Biologie für Mediziner [14. Auflage] 9783662564707, 366256470X

Der Buselmaier vermittelt knapp und pr zise die Grundz ge der Biologie vom Zellbegriff ber Genetik bis hin zu Viren. Vie

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Biologie für Mediziner [14. Auflage]
 9783662564707, 366256470X

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Table of contents :
I Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod: Zellbegriff und Zelltypen --
Zelluläre Strukturelemente --
Zellkommunikation und Signaltransduktion --
Zellzyklus und Zellteilung --
Meiose und Keimzellbildung --
Zelltod. II Grundlagen der Humangenetik: Organisation und Funktion eukaryotischer Gene --
Chromosomen des Menschen --
Formale Genetik --
Gonosomen --
Mutationen --
Methoden und medizinische Bedeutung der Gentechnologie --
Entwicklungsgenetik --
Populationsgenetik --
Genetische Evolution des Menschen und evolutionäre Medizin. III Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie Grundlagen der mikrobiologischen Ökologie und der Infektion --
Grundformen der Bakterien --
Aufbau der Bakterienzelle (Protozyte) --
Wachstum einer Bakterienkultur --
Bakteriengenetik --
Pilze --
Viren --
Prionen --
Glossar:- Sachverzeichnis.

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Springer-Lehrbuch

Werner Buselmaier

Biologie für Mediziner 10., neubearb. Auflage Mit 196 Abbildungen und 108 Übersichten

123

Prof. Dr. Werner Buselmaier Universität Heidelberg, Institut für Humangenetik Im Neuenheimer Feld 366, 69120 Heidelberg

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN-10 3-540-29374-4 ISBN-13 978-3-540-29374-3 Springer Medizin Verlag Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2007 Printed in Germany Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Planung: Kathrin Nühse, Heidelberg Projektmanagement: Rose-Marie Doyon, Heidelberg Umschlaggestaltung & Design: deblik Berlin Titelbild: photos.com SPIN 11524410 Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Druck- und Bindearbeiten: Stürtz GmbH, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier.

15/2117 rd – 5 4 3 2 1 0

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Vorwort zur zehnten Auflage Der Begleittext zum Gegenstandskatalog für das Fach Biologie für Mediziner fand bereits 1974, also kurz nach der grundlegenden Revision des Medizinstudiums in Deutschland, der damit verbundenen Gründung des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen und der Einführung von Gegenstandskatalogen, guten Anklang bei den Studenten der Humanmedizin. Zweiunddreißig Jahre danach liegt nun die 10. Auflage vor. Dabei war das Anliegen des Autors schon seit der 1. Auflage eine relativ enge Orientierung an das im Gegenstandskatalog geforderte Wissen. Diese Konzeption wurde ebenso wie die Intention einer kurz gefassten Lernhilfe auch in der aktuellen Auflage beibehalten. In den letzten 25 Jahren, also nach der Erstauflage und während der Folgeauflagen, fand in der Biologie eine bisher in den Naturwissenschaften und ihren Anwendungsgebieten nie da gewesene, geradezu als revolutionär zu bezeichnende Expansion unseres Wissens statt. Ihr bisheriger Höhepunkt stellt die komplette Sequenzierung des Humangenoms und der Genome vieler anderer Organismen dar. Dies hat die Humanmedizin in ihren Möglichkeiten der Grundlagenforschung aber auch in Diagnostik und Therapie grundlegend verändert. Damit verbunden ist aber auch eine immer wiederkehrende gesellschaftspolitische Problematik, welchen Teil dessen, was wir künftig tun können, wir auch tun sollten und dürfen. Aktuelle Beispiele hierfür sind die Stammzellenforschung, die Präimplantationsdiagnostik und die teilweise zu pervertieren drohenden Konsequenzen, die sich aus den Möglichkeiten des animal cloning ergeben. Die Gesellschaft als Ganzes ist hier gefordert, bereits jetzt ethische Antworten auf zukünftige Möglichkeiten zu geben, deren Konsequenzen wir kaum oder nur ansatzweise übersehen. Umso wichtiger ist aber gerade für Studentinnen und Studenten der Medizin, möglichst früh in die Grundlagen dieser modernen biologischen Entwicklung und ihre neuen Technologien eingeführt zu werden. Insofern sieht sich dieser Text auch als Einführung, die, weit über die Vermittlung von Prüfungswissen hinaus, Grundlagen schaffen soll zum Verständnis von Fragen, die uns alle betreffen. In der aktuellen Auflage wurde daher neben vielfältigen Aktualisierungen vor allem auf die Darstellung des allgemeinen Aufbaus des menschlichen Genoms Wert gelegt.

VI

Vorwort zur zehnten Auflage

Dabei wurde bei der Vermittlung des Stoffs natürlich modernen didaktischen Bedürfnissen Rechnung getragen. Besonderer Wert wurde auch darauf gelegt, den Text nicht unnötig mit sowieso kaum noch überschaubarem Datenmaterial zu überfrachten, wobei der Autor hofft, dass ihm die Balance zwischen notwendiger Wissensvermittlung und Reduktion auf das Wesentliche gelungen ist. Ich wünsche mir, dass die zehnte Auflage ähnlich gute Aufnahme findet wie die vorhergegangenen, die nun einer Generation von Medizinstudenten das biologische Grundlagenwissen angeboten haben und weite Verbreitung fanden. Gleichzeitig erhoffen sich Autor und Verlag auch für diese Auflage Hinweise, Empfehlungen und kritische Beurteilung des Textes von studentischer Seite und von Seiten der Fachkollegen. Beide haben bisher wesentlich zur Gestaltung der Neuauflagen beigetragen. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich für die zahlreichen freundlichen, ja teilweise herzlichen Schreiben, die ich in den vergangenen Jahren von den Benutzern erhalten habe. Mein ganz besonderer Dank gilt auch dem Verlag mit Frau Rose-Marie Doyon und Frau Kathrin Nühse im Lektorat. Ohne eine enge Zusammenarbeit mit dem Verlag wäre das vorliegende Konzept über die verschiedenen Auflagen nicht zu verwirklichen gewesen. Hervorheben möchte ich besonders die Unterstützung und Hilfe auf allen Ebenen der Manuskripterstellung sowie die Übernahme der mühevollen Schreibarbeiten durch meine Lebenspartnerin Sigrid Göhner-Buselmaier und mich an dieser Stelle hierfür bei ihr herzlich bedanken. Heidelberg im Sommer 2006 Werner Buselmaier

VII

Werner Buselmaier geboren 1946, studierte Biologie in Heidelberg. Nach der Promotion Tätigkeit als Wissenschaftler, Heisenberg-Stipendiat, verschiedene Wissenschaftspreise und öffentliche Ehrungen. Habilitation 1978 und 1981 Ernennung zum Universitätsprofessor für allgemeine Humangenetik und Anthropologie in Heidelberg. 2001 Berufung zum Visiting Professor für Humanbiologie und Genetik der Universität Mostar. Leitete u.a. Projekte zur Modernisierung der Medizinischen Fakultäten in der Nachkriegssituation Bosnien Herzegowinas und zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in der Südtürkei. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und mehrerer bekannter Lehrbücher aus den Bereichen Biologie und Humangenetik.

Biologie für Mediziner: Das neue Layout Einleitung: thematischer Einstieg ins Kapitel

18

1 Leitsystem: Orientierung über die Kapitel und Anhang

Inhaltliche Struktur: klare Gliederung durch alle Kapitel

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

> > Einleitung Was ist Leben? Wohl kaum eine Frage bewegte den Wissensdrang des Menschen zu allen Zeiten mehr als die Erklärung dieses Phänomens, die Ursache seines eigentlichen Seins. Trotz einer Fülle biologischer Erkenntnisse, die von Aristoteles ihren Ausgang nahmen und die gegenwärtig lawinenartig anschwellen, gelingt es uns jedoch auch heute nicht, »Leben« exakt zu definieren. Ja, man könnte sogar gerade das Phänomen »Leben« einfach dadurch definieren, dass es sich jeder umfassenden Definition entzieht und möglicherweise immer entziehen wird.

1.1

Zellbegriff und Zelltypen

1.1.1 Zellbegriff

Das Erkennen der Zelle als kleinste strukturelle Einheit eines Organismus reifte in den Jahren zwischen 1830 und 1840 durch die Arbeiten von Johann Evangelista Purkinje (1787–1869), Robert Brown (1773–1858), Matthias Jakob Schleiden (1805–1881) und Theodor Schwann (1810–1882), die als die Begründer der Zelltheorie angesehen werden können. Jedoch erst im Jahre 1855 verhalf Rudolf Virchow (1821–1902) mit seinem berühmten Satz »omnis cellula e cellula« der Erkenntnis zum Durchbruch, dass die Zelle auch die kleinste Einheit der Vermehrung darstellt. Klinik Mukoviszidose

Klinik-Boxen: schärfen den Blick für die Klinik

Die Mukoviszidose ist ein Beispiel für die klinischen Folgen, wenn Membrantransportvorgänge durch eine Mutation gestört sind. Ein als cystic fibrosis transmembran conductance regulator, CFTR, bezeichnetes Membranprotein bildet Poren, die am Transport von Chloridionen durch die Membran beteiligt sind. Beim mutierten Gen sind diese Poren defekt. Normalerweise wird unaufhörlich Salz durch die Natrium- und Chloridporen gepumpt, dem Wasser folgt, das die Hohlräume der Lunge durchspült. Damit sammelt sich zähflüssiger Schleim in den Bronchien an, der von Bakterien und Viren besiedelt wird. Über ständige Erkältungen, Bronchitis und Lungenentzündungen kommt es schließlich zum Lungenversagen.

Navigation: Seitenzahl und Kapitelnummer für die schnelle Orientierung

Über 190 Abbildungen: veranschaulichen komplizierte und komplexe Sachverhalte

1

19 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.10. Räumliche Darstellung von Nonaktin in Form eines Käfigs

Eine extreme Spezialisierung der Form in Abhängigkeit von der Funktion zeigen auch die Nervenzellen, wie beispielsweise die motorischen Vorderhornzellen (α- und γ-Motoneurone), die aus dem Vorderhorn der grauen Substanz des Rückenmarks austreten und deren Fortsätze Gruppen von Arbeitsmuskelfasern bzw. Muskelspindeln innervieren. Nervenzellen können über 1 m lang werden, wie beispielsweise die Nerven zur Fußsohle (. Übersicht 1.4).

Verweis auf Abbildungen und Übersichten: deutlich herausgestellt und leicht zu finden

. Übersicht 1.4. Zellgrößenvergleiche menschlicher Zellen Zelle

Größe

Erythrozyt

7,5 mm

Hepatozyt

20-30 mm

Eizelle

150 mm

Glatte Muskelzelle

0,05-0,2 mm

Quergestreifte Muskelfaser

Bis zu mehreren cm

Nervenzelle

Bis über 1 m

Übersichten: stellen die wichtigsten Fakten zusammen

Ähnlich hoch spezialisiert sind die stark verästelten Knochenzellen oder die in ihrem Bau speziell auf ihre Funktion abgestellten Drüsenzellen (. Abb. 1.2). ! Das molekulare Verhältnis von Adenin zu Thymin und von Guanin zu Cytosin beträgt stets 1:1.

Merke: das Wichtigste auf den Punkt gebracht, zum Repetieren

Schlüsselbegriffe: sind fett hervorgehoben

XI

Inhaltsverzeichnis 1

Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod . . . . . . . . . . .

1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7 1.2.8 1.2.9 1.2.10 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.6 1.6.1 1.6.2

Zellbegriff und Zelltypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zelltypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zelluläre Strukturelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . Plasmamembran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zytoplasma und Zytosol . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ribosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endoplasmatisches Retikulum . . . . . . . . . . . . . . Golgi-Apparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lysosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peroxisomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitochondrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zytoskelett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellkommunikation und Signaltransduktion . . . . . . Allgemeine Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Signalmoleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Signalrezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellzyklus und Zellteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . Intermitosezyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitose und ihre Stadien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amitotische Veränderung des Chromosomensatzes Regeneration und funktionelle Veränderungen . . . Meiose (Keimzellbildung) . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Geschlechtszellen . . . . . . . . . . . Ablauf der Meiose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion und Fehlfunktionen der Reifeteilung . . . . Spermato- und Oogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . Zelltod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apoptose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nekrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 2 2 3 9 10 26 36 38 39 45 56 59 61 66 81 81 83 84 88 88 94 103 104 108 108 109 114 116 122 122 124

XII

Inhaltsverzeichnis

2

Grundlagen der Humangenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.1.8 2.1.9 2.1.10 2.1.11 2.1.12 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.3.8 2.3.9 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5 2.5.1 2.5.2

Organisation und Funktion eukaryotischer Gene . . . . . . . . Träger der Erbinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DNA-Reparatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genetischer Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Definition von Genen . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkription der DNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genregulation, differenzielle Genaktivität . . . . . . . . . . . . Translation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kartierung und Klonierung von Genen . . . . . . . . . . . . . . Genfamilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der allgemeine Aufbau des menschlichen Genoms . . . . . . Chromosomen des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Entwicklung der Chromosomenanalyse . . . . . . Darstellung menschlicher Chromosomen . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Chromosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Varianten menschlicher Chromosomen . . . . . Evolutionäre Chromosomenveränderungen . . . . . . . . . . Formale Genetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffe und Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mendelsche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kodominanter Erbgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autosomal-dominanter Erbgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autosomal-rezessiver Erbgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X-chromosomaler Erbgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genomische Prägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitochondriale Vererbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multifaktorielle Vererbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gonosomen, Geschlechtsbestimmung und -differenzierung Testikuläre Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X-Inaktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschlechtsdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mutationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genmutationen und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Chromosomenmutationen . . . . . . . . . . . . .

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126 126 127 135 139 143 146 152 165 169 175 189 191 210 210 212 219 225 229 232 232 234 237 238 247 253 261 263 265 269 269 271 275 277 278 286

XIII Inhaltsverzeichnis

2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.7 2.7.1 2.7.2 2.8 2.8.1 2.8.2 2.8.3 2.8.4

Numerische Chromosomenmutationen . . . . . . . . . Mosaike und Chimären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mutationen in Somazellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klonierung und Nachweis von Genen und Mutationen Gentechnologische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . Polymerasekettenreaktion (PCR) . . . . . . . . . . . . . . Direkter und indirekter Nachweis von Genmutationen Genetische Beratung und vorgeburtliche Diagnostik . Entwicklungsgenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden der Entwicklungsgenetik . . . . . . . . . . . . Anwendung am Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Populationsgenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hardy-Weinberg-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selektion und Zufall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genomanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genetische Polymorphismen . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie . . . . . . . . . . . . . 371

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8 3.3 3.3.1 3.3.2

Morphologische Grundformen der Bakterien . Kokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stäbchenbakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vibrionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spirochäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mykoplasmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chlamydien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Bakterienzelle (Protozyte) . . . . . . Unterschiede zur Euzyte . . . . . . . . . . . . . . Zellwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geißeln und Pili . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zellmembran (Zytoplasmamembran) . . . . . . Ribosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nukleoid, Bakterienchromosom und Plasmide Sporen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wachstum einer Bakterienkultur . . . . . . . . . Bakterienkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bakterienwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . .

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299 316 318 320 320 331 335 339 351 351 353 354 354 359 362 364

372 373 373 376 376 376 377 377 377 377 383 384 385 386 387 390 391 391 393

XIV

Inhaltsverzeichnis

3.4 3.4.1 3.4.2 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4

3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.8.4

Bakteriengenetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übertragung von Genmaterial und Antibiotikaresistenz . . . . . . . Pilze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensweise von Pilzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wachstumsformen von Pilzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermehrung und Verbreitung von Pilzen . . . . . . . . . . . . . . . . . Synthese von Stoffen durch Pilze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusbegriff, Aufbau und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusvermehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnose und Therapie von Viruserkrankungen . . . . . . . . . . . . Viren als Vektoren zur Übertragung von Genmaterial – Somatische Gentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Kapitel aus der Ökologie mit Bezügen zur Mikrobiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionale Bestandteile eines Ökosystems . . . . . . . . . . . . . . . Energiefluss und Stoffkreisläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regulation der Populationsgröße in einem Ökosystem . . . . . . . . Wechselbeziehungen zwischen artverschiedenen Organismen . .

4

Glossar der verwendeten Fachausdrücke . . . . . . . . . . . . . . . . 457

3.7 3.8

. . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

398 398 402 410 412 412 413 415 416 416 423 430

. . 432 . . 434 . . . . .

. . . . .

435 435 439 445 454

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

1 1

Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

1.1

Zellbegriff und Zelltypen – 2

1.2

Zelluläre Strukturelemente – 9

1.3

Zellkommunikation und Signaltransduktion – 81

1.4

Zellzyklus und Zellteilung – 88

1.5

Meiose (Keimzellbildung) – 108

1.6

Zelltod – 122

2

1

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

> > Einleitung Was ist Leben? Wohl kaum eine Frage bewegte den Wissensdrang des Menschen zu allen Zeiten mehr als die Erklärung dieses Phänomens, die Ursache seines eigentlichen Seins. Trotz einer Fülle biologischer Erkenntnisse, die von Aristoteles ihren Ausgang nahmen und die gegenwärtig lawinenartig anschwellen, gelingt es uns jedoch auch heute nicht, »Leben« exakt zu definieren. Ja, man könnte sogar gerade das Phänomen »Leben« einfach dadurch definieren, dass es sich jeder umfassenden Definition entzieht und möglicherweise immer entziehen wird. Wenn es schon nicht möglich ist, Leben wissenschaftlich exakt zu beschreiben, so vermögen wir doch das Leben an seinen Funktionen zu erkennen: am Stoffwechsel, am Wachstum, an der Bewegung, an der Vermehrung und an der Vererbung. All diese Funktionen des Lebens existieren jedoch nicht frei im Raum oder frei in der Materie, sondern sie sind an Organismen gebunden. Die außerordentliche Mannigfaltigkeit aller Organismen ist aber das Ergebnis einer differenzierten Anordnung von im Grundbauplan einheitlichen Bauelementen, die als die kleinsten funktionsfähigen Einheiten des Lebens angesehen werden können, nämlich von Zellen.

1.1

Zellbegriff und Zelltypen

1.1.1 Zellbegriff

Das Erkennen der Zelle als kleinste strukturelle Einheit eines Organismus reifte in den Jahren zwischen 1830 und 1840 durch die Arbeiten von Johann Evangelista Purkinje (1787–1869), Robert Brown (1773–1858), Matthias Jakob Schleiden (1805–1881) und Theodor Schwann (1810–1882), die als die Begründer der Zelltheorie angesehen werden können. Jedoch erst im Jahre 1855 verhalf Rudolf Virchow (1821–1902) mit seinem berühmten Satz »omnis cellula e cellula« der Erkenntnis zum Durchbruch, dass die Zelle auch die kleinste Einheit der Vermehrung darstellt. Durch die Ergebnisse der modernen Molekularbiologie gelingt es uns heute mehr und mehr, bestimmten Lebensfunktionen definierte Zellstrukturen zuzuordnen. So kann man heute die Zelle als kleinste Einheit der Struktur, der Vermehrung und der Funktion ansehen. Die Zelle ist die universelle Grundform der biologischen Organisation, die elementare Einheit, an der sich alle

3 1.1 · Zellbegriff und Zelltypen

Grundfunktionen des Lebens nachweisen lassen, ein echter Organismus und nicht bloß ein Teil eines solchen.

