Bleiben in ländlichen Räumen: Wohnbiographien und Bleibenslebensweisen von Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern 9783839465356

Gehen oder bleiben? Diese scheinbar banale Frage verdeckt die Komplexität von unterschiedlichen Bleibenslebensweisen. Me

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Bleiben in ländlichen Räumen: Wohnbiographien und Bleibenslebensweisen von Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern
 9783839465356

Table of contents :
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Danksagung
Zwischen neuem Luxus und doppelter Marginalisierung. Bleiben in ländlichen Räumen
Einbettung in theoretische Diskurse
Bisherige empirische Befunde
Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung
Die empirische Analyse
Bleibenslebensweisen. Synthese der Ergebnisse
Zusammenfassung und Reflexion
Literaturverzeichnis

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Melanie Rühmling Bleiben in ländlichen Räumen

Rurale Topografien Band 18

Editorial Rurale Topografien erleben nicht nur gegenwärtig in den medialen, literarischen und künstlerischen Bilderwelten eine neue Konjunktur – sie sind schon seit jeher in verschiedensten Funktionen ganz grundsätzlich am Konstituierungsprozess sowohl kultureller als auch individueller Selbst- und Fremdbilder beteiligt. Imaginäre ländliche und dörfliche Lebenswelten beeinflussen die personale und kollektive Orientierung und Positionierung in bestimmten Räumen und zu bestimmten Räumen. Dabei entwerfen sie Modelle, mit denen individuelle und gesamtgesellschaftliche Frage- und Problemstellungen durchgespielt, reflektiert und analysiert werden können. Auch in ihren literarischen Verdichtungsformen und historischen Entwicklungslinien können sie als narrative und diskursive Reaktions-, Gestaltungs- und Experimentierfelder verstanden werden, die auf zentrale zeitgenössische Transformationsprozesse der Koordinaten Raum, Zeit, Mensch, Natur und Technik antworten. Damit wird auch die Frage berührt, wie eine Gesellschaft ist, war, sein kann und (nicht) sein soll. Die Reihe Rurale Topografien fragt aus verschiedenen disziplinären Perspektiven nach dem Ineinandergreifen von künstlerischer Imagination bzw. Sinnorientierung und konkreter regionaler und überregionaler Raumordnung und -planung, aber auch nach Möglichkeiten der Erfahrung und Gestaltung. Indem sie die Verflechtungen kultureller Imaginations- und Sozialräume fokussiert, leistet sie einen Beitrag zur Analyse der lebensweltlichen Funktionen literarisch-künstlerischer Gestaltungsformen. Ziel der Reihe ist die interdisziplinäre und global-vergleichende Bestandsaufnahme, Ausdifferenzierung und Analyse zeitgenössischer und historischer Raumbilder, Denkformen und Lebenspraktiken, die mit den verschiedenen symbolischen Repräsentationsformen imaginärer und auch erfahrener Ländlichkeit verbunden sind. Die Reihe wird herausgegeben von Werner Nell und Marc Weiland. Wissenschaftlicher Beirat: Kerstin Gothe (Karlsruhe), Ulf Hahne (Kassel), Dietlind Hüchtker (Wien), Sigrun Langner (Weimar), Ernst Langthaler (Linz), Magdalena Marszalek (Potsdam), Claudia Neu (Göttingen), Barbara Piatti (Basel), Marc Redepenning (Bamberg) und Marcus Twellmann (Konstanz)

Melanie Rühmling forscht zu ländlichen Lebensverhältnissen mit dem Schwerpunkt auf Bleibenslebensweisen sowie Frauen in ländlichen Räumen.

Melanie Rühmling

Bleiben in ländlichen Räumen Wohnbiographien und Bleibenslebensweisen von Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern

Zugleich Dissertation der Universität Rostock, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, 2023 Gefördert durch das THEORIA Kurt von Fritz-Wissenschaftsprogramm des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Melanie Rühmling, Rostock Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839465356 Print-ISBN 978-3-8376-6535-2 PDF-ISBN 978-3-8394-6535-6 Buchreihen-ISSN: 2703-1454 Buchreihen-eISSN: 2703-1462 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Abbildungsverzeichnis ..............................................................7 Tabellenverzeichnis.................................................................9 Danksagung ........................................................................ 11 Zwischen neuem Luxus und doppelter Marginalisierung. Bleiben in ländlichen Räumen ..................................................... 13 Einbettung in theoretische Diskurse ............................................. 23 Übergeordnete Konzepte ........................................................... 24 Immobilität und Mobilität ........................................................... 27 Relationale Räume ................................................................. 33 Entscheidungsprozesse ............................................................ 39 Bisherige empirische Befunde ................................................... 57 Überblick – Forschungslücken und Anschlussmöglichkeiten ......................... 57 Zusammenfassung der Forschungsdesiderate und Schlussfolgerungen .............. 70 Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung ................................... 73 Datenerhebungsverfahren .......................................................... 76 Fallauswahl ......................................................................... 81 Datenauswertungsverfahren........................................................ 94

Die empirische Analyse ........................................................107 Typologie des Bleibens ............................................................ 108 Typologie der relevanten Räume des Bleibens .......................................145 Entscheidungsprozess des Bleibens ................................................165

Bleibenslebensweisen. Synthese der Ergebnisse ................................ 191 Bleiben als lebensgeschichtlicher Prozess ..........................................192 Bleiben als interaktionsgebundener Prozess ........................................196 Bleiben als situativ-kontextabhängiger Prozess .....................................197 Zusammenfassung und Reflexion ................................................201 Zusammenfassung .................................................................201 Schlussfolgerungen ............................................................... 205 Reflexion zum Forschungsvorgehen................................................ 207 Limitationen und Perspektiven .................................................... 209 Politische und gesellschaftliche Handlungsempfehlungen ...........................212 Literaturverzeichnis .............................................................. 217

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Migrationsmodell .................................................... 52 Abbildung 2: Forschungslogik der Grounded Theory ............................... 75 Abbildung 3: Wohnorte der Gesprächspartnerinnen ................................ 93 Abbildung 4: offenes Kodierverfahren ............................................. 96 Abbildung 5: Anwendungsbeispiel Kodierparadigma ............................... 99 Abbildung 6: Lebenslaufdarstellung Daniela Hildenbrandt ......................... 129 Abbildung 7: Lebenslaufdarstellung Susann Brecht................................ 134 Abbildung 8: Lebenslaufdarstellung Ulrike Grawe ................................. 138 Abbildung 9: Typen der Bleibentypologie.......................................... 142 Abbildung 10: Elemente ........................................................... 151 Abbildung 11: Raumkonstruktion Konzentrischer-Kreis-Typ .........................157 Abbildung 12: Raumkonstruktion Zwei-Ebenen-Typ ................................ 160 Abbildung 13: Raumkonstruktion Netzwerk-Typ ................................... 162 Abbildung 14: Phasen des Entscheidungsprozesses ............................... 180 Abbildung 15: Entscheidungsprozess des Bleibens anhand der Bleibentypologie.... 185

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11:

Zusammenhang zwischen Stabilität und Mobilität ........................ 29 Interdisziplinärer Vergleich von Entscheidungsprozessen ................ 46 Intradisziplinärer Vergleich von Wanderungsgedanken ................... 54 Immobilitätsformen und Gründe ........................................ 60 Push- und Pull-Faktoren ................................................ 63 Gründe in MV zu bleiben (Angaben in %, Mehrfachnennungen) ........... 65 Migrationsorientierung bei Jugendlichen ................................ 67 Soziodemographische Eigenschaften der Gesprächspartnerinnen ........ 87 Klassifizierung der ländlichen Räume.................................... 89 Bleibentypologie ....................................................... 114 Raumtypologie ........................................................ 152

Danksagung

Die vorliegende Arbeit wäre nicht ohne die Unterstützung vieler Personen entstanden. Einige davon möchte ich hier nennen und gleichzeitig meinen herzlichsten Dank aussprechen. Da wären zunächst die vielen Gesprächspartnerinnen, die mir ihre Zeit und ihr Vertrauen geschenkt haben, für sie mittels dieser Arbeit zu sprechen. Dann danke ich meinen Betreuern: Andreas Klärner, der mich mit seinem landsoziologischen Wissen fachlich beraten und dafür gesorgt hat, mit anderen klugen Wissenschaftler:innen in einen konstruktiven Austausch zu gelangen. Matthias Junge, ihm danke ich für sein schier unfassbares Repertoire an soziologischem, theoretischem Verständnis, der Satz »Ich hab’ da was für Sie!« birgt heute noch Glücksgefühle. Darüber hinaus gilt mein herzlichster Dank folgenden Personen, die mit ihrem kritischen Blick die Arbeit geprägt und verbessert haben: Sara Schiemann (Ponton!), André Knabe, Arne Koevel, Robert Brumme, Manuela Martens, Susann Bischof, Larissa Deppisch, Julia Hippler, Fanny Barz, Mirko Braack, Stefanie Veith, Marén Wins, Franziska Lengerer, Lisa Waschkewitsch, Heike Trappe und Anne Blaudzun. Schließlich noch folgende Frauen, die mich mit ihren Ideen und dem Mut laut zu sein über die Arbeit hinaus inspiriert und gestärkt haben: Angela Bolland, Julia Gabler und Annett Steinführer. Mein Dank gilt außerdem Remo Quickert für seine unermüdliche Bereitschaft Texte zu korrigieren, meiner Mama Kerstin Rühmling, sie ist meine Ostdeutschlandexpertin, meinem großartigen Bruder Martin Rühmling und den beiden mutigsten Mädchen der Welt: Mira und Charlotte.

Zwischen neuem Luxus und doppelter Marginalisierung. Bleiben in ländlichen Räumen

Wird ein Blick in die Presse geworfen, scheint es, als habe MecklenburgVorpommern ein demographisches Alleinstellungsmerkmal: »Leerer Osten – nur die Fußkranken bleiben« (Asmuth 2016: 16). Das Abwanderungsverhalten der jungen Erwachsenen und der hohe Sterbefallüberschuss stehen im Mittelpunkt der demographisch basierten Berichterstattung. Und tatsächlich, seit den 1990er Jahren bis 2013 zeigen die Statistiken ein kontinuierlich negatives Wanderungssaldo,1 es gehen mehr Personen, als sie zuziehen. Davon betroffen sind insbesondere die ländlichen Räume. Hier sind es drei Merkmale, die die Abwanderung prägen: Zum Ersten ist sie stark qualifikationsorientiert, zum Zweiten stark altersspezifisch und zum Dritten stark geschlechtsselektiv, kurz: Es gehen die hochqualifizierten jungen Frauen. Die aus diesem langanhaltenden Prozess, zu dem auch der starke Rückgang der Geburtenzahlen seit den 1990er Jahren zählt, resultierenden Folgen, sind heute noch abzulesen: eine im Bundesvergleich hohe Überalterung, ein Frauendefizit im demographisch aktiven Alter sowie eine Überhäufigkeit Geringqualifizierter (vgl. Kühntopf/Stedtfeld 2012). Auch wenn die Abwanderung aus Mecklenburg-Vorpommern an Dynamik verloren hat und seit 2013 einen Positivsaldo aufweist (Statistisches Amt MV 2021: 43), sind es die Gesamtzahl der Abgewanderten der vergangenen 30 Jahre sowie der bis heute andauernde negative Wanderungssaldo der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen, welche nachhaltig die Entwicklungen des Landes beeinflussen (vgl. Leibert 2020). Perspektivisch wird Mecklenburg-Vorpommern weiterhin Einwohner:innen

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Nicht so in 1995 und 1996.

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Bleiben in ländlichen Räumen

verlieren. Verantwortlich ist an dieser Stelle weniger die Abwanderung, sondern vielmehr der hohe Sterbefallüberschuss, welcher allerdings als Folge des langanhaltenden negativen Wanderungssaldos zu werten ist. Wobei es hier große regionale Unterschiede gibt. Wird bis 2040 bezüglich der Hansestadt Rostock mit einer Zunahme von 7,8 % gerechnet, verliert der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte voraussichtlich 13 % Einwohner:innen (MEID MV 2019a). Um das Krisenszenario hier weiter zu schüren: Die Mecklenburgische Seenplatte ist mit 47 Einwohner:innen pro km2 heute schon einer der am dünnsten besiedelten Landkreise Deutschlands (Statistisches Amt MV 2020: 25). Diese geführte »Debatte mit Tradition« (Beetz 2007: 222), die von der Intensität der demographischen Zahlen und damit vermeintlich vereinheitlichten Raumwahrnehmung geprägt ist, stellt allerdings die ländlichen Räume und die Lebensverhältnisse ihrer Bewohner:innen nur unzureichend dar. Die gesellschaftliche Diskurskonstellation über die ländlichen Räume konzentriert sich auf Entleerung und Schrumpfung bis hin zur Abrissprämie (vgl. Wunder 2014, Löhr 2018) und zeigt damit in eine deutliche Richtung, die das Gehen aus ländlichen Räumen und die Abwesenden in den Mittelpunkt stellt. Aus dieser Perspektive folgt eine Blindheit gegenüber Personen, die in ländlichen Räumen bleiben (nicht so bspw. Dürrschmidt 2013, Gabler 2019, Steinführer/Lengerer 2020). Während sich landsoziologische Betrachtungen sowie politischer Aktionismus zu Fragen der regionalen Daseinsvorsorge, Infrastruktur, Mobilität und Digitalisierung überschlagen, verharrt eine Betrachtung der tatsächlichen Lebensverhältnisse der ländlichen Bewohner:innen auf der Stelle (nicht so bspw. Helmle/Kuczera 2015, Steinführer et al. 2019). Bewohner:innen der ländlichen Räume werden differenziert in Zugezogene, Rückkehrer:innen und Alteingesessene. Dabei wird das Bild vermittelt, dass es die Zugezogenen seien, die die ländlichen Räume aktivieren und die »Zukunft erfinden vor Ort« (Neulandgewinner 2020). Ihnen werden die Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten zugesprochen, die ländlichen Räume aus ihrer scheinbaren Lethargie zu befreien. Durch Zugezogene entstehen die allseits und laut geforderten »gleichwertigen Lebensverhältnisse« (BMI 2019, vgl. Rössel 2014, Kordel/Weidinger 2020). Auch den Rückkehrer:innen wird die Belebung der ländlichen Räume zugemessen, ihr »Mut wird also belohnt« (BLE 2014: 4), nämlich dann, wenn sie den Schritt zurück gewagt haben (vgl. Schmithals 2008, Nadler 2015, Nadler et al. 2017). Die in den letzten Jahren aufgekommenen Rückkehrer:innenagenturen (bspw. Comeback Elbe-Elster, mv4you) geben Zeugnis davon, dass Unterstützung zur Wiedereingliederung in die ländlichen Räume scheinbar nötig ist.

Zwischen neuem Luxus und doppelter Marginalisierung

Werden Zugezogenen und Rückkehrer:innen zivilgesellschaftliches Engagement sowie Potenzial in Form von verfügbaren Möglichkeiten und Fähigkeiten zur (Wieder-)Belebung der ländlichen Räume zugetraut, siehe hier auch die Diskurse über Raumpioniere (vgl. Dehne 2013), gelten Gebliebene weiterhin »gemeinhin als ›Modernisierungsverlierer‹, denen mangelnde Handlungskompetenz zugeschrieben wird« (Speck/Schubarth/Pilarczyk 2009: 154, H.i.O.). Das scheint an dieser Stelle paradox: Auf der einen Seite wird die Aufmerksamkeit Personen geschenkt, die von außen die ländlichen Räume wiederbeleben sollen, auf der anderen Seite wird jenen, die schon längst vor Ort sind, die Aufmerksamkeit entzogen bzw. ein Narrativ etabliert, das Handlungskompetenzen abspricht. Statistische Angaben, Analysen und deren Interpretationsangebote über sesshafte Personen, jene, die im Lebensverlauf nicht gewandert sind, sind nur begrenzt vorhanden (vgl. Corthier 2020). Das ist insofern erstaunlich, als der überwiegende Teil der Bewohner:innen Deutschlands immobil ist. Jährlich ziehen nur etwa 3 % (2,8 Millionen) der Gesamtbevölkerung in einen anderen Landkreis (Stawarz/Rosenbaum-Feldbrügge 2020: 3, auch Fischer 1999, Straubhaar 2000). 2017 lebte rund jede zweite in Deutschland geborene Person im Alter zwischen 30 und 64 Jahren ausschließlich in dem Kreis, in dem sie aufgewachsen ist (BiB 2021). Konkrete Nachfragen beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden ergaben »für MecklenburgVorpommern […] [den] Befund, dass im Jahr 2016 rund 39 % aller Erwachsenen (18 Jahre und älter), die in Mecklenburg-Vorpommern geboren sind, im selben Kreis wohnten, in dem sie geboren […] [worden sind]« (Dr. Thomas Skora, Mitarbeiter des BiB, an die Verfasserin, E-Mail vom 06.04.2021, Anm.d.V.). Jene Personen, die in ländlichen Räumen bleiben, kommen in Form von Residualbevölkerung in statistischen Analysen vor (Weiß 2006: 470ff., Weiß/ Petrick 2011, Corthier 2020: 393ff.). Charakteristisch für diese Gruppe sind die Überalterung, ein erhebliches Defizit an Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren sowie die geringe Qualifikation (Weiß/Petrick 2011: 2). Auch an dieser Stelle ist ein abwertendes Narrativ deutlich. Das heißt: Selbst demographische Diskurse sind auf einem Auge blind, wenn es um sesshafte Personen geht. Dass das Bleiben in ländlichen Räumen in mehrfacher Hinsicht analytisch unzureichend behandelt und bisher kaum konzeptionell aufgeschlossen ist, wird deutlich, wenn sich gesellschaftlichen und medialen Deutungen von Gebliebenen sowie den ländlichen Räumen selbst gewidmet wird. Es fällt auf, dass sowohl das Bleiben als Phänomen, als auch die ländlichen Räume selbst in ganz ähnlichen Deutungsmustern gefasst werden. Beide Konzepte sind vor

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Bleiben in ländlichen Räumen

allem mittels Abgrenzung zur vermeintlichen Dichotomie beschreibbar und beiden wird eine facettenreiche Charakterisierung zugesprochen. Auffällig ist, dass ländliche Räume in der Regel aus der Perspektive der städtischen Räume gedeutet werden (Rühmling/Schiemann 2021). Auf die Frage »Woher kommst du?« folgt in der Antwort nicht selten der Halbsatz »[…] aus der Nähe von A-Stadt«. Das ist per se nicht ungewöhnlich, denn städtische Räume dominieren die Landkarten und dieser Halbsatz dient der Orientierung. Es ist aber gleichzeitig auch ein Abbild des geläufigen Narratives und der kollektiven Zuschreibungen und Erwartungshaltungen zu Land und Stadt. Die städtischen Räume sind aus einer ökonomischen, sozialkulturellen und technologischen Perspektive die Norm und gelten als Orientierung (Kujath/Dehne/ Stein 2019), daraus folgt das »Beziehungsdilemma« (Ningel 2020: 20). Obwohl die Vielfalt der ländlichen Räume mittlerweile schon durch die Nutzung des Plurals Ausdruck finden soll (Beetz 2016: 116ff., auch Redepenning 2009, Laschewski 2015) und darüber hinaus, Praktiken und Merkmale ländlicher Lebensweisen Einzug in städtische Räume halten, bspw. durch das Urban Gardening (Redepenning 2017, Rosol/Vogelpohl 2019, Langner/Frölich-Kulik 2018). Lebensweltliche Narrative beziehen sich auf städtische Räume und deren »größere Bestimmungsmacht […], die eigene Lebensform als privilegiert dazustellen und das ländliche System zu stigmatisieren« (Ningel 2020: 27). Dies führt zu einer impliziten »Urban-normativity« (Tuitjer 2018b: 127, nach Thomas et al. 2013). Im wissenschaftlichen Kontext (bspw. in König/Silbermann/Kötter 1977: 4ff., Hahn 2005: 235) wird bereits lange von einer Stadt-Land-Beziehung ausgegangen (Redepenning 2019). Dennoch dominiert in den alltagsweltlichen Vorstellungen als auch in medialen Narrativen der Gegensatz: ein Antagonismus zwischen Stadt auf der einen und Land auf der anderen Seite. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass die Bewertung der ländlichen Räume changiert zwischen einem Idyll, gekennzeichnet durch Eigenschaften wie problemlos, enge Verbindungen, freundlich, natürlich und einfach, sowie einem Anti-Idyll, ausgedrückt als rückwärtsgewandt, hinterwäldlerisch und langweilig (Baumann 2018: 62ff., Born 2020). Auf diese Bewertungsschablone der »konkurrierenden Ländlichkeit« (Heinz/Rede 2021) wird trotz der Betonung der unterschiedlichen Entwicklung der ländlichen Räume rekurriert (Helmle/Kuczera 2015, Maretzke 2016, Mose 2018, Kröhnert 2020). Dieses Deutungsmuster findet sich auch hinsichtlich des Phänomens des Bleibens wieder. Bleiben wird in der Regel durch Abgrenzung zum Phänomen des Gehens bestimmt. Die unausgesprochene Norm ist das Gehen in Form des schon immer bewährten, innewohnenden Wanderungstriebs (Kathmann

Zwischen neuem Luxus und doppelter Marginalisierung

2015: 40, auch Schroer 2019: 168ff.). Vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen als auch medialen Narratives besteht auch hier, wie im Stadt-Land-Kontext, ein Entweder-Oder, entweder Gehen oder Bleiben. Gleichwohl weist das Bleiben ein Spektrum an Eigenschaften auf, das auf der einen Seite das Bleiben in ländlichen Räumen als einen Ausdruck von »neuem Luxus« (Schroer 2019: 176) darstellt.2 An dieser Stelle wird insbesondere auf die neuen technischen Möglichkeiten verwiesen. Schließlich können soziale Bindungen über Distanz gepflegt werden, dafür ist räumliche Mobilität nicht per se vonnöten. Auf der anderen Seite wird das Bleiben als »Ausnahmezustand« (Ebner von Eschenbach 2015: 31) gedeutet, nämlich dann, wenn von mobilen Menschen als »Personifizierung des sozialen Wandels« (Kathmann 2015: 40) die Rede ist. »Mobilsein [ist] zu einer sozialen Norm« geworden (Schroer 2019: 170). Vor diesem Hintergrund sprechen Tully und Baier (2006: 49ff.) von einer Mobilitätsgesellschaft, in der räumliche, informationelle und soziale Mobilität die Voraussetzung von Teilhabe ist. Sesshaften Personen kommt in diesem Diskurs das Stigma der »Trotzige[n] Macher«, »Verbitterte[n] und Resignierte[n]« und »Genügsame[n] Zurückbleiber« (Kröhnert/Klingholz 2007: 19ff.) zu. Gebliebene sind in dieser Erzählung »Lost in Mecklenburg« (Keller 2013: 39). Personen, die in ländlichen Räumen bleiben, trifft demnach eine doppelte Marginalisierung, zum einen aufgrund ihres Status als Gebliebene und zum anderen aufgrund ihres Status als Personen aus ländlichen Räumen. Vor den beschriebenen Herausforderungen steht eine ganze Generation zum Zeitpunkt des Schulabschlusses bzw. des Übergangs ins Erwerbsleben. Nicht nur, dass hier die demographischen Interpretationen wirken oder aber der gesellschaftliche Diskurs über die ländlichen Räume und Gebliebene, es sind auch kollektive Orientierungen, die eine Rolle spielen. Biographische Abhängigkeiten, die eine Entscheidung zum Bleiben prägen, resultieren aus sozialen Abhängigkeiten, beispielsweise das Erleben der deutsch-deutschen Vereinigung und die damit einhergehende Rhetorik des Verlustes, welche zu ganz unterschiedlichen biographischen Frakturen führt (vgl. Mau 2019). Ein Motiv zum Gehen ist dann eine Unsicherheit aufgrund vermuteter sozialer Abstiegsprozesse (Beetz 2009: 150). Unterschiedliche empirische Untersuchungen weisen darauf hin, dass Jugendliche eine hohe Bleibeorientierung haben

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Die Datenerhebung entstand 2018 und 2019. Deshalb spielt der Einfluss der Coronapandemie keine Rolle. Zu beobachten ist aber derzeit ein neuer Trend zur Zuwendung zum Ländlichen und gleichfalls der Abkehr des Städtischen, hierzu ausführlich Höhne/ Michel (2021) und Naumann (2021).

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(Beetz 2009, Lehmann 2008, Becker/Moser 2013). Die Abwanderung aus den ländlichen Räumen ist auf »einen hohen Druck der Migrationsfaktoren« (Beetz 2009: 149) als auch »den Code des negativen Images« (ebd.: 150) zurückzuführen. Dabei spielen sowohl die Ausbildungs- und Erwerbssituation eine Rolle (Wochnik 2014, Kröhnert 2020: 43ff., Leibert 2020), aber auch die sozialen und kulturellen Bedingungen. Einflüsse in Form von vermeintlich guten Ratschlägen durch Eltern, Partner:innen oder Lehrer:innen lösen den Abwanderungsdruck aus (Albrecht 2005, Speck/Schubarth/Pilarczyk 2009: 156ff.). Wenn dann doch ein Bleiben im Mittelpunkt steht, sind es besonders Frauen, die einem hohen Rechtfertigungsdruck ausgesetzte sind (Leibert/Wiest 2014: 35f., auch Ningel 2020: 22ff.). Darüber hinaus werden gerade junge Frauen in der Gruppe der Ausbildungswanderer:innen geführt. Das heißt, sie besitzen eine wachsende Mobilitätsbereitschaft, welche wiederum mit einem hohen Bildungsabschluss einhergeht, »[d]ie höher Qualifizierten gehen zuerst« (Milbert/Sturm/Walter 2013: 15). Hier wird dann auch vom Brain-Drain gesprochen, gemeint sind der Verlust des Humankapitals und die Folgen für die regionale wirtschaftliche Entwicklung (Friedrich/Schultz 2005, Lehmann 2008: 16ff.). Dabei wird das Bleiben in ländlichen Räumen mit einer bewussten Entscheidung gegen eine berufliche Karriere in Verbindung gebracht. Die auffallend hohe Anzahl von Frauen, die seit den 1990er Jahren abgewandert sind, wird in der Regel mit drei Gründen gerechtfertigt: • • •

die geringe Beschäftigungsquote in der Region, die allgemein besseren Schulnoten im Vergleich zu den männlichen Abiturienten und schlechtere Chancen, ein Ausbildungsangebot wahrzunehmen (Kröhnert/ Klingholz 2007: 59).

Hinzukommen weiche Standortfaktoren (vgl. BMI 2019: 8), wie z.B. das Freizeitangebot vor Ort, die in den ländlichen Räumen eher auf männliche Interessen ausgerichtet sind (Neu 2016, Leibert/Wiest 2014: 36). Es ist daher wenig verwunderlich, wenn »Frauen stärker darunter [leiden], dass ländliche Gesellschaften oft wenig Spielraum für Lebensentwürfe jenseits der Hausfrauenund Mutterrolle bieten« (Leibert 2011: 22, nach Leibert/Wiest 2011). Deshalb sind Frauen eine besonders interessante Gruppe, wenn es um das Phänomen des Bleibens in ländlichen Räumen geht.

Zwischen neuem Luxus und doppelter Marginalisierung

Darüber hinaus wird die vermeintliche Bipolarität von Gehen und Bleiben infrage gestellt. Es wird sich zwar in der Scientific Community konsensuell darauf geeinigt, einem starren Mover-Stayer-Prinzip nicht zu folgen (Kathmann 2015), gleichzeitig wird aber nur marginal die Prozesshaftigkeit des Bleibens betont (z.B. in Wochnik 2014, Gabler/Kollmorgen/Kottwitz 2016, Schametat/Schenk/Engel 2017). Sofern das Bleiben in ländlichen Räumen als theoretisch beschreibbares Phänomen in den Fokus rückt, wird sich an Bleibestrategien oder Bleibemotiven orientiert (bspw. in Beetz 2009, Kröhnert 2009, Speck/Schubarth/Pilarczyk 2009, Becker/Moser 2013, Wochnik 2014). Es dominieren außerdem Arbeiten aus einer praktisch-handlungsrelevanten Perspektive, wenn bspw. politische Handlungsstrategien im Mittelpunkt stehen, die kommunalen Entscheidungsträger:innen Bleibefaktoren offerieren, um Jugendliche zu halten (z.B. in Funk 1993, IfL 2012, Weber/Fischer 2012, Weber 2016, Beierle/Tillmann/Reißig 2016, Dangel-Vornbäumen 2016, Gabler/Kollmorgen/Kottwitz 2016, Schametat/Schenk/Engel 2017, Kollmorgen/ Voigt/Melzer 2020). Hier schließt das Dissertationsprojekt an und treibt den theoretischen Diskurs zum Bleiben voran. Zwar werden Bleibefaktoren und -strategien einen Platz einnehmen, im Mittelpunkt stehen allerdings eine konzeptuelle Aufschlüsselung des Phänomens Bleiben in ländlichen Räumen und die Identifizierung relevanter Dimensionen, Interaktionsebenen und Akteur:innen. Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den bereits genannten Zuschreibungen auseinander und versucht der Komplexität und Heterogenität des Bleibens in ländlichen Räumen – empirisch untersucht an den ländlichen Räumen Mecklenburg-Vorpommerns – gegenüber stereotypen Vorstellungen gerecht zu werden. Im Vordergrund steht das Interesse an der Exploration eines Phänomens, das aus verschiedenen Perspektiven scheinbar nur als bedingt erklärungsdürftig gilt. Dieses Gewohnte, das Unausgesprochene, Mitgedachte, vermeintlich Ungeplante im Bleiben ist hier interessant. Diese auf der einen Seite diffuse Einfachheit und auch Vertrautheit und auf der anderen Seite das Unspezifische des Bleibens in ländlichen Räumen täuschen letztlich über die theoretische Komplexität hinweg. Es besteht die Annahme, dass das Bleiben als dynamischer Prozess verstanden werden muss. Um ein Konzept des Bleibens in ländlichen Räumen zu erstellen, bedarf es eines konstruktivistischen Zugangs, der den Prozess der Konstruktion und Konstitution des Bleibens selbst zum Gegenstand macht und Expert:innen in den Mittelpunkt stellt: Gebliebene aus ländlichen Räumen selbst – wie in dieser Arbeit am Beispiel von Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern. Empirisch wird nach akteursrelevan-

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Bleiben in ländlichen Räumen

ten Deutungen, Einstellungen und Intentionen gefragt, die mit den jeweiligen Praktiken des Bleibens in ländlichen Räumen verbunden sind. Darüber hinaus wird die Positionierung der Stadt sowie des Gehens in Bezug zum Land und zum Bleiben infrage gestellt. Theoretisch ist der Fokus auf rekonstruktive Interpretationen dieser Deutungen und Handlungsintention gerichtet. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Phänomen des Bleibens in ländlichen Räumen und untersucht Bleibenslebensweisen am Beispiel von Frauen in ländlichen Räumen in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei werden folgende Perspektiven eingenommen: • •

• •



Sie stellt das Bleiben in den Mittelpunkt und fasst das Phänomen als theoretische Konstruktion und als gleichberechtig und –wertig zum Gehen auf. Sie erkennt im Bleiben auch eine bewusste, selbstmotivierte, nicht per se rationale Entscheidung, die sich, jenseits von faktischen Bleibestrategien oder Bleibemotiven, aus einer Vielzahl von Aspekten speist. Sie betont die Prozesshaftigkeit des Bleibens. Sie macht dabei den Prozess der Konstruktion und Konstitution des Bleibens selbst zum Gegenstand und stellt Expertinnen in den Mittelpunkt: Gebliebene Frauen aus ländlichen Räumen in Mecklenburg-Vorpommern. Sie stellt sich empirisch und theoretisch der Frage, wie das Phänomen Bleiben in ländlichen Räumen konstituiert und konstruiert ist.

Nach der Einleitung werden die theoretischen Grundlagen erörtert. Diese sind aufgrund der mehrperspektivischen Herangehensweise vielschichtig. Eine Rolle spielen Konzepte der räumlichen Mobilität und Immobilität (vgl. Kley 2009), der relationalen Räume (vgl. Löw 2012), das Konzept der Grenzkonstruktion (vgl. Weidenhaus 2015) sowie theoretische Konzepte biographischer Entscheidungsprozesse (vgl. Burkart 1995, Esser 1999, Schimank 2005). Es folgt ein Überblick zum aktuellen Forschungsstand sowie vorhandene -desiderate. In ihm wird verdeutlicht, an welchen Stellen die Arbeit anknüpft, aber auch wo in originärer Weise neu auf das Phänomen des Bleibens in ländlichen Räumen geblickt wird. Anschließend wird ausführlich dargestellt, warum die Methodologie sowie die methodischen Zugänge der (Reflexiven) Grounded Theory (vgl. Strauss 1991, Strauss/Corbin 1996, Breuer/Muckel/Dieris 2019) für dieses explorative Forschungsvorhaben besonders geeignet sind. Dafür rücken unterschiedliche Datenerhebungsmethoden wie das Grounded-Theory-typische Nosing Around (Breuer/Muckel/Dieris et al. 2019: 235), Feldaufenthalte und teilnehmende Beobachtungen (Flick 2002: 206ff.) und

Zwischen neuem Luxus und doppelter Marginalisierung

das Herzstück der Datenanalyse, biographisch-narrative Interviews (Schütze 1983), in den Mittelpunkt. Bevor in diesem Kapitel die unterschiedlichen Auswertungsmethoden detailliert vorgestellt werden, rückt die Fallauswahl vor dem Hintergrund der sensibilisierenden Konzepte in den Fokus: Warum wurde sich für Frauen in der Fallauswahl entschieden? Warum ist es zur Klärung des Forschungsanliegens relevant, dass die Frauen im mittleren Erwachsenenalter sind? Warum sind die Untersuchungsräume – die ländlichen Räume in Mecklenburg-Vorpommern (Küpper 2016) – besonders interessant, um sich dem Phänomen des Bleibens zu widmen? Es folgt der empirische Teil dieser Untersuchung. Dazu wird zunächst ausführlich auf die Bleibentypologie sowie die herausgearbeiteten (Kern-)Kategorien eingegangen. Dafür werden die einzelnen Typen auch anhand von Falldarstellungen vorgestellt. Dieser Ergebnisteil spielt eine wichtige Rolle, schließlich entstanden erst von ihm aus weitere forschungsleitende Fragen und Analysen u.a. die Konzipierung egozentrierter Raummuster und -gestaltungen. Sie werden anhand der relevanten Kategorien zur Erstellung der unterschiedlichen Raumtypen expliziert. Darüber hinaus zeigt der Bleibentypologiebildungsprozess, dass theoretische Abstraktionen, die das Bleiben in ländlichen Räumen identifizieren, in der detaillierten Analyse des Entscheidungsprozesses der Frage Gehen oder Bleiben vorkommen. Deshalb widmet sich das Forschungsanliegen auch den unterschiedlichen Phasen dieser Entscheidung und schließt mit einem Entscheidungsmodell, welches spezifisch dafür modelliert wurde. Den empirischen Teil dieser Arbeit schließt eine Synthese. In ihr werden die Ergebnisse der unterschiedlichen Analysewege des gleichen Phänomens in Beziehung gesetzt. Das abschließende Kapitel liefert eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie Schlussfolgerungen. Zudem werden Desiderate und Limitationen der Arbeit aufgezeigt, um so einen Weg für mögliche Anschlussuntersuchungen zu ebenen. Den Schluss bilden kursorische Anmerkungen zu denkbaren Handlungsempfehlungen.

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Einbettung in theoretische Diskurse

Im Folgenden werden die für den empirischen Teil dieser Arbeit wichtigen Schlüsselbegriffe und theoretischen Konzepte näher erläutert. Diese werden als heuristisch-analytisches Hilfsmittel verwendet, um dem Forschungsinteresse, dem Bleiben in ländlichen Räumen, auf die Spur zu kommen. Dafür gelten die im Weiteren beschriebenen Konzepte als miteinander verknüpfte Knoten, um eine geeignete Beschreibung und Erklärung des zu untersuchenden Phänomens zu erstellen (Boehm 1994: 121). Das Bleiben in ländlichen Räumen ist eingebettet in alltägliche, biographische und lebenslaufbezogene Situationen. Deshalb bedient sich diese Untersuchung an begrifflichen Instrumentarien sowie theoretischen Überlegungen zum Alltag, zur Biographie sowie zum Lebenslauf. Im Mittelpunkt stehen allerdings die theoretischen Ausarbeitungen zu Immobilität und Mobilität, um der Frage nachzugehen, in welchem Verhältnis diese beiden Konzepte, sowohl in der öffentlichen gesellschaftlichen Diskussion, aber auch im Raum der Scientific Community, zueinanderstehen. Wenn sich Personen fürs Bleiben entscheiden, taucht die Frage nach ihrer Raumkonstruktion und -konstitution auf. Schließlich ist davon auszugehen, dass Gebliebene in ländlichen Räumen nicht nur zwischen Dorfein- und ausgangsschild ihren relevanten Raum aufspannen. Um diese Annahme zu verfolgen, wird sich den relationalen Räumen mittels dem Raumkonzept von Martina Löw (2012) genähert. Unter Zuhilfenahme des Grenzkonzepts (Weidenhaus 2015) wird deutlich gemacht, dass hierbei auch Grenzkonstruktionen als Differenzierungsmittel eine Rolle spielen. Im Anschluss gilt es einen soziologischen Entscheidungsbegriff (Burkart 1995, Dimbath 2003, Schimank 2005, Corsten 2020) herauszuarbeiten und zu verdeutlichen, wie Entscheidungen zustande kommen, um dann in einem weiteren Schritt Mobilitätsentscheidungen genauer zu fassen (Kalter 1997,

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Bleiben in ländlichen Räumen

Kley 2009). Schließlich berühren sich die Konzepte Mobilität und Immobilität im konkreten Entscheidungsprozess der Frage Gehen oder Bleiben.

Übergeordnete Konzepte Alltag Alltag taucht in der Literatur zu ländlichen Gesellschaften häufig auf, ohne dass dieses Konzept als »eigenständige wissenschaftliche Beschreibungs- und Analyseebene« zählt (Beetz 2020: 402), z.B., wenn in Leibert/Wiest (2014: 35) von »Abwanderung als Alltagserfahrung« oder in Kathmann et al. (2008: 105) von »Wanderungsgedanken […] [verändern] den Status quo des Alltags« die Rede ist. Selbstverständlich wird angenommen, dass sich der »Blick auf das Tagein-Tagaus sozialer Praxis […], auf ihre Selbstverständlichkeit, Allgegenwärtigkeit und vermeintliche Trivialität« (Reuter/Lengersdorf 2016: 367, H.i.O.) bezieht, ohne dabei auf die hohe Relevanz dieser Alltagserfahrungen aufmerksam zu machen. Dabei spielt der Alltag eine entscheidende Rolle. Schließlich stellt sich in diesem die Wirklichkeit »par excellence« dar (Berger/Luckmann 1999: 24). Der Alltag präsentiert sich als Spiegel gemachter Erfahrungen, die auf produzierte und reproduzierte Praktiken verweisen (Reda/Runkel 2019: 197). Relevant wird das Konzept des Alltags dann, wenn es um Lebenslagen geht, in denen nicht nur sozioökonomische Faktoren zur Beschreibung herangezogen werden, sondern auch individuelle Lebenslagen zum Gegenstand werden.1 So bspw. in der empirischen Langzeitstudie »Ländliche Lebensverhältnisse im Wandel«, die seit 1952 in vier Wellen das Alltagsarrangement und damit die Alltagsbewältigung in ländlichen Räumen untersucht. Helmle und Kuczera (2015) sehen gerade im Alltagskonzept die Möglichkeit, »Einsicht […] in Handlungszusammenhänge und Handlungsspielräume« zu erlangen (ebd.: 1). Eine analytische Perspektive auf Alltag bietet Menzl (2007): Dieser beleuchtet das Konzept der alltäglichen Lebensführung im Rahmen von Raumstrukturen sowie Alltagspraktiken. Hierfür nutzt er folgende analytische Dimensionen: Lebensentwurf, individuelle Fähigkeiten und Ressourcen

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Zu Facetten des Alltags, den Routinen und Gewohnheiten vgl. Mäder (2017), Reda/ Runkel (2019), Beetz (2020), zur übergeordneten Auseinandersetzung unterschiedlicher Alltagskonzepte von Henri Lefebvre, Agnes Heller, Lawrence Grossberg zusammenfassend in Bargetz (2016) und Häußling (2018).

Einbettung in theoretische Diskurse

als subjektive Faktoren und alltägliche Anforderungen und ortsspezifische Möglichkeitsstrukturen als objektive Faktoren (ebd.: 176 ff, 210ff.). Diese vier aufeinander bezogenen Aspekte verdeutlichen die Diversität sowie vielfältige Verbindung der Dimensionen des Alltagsarrangements. Darum sei hier eindringlich betont, dass der Alltag, wie er in dieser Arbeit betrachtet wird, weniger in seiner Trivialität bzw. scheinbaren Banalität, sondern vielmehr als sinnhafter Umgang mit Deutungsmustern sowie sozialen Praktiken gedeutet wird.

Biographie und Lebenslauf Ein Unterschied zwischen der Biographie- und der Lebenslaufforschung besteht im konkreten Gegenstand. Die biographische Forschungsperspektive bezieht sich auf »das sinnhafte Handeln eines Subjekts [und] umfasst dabei auch antizipierende Entscheidungen und Selbstreflexion« (Sackmann 2007: 50), es geht um zurückliegende Erfahrungen sowie ihre Rekonstruktion. Die Lebenslaufforschung hingegen greift eher institutionelle Strukturmerkmale auf und orientiert sich dabei an bestimmten Lebensphasen. Die unterschiedlichen Perspektiven thematisieren zeitliche Prozesse, die sowohl verknüpft sind mit einer individuellen Zeit als auch vorhersehbaren, über Normen strukturierten Rhythmen. Es wird angenommen, dass das Bleiben prozesshaft ist und diesem Phänomen sehr wohl Veränderungen mit räumlichen, zeitlichen und sozialen Dimensionen innewohnen: Jobs werden gewechselt, (Fern-)Beziehungen eingegangen und aufgegeben, familiäre und freundschaftliche Konstellationen modifiziert, selbst gesundheitliche Aspekte variieren. Vermutet wird, dass sich über bestimmte Lebensphasen hinweg der Zustand des Bleibens in ländlichen Räumen wandelt und fortwährend anders und neu konstruiert wird. Es ist eine Art Unaufhörlichkeit des Entscheidens für oder gegen das Bleiben. Dieser ständige Entscheidungsprozess beruht auf der Annahme, dass die Handelnden weder allwissend noch allmächtig sind, noch der situative und soziale Kontext kontinuierlich derselbe ist. Hier treffen sich die Biographie- und Lebenslaufforschung, schließlich berühren sie sich »im Prozess der Adaption an die neue Situation« (ebd.: 58). Wobei einschränkend zu erwähnen ist, dass es an dieser Stelle weniger um die Entwicklung einer biographischen oder lebenslaufbezogenen Logik geht. Um dem Bleiben näher auf die Spur zu kommen, wird sich am Konzept der Verlaufskurve orientiert. Die Überlegung, die Biographie als Verlaufskurve darzustellen, geht auf Anselm Strauss zurück (Glaser/Strauss 1968, ausführlich auch in Soeffner 1991

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Bleiben in ländlichen Räumen

und Franzheld 2020). Verlaufskurven erfassen »Aspekte der Erfahrungen aller am Bewältigungsdrama Beteiligten – Erfahrungen, die Angst machen, Verwirrungen stiften und schmerzhaft sind, aber auch solche, die erfreulich sind« (Corbin/Strauss 2004: 50). Das Konzept wurde von Fritz Schütze weiter als Prozessstrukturen des Lebenslaufs ausgearbeitet (vgl. Schütze 1984, Köttig/Völte 2015). Diese dienen hier als heuristisches Hilfsmittel, um einzelne biographische Sequenzen inhaltlich genau zu bestimmen und um zu unterscheiden, an welcher Stelle Handelnde bestimmte Situationen aktiv gestalten oder reaktiv geduldet haben. Die vorliegende Untersuchung nutzt die herauskristallisierten Strukturen weniger, um Ähnlichkeiten und Regelmäßigkeiten gesamtbiographisch zu entfalten, so wie es dann bspw. im Rahmen der Narrationsanalyse weiter geschieht. Vielmehr werden sequenziell destillierte Strukturen als Analyseinstrument im Zusammenhang mit dem jeweiligen Forschungsanliegen genutzt, um so die höchst subjektiven Konstruktionsleistungen der Gesprächspartnerinnen im Rahmen relevanter Sequenzen herauszuarbeiten. Bezogen auf biographische Entscheidungen, die in dieser Arbeit mit der Frage Gehen oder Bleiben eine außerordentliche Rolle spielen, sind aber auch sozialstrukturell differenzierte Muster interessant, bspw. institutionalisierte Lebenslauf- und Karrieremuster (Kohli 1985). Insbesondere deswegen, weil sich das gesuchte Phänomen in den Gesprächen deutlich abzeichnet, wenn es um Übergänge bestimmter Lebensphasen geht. Bestimmte zeitliche Aspekte, und damit gemeint sind chronologische Phasen, einhergehend mit gesellschaftlichen Konventionen und Rollenerwartungen sind in der Lebenslaufforschung wesentlich. Es sind genau diese Konventionen und Erwartungen in Verbindung mit einem chronologischen Fortgang des Lebenslaufs, die den Blick weniger auf subjektive Konstruktionsleistungen richten, sondern vielmehr von außen auf die »objektive oder objektivierbare Gestalt des Lebenslaufs« (Dimbath 2003: 68) blicken. Vor dem Hintergrund biographie- und lebenslaufbezogener Konzepte sind jene zeitlichen Aspekte relevant, die Übergänge betreffen. Auf der einen Seite werden sie subjektiv als wichtig charakterisiert, schließlich gehen in der Regel Rollenwechsel mit ihnen einher. Aber gleichzeitig haben diese Phasenübergänge andererseits auch eine objektive Richtung des Lebenslaufs, denn institutionelle Rahmenbedingungen beeinflussen diese entscheidenden Änderungen (Sackmann 2007: 55ff.). Auch in der Anlage dieser Arbeit haben Übergänge eine Bedeutung, schließlich ist aus der Migrationsforschung bekannt, dass die

Einbettung in theoretische Diskurse

Frage über das Gehen oder Bleiben dann auftritt, wenn diese mit bestimmten biographischen Entscheidungen verbunden ist (vgl. Kley 2009).

Immobilität und Mobilität Immobilität oder das Bleiben Theoretische Konzepte der Immobilität, der Sesshaftigkeit oder des Bleibens sind in der wissenschaftlich-theoretischen Literatur nicht ansatzweise so gut ausdifferenziert, wie Konzepte der vermeintlichen Dichotomie, der Mobilität. Um dennoch einen Zugang zum Phänomen des Bleibens in ländlichen Räumen zu erschließen, wird dieses anhand gesellschaftlicher Diskussionen sowie Verhandlungen im Kontext statistischer Betrachtungen vorgestellt. Eine kollektive Deutung des Bleibens besteht durch ihre Bezugnahme und auch Abgrenzung zum vermeintlichen Gegenteil, dem Gehen, der Wanderung: »Wanderung ist Leben und Fortschritt – Seßhaftigkeit ist Stagnation« (Bonß/ Kesselring 2001: 183 zit.n. Ravenstein 1885/1972). Dieser Modus hält sich bis in die Gegenwart.2 Mobilität wird als »das zentrale Charakteristikum der Moderne« (Bonß/Kesselring 2001: 178) angesehen. Mobile Menschen sind die »Personifizierung des sozialen Wandels« (Kathmann 2015: 40). Dies vermittelte das Bild von a) zwei gänzlich voneinander zu trennenden Konzepten, auf der einen Seite die gute Mobilität und auf der anderen Seite die schlechte Immobilität, sowie b) einer Bewertung des Bleibens vor dem Hintergrund des Gehens, welches als normativ richtig gilt.

Hinzukommt eine Bewertung des Bleibens in ländlichen Räumen im Rahmen eines positiv-negativen Kontinuums. Auf der einen Seite wird dem Bleiben eine gewisse Unzeitmäßigkeit hinsichtlich wirtschaftlicher, politischer und auch sozialer Aspekte unterstellt: »Der immobile Mensch ist die negative Utopie« (Tully/Baier 2006: 28). Auf der anderen Seite steht die Position, dass

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Zur Geschichte der Mobilität/Immobilität vgl. Schroer (2019).

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die Sesshaftigkeit unter Berücksichtigung der zunehmenden technischen Möglichkeiten »wieder zum Luxus« wird (Schroer 2019: 176).3 Selbst in der Migrationsforschung besteht Konsens darüber, dass dem starren Mover-Stayer-Prinzip nicht (mehr) gefolgt, sondern vor dem Hintergrund eines Kontinuums betrachtet wird (vgl. Kathmann 2015). Doch selbst mit dem Hinweis darauf, dass keine Dichotomisierung vorliegt, scheint noch nicht viel gewonnen, wenn weiterhin das Mobilsein überbetont und normativ richtig gilt. Fraglich ist, warum hier bisher keine differenzierte wissenschaftliche Diskussion über deren genaues Verhältnis geführt wurde, wenn doch Einigkeit darüber besteht, dass das Bleiben bzw. die Immobilität nicht gleichzeitig als Antagonismus zur Mobilität aufgefasst werden kann. An diesem Punkt schließt die vorliegende Arbeit an. Aus dem Blickpunkt geraten jene Alternativen, die sich nicht in diese binäre Codierung einsortieren lassen, sondern Mobilität und Immobilität relational darstellen. Als Platzhalter gilt hier die Multilokalität. Das Sesshafte im Mobilen – so heißt programmatisch ein Aufsatz von Caroline Kramer und Michaela Schier (2015). Multilokalität wird hier als »periodische Lebensführung und sozial-räumliche Verankerung an mehr als nur einem Ort gekennzeichnet« (ebd.: 287). Aufgrund der vielfältigen raumübergreifenden Verflechtungsbeziehungen weisen die Autorinnen darauf hin, dass »Wohnen, Verortung und Mobilsein relational zu verstehen« sei (ebd.). Dieser Charakter zwischen Stabilität und Mobilität wird anhand von vier Aspekten verdeutlicht:

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Die Veränderungen, die bislang mit der Coronapandemie einhergingen, werden in dieser Arbeit nicht berücksichtig, dennoch soll hier erwähnt werden, dass unter diesen Bedingungen ganz neue Bewertungen stattfinden und (erzwungene) Immobilität gerade in den ländlichen Räumen, die als Arbeits-, Wohn- und Freizeitorte genutzt werden, an Attraktivität gewinnt.

Einbettung in theoretische Diskurse

Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Stabilität und Mobilität (1) Erhalt von Stabilität durch Mobilität

Die multilokale Lebensführung wird dann gewählt, wenn Menschen »stabile ›Ankerpunkte‹« erhalten wollen.

(2) Ermöglichung von Mobilität durch Stabilität

Voraussetzungen sind materielle Stabilitäten, »gelebte soziale Orte«, dazu gehören auch »immobile Menschen, zu denen man zurückkehren kann.«

(3) Momente der Stabilität in der Mobilität

Auf ihren Wegen etablieren multilokale Personen Stabilität in Form von Routinen, wie bspw. das Ausruhen in der Bahn.

(4) Momente der Mobilität in der Stabilität

Durch »imaginäre Reisen« entsteht z.B. eine Art virtuelle Mobilität.

Quelle: Kramer/Schier 2015: 288f.

Der Aspekt, dass der »Lebensalltag […] über zwei oder mehrere Wohnstandorte hinweg« (ebd.: 285) als konstitutiv für die Multilokalität zu betrachten ist, ist unbestreitbar. Nichtsdestotrotz eignen sich die hier angesprochenen Aspekte auch, um über das Gehen und Bleiben, jene Formen also, in deren Ausgangspunkt nur ein Wohnstandort gilt, nachzudenken. Insbesondere deswegen, weil dadurch eine Relation zum Ausdruck kommt. Auch die statistische Raumforschung und Raumplanung hat das Immobile nur begrenzt im Blick und bisher keinen systematischen Ansatz gefunden, ein umfassendes Konzept vorzulegen. Das ist insofern erstaunlich, als der überwiegende Teil der Bewohner:innen Deutschlands, bezogen aufs Jahr, immobil ist (Stawarz/Rosenbaum-Feldbrügge 2020: 3, vgl. Fischer 1999, Straubhaar 2000). Die Position, dass Migration die Ausnahme und Immobilität die Regel ist, ist Grundlage des Insidernutzenansatzes (vgl. Fischer 1999). Dieser Ansatz geht davon aus, dass Wanderungen nicht nur rein ökonomische Nutzen fokussieren, sondern vielmehr, durch den Wegzug angesammelte Insidervorteile, bspw. soziale Beziehungen, ortsspezifische Kenntnisse, Akzeptanz vor Ort, verloren gehen. Solche müssen dann am Wanderungsziel erst mit Zeit und Geld wiederaufgebaut werden (ebd.: 89). Offizielle demographische Angaben verweisen hingegen auf Wanderungsgewinne oder Wanderungsverluste, ohne dies in Bezug zur Sesshaftigkeit zu setzten. Schließlich stehen Wanderungen vor dem Hintergrund des demographischen Wandels im Fokus politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Auswirkungen. Wenn Bewohner:innen, die in ländlichen Räumen bleiben,

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aus einer demographischen Perspektive sichtbar werden, dann als Teil einer Residualbevölkerung (Weiß 2006: 470ff., Weiß/Petrick 2011: 2, Corthier 2020: 393ff.). Zu deren Kennzeichen gehören eine beschleunigte Überalterung, ein erheblicher Mangel an Frauen im Alter von 18 bis 35 Jahren sowie Defizite in der Qualifikation (Weiß/Petrick 2011: 2). Laut Weiß beschreibt der Begriff der Residualbevölkerung »das zur Wanderung komplementäre Verhalten der Bevölkerung als strukturelles Resultat« (Weiß 2006: 471). Ein Grund, warum Immobilität in wissenschaftlichen, aber auch öffentlichen Diskursen nur selten vorkommt, liegt in der scheinbaren Normalität des Bleibens, bzw. andersherum, in dem Besonderen der Mobilität. Schließlich sind Umzüge kein Normalfall des Alltags, sondern verbunden mit langfristigen Konsequenzen. Es ist demnach aus unterschiedlichen Perspektiven nachvollziehbar, wenn Ebner von Eschenbach (2015: 31) Immobilität als »Ausnahmezustand« bezeichnet.

Mobilität oder das Gehen Mobilität und Motilität gilt als zentrales Charakteristikum der Gegenwart (Sennett 2000, Baumann 2003). Damit einher gehen Dynamisierungs- und Flexibilisierungsprozesse und gleichwohl neue räumliche und soziale Mobilitätsphänomene wie der Verlust von Ortsbindung, Verkehrsmobilitäten, neue soziale Mobilitäten sowie die Vergemeinschaftungen durch virtuelle soziale Netzwerke. Mobilität als ein modernes Phänomen trifft demnach sowohl sozialstrukturelle als auch individuelle Aspekte (Bonß/Kesselring 2001). Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Mobilität ein gesellschaftlich relevantes Forschungsfeld darstellt, denn »mobil zu sein und mobil sein zu können, sind unhintergehbare soziale Rollenerwartungen […]. Es ist schwierig, sich diesem sozialen Druck zu widersetzen, ohne sich in Gefahr zu begeben, als unflexibel, provinziell und letztlich immobil zu gelten« (Canzler 2013: 923). Dabei werden zwei Formen der Mobilität unterschieden. Erstens, eine soziale Mobilität: Hierzu zählen vertikale Muster, wie bspw. Auf- und Abstieg in Berufskarrieren, als auch horizontale Muster, wie bspw. Berufswechsel. Es bezeichnet die Bewegung im sozialen Raum. Zweitens, eine räumliche Mobilität, die mit einer physischen Bewegung, der Veränderung des Ortes, gleichgesetzt ist (Hammer/Scheiner 2006: 18f.). Gemeinsam haben sie, dass »sich soziale Bezugssysteme, der Zugang zu Ressourcen und die Positionierung des Individuums in der Gesellschaft ändert« (Beetz 2005: 168). Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist eine konkrete Trennung zwischen sozialer und räumlicher Mo-

Einbettung in theoretische Diskurse

bilität oft gar nicht möglich, da beide Prozesse sich bedingen können. Bspw. kann ein Umzug und ein Wechsel der Universität für Wissenschaftler:innen gleichwohl mit einer Veränderung des sozialen und des räumlichen Status einhergehen. Wenn in dieser Arbeit von Gehen oder Wanderungen die Rede ist, dann ist die räumliche Mobilität im Hinblick auf Binnenwanderungen gemeint. In Anlehnung an Franz (1984: 24, nach Mackensen et al. 1975: 8) wird räumliche Mobilität definiert als »Wechsel eines Individuums zwischen den definierten Einheiten eines räumlichen Systems.« Wobei an dieser Stelle der Zusatz erlaubt ist, dass nicht nur der Wechsel eines Individuums hier Bedeutung haben kann, sondern auch kollektive Akteur:innen, wenn bspw. der ganze Haushalt umzieht. Dann ist allerdings weniger das gesamte System relevant (Wagner 1989: 27), sondern es spielt (bezüglich Wanderungsentscheidungsprozessen, und wie hier Bleibeentscheidungsprozessen) die Sozialstruktur dieses Systems eine Rolle (Bührer 1997: 344; Beetz 2009: 140, Meyer/Miggelbrink 2015: 26). Der Definition von Franz (1984) soll noch eine zeitliche Dimension hinzugefügt werden. Aus dieser wiederum ergeben sich zwei Arten räumlicher Mobilität: die zirkuläre und die punktuelle Mobilität. Die zirkuläre Mobilität beinhaltet einen identischen Ausgangs- und Zielpunkt, der innerhalb eines überschaubaren Zeitraums relevant ist (Franz 1984: 34, Kley 2016: 485). Damit eingeschlossen sind dann bspw. Urlaubsreisen oder Saisonarbeit. Diese Art von Mobilität ist Teil des Analyseprozesses, wenn es z.B. um die Bewertung des Berufspendelns und der Alltagsbewegungen geht. Die punktuelle Mobilität beschreibt räumliche Bewegungen von Personen zu einem bestimmten oder einem eng begrenzten Zeitpunkt. Dies geschieht in der Regel eher selten im Lebenslauf. Es ist der klassische Umzug. Ein kleinräumiger Wohnortwechsel, bspw. innerhalb der Gemeinde, wird als residentielle Mobilität bezeichnet. Diese Definition beinhaltet den Wechsel des Hauptwohnsitzes (Windzio 2013: 664ff.) und die Tatsache, dass das Pendeln zur selben Erwerbsarbeitsstelle noch möglich ist (Kley 2016: 484, nach Clarke 1986: 1). Zur Wanderung wird es laut dem Statistischen Bundesamt dann, wenn ein Umzug über die Gemeindegrenze hinaus erfolgt (Statistisches Bundesamt 2019: 80). Für eine soziologische Betrachtung reicht allerdings eine Überschreitung einer bestimmten territorial-räumlichen Entfernung bzw. eine vorab festgelegte Grenze nicht aus. Schließlich ergeben sich Situationen, in denen zwar die Gemeindegrenze bei einem Umzug überschritten wird, sich allerdings rele-

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vante Lebensumstände, wie der Arbeitsplatz, das freundschaftliche Netzwerk, die Beziehung zur Familie usw., nicht ändert. Relevant werden diese administrativen Definitionen dann, wenn sich aufgrund des Umzugs auch strukturelle Aspekte ändern, bspw. der Besuch einer anderen Schule aufgrund des Schuleinzugsgebietes. Wichtiger für die Untersuchung ist das Hinzuziehen des Kriteriums der sozial bedeutsamen Entfernung, denn es verdeutlicht die Wichtigkeit von lokalen sozialen Beziehungen (Kley 2016: 486). In der Regel bedeutet ein kleinräumiger Wohnungswechsel nicht den Abbruch von lokalen Beziehungen, auch wenn dieser über eine Gemeindegrenze hinaus stattfindet. Erkennbar ist, dass ein bestimmter räumlicher Aspekt gleichwohl einen sozialen Aspekt berührt. Diesen Zusammenhang betont auch Wagner (1989: 25ff.), wenn er konstatiert, dass die Analyse von Wanderungen (dort: Migrationen) nur dann einen soziologischen Gehalt haben kann, wenn diese mit einer Veränderung sozialer Positionen einhergeht. Sowohl das Konzept der bedeutsamen Entfernung als auch der Veränderung der sozialen Position vermischen hier die soziale und räumliche Mobilität. Das zeigt sich, wenn von Schwellenwerten gesprochen wird, die eine bestimmte Intensität von Mobilität ausmachen, das heißt, die sowohl das Berufs- als auch das Privatleben in einem signifikanten Ausmaß beeinflussen (Ruppenthal/Lück 2009: 1). Für Clarke (1986) ist bspw. ein Schwellenwert überschritten, wenn eine (un-)freiwillige Migration es nicht erlaubt, zur selben Erwerbsarbeitsstelle zu pendeln.4 Sowohl die Definition von Clarke (1986) als auch die von Wagner (1989) präsentieren eine ausgeprägte ökonomische Perspektive. Dies deutet an, was bei der Sichtung der wissenschaftlichen Literatur zu Migration und Mobilität ohnehin in der Gesamtschau auffällt: In der Forschungslandschaft überwiegt eine funktionalistische Sichtweise auf Wanderungen, welche verdeutlicht, dass ein Umzug in erster Linie aufgrund ökonomischer Gründe stattfindet (Han 2000: 200). Nicht-ökonomische Motive, wie eine bestimmte Ortsbindung oder -beziehung oder auch soziale Beziehungen, werden eher sekundär behandelt. Das Konzept der Wanderung differenziert sich zudem noch in Binnenund Außenwanderung, was den »Wechsel über signifikante räumliche Kategorien« beschreibt (Windzio 2016: 664). Eine Binnenwanderung findet dann statt, wenn innerhalb einer vorher definierten Grenze gewandert wird. Eine Außenwanderung dann, wenn eine bestimmte Grenze überschritten wird, 4

Kritisch zur Frage der Zweckmäßigkeit der Kategorie freiwillig/unfreiwillig vgl. Wagner (1989: 25ff.) und Mester (2000: 19).

Einbettung in theoretische Diskurse

bspw. die Europäische Union. Die Definition von Binnen- und Außenwanderungen ist also vom Erkenntnisinteresse abhängig, je nachdem, welcher geographische Raum gemeint ist. Zimmermann (2001: 529ff.) fügt noch ein qualitatives Kriterium hinzu: Eine Außenwanderung findet dann statt, wenn sich der politisch-rechtliche Status zumindest vorübergehend verändert, z.B. das Wahlrecht. Kley (2016: 486) ergänzt, dass auch soziokulturelle Kriterien bei einer Außenwanderung eine Rolle spielen, bspw., wenn sich der Sprachraum verändert. Die Binnenwanderung ist demnach dadurch charakterisiert, dass zwar eine Wanderung innerhalb eines Gebietes stattfindet, sich aber weder rechtliche noch soziokulturelle Aspekte ändern.

