanz ist allerdings nicht unmittelbar der Schöpfer, sondern in einem ersten Schritt die »Natur des Menschen«.89 Garve hatte mit Nachdruck deutlich gemacht, dass ihm dieser Punkt besonders wichtig ist: Es sind der Verstand und das Herz der Regenten, die auf internationaler Ebene den bellum onium contra omnes abmildern können sollen. Die natürlichen Gesetze, die überpositiv und doch nicht naturrechtlich sein können, sind zunächst in ihrer objektiven Geltung und ihrer subjektiven Verbindlichkeit zu differenzieren. Zwar hat sich Garve mit Wolff vom Voluntarismus Pufendorfs abgewandt, für den Verbindlichkeit von Gesetzen ausschließlich durch ein Herrschaftsgefälle zwischen Obrigkeit und Untertanen zu garantieren sind. Dennoch unterscheidet Garve zwischen dem Verstand, der dem Menschen die Gehalte der Gesetze liefert und dem Herzen (er sprich, wie erwähnt, auch vom Gewissen), das die Verbindlichkeit durch die Ermöglichung negativer Sanktionen – gemeint sind die quälenden Gewissensbisse – sichert. Garve macht im unmittelbaren Anschluss mit Nachdruck gegen Hobbes deutlich, dass der Nachweis der Existenz und Wirksamkeit von Verbindlichkeit moralischer Normen im Naturzustand von essentieller Bedeutung für jede politische Theorie ist. Ohne Herz oder

|| 88 Vgl. hierzu Manfred Baum: Diskussionsbeitrag zur Rationalität im Naturzustand bei Thomas Hobbes. In: Hüning (Hg.): Der lange Schatten des Leviathan (s. Anm. 31), S. 143–152. 89 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 11.

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 203

Gewissen und damit ohne die Verbindlichkeit moralischer Gesetze im Naturzustand kein status civilis, also kein Recht, kein Staat, keine Kultur. An dieser Stelle der Argumentationsbewegung kann man anschaulich den substanziellen Unterschied zwischen Hobbes und Kant einerseits und Garve und Hume andererseits erkennen: Ist der Grund für das Postulat des exeundum e statu naturali bei Hobbes und Kant ein rein formaler, weil es einen zu vermeidenden Widerspruch bedeutet, in ihm verbleiben zu wollen,90 so basiert die vergleichbare Argumentation bei Garve auf einer materialen Klugheitslehre und Ethik – Garve spricht von Gerechtigkeitsbestimmungen. Dennoch unterscheidet sich Garves materiale Polit-Ethik auch deutlich vom Naturrecht bei Pufendorf, Wolff oder Achenwalls, denn er hat das hobbessche Argument, dass es im Naturzustand keinerlei Rechte geben kann, weil es an einer Zwangsgewalt mangelt, wohl verstanden und aufgenommen. Ausdrücklich heißt es – gegen Achenwall, der das ausführlich begründet hatte91 –, dass es im Naturzustand auch nicht durch erlittenes Unrecht ein Recht auf Widerstand bzw. ein Recht auf Krieg geben könne. Er wird in der Folge begründen können, wie Präventivkriege politisch, also prudentiell zu legitimieren sind, aber ein Recht auf Krieg gibt es nicht erst bei Kant nicht mehr, das bellum iustum schafft schon Garve ab,92 weil es in solcherart Auseinandersetzungen im Naturzustand nur die Macht, nicht aber das Recht, der »Sehnen und Muskeln« gibt.93 Gegen die sich auch im deutschsprachigen Materialismus – u. a. bei Hißmann und Johann Karl Wezel – durchsetzende Annahme, es gebe so etwas wie ein ›Recht des Stärkeren‹, ja recht eigentlich gebe es nur dieses Recht,94 hält Garve an dem Nachweis der objektiven Antinomie eines Rechts des Stärkeren fest. Wenn aber die natürlichen Gesetze, die in Verstand und Herz des Herrschers eingeschrieben sein sollen, nicht als Rechte beispielsweise auf Widerstand oder Krieg zu interpretieren sind, wenn sie keinerlei Zwangsrechte implizieren, welche normative Qualität enthalten sie dann? Hier wird die Identität von inneren und äußeren Pflichten von prägender Bedeutung, denn die entscheidende Pflicht des Menschen gegen sich und gegen andere ist die Wohltätigkeit bzw. das Wohlwollen, oder präziser »die Liebe«. Schon zu Beginn der Abhandlung hatte Garve entwickelt,

|| 90 Hobbes: De Cive (s. Anm. 57), S. 68/69ff. (I.13ff.). 91 Achenwall, Pütter: Angangsgründe des Naturrechts (s. Anm. 66), S. 149ff. 92 Zur Tradition dieses Theorems vom bellum iustum vgl. u. a. Jessicas Jensen: Krieg um des Friedens willen. Zur Lehre vom gerechten Krieg. Baden-Baden 2015. 93 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 14. 94 Vgl. hierzu u. a. Dieter Hüning: Michael Hißmanns Beitrag (s. Anm. 23) sowie Gideon Stiening: Natural Sociability? The Aristotelian Tradition as a Challenge to Modern Natural Law as Reflected in European Enlightenment Literature: Jonathan Swift – Jean-Jacques Rousseau – Johann Karl Wezel. In: Andrew J. Johnston, Margitta Rouse, Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hg.): Transforming Topoi: The Exigencies of Tradition. Göttingen 2018, S. 147–168.

204 | Gideon Stiening

dass im Naturzustand Gerechtigkeit und Wohltätigkeit identisch seien;95 nunmehr fügt er präzisierend hinzu: Es gibt nur einen, ganz fixen Punkt in der Moral: das ist der der Liebe – da ein Mensch das Wohl des andern mit dem seinigen aufs möglichste zu verbinden sucht.96

Diese Anwendung von Galater 5,14 auf das Problem der Normativität des Menschen im Naturzustand weist erstens auf die Wirkmacht religiöser Begriffe und Kategorien in Garves Politikkonzept hin; zweitens aber erhält sie im Laufe des Textes eine Differenzierung, die – bei aller Betonung der Selbsterhaltung als »höchster Absicht«97 – eine Überordnung der Wohltätigkeit gegen den anderen über die Sorge um sich selbst enthält. Denn die vis obligandi der Pflicht zu Wohltätigkeit und Liebe ist quantifizierbar gemäß der Zahl an Individuen, die damit zu beglücken sind. Das Prinzip des größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl enthält also in sich die Notwendigkeit der Überordnung der Pflichten gegen anderen über die Pflichten gegen sich selbst. Garve macht dabei ausdrücklich deutlich, dass dieses utilitaristische Grundprinzip keines der technisch-praktischen, sondern der moralischpraktischen Vernunft sein soll: »Das Uebergewicht großer Gesellschaften von Menschen über kleine, ist nicht bloß physisch, sondern moralisch.«98 Das Klugheitsprinzip des Utilitarismus wird damit handstreichartig moralisiert.99 Nur in dieser normativen Kontur kann es dann auch die politische Funktion erhalten, die Garve anstrebt, nämlich in der Ausrichtung der staatlichen Souveräne am Wohl der größtmöglichen Zahl, und das ist die Menschheit. Diese Intention politischen Handelns der Souveräne soll dann auch – ohne auf eine Universalmonarchie hinauszulaufen, die Garve wie Kant ablehnt100 – zu einer Befriedung der Menschheit führen. Nicht allein die normative Aufladung des utilitaristischen Nutzenprinzips zur moralischen Maxime, sondern vor allem dessen Verknüpfung mit einer christlichen Liebesethik, die recht eigentlich den Motivationskern der politischen Ethik Garves

|| 95 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 13f. 96 Ebd., S. 136. 97 Ebd., S. 137. 98 Ebd., S. 48. 99 Es ist der durch die kantische Philosophie geschulte Friedrich Gentz, der Garve dies zum Vorwurf machen wird, weil er von Pflichten eine echte »moralische Nötigung« verlangt, die in Garves Maxime aber fehle; vgl. Gentz: Briefe (s. Anm. 71), S. 13. 100 Garve: Abhandlung (s. Anm. 1), S. 87: »Die Zerstückelung von Europa in viele Reiche von mäßigem Umfange ist eine der Hauptstützen seiner Cultur und höhern Sittlichkeit, aber auch seines Völkerrechts. Eine Universal-Monarchie, oder eine ihr nahe kommende Macht würde für Europa den Schaden thun, den der Despotismus in einem einzelnen Lande thut: sie würde alten gemeinschaftlichen Verabredungen Vieler, allen Berathschlagungen, Negociationen, Debatten, eine Ende machen, wodurch erst die Begriffe von dem was Recht ist, aufs Reine gebracht worden sind.«

Der Souverän als »Werkzeug der Vorsehung« | 205

ausmacht, ist letztlich nur möglich durch die schon eingangs zitierte Wirkmacht des Schöpfers, in dessen Geist jeder Princeps zu regieren habe: Das höchste erdenkliche Gesetz aller menschlichen Handlungen ist, zu thun, was dem Menschengeschlechte im Ganzen genommen am nützlichsten ist. Also eine zahlreiche Gesellschaft von Menschen hat einen Vorzug von einem einzelnen Menschen, die Erhaltung von jener ist etwas wichtigeres als die Erhaltung von diesem, ihr Wohl ist ein größres Stück von der gesamten Glückseligkeit, welche den Endzweck der Schöpfers ausmacht.101

Und so steht am Anfang und am Ende dieser ›Politik‹ die Macht und Weisheit des Schöpfers, der allein alle Kohärenzprobleme zwischen Selbstliebe und Geselligkeit, zwischen Herrscher und Untertan und zwischen allen unabhängigen Souveränen zu lösen vermag. Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses kann es nicht überraschen, dass Kant gegen diese Konzeption von Politik mit großer Wucht anging,102 dass aber auch Garve bis ans Ende seines Lebens mit Kants politischer Theorie ins Gericht gegen musste.103

|| 101 Ebd., S. 40. 102 Vgl. hierzu erneut Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. In: AA VIII, S. 370ff. 103 Siehe hierzu den Beitrag von Franz Hespe in diesem Band.

Dieter Hüning

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« Kants Garve-Kritik im Gemeinspruchaufsatz

1 Kant und Garve − die Geschichte fortdauernder Missverständnisse Man könnte, wollte man eine Entwicklungsgeschichte der kritischen Philosophie Kants schreiben, dies unter dem Aspekt seiner Kritik an der Popularphilosophie bzw. seines Verhältnisses zu Christian Garve tun. Es wäre zugleich eine Geschichte fortdauernder Missverständnisse auf Seiten der Popularphilosophie und insofern die Geschichte einer gescheiterten Kommunikation. Die Auseinandersetzung mit dem Breslauer Philosophen begleitet Kant vom Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft bis hin zum Tode Garves im Dezember 1798. Diese Auseinandersetzungen beginnen bekanntlich mit Garves Rezension der Kritik der reinen Vernunft in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen vom 19. Januar 1782, die eine heftige Reaktion Kants in den Prolegomena zur Folge hatten. Kant wirft dort dem anonymen Rezensenten vor, er sei unfähig gewesen, »über seine Schulmetaphysik hinauszudenken«,1 und habe deshalb den kritischen Idealismus der Kritik der reinen Vernunft völlig missverstanden. Nachdem Garve sich − wenigstens partiell − zur Rezension bekannt hatte, wenngleich er die Hauptschuld der Missverständnisse unzutreffenderweise auf Feder, den Bearbeiter seiner Rezension, geschoben hatte,2 schrieb Kant ihm einen freundlich gehaltenen Brief, in welchem er Garve ein paar vordergründi-

|| Für Korrektur und Verbesserungsvorschläge danke ich Isabella Zühlke (Trier). 1 Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft will auftreten können, AA IV, S. 373. 2 Wobei das Hauptmissverständnis, Kants Transzendentalphilosophie für einen Idealismus à la Berkeley zu halten, auf Seiten Garves liegt, vgl. den Brief von Jakob Sigismund Beck an Kant vom 10. Nov. 1792, in dem Beck über seine Gespräche mit Eberhard berichtet: »Der Professor Garve war vor einiger Zeit hier, und Herr Pr. Eberhard hat mir einiges von seinen Gesprächen mit ihm, in Beziehung auf die critische Philosophie mitgetheilt. Er sagt, daß so sehr auch Garve die Critick vertheidigt, so habe er doch gestehen müssen, daß der critische Idealism und der Berkleysche gänzlich einerley seyn« (AA XI, S. 384). Dagegen ist Bernd Ludwig der Ansicht, »that its [der Göttinger Rezension der KrV, D.H.] harsh criticisms and the attempt to associate Kant with Berkeley had their origin in Feder«; Bernd Ludwig: Kant, Garve, and the Motives of Moral Action. In: Journal of Moral Philosophy 4.2 (2007), S. 184. https://doi.org/10.1515/9783110647747-011

208 | Dieter Hüning

ge Komplimente machte, indem er ihn als »aufgeklärten philosophischen Geist« apostrophierte und ihm »einen durch Belesenheit und Weltkenntnis geläuterten Geschmack« attestierte. Der Brief macht auch deutlich, warum Kant Garve offenkundig schont, denn er bittet ihn »sein Ansehen und [seinen] Einfluß zu gebrauchen«, um die »Feinde« seiner Theorie zu einer möglichst genauen Prüfung der Kritik der reinen Vernunft zu »erregen«.3 Wenn wir darüber hinaus dem Bericht von Johann Georg Hamann glauben dürfen, so war Garves Übersetzung und Kommentierung von Ciceros Schrift De officiis der unmittelbare Anlass für die Abfassung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kant hatte seit der Mitte der 1760er Jahre des Öfteren die Publikation einer »Metaphysik der Sitten« angekündigt. Noch am 11. Januar 1782 berichtet Hamann in einem Brief an seinen Verleger Hartknoch: »Kant arbeitet an der Metaphysik der Sitten«. Am 19. Januar 1782 erscheint dann die berühmt-berüchtigte Rezension der Kritik der reinen Vernunft in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen. Die Rezension erwähnt auch die »Art, wie der Verf. endlich der gemeinen Denkart durch moralische Begriffe Gründe unterlegen will, nachdem er ihr die speculativen entzogen hat«. Darauf will der Rezensent allerdings nicht näher eingehen, weil er sich »darein am wenigsten [habe] finden können«. Die gewöhnliche Methode der Moralbegründung, nämlich die »Begriffe vom Wahren und die allgemeinsten Gesetze des Denkens an die allgemeinsten Begriffe und Grundsätze vom Rechtverhalten anzuknüpfen, die in unserer Natur Grund hat«, erkennt der Rezensent jedoch »in der Wendung und Einkleidung des Verf. nicht«.4 Auf diese Andeutung bezüglich seiner Moralbegründung bezieht sich Kant in einer Vorarbeit zu den Prolegomena. Er stellt dort fest, dass der Rezensent dem Prinzip der Moral »eben so wenig als denen Principien der M[ö]glichkeit einer Metaphysik nachgegangen oder es getroffen zu haben scheint«.5 Wenig später heißt es dann in der gleichen Vorarbeit: Es haben schon längst Moralisten Eingesehen[,] daß das Princip der Glückseeligkeit niemals eine reine Moral[,] sondern nur eine Klugheitslehre die sich auf ihren Vortheil versteht[,] gebe. [...] Nun ist die Frage[,] wie ist ein categorischer Imperativ möglich[,] wer diese Aufgabe auflöset[,] der hat das echte princip der Moral gefunden. Der Rec: wird sich vermutlich eben so wenig daran wagen wie an das wichtige Problem der Transcendental philos.[,] welches mit jenem der Moral eine auffallende Aehnlichkeit hat. Ich werde die Auflösung in Kurzem darlegen.6

Nachdem sich Garve am 13. Juli 1783 als Autor bzw. Mitautor der Göttinger Rezension zu erkennen gegeben und nachdem Kant im Herbst 1783 Garves Cicero-Edition || 3 Vgl. Kants Brief an Garve vom 7. August 1783, AA X, S. 340. 4 Garve/Feder: Rezension der Kritik der reinen Vernunft. In: Oscar Fambach: Ein Jahrhundert deutscher Literaturkritik (1750–1850). 5 Bde. Berlin 1959, Bd. 3 [Der Aufstieg zur Klassik (1750–1795)], S. 310–314, hier S. 313. 5 AA XXIII, S. 56. 6 Ebd., S. 60.

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« | 209

zur Kenntnis genommen hatte, glaubte er offenbar, mit der Veröffentlichung seiner Moralphilosophie nicht länger zögern zu dürfen. In einem Brief an Herder vom 8. Februar 1784 bringt Hamann diese Absicht mit Garves Cicero-Edition in Verbindung: Kant soll an einer Antikritik − doch er weiß den Titel selbst noch nicht − über Garves Cicero arbeiten. Ich besuchte ihn heut vor 8 Tagen. Er studirte im Garve, dachte aber nicht an eine Gegenschrift.7

Am 25. März 1784 heißt es dann in einem weiteren Brief von Hamann an Herder: Die Antikritik wird nicht unmittelbar gegen die Garvesche Rezension, sondern eigentlich gegen seinen Cicero gerichtet seyn, und vermittelst dessen eine Genugthuung für jene werden.8

Am 2. Mai 1784 stellt Hamann in einem weiteren Brief an Herder fest: Die Antikritik über Garvens Cicero hat sich in einen Prodomus der Moral [d. h. die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, D. H.] verwandelt.9

Die kritische Auseinandersetzung mit Garve setzt sich auch in den folgenden Jahren fort: Sowohl im Gemeinspruchaufsatz als auch im Anhang der Schrift Zum ewigen Frieden wird die Kritik an Garve fortgesetzt. Der Briefwechsel zwischen beiden Philosophen endet mit Garves Zusendung der Kant gewidmeten Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre (Breslau 1798)10 im September 1798 und Kants unmittelbar erfolgenden brieflichen Antwort vom 21. September 1798, in der Kant großen Anteil an der schweren Erkrankung Garves nimmt, allerdings nicht ohne seinerseits auf den ›tantalischen Schmerz‹ zu verweisen, den ihm selbst das noch ungelöste Problem des »Übergang[s] von den metaphys. Anf. Gr. der N. W. zur Physik« bereitet.11 Aber noch in diesem Brief sieht sich Kant zu einer Klarstellung, was der systematische Ausgangspunkt der Kritik der reinen Vernunft gewesen sei, gezwungen. Anders als Garve vermutet hatte,12 war nicht die Untersuchung vom Daseyn Gottes, der Untersterblichkeit etc., [...] der Punct [...,] von dem ich ausgegangen bin, sondern die Antinomie der r. V.: Die Welt hat einen Anfang −; sie hat keinen Anfang etc. bis zur vierten: Es ist Freyheit im Menschen, − gegen den: es ist keine Freyheit, sondern alles in ihm ist Naturnothwendigkeit; diese war es welche mich aus dem

|| 7 Johann Georg Hamann: Briefwechsel. 5 Bde. Hg. von Arthur Henkel. Frankfurt a. M. 1955–1979, Bd. 5 [1783–1785], S. 123. 8 Ebd., S. 134. 9 Ebd., S. 147. 10 Siehe hierzu den Beitrag von Franz Hespe in diesem Band. 11 AA XII, S. 257. 12 Christian Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsere Zeiten. In: GGW VIII, S. 339.

210 | Dieter Hüning

dogmatischen Schlummer zuerst aufweckte und zur Critik der Vernunft selbst trieb, um das Scandal des scheinbaren Widerspruchs der Vernunft mit ihr selbst zu heben.13

Angesichts von Garves fortgesetzten Missverständnissen in Bezug auf Kants philosophische Intentionen ist es umso merkwürdiger, dass Kant dem Breslauer Philosophen, diesem selbsterklärten »Prediger des allgemeinen Menschensinnes«, diesem ebenfalls selbsterklärten »Feind[...] aller ächten Philosophie«, der nie mehr sein wollte als »ein populärer Philosph«14 und ein »Wetzstein für Andere«,15 persönlich stets mit Wertschätzung bzw. Nachsicht begegnet ist, während andere Kritiker wie Feder, Eberhard, Rehberg oder Gentz die volle Härte der kantischen Polemik zu spüren bekamen. In seinem Brief an Garve vom 7. August 1783 wird einer der Gründe für die relative Schonung, mit der Kant Garve behandelt, deutlich: Garve, Mendelsohn u. Tetens wären wohl die einzige[n] Männer die ich kenne, durch deren Mitwirkung diese Sache [d. h. die Auflösung der ›allgemeinen Aufgabe, wie synthetische Erkenntnisse a priori möglich seyn‹, D. H.] in eben nicht langer Zeit zu einem Ziele könnte gebracht werden.16

Aber zurück zur Rolle, die Garve bei der Entstehung der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten gespielt hat. Wenngleich der Name Garve in der Grundlegung nicht mehr auftaucht, bilden die von ihm in den Anmerkungen zur Cicero-Übersetzung vorgebrachten moralphilosophischen Positionen in gewisser Weise den Hintergrund von Kants eigenem Versuch einer »Aufsuchung und Festsetzung des obersten Princips der Moralität«17 − das ist nach Kants Formulierung die durchaus beschränkte Begründungsaufgabe der Grundlegungsschrift. Schon in der Vorrede zur Grundlegung zur Metaphysik der Sitten hatte Kant – um dem Verdacht vorzubeugen, seine Moralphilosophie stünde in Abhängigkeit von Wolffs Philosophia practica universalis und würde somit kein »ganz neues Feld« einschlagen – auf das Spezifikum seines Ausgangspunktes aufmerksam gemacht: Seine Ethik handele nur von einem Willen, »der ohne alle empirische Bewegungsgründe, völlig aus Principien a priori, bestimmt werde, und den man einen reinen Willen nennen könnte«. In dieser Abstraktion von allen empirischen Motiven sieht Kant die entscheidende Differenz seiner Ethik zu Wolff (und der ihm folgenden Popularphilosophie), denn Wolff habe »das Wollen überhaupt [...] in Betrachtung gezogen mit allen Handlungen und Bedingungen, die ihm in dieser allgemeinen Bedeutung zukommen«.18 Gerade deswegen

|| 13 AA XII, S. 257. 14 Christian Garve: Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Breslau 1798, S. 1 (GGW VIII). 15 Ebd., unpaginierte Widmung »An den Herrn Rector Manso«. 16 AA X, S. 341. 17 AA IV, S. 392. 18 Ebd., S. 390.

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« | 211

hätten es Wolff und seine Nachfolger unterlassen, diejenigen »Bewegungsgründe, die als solche völlig a priori bloß durch die Vernunft vorgestellt werden und eigentlich moralisch sind, von den empirischen, die der Verstand bloß durch Vergleichung der Erfahrungen zu allgemeinen Begriffen erhebt«, zu unterscheiden.19 Diese mangelnde Unterscheidung habe zur Folge gehabt, dass ihr »Begriff von Verbindlichkeit [...] nichts weniger als moralisch«, stattdessen bloß psychologisch bestimmt, d. h. auf die Glückseligkeit als Endzweck aller Handlungen bezogen gewesen sei.20 Die Moralphilosophie thematisiert nach Kant jedoch nicht das faktische Handeln der Menschen und die entsprechenden empirischen Motive, sie hat nichts mit den Fragen der empirischen Psychologie bzw. der empirischen Motivation zu tun. Vielmehr ist ihr Gegenstand eine reine Vernunftidee: Die Idee eines Willens, der »völlig aus Principien a priori« motiviert wird.

2 Die verbindlichkeitstheoretische Position Christian Wolffs Kants kritische Bemerkung, dass Wolffs »Begriff von Verbindlichkeit [...] nichts weniger als moralisch« sei, bedarf einer näheren Erläuterung. Sie betrifft nicht nur Wolff, sondern ebenso die handlungstheoretischen Überlegungen Garves. Zwar ist Garve kein Wolffianer im strikten Sinne, dafür ist der zeitliche Abstand zu Wolff und der Einfluss, den einerseits die durch Cicero vermittelte stoische Lehre und andererseits die Sozialphilosphie der Schotten auf ihn gehabt haben, zu groß. Aber der schon bezeichnete Umstand der Verknüpfung der (normativen) Frage der Verbindlichkeit einerseits und der psychologischen Frage der Handlungsmotivation andererseits ist charakteristisch für das wolffsche Erbe in Garves Schriften. Insofern scheint es zweckmäßig, diesen wolffschen Hintergrund zu skizzieren: Der Grund der Möglichkeit, zu einer Handlung als Pflicht verbunden zu werden, beruht nach Wolff auf der natürlichen Ausrichtung des Willens auf das Gute: »[A]ppetitus in genere est inclinatio animæ ad objectum pro ratione boni in eadem

|| 19 Ebd., S. 391. 20 Vgl. hierzu Garve: Uebersicht (s. Anm. 12), S. 376f.: »Wenn ein Princip, d. h. ein allgemein wahrer Satz, der eine höchste Regel für menschliche Handlungen aussagt, den Willen der Menschen bewegen soll, dieser Regel wirklich zu folgen: so muß nothwendig die Vorstellung, die im Principe liegt, und die ihm bloß ein von ihm verschiedenes, und ihm gleichgültiges Objekt ins Gemüth bringt, mit einer andern Vorstellung des Menschen, von einem ehmahls [...] wohlgefälligen Zustande seiner selbst, dergestalt in Verbindung gebracht werden, daß er einsieht, daß er von der Befolgung der Regel einen ähnlichen Zustand zu hoffen habe. [...] Und da die Glückseligkeit nichts anders ist, als die Summe von vielem Guten: so ist Glückseligkeit nothwendig der letzte Endzweck, − und die Hoffnung auf sie die erste Triebfeder der menschlichen Handlungen.«

212 | Dieter Hüning

percepti.«21 Wolff macht hierbei von dem traditionellen Konzept des appetitus rationalis Gebrauch, unter dem er wie schon die Scholastiker den Willen »im engeren Verstande« aufgefasst wissen wollte.22 Dass der Wille in dieser Weise auf das Gute ausgerichtet ist, liegt daran, dass die Vorstellung des Guten in uns ein Gefühl der Lust hervorbringt, so wie die Vorstellung des Bösen ein solches des Abscheus. Die Beziehung zu den pflichtgemäßen Handlungen, die das Gute befördern, ist dem Willen daher nicht äußerlich, sondern immanent. Dementsprechend definiert Wolff die obligatio naturalis als diejenige Verbindlichkeit, »quæ in ipsa hominis rerumque essentia atque natura rationem sufficientem habet«.23 Weil folglich alle Moralität unmittelbar in der Natur des Menschen verankert ist, tut ein vernünftiger Mensch Gutes und unterlässt das Böse nicht »in Ansehung der Belohnung und aus Furcht der Straffe«, sondern weil er sich aufgrund der Vorstellung des Guten selbst das Gesetz des Handelns gibt, ohne außer der Erkenntnis in die moralische Qualität einer Handlung eines weiteren Motivs zu bedürfen.24 Der Wille der Menschen ist so beschaffen, dass die Erkenntnis des Guten, das mit einer Handlung verknüpft ist, einen »Bewegungs-Grund des Willens [...], daß wir sie wollen«, darstellt, so wie umgekehrt die Erkenntnis des Bösen »ein Bewegungs-Grund des nicht Wollens, oder des Abscheues für einem Dinge« ist.25 In dieser Hinsicht ist die Verbindlichkeit mit der Motivierung des Willens durch die Vorstellung des Guten bzw. Bösen, das mit einer Handlung verknüpft ist, identisch. Moralität besteht deshalb für Wolff nicht in der äußeren Motivierung durch Drohungen und Belohnungen eines frem-

|| 21 Christian Wolff: Psychologia empirica, methodo scientifica pertractata, Frankfurt a. M., Leipzig 1738 [ND Hildesheim 1968], § 579; vgl. hierzu Andreas Thomas: Die Lehre von der moralischen Verbindlichkeit. In: Dieter Hüning, Karin Michel, Andreas Thomas (Hg.): Aufklärung durch Kritik. Festschrift für Manfred Baum zum 65. Geburtstag. Berlin 2004, S. 173f.: »Nach Wolff ist dem Willen aufgrund seines eigenen Wesens und seiner Natur ein höchster und letzter Zweck vorgegeben, durch den alle seine besonderen Zwecksetzungen und Handlungen bestimmt werden. Es ist das den Willen leitende natürliche Streben nach Vollkommenheit, das zufolge der Wolffschen Konzeption ein handelndes Subjekt an bestimmte Pflichthandlungen bindet.« 22 Christian Wolff: Der Vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, anderer Theil, bestehend in ausführlichen Anmerckungen. Frankfurt a. M. 41740, § 155 (ad § 492 der Dt. Metaphysik). 23 Christian Wolff: Philosophia practica universalis methodo scientifica pertractata. Frankfurt a. M., Leipzig 1738 [ND Hildesheim, New York 1971], I, 2, § 129. 24 Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen [Deutsche Ethik]. Frankfurt a. M., Leipzig 41733 [ND Hildesheim, New York 1976], § 38. 25 Ebd., §§ 6 . In seinen Anmerkungen zur Dt. Metaphysik (s. Anm. 23), § 155 (ad § 492 der Dt. Metaphysik), verweist Wolff darauf, dass er unter dem Willen »im engeren Verstande« wie die Scholastiker die »vernünfftige Begierde« (appetitus rationalis) versteht. Vgl. Wolff : Psychologia empirica (s. Anm. 22), § 586: »Repræsentatio boni est ratio sufficiens appetitus; repræsentatio mali ratio sufficiens aversationis.« Zu den systematischen Problemen, die mit dieser intellektualistischen Sicht der Willensfreiheit verbunden sind, vgl. Hans M. Wolff: Die Anschauung der deutschen Aufklärung in geschichtlicher Entwicklung. München 1949, S. 109ff.

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« | 213

den gesetzgebenden Willens, sondern in der inneren Willensbestimmung durch das handelnde Subjekt selbst, d. h. in der autonomen Ausrichtung des eigenen Willens auf die Forderungen des natürlichen Gesetzes: Weil wir durch die Vernunfft erkennen, was das Gesetze der Natur haben will; so braucht ein vernünftiger Mensch kein weiteres Gesetz [als das natürliche], sondern vermittels seiner Vernunft ist er ihm selbst ein Gesetz.26

Angesichts der motivationstheoretischen Ausdeutung des Verbindlichkeitsbegriffs kann man allerdings mit gutem Grund sagen, dass Wolffs Ethik − wenigstens was den Begriff der Verbindlichkeit angeht − eine Fortsetzung der empirischen Psychologie darstellt. Denn in Wolffs intellektualistischer Willenslehre erscheint der Wille als die »Neigung des Gemüthes gegen eine Sache um des Guten willen, das wir bey ihr wahrzunehmen vermeinen«. Demgegenüber ist das Nicht-Wollen die »Zurückziehung des Gemüthes von einer Sache um des Bösen willen, das wir bey ihr wahrzunehmen vermeinen«.27 Die Vorstellung des Guten bzw. des Vollkommenen erzeugt in uns eine Lust, die Wolff definiert als »ein Anschauen der Vollkommenheit«.28 Die Lust der Vorstellung des Vollkommenen wird ihrerseits zur Triebfeder der Ausführung sittlicher Handlungen. Diese in Wolffs Ethik zu beobachtende Psychologisierung des Obligationsbegriffs, die das Ziel verfolgt, »die rein positivistische Auffassung der Verbindlichkeit zu bekämpfen«, stellt in der Tat – wie Clemens Schwaiger hervorgehoben hat – eine ›tiefgreifende Neuerung‹ in der neuzeitlichen Obligationstheorie dar.29 Angesichts dieser Psychologisierung des Verbindlichkeitsbegriffs drängt sich allerdings die Frage auf, ob auf diese Weise nicht überhaupt das spezifisch Normative der Verbindlichkeit, nämlich dass es sich bei ihr um eine Sollensforderung, eine moralische Notwendigkeit handelt, in Psychologie bzw. in entsprechende motivationstheoretische Überlegungen aufgelöst wird. Denn Wolff

|| 26 Wolff: Deutsche Ethik (s. Anm. 18), § 24; ders.: Philosophia practica universalis I (s. Anm. 23), § 268: »Homo ratione valens & utens sibimetipsi lex est.« Christian Schröer: Naturbegriff und Moralbegründung. Die Grundlegung der Ethik bei Christian Wolff und deren Kritik durch Immanuel Kant. Stuttgart u. a. 1988, S. 213: »Der Schlüssel zum Kern der Wolffischen Moralbegründung liegt somit in der These, der vernünftige Mensch sei kraft seiner Vernunft sich selbst das Gesetz und brauche darüber hinaus keine weiteren Gesetze.« Siehe auch Clara Joesten: Wolffs Grundlegung der praktischen Philosophie. Leipzig 1931, S. 27ff. 27 Christian Wolff: Vernüfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt [Deutsche Metaphysik], Halle 111751 [ND Hildesheim, New York 1983], §§ 492f. 28 Ebd., § 404. 29 Clemens Schwaiger: Ein ›missing link‹ auf dem Weg der Ethik von Wolff zu Kant. Zur Quellenund Wirkungsgeschichte der praktischen Philosophie von Alexander Gottlieb Baumgarten. In: Jahrbuch für Recht und Ethik / Annual Review of Law and Ethics 8 (2000), S. 251f.: »Obligation ist gleich Motivation – so lautet, auf eine Kurzformel gebracht, Wolffs Lösung des Verbindlichkeitsproblems.«

214 | Dieter Hüning

behauptet ja gerade, dass der Wille durch die Vorstellung des Guten determiniert wird, sodass wir es hier nur mit der motivationalen Kausalität der Handlungen, ihrer durch die Vorstellung bedingten psychologischen Notwendigkeit, nicht aber mit einer irgendwie gearteten moralischen Notwendigkeit zu tun haben. Es stellt sich daher die Frage, wie sich − wenn der Wille durch die Vorstellung des Guten determiniert wird − diese psychologische Kausalität der Handlungen eigentlich von einer irgendwie gearteten moralischen Nötigung unterscheidet.30 Zwar liefert Garve in seiner Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre eine Kritik an Wolffs Moralphilosophie, insofern diese den »Begriff der Vollkommenheit so allgemein und abstrakt« gefasst hätte, dass er nicht mehr als moralisches Prinzip fungieren könne,31 aber in handlungstheoretischer Hinsicht bleibt Garve diesem schulphilosophischen Verständnis von Motivation, das zusätzlich durch seine Rezeption der schottischen Moralphilosphie bestärkt wurde,32 sein Leben lang treu; er interpretiert sogar Ciceros De officiis im Lichte der philosophia practica universalis.33 Demgegenüber scheint mir die Annahme von Bernd Ludwig, der in seinem instruktiven Aufsatz über Kant, Garve, and the Motives of Moral Action versucht hat, Kants Theorie der moralischen Motivation in einen größeren philosophiegeschichtlichen Zusammenhang der Etablierung einer neuen Konzeption der Kausalität in Newtons Principia Mathematica und den daran anknüpfenden moralphilosophischen Überlegungen von Samuel Clarke zu stellen, nicht plausibel.34

3 Die Rolle der dogmatischen Metaphysik in Kants Grundlegungsschrift Wie wir gesehen haben, war Kants Behauptung, dass der schulphilosophische »Begriff von Verbindlichkeit [...] nichts weniger als moralisch« sei, nur allzu gut be|| 30 Ich habe an anderer Stelle dieses Problem ausführlicher thematisiert, vgl. Dieter Hüning: Wolffs Begriff der natürlichen Verbindlichkeit als Bindeglied zwischen empirischer Psychologie und Moralphilosophie. In: Oliver-Pierre Rudolph, Jean-François Goubet (Hg.): Christian Wolffs Psychologie. Tübingen 2004, S. 145–169, bes. S. 158ff. 31 Garve: Uebersicht (s. Anm. 12), S. 176–182. 32 Bernd Ludwig: Kant, Garve, and the Motives of Moral Action. In: Journal of Moral Philosophy 4.2 (2007), S. 183–193, hier S. 188. 33 Christian Garve: Abhandlung über die menschlichen Pflichten, aus dem Lateinischen des Marcus Tullius Cicero. Teil 2: Die Anmerkungen. In: GGW X, S. 10: »Cicero theilt zuerst alle moralische Wissenschaft in zwey Haupttheile: in die Lehre von dem höchsten Gute [...] und in die von den Pflichten [...]. Diese Eintheilung ist allen Secten der alten Philosophen seit dem Socrates eigen; − sie ist auch den Neuern nicht fremde [...]. Jener erste Theil untersucht nämlich, die allgemeinen Gründe aller Verbindlichkeit, und das Wesen der Tugend: das ist unsre allgemeine praktische Philosophie.« 34 Ludwig: Kant (wie Anm. 32), S. 190ff.

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« | 215

gründet. Insofern ist hier eine unüberwindliche Grenzlinie zwischen der Moralphilosophie der Popularphilosophie und der kritischen Ethik Kants gezogen. Umso überraschender ist, dass Kant trotz dieser durchschlagenden Kritik dem schulphilosophischen Verständnis der Moralphilosophie im zweiten Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten erstaunlich weit entgegenkommt − jedenfalls weiter als dies nach der Kritik der reinen Vernunft eigentlich möglich wäre. Ich stütze mich im Folgenden auf einen richtungsweisenden Aufsatz von Manfred Baum mit dem Titel Metaphysik in Kants Moralphilosophie,35 der seinerseits an Überlegungen, die Klaus Reich in seinem Aufsatz Kant und die Ethik der Griechen angestellt hat,36 anknüpft. Im zweiten Abschnitt der Grundlegung findet sich eine Art Gedankenexperiment, in welchem Kant die Möglichkeit vorführt, »wie man das oberste Sittengesetz als kategorischen Imperativ für den Menschen ableiten kann, wenn man eine dogmatisch-metaphysische Annahme zu Grunde legt«.37 Diese Behauptung ist insofern erstaunlich, als Kant im ersten Abschnitt bereits gezeigt hatte, dass der ›unbedingte Werth‹ von Handlungen nicht von Absichten und Zwecken, die ein Mensch haben mag, sondern nur vom formellen »Princip des Willens«, und zwar »unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden können«,38 abhängt. Dieses formelle Prinzip, das die »allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt« fordert,39 ist selbstverständlich kein anderes als der kategorische Imperativ, »niemals anders [zu] verfahren als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime sollte ein allgemeines Gesetz werden«.40 Es stellt sich allerdings die Frage, warum Kant trotz des Beweises, dass der kategorische Imperativ das gesuchte Prinzip des an sich guten Willens ist, zusätzlich die Möglichkeit erörtert, den kategorischen Imperativ aus Voraussetzungen der dogmatischen Metaphysik anzuleiten, indem man denselben mit der »Idee der Menschheit als Zweck an sich selbst« verknüpft. Das moralische Gesetz lässt sich dann folgendermaßen formulieren: Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.41

Die Prämissen der dogmatischen Metaphysik, auf denen der Zweck an sich-Gedanke beruht, werden von Kant wie folgt angegeben:42 || 35 Manfred Baum: Metaphysik in Kants Moralphilosophie. In: ders.: Kleine Schriften. Bd. 2: Arbeiten zu Kants praktischer Philosophie. Hg. von Dieter Hüning. Berlin, Boston 2020, S. 313–332. 36 Klaus Reich: Kant und die Ethik der Griechen. In: ders.: Gesammelte Schriften. Hg. von Manfred Baum, Udo Rameil, Klaus Reisinger und Gertrud Scholz. Hamburg 2001, S. 138f. 37 Baum: Metaphysik in Kants Moralphilosophie (s. Anm. 35), S. 319. 38 Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. In: AA IV, S. 400. 39 Ebd., S. 402. 40 Ebd. 41 Ebd., S. 429.

216 | Dieter Hüning

[1.] Gesetzt aber, es gäbe etwas, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Werth hat, was als Zweck an sich selbst ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde in ihm und nur in ihm allein der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs, d. i. praktischen Gesetzes liegen. [2.] Nun sage ich: der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existirt als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen. […] [3. Daraus zieht Kant den Schluss:] Wenn es denn also ein oberstes practisches Princip und in Ansehung des menschlichen Willens einen kategorischen Imperativ geben soll, so muß es ein solches sein, das aus der Vorstellung dessen, was nothwendig für jedermann Zweck ist, weil es Zweck an sich selbst ist, ein objecitves Princip des Willens ausmacht, mithin zum allgemeinen praktischen Gesetz dienen kann. Der Grund dieses Princips ist: die vernünftige Natur existirt als Zweck an sich selbst.43

In Abgrenzung von Interpretationen, deren Zahl Legion ist, hat Manfred Baum hervorgehoben, dass der von Kant behauptete »›Grund dieses Princips‹ ein Satz der dogmatischen Metaphysik ist, der einer Kritik der reinen Vernunft in ihren metaphysischen Behauptungen nicht standhält«.44 Zur Stützung seiner Behauptung verweist Baum auf Kants Vorlesung über das Naturrecht (das sogenannte Naturrecht Feyerabend), die Kant zeitgleich mit seiner Arbeit an der Grundlegung gehalten hat. Dort hat Kant die dogmatisch-metaphysische Grundlage, warum der Mensch als Zweck an sich angesehen werden kann, darin kenntlich gemacht, dass »der Mensch [...] Zweck der Schöpfung« sei.45 Baum kritisiert in seinem Aufsatz die kaum übersehbare »Flut der Veröffentlichungen [...], in denen man Zitate aus dem Rest des 2. Abschnitts der Grundlegung findet, von denen angenommen wird, dass man, auf der Suche nach den Grundannahmen der Kantischen Moralphilosophie, in ihnen dasjenige finde, was den allgemeinen kategorischen Imperativ mit seinem verwünschten Formalismus erklärt und verständlich macht«.46 Dass Kant im zweiten Abschnitt der Grundlegung in der Tat nur ein Gedankenexperiment durchführt, um den Lesern mit popularphilosophischem Hintergrund sein Moralprinzip verständlicher zu machen, und nicht seine eigene philosophische Position präsentiert, kann man − worauf ebenfalls Manfred Baum hinweist − aus der genannten Naturrechtsvorlesung aus dem Jahre 1784/85 ersehen. Dort präzisiert Kant den metaphysischen Hintergrund der entsprechenden Überlegungen, wonach nur der Mensch »als Zweck an sich selbst angesehen werden kann«, und zwar deshalb, weil »der Mensch [...] der Zweck der Schöpfung« ist, bzw. weil »in der Welt der Zwecke [...] doch zuletzt ein Zweck seyn [muss], und das ist das vernünftige Wesen«.47 Den Grund dafür, dass || 42 Ich folge auch hierin der Rekonstruktion von Baum: Metaphysik in Kants Moralphilosophie (s. Anm. 36), S. 319f. 43 AA IV, S. 428f. 44 Baum: Metaphysik in Kants Moralphilosophie (s. Anm. 35), S. 320. 45 AA XXVII, S. 1319. 46 Baum: Metaphysik in Kants Moralphilosophie (s. Anm. 35), S. 319. 47 AA XXVIII, S. 1319.

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« | 217

Kant überhaupt im Rahmen von metaphysischen Prämissen argumentiert, deren Zurückweisung die Kritik der reinen Vernunft gewidmet war, sieht Manfred Baum in Kants ›volkspädagogischer‹ Absicht, »die erschreckende Abstraktheit seiner Lehre vom obersten Sittengesetz« auf diese Weise den Lesern nahezubringen.48 Ich würde hier den Akzent anders setzen: Mir scheint Kants Absicht eher darin zu bestehen zu zeigen, dass man selbst dann, wenn man wie Garve von Prämissen der dogmatischen Metaphysik bzw. von der Vorstellung einer zweckmäßigen Einrichtung der Welt ausgeht, die Notwendigkeit eines unbedingt geltenden moralischen Gesetzes plausibel machen kann, das vom Streben nach Glückseligkeit abstrahiert.

4 Garves Anmerkung von 1792 Wenn Kant gehofft hatte, durch sein weitgehendes Entgegenkommen im zweiten Abschnitt der Grundlegung Garve und andere Vertreter der Schulphilosophie vom Eudämonismus abgebracht zu haben, so wurde er einige Jahre später durch Garve eines Besseren belehrt. Bevor ich im Einzelnen auf Kants Kritik eingehe, möchte ich betonen, dass Kant sich im Gemeinspruchaufsatz in zweifacher Hinsicht kritisch auf Garve bezieht: 1. Im ersten Abschnitt des Gemeinspruchsaufsatzes nimmt Kant eine längere Anmerkung Garves über die »Glückseligkeit der empfinden Geschöpfe« als Endzweck der Welt,49 die Garve seiner Abhandlung Ueber die Geduld im ersten Band der Versuche von 1792 hinzufügt hatte, zum Anlass einer erneuten Kritik. Diese Anmerkung dient der grundsätzlichen Klärung des Verhältnisses von Moralphilosophie und Eudämonismus bzw. von Pflicht und Glückseligkeit. Schon am 30. Juli 1792 kündigt er Johann Erich Biester, dem Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, eine »moralische« Abhandlung »über Hrn Garve in seinen Versuchen 1. Theil neuerdings geäußerte Meynung von meinem Moralprincip« an.50 2. Aber dies ist nur der eine Aspekt der Bezugnahme auf Garve, die sich im Gemeinspruchaufsatz findet. Auch die allgemeine Problemstellung, nämlich das Verhältnis von Theorie und Praxis, hat sehr wahrscheinlich Ausführungen von Garve zu diesem Thema zum Ausgangspunkt. Nun bestreitet auch Kant nicht, dass »zwischen der Theorie und Praxis noch ein Mittelglied der Verknüpfung und des Überganges von der einen zur anderen erfordert werde«, insofern die besagte »Verknüpfung« durch einen »Actus der Urtheilskraft« bewerkstelligt werden muss.51 Aber Kant betrachtet es als einen »Skandal der Philosophie«, wenn diese Schwierigkeit || 48 Baum: Metaphysik in Kants Moralphilosophie (s. Anm. 35), S. 320f. 49 Christian Garve: Ueber die Geduld. In: GGW I, S. 81. 50 AA XI, S. 350. 51 Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch. In: AA VIII, S. 275.

218 | Dieter Hüning

der »Verknüpfung« von einem »Klügling« in die Behauptung eines Gegensatzes von Theorie und Praxis verwandelt wird, indem er zwar einräumt, die Theorie behalte »ihren Wert für die Schule (um etwa den Kopf zu üben)«, während in Bezug auf die Praxis gelte, »daß, wenn man aus der Schule sich in die Welt begiebt, man inne werde, leeren Idealen und philosophischen Träumen nach gegangen zu sein«.52 Dieser »Klügling«, von dem Kant hier spricht, ist niemand anderes als Garve. Garve hatte nämlich in seiner Abhandlung Einige zerstreute Betrachtungen über die Moral der Politik, die er seinen Anmerkungen zur Cicero-Übersetzung angehängt hatte,53 behauptet, dass »auf dem politischen Schauplatze der Eigennutz eine weit löblichere und gepriesenere Rolle spielt«, Politiker also ohne größere moralische Bedenken ihre Machtinteressen oder den Staatszweck verfolgen und auch verfolgen sollen, während »alles was der Moralist hiezu sagen kan, [...] fromme Wünsche [sind], die gemeiniglich denjenigen lächerlich scheinen, die am Ruder sitzen, und mit den Geschäften zu thun haben«.54 Weiter erklärt Garve: So viel leuchtet indessen ein: daß bey keiner Art von Geschäften, die allgemeinen Grundsätze, welche die Vernunft für richtig erkennt, [...] und die man also für Wahrheiten ansehen kan, wenn irgend etwas wahr ist, so sehr im Widerspruche sind mit der allgemeinen Praxis; im Widerspruche selbst mit dem was die Nothwendigkeit der Umstände, und die Lage, worein alte Irrtümer und Mißbräuche die Staaten gesetzt haben, in einzelnen Fällen als Pflicht zu erfordern scheint; − als bey den politischen Geschäften.55

Kant belehrt nun den ›Klügling‹ Garve, dass im Hinblick auf das Problem des Verhältnisses von Theorie und Praxis ein fundamentaler Unterschied zwischen einer empirischen »Theorie, welche Gegenstände der Anschauung betrifft«, und einer solchen, »in welcher diese nur durch Begriffe vorgestellt werden«, besteht, wie dies insbesondere bei den spekulativen »Objecten der Philosophie« der Fall ist. Bei solchen Objekten ist es allerdings sehr wohl möglich, dass sie widerspruchsfrei und insofern »ohne Tadel (von Seiten der Philosophie)« gedacht werden können, zugleich aber in der Erfahrung nicht »gegeben« werden und sich insofern als »leere Ideen« erweisen können. Wiederum anders liegt der Fall jedoch bei der Moralphilosophie als einer »Theorie, welche auf den Pflichtbegriff gegründet ist«, denn hier »fällt die Besorgniß wegen der leeren Idealität dieses Begriffs ganz weg«.56 Denn die Moralphilosophie handelt nicht davon, wie die Menschen faktisch handeln, sondern davon, wie sie handeln sollen; ihre kontrafaktischen Begriffe (wie der Begriff der Pflicht) lassen sich daher nicht mit dem Verweis auf eine widerstreitende Erfahrung || 52 Ebd., S. 276f. 53 Garve: Cicero. Teil 2 (s. Anm. 33), S. 165ff.; Kant hat diese Anmerkungen bzw. Abhandlung gekannt, er zitiert aus ihr in seiner Schrift Zum ewigen Frieden (AA VIII, S. 385). 54 Garve: Cicero. Teil 2 (s. Anm. 33), S. 197. 55 Ebd., S. 198. 56 AA VIII, S. 276.

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« | 219

widerlegen: Die Gesetze der Moralphilosophie sind »Gesetze von dem was geschehen soll, ob es gleich niemals geschieht, d. i. objektiv-praktische Gesetze«.57 Hierin liegt der Grund der Unabhängigkeit der Moralphilosophie von der empirischen Psychologie. Aber es gilt ebenso, dass die Berufung auf Erfahrung keine Stütze der Moralbegründung sein kann, weil klar ist, »daß keine Erfahrung, auch nur auf die Möglichkeit solcher apodiktischer Gesetze [wie des kategorischen Imperativs, D. H.] zu schließen, Anlaß geben könne«.58

5 Die Garve-Kritik Kants im ersten Teil des Gemeinspruchaufsatzes Ich gehe nun zur Darstellung von Kants Kritik im ersten Abschnitt des Gemeinspruchaufsatzes über. Kants »Beantwortung einiger Einwürfe des Hrn. Prof. Garve«59 im ersten Abschnitt des Gemeinspruchsaufsatzes behandelt Garves Missverständnisse bezüglich des kantischen Moralprinzips.60 Der zweite Teil behandelt das eigentliche Thema, das »vermeintlich in der Philosophie sich widerstreitende Interesse der Theorie und der Praxis«.61

5.1 Kants Kritik an Garves irriger Darstellung seines Moralprinzips Wie schon erwähnt, wurde diese Kritik im ersten Teil des Garve gewidmeten Abschnitts im Gemeinspruchaufsatz veranlasst durch eine Anmerkung Garves in seinen 1792 erschienenen Versuchen.62 Garve hatte dort behauptet, ‒ dass er selbst erstens die Glückseligkeit für ein unverzichtbares Element der Motivation halte, ‒ dass zweitens Kant dadurch, dass er »die Beobachtung des Sittengesetzes, ganz ohne Rücksicht auf Glückseligkeit«, als »einzige[n] Endzweck des Schöpfers« betrachte, sich ein fundamentales Motivationsproblem und ein Problem der mangelhaften metaphysischen Verankerung seiner Moralphilosophie eingehandelt habe. Denn auch der »Tugendhafte, bey seinem uneigennützigen Gehorsam gegen das Sittengesetz, könne noch dürfe [...] jenen Gesichtspunct [der || 57 AA IV, S. 410. 58 Ebd., S. 408. 59 AA VIII, S. 278. 60 Ebd., S. 278–284. 61 Ebd., S. 284. 62 Garve: Ueber die Geduld (s. Anm. 49), S. 111–116, Anmerkung zu S. 81.

220 | Dieter Hüning



Glückseligkeit] nie aus den Augen verlieren«, weil »er sonst den Übergang in die unsichtbare Welt, den zur Ueberzeugung vom Daseyn Gottes und von der Unsterblichkeit, gänzlich verlöre, die doch, nach der Theorie dieser Philosophen selbst, durchaus nothwendig ist, dem moralischen System Halt und Festigkeit zu geben«;63 und dass er drittens die kantische »Theilung der Ideen« von Glückseligkeit und Tugend, gemäß welcher der »Tugendhafte [...] unaufhörlich darnach [strebe], der Glückseligkeit würdig, aber [...] nie darnach, glückselig zu seyn«,64 zwar in abstracto, d. h. in seinem »Kopfe sehr wohl begreife[n]«, aber nicht in seinem Herzen finden könne. Derartig »feine Unterschiede der Ideen«, wie sie Kants Ethik offenbar voraussetze, widersprechen den Erkenntnissen der empirischen Psychologie, nach denen es völlig »unbegreiflich« ist, »wie irgend ein Mensch sich bewußt werden kann, sein Verlangen, der Glückseligkeit würdig zu sein, von dem Verlangen nach Glückseligkeit selbst, rein abgesondert, − und also die Pflicht ganz uneigennützig ausgeübt zu haben«.65

In seiner Antwort auf diese Einwände betont Kant zunächst − wie schon in der Grundlegung − die Unabhängigkeit seiner Ethik von jedem »besonderen Zweck«. Garve habe diese Abstraktion von der Zweckbedingtheit des Moralprinzips missverstanden, weil er nicht zwischen Moralbegründung und empirischer Psychologie unterschieden habe. Dass das Streben nach Glückseligkeit ein leitendes Handlungsmotiv aller Menschen ist, hält Kant für trivial. Glückseligkeit ist insofern auch ein legitimer, weil »natürlicher« Handlungszweck. Er habe deshalb auch in seiner Ethik dem Menschen nicht angesonnen [...], er solle, wenn es auf Pflichtbefolgung ankommt, seinem natürlichen Zwecke, der Glückseligkeit, entsagen; denn das kann er nicht, so wie kein endliches vernünftiges Wesen überhaupt; sondern er müsse, wenn das Gebot der Pflicht eintritt, gänzlich von dieser Rücksicht abstrahiren.66

Das zweite Missverständnis Garves betrifft die Rolle des höchsten Gutes in Kants Ethik. Das Bedürfnis der Annahme eines »höchste[n] in der Welt mögliche[n] Gut[es] (die im Weltganzen mit der reinsten Sittlichkeit auch verbundene allgemeine, jener gemäße Glückseligkeit)« sowie der »Glauben an einen moralischen Weltherrscher« seien nicht − wie Garve annimmt − ein Ausdruck des »Mangel[s] an moralischen Triebfedern«.67 Derartige Gedanken sind vielmehr Wirkungen der Ausrichtung des Willens am Sittengesetz, aber nicht die Bedingung, unter welcher »der allgemeine

|| 63 Ebd., S. 111. 64 Ebd., S. 111f. 65 Ebd., S. 112. 66 AA VIII, S. 278. 67 Ebd., S. 279.

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« | 221

Pflichtbegriff allererst ›Halt und Festigkeit‹, d. i. einen sicheren Grund und die erforderliche Stärke einer Triebfeder« erlangt.68 Deshalb muss bei der Frage nach dem Moralprinzip die »Lehre vom höchsten Gut [...] ganz übergangen und beiseite gesetzt werden«.69 Zusammenfassend erklärt Kant: »Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse (denn für Mißdeutungen mag ich sie nicht halten)«.70 Sie sind nach Kants Auffassung menschlich, allzu menschlich, denn sie erklären sich − Kant wiederholt im Grunde genommen seine Kritik aus den Prolegomena − aus dem »menschliche[n] Handeln[,] seinem einmal gewohnten Gedankengange auch in der Beurteilung fremder Gedanken zu folgen und so jenen in diese hinein zu tragen«.71 Es ist das »alte Lied«, das Garve singt, dass nämlich die Glückseligkeit »den Grund aller objectiven Nothwendigkeit zu handeln, folglich aller Verbindlichkeit ausmache«. Umgekehrt würde die Abstraktion von der Glückseligkeit den Willen aller möglichen Motivation berauben. Im Folgenden resümiert Kant Garves »dogmatische Behauptung des Gegentheils« in den folgenden Punkten: 1. Ein Mensch handelt in Bezug auf die Vorstellung der jeweiligen zu erreichenden Zustände, wobei er bei seiner Entscheidung denjenigen Zustand vorzieht, der ihm als ›guter Zustand‹ erscheint: »eine Reihe solcher guten Zustände ist der allgemeinste Begriff, den das Wort Glückseligkeit ausdrückt«. 2. Alle Motive überhaupt entspringen aus der Glückseligkeit, dies gilt nach Garve auch für die »Befolgung des moralischen Gesetzes«. Kant sieht in der Rede vom guten Zustand, den ein Mensch im Vergleich zu einem schlechteren anstrebt, nur ein »Spiel mit der Zweideutigkeit des Wortes das Gute«. Der gute Zustand Garves ist nur ein »comparativ-besserer Zustand, [der aber] an sich selbst doch böse sein kann«,72 das Gutsein eines solchen Zustandes beruht nur auf dem Vergleich mit anderen möglichen Zuständen, er wird also »bloß bedingter Weise«, nämlich unter der Voraussetzung des jeweiligen Zwecks, gewollt. Derjenige Zustand, der auf der Befolgung des moralischen Gesetzes beruht, das seinerseits den Willen bloß der Form, nicht der Materie nach bestimmt, »ist nicht bloß ein besserer, sondern der allein an sich gute Zustand«. Kant betont an dieser Stelle, dass das Gutsein dieses Zustandes »aus einem ganz andern Felde, wo auf Zwecke, die sich mir anbieten mögen (mithin auf ihre Summe, die Glückseligkeit) gar nicht Rücksicht genommen wird«. Während alle Zwecke bzw. alle Materie des Willens aus der Sphäre der Sinnlichkeit stammt, beruht die formale Willensbestimmung durch

|| 68 Ebd. 69 Ebd., S. 280. 70 Ebd., S. 281. 71 Ebd. 72 Ebd., S. 282.

222 | Dieter Hüning

das moralische Gesetz ausschließlich auf der Gesetzgebung der praktischen Vernunft.73 Selbstverständlich ist auch Kant der Auffassung, dass »der Wille Motive haben« muss. Der entscheidende Punkt besteht hierin, ob der Wille durch empirische Bestimmungsgründe, d. h. auf Objekte, die für ihn mit dem Gefühl der Lust bzw. Unlust verbunden sind, oder durch das »unbedinge Gesetz selbst« bestimmt wird. In diesem Falle ist es auch klar, dass ein solches rein rationales Motiv nicht auf physische Gefühle bzw. auf die Glückseligkeit bezogen ist.

5.2 Kants Kritik an Garves Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis Im zweiten Teil seiner Auseinandersetzung mit Garve geht Kant näher auf den eigentlichen Streitpunkt, das Verhältnis von Theorie und Praxis ein.74 Garve hatte in seiner Anmerkung das Problem aufgeworfen, »daß kein Mensch sich bewußt werden könne, seine Pflicht ganz uneigennützig ausgeübt zu haben«. Das ist auch die Auffassung Kants, denn für eine solche Gewissheit wäre »eine durchgängig klare Vorstellung aller sich dem Pflichtbegriffe durch Einbildungskraft, Gewohnheit und Neigung beigesellenden Nebenvorstellungen und Rücksichten« erforderlich, die kein Mensch jemals erreichen kann. Aber Garves Problematisierung ist nur ein Scheineinwand, da es in der Moralphilosophie nicht um die Frage geht, wie und aufgrund welcher Motive gehandelt wird, sondern wie gehandelt werden soll. In dieser Hinsicht gibt es überhaupt kein Problem, denn jeder Handelnde hat das deutlichste Bewusstsein, dass er »seine Pflicht ganz uneigennützig« und ohne Rücksicht auf entgegenstehende Motive der Glückseligkeit »ausüben solle«. Was die schon angeführte »Theilung« der Ideen von Moralität und Glückseligkeit betrifft, von der Garve behauptet hatte, dass er eine solche »nicht in seinem Herzen« finden könne, so führt Kant dieses Bekenntnis darauf zurück, dass Garve unfähig war, das zugrunde liegende Problem der »Möglichkeit kategorischer Imperative [...] in seinem Kopf mit den gewohnten Principien psychologischer Erklärungen (die insgesamt den Mechanism der Naturnothwendigkeit zum Grunde legen) zusammen [zu] reimen«.75 Um es noch deutlicher zu sagen: Kant war überzeugt, dass Garve wegen seiner Anhänglichkeit an die schulphilosophische Weise ›psychologischer Erklärungen‹, die immer auf die empirische Natur des Menschen und damit auf die Welt durchgängiger Kausalität bezogen bleiben, überhaupt unfähig war,

|| 73 Ebd., S. 283. 74 Ebd., S. 284ff. 75 Ebd., S. 285.

»Diese Einwürfe sind also nichts als Mißverständnisse« | 223

das moralphilosophische Fundamentalproblem der Möglichkeit kategorischer Imperative als solches zu begreifen. Auch die von Garve in seinen Anmerkungen zur Cicero-Übersetzung76 hervorgehobene Unmöglichkeit eines Freiheitsbeweises erweist sich als ein Scheinproblem. In der Tat kann kein theoretischer Beweis für die »Wirklichkeit« der Freiheit geführt werden, »weder in einer unmittelbaren noch mittelbaren Erfahrung«, denn ein Akt der Freiheit wäre geradezu die Aufhebung der Naturkausalität, die zugleich Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt ist. Dagegen kann sehr wohl ein Beweis der Freiheit »aus moralisch-praktischen« Gründen geführt werden. Ein solcher Beweis erweitert nicht unsere Erkenntnis der wirklichen Welt, sondern formuliert eine notwendige Bedingung des moralischen Handelns überhaupt. Dass die Annahme einer durchgängigen Kausalität und Naturnotwendigkeit in der theoretischen Philosophie mit der Annahme der Freiheit in moralischer Absicht sehr wohl bestehen kann, hatte Kant schon in der Behandlung der dritten Antinomie in der Kritik der reinen Vernunft und in der Grundlegung77 gezeigt. Kant schließt seine Garve-Kritik mit der Behauptung, dass in der Zurückweisung von dessen Einwänden ein »klarer Beweis« dessen liege, »daß alles, was in der Moral für die Theorie richtig ist, auch für die Praxis gelten müsse«. Zwar wird die Wahrheit der Moral nicht durch die »Geschichtserfahrung« bestätigt, denn hier zeigt sich, dass die Maximen des Handelns überwiegend aus dem ›Eigennutz‹ geschöpft werden. Aber die innere Erfahrung von jedermann, ein Bewusstsein des moralischen Gesetzes zu haben und sich deshalb ebenfalls bewusst zu sein, er könne moralisch handeln, »weil er es soll«,78 bestätigt das moralische Gesetz. Wenn die »Geschichtserfahrung bisher noch nicht den guten Erfolg der Tugendlehren hat beweisen« können, ‒ so liegt dies einerseits auch an Pseudophilosophen wie Garve, die von der ›falschen Voraussetzung‹ ausgehen, »daß die von der Idee der Pflicht [...] abgeleitete Triebfeder für den allgemeinen Begriff viel zu fein sei«, um motivierend auf den Willen zu wirken, ‒ und zum anderen aber daran, dass man bisher das »Trachten nach Glückseligkeit [...] zum Grundsatz der Erziehung und des Kanzelvortrags« gemacht habe, ohne sich darüber klar zu sein, dass derartige Vorschriften zur Beförderung der Glückseligkeit keine Gebote darstellen und ihnen keine Verbindlichkeit zukommt.79

|| 76 Garve: Cicero. Teil 2 (s. Anm. 33), S. 69; AA VIII, S. 285. 77 AA IV, S. 456: »[D]aß kein wahrer Widerspruch zwischen Freiheit und Naturnothwendigkeit ebenderselben menschlichen Handlungen angetroffen werde«. 78 AA VIII, S. 287f. 79 AA VIII, S. 288.

224 | Dieter Hüning

Garve ist bis zum Ende seines Lebens den schulphilosophischen Positionen, mit denen er akademisch sozialisiert wurde, treu geblieben. Ebenso dauerhaft ist aus diesem Grunde sein Missverstehen der theoretischen Absichten und der Bedeutung der kritischen Philosophie Kants. Trotz wiederholter Weckrufe Kants verharrte Garve in seinem ›dogmatischen Schlummer‹, sodass er nicht über die Rolle, die er sich selbst zugeschrieben hatte − nämlich ein bloßer »Wetzstein für andere« zu sein − hinausgekommen ist.

Franz Hespe

Garves späte Sittenlehre Garves Abhandlung Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre1 ist eine der wenigen Arbeiten des Autors, in denen er sich systematisch mit der Moralphilosophie auseinandersetzt – bevorzugt beschäftigt er sich mit der Ethik in Form von kommentierenden Darstellung oder Übersetzungen anderer Moralphilosophen. Auch diese Schrift sollte ursprünglich die Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre2 abschließen, ist ihm aber dann so umfangreich geraten, dass er sie in einem eigenen Band veröffentlichte.3 Auch die Uebersicht selbst ist zunächst als eine Einleitung zur Übersetzung der ersten beiden Bücher der Ethik des Aristoteles4 gedacht und dort auch abgedruckt, dann aber auch separat ausgeliefert worden.5 Der Druck der Übersicht ist identisch mit dem aus der Aristotelesübersetzung, wobei die Vorrede in der Version der Aristotelesübersetzung – die vor allem Fragen der Übersetzungsmethode erörtert – durch ein Widmungsschreiben an Kant ersetzt wurde, in dem Garve diesem die Uebersicht zueignet. In der Tat ist sie auch mitnichten eine Einführung in die Ethik des Aristoteles – diese machen gerade einmal 30 der knapp 400 Seiten der Abhand-

|| 1 Christian Garve: Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Ein Anhang zu der Uebersicht der verschieden Moralsysteme. Breslau 1798 (GGW VIII). 2 Christian Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsre Zeiten. Eine zu dem ersten Theile der übersetzten Ethik des Aristoteles gehörende und aus ihm besonders abgedruckte Abhandlung. Breslau 1798 (GGW VIII). 3 Die Zugehörigkeit zur Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, die Garve alternativ auch als Uebersicht der verschiedenen Moralsysteme bezeichnet, geht einerseits aus dem Untertitel der Eigenen Betrachtungen (Ein Anhang zu der Uebersicht der verschiedenen Moralsysteme), andererseits aus dem zweiten Absatz des dieser Abhandlung vorangestellten Widmungsschreiben an Johann Kaspar Friedrich Manso, wie aus der dem Widmungsschreiben folgenden nur zwei Absätze umfassenden, unbetitelten Vorrede hervor (beide unpaginiert). 4 Die Ethik des Aristoteles, übersetzt und erläutert von Christian Garve. Erster Band enthaltend die zwey ersten Bücher der Ethik nebst einer zur Einleitung dienenden Abhandlung über die verschiedenen Prinzipien der Sittenlehre von Aristoteles bis auf unsere Zeiten. Breslau 1798 (GGW XI, vgl. hierzu auch den Beitrag von Johan van der Zande in diesem Band). Der zweite Band mit der Übersetzung der acht übrigen Bücher erschien ebendort 1801, postum herausgegeben von Johann Kaspar Friedrich Manso und Johann Gottlob Schneider. 5 Dies geht einerseits aus dem Untertitel der Schrift »Eine zu dem ersten Theile der übersetzten Ethik des Aristoteles gehörende und aus ihm besonders abgedruckte Abhandlung« hervor, andererseits wird dies im ersten Satz des diesem Druck vorgeschalteten Widmungsschreiben an Kant von Garve auch so ausgeführt. Im Übrigen handelt es sich um denselben Druck; selbst das in der Aristotelesübersetzung enthaltene Zwischen-Titelblatt zur Abgrenzung von der eigentlichen Aristotelesübersetzung: »Darstellung der verschiedenen Moralsysteme von Aristoteles an bis auf Kant« ist in die Uebersicht übernommen worden, obwohl es dort eigentlich gar keinen Sinn mehr macht. https://doi.org/10.1515/9783110647747-012

226 | Franz Hespe

lung aus, wohingegen die Darstellung der kantischen Philosophie etwas mehr als die Hälfte einnimmt.6 Auf die andere Hälfte entfallen somit alle anderen philosophischen Sittenlehren,7 wobei der Schwerpunkt hier vornehmlich auf die Antike fällt. Es handelt sich bei der Uebersicht also um so etwas wie eine abschließende Abrechnung mit Kant – am Ende bzw. am Ziel seines Lebens, wie es in dem unpaginierten Widmungsschreiben mehrfach heißt –, wenn auch immer in einem ehrerbietigen, um nicht zu sagen, devoten Ton. Umgekehrt findet sich auch in den Arbeiten Kants, insbesondere in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, eine umfangreiche Auseinandersetzung mit Garve, wenn auch nicht immer mit offenem Visier.

1 Zwei Rezensionen der Kritik der reinen Vernunft und Kants Replik in der Grundlegung Der Gedanke zur Grundlegung scheint im Zusammenhang mit den Arbeiten an den Prolegomena und der Erwiderung auf eine Rezension der erste Auflage der Kritik der reinen Vernunft entstanden zu sein. Noch während Kant an den Prolegomena arbeitete, erschien im Januar 1782 in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen eine vernichtende Rezension der Kritik der reinen Vernunft.8 Die Rezension erschien anonym und ging auf Arbeiten von Christian Garve zurück, die allerdings vom Herausgeber der Göttingischen Anzeigen, Feder, stark gekürzt und bearbeitet worden war.9 Die anonyme Rezension erboste Kant vor allem wegen der Identifizierung seiner These der Subjektivität von Raum und Zeit mit dem Idealismus Berkeleys,10 die Kant veranlasste, im Anhang zu den Prolegomena eine Erwiderung des Inhalts abzudrucken, sein transzendentaler Idealismus behaupte die Idealität bzw. die Subjektivität von Raum und Zeit als Formen unseres Sinnes, aber keineswegs, das in der Anschauung Gegebene sei bloßer Schein.11 Immerhin haben diese oder ähnliche Einwände Kant in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft zur Ände|| 6 Christian Garve: Uebersicht (s. Anm. 2), S. 183–394. 7 Dazu gehören die aristotelische, platonische, stoische, epikureische, christliche, puffendorfsche und die einiger englischer Moralisten. 8 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, Zugabe Bd. 1, S. 40–48, 3. Stück, den 19. Januar 1782. Der Text ist wieder abgedruckt in: Rezensionen zur Kantischen Philosophie 1781–87. Hg. von Albert Landau. Bebra 1991, S. 10–17, sowie in den Ausgaben der Prolegomena von Karl Vorländer (PhB 40), Leipzig 1905, S. 175–182 und Konstantin Pollok (PhB 540), Hamburg 2001, S. 183–190. 9 Dies teilt Garve Kant nach Erscheinen der Prolegomena in einem Brief vom 13. Juli 1783 mit; zitiert nach AA X, S. 328–333. Die Kritik der reinen Vernunft wird davon abweichend nach den Originalpaginierungen als KrV mit der Sigle A für die erste und B für die zweite Auflage zitiert. 10 Göttingische Anzeigen (s. Anm. 8), S. 41. 11 AA IV, S. 372–380; vgl. auch schon die Anmerkungen II. und III. zum ersten Teil der Prolegomena (AA IV, S. 288f. und S. 290ff.) sowie KrV B 69ff.

Garves späte Sittenlehre | 227

rung in der Darstellung der Ästhetik12 und der Einfügung eines Abschnitts über die Widerlegung des Idealismus genötigt.13 In einem Brief hatte Garve gegenüber Kant seine Beteiligung an dieser Rezension zugestanden14 und nun auch seinerseits seinen gesamten Text in der Allgemeinen deutschen Bibliothek abdrucken lassen.15 Wenngleich im Ausdruck konzilianter, enthält auch diese Rezension den Vorwurf des Idealismus, etwa mit der Behauptung, der transzendentale Idealismus gehe sogar über den klassischen hinaus, weil er weder die Existenz äußerer Dinge noch unserer selbst beweisen könne16 und das Reich der Natur verschwinden lasse.17 Der Vorwurf gipfelt in der Behauptung, zufolge des transzendentalen Idealismus lehren die Empfindungen uns nichts von der Qualität der Dinge, sondern seien nur Veränderungen unserer selbst.18 Der eigentliche Anstoß für die Grundlegung war jedoch der Schluss der Rezension in den Göttingischen Anzeigen, der an eine Kritik der reinen Vernunft die Forderung stellt: »Zuvörderst muß der rechte Gebrauch des Verstandes dem allgemeinsten Begriffe vom Rechtverhalten, dem Grundgesetze unserer moralischen Natur, also der Beförderung der Glückseligkeit, entsprechen.«19 Im Entwurf seiner Erwiderung auf diese Rezension – der Abschnitt wurde im Abdruck der Prolegomena allerdings unterdrückt – macht Kant dagegen nun geltend, daß das Princip der Glückseeligkeit niemals eine reine Moral sondern nur eine Klugheitslehre die sich auf ihren Vortheil versteht gebe. Daß bey dieser alle Imperative bedingt sind und nichts anderes als die Mittel gebieten zu einem oder anderm Zwecke den die Neigung oder die Summe aller Neigungen aufgiebt zu gelangen daß aber der moralische Imperativ unbedingt seyn müsse.20

Ganz offensichtlich ist hier der Grundstein zur Theorie vom Unterschied zwischen hypothetischen und kategorischen Imperativen in der Grundlegung gelegt, wonach die ersteren immer nur bedingt als Mittel zu einem vorausgesetzten Zweck, letztere hingegen unbedingt und an sich selbst gebieten.21 Deswegen ist durch das Glückseligkeitsprinzip keine Begründung von Moralprinzipien möglich, weil diese unbedingt, für alle Vernunftwesen gelten müssen, das Glückseligkeitsprinzip aber immer

|| 12 Vgl. KrV B Vorrede XXXVIII. 13 Vgl. KrV B Vorrede XXXIX, Anm.; sowie B 274ff. 14 Nachdem Kant in der erwähnten Erwiderung in den Prolegomena den Rezensenten aufgefordert hatte, aus seiner Anonymität herauszutreten (AA IV, S. 379f.). 15 Allgemeine deutsche Bibliothek, Anhang zu Bd. 37–52, 1783, S. 838–862. 16 Ebd., S. 850. 17 Ebd., S. 854f. 18 Ebd., S. 858ff., bes. 860f. 19 Göttingische Anzeigen (s. Anm. 8), S. 47. 20 Ebd. 21 Vgl. AA IV, S. 414–420.