1.1.2 Zelltypen

In der belebten Natur kann man zwei grundsätzlich verschiedene Zelltypen nach ihren Organisationsformen voneinander unterscheiden, zwischen denen bisher bei gegenwärtig lebenden Organismen keine Übergänge gefunden werden konnten: die Protozyte und die Euzyte. Protozyten finden wir bei Bakterien und Blaualgen, die als Prokaryoten zusammengefasst werden. Die Zellen dieser Organismen sind wesentlich kleiner und einfacher gebaut als die Zellen aller übrigen Organismen, der Eukaryoten. Dieses Kapitel befasst sich mit der Zellorganisation der Eukaryoten. Die Protozyte und ihre morphologischen Besonderheiten werden später beschrieben. Die Hauptunterschiede zwischen den beiden Organisationsformen sollte man sich jedoch bereits einprägen (. Übersicht 1.1).

Protozyten Die detaillierte Besprechung prokaryotischer Zellen folgt in 7 Kapitel 3.

. Übersicht 1.1. Die wichtigsten Unterschiede zwischen Pro- und Eukaryoten Zelltyp

Prokaryoten Protozyte

Eukaryoten Euzyte

Kern

5 Kernäquivalent (Nukleoid) ohne Membran

5 Zellkern mit Zellmembran

5 1 »Chromosom«

5 Mehr als ein Chromosom

5 Geringe Kompartimentierung in Reaktionsräume, kein endoplasmatisches Retikulum

5 Komplizierte Kompartimentierung durch endoplasmatisches Retikulum

5 Keine Zellorganellen

5 Charakteristische Zellorganellen wie Mitochondrien, Diktyosomen

5 1-30

5 103-105

Zytoplasma

Volumen [µm3]

1

4

1

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Euzyten Form- und Größenunterschiede

Die meisten Zellen sind mit bloßem Auge nicht sichtbar, sie sind mikroskopisch klein. Bei Tieren liegt die mittlere Zellmasse gewöhnlich in der Größenordnung von ca. 2 ng (2×10-12 kg). Einige Zellen erreichen jedoch auch eine beachtliche Größe, wie z.B. Vogeleier, insbesondere Straußeneier. Auch bezüglich der Zellform finden wir beachtliche Unterschiede. Die Zelle, die wir in den folgenden Abschnitten zytologisch studieren, ist folglich eine »Idealzelle« (. Abb. 1.1), die je nach ihrer Aufgabe vielfältig abgewandelt sein kann. Bevor wir sie betrachten, sollten wir uns jedoch zum besseren Verständnis der Idealzelle die mannigfache Variabilität realer Zellen vergegenwärtigen. Ursache hierfür sind verschiedene Funktionsaufgaben der Zellen, die ihrerseits durch Art- oder Gewebsunterschiede bedingt sind. Dabei spielen zwei Relationen eine besondere Rolle: . Abb. 1.1. Zellübersicht. 1 Angeschnittener Zellkern mit Nukleolus. 2 Zentriol. 3 GolgiApparat mit entstehenden Vesikeln. 4 Sekretgranula, teilweise angeschnitten und ihren Inhalt aus der Zelle ausstoßend. 5 Mitochondrium. 6 Desmosom. 7 Mit Ribosomen besetztes endoplasmatisches Retikulum. 8 Pinozytotische Vesikel. 9 Lysosom

5 1.1 · Zellbegriff und Zelltypen

Kern-Plasma-Relation. Betrachten wir als erstes die enormen Größenunterschiede

von Zellen. Jede Art besitzt eine charakteristische Zahl an Chromosomen, die zusammen mit der Menge des Karyoplasmas die Größe des Zellkerns bestimmt. Zwischen dem Volumen des Kerns und dem des Zytoplasmas besteht ein festes Verhältnis, die Kern-Plasma-Relation, die nur begrenzt variabel ist. Dies wird sofort verständlich, wenn man sich klarmacht, dass der Kern viele Steuerungsaufgaben der Zelle übernimmt. Wird das Plasmavolumen im Verhältnis zum Kernvolumen zu groß, kann der Kern nicht mehr die gesamte Zelle kontrollieren. Oberfläche-Volumen-Relation. Da die Zelle ihr Material über ihre Oberfläche auf-

nimmt, ist auch das Verhältnis von Zelloberfläche zu Zellvolumen sehr wichtig. Eine stoffwechselaktive Zelle ist meist nicht sehr groß, da bei kleinen Körpern das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen günstiger ist als bei großen. Soll eine Zelle sowohl groß, als auch stoffwechselaktiv sein, so ist dies nur unter zusätzlicher Vergrößerung der Oberfläche möglich (Bildung von Falten oder Ausbuchtungen). Wir erkennen also, dass die genannten Relationen in Abhängigkeit von der Zellfunktion das Aussehen typischer Zellformen bedingen (. Übersicht 1.2). . Übersicht 1.2. Faktoren, die Unterschiede in Größe, Form und Funktion von Zellen bestimmen 5 Allgemeine Artunterschiede 5 Artunterschiede in der Zahl der Chromosomen 5 Gewebsunterschiede 5 Kern-Plasma-Relation 5 Verhältnis von Zelloberfläche zu Zellvolumen

Beispiele. Je nach Typ der Embryonalentwicklung und damit von Art zu Art

sind Eizellen sehr verschieden groß. Menschliche Eizellen (Oozyten) besitzen z.B. eine Größe von ca. 150 µm (150×10-6 m). Bei großen Eizellen (z.B. Vogeleier) ist der Zellkern funktionell vergrößert und in seiner Größe mit Kernen anderer Zellen der gleichen Tierart nicht mehr vergleichbar. Einen anderen durch Differenzierung spezialisierten Zelltyp finden wir bei den Muskelzellen. Glatte Muskelzellen sind 0,05-0,2 mm lange spindelförmige Gebilde. Dagegen sind die quer gestreiften Muskelfasern wesentlich größer, nämlich mehrere Zentimeter lang. Letztere entstehen durch Verschmelzung mehrerer Zellen und sind folglich vielkernig, was aufgrund ihrer Größe auch

1

6

1

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

notwendig ist. Während glatte Muskelzellen mehr für langsame Kontraktionen geeignet sind, kontrahieren quer gestreifte Muskeln schnell und eignen sich daher für Bewegungsvorgänge. Man findet sie folglich vor allem in der Skelettund Herzmuskulatur. Eine starke Abweichung von der normalen Zellform weisen die kernlosen Erythrozyten auf. Sie haben eine Größe von ca. 7,5 µm (1/20 der menschlichen Eizelle) und sind bikonkav geformt (. Übersicht 1.3). . Übersicht 1.3. Dimension atomarer, molekularer und zellulärer Strukturen (Nach Czihak, Langer, Ziegler (1989) Biologie. Springer, Berlin Heidelberg New York)

7 1.1 · Zellbegriff und Zelltypen

Hepatozyten sind dagegen polyedrisch, ihr Durchmesser wechselt in Abhängigkeit vom tageszeitlichen Funktionswechsel (ca. 20-30 µm). Sie sind sehr organellenreich, enthalten meist 2, zuweilen sogar 4-8 Kerne und gehören zu den vielseitigsten Zellen des Organismus. Eine extreme Spezialisierung der Form in Abhängigkeit von der Funktion zeigen auch die Nervenzellen, wie beispielsweise die motorischen Vorderhornzellen (α- und γ-Motoneurone), die aus dem Vorderhorn der grauen Substanz des Rückenmarks austreten und deren Fortsätze Gruppen von Arbeitsmuskelfasern bzw. Muskelspindeln innervieren. Nervenzellen können über 1 m lang werden, wie beispielsweise die Nerven zur Fußsohle (. Übersicht 1.4). . Übersicht 1.4. Zellgrößenvergleiche menschlicher Zellen Zelle

Größe

Erythrozyt

7,5 mm

Hepatozyt

20-30 mm

Eizelle

150 mm

Glatte Muskelzelle

0,05-0,2 mm

Quergestreifte Muskelfaser

Bis zu mehreren cm

Nervenzelle

Bis über 1 m

Ähnlich hoch spezialisiert sind die stark verästelten Knochenzellen oder die in ihrem Bau speziell auf ihre Funktion abgestellten Drüsenzellen (. Abb. 1.2). Zellzahl des Menschen

Für unser Vorstellungsvermögen kaum fassbar ist die Gesamtzahl der Zellen eines erwachsenen menschlichen Körpers. Wir besitzen etwa 6×1013 Zellen, davon sind 3,5×1013 Gewebszellen. Nur 1 mm3 Blut enthält rund 6000 Leukozyten und 5×106 Erythrozyten. Der Gesamterythrozytenbestand beträgt etwa 2,5×1013 Zellen. Pro Sekunde werden etwa 2,5×106 Erythrozyten neu gebildet bzw. gehen zu Grunde.

Endosymbiontentheorie Die ältesten gesicherten Funde von Eukaryoten werden auf ca. 1 Mrd. Jahre datiert und stammen aus Australien. Wie bereits erwähnt gibt es keine belegten

1

8

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

1

. Abb. 1.2. Beispiele verschiedener Zellformen in Abhängigkeit von der Funktion (Zellgrößen sind nicht maßstabsgetreu gezeichnet). 1 Nervenzelle. 2 Verschiedene Drüsenzellen: a die gesamte Zelle wird mit ihrem Sekret aus dem Verband ausgestoßen, b Sekretbildung nach Art der Exozytose, c der mit Sekret gefüllte apikale Zellabschnitt wird abgeschnürt. 3 Kernlose Erythrozyten, einer zur Verdeutlichung der bikonkaven Form angeschnitten. 4 Knochenzellen. 5 Glatte Muskelzellen. 6 Quergestreifte Muskulatur mit mehreren Zellkernen

Übergangsformen von der Protozyte zur Euzyte. Man nimmt jedoch an, dass Mitochondrien (7 Kapitel 1.2.9) und Chloroplasten (pflanzliche Organellen, die mittels Photosynthese die Energie des Sonnenlichts zur Zuckersynthese nutzen) einst eigenständige Protozyten waren. Diese wurden vermutlich von voreukaryotischen Urzellen durch Endozytose aufgenommen und lebten unter Aufgabe ihrer Autonomie als Symbionten in der Zelle. Die jeweilige Wirtszelle trug durch Mitose und Meiose zu ihrer Vermehrung bei. Der Symbiont belieferte die Zelle mit Energie (Zellatmung bzw. Photosynthese). Nach dieser Theorie stammen die Mitochondrien von bakterienähnlichen, aerob lebenden Organismen ab, während sich die Chloroplasten auf photoautotrophe Zyano-

9 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

bakterien zurückführen lassen. Die Endosymbiontentheorie stützt sich auf folgende Merkmale: 4 Mitochondrien und Chloroplasten besitzen eine Doppelmembran, deren äußere Membran euzytisch und deren innere Membran protozytisch ist (Entstehung durch Endozytose). 4 Beide enthalten wie alle Prokaryoten ringförmige DNA-Moleküle ohne Histone. 4 Die Ribosomen (7 Kapitel 1.2.4) bestehen aus einer 30S- und einer 50S-Untereinheit (entsprechend den 70S-Ribosomen der Prokaryoten). 4 Die Proteinsynthese der Ribosomen ist durch Antibiotika spezifisch hemmbar. 4 Sie sind zur Zweiteilung fähig und vermehren sich unabhängig vom Zellzyklus.

1.2

Zelluläre Strukturelemente

Die gesamte lebende Substanz einer Zelle wird als Protoplasma (. Übersicht 1.5) bezeichnet. Sie ist umgeben von der Zell- oder Plasmamembran. Das Protoplasma wiederum gliedert sich in das Zytoplasma (Plasma der Zelle ohne das Kernplasma) und das Karyo- oder Nukleoplasma. Das Zytoplasma besteht aus Zytosol mit dem Zytoskelett und den verschiedensten Zellorganellen wie Lysosomen, Peroxisomen, Mitochondrien, Ribosomen, dem Zellkern und Zentriolen (. Übersicht 1.6). Weiterhin nehmen Zellen durch bestimmte Oberflächenstrukturen Kontakt mit Nachbarzellen auf und zeigen häufig eine . Übersicht 1.5. Durchschnittliche chemische Zusammensetzung des Protoplasmas tierischer Zellen Protoplasmabestandteil

Anteil

Wasser

80-85%

Proteine

10-15%

DNA, RNA

1%

Lipide

2-4%

Polysaccharide

0,1-1,5%

Kleine organische Moleküle und Mineralsalze

2%

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Übersicht 1.6. Bestandteile der Eukaryotenzelle Strukturelemente Protoplast mit umgebender Plasmamembran

Zytoplasma

Zytosol und Zytoskelett

Karyo- (Nukleo-) plasma

Zellorganellen

Differenzierung der Oberfläche, die im Zusammenhang mit ihrer spezifischen Funktion steht. In den nachfolgenden Kapiteln sollen diese zellulären Strukturelemente besprochen werden.

1.2.1 Plasmamembran

Funktion der Plasmamembran Gewebe sind aus Tausenden von Zellen aufgebaut, die entweder dicht gepackt zusammenliegen oder durch ein Material voneinander getrennt sind, das man als extrazelluläre Matrix bezeichnet. Die Entwicklung der Plasmamembran war ein entscheidender Schritt bei der Entstehung der frühesten Formen des Lebens. Ohne sie ist die Existenz von Zellen unmöglich. Sie erhält den wesentlichen Unterschied zwischen Inhalt der Zellen und Umwelt, ist also eine Abgrenzung sowohl nach außen als auch nach innen. Plasmamembranen sind jedoch weit mehr als passive Barrieren, die den Zellinhalt zusammenhalten, sie sind hochselektive Filter, die ungleiche Ionenkonzentrationen erhalten, den Eintritt von Zellnährstoffen erlauben und Zellabfallstoffe ausschleusen. Sie sind ganz allgemein für die Erhaltung von intrazellulären Milieuunterschieden verantwortlich, sorgen aber auch durch Ausbildung bestimmter Strukturen, den Rezeptoren, für interzelluläre Kommunikation. Sie geben der Zelle Individualität durch membrangebundene Strukturen (z.B. Blutgruppenantigene) und definieren damit körpereigen und körperfremd.

11 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Aufbau der Plasmamembran Alle biologischen Membranen einschließlich der Plasmamembran und der zytoplasmatischen Membransysteme der Eukaryoten besitzen den gleichen Grundaufbau aus Lipid- und Proteinmolekülen: 4 Die Lipidmoleküle sind in einem bimolekularen Film angeordnet (. Abb. 1.3). 4 Die Proteinmoleküle sind in diesen Film eingelagert und steuern die verschiedenen Funktionen der Membran, wie den Stofftransport. Sie dienen

. Abb. 1.3. Fluid mosaic-Modell der Membranstruktur. Glykoproteine und Glykolipide ragen mit ihren Kettenmolekülen als Glykokalix über die Membran hinaus (In Anlehnung an Singer und Nicolson 1972)

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1

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

den strukturellen Bindungen zwischen Zellzytoskelett und extrazellulärer Matrix. Als Enzyme katalysieren sie membrangebundene Reaktionen, als Rezeptoren sind sie für den Erhalt und die Übertragung chemischer Signale verantwortlich. Dabei ist die Membran nicht fest durch unverrückbare Bausteine zusammengefügt. Die Lipide bilden einen flüssigen Film, in dem die Moleküle beweglich sind. Man bezeichnet daher das Membranmodell als Fluid mosaic-Modell. Membranlipide

Die drei Haupttypen von Lipiden in der Zellmembran sind: 4 Phospholipide (mengenmäßig am häufigsten), 4 Cholesterin, 4 Glykolipide. Alle haben ein hydrophiles Kopf- und ein hydrophobes Schwanzende (. Abb. 1.4). Der bimolekulare Film bildet sich in wässrigem Milieu durch das Aneinanderlagern der hydrophoben Schwänze, während die hydrophilen Köpfe beiderseits nach außen ragen. In eukaryoten Zellen ist der Anteil des Cholesterins im Verhältnis zu den Phospholipiden relativ hoch. Er beträgt beispielsweise bei menschlichen Erythrozytenmembranen ca. 30%. Im Gegensatz zu den Prokaryoten enthalten Eukaryoten zudem verschiedene Phospholipide. Die Erythrozytenmembran enthält z.B. 4 Hauptphospholipide: 4 Phosphatidylcholin (= Lezithin), 4 Sphingomyelin, 4 Phosphatidylserin, 4 Phosphatidyläthanolamin. Die Lipidzusammensetzung der beiden Hälften des bimolekularen Lipidfilms ist bei allen bisher untersuchten Plasmamembranen sehr unterschiedlich: es herrscht eine Membranasymmetrie (. Abb. 1.5). Bei Erythrozytenmembranen sind die meisten Lipidmoleküle mit einem Cholinende auf der Zellaußenseite, während die meisten Phospholipide mit einer Aminogruppe zur Innenseite orientiert sind. An der Zellaußenseite sammeln sich außerdem Oligosaccharide enthaltende Lipidmoleküle. Diese Zuckergruppen spielen möglicherweise eine Rolle bei interzellulären Kommunikationsprozessen.

13 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.4a, b. Molekularer Aufbau von 2 Strukturlipiden. a Lezithin (Phospholipid), b Galaktosyllipid (Glykolipid)

Membranproteine

Während der bimolekulare Lipidfilm das Rückgrat biologischer Membranen darstellt, werden die spezifischen Funktionen wesentlich durch die Proteine bestimmt. Der Proteingehalt ist bei verschiedenen Membranen sehr unterschiedlich. In Plasmamembranen beträgt er ca. 50% der Gesamtmasse, wobei man natürlich berücksichtigen muss, dass die Proteinmoleküle viel größer als die

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

1

. Abb. 1.5. Schematische Darstellung der Verteilung von Phospholipiden und Glykolipiden in der Erythrozytenmembran. einer Aminogruppe,

= Lipidmoleküle mit Cholinende,

= Phospholipide mit

= Glykolipide

Lipidmoleküle sind, sodass auf 1 Proteinmolekül ca. 50 Lipidmoleküle entfallen. Viele dieser Proteinmoleküle sind direkt in die bimolekulare Lipidschicht eingelassen. Ihre hydrophoben Regionen interagieren mit den hydrophoben Schwänzen der Lipidmoleküle. Dagegen sind ihre hydrophilen Regionen wässrigem Milieu ausgesetzt. Dabei reichen innere oder äußere periphere Membranproteine nur an eine Seite der Membran, während Transmembranproteine auf beiden Seiten an wässriges Milieu grenzen (. Übersicht 1.7). Transmembranproteine lassen sich nur unter Zerstörung der Membran isolieren, periphere Membranproteine sind leichter herauszulösen. Man sollte jedoch diese eher methodische Unterscheidung nicht als molekulare Beschreibung interpretieren, da in den meisten Fällen über die wirkliche Lage wenig bekannt ist. . Übersicht 1.7. Grundaufbau biologischer Membranen Bestandteile

Anordnung

Funktion

Lipidmoleküle: 5 Phospholipide 5 Cholesterin 5 Glykolipide

Bimolekularer, flüssiger Film mit Membranasymmetrie ca. 6-10 nm dick

Rückgrat der Membran, Permeabilitätsschranke

Proteinmoleküle 5 Transmembranproteine 5 Periphere Membranproteine

In Lipidschicht eingelassen

Spezifische Funktionen, z.B. Enzyme, Zellkontakt, antigene Zellrezeptoren, Transmembrantransport, Zellerkennung

15 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Biosynthese von Membranbestandteilen Das endoplasmatische Retikulum (7 Kapitel 1.2.5) ist die wichtigste Produktionsstätte von neuen Membranen. Dort entstehende Membranen werden mit Hilfe von Vesikeln zu ihren Bestimmungsorten geschleust. Diese Vesikel schnüren sich als Membranstücke vom endoplasmatischen Retikulum ab und werden dann durch Membranfusion in andere Membranen eingebaut. Das glatte endoplasmatische Retikulum synthetisiert Membranlipide, das ribosomenbesetzte raue endoplasmatische Retikulum (7 Kapitel 1.2.5) Proteine. Die an den Ribosomen synthetisierten Proteine werden entweder ins Lumen des endoplasmatischen Retikulums abgegeben oder in seine Membran eingebaut. Der Golgi-Komplex (7 Kapitel 1.2.6) erhält die Proteine und Lipide vom endoplasmatischen Retikulum und modifiziert sie. Dabei erhalten beispielsweise die Glykolipide ihre Zuckergruppen.