Relationale Räume Es ist dezidiert anzunehmen, dass die leitende Frage dieser Untersuchung, nämlich wie das Bleiben in ländlichen Räumen konzipiert ist, nicht ohne eine räumliche Dimension geklärt werden kann. Schließlich ruft das Bleiben gerade dann Stigmatisierungen hervor, wenn es als territorial begrenzt verstanden wird. Raum wird hier als ein Bezugsrahmen gesehen, der eine spezifische Bedeutung für das Bleiben hat. Schließlich beeinflusst er im Wesentlichen die Aneignung sowie die Erinnerung (Miggelbrink 2002: 338f.) und bietet gleichzeitig ein hohes Maß an Orientierungs- und Sicherheitsfunktion. Daher ist davon auszugehen, dass das Konzept des Bleibens in ländlichen Räumen und dessen inhärente Dimensionen als Handlungsalternative von räumlichen Bezügen geprägt sind und gleichwohl die räumlichen Bezüge vom Bleiben geprägt werden. Räumliche Vorstellungen und Konzeptionen werden in diesem Forschungsprojekt als »Basisannahme des Sozialen« behandelt (Schroer 2019: 4). Es darf allerdings nicht auf der Ebene stehen bleiben, das soziale Geschehen im Raum zu konstituieren, sondern die Konstitution sozialer Räume selbst muss untersucht werden. Nur so kann es einen Aufschluss über den Zusammenhang des Bleibens und dem relevanten Raum der Gebliebenen als Wechselwirkung geben. Dabei geht es weniger darum zu definieren, was ländlich aus einer räumlichen Perspektive sein kann, sondern zu eruieren, inwiefern der hier relevante Raum dazu beiträgt, das Handlungskonzept Bleiben zu rekonstruieren. Räumliche Dimensionen tauchen also an dieser Stelle sowohl als eine Bedingung als auch ein Effekt der Praxis und Deutung des Bleibens auf. Schließlich ist Raum »jenes Gehäuse in dem oder die Bühne auf der sich Gesellschaftliches

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Bleiben in ländlichen Räumen

ereignet« (ebd.: 10, H.i.O.). Dabei spielt der ländliche Raum selbstverständlich eine Rolle, dann, wenn ein Verorten, ein (An-)Ordnen der Elemente und eine Bewegung, was ein Innen und Außen impliziert, stattfindet. Den ländlichen Raum allerdings als den einen Raum abzubilden, ist eine verkürzte Darstellung. Vielmehr kann dieser ein mögliches Element in der Konstruktion von einem Raum sein, er wird aber nicht mit dem einen (Lebens-)Raum gleichgesetzt. So existiert Raum »einzig als formal-analytischer Begriff, nicht aber in Form einer empirischen Entität, die alles in sich einschließt. Das heißt, empirisch beschreibbar ist immer ein Raum, nicht aber der Raum« (Weidenhaus 2015: 45). Um Raum aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive5 begrifflich und konzeptuell zu fassen, gibt es zwei Möglichkeiten, die sich in der Art und Weise ihrer Bestimmung unterscheiden: erstens, der physische Raum, der geographische Abstandsbestimmungen im Fokus hat, und zweitens, der soziale Raum, welcher sich wiederum auf soziale Aspekte konzentriert (ebd.: 37, auch Schroer 2019: 10ff.). Physische Räume, sind durch Länge, Höhe und Tiefe als dreidimensionale Konstrukte ersichtlich, sie sind materiell. Werlen (2009: 101) bezeichnet Raum nicht als empirischen Gegenstand, sondern Raum »bezieht sich vielmehr auf rein formale Aspekte materieller Gegebenheiten, [welche] einerseits die Ordnung beziehungsweise die Klassifikation von Objekten ermöglichen [und] unter Bezugnahme auf die Körperlichkeit der handelnden Subjekte – auch die Orientierung der Handelnden in physisch-materiellen Kontexten« beeinflusst. Damit wird klar, dass sich dieses Verständnis von Raum zwar nicht auf die Gegebenheiten eines absoluten Raums6 bezieht, die physischmateriellen Aspekte allerdings auch nicht gänzlich auszublenden sind. Dieses »natürlich Gegebene« (Schroer 2019: 11) ist – zumindest in soziologischen Zusammenhängen – nicht einzig ausschlaggebend, wenn es um die Konstruktion eines sozialen Raums geht. Raum wird hier als etwas sozial Hergestelltes behandelt. Dies beinhaltet die Vorstellung, dass Raum »selbst sozial produziert, damit sowohl Gesellschaft strukturierend als auch durch Gesellschaft strukturiert und im gesellschaftlichen Prozess sich verändert begriffen [wird]«

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Bereits im Inhaltsverzeichnis der Anthologie von Dünne/Günzel (2006) wird deutlich, dass Raum anhand unterschiedlicher institutionalisierter Diskurse festzumachen ist, z.B. Physik und Metaphysik des Raums, politisch-geographische Räume, ästhetische Räume etc. Ein absoluter Raum besteht insofern, als dieser auf alle Objekte einwirkt, diese allerdings keine Rückwirkungen ausüben (Schmid 2005: 195).

Einbettung in theoretische Diskurse

(Löw/Sturm 2019: 4). Das soziale Raumkonzept kann demnach Aussagen dazu machen, welche Wirkungsweise und Relevanz eine Raumkonstitution in der sozialen Welt hat.7 So ist es möglich, dass räumliche Dimensionen Denkund Handlungsmuster (Weidenhaus 2015: 42), aber auch Erinnerungen beeinflussen. Der tatsächlich gegenständliche Raum, der physische Naturraum, ist in der Analyse allerdings nicht gänzlich verschwunden, er ist vielmehr noch »der Ursprung [l’origine], das Ursprüngliche [l’originel] des sozialen Prozesses« (Dünne/Günzel 2006: 330, Übersetzung von Henri Lefebvre: La production de l’espace, 1974). Insofern es nur um die Beschreibung von Sachverhalten geht, scheint ein absolutes Raumverständnis angemessen. Das ist für die vorliegende Arbeit noch nicht ausreichend, es bedarf noch zwei weiterer Schritte. In einem ersten Schritt gilt es, auch den relativen Raum zu überwinden. Der relative Raum ist gekennzeichnet durch die Lage bestimmter Körper zu andern Körpern in einem absoluten Raum. Er ergibt sich aus ihrer Struktur der Lage der bestimmten Körper (Schmid 2005: 195). In einem zweiten Schritt geht es dann um den hier relevanten relationalen Raum. Dieser stellt die Elemente in den Mittelpunkt der Raumkonstitution und fragt nach deren Anordnung sowie Beziehung untereinander (Weidenhaus 2015: 43, Löw 2012: 156). Es geht also nicht mehr nur um eine Lagebeschreibung eines bestehenden Raums, sondern: Raum wird erst durch das Wahrgenommene sowie deren Beziehung untereinander produziert. Daraus folgt, dass Raum nicht direkt beobachtbar ist, kein Gegenstand ist und damit auch keine objektiven konkreten Eigenschaften hat (Miggelbrink 2002: 338). Vor diesem theoretischen Verständnis eines relationalen Raums ist es schwer, empirisch Räume konkret zu erfassen. Das heißt, es ist schwer, so über Räume zu reden, wie es für eine sozialwissenschaftliche Analyse nützlich ist. Die Frage nach Raum knüpft schließlich in erster Linie an das Alltagsverständnis und damit an Konzepte eines physischen und absolutistischen Raumverständnisses an (Schlottmann 2013, Löw 2016: 79ff., Christmann 2016). Wobei Raumbegriffe, im Sprachgebrauch und Sprechakt, gesellschaftliche Funktionen erfüllen. So ist es möglich, über Zuschreibungen Eigenschaften im Sinne eines relationalen Raumverständnisses zu erfahren (Miggelbrink 2002: 339). Das Bewusstsein dafür, dass über Kommunikation, neben Handeln und Wissensgenerierung, gleichwohl 7

Hier sei mindestens noch auf weitere Perspektiven des sozialen Raumkonzepts verwiesen, z.B. Pierre Bourdieu (1991, 2010, 2012), David Harvey (2019) und Henri Lefebvre (1974, 2009), zusammengefasst auch in Macher (2007).

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eine theoretische Annäherung an Raumkonstruktionsprozesse stattfinden kann, ist erst in den letzten Jahren zu beobachten (Christmann 2016: 89, auch Miggelbrink 2002: 342ff.). Um die Konstruktion des sozialen Raums vor dem Hintergrund eines relationalen Raumverständnisses für die Empirie anwendbar zu machen, wird das Raumkonzept von Martina Löw (2012) sowie die zwei zu trennenden Prozesse des Spacing und der Syntheseleistung näher betrachtet. Dieses Raumkonzept wird durch das von Gunter Weidenhaus (2015) hinzugezogene Konzept der Grenze erweitert. Das relationale Raumverständnis von Löw (2012: 154) beinhaltet die Vorstellung einer »relationale[n] (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern«. Der Raum ist auch hier kein passiver Containerraum, der gefüllt ist, sondern ergibt sich analytisch erst durch die räumlichen Relationen der beinhalteten Elemente. Im Unterschied zu Lefebvre (1974, 2009) fällt auf, dass Löw eher einen konstruktivistischen Fokus auf den Raum »als Ordnungsweise« (Miggelbrink 2002: 338) bzw. als »Art Referenzsystem« (ebd.: 339) konstruiert. Das heißt, dass das (An-)Ordnen der Elemente nicht nur ein Labeln bzw. Klassifizieren der relevanten Aspekte ist, im Vordergrund steht ein In-Beziehung-Setzen der unterschiedlich platzierten Positionen der Elemente. Diese Positionen werden durch die sozialen Güter und Lebewesen ausgemacht, zusammengefasst werden sie als Elemente bezeichnet. Ein Element muss allerdings nicht zwangsläufig ein soziales Gut oder Lebewesen sein, vielmehr ist auch eine Verknüpfung möglich. Beispielsweise dann, wenn als Element ein Stadtteil gilt, inbegriffen sind dann Menschen, aber auch soziale Güter (Löw 2012: 156f.). Soziale Güter werden in primär materielle und symbolische Aspekte unterschieden. Beispiel der Tannenbaum: Materiell wird mit ihm ein Nadelbaum assoziiert, symbolisch steht er für die Tradition des Weihnachtsfestes. Primär materiell bzw. symbolisch deshalb, weil sich eine der beiden Komponenten situativ in den Vordergrund schiebt, sie aber niemals getrennt auftauchen (ebd.: 153). Dabei sind sie nicht allein passive Objekte, sondern sie entfalten auch selbst eine Wirkung, bspw. durch ihre Gestalt oder den Geruch. Zur (An-)Ordnung der Räume gehören auch Lebewesen. Die Betonung von Menschen, die zur Raumkonstruktion gehören, ist auffällig und gleichzeitig einleuchtend. Schließlich ergeben sich Räume durch die Beziehung der Menschen zueinander. Abhängig von ihrem sozialen Verhältnis untereinander spannt sich dieser Raum größer oder kleiner auf. So werden Menschen »zum einen durch Handlungen anderer Menschen positioniert, zum anderen positionieren sie sich aktiv« (ebd.: 154, H.i.O.). Menschen und soziale Güter können, je nach Perspektive, dem-

Einbettung in theoretische Diskurse

nach selbst ein Raum oder aber ein Element des Raumes sein. Zu erwähnen ist noch, dass es hier keine Bestimmungsordnung gibt. Gemeint ist: Es gibt keine hierarchisch nacheinander geordneten Konstitutionsprozesse mit Elementen auf der einen und Beziehungen auf der anderen Seite. Vielmehr werden diese als zwei Perspektiven des Konstitutionsprozesses verstanden (ebd.: 156). »Nur wenn man beide Aspekte, also sowohl die Bausteine des Raums als auch deren Beziehung zueinander kennt, kann die Konstitution von Raum analysiert werden.« (Löw/Sturm 2019: 13) Löw (2012: 158ff.) unterscheidet zwei analytisch zu trennende Prozesse der Raumkonstitution: Das Spacing und die Synthese(-leistung). Zunächst konstruiert sich der Raum durch das Platzieren, das Positionieren von sozialen Güter und Lebewesen, dieser Vorgang wird als Spacing bezeichnet. Sehr vereinfacht heißt das, soziale Güter und/oder Lebewesen positionieren sich so bzw. werden positioniert, dass sie einen bestimmten Raum erzeugen. Klassisches Beispiel ist hier das stereotype Klassenzimmer: Vorne befindet sich die Tafel, Stühle und Tische sind auf sie ausgerichtet. Die Syntheseleistung fasst bestimmte Räume zusammen, z.B. als Vorstellungs-, Erinnerungoder Wahrnehmungsprozess. Dieses Ausrichten bedeutet »einen räumlichen Bezug zwischen den verschiedenen Gütern und Lebewesen herzustellen« (Weidenhaus 2015: 43). Die Syntheseleistung legt fest, welche Elemente überhaupt in die Konstitution von Raum eingehen, um diesen zu entwickeln. Dass Kreide, Stühle und Tische vorhanden sind, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass es sich um ein Klassenzimmer handelt. Das Exempel des Klassenzimmers deutet bereits darauf hin, dass die Konstitution von sozialen Räumen häufig institutionalisiert ist (Löw 2012: 164ff.). Weidenhaus (2015: 44) stellt fest, dass hier nicht nur ein Handlungs-, sondern gleichwohl auch ein Strukturierungsaspekt gilt. Bezugnehmend auf Giddens Strukturationstheorie (1997, vgl. Schiller-Merkens 2008: 129–171), konstituieren sich soziale Räume nach Löw (2012) einerseits als »Strukturbildung durch menschliches Handeln und anderseits als menschliches Handeln strukturierend« (Weidenhaus 2015: 44). Räumliche Struktur wird also nicht nur mithilfe von Spacing und Syntheseleistung gebildet, sondern, wie im Falle des Klassenzimmerns, auch aufgrund von Verallgemeinerbarkeit bzw. Institutionalisierungen. Dieser Strukturaspekt erscheint als objektiv vorhanden, das Handeln wird dem gegebenen Raum angepasst. Weidenhaus zieht hier als Beispiel das Betreten einer Kirche heran: Bereits beim Betreten gilt ein bestimmter Verhaltenskodex, man nimmt z.B. den Hut ab und verhält sich ruhig (ebd.: 2015: 44).

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Die Betonung auf »analytisch zu unterscheidende Prozesse« (Löw 2012: 160) weist bereits darauf hin, dass Spacing und Syntheseleistung im alltäglichen Handeln einer Gleichzeitigkeit unterworfen sind. An diesem Punkt setzt Weidenhaus (2015) an. Die dargestellten Konzepte Löws (2012) werden durch das Konzept der Grenze erweitert, um so empirisch soziale Räume zu konzipieren.8 Er bemängelt, dass diese »eine entscheidende Rolle […] aber keinen gebührenden Platz innerhalb des Begriffsapparates der Konzeption [Löws haben]« (Weidenhaus 2015: 45). Vor dem Hintergrund einer Relationalen Soziologie teilt auch Karafillidis (2010: 69) die Vorstellung, »[w]er über Relationen spricht, muss auch über Grenzen sprechen.« Eben dies ist übertragbar auf die Vorstellung eines relationalen Raumkonzepts. Daher beinhaltet das Begriffsschema von Raum in der vorliegenden Arbeit sowohl einen physischen und sozialen Raum sowie die Erfahrung von Differenzen, die hier Ausdruck in dem Grenzkonzept findet (Weidenhaus 2015: 50). Dabei wird Grenze nicht im alltäglich geprägten Sinne gebraucht, sondern als ein Mittel der Differenzierung verstanden: »Grenzen setzen also Räume – nicht Güter und Lebewesen – in Relationen« (ebd.: 46). Daher bringen Grenzen immer zwei Räume hervor, die ein Innen und ein Außen produzieren. Charakteristisch ist, dass das Innen asymmetrisch zu dem Außen gedeutet wird. Dies wiederum erlaubt eine Zuschreibung und eine Beschreibung der Qualität dieser unterschiedlich aufgestellten Räume. Neben einer theoretischen Orientierung zum erweiterten Raumkonzept Löws (2012) bietet Gunter Weidenhaus auch drei Typen von Lebensräumen, die Teilaspekte seiner Untersuchung zur sozialen Raumzeit sind (Weidenhaus 2015: 119ff.). Aufgrund biographischer Gespräche sind zwei Kernkategorien zur Erfassung von Lebensräumen entstanden. In der ersten geht es um Aneignungsstrategien, die Raumarten sowie deren Qualität thematisieren. Beispielsweise halten einige Interviewpartner:innen das Konzept Zuhause für eine Konstruktion ihres Raums relevant, andere wiederum nicht. Zur Bestimmung von Aneignungsstrategien sind fünf Kategorien maßgeblich: soziale Bindungen, Atmosphären, Raumkontrolle/Verfügungsgewalt, Handlungsoptionen und identitäre Kopplungen. Die zweite Kernkategorie ist das Raummuster. Dabei geht es um das Verhältnis der unterschiedlich relevanten Lebensräume zueinander. Ausschlaggebend sind vier Kategorien: die 8

Genau ausformuliert ist das Grenzkonzept u.a. in Löw/Weidenhaus (2018), übergeordnet zur Grenzsoziologie vgl. Eigmüller/Vobruba (2016) und zu Relationaler Soziologie Fuhse/Mützel (2010).

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Anzahl der Räume, die physisch-räumliche Streuung, die Mobilität und die Maßstabsebene (ebd.: 119ff.). Entstanden sind drei Raumtypen: Netzwerk-Typ, konzentrischer Typ und Insel-Typ. Der Netzwerk-Typ zeichnet sich durch eine Streuung der Vielzahl relevanter Räume, die auf einer gleichen Maßstabsebene liegen, aus. Angeeignet wird der Raum durch ihre Atmosphäre, die schwachen sozialen Beziehungen und auf Basis von Optionen. Kontrolle und Verfügungsgewalt sind nur marginal bedeutsam. Grenzen sind hier nur gering ausgeprägt (ebd.: 126ff.). Der zweite Typ ist der konzentrische Typ. Charakteristisch sind verschachtelte Räume und unterschiedliche Ebenen. Dabei leisten die unterschiedlichen Ebenen Verschiedenes für die Biographie. So ist bspw. der Raum Zuhause geprägt von sozialen Beziehungen, die Stadt hingegen eher ein Optionsraum, der Möglichkeiten verspricht (ebd.: 133ff.). Als dritten Typ stellt Weidenhaus den Insel-Typ vor, welcher durch eine geringe Anzahl relevanter Lebensräume charakterisiert ist. Diese Räume zeichnen sich durch eine hohe Verfügungsgewalt sowie Grenzkonstruktionen aus. Hinsichtlich einer physischen Ausdehnung sind dies eher kleine Räume, die über starke soziale Bindungen angeeignet werden (ebd.: 139ff.).

Entscheidungsprozesse Bevor über Mobilitätsentscheidungsprozesse gesprochen wird, soll zunächst der biographische Entscheidungsprozess aus einer soziologischen Perspektive betrachtet werden. Zwar orientiert sich der aufzustellende Bleibeentscheidungsprozess heuristisch an den Migrationsentscheidungsprozessen, er soll aber nicht dessen Adaption sein: Diesem Phänomen soll sich offen genähert werden. Dass das Bleiben eine Entscheidung ist, die von Zeit zu Zeit neu verhandelt wird und daher auch einem Entscheidungsprozess unterliegt, wurde in bisherigen Untersuchungen nur marginal betrachtet. Sobald das Thema Entscheidung im Rahmen von Migrationsstudien angesprochen wird, wird der Gruppe, die als »Nichtmobile« (Becker et al. 2011: 23) identifiziert wird, weniger ein aktives Bleiben unterstellt. Vielmehr wird dem Konzept Bleiben ein bloßes Verhalten unterstellt, welches kein, vor allem kein freiwilliges, Entscheidungshandeln enthält. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Bleiben auch eine (freiwillige) Entscheidung für den aktuellen Status quo sein kann.

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Entscheidungserklärungsansätze in den Sozialwissenschaften bzw. in der Migrationsforschung basieren in der Regel auf Rational-Choice-Modellen (Gautschi/Braun 2011, Miebach 2014: 3945–445, Wiesenthal 2018: 31–52).9 Wie sich zeigen wird, können diese im Kontext biographischer Entscheidungen nur begrenzt Anwendung finden. Theorien der rationalen Wahl stellen ein Kosten-Nutzen-Kalkül, eine Abwägung von Aufwand und Ertrag, in den Vordergrund. Akteur:innen entscheiden sich demnach für die Alternative, die in ihrer Realisation den größten Nutzen für sie verspricht (Corsten 2020: 283). Die Annahme ist, es gäbe eine Präferenz, sogar eine Präferenzordnung, die durch maximierendes Handeln festgelegt wird. Burkart (1995: 66ff.) stellt einen Katalog an Punkten zusammen, der Kritik am Entscheidungsbegriff der Rational-Choice-Theorie zusammenfasst, gerade dann, wenn sie im Kontext biographischen Entscheidungen angewendet werden. Herausgegriffen werden hier folgende: • • •





Es wird eher der »empirisch seltenere Sonderfall« erfasst, weniger der individuelle Entscheidungsprozess. Im Fokus steht eine Zweckrationalität, die bestimmte Entscheidungstypen außen vorlassen, z.B. moralische Entscheidungen. Rational-Choice-Modelle betonen einen Zukunftsbezug und vernachlässigen dabei die »biographische Zwangsläufigkeit« sowie den sozialen Kontext. Eine Pro- und Kontra-Rechnung kann niemals definitiv zum Tragen kommen, da mit jeder Abwägung sich Präferenzstrukturen und damit die Wertigkeit aufkommender Alternativen ändern. Rational-Choice-Modelle vernachlässigen irrationale Komponenten, wie z.B. Widersprüchlichkeiten, Gefühle oder Dilemmata.

Burkarts Ausführungen zur Kritik am Entscheidungsbegriff der RationalChoice-Modelle soll allerdings noch ein fragwürdiger Aspekt hinzugefügt werden: Angenommen wird, dass die Frage über das Gehen oder Bleiben nicht per se dann auftaucht, wenn ein Handlungsproblem entsteht. Han (2010:

9

Forschungen zu Entscheidungen und Entscheidungstheorien sind interdisziplinär verankert, z.B. aus Sicht der VWL: Amann (2019), Weinmann (2020); aus Sicht der Sozialen Arbeit: Bastian (2019); aus Sicht der Neurologie: Pawlik/Fleischer/Lauterbach (2019); aus Sicht der BWL: Göbel (2018), Bamberg/Coenenberg/Krapp (2019), Obermaier/Salinger (2020).

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199) stellt noch weitere Auslöser in den Vordergrund, bspw. die »subjektive […] Wahrnehmung belastender gesellschaftlicher Umstände«, »makrostrukturelle Umstände, die sich negativ auf die Lebenssituation auswirken« oder »Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation«. Faktisch ist zwar davon auszugehen, dass eine Entscheidungssituation herausgefordert wird, wenn eine unbefriedigende Soll-Ist-Diskrepanz auftaucht (Schimank 2005: 177), wenn sich also bestimmte Situationen als unbefriedigend entwickeln oder vielleicht sogar eine Notwendigkeit zum Handeln entsteht (Laux/Gillenkirch/ Schenk-Mathes 2018: 13). Dagegen spricht allerdings die Annahme, dass Entscheidungsbedarfe auch dann entstehen, wenn keine Problemdiagnose gestellt wird. Vielmehr ergibt sich eine Alternative, die zwar einen bestimmten Sinn verfolgt und im biographischen, situativen und perspektivischen Kontext nachvollziehbar ist, aber nicht auf einen Mangel basiert bzw. bestimmte (Handlungs-)Einschränkungen zur Voraussetzung hat. Es sind vor allem Präferenzen, die sich bei einer aufkommenden anderen, auch neuen Möglichkeit ergeben, während die alte nicht per se ein Problem sein muss. Denkbar ist, dass es eine zufriedene Situation weiter zu verbessern gilt, oder anders: »keine Alternative zu wählen, die schlechter ist als eine andere verfügbare« (Rechenauer 2009: 73). Ein Modell für rationales Entscheidungsverhalten liefert auch die WertErwartungstheorie (Esser 1999: 247ff.). Dabei ist das Grundprinzip eine »sehr einfache Sache« (ebd.). Die Grundregel lautet: »Versuche Dich vorzugsweise an solchen Handlungen, deren Folgen nicht nur wahrscheinlich, sondern Dir gleichzeitig auch etwas wert sind! Und meide ein Handeln, das schädlich bzw. zu aufwendig für Dich ist und/oder für dein Wohlbefinden keine Wirkung hat!« (ebd., H.i.O.). Dieses Prinzip beinhaltet sechs Annahmen: • • •



Jedes Handeln ist eine Wahl zwischen sich wechselseitig ausschließenden Alternativen (ebd.: 251f.). Jedes Selektieren, das heißt jede Wahl, hat Folgen (ebd.: 252f.). Die Folgen werden von jeder Person unterschiedlich bewertet. Dabei gibt es einen linearen Zusammenhang zwischen subjektiver Bewertung (Präferenzen) in Form von Kosten-Nutzen-Abwägungen sowie objektiver Bewertung (ebd.: 253f.). Es werden stets Erwartungen an die Entscheidung gehegt. Diese Erwartungen werden als »Wissen über die Eintrittswahrscheinlichkeit gewisser Ereignisse als Folge eines bestimmten Handelns« definiert. Erwartungen

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• •

unterscheiden sich in vier Fälle: Sicherheit, Risiko, Unsicherheit und Ambiguität (ebd.: 254ff.). Die vorhandenen Alternativen werden unterschiedlich gewichtet, das heißt evaluiert (ebd.: 256ff.). Eine Selektion erfolgt auf Basis des maximierenden, gewichteten Vergleichs zwischen den Alternativen. Diese »Regel der Maximierung des erwarteten Nutzens wird als allgemeine Regel für die Logik der Selektion des Handelns angenommen« (ebd.: 258f., H.i.O.).

Eine Kritik an diesem Modell bezieht sich im Wesentlichen auf drei Merkmale: Erstens hinsichtlich der tatsächlichen Kosten-Nutzen-Analyse. Es wird infrage gestellt, ob eine tatsächliche Kosten-Nutzen-Analyse bei dem Ausmaß von biographischen Entscheidungen realistisch vorgenommen werden kann. Insbesondere dann, wenn langfristige Konsequenzen bedacht werden müssen. Biographische Entscheidungen werden in der Regel mit einer bestimmten Vehemenz, einer bestimmten zeitlichen Nachhaltigkeit gefällt. Vor diesem Hintergrund scheint es de facto sehr schwierig, die tatsächlichen Kosten und Nutzen, insbesondere im Zusammenhang mit den zu erwartenden Folgeentscheidungen, abzuwägen bzw. diese gegeneinander aufzurechnen. Zweitens ist die angesprochene subjektive Präferenz in sozialen Entscheidungssituationen kritisch zu hinterfragen. Schließlich ist davon auszugehen, dass die Frage über das Gehen oder Bleiben nicht nur die Handelnden selbst betrifft, sondern auch Beteiligte, wie bspw. Partner:innen oder die Herkunftsfamilie. Daher ist das Entscheidungsergebnis abhängig von einer interaktiven Entscheidungssituation und damit auch möglichen Strategien der anderen (Diekmann/Voss 2004: 18). Und drittens erfolgt eine Kritik hinsichtlich der Bedeutung irrationaler Komponenten: Es wird infrage gestellt, inwieweit Entscheidungsprozesse per se einer Kalkulation bzw. einer Kosten-Nutzen-Abwägung unterworfen sind, oder aber, ob hier nicht auch irrationale Aspekte ausschlaggebend sind. Bereits Lee (1972: 120) verdeutlicht, dass die Entscheidung zu wandern, »niemals« rational stattfindet, »[d]eshalb müssen wir damit rechnen, zahlreiche Ausnahmen von unseren Verallgemeinerungen zu finden, da momentane Emotionen, geistige Verwirrung und zufällige Ereignisse einen beträchtlichen Anteil der gesamten Wanderung bestimmt.« Auch Corsten (2020: 308ff.) verweist auf »Momente der Widerfahrnis«, gemeint sind sich zufällig ergebene Momente, die ein Dilemma erzeugen, z.B. Momente, die jemanden in Verlegenheit bringen, peinlich berühren und es schwermachen, sich dann rational zu entscheiden.

Einbettung in theoretische Diskurse

Diese Kritik zeigt sich auch in den von Dimbath (2003: 46) aufgestellten Anforderungen an eine empirische Analyse von Entscheidungen. Es ist wenig sinnvoll, nur nach dem bloßen Akt der Wahl zu fragen, vielmehr gilt es auch das Schwanken zwischen den Alternativen, die aktuelle Situation und einen eventuell aufkommenden Handlungsdruck zu berücksichtigen. Für eine empirische Analyse gelten demnach folgende Anforderungen: »– Entscheidungen sind prozesshaft zu begreifen, – die Rekonstruktion ihres Verlaufs kann nicht allein über die retrospektiv erfasste ›Geschichte‹ stattfinden […]. – Des Weiteren ist eine Betrachtung der im Entscheidungsverlauf selektierten Relevanz in der jeweiligen Situation und vor dem Hintergrund der individuellen Biographie vorzunehmen. – Schließlich ist von Interesse, was den Entscheidungsprozess vorantreibt – handelt es sich um das Abwägen von Kosten und Nutzen oder um den mit der fraglos hingenommenen Welt oder einer bestimmten Situation zusammenhängenden Erwartungsdruck?« (ebd.: 46f.) Die Entscheidung über das Gehen oder Bleiben wird in dieser Arbeit als biographische Entscheidung betrachtet. Solche Entscheidungen beziehen sich auf »Groß-Ereignisse des Lebenslaufs« (ebd.: 70). Schließlich ist damit zu rechnen, dass die Entscheidung in lebensgeschichtliche Strukturen eingebettet ist, die gewisse individuelle und soziale Umstände betreffen. Es ist eine Entscheidung, mit der Folgeentscheidungen einhergehen. Sie hat in der Regel weniger punktuelle Auswirkungen, sondern vielmehr langfriste Konsequenzen. Außerdem – und das ist der Unterschied zu Alltagsentscheidungen – besteht eine scheinbare Unumkehrbarkeit (ebd.).10 Kalter (1997: 60) spricht in diesem Zusammenhang von der Trägheit von Wanderungsentscheidungen. Es handelt sich dabei um die Tendenz der Aufrechterhaltung alltäglicher Routinen. Schließlich sind weder die Frage selbst noch der folgende Verhandlungsprozess ein Normallfall des Alltags. Dieser Entscheidungsprozess

10

An dieser Stelle sei auf ein interessanten Aspekt Burkarts (1995: 80) aufmerksam gemacht: Alltags- und Lebensentscheidungen seien zwar formal voneinander abzugrenzen, doch auch diesen liegen kontinuierlichen gesellschaftlichen Veränderungen zu Grunde. Am Beispiel der Entscheidung zur Ehe, die in der Vergangenheit einschneidende Folgen mit sich brachte, macht Burkart deutlich, dass die Entscheidung zwar nicht als »Alltagsentscheidung heruntergekommen ist« aber im Vergleich unbedeutender als noch vor Jahren.

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tritt also selten völlig überraschend ein, er besitzt eine zeitliche Dimension (Schimank 2005: 165ff.). Daher werden Entscheidungen, wie sie in dieser Arbeit zu fassen sind, nicht als plötzliche Geistesblitze verstanden, sondern als ein komplexes, voraussetzungsreiches Vorgehen, beruhend auf der Einbettung im biographischen Kontext sowie einer sozialen und situativen Logik (Burkart 1995: 72). Diese Annahme impliziert zum einen, dass die Entscheidung über das Gehen oder Bleiben unter anderen (Lebens-)Umständen anders gefällt werden kann, zum anderen aber auch, dass jeder Schritt im Entscheidungsprozess die Wertigkeit jeder aufkommenden Möglichkeit ändert (ebd.: 69). Das heißt, selbst im Entscheidungsprozess sind Ziele noch veränderbar.11 Wobei bereits an dieser Stelle betont werden muss, dass auch eine Nichtentscheidung eine Entscheidung sein kann. Diese scheinbar paradoxe Annahme entspringt der Systematik des Handelns, welcher dem Entscheidungsbegriff innewohnt. Schließlich wird sich für eine Handlungsalternative entschieden, andernfalls wird gehandelt, ohne sich zu entscheiden, nämlich dann, wenn affektive, spontan-unreflektierte, routinierte Aspekte eine Rolle spielen – also scheinbar keine Handlungsalternativen zur Verfügung stehen. »Nicht-Handeln wird ebenso wie ein nicht-entscheidungsförmiges Handeln als Entscheidung – nämlich eine Entscheidung zur Nicht-Entscheidung – zugerechnet« (Schimank 2005: 199). Nichtentscheidungen sind wie folgt beschrieben: »– [D]er oder die Akteur(in) nimmt keine Alternativen wahr und handelt gemäß seiner oder ihrer Routinen; – der oder die Akteur(in) erkennt zwar Alternativen, sieht jedoch nur in einem Fall eine Realisierungschance – er oder sie hat keine Wahl;

11

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass auch die Psychologie Entscheidungsproblematiken im Blick hat, bspw. Betsch/Funke/Plessner (2011), Pfister/Jungermann/Fischer (2017). Burkart (1995) verweist auf die Ursprünge des Entscheidungsbegriffs in der Psychologie nach William James (1981). James skizziert 5 Wege, wie eine Entscheidung herbeigeführt werden kann: Typ 1 »reasonable« ähnelt dem Rational-Choice-Modell, Typ 2 und 3 folgendem dem Duktus »lieber eine schlechte Entscheidung als gar keine« und werden charakterisiert durch Zwänge, Zufall oder Willkür, die eine Entscheidung herbeiführen, Typ 4 folgt sachlichen Gründen unter der Aufgabe von Wünschen, dem besonderen Status erhält Typ 5, welcher sich durch eine dilemmatische Entscheidungssituation auszeichnet.

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– der oder die Akteur(in) erkennt Alternativen, kann jedoch keine vergleichenden Bewertungen vornehmen – er oder sie ist ›entscheidungsunfähig‹« (Dimbath 2003: 71, nach Burkart 1995: 73, H.i.O.). Hier werden bereits die Bedingungen einer Entscheidung erkennbar: Sichtbarkeit, Verfügbarkeit sowie Vergleichbarkeit von Handlungsalternativen (Burkart 1995: 73ff.). Eine Entscheidung liegt daher erst dann vor, wenn diese eine »erklärte Absicht [ist], einen erwünschten Zustand gezielt herbeizuführen, verbunden mit der Wahl einer Handlung, die geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen« (ebd.: 65). Oder anders und der obigen Struktur angepasst: »[D]er oder die Akteur(in) erkennt mehrere Alternativen und sieht auch deren Umsetzungsmöglichkeiten, wägt ab und wählt eine Alternative« (Dimbath 2003: 71, nach Burkart 1995: 73). Damit ist erklärt, wie Entscheidungen in dieser Arbeit formal zu fassen sind, es ist allerdings noch offen, wie diese als prozesshaft dargestellt werden können. Schließlich ist bereits durch die obige Definition deutlich geworden, dass aufkommende Alternativen und deren Bewertung und Aushandlung präzisiert werden müssen. Insbesondere, wie bereits erwähnt, wenn davon auszugehen ist, dass im Entscheidungsprozess, durch den ständigen Abgleich aufkommender Möglichkeiten, das Ziel selbst noch veränderbar ist. Die konkrete Entscheidungssituation soll daher anhand eines mehrphasigen Entscheidungsprozesses näher betrachtet werden. In der entscheidungstheoretischen Literatur gibt es klassische Komponenten, die die Grundzüge einer Entscheidung darstellen. Die folgende Tabelle verdeutlicht dies anhand eines interdisziplinären Vergleichs. Dafür herangezogen werden Laux/Gillenkirch/ Schenk-Mathes (2018: 12) aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive und Schimank (2005: 174ff.) aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive.12 Bereits an dieser Stelle sollen zwei entscheidungstheoretische Migrationsmodelle (I: Han 2010: 199ff und II: Kley 2009: 54), die im Weiteren näher erläutert werden, zum Vergleich hinzugezogen werden.

12

Phasenschemata aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive bspw. Brauchlin/ Heene (1995: 71ff.); Göbel (2018: 43ff.).

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Tabelle 2: Interdisziplinärer Vergleich von Entscheidungsprozessen wirtschaftswissenschaftliche Perspektive

sozialwissenschaftliche Perspektive

migrationstheoretische Perspektive I

migrationstheoretische Perspektive II

Problemformulierung

Problemdiagnose

Soziale Umstände

Migrationsgedanken

Präzisierung des Zielsystems

Kriterienformulierung

Motivbildung

Erforschung der möglichen Handlungsalternativen

Alternativersuche

Informationssuche

Auswahl einer Alternative

Alternativenbewertung und -auswahl

Risikobereitschaft

Migrationspläne Entscheidung in der Realisationsphase

Implementation

Entscheidung

Realisierung der Migration

Evaluation

Vorwegzunehmen ist, dass die obige Tabelle eine idealtypische Darstellung ist: Einzelne Phasen überschneiden sich und sind nicht so klar, wie hier graphisch dargestellt, unterscheidbar. Und dennoch werden in der Gesamtschau Unterschiede und Gemeinsamkeiten sichtbar. Hervorzuheben sind zwei Punkte: Zum einen, dass unterschiedliche Phasen ganz unterschiedlich ausgearbeitet sind. Besonders fällt hier die Phase der Migrationspläne auf, wie sie Kley (2009) (migrationstheoretische Perspektive II) beschreibt – diese werden später noch näher erläutert. Tatsächlich ist dies in den vergleichenden Modellen nur wenig differenziert dargestellt bzw. fehlt ganz. Zum anderen geht Schimank (2005: 190ff.) (sozialwissenschaftliche Perspektive) im Vergleich über den eigentlichen Entscheidungsprozess hinaus und betont in der Evaluationsphase nochmals den prozesshaften Charakter des Treffens von Entscheidungen. Die Evaluationsphase bezieht sich auf die Zeit nach der Umsetzung, auf die Wirkung der Entscheidung. Schließlich ist davon auszugehen, dass »die Zielgrößen der Entscheidung […] in den seltensten Fällen allesamt hundertprozentig realisiert [werden]« (ebd.: 191). So setzt die

Einbettung in theoretische Diskurse

Evaluationsphase fast lückenlos an einer erneuten alternativen Möglichkeitsdiagnose an. Generell zeigt die Tabelle, dass sich Stufen des Entscheidungsprozesses nach Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes (2018) (wirtschaftswissenschaftliche Perspektive) und auch Schimank (2005) (sozialwissenschaftliche Perspektive) im entscheidungstheoretischen Migrationsmodell II, in Kleys (2009) wiederfinden. Dieses wird als idealtypische Überlegung, wie der Wanderungsprozess als Entscheidungsmodell dargestellt werden kann, im Folgenden näher betrachtet. Auch Han (2010: 198ff.) bewertet individuelle Migrationsentscheidungen als Prozess, seine Gedanken werden theoretisch begleitend an einigen Stellen herangezogen, doch Han widmet sich der Migration vor allem als globales Phänomen, während Kley (2009: 77) sich in ihrer Dissertation zum Einfluss von Lebensbedingungen auf die Migration für die empirische Analyse auf zwei Städte bezieht. Das Modell von Kley weist eher Berührungspunkte mit der vorliegenden Arbeit auf und wird deshalb als Hintergrundfolie der eigenen Forschungsarbeit verwendet.

Dimensionen des Abwägens einer Entscheidung Davon ausgehend, dass eine biographische Entscheidung ein komplexes, voraussetzungsreiches Vorgehen ist, beruhend auf die Einbettung im biographischen Kontext sowie einer sozialen und situativen Logik entsprechend (Burkart 1995: 72), soll der Punkt der Komplexität des Entscheidungsprozesses nochmals aufgegriffen werden. Was genau macht diese Komplexität aus? Hierzu werden die folgenden drei analytischen Dimensionen (Schimank 2005: 121ff.) des Entscheidungsprozesses genauer betrachtet: • • •

Eine soziale Dimension, die eine mögliche Beteiligung anderer an der Entscheidung sowie mögliche Erwartungsunsicherheit im Fokus hat. Eine sachliche Dimension, die mögliche Informationen und auch die Informationsverarbeitungskapazität der Entscheidung im Blick hat. Eine zeitliche Dimension, die durch eine zeitliche, das heißt in der Regel befristete, Umsetzung der Entscheidung gekennzeichnet ist.

Diese drei Dimensionen finden sich in anderer Form auch in anderen Migrationsmodellen wieder. Han (2010: 202) bspw. rechnet das Einholen und die Auswertung von Informationen der Phase zur Erforschung von möglichen Handlungsalternativen zu und lagert damit diesen Aspekt einer, nicht weniger wich-

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tigen, sozialen Komponente vor (ebd.: 203). In der vorliegenden Arbeit sollen diese drei Dimensionen den Entscheidungsprozess vor allem rahmen und in allen Phasen des Entscheidungsweges als relevant gelten. Sie sind kaum trennscharf voneinander zu betrachten, sondern wirken in der Regel zusammen.

Sozialdimension Das Eingebundensein in kollektive Strukturen, wie Familie oder Freundeskreis, weist darauf hin, dass Migrations- oder auch Migrationsnichtentscheidungen keine Einzelentscheidungen sind (Beetz 2009: 140). Dieses Zusammenwirken, die sog. Interdependenzkonstellation, kann unterschiedliche Ausprägungen haben: •





Einzelne Entscheider:innen können mit anderen Akteur:innen zusammenwirken, ohne dass die anderen entscheidungsförmig handeln (können), z.B. Vorgesetzte:r entscheidet für Mitarbeiter:innen. Mehrere Entscheider:innen wirken zusammen, dennoch entscheiden alle für sich, sind aber noch in einem System gebunden, z.B. beim Schachspiel; oder alle entscheiden gemeinsam, untereinander muss abgestimmt und die Entscheidung zusammen getragen bzw. verantwortet werden, z.B. in politischen Koalitionen (Schimank 2005: 122ff.).

Deutlich wird: Andere Personen wirken bei der eigenen Entscheidung mit. Und auch andersherum, Entscheidungsträger:innen stellen Neben- bzw. Fernwirkungen des eigenen Handelns in Rechnung. Betroffen sein können bspw. jene, die die Biographie der Entscheidungsträger:in nur peripher streichen. Dazu zählt z.B. eine Kollegin, mit der nur im beruflichen Kontext Kontakt gehalten wird. Ein Gehen oder Bleiben bedeutet allerdings für diese Kollegin, sich neue Personen zum fachlichen Austausch zu suchen. Die Interdependenzbewältigung, das heißt die Auseinandersetzung mit anderen Personen, zeigt sich in zwei Ausprägungen. Erstens als eine mangelnde Erwartungssicherheit: »Da das, was ich mit meinem Entscheidungshandeln erreiche, davon abhängig ist, dass andere auf bestimmte Weise agieren, nimmt die Unsicherheit der Entscheidungssituation für mich in dem Maße zu, wie ich nicht weiß, was die anderen tun werden.« (ebd.: 125f.) Diese mangelnde Erwartungssicherheit, wie reagiert der andere, kann sich durchaus auf die eigenen Ziele oder Wege der Entscheidung auswirken. Möglich ist, dass Entscheidungsträger:innen überhaupt keine Erwartungs-

Einbettung in theoretische Diskurse

sicherheit besitzt, dann ist davon auszugehen, dass diese:r nicht weiß, was die andere Person tut und vermag überhaupt nicht zu entscheiden. Entscheidungshandeln wird allerdings in der Regel nur dann ins Auge gefasst, wenn eine Gestaltungsmöglichkeit gesehen wird, wenn somit eine gewisse Erwartungssicherheit vorausgesetzt wird. Entscheidungshandeln setzt also voraus, dass entweder von vornherein wechselseitige Erwartungssicherheit vorliegt oder das alle Akteur:innen diese herstellen. Zweitens besteht die Möglichkeit einer Interdependenzbewältigung in Form eines Konflikts. Möglich ist, dass Entscheidungsträger:innen das Ziel nur durch eine Kooperation mit anderen Personen erreicht. Möglich ist, dass diese anderen Personen diese Zielverfolgung durch Nichtkooperation be- oder verhindert. Die Komplexität der Entscheidungssituation ist stark durch die Sozialdimension bestimmt, wenn diese konfliktbehaftet ist (ebd.).

Sachdimension Auswirkungen auf die Abwägung einer bestimmten Entscheidung sind auch die vorliegenden oder eben nicht vorliegenden Informationen über die möglichen Handlungsalternativen. Um eine Entscheidung zu treffen, ist es nötig bestimmte Informationen einzuholen, um sich ein hinreichendes Bild zu machen. Grundlage dafür sind bestimmte Wünsche und Erwartungen an die Handlungsalternative in Abgleich mit der aktuellen Situation (Schimank 2005: 156ff.). Bezugsquelle für Informationen sind das soziale Netzwerk, aber auch unmittelbare Informationen aus Zeitungen und Berichten (Han 2000: 202). Zu diesen Informationen zählen auch bisherige Erfahrungen mit möglichen Alternativen: »Je größer der Erfahrungsbereich des Entscheiders ist, desto mehr Alternativen (er-)kennt er und desto besser ist er in der Lage, deren Folgen abzuschätzen« (Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes 2018: 14). Vom Informationsstand sind dann mögliche Konsequenzen abzuleiten. In der Regel überschreitet die Menge der tatsächlich relevanten Informationen die tatsächliche Verarbeitungskapazität der Akteur:innen, so dass Entscheidungen oft auf der Basis unvollständiger Informationen getroffen werden. Dass wichtige Informationen fehlen oder gar nicht infrage gestellt wurden, fällt oft erst nach der Realisierung der konkreten Handlungsalternative auf (Schimank 2005: 156ff.).

Zeitdimension Diese Dimension zeichnet sich im Wesentlichen durch ihre andauernde Beschränkung aus. Die Komplexität der Entscheidungssituation fußt auf

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einer Zeitknappheit, davon ausgehend, dass mit einer Entscheidung auch unterschiedliche Teilentscheidungen einhergehen (müssen). Die Entscheidungssituation, auf die es hier ankommt, die Frage über das Gehen oder Bleiben, wird als biographische Lebenslaufentscheidung eingestuft. Damit einhergehen weitere Fragen, von denen in der Regel bestimmte Dringlichkeiten ausgehen. Formell sind es bspw. Fristen oder Termine, die hier den Charakter der Zeitknappheit ausmachen. Teilentscheidungen müssen also zeitlich synchronisiert werden (ebd.: 165ff.). Zwei Beispiele: In Deutschland ist in der Regel der Ausbildungsbeginn der 1. August oder 1. September eines jeden Jahres. Wenn also die Frage nach dem Gehen oder Bleiben nach dem Schulabschluss auftaucht, verengt sich die Entscheidungsfindung auf den Zeitraum zwischen dem letzten Schultag und dem ersten Ausbildungstag. Oder wenn es um einen Umzug geht, der für die Kinder einen Schulwechsel nach sich zieht, achten Eltern in der Regel bei der Umzugsplanung darauf, dass die Kinder dann bereits zu Beginn des neuen Schuljahres im Einzugsgebiet wohnen. Fristen werden hier vor allem institutionell gesetzt. Werden diese Fristen überschritten, braucht sich die Entscheidungsträger:innen auch keine weiteren Gedanken über die Alternativen zu machen bzw. müssen umplanen. Es ist also letztlich auch eine bestimmte Art von zeitlicher Synchronisation verschiedener Teilbereiche des Lebens, z.B. Arbeit, Familie, Freundschaft, Freizeit, Engagement, notwendig.

Mobilitätsentscheidungsprozesse Grundlegend für die Migrationsforschung sind die Arbeiten von Ernest Ravenstein (vgl. The Laws of Migration, 1885/Die Gesetze der Wanderung, 1972) über die sieben Ravensteiner Gesetze, die den Anspruch der Zeit überstanden haben (vgl. Lehmann 2008: 8ff.) und Grundlage für gegenwärtige Erklärungsversuche sind, z.B. mikrotheoretische Ansätze, die die klassischen Push-PullFaktoren enthalten. Hierzu zählen die Arbeiten von Everett S. Lee (1972), in der grundlegend der Wanderungsakt differenziert dargestellt wird und damit Ausgangspunkt für die Diskussion um die Prozesshaftigkeit von Migration ist. In dieser Reihe zu nennen sind auch die Arbeiten von Julian Wolpert (1965) zum Stressanpassungsmodell. Dieses erklärt Migrationsentscheidungen an-

Einbettung in theoretische Diskurse

hand des Konzepts des Ortsnutzens, des Suchverhaltens sowie aus einem Lebenslaufansatz heraus.13 Obgleich punktuelle Mobilität, als räumliche Bewegung zu einem bestimmten Zeitpunkt, als vereinzelt und abgeschlossen betrachtet werden kann, herrscht unter Mobilitätsforscher:innen Konsens, dass diese Erklärung unterkomplex ist. Schließlich geht sowohl der residentiellen Mobilität als auch der Wanderung ein zeitlicher Vorlauf voraus, der einen komplexen Entscheidungsprozess beinhaltet (vgl. Han 2010: 198, Kley 2016: 495). Neben den klassischen entscheidungstheoretischen prozessualen Migrationsmodellen (vgl. Wolpert 1965, Lee 1972, Jong/Fawcett 1981, Haug 2000: 8ff., Steinführer 2004: 17ff.) liegen Stufenmodelle vor, die den prozessualen Charakter der Wanderungsentscheidung darstellen (vgl. Gardner 1981, Brown/Moore 1970, Speare/William/Goldstein 1975). Ein Wohnortwechsel ist nichts Alltägliches, Routiniertes, sondern schließt in der Regel ein ganzes System von Einzelentscheidungen ein. Dass Unterschiede zwischen der allgemeinen Mobilitätsbereitschaft und den tatsächlichen Umzugsplänen besteht, stellt auch Rossi (1980) heraus. Er betont, dass erst ab einer bestimmten Intensität die tatsächliche Absicht besteht, den Wohnort zu verlassen. Aus dieser Diskrepanz zwischen Umzugsbereitschaft (Intention) und tatsächlichen Umzug (Behavior) widerlegt Rossi die bis dato vorherrschende Annahme, dass hauptsächlich ökonomische Faktoren zur Klärung von Mobilitätsprozessen beitragen; auch soziologische sowie sozialpsychologische Faktoren fallen ins Gewicht (Franz 1984: 77ff., auch ebd.: 79). Um den Entscheidungsprozess genauer zu erfassen, bieten weitere, modernere Stufenmodelle einen Erklärungsversuch (vgl. Kley 2009, Kalter 1997).

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Einen kompakten Überblick über das Spektrum von Migrationstheorien bieten Haug (2000), Mester (2000), Lehmann (2008), Hoesch (2018: 59ff.), wobei auch auf Kalter verwiesen wird: »Das Bemühen, dabei ein auch nur ansatzweise vollständiges Bild zu vermitteln, ist jedoch – wie man sehr schnell erfahren wird – von vornherein zum Scheitern verurteilt« (Kalter 1997: 15).

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Abbildung 1: Migrationsmodell

Quelle: Kalter 1997: 67

Die obige Abbildung fasst den Wanderungsprozess nach Kalter (1997: 67) zusammen, auf den sich auch Kley (2009: 54) bezieht. Dieser beinhaltet drei Aspekte: Wunsch-, Entscheidungs- und Handlungskomponenten. Kalter betont, dass diese streng sequentiell ablaufen, doch die einzelne Phasendauer höchst variabel ist (Kalter 1997: 66ff.). Andere Autoren sehen jene prozessualen Stufenmodelle, welche nur selten linear ablaufen, eher als theoretisches Idealmodell (Schimank 2005: 175; Han 2010: 199). Auch empirisch zeigt sich, dass Stufen wiederholt, Teilkomponenten übersprungen oder der Prozess ganz abgebrochen werden kann (Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes 2018: 16). Dies ist auch vor dem Hintergrund, dass jede Migrationsentscheidung eine eigene, individuelle Dynamik besitzt, die nicht nur auf rationaler Abwägung beruht, sondern situative, soziale sowie biographische Konzepte beinhaltet, plausibel (Beetz 2009: 140). Das Stufenmodell von Stefanie Kley (2009) stellt hier ein hilfreiches Instrument zur Systematisierung möglicher Aspekte dar, die bei einer individuellen Wanderungsentscheidung bedeutend sind. Es verdeutlicht die Dynamik des Entscheidungsprozesses sowie den Ablauf von Wanderungsentscheidungen, die ggf. auch den Bleibeentscheidungsprozess berühren.

1. Stufe: Wanderungsgedanke bzw. -bereitschaft Eine Ausgangssituation, ein erster Impuls, in der Regel eine biographische Gelegenheit, die eine Umzugsgedanken aufkommen lässt, muss gegeben sein, um einen Wanderungsgedanken auszulösen bzw. eine Wanderungsbereitschaft zu schaffen. Wanderungsauslöser sind nicht zu verwechseln mit Wanderungsmotiven bzw. -gründen. Der analytische Unterschied liegt in der zeitlichen Dimension: Während Wanderungsmotive in der Regel bereits länger angelegt sind und schon vor dem Wanderungsgedanken auftauchen können, sind Wanderungsauslöser zeitlich verdichtete Ereignisse (Kathmann et al. 2008: 106). Wobei der Übergang vom Status quo hin zum Wanderungsgedanken zunächst eine gewisse Trägheit beinhaltet (Kalter 1997: 60, Kley 2009: 38f.).

Einbettung in theoretische Diskurse

Schließlich ist es eher kein Normalfall des Alltags, dass die Frage über einen Umzug auftaucht. Die Einschätzung der Lebensbedingungen am Wohnort sowie mögliche Alternativen andernorts in Verbindung mit einer biographischen Gelegenheit, einem Ereignis, welches einen Rollenwechsel der Person erfordert, kann dann allerdings Wanderungsgedanken auslösen (Sackmann 2007: 55ff., Kley 2016: 495). Sie tauchen schließlich »umso eher auf […], je höher die individuellen Ziele gesteckt sind bzw. je wichtiger diese sind, und je unzufriedener jemand mit ihrer voraussichtlichen (Nicht-)Realisierbarkeit am Wohnort ist« (Kley 2009: 39). Solche Situationen, bspw. der Übergang von der Ausbildung hin zum Erwerbsleben, lassen mindestens den Gedanken einer Wanderung aufkommen; ob diese tatsächlich realisiert wird, ist in dieser Phase noch offen. Dabei ist nicht per se davon auszugehen, dass Wanderungsgedanken vor allem zu biographisch günstigen Gelegenheiten, wie dem Wechsel von der Schule in die Ausbildung, oder durch familiäre Ereignisse, wie die Geburt eines Kindes, ausgelöst werden. Vielmehr kommt auch dem sozialen Kontext, dem sozialen Netzwerk, der beruflich-ökonomischen Situation, dem Wohnumfeld sowie der Gesundheit eine hohe Bedeutung zu (vgl. Kalter 1997, Kathmann et al. 2008, Kley 2009). An dieser Stelle soll auf einen klassischen Erklärungsansatz in der Migrationsforschung aufmerksam gemacht werden: das Push-Pull-Paradigma (vgl. Lee 1972). Dieser Ansatz basiert auf der Annahme, dass bestimmte Faktoren für eine Wanderung zuständig sind. Diese werden unterschieden in PushFaktoren, welche die Bedingungen aus dem Herkunftsgebiet beschreiben, die Menschen animieren oder auch zwingen, zu wandern. Und Pull-Faktoren, welche wiederum Anreize des potenziellen Zielgebiets der Wanderung darstellen. Dieser Ansatz hat allerdings weniger den individuellen Entscheidungsprozess im Blick, sondern vor allem die Motive einer Wanderung (Haug 2000: 8ff.). Die Tabelle 3 fasst intradisziplinäre Aspekte zusammen, die eine gedankliche Auseinandersetzung mit einer möglichen Wanderungsrealisation erfordern.

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Tabelle 3: Intradisziplinärer Vergleich von Wanderungsgedanken Kley (2009: 40)

Bührer (1996: 246)

Han (2010: 200)

persönliche Ziele können andernorts besser verwirklicht werden von der Migration wird sich ein Nutzen versprochen

es besteht Aussicht auf eine Verbesserung der eigenen Lage

die Zielverwirklichung wirkt sich positiv aus

intendierte Ziele sind durch einen Wohnortwechsel realisierbar Wanderungsgedanken wurden auf ihre Alternativen geprüft und anhand der vorliegenden Dimensionen bewertet

die Handlungsalternativen erscheinen bzgl. der Zielerreichung als realistisch

die Erreichung der Ziele wird als realistisch und möglich eingeschätzt die persönlich angestrebte Veränderung bzw. Verbesserung wird als verfügbar eingeschätzt

die erwarteten Kosten des Ortswechsels übersteigen nicht den erwarteten Nutzen

die Informations- und Suchkosten erscheinen nicht allzu hoch

die persönlichen Zielvorstellungen sind so stabil, dass man sich darauf stützen kann

Beim Vergleich der theoretischen Ausformulierungen möglicher Bedingungen, die Wanderungsgedanken aufkommen lassen, fällt auf, dass – mit geringen Abweichungen – drei Aspekte relevant sind: • • •

Es gibt einen Anreiz, der einen Wanderungsgewinn, eine Verbesserung vermuten lässt. Es besteht eine Erwartung, dass die intendierte Zielvorstellung tatsächlich realisiert wird. Der Kostenaufwand beeinflusst die gewünschte Intention.

Da tatsächliche Ressourcen in diesem Stadium nur eine geringe Rolle spielen, können schon vergleichsweise schwache Anreize Auslöser von Wanderungsgedanken sein (vgl. Huinink/Kley 2008). Darüber hinaus sind Ressourcen nur deswegen von untergeordneter Bedeutung, weil in dieser Phase Wunschvorstellungen und Ziele im Vordergrund stehen, die im Hinblick auf ihre Reali-

Einbettung in theoretische Diskurse

sierbarkeit abgewogen werden. Es geht also um eine Motivbildung, welche erst als realistisch und vernünftig eingestuft werden muss (Han 2010: 200). Sofern der Entschluss zu wandern gefasst ist, wird eine Grenze überschritten. Kley nutzt hierfür das Bild vom Überschreiten des Rubikon (Kley 2011: 471f. nach Heckhausen/Heckhausen 1989). Gemeint ist eine Art Selbstverpflichtung der Umsetzung, die nun nur noch schwer revidiert werden kann.

2. Stufe: Wegzugspläne bzw. -intention Der Abwägungsprozess ist abgeschlossen, das heißt, es wurde ein entsprechender Entschluss gefasst. Diese Stufe beinhaltet nun den Plan, die Entscheidung des Ortswechsels, umzusetzen. Sie ist der ersten Stufe zeitlich nachgeordnet und auch voraussetzungsvoller: Sie ist dann erreicht, wenn sich »ein Wohnortwechsel auf der Grundlage einer Abwägung von Kosten und Nutzen und der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit für die Realisierung der erwarteten Migrationsgewinne als ›hinreichend begründet‹ erweist« (Huinink/Kley 2008: 168, H.i.O.). Es werden Ressourcen aufgewendet und es wird sich eine Strategie überlegt, wie der nunmehr gefasste Plan der Wanderung umgesetzt werden kann. Dazu kann es gehören, sich bspw. Wohnungsmarktannoncen anzusehen und Umzugshelfer:innen zu organisieren. Planungskosten entstehen insbesondere durch den Faktor Zeit, bspw. für die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle oder einer passenden Wohnung. Dies alles vor dem Hintergrund, dass »der erwartete Nutzen durch die Migration die erwarteten Kosten übersteigt, und dieser Nutzen auch mit hinreichender Sicherheit realisiert werden kann« (Kley 2009: 41). Von Relevanz ist auch die finanzielle Situation: Umziehen kostet Geld. Ein Umkehren ist nun kostenintensiver, weil es zum Verlust aufgebrauchter Planungskosten führt. Gleiches gilt für die Kosten der psychischen Selbstverpflichtungen, die in diesem Stadium bereits sehr hoch sind (ebd.: 43). Die tatsächliche Wanderung, Stufe 3, folgt jedoch nicht automatisch. Es ist immer noch möglich, dass in dieser Phase Hindernisse entstehen, die bisher unvorhersehbar waren, die Umsetzung erschweren und diese gar unmöglich machen, z.B. bisher nicht antizipierte finanzielle Kosten. Komplementär dazu gibt es aber auch Erleichterungen, die einer Umsetzung der Intention dienen, z.B. Unterstützung durch das soziale Netzwerk (Kalter 1997: 62ff.).

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3. Stufe: Realisierung der Wanderung Diese Stufe beinhaltet »eine beobachtbare und relativ klar definierte Handlung« (Kalter 1997: 67). Es ist die Folge der getroffenen Entscheidung.

Bisherige empirische Befunde

Überblick – Forschungslücken und Anschlussmöglichkeiten Im Folgenden wird eine Auswahl der wichtigsten empirischen Arbeiten vorgestellt, um Forschungslücken aufzuzeigen und Aspekte bisheriger Untersuchungen in Bezug auf das eigene Forschungsanliegen abzuklopfen. Herangezogen werden vorwiegend qualitative Untersuchungen sowie Untersuchungen mit einem Mixed-Methods-Ansatz, nur an geeigneter Stelle gibt es Verweise auf quantitative Forschungsarbeiten. Der Schwerpunkt auf qualitativen Studien bietet eine bessere Anschlussmöglichkeit an die eigene Forschungsarbeit. Dabei berühren die vorgestellten Arbeiten entsprechend des Forschungsanliegens ein breites Spektrum: Wanderungsentscheidungsprozesse, Typologien zu Move und Stay, Bleibegründe und -strategien sowie den Themenkomplex von Frauen in ländlichen Räumen. Unterschiedliche Wanderungsentscheidungstypen tauchen bereits bei Sell/Jong (1983) auf. Besonders hervorzuheben ist, dass der Typ Nonmover hier bereits (im Vergleich zu aktuelleren Arbeiten) ausdifferenziert auftritt. Unterschiedliche Mobilitäts- und auch Immobilitätsformen werden in diesem Artikel verdeutlicht und unterschiedliche Entscheidungswege abgebildet. Auffällig ist, dass von Nonmover und nicht von Stayer die Rede ist, was auf das ungleiche Verhältnis von Wanderungen und Sesshaftigkeit hinweist. Insgesamt wurden Typen herausgearbeitet, die auf der Ebene der freiwilligen und unfreiwilligen Migration differenziert werden. Neben dem Typ Consistent Decision Maker Movers (ebd.: 150) und dem Typ Undesired Mobility (ebd.: 153), sind folgende Typen interessant: •

Wishful Nonmovers (unbeabsichtigte Nichtwander:in): Personen, die sich zwar wünschen bzw. erwarten zu migrieren, diesen Wunsch aber nicht realisieren (ebd.: 153f.),

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• •



Adjuster Nonmovers (angepasste Nichtwander:in): Personen, die den Wunsch zu migrieren äußern, diesen aber im Zeitverlauf verändern und bleiben (ebd.: 154), Entrenched Nonmovers (verwurzelte Nichtwander:in): Personen, die weder Wunsch noch Erwartung hegen, zu migrieren (ebd.), New Decision Maker Nonmovers (neue Nichtwander:in): Personen, die zunächst weder den Wunsch noch die Erwartung zu migrieren haben, dann allerdings plötzlich doch den Wunsch äußern (ebd.), Potential Force Movers (potenziell gezwungene Wander:in): Personen, die erwarten, in Zukunft migrieren zu müssen (ebd.: 155).

Ähnliche Typen sind auch bei Rossi (1980: 160) zu finden, wobei diese hier sehr verkürzt in zwei Typen auftauchen: •



Unexpected Stayers (unerwartete Bleiber:in): Personen, die zwar Mobilitätsbereitschaft besitzen, allerdings nicht tatsächlich wandern. Dies deutet abermals auf einen abgebrochenen Wanderungsprozess hin. Expected Stayers (erwartete Bleiber:in): Personen, deren Motivation ist, nicht zu wandern und die sich dementsprechend verhalten.