228 | Franz Hespe

auf eine individuelle Vorstellung vom Guten gründet. Der Text des Entwurfes schließt daran unmittelbar die Feststellung an, wer die »Frage, wie ist ein kategorischer Imperativ möglich,« auflöse, habe »das echte Prinzip der Moral gefunden«.22 Zugleich betont Kant, dass diese Frage eine »auffallende Aehnlichkeit« mit dem wichtigsten Problem der Transzendentalphilosophie habe, gemeint ist offensichtlich die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori. Auch nach der Grundlegung ist die Lösung dieser Frage »die einzige, einer Auflösung bedürftige Frage«.23 Die Schwierigkeit der Lösung liegt nach Kant darin, dass es sich bei der Frage, wie kategorische Imperative möglich sind, um einen synthetisch praktischen Satz a priori handelt.24 Diese Rezensionen hatten also nicht nur eine nachhaltige Wirkung auf die zweite Auflage der Kritik der reinen Vernunft, sondern auch auf die Neubestimmung der Moralphilosophie. Es ist aber nicht nur diese Rezension, die vom Einfluss Garves auf die Grundlegung zeugt. 1783 erschien Garves Übersetzung von Ciceros De officiis,25 versehen mit drei Bänden eigener Anmerkungen.26 Ausweislich mehrerer Briefe Hamanns an Kants Freunde Ende 1783 und Anfang 1784 arbeitete Kant an einer »Antikritik […] gegen Garvens Cicero« als einer indirekten Antwort auf Garves Rezension. Ende April 1784 schreibt Hamann dann jedoch, die Arbeit sei unter der Hand zu »einem Prodromo zur Moral« geworden, die aber immer noch »auf Garvens Cicero Beziehung haben soll«.27 Auch wenn man in diesen Briefstellen keinen Be-

|| 22 Vorarbeiten zu den Prolegomena, AA XXIII, S. 60. 23 AA IV, S. 419. 24 Ein synthetisch praktischer Satz a priori ist der kategorische Imperativ, weil er den menschlichen Willen mit etwas verknüpft, was a priori nicht in ihm enthalten ist (AA IV, S. 420, Anm.). Der hypothetische Imperativ ist dagegen analytisch, d. h. wenn ich a will (z. B. ein Haus bauen) und b Voraussetzung für die Realisierung von a ist (z. B. das Haus auf einem festen Fundament zu errichten), dann will ich auch notwendig b (vgl. AA IV, S. 417 u. S. 419). Auch für das allein durch Vernunft bestimmte Wesen folgt aus der Objektivität des Sittengesetzes, dass es notwendig die durch das Gesetz bestimmte Handlung will, weil es durch nichts anderes bestimmt werden kann. Für Menschen hingegen, die sowohl durch Vernunft als auch durch Neigungen und Triebe bestimmt werden, folgt aus dem Wollen von a (z. B. durch seine Kaufmannstätigkeit einen Gewinn zu machen) keineswegs, dass die Handlung durch das Gesetz (z. B. dabei nicht zu betrügen) eingeschränkt ist, weil in dem Willen, Gewinn zu machen, die Einschränkung keineswegs enthalten ist. Die Gültigkeit dieser Einschränkung stellt mithin das Problem dar, das zu beweisen ist. 25 Marcus Tullius Cicero: Abhandlung über die menschlichen Pflichten in drey Büchern, übersetzt von Christian Garve. Neue verbesserte und mit einigen Anmerkungen versehene Ausgabe. Breslau 1787 (GGW IX). 26 Christian Garve: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Ciceros Büchern von den Pflichten, 3 Bde. Breslau 1783. Neue, verbesserte und mit einigen Anmerkungen vermehrte Ausgabe. Breslau 1787/88 (GGW X). 27 Vgl. dazu im Einzelnen: Paul Menzer: Einleitung. In: Grundlegung der Metaphysik der Sitten, AA IV, S. 626f. sowie Bernd Kraft, Dieter Schönecker: Einleitung. In: Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Hamburg 2016, S. IXff.

Garves späte Sittenlehre | 229

weis sehen will, dass Kant jemals eine »Antikritik« gegen Garves Ciceroübersetzung und -kommentierung geplant hat,28 so sind die Bezüge zu den schriftstellerischen Arbeiten Garves doch offensichtlich – dies betrifft insbesondere die Ablehnung der Popularphilosophie, die Verbannung empirischer Erfahrung wie das Glückseligkeitsprinzip aus der Begründung der Moralheorie. Garve selbst scheint dies jedenfalls so gesehen zu haben. Sein Spätwerk Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre leitet er mit den Worten ein: »[I]ch [bin] ein populärer Philosoph, im schlimmsten Sinne des Worts, oder vielmehr [...] ein Prediger des allgemeinen Menschensinnes, – des Feindes aller ächten Philosophie.«29 Der Anklang an Kants Terminologie scheint mir unübersehbar. Popularphilosophie – zu der sich Garve zufolge dieses Zitats ausdrücklich bekennt – fordert, einerseits durch eine klare, allgemeinverständliche Sprache, andererseits durch Orientierung am »gemeinen Menschensinn«, Philosophie einer breiten Schicht zugänglich zu machen.30 Jedes philosophische System müsse in der gewöhnlichen Sprache ausgedrückt werden können, wenn es Verbreitung finden solle. Gegenüber Kant macht Garve diese Forderung bereits im ersten Satz seiner unbearbeiteten Rezension der Kritik der reinen Vernunft geltend, wenn er bedauert, er vermisse den angenehmen und populären Vortrag, den Kants frühere Schriften besessen hätte.31 Nachdrücklich fordert er dies dann in seinem Brief an Kant, in dem er seine, wenn auch ungewollte, Beteiligung an der Göttinger Rezension eingesteht, es müsse möglich seyn, Wahrheiten, die wichtige Reformen in der Philosophie hervorbringen sollen, denen welche des Nachdenkens nicht ganz ungewohnt sind, leichter verständlich zu machen. [...] daß das Ganze Ihres Systems, wenn es wirklich brauchbar werden solle populärer ausgedrückt werden müsse, u. wenn es Wahrheit enthält, auch ausgedrückt werden könne.32

Zwar gesteht Kant in seiner Antwort an Garve einerseits die unpopuläre Darstellungsweise der Kritik der reinen Vernunft ein, insistiert aber andererseits darauf, dass ein philosophisches System zunächst begrifflich begründet sein müsse, bevor es überhaupt möglich sei, es in einer populär fasslichen Form zu präsentieren. Erst

|| 28 Skeptisch gegen eine solche Annahme äußern sich die Herausgeber der Neuausgabe der Grundlegung in der Philosophische Bibliothek, vgl. ebd. S. XI–XIII. 29 Christian Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 1. 30 Zu dieser Forderung bei der Polularphilosophie im Allgemeinen vgl. Helmut Holzhey. Popularphilosophie. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. von Joachim Ritter u. a. Basel 1971–2007, Bd. 7 (Basel 1989), Sp. 1093–1100, hier Sp. 1093; Claus Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. St. Ingbert 1992, S. 8f. sowie Leonie Koch-Schwarzer: Populare Moralphilosophie und Volkskunde. Christian Garve (1742–1798) – Reflexionen zur Fachgeschichte. Marburg 1998, S. 303–335. 31 Allgemeine deutsche Bibliothek (s. Anm. 15), S. 838. 32 Garve an Kant vom 13. Juli 1783, AA X, S. 328–333, hier S. 331.

230 | Franz Hespe

die Reinigung aller sittlichen Gesetze von jeglicher Bezugnahme auf Empirie und Beobachtung und ihre Rückführung auf reine Vernunft ermöglichte eine die vernünftigen Prinzipien nicht korrumpierende Popularität. Dieses Argument hatte Kant bereits in den Prolegomena angeführt, dann in der Grundlegung und später noch einmal in der Vorrede zur Metaphysik der Sitten – dort in Bezug auf Garves Aufsatz Von der Popularität des Vortrags33 – wiederholt.34 Allerdings nimmt er an letzter Stelle das kritische System von der Forderung und Möglichkeit populärer Darstellung aus, weil sie dort unmöglich sei, wo das Sinnliche vom Übersinnlichen unterschieden und damit der dogmatische Schein im voreiligen Gebrauch der Vernunft aufgedeckt werden soll.35 Gegen Garve lässt sich daraus der Vorwurf des unkritischen Empirismus ableiten. Ohne eine solche Reinigung der moralischen Prinzipien bedingen gewöhnliche Beobachtung und populärer Vortrag einander. Er ist populär, weil er die gewöhnliche Empirie und den gemeinen Menschenverstand aufgreift. Daraus resultiert dann in der Grundlegung eine harsche Kritik an der Popularphilosophie, die im Vorwurf der Unseriosität und Unwissenschaftlichkeit gipfelt und den generösen Ton des Briefes völlig fallen lässt: [W]enn man Stimmen sammelte, ob reine von allem Empirischen abgesonderte Vernunfterkenntniß, mithin Metaphysik der Sitten, oder populäre praktische Philosophie vorzuziehen sei, so erräth man bald, auf welche Seite das Übergewicht fallen werde. Diese Herablassung zu Volksbegriffen ist allerdings sehr rühmlich, wenn die Erhebung zu den Principien der reinen Vernunft zuvor geschehen und zur völligen Befriedigung erreicht ist, und das würde heißen, die Lehre der Sitten zuvor auf Metaphysik gründen, ihr aber, wenn sie fest steht, nachher durch Popularität Eingang verschaffen. Es ist aber äußerst ungereimt, dieser in der ersten Untersuchung, worauf alle Richtigkeit der Grundsätze ankommt, schon willfahren zu wollen. Nicht allein daß dieses Verfahren auf das höchst seltene Verdienst einer wahren philosophischen Popularität niemals Anspruch machen kann, indem es gar keine Kunst ist, gemeinverständlich zu sein, wenn man dabei auf alle gründliche Einsicht Verzicht thut, so bringt es einen ekelhaften Mischmasch von zusammengestoppelten Beobachtungen und halbvernünftelnden Principien zum Vorschein, daran sich schale Köpfe laben, weil es doch etwas gar Brauchbares fürs alltägliche Geschwätz ist.36

Der Grund für die Forderung der Bereinigung der Moralphilosophie von allen empirischen Einflüssen ist nach Kant die unbedingte Geltung ihrer Gesetze. Sie gelten unbedingt und kategorisch, weil ihr Gegenstand das ist, was wir unabhängig von

|| 33 Christian Garve: Von der Popularität des Vortrags. In: Schlesische Provinzialblätter, Bd. 17 (1793), S. 383–403; wieder in: GGW IV, S. 331–358. 34 Vgl. Kant an Garve vom 7. August 1783, AA X, S. 336–343, hier S. 339; AA IV, S. 261 u. S. 409; AA VI, S. 206. Eine chronologische Darstellung dieser Auseinandersetzung findet sich bei KochSchwarzer: Populare Moralphilosophie (s. Anm. 30) S. 308–322. 35 Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten, AA VI, S. 206; ähnlich KrV B XXXIV. 36 AA IV, S. 409.

Garves späte Sittenlehre | 231

unseren Interessen und Neigungen unbedingt tun sollen. Diese »absolute Nothwendigkeit« können sie nur bei sich führen, weil sie allein aus der Vernunft begründet sind. Darum gelten sie für alle vernünftigen Wesen und nicht nur für Menschen.37 Sie können nicht aus der Erfahrung abgeleitet sein, welche nur unter den zufälligen Bedingungen der Menschen gültig ist.38 Um der absoluten Notwendigkeit und Allgemeinheit willen ist es daher nicht genug, dass das, was wir tun, »dem sittlichen Gesetze gemäß sei, sondern es muß auch um desselben willen geschehen«. Denn sonst wäre seine Befolgung nur zufällig, weil andere Handlungsgründe als die um des Gesetzes willen, d. h. solche aus sinnlichen Antrieben nur zufällig eine gesetzmäßige Handlung hervorbringen würden.39 Die Überlegungen, das Sittengesetz oder den kategorischen Imperativ allein aus dem formalen Prinzip eines Handelns unabhängig von allen empirischen Beweggründen abzuleiten,40 hebe die neu zu begründende »Metaphysik der Sitten« oder die »reine praktische Vernunft« von der Methode Wolffs und der Popularphilosophen41 ab, das sittliche Handeln mit den »Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt, welche größtentheils aus der Psychologie geschöpft werden«42 zu vermengen. Diese unterscheiden nicht, so Kant weiter, »die Bewegungsgründe, die als solche völlig a priori bloß durch Vernunft vorgestellt werden und eigentlich moralisch sind, von den empirischen, die der Verstand bloß durch Vergleichung der Erfahrungen zu allgemeinen Begriffen erhebt«.43 ›Populäre Darstellungsweise‹ kann daher nach Kant nur bedeuten, die Moralphilosophie zunächst von allen Bezügen auf Beobachtung und Erfahrung zu reinigen und die so gewonnene Metaphysik der Sitten durch Aufgreifen der Vorstellung des gemeinen Menschenverstandes »anschaulich zu machen«, indem der wahre Gehalt dieser Termini deutlich gemacht wird. Die Orientierung der Moralphilosophie am gemeinen Menschenverstand als einem an die alltägliche Erfahrung und Beobachtung anknüpfenden Vermögen, selbständig über die wichtigsten Probleme des menschlichen Lebens nachzudenken, wird von Kant daher scharf zurückgewiesen. Bei Garve ist der gemeine Menschenverstand hingegen eine häufige, aber nie genauer definierte Berufungsinstanz.44 Allein in den beiden Versionen der Rezensi-

|| 37 Ebd., S. 389. 38 Ebd., S. 408. 39 Ebd., S. 389f. 40 Vgl. ebd., S. 420f. 41 Kant spricht von ihnen als »die Verfasser« (AA IV, S. 391). 42 Ebd., S. 390. 43 Ebd., S. 391. 44 Der Ausdruck tritt bei Garve in unterschiedlichen Varianten auf, und zwar als »natürlicher«, »gemeiner«, »gesunder« (Menschen-)Verstand. Vgl. Christian Garve: Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 8 (1769), S. 1– 44 (GGW V, S. 1–92, hier S. 45, S. 48, S. 72 u. S. 84); ders.: Betrachtungen der Verschiedenheit in den

232 | Franz Hespe

on der Kritik der reinen Vernunft beruft der Rezensent sich je zwei Mal auf den gemeinen Menschenverstand,45 von dem angenommen wird, dass ihm die Wahrheit eher zugänglich ist, weil jedermann so denkt, einsieht und erfahren hat. Wohingegen die Theoretiker durch ihre Spitzfindigkeiten eher in die Irre geführt werden.46 Populär ist diese Philosophie, weil sie an jedermanns eigene Erfahrungen und Beobachtungen anknüpft.47 Sofern einzelne Personen daraus neue Überlegungen ableiten und nicht bloß fremdes Wissen übernehmen, bezeichnet Garve sie als ›Selbstdenker‹.48 Auch sich selbst bezeichnet er gegenüber Kant so.49 Insbesondere für die

|| Werken ältester und neuerer Schriftsteller. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 10 (1770), S. 1–37, (GGW V, S. 93–162, hier S. 102); ders.: Vermischte Anmerkungen über Gellerts Moral, dessen Schriften überhaupt, und Charakter. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 12 (1771), S. 185–22 (GGW V, S. 163–209, hier S. 190f.); ders.: Anmerkungen und Abhandlungen zu Ciceros Büchern von den Pflichten (s. Anm. 26), Bd. 1, S. 19, S. 26, S. 60, S. 78, S. 340; Bd. 2, S. 194; Bd. 3, S. 18; ders.: Über Gesellschaft und Einsamkeit. In: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben. Dritter Theil. Breslau 1797 (GGW II, S. 83); ders.: Von der Popularität des Vortrags (s. Anm. 33), S. 350, mehrfach auch mit dem französischen »bon sens« identifiziert; ders.: Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten, (GGW II), S. 45 und S. 84. 45 Göttingische Anzeigen (s. Anm. 8), S. 42 u. S. 47; Allgemeine deutsche Bibliothek (s. Anm. 15), S. 839 u. S. 854. 46 Ähnlich auch Christian Garve: Ueber die Unentschlossenheit. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Literatur und aus dem gesellschaftlichen Leben. Erster Theil, Breslau 1792 (GGW I), S. 453‒536, hier S. 525. 47 Dezidiert stellt Garve diesen Zusammenhang zwischen Popularität und eigener Beobachtung und Erfahrung z. B. im Vorwort des 1. Teils seiner Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben (Breslau 1792 [GGW I], S. IIIf.) her: »Die Materien, welche ich hier bearbeitet habe, sind zum Theile so populär, daß darüber jedermann sein eigner Lehrer seyn, – und der Schriftsteller höchstens nur das Verdienst haben kann, das, was der vernünftige Mann über die Sache immer gedacht hat, deutlicher mit Worten auszudrücken« (vgl. auch ebd., S. IX u. S. XVI). Diese Überlegungen wiederholt er in seinem Aufsatz Von der Popularität des Vortrags (s. Anm. 33), S. 348: »Der Philosoph wendet sich unmittelbar an gemeine Erfahrungen, aus denen er seine Sätze herleitet. […] Um deswillen also kann der Philosoph populär in seinem Vortrage seyn, d. h. er kann sich unmittelbar und jedem verständlich machen.« 48 Selbstdenken, Selbstdenker ist ein in den Arbeiten Garves oft verwendeter, wenn auch selten genauer bestimmter Terminus. Offenbar geht er davon aus, dass er sich gemäß der Terminologie seiner Zeit von selbst versteht. ›Selbstdenker‹ ist jemand, der seine eigenen Gedanken entwickelt, nicht bloß die anderer übernimmt und möglichst in die Form anmutiger Rede zu bringen vermag. Selbstdenken erfordert ein Interesse am Gegenstand der Überlegungen und darum eigene Erfahrung, kann aber auch durch den Einfluss anderer Autoren befördert werden. Schon in seinen frühen Arbeiten unterscheidet Garve zwischen der »Gabe, bloß Andrer Gedanken zu behalten«, und »der Fähigkeit selbst zu denken« (Christian Garve: Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten [s. Anm. 44], S. 15 u. S. 63; vgl. auch ders.: Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller, besonders der Dichter. In: Neue Bibliothek [s. Anm. 44], Bd. 10 [1770], S. 1–27 u. S. 189–20. [GGW V, S. 93–162, hier S. 94]). Zum Gebrauch der Begriffe Selbstdenken und Selbstdenker vgl. Christian Garve: Ueber die Unentschlossenheit (s. Anm. 46),

Garves späte Sittenlehre | 233

Moralphilosophie fordert Garve, sittliche Normen durch empirische Beobachtung zu begründen: »Was die Menschen thun sollen, diese Frage kann oft nur derjenige gründlich beantworten, welcher zuerst beobachtet hat, was sie zu thun pflegen und warum sie das zu thun pflegen.«50 Kant greift diese Formulierung in der Vorrede zur Grundlegung auf und unterscheidet die »Selbstdenker« – als an der empirischen Erfahrung und Beobachtung ausgerichtete Philosophen – scharf von den systematischen Philosophen und insistiert darauf, dass die Moralphilosophie, weil sie unbedingte und universell (immer, überall und für alle Vernunftwesen) geltende Prinzipien aufstellt, nie an Erfahrung – die für jeden verschieden ist – orientiert sein kann.51 In dieser Absicht greift Kant in der Grundlegung verwandte Termini der Popularphilosophie auf und übernimmt sie sogar in die Titel der beiden ersten Abschnitte: Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen und Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. Jedoch verändert er den Sinn dieser Termini, indem er jeden Bezug auf alltägliche Lebenserfahrung und empirische Beobachtung abschneidet. Der erste Abschnitt enthält drei Teile, im ersten wird der Begriff des guten Willens eingeführt, und begründet, warum der gute Wille allein, nicht Glückseligkeit, nicht Natur, nicht Vollkommenheit, uneingeschränkt gut ist. Der zweite Teil leitet aus dem Begriff des guten Willens den der Pflicht ab: Für Wesen, die nicht nur von Vernunft, sondern auch von Trieben und Neigungen bestimmt werden, folgt aus dem Begriff des guten Willens der der Pflicht. Pflicht ist etwas, was allein durch Vernunft bestimmt wird, unabhängig von, ja sogar im Gegensatz zu allen Trieben und Neigungen. Daraus wiederum leitet Kant im dritten Teil das Sittengesetz ab. || S. 455; ders.: Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben. Zweyter Theil. Breslau 1796 (GGW I), S. 248–430, hier S. 254, S. 262, S. 344, S. 369, S. 384, S. 386, S. 406Anm., S. 427; ders.: Über die öffentliche Meinung. In: Ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben. Fünfter Theil. Breslau 1802 (GGW III), S. 310–334, hier S. 311, S. 313, S. 316, S. 317, S. 328; ders.: Über den Stolz. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben. Fünfter Theil. Breslau 1802 (GGW III), S. 407–513, hier S. 498. 49 Vgl. Garve an Kant vom 18. Juni 1792, AA X, S. 341–343, hier S. 342. Es handelt sich um ein Empfehlungsschreiben für einen Studenten aus Breslau. 50 Garve: Anmerkungen und Abhandlungen zu Ciceros Büchern von den Pflichten (s. Anm. 26), Bd. 3, S. 74 51 AA IV, S. 388f. Auch wenn der Begriff »Selbstdenken« ein weitverbreiteter und programmatischer Begriff der Aufklärung ist, der u. a. impliziert, der eigenen Vernunft, anstatt der Meinung anderer zu folgen (vgl. Ulrich Dierse: [Art.] Selbstdenken. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. von Joachim Ritter u. a. Basel 1971–2007, Bd. 9 [Basel 1995], Sp. 386–392), und von Kant an anderer Stelle auch ausdrücklich positiv besetzt ist, so ist seine Beschreibung hier vielleicht doch auf Garve gemünzt und impliziert süffisanterweise sogar das Gegenteil, sich dem Publikumsgeschmack anzudienen.

234 | Franz Hespe

Der Abschnitt ist von Kant offenbar als Urteil der gemeinen Menschenvernunft konzipiert,52 aber als ein solches, das unmittelbar evident ist, auf keinerlei Erfahrung gründet.53 Dass ein von sinnlichen Antrieben beraubter Wille und somit ein bloß formales Gesetz das alleinige Prinzip sittlichen Handelns sein könne, damit »stimmt die gemeine Menschenvernunft in ihrer praktischen Beurtheilung auch vollkommen überein«.54 Der gemeine Menschenverstand bedarf aber der Hilfe der Philosophie, um aus seiner richtigen Erkenntnis die richtigen Schlüsse zu ziehen,55 weswegen ein Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen vonnöten ist. Der gemeine Menschenverstand muss belehrt werden, dass der gute Wille für solche Wesen, die nicht nur von Vernunft bestimmt, sondern auch von Neigungen und Trieben affiziert werden, aus Pflicht um der Pflicht willen56 bzw. aus Achtung vor dem Gesetz57 handelt und nicht des Nutzens oder der Glückseligkeit wegen. Schließlich kann, so die weitere Schlussfolgerung Kants, eine Handlung, die allein aus dem formalen Motiv »aus Pflicht« erfolgt, nur in einem Gesetz begründet sein, das keine Gegenstände der Neigung und darum die bloße Form des Gesetzes enthält. Es lautet folglich: »[I]ch soll niemals anders verfahren als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden.«58 Das Gesetz fordert, die subjektive Maxime einer beabsichtigten Handlung daraufhin zu prüfen, ob sie als ein objektives allgemeines Gesetz gelten kann. Es ist somit ein Selektionskriterium, es unterscheidet sittlich erlaubte von sittlich verbotenen Handlungen, schreibt aber selbst keine bestimmten Handlungen vor.59 Genau daran setzt nun die Kritik der Wolffianer,60 aber auch die Garves an. Wenn sich durch das Sittengesetz kein sittliches Gut bestimmen lässt, dann kann das Subjekt

|| 52 Vgl. AA IV, S. 39435 und S. 39702–04. Dasselbe gilt nach Kant im Prinzip auch für die daraus abgeleiteten Schlüsse, die Herleitung des Sittengesetzes und sein Befolgung um der Pflicht willen, auch wenn diese im gemeinen Menschenverstand nicht in dieser abgesonderten Form auftreten; vgl. AA IV, S. 40334–37 und S. 404f. 53 Letzteres wird von Kant ausdrücklich ausgeschlossen; vgl. AA IV, S. 4065–8. 54 AA IV, S. 402. 55 Der Begriff des guten Willens, »wie er schon dem natürlichen gesunden Verstande beiwohnt«, muss nicht »gelehrt als vielmehr nur aufgeklärt« werden (AA IV, S. 397; vgl. auch ebd., S. 404f.). 56 Ebd., S. 397–399. 57 Ebd., S. 400. 58 Ebd., S. 402. 59 Vgl. dazu auch ebd., S. 431: »Alle Maximen werden nach diesem Princip verworfen, die mit der eigenen allgemeinen Gesetzgebung des Willens nicht zusammen bestehen können.« 60 Z.B. Hermann Andreas Pistorius: Grundlegungen zur Metaphysik der Sitten von Immanuel Kant. Riga 1785. In: Allgemeine deutsche Bibliothek 82 (1788), 2. Stück, S. 427–470.

Garves späte Sittenlehre | 235

daran kein Interesse nehmen und es lässt sich keine Motivation ausmachen, warum es ihm folgen soll.61 Gesteht Kant der gemeinen Menschenvernunft also durchaus zu, moralische Prinzipien richtig zu erkennen, allerdings nur, wenn man sie im Gegensatz zu ihrem Gebrauch in der Popularphilosophie als ein erfahrungsunabhängiges Urteilsvermögen über das unbedingt Gute interpretiert, so ist die Popularphilosophie selbst das Paradigma einer irregeleiteten Vernunft durch die Adaptation an die Erfahrung. Sie dergestalt zu bewerten, ist Gegenstand des zweiten Abschnittes der Grundlegung, der von Kant, was in der Literatur kaum beachtet ist, als Dialektik behandelt wird. Die praktische Vernunft unterliegt demnach der »natürlichen Dialektik«,62 sich durch die gewöhnliche Erfahrung in die Irre leiten zu lassen. Deswegen bedarf sie der Metaphysik zur Prüfung ihrer Prinzipien. So jedenfalls begründet Kant die Gliederung der Grundlegung: Der erste Abschnitt führt von der Grundannahme zu den Voraussetzungen dieser Grundannahme, der zweite handelt von der Dialektik, der Ausmessung der Grenzen der Vernunft und der Vermeidung dialektischer Fehlschlüsse.63 Während aber in der spekulativen Vernunft diese Fehlschlüsse daraus resultieren, dass Sätze über alle Erfahrung hinaus erweitert werden (wo sie keine Anwendung mehr finden), so in der praktischen Philosophie daraus, dass sie sich auf Erfahrungen einlässt.64 Statt reine praktische Imperative zu formulieren, beginnt sie zu »vernünfteln« und aus Verallgemeinerung von Erfahrungssätzen praktische Fehlschlüsse zu produzieren, die die Gültigkeit bzw. die Strenge des Gesetzes in Zweifel ziehen. So man sich an der Erfahrung orientiert, werde man zu dem Schluss verleitet, dass Handlungen aus bloßer Pflicht der menschlichen Natur nicht angemessen seien. Deswegen habe es zu allen Zeiten Philosophen gegeben, die die Möglichkeit bloß moralischer Handlung bestreiten und alles pflichtgemäße Handeln der verfeinerten Selbstliebe zuschreiben.65 Der dritte Teil der Grundlegung begründet dann die Gültigkeit des kategorischen Imperativs.66

|| 61 Es kann hier nur angemerkt werden, dass Kant in den Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre mit seiner Lehre von den Zwecken, die zu haben Pflicht ist, genau in diese wolffischen Bahnen zurückkehrt. 62 AA IV, S. 405. 63 Ebd., S. 392. 64 Vgl. ebd., S. 411f. 65 Vgl. ebd., S. 406f. 66 Dies erscheint mir die einzig sinnvolle Interpretation des etwas kryptischen Absatzes, mit dem Kant die Einteilung der Grundlegung in die drei Abschnitte begründet: »Ich habe meine Methode in dieser Schrift so genommen, wie ich glaube, daß sie die schicklichste sei, wenn man vom gemeinen Erkenntnisse zur Bestimmung des obersten Princips desselben analytisch und wiederum zurück von der Prüfung dieses Princips und den Quellen desselben zur gemeinen Erkenntniß, darin sein Gebrauch angetroffen wird, synthetisch den Weg nehmen will. Die Eintheilung ist daher so ausgefallen.« Daran schließt sich unmittelbar die Einteilung der Grundlegung in die drei Abschnitte mit

236 | Franz Hespe

Auf die Notwendigkeit einer Prüfung der Quellen der Vernunft kommt Kant noch einmal in den beiden Übergangsabsätzen vom ersten zum zweiten Abschnitt zurück: Weil die praktische Vernunft Gefahr laufe, einer natürlichen Dialektik zu verfallen, so sie sich auf die Anmaßungen der Erfahrung einlasse, ist eine Prüfung ihrer Quellen notwendig.67 Obwohl die beiden Abschnitte eine ähnliche Überschrift haben, haben sie eine völlig unterschiedliche Stoßrichtung. Der erste Abschnitt billigt der »gemeinen sittlichen Vernunfterkenntniß« durchaus eine richtige Erkenntnis zu,68 nur bedarf sie einer philosophischen Aufklärung über die Voraussetzungen ihrer richtigen Erkenntnis; die populäre sittliche Weltweisheit unterliegt hingegen einer »natürlichen Dialektik«, aus der Erfahrung auf das sittlich Gebotene schließen zu wollen. Sie gilt es daher über die Quellen ihrer Fehlschlüsse aufzuklären und die Ansprüche der empirischen Erfahrung in der philosophischen Sittenlehre zurückzuweisen.69 Dies ist Gegenstand des zweiten Abschnittes, überschrieben als Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. Wenn auch thematisch nicht klar gegliedert, zerfällt der zweite Abschnitt der Grundlegung doch thematisch in vier Teile: 1. Notwendigkeit eines Übergangs von der Verallgemeinerung von Erfahrungssätzen (Popularphilosophie) zu einer aus apriorischen Prinzipien begründeten Moralphilosophie (Metaphysik).70 2. Die Unterscheidung von hypothetischen und kategorischen Imperativen.71 3. Die Nebenformeln des kategorischen Imperativs. 4. Die Unterscheidung von Autonomie und Heteronomie. 1. Im ersten Teil soll – wie schon in der Vorrede zu dieser Schrift – begründet werden, dass die pflichtgemäße Handlung allein von der Vernunftgesetzgebung bestimmt werden kann. Für sie kann es daher weder empirische Beispiele geben, noch kann eine Verallgemeinerung empirischer Erfahrungen auf den Pflichtbegriff führen. Deswegen ist ein Übergang von der Popularphilosphie zur Metaphysik der Sitten notwendig.72

|| ihren Titeln an, wobei das »daher« im letzten Satz des Zitats offensichtlich anzeigt, dass das Vorhergehende die Begründung dieser Einteilung ist (AA IV, S. 392). 67 AA IV, S. 404f. 68 So heißt es in der Vorrede zur Grundlegung, dass »die menschliche Vernunft im Moralischen selbst beim gemeinsten Verstande leicht zu großer Richtigkeit und Ausführlichkeit gebracht werden kann« (A IV, S. 391). 69 Kants Kritik der Erfahrungstheorie führt schließlich zu eine Änderung des Titels: Kritisiert werden muss demnach nicht die reine praktische Vernunft, sondern die praktische Vernunft, insofern sie den Anmaßungen der Erfahrung nicht widersteht (vgl. AA V, S. 3 u. S. 15f.). 70 AA IV, S. 406–412. 71 Ebd., S. 412–421. 72 Ebd., S. 409, S. 410, S. 412, S. 426; auch schon S. 389f.

Garves späte Sittenlehre | 237

2. Die Passage über hypothetische und kategorische Imperative im zweiten Teil dieses Abschnittes ist offensichtlich als Ausführung der Überlegungen des Entwurfs einer Antwort auf die Göttinger Rezension zu lesen. Kant unterscheidet zunächst zwischen hypothetischen und kategorischen Imperativen, erstere fordern eine Handlung als notwendiges Mittel zu einem möglichen oder wirklichen Zweck, letztere fordert eine Handlung ohne Beziehung auf irgendeinen anderen Zweck als notwendig für einen der Vernunft an sich gemäßen Willen. Erstere sind hypothetisch, stehen unter der Voraussetzung, dass man einen bestimmten Zweck realisieren will, letztere kategorisch, weil sie eine Handlung als an sich gut vorstellen. Weil sie aber vom Menschen, da er auch von anderen Triebfedern bestimmt ist, subjektiv nicht notwendig ausgeführt werden, handelt es sich um Imperative, genauer, um solche der Sittlichkeit. Nur von letzteren kann als Gesetzen gesprochen werden.73 Die hypothetischen Imperative unterscheidet Kant nun wieder in die problematischen und die assertorischen, erstere fordern Handlungen als Mitttel zu möglichen, letztere als Mittel zu wirklichen Absichten.74 Nun gibt es eine Absicht, von der anzunehmen ist, dass sie alle Menschen qua Naturnotwendigkeit haben: das Streben nach Glückseligkeit. Geichwohl ist der Imperativ, der sich auf die Wahl der Mittel zur eigenen Glückseligkeit bezieht, hypothetisch, weil er Handlungen nur als Mittel zu einem Zweck vorschreibt,75 der zudem subjektiv zufällig ist, da verschiedene Menschen Verschiedenes zu ihrer Glückseligkeit zählen.76 Der kategorische Imperativ hingegen, der ohne irgendeine Absicht absolut gebietet, betrifft nicht die Absicht einer Handlung, sondern die Form, aus der er selbst folgt. Es bleibt, wie schon im ersten Abschnitt gefolgert wurde, nur die Allgemeinheit eines Gesetzes übrig, weswegen er lautet: »[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde«.77 Es liegt auf der Hand, dass dieser Abschnitt, wenn auch nicht ausschließlich, so doch auch auf Garve gemünzt ist, zumal die Unterscheidung von hypothetischen und kategorischen Imperativen in Kants publizierten Werken nur noch einmal kurz in der Kritik der praktischen Vernunft erwähnt wird.78 3. Die wirkungsmächtigsten Überlegungen dieses Abschnittes sind indes die so genannten Formeln des kategorischen Imperativs, die in der Kantinterpretation als Kern der kantischen Moralphilosophie angesehen werden, weil sie inhaltlich angeb-

|| 73 Ebd., S. 414–416. 74 Ebd., S. 414f. 75 Ebd., S. 415f. 76 Ebd., S. 416. 77 Ebd., S. 421. 78 AA V, S. 20.

238 | Franz Hespe

lich über den kategorischen Imperativ hinausgehen.79 Dazu sollten wir zunächst vergegenwärtigen: Wir befinden uns in einem Abschnitt, der offensichtlich der Zurückweisung der Popularphilosophie gilt, den »vernünftelnden« Fehlschlüssen der Popularphilosophie durch Ausmessung der Grenzen der Vernunft entgegenzuwirken. Der Abschnitt schließt mit der Bemerkung Kants, er habe die Nebenformeln nur eingeführt, um den kategorischen Imperativ der Anschauung näher zu bringen, eigentlich sei es aber besser, »wenn man in der sittlichen Beurtheilung immer nach der strengen Methode verfährt und die Formel des kategorischen Imperativs zum Grunde legt«.80 Kant nennt die Nebenformeln deswegen mehrfach auch nicht Formeln des kategorischen Imperativs, sondern »Arten, das Princip der Sittlichkeit vorzustellen«.81 Die so genannten Nebenformeln sind singulär in den moralphilosophischen Schriften Kants. Die Hauptformel wiederholt Kant dagegen sowohl in der Kritik der praktischen Vernunft82 wie in der Einleitung zur Metaphysik der Sitten,83 die Nebenformeln nirgendwo sonst. Die Nebenformeln dienen also offensichtlich dem eigentlichen Zweck dieses Abschnittes, der Auseinandersetzung mit der Popularphilosophie. Mit ihnen greift Kant die Themen der Popularphilosophie (der »Vorstellungsart«) auf und zeigt, wie diese in Bezug auf den kategorischen Imperativ – und nur in diesem Bezug – vernünftig interpretiert werden können. Der Sinn, den sie in der Popularphilosophie haben, muss korrigiert werden, damit sie überhaupt dazu dienen können, das Sittengesetz der Anschauung näher zu bringen. Das ist offenbar der Schritt von der Popularphilosophie zur Metaphysik, der im Titel des Abschnitts ausgedrückt wird. Kant schließt daher an jede Formel den Beweis an, dass ihnen keine empirischen Inhalte beigemischt werden dürfe, und sie nur als reine Vernunftformeln Gültigkeit haben. Werden ihnen hingegen empirische Inhalte beigemischt, resultieren daraus dogmatische Fehlschlüsse. Die drei Formeln können also die allgemeine Formel nicht ergänzen oder gar das Wesen der kantischen Moralphilosophie ausmachen, weil allein die allgemeine Formel die formale Tauglichkeit einer subjektiven Maxime zu einer allgemeinen Gesetzgebung, und damit die nach Kant einzig mögliche Vernunftgesetzgebung zum Ausdruck bringen kann. Denn das Sittengesetz kann nur dann unbedingte Gültigkeit haben, wenn es keinerlei Zwecke zum Inhalt hat, die immer empirisch und zufällig sind. Umgekehrt bergen diese Formeln offensichtlich die Gefahr, wegen ihrer empirischen Konnotation in die Irre zu führen. Wenn es also einen Sinn macht, ihnen dennoch so breiten Raum einzuräumen, dann offensichtlich nur, um dieser Gefahr zu begegnen. || 79 So z. B. Dieter Schönecker, Allen W. Wood: Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein einführender Kommentar. Paderborn u. a. ³2007, S. 127f. u S. 142. 80 AA IV, S. 436. 81 Vgl. ebd.; auch ebd., S. 431: »Vorstellungsart«. 82 AA V, S. 30. 83 AA VI, S. 225.

Garves späte Sittenlehre | 239

Kant erwähnt nicht, welche Philosophen es sind, deren Theorien hier korrigiert werden sollen, es ist aber nach den obigen Ausführungen wahrscheinlich, dass Garve – speziell Garves Cicero-Übersetzung und -Kommentierung – hier gemeint ist. Klaus Reich hat in seiner Abhandlung Kant und die Ethik der Griechen84 nachzuweisen versucht, dass diese drei Formeln durch Ciceros De officiis, insbesondere durch Garves Übersetzung derselben veranlasst worden sind. Wenn diese These richtig ist, dann müssen sich Anleihen bei Cicero bzw. Garves Bearbeitung in der Ableitung der Nebenformeln finden lassen. Die erste, unmittelbar auf die Hauptformel folgende, sogenannte Naturgesetzformel lautet: »[H]andle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.«85 Auf den ersten Blick ist die Naturgesetzformel nach kantischen Prinzipien unmöglich, da doch der kategorische Imperativ gerade nicht aus der Natur abgeleitet werden soll,86 die Formel also etwas zugrunde zu legen scheint, was Kant gerade ablehnt. Tatsächlich ist es auch nicht die Natur, sondern die Idee einer Natur,87 wie sie durch das sittliche Handeln entstehen soll, wodurch das Sittengesetz anschaulich gemacht werden soll. Die Naturgesetzformel besagt alles andere, als dass das Moralprinzip aus der (empirischen) Natur oder der Natur des Menschen abgeleitet wäre, im Gegenteil sollen wir es uns »ja nicht in den Sinn kommen lasse, die Realität dieses Princips aus der besondern Eigenschaft der menschlichen Natur ableiten zu wollen«.88 Sie besagt vielmehr, in Analogie zum Zusammenhang der Dinge nach allgemeinen Gesetzen (der physischen Natur) könnten wir das allgemeine Sittengesetz, als eine »der allgemeinen […] Naturordnung ähnliche Gesetzmäßigkeit«, auch Naturgesetz nennen.89 Wir sollen m. a. W. nach einem Gesetz handeln, als ob wir dadurch eine Natur etablieren würden, die von uns gewollt sein könnte. Die unter dieses Gesetz gedachte Naturordnung ist mithin keine empirisch wirkliche oder erfahrbare, sondern ein Ideal, eine Ordnung, die durch unser gesetzmäßiges Handeln hervorgebracht werden soll. Wessen Auffassung vom Moralprinzip als einem aus der Natur abgeleiteten Gesetz ist es nun, die nach Kant zu korrigieren ist? Jedenfalls ist diese Auffassung für die stoische Ethik charakteristisch, und es liegt darum nahe, Anhaltspunkte bei Cicero bzw. in Garves Übersetzung zu suchen. Bereits im ersten Abschnitt der Grundlegung hatte Kant ausgeführt, dass die Tugenden »Mäßigung in Affecten und

|| 84 Klaus Reich: Kant und die Ethik der Griechen. Tübingen 1935; ND in: ders.: Gesammelte Schriften. Mit Annotationen aus dem Nachlaß herausgegeben von Manfred Baum, Udo Rameil, Klaus Reisinger und Gertrud Scholz. Hamburg 2001, S. 113–146 (nach dieser Ausgabe wird im Folgenden zitiert). 85 AA IV, S. 421 (Hvhg. im Original). 86 Vgl. ebd., S. 410, Anm. 87 Ebd., S. 436, Anm. – dort allerdings bezogen auf das Reich der Zwecke als Reich der Natur. 88 Ebd., S. 425, vgl. S. 410 (Hvhg. im Original). 89 Vgl. auch ebd., S. 431 (Hvhg. im Original).

240 | Franz Hespe

Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne Überlegung«, bei denen es sich zweifelsohne um die Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit und Klugheit handelt, »von den Alten gepriesen worden« seien und »unbedingten Werth« besäßen.90 Schon Klaus Reich hatte vermutet, dass sich Kant mit »den Alten« auf Ciceros De officiis bzw. auf Garves Übersetzung der Schrift bezieht.91 Das, was nach Cicero aber unbedingte »Hochschätzung« verdient, ist das honestum, »das, was in sich gut bleibt, wenn es auch von niemanden gebilligt wird; und den Charakter des Lobenswürdigen an sich trägt, gesetzt daß es niemals Lob erhalten sollte«.92 Das Zitat schließt das vierte Kapitel des ersten Buches93 ab, das aus der Natur des Menschen die vier so genannten Kardinaltugenden herleitet. Garve hatte in seiner Übersetzung diesem Kapitel den Randtitel »Herleitung des moralisch Guten aus der menschlichen Natur« hinzugefügt. Das Kapitel leitet Cicero mit den Ausführungen ein: »Der erste Trieb, den die Natur allen lebendigen Geschöpfen eingepflanzt hat, ist der, sich selbst, ihr Leben, und den Wohlstand ihres Körpers zu erhalten.«94 Kant greift diesen Gedanken auf, allerdings zu dem Zweck, ihn zurückzuweisen: Wäre nun an einem Wesen, das Vernunft und einen Willen hat, seine Erhaltung, sein Wohlergehen, mit einem Worte seine Glückseligkeit, der eigentliche Zweck der Natur, so hätte sie ihre Veranstaltung dazu sehr schlecht getroffen, sich die Vernunft des Geschöpfs zur Ausrichterin dieser ihrer Absicht zu ersehen. Denn alle Handlungen, die es in dieser Absicht auszuüben hat, und die ganze Regel seines Verhaltens würden ihm weit genauer durch Instinct vorgezeichnet.95

Wäre es m. a. W. der Natur um die Erhaltung und das Wohlergehen des Menschen gegangen, so hätte sie ihn zu diesem Zweck besser mit Instinkt statt mit Vernunft ausgestattet. Folglich muss sie damit einen anderen Zweck verfolgt haben, nämlich den »an sich selbst guten Willen hervorzubringen«.96 Ein weiterer prominenter Ort, an dem Cicero das naturgemäße Handeln zum Maßstab sittlichen Handelns erklärt, ist der Schluss des vierten Kapitels im dritten Buch, wo Cicero nach einer Entscheidungsregel (formula) für den Fall sucht, dass das honestum und das utile miteinan-

|| 90 Ebd., S. 394. 91 Reich: Kant und die Ethik der Griechen (s. Anm. 84), S. 132f. 92 »[Q]uod etiamsi nobilitatum non sit, tamen honestum sit, quodque vere dicimus, etiamsi a nullo laudetur, natura esse laudabile« (Marcus Tullius Cicero: De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lateinisch – Deutsch. Hg. und übers. von Rainer Nickel. Düsseldorf 2008, I.14; im Folgenden: De off.) Übersetzung nach: Cicero: Abhandlung über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 25), S. 16. 93 De off. I.11–17. 94 »Principio generi animantium omni est a natura tributum, ut se, vitam corpusque tueatur« (De off. I.11) Übersetzung nach: Cicero: Abhandlung über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 25), S. 12. 95 AA IV, S. 395. 96 Ebd., S. 396.

Garves späte Sittenlehre | 241

der zu konfligieren scheinen.97 Garve fügt hier in seiner Übersetzung den Randtitel »Allgemeine Regel wornach der scheinbare Streit zwischen Tugend und Vortheil zu entscheiden ist« hinzu.98 Zur Beantwortung dieser Frage greift Cicero im folgenden Kapitel auf das bei den Stoikern als das höchste Gut bezeichnete convenienter naturae vivere – gemäß der Natur leben – zurück.99 Diese Stelle wird dann bis in die Neuzeit immer wieder zitiert, auch noch von Christan Wolff und hier von Christian Garve. Ganz im Gegensatz zu Cicero und Garve, der sich Cicero in diesem Punkte uneingeschränkt anschließt, gibt die Natur nach Kant aber weder moralische Normen, noch lassen diese sich aus ihr ableiten. Moralische Normen gibt allein der Mensch sich selbst, und dazu bedarf er der Vernunft. Deswegen ist die stoische Formel dahingehend zu korrigieren, man solle nach einer Maxime handeln, von der man wollen kann, dass durch sie eine Naturordnung etabliert würde. Die zweite, die sogenannte Zweck-an-sich-Formel entwickelt Kant aus seinen Überlegungen zu hypothetischen und kategorischen Imperativen. Kant unterscheidet zwischen subjektiven Zwecken, die auf Triebfedern, und objektiven, die auf Bewegungsgründen beruhen, die für alle vernünftigen Wesen gelten. Erstere sind material, letztere formal, erstere nur relativ, weil ihnen nur »ein besonders geartetes Begehrungsvermögen« zugrunde liegt, nicht aber ein für alle vernünftigen Wesen gültiges und notwendiges Prinzip, d. h. ein praktisches Gesetz. Erstere schreiben die Realisierung bestimmter Gegenstände nur als Mittel zu einem anderen, gegebenenfalls verfolgten Zweck vor, letztere gebieten die durch sie geforderte Handlung kategorisch und nicht bloß als Mittel zu einem beliebigen Zweck. Gäbe es aber ein solches Prinzip, so könnte in ihm »der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs« »als Zweck an sich selbst« liegen. Sodann postuliert Kant – ohne jede weitere Begründung –, jedes vernünftige Wesen und somit auch der Mensch existiere als Zweck an sich selbst.100 Die Zweck-an-sich-Formel lautet sodann: »Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.«101 Die Zweck-an-sich-Formel verlangt nach einer Vorrangstellung des Menschen gegenüber allen anderen Wesen. Auch dazu gibt es Parallelen in Ciceros De officiis. Manfred Baum hat darauf hingewiesen,102 dass diese Sonderrolle des Menschen vor allen anderen Naturwesen bei Kant wie bei Cicero darin begründet liegt, dass wir gegenüber den Tieren, die als bloße Sachen zu gelten haben, als Personen ausge-

|| 97 De off. III.19. 98 Cicero: Abhandlung über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 25), S. 255. 99 De off. III.13. 100 Vgl. AA IV, S. 427–429. 101 Ebd., S. 429. 102 Manfred Baum: Kant und Ciceros ›De officiis‹. In: ders.: Kleine Schriften, Bd. 2. Arbeiten zur praktischen Philosophie Kants. Hg. von Dieter Hüning. Berlin, Boston 2020, S. 45–56, hier S. 55.

242 | Franz Hespe

zeichnet sind.103 Aus dem Prinzip, gemäß der Natur zu leben, leitet Cicero zu Beginn das fünften Kapitels von Buch III dann das Prinzip ab: Einem anderen etwas nehmen und als Mensch zum Schaden eines Menschen seinen Vorteil zu mehren, ist mehr gegen die Natur als Tod, Armut, Schmerz, oder irgendein Übel, das Körper oder den äußeren Gütern widerfahren kann.104

Und am Ende dieses Kapitels fasst Cicero dasselbe mit den Worten zusammen, wer einem anderen Schaden zufügt, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, handle der Natur entgegen, weil er »im Menschen die Menschlichkeit aufhebt«.105 Wer also seinen Vorteil auf Kosten des anderen betreibt, beraubt ihn dessen, was seine Menschlichkeit ausmacht, degradiert ihn zur Sache. Genau das aber greift Kant in seiner Formel vom Menschen als Zweck an sich selbst auf. Auch die Zweck-an-sich-Formel bedarf in ihrer ursprünglichen Bedeutung bei Cicero oder Garve einer Korrektur, da sie nach kantischen Prinzipien kein unbedingtes Gesetz abgeben kann, weil »in der Idee eines ohne einschränkende Bedingung (der Erreichung dieses oder jenes Zwecks) schlechterdings guten Willens durchaus von allem zu bewirkenden Zwecke abstrahirt werden muß«. Denn es war ja bereits im ersten Abschnitt der Grundlegung hergeleitet worden, dass der gute Wille sich nicht durch die Absichten oder Zwecke, sondern durch die subjektive Maxime bestimmt. Hier aber soll der kategorische Imperativ durch einen speziellen Zweck veranschaulicht werden. Das Paradox löst sich aber auf, wenn man sieht, dass der Zweck »nicht als ein zu bewirkender«, als Gegenstand einer möglichen Zwecksetzung, sondern »nur negativ gedacht« wird.106 Die Zweck-an-sich-Formel besagt nicht, wir sollen uns infolge eines Triebes, von dem man aus Erfahrung Kenntnis hätte, den Menschen (bzw. die Menschheit) zum Zweck machen, wie Cicero nach der (recht freien) Übersetzung Garves behauptet, wonach »eine natürliche Empfindung im Menschen [besteht], welche ihn antreibt, einen andern Menschen wer er auch sey, – bloß weil er ein Mensch ist, – in der Noth beyzuspringen«.107 Nach Kant ist sie vielmehr eine aus der Vernunft abgeleitete Idee, nach der der Mensch Einschränkung jeder Zwecksetzung ist; es sind keine Zwecke erlaubt, in denen wir den Menschen zum bloßen Mittel unserer Zwecke machen. Deswegen ist »[d]ieses Princip der Menschheit und jeder vernünftigen Natur überhaupt, als Zwecks an sich || 103 Zu Kant vgl. AA IV, S. 428, zu Cicero: De off. I.97; I.107. 104 »Detrahere igitur alteri aliquid et hominem hominis incommodo suum commodum augere magis est contra naturam quam mors, quam paupertas, quam dolor, quam cetera, quae possunt aut corpori accidere aut rebus externis« (De off. III.21). 105 »[Q]ui omnino hominem ex homine tollat« (De off. III.26); Übersetzung nach: Cicero: Abhandlung über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 25), S. 259. 106 Alle Zitate AA IV, S. 437. 107 De off. III.27; Übersetzung nach: Cicero: Abhandlung über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 25), S. 260.

Garves späte Sittenlehre | 243

selbst [...] nicht aus der Erfahrung entlehnt«. Dies gilt wegen seiner allgemeinen Geltung für alle vernünftigen Wesen überhaupt, die nicht Gegenstand der Erfahrung sein können, vor allem aber, weil es kein subjektiver Zweck ist, den Menschen sich wirklich setzen könnten, sondern als objektiver Zweck »die oberste einschränkende Bedingung aller subjektiven Zwecke«.108 Die dritte Formel ergibt sich aus der Zusammenfassung der beiden ersten Formeln und wird in der Literatur üblicherweise als Reich-der-Zwecke-Formel bezeichnet. Eine der vielen in der Grundlegung zu findenden Formulierung lautet: »[H]andle nach Maximen eines allgemein gesetzgebenden Gliedes zu einem bloß möglichen Reiche der Zwecke«.109 Vorher hatte Kant aber schon ein Prinzip als die dritte Formel bezeichnet, das in der Literatur Autonomie-Formel genannt wird. Sie wird von Kant ebenfalls in vielen Varianten formuliert, eine davon als »die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens«.110 In der Literatur wird diese Formel daher auch als eine eigenständige Formel aufgefasst.111 Da Kant aber ausdrücklich betont, dass es nur drei Formeln gibt,112 müssen beide Formeln offenbar dasselbe ausdrücken. Die dritte Formel drückt nach Kant etwas explizit aus, was in den beiden ersten bereits implizit vorhanden war. Das Autonomieprinzip folgt aus ihnen, insofern auch für diese Vorstellungsarten galt, dass ihrer Gesetzgebung kein Interesse zugrunde liegen kann;113 denn darin unterscheiden sich kategorische von hypothetischen Imperativen.114 Also kann der gute Wille seinem Inhalte als seiner Motivation nach nur der eigenen und doch zugleich allgemeinen Gesetzgebung unterworfen werden. Alle bisherigen Bemühungen, das Prinzip der Sittlichkeit zu bestimmen, seien fehlgeschlagen, weil man den Menschen an irgendwelche Gesetze, aber nicht an die eigene Gesetzgebung gebunden sah. Wenn man sich aber nur an irgendein Gesetz gebunden sah, bedurfte es irgendeines Interesses oder Zwangs, der den Willen unter das Gesetz zwang, weil man es nicht als das Gesetz des eigenen Willens betrachtete.115 Kant tritt damit ausdrücklich der Ansicht der Wolffianer, die auch von Garve geteilt wird, entgegen, es bedürfe eines materiellen Gutes, damit der Mensch ein Interesse an der Gesetzesbefolgung nehmen könnte. Aus der Autonomieformel lässt sich nun nach Kant der Begriff eines Reichs der Zwecke ableiten. Unter einem ›Reich‹ versteht Kant die systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch Gesetze. Da Gesetze nur die Zulässigkeit von Zwecken

|| 108 AA IV, S. 430f. 109 Ebd., S. 439. 110 Ebd., S. 431. 111 Schönecker, Wood: Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (s. Anm. 79), S. 126. 112 Vgl. AA IV, S. 431, S. 432, S. 436. 113 Vgl. ebd., S. 431 u. S. 432. 114 Vgl. ebd., S. 431. 115 Ebd., S. 432f.

244 | Franz Hespe

begrenzen, entsteht so ein Ganzes möglicher Zwecke, ein Reich der Zwecke. Da alle vernünftigen Wesen nach der zweiten Formel unter dem Gesetz stehen, »daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle«, wird hierdurch die systematische Verbindung vernünftiger Wesen hergestellt.116 Die Reich-der-Zwecke-Formel geht also insofern über die Zweck-an-sich-Formel hinaus, als sie einen universellen Zusammenhang aller Vernunftwesen vorstellt, von denen jedes als gesetzgebendes Mitglied eines möglichen Reiches der Zwecke gedacht werden kann. Weil wir nach der ersten Formel die sittliche Ordnung in Analogie zur Naturordnung als eine solche denken können, die durch ein allgemeines Gesetz hervorgebracht werden soll, können wir das Reich der Zwecke auch als ein Reich der Natur ansehen. Die komplexe dritte Formel lautet daher, »daß alle Maximen aus eigener Gesetzgebung zu einem möglichen Reiche der Zwecke, als einem Reiche der Natur, zusammenstimmen sollen«.117 Auch die Erweiterung der Zweck-an-sich-Formel auf die Ganzheit der Menschen hat ein Vorbild in De officiis. Wer das Naturgesetz und die daraus abgeleitete Forderung, für andere Sorge zu tragen und ihnen nicht zu schaden, verletzt, indem er seinen Nutzen bzw. seinen Vorteil zum Schaden anderer vermehrt, zerstört die Gemeinschaft der Menschheit (humani generis societatem),118 (communem tamquam humanitatis corporus),119 ebenso wie die Krankheit eines Körperteils den ganzen Körper krank macht.120 Dasselbe gilt für diejenigen, die diese Sorge auf bestimmte Gruppen, die Familie, die Bürger eines Staates einschränken wollen. Um der Gemeinschaft der Menschheit willen hat die Sorge vielmehr jedem Menschen zu gelten, wer es auch sein mag.121 Um der Gemeinschaft des Nutzens willen ist daher der Nutzen des Einzelnen und der der Gesamtheit (universorum) derselbe,122 er macht ein Ganzes aus. 4. Im letzten Teil des zweiten Abschnittes stellt Kant, anknüpfend an die Autonomieformel, Überlegungen über Autonomie und Heteronomie des Willens an. Autonomie bedeutet, dass der Wille der eigenen Gesetzgebung unterworfen ist, was nur dadurch möglich ist, dass der Wille von keinem Gegenstand des Wollens abhängig ist, also nur durch die Unterwerfung unter den kategorischen Imperativ. Heteronomie bedeutet, dass der Wille auf die Bewirkung eines Gegenstandes (ein zu bewir-

|| 116 Vgl. ebd., S. 433. 117 Ebd., S. 436. 118 De off. III.21; III.28. 119 De off. III.32; Garve übersetzt: Der »moralischen Körper der Gesellschaft« (Cicero: Abhandlung über die menschlichen Pflichten [s. Anm. 25], S. 264). 120 De off. III.21f. 121 De off. III.27f. 122 De off. III.26f.

Garves späte Sittenlehre | 245

kendes Gut) verpflichtet ist, wodurch seine Handlungen Mittel zum Zweck werden. Der Wille gibt sich nicht selbst das Gesetz, sondern hängt von den Bedingungen der Bewirkung des Objekts ab: »[I]ch soll etwas tun, weil ich etwas anderes will«.123 Die beiden Prinzipien, die nun bei Kant im besonderen Maße für Heteronomie stehen, sind Glückseligkeit und Vollkommenheit, gerade die Prinzipien, die in der vorkantischen Moralphilosophie eine besondere Rolle spielen und so auch bei Garve.

2 Philosophie des ›Gemeinen Menschenverstandes‹ – Garves Eigene Betrachtungen Christian Garve hat sich zeit seines Lebens immer wieder mit Kant auseinandergesetzt, vor allem mit dessen Zurückweisung der Erfahrung und der Glückseligkeitslehre124 in der Moralphilosophie. Systematisch setzte er sich mit ihm aber vor allen in seinen beiden Schriften auseinander, die kurz vor seinem Tode erschienen. Als Gegenstand seiner Studien bestimmt Garve schon im Widmungsschreiben an Manso die Menschenkunde, die »menschliche Natur und deren Verschiedenheiten«,125 wie sie in historischen und empirischen Quellen, in Geschichte, Literatur und Geographie zur Geltung kommt. Gemäß dem oben schon wiedergegebenen Zitat aus dem ersten Absatz seines Glaubensbekenntnisses bezeichnet Garve sich als einen »populäre[n] Philosoph[en]« und Vertreter »des allgemeinen Menschensinnes«.126 Das Wort »Menschensinn« oder auch »Menschenvernunft«, »gemeine Vernunft« ist vermutlich eine Übertragung des common sense – sensus communis –, eines im englisch-sprachigen Raum gebräuchlichen Begriffs als Bezeichnung eines natürlichen, allen Menschen gemeinsamen, auf Erfahrung beruhenden Erkenntnisvermögens, auf das man sich als kritische Instanz gegen abstrakt-philosophische Spekulation und Metaphysik beruft.127 Nach Garve ist sie »gemeinschaftliches Eigentum aller

|| 123 AA IV, S. 441. 124 Z. B. mit einer längeren Anmerkung zu seiner Schrift: Über die Geduld. In: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben. Erster Theil. Breslau 1792 (GGW I), S. 1–116, hier S. 111ff., die Kant zum ersten Abschnitt seiner Schrift Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793, AA VIII, S. 273–313) veranlasste; vgl. hierzu auch den Beitrag von Dieter Hüning in diesem Band. 125 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), Widmungsschreiben an Manso, unpaginiert. 126 Ebd. S. 1. 127 Zur Entwicklung des »common sense«-Begriffs insbesondere in der schottischen Schule, vgl. Helga Körver (ehem. Helga Pust): Common Sense. Die Entwicklung eines englischen Schlüsselwortes und seine Bedeutung für die englische Geistesgeschichte vornehmlich zur Zeit des Klassizismus

246 | Franz Hespe

Menschen«, »eine Vollkommenheit«, welche »die der menschlichen Natur überhaupt zukommende Würde sichert«.128 Systematisch beschreibt Garve seine Methode wie folgt: »Ich fange von sinnlichen Wahrnehmungen an, um zu den höchsten Vernunftwahrheiten, und von sinnlichen Empfindungen und Trieben, um zu den, diese Triebe am meisten einschränkenden, sittlichen Vorschriften zu gelangen.«129 Zwar bringe der gemeine Menschensinn keine gemeinsamen Überzeugungen aller Menschen hervor, weil er sich wohl bei verschiedenen Menschen oder bei ein und demselben zu verschiedenen Zeiten widerspricht, aber auch bei den Transzendentalphilosophen sei nicht mehr Übereinstimmung und so müssen wir uns »in Absicht des Sittlichen, mit den Aussprüchen unsers Gewissens, und in Absicht der Erkenntniß, mit der Erfahrung, und mit den aus ihr, man weiß selbst nicht wann und wo, gezogenen Resultaten« begnügen.130 Doch könne sie, um historische Erfahrung bereichert, vielleicht »viele Gegenstände richtiger beurtheilen, als die auf eine einzige Reihe von Ideen sich einschränkende [...] Philosophie«. Garve stellt sich damit explizit in die Tradition der vorkantischen Philosophie, die er gegen diese stark machen möchte.131 Die Schrift gliedert sich in drei Glaubensbekenntnisse und zwei Prinzipien. Erstere legen die methodischen Grundlagen für die Ethik, letztere die zwei grundlegenden Prinzipien, die nach Auffassung Garves die Ethik bestimmen, fest. Die drei Bekenntnisse lauten: 1)

In Absicht der Triebfeder zum sittlichen Handeln drückt er seine Überzeugung aus, »daß die Glückseligkeit […] die einzige Triebfeder sittlicher Handlungen sey«. 2) In Absicht der Gesetzgebung der Vernunft, nimmt er an, dass »die Vernunft diese Regeln nicht aus sich selbst, sondern aus der Erfahrung […] hernehme«. 3) »In Absicht« der Freiheit »bin ich überzeugt: daß der Mensch, wenn er, um sittlich seyn zu können, frey seyn soll, dieß in der Sinnenwelt seyn müsse«.132 D. h. Garve widerspricht damit Kants Unterscheidung zwischen der praktischen, auf Erfahrung beruhenden, und der transzendentalen Freiheit.

|| und der Romantik. Phil. Diss. Bonn 1967 sowie Helga Pust: Common Sense bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. In: Europäische Schlüsselwörter. Wortvergleichende und wortgeschichtliche Studien. 3 Bde. München 1963–1967, Bd. 3, S. 92–140; Heinz Kleger: Common sense als Argument. Zu einem Schlüsselbegriff der Weltorientierung und politischen Philosophie. 2. Teil. In: Archiv für Begriffsgeschichte 33 (1990), S. 22–59, hier S. 26–43; vgl. auch schon Karl Vorländer: Volkstümliche Geschichte der Philosophie. Hamburg 2012 (ND der Ausgabe 1924), S. 17 und ders.: Geschichte der Philosophie. Neuzeit. Leipzig 1911, Bd. 2, S. 123f. 128 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 93f. 129 Ebd., S. 3. 130 Ebd., S. 2. 131 Ebd., S. 3. 132 Alle Zitate ebd., S. 4f.

Garves späte Sittenlehre | 247

Die so genannten Glaubensbekenntnisse formulieren zunächst die wichtigsten Streitpunkte seiner Auseinandersetzung mit Kant. Weder die Triebfeder sittlichen Handelns, noch das Sittengesetz, noch die Begründung der Freiheit lassen sich in der reinen Vernunft finden oder durch sie begründen, sondern in der durch den gesunden Menschenverstand bearbeiteten Erfahrung. Nicht die Pflicht selbst ist Motiv sittlichen Handelns, sondern die Glückseligkeit, nicht aus sich selbst gibt die Vernunft sich das Sittengesetz, sondern aus der Erfahrung, nicht durch reine praktische Vernunft wissen wir von unserer transzendentalen Freiheit, sondern durch das Wissen von uns als sittlichen Wesen und mit Absichten Handelnde wissen wir uns frei als sinnliche Wesen. Als Prinzipien behandelt Garve a) die Vollkommenheit, b) ein Prinzip, das keine Bezeichnung hat, und von Garve einfach als »das zweite« bezeichnet wird. Sie enthalten nach Garve die »allgemeinsten und abstraktesten Begriffe […], mit welchen die Reihe der moralischen Untersuchungen anfangen kann«.133

2.1 Glaubensbekenntnisse 2.1.1 Glückseligkeit Garve versteht sich als Vertreter der traditionellen »Glückseligkeitsphilosophie«, insofern er den Begriff des Guten nicht anders als im Zusammenhang mit der Vorstellung eines angenehmen eigenen, sei es körperlichen oder seelischen Zustandes denken kann. Nur im Hinblick auf ein so verstandenes »Gutes«, nämlich auf zu erwartende angenehme Zustände bzw. auf deren Inbegriff, die Glückseligkeit, sei menschliches Handeln überhaupt zu motivieren:134 Und dieses so allgemein bestimmte Gute [...] ist das Einzige in der menschlichen Natur, welches die Begierden sowohl als den Willen in Bewegung setzen, und zum Zwecke eines thätigen Bestrebens dienen kann. Aus mehreren solchen Zuständen, welche ihm, als sie gegenwärtig waren, wohlgefielen, d. h. andern Zuständen vorgezogen wurden, setzt der Mensch den ersten, rohen Begriff der Glückseligkeit zusammen. Und insofern ist die Glückseligkeit der letzte und alleinige Endzweck, welchen sich der Mensch, bey allen seinen Handlungen vorsetzen, und welcher ihn zur Thätigkeit irgend einer Art bewegen kann.135

Gegen Kant macht Garve daher geltend: ohne dem Menschen zu zeigen, dass etwas gut für ihn ist, kann er zu keinem sittlichen Handeln bewegt werden.136 Wenn Kant || 133 Ebd., Vorrede, unpaginiert. 134 Ebd., S. 23. 135 Garve: Uebersicht (s. Anm. 2), S. 375f. 136 Vgl. ebd., S. 282 u. S. 371.

248 | Franz Hespe

dagegen das Streben nach eigener Glückseligkeit als sittliche Handlungsmotivation ausschließe, vernichte er damit alle Triebfedern des Handelns überhaupt und damit auch die Triebfedern sittlichen Handelns.137 Dasselbe gilt nach Garve auch für sittliche Gesetze. »Wenn ein Princip« oder eine Regel »den Willen des Menschen bewegen soll«, so sei dies nur möglich, wenn er »von der Befolgung der Regel einen […] Zustand zu hoffen habe«, der demjenigen ohne Befolgung der Regel vorzuziehen sei,138 und schließt daraus: Wenn die Vernunft Gesetze gebe, könne sie ihre Autorität nur darauf gründen, dass es gut ist, vernünftig zu handeln.139 Daran anknüpfend unterscheidet Garve in seinen Eigenen Betrachtungen zwischen Vorstellungen, nach denen Handlungen geschehen, und Triebfedern, um derentwillen sie geschehen. Zu jeder Handlung sei beides notwendig: Außer den Vorstellungen, welche zu jeder Handlung gehören, sind aber auch noch Triebfedern nöthig, welche den Menschen bewegen, sie zu thun. Diese beyden Sachen sind wesentlich von einander unterschieden, und in der menschlichen Natur getrennt. Aus einer bloßen Regel, also auch aus einem Gesetze, kann nie eine Triebfeder werden.140

Erstere beinhalte die Art und Weise, wie etwas zu geschehen habe, z. B. wie eine Handlung auszuführen sei. Dazu gehören auch Regeln (Klugheitsregeln) und Gesetze.141 Letztere verknüpfen mit der Vorstellung einer Handlung die unseres eigenen Zustandes, nämlich eine Empfindung, dass durch die Handlung ein Zustand hervorgebracht wird, der gegenüber einem Zustand ohne diese Handlung ein Wohlgefallen oder ein Missfallen auslöst.142 Sodann beschreibt Garve eine Stufenleiter dessen, was der Mensch für angenehm und gut hält, angefangen von sinnlichen bis hin zu geistigen und sittlichen Empfindungen und behauptet, nur das Begehren des Angenehmen könne den Menschen überhaupt zur Tätigkeit bewegen. Im weiteren Verlauf der Argumentation behauptet Garve dann, die mit der Tätigkeit des Verstandes und der Vernunft verbundenen Empfindungen des Angenehmen seien die stärksten und nachhaltigsten und würden daher auch mit Überwindung der bloß sinnlichen vorgezogen, weswegen sie als gut bezeichnet und historisch mit dem

|| 137 Ebd., S. 375f. 138 Ebd., S. 376. 139 Ebd., S. 377. Der Einwand ist nicht unbedingt originell, sondern wird auch sonst im Umfeld der wolffschen Philosophie erhoben. Einen ähnlichen Einwand, dass nur ein Interesse, das der Natur eines vernünftigen Wesens gemäß wäre, dieses zur Befolgung eines Gesetzes nötigen könne, hatte auch Pistorius in seiner Rezension der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten vorgetragen; vgl. Pistorius: Grundlegungen zur Metaphysik der Sitten (s. Anm. 60). 140 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 8. 141 Ebd., S. 5–8. 142 Ebd., S. 8–10.

Garves späte Sittenlehre | 249

Begriff der Glückseligkeit verbunden würden.143 Den Abschnitt beendet Garve mit der rhetorischen Frage: Kann nun [...] die Ausübung der Tugend ohne Rücksicht auf Glückseligkeit bestehen? können die Principien der Sittlichkeit, ohne die Triebfeder von dieser zu Thätigkeiten und Handlungen werden?144

2.1.2 Vernunftgesetzgebung Das Kapitel über die Vernunftgesetze ist das kürzeste Stück innerhalb der Glaubensbekenntnisse. Im Kern geht es Garve um die These, dass auch die Vernunftgesetzgebung aus der Erfahrung abstrahierte Regeln sind, die sittliche Gesetze gebende Vernunft daher kein apartes Vermögen sei, wie Kant annehme. Die empirischen Affekte und Begierden, die den Menschen antreiben und deren Befriedigung er durch die Festlegung und Befolgung von Regeln für das menschliche Zusammenleben zu sichern sucht, werden von Kant aus der Bestimmung der moralischen Pflichten ausgeschaltet. Garve stimmt zwar zu, dass bey Handlungen, die als sittlich gut angesehen werden sollen, der Mensch sein eigener und einziger Gesetzgeber seyn müsse, sowohl in sofern er sich selbst die Vorschriften seiner Aufführung giebt, als insofern sein freyer, aber stets guter Wille, diesen Vorschriften zu folgen geneigt ist.145

Doch Vernunftgesetze seien aus der Erfahrung gezogen, und bedürften der sittlichen Bildung: »Wenn […] die Erfahrungen, welche das thätige Leben angehen, so vollständig gesammelt und so wohl geordnet sind, als dem Menschen möglich ist, dann ist der Verstand mit allen nöthigen Datis versehen, um sittliche Vorschriften zu geben.«146 Dies werde in der philosophischen Sprache als Vernunft bezeichnet. Wäre die praktische Gesetzgebung ein ganz unabhängiges Vermögen – wie Kant behaupte –, so könne nicht erklärt werden, warum die Sittlichkeit einigen Völkern und auch unter den gebildeten Völkern einzelnen Individuen fehle.147 Gemeint ist wohl, sei sie ein von der Erfahrung und Erfahrungserkenntnis unabhängiges, jedem Menschen zukommendes Vermögen, so müsste sie bei allen Menschen gleich sein. Daher gehört die Sittlichkeit

|| 143 Ebd., S. 10–23. 144 Ebd., S. 23. 145 Ebd., S. 25 146 Ebd., S. 25f. 147 Vgl. ebd., S. 28f.

250 | Franz Hespe

ganz zu der sinnlichen Welt: da sie ihre Regeln aus den Verhältnissen des gegenwärtigen Lebens herleitet, und die Triebfedern zu Befolgung derselben, in den Empfindungen und Vorstellungen des Menschen, so wie er sie nach seiner jetzigen Lage hat, aufsucht.148

2.1.3 Die sittliche Freiheit Sittlichkeit setzt nach Garve unabdingbar Freiheit voraus, weil Sittlichkeit »nicht Statt findet, wenn ich nicht für meine Handlungen verantwortlich bin, welches hinwiederum die Freyheit voraussetzt«.149 Da er aber davon überzeugt sei, ein sittliches Wesen zu sein, müsse Freiheit wirklich sein. Weil dieser Satz zwar für jeden guten Menschen vollkommen gewiss, für einen Sophisten aber nicht schlüssig sei, da er ja in Platons Politeia einen natürlichen Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit bestreite, möchte Garve das erste Argument durch ein weiteres stützen:150 Von allen Dingen – außer Pflanzen, Tieren, Menschen – nehmen wir an, dass sie sich nicht aus sich selbst bewegen, sondern von etwas anderem bewegt werden. Bei den dreien aber werden »wir eine in ihnen selbst, ursprünglich und ohne äußeren Anstoß entstehende, Bewegung, – und folglich den Keim der Freyheit, gewahr«; denn eine solche nähmen wir – auch nach Kant – an, »wo eine Urquelle von einer Reihe von Veränderungen ist. Diese Urquelle kann aber nirgends seyn, als in einem Dinge, welches sich selbst verändert, oder […] sich selbst bewegt«.151 Selbstbewegung ist in den drei Dingen jedoch in unterschiedlichem Grade vorhanden, bei der Pflanze, wenn sie wächst oder sich der Sonne zuwendet, beim Tier, insofern es sich absichtlich von einem Ort zum anderen zu bewegen vermag, ein Vermögen, das das Tier nie anders ausübt, »als um etwas, das einer Absicht ähnlich sieht, zu erreichen«.152 Über das Tier hinaus kann der Mensch aber »durch den Verstand Ideen und Erkenntnisse in sich erzeug[en], aus welchen Neigungen, oder Entschließungen folgen, die endlich auch den Körper in Bewegung setzen«.153 Resultat: Es ist nicht bloß die Sittlichkeit, aus welcher ich die Existenz freyer Wesen schließe, oder um derentwillen ich die Freyheit des Menschen annehme: sondern die Beobachtungen der sichtbaren Welt und die Erfahrung, zeigen mir, auch außer dem Menschen, Spuren von freyer d. h.

|| 148 Garve: Uebersicht (s. Anm. 2), S. 216. 149 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 30. 150 Ebd., S. 34ff. 151 Ebd., S. 36. 152 Ebd., S. 39. 153 Ebd., S. 40.