Stofftransport durch die Zellmembran Die Zelle benötigt zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensfunktionen Stoffe von außen, d.h. durch die Membranen müssen Stoffe transportiert werden. Umgekehrt muss die Zelle auch in der Lage sein, Stoffe nach außen abzugeben. Dies alles geschieht nicht zufällig wie durch ein Sieb: die Zellmembran zeigt ein selektives Verhalten. Wegen seiner hydrophoben Innenseite ist der bimolekulare Lipidfilm der Membran für die meisten polaren Moleküle undurchlässig (impermeabel). Daher werden die meisten wasserlöslichen Inhaltsstoffe in der Zelle zurückgehalten. Gerade deshalb musste die Zellevolution Mechanismen entwickeln, um polare Moleküle durch die Membran zu transportieren. Auch Ionen müssen in beide Richtungen transportiert werden, damit intrazelluläre Ionenkonzentrationen reguliert werden können. Den Transport kleiner Moleküle ermöglichen spezifische Transmembranproteine (. Abb. 1.6). Aber auch Makromoleküle, wie Proteine, und sogar große Partikel können transportiert werden. Grundsätzlich kann man beim Transmembrantransport zwischen folgenden Vorgängen unterscheiden: 4 passiver Transport durch Diffusion und Osmose, 4 aktiver Transport. Diffusion

Betrachten wir zunächst die Diffusion. Sowohl Ionen als auch Moleküle besitzen eine thermische Eigenbewegung. Durch sie stoßen Moleküle ständig

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16

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Abb. 1.6. Transmembranprotein

aneinander, was zu einer Bewegung führt, sodass Moleküle durch eine für sie durchlässige Membran hindurch von hohen zu niedrigeren Molekülkonzentrationen wandern können. Somit stimmt die Transportrichtung mit der des Konzentrationsgefälles überein. Dies führt zum Konzentrationsausgleich. Die Diffusionsgeschwindigkeit ist von der Art der Moleküle, der Temperatur, dem Konzentrationsgefälle und vom Druck abhängig. Diese Transportform betrifft vor allem kleine Moleküle, z.B. Wassermoleküle. Die Diffusion kann durch Membranproteine, die als Transporter agieren, erleichtert werden (. Abb. 1.7).

. Abb. 1.7. a,b Diffusion. c Diffusion über Transporter beschleunigt

17 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.8 a,b. Osmotische Wirkung an einer Zelle. a Die Zelle wird in ein Medium hoher Konzentration freibeweglicher Wassermoleküle gebracht. Durch Wassereinstrom kommt es zum Platzen der Zelle. Man benutzt dies u.a. zur Chromosomenanalyse (hypotone Behandlung). b Die Zelle wird in ein Medium niedriger Konzentration freibeweglicher Wassermoleküle verbracht. Wasserentzug führt zur Schrumpfung (hypertone Behandlung)

Osmose

Bei der Osmose erfolgt die Diffusion durch eine semipermeable Membran. Diese lässt nur die kleineren Moleküle des Lösungsmittels (meist Wasser), aber nicht die darin gelösten Stoffe durch. Die Osmose ist einseitig gerichtet, d.h. das Lösungsmittel wandert immer in Richtung der höheren Konzentration des gelösten Stoffes, um einen Konzentrationsausgleich herbeizuführen. Ist die Konzentration an gelösten Stoffen in der Zelle höher als außerhalb, wird ein Druck auf die semipermeable Membran ausgeübt (osmotischer Druck). Er bewirkt, dass Wasser durch die Zellmembran in die Zelle eindringt. Die Wasseraufnahme erfolgt solange, bis die Konzentration an gelösten Stoffen innerhalb und außerhalb der Zelle gleich ist. Ist dieses Stadium erreicht, fließt genau so viel Wasser in die Zelle ein wie aus ihr austritt (. Abb. 1.8). Aktiver Transport

Anders als bei Diffusion und Osmose muss die Zelle beim aktiven Transport Energie aufwenden. Damit können Substanzen auch gegen ein Konzentrationsgefälle, einen osmotischen Druck oder einen elektrischen Gradienten transportiert werden. Dies betrifft v.a. Ionen, Zucker, Aminosäuren, Nukleotide und viele Metabolite. Dabei transportieren unterschiedliche Membrantrans-

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

portproteine jeweils nur eine bestimmte Substanzklasse und oft sogar nur eine bestimmte Molekülart. Ionentransport. Betrachten wir zunächst den Transport von Ionen. Ein wich-

tiges Beispiel hierfür ist die Na+-K+-Pumpe, die gegen den Konzentrationsgradienten Na+ aus und K+ in die Zelle befördert. Sie stellt dadurch sicher, dass die K+-Konzentration innerhalb der Zelle höher als außerhalb und umgekehrt die Na+-Konzentration außerhalb höher als innerhalb ist. Die für den aktiven Transport notwendige Energie wird in Form von ATP bereitgestellt. Dabei wird durch den gekoppelten Na+- und K+-Transport Energie gespart. Ein Enzym, das ATP zu ADP und Phosphat hydrolisiert, bewerkstelligt diesen Transportmechanismus in der Membran: die Na+-K+-ATPase. Dieser Prozess findet wahrscheinlich in allen Zellen statt (. Abb. 1.9). Eine weitere ATPase transportiert Ca2+ aktiv aus Eukaryoten Zellen. Diese besitzen deswegen eine im Vergleich zur extrazellulären Konzentration sehr geringe Ca2+-Konzentration im Zytosol (7 Kapitel 1.2.3).

. Abb. 1.9. Schematischer Funktionsablauf der Na+- und K+-Transports durch die Zellmembran

19 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.10. Räumliche Darstellung von Nonaktin in Form eines Käfigs

Modellvorstellungen für Stofftransport. Die oben beschriebenen Vorgänge sind nachgewiesene Transportmechanismen in der tierischen Zellmembran. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Modellvorstellungen, wie ein Stofftransport durch Ionenporen und Tunnelproteine bewerkstelligt werden könnte. Modellbeispiele für Ionenporen sind gewisse Antibiotika, die von Mikroorganismen ausgeschieden werden. Dies sind komplexe Ringverbindungen mit hydrophoben und hydrophilen Anteilen, die wie ein Käfig Ionen einfangen und anschließend durch Änderung der Konfiguration wieder entlassen (. Abb. 1.10). Beispiele hierfür sind Valinomycin, Enniatin, Monaktin, Nonaktin, Dinaktin und Trinaktin. Beim Einbau solcher Moleküle in Zellmembranen wird der Ionentransport gesteigert. Auch Tunnelproteine sind uns nur in Form von Antibiotika bekannt. Gramicidin A ist eine solche Verbindung, die in die Zellmembran eingelagert werden kann und dann einen verschließbaren Tunnel bildet (. Übersicht 1.8). . Übersicht 1.8. Mechanismen des Stofftransports durch die Zellmembran Transportform

Mechanismus

Transportierte Partikel

Transportrichtung

Passiver Transport ohne Stoffwechselenergie

5 Diffusion

5 Ionen, kleine Moleküle

In Richtung des Konzentrations- oder elektrischen Gradienten

Aktiver Transport mit Stoffwechselenergie

5 Ionenpumpe

5 Ionen

5 Tunnelproteine

5 Moleküle

Gegen den Konzentrations- oder elektrischen Gradienten, gegen osmotischen Druck

5 Osmose

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Klinik Mukoviszidose Die Mukoviszidose ist ein Beispiel für die klinischen Folgen, wenn Membrantransportvorgänge durch eine Mutation gestört sind. Ein als cystic fibrosis transmembran conductance regulator, CFTR, bezeichnetes Membranprotein bildet Poren, die am Transport von Chloridionen durch die Membran beteiligt sind. Beim mutierten Gen sind diese Poren defekt. Normalerweise wird unaufhörlich Salz durch die Natrium- und Chloridporen gepumpt, dem Wasser folgt, das die Hohlräume der Lunge durchspült. Sind diese Poren defekt, trocknet das Drainagesystem der Lunge aus. Damit sammelt sich zähflüssiger Schleim in den Bronchien an, der von Bakterien und Viren besiedelt wird. Über ständige Erkältungen, Bronchitis und Lungenentzündungen kommt es schließlich zum Lungenversagen.

Glykokalix Aufbau der Glykokalix

Nach außen ist die Zellmembran mit einer sehr komplizierten Schicht aus verschiedenen Polysacchariden überzogen. Diese sind an Proteinmoleküle oder Lipidmoleküle gebunden, also Glykoproteine bzw. Glykolipide. Man bezeichnet diese Schicht als Glykokalix. Die wichtigsten, am Aufbau der Glykokalix beteiligten Zuckermoleküle sind: 4 Glukose, 4 Galaktose, 4 Fruktose, 4 die Aminozucker Glukosamin und Galaktosamin. Eine wesentliche Rolle spielt auch die Neuraminsäure, die ebenfalls ein Aminozucker ist. Da die einzelnen Zucker sich zu Oligo- oder Polysacchariden zusammenschließen können, ist eine große Zahl von Kombinationsmöglichkeiten gegeben. Daher sind Zelloberflächen durch außerordentlich verschiedene Polysaccharidmuster gekennzeichnet, die mögliche Variationsbreite ist somit größer als die Zahl der Zellen in einem Organismus. In Bakterien und Pflanzen sind nahezu alle Glykolipide vom Glycerin abgeleitet, in tierischen Zellen dahingegen von Sphingosin, einem langen Aminoalkohol. Sie werden daher als Glykosphingolipide bezeichnet.

21 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Bei allen Epithelzellen schließt sich der Glykokalix auf der Seite des Bindegewebes eine Basalmembran an. An ihrem Aufbau sind die in der Außenschicht der Plasmamembran vorhandenen Glykoproteine beteiligt. Andere Glykoproteine werden nach ihrer Sekretion in den extrazellulären Raum an die Membran absorbiert. Funktionen der Glykokalix

Durch die Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten stellt die Glykokalix ein Erkennungsareal der Zelle dar. Sie dient der Kontaktaufnahme zwischen Zellen und der Zellkommunikation. Beispielsweise können Leukozyten so an Endothelzellen der Blutgefäße binden. Oligosaccharide an der Oberfläche der Leukozyten werden durch Selektin erkannt, ein Transmembranprotein der Endothelzellen. Die gebundenen Leukozyten vermitteln dann eine Entzündungsreaktion, beispielsweise an Gewebsdefekten. Die Moleküle der Glykokalix wirken auch als Antigene und bestimmen damit die serologischen Eigenschaften einer Zelle. So sind die Blutgruppensubstanzen nichts anderes als Glykolipide mit bestimmten Zuckerenden. Bestimmte Moleküle der Glykokalix binden Bakterientoxine und Viren. Andere Moleküle dienen als Rezeptoren (. Übersicht 1.9). So besitzen beispielsweise Mastzellen Membranrezeptoren für Komplexe aus Immunoglobulin-E-Antikörpern und dem entsprechenden Antigen (etwa aus Blütenpollen). Diese Immunoglobulinklasse ist für bestimmte Allergien (Heuschnupfen) verantwortlich. Wird ein solcher Komplex an eine Mastzelle gebunden, schüttet diese Substanzen (v.a. Histamin) aus, die eine Gefäßerweiterung und eine Kontraktion der glatten Muskulatur (in den Bronchiolen) bewirken. Auf diese Weise entstehen die bekannten Beschwerden von Allergikern und Asthmatikern. Grundsätzlich ist jedoch das Zusammenwirken von IgE-Antikörpern, Antigen und Mastzellen vorteilhaft: es ermöglicht die Bildung von Entzündungsherden und damit eine hohe lokale Infektionsabwehr. Wieder andere Moleküle der Glykokalix dienen als Hormonrezeptoren. Solche Rezeptoren für Adrenalin und Noradrenalin sind an der Zellmembran . Übersicht 1.9. Die Glykokalix und ihre Funktion Aufbau:

Netzwerk von Glykoproteinen und Glykolipiden

Funktion:

Steuert Wechselwirkungen zwischen Zellen, die Kommunikation mit der Außenwelt, hat Rezeptorfunktion und wirkt als Antigen

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

nachgewiesen. Jedoch wird nur ein Teil der natürlich vorkommenden Hormone an Rezeptoren der Zellmembran gebunden. Diese gehören zur Gruppe der Proteo- und Peptidhormone. Die Hormonmoleküle (first messenger) erreichen mit der Körperflüssigkeit die Zellmembran und werden von den spezifischen Rezeptoren eingefangen. Daraufhin beginnt ein besonderer Zyklus der Beeinflussung des Zellstoffwechsels, der als zyklischer Adenosinmonophosphat (cAMP) Mechanismus oder second messenger-Mechanismus bezeichnet wird. Dabei wird Zellstoffwechsel über einen sekundären Botenstoff, in diesem Falle das cAMP, beeinflusst. Der erste Schritt hierzu ist die Aktivierung des Enzyms Adenylatzyklase an der Innenseite der Membran. Dieses Enzym baut das durch die Mitochondrien hergestellte Adenosintriphosphat (ATP) in cAMP um, welches nun ein bereits in der Zelle vorhandenes Enzym von einer inaktiven in eine aktive Form überführt. Dieses wiederum überführt andere Enzyme in eine aktive Form. Dadurch laufen eine Vielzahl von Stoffwechselvorgängen in der Zelle an. So stimuliert beispielsweise Adrenalin in der Leber den Abbau von Glykogen zu Glukose. Die genauen Schritte sind der . Abbildung 1.11 zu entnehmen.

Zellkontakte Die Glykokalix an der Außenseite der Zellmembran ist für die Zellkontakte verantwortlich. Sie dient der Kontaktaufnahme zwischen Zellen und einer spezifischen Zellkommunikation. Der ständige Umbau von Membranen bei lebenden Zellen erlaubt die Ausschleusung von Membranmolekülen, speziell

. Abb. 1.11. Second messenger-Mechanismus am Beispiel des adrenalingesteuerten Glykogenabbaus in der Leberzelle

23 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

von Glykoproteinen. Diese üben Signalwirkung auf Nachbarzellen aus. Frei bewegliche Zellen werden hierdurch mobilisiert und erkennen gleichartige Zellen an ihren Oberflächeneigenschaften. Daraufhin kommt es zur Kontaktinhibition, also zum Stillstand der Zellbewegung und möglicherweise zur Hemmung der Zellteilung. Dieses Verhalten kann man an Zellkulturen, z.B. Fibroblastenkulturen, beobachten. Fibroblasten wachsen nur solange, bis sie sich an allen Seiten mit Zellen berühren, dann stellen sie das Wachstum ein. Um eine erneute Teilungsaktivität zu produzieren, müssen die Kulturen geteilt und damit wieder verdünnt werden. Umgekehrt verhalten sich Krebszellen, die ungehemmt wachsen und zu keiner geordneten Bildung von Gewebe mehr fähig sind, weil sie diese Kommunikationsmöglichkeit verloren haben. Formen von Zellverbindungen

Durch Kontaktinhibition wird es auch für embryonale Zellen möglich, Gewebe aufzubauen. Dies geschieht durch Ausbildung von bestimmten Haftzonen zwischen den Zellen. Die erste Verbindung zwischen den Zellen wird durch bestimmte Molekülaggregate bewerkstelligt, die in den Membranen vorhanden sind, wobei es zu einer Verknüpfung von Molekülen der Glykokalix kommt. Diese Verknüpfung wird durch weitere lokale Zellmembrandifferenzierungen verfestigt, die dann die endgültige Verbindung herstellen. Dabei kann man verschiedene Formen von Zellverbindungen voneinander unterscheiden, nämlich solche, bei denen die einander angenäherten Zellmembranen direkt miteinander verschmolzen werden und solche, bei denen keine Verschmelzung vorhanden ist. Betrachten wir die verschiedenen Zellkontakte am Beispiel der Zellhaftung zwischen Epithelzellen (. Abb. 1.12). Die Plasmamembranen dieser Zellen bilden zur Vermeidung eines Stoffdurchtritts regelmäßige Schlussleisten, die den Zellumfang ohne Unterbrechung umfassen. Unter den der Oberflächenvergrößerung dienenden Elementen schließen sich miteinander verschmolzene Strecken der Zellmembranen an, welche als Zonula occludens oder tight junction bezeichnet werden. Darunter folgt ein Bereich des Zellkontaktes ohne Membranverschmelzung, die Zonula adhaerens. Die auseinander gerückten Membranen werden hier durch Interzellularsubstanz verkittet. Andere Verbindungsarten sind auf enge Bereiche beschränkte, kompliziert aufgebaute Kontaktzonen, wie die Desmosomen (Maculae adhaerentes), die man gleichsam als Nieten bezeichnen kann, während die Zonulae eher mit

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Abb. 1.12. Zellkontakte

Nähten vergleichbar sind. Auch die Desmosomenhälften zeigen keine Membranverschmelzung, sondern sind durch Kittsubstanz verbunden. Die Kittsubstanz besteht vorwiegend aus Glykoproteinen und Mukopolysacchariden. An der zytoplasmatischen Seite der Membran finden sich plattenartige Verdickungen, in die Fibrillenbündel aus Keratin münden (Tonofilamente). Diese wiederum durchziehen die ganze Zelle. Neben den Desmosomen kennt man Hemidesmosomen, die jedoch keine eigentlichen Zellkontakte sind, sondern als Verankerung von Epithelzellen mit dem darunter gelegenen Bindegewebe dienen. Weiterhin existieren noch lokale Verengungen des Interzellularraumes zwischen den Zellen, die man als Kommunikationskontakte bezeichnen kann, die sog. gap junctions. Funktionen von Zellverbindungen

Die Aufgabe der gap junctions ist der direkte Stoffaustausch zwischen den Zellen. Der Interzellularraum wird von Tunnelproteinen (Hauptprotein: Connexin) überbrückt, die durch die Zellmembranen benachbarter Zellen ziehen. Dabei bilden die sechs Untereinheiten des Connexin eine Röhre, die

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25 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

wasserlösliche Moleküle, wie Aminosäuren, Nukleotide, Vitamine, Disaccharide, Steroidhormone oder cAMP, durchtreten lässt. Außerdem wird auf diese Weise eine elektrische Kopplung von Zellen erreicht. Impulse können mit hoher Geschwindigkeit von einer Zelle auf die andere weitergegeben werden. Darum spricht man auch von elektrischen Synapsen, im Gegensatz zu den chemischen Synapsen der Nervenzellen. Die Erregungsleitung durch Kommunikationskontakte ist in der frühen Embryonalentwicklung, bei der Darmperistaltik aber auch bei der Aktivität der Herzmuskulatur von Bedeutung. Kontaktzonen dienen also einerseits dem Austausch von größeren Molekülen zwischen benachbarten Zellen, andererseits sind sie wegen ihres geringen elektrischen Widerstands für den interzellulären Ionentransport geeignet und ermöglichen so durch Ionenaustausch eine elektrische Kopplung (Ionenkopplung) zwischen benachbarten Zellen. Damit sichern sie eine stoffliche und elektrische Integration nebeneinanderliegender Zellen. Darüber hinaus dienen sie der Stabilisierung von Zellverbänden (. Übersicht 1.10). . Übersicht 1.10. Interzelluläre Kontakte und ihre Funktion Zellkontakt

Funktion

Morphologische Beschreibung

Vorkommen

Zonula occludens (tight junction)

Impermeabler Verschlusskontakt zur Erhaltung eines interzellulären Milieus

Gürtelförmige Verschmelzung von Zellmembranen

In Epithelzellen von Dünndarm, Blase, Niere, Gehirngefäßen

Zonula adhaerens

Feste mechanische Zellverankerung

Gürtelförmige Verbindung von Zellmembranen mit einem interzellulären Spalt

In Epithelzellen

Macula adhaerens (Desmosom)

Feste mechanische Zellverankerung

Punktförmige Verbindung von Zellmembranen mit einem interzellulären Spalt

In Epithelzellen und Zellen des Herzmuskels

Gap junction

Zellkommunikation durch direkten Stoffaustausch und elektrische Kopplung

Transmembrane zylindrische Proteine, die lokale Verengungen des Interzellularraumes tunnelartig durchziehen

Ubiquitär

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Klinik Pemphigus vulgaris Pemphigus vulgaris ist eine Erkrankung, die durch Auflösung der Zellhaftung zustande kommt. Der Körper entwickelt Antikörper gegen transmembranöse Verbindungsproteine der Desmosomen. Die Folgen sind Blasenbildungen in der Haut und in den Schleimhäuten.