In die Typologie der Paneluntersuchung Migrationspotentiale zu Wohnortswechsel in Deutschland (Kalter 1997) werden Bezüge zu Rossi (1980) deutlich. Im deutschsprachigen Raum tritt diese Studie besonders hervor, schließlich ist sie eine der ersten (und auch wenigen), die den Migrationsentscheidungsprozess explizit in drei Stufen unterscheidet: Gedanken, Pläne und Verhalten. Dies ist Ausgangspunkt vieler weiterer Forschungsarbeiten (vgl. Kley 2009, Kathmann 2015). Die Arbeit hat drei Gegenstandsbereiche, »den konkreten inhaltlichen Beitrag zu einer Erklärung der Wohnortwechsel […] [einen] theoretischen Beitrag zur angemessenen Klärung von Wanderungen bzw. Wanderungsentscheidungsprozessen […] [und ein] methodischer Beitrag zur Umsetzung theoretischer Modellierungen« (Kalter 1997: 13, H.i.O.). Konkret kommt der Gruppe der Gebliebenen schon aufgrund des Forschungsanliegens nur ein wenig ausdifferenzierter Beitrag zu. Diejenigen, die in der ersten Erhebungswelle Wanderungspläne angaben, diese allerdings bis zur Zweiterhebung, ca. ein Jahr später, nicht umgesetzt haben, werden als Unexpected Stayer (unerwartete Bleiber:in) typisiert (ebd.: 205ff.). Hierunter fallen:

Bisherige empirische Befunde

• •

Blocked Movers: Personen, die ihren Plan der Wanderung nicht realisieren, aber dennoch weitere Wanderungspläne haben, Plan Changers: Personen, die den Umzug nicht umsetzen können und ihre Pläne aufgeben.

Bei den Blocked Movers werden vorwiegend wohnungsbezogene Hindernisse benannt, die als Ursache der Nicht-Realisierung gelten. Hierzu gehören Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, und auch Gründe, die im Hausbau liegen, z.B. keine Baufirma gefunden zu haben. Jene Personen, die nun nicht mehr umziehen wollen, die Plan Changers, geben vor allem familiäre bzw. haushaltsbezogene Gründe an. Nicht nur, dass Kalter ein Gerüst bietet, an dem Wanderungs- oder auch Nichtwanderungsentscheidungen abzulesen sind, auch der Hinweis auf die Besonderheit des Übergangs der Stufe 1 (Wanderungsgedanken) zur Stufe 2 (Wanderungspläne) findet besondere Berücksichtigung in der vorliegenden Arbeit. Bezüglich einer Bleibentypologie scheint diese – besonders mit Blick auf Sell/Jong (1983) noch ausbaufähig. Das liegt allerdings an der inhärenten Forschungsfrage, auch hier geht es überwiegend um den abgebrochenen Wanderungsprozess. Das Bleiben, die Immobilität, ist zwar im Spektrum bisheriger Untersuchungen enthalten, steht allerdings kaum im Fokus. Eine der wenigen deutschsprachigen Studien, die Immobilitätsformen im Blick haben, ist die Dissertation von Till Kathmann (2015). Die Arbeit ist als qualitative Panelstudie angelegt, die in einem Jahresabstand zwei Erhebungswellen abbildet. Befragt werden wanderungswillige deutsche Facharbeiter:innen, die vorhaben, innerhalb Europas umzuziehen. Schwerpunkte der Arbeit sind die Migrationsgründe, Bleibegründe, die Migrations- und Immobilitätsformen, der Wanderungsentscheidungsprozess sowie die Rolle des sozialen Netzwerks. Die folgende Tabelle stellt verkürzt die Immobilitäts- und Mobilitätsformen sowie Gründe dar.

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Tabelle 4: Immobilitätsformen und Gründe Immobilitätsformen

Gründe

relativ immobile Typen

Rückkehrer:innen (unfreiwillige Abbruch der Wanderung)

beruflich-ökonomisch, gesundheitlich, soziale

Binnenmigranten (bricht europäischen Wanderungsplan ab und zieht innerhalb Deutschlands um)

beruflich-ökonomisch, gesundheitlich, rechtlichinstitutionell, soziale, heimatverbundene

Berufspendler:innen

beruflich-ökonomische, soziale

Blocked-Mover (unfreiwilliger Aufschub der Wanderungsrealisierung)

beruflich-ökonomische, gesundheitliche, rechtlichinstitutionelle, soziale

aufgeschobene Wanderer (freiwilliger Aufschub der Wanderungsrealisierung)

beruflich-ökonomische, heimatverbundene

Plan Changer (Wanderungspläne abgebrochen)

beruflich-ökonomische, rechtlich-institutionelle, gesundheitliche Gründe, soziale, heimatverbundene, persönliche

absolute immobile Typen

Quelle: Kathmann 2015: 174ff.

Bezüglich der Wanderungsentscheidung stellt Kathmann, wie bereits Rossi (1980), die Stufe der Wanderungsgedanken als zentralen Aspekt des Entscheidungsprozesses heraus; und an dieser Stelle insbesondere deren soziale Dimension, wobei dem sozialen Netzwerk im Zielland keine hohe Bedeutung zukommt (Kathmann 2015: 282). Darüber hinaus betont er die Bewertung des Zielortes als zentralen Entscheidungsmechanismus. Theoretische Grundlage der Arbeit ist das Entscheidungsmodell nach Kalter (1997), das im Weiteren auf die Außenmigration übertragen und modifiziert wird. Vor dem Hintergrund des Zufriedenheitskonzepts werden auch die Lebensverhältnisse im Herkunftsland ins Zentrum des Forschungsinteresses gerückt (Kathmann 2015: 89ff.). Im Unterschied zur vorliegenden Arbeit richtet Kathmann seinen Blick auf das Verhältnis von Binnen- und Außenwanderung von wanderungswilligen Facharbeiter:innen. Im Sample befinden sich Personen, die bereits eine konkrete Abwanderungsabsicht haben bzw. hatten. Die vorliegende Untersu-

Bisherige empirische Befunde

chung hat allerdings jene Personen im Blick, die bislang in ländlichen Räumen geblieben sind und bei denen zunächst nicht davon auszugehen ist, dass sie bereits konkrete Gedanken an eine Binnen- oder auch Außenwanderung hegen. Nichtsdestotrotz bietet die Diskussion Kathmanns über das Gehen und Bleiben und über den spezifischen Wanderungsprozess differenzierte Hinweise zur Deutung des zugrundliegenden Modells (Kalter 1997) und gleichwohl eine Sensibilisierung für mögliche Bleibetypen und Bleibegründe. Julia Gabler, Raj Kollmorgen und Anita Kottwitz (2016) analysieren Verbleibechancen und Verbleibeprobleme junger und (potenziell) höher qualifizierter Frauen im Landkreis Görlitz.1 Ziel der Untersuchung sind Handlungsempfehlungen für die kommunale Strategieentwicklung zur Erhöhung der Verbleibechancen.2 Mittels verschiedener Formate, wie Werkstätten, Fragebögen, Gespräche und Interviews, werden Wanderungs- und Bleibeperspektiven anhand von drei Altersgruppen unterschieden. •





1

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In der Gruppe der 16- bis 20-Jährigen ist ein zentrales Wanderungsmotiv die persönliche Entwicklung. In diesem Alter geht es um Bildungschancen sowie den Wunsch »Erfahrungen außerhalb des Gewohnten zu machen« (ebd.: 31). Gerade den Männern wird eine hohe Verbleibe- und Rückkehrorientierung bescheinigt. In der Gruppe der 24- bis 29-Jährigen hängt eine Verbleibeneigung insbesondere an den Faktoren Partnerschaft und beruflicher Abschluss. Es bleiben vor allem diejenigen vor Ort, »die in der Region Werte von Gemeinschaft und soziale Nähe zu Gleichgesinnten sowohl im Freundes- und Familienkreis wie über zivilgesellschaftliches Engagement ausleben können« (ebd.: 31). Fehlen allerdings potenzielle Partner:innen und andere Nahbeziehungen, werden Chancen in urbanen Räumen wahrgenommen. 30- bis 40-Jährige befinden sich in der Phase des kritischen Bleibens. In dieser Gruppe finden sich vor allem zugewanderte Personen oder Rückkehrer:innen. Ihre Bleibeorientierung ist nicht abhängig von der Region,

Zu Rurale Geschlechterforschung resp. Rural Gender Studies auch Schmitt (2005), Weber/Fischer (2012), Larcher et al. (2014), Weber (2016), Tuitjer (2018b), Oltmanns (2019). Zu Zukunftsperspektiven für Frauen in ländlichen Räumen vgl. Funk (1993), DangelVornbäumen (2016) oder die Studie SEMIGRA zur genderorientierten Regionalentwicklungsstrategie des Leibniz Instituts für Länderkunde (2012).

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sondern vielmehr von sozialen Beziehungen zur Familie und zum Freundeskreis (ebd.). Die Studie ist außerdem Grundlage einer weiteren Veröffentlichung (Kollmorgen/Voigt/Melzer 2020), in dem einige der zentralen Erkenntnisse sowie deren Schlussfolgerungen wie folgt zusammengefasst werden: • • • • • •

Junge Frauen und Männer wollen bleiben. Frauen haben schlechtere Verbleibechancen. Frauenmangel verstärkt ungünstige Prozessdynamiken. Frauenmangel verändert das Sozialleben in Gemeinden und führt zu neuen Konfliktlinien. Frauenmangel verstärkt intolerante, demokratieablehnende Einstellungen und Fremdenfeindlichkeit. Frauen leisten im Ehrenamt und in der (professionellen) Care-Arbeit einen erheblichen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das soziale Zusammenleben.

Die vorgestellte Studie hat konkrete strategische kommunale Handlungsempfehlungen und -strategien im Fokus. Eine differenzierte theoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Bleibens ist schon aufgrund der Untersuchungsanlage nicht inhärent. Nichtsdestotrotz bietet sie aufgrund des Fokus auf Frauen und ihre Bleibestrategien wertvolle Anknüpfungspunkte. Insbesondere das Ergebnis, dass 30- bis 40-Jährige in der Phase des kritischen Bleibens stehen, ist interessant. Zumal dabei weniger die Region eine Rolle spielt, sondern soziale Beziehungen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Becker et al. (2011).3 Solange Frauen Single sind, entscheiden sie sich eher für die räumliche Mobilität und damit auch für Karrierechancen. Sobald allerdings eine feste Partnerschaft und vor allem ein Leben mit Kindern besteht,

3

In der Untersuchung von Becker et al. (2011) wird mittels postalischer Bevölkerungsumfrage, Onlinebefragung sowie Expert:inneninterviews der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die Lebensform auf die räumliche Mobilität hat. Aufgrund des Schwerpunkts der Verschränkung von beruflicher und räumlicher Mobilität höherqualifizierter Personen (promovierte Naturwissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen) und den wenigen Bezugspunkten zur Immobilität wird diese Arbeit hier nur der Vollständigkeit halber genannt, aber nicht differenziert dargestellt.

Bisherige empirische Befunde

wird dieses Mobilitätsangebot eher abgelehnt (ebd.: 28ff.). Frauen dieser Altersgruppe stehen auch in der vorliegenden Untersuchung im Fokus. Über die Lebenssituation, Wanderungs- und Bleibemotive von Frauen aus ländlichen Räumen gibt zudem eine österreichische Studie Auskunft (Weber/ Fischer 2012, Weber 2016). Mittels Fragebögen sowie Interviews werden klassische Push- und Pull-Faktoren erarbeitet.

Tabelle 5: Push- und Pull-Faktoren Binde- und Wohlfühlfaktoren in der Wohngemeinde

wahrgenommene Defizite

Pull-Faktoren der Zielgemeinde4

»kostengünstiges Wohnen […] altersspezifischen Infrastruktur für die Kinder […] die Nähe zum Arbeitsplatz Atmosphärisches wie Zusammenhalt und Familienfreundlichkeit im Dorf, Sicherheit Raumqualitäten wie großer Garten, gute Luft, geringe Bebauungsdichte, schönes Ortsbild«

»strukturelle Mängel und Ausdünnung des kleinräumigen Arbeitsmarktes weite Wege, die für die Zeit- und Kostenintensität der Alltagsbewältigung verantwortlich zeichnen infrastrukturelle Ausstattungsdefizite wie das Fehlen von beispielsweise ›netten Cafés‹, Bekleidungsgeschäften, Angeboten für die Kinder zur Nachmittagsbetreuung, Fitnessstudios, Tanzlokalen die ›Enge‹ des Dorflebens, die sich in einer als störend empfundenen ›sozialen Kontrolle‹ durch Nachbarn bzw. die Dorfbevölkerung allgemein und die mangelnde Aufgeschlossenheit der Gemeinde gegenüber Zugezogenen im Speziellen manifestiert«

»vielfältiges Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebot […] städtische Annehmlichkeiten, wie etwa das reichhaltige Freizeitangebot (Kino, Disco, Shopping) das passende Wohnungsangebot sowie ein ›Leben ohne Auto‹«

Quelle: Weber/Fischer 2012: 6f.

4

Bei Weber (2016: 228) heißt dieser Punkt: »Vorzüge des Stadtlebens«.

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Ein weiteres Kernergebnis ist, dass sich Frauen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren in einer dynamischen Lebensphase befinden. Abwanderungsüberlegungen basieren hier auf wirtschaftlichen, sozialen und zeitökonomischen Aspekten und sind damit äußerst heterogen. Die Abwägungskonstellationen zwischen Wohn- und Zielgemeinde sind daher so vielfältig, dass es kommunalen Entscheidungsträger:innen schwerfällt, auf bestimmte Standardlebensformen und -stile zu reagieren und auf eine Bleibeorientierung zu fokussieren (Weber 2016: 227). Die Studie beinhaltet neun Typen von Wanderungs- und Bleibeverhalten: (1) Da-Aufgewachsene haben im Vergleich zu den (2) Da-Bleibenden noch keine bewusste Entscheidung für oder gegen den Lebensort gewählt, (3) Rückkehrer:innen werden als ortstreu eingeschätzt, für (4) Zugezogene hingegen hat die Gemeinde bisher keine Rolle gespielt, (5) Multilokale sind Personen, die pendeln, (6) Abwanderungsbereite warten auf eine Absprunggelegenheit und (7) Abgewanderte, haben die Gemeinde bewusst verlassen, (8) sequenziell Abgewanderte sind jene Frauen, die abwechselnd nomadisierende Lebensphasen und Phasen in die Herkunftsgemeinde haben und (9) Rückkehrbereite hegen Gedanken, in die Herkunftsgemeinde zurückzukehren (ebd.: 229f.). Es ist festzustellen, dass Forschungsbedarf in der genaueren Ausdifferenzierung von Personen, die in ländlichen Räumen bleiben, besteht. Vor dem Hintergrund klassischer Migrationstheorien, insbesondere unter Hinzuziehung von entscheidungstheoretischen Modellen, sind die ausgearbeiteten Typen für Handlungsempfehlungen für kommunale Entscheidungsträger:innen vielleicht hilfreich, für eine ausdifferenzierte wissenschaftliche Analyse aber unscharf. So ist möglich, dass (1) Da-Aufgewachsene, (6) Abwanderungsbereite und (9) Rückkehrbereite in einem Typ repräsentiert sein können, als Personen, die auf der ersten Stufe (Wanderungsgedanken) eines Phasenmodells stehen. Darüber hinaus geht es hier im Wesentlichen um Bleibefaktoren. Dem widerspricht die in vorliegender Arbeiter weiterverfolgte These, dass sich das Bleiben nicht allein in Strategien und Motiven widerspiegelt, sondern ein Konglomerat von biographischen, situativen und sozialen Aspekten ist. Wenn an dieser Stelle die Arbeit von Arne Lehmann (2008) erwähnt wird, dann weniger um Forschungsbedarfe anzuzeigen, sondern vielmehr um auf die spezifische Situation von perspektivisch Gebliebenen in MecklenburgVorpommern hinzuweisen. 300 Abiturient:innen an Gymnasien in Mecklenburg-Vorpommern wurden zum Wanderungsverhalten sowie dem Ausmaß

Bisherige empirische Befunde

der Kettenmigration per Fragebogen befragt.5 Zum Teil wird im Ergebnis ein eher negativ besetztes Bild von MV gezeichnet: »Das Land gilt ist [sic!] weder als kulturell besonders attraktiv noch als wirtschaftlich dynamisch.« (ebd.: 68) Zum Verbleib in Mecklenburg-Vorpommern geben drei Viertel der Befragten als Motiv den Studienort an. Über die Hälfte würde wegen möglicher Berufschancen nicht umziehen. Es ist aber auch abzulesen, dass soziale Beziehungen eine enorm große Rolle spielen, in Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben.

Tabelle 6: Gründe in MV zu bleiben (Angaben in %, Mehrfachnennungen) stimme zu

teils, teils

lehne ab

Ausbildungsstelle

60,8

5,9

33,3

Studium

75,4

3,5

21,1

niedrige Lebenshaltungskosten

40

43,3

16,7

weil ich hier zu Hause bin

83,3

10,6

6,1

weil mein Partner hier lebt

64,8

11,1

24,1

weil meine Freunde/Familie hier leben

86,8

10,3

2,9

berufliche Chancen sind wo anders nicht besser

8,8

36,8

54,4

finanziell günstiger, als wegzuziehen

58,5

32,1

9,4

Quelle: Lehmann 2008: 71

Die Studie prognostiziert, dass überproportional viele höher qualifizierte Jugendliche Mecklenburg-Vorpommern verlassen werden (ebd.: 76). Mit Blick auf die perspektivisch Bleibenden zeigen die Ergebnisse der Befragung, dass hier weniger ein einziges Motiv die Bereitschaft zu bleiben ausmacht, sondern ein ganzes Motivbündel, welches sowohl ökonomische als auch soziale Aspekte berührt. Darüber hinaus kommt ein Punkt zur Sprache, der in vielen anderen Untersuchungen nur marginal berührt wird: Über die Hälfte der Jugendlichen gibt an, dass in Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben finanziell günstiger ist.

5

Zum Wanderungsverhalten ostdeutscher Jugendlicher auch Steiner et al. (2004), Schubarth/Speck (2009), Meyer/Miggelbrink/Schwarzenberg (2017).

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Bleiben in ländlichen Räumen

Anders stellt dies Anja Reichert-Schick (2010) da. Hintergrund ihrer Untersuchung ist der Vergleich zweier ländlich-peripherer Entleerungsregionen: die Eifel sowie Vorpommern. Im Analysefokus stehen demographische Bedingungen, die eine Region entweder massiv beeinträchtigen oder aber deren negative Auswirkungen abmildern. Ein Teil der Analyse ist das Thema Umzugsbereitschaft. Auf der Basis von Befragungen sowie qualitativen Interviews zeigen sich u.a. folgende Ergebnisse: 66, 3 % geben an, dass sie »ganz sicher nicht umziehen wollen« (ebd.: 158). Motive für dieses »Bekenntnis zum ländlichen Raum als Wohnstandort« (ebd.: 159) sind weiche Standortfaktoren sowie emotionale Gründe, wie die schöne Landschaft oder aber, weil jemand den Großteil seines Lebens bereits dort verbracht hat. Dieses »Beharrungsvermögen der Bewohner« (ebd.: 160) wird aus zwei Perspektiven erklärt: Erstens, mit einer hohen Verbundenheit mit der Region und zweitens, der Mutmaßung, dass die mobile Bevölkerung bereits abgewandert ist. Unterstützt wird die zweite Vermutung durch den Verweis auf die Definition zur Residualbevölkerung und dem damit einhergehenden Aspekt der »signifikanten Sesshaftigkeit« (ebd.). Um bleibeorientierte Jugendliche geht es auch in der Untersuchung von Stephan Beetz (2009). In Gruppendiskussionen mit 50 Schüler:innen zwischen 16 und 18 Jahren aus dem Landkreis Uecker-Randow (MV) wurden Vorstellungen zum zukünftigen Leben in sowie außerhalb der Region abgefragt. Das Resümee ist eine klare Orientierung der meisten Jugendlichen zur Abwanderung. Zu diesem Ergebnis kommen auch Lehmann (2008) und Becker/Moser (2013: 91) und spezifizieren dies noch: Frauen haben eine überproportional hohe Abwanderungsorientierung. Diese ist laut Beetz (2009) nicht auf eine reine Migrationsorientierung zurückzuführen, sondern vielmehr auf einen hohen Druck bestimmter Migrationsfaktoren wie bspw. die Wahrnehmung territorialer Ungleichheiten. »Nicht die ›Landflucht‹ ist das dominierende Motiv der Abwanderung, sondern soziale Abstiegsprozesse zu verhindern.« (ebd.: 150, H.i.O.) Unterlegt wird dieses Zitat auch durch eine Abfrage der Jugendlichen, deren Ergebnisse die folgende Tabelle zusammenfasst.

Bisherige empirische Befunde

Tabelle 7: Migrationsorientierung bei Jugendlichen Abwanderungsorientiert

Ambivalent

Bleibeorientiert

Zukunft der Region

schlechte Straßen und Wohnungen, schlechtes Schulangebot, mangelnde Freizeitangebote

Arbeitslosigkeit (wenn keine Projekte), alte Leute, Vernachlässigung der Gegend, eingeschworene Gemeinschaft oder: totale Tourismusgegend

alte Menschen, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten, Urlaubsgebiet, Ärztemangel, Schulschließung, Leute aus Großstädten haben Wochenendhaus, viele Arbeitslose, wenig Kinder

Eigene Zukunft bei Verbleib

verheiratet, verbittert, arbeitssuchend, irgendwas ackern, was ich nie wollte, mittellos, immer über Politik aufregen, kleine Wohnung

immer noch im gleichen Dorf, evtl. Job der Eltern übernommen, Eigenheim oder: kleine ländliche Praxis, mich einsetzen für mehr Leben hier, glücklich mit eigenem Haus, Kind, Mann

als Allgemeinmediziner mit eigener Praxis, Familie, Haus, Hund, quengelnde Kinder aufgrund fehlender Freizeitmöglichkeiten und Kinderknappheit

Eigene Zukunft bei Wegzug

verlobt, arbeitend, angemessen wohnen, lebensfreudig, eine Familie gründen, Grundstein für Ausbildung der Kinder legen, Traumjob ausführen

viel in der Welt herumkommen, fester Beruf, der mich vollkommen ausfüllt (zunächst in einer großen Stadt, evtl. nach Jahren zurück zu den Wurzeln), Notärztin in Krisengebieten, feste soziale Beziehungen

meine Zukunft wird gleich aussehen, drum und dran vielleicht attraktiver sein (Umgebung, Leute)

Quelle: Beetz 2009: 144

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Bleiben in ländlichen Räumen

Auffällig ist, dass die eigene Zukunft in einer anderen Region mit positiven Erwartungen assoziiert wird, hingegen das Verbleiben in der Region eher ein negatives, resigniertes Bild ergibt. Darüber hinaus differenziert Beetz (2009: 138) drei Typen von Mobilitätsprozessen, die aus einer räumlichen Perspektive heraus unterschieden werden: •





Ländliche Typik: Charakteristisch ist die hohe »Abwanderung von Jugendlichen in größere Städte, entweder im Nahbereich oder außerhalb der Region. Sie besitzt traditionell große Bedeutung in der Jugendphase […]. Sie ist geprägt durch eine Abwanderung stark urban- und bildungsorientierter Jugendlicher (Lebensstilbezug, berufliche Alternativen), aber auch durch die Rückkehroption in späteren Lebensphasen.« (ebd.: 138) »Die Ostdeutsche Typik besteht in der Auswirkung des Transformationsprozesses, die massive Arbeitsplatzverluste durch Deindustrialisierung und Rationalisierung sowie eine Blockierung der Arbeitsmärkte seit Anfang der 1990er Jahre beinhaltet und zu einer hohen Abwanderung vor allem von Jugendlichen nach Westdeutschland führt. […] Ausgenommen sind ostdeutsche Hochschulstandorte […]. Eine Ausnahme bildet Brandenburg, aus dem etwa ein Drittel der Jugendlichen nach Berlin geht.« (ebd.: 138) Periphere Typik: »[Sie] drückt sich in einer ausgesprochen geringen Zuund Rückwanderung aus. […] Die Lebensqualität, der Veränderungsfähigkeit und der Anschluss an gesellschaftliche Entwicklungen gehen zurück, und selbst in neuen Wirtschaftsbereichen erfolgt eine geringe Wertschöpfung. Neben der sehr hohen Abwanderung von Jugendlichen herrscht eine relativ geringe Zuwanderung in anderen Altersgruppen.« (ebd.: 139)

Markus Wochnik (2014) betrachtet Migrationsentscheidungen von Berufsschüler:innen in einem erziehungswissenschaftlichen Kontext.6 Hierfür werden Jugendliche, die bleiben wollen, in biographischen Interviews befragt. Wochnik konzipiert ein Migrationsmodell, das auf dem Value-Expectancy Based Model of Migration-Decision (Jong/Fawcett 1981) basiert, bindet dazu allerdings noch vier Migrationsaspekte – Mobilitätsfaktoren, Mobilitätsregime, Mobilitätsbeziehungen und Mobilitätsorientierungen (nach Beetz 2009: 140) – sowie die Konzepte Biographie und Habitus ein (Wochnik 2014: 6

Weitere Untersuchungen, die das Bleiben in ländlichen Räumen im Blick haben: Forkel (2019), Kröhnert/Klingholz (2007).

Bisherige empirische Befunde

74ff.). Kernergebnis ist u.a.: Jugendliche revidieren im Berufsorientierungsprozess ihren Berufswunsch zugunsten der Region, der Heimat (so auch Leibert 2020: 202). Analysiert werden habituell begründeten Strategien und Handlungsmuster. Entstanden sind drei Strategietypen: •





Der Heimatverbundene, der sich dadurch auszeichnet, dass eine starke Bindung zur Heimat besteht und sich dieser Bindung weitere Lebensbereiche unterordnen (ebd.: 132ff.). Der Zögerliche, für den charakteristisch ist, dass kaum Strategien des Bleibens ersichtlich sind, sondern sich vielmehr »aus dem spontanem Gefühl heraus« jene Alternative gewählt wird, die den wenigsten Widerstand mit sich bringt (ebd.: 156ff., 180). Der (rationale) Planer fällt durch die vergleichsweise hohe Zielstrebigkeit und das Durchdenken aller Möglichkeiten vor dem Hintergrund eines Strebens nach Integrität sowie sehr viel Selbstsicherheit auf (ebd.: 181ff.).

Letztlich bietet die Dissertation von Markus Wochnik sowohl empirische Anknüpfungspunkte als auch theoretische und methodische Ideen, die eigene Forschungsarbeit zu modellieren bzw. eigene empirische Ergebnisse in Verbindung zu setzen. Insbesondere die Betonung von höchst individuellen, in der Biographie verankerten Mechanismen der Bleibeorientierung, die nur begrenzt als quantitativ messbare Rationalitäten analysiert werden können, sensibilisiert für die Analyse von Migrationsentscheidungsprozessen. Der Unterschied besteht allerdings – neben der Fallauswahl – darin, dass der eigene Fokus auf der Konstruktion des Bleibens liegt, dabei spielen Bleibestrategien auch eine Rolle, aber nicht nur. Vielmehr soll ein phänomenologischer Blick auf Einflussfaktoren und Wirkungszusammenhänge gerichtet werden, der über Berufswahlprozesse hinausgeht. Fragen Beetz (2009) und Wochnik (2014) nach langfristigen Zukunftsperspektiven von Jugendlichen, fokussieren Jan Schametat, Sascha Schenk und Alexandra Engel (2017) konkret »Bindefaktoren zu einem Zeitpunkt, an dem die Migrationsentscheidung von Jugendlichen im ländlichen Raum noch nicht final getroffen wurde« (Schametat/Schenk/Engel 2017: 9). Der quantitativen Hauptstudie ist eine qualitative Vorstudie vorgelagert. Entgegen der Untersuchung von Wochnik (2014) wird hier festgestellt, dass die Jugendlichen die Region verlassen wollen, sofern sich der Berufswunsch nicht erfüllen lässt (Schametat/Schenk/Engel 2017: 118). Als regionale Bindefaktoren für Jugendliche in ländlichen Räumen gelten:

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Bleiben in ländlichen Räumen

• • • •

die positive Bewertung der Region als Voraussetzung die sozialen Kontakte Wer seiner Freizeit einen hohen Stellwert beimisst, will eher bleiben. Je kleiner der Ort, desto größer die Bindungsneigung. (ebd.: 114ff.)

Auch hier streift die Studie nur das eigene Forschungsanliegen. Das Phänomen des Bleibens wird auch hier vor allem aus Bindefaktoren rekurriert und nimmt weniger das Phänomen selbst, den relevanten Raum, noch den Entscheidungsprozess der Frage Gehen oder Bleiben in den Blick. Das ist allerdings wenig verwunderlich, schließlich ist das Ziel der Studie die Entwicklung kommunaler Kommunikationsstrategien, um Jugendliche an die Region zu binden.

Zusammenfassung der Forschungsdesiderate und Schlussfolgerungen Der vorangegangene Überblick über Forschungsarbeiten, ihre Ansätze und Befunde, die im Rahmen der eigen Forschungsfragen von Interesse sind, gilt als Basis und Legitimation der vorliegenden Untersuchung. Im Folgenden wird nochmals und zusammenfassend auf Forschungslücken und Gegenpositionen aufmerksam gemacht, um die Relevanz der eigenen Arbeit zu stützen. In der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur zum Thema fällt auf, dass »[d]ie Immobilen, […] in der Relation [zur mobilen Gruppe] im Sinne eines blinden Flecks überwiegend abwesend sind« (Ebner von Eschenbach 2015: 32). Besonders deutlich wird das in empirischen Arbeiten, die sich zwar mit dem Bleiben als Nichtwanderung beschäftigen, allerdings dies als den eindimensionalen Modus Stay darstellen. Welcher dann wiederum eher ein Nebenprodukt von nicht zustande gekommenen Wanderungen ist (was in der Regel aufgrund der jeweiligen Forschungsfrage per se auch nicht ungewöhnlich ist). So ist es schwer, in der wissenschaftlichen Literatur Arbeiten zu finden, die das Bleiben als »gleichberechtigte Alternative« (Steinführer 2004: 22) zum Gehen fassen oder sogar das Bleiben in den Mittelpunkt stellen. In Studien zum Bleiben in ländlichen Räumen (vgl. Wochnik 2014, Schametat/Schenk/Engel 2017) streifen zwar die Schwerpunktsetzungen – wie Bleibegründe und -strategien sowie Bindungsfaktoren – Formen des Bleibens, aber eine Untersuchung, die spezifisch das Phänomen Bleiben in

Bisherige empirische Befunde

ländlichen Räumen als theoretische Konstruktion im Blick hat, ist auch hier nicht vorhanden. Das Bleiben (oder auch Immobilität bzw. Sesshaftigkeit) kommt dann zur Sprache, wenn es um abgebrochene Wanderungsprozesse geht. Der Status des Bleibens wird in einer Weise besprochen, die das Gehen bzw. die Mobilität stets als Referenz oder Abgrenzung sichtbar macht. Das liegt in der Regel an den inhärenten Forschungsschwerpunkten der jeweiligen Arbeit, macht allerdings auch deutlich, dass hier das Gehen und Bleiben nicht als gleichwertig betrachtet und angesehen wird. Darüber hinaus springt ins Auge, dass sesshaften Personen ein »großes Behaarungsvermögen« (ReichertSchick 2010: 160) unterstellt wird, das latent impliziert, dass dem Bleiben keine bewusste, selbstmotivierte Entscheidung zugrunde liegt. Dazu liegen nur wenig ausdifferenzierte Arbeiten vor. Sofern allerdings doch das Bleiben im Mittelpunkt steht, dominiert eine Orientierung auf Bleibestrategien oder Bleibemotiven (vgl. Beetz 2009, Becker/Moser 2013, Speck/Schubarth/Pilarczyk 2009, Kröhnert 2009, Schametat/Schenk/Engel 2017, Wochnik 2014, Becker 2018). Es besteht in diesen Untersuchungen zwar Konsens darüber, dass nicht allein ein Grund ausschlaggebend für das Verbleiben sein kann, doch das reicht nicht, denn Bleiben als Phänomen ergibt sich nicht allein aus diesen Gründen und Strategien, sondern aus einer Vielzahl von biographischen, sozialen und situativ-kontextabhängigen Aspekten. Solche allein in faktischen Gründen zu beschreiben, erscheint unterkomplex. Gleichzeitig ist auffällig, dass zwar konsensuell ein starres Mover-Stayer-Prinzip negiert, dennoch aber nur marginal die Prozesshaftigkeit des Bleibens betont wird (vgl. Wochnik 2014, Schametat/Schenk/Engel 2017). Bemerkenswert ist zudem die Beobachtung, dass sobald die Aspekte Frauen, Wanderung und Nichtwanderung eine Rolle spielen, das Ziel der Arbeiten eher die Entwicklung kommunaler Handlungsstrategien als die Formulierung theoretischer Befunde im Rahmen wissenschaftlicher Überlegungen ist (vgl. Dangel-Vornbäumen 2016, IfL 2012, Funk 1993, Gabler/Kollmorgen/Kottwitz 2016, Kollmorgen/Voigt/Melzer 2019, Weber 2010, Weber/Fischer 2012). Ausgangspunkt der Arbeit ist die langanhaltende geschlechtsselektive Abwanderung der Frauen aus den ländlichen Räumen in MecklenburgVorpommern. Zwar hat diese Untersuchung weniger die verschiedenen Zusammenhänge, Bedeutungen sowie Auswirkungen der Konstruktion Gender im Blick, dennoch sind ohne Frage auch hier Hierarchien und Stereotype relevant. Schließlich leistet die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion um das Bleiben von Frauen in ländlichen Räumen.

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Bleiben in ländlichen Räumen

Darüber hinaus ist bei der Sichtung der wissenschaftlichen Literatur eines unübersehbar: In der Fallauswahl sind überwiegend Jugendliche bzw. junge Erwachsene vertreten (vgl. Lehmann 2008, Beetz 2009, Kröhnert 2009, Speck/ Schubarth/Pilarczyk 2009, Becker/Moser 2013, Schametat/Schenk/Engel 2017, Wochnik 2014). Das Interesse an dieser Gruppe ist unter bestimmten Gesichtspunkten auch nachvollziehbar. Schließlich sind »in diesem Alter bereits wenige Vorteile in einem potenziellen Umzugsort ausreichen[d], die einen Wohnortwechsel mit sich bringen« (Lehmann 2008: 72). Auch die Statistik zeigt, dass die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen im Vergleich zu anderen Altersgruppen einen ganz wesentlichen Teil der Fortzüge ausmacht (Statistisches Amt 2020: 43). Und dennoch, diese Arbeit beabsichtigt nicht, (mit Blick auf Handlungsimplikationen) daran zu arbeiten, was Personen in ländlichen Räumen hält. Ziel dieser Arbeit ist es, einen empirischen und theoretischen Beitrag zur Klärung der Frage zu leisten, wie das Phänomen Bleiben in ländlichen Räumen konstituiert und konstruiert ist. Die These ist: Es ist dann zu finden, wenn Personen bereits vor der Frage Gehen oder Bleiben standen. Deshalb befinden sich in der hiesigen Fallauswahl Personen im mittleren Erwachsenenalter. Wie im zurückliegenden Kapitel bei der Sichtung der bisherigen Befunde gezeigt, gibt es zum Thema des Bleibens in ländlichen Räumen diverse Forschungslücken, die es zu schließen gilt, aber auch ausbaufähige Anschlussmöglichkeiten.

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Die in den 1960er Jahren entstandene Veröffentlichung The Discovery of Grounded Theory (Glaser/Strauss 1967) ist ein avancierter Klassiker. Anselm Strauss und Barney Glaser präsentierten damit eine gemeinschaftliche Forschungskonzeption, die mittlerweile zum Kanon der qualitativen Sozialforschung gehört (zum historischen Abriss genauer Mey/Mruck 2011). Hintergrund ist eine Praxisstudie über den Umgang mit sterbenden Patient:innen sowie deren Sterbeverlauf. Aus diesem gemeinsamen Vorhaben haben sich zum einen zwei koexistierende Richtungen der Autoren etabliert (Strauss’ Variante: u.a. Strauss 1991, Strauss/Corbin 1996; Glasers Variante: vgl. Glaser 1992, 1998). Zum anderen haben sich unterschiedliche Programmatiken entwickelt, bspw. Clarke/Friese/Washburn (2018) und Charmaz (2014) aber auch Varianten, die eine Kombination mit anderen Verfahren aufweisen, bspw. Hildenbrand (2004) mit der Objektiven Hermeneutik oder Breuer/Muckel/Dieris (2019), die Methoden der Selbstreflexion an die Grounded Theory herantragen. Die vorliegende Untersuchung orientiert sich sowohl methodologisch als auch methodisch an Strauss (1991) Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Darin changiert Strauss zwischen methodologischen Erklärungen, Beispielen aus konkreten Studiensitzungen und wenigen, teilweise ungenauen, Faustregeln zum Verfahren der Grounded Theory. Auf der einen Seite ist dies Abbildung der immanenten Haltung, nämlich die Forschenden zu befähigen einen eigenen Weg der Bearbeitung des Forschungsanliegens zu gehen, auf der anderen Seite bietet es unspezifische Orientierungsverweise dafür. Aus diesem Grund wird zusätzlich Strauss/Corbin (1996) Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung herangezogen: In diesem finden sich genau jene methodischen Vorgehensweisen, die in Strauss (1991) fehlen. Darüber hinaus werden Teile aus Breuer/Muckel/Dieris (2019) Reflexive Grounded Theory herangezogen, schließlich wird dort die Bedeutung des Forschungsfeldes sowie der -interak-

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Bleiben in ländlichen Räumen

tion hervorgehoben und zudem die Rolle der Forschenden im Forschungsfeld für die Erkenntnisbildung betont. Aber was ist eigentlich die Grounded Theory hinsichtlich der theoretischen Grundprinzipien genau? Und welche Ziele lassen sich daraus für das Forschungsanliegen ableiten? Die Grounded Theory bietet eine Methodologie sowie Verfahrenshinweise an, die eine aus den Daten generierte und somit in den Daten begründete Theorie hervorbringt, welche neues Wissen über die soziale Wirklichkeit präsentiert.1 Von Anfang an geht es um die Verschränkung von empirischer Forschung und Theorieentwicklung. Die Grounded Theory stellt keine speziellen Erhebungsverfahren oder Datengrundlagen in den Mittelpunkt, wie es bspw. bei der Narrationsanalyse und dem dafür entwickelten narrativen Interview der Fall ist. Vielmehr folgt die Grounded Theory dem Duktus All is data. Strauss formuliert die ausdrückliche Nichtfestlegung der Erhebungsinstrumente und Daten gar als Voraussetzung: »Aus völlig unterschiedlichen Materialien (Interviews, Transkriptionen von Gruppengesprächen, Gerichtsverhandlungen, Feldbeobachtungen, anderen Dokumenten wie Tagebüchern und Briefen, Fragebögen, Statistiken usw.) werden in der Sozialforschung unentbehrliche Daten.« (Strauss 1991: 25) Die Forschungslogik entspricht einer kontinuierlichen Abfolge induktiven als auch deduktiven Vorgehens. »Wir verifizieren induktiv, was wir deduktiv aufgestellt haben.« (Strauss/Corbin 1996: 90) Wobei an dieser Stelle zu beachten ist, dass Deduktion in diesem Fall nicht per se von einem theoretischen Vorwissen ausgeht. Deutlich wird dies insbesondere im Konzept des Theoretical Sampling – dem Wechsel zwischen Datenerhebung und Hypothesengenerierung sowie anschließender neuer theoriegeleiteter Datenerhebung und Hypothesenüberprüfung bzw. -elaborierung. Der Aspekt des Zusammenspiels von Induktion und Deduktion der Grounded Theory-Konzeption ist dem Strausschem Ansatz zuzuordnen.2 An diesem Diskurs schließt sich die Rolle des Kontextwissens oder auch den Kenntnissen aus Fachliteratur an. Sind diese erlaubt? Dürfen diese von außen herangetragen werden? Was gilt es dann noch in den Daten zu entdecken? Dem Ansatz von Strauss zufolge

1

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Zur Methodologie sowie zum Vorgehen der Grounded Theory ausführlicher: Boehm (1994), Brüsemeister (2008), Mey/Mruck (2011) Przyborski/Wohlrab-Sahr (2014), Strübing (2014), Equit/Hohage (2016), als Audio-Podcast: Muckel/Maschwitz/Vogt (2017). Zum Konflikt zwischen Glaser und Strauss und den Konsequenzen vgl. Strübing (2007), Kelle (2011), Strübing (2014), in Interviewform mit Barney Glaser, Anselm Strauss und Juliet Corbin in Mey/Mruck (2011).

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

können natürliche Phänomen nur dann emergieren, wenn sich diese konzeptuell aufschließen lassen. Angedeutet wird die iterativ-zyklische Konzeption der Grounded Theory. Das heißt, der Erkenntnisgewinn entsteht nicht aus einem linearen Forschungsprozess, sondern in Form eines spiralförmigen Erkenntnisfortschritts durch das Wechselspiel von empirischen und theoretischen Schritten, genauer: Datenerhebung, Analyse, Literaturstudium und Theoriebildung, siehe folgende Abbildung. Diese miteinander verknüpften Modi bieten sich, wie in diesem Forschungsvorhaben, gerade für zunächst unspezifische Forschungsfragen an, in denen noch nicht mal eine Frage im Mittelpunkt stehen muss, es reicht ein Thema.

Abbildung 2: Forschungslogik der Grounded Theory

Quelle: Strübing 2002: 328

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Bleiben in ländlichen Räumen

Przyborski/Wohlrab-Sahr (2014: 199ff.) formulieren fünf Grundprinzipen der Grounded Theory: • • • • •

Wechselprozess von Datenerhebung und Auswertung und Theoretisches Sampling theorieorientiertes Kodieren ständiges Vergleichen Schreiben theoretischer Memos Relationierung von Datenerhebung, Kodieren und Memoschreiben im gesamten Forschungsprozess

Strauss (2011: 74) selbst hebt die Bedeutung des zyklusartigen Vorgehens beim Theoretical Sampling, neben der Art des Kodierens und dem Vergleichen hervor: »Wenn ich nun sagen sollte, was zentral ist, würde ich drei Punkte hervorheben: Erstens die Art des Kodierens. […] Das Zweite ist das theoretische Sampling. […] Und das Dritte sind die Vergleiche […]. Wenn diese Elemente zusammenkommen, hat man die Methodologie.«

Datenerhebungsverfahren Das Forschungsanliegen erfordert, das Bleiben in ländlichen Räumen aus der Perspektive derjenigen Personen zu erfassen, die eine größtmögliche Expertise einbringen: Personen, die selbst in ländlichen Räumen geblieben sind. Es geht darum, zu verstehen und erklären zu können, weshalb bestimmte Perspektiven diesbezüglich eingenommen werden, wie Entscheidungen im Kontext der Biographie getroffen wurden und wie sich im Laufe des Lebens das Phänomen entwickelt hat. Im Zentrum der Forschung stehen daher selbst erlebte Ereignisverkettungen und deren Deutung(en), welche im lebensgeschichtlichen Kontext verstanden werden. Diese werden mittels autobiographisch-narrativem Interview erzählerisch generiert. Daher steht diese Erhebungsmethode im Fokus der Datenerhebung. Wobei das Erkenntnisinteresse aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird, um so ein umfassendes Verständnis zu erlangen. Die Datenerhebung gestaltet sich daher triangulativ aus einem kombinierten Verfahren des Nosing Around, den narrativen Interviews sowie Feldaufenthalten und teilnehmenden Beobachtungen.

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Nosing Around Das Nosing Around ist ein Zugang, der vor allem im Bereich der Ethnographie zu finden ist. Es ist eine spezifische Form der Zuwendung zum Forschungsfeld, wobei diese gewollt wenig strukturiert und wenig kontrolliert ist. Der Stil lässt sich eher beschreiben mit: Schauen, was da ist; schauen, was kommt. Thomas (2019: 52) spricht davon »seine wissenschaftliche Versiertheit und Abgeklärtheit immer wieder zugunsten eines kindlichen Staunens auch über die unscheinbaren Dinge der Welt zurückstellen.« Zwar wird im wissenschaftlichen Kontext erklärt, dieser Zugang brächte keine methodisch kontrollierten Daten hervor, er ist jedoch für die Annäherung an das zu untersuchende Phänomen und die Förderung der theoretischen Sensibilität hilfreich (Breuer/ Muckel/Dieris 2019: 235). Im Rahmen des Forschungsanliegens brachte das Nosing Around weniger handfeste, manifeste Daten hervor. Vielmehr ließen sich Ideen zum weiteren empirischen und methodischen Vorgehen sowie zur Reflexion der Forscherin im Forschungsfeld durch Geschehnisse generieren, die zwischen den Zeilen, auf einer Beziehungsebene bzw. in den Subtexten der Geschehnisse stattfanden. Solche Ereignisse wurden mittels Memos und Fotos festgehalten.

Narrative Interviews Das narrative Interview gilt als fundiertes Erhebungsverfahren der qualitativen Sozialforschung (vgl. Helfferich 2005, Riemann 2006, Küsters 2009, Hopf 2010, Nohl 2017, Misoch 2019). Charakteristisch und von Vorteil ist die Möglichkeit, die Datenerhebung unter natürlichen Bedingungen stattfinden zu lassen und so die echte Kommunikation nur begrenzt zu beeinflussen. Wirksamkeiten sozialer Einflüsse können dem narrativen Interview nicht gänzlich abgesprochen werden. »Ein Interview findet eben nie in einem sozialen Vakuum statt, sondern ist immer eine soziale Situation.« (Maindok 2003: 109) Daher geht es weniger darum, die sozialen Komponenten der Datenerhebung durch das narrative Interview per se zu umgehen, sondern vielmehr den unausweichlichen Charakter zu reflektieren und in der Analyse systematisch in Rechnung zu stellen. In diesem Forschungsvorgehen werden dazu reflexive Methoden der Subjektivitäts-Fokussierung angewandt (Breuer/Muckel/Dieris 2019: 83ff.). Das narrative Interview ist prädestiniert, »Wissen über die elementaren Mechanismen von Verständigung und damit von Gesellschaftskonstruktio-

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Bleiben in ländlichen Räumen

nen« zu generieren (ebd.: 111) und bietet die Voraussetzung des methodisch kontrolliertem Fremdverstehens, das heißt »Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Erforschten ihre Relevanzsysteme formal und inhaltlich eigenständig entfalten können« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 17). Anschlussfähig an diese theoretischen Vorüberlegungen ist das von Fritz Schütze entwickelte Verfahren des autobiographisch-narrativen Interviews (Schütze 1983). Dieses auf lebensgeschichtlich bezogene Fragestellungen basierende Verfahren ist charakterisiert durch das Prinzip der Offenheit (genauer bei Rosenthal 2011: 140ff.) sowohl in der Gesprächsführung als auch hinsichtlich möglicher Auswertungsverfahren. Davon ausgehend, dass mittels des autobiographisch-narrativen Interviews »man (a) durch die systematische Fokussierung auf das Wie zu einem vertieften Verständnis des Was gelangen konnte: also der langfristigen Erfahrungen der Erzähler und der von ihnen erlebten sozialen Prozesse, und dass man (b) dadurch sein eigenes Analyseverständnis explizieren und intersubjektiv kontrollierbar machen konnte« (Riemann 2006: 120, nach Cicourel 1964), ist dieses Verfahren als primäres Datenerhebungsverfahren gewählt worden. Schließlich steht in dieser Untersuchung zwar nicht die Gesamtbiographie im Vordergrund, jedoch Entscheidungsprozesse, Erfahrungsaufschichtungen und Prozessverläufe. Das Phänomen des Bleibens in ländlichen Räumen kann nur lebensgeschichtlich und mit den zusammenhängenden Ressourcen, Gelegenheiten, aber auch Krisen verstanden werden.

Akquirierung der Gesprächspartnerinnen und Interviewleitfaden Die in die Auswertung eingeflossenen 16 Gespräche fanden in der Regel bei den Gesprächspartnerinnen zu Hause statt, zwei Mal am Arbeitsort der Gesprächspartnerinnen und ein Gespräch wurde auf einem Spaziergang – das Baby musste Mittagsschlaf machen – geführt. Durchschnittlich dauerte das Gespräch zwei Stunden, changierte tatsächlich aber zwischen 55 Minuten und 2:50 Stunden. Die Gesprächspartnerinnen wurden über alle Gespräche hinweg einheitlich durch einen offenen Erzählstimulus ins Gespräch geleitet. Dieser lautete beispielsweise: »In meiner Arbeit interessier’ ich mich für Frauen, die aufm Land wohnen und die auch schon immer aufm Land wohnen. Und möchte gern wissen, wie sie aufgewachsen sind, wie sie jetzt leben, wie so die Zukunftsvorstellungen sind. Und Herr Berlin hat mir ja empfohlen, dich anzurufen und mir deine Nummer weitergegeben. Deswegen würde ich das gern von dir wis-

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

sen. Wie bist du denn aufgewachsen, wie sieht’s heute aus? Wie ist alles so gekommen, wie es so gekommen ist?« (Auszug aus dem Transkript von Ines Hohendorf) Folgende Themenschwerpunkte waren im Gespräch vorgesehen: • • • • • • •

Bildungs- und Erwerbsverlauf Familienbildung: Partnerschaft, Kinder, Kinderbetreuung Wohngeschichte Raumbezüge, z.B. Ort/Region, Stadt/Land, Ost/West Freizeit und Hobby/Ehrenamt Alltag Mobilität

Grundsätzlich wurde durch aktives Zuhören darauf geachtet, den Erzählfluss der Gesprächspartnerinnen nicht zu unterbrechen und Schwerpunkte selbst setzen zu lassen. Im Anschluss an die Stegreiferzählung wurden Themen, die sich aus Widersprüchen oder Auslassungen ergaben, in der immanenten Nachfragephase nochmals aufgegriffen. Erst wenn auch in dieser Phase bestimmte Themen von den Gesprächspartnerinnen nicht angesprochen wurden, galt es in einer exmanenten Nachfragephase explizite forschungsrelevante Aspekte anzusprechen. Im Forschungsprozess änderte sich zwar nicht das zentrale Forschungsanliegen, jedoch die Relevanz einzelner Themen, so dass der Leitfaden im Laufe der geführten Gespräche auf Grundlage bereits ausgewerteter Gespräche angepasst wurde. Anschließend wurde die Gesprächspartnerinnen gebeten, einen Datenbogen zu soziodemographischen Angaben auszufüllen. Dieser erhielt neben typischen Angaben zum Alter, Familienstaus, Erwerbsstatus und Fragen zum Einkommen auch Fragen zur Wohnbiographie und der aktuellen Wohnsituation.

Feldaufenthalte und teilnehmende Beobachtung Auch die Feldforschung, insbesondere die Beobachtung und damit eingeschlossen alltagsorientierte Gespräche gehören zum Kanon der Datenerhebung in der qualitativen Sozialforschung.3 Das Verfahren der teilnehmenden Beobachtung unterscheidet sich vom Nosing Around in der Weise, dass der

3

Vgl. hierzu auch ero-epische Gespräche, z.B. in Girtler (2001: 147ff.).

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Bleiben in ländlichen Räumen

Aufenthalt im Feld gezielter stattfindet und Gespräche herausgefordert werden. Das Nosing Around hingegen bietet die Möglichkeit, aus einer stillen Beobachter:innenperspektive dem Forschungsfeld zu begegnen und Geschehnisse auf sich zukommen zu lassen. Feldaufenthalte beinhalten in der hiesigen Untersuchung die teilnehmende Beobachtung sowie Gespräche mit Bewohner:innen der ländlichen Räume. Diese sind systematisch zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Forschungsprozess eingebettet. Bereits vor der ersten Akquise möglicher Gesprächspartnerinnen ging es darum, sich das Forschungsanliegen im Feld zu erschließen. Übergeordnetes Anliegen der Feldaufenthalte waren zwei Aspekte: Erstens, weitere Daten und damit Hinweise zur Klärung des Forschungsanliegens zu generieren. Zweitens ging es darum, das Bewusstsein über die eigene Rolle sowie die Vorgehensweise der Forscherin – die nicht aus dem ländlichen Raum stammt und die sich selbst als Nicht-Gebliebene definiert – zu hinterfragen (Breuer/Muckel/Dieris 2019: 219ff.). Dabei geht es weniger darum, in anonymen Kontexten, bspw. auf der Parkbank, zu sitzen und zu beobachten, sondern sich auf einer kommunikativen Ebene das Feld zu erschließen und dabei authentische Fragen zu stellen (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 143ff.), offen zu sein und mitunter preiszugeben: Ja, ich schreibe eine Doktorarbeit über Personen aus den ländlichen Räumen. Nur, unter diesen Voraussetzungen gilt es, ethischen Anforderungen, die Feldaufenthalte mit sich bringen, zu entsprechen und sie zu gewährleisten, das heißt Würde und Privatsphäre der Bewohner:innen vor Ort zu wahren. Zum Ende der Untersuchung waren die Aufenthalte in den ländlichen Räumen sowie die Gespräche immer dann besonders erkenntnisgenerierend, wenn sie sich als kommunikative Validierung ergeben haben (vgl. Meyer 2018). Forschungsaufenthalte im Feld und damit einhergehende Zaungespräche hatten darüber hinaus im gesamten Forschungsprozess das Ziel, Beziehungen zu Gatekeepern zu entwickeln. Diese Schlüsselpersonen waren dann Türöffner:innen für die Anbahnung weiterer Gespräche. Die Beobachtungen wurden vor allem intuitiv und weniger systematisch in Feldnotizen festgehalten. Diese bestehen aus empirischen Notizen in Form von beobachteten und erlebten Ereignisverläufen, Verständnissen, Geschehenseindrücken, aber auch Anmerkungen zum weiteren methodischem Vorgehen, möglichen theoretischen Hintergründen und Eigenresonanzen in Form von Rollenreflexionen (zur Systematisierung von Protokollen auch: Hildenbrand 1999: 24ff., Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 49ff., Lüders 2010, Rosenthal 2011: 108ff.). Darüber hinaus kamen aber auch Aspekte dazu, die

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

zunächst scheinbar nur wenig mit dem Forschungsanliegen zu tun hatten, sich allerdings im Laufe der Analyse durch die wiederkehrende Heranziehung der Protokolle als wichtige Kontextinformationen herausstellten. Fotos aus den Feldaufenthalten waren Begleitmaterial.

Fallauswahl Die Fragestellungen dieses Forschungsprojektes sind geleitet von verschiedenen sensibilisierenden Konzepten. Zur Erhöhung der eigenen theoretischen Sensibilität sind diese Grundannahmen offen zu legen und einer fortlaufenden Reflexion zu unterziehen. Im Folgenden werden die den Forschungsfragen zugrundeliegenden Vorannahmen in Interdependenz zum Forschungsprozess, angefangen bei der ersten Fallauswahl, beschrieben. Im Sinne der Forschungskonzeption der Grounded Theory-Methodologie ist die Fallauswahl forschungsprozess-begleitend, das heißt, im Sinne des Theoretical Sampling werden Fälle sukzessive miteinander verglichen und die weitere Erhebungsstrategie daraus abgeleitet.4 Im ständigen Vergleich entstehen dadurch relevante Kategorien anhand des neuen Datenmaterials, die zur Entwicklung einer theoretischen Sättigung beitragen. Das Sampling richtet sich hierbei auf bedeutende Merkmale, die entweder relevante Unterschiede (maximaler Vergleich) aufweisen oder aber große Ähnlichkeiten besitzen (minimaler Vergleich). Die Minimierung der Unterschiede zwischen den Fällen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ähnliche Kategorien zu finden sind und dadurch deren theoretische Relevanz (ausführlich: Strauss/Corbin 1996: 148ff.) bestätigt wird. Die Maximierung der Unterschiede zielt wiederum auf eine erhöhte Varianz des zu klärenden Phänomens. Um das empirische Material zu generieren, muss sich zunächst für eine Art und Weise der Datengenerierung sowie der ersten Fallauswahl entschieden werden. So werden nicht zu Beginn der Untersuchung bereits minimale sowie maximale Unterschiede festgelegt, vielmehr geschieht dies durch eine sukzessive Entwicklung kontrastierender Fälle im Verlaufe des Forschungsprozesses.

4

An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass zwar ein fast unüberblickbarer Kanon zum Theoretical Sampling vorliegt. Wie allerdings das Verfahren in Forschungsprozessen konkret abläuft und wie es sich darstellen lässt, ist in der Literatur mit wenigen Ausnahmen, bspw. in Truschkat/Kaiser-Belz/Volkmann (2011) und Dimbath/Ernst-Heidenreich/Roche (2018) kaum zu finden.

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Bleiben in ländlichen Räumen

Beendet wird das Theoretical Sampling, sobald eine bestimmte Redundanz der theoretischen Konzepte erreicht ist. Sind keine Ähnlichkeiten und Unterschiede im Datenmaterial mehr zu entdecken, tritt eine theoretische Sättigung ein (Breuer/Muckel/Dieris 2019: 159). Wann allerdings dieser Punkt erreicht ist, ist nicht einfach zu entscheiden. Es ist »schließlich nicht nur abhängig von den Daten, sondern auch von Auffassungsvermögen und theoretischer Sensibilität der Forscherin« (Kelle/Kluge 2010: 49). Anzumerken sei hier, dass nicht nur eine theoretische Sensibilität (ausführlich: Strauss/Corbin 1996: 23ff., Kruse 2015: 108ff., Breuer/Muckel/Dieris 2019: 160ff.) für die Fallauswahl zuständig ist, sondern auch pragmatische Entscheidungen, die vorhandene Ressourcen betreffen und »als äußerlich und sachfremd zu beurteilen sind« (Breuer/ Muckel/Dieris 2019: 159), bspw. befristete Drittmittelprojekte oder akademische Qualifikationsarbeiten. Am Anfang der Datenerhebung steht eine konzeptuelle Relevanz, die bestimmte Referenzpunkte ausweist. Auf Basis von theoretischen und praktischen Vorkenntnissen werden tentativ erste Vorannahmen abgeleitet, die die Auswahl der ersten Fälle leiten (Kelle/Kluge 2010: 30ff., Strauss/Corbin 1996: 31ff.). Vorwissen gilt in diesem Sinne weniger als gültige Aussagen über das Spektrum des Phänomens, sondern vielmehr »als Anregung zum Nachdenken über die untersuchten Phänomene aus verschiedensten Blickwinkeln zu nutzen, also als Fundus ›sensibilisierender Konzepte‹« (Strübing 2014: 60). Diese Entscheidungen der ersten Fallauswahl werden demnach getragen durch und sind abhängig von den »Zugang, den verfügbaren Ressourcen, Forschungszielen und Ihrer Zeit und Energie« (Strauss/Corbin 1996: 151). Grundgedanke ist dabei jeweils das Entdecken, das heißt, die Fallauswahl muss so viel wie nötig und so vage wie möglich vorab strukturiert werden, um auf der einen Seite eine kritische Distanz zu wahren und auf der anderen Seite sich dem Forschungsanliegen zu nähern (Kelle/Kluge 2010: 28ff.). Die herangezogenen sensibilisierenden Konzepte erhöhen letztlich die theoretische Sensibilität der Forschenden (Techniken zur Erhöhung der theoretischen Sensibilität vgl. Strauss/Corbin 1996: 56ff.). Wie sich zeigen wird, werden die vorab definierten Kriterien der Fallauswahl im Laufe des Forschungsprozesses modifiziert, nehmen an Bedeutung ab bzw. an Bedeutung zu.

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Sesshaftigkeit Zunächst wurde die Definition für mobil der GESIS herangezogen. Demnach werden jene Personen als nicht-mobil bezeichnet, die folgende Kriterien nicht erfüllen: • • •

innerhalb der letzten drei Jahren über eine Distanz von mind. 50 km umgezogen, Fernpendler:innen, das heißt täglich mind. 120 Minuten pro Tag, mind. dreimal in der Woche pendeln, mehr als 60 Übernachtungen im Jahr außer Haus (bspw. Wochenendpendler:innen, Saisonarbeiter:innen, Reisende, Fernbeziehungen (Ruppenthal/ Lück 2009: 1)

Daher war es Teil der Akquisestrategie, jene Frauen anzusprechen, die bereits ihr ganzes Leben in ländlichen Räumen verbracht haben, vorzugsweise an nur einem Ort. So war die Formulierung Ich bin auf der Suche nach Frauen, die schon immer in einem Dorf leben Teil der vielen E-Mails, Anschreiben, Telefonate und persönlichen Gespräche. Schließlich war davon auszugehen, dass aufgrund dieses Charakteristikums zum einen das auferlegte Merkmal von Nichtmobilität und zum anderen die Formulierung »schon immer« den Status der Sesshaftigkeit erfüllt. Im Laufe der Analyse zeigte sich allerdings, dass einige Gesprächspartnerinnen sich als Gebliebene definieren, auch wenn weder die formalen Kriterien der Nichtmobilität (siehe oben) erfüllt sind, noch die Frauen ihr Leben lang ausschließlich in ländlichen Räumen gewohnt haben, geschweige denn an einem Ort. Die formale Definition, die sich die Forscherin aus bestehender Literatur erarbeitet hat, ist für die Gesprächspartnerinnen nur wenig relevant. Aufgrund der fortlaufenden Bilanzierung wurde deshalb im Laufe der Akquise neuer Gesprächspartnerinnen nicht mehr beharrlich darauf bestanden, dass die Personen schon immer an einem und demselben Ort gelebt haben.

Mittleres Erwachsenenalter Ein weiteres Kriterium zieht die Fälle in Betracht, »die das Wissen über Merkmale des Untersuchungsfeldes auf dem Hintergrund des bisherigen Bildes vom Gegenstand (voraussichtlich) erweitern, präzisieren und anreichern, absichern und verdichten oder auch infrage stellen können« (Breuer/

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Bleiben in ländlichen Räumen

Muckel/Dieris 2019: 156). Annahme ist, dass sich Variationen des Phänomens Bleiben bei jenen Personen zeigen, die bereits vor der Entscheidung Gehen oder Bleiben standen. Aus der Wanderungsforschung ist bekannt, dass neben Statusübergängen des Lebenslaufs auch biographische Gelegenheiten eine Mobilitätsentscheidung herausfordern. Das sind bspw. Aspekte der Paarbeziehung, der familiären Situation, erwerbsbiographische Ereignisse oder auch Aspekte der sozioökonomischen Einbindung am Wohnort (Huinink/Kley 2008, Kley 2009). Kriterium ist es demnach, mit den Personen ins Gespräch zu kommen, die bereits eine Form von »Gerichtetheit des Lebens« (Sackmann 2007: 93) erfahren haben und deshalb auch den üblichen Wanderungsentscheidungsprozessen bereits gegenüberstanden, diese allerdings nicht realisiert haben. Deshalb sind Personen des mittleren Erwachsenenalters besonders interessant für die vorliegende Untersuchung.

Geschlechtsspezifische Wanderungen Dass sich in der Fallauswahl nur Frauen befinden, entspringt einem Konglomerat an Begründungen, die gebliebenen Frauen in ländlichen Räumen einen »Interessantheits-Status« (Breuer/Muckel/Dieris 2019: 156) verleihen. Grundsätzlich hat sich das Forschungsinteresse aus einem Blick in die demographische Entwicklung des Landes Mecklenburg-Vorpommern ergeben, insbesondere die Statistiken und Beschreibungen des Krisenszenarios aufgrund der geschlechts-, aber auch altersselektiven Abwanderung seit den 1990er Jahren. An dieser Stelle sei auch auf die Typologie regionaler Geschlechterungleichgewichte (Leibert/Wiest 2014: 29ff.) verwiesen. Für Mecklenburg-Vorpommern ist ein massiver Frauenmangel in allen Altersgruppen charakteristisch. Anschließend an das vorherige Kriterium des mittleren Erwachsenenalters befinden sich Frauen in der Fallauswahl, die zu der Kohorte zählen, die in den 1990er Jahren ungefähr zwischen 18 und 24 Jahre alt waren, die Altersspanne in denen die geschlechtsspezifische Wanderungsintensität am stärksten ausgeprägt war (Kühntopf/Stedtfeld 2012: 13, Leibert 2020). Diese Altersgruppe wird unter dem Begriff der Ausbildungswanderer:innen geführt. Das heißt, eine wachsende Mobilitätsbereitschaft steht mit einem höheren Bildungsabschluss junger Frauen im Zusammenhang. Mit Bezug auf die innerdeutsche Ost-Westwanderung ab den 1990er Jahren wird hier von Brain-Drain gesprochen. Gemeint ist der Verlust des Humankapitals mit Folgen für die regionalen wirtschaftlichen Entwicklungen (Lehmann 2008:

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

16ff., Friedrich/Schultz: 2005). Die auffallend hohe Anzahl von Frauen, die seit den 1990er Jahren abgewandert sind, wird folgendermaßen begründet: • • •

eine geringe Beschäftigungsquote in der Region, die allgemein besseren Schulnoten im Vergleich zu den männlichen Abiturienten und die schlechteren Chancen für einen Ausbildungsplatz (Kröhnert/Klingholz 2007: 59).