Garves späte Sittenlehre | 251

unabhängiger Selbstthätigkeit, ob sie mir gleich, außer dem Menschen kein anderes Wesen zeigen, welches der Sittlichkeit fähig wäre.154

Garve gesteht selbst ein, dass er auf diese Weise »eine sehr unvollkommne« Erkenntnis der menschlichen Freiheit erhalten habe, betont aber, dass alle diese Erkenntnisse aus Beobachtungen in der sinnlichen Welt gezogen seien, ein Rekurs auf eine übersinnliche Welt daher nicht nötig sei. Das ist auch kein Wunder, denn was Garve hier – zumindest für den mit Absicht handelnden Menschen – beschreibt, ist genau das, was Kant praktische Freiheit (im Gegensatz zur transzendentalen Freiheit) nennt, und was auch schon bei Wolff und Baumgarten Freiheit hieß. Praktische Freiheit ist also zunächst nichts weiter als das Vermögen, auf Grund von selbstgesetzten Zwecken und insofern durch Vernunft bestimmt zu handeln.155 Dieser Freiheitsbegriff ist nun genau der, den Gottlieb Alexander Baumgarten in der empirischen Psychologie entwickelt.156

2.2 Prinzipien Auf die Glaubensbekenntnisse folgt das System der Prinzipien. Garve nennt zwei Prinzipien seiner Sittenlehre, die Vollkommenheit und die Pflichten zu sittlichen Handlungen, die er allerdings erst später aufführt. Das erste soll das Wesen der Tugend wie den Grund der Verbindlichkeit zur Tugendausübung aufzeigen und zeigen, warum Tugend den Menschen glückselig macht. Das zweite soll die anerkannten Pflichten des Menschen aus seiner Natur und aus wenigen Grundpflichten herleiten.157 Seinen Vollkommenheitsbegriff führt Garve auf Platons Politeia zurück, nämlich der Definition der (individuellen) Gerechtigkeit als Harmonie der Seelenteile, was Garve auch als Gesundheit derselben bezeichnet.158 Dieser Gedanke zieht sich dann wie ein Leitfaden durch Garves Vollkommenheitskonzeption, da er stets vom Gedanken der Harmonie zwischen den menschlichen Kräften Gebrauch macht.

|| 154 Ebd., S. 42. 155 Alle Zitate KrV A802/B830 156 Gottlieb Alexander Baumgarten: Metaphysica. Halle 31757, § 712; vgl. auch § 718. 157 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 50 158 Ebd., S. 50; vgl. auch Garve: Uebersicht (s. Anm. 2), S. 47ff.; der Referenztext bei Platon ist Politeia 444 d/e.

252 | Franz Hespe

2.2.1 Vollkommenheit Die Behandlung des ersten Prinzips gliedert Garve in drei Unterabschnitte: (1) Durch Erläuterung des Begriffs der Vollkommenheit wird gezeigt, dass der Mensch das vollkommenste Wesen ist; (2) soll das Ideal vom vollkommensten Zustand des Menschen entworfen werden und (3) wird nachgewiesen, dass ein solches vollkommenes Wesen notwendig tugendhaft handelt.159 2.2.1.1 Der Mensch als vollkommenstes Wesen Garve beginnt seine Erörterung des Vollkommenheitsprinzips ohne jede Erläuterung mit einer Art Axiom: »Der vollkommenste Zustand des vollkommensten Wesens, in sofern sich derselbe in dessen freyen Handlungen äußert, auf sie Einfluß hat, oder durch sie befördert wird, – heißt Tugend.«160 Seinen Begriff der Vollkommenheit gewinnt Garve durch die Kritik des wolffschen Vollkommenheitsbegriffs. Dieser sei metaphysisch und formal, weil seine Definition, Angemessenheit eines Dings an seinen Begriff, auf alles zutreffe.161 Es komme aber darauf an, durch den Begriff der Vollkommenheit bestimmte Dinge vor anderen auszuzeichnen. »Ich nenne nur diejenigen Dinge vollkommen, welche […] in sich einen Werth, – einen Vorzug vor Andern haben, und eines bessern und schlechtern Zustandes in sich fähig sind.«162 Diese Beschreibung des Vollkommenheitsbegriffs bei Wolff ist zwar in der Tat richtig, jedoch trifft die Behauptung, dieser Begriff treffe auf alle Dinge zu, nicht den wolffschen Vollkommenheitsbegriff; denn die Zusammenstimmung aller Teile eines Dinges gemäß seinem Begriff enthält nach Wolff den Begriff der Ordnung,163 der einem Erdkloß oder gar einem Haufen Kehricht kaum zukommt. Es ist auch kaum ersichtlich, weswegen Vollkommenheit nur den Eigenschaften »Vegetation, Empfindung, Denken« zukommen soll, wie Garve annimmt, nicht aber anorganischen Dingen wie Kristallen oder Edelsteinen. In der Ethik verweist der Begriff der Vervollkommnung als höchstem Maßstab menschlichen Handelns auf den traditionellen Begriff der Natur des Menschen, auf den die stoische Philosophie wie auch die Sittenlehre Garves zurückgeht. Vollkom|| 159 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 51f. 160 Ebd., S. 51. 161 Ebd., S. 53; vgl. auch Garve: Uebersicht (s. Anm. 2), S. 177f. 162 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 54: 163 Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt. Gesammelte Werke. Abt. 1, Bd. 2.1. Hildesheim u. a. 2003 (Nachdruck der Auflage Halle 1751; im Folgenden: Wolff: Deutsche Metaphysik), 2. Capitel, S. 78–82 (§§ 152–156).

Garves späte Sittenlehre | 253

men ist der Mensch danach, wenn er in gegenwärtigen wie in vorhergehenden Zuständen seine Natur realisiert: Wenn nun der gegenwärtige Zustand mit dem vorhergehenden und dem folgenden und aller zusammen mit dem Wesen und der Natur des Menschen zusammen stimmet; so ist der Zustand des Menschen vollkommen.164

Selbstvervollkommnung wird bei Wolff dadurch zum Maßstab moralischen Handelns, dass sich in ihr die im Menschen von Natur angelegte Bestimmung verwirklicht.165 Auch nach Wolff verbürgt daher Moralität die Glückseligkeit; der Mensch genieße beständige Freude und langes Glück, wenn er sich die innere und äußere Vollkommenheit zum letzten Zweck seines Lebens mache. Schließlich ist darin nach Wolff die Autonomie des Menschen begründet; das »Naturgesetz« sei nicht von außen, durch göttlichen Willen gegeben, sondern in der Natur angelegt und könne autonom allein durch die Vernunft erkannt werden: Weil wir durch die Vernunfft erkennen, was das Gesetze der Natur haben will; so brauchet ein vernünftiger Mensch kein weiteres Gesetze, sondern vermittelst seiner Vernunfft ist er ihm selbst ein Gesetze.166

Diese Behauptung wird von Kant allerdings angefochten; die naturteleologisch orientierte Moralphilosophie ist zwar insofern autonom, als der Mensch die Gesetze der Natur unabhängig erkennt und nicht von Gott erhält. Gesetzgebende Instanz aber bleibt die Natur und damit eine der Vernunft äußerliche Macht – weswegen Kant das Vollkommenheitsprinzip zu den heteronomen Moralprinzipien zählt.167 Gegen diesen angeblich bloß formalen Vollkommenheitsbegriff Wolffs macht Garve dann geltend, dass nur drei Wesen der echten Vollkommenheit fähig seien: »Pflanzen, Thiere und Menschen«, weil die einzigen der Vollkommenheit fähigen Eigenschaften »Vegetation, Empfindung, Denken und Sittlichkeit« seien.168 All diesen Wesen ist eigen, dass sie sich vor der leblosen Materie dadurch auszeichnen, dass sie eines besseren oder schlechteren Zustandes fähig sind und dass sie eine Empfindung bzw. ein Bewusstsein ihrer selbst haben (wenn dies auch bei der Pflanze nur rudimentär vorhanden ist). Dieses vorausgesetzt, ist es für Garve dann ein leichtes, durch Vergleich dieser drei Wesen zu zeigen, »daß der Mensch alle diese Ansprüche in sich vereiniget, und

|| 164 Christian Wolff: Von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit. Gesammelte Werke. Abt. 1, Bd. 4, Hildesheim u. a. 2006 (Nachdruck der 4. Auflage, Frankfurt a. M., Leipzig 1733; im Folgenden: Wolff: Deutsche Ethik), 1. Theil , 1. Capitel, S. 5 (§ 2). 165 Ebd., S. 15. 166 Ebd., S. 18. 167 AA IV, S. 443f. 168 Garve, Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 55f.

254 | Franz Hespe

daß er allein das Muster und das Ideal der höchsten Vollkommenheit« ist.169 Der Mensch ist für sich das Maß aller Dinge und misst deren Wert in Relation auf sich; er hat im vollkommensten Grade Empfindung, woraus die Vorstellung äußerer Objekte und schließlich das Denken entsteht.170 Letzteres aber befähigt ihn im Theoretischen zur Wissenschaft, praktisch zur Aufstellung des Sittengesetzes: Wendet er ein so fortgesetztes Nachdenken auf die Beschaffenheiten der Dinge, in der Absicht, sie kennen zu lernen; so entsteht daraus Wissenschaft: wendet er sie auf sein eignes Leben oder seine Handlungen, in der Absicht dieselben zu reguliren: so entsteht daraus das Sittengesetz.171

Wobei Sittlichkeit nichts anderes bedeutet als eine vernünftige Organisation seiner Zwecke. Denn das menschliche Leben besteht in der beständigen Abwechslung des Bestrebens nach verschiedenen Gütern, bald nach dem einen, bald nach dem anderen. Wer daher »nach jedem Gute auf eine vernünftige Weise strebt, und alle diese Bestrebungen mit einander zu verbinden weiß, der führt sein ganzes Leben vernünftig: und dieß ist der sittlich Gute«.172 Wissenschaft und Sittlichkeit sind nach Garve daher die größten Werke, die der Mensch durch seine Denkkraft hervorbringt. Dies ist das, was die Philosophen ›Vernunft‹ nennen, was aber nur in der längeren Anwendung der Denkkraft besteht und nicht in einem darüber hinausgehendem höheren Vermögen.173 2.2.1.2 Ideal vom vollkommensten Zustand des Menschen Der Mensch ist also durch seine Naturanlage ein der Vervollkommnung in höherem Maße als alle anderen fähiges Wesen; dies vor allem durch seine Denkkraft, die gegenüber den vegetativen und sinnlichen Fähigkeiten nicht nur im höheren Grade der Vervollkommnung dient, sondern auch eine höhere Befriedigung gewährt, und damit die Glückseligkeit fördert. Nur der Mensch ist darum der Sittlichkeit fähig – und damit setzt der zweite Abschnitt, in dem Garve gleichsam das Idealbild des vollkommenen Menschen zeichnen will, auch gleich ein: Tugend ist der Nahme für die Vollkommenheit der menschlichen Natur, in so fern ich diese Vollkommenheit in den freyen Handlungen des Menschen aufsuche. Diese können selbst wieder als das Vollkommenste in dem Menschen angesehen werde.174

In allen Menschen ist somit der Keim zur Tugend angelegt, wenn diese aber in einem Individuum in vollkommener Weise ausgebildet ist, so ist dieses im vollkom|| 169 Ebd., S. 56. 170 Ebd., S. 64ff. 171 Ebd., S. 69 (Hvhg. im Original). 172 Ebd., S. 72. 173 Ebd., S. 69. 174 Ebd., S. 75.

Garves späte Sittenlehre | 255

mensten Sinne tugendhaft. Beim Menschen sind die körperlichen und geistigen Eigenschaften so aufeinander abgestimmt, dass der Körper den Geist nicht durch Krankheit und Schmerzen, Ekstasen und sinnliche Lust behindert, andererseits aber ein gefügiges Werkzeug ist, die Befehle des Geistes auszuführen. Die Sinne des Menschen sind scharf – wenn auch nicht so extrem ausgeprägt wie bei manchen Tieren –, aber doch harmonisch so aufeinander abgestimmt, um uns klare und bestimmte Vorstellungen von den Gegenständen zu geben. Im höheren Grade aber als seine körperlichen machen ihn seine geistigen Fähigkeiten zur Sittlichkeit geeignet: Wenn der vegetative und animalische Theil des Menschen in seiner Vollkommenheit schon mit dem sittlich Guten verwandt zu seyn, und zu demselben beyzutragen scheint: wie vielmehr wird die Anlage zur Sittlichkeit in der geistigen Natur desselben liegen, wenn diese zu einer gleich vollkommnen Entwickelung gelangt ist.175

Vollkommenheit liegt dabei nicht im Genie, der Ausbildung einzelner Fähigkeiten, sondern in der gleichmäßigen Ausbildung aller Geisteskräfte. Gleichheit bedeutet dabei »nicht bloß die Gleichheit der Größe, sondern auch die Gleichheit der Würde«,176 womit die Unterordnung der niedern unter die höheren Vermögen gemeint ist, so dass die bloß vegetativen den sinnlichen Funktionen, diese wiederum dem Denken unterzuordnen sind. Zugleich bietet das Denken nach Garve »durch eine gewisse Anmuth und Schönheit« eine größere Befriedigung, macht eher Vergnügen und gewährt Unterhaltung als die anderen geistigen Funktionen und befördert daher eher die Glückseligkeit als die sinnlichen Genüsse, wodurch zugleich die Verbindung zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit hergestellt ist.177 Garve führt anschließend eine Reihe von Gründen auf, warum die Denkkraft über den vegetativen und sinnlichen Funktionen steht: Die Denkkraft hat ihre Regel in sich selbst, da man nur im Zusammenhang denken kann, während die Sinnlichkeit von Eindruck zu Eindruck geht und ihre Regel vom Verstand erhalten muss. Beim Denken ist der Mensch selbsttätig, während er sich beim Empfinden leidend verhält. Daher ist er im Denken freier und nähert sich mehr der Sittlichkeit an, »in welcher sich die Freyheit des Menschen am vollkommensten zeigt«.178 Aber auch die Denkkraft selbst muss noch derjenigen höhern, oder vielmehr der noch auf eine edlere Art geübten Denkkraft nachstehen, welche, anstatt einzelne Gegenstände zu erforschen und einzelne Zweige der Wissenschaft zu bearbeiten, sich damit beschäftiget, alles, was den Menschen in seinem Leben interessiren, und besonders alles, was auf seine Handlungen Einfluß haben kann, in Zusammenhang zu bringen und ihm ein regelmäßiges System von Grundsätzen und Ideen, für seine

|| 175 Ebd., S. 80. 176 Ebd., S. 83. 177 Ebd., S. 86. 178 Ebd., S. 87f.

256 | Franz Hespe

äußere sowohl, als seine innere Thätigkeit, für seine Aufführung in der Gesellschaft sowohl als für seine Meditationen zu geben.179

Dies ist es, sagt Garve, was man Vernunft nennt. Die höhere Würde der Vernunft gegenüber dem Verstand wird anhand der vorher schon verwendeten Maßstäbe begründet: Die Vernunft sei regelhafter, mehr zu ununterbrochener Tätigkeit fähig und autonomer als der Verstand und darum hängt die Glückseligkeit auch weit mehr von der Vernunft als vom Verstand ab. Diese Differenzierung innerhalb des Denkvermögens zwischen dem auf einzelne Erkenntnisse gehenden Verstand und der allgemein räsonierenden, Zusammenhänge, »Ordnung und Harmonie«180 zwischen Erkenntnis und Praxis sowie innerhalb der Praxis selbst herstellenden Vernunft erlaubt, letztere als ein im Leben Orientierung gebendes Vermögen zu beschreiben. Ohne Mitwirkung einer kräftig gebildeten Vernunft in der alltäglichen Praxis bleibt der Mensch orientierungslos. Beispiel einer solchen Orientierungslosigkeit ist Garve der weltfremde Gelehrte, der großartig in der Wissenschaft, aber unfähig für die sozialen Normen des alltäglichen Lebens ist. 2.2.1.3 Ein vollkommenes Wesen ist notwendig tugendhaft Im dritten Abschnitt will Garve beweisen, »daß die Tugend in dem Wesen des Menschen liege, und daß der vollkommen ausgebildete Mensch nothwendig sittlich gut seyn müsse«.181 Dies soll anhand der vier Kardinaltugenden bewiesen werden, und zwar von der Klugheit, Mäßigung und Tapferkeit auf unmittelbarer Weise, von der Gerechtigkeit auf doppelter Weise: Von ihr werde er zunächst beweisen, »daß sie eine nothwendige Folge der drey übrigen Tugenden sey« und »daß sowohl den ersten Anlagen, als in den letzten Absichten der Natur mit dem Menschen, die Erzeugung der Gerechtigkeit ihr vornehmstes Augenmerk gewesen ist«.182 Die Einteilung der Kardinaltugenden wie die Sonderstellung der Gerechtigkeit ist ganz offensichtlich an ihrer Behandlung in Platons Politeia und der Analogie der Seelenteile zu den Ständen und ihren Eigenschaften im besten Staat orientiert.183 Dass die Kardinaltugenden dabei den Kernbestand der Tugend ausmachen, wird von Garve mit Verweis auf frühere Untersuchungen ohne weitere Begründung übernommen: Er habe »in dem Laufe unsrer Untersuchung selbst Ursache gefunden, diese Zergliede-

|| 179 Ebd., S. 90. 180 Ebd., S. 92. 181 Ebd., S. 97. 182 Ebd., S. 98. 183 Dies wird im Übrigen auch von Garve so ausgeführt: »In Absicht des ersten Princips [d. i. der Vollkommenheit] ist Plato mein Lehrer. Er setzt das Wesen der Tugend in die Harmonie des kleinen Staats, welcher sich im Innern des Menschen befindet« (Garve, Eigene Betrachtungen [s. Anm. 1], S. 98); die Referenzstellen bei Plato sind Politeia 427 e 10f., 433 b 7–c 2., 580 d 10–581 a 1 u. ö).

Garves späte Sittenlehre | 257

rung der Tugend für eine der besten zu halten«.184 Garve bezieht sich an dieser Stelle offensichtlich auf seinen Kommentar zur Cicero-Übersetzung. Unerachtet der Ausführungen Ciceros, der die Tugenden selbst in zwei Gruppen teilt – die, die auf dem Vermögen des Denkens fußt und nur die Klugheit enthält, wie die, die das tätige Leben zum Inhalt hat und alle übrigen Tugenden umfasst, die aber alle unter der Herrschaft der Klugheit stehen – führt Garve in seinem Kommentar aus, dass die Einteilung nach vier Kardinaltugenden empirisch eher zutreffe als jene, die nur aus Begriffen hergeleitet sei und aus den beiden Seelenvermögen Begierden und Gedanken zwei Grundtriebe des Menschen nach Leben in der Gesellschaft und Interesse an der Wahrheit herleite.185 Garves Augenmerk in diesem Kapitel liegt auf der Fragestellung, inwiefern dem vollkommenen Menschen die einzelnen Tugenden zukommen müssen. Dieser Teil will also die Verbindung zwischen Vollkommenheit und Sittlichkeit (oder Tugendhaftigkeit) herstellen, die bisher gar nicht geleistet worden war. Prinzipiell beruht der Beweis, dass die Tugenden dem vollkommenen Menschen zukommen auf der Definition der Tugenden als Harmonie bestimmter Seelenvermögen, Triebe und Begierden. Diese müssen dem vollkommenen Menschen darum zukommen, weil die Vollkommenheit zuvor auf die gleiche Weise definiert worden war. Im Einzelnen definiert Garve 1. Klugheit als die Fähigkeit zu Erkenntnissen, Einsichten und richtigen Urteilen, die in Bezug auf die Zusammenhänge im praktischen Leben, insbesondere auf das ganze Leben und alle Teile unserer Natur stehen.186 Eine solche Fähigkeit ist aber vor allem von einem Menschen zu erwarten, bei welchem zuerst die verschiedenen Erkenntnißkräfte einander das Gleichgewicht halten, […] und bey welchem zweytens die Denkkraft, die Meditation und die Wissenschaft selbst noch einer höheren Kraft untergeordnet sind, der Vernunft, – welche eben auf allgemeinen Zusammenhang losarbeitet, und in der Auffindung oder der Stiftung desselben ihre einzige Beschäftigung findet,187

also Menschen, die nach dem vorherigen Abschnitt das Ideal vom vollkommensten Zustand des Menschen realisieren. 2. Als Mäßigung definiert Garve die Harmonie zwischen allen körperlichen und geistigen Begierden und Trieben, wie deren Unterordnung unter die Vernunft; sie ist

|| 184 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 98. 185 Garve: Anmerkungen und Abhandlungen zu Ciceros Büchern von den Pflichten (s. Anm. 26), Bd. 1, S. 60–74. Der Bezugstext ist De off. I.16f.; Cicero: Abhandlung über die menschlichen Pflichten (s. Anm. 25), S. 16f. 186 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 99f. 187 Ebd., S. 100f.

258 | Franz Hespe

nicht bloß die Einschränkung einzelner, besonders körperlicher, Begierden; sondern sie ist die Fertigkeit des Menschen, seine Handlungen und seine Empfindungen [...] solchen Regeln zu unterwerfen, welche der Natur dieser Kräfte [...] angemessen und zugleich geschickt sind, sich mit einander zu einem allgemeinen Systeme der Regeln zu vereinigen.188

Regelhaftigkeit aller Lebensäußerungen, die letztlich auf der inneren Harmonie der Seelenteile und auf deren Unterordnung unter die Vernunft beruht und insofern auf dem naturgemäßen Zustand der Seele – darin soll die Tugend der Mäßigung im weiten Sinn bestehen. Unmäßigkeit liege demgegenüber dann vor, wenn einzelne Bestrebungen und Lebensäußerungen eine die natürliche Harmonie störende einseitige Bedeutung gewinnen. Garve erstellt darum eine Liste von vier Arten menschlicher Tätigkeiten und Begierden, das Begehren nach sinnlichem Genuß, das Streben nach äußeren Gütern, Macht und Vermögen, diejenigen Begierden, die geistige Vergnügen gewähren wie Kunst und Wissenschaft, und schließlich das Bestreben nach Regelmäßigkeit und Ordnung des Lebens. Bis auf die letzte Begierde sind alle anderen des Übermaßes fähig, handele es sich nun um das Streben nach sinnlichem Genuß, nach äußeren Glücksgütern oder aber um eigentlich ehrenwerte Betätigungen wie wissenschaftliche Forschung oder künstlerische Kreativität. Einzig das Bestreben nach Regelmäßigkeit und Ordnung des Lebens selbst sei keiner Unmäßigkeit fähig, denn diese Tätigkeit »ist selbst die Quelle, und giebt das Gesetz der Mäßigung für alle übrigen«.189 Wird also zu der Harmonie von Begierden, Handlungen und Empfindungen noch dazu gefordert, »Ordnung und Regel« in unsere freien Handlungen zu bringen, so wird erneut offensichtlich, dass dies durch nur jene Menschen erfüllt wird, die dem Ideal des vollkommenen Menschen entsprechen. 3. Die Tapferkeit unterscheidet Garve nach Ursachen und Quellen. Danach beruhe die Tapferkeit z. T. auf den von Natur aus angelegten und entwickelten körperlichen und geistigen Kräften; z. T. beruhe sie auch auf bestimmten Einsichten, insbesondere auf der Fähigkeit zu richtiger Situationseinschätzung. Von besonderer Bedeutung aber sind die im weitesten Sinne moralischen Motive der Tapferkeit. Als »Tapferkeit des Herzens und der Geselligkeit« folge sie zum einen aus der Liebe zur eigenen sozialen Bezugsgruppe und aus dem Wunsch, diese vor Gefahren zu beschützen. Insbesondere dann, wenn sie sich auf einen größeren Umfang ausdehne und zum Patriotismus werde, sei diese Liebe eine der wichtigsten Quellen der Tapferkeit überhaupt. Der Unwille gegen das Unrecht sei die zweite moralische Motivation für Tapferkeit. Schließlich ist auch die Vernunft selbst und die in ihr angelegte

|| 188 Ebd., S. 102f.; ähnlich auch schon Christian Garve: Gesellschaft und Einsamkeit (GGW II), S. 368f.; vgl. hierzu auch den Beitrag von Hans-Peter Nowitziki in diesem Band. 189 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 105. Unmäßigkeit und die Ursachen der Unmäßigkeit werden dann in drei lange Betrachtungen diskutiert, vgl. ebd. S. 106–135.

Garves späte Sittenlehre | 259

»Liebe der Ordnung und des Zusammenhangs in den Handlungen des ganzen Lebens« eine moralische Quelle der Tapferkeit.190 4. Wie die drei anderen Kardinaltugenden wird auch die Gerechtigkeit vor allem unter dem Aspekt thematisiert, inwiefern sie dem vollkommenen, seinen natürlichen Anlagen entsprechend gebildeten Menschen zukommt. Dieser Nachweis wird in zwei verschiedenen Argumentationsgängen – von Garve als zwei Wege bezeichnet – durchgeführt. Im ersten Weg191 leitet Garve die Gerechtigkeit mittelbar aus den drei anderen Tugenden ab, diesen Weg, so Garve, habe er von Platon adaptiert; hier geht es darum zu zeigen, daß, sobald der kluge, mäßige und tapfere Mann zu einem Mitgliede der Gesellschaft gemacht wird; sobald er hierdurch Gegenstände zur Thätigkeit bekommt, und Gelegenheit jene, zuvor gleichsam ruhenden, Tugenden zu äußern; sobald er, endlich, mit den Verhältnissen der Gesellschaft bekannt geworden ist und sich an ihre Formen gewöhnt hat, er nothwendig ein geselliger, und also ein gerechter und menschenfreundlicher Mann seyn müsse.192

Aufgrund seiner Klugheit sehe der Mensch ein, dass die Befriedigung seiner natürlichen Bedürfnisse ebenso wie seine geistig-moralische Ausbildung und Vervollkommnung von der Existenz der bürgerlichen Gesellschaft abhänge und dass seine Glückseligkeit darüber hinaus auf der häuslichen Familie beruhe, zu denen er ein liebevolles Verhältnis hat. Die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft aber hänge von der Gerechtigkeit ihrer Mitglieder, von Liebe und Freundschaft im privaten Umgang und von Wohltätigkeit und Menschenfreundlichkeit ab. Ungerechtigkeit entstehe aber weniger aus mangelnder Klugheit (weil die Menschen nicht einsähen, dass sie zur Glückseligkeit der Gemeinschaft bedürfen), »sondern, weil die Unmäßigkeit ihrer selbstsüchtigen Begierden sie abhält, auf die Regeln des Rechts zu hören«.193 Darum ist Mäßigung der Grundpfeiler der Gerechtigkeit. Außerdem ist »Stärke der Seele nöthig, wenn man immer gerecht seyn will«.194 Darunter versteht Garve in diesem Fall wohl so etwas wie Zivilcourage, denn sie verlangt den Muth, den Großen zu widerstehen, welche uns zu Ungerechtigkeiten zwingen wollen, sie verlangt den Muth, uns von den Personen, welche unser Glück machen können, nie zu Werkzeugen ihrer Privatleidenschaften brauchen zu lassen, sie verlangt endlich den Muth, selbst seinen Freunden und Geliebten ungerechte Forderungen und Wünsche abzuschlagen.195

|| 190 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 1), S. 136–152, Zitate S. 143 und S. 150. 191 Ebd., S. 154–162. 192 Ebd., S. 153. 193 Ebd., S. 158 (Hvhg. im Original). 194 Ebd., S. 160. 195 Ebd., S. 160f.

260 | Franz Hespe

Offenbar ist danach Gerechtigkeit nichts anderes als die Harmonie der drei anderen Tugenden, wie von Garve zum Abschluss dieser Überlegungen auch selbst ausgeführt: Klugheit, Mäßigung und Tapferkeit also, miteinander vereiniget, bringen die Tugend der Gerechtigkeit hervor. Und unser vollkommner Mensch, welcher jene drey Tugenden besitzt, aber bisher in unserer Darstellung einsam war, wird nun, da wir ihn in die Gesellschaft versetzen, zwar erst das Recht lernen müssen, aber es sogleich lieben, als er es kennt.196

Der zweite Weg197 – der Garves Prinzip entspricht, die Tugend als Eigenschaft des vollkommenen Menschen zu entwickeln – soll zeigen, dass die Gerechtigkeit in der Natur des Menschen angelegt ist, im vollkommen ausgebildeten Menschen mithin verwirklicht sein muss. Dieser zweite Weg wird wiederum in zwei verschiedenen »Betrachtungen« durchgeführt. In der Ersten Betrachtung198 wird gezeigt, dass die Natur den Menschen von den meisten äußeren Bedingungen unabhängig gemacht hat, und dies umso mehr, je vollkommener die höheren Vermögen ausgebildet werden. Das höchste menschliche Vergnügen und damit die würdigste Quelle menschlicher Glückseligkeit nämlich bestehe darin, »vernünftig zu denken und zu handeln«,199 dies aber sei jedem unabhängig von allen Dingen und anderen Menschen möglich. Diese Möglichkeit des Menschen zu einer von allen Dingen und von anderen Menschen unabhängigen Glückseligkeit bedinge ihrerseits die Möglichkeit einer uneigennützigen Menschenliebe, welche wiederum Grund der Gerechtigkeit sei.200 Die Zweite Betrachtung201 geht davon aus, »daß der Hauptzweck des Menschen, und die Quelle seiner Glückseligkeit in seiner Thätigkeit liege«,202 dass die Natur dem Menschen auch positive Beweggründe zur Ausübung der Gerechtigkeit gegeben hat, weil sie es nämlich so eingerichtet hat, »daß nur in gerechten und gemeinnützigen Handlungen die Thätigkeit des Menschen ununterbrochen, harmonisch und auf eine ihm wirklich befriedigende Weise fortgehen kann«, wohingegen »Handlungen und Unternehmungen des Betrügers, des Gewaltthätigen, des Eigennützigen und Hartherzigen« »mit sich selbst im Widerspruche sind« und darum »nie gleichförmig zu ihrem Ziele fortschreiten, sondern oft sich selbst zerstören«.203

|| 196 Ebd., S. 162. 197 Ebd., S. 162–195. 198 Ebd., S. 163ff. 199 Ebd., S. 175. 200 Ebd., S. 175f. 201 Ebd., S. 178ff. 202 Ebd., S. 178. 203 Ebd., S. 180.

Garves späte Sittenlehre | 261

2.2.2 Das zweite Prinzip Der letzte Teil, der die sittlichen Pflichten erörtern will, ist gegenüber dem vorhergehenden Teil weitaus unfertiger. Das geht schon daraus hervor, dass dieses Prinzip nicht einmal einen Namen hat. Dies wird auch aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich. Anstelle der kurzen prägnanten Titel in den vorhergehenden Teilen, die dann in der Regel auch im Text wieder auftreten, werden lange Beschreibungen des Inhalts wiedergegeben, die nicht nur im Text nicht auftauchen, sondern nicht einmal wirkliche Zäsuren des Textes anzeigen. Der Teil soll ausdrücklich auch keine Pflichten aus einem allgemeinem Prinzip herleiten, sondern »durch die Uebereinstimmung aller Menschen, längst bekannte Pflichten zusammenfasse[n] und eintheile[n]«.204 Ein solches Einteilungsprinzip will Garve durch die Verknüpfung zweier Prinzipien gewinnen, einer Einteilung der Pflichten in die des decorum, honestum und utile, die er den griechischen Philosophen – und nicht etwa den beiden ersten Büchern von Ciceros De officiis – zuschreibt, und dem Prinzip des Zarathustra, wonach Tugend im Erhalten und Bauen, Laster im Zerstören liege.205 Unmittelbar danach folgt eine weitere Gliederung: Unter den Handlungen, die die moralische Billigung der Menschen finden, werden »einige als schicklich, andre als gut und wohlthättg, noch andre endlich bloß ordnungs-, und gesetzmäßig gebilliget«.206 Als unschickliches Benehmen gelten dabei Ungehörigkeit, Aufschneiden und Prahlerei, Unwahrheiten für Wahrheiten ausgeben (auch wenn es niemandem schadet); als Wohltätigkeit solche Handlungen, die für die Gesellschaft, für eine Familie oder eine Einzelperson wohltätige Folgen haben, als Ordnungssinn die Einhaltung von Regeln zur Aufrechterhaltung der geselligen Ordnung.207 Nach den kurzen Erläuterungen dieser Prinzipien führt Garve ad hoc ein weiteres Unterscheidungskriterium ein. Er unterscheidet Handlungen nach ihren Ursachen, d. i. danach, inwieweit sie auf den Charakter des Menschen schließen lassen, und ihrer Wirkung, welche sie in den Dingen und Menschen, auf die sie Einfluss haben, hervorbringen. Insofern nach dem Ursachenaspekt solche Handlungen als gut gelten, »welche die Vollkommenheit der Seele abmahlen und bezeichnen«,208 finden sich darin Motive des ersten Prinzips wieder. Gebilligt werden demnach Handlungen, die eine Harmonie der Seelenvermögen dergestalt anzeigen, dass die niederen Seelenvermögen den oberen gebührend untergeordnet sind. Missbilligt werden dagegen andere Handlungen, und zwar dann, wenn jemand in seinen Reden erkennen lässt, dass er den Vergnügungen des Gaumens nachhängt oder wenn

|| 204 Ebd., S. 195. 205 Ebd., S. 196. 206 Ebd. 207 Vgl. ebd., S. 196–200. 208 Ebd., S. 202.

262 | Franz Hespe

er immerwährend sexuelle Anspielungen macht, etc. Im Hinblick auf ihre Wirkung finden diejenigen Handlungen Billigung, die »Gutes stiften«;209 das aber ist, wie Garve unter Berufung auf Zarathustra ausführt, »das Erhalten und Vervollkommnen der Naturwesen«, wie »die Hervorbringung, Erhaltung und Vervollkommnung derjenigen Dinge, welche den Naturwesen nützlich seyn können«.210 Dieses Prinzip wird zunächst durch eine Reihe paralleler Beispiele illustriert: Wir verabscheuen die Taten Dschingis Khans, weil er nur »gemordet und verwüstet« hat; wir bringen aber den Taten Alexander des Großen eine gewisse Bewunderung entgegen, »obgleich auch [er ein] ungerechter Eroberer und Zerstörer« war, weil er danach wieder aufgebaut hat.211 Ähnliches gilt für das Verhältnis zwischen Römern und Osmanen.212 Dasselbe illustriert Garve am Beispiel der Pflichten des Regenten, wobei Friedrich II. eine Beispielfunktion zukommt. In einer weiteren Überlegung versucht Garve dieses Prinzip auf das erste – das Vervollkommnungsprinzip – zurückzuführen: Die Natur stattet den Menschen mit Fähigkeiten aus. Sie will, daß alle Anlagen, welche die Natur zur Vervollkommenung des Menschen gemacht hat, alle Schritte, durch welche sie denselben bis zur völligen Reife entwickelt, sich zuletzt in der Thätigkeit endigen und darauf abzielen, den Menschen zum Handeln und zwar zu einer vollkommenen Art des Handelns, fähig zu machen.213

Das ist nach Garve »die Bestimmung des Menschen« – der Mensch soll die Erde kultivieren, wie Garve am Beispiel unbewohnter, öder Landstriche illustriert. Unvermittelt kommt Garve dann aber wieder auf das dreigliedrige System der Pflichten – und damit auf die Pflicht zur Aufrechterhaltung der sittlichen Ordnung – zurück. Wenn der Mensch sich sittlich vervollkommnen und wenn er Gutes hervorbringen solle, so bedürfe er dazu der Gesellschaft. Wenn also gewisse Handlungen notwendig sind, um den bürgerlichen Zustand aufrechtzuerhalten, so werden auch diese als sittlich gut und als Pflicht angesehen, unabhängig davon, ob sie unmittelbar als gut angesehen werden oder Gutes stiften.214 Wenn Menschen in Gesellschaft leben, sind Regeln der Gerechtigkeit und des Eigentums wie ihre unbedingte Einhaltung notwendig, und wenn sie in einer bürgerlichen Gesellschaft leben wollen, sind eine Staatsverfassung, ein Regent und positive Gesetze nötig,

|| 209 Ebd., S. 210. 210 Ebd., S. 211f. 211 Ebd., S. 214f. 212 Ebd., S. 215–221. 213 Ebd., S. 233. 214 Ebd., S. 249f.

Garves späte Sittenlehre | 263

denen der Bürger unbedingt gehorchen muß, auch wenn er bey deren Ausübung, weder seiner eigenen Vernunft und sittlichen Vollkommenheit gemäß zu handeln, noch etwas Gutes dadurch zu stiften glaubt.215

Die Gesellschaft bedarf einer Ordnung, und daher ist es unbedingt notwendig, die Gesetze zu befolgen, bloß um der Ordnung willen – unabhängig davon, ob man sie für vernünftig hält oder nicht: »[E]s ist die Pflicht, sich jenen Ordnungen, bloß der Ordnung, – nicht ihrer innern Güte wegen, zu unterwerfen.«216 Der immer erneut ansetzende Versuch Garves, die Pflichten zu systematisieren, zeigt, dass dieses Unterfangen offensichtlich gescheitert ist. Dies ist nicht unbedingt ein Desaster, geht es Garve doch vor allem darum, plausibel zu machen, dass Pflichten nicht aus einem Prinzip, sondern aus der Erfahrung abgeleitet werden müssen. Sittlich gut ist, was die Menschen billigen, schlecht, was sie missbilligen, ein Ausdruck, der im letzten Teil auffällig oft fällt. Grund der Pflicht ist daher nach Garve das Urteil des gemeinen Menschenverstandes, Orientierungspunkt ist dabei die Natur des Menschen, die aber nicht statisch gedacht wird, sondern als Anlage des Menschen, diese zu vervollkommnen. Historisch ist Garve mit seinem Anliegen offensichtlich nicht erfolgreich gewesen, da in der Moralphilosophie heute Konsens darin besteht, dass moralische Pflichten aus Prinzipien abzuleiten sind, wenn auch nicht unbedingt aus kantischen.

|| 215 Ebd., S. 250f. 216 Ebd., S. 254.

| 4 Ästhetik, Anthropologie und Popularphilosophie

Anne Pollok

Die schöne Seele Ansätze zu einer ganzheitlichen Anthropologie bei Mendelssohn, Garve und Schiller Die Werke unserer Zeit sind Denkmäler von dem, was der menschliche Geist nach Absicht, mit Bewußtseyn und durch sich selbst hervorzubringen imstande ist. Christian Garve: Betrachtungen 1770, S. 197.

Die »schöne Seele« dient in den vorliegenden Reflexionen als Chiffre eines Ordnungsschemas, mit dem sich die Erfüllung des Bildungsideals von Moses Mendelssohn (1729–1786), Christian Garve (1742–1798) und Friedrich Schiller (1759–1804) charakterisieren lässt.1 Bestimmend ist hier jedoch nicht allein der moralisch relevante Zusammenhang von Pflicht und Neigung in der »Anmut«,2 wie Schiller ihn expliziert3, sondern es geht mir um das etwas weiter gefasste anthropologische Ideal einer Harmonie von Sinnlichkeit und Rationalität (um Vernunft und Verstand im weiteren Sinne zu benennen). Alle drei Denker gehen in guter optimistischaufklärerischer Tradition von der Vervollkommnungsfähigkeit, und damit der Bildungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Menschen aus. Und alle drei sind der Überzeugung, dass sich die schöne Seele als vollkommene Harmonie menschlicher Fertigkeiten nur über eine auf Selbständigkeit abzielende Bildung realisieren lasse. Für

|| 1 Dieser Aufsatz befasst sich nicht mit biographischen Anknüpfungspunkten. Garve und Schiller schätzten sich gegenseitig – man siehe nur Garves artige Dankesworte zu Schillers Einladung zu den Horen (NA 35, S. 23f.). Es ist ebenfalls anerkannt, dass Garves Ferguson-Kommentar als – neben Kants praktischer Philosophie – wichtigste Quelle zu Schillers Überlegungen zur praktischen Philosophie gilt (siehe z. B. Wolfgang Riedel: Schriften der Karlsschulzeit. In: Helmut Koopmann [Hg.]: Schiller-Handbuch. Stuttgart 1998, S. 553). Und auch zwischen Garve und Mendelssohn gab es freundliche Worte und Briefe. Doch ist es mir nicht um explizite Bezugnahme zu tun, sondern vielmehr aufzuzeigen, inwiefern Philosophie nach wie vor ein Kind ihrer Zeit bleibt. 2 Was Schiller auch »Grazie«, die »Erscheinung« der schönen Seele, nennt (NA 20, 288). 3 In Über Anmuth und Würde nennt Schiller dies gar das »Siegel der vollendeten Menschheit« (NA 20, 287). Siehe hierzu die Schlusspassagen des zweiten Teils des vorliegenden Aufsatzes. Es sei schon hier hervorgehoben, dass Schillers Konzentration auf die tatsächlichen Antriebe und Neigungen des Menschen (nicht allein ihre Erscheinung) ihn dazu veranlassen, sich gegen Mendelssohns frühe Theorie in den Briefen über die Empfindungen (1755) zu stellen (siehe NA 20, S. 265f.). Was er dabei allerding übersieht, ist, dass Mendelssohn die Erscheinung nur als positiv bewertet, insoweit sie auf den rezipierenden Menschen eine Wirkung hat – der Bereich der Interpersonalität ist in den frühen Schriften noch nicht wichtig; Mendelssohns Rezeptionstheorie in der 1771er-Fassung der Rhapsodie hingegen ist weitaus näher an Schillers Position – aber freilich sans Kantianismus. https://doi.org/10.1515/9783110647747-013

268 | Anne Pollok

alle drei ist es die Stärke der Popularphilosophie (im recht verstandenen Sinne), dass sie in ihrer verständlichen und eingängigen Form die Realisierung dieses Ideals am effektivsten unterstützen kann. Damit legen sie sich jedoch zugleich darauf fest, dass die Art und Weise der Darstellung einer philosophischen Einsicht ein wichtiger Teil dieser Einsicht selbst ist. Alles, was nicht wirksam ist und niemanden interessiert,4 ist toter Buchstabe, unwirksam und wertlos. Die »schöne Seele« als die harmonische Verbindung der Gegensätze, die alle drei durch ihre Schriften erziehen wollen, muss deshalb sinnlich wie verständig – eben ästhetisch – angesprochen werden, um sich auszubilden. Ein solcher, innerlich harmonischer, dem Guten in Gedanken wie in Taten aufgelegter Mensch habe ein »Vergnügen« am Guten und Wahren, und verbinde so seine Neigungen mühelos mit rationalen Forderungen. So ist es die Ästhetik als der Mittelbegriff zwischen Sinnlichkeit und Geist, die diese drei Philosophen eint. Alle drei weisen die Interaktion und sogar Interdependenz von Sinnlichkeit und Verstand auf und beharren so darauf, dass auch unsere Neigungen einen vollkommenheitsrelevanten Wert besitzen. Den jeweiligen Annäherungen an die »schöne Seele« als Ideal werde ich im Folgenden hinsichtlich der angenommenen Notwendigkeit des populären Stils und seiner Verstrickung mit der Ästhetik (Abschnitt 1) sowie bezüglich der damit zusammengehörigen Komplexität des Bildungsbegriffs eingehen (Abschnitt 2). Insonderheit das Gebot zu umfassender Aufklärung und das dynamische Diktum der Entwicklung bzw. der Bildung werden hier zeigen, wo die Grenzen bzw. Unsicherheiten einer solchen Harmonieforderung liegen. Dabei verdeutlicht der Rekurs auf Mendelssohn und Garve, inwiefern Schillers philosophische Schriften nach der Kant-Lektüre in der Tat zwischen dem neuen Ideal der Freiheit und dem alten der Harmonie und Vollkommenheit unter Spannung geraten. Als Grundeinsicht soll bestehen, wie ich im Schlussteil ausführe, dass Ernst Cassirer in Freiheit und Form (1910) vielleicht doch nicht Recht hatte, wenn er Schillers reife philosophische Schriften für ihre angebliche Überwindung von Garves Primat des Vergnügens (das Cassirer zu unbestimmt schien) sowie Mendelssohns Vollkommenheitsphilosophie feierte. Dagegen wird deutlich,5 dass Schiller ein Kind seiner Zeit bleibt, wie auch die schöne Seele ursprünglich der ästhetischen Anthropologie der Popularphilosophie verhaftet ist. Wir machen einen Fehler, wenn wir Schiller mit Kant schlicht in eine neue Welt treten lassen – die alte lebt recht unverwüstlich fort und sorgt für etwas, das wir belebende Konflikte nennen könnten, die uns neue Einsichten – auch auf die Mängel der kantischen Sicht – erlauben.

|| 4 Um Garves kleine Schrift Einige Gedanken über das Interessirende (GGW V, S. 210–371) zu paraphrasieren. 5 Siehe auch das Titelmotto nach Garve.

Die schöne Seele | 269

1 Popularphilosophie: Wie wird aus Wahrheit gelebte Aufklärung? Erkenntnisse hat man nicht einfach, sondern sie werden entdeckt, erarbeitet, oder – im Großteil der Fälle – vermittelt. Es ist eine Grundeinsicht der Popularphilosophie, dass der Vortragsstil entscheidend ist für die Glaubwürdigkeit der verhandelten Materie, und dass, streng genommen, die Form des Vortrags den Inhalt desselben nicht allein begleitet, sondern auch entscheidend beeinflusst. Es geht nicht nur darum, was gesagt wird, sondern auch, wie es gesagt wird. Schillers Philosophie liest sich wie eine Zusammenschau von Mendelssohns und Garves Einsichten – was allerdings seinen Schönheitsbegriff sowohl inhaltlich wie stilistisch in Probleme bringt. War für Garve die Schönheit nur eine Dreingabe, ist sie sowohl für Mendelssohn wie Schiller entscheidend; doch im Gegensatz zu Mendelssohn hat Schiller das anthropologische Vermittlungsmodell (das fordert, dass die Sinne mit dem Gedanken in Harmonie stehen müssen) kritisch gewendet und die Vermittlung als eine notwendige Bedingung für Erkenntnis überhaupt postuliert. Damit steht Schönheit unter Spannung – sie ist Mittel und Ziel zugleich, was jedoch das kritische Potential des richtigen, aber schmucklosen Gedankens auszuhebeln droht. Alle drei Philosophen wählten einen zugänglichen Stil, spielen mit Fiktionalität. Mendelssohns Version des Phädon, seine in Briefform verfassten frühen Abhandlungen, die späten Morgenstunden sind Zeuge seines Rufes als moderner Sokrates. Nie sind seine Schriften satirisch – ihm ging es in der Kritik an Shaftesbury nicht darum, die Fehler seines Gegenübers bloßzustellen, sondern darum, ihm die Freude an der Wahrheitsfindung, das Hin und Her zwischen Grübelei und intellektuellem wie bilderreichem Höhenflug mitzuteilen. In seiner Preisschrift Über die Evidenz bringt er in schöner Volte eine neue Bedeutungsdimension zum toten Buchstaben,6 der, unfähig, Überzeugungen zu erreichen, eines intellektuellen Todes gestorben ist. Man muss, so argumentiert er auch in vorsichtigem Anschluss an Sulzer,7 die Beweggründe in lebhafter Form geben, auch das untere Begehrungsvermögen überzeugen und in Gang setzen, damit aus einer kalten Überzeugung eine

|| 6 In der Rhapsodie nennt er dies die »tote Kraft«, (vgl. MGS 1, S. 413f., siehe hierzu auch Anne Pollok: Facetten des Menschen. Zur Anthropologie Moses Mendelssohns. Hamburg 2010, S. 315f.), oder eine »wirksame Erkenntnis«. Dies steht freilich in Kontrast zur üblichen Verwendung des ›toten Buchstabens‹ als des schriftlich niedergelegten Alten Testaments, die Mendelssohn schärfer noch im Jerusalem angreifen wird; ich danke Grit Schorch für unsere Diskussion über dieses Thema. 7 Dieser nahm in seinen Anmerkungen über den verschiedenen Zustand, worinn sich die Seele bei Ausübung ihrer Hauptvermögen, nämlich des Vermögens, sich etwas vorzustellen, und des Vermögens zu empfinden, befindet (1763) eine zu starke Position ein: »keine einzige deutliche Idee kann bewegen«, siehe hierzu Pollok: Facetten des Menschen (s. Anm. 6), S. 306.

270 | Anne Pollok

Handlung wird. Also muss ein Gedanke, um uns zu bewegen, undeutlich, und daher »schön« sein: Die verständige Vollkommenheit erleuchtet die Seele, und befriediget ihren ursprünglichen Trieb nach bündigen Vorstellungen. Wenn sie aber die Triebfedern des Begehrungsvermögens in Bewegung setzen soll, so muß sie sich in eine Schönheit verwandeln; die einzelne Begriffe der Mannigfaltigkeit müssen ihre ermüdende Deutlichkeit verlieren, damit das Ganze in desto verklärterem Lichte hervorstrahlen könne.8

Mendelssohn war der Versöhner, der seine Glaubensgeschwister aufnehmen und weiterweisen wollte, der der Welt des galanten Gelehrten und Hochschulprofessors immer fremd blieb. Sein Publikum war, neben der jüdischen Gemeinde, das gelehrte Berlin, aber auch alle intellektuell Interessierten, die sich mit dem Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen, aber auch für die Gründe wider den Selbstmord interessierten. Gerühmt für seinen Stil, war es sicherlich nicht sein Ziel, qua Esoterik Wissen vorzutäuschen, sondern seine Leser einzubeziehen in seine Überlegungen, wie er es in den Morgenstunden schließlich paradigmatisch vorführte. Das Ideal der Selbstbestimmung hat er durchaus rational begründet: Sie ließe sich »aus der Erkenntnis des Guten und Bösen erklären«9 – man muss seine Handlungen zwar nicht unbedingt explizit in actu erklären können, idealiter aber seine Handlungsgründe wissen. Garve ist der Wegweiser, der Beobachter und der Aufweiser, der aufmerksam jenseits festgefügter nationaler Grenzen nach Neuem, Konstruktivem spähte und sich zwar vor überreicher Bildersprache scheute (er bezeichnete sich als unbegabt in dieser Hinsicht – er sei kein kreativer Kopf, der neue Bilder schaffe, obgleich er sich auf das Illustrieren und Ausmalen einer Idee verstehe). Doch trocken muss man seinen Stil durchaus nicht nennen. Er wurde nie müde, darauf hinzuweisen, dass der Nutzen der Wissenschaften darin bestehe, »die praktische Weisheit der Selbsterkenntniß« zu befördern und den Verstand, den Geschmack und die Urteilskraft zu schärfen.10 Garves Schilderungen sind dementsprechend weder lyrisch, noch sind sie stilistisch gewagt, doch ist ihm durchaus ein leichter Gesprächston zu eigen.11 Es scheint, dass er die Forderung nach schöner, oder zumindest populärer

|| 8 Moses Mendelssohn: Hauptgrundsätze der schönen Wissenschaften und Künste. In: MGS 1, S. 430f. 9 Moses Mendelssohn: Über die Evidenz. In: MGS II, S. 306; siehe auch die Mendelssohn: Rhapsodie, MGS 1, S. 413, wo er das »Vermögen der Seele, die Bewegungsgründe für und wider eine Handlung zu vergleichen, und sich nach dem Resultat dieser Vergleichung zu entschließen«, Freiheit nennt (vgl. Pollok: Facetten des Menschen [s. Anm. 6], S. 316). 10 Christian Garve: Lob der Wissenschaften. In: ders.: Vermischte Aufsätze. Breslau 1796 (GGW IV.1), S. 273–330, hier S. 299–302. 11 Schiller schreibt dazu am 1. Oktober 1794, Garves Gebiet sei »die durch philosophischen Geist beleuchteten moralischen WeltErscheinungen [sic]«, die Garve in »schönem philosophischen Licht«

Die schöne Seele | 271

Einkleidung etwas strategischer angegangen ist: letztendlich zählt nicht, was schön, sondern was unterhaltsam, aber wahr ist. In Von der Popularität des Vortrags (zuerst 1793) fragt er, wie man so schreiben könne, dass man »dem größern Publicum in Schriften« gefällt – und nennt selbst die folgenden Punkte: ‒ Man müsse verständlich schreiben: »Denn jeder Mensch [...] freut sich über jede Idee, die wirklich in seinen Kopf gebracht wird.«12 Dazu muss der Endzweck der Ausführung sogleich sichtbar gemacht werden, damit der Zuhörer sich nicht vor der Arbeit im Schlussfolgern fürchte. ‒ Schreiben und Sprechen müsse deutlich und bildhaft sein,13 so dass die Aufmerksamkeit erhalten bleibt und die Zuhörer das Gefühl haben, angenehm zerstreut anstatt anstrengend belehrt zu werden. Man sollte hier aus der CiceroÜbersetzung hinzufügen, dass das Bildhafte der Sprache nicht allzu weit vom Erfahrungskreis der Leserschaft hergeholt sein darf,14 da es sonst von der eigentlichen Botschaft ablenkt.15 ‒ In der Schrift Einige Gedanken über das Interessirende (1771/72) mahnt er darüber hinaus die Schriftsteller, dass sie nicht danach streben sollten, allein die Leidenschaften zu erregen. Dies sei nur von kurzzeitigem Effekt – doch es ist »allein der Reichthum der Vorstellung, die Wichtigkeit und Menge dessen, was sie uns zu denken geben«,16 was uns nachhaltig beschäftigt und beeindruckt. Selbst im Trauerspiel werden wir nur zeitweise wirklich mitgerissen, ansonsten erfreuen wir uns über die Entwicklung des Charakters, die uns hier anschaulich gemacht wird.17 Um sein Publikum zu interessieren, muss man an es anknüpfen, das ist Garves Grundeinsicht: »Nicht jede wahre große schöne Idee macht uns aufmerksam, sondern nur diejenige, die in der Reihe der in uns schon vorhandenen und von uns bemerkten Ideen noch hineinfehlt [ein tolles Wort, A. P.], die welche eine von uns wahrgenommene Lücke unserer Kenntnisse ausfüllt, eine gewisse Unruhe stillt, die wir über unsere Unwissenheit in diesem || darstelle (NA 27, S. 56) – er fügt sogleich an, dass er selber ein ähnliches Interesse verfolge, allerdings von ästhetischer Seite aus, worauf Garve eher skeptisch reagiert, denn seien die Umgangsformen langsam gewachsen, so werden sie Gewohnheit, sind aber kein Kunstwerk mehr (siehe NA 35, S. 72f.). 12 Christian Garve: Von der Popularität des Vortrages. In: ders.: Vermischte Aufsätze. Breslau 1796 (GGW IV.1), S. 334. 13 Er nennt dies einen »vollkommne[n] Gebrauch der Sprache« (ebd., S. 335). 14 Deshalb sah Garve sich gezwungen, Ciceros Beispiele durch Eigenes zu ersetzen, siehe hierzu Johan van der Zande: The Microscope of Experience. Christian Garve’s Translation of Cicero’s De Officiis (1783). In: Journal of the History of Ideas 59.1 (1998), S. 75–94, hier S. 81. 15 Vgl. Garve: Gedanken über das Interessirende (s. Anm. 4), S. 286. 16 Ebd., S. 264. 17 Vgl. auch ebd, S. 303: »[A]llgemeine Begriffe anschaulich machen [ist] das Hauptgeschäft des Dichters.«

272 | Anne Pollok

Stücke empfanden.«18 Der Dichter kann uns diese Schilderungen konzentriert vors innere Auge bringen und uns derart für die innerliche Vollständigkeit dieser Menschen begeistern.19 Die Affinität dieser Ausführungen zu Schillers Ideal der Ästhetik darf allerdings nicht vergessen machen, dass Garve eine direkte Verbindung von Erziehung und Schönheit fordert. Wenn die schöne Darstellung nicht ein bestimmtes Ziel in der Verbesserung der Menschen hätte, so sei sie »bloßes Spiel«, ja »ein sehr kostbares zeitverderbendes Spiel«,20 das wir uns ersparen sollten. Der Dichter muss unsere Begriffe zu erweitern streben21 – doch nicht im rein Ästhetischen (wie bei Schiller), sondern im Pädagogischen: Er soll unsere Begriffe richtiger, umfassender machen. Das Schöne daran ist nur die reizende Einkleidung.22 Während Schiller zustimmen würde, dass die Kunst unseren Horizont erweitern solle, so würde er doch sicherlich nicht sagen, dass die Kunst dies direkt anvisieren solle. Denn so gerinne sie zu bloßer Pädagogik. Allein hinsichtlich seines eigenen Stils zeigt sich, dass das Miteinander von protesse et delectare eine komplexere Angelegenheit als ein bloßes ›Huckepackspiel‹ ist. Schillers philosophischer Stil ist ganze Abhandlungen wert, wovon die meisten wohl eher polemischer Natur sein dürften. Wie jeder interdisziplinäre Denker, so wird auch Schiller von beiden Seiten gescholten – zu seicht, schallt es von Philosophen; zu dunkel, ertönt es von Dichtern. Auch Garve ist bisweilen skeptisch. Ist er sonst eher positiv – so lobt er in einem Brief vom 17. Oktober 1794: »Eine scharfsinnige Theorie, mit feinen Beobachtungen, und einer glücklichen, oft poetischen Darstellung, pflegt in Ihren philosophischen Aufsätzen verbunden zu sein« –, so ist seine Reaktion auf die Ästhetischen Briefe eher abschätzig: »[L]eichte Sachen werden darin schwer gemacht.«23 Auch aus heutiger Sicht ist diese Skepsis verständlich. Zwar besitzen die Ästhetischen Briefe ein interessantes Aufbauschema – vom Empirischen zur Idee, mit der Mittelachse der idealistisch-anthropologischen Spekulation über die menschliche Natur. Unvergessen seien auch Schillers treffende Schilde|| 18 Ebd., S. 269. 19 Ebd., S. 296. 20 Ebd., S. 304. 21 Ebd., S. 305. 22 Ebd., S. 347: »Vernunft ist der Geist, insofern er aus sich selbst und abgezogen vom Körper wirkt und handelt. Sobald also nur der Mensch selbst thätig ist, und so weit er es ist, da und so weit wirkt seine Vernunft.« Leidenschaft soll nur Vernunft erwecken, nicht mitherrschen. 23 Wie auch das Vorige stammt dies aus einem Brief an Christian Felix Weisse vom 8. März 1795: »Sind Schillers Briefe in den Horen wirklich des Lobes der Litteratur-Zeitung werth?« Die fragliche Rezension ist von Carl Gottfried Schütz (Allgemeine Literatur-Zeitung, 31. Januar 1795, siehe auch Humboldts Zusammenfassung im Monsterbrief vom September 1800, NA 38, S. 330), der »eine Vereinigung dichterischer und philosophischer Anlagen, die jede einzeln schwächte« konstatiert – ein Befund, dem Humboldt emphatisch nicht zustimmt.

Die schöne Seele | 273

rung gegenwärtiger Gesellschaft im 6. Brief,24 aber – leider – ebenso die verwirrenden, wie Dubletten erscheinenden Ausführungen am Ende der Briefe, gipfelnd in der Anrufung der wenigen ästhetischen Zirkel. Ich komme später darauf zurück. Humboldt hält dagegen: Schiller sei der perfekte Didakt, der Einbildungskraft und Vernunft verbinden könne. Sie zeigen die Unendlichkeit, indem Sie geradezu die Kraft wecken, deren Wesen es ist, der Unendlichkeit nachzustreben, und überraschen uns, indem Sie es durchaus als Dichter (allein durch Phantasie) thun, was in Ihnen ein außergewöhnliches Vermögen voraussetzt, und in uns eine ungewöhnliche Bewegung hervorbringt. Diesem Streben, auch dem Dunkel noch Funken des Lichts abzugewinnen, haben Sie die lyrische didaktische Gattung zu danken, die Ihnen allein angehört. Man hat Sie in diesen Stücken manchmal getadelt, einen zu schwer philosophischen Stoff gewählt zu haben. Aber es giebt entweder gar keine didaktische Dichtkunst, oder sie hat nur da Gültigkeit, wo nur noch die Einbildungskraft, nicht aber der argumentirende Verstand weiter vordringen kann.25

Dieser spezifische Gebrauch der Einbildungskraft verlangt dem Leser also einen guten Teil ab – wie es jedes gute Kunstwerk tut. Letztendlich bringt Schillers Stil also die Forderungen der Popularphilosophie, der Aufklärung und der Kritischen Philosophie zusammen: Ein wirkliches Verständnis ist niemals passiv, sondern setzt die aktive Involviertheit des Zuhörers, seine Erziehungsoffenheit voraus – nur muss diese Philosophie ihre Leser tatsächlich erfassen, sie ändern, und sie in einem höheren Sinne an sich selbst zurückgeben. Allerdings ist sich Schiller – und Humboldts Andeutung auf die notwendige Alleinherrschaft der Einbildungskraft in den Gebieten jenseits des Verstandes scheint dies bereits anzudeuten – durchaus bewusst, dass, um den Menschen seiner Zeit wirklich zu erfassen, er eine höhere Form der Harmonie widerspiegeln muss als die der bloßen Idylle, und damit eine Ganzheit anvisierende Kunst entsprechend komplex sein muss. Prominent in der großen Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795) hat Schiller der naiven, beneidenswerten weil natürlichen (und nicht dummen) Ganzheitlichkeit den sentimentalischen Charakter entgegengestellt:

|| 24 NA 20, S. 321–328. 25 NA 38, S. 332; Hvhg. von mir. Humboldt schreibt über den Unterschied zwischen Goethe und Schiller an letzteren im September 1800 (NA 38, S. 322–339, v.a. S. 333), dass Goethe mehr (die Natur) empfangend erscheine und dies auch in seiner Dichtung ausdrücke, während Schiller eher auf die menschliche Subjektivität und seine Spontaneität wirke: »Sie wirken stärker auf den selbstthätigen Theil des Menschen, den Sie unwiderstehlich bestimmen; er [Goethe] macht wenigstens die Nothwendigkeit des Wirkens desselben minder sichtbar, weil er zuerst und unmittelbar den anschauenden und empfindenden stimmt.« (ebd., S. 333). Am 16. Oktober 1795 nannte er es bereits einen »Ueberschuß von Selbstthätigkeit« (NA 35, S. 384–388, hier S. 385), der Schillers Arbeit auszeichne. Er eile der Natur eher »selbstthätig« entgegen als sie ruhig zu empfangen.

274 | Anne Pollok

Jene Natur, die du dem Vernunftlosen neidest, ist keiner Achtung, keiner Sehnsucht werth. Sie liegt hinter dir, sie muß ewig hinter dir liegen. Verlassen von der Leiter, die dich trug, bleibt dir jetzt keine andere Wahl mehr, als mit freyem Bewußtseyn und Willen das Gesetz zu ergreifen, oder rettungslos in die bodenlose Tiefe zu fallen.26

Die Sentimentalischen sind es, die ihre Vernunft einsetzen können und durch die Kultur, durch die Erkenntnis des Ideals, zu einer höheren Einheit streben.27 Wohlgemerkt ist der Verweis auf die »Kultur« ein indirekter Hinweis auf Mendelssohns »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«, der in der Bildung des Menschen das Zusammenkommen von theoretischer Kenntnis (Aufklärung) und praktischer Einsicht (Kultur) sieht. Wie nun nehmen Garve und Schiller diese praktische Grundrichtung auf? Garve kommt auf Mendelssohn zu sprechen wie auf einen, den man einfach kennt, und seine Bewunderung für den Phädon ist evident.28 Beide wechselten einige Briefe, die von tiefem Respekt zeugen.29 Garve verteidigt Mendelssohn gegen eine antisemitische Rezension Michael Hißmanns über Dohms Über die bürgerliche Verbesserung der Juden,30 während Mendelssohn Garve vertrauensvoll vom aufkeimenden Spinozastreit berichtet.31 Es gibt von Mendelssohn auch ein paar Notizen zu Garves Schrift zur Frage der Akademie »Ob man die natürlichen Neigungen vernichte, oder welche erwecken könne, die die Natur nicht erzeugt hat.« Außerdem schrieb er 1772 (und damit im Jahr ihrer Veröffentlichung) eine wohlwollende Rezension über Garves Ferguson-Übersetzung für die Allgemeine deutsche Bibliothek, in der er Garves Arbeit als Editor und Übersetzer lobt. Kritisch ist er aber hinsichtlich der Begründungsstruktur von Garves Argumenten. Mendelssohn, der ebenfalls ein »Schönschreiber« genannt werden konnte, war Garves Stil zu ungenau und unsy-

|| 26 NA 20, S. 428; man beachte, dass er hier nicht das Naive der Gesinnung meint, das er großen Geistern wie Goethe konstatiert – hier ist der ›naive Wilde‹ gemeint. 27 Vgl. NA 20, S. 438; mehr dazu NA 20, S. 440ff., wo Schiller die vielen Vorzüge und Freiheiten der sentimentalischen Dichter aufzählt, die einen weiteren dichterischen Raum besetzen können als der letztlich eingeschränkte naive Dichter. 28 Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste 6 (1768), S. 80–107 und S. 313– 332; interessant ist hier u. a. Garves Reflexion auf die Form des Dialogs, siehe ebd., S. 81ff. 29 Garve hofft, Mendelssohn nach Erscheinen des Phädon zu sprechen; Mendelssohn teilt 1783 mit, dass er Teile von Garves Cicero-Übersetzung in seinen Unterricht in den Morgenstunden aufnähme (MGS 13, S. 169f.), womit offenbar die tatsächlichen Unterrichtsstunden (nicht das gleichnamige Werk) gemeint sind. 30 In einem Brief vom 13. Januar 1782 (siehe Michael Hißmann: Briefwechsel. Hg. von Hans-Peter Nowitzki, Udo Roth, Gideon Stiening und Falk Wunderlich. Berlin, New York 2016, S. 150); siehe auch den Kommentar, ebd., S. 385; zu Mendelssohns Haltung wiederum zu Dohm siehe Pollok: Facetten des Menschen (s. Anm. 6), S. 477–481. 31 MGS 13, S. 324f.

Die schöne Seele | 275

stematisch.32 Wenn man das Vollkommenheitsprinzip in praktischen Belangen anlegt, so bekommen viele Beobachtungen eine Richtung, eine innere Ordnung, die der Wolffianer beim neubritischen Moralphilosophen vermisst. So kann sein Urteil über Burke auch für ähnlich vorgehende Denker wie eben Garve gelten: Als Burke seinen allgemeinen Begrif von sichtbarer Schönheit suchte; da schwebten ihm lauter specifische Schönheiten aus denjenigen Naturreichen vor Augen, die an Schönheit am fruchtbarsten sind, aus dem Thier- und dem Pflanzenreiche.33

Jedoch ist dies nicht zureichend, um Schönheit zu erklären, da man sich allzu schnell in Spitzfindigkeiten verstrickt bzw. offensichtlich »Schönes« auszuschließen gezwungen ist. Alles in allem kann man festhalten, dass Mendelssohn und Schiller systematischere Geister als Garve sind – nicht zuletzt auch in ihrem Selbstverständnis. Schließlich ist es Garve, der in seinen Anmerkungen zu Ferguson sagt: »Alle unsere Theorien sind Empfindungen die wir entwickeln.«34

2 Popularphilosophie als eine Philosophie der Bildung und Entwicklung Mit ihrer dynamischen Sicht auf die Geschichtlichkeit des Menschen und den Implikationen auf die Wahrnehmung und Wertschätzung von Schönheit sind sowohl Mendelssohn wie Garve wahre Vorreiter von Schillers Theorie des Sentimentalischen. Mendelssohns Abstinenz von einer wirklichen Geschichtsphilosophie werde ich hier nicht eigens diskutieren. Wie sich stellvertretend in seinen Briefen mit dem Freund, Mathematiker und Geschichtsphilosophen Thomas Abbt deutlich zeigt, steht er allen Theoretisierungen in dieser Hinsicht skeptisch gegenüber. Weniger skeptisch ist er allerdings bezüglich der individuellen Bestimmung des Menschen (dem Hauptthema des Briefwechsels der Jahre 1763 und 1764), die im Hintergrund seiner Überlegungen zum »ganzen Menschen« steht.35 In seiner kleinen, dem

|| 32 Es sind die Grundsätze, weniger die Durchführungen in Garves Werk, die hier interessieren (siehe Mendelssohns lapidares »Vortrefflich! [...] usque ad finem« zum Ende der Abhandlung (MGS 3.1, S. 302). 33 MGS 3.1, S. 266; vgl. auch die Unterscheidung der unterschiedlichen Arten, Moralphilosophie zu betreiben (deduktiv und induktiv) in Mendelssohns Ferguson-Rezension (letztlich sei Ferguson nicht leicht zuzuorden, aber in beiden bereichen nicht »vollkommen«, MGS 5.2, S. 158). 34 Chrstian Garve: Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Übersetzt und mit einigen Kommentaren versehen von Christian Garve. Leipzig 1772, (GGW XI), S. 290. 35 Siehe hierzu meine Einleitung zur Edition des Phädon (Moses Mendelssohn: Phädon und einige Texte zur Bestimmung des Menschen. Mit Einleitung und Anmerkungen hg. von Anne Pollok. Hamburg 2013), sowie meine Ausführungen in Pollok: Facetten des Menschen (s. Anm. 6), Kap. I.2.

276 | Anne Pollok

Phädon vorangehenden Schrift Orakel, die Bestimmung des Menschen betreffend (1765) offeriert er eine Neuorientierung36 der Fragestellung: Hier betont er den dynamischen Charakter menschlicher Entwicklung, was mit einer ebenfalls dynamischen Bestimmung menschlicher Perfektibilität einhergeht. »Die eigentliche Bestimmung des Menschen hienieden, die der Tor und der Weise, aber in ungleichem Maße erfüllen, ist also die Ausbildung der Seelenfähigkeiten nach göttlichen Absichten; denn hierauf zielen alle seine Verrichtungen auf Erden.« Die Ausbildung unserer Fertigkeiten ist ein Bestreben, das immer auf »Fortschreitung« drängt.37 In ähnlichem Sinne hat Garve gegen den Stoizismus hochgehalten, dass die menschliche Tugend niemals statisch ist, sondern sich als eine Serie von Veränderungen darstellt;38 sie ist inhärent und immer eine »Entwickelung«.39 Das Ziel dieser Entwicklung ist Glückseligkeit, die Garve übrigens an unser Wissen um Gottes Güte und die Unsterblichkeit der Seele koppelt, in gut aufklärerischer Tradition. Doch spielt unser Wissen um unsere Geschichte eine entscheidende Rolle in der Realisierung von Glückseligkeit: Ehe man untersucht, wie der einzelne Mensch vollkommen werden könne: muß man erst das ganze menschliche Geschlecht in seinen mannichfaltigen Abwechselungen und Stufen der Vollkommenheit übersehen; man muß auf den großen Schauplatz des menschlichen Lebens treten, um die verschiedenen Ordnungen der Menschen, die Glückseligkeit der sie genießen, die Tugend die sie ausüben, und die Wege auf welchen sie dazu gelangt sind, zu kennen.40

In seinen – in perraultscher Schule verfassten41 – Betrachtung einiger Verschiedenheiten (zuerst 1770) sieht Garve die Naivität der Griechen weniger als eine moralische Größe, sondern vielmehr als einen Ausdruck ihrer Zeit: So stellten sie tatsächlich die Natur so dar, wie sie ihnen vorkomme, und hätten nicht das vor Augen, was schon andere vor ihnen beschrieben und gezeigt hätten – schlicht weil sie nicht auf einem vergleichbaren Berg von Überlieferungen ständen wie wir. Den Modernen könne dies zwar schön erscheinen, aber letztlich nicht genügen, da sie mehr Wissen zur Hand hätten, um tiefer hinter die Erscheinungen zu gelangen (und außerdem, || 36 Siehe auch Günter Zöller: Die Bestimmung der Bestimmung des Menschen bei Mendelssohn und Kant. In: Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses. Hg. im Auftrag der Kant-Gesellschaft von Volker Gerhardt, Rolf-Peter Horstmann und Ralph Schumacher. Berlin, New York 2002, Bd. IV, S. 476–489, hier S. 482. 37 »Das Ziel dieses Bestrebens bestehet, wie das Wesen der Zeit, in der Fortschreitung.« (MGS 3.1, S. 113) Siehe auch Anne Pollok: How to dry our tears? Abbt, Mendelssohn, and Herder on the Immortality of the Soul. In: Aufklärung 29 (2018), S. 67–81. 38 Siehe van der Zande: The Microscope of Experience (s. Anm. 14), S. 85. 39 Christian Garve: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten. 3 Bde. Breslau 1783, Bd. 1, S. 40. 40 Garve: Adam Fergusons Grundsätze (s. Anm. 34), S. 300. 41 Nach der Vorlage von Perraults Paralléle des Anciens et des Modernes en ce qui regarde les arts et les sciences (1688‒1697) – Garve lässt im Titel ausdrücklich die Wissenschaften beiseite.

Die schöne Seele | 277

qua Dasein im sentimentalischen Zeitalter, gar nicht anders können, als die Dinge durch die Augen der Vorausgegangenen zu sehen). Durch die geschichtliche Betrachtung (und den Aufweis von »Typen«) könne der moderne Philosoph allerdings eine Anschauung der Komplexität von Vollkommenheit erlangen, und ein »Ideal« des Menschen in seiner »Reife« entwickeln.42 Dies induktive Interesse wird ausbalanciert von einer weiteren Annahme, nämlich dass der Mensch letztlich der Gesellschaft bedürfe, um sich überhaupt in seinem ganzen Potential zu entwickeln. Der Mensch wird »nur durch die Gesellschaft gebildet und [findet] auch nur in ihr die Gegenstände seiner Tugenden«.43 Zwei Themenstränge sind hier also interessant: zum einen die Idee, dass wir nur in Gesellschaft vollkommen sein können, und zum anderen, dass sich Vollkommenheit als ein Entwicklungsauftrag in menschlicher Geschichte ausdrückt, der letztlich schwerer wiegt als das Verlangen nach naiver Ganzheit. Schiller, enttäuscht vom Verlauf der Französischen Revolution, war zwar weniger optimistisch was die Erfüllbarkeit unseres Anspruchs auf Glückseligkeit durch unsere eigenen Taten angeht, doch sah er die Notwendigkeit von Bildung sehr wohl ein – und noch mehr die Notwendigkeit ihrer ästhetischen Reform, um dem sentimentalischen Menschen eine innere Richtung mitzugeben.44 Er hat ihr ein neues, noch immer so interessantes Gesicht gegeben in seiner Forderung nach einer Ästhetischen Erziehung. Das Postulat der Entwicklung und der Bildungsbedürftigkeit geht freilich auf die jeweiligen Festlegungen in der Seelenlehre zurück. Alle drei Autoren versehen eine rationalistische Idee der Ausbildung des Denkens mit einem gesunden Schlag – Mendelssohn sagt: »geläutertem«45 – Epikureismus. Zwar zielen unsere Bedürfnisse auf Vollkommenheit; auf immer klarere Durchdringung der eigenen Stellung in der Welt und einer immer vollkommeneren Ausfüllung dieser Stellung. Doch diese ist fundamental gekoppelt an menschliches Vergnügen. Die Seele ist in ständiger Tätigkeit,46 so bemerkt Mendelssohn in seinen Anmerkungen zu Garve, und das Vergnügen dementsprechend ein zwar verworrenes, aber doch ein »anschauende[s] Bewußtseyn einer stärkern Thätigkeit«.47 Es sei aufgrund der schneller folgenden, verworrenen Eindrücke desto effektiver, weshalb auch die Anregung der Leidenschaften auf der Schaubühne aller trockenen Erziehung der

|| 42 Garve: Adam Fergusons Grundsätze (s. Anm. 34), S. 301. 43 Ebd. 44 Allerdings ist der historische Unterschied zwischen Altem und Neuem, Antike und Moderne von Garve bei Schiller einem konzeptuellen Unterschied gewichen. So konnte er die Unterschiede zwischen Goethes und seiner Herangehensweise – und damit einhergehend ihrer beider künstlerischen Wert – besser verteidigen. 45 MGS 1, S. 404f. 46 »Die Seele ist in beständiger Aktion« (MGS 3.1, S. 298). 47 MGS 3.1, S. 299.