1.2.2 Zellkern

Das prominenteste Organell einer Eukaryoten Zelle ist bereits unter dem Lichtmikroskop zu erkennen: der Zellkern (. Abb. 1.13). Er ist der Hauptträger der biologischen Erbinformation, die in Chromosomen verpackt ist.

. Abb. 1.13. Zellkern. 1, 2 Perinukleärer Spalt mit Kommunikationsstellen (8) zum endoplasmatischen Retikulum (3). 4 Spiralig angeordnete Ribosomen. 5 Poren der Kernhülle. 6 Nukleolus (nach Krstić 1976)

27 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Kerngestalt Die äußere Kerngestalt ist abhängig vom momentanen Aktivitätszustand der Chromosomen und von ihrer für jede Tierart spezifischen Zahl. Die einfachste Gestalt des Zellkerns ist die Kugelform, sehr häufig zu finden sind aber auch nierenförmige Kerne, wobei die Einbuchtung durch die Lage der Zentriolen (. Übersicht 1.22) bestimmt ist. Die Kernform kann sich auch der Zellform anpassen. In lang gestreckten Zellen, wie Bindegewebs- oder Muskelzellen, beobachtet man auch lang gestreckte Kerne.

Kernanzahl Kerne kommen in allen Zellen vor, wobei im Normalfall ein Zellkern pro Zelle vorhanden ist. Eine Ausnahme bilden die Erythrozyten, die nur als embryonale Zellen einen Kern aufweisen, während die ausgebildeten Zellen kernlos sind (. Abb. 1.2). Andere Zellen besitzen mehr als einen Kern, wie beispielsweise Leberzellen mit bis zu 8 Kernen. Auch Nervenzellen können 2 Kerne besitzen. Die als Knochenzerstörungszellen beim Knochenumbau benötigten Osteoklasten weisen bis zu 100 Zellkerne auf. Auch Fremdstoffriesenzellen sind vielkernig.

Kernbestandteile Der Zellkern besteht aus der Kernhülle und dem Kernplasma, in welches die Erbsubstanz (Chromatin bzw. Chromosomen) sowie das Kernkörperchen (Nukleolus) eingelagert sind. Chromatin

Betrachtet man einen fixierten und mit basischen Farbstoffen angefärbten Zellkern unter dem Lichtmikroskop, so erkennt man ein Kerngerüst. Dies ist das Chromatin, das aus der eigentlichen Erbsubstanz, den Chromosomen besteht. Das Chromatin ist ein Artefakt und entspricht nicht dem natürlichen Zustand der Chromosomen. In der Zelle liegt es in zwei Formen vor: Euchromatin. Locker verteiltes Chromatin im Arbeitskern. Das Euchromatin ist weitgehend entspiralisiert und wird als aktives Genmaterial angesehen. Heterochromatin. Dicke Chromatinmassen, die das Kerngerüst bilden. Das

Heterochromatin kann als inaktives Genmaterial gedeutet werden, das in spiralisierter Form vorliegt. Das Heterochromatin nimmt vor der Zellteilung

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

beim Übergang vom Arbeits- in den Teilungskern stark zu. Entsprechend ist die Menge des Heterochromatins ein Ausdruck für die Stoffwechselaktivität einer Zelle, somit unterliegt der Anteil des Heterochromatins in einem Zellkern deutlichen Schwankungen. Beim Heterochromatin lassen sich wiederum zwei Formen unterscheiden: 4 Konstitutives Heterochromatin. Prinzipiell kann sich jeder Teil eines Chromosoms kondensieren und heterochromatisch werden, manche Teile liegen aber immer in dieser Form vor. Man spricht dann von konstitutivem Heterochromatin. Dieses Chromosomenmaterial wird niemals in Protein übersetzt, es wird bei der Zellteilung spät repliziert und geht als Heterochromatin auf die Tochterzellen über. Ein Beispiel ist die Zentromerregion, an der die beiden Chromatiden eines Chromosoms zusammengehalten werden. Ebenso wird zur Dosiskompensation gegenüber männlichen Zellen in jeder weiblichen Zelle eines der beiden X-Chromosome inaktiviert: dieses Sexchromatin kann durch geeignete Färbemethoden sichtbar gemacht werden. 4 Fakultatives Heterochromatin. An seiner Menge kann man den Entwicklungszustand oder den physiologischen Zustand einer Zelle erkennen. So findet sich in ausdifferenzierten Zellen viel Heterochromatin, weil ein Großteil des chromosomalen Materials kondensiert und damit stillgelegt ist. Nur ein geringer Teil der Erbinformation muss noch abgelesen werden und ist folglich nicht kondensiert. Embryonale Zellen dagegen, bei denen ein großer Teil der Erbinformation tatsächlich in Protein übersetzt werden muss, haben wenig Heterochromatin. Chromosomen

Einzelne Chromosomen sind im Interphasenkern der Eukaryoten Zelle lichtmikroskopisch nicht sichtbar. Die DNA-Fäden besitzen einen Durchmesser von 2 nm und eine durchschnittliche Länge von 5 cm. Würde man alle menschlichen Chromosomen aneinander reihen, so ergäbe dies einen Faden von ca. 2 m Länge. Bei einem Kerndurchmesser von ca. 5 µm muss also offensichtlich ein hohes Ordnungsprinzip existieren, um die DNA-Fäden auf diesem kleinen Raum zu verpacken. Isoliert man das Chromatin aus Zellkernen und untersucht es chemisch, so findet man neben der DNA (Desoxyribonukleinsäure; 7 Kapitel 2) und einer kleinen Menge von Ribonukleinsäure (RNA) zwei Hauptklassen von Proteinen:

29 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

4 5 verschiedene Typen von basischen Histonen (H1, H2A, H2B, H3 und H4), 4 eine heterogene Gruppe von Nicht-Histon-Proteinen, die beispielsweise verschiedene Enzyme darstellen. Die Histone sind für die strukturelle Organisation der Chromosomen verantwortlich. Sie haben viele basische, positiv geladene Aminosäuren und daher eine hohe Affinität zur negativen Ladung der DNA. Die Histone H2A, H2B, H3 und H4 bilden an den Polen abgeflachte Proteinkugeln, Oktamere aus den Dimeren der vier verschiedenen Histone. Jede Proteinkugel ist von einem DNA-Faden mit 1,75 Linkswindungen umwickelt, was 146 Basenpaaren entspricht. Dieser Komplex ist der Nukleosomencore (. Übersicht 1.11). . Übersicht 1.11. Struktur des Chromatins Chromatin DNA 2 nm

2 x H2A, 2 x H2B, 2 x H3, 2 x H4,

Linker DNA

Nicht-Histon-Proteine

Histone

H1

Nukleosomencore

Nukleosom

DNA-Faden 10 nm

Chromatinfaser 30 nm

Das Histon H1 liegt außerhalb des Nukleosomencores und ist mit DNA variierender Länge (15-100 Basenpaare) assoziiert, die ein Nukleosom mit dem anderen verbindet, der Linker-DNA. So werden fortlaufendende Einheiten von ca. 200 Basenpaaren gebildet, die einen Faden mit einem Durchmesser von 10 nm erzeugen. Die H1-Histone verkürzen den DNA-Faden weiter, indem mit ihrer Hilfe mehrere Nukleosomen helikal aufgedreht werden. Dies führt zu einer Chro-

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

matinfaser von etwa 30 nm Durchmesser. Sie wird wiederum in Schlaufen gelegt, wobei jede Schlaufe etwa 75 kb DNA enthält. Die Schlaufen sind an ein zentrales Gerüst aus sauren Nicht-Histon-Proteinen geheftet. Dieses Gerüst enthält das Enzym Topoisomerase II, das in der Lage ist, die beiden DNA-Stränge des DNA-Doppelstrangs wieder zu entwinden. Die Topoisomerase II und andere Proteine des Chromatins binden an bestimmte DNA-Sequenzen mit einem hohen Anteil (über 65%) des Basenpaars Adenin und Thymin. Diese Sequenzen werden auch als Gerüstkopplungsbereiche (scaffold attachment regions, SAR) bezeichnet und stellen möglicherweise auch die Elemente dar, an denen die Chromatinschlaufen aufgehängt sind. Die so in Schlaufen aufgehängte Chromatinfaser wird durch Schleifenbildung weiter verkürzt. Diese weitere Aufwindung zu den Chromatiden eines Metaphasechromosoms führt schließlich zu einer etwa 10.000fachen Verkürzung der ursprünglichen Länge des DNA-Fadens (. Abb. 1.14, 1.15).

. Abb. 1.14. Metaphasechromosom des chinesischen Hamsters (nach Stubblfield 1973)

31 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.15. Organisation der DNA im Metaphasechromosom

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Kernhülle und Kernplasma

Die Kernhülle (Karyolemm) trennt das Kernplasma (Karyoplasma, Karyolymphe, Nukleoplasma) vom Zytoplasma (. Abb. 1.13). Kernplasma. Das Kernplasma oder die Karyolymphe besitzt einen eigenen

Stoffhaushalt, der speziell auf die Aufgaben der Chromosomen abgestimmt ist. Aus diesem Grund stimmt seine Ionenzusammensetzung nicht mit der des Zytoplasmas überein. Natrium- und Chloridionen sind so stark angereichert, dass ihre Konzentration das 10.000fache der Konzentration des Zytoplasmas erreicht. Der dazu notwendige rasche Ionentransport erfolgt wahrscheinlich durch die Kanäle des endoplasmatischen Retikulums. Dabei kann bis zur Hälfte des zellulären Natriums im Kern angesammelt werden, sodass der Kernraum als Ionenspeicher für die Zelle dient. Da die Proteinbiosynthese im Zytoplasma stattfindet, stammen alle Proteine des Karyoplasmas aus dem Zytoplasma. Im Kernraum findet dagegen die DNA-Synthese (Replikation) sowie die Transkription der DNA in hnRNA und deren Zurechtschneiden (processing) zur mRNA statt (7 Kapitel 2, . Übersicht 1.12). . Übersicht 1.12. Hauptaufgaben des Zellkerns

4 Träger der Erbinformation in Form von Chromosomen, in denen die DNA auf hoch geordnete Weise verpackt ist

4 Replikation und Transkription von DNA in hnRNA. Processing von hnRNA in mRNA

Kernhülle. Auch hier handelt es sich um eine Doppelmembran aus zwei Ele-

mentarmembranen. Der Raum zwischen den beiden Elementarmembranen, der als perinukleärer Spalt bezeichnet wird, kommuniziert mit dem Spaltensystem des endoplasmatischen Retikulums (7 Kapitel 1.2.5). Die äußere Elementarmembran kann von Ribosomen besetzt sein. Der inneren Elementarmembran ist eine Lamina aufgelagert, die sich aus den Polypeptiden Lamin A, B und C zusammensetzt. An dieser Lamina sind die Chromosomenenden verankert. Außerdem haben die Lamine aufgrund ihrer Fähigkeit, je nach Phosporylierungszustand zu aggregieren oder zu disaggregieren, eine wesentliche Funktion beim Auf- und Abbau der Kernmembran bei der Zellteilung. Poren der Kernhülle. Insgesamt besteht zwischen Karyoplasma und Zytoplasma ein reger Stoffaustausch (Import von Proteinen, Export von RNA-Molekülen). Hierfür ist die Kernhülle von zahlreichen Poren durchsetzt, an deren Rand

33 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

die innere und äußere Elementarmembran ineinander übergehen. Viele Proteine sind am Bau dieser tunnel- und trichterähnlichen Strukturen beteiligt und kommen häufig in zahlreichen Kopien vor, so dass ein solcher Komplex aus über 1.000 Proteinen aufgebaut ist. Diese Porenkomplexe werden aus acht oktaederartig angeordneten symmetrischen Proteineinheiten gebildet, die ringförmig auf äußerer und innerer Kernmembran angeordnet sind. Man beobachtet je nach Funktionszustand und Zelltyp zwischen einigen hundert und mehr als einer Million Poren pro Zellkern. Jeder dieser Kernkomplexe schließt noch acht kleinere ständig offene Poren mit ein, durch die kleinere Moleküle diffundieren können. Der Transport durch die Zentralporen wird aktiv unter ATP-Energieverbrauch gesteuert. An diesem komplexen Prozess sind zahlreiche Proteine beteiligt, u.a. als Importine bezeichnete Rezeptorproteine. Die Importine erkennen bestimmte Aminosäuresequenzen in den durchzuschleusenden Proteinen und leiten damit den Transport durch die Poren ein. Auf ähnliche Weise gelangen Transkriptionsfaktoren, Ribosomen, mRNA sowie DNA- und RNA-Polymerasen selektiv durch die Kernporen an ihren Bestimmungsort (. Übersicht 1.13). . Übersicht 1.13. Aufbau und Funktion der Kernhülle Aufbau:

Doppelmembran (Karyolemm) mit perinukleärem Spalt, außen mit Ribosomen besetzt, innen mit aufgelagerter Lamina. Von zahlreichen komplexen Poren durchsetzt, die den ATP-vermittelten selektiven Transport in und aus dem Kern regulieren. Anheftung der Chromosomenenden an der Lamina

Funktion:

Aufrechterhaltung eines eigenen Stoffhaushalts mit vom Plasma sehr unterschiedlicher Ionenzusammensetzung

Nukleolus

Mit basischen oder mit sauren Farbstoffen kann ein weiterer Bestandteil des Zellkerns optisch dargestellt werden: der Nukleolus (Kernkörperchen). Er tritt vorwiegend einzeln auf (. Abb. 1.13), manche Zellkerne besitzen aber auch mehrere Nukleolen. Nukleolen bestehen aus entstehenden Ribosomen, aus DNA-Schleifen, die Gene einer Nukleinsäure, der rRNA, codieren und aus deren Transkripten. Neusynthetisierte ribosomale Proteine wandern aus dem Zytoplasma in die Nukleolen und lagern sich an die rRNA. An anderer Stelle im Zellkern gebildete 5 S-rRNA kommt dazu. So entstehen die Grundstrukturen der Ribosomen, die dann ins Zytoplasma gelangen.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Dies alles findet in einer morphologisch geordneten Struktur statt. Im Inneren befindet sich das fibrilläre Zentrum mit den DNA-Schleifen, die intensiv transkribiert werden und daher dicht mit RNA-Polymerase-Molekülen bedeckt sind. Über ihnen liegt die dichte fibrilläre Komponente, ein Gerüst, das die Nukleolus-Struktur zusammenhält. Die ersten Schritte beim Zusammenbau der Ribosomen erfolgen hier. Nach außen schließt sich die granuläre Komponente an, wo sich Ribosomen-Vorläufer als dicht gepackte Partikel befinden. Während der Zellteilung verschwinden die Nukleolen, nach erfolgter Zellteilung werden sie von speziellen Chromosomenbezirken bestimmter Chromosomen wieder aufgebaut. Diese Chromosomenabschnitte enthalten in vielfach wiederholter Folge Gene für die rRNA. Diese Nukleolus-Organizer-Regionen (NOR-Regionen) befinden sich beim Menschen beispielsweise auf den Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22 (. Übersicht 1.14). . Übersicht 1.14. Aufbau, Bildung und Funktion des Nukleolus Aufbau und Bildung: 4 Aufbau aus DNA-Schleifen, die rRNA-Gene tragen, rRNA-Transkripten und ribosomalen Proteinuntereinheiten 4 Untergliederung in fibrilläres Zentrum, fibrilläre Komponente und granuläre Komponente 4 Findet sich in allen Interphasekernen und wird von den Nukleolus-Organizer-Regionen (NOR-Regionen) akrozentrischer Chromosomen gebildet 4 Beim Mensch sind dies die Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22 Funktion: 4 Produktion der ribosomalen Untereinheiten

Transkription und Replikation im Lichtmikroskop Die molekularbiologischen Grundlagen der Transkription und Replikation von DNA werden ausführlich in 7 Kapitel 2 beschrieben. An dieser Stelle seien die lichtmikroskopisch zu beobachtenden Phänomene dargestellt. Eine Erbinformation kann nur abgelesen und letztendlich zu einem Genprodukt umgesetzt werden, wenn die DNA dekondensiert ist. Dieser Vorgang kann am besten an den Riesenchromosomen der Fruchtfliege Drosophila untersucht werden. Diese Chromosomen in den Speicheldrüsen der Fruchtfliege kommen durch wiederholte Verdopplung (Replikation) der DNA zustande, ohne dass die Replikationsprodukte ihren Zusammenhalt verlieren oder eine Zellteilung eingeleitet würde (. Abb. 1.16).