Generell entscheiden sich junge Frauen um 1,5 Mal häufiger für einen Wegzug als junge Männer (Kley 2007: 14). Der stärkere Wunsch nach Mobilität weiblicher Jugendlicher zeigt sich auch in der Studie von Becker und Moser (2013: 107). Als wichtiger Grund wird angeführt, dass Mädchen weniger Angebote zur Freizeitgestaltung haben. Das Vereinswesen in ländlichen Räumen ist traditionell eher auf männliche Interessen ausgerichtet, z.B. Fußball, Freiwillige Feuerwehr, Schützenverein, Angelverein (Neu 2016, Leibert/Wiest 2014: 36). Schließlich erscheint die Verwirklichung von Lebensplänen vor Ort deutlich schwieriger umsetzbar. Dabei wird das Bleiben in ländlichen Räumen mit einer bewussten Entscheidung gegen eine berufliche Karriere in Verbindung gebracht. Schließlich ist bekannt, dass »Frauen stärker darunter [leiden], dass ländliche Gesellschaften oft wenig Spielraum für Lebensentwürfe jenseits der Hausfrauen- und Mutterrolle bieten« (Leibert 2011: 22, nach Leibert/Wiest 2011). Es ist daher nicht verwunderlich, wenn »[d]as Verlassen der Heimat […] als ein allgemein akzeptierter Bestandteil der Normalbiografie im jungen Erwachsenenalter betrachtet [wird]« (Leibert/Wiest 2014: 35). Diese gesellschaftliche Erwartungshaltung spüren insbesondere Frauen aus ländlichen Räumen, die ohne konkrete Abwanderungsabsichten bleiben. Die Absicht zu gehen, wird in der Regel ungefragt hingenommen. Warum dann Frauen in der Region verbleiben, verlangt scheinbar eine starke Argumentation der Frauen vor Ort (ebd.). Zudem hatte das beobachtete Interesse der Medien an Gebliebenen in ländlichen Räumen Einfluss auf das Forschungsanliegen. In der medialen Berichterstattung stehen zwar junge Männer, die als »rechtslastige und dem Alkohol zugeneigte Arbeitslose mit geringem Bildungsniveau beschrieben werden« (Leibert 2011: 20) im Fokus des Interesses, Frauen hingegen werden eher mit einem gesellschaftlich akzeptierten, beinahe normativ geforderten Gehen aus den ländlichen Räumen in Verbindung gebracht. Dass sich

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Bleiben in ländlichen Räumen

allerdings Frauen auch bewusst für ein Bleiben in den ländlichen Räumen entscheiden, scheint einer gesellschaftlichen Norm entgegenzustehen. Vor diesen Hintergründen besteht die Annahme, dass dem Phänomen des Bleibens in ländlichen Räumen am ehesten auf die Spur zu kommen ist, wenn Frauen im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Daher ist forschungsleitendes, übergeordnetes Interesse auch, Frauen in ländlichen Räumen in ihrer Vielfalt und Entscheidungskompetenz sichtbar zu machen. Im Wechselspiel mit der Interpretation und Auswertung bereits generierter Forschungsdaten wurden nicht nur Kontrastfälle soziodemographischer Art herangezogen, sondern auch anhand kategorialer Differenzierungen weitere Fälle akquiriert. Damit geht eine ständige »Reflexion über die [Pfadabhängigkeit] der bisherigen Konzeptualisierungsarbeit erwachsenen Relevanzen« (Dimbath/Ernst-Heidenreich/Roche 2018: [20]) einher. U.a. wurden folgende Merkmale kontrastiv herangezogen: Personen, die in einer Großwohnsiedlung wohnen, generell Personen, die zur Miete wohnen, Alleinerziehende, Personen, die Living-Apart-Together-Beziehungen führen, Verheiratete, Personen mit überwiegend instrumenteller Arbeitsorientierung, Personen, die eine Abneigung gegenüber städtischen Räumen haben.

Konkrete Fallauswahl Ausschlaggebend für die Güte der Ergebnisse ist die Fallauswahl. Leitend ist die Frage: »Wie kann sichergestellt werden, dass für die Untersuchungsfragestellung und das Untersuchungsfeld relevante Fälle in die Studie einbezogen wurden?« (Kelle/Kluge 2010: 42). Strauss (1991: 56) geht davon aus, dass »[d]ie Datenerhebung […] nie ganz abgeschlossen [ist], weil durch Kodieren und Memoschreiben immer wieder neue Fragen entstehen, die nur bearbeitet werden können, indem neue Daten erhoben oder frühere Daten von neuem untersucht werden.« Grundsätzlich wird angenommen, dass weitere theoretisch relevante Ähnlichkeiten und Unterschiede im vorliegenden Datenmaterial entdeckt werden können, sofern sich der Analysefokus ändert. Dennoch, das vorliegende Datenmaterial zeigt, unter den hier vorliegenden Bedingungen und der beschriebenen Reichweite, sowohl Redundanz der theoretisch relevanten Konzepte als auch eine interne Konsistenz sowie eine bestimmte Dichte, die unter Heranziehung der letzten Fälle bestätigt wurde. Deshalb wurde nach sechszehn analysierten biographischen Gesprächen eher Wert auf die kommunikative Validierung gelegt. Insgesamt wurde über 60 Kontakten per Telefonat oder E-Mail nachgegangen, darunter Multiplikator:innen, wie Pastor:innen, Vereinsvorsitzende

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

oder Mitarbeiter:innen von Institutionen im Kontext der ländlichen Räume. Darüber hinaus wurden mögliche Interviewpartnerinnen per Posts in SocialMedia-Kanälen, wie Facebook und Ebay-Kleinanzeigen, aber auch per Flyer in Briefkästen und auf unterschiedlichen Veranstaltungen, wie Dorffesten und Landfrauenfrühstücken, angesprochen (zu Kontaktaufnahme, Vereinbarungen, Interviewanbahnungen ausführlicher: Kruse 2015: 250, Rosenthal 2011: 87ff.). Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die soziodemographischen Merkmale der Gesprächspartnerinnen, mit denen biographische Gespräche geführt wurden. In einigen Fällen lassen sich dieselben Personen mehreren Kategorien zuordnen, bspw. sind Frauen gleichzeitig in Elternzeit und selbstständig tätig oder sie sind Alleinerziehende und führen eine LAT-Beziehung (erhalten im Alltag aber keine Unterstützung).

Tabelle 8: Soziodemographische Eigenschaften der Gesprächspartnerinnen Alter

Schulabschluss

Erwerbsstatus

Familienstatus

bis 29

2

30–39

7

40–49

3

50–59

4

niedrig (HS/POS 8 Klassen)

1

mittel (RS/POS 10 Klassen)

6

hoch (Abitur/EOS)

9

Elternzeit

2

angestellt

14

selbstständig

3

ledig mit Partner

4

ledig ohne Partner

4

verheiratet

8

alleinerziehend

3

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Bleiben in ländlichen Räumen

Anzahl der Kinder

Wohngebäude

Besitzstatus für Wohngebäude

0

1

1

5

2

6

3

2

4+

2

Haus

12

Wohnung

4

Eigenheim

11

Miete

2

mietfrei

3

Auswahl der Untersuchungsräume Die ländlichen Räume in Mecklenburg-Vorpommern stehen als Untersuchungsräume im Fokus. Was allerdings ländliche Räume kennzeichnet, ist je nach disziplinärem als auch erkenntnistheoretischem Hintergrund unterschiedlich definiert. In der Literatur dazu fällt auf: Es wird sich auf eine »ausgesprochene Heterogenität ländlicher Räume« (Mose 2018: 1324) geeinigt (vgl. Helmle/Kuczera 2015, Maretzke 2016, Kröhnert 2020). Es gibt nicht den ländlichen Raum. Dies spiegelt sich in der Verwendung der Begrifflichkeit ländliche Räume im Plural wieder sowie auch in dem Versuch einer Differenzierung anhand von Raumtypologien, die wiederum auf verschiedenen und vor allem unterschiedlich vielen Indikatoren beruhen. Die folgende Tabelle verdeutlicht unterschiedliche Klassifizierungen, ohne dass sie den Anspruch der Vergleichbarkeit der Kennzahlen erhebt. Zu sehen ist, wie verschieden hier sowohl das Flächenausmaß der ländlichen Räume (als Anteil an der Gesamtfläche) als auch die Einwohner:innenzahl (als Anteil an den Gesamteinwohner:innen) angegeben werden.

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Tabelle 9: Klassifizierung der ländlichen Räume Raumkategorie

Anteil an Gesamtfläche

Anteil der Einwohner:innen

OECD (OECD 2006: 24ff.)

überwiegend ländliche Räume

mehr als 75 %

etwa ein Drittel

BBSR (Burgdorf et al. 2012, BBSR 2020)

ländlich

60,6 %

18,1 %

Thünen-Institut für Ländliche Räume (Küpper 2016: 27)

sehr ländlich/ eher ländlich

91,3 %

57,2 %

Grundlage für die Entscheidung für bestimmte Orte in der vorliegenden Untersuchung ist die Abgrenzung und Typisierung der ländlichen Räume sowie deren sozioökonomische Lage des Thünen-Instituts für Ländliche Räume (Küpper 2016). •



Indikatoren der Ländlichkeit: »Die Ländlichkeit ist tendenziell umso ausgeprägter, je geringer die Siedlungsdichte, je höher der Anteil land- und forstwirtschaftlicher Fläche, je höher der Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser, je geringer das Bevölkerungspotenzial und je schlechter die Erreichbarkeit großer Zentren ist.« (Küpper 2016: i, auch: 5) Indikatoren der sozioökonomische Lage: Arbeitslosenquote, Bruttolöhne und -gehälter, Medianeinkommen, kommunale Steuerkraft, Wanderungssaldo, Wohnungsleerstand, Lebenserwartung der Frauen und Männer, Schulabbrecher:innenquote (ebd.: 13ff.).

Bei dieser Operationalisierung wird deutlich, dass sowohl statische als auch relationale Konzepte und Kategorien angewendet werden, die sich zur Beschreibung von soziologischen Analysen ländlicher Räume nutzen lassen und dass sie darüber hinaus jene demographischen, ökonomischen und sozialen Faktoren widerspiegeln, die Wanderungsentscheidungen beeinflussen. Nicht nur, dass diese Typisierung als besonders ausdifferenzierte Betrachtung der ländlichen Räume gelten kann, auch der Zugang zu den Daten über Ländlichkeit auf Gemeinde- bzw. Gemeindeverbandsebene sowie hinsicht-

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Bleiben in ländlichen Räumen

lich der sozioökonomischen Lage auf Kreisebene präzisiert die Auswahl der Untersuchungsorte für das Forschungsanliegen. Nach der Typologie des Thünen-Instituts für Ländliche Räume (Küpper 2016) gehört Mecklenburg-Vorpommern auf der Landkreisebene mit Ausnahme des Landkreises Nordwest-Mecklenburg (eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage) zum Typ sehr ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage. Mecklenburg-Vorpommerns ist mit 69 Einwohner:innen pro km2 das am dünnsten besiedelte Bundesland Deutschlands (Statistisches Bundesamt 2019: 26). Dass hier ein besonderer Status aufgrund der demographischen und siedlungsstrukturellen Lage vorliegt, ist u.a. an wissenschaftlichen raumbezogenen Diskursen abzulesen, in denen MecklenburgVorpommern als spezifischer Untersuchungsraum (z.B. in Werz/Nuthmann 2004, Neu et al. 2007, Lehmann 2008, Naumann/Reichert-Schick 2012, Berger et al. 2015, Frenzel 2015, Corthier 2018), aber auch als Vergleichsraum (z.B. in Beetz/Huning/Plieninger 2008, Reichert-Schick 2010, Becker/Moser 2013, Evers-Wölk et al. 2015, Beierle/Tillmann/Reißig et al. 2016, Herget 2015) immer wieder eine Rolle spielt. Die demographische Entwicklung ist stark von der alters- und geschlechtsselektiven Abwanderung charakterisiert. Ist Mecklenburg-Vorpommern noch 1989 bis 1993 von einer übermäßig hohen Abwanderung geprägt, sind die Zahlen 1994 bis 1996 dann wiederum aufgrund der Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost- und Westdeutschland fast ausgeglichen. Ein Wiederanstieg der Abwanderung von 1997 bis 2002 spiegelt das geringe Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland bei konjunktureller Erholung von Westdeutschland sowie die hohe Erwerbslosigkeit wider. Bis 2012 ist das Negativsaldo der Wanderungen auf einem gleichbleibenden Niveau, wobei es starke regionale Unterschiede gibt (Lehmann 2008: 27f.). Die Bevölkerungsentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern ist stark abhängig von den Gemeindegrößen. Sofern Gemeinden aus weniger als 1000 Einwohner:innen bestehen, verzeichnen diese einen negativen demographischem Trend (Statistisches Amt 2017: 48). In den letzten Jahren hat die Abwanderung aus Mecklenburg-Vorpommern an Dynamik verloren. Seit 2013 gibt es in Mecklenburg-Vorpommern einen positiven Wanderungssaldo (Statistisches Amt 2018: 24ff.), welcher allerdings aufgrund des hohen Sterbefallüberschusses auch in Zukunft nicht zu einem Zuwachs der Einwohner:innen führen wird (MEID MV 209a: 12). Seit 1990 sind es besonders Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, die Mecklenburg-Vorpommern verlassen. Als Gründe dafür gelten der »Mangel an

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

frauentypischen Arbeitsplätzen« sowie die »bessere Bildung, [welche] die Abwanderungsbereitschaft [erhöht]« (Lehmann 2008: 34). In der Altersgruppe der 18- bis 35-Jährigen kommen in einige Landkreisen 75 bis 85 Frauen auf 100 Männer, hierzu zählen z.B. Uecker-Randow und Parchim (Kröhnert 2009: 96). Daher ist nicht verwunderlich, wenn im wissenschaftlichen Diskurs auffällt, dass gerade die Abwanderung von Frauen aus den ländlichen Räumen im Fokus steht (vgl. Franke/Schmid 2013, Larcher et al. 2014, Gabler/Kollmorgen/ Kottwitz 2016, Dangel-Vornbäumen 2016, Weber 2016). Nach 1990 gab es einen starken Rückgang der Geburtenzahlen. Dieser erreichte 1994 einen historischen Tiefstand von durchschnittlich 0,75 Kindern je Frau (im Vergleich: 1990 1,64 Kinder je Frau). Diesen Einbruch (in allen ostdeutschen Ländern) bezeichnet Corthier (2020: 391) als »weltweit einzigartig«. Seitdem steigt kontinuierlich das Geburtenniveau und erreichte im Jahr 2006 auch annähernd den Bundesdurchschnitt von 1,33 Kindern je Frau (Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern 2014: 12). Neben einer direkten Abnahme der Bevölkerungszahl wirkt auch die indirekte Abnahme durch regionale Fertilitätsmuster. So hat der Geburtenrückgang seit 1990 dazu geführt, dass entsprechende Jahre später weniger Frauen in Mecklenburg-Vorpommern leben und demnach auch weniger Kinder geboren werden. Im Hinblick auf den Geburtenrückgang hat die geschlechtsselektive Abwanderung von Frauen damit einen entscheidenden Einfluss auf die Bevölkerungszusammensetzung und -entwicklung (Swiaczny/Graze/Schlömer 2008: 188). Das durchschnittliche Alter der Mutter, in dem das erste Kind geboren wird, beträgt in Mecklenburg-Vorpommern 29 Jahre (Statistisches Bundesamt 2021). Frauen in diesem Alter fallen auch in die Kohorte Frauen, die den Hauptteil der Fortzüge aus Mecklenburg-Vorpommern ausmachen (Statistisches Amt 2020: 43). In den betroffenen Regionen werden also zukünftige Generationen gar nicht erst geboren, da die Elterngeneration bereits jetzt schon fehlt. Weiß (2006: 476f.) sieht das anders: Die Bevölkerungsabnahme hänge nicht mit der Geburtenzahl zusammen. Es verblieben in der Region vor allem diejenigen Frauen, die einen kurzen Bildungsweg haben und deren Erstgeburt durchschnittlich früher stattfindet. Darüber hinaus verfügten diese Frauen über eine hohe Wahrscheinlichkeit, mehr als ein Kind im Lebenslauf zu gebären. Für diese Argumentation spricht, dass ländlich strukturierte Gebiete in MecklenburgVorpommern nicht nur eine höhere Geburtenziffer aufweisen, sondern hier auch mehr Mehr-Kind-Familien als in den städtischen Räumen MecklenburgVorpommerns zu finden sind (Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern 2014: 13, Kühntopf/Stedtfeld 2012: 73).

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Bleiben in ländlichen Räumen

Aufgrund der altersstrukturellen Veränderung erhöhte sich die Sterberate ab 1991 kontinuierlich. So waren es 1991 2,9 Gestorbene und 2014 bereits 6,7 Gestorbene pro 1000 Einwohner:innen. Wobei auch die Lebenserwartungen von Männern und Frauen kontinuierlich gestiegen sind (Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern 2016: 21 ff). Die demographische Situation seit den 1990er Jahren hat nachhaltige Auswirkungen auf die sozialen, kulturellen und ökonomischen Situationen vor Ort. Negative Konsequenzen aus der demographischen Entwicklung für die Region folgen dann, wenn es zu dauerhaften Verschiebungen in der regionalen Bevölkerungszusammensetzung kommt (Kühntopf/Stedtfeld 2012: 71). Auch perspektivisch ist davon auszugehen, dass die Bevölkerungsentwicklung bis 2040 um 5 % (gegenüber 2017) abnimmt. Während die nicht ländlichen Räume wie Rostock und Schwerin an Einwohner:innen zunehmen werden, wird es einen besonders hohen Rückgang in den ländlichen Räumen geben (MEID MV 2019b: 4). Die Kommunen sind in der Weise davon betroffen, dass ein Rückgang der Einwohner:innen mit einen Weniger an Einkommen- und Umsatzsteuer der Bürger:innen sowie an Bevölkerungszahlen gebundenen Bundesfinanzzuweisungen einhergeht (Lehmann 2008: 41). Wanderungsentscheidungen werden neben den demographischen auch von lokalspezifischen ökonomischen und sozialen Gegebenheiten beeinflusst. Wirtschaftliche Schwächen, mangelnde Berufsperspektiven und Lohnunterschiede sind Hauptgründe, die über das Gehen oder Bleiben entscheiden (Leibert/Wiest 2014, Kley 2007). Innerhalb Mecklenburg-Vorpommerns, auf Kreisebene, verzeichnet die wirtschaftliche Entwicklung massive Unterschiede. So profitieren die westlich gelegenen Landkreise Nordwestmecklenburg und Ludwigslust-Parchim von ihrer Lage in der Nähe der Metropolregion Hamburg. Insbesondere hochqualifizierte Frauen bleiben nach der Ausbildung in der Großstadtregion mit den besseren Beschäftigungsmöglichkeiten (Geppert/Gornig 2010). Das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für die konjunkturelle Lage steigt in Mecklenburg-Vorpommern seit 1991 zwar kontinuierlich, bildet aber mit den Bundesländern Thüringen und Sachsen das Schlusslicht im bundesdeutschen Vergleich (Statistisches Amt 2020: 294). Der durchschnittliche Bruttostundenverdienst (17,66 €) ist im Bundesländervergleich der niedrigste (für BRD: 22,60 €, ebd.: 367). Schule, Vereine und Orte des Zusammentreffens sind Motoren der sozialen Integration in ländlichen Räumen (Neu/Nikolic 2020). An dieser Stelle zeigt sich eine Wechselwirkung: Abwanderung und damit eine geringe Einwohner:innenzahl bewirken eine geringe Nachfrage jener Institutionen.

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Gleichzeitig erzeugt der Rückgang kultureller und sozialer Orte einen Abbau an Attraktivität – sowohl für neu Zuziehende, aber auch für die Bewohner:innen vor Ort. Seit einiger Zeit ist das ehrenamtliche Engagement verstärkt in den Blick politischer Akteur:innen bei sozial- und raumpolitischen Problemen sowie der Sicherung der Daseinsvorsorge geraten (vgl. Schwarzenberg/ Miggelbrink/Meyer 2017).

Konkrete Untersuchungsräume Die folgende Abbildung zeigt die Wohnorte der Gesprächspartnerinnen anhand oranger Markierungen. Sichtbar ist, dass auf Gemeindeebene der überwiegende Teil der Wohnorte als äußerst ländlich, das heißt sehr dünn besiedelt und peripher gelegen, einzustufen ist. Auf Kreisebene ist darüber hinaus zu verzeichnen, dass, mit Ausnahme eines Ortes (eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage), alle Orte als sehr ländliche mit einer weniger guten sozioökonomischen Lage typisiert werden (BMEL 2020, nach Küpper 2016).

Abbildung 3: Wohnorte der Gesprächspartnerinnen

Quelle: BMEL 2020, eigene Darstellung

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Datenauswertungsverfahren Im Folgenden werden die drei Auswertungsverfahren in Anlehnung an die Grounded Theory-Methodologie mit Fokus auf das anwendungsbezogene Vorgehen der vorliegenden Studie näher erläutert. Es handelt sich dabei um das dreistufige Kodierverfahren der Grounded Theory, Einzelfalldarstellungen, das Memo schreiben sowie der Typologiebildungsprozess.

Das dreistufige Kodierverfahren der Grounded Theory Die geführten Gespräche wurden mit einem Diktiergerät aufgenommen und mittels erweiterter inhaltlicher Transkription (Dresing/Pehl 2018: 23ff.) verschriftlicht. Anschließend wurden die Transkripte in die Datenanalysesoftware MAXQDA eingepflegt und kodiert. Das Kodieren der Daten »stellt die Vorgehensweise dar, durch die die Daten aufgebrochen, konzeptualisiert und auf neue Art zusammengesetzt werden« (Strauss/Corbin 1996: 39). In der Praxis bedeutet dies, dass bestimmten Textabschnitten Kodes zugewiesen werden. Die Datenauswertungsmethode der Grounded Theory bietet drei Kodierarten, die abhängig des Forschungsanliegens genutzt werden können. Sofern bspw. eine deskriptive Analyse in Betracht kommt, kann unter Umständen das offene Kodieren ausreichen, um das Forschungsanliegen zu betrachten. In dieser Untersuchung gilt es aber, ein handlungsorientiertes Modell in Form einer Typologie zu erstellen, mit dem im Weiteren das Bleiben als Prozess erklärt werden kann. Daher wurde das klassische dreistufige Kodierverfahren im Forschungsprozess wiederholt durchlaufen, wozu das offene Kodieren, das axiale Kodieren und das selektive Kodieren gehören. Jedes Phänomen, das in den Blick genommen wird, wird fortlaufend auf Ähnlichkeiten oder Unterschiede hin zu anderen Phänomenen bzw. jenem Phänomen in anderen Fällen hin untersucht, unabhängig davon, in welcher Kodierphase sich das Forschungsvorhaben befindet. Dieses Vergleichen zielt darauf ab, die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Phänomenen herauszukristallisieren, aber gleichwohl das Spezifische an dem jeweiligen Phänomen zu verdeutlichen (Strauss/Corbin 1996: 149 ff, Strübing 2014: 14ff.). Außerdem eröffnen Vergleiche die Möglichkeit, nach gegensätzlichen Formen zu suchen. Das Vergleichen präzisiert das gefundene Konzept und füllt es mit empirischem Gehalt. Ziel ist es, Muster aufzudecken, trotzdem offen zu sein, genau dieses Muster zu hinterfragen. Przyborski und Wohlrab-Sahr

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

(2014: 206) sehen die Auswertung in einer Interpretationsgruppe (vgl. Reichertz 2013, Breuer/Muckel/Dieris 2019: 320 ff, Stamann/Janssen 2019) als probates Mittel, Vergleichshorizonte zu entwickeln. Hiervon wurde mehrfach Gebrauch gemacht.

Das offene Kodieren Diese ersten grundlegenden analytischen Schritte brechen die Daten auf und nehmen mögliche Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Blick, prüfen eigene und fremde Vorannahmen und führen – im besten Fall – zu neuen Fragen.5 Jegliche Interpretationen haben in diesem Stadion einen Stellenwert des Versuchs. Erste Konzepte sind vorläufig. Erst, wenn sich diese im Laufe der Untersuchung bewähren, werden sie Bestandteil der Ergebnisdarstellung. Der eigene Kodierprozess wird in Abbildung 4 verdeutlicht. Die ersten Kodes werden an Textstellen herangetragen und dadurch etikettiert sowie anschließend interpretiert. An jede dieser gefilterten Einheiten werden nun Fragen gestellt, wie bspw.: Was bedeutet »gute dreiviertel Stunde?« Was repräsentiert es? Wie steht es in anderen Fällen mit dem Arbeitspendeln? Das abstrakte Benennen von Kodings ist gerade anfänglich nur schwer von einer reinen Deskription oder reinen Paraphrasierung zu unterscheiden. Kategorien sind keine lapidaren Zusammenfassungen bisheriger Kodes, sondern beinhalten Interpretationen, die in Memos festgehalten werden. Kategorien bestehen aus beschriebenen Eigenschaften und ihren Dimensionen. Diese werden in den ständigen Vergleichen deutlich. Eigenschaften sind dabei die wesentlichen Charakterzüge der Kategorie und gleichwohl theoretische Explikationen. Dimensionen sind charakterisiert durch ihre Anordnung in einem Kontinuum, sie spezifizieren die Eigenschaft der Kategorie. Im Laufe der Interpretation kann sich herausstellen, dass weitere Kategorien zusammengefasst werden und so Sub- sowie Kernkategorien entstehen. So eine gebildete Kategorie ist »Eckstein der sich herausbildenden Theorie« (Przyborski/ Wohlrab-Sahr 2014: 201) und Voraussetzung für das axiale Kodieren (genauer auch Muckel 2011: 333ff.). Den zusammengefassten Kodes wird ein konzeptueller Name zugewiesen.

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Neben den allgemeinen Leitlinien zum dreistufigen Kodierverfahren der Grounded Theory stellt Strauss Faustregeln des offenen Kodierens auf (Strauss 1991: 60).

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Abbildung 4: offenes Kodierverfahren

Quelle: eigene Darstellung

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Die konkrete Bezeichnung von Kodes oder Kategorien wird in der Literatur genau hinterfragt (bspw. in Strauss/Corbin 1996: 49, Strauss 1991: 64, Brüsemeister 2008: 158). So sollen keine Labels verwendet werden, die bereits analytisch zu aufgeladen sind, gleichzeitig sind aber auch In-vivo-Kodes, die am direkten Wortlaut aus dem Datenmaterial anknüpfen, nicht unstrittig – so wie es Oevermann (2001: 66) formuliert: »Wenn man ganz nah am ›Grund‹ sein will, greift man zum Hilfsmittel der ›in vivo‹ Kodierung. Sie ist aber nichts anderes [sic!] als verdoppelnde Paraphrase und zeigt, wie stumpf die Kodierung überhaupt an der Oberfläche der Ausdrucksgestalten herumtastet.« In dieser Untersuchung wurde sehr detailreich, offen und nahe am Text mit den ersten Interviewtranskripten umgegangen. Entgegen der Kritik von Oevermann stellte sich heraus, dass die Verwendung natürlicher Kodes, In-vivo-Kodes, insbesondere in den ersten Kodierungen hilfreich war: Dadurch war es möglich, fallbezogenes Kontextwissen in Vergleichen mitzudenken.

Das axiale Kodieren Das axiale Kodieren fügt nun wiederum die aufgebrochenen Daten des offenen Kodierens zusammen und »dient […] der Verfeinerung und Differenzierung schon vorhandener Konzepte« (Boehm 1994: 130). Der Modus des axialen Kodierens ist immer noch die Entwicklung. Der Fokus liegt auf der Analyse eines theoretischen Beziehungsnetzes durch den Einsatz des Kodierparadigmas (Strauss 1991: 56ff.). Es ist ein Modell, um systematisch über die relevanten Daten nachzudenken und diese in Beziehung zu setzen. Ein Phänomen oder auch eine entstandene Kategorie wird nunmehr auf • • • •

ursächliche Bedingungen den Kontext Strategien sowie Konsequenzen

hin untersucht (zu den einzelnen Aspekten genauer: Boehm 1994: 132, siehe auch die folgende Abbildung). Damit hat das Kodierparadigma »nicht den Status einer kodifizierten Vorgehensweise, sondern den eines Hilfsmittels« (Hildenbrand 2004: 183) und kann dabei als eine Heuristik verstanden werden, welche auf Handlungsprozesse als zentrale Ergebnisform der Grounded Theory abzielt. Die Phase des axialen Kodierens bietet Potenzial, sich jenen Daten zu widmen, die im offenen Kodierprozess auf einer noch unspezifischen Ebene

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entstanden sind. Erkenntnisbereichernd ist der Einsatz des paradigmatischen Modells dann, wenn es auf der Fallebene sehr komplex zu modellieren ist, aber gleichzeitig auf der Phänomenebene unter Einbezug mehrerer Fälle sowohl ein Muster entsteht, als auch neue Eigenschaften sowie dimensionale Einordnungen hervorbringt bzw. Anschlussfragen generiert. Ziel des axialen Kodierens ist die Entwicklung von potenziellen Kernkategorien6 . Eine Kategorie, die sich im Analyseprozess als relevant herausgestellt hat, ist der Familienzusammenhalt. Die vorangegangene Abbildung verdeutlicht das Kodierparadigma anwendungsbezogen und wird im Folgenden sehr verdichtet dargestellt: Charakteristisch in diesem Fall ist eine hohe normative indirekte Verpflichtung (ursächliche Bedingung), die sich auch in anderen Phänomenen auf der Fallebene widerspiegelt. Grund ist die sehr stark durch häufige Krankheitsfälle geprägte Familiengeschichte (Kontext). Der Umgang damit äußert sich durch den hohen familiären Zusammenhalt, konkret bspw. durch bewusst eingerichtete Gemeinschaftszimmer im Mehrgenerationenhaus oder auch die geteilten familiären Sorgearbeiten (Strategie). Folge dessen ist eine vor allem affektive Solidarität durch ein starkes Wir-Gefühl, welches durch Verbundenheit und Zusammengehörigkeit geprägt ist (Konsequenz). Dieses fallspezifische Kodierparadigma gibt Hinweise darauf, dem Bleiben in ländlichen Räumen auf die Spur zu kommen. Es besteht eine Abhängigkeit aufgrund familiärer Bindungen. Das Bleiben in ländlichen Räumen ist insofern nicht allein Folge einer individuellen Entscheidung, sondern wird durch die äußeren Umstände, hier durch die biographisch-familiale Situation, genauer bestimmt. Im weiteren Vorgehen wurde dann geprüft: • • •

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inwieweit dieses Phänomen fallspezifisch ist, welche weiteren Eigenschaften, mithin Dimensionen, phänomen-betreffende Konzepte noch haben können und inwiefern Familienzusammenhalt als fallunabhängige Kernkategorie betrachtet werden kann.

Strauss (1991: 67) listet Beurteilungskriterien auf, wann eine Kategorie als Kernkategorie gilt. Dort werden sie allerdings Schlüsselkategorie genannt.

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Abbildung 5: Anwendungsbeispiel Kodierparadigma

Quelle: eigene Darstellung

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Das selektive Kodieren Mit dem Verfahren des selektiven Kodierens geht ein systematisches und konzentriertes In-Beziehung-Setzen der gewonnenen Kernkategorien einher. Aus der Kategorienliste gilt es, eine Theorie bzw. ein Modell zu entwickeln und in das Forschungsvorhaben zu integrieren oder auch »in eine analytische Geschichte zu übersetzen« (Strauss/Corbin 1996: 117). Das axiale Kodieren liefert dafür die Vorarbeit. Die Analyse findet nunmehr auf einer höheren, abstrakteren Ebene statt. Mögliche Beziehungen zwischen potenziellen Kernkategorien haben sich bereits während des offenen und axialen Kodierens ergeben. Schlussendlich geht es darum, ein »Bild der Wirklichkeit, das konzeptuell, nachvollziehbar und vor allem gegenstandsverankert ist« zu entwickeln (ebd.: 95). Die Ermittlung der Kernkategorie(n) beinhaltet auch ihre Eigenschaften und ihre Dimensionen. Es findet eine Gewichtung zwischen den Kategorien statt. Andere relevante Kategorien fungieren als ergänzende Kategorien in der theoretischen Abstraktion. Sie werden verbunden durch das im axialen Kodieren vorgestellte paradigmatische Modell. Durch die Heranziehung weiterer Daten sollen die Kernaussagen validiert werden. Hier spielen die bereits erwähnten Muster eine Rolle. Diese sollten insofern identifiziert werden, als dass sie es sind, die der Theorie Spezifität verleihen. Diese datenverankerten Entdeckungen gilt es im Weiteren in Form graphischer oder textförmiger Modellstruktur zu entwerfen und darzustellen.

Einzelfalldarstellung Grundlegend für die Analyse der Daten sind auch Falldarstellungen. Diese kommen den später beschriebenen Memos sehr nahe, unterscheiden sich jedoch aufgrund der Nähe am einzelnen Fall. Es sind verdichtete Darstellungen der Gespräche bzw. genauer der dargestellten Biographie und des Lebenslaufs in Bezug auf das Forschungsinteresse. Anfänglich waren die gefertigten Portraits sehr umfänglich. Sukzessive entlang des Forschungsprozesses und des Herauskristallisierens möglicher fallübergreifender relevanter Kategorien konzentrierten sich die Portraits dann aber stärker auf forschungsrelevante Themen im Kontext des Einzelfalls. Bevor sich jedem Fall detailliert genähert wird, noch vor der tatsächlichen Kodierung des Gesprächs, wird sich mit folgenden Fragen auseinandergesetzt: Warum wurde dieses Gespräch geführt? Welche Eindrücke und Vermutungen habe ich bereits jetzt? Hilfreich ist an dieser Stelle das Postscript des Falles. In

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diesem wird jedes geführte Gespräch unverzüglich nach Beendigung der Interviewsituation protokolliert (vgl. Helfferich 2005: 193ff., Küsters 2009: 65f., Breuer/Muckel/Dieris 209: 241ff.). Vermerkt werden außerdem besondere soziodemographische Angaben, bspw. wenn es sich um eine Alleinerziehende handelt, mögliche bereits existierende Kontrastfälle oder ähnliche Fälle, hinzukommen Angaben zum Gespräch, wie »gut geführtes, flüssiges Interview, das nicht belastend ist« (Falldarstellung Daniela Hildebrandt), und bereits an dieser Stelle Anmerkungen zu einem möglichen nächsten Fall. Im Weiteren erfolgt die analytische Abstraktion des Falls in Form einer Falldarstellung parallel zur Analyse der angesprochenen forschungsrelevanten Themen. Mithilfe einzelner Schritte des Auswertungsverfahrens Narrationsanalyse (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 223ff., Kleemann/Krähnke/ Matuschek 2013: 64ff.) wird versucht, sich der Innenwelt der Gesprächspartner:innen, ihren Sichtweisen, Weltbildern, lebensgeschichtlichen Erfahrungen und Deutungen zu nähern. Relevant ist daher die Analyse der Stegreiferzählung und der kognitiven Figuren sowie der Prozessstrukturen des Lebenslaufs (Schütze 1981, 1983, 1984): Die Stegreiferzählung: Die Interviewführung beginnt das Interview mit einem möglichst offenen Erzählstimulus. Dies zielt darauf ab, eine Stegreiferzählung zu initiieren. Im Vollzug von »Stegreiferzählungen des selbsterfahrenen Lebensablaufs« erschließt sich dem Erinnernden in einer analogen Struktur der »Strom seiner damaligen Ereignisse« (Schütze, 1984: 79). Es geht um eine nicht vorbereitete und am ehesten an den Orientierungsstrukturen des faktischen Handelns orientierte Erzählung. Grundlage ist die Homologiethese (Schütze 1984: 78ff.). Es wird davon ausgegangen, dass eine Homologie zwischen der Erzählkonstitution und Erfahrungskonstitution des Erzählers bzw. der Erzählerin herrscht. Die Generierung von möglichst vielfältigen Erzählungen ist zentrales Ziel. Dagegen stehen Argumentationen oder Bewertungen des Erzählers bzw. der Erzählerin in größerer Distanz zur eigenen kognitiven Aufarbeitung des beschriebenen Ereignisses (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 80, kritisch zur Homologiethese: Fuchs-Heinritz 2009: 203ff.). Kognitive Figuren: Schütze geht davon aus, dass »kognitive Figuren elementare Ordnungsprinzipien der autobiographischen Erfahrungsrekapitulation« sind (Schütze 1984: 83). Sie sind konstitutive Bestandteile der Stegreiferzählung. Zu den kognitiven Figuren gehören: •

das Vorkommen der Biographieträgerin bzw. des Biographieträgers und anderen Ereignisträger:innen,

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• • •

eine Abfolge von Zustandsänderungen, das heißt Erfahrungs- und Ereignisketten, der soziale Rahmen, das heißt Situationen, Lebensmilieus, soziale Welten und die Gesamtgestalt der Erzählung (Schütze 1984, Kallmeyer/Schütze 1977: 176ff., kritisch dazu Küsters 2009: 32ff.).

Prozessstrukturen des Lebenslaufs: Diese Prozessstrukturen dienen als heuristisches Hilfsmittel, um einzelne biographische Sequenzen inhaltlich genau zu bestimmen und zu unterscheiden, an welcher Stelle die Gesprächspartner:innen bestimmte Situationen aktiv gestaltet oder reaktiv geduldet haben. Zu den vier Prozessstrukturen gehören: • • •



»Biographisches Handlungsmuster: aktive Gestaltung im Vordergrund – intentionales Prinzip« »Institutionelles Ablaufmuster: Überantwortung an ein institutionalisiertes Muster des Lebensablaufs – normativ-versachlichtes Prinzip« »Verlaufskurve: reaktives Erdulden bzw. Erleiden im Vordergrund – Prinzip des ›Getriebenwerdens durch sozialstrukturelle und äußerlich-schicksalhafte Bedingungen der Existenz‹ (Schütze 1983: 288)« »Biographischer Wandlungsprozess: reaktiv erfahrene, Gestaltungsmöglichkeiten eröffnende Veränderungen der Handlungsbedingungen oder der eigenen Wahrnehmungen und Orientierungen« (Kleemann/Krähnke/ Matuschek 2013: 107).

Im Auswertungsverfahren der Narrationsanalyse lassen sich die herausgearbeiteten Strukturen als Folie über weitere biographische Sequenzen legen, um hier ähnliche oder auch unterschiedliche Handlungsmuster im Rahmen der gesamten Biographie zu deuten. Aufgrund der spezifischen Erkenntnisinteressen sind zwar auch hier biographische Verwobenheiten, die sich in den Deutungen und Einstellungen, aber auch in Handlungsmustern zeigen, relevant; fokussiert im Analyseprozess werden allerdings weniger gesamtbiographischen Verlaufslogiken als spezifische Sequenzen der Biographie. Komplettiert wird die Einzelfalldarstellung durch eine graphische Abbildung des Lebenslaufs. Hierfür werden kurze Notizen zur Herkunftsfamilie (z.B. Anzahl der Geschwister, Berufsstatus der Eltern usw.) gemacht, um anschließend entlang einer Zeitleiste, beginnend mit dem Geburtsjahr der

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Gesprächspartnerin bis zum Zeitpunkt des Gesprächs, folgende Aspekte zu vermerken: • •





Familie/Partnerschaft: Wann wurden ernste Beziehungen wie lange eingegangen? Wann wurde geheiratet? Wann kamen die Kinder? etc. Schule/Ausbildungs- und Erwerbsverlauf: In welchem Zeitraum wurden welche Bildungsinstitutionen (auch an welchem Ort) besucht? Gab es Zeiten der Erwerbslosigkeit? Notiert wurden auch Praktika, Nebenjobs und Auslandsaufenthalte. Welcher Tätigkeit wurde wann, wie lange und wo nachgegangen? Zusätzlich werden Angaben zu Pendelwegen aufgenommen. Wohnbiographie: Wo wurde wie lange und in welcher Form gewohnt? Zusätzlich wird vermerkt, auf welcher Ebene der Ländlichkeit (Küpper 2016) sich der Ort bzw. die Gemeinde befindet. Auch Gründe des Wohnortwechsels werden schlagwortartig beschrieben. Sonstiges: Dieser Punkt bot die Möglichkeit sonstige relevante biographische Aspekte aufzunehmen. In der Regel waren diese Auslöser für Krisen, welche es nachhaltig zu bewältigen galt und die häufig Auswirkungen auf die künftige Gestaltung des Lebens hatten. Hierzu zählen gesundheitliche Einschränkungen, Unfälle, der Tod von nahestehenden Personen, schwierige Konflikte und der Beginn ehrenamtlicher Tätigkeiten.

Memos schreiben Memos gehören zum Standardrepertoire und werden als »Essentials« der Grounded Theory geführt (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 200). Während des Auswertungsprozesses werden Einfälle, Gedanken und Ideen, aber auch erste Analyseergebnisse in Memos festgehalten. Sie können als theoretische Anmerkung zu einzelnen Kodes gefasst werden, aber auch kodeübergreifend Zusammenhänge beschreiben. Ein solches Vorgehen soll die Forschenden dazu zwingen, eine analytische Distanz einzunehmen (ebd.: 207). Memos sind dabei eine Art Werkzeug, das ein Pendeln zwischen den eigentlichen Daten hin zum abstrakten Denken unterstützt (Strauss/Corbin 1996: 170). Das Schreiben von theoretischen Memos fordert, sich von den Daten zu lösen und trägt so dazu bei, nicht auf einem deskriptiven Level der Analyse zu verbleiben. Gleichzeitig bietet das Verfassen von Memos die Möglichkeit, den Forschungsprozess zu dokumentieren und durch ständige rekursive Schleifen reflektierend zu begleiten.

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Das Memo-Schreiben ist vom Verfassen von Beobachtungsprotokollen, den Einzelfalldarstellungen sowie vom Kodieren der Daten zu trennen. Dennoch unterstützen Memos vor allem den Analyseprozess in Phasen des Kodierens. Sie können in ganz unterschiedlichen Arten auftreten: als KodeNotiz, theoretische Notiz oder Planungsnotiz (Strauss/Corbin 1996: 171ff., noch ausdifferenzierter Breuer/Muckel/Dieris 2019: 177). Sie sind anfänglich noch spärlich und wenig ausdifferenziert, werden im Analyseprozess jedoch dichter. An dieser Stelle wird auch das Postulat des ständigen hochfrequentieren Schreibens deutlich (ebd.: 175). Dem folgt auch Strübing, wenn er im Rahmen des Memo-Schreibens erklärt: »Abgesehen von der Ethnographie gibt es im Bereich qualitativer Verfahren keinen Ansatz, der so nachhaltig das Schreiben als methodisches Mittel der Theoriegenese thematisiert wie die Grounded Theory.« (Strübing 2014: 33) Einzelne Memos spielen in dem hier beschriebenen Untersuchungsprozess ganz unterschiedliche Rollen. Viele sind ständige Begleiter, werden permanent fortgeführt, einige werden verworfen, bspw. dann, wenn sich Konzepte als weniger relevant herausstellen. Zudem wurden einzelne Memos gesplittet, wenn sich theoretische Überlegungen soweit ausdifferenzierten, dass es nötig wurde, diese unabhängig voneinander zu betrachten. So z.B. beim Memo »Räumliche Mobilität«: War es anfänglich auf den Vergleich einzelner Fälle zugeschnitten, kristallisierten sich Einstellungen, Sicht- und Deutungsweisen heraus, die kontextunabhängig untersucht werden mussten. Hilfreich war dies bspw. in der Phase des axialen Kodierens, wenn schriftlich versucht wurde, hypothetische Beziehungen zwischen den abstrakten Kategorien zu finden.

Typologiebildung Grundsätzlich ist eine Typologie »das Ergebnis eines Gruppierungsprozesses, bei dem ein Objektbereich anhand eines oder mehrerer Merkmale in Gruppen bzw. Typen eingeteilt wird« (Kelle/Kluge 2010: 85). Dabei geht es nicht primär um das Verständnis für den Einzelfall, sondern vielmehr um das Erkennen von Regelmäßigkeiten, einer bestimmten Ordnung und Strukturierung, um damit einer Verallgemeinerung näher zu kommen. Darüber hinaus ist eine Differenzperspektive charakteristisch für Typologien. Das heißt, das Phänomen des Interesses unterscheidet sich in Merkmalen, aus denen sich mindestens zwei Typen ableiten lassen (Kuckartz 2016: 34ff.). Merkmale sind sich innerhalb eines Typs möglichst ähnlich (interne Homogenität), zwischen den einzelnen

Die Studie als Grounded Theory-Untersuchung

Typen jedoch möglichst unterschiedlich (externe Heterogenität) (Kelle/Kluge 2010: 85). Dabei ist nicht die Häufigkeit bestimmter Merkmalsausprägungen ausschlaggebend und von Interesse, sondern bestimmte Strukturen im Sinne einer Gesetzmäßigkeit zwischen dem fraglichen Phänomen und den aufgestellten Merkmalen. Dieses skizzierte Verständnis kann grundsätzlich auch in nur einem Fall auftauchen und zu einem Typ führen (Wohlrab-Sahr 1994). Charakteristisch für einen Typen in dieser Arbeit ist daher, dass in ihm eine Gesetzmäßigkeit in abstrakter Form zu finden ist, die auch im Vergleich anderer Fälle einer gemeinsamen Struktur folgt. Das Postulat der Grounded Theory ist, dass eine Theorie generiert wird, die in den Daten verankert ist. Dieser Anspruch ist übertragbar auf die inhaltliche Ebene der zu konstruierenden Typologie. Die Merkmale sowie deren Merkmalsraum konstituieren diese Typologie. Es liegt nunmehr nahe, die Bildung der Kategorien im Sinne der Grounded Theory als Grundlage für die Bildung einer mehrdimensionalen Typologie zu nutzen. Merkmale werden schließlich ebenso mithilfe von Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen den Untersuchungselementen konstruiert (Kelle/Kluge 2010: 91ff.), wie es aus der Kategorienbildung durch den ständigen Vergleich (Strauss/Corbin 1996: 149ff.; Strübing 2014: 14ff.) bekannt ist. So ist es möglich, dass Verfahren der Kategorienentwicklung zugunsten einer Typologie zu nutzen, sofern gesättigte Kategorien gewonnen werden, die auch zur Erstellung einer Theorie ausreichend sind (vgl. Kluge 1999; Fleiß 2010: 10 ff; Lampalzer 2014; Eisewicht 2018). Dass eine Typologie zur Ergebnisdarstellung genutzt wird, war nicht von Anfang an klar, sondern entwickelte sich im Analyseprozess durch den ständigen Vergleich sowie das fortwährende Infragestellen. Eine Differenzperspektive findet in der Untersuchung auf der Ebene der Fälle, durch Fallvergleiche bzw. Fallkontrastierungen statt. Einzelne Fälle werden anhand bestimmter Merkmale bzw. Kategorien analysiert und zu polyethischen Typen zusammengefasst.7 Dabei ist der Schritt der Reduktion der im Kodierprozess emergierten Kategorien insofern komplex, als dass viele Merkmale mit vielen

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Grundsätzlich sind der Typologie polyethische Typen (statt monoethischer oder natürlicher Typen) inne, so wie es Kuckartz (2006: 4052) vorschlägt, allerdings mit dem Verweis, dass nicht bereits vorab Merkmale bestimmt wurden, auf deren Basis die Typologiebildung folgte, sondern Merkmale aus der theoretischen Abstraktion im Rahmen des Kodierverfahrens sukzessive emergiert sind.

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Ausprägungen zusammengefasst werden und diese zunächst dennoch falltypisch sein sollen. Ein solches Vorgehen führt zu Typen, in denen die Fälle untereinander zwar besonders ähnlich sind, aber trotzdem ungleiche Merkmalsausprägungen besitzen. Insofern verlagert sich eine Diskussion von den Besonderheiten einzelner Fälle hin zu geeigneten, sich voneinander abgrenzenden Merkmalen. Ziel ist die Beschreibung der empirischen Wirklichkeit mit dem Zweck, einen Vergleichsmaßstab zu erzeugen (Kuckartz 2006: 4051). Dies entspricht auch den Weber’schen Überlegungen zum Idealtypus. Dieser wird »gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jener einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde. In seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankenbilde nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar, es ist eine Utopie« (Weber 1988: 191, zum Idealtypus ausführlich auch Wittek 2006, Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014: 376 ff). In dieser Untersuchung führt das soweit, dass Fälle hinsichtlich einzelner Merkmale auch in anderen Typen vertreten sein können, aufgrund der Gesamtschau des einzelnen Falls und der Orientierung an gewichteten Merkmalen aber dennoch als spezifisch für nur einen Typ gelten.

Die empirische Analyse

Ziel dieser Arbeit ist es, ein möglichst vielschichtiges und detailliertes Bild des Bleibens in ländlichen Räumen zu zeichnen. Charakteristisch für diese Arbeit ist, dass keine konkrete Festlegung von Hypothesen ex ante erfolgt, sondern sich relevante Aspekte im Prozess der empirischen Analyse zeigen. Aufgrund dessen sind die Ergebnisse triangulativ auf unterschiedlichen Analysewegen entstanden. Grundlage ist die generierte Bleibentypologie, die wiederum die Erarbeitung einer Raumtypologie sowie eines Modells der Bleibeentscheidung herausgefordert hat, um auf der einen Seite systematisch dem Forschungsanliegen zu folgen und auf der anderen Seite hinsichtlich bestimmter Aspekte eine empirische Sättigung zu erreichen. Zunächst wird auf der Grundlage relevanter Vergleichskategorien eine Bleibentypologie erstellt, deren Ergebnisse weitere relevante Fragen offenbaren. Mithilfe eines realen Falls, welcher ihr jeweils am nächsten kommt, folgt eine repräsentative Typenbeschreibung. In einem zweiten Schritt gilt es, sich einer Raumtypologie zu widmen. Beide Typologien zeigen, wie unterschiedlich das Bleiben in ländlichen Räumen und auch der relevante Raum für die Gebliebenen gedeutet und praktisch gestaltet wird. Daher werden für jede Typologie zunächst einzeln die am Material entwickelten, abduktiv gewonnenen Kernkategorien vorgestellt, die eine Gruppierung der Fälle sowie eine Analyse der empirischen Regelmäßigkeit zulassen. Anschließend folgt die jeweilige Typbeschreibung unter Bezugnahme einzelner Fälle. In einem dritten Schritt wird die Entscheidung, in ländlichen Räumen zu bleiben, genauer anhand des Entscheidungsprozesses dargestellt. Dazu werden zunächst die relevanten Phasen des Entscheidungsprozesses unter Heranziehung der Sozial-, Sach- sowie Zeitdimension analysiert. Im Folgenden werden dann die empirischen Ergebnisse in ein schematisches Modell über-

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Bleiben in ländlichen Räumen

führt, das unter Bezugnahme der Bleibentypologie als Entscheidungsmodell konstruiert ist.

Typologie des Bleibens Kategorien zur Erfassung des Bleibens in ländlichen Räumen Aus dem empirischen Material sind vier Kernkategorien entstanden, die fallübergreifend relevant sind, um einzelne Typen näher zu erläutern, aber auch zu unterscheiden. Die Gruppierung in Form von Kategorien erfolgt in der Weise, dass eine interne Homogenität auf der Ebene des einzelnen Typen sowie eine externe Heterogenität auf der Ebene der gesamten Typologie entsteht (Kelle/Kluge 2010: 85). Kernkategorien der Bleibentypologie sind: •

Verorten − − − −



Räumliche Mobilität − −

• •

Rechtfertigung des Bleibens Verhandlung der Frage: Gehen oder Bleiben? Unterscheidung: Ich und die Anderen im relevanten Raum Strategien des Bleibens

Einstellungen zum Pendeln Einstellungen zum Gehen

Städtische Räume Gründe des Bleibens

Die Kategorien unterscheiden sich nicht nur inhaltlich, auch ihre Bedeutung innerhalb des Sets des Bleibens ist ungleich (vgl. Kluge 2000: 51, Fleiß 2010: 8ff.). Die Kernkategorien Verorten, räumliche Mobilität sowie die städtischen Räume beinhalten bestimmte Einstellungen, die wiederum mit Wahrnehmungen, Vorstellungen sowie auch Verhaltensweisen der Gesprächsteilnehmerinnen erklärt werden. Gänzlich anders konstruiert, aber nicht weniger konstitutiv, ist die Kategorie Gründe des Bleibens. Hier versammeln sich im

Die empirische Analyse

Wesentlichen Erklärungen, die einen statischen Gehalt haben, nämlich konkrete Gründe zu bleiben und ihre Repräsentationen im Gespräch. Zwischen allen Kernkategorien gibt es Verflechtungen.

Verorten Die Kernkategorie Verorten nimmt in der Bleibentypologie einen großen Stellenwert ein, ihre Qualität beeinflusst maßgeblich das Bleiben. Um das Verorten der Gesprächspartnerinnen zu verdeutlichen, sind eine Reihe unterschiedlicher Subkategorien maßgeblich. Erst in ihrer Verbindung zeigt sich das Bild, welches für einzelne Typen charakteristisch ist. Es zeigt sich, dass ein Verorten nicht notwendigerweise verbunden ist mit dem konkreten, physischen Ort, sondern vielmehr mit dem Raum, dem sich die Gesprächspartnerinnen selbst zugehörig fühlen und der für sie bedeutsam ist. Das heißt nicht, dass Dinge, wie bspw. die architektonische Umgebung oder die Distanz zum nächsten Supermarkt, nicht relevant sind, aber vielmehr sind sie das Ergebnis von Zuschreibungen und sozialen Handlungen (vgl. Becker 2019). Das Verorten deckt vielschichtige Verflechtungen zum relevanten Raum aufgrund biographischer Relevanzen auf, z.B. familiengeschichtliche Erlebnisse und die Begegnung mit diesen in lokalen Alltagskontexten. Es geht um die Wahrnehmung und das (Er-)Leben des relevanten Raumes sowie um die Erfahrungen, die in ihm im Laufe der Biographie gesammelt werden. In den Erzählungen der Gesprächspartnerinnen sind Orte stets Teil der Rekonstruktion ihrer Biographie. Deutlich wird dies durch die unterschiedliche Relevanz der Rechtfertigung, in ländlichen Räumen zu leben. Die Frage über das Gehen und Bleiben zu bestimmten Statuspassagen wie Ausbildung, Lösung vom Elternhaus oder Partnerschaft spielt eine wesentliche Rolle. Wird diese stets verhandelt? Und welche Begründungen in Form von Legitimation durch individuelle, soziale oder biographische Erfahrungen in Verbindung mit den ländlichen Räumen werden herangezogen? Das Verorten stellt daher eine Art Bindung zum Raum dar, die je nach Typ der folgenden Typologie eine andere Qualität bzw. ein anderes Stadium der Mitgliedschaft aufweist. Die für das Verorten relevanten Räume konstituieren sich u.a. aus anderen Akteur:innen sowie den sozialen Beziehungen untereinander. Es wird dadurch deutlich, dass Inklusion in bestehende (Beziehungs-)Strukturen für die Gesprächspartnerinnen wichtig ist. An dieser Stelle steht die Frage nach dem Wie im Mittelpunkt. Nutzen die Gesprächspartnerinnen Strategien, um das gewünschte Stadium der Mitgliedschaft im relevanten Raum zu erreichen? Und wenn ja, welche? Wie werden diese beschrieben? Ziel der Strategien ist in

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Bleiben in ländlichen Räumen

der Regel eine gewünschte Anpassung an das wahrgenommene, vermeintlich vorherrschende System von Regeln und Gewohnheiten, die das Zusammenleben und Verhalten sowie die Beziehungen untereinander im Raum definieren. Wenn gezielt Strategien des Verortens im Material zu entdecken waren, sind dies in der Regel Strategien der Anerkennung oder aber eine Konstruktion von gedeuteter Normalität. Das heißt, es wird versucht, sich dem vermeintlich Typischen des Ländlichen anzupassen, um nicht aufzufallen. Der Grad der Relevanz dieser Kategorie kommt durch die Erzählungen der Gesprächsteilnehmerinnen in der alltäglichen Auseinandersetzung zwischen ihnen, den Bewohner:innen und dem relevanten Raum zum Ausdruck. Das heißt, ob und inwieweit Unterschiede und Gemeinsamkeiten thematisiert werden, definiert diese Kategorie. Die gefilterten Eigenschaften für die Analyse erstrecken sich zwischen Erzählungen, in denen sich die Gesprächspartnerinnen als ausgeschlossen oder aber als eingeschlossen von dem relevanten Raum wahrnehmen. Oder anders: Ob und inwieweit sich die Gesprächsteilnehmerinnen als gleichwertig zu anderen Bewohner:innen beschreiben oder aber eine Distanz wahrgenommen wird. Wesentlich sind das Gefühl und auch die Realisierung der Zugehörigkeit und den damit einhergehenden sozialen Interaktionen. Je nachdem werden unterschiedliche Strategien genutzt – oder nicht, um den gewünschten Grad der Mitgliedschaft zu erreichen.

Räumliche Mobilität Aus den Strategien sowie Ursachen des Verortens ergeben sich Konsequenzen. Grundlage hierfür ist u.a. die Bewertung der Infrastruktur der unterschiedlich genutzten Räume. Vor dem Hintergrund der öffentlichen, über die Wissenschaftsgemeinde hinausgehende Diskussion zum Thema ländliche Räume und Mobilität ist es nicht verwunderlich, dass dies auch in den geführten Gesprächen häufig angesprochen wurde und maßgeblich das Bleiben beeinflusst. Dabei geht es zwar auch um die Erreichbarkeit von Nahversorgung, Kultur- und Freizeitveranstaltungen oder Freund:innen, vielmehr ist allerdings das Thema Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort für die Gesprächspartnerinnen relevant. Das Pendeln zwischen dem Wohnort sowie dem Arbeitsort – unabhängig seiner Raumbeschaffenheit – wird als erwartbarer und integrativer Bestandteil des Alltags in ländlichen Räumen wahrgenommen. Das betrifft weniger die Überwindung einer bestimmten Strecke oder Zeit, sondern vielmehr die Beweglichkeit zwischen Wohnung und Arbeitsstelle und damit auch die erzwungene räumliche Trennung zwischen

Die empirische Analyse

den Tätigkeiten im Wohnort und der Erwerbsarbeit an einem anderen Ort. Für die Betrachtung dieser Kategorie ist zu erwähnen, dass die Gesprächsteilnehmerinnen alle einen Zugang zu Mobilitätsformen haben, jede besitzt ein Auto bzw. in den Familien ist ein Auto vorhanden. Damit einhergehen auch Kenntnisse und Fähigkeiten im Hinblick auf die Nutzung des Autos, das heißt, alle besitzen einen Führerschein. Und dennoch ist die Bewertung dieser Mobilitätsoption gänzlich unterschiedlich (vgl. auch Kaufmann/Bergmann/Joye 2004; Bonß/Kesselring 2001) und ausschlaggebend für die Typenbildung. Die Einstellungen oszillieren in den Gesprächen zwischen den Polen Pendeln als beschwerlich und Pendeln als Erleichterung. Um das Bleiben in ländlichen Räumen und die dahinterliegenden Strukturen zu erklären, spielt die Einstellung gegenüber dem vermeintlichen Gegensatz, das Gehen in städtische Räume, eine notwendige Rolle. Auch diese Kategorie ist abhängig von einem gewissen Grad der Verortung im relevanten Raum. In der Regel assoziieren die Gesprächspartnerinnen mit Gehen einen Umzug an einen Ort, der weniger eine bestimmte territoriale Distanz, sondern vielmehr eine bedeutsame Entfernung beinhaltet. In der Regel ist das ein Umzug in den städtischen Raum. Eben diese bedeutsam entfernten Orte haben etwas gemeinsam mit einer positiven oder negativen Fremde sowie einer alltäglichen Veränderung. Deshalb ist es auch nicht überraschend, wenn das Gehen insbesondere zu jenen biographischen Gelegenheiten thematisiert wird, die einen Umzug, mindestens als Gedankenspiel, herausfordern, bspw. zum Zeitpunkt der Ablösung aus dem Elternhaus oder im Rahmen der Partnerschaft. Interessant ist an dieser Stelle die zeitliche Perspektive des Gehens. So schließt das Bleiben in den ländlichen Räumen ein temporäres Gehen ein: Gesprächspartnerinnen bezeichnen sich als Gebliebene, auch wenn sie zeitweise nicht in ländlichen Räumen gelebt haben. Hier wird der Aspekt bedeutsame Entfernung noch mal relevant, schließlich pflegten die Gesprächspartnerinnen, die vorübergehend nicht im ländlichen Raum gelebt haben, weiterhin soziale Beziehungen zu Personen aus diesen. Beziehungen zum sozialen Umfeld wurden weiterhin aufrechterhalten und aktiv in Anspruch genommen.

Städtische Räume Eine enge Verknüpfung besteht zwischen dem in dieser Arbeit definierten Gehen und den Gefühlen, Wahrnehmungen und Vorstellungen von städtischen Räumen. Dabei ist eine Definition von städtischem Raum (ebenso wie von ländlichem Raum) nicht auf quantitative Kennzahlen zurückzuführen, so werden z.B. Orte mit 5.000 Einwohner:innen Funktionen und Charakte-

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Bleiben in ländlichen Räumen

ristika einer Stadt zugeschrieben. Das betrifft Aspekte wie die Atmosphäre, die wahrgenommene Verfügbarkeit von Nahversorgung, Freizeit- und Kulturangeboten sowie die Vorstellung über die Realisierung von Beziehungen und die Pflege sozialer Kontakte. Damit einhergehen auch Vorstellungen über vermeintlich typisch städtische Verhaltensweisen, bspw. saubere, ordentliche Kleidung zu tragen. Hinzukommt, dass städtische Räume auf der einen Seite negative bzw. positive Referenzfolien darstellen, um über den eigenen Lebensraum zu sprechen und damit einen gewissen Grad des Verortens hervorzuheben. Auf der anderen Seite changieren Einstellungen gegenüber den städtischen Räumen zwischen Formen von Abhängigkeit, Irrelevanz und Abneigung.

Bleibegründe Für das Bleiben in den ländlichen Räumen sind nicht per se statische Aspekte relevant, gemeint ist das lapidare Aufzählen von Ursachen, vielmehr geht es um die Repräsentation und die Verhandlung dieser Aspekte im geführten Gespräch. In der vorgelegten Bleibentypologie beinhalten die Gründe biographische Pfadabhängigkeiten, die wahrgenommene Atmosphäre der ländlichen Räume, Aspekte der Bedürfnisbefriedigung, die aufgrund der vorhandenen Struktur der ländlichen Räume gegeben sind, sowie äußere Faktoren, die keine eigenen, selbstgewählten Gründe des Bleibens zulassen, sondern auf einer Abhängigkeit von Anderen in der Entscheidung zu bleiben beruhen. Dass hier die Bleibegründe nur ein Merkmal unter vielen ist, ist auch ein Alleinstellungsmerkmal dieser Arbeit im Vergleich zu anderen empirischen Arbeiten zum Thema (vgl. Wochnik 2014, Schametat/Schenk/Engel 2017), denn sie geht davon aus, dass nicht die Gründe alleinige Erklärung für die Bleibenskonstitution sein können, es sind vielmehr das Zusammenspiel unterschiedlicher Aspekte und die Betonung der Prozesshaftigkeit.