278 | Anne Pollok

Köpfe vorzuziehen sei. Wenn Garve nun eben kein ebenso geartetes Theatererziehungsprogramm entwickelt, sondern stattdessen festhält, dass man die Handlungsweise der Menschen ändern könne, indem man sie anders denken lehre, so ist dies dennoch nicht als krasser Gegensatz zu Mendelssohn (und auch Schiller) zu verstehen. Vielmehr setzt Garve hier einen Freiheitsbegriff an, den er mit der glückseligmachenden Handlungsfertigkeit zusammenführt. Tiere, so Garve, können allein auf die Nützlichkeit einer Handlung schauen. Freiheit hingegen ermöglicht das Gefühl von Schuld und Verdienst und ist eine Vorbedingung zur Glückseligkeit.48 Wir sind also »frei«, wenn wir uns entgegen anderslautender Empfindungen bestimmen können. Diese Selbstbestimmung geschieht durch den Geist49 und bildet den Grund der Tugend. Allerdings ist hier eine Schwierigkeit, wie Garve einwirft: Auch Freiheit ist dann wiederum bestimmt (wenn auch nicht unter dem Primat der Nützlichkeit, die Spontaneität auszeichnet). Garve weigert sich letztlich, die Natur dieser Bestimmtheit zu begründen und beruft sich auf das »Gefühl der Tugend«, das letztlich allen »Systemen« vorgängig sei.50 Wir können so allerdings nicht erweisen, wie eine Handlung wahrhaft unabhängig sei, aber wir könnten leicht beweisen, wie sie »gut« sei – und, so seine unausgesprochene Insinuation, dies sei ja auch wichtiger. Es sei die »Empfindung des menschlichen Geschlechts«, dass »Tugend und Glück« zwar unterschiedliche Dinge seien, aber sich ineinander gründeten:51 »Ich weiß nicht wie ich frey bin, aber ich weiß, wie ich vollkommen seyn soll.«52 Und dieses Wissen um die normative Kraft des Vollkommenen führt zu tugendhaftem Handeln. Dementsprechend ist nun seine Forderung, dass der tugendhafte Mensch v. a. besser »denken« als »empfinden« lernen solle. Wie Johan van der Zande feststellt, weist Garve hier die Affinität von Ciceros Denken und der Aufklärung, inbesondere bezüglich des Eudaimonismus nach. Die ciceronische »humanitas« wird im 18. Jahrhundert als »Humanität« übersetzt, ein gesellschaftlicher Wert, eine unendliche Aufgabe, die die positive Einstellung zum Anderen (Menschenfreundlichkeit), gesellschaftliche Beweglichkeit, aber auch einen moralischen Charakter umfasst. Damit installiert Garve die Kardinaltugenden (Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigkeit) im Kanon der Aufklärer.53

|| 48 Garve: Adam Fergusons Grundsätze (s. Anm. 34), S. 291. 49 In den Gedanken über das Interessirende spezifiziert er entsprechend diese gegenläufige Empfindungen als solche, »die ihren ersten Ursprung in dem Geiste und seinen eignen Vollkommenheiten haben« (Garve: Gedanken über das Interessirende [s. Anm. 4], S. 349). 50 Garve: Adam Fergusons Grundsätze (s. Anm. 34), S. 296. 51 Ebd., S. 297. 52 Ebd., S. 298. 53 »Garve here formulated the deep affinity of the Enlightenment to Cicero, consisting in particular in its eudaemonism, i. e., in the belief in happiness grounded in virtuous self-realization that was specifically human […]. Ciceronian humanitas translated as eighteenth-century Humanität, as a

Die schöne Seele | 279

Ebenfalls im Kommentar zu Ferguson kommt Garve noch einmal auf die spezifisch menschliche Fähigkeit des Begehrens zurück. Entscheidend ist nicht der Gegenstand des Begehrens. Vielmehr ist das unterscheidende, nicht-animalische Merkmal die innere Einstellung zum Gegenstand der Begierde und die quasi intuitive begleitende Einsicht meiner Selbst als Begehrenden. Nur wenn der Mensch »sich selbst ganz aus den Augen verliert«,54 handelt er wie ein Tier. Aber in den »vernünftigen« Begierden »will er sich selbst und seine Vollkommenheit genießen, und denkt an die Sache, weil sie ihm diesen Genuß befördert oder hindert«.55 Dies hat Mendelssohn in seinen Anmerkungen zu Burke und mit Rückgriff auf Lessing (und die Rationalisten) subtil und gleichzeitig tiefgreifend modifiziert (1758 erscheint die Rezension). Es ist nicht allein der positive Aspekt der Begierde, sondern ebenfalls der negativ erscheinende Aspekt des Abscheus, der uns letztlich unsere eigene Vollkommenheit genießen lässt. Soweit ich sehe, hat Garve dies nicht rezipiert. Gemäß Mendelssohns Diktum der vermischten Empfindungen ist unsere Fähigkeit, das Schlechte abzuweisen, eine Vollkommenheit und sollte auch als solche Eingang in die Theorie des Vergnügens finden. Nur so lässt sich der Genuss an schrecklichen Gegenständen, in Einschränkungen, überhaupt erklären, soll man denn in einer Art von Vollkommenheitsparadigma verbleiben. Und auch wenn Garve diesem nicht als Rationalist folgt, so spricht er doch von einer »Begierde nach Vollkommenheit«,56 die aber nirgends ganz rein zu finden ist, »sondern sich immer mit dem sinnlichen Eindruck irgend eines Gegenstandes vermischt, einem Eindrucke, der von der Vollkommenheit, die durch ihn hervorgebracht oder befördert wird, ganz unterschieden ist.«57 Menschliche Vollkommenheit allerdings ist immer eine Bewegung, etwas, das geschieht und immer einen »noch werdenden« Charakter hat. Wie Garve in seinem Alterswerk Übersicht der vorehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsere Zeiten (1798)58 hervorhebt: Fergusons Verdienst in der Ethik sei es, erkannt zu haben, dass es in der menschlichen Natur liege, sich immer fortzuentwickeln. Der Mensch sei ein Wesen, so stellt er in Übereinstimmung mit Mendelssohn fest, das in der Fortschreitung bestünde. Vollkommenheit im mensch-

|| social value -and a never ending task- comprising a positive disposition toward oneʼs fellow men (Menschenfreundlichkeit), urbanity, gentility, the art of conversation, and a developed moral character. Morality found the highest expression in the four cardinal virtues (wisdom, justice, fortitude, and moderation) which Garve carried over from the ancients and also applied in his later work« (van der Zande: The Microscope of Experience [s. Anm. 14], S. 79). 54 Garve: Adam Fergusons Grundsätze (s. Anm. 34), S. 315. 55 Ebd., S. 316. 56 Wie Garve Ferguson zitiert, ebd., S. 317f. 57 Ebd., S. 318. 58 Siehe Christian Garve: Übersicht der vorehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsere Zeiten (1798). In: GGW VIII, S. 158f.

280 | Anne Pollok

lichen Maß liegt also in der guten Handlung (und nicht in zufälligem Gutsein). Sie hat ein anschauliches Pendant in der ästhetischen Vollkommenheit: Das Symmetrische in der äußern Gestalt, der Zusammenhang und die Combinationen des innern Mechanismus, und die Beziehung des durch die Zusammensetzung gebildeten Ganzen auf irgend einen Zweck des animalischen oder vernünftigen Lebens, – das sind die drey Eigenthümlichkeiten, woran wir in den einzelnen Dingen, die uns vorkommen, das Werk von Menschenhänden und eines menschlichen Geistes zu erkennen glauben.59

All dies zusammen ist natürlich das Vollkommenheitsideal. Das Erforschen des Allerkleinsten und des Allergrößten60 bringt den Menschen zum einen zur Gotteserkenntnis und zum anderen auf sich selbst zurück. Die Kunstwerke in der Natur lassen auf den großen »Werkmeister« schließen61 – wie die Kunstwerke der Menschen auf die Genies unter uns schließen lassen. Was »roh und kunstlos« erscheint,62 muss dies noch lang nicht sein – wir wissen nur noch nicht um die verborgenen Gesetze, die auch dieses scheinbare Chaos ordnen. Nota bene, in einer Fußnote im Daseyn Gottes koppelt Garve die Kunst eindeutig ans Nachahmungspostulat: Der Künstler dupliziert die Perfektion der Welt, er erschafft keine neue.63 So imitiert z. B. Architektur den menschlichen Körper, und, wie dort, wird außen auf das Angenehme, das »Gefallen« geachtet, innen auf Funktionalität, den »Nutzen«.64 Die Funktion, als reine Notwendigkeit zur Hervorbringung gewisser Endzwecke, ist nicht per se »schön« – das ästhetisch Schöne wird vielmehr mit dem angenehmen Äußeren gleichgesetzt; die Maschine muss nicht funktionieren, sondern »abgeputzt« sein und »gefärbt«; es muss eine in die Augen fallende »gefällige Gestalt« sowie »die glatteste Oberfläche, und die besten Farben« aufweisen.65 Später spricht Garve von »Kunstwerken« im Sinne von künstlich gewirkten Maschinen.66 Im Haupttext allerdings sieht man, wie nah die garvesche Version des »Schönen« derjenigen von Schillers Idee des »Ästhetischen« ist: »Der Mensch wird nicht schön geboren: er wird erst schön, indem er sich entwickelt.«67 Erst die vollständige Symmetrie der Gliedmaßen, die glatte Haut, die Frische der Haltung im Vollbesitz

|| 59 Christian Garve: Über das Daseyn Gottes. Eine nachgelassene Abhandlung. Breslau 1807, S. 146. 60 Hier ganz im Sinne der sich entwickelnden Wissenschaften, Astronomie und Biologie (Taxologie, Chemie, Lehre der Blut- und Nahrungskreisläufe etc.). 61 Garve: Über das Daseyn Gottes (s. Anm. 59), S. 148. 62 Ebd. 63 »Alle unsere Kunstwerke sind Nachahmungen natürlicher Producte«, ebd., S. 149. 64 Ebd., S. 150. 65 Ebd. 66 Siehe den Abschnitt über den Blutkreislauf, ebd., S. 15–68. 67 Ebd., S. 151.

Die schöne Seele | 281

der körperlichen Kraft am Höhepunkt der Entwicklung68 ist schön – alles, was wir an jüngeren oder älteren Körpern schön finden, leitet sich eigentlich aus diesem Urbild des schönen Körpers ab. Hier allerdings fallen volle (körperliche) Funktionalität und Schönheit zusammen – aber, wie wir aus dem Vorhergehenden entnehmen müssen, ist das letztere nicht aus dem ersteren begründet, sondern der Einwirkung eines Dritten (in diesem Falle der Weisheit der göttlichen Welteinrichtung) zu verdanken. Wir sollten allerdings auch bedenken, dass Garve einer »Idee des Schönen« im platonischen Sinne eher abhold war. So fragt er im Ferguson-Kommentar: Woher wissen wir eigentlich, was bei unserem Vergnügen am Schönen der Form des Gegenstandes geschuldet, also im weitesten Sinne objektiv, und was unserer Gewohnheit zuzuschreiben sei?69 In der Betrachtung einiger Verschiedenheiten70 äußert er ebenfalls einen gesunden Skeptizismus gegen die »Natürlichkeit« des Ausdrucks der »Neuern« und nimmt damit einen Teil von Schillers Begriff des Sentimentalischen vorweg: »Selbst das, was wir für reine Beobachtung halten, ist schon zum Theil aus unserm übrigen Gedankensystem gefolgert.« Wir beginnen unsere Erfahrungen schon auf den Schultern des Altertums71 und finden mehr Gelegenheit in der diffizilen Zergliederung der Begierden, der Denkoperationen u. v. m. als im Abmalen der Natur oder der Darstellung des Einfachen. Nicht die naiven Bilder der Griechen sollten wir versuchen nachzuahmen, sondern wir sollten uns eher mit »den feinern Beobachtungen innerer Eigenschaften und Einrichtungen des menschlichen Geistes, der Denkungsart, der Sitten« befassen.72 Denn für alle Zeiten gilt für das künstlerische Schaffen, dass es zum einen geprägt ist durch seine Zeit, aber zum anderen ein Ausdruck von Originalität sein sollte: »Die Werke unserer Zeit sind Denkmäler von dem, was der menschliche Geist nach Absicht, mit Bewußtseyn und durch sich selbst hervorzubringen imstande ist.«73 Die »Schönheit«, die die Neueren und damit auch Garve hervorbringen, ist nicht der Natur, sondern dem Menschen gewidmet. Und was läge näher, als mit ästhetischen Mitteln nach einer effektiven Erklärung moralischen Handelns zu suchen? Auch Garve spielte mit dieser Idee, wie v. a. sein Aufsatz Über das Interessirende von 1771/72 zeigt. Mit der künstlerischen Darstellung des Menschen, »wie wir ihn eigentlich kennen wollen, als einen denkenden, empfindenden Menschen«74 – wird »unsere ganze Seele [...] bey dem Anblicke in eine Geschäftigkeit

|| 68 Wir dürfen vermuten, in einem Alter von etwa 25 bis 30 Jahren. 69 Garve: Adam Fergusons Grundsätze (s. Anm. 34), S. 404. 70 Christian Garve: Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller, besonders der Dichter. In: GGW V, S. 127 und S. 133. 71 Ebd., S. 168 und S. 170. 72 Ebd., S. 196. 73 Ebd., S. 197. 74 Garve: Gedanken über das Interessirende (s. Anm. 4), S. 281.

282 | Anne Pollok

kommen, die sie an nichts weiter denken läßt; der ganze Vorrath ihrer Ideen wird sich, so zu sagen, in Bewegung setzen, und das ganze System ihrer Empfindungen wird erschüttert werden. Mit dieser Saite wird unsre ganze Seele harmonisch gestimmt.«75 Schiller nun sieht in der Idee des Schönen dieses Ideal des ganzheitlich gebildeten Menschen realisiert – er scheint insonderheit davon auszugehen, dass dem Schönen (oder besser, dem Ästhetischen) ein inhärenter Zug zum Wahren und Guten innewohnt. Nur wer ästhetisch feingestimmt ist, kann tatsächlich den anderen fühlen, ihm wohltätig und nicht instrumentell-egoistisch begegnen. Das ästhetische Spiel, der erfüllte und erfüllende Wechsel zwischen Stoff und Form, den Schiller im Schlussteil der Ästhetischen Erziehung als den Punkt benennt, an dem allein der Mensch ganz Mensch sei, taucht in Ueber naive und sentimentalische Dichtung explizit als ein Ziel des sentimentalischen Menschen wieder auf. Für diesen erscheint das Stadium des ungebrochenen, durch keine störende Reflexion verfälschten Naiven als eine Orientierung gebende Idee, die jedoch, das ist durch die Struktur des Sentimentalischen vorgegeben, in ihrer ursprünglichen Form nicht erreicht werden darf. Der Mensch darf nicht zurückfallen in den Naturzustand, er kann nicht zurück nach »Arkadien«, sondern muss dieses auf einer höheren Ebene wieder herstellen – und zwar, um auf die Ästhetische Erziehung zurückzukommen, mit Hilfe des Schönen. Dieses ist bei Schiller nicht auf die Kunst allein beschränkt, sondern umfasst sämtliche dem Menschen in seinem spezifischen, begrenzten Sein bestimmenden Bereiche. Dieser sich aus der aufklärerischen Anthropologie herleitende, umfassende Begriff einer Ästhetik veranlasst Schiller letztlich dazu, den ästhetischen Zustand nicht (mehr) als Mittel, sondern als höchsten Selbstzweck zu apostrophieren. Bildung als ein Ziel der ästhetischen Erziehung meint damit Menschwerdung durch ganzheitliche Selbst-Bildung – oder, um den sentimentalischen Aspekt zu betonen: wieder und neue Menschwerdung – der Gang ins »Elisium«. »Sie [die Naiven] sind, was wir waren; sie sind, was wir wieder werden sollen. Wir waren Natur, wie sie, und unsere Kultur soll uns, auf dem Wege der Vernunft und der Freyheit, zur Natur zurückführen.«76 Diese zweite Natur ist dann allerdings eine potenzierte, weil vernünftig durchdrungene Natur. Demenstprechend kann Schiller die »schöne Seele« auch als eine aktive Vereinigung von Neigung und Willen konzipieren: sie, die schöne Seele, hat sich ihrer Neigungen soweit vergewissert, dass sie sicher sein kann, sie werden mit ihrem Willen übereinstimmen.77 || 75 Ebd., S. 282. 76 NA 20, S. 414. 77 Siehe Über Anmut und Würde (NA 20, S. 287); hier soll allerdings nicht das allseits diskutierte »Missverständnis« der kantischen Position in Schillers Schriften diskutiert werden – dass Schiller die Vernunft mit einer möglichen Neigung zum Guten ausstattete, die allerdings im kantischen Vernunftbegriff nichts zu suchen hat; siehe Dieter Henrich: Der Begriff der Schönheit in Schillers Ästhetik. In: Zeitschrift für Philosophische Forschung 2 (1957), S. 527–547, hier S. 539, oder, neueren

Die schöne Seele | 283

Schiller sieht also die schöne Seele nicht als weltentrückt, und noch weniger als »kunstverliebt«, sondern sieht in ihr die mögliche Vereinigung von Neigung und Wille, von Gefühl und Vernunft, zumindest in Form eines zwanglosen Zusammenspiels. Mit dieser utopischen Sicht kann, um zur Ästhetischen Erziehung zurückzukommen, der anfangs apostrophierte Vernunftstaat gar nicht erreicht, beziehungsweise er muss im Laufe der Schrift umdefiniert werden. Der Mensch kann, so Schiller, per se nicht über den ästhetischen Staat hinaus gelangen, ja, er kann dies nicht einmal wollen, denn dann würde er sich verbiegen müssen: Er handelte gegen seine ›ganze‹ Natur. Damit wäre die Forderung nach Freiheit, die schon die Eingangspassagen der Ästhetischen Erziehung prägt, mit einer genaueren Bestimmung und Modifizierung von Freiheit zu verbinden.78 Ästhetische Erziehung führt somit nicht zur vollkommenen Freiheit in der reinen praktischen Vernunft, sondern zur menschenmöglichen Freiheit – basierend auf dem Postulat, dass wir uns allein im ästhetischen Spiel von allen knechtenden Bestrebungen freimachen können, um von einem ›neutralen‹ Standpunkt aus idealiter eine nicht-repressive Gesellschaft zu erschaffen, in der die Moral nicht allein ein normatives Gebot, sondern eine vitale, gefühlte Möglichkeit79 des Menschen darstellt. Moralisches Handeln soll mit Vergnügen begleitet sein, damit der Mensch sich nicht erneut verbiegen muss. Dass das moralische Gesetz ein unabdingbarer Teil ›ganzer‹ menschlicher Natur ist, hat Schiller allerdings nirgends gezeigt, sondern nur postuliert und auch in seinem Inhalt denkbar unbestimmt gelassen (»Bestimme Dich aus Dir selbst«). Wie dieses Gesetz seine normative Kraft entfalten soll, ohne zugleich seinen delektierenden Charakter zu verlieren, bliebt ebenfalls unklar. Damit wird Schillers ›anthropologische Schätzung‹ unter der Hand ein implizites Gegenprogramm einer kantischen Moralphilosophie unter Rückgriff auf die quasi-kantische Ästhetik, die jedoch allein in ihrer Form beibehalten und auf ältere Inhalte zurückgeführt wird. Problematisch ist daran nicht, dass ein vor-kantischer Begriff von Freiheit Verwendung findet, sondern dass damit das Kriterium menschlicher Normativität, die die Erfüllung des ganzen Menschen im ästhetischen Staat gewährleisten und sinnvoll begrenzen kann, ins Unerkennbare verschwimmt.

|| Datums, Frederick Beiser: Schiller as Philosopher. A Re-Examination. Oxford 2005, S. 169–190. Festzuhalten ist, dass Schillers Bestimmung in der Tat insbesondere den Charakter insgesamt als die einzelne Handlung bestimmt: »Daher sind bey einer schönen Seele die einzelnen Handlungen eigentlich nicht sittlich, sondern der ganze Charakter ist es« (NA 20, S. 287). 78 Nota bene, wie es Schiller schon in den Kallias-Briefen formuliert, ist dies eine nicht-kantisch verstandene Freiheit. 79 Ich vermeide hier den Begriff der Neigung, da die »schöne Seele« das Gute nicht rein aus Neigung tut, sondern weil sie sich ihrer Neigungen ›gewiss‹ ist, was ein gewisses Maß an rationaler Kontrolle nicht ausschließt. Ich danke Gideon Stiening für diesen wertvollen Hinweis.

284 | Anne Pollok

3 Schluss Mendelssohn, Garve und Schiller sind, in ihrer je eigenen Weise, Pädagogen – allerdings ist, wie die vorangehenden Überlegungen zeigen sollten, ihre Pädagogik nicht simplistisch-direkt, sondern erfordert vom Leser und noch mehr vom Ausübenden eine gewisse reflexive Beweglichkeit. Nicht ohne Grund bemüht sich Schiller, als er Garve zu Beiträgen zu den Horen einlädt, diesen am Verhältnis zwischen Schriftsteller und Publikum zu interessieren. Dort sei schließlich einiges zu finden; man müsse nur deren »wechselseitiges Verhältnis« untersuchen, und die jeweilige Folgen »anthropologisch« entwickeln.80 Schiller selbst hat dies in nur vorsichtigen Ansätzen mit der Ästhetischen Erziehung ins Werk gesetzt, aber auch in der kleinen Abhandlung Über den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten,81 und Garve wiederum könnte dies aufgenommen haben in seinen Essay Über die öffentliche Meinung.82 Der philosophische Schriftsteller mag den Nachteil haben, dass er nur indirekt wirken kann, wie Schiller in einem Brief an Garve vom 25. Januar 1795 zugibt.83 Er könne, so Schiller, nicht seine rhetorischen Kunstgriffe, den »lebendigen Ausdruck der Rede« oder »Gesten« für einen bleibenden, zur Tat anregenden Eindruck nutzen, sondern bloß »abstrakte Zeichen«84 – aber: so kann er dem Leser auch »größere Gemüthsfreyheit« lassen.85 Es gebe allerdings ein »Mittel[,] der Sache nichts zu vergeben und dennoch durch Mittheilung seiner Individualitaet den Vortrag zu beseelen«,86 und dies ist es, was Schiller auch dem schreibenden Dichter zugesteht. »Ästhetisch«87 definiert er als eine »Beziehung eines Gegenstandes auf das feinere Empfindungs-Vermögen«.88 Jeffrey Barnouw hat zu Recht darauf hingewiesen, dass »ästhetisch« bei Schiller nicht primär »Kunst und Schönheit, sondern auch psychische Leistungen des Gefühls, des inneren Sinnes in dessen Verbindung mit der

|| 80 Siehe Schillers Brief an Garve vom 1. Oktober 1794. In: NA 27, S. 57. 81 NA 21, S. 28–37; diese Fassung ist nahezu deckungsgleich mit dem Brief an den Herzog von Augustenburg vom 3. Dezember1793 (s. Kommentar, NA 21, S. 324), zuerst in den Horen 1796 veröffentlicht. 82 Christian Garve: Über die öffentliche Meinung. In: GGW III, S. 291–334, hier S. 330f. 83 NA 27, S. 125–127. 84 Ebd., S. 126. 85 Ebd., S. 127. 86 Ebd. 87 »Mit dem Umgang ist es eben so: ich nenne den Umgang moralisch, wenn er auf solche Verhältnisse der Menschen mit Menschen geht, die sich durch Pflichten bestimmen lassen; ich nenne ihn physisch, wo ihm bloß das natürliche Bedürfniß Gesetze giebt; ich nenne ihn aesthetisch, wo sich die Menschen bloß als Erscheinungen gegeneinander verhalten, und wo nur auf den Eindruck, den sie auf den Schönheitssinn machen, geachtet wird« (ebd., S. 126). 88 Ebd.

Die schöne Seele | 285

äußeren Wahrnehmung oder der Empfindung bezieht«.89 An Schillers Definition im eben genannten Brief sieht man allerdings, dass der Konzentration auf das Ästhetische eine Gefahr innewohnt – denn es hat, da es emphatisch nur auf die Erscheinungen geht, eine ganz eigene Art an Freiheit, und erfordert tatsächlich eine Art Erziehung zur angemessenen Haltung ihm gegenüber. So einladend die Ästhetische Erziehung scheint, so darf doch nie übersehen werden, dass tatsächlich eine freie, auf Erscheinung spezialisierte Haltung gemeint ist, frei auch von den Anforderungen der Moral. Nur eine wahrhaft »schöne Seele« kann dies wahrhaft in sich vereinen.

|| 89 Jeffrey Barnouw: Freiheit zu geben durch Freiheit. Ästhetischer Zustand – Ästhetischer Staat. In: Wolfgang Wittkowski (Hg.): Friedrich Schiller. Kunst, Humanität und Politik in der späten Aufklärung. Tübingen 1982, S. 138–163, hier S. 143.

Ansgar Lyssy

Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie 1 Einleitung In den letzten Jahren wurde vermehrt darüber diskutiert, dass die Unterscheidung zwischen Rationalismus und Empirismus nicht mit einem entsprechenden Selbstbewusstsein der bezeichneten Philosophen, Teil einer philosophischen ›Bewegung‹ zu sein, einherging. Vielmehr handelt es sich um eine philosophiehistoriographische Heuristik, die komplexere Konstellationen vereinfachen und handhabbar machen soll. Bei dem Begriff des Empirismus handelt es sich um einen modernen Begriff, der vor allem auf Kant zurückgeht. Die französische Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert bezeichnet mit dem Eintrag Empirisme lediglich die ärztliche Praxis, die Geltung der eigenen Erfahrungen gegenüber dem vermittelten und tradierten Wissen wertzuschätzen. Kant dagegen bezeichnet damit diejenigen Philosophen, die »reine Vernunfterkenntnis« aus der Erfahrung ableiten wollen – dazu zählt Kant etwa Aristoteles und Hume.1 Daran anknüpfend findet der Begriff schnell Eingang in die zeitgenössische Philosophiegeschichtsschreibung und die philosophische Fachsprache.2 Etwas weiter gefasst kann der Empirismus auf die Prämisse zurückgeführt werden, nach der all unser (mögliches) Wissen nur in der Erfahrung begründet sein kann. Sinnliche Erfahrung ist dementsprechend auch die Quelle all unserer Begriffe. Damit geht normalerweise ein starker Vorbehalt gegenüber metaphysischer Spekulation einher. Der Mensch als Erfahrungssubjekt rückt in den Mittelpunkt – statt sich einer in Gottes Geist begründeten Ideenlehre zu widmen, untersucht man nun etwa ›human nature‹ und ›human understanding‹. Damit einher geht in der Epistemologie auch eine größere Aufmerksamkeit gegenüber den kontingenten Faktoren, die unser Leben und unsere Erkenntnis beinflussen, etwa Emotionen, Charakter oder gar Behinderungen.3 Der Rationalismus dagegen wählt die Rückwendung auf reine, selbstevidente axiomatische Gewissheit und die Reflexion auf die eigenen Bedingungen, Strukturen und Möglichkeiten des Denkens als methodologische Ausgangspunkte. Diesen Vernunfteinsichten wird ein Vorrang gegenüber der bloß kontingenten, falliblen || 1 Vgl. etwa KrV, AA III, S. 551; B 882 / A 854. 2 Siehe etwa den Eintrag ›Empirismus‹. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. von Joachim Ritter u. a. 13 Bde. Basel 1971–2007, Bd. 2, Sp. 477f. 3 So ist etwa die für die Philosophie der französischen Aufklärung einflussreiche Debatte um Blindheit bei bspw. Diderot und Condillac durchaus auch vom englischen Empirismus beeinflusst. https://doi.org/10.1515/9783110647747-014

288 | Ansgar Lyssy

Erfahrungsgewissheit zugesprochen. Dabei liegt in historischer Perspektive zumeist eine Rückwendung auf Gott vor, da dieser der ›Grund aller Gründe‹ und damit der letzte Erkenntnisgrund ist; ebenso eine Emphase auf a priori einsehbare Prinzipien, denen gegenüber der physischen Wirklichkeit eine höhere bzw. grundlegendere Realität bescheinigt wird; schlussendlich eine Annahme von ›eingeborenen‹ Wissensgehalten oder Begriffen, die uns vor bzw. unabhängig von jeder Erfahrung gegeben sind. Diese drei Merkmale des Rationalismus werden von den Empiristen zumeist als überkommene Metaphysik abgelehnt. Die Frage, ob intelligiblen Prinzipien gegenüber der Erfahrung Priorität zukommt oder umgekehrt, ist zwar per se eine epistemologische Fragestellung, aber die durch den Rationalismus-Empirismus-Kontrast bezeichnete Differenz methodologischer Vorannahmen ist gleichwohl nicht auf die Epistemologie beschränkt, sondern manifestiert sich auch in metaphysischen, theologischen, politischen, ethischen und naturphilosophischen Diskursen. Dabei muss die jeweilige Prämisse nicht in allen philosophischen Teildisziplinen durchgehalten werden – so gibt es keinen Grund, warum eine beliebige Philosophin (oder ein Philosoph) nicht etwa im Bereich der Metaphysik oder der Mathematik rationalistische Ansichten vertreten kann, in der politischen Philosophie oder der Naturwissenschaft aber auf vergleichbare axiomatische oder auf Selbstgewissheit beruhende Herleitungen strikt ablehnt und statt dessen erfahrungsbegründete oder pragmatische Überlegungen anstellt. Tatsächlich finden sich bei genauerer Betrachtung bei den meisten Philosophen, wenn nicht bei allen, Mischformen beider Ansätze vor. Ebenso schließt eine Differenz der Begründungsformen eine Identität der Sachgehalte nicht aus – etwa gibt es signifikante Übereinstimmungen in der Ideenlehre von Descartes, Locke und Leibniz, auch wenn der jeweilige methodologische Zugang und der metaphysische Kontext durchaus gravierende Differenzen aufweist (geistesinterne bzw. geistesexterne Herkunft der Ideen). Ungeachtet solcher Vorbehalte ist die Unterscheidung von grundlegenden methodologischen Differenzen und abweichenden Vorannahmen und Methoden natürlich sinnvoll, wenigstens als Heuristik: So können die Eigenheiten bestimmter philosophischer Positionen schärfer umrissen und gegeneinander kontrastiert werden. Für den Fortgang der folgenden Ausführungen ist neben den obigen Gemeinplätzen noch eine weitere Vorbemerkung nötig, die auf ein eher selten diskutiertes Merkmal des epistemologischen Empirismus abzielt: Nur der empiristische, nicht aber der rationalistische Zugang zur Wissensbegründung erlaubt es uns, das Wissen vom Besonderen, Einmaligen aufzuwerten und, damit einhergehend, Fallstudien als relevante wissenschaftliche Methoden zu etablieren, wie sie dann später vor allem in den Sozialwissenschaften zur Geltung gebracht werden. Fallstudien eröffnen uns Zugang zu einem Sachgehalt, der nicht in universellen Gesetzen bzw. Gesetzmäßigkeiten aufgeht bzw. durch solche zu erklären ist. Fallstudien sind, da sie nicht auf universelle Gesetzmäßigkeiten abzielen, methodisch und der Zielrichtung nach flexibel: Sie beschreiben ein Phänomen oder Objekt, das von einem Kontext abhän-

Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie | 289

gig ist und demnach in Bezug auf diesen Kontext analysiert werden muss. Aufgrund dieser Kontextabhängigkeit kann die Fallstudie, anders als das naturwissenschaftliche Experiment, normalerweise nicht beliebig repliziert werden: Erhebungen zu anderen Zeiten oder an anderen Orten werden ein anderes Ergebnis liefern. Die Fallstudie bedarf aber, anders als die bloße Erfahrung, einer durch Hypothesen vorgebildeten Meinung, einer systematischen, also prinzipiengeleiteten Durchführung und Auswertung. Relevante Variablen werden identifiziert und benannt, das Besondere wird gegenüber dem Allgemeinen klar ausgewiesen. Dementsprechend kann die Fallstudie zur Formulierung, Erprobung und Auswertung von Hypothesen dienen, die sie an der Realität bestätigt, ohne ihnen dabei universelle Geltung zuzusprechen. Die Fallstudie dient demnach zumeist einem pragmatischen Interesse und ist auf eine bestimmte Praxis oder einen Anwendungshorizont bezogen. Bislang scheint die Fallstudie in der Wissenschaftstheorie und deren Historiographie weitgehend vernachlässigt worden zu sein. Dennoch scheint die Annahme auf den ersten Blick plausibel, dass die Herausbildung der Fallstudie als Methode mit der Entstehung der Sozialwissenschaften einhergeht und eine Rolle spielt in der Herausbildung der anderen Wissenschaften, die das Einzelne, Individuelle auf den kontingenten Kontext zurückbeziehen, statt diesen auszublenden: Damit sind die Psychologie, die Ethnologie bzw. Volkskunde, die empirische Anthropologie und die literarische Anthropologie des 18. und 19. Jahrhunderts gemeint. Diese Disziplinen eröffnen alle mit unterschiedlichen Beobachtungs- und Beschreibungsformen einen Zugang zu den nicht-quantifizierbaren Aspekten des Individual-Menschlichen, worin sie über die Einzelfallbeobachtungen der Medizin, die es freilich schon seit der Antike gibt, hinausgehen. Es steht zu vermuten, dass es kein Zufall ist, dass sich diese Disziplinen in Deutschland in einer Zeit herausbilden, in der nicht nur die ersten, systematisch ausgerichteten Einzelfallstudien unternommen werden, sondern auch auf ihre Methodik und Geltung hin kritisch diskutiert werden. Die Vorgeschichte der Fallstudie und ihre Entstehung scheinen bislang in der Forschung kaum beachtet worden zu sein, auch wenn damit eine philosophisch durchaus interessante Aufwertung des Wissens um das Einzelne und das Besondere einhergeht. Es wird in der Aufklärungszeit deutlich, dass die Beobachtung des Einzelnen einen entscheidenden Beitrag leisten kann zur Theoriebildung. Christian Garve ist einer der Vordenker dieser Ideen und im Folgenden soll sein Zugang zur ›Epistemologie des Besonderen‹ nachvollzogen werden, gerade vor dem Hintergrund eines Philosophieansatzes, der die Beziehung des Menschen zum Besonderen hervorhebt.

290 | Ansgar Lyssy

2 Einflüsse der empiristischen Epistemologie Es heißt über Garve, dass er der deutsche Hume werden wollte4 – eine erstaunliche Einschätzung, zumal doch die Werke der beiden Autoren auf den ersten Blick nur wenige Themen gemeinsam haben. Ein typisches Hauptwerk der theoretischen Philosophie fehlt bei Garve ebenso wie eine Theorie der Erkenntnis, dafür hat er gleichwohl mehr Themen mit anderen englischen und schottischen Autoren gemein: Literaturkritik, (Proto-)Soziologie, ›moral philosophy‹ und Ökonomie.5 Dennoch soll im Folgenden kurz dafür argumentiert werden, dass Garve den oben angerissenen Ansatz der Empiristen teilt und dass er ihn auf andere Disziplinen als die Epistemologie anwendet. Für Garve ist es völlig unstrittig, dass unser Wissen in der Erfahrung begründet ist. Das erste Beispiel stammt vom jungen Garve, noch Student in Frankfurt, der die populären Schriften des Predigers Hervey diskutiert: Der ehrliche Hervey war ein Dorfprediger, dessen grosse Empfindungen, die sein Leben und seine Briefe entdecken, in der Stadt oder auf der Studierstube nicht mitempfunden werden können. Ein offnes Feld, ein stiller, einsamer Spaziergang, der uns die mannigfaltigen Werke der Schöpfung und die Grösse des Schöpfers in ihnen zeigt, ist allein nur imstande, die menschliche Brust zu solchen Gedanken zu erheben. Ich wenigstens habe dies mehrfach erfahren.6

Mit dem letzten Satz wird die Erfahrungsbasiertheit bestimmter Wissensgehalte hier selbst wiederum als epistemologische These in der Erfahrung begründet – oder zumindest anekdotisch angezeigt. Der Sache nach ist die Erkenntnis der Größe Gottes durch Naturerfahrung fast schon ein literarischer Gemeinplatz, der von Petrarca ausgehend bis zu Goethe und darüber hinaus gewirkt hat und der in der Philosophie u. a. auch in der Naturreligion Humes angesprochen wird. Bei Garve aber werden wir diese Idee, dass sich in der ästhetischen Erfahrung der Natur oder der Kunst auch metaphysische und epistemologische Sachgehalte zeigen können, noch öfter begegnen. Denn er diskutiert, und das macht den philosophischen Charakter seiner Schriften aus, seine epistemologischen Grundlagen oftmals direkt mit. So geht er beispielsweise in seiner Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller (1770), in denen er den Fortschritt der Literatur zwischen Antike und Gegenwart diskutiert und zu begründen sucht, auch auf die unterschiedliche Erfahrungsgrundlage der Literatur ein. In Anlehnung an Locke

|| 4 Daniel Jacoby: Christian Garve. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 8. Leipzig 1878, S. 385– 392, hier S. 388. 5 Siehe dazu bspw. Robert van Dusen: Christian Garve and English Belles-Lettres. Bern 1970, S. 6. 6 Ernst Poseck: Alte Ohle. Die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner, 1942; zitiert nach van Dusen: Christian Garve (s. Anm. 5), S. 9.

Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie | 291

wird dargelegt, dass der Geist in einer bloßen Betrachtung, die nicht mit Meditation (d. h. Apperzeption) gekoppelt ist, bloß passiv ist: »[W]ir sind leidend, die Objekte bieten sich von selbst dar; der Fortgang unsrer Vorstellung ist vollkommen mit dem Fortgange der Veränderungen analogisch, die um uns her vorgehen.«7 Die einzelnen Dinge, die auf unsere Erfahrung wirken, stehen im Konflikt mit den Apperzeptionen, in denen das Betrachtete reflektiert und auf Universalität hin überschritten wird: Dieser Streit zwischen den Gegenständen, die eben izt auf unsre Sinne wirken, oder die unsre gegenwärtige Verfassung uns ins Gemüthe bringt, und zwischen denen, die sich der Verstand zu betrachten vorgesetzt hat; dieser macht eben das Beschwerliche und Ermüdende der Arbeit aus.8

Der Geist arbeitet aktiv mit dem, was ihm durch die Sinne gegeben ist. Wenn ein Gegenstand uns zu fremd ist, dann regt er uns zu allzu viel aktiver Reflexion an und wird als ermüdend und beschwerlich empfunden. Solche zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr originellen Ideen scheinen dann aber Anlass gegeben zu haben, in der Schrift Über das Interessierende (1771) die allgemeinen epistemischen Merkmale der ästhetischen Erfahrung zu diskutieren. Hier bedient sich Garve unzweifelhaft der methodologischen Steilvorlage Baumgartens, die Ästhetik nicht von der Beschaffenheit oder Erscheinung der Dinge selbst, sondern von der Warte der menschlichen Vermögen aus zu denken. Der Begriff des Interesses, den Garve der englischen und schottischen Ästhetik entnimmt, hilft ihm dabei, ein Streben des Geistes zu konzipieren, das gerade nicht auf objektive Werte hin ausgerichtet und demnach nicht moralisch konnotiert ist. Hier greift er dann obigen Argumentationsfaden wieder auf: [A]lso werden 1) die Dinge, welche ein wahres Interesse haben sollen, natürliche Gegenstände und deren ihre natürliche Veränderungen seyn müssen, Dinge, deren Gattung wir durch unsere eigne Erfahrung kennen. Die wirkliche vor uns liegende Welt ist es, aus der alle unsre Ideen geschöpft, auf die alle unsre Neigungen gerichtet sind.9

Daran anschließend: »Aus dieser Regel folgt, 2) daß uns nichts mehr interessiren kann, als Schilderungen des Menschen, seiner Sitten und seiner Vorfälle.«10 Damit wiederum erweitert Garve den baumgartenschen Versuch, die Ästhetik der Objekte gänzlich unabhängig von der Beschaffenheit des Subjekts und der Subjekt-ObjektBeziehung zu thematisieren, um eine entsprechende Konzeption der Beschaffen-

|| 7 Christian Garve: Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller. In: GW V, S. 108. 8 Ebd., S. 109. 9 Christian Garve: Einige Gedanken über das Interessierende. In: GW V, S. 210–371, hier S. 229. 10 Ebd., S. 233.

292 | Ansgar Lyssy

heiten des Menschen zu entwerfen: Der Mensch wird so anstelle des Subjektes das Zentrum aller ästhetischen Referenz und der Maßstab, an dem die Bewertung der Dinge zu orientieren ist. Kurz gesagt, da der Mensch sich nun aber selbst am nächsten ist, ist er auch für sich selbst am interessantesten. Neu ist hierbei auch die Ausdehnung des Interesses über das individuelle Subjekt hinaus: Durch relevante Ähnlichkeiten sind uns andere Menschen ähnlicher, damit relevanter und interessanter als andere Dinge. Der durch das Interessierende aufgezeigte Maßstab gilt damit nicht nur für das Individuum, sondern auch für bestimmte Gruppen, die durch die Ähnlichkeiten der Individuen zueinander gekennzeichnet sind. Kulturelle Differenzen jedoch können diese Selbstvertrautheit aufbrechen und den ästhetischen Genuss verringern. Garve schreibt: In der Tat, wir kennen nur diejenige Lebensart, diejenige Verfassung der Menschen recht, die auch zugleich unsere eigene ist. Alle übrigen Zustände des menschlichen Geschlechts erklären wir uns immer nur durch die Vergleichungen, die wir zwischen denselben und dem gegenwärtigen anstellen.11

Andere Menschen finden wir interessant, weil und insofern wir uns in ihnen wiedererkennen. Kulturelle Fremdheit kann diese Form des ›ausgedehnten Selbstinteresses‹ vermindern und zu Desinteresse führen. Für die moralischen und politischen Konsequenzen solcher Ideen scheint sich Garve jedoch nicht interessiert zu haben.

3 Wissen um den Einzelfall Die empirische Erfahrung von bloßen Sachverhalten ist dabei nicht immer von der ästhetischen Erfahrung unterschieden, zumindest nicht in Bezug auf ihren wissensbegründenden Status hin, und demnach ist es nicht verwunderlich, dass Wissensgehalte sowohl in der ästhetischen Erfahrung als auch in der Erfahrung der Natur begründet sein können. So kann etwa die durch Literatur kommunizierte Vorstellung von Einzelschicksalen eine Grundlage für spezifische gruppenbezogene Wissensgehalte sein, ebenso wie die direkte Apperzeption abstrakter Strukturen, die im Reflektieren über soziale Sachverhalte aufgedeckt werden. Das Wissen um den einzelnen Menschen ist durch zweierlei Faktoren geprägt: Durch die universellen Gemeinsamkeiten der biologischen Gattung, die jedoch abstrakt und damit uninteressant ist; und durch die kontingenten, aber konkreten Faktoren der Tradition, der Sitte und der Kultur. Am einzelnen Menschen können also Sachverhalte aufgezeigt werden, die zwar keinen universellen Anspruch erheben können, aber weitestge-

|| 11 Ebd., S. 237.

Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie | 293

hend auf die Menschen zutreffen, die einem selbst am ähnlichsten sind. So diskutiert Garve ausgiebig Shakespeares Romeo and Juliet: Ich vermehre nun in meinen Gedanken diese Empfindung bis zu der Stärke, die der Leidenschaft der Liebe proportionirt ist, und ich sehe es ein, daß der Dichter das menschliche Herz besser versteht, als der Philosoph; – und daß, so göttlich Plato auch seyn mag, Shackspeare [sic!] doch mehr von der Liebe weiß, als er.12

Durch die reflektierte Potenzierung des Gefühls in der ästhetischen Erfahrung gelangt Garve nun zu dem Schluss, dass darin ein größerer Wahrheitsgehalt gegeben ist als in dem reflektierten Vernunftschluss. Im Gefühl offenbart sich die Wahrheit, weil hierin das Einzelne zur Geltung kommen kann. Garve kommt nach einer Analyse des Dramas zu dem Schluss, dass Romeo und Julia ohne die Liebe unfähig geblieben wären, zu philosophieren:13 Es ist die Liebe, die den Menschen lehrt, zu denken.14 Diese allgemeine Wahrheit zeigt sich gewissermaßen in dem Theaterstück, indem es diese an zwei Individuen darlegt. Die Fremdheit, die zwischen zwei beliebigen Menschen stets besteht, muss dabei kein Nachteil sein – sofern sie nicht allzu groß ist. Meine Introspektion und meine Kenntnis über die geteilte Umwelt erlauben es mir, kraft der Vorstellung (bspw. angeregt durch die Literatur) eine hinreichend fremde Perspektive einzunehmen. Garve schreibt zu Goethes Werther: Aber wenn ich ihm auch nicht in Empfindungen folgen kann, die von einem Temperamente abhangen, das dem meinigen durchaus entgegen ist: so kann ich doch begreifen, wie das in so einer Seele statt gefunden hat, und ich sehe die wahren, mir auch bekannten Eindrücke der Natur, nur mit dem mir fremden Gepräge einer anderen Organisation und anderer Sinne.15

In Einklang dazu schreib Garve an anderer Stelle: Die Natur sagt uns: Wir nehmen an den Leidenschaften, von welchen wir andre bewegt sehen, Theil, entweder wenn wir uns genau in ihre Umstände zu versetzen, und die Wirkung derselben auf die Seele uns vorzustellen wissen; oder wenn wir zwischen diesen Umständen und unsern eignen eine gewisse Verbindung sehen.16

Das Wissen um die äußeren Umstände (die »mir auch bekannten Eindrücke der Natur«) und um die kausalen Mechanismen der Seele (»die Wirkung derselben auf die Seele«) ermöglichen es uns, das Individuelle gewissermaßen kognitiv zu ›entindividualisieren‹, ohne es dabei ins rein abstrakte Universelle zu wenden. Die Betrachtung des Individuums und seines Erlebnisraumes erhalten damit eine Aussa-

|| 12 Christian Garve: Vertraute Briefe an eine Freundin. In: GW XVI.2, S. 132. 13 Ebd., S. 169. 14 Siehe dazu auch van Dusen: Christian Garve (s. Anm. 8), S. 21. 15 Garve: Vertraute Briefe (s. Anm. 12), S. 22. 16 Garve: Ueber das Interessierende (s. Anm. 9), S. 244.

294 | Ansgar Lyssy

gekraft, die sich über dieses eben begrenzte Individuum hinaus erstreckt und die in einer entsprechend systematisierten Aufarbeitung einen Wissensgewinn für jeden Betrachter enthält, sofern dieser hinreichend ähnlich ist. Die Vernunft ist auf das Allgemeine gerichtet und das Gefühl ist vom Besonderen angeregt und dient als motivierender Faktor. Erst das Zusammenspiel beider lässt das Besondere in seiner (mesoskopischen) Bedeutung hervortreten und macht es gegenüber dem Allgemeinen interessanter, weil letzteres entweder gefühllos und damit unmotivierend ist – oder aber gar nicht auf das Einzelne anwendbar. Wir neigen schon aufgrund der Architektonik der Fakultäten unseres Geistes hin zum Interesse am Individuellen: Das Individuelle, das Besondere, ist an und für sich, wenn das Übrige gleich ist, allemal interessanter als das Allgemeine. Denn eben weil jenes durch die Sinne und die Einbildungskraft, bei denen wir uns leidend verhalten, dieses durch den Verstand erkannt wird, bei welchem wir selbst tätig sein müssen: so ist die Aufmerksamkeit bei jenem immer weniger vorsätzlich und weniger mühsam als bei diesem, und dies war eben das Kennzeichen des Interessierenden.17

Dabei ist auch klar, dass das Individuelle eben nicht in apriorischer Betrachtung erschlossen werden kann: Die Menschen werden nehmlich in ihren Entschlüssen durch das Eigenthümliche ihrer Denkungsart, ihrer Leidenschaften und ihrer Charaktere bestimmt. Diese individuellen Unterschiede sind so fein, als daß sie sich mit Worten deutlich ausdrücken, und zu mannigfaltig, als daß sie sich im Allgemeinen aufzählen ließen. Man muss als Augenzeuge bey den Handlungen und Reden, durch welche sich die Beschaffenheit ihres Geistes verräth, gegenwärtig seyn.18

Dies alles scheint mir für die Vorgeschichte und die Theoriebildung der Fallstudie in diesem historischen Zusammenhang konstitutiv zu sein. Eine solche Studie des Einzelnen in seinem Kontext erhebt zwar keinen Begründungsanspruch auf universelle Wahrheit, kann aber wohl zur allgemeinen Theoriebildung beitragen und für die konkrete Praxis nützlich sein. Unter diesem Gesichtspunkt sollen nun einige allgemeine Betrachtungen zu Garves Text Über den Charakter der Bauern (1796) angestellt werden. Da die Fallstudie als sozialwissenschaftliche Methodologie noch nicht konzipiert, geschweige denn etabliert war, kann es sich damit auch nicht um einen Beitrag zur Geschichte der Fallstudie handeln, wohl aber zur Vorgeschichte derselben.

|| 17 Ebd., S. 303. 18 Christian Garve: Ueber Einsamkeit und Gesellschaft. In: GW II, S. 12.

Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie | 295

4 Einige Bemerkungen zur Vorgeschichte der Fallstudie In der Aufklärungszeit wird der Begriff des Menschen verstärkt diskutiert. Dies ist sicher durch eine Ausdehnung des philosophischen Horizontes durch Medizin, Anthropologie, Ethnologie und Historiographie außereuropäischer Kulturen bedingt, ebenso durch eine Abwertung der vormaligen theologischen Erklärungsmuster, in denen der Mensch als imago Dei nicht in Bezug auf seine konkreten, empirisch beobachtbaren Besonderheiten, sondern in Bezug auf seinen Ursprung in der Schöpfung verstanden wurde. Auch stellt man fest, dass eine Reduktion des Menschen auf seine Rationalität, wie sie im Schlagwort des animal rationale gegeben ist, eher in die Irre führt, da die Rationalität dem Menschen gerade nicht naturgegeben ist, sondern erst in entsprechenden Gesellschaften kultiviert werden muss. Der Mensch, der Ursprung des Menschen, die mögliche Zukunft des Menschen und die Bedingungen einer humanen Lebensform werden in einem zunehmend säkular ausgerichteten Kontext neu verortet. Die Erforschung des Menschen und des Menschlichen unterliegt dabei jedoch anderen wissenschaftlichen Kriterien und soll einen anderen Nutzen erfüllen als die kausal-nomologische Erforschung der Naturgesetzlichkeiten oder die bloß taxonomische Beschreibung der Tiere. Es bilden sich Einzelwissenschaften heraus, die ihre eigenen pragmatischen und methodisch spezifizierten Perspektiven ins Feld führen und die mal mehr, mal weniger in Dialog miteinander stehen. Kurz, die Entzauberung der Welt geht mit einer Fragmentierung der Perspektiven auf den Menschen einher. Medizin, Physiologie, Theologie, physische Geographie, empirische Psychologie und rationale Psychologie (i. e. ›Seelenlehre‹) – sie alle geben Aufschluss über bestimmte Besonderheiten des Menschen gegenüber dem Rest der Natur, ohne doch eine einheitliche Interpretation anzubieten, wie diese Besonderheiten zusammenhängend erklärt werden können. Dies wiederum steht im Einklang mit einem zunehmenden Bewusstsein für soziale Stratifizierung. Die Ständegesellschaft wird im intellektuellen und politischen Diskurs problematisiert und die Aufklärer insistieren, dass der Mensch als Mensch anders zu beschreiben ist und anderen normativen Verpflichtungen unterliegt als der Mensch als Bürger – Hobbes und Rousseau können hier als zwei Eckpunkte eines komplexen Diskursfeldes dienen. Doch die verschiedenen Bürger genießen offenkundig unterschiedliche Privilegien und Pflichten und mit ihnen gehen unterschiedliche Verhaltensweisen einher. Solche Standesaspekte werden oftmals gerade in der Literatur thematisiert – man denke hier an Schillers Kritik an der Korruption des Adels oder Fieldings Darstellung sozialer Härte. Im öffentlichen Forum bilden sich einzelne Medien heraus, die genau diese soziale Stratifikation und die lokalen und schichtspezifischen Besonderheiten zu politischer Geltung bringen sollen. Dazu gehören auch die Schlesischen Provinzialblätter, für die auch Garve schreibt. Die

296 | Ansgar Lyssy

Herausgeber der Zeitschrift artikulieren ihr Erkenntnisinteresse gerade in Bezug auf den Zwiespalt zwischen Allgemeinem und Besonderem: Natürlich ist alles, was allgemein belehrend ist, auch für Schlesien belehrend. Es werden also Abhandlungen der Art ihre Stelle finden. Dem Zweck der Monatsschrift gemäß aber werden vorzüglich Aufsätze gewünscht, die auch das Bedürfnis Schlesiens, auf seinem Grad der Kultur, Moralität, der Aufklärung, auf seine Vorurteile usw. stete Rücksicht nehmen.19

Dies geht auch einher mit Garves Bekenntnis zum Besonderen. In seiner Schrift Über den Charakter der Bauern (1796), die im Folgenden diskutiert werden soll und die eben in diesen Schlesischen Provinzialblättern erscheint, lehnt er die Betrachtung des Nationalcharakters ab, weil dieser zu allgemein ist.20 Er widmet sich stattdessen den lokalen Besonderheiten Schlesiens, etwa in Hinsicht auf seine ständische Struktur oder in historischer Hinsicht, wozu er einen anderen Text namens Über die Lage Schlesiens in verschiedenen Zeitpunkten (1788) verfasst.21 Garves Interesse ist klar auf die ständisch strukturierte Gesellschaft ausgerichtet und auf die damit zusammenhängende Mentalität, den Charakter und die Sitten der Bauern. Er strebt eine pragmatisch abgesicherte Moralphilosophie an und beachtet die Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärung auf dem Lande – Werte sollten nicht nur abstrakt hergeleitet werden, sondern ihre Anwendung muss gesichert sein. Dahingehend unterscheidet sich diese Betrachtung von vielen ethnographischen Beschreibungen der außereuropäischen Völker und ihrer Sitten. Heutzutage würde man Garves Abhandlung über die Bauern vielleicht am ehesten als eine Milieustudie bezeichnen, aber die zentralen Merkmale einer Fallstudie sind auch hier gegeben: Erklärungen, die sich an einem holistisch erfassten Kontext orientieren; die Identifizierung und Benennung von Variablen, die die Ausprägungen des Untersuchungsgegenstandes bestimmen; und schließlich die Kontrastierung der Beobachtung mit allgemeineren Hypothesen, die mit Hilfe dieser Studie ausgewertet und diskutiert werden. Die Bauern sind, so Garve, durch ihre körperliche Arbeit und ihren Interessenskonflikt mit dem Gutsherrn gekennzeichnet. Die dadurch resultierenden Charaktere und Mentalitäten erzeugen einen Widerstand gegen von außen angelegte Reformen und Innovationen sowie gegen neue und abstrakte Vorstellungen insgesamt. Die Bauern sind schon durch ihre Arbeit selbst davon abgehalten, anspruchsvollen geistigen Tätigkeiten zu folgen, die ihren eigenen Vernunftdispositionen eher Rechnung tragen würden. Die Erfahrung, aus der allein der Bauer sein Wissen schöpft, || 19 Schlesische Provinizialblätter 1 (1785), 1 Stück, Umschlagseite; zitiert nach Leonie KochSchwarzer: Populare Moralphilosophie und Volkskunde. Christian Garve (1742–1798). Reflexionen zur Fachgeschichte. Marburg 1998, S. 244. 20 Christian Garve: Ueber den Charakter der Bauern und ihr Verhältnis gegen die Gutsherren und die Regierung. In: GW IV, S. 1–228, hier S. 3. 21 Christian Garve: Ueber die Lage Schlesiens in verschiedenen Zeitpunkten, und über die Vorzüge einer Hauptstadt vor Provincialstädten. In: GW IV, S. 229–262.

Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie | 297

erweist sich dabei als zweischneidiges Schwert: Sie liefert zwar das Wissen und die Methoden, die den Umständen am angemessensten sind, aber die Erfahrung selbst wird auch schnell zu einer reformfeindlichen Gewohnheit, die sich gegen neue Erfahrungen wehrt. Der Bauer hat weder ein Interesse noch die Fähigkeit, allgemeine Gründe zu durchdenken. Das Erfahrungswissen der Bauern ist als praktisches Arbeitswissen gekennzeichnet. Dadurch sind die Begriffe der Bauern zwar eingeschränkt, aber dennoch wahrhaft und nützlich. Die Bauern verfügen über einen gesunden Menschenverstand oder ›Bonsens‹. Praxisferne Theorie ist dabei nichts anderes als falsche Gelehrsamkeit der Intellektuellen. Gemäß diesem Antiintellektualismus strebt der Bauer schon aufgrund seiner sozialen Position nicht zum ›allgemeinen Besten‹ hin. Dies stellt ein Problem für das Projekt der Volksaufklärung dar und offenbart die moralische Dimension dieses Projektes.22 Der Bauer kann, dies wird dem Leser indirekt nahegelegt, gar nicht wirklich moralisch sein – zumindest nicht in dem Maße, wie dies die LehnstuhlPhilosophen fordern; eine entsprechende Einforderung streng moralischen Verhaltens würde schlichtweg an der Lebensrealität der Bauern vorbeigehen. Die Reformfeindlichkeit der Bauern, gepaart mit der sozialen Abhängigkeit vom Gutsherren und dem Mangel an Übung in denjenigen abstrakten kognitiven Prozessen, die für die Sozialkritik notwendig sind, führt zu einer Zementierung der sozialen Position der Bauern: Realität und Ideologie der Ständegesellschaft unterminieren das Selbstdenken, obwohl ohne ein solches Selbstdenken keine Reform möglich ist. Solcherart strukturelle Überlegungen werden mit spezifischeren Betrachtungen kontrastiert, in denen Garve einzelne, nur a posteriori einsichtige Variabeln identifiziert, durch die das Verhalten der Menschen bestimmt ist. Diese Differenz wird explizit thematisiert: Die bisher genannten Charakterzüge der Bauern waren aus dem Eigenthümlichen ihrer Lage gleichsam a priori zu schließen; andere werden am besten a posteriori erkannt, wenn man theils ihre äußren Sitten und ihre Handlungsweisen beobachtet, theils auf die Meinungen Acht

|| 22 Vgl. dazu auch Garves Antwort auf Campes Preisfrage, wie die Erziehung den jeweiligen Ständen entsprechen müsse: »Jeder Stand hat ohne Zweifel seine eigene Moral: und vielleicht ist hier ein Feld für den philosophischen Beobachter, auf welchem nach der Erndte andrer noch eine ziemlich reiche Nachlese zu halten übrig ist. Es ist höchst lehrreich, die verschiedenen Lagen, in welchem sich die Menschen finden, zu untersuchen und zu bemerken, wie in jeder eigne Tugenden eigne Laster aus dem großen Vorrathe menschlicher Anlagen sich entwickeln. Demohnerachtet, wenn diese Philosophie über die durch Stand und Lebensart modificierte Natur des Menschen auf die Erziehung zu jedem dieser Ständer praktisch angewandt werden sollte, so würden sich beträchtliche Schwierigkeiten vorfinden, wenn vieles wurde wieder in einander fallen, was man zuvor eine Theorie abgesondert hatte.« Christian Garve: Ueber die vom Herrn Rath Campe im Hamburgischen Correspondenten bekanntgemachte Preisfrage. In: Schlesische Provinzialblätter 6 (1787), S. 202.

298 | Ansgar Lyssy

giebt, welche in der Welt von ihnen herrschen, und dann zurückgeht, um von jenen die Gründe, von diesen die Veranlassung aufzusuchen.23

Diese empirische Beobachtung der Charakterzüge der Bauern ist, nach heutigen Maßstäben, methodisch unzureichend entwickelt. Garve hat keine belastbaren Daten erhoben und er weist auch keine Quellen aus. In dem über 200 Seiten langen Text verweist er ein einziges Mal auf eigene, nicht näher benannte Erfahrungen und ein weiteres Mal auf nicht näher benannte Untersuchungen zu Bauernprozessen. Seine Bezugspunkte sind vielmehr persönliche Gespräche – dies wird aus einem Bericht über Garves Kontakte zu den Bauern von seinem Freund Siegismund Gottfried Dittmar deutlich: Sehr oft sind aber Talente und Kenntnisse mit Unstätigkeit und Ehrgeiz verbunden, und Menschen von solchen Eigenschaften können nie das Landleben mit wahrem Nutzen genießen. Man erzählte mir, dass Garve öfters des Abends in den Dorfe Scheidelwiz nachdenkend auf und ab spazieren gegangen wäre, und da er zuweilen an einem gewissen Baume stehen geblieben, und nach einem Bauerhause unverwandt hingesehen habe; so hätten sich endlich die Bauern versammelt, und ihn als einen Menschen betrachtet, mit dessen Verstande oder Willen es nicht recht stehen müsse. Sie hätten deswegen auch wirklich an einem Abende eine Gesandschaft an ihn geschickt, und fragen lassen: Wer er denn wäre? und warum er so beständig nach dem Bauerhause sähe? Ob ihm jemand etwas zu Leide gethan habe, oder ob er vielleicht sonst etwas Böses im Sinne hätte? – Garve versicherte die Fragenden, daß sie durchaus nichts von ihm zu befürchten hätten, er freue sich vielmehr durch diesen bösen Schein Gelegenheit zu ihrer Bekanntschaft erhalten zu haben. Darauf ließ er sich die Besitzer der Bauergüter nennen, fragte nach dem Ertrag ihres Feldes und ihrer Viehzucht, nach den jährlichen Zinsen, nach den Hofediensten und dem Absatz ihrer Producte. Durch diese Unterhaltung gewann er ihre Liebe – und er wurde nun um so freundlicher von jedem, der ihm auf seinen Promenaden begegnete gegrüßt.24

Hier zeigt sich ein eher loser Realitätsbezug, der sich auf Selbstauskünfte stützt und die eigenen Vorurteile (sowohl von Garve als auch den Bauern selbst) nicht kritisch hinterfragt. Dies rückt Garves Text in die Nähe zu den Anthropogeographien von Montesquieu, Iselin und Herder, die die Ausbildung verschiedener menschlicher Befindlichkeiten am Klima und an der Geographie orientieren, nur dass die Umwelteinflüsse hier durch Überlegungen zu sozialer Konditionierung ersetzt werden und mit einer entsprechenden, oben skizzierten, empiristischen Epistemologie ergänzt werden. Garve benennt dafür die sozialen Variablen, in denen sein Untersuchungsgegenstand situiert ist: Er diskutiert verschiedene Arten von Misstrauen, das gegenüber sozialen Institutionen gehegt wird, verschiedene Arten von Haltungen gegenüber Fremden und verschiedene Reaktionen auf die jeweiligen Aktionen der Gutsherrn. Ebenso reflektiert er auf die wechselseitig bezugnehmende Dynamik

|| 23 Christian Garve: Ueber den Charakter der Bauern (s. Anm. 20), S. 24. 24 Siegismund Gottfried Dittmar: Erinnerungen aus meinem Umgang mit Garve. Berlin 1801, S. 58f.

Christian Garve und die philosophische Vorgeschichte der Fallstudie | 299

zwischen Bauern und Gutsherrn und die Faktoren, die diesen Konflikt strukturell stets mitbestimmen. In all diesen Punkten rückt er von der allgemeineren Herangehensweisen der Menschheitsgeschichte ab und auch von den Kausalzusammenhängen, die in der physischen Geographie eine Rolle spielen. Der Mensch wird nicht mehr auf die Totalität eines Volkes bezogen, dem ein gewisser Charakter innewohnt, sondern auf sein soziales Milieu, in dem das Individuum noch ein bedeutsamer Handlungsträger sein kann. Man könnte fast schon sagen, dass Garve hier aufzeigt, wie das gesellschaftliche Sein eines bestimmten Standes dessen Bewusstsein bestimmt und in bestimmten politischen Konstellationen eben zu spezifischen Verhaltensweisen anregt. Dieses geschieht vor allem unter dem Auspiz des Projektes der Aufklärung, vor allem der Volksaufklärung: Am Ende des Textes diskutiert Garve die Möglichkeiten und Grenzen derselben und rät dazu, Prediger einzusetzen, die zwischen Schulphilosophie und angewandter Alltagspraxis moderieren können und die kraft ihrer moralischen Autorität und ihrem Appell ans Gefühl den Bauern eher beeinflussen können, als dies ein bloß politisch motivierter Adliger oder ein verkopfter Intellektueller könnte.

5 Schluss Es ist klar, dass der deutsche Empirismus sich in einem Spannungsfeld entwickelt, das in ganz unterschiedlichen Disziplinen ausgeprägt ist: Etwa in der (z. T. auch literarisch betriebenen) Anthropologie (Blumenbach, Meiners, Moritz, Garve, Herder, Forster, z. T. auch Kant), in der Theorie und Praxis der Medizin (Basedow, Platner), in der Epistemologie (Feder, Tetens) und auch in der Theorie und Praxis der Politik (Friedrich II.). Die Frage, warum der Empirismus sich aber in Deutschland kaum durchgesetzt hat und man eher von einer Verhinderungsgeschichte25 denn von einer Geschichte des Empirismus in Deutschland sprechen kann, wurde bislang auf zwei Weisen beantwortet: Entweder man verweist auf das »Zerbersten des methodischen Eklektizismus unter dem Druck der Transzendentalphilosophie«26 oder auf den politischen Druck, den die Anhänger Kants auf ihre Gegner ausgeübt haben.27 Vielleicht aber kann man, mit Hinblick auf die obigen Überlegungen, eine dritte Alternative anbieten: Empiristisch geprägte Diskurse haben sich vor allem in die empirischen Wissenschaften verlagert, in denen die Deduktion universeller Prinzipien eine untergeordnete Rolle spielt. Garves empiristisch geprägte Sozialstudie über die Bauern wurde nicht mehr als Philosophie wahrgenommen, auch wenn || 25 Kurt Röttgers: J. G. H. Feder. Beitrag zu einer Verhinderungsgeschichte eines deutschen Empirismus. In: Kant-Studien 75 (1984), S. 420–441. 26 Wilhelm Schmidt-Biggemann: Theodizee und Tatsachen. Frankfurt a. M. 1988, S. 215. 27 Siehe Röttgers: Feder (s. Anm. 25).

300 | Ansgar Lyssy

sie mehrere Folgestudien angeregt hatte; und als sich dann um ca. 1850 die Volkskunde als akademische Disziplin gänzlich etabliert hatte, wurde Garve als Vorgänger und Grundleger der Volkskunde wahrgenommen.28

|| 28 Siehe dazu Koch-Schwarzer: Populare Moralphilosophie (s. Anm. 19).

Hans-Peter Nowitzki

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig«1 Garves Geselligkeitskonzept in Ueber Gesellschaft und Einsamkeit Garves Fragment gebliebener Essay Ueber Gesellschaft und Einsamkeit hat eine verwickelte, zu großen Teilen im Dunkeln liegende, problematische Entstehungsgeschichte, die etwas aufzuhellen dem ersten der folgenden Abschnitte aufgegeben ist. Der zweite widmet sich der geistesgeschichtlichen Kontextualisierung von Garves Essay, insbesondere im Rückgriff auf Johann Georg Zimmermanns ›Einsamkeits‹-Traktate (1756, 1773, 1784/85), und behandelt Gemeinsamkeiten und Unterschiede anhand gesichteter Materialien im Breslauer Garve-Nachlass. Im dritten Abschnitt wird Garves sozio-anthropologische Herleitung der ›Geselligkeit‹ thematisiert und im vierten seine Konzeption einer die Ständegesellschaft transzendierende Vergesellschaftungsform behandelt.

1 Christian Garves zweibändige Studie Ueber Gesellschaft und Einsamkeit erschien 1797 und 1800 in dem Breslauer Verlag Wilhelm Gottlieb Korn, der seit 1790 von dessen Sohn Johann Gottlieb geführt wurde. Sie erschien als Einzelausgabe und parallel dazu als Dritter und Vierter Theil vom selben Satz mit veränderter Bogennorm der im gleichen Verlag publizierten Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben (1792–1802). Dediziert ist das Werk seinem väterlichen Freund, dem Berliner Konsistorialrat Johann Joachim Spalding, um damit »ein öffentliches Denkmahl unsrer Freundschaft zu stiften«,2 wie es in der Zueignung heißt. Der dem ersten Band der Einzelausgabe vorgebundene Porträtkupferstich en medaillon wurde 1798 von Johann Heinrich Lips nach einem nicht erhaltenen Gemälde Anton Graffs gefertigt3 und zusammen mit

|| 1 Uibersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsre Zeiten. Von Christian Garve. Breßlau 1801, S. 145–153: Beurtheilung des Puffendorfischen Princips, hier S. 151 (GGW VIII). Vgl. Abhandlung über den Ursprung der Sprache, welche den von der Königl. Academie der Wissenschaften für das Jahr 1770 gesezten Preis erhalten hat. Von Herrn Herder. Auf Befehl der Academie herausgegeben. | Vocabula sunt notae rerum. Cic. | Berlin 1772, S. 3, wo es heißt: »Schon als Thier, hat der Mensch Sprache.« 2 Ueber Gesellschaft und Einsamkeit von Christian Garve. Erster Band. Breßlau 1797 bei Wilhelm Gottlieb Korn (GGW II), unpag. [S. VII]. 3 Joachim Kruse: Johann Heinrich Lips 1758–1817. Ein Züricher Kupferstecher zwischen Lavater und Goethe. Coburg 1989, S. 58. https://doi.org/10.1515/9783110647747-015

302 | Hans-Peter Nowitzki

dem 1800 erschienenen zweiten Band gedruckt und ausgeliefert. Im Exemplar des Wieland-Forschungszentrums Oßmannstedt,4 das nur sehr zurückhaltend beschnitten ist, hat sich die auf dem Titelbogen gedruckte Anweisung für den Buchbinder erhalten: »Beyliegendes Portrait gehört zum ersten Theil der Einsamkeit.« Der Buchbinder sollte es also dem Titelblatt des vor zwei Jahren erschienenen ersten Bandes vorsetzen, was allerdings nur dann möglich war, wenn die Besitzer den ersten Band nicht schon hatten binden lassen. War er aber schon gebunden worden, dann fand das Porträt seinen Platz vor dem Titelblatt des zweiten Bandes oder wurde kurzerhand kassiert. Dem Widmungsempfänger des Werkes, Johann Joachim Spalding, lobt der Autor nach, dass dieser es vermocht habe, beide anthropologischen Seinsweisen, die der Gesellschaft wie die der Einsamkeit, kennengelernt und entsprechend zu nutzen gewusst zu haben. Ruhiger Selbstgenuss und Liebe zum Studium und Nachdenken hätten ihn häufig den Rückzug ins Kabinett wählen, der Drang, anderen zu helfen und nützlich zu sein, hingegen den geselligen Umgang suchen lassen.5 Zugleich bittet er um Nachsicht: Labiler Gesundheitszustand und die Notwendigkeit, große Teile des Bandes nicht selbst schreiben, sondern diktieren zu müssen, hätten dem Werk stilistische Unebenheiten gegeben, ist doch »der Stil jedes Menschen sehr verschieden [...], wenn er selbst schreibt und wenn er sich einer fremden Hand bedien[e].« 6 Sollte man ihm überdies Weitschweifigkeit zur Last legen, bitte er mit Blaise Pascal (in der Nachschrift zum 16. der Lettres provinciales vom 4. Dezember 1656) um Nachsicht: Er hätte nicht die Zeit gehabt, kürzer zu sein.7 Zu guter Letzt verspricht er, nicht ohne auf die Unwägbarkeiten hinzuweisen – sei er doch schon seines Augenlichts »so gut als beraubt«8 – künftigen Winter, also 1797/98, auch den zweiten Teil des Buches zu überarbeiten und zur Publikationsreife zu bringen. Das schrieb er am 21. September 1797. Ein Jahr darauf, am 1. Dezember 1798, 3 Uhr morgens, verstarb Garve 56jährig im preußischen Breslau an einer »ihn seit vielen Jahren [...] begleitende[n] Schwäche und Kränklichkeit, die zuletzt in höchst schmerz-

|| 4 Das Exemplar des Wieland-Forschungszentrums Oßmannstedt entstammt ursprünglich der Bibliothek der Franziska Theresia Reichsgräfin von Hohenheim, Herzogin von Württemberg (1748– 1811). 5 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit 1 (s. Anm. 2), Bd. 1, S. Vff. 6 Ebd., S. VIII. 7 Ebd., S. IX. Vgl. Les Provinciales. La suite des Provinciales. In: Blaise Pascal: Œuvres complètes. Texte établi, présenté et annoté par Jacques Chevalier. Paris 1995, S. 657–945, Seizième Lettre, S. 846–865, hier S. 865: »Je n’ai fait celle-ci plus longue que parce que je n’ai pas eu le loisir de la faire plus courte.« Das Bonmot findet sich bereits in Jean-Louis Guez de Balzacs Socrate chrétien (in: Les Œuvres de Monsievr de Balzac[.] Tome second. A Paris, Chez Lovis Billaine, dans la grand’ Salle du Palais, à la Palme, & au Grand Cesar. M.DC.LXV. Avec Privilege dv Roy, S. 245). 8 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit (s. Anm. 2), Bd. 1, S. XI.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 303

hafte und lang daurende Leiden ausbrach«.9 Der zweite Band von Ueber Gesellschaft und Einsamkeit erschien posthum im Frühjahr 1800, bevorwortet von Johann Caspar Friedrich Manso10 und Karl Heinrich Gottlieb Schneider,11 den Herausgebern des Vierten und Fünften Theils der ersten und der kompletten zweiten Auflage der Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben (1792–180212). Im Vorwort beschreiben Manso und Schneider, die Garves nachgelassene Papiere zum zweiten Band von Ueber Gesellschaft und Einsamkeit bekommen haben, die editorische Situation wie folgt: Mit dem präsentierten Band, der selbstredend ein Fragment ist, würden sie nicht nur Fragmentarisches liefern, sondern zugleich das andere Fragment, nämlich den ersten Band, ergänzen. Dieser Umstand überhebe sie gewissermaßen einer Rechtfertigung der Herausgabe des fragmentarischen zweiten Bandes. Dennoch nehmen sie die Gelegenheit wahr, den Leser über die gewiß »nicht unwichtig[e]« »Geschichte des Buches« zu unterrichten: Danach lag ihnen »eine beynah vollständige doppelte Bearbeitung des hier gelieferten Werkes vor, – eine kürzere, die Garve in bessern Tagen selbst niedergeschrieben, und eine ausführlichere, die er in dem letzten Jahre seines Lebens [also 1798] in die Feder dictirt« habe.13 Ganz offensichtlich handelt es sich hierbei um die in der Widmungsvorrede vom September 1797 erwähnte Sammlung der »meisten Ideen zu demselben« und ihre damals angekündigte »letzte Überarbeitung«.14 Die Sammlung und ihre Überarbeitung waren ungeordnet, ein Problem, das die beiden Herausgeber aber zu ›meistern‹ verstanden: »Da wir uns oft und umständlich mit ihm über das Ganze und dessen Anlage und Verbindung unterhalten hatten, so

|| 9 Anonymus: [Nekrolog] Garve. In: Berlinische Monatsschrift 17.1 (1799), S. 73–80, hier S. 73f. »Garve litt nicht bloß an Schwäche und Kränklichkeit überhaupt, sondern auch Jahrelang an einem krebsartigen Übel, welches sich an der einen Backe erzeugte, und nach und nach die edelsten Theile des Gesichts, selbst das Auge verzehrte« (ebd., S. 77). Deshalb wohl wurde Garve von Graff im Profil geboten, was an die Entstehung des Bildnisses des einäugigen griechischen Königs Antigonos I. Monophthalmos erinnert (Plin. nat. 35, 90. Strab. geogr. 14, 657). 10 Johann Caspar Friedrich Manso (1759–1826), Historiker, Philologe und Pädagoge, stand seit 1793 dem Breslauer Maria Magdalenen-Gymnasium (Magdalenaeum) vor. 11 Karl Heinrich Gottlieb Schneider (1766–1804), Rektor der Heiligen Geist-Schule in der Breslauer Neustadt. 12 21801–1802. 31801. 41801–1804. 51819–1821. Die in Wien – und nicht, wie auf dem Titelblatt angegeben, in Breslau – veranstalteten Raubdrucke von Christian Garve’s sämtlichen Werken, der Versuche und der Vermischten Aufsätze sind daran erkennbar, dass sie, wie die Herausgeber Schneider und Manso in der Vorrede schreiben, »auf schlechterm Papier und mit stumpferer Schrift« gedruckt, mit »einige[n] schlecht erfundne[n] allegorische[n] Kupfer[n]« getrüffelt sind und auf dem Titelblatt keine Verlagsangabe mitführen (Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben von Christian Garve. Fünfter Theil. Breslau, 1802. bey Wilhelm Gottlieb Korn, S. III–VIII, hier S. VIIff.). 13 Ueber Gesellschaft und Einsamkeit von Christian Garve. Zweyter Band. Breslau 1800 bei Wilhelm Gottlieb Korn (GGW II), S. IV. 14 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit (s. Anm. 2), Bd. 1, S. XI.