35 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.16. Riesenchromosom der Fruchtfliege Drosophila

Ein Riesenchromosom hat etwa 10 Verdopplungen durchlaufen und besteht aus 210 = 1024 Replikationsprodukten. Außerdem bleiben die verdoppelten Chromosomen gepaart. Ein Riesenchromosom erreicht damit eine Länge von etwa 2 mm, sodass eine genaue zytogenetische Analyse möglich ist. Bei der Transkription eines Gens (Synthese von RNA) entfaltet sich die DNA und es entstehen sog. puffs als mikroskopisch sichtbarer Ausdruck der Genaktivität. Vergleichbare Beobachtungen kann man am Chironomus, einer Zuckmücke oder an den Chromosomen von Amphibieneiern machen. Letztere weisen sog. Lampenbürstenchromosomen auf, deren aktive DNA-Schleifen an die Bürsten erinnern, die man früher zum Putzen der Öllampen verwendete. Lampenbürstenchromosomen stellen eine Besonderheit der Meiose (7 Kapitel 1.5) dar. Die Chromosomen befinden sich in der Prophase der 1. meiotischen Teilung, in der zwei homologe Chromosomen gepaart sind. In jedem Chromosom werden zu beiden Seiten Schleifen ausgebildet. Lampenbürstenchromosomen sind die größten bekannten Chromsomen, sie erreichen eine Gesamtlänge von etwa 6 mm, die Schleifen können bis zu 0,2 mm lang werden (. Abb. 1.17).

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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Zentromer Crossing over

Zentromer

sichtbar

Struktur

erschlossen

Schleifenachse Zentralachse Chromomere Schleifenmatrix

. Abb. 1.17. Schematische Darstellung eines Lampenbürstenchromosoms (nach Günther 1971)

1.2.3 Zytoplasma und Zytosol

Das die Zelle ausfüllende Zytoplasma besteht aus Zytosol, den darin verteilten zytoplasmatischen Organellen und dem Zytoskelett. ! Zytoplasma = Zytosol + Zytoskelett + zytoplasmatische Organellen

Das Zytosol beträgt mengenmäßig etwa 55% des gesamten Zellvolumens. Ungefähr 20% des Gewichts des Zytosols sind Proteine, sodass es sich eher um eine hoch organisierte gelatineartige Masse handelt, als um eine einfache Lösung. Auch wissen wir, dass beispielsweise das Zytosol, das den Golgi-Apparat umgibt, nicht identisch ist mit dem Zytosol, das den Zellkern umhüllt. Da allerdings die Organisation des Zytosols nach dem Aufbrechen der Zelle kaum erhalten werden kann, wissen wir noch wenig über die Art solcher Unterschiede.

37 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Das Zytosol enthält Tausende von Enzymen, die Reaktionen wie die anaerobe Glykolyse und die Biosynthese von Zuckern, Fettsäuren, Nukleotiden und Aminosäuren katalysieren. Auch die Proteinbiosynthese an freien Ribosomen findet im Zytosol statt. Mikroskopisch findet sich in vielen Zellen Fett in Form von Tröpfchen (Triglyzeride, die Lagerform von Fettsäuren) und auch Glykogen. Auch der Proteinabbau findet im Zytosol statt. Enzyme, die Proteine schrittweise zu kurzen Peptiden und dann zu einzelnen Aminosäuren abbauen heißen Proteasen. Die meisten Proteine werden in großen Komplexen aus proteolytischen Enzymen, den Proteasomen, abgebaut. Sie bestehen aus einem zentralen Zylinder aus Proteasen, deren aktives Zentrum eine innere Kammer bildet. Die Enden sind durch je einen großen Proteinkomplex aus mindestens 10 Untereinheiten verstöpselt. Diese Proteinstöpsel binden die zum Abbau bestimmten Proteine und befördern sie ins Innere der Zylinderkammer, wo die Proteasen den Abbau bewerkstelligen. Die Proteasomen erkennen zum Abbau bestimmte Proteine durch deren Markierung mit einem kleinen Protein, dem Ubiquitin, welches kovalent gebunden wird. Vor dem Proteinabbau wird im Proteasom das Ubiquitin wieder als Ganzes entfernt, so dass es wieder verwendet werden kann. Klinik Stoffwechselstörungen Glykogenspeicherkrankheiten. Bei dieser Gruppe rezessiv vererbter Krankheiten kann Glykogen aufgrund eines Enzymdefekts nicht vollständig abgebaut werden und wird in verschiedenen Organen, v.a. im Herzen, in quergestreifter Muskulatur, Leber und/oder Niere gespeichert. Dies führt zu einer extremen Hypoglykämie, Leberfunktionsstörung und zu neurologischen Auffälligkeiten. Durch verschiedene Enzymdefekte in unterschiedlichen Stufen des Glykogenabbaus werden unterschiedliche Typen dieser Erkrankung verursacht. Fettleber. Ein pathologisch übermäßiger Fettgehalt des Lebergewebes kann mehrere Ursachen haben: 4 vermehrtes Fettangebot, 4 vermehrte körpereigene Fettbildung, 4 Störungen des Fettsäureabbaus, 4 Abtransportstörungen bei Lebererkrankungen.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

So tritt die Fettleber bei Fettsucht, Eiweißmangel, Diabetes mellitus, chronischem Alkoholismus, als Folge von Lebergiften, bei Sauerstoffmangel infolge von Anämie und bei Herzkreislaufschwäche auf.

1.2.4 Ribosomen

Ribosomen (. Abb. 1.18) sind nicht nur, wie bereits beschrieben, an das endoplasmatische Retikulum und an die äußere Kernmembran angelagerte Organellen, sie liegen auch frei im Zytosol.

Aufbau Ribosomen sind nicht von einer Membran umgeben, sie sind Ribonukleoproteine (Verbindungen aus Ribonukleinsäure und Proteinen). Die Ribosomen be-

. Abb. 1.18 a-g. Modellvorstellungen nach Immunelektronenmikroskopie und Proteinvernetzung für die 30 S ribosomale Untereinheit (a-d), die 50 S ribosomale Untereinheit (e,f) und für das 70 S-Ribosom (g) von E. coli. Die Zahlen geben Antikörperbindungsstellen für die entsprechenden ribosomalen Proteine an (Nach Stöffler-Meilicke und Stöffler 1990)

39 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

stehen jeweils aus zwei Untereinheiten, die durch ihre Sedimentationsgeschwindigkeit in der Ultrazentrifuge gekennzeichnet sind. So besitzen die Ribosomen von Prokaryoten und Mitochondrien eine Sedimentationskonstante von 70 S (1 Svedberg entspricht einer Geschwindigkeit von 10-13 s), die wiederum aus zwei verschieden großen Untereinheiten von 50 S und 30 S aufgebaut sind. Die SWerte sind nicht additiv, da die Gestalt der Untereinheiten mit in den S-Wert eingeht. Im Gegensatz dazu besitzen die Ribosomen im Zytosol der Eukaryoten eine Sedimentationskonstante von 80 S und bestehen aus Untereinheiten von 60 S und 40 S. Die kleine Untereinheit besteht aus einem rRNA-Molekül und etwa 33 verschiedenen Proteinen, während die große Untereinheit aus drei verschiedenen rRNA-Molkülen besteht, gebunden an mehr als 40 Proteine. Wegen des Unterschieds der ribosomalen Struktur zwischen Pro- und Eukaryoten konnten Stoffe gefunden werden, die die Proteinbiosynthese prokaryotischer Zellen selektiv hemmen. Diese Tatsache besitzt entscheidende Bedeutung für die Medizin, da sie die Grundlage der antibakteriellen Therapie mit Antibiotika darstellt. Beispiele für solche Antibiotika sind Aminoglykoside, Makrolide oder Chloramphenicol.

Funktion Ribosomen spielen eine entscheidende Rolle bei der Proteinbiosynthese (Translation). 4 Ribosomen, die am endoplasmatischen Retikulum sitzen, wirken nur bei der Herstellung exportabler, also zur Ausschleusung aus der Zelle bestimmter Proteine mit. 4 Ribosomen, die frei im Zytoplasma vorkommen, wirken bei der Biosynthese von zelleigenen Proteinen mit. 4 Ribosomen, die sich frei im Zytoplasma befinden und momentan keine Aufgabe bei der Proteinsynthese erfüllen, liegen immer als getrennte Untereinheiten vor (7 Übersicht 1.15).

1.2.5 Endoplasmatisches Retikulum

In allen tierischen Zellen, mit Ausnahme der ausgereiften roten Blutkörperchen, finden wir ein Labyrinth von Gängen, Spalten und Röhren, das aus Elementarmembranen besteht. Man bezeichnet die Gesamtheit dieser Membransysteme als endoplasmatisches Retikulum (. Abb. 1.19).

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Übersicht 1.15. Entstehung, Aufbau und Funktion der Ribosomen Entstehung:

Im Zellkern, Vorstufen im Nukleolus

Aufbau:

Verbindungen aus rRNA und Proteinen (Ribonukleoproteine), bestehend aus 2 Untereinheiten:

4 Prokaryoten und Mitochondrien: 50 S- und 30 S-Untereinheiten werden zu 70 S-Ribosomen zusammengesetzt

4 Eukaryoten: 60 S- und 40 S-Untereinheiten werden zu 80 S-Ribosomen zusammengesetzt Funktion:

Translationssysteme:

4 am endoplasmatischen Retikulum für exportable Proteine 4 im Zytoplasma für zelleigene Proteine

Aufgaben Das endoplasmatische Retikulum besitzt eine Reihe verschiedener Aufgaben: 4 Es grenzt eigene Stoffwechselräume im Zytoplasma ab, indem es das Zellinnere unterteilt (Kompartimentierung). 4 Es dient dem intrazellulären Stofftransport als Kanalsystem (Kanalisierung). 4 Es nimmt Aufgaben als Membrandepot zum Aufbau neuer Membranen wahr. 4 Es schafft durch eine Oberflächenvergrößerung günstige Bedingungen für enzymatische Reaktionen (Stoffwechsel). Das endoplasmatische Retikulum darf man sich jedoch nicht als festes, unveränderbares Gefüge vorstellen, sondern es ist in ständigem Umbau begriffen. So können durch Zusammenlagerung von Untereinheiten, je nach den momentanen Bedürfnissen und Gegebenheiten der Zelle, neue Stoffwechselräume geschaffen, andere aufgelöst werden.

Formen Nach elektronmikroskopischen Untersuchungen kann man zwei Formen des endoplasmatischen Retikulums unterscheiden, 4 das raue endoplasmatische Retikulum (granuläres ER), 4 das glatte endoplasmatische Retikulum (agranuläres ER).

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. Abb. 1.19. Elektronenmikroskopische Aufnahme des rauen endoplasmatischen Retikulums. Vergrößerung 1:30.000 (nach Nelson et al. 1970)

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Die beiden Formen können ineinander übergehen und müssen daher als Teile eines Systems, nicht als zwei verschiedene Systeme, angesehen werden. Wie hoch der Anteil der beiden Formen an diesem System ist, hängt stark von der Stoffwechsellage der entsprechenden Zellen ab, sodass bei unterschiedlicher Funktionslage jeweils ein anderer Anteil überwiegt. Raues endoplasmatisches Retikulum Proteinbiosynthese. Das raue endoplasmatische Retikulum ist an der zyto-

plasmatischen Seite mit Ribosomen besetzt. Hier ist der Ort der Synthese von sekretorischen, lysosomalen und Membranproteinen. In Zellen, in denen große Mengen von Proteinen synthetisiert und sezerniert werden, wie den enzymproduzierenden Zellen des Darmtrakts oder den insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse, wird ein besonders gut entwickeltes raues endoplasmatisches Retikulum angetroffen. Besonders dicke Lagen von endoplasmatischem Retikulum bewirken eine Basophilie, d.h. eine mit basischen Farbstoffen einfärbbare Zone in der Zelle. Dieser basophile Anteil des Zellplasmas wird Ergastoplasma genannt. Man findet es in Drüsenzellen oder als Nissl-Schollen in Nervenzellen. Allerdings ist nur etwa die Hälfte aller Ribosomen einer Zelle an das endoplasmatische Retikulum gebunden. So werden Histone und ribosomale Proteine an frei im Zytosol liegenden Ribosomen synthetisiert. Auch die Mitochondrien (7 Kapitel 1.2.9) besitzen ihre eigenen mitochondrialen Ribosomen. Signalpeptide. Nun benötigt die Zelle noch einen Mechanismus, um zu unter-

scheiden, welche Proteine am endoplasmatischen Retikulum produziert werden und welche an freien Ribosomen. Auf Ebene der mRNA gibt es für sekretorische Proteine eine spezifische Signalsequenz. Diese kodiert für 15 bis 20 überwiegend hydrophobe Aminosäuren, die sich bei der Polypeptidkette des entsprechenden Proteins am NH2-terminalen Ende wieder finden. Direkt nach Synthetisierung dieser Sequenz am Ribosom bindet ein Signalerkennungspartikel (SRP: signal recognition particle) aus dem Zytosol das Ribosom mit Hilfe von Rezeptoren an die Membran des endoplasmatischen Retikulums. Danach löst sich der SRP wieder ab und das Ribosom wird an einen Translokationskomplex aus drei Transmembranproteinen gebunden. Diese bilden einen Tunnel, in den die wachsende Polypeptidkette hineingeführt wird, sodass die Polypeptidkette direkt in das Lumen des endoplasmatischen Retikulums »hineinwächst«. Dort wird die Signalsequenz nach Fertigstellung der Kette

43 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

wieder abgespalten, das Protein kann gefaltet und transportiert werden. Das nun freie Ribosom wandert wieder ins Zytosol. Dagegen sind Proteine, welche für das endoplasmatische Retikulum selbst synthetisiert werden, am C-terminalen Ende durch eine besondere Aminosäuresequenz markiert. Transportfunktion. Neben der Proteinbiosynthese in den Ribosomen hat das endoplasmatische Retikulum noch Transportaufgaben. Hierzu werden die Proteine in Membranen verpackt. Glattes endoplasmatisches Retikulum

Das glatte endoplasmatische Retikulum dient 4 der gerichteten Leitung von Lösungen, 4 der Speicherung verschiedener Stoffe, 4 der Synthese und dem Einbau von Membranphospholipiden, 4 der Synthese von Steroidhormonen, 4 der Entgiftung von Arzneimitteln und schädlichen Substanzen, die durch den Stoffwechsel produziert werden. Ionenspeicher. Das glatte endoplasmatische Retikulum der Muskelzellen, das

sarkoplasmatische Retikulum, speichert Ca2+-Ionen. Seine Membranen enthalten eine Ionenpumpe, die die Ca2+-Konzentration im Inneren der Zisternen auf das 1.400fache der Außenkonzentration hochpumpen kann. Bei Erregung des sarkoplasmatischen Retikulums steigt die Ca2+-Permeabilität sprunghaft an, die Ca2+-Ionen werden ins Zytoplasma der Muskelzelle freigegeben, dies führt schließlich zur Kontraktur der Muskelzelle. Hormonsynthese. Im glatten endoplasmatischen Retikulum der Zwischenzel-

len des Hoden wird als wichtigstes Steroidhormon das männliche Sexualhormon Testosteron gebildet. In den Follikelzellen der Eierstöcke entstehen Östrogene. In den Zellen des Corpus luteum wird Progesteron gebildet. Die Zellen der Nebennierenrinde sind Produzenten von Kortikoiden und Aldosteron. Stoffwechsel. Weiterhin finden wir im glatten endoplasmatischen Retikulum

das Enzym Glukose-6-Phosphatase, das Glukose-6-Phosphat zu Glukose umwandelt. Diese Reaktionen, die in Darm, Leber und Nieren ablaufen, werden als Glukoneogenese bezeichnet und entsprechen prinzipiell einer Umkehrung

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

der Glykolyse. Die Glukoneogenese stellt bei Kohlenhydratmangel die Versorgung des Organismus mit Glukose sicher. Entgiftung. Das glatte endoplasmatische Retikulum hat auch die Aufgabe der Detoxifikation von körperfremden Substanzen (Xenobiotika). Leberzellen besitzen das stark oxidative Enzym Cytochrom P 450. Dieses entgiftet Fremdstoffe, indem es die Stoffe wasserlöslich macht, sodass sie über die Nieren ausgeschieden werden können (. Übersicht 1.16). . Übersicht 1.16. Funktionen des endoplasmatischen Retikulums Generelle Funktionen:

Kompartimentierung, Kanalisierung, Stoffwechsel, Membrandepot

Spezielle Funktionen:

Raues endoplasmatisches Retikulum

Glattes endoplasmatisches Retikulum

Synthese von Proteinen (z.B. Kollagen, Peptidhormone, enzymatische Proteine, Membranproteine)

Transport von Lösungen

Glykosylierung

Speicherung von Stoffen (Ionen)

Hydroxylierung

Synthese von Membranphospholipiden und Steroidhormomen Glukoneogenese Detoxifikation

Besonders in sekretorischen Zellen

Zellen von Darm, Leber, Talgdrüsen, Nebennierenrinde, steroidhormonproduzierende Zellen der Gonaden

Vorkommen:

Als Nissl-Schollen in Nervenzellen

Klinik Hepatorenale Glykogenose Der angeborene Defekt des Enzyms Glukose-6-Phosphatase führt zu einer speziellen Form von Glykogenspeicherkrankheit, der hepatorenalen Glykogenose. Dabei findet sich das Glykogen in Leber und Nieren angereichert. Die klinischen Folgen davon sind u.a. Hypoglykämie, Hyperlipämie, Gicht und Kleinwuchs.

45 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

1.2.6 Golgi-Apparat

Ein Bestandteil aller Zellen ist der Golgi-Apparat (. Abb. 1.20). Er kann in einer Zelle einzeln oder mehrfach vorkommen. Der Aufbau des Golgi-Apparats ist stapelförmig. Ein in sich geschlossenes Paar von glatten Membranen bildet eine Golgi-Zisterne. Ein Stapel mehrerer flach aufeinandergeschichteter Membranen bildet die funktionelle Einheit des Golgi-Apparats: das Diktyosom. Je nach Zelltyp kann die Zahl dieser Golgi-Stapel stark variieren. Manche Zellen enthalten nur einen großen Stapel, in anderen finden sich Hunderte kleiner Stapel. Die Membranen des Golgi-Apparats werden ständig vom endoplasmatischen Retikulum nachgeliefert, wobei die Diktyosomen einen polaren Aufbau zeigen. Sie besitzen nämlich eine konvexe Bildungsseite, an der sie aus dem endoplasmatischen Retikulum neu aufgebaut werden. Diese unreife Seite, die auch dünner ist, wird cis-Seite genannt. Die gegenüberliegende konkave trans-Seite ist die Abgabeseite oder reife Seite und ist zur Plasmamembran gerichtet.