Drei Typen des Bleibens Im Weiteren erfolgt eine ausführliche Typenbeschreibung auf der Grundlage der vorher differenziert aufgestellten Kategorien und ihrer Eigenschaften. Mithilfe von Erzählsequenzen soll auch ein Einblick in den Kodierprozess gewährt werden. Die Differenz der Kategorien auf der Ebene der gesamten Typologie bildet gleichzeitig die Grenze zwischen den einzelnen Typen. Innerhalb der Typen besteht eine Art Homogenität, die jene Fälle zusammenhält. Dabei geht es weniger um einzelne biographische Verläufe, sondern um konzeptuelle

Die empirische Analyse

Vorstellungen bestimmter Phänomene, die sich in den Eigenschaften der Kategorien widerspiegeln. Und dennoch besteht innerhalb der einzelnen Typen eine Varianz. Einzelne Fälle in den Typen sind nicht deckungsgleich, ähneln sich teilweise nur oder besetzen gar Zwischenpositionen auf der Ebene der Typologie. Es gibt demnach in der Typologie keinen realen Fall, der einen Typen klar und deutlich wiedergibt. Ziel der Typologie ist die Beschreibung der empirischen Wirklichkeit mit dem Zweck, einen Vergleichsmaßstab zu erzeugen. Die Fälle lassen sich auf einem Kontinuum des Bleibens in ländlichen Räumen sortieren. Das Kontinuum erstreckt sich zwischen den Polen des offensichtlich kritischen Bleibens sowie des selbstverständlichen Bleibens. Förmlich fordern diese zwei unterschiedlichen Pole zwei trennscharf voneinander abgegrenzte Typen. In der vorgelegten Typologie kommt es allerdings zu drei Typen, denn das kritische Bleiben selbst lässt sich noch einmal wesentlich unterscheiden in kritisch-positives sowie kritisch-negatives Bleiben. Das kritische Bleiben meint eine alltägliche Auseinandersetzung, eine kritische Reflexion eigener Denk- und Handlungsweisen der Gesprächspartnerinnen im Kontext des Bleibens in ländlichen Räumen. Im Globalen bedeutet dies eine bestimmte Art Zuwendung zu sich selbst, im Konkreten – und wie es in dieser Arbeit genutzt wird – steht an dieser Stelle eine reflexive Verbindung von sich unter Verweis auf die ländlichen Räume, genauer: auf die für die Gesprächspartnerinnen relevanten Räume. Das heißt: Fälle, die sich der Ausprägung kritisches Bleiben zuordnen lassen, sehen bewusst eine Relation zwischen sich und den ländlichen Räumen. Allerdings unterscheidet sich dieses Bewusstmachen nochmals grundlegend: Die Zuordnung zu den Kritischpositiven Bleiberinnen sowie Kritisch-negativen Bleiberinnen basiert zwar auf ähnliche Repräsentationen des Bewusstseins bzw. -machens über sich und andere in ländlichen Räumen, in der Ergebnisdarstellung dieser Reflexion tauchen allerdings zwei unterschiedliche Vorzeichen auf. Die Kritisch-positiven Bleiberinnen stehen dem Leben in den ländlichen Räumen, in der Vergangenheit, gegenwärtig und perspektivisch, positiv gegenüber und zwar aufgrund einer wahrgenommenen und praktizierten reziproken Beziehung. In einem übertragenen Sinne geben die Gesprächspartnerinnen den ländlichen Räumen etwas, z.B. durch Engagement, Beziehungspflege vor Ort, die positive Einstellung gegenüber diesen Räumen bis hin zur Verteidigung des Bleibens gegenüber Dritten. Und gleichzeitig geben die ländlichen Räume und das Bleiben etwas zurück. Dieses Etwas spiegelt sich (zwar auch, aber weniger bedeutsam) in ihrer konkreten Gestalt, ihrer Hardware durch Infrastruktur, Architektur oder Natur wider, aber viel eher

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Bleiben in ländlichen Räumen

noch in der Software – gemeint sind die ländlichen Räume als Träger von Bedeutungen. Konträr dazu sind die Kritisch-negativen Bleiberinnen. Auch hier gibt es einen reflexiven Umgang mit sich in den ländlichen Räumen, allerdings ist die Ergebnisdarstellung negativ ausgeprägt. Dieser Typ möchte am liebsten fort. Gesprächspartnerinnen kommen hier zum Schluss, dass das Bleiben in ländlichen Räumen eher einer Duldung gleicht. Das Gehen aus den ländlichen Räumen erscheint als gewünschte Alternative, die allerdings, z.B. aufgrund eines sozialen Konflikts, nicht realisierbar ist. Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich die Selbstverständlichen Bleiberinnen. Charakteristisch ist eine ausgesprochene Selbstverständlichkeit, in ländlichen Räumen zu bleiben, eine hochgradig unbestimmte und vor allem unbewusste Auseinandersetzung mit sich in den ländlichen Räumen. Ein bestimmter Sinn, eine bestimmte Berechtigung in ländlichen Räumen zu leben, zu wohnen und zu wirken, wird von den Gesprächspartnerinnen dieses Typs als selbstverständlich und unhinterfragbar dargestellt und praktiziert.

Tabelle 10: Bleibentypologie Typ/Kategorie

Kritisches Bleiben in ländlichen Räumen

Selbstverständliches Bleiben in ländlichen Räumen

Typ Kritischpositive Bleiberin

Typ Kritischnegative Bleiberin

Typ Selbstverständliche Bleiberin

Rechtfertigung

rechtfertigt sich, Ergebnis: positiv

rechtfertigt sich, Ergebnis: negativ

rechtfertigt sich nicht

Verhandlung der Frage Gehen oder Bleiben?

in der Biographie stets präsent und verhandelt

Verorten

in der Biographie nur marginal präsent, kaum verhandelt, wenn, dann abgelehnt

Die empirische Analyse

eine Unterscheidung zwischen Ich und die Anderen

unterscheidet zwischen ich und den Anderen

keine Unterscheidung

Strategien des Bleibens

bewusst geplante Strategien

keine bewusst geplanten Strategien

Pendeln

als Entlastung, Erleichterung wahrgenommen

zwischen Pragmatik und Belastung

Gehen

positiv besetzt

positiv besetzt, als Anliegen formuliert

wird kaum verhandelt, wenn, dann abgelehnt

als Bereicherung

als Bereicherung, Sehnsuchtsort formuliert

in jeglicher Charakterisierung abgelehnt

allumfassend positiv, ständige Repräsentation

auf manifester Ebene positive Gründe, auf latenter Ebene negative Gründe

allumfassend positiv, nur marginale Repräsentation

Räumliche Mobilität

Städtische Räume

Bleibegründe

Typ Kritisch-positive Bleiberin Das Thema Bleiben in den ländlichen Räumen ist in den Gesprächen omnipräsent. Charakteristisch ist, dass sich im Laufe der Biographie Einstellungen gegenüber dem Phänomen Bleiben in ländlichen Räumen positiv verstärken. Kennzeichnend für Gesprächspartnerinnen dieses Typs sind aber auch Phasen im Lebenslauf, in denen die ländlichen Räume keine große Rolle spielen, z.B., wenn für die Ausbildung die städtischen Räume aufgesucht werden. Doch perspektivisch gedacht, blieb der Wunsch nach dem Lebensmittelpunkt in den ländlichen Räumen stets bestehen. Daher versammeln sich in diesem Typus auch jene Gesprächspartnerinnen, die sich als Gebliebene verstehen, auch wenn sie bereits einen Alltag in städtischen Räumen hatten. Wie bspw. Ines Hohendorf, die davon berichtet, dass sie für die Ausbildung

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Bleiben in ländlichen Räumen

nach [Millionenstadt] gezogen ist, sich dann aber den ländlichen Räumen wieder zugewandt hat: »Also, alles in allem, hab’ ich, glaub’ ich so sechs, sieben Jahre denn so [Millionenstadt] und bisschen mit Rumreisen halt so, diese Zeit waren so sechs, sieben Jahre würd’ ich sagen. Ja, das war eigentlich alles ganz cool, aber ich hab’ dann auch in [Millionenstadt] schon wieder gemerkt: Oh, irgendwie fehlt mir so die Natur, ne?« Dieses Phänomen, sich als Gebliebene zu definieren, obwohl man bereits in städtischen Räumen lebte, wurde bereits in der Forschungsphase der Akquise der Gesprächspartnerinnen für die vorliegende Arbeit deutlich. So war es mein Anliegen, und so habe ich es in den Vorgesprächen stets verdeutlicht, mit jenen Frauen sprechen zu wollen, die schon immer in ländlichen Räumen wohnen, vorzugsweise am selben Ort. Daraufhin meldeten sich Gesprächspartnerinnen dieses Typs, die städtische Räume nicht nur als etwas Außeralltägliches wahrnehmen, sondern auch ihren Alltag sowie soziale Beziehungen dort verorten und die sich bewusst dafür entschieden haben, in städtischen Räumen zu leben. So wie Eva Steinhagen: »[I]ch wollte schon immer mal nach [Millionenstadt], Jan wollte das auch und dann sind wir nach [Millionenstadt] gezogen. Also es gab keinen Grund, nach [Millionenstadt] zu ziehen, also keinen beruflichen Grund, sondern es gab eben die Überlegung, dass das für uns beide besser wäre und das war auch ’ne großartige Zeit, also wir haben ’n Jahr lang Großstadt gemacht, sind mit ’m Fahrrad in die Oper gefahren.« In den Gesprächen wird deutlich, dass eine emotionale Bindung zum Bleiben in ländlichen Räumen bestehen bleibt und der Wunsch des Zurückkehrens sich verfestigt und sich schließlich auch realisiert. In der Regel pflegen Gesprächspartnerinnen, die temporär in städtischen Räumen wohnen, weiterhin Kontakt in die ländlichen Räume, bspw. durch die Beziehung zur Familie, Freunden oder zum Sportverein. Es sind Frauen, die strategisch die Entscheidung getroffen und realisiert haben, zurückzukehren. In diesem Typus versammeln sich indes auch jene Gesprächspartnerinnen, die aufgrund der Ausbildung in städtischen Räumen lebten und dies bewusst als etwas Außergewöhnliches wahrgenommen haben. Das Leben in den städtischen Räumen ist für sie vor allem ein Warten auf das Leben in den ländlichen Räumen, so wie Daniela Hildenbrandt es beschreibt:

Die empirische Analyse

»Weil, ich hab’ mich, ich hab’ zwar während der Ausbildung in [Mittelstadt] gewohnt, in ’ner Einraumwohnung, ähm halt wirklich nur bedarfsweise. Ich bin montags morgens von hier aus nach [Mittelstadt] gefahren, gleich zur Schule, denn eigentlich nur dort geschlafen und freitags morgens bin ich schon mit ’m Auto zur Schule dort, äh und denn gleich äh nachmittags nach Hause.« Die Frage über das Gehen oder Bleiben wird in den Gesprächen ständig verhandelt und bestimmte biographische Gelegenheiten, die einen Umzug in die städtischen Räume als Möglichkeit herausfordern, werden dezidiert vorgestellt, abgewogen und resümiert. Die Gesprächsteilnehmerinnen kommen dabei stets zum Schluss, dass das Bleiben die bessere Alternative darstellt. Im Zuge dessen verfestigt sich das Bleiben in den ländlichen Räumen schrittweise im Laufe der Biographie. Das Bleiben in den ländlichen Räumen ist auf vielerlei Weise alltäglich präsent, bspw. durch vielfältiges ehrenamtliches Engagement, aber auch aufgrund des professionellen Hintergrundes. Frauen dieses Typs beschäftigen sich häufig qua Beruf mit den ländlichen Räumen in MecklenburgVorpommern, z.B. als Bürgermeisterin oder als Angestellte in Institutionen im Kontext der ländlichen Räume. Aufgrund der ständigen alltäglichen Auseinandersetzung mit Themen, die die ländlichen Räume betreffen, sei es privater oder professioneller Natur, sind eben diese Räume als Raumkategorie allgegenwärtig. Aus diesem Status heraus resultiert auch eine selbst produzierte Notwendigkeit, das Bleiben bei jeder passenden Gelegenheit gegenüber Dritten, sei es Familie, Freund:innen oder Arbeitskolleg:innen, positiv darzustellen und zu legitimieren. Für die Gesprächspartnerinnen spielt das Thema Anpassung an die vermeintlich gesellschaftlichen Verhaltensmuster des Ländlichen eine große Rolle. Ein soziales Netzwerk im Ort aufzubauen ist ihnen wichtig. »Und ich bin halt vor zwei Jahren auch in den Festausschuss eingetreten […] und das muss ich sagen, hat so den Bekanntheitsgrad von einem selber und auch dass man eben die Leute besser kennt, halt das also super doll gepusht und auch gibt einem das Gefühl, irgendwo dazuzugehören und auch, auch Anlaufstellen zu haben.« (Ines Hohendorf) Aufgrund der dargestellten Separation, das heißt, in den Gesprächen wird ein Unterschied zwischen einem Ich und den anderen Dorfbewohner:innen deutlich, wird ein Blick von außen auf die Bewohner:innen der ländlichen

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Bleiben in ländlichen Räumen

Räume geschildert. Frauen dieses Typs setzen sich bewusst mit dem Prozess der eigenen Annäherung an das vermeintlich richtige Verhalten vor Ort auseinander. Die Gesprächspartnerinnen wenden bewusst Strategien an, um sich der scheinbar herrschenden Normalität anzupassen, durch eine größtmögliche Korrektur eines scheinbaren Fehlers oder den Versuch, diesen möglichen Makel zu verstecken, zu kaschieren bzw. zu leugnen, wie z.B. Eva Steinhagen: »Ich hab’ zum Beispiel ganz absichtlich meinen Doktortitel nicht am Schild so, also völlig absichtlich. Ich muss mich nicht noch zusätzlich abgrenzen, ist nicht nötig. Und es gibt keinen Gewinn, das heißt, das weiß hier auch keiner, ich unterschreib, also … So das … Also man muss den Abstand nicht erhöhen, also wir sind nicht bemüht, den Abstand zu erhöhen, uns abzugrenzen, sondern eher, ich dachte, ich weiß gar nicht, ob Jan das auch macht, aber ich achte in Gesprächen auch darauf, was für Worte ich benutze, also ich versuch das ne, eben nicht auf Abgrenzung hin zu tun und eben bewusst.« Das Thema räumliche Mobilität ist stets präsent in den Gesprächen, insbesondere das Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort. Für die Gesprächspartnerinnen dieses Typs ist das positiv besetzt. Es bietet die Möglichkeit, sich die (vor allem) städtischen Räume erfahrbar zu machen. Es geht darum, den Weg zur Erwerbstätigkeit praktisch wahrzunehmen und in vielfältiger Weise zu nutzen: Auf ihm werden Tätigkeiten erledigt, die auf der einen Seite den Alltag in den ländlichen Räumen organisieren und auf der anderen Seite ein Nice-to-Have darstellen, bspw. wenn der morgendliche Kaffee bei McDonalds ritualisiert ist. Das Pendeln trägt so sogar zu einer höheren Verortung bei und ist für die Gesprächspartnerinnen ein akzeptierter Bestandteil des Alltags in ländlichen Räumen, so wie Daniela Hildenbrandt dies erklärt: »[I]ch sag’ mal, selbst in der Großstadt hat man viele Fahrzeiten, auch wenn man mit äh, mit der Bahn oder mit Bus unterwegs ist, hier hat man eben das Auto, fährt auch ’ne halbe Stunde. Natürlich sind das andere Kilometer, die man denn hinter-, äh zurücklegt, aber letztendlich sind das die gleichen Fahrzeiten und ähm und man muss nur wissen, wo man was bekommt, sach’ ich mal so.« Vor dem Hintergrund, dass für die Erwerbstätigkeit in der Regel eine weite Strecke gefahren wird, die aber praktisch genutzt wird, wird von den Gesprächsteilnehmerinnen die Erwerbsarbeit selbst als positiv beschrieben. Im Gegensatz zum Typus Selbstverständliche Bleiberin ist die Erwerbsarbeit

Die empirische Analyse

nicht Mittel zum Zweck, sondern es besteht eine positive Identifizierung und intrinsische Motivation, ihr nachzugehen. Frauen dieses Typs haben in der Regel – wie bereits erwähnt – einen Alltag in städtischen Räumen erlebt und können damit eine auf Erfahrung basierende Bewertung vornehmen. Dabei definieren die Gesprächspartnerinnen Hamburg oder Berlin als Stadt. Die Partizipation an städtischen Räumen zugeschriebenen Charakteristika, wie eine Vielzahl an unterschiedlichen Kulturveranstaltungen, eine hohe Bevölkerungsdichte und eine gänzlich konträr zu den ländlichen Räumen definierte Siedlungsstruktur, ist hier Teil der Realisierung des Lebensentwurfs. »[I]ch war gerade auf Dienstreise in [Millionenstadt], davon ab, dass ich die Nacht durchgeschlafen hab’, was auch total schön war und dann auch nochmal ’ne Freundin getroffen hab’ und ne, wo ich auch gedacht hab’ ne: ›Och oh pfff, auch schön und frei und irgendwie bunt und so.‹ Aber es gibt kein=kein=kein echtes Infragestellen, weil das, was hier besser ist, ist so viel mehr, also die Liste ist einfach viel länger und deshalb passt es und trotzdem wissen wir aber darum, dass, also wenn wir beide mal Zeit haben, zu zweit wegzufahren, dann fahren wir nicht auf ’ne Nordseeinsel ne, sondern dann wählen wir, dann wählen wir die Großstadt.« (Eva Steinhagen) Dies geht zwar nicht automatisch mit einer fallübergreifenden übermäßig positiven Beziehung und Einschätzung der städtischen Räume einher, wie das Zitat suggeriert, doch die Gesprächspartnerinnen dieses Typs sind den städtischen Räumen gegenüber nicht abgeneigt, sondern sehen Vorteile, ohne dabei die ländlichen Räume abzuwerten. So wie Christa Wenzel es beschreibt: »[…] aber junge Leute, die wollen Action, die wollen in [Millionenstadt] da fällste aus der Tür, da bist du im ersten Pub, im zweiten, im dritten. Ja ist so. Dann legste dich auf die Wiese an [den Fluss]. Das ist einfach, ne, das hast du hier nicht.« Auffällig ist zudem, dass die städtischen Räume als Kulisse gelten, um sich »die Hörner halt [abzustoßen]« (Ines Hohendorf). Vor diesem Hintergrund wird ein Gehen in die städtischen Räume nicht per se abgelehnt, sondern vielmehr, insbesondere im jungen Erwachsenenalter, als passend für den aktuellen Lebensentwurf und Bereicherung angesehen. Sofern allerdings die Gründung der eigenen Familie und Kinder in den Fokus rücken, verblasst auch die Vorstellung eines Umzugs bzw. generell eines Lebens in der Stadt.

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Bleiben in ländlichen Räumen

Die Gründe, in ländlichen Räumen zu bleiben, werden universell dargestellt und sind positiv besetzt. Sie betreffen jegliche Bereiche, wie Familie, Partnerschaft, Erwerbstätigkeit, Freizeit oder die Atmosphäre der ländlichen Räume, so wie Doreen Liebig es formuliert: »[…] ich kann hier aufm Acker gehen und treff’ gar keinen. Ist auch gut. Manchmal triffst jemanden und redest noch paar Worte, aber ist auch nicht schlimm, wenn man nicht redet. Das ist auch ganz schön, dass man schon mal so einfach in Himmel gucken kann und sagt: ›Och heute sieht’s ganz schön aus so oder, ne?‹ Also so vor sich her träumen kann.« Die Gesprächspartnerinnen dieses Typs resümieren das Bleiben in ländlichen Räumen als allumfassend zufrieden, wie Eva Steinhagen es feststellt: »[…] ich finde das, ja, für mein Lebensgefühl ist das tatsächlich schön«.

Typ Kritisch-negative Bleiberin Charakteristisch für den Typ Kritisch-negative Bleiberin ist, dass das Bleiben in den ländlichen Räumen – im Kontrast zum Typ Kritsch-positive Bleiberin – negativ besetzt ist. Im Vergleich zum Typ Kritisch-positive Bleiberin fällt auf, dass das Bleiben in ländlichen Räumen zwar auch verhandelt wird, allerdings häufig im Kontext der Frage Gehen oder Bleiben und der Alternativpräferenz, dem Gehen. Der Typ Kritisch-positive Bleiberin hingegen bezieht sich weniger auf diese Frage bzw. stellt die Alternative, das Gehen, in den Mittelpunkt, sondern verbleibt in den Erzählungen eher beim Phänomen des Bleibens an sich. Die Frage über das Gehen oder Bleiben wird zunächst als selbstverständlicher Teil der Biographie wiedergegeben. Im Zuge der Darstellung wird allerdings deutlich, dass das Bleiben in ländlichen Räumen als Prozess verläuft, der sich sukzessive verschlechtert. Deutliche Kipppunkte sind Statusübergänge, wie bspw. der Auszug aus dem Elternhaus und der damit verbundene Verselbstständigungsprozess. Aber auch die Phase zwischen Schule und Ausbildung wird zur kritischen Lebensphase innerhalb des Sets des Bleibens. Es entstehen Bedürfnisse, die für die Gesprächsteilnehmerinnen zu diesem Zeitpunkt durch einen Umzug in die städtischen Räume befriedigt werden können. An dieser Stelle erfolgt über den Verbleib auf einer manifesten Ebene eine Rechtfertigung in der Weise, dass das Bleiben als gegeben und nicht verhandelbar dargestellt wird. Auf einer latenten Ebene werden allerdings das Bleiben und auch die ländlichen Räume selbst abgelehnt. Die städtischen Räume und das Gehen gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Die empirische Analyse

Auch Frauen dieses Typs haben bereits alltägliche Erfahrungen in städtischen Räumen gemacht, bspw. während der Ausbildung. Es bestand allerdings ständig eine enge Bindung zu den ländlichen Räumen und deren Bewohner:innen. So ist es typisch, dass der Ausbildungsort, der in den städtischen Räumen liegt, am Wochenende verlassen wird, um nach Hause in die ländlichen Räume zu pendeln. Ausschlaggebend ist die soziale Komponente, vor allem die Beziehung im Rahmen der Partnerschaft und der Herkunftsfamilie, so wie es Susann Brecht darlegt: »[D]ann hab’ ich ’ne Ausbildung in [Mittelstadt] ähm zur Orthopädietechnikerin und ähm bin dann, nachdem ich ähm, also ich bin dann immer gependelt, hatte zwar ’ne Wohnung in [Mittelstadt], aber war hier auch viel bei meinem Mann.« Bereits an dieser Stelle deutet sich an, was für die Biographie der Gesprächspartnerinnen typisch ist: Bestimmte Übergänge im Lebenslauf und damit biographische Gelegenheiten, die ein Gehen in die städtischen Räume relevant werden lassen, werden zwar wahrgenommen, können allerdings aufgrund einer Abhängigkeit in ihren Handlungen von anderen Personen bzw. äußeren Umständen nicht realisiert werden. So ist es faktisch so, dass Gesprächspartnerinnen zwar zur Ausbildung in städtische Räume gehen und eine für sie bedeutsame Entfernung überwinden, es erfolgt allerdings kein Abbruch der sozialen Beziehungen. Und obwohl die ländlichen Räume als Wohn- und Lebensort gelten, verorten sich Frauen hier nur marginal. Sie sehen sich zwar inkludiert und auch als Teil des Ortes und des Beziehungsgefüges im Ort, sie sind bspw. still engagiert bei Dorffesten und haben generell gute und viele soziale Beziehungen im Ort. »[…] eigentlich haben wir schon eine sehr gute Dorfgemeinschaft, doch. Also hat man selten, würd’ ich sagen.« (Susann Brecht) Dennoch ist dies eher ein Versuch der Harmonisierung des Umstandes, sich doch fehl am Platz zu fühlen. Für die eigene Identitätskonstruktion ist die Zugehörigkeit von wesentlich geringerer Selbstverständlichkeit als bei den Gesprächspartnerinnen des Typs Kritisch-positive Bleiberinnen. Es erfolgen daher auch keine bewussten Strategien, um soziale Beziehungen zu pflegen, neu aufzubauen bzw. mit der sozialen Struktur vor Ort zusammenzuwachsen. Dafür spielen die städtischen Räume, auch die Vorstadt, der suburbane Raum, für Gesprächspartnerinnen dieses Typs eine große Rolle. Als generell typisch wird bspw. eingeschätzt, dass »Frauen […] sich mehr nach der Stadt [seh-

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Bleiben in ländlichen Räumen

nen]« (Susann Brecht). Als Stadt wird hier aus einer siedlungsstrukturellen Perspektive die Kleinstadt definiert. Ein Umzug, veränderte Lebensbedingungen, ein Lebensmittelpunkt außerhalb der ländlichen Räume sind Sehnsüchte dieser Frauen, die für sie nur sehr schwer bis vermutlich gar nicht zu realisieren sind. In den Gesprächen wird die Erfüllung dieses Wunsches als unrealistisch eingestuft. Auslöser ist eine bestehende Abhängigkeit von anderen Personen, wodurch das eigene autonome Handeln eingeschränkt wird. Dieser Umstand legitimiert auch das Bleiben in den ländlichen Räumen. So wie Susann Brecht es beschreibt, deren Ehemann eine Landwirtschaft betreibt: »[…] und das will er nicht aufgeben, kann ich auch verstehen. Und das wusst’ ich von Vornherein und ähm, es hängt also eher mit meinem Mann zusammen, dass ich hier so ländlich lebe. Ich würde auch lieber, nicht im Zentrum oder so, aber ich würde schon lieber stadtnah [wohnen].« Frauen dieses Typs machen nicht auf einer manifesten Ebene klar, dass das Bleiben negativ besetzt ist und dennoch ist der Wunsch nach einer Veränderung klar erkennbar. Aus Sicht der Frauen bündeln sich – im Vergleich zu den ländlichen Räumen – Vorteile, im (vor-)städtischen Raum zu leben: eine verbesserte Daseinsvorsorge, sowohl mehr als auch qualitativ hochwertigere kulturelle Angebote, kurze Wege. Da ist eine Ablehnung jeglicher Charaktereigenschaften der ländlichen Räume zu beobachten, die von anderen Typen als positiv beschrieben werden. So wird die Natur, z.B. das Aufkommen der Wölfe, als Bedrohung für sich und die Kinder gedeutet. Empfindet Doreen Liebig vom Typ Kritisch-positive Bleiberin es als »nicht schlimm, wenn man nicht redet«, so sind die geringe Bevölkerungsdichte und die damit eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten für Gesprächspartnerinnen des kritisch-negativen Typs ein Problem. Oder: Ein Bleibemotiv für den Typ Kritisch-positive Bleiberin sind die als wesentlich besser eingestuften Voraussetzungen für das Aufwachsen der eigenen Kinder in den ländlichen Räumen im Vergleich zu den städtischen Räumen. Frauen des kritisch-negativen Typs hingegen sehen auch diesbezüglich Vorteile in der Stadt, Susann Brecht führt dazu aus: »[U]nd das, also viele glauben: Oh ist alles so schön ruhig, ne? Aber ich hab, ich schon viel Angst um, um den Verkehr. In der Stadt würd’ ich mir denken: Mein Kind wär’ doch ’n bisschen besser mit Verkehr aufgewachsen und könnte vielleicht sogar ’n bisschen besser mit umgehen und es einschätzen.«

Die empirische Analyse

Eine weitere negative Assoziation mit ländlichen Räumen und deren Beeinflussung auf die Alltäglichkeit sind die weiten Wege, die zurückgelegt werden müssen. Wobei auch hier, wie beim kritisch-positiven Typ, das Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort nicht per se schlecht bewertet wird. Vielmehr bietet es die Möglichkeit, sich einen anderen Raum erfahrbar zu machen, sonst wären die Frauen »[nur] hier […] und das will ich nicht« (Susann Brecht). Die Frauen beurteilen ihre Erwerbstätigkeit als Bereicherung, da sie Entscheidungen selbst bestimmen, einen eigenen Aktionsradius haben, und die ländlichen Räume zumindest zeitweise verlassen können. Dieser Typ zeichnet sich dadurch aus, dass die Unzufriedenheit mit dem Bleiben, welche aus einer Diskrepanz zwischen dem Anspruch und der Unmöglichkeit der Realisierung eines Gehens entsteht, durch den Versuch kompensiert wird, die Randbedingungen zu verändern. Daher scheint es auch nicht ungewöhnlich, dass aus eigenen Legitimationsgründen für ein Bleiben diese Frauen Personen, die in städtische Räumen gegangen sind, unterstellen, dass diese »gar nicht so diesen Familienbezug so hatten« (Susann Brecht). Sie hingegen bezeichnen sich als »Familienmensch« (Susann Brecht). Eine sehr gute familiäre Beziehung, sowohl zu Herkunftsfamilie als auch zur eigenen Familie, ist diesen Frauen sehr wichtig und Grundlage für die Entscheidung zu bleiben. Das dominante Ziel ist ein harmonisches Familienleben, welches durch ein Gehen gefährdet werden könnte. Stattdessen werden Kosten aufgewendet, um zu bleiben. Diese Widersprüchlichkeit verdeutlicht den inneren Konflikt, der ausgelöst wird durch einerseits den Anspruch zu gehen und andererseits die aussichtlosen Perspektiven, diesen einzulösen aufgrund des unausgeglichenen Aushandlungsprozesses der Frage Gehen oder Bleiben, die zugunsten des Ehepartners und der Harmonisierung des Familienlebens – und erst in deren Folge zugunsten des Bleibens in ländlichen Räumen entschieden wird.

Typ Selbstverständliche Bleiberin Der Typ Selbstverständliche Bleiberin zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Frage Gehen oder Bleiben nur marginal bis gar nicht behandelt wird, da schließlich auch keine Auslöser vorhanden sind, die diese Frage herausfordern könnten. Und falls dann doch, wird Gehen in die städtischen Räume komplett abgelehnt. Bestimmte Übergänge im Lebenslauf und damit Möglichkeiten, einen Umzug als Gelegenheit zum Gehen zu begreifen, werden wahrgenommen; allerdings kommt ein potenzieller Entscheidungsprozess über das Gehen

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Bleiben in ländlichen Räumen

nicht über die Sequenz der Entwicklung von Wanderungsgedanken hinaus, die schnellstmöglich zugunsten des Bleibens in ländlichen Räumen verworfen werden – sofern sie überhaupt eine Rolle spielen. Dabei gelten unterschiedliche Statusübergänge oder biographische Ergebnisse, wie die Phase Schule und Ausbildung, ein Jobwechsel, die Geburt eines Kindes oder auch der Tod der Eltern, als Motor, den Prozess des Bleibens zu verstärken. Und dennoch bleibt das Bleiben in ländlichen Räumen stets ein Ausdruck einer selbstverständlichen Lebenskonstellation, mit der die Gesprächspartnerinnen zufrieden sind. Ein möglicher Umzug oder eine Bindung an städtische Räume spielt in der Vergangenheit, in der Gegenwart und perspektivisch entweder keine Rolle oder wird abgelehnt. »Und für mich war recht früh schon in, in ’ner Grundschule klar, ich werd’ hier nich’ weggeh’n. Wenn ich nich’ muss, bleib’ ich hier, weil, warum soll ich diesen schönen Kokon verlassen? Is’ doch schön hier, ne. Is’ alles gut gelegen. Man hat seine Schulen, man hat Freunde, Bekannte, nich’ diesen Stress und Hektik in der Großstadt, ne. Also warum geh’n?« (Ulrike Grawe) Diese Art von zufriedener Selbstverständlichkeit wird in den Gesprächen mit Frauen dieses Typs in sehr kurzen Sequenzen über das Gehen oder über die Stadt sichtbar. Sie sind häufig eingebettet in ausführliche Erzähleinheiten. Wie die folgende von Nadine Martens, die über ihren Arbeitsalltag in einem Massentierhaltungsbetrieb berichtet: »Du hattest alle zwei Wochen, hattest du ein Telefon, wo du dann auch so ’ne Benachrichtigung gekriegt hast, wegen das, wenn die Futterstrecke zum Beispiel gerissen ist, weil das alles automatisch ja durchlief. Die hab’ ich nicht alleine repariert gekriegt, dat war zu viel Spannung da drauf, das konnte ich nicht. Aber so, wenn jetzt was mit de’ Kälte nicht gestimmt hat oder so, mussten wir dann losfahren, ne? Und da hatte ich noch in [Dorf] gewohnt, natürlich auch aufm Dorf, Stadt kam für mich immer nie infrage. Und das waren dann auch mal locker 25 Kilometer hin und zurück so, ne? Dann bist du morgens hin, nachmittags zurück und abends musstest du halt wieder zum Zumachen. Wenn du zwischendurch den Alarm noch hattest, dann bist du irre geworden.« Zum unhinterfragten Sein in ländlichen Räumen gehört, dass sich zum einen in den Gesprächen nicht für ein Bleiben gerechtfertigt wird und zum anderen gleichzeitig eine hohe Verortung stattfindet. So wie Manu Busch, die zeitweise

Die empirische Analyse

im Nachbarort gewohnt hat und eine hohe Verbindlichkeit zu ihrem aktuellen Wohnort, in dem sie auch aufgewachsen ist, darstellt: »Das ist mein Leben aufm Land und ich möchte hier auch gar nicht mehr weg, überhaupt nicht. Also die Jahre, die ich weggezogen war, hab’ ich mich nie wohl gefühlt. Als ich wieder hier war, das [Dorf] ist so meins, das is’ mein Dorf.« Die Gesprächspartnerinnen sehen sich als inkludiert und machen keinen Unterschied zwischen sich und den anderen Bewohner:innen. Es wird deutlich, dass sie sich als Teil eines größeren Ganzen wahrnehmen. Sie verorten sich und ihre Biographie als Bestandteil der ländlichen Räume. Frauen dieses Typs thematisieren eine Beteiligung im Ort, bspw. im Rahmen von Dorffesten, nur auf Nachfrage. Schließlich ist auch ein Engagement vor Ort für die Gesprächsteilnehmerinnen charakteristisch für die ländlichen Räume und gleichwohl eine unterhinterfragte Selbstverständlichkeit. Es werden daher auch keine Strategien dargestellt, sich bewusst an die sozialen Gegebenheiten der ländlichen Räume anzupassen. Das Streben nach Aneignung des Raums sowie eine hohe Mitgliedschaft im Ort sind nicht notwendig, schließlich würde dies die Überwindung von Fremdheit oder mangelnde Identifikation bedeuten und diese Eigenschaften sind in diesem Typus nicht vorhanden. Vielmehr besteht eine hohe Sicherheitswahrnehmung im relevanten Raum. Im Vergleich zu den anderen Typen dieser Typologie ist auffällig, dass das Thema räumliche Mobilität hier verstärkt eine Rolle spielt. So werden häufig Erzählungen angeführt, die Bezüge zu bestimmten Entfernungsangaben haben. Dabei wird allerdings auch hier das Pendeln nicht grundsätzlich abgelehnt. Vielmehr changiert die Einstellung diesbezüglich zwischen einem völlig pragmatischen Umgang damit: »[…] und das war der Grundgedanke, wenn ich immer hin und her pendel’, ich kann die Termine besser gestalten, mich besser an die Öffnungszeiten orientier’n, wenn ich schon ma’ ’ne Viertelstunde des Fahrtwegs einspar’.« (Ulrike Grawe) und einem belastenden Moment: »[…] man musste eben jeden Tag zur Arbeit fahren und das waren dann doch immer 25 Kilometer eine Tour, dat war schon nicht ganz ohne.« (Petra Wetzel)

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Das Thema räumliche Mobilität und Pendeln schließt in den Gesprächen Erwerbsarbeit ein. Frauen dieses Typs haben eine hohe instrumentelle Arbeitsorientierung. Es geht hier weniger darum, welcher Erwerbstätigkeit nachgegangen oder ob der Berufswunsch realisiert wird, sondern vielmehr darum, dass überhaupt eine Erwerbsarbeit vorhanden ist. Arbeitslosigkeit ist aufgrund der damit einhergehenden Unsicherheit keine Alternative. So sagt Katrin Renz: »[…] also was ist mir eigentlich vollkommen egal. Ich finde immer, egal wo man reinkommt in ’ne neue Firma, muss man sich sowieso neu einfinden. Das sind neue Produkte und was man dann verkauft oder so, ist auch egal.« Frauen dieses Typs treten deutlich exponiert hervor, wenn es um die Einstellung zu den städtischen Räumen geht. Als Stadt werden aus einer siedlungsstrukturellen Perspektive Orte mit ca. 5.000 Einwohner:innen, definiert. Die Bewertung dieser Räume fällt durchweg negativ aus und wird per se mit schlechten Erfahrungen verbunden. Wobei bisher ein langfristiger, alltäglicher Lebensmittelpunkt in städtischen Räumen für die Gesprächspartnerinnen nicht bestand. »[…] ich mein’, der Papa von Leon kam ja zum Beispiel damals aus [Millionenstadt] und hat aber seine Eltern hier gehabt und dann klar, wie du mit ihm zusammen warst, bist du auch mal nach [Millionenstadt] gefahren, wo ich gedacht hab’: ›Nee, ich will hier wieder weg‹, ne? Das war, das war einfach nichts für mich, diese ganzen Menschen, dieser Tumult und überall dieses Gehupe, dieser Lärm und ne, irgendwie war dat nicht schön.« (Nadine Martens) Aus Sicht der Frauen vereint sich in der von ihnen definierten Stadt der »Graus« (Nadine Martens). Zwar wird die den ländlichen Räumen gegenüber bessere Infrastruktur hervorgehoben, doch das wiegt keinesfalls die als hektisch empfundene Atmosphäre der städtischen Räume auf. Es wird vor allem auf die Verkehrssituation, die dichte Besiedlung und damit einhergehende Anonymität rekurriert. Frauen dieses Typs versuchen die städtischen Räume zu meiden. Die ländlichen Räume sowie der Verbleib in ihnen geht mit den »richtigen Werte[n]« (Ulrike Grawe) einher. Diese Einstellung gilt insbesondere in Fragen des familiären Zusammenhalts, sowohl hinsichtlich der eigenen als auch der Herkunftsfamilie, als Bleibemotiv. Schließlich ist das Thema Fürsorge oder/und intergenerationale Solidarität immanenter Bestandteil des Alltags für jene Frauen. Gleichwohl ist in der Regel das Aufwachsen der Kinder im

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Zusammenhang mit einer typisch ländlichen Sozialisation ein ausschlaggebendes Argument, um zu verbleiben: Hier erfahren die Kinder Kontakt zu Tieren und der Natur, hier können sie sich frei bewegen. Für Frauen dieses Typs spielt auch das Zuhause als Materialisierung eines ländlichen Idylls eine große Rolle. Die Pflege des Hauses oder der Wohnung sowie das dazugehörige Grundstück sind essenzielle Bestandteile des Lebensentwurfs. Wenn überhaupt die Gesprächspartnerinnen umgezogen sind, dann innerhalb eines kleinen territorialen Umfelds, ohne den Abbruch sozialer Beziehungen. Typisch ist die Erzählung von Yvonne Elsner, sie beschreibt, dass sie zunächst mit ihrem Freund in den Dachausbau seiner Eltern gezogen ist. Nun bauen sie gemeinsam ein Eigenheim – auf dem Grundstück der Schwiegereltern. »[D]ann sind wir dort hingezogen und wohnen auch immer noch dort, sind momentan aber in der Phase, dass wir noch mal direkt dort neben ein neues Haus bauen. Sprich, die- diese ausgebaute Wohnung haben wir verkauft an=an die Schwester meines Mannes, die dort dann einzieht und wir haben dann noch mal einen Neubau.« Frauen dieses Typs resümieren das Bleiben in ländlichen Räumen, ganz typisch in Relation zum Gehen, mit großer Zufriedenheit. Ulrike Grawe fasst zusammen: »Es geht darum, wirklich Lebensqualität zu haben und das kann ich woanders nich’ machen, weil ich bin nich’ der Mensch. Der, der diese Hektik braucht und dieses Leben genießt, ja, der kann auch woanders glücklich sein, aba ich nich’. Ich kann nur hier glücklich sein.«

Einzelfalldarstellungen aus der Bleibentypologie An dieser Stelle werden die konstruierten Typen der Bleibentypologie anhand einzelner ausgewählter Fälle vorgestellt. Im Fokus stehen die emergierten (Kern-)Kategorien der aufgestellten Typologie, welche entlang der Bildungs-, Erwerbs- und Wohnbiographie sowie der sozialen und räumlichen Einbindung thematisiert werden. Ganz im Sinne der Weber’schen Überlegung zum Idealtypus sind einzelne Typen im Laufe des Forschungsprozesses von der Besonderheit einzelner Fälle hin zu fallübergreifenden geeigneten Kategorien sowie ihrer grundsätzlichen Unterscheidung entstanden. Dabei werden fallübergreifende Muster, Einstellungen, Deutungen und Handlungsweisen verdichtet. »Ein Idealtypus steht damit zwischen Empirie und Theorie, er be-

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zieht sich auf reale empirische Phänomene, beschreibt sie aber nicht einfach, sondern übersteigert einige ihrer Merkmale, um zu einem Modell sozialer Wirklichkeit zu gelangen« (Kelle/Kluge 2010: 83). Tatsächlich ist der herausgearbeitete Typ »in seiner begrifflichen Reinheit« (Weber 1988: 191) im konkreten Fall so nicht zu finden. Die hier herangezogenen Fälle sind diesem allerdings besonders nah. Diese verdichteten Falldarstellungen sind rekonstruiert aus den biographischen Gesprächen sowie strukturierten Fragebögen zu sozioökonomischen und soziodemographischen Merkmalen und den Postscripts. Dem jeweiligen Fall ist eine graphische Lebenslaufdarstellung beigefügt, um einen chronologischen Überblick über die Aspekte Familie und Partnerschaft, Schule- und Ausbildungsverlauf sowie Erwerbsbiographie, Wohnbiographie sowie Sonstiges zu erhalten. In der Zeile Sonstiges finden sich Ereignisse, die die Biographieträgerin in besonderer Weise geprägt haben. Dabei muss erwähnt werden, dass sehr vereinzelt auch Jahreszahlen genannt werden, um die Dauer einiger Tätigkeiten zu bestimmen, die jedoch nicht explizit aus den geführten Gesprächen bestimmbar, sondern aus weiteren Angaben logisch rekonstruiert sind. Sie wurden dennoch eingefügt, um eine bessere Einordnung zu ermöglichen.

Typ Kritisch-positive Bleiberin: Daniela Hildenbrandt – »Also ich fühl mich angekommen jetzt, ne?« Aktuelle Situation Daniela Hildenbrandt ist zum Zeitpunkt des Gesprächs 31 Jahre alt. Sie ist pädagogische Fachkraft und arbeitet 30 Stunden die Woche. Derzeit ist sie in Elternzeit mit den halbjährigen Zwillingen. Das dreijährige Kind ist im Kindergarten. Daniela Hildenbrandt ist seit 13 Jahren mit ihrem Partner liiert. Er ist Handwerker, macht neben seinem Vollzeitjob die Meisterschule. Seit fünf Jahren wohnen sie im gemeinsam modernisierten Haus in einem Quartier, in dem sowohl sie als auch ihr Mann aufgewachsen sind. Sie macht einen gepflegten Eindruck, hat eine angenehme, offene und freundliche Art und ist sehr redegewandt. Wir sitzen in der offenen Wohnküche mit Kaffee und Babyphone.

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Abbildung 6: Lebenslaufdarstellung Daniela Hildenbrandt

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Bildungs-, Erwerbs- und Wohnbiographie Daniela Hildenbrandt wächst in einem ca. 1.300 Einwohner:innen-Ort auf. Dieser liegt in einer sehr ländlichen und weniger guten sozioökonomischen Lage (BMEL 2020). Ihre Mutter ist pädagogische Fachkraft, ihr Vater arbeitet in einen handwerklichen Beruf. Gemeinsam wohnen sie zunächst in einem Wohnplattenbau, ab ihrem fünften Lebensjahr in einem Eigenheim im selben Ort. Sie geht dort in die Grundschule, bevor sie mit dem Bus ins 15 km entfernte Gymnasium fährt und in diesem, ca. 3.300 Einwohner:innen-Ort das Abitur absolviert. Da sich ihre Eltern keinen Familienurlaub leisten können, ist sie häufig auf Ferienfreizeiten oder Schüler:innenaustausch u.a. in Norwegen, Ungarn, Tschechien und in Australien, schließlich »denken [viele], also meine Mutter wollte mir das auch immer einreden: ›Du musst raus in die große, weite Welt. Du musst was sehen‹.« Von diesem Abwanderungsdruck ist sie allerdings wenig beeindruckt. Dennoch muss sie sich häufig vor Dritten – nicht vor sich selbst – rechtfertigen, geblieben zu sein: »[…] also grade so beim Klassentreffen war das so, ja. Wo ich gedacht hab’ ’mhm, die denken alle, man ist hinterwäldlerisch, aber das ist gar nicht so.« Bis heute spielt das Gehen nur marginal eine Rolle. Ihre Wohnbiographie weist formal zwei Umzüge auf, bevor sie in den Ort des Aufwachsens zurückkehrt. Es gibt in der Zeit der Abwesenheit allerdings jederzeit vielschichtige, besonders familiäre Verflechtungen zu diesem Ort. Von der Stadt fühlt sie sich schnell überfordert und nutzt diese nur pragmatisch, z.B. zum Großeinkauf. Von den Eltern bekommt sie zum Schulabschluss ein Auto geschenkt, »weil man hier einfach sonst aufgeschmissen ist.« Es folgt eine Zeit der Orientierungslosigkeit: »Was willste vom Leben?«, diese Frage taucht zu unterschiedlichen biographischen Zeitpunkten auf und wird erst mit dem Umzug ins Eigenheim und der Gründung einer eigenen Familie beantwortet. Die Entscheidung für oder gegen ein Studium fiel Daniela Hildenbrandt nicht leicht. Die Bewerbungen an Universitäten folgen der Prämisse, »alles im Norden. Also ich wollte auch nicht unbedingt sehr weit weg. Ich wollte alles was man so von [Kleinstadt] aus irgendwie mit ’m Zug erreichen konnte.« Ausschlaggebend hierfür ist ihre hohe Familienorientierung, insbesondere zu ihren zehn und acht Jahre jüngeren Geschwistern. Da sie keinen Studienplatz bekommt, entschließt sie sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in einer 20 km entfernten Kinder- und Jugendeinrichtung. Nebenbei jobbt sie in einem Restaurant. Das verdiente Geld wird vor allem für die Spritkosten ihres FSJs verbraucht. Es folgt eine Ausbildung als pädagogische Fachkraft. Hierfür wohnt sie unter der Woche in Mittelstadt und

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wird zur Ausbildungspendlerin: »Montags morgens von hier aus nach [Mittelstadt] gefahren, gleich zur Schule, denn eigentlich nur dort geschlafen und freitags morgens bin ich schon mit ’m Auto zur Schule dort und denn gleich nachmittags nach Hause.« Während der Ausbildung zieht sie mit ihrem heutigen Partner in die nächste Kleinstadt, um dort die Partnerschaft auf die Probe zu stellen. Nach der Ausbildung findet Daniela Hildenbrandt sofort eine Anstellung in ihrem Ausbildungsberuf und arbeitet in diesem Unternehmen heute noch. Sie spezialisiert sich innerhalb ihres Berufes, so dass sie selbst Schulungen und Beratungen anbietet. Seit ihrer Ausbildung ist sie gewerkschaftlich aktiv. Obwohl sie derzeit in Elternzeit ist, engagiert sie sich weiterhin und übernimmt bspw. Schichten für ihre Kolleg:innen, damit diese sich organisieren und streiken können. Zu Beginn ihrer Erwerbstätigkeit kauft sie sich mit ihrem Partner eine Doppelhaushälfte in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist. Stolz erzählt sie, dass »der Bürgermeister extra [kam, weil] ich die jüngste Hausbesitzerin bin«. In der anderen Seite des gekauften Doppelhauses leben die Eltern ihres Partners. Sie leben während der zweijährigen Umbauphase in seinem alten Kinderzimmer. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite des gekauften Hauses wohnen ihre Eltern. Soziale und räumliche Einbindung Daniela Hildenbrandt ist als Kind häufig gemeinsam mit anderen Kindern der Familie bei ihren Großeltern, die in der Nähe einen Bauernhof haben. Die Pflege der jüngeren Geschwister durch ihre Eltern hat zur Folge, dass sie als Jugendliche viel Freiraum und Freizeit hatte. Sie »kennt [zwar][…] ja auch jeden Hans und Franz«, allerdings »schon, nach ’m Abitur, waren alle weg. Also meine Freundinnen waren alle weg«, so dass nunmehr drei Paare aus dem Freundeskreis ihres Partners für sie freundschaftlich relevant sind. Wichtiger ist ihr die Beziehung zu ihrer Herkunftsfamilie, gerade zur Mutter und den Geschwistern. Von der Mutter hat sie das Amt der »Straßenfestverantwortlichen« übernommen, »man muss hinterher sein und wenn wir als junge Menschen das nicht machen, dann macht das keiner mehr, ne?« Sie fühlt sich für die »Gemeinschaft« verantwortlich und organisiert Grillabende und Kaffeerunden mit Tombola auf einem kleinen Platz in der Nähe ihres Wohnhauses. Dabei versorgt sie die älteren Bewohner:innen, die krankheitsbedingt nicht zum Fest erscheinen können. Generell hat sie ein waches Auge auf die überwiegend hochbetagte Nachbarschaft. Da sie bereits viel mit dem Tod in der Nachbarschaft konfrontiert wurde, hat sie bspw. als Erkennungszeichen mit einer Nachbarin verabredet: »Sie hat immer eine Blume,

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wenn sie da ist, steht sie im Fenster und wenn sie nicht da ist, ist sie unterwegs.« Im Gegenzug schätzt sie sehr das Aufgenommen-Sein ihrer ganzen Familie, »weil wir einfach von hier kommen. Sie waren total froh, dass wir hergekommen sind, ne?«. Daniela Hildenbrandt ist sehr in dem Quartier, in dem sie wohnt, verortet. Auffällig ist, dass dieses territorial durch eine Bundesstraße vom Rest des Dorfes getrennt ist. Die Bindung zum Viertel nimmt sukzessive in ihrem Lebenslauf zu: Sie ist dort aufgewachsen, modernisiert später das Haus, nebenan wohnen die Eltern und Schwiegereltern, ihre Kinder wachsen dort auf, sie übernimmt im jungen Erwachsenenalter Aufgaben und Verantwortung, die das Quartier und die Nachbarschaft betreffen. Aufgrund der reziproken Zuneigung ihrer Nachbarschaft und der Herkunftsfamilie verweist sie auf einen hohen Grad der Mitgliedschaft in diesem relevanten Inner Circle.1 Räumliche Mobilität spielt nur aufgrund des Pendelns zur Arbeit eine Rolle. Dies sieht sie als Erleichterung in ihrem Alltag, »um abzuschalten und zu sagen ›Ich hab’ jetzt Feierabend‹ und also, ich fahr’ bewusst zur Arbeit und das auch gerne.« Mit ihrem Partner ist sie seit 13 Jahren zusammen, er kommt auch aus dem Ort. Gemeinsam gehen sie gern zu Dorffesten, »schließlich muss [man] auch das mitnehmen, was es, was geboten wird, ne?«, oder sind im nahen Schrebergarten aktiv. Während der Bauphase ist sie das erste Mal schwanger. Kurz vor der Geburt stirbt ihre Schwiegermutter nach kurzer schwerer Krankheit. Drei Jahre später ist sie erneut schwanger. Nunmehr ist es ihre Mutter, die schwer krank, aber (noch) nicht pflegebedürftig ist, im Gegenteil: Ihre Mutter unterstützt sie bei der Kinderbetreuung. Ihr Partner ist aufgrund der derzeitigen Weiterbildung zum Meister sowie des Vollzeitjobs von Montag bis einschließlich Samstag tagsüber aus dem Haus. Aktuell ist es die räumliche als auch die soziale Nähe, die Ausdruck findet in der engen Bindung zur Nachbarschaft, zur Herkunftsfamilie, im eigenem Haus, im Quartier, so dass sie resümiert: »Also ich fühl mich angekommen jetzt, ne?« Daniela Hildenbrandt wünscht sich für die Zukunft nur eins: »irgendwann möchte ich schon nochmal heiraten.«

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Daniela Hildenbrandt ist dem egozentrierten Raumtyp Konzentrischer-Kreis zugeordnet.

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Typ Kritisch-negative Bleiberin: Susann Brecht – »Also heute würde ich mich anders entscheiden.« Aktuelle Situation Susann Brecht ist zum Zeitpunkt des Gesprächs 30 Jahre alt. Sie hat eine Ausbildung zur Orthopädietechnikerin gemacht und arbeitet in Teilzeit in diesem Beruf. Ihren Mann kennt sie seit 14 Jahren, seit neun Jahren sind sie verheiratet. Gemeinsam haben sie einen sechs- und einen vierjährigen Sohn. Sie wohnen auf einem landwirtschaftlich betriebenen Hof in einem Eigenheim, im Nebengebäude wohnen die Schwiegereltern. Das Gespräch mit Susann Brecht kam sehr kurzfristig zustande und war knapp bemessen, da es bereits später Nachmittag war und sie das Abendbrot für die Familie vorbereiten musste. Das Gespräch fand in der offenen Wohnküche gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn statt. Bildungs-, Erwerbs- und Wohnbiographie Susann Brecht wächst in einem Wohnplattenbau in einer Kleinstadt mit ungefähr 12.000 Einwohner:innen auf. Dieser Ort liegt in einer sehr ländlichen und wenigen guten sozioökonomischen Lage (BMEL 2020). In ihrem sechsten Lebensjahr zieht sie in ein 10 km entferntes Dorf, in dem die Eltern mittlerweile ein Eigenheim gebaut haben. Von nun an fährt sie mit dem Bus in die Schule. Sie macht 2006 das Abitur. Trotz unterschiedlicher Praktika ist sie sich über einen möglichen Beruf nicht klar, aber was sie weiß ist, »ich will nicht studieren, ich will einfach Geld verdienen.« Aus Mangel an Optionen und erfolglosen Einstellungstests macht sie eine Ausbildung zur Orthopädietechnikerin. Dafür zieht sie in die ca. 90 km entfernte Mittelstadt, pendelt allerdings am Wochenende nach Hause bzw. zu ihrem Freund. Bereits im zweiten Ausbildungsjahr zieht sie mit ihrem Freund in eine Landstadt in der Nähe des Orts des Aufwachsens. Von nun an pendelt sie jeden Tag zur Ausbildung. Zwar wird sie in diesem Betrieb übernommen, möchte aber nicht »die ewige Auszubildende bleiben« und wechselt zum ersten Mal das Unternehmen. Ein Jahr später, 2010, wechselt sie dann nochmal das Unternehmen, um »dichter beim Partner« zu sein. In diesem arbeitet sie heute noch. Die tägliche Fahrtzeit ist durch den Wechsel nicht geringer geworden.

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Abbildung 7: Lebenslaufdarstellung Susann Brecht

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Aus der ersten gemeinsamen Wohnung muss das junge Paar nach kurzer Zeit wieder ausziehen, da Eigenbedarf angemeldet wurde. Das ist für sie insofern ärgerlich, weil da bereits klar ist, dass ihr Partner den landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern kurzfristig übernehmen wird und sie auf den Hof ziehen werden. In dieser Umbruchzeit wird Susann Brecht zum ersten Mal schwanger. Das ist für sie ausschlaggebend, »noch ganz schnell schon mal« zu heiraten, »weil man ja auch nie weiß, wie sich das entwickelt.« Hochschwanger zieht sie auf den Hof, in das Haus der Schwiegereltern, die sich mittlerweile das Nebengebäude als Einfamilienhaus umgebaut haben. Susann Brecht steht ihrer Erwerbsarbeit sehr ambivalent gegenüber, auf der einen Seite kritisiert sie die geringe Bezahlung, auf der anderen Seite schätzt sie zum einen die Tätigkeit an sich und zum anderen, die dadurch entstehende Abwesenheit vom Hof: »[I]ch würde auch niemals meinen Job aufgeben, niemals. Auch wenn ich wenig Stunden arbeite, aber ich würde niemals das machen, weil, denn bin ich hier nur und das will ich nicht.« Beiläufig schaut sie nach alternativen Erwerbstätigkeiten, findet allerdings »in der Gegend« nichts Vergleichbares für mehr Gehalt. Soziale und räumliche Einbindung Susann Brecht ist als Kind viel bei den Verwandten oder im Hort, da ihre Eltern erwerbstätig sind. Sie hat einen festen Freundeskreis, mit dem sie zelten fährt, mit dem MV-Ticket durchs Land reist und am Wochenende in die eine Stunde Fahrtzeit entfernte Diskothek fährt. Mit 17 Jahren lernt sie dort ihren heutigen Ehemann kennen. Der ist derzeit in einer Ausbildung zum Landwirt in Aachen und pendelt am Wochenende zu seinen Eltern. Aufgrund des besseren Standorts für einen landwirtschaftlichen Betrieb hatten seine Eltern den Hof in Mecklenburg-Vorpommern übernommen und ihren Mehrgenerationenhof in Nordrhein-Westfalen verlassen. Dass er irgendwann den Betrieb übernimmt, »wusst’ ich von vornherein«, sagt Susann Brecht. Mittlerweile steht sie dieser Entscheidung zwiespältig gegenüber: »Ich weiß nicht, ob ich mich heute auch so entschieden hätte, so oder ob ich da vorsichtiger gewesen wär, wenn ich gewusst hätte, was so beim Landwirt alles dahinter hängt.« Auffällig ist, dass das Bleiben wie eine Abwärtsspirale dynamisiert wird. Eigene Handlungsabsichten von Susann Brecht treten in den Hintergrund, in der Regel reagiert sie und versucht sich mit den unterschiedlichen Situationen zu arrangieren. Sie würde bspw. gern mehr arbeiten, »auch für meine Rente […] einfach ’n bisschen mehr Sicherheit zu haben«, aufgrund der unsteten Arbeitszeiten des Ehemannes

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und der damit einhergehenden fast alleinigen Sorgearbeit für die Kinder ist das allerdings nicht möglich. Sie möchte »auch lieber, nicht im Zentrum oder so, aber ich würde schon lieber stadtnah [wohnen].« Allerdings kann diesem Wunsch nicht nachgekommen werden, denn »das geht halt nicht. Der Betrieb war hier und das will er nicht aufgeben.« Dass sie nicht im Zentrum einer Stadt wohnen möchte, hängt mit ihren Erfahrungen aus der Ausbildungszeit in Mittelstadt zusammen, schließlich hatte sie dort »viel mehr Angst.« I: »Wovor?« IP: »Vor Leuten, vor Menschen, also in der Dunkelheit so, ne? Wenn du denn so von der Arbeit als junges Mädel denn mit ’m Fahrrad nach Hause bist und denn war da irgendwo ’ne Gruppe mit Männern, hab’ denn, äh hab’ schön drauf die Straßenseite gewechselt.« Doch generell fasst sie den Unterschied zwischen Frauen und Männern in ländlichen Räumen so zusammen: »Die Frauen sehnen sich mehr nach der Stadt.« Für Susann Brecht ist der (sub-)urbane Raum nicht nur deswegen attraktiv, weil sie die Einkaufsmöglichkeiten dort als besser einschätzt, sondern, weil die ländlichen Räume für sie auf unterschiedliche Weise nicht lebenswert sind.2 Damit geht die Vorstellung einher, dass städtische Räume Vorteile für die Kinder bringen, nicht nur, dass dort mehr Kinder auf engerem Raum zum Spielen sind, sondern »in der Stadt würd’ ich mir denken: Mein Kind wär’ doch ’n bisschen besser mit Verkehr aufgewachsen«, schließlich fahren viele schwere Landmaschinen auf dem Hof und stellen eine Gefahr dar. Für die Zukunft der Kinder wünscht sie sich, dass diese den Hof nicht übernehmen, da Landwirt »so ’n undankbarer Beruf« ist. Hinzukommt, dass Susann Brecht »Angst vor Tieren« hat, insbesondere vor Wölfen, die dort in der Nähe bereits gesichtet wurden. Aufgrund dessen kümmert sie sich nicht um die Hühner, deren Gelände am Rand des Hofs liegt, und sie wird abends, wenn sie vom Sport kommt, von ihrem Mann vom Auto abgeholt. Sie wünscht sich auch mehr Freizeitangebote, zwar spielt sie zwei Mal in die Woche Handball, allerdings resümiert sie, »[das] ist jetzt Zufall, dass mir Handball Spaß macht und ich daran Freude habe, aber man würde sich hier schon mehr wünschen, so Segeln und sowas«, wobei gerade die Region, in der Susann Brecht wohnt, nicht von großen Seen geprägt ist, sondern viel eher von kleinen Kanälen. Der Wohnort von Susann Brecht besteht aus vier Häusern. Zusammen mit dem Nachbarort und dem gemeinsamen Dorfverein entsteht eine »sehr gute Dorfgemeinschaft«, in der »wäscht da eine Hand die andere, das funktioniert eigentlich ziemlich gut.« Sie beteiligt sich hier, bekleidet aber keine und strebt auch keine extrovertierte Position an. 2

Susann Brecht ist dem egozentrierten Raumtyp Zwei-Ebenen-Typ zugeordnet.

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Die wenige Zeit, die ihr gemeinsam mit der gesamten Familie bleibt, fordert sich Susann Brecht durch Versuche der Kontrolle ein: »Das reicht schon, wenn das hier morgens halb achte klingelt, denn bin ich schon genervt. Also sag’ ich immer: ›Nein, bis um acht ist einfach, da gehörst du uns! Komplett.‹« Ihr ist es wichtig, dass – trotz der Entbehrungen – ein harmonisches Familienleben stattfindet. Um dies herzustellen, geht es ihr vor allem um Kompensation des sozialen Konflikts und dem damit einhergehenden Bedingungsrahmen. Ihre Strategie: »[M]an muss da einfach auch versuchen Zeit, was für sich zu machen, ’n Hobby zu suchen und sowas und dass man auch hier wegfährt […]. Also auch, dass man abends mal weggeht, andere Leute sieht und haste auch mal ohne den Partner, ist auch wichtig.« Wobei ein freundschaftliches Netzwerk oder auch die Beziehung zu den Schwiegereltern, die nebenan wohnen, nur eine untergeordnete Rolle spielen. Obwohl Susann Brecht mir hinreichend erklärt, warum das Bleiben in ländlichen Räumen für sie zwischen Duldung und Verpflichtung changiert, kommt das Thema Umzug oder auch (sub-)urbane Räume in der Antwort nach der Zukunft nicht vor. Vielmehr hofft sie, »da muss mal irgendwann wieder was zurückkommen«, gemeint ist gemeinsame Zeit mit dem Partner. Mittelfristig möchte sie mehr arbeiten, ob das allerdings realistisch ist, ist zweifelhaft, schließlich soll der Hof vergrößert werden und ihr Ehemann »hat […] schon sehr seine Pläne, ist sehr zielstrebig.«

Typ Selbstverständliche Bleiberin: Ulrike Grawe – »Aber das war schicksalhafte Fügung würde ich sagen.« Aktuelle Situation Ulrike Grawe ist zum Zeitpunkt des Gesprächs 34 Jahre alt. Sie ist gelernte Verwaltungsfachangestellte und arbeitet in Vollzeit als Betriebswirtin. Sie wohnt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, mietfrei, im familiären Mehrgenerationshaus, gemeinsam mit ihrer älteren Schwester, pflegebedürftigen Oma sowie pflegebedürftigen Mutter. Sie macht einen gepflegten Eindruck, ist sehr offen und hat eine sehr freundliche Art. Das Gespräch findet an einem Frühlingsnachmittag in ihrem Wohnzimmer statt.