304 | Hans-Peter Nowitzki

ward es uns leicht, die einzelnen Theile desselben zu ordnen.«15 Die Anordnung des Materials und die sich daraus nicht selten ergebenden formalen Inkohärenzen und Inkonsistenzen wird man also nicht stets Garve anzulasten haben. Problematisch ist darüber hinaus der Umgang der beiden Herausgeber mit den beiden Fassungen: »Wir haben«, schreiben sie, »nach unsern besten Einsichten geprüft und entschieden; und ungeachtet wir der spätern Überarbeitung, als der reichhaltigern, meistens gefolgt sind, so haben wir doch zuweilen der frühern Darstellung, als der kräftigern und lebendigern, den Vorrang zuerkannt«. Das bedeutet, dass der zweite Band eine Mischfassung bietet: Die zweite Fassung wurde mit Partien der ersten kontaminiert, und zwar aus stilistischen Gründen. Angesichts dessen ist es dann doch nur ein schwacher Trost, wenn Manso und Schneider versichern, sie hätten sich in den »Ideen selbst [...] keine Veränderung oder Umbildung erlaubt«, obgleich sie zuweilen schon einmal, freilich »überall mit Vorsicht«, dem »Ausdrucke« aufgeholfen und ihm »mehr Bestimmtheit und Ründe« gegeben hätten.16 Zurückhaltung und Nachsicht mit dem Autor haben sie vor allem immer dort gewahrt, wo »die eigenthümliche Farbe des Styls« oder Kürze und Nachdruck darunter gelitten hätten. Dennoch hätten sich manche Unebenheiten der Manuskripte nicht tilgen lassen, denn die zweite Fassung warte mit umfänglichen Überarbeitungen erst um die Mitte der Handschrift auf. So nimmt sich der der Geschichte des Anstandes gewidmete dritte Abschnitt im Vergleich zu dem vierten unverhältnismäßig kurz aus. Auch zwei Lücken, vermutlich wohl in der Rubrik ›Arten der Einsamkeit‹, seien zu beklagen, die ›Einsamkeit des Kranken‹ und die ›des Reisenden‹. Diese wird man den zufälligen Arten der Einsamkeit zuschlagen, jene den vorsätzlichen. »Über die erste, die Garve am vorletzten Tage seines Lebens auszuführen versuchte, waren mehr nicht, als fünf oder sechs unzusammenhängende Zeilen, und über die letztere gar nichts vorhanden.«17 Christian Garves »Großessay«, wie ihn Altmayer einmal nennt, der »gelegentlich auch etwas weitschweifig« daherkomme,18 macht es dem Leser nicht gerade einfach. Ueber Gesellschaft und Einsamkeit gibt sich unschwer als eine dem offenen und subjektiv geprägten Prosagenre zuzurechnende Arbeit zu erkennen, die jedwede Anmutung an die überkommene philosophische Traktatform zu vermeiden sucht. Nur zwingt sie gleichsam zur Gesamtlektüre, indem sie eine Art topographische Handreichung vermissen lässt, sieht man einmal von der dem zweiten Band mitgegebenen »Übersicht des Ganzen« (S. 369–374) ab, die sich aber den posthumen Herausgebern verdankt. Unaufgeführt bleiben darin die beiden Vorreden sowie

|| 15 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit (s. Anm. 13), Bd. 2, S. IVff. 16 Ebd., S. Vff. 17 Ebd., S. VII (Hvhg. im Original). 18 Claus Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. St. Ingbert 1992, S. 279.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 305

das den ersten Band einführende Kapitel »Ueber Gesellschaft und Einsamkeit« (S. 1–4).19 Da der Text, sieht man einmal von den Überschriften unterschiedlicher Hierarchieebenen ab, nur durch eingezogene Absätze mit oder ohne Leerzeile und Stücklinien strukturiert ist, diese Struktur dann aber auch bei weitem nicht vollständig in der »Übersicht des Ganzen« abgebildet wird, steht der Leser vor einem Werk, das als ein Muster popularphilosophischen Schrifttums nicht so recht tauglich zu sein scheint.20 Zweierlei ist denkbar: Das typographische Durcheinander könnte zurückzuführen sein auf einen unprofessionellen Satz, was eher unwahrscheinlich ist. Es könnte aber auch am Manuskript des Autors gelegen haben, oder aber auf die mangelhafte oder gar fehlende Revision der Druckbogen zurückzuführen sein. Nachdenklich stimmt angesichts dieses Befundes die oben schon angeführte Versicherung der Herausgeber Schneider und Manso, sie hätten sich »oft und umständlich« mit Garve »über das Ganze und dessen Anlage und Verbindung unterhalten«, so dass es ihnen ein Leichtes war, »die einzelnen Theile desselben zu ordnen«. Ganz offensichtlich hatten schon die beiden Breslauer Vertrauten Garves Probleme, und zwar allein mit dem ersten Band, den Manso in der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek mit der Bemerkung anzeigte, dass es nicht nur zu weit führen würde, »sondern gewissermaßen unmöglich sey[], den Plan dieser beyden Abschnitte [der im ersten Band gebotenen Abhandlung] auszuziehen, und ihn dem Leser darzulegen, da weder der Gegenstand für eine strenge systematische Ordnung

|| 19 Gleichsam ohne Punkt und Komma fährt der Autor in seinem Text fort: Angegeben werden der betreffende Abschnitt und dessen Abteilungen. D. h. für den ersten Abschnitt, dass der Leser S. 5 die Abschnittsüberschrift und S. 6 den ersten Abteilungstitel genannt bekommt, danach bis S. 92 weiterlesen muß, wo ihm der Titel der zweiten Abteilung angezeigt wird. Auf die Nennung der dritten Abteilung auf S. 140 verzichtet der Autor dann gänzlich; die Markierung mittels Stücklinie muß hier genügen. Und so läuft der Text gleichmäßig weiter, die Unterkapitel (S. 6, S. 34, S. 92, S. 108, S. 155, S. 160, S. 186) sind allein mit Stücklinien markiert. Vielversprechender beginnt dann der zweite Abschnitt: In der der ersten Abteilung vorangehenden »Vorbereitende[n] Betrachtung« (S. 190) wird ein Passus mit einer römischen »I.« begonnen, der sich jedoch keine fortgehende Zählung anschliesst. Vielmehr markiert ein Absatzbeginn nach einer Stücklinie, »Eine zweyte Thatsache« eröffnend, den Anschluss daran (S. 209); gleiches gilt für »Die dritte Erfahrung« (S. 223). Eine nächste Zwischenüberschrift bringt erst wieder der Beginn der »Ersten Abtheilung« (S. 236), gefolgt von der zweiten (S. 262). Ähnliches bietet die »Zweyte Abtheilung«: Sie eröffnet mit Nennung des Themas und läuft bis zur Zwischenüberschrift »Dritte Haupttugend: Mäßigung« fort, die zwei Hierarchieebenen unter ihr angesiedelt ist (S. 368). Auch der die vierte Haupttugend behandelnde Passus bekommt eine Zwischenüberschrift zugewiesen, die beiden anderen bleiben ebenso ausgespart wie die den Abteilungen unmittelbar untergeordneten Kapitel. 20 Vowinckel spricht daher nicht zu Unrecht von einem »verfehlte[n] systematische[n] Ehrgeiz«, zollt der Arbeit Garves aber uneingeschränkten Respekt, weil es diesem gelungen ist, in einer bislang ungekannten Art und Weise eine »umfassende Darstellung gesellschaftlicher Interaktionsformen und ihrer prägenden Wirkung auf Geist und Charakter der beteiligten Menschen« zu präsentieren (Gerhard Vowinckel: Christian Garve und das Ende der Glückseligkeitslehre. In: Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), 2, S. 136–147, hier S. 138).

306 | Hans-Peter Nowitzki

geeignet, noch auch der Verf eine solche zu beobachten bemüht gewesen ist«.21 Nicht nur, dass der mit Garve befreundete Manso glaubt, man könne die vielen feinsinnigen Beobachtungen und Raisonnements Garves überhaupt nicht stringent ordnen und systematisieren, auch der Autor selbst, Garve, scheint die Ansicht geteilt zu haben. Wenn es aber an dem sein sollte, dann wird man guten Grund für die Annahme haben, dass die Stücklinien im »Großessay« schlichtweg die einzelnen Manuskriptteile markieren und die Abhandlung aus einer Vielzahl mehr oder weniger gekonnt verknüpfter Gedankensplitter besteht, so dass es dem Leser aufgegeben ist, daraus rekonstruktiv die systematischen Kernaussagen zu gewinnen. Das scheint auch ein Blick in des Autors Schreibwerkstatt zu bestätigen, den der in der Handschriftenabteilung der Breslauer Universität aufbewahrte handschriftliche Nachlass Garves, darunter 59 Seiten Entwurfshandschriften zu Ueber Gesellschaft und Einsamkeit, erlaubt: »Entwürfe. I. Über Einsamkeit und Gesellschaft.« S. 53–56: »A. einzelne Gedanken« (1. Die Einsamkeit in der Stadt ist von der ländlichen verschieden. 2. Einsamkeit mit Büchern und Schriften. 3. Die Einsamkeit wirkt anders auf die großen Geister, die gewöhnlichen Menschen, auf ganz unfähige oder böse. 4. Einsamkeit gibt Originalität im Denken. 5. Die völlige Einsamkeit macht den Menschen nicht so schüchtern und verlegen, als wenn er in einer einförmigen, kleinen, eingeschränckten und schlechten Gesellschaft lebt. 6. Die Gesellschaft ist vornehmlich dadurch nützlich, daß man selbst lernt, – und daß man sich in Mittheilung seiner Gedanken übt. 7. Einsamkeit des Einsiedlers, des Mönchs. 5. Es geht den Einsamen, wie den Blinden. 6. Der Mensch der bey Gesundheit und ohne Unglücksfälle ganz entschieden die Einsamkeit liebt, und die Menschen flieht ... ) S. 56–111: »B. Plan.« S. 56–89: »I. Einsamkeit und Gesellschaft in Beziehung auf die Bildung des Verstandes« [= I.122] S. 62–68: »A. Der Umgang in Gesellschaften.« [II.4.1.A] Der Umgang in Gesellschaften ist 3fach: der in öffentlichen Häusern und Plätzen; der hofmäßige in Assembléen der familiare Umgang in coterien. S. 69–89: »B. GeschäftsUmgang« [II.4.1.B] (1. kaufmännische Geschäfte. 2. RegierungsGeschäfte. 3. Juristische Geschäfte. 4. Militärische Geschäfte. 5. Die Gesellschaftlichen Geschäfte der Gelehrten, als Kirchen- oder Schullehrers) S. 89–97: »II. Einsamkeit und Gesellschaft in Beziehung auf den Charakter« [= I.2] S. 89–91: Einfluß der Gesellschaft S. 91–97: Einfluß der Einsamkeit (A. Absolute Einsamkeit) S. 97–101: »III. Einsamkeit und Gesellschaft in Beziehung auf die äußern Sitten« [= II.3] S. 101–107: »IV. Verschiedene Arten der Einsamkeit« [= II.4.2] (1. Die Einsamkeit in einer Wüste, auf dem Ocean, kurz die, welche mit Hilflosigkeit verbunden ist, hat etwas erhabenes, fürchterliches. 2. Die Einsamkeit ist entweder gezwungen oder freywillig. A. Gezwungene Einsamkeit. B. Freywillig gewählte Einsamkeit)

|| 21 Hwz [Johann Caspar Friedrich Manso]: Rez. Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben von Christian Garve. Dritter Theil. Breslau, bey Korn. 1797. In: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 45 (1799), 2, S. 320–326, hier S. 320. 22 Vgl. Uebersicht des Ganzen. In: Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit (s. Anm. 13), Bd. 2, S. 369–374. Römische Ziffer = Abschnitt, erste arabische Ziffer = Abteilung.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 307

S. 107–111: »V. Noch einige Allgemeine Anmerckungen« Darüber hinaus hat sich noch ein kurzes Notat (M 1258: S. 6–7: »V. d. Einsamkeit« [= II.5] »Die Einsamkeit ist angenehm, ...«) erhalten.23

Gleichsam unverbunden folgen hier die einzelnen Kapitel und Unterkapitel aufeinander, ein systematischer Ordnungswille lässt sich kaum erkennen.

2 Christian Garves Ueber Gesellschaft und Einsamkeit zeigt bereits im Titel mit seiner konjunktivisch-nebenordnenden Fassung die beiden zu behandelnden Themenfelder an. Der Parataxe ungeachtet erscheint ›Gesellschaft‹ der ›Einsamkeit‹ vorgeordnet. Die vorangestellte Präposition ›Über‹ signalisiert den offenen, unabgeschlossenen Charakter der Abhandlung, auch, dass sie vielleicht nicht unsystematisch, sondern assoziativ-reihend verfährt. Mit der ›Einsamkeit‹ im Titel wird ein gängiges religiöses und philosophisches Themenfeld angesprochen, etwa der Rufer in der Wüste (Mt 3, 3: vox clamantis in deserto), die mystischen Vorstellungen von der ›Einsamkeit‹ als eine Art ›Gnadenstand‹, einer zentralen Voraussetzung der Vereinigung bzw. ›Heirat‹ des Gläubigen mit Gott (unio mystica), die pietistische Hinwendung zur subjektiven Gottessuche und -erfahrung in der inneren Einsamkeit (ohne sich dabei äußerlich von der Gesellschaft zu isolieren, sondern sich zugleich auch auf die kollektive Gottsuche in Konventikeln zu machen). Man mag sich auch an die in der Aufklärung, insbesondere in ihrer empfindsamen Phase, einsetzende Säkularisierung der Einsamkeit erinnert fühlen. Mit einer wahren Publikationsflut stritten die Zeitgenossen um das Für und Wider der ›Einsamkeit‹.24

|| 23 Vgl. Leonie Koch-Schwarzer: Populare Moralphilosophie und Volkskunde. Christian Garve (1742–1798). Reflexionen zur Fachgeschichte. Marburg 1998, S. 547 u. S. 550. Bd. 26: M 1278.2: Entwürfe: Über Gesellschaft und Einsamkeit (S. 53–112). 24 U. a. die Publikationen des Jesuiten Jean Croiset Christliche Betrachtungen über allerhand Materien der Sitten-Lehre | Nützlich vor allerley Personen, sonderlich vor diejenigen, welche sich alle Monath einen Tag in die Geistliche Einsamkeit begeben wollen (1739), Johann Georg Zimmermanns Betrachtungen über die Einsamkeit (1756), Thomas von Fritschs Zufällige Betrachtungen in der Einsamkeit (31763), Carl Friedrich Bahrdts Der Christ in der Einsamkeit (21764), die anonyme Geschichte eines reisenden Deutschen. Oder: der Gesellschafter seiner selbst in der Einsamkeit (1769), Pestalozzis Abendstunde eines Einsiedlers (1780), der anonyme Der in der Einsamkeit und Gesellschaften allzeit fertige Schnackische Lustigmacher (1785), William Penns Früchte der Einsamkeit in Gedanken und Maximen über den menschlichen Lebenswandel (1785), Hans Georg von Dreskys Briefe über die Pflichten der Menschen wenn sie glücklich seyn wollen von einem in der Einsamkeit lebenden Landwirthe (1786), die anonymen Beobachtungen des Narren in der Einsamkeit (1788) und Der Jüngling in der Einsamkeit nachdenkend über Disseits und Jenseits (1795) und Merciers Ueber die Einsamkeit und ihren Einfluß auf Geist und Herz, nach Zimmermann. [...] Übersetzt und mit psychologischen

308 | Hans-Peter Nowitzki

Fiebergleich hatte sich in Deutschland die ›Einsamkeit‹ mit der schwärmerischen, melancholisch-meditativen Gräberpoesie, die aus England und Schottland kommend sich auf den Kontinent ausweitete, verbreitet. Dagegen schrieb u. a. bereits Johann Georg Zimmermann an.25 Im Gegensatz zu Garves Abhandlung führen Zimmermanns drei ›Einsamkeits‹-Traktate stets ausschließlich die ›Einsamkeit‹ im Titel. Denn sie war es insbesondere, die Zimmermann in erster Linie beschäftigte, vor allem auch in selbsttherapeutischer Absicht: Dieses Buch über die Einsamkeit sollte in meinen Trübsalen Muth bey mir anfachen, mich wegreissen von Allem was ich sah und dachte, mich in fremde Länder versetzen, Bilder aus entfernten Jahrhunderten in mir hervorrufen, vielleicht auch meine Seele hie und da befreyen von einem drückenden Gedanken.26

|| Reflexionen begleitet vom Professor Heydenreich in Leipzig (1797) ... Nicht zu vergessen die von Jakob Hermann Obereit gegen Zimmermann gerichteten Streitschriften wie die Vertheidigung der Mystik und des Einsiedlerlebens (1775) (gegen Zimmermanns 1. Frg. über die Einsamkeit), Die Einsamkeit der Weltüberwinder (1781), das Gespräch im Traume über eine neue Reformation der geistlichen Orden und der Kirche; ein Pendant zu der Einsamkeit der Weltüberwinder (1783) und die Supplike an philosophische Damen, zur Besänftigung der großen flammenden Autorschaft über die Einsamkeit (1785). Selbst ganze Zeitschriftenprojekte widmeten sich ausschließlich dem Thema, etwa der in Hamburg erschienene Vernünftige Träumer (1732), der in Königsberg herausgegebene Einsiedler (1740/1) und die gleichnamige, von Friedrich Justin Riedel in Wien 1774 herausgegebene Zeitschrift, Philipp L. Müllers Einsame Nacht-Gedanken (1757–1761), Der Eremit (1767–1769) sowie Friedrich Kepners Meine Einsamkeiten (1771/72). Bei der Behandlung des der irdischen Welt entsagenden, kontemplativ-frommer Lebensweise huldigenden Einsiedlertums griff man zurück auf gängige Darstellungen in den biblischen Büchern und in den Schriften der stoischen Philosophie wie in der frühchristlichen Vitae patrum-Literatur (Hieronymus) sowie die in verschiedenen Orden programmatisch gelebte Einsamkeit (Augustiner, Franziskaner, Benediktiner, Karmeliter). 25 Vgl. dazu Elisabeth Frenzel: Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart 51999, S. 128–148, und Aleida und Jan Assmann (Hg.): Einsamkeit. München 2000. Zu Zimmermann vgl. Leo Maduschka: Das Problem der Einsamkeit im 18. Jahrhundert im besonderen bei J. G. Zimmermann. Weimar 1933; Markus Zenker: »Es ist meine Manier, in jeder Absicht, frey zu schreiben«. Untersuchungen zu J. G. Zimmermann, ›Über die Einsamkeit‹ (1784/85). In: Hans-Peter Schramm (Hg.): Johann Georg Zimmermann königlich großbritannischer Leibarzt (1728–1795). Wiesbaden 1998, S. 139–153; Lieselotte E. Kurth-Voigt: Zimmermanns ›Über die Einsamkeit‹ (1784/85). Zur Rezeption des Werkes. In: Modern Language Notes 116 (2001), S. 579–595; Mark-Georg Dehrmann: Produktive Einsamkeit. Studien zu Gottfried Arnold, Shaftesbury, Johann Georg Zimmermann, Jacob Hermann Obereit und Christoph Martin Wieland. Hannover 2002, S. 59– 91; Markus Zenker: Therapie im literarischen Text. Johann Georg Zimmermanns Werk ›Über die Einsamkeit‹ in seiner Zeit. Tübingen 2007; Kathrin Wittler: Einsamkeit. Ein literarisches Gefühl im 18. Jahrhundert. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 87.2 (2013), S. 186–216; Clara Innocenti: Aufklärung und Einsamkeit bei J. G. Zimmermann. Masterarbeit Freiburg i. Br. 2013. 26 Ueber die | Einsamkeit. | Von | Johann Georg Zimmermann, | Königlich Großbritannischen Hofrath und Leibarzt | in Hannover. | Erster Theil. | Leipzig, | bey Weidmanns Erben und Reich. 1784, S. V–XXII: An die Frau Regierungsräthinn von Döring gebohrne Strube in Ratzeburg. [Hannover, den 25. September 1783], hier S. XIII.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 309

Im dritten, 1785 publizierten Teil, im 8. Kapitel, Apologie gegen einen falschen Apostel der Einsamkeit überschrieben, wird er noch deutlicher: Er liebe die Eingezogenheit und den »stille[n] freundliche[n] Umgang mit Menschen aus jeder Classe«. Die einsame Lebensart wolle er, um sie beliebter zu machen, anpreisen27 und Aufschluss geben über Wohl und Wehe der ›Einsamkeit‹.28 Unter ›Einsamkeit‹ versteht er nicht nur die völlige Entfernung vom geselligen Treiben, nicht nur das Eremitentum, sondern auch das Leben im Kloster, in einer Kleinstadt, den Rückzug in ein Studierzimmer oder eine vorübergehende, stunden- oder tagelange Klausur. »Zuerst suche ich«, kündigt Zimmermann an, »woher es komme, daß man so gern in Gesellschaft läufft; sodann, warum man zuweilen so hartsinnig alle Gesellschaft flieht, und wie man aus mancherley Beweggründen, auch unter falschem Vorwand, auch aus Enthusiasmus und Naturtrieb, in die Einsamkeit geht. Dann, was in mancherley Gesichtspunkten nachtheiliges für die Seele aus der Entfernung von der Welt entsteht; endlich, wann und wie es für Geist und Herz gut sey, alleine zu leben.« Den Terminus ›Einsamkeit‹ anstelle des ›Eremitenleben‹ habe er in Hinblick auf seine Zielgruppe gewählt. Denn für Menschen, nicht für Eremiten, schreibe er. Gewinn und Verlust eines Lebens in der Einsamkeit müssten »menschlich berechne[t]« werden.29 Ueber die Einsamkeit soll einen Beitrag liefern »zu einer praktischen Untersuchung über menschliche Glückseligkeit«. Glücklich werde man nicht dadurch, dass man der äußeren Quellen und Vergnügungen immer weniger bedürfe und stattdessen sie nur noch in sich selber suche und finde. So edel es auch sei, »sich unabhängig von den meisten Menschen zu machen, um doch zuweilen abseite gehen zu können; aber gewiß eben so gut, daß man auch zwischen durch gesellig und freundlich mit allen lebe«.30 Das gebe nicht zuletzt die Christusbotschaft zu erkennen, »nach dem einstimmigen Urtheile der aufgeklärtesten Ausleger«: Der Mensch ist zur Geselligkeit, zur Nächstenliebe und Niederwerfung allen Egoismus bestimmt. »[N]ur zu gewissen Zeiten« solle, so sein Beispiel, sich der Mensch in die Einsamkeit begeben. Den meisten Widerspruch glaubt Zimmermann aber doch von jenen »fetten Menschen, die sich einbilden, man geniesse das Leben nirgends als bey Tafel«, erwarten zu können. Stattdessen hofft er auf den einzelnen Jüngling, den Hypochonder und den Bauersmann, die bei ihm Rat und Trost und Belehrung finden können, »wie bald jede Quelle von Freude in den Städten versiegt; wie man auch mitten unter wilder Lustigkeit eiskalt durch unsere Tanzsäle hinhüpft; wie erbärmlich und wie früh alle unsere falschen Vergnügungen zerplatzen«. Und er möchte mit seinem Werk den Einsamen in dem bestärken, was er an der Einsamkeit hochschätzt, und || 27 Ueber die | Einsamkeit. | Von | Johann Georg Zimmermann | Königlich Großbritannischen Hofrath und Leibarzt | in Hannover. | Dritter Theil. | Leipzig, | bey Weidmanns Erben und Reich. 1785, S. 9. 28 Zimmermann: Ueber die Einsamkeit 1 (s. Anm. 26), Bd. 1, S. 2. 29 Ebd., S. 6f. 30 Ebd., S. 8.

310 | Hans-Peter Nowitzki

in dem, was er an der Gesellschaft zutiefst verachtet, um in so »manche Brust mehr Kraft gegen das feine Gift der Sinnlichkeit« zu bringen. Zimmermanns Werk Ueber die Einsamkeit gibt sich somit als tendentiell christlich-asketisch und zivilisationskritisch à la Rousseau zu erkennen, gerichtet gegen eine mit ›feinem Gift der Sinnlichkeit‹ aufwartende Geselligkeit.31 Zugleich wird aber auch deutlich, dass ›Einsamkeit‹ von Zimmermann (wie von Garve auch) nicht im heute gängigen Sinne isolationistisch aufgefasst wird. Sie umfasst vielmehr eine ganze Bandbreite sozial und psychologisch bedingter Vereinzelungs- und Entfremdungszustände und bemisst sich an dem zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem spezifischen mehr privaten oder mehr halb- oder öffentlichen Raum jeweils realisierten Grad von regelgeleitetem Kommunikationshandeln (Konversation, Umgang).32 In Zimmermanns Geselligkeitskonzept ist Geselligkeit nur im privaten familiären Raum, nur in bürgerlich-häuslicher Atmosphäre, zuträglich; adelige Assembleen, so genannte ›große Gesellschaften‹, gelte es zu meiden.33 Möglicherweise knüpft er damit an Rousseaus ›mittleren Stand‹ im zweiten Discours an. Er macht also einen Unterschied zwischen der Geselligkeit im engeren Sinne, die die Familie und den Freundeskreis umfasst, und der Geselligkeit im weiteren Sinne, die es zu meiden gelte. Er negiert die Geselligkeit nicht als Bildungsfaktor und Lebensform, bestreitet aber ihren Selbstwert.34 Vernünftig genutzt sei die Einsamkeit überaus schätzenswert (3, 9f.). Seine Einsamkeitsschrift ist gleichsam eine nicht enden wollende Philippika gegen die Verächter der Einsamkeit einerseits und deren mißbräuchliche Inanspruchnahme andererseits. Aber er ist weit davon entfernt, die Geselligkeit zu verdammen: »[Z]wischen Welt und Einsamkeit, Sinnlichkeit und Streben nach höherm Vergnügen [...] lieg[t] die wahre Weisheit in der Mitte.«35 Und: »Einsamkeit giebt alles was man im Umgange nicht findet. Umgang, so schlecht er auch seyn mag, giebt immer Stof zum Nachdenken, neue Ideen, neue Bilder, und selbst durch den Nichtgebrauch seiner Kraft einen neuen Zufluß von Geist und Kraft.«36 Obgleich Zimmermann nicht umhinkommt, eine Wechselseitigkeit von ›Einsamkeit‹ und ›Geselligkeit‹ zu konstatieren, betreibt er eine tendenzielle Aufwer-

|| 31 Vgl. ebd., S. 16–19; vgl. Innocenti: Aufklärung und Einsamkeit (s. Anm. 25), S. 30–35, S. 41–47, S. 51f. 32 Helmut Zedelmaier: Christian Garve und die Einsamkeit. In: Wojciech Kunicki (Hg.): Aufklärung in Schlesien im europäischen Spannungsfeld. Traditionen – Diskurse – Wirkungen. Wrocław 1996, S. 133–149, hier S. 134f. 33 Zimmermann: Ueber die Einsamkeit 1 (s. Anm. 26), S. 21. Vgl. Wittler: Einsamkeit (s. Anm. 25), S. 193f. 34 Zimmermann: Ueber die Einsamkeit 1 (s. Anm. 26), S. 44. 35 Ueber die | Einsamkeit. | Von | Johann Georg Zimmermann | Königlich Großbritannischen Hofrath und Leibarzt | in Hannover. | Vierter Theil. | Leipzig, | bey Weidmanns Erben und Reich. 1785, S. 336. 36 Ebd., S. 302, vgl. auch ebd., S. 304–306.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 311

tung der ›Einsamkeit‹, die quer steht zu Garves Ueber Gesellschaft und Einsamkeit. Sie erklärt den unterschwelligen Vorbehalt Garves, dessen intensive Beschäftigung mit Zimmermann vereinzelte Aktenstücke, Kollektaneen und Notate im Breslauer handschriftlichen Nachlass Garves belegen, darunter Aktenfaszikel wie »Unrichtigkeit in den Fragmenten Zimmermanns« und »Einige Anmerkungen aus den beyden Theilen von Zimmermanns Einsamkeit« betitelt.37 Von dem Erhaltenen sei Folgendes ausgehoben: »Der historische Theil dieser beyden Bände, der welcher die alten Eremiten u. Mönche schildert, ist nach meinen Empfindungen der schlechteste. Es ist so viel unwahrscheinliches abgeschmacktes, darinn zusammengestellt[.] Dieses ist auf eine so unförmigte und so wenig intéressante Art erzählt; es wird so wenig durch die Schilderung noch durch hinzugefügtes Räsonnement erklärt, wie man diese Ungereimtheiten mit den Gesetzen der menschlichen Natur vereinigen könne, der Ausdruck |/| ist so entfernt von dem was der gute historische Stil seyn soll: Ausdrücke der Bewunderung des Scherzes des Abscheus sind so durch einander gemischt, daß ich Mühe gehabt habe, mich durchzuarbeiten.«38 »Es fehlt Plan, oder der Zusammenhang ist doch nicht sichtbar.«39 »In der Wahl seiner Gleichniße ist er nicht glücklich. S. 26. Aber die Idee ist gut, daß jeder Mensch nur mit denen einen angenehmen Umgang hat, welche ihm näher verwandt sind, deren Geist eine Ähnlichkeit mit seinem hat. S. 27. verstehe ich nicht recht.«40 »Die Schilderung der Langeweile 33. ist weder treffend und richtig noch angenehm. – Das ist einer der besten Gedanken p. 37. 38. ein guter Kopf, der gänzlich Munterkeit Gesundheit und Lebensstärke hat ist gesellig, weil er weiß, daß er über den Schwätzer leicht Herr wird.«41 »Das 3te Kapitel ist das vorzüglichste under den 3 ersten[.]«42 »(schlecht und übertrieben.) Die Geschichte von Humes Autorschaft p. ist viel zu lang und zur Sache nicht gehörig. Z. läßt merken, daß er die Einsamkeit liebt, weil er als Autor von Menschen nicht genug geschätzt wird. ›Widersetze dich nicht der Meynungen derer Leute, |/| die du nicht überzeugen kannst; es ist viel leichter ihr Herz zu gewinnen.‹ [S. 80 f. Vgl. M 1254: S. 271] Eine gute und wirklich aus feiner Beobachtung gezogne Maxime.«43

|| 37 Koch-Schwarzer: Populare Moralphilosophie (s. Anm. 23), S. 545f. Wroclaw, Biblioteka Universytecka: II. 48a (S. 409–414: Konspekt zu Zimmermanns Einsamkeit [Ueber die | Einsamkeit. | Von | Johann Georg Zimmermann | Königlich Großbritannischen Hofrath und Leibarzt | in Hannover. | Erster Theil. | Leipzig, | bey Weidmanns Erben und Reich. 1784.]). M 1254 Nr. 15 (S. 271f.: Einige Anmerkungen aus den beyden ersten Theilen von Zimmermanns Einsamkeit). M 1274 Nr. 9 (nicht erhalten; S. 169–171). 38 M 1254, S. 271f. 39 M 1252, S. 409. 40 Ebd., S. 410. 41 Ebd., S. 411. 42 Ebd., S. 412. 43 Ebd., S. 413–413a.

312 | Hans-Peter Nowitzki

»Man sucht die Einsamkeit um der Schmähsucht der Menschen auszuweichen. (Nicht interessant ausgeführt.) 4) Einsamkeitsliebe aus Menschenhaß. Schilderung des Schweitzer Hypochondristen, gar nicht wahrscheinlich.«44 »In der Schilderung der Schwärmerey ist das Ende nicht mit dem Anfange übereinstimmend.«45

Garves kritisches Augenmerk ist vielfältig, das eine Mal auf stilistische, dann wieder auf kompositorische oder sachliche Aspekte des zimmermannschen Werkes gerichtet; indes spart er auch Lobenswertes nicht aus. Garves zentrales Anliegen ist die Aufwertung der Geselligkeit im weiteren Sinne, der so genannten ›großen Gesellschaft‹, die Zimmermann als dem Menschen nicht zuträgliche Existenzweise charakterisiert hat. Seine Abhandlung ist, wenn auch der Kombattant wenig explizit gemacht wird, eine stete Auseinandersetzung mit Zimmermann. Das musste er auch nicht deutlicher zum Ausdruck bringen, denn Zimmermanns Werk war dem Publikum allgegenwärtig. So reichte es anzukündigen, zunächst den schon »gebähntesten Weg der Untersuchung«46 prüfend abzuschreiten. Garves distanziertes ›Man hört‹ und das nicht weniger fremdelnde ›Man setzt‹ zielt stets auf Zimmermann.47 Die Zeitgenossen verstanden die subkutanen Signale: Seine Anzeige des ersten Bandes von Ueber Gesellschaft und Einsamkeit in der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek schließt der Rezensent mit dem Hinweis, sich überhoben zu sehen, den Leser »auf den Geist dieses Buches und auf den Unterschied, der zwischen der Beyspielsammlung des Ritter Zimmermanns und der Reihe dieser vortrefflichen und lehrreichen Betrachtungen eines Garve herrscht, aufmerksam machen zu müssen«.48 Bereits Garves Essays Anfang der 1790er Jahre kreisen vielfach um Fragen der Soziabilität und ihrer Bedingungen. Das Nachdenken Garves über Gesellschaft und Einsamkeit verdankt sich, hierin Zimmermann gleichend, eigenen Erfahrungen. Er selbst habe, schreibt er in der Vorrede zu seiner schließlich auf fünf Bände anwachsenden Essays Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben, von früher Jugend an versucht, »in der Gesellschaft zu gefallen, und von derselben gesucht zu werden«.49 Dabei sei es ihm nicht darum gegangen, als Mann bestimmter Profession zu glänzen und dafür Achtung entgegengebracht zu bekommen, sondern »als braver und artiger Mann (honnête et

|| 44 Ebd., S. 413a. 45 Ebd., S. 413b. 46 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit 1 (s. Anm. 2), S. 190. 47 Ebd., S. 190f. 48 Rez. Versuche (s. Anm. 21), S. 326. 49 Christian Garve: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben von Christian Garve. Erster Theil. Breslau 1792 bei Wilhelm Gottlieb Korn, S. VII.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 313

galant homme)«.50 Die von ihm gesuchte Anerkennung in der Gesellschaft, von der er sich persönlich einerseits Ansporn, andererseits Inspiration zur eigenen Vervollkommnung erhoffte, blieb indes aus: »Weder meine Talente noch meine äußern Annehmlichkeiten reichten zu, den Stolz der höhern, oder den Kaltsinn der fröhlichern Kreise gegen einen Unbekannten und Ernsthaften zu überwinden, den weder Familienverbindungen noch Interesse ihnen wichtig machten.« Glück sei ihm genausowenig beschieden gewesen wie Gesundheit. »Kränklichkeit und Gebrechen des Körpers« trieben ihn in »diejenige Einsamkeit zurück, die [...] [er] so gerne mit dem Geräusche der Welt vertauscht hätte«.51 Schreibend bestrebte er sich, die Kränkungen und Enttäuschungen zu kompensieren, um sie, darüber reflektierend, für die Erkenntnis seiner selbst zu nutzen. Erkenntnisleitend war für ihn, zu verstehen, aufgrund welcher Umstände sich ihm die Dinge so darstellten. Er hoffte, in seinen Essays den Bedingungen der Möglichkeiten von ›Geselligkeit‹ und ›Einsamkeit‹ auf die Spur zu kommen. Resultat seiner Bemühungen war eine phänomenologische Analyse wichtiger sozialer Bezugsgrößen und ihrer Determinanten.52 Garve war sich sicher, dass es sich dabei keineswegs nur um Charakteristika der ständischen Gesellschaft handelt, sondern um solche allgemeingültiger, gleichsam sozio-anthropologischer Art. Zugleich aber, so scheint es, schrieb Garve auch gegen die konkrete soziale Impermeabilität, die daraus folgende Immobilität und die behauptete Präponderanz des Blutadels an. Sein Gesellschaftskonzept favorisiert eine Art herrschaftsfreie, Standesschranken transzendierende Geselligkeit, die allein dem Verdienstadel freimütig und gern sein Recht zuerkennt.53 Dabei meint ›Verdienst‹ hier individuell verantwortete Vollkommenheit seiner selbst. Es geht ihm nicht um ständische Funktions-, sondern um Vollkommenheitseliten. Damit knüpft er die individuelle Entwicklung an die Gesellschaft, in beiden Daseinsmodi, der Geselligkeit und der Einsamkeit. Beide sind dann zu begrüßen, wenn sie der Tugend, d. h. der menschlichen Bestimmung, Vorschub leisten.54 Sie werden von Garve nicht primär als moralphilosophische, sondern als anthropologische Bestimmungen aufgefasst.55

|| 50 Ebd., S. VIII. 51 Ebd., S. Xf. 52 Vgl. Rudolf Vierhaus: Christian Garves Theorie des Umgangs. In: Peter Albrecht, Hans Erich Bödeker, Ernst Hinrichs (Hg.): Formen der Geselligkeit in Nordwestdeutschland 1750–1820. Tübingen 2003, S. 541–548, hier S. 542. 53 Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 18), S. 186. 54 Garve: Die Tugend macht den Menschen glücklich. In: Vermischte Aufsätze | welche | einzeln oder in Zeitschriften | erschienen sind. | Neu herausgegeben und verbessert | von | Christian Garve. | Zweyter Theil. | Breslau 1800. | bey Wilhelm Gottlieb Korn, S. 1–16. 55 Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 18), S. 270.

314 | Hans-Peter Nowitzki

3 »Schon als Thier ist der Mensch gesellig.«56 Mit dieser sich an Johann Gottfried Herder anlehnenden, gnomisch verdichteten und provokanten Formulierung, wonach der Mensch schon als Tier über Geselligkeit verfüge, hebt er ab auf die sogenannte tierische Ökonomie des Menschen im Urzustande, in der bereits die Geselligkeit angelegt sei. Mit dem Menschsein kommt eine weitere soziale Dimensionen hinzu. Grundsätzlich aber sei schon unterhalb der eigentümlich menschlichen Vermögen wie Verstand, Vernunft etc. dem Menschen die Gesellschaftlichkeit eingeprägt. Sie wurzelt in zwei Vermögen: dem eben benannten Instinkt der tierischen Ökonomie und in der Vernunft: Schon als Thier ist der Mensch gesellig: d. h. er vereiniget sich gern mit seines Gleichen; er läuft gern dahin, wo er einen Haufen Menschen beysammen sieht; er schlägt mit zu, wenn jemand den Haufen angreift. Er ist noch weit mehr gesellig als vernünftiger Mensch: weil er einsieht, daß er nur durch die Hülfe Andrer seines Lebens sicher seyn, sich ohne große Beschwerde nähren und noch mehr sich selbst ausbilden könne.57

Während in den drei ersten Abschnitten von Ueber Gesellschaft und Einsamkeit das Verhältnis der beiden Lebensweisen zu den drei Bildungssphären Verstand, Charakter und äußere Sitten behandelt wird,58 werden in dem vierten, eminent soziologisch konturierten die unterschiedlichen Typen von Gesellschaft und Einsamkeit im einzelnen charakterisiert.59

|| 56 Vgl. Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache (s. Anm. 1), wo es heißt: »Schon als Thier hat der Mensch Sprache.« 57 Garve: Uebersicht der vornehmsten Principien (s. Anm. 1), S. 145–153: Beurtheilung des Puffendorfischen Princips, hier S. 151f. 58 Garve: Einsamkeit und Gesellschaft 1 (s. Anm. 2), S. 2f. 59 In Anlehnung an Werner Sombart hat Lutz Geldsetzer bereits 1963 auf die Aufklärung als »die Wiege der modernen Soziologie« hingewiesen (Lutz Geldsetzer: Zur Frage des Beginns der deutschen Soziologie. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 15 [1963], S. 529–541, hier S. 530). Es sei falsch, in ihr lediglich die »Vorgeschichte« zu sehen. Die deutsche Soziologie erwuchs aus der aufklärerischen Moralphilosophie, der zeitgenössischen Ethnologie, Anthropologie, Nationalökonomie und Geschichtsphilosophie. Wiege dieser neuen Wissenschaft konnte die Aufklärung in dem Moment werden, in dem sie sich dem auf Geschlossenheit und absolute Geltung drängenden Systemdenken verweigerte und stattdessen in ihrem Kampf gegen verjährte Vorurteile und überkommene Autoritäten auf eine empirische, multiperspektivisch angelegte Bestandsaufnahme u. a. sozialer Verhältnisse setzte, also versuchte, die Verhältnisse empirisch und unverstellt von systemgenerierten Perspektivverengungen aufzufassen. Durch die daraus erwachsene neuartige Methodologie kam nun auch der genuin soziologische Gegenstandsbereich in den Blick und bereitete den Boden für die Soziologie als neu entstehende Wissenschaftsdisziplin. Diese Methodologie kommt auf eindrucksvolle Weise, so Geldsetzer, in Garves Ueber Gesellschaft und Einsamkeit zum Ausdruck, wo dieser eine »phänomenologisch-deskriptive Bestandsaufnahme von Formen der

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 315

Im fünften und letzten Abschnitt kommt das Verhältnis der beiden Existenzweisen zur Glückseligkeit60 zur Sprache. || Vergesellschaftung« vornimmt, vor allem im vierten Abschnitt des Zweyten Bandes (S. 57–336), »Verschiedene Arten der Gesellschaft und Einsamkeit« überschrieben (ebd., S. 532f.); vgl. dazu auch Vowinckel: Christian Garve (s. Anm. 20), S. 136–147. 60 Garve hält, wie Topisch überzeugend herausarbeitet, trotz der neuaufkommenden Pflichtenethik à la Kant an der aufklärerischen Glückseligkeitslehre fest. Er widersteht damit der Entwicklung von der realistisch-verantwortungsethischen zur metaphysisch-gesinnungsethischen Auffassung von Mensch und Gesellschaft, wie sie sich insbesondere in Deutschland mit dem klassisch deutschen Idealismus und der Romantik vollzog. Die Glückseligkeitslehre geht im Unterschied zur Gesinnungs- bzw. Pflichtethik von der prinzipiellen Eigennützigkeit allen menschlichen Verhaltens aus. Ziel ist stets das eigene Glück. Tugend ist danach, was das eigene Glück in der Gesamtbilanz vermehrt, Laster, was sie, auch wenn es kurzzeitig Glück zu bewirken scheint, vermindert. Dabei ist es gleichgültig, wem das jeweilige subjektive Verhalten zugutekommt. Ausschlaggebend ist, dass das Verhalten Ausdruck subjektiver Neigungen, Antriebe, Gefühle, Begierden ist, das sich in der Wechselwirkung mit dem Verhalten anderer als ›glücklich‹ erweist. Seiner Vernünftigkeit, nicht vorgängigem moralischem Konsens, verdankt es der Mensch, moralische und staatliche Gebote zu befolgen, da er nur so ›glücklich‹ handeln, nur so seine Glücksbilanz positiv gestalten kann. In soziologischer Perspektive bedeutet das, dass der einzelne nicht als Funktion der Gesellschaft seine Rolle ›spielt‹, sondern auf der Grundlage vernünftiger Kalkulationen sein Eigeninteresse verfolgt. Die Gesellschaft stellt insofern für den einzelnen mehr oder weniger glückseligkeitsermöglichende Handlungsspielräume fest, ohne dass der einzelne sich deshalb mit der Gesellschaft selbst identifizieren müsste. Die kantische Pflichtenethik verwirft den Gedanken der Glückseligkeit des empirischen, von Begierden und Affekten getriebenen Menschen und setzt an deren Stelle den kategorischen Imperativ des intelligiblen Menschen. Als Prinzip der Tugend sei die Glückseligkeit nicht tauglich, weil die moralische Gesetzgebung insofern nur ein pragmatisches Gesetz, eine Klugheitsregel liefere und kein moralisches Gesetz, das allein die Glückswürdigkeit als Beweggrund anerkennt. Der Mensch solle, so die transzendentalphilosophische Forderung, danach streben, sich der dereinst eintretenden Glückseligkeit hienieden durch entsprechende tugendhafte Pflichterfüllung würdig zu machen. Es muss daher vorausgesetzt werden, dass es »in der intelligiblen Welt« einen »weisen Urheber und Regierer« gebe, der als »höchste Vernunft« »nach moralischen Gesetzen gebietet, [...] die zugleich als Ursache der Natur zum Grunde gelegt« werden. Daher sei es vernünftig, Gott und Unsterblichkeit anzunehmen, da diese beiden Annahmen allein die von den moralischen Gesetzen a priori behaupteten Folgen der Glückseligkeit absicherten. Während der kategorische Imperativ des intelligiblen Menschen Sittlichkeit des vernünftigen Wesens im vollen Wortsinn ist, ist die Glückseligkeit des empirischen Menschen allenfalls durch sinnliche Antriebe verunreinigte Klugheit. Garve sperrt sich der von den Transzendentalphilosophen geforderten ›Einsicht‹, die Moralphilosophie müsse frei von empirischen Bestandteilen sein: »Die Sittlichkeit«, beharrt er, »gehört [...] ganz zu der sinnlichen Welt: da sie ihre Regeln aus den Verhältnissen des gegenwärtigen Lebens herleitet, und die Triebfedern zu Befolgung derselben, in den Empfindungen und Vorstellungen des Menschen, so wie er sie nach seiner jetzigen Lage hat, aufsucht. Der Mensch muß in der Sinnenwelt frey, – er muß es als ein Glied derselben, – qua phaenomenon – seyn: oder seine Freyheit hilft uns zu nichts. Denn wozu haben wir sie nöthig, als ihn der Zurechnung seiner Handlungen fähig zu machen, ohne welche er, wegen derselben, weder des Lobes noch des Tadels würdig seyn kann. Aber alle seine Handlungen geschehen in der Welt der Erscheinungen, und beziehen sich auf Gegenstände aus dieser« (Christian Garve: Abhandlung über die Principe der Sittenlehre. In: Die | Ethik des Aristoteles | übersetzt und erläutert | von | Christian Garve. | Erster Band | enthal-

316 | Hans-Peter Nowitzki

Er konstatiert, dass es üblich sei, niederen Ständen Einsamkeit bzw. Eingezogenheit als Tugend, Geselligkeit als Laster anzurechnen, höheren Ständen hingegen Eingezogenheit anzulasten, Geselligkeit aber anzupreisen: »Die Menschen haben also, wie es scheint, eine andre Moral für die höhern, und eine andre für die niedrigern Stände; – eine für die Reichen und Müßigen, und eine andre für die Armen und Arbeitsamen. Von den obersten Ständen wird Geselligkeit, – von den niedrigsten Eingezogenheit gefordert. In dem Mittelstande«, so Garve weiter, kämen »beyde Forderungen zusammen, und schränken sich wechselsweise, nach den besondern Umständen eines jeden, ein«.61 Entscheidend für die Beurteilung sei die jedem Stand gemäße, d. h. zeitlich und finanziell angemessene Lebensführung. Es gebe sonach eben nicht eine Moral für diesen und eine Moral für jenen Stand, sondern nur eine, die sich je nach Stand verschieden ausmünzt. Denn ›Geselligkeit‹ ist Garve zufolge eine allgemeine, anthropologisch nicht hintergehbare Tugend bzw. Pflicht.62 Selbst der in den dürftigsten Umständen Lebende brauche und sehne sich nach Gesellschaft. Sie ist in ihrer Konkretion zwar ständisch gebunden, gleichwohl aber anthropologisch verankert. Garve tilgt Zimmermanns kategoriale Unterscheidung einer Geselligkeit im engeren und einer im weiteren Sinne und setzt die Gesellschaft schlechthin der Einsamkeit entgegen.63 Zudem löst er die Bindung der Geselligkeit an die höheren Stände. Die gelingende höfische Geselligkeit der Vergangenheit, in der die gesellige Entwicklung des Individuums gleichsam ihre höchste Ausprägung und damit ihr Endziel erreicht hat, gibt zwar das Vorbild für die künftige, anzustrebende Geselligkeit ab. Diese ist aber nicht mehr an einen oder mehrere exponierte Stände gebunden, sondern transzendiert die als insular und damit eingegrenzt anzusehenden Geselligkeiten, indem sie diese nunmehr anthropologisch verwurzelt und auf alle

|| tend | die zwey ersten Bücher der Ethik | nebst einer | zur Einleitung dienenden Abhandlung | über die verschiednen Principe der Sittenlehre, von | Aristoteles an bis auf unsre Zeiten. | Breslau, | bey Wilhelm Gottlieb Korn. | 1798, S. 1–394, hier S. 216). Vgl. Ernst Topitsch: Die Voraussetzungen der Transzendentalphilosophie. Kant in weltanschauungsanalytischer Beleuchtung. Hamburg 1975, S. 160–164. Kant, so Garve weiter, repristiniere den althergebrachten christlichen Tugendbegriff, der sich auf die Verderbtheit der menschlichen Natur, Gehorsam und Demut stütze (Garve: Abhandlung über die Principen der Sittenlehre [s. Anm. 60], S. 241). Garves Ethik gehört damit zu denjenigen, die sich in besonders starker Weise auf die ratio berufen und seit etwa Mitte des 18. Jahrhunderts von Gefühls- und Gesinnungsethiken abgelöst wurden. Das eingeborene moralische Gefühl, der moral sense, der ›schönen Seele‹ lässt die ratio entbehrlich werden (Vowinckel: Christian Garve [s. Anm. 20], S. 136–147). 61 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit 1 (s. Anm. 2), S. 194. 62 Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Ein Anhang zu der Übersicht der verschiednen Moralsysteme von Christian Garve. Breßlau 1798 bei Wilhelm Gottlieb Korn, S. 249ff. 63 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit 1 (s. Anm. 2), S. 229.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 317

Individuen der Stände und Schichten der Gesellschaft bezieht, wo sie sich jeweils unterschiedlich realisieren.

4 Garves Ausgangspunkt ist das Ideal einer allgemein und umfassend gebildeten Persönlichkeit mit ihrem Kern der sogenannten ›gemeinen Menschenvernunft‹: Diese Menschenvernunft heißt gemein, nicht, weil sie verächtlich, sondern weil sie ein gemeinschaftliches Eigenthum aller Menschen ist, oder seyn soll, – da hingegen jede andere Fähigkeit die einzelnen Personen von einander unterscheidet. Sie ist kein Talent, durch welches sich ein Mensch vor andern auszeichnet, ihre Bewunderung an sich zieht und im Umgange, in Schriften oder auf dem Schauplatze der Welt glänzt. Sie ist eine Vollkommenheit, welche ihm die der menschlichen Natur überhaupt zukommende Würde sichert, welche seinem Wesen inniger einverleibt, aber eben deßwegen tiefer verborgen und weniger schimmernd in den Augen gemeiner Beobachter ist; eine Vollkommenheit, welche sich auf alle Reden und Handlungen des Menschen erstreckt und ihn besonders denjenigen achtungswürdig macht, welche am vertrautesten mit ihm umgehen oder in solchen Verhältnissen stehen, wo Eigennutz und Ehrgeiz, Thorheit und Leidenschaft die Menschen am öftesten trennen.64

Chesterfield bereits habe seinem Pflegesohn empfohlen, nicht danach zu trachten, »in der guten Gesellschaft als ein sehr unterrichteter Mensch, noch weniger als ein guter Dichter aufgenommen zu werden«.65 Denn das sei ein wenig ehrenvoller, kaum dauernder Erfolg. Nur derjenige könne sich als »ein wirklich geachtetes Mitglied einer Gesellschaft« betrachten, der nicht einer besonderen Eigenschaft wegen, »sondern bloß als honnête homme, nach seiner ganzen Person, geschätzt und aufgesucht wird.«66 Damit bettet Garve sein Menschenbild in das von der Moralistik gezeichnete höfisch-aristokratische Bildungsideal des vollkommenen Hofmannes ein, das im griechisch-römischen Kalokagathie-Ideal wurzelt. Ziel müsse die ›Verhöflichung‹ bzw. ›Verfeinerung‹ des Menschen sein. Beide Begrifflichkeiten, die eine auf das höfisch-aristokratische Adelsideal des honnête homme abstellend, das andere das seit der Antike begegnende, zivilisatorischen Fortschritt bezweckende Kalokagathia-Ideal benennende, werden von Garve beliehen. Der sich vom

|| 64 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 62), S. 94 (Hvhg. im Original). 65 Briefe des Herrn Philipp Dormer Stanhope, Grafen von Chesterfield, an seinen Sohn Philipp Stanhope, Esquire, ehemaligen außerordentlichen Gesandten am dresdner Hofe. Aus dem Englischen übersetzt. Erster Band. Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich, 1774, S. 267f., S. 329f., und Zweyter Band (1775), S. 188–190. 66 Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 62), S. 96. Vgl. Gotthardt Frühsorge: Vom »Umgang« und von den Büchern. Zu Christian Garves Reflexionen bürgerlicher Existenz. In: Euphorion 81 (1987), S. 66–80, hier S. 67.

318 | Hans-Peter Nowitzki

courtisan abhebende honnête homme zeichnet sich durch eine vertu aus, die gleichsam Allgemeinmenschlichkeit beansprucht, zugleich aber an die Noblesse gebunden bleibt, so dass ihre Verflößung in bürgerliches Terrain von vornherein ausgeschlossen bleibt. Es barg innerhalb der ständischen Gesellschaft keine Egalisierungsmöglichkeiten. Das war mit dem honnête homme-Konzept auch nicht intendiert. Erst seine anthropologische Indienstnahme, die Herauslösung aus der höfischen Sphäre und die Hereinnahme in einen allgemeinen anthropologischen Kontext eröffnete die denkerische Möglichkeit einer gesellschaftlichen Teilhabe aller. Vor allem beschäftigt Garve das Problem der realen Unfreiheit und Ungleichheit, das mit der in seinem Geselligkeitskonzept vorauszusetzenden Freiheit und Gleichheit nicht zu harmonisieren war.67 Er konzentrierte sich daher vor allem auf die unterschiedlichsten Entfremdungsphänomene des Subjektes, u. a. das Auseinandertreten des beruflichen und des allgemein menschlichen, des öffentlichen, sozio-ökonomischen und des privaten Individuums. Hierfür konnte er an das bereits antike,68 im 18. Jahrhundert von den schottischen Philosophen, insbesondere Adam Ferguson, namhaft gemachte Konzept der Arbeitsteilung als entscheidender Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung anknüpfen.69 Sie wurde verantwortlich gemacht für die soziale, ökonomische und wissenskulturelle Entfremdung und von Garve zur Grundlage bestimmter Sozialtypen genommen. Garves Bestimmung des ›vollkommenen‹, des ›ganzen Menschen‹ steht in der aufklärerischen Tradition der allseitig harmonisch entwickelten und ausgebildeten Persönlichkeit. Seine moralischen Qualitäten bemessen sich an dem antiken Ideal der vier Kardinaltugenden. Die Bestimmung mündet in ein eudämonistisches Konzept guten, naturgemäßen Lebensvollzuges ein. Normativen Halt bekommt es durch religiöse Verankerung. Danach sei es Pflicht des Einzelnen (a) gegen sich, (b) gegen andere und (c) gegen Gott, sich an der Vollkommenheit des Schöpfungswerkes zu beteiligen, indem er seine Umwelt und deren Vervollkommnung befördert. Zugleich fordert sie die Achtung der Normen staatlicher Gesetzgebung.70 Dabei setzt er tugendhaftes mit naturgemäßem, moralisches und Glückseligkeit verbürgendes Handeln in naturteleologischer Manier in eins.71

|| 67 Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 18), S. 205. 68 Plat. rep. 2, 369–373. Xen. Ag. Kyr. 8, 2, 5. 69 Stephen Holmes: Differenzierung und Arbeitsteilung im Denken des Liberalismus. In: Niklas Luhmann (Hg.): Soziale Differenzierung. Zur Geschichte einer Idee. Opladen 1985, S. 9–41 sowie Hans Erich Bödeker: Entstehung der Soziologie. In: Horst Albert Glaser und György M. Vajda (Hg.): Die Wende von der Aufklärung zur Romantik 1760–1820. Epoche im Überblick. Amsterdam, Philadelphia 2001, S. 259–291, hier S. 271 u. S. 275–282. 70 Vgl. Garve: Eigene Betrachtungen (s. Anm. 62), S. 242f. u. S. 265f.; Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 18), S. 171f. 71 Ebd., S. 172.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 319

Die Vorrangstellung des Adels wurde mit der Geburt und der damit verknüpften Möglichkeit gerechtfertigt, sich frei von Erwerbsarbeit und Brotstudium und deren einengenden Konsequenzen zu halten. Diese Privilegien sollte der gesellige Umgang zur Schau stellen, repräsentieren. Klugheit, nicht Bildung, sah das honnête hommeIdeal vor. Das hieß Bildung nicht im Sinne einer Professions-, sondern einer Allgemeinbildung, die Geselligkeit ermöglichen, zu unterhalten hatte und der individuellen Vervollkommnung zuträglich sein sollte. Sie sollte geselligkeitsermöglichend, nicht -verhindernd wirken. Sie sollte leicht, konnte seicht und oberflächlich, auf keinen Fall aber pedantisch-trocken sein. Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts wurde dieses Geselligkeitsideal durch das aufkommende Wirtschaftsbürgertum einerseits und die mit der mächtig voranschreitenden Rationalisierung des Ständestaates einhergehende Bürokratisierung immer fragiler. Das Funktionselitentum wurde neu konfiguriert, was soziologische Verschiebungen zur Folge hatte. Nicht zuletzt Garve nahm das gleichsam seismographisch wahr und versuchte dem mit seinem Entwurf eines dynamischen Geselligkeitskonzeptes zu entsprechen. ›Geselligkeit‹ und ›Einsamkeit‹ sind Garve die grundlegendsten Daseinsweisen des Menschen überhaupt. Die menschliche Existenz ist gekennzeichnet von einem beständigen Zustandswechsel zwischen ›Einsamkeit‹ und ›Geselligkeit‹. Die beiden fundamentalen Pole, die kaum eine ›reine‹ Beschreibung zulassen, da deren innere Verfasstheit beständig changiert zwischen Mehr und Minder, eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt und, zueinander in Beziehung gesetzt, einer Ausmittelung bedarf, und zwar einer spezifischen, dem Individuum und seiner Stellung in der hierarchischen Ständegesellschaft, seiner Profession, den eigenen Anlagen und Interessen entsprechend. Keine der beiden Daseinsweisen für sich allein genügt, den Menschen ganzheitlich zu entwickeln. In den von den beiden Polen begrenzten Aktionsfeldern ist das Individuum nur beschränkt ›frei‹, unterliegt es doch einer Vielzahl von Selbstund Fremdbeschränkungen, die es nur in bestimmten Hinsichten zu überwinden vermag. Beide, der »Umgang mit uns selbst und [der] Umgang mit andern [müssen] mit einander abwechseln«.72 Der Selbsterfahrung wird von der Fremderfahrung gleichsam der Boden bereitet: Der Mensch ist dazu gemacht, außer sich zu leben, ehe er in sich selbst zurückkehrt, – zuerst die Gegenstände, welche ihn umgeben, zu besichtigen, und dann erst, durch ein von den Gegenständen auf ihn zurückgeworfenes Licht, sich selbst zu betrachten. Die Vorstellungen und Gefühle des innern Sinns sind gleichsam der Nachhall der Eindrücke, welche von den äußern Sinnen herkommen; durch diese müssen jene zuerst erweckt, – nur durch starke Abwechselungen der letztern können die fernern Unterschiede der ersten bemerkbar werden.73

|| 72 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit 1 (s. Anm. 2), S. 233f. 73 Ebd., S. 6f.

320 | Hans-Peter Nowitzki

Unter Zugrundelegung dieser empiristischen Einsicht beschreibt Garve die beiden Zustände in ihren anthropologischen, sozialen und ökonomischen Determinationen. Ergebnis sind zum Teil ausnehmend sublime Phänomenologien des geselligen und einsamen Menschen. Geselligkeit ist ohne Einsamkeit, die vita activa ist ohne vita contemplativa, im Vollsinn des Begriffes, nicht zu haben. Gleichwohl ist Einsamkeit nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung dessen, was den Menschen als Menschen im umfänglichen Sinne ausmacht. Dazu bedarf er notwendig der Geselligkeit. Denn in ihr allein, im geselligen Umgang, kann er all seine Facetten, die Totalität seines Menschseins nicht nur schlechthin entfalten und entwickeln, sondern auch seinen Mitmenschen zugutekommen lassen. In der Geselligkeit vermag er die Grenzen des beschränkten Daseins zeitweise zu transzendieren. Spezialisierung jedweder Art hat als unnatürliche Vereinseitigung Entfremdung zur Folge, nicht nur die Arbeitsteilung im materiellen Produktionsprozess, sondern auch im ideellen. Die zunehmende Verwissenschaftlichung der Einzelwissenschaften und ihre immer umfänglicheren materiellen und ideellen Rahmenbedingungen führen zu einer Separierung der Wissenschaften und der Wissenschaftler, deren Wissen sich nicht mehr in der geselligen Sphäre verhandeln lässt. Dies ist nicht an sich, aber für die Individuen von Nachteil, da sie damit nicht mehr am geselligen Umgang teilnehmen können. Verfügen sie nicht darüber hinaus noch über allgemeine, öffentlich im geselligen Kreis verhandelbare, diskutierbare Wissensbestände, dann schlägt das zum Nachteil des Betreffenden aus, der sich seiner Berufstätigkeit wegen damit von der Gesellschaft entfremdet, die Geselligkeit aber ein nicht zu erübrigender Wesensbestandteil des Menschen ist, ohne dessen Pflege er geistig, körperlich und sozial verarmt und schließlich degeneriert. Beide Zustände, die Geselligkeit und die Einsamkeit, bergen Gefahren für die individuelle Entwicklung zu einer allseitig und zugleich spezialisiert ausgebildeten Persönlichkeit. Der eine der Zustände macht ihn zum geselligen Umgang tauglich, der andere sichert ihm den Broterwerb, der eine schränkt die Intensität der Tätigkeit zugunsten der Extensität ein, der andere macht Abstriche nötig an der Extensität, um die Intensität der Tätigkeit zu erhöhen. Zugleich drängen beide Zustände zueinander: Das in der Einsamkeit Hervorgebrachte, gleich ob materiell oder ideell, sucht die Öffentlichkeit, wo es sich gleichsam als ›Ware‹ realisieren muss: Es wird bewertet, geschätzt, konsumiert, oder aber missbilligt, verkannt und verworfen. Dieser Akt der gesellschaftlichen Realisation des Hervorgebrachten wirkt auf seine Hervorbringung zurück. Und das gilt, wie gesagt, auch für den Produzenten, der der Geselligkeit für die allseitige Persönlichkeitsentwicklung bedarf.74 Beide Zustände werden auf diese Weise von Garve nie statisch und absolut aufgefasst, sondern stets in einer wechselseitigen Bedingtheit und Verflochtenheit begriffen. || 74 Ebd., S. 119f.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 321

In Anbetracht der insuffizienten Geselligkeitsformen, wie sie die Ständegesellschaft hervorgebracht hat, steht zu fragen, wie Garve glaubt, dass sich unter diesen, von ihm diagnostizierten Umständen eine nicht ständisch gebundene, allseitig und harmonisch ausgebildete Persönlichkeit entwickeln lasse. Denn so wenig es diese neuen Formen von Öffentlichkeit konstituierenden Individuen schon gibt, genauso wenig gibt es bereits diese Geselligkeitsformen. Garve mustert daraufhin schon bestehende unterschiedliche Geselligkeitsformen und kommt zu folgendem Schluss: Während die sich aus Adeligen rekrutierenden Geselligkeitsformen seiner Meinung nach zwar einer gewissen Attraktivität rühmen können, steht er doch historisch jüngeren Organisationsformen bürgerlichen Zuschnitts aufgeschlossener gegenüber: Unstreitig kann man es zu den Vorzügen unsers Zeitalters rechnen, daß wenigstens die mittlern Bürgerclassen, – daß der Kaufmanns- und Gelehrten-Stand, die öffentlichen Beamten und die Schul- und Kirchenlehrer, die Geistlichen und die Weltlichen, die alle sonst nicht weniger, als Adel und Unadel, sich von einander entfernten, sich in allen größern Städten geflissentlich zu nähern gesucht, und Anstalten zu einem gesellschaftlichen Umgange mit einander gemacht haben.75

Diese neuartige Geselligkeitsform dürfe Garve zufolge aber nicht das Ergebnis durch Zufall zusammengeführter anonymer Beteiligter sein. Die Anonymität in der Gesellschaft hätte Unverbindlichkeit, ja Rücksichtslosigkeit zur Folge: Menschen ohne feine Sitten lieben diese Gesellschaften, weil sie weniger strenge hier beurtheilt werden. Schüchterne Menschen lieben sie, weil sie unbemerkt seyn und Andere beobachten können. Leute, welche allen Zwang hassen, ziehen sie, der bloßen Bequemlichkeit wegen, vor. Wer mehrere Jahre bloß solche Gesellschaften frequentirt hat, wird schwerlich mehr zu einer andern tauglich seyn oder Lust haben.76

Garve plädiert für geplante und wohlinszenierte Veranstaltungen, die als ›gute‹ Gesellschaften aufzufassen sind, daher bestimmten Regularien unterliegen. Deshalb wendet er sich gegen offene, unverbindliche Geselligkeitsformen, wie sie die Engländer und südeuropäischen Nationen praktizieren, favorisiert stattdessen die in Frankreich und Deutschland üblichen Salongesellschaften, zu denen in Privathäuser geladen wird.77 ›Gute‹ Gesellschaften sollen sich nicht besonderen Zwecken verschreiben, sondern der allgemeinen Bildung dienen sowie zeitlich, räumlich und personell das wohlbegründete Geselligkeitsverlangen der sich hierfür Zusammenfindenden befriedigen. Jeglicher Gruppenzwang sollte ausgeschlossen sein.78 Sie sollten zahlen|| 75 Ebd., S. 135. 76 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit 2 (s. Anm. 13), S. 65f. 77 Ebd., S. 69. 78 Ebd., S. 70.

322 | Hans-Peter Nowitzki

mäßig überschaubar sein, weil nur so eine auf persönlichen Interessen beruhende und abgestellte Geselligkeit gepflegt werden kann.79 Anstelle staatsbürgerlicher Fragen sollten solche kosmopolitischer und allgemein interessierender Natur im Mittelpunkt der Diskussion stehen, so dass auch Außenstehende, Fremde etwa, zwanglos in die Unterhaltung eingebunden werden können.80 Das Ideal der von Garve anvisierten Vergesellschaftungsform weist letztlich nicht nur über den Ständestaat hinaus, sondern über jedwede von Entfremdung gekennzeichnete Gesellschaftsformation. Er orientiert sich zwar an den Ständen und Schichten, die in der konkreten historischen Situation am wenigsten von die allseitig harmonische Entfaltung der Persönlichkeit hemmenden Entfremdungsphänomenen betroffen sind, und das sind nun einmal die vermögenden Schichten. Goethes Meister beipflichtend hält er fest, dass »es in Europa nur der Adliche gewesen, von welchem man eine durchgängige Ausbildung der ganzen Person, so wie sie vornehmlich zum Umgange gehört, gefordert, und bey welchem man sich mit einer solchen Ausbildung begnügt hat. Von Unadlichen verlangte man vorzüglich Brauchbarkeit zu irgend einem bestimmten Geschäfte: und der Unadliche war, in Vorbereitung auf dieses Geschäft, seine übrige Ausbildung zu vernachläßigen, beynah genöthigt«.81 Garves Ueber Geselligkeit und Einsamkeit illustriert eindrücklich die Genese seines Denkens aus der Tradition der Moralistik82 und der aufklärerischen Sozial- bzw. pragmatischen Anthropologie, die sich, im Gegensatz zu den gängigen Commercium-Anthropologien mit ihrem Fokus auf das Körper-Geist-Verhältnis, auf den Menschen als psycho-physische und soziale Einheit und Ganzheit konzentrierten. Es war Christian Thomasius, der damit begonnen hatte, die höfische Galanterie und Klugheit als Wertekosmos dem deutschen Publikum ex cathedra zu erschließen. Ihm folgten u. a. Johann Andreas Rüdiger, August Friedrich und Gottfried Polycarp Müller, denen sich Adolph Knigge und Karl Heinrich Heydenreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Seite stellten. Diese Anregungen hat Garve aufgenommen, mit denen der schottischen Moralphilosophie verschwistert und in Ueber Geselligkeit und Einsamkeit zu einer neuen Geselligkeitskonzeption zu entwickeln versucht, die die Entwicklung des Individuums und der (Stände-)Gesellschaft geschichtsphilosophisch als eine dialektische Entwicklung von Einsamkeit und Geselligkeit auffasst. Die verschiedenen Stände repräsentieren unterschiedliche Einsam-

|| 79 Ebd., S. 73. 80 Ebd., S. 75. 81 Ebd., S. 51f. 82 Vgl. Johan Heilbron: The Rise of Social Theory. Minneapolis 1995, S. 65–77 und S. 281–284 sowie Johan Heilbron: French Moralists and the Anthropology of the Modern Era: On the Genesis of the Notions of ›Interest‹ and ›Commercial Society‹. In: Johan Heilbron, Lars Magnusson und Björn Wittrock (Hg.): The Rise of Social Sciences and the Formation of Modernity. Conceptual Change in Context, 1750–1850. Dordrecht, Boston, London 1998, S. 77–106.

»Schon als Thier ist der Mensch gesellig« | 323

keits- und Geselligkeitsformen und eröffnen einerseits Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums, begrenzen sie andererseits aber auch wieder. Diese Dialektik versucht Garve in seiner Abhandlung nachzuzeichnen. Solcherart idealistisches Sozialisations- und Vergesellschaftungskonzept, das auf einem individualistisch grundierten Konversationsmodell aufbaut, findet seine Grenze an der gegenläufigen materialistischen Entwicklungskomponente der Arbeitsteilung und der damit einhergehenden tendentiellen Entfremdung, u. a. als Vereinzelung (Vereinsamung).83

|| 83 Vgl. Zedelmaier: Christian Garve (s. Anm. 32), S. 146f.