Cis-trans-Golgi-Netzwerk Die jeweils äußerste Zisterne auf beiden Seiten des Golgi-Apparats ist an ein komplexes Netzwerk angeschlossen. Dieses besteht aus membranösen Anteilen und miteinander verbundenen Röhren und Vesikeln. Vom endoplasmatischen Retikulum ausgehend gelangen lösliche Proteine und Membranteile mittels Transportvesikel in das cis-Golgi-Netz. Die Proteine durchqueren in diesen Vesikeln den Stapel aufeinanderfolgender Zisternen, wobei sich die Vesikel jeweils von einer Zisterne abschnüren und mit der nächsten verschmelzen. Schließlich verlassen die Proteine über das trans-Golgi-Netz den GolgiApparat. Sie wandern entweder in Richtung Zelloberfläche oder in andere Zellkompartimente. Sortierung und Modifikation von Proteinen

Man nimmt an, dass dieses cis-, Mittel- und trans-Golgi-Netzwerk für das Sortieren der Proteine wichtig ist. Proteine, die ins cis-Golgi-Netz gelangen, werden entweder weitergeleitet oder an das endoplasmatische Retikulum zurückgeschickt. Nach der Passage des trans-Golgi-Netzes sind Proteine beispielsweise dahingehend sortiert, ob sie für Lysosomen (7 Kapitel 1.2.7) bestimmt sind oder an die Zelloberfläche exportiert werden.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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. Abb. 1.20. Zwei Zisternenstapel des Golgi-Apparats. Vergrößerung 1:49.000 (nach Dauwald 1971)

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Der Golgi-Apparat ist aber nicht nur Sortier- und Durchgangsstation für Proteine, sondern in ihm wird auch eine Vielzahl kovalenter Modifikationen vorgenommen. Er ist also der Ort von posttranslationalen Modifikationen. So erfolgt die Synthese von O-gebundenen Kohlenhydratseitenketten im GolgiApparat durch Übertragung von Zuckern auf hydroxylierte Aminosäuren (Serin oder Threonin). Dabei wächst das Oligosaccharid an der Polypeptidkette, wobei als Donator für Zuckermonomere z.B. UDP-N-Acetylgalaktosamin, UDP-Galaktose und CMP-N-Acetylneuraminsäure dient. Es werden also im Gegensatz zu N-gebundenen Zuckern keine fertigen großen Strukturen übertragen. Auch die Sulfatisierung findet teilweise im Golgi-Apparat statt. Die Kohlenhydratseitenketten von Glykoproteinen, insbesondere von solchen der extrazellulären Matrix, werden mit Sulfatgruppen versehen, andere Proteine werden an Tyrosinresten sulfatisiert. Proteine wie Albumin und Insulin erreichen den Golgi-Apparat in Form von Proproteinen. Es werden Polypeptidketten abgespalten. Ein Beispiel hierfür ist das Herausschneiden des C-Peptids aus Proinsulin. Auch Kohlenhydratketten der Glykoproteine erhalten im Golgi-Apparat Strukturumwandlungen. Im cis-Golgi-Netz werden drei Mannoseeinheiten von den N-gebundenen Man 7(GlcNAc)2 -Oligosacchariden entfernt, und im trans-Golgi-Netz werden dann wieder neue Zucker angeheftet, nämlich NAcetylneuraminsäure, N-Acetylglukosamin, Galaktose und Fukose. Als Erkennungssignal für Glykoproteine, die zu den Lysosomen transportiert werden sollen, dient ein Mannose-6-Phosphatrest. Hierzu werden N-gebundene Oligosaccharide in Position 6 einer Mannoseeinheit phosphoryliert. Im trans-Golgi-Netzwerk binden diese dann an einen membranständigen Mannose-6-Phosphat-Rezeptor (M-6-Rezeptor), der den Transportweg in die Lysosomen sicherstellt. Ist dieser Phosphorylierungsweg, der in mehreren Schritten erfolgt, gestört, kommt es beim Menschen zur unten angesprochenen Mukolipidose Typ II (. Übersicht 1.17). Proteine, die eine N-gebundene Mannose-6-phosphathaltige Kohlenhydratseitenkette besitzen, kommen mit dem Mannose-6-Phosphat- Rezeptor in Vesikeln, die von dem nachfolgend besprochenen Clathrin ummantelt sind, fusionieren mit Endosomen und werden zu den Lysosomen transportiert. Proteine ohne Mannose-6-phosphatgruppe werden über Exozytose an den Extrazellulärraum abgegeben. Bildung von Membranvesikeln

Vesikel, die sich von einer Membran abschnüren, tragen in der Regel eine charakteristische Proteinhülle. Man bezeichnet sie als coated vesicles. Man kennt

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Übersicht 1.17. Golgi-Apparat und seine Funktion Entstehung

Aus dem endoplasmatischen Retikulum

Aufbau

Mehrere Golgi-Zisternen bilden ein Diktyosom Mehrere Diktyosomen bilden einen Golgi-Komplex Polarer Aufbau mit cis-Seite (unreife Seite) und trans-Seite (Abgabeseite)

Funktion

Glykosylierung von Proteinen und Lipiden Anbau von Sulfaten an Proteine Anheftung von Fettsäuren Phosphorylierung von lysosomalen Proteinen Transport von Membran- und Sekretproteinen Bildung verschiedener funktionell unterschiedlicher Membranvesikel, wie Sekretgranula zur Exozytose Beteiligung bei der Lysosomenproduktion Membranregeneration Aufrechterhaltung des Membranflusses

mittlerweile mehrere Klassen von coated vesicles. COPII-coated vesicles transportieren Substanzen »vorwärts« vom endoplasmatischen Retikulum durch das Kompartiment zwischen endoplasmatischem Retikulum und Golgi-Apparat zum Golgi-Apparat. Dabei ist COP die Abkürzung für coated proteins. COPI-coated vesicles transportieren umgekehrt vom Golgi-Apparat zurück zum endoplasmatischen Retikulum. Hier sind sieben verschiedene Proteine (Coatomere) bekannt. Sie transportieren auch vom trans-Golgi-Netzwerk zum cis-Golgi-Netzwerk. Clathrin-coated vesicles transportieren Substanzen vom trans-Golgi-Netzwerk zu Endosomen und Lysosomen. Außerdem dienen sie im Rahmen der Endozytose dem Substanztransport von der Plasmamembran zu den Kompartimenten im Zytoplasma (7 unten). Auch sind sie beteiligt am Abtransport aus Endosomen und Lysosomen.

Membranvermittelte Transportvorgänge Neben den bisher beschriebenen Transportvorgängen gibt es noch weitere Einbzw. Ausschleusmechanismen, die dazu dienen, vor allem größere feste Partikel und Lösungströpfchen zu transportieren. Die Membran kann nämlich durch Ein- und Ausbau weiterer Glieder rasch wachsen und wieder zerfallen.

49 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Klinik Diabetes mellitus Durch eine gestörte Funktion von rauem endoplasmatischem Retikulum und Golgi-Apparat kommt es zu einer mangelhaften Umwandlung von Proinsulin in Insulin in den Insulin produzierenden, sekretorischen Zellen des Pankreas (β-Zellen der Langerhals-Inseln). Dadurch kommt es zum klinischen Bild des Diabetes mellitus (bezüglich der Einzelheiten sei auf Lehrbücher der Biochemie verwiesen).

Mukolipidose II Ein weiteres Beispiel für eine Funktionsstörung des Golgi-Apparats ist die Mukolipidose Typ II (I-Zellen-Krankheit). Bereits im cis-Golgi-Netzwerk erhalten Glykoproteine, die zu den Lysosomen transportiert werden sollen, eine bestimmte Mannose-6-Phosphatgruppe. Störungen in der Phosphorylierung der Mannose führen dazu, dass die Lysosomen die benötigten lysosomalen Enzyme nicht mehr erhalten. Stattdessen werden sie in Vakuolen im Zytoplasma gespeichert, was zu diesem Krankheitsbild führt.

So können durch Einschluss in bläschenförmige Abschnürungen Stoffe in Membranvesikeln in die Zelle transportiert oder aus ihr entfernt werden. Beim Transport in die Zelle spricht man von Endozytose. Werden geformte Bestandteile (Sekretgranula, Hormone, Exkrete) von der Zelle in das umgebende Medium abgegeben, so benutzt man den Begriff Exozytose. Bei der Endozytose unterscheidet man zwischen der Aufnahme geformter Partikel, die man als Phagozytose bezeichnet. Das Einbringen von echt oder kolloidal gelösten Substanzen wird als Pinozytose bezeichnet (. Abb. 1.21). Exozytose Konstitutive Exozytose. Aus dem trans-Golgi-Netz schnüren sich ständig Ve-

sikel ab, sodass ein konstanter Fluss zur Plasmamembran besteht. Diese konstitutive Exozytose befördert ständig Proteine, die ausgeschieden werden sollen, zur Zelloberfläche. Dieser Vorgang der Sekretion führt dazu, dass die freigesetzten Moleküle sich teilweise an der Zelloberfläche anheften können, andere wandern in die extrazelluläre Matrix (7 Kapitel 1.2.1) und wieder andere diffundieren als Nahrung oder als Signal für andere Zellen in extrazelluläre Flüssigkeiten.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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. Abb. 1.21. Transportmechanismen

Da alle Vesikel membranverpackt sind, werden durch die Verschmelzung der Vesikel mit der Plasmamembran ständig neu hergestellte Lipide und Proteine als Baumaterial für die Plasmamembran zur Verfügung gestellt. So kann die Plasmamembran wachsen, was von Bedeutung ist, wenn die Zelle sich beispielsweise in Vorbereitung der Teilung vergrößern muss. Dabei unterliegt der gesamte Prozess zwei Voraussetzungen: 4 die Vesikelmembran muss die Plasmamembran erkennen, 4 die beiden Membranen müssen fusionieren.

51 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Hier scheinen Rezeptoren eine Rolle zu spielen, die für das Andocken und die Fusion verantwortlich sind und sich als transmembrane Rezeptoren sowohl auf der Vesikelmembran als auch auf der Plasmamembran befinden. Beispiele für die konstitutive Exozytose sind die Brustdrüsenzellen oder die der Schweißdrüsen. Durch Abschnürung von Vesikeln oder Abspaltung von ganzen Zellteilen (Apozytose) werden die Milchfetttropfensekretion und die Duftsekretion bewerkstelligt. Regulierte Exozytose. Zusätzlich zu der in allen Eukaryoten ständig ablaufen-

den konstitutiven Exozytose weisen Zellen, die auf die Sekretion spezialisiert sind, die regulierte Exozytose auf. In diesen Zellen werden große Mengen bestimmter Verbindungen, wie beispielsweise Hormone, Enzyme oder Schleim, produziert und in sekretorischen Vesikeln gespeichert. Diese Vesikel sammeln sich dann in der Nähe der Plasmamembran und werden erst nach einem externen Signal ausgeschüttet. Als Beispiel seien hier die Pankreaszellen erwähnt, die nach Anstieg des Blutzuckers (Signal) Insulin ausschütten. Proteine, die für den sekretorischen Weg bestimmt sind, haben durch die ionischen Bedingungen, die im trans-Golgi-Netz herrschen (saurer pH-Wert und hohe Ca2+-Konzentration), die besonderen Oberflächeneigenschaften, sich zusammenlagern zu können. Diese selektive Aggregation ermöglicht ein Verpacken von sekretorischen Proteinen in Vesikel mit einer bis zu 2.000mal höheren Konzentration als im Golgi-Lumen. Dies erlaubt den Zellen nach entsprechendem Signal die sofortige Ausschüttung einer großen Menge des entsprechenden Proteins. Proteine, die auf dem konstitutiven Weg ausgeschieden werden, lagern sich dagegen nicht zusammen. Ausschleusung von Viren. Als besondere Form der Exozytose kann die Aus-

schleusung von Viruspartikeln betrachtet werden, nämlich dann, wenn sie als aktive Leistung der Wirtszelle erfolgt und nicht über eine Lyse der ganzen Zelle. Mineralisation. Auch für die Mineralisation von Knochen sind von einer Phospholipidmembran umschlossene Matrixvesikel verantwortlich, die Calcium in Komplexbildung mit basischen Proteinen oder Phospholipiden und darüber hinaus auch Pyrophosphatase und alkalische Phosphatase enthalten. Die Matrixvesikel werden auf den Kollagenfasern verankert, und ihr Inhalt kristallisiert aus. Hierfür ist ein Protein aus der Gruppe der Annexinproteine verantwortlich, welches in den Matrixvesikeln vorhanden ist. Annexine binden an Phospholipide in der Gegenwart von Calcium.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Klinik Tetanus und Botulismus Das Bakterium Clostridium tetani produziert das Tetanustoxin, das die Exozytose von Neurotransmittern aus Neuronen hemmt. Dies geschieht durch eine Bindung an das bei der Neurotranmitterausschüttung beteiligte Synaptobrevin mit der Folge einer proteolytischen Spaltung. Dadurch wird die Ausschüttung von Neurotransmittern an inhibitorischen Synapsen der spinalen Motoneuronen gehemmt, wodurch die Signalübertragung für die Hemmung der Motoneurone blockiert ist. Als Folge tritt eine spastische Lähmung mit tonisch-klonischen Krämpfen auf. Das Botulinumtoxin wird durch Clostridium botulinum produziert. Bei einer Vergiftung wird die Verschmelzung acetylcholinhaltiger synaptischer Vesikel mit der synaptischen Membran gestört. Hierdurch wird die Acetylcholinfreisetzung z.B. an der motorischen Endplatte gehemmt, schlaffe Lähmungen sind die Folge.

Endozytose

Mit Hilfe der Endozytose können Verbindungen intrazellulär lokal und selektiv angereichert werden. Sie ist somit die Umkehrung der Exozytose. Durch die Verlagerung von Rezeptormolekülen an die Zellmembran können Substanzen in höherer Konzentration aufgenommen werden (spezifische Endozytose). Diese Zellmembranregionen stehen mit intrazellulären Aktinfilamenten (7 Kapitel 1.2.10) in Verbindung. Der erste Schritt der Endozytose ist eine Einstülpung der Zellmembran (coated pit). Diese Einstülpung wird immer größer und wird schließlich als Membranvesikel (Endosom) in das Innere der Zelle abgegeben. Die membranumschlossenen endozytierten Substanzen sehen im Elektronenmikroskop wie ummantelte Vesikel aus. Man bezeichnet sie daher auch als coated vesicles. Sie entsprechen einer Ansammlung von Komplexen aus Rezeptoren mit ihrer spezifischen Substanz. Im Querschnitt besitzt die Ummantelung an ihrer Außenseite einen Kranz regelmäßiger Stäbchen oder Zacken. Diese stammen von der ursprünglichen Membraninnenseite und bestehen häufig, zumindest ist dies am besten untersucht, aus dem Protein Clathrin, das wie ein Korbgeflecht die Vesikel umgibt (. Abb. 1.22). Dabei spielt Clathrin selbst bei der Auswahl und Aufnahme der spezifisch zu befördernden Moleküle keine Rolle. Diese Aufgabe übernimmt eine zweite Klasse von Hüllproteinen

53 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.22. Endozytose, rezeptorvermittelte Bindung von Molekülen an der Membranaußenseite durch Rezeptoren und Abschnürung von coated vesicles, die von Clathringeflecht umgeben sind

in den clathrinbedeckten Vesikeln, die Adaptine. Sie binden einerseits die Clathrinhülle an die Vesikelmembran, andererseits sind sie an der Auswahl der zu transportierenden Moleküle beteiligt. Adaptine unterstützen das Einfangen der zu transportierenden Frachtmoleküle, indem sie den Frachtmolekül-Frachtrezeptor-Komplex binden, und die so ausgewählten Frachtmoleküle werden in das Lumen der neugeformten, clathrinbedeckten Vesikel eingegliedert. Dabei gibt es wenigstens zwei Arten von Adaptinen, nämlich solche, die Frachtrezep-

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

toren der Plasmamembran binden, also an der Endozytose beteiligt sind und solche, die intrazellulären Transportvorgängen dienen und Frachtrezeptoren im Golgi-Apparat binden. Sekunden nach der Aufnahme verlieren diese Vesikel ihre Ummantelung und fließen mit anderen intrazellulären Vesikeln zusammen. Dabei kann man bei den Endosomen zwei Gruppen unterscheiden. Frühe Endosomen liegen an der Zellperipherie, späte Endosomen eher in der Nähe des Zellkerns. Man kann beide anhand ihrer Schwimmdichte unterscheiden, mit deren Hilfe man sie in einem Dichtegradienten in unterschiedlichen Fraktionen isolieren kann, anhand ihres pH-Wertes und ihrer Proteinzusammensetzung. Die Rezeptoren, die endozytotisch aufgenommen werden, werden in Vesikeln zu einem frühen Endosom verbracht, welches als Sortierstation dient. Hier werden die Rezeptoren und die Frachtmoleküle in der saueren Umgebung der Endosomen getrennt. Die Rezeptoren reichern sich dann in besonderen, röhrenförmigen Bereichen der frühen Endosomen an, die als Recyclingzentren dienen. Mit Vesikeln, die sich von diesen Röhren abschnüren, werden die Rezeptoren wieder an die Plasmamembran transportiert, wo sie an einem weiteren Endozytosezyklus teilnehmen können. Die freigesetzten Frachtmoleküle reichern sich in einem anderen Sortierkompartiment an und werden an ein spätes Endosom weitergegeben. Schließlich gelangen sie in ein Lysosom, wo dann die letzte chemische Abwandlung stattfindet. Transport durch Endozytose. Auch bei der Cholesterolaufnahme der Zelle

über low-density-Lipoproteine (LDL), der Transportform des an Proteine gebundenen Cholesterols im Blut, sind coated vesicles beteiligt. Nach der Endozytose wird das Cholesterol im Vesikel über eine Substrat-Rezeptor-Bindung konzentriert. Bei der familiären Hypercholesterinämie ist diese Konzentration durch ein defektes Gen für das LDL-Rezeptorprotein gestört. Die Endozytose ist behindert, LDL sammelt sich im Blut an, dies führt letztlich zur Einlagerung in der Gefäßwand bei Arteriosklerose. Bei der Eisenaufnahme in die Zelle mittels Endozytose spielt das Glykoprotein Transferrin eine Rolle, das zwei Atome 3-wertigen Eisens binden kann. Das Protein ist für den Eisentransport im Plasma verantwortlich, wobei die Aufnahme in die Zelle durch einen Tranferrinrezeptor vermittelt wird, der zusammen mit Transferrin die Aufnahme von Eisen bewerkstelligt. Durch Viren wird die rezeptorvermittelte Endozytose missbraucht: so erhält z.B. das Influenzavirus auf diese Weise Zutritt zu den Zellen.