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Abbildung 8: Lebenslaufdarstellung Ulrike Grawe

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Bildungs-, Erwerbs- und Wohnbiographie Ulrike Grawe wächst in einem 5.700 Einwohner:innen-Ort auf. Dieser Ort liegt in einer sehr ländlichen und weniger guten sozioökonomischen Lage (BMEL 2020). Sie geht vor Ort in die Krippe, in den Kindergarten und in die Grundschule. Zum Gymnasium sind es 10 km. Nachdem sie 2003 das Abitur absolviert, bewirbt sie sich für unterschiedliche medizinische Ausbildungen und an (Fach-)Hochschulen im gesamten Bundesland. Die vielen Absagen wertet Ulrike Grawe nicht als Misserfolg, sondern als »schicksalhafte Fügung«. Schließlich bewirbt sie sich für eine kaufmännische Ausbildung vor Ort »und es kam, wie’s kommen musste, ich hatte die Hälfte meiner Klasse um mich herum.« Sie bekommt den Ausbildungsplatz und arbeitet an unterschiedlichen Standorten und in unterschiedlichen Positionen heute noch in diesem Unternehmen. Sie absolviert ein Fernstudium und verschiedene Weiterbildungen. Die Erwerbsarbeit hat für sie keinen hohen ideellen Stellenwert, sondern ist vielmehr Mittel zum Zweck. Das tägliche anderthalbstündige Arbeitspendeln bewertet Ulrike Grawe unterschiedlich. Zunächst rein pragmatisch, schließlich verortet sie hier ihre Ärzt:innen auf dem Weg und nutzt die Tour zum Einkaufen, dann aber auch positiv, schließlich ist »man […] in seinem Privatleben so eingeschränkt, wenn Beruf und Privatleben am selben Ort sind. Man geht einkaufen, wird angequatscht, man is’ nie privat, ne.«, und auch negativ, schließlich bedeuten die Baustellen »ein absolut hoher Stresspegel«. Umzugsgedanken hegt Ulrike Grawe nur zum Zeitpunkt des Schulabschlusses, realisiert diese aber nicht. Für sie gibt es nur einen Grund, warum Personen »ihre Heimat« verlassen: um mehr Geld zu verdienen. Sie attestiert diesen die »falschen Werte«, denn aus dem Verlassen des Ortes folgt ein Zurücklassen der Familie. In diesem Zusammenhang spielen die städtischen Räume eine Rolle. Sie führt zwar eine Fernbeziehung zu einem Partner in [Millionenstadt], besucht diesen auch dort, versucht allerdings, städtische Räume zu meiden: Die Atmosphäre (Hektik, Stress, Ungeduld), die Dichte und Enge und der Verkehr mindern ihre Lebensqualität. Räumliche Mobilität ist für Ulrike Grawe allerdings nicht per se ein Hindernis. Sie will regelmäßig Freund:innen in einer Millionenstadt oder Verwandte in Sachsen besuchen. Urlaube verbringt sie in Amerika. Bereits als Schülerin hat sie mithilfe kommunaler finanzieller Unterstützung Rüstzeiten gemeinsam mit der Kirche in amerikanischen Suppenküchen verbracht. Seit jeher spielt dieser Kontinent eine große Rolle für sie. Ihr größtes Glück ist es allerdings, wenn sie »wieder nach Hause fahr’n darf. Es is’ schön, wenn ich da bin, aber ich freu mich genauso, wenn

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ich wieder nach Hause fahr’n darf.« An dieser Stelle scheint die Teilabwesenheit als eine Bestätigung und Verfestigung des Bleibens zu fungieren. Soziale und räumliche Einbindung Um zu verstehen, warum Ulrike Grawe diesem Typ angehört, ist es wichtig, die Familiengeschichte zu kennen. Ulrike wächst in einem achtköpfigen Dreigenerationenhaushalt auf. Ihr Großvater betreibt eine Bäckerei im Haus, in der »die gesamte Familie gearbeitet« hat. Aufgrund seiner schweren Krankheit musste die Bäckerei schließen, nach langer Krankheit ist er verstorben. Nunmehr wohnt die jetzt pflegebedürftige Großmutter »im Laden«. Insgesamt sind das Wohnhaus sowie die Nachbargebäude sehr geprägt von der Zeit der laufenden Bäckerei. Es existieren noch die Stallungen der Pferde, mit denen das Brot ausgefahren wurde, Ulrike selbst wohnt in einer ehemaligen Gesellenwohnung. Auch ihr Onkel und ihre Tante wohnten im Haus. Ihre Tante verstirbt 2008. Der Onkel wohnt aktuell nicht mehr im Haus, was mit ihm ist, wird im Gespräch nicht klar. Ihr Großvater bestimmt, dass »Frauen […] keine Meister, keine Bäckermeister [werden]«, deswegen macht sich ihre Mutter zunächst mit einem eigenen Textilladen selbstständig, dieser ist allerdings in den frühen 2000er Jahren den »Ketten gewichen«, gemeint sind Texildiscounter. Sie arbeitet dann noch ein paar Jahre in der Produktion vor Ort, ist allerdings seit 2008 erwerbsunfähig und pflegebedürftig. Ulrike Grawes Vater ist Handwerker. Ihn erlebt sie als Vorbild. Mit ihm gemeinsam gestaltet sie Stück für die Stück das Bäckereihaus in ein altersgerechtes Mehrgenerationshaus um. Als er 2016 plötzlich verstirbt, verliert sie ihren »Anker« und damit den Boden unter den Füßen. Es folgt eine Orientierungsphase, in der sie sich existenzielle Fragen stellt, auch die Frage über das Gehen und Bleiben taucht dabei auf, letztlich resümiert sie: »Ich kann hier nicht weg.« Es wird sehr deutlich: Intergenerationale Solidarität und familiäre Bindung sind in ihrer Biographie mittlerweile zur Norm geworden. Gemeint ist ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das auf gegenseitige Hilfeleistungen, emotionale und räumlicher Nähe und gemeinsame Aktivitäten rekurriert. Das Bleiben zeigt sich als gesellschaftlich – vor allem familiär – akzeptierter Bestandteil, der allerdings zur selbstauferlegten Pflicht wird. Ein Ausdruck dieser hohen Verbundenheit findet sich in unterschiedlichen Facetten ihrer Biographie wieder. Die aktive, für Ulrike Grawe unhinterfragbare, Care-Arbeit hat Auswirkungen auf andere Lebensbereiche. Bspw. löst sie 2005 zugunsten der Familie ihre Fernbeziehung, denn mit ihr gehen räumliche Entfernung und zeitliche Abwesenheit und damit weniger Ressourcen, um

Die empirische Analyse

sich die Familie zu kümmern, einher. Zum gleichen Zeitpunkt ist sie aufgrund von Präsenzzeiten des Fernstudiums dazu gezwungen, ihren Inner Circle zu verlassen,3 »und im Endeffekt musste die Familie drunter leiden.« Aktuell kann sie sich eine Vereinbarkeit von Partnerschaft und den Verpflichtungen zu Hause nicht vorstellen. Eine enge Bindung hat sie zu ihrer zwei Jahre älteren Schwester, die in der Produktion vor Ort arbeitet, auch im Haus lebt, keine Kinder hat und derzeit nicht liiert ist. Neben den Reisen nach Amerika ist Ulrike Grawes großes Hobby das Reiten im Nachbarort. Mit ihrer Schwester teilt sie sich dort die Pflege eines Pferds. Darüber hinaus übernimmt sie ehrenamtlich die Buchhaltung des Reitvereins sowie auch des Kirchenvereins. Wenn sie in ihrer Freizeit nicht auf dem Reiterhof ist, ist sie entweder in der Kirchgemeinde aktiv oder übt ihr großes handwerkliches Geschick aus. Sie saniert, renoviert und restauriert das Haus sowie das Grundstück, sie versucht, »diese Häuser am Leben zu erhalten, weil ich möchte, dass das auch noch Generationen nach mir genießen könn’.« Ulrike Grawe pflegt sehr gute Beziehungen zu den Bewohner:innen ihres Wohnorts. Sie beteiligt sich bei Feierlichkeiten oder dem »Subbotnik«, ohne dass dieses Engagement im Gespräch eine besondere Aufmerksamkeit bekommt. Es ist sehr deutlich, dass Ulrikes verfestigte Mitgliedschaft im Inner Circle weniger an dem Ort und den ortsspezifischen Gelegenheiten liegt, sondern viel eher an der Verwobenheit der verräumlichten Materialität in Form des Eigenheims und an den sozialen familiären Beziehungen, die geprägt sind durch die Familiengeschichte und die hohe normative intergenerationale Solidarität. Ulrike Grawe wünscht sich für die Zukunft, jeden Bundesstaat in Amerika kennenzulernen; darüber hinaus eine eigene Familie und Kinder. Berufliche Veränderungen oder Höherqualifizierungen sind nicht mehr relevant. Am Ende des Gesprächs, in der Bilanzierungs- und Reflexionsphase, resümiert Ulrike Grawe, »[…] was hab’ ich mit fast fünfunddreißig schon für ’ne Lebensgeschichte, ne? Einer mit fünfundsechzig hat ’ne andere Geschichte zu erzählen, ne, aber ich bin nur ein klein-, ich bin ein kleines Rädchen von denen, die zu Hause geblieben sind«, und deutet an dieser Stelle noch mal an, was sich auch im gesamten Gespräch wiederfindet. Erstens: Fürs Bleiben spielt hier weder die Region, noch der konkrete Ort eine Rolle, Ulrike Grawe ist »zu Hause« geblieben, das Mehrgenerationshaus fungiert als materialisierter Ort des Bleibens. Und zweitens: Deutlich wird, dass bestimmte Deutungs- und Bewertungsschema bestehen, die Gebliebene in eine abwertende Position – als »kleines Rädchen« – sortieren. 3

Ulrike Grawe ist dem egozentrierten Raumtyp Konzentrischer-Kreis zugeordnet.

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Bleiben in ländlichen Räumen

Zusammenfassung und weitere Schritte Das Forschungsanliegen dieser Analyse ist die lebensweltliche Konstruktion des Bleibens in ländlichen Räumen. Leitend sind die Fragen: Welche unterschiedlichen Arten des Bleibens in ländlichen Räumen gibt es und wie werden diese in Einstellungen, Deutungen und Handlungen als Muster repräsentiert? Aus dem Material sind abduktiv Kernkategorien emergiert. Zu den vier Kernkategorien des Bleibens in ländlichen Räumen gehören: • • • •

ein bestimmter Grad an Mitgliedschaft im Ort, das heißt, welche Rolle das Verorten für die Gesprächspartnerinnen spielt der Aspekt Räumliche Mobilität, der genauer in den Eigenschaften Pendeln sowie Gehen zu finden ist die Einstellungen zu den städtischen Räumen die Bleibegründe und ihre Repräsentation im Gespräch

Ergebnis der Analyse dieser vier Kernkategorien sind polyethische Typen, das heißt, die zu einem Typ gehörenden Fälle sind bezüglich ihrer Kategorien und Eigenschaften nicht deckungsgleich, aber ähneln sich besonders. Letztlich ordnen sich diese in einem Kontinuum: zwischen den Polen eines extrovertierten kritischen Blicks auf das Bleiben in ländlichen Räumen sowie einer außerordentlichen Selbstverständlichkeit, mit der das Bleiben nicht infrage gestellt wird. Aus der Analyse sind folgende Typen der Bleibentypologie hervorgegangen: die Kritisch-positive, die Kritisch-negative und die Selbstverständliche Bleiberin.

Abbildung 9: Typen der Bleibentypologie

Die empirische Analyse

Bereits nach den ersten Analyseschritten wird deutlich, dass das Bleiben als ein biographischer Prozess verstanden werden muss. Das Bleiben in ländlichen Räumen nur anhand von Bleibegründen zu untersuchen, stellt sich als unterkomplex heraus. Vielmehr greifen hier unterschiedliche Dimensionen, die nicht nur Ursachen (die Bleibegründe) beinhalten, sondern auch Bedingungen, Strategien und den Kontext berühren. Diese Dimensionen wiederum werden ständig neu verhandelt und sind neben (erwerbs-)biographischen Hintergründen auch dem sozialen sowie situativen Kontext geschuldet. Der Typ Kritisch-positive Bleiberin definiert in vielfacher Hinsicht das Bleiben in ländlichen Räumen als Bedingungsfaktor des eigenen Wohlbefindens. Es ist charakteristisch, dass sich dieser Typ still, aber auch im Rahmen einer Organisation ehrenamtlich engagiert, z.B. durch Nachbarschaftshilfe oder im Dorfverein – auf der einen Seite, um die ländlichen Räume und ihre Bewohner:innen tatsächlich zu unterstützen bzw. zu repräsentieren, auf der anderen Seite aber auch, um Anerkennung der eigenen Leistungen im und für den Ort zu generieren, um ein Bleiben ständig zu verfestigen und sich Räume anzueignen. Dass die ländlichen Räume und das Bleiben hier in den Fokus rücken, ist auch Ergebnis einer reflektierten Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen Gegenteil: einem Umzug in städtische Räume. Es ist auffällig, dass Frauen dieses Typs aus der gesamten Fallauswahl der Untersuchung bereits Erfahrungen in städtischen Räumen gesammelt haben. Im Abgleich zwischen einem Leben in ländlichen als auch städtischen Räumen findet eine Bewertung statt: Allerdings nicht in Form von Abwertung oder besonders positiver Emporhebung eines Raumes, sondern vielmehr als Referenz zur eigenen Lebenssituation. Diese positive Positionierung wird in der Kommunikation gegenüber Dritten deutlich vertreten und artikuliert. Es erfolgt eine Selbstbeschreibung, die die Qualität der ländlichen Räume hervorhebt. Dieser Typ definiert sich im Lebenslauf als Geblieben, auch wenn bereits einen Alltag in anderen (städtischen) Orten stattfand. Im Vergleich zu den anderen Typen ist zu vermuten, dass der Kritisch-positive Typ den Modus, den der Selbstverständliche Typ vermittelt, anstrebt. Damit gemeint ist die von den Selbstverständlichen Bleiberin vermittelte selbstverständliche Akzeptanz und das unhinterfragte – überspritzt: konventionelle – Sein in ländlichen Räumen der Gesprächspartnerinnen selbst. Der Typ Kritisch-negative Bleiberin vermittelt latent, aber stetig, dass das Gehen in die städtischen Räume eine bessere Alternative zu den aktuellen Lebensbedingungen und -bedürfnissen darstellt. Auffällig ist, dass das von dem Typ Kritisch-positive Bleiberin als positiv Definierte an den ländlichen Räu-

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Bleiben in ländlichen Räumen

men hier ins Negative gekehrt wird: Die Natur, das Aufwachsen der Kinder, der Straßenverkehr, die geringe Siedlungsdichte – all dies stellt sich als problematisch für diesen Typ dar. Wobei die ländlichen Räume auch nur als Symptom eines anderen Problems gelten könnten. Aufgrund der sozialen Situation ist es für diesen Typ nicht möglich, die ländlichen Räume zu verlassen. Im Fallbeispiel bindet die Erwerbstätigkeit des Ehepartners, Landwirt in einem generationsübergreifenden Familienbetrieb, die Gesprächspartnerin an den Ort. Daher wird das Bleiben in ländlichen Räumen hier eher geduldet. Ziel ist eine Harmonisierung des Familienlebens. Besonders bei diesem Typ ist ausgeprägt, dass das Bleiben ein interaktionsgebundenes Phänomen darstellt. Es wird nicht allein verhandelt, sondern im Rahmen des sozialen Beziehungssystems. Der Typ Selbstverständliche Bleiberin: Auch für die Frauen, für die das Bleiben in ländlichen Räumen eine Selbstverständlichkeit darstellt, steht die Einbettung in einem sozialen Kontext im Vordergrund. Doch erfolgt dies weniger durch einen dynamischen Aushandlungsprozess, vielmehr ist diese Einbettung Produkt einer gesellschaftlichen Zuschreibung. Das Bleiben in ländlichen Räumen spielt hier eine Rolle in Form von einer unhinterfragten Normalität. Für diesen Typ ist charakteristisch, dass das Bleiben ein gesellschaftlich akzeptierter Bestandteil einer biographischen Zwangsläufigkeit ist, was gleichzeitig ein hohes Sicherheitsgefühl auslöst. Das heißt, das Bleiben und die ländlichen Räume bieten eine Kulisse für das eigene Wohlbefinden, hier kennen sich die Gesprächspartnerinnen aus, wissen zu (re-)agieren und wissen um Reaktionen anderer. Dieser Befund spricht dafür, dass das Bleiben in ländlichen Räumen als übergeordnetes Konstrukt auch situativ-kontextabhängig ist. Diese Wohlfühlkulisse kann aufrechterhalten werden, so lange sich nichts an den Lebensumständen ändert. Sofern Änderungen drohen, wird alles dafür getan, den alten Zustand des Bleibens aufrechtzuhalten, z.B. werden Fernbeziehungen abgebrochen, sobald die Forderung auftaucht, zum:zur Partner:in zu ziehen. Vor diesem Hintergrund ist zwar auffällig, aber wenig verwunderlich, dass die Gesprächspartnerinnen dieses Typs einen Umzug in städtische Räume konsequent ablehnen. Dieser Typ hatte bisher in der Regel keinen Alltag in städtischen Räumen. Mit Blick in die soziodemographischen Angaben der Gesprächsteilnehmerinnen fällt auf, dass diesem Typ vor allem jene Gesprächspartnerinnen zugeordnet sind, die Alleinerziehende und/oder in einer LAT-Beziehung sind. Ihr Einkommen ist im Vergleich zu den anderen Typen niedriger. Darüber hinaus ist symptomatisch, dass gerade sie kleinräumiger zur Miete oder mietfrei wohnen. Oftmals haben sie eine

Die empirische Analyse

eigene Wohnung im Elternhaus, gemeinsam mit den Eltern und häufig auch weiteren Familienmitgliedern. Im Zuge der Auswertung wird unverkennbar, dass der Raum, in dem geblieben wird, keineswegs nur eine Randbedingung ist, sondern etwas Grundlegendes, Relevantes für eine Erklärung des Bleibens. Deutlich wird das bspw. innerhalb eines Typs, wenn von der Nutzung und Bedeutung unterschiedlicher Räume die Rede ist. Für eine Person ist eine ganze Region relevant, für andere das Dorf, nur Straßenzüge oder der Raum zwischen sich und den Eltern. Schließlich ist die Konstitution Raum in die Handlungsabläufe integriert (Kaspar 2013: 180). Bereits in der vorangegangenen Analyse wurde ersichtlich, dass vielschichtige Verflechtungen zwischen dem Bleiben und einem relevanten Raum aufgrund biographischer (bspw. familiengeschichtlicher) Bedeutungen und der Begegnung mit ihnen in lokalen Alltagskontexten existieren. Die bisher eingenommene Perspektive und auch Analyse konnte den Raum als Ausgangspunkt noch nicht hinreichend fokussieren. Dies soll weiter ausformuliert werden, um einer empirischen Sättigung der Konstruktion des Bleibens in ländlichen Räumen gerecht zu werden. Es besteht die Annahme: Das Bleiben der Gesprächspartnerinnen, ihre Verortung, entsprechende Sichtweisen sowie Handlungsfähigkeiten und -möglichkeiten lässt sich auch in der Antwort auf die Frage – Wo bleibe ich? – finden. Die Raumdeutung, -wahrnehmung und -produktion sind bedeutende Aspekte einer Analyse über das Bleiben. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich ein nächster Arbeitsschritt: eine weitere, raumsoziologische Betrachtung der vorliegenden Daten. Eine Typologie, die ein Raumbild zeichnet, welches aus bestimmten Raumkonstruktionen – gemeint sind Raummuster und Raumkonstitutionen und deren prozesshafte Gestaltung – besteht.

Typologie der relevanten Räume des Bleibens Kategorien zur Erfassung des Raums Ein relationales Raumverständnis, wie es in dieser Arbeit verwendet wird, geht davon aus, dass Räume von den subjektiven Interpretationen und Sinnzuschreibungen der Gesprächspartnerinnen – und im weiteren auch der Forscherin – konstruiert werden (Grieser 2018: 91). Wobei ein individueller Raum infrage gestellt wird, schließlich werden Räume biographisch erfah-

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Bleiben in ländlichen Räumen

ren, erinnert und sie sind Teil einer alltäglichen Praxis, welche wiederum durch soziale und institutionelle Aspekte vorgeschrieben und strukturiert werden. Das bedeutet auch, dass die Gestalt und die Gestaltung des Raumes wiederkehrend infrage gestellt werden. Schließlich ist die Konstruktion mit Entscheidungsprozessen in der Biographie verknüpft. Eine Konstruktion ist daher sowohl permanent und auch prozessual, sie findet in der Regel unbewusst statt. Leitend ist immer noch das Forschungsinteresse, das Phänomen Bleiben in ländlichen Räumen zu konstruieren. In Bezug auf die Konstruktion der Räume wird von drei Annahmen ausgegangen: Erstens, Räume haben handlungsrelevante Auswirkungen auf die Konstitution dieses Phänomens. Die Frage – Was ist der relevante Raum? – rückt ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Fortlaufend wird von dem relevanten Raum die Rede sein. Diese spezifische Benennung ist deswegen wichtig, weil sie deutlich macht, dass hier nicht per se der ländliche Raum gemeint ist, wie er durch statistische Indikatoren definiert wird. Diese können zwar ein Teil des relevanten Raums sein, es ist sogar möglich, dass diese deckungsgleich sind. Den ländlichen Raum allerdings mit dem einen Lebensraum gleichzustellen, wie er von den Gesprächspartnerinnen interpretiert wird, ist eine verkürzte Darstellung. Um also eine möglichst hohe Offenheit der Raumkonstruktion zu gewährleisten, wird von dem relevanten Raum gesprochen. Zweitens, die Gesprächspartnerinnen zeichnen hier einen Raum (Weidenhaus 2015 spricht hier von Welt). Dieser ist zwar nach außen konturlos, um allerding die Beschreibung und dem Muster des relevanten Raums gerecht zu werden, wird hier das Konzept der Grenze, hier auch Ebene, eingeführt. Wenn mehrere Ebenen vorhanden sind, werden diese durch Differenzierungsleistungen unterschiedlicher Qualitäten voneinander unterschieden (ebd.: 45ff., Löw/Weidenhaus 2018). Auf dieser Weise soll die Pluralität räumlicher Bezüge in den Fokus rücken. Drittens, die Konstruktion des relevanten Raums kann einen Mehrebenencharakter besitzen (Schroer 2006: 222ff.). Ebenen bieten die Möglichkeit, auf der einen Seite das Raummuster näher zu beschreiben, auf der anderen Seite aber auch die Syntheseleistung der Elemente differenzierter zu betrachten. So ist es empirisch möglich, dem Duktus der »Diversifizierung des Raums« (ebd.: 223) zu folgen, ohne dabei in ein begriffliches Chaos aus unterschiedlichem Gebrauch des Raum-Begriffs zu stürzen.

Die empirische Analyse

Auf der Ebene der Fälle lassen sich ganz unterschiedliche Raummuster aufstellen und dennoch lassen sich fallübergreifende Aspekte entdecken, die eine Typisierung rechtfertigen, so dass sowohl eine interne Homogenität auf der Ebene der einzelnen Typen zu finden ist als auch eine externe Heterogenität vor dem Hintergrund des Vergleichs der aufgestellten drei Typen (Kelle/Kluge 2010: 85). Aus dem empirischen Material sind zwei qualitative Kernkategorien emergiert, die zum Gegenstand werden, wenn die Gesprächspartnerinnen ihren relevanten Raum, in dem sie bleiben, thematisieren. Es handelt sich um • •

Raummuster, welche dem relevanten Raum eine äußere Struktur und ein Muster bieten, sowie Elemente, welche raumkonstituierende Bedeutungen sowie deren räumlichen Relationen aufzeigen.

Mithilfe dieser beiden Aspekte lässt sich der relevante Raum der Gesprächspartnerinnen konstruieren. Die Raummuster bieten eine Form, die den Raum beschreibt. Allerdings können diese nicht unabhängig von dem jeweiligen Inhalt betrachtet werden. Dieser Inhalt spiegelt sich in den aufgestellten Elementen wider. Wobei es nicht um eine bloße Anwesenheit der Elemente geht, sondern vielmehr um ihre Beziehung untereinander. Beide Kernkategorien stehen in einer Wechselwirkung und -beziehung zueinander. Um diese beiden Kernkategorien selbst zu charakterisieren sind wiederum thematische Aspekte nötig (Subkategorien), die in unterschiedlicher Weise auf das Gerüst der jeweiligen Kernkategorie Einfluss nehmen. Für die aufgestellte Typologie ist kennzeichnend, dass eine klare Trennung, ohne eine Bezugnahme einzelner Kern- und Subkategorien, weder sinnvoll, noch möglich ist. Darüber hinaus sind manche Subkategorien als primär und konstitutiv, und andere als sekundär und damit hinreichend zu deuten. Aufgrund dessen ist es möglich, dass einzelne Fälle sich nur in Nuancen unterscheiden und damit einem anderen Raumtypen zugeordnet werden können. Relevante Kernkategorien sowie deren Subkategorien der Raumtypologie sind:

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Bleiben in ländlichen Räumen



Raummuster − − − −



Anzahl der Ebenen Grenzkonstruktion Funktions- und Verfügungsoption Identifizierungsgrad

Elemente − −

Bedeutung Verhältnis untereinander

Raummuster Um das Raummuster zu beschreiben, sind vier Subkategorien relevant: die Anzahl der Ebenen, Grenzkonstruktion, eine Funktions- und Verfügungsoption über die Ebenen und der Grad der Identifizierung. Anzahl der Ebenen Sehr schlicht handelt es sich in dieser Subkategorie einzig um die Aufzählung der von den Gesprächspartnerinnen beschriebenen Ebenen, die dem relevanten Raum inne sind. Und obwohl dies zunächst lapidar erscheint, zeigt sich an dieser Stelle schon deutlich das jeweilige Raummuster, das bereits die Raumkonstitution vermuten lässt. Dabei wird unterschieden zwischen Gesprächspartnerinnnen, die eine einzige Ebene thematisieren, dies ist dann gleichzeitig der relevante Raum, so ist es beim Typ Netzwerk der Fall, und Gesprächspartnerinnen, die zwei oder mehr Ebenen konstruieren. Die Unterscheidung zwischen zwei und mehr als zwei Ebenen ist deswegen wichtig, weil die Raumkonstitution des Zwei-Ebenen-Typs eine harte Grenzziehung zwischen den Ebenen beinhaltet und dieser Aspekt wesentlich ist für die Charakterisierung. Grenzkonstruktion Vielleicht mutet es zunächst paradox an, vor dem Hintergrund eines relationalem Raumverständnisses Grenzen mitzudenken. Doch ohne die Einsichten von relationalen Raumkonzepten zu negieren, ist es für das Forschungsanliegen wichtig, mittels Grenzziehung empirisch ermittelte Ebenen und damit auch den relevanten Raum zu konstruieren (Weidenhaus 2015, Löw/

Die empirische Analyse

Weidenhaus 2018). Relationen – und in dieser Arbeit die Relation von verschiedenen Ebenen des relevanten Raumes – bedürfen eine gegenseitige Abgrenzung. Grenzen sind weniger physisch territorial zu betrachten, sondern vielmehr als ein Mittel, das die Relationen von Räumen (und in diesem Fall Ebenen) möglich macht. Sie beziehen sich auf bestimmte Kontexte und formen eine Maßstäblichkeit der Ebenen des gesamten relevanten Raums. Grenzsetzungen sind demnach Differenzierungsleistungen (Weidenhaus 2015: 45ff.). Wobei hier das bisher zur Analyse genutzte Grenzkonzepts Weidenhaus dahingehend verändert wird, dass weniger ein starres Innen und Außen begriffen wird, sondern vielmehr »als feine Linie […] die mal rigide institutionalisiert, mal durchlässig, mal flexibel [ist]« (Karafillidis 2010: 71). Damit geht auch einher, dass nicht per se nur eine Grenze vorhanden ist, sondern der relevante Raum auch durch mehrere Ebenen, durch mehrere Grenzen, gekennzeichnet werden kann. Grenzen sind also nötig, um eine Unterscheidung hervorzurufen. Diese Differenzierung beinhaltet bestimmte Gemeinsamkeiten nach innen und gleichzeitig bestimmte Unterschiedlichkeiten nach außen. Das Verhältnis von Innen und Außen bestimmt, in welcher Beziehung die (mindestens zwei) Ebenen zueinanderstehen. Die Komplexität des Raums, welche sich durch die Wertigkeit der Ebenen, die beinhalteten Elemente sowie die geforderten Ansprüche definiert, kann mittels Grenzkonstruktionen näher charakterisiert werden. Sofern es ein Innen gibt, gibt es auch ein Außen, auch wenn dieses »hochgradig unscharf und konturlos« ist (Weidenhaus 2015: 46). Funktions- und Verfügungsoptionen Ein Mittel der Differenzierung von möglichen Ebenen ist die Bestimmung einer Funktions- und Verfügungsoptionen der Gesprächsteilnehmerinnen über den relevanten Raum bzw. im Rahmen der ermittelten Ebene. Funktion meint die eigene Wirkung der Gesprächsteilnehmerinnen im Raum, Verfügung hingegen den Umgang mit den vorhandenen Mittel im Raum. Es geht um die Realisierung bestimmter Ansprüche des Lebensentwurfs und um die Fragen: Welche Möglichkeiten habe ich hier? Gibt es eine Wahl? Kann ich meinen Ansprüchen nachgehen? Kann ich den Raum, die Ebene selbst- und mitgestalten? Habe ich alles zur Verfügung? Kann ich mich hier entfalten? Und auch: Wie sicher und frei fühle ich mich hier? Im Mittelpunkt stehen also Fragen nach den Handlungs- und Entscheidungsoptionen und -möglichkeiten in und über einzelne Ebenen bezüglich einer Nutzung und Gestaltung des Raums bzw. der

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Ebene. Dabei wird zwischen manifesten sowie latenten Funktionen- und Verfügungsoptionen unterschieden: Die manifesten sind den Gesprächspartnerinnen bekannt bzw. werden bewusst herausgefordert und in den Gesprächen auch so repräsentiert; latente hingegen sind und wirken nicht intendiert. Wenn der relevante Raum in unterschiedlichen Ebene eingeteilt ist, werden den Ebenen verschiedene Funktions- und Verfügungsoptionen zugewiesen. Möglich ist z.B., dass ein Inner Circle konstruiert wird: Das ist eine innere Ebene des relevanten Raums, die sich durch eine Differenzierungsleistung von einer anderen, äußeren Ebene, unterscheidet. Die Qualität an Funktionund Verfügungsoptionen ist in diesem Inner Circle besonders hoch. Wird der Inner Circle als positiv gewertet, spiegelt sich dies in Form eines Aneignungsprozesses in dieser Ebene wider. Dieser Prozess erschließt sich insofern, als dass die Gesprächspartnerinnen wissen, wie sie im Raum bzw. in der thematisierten Ebene handeln können und welche Reaktionen von außen aufgrund ihrer Handlung zu erwarten sind. In all diesen Aspekten steckt das Bedürfnis der Gesprächsteilnehmerinnen eine möglichst hohe Sicherheit zu erfahren und das Bedürfnis nach einer Vertrautheit, einem Sich-Auskennen. Die Einteilung der Typen basiert auf der Grundlage, ob die Gesprächsteilnehmerinnen wissen, sich im Raum zu bewegen und wissen, welche Funktionen dieser erfüllt und inwieweit sie ihn nutzen können. An dieser Stelle spielt die Qualität der vorhandenen Elemente eine wesentliche Rolle. Je nachdem, wie diese ausgestattet sind, beeinflussen sie im Wesentlichen die Funktions- und Verfügungsoptionen. Diese Subkategorie der Kernkategorie Raummuster dient einer Hierarchisierung einzelner inhärenter Ebenen des gesamten relevanten Raums. Identifizierungsgrad Ob und inwieweit die Gesprächsteilnehmerinnen in dem Raum, auf der Ebene, handeln können, entscheidet auch über den Grad der Identifizierung. Sofern sich also unterschiedliche maßstäbliche Identifizierungen mit Ebenen ergeben, schließt das wiederum auf das Raummuster. Der Grad an Identifizierung ist im Wesentlichen abhängig von der Gewichtung einzeln platzierter Elemente im Raum bzw. innerhalb der Ebene. Diese Subkategorie zeichnet sich durch eine besondere Nähe zur vorgenannten Kategorie, den Funktions- und Verfügungsoptionen, aus. Der Unterschied besteht darin, dass der Identifizierungsgrad eine besondere Form der Zugehörigkeit ist, dabei ist es nicht relevant,

Die empirische Analyse

auch eine bestimmte Kontrolle über die Elemente des Raums bzw. der Ebene zu haben, so wie es Teil der Funktions- und Verfügungsoption ist.

Elemente Elemente sind für die Raumkonstruktion konstitutiv. Ohne sie erhält der Raum keine Beschreibung. Aus den Gesprächen gehen sie durch autobiographischen Thematisierung hervor (Schütze 1984).4 Elemente sind zwar deutlich voneinander abzugrenzen, allerdings können sie Bestandteile eines anderen Elementes sein. Bspw. kann das Eigenheim als Element auch Bestandteil einer bestimmten Atmosphäre des Raums sein und dennoch können sie gleichwertig für sich allein stehen. Elemente werden sowohl als physische, also dingliche Bestandteile des Raums wahrgenommen, können aber auch eine kognitive Konsistenz besitzen, bspw. als Idee, als Vorstellung, als Wunsch. In den Gesprächen tauchen für jeden Fall unterschiedliche Elemente und Bezugssysteme auf. Die folgende Abbildung zeigt die wesentlichen Elemente, die in den geführten Gesprächen relevant für die Raumkonstitution sind.

Abbildung 10: Elemente

Quelle: eigene Darstellung

Die Kernkategorie Elemente beinhaltet zwei Subkategorien: Zunächst welche Bedeutung einzelne Elemente für die Biographieträgerinnen haben und

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»[die] vom Biographieträger und Erzähler im prädikativen Aussagen und Ansprechen selbst formulierte[n] Aspekt[e]« (Schütze, Fritz 1984: 103).

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in welchem Verhältnis einzelne Elemente zueinanderstehen. Beide Merkmale bedingen einander. Bedeutung Die ermittelten Elemente haben eine bestimmte Bedeutung und Funktion, damit geht auch eine bestimmte Qualität für die Gesprächsteilnehmerinnen einher. Gleiche Elemente können daher für unterschiedliche Gesprächsteilnehmerinnen ganz verschieden relevant sein. Hintergrund sind die unterschiedlichen Ansprüche an die diversen Elemente. Auf der Grundlage dieser Bedeutung ergeben sich die spezifische Relevanz und damit auch die Einordnung auf einer bestimmten Ebene. Die Elemente, die sich im Innen, also im Inner Circle befinden, haben für die Gesprächspartnerinnen in der Regel eine besondere Qualität und grenzen sich dadurch von den Elementen im Außen ab. Verhältnis Bei der Analyse des Raumes ist fraglich, in welchem Verhältnis bedeutende Elemente thematisiert werden, ob sie verglichen werden, eventuell in Konkurrenz zueinanderstehen, gleichwertig nebeneinander existieren oder vielschichtige Verflechtungen aufweisen. Sofern Elemente nicht auf einer Ebene behandelt werden, einem Element also mehr bzw. weniger Wert zugesprochen wird, spricht dies wiederum für eine maßstäbliche Unterteilung des relevanten Raums, was wiederum relevant für die Grenzkonstruktionen ist.

Tabelle 11: Raumtypologie Typ/Kategorie

KonzentrischerKreis-Typ

Zwei-Ebenen-Typ

Netzwerk-Typ

Anzahl der Ebenen

>2

=2

=1

Grenzkonstruktion

wenig ausgeprägt, verschachtelt

eine deutliche Grenzziehung

keine Grenze

Raummuster

Die empirische Analyse

Funktions- und Verfügungsoption

in den unterschiedlichen Ebenen: unterschiedliche Optionen

innerer Kreis konträr zum äußeren Kreis (handlungsmächtig/ohnmächtig oder handlungsohnmächtig/-mächtig)

relevanter Raum soll Optionen bieten, aber ob die konkret wahrgenommen werden, ist nebensächlich

Identifizierungsgrad

hohe positive Identifizierung mit dem Inner Circle, nimmt nach außen ab

hohe Identifizierung mit dem Inner Circle, ein Außen wird diametral zum Innen gewertet

mittlere Identifizierung

Bedeutung

nimmt nach außen ab

im Inner Circle gleichwertige, im Außen konträr zu jenen im Innern

ähnlich, gleichwertig

Verhältnis

schwaches, loses Verhältnis

innerhalb der Ebene enges Verhältnis

enges Verhältnis

Elemente

Drei Typen des relevanten Raums Im Folgenden werden drei Typen, die unterschiedliche egozentrierte relevante Räume des Bleibens thematisieren, umfassend charakterisiert. Die Unterschiedlichkeit der Kategorien bildet gleichzeitig die Grenze zwischen den einzelnen Typen. Dabei geht es weniger um einzelne biographische Verläufe, sondern vielmehr um gemeinsame bzw. unterschiedliche konzeptionelle Vorstellungen bestimmter Phänomene, die sich in den Eigenschaften der Kategorien widerspiegeln. Und dennoch besteht innerhalb der einzelnen Typen eine Varianz. Einzelne Fälle in den Typen sind nicht deckungsgleich, ähneln sich nur oder besetzen gar Zwischenpositionen auf der Ebene der Typologie.

Konzentrischer-Kreis-Typ Die Raumkonstruktion dieses Typs hat zwei wesentliche Merkmale: einen Mittelpunkt im Inneren und die Verschachtelung mehrerer Ebenen nach außen. Das Raummuster des Typs beinhaltet mehr als zwei Ebenen. Wobei sie von wenig ausgeprägten Grenzen differenziert werden. Der Mittelpunkt ist für die

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Bleiben in ländlichen Räumen

Gesprächspartnerinnen unterschiedlich und nicht per se territorial definiert. Für Daniela Hildenbrandt (Kritisch-positive Bleiberin) ist es bspw. die Siedlung, in der sie wohnt, für Bea Schmidt (Kritisch-positive Bleiberin) ist es der gesamte ländliche Raum und für Eva Steinhagen (Kritisch-positive Bleiberin) ist es eine ganze Region, die aus einer räumlichen Perspektive Ausgang ihres alltäglichen Lebens und wichtig für ihr Bleiben ist. All diese subjektiv relevanten Orte sind Ausgangspunkte und eine erste, deutlich hervorstehende Ebene, in denen Elemente platziert werden (Löw 2012: 198). Im Weiteren folgen mehrere Ebenen, die nach außen verblassen. Deutlich werden hier bereits zwei Aspekte: •



Orte orientieren sich nicht an bestimmten administrativen Grenzen, das heißt, sie sind nicht territorial bestimmt, sondern Produkte der Platzierung der Elemente. Zwar sind die Gesprächspartnerinnen, die als Beispiele herangezogen werden, dem gleichen Bleibetyp zugehörig, aber der konkrete, materialistische, territoriale Raum ist ganz unterschiedlich.

Die Hervorhebung des Mittelpunkts drückt sich in einem hohen Grad an Funktions- und Verfügungsoptionen in dieser Ebene aus. Im weiteren Verlauf, in anderen Ebenen, nehmen diese Funktionen- und Verfügungsoptionen ab. Im Inner Circle können demnach die Gesprächspartnerinnen autonom agieren, es besteht ein großer Handlungsspielraum, in dem praktiziert wird, Ansprüche werden hier realisiert. Das Bewegen im Mittelpunkt führt zu einer großen Sicherheit im alltäglichen Denken und Handeln. Ulrike Grawe (Selbstverständliche Bleiberin) beschreibt ihren Mittelpunkt des relevanten Raumes folgendermaßen: »[J]eder kennt jeden, du brauchst keine Angst haben, dass dir irgendwas passieren kann. Dieses Schutzgefühl, wie so ’n kleiner Kokon um einen drum.« Mit diesem hohen Grad an Sicherheit geht gleichwohl eine hohe Identifizierung mit dem Inner Circle einher. Teil dieser hohen Identifizierung ist eine Art Wechselbezüglichkeit, das heißt, von diesem Mittelpunkt aus, an diesem Ort, wird soziale Anerkennung erfahren. Allein die Anwesenheit an diesem Ort wird positiv bewertet und die ganze Person wird dort akzeptiert. Häufig ist dies begleitet von Erzählungen, die ganze Generationen der Familie betreffen. Bspw. bei Daniela Hildenbrandt (Kritisch-positive Bleiberin), sie berichtet da-

Die empirische Analyse

von, wie die Nachbarschaft es aufgenommen hat, dass sie und ihr Mann ein Haus in dem Teil des Ortes sanieren, in dem beide groß geworden sind: »[O]der auch, als wir gebaut haben, war’s eben, hat keiner gewagt, was zu sagen, weil wir einfach von hier kommen. Und das junge Paar, was sich dort das Haus gekauft hat, die ähm haben ähm ja, das ist das schon anders, ne? Also ähm, weil die Leute denn sagen ›Oh, die bauen schon wieder. Ist doch Mittagszeit. Ich doch so spät abends, ne?‹ Das hat bei uns keiner gewagt zu sagen, weil wir einfach von hier kommen. Sie waren total froh, dass wir hergekommen sind, ne?« Oder Bea Schmidt (Kritisch-positive Bleiberin), die ihre Verbundenheit zu den ländlichen Räumen, die für sie den Mittelpunkt darstellen, mit etwas Ursprünglichem, auch Religiösem identifiziert: »[S]onst so der Wechsel der Jahreszeiten und, und auch die Tierwelt. Das ist einfach – man ist an allem nah dran so und, und auch eigentlich auch an der Schöpfung nah dran.« Die unterschiedlich maßstäblichen Ebenen, die nach dem Inner Circle folgen, stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis, folgen aber einer Hierarchie, mit der reflexiv umgegangen wird. Den Gesprächspartnerinnen ist in der Regel bewusst, dass auf den unterschiedlichen nach außen verschachtelten Ebenen andere Rahmenbedingungen, Voraussetzungen, Normen gelten, die dazu führen, dass die Funktions- und Verfügungsoptionen eingeschränkt werden. Gleichzeitig nimmt der Grad an Identifizierung ab. Exemplarisch dazu beschreibt Eva Steinhagen (Kritisch-positive Bleiberin) eine Situation, in der deutlich wird, dass sie in einem Außen restriktiver handelt. Dabei ordnet sie die Stadt als Element nicht dem Inner Circle zu, sondern einer anderen Ebene, weiter außen. Das bedeutet nicht, dass sie an der Stadt in all ihren Charakteristika nicht partizipiert, sie verbringt dort ihren Urlaub, arbeitet zeitweise dort, besucht Konzerte und dennoch wird Stadt auf einer Ebene beschrieben, die nicht notwendigerweise dazugehört: »[Dass ich] in ’ner Stadt nie so rumlaufen würde, […] ungekämmt, von Schminken wollen wir gar nicht reden, aber das mach ich in der Stadt auch nicht immer, also von daher ist das jetzt nicht so der Punkt, aber ungekämmt in [Wohnort-]Klamotten nennen wir es, […] würd’ ich nie, würd’ ich nie, wäre ich in [Mittelstadt] oder [Millionenstadt], nie aus dem Haus gegangen. Hier? Ist das überhaupt kein Problem.«

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Analog zu den beschriebenen Ebenen, die nach außen hin in ihrer Bedeutung abnehmen, verhält sich die Qualität der Elemente, mit denen die Ebenen gefüllt sind. Elemente sind die Familie, wenn bspw. eine intergenerationale Solidarität eine große Rolle spielt, oder die Atmosphäre, dann, wenn der Raum eine bestimmte Emotion auslöst, wie Ulrike Grawe (Kritisch-positive Bleiberin) es beschreibt: »Ruhe, [ein] schönes Gefühl«, oder soziale Beziehungen, die einen bestimmten Grad an Zufriedenheit bzw. auch Unzufriedenheit auslösen. Charakteristisch sind Erzählungen, in denen es klare Auseinandersetzungen mit den unterschiedlich angesprochenen Elementen gibt. Wie z.B. Kathi Hoppe (Kritisch-positive Bleiberin), die sich gern selbstständig machen möchte, aber für den Vertrieb der Produkte nur wenig Zeit zur Verfügung hat. Das Element aktuelle Erwerbsarbeit steht zwar nicht im Mittelpunkt und doch leistet es etwas für ihre Alltäglichkeit, in diesem Fall ist es immer noch existenzsichernd für sie, auch wenn damit keine hohe Identifizierung (mehr) stattfindet. »›Ihr könnt Geld verdienen bis der Arzt kommt‹, ich sag’: ›Ja, wie denn? Wenn ich 38 Stunden in dem scheiß Reformhaus mich langweile für 1700 Euro‹. […], ich hab’ da kein’ Bock mehr drauf.« Auffällig ist zudem, dass einzelne relevante Elemente, auch auf einer Ebene, nur ein schwaches Verhältnis zueinander haben, zwischen ihnen also keine feste Beziehung besteht und Elemente nur bedingt auf einander Einfluss nehmen oder in Beziehung stehen. So haben bspw. Veränderungen, die die Erwerbsarbeit betreffen, nur sehr wenige Auswirkungen auf das Familienleben, obwohl beide Elemente einer Ebene zugeordnet werden können. Die Raumkonstruktion des Typs Konzentrischer-Kreis wird bildlich bespielhaft mit fünf Ebenen in der folgenden Abbildung dargestellt, möglich sind auch mehr oder weniger Ebenen:

Die empirische Analyse

Abbildung 11: Raumkonstruktion Konzentrischer-Kreis-Typ

Zwei-Ebenen-Typ Charakteristisch für diesen Typ ist die Einteilung des relevanten Raums in zwei konträr zueinander liegende Ebenen und die damit verbundene deutliche Grenzziehung. Im Gegensatz zum Konzentrischer-Kreis-Typ sind die Grenzen hier nicht schwach ausgebildet bis verschwommen, sondern die zwei Ebenen werden deutlich voneinander differenziert. Was nicht bedeutet, dass einer Ebene mehr Wert zugesprochen wird, vielmehr, dass sowohl das Innen als auch das Außen gleichbedeutend relevant sein können. Das heißt, beide Ebenen, die zwar mit anderen Elementen gefüllt sind, haben eine bestimmte Bedeutung, haben eine bestimmte Qualität. Darüber hinaus existiert, trotz ihrer Unterschiedlichkeit, eine Verbindung, bspw. werden diese Ebnen häufig als gegenseitige Referenz genutzt. So wie Nadine Martens (Selbstverständliche Bleiberin) das praktiziert, die ihre Arbeitgeber, ihre Schwester sowie ihr »Leben« auf dem Dorf stets in Bezug zur anderen Ebene, hier der Stadt, einordnet: »Ich mein’, du merkst auch, dass mein Chef und Chefin jetzt so von der Stadt kommt praktisch, ne? […] meine Schwester. Die war schon immer so für Stadt, ne? […] auf ’en Dorf ist, ist ein besseres Leben wie in der Stadt, muss ich sagen.« Im Gespräch wird deutlich, dass Nadine Martens die Stadt als Ebene und Element, das sich im Außen befindet, konträr zu Elementen im Inner Circle cha-

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rakterisiert. Im Innenraum hat sie eine hohe Funktions- und Verfügungsoption, was ihr eine hohe Sicherheit bietet. Hier weiß sie sich zu bewegen und kann einschätzen, welche Folgen ihre Handlungen haben. Im Außen hingegen ist das völlig gegensätzlich, hier besitzt sie kaum Möglichkeiten zu handeln, ist eher fremdbestimmt und kann kaum autonom entscheiden. So ist sie in der Stadt bspw. kaum in der Lage, sich den Raum selbst zu erschließen. Sie versucht die Stadt zu meiden. »[W]o ich gedacht hab, nee, ich will hier wieder weg, ne? Das war, das war einfach nichts für mich, diese ganzen Menschen, dieser Tumult und überall dieses Gehupe, dieser Lärm und ’ne, irgendwie … war dat nicht schön.« (Nadine Martens) Die zwei Ebenen enthalten diametrale Beschreibungen. Es geht zwar um ähnliche Qualitäten, aber mit unterschiedlichen Vorzeichen. Susann Brecht (Kritisch-negative Bleiberin) zeigt, dass es auch andersherum geht. In dem von ihr gedeuteten Inner Circle beschreibt sie sich als handlungsunfähig, als fremdbestimmt. Eben hier hat sie nur wenig Möglichkeiten, autonom zu handeln und zu entscheiden. Ihr Mann ist Landwirt und sie qua Beruf des Mannes an das Grundstück, vor allem an seinem Alltag und an das konkrete Lebensumfeld, das sich nach der Landwirtschaft richtet, gebunden. In dem von ihr gedeuteten Inner Circle fühlt sie sich handlungs- und funktionsohnmächtig. Sie sieht nur wenige Optionen für sich, ihren eigenen Lebensentwurf zu gestalten, geschweige denn zu realisieren. Aber auch hier wird das vermeintliche Gegenteil, die andere Ebene, als Referenz genutzt. Der äußeren Ebene und dem darin enthaltenen Element Stadt bescheinigt sie eine hohe Funktions- und Verfügungsoption, die in der Regel mit einer Abwertung des jetzigen Wohnorts einhergeht. Susann Brechts Vorzeichen des Inner Circle sind negativ. Sie stellt den Kontrast, das Außen, positiv da. Mit der Bewertung der unterschiedlichen Ebenen geht auch der Grad an Identifizierung einher. Im Inner Circle gibt es eine hohe Identifizierung, wenn auch für die Gesprächspartnerinnen diese unterschiedlichen Vorzeichen haben, das heißt, sie sich zugehörig fühlen oder auch nicht. Auffällig ist zudem, dass ein hoher positiver Grad an Identifizierung im inneren Kreis häufig mit normativen Vorstellungen über diese Ebene einhergeht. Das heißt, die Bewertung des inneren Kreises ist an eine Verbindlichkeit zu dieser geknüpft, die nur schwer zu lösen ist. Bspw. beschreibt Lea Prokop (Kritisch-positive Bleiberin) sich als »Dorfkind«. Dieses Motiv legitimiert soziale Handlungen, da diese unhinterfragt gesellschaftlich akzeptiert sind.

Die empirische Analyse

Mit diesem Bild geht scheinbar eine bestimmte Haltung einher, nämlich sich nichtstädtisch zu verorten: »[A]ber es war [in der Stadt] eben immer voll und immer irgendwie doof und ja, wenn man Dorfkind ist und nichts Anderes kennt, dann hält man’s in der Stadt irgendwie auch nicht lange aus.« Hinsichtlich der Elemente, die für den relevanten Raum und die einzelnen Ebenen von Bedeutung sind, ist auffallend, dass diese im Inner Circle nur wenig trennscharf voneinander beschrieben werden. Das heißt: Im Vergleich zu den anderen Raumtypen wird nicht deutlich, ob an ein Element, wie bspw. eine soziale Beziehung, höhere Ansprüche gestellt werden, als an ein anderes Element, wie bspw. die Atmosphäre. Die Elemente sind eher gleichbedeutend und in enger Beziehung zueinander. Für Susann Brecht (Kritisch-negative Bleiberin), deren räumliche Konstruktion maßgeblich vom Beruf des Mannes, der Landwirt ist, abhängt, womit nur bedingte Funktions- und Verfügungsoptionen im Inner Circle einhergehen, sind die raumkonstruierenden Elemente im Innenkreis in der Regel negativ besetzt. Wie z.B. das Element Natur, welches durch Wölfe am Wohnort thematisiert wird: »Hühner zu machen, macht mein Mann. Ich geh da nicht raus, weil das ist auch so zum Rand des Grundstücks, da ist ja auch kein Zaun, aber zum Beispiel, wenn ich vom Handball ankomm’, also es geht ja bis halb zehn, zehn und denn komm’ ich ja auch und denn geh’ ich zum Haus und da hab’ ich, hatt’ ich früher recht dolle Schiss. Da musst’, hat mein Mann mich immer abgeholt netterweise vom Auto. Aber mittlerweile ist das nicht mehr so. Aber es ändert sich auch mal wieder, wenn wieder mehr erzählt wird über den Wolf.« Die Raumkonstruktion des Zwei-Ebenen-Typs ist in der folgenden Abbildung dargestellt:

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Abbildung 12: Raumkonstruktion Zwei-Ebenen-Typ

Netzwerk-Typ Der Raumtyp Netzwerk-Typ konstituiert sich als vernetztes, aber nicht hierarchisches System einzelner Elemente. Charakteristisch ist, dass hier im Vergleich zu den anderen Typen nicht mehrere Ebenen vorhanden sind, sondern der relevante Raum gleichzeitig eine Ebene ist. Diese Raumkonstruktion hat keine Grenze. In der Regel sind wesentliche Elemente bestimmte Güter und Menschen, die im weitesten Sinne zur Familie gehören, bspw. das Eigenheim sowie das dazugehörige, meist große Grundstück, welches häufig aus dem Familienbesitz stammt. So beschreibt Wiebke Passow (Kritisch-positive Bleiberin): »[…] und dann kannte ich den Hof schon, weil damals seine beiden Großeltern noch hier wohnten […]. Und dann starb der Großvater 2004 und dann war im Grunde auf Schlag klar, Oma alleine – das geht nicht […] und dann haben wir da angefangen und sind dann Ende des Jahres, also im Herbst um diese Zeit jetzt, ja, […] 14 Jahre sind wir hier. Genau, seitdem bevölkern wir den Hof hier neu.« Auffällig ist auch, dass die Gesprächspartnerinnen im Vergleich zu den anderen Typen eher eine hochfrequente und auch weite territoriale Mobilität besitzen. Sie bewegen sich in ihrem Alltag im Vergleich zu andere Raumtypen in einem größeren Radius, pendeln häufiger, fahren weitere Strecken. Petra Wetzel (Selbstverständliche Bleiberin) bspw. nimmt für Großeinkäufe auch weitere Wege auf sich: »[…] wenn wir was Besonderes wollen, entweder fahr’n wir dann mal nach [Millionenstadt], quartieren uns dann bei dem Großen mal ein und fahren dann einmal Großeinkauf inne Metro.«

Die empirische Analyse

Den Gesprächspartnerinnen geht es, im Vergleich zu anderen Raumtypen, weniger darum, im relevanten Raum autonom agieren zu können und eine hohe Funktions- sowie Verfügungsoption zu besitzen. Dieser Typ zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass der relevante Raum zwar Möglichkeiten bieten soll, aber tatsächlich genutzt werden sie wenig. Diese spezielle Art der Nutzung, eine Art räumlicher Beliebigkeit, ist hier besonders. Mit diesem geht auch eine im Vergleich zu den anderen Raumtypen mittlere Identifizierung des gesamten relevanten Raums einher. Daraus folgt, dass die Gesprächspartnerinnen nicht fest gebunden sind an bestimmte territoriale Orte, sondern auch andere Räume, die allerdings die wichtigen Elemente enthalten sollen, ebenso vorstellbar sind. Das heißt genauer: In der Regel sind hier regionale Aspekte viel weniger relevant als sozial determinierte. Wenn bspw. Yvonne Elsner (Selbstverständliche Bleiberin) das Thema Umzug in eine Stadt thematisiert, beschreibt sie im Gespräch, dass sie schon immer gern in städtischen Räumen wohnen wollte, aber dies aktuell, aufgrund der eigenen Familie und der Verbindung zum örtlichen Sportverein, kaum eine Rolle spielt, obwohl »dieses Fieber« in ihr »brennt« und perspektivisch weiter lodert: »Da ist [Mittelstadt], da ist überhaupt irgend ’ne Stadt kein Thema und ich begnüge mich denn einfach mit irgendwelchen Städtetrips und Reisen, weil dieses Fieber brennt trotzdem in mir, also ich merk’, dass ich das ab und zu mal brauche, aber ich muss es jetzt nicht mehr irgendwie als meine Lebensplanung nochmal sehen, in den nächsten Jahren in eine Großstadt zu ziehen. Was ja nicht heißt, wenn die Kinder groß sind, dass sich das nochmal irgendwie ändern wird.« Charakteristisch ist zudem, dass einzelne Elemente gleichwertig nebeneinanderstehen. Während für den Konzentrischer-Kreis-Typ und den Zwei-Ebenen-Typ noch ganz entscheidend war, dass die unterschiedlichen Elemente verschiedenen Ansprüchen genügen, ist es hier so, dass alle Elemente auf einer ähnlich maßstäblich relevanten Ebene zu finden sind. Diese haben ein enges Verhältnis, eine Beziehung untereinander. So dass bspw. soziale Beziehungen gleichgeordnet neben der Bedeutung von Erwerbsarbeit und der Relevanz von einer bestimmten Atmosphäre, die den Raum bestimmt, stehen. Sofern ein Element von einer Modifikation betroffen ist, strahlt dies auf ein anderes Element ab. Das trifft z.B. auf Petra Wetzel (Selbstverständliche Bleiberin) zu, die gemeinsam mit ihrem Ehemann selbstständig ist: Änderungen, die ihre Partnerschaft betreffen, betreffen gleichzeitig ihre Erwerbsarbeit.

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Die Raumkonstruktion des Netzwerk-Typs ist graphisch in Abbildung 13 dargestellt:

Abbildung 13: Raumkonstruktion Netzwerk-Typ

Zusammenfassung und weitere Schritte Davon ausgehend, dass das Bleiben in ländlichen Räumen von räumlichen Bezügen geprägt ist, ist die vorliegende Raumtypologie entstanden. Dabei geht es weniger darum, aufzuzeigen, was an der Raumkonstruktion und -konstitution5 der explizit ländliche Raum ist, sondern vielmehr, welches der relevante Raum für die Gesprächspartnerinnen ist. Schließlich wird infrage gestellt, dass explizit ein ländlicher Raum, wie er aufgrund quantitativer Indikatoren definiert werden kann (bspw. Küpper 2016, Burgdorf et al. 2012), Einfluss auf das Bleiben in ihm nimmt. Hintergrund der Analyse ist ein relationales Raumverständnis, das sich auf eine permanente Überlappung und Bezugnahme unterschiedlichster Räume (hier Ebenen) bezieht. Es interessiert also weniger, was

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Konstruktion wird hier im Rahmen der theoretischen Analyse verwendet und bezeichnet das Raummuster bzw. die Raumgestalt zum Analysezeitpunkt, während sich Konstitution durch Interaktion und Prozesshaftigkeit definiert.

Die empirische Analyse

an dem Raum als ländlich definiert wird, sondern vielmehr, welche Orientierungsrahmen in Form inhaltlicher Merkmale und Ordnungsbeschreibungen der relevante Raum bietet und in welcher Weise Gebliebene diesen nutzen. Es gilt zu analysieren, welche Strukturen die Räume des Bleibens haben und mit welchen (im-)materiellen Gütern und Personen(-gruppen) sowie deren Beziehung untereinander diese gestaltet werden. Wobei nicht gänzlich ausgeschlossen wird, dass der ländliche Raum mit dem hier relevanten Raum deckungsgleich ist. Dass sich die Frage des relevanten Raums, im dem geblieben wird, in den Vordergrund stellt, wurde erst im Laufe des iterativen Forschungsprozesses deutlich. So war auffällig, dass auf einer vertikalen Ebene der Bleibentypologie, das heißt von Fall zu Fall innerhalb eines Typus, unterschiedliche Räume beschrieben wurden. Dies bedeutet, dass die Gestalt und die Gestaltung des relevanten Raumes fallabhängig sind und sich nicht an der Art und Weise, wie in ländlichen Räumen geblieben wird, orientieren. Aus dem empirischen Material sind zwei qualitative Kernkategorien emergiert, die zum Gegenstand werden, wenn die Gesprächspartnerinnen den relevanten Raum thematisieren: (1) Raummuster, welche dem relevanten Raum eine äußere Struktur bieten und gleichwohl das Verhältnis einzelner, inhärenter Ebenen behandeln und (2) die Elemente. Dass Elemente konstitutiv für die Erstellung des Raums sind, ergibt sich nicht allein durch ihre Anwesenheit, sondern auch durch ihre Beziehung untereinander. Dies ist charakteristisch für ein relationales Raumverständnis (Weidenhaus 2015: 43, Löw 2012: 156, Schroer 2019: 13ff.). Die aufgestellte Typologie des relevanten Raums umfasst drei egozentrierte Raumtypen: Konzentrischer-Kreis-Typ, Zwei-Ebenen-Typ und NetzwerkTyp. Für den Konzentrischer-Kreis-Typ ist charakteristisch, dass es einen Mittelpunkt gibt und nach außen hin eine Verschachtelung mehrerer Ebenen stattfindet. In diesem Mittelpunkt verfügen die Gesprächspartnerinnen über eine hohe Funktions- sowie Verfügungsoption, diese nimmt nach außen in ihrer Bedeutsamkeit ab. Diese Abnahme spiegelt sich in zwei Aspekten wider: Erstens, sie weisen weniger Spuren von Aneignung auf: In einer äußeren Ebene handeln die Gesprächspartnerinnen weniger sicher und erfahren wenig Akzeptanz von Dritten (zu Aneignung auch Stoetzer 2014: 279ff.). Zweitens, eine räumliche Verschachtelung nach außen steht im Zusammenhang mit einer Abnahme von sozialen Aushandlungsprozessen. Das heißt, dass im Inner Circle in der Regel sowohl gesellschaftliche Aushandlungsprozesse geführt

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werden, bspw. in Form von normativen Handlungsvorstellungen im jeweiligen Raum (z.B. die Deutung der Dorfkind-Metapher), als auch individuelle Aushandlungsprozesse mit nahestehenden, relevanten Personen, wie der:dem Partner:in, den Kindern, der Herkunftsfamilie. Schließlich sind im Inner Circle mehrere Elemente, wie das Eigenheim, der Freizeitverein, eine bestimmte Atmosphäre usw., relevant, die auch durch soziale Beziehungen geprägt sind. Die inhärenten Elemente weisen im Inner Circle eine enge Beziehung untereinander auf. Je abstrakter nach außen die Ebenen werden, desto loser werden die Beziehungen der Elemente untereinander. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass theoretisch dieser Typ auf der Konstruktionsebene gleichbleibt, auf der Konstitutionsebene allerdings variiert. So ist es auch möglich, dass der Inner Circle negativ besetzt ist und damit weitgehende Handlungsohnmächtigkeit mit dieser Ebene einhergeht, diese sich aber verschachtelt nach außen hin auflöst, hin zu einer sehr hohen Funktions- und Verfügungsoption. Dieser Fall war so im empirischen Material nicht zu finden, ließe sich allerdings an Hand der bisherigen Analyse konstruieren. Für den Zwei-Ebenen-Typ ist die Einteilung des relevanten Raumes in zwei Ebenen mittels einer deutlichen Grenzziehung hervorzuheben. Diese beiden Ebenen verhalten sich konträr zu einander. In der Regel ist eine Ebene positiv und die andere negativ konnotiert und sie bedingen sich als Referenz, als gegenseitige Erklärung zueinander. Es gibt ein Innen und Außen, wobei das Außen konturlos erscheint. Aufgrund der Konzentration auf den Inner Circle tauchen nur wenige Mobilitätsbeschreibungen auf. Es gibt zwar Pendelbewegungen zur Erwerbsarbeit, diese sind allerdings zweckorientiert gestaltet. Sofern die Gesprächspartnerinnen keinen Verpflichtungen nachgehen müssen, bleiben sie im Inner Circle, mit dem ein hoher Identifizierungsgrad einhergeht. Auffällig ist, dass sich die beiden Typen Konzentrischer-Kreis-Typ sowie Zwei-Ebenen-Typ hinsichtlich ihres Raummusters ähneln. Beide beinhalten (mindestens) zwei Ebenen. Doch ist gerade eine ausdrückliche Grenzziehung spezifisches Merkmal des Zwei-Ebenen-Typs, das heißt, hier werden Unterschiede zwischen den Ebenen sehr differenziert und sehr deutlich hervorgehoben, während der Konzentrische-Kreis-Typ auch unterschiedliche Ebenen aufweist, diese jedoch eher verschwommen sind und keine ausgeprägte Differenzierung aufweisen. Charakteristisch im Vergleich zu den anderen aufgestellten Raumtypen ist, dass der Netzwerk-Typ keine Grenze(n) beinhaltet, sondern durch ein vernetztes System einzelner Elemente konstituiert ist. Strukturell bildet sich ein

Die empirische Analyse

Netzwerk. Der aufgestellte Raum ist gleichzeitig als eine Ebene zu betrachten. Für Gesprächspartnerinnen dieses Typs ist eine Funktions- sowie Verfügungsoption, im jeweiligen Raum im Vergleich der Typen, wenig ausgeprägt. Die angesprochenen Elemente, die im Vergleich sehr vielfältig auftreten, sind für die Gesprächspartnerinnen von ganz ähnlicher Bedeutung und stehen nicht in einer hierarchischen Beziehung zueinander. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der aufgestellte relevante Raum sowohl eine Bedingung als auch ein Effekt der Praxis und Deutung des Phänomens Bleibens darstellt. Schließlich existieren vielschichtige Verflechtungen zwischen dem Bleiben und dem relevanten Raum aufgrund biographischer Relevanzen, der Begegnung dieser in lokalen Alltagskontexten sowie sozialen Aushandlungsprozessen. Eine Definition des Bleibens erscheint unvollständig, wenn die räumliche Komponente außer Acht gelassen wird. Aus diesem Umstand entwickelte sich die nun vorliegende Raumtypologie, die Raummuster sowie deren Elemente gruppiert. Ein Raum in dieser Vorstellung ist nicht letztendlich bestimmbar, sondern besteht immer aus einer spezifischen Perspektive (Kessl/Reutlinger/Deinet 2010: 23), hier aus der Perspektive des Phänomens des Bleibens. Doch auch wenn die Bleibentypologie die offene Frage nach der Raumkonstitution hervorgerufen hat, ist auffällig, dass die beiden Typologien nicht deckungsgleich sind. Dieser Befund spricht für die heterogenen ländlichen Lebensweisen. Schließlich sind unterschiedliche Relevanzsetzungen einzelner Elemente zu erkennen. Das Platzierung und die Beziehung der Elemente untereinander ändern sich aufgrund des biographischen Kontextes. Hier spielt dann bspw. das Eingebundensein in einem sozialen System eine Rolle, z.B. im Rahmen der Herkunftsfamilie, aber auch der Partnerschaft und des Freundeskreises. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass gleichzeitig der situative Kontext und damit einhergehend soziodemographische und -ökonomische Aspekte wichtig sind. Dies wird in der unterschiedlichen Positionierung bestimmter Güter, z.B. dem Eigenheim, deutlich. Das findet sich als Element positioniert in allen drei Raumtypen wieder – jeweils in unterschiedlichen Ebenen.