Jutta Heinz

Ist Popularphilosophie möglich? Christian Garve als exemplarischer Popularphilosoph Christian Garve galt schon den Zeitgenossen als exemplarischer Popularphilosoph – zunächst im besten, spätestens ab dem Ende des Jahrhunderts jedoch im schlechtesten Sinne des Wortes.1 Die Einordnung bestätigt sich zunächst bei einem groben Blick auf Garves philosophisches Œuvre, das keinerlei größere systematische Abhandlungen enthält, sondern Essays zu philosophischen Klein- und Unterthemen – Garve philosophiert über die Geduld, über die Muße, über die Kunst zu denken, ja sogar über die Mode; er veröffentlicht seine Essays in Zeitschriften und Sammelbänden. Als bereits genuin modernen Autor kennzeichnet ihn immerhin das weitgehende Zurücktreten religiöser Elemente; mit seiner Privilegierung des ästhetischen Konzepts des ›Interessanten‹ hat er sich von einer theologisch inspirierten Vollkommenheitsästhetik emanzipiert. Auch seine umfangreichen und reich kommentierten Übersetzungen sind eher einem philosophischen Vermittlungsdiskurs zuzuordnen und machen gleichzeitig seine philosophiehistorischen Vorlieben und Vorbilder deutlich;2 methodisch wäre er aber sicherlich als Eklektiker zu bezeich-

|| 1 Vgl. dazu die Monographie von Claus Altmayer zu Garve, für den Garve »unzweifelhaft der ›Popularphilosophie‹ zugehörig« und gar als »einer ihrer bedeutendsten Vertreter« gilt (Claus Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. St. Ingbert 1992, S. 15). Von den Zeitgenossen wäre beispielsweise Adolph Freiherr Knigge anzuführen, der in Eigennutz und Undank schreibt (und dabei gleichzeitig eine sehr brauchbare Charakteristik von Popularphilosophie entwirft): »Ich brauche nur die Namen Moses Mendelsohn und Garve zu nennen, um Beyspiele von Männern anzuführen, die uns gezeigt haben, daß sich sowohl speculative, als practische Sätze der Vernunftweisheit so vortragen lassen, daß sie wenigstens solchen Personen, die sich gewöhnt haben, ihre Aufmerksamkeit auf ernsthafte Gegenstände zu heften, verständlich und annehmlich werden. Sie haben uns gezeigt, daß man Gründlichkeit mit Deutlichkeit und Anmuth vereinigen könne – nicht mit der Anmuth der Poesie oder der Rednerkünste, und der so genannten Schönschreiberey, welche die Einbildung und das Gefühl auf Kosten der Vernunft bestechen; sondern mit der Anmuth, die Klarheit und Würde erzeugen. Auf diesem Wege hätten wir fortarbeiten sollen, um von dem, was allen Classen von Menschen wichtig ist, auch unter alle Classen von Menschen wenigstens so helle Begriffe zu verbreiten, als zu Befriedigung einer lobenswerthen Wißbegierde und zu Beruhigung ihrer Herzen nützlich seyn kann« (Adolph von Knigge: Ueber Eigennuz und Undank. Ein Gegenstück zu dem Buche: Ueber den Umgang mit Menschen [1795]. Frankfurt a. M. 1796, S. 227). 2 Zu nennen wären beispielsweise die schottischen Moralisten und Cicero (vgl. Norbert Waszek: Die Popularphilosophie. In: Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und Osteuropa. 1. Halbbd. Hg. von Helmut Holzhey und Vilem Mudroch. Basel 2014, S. 403–414, hier S. 405). https://doi.org/10.1515/9783110647747-016

326 | Jutta Heinz

nen.3 Der eindeutige Schwerpunkt seiner Arbeiten liegt in der praktischen Philosophie (mit einem Seitentrieb zur Ästhetik); dort behandelt er sowohl moralische Themen im engeren Sinne als auch politische und ökonomische Fragen. Schließlich wird er sogar zum personifizierten Feindbild der idealistischen Philosophen, wie es z. B. in Friedrich Schlegels ironischem Text Über die Unverständlichkeit aufgerufen wird: »[I]ch wollte beweisen, daß alle Unverständlichkeit relativ, und darstellen, wie unverständlich mir zum Beispiel Garve sei«.4 Was jedoch verstehen die Zeitgenossen überhaupt unter Popularphilosophie – einer Kategorie, der eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Vertreter zugeordnet wird und deren Bewertung in der Philosophie- und Geistesgeschichte von enthusiastischer Zustimmung bis zu entschiedenster Ablehnung schwankt? Ist, um mit Kant zu sprechen, eine populäre Philosophie5 überhaupt möglich, wie verhält sie sich zur etablierten, akademisch und professionell betriebenen Schulphilosophie, und inwiefern ist Christian Garve wirklich ein exemplarischer Vertreter? Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich zunächst einige allgemeine Vorüberlegungen zum Verhältnis von Schulphilosophie und Popularphilosophie in systematischer Hinsicht anstellen (1). Im zweiten, historisch-vergleichenden Teil werde ich auf Garve und sein

|| 3 Vgl. dazu Helmut Holzhey: Philosophie als Eklektik. In: Studia Leibnitiana XV (1983), S. 19–29, der auch Garve als Eklektiker führt (ebd., S. 20f.). Die Verbindung zwischen Popularphilosophie und Eklektik sieht er im Verzicht auf Begründung durch erste Prinzipien und dem pädagogischen, vermittelnden Anspruch (vgl. S. 28f.). Den Zusammenhang zwischen Eklektizismus und Popularphilosophie expliziert Waszek: »Ging es um die Rehabilitation von Lebens- und Welterfahrung, drängte es sich als Korrektiv zur Schulphilosophie auf, Elemente aus unterschiedlichen Traditionen eklektisch aufzugreifen« (Waszek: Popularphilosophie, [s. Anm. 2], S. 404f.). 4 Friedrich Schlegel: Über die Unverständlichkeit. In: Athenäum 3.2 (1800); hier zitiert nach: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. 35 Bde. Hg. von Hans Eichner u. a. Paderborn 1979ff., Bd. 1.2, S. 364. Vgl. zu den anderen Autoren, bei denen Garve als negatives Beispiel genannt wird, Waszek: Popularphilosophie (s. Anm. 2), S. 414. 5 Vgl. zur Vorgeschichte von der Antike an und zum Begriff insgesamt den Artikel ›Popularphilosophie‹ von Helmut Holzhey. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. 13 Bde. Hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Basel 1971–2007, hier Bd. 7 [1989], Sp. 1093–1099 sowie den Artikel ›Popularphilosophie‹ von Norbert Waszek (s. Anm. 2). – Insgesamt liegen inzwischen zwar eine Reihe von Monographien zur Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts vor; vgl. v. a. den Sammelband von Christoph Binkelmann, Nele Schneidereit (Hg.): Denken fürs Volk? Popularphilosophie vor und nach Kant. Würzburg 2015 (mit Bibliographie und weiteren Literaturhinweisen). Besonders die frühen Publikationen zum Thema sind jedoch noch stark geprägt von der erfolgreichen Diffamierung der deutschen Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts durch die idealistische Philosophie. Binkelmann und Schneidereit hingegen verteidigen sie energisch gegen die übliche diffamierende Attribuierung als »seicht«: »Bereits ein kursorischer Blick auf einige Aspekte der Popularphilosophie kann jedoch zeigen, dass ihr Programm nicht seicht, sondern von der großen Ernsthaftigkeit der Frage geprägt ist, wie Aufklärung wirksam werden soll, wie Selbstdenken und Sittlichkeit durch anschauliche Bildung Eingang in die Köpfe und Herzen aller Bürger finden kann« (S. vi).

Ist Popularphilosophie möglich? | 327

Konzept von Popularphilosophie eingehen (2), um im dritten die Ausgangsfrage zu beantworten (3).

1 Ist Popularphilosophie möglich? – Systematische Vorüberlegungen Eine begriffliche Vorklärung ist nötig. Als Gegenpol zur Popularphilosophie kommen zwei Kandidaten in Frage: die Schulphilosophie und die Systemphilosophie; beide überschneiden sich in bestimmten Aspekten, sie sind aber ganz sicher nicht identisch. Eindeutiger scheint die Beziehung der Popularphilosophie zur Schulphilosophie: Popularphilosophie ist, sehr stark verkürzt, ›Denken fürs Volk‹ (so der provokante Titel eines sehr lesenswerten Sammelbandes von Christoph Binkelmann und Nele Schneidereit); Schulphilosophie hingegen ist Denken für die Akademie. Schulphilosophie, auch und gerade im 18. Jahrhundert, tritt dabei häufig in der Form von Systemen auf (von Wolff bis Kant), wohingegen die Popularphilosophie zumeist jeden systematischen Anspruch nicht nur verneint, sondern kritisiert.6 Ich werde im Folgenden deshalb kategorisch zwischen Schul- und Popularphilosophie unterscheiden, die Systemfrage wird aber vor allem in methodischer Hinsicht auch weiterhin thematisiert. Wenn man davon ausgeht, dass mit Popularphilosophie und Schulphilosophie zwei konkurrierende Auffassungen von Philosophie vorliegen, kann ihr Verhältnis drei verschiedene Formen annehmen, die als Idealtypen im heuristischen Sinn zu verstehen sind:7

|| 6 Hinzuzunehmen wären für eine vollständigere Systematik auch die ›Weltphilosophie‹ (vgl. dazu Werner Schneiders: Zwischen Welt und Weisheit. Zur Verweltlichung der Philosophie in der frühen Moderne. In: Studia leibnitiana XV [1983], S. 2–18) und die ab dem 19. Jahrhundert populär werdende ›Lebensphilosophie‹. Schneiders weist vor allem auf den Zusammenhang von Institutionalisierung und wissenschaftlicher Ausdifferenzierung hin, der die Entstehung der ›Weltphilosophie‹ begleitet. Popularphilosophie trete in diesem Zusammenhang auf als »eine Art freier philosophischer Forschung« (ebd., S. 16). Vgl. zum Gegenbegriff der Schule genauer Norbert Waszek, der darauf hinweist, dass die Popularphilosophie in ihren Anfängen als »Kampfbegriff gegen die Abstraktion, Dogmatik und Systematik der Schulphilosophie von Christian Wolff und dessen Nachfolgern« entsteht (Waszek: Popularphilosophie [s. Anm. 2,] S. 403). 7 Ähnlich unterscheiden auch Schneidereit und Binkelmann in ihrer Einleitung zwischen einer Konkurrenzsituation und einer Ergänzung durch Anwendung und/oder Übersetzung (vgl. Schneidereit, Binkelmann: Denken fürs Volk? [s. Anm. 5], S. iii).

328 | Jutta Heinz

1.1 Alleinvertretungsanspruch Beide Philosophievarianten nehmen für sich in Anspruch, die Philosophie als Ganzes in der einzig wahren und möglichen Art und Weise zu repräsentieren.8 Der jeweils andere verfolgt also zwingend ein falsches Konzept von Philosophie in verschiedener Hinsicht. Man kann also, beispielsweise, nicht zur kantischen Philosophie schwören und gleichzeitig einer eklektizistisch-materialistischen Popularphilosophie nach Göttinger Vorbild anhängen.9

1.2 Über- bzw. Unterordnung Beide Philosophievarianten können in einem hierarchischen Verhältnis angeordnet werden: Die eine ist der anderen übergeordnet, der untergeordnete Teil erfüllt dienende Funktionen. In der im 18. Jahrhundert relativ verbreiteten Variante ist die Popularphilosophie ganz klar die Magd der Schulphilosophie: Sie bekommt die Aufgabe zugewiesen, die Ergebnisse der Schulphilosophie an den Laien zu vermitteln, sie anschaulich und populär zu machen; sie kann auch ihre Anwendung illustrieren und wird damit auf das Gebiet der praktischen Philosophie eingeschränkt. Die gegenteilige Position wird seltener vertreten, ist aber auch möglich: Die Popularphilosophie generiert in ihrer eigenen Methode Erkenntnisse, die die Schulphilosophie hinterher ordentlich kategorisiert und systematisiert; die Schulphilosophie selbst kann jedoch keinerlei Erkenntnisse hervorbringen, sondern nur auf anderen Wegen gewonnene Einsichten in eine konsistentere Form bringen.

|| 8 So muss eine Schul- oder Systemphilosophie, die von einem strikten Dualismus ausgeht und jegliche erfahrungsbezogene Erkenntnis ablehnt, beinahe zwingend die Popularphilosophie für unmöglich erklären, was in der Kontroverse zwischen Kant, seinen Nachfolgern und Garve gut nachvollziehbar wird: »Was bei Garve zur Begründung populärer Darstellung diente, daß der Philosoph erfahrungsbezogen reflektiere, wird bei Greiling zum Argument gegen die Popularität der Philosophie« (Holzhey: Popularphilosophie [s. Anm. 5], Sp. 1098 [Hvhg. im Original]). Vgl. ähnlich auch Schneiders Charakterisierung der idealistischen Philosophie: »Philosophie als absolute Wissenschaft oder Wissenschaft des Absoluten ist nicht in der Welt des sogenannten gesunden oder gemeinen Menschenverstandes, sondern im Reich der obersten Prinzipien zuhause und interessiert sich für die Welt hauptsächlich als Erscheinung Gottes« (Schneiders: Welt und Weisheit [s. Anm. 6], S. 17). 9 Vgl. dazu Binkelmann, Schneidereit: Denken fürs Volk? (s. Anm. 5), S. vif.

Ist Popularphilosophie möglich? | 329

1.3 Komplementarität10 Beide Philosophievarianten sind gleichberechtigt und haben einen genuinen eigenen Wert. Erst zusammen erschließen sie das gesamte Feld der Philosophie. Dabei kann diese Komplementarität als eine Form von Arbeitsteilung ohne hierarchische Über- und Unterordnung gedacht werden (so Walther Zimmerli);11 sie kann aber auch so vorgestellt werden, dass beide zwei verschiedene Perspektiven auf die Philosophie repräsentieren, die sich gegenseitig in ihren Ansprüchen begrenzen und korrigieren. Auf diese Idealtypen in systematischer Hinsicht werde ich später zurückkommen. Wenn man allerdings von ihnen aus auf die historische Realität schaut, sieht man sofort, dass die Reinformen nicht so recht existieren, sondern Mischungsverhältnisse dominieren:12 So gesteht Kant durchaus im Allgemeinen zu, dass Philosophie idealerweise popularisierbar sein sollte und es auch ist; er bestreitet es aber energisch für ihren kritischen Grundlagenteil.13 Ich werde deshalb noch eine zweite systematische Ebene einziehen, die es ermöglichen sollte, anhand eines Merkmalskatalogs möglichst präzise zu beschreiben, inwiefern einzelne Philosophien graduell mehr schul- und mehr popularphilosophisch sind.14 Ich unterscheide dabei zwischen verschiedenen Fragen, die jede Philosophie für ihr Selbstverständnis und ihren Geltungsanspruch klären muss.15 Dazu gehören zunächst drei interne Bestimmungen:

|| 10 Es handelt sich also um zwei oberflächlich einander entgegengesetzte Phänomene, die nicht aufeinander reduzierbar oder auseinander ableitbar sind, aber erst gemeinsam zum Verständnis des Phänomens im Ganzen führen. 11 »Gemeint ist damit vielmehr, daß es nicht zwei verschiedene, sich vielleicht sogar gegenseitig ausschließende Arbeiten sind, die von Fachphilosophie und Popularphilosophie zu leisten wären, sondern daß es sich dabei um eine, allerdings gleichsam vertikal geteilte Arbeit handelt« (Walther Ch. Zimmerli: Arbeitsteilige Philosophie? Gedanken zur Teil-Rehabilitierung der Popularphilosophie. In: Hermann Lübbe (Hg.): Wozu Philosophie? Stellungnahmen eines Arbeitskreises. Berlin, New York 1978, S. 181–211, hier S. 207). 12 Eine Fülle verschiedener Varianten kann man beispielsweise in dem Band von Schneidereit und Binkelmann (Denken fürs Volk? [s. Anm. 5]) nachlesen, der aber leider Garve ausspart. 13 Vgl. zur Debatte Garves mit Kant und den Streit um seine bzw. Feders Rezension der Kritik der reinen Vernunft ausführlich Günter Schulz: Christian Garve und Immanuel Kant. GelehrtenTugenden im 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau. Würzburg 1960, S. 123–167. 14 Was natürlich in sich selbst bereits ein popularphilosophischer Ansatz ist, da die meisten Popularphilosophen des 18. Jahrhunderts – Garve ist da keine Ausnahme – nicht an absolute Wahrheiten glauben, sondern an den unterschiedlichen Abstufungen und Graden von Wahrscheinlichkeit interessiert sind. 15 Zimmerli unterscheidet ebenfalls drei Kernbereiche: Zielpublikum, Inhalt, Darstellungsweise (vgl. Zimmerli: Arbeitsteilige Philosophie [s. Anm. 11], S. 202).

330 | Jutta Heinz

a) Gegenstandsbereich: Was ist der Gegenstand dieser speziellen Philosophie? Wie definiert sie ihre Reichweite, für welche Erkenntnisse ist sie zuständig? Wie grenzt sie sich von anderen Wissens- und Gegenstandsbereichen ab? b) Methode: Gibt es spezifische Methoden für diese Art von Philosophie? Versteht sie sich als Wissenschaft im engeren Sinne, die durch eine bestimmte spezialisierte Herangehensweise charakterisiert werden kann, oder als eine Form von Erkenntnis, die prinzipiell jedermann zugänglich ist? c) Darstellung: Wie stellt die Philosophie das von ihr generierte Wissen am besten dar? Gibt es spezifisch philosophische Darstellungsformen?16 Diese drei internen Faktoren werden ergänzt durch drei externe Faktoren:17 d) Akteure: Wer darf oder sollte Philosophie betreiben? Gibt es Zugangs- oder Ausschlussregeln? e) Publikum: Für wen wird diese Philosophie betrieben, was ist ihr Zielpublikum bzw. wie wird sie am besten gelehrt? f) Kontext: In welchem Kontext (akademisch/nicht-akademisch) findet Philosophie statt, welcher Medien bedient sie sich vor allem (akademischer/öffentlichpublizistischer)? Mit diesen Kategorien soll ein Schema erprobt werden, dass es ermöglicht, einzelne Philosopheme im Spannungsverhältnis zwischen Popular- und Schulphilosophie einzuordnen, die die beiden Extrempunkte auf der Skala kennzeichnen.18 Wo wäre in diesem Schema nun Christian Garve anzuordnen?

|| 16 Häufig wird das Popularitätsproblem im 18. Jahrhundert und auch später auf diese Frage verkürzt; eine nur an Verständlichkeit der Darstellung orientierte Popularphilosophie wäre jedoch keine eigenwertige Philosophie im vollen Sinn des Wortes. 17 Gideon Stiening macht in seinem Beitrag zu Schneidereit und Binkelmann deutlich, dass sich die Popularphilosophie und die Debatte um sie nicht allein im »Medium des Begriffs« abspiele (Gideon Stiening: Von Despoten und Kriegern. Literarische Reflexion auf den ›sensus communis politicus‹ bei Christoph Martin Wieland und Johann Karl Wezel. In: Binckelmann, Schneidereit [Hg.]: Denken fürs Volk? [s. Anm. 5], S. 35‒48, hier S. 35). Ebenso wenig sei eine eindeutige Unterscheidung zwischen Fach- und Popularphilosophen möglich; ebenso wenig könne eine von beiden Richtungen ausschließlich »mit einer empiristischen oder anthropologischen noch mit einer rationalistischen Systematik verknüpft werden« (ebd., S. 39). Dagegen wäre abschwächend geltend zu machen, dass bestimmte Präferenzen doch relativ eindeutig an eine dieser Richtungen geknüpft werden können; die Nähe der Popularphilosophie zum Empirismus scheint mir in deren Berufung auf die persönliche Erfahrung als Grundlage alles Erkennens zwingend angelegt. 18 Zimmerli zeigt in seinem Beitrag über Arbeitsteilige Philosophie das mögliche Spektrum solcher populärer Philosophien im 18. Jahrhundert auf: Es erstrecke sich von der Lebensklugheitslehre Sulzers und der Lebensphilosophie bei Gellert und Garve über die politisch ausgerichtete Weltweisheit von Thomas Abbt und Johann Jakob Engel bis hin zur volksaufklärerischen Philosophie für alle Stände wie beispielsweise bei Johann Bernhard Basedow (vgl. Zimmerli: Arbeitsteilige Philosophie

Ist Popularphilosophie möglich? | 331

2 Ist Popularphilosophie notwendig? – Zu Christian Garves Konzept einer populären Philosophie Die Diskussion um die Popularisierung der Philosophie beginnt bereits in der Frühaufklärung mit Christian Thomasius, und sie zieht sich mit verschiedenen Schwerpunktverlagerungen bis hin zu den Debatten um Sprache und Verständlichkeit der kantischen Kritiken und der idealistischen Philosophie Fichtes am Jahrhundertende.19 Christian Garve hat, auch das ist bezeichnend, kein geschlossenes Konzept

|| [s. Anm. 11], S. 201). Die Göttinger Philosophen sind für ihn hingegen eher »popularisierende Schulphilosophen« (ebd., S. 205). 19 Vgl. zu den Diskussionen um die Verständlichkeit in der Zeit nach Kant, auch unter Einbeziehung Garves, Christoph Asmuth: Von ›Seichtigkeit‹ und ›Pedanterey‹. Popularität und Öffentlichkeit in der Philosophie zwischen Kant und Fichte. In: Binkelmann, Schneidereit (Hg.): Denken fürs Volk? (s. Anm. 5), S. 97–112. Garve partizipiert noch an den früheren Debatten um die aufklärerische ›Philosophie für die Welt‹ im engeren Sinne, er nimmt aber auch schon an zentraler Stelle an den Debatten um Kant teil. Für die Zeitgenossen ist er ein exemplarischer Popularphilosoph; als solchen sucht ihn beispielsweise Schiller gezielt als Beiträger für seine Horen zu gewinnen: »[D]ie durch philosophischen Geist beleuchteten moralischen WeltErscheinungen sind so mannichfaltig und unerschöpflich, daß sie sich unter den Händen des Forschers eher vervielfältigen, als vermindern. Ich habe in Ihren Versuchen […] aufs neue Gelegenheit gehabt, das schöne philosophische Licht zu bewundern, das Sie selbst über solche Gegenstände zu verbreiten wußten, die der Willkühr allein ihren Ursprung und ihre Form zu verdanken schienen. Ihre Betrachtungen über die Stelle von Rochefoucault sind gewiß das Gedachteste, was je über diesen Gegenstand gesagt oder geschrieben worden« (Brief vom 1. Oktober 1794, NA 27, S. 56 [Hvhg. im Original]). Schiller spricht damit einige Dinge an, die für den Popularphilosophen Garve nach allgemeinem Verständnis charakteristisch sind: Er wird als ›philosophischer Geist‹ apostrophiert, also nicht als Fachphilosoph; er betrachtet vor allem moralische Themen, von diesen aber eine schier unerschöpfliche Vielfalt; seine Gegenstände entspringen seiner freien Wahl, der Willkür, nicht einer systematischen Vorgabe, und sie tragen diesem Ursprung auch in der Form Rechnung. Das größte Kompliment macht Schiller mit einem sehr originellen Superlativ: Garves Abhandlung über eine Maxime Rochefoucaults seien das »Gedachteste«, was je über diesen Gegenstand geschrieben wurde – und was kann für einen Philosophen, egal welcher Couleur, ein größeres Kompliment sein? – Schiller versucht in dieser Zeit ebenfalls, eine Bestimmung populären Schreibens zu geben, und zwar in seinem Aufsatz Ueber die nothwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen (1795; vgl. dazu Herman Meyer: Schillers philosophische Rhetorik. In: Euphorion 53 [1959], S. 313–350, der auch die Kontroverse zwischen Schiller und Fichte über diesen Gegenstand behandelt, sowie Jutta Heinz: ›Philosophischpoetische Visionen. Schiller als philosophischer Dilettant. In: Andrea Heinz, Stefan Blechschmidt [Hg.]: Dilettantismus um 1800. Heidelberg 2007, S. 185–204). Schiller unterscheidet dabei zwischen einer ›wissenschaftlichen Schreibart‹ und einer ›populären Schreibart‹. Letztere gibt nur Ergebnisse, keine Beweise, sie arbeitet mehr mit Anschauungen als mit Argumenten und ist einer strengen Logik der Darstellung nicht verpflichtet; ihr Ziel ist nicht die notwendig-allgemeine Erkenntnis, sondern die Erkenntnis der Realität, und sie richtet sich an jedermann. Zwischen beiden vermittelt

332 | Jutta Heinz

einer Popularphilosophie vorgelegt (er hätte das wohl auch kaum für möglich gehalten); aber es lässt sich aus seinen essayistischen Schriften vor allem der 1790er Jahre rekonstruieren. Ich werde mich dabei v. a. auf drei Essays konzentrieren: Lob der Wissenschaften (1790), Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken (1796) und Von der Popularität des Vortrages (1793).

2.1 Lob der Wissenschaften In Lob der Wissenschaften20 geht Garve der Reihe nach auf die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen ein und charakterisiert sie, indem er ihre spezifischen Reize für den menschlichen Verstand und ihre Verdienste für das gelungene Leben untersucht. Die Philosophie kommt nach Literatur, Geschichte und Mathematik; auf sie folgen noch die Naturlehre und die Philologie. Die Philosophie ist zunächst eng verwandt mit der Mathematik, da beide Wissenschaften für den Verstand sind; beide unterscheiden sich jedoch dadurch, dass in der Philosophie kein stetiger Fortschritt der Erkenntnisse erreicht werden kann: Aber die tiefsinnigsten Philosophen unsers Jahrhunderts haben doch keine bessere Antwort für sie bereit, oder können wenigstens durch ihre Beweise keine stärkere Ueberzeugung bewirken, als die gutgesinnten und denkenden Menschen vor tausend Jahren auch hatten.21

Der Gegenstand der Philosophie ist im weitesten Sinn zunächst der Mensch, im engeren Sinne die Moral.22 Sie ist eine allgemeine Reflexionswissenschaft, die aber gleichzeitig durch ihre Anwendbarkeit eine »wahre Kunst zu leben« wird:23 || bei Schiller die ›schöne Schreibart‹, in der sich äußere Freiheit der Darstellung und innere Notwendigkeit der Argumentation komplementieren. Sie ist deshalb ein wichtiger Bestandteil seiner Theorie des Schönen ebenso wie der ästhetischen Erziehung. Damit entspricht die ›schöne Schreibart‹ bei Schiller Garves Konzept populären Philosophierens sogar eher als die eigentlich ›populäre‹ Schreibart bei Schiller, da beide besonders die Individualität und die Produktivität in den Vordergrund stellen. 20 Erschienen in: Schlesische Provinzialblätter 12 (1790), S. 193–217; wieder abgedruckt und hier mit der Sigle LW zitiert nach: Vermischte Aufsätze, welche einzeln oder in Zeitschriften erschienen sind. 1. Theil. Breslau 1796 (GGW IV), S. 273–330. Vgl. dazu auch Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 1), S. 613ff., der vor allem auf die Individualisierungstendenzen abhebt (vgl. S. 618). 21 LW, S. 298. 22 Vgl. LW, S. 300. 23 LW, S. 311. Vgl. zum notwendigen Anspruch der Popularphilosophie auf praktische Anwendbarkeit Temilo van Zantwijk: Rechthaben und Rechtbekommen. Popularphilosophie in systematischer Absicht. In: Binkelmann, Schneidereit (Hg.): Denken fürs Volk? (s. Anm. 5), S. 199–208: »Eine anspruchsvolle, zugleich verständliche und gründliche, Popularphilosophie gründet in der Einsicht, dass lebenspraktische Probleme nicht durch philosophische Legitimationssysteme gelöst oder zum Schweigen gebracht werden. Sie ist Philosophie, die in der Lebenspraxis beginnt und lehrt, die

Ist Popularphilosophie möglich? | 333

Die Philosophie hingegen erhält, wenn sie von rechter Art ist, den Menschen in der beständigen Gewohnheit, auf alle Verhältnisse der Dinge zugleich zu sehn, und besonders ihre moralischen zum Maßstabe der übrigen zu machen.24

Eine spezifische Methode wird der Philosophie nicht zugeschrieben, Garve betont sogar mehrfach, dass jeder denkende Mensch ein Philosoph sein kann und sollte: »In dieser Wissenschaft können alle, die sie studiren, gewissermaßen Erfinder werden«.25 Zum Philosophen werde man aber nicht allein durch Nachdenken, sondern erst durch Selbstdenken. Auch die Erkenntnisse anderer Denker muss sich der Philosoph in einem durchaus wörtlichen Sinne zu Eigen gemacht haben; nur das, was man selbst geprüft und nachvollzogen habe, könne als »Eigenthum und als eigentlich philosophische Kenntnisse«26 gelten. Methodisch ist zudem zu bedenken, dass die Philosophie niemals einen Geltungsanspruch auf Wahrheit erheben kann.27 Sie kann bestenfalls in der sokratischen Tradition »immer deutlicher und bestimmter« klarmachen, »welche Sachen wir durchaus nicht wissen können«.28 Der eigentliche Geltungsanspruch einer solchen Philosophie als Wissenschaft vom Menschen, wahre Lebenskunst und Übung im methodischen Selbstdenken ist vielmehr Wahrscheinlichkeit: Die bloße Wahrscheinlichkeit eines uralten und längst bekannten Grundsatzes der natürlichen Religion und Moral, ist, wenn sie nach Abwägung aller Gründe und Gegengründe eingesehen wird, doch für den Menschen wichtiger, – und trägt zur eigentlichen Aufklärung seines Verstandes, zur Veredlung seines Charakters, und zur Anordnung und Beglückung seines ganzen Lebens mehr bey, als die strenge Gewißheit aller geometrischen Sätze.29

Gerade dass sie niemals endgültige Wahrheiten oder immer wahre Sätze formulieren kann, ist nach Garve sogar der Vorzug einer Philosophie der Selbstdenker. In skeptischer Tradition geht er davon aus, dass es objektive Erkenntnis nicht geben kann; jeder Mensch hat »Werkzeuge des Denkens und Empfindens, die, in dieser || Einheit im Verschiedenen zu finden, diese auf gerechtfertigte Einsichten oder Ziele zurückzuführen und zum richtigen Handeln zu motivieren« (ebd., S. 200). 24 LW, S. 309. 25 LW, S. 296. 26 LW, S. 297. 27 In Ueber die öffentliche Meinung (1802) gibt Garve sozusagen eine empiristische Minimalbestimmung von Wahrheit: »Wenn es möglich ist, eine Definition der Wahrheit zu geben, welche den Sophismen der Skeptiker entgeht: so ist es die, daß sie der reine Effect sey, den ein Gegenstand an und für sich auf das Gemüth des Menschen macht, insofern dasselbe auch nur durch die wesentlichen und allgemeinen Gesetze seiner vernünftigen Natur bestimmt wird« (in: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Bd. 5, Breslau 1796; wieder in: Christian Garve: Popularphilosophische Schriften. Hg. von Kurt Wölfel. 2 Bde. Stuttgart 1974, Bd. 2, S. 1265–1306, hier S. 1277). 28 LW, S. 302. 29 LW, S. 299.

334 | Jutta Heinz

Gestalt, nur ihm zugehören«;30 jeder ist geprägt durch seine Lebensumstände, sein Alter und viele weitere Faktoren;31 und schließlich macht es die menschliche Sprache völlig unmöglich, jemals sich mit absoluter Eindeutigkeit zu verständigen.32 Das alles zusammengenommen führt dazu, dass jeder Mensch »seine eigene Philosophie haben« kann;33 das Gegenteil hingegen, die Entdeckung der einen wahren, für alle unter jeglichen Umständen gültigen Philosophie, würde den philosophischen Diskurs ein- für allemal beenden.

2.2 Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken34 Während im Lob der Wissenschaften der Gegenstand der Philosophie und die Person des Philosophen im Vordergrund stehen, legt Garve in den Beobachtungen über die Kunst zu denken eine gar nicht so fragmentarische, sondern strukturell überlegt gegliederte Methodenlehre des Denkens vor. In zwei Teilen behandelt Garve zunächst die unterschiedlichen Einflüsse auf das menschliche Denken; hier baut er also die Annahme eines individuellen Denkvorgangs auch in der Philosophie weiter aus. Wiederum geht er davon aus, dass das Gebiet der Philosophie die menschliche Natur und die menschlichen Sitten im weitesten Sinne umfasst;35 als solche ist sie jedem zugänglich. Interessant ist aber nun, wie Garve mit einer Fülle von Beispielen den Prozess des Denkens selbst beleuchtet; im Mittelpunkt stehen dabei nicht die Ergebnisse des Denkens, sondern die Erhellung der Entstehung eines Gedankens, wie er sich in einem sich selbst beobachtenden Kopf vollzieht und weiter fortschreitet. Denn schon an seinem Ursprung, so Garve, verfügen wir nicht frei über unser Denken.36 Vielmehr dringen sich uns Dinge, Probleme, Fragen in bestimmten Situationen auf, und es ist der philosophischen Produktivität sogar ungemein nützlich,

|| 30 LW, S. 303. 31 Vgl. LW, S. 306. 32 Vgl. LW, S. 304. 33 Siehe LW, S. 303. 34 Erschienen in: Christian Garve: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Bd. 2. Breslau 1796 (GGW I.2), S. 245–430 (im Folgenden zitiert mit der Sigle BK). Vgl. auch Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 1), S. 629ff. 35 Vgl. BK, S. 319. 36 »Diese Vereinigung der Selbstthätigkeit mit leidentlichen Veränderungen, der Wahl mit der Nothwendigkeit, freyer Handlungen mit fremden Einflüssen, macht, beym Denken, wie im ganzen System der menschlichen Natur, die unauflöslichste Schwierigkeit aus. Keine Untersuchung wird je dieselbe wegschaffen. Aber die Selbstbeobachtung kann doch einige nützliche Regeln, für den denkenden Kopf, erfinden, der diese seine Fähigkeit mehr in seine Gewalt bekommen, und sie auf die von ihm gewählten Gegenstände mit besserm Erfolge anwenden will« (BK, S. 250).

Ist Popularphilosophie möglich? | 335

diesen Prozess möglichst wenig zu beeinflussen, sondern seine spontanen und unverfügbaren Momente zu respektieren und auszunutzen: [S]o muß doch die erste Grundarbeit der Meditation, ohne Zwang, ohne Rücksicht auf Kritik, ja selbst gewissermaßen auf eine regellose Art, geschehen. Zuweilen wenigstens muß sich der Philosoph, so wie der Dichter, seinem Genius, seinen Launen, dem Zufalle, den Eingebungen der Umstände und seiner Lage, in Absicht der von ihm aufzunehmenden Ideen, unumschränkt überlassen.37

Der erste Gedankenanstoß wird durchaus parallel zur künstlerischen Inspiration gedacht:38 Beide entstehen aus der Begeisterung, aus der Erwärmung für den Gegenstand, also aus zutiefst persönlichen Voraussetzungen; beide werden befördert durch eine günstige ›Stimmung‹; beide profitieren von günstigen äußeren Umständen, von Freiheit, Mut, Sorglosigkeit des Geistes ebenso wie von gelegentlicher Bewegung des Philosophen in der schönen Natur.39 Auch hier wird die Nähe zum dichterischen Produktionsprozess betont: »Endlich wird die gesammte Stimmung des Gemüths und des Nerven-Systems, mit der Arbeit, die man vorhat, gleichsam harmonisch. Der ganze Mensch wird, so zu sagen, Philosoph, oder Dichter«.40 Danach beginnt jedoch die eigentliche Phase der philosophischen Grundlagenarbeit: Die Gedanken müssen ausgewählt, sortiert, systematisiert werden.41 Zudem werden in dieser Phase der Ausarbeitung andere Faktoren wichtig, die aber immer noch persönlicher Art sind. Sie profitiert von der Ausdauer in geistigen Arbeiten, die von früher Jugend an trainiert werden muss;42 insofern behauptet Garve zwar auch hier, dass prinzipiell jeder Mensch zum Denken fähig ist, aber nur wenige sind tatsächlich geübt darin. Der geschulte philosophische Denker benötigt eine anhaltende Konzentrationsfähigkeit; er lässt sich von einer gelegentlichen Schreibblockade43 ebenso wenig abhalten wie von der gelegentlich ausbleibenden intrinsischen Motivation; er hat sich gedanklich vorbereitet durch die Lektüre der besten Schriften aller Zeiten, die jedoch sorgfältig von der Entwicklung eigener Gedanken und der regelmäßigen Generalinventur seines eigenen Gedankenvorrats getrennt werden || 37 Ebd., S. 303. 38 »Der Dichter muß dem Philosophen vorarbeiten, und kein Mensch kann mit seinem Verstande große Dinge ausrichten, der nicht auch Einbildungskraft genug hat, um dem Verstande die Materialien, die er verarbeiten soll, in einem gewissen Grade sinnlicher Klarheit darzubiethen« (ΒΚ, S. 252f.). 39 Vgl. BK, S. 327f. 40 BK, S. 268. 41 »Aber bey den gewöhnlichen Menschen, und bey den gewöhnlichen Denkübungen, sind diese beyden Geschäfte, das Geschäfte des Erfindens und das des Anordnens, getheilt. Bey jenem muß der Mensch warm, begeistert, leidenschaftlich seyn; […] bey diesem muß er ruhig, kalt und bloß vernünftig seyn« (BK, S. 312). 42 Vgl. BK, S. 276. 43 Vgl. BK, S. 280.

336 | Jutta Heinz

muss.44 Prinzipiell ist das alles nur eine Frage von Übung und Gewohnheit; und auch der Gelegenheitsdenker profitiert dabei von der natürlichen Neigung des Menschen zum Neuen und Interessanten, die Garve hier als »natürliche Popularität« des Gegenstandes bezeichnet: Ueberdieß hat alles, was sich leicht durch sinnliche Beyspiele bestätigen, oder sich leicht auf die wirklichen Dinge, und auf die mit uns lebenden Menschen und deren Handlungen und Werke, anwenden läßt, eine natürliche Popularität, welche den untersuchenden Weltweisen selbst an sich zieht. Alle abgezogne Ideen-Reihen hingegen, alle die, welche gleichsam, in einer großen Entfernung von der sinnlichen und moralischen Welt, lange fortlaufen, und in keinem ihrer Puncte mit dem Angenehmen, oder dem Guten, den beyden Quellen alles Anziehenden, unmittelbar zusammenhängen, ermüden und scheinen trocken.45

Für besonders ergiebig hält Garve dabei das eigene Leben, so wie es erlebt und erinnert wird; auch hier ist eine deutliche Nähe zur Literatur erkennbar: Es giebt, nach meiner Erfahrung, nur wenige Menschen, welche sich der Begebenheiten ihres eignen Lebens genau und pünctlich, besonders in Absicht der Folgen der einzelnen Veränderungen, zu erinnern wüßten. Und diese wenigen habe ich immer als philosophische Köpfe gefunden. Sie haben allerdings manchen Stoff des Nachdenkens mehr, als andre: und der allen gemeinschaftliche ist bey ihnen reichhaltiger. Da sie selbst die kleinern und alltäglichen Vorfälle des Lebens immer, im Zusammenhange und in ihrer richtigen Zeitfolge, vor Augen haben: so bringen sie auch mehr Zusammenhang in ihre Ideen, und können Ursachen und Wirkungen richtiger von einander unterscheiden. Es philosophirt sich weit besser über Thatsachen, deren Reihe man, von Anfange bis zu Ende, vollständig und in der wahren Ordnung der Natur gefaßt hat.46

Diese Passage fasst noch einmal mehrere wichtige Merkmale von Garves Idee einer Popularphilosophie zusammen: Ihre Gegenstände sind alle menschlichen Erfahrungen und Erlebnisse, auch und gerade die kleinen und alltäglichen, die jedermann zugänglich sind; die Philosophie als trainierte Reflexionstätigkeit besonders des ›philosophischen Kopfes‹ analysiert sie auf ihren Zusammenhang hin und kann ihre Genese deutlich machen. Das eigene Leben ist dabei der Ausgangspunkt der philosophischen Reflexion, die dadurch ebenso wie durch die unterschiedlichen äußeren und inneren Einflüsse auf das Denken selbst in einer konkreten, immer unterschiedlichen Situation ihre Wurzeln und ihre Ausdrucksformen im Individuum hat.47

|| 44 Vgl. BK, S. 317. 45 BK, S. 297. 46 BK, S. 323. 47 Garve trifft sich hierin mit Schiller, der in der Debatte mit Fichte in einem Briefentwurf vom 4. August 1795 schreibt: »[W]eil Schriften, deren Werth nur in den Resultaten ligt die sie für den Verstand enthalten, auch wenn sie hierinn noch so vorzüglich wären, in demselben Maasse entbehrlich werden, als der Verstand entweder gegen diese Resultate gleichgültiger wird, oder auf

Ist Popularphilosophie möglich? | 337

Der zweite Teil der Beobachtungen über die Kunst zu denken ergänzt diese Prozesstheorie der philosophischen Produktivität um ein Schema verschiedener Denktypen. Garve unterscheidet insgesamt sechs Denkweisen. Deren erste ist das systematisch-scholastische Denken, das er nur kurz abhandelt und dem er im Wesentlichen als Lehrmethode eine Berechtigung zugesteht, nicht jedoch zur Generierung neuen Wissens.48 Die zweite hingegen ist der eigentliche Gegenpol des Systemphilosophen, nämlich die sokratische Denkweise, die als die »natürlichste und gewöhnlichste Methode der Ideen-Erfinder«49 – also als genuin produktives Verfahren – charakterisiert wird.50 Die sokratische Methode geht aus von angenommenen Meinungen und Aussprüchen, die auf ihre Geltung überprüft werden.51 Allerdings ist diese Methode in ihrem strengen Sinne nur für erfahrene Selbstdenker zu empfehlen – Garve nennt Gotthold Ephraim Lessing und Johann Jakob Engel als Beispiele; und auch sie führt in die Nähe der Dichtkunst, da für sie großer Witz und Scharfsinn52 ebenso wie eine lebhafte Einbildungskraft nötig sind: »Die Werke dieser Männer sind Poesie, die sich in Philosophie auflöset«.53 Die vier weiteren Methoden sind für Garve allesamt Untermengen der ursprünglichen sokratischen Methode. Die historische Methode zielt am stärksten auf geneti-

|| einem leichtern Weg dazu gelangen kann: da hingegen Schriften, die einen, von ihrem logischen Gehalt unabhängigen Effekt machen, und in denen sich ein Individuum lebend ausdrückt, nie entbehrlich werden, und ein unvertilgbares Lebensprinzip in sich enthalten, eben weil jedes Individuum einzig und mithin auch unersetzlich ist« (NA 28, S. 22). 48 Hier beschreibt Garve im Wesentlichen ein systemphilosophisch-deduktives Vorgehen: »Die Theorie wird vorangeschickt, und die Thatsachen, worauf sie sich stützt, folgen. Die abgezogensten Begriffe und Sätze machen den Anfang, und man schließt mit den concretesten« (BK, S. 333). In der Reisemetaphorik, die die Denkformen illustriert, ist der systematische Denker der eilige Reisende, der möglichst schnell zu einem festgelegten Ziel kommen möchte (vgl. BK, S. 337). 49 BK, S. 341. 50 »Der bloß speculative Kopf nimmt immer gerne den Weg a priori: nur der, durch Kunst, Geschichte und Welterfahrung, mit sinnlichen und praktischen Gegenständen Bekannte, wählt den Weg a posteriori und verfolgt ihn mit Glücke« (BK, S. 345). 51 Das Verfahren ist also induktiv: »[U]nd so steigt sie [die sokratische Methode], von einer Berichtigung ihrer Voraussetzungen zur andern, von einem aufgeworfnen und gehobnen Zweifel zum andern auf, bis sie endlich über die ganze Materie Licht verbreitet, und bey Behauptungen anlangt, die durchaus verständlich sind, alle Schwierigkeiten lösen und alle Gründe der Wahrscheinlichkeit in sich vereinigen« (BK, S. 342). Als Beispiele werden hier Rousseau, Lessing und Engel genannt (vgl. BK, S. 344). 52 Die für Garve nicht zu trennen sind; ihre Unterscheidung ist sozusagen ein Beispiel für eine schulphilosophisch zwar einleuchtende und logisch saubere Distinktion, die aber in der Praxis regelmäßig versagt, da nach Garve sowieso alles Denken in Vergleichen besteht (vgl. BK, S. 346) und die Grenze zwischen Allgemeinem und Besonderem keinesfalls immer mit Sicherheit bestimmt werden kann. 53 BK, S. 344.

338 | Jutta Heinz

sche Erklärungen, die jedoch als der vollkommenste Weg zur Wesenserkenntnis eines Dinges gesehen werden: Ohne Zweifel ist diese Erkenntniß von dem Ursprunge eines Dinges, wenn sie vollständig ist, die vollkommenste, welche ein Mensch von dem Wesen desselben haben kann; denn sie ist diejenige, welche bey Gegenständen, die seiner Gewalt unterworfen sind, ihn in den Stand setzt, sie hervorzubringen.54

Sie bedient sich dabei ebenfalls gern der Geschichte eines Individuums, die entweder wahr oder erfunden sein kann. Genauso kann jedoch mittels der historischen Methode die Geschichte des gesamten Menschengeschlechts philosophisch durchdrungen werden; als Beispiel hierfür nennt Garve Platons Politeia.55 Die vierte ist die widerlegende Methode, die Garve vor allem für scharfsinnige Köpfe empfiehlt (wie Aristoteles); sie hat jedoch mit dem Problem zu kämpfen, dass sie allzu oft bei der Kritik des Fremden stehenbleibt und nicht in der Lage ist, etwas Eigenes hervorzubringen. Als Technik des methodischen Zweifels ist sie jedoch auch didaktisch nützlich.56 An fünfter Stelle zählt Garve die ›commentirende‹ Methode auf: Sie wird durch die Klassikerlektüre geschult und ist im Wesentlichen ein hermeneutisches Verfahren, bei dem sich der Kommentator völlig in die Gedankenwelt eines Autors hineindenkt und »an dessen Feuer sein eignes anzündet«; es ist jedoch auch hier unabdingbar, dass er dabei »mit ihm gemeinschaftlich denkt«,57 also nicht bei der bloßen Auslegung stehen bleibt, sondern selbst produktiv wird. Die beobachtende oder bemerkende Methode schließlich ist das ureigene Terrain des Popularphilosophen. Interessant ist, dass der beobachtende Philosoph seine Überlegungen weder am Ursprung noch beim Ergebnis des Denkens beginnen lässt, sondern vielmehr in medias res, in der Mitte: Der Philosoph, der hier als gebildeter Mann zu einem gebildeten Publikum spricht, hat seinen Gegenstand gegenwärtig, aber noch nicht vollständig durchdrungen; er geht mitten in die Materie hinein und präsentiert Bruchstücke seines Erkennens als »eine Erzählung, die mit Betrachtungen durchwebt ist, […] eine Mischung von Philosophie mit Geschichte und Litteratur, wie die Versuche des Hume«.58 Wichtig ist, dass es gerade diese Bruchstücke sind, die die Erkenntnis informieren, eben da sie dem Schulphilosophen seiner systematischen Scheuklappen wegen nicht in den Blick gekommen wären. Ja, Garve entwirft hier sogar eine Stufenleiter des Erkennens, bei dem der beobachtende und der systematische Philosoph Hand in Hand arbeiten: Ersterer

|| 54 BK, S. 353. 55 Vgl. BK, S. 361; ebenfalls genannt wird hier Rousseaus Emile (BK, S. 356). 56 Vgl. BK, S. 367–379. 57 BK, S. 391. 58 BK, S. 397.

Ist Popularphilosophie möglich? | 339

macht zerstreute Beobachtungen und trägt sie zusammen; der systematische Philosoph stellt sie in einen Zusammenhang und schließt die Lücken; der beobachtende Philosoph überprüft das System dann auf noch vorhandene Unstimmigkeiten.59 Ganz klar favorisiert Garve hier ein arbeitsteiliges Komplementärmodell. Er beklagt explizit die Herablassung der Systemphilosophen gegen die beobachtenden Philosophen; beides jedoch sei nicht voneinander zu trennen. Ausführlicher geht Garve unter diesem Punkt zudem auf drei Beispielautoren ein, an denen er sein Konzept einer beobachtenden Philosophie überprüft, nämlich Montaigne, Montesquieu und David Hume. Dabei verkörpert Hume für ihn das Ideal am besten, sowohl in Bezug auf die Gegenstände seiner Philosophie als auch auf deren methodische Ausarbeitung und Präsentation; Hume ist sozusagen eine äußerst seltene gelungene Vereinigung von Popular- und Schulphilosoph: Und eben diese glückliche Vereinigung des Genies, welches Begriffe erfindet, ohne sie zu suchen, mit der Vernunft, welche sie nach Regeln zergliedert, ordnet und verknüpft, macht das Ideal für die Meditation überhaupt, und für jede Gattung derselben ins besondre aus.60

2.3 Von der Popularität des Vortrages61 Bisher ist vor allem vom Gegenstandsbereich der Philosophie, ihren Methoden und ihrem Geltungsanspruch die Rede gewesen. Explizit mit dem Darstellungsproblem, das häufig ja als zentral für die Popularphilosophie insgesamt angesehen wird, beschäftigt sich Garves Abhandlung Von der Popularität des Vortrages. Auch hier erhebt er wieder, nach seinem Modell des ›beobachtenden Philosophen‹ ganz folgerichtig, nicht den Anspruch auf vollständige Darstellung; auch hier geht er wieder durchgängig streng gegliedert vor, gibt aber auch Beispiele.62 Zunächst untersucht Garve, ob es einen Unterschied macht, wenn die Philosophie nicht nur für den Gelehrten oder die Bildungselite, sondern auch für die niederen Volksklassen populär sein soll, sprich: Volksaufklärung werden muss – was er jedoch ablehnt, da jeder Mensch unabhängig von seinem Bildungsgrad sich über neue Ideen freue, die in seinen Kopf gebracht würden, und die wesentliche Unterscheidung eigentlich die

|| 59 Vgl. BK, S. 398f. 60 Vgl. BK, S. 426f. 61 Zuerst erschienen in: Schlesische Provinzialblätter 17 (1793), S. 383–402. Wieder abgedruckt und hier mit der Sigle PV zitiert nach: Christian Garve: Popularphilosophische Schriften. Hg. von Kurt Wölfel. 2 Bde. Stuttgart 1974, Bd. 2, S. 1039–1066. 62 Philosophie wird hier bestimmt als Reflexion über Erfahrungen, die von der Kombination von Ideen in den strengen Wissenschaften wie Mathematik oder Physik zu unterscheiden ist; ihr Schwerpunkt liegt im Bereich der Seelenlehre und Moral, und Erkenntnisse aus diesem Bereich können auch ohne stützendes System in Bruchstücken und Ansätzen – also populär – vorgetragen werden (vgl. PV, S. 1055f.).

340 | Jutta Heinz

zwischen Trägheit und Wissbegier sei.63 Zudem erfordere der populäre Vortrag in der Philosophie zunächst genau das gleiche, was den guten Stil überhaupt auszeichne – also vollkommene Beherrschung von Sprache und Grammatik,64 einen leichten und lebendigen Vortragsstil,65 der sich auch an die Imagination wende; was den philosophischen populären Stil unterscheide, sei allenfalls der verstärkte Gebrauch von Bildern und Beispielen.66 Auf dieser Basis entwickelt Garve ein arbeitsteiliges Modell von populärer und Schulphilosophie, das relativ deutlich vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzungen mit Kant um die kritische Philosophie zu platzieren ist. Er unterscheidet dabei, ganz ähnlich wie in dem Produktionsmodell des vorigen Aufsatzes, zwischen philosophischen Erfindern im engeren Sinne und ihren Nachfolgern. Die erste Idee, so heißt es auch hier, entspringt aus dem eigentümlichen Ideengang eines ganz bestimmten Individuums, und sie wird auch in dessen ganz eigener Form weiterentwickelt: »Populär kann also der Vortrag der Erfinder nie seyn, oder er ist es selten«;67 der Zwang zur Popularität kann in diesem Stadium, wie jeder Zwang in der eigentlichen Inspirationsphase, geradezu schädlich sein. Wenn jedoch die Ausarbeitung und Durchdringung der philosophischen Idee so weit fortgeschritten sind, dass sie auch unabhängig von ihrer individuellen Darstellungsart ins Allgemeinverständliche sozusagen rückübersetzt werden kann, dann ist der populäre Philosoph gefordert; ja, es ist sogar der Prüfstein für den Geltungsanspruch der neuen Erkenntnis, ob sie populär mitgeteilt werden kann.68 Immerhin gesteht Garve hier sogar zu, dass das wissenschaftliche Verdienst des unpopulären Erfinders größer sein kann; trotzdem jedoch bestehe kein Grund, auf die populären Vermittler herabzusehen:

|| 63 Vgl. PV, S. 1043. 64 Vgl. PV, S. 1044. 65 Vgl. PV, S. 1046f. 66 Vgl. PV, S. 1047. Für die niederen Volksklassen seien allerdings wahrscheinlich andere Bilder und Beispiele nötig (vgl. PV, S. 1052). Vgl. zu diesem Problemkomplex auch Schneidereit, Binkelmann: Denken fürs Volk? (s. Anm. 5), S. iv. 67 Vgl. PV, S. 1053. 68 Ähnlich sieht es auch Schiller in seinem Aufsatz Ueber die nothwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen (vgl. Anm. 19): »Gewiß muß man einer Wahrheit schon in hohem Grad mächtig seyn, um ohne Gefahr die Form verlassen zu können, in der sie gefunden wurde [...]. Wer mir seine Kenntnisse in schulgerechter Form überliefert, der überzeugt mich zwar, daß er sie richtig faßte, und zu behaupten weiß; wer aber zugleich im Stande ist, sie in einer schönen Form mitzutheilen, der beweist nicht nur, daß er dazu gemacht ist, sie zu erweitern, er beweist auch, daß er sie in seine Natur aufgenommen und in seinen Handlungen darzustellen fähig ist. Es giebt für die Resultate des Denkens keinen andern Weg zu dem Willen und in das Leben, als durch die selbstthätige Bildungskraft. Nichts als was in uns selbst schon lebendige That ist, kann es außer uns werden« (NA 21, S. 15f. [Hvhg. im Original]).

Ist Popularphilosophie möglich? | 341

Aber daran ist etwas gelegen, daß jeder Gelehrte sein Feld anbaue, ohne den herabzusetzen, welcher auf eine andre Art, als er, dem Publicum nützlich zu werden sucht.69

Während Kant selbst also in diesem Aufsatz verteidigt wird, richtet sich die Kritik vor allem gegen seine Schüler und Nachbeter, die nun für jegliche Art von Philosophie eine Letztbegründung einforderten, unabhängig von deren eigenem Selbstverständnis;70 Garve formuliert hier sogar ausgesprochen scharf: Ist es etwa überhaupt nicht möglich, irgend etwas zu erkennen, so lange man nicht jene ersten Gründe entdeckt hat? – So ist das menschliche Geschlecht bis auf diesen Augenblick in einer gänzlichen Unwissenheit gewesen.71

Es sei vielmehr nötig – und damit kommt Garve auf den Punkt aus dem vorigen Aufsatz zurück –, auch solche Untersuchungen anzuerkennen, die nur Bruchstücke von Kenntnissen, Ideenkeime, enthielten, in die der Popularphilosoph nun »etwas mehr Licht, Genauigkeit und Ordnung«72 bringen könne. Dabei entstünden nicht nur wichtige Beiträge zur Philosophie insgesamt, sondern auch die eigentlich publikumswirksamen Schriften schlechthin:73 Also: diejenige philosophische Schrift ist gemacht, auf das größre gesittete Publicum zu wirken, die, mit der Vollkommenheit des lehrenden Vortrags, einen natürlich leichten Fluß der Gedanken verbindet; und in deren Schlußreihen so viel Geschichte, oder Poesie eingewebt ist, als zur Aufhellung der abgezognen Begriffe, oder zur Bestätigung der allgemeinen Sätze erfordert wird.74

|| 69 PV, S. 1063. 70 Vgl. PV, S. 1059–1061. 71 PV, S. 1062. 72 Ebd. 73 Vgl. zu diesem Aspekt den Beitrag von Temilo van Zantwijk: Rechthaben und Rechtbekommen (s. Anm. 23), S. 199: »Die Popularphilosophie war in der Aufklärung weit mehr als nur eine didaktische ›Vermittlung‹ philosophischen Denkens an ein interessiertes Laienpublikum. Systematisch bedeutsame Fragestellungen, wie die nach dem Verhältnis zwischen Logik und Rhetorik, generell zwischen Verstand und Sinnlichkeit, und im Zusammenhang damit nach Möglichkeit und Anspruch einer philosophischen Ästhetik und Heuristik, wurden in der Popularphilosophie verhandelt. Popularphilosophie weist den Fundamentalphilosophien der Aufklärung […] den Weg zur Anwendung auf ein öffentliches Leben, das ihnen im Gegenzug ein gewisses Existenzrecht gibt.« 74 PV, S. 1049.

342 | Jutta Heinz

3 Ist Popularphilosophie notwendig, und wenn ja, wie viele? Versucht man, aus den untersuchten Texten ein Modell75 von Garves Popularphilosophie im Blick auf die anfangs aufgezählten Bestimmungsmerkmale zusammenzustellen, wird man auf einige Inkonsistenzen stoßen, die mit den unterschiedlichen Entstehungszusammenhängen und zeitlichen Abständen zusammenhängen. Im Großen und Ganzen ergibt sich jedoch ein relativ schlüssiges Bild: a) Gegenstand: Der Gegenstand der Philosophie sind der Mensch und seine verschiedenen Äußerungsformen in Psychologie, Moral, Ästhetik und Politik.76 Nur diese Untersuchungen haben wahren Wert, und ihre Anwendung auf das Leben ist eine Selbstverständlichkeit: Philosophie ist die wahre Lebenskunst. b) Methode: Die Philosophie ist Selbstdenken, sonst ist sie keine. Da jeder Mensch prinzipiell befähigt ist zum Selbstdenken, kann sie auch von nicht-akademischen Denkern ausgeübt werden; ein frühzeitiges Training mentaler Fähigkeiten, die Beachtung von allgemeinen Produktivitätsregeln und umfangreiche Lektüre sind je|| 75 Aus der Vorrede zu den Versuchen über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und aus dem gesellschaftlichen Leben (erschienen im ersten Band der Versuche, Breslau 1792) ließe sich ebenfalls ein kompaktes Modell von Popularphilosophie ableiten: Sie bearbeitet mit Vorliebe »populäre Materialien«, über die »jedermann sein eigner Lehrer seyn« kann (S. III); der Schriftsteller drückt nur deutlicher mit Worten aus, was jeder »vernünftige Mann« in dieser Sache denkt. Die Gegenstände können »nur geringfügig und unbedeutend« sein, werden jedoch durch den Zusammenhang wichtig, in den sie eingeordnet werden; es ist derjenige der »Sittlichkeit« im Blick auf die »menschlichen Leidenschaften« oder die »bürgerliche Gesellschaft« (S. IV). Die einzelnen Beiträge sind individuell aufgefasst und richten sich an Menschen mit einer der des Philosophen »ähnlichen Lage und Gemüthsart« (ebd.). Der Verzicht auf »volle Allgemeinheit« der Untersuchung wird explizit damit begründet, dass gerade kleine und einzelne Beobachtungen »gemeiniglich mehr neue Ideen erwecken, und verborgenere Seiten des Gegenstandes ans Licht bringen, als die, welche weitläuftige Materien umfassen, und nur die Erforschung der Wahrheit überhaupt beabsichtigen« (S. XVIf.). 76 In Einige Gedanken über das Interessirende (1771; wieder abgedruckt in: Garve: Popularphilosophische Schriften [s. Anm. 61], S. 161–347, hier S. 183f.) bestimmt Garve die wirkliche Welt als einziges Objekt sowohl für die Dichtung als auch für die Philosophie: »Die wirkliche vor uns liegende Welt ist es, aus der alle unsre Ideen geschöpft, auf die alle unsre Neigungen gerichtet sind. Sie ist der Inbegriff alles dessen, was uns verständlich oder wichtig oder angenehm seyn kann. Ihr Reichthum füllt den ganzen Umfang unsrer denkenden Kraft, und erschöpft das ganze Maaß unsrer Empfindsamkeit. Wer ungesehene Gestalten und unerhörte Veränderungen uns vorstellt, der führt uns in fremde Welten, wo wir andere Organen nöthig hätten, um zu sehen, und ein ander Herz, um zu fühlen, was uns gezeigt wird«. Eben deshalb interessiert sich der Mensch auch nur für diese Welt. Vgl. zu dem Essay ausführlich Doris Bachmann-Medick: Die ästhetische Ordnung des Handelns. Moralphilosophie und Ästhetik in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1989, Kap. III.

Ist Popularphilosophie möglich? | 343

doch auf jeden Fall ziemlich hilfreich. Es gibt verschiedene Denkertypen, die man systematisieren kann; letztlich jedoch hat jeder einzelne Mensch seine eigene Denkweise, die ebenso individuell ist wie seine Sprache und seine sonstigen Ausdrucksformen. Nicht jede philosophische Erkenntnis braucht erste Prinzipien, nicht jede philosophische Abhandlung braucht systematische Vollständigkeit. Vielversprechende philosophische Erkenntnisse gehen sogar oft von Nebensachen und kleinen Beobachtungen aus, die neue Denkprozesse anstoßen.77 c) Darstellung: Popularität ist unbedingt anzustreben. Sie ist jedoch im Erkenntnisprozess u. U. zunächst zurückzustellen, um die freie Ideenproduktion nicht zu behindern; wenn Ideen nur individuell geboren werden, müssen sie zunächst die individuelle Form ihres Erzeugers annehmen können – auch wenn diese schwer- oder unverständlich ist –, bevor sie in einem weiteren Prozess der Überarbeitung und Aneignung populär gemacht werden können. Dabei unbedingt hilfreich sind die Beherrschung literarischer Darstellungstechniken und eine trainierte Einbildungskraft.78 Die sprachliche Vermittlung ist genauso individuell wie der Prozess, in dem die Erkenntnis erreicht wird; die dadurch entstehende Vielfalt sowohl der Ideenproduktion als auch ihrer Darstellungsweisen ist angesichts der Inhomogenität des Publikums ein entschiedener Vorteil gegenüber einer inhaltlich und sprachlich weitgehend objektivierenden Normierung in der Schulphilosophie mit ihrer Ausrichtung auf einen akademischen Ideal-Leser. d/e) Akteure/Publikum: Philosophieren kann jeder, unter den oben genannten Voraussetzungen; ebenso kann jeder philosophische Texte rezipieren und nutzbringend anwenden. Es wäre jedoch im Interesse der Aufklärung zu wünschen, dass mehr Menschen zu Selbstdenkern oder ›philosophischen Köpfen‹ würden, die sich von der Lektüre anderer Philosophen nur zum Selbstdenken anregen lassen, anschließend aber das Aufgenommene selbständig weiterentwickeln können – genau so, wie es Garve programmatisch in der Widmung seiner Versuche über verschiedene

|| 77 Ähnlich heißt es in Ueber die öffentliche Meinung (1802): »Die besten Gedanken kommen dem Menschen dann, wenn er nur nebenbey eine Sache, die ihm an sich wichtig ist, mit gutem Muthe ohne Furcht und Begierde betrachtet« (Garve: Ueber die öffentliche Meinung [s. Anm. 25], S. 1299). Ein ähnliches Argument trägt Zimmerli in seinem Aufsatz über ›arbeitsteilige Philosophie‹ vor: »In dem Moment aber, in dem die Philosophie auf die immanente Weiterentwicklung oder auf ihre lebensweltbezogenen Aspekte Verzicht tut, ist sie als ganze am Ende, denn ohne immanente Gedankenentwicklung ist sie nicht mehr in der Lage, neuauftretende lebensweltliche Probleme wenn auch vielleicht nicht zu lösen, so doch wenigstens differenziert zu stellen oder theoriefähig zu machen; ohne ›Problem-Input‹ aus außerphilosophischen Bereichen kommt sie zur leeren Nabelschau und bringt sich damit letztlich auch um die Möglichkeit theoretischer Weiterentwicklung« (Zimmerli: Arbeitsteilige Philosophie? [s. Anm. 11], S. 209 [Hvhg. im Original]). 78 Waszek weist zu Recht darauf hin, dass auch verschiedene literarische Genres gern eingesetzt werden, wie z. B. Briefe, Dialoge (Waszek: Popularphilosophie [s. Anm. 2], S. 404).

344 | Jutta Heinz

Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben formuliert: Die Aufsätze, welche ich Ihnen hier widme, sind klein und unbedeutend, und können höchstens nur insofern einigen Werth haben, als sie etwas Selbstgedachtes enthalten, und Gedanken bey andern veranlassen.79

f) Kontext: Philosophie muss dementsprechend nicht an Akademien gelehrt oder in monumentalen Schriften publiziert werden. Sie geht besser in den öffentlichen Diskurs der Aufklärung ein, indem kleinere Beiträge in Zeitschriften publiziert werden, wo auch Diskussionen und Erwiderungen (theoretisch) möglich sind. Wie verhält sich die solchermaßen idealtypisch rekonstruierte populäre Philosophie Garves nun zu ihrem Gegenpol, der Schul- oder systematischen Philosophie? Ganz sicher kann man feststellen, dass Garve kein Ausschlussverhältnis sieht, dagegen sprechen schon die häufigen Appelle an die gegenseitige Toleranz. Einer Beschreibung als ›Arbeitsteilung‹ würde er wahrscheinlich zustimmen; einer Überordnung der System- über die Popularphilosophie jedoch kaum, auch wenn er, gewissermaßen zähneknirschend, Kant ein möglicherweise größeres Verdienst für die Wissenschaften zuschreibt. Aber es ist eben ein Verdienst für die Wissenschaften, und das verdienstlichere der möglichen philosophischen Verdienste ist dann wohl doch das für die Anwendung, die Praxis, die Lebenskunst – insofern gibt es auch durchaus Indizien dafür, dass Garve die Schulphilosophie in einer untergeordneten Stellung sieht, die nur für das systematische Gerüst der Erkenntnisse zuständig ist; das Gebäude steht jedoch am Ende allein, wenn man das Gerüst entfernt. Insgesamt lässt sich das Verhältnis aber wohl am ehesten als komplementär bezeichnen, und zwar in folgendem Sinne: Beide, Schul- und Popularphilosophie, werden auf die Erkenntnis des Menschen und seiner spezifischen Äußerungsformen verpflichtet; es gilt die Regel von der Einheit der Vernunft. Der Wege, zu dieser Erkenntnis zu kommen, gibt es jedoch so viele, wie es Menschen gibt; die Vernunft mag ein einziges Wesen haben, aber sie hat unendlich viele Gesichter. Je mehr Menschen die Philosophie dazu verhilft, ihr eigenes Leben zu reflektieren, ihre Erfahrungen mit denen anderer in eine Beziehung zu setzen, die Motive und Folgen ihres Handelns zu bedenken und sich selbst als aktive Beiträger zur Aufklärung des Menschengeschlechts zu verstehen, desto größer werden ihr Geltungs- und Anwendungsbereich. Einige unter all diesen Menschen werden, als Laune der Natur sozusagen, systematische Genies sein, die die Philosophie durch ihr Spezialtalent so unendlich bereichern wie Kant und an deren Popularisierung dann Generationen arbeiten werden. Aber die meisten werden in eine der anderen Denker-Kategorien fallen: Sie werden sokratische Prüfer, skeptische Kritiker, Kenner der Historie oder

|| 79 Widmung, unpag.

Ist Popularphilosophie möglich? | 345

der klassischen Schriften oder einfach nur sehr aufmerksame Beobachter ihrer selbst und anderer sein. Und manche werden, unabhängig davon, begabte Literaten und Darstellungskünstler sein, andere eher trockene Schriftsteller. Aber Popularität heißt für Garve eben nicht eine Philosophie zweiten Ranges, die ihre Ansprüche auf Gründlichkeit, Prinzipienerkenntnis, auch auf die Mühen von Erkenntnis und Darstellung aufgegeben hat, um endlich einmal so populär zu sein wie die Romanliteratur (auch in der Literaturtheorie der Zeit wird dieser Kampf ja gerade ausgetragen, und mit durchaus ähnlichen Zügen). Popularphilosophie muss keine Trivialphilosophie sein. Popularphilosophie ist die reflexive Behandlung allgemeinmenschlicher Gegenstände mit den allgemein menschlichen, aber im Einzelnen sehr unterschiedlichen Fähigkeiten des menschlichen Geistes sowie die anschließende Darstellung der Ergebnisse in einer den sehr unterschiedlichen menschlichen Fähigkeiten und Interessen angepassten Form. Sie ist – und das ist tatsächlich das Besondere an der garveschen Version von Popularphilosophie – ein individueller Prozess eher als ein Ergebnis. Gerade insofern ist sie aber einer Aufklärung zutiefst verpflichtet, die nicht im Erkennen und Besitzen der Wahrheit, sondern in der permanenten und sich selbst immer wieder in Frage stellenden Suche nach ihr ihren eigentlichen Kern sieht.80 Garve hat das in einer etwas versteckten Fußnote am Ende der Abhandlung zum Denken mit einer außerordentlich originellen Begründung untermauert, nämlich unter Berufung auf den exemplarischen Systemphilosophen schlechthin:81 Es gilt aber, nach meinem Urtheile, auch von den Werken des Verstandes, was Kant von den Handlungen des Willens behauptet. So wie diese keine wahrhaft sittliche Vollkommenheit haben, wenn sie nicht vom Menschen nach einem Gesetze geschehn, welches seine Vernunft ganz allein ihm selbst vorgeschrieben hat: so haben jene keine wahrhafte intellectuelle Vollkommenheit, wenn der Mensch sie nicht, vermöge seines eignen, völlig unabhängigen Gebrauchs seines Verstandes gefunden hat. Der bloße Gehorsam auch gegen den weisesten Ge-

|| 80 Vgl. auch Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 1, S. 655): »In Garves Begriff einer populären Philosophie werden die radikale Individualität des Selbstdenkens mit der ebenso radikalen Allgemeinheit der Popularität zusammengebracht.« 81 Ähnlich argumentiert Walther Ch. Zimmerli (›Schulfüchsische‹ oder ›handgreifliche‹ Rationalität – oder: Stehen dunkler Tiefsinn und Common sense im Widerspruch? In: Hans Poser (Hg): Wandel des Vernunftbegriffs. Freiburg 1981, S. 137–177, hier S. 175f.): »Wenn in diesem Sinn das Gebiet von Common sense und das von spekulativer Philosophie nur im Hinblick auf die unteilbare Einheit der Vernunft selbständige, getrennte Einheiten sind, dann ist es absurd zu sagen, eine von ihnen sei das Wahre und Ganze, weil eben nur beide zusammen dies sind. Vielmehr sollte in vermehrtem Maße die Möglichkeit des Überganges von einem Gebiet in das andere nicht nur zugelassen, sondern geradezu ›trainiert‹ werden. Die künstliche Abtrennung des alltäglichen Vernunftgebrauches von dem, zu dem er hinführt, wenn er konsequent reflektiert wird, vom streng spekulativen Denken führt nur zu einem doppelten Effekt: Die Common-sense-Philosophie und deren esoterische Analytik bleibt steril und unproduktiv; die spekulative Dialektik, die sich in ihrem eigenen Kreise dreht, ist unpräzis und in einem strengen Sinne ›bodenlos‹«.

346 | Jutta Heinz

setzgeber und den rechtmäßigsten und besten Oberherrn ist, sagt Kant, doch noch keine Tugend: weil im Sittlichen der Mensch durchaus sein eigner Gesetzgeber seyn muß. Eben so ist das bloße Verstehen und Annehmen der richtigsten Begriffe und der bündigsten Beweise noch immer nicht Philosophie: weil dieses Wort die Erzeugnisse eines selbst und allein für sich thätigen Verstandes anzeigt.82

|| 82 BK, S. 430.

Udo Roth

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen«, bestimmt »durch den Geschmack und durch die Mode« Garves Auseinandersetzung mit dem Begriff der Mode Einen als Kanzelatlas ausgedienten »alte[n] hölzerne[n] Moses«, dessen schon recht morsches Haupt man absägt und stattdessen einen »Haubenkopf« mit »glückliche[r] Physiognomie« »mit Bedacht und unter großen Hofnungen in den Hals« schlägt ‒ mehr bedarf es nach Jean Paul nicht, um »den blossen Embryon einer ausserordentlichen Frau« zu schaffen.1 Diesen aber nackt der Welt präsentieren ‒ mon Dieu! In »das Staatsgefängnis einer modischen Kleidung« muss der Körper geworfen werden, nach Maßgabe des »Almanac de la beauté & des graces und d[en] Abbildungen der neuesten Damenmoden und alle[n] Stücke[n] des Modejournals und d[er] ersten der Pandora«.2 Das ›Emballieren‹ aber fällt nicht schwer: Die hölzerne Struktur meiner Gattin thut mir bei ihrem Anzuge wahren Vorschub: bei einer fleischernen würden die Kleider durchaus sich nach den Gliedern formen müssen, und das wäre schlimm: allein bei meiner paßʼ ich vielmehr den Körper den Kleidern, wovon oft eines funfzehnmale umgeschnitten wird, um in funfzehn Moden zu floriren, nach Gefallen an und schnitze an einem Glied so lange herum bis ich merke, daß es dem Rocke anliegt; daher allein kömmts daß ihre Statur täglich kleiner wird, und die hatten nicht Recht, die diese Einschrumpfung ihren Jahren beimessen.3

Jean Paul rechnet in grotesk-satirischer Weise mit ›weiblichen‹ Schönheitsidealen ab; dabei zeigt er schon in dieser Passage, dass das ›Diktat der Mode‹ sich den Körper so anzupassen weiß, dass er zu einem leblosen, mithin hölzernen Wesen wird. Solcherart Kritik vollzieht sich u. a. an Hinweisen »aus den besten Poeten«, dass »unbeschreiblich schöne Augen […] ganz aus Achat, schöne Zähne aus Perlen oder Elfenbein, schöne Lippen aus Rubinen, schöne Locken aus Gold, ein schöner Busen aus Marmor (offenbar weissem und nicht schwarzem) gearbeitet sein« müssten.4

|| 1 Vgl. J. P. F. Hasus [sc. Jean Paul]: Einfältige aber gutgemeinte Biographie einer neuen angenehmen Frau von bloßem Holz, die ich längst erfunden und geheirathet. In: ders.: Auswahl aus des Teufels Papieren. Nebst einem nöthigen Aviso vom Juden Mendel. Gera 1789, S. 427‒471, hier S. 428‒430 (Sämtliche Werke. Hg. von Norbert Miller. 10 Bde. München 1974ff., Bd. II.2, S. 393‒422, hier S. 394f.; im Folgenden nach dieser Ausgabe). 2 Ebd., S. 402f. 3 Ebd., S. 404. 4 Ebd., S. 395. https://doi.org/10.1515/9783110647747-017

348 | Udo Roth

Allerdings stehen dem ›Gatten‹ die finanziellen Mittel u. a. für perlerne Zähne nicht zur Verfügung, so dass er auf die »in einer katholischen Kirche rechtmässiger Weise und, weil [er] gerade nahe genug« stand, erworbenen Backenzähnen der hl. Apollonia5 sowie auf »sehr schön gebleichte Rindsknochen«6 zurückgreifen muss.7 Auch Vorgaben aus Modezeitschriften wie dem in Dresden erscheinenden Almanach de la Toilette et de la Mode, dem von Friedrich Johann Justin Bertuch herausgegebenen Journal des Luxus und der Moden (1787‒1827) und der ebenfalls von diesem herausgegebenen Pandora oder Kalender des Luxus und der Moden (1787‒1789)8 werden zum Gegenstand des jean-paulschen Sarkasmus. Alles gipfelt darin, dass der ›Gatte‹ ein paar Tage nach der gut einsehbaren Deponierung der »mit unbeschreiblichem Geschmack angezogene[n] Puppe« am Fenster wahrnehmen muss, daß sich die ganze weibliche Stadt nach ihr trüge, weil man überall dachte und von mir hörte, sie wäre eine Puppe und zwar eine parisische: denn Narrheiten werden wie das Bier immer besser und schmackhafter, ie weiter sie gefahren werden.9

Doch, so lässt uns der Erzähler wissen, werden sich diese ›Narrheiten‹ erübrigen: Die »Todtenuhr« wird auch bei der ›Gattin‹ schlagen, doch eine »wirkliche Todtenuhr« ‒ der Holzwurm.10

|| 5 Nach Dionysius von Alexandria († 264) erlitt die hl. Apollonia (vmtl. † um 249) während der Christenverfolgung unter Kaiser Decius (190/200‒251) ihr Martyrium, wobei ihr u. a. die Zähne ausgerissen und die Kiefer zertrümmert wurden ‒ sie ist deswegen die Schutzheilige der Zahnärzte. 6 Rinderknochen als Zahnersatz werden bereits von Abu l-Qasim (Albucasis; 936–1013) im Kitab atTasrif erwähnt, auch Guy de Chauliac (um 1298‒1368) erwähnt in seiner Chirurgia Magna (1363) Zahnersatz aus Rinderknochen; vgl. Alfred Renk: [Art.] Prothetik, zahnärztliche. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Berlin, New York 2005, S. 1186f.; vgl. im zeitgenössischen Kontext v. a. Colin Jones: The Smile Revolution in Eighteenth Century Paris. Oxford 2014 (Die Revolution des Lächelns – Ein Lebensgefühl im 18. Jahrhundert. Aus dem Englischen übers. von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarb. von Anna Raupach. Stuttgart 2017). 7 Hasus: Einfältige aber gutgemeinte Biographie (s. Anm. 1), S. 397. 8 Vgl. die genaue Beschreibung der Körperproportionen ‒ »[l]a tête, la premiere et le plus noble de toutes les parties, doit être dʼune forme presque ronde […]« ‒ im Beitrag De la Beauté et des Graces des Almanach de la Toilette et de la Mode pour lʼannée 1770, S. 52‒60; zu Bertuchs Journalen vgl. u. a. Julia Bertschik: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770‒1945). Köln u. a. 2005, insbes. S. 28ff. 9 Hasus: Einfältige aber gutgemeinte Biographie (s. Anm. 1), S. 403. 10 Ebd., S. 442; zum Holzwurm bzw. dem ›Klopfen‹ des männlichen Holzwurms während der Paarungszeit als Todesvorzeichen vgl. u. a. Hanns Bächtold-Stäubli, Eduard Hoffmann-Krayer (Hg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 8. Berlin, New York 1987, S. 996.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 349

1 Garve über der Konzept der »Moden« Zielt Jean Paul in der Biographie auf eine satirische Kritik an der Mode in einem durchaus zeitgenössischen Sinne ab, so vermeidet Christian Garve in seiner einige Jahre später publizierten Abhandlung Ueber die Moden11 zwar jede Satire, doch keineswegs jede Kritik. »Mode« lasse sich zunächst erklären als die zu jeder Zeit herrschende Meinung von dem Schönen und Anständigen in kleinern Sachen […], in Sachen, die weder durch Anwendung der Regeln des Geschmacks noch der Zweckmäßigkeit, mit völliger Uebereinstimmung, regulirt werden können. Schon diese Erklärung zeigt, daß das Gebieth der Mode keine ganz bestimmte Gränze habe.12

Mode ist nach Garve also zunächst auf »kleiner[e] Sachen« beschränkt, auf »Sachen, die zur Befriedigung unsrer körperlichen Bedürfnisse dienen, oder auf gesellschaftliche Gebräuche« ausgerichtet sind,13 wobei ›Geschmack‹ und ›Zweckmäßigkeit‹ vorerst in den Hintergrund treten. Im Vordergrund steht »die zu jeder Zeit herrschende Meinung von dem Schönen« einerseits und vom dem »Anständigen« andererseits. In seinem wohl zwischen 1792 und 1796 entstandenen Essay Ueber die öffentliche Meinung14 gibt Garve eine Definition dessen, was er unter ›herrschender Meinung‹ versteht: Die Meinung, worin viele Menschen übereinstimmen, noch die, welche dem größten Theile der Bürger eines Staats gemeinschaftlich ist, hat von je her eine gewisse Gewalt geäußert, die Denkungsart der übrigen zu leiten. Man hat also auch, mehr oder weniger, auf diese Uebereinstimmung aufmerksam werden, und ihr irgend einen Nahmen geben müssen, um davon reden zu können.15

Doch darf die ›herrschende Meinung‹ nicht mit der ›öffentlichen Meinung‹ gleichgesetzt werden, denn

|| 11 Christian Garve: Ueber die Moden. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Bd. 1. Breslau 1792, S. 119‒294 (GGW I). 12 Ebd., S. 121f. 13 Ebd., S. 143. 14 Vgl. Claus Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. Saarbrücken 1992, S. 516. 15 Christian Garve: Ueber die öffentliche Meinung. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. Bd. 5. Hg. von Johann Kaspar Friedrich Manso und Johann Gottlob Schneider. Breslau 1802, S. 291‒334, hier S. 293 (GGW III); vgl. auch Torsten Liesegang: Öffentlichkeit und öffentliche Meinung. Theorien von Kant bis Marx (1780‒1850). Würzburg 2004, S. 141ff.