55 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Wiedergewinnung der Rezeptoren. Bleibt noch zu beantworten, wie letztlich

die Rezeptoren recycled werden. Im Inneren der Endosomen liegt ein saureres Milieu vor als im umgebenden Zytosol oder in der extrazellulären Flüssigkeit. Unter diesen Bedingungen dissoziiert der Rezeptor vom Substrat. Der Rezeptor wird dann in Transportvesikeln zur Plasmamembran zurückgebracht und kann dort wiederverwendet werden. Dies ist auch beim LDL-Rezeptor der Fall. Das LDL wird in den Lysosomen abgebaut (7 Kapitel 1.2.7). Andere Rezeptoren werden nicht zur Plasmamembran zurückgebracht, sondern ebenfalls in den Lysosomen verdaut. Phagozytose

Die Endozytose von großen Partikeln ist die Aufgabe spezifischer Phagozytosezellen, die eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Bakterien spielen. Treffen die Membranrezeptoren dieser amöboid beweglichen Fresszellen (Monozyten, Makrophagozyten und Granulozyten) auf ein Bakterium, das mit speziellen Antikörpern beladen ist, so verbinden sie sich mit diesen Antikörpern. Die Zellmembran der Fresszelle umschließt das Bakterium (Phagosom), das mit Hilfe von Hydrolasen aus den Lysosomen verdaut wird. So finden sich an Entzündungsherden große Mengen solcher Phagozyten. Transzytose

Häufig müssen auch Verbindungen, vor allem Flüssigkeiten, durch Zellen hindurchgeschleust werden. Dies trifft vor allem für Zellen zu, die durch Flüssigkeitsschichten von anderen Geweben getrennt sind. Dabei handelt es sich gewissermaßen um die Kombination von Endozytose und Exozytose, für die man den Begriff Transzytose eingeführt hat. Als Sonderform der Transzytose sollen hier die Caveolae erwähnt werden. Es wurde bereits beschrieben, dass die Endozytose mit der Ausbildung einer Einstülpung der Zellmembran beginnt, wobei es bei der Anlagerung von Clathrinmolekülen zur Ausbildung einer clathrinummantelten Grube (coated pit) kommt. Diese Strukturen mit einem Durchmesser von 50-100 nm können auch durch ein Gerüst aus Caveolinprotein auf zytoplasmatischer Seite stabilisiert werden. Man bezeichnet sie dann als Caveolae. Auch in ihnen sind bestimmte Rezeptorproteine angereichert und sie haben Transportfunktion, sowohl bei der Endozytose als auch bei der Transzytose.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

1.2.7 Lysosomen

Lysosomen sind Zellorganellen, die von einer Einheitsmembran umhüllt sind, die zahlreiche freie oder membrangebundene Enzyme umschließen, vor allem aber saure Hydrolasen und Phosphatasen. All diese Enzyme arbeiten in den Lysosomen unter sauren Bedingungen bei einem pH-Wert zwischen 4,5 und 5. Die Lysosomenmembran bewahrt das Zytosol, dessen pH-Wert bei etwa 7,2 liegt, vor diesen zerstörerischen Enzymen. Auch sonst zeigt die Lysosomenmembran einige Besonderheiten. Sie besitzt Transportproteine, um die Abbauendprodukte wie Aminosäuren und Zucker ins Zytosol zu transportieren, um sie weiter zu verwenden oder auszuscheiden. Weiterhin ist eine membranständige Protonenpumpe vorhanden, die H+-Ionen von außen nach innen pumpt. Diese garantiert das saure Milieu in den Lysosomen. Bei Gicht und Silikose kann die Lysosomenmembran durch Harnsäure bzw. Silikatkristalle geschädigt werden. Die dadurch bedingte Freisetzung von lysosomalen Enzymen führt zu Entzündungsreaktionen.

Intrazelluläre Verdauung Die Lysosomen sind maßgeblich an intrazellulären Verdauungsvorgängen beteiligt, wobei das zu verdauende Material sowohl intrazellulärer als auch extrazellulärer Herkunft sein kann. Dabei sind die Lysosomen zugleich Müllabfuhr, Recyclingstation und Deponie. Die Verdauungsenzyme und lysosomalen Membranproteine werden im endoplasmatischen Retikulum synthetisiert und im Golgi-Apparat zum transGolgi-Netz transportiert. Vorher werden sie, wie erwähnt, mit einer speziellen phosphorylierten Zuckergruppe, dem Mannose-6-Phosphat etikettiert, damit sie im trans-Golgi-Netz von einem geeigneten Rezeptor, dem Mannose-6Phosphat-Rezeptor, erkannt werden können. Durch dieses Signal werden sie sortiert, in Transportvesikel verpackt und über Endosomen zu den Lysosomen verbracht. Einteilung der Lysosomen

Lysosomen entstehen aus Diktyosomen des Golgi-Apparats. Dabei bezeichnet man Lysosomen, die noch nicht mit phagozytiertem Material zur Verdauung zusammengeflossen sind, als primäre Lysosomen. Nach dem Zusammenfließen mit dem zu verdauenden Material (Phagosomen) bezeichnet man sie als sekundäre Lysosomen.

57 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.23. Sekundäres Lysosom, das zelleigene Mitochondrien zum Abbau enthält (nach Kleinig u. Sitte 1992)

Weiterhin kann man zwischen Autophagolysosomen (. Abb. 1.23) und Heterophagolysosomen unterscheiden. Autophagolysosomen verdauen von der Zelle selbst gebildetes Material (z.B. Mitochondrien, Ribosomen, Membranteile und überschüssige Hormonvesikel). Man bezeichnet dies als Autophagie, ein Prozess, der bei der Erneuerung von Zellstrukturen eine wichtige Rolle spielt. Autophagie kann aber auch ein Prozess der Energiegewinnung für die Zelle sein. In Leberzellen von Säugetieren durchläuft etwa alle zehn Minuten ein Mitochondrium die Autophagie. Tritt ein Nährstoffmangel auf, beobachtet man diesen Vorgang wesentlich häufiger. Die Zellen verschaffen sich Energie zum Lebensunterhalt, indem sie die eigenen Organellen zerstören. Heterophagolysosomen wie beispielsweise die Granula der neutrophilen Granulozyten bauen dagegen zellfremdes, phagozytiertes Material ab (. Übersicht 1.18). Da Lysosomen keine Lipasen (fettspaltenden Enzyme) besitzen, können die Lipide von Membranresten nicht abgebaut werden. Solche Restkörper (Residualkörper oder Telolysosomen) kommen besonders häufig in Leber-, Herzmuskel- und Nervenzellen vor. Sie besitzen eine braune Farbe, ihre Zahl nimmt mit zunehmendem Alter zu. Man bezeichnet sie als Lipofuszin oder Alterspigment. Spezielle Funktionen

Lysosomale Enzyme aktivieren auch Enzyme und Hormone. So werden inaktive Vorstufen von Hormonen enzymatisch in aktive Formen überführt. Dieses

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Übersicht 1.18. Einteilung der Lysosomen Entstehung:

Diktyosomen des Golgi-Apparats

Formen: 4 Primäre Lysosomen

Nicht mit phagozytiertem Material zusammengeflossen

4 Sekundäre Lysosomen

Mit phagozytiertem Material (Phagosomen) zusammengeflossen

4 Autophagolysosomen

Abbau zelleigenen Materials

Rückgewinnung verwertbaren Materials

4 Heterophagolysosomen

Abbau zellfremden Materials

Einschluss nicht abbaubarer Reste in Restkörper

Aufgabe:

Verdauung von zelleigenem und zellfremdem Material mit ca. 40 lysosomalen Enzymen Hydrolytische Spaltung von Makromolekülen

trifft z.B. für das Schilddrüsenhormon Thyreoglobulin zu, das in Tri- und Tetrajodthyronin überführt wird. Lysosomale Enzyme sind auch in der Lage Knorpel und Knochen abzubauen. Sie spielen sowohl beim organischen Zelltod als auch beim entwicklungsbedingten Zellabbau eine Rolle. So garantieren sie die Rückbildung des Uterus nach der Schwangerschaft, die Beseitigung unbefruchteter Eizellen, Umbauvorgänge von Müller- und Wolff-Gang etc. Auch das Akrosom des Spermiums stammt ursprünglich von einem Lysosom ab. Die Akrosomenreaktion, die durch die Freisetzung von Hyaluronidase dem Spermium seinen Weg durch die Zona pellucida zum Ei und sein Eindringen ermöglicht, ist letztlich eine lysosomale Reaktion.

Klinik Erkrankungen durch Defekte lysosomaler Enzyme Eine Reihe genetisch bedingter Defekte lysosomaler Enzyme führen zu zahlreichen unterschiedlichen Krankheitsbildern: dies sind die Mukopolysaccharidosen, die Oligosaccharidosen, die Mukolipidosen, die Sphingolipidosen mit Tay-Sachs-Krankheit, Niemann-Pick-Kranheit Typ I und GaucherKrankheit sowie die Lipidspeicherkrankheiten. Lysosomale Transportdefekte

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59 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

und lysosomale Speicherkrankheiten sind die Ursache für die Glykogenose II und die Zystinose.

Mukopolysaccharidosen Durch den Defekt verschiedener lysosomaler Enzyme werden Mukopolysaccharide im Urin ausgeschieden und in Lysosomen gespeichert. Träger dieser Erkrankung leiden an einem allmählich zunehmenden, mehr oder weniger grotesken Aussehen mit dicken Lippen, Gelenkkontrakturen, Minderwuchs, Hornhauttrübung, Leber- und Milzvergrößerung, Schwerhörigkeit und geistiger Retardierung. Der Vererbungsmodus ist für die meisten Formen autosomal-rezessiv, für eine Form X-chromosomal-rezessiv.

Glykogenose II Bei der Glykogenose II betrifft der Defekt die lysosomale 1,4-Glukosidase. Dadurch finden sich Glykogenspeicherungen in der hypertrophierenden Herzmuskulatur, in Leber, Niere, Schilddrüse, Milz und Skelettmuskulatur. Die Betroffenen sterben gewöhnlich vor Ende des ersten Lebensjahres.

Zystinose Bei der Zystinspeicherkrankheit erfolgt die Anreicherung der Aminosäure Zystin infolge der Blockierung ihres Abbaus in den Lysosomen von Knochenmark, Leber, Milz, Lymphknoten sowie der Niere und im Auge. Diese Erkrankung tritt in einer infantilen, juvenilen und benignen Form mit unterschiedlichen klinischen Folgen auf.

1.2.8 Peroxisomen

Ähnlich wie die Lysosomen sind auch die Peroxisomen (microbodies . Abb. 1.24) membranumschlossene Vesikel mit einem Durchmesser von 0,1 bis 1,0 µm. Ihr Inhalt ist homogen oder fein granuliert, oft findet man kristalline Einschlüsse in der Matrix. Microbodies sind multifunktionelle Organellen mit mehr als 50 Enzymen. Ihre Aufgabe ist etwa die Oxidation sehr langer Fettsäureketten (wie Prostaglandine und Leukotrine) und die Synthese von Plasminogenen, einer Gruppe von Phospholipiden, in denen eine der Fettsäu-

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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. Abb. 1.24. Elektronenmikroskopische Aufnahme verschiedener microbodies. Zwei von ihnen enthalten ein kristallines Zentrum (nach De Duve u. Baudhuin 1971)

ren über Etherbindung statt über Esterbindung mit Glyzerin verknüpft ist. Man findet sie häufig in Myelinscheiden der Axone im Gehirn. Weiterhin synthetisieren sie Steroide. Ihren Namen Peroxisomen tragen sie, weil in ihnen Wasserstoffperoxid (H2O2) synthetisiert und abgebaut wird. Die Synthese erfolgt mit peroxisomalen Enzymen wie der Urat-Oxidase, der Glykolat-Oxidase und der Aminosäureoxidase, die ihre Substrate mit molekularem Sauerstoff oxidieren. Der Abbau erfolgt schnell über das Enzym Katalase, welches in hoher Konzentration vorkommt.

61 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Peroxisomen entstehen ausschließlich durch Wachstum und Teilung aus vorhandenen Peroxisomen. Ursprünglich hatte man angenommen, dass Peroxisomen auch durch Ausknospung von Vesikeln vom endoplasmatischen Retikulum entstehen. Allerdings sprechen verschiedene Beobachtungen gegen dieses Modell. Alle Proteine müssen jedoch aus dem Zytosol importiert werden, da sie im Gegensatz etwa zu den Mitochondrien keine DNA enthalten. Die entsprechenden Proteine tragen ein Erkennungssignal, das wiederum ein Rezeptorprotein auf der Außenseite der Peroxisomen erkennt (. Übersicht 1.19). . Übersicht 1.19. Peroxisomen und ihre Funktion Entstehung:

Aus vorhandenen Peroxisomen

Inhaltsstoffe:

Enzyme, die Wasserstoffperoxid bilden (Urat-Oxidase, Glykolat-Oxidase, Aminosäureoxidase) und zu Wasser und Sauerstoff spalten (Katalasen)

Funktion:

Abbau von Wasserstoffperoxid, Oxidation langer Fettsäureketten, Synthese von Plasminogenen und Steroiden Beteiligung beim Lipidstoffwechsel und Abbau von Purinbasen

Vorkommen:

Besonders in Leber- und Nierenzellen

Klinik Störungen der Peroxisomen Funktionsuntüchtige Peroxisomen verursachen eine schwere genetische Erkrankung, das Zellweger-Syndrom (zerebrohepatorenales Syndrom). Das Syndrom führt zu schweren pathologischen Veränderungen wie extreme Muskelhypotonie mit schwachen Saug- und Schluckreflexen beim Säugling, sensoneurinale Schwerhörigkeit, Chorioretinopathie, Nierenzysten, epileptische Anfälle, Vergrößerung von Leber und Milz sowie psychomotorische Retardierung. Andere genetische Erkrankungen, die auf Störungen der Peroxisomen beruhen, sind die infantile Refsum-Krankheit und die neonatale Form der Adrenoleukodystrophie.

1.2.9 Mitochondrien

Die Mitochondrien (. Abb. 1.25) sind die »Kraftwerke« der Zelle. Sie werden in jeder Zelle angetroffen. Die Zahl der Mitochondrien pro Zelle und ihre Lage

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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c . Abb. 1.25 a-c. Aufbau eines Mitochondriums. a Räumliches Strukturschema. b Elektronenmikroskopische Aufnahme. Vergrößerung 1:53.000 (nach Nelson et al. 1970). c Replizierende mtDNA aus Rattenleberzellen. Pfeile bezeichnen die Replikationsgabeln (nach Wolstenhome et al. 1973)

63 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

hängt vom Zelltyp und der Zellfunktion ab. So finden wir z.B. Muskelzellen, in denen einige wenige Mitochondrien als verzweigtes System die Zellen durchziehen. In stoffwechselaktiven Leberzellen finden wir dagegen bis zu 5.000 Mitochondrien.

Aufbau Mitochondrien werden von zwei Elementarmembranen mit spezifischen Proteinen umgeben, einer äußeren Membran, die die Mitochondrien gegen die Umgebung abschließt, und einer inneren Membran. Äußere Membranen

Die äußere und die innere Membran sind in Aufbau und Eigenschaften sehr unterschiedlich. Die äußere Membran besteht zu etwa 50% aus Lipiden und enthält Enzyme, die an sehr unterschiedlichen Aktivitäten wie der Oxidation von Adrenalin, dem Abbau von Tryptophan und der Verlängerung der Fettsäuren beteiligt sind. Sie besitzt Homologien zu einer äußeren Membran, wie man sie bei bestimmten Bakterien als Bestandteil der Zellwand findet. Beide enthalten viele Moleküle des Transportproteins Porin. Dies sind integrale Proteine mit einem Kanal im Inneren, der von einer β-Faltblattstruktur umgeben ist. Die Porine können abhängig von den Bedingungen in der Zelle reversibel geschlossen werden. Bei geöffneten Porinkanälen ist die äußere Membran permeabel für ATP, NAD und Coenzym A, was für den Energiestoffwechsel des Mitochondriums essentiell ist. Innere Membran

Die innere Membran ist in Form von Röhren (Tubuli-Typ), Falten (CristaeTyp) oder in anderer Weise in den Innenraum (der Matrix) gefaltet. Dabei ist der Cristae-Typ der häufigste, seltener findet man den Tubuli-Typ (z.B. in Zellen der Nebennierenrinde). Die Faltung bewirkt eine reversible Vergrößerung der inneren Oberfläche. So entstehen zwei verschiedene Kompartimente: 4 Der Intercristaeraum zwischen den beiden Elementarmembranen und 4 der von der inneren Elementarmembran umschlossene Matrixraum. Die Innenmembran enthält mehr aus 100 verschiedene Polypeptide und besitzt ein sehr hohes Protein-Lipid-Verhältnis (etwa ein Proteinmolekül pro 15 Phospholipide). Es finden sich in ihr große Mengen des Phospholipids Cordiolipin (Diphosphatidylglyzerin). Dieses ist auch für die bakterielle Plasmamembran

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

charakteristisch, aus der wahrscheinlich die innere Mitochondrienmembran hervorgegangen ist. Sie ist im Gegensatz zur äußeren Zellmembran hochgradig impermeabel und praktisch alle Moleküle und Ionen benötigen spezielle Membrantransporter, um in die Matrix zu gelangen. Mehrere Proteine der inneren Mitochondrienmembran sind an der Aufnahme und Freisetzung von Calcium-Ionen beteiligt, welche bedeutende Auslöser für zelluläre Aktivitäten sind. Mitochondrien und das endoplasmatische Retikulum sind an der Regulation der Ca2+-Konzentration im Zytosol beteiligt. Die innere Mitochondrienmembran ist entscheidend für die bioenergetischen Aktivitäten des Mitochondriums. Die Strukturen beider Mitochondrienmembranen steuern die Wechselwirkungen von Komponenten, die für die ATP-Synthese benötigt werden. Matrixraum

Der Matrixraum ist gekennzeichnet durch einen außerordentlich vielfältigen Enzymgehalt und 2-6 zirkuläre DNA-Moleküle. Man bezeichnet diese DNA als mitochondriale DNA (mtDNA). Die mtDNA, bei menschlichen Zellen 16.569 Nukleotidpaare lang, umfasst 37 Gene und enthält die Erbinformation für 13 Proteine der Atmungskette, deren Synthese im Mitochondrium selbst abläuft. Weiterhin kodiert die mtDNA für 2 Arten von rRNA, die zusammen mit ribosomalen Proteinen die spezifischen mitochondrialen Ribosomen (70 Smt-Ribosomen) bilden. Schließlich kodiert die mtDNA noch 22 tRNA-Arten, die für die Synthese der mitochondrialen Proteine ausreichen. Somit sind die Mitochondrien in der Lage, sich unabhängig vom Zellzyklus zu vermehren. . Übersicht 1.20. Mitochondrien und ihre Funktion Entstehung:

Teilung und damit zytoplasmatische Vererbung

Aufbau:

1–5 µm lang 2 Elementarmembranen trennen Intercristaeraum und Matrixraum 2–6 zirkuläre DNA-Moleküle

Genetische Information:

mtDNA kodiert: 4 13 mitochondriale Proteine der Atmungskette 4 2 Arten von rRNA für mitochondriale Ribosomen 4 22 Arten von tRNA für mitochondriale Proteinsynthese

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65 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Funktion:

Atmungskette und damit verbundene Synthese von ATP (oxidative Phosphorylierung) Zitratzyklus Fettsäureabbau (β-Oxidation)

Vorkommen:

Angereichert in Zellen mit starkem Energieverbrauch, wie Herzmuskelzellen, Nierentubuli, Leberzellen, Spermien

ATP-Synthese. Mit der ATP-Synthese nehmen die Mitochondrien eine

zentrale Stellung im Stoffwechsel ein. Die verschiedenen Nahrungsstoffe werden zunächst im Zytoplasma abgebaut. Dabei entsteht eine relativ kleine Zahl von Stoffwechselzwischenprodukten, die in die Mitochondrien transportiert und dort oxidiert werden (Endoxidation). Die Enzyme der Endoxidation sind als Multienzymkomplex in der Atmungskette zusammengeschlossen. Diese Enzymkomplexe sind als Elektronen transportierende Partikel (Elementarkörperchen) auf der Innenseite der inneren Mitochondrienmembran sichtbar. Die Oxidation von H2 zu H2O ist an den Aufbau von ATP gekoppelt. In der Atmungskette sind an drei Stellen ATP-bildende Enzymkomplexe angehängt. An diesen Stellen wird durch den Elektronentransport Energie frei, die die Bildung von ATP aus ADP und Pyrophosphat ermöglicht. Wegen der funktionellen Verknüpfung der biologischen Oxidation mit dem ATP-Aufbau wird dieser Vorgang auch als oxidative Phosphorylierung bezeichnet. Weitere Stoffwechselfunktionen. Nicht nur an der inneren Membran, auch in

der Matrix finden sich wichtige Enzyme, die am Zitratzyklus und beim Fettsäureabbau (β-Oxidation) beteiligt sind (. Übersicht 1.20). Der Zitratzyklus stellt die Ausgangsprodukte für die biologische Oxidation zur Verfügung, nämlich das bei der Initialzündung des Zyklus entstehende Acetyl-CoA, das Oxalazetat und das α-Ketoglutarat. Eine weitere Aufgabe des Zitratzyklus ist sein Beitrag zur Aufrechterhaltung anderer Stoffwechselwege, wie der Glukoneogenese. Der Fettsäureabbau liefert Wasserstoffatome für die Atmungskette und Acetyl-CoA für den Zitratzyklus.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Klinik Mitochondriale Störungen Bei genetisch bedingten mitochondrialen Erkrankungen entspricht die Vererbung nicht den Mendelschen Regeln, da sie rein mütterlich ist. Da bei der Zellteilung auch die Mitochondrien verdoppelt werden, es aber keinen Sortiermechanismus gibt, der festlegt, welche Mitochondrien in welche Tochterzelle gelangen, ist die Verteilung rein zufällig. Man bezeichnet dies als Heteroplasmie. Also können mutierte und nichtmutierte Mitochondrien in verschiedenen Häufigkeiten in eine Zelle gelangen. Dies trifft auch auf die Eizellen zu Die klinischen Merkmale der Mitochondriopathien umfassen neben der geistigen und psychomotorischen Retardierung eine vielfältige Symptomatik, die nicht spezifisch ist. Nach der biochemischen Klassifizierung unterscheidet man 5 verschiedene Krankheitsgruppen: 4 Störungen des Substrattransports (gestörter Transport von langkettigen Fettsäuren durch die innere Membran), 4 Störungen im Substratumsatz (Defekte des Pyruvat-DehydrogenaseKomplexes), 4 Störungen des Zitratzyklus, 4 Störung der Kopplung zwischen Substratoxidation und der Phosphorylierung von ADP zu ATP, 4 Störung der Atmungskette. Eine mitochondriale Erkrankung ist die mitochondriale Enzephalomyophatie mit Laktatazidose und schlaganfallähnlichen Episoden (MELAS). Durch die Beteiligung von Nervenzellen im Gehirn werden epilepsieartige Anfälle, vorübergehende Lähmungen und geistiger Verfall verursacht, zusätzlich kommt es zur Muskelschwäche und Anreicherung von Laktat. Ein weiteres Beispiel ist die Lebersche heriditäre Nervus-opticus-Atrophie. Hier handelt es sich um eine dauernde oder vorübergehende Erblindung durch Atrophie des Sehnervs.