Entscheidungsprozess des Bleibens Dieser Teil der Analyse, der sich mit dem Entscheidungsprozess des Bleibens beschäftigt, ist eine Fortführung der aufgestellten Bleibentypologie, die als Ausgangspunkt gilt. In der aufgestellten Typologie ist die abduktiv gewonnene

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Kernkategorie Verorten dominant zur Beschreibung des jeweiligen Bleibetyps. Eine Eigenschaft dieser Kernkategorie ist die Reflexion der Frage Gehen oder Bleiben. In diesem Abwägungsprozess steckt die vermutete Komplexität sowie Prozesshaftigkeit des Phänomens Bleiben und verdeutlicht zudem, dass hinter vermeintlich rational getroffenen Entscheidungen eine Vielzahl an Einzelentscheidungen sowie Aushandlungsprozessen stehen, die irrationale Aspekte beinhalten können. Wenn nun davon auszugehen ist, dass das Bleiben, also die Wohn- und Lebensortentscheidung, eine biographische Entscheidung ist, die gleichwertig neben anderen relevanten Entwicklungen der Biographie, wie Berufs- oder Partner:innenwahl, steht, dann ist der Umstand bzw. die Entwicklung dieser Entscheidung Teil einer soziologischen Beschreibung (Corsten 2020: 285). Genauer ist es der konkrete Entscheidungsprozess zum Bleiben, der verdeutlicht, dass das Bleiben keine passive Alternative zum Gehen ist, sondern vielmehr das Gehen ein Teil des Bleibens sein kann. Diese Komplexität veranschaulicht auch den prozesshaften und fluiden Charakter. Das entworfene Entscheidungsmodell bietet eine differenzierte Erklärung, um der Frage nachzugehen: Was passiert auf dem Weg von der Begegnung mit Auslösern der Fragestellung Gehen oder Bleiben bis zur tatsächlichen Realisierung der gewählten Alternative? Es zeigt die Entstehung, Heranreifung und Umsetzung. Der herausgearbeitete Entscheidungsprozess beinhaltet • • • •

Auslöser, die Abwägungsphase, die Planungsphase, die Realisationsphase.

Ziel des aufgestellten Modells ist es, die Komplexhaftigkeit des Phänomens des Bleibens zu verdeutlichen, denn es ist: • • • •

prozesshaft, abhängig vom biographischen, sozialen und situativen Kontext, in der Regel keiner Passivität unterworfen und kann ein Gehen beinhalten.

Generell ist zu betonen, dass der dargestellte Entscheidungsprozess nicht linear zu deuten ist. Ein Abbruch kann zu einer zuvor verworfenen Alternative

Die empirische Analyse

zurück- oder zu einer gänzlichen Neuorientierung führen bzw. den Planungsprozess dahingehend auflösen, dass eine signifikant andere Person entscheidet und damit der Entscheidungsprozess nicht mehr von der:dem ursprünglichen Entscheidungsträger:in beeinflusst werden kann (Dimbath 2003: 75). Dies führt dann zu einer Nicht-Entscheidung im Sinne Burkarts (1995: 73ff.). Einzelne Phasen sind nicht trennscharf voneinander abzugrenzen.

Phasen des Entscheidungsprozesses des Bleibens Auslöser Sobald ein Anreiz auftaucht, der gleichzeitig Auslöser ist, um über das Bleiben nachzudenken, beginnt ein Abwägungsprozess zwischen gegebenen Alternativen, unabhängig davon, ob dieser Gedanke eine Abneigung oder Zuneigung zur aktuellen Situation erzeugt. Es spielt auch (noch) keine Rolle, ob die aufkommenden Optionen als realistisch einzuschätzen sind. Auslöser sind zunächst lediglich Bedingung dafür, dass der Prozess des Entscheidens in Gang gesetzt wird. Auslöser werden ganz unterschiedlich wahrgenommen. Indirekt beeinflussen sie erheblich die Intensität der Ernsthaftigkeit der Wanderungs- bzw. Bleibegedanken. Mit zunehmender Ernsthaftigkeit »rückt die Stufe der ›Gedanken‹ näher an den »Plan« heran« (Kley 2009: 40f.). In dieser Phase ist es nicht wichtig, ob die Auslöser zu relevanten oder irrelevanten Alternativen führen, entscheidend ist, dass sie überhaupt da sind. In der Regel sind es biographische Gelegenheiten, wie berufliche Veränderungen oder familienbezogene Ereignisse, die eine Entscheidungsalternative zur aktuellen Situation herausfordern. Gleichwohl kann aber auch das zunächst lapidare Überfliegen von Wohnungsangeboten in der Wochenendzeitung, ein Gespräch oder ein Buch diese Gedanken auslösen. Beetz (2009: 140) spricht an dieser Stelle von Mobilitätsorientierung, die als Bewertung zu verstehen ist. Diese Bewertung hat Einfluss darauf, ob Mobilität, oder hier: das Bleiben, als Option gewählt wird oder eben nicht. Auslöser, die eine Bleibe- oder Mobilitätsorientierung herausfordern, zeigen sich im empirischem Material in zwei Varianten. Als ein Entscheidungsprozess, der aus einem sozialen Erwartungsdruck oder aus der Sache heraus entspringt. Der soziale Erwartungsdruck meint eine Normalität in Form eines gesellschaftlich akzeptierten Bestandteils einer biographischen Zwangsläufigkeit. Dies zeigt sich in zwei Ausprägungen. Zum einen, als ein von außen, von

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Dritten, herangetragener guter Rat, wie es bspw. Daniela Hildebrandt (Kritisch-positive Bleiberin) berichtet: »Na viele denken, also meine Mutter wollte mir das auch immer einreden, ›Du musst raus in die große, weite Welt. Du musst was sehen.‹« Zum anderen, als eine von innen, von den Gesprächspartnerinnen selbst formulierte kulturelle Selbstverständlichkeit, die entweder in Form der DorfkindMetapher auftaucht oder selbst keine hinreichende Begründung braucht, wie im Falle von Ulrike Grawe (Kritisch-positive Bleiberin): »[…] ich bin so’n kleiner Heimscheißer. Ich kann hier nich’ weg.« Auslöser einer Bleibe- oder Mobilitätsorientierung zeigt sich zudem aus der Sache selbst heraus, gemeint ist eine Art Auslöser als tatsächliche Handlungsalternative. Der Gedanke wird ausgelöst durch einen Anreiz, der die jeweilige Situation als etwas Anderes, Mögliches darstellt und nicht von vornherein die Antwort auf die Frage beinhaltet – so wie es in der zuvor beschriebenen Möglichkeit der Fall ist. Daniela Hildebrand (Kritisch-positive Bleiberin) repräsentiert diese Variante im folgenden Zitat. Auslöser sind in diesem Fall die gesammelten positiven Erfahrungen an anderen Orten. Sie bieten Anlass, über das Gehen oder Bleiben zumindest nachzudenken: »Ja, dann war ich in [Millionenstadt], im von Schüleraustausch, also in Norwegen. Dann war ich in Australien, hab’ mir das da angeguckt. Ja und denn war ich Ferienfreizeit äh sechs Wochen mal in Ungarn, denn war ich in Tschechien. Also alles so ’n bisschen, von allem und ’n bisschen was. Und das hat mir irgendwie gereicht. Also ich muss auch jetzt, ich hab’ nicht das Bedürfnis, jetzt irgendwie weit weg zu müssen oder so.« Lea Prokop (Kritisch-positive Bleiberin) verdeutlicht, dass ihr Freundeskreis ein entscheidender Auslöser war, der das Abwägen beeinflusst: »Also so meine längsten Freunde, mit denen bin ich auch seit zwanzig Jahren befreundet. Und da ist das Verhältnis immer noch gut. Die wohnen auch alle irgendwo aufm Dorf, also sind aus [Großstadt] eigentlich alle wieder rausgezogen. Und ja von daher, hält einen da denn auch nichts, ne?« Relevante Auslöser in ländlichen Räumen zu bleiben, sind darüber hinaus die Pflegebedürftigkeit der Angehörigen, generell eine intergenerationale Solida-

Die empirische Analyse

rität, aber auch eine Bindung zum Ort und zum Wohnhaus, das in der Regel bereits im Eigentum ist oder mietfrei bewohnt wird.

Phase 1: Abwägung Die Phase des Abwägens ist bei den Gesprächspartnerinnen deutlich ausgeprägter, die sich reflektiert mit dem Bleiben in ländlichen Räumen auseinandersetzen. Wie ernst die aufkommenden Auslöser genommen werden, ist auch davon abhängig, ob es bereits bestimmte Hinweise bzw. Symptome gab, die ein Entscheidungshandeln auslösen. Diese Symptome müssen allerdings nicht per se vor dem Hintergrund einer Problemlage formuliert werden. Auffällig an den für diese Studie empirisch analysierten Daten ist, dass Gedanken (noch nicht die Realisierungen!) über das Gehen oder Bleiben auch auftreten, obwohl weder eine unbefriedigende Situation, noch ein Problem oder eine Notwendigkeit zur Verbesserung bestehen. Gesprächspartnerinnen der Kritisch-positiven sowie Kritisch-negativen Bleiberinnen nehmen, im Vergleich zu den Selbstverständlichen Bleiberinnen, deutliche Symptome wahr, die Anreize zum Nachdenken über die Frage des Gehens oder Bleibens sowie über das Bleiben selbst bieten. Das heißt: Sowohl die Frauen, die ein Bleibenwollen in ländlichen Räumen stets verfestigen, als auch jene, die am liebsten gehen möchten, sind häufig Auslösern ausgesetzt und spielen gedanklich Alternativen durch. Sofern nun ein Auslöser gegeben ist, beginnt ein Prozess des Abwägens. Konkrete Umzugs- bzw. Bleibegedanken spielen jetzt eine Rolle. Diese Phase zielt darauf ab, eine Konsequenz, für welche Alternative auch immer, in Erwägung zu ziehen. Dafür werden zunächst die irrelevanten von den relevanten Auslösern getrennt. Irrelevante Auslöser sind dann jene, die nicht weiterverfolgt werden, die so kleinteilig und unbedeutend sind, dass diese keinen ernsthaften Grund bieten, eine Alternative tatsächlich in Erwägung zu ziehen. So zählt bspw. Lea Prokop (Kritisch-positive Bleiberin) Aspekte auf, die sie stören. Dies sind allerdings Auslöser, die sie derzeit nicht in ernsthafte Gedanken über einen Umzug überführt: »Hier bei uns wohnt ’ne ältere Frau, die ist ’n bisschen speziell. Da haben wir nicht den Kontakt zu. Die ist ’n bisschen, ja ich find die ’n bisschen verbittert so. Ja, wie gesagt, da haben wir nicht so den Kontakt zu. Und naja, denn laufen hier nachts die Rehe rum, denn bellen die Hunde, ne? Weil sie irgendwie ’n Fuchs, ’ne Katze, ’n Reh, irgendwas hier und man sitzt immer gleich im Bett, ne? Also mittlerweile hör’ ich das nicht mehr, ne? Aber so grad am An-

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fang denkt man immer, es ist jetzt sonst was los, ne? Grade wenn der große Hund dann noch anfängt zu bellen. Ja und denn knackt hier irgendwie was und denn raschelt da die Heizung so und jedes Mal fragt man sich jetzt, ob man jetzt hier irgendwo Ratten im Haus hat.« Relevante Auslöser hingegen führen dazu, dass tatsächliche Gestaltungsmöglichkeiten infrage kommen. So wie bei Bea Schmidt (Kritisch-positive Bleiberin): Relevant ist hier in erster Linie nicht die Gelegenheit, nach der Schule aufgrund der Ausbildung einen Wohnortwechsel vorzunehmen, sondern vielmehr der Verselbstständigungsprozess, die Ablösung vom Elternhaus, was wiederum zu ernsthaften Gedanken über ein mögliches Gehen führt. »Ich hätte auch in [Millionenstadt] studieren können, das wollte ich aber nicht, weil ich dann hätte zu Hause wohnen bleiben müssen, weil das Einzugs-, S-Bahn-Einzugsbereich war. Dann hätte ich wahrscheinlich kein’ Internatsplatz bekommen. Und ich wollte auch einfach mich auf eigene Füße stellen.« Ein Abgleich zwischen aktuellen Bedürfnissen und der Situation zur Befriedigung des Lebensentwurfs6 findet statt. Doch sind es weniger die räumlichen Merkmale, die Anlass geben, über eine Alternative nachzudenken, sondern vielmehr die Chance, sich »auf eigene Füße« zu stellen. Wiebke Passow (Kritisch-positive Bleiberin) gehört zu den Gesprächspartnerinnen, die mit Vehemenz bleiben wollen. Dennoch stellt sie ein mögliches Abwägen dar, wenn sie feststellt: »[…] wirklich, für uns taucht das überhaupt nicht auf woanders hinzugehen. Das taucht wirklich gar nicht auf als Option. Wir haben ja auch keine Veranlassung im Moment natürlich dazu, ne? So ein System ist ja auch immer, es braucht ja nur, einer von uns wird schwer krank oder was Schlimmeres noch oder es ist keine Arbeit zu finden oder: weiß der Geier, das ist, natürlich ändern sich Dinge, aber so wie es im Moment ist, die Kinder sind gesund, wir

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Der Begriff Lebensentwurf soll nicht implizieren, dass ausschließlich autonome und rationale Entscheidungen getroffen werden. Schließlich wäre dann an dieser Stelle die Argumentation, dass sich Entscheidungen nicht nur auf Kosten-Nutzen-Grundlagen stützen, wenig gehaltvoll. Dass also ein bestimmter Entwurf bereits besteht, ist sehr hochgegriffen, vielmehr sind es Ideen, Ziele, die verfolgt werden, die sehr wohl von unvorhergesehenen Ereignissen gekreuzt werden können, welche wiederum neue Ideen entstehen lassen.

Die empirische Analyse

sind gesund, wir haben Arbeit, wir können körperlich das machen, den Hof. Da is’ im Moment überhaupt gar kein Grund zur Veränderung.« Hat sich ein relevanter Auslöser herauskristallisiert, wird die Ernsthaftigkeit der Entscheidung anhand der Sozial-, der Sach- sowie der Zeitdimension geprüft. An dieser Stelle geht es nun um die Voraussetzungen sowie möglichen Konsequenzen der Entscheidung. Es genügt keine punktuelle Bewertung, sondern langfristige Effekte der Entscheidung werden in Rechnung gestellt. Daher spielen nun auch einzelne Teilentscheidungen eine Rolle. So wie Eva Steinhagen (Kritisch-positive Bleiberin) das deutlich macht. Das Pendeln zur Arbeit ist hier eine Teilentscheidung, die eine Herausforderung im familiären Bereich ist und infolgedessen auch das eigene Wohlbefinden betrifft: »Und also, was ich schon merke ist, also dadurch, dass uns das familiär eben herausfordert, mein Job mit den vielen Dienstreisen und vielen Übernachtungen, hab’ ich schon angefangen zu gucken, ob es auch noch ’ne Alternative gäbe, die ’n kontinuierlicheres Arbeiten möglich machen würde, also Nine to Five ist, glaub’ ich, nicht mein Typ so, aber mit ’nem kürzerem und übersichtlicherem Fahrweg oder tatsächlich noch ’nem anderen Verhältnis von Homeoffice und Dienstreise, […] . Also ich hab’ nicht die ganz freie Wahl und ich hab’ zwar jetzt im Moment mein Büro in [Großstadt], aber ich würde keinen Job in [Großstadt] haben wollen, wo ich jeden Tag in [Großstadt] sein muss, also weil das ist mir …, also ’ne Stunde hin und zurück jeden Tag, plus acht Stunden arbeiten ist mir zu viel tatsächlich, da sehe ich Familie dann zu wenig. Deshalb kommen so ’ne Konstellationen nicht infrage […]. Also und wir haben uns eben entschieden, wir entscheiden den Wohnort und den Rest bauen wir drum rum.« Wie in diesem Zitat außerdem deutlich wird, ist die Entscheidung zu gehen oder zu bleiben nicht immer eine Einzelentscheidung. Vielmehr ist sie als sozialer Aushandlungsprozess zu sehen. Auch Yvonne Elsner (Selbstverständliche Bleiberin) macht klar, dass ihre Entscheidung von Dritten abhängig ist. In diesem Fall betrifft es die Beziehungskonstellation mit dem Ehemann. Im Weiteren spielen auch die Kinder eine Rolle: »Sprich, eigentlich schon mit ähm, ja, m- mit der Hochzeit sag’ ich jetzt mal so, war dieser Wunsch [in der Großstadt zu leben, Anm.d.V.] begraben, weil mein Mann wirklich total regional verwurzelt ist, also für ihn kommt das überhaupt gar nicht infrage, wahrscheinlich nicht mal, das Dorf zu wech-

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seln. Da ist [Mittelstadt], da ist überhaupt irgend ’ne Stadt kein Thema und ich begnüge mich denn einfach mit irgendwelchen Städtetrips und Reisen, weil dieses Fieber brennt trotzdem in mir, also ich merk’, dass ich das ab und zu mal brauche, aber ich muss es jetzt nicht mehr irgendwie als meine Lebensplanung noch mal sehen, in den nächsten Jahren in eine Großstadt zu ziehen. Was ja nicht heißt, wenn die Kinder groß sind, dass sich das nochmal irgendwie ändern wird.« Einen sozialen Einfluss auf die Entscheidung haben demnach eigene Kinder, die in der Kita oder Schule vor Ort eingebunden sind, Partner:innen, die in diesen Räumen »verwurzelt« sind, z.B. durch die eigene Herkunftsfamilie oder Freundschaften. Das betrifft nicht nur Personen aus dem Haushalt, wie die bisherigen Beispiele gezeigt haben (zum Einfluss von Personen aus dem Haushalt genauer Kalter 1997: 176), sondern auch Beziehungen außerhalb des Haushaltes, wie der Freundeskreis oder der Freizeitverein. Auswirkungen auf die Entscheidung haben auch bestimmte sachliche Informationen über die aufkommenden Alternativen. Susann Brecht (Kritischnegative Bleiberin) macht das im Folgenden deutlich. Das Zitat bezieht sich auf den Verkehr im Ort und den Umgang ihrer Kinder damit. Sie gleicht vorliegende Informationen mit potenziellen Alternativen ab (nämlich die mögliche Konfrontation der Kinder mit dem Verkehr in der Stadt) und bewertet den aktuellen Zustand (im Ort ist der Verkehr für die Kinder aus ihrer Sicht gefährlicher als in der Stadt). »Und das, also viele glauben: Oh ist alles so schön ruhig, ne? Aber ich hab’ schon viel Angst um, um den Verkehr. In der Stadt würd’ ich mir denken: Mein Kind wär’ doch ’n bisschen besser mit Verkehr aufgewachsen und könnte vielleicht sogar ’n bisschen besser mit umgehen und es einschätzen.« Frauen dieses Typs, jene, die am liebsten gehen wollen, haben im Vergleich zu anderen Frauen in der Fallauswahl einen hohen Ressourcenaufwand. Ihnen treten ständig Auslöser entgegen. Aufgrund der Abhängigkeit ihrer Entscheidungen von anderen Personen bzw. äußeren Umständen kann dem Wunsch zu gehen, auch perspektivisch, nicht nachgekommen werden. Diesen unerfüllten Wunsch ständig zu überwinden, ist anstrengend, wenn auch nur gedanklich. Es sind Fälle, in denen bspw. die:der Partner:in eine Landwirtschaft betreibt und ein Umzug das gewünschte harmonische Familienleben beeinträchtigen würde.

Die empirische Analyse

Die Sachdimension beinhaltet einen weiteren Aspekt: Das Heranziehen von möglichen Alternativen zum Bleiben basiert auch auf bereits vorhandenen Erfahrungen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Gesprächspartnerinnen des Typs Kritische Bleiberin bereits alltägliche Erfahrungen in nichtländlichen Räumen gemacht haben. Eine Reflexion und damit einhergehend ein Abgleich zu möglichen Alternativen als Voraussetzung sind damit gegeben. Deutlich wird das in Erzählungen von Eva Steinhagen (Kritisch-positive Bleiberin), die einen Abgleich zwischen dem Leben in städtischen und ländlichen Räumen vornimmt und indem dieses Abwägen letztlich dazu beiträgt, das Bleibenwollen zu stärken. Sie hat jahrelang in einer Millionenstadt gelebt und ist seit einigen Jahren beruflich häufig in Städten unterwegs. »Wenn ich länger weg war, wenn ich aus [Millionenstadt] komme, wenn ich aus [Millionenstadt] komme, ist es tatsächlich, weiß nicht, ob man sich sein eigenes Leben schön redet, aber ich bin immer total froh, wenn ich wieder draußen bin, wenn ich wieder Bäume um mich rum hab’, wenn die Leute weg sind, wenn ich nicht in ’ner S-Bahn zusammengequetscht irgendwo stehe. Ich hab’ [das] aber auch total gerne und das weiß ich auch noch, ich hab’ auch total gerne in [Millionenstadt] gewohnt, aber ich würde jetzt nicht mit Rebecca da, also Rebecca ist schon super geflasht, wenn wir in [Mittelstadt] sind.« In dieser Phase des Abwägens geht es weniger um das Prinzip der Verbesserung oder der Nutzenmaximierung auf Grundlage eines Problems. Ein einfaches Kosten-Nutzen-Modell, allein gestützt auf ökonomische Vorteile, ist hier in der Regel nicht wirksam. Was noch nicht per se gegen das Postulat des maximierenden Verhaltens spricht. Bspw. sind Routinen nicht grundsätzlich unreflektierte Wiederholungen, sondern können gleichwohl sinnstiftend sein. Routinen beinhalten ein bewährtes Ziel. Festzuhalten ist allerdings, dass die Gesprächspartnerinnen nicht nur monetäre Anreize für Wanderungsbzw. Bleibegedanken in Betracht ziehen, so wie es bspw. klassische Pull- und Push-Faktoren suggerieren. Vielmehr gelten auch nicht-monetäre Faktoren, wie Ortsbindung, soziale Beziehungen oder Gesundheit – Aspekte, die eine hohe Lebensqualität ausmachen. Ein Beispiel: Ulrike Grawe (Selbstverständliche Bleiberin) erwägt nicht, sich aufgrund ihrer formalen beruflichen Qualifikationen durch einen Umzug in nichtländliche Räume finanziell zu verbessern, ganz im Gegenteil:

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»Wer aber nur gegang’ is’, allein aus meiner Klasse, nur gegang’ is’, weil er dort fünfhundert Euro mehr verdient, der hat die Werte an der falschen Stelle. Ne, weil Geld is’ nich’ alles. Es geht darum wirklich Lebensqualität zu haben.« Für die Fälle, für die ein Bleiben in ländlichen Räumen eine Selbstverständlichkeit darstellt, ist das Erreichen dieser Phase zwar möglich, auch ihre Einstellungen fußen auf einem Konglomerat möglicher Bleibegründe, die Alternativen aus- bzw. einschließen. Aber im Vergleich zu anderen Typen ist diese Phase viel weniger ausgeprägt. Relevante Auslöser und damit auch Alternativen, werden kaum wahrgenommen, bleiben unreflektiert bzw. werden als belanglos dargestellt. Das Bleiben in ländlichen Räumen ist für diesen Typ Ergebnis der Wahl. Da hier Handlungsalternativen der Großentscheidung Gehen oder Bleiben und damit auch die angesprochenen Teilentscheidungen nur peripher in Betracht kommen, sind Sozial-, Sach- und Zeitdimensionen nur sehr gering ausgeprägt. Schließlich bedarf es keiner weiteren Informationen über mögliche Alternativen. Die potenzielle Alternative, das Gehen in nichtländliche Räumen, wird von vornherein abgelehnt bzw. spielt keine Rolle. Zudem ist auch die Sozialdimension nur gering ausgeprägt, es ist, aus Sicht der Gesprächspartnerinnnen, anerkannt und selbstverständlich in ländlichen Räumen zu bleiben, so wie Ulrike Grawe (Selbstverständliche Bleiberin) das beschreibt: »Und für mich war recht früh schon in, in ’ner Grundschule klar, ich werd’ hier nich’ weggeh’n. Wenn ich nich’ muss, bleib’ ich hier. Weil, warum soll ich diesen schönen Kokon verlassen? Is’ doch schön hier, ne.« Da eine tatsächliche Alternative zur derzeitigen Situation keine Rolle spielt, ergibt sich auch für die zeitliche Perspektive eine Belanglosigkeit. Genau dieses Vorgehen des Selbstverständlichen Typs erfüllt die Kriterien einer Nicht-Entscheidung nach Burkart (1995: 73ff.). Die Akteurin erkennt, wenn überhaupt, nur sehr wenig ausgeprägt, Alternativen, sieht jedoch nur in einem Fall eine Realisierungsoption, nämlich im Bleiben, tatsächlich hat sie keine Wahl, ihr fehlen die notwendigen Möglichkeiten, zwischen denen sie sich entscheiden könnte. Die Prozesshaftigkeit des Bleibens wird für die Gesprächspartnerinnen dieses Typs nicht gänzlich ausgeschlossen. Doch ist sehr deutlich, dass hier weniger Dynamik vorhanden ist als bei den anderen Typen. Der Entscheidungsprozess, in ländlichen Räumen zu bleiben, ist für den selbstverständ-

Die empirische Analyse

lichen Bleibetyp im Vergleich weniger komplex, weil es von vornherein eine klare Präferenz gibt.

Phase 2: Planung Die Phase der Planung ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Option gewählt wurde und nunmehr bewusst gewählte Strategien aufgewendet werden, diese Entscheidung auch umzusetzen. Die Überlegung zur Ernsthaftigkeit aufkommender Möglichkeiten wurde dahingehend abgeschlossen, dass reelle Gestaltungschancen in der intendierten Entscheidung gesehen werden. Es steht die Frage im Vordergrund, wie das Bleiben konkret anhand nötiger Mitteleinsätze und Begleitumstände umgesetzt werden kann. Die Intention ist letztlich, die Phase 3, die Realisierung der Entscheidung, zu erreichen. Doch wie sich zeigen wird, bietet auch Phase 2 die Möglichkeit, den Prozess der Entscheidung zu unterbrechen. Wie bereits erwähnt, geht es in dieser Phase vornehmlich um Strategien der Umsetzung des Plans. Im Material zeigen sich zwei verschiedene Arten von Strategien: •



Die Gesprächspartnerinnen fordern einen Wandel ihrer eigenen Verhältnisse zum Ort heraus: Ziel ist dabei in erster Linie die Anerkennung ihres Andersseins und damit das Eingehen einer verfestigten Ortsbindung (Kritisch-positive Bleiberin). Die Gesprächspartnerinnen konstruieren sich mit bestimmten Handlungen (Strategien) in erster Linie eine Normalität: Sie arrangieren, um eine Kontinuität herzustellen (Kritisch-negative Bleiberin).

Die Kritisch-positive Bleiberin beschäftigt sich ausgiebig mit den Möglichkeiten zu bleiben. Eine große Rolle spielt dabei das Sozial-aufgenommenWerden. Auffällig ist, dass dieser Typ durch die Frauen charakterisiert ist, die sich an die vermeintlichen gesellschaftlichen Verhaltensmuster der ländlichen Räume anpassen wollen. Sie wenden bewusst Strategien an, auf der einen Seite durch eine größtmögliche Korrektur eines (ihrerseits scheinbaren) Andersseins. Bspw. Eva Steinhagen (Kritisch-positive Bleiberin) wählt »bewusst« andere Worte, wenn sie mit Bewohner:innen ihres Inner Circles spricht. »[…] aber ich achte in Gesprächen auch darauf, was für Worte ich benutze, also ich versuch’ das ne, eben nicht auf Abgrenzung hin zu tun und eben bewusst.«

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Auf der anderen Seite wird versucht, die gedeuteten, nicht in den sozialen Kontext passenden Eigenschaften ihrerseits zu verstecken, zu kaschieren oder auch zu leugnen. Diese Bemühungen finden auf unterschiedlichen Ebenen statt, bspw., wenn bewusst der Dr.-Titel nicht auf das Klingelschild geschrieben oder nur widerwillig zum Osterfeuer gegangen wird, aber »denn lassen wir uns da auch manchmal blicken« (Kritisch-positive Bleiberin). Auffällig ist auch die Betonung des ehrenamtlichen (häufig auch stillen) Engagements. Gerade formelle Positionen, wie bspw. der Vorsitz im Festausschuss, spielen eine Rolle. So berichtet es Daniela Hildebrandt (Lea Prokop, Kritisch-positive Bleiberin): Sie strebt eine exponierte, auffällige Position im Ort an und setzt sich hierfür ehrenamtlich unterschiedlich ein, z.B.: »[I]ch bin Straßenfestverantwortliche. Hab’ auch, also von DDR-Zeiten das auch übernommen, wurd’ mir auch ordnungsgemäß übergeben, wie das früher war, ne? Genau wie das zu machen ist, so Kaffeerunde und so und denn machen wir auch ähm immer ’ne große Tombola und alle, die nicht mehr können, die nicht mehr kommen können, die kriegen denn ihren Kuchen nach Haus’ gebracht.« Gesprächspartnerinnen dieses Typs sind »bekannt wie ein bunter Hund« (Kathi Hoppe, Kritisch-positive Bleiberin) und fokussieren diesen Modus auch. Der Typ Kritisch-negative Bleiberin kommt hingegen zu dem Schluss, dass die mögliche Alternative zum Bleiben, nämlich das Gehen, den aktuellen Lebensentwurf verbessern würde. Allerdings erfahren Fälle dieses Typs vor dem Hintergrund des Bleibenmodells das, was Fritz Schütze als Verlaufskurvenpotenzial beschreibt (Schütze 2006). Schließlich wird der intendierte Vorgang, die Entscheidung des Nicht-Bleiben-Wollens, des Gehens, in der Phase der Planung nicht umgesetzt. Es fehlt – so zumindest in den vorliegenden Daten – vor allem die Kooperation eines Anderen, der in unmittelbarer Umgebung den Lebensentwurf der Entscheiderin mitträgt. Die Strategie besteht nunmehr darin, das Bleiben so auszurichten, dass sich der widrigen Lebenssituation angepasst wird. Es geht darum, das Bleiben infolge einer konkreten Entscheidungsunfähigkeit zu gestalten und in einer für sie aussichtslosen Perspektive, die eigene Normalität zu konstruieren. Ein Beispiel: Susann Brecht hat Sehnsucht nach einem Leben in suburbanen Räumen. Aufgrund des Berufs des Mannes, er ist Landwirt in zweiter Generation auf dem eigenen Hof, ist dies allerdings nicht bzw. nur unter erheblichen Einbußen möglich. Um sich das Bleiben in ländlichen Räumen zu erleichtern, werden Ressourcen aufgewendet. Fälle aus diesem Typ gehen bspw. zu

Die empirische Analyse

Dorffesten und engagieren sich dort, eine Anwesenheit ist von Bedeutung, allerdings, im Unterschied zum Typ Kritisch-positive Bleiberin, ohne den Zweck zu verfolgen, eine anerkennenswerte Mitgliedschaft im Ort zu erreichen, sondern vielmehr, um die aktuelle Situation in eine Normalität zu betten, die den Wunsch zu gehen, verdeckt. Das Vorliegen der ernsthaften Absicht zum Gehen, wie sie in Phase 1 des Modells deutlich wird, führt demnach in der Planungsphase nicht zu einer zufriedenstellenden Realisierung des Wunsches. Wie Typ Kritisch-negativen Bleiberin deutlich macht, ist auch an dieser Stelle ein Abbruch möglich bzw. führt zu einem Scheitern der Planung. Phase 2 kann demnach die folgende Phase determinieren. Es ist aber auch möglich an dieser Stelle den Prozess abzubrechen und in alte, bekannte Routinen zu verfallen bzw. sich neuen Entscheidungssituationen zu stellen. Auch dies entspricht den Kriterien einer Nicht-Entscheidung Burkarts (1995: 74), nämlich »wenn Handlungsalternativen zwar gesehen werden, aber nicht verfügbar sind.«

Phase 3: Realisation Nun geht es um die tatsächliche Realisierung der Wanderung, oder angepasst an diese Arbeit: des Bleibens. Der Typ Kritisch-positive Bleiberin setzt das von Anbeginn des Entscheidungsprozesses intendierte Bleiben tatsächlich um. Es war von vornherein die erklärte Absicht, die allerdings nicht aufgrund einer Selbstverständlichkeit erreicht werden kann: Hier müssen Bemühungen stattfinden. Aufgrund dessen wenden sie Strategien an und planen, wie sie die Intention mit geeigneten Mitteln erreichen. Der Typ Kritisch-negative Bleiberin, jene Frauen, die am liebsten aus den ländlichen Räumen gehen wollen, erfüllen an dieser Stelle die formalen Bedingungen einer Entscheidung nur bedingt. Zwar werden mögliche Handlungsalternativen gesehen, sind aber aufgrund – hier sozialer Einschränkungen – nicht realisierbar bzw. nicht verfügbar. Sie bleiben zwar in ländlichen Räumen, allerdings entspricht das nicht ihrer vornehmlichen Intention, sondern kommt eher dem Modus einer Nicht-Entscheidung nahe. Auch der Typ Selbstverständliche Bleiberin, erfüllt die formalen Bedingungen einer Entscheidung nur bedingt. Schließlich werden Handlungsalternativen nur eingeschränkt wahrgenommen und wenig reflektiert. Die Gesprächspartnerinnen bleiben, aber es entspringt der Intention bleiben zu wollen kein Prozess des Bleibens, sondern ist vielmehr ein Verharren in Routinen.

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Zusammenfassung Theoretische Entscheidungsprozesse (vgl. Kley 2009: 54ff.), die zur Wanderung führen, verdeutlichen gleichzeitig den Prozess der Nichtwanderung. Schließlich berühren beide Phänomene Wanderung und Nichtwanderung bzw. das Gehen und Bleiben, den Punkt der Entscheidung. Möglich ist das Heranziehen dieses Stufenmodells aufgrund der Annahme, dass sowohl Wanderungen als auch das Bleiben prozesshaft sind. Migrationsentscheidungsmodelle lassen sich in sequenziell aufeinanderfolgende Phasen bezüglich des forschungsrelevanten Entscheidens übertragen. Grob zusammengefasst bestehen sie aus den Wanderungsgedanken, dem Wanderungsplan sowie der tatsächlichen Realisierung. Diese Stufen werden auch in dieser Arbeit als Analysewerkzeug genutzt, doch wird ihre ursprüngliche Struktur dem Forschungsanliegen und den Erkenntnissen in zweifacher Weise angepasst und wie folgt modifiziert. Erstens, die Auslöser von Wanderungsgedanken werden vorangestellt. In theoretischen Abhandlungen über die Entscheidung zu wandern sowie deren Umsetzung beinhaltet die 1. Phase7 des hier herangezogenen migrationstheoretischem Modells, die Phase der Migrationsgedanken auch Anreize oder sog. Auslöser (Huinink/Kley 2008, genauer zu Wanderungsgedanken vgl. Kathmann et al. 2008). Für die Darstellung des hier entwickelten entscheidungstheoretischen Bleibenmodells soll allerdings die Position der Auslöser als Position 0 exponiert werden. Kley (2009: 38) nimmt das handlungstheoretische Migrationsmodell von Kalter (1997) als Ausgangspunkt eigener theoretischer Überlegungen und empirischer Analysen. Er unterscheidet zwischen der Ausgangssituation sowie den Wanderungsgedanken folgendermaßen: »So ist die Ausgangssituation dadurch gekennzeichnet, daß dieser [sic!] Set nur eine einzige Alternative – den derzeitigen Wohnort – beinhaltet. Das Vorliegen von Wanderungsgedanken bedeutet hingegen, daß sich die Möglichkeit einer Wanderung (in unserem Fall des Ortswechsels) zusätzlich in diesem Set potentiell wahrgenommener Handlungsalternativen befindet.« (Kalter 1997: 67, H.i.O.) 7

In vorliegenden Wanderungsentscheidungsmodellen ist in der Regel von Stufen die Rede. Dieser Begriff suggeriert allerdings auf der einen Seite, dass etwas überwunden werden muss, was wiederum Ressourcen braucht und auf der anderen Seite eine immanente stetige Fortführung. Empirisch ist dies in dieser Arbeit nicht wiederzufinden, daher wird hier der Begriff Phase genutzt, welcher neutral ein Vor und ein Zurück zu anderen Phasen impliziert.

Die empirische Analyse

Mögliche Auslöser, die eine Entscheidung zum Gehen oder Bleiben herausfordern, sind allerdings in diesem Forschungsanliegen zu wichtig, als dass sie nur ein Teil einer Phase sind. Schließlich markieren sie den Anfang eines möglichen Entscheidungsprozesses und sind Bedingung dafür, dass die Frage Gehen oder Bleiben überhaupt auftaucht. Darüber hinaus ist dieser Punkt 0 im Bleibenmodell im Vergleich zu den anderen Phasen anders geartet. Es geht um eine vergleichbar einfache Aufzählung möglicher Auslöser und weniger um Phasen, welchen Interaktionen innewohnen. Zweitens, die Prozesskosten werden bereits der Phase 1 des Entscheidungsmodells zugeordnet. Prozesskosten werden in vorliegenden Migrationsentscheidungsmodellen der 2. Phase, der Planung, zugeordnet (Kley 2009: 39ff.). Im folgenden ausgearbeiteten Bleibenmodell werden diese Prozesskosten bereits der Phase 1 zugeschrieben. In dieser Phase erkennen die Entscheidungsträger:innen, welche tatsächlichen Wahlmöglichkeiten sich ergeben. In der aufgestellten Bleibentypologie ist bspw. ersichtlich, dass jene Gesprächspartnerinnen, die nicht in ländlichen Räumen bleiben möchten, ständig mit Auslösern konfrontiert werden, die eine Alternative zum Bleiben herausfordern. Daraus folgt ein stetiges Auseinandersetzen mit diesen Auslösern und sei es nur gedanklich. Doch diese Form des Abwägens zwischen dem Wunsch und dem bereits implizit vorliegenden Wissen der Nicht-Realisation ist anstrengend. Daher ist davon auszugehen, dass für die vor einer Entscheidung stehenden Personen der gedankliche Abgleich der Alternativen bereits diese Prozesskosten beinhaltet, auch wenn diese nicht-materieller Art sind. Zunächst erscheint das Modell paradox, schließlich wird allen Gesprächspartnerinnen attestiert, dass sie in ländlichen Räumen bleiben. Durch die Bleibentypologie wird allerdings deutlich, dass das Bleiben in ganz unterschiedlicher Weise vollzogen wird. Einzelne herauskristallisierte Entscheidungsphasen werden von einzelnen Typen unterschiedlich genutzt. Generell zeigt das Modell, dass dem Bleiben in ländlichen Räumen eine bestimmte Dynamik und damit Prozesshaftigkeit unterliegt, insbesondere dann, wenn die Frage über das Gehen oder Bleiben auftaucht. Dann nämlich sind ein Nachdenken, ein Positionieren zum Bleiben sowie ein entsprechendes Verhalten gefordert. Entscheidend ist dann nicht nur die Retrospektive, das heißt, die Antwort ist nicht allein in der Biographie, sondern auch in einem sozialen auch situativen Kontext zu suchen. Darüber hinaus verdeutlicht das Modell, dass das Bleiben in der Regel keine passive Alternative zum Gehen ist, sondern – wie bereits die Ausarbeitung der Bleibentypologie bestätigt – das Bleiben auch ein Gehen be-

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inhalten kann, hier in Form eines abgebrochenen Entscheidungsprozesses des Gehens. Diese kurze Zusammenfassung macht deutlich, dass die scheinbar einfache Frage – Warum bist du in ländlichen Räumen geblieben? – in ihrer Antwort viel komplexer ist, als bisher vermutet. Im Folgenden wird dieser Komplexität auf den Grund gegangen. Zunächst wird das Bleibenmodell schematisch vorgestellt, bevor es in einem zweiten Schritt als Entscheidungsmodell anhand der einzelnen herausgearbeiteten Bleibetypen dargestellt wird.

Abbildung 14: Phasen des Entscheidungsprozesses

Quelle: eigene Darstellung

Auslöser Dass die Frage Gehen oder Bleiben auftaucht, setzt zunächst Auslöser voraus. Diese werden nicht generell aufgrund bestimmter Problemlagen wahrgenommen, die darauf hinweisen, dass eine Situation verbessert werden muss oder gar eine Notwendigkeit der Entscheidung besteht. Auslöser können demnach

Die empirische Analyse

auch dann auftreten, wenn keine problematische Ausgangssituation vorliegt, sondern sich eine Alternative zu der bestehenden Ausgangslage anbietet. Dies ist auch der Grund, warum Auslöser ganz unterschiedlich geartet sein können: von einem Anreiz in der Wochenendzeitung bis hin zu bestimmten biographischen Gelegenheiten, wie berufliche Veränderungen oder familienbezogene Ereignisse. Bestimmte Anreize, wie bspw. kürzere Arbeitswege, vereinfachter Zugang der Kinder zur Freizeitgestaltung, kürzere Wege zu Versorgungsmöglichkeiten, aber auch die Möglichkeit, durch andere Arbeit mehr Geld zu verdienen, führen an dieser Stelle noch nicht automatisch dazu, dass diese in tatsächlich relevante Handlungsalternativen übersetzt werden. Das verdeutlicht noch einmal, dass zum einen ein ganzes Bündel an Aspekten vorhanden sein muss, um Umzugsentscheidungen zu erwägen oder um in ländlichen Räumen zu bleiben und zum anderen, dass nicht per se rationale Gründe im Vordergrund stehen müssen.

Einflussmöglichkeiten in der Abwägungs- und Planungsphase Die beiden folgenden Phasen, Abwägung und Planung, sind geprägt von drei Einflussmöglichkeiten: der Sozialdimension, der Sachdimension sowie der Zeitdimension. Die hohe Relevanz der Sozialdimension im Entscheidungsprozess des Bleibens macht deutlich, dass die Entscheidung in der Regel nicht eine Einzelentscheidung ist, sondern im Rahmen von Aushandlungsprozessen mit Dritten abgeschlossen wird. Eine besondere Rolle spielt die Kommunikation, sei es aufgrund von Ratschlägen, aber auch von normativ vermittelten Bildern und Werten über eine vermeintlich richtige Entscheidung. Dieser Aushandlungsprozess bietet die Möglichkeit, Unterstützung zu erfahren, kann aber auch zu Komplikationen führen, wenn bspw. erst Überzeugungsarbeit für eine Alternative geleistet werden muss. Das Zusammenwirken mit anderen Personen kann eine ganze Reihe unterschiedlicher Ausprägungen haben (vgl. Schimank 2005: 122ff.). Im vorliegenden Material kommen folgende Konstellationen vor: •

Die Entscheidungen einzelner Gesprächspartnerinnen wirken auf andere Personen, die sich nur begrenzt am tatsächlichen Prozess der Entscheidung beteiligen können, wenn z.B. Mütter für ihre Kinder entscheiden oder wenn die Gesprächspartnerin die Entscheidung zum Gehen oder Bleiben innerhalb einer Partnerschaft übernimmt, die:der Partner:in sich dieser Entscheidung fügt.

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Mehrere Entscheider:innen wirken gemeinsam. Es ist eine gezielte Entscheidung der Gesprächspartnerinnen in Kooperation mit anderen. Es wird untereinander abgestimmt und die Entscheidung paritätisch getroffen und getragen, z.B. wird bei (Ehe-)Partner:innenkonstellationen gemeinsam die Frage über das Gehen oder Bleiben verhandelt. Dabei muss es nicht bei einer Dyade bleiben, auch Entscheidungen im größeren Familienkontext spielen hier eine Rolle, bspw. wenn Geschwister und (Groß-)Eltern einbezogen werden. Die Entscheidung wird nur scheinbar gemeinsam von mehreren Entscheider:innen getroffen. Tatsächlich übernimmt nur eine handelnde Person die ausschlaggebende Entscheidungsverfügung. Die Gesprächspartnerin fügt sich diesem und trägt die Entscheidung letztlich mit. Die Gesprächspartnerin ist dann eine passive Entscheiderin, das heißt, sie hat kaum oder keine tatsächliche Entscheidungswahl und/oder -möglichkeit.

Zu den in dieser Dimension wichtigen anderen Personen gehören neben Angehörigen des Haushaltes, wie Partner:innen und Kindern, auch die eigene Herkunftsfamilie und das soziale Netzwerk aus Freund:innen und Personen im Kontext ehrenamtlicher Beschäftigung. Die Sachdimension beinhaltet die Informationen, die über aufkommende Alternativen nötig sind, um eine Entscheidung in einen gewissen Ernsthaftigkeitsstatus zu überführen. Dabei geht es hier nicht nur um ein reines Faktenwissen, sondern um die Verknüpfung der Informationen mit der Ausgangslage, um sich ein verständliches Bild einer möglichen Entscheidungsrealisation zu machen. In den vorliegenden Daten zeigen sich hier zwei relevante Aspekte. Zum einen die bereits gesammelten Erfahrungen sowie die Einstellungen gegenüber den möglichen Alternativen, also ein Leben in nichtländlichen Räumen. Zentrale Themen wie Erreichbarkeit und Verfügbarkeit in Form von infrastrukturellen Möglichkeiten und Angeboten, wie der nächste Supermarkt, Ärzte, Kinderbetreuung und der Arbeitsplatz werden hier genannt. Und zum anderen schneidet diese Dimension auch die Sozialdimension, schließlich sind Informationen über eine mögliche Alternative (das Gehen in nichtländliche Räume) oder aber auch einer Beständigkeit (das Bleiben in ländlichen Räumen) in sozialen Aushandlungsprozessen relevant. Darüber hinaus wirkt auch eine zeitliche Dimension. Meistens haben Entscheidungsträger:innen nicht die zeitlichen Kapazitäten, um umfassende Informationen zu allen Möglichkeiten einzuholen. Schließlich ist die Entscheidung über die Frage des Gehens oder Bleibens verbunden mit mehreren Teil-

Die empirische Analyse

entscheidungen. Damit einher können auch institutionell gesetzte Fristen gehen. Werden diese Fristen überschritten, braucht sich die:der Entscheider:in zumeist keine weiteren Gedanken über die Alternativen zu machen bzw. muss umplanen. Es ist also letztlich auch eine bestimmte Art von Synchronisation verschiedener Teilbereiche des Lebens, z.B. Arbeit, Familie, Freundschaften, Freizeiten, Engagement, die mit dem Bleiben einhergehen.

1. Phase: Abwägung In der Phase der Abwägung geht es um die Präzisierung möglicher Handlungsalternativen, um eine gedankliche Auseinandersetzung mit ihnen. Hierzu werden Fragen geklärt wie: Geht mit der präferierten Möglichkeit auch eine Verbesserung der bisherigen Situation einher? Kann ich erwarten, dass mögliche Alternativen tatsächlich bereitstehen, für mich vorhanden sind? Zudem: Welche Kosten kommen hier auf mich zu? Was und wen muss ich beachten? Wie viel Zeit habe ich? Eine tatsächliche Entscheidung kommt dann in Betracht, wenn eine reelle Handlungsmöglichkeit gesehen wird. Es geht also in dieser Phase darum, realistisch einzuschätzende Alternativen von jenen zu trennen, die sich als irrelevant einstufen lassen. Wie wird das gemacht? Indem die Ernsthaftigkeit der Alternativen präzisiert und abgewogen wird. Diese Ernsthaftigkeit wird geprüft an drei Aspekten: einer Sozialdimension, einer Sachdimension sowie einer zeitlichen Dimension. Es sind diese Aspekte, die die Komplexität der Entscheidungssituation ausmachen. Die Suche nach umsetzbaren Alternativen beinhaltet nicht nur das Herausarbeiten möglicher Bedingungen, sondern auch die Betrachtung möglicher Gewinne oder Restriktionen, die bei einer Umsetzung erwartet werden. Die Abwägung und Aushandlung dieser drei Aspekte ist die Voraussetzung irrelevante von realistischen Handlungsalternativen und Entscheidungsmöglichkeiten zu trennen. Nur unter dieser Bedingung ist es möglich, Handlungsalternativen tatsächlich auch zu sehen und zu reflektieren.

2. Phase: Planung Wurden die unterschiedlichsten Aspekte abgewogen und die Ernsthaftigkeit festgestellt, wird in dieser Phase die konkrete Umsetzung der Intention geplant. Voraussetzung ist, dass die Gesprächspartnerinnen weitestgehend realistisch abgeschätzt haben, die Intention umzusetzen. Nunmehr geht es um konkrete Strategien, die gewählte Absicht zu verfolgen. Auch diese betreffen die Sozial-, Sach- sowie zeitliche Dimension.

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Die Strategien der Umsetzung des Bleibens sind hinsichtlich der Bleibetypen ganz unterschiedlich geartet. Zum einen geht es um die Veränderung der eigenen Verhältnisse, um in erster Linie Anerkennung von anderen zu erhalten, um so wiederum eine verfestigte Ortsbindung zu erreichen. Diese Anerkennung wird durch verschiedene Strategien angestrebt, z.B. den Versuch der Anpassung an die Normalität vor Ort. Zum anderen gibt es das intrinsisch motivierte Engagement. Es werden Beziehungen im Ort aufgebaut. Dies geschieht auch durch die (Ver-)Änderung des Selbst, nämlich dann, wenn bspw. eher ungern zu Dorffesten gegangen wird, aber das Sozial-aufgenommen-Werden in den Vordergrund rückt. Es geht darum, einen Status der hohen sozialen Erwünschtheit von Bewohner:innen des Dorfes zu erreichen. Gesprächspartnerinnen versuchen exponiert aufzufallen, z.B. durch die Übernahme formeller ehrenamtlicher Positionen. Darüber hinaus werden auch vermeidende Strategien deutlich, nämlich dann, wenn erkannt wird, dass die intendierte Entscheidung nicht umgesetzt werden kann und dies zum Problem wird. Dies trifft bei den Kritisch-negativen Bleiberinnen zu. So geht es – nachdem das Bleiben als Nicht-Entscheidung feststeht – darum, dass Bleiben so auszurichten, dass eine eigene Normalität konstruiert wird, um von der Problemsituation abzulenken. Es gilt diese positiv umzudeuten. Gesprächspartnerinnen gehen bspw. auch auf Dorffeste, allerdings weniger um hier ihre Sichtbarkeit zu erhöhen, sondern vielmehr um die äußerlichen Erwartungen zu bedienen, um nicht aufzufallen. Diese Strategien betreffen allerdings nicht den Entscheidungsprozess selbst, sondern sind eher dessen Folge. Deutlich ist, dass nicht alle Bedingungen bereits in der vorherigen Phase antizipiert werden können, sondern auch hier aufgrund des sozialen und situativen Umstandes der Entscheidungsprozess noch abgebrochen werden kann. Es ist möglich, dass sich das Ziel ändert. Wurde sich zunächst für ein Gehen aus den ländlichen Räumen entschieden, wird nun erfahren, dass diese Intention nicht umsetzbar ist und nunmehr das Bleiben in ländlichen Räumen im Mittelpunkt steht. Möglich ist also, dass aus dieser Phase heraus die Nichtentscheidung zu einem neuen Entscheidungsprozess führt.

3. Phase: Realisation Diese Phase der Realisation beinhaltet die Umsetzung des intendierten Beschlusses. Da im Sample nur Frauen sind, die sich selbst als Gebliebene definieren, sind auch alle Gesprächspartnerinnen geblieben. Das ist der physische

Die empirische Analyse

Umstand. Wenngleich in den vorherigen Analyseschritten deutlich geworden ist, dass auch die Nichtentscheidung Teil dieser Realisation sein kann.

Der Entscheidungsprozess des Bleibens anhand der Bleibentypologie Relevante, ähnliche Aspekte des Entscheidungsprozesses betreffen auch die aufgestellt Bleibentypologie selbst. Dies betrifft bspw. die sozialen Aushandlungsprozesse, die in der Abwägungs- und Planungsphase, aber auch über verschiedene Kernkategorien der Bleibentypologie hinweg eine Rolle spielen, wenn z.B. bestimmte Strategien relevant sind, einen hohen Grad der Mitgliedschaft im Ort anzustreben. So trägt die Erstellung des Entscheidungsprozesses und der Herausarbeitung der unterschiedlichen Phasen wesentlich zur theoretischen Sättigung des Forschungsanliegens bei. Die Komplexität und die Prozesshaftigkeit der Entscheidung, in ländlichen Räumen zu bleiben, konnte herausgearbeitet werden. Auch hier sind es biographische Abhängigkeiten sowie der soziale und situative Kontext, die das Phänomen des Bleibens beeinflussen.

Abbildung 15: Entscheidungsprozess des Bleibens anhand der Bleibentypologie

Der Entscheidungsprozess des Typs Kritisch-positive Bleiberin Gesprächspartnerinnen des Typs Kritisch-positive Bleiberin erfüllen alle formalen Kriterien, die eine Definition von Entscheidungshandeln beinhaltet.

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Schließlich liegt eine Entscheidung dann vor, wenn diese eine »erklärte Absicht [ist], einen erwünschten Zustand gezielt herbeizuführen, verbunden mit der Wahl einer Handlung, die geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen« (Burkart 1995: 65). Dieser Typ erfährt Auslöser, die zwar Alternativen gedanklich aufkommen lassen, diese werden allerdings nicht ernsthaft verfolgt, vielmehr verstärken diese die Intention, bleiben zu wollen. Die Sozial-, Sach- sowie zeitliche Dimension sind für die Entscheidung wichtig. Schließlich wird in der Regel die Entscheidung nicht nur von der Entscheidungsträgerin selbst, sondern auch von anderen, nahestehenden Personen getragen und befürwortet. Dabei kommt der Partnerschaft, der Herkunftsfamilie sowie passiv auch den Kindern eine entscheidende Rolle zu. Es ist eine gezielte Gestaltung des Bleibenwollens durch die Beteiligung anderer, die an dieser Stelle unterstützend wirken. Die Sachdimension ist in der Weise ersichtlich, dass Gesprächspartnerinnen bereits Erfahrungen mit der Möglichkeit zum Gehen in nichtländliche Räume gesammelt haben. In diesem Typ sind nämlich jene Frauen, die bereits in städtischen Räumen gelebt haben und diese Räume sind auch in der aktuellen Alltäglichkeit relevant, bspw. aufgrund von Dienstreisen. Es wird sich ein Bild davongemacht bzw. an bestehenden Informationen partizipiert, wie mögliche Alternativen aussehen. Diese Erfahrungen werden mit der aktuellen Situation verknüpft und auch als Entscheidungsgrundlage herangezogen. Eine zeitliche Dringlichkeit, den Entscheidungsprozess voranzutreiben, besteht an dieser Stelle in der Form, dass bestimmte Strategien angewandt werden, das Bleiben zu verfestigen, und diese sollen möglichst zeitnah umgesetzt werden. Zu diesen Strategien gehört, sich am sozialen Leben vor Ort als Einflussfaktor der Ortsverbundenheit zu beteiligen. Gesprächspartnerinnen wollen durch die Anerkennung anderer in ihrem relevanten Raum, besonders im Inner Circle, auffallen. Insgesamt ist hier also ein Entscheidungshandeln zu beobachten, welches alle Phasen des Entscheidungsprozesses berührt. Sie sind damit im Vergleich zu den anderen Typen die einzigen, für die das Bleiben in ländlichen Räumen eine tatsächliche Entscheidung ist.

Der Entscheidungsprozess des Typs Kritisch-negative Bleiberin Gesprächspartnerinnen des Typs Kritisch-negative Bleiberin, jene, die am liebsten gehen wollen, nehmen vergleichsweise schlichte Auslöser wahr, die Gedanken über ein Gehen oder Bleiben herausfordern. Sie erkennen auftauchende Alternativen, changieren zwischen ihnen, doch es ist ihnen letztlich in der Planungsphase nicht möglich, ihre Intention (in nichtländliche Räume

Die empirische Analyse

zu gehen) in die Realisierungsphase zu überführen. Das Bleiben in ländlichen Räumen ist für diesen Typ eine Nicht-Entscheidung. Alternativen sind zwar sichtbar, aber nicht verfügbar, deshalb besteht keine tatsächliche Wahl. Der eigentliche Plan zu gehen, scheitert bereits in der Abwägungsphase aufgrund des sozialen Konflikts und erfährt in der Planungsphase keine Umsetzung. An dieser Stelle entsteht ein neues Entscheidungsproblem. Es fehlt nicht an einer Entscheidungsgrundlage, sowie es für den Typ Selbstverständliche Bleiberin charakteristisch ist, sondern die Orientierung ist von vornherein eine sozial determinierte. Kalter resümiert (1997: 233) noch: »Erstaunlich ist auf dieser Stufe [der Wanderungsplanung, Anm.d.V.] die weitgehende Abwesenheit von Konflikten innerhalb von Partnerschaften«. Genau das ist hier nicht der Fall. Ausschlaggebend ist, dass das Entscheidungshandeln der Gesprächspartnerin mit anderen Personen zusammenwirkt. Es wird bspw. zugunsten eines harmonischen Familienlebens die Alternative, zu gehen und damit die Konsequenz der räumlichen Trennung, nicht verfolgt. Wie sich bereits in der Bleibentypologie herausgestellt hat, ist es weniger eine intrinsisch motivierte Intention zu bleiben, sondern vielmehr eine Herausforderung die aktuelle Situation hinsichtlich einer Normalität zu konstruieren. Sachliche und zeitliche Aspekte können hier nur wenig zur Entscheidungsfindung beitragen bzw. deren vorgetragene Vorteile haben letztlich nur wenig Bedeutung. Die Diskrepanz zwischen der erwarteten (oder eher erwünschten, erhofften) Alternative und ihrer Realisation, stellt die Entscheiderin immer wieder vor die neue Entscheidungsfrage, die auch eine alte sein kann: Gehen oder Bleiben? Dieser Typ macht deutlich, dass das Bleiben einer Komplexität unterworfen ist und konfliktbehaftet sein kann. Dieser Konflikt hat mehrere Ebenen. Er besteht in Interdependenzbewältigungsproblemen: Gesprächspartnerinnen sind nicht in der Lage, die intendierte Entscheidung zu gehen auch zu implementieren, umzusetzen. Eben dieser mögliche Entscheidungsweg stellt deutlich dar, dass im Bleiben gleichwohl das Gehen vorhanden ist, nämlich dann, wenn der Entscheidungsprozess zu gehen, so wie hier, abgebrochen wird (werden muss). Möglich ist, dass dieser Typ aus der Erfahrung heraus schließlich resigniert und einen ähnlichen Entscheidungsprozess durchläuft wie der Typ Selbstverständliche Bleiberin. Das heißt: Die Alternative zu gehen wird nicht mehr wahrgenommen oder aber es entsteht ein Problemdruck, der unerträglich wird und letztlich doch zum Handeln (zum Gehen) führt.

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Der Entscheidungsprozess des Typs Selbstverständliche Bleiberin Gesprächspartnerinnen des Typs Selbstverständliche Bleiberin, jene Frauen, die unhinterfragt bleiben, sehen zwar Auslöser, nehmen in der Regel allerdings keine ernstzunehmenden Alternativen wahr und handeln gemäß ihren üblichen Routinen. Gesprächspartnerinnen dieses Typs sind weder der Situation ausgesetzt, einer eintretenden oder drohenden Verschlechterung entgegenzuwirken, noch eine Gelegenheit zu ergreifen, etwas (noch) besser darzustellen. Wie bereits in der Bleibentypologie herausgearbeitet, geht es darum, eine höchst mögliche Sicherheit in Form von Routinen und Unveränderbarkeit anzustreben. Diesen Gesprächspartnerinnen kann unterstellt werden, dass das Bleiben ein Mangel an Opportunitäten darstellt. Wobei genau dies von den Gesprächspartnerinnen nicht negativ aufgefasst wird. Auffällig ist, dass die zur Analyse herangezogenen Sozial, Sach- und Zeitdimensionen kaum bearbeitet werden. In der Regel muss nicht mit anderen Personen abgestimmt werden, ob die Frage Gehen oder Bleiben tatsächlich verhandelt wird. Das Bleiben wird von anderen Personen anerkannt und von den Gesprächspartnerinnen selbst, als Selbstverständlichkeit aufgefasst. Weitere Informationen, die ein Abwägen beeinträchtigen, kommen kaum vor. In diesem Typ sind die Frauen, die das Gehen, aber auch die städtischen Räume negativ bewerten. Vor dem Hintergrund der ausgesprochenen Selbstverständlichkeit, ist auch die Zeitdimension unwichtig. Das Bleiben ähnelt an dieser Stelle eher einem Zustand als einem dynamischen Prozess. Alles in allem: Die Entscheidung zu bleiben wird von Frauen dieses Typs vergleichsweise einfach gefällt und unterliegt im Vergleich zu den anderen Typen kaum einem komplexen Entscheidungsprozess. Schließlich wird kein entscheidungsförmiges Handeln ersichtlich. Damit ist das Bleiben für die Selbstverständliche Bleiberin eine Nicht-Entscheidung (Schimank 2005: 199, Dimbath 2003: 71, nach Burkart 1995: 73). In Abbildung 17 fällt die gestrichelte Linie auf: Es geht dort um einen Entscheidungstyp, der darauf hinweist, dass ein weiterer Typ in der Bleibentypologie theoretisch konstruierbar ist. Dieser ist so allerdings im vorliegenden Datenmaterial nicht wiederzufinden. Charakteristisch aus einer entscheidungstheoretischen Perspektive ist, dass dieser Typ zweifelt und für ihn die Frage Gehen oder Bleiben ein Dilemma darstellt. Dies passiert, wenn Handlungsalternativen gesehen werden, diese per se auch verfügbar sind, allerdings in der Planungsphase nicht umgesetzt werden können, weil eine Entscheidungsgrundlage fehlt – sie können nicht abschließend verglichen und bewertet werden. Personen wissen nicht, warum sie sich wofür

Die empirische Analyse

entscheiden sollen und hadern. Letztlich führt dies zu einer Nicht-Entscheidung. Ein fiktives Beispiel hierfür: Eine Person führt eine Fernbeziehung und nun kommt der nächste Schritt, das Zusammenwohnen, in Betracht. Als gemeinsamer Lebenspunkt stellt sich nur ein Ort heraus, der eine bedeutsame Entfernung überschreitet. Die Entscheidungsträgerin möchte auf der eine Seite die Partnerschaft nicht gefährden und durchaus mit der:dem Partner:in zusammenziehen, auf der anderen Seite bedeutet diese Option aber auch pflegebedürftige Familienangehörige zu verlassen und damit dem Anspruch der intergenerationalen Solidarität nicht nachzukommen. Diese Ausgangssituation ist dafür prädestiniert, im Kontext des Entscheidungsprozesses des Bleibens in ländlichen Räumen ein Dilemma zu erzeugen. Der Entscheidungsträgerin fällt es schwer, sich zu entscheiden.