350 | Udo Roth

das neue Epithet, öffentlich, mit welchem zu unsrer Zeit das, was ehedem gemeine oder herrschende Meinung hieß, bezeichnet wird, ein Epithet, wodurch der Gegenstand mit allem dem, was öffentlich ist, das heißt, was zur Regierung des Staats, oder der öffentlichen Sache gehört, in nähere Verbindung zu treten scheint, die Eigenthümlichkeit dieses Ausdrucks, als eines Kunstworts, wodurch die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand mehr hingeszogen wird; ‒ endlich die mit diesem Ausdrucke zugleich entstandne Gewohnheit, die öffentliche Meinung als ein unsichtbares Wesen von großer Wirksamkeit zu betrachten, und sie mit unter die verborgnen Mächte zu zählen, welche die Welt regieren.16

Erkennbar bewertet Garve solcherart ›Meinung‹ äußerst kritisch, nicht nur weil es eine künstliche Form der Meinungsbildung sei, sondern weil sie im Verborgenen als heimliche Macht konstituiert werde, hätten doch die »Freunde der Revolution« in der ›öffentlichen Meinung‹ als einer qualitas occulta, »die alles erklären«, und als höherer Macht, »die alles entschuldigen« könne, stets ihre Zuflucht genommen und seien auf dieser Grundlage in der Lage gewesen, auch die Terreur zu legitimieren.17 ›Öffentlich‹, in diesem Sinne von ›herrschend‹, sei eine Meinung aber nur dann, wenn die Urtheile, deren Uebereinstimmung eine öffentliche Meinung ausmachen soll, […] von den einzelnen Personen, ‒ von jeder für sich, unabhängig und ohne Einfluß von den übrigen – gefällt worden seyen. Auf alle, welche die gemeinschaftliche Meinung hägen, muß die Sache an sich den nähmlichen Eindruck gemacht; jeder muß sie nach seinen Geistesanlagen und aus seinem Standpuncte betrachtet, und gleichförmig mit den übrigen befunden haben.18

Eine solche ›öffentliche Meinung‹ habe »nichts mit Herkommen, Gewohnheit und den Folgen der Erziehung« gemein, ebenso wenig sei sie eine Übereinstimmung, welche »die Gesetze und die eingeführte Religion in der Denkungsart einer Nation« hervorgebracht habe, noch sei sie gar eine solche, die durch politische Agitation hervorgerufen worden sei.19 Die ›öffentliche Meinung‹ setze immer voraus, das der, der sie vertrete, »seiner eignen Natur, und den Eindrücken, welche die Dinge auf ihn machen, in seinem Urtheile folge.«20 Daraus folge, dass auch der nicht vergesellschaftete, also der Mensch im Naturzustand in seinen Urteilen, »sobald der menschliche Geist hinreichend entwickelt ist«, mit anderen zumindest bei gewissen Gegenständen übereinstimmen könne ‒ ein Konsens der objektiven Erkenntnis setzt also einen solchen auf intersubjektiver Ebene voraus.21 Doch bleibt laut Garve dieses »stille Nachdenken von Vielen« immer »ohne eine bestimmte Absicht« und geschieht »bloß um des Interesses des Gegenstandes wil-

|| 16 Garve: Ueber die öffentliche Meinung (s. Anm. 15), S. 293f. (Hvhg. im Original). 17 Vgl. ebd., S. 295. 18 Ebd., S. 296f. 19 Vgl. ebd., S. 297. 20 Vgl. ebd. 21 Vgl. ebd., S. 298.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 351

len«,22 ist also keineswegs auf einen äußeren Zweck ausgerichtet.23 Auch wenn der Mode als Ausdruck der ›herrschenden‹ bzw. der so verstandenen ›öffentlichen Meinung‹ somit der Form nach eine normative Kraft zukommt, bleibt sie in ihren Inhalten kulturhistorisch variabel, vor allem, wenn es um die Normativität von Schönheit und Anstand geht. ›Anstand‹, so Garve im erst posthum erschienenen zweiten Band der voluminösen Abhandlung Ueber Gesellschaft und Einsamkeit, bestehet aus folgenden Stücken: 1) zu verbergen, was häßlich, 2) zu verbergen, was schändlich ist, 3) zu zeigen, was schön ist, 4) zu verschönern, was einer Verschönerung fähig ist.24

Diese Aspekte des ›Anstands‹ gelten für den Menschen aber nur im vergesellschafteten Zustand, wenn er hingegen »allein ist, so schämt er sich vor nichts. Er geht nackend, ohne Uebelstand. Er tanzt allenfalls im Zimmer; wer will ihn tadeln, da ihn niemand siehet?«25 ›Anstand‹ ist folglich zunächst ein gesellschaftliches Phänomen, das darüber hinaus auf eine spezifische Art der intersubjektiven Kommunikation, der optischen Inaugenscheinnahme des Gegenübers und vor allem der Frage nach der Reaktion des Gegenübers auf die eigene Erscheinung abstellt. Denn der einzelne Mensch kann nur durch zwey Sachen an mir beleidiget werden. 1) Wenn er etwas sieht, das auf Geilheit, Gefräßigkeit oder irgend eine sehr fehlerhafte Beschaffenheit des Gemüths schließen läßt. 2) Wenn er etwas sieht, was ihm unmittelbar unangenehm ist.26

Der ›Anstand‹ eines Menschen bleibt also vornehmlich auf die unmittelbare optische Wahrnehmung eben dieses Menschen beschränkt, wobei noch einmal zu differenzieren ist, was ›unangenehm‹ in diesem Kontext bedeutet. Das »Unangenehme« ist laut Garve »entweder das Schmerzhafte, oder das Eckelhafte, oder das Häßliche«. Wichtig scheint Garve bei den das Unangenehme auslösenden Faktoren aber eine weitere Unterscheidung zu sein: Fasst das Gegenüber den Anblick als tadelnswerten »Übelstand« auf, oder fühlt es sich durch diesen beleidigt? Denn was »Schmerz verursacht, ist nicht mehr Übelstand, sondern Beleidigung«,27 das heißt im naturrechtlichen Sinne eine Verletzung der Rechte anderer, hier im Speziellen || 22 Vgl. ebd., S. 327. 23 Hier zeigt sich die Schwäche von Garves Theorie öffentlicher Meinung, denn sie basiert darauf, dass der Mensch in seinem Urteil »von Interessenlagen, politischen Parteihaltungen und der Prägekraft gesellschaftlicher Institutionen zu abstrahieren fähig« ist, vgl. Liesegang: Öffentlichkeit und öffentliche Meinung (s. Anm. 15), S. 144; ebenso Altmayer: Aufklärung als Popularphilosophie (s. Anm. 14), S. 526. 24 Christian Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit. Zweyter Band. Hg. von Johann Kaspar Friedrich Manso und Johann Gottlob Schneider. Breslau 1800, S. 4 (GGW II). 25 Ebd., S. 3. 26 Ebd., S. 4. 27 Ebd., S. 5.

352 | Udo Roth

das Recht auf »Gesundheit, und unverletzte Beschaffenheit unseres Leibes und aller Theile und Glieder desselben«.28 Eine solche Beleidigung aber »wird nicht getadelt, sondern gerächt«,29 denn der Mensch hat »das Recht zur Rache (ius ultioni) wider alle Menschen, die ihn schon beleidiget haben«.30 Zudem unterscheidet Garve zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Faktoren des Unangenehmen und damit der ›Unanständigkeit‹. Vermeidbar ist die Erregung des Ekelhaften, woraus der »erste und älteste Anstand« entsprang, etwa in der Bedeckung gewisser Theile des Körpers, was wir auch bey den rohesten Völkern finden; hieraus entsprang die Reinlichkeit, der erste Schritt zum guten Anstande, und die Entfernung und Verbergung der natürlichen Ausleerungen.

Ist das Ekelhafte also »vornähmlich dem Anstande entgegengesetzt«, so ist »das Häßliche […] weniger vermeidbar, es beleidigt weniger und ist schwerer zu erkennen«. Was aber ›das Hässliche‹ konkret ist, lässt Garve zunächst offen, es kommt »in der Liste der unanständigen Dinge später an die Reihe.«31 Aber auch ›später‹ bleibt eine Definition aus, einzig der bloße Anblick von Menschen, als des ersten und schönsten Products der Natur, vergnügt. An ihnen ist das meiste zu sehen und zu beobachten. Hier findet die Unterscheidung von Schönheit und Häßlichkeit Statt. Gang, Stellung, Sprache, alles giebt Gelegenheit, Betrachtungen anzustellen; und in jedem von diesen kann etwas sinnlich angenehmes seyn.32

Schönheit und Hässlichkeit scheinen demnach auf rein subjektiven, vor allem optischen Empfindungen zu beruhen. Doch ›Anstand‹ ist nicht einzig auf die Wahrnehmungen des Äußeren beschränkt, das »Anständige vereiniget […] das sinnlich Schöne mit dem Sittlichen«:33 Dasjenige nähmlich ist dem Menschen anständig, was der Würde eines vernünftigen Wesens gemäß ist. Und da sich der Geist nur durch den Körper zu erkennen giebt, […] so giebt es auch in seinem Aeussern etwas wesentlich anständiges, dasjenige nehmlich, was als die Wirkung und das Zeichen richtiger Einsichten oder tugendhafter Gesinnungen angesehen werden kann.34

|| 28 Vgl. etwa Georg Friedrich Meier: Recht der Natur. Halle 1767, §§ 110ff., S. 223ff., hier § 110, S. 223. 29 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit, Bd. 2 (s. Anm. 24), S. 5. 30 Meier: Recht der Natur (s. Anm. 28), § 50, S. 92. 31 Vgl. zum Vorherigen Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit, Bd. 2 (s. Anm. 24), S. 4f. 32 Ebd., S. 337. 33 Ebd., S. 29, Anm. 34 Ebd., S. 27.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 353

In dieser »rein sittlichen Bedeutung«, so apostrophiert Garve unter Rekurs auf Ciceros De officiis bzw. seine Philosophischen Anmerkungen und Abhandlungen hierzu, drückt [d]as Wort Anständig (decorum πρέπον) […] einen doppelten Begriff aus: einmahl den von einer allgemeinen Eigenschaft jeder Tugend; zum andern den von einem besondern Zweige gewisser Tugenden. Es bezeichnet eine allgemeine Eigenschaft der Tugend überhaupt, weil alles, was sittlich gut ist, auch dem Menschen anständig, und als Handlung eines solchen Wesens schicklich ist. Es bezeichnet einen besondern Zweig der Tugenden: weil es gewisse Handlungen giebt, die jedermann als sittlich gut billigt, die aber doch nicht eigentlich etwas gutes in der Welt hervorbringen, sondern die nur deßwegen gefordert werden, weil sie Ausdrücke und Zeichen einer wohlgeordneten Seele sind, und nicht ausbleiben können, wenn Geist und Charakter des Menschen sittlich vollkommen sind.35

Eben jene »letztre Art tugendhafter Handlungen, wenn sich dieselben auf das Aeußere des Menschen« beziehen und einzig »die Ausschmückung seiner Person und seiner Sachen oder seine Vergnügungen und seine Zeitvertreibe, besonders die gesellschaftlichen, zum Endzweck haben, gehören zu den äußern Sitten«.36 Aber auch diese Form des Anstands ist wiederum zweigeteilt: in das »Graziöse«, das »Klugheit, Mäßigung und Muth, durch schöne Gestalten und Bewegungen des Körpers ausdrückt«, und die »Politesse (in engerem Sinne)«, das heißt »Menschenliebe und ihre Arten, auf dieselbe Weise ausgedrückt«37 ‒ wobei der Anstand oder die Politesse […] aus der Auswahl des Schönsten, welches in dem Aeussern des Menschen vorkommt [besteht]. Die angenehmsten und freundlichsten Gesichtszüge, die wohlgebauteste Gestalt, die stärkste und behendeste Tragung seiner Glieder, diejenigen Bewegungen, Mienen und Geberden, kurz dasjenige Betragen, welches im Aeußern am meisten gefällt, ist das Ideal.38

|| 35 Ebd.; vgl. Christian Garve: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten. Anmerkungen zu dem Ersten Buche. Breslau 1783, S. 153 (GGW X): »Der Character des Nachdenkens, der Menschenliebe, des gesetzten Muthes, ausgedrückt im Gesichte, in den Stellungen des Körpers, im Reden und Betragen, setzt allem diesen, gewisse gefällige Züge zu, oder mildert die mißfälligen die sie sonst haben, Decorum pertinet ad honestum, sed ita, ut non recondita quadam ratio, ne cernatur, sed sit in promptu. Das Anständige ist die Außenseite der Tugend; es ist der sinnliche Eindruck, den sie auf das Auge macht«; vgl. Cicero: De officiis 1,95: »Quare pertinet quidem ad omnem honestatem hoc, quod dico, decorum, et ita pertinet, ut non recondita quadam ratione cernatur, sed sit in promptu.« 36 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit (s. Anm. 14), S. 28f. 37 Ebd., S. 29, Anm. 38 Ebd., S. 30.

354 | Udo Roth

»Für gewöhnlich« ist die »Politesse« aber nur eine Maske, welche die Menschen darum nöthig haben, weil bey keinem die Natur durchaus vollkommen ist und bey keinem sich ganz ungehindert entwickelt; und deßwegen ist die Bildung durch Menschen und Gesellschaft dazu unentbehrlich.39

Nach all diesen Überlegungen zieht Garve den Schluss, dass das decorum, mithin der ›Anstand‹ dreierlei umfasse: a) das decorum der menschlichen Natur ausgedrückt durch das Aeußere. b) Vermeidung dessen, was den Sinnen oder der Einbildungskraft Anderer unangenehm ist. c) Beobachtung der Conventionen, welche nach und nach erdacht worden sind, um die Gesellschaft zu erleichtern.40

Somit ist der ›Anstand‹ immer Resultat des geselligen Lebens, denn Handlungen »in Absicht dessen, was gut, und also Pflicht ist,« wie auch solche »in Absicht des Schönen und des Anständigen« bleiben eigentlich der Beurtheilung eines jeden Individuums in jedem besondern Falle überlassen: sie werden aber doch unter Menschen, die an einem Orte und in mannichfaltigen Verbindungen leben, durch gewisse gemeinschaftliche Regeln angeordnet.41

Garve definiert ›Anstand‹ also ganz in Sinne von Thomasius, der dem decorum als normativer Kraft im gesellschaftlichen Verhalten naturrechtlich eine Verbindlichkeit zugestand. Verstöße gegen das decorum können allerdings auch nach Thomasius nicht juristisch ‒ im Sinne des positiven Rechts ‒ sanktioniert werden.42 Insbesondere die Regeln ›in Absicht des Schönen und des Anständigen‹ aber kann der »verständige und tugendhafte Mensch« lernen, am leichtesten diejenigen, die sich auf die ersten beiden Formen des decorum beziehen; die Conventionen [hingegen] muß man lernen, wie eine Wissenschaft: und wer in der besten Gesellschaft lebt, lernt die besten. Dieß ist der Vorzug der Hofleute und Großen.43

Solch ›kleinere Gegenstände‹ bzw. solche Gegenstände und Handlungen, die die Menschen »unter die Kleinigkeiten rechnen« werden je nach »Geschmack durch Naturanlagen, oder durch Bildung und Kunst«, der »Nutzbarkeit und de[m] Ge-

|| 39 Ebd., S. 31; vgl. dazu auch Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, § 14; AA VII, S. 152: »Überhaupt ist Alles, was man Wohlanständigkeit (decorum) nennt, von derselben Art, nämlich nichts als schöner Schein.« 40 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit (s. Anm. 14), S. 33. 41 Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 120. 42 Vgl. Christian Thomasius: Fundamenta iuris naturae et gentium ex sensu communi deducta, in quibus ubique secernuntur principia honesti, justi ac decori. Halle, Leipzig 1705, 41718, I,6, §§ 1ff. 43 Garve: Ueber Gesellschaft und Einsamkeit (s. Anm. 14), S. 33.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 355

brauch der Sachen«, der »Annehmlichkeit derselben«, dem »Trieb zu Veränderungen« oder auch dem »Vergnügen an Neuheit […] ohne feste Regeln, und daher der Herrschaft der Mode überlassen bleiben.«44 Mit den Begrifflichkeiten ›Nutzbarkeit‹, ›Annehmlichkeit‹, ›Veränderung‹, ›Neuheit‹ reiht sich Garve in die Debatten über die Mode ein, die seit dem späten 17. Jahrhundert europaweit geführt wurden. Einige Beispiele mögen das erläutern: So heißt es etwa 1739 im entsprechenden Artikel des Zedler: »Ist eine Ursache vorhanden«, warum man in der Kleidung »etwas verändern soll«, so sei es ja billig, daß man das alte abschafft, und etwas, welches den Nutzen u. die Bequemlichkeit des menschlichen Lebens besser befördert, oder unterhält, ausfindet; es wird auch iedweder vernüfftiger Mensch sich solcher neuen Mode gar willig unterwerffen, und die alte fahren lassen.45

»Wenn man aber«, so heißt es weiter, neue Moden annimmt, die nicht so bequem sind, als die vorigen, und die alten nur aus der Ursache abschafft, weil sie schon eine Zeitlang im Schwange gegangen, und man wieder auf etwas neues müsse bedacht seyn; so ist es wohl eine erschreckliche Thorheit, und der Erfinder davon ein sehr unvernünfftiger Mensch.46

Doch nicht nur ›Unvernunft‹ könne die Mode auszeichnen, sie gebe teilweise auch Aufschluss über die moralische Gesinnung der Träger, denn Mode sei nichts anders, als eine Gewohnheit, welche durch den Willen der Leute eingeführet, und also, nachdem derselbe beschaffen ist, nachdem ist auch die Mode tugendhafft oder lasterhafft, vernünfftig oder unvernünfftig, oder auch indifferent.47

Diese Verbindung von Gewohnheiten der Mode und ihrer wenigstens möglichen, weil bisweilen auch ethisch »indifferenten« Verbindung mit der moralischen Gesinnung ihrer Träger wird von Kant noch verschärft: Denn für Kant ist Mode schlichtweg Eitelkeit, die jeden »wahren Nutzen oder gar Pflichten« jener »Neuigkeit« aufopfert, »die Mode beliebt macht«, jenes Erfinden immer neuer äußerer Formen, »wenn diese auch öfters ins Abenteuerliche und zum Theil Häßliche ausarten«. Es gebe zwar einen »natürliche[n] Hang des Menschen, in seinem Betragen sich mit einem bedeutendern (des Kindes mit den Erwachsenen, des Geringeren mit den Vornehmeren) in Vergleichung zu stellen und seine Weise nachzuahmen«, die Mode aber sei ein »Gesetz dieser Nachahmung, um blos nicht geringer zu erscheinen als

|| 44 Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 122. 45 Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 21. Halle, Leipzig 1739, Sp. 700‒712, hier Sp. 701. 46 Ebd., Sp. 702. 47 Ebd., Sp. 701.

356 | Udo Roth

Andere und zwar in dem, wobei übrigens auf keinen Nutzen Rücksicht genommen wird«. Zwar heiße es: In der Mode sein, ist eine Sache des Geschmacks; der außer der Mode einem vorigen Gebrauch anhängt, heißt altväterisch; der gar einen Werth darin setzt, außer der Mode zu sein, ist ein Sonderling,48

doch sei die Mode eigentlich nicht eine Sache des Geschmacks (denn sie kann äußerst geschmackwidrig sein), sondern der bloßen Eitelkeit vornehm zu thun und des Wetteifers einander dadurch zu übertreffen. (Die elegants de la cour, sonst petits maitres genannt, sind Windbeutel.)49

Garve bleibt gegenüber dieser massiven Moralisierung der Mode behutsamer: Der Plural ›Moden‹ impliziert keineswegs einen historischen Abriss; Garve differenziert vielmehr die Regulierung materieller und immaterieller Modeerscheinungen, also entweder von »Sachen, die zur Befriedigung unsrer körperlichen Bedürfnisse dienen, oder die gesellschaftlichen Gebräuche« befördern: Jene sind Kleider, Wohnung, Hausgeräthe, Equipage, und alle Arten von Schmuck: diese sind von zweyerlei Art, entweder Übereinkommungen über Zeit, Ort und Form aller der, im geselligen Umgange gemeinschaftlich vorzunehmenden, Verrichtungen und zu genießenden Vergnügungen; oder es sind die verabredeten Zeichen unsrer Gesinnungen gegen andre.50

›Mode‹ im Sinne Garves erscheint also entweder materiell und für den Betrachter offensichtlich, oder sie hat einen performativen Charakter, der nicht immer erkenn-

|| 48 Vgl. Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, § 71; AA VII, S. 245. 49 Ebd. ‒ Als ›petit maître‹ werden seit Mitte des 17. Jahrhunderts nicht nur die affektierten Höflinge am Hofe Ludwigs XIV. und seiner Nachfolger bezeichnet, sondern generell Modenarren und Stutzer, die u. a. Éléazar de Mauvillon (1712‒1779) als eine sich in alle Schichten ausbreitende Gesellschaftsplage betrachtet (vgl. Lettres françoises et germaniques ou réflexions militaires, littéraires, et critiques sur les François et les Allemans. London 1740, S. 137‒140); auch ist der ›petit maître‹ als Ausdruck der Affektiertheit v. a. der höheren Schichten eine feststehende Type in der französischen Komödie des 18. Jahrhunderts, so etwa in Pierre Carlet de Chamblain de Marivauxʼ (1688‒1763) 1734 uraufgeführtem Petit-Maître corrigé; vgl. dazu auch Elsa Jaubert: Stutzer und Kokotten. Die Rezeption der französischen Typen in der deutschen Komödie der Aufklärung. In: Marcel Krings, Roman Luckscheiter (Hg.): Deutsch-französische Literaturbeziehungen. Stationen und Aspekte dichterischer Nachbarschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Würzburg 2007, S. 87‒96 (Marivauxʼ Le Petit-Maître corrigé wird hier nicht erwähnt). 50 Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 143; zur »Wohnung« und deren Ausgestaltung vgl. Norbert Wichard: Erzähltes Wohnen. Literarische Fortschreibungen eines Diskurskomplexes im bürgerlichen Zeitalter. Bielefeld 2012, S. 48‒54; zum »geselligen Umgange« vgl. u. a. Rudolf Vierhaus: Christian Garves Theorie des Umgangs. In: Peter Albrecht, Hans Erick Bödeker, Ernst Hinrichs (Hg.): Formen der Geselligkeit in Nordwestdeutschland 1750‒1820. Tübingen 2003, S. 541‒548.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 357

bar sein muss und bisweilen nur Eingeweihten bekannt bleibt.51 Um sich dieser Probemlage anzunähern, sei eine kurze Passagen aus der Vorrede zum ersten Teil der Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben, in dem Ueber die Moden 1792 erschien, zitiert: Von meiner frühesten Jugend an hat eine leidenschaftliche Liebe zum Umgange mein Gemüth beherrscht, und oft es beunruhiget. Der Wunsch, in der Gesellschaft zu gefallen und von derselben gesucht zu werden, ist zu allen Zeiten weit stärker bey mir gewesen, als die Begierde nach litterarischem Ruhme. […] Diese meine von der Vernunft nicht hinlänglich bewachte Leidenschaft, die Begierde, im Umgange zu gefallen und des Umgangs zu genießen, wollte auf eben so mannigfaltige, als ausgesuchte Weise befriediget seyn. Ich wünschte von keiner Classe ausgeschlossen zu werden, und vielleicht verlangte ich zu sehr, auch in den ersten meines jedesmahligen Wohnorts eine Rolle zu spielen. Hierbey mochte zum Theile bloße Eitelkeit, die nur hervorragen will, zum Grunde liegen; aber ich bin mir bewußt, daß auch Wißbegierde und das Verlangen, vollkommner zu werden, mit unter meine Triebfedern gehörte: Wißbegierde, insofern ich im Umgange vornehmlich eine Schule der Menschenkenntniß suchte und dazu die verglichne Beobachtung mehrerer Stände für nothwendig ansah; Verlangen nach Vollkommenheit, indem ich durch den Umgang mit der vornehmen oder mit der modischen Welt, gerade diejenigen Uebungen zu erhalten hoffte, welche die Fehler meiner Naturanlagen verbessern, und die, durch Nachdenken und Studium unerreichbaren Vorzüge mir verschaffen könnten.52

Dieses Ansinnen einer Verschränkung von ›Modebewusstsein‹ in materialer Gestalt und performativer Handhabung deckt sich in weiten Teilen mit den in Ueber Gesellschaft und Einsamkeit skizzierten Regeln ›in Absicht des Schönen und des Anständigen‹ in den Moden. Die Charakterzeichnung, die Siegismund Gottfried Dittmar (1759‒1834), der seit 1780 einige Zeit in Garves Haus logierte und engen Kontakt zu seinem Gastgeber pflegte, in seinen Erinnerungen gibt, können dokumentieren, dass Garve diese Verbindung auch in seinem Privatleben verwirklichte: In seiner Kleidung und in seinem Hausgeräthe vernachläßigte er die Mode eben so wenig, als er sich dadurch auszuzeichnen suchte; aber er vermied das Auffallende in beiden Extremen. Er wollte hierin nur das, was zum äussern Anstande gehörte, beobachten. Unmöglich konnte er deswegen auch Dingen, welche zu den Bequemlichkeiten oder Zierrathen des Lebens gehören, über ihren Werth schätzen, oder den seinigen davon erwarten.53

|| 51 Vgl. dazu etwa die noch immer gebräuchliche Redewendung ›Das kommt mir spanisch vor‹, die vmtl. auf das am deutschen Hof nach der Krönung Karls V. (1500‒1558) zum römisch-deutschen Kaiser (1519) eingeführte, völlig unbekannte und zum Teil als unerhört empfundene spanische Hofzeremoniell zurückgeht. 52 Christian Garve: Vorrede. In: ders.: Versuche über verschiedene Gegenstände (s. Anm. 11), S. III‒XX, hier S. VIf. und S. IXf. 53 Siegismund Gottfried Dittmar: Erinnerungen aus meinem Umgange mit Garve, nebst einigen Bemerkungen über dessen Leben und Character. Berlin 1801, S. 181.

358 | Udo Roth

Wenn Garve daher eine Begierde, im Umgange zu gefallen, zeigte, so geschah es gewiß nicht aus Eitelkeit, um ‒ wichtig und vornehm zu scheinen; sondern nur um seine reellern Eigenschaften geltend zu machen, wodurch er nicht bloß ein Gelittener, sondern auch ein Begehrter in der bessern Gesellschaft seyn wollte. Dadurch hatte er Gelegenheit, sich diejenige Menschenkenntniß zu erwerben, die er uns in seinen Schriften so meisterhaft dargelegt hat. Die Feinheit der Sitten, des äussern Anstandes, und des guten Tons, sind Eigenschaften, die nur durch viele Uebung in der guten Gesellschaft erworben werden können. Ohne sie wird es schwer, in der letztern geschätzt zu werden.54

Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, Garves eigentümliches Verständnis von Mode bzw. deren Relevanz für den vergesellschafteten Menschen darzulegen. Dies kann nicht losgelöst von soziologischen Fragestellungen erfolgen,55 weil schon Garve einige Aspekte anspricht, die noch Georg Simmel 1905 in seiner Philosophie der Mode ausarbeitet56 und auf die noch Roland Barthes57 und Pierre Bourdieu58 rekurrieren. Doch auch wenn Garve in der sozialen Distinktion eine der Hauptaufgaben der Mode erblickt, soll keineswegs die Frage beantwortet werden, ob Garve insbesondere mit Ueber die Moden als einer der Vorläufer und Stammväter der deutschen Soziologie betrachtet werden kann, ebenso wenig soll dezidiert der Frage nachgegangen werden, ob Garve »mit seinem Essay ›Über die Mode‹ [sic!] eine erste, durchaus moderne Modetheorie verfasste«,59 auch wenn Ueber die Moden in den Kanon der modernen Modetheorien aufgenommen wurde.60

|| 54 Ebd., S. 182f.; Dittmar verweist hier auf Garves Ueber die Maxime Rochefaucaults: das bürgerliche Air verliehrt sich zuweilen bey der Armee, niemahls am Hofe: »Der Umgang ist eine Kunst, und wird, wie alle Künste, nur durch Uebung zur Vollkommenheit gebracht« (Versuche über verschiedene Gegenstände [s. Anm. 11], S. 297‒452, hier S. 312). 55 Vgl. dazu Lutz Geldsetzer: Zur Frage des Beginns der deutschen Soziologie. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 15 (1963), S. 529‒541, v. a. S. 533ff.; Norbert Waszek: Übersetzungspraxis und Popularphilosophie am Beispiel Christian Garves. In: Das achtzehnte Jahrhundert 31 (2007), S. 42‒64. 56 Vgl. Georg Simmel: Philosophie der Mode. Berlin 1905. 57 Vgl. Roland Barthes: Système de la mode. Paris 1967; dt. Die Sprache der Mode. Aus dem Französischen von Horst Brühmann. Frankfurt a. M. 1985. 58 Vgl. Pierre Bourdieu: La Distinction. Critique sociale du jugement. Paris 1979; dt. Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übers. von Bernd Schwibs und Achim Russer. Frankfurt a. M. 1982. 59 Gudrun M. König, Gabriele Mentges, Michael R. Müller: Die Mode und die Wissenschaften. In: dies. (Hg.): Die Wissenschaften der Mode. Bielefeld 2015, S. 7‒26, hier S. 12. 60 Vgl. Gertrud Lehnert, Alicia Kühl, Katja Weise (Hg.): Modetheorien. Klassische Texte aus vier Jahrhunderten. Bielefeld 2014, S. 57‒65 (auszugsweise nach der Ausgabe Christian Garve: Über die Moden. Hg. von Thomas Pittrof. Frankfurt a. M. 1987, hier S. 57‒66 u. S. 75‒77 [entspricht S. 173‒184 u. S. 194‒196 der hier zitierten Ausgabe]); vgl. dazu auch Karin Priester: Christian Garve als Theoretiker der Mode. In: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), S. 577‒592.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 359

2 Versuche zu einer Anthropologie der Mode Für Garve sind vor allem anthropologische Faktoren für die Ausbildung der Moden verantwortlich: Daß es Moden unter den Menschen giebt, ist eine Folge ihrer geselligen Natur. Sie wollen einander gleichförmig seyn: weil sie miteinander verbunden seyn wollen. […] Daher hat es Moden unter den Menschen gegeben, solange Menschen existiren.61

Mode ist demnach eine Folge des dem Menschen eigenen appetitus societatis, mithin des dem Menschen innewohnenden Triebes, in friedlicher und geordneter Gesellschaft mit seinesgleichen zusammenzuleben.62 Bei aller angestrebten Ähnlichkeit sucht sich der Mensch jedoch in dieser Ähnlichkeit von anderen zu unterscheiden, und dieser Aspekt ist es, der Mode allererst konstituiert. Denn da es von Natur aus keine »vollkommene und absolute Gleichheit unter den Menschen« gibt, sucht der Mensch ‒ hier ist Garve mit Kant einer Meinung ‒ jene nachzuahmen, die ihn in welcher Hinsicht auch immer übertreffen, die »die Augen Vieler auf sich ziehn, und von ihnen als Muster angesehn werden«: Die Begierde, die jeder hat, selbst vortrefflich zu seyn und über andre hervorzuragen, reitzt die meisten, diejenigen nachzuahmen, die sie schon in dem Besitze eines solchen Vorzugs sehn.

Die soziale Distinktion ist also ein wesentlicher Faktor für die Mode, ihre Wandlungen, Variationen.63 Doch verbindet sich für Garve dieser anthropologische Hinter|| 61 Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 122f. 62 Vgl. Hugo Grotius: De jure belli ac pacis libri tres. Paris 1625, Amsterdam 21631, Proleg. 6, S. III: »Inter haec [den ›vielen Tätigkeiten‹] autem, quae homini sunt propria, est appetitus societatis, id est communitatis non qualiscunque, sed tranquillae et pro sui intellectus modo ordinatae, cum his qui sui sunt generis; quam οικεισιν Stoici appelabant«; zum Begriff der Oikeiosis vgl. Jacob Klein: The Stoic Argument from oikeiōsis: In: Oxford Studies in Ancient Philosophy 50 (2016), S. 143‒200; den Begriff der Oikeiosis scheint Grotius von Cicero übernommen zu haben (vgl. Benjamin Straumann: Hugo Grotius und die Antike. Frankfurt a. M. 2007, S. 155), dieser übersetzt in De officiis 1,12 ›oikeiosis‹ mit ›conciliatio‹; vgl. dazu auch Garve: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen (s. Anm. 35), S. 44‒49; zum appetitus societatis vgl. Gideon Stiening: Appetitus societatis seu libertas. Zu einem Dogma politischer Anthropologie zwischen Suárez, Grotius und Hobbes. In: ders., Herbert Jaumann (Hg.): Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Berlin, Boston 2016, S. 389‒436; vgl. auch den Beitrag von Hans-Peter Nowitzki in diesem Band. 63 Vgl. Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 125; die Frage, ob und inwieweit sich Garve mit dem Terminus ›Begierde‹ an Rousseau orientiert, lässt sich anhand des Essays über die Moden kaum beantworten; für Rousseau ist die Begierde ein kontingentes, aber dennoch grundlegendes Faktum der menschlichen Natur, das aber in Form des reinen Begehrens in Sklaverei ausartet, da der Mensch Ziele wie etwa ein Prestige oder eine Bewunderung verfolgt, die vom Eigeninteresse des Menschen, v. a. seiner Freiheit ablenken; vgl. Jean-Jacques Rousseau: Du contrat social ou Principes

360 | Udo Roth

grund mit einem gesellschaftstheoretischen Moment. Denn die Vielfalt, Variation und Etablierung der Mode ist umso größer, je deutlicher die gesellschaftlichen Schichten voneinander getrennt sind, sie sind größer in einer Gesellschaft, in der eine regelmäßige Unterordnung der Stände durch die Verfassung eingeführt ist, als in einer, wo dieser Unterschied gar nicht vorhanden ist oder weniger beobachtet wird.

Daher sei die Monarchie »der Sitz und die Quelle der Moden«, besonders »eine gemäßigte Monarchie, in welcher die Stände durch allmählige Gradationen emporsteigen.« In einer Despotie sei die Distanz zum »Gegenstand der [möglichen] Nachahmung« zu den Herrschenden, wie es etwa »die orientalischen sind«, zu groß, um den Nachahmungstrieb zu wecken; in einer Demokratie wäre sie ‒ Garve geht hierauf nicht explizit ein ‒ zu gering, da der Gegenstand einer möglichen Nachahmung nicht oder nicht eindeutig zu erkennen wäre: Aber wenn der Stufen viele sind; jeder Mensch gewisse andre über sich hat, welche ihm nahe genug sind, um von ihm beobachtet zu werden, und doch noch ehrwürdig genug, um ihn zur Nacheiferung ihrer Größe, und zur Annahme ihrer Gewohnheiten zu reizen: so wird der Nachahmungstrieb bey allen unaufhörlich erweckt; und er wird, von Stufe zu Stufe, unmerklich auf einen gemeinschaftlichen Punct hingezogen.

Wie aber lässt sich diese »Veränderlichkeit in allem, was zur Mode gehört«, »aus der Thätigkeit des Geistes ‒ aus dem Geschmacke am Schönen und dem Urtheile über dasselbe« erklären?64 In der »Nachschrift« zu einem Brief an Christian Felix Weiße vom 31. Oktober 179265 zeigt sich Garve leicht verstimmt. Er habe gerade Basilius von Ramdohrs Rezension seiner Versuche in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste gelesen66 – den Tadel, dass insbesondere die Abhandlung Ueber die Moden nicht aus einem Gusse, sondern aus einzelnen Beobachtungen zusammengesetzt sei, halte er durchaus für begründet. Was Ramdohr aber »an dem Inhalte selbst und dessen Richtigkeit aussetzt«, das werde ihm nicht recht deutlich.

|| du droit politique. Amsterdam 1762, I,8 (Du contrat social ou Principes du droit politique. Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. Französisch/Deutsch. In Zusammenarbeit mit Eva Pietzcker übersetzt und hg. von Hans Brockard. Stuttgart 2010, S. 45). 64 Vgl. Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 127. 65 Vgl. Briefe von Christian Garve an Christian Felix Weiße und einige andere Freunde. 2 Bde. Breslau 1802, Bd. 2, S. 85‒91, hier S. 88‒91 (GGW XV.1). 66 Vgl. Ramdohrs Rezension des ersten Bandes der Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste (Bd. 49 [1793], S. 228‒267), die sich fast ausschließlich (S. 232ff.) den Moden annimmt; zu Ramdohr vgl. u. a. Günther Schulz: Friedrich Wilhelm Basilius von Ramdohr. Der unzeitgemäße Kunsttheoretiker der Goethezeit. In: Goethe. Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft 20 (1958), S. 140‒154.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 361

Vor allem ist es der Vorwurf, er habe den Unterschied »zwischen Costume und Mode« übersehen, der ihm zu schaffen macht.67 Ramdohr begreift »Costume« in einem ganz spezifischen Sinne. Zunächst primitive, allein Bedürfnisse befriedigende Gegenstände und Formen wurden im Laufe der Zeit modifiziert, sie wurden zum Grunde gelegt, sie wurden zuerst geschmückt, endlich zur Schönheit umgeschaffen. Aber das Willkührliche der ersten Form des blos nützlichen oder belustigenden Dings ging auch in das schöne Ding über, ward durch den Gebrauch geheiligt, und so gar in das Wesen desselben mit aufgenommen.68

Vielleicht ließe sich an einem solchen ›Ding‹ etwas ändern oder vielleicht ließe es sich neu schaffen, doch, so Ramdohr, können wir erstens nichts ändern, »ohne den Begriff vom dem, was das Ding nach Gattung und Art seyn soll, zu erschweren.«69 Zweitens aber, und dies wiegt schwerer, ist das »Angestammte« dergestalt mit unsern Begriffen über Schönheit verwebt, daß wir die Aenderung schlechterdings nicht mehr unternehmen können, ohne dem Gefühl des Schönen zu schaden.70

Die Befolgung eben solcher »Sitte, Gebrauch, Gewohnheit« fasst Ramdohr unter den Begriff des »regelmäßige[n] Costume[s]«.71 Dieses bleibt, »als zum Begriff der Gattung und der Art gehörig«, »wesentlich und dauernd«; der Mode hingegen eignet der »Charakter des nicht Allgemeingültigen, nicht Bestehenden, mithin des Vorübergehenden«.72 Auch Garve unterscheidet zwischen dem »Costume« als »etwas Bleibende[m]« und der Mode als »etwas Vorübergehende[m]«, doch gründet er diese Unterscheidung anders: Denn »Costume« bezieht sich in Garves Auffassung auf »Dinge«, die »dem Flusse der Veränderungen entzogen sind, weil sie selbst nicht mehr vorhanden sind«, auf

|| 67 Vgl. Garve: Briefe (s. Anm. 65), S. 89f.; gleichwohl schreibt Garve Weiße am 7. Januar 1794, dass ihm der »zweyte Theil von Ramdohrs Recension [s]einer Versuche […] noch besser, als der erste, gefallen« habe, Ramdohr »[ü]berhaupt« ein Mann sei, »von dem man kritisirt zu seyn wünscht, weil man immer von ihm lernt« (vgl. ebd., S. 115f.); vgl. Ramdohrs Rezension von Garves Ueber die Maxime Rochefaucaults: das bürgerliche Air verliehrt sich zuweilen bey der Armee, niemahls am Hofe (s. Anm. 54) in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste (Bd. 51 [1793], S. 46‒67). 68 Ramdohr: Rezension (s. Anm. 66), S. 258. 69 Ebd., S. 258. 70 Ebd. 71 Vgl. ebd., S. 257f. 72 Vgl. ebd., S. 260.

362 | Udo Roth

nichts anderes, als die Moden, Sitten und Gewohnheiten der alten Zeit, oder solchen Zeiten und Oertern […], welche die Gegenstände poetischer oder artistischer Nachahmung geworden sind.73

Exkurs über das »Costume« In der Abhandlung Ueber die Moden beschäftigt sich Garve intensiv mit dem Begriff des »Costume«. Hier gilt es als Ausdruck des »altfränkischen Wesen[s]«, einer »eigensinnige[n] Anhänglichkeit an das Alte«.74 Spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg wandelt sich die Bedeutung des eigentlich positiv besetzten Begriffes (›nach alter Väter Sitte‹) hin zu einer abwertenden Bezeichnung für alles Veraltete und Unmoderne: Ist etwan ein altes Hauß/ ein alter Hut/ ein alter Mann/ ein armes altes Weib/ etwas daß sich nach ewrer Fürwitz und gespitztem Hirn nicht will schicken: so bald sagt ihr/ das seye Altfränkisch, sey nicht alamodisch: gehöre nicht mehr in diese Welt; sey nicht mehr zu brauchen.75

In Johann Elias Schlegels Lustspiel Der Triumph der guten Frauen (1747) rügt Philinte, ein, so das Personenverzeichnis, »Frauenzimmer in Mannskleidern«, das Kammermädchen der Juliane: Schämst du dich nicht, Cathrine, daß du deine Frau so altfränkisch ankleidest?,

um daraufhin am Kleid Julianes hier eine Blume zu entfernen, dort eine Schleife neu zu binden ‒ und auf einigen Unmut der Trägerin zu stoßen.76 1782 stellt ein gewisser Smelfuncus von Sittewaldt ‒ der anonyme Verfasser bedient sich, neben Moscheroschs ›Philander von Sittewalt‹, des Namens des krittelnden Reisenden ›Smelfungus‹ in Laurence Sternes The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman (1759‒1767) und A Sentimental Journey through France and Italy (1768), mit dem dieser Tobias Smollett und dessen Travels through France and Italy

|| 73 Garve: Briefe (s. Anm. 63), S. 90. 74 Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 252. 75 Johann Michael Moscherosch: Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald. Straßburg 1677, 4. Gesicht: Todten-Heer, S. 226; vgl. dazu den immer noch lesenswerten Beitrag von Erich Schmidt: Der Kampf gegen die Mode in der deutschen Literatur des siebzehnten Jahrhunderts. In: Im neuen Reich. Wochenschrift für das Leben des deutschen Volkes in Staat, Wissenschaft und Kunst 10 (1880), S. 457‒475. 76 Johann Elias Schlegel: Der Triumph der guten Frauen. In: ders.: Beyträge zum Dänischen Theater. Kopenhagen 1748, Eigenpag., hier S. 8f.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 363

(1766) satirisch zeichnet77 ‒ in einem Versuch eines neuen Wörterbuchs für allerley Stände heraus, dass [a]ltfränkisch […] sehr oft gebraucht [wird] und […] von Körpern und Seelen, von Kleidern und Kleidertrachten, von Büchern und Lehrarten u. s. f. [gilt]. Es heißt eigentlich das so, was nicht nach der Mode ist. Ein rothes Haar macht seines Besitzers Gesicht altfränkisch, weil die rothen Haare nicht mehr im Cours sind. […] Ein Rock mit Ellenlangen aufgeschlizten Ärmeln und gesteiften Schössen ist altfränkisch […].Vorlesungen auf Akademien in lateinischer Sprache zu halten, ist altfränkisch, so wie es bey vielen Zuhörern altfränkisch ist, sie zu verstehen.78

Zwar sei auch der außereheliche Geschlechtsverkehr ›modern‹, da »[s]eine Keuschheit auf das Ehebette aufzuheben […] altfränkisch« sei,79 doch verschiebt sich bei Smelfuncus von Sittewaldt die Semantik des Altfränkischen bereits in eine etwas andere Richtung. In E. T. A. Hoffmanns Erzählung Die Brautwahl (1819) kehren der Geheime Kanzlei-Sekretär Tusmann und ein sich ihm später als Leonhard vorstellender Fremder gegen Mitternacht in einer Weinstube ein, wo nur noch ein einziger Mann einsam an einem Tisch [saß] und […] ein großes Glas, mit Rheinwein gefüllt, vor sich stehen [hatte]. Die tief eingefurchten Züge seines Antlitzes zeugten von sehr hohem Alter. Sein Blick war scharf und stechend, und nur der stattliche Bart verriet den Juden, der alter Sitte und Gewohnheit treu geblieben. Dabei war er sehr altfränkisch, ungefähr wie man sich ums Jahr Eintausendsiebenhundertundzwanzig bis dreißig trug, gekleidet, und daher mochtʼ es wohl kommen, daß er aus längst vergangener Zeit zurückgekehrt schien.80

Deutlich wird hier die mit der Französischen Revolution eintretende Bedeutungsverschiebung des ›Altfränkischen‹ hin zur eher verächtlichen Bezeichnung des dem ancien régime der Rokoko- und Zopfzeit auch politisch Rückständigen. Doch auch zur Bezeichnung intellektueller Rückständigkeit wird der Begriff herangezogen, so wettert etwa in Ludwig Tiecks Novelle Der fünfzehnte November (1827), die gleich Storms Schimmelreiter eine Sturmflut thematisiert, doch vor Amsterdam und mit einem vermeintlich verrückten Kapitänssohn, der gleich Noah einen Kahn zimmert und so zum Retter wird, ein ›junger Deutscher‹, ehemaliger Hofmeister und »in

|| 77 Vgl. dazu u. a. Ian Campbell Ross: When Smelfungus met Yorick: Tobias Smollett and Laurence Sterne in the South of France, 1763. In: O. M. Brack Jr. (Hg.): Tobias Smollett, Scotlandʼs First Novelist. New Essays in Memory of Paul-Gabriel Boucé. Newark, DE 2007, S. 74‒93. 78 Smelfuncus von Sittewaldts ausführliche Nachricht von seiner Wanderschaft ins Exilium. 1. Heft. Frankfurt a. M., Leipzig 1782, Beylage No. II: Versuch eines neuen Wörterbuchs für allerley Stände, S. 232f. 79 Ebd., S. 233. 80 E. T. A. Hoffmann: Die Serapionsbrüder. Hg. von Wulf Segebrecht. Frankfurt a. M. 2008, 3. Bd., 5. Abschn., S. 639‒719, hier S. 642f.

364 | Udo Roth

seinem hellblauen Frack und gelben Unterkleidern sehr mit der holländischen Gesellschaft [kontrastiert], in die er eingeführt war«,81 gegen die holländische Kultur: [W]ie kann denn ein Volk eine Literatur besitzen, das, genau genommen, nur eine Provinz von Deutschland seyn müßte, wenn es nach dem Rechten ginge? Die Sprache ein verdorbener deutscher Dialekt, ihr Streben Geld und Handel, ihre Sitten altfränkische und veraltete: während das große Deutschland ausgebildet und sich bildend, mannigfaltig in der Geschichte, Wissenschaft und Kunst, in reicher Literatur, in unendlichen Strebungen sich in Kraft und Herrlichkeit entwickelt, indeß hier die Geschichte, die freilich niemals groß und eigenthümlich war, völlig abstirbt und bald alles hier, was sich ehemals noch von Geist melden mochte, in steifen Formen, in vertrockneten Fratzen nur als seltsame Mumien umherstehn wird.82

Mehr noch: ›Altfränkisch‹ wird gleichsam zur Abbreviatur für den in sich gekehrten, neuen Erkenntnissen unaufgeschlossenen, ja dämonischen Gelehrtenstand, wie schon Smelfuncus von Sittewaldt anmahnte. So etwa in Hoffmanns Die Automate (1814): Voller Hoffnung, über manche jener Vermutungen, die für beide die größte innere Wahrheit hatten, näheren Aufschluß zu erhalten, gingen sie zum Professor X. Sie fanden an ihm einen hochbejahrten, altfränkisch gekleideten Mann muntern Ansehens, dessen kleine graue Augen unangenehm stechend blickten, und um dessen Mund ein sarkastisches Lächeln schwebte, das eben nicht anzog.83

Einer solchen Pauschalisierung des Gelehrten als ›altfränkischem‹ Kauz widerspricht Garve heftig. Den Gelehrten habe man zwar in vorigen Zeiten, den Fehler vorzüglich Schuld gegeben, daß sie ihr Aeußeres vernachläßigten, und durch Sonderbarkeiten in ihrem Putze oder in ihren Höflichkeitsbezeugungen, sich auszeichneten. Dieß wird immer der Fall seyn, wenn entweder das gelehrte Studium auf keine Gegenstände geht, welche die übrigen Stände beschäftigen und vergnügen, oder wenn die Welt und Geschäftsleute gar keinen Geschmack an den Wissenschaften finden. ‒ Durch beydes wird der Gelehrte natürlicher Weise von der Gesellschaft ausgeschlossen. Und in seiner Studierstube, oder in dem engen Kreise seiner Zunftgenossen, kann er nicht anders als altfränkisch und unmodisch werden. Dieser Zustand der Dinge hat sich heut zu Tage in Europa sehr geändert. Der Geschmack an Kenntnissen ist allgemeiner geworden: und die Wissenschaften haben alles in ihr Gebieth gezogen, was nur irgend einen beträchtlichen Zweig des praktischen Lebens ausmacht. Die Verbindung zwischen der Gelehrsamkeit und den Geschäften ist jetzt größer als jemahls: also auch die zwischen den eigentlichen Gelehrten und den Weltleuten. In eben dem Maße verliert sich also auch die altmodische Tracht, und das linkische Wesen

|| 81 Es sei hier dahingestellt, inwieweit der ›Sommer‹ genannte und als Geistlicher titulierte Deutsche Ähnlichkeiten mit Goethes Werther aufweist; vgl. etwa Christoph Zeller: Allegorien des Erzählens. Wilhelm Raabes Jean-Paul-Lektüre. Stuttgart, Weimar 1999, S. 149. 82 Ludwig Tieck: Der fünfzehnte November. In: ders.: Gesammelte Novellen. Bd. 3 (Schriften, Bd. 19). Berlin 1853, S. 123‒188, hier S. 141. 83 Hoffmann: Die Serapionsbrüder (s. Anm. 80), 2. Bd., 3. Abschn., S. 396‒427, hier S. 46.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 365

der ersten. Es ist gewiß, daß man unter den Sonderlingen, die sich lächerlich kleiden, und in Sachen des Wohlstandes sich seltsam betragen, zuweilen Leute von ausgezeichnetem Genie findet.84

Das bei Gelehrten ab und an zu beobachtende ›altfränkische‹ Wesen kann laut Garve daher vom Geiz herrühren – ein verächtlicher Charakterzug, hindert er doch insbesondere den ökonomischen Fortschritt einer Gesellschaft. Missfälliger aber noch sind die anderen Gründe, die Garve diesem Wesen allgemein zumisst: »Schwäche oder Verkehrtheit der Urtheilskraft«, »Vorurtheil und vorgefaßte Meynung«, »Mangel an Aufmerksamkeit« – allesamt Zeichen dafür, dass diese »Art von altväterlichen Leuten« »ohne Aufklärung, ohne feines Gefühl« und damit »in ihrer inneren Bildung hinter ihrem Zeitalter eben so weit zurück [sind], als in ihrem Costume«.85 Garve widerspricht sich allerdings an dieser Stelle selbst. Denn auch ein von Rang und Vermögen »mittelmäßig[er]« Mann werde »in allen den Dingen, die unter das Gebieth der Mode gehören, aus Pflicht sowohl, als des guten Geschmacks wegen, oft beym Alten bleiben« ‒ nicht der Geiz ist es, der ihn von Neuerungen abhält, sondern »eine weise Oekonomie«, und die Überlegung, seinen bescheidenen ›inneren Werten‹ ein »bescheidnes äußeres Ansehn zu geben«: Eine Kleidung, ein Hausrath, eine Equipage, die wohlfeil und von gemeinem Stoffe sind, müssen auch einfach und gemein in ihrem Schnitt und Verzierungen seyn, sonst fehlt es ihnen an derjenigen Uebereinstimmung, welche das Wesen des Geschmackvollen ausmacht.86

Auch der Gelehrte falle bisweilen durch eine »Unbekanntschaft mit den Sitten und Gewohnheiten der Zeit«, also auch der Mode auf.87 Doch sei es [f]ür einen Mann […] durchaus unschicklich, sich mit Erfindung von neuen Moden abzugeben.88

Mode sei allerdings das Metier der Frau: Es ist ein wirkliches Verdienst für ein Frauenzimmer, sich gut zu putzen. ‒ Da es zu den Endzwecken, welche die Natur sich mit diesem Geschlecht vorgesetzt hat, gehört, daß es gefallen soll, so ist jede Bemühung, die es anwendet, sich wirklich zu verschönern, seiner Bestimmung

|| 84 Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 259‒261; vgl. dazu auch Marian Füssel: Talar und Doktorhut. Die gelehrte Kleiderordnung als Medium sozialer Distinktion. In: Barbara Krug-Richter, Ruth-Elisabeth Mohrmann (Hg.): Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa. Köln, Weimar, Wien 2009, S. 245‒272, v. a. S. 264f. 85 Vgl. Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 252–264. 86 Vgl. ebd., S. 285f. 87 Vgl. ebd., S. 216f. 88 Ebd., S. 269.

366 | Udo Roth

gemäß. Und es ist allerdings den Frauenzimmern erlaubt, mehr Zeit und Sorgfalt auf die Wahl und Anordnung ihrer Kleidung zu wenden, als wir Männer ihr widmen dürfen.89

Natürlich wäre es verfehlt, den ›Costume‹-tragenden Altfranken pauschal als unaufgeklärt, die modebewusste Putzträgerin als aufgeklärt zu ver- bzw. beurteilen. Aber zum Wesen der Mode gehöre, so Garve, nicht bloß die Einstimmung Vieler in denselben Gewohnheiten oder in der Wahl derselben Sachen, zu einer und derselben Zeit, sondern auch die Veränderlichkeit dieser Gewohnheiten und dieser Wahl in der Folge derselben.90

Denn während die »Begriffe vom Guten und Bösen« durch die Gesetze und das Gewissen bestimmt werden, werden es die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« durch »den Geschmack und durch die Mode«.91 Doch wie es hinsichtlich des Guten Bereiche gibt, die weder durch Gesetze noch das Gewissen allgemeingültig entschieden werden können, so gibt es auch hinsichtlich der Schönheit »kleiner[e] Sachen«, die allgemeingültig zu beurteilen nicht immer möglich ist. Diese ›kleineren Sachen‹ obliegen zwar mithin der »Beurtheilung eines jeden Individuums in jedem besondern Falle«, wodurch sich ihre Beurteilung »nach Zeit, Ort und Umständen« als wandelbar erweist, dennoch existieren in einer Gesellschaft gewisse Maßregeln, wobei solche, die über »Schmuck und Anstand gebieten«, die Moden ausmachen.92 Mode ist also etwas, das die zu jeder Zeit herrschende Meinung von dem Schönen und Anständigen in kleinern Sachen ist, in Sachen, die weder durch Anwendung der Regeln des Geschmacks noch der Zweckmäßigkeit, mit völliger Übereinstimmung, reguliert werden können.93

Zwar gibt es auch in der Mode bei aller Veränderlichkeit »einen höheren Grund der Bestimmung für die Sache, ein älteres Gesetz für ihre Form, von welchem [sie] nicht abweichen darf«,94 doch scheinen dem »Vergnügen, welches wir an Schönheiten finden, und d[er] Begierde, welche wir haben, durch schöne Sachen andern zu gefallen«, keinerlei Grenzen gesetzt.95

|| 89 Ebd., S. 266; zur Mode als genderspezifischem Thema vgl. auch Dominica Volkert: Maske oder Natürlichkeit? Aporien eines allgemeinen Mode-Diskurses und ein konkretes Fallbeispiel um 1800. In: Elfi Bettinger, Julika Funk (Hg.): Maskeraden. Geschlechterdifferenz in der literarischen Inszenierung. Berlin 1995, S. 171‒193, v. a. S. 186ff. 90 Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 126. 91 Vgl. ebd., S. 120. 92 Vgl. ebd. 93 Ebd., S. 121f. 94 Ebd., S. 143. 95 Ebd., S. 146.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 367

Damit ist aber keineswegs ein negatives Urteil gefällt, wie dies Kant in der Anthropologie ausführt, wenn er Mode als »bloße Eitelkeit vornehm zu tun, und de[n] Wetteifer[], einander dadurch zu übertreffen« charakterisiert.96 Für Garve beinhalten gerade Eitelkeit und Wetteifer ein auch positives Potential, fördern sie doch unsere Reflexionsfähigkeiten. Hierbei erweist sich eines unserer Sinnesorgane als entscheidend, nämlich das Auge, für das, so Garve, die Mode »vornehmlich« »arbeitet und wählt«.97 Denn das Auge urteilt anders über die auf es wirkenden Empfindungen als etwa der Geschmack oder das Gehör, ist es doch der »Willkühr und dem freyen Willen des Menschen unterworfen«.98 Dies ermöglicht es, auch unter Berücksichtigung der im Gegensatz zu gustatorischen oder akustischen Reize längeren Dauer der auf das Auge wirkenden Eindrücke, »durch unsere Aufmerksamkeit unsre Vorstellungen mehr zu leiten und abzuändern«, bei näherer oder abermaliger Betrachtung erste undeutliche oder missfallende Eindrücke »durch das Urtheil unseres Verstandes ab[zu]ändern«.99 Damit aber kann auch das »Urtheil über Schönheit« »durch Betrachtung und neue Gesichtspuncte« abgeändert werden.

3 Zum Verhältnis von Mode und Geschmack Wenn aber nach Kant »[z]ur Beurteilung schöner Gegenstände, als solcher, […] Geschmack […] erfordert« wird,100 Mode aber »eigentlich nicht Sache des Geschmacks (denn sie kann äußerst geschmackswidrig sein)« ist,101 sie also dem Geschmack gegenüberstellt wird ‒ wie kann Garve dann auch in der Mode von ›Geschmack‹ sprechen? Ein Blick in die »Analytik der ästhetischen Urteilskraft« kann in diesem Zusammenhang Aufschluss geben. »Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht«, so Kant, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekt zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstande verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben. Das Geschmacksurteil ist also kein Erkenntnisurteil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann.102

|| 96 AA VII, S. 245 (§ 71). 97 Vgl. Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 147. 98 Vgl. ebd., S. 148. 99 Vgl. ebd., S. 148f. 100 Kritik der Urteilskraft, § 48; AA V, S. 311. 101 Anthropologie, § 71; AA VII, S. 245. 102 AA V, S. 203 (§ 1).

368 | Udo Roth

Nun beruht dieses Geschmacksurteil zwar auf subjektiven Empfindungen der Lust bzw. Unlust angesichts eines Gegenstandes, erhebt aber auch Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit, womit es weder rein objektiv noch rein subjektiv ist, sondern subjektive Allgemeingültigkeit beansprucht.103 Auf diesen Aspekt greift Garve zurück. Auch er unterscheidet zwischen Naturund Kunstschönheit, nimmt allgemeingültige Gesetze, »wenig abänderliche Regeln« der Schönheit an, und zwar sowohl in der Natur als auch in der Kunst.104 Dieser »objective[n] Schönheit«, die auf der Verbindung zweier »Principien« beruhe, der »vor unsrer Betrachtung völlig bestimmten Natur und Bildung des Dinges« einerseits und »der Natur und den Gesetzen unsers betrachtenden Verstandes« andererseits, stellt er die »subjective« Schönheit gegenüber. Diese beruhe einzig und allein auf dem »Verhältniß unsers Geistes zu den Formen der Gegenstände«; da aber dieses Verhältnis sich eben durch die nähere oder abermalige Betrachtung des Gegenstandes ändern kann ‒ »so wird das Urtheil über die darauf gebaute Schönheit abwechseln können, ohne absolut falsch zu werden«.105 Das bedeutet jedoch, dass es kein absolutes wahr oder falsch im ästhetischen Zusammenhang gibt, wenn wir uns den Dingen zuwenden, die »Zusammensetzungen der menschlichen Kunst«, aber »nicht Abbildungen« von »Naturproducte[n] sind«.106 Auch in diesen herrscht ein Gesetz der Schönheit, gibt es daher einen Geschmack: Aber weil dieses Gesetz seine Vorschriften, weil dieser Geschmack seine Ansprüche nur auf Uebereinstimmungen des Dinges, es sey mit unsern sinnlichen Organen, es sey mit den Fähigkeiten und Anlagen unsers Geistes, gründet: so werden beyde ebenso oft und auf eben die Art sich verändern können, als die Beschaffenheit unsrer Sinne und als die Handlungsweise unsers Geistes, sich ändert.107

Der Mode wird mithin die Lizenz zu ständigen Veränderungen und Neuerungen zugestanden, sie kann sich »dieses noch unbestimmten Geschmacks an Schönheit« bemächtigen, der, indem er immer den angenehmsten Eindruck sucht, ihn aber nicht durch fixe Regeln bestimmt findet, sich leichter durch das Beyspiel und die Gewohnheit mit fortreißen und durch die Uebereinstimmung Vieler auf eine Zeit lang bestimmen läßt.108

Mode bleibt somit auf Gegenstände beschränkt, bei denen der Mensch,

|| 103 Vgl. ebd., S. 213‒216 (§ 8). 104 Vgl. Garve: Ueber die Moden (s. Anm. 11), S. 150‒153. 105 Vgl. ebd., S. 154. 106 Vgl. ebd., S. 152. 107 Ebd., S. 153. 108 Ebd., S. 154f.

Die »Begriffe vom Schönen und Häßlichen« | 369

vermöge seines innern Triebs nach Vollkommenheit, oder vermöge des Wunsches zu gefallen, Schönheit sucht, aber von ihr keine ganz deutlichen und unwandelbaren Begriffe auffinden kann.109

Das eigentlich positive Potential der Mode jedoch, die Förderung der Reflexionsfähigkeiten, und damit das Ziel Garves, den Menschen zum Selbstdenken zu bewegen, verliert sich, wenn man die Mode genauer betrachtet. Denn der Mensch vervollkommnet sich dadurch, dass er darauf bedacht ist, »alles, was er thut, nach seinem eignen Urtheile« zu tun. Aber je weiter die Herrschaft der Mode um sich greift: desto mehr schränkt sie das eigne Urtheil des Menschen ein; desto weniger Wahl, Freyheit und Moralität bleibt in seinen Handlungen.110

Die Mode ist nämlich nicht nur eine »Verführerinn, die in uns beständig neue Begierden entzündet« ‒ sie ist auch eine Gesetzgeberinn, die uns vorschreibt, was wir thun oder lassen müssen, wenn wir auf einen gewissen Grad der Achtung in der Gesellschaft Anspruch machen; sie ist eine Richterinn, welche unsern und andrer Werth in unsern Augen entscheidet.111

Doch auch dieses Manko lässt sich erneut relativieren: Denn obwohl das, was die ›Vorbilder‹ tragen, ein »Gesetz« ist, »welches [man] befolgen muß, [man] mag dadurch verunstaltet oder verschönert werden«, besteht das Verdienst der »Frauenzimmer« darin, dass sie in der Wahl der Mode ihren Verstand und ihren guten Geschmack zeigen; ‒ nicht darinn, daß sie die Moden, ‒ sondern darinn, daß sie sich selbst kennen; daß sie wissen, was ihnen wohl, und was ihnen übel steht; daß sie Formen und Farben der Kleider nach ihrem Gesichte, nach ihrem Wuchse, auch ihrem Alter und ihren Umständen gemäß, wählen; daß sie ihre natürlichen Mängel geschickt zu verbergen, ihre schönsten Theile ans Licht zu bringen wissen, ohne Affectation zu verrathen; ‒ daß sie mit einem Worte ihrer Natur treu bleiben oder derselben zu Hülfe kommen, indeß sie doch von dem Ueblichen auf keine auffallende Weise abweichen.112

Und selbst die »Modethörin«, die nicht über ihren Putz urteilt und diesen den genannten Aspekten entsprechend wählt, sondern sich vorbehaltlos in die Hände »ihre[s] Coeffeur[s] und ihre[s] Schneider[s]« begibt, um sich ausstaffieren zu lassen, kann Garve moralisch exkulpieren. Denn unter allen Thorheiten verdient vielleicht keine diese Nachsicht mehr, als die, welche die Menschen begehn, um herrschende Moden mitzumachen. Sie sind deßwegen verzeihlicher, weil sie

|| 109 Ebd., S. 155. 110 Ebd., S. 215. 111 Ebd., S. 232f. 112 Ebd., S. 266f.

370 | Udo Roth

weniger freywillig sind. Ich gebe es zu, daß der Gehorsam, mit welchem sich viele Personen der Mode unterwerfen, sklavisch ist, und von ihnen nicht gefordert wird. Aber sich ihrer Herrschaft ganz zu entziehn, ist den meisten, die noch in der Welt zu leben gedenken, unmöglich. Niemand kann also mit Recht das Ausschweifende, welches sich, von Zeit zu Zeit, in Stücken des weiblichen Putzes findet, den Schönen allein zur Last legen, die mit denselben ausgeschmückt erscheinen.113

Das Tragen von ausschweifendem Putz ist folglich verzeihlich, wenn auch eine Torheit, weil die Trägerin nicht über ihren Putz urteilt, ihn nicht wählt, sondern nur ›nachäfft‹.114 Wo aber genau die Grenzen zwischen der Nachahmung als konstitutivem Faktor der Mode und dem ›Nachäffen‹ liegt, die Antwort auf diese Frage bleibt Garves Mode-Essay schuldig, denn die Mode bleibt immer eine der ›kleineren Sachen‹, die der »Beurtheilung eines jeden Individuums in jedem besondern Falle überlassen« sind und deren Beurteilung daher »nach Zeit, Ort und Umständen« wandelbar ist. Und das Zeitalter, in welchem die ›Erfindung‹ einer »ewigdauernden und unwandelbaren Mode« gelänge, werde laut Garve noch weit später eintreten […], als das, worinn die Philosophen sich über allgemein geltende und unabänderliche Principien der Metaphysik und Moral vereinigen werden.115

|| 113 Ebd., S. 287f. 114 Vgl. ebd., S. 267. 115 Ebd., S. 291.

| 5 Anhang

Zeittafel 7. Januar 1742

Christian Garve wird als Sohn des Färbers Nathanael Garve (1694–1747) und seiner Frau Anna Katharina, geb. Förster (1716–1792) in Breslau geboren; der Junge ist früh kränklich und wird daher zumeist von seiner Mutter und Hauslehrern unterrichtet

1747

nach dem Tod des Vaters führt Anna Katharina Garve die Färberei weiter, u. a. mit Unterstützung des Hauslehrers Gottlieb Ringeltaube (1732–1824); Garve besucht das örtliche Elisabeth-Gymnasium, der vor allem sprachliche Unterricht wird durch Ringeltaube in philosophischer und theologischer Hinsicht ergänzt

1762

kriegsbedingt kann Garve erst im Alter von 20 Jahren das Studium der Theologie in Frankfurt a. d. O. beginnen; Alexander Gottlieb Baumgarten (1714‒1762), dessentwegen Garve vor allem nach Frankfurt zum Studium ging, stirbt jedoch schon im Mai 1762

1763

Garve wechselt daher im Sommersemester 1763 an die Universität Halle a. d. S. und hört Vorlesungen bei Johann Salomo Semler (1725‒1791) und Georg Friedrich Meier (1718‒1777), die ihn nachhaltig prägen; in Halle wendet sich Garve von der Theologie ab und strebt einen philosophischen Abschluss an; erste Pläne für eine akademische Karriere

1765

der Hallischen ›Pietisterei‹ wegen Wechsel an die Universität Leipzig, die ihm mit ihren Wolff-kritischen Tendenzen wissenschaftstheoretisch entgegenkommt und zudem für eine akademische Laufbahn attraktiver erscheint; enge Kontakte zu Johann August Ernesti (1707‒1781) und Christian Fürchtegott Gellert (1715‒1769), die den jungen Philosophen nach Kräften protegieren, aber auch für ihr popularphilosophisches Programm zu gewinnen suchen; bei Gellert kann Garve eine Zeit lang Wohnung nehmen

1766

Erlangung der Magisterwürde in Halle bei dem Mathematiker und Physiker Johann Andreas von Segner (1704– 1777) mit einer Arbeit über Wahrscheinlichkeitslogik (De nonnullis, quae pertinent ad Logicam probabilium)

https://doi.org/10.1515/9783110647747-018

374 | Zeittafel

ab 1766

durch Gellerts Einfluss vermehrte Beschäftigung mit Fragen der empirischen Psychologie und der Moralphilosophie; intensive Rezeption Shaftesburys, Hutchesons, aber auch Helvétiusʼ, der ihn nachhaltig prägen sollte; Aufbau eines umfangreichen und intensiv gepflegten Freundeskreises, zu dem u. a. Ernst Platner (1744‒1818), Christian Felix Weiße (1726‒1804), Johann Wolfgang Goethe (1749‒1832), Johann Joachim Eschenburg (1743‒1820), Christian Friedrich Blankenburg (1744‒1796), Georg Joachim Zollikofer (1730‒1788), Friedrich Wolfgang Reiz (1733‒1790) und der junge Christian Konrad Wilhelm Dohm (1751‒1820) zählen; frühe Zusammenarbeit und Freundschaft mit Johann Jakob Engel (1741‒1802); viele dieser Freundschaften werden Jahrzehnte über umfangreiche Briefwechsel erhalten bleiben

1767

erste größere Publikationen zur empirischen Psychologie, so der Versuch über die Fähigkeiten; zudem umfangreiche, teils spektakuläre Rezensionen zu Lessing, Mendelssohn, Friedrich Justus Riedel (1742‒1785) und Herder

Mai 1767 bis April 1768

Aufenthalt in Breslau, um die an finanziellen Nöten leidende Mutter zu unterstützen; Vorbereitungen für eine Habilitation in Leipzig Erwerb der venia legendi mit einer Arbeit über die Methodik der Philosophiegeschichte und einer siebenstündigen Disputation; Vorlesungen über Moral und Experimentalphysik

18. Juni 1768

1769

Versuch über die Neigungen; Tod Gellerts, Garve ist als dessen Nachfolger im Gespräch und übernimmt nach massiver Protektion durch seine Freunde dessen außerordentliche Professur für Philosophie (Ernennung allerdings erst im Oktober 1770)

ab 1770

erste Auseinandersetzung mit dem aufkeimenden Geniewesen des Sturm und Drang im Sinne einer auch von Johann Georg Sulzer (1720‒1779) propagierten Aufrechterhaltung der Vermittlung von Ethik und Ästhetik; ab Oktober Vorlesungen über Moral, Mathematik und allgemeine Philosophie (nach Johann August Ernesti [1705‒1781])

1771

Einige Gedanken über das Interessirende (Bd. 1; Bd. 2 folgt 1772)

Zeittafel | 375

1772

in Leipzig erscheint die Übersetzung von Adam Fergusons Institutes of Moral Philosophy (Grundsätze der Moralphilosophie) mit umfangreichen Anmerkungen

September 1772

Aufgabe der Professur wegen zunehmender Erkrankung durch Überlastung und Überforderung

Oktober 1772

Rückkehr nach Breslau und seither Leben als Privatgelehrter, der von den Einkünften und dem Vermögen der Mutter sowie der eigenen Publikationstätigkeit lebt, stete Ablehnung mehrerer Angebote auf Schul- und Akademiestellen

1772 bis 1778

Garve findet nur allmählich Kontakte in die Breslauer Gesellschaft, baut aber auch hier einen umfangreichen Freundeskreis auf; Rezensionen von Goethes Werther (1775) und Lessing Emilia (1775) in Engels Der Philosoph für die Welt, ansonsten kaum Publikationen

1773

die Übersetzung von Edmund Burkes A Philosophical Inquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and Beautiful (Über den Ursprung unserer Begriffe vom Erhabenen und Schönen) erscheint in Riga

Frühjahr 1779

mehrere Treffen mit Friedrich II. in Breslau, während derer der König Garve zur Übersetzung von Ciceros De officiis auffordert; nach längerem Zögern nimmt Garve die Arbeit im November auf

1780/81

Reise nach Göttingen über Leipzig, Berlin, Weimar, Erfurt, Gotha, Coburg, Kassel, Hannover und Braunschweig; Garve trifft auf dieser Reise eine Fülle namhafter Aufklärer (in Weimar u. a. Wieland und Goethe), auch um mit ihnen seine Cicero-Übersetzung und deren Kommentar zu besprechen, an denen er kontinuierlich weiterarbeitet; in Göttingen wohnt er ab Juni 1781 bei Michael Hißmann (1752‒1784), intensiver Austausch mit Johann Georg Heinrich Feder (1740‒1821), Christoph Meiners (1747‒1810), Georg Christoph Lichtenberg (1742‒1799), August Ludwig von Schlözer (1735‒1809) und Georg Forster (1754‒1794); Garve wird als ›Berühmtheit‹ herumgereicht; Verabredung mit Feder zur Rezension der Kritik der reinen Vernunft

376 | Zeittafel

19. Januar 1782

die (durch Hißmann und Feder überarbeitete und gekürzte) Rezension der Kritik der reinen Vernunft erscheint in den Zugaben zu den Göttingischen Gelehrten Anzeigen

1783

Reise nach Leipzig; Kant reagiert in den Prolegomena mit einer vernichtenden Polemik auf die Rezension; am 16. August und 29. Oktober erscheinen die Übersetzung von Ciceros De officiis und der Kommentar dazu

seit etwa 1785

Ausprägung einer krebsartigen Erkrankung im Gesicht, die ausnehmend schmerzhaft ist und Garve allmählich erblinden lässt

September 1786

Ernennung zum auswärtigen Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften

1788

die Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik erscheint

Mai bis Juli 1790

Reise nach Berlin in der (letztlich vergeblichen) Hoffnung auf Therapie bzw. Linderung seiner fortschreitenden Erkrankung

1792

Reise nach Leipzig; Tod der Mutter; Über die Moden; Garve zieht sich aufgrund der zunehmend entstellenden Erkrankung aus der Öffentlichkeit zurück

Juni 1792

Reise nach Posen zu einem Wundarzt, der angeblich eine der garveschen vergleichbare Gesichtskrankheit geheilt hatte; Garve muss erfolglos nach Breslau zurückfahren

1794

die ersten beiden Bände der Übersetzung von Adam Smiths An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations erscheinen (Untersuchung über die Natur und Ursache des Nationalreichthums) in Breslau, 1795 folgen der 3., 1796 der 4. Band

April/Mai 1794

zweite Reise nach Posen zum selben Arzt wegen der Hoffnung auf Heilung seiner Haut- und Augenkrankheit ‒ ein ebenfalls vergeblicher Versuch

seit etwa 1795

Garve arbeitet an Übersetzungen der Ethik und der Politik des Aristoteles (während zumindest der erste Band der Ethik noch zu Lebzeiten Garves erscheint, wird die Übersetzung der Politick des Aristoteles erst 1803 posthum von Georg Gustav Fülleborn herausgegeben)

Zeittafel | 377

1797

Über Gesellschaft und Einsamkeit (Bd. 1; der 2. Band wird posthum 1800 von Johann Kaspar Friedrich Manso und Johann Gottlob Schneider herausgegeben)

1798

in Breslau erscheinen Einige Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre und der erste Band der Ethik des Aristoteles (der 2. Band wird posthum 1801 von Manso und Schneider herausgegeben)

1. Dezember 1798

Tod Garves in Breslau

Siglenverzeichnis AA

Kantʼs gesammelte Schriften. Hg. von der Preußischen [später: Deutschen] Akademie der Wissenschaften. Berlin 1900ff. (AA Band, Seite)

CPH

Christian August Crusius: Die philosophischen Hauptwerke. 4 Bde. Hg. von Sonia Carboncini und Reinhard Finster. Hildesheim 1964‒1987. (CPH Band, Seitenzahl)

FA

Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Frankfurter Ausgabe. 40 Bde. Hg. von Hendrik Birus u. a. Frankfurt a. M. 1989‒2013. (FA Band, Seitenzahl)

G

Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz. 7 Bde. Hg. von Carl Immanuel Gerhardt. Berlin 1875‒1890 [ND Hildesheim 1961]. (G Band, Seitenzahl)

GGW

Christian Garve: Gesammelte Werke. 17 in 19 Bden. Hg. von Kurt Wölfel. Hildesheim, Zürich, New York 1985–2000. (GGW Band, Seitenzahl)

HT

David Hume: A Treatise of Human Nature. Ed. by David Fate Norton and Mary J. Norton. Oxford University Press 2000.