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Bleibenslebensweisen. Synthese der Ergebnisse

Die unterschiedlichen Wege, das Bleiben in ländlichen Räumen empirisch zu analysieren und theoretisch zu konzeptualisieren, verdeutlichen die Komplexität dieses Phänomens. Zentrale theoretische Konzepte konnten in dieser mehrperspektivischen Analyse herausgestellt und verdichtet werden. Alle bisherigen Ergebnisse zusammenfassend, wird nun von Bleibenslebensweisen die Rede sein. Zu der theoretischen Sättigung dieses Konzepts trägt im Wesentlichen die Beobachtung bei, dass die zugrundeliegenden konstruierten Strukturen ihre Relevanz in der Bleibentypologie als Ausdruck der Kernkategorien, in der Raumtypologie als Ausdruck der unterschiedlich relevanten Räume sowie im Entscheidungsprozesses wiederzufinden sind. Über die gesamten Analyseschritte hinweg zeigt sich synthetisiert, dass das Bleiben in ländlichen Räumen nicht ein starres Verhalten ist, sondern vielmehr ein komplexer, sich wandelnder Prozess. Bleibenslebensweisen spiegeln sich wider als: • • •

lebensgeschichtlicher, interaktionsgebundener und situativ-kontextabhängiger Prozess.

Diese drei Dimensionen sind nicht ganz trennscharf, sondern lassen sich nur aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, ohne ihren Zusammenhang aufzugeben.

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Bleiben in ländlichen Räumen

Bleiben als lebensgeschichtlicher Prozess Hervorzuheben sind zwei Aspekte, die in einem lebensgeschichtlichen Zusammenhang das Bleiben in ländlichen Räumen beeinflussen: • •

eine familiär- und herkunftsbedingte Relevanzsetzungen sowie Einstellungen zum und Erfahrungen mit dem Gehen.

Ein Aspekt ist der Einbezug der Familiengeschichte, der transgenerationalen Folgen sowie deren Bedeutungen für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (vgl. Nave-Herz 2017, Rosenthal/Hinrichsen 2018). Die Gesprächspartnerinnen beschreiben sich und das Bleiben in ländlichen Räumen nicht losgelöst von den Herkunftsfamilien sowie ihrem Herkunftsmilieu, sondern als Teil dieser kollektivgeschichtlichen Konfiguration. Dabei ist die familiengeschichtliche Einbettung in der Regel Ausgangspunkt vergangener Erfahrungen. Bspw. dann, wenn Familienbetriebe eine Rolle spielen oder aber Familienmitglieder von der deutsch-deutschen Wiedervereinigung und den damit einhergehenden Entwicklungen des relevanten Raums betroffen sind. Teil der Familiengeschichte ist häufig auch die Bedeutung des familiären Eigentums, gemeint ist vor allem das Eigenheim, welches seit mehreren Generationen in familiärem Besitz ist (vgl. Tuitjer 2018a). An dieser Stelle kristallisiert sich die besondere Bedeutung von intergenerationaler Solidarität heraus. Ihre Auswirkungen zeigen sich in engen und verbindlichen Beziehungen zwischen den Gesprächspartnerinnen und ihren Eltern, Großeltern und Geschwistern. Diese zeichnen sich dann durch eine große emotionale Nähe, das Nahe-beieinander-Wohnen, regelmäßige Kontakte und Unterstützungsleistungen, z.B. durch die Übernahme der Pflege von Angehörigen, aus. Ein Zusammenhang zwischen dem Bleiben und der intergenerationalen Bindung präsentiert sich insbesondere bei jenen Gesprächspartnerinnen, die im Typ Selbstverständliche Bleiberin gefasst werden. Gerade hier zeigt sich das Bleiben als gesellschaftlich – vor allem familiär – akzeptierter Bestandteil einer biographischen Zwangsläufigkeit. Schließlich ist gerade in diesem Typ auffällig, dass ein sozialer Erwartungsdruck aufgrund normativ vermittelter Bilder der richtigen Entscheidung, nämlich zu bleiben, besteht. Ein weiterer Aspekt, der sich in allen drei Teilergebnissen – Bleibentypologie, Raumtypologie, Entscheidungsprozess – übergreifend als bedeutend für das Bleiben herausgestellt hat, ist die Einstellung zum Phänomen des Gehens,

Bleibenslebensweisen

gemeint ist der Wohnortwechsel. Es zeigt sich, dass für eine qualitativ soziologische Betrachtung des Gehens eine formale, aus operationalisierten Indikatoren bestehende Definition, die sich an der Überschreitung einer bestimmten Entfernung (bspw. 50 km in Ruppenthal/Lück 2009: 1) oder funktionellen und strukturspezifischen Einheit (bspw. Überschreitung der Gemeindegrenze in Statistisches Bundesamt 2019: 80) orientiert, nicht ausreicht. Schließlich bedeutet ein Wohnortswechsel über die Gemeinde- bzw. Kreisgrenze hinweg noch nicht per se ein Abbruch von lokalen sozialen und räumlichen Beziehungen. Gleichzeitig kann ein Gehen, ein Umzug, im Nahbereich, bspw. von einem Ort in den territorial nächsten Ort, genau diesen Abbruch von sozialen und räumlichen Beziehungen ausmachen. Das Gehen definiert sich vielmehr aufgrund der folgenden differenzierten und in Kombination auftretenden Dimensionen: Einer Sozialdimension: Ein Gehen orientiert sich an die Überschreitung einer sozial bedeutsamen Entfernung (Kley 2016: 486). Auch in den vorliegenden Daten zeigt sich, dass bestimmte Ansprüche gelten, lokale Beziehungen zu pflegen. Wenn diesen nicht mehr bzw. nur noch begrenzt nachzukommen ist, handelt es sich ums Gehen. Das ist der Fall, wenn bspw. eine Tätigkeit im Verein nicht mehr möglich ist (auch nicht in regelmäßigen Abständen, z.B. am Wochenende) oder die Pflege der (Groß-)Eltern entgegen dem eigenen Anspruch dann doch professionell übernommen werden muss. Das verdeutlicht die Wichtigkeit lokaler sozialer Beziehungen für das Bleiben in ländlichen Räumen. Einer Raumdimension: Die unterschiedlichen Raumkonstruktionen und -konstitutionen haben aufgezeigt, dass sich relevante Räume für Gebliebene nicht territorial fassen lassen. Erst wenn bestimmte Ebenen erreicht werden, denen nur eine begrenzte Funktions- und Verfügungsoptionen unterstellt wird und in denen ein geringer Identifizierungsgrad besteht, dann ist von einem Gehen zu sprechen. Gehen bedeutet daher auch Neuorientierung, bestehend aus der Anbahnung sozialer Beziehungen, ortsspezifischen Kenntnissen und einer Akzeptanz Anderer in dem neuen Ort. Einer Zeitdimension: Das Gehen umfasst auch eine bestimmte Dauer bzw. Zeitspanne, die eine tatsächliche Abwesenheit voraussetzt. Wer bspw. zu Ausbildungszwecken die Woche über in der nächsten Stadt wohnt und hier nur begrenzt wichtigen sozialen sowie räumlichen Arrangements nachkommen kann, allerdings das Wochenende im Herkunftsort verbringt, ist nicht per se gegangen, sondern folgt eher einer bestimmten Bleibenslebensweise.

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Bleiben in ländlichen Räumen

Erst im Zusammenspiel dieser drei Dimensionen, das heißt, wenn wichtige soziale Kontakte nur noch begrenzt gepflegt werden können, sich neue Räume erschlossen werden, die bisher nur eine begrenzte Funktions- und Verfügungsoption aufweisen, und darüber hinaus eine gewisse zeitliche Abwesenheit besteht, dann ist tatsächlich von einem Gehen die Rede. Hinzu kommt, dass das Gehen stets im Zusammenhang mit den städtischen Räumen thematisiert wird. Gehen aus der Perspektive Gebliebener in ländlichen Räumen bedeutet in der Regel ein Gehen in die Stadt. Wobei städtische Räume selbst ganz unterschiedlich definiert und genutzt werden. Für Selbstverständliche Bleiberinnen sind städtische Räume Orte mit 5.000 Bewohner:innen, für die Kritischen Bleiberinnen wird Hamburg oder Berlin mit dem Raum Stadt assoziiert. Städtische Räume, so zeigt es besonders deutlich die Raumtypologie, sind Ausdruck der Alltäglichkeit von Gebliebenen. Diese ist verbunden mit konkreten alltäglichen Praxen. Städtische Räume werden aber auch als Sehnsuchts- oder Angsträume beschrieben, die zumindest in Gedanken regelmäßig eine Rolle spielen. Dass das Thema Stadt für Gebliebene so eine wichtige Rolle spielt, ist insofern interessant, als dass sich herauskristallisiert hat, dass auf der Fallebene der unterschiedlichen Bleibetypen die relevanten Räume unterschiedlich konstituiert werden. Und die städtischen Räume in diesen konstituierten relevanten Räumen ganz unterschiedliche Positionen einnehmen, unabhängig davon, ob eine Person am liebsten gehen möchte oder aber ganz selbstverständlich bleibt. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Lebensbereiche an ganz unterschiedlichen Orten (als Produkt der Platzierung der Elemente, Löw 2012: 198 ff) stattfinden und das Bleiben in ländlichen Räumen nicht grundsätzlich ein Bleiben in nur einem Dorf bedeutet. Bestimmte Handlungsweisen orientieren sich nicht nur an bestimmten räumlichen Anordnungsmustern, sondern viel eher an dem Zusammenspiel vorhandener Elemente sowie ihrer Bedeutung und Beziehung untereinander. Ländliche Räume als territorial begrenzt und ländliche Lebensweisen als territorial zuordbar zu fassen, ist zu kurz gegriffen und übersieht die Komplexität individueller Lebensweisen und Raumverständnisse. An dieser Stelle offenbart sich eine Vielfalt an verschiedenen Raumkonstruktionen, was dafürspricht, dass nicht allein ein Ort für eine Bleibeentscheidung ausschlaggebend ist, sondern die Konstitution besteht aus vielschichtigen Elementen und Ebenen, die über Dorfgrenzen hinausgehen. Dafür spricht auch, dass das Pendeln bzw. das Mobilsein in der Regel als Bestandteil der ländlichen Räume akzeptiert ist. Das Gehen ist auch deshalb so dominant in der Analyse, weil sich herausgestellt hat, dass mit dem Bleiben dann kritisch umgegangen wird, wenn be-

Bleibenslebensweisen

reits Erfahrungen mit dem Gehen gemacht wurden und so eine vergleichende Bewertung stattfinden kann. Im biographischem Verlauf ist die Berufswahlentscheidung im jungen Erwachsenenalter an die Frage Gehen oder Bleiben geknüpft. Schließlich hat ein Umzug aufgrund von Ausbildungs-, Studiumsund Arbeitsgelegenheiten für junge Erwachsene eine Bedeutung (vgl. Wagner 1989: 90ff., Beetz 2004: 142 ff, Kley 2009: 176ff., Becker/Moser 2013: 91ff.). Das spiegelt sich zum einen in der Wanderungsstatistik wieder, die 18- bis 30jährigen sind die Altersgruppe mit der höchsten Wanderungswahrscheinlichkeit (vgl. Wolff/Haase/Leibert 2020, Statistisches Amt 2020: 43), und zum anderen in zahlreichen qualitativen Untersuchungen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen (vgl. Becker/Moser 2013, Wochnik 2014, Schametat/Schenk/ Engel 2017). An dieser Stelle zeigen sich im Material Tendenzen des klassischen Zusammenhangs zwischen Mobilität und Bildung: Im Vergleich zu den Selbstverständlichen Bleiberinnen weisen die Kritischen Bleiberinnen einen höheren formalen Bildungsgrad auf, gleichzeitig sind sie es, die bereits Alltagserfahrungen in städtischen Räumen sammeln konnten. Letztlich haben sie sich allerdings als Gebliebene definiert, auch wenn sie bereits formal einen Alltag in städtischen Räumen hatten. Wobei eine Rückkehr nicht von vornherein Teil dieser Abwanderungsentscheidung war. Vielmehr waren es bestimmte Ansprüche und Bedürfnisse, die zeitweise nicht in ländlichen Räumen realisiert werden konnten. Dieser Aspekt rekurriert auch auf Erkenntnisse aus der Mobilitätsentscheidungsforschung. Schließlich befinden sich Mobilitätsentscheidungen stets in einem dynamischen Verhältnis zu unterschiedlichen Lebensbereichen und -vorstellungen (vgl. Huinink 2005). Mobilitätsentscheidungen beinhalten Abwägungsprozesse, in denen es um die Verwirklichung der eigenen Lebensziele, ihre Chancen vor Ort und die Möglichkeiten, die andere Räume zu bieten haben, geht (Becker/Moser 2013: 95ff.). Eine Verbindung zu den ländlichen Räumen wurde durch soziale Beziehungen aufrechterhalten. Nachdrücklich wird klar, dass das Konzept des Gehens eine besondere Nähe zum Bleiben aufweist. Es ist nicht ungewöhnlich, dass für ländliche Bleibenslebensweisen die städtischen Räume sowie auch das Gehen eine Rolle spielen. So dass an dieser Stelle eher von Relationen zu sprechen ist, als von einer sich ausschließenden Dichotomie zwischen Stadt und Land und Gehen und Bleiben. Hier zeigen sich die vielfältigen raumübergreifenden Verflechtungsbeziehungen der unterschiedlich relevanten Raumebenen. Eine Teil(weise)anwesenheit in städtischen Lebensumfeldern gehört demnach zur ländlichen Bleibenslebensweise dazu.

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Bleiben in ländlichen Räumen

Bleiben als interaktionsgebundener Prozess Wie der Einfluss von lebensgeschichtlichen Prozessen bereits markiert, ist das Bleiben in ländlichen Räume ein Phänomen, das nicht generell auf einer individuellen Ebene stattfindet und allein entschieden wird, sondern soziale Aushandlungsprozesse beinhaltet. Diese bieten die Möglichkeit, Unterstützung im Bleiben zu erfahren, sie können aber auch zu Konflikten führen. Besonders deutlich zeigen sich Interdependenzkonstellationen im Entscheidungsprozess (Schimank 2005: 122ff.) des Bleibens. Als relevant haben sich folgende Konstellationen ergeben: •

• •

Die Entscheidungen einzelner Gesprächspartnerinnen wirken auf andere Personen, die sich nur begrenzt am tatsächlichen Prozess der Entscheidung beteiligen (können). Mehrere Entscheider:innen wirken gemeinsam. Die Entscheidung wird nur scheinbar gemeinsam von mehreren Entscheider:innen getroffen, letztlich trägt die Gesprächspartnerin die Entscheidung passiv mit.

Einen Einfluss auf das Bleiben haben nahestehende Personen, die in Strukturen der ländlichen Räume verwickelt sind, wie bspw. die eigenen Kinder, die in der Kita oder Schule vor Ort eingebunden sind oder Partner:innen, die in diesen Räumen ein freundschaftliches Netzwerk pflegen oder in Vereinen tätig sind. Das betrifft auch Beziehungen außerhalb des Haushaltes, wie der erweiterte Familienkreis, der Freundeskreis oder Personen des Freizeitvereins. Damit gehen Entscheidungen einher, die nicht nur die eigene Frage des Bleibens betreffen, sondern auch Fragen der Anderen zu ihrem Bleiben. Es entstehen also weitere Teilfragen, die die Frage über das Gehen oder Bleiben auslösen. Darüber hinaus tritt der soziale Einfluss in einer weiteren Variante auf, nämlich dann, wenn das Bleiben aus einem sozialen Erwartungsdruck heraus als Normalität in Form eines gesellschaftlich akzeptierten Bestandteils besteht. Dies zeichnet sich in zwei Ausprägungen ab: Zum einen als von außen herangetragener guter Rat in Form von normativ vermittelten Bildern und Werten über die vermeintlich richtige Entscheidung (nämlich zu bleiben), zum anderen als eine von innen, von den Gesprächspartnerinnen selbst formulierte kulturelle und soziale Selbstverständlichkeit. Überdies sind interaktionsgebundene Prozesse wichtig, wenn das Sozialaufgenommen-Werden bzw. der Status der sozialen Erwünschtheit im Inner

Bleibenslebensweisen

Circle des relevanten Raums eine Rolle spielt. Dazu gehört es, sich bspw. an dem sozialen Leben vor Ort als Einflussfaktor der Ortsverbundenheit zu beteiligen. Auffällig ist, dass Gesprächspartnerinnen, die ihr Bleiben stets verfestigen wollen, sich gezielt anpassen wollen. Es wird versucht, die gedeuteten, nicht in den sozialen Kontext passenden eigenen Eigenschaften zu verstecken, zu kaschieren oder auch zu leugnen, um nicht aufzufallen. Die Relevanz der Sozialdimension macht deutlich, dass • •



die Entscheidung zum Bleiben in der Regel nicht eine Einzelentscheidung ist, sondern viel eher als Interdependenzkonstellation getroffen wird. das Bleiben einer Komplexität unterworfen ist, die aufgrund der Aushandlungsprozesse mit Dritten und damit einhergehend weiteren Teilentscheidungen verbunden ist. das Bleiben einer Prozesshaftigkeit unterliegen kann, wenn ein gewünschter sozialer Status mithilfe der Anbahnung sozialer Beziehungen aufgebaut bzw. gepflegt wird.

Bleiben als situativ-kontextabhängiger Prozess Dass das Bleiben in ländlichen Räumen einen prozesshaften Charakter aufweisen kann, machen auch Sinnzuschreibungen, Deutungen und bestimmte Praktiken im Rahmen des situativen Kontextes aus. Gemeint sind an dieser Stelle die Rahmenbedingungen, die sich auf das Bleiben in der konkreten Situation beziehen. Entscheidend ist also nicht nur eine Retrospektive, das heißt, eine bestimmte Art zu Bleiben ist nicht allein in biographischen, vergangenen Prozessen zu suchen, sondern auch in der Gegenwart, konkret im Alltag (vgl. Poferl et al. 2020). Dabei geht es nicht nur um die An- oder Abwesenheit bzw. einem bestimmten Status – Ist eine Erwerbsarbeit vorhanden? In welcher Form? Wie viele Personen leben im Haushalt? Wie hoch ist das Einkommen? –, sondern vielmehr um den Umgang mit diesen bezüglich des Bleibens in ländlichen Räumen. Das Nachdenken über das Bleiben in ländlichen Räumen taucht bei den Kritischen Bleiberinnen ständig auf, da ihnen im Alltag stets Auslöser begegnen, die eine fortwährende Bearbeitung und Positionierung zu der Frage Gehen oder Bleiben herausfordern. Es geht um die Abwägung, ob bestimmte Auslöser als ernsthafte Alternativen wahrgenommen werden. Hierzu gehört auch die Einschätzung über die aktuellen Lebensbedingungen und -bedürfnisse in

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Bleiben in ländlichen Räumen

Verbindung mit den soziodemographischen und -ökonomischen Merkmalen. Wobei im vorliegenden Material deutlich ist, dass das Bleiben kein ökonomisches Kosten-Nutzen-Kalkül in den Vordergrund stellt und vor allem nicht eine Entscheidung ist, die alleine gefällt wird. Ein Blick in die soziodemographischen und -ökonomischen Angaben der Gesprächspartnerinnen zeigt, dass die Personen, die selbstverständlich und unhinterfragt in ländlichen Räumen bleiben, auch jene Personen sind, die im Vergleich zu den anderen Typen nicht in einer Partnerschaft leben bzw. die Alleinerziehenden in der Fallauswahl sind. Es sind allerdings auch die Gesprächspartnerinnen, die vor dem Hintergrund einer normativen Verankerung in den ländlichen Räumen bleiben, das heißt eine hohe intergenerationale Solidarität verspüren. Es sind Frauen, bei denen familiäre oder erwerbsbedingte Veränderungen Unsicherheiten auslösen. Verdeutlicht wird dies durch den Umstand, dass die Selbstverständlichen Bleiberinnen in der Regel durch eine instrumentelle Arbeitsorientierung charakterisiert werden. Sie wechseln häufig ihren Job, Arbeitslosigkeit ist schon aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des sozialen Status keine Alternative. Darüber hinaus wohnen die Selbstverständlichen Bleiberinnen zur Miete oder – im Vergleich häufiger – mietfrei und vor allem in einer kleineren Wohnung, teilweise auch im mittleren Erwachsenenalter noch zusammen mit den Eltern. Die vorangestellten soziodemographischen sowie -ökonomischen Angaben sowie das ausgeprägte Streben nach Sicherheit verdeutlicht die Selbstverständlichkeit zu Bleiben. Bspw. werden Fernbeziehungen abgebrochen, sobald die Forderung besteht, die Partnerschaft durch eine gemeinsame Wohnung weiter zu festigen. Es ist schließlich auch denkbar, dass das Bleiben dieses Typs eine Bewältigungsstrategie darstellt, um Sicherheit durch Unveränderbarkeit zu generieren. Vorstellbar ist allerdings auch, dass weniger ein Streben nach Unveränderbarkeit im Vordergrund steht, sondern vielmehr eine Art Unmöglichkeit der Veränderung und damit eine Art der Alternativlosigkeit aufgrund eines Mangels an Optionen. Diese Unveränderbarkeit verdeutlicht, dass das Bleiben auch einem (gewünschten) Zustand ähneln kann, der im Vergleich zu den Kritischen Bleiberinnen weniger Dynamik innehat. Die Kritischen Bleiberinnen hingegen leben in größeren Eigenheimen, dies vor allem mietfrei bzw. als Eigentümerin. Auffällig ist das deutlich höhere Einkommen, bei – im Vergleich zu den Selbstverständlichen Bleiberinnen – weniger Erwerbsstunden pro Woche. Es sind Gesprächspartnerinnen, die eher verheiratet sind und mit mehreren Personen (aufgrund der höheren

Bleibenslebensweisen

Kinderanzahl) in einem Haushalt leben. Auffällig ist, dass die Kritischen Bleiberinnen sich in territorial größeren Räumen bewegen. Grund dafür sind die Jobs, die weite Dienstreisen mit sich bringen. Hier herrscht eine höhere alltägliche Dynamik, die ein Positionieren zum Bleiben in ländlichen Räumen herausfordert. Dies birgt die Möglichkeit, die Bleibenslebensweisen als positiv, aber auch als negativ aufgrund der alltäglichen Erfahrungen zu deuten. Schließlich sind sie es, die ständig mit Auslösern konfrontiert werden, die die Fragen Wie kann ich bleiben? bzw. Wie kann ich gehen? herausfordern und für die ein ganzes Konglomerat an unterschiedlichen Aspekten und die Beantwortung von Teilfragen nötig sind, um darauf zu antworten. Mit diesen kursorischen Angaben im Kontext der Fallauswahl kann noch nicht darauf geschlossen werden, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen bestimmten Lebensstilen und bestimmten Bleibetypen besteht. An dieser Stelle kann diese Arbeit aber einen Ausgangspunkt für weitere empirische Forschungen bieten. Das Bleiben in ländlichen Räumen ist ein Phänomen, das interaktionsgebunden, lebensgeschichtlich verankert sowie situativ-kontextabhängig ist. Diese Komplexität verdeutlicht seinen prozesshaften und fluiden Charakter: Bleibenslebensweisen können sich ändern. Es gibt nicht den Zustand des Bleibens, vielmehr ist das Bleiben kontinuierlich im Wandel – angetrieben von sich ständig ändernden Anforderungen, Lebensereignissen und sich daraus ergebenen Handlungsmöglich- und -fähigkeiten.

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Zusammenfassung und Reflexion

Zusammenfassung Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen einen Ausschnitt und kein repräsentatives Abbild des Bleibens in ländlichen Räumen. Sie zeigen aber, dass die Erzählungen von der homogenen ländlichen Lebensweise und dem einen ländlichen Raum nicht haltbar sind. Wenn das ländliche Bleiben diskursiv nicht gänzlich unsichtbar bleibt, dann wird es vor allem über prekäre Narrative thematisiert, z.B., wenn Bewohner:innen aus den ländlichen Räumen aus einer demographischen Perspektive als Residualbevölkerung betrachtet werden (vgl. Weiß 2006: 470ff., Weiß/Petrick 2011, Corthier 2020: 393ff.). Daraus folgt, dass abgewanderten Personen zugesprochen wird, jenes Potenzial mitzunehmen, das es für eine erfolgreiche Entwicklung vor Ort braucht. Darüber hinaus halten sich hartnäckig Stereotype über ländliche Lebensverhältnisse. Dabei stehen eine ausgeprägte soziale Kohäsion, intensive sozialräumliche Kontrolle sowie geteilte und tradierte Normen im Mittelpunkt. Personen, die in ländlichen Räumen geblieben sind, trifft eine doppelte Marginalisierung, zum einen aufgrund ihres Status als Gebliebene und zum anderen aufgrund ihres Status als Personen aus ländlichen Räumen. Auffällig ist zudem ein binäres Gegenüber, welches normativ den Diskurs über das Bleiben bzw. die ländlichen Räume selbst bestimmt: das Narrativ des Entweder-Oder – entweder Stadt oder Land, entweder Gehen oder Bleiben. Das Phänomen des Bleibens in ländlichen Räume ist bisher analytisch unzureichend behandelt und kaum konzeptionell aufgeschlossen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit mit dem Ziel an, das Bleiben in ländlichen Räumen als lebensweltliches Phänomen empirisch zu fassen, theoretisch zu beschreiben und eine Einordnung zu abhängigen Konzepten wie dem Gehen und der Stadt vorzunehmen.

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Bleiben in ländlichen Räumen

Die theoretische Konstruktion und Konstitution des Bleibens in ländlichen Räumen erfolgt mittels rekonstruktiver Verfahren der qualitativen Sozialforschung und auf unterschiedlichen Wegen der Ergebnisgenerierung und ihrer Kombination. Ein erster, wesentlicher Schritt ist das sehr offene, explorative Vorgehen zur Erstellung der abduktiv gewonnen Kernkategorien und die damit entstandene Bleibentypologie. Ihr kommt besondere Bedeutung aufgrund ihrer Ausgangsbasis zu den weiterführenden, differenzierten Fragestellungen zu. Die aufgestellte Bleibentypologie orientiert sich weniger an der Fallebene, sondern vermehrt auf der Ebene von Handlungsmustern, Deutungen, Sinnkonstruktionen und Einstellungen. So sind vier Kernkategorien entstanden. Allen voran steht das Verorten und damit ein Beurteilungs-, Bewertungs- und Kritikschema, welches den Aspekt der Mitgliedschaft im Ort verhandelt. Im Weiteren ist die Einstellung gegenüber zwei Aspekten der räumlichen Mobilität relevant, nämlich dem Pendeln und dem Gehen. Diese Aspekte weisen vielschichtige Verflechtungen mit der Kernkategorie Stadt auf. Relevant ist zudem die Kernkategorie Bleibegründe. Sie zeichnet sich durch konkrete Gründe und Motive zum Bleiben sowie deren Repräsentation im geführten Gespräch aus. Aus der Kombination dieser Kernkategorien sind zwei grobe Typen entstanden, die eher in einem Kontinuum zu verorten sind, anstatt als zwei klar voneinander abgegrenzte benachbarte Gruppierungen: •

Die Kritische Bleiberin, deutet und praktiziert das Bleiben in ländlichen Räumen offensichtlich kritisch und reflektiert. Dieser Typ differenziert sich noch mal in zwei Typen: −





Die Kritisch-positive Bleiberin setzt sich bewusst strategisch für ein Bleiben in ländlichen Räumen ein und konnotiert das Bleiben positiv. Die Kritisch-negative Bleiberin will am liebsten gehen: Für sie ist das Bleiben in ländlichen Räumen negativ besetzt.

Die Selbstverständliche Bleiberin ordnet sich weniger in das Schema einer positiven oder negativen Deutung des Bleibens in ländlichen Räumen ein. Viel charakteristischer ist, dass das Bleiben eine unhinterfragte Konstante im Leben ist, das Gehen spielt kaum eine Rolle.

Zusammenfassung und Reflexion

Die Kernkategorien der aufgestellten Bleibentypologie zeigen, dass neben sozialen auch räumliche Bezüge eine wesentliche Rolle spielen. Wobei innerhalb der einzelnen Typen unterschiedliche Räume relevant sind. Das Bleiben ist nicht territorial begrenzt, sondern kann unterschiedliche Muster, je nach räumlicher Bezugsordnung, annehmen. Dies hat Auswirkungen auf verräumlichte Materialitäten und deren Bedeutung und weist auf die heterogenen Lebensweisen, aber auch auf die heterogenen ländlichen Räume hin. Daher war es folgerichtig, die Raumgestalt im Sinne der Raummuster und die Raumgestaltung als Prozess der Raum(h)erstellung zu rekonstruieren. So ist es möglich, den relevanten Raum für Gebliebene aufzuzeigen und gleichzeitig die Bedeutung, in Form von Deutung sowie Beziehung, der städtischen Räume für die Analyse zu verdichten. Aus dem empirischen Material ist eine Raumtypologie mit drei egozentrierte Raumtypen entstanden, die auf zwei Kernkategorien basieren. Die Raummuster, die sich im Wesentlichen durch die unterschiedliche Formatierung sowie die Qualität der Ebenen und der möglichen Grenzkonstruktionen auszeichnet sowie die Elemente. Diese sind sowohl als (im-)materielle als auch soziale Güter und Lebewesen zu fassen. Dass diese Elemente konstitutiv für die Erstellung des Raums sind, ergibt sich nicht allein durch ihre Anwesenheit, sondern durch ihre Beziehung untereinander. Folgende egozentrierte Raumtypen sind entstanden, die in ihrer Bezeichnung bereits das Muster andeuten: •



Konzentrischer-Kreis-Typ: Charakteristisch ist, dass dieser mehr als zwei Ebenen hat, welche nach außen hin eine Verschachtelung aufweisen. Im Inner Circle wissen die Gesprächspartnerinnen, wie sie sich verhalten können, welche Optionen vorhanden sind und welche Handlungsmöglichkeiten von Dritten akzeptiert werden. In den unterschiedlichen Ebenen bestehen nach außen hin abnehmende Funktions- und Verfügungsoptionen und damit auch ein jeweils abnehmender Grad an Identifizierung mit der jeweiligen Ebene. Zwei-Ebenen-Typ: Charakteristisch ist die harte Grenzziehung zwischen den vorhandenen zwei Ebenen. Diese Differenz beinhaltet eine konträre Beziehung zwischen dem Innen und Außen. Die Ebenen gelten als gegenseitige Referenz und benötigen sich zur Erklärung ihrer eigenen Existenz. Im Inner Circle kann eine Handlungsohnmächtigkeit vorhanden sein und der äußeren Ebene der gewünschten Funktions- und Verfügungsoptionen zugeschrieben. Damit geht eine geringere Identifizierung mit der inneren

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Ebene und einer hohen mit der äußeren Ebene einher. Oder aber: Im Inner Circle besteht eine hohe Funktions- und Verfügungsoption sowie ein hoher Identifizierungsgrad, was der äußeren Ebene abgesprochen wird. Netzwerk-Typ: Charakteristisch ist, dass sich der relevante Raum durch eine Ebene auszeichnet, in der ein vernetztes System der platzierten Elemente vorhanden ist. Es bestehen vergleichsweise eingeschränkte Funktions- und Verfügungsoptionen. Raumidentifizierungsmerkmale sind nur sehr gering ausgeprägt. Wichtig ist, dass das vielfältig verzweigte Netzwerk der Elemente miteinander verbunden ist und eine Beziehung aufrechterhalten bleibt. Es ist wie ein Mobile, wenn ein Element eine Veränderung erfährt, hat dies Auswirkungen auf andere vorhandene Elemente.

Dass sich das Bleiben in ländlichen Räumen insbesondere in der Darstellung als Entscheidungsprozesses manifestiert, bildet den theoretischen Sättigungspunkt für die Entfaltung der unterschiedlichen Bleibenslebensweisen. Durch die Analyse des konkreten Entscheidungsprozesses, wie es zum Bleiben in ländlichen Räumen gekommen ist, wird ein Schwerpunkt auf die Prozessualität und Komplexität dieses Phänomens gelegt. Der Entscheidungsprozess des Bleibens besteht aus: •



Auslöser: Sie sind die Bedingung dafür, dass der Entscheidungsprozess in Gang kommt. Dabei sind es die Kritischen Bleiberinnen, die viel eher Auslöser wahrnehmen als die Selbstverständlichen Bleiberinnen. 1. Phase Abwägung: Anhand einer Sozial-, einer Sach- sowie einer Zeitdimension wird geprüft, ob die Auslöser tatsächlich in relevante, ernstgemeinte Gedanken fließen. Für die Selbstverständlichen Bleiberinnen sind diese Dimensionen nur wenig relevant, schließlich ist das Bleiben für diesen Typ eine Unhinterfragbarkeit, eine Normalität in Form eines gesellschaftlich akzeptierten Bestandteils bzw. eine biographische Zwangsläufigkeit. Damit ist das Bleiben in ländlichen Räumen für Selbstverständliche Bleiberinnen eine Nicht-Entscheidung. Anders stellt sich das bei den Kritischen Bleiberinnen dar. Für sie steht nicht von vornherein die Antwort auf die Frage fest, sondern wird anhand der drei Dimensionen verhandelt. Prominent ist hier die Sozialdimension und die damit einhergehenden Interdependenzkonstellationen. Für die Kritisch-negativen Bleiberinnen ist die aufkommende Alternative, das Gehen, nicht verfügbar. Eine realistische Abwägung, ob gegangen werden kann, läuft ins Leere. Aufgrund aufkommender Interdependenzbewältigungsprobleme

Zusammenfassung und Reflexion





und den damit einhergehenden sozialen Konflikten kommt es nicht zur ursprünglichen Intention. Das Bleiben ist damit eine Nicht-Entscheidung, ein Verbleiben, weil ein Weggehen nicht verfügbar ist. Kritisch-positive Bleiberinnen hingegen durchlaufen diese Phase und überprüfen und bestätigen anhand der genannten Dimensionen die Bleibeentscheidung. 2. Phase Planung: Charakteristisch ist, dass konkrete Strategien angewandt werden, um die gewählte Intention umzusetzen. Allein die Kritischpositiven Bleiberinnen haben anhand einer Prüfung einschätzen können, dass das Bleiben eine tatsächlich verfügbare Alternative für sie darstellt und planen nun die Umsetzung. 3. Phase Realisierung: Die letzte Phase des Entscheidungsprozesses ist dann die tatsächliche Realisierung, die Umsetzung der Entscheidung bzw. der Nicht-Entscheidung.

Schlussfolgerungen Konzeptualisierung des Bleibens in ländlichen Räumen als Bleibenslebensweisen Die erste zentrale Forschungserkenntnis lautet: Das Bleiben in ländlichen Räumen ist ein Konzept, welches Ausdruck in unterschiedlichen Bleibenslebensweisen findet. Diese werden dreidimensional verhandelt: als lebensgeschichtlicher, interaktionsgebundener und situativ-kontextabhängiger Prozess. Aus dem lebensgeschichtlichen Zusammenhang sind es insbesondere zwei Relevanzsetzungen, die hier bedeutend sind: der familiäre Hintergrund sowie die Einstellung zum Gehen. Der Einbezug der Familiengeschichte sowie den damit einhergehenden transgenerationalen Folgen und deren Bedeutung für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft wirken auf das Bleiben in ländlichen Räumen. Es ist relevant, in welcher Weise die Herkunftsfamilie eine Geschichte im relevanten Raum hat und in welcher Weise diese Gebliebene, als Teil dieser kollektivgeschichtlichen Figuration, beeinflussen. Transferiert wird dieser Einfluss in Form einer bestimmten Ausprägung von intergenerationaler Solidarität, das heißt der Beziehungen zwischen Gebliebenen und ihren Eltern, Großeltern und auch Geschwistern. Zu den lebensgeschichtlichen Relevanzen zählen auch die Einstellung sowie die tatsächliche Realisierung des Gehens im bisherigen Lebenslauf, gemeint ist ein tatsächlicher Wohnortwechsel. Es sind vor allem die Bleiberinnen, die einen hohen Grad der Mitgliedschaft im Ort anstreben, die das Blei-

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ben vor dem Hintergrund gemachter Erfahrungen mit dem Gehen sowie mit den städtischen Räumen bewerten. Es zeigt sich im Material, dass die Personen, die in ländliche Räumen zurückkehren, sowohl nach innen, im Inner Circle, ein hohes Engagement aufweisen, als auch nach außen, gegenüber Dritten, die ländlichen Räume und Gebliebene selbst positiv darstellen. Langfristig führt diese positive Kommunikation nachhaltig zu einem attraktiven Bild über Gebliebene und den ländlichen Räumen selbst. Das Konzept des Bleibens zeichnet sich darüber hinaus als interaktionsgebundener Prozess aus. Deutlich wird das in der Analyse des Entscheidungsprozesses, insbesondere in der Aushandlungsphase, in der unterschiedliche Interdependenzkonstellationen und damit einhergehende soziale Aushandlungsverfahren. Signifikant ist auch, dass vor allem soziale Beziehungen als Element die relevanten Räume für Gebliebene beschreiben. Dabei ist nicht per se allein die Anwesenheit dieser Personen von Bedeutung, sondern vielmehr die Beziehung zu diesen Personen und den damit gemachten Erfahrungen und Erinnerungen, eben biographischen Abhängigkeiten. Darüber hinaus ist es der situative Kontext, der auf das Bleiben in ländlichen Räumen wirkt. Dazu gehört die Einschätzung der eigenen, aber auch denen der nahestehenden Personen, aktuellen Lebensbedingungen und -bedürfnisse sowie deren Realisierung im relevanten Raum. Damit geht eine Positionierung zum Verorten einher. Aus einer demographischen Perspektive, aber auch aus migrationstheoretischen Diskursen ist bekannt, dass Wanderungsbewegungen aufgrund eines Angebotsgefälles entstehen. Gemeint ist, dass in ländlichen Räumen eine geringere Dichte von Erwerbsarbeit-, Freizeit-, Bildungs-, Kultur- und generell Konsumangeboten besteht. Dabei ist auffällig, dass gerade dieses Angebotsgefälle keine Relevanz hinsichtlich der Frage Gehen oder Bleiben ausmacht, sondern vielmehr räumliche Aneignungsbezüge, die letztlich in sozialen Bezügen ihren Ausgangspunkt finden. Es sind vor allem die Beziehungen vor Ort, die Lebensperspektiven für Gebliebene in ländlichen Räumen schaffen. Auflösung der Binarität zugunsten einer relationalen Perspektive Die zweite zentrale Erkenntnis lautet: Das vergegenständlichte binäre Denken bzw. die vorhandenen Narrative über entweder Gehen oder Bleiben bzw. entweder Stadt oder Land werden zugunsten von Relationen der jeweiligen Konzepte aufgelöst.

Zusammenfassung und Reflexion

Die empirische Datenanalyse zeigt deutlich, dass sowohl das Gehen und Bleiben, als auch Stadt und Land keine voneinander abgrenzbaren Einheiten darstellen, welche substantiell fest verankerte Positionen einnehmen, sondern viel eher ein fluides Interdependenzgeflecht, das aufgrund wechselseitiger Angewiesenheit und aufeinander bezogener Positionierung besteht, ohne das eine Position die Deutungshoheit übernimmt. Das Bleiben in ländlichen Räumen ist nicht generell ein abgebrochener Wanderungsprozess, keine passive Alternative zum Gehen oder ein Zustand, sondern ein Phänomen, das durchaus eine dynamische Eigenständigkeit und auch Anspruch auf Gleichwertigkeit zur Mobilität, resp. zum Gehen hat. Das Gehen wird mit der Überwindung einer sozial und räumlich bedeutsamen Entfernung und einer bestimmten zeitlichen Abwesenheit definiert. An dieser Stelle wird die Nähe zum Bleiben in ländlichen Räumen deutlich, schließlich stecken im Konzept des Bleibens ebenfalls lokale soziale und räumliche relevante Beziehungen. Schließlich hat sich gezeigt, dass ein tatsächliches Gehen in der Vergangenheit das Bleiben in der Gegenwart stärkt. Schlussendlich machen die Ergebnisse deutlich, dass die ländlichen Räume keine abgeschiedenen Soziotope sind, die das Land auf der einen Seite und die Stadt auf der anderen Seite dichotomisieren. Vielmehr bestehen vielschichtige Verflechtungen zwischen den ländlichen und städtischen Räumen aufgrund unterschiedlicher Lebensverhältnisse und -weisen Gebliebener. Die städtischen Räume sind in allen egozentrierten Raumkonstruktionen vorhanden, aufgrund unterschiedlicher Konstitutionsbedeutungen. Dörfliche Bezüge werden damit aufgeweicht und gelten nicht als alleiniger Ausgangspunkt ländlicher Lebensweisen. Relevante Räume von Gebliebenen erstrecken sich nicht zwischen Dorfeingangs- und ausgangsschild. Die unterschiedlichen Raummuster weichen eine reale Unterscheidung von Stadt und Land auf, ohne ihnen eine Eigenständigkeit abzusprechen. Es treten vielmehr Relationen zwischen Stadt und Land und zwischen Gehen und Bleiben in den Vordergrund und absolutistische Definitionen, die jene Konzepte essenziell trennen, in den Hintergrund.

Reflexion zum Forschungsvorgehen Die hier erarbeiteten Erkenntnisse bereichern die Rural Studies um eine Perspektive, die ein bisher nur marginal, wenn nicht als lapidar betrachtetes Phänomen in den Blick nimmt. Die qualitativen empirischen Daten und die

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mehrperspektivischen Analysen ermöglichen eine theoretische Konstruktion des Bleibens in ländlichen Räumen. Dabei zeigt sich, dass das Verständnis dieses Phänomens nicht notwendigerweise objektiven Deutungen entspricht, sondern dass sowohl das Bleiben als auch die ländlichen Räume Konstruktionen sind, die sich relational zu ihrem vermeintlichen Antonym, dem Gehen bzw. den städtischen Räumen, verstehen lassen. Diese differenzierte Darstellung bietet die Möglichkeit, Bewohner:innen der ländlichen Räume, die sich als Gebliebene definieren, in ihrer Heterogenität sichtbar zu machen und Alteingesessene aus der Stigmaschublade zu holen. In dieser Arbeit treffen sich subjektive Erfahrungen und ländliche Räumen – das dies nicht zwangsläufig zu einem Abgehängt-Sein (Deppisch et al. 2020) führt, machen die Ergebnisse deutlich. Dabei bewährt sich das offene, gegenstandsorientierte Herangehen durch die Methodologie und die Methoden der Grounded Theory in Kombination mit weiteren Auswertungsschritten in idealer Weise. Schließlich war es so möglich, weiteren Fragen in dieser Arbeit Platz einzuräumen. Zum einen durch den raumtheoretischen Zugang. An dieser Stelle hat sich der Rückgriff auf das relationale Raumverständnis sowie die beiden Analyseprozesse des Spacing und der Syntheseleistung (Löw 2012) in Kombination mit dem Grenzkonzept (Weidenhaus 2015) als fruchtbar herausgestellt. So war es möglich das Konzept des Inner Circles zu entwickeln und gleichzeitig die Bedeutung der städtischen Räume für Gebliebene konkret herauszuarbeiten. Darüber hinaus, ist der entwickelte Entscheidungsprozess, der sich hier aufgrund des Forschungsgegenstands sowie -interesses modifiziert von bekannten idealtypischen Entscheidungsprozessen abhebt, anschlussfähig an weitere Forschungsarbeiten. Hier hat sich einmal mehr gezeigt, dass biographische Entscheidungen, unter denen das Bleiben in ländlichen Räumen gefasst wird, mit Rational-Choice-Modellen nur bedingt diskutiert werden können (vgl. Burkart 1995, Dimbath 2003, Schimank 2005, Corsten 2020). Letztlich wird offenbart, dass die Entscheidung zu bleiben weniger aus zweckrationalen Gründen getroffen wird, als vielmehr vor dem Hintergrund sozialer, räumlicher und situativer Bedingungen, die auch irrationale Komponenten beinhalten. Darüber hinaus schließen einzelne Aspekte weitere Forschungslücken: So ist bspw. zu erwähnen, dass in der Fallauswahl Lebensverhältnisse von Frauen in der mittleren Erwachsenphase in den Mittelpunkt rücken. Bisherige Forschungsarbeiten zum Bleiben in ländlichen Räumen stellen vor allem Jugendliche bzw. junge Erwachsene in den Fokus (bspw. Schubarth/Speck 2009, Becker/Moser 2013, Wochnik 2014, Schametat/Schenk/Engel 2017).

Zusammenfassung und Reflexion

Limitationen und Perspektiven Obwohl die vorliegende Arbeit einen ausführlichen Diskurs über das Bleiben in ländlichen Räumen führt, lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse durch diverse vertiefende, aber auch weitergehende Forschungsfragen ergänzen. So gilt es, einzelne aufgestellte Kategorien in ihren Dimensionen und Eigenschaften konzeptuell weiter durch die Hinzuziehung weiterer Kontrastfälle zu verdichten, um dem Prinzip der Varianzmaximierung zu folgen (Strauss/Corbin 1996: 148ff.), dies wären bspw. weitere Geschlechterperspektiven, Personen aus städtischen Räumen oder Personen in anderen Lebensphasen, bspw. Rentner:innen. Interessant und wertvoll wäre zudem die Kontrastierung mit anderen Untersuchungsräumen, sei es auf Bundeslandebene oder anderen Typen des Ländlichkeitsindex (Küpper 2016), und auch die Fokussierung auf Kleinstädte, ein bisher noch unterrepräsentierter und konzeptuell wenig aufgeschlossener Raum in der Landsoziologie, der bisher zwischen Urbanität und Ruralität gedeutet wird (Schiemann/Steinführer 2021). Bemerkenswert ist zudem ein Typ, der sich zwar so im vorliegenden Datenmaterial nicht wiederfinden lässt, aber aufgrund der theoretischen Analyse dennoch konsequenter Weise zu konstruieren ist. Charakteristisch ist, dass dieser Typ am Bleiben in ländlichen Räumen zweifelt und dieser Zustand ein Dilemma zum Gehen auslöst. Aus einer analytischen Forscher:innenperspektive scheint diese Art von Ausgangssituation im hohen Maße geeignet zu sein, den Prozess des Bleibens zu untersuchen, auch wenn der eigentliche Prozess (noch) nicht abgeschlossen ist. Aber hier werden – insbesondere vor dem Hintergrund herauszuarbeitender Prozessstrukturen – Erzählungen vermutet, die das Konzept Bleiben weiter verdichten oder aber neue, weiterführende Konzepte und Fragen aufwerfen. Darüber hinaus bietet das vorliegende Material die Möglichkeit, über kollektive Erfahrungen der deutsch-deutschen Vereinigung hinweg die Wanderungs- sowie Bleibeorientierungen und -wahrnehmungen zu analysieren. Dies ist vor dem Hintergrund der Fokussierung auf die theoretische Konstruktion des Phänomens nur marginal betrachtet worden. Gleiches gilt hinsichtlich der sozialen Strukturkategorie Geschlecht (vgl. Oedl-Wiesner 2019, Oedl-Wiesner/Schmitt 2019, Maschke/Mießner/Naumann 2020: 29 ff). Herauszufinden ist, wie durch Zuschreibungen von Eigenschaften bestimmte Ressourcen und Möglichkeiten in ländlichen Räumen wahrgenommen werden. Zumal die Rurale Frauen- und Geschlechterforschung resp. Rural Gender

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Studies in Österreich bereits einen prominenten Platz einnimmt (vgl. Weber 2016, Weber/Fischer 2012, Larcher et al. 2014), in Deutschland allerdings sind Geschlechterrollen bzw. Gender Studies in Bezug zu den ländlichen Räumen in wissenschaftlichen Untersuchungen bisher noch unterrepräsentiert (Maschke et al. 2020: 29ff.; nicht so: Gabler/Kollmorgen/Kottwitz 2016, Tuitjer 2017, Tuitjer 2018a, Tuitjer 2018b, Oltmanns 2019, Tuitjer 2019), dies ist umso verwunderlicher, da »PolitikerInnen […] erkannt [haben], dass die Zukunft der ländlichen Räume unmittelbar davon abhängt, wie sich die Situation für die Frauen vor Ort gestaltet« (Schmitt 2005: 216). Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit tauchen in den Gesprächen familiale Geschichten auf, die generationsübergreifende Zusammenhänge aufzeigen. Ob diese sich nur aufgrund eines direkten Zusammenhangs biographischer Erfahrungen in der Herkunftsfamilie ergeben oder vielmehr Ergebnis einer biographischen Verarbeitung dieser Erfahrung sind, bleibt bisher noch offen. Es ist auch nicht neu, dass familiäre Wanderungserfahrungen einen Einfluss auf Wanderungsaspirationen haben. Das heißt, je mehr Generationen bereits vor Ort gelebt haben, desto verwurzelter sind Jugendliche (Wochnik 2014: 224). Dennoch scheint es notwendig, genauer (Wohn-)Biographien der Herkunftsfamilie in den Mittelpunkt zu rücken. An dieser Stelle sind es Mehrgenerationsanalysen und damit verbunden biographische Wahlen und Verläufe, welche durch die Familienvergangenheit mitbestimmt sind, die es zu verstehen und erklärbar zu machen gilt. So ist es möglich die Einbettung des Bleibens aus einer biographischen Sicht nicht nur aufgrund einzelner Lebensläufe und Individuen zu fokussieren, sondern sich den unterschiedlichen Figurationen und Beziehungsgeflechten sowie deren Wirksamkeiten und Sinndeutungen zu widmen. Hinsichtlich dieser sozialen Dimension ist auch die Betrachtung der genauen Akteur:innenkonstellationen und die damit einhergehende Beschaffenheit von Interdependenzproblemen interessant, bspw.: Welche Bedeutung haben Unterstützungen und Beratungen bei der Entscheidung der Frage Gehen oder Bleiben? Familienangehörige, Freund:innen und Bekannte sind wichtige Informationsquellen. Schließlich hat sich herausgestellt, dass Basis der Entscheidungs(be-)gründungen auch erfahrungsbasierte Erzählungen Dritter sind (vgl. Lehmann 2008, Gabler/Kollmorgen/Kottwitz 2016, Weber/ Fischer 2012). Ihre Informationen sind häufig relevanter als rationale und logische Begründungen (Han 2000: 202). In der Familienphase hängt der Übergang zum Wegzugsplan nur im geringem Maße an eigenen biographischen Ereignissen, sondern ist vielmehr abhängig vom Willen der:s Partner:in

Zusammenfassung und Reflexion

(Kley 2009: 222, Becker et al. 2011: 62, Gabler/Kollmorgen/Kottwitz 2016: 31). Es fehlen bisher Untersuchungen, die Aushandlungsprozesse und soziale Dynamiken bezüglich des Bleibens in ländlichen Räumen direkt beobachten. Generell gilt es herauszufinden, welche Gestalt von Quantität als auch Qualität die Informationen haben, die für Akteur:innen bei der Bearbeitung des Entscheidungsprozesses hilfreich sind. Und welche Rolle haben bestimmte Kommunikationspartner:innen, vertraute Personen oder Organisationen, bei der Vermittlung dieser Informationen. Beetz (2009: 140) spricht hier von Mobilitätsregimen, die auf Migrationsentscheidungen wirken. Gemeint sind soziale Netzwerke und institutionelle Steuerungspraktiken, die hinsichtlich des Gehens oder Bleibens beraten, sogar organisieren, wie bspw. das Jobcenter oder Rückkehrer:innenagenturen. Zu fragen ist auch, welche Bedeutung die Zeitspanne zwischen dem Auftreten der Frage Gehen oder Bleiben und der tatsächlichen Realisierung der gewählten Intention hat – gerade vor dem Hintergrund aktueller Diagnosen der reflexiven Moderne, welche zunächst die hohe Anzahl als auch eine veränderte Qualität von Entscheidungen in den Vordergrund stellt, schließlich ist »[m]it dieser Vervielfachung von Entscheidungen […] vor allem Zeitknappheit verbunden« (Schimank 2005: 82). Die Entscheidung in ländlichen Räumen zu bleiben wird als eine Großentscheidung zum Zeitpunkt bestimmter Lebenslauf- sowie biographischer Übergänge gedeutet. Diese Übergänge sind in der Regel verbunden mit einer zeitlichen Dringlichkeit. Fristen werden künstlich gesetzt, z.B. durch neue Arbeitsverträge, durch getaktete Ausbildungs-, Studien- und Schulzeiten. Das schließt die Möglichkeit ein, dass Fristen verstreichen und damit eine Entscheidung künstlich übernommen wird. Interessant ist bspw. die Frage, inwiefern es nicht mehr nötig ist, sich Gedanken über ein Gehen oder Bleiben zu machen, wenn das Gehen bzw. das Bleiben kaum relevante Perspektiven aufgrund der Tatsache, dass bestimmte Lebensbereiche zeitlich nicht synchronisiert werden, bietet. Aufschlussreich ist auch, ob es ein bestimmtes Ranking der (Teil-)Entscheidungen, die mit solch Großentscheidungen einhergehen, gibt. Forschungsbedarf ergibt sich ebenso aus der Heranziehung des Konzepts der Multilokalität und damit ein erweiterter Blick auf Gebliebene. Wenn demnach davon ausgegangen wird, dass Multilokalität erst durch sesshafte Personen ermöglicht werden kann (vgl. Kramer/Schier 2005: 288, auch Weichhart 2009), nämlich dann, wenn diese den Rücken freihalten und/oder bei der Wiedereingliederung im Ort helfen, welche Rolle übernehmen dann Gebliebene

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für andere? Diese Frage scheint auch bezüglich der Gruppe der Zugezogenen und Rückkehrer:innen sehr beachtenswert. Überdies sind die Ergebnisse dieser Arbeit anschlussfähig an quantitative Forschungsarbeiten. Schließlich werden Kategorien offeriert, die neben bisherigen Erkenntnissen aus dem wissenschaftlichen Diskurs geeignet scheinen, als Grundlage für statistische Erhebungen zu gelten, um so die hier dargestellten Erkenntnisse in einen repräsentativen Status zu modifizieren.

Politische und gesellschaftliche Handlungsempfehlungen Ein wesentlicher Teil dieses Forschungsprojektes ist es, die gewonnen Erkenntnisse innerhalb der Scientific Community auf Tagungen und im Rahmen von Publikationen zu teilen, d.h. eine interessierte Öffentlichkeit einzubinden. In einer Zeit, die von der Infragestellung wissenschaftlicher Erkenntnisse geprägt ist, scheint es umso wichtiger, eine Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu pflegen, die durch Akzeptanz und Anerkennung charakterisiert ist. Im Anschluss an diese Dissertationsschrift ist es daher sinnvoll, die Ergebnisse in einen interdisziplinären Diskurs zu überführen und daraus konkrete Vorschläge für die Entwicklung der ländlichen Räume und ihrer Bewohner:innen abzuleiten. Die hier vorgeschlagenen Handlungsimplikationen können nur kursorische Anmerkungen sein, die im besten Falle weiter im Rahmen der interdisziplinär aufgestellten Landsoziologie sowie mit einer breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Das Bleiben in ländlichen Räumen anerkennen und akzeptieren Wie bereits mehrfach in dieser Arbeit angemerkt, sind sowohl die Personen, die in ländlichen Räumen bleiben als auch die ländlichen Räume selbst von öffentlichen Stigmatisierungen betroffen. Dies zeigen nicht nur Schlagzeilen aus (über-)regionalen Medien, sondern auch Typisierungen von Gebliebenen innerhalb der wissenschaftlichen Fachdisziplinen (bspw. Klingholz/Kröhnert 2007: 19ff.). Selbst in der Akquise der Gesprächspartnerinnen kam es vor, dass Personen nicht zum Gespräch bereit waren, weil »sie glauben, sie haben nichts erreicht, weil sie hier geblieben sind« (Interviewprotokoll Ulrike Grawe). Hier offenbart sich, dass eine Wahrnehmung und auch die Annahme einer vermeintlichen Normabweichung bereits bei den Bewohner:innen der ländlichen Räume angekommen ist. In den Daten selbst zeigt sich allerdings eine Heterogenität, sowohl der verschiedenen Lebenskonzepte als auch der unterschiedlichen

Zusammenfassung und Reflexion

Wahrnehmung und Nutzung der relevanten Räume. An dieser Stelle ist die Gesellschaft als Ganzes gefragt, städtische Räume und diejenigen, die aus ländlichen Räumen weggehen, nicht als Norm zu begreifen, sondern vielschichtige Verflechtungen und Relationen anzuerkennen. Daraus folgt die Aufhebung einer generellen Binarität und Dichotomisierung zwischen Stadt und Land sowie zwischen Gehen und Bleiben und der jeweiligen Deutungshoheit einer Position. Inwiefern ein alleiniges Bereitstellen materieller und finanzieller Ressourcen zu einem gleichberechtigten Miteinander führen ist fraglich. Viel eher geht es um Sichtbarkeit und ein gegenseitiges Bewusstmachen aller natürlichen Möglichkeiten, aber auch Grenzen und Diversitäten sowie die wohlwollende kommunikative Anerkennung und Auseinandersetzung mit der jeweiligen Position. Den Wunsch nach Urbanität und Mobilität anerkennen und akzeptieren In der Fallauswahl wird deutlich, dass diejenigen, die einen besonders hohen Grad der Mitgliedschaft im Ort anstreben, auch jene Personen sind, die bereits gegangen und wiedergekehrt sind. Es bestanden auch während der Zeit der Abwesenheit vielschichtige Verflechtungen zu den ländlichen Räumen, insbesondere durch soziale Beziehungen. Dies schließt wiederum darauf, dass die Personen, die formal gehen, immer noch für die ländlichen Räume relevant sind. Zudem ist die Phase Jugendliche und junge Erwachsene jene, in der die Ablösung vom Elternhaus und ein sozialer sowie ökonomischer Verselbstständigungsprozess (Junge 1995: 26ff.) stattfindet. »Weggehen ist [….] ein verbreitetes, normales Handlungsmuster der Jugendlichen in ländlichen Regionen« (Becker/Moser 2013: 95). Insbesondere Wanderungsentscheidungen von jungen Abiturient:innen spielen eine Rolle, schließlich befinden sich Hochschulen in der Regel nicht in ländlichen Räumen (vgl. Lehmann 2008, Sander 2014). Daraus folgt ein Plädoyer dafür, den Wunsch nach Urbanität als auch Mobilität mit Akzeptanz zu begegnen. Rückkehrer:innen weiter in den Blick nehmen Darüber hinaus eröffnen die vorliegenden Ergebnisse die Möglichkeit, Fragen neu zu diskutieren bzw. Schwerpunkte anders zu setzen. Hierzu zählt z.B.: Wie viel Anstrengungen unternehmen Kommunen, um junge Erwachsene und Schulabgänger:innen zu halten und wie viel, um Rückkehrer:innen einen Start zu ermöglichen? Personen, die zurückkommen, können so näher ins Licht rücken, ohne die, die bleiben wollen, in den Schatten zu stellen. Auf

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realpolitischer Ebene ist dieser Trend bereits wahrgenommen. Es bestehen Initiativen, die gezielt versuchen Abgewanderten eine Rückkehr zu ermöglichen. Im Vordergrund steht dabei die Hoffnung, Fachkräfte zu gewinnen, die Know-how sowie ein soziales Netzwerk mitbringen, welches sich positiv auf die Regionalentwicklung auswirkt. Die Absicht, langfristig an einem Ort zu bleiben, formulieren 30 % der Zugezogenen und 66 % der Rückkehrenden (Schmithals 2008: 150). Daher wird große Hoffnung auf die Rückkehrer:innen gelegt. Doch die Gruppe der Rückkehrer:innen ist sowohl im Forschungsfeld der Landsoziologie (nicht so: Schmithals 2008, Nadler 2015: 18ff., Schreiter/ Sternberg 2016, Nadler et al. 2017) als auch als Akteur:innen im Rahmen von politisch-kommunalen Strategien von Dorfentwicklungsprogrammen bisher unterrepräsentiert. Räume für die Pflege sozialer Beziehungen schaffen und dauerhaft bereitstellen Die Ergebnisse zeigen die hohe Relevanz der sozialen Beziehungen. Es reicht nicht aus, Angebotsstrukturen für einzelne Personen bzw. spezifische Gruppen in den Blick zu nehmen. Es müssen soziale Beziehungen in den Fokus rücken. Gemeint sind bspw. familienorientierte Angebote, wie einige Rückkehrer:inneninitativen (bspw. mv4you) sie praktizieren und u.a. Erwerbstätigkeiten für Partner:innen und die Suche nach Kita-Plätze ebenfalls ernst nehmen. Gleiches gilt für Personen, die bereits in ländlichen Räumen wohnen. Zur Pflege von Beziehungen zu Freund:innen, Bekannten, Nachbar:innen und auch Kolleg:innen gehört ein Vorhandensein öffentlicher Infrastrukturen, sodass diese Begegnungen einen Ort haben. Bisher wurde bspw. Freizeit unter den »weichen Standortfaktoren« (bspw. in BMI 2019: 8) verhandelt. Diese gilt es weiter in den Mittelpunkt zu rücken. Öffentliche Räume und soziale Orte, die Begegnungen, Austausch aber auch Verhandlungen ermöglichen, sollten nicht zeitweise projektorientiert sein, sondern sich dauerhaft, generationsübergreifend und unbürokratisch etablieren können. Gemeinwohlorientierte Angebote brauchen dafür hauptamtliche Personen, die für das Vorhandensein dieser Strukturen Verantwortung übernehmen und ein Fortbestehen sichern. Kooperationen zwischen nahräumlichen Orten schaffen Um eine hohe Verortung und einen hohen Identifizierungsgrad der Bewohner:innen zu schaffen, welcher einen großen Einfluss auf das Bleiben hat, ist es notwendig, dass Ressourcen sowie Angebote bestehen, damit in diesen relevante Identifikationen durch Gestaltungsmöglichkeiten und Erfahrungen ge-

Zusammenfassung und Reflexion

macht werden können. Dass dies nicht zwischen einem Ortseingangs- und ausgangsschild stattfinden muss, hat die Analyse des relevanten Raums gezeigt und wird verdeutlicht durch die in der Regel wohlwollenden Einstellungen zum Pendeln außerhalb des Wohnortes. Mobile und räumlich ausgeweitete Lebensweisen gehören längst zum Alltag ländlicher Gesellschaften. Hier schließt die Forderung an, Kooperationen zwischen unterschiedlichen nahräumlichen Orten auszubauen und überörtliche Netzwerke zu etablieren. Auf dieser Weise wird es möglich sein, lokale Netzwerke, auch informelle Kontakte zu nutzen, und gleichzeitig Gestaltungsmöglichkeiten und Erfahrungen zu evozieren.

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Vera Hofmann, Johannes Euler, Linus Zurmühlen, Silke Helfrich

Commoning Art – Die transformativen Potenziale von Commons in der Kunst Juli 2022, 124 S., kart 19,50 € (DE), 978-3-8376-6404-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-6404-5

Kerstin Jürgens

Mit Soziologie in den Beruf Eine Handreichung 2021, 160 S., kart. 18,00 € (DE), 978-3-8376-5934-4 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5934-8

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Soziologie Gabriele Winker

Solidarische Care-Ökonomie Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima 2021, 216 S., kart. 15,00 € (DE), 978-3-8376-5463-9 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5463-3

Wolfgang Bonß, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Helga Pelizäus, Michael Schmid

Gesellschaftstheorie Eine Einführung 2021, 344 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-4028-1 E-Book: PDF: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4028-5

Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)

Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft 2020, 320 S., Klappbroschur, 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9

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