HW

Johann Gottfried Herder: Werke. 3 Bde. Hg. von Wolfgang Proß. Darmstadt 1984– 2002. (HW Band, Seitenzahl)

JWA

Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Gesamtausgabe. Hg. von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke. Hamburg, Stuttgart 1998ff. (JWA Band, Seitenzahl)

JBW

Friedrich Heinrich Jacobi: Briefwechsel – Nachlaß – Dokumente. Hg. von Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen. Stuttgart 1981ff. (JBW Band, Seitenzahl)

LPS

Johann Heinrich Lambert: Philosophische Schriften. 10 Bde. Begonnen von Hans Werner Arndt, fortgeführt von Lothar Kreimendahl. Hildesheim 1965–2008 sowie 2 Suppl.-Bde. Hildesheim 2020 [Johann Heinrich Lamberts Monatsbuch. Neu hg., eingel., komment. und mit Verzeichnissen zu Lamberts Schriften, Briefen und nachgelassenen Manuskripten versehen von Niels W. Bokhove und Armin Emmel]. (LPS, Band, Seitenzahl bzw. LPS Suppl., Band, Seitenzahl). Gotthold Ephraim Lessing: Werke in 8 Bänden. Hg. von Herbert G. Göpfert u. a. München 1970‒1979 [Darmstadt 1996]. (LW Band, Seitenzahl)

LW

MGS

Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hg. von Alexander Altmann, Michael Brocke, Eva J. Engel und Daniel Krochmalnik. Stuttgart-Bad Cannstatt 1972ff. (MGS Band, Seitenzahl)

SSW

Baruch de Spinoza: Sämtliche Werke Lateinisch-deutsch. Hg. von Wolfgang Bartuschat u. a. Hamburg 1982ff. (SSW Band, Seitenzahl)

https://doi.org/10.1515/9783110647747-019

380 | Siglenverzeichnis

TAW

Christian Thomasius: Ausgewählte Werke. Nachdruck der Originalausgaben. Hg. von Werner Schneiders und Frank Grunert. Hildesheim, Zürich, New York 1993ff. (TAW Band, Seitenzahl)

WOA

Christoph Martin Wieland: Werke. (Oßmannstedter Ausgabe.) Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma. Berlin, New York 2008ff. (WOA Band, Seitenzahl)

WGW

Christian Wolff: Gesammelt Werke. Nachdruck der Originalausgaben. Hg von Jean Ecole u. a. Hildesheim, Zürich, New York 1965ff. (WGW Abteilung, Band, Seitenzahl)

WP

Werkprofile. Philosophen und Literaten des 17. und 18. Jahrhunderts. Hg. von Frank Grunert und Gideon Stiening in Zusammenarbeit mit Udo Roth. Berlin, New York 2011ff. (WP Band, Seitenzahl)

Bibliographie Ausgaben Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. Leipzig 1779. * Vgl. Sämmtliche Werke, Bd. 7 (1801). Versuche über verschiedne Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben. 5 Bde. Breslau 1792–1802. * Vgl. Sämmtliche Werke, Bd. 1–4 (1801/02), Bd. 14 (1802). Vermischte Aufsätze, welche einzeln oder in Zeitschriften erschienen sind. Neu hg. und verbessert. 2 Bde. Breslau 1796/1800. * Vgl. Sämmtliche Werke, Bd. 5–6 (1801). Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. 2 Bde. Breslau 1801/02. Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. Neue, mit sieben Aufsätzen vermehrte Auflage. 2 Bde. Leipzig 1802. * Vgl. Sämmtliche Werke, Bd. 15 (1802). Sämmtliche Werke. 18 Bde. und Reg.-Bd. Breslau 1801–1804 [nur Sammlung der meisten bisher ‒ auch posthum ‒ selbständig erschienenen Werke Garves sowie Briefsammlungen]. Anthologie aus den sämmtlichen Werken von Christian Garve. 2 Bde. Hildburghausen, New York 1829‒1831 [Cabinets-Bibliothek der Deutschen Classiker 32/33; mehrere weitere Auflagen]. Popularphilosophische Schriften über literarische, ästhetische und gesellschaftliche Gegenstände. Hg. von Kurt Wölfel. 2 Bde. Stuttgart 1974 [Deutsche Neudrucke. Reihe Texte des 18. Jahrhunderts]. Gesammelte Werke. 17 in 19 Bden. Hg. von Kurt Wölfel. Hildesheim, Zürich, New York 1985–2000 [Reprographischer Nachdruck verschiedener 1772‒1830].

Monographien Dissertatio de nonnullis, quae pertinent ad Logicam probabilium. Halle 1766. * Teilweiser Wiederabdruck in: Beyträge zur Geschichte der Philosophie XI/XII (1799), S. 197–208. * Wiederabdruck dieses Auszuges in: Friedrich Hülsemann (Hg.): M. T. Ciceronis Academica seu Academicorum veterum disputationes de natura et imperio cognitionis humanae. Emendata ad optimorum et exemplarium, et criticorum fidem, nexusque orationis auctoritatem; ac rerum inprimis ratione habita, illustrata. Magdeburg 1806, S. 462‒468. De ratione scribendi historiam Philosophiae. Leipzig 1768. * Teilweise Übersetzung in: Beyträge zur Geschichte der Philosophie IX (1798), S. 148–163. * Wiederabdruck ohne die »Theses« des Anhangs in: Beyträge zur Geschichte der Philosophie XI/XII (1799), S. 88–131. * Wiederabdruck dieses Auszuges in: Hülsemann (Hg.): M. T. Ciceronis Academica seu Academicorum veterum disputationes, S. 411‒413, S. 468‒472.

https://doi.org/10.1515/9783110647747-020

382 | Bibliographie

Versuch über die von der Akademie aufgegebene Frage: Ob man die natürlichen Neigungen vernichten, oder welche erwecken könne, die die Natur nicht erzeugt hat: Und welches die Mittel seyn, den Neigungen, wenn sie gut sind, Kräfte zu geben, oder, wenn sie böse sind, zu schwächen. In: Leonhard Cochius: Untersuchung über die Neigungen, welche den von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1767. ausgesezten Preiß erhalten hat. Nebst andern dahin einschlagenden Abhandlungen. Berlin 1769, S. 93–331. Legendorum philosophorum veterum praecepta nonnulla et exemplum. Leipzig 1770. * Wiederabdruck in: Beyträge zur Geschichte der Philosophie XI/XII (1799), S. 132–196. * Auszugsweiser Wiederabdruck in: Hülsemann (Hg.): M. T. Ciceronis Academica seu Academicorum veterum disputationes, S. 380‒394. Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten. 3 Bde. Breslau 1783, 21787, 31788, 41792. * Auszüge als: Pensées philosophiques de la Religion. [Übersetzt von Peter Christian Friedrich Reclam.] Berlin 1785. * Verhandeling over de menschlijke pligten, van Marcus Tullius Cicero, uit het Latijn in het Hogduitsch overgezet, en met aanmerkingen vermeerderd door Christian Garve, en in het Nederduitsch vertaald door E. Wolff, geb. Bekker. 1. Bd. [mehr nicht erschienen]. sʼGraavenhaage 1790. Anhang einiger Betrachtungen über Johann Macfarlands Untersuchungen die Armuth betreffend, und über den Gegenstand selbst, den sie behandeln: besonders über die Ursachen der Armuth, den Charakter der Armen, und die Anstalten sie zu versorgen. Leipzig 1785. * Anhang zu Garves Übersetzung von Macfarlans Untersuchungen über die Armuth. Über den Charakter der Bauern und ihr Verhältniß gegen die Gutsherren und gegen die Regierung. Drey Vorlesungen in der Schlesischen Ökonomischen Gesellschaft gehalten. Breslau 1786, 2 1796. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 1, S. 1–228. * Om Bøndernes Karakteer og deres Forhold til Jorddrotten og Regieringen. Tre Forelæsninger, holdne i det Slesiske Oekonomiske Selskab. Oversat af det Tydske. Kopenhagen 1787. Schreiben an den Herrn Friedrich Nicolai von Christian Garve, über einige Äußerungen des erstern, in seiner Schrift, betitelt: Untersuchungen der Beschuldigungen des P[rof]. G[arve]. gegen meine Reisebeschreibung. Breslau 1786. Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik, oder einige Betrachtungen über die Frage, in wiefern es möglich sey, die Moral des Privatlebens bey der Regierung der Staaten zu beobachten. Breslau 1788. * Sur lʼaccord de la morale avec la politique, ou quelques considérations sur la question: jusquʼà quel point est-il possible de réaliser la morale de la vie privée, dans le gouvernement dʼun état? Traduit de lʼAllemand. Berlin 1789. * Verhandeling over het Verband tusschen de Zede- en Staatkunde, of eenige Bedenkingen over de Vraag: In hoe verre is het mogelyk, de Zedelyke Pligten van het Gezellig Leeven, in de Bestiering eener Volksmaatschappy, te betragten? Door Christiaan Garve. Uit het Hoogduitsch vertaald door Mr. C[ornelis]. T[heodorus]. Elout. Haarlem 1794. Über den Charakter Zollikofers an Herrn Creyssteuer-Einnehmer Weiße in Leipzig. Leipzig 1788. Einige Züge aus dem Leben und Charakter des Herrn C. J. Paczensky v. Tenczien aus dem Hause Schleibitz. Breslau 1793. Über Gesellschaft und Einsamkeit. 2 Bde. Breslau 1797/1800. * Ebenfalls in: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 3 (1797) u. Bd. 4 (1800).

Bibliographie | 383

Übersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsre Zeiten. Eine zu dem ersten Theile der übersetzten Ethik des Aristoteles gehörende und aus ihm besonders abgedruckte Abhandlung. Breslau 1798. * Vgl. Sämmtliche Werke, Bd. 8 (1801). Fragmente zur Schilderung des Geistes, des Charakters, und der Regierung Friederichs des zweyten. 2 Bde. Breslau 1798. * Vgl. Sämmtliche Werke, Bd. 10–11 (1801). Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Ein Anhang zu der Übersicht der verschiednen Moralsysteme. Breslau 1798. * Vgl. Sämmtliche Werke, Bd. 9 (1801). * Reprographischer Nachdruck Brüssel 1968. * Reprographischer Nachdruck Königstein/Ts. 1979. Aphorismen aus dem Nachlaß. Mit einer Nachbemerkung erstmals hg. von Alexander Košenina. Hannover 1998. Rozprawy popularnofilozoficzne [= Populärphilosophische Abhandlungen]. Wybór, przekład i opracowanie [= ausgewählt, übersetzt & hg. von] Radosław Kuliniak i Tomasz Małyszek. Wrocław [Breslau] 2002. Rzut oka na celne zasady nauki obyczajów od wieku Arystotelesa aż do Kanta przez Chrystiana Garwe [polnische Übersetzung (Marta Agata Chojnacka) der von Jan Kanty Kalist Chodani unter dem Titel A Glimpse on the Distinguished Principles of Morals since Aristotle to Kant ins Englische übersetzten Übersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre, von dem Zeitalter des Aristoteles an bis auf unsre Zeiten]. In: Studia z Historii Filozofii 3 (2012), S. 51‒76, 4 (2013), H. 1, S. 35‒52, H. 2, S. 35‒48, H. 3, S. 57‒66, H. 4, S. 73‒77, 5 (2014), H. 1, S. 35‒42.

Herausgeberschaften Αριστοτέλους τέχνης ῥητορικης βιβλια γ [De arte rhetorica]. Griech. hg. von Friedrich Wolfgang Reitz und Christian Garve. Leipzig 1772.

Beiträge in Zeitschriften Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 8 (1769), 1. St., S. 1–44, 2. St., S. 201–231. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen (1779), S. 1–92. * Isländische Übersetzung von Bernhard Grohndahl in: Rit thes Konungliga Islenzka Laerdoms Lisla Ferlags. 9 Bindini syrir árit 1788. Koppenhagen 1789, S. 231‒262. * Wysgeerige Verhandelingen. Vertaald en byeen gezameld door M. Gerrit van der Voort. Amsterdam 1790, S. 1‒94. Betrachtungen einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller, besonders der Dichter. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 10 (1770), 1. St., S. 1–37, 2. St., S. 189–210. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen (1779), S. 115–197. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Neue Auflage, 1. Bd. (1802), S. 93– 162.

384 | Bibliographie

Vermischte Anmerkungen über Gellerts Moral, dessen Schriften überhaupt, und Charakter. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 12 (1771), 2. St., S. 185–222. * Separatdruck Leipzig 1772. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen (1779), S. 198–252. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Neue Auflage, 1. Bd. (1802), S. 163– 209. * Réflexions sur la personne et les écrits de lʼAuteur [Christian Fürchtegott Gellert]. In: Leçons de morale. Ou, Lectures academiques faites dans lʼUniversité de Leipzig par feu M . Gellert. On y a joint des réflexions sur la personne & les écrits de lʼauteur, le tout traduit de lʼallemand [par Louis Ésaïe Pajon de Moncets]. 2 Bde. Utrecht 1772, Bd. 1, S. XXXI‒LXXII Einige Gedanken über das Interessirende. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 12 (1771), 1. St., S. 1–42, 13 (1772), 1. St., S. 5–50. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen (1779), S. 253–439 [enthält S. 379– 439 einen »Anhang«, »geschrieben im Jahre 1779«]. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Neue Auflage, 1. Bd. (1802), S. 210– 371. Über den Einfluß einiger besondern Umstände auf die Bildung unserer Sprache und Litteratur. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 14 (1773), 1. St., S. 5–25. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen (1779), S. 440–470 [hier mit dem Zusatz »Eine Vorlesung«]. * Wiederabdruck in: Litterarische Chronik. Hg. von Johann Georg Heinzmann. Bd. 1. Bern 1785, S. 88‒111. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Neue Auflage, 2. Bd. (1802), S. 3–28 [hier mit dem Zusatz »Eine Vorlesung«]. Aus einem Briefe, über die Leiden des jungen Werthers. In: Der Philosoph für die Welt 1 (1775), 2. St., S. 21–33. Briefe über Emilia Galotti. In: Der Philosoph für die Welt 1 (1775), 10.‒12. St., S. 111–145. Zusatz [zu den Briefen über Emilia Galotti]. In: Der Philosoph für die Welt 1 (1775), S. 181–187. Das Weihnachtsgeschenk. In: Der Philosoph für die Welt 2 (1777), 15. St., S. 18–23. Briefe über Emilia Galotti. In: Der Philosoph für die Welt 2 (1777), 21. St., S. 101–124. Bemerkungen über die Neigung der Menschen zum Wunderbaren, und über den Zweck dieses Zuges in der menschlichen Natur. In: Deutsches Museum 1778, 1. Bd., S. 517–528. Antwort eines andern Vetters, das Studium der schönen Wissenschaften betreffend. In: Deutsches Museum 1778, 2. Bd., S. 127–132. Über die Besorgnisse der Protestanten in Ansehung der Verbreitung des Katholicismus. An Herrn Doktor Biester. In: Berlinische Monatsschrift 6 (1785), S. 19–67. Zweiter Brief von Garven an Herrn D. Biester. In: ebd., S.488–529. Über die von der Breslauischen Armen-Verpflegungs-Commißion, im November vorigen Jahres bekanntgemachte Nachricht von ihren Anstalten, und die von ihr abgelegten Rechnungen. In: Schlesische Provincialblätter 3 (1786), S. 123–158. Über die vom Herrn Rath Campe im Hamburgischen Correspondenten bekanntgemachte Preisfrage. In: Schlesische Provincialblätter 6 (1787), S. 193–210. Ein Einwurf wider die Nützlichkeit periodischer Schriften, von Herrn Prof. Garve; aus einem Briefe desselben an den R[ektor]. C[ampe]. In: Braunschweigisches Journal philosophischen, philologischen und pädagogischen Inhalts 1 (1788), 1. St., S. 16–19. Einige Betrachtungen veranlaßt durch das Dekret der Nationalversammlung in Frankreich über die Güter der Geistlichkeit. In: Berlinische Monatsschrift 16 (1790), S. 388–414. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 17‒48.

Bibliographie | 385

Lob der Wissenschaften. In: Schlesische Provincialblätter 11 (1790), S. 1‒26, S. 101‒114. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 1 (1796), S. 273‒330. An den Herausgeber der Provincialblätter. In: Schlesische Provincialblätter 12 (1790), S. 193–217. Fortsetzung der Betrachtungen, veranlaßt durch das Dekret der Französischen Nationalversammlung über die Güter der Geistlichkeit. In: Berlinische Monatsschrift 17 (1791), S. 429–459. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 48‒82. Beschluß der Betrachtungen, veranlaßt durch das Dekret der Franz. Nationalversammlung über die Güter der Geistlichkeit. In: Berlinische Monatsschrift 17 (1791), S. 507–536. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 82‒116. Über die Geduld. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 1 (1792), S. 1–116. Über die Moden. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 1 (1792), S. 117–294. * Teilweiser Wiederabdruck in: Blätter vermischten Inhalts 5 (1792), S. 530–534. * Separatdruck: Über die Moden. Hg. von Thomas Pittrof. Frankfurt a. M. 1987. Über die Maxime Rochefaucaults: das bürgerliche Air verliehrt sich zuweilen bey den Armen, niemahls am Hofe. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 1 (1792), S. 295–452. Über die Unentschlossenheit. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 1 (1792), S. 453‒536. Über die Muße. In: Deutsche Monatsschrift 1792, Bd. 1, S. 93–98. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 1 (1796), S. 263‒272. Bruchstücke zu der Untersuchung über den Verfall der kleinen Städte, dessen Ursache, und die Mittel ihm abzuhelfen. In: Schlesische Provincialblätter 17 (1793), S. 1‒28, S. 97‒125. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 1 (1796), S. 373–444. Die Tugend macht den Menschen glücklich. In: Schlesische Provincialblätter 17 (1793), S. 210–220. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 1–16. Über die Popularität des Vortrages. In: Schlesische Provincialblätter 17 (1793), S. 383–403. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 1 (1796), S. 331–358. Einige allgemeine Betrachtungen über Sprachverbesserung. In: Beiträge zur deutschen Sprachkunde. Vorgelesen in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1. Smlg. Berlin 1794, S. 123‒159. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Bd. 2 (1802), S. 317–357. Über die Gewohnheit einiger Buchhändler, die in ihrem Verlage herauskommenden Schriften in den Verzeichnissen derselben zu loben. In: Schlesische Provincialblätter 19 (1794), S. 421–427. Über die Witterungslehre überhaupt, und über den Einfluß des Mondlichts und deßen Veränderungen auf den Zustand der Atmosphäre insbesondere. In: Schlesische Provincialblätter 19 (1794), S. 439–461. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 471‒495. An die Herausgeber. Über die Einführung des Wortes Frankreicher für Franzosen. In: Schlesische Provincialblätter 19 (1794), S. 511‒520. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 1 (1796), S. 359‒372. Übersetzung und Erläuterung einer Rede Kleons, eines atheniensischen Demagogen, im 37sten Kapitel 3ten Buches des Thucydides. In: Schlesische Provincialblätter 20 (1794), S. 199‒222, S. 301‒327. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 1 (1796), S. 445–515. Noch einige Fragen, die Witterungslehre betreffend. In: Schlesische Provincialblätter 20 (1794), S. 401‒416. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 496‒513. Fragment einer Vergleichung Friedrichs des Zweyten mit Marc-Aurel, besonders in Absicht ihrer Religiosität. In: Neue deutsche Monatsschrift 1 (1795), S. 47–70.

386 | Bibliographie

Zweites Fragment einer Vergleichung zwischen Marc-Aurel und Friedrich dem Zweyten. In: Neue deutsche Monatsschrift 2 (1795), S. 3–33, 85–118. Noch einige Fragen, die Witterungslehre betreffend. Schlesische Provincialblätter 21 (1795), S. 34– 42, S. 134‒138. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 514‒523. Ein ernsthafter Commentar über einen Scherz. In: Schlesische Provincialblätter 24 (1796), S. 105‒111, S. 219‒245. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2, S. 429–467. Über zwey Stellen des Herodots. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 2 (1796), S. 1– 126. Einige Gedanken über die Vaterlandsliebe überhaupt, und die Vorliebe insbesondere, welche, in einem großen Staate, die Einwohner jeder Provinz für diese ihre Provinz haben. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 2 (1796), S. 127–244. Einige Beobachtungen über die Kunst zu denken. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 2 (1796), S. 245–430. Über die Rolle der Wahnwitzigen in Shakespears Schauspielen, und über den Charakter Hamlets ins besondre. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 2 (1796), S. 431–510. Über die Lage Schlesiens in verschiedenen Zeitpuncten, und über die Vorzüge einer Hauptstadt vor Provincialstädten. Eine Vorlesung, in der Schlesischen Ökonomischen Gesellschaft in Breslau gehalten. In: Vermischte Aufsätze, Bd. 1 (1796), S. 229–262. Bruchstücke einzelner Gedanken, über verschiedne Gegenstände. In: Schlesische Provincialblätter 26 (1797), S. 320–334, 418–436, 501–540. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2, S. 189–288. Über fehlgeschlagene Erwartungen. In: Erholungen. Hg. von Wilhelm Gottlieb Becker. Leipzig 1797, 1. Bdchen., S. 17‒42. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 117‒140. Friedrich der Große und Hadrian. Aus einem Briefe des Verfassers an die Herausgeber. In: Jahrbücher der preußischen Monarchie 1798, S. 373–385. Über einige Schönheiten der Gebirgsgegenden. In: Erholungen. Hg. von Wilhelm Gottlieb Becker. Leipzig 1798, 1. Bdchen., S. 1–50. * Wiederabdruck in: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 141–188. Über die Laune, das Eigenthümliche des Englischen humour und die Frage: ob Xenophon unter die launigen Schriftsteller gehöre. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 61 (1798), 1. St., S. 51–77. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Neue Auflage, Bd. 2 (1802), S. 29– 60. Bruchstücke aus dem englischen Gedicht ›The botanic Garden‹. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 61 (1798), 1. St., S. 78‒134. Über die Frage: warum stehen die Deutschen, nach dem Geständniß ihrer besten Schriftsteller, in Ansehung einer guten prosaischen Schreibart, gegen Griechen und Römer, vielleicht auch gegen Franzosen und Engländer, zurück? und welches ist der besten deutschen Prosaisten charakteristisches Verdienst? Ein Fragment. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 62 (1799), 2. St., S. 181–199. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Bd. 2 (1802), S. 61–82. Warum läutert sich der Geschmack im Ernsthaften früher, als im Komischen? In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 63 (1799), 1. St., S. 3–19. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Bd. 2 (1802), S. 82–102.

Bibliographie | 387

›Ein früherer flüchtiger Entwurf über Moral‹. In: Georg Gustav Fülleborn: Verschiedene Ideen über und zur Moral. Aus neuern Schriften. In: Beyträge zur Geschichte der Philosophie X (1799), S. 120‒142, hier S. 124–139. Über die Veränderungen unsrer Zeit in Pädagogik, Theologie und Politik. In: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 189‒228. Das Christenthum, als Lehrgebäude und als Institut betrachtet. Ein Fragment. In: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 289–355. Über einen Satz aus der Ethik des Spinoza. Ein Fragment. In: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 357‒388. Über die Gränzen des bürgerlichen Gehorsams, und den Unterschied von Theorie und Praxis, in Beziehung auf zwey Aufsätze in der Berliner Monatsschrift. In: Vermischte Aufsätze, Bd. 2 (1800), S. 389–427. Über das Daseyn Gottes. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 5 (1802), S. 1–290. Über die öffentliche Meinung. In: Versuche über verschiedne Gegenstände, Bd. 5 (1802), S. 291– 334. Fragmente aus Garveʼs literarischem Nachlaß. In: Der Breslauische Erzähler. Eine Wochenschrift. 4. Jg. (1803), Nr. 17, S. 269‒271, Nr. 24, S. 378‒380, Nr. 25, S. 390f.

Rezensionen Herder, Johann Gottfried: Über die deutsche neue Litteratur. Erste und zwote Sammlung von Fragmenten. Riga 1767. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 4 (1767), 1. St., S. 40–78. Herder, Johann Gottfried: Fragmente als Beylage zu den Briefen, die neueste Litteratur betreffend, dritte Sammlung. Riga 1767. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 5 (1767), 2. St., S. 241–291. Mendelssohn, Moses: Phädon, oder über die Unsterblichkeit der Seele, in drey Gesprächen. Berlin 1767. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 6 (1768), 1. St., S. 80–107, 2. St., S. 313–339. Riedel, Friedrich Just: Theorie der schönen Künste und Wissenschaften, ein Auszug aus den Werken verschiedener Schriftsteller. Jena 1767. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 6 (1768), 2. St., S. 277–298, 7 (1768), 1. St., S. 31–75. Wieland, Christoph Martin: Mussarion oder die Philosophie der Grazien. Ein Gedicht in drey Büchern. Leipzig 1769. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 9 (1769), 1. St., S. 113–131. Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon, oder über die Gränzen der Mahlerey und der Poesie. 1. Th. Berlin 1766. In: Allgemeine deutsche Bibliothek 9 (1769), 1. St., S. 328–358. * Wiederabdruck in: Sammlung einiger Abhandlungen, Bd. 2 (1802), S. 103–146. * Teilabdruck in: Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe. Hg. von Wilfrid Barner u. a. 12 Bde. Frankfurt a. M. 1985‒2003, Bd. 5.2, S. 701‒703 [S. 328f., S. 332, S. 346, S. 358]. Herder, Johann Gottfried: Kritische Wälder. Oder Betrachtung, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend. 3 Bde. Riga 1769. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 9 (1769), 1. St., S. 20–63, 9 (1770), 2. St., S. 250–280. Einleitung in die schönen Wissenschaften, nach dem Französischen des Hrn. Batteux [übersetzt von Karl Wilhelm Ramler und] mit Zusätzen vermehret. 4 Bde. Leipzig 31769. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 9 (1769), 1. St., S. 113–131.

388 | Bibliographie

Bibliothek der österreichischen Litteratur. Bde. 1–2. Wien 1769. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 9 (1770), 2. St., S. 318–334. Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie. 2 Bde. Hamburg, Bremen 1767/69. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 10 (1770), 1. St., S. 117–141, 2. St., S. 211–244. Batteux, Charles: Einschränkung der schönen Künste auf Einen einzigen Grundsatz. Aus dem Französischen übersetzt, und mit verschiednen eignen damit verwandten Abhandlungen begleitet von Johann Adolf Schlegel. 3. verb. u. verm. Aufl. Leipzig 1770. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 11 (1771), 2. St., S. 255–282, 12 (1771), 1. St., S. 69–98. Hemsterhuis, Frans: Lettre sur la sculpture à Monsieur Théod. de Smeth, Ancien Président des Echevins de la Ville dʼAmsterdam. Amsterdam 1769. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 11 (1771), 2. St., S. 296‒329. Basedow, Johann Bernhard: Das Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker. Altona, Bremen 1770; ders.: Das Elementarbuch für die Jugend und für ihre Lehrer und Freunde in gesitteten Ständen. 1.‒3. Stück. Hamburg 1770. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 12 (1771), 2. St., S. 282‒324. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Riga 1781. In: Zugaben zu den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen 1782, Bd. 1, 3. St., S. 40–48. * Ursprüngliche Fassung in: Allgemeine deutsche Bibliothek, Anhang zum 37–52. Bd. (1785), 2. Abt., S. 838–862. Heydenreich, Karl Heinrich: System der Ästhetik. Leipzig 1790. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 43 (1791), 1. St., S. 186–284. Über die vierte und fünfte Betrachtung in des Herrn Professor Heydenreichs System der Ästhetik. An Herrn [Georg] Scha[t]z. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 45 (1792), 2. St., S. 3‒62. Über das Princip, welches Herr Professor Heydenreich in der fünften Betrachtung seines Systems der Ästhetik für die schönen Künste aufgestellt hat. An Herrn [Georg] Scha[t]z. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 47 (1792), 1. St., S. 31–67, 2. St., S. 161‒197. Hemsterhuis, Frans: Vermischte philosophische Schriften. Aus dem Französischen übersetzt. Bd. 3. Leipzig 1797. In: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste 61 (1798), 1. St., S. 153‒155.

Briefe und Briefsammlungen An Christian Adolph Klotz. Leipzig, den 21. Juni 1768. In: Briefe Deutscher Gelehrten an den Herrn Geheimen Rath Klotz. Hg. von Johann Jost Anton von Hagen. Halle 1773, S. 122‒124. Briefe an und von Johann Erich Biester. In: Berlinische Monatsschrift 6 (1785), S. 19‒90, S. 488‒554. Ein Einwurf wider die Nützlichkeit periodischer Schriften, von Herrn Prof. Garve; aus einem Briefe desselben an den R[at]. C[ampe]. In: Braunschweigisches Journal 1 (1788), S. 16‒19. Christian Garve’s Vertraute Briefe an eine Freundin. Leipzig 1801. * = Sämmtliche Werke, Bd. 12 (1801). Briefe von Christian Garve an Christian Felix Weiße und einige andere Freunde. 2 Bde. Breslau 1802/03. * = Sämmtliche Werke, Bd. 16–17 (1803).

Bibliographie | 389

Briefwechsel zwischen Christian Garve und Georg Joachim Zollikofer, nebst einigen Briefen des erstern an andere Freunde. Breslau 1804. * = Sämmtliche Werke, Bd. 18 (1804). An Immanuel Kant. In: Morgenblatt für gebildete Stände 5 (1811), Nr. 110, S. 437f. Von Bestimmung des moralischen Werths. Schreiben von Christian Garve an Karl von Dalberg. In: Dörptische Beyträge für Freunde der Philosophie, Litteratur und Kunst 1813, S. 65–81. An Immanuel Kant. In: Dörptische Beyträge für Freunde der Philosophie, Litteratur und Kunst 1816, S. 87‒89. Briefe und von Christian Fürchtegott Gellert. In: Christian Fürchtegott Gellerts Briefe an seine Freunde und von denselben. Briefe zweyter Theil (Sämmtliche Werke, Bd. 9). Karlsruhe 1818, S. 16‒20. An Karl Leonhard Reinhold. In: Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, nebst einer Auswahl von Briefen Kant’s, Fichte’s, Jacobi’s und andrer philosophirender Zeitgenossen an ihn. Hg. von Ernst Reinhold. Jena 1825, S. 346‒348. An Gottlieb Ringeltaube. In: Glaube, Hoffnung, Liebe, in Erinnerungen aus dem Leben des verewigten General-Superintendenten von Pommern, Gottlieb Ringeltaube, größtentheils mit dessen eigenen Worten. Berlin 1825, S. 15‒17, Anm. Friedrich Heinrich Jacobi an Garve. In: Friedrich Heinrich Jacobiʼs auserlesener Briefwechsel in zwei Bänden. Hg. von Friedrich Roth. Leipzig 1825‒1827, Bd. 1, S. 397‒405. Christian Garve’s Briefe an seine Mutter. Hg. von Karl Adolf Menzel. Breslau 1830. Vier bisher ungedruckte Briefe Garveʼs [an Moses Mendelssohn und Joachim Jakob Engel]. In: Blätter für literarische Unterhaltung 1830, 2. Bd., Nr. 341, S. 1361f. und Beilage Nr. 45, unpag. An Christian Gottfried Schütz. In: Christian Gottfried Schütz. Darstellung seines Lebens, Charakters und Verdienstes. Hg. von Friedrich Karl Julius Schütz. 2 Bde. Halle 1835, Bd. 2, S. 97‒100. Moses Mendelssohn an Garve. In: Moses Mendelssohnʼs gesammelte Schriften. Hg. von Georg Benjamin Mendelssohn. 7 Bde. Leipzig 1843‒1845, Bd. 5, S. 641. Friedrich von Gentz: Briefe an Christian Garve (1789–1798). Hg. von Karl Gottlob Schönborn. Breslau 1857. Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten. Hg. von Karl von Holtei. Hannover 1872, S. 107‒114. Briefe an Joachim Heinrich Campe. In: Jakob Leyser: Joachim Heinrich Campe. Ein Lebensbild aus dem Zeitalter der Aufklärung. 2 Bde. Braunschweig 1877, Bd. 2, S. 259‒268. An Friedrich Schiller. In: Briefe an Schiller. Hg. von Ludwig von Urlichs. Stuttgart 1877, S. 188‒190. Briefe an Christian Weiße. In: Minor. Archiv für Literaturgeschichte 9 (1880), S. 494f., S. 499‒503. An Karl Wilhelm Ramler. In: Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte 4 (1891), S. 251‒253. An Friedrich Schiller. In: Goethe-Jahrbuch 18 (1897), S. 134‒143. An Elisa von der Recke. In: Deutsche Dichtung. Hg. von Karl Emil Franzos. 24. Bd. Berlin 1898, S. 273f. An und von Johann Benjamin Michaelis. In: Ernst Reclam: Johann Benjamin Michaelis. Sein Leben und seine Werke. Leipzig 1904, S. 103‒105. Briefe von und an Friedrich von Gentz. Hg. von Friedrich Karl Wittichen und Ernst Salzer. 4 Bde. München, Berlin 1909‒1913, Bd. 2, S. 139‒211. Briefe an und von Immanuel Kant. In: Immanuel Kant: Briefwechsel in drei Bänden. Hg. von H. Ernst Fischer. München 1912/13, Bd 1, S. 214‒255, Bd. 2, S. 295f., Bd. 3, S. 248-255. Briefe an Anna Katharina Garve. In: Ernst Poseck: Alte Ohle. Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner. Berlin 1941, S. 485ff. [Auszüge]. Briefe an und von Friedrich Schiller. In: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 27, Weimar 1958, S. 56f., S. 125‒127; Bd. 35. Weimar 1964, S. 23f., S. 72-75; Bd. 36. Weimar 1972, S. 186f. Briefe an und von Johann Caspar Lavater. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Breslau. Bd. 8. Würzburg 1963, S. 55–82, S. 88‒105.

390 | Bibliographie

An Georg Joachim Zollikofer. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau. Bd. 8. Würzburg 1963, S. 82‒88. Günter Schulz: Christian Garve im Briefwechsel mit Friedrich Nicolai und Elisa von der Recke. In: ders. u. a. (Hg.): Zur Sozialgeschichte der Literatur und Philosophie im Zeitalter der Aufklärung (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 1). Tübingen 1974, S. 222‒305. An Georg Christoph Lichtenberg. In: Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. 4 Bde. Hg. von Wolfgang Promies. München 1967‒1975, Bd. 4, S. 480‒482. An Karl Leonhard Reinhold. In: Karl Leonhard Reinhold: Korrespondenzausgabe. Hg. von Faustino Fabbianelli, Kurt Hiller und Ives Radrizzani. Bd. 2: Korrespondenz 1788‒1790. Stuttgart-Bad Cannstadt 2007, S. 159‒161. An und von Christian Fürchtegott Gellert. In: C. F. Gellerts Briefwechsel. Hg. von John F. Reynolds. Bd. 5 (1767‒1769). Berlin, Boston 2013.

Übersetzungen Der Freund junger Leute von M. [Guillaume] G[rivel]. Aus dem Französischen. Leipzig 1765. Porter, James: Anmerkungen über die Religion, Regierungsform und die Sitten der Türken. Aus dem Englischen übersetzt. Leipzig 1768. Bruckner, John: Philosophische Betrachtungen über die thierische Schöpfung. Aus dem Englischen. Leipzig 1769. Euler, Leonhard: Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstände aus der Physik und Philosophie. Aus dem Französischen übersetzt. Bd. 1‒2. Leipzig 1769, 21773, 31784; Bd. 3. St. Petersburg, Riga, Leipzig 1773, 21780. Ferguson, Adam: Grundsätze der Moralphilosophie. Übersetzt und mit einigen Anmerkungen versehen. Leipzig 1772. Home, Henry: Grundsätze der Kritik. Übersetzt von Johann Nikolaus Meinhard. Nach der vierten Englischen verbesserten Ausgabe [überarbeitet von Christian Garve und Johann Jakob Engel]. Leipzig 1772. Burke, Edmund: Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unserer Begriffe vom Erhabenen und Schönen. Nach der fünften Englischen Ausgabe. Riga 1773 [ND hg. von Werner Strube. Hamburg 1989]. Gerard, Alexander: Versuch über das Genie. Aus dem Englischen. Leipzig 1776. Cicero, Marcus Tullius: Abhandlungen über die menschlichen Pflichten in drey Büchern. Aus dem Lateinischen. Breslau 1783, 21787, 31788, 41792. Macfarlan, John: Untersuchungen über die Armuth, die Ursachen derselben und die Mittel ihr abzuhelfen. Aus dem Englischen übersetzt und mit einigen Anmerkungen und Zusätzen begleitet. Leipzig 1785. Paley, William: Grundsätze der Moral und Politik. Aus dem Englischen übersetzt. Mit einigen Anmerkungen und Zusätzen. 2 Bde. Leipzig 1787. Gillies, John: Vergleichung zwischen Friedrich II. und Philipp dem König von Macedonien. Aus dem Englischen übersetzt. Breslau 1791. * auch in: Schlesische Provincialblätter 13 (1791), S. 4–18, S. 105–124, S. 399–425. Smith, Adam: Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Nationalreichthums. Aus dem Englischen der vierten Ausgabe neu übersetzt. 4 Bde. Breslau 1794‒1796. Smith, Adam: Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Nationalreichthums. Aus dem Englischen der vierten Ausgabe neu übersetzt. Zweyte mit Stewarts Nachricht von dem Leben und den Schriften des Autors vermehrte Ausgabe. 3 Bde. Breslau, Leipzig 1799.

Bibliographie | 391

Die Ethik des Aristoteles übersetzt und erläutert. 2 Bde. Breslau 1798/1801. Die Politick des Aristoteles. Übersetzt von Christian Garve. Hg. und mit Anmerkungen und Abhandlungen begleitet von Georg Gustav Fülleborn. 2 Bde. Breslau 1799/1802.

Forschung Fülleborn, Georg Gustav: Christian Garve. Einige Materialien zu dessen Lebensbeschreibung und Charakteristik. Breslau 1798 [auch in: Schlesische Provincialblätter 28 (1798), S. 567–581, 29 (1799), S. 1–15]. Biester, Johann Erich: Garve. In: Neue Berlinische Monatsschrift 1 (1799), S. 73–80. Manso, Johann Caspar Friedrich: Christian Garve nach seinem schriftstellerischen Character. Breslau 1799 [auch in: Schlesische Provincialblätter 29 (1799), S. 236ff., 307ff.; Wiederabdruck in: ders.: Vermischte Abhandlungen und Aufsätze. Breslau 1821, S. 107–136]. Schelle, Karl Gottlob: Briefe über Garve’s Schriften und Philosophie. Leipzig 1800 [ND Brüssel 1974]. Dittmar, Siegismund Gottfried: Erinnerungen aus meinem Umgange mit Garve, nebst einigen Bemerkungen über dessen Leben und Charakter. Breslau 1801. Fülleborn, Georg Gustav: Christian Garve. Nebst einigen Bruchstücken über ihn. In: Museum Deutscher Gelehrten. Breslau 1801, S. 33–68. Gruner, J. E.: Adam Smith und Christian Garve. In: Neue Berlinische Monatsschrift 6 (1801), S. 38– 61. Schlichtegroll, Friedrich: Christian Garve. In: Nekrolog auf das Jahr 1798. Enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger in diesem Jahr verstorbener Deutschen. 9. Jg. Bd. 2. Gotha 1803, S. 237–298. Schummel, Johann Gottlieb: Garve und Fülleborn. Breslau 1804. Christian Garve. In: Lexikon deutscher Dichter und Prosaisten. Hg. von Karl Heinrich Jöcher. Bd. 2. Leipzig 1807, S. 9–30; Bd. 6 (Supplemente). Leipzig 1811, S. 130–134. Vogel, Emil Ferdinand: Erinnerungen an Christian Garve. In Briefen. In: Zeitgenossen. Ein biographisches Magazin für die Geschichte unserer Zeit. 3. Reihe, Bd. 4 (1832), Heft 3/4, S. 50‒137, Heft 5, S. 38‒82. Doering, Heinrich: [Art.] Garve (Christian). In: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. Sektion 1. Bd. 54. Leipzig 1852, S. 90–120. Bonnell, Karl Eduard: Friedrichs des Grossen Verhältniss zu Garve und dessen Übersetzung der Schrift Ciceros von den Pflichten nebst einer Betrachtung über das Verhalten der Schule gegen die Übersetzungen der alten Classiker. Berlin 1855. Jacoby, Daniel: Christian Garve. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 8. Leipzig 1878, S. 385– 392. Jacoby, Daniel: Schiller und Garve. Eine Untersuchung. In: Schnorrs Archiv für Litteraturgeschichte 7 (1878), S. 95–145. Stern, Albert: Über die Beziehungen Chr. Garve’s zu Kant, nebst mehreren bisher ungedruckten Briefen Kant’s, Feder’s und Garve’s. Leipzig 1884. Kerber, G.: Zur Erinnerung an Garve. In: Sonntags-Beilage zur Vossischen Zeitung 1898, Nr. 48. Jacoby, Daniel: Die Frankfurter gelehrten Anzeigen und Garve. In: Euphorion 9 (1902), S. 112f. Grünhagen, Colmar: Das Tafelservice des Breslauer Philosophen Garve. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 38 (1904), S. 371–373. Jacoby, Daniel: Schiller und Garve. In: Euphorion 12 (1905), S. 262–271.

392 | Bibliographie

Müller, Paul: Christian Garves Moralphilosophie und seine Stellungnahme zu Kants Ethik. Borna, Leipzig 1905. Jacoby, Daniel: Christian Garve. Zur Universitätsfeier seiner Vaterstadt. In: Sonntags-Beilage zur Vossischen Zeitung 1911, Nr. 31/32, S. 244–248, S. 251f. Milch, Werner: Christian Garve. In: Schlesische Lebensbilder. Namens der Historischen Kommission für Schlesien hg. von Friedrich Andreae. Bd. 2. Breslau 1926, S. 60–60 [Wiederabdruck in ders.: Kleine Schriften zur Literatur- und Geistesgeschichte. Hg. von Gerhard Burkhardt. Heidelberg, Darmstadt 1975, S. 125–132]. Dänzer-Vanotti, Dietlinde: Die Stellung Christian Garves zu den Beziehungen zwischen Antike und Moderne. Diss. Freiburg 1956. Menzer, Paul: Christian Garves Ästhetik. In: Gedenkschrift für Josef Ferdinand Schneider. Hg. von Karl Bischoff. Weimar 1956, S. 83–97. Schulz, Günter: Schiller und Garve. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 3 (1958), S. 182–199. Wölfel, Kurt: Christian Garve. In: Schlesien. Eine Vierteljahresschrift für Kunst, Wissenschaft und Volkstum 4 (1959), S. 74–79. Schulz, Günter: Christian Garve und Immanuel Kant. Gelehrtentugenden im 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 5 (1960), S. 123–188. Lubos, Arno: Geschichte der Literatur Schlesiens. Bd. 1. München 1960,S. 216‒218. Geldsetzer, Lutz: Zur Frage des Beginns der deutschen Soziologie. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 15 (1963), S. 529–541. Jessen, Hans: Der Philosoph Christian Garve und der König. In: Schlesien. Eine Vierteljahresschrift für Kunst, Wissenschaft und Volkstum 8 (1963), S. 89f. Schulz, Günter: Zwei Freunde der Wahrheit. Ein Briefwechsel zwischen Christian Garve und Johann Caspar Lavater. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 8 (1963), S. 52–105. Ferrari, Jean: Kant et la recension Garve-Feder de la »Critique de la Raison pure«. In: Les Études Philosophiques 19 (1964), S. 11–32. Schulz, Eberhard Günter: Christian Garve über den Patriotismus der Schlesier und seine historischen Grundlagen. In: Schlesien. Eine Vierteljahresschrift für Kunst, Wissenschaft und Volkstum 9 (1964), S. 138–142. Wölfel, Kurt: Christian Garve. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 6. Berlin 1964, S. 77f. Schulz, Eberhard Günter: Christian Garve zum Charakter der Schlesier. In: Schlesien. Eine Vierteljahresschrift für Kunst, Wissenschaft und Volkstum 12 (1967), S. 133–139. Stolleis, Michael: Die Moral in der Politik bei Christian Garve. Diss. München 1967. Stolleis, Michael: Über die Verbindung der Moral mit der Politik. Ein Beitrag zur Spätphase der Aufklärungsphilosophie in Deutschland. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 55 (1969), S. 269–277. Dusen, Robert van: Christian Garve and English belles-lettres. Bern 1970. Schulz, Eberhard Günter: Über die Liebenswürdigkeit. Betrachtungen ihrer Analogie zum Anmutigen in der Natur im Anschluß an Garve. In: Schlesien. Eine Vierteljahresschrift für Kunst, Wissenschaft und Volkstum 15 (1970), S. 175–178. Stolleis, Michael: Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts. Moral und Politik bei Christian Garve. Meisenheim am Glan 1972. Braun, Lucien: Histoire de l’histoire de la philosophie. Paris 1973, S. 178‒183. Jennison, Earl W.: Christian Garve and Garlieb Merkel: Two theorists of peasant emancipation during the ages of enlightenment and revolution. In: Journal of Baltic Studies 4 (1973), S. 344– 363.

Bibliographie | 393

Schulz, Günter: Christian Garve im Briefwechsel mit Friedrich Nicolai und Elisa von der Recke. In: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 1 (1974), S. 222–305. Wölfel, Kurt: Nachwort. In: Christian Garve: Popularphilosophische Schriften über literarischche, ästhetische und gesellschaftliche Gegenstände. Hg. von Kurt Wölfel. 2 Bde. Stuttgart 1974, Bd. 2, S. 23*–60*. Stolleis, Michael: Christian Garve und Friedrich Schlichtegroll. In: Schlesien. Eine Vierteljahresschrift für Kunst, Wissenschaft und Volkstum 21 (1976), S. 106–108. Ammermann, Monika: Gemeines Leben. Gewandelter Naturbegriff und literarische Spätaufklärung: Lichtenberg, Wezel, Garve. Bonn 1978. Schulz, Eberbard Günter: Vom Beitrag der Berliner Aufklärung zum philosophischen Völkerrecht (Garve, Kant). In: Hans Thieme u. a. (Hg.): Humanismus und Naturrecht in Berlin ‒ Brandenburg ‒ Preußen. Ein Tagungsbericht. Berlin 1978, S. 206‒225. Kiep, Gerd: Literatur und Öffentlichkeit bei Christian Garve. In: Christa Bürger, Peter Bürger, Jochen Schulte-Sassen (Hg.): Aufklärung und literarische Öffentlichkeit. Frankfurt a. M. 1980, S. 133– 161. Martens, Ekkehard: Philosophie in der Spannung von Esoterik und Exoterik. Zum Begriff einer »Philosophie für jedermann«. In: Didaktische Modelle 9. Philosophie als Thema in der universitären Erwachsenenbildung. Hannover 1981, S. 9–27. Schulz, Eberhard Günter: Von der Bedeutung einer Christian-Garve-Gesamtausgabe. In: Hans-Gert Roloff (Hg.): Werkstattgespräch »Berliner Aufklärung«. Bern, Frankfurt a. M., Las Vegas 1981, S. 161–167. Schulz, Günter: Bürgertum und Bürgerlichkeit in der Darstellung Christan Garves. In: Rudolf Vierhaus (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung. Heidelberg 1981, S. 255– 263. Martens, Ekkehard: Was ist und soll Pseudophilosophie? Wien 1984, S. 17‒33. Schlesische Lebensbilder II: Schlesier des 18. und 19. Jahrhunderts. Hg. von der Historischen Kommission für Schlesien. Sigmaringen 21985 (zuerst 1924), S. 60‒69 (hier auch die ältere GarveLiteratur bis 1924). Batscha, Zwi: Christian Garves politische Philosophie. In: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte 14 (1985), S. 113–155 [Wiederabdruck in: ders.: »Despotismus von jeder Art reizt zur Widersetzlichkeit«. Die Französische Revolution in der deutschen Popularphilosophie. Frankfurt a. M. 1989, S. 13–56]. Wölfel, Kurt: Über das essayistische Werk Christian Garves. In: Christian Garve: Gesammelte Werke. Hg. von Kurt Wölfel. 15 Bde. Hildesheim, Zürich, New York 1985–1999 [Faksimile-Ausgabe der Sämmtlichen Werke], Bd. 1 (1985), S. I–XXX. Rößer, Hans-Otto: Bürgerliche Vergesellschaftung und kulturelle Reform. Studien zur Theorie der Prosa bei Johann Gottfried Herder und Christian Garve. Frankfurt a. M., Bern, New York 1986. Frühsorge, Gotthardt: Vom »Umgang« und von den Büchern. Zu Christian Garves Reflexionen bürgerlicher Existenz. In: Euphorion 81 (1987), S. 66–80. Pittrof, Thomas: Nachwort. In: Christian Garve: Über die Moden. Hg. von Thomas Pittrof. Frankfurt a. M. 1987, S. 173–202. Wölfel, Kurt: Über Garves selbständig erschienene Schriften. In: Christian Garve: Gesammelte Werke. Hg. von Kurt Wölfel. 15 Bde. Hildesheim, Zürich, New York 1985–1999 [FaksimileAusgabe der Sämmtlichen Werke], Bd. 6 (1987), S. I–XXXV. Wölfel, Kurt: Zu Garves Übersetzungen. In: Christian Garve: Gesammelte Werke. Hg. von Kurt Wölfel. 15 Bde. Hildesheim, Zürich, New York 1985–1999 [Faksimile-Ausgabe der Sämmtlichen Werke], Bd. 9 (1987), S. I–XLIX. Vierhaus, Rudolf: Christian Garve (1742–1798). In: ders. (Hg.): Aufklärung als Prozeß. Hamburg 1988, S. 135–137.

394 | Bibliographie

Bachmann-Medick, Doris: Die ästhetische Ordnung des Handelns. Moralphilosophie und Ästhetik in der Popularphilosophie des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1989, S. 174–241. Dehnel, Piotr: Christian Garve (1742–1798) und die Probleme der Philosophie der deutschen Aufklärung. In: Karol Bal (Hg.): Aufklärung in Polen und Deutschland. 2 Bde. Warschau 1989, Bd. 2, S. 167–173. Vowinckel, Gerhard: Christian Garve und das Ende der Glückseligkeitslehre. In: Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), S. 136–147. Braun, Lucien: Geschichte der Philosophiegeschichte. Übers. von Franz Wimmer, bearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Ulrich Johannes Schneider. Darmstadt 1990, S. 187‒191. Cadete, Teresa Rodrigues: »Ocasionalmente no exército, nunca na corte«. Sobre a receita de Christian Garve para corrigir o »ar burguês«. In: Runa 1990, Nr. 13/14, S. 319–327. Gehle, Holger: Die Kant-Garve-Kontroverse zur philosophischen Sprache und Erfahrung. Philosophiedidaktische Überlegungen. In: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie 12 (1990), S. 3–8. Košenina, Alexander: »Briefe eines Arztes an seinen Freund«. Zwei ungedruckte Briefe Ernst Platners an Christian Garve. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 31 (1990), S. 141–151. Gibert, Carlos Melches: Der Einfluß von Christian Garves Übersetzung Ciceros »De officiis« auf Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«. Diss. Trier 1991. Altmayer, Claus: Aufklärung als Popularphilosophie. Bürgerliches Individuum und Öffentlichkeit bei Christian Garve. Saarbrücken 1992. Petrus, Klaus: »Beschrieene Dunkelheit« und »Seichtigkeit«. Historisch-systematische Voraussetzungen der Auseinandersetzung zwischen Kant und Garve im Umfeld der Göttinger Rezension. In: Kant-Studien 85 (1994), S. 280–302. Delinière, Jean: Christian Garve: »Sur le caractère des paysans et leurs rapports envers les seigneurs et le gouvernement«. In: SVEC 1995, Nr. 329, S. 41–52. Koch-Schwarzer, Leonie: Aufklärerische Geselligkeitsformen. Zur »volkskundlichen« Wissens- und Wissenschaftsorganisation im Schlesien des späten 18. Jahrhunderts (Christian Garve). In: Kurt Dröge (Hg.): Alltagskulturen zwischen Erinnerung und Geschichte. München 1995, S. 165‒182. Oz-Salzberger, Fania: Christian Garve: The Trouble with ›Public Spirit‹. In: dies.: Translating the Enlightenment: Scottish Civic Discourse in Eighteenth-century Germany. Oxford 1995, S. 190‒216. Waszek, Norbert: Christian Garve als Zentralgestalt der deutschen Rezeption Schottischer Aufklärung. In: Daniel Brühlmeier, Helmut Holz, Vilem Mudroch (Hg.): Schottische Aufklärung. »A hotbed of genius«. Berlin 1995, S. 123‒146. Nauen, Franz: Garve – ein Philosoph in der echten Bedeutung des Wortes. In: Kant-Studien 87 (1996), S. 184–197. Zedelmaier, Helmut: Christian Garve und die Einsamkeit. In: Acta Universitatis Wratislaviensis. Nº 1757: Germanica Wratislaviensia. CXIV (1996), S. 133–149. Annen, Martin: Das Problem der Wahrhaftigkeit in der Philosophie der deutschen Aufklärung. Würzburg 1997, S. 166–171. Garland, Henry u. Mary: [Art.] Garve, Christian. In: dies.: The Oxford Companion to German Literature. Oxford 1997, S. 264. Koch-Schwarzer, Leonie: Populare Moralphilosophie und Volkskunde. Christian Garve (1742–1798) – Reflexionen zur Fachgeschichte. Marburg 1998. Zande, Johan van der: The Microscope of Experience: Christian Garve’s Translation of Cicero’s ›De Officiis‹ (1783). In: Journal of the History of Ideas 59 (1998), S. 75–94. Koch-Schwarzer, Leonie: Das sage ich. Das Tagebuchfragment der Anna Garve (1716‒1792) oder Interpretationen zur schriftlichen Konstituierung des weiblichen Subjekts. In: Christel Köhle-

Bibliographie | 395

Hezinger, Martin Scharfe, Rolf Wilhelm Brednich (Hg.): Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur. Münster u. a. 1999, S. 490‒511. Lehmann, Susanne: Christian Garve – eine unbekannte Quelle zu Büchners »Kato«-Rede. In: GeorgBüchner-Jahrbuch 9 (1995/99), S. 7–32. Markner, Reinhard: Der Briefwechsel zwischen Christian Garve und Friedrich August Wolf. In: ders. (Hg.): Friedrich August Wolf. Studien, Dokumente, Bibliographie. Eine Veröffentlichung des Leopold-Zunz-Zentrums zur Erforschung des Europäischen Judentums. Stuttgart 1999, S. 76‒101. Hochstrasser, T. J.: Natural Law Theories in the Early Enlightenment. Cambridge 2000, S. 187‒189 u. ö. Martens, Ekkehard: Der Faden der Ariadne oder Warum alle Philosophen spinnen. Leipzig 2000, S. 54‒58. Williams, Howard: Christian Garve and Immanuel Kant: Some Incidents in the German Enlightenment. In: Enlightenment and Dissent 19 (2000), S. 171‒192. Habersaat, Sigrid: Kontroversen um Religion und Kirche: Garves öffentlicher Einspruch. In: dies. (Hg.): Verteidigung der Aufklärung. Friedrich Nicolai in religiösen und politischen Debatten. 2 Bde. Würzburg 2001, Bd. 1, S. 67–78. Oz-Salzberger, Fania: [Art.] Garve, Christian. In: Alan Charles Kors (Hg.): Encyclopedia of the Enlightenment. Bd. 2. Oxford 2002, S. 101f. Schulz, Eberhard Günter: Katholizismus und Gedankenfreiheit. Zur Diskussion zwischen Christian Garve und Erich Biester in der Berlinischen Monatsschrift 1785. In: Dietrich Meyer (Hg.): Erinnertes Erbe. Beiträge zur schlesischen Kirchengeschichte. Festschrift für Christian-Erdmann Schott. Mainz 2002, S. 332‒343 [Wiederabdruck in: Eberhard Günter Schulz: Leuchtendes Schlesien. Görlitz 2013, S. 71‒84]. Waszek, Norbert: La »tendance à la sociabilité« (Trieb der Geselligkeit) chez Christian Garve. In: Revue germanique internationale 18 (2002), S. 71–85. Kuhn, Thomas K.: Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung. Tübingen 2003, S. 165‒169. Priester, Karin: Christian Garve als Theoretiker der Mode. In: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), S. 577–592. Vierhaus, Rudolf: Christian Garves Theorie des Umgangs. In: Peter Albrecht, Hans Erich Bödeker, Ernst Hinrichs (Hg.): Formen der Geselligkeit in Nordwestdeutschland 1750–1820. Tübingen 2003, S. 541–548. Liesegang, Torsten: Öffentlichkeit und öffentliche Meinung. Theorien von Kant bis Marx (1780‒1850). Würzburg 2004, S. 141‒155. Koch-Schwarzer, Leonie: Christian Garve: Buchmarktorientierung und Selbstverständnis als Autor. In: vokus. Volkskundlich-kulturwissenschaftliche Schriften [Zeitschrift für aktuelle Forschungen des Instituts für Volkskunde/Kulturanthropologie der Universität Hamburg] 15 (2005), S. 81‒115. Schulz, Eberhard Günter: Schlesien in Werken und Briefen von Christian Garve. In: Edward Białek (Hg.): Eine Provinz in der Literatur. Schlesien zwischen Wirklichkeit und Imagination. Breslau 2005, S. 21–34 [Wiederabdruck in: Eberhard Günter Schulz: Leuchtendes Schlesien. Görlitz 2013, S. 85‒101]. Kraus, Hans-Christof: Englische Verfassung und politisches Denken im Ancien Régime. 1689‒1789. München 2006, S. 689‒693. Waszek, Norbert: The Scottish Enlightenment in Germany, and its translator Christian Garve (1742– 98). In: Tom Hubbard, Ronald D. S. Jack (Hg.): Scotland in Europe. Amsterdam, New York 2006, S. 55–71.

396 | Bibliographie

Ludwig, Bernd: Kant, Garve, and the Motives of Moral Action. In: Journal of Moral Philosophy 4 (2007), S. 183–193. Waszek, Norbert: Übersetzungspraxis und Popularphilosophie am Beispiel Christian Garves. In: Das achtzehnte Jahrhundert 31 (2007), S. 42–64. Bachmann-Medick, Doris: Anziehungskraft statt Selbstinteresse. Christian Garves nichtutilitarische Konzeption des »Interessierenden«. 2008. http://bachmann-medick.de/wpcontent/uploads/2006/07/Garve-Interessierendes2.pdf. Wolff, Michael: Moral in der Politik. Garve, Kant, Hegel (Vortrag in Jena und Regensburg, Januar 2008). www.academia.edu/37673040/Wolff_Moral_in_der_Politik_Garve_Kant_Hegel. Wunderlich, Falk: [Art.] Garve, Christian. In: Heiner F. Klemme, Manfred Kuehn (Hg.): The Dictionary of Eighteenth-Century German Philosophers. Bd. 1. London u. a. 2010, S. 246–251 [aktualisierte Neuauflage London u. a. 2016]. Kuliniak, Radosław: Wprowadzenie do polskiego przekładu dzieła Christiana Garvego, autorstwa Jana Kantego Kalista Chodaniego pt. Rzut oka na celne zasady nauki obyczajów od wieku Arystotelesa aż do Kanta. In: Studia z Historii Filozofii 3 (2012), S. 43‒50. Wichard, Norbert: Erzähltes Wohnen. Literarische Fortschreibungen eines Diskurskomplexes im bürgerlichen Zeitalter. Bielefeld 2012, S. 48‒54. Yuva, Ayse: Philosophie populaire et philosophie popularisée. Les critiques à l’encontre de l’opinion publique à la fin du XVIIIe siècle chez Garve, Fichte et Kant. In: Bertrand Binoche (Hg.): L’opinion publique dans l’Europe des Lumières. Stratégies et concepts. Paris 2013, S. 211–229. Daubitz, Ursula: Anthropologie und Geschichtsphilosophie beim jungen Friedrich Schiller. Diss. Berlin 2014, S. 139‒141 u. ö. Klemme, Heiner F.: Freiheit oder Fatalismus? Kants positive und negative Deduktion der Idee der Freiheit in der Grundlegung (und seine Kritik an Christian Garves Antithetik von Freiheit und Notwendigkeit). In: Heiko Puls (Hg.): Kants Rechtfertigung des Sittengesetzes in ›Grundlegung‹ III. Deduktion oder Faktum? Berlin 2014, S. 61‒103, v. a. S. 92ff. Koebner, Thomas: »Was für uns erreichbar sei und was wir aufgeben müssen«. Garves Überlegungen zu einer Maxime Rochefoucaulds und zum bürgerlichen Air. In: Jan Standke (Hg.): Gebundene Zeit. Zeitlichkeit in Literatur, Philologie und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Wolfgang Adam. Heidelberg 2014, S. 567–583. Mulsow, Martin: Diskussionskultur im Illuminatenorden. Schack Hermann Ewald und die Gothaer Minervalkirche. In: Aufklärung 26 (2014), S. 153‒203, hier S. 162ff. Waszek, Norbert: Christian Garve. In: Helmut Holzhey, Vilem Mudroch (Hg.): Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. 5: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und Osteuropa. 1. Halbbd. Basel 2014, S. 406–414. Möller, Reinhard M.: Zum Zusammenhang von Neuheit und Wiederholung in der Ästhetik des späten 18. Jahrhunderts (Kant – Garve – Herder). In: Károly Csúri, Joachim Jacob (Hg.): Prinzip Wiederholung. Zur Ästhetik von System- und Sinnbildung in Literatur, Kunst und Kultur aus interdisziplinärer Sicht. Bielefeld 2015, S. 131–148. Ackermann, Sabine: Die Ausnahme bei Christian Garve und Søren Kierkegaard. In: Kierkegaard Studies Yearbook 23 (2018), S. 247–288. Kessler, Ulrike: Garves unveröffentlichte Interpretationen von Kants Kritik der reinen Vernunft im Kontext eigener Schriften. Auszüge und Analysen. www.academia.edu/37523903/Garves_ unveroeffentlichte_Interpretationen_von_Kants_Kritik_der_reinen_Vernunft_im_Kontext_ eigener_Schriften_Auszuege_und_Analysen. Klemme, Heiner F.: The antithetic between freedom and natural necessity. Garve’s problem and Kant’s solution. In: Corey W. Dyck, Falk Wunderlich (Hg.): Kant and his German contemporaries. Logic, mind, epistemology, science and ethics. Cambridge 2018, S. 250‒254.

Bibliographie | 397

Thompson, James: Christian Garveʼs quarrels, rhetoric, and humanism. Oxford 2018. Fernández, Francisco Javier Iracheta: El espíritu crítico de Garve contra Kant en teoría y práctica. In: Signos Filosoficos 20 (2018), S. 88‒115. Zilber, Andrey: Inadvisable Concession: Kant’s Critique of the Political Philosophy of Christian Garve. In: Kantovskiĭ sbornik 39 (2020), S. 58‒76. Nannini, Alessandro: Christian Garve e lʼestetica dellʼinteressante. Palermo 2020.

Personenregister Abbt, Thomas 275 Abel, Jacob Friedrich 44 Achenwall, Gottfried 188, 196f., 203 Aristoteles 43, 105, 134f., 141, 143–170, 174f., 225, 279, 315f., 338 Basedow, Johann Bernhard 299, 330 Baumgarten, Alexander Gottlieb 251, 291 Beck, Jacob Sigismund 207 Berg, Günther Heinrich von 14 Biester, Johann Erich 20, 217 Blumenbach, Johann Friedrich 299 Brandes, Ernst 59 Burke, Edmund 57, 59f., 65, 70f., 75f., 77f., 81–88, 90, 94, 98, 113, 118, 165, 275, 279 Carmer, Johann Heinrich Casimir von 19f. Cicero, Marcus Tullius 1, 5, 9, 14, 22, 25, 39, 43, 48, 58, 60–62, 64f., 69, 71, 83–85, 87f. 91, 95, 101–113, 115, 119, 127–142, 146–150, 155, 160, 163, 165, 167, 169f., 208–211, 214, 218, 223, 228f., 232f., 239–242, 244, 257, 261, 271, 274, 276. 278, 325f., 353, 359 Crusius, Christian August 140 Dalberg, Carl Theodor von 14 Demosthenes 93, 156f., 161f. Descartes, René 96, 288 Dohm, Christian Konrad Wilhelm 9, 20, 274 Engel Johann Jakob 20, 330, 337 Eberhard, Johann August 207, 210 Euripides 93, 154 Feder, Johann Georg Heinrich 6, 8, 39f., 56, 60, 102, 207f., 210, 226, 299, 329 Ferguson, Adam 8f., 33–53, 77, 102, 105, 108, 113, 117, 119, 134, 140, 145, 163, 165, 169, 194, 267, 274–279, 281, 318 Feuerbach, Paul, Johann Anselm von 14 Fichte Johann Gottlieb 50, 331, 336 Förster, Juliane Dorothea 19 Forster, Georg 8, 14, 68–73, 75f., 90, 95, 128, 299

https://doi.org/10.1515/9783110647747-021

Gellert, Christian Fürchtegott 19, 232, 330 Gentz, Friedrich 2, 6, 14, 58–61, 71, 76f., 79–83, 98f., 90, 95, 98, 128, 149, 198, 204, 210 Georgii, Eberhard Friedrich 14 Goethe, Johann Wolfgang von 5, 273f., 277, 290, 293, 322, 360, 364 Graff, Anton 301, 303 Hamann, Johann Georg 5, 102f., 128, 188, 208f., 228 Heeren, Arnold Hermann Ludwig 91, 154, Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 7, 44, 49, 113, 141, 185 Herder, Johann Gottfried 1, 5, 8, 103, 106, 111, 118, 140, 152f., 155, 161, 188, 209, 298f., 391, 314 Herodot von Halikarnass 55f., 79, 154f. Heyne, Christian Gottlob 71, 155, 161–163, 166 Hißmann, Michael 6, 9, 188, 196, 203, 274 Hobbes, Thomas 185, 187, 189, 194–196, 198–200, 202f., 295 Humboldt, Wilhelm von 59, 162, 272f. Hume, David 5, 35, 69, 153, 190, 194, 199– 201, 203, 287, 290, 311, 338f. Hutcheson, Francis 35f., 181 Irwing, Karl Franz von 8, 20 Iselin, Isaak 153, 184, 298 Jakob, Ludwig, Heinrich von 14 Jenisch, Daniel 166 Kant, Immanuel 1–3, 5–10, 13, 15, 28, 58, 71, 73, 76–81, 96, 101–126, 128, 134, 136, 139–141, 145–147, 160f., 166f., 170, 171–173, 182, 185, 188f., 197, 203– 205, 207–263, 267f., 276, 282f., 287, 299, 315f., 326–329, 331, 340f., 344– 346, 355, 359, 367 Klein, Ernst Ferdinand 14, 19–21, 61 Leibniz, Gottfried Wilhelm 2, 140, 143, 154, 288

400 | Personenregister

Lessing, Gotthold Ephraim 1, 5, 118, 134, 140, 144, 152, 155, 269, 337 Lenz, Jakob Michael Reinhold 5 Lips, Johann Heinrich 301 Locke, John 85, 94, 168, 185, 187, 197, 288, 290 Luther, Martin 72f., 143, 161 Mably, Gabriel Bonnoit de 94 Maimon, Salomon 104 Manso, Johann Caspar Friedrich 150f., 159, 161, 225, 245, 303–306, Meier, Georg Friedrich 19, 187, 352 Meiners, Christoph 10, 299 Mendelssohn, Moses 1, 5, 9, 20, 104–106, 111, 140, 195, 267–285 Moritz, Karl Philipp 299 Moser, Friedrich Carl von 67f.,76

Sulzer, Johann Georg 153, 269, 330 Swift, Jonathan 89 Tetens, Johann Nikolaus 210, 299 Thucydides 91f., 154, Völlinger, Johann Adam 14 Voß, Johann Heinrich 71, 161, 165 Walch, Johann Georg 67 Weiße, Christian Felix 2, 22–24, 56–61, 63f., 80f., 96, 98, 149–151, 154f., 158, 161f., 360f. Wezel, Johann Karl Wezel 203, 330 Wieland, Christoph Martin 40, 69, 196, 330 Winckelmann, Johann Joachim 152f. Wolff, Christian 2, 9, 40, 101, 146, 187f., 191, 196f., 200, 202f., 210–214, 231, 234f., 241, 243, 248, 251–253, 275, 327

Nicolai, Friedrich 20, 162 Platner, Ernst 2, 8, 140, 299 Paley, William 13, 43, 55f., 149f., 165 Platon 141f., 250f., 256, 259, 338 Plutarch 154, 166 Pufendorf, Samuel 185, 187f., 195–197, 202f. Rabaut, Jean-Paul 70f., 94–96 Rehberg, August Wilhelm 14, 76, 79f., 210 Reinhold, Karl Leonhard 145 Reid, Thomas 35 Robespierre, Maximilien de 70, 91, 95 Rousseau, Jean-Jacques 63, 70, 94, 107, 112, 114, 186, 188, 295, 310, 337f., 359 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 141 Schlegel, Friedrich 4, 41, 162, 326, 362 Schleiermacher, Friedrich 4, 7, 104, 142, 165 Schneider, Karl Heinrich Gottlieb 225, 303– 305 Schlosser, Johann Georg 4, 151f. Shaftesbury, Antony Ashley Cooper, Earl of 269, 308 Sieyès, Emmanuel Joseph 94 Smith, Adam 35f., 43, 45, 166, 169 Spalding, Johann Joachim 20, 87, 106, 301f. Struensee, Carl August 83

Zedler, Johann Heinrich 67f., 154, 355 Zedlitz, Karl Abraham von 156 Zimmermann, Johann Georg 301, 307–313, 316 Zitzmann, Wilhelmine 22, 24