1.2.10 Zytoskelett

Eukaryote Zellen haben verschiedene Formen und ein hohes Maß an innerer Organisation. Sie können ihre Form und die Position ihrer Organellen inner-

67 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

halb der Zelle verändern, häufig sogar Bewegungen durchführen. Diese Funktionen werden durch ein komplexes Netzwerk von Proteinfilamenten im Zytoplasma ermöglicht, dem Zytoskelett. Die beiden wichtigsten Typen von Proteinstrukturen des Zytoskeletts sind die Aktinfilamente (Mikrofilamente) und die Mikrotubuli. Beide sind aus globulären Proteinuntereinheiten aufgebaut, die sehr schnell und kurzfristig gebildet werden. Eine dritte Klasse von Proteinfilamenten, die intermediären Filamente, gibt es ebenfalls in den meisten tierischen Zellen. Sie bestehen aus fibrillären Proteinuntereinheiten und sind viel beständiger als die meisten Aktinfilamente und Mikrotubuli. Zusätzlich zu den drei Haupttypen von Proteinfilamenten enthält das Zytoskelett viele verschiedene zusätzliche Proteine. Sie verbinden Filamente entweder untereinander oder mit anderen Zellkomponenten wie der Plasmamembran, oder beeinflussen die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Filamentpolymerisation. Spezifische zusätzliche Proteine interagieren mit Proteinfilamenten, um Bewegungen auszulösen. Die beiden bekanntesten Prozesse dieser Art sind die Muskelkontraktion, die auf Aktinfilamenten beruht, und der Zilienschlag, der durch Mikrotubuli bedingt ist.

Mikrotubuli Mikrotubuli sind trotz ihrer unterschiedlichsten Funktionen in ihrer Struktur sehr ähnlich. Sie werden regelmäßig in allen Eukaryotischen Zellen gefunden. Als Grundstruktur zeigen sie lange, relativ steife Proteinröhren, die rasch zerfallen und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden können. Mikrotubuli sind gerichtete Moleküle, die von einem Mikrotubuliorganisationszentrum (MTOC), dem Zentrosom ausgehen, welches sich in der Nähe des Zellzentrums befindet. Von dort erstrecken sie sich nach außen zur Zellperipherie. Dieser Anteil des Zytoskeletts legt die Lage der Zellorganellen fest und steuert intrazelluläre Transportprozesse. Aufbau der Mikrotubuli

Mikrotubuli sind aus globulären Tubulinmolekülen aufgebaut. Diese Dimere bestehen aus zwei ähnlichen Proteinen, die als α- und β-Tubulin bezeichnet werden (. Übersicht 1.21). Die Monomere lagern sich unter Bildung von Disulfidbrücken aneinander und bilden so kettenartige Protofilamente. Jeweils 13 dieser Protofilamente lagern sich parallel aneinander, wobei sie über Wasserstoffbrücken verbunden sind. Die Ketten sind immer um ein Monomer

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Übersicht 1.21. Aufbau und Funktion der Mikrotubuli Polarität:

Vom Zentrosom (Mikrotubuliorganisationszentrum, MTOC) zur Zellperipherie gerichtet

Aufbau:

Dimere aus α- und β-Tubulin, die kettenartige Protofilamente bilden. 13 parallele Protofilamente bilden einen Hohlzylinder mit leicht schraubenförmiger Struktur

Aufgabe:

Festlegung der Lage der Zellorganellen. Steuerung intrazellulärer Transportprozesse

Vorkommen:

Zytoplasma Spindelapparat Zentriolen Zilien Geißeln

versetzt und bilden die Wand eines hohlen, röhrenförmigen Mikrotubulus von leicht schraubenförmiger Struktur. Dabei ist jedes Protofilament polar aufgebaut: α-Tubulin findet sich am sog. Minusende und β-Tubulin am Plusende. Störung der Polymerisation von Mikrotubuli

Die Polymerisation von Mikrotubuli kann durch Gifte beeinflusst werden. Zur Analyse menschlicher Chromosomen wird Colchizin eingesetzt, um möglichst viele Zellen in der günstigsten Analysephase, der Metaphase zu erhalten. Dieses synthetische Produkt kommt in der Natur als Hauptalkaloid der Herbstzeitlosen vor. Colchizin bindet an das freie Tubulin und hemmt die Mikrotubulipolymerisation. Taxol hat dagegen entgegengesetzte Wirkung: es bindet an die Mikrotubuli und verhindert deren Auflösung. Dagegen können weitere neue Untereinheiten hinzugefügt werden, die Mikrotubuli wachsen. Die Gesamtwirkung ist in ihrer Konsequenz jedoch ähnlich wie beim Colchizin, die Mitose wird arretiert. Vincristin ist ebenso ein Mitosegift und wird deshalb auch in der Tumortherapie als Zytostatikum eingesetzt, um die Zellteilung rasch wachsender Tumoren zu verhindern bzw. zu verlangsamen (. Abb. 1.26). Zentriolen

Die paarweise auftretenden Zentriolen (. Abb. 1.27) finden sich in jeder Zelle. Sie entsprechen Hohlzylindern mit offenen Enden, deren Wand aus 9 Tripletts

69 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.26. Aufbau eines Mikrotubulus

α-Tubulin Disulfidbrücke β-Tubulin

. Abb. 1.27. Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Zentriols. Vergrößerung 1:90.000 (nach Dirksen 1971)

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

von Mikrotubuli zusammengesetzt ist. Häufig befinden sie sich im Mikrotubuliorganisationszentrum. Zentriolen spielen eine große Rolle bei der Zellteilung, wobei sie offenbar die Polarität der Zelle für die Mitosespindel festlegen und damit die Richtung der Zellteilung bestimmen oder zumindest daran beteiligt sind. Zentriolen scheinen sich aus Basalkörpern (Kinetosomen) zu entwickeln. Basalkörper werden zu Zentriolen, wenn die Zelle sich zur Teilung anschickt. Die Basalkörper des Spermiums werden zu den Zentriolen der befruchteten Eizelle und leiten damit die erste Zellteilung ein. Zentriolen verdoppeln sich, wobei jedes Zentriol ein Tochterzentriol bildet, sie können aber auch ausnahmsweise neu entstehen (. Übersicht 1.22). . Übersicht 1.22. Zentriolen und ihre Funktionen Entstehung: Aufbau:

Verdopplung von Mutterzentriolen, jedoch nicht durch Teilung sondern durch Induktion von Tochterzentriolen Kurze Zylinder aus 9 Tripletts von Mikrotubuli Entwicklung aus Basalkörpern

Funktion:

Festlegung der Polarität der Zelle für die Mitosespindel

Mitosespindel

Der aus Mikrotubuli aufgebaute Spindelapparat entsteht zur Zellteilung am Zentrosom (Mikrotubuliorganisationszentrum). Zum Aufbau des gesamten Spindelapparats einer menschlichen Zelle werden ca. 3.000 Mikrotubuli benötigt, wobei die Mitosespindel die Chromosomen ordnet und in der Äquatorialebene hält. Am Chromosom selbst setzen die Mikrotubuli an der Spindelfaseransatzstelle, dem Kinetochor oder Zentromer an. Das Auseinanderziehen der Chromatiden in der Anaphase (7 Kapitel 1.4.2) geschieht wohl durch Verkürzung der Spindelfasern am Kinetochor mittels Depolarisation. Eine gleichzeitige Verlängerung der polaren Mikrotubuli schiebt die Zellpole weiter auseinander und bereitet sie für den eigentlichen Teilungsprozess vor. Zilien und Geißeln

Der Bewegungsvorgang von Zilien und Geißeln beruht auf der Struktur der Mikrotubuli. Dabei sind Zilien kurze Zellfortsätze (5-10 µm) und immer in großer Zahl nachweisbar. Geißeln sind dagegen ca. 150 µm lang und einzeln oder paarweise, selten in großer Zahl angelegt (. Übersicht 1.23). Beispielswei-

71 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Übersicht 1.23. Zilien und ihre Funktion Aufbau:

20 Mikrotubuli (2 zentrale Mikrotubuli umgeben von 9 Doppelmikrotubuli mit Dyneinarmen) 5-10 µm lang

Funktion:

Bewegung von Einzelzellen oder Erzeugung von Flüssigkeitsströmen entlang der Oberfläche festsitzender Zellen Spezielle Funktionen z.B. in Sinnesorganen

se sind die Spermien von Vielzellern in der Regel begeißelt. Zilien dienen bei Einzellern der Eigenfortbewegung, bei Vielzellern hingegen der Bewegung des Außenmediums (Flimmerbewegung) über der Zelloberfläche. Aufbau. Die Ultrastruktur von Zilien und Geißeln ist gleich, wobei wiederum

die Basalkörper das Bildungszentrum darstellen. Beide sind charakterisiert durch einen Achsenfaden, in dessen Mitte sich zwei Mikrotubuli in oft engem Kontakt befinden, die gewöhnlich von einer gemeinsamen Scheide umgeben sind. Im Kreis um diese zentralen Mikrotubuli verlaufen, der Länge des Achsenfadens folgend, 9 Doppelmikrotubuli. Die Ebene, die den Achsenfaden zwischen den beiden zentralen Tubuli in zwei Hälften teilt, ist die Schlagebene. Betrachtet man den Querschnitt eines Ziliums (von der Zelle her in Richtung auf das Ende), so tragen die randständigen Doppeltubuli je zwei »Proteinarme«, die jeweils an einer der beiden Röhren, dem A-Tubulus, sitzen und im Uhrzeigersinn auf die folgende Doppelröhre zeigen. Außer diesen Dyneinarmen bestehen vom A-Tubulus sprossenartige Nexinverbindungen zum BTubulus der folgenden Doppelröhre und »Speichen« zu den Zentraltubuli (. Abb. 1.28). Funktion. Die Bewegung von Zilien und Geißeln beruht auf einem Aneinan-

dervorbeigleiten der Tubuli (. Abb. 1.29). Die Bewegungsenergie wird durch ATP-Spaltung gewonnen. Die ATPase-Aktivität ist im Protein (Dynein) der »Arme« lokalisiert.

Intermediärfilamente Neben den Mikrotubuli mit einem Durchmesser von 25 nm und den dünneren Mikrofilamenten, die die Zelle mit Röhren und Fasern durchziehen, ihr Gestalt und Stabilität geben und das Zytoskelett der Zelle bilden, gibt es die Gruppe

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Klinik Kartagener-Syndrom Beim genetisch bedingten Kartagener-Syndrom fehlen die Dyneinarme der Zilien und Geißeln. Der Fehlbildungskomplex ist charakterisiert durch einen Situs inversus (seitenverkehrte Lage der inneren Organe), Erweiterung der Bronchien, Nasenpolypen, evtl. Brustkorbanomalien, Herzfehler, hormonale Störungen sowie wiederholte Nasennebenhöhlen- und Lungenentzündungen, die durch die fehlende Beweglichkeit der Zilien im Flimmerepithel des Respirationstrakts verursacht sind. Auch den Spermien fehlt die Beweglichkeit. Das Auftreten eines Situs inversus lässt den Schluss zu, dass in der frühen Embryonalentwicklung dem Zilienschlag möglicherweise eine entscheidende Bedeutung bei der Anordnung der Zellen zukommt.

. Abb. 1.28. Querschnitt durch den Achsenfaden einer Zilie oder Geißel

73 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.29. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Zilien des trachealen Epithels beim Hamster (nach Macleod 1973)

der Intermediärfilamente (Durchmesser 10 nm). Man kann sie in Klassen unterteilen: 4 Keratinfilamente der Epithelzellen, 4 Vimentin und vimentinverwandte Filamente der Mesenchymzellen, 4 Desminfilamente der Muskeln,

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

4 Saures fibrilläres Gliaprotein (GFAP) der Gliazellen und Astrozyten, 4 Periferinfilamente der peripheren Neuronen, 4 Neurofilamente der Nervenzellen. Die Intermediärfilamente sind also durch ihre molekulare Heterogenität und ihre zelltypischen Unterschiede charakterisiert, die sie für spezifische Zellaufgaben in spezialisierten Zellen prädestinieren. Beispiele sind die Zytokeratinfilamente der Desmosomen, die Desminfilamente der Muskelzellen, die Neurofilamente der Neuronen und die Gliaproteine der Gliazellen. Auch die Kernlamina, die der inneren Kernmembran anliegt und der Organisation des Chromatins und dem Auf- und Abbau der Kernmembran dient, besteht aus Intermediärfilamenten mit dem Intermediärfilament-Protein Lamin. Intermediärfilamente bestehen aus α-helikalen Polypeptidketten, die sich zu kurzen Fasern zusammenfügen. Durch den spezifischen Aufbau dieser Filamente können sie zur pathologischen Diagnostik von Tumoren herangezogen werden. Klinik Epidermolysis bullosa simplex Eine Störung der Intermediärfilamente führt zum Krankheitsbild der Epidermolysis bullosa simplex. Sie beruht auf einem Zytokeratin-14-Defekt, ist autosomal-dominant erblich und ist charakterisiert durch Blasenbildung der Haut nach mechanischer Belastung.

Aktinfilamentsystem Neben den Mikrotubuli und Intermediärfilamenten bilden auch Mikrofilamente einen Teil des Zytoskeletts. Sie bestehen aus Aktin in Assoziation mit anderen Proteinen und Myosin. Aktinfilamente kommen in allen Eukaryotischen Zellen vor und sind ausschlaggebend für viele ihrer Bewegungsfunktionen. Ohne sie könnten sich Zellen nicht bewegen, keine großen Partikel über Phagozytose aufnehmen und sich auch nicht teilen. Je nachdem, mit welchen Proteinen die Aktinfilamente assoziiert sind, können sie sehr unterschiedliche Strukturen, wie kleine kontraktionsfähige Bündel im Zytoplasma, Mikrovilli der Bürstensaumzellen im Darm oder den kontraktilen Ring bei der Zellteilung ausbilden.

75 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

Aufbau Aktin. Jedes Aktinfilament hat einen Durchmesser von ca. 8 nm und besteht aus einer verdrillten Kette (F-Aktin) identischer globulärer Aktinmoleküle, dem G-Aktin. Die G-Aktinmoleküle (Molekulargewicht 46.000) orientieren sich alle zur Filamentachse, sodass ein polarer Aufbau mit einem Plus- und einem Minusende entsteht. Das F-Aktin hat eine doppelhelikale Struktur, wobei starke Wechselwirkungen zwischen beiden Strängen eine Trennung verhindern. Jedes Aktinmonomer bindet ein Molekül ATP. Nachdem das Aktinmonomer ins Filament eingebaut ist, wird ATP zu ADP hydrolisiert. Dieses bleibt ans Aktin gebunden und erschwert dadurch eine neuerliche Polymerisation. Die Polymerisation kann an beiden Polen erfolgen, läuft jedoch am Pluspol schneller als am Minuspol. Durch ein dem Aktin assoziiertes Protein, dem Profilin, kann die Polymerisation zu F-Aktin gehemmt werden. Profilin bindet 1:1 an G-Aktin. In diesem Komplex kann kein Proliferationskern gebildet und der zu frühe Beginn der Polymerisation verhindert werden. Myosin. Das Myosin ist im Gegensatz zum Aktin ein riesiges Molekül mit ei-

nem Molekülgewicht von 500.000. Am Ende dieses gestreckten Moleküls aus zwei helikalen Polypeptidketten sitzt ein verdichteter Kopf. Der verdichtete Kopf entsteht durch Auseinanderweichen der beiden Ketten und deren globuläres Aufknäulen. Funktion

Dieser Kopfteil ist der aktive Teil des Myosinmoleküls. Er ist durch den gestreckten Teil im dicken Myosinfilament verankert. Die gestreckten Myosinteile liegen parallel nebeneinander, die Kopfteile (je Filament ca. 500) stehen seitlich aus dem dicken Filament heraus (. Abb. 1.30). Die Kopfteile besitzen ATPase-Aktivität und können an Aktin binden. Wichtig ist, dass die Myosinfilamente aus zwei Sätzen von Myosinmolekülen bestehen, einem rechten und einem linken mit entgegengesetzter Polarität. So kann jede Hälfte des Myosinfilaments mit einem anderen Satz von Aktinfilamenten in Verbindung treten. Dieser Aufbau ist die Grundlage der Muskelkontraktion (. Abb. 1.31). Zellgestalt und Haftfähigkeit

Neben der Zellmotilität dienen insbesondere die Aktinfilamente, bei denen die Zelloberfläche beteiligt ist, auch der Zellgestalt und Haftfähigkeit. So befindet

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Abb. 1.30. Myosinmolekül und Myosinfilament

Aktinmolekül

37 nm

Plusende

Minusende

. Abb. 1.31. Aktinfilament, Anordnung der G-Aktinmoleküle zum Filament

sich Spektrin, das Hauptprotein der Erythrozytenmembran, an der Membraninnenseite. Es ist ein etwa 100 nm langes Heterodimer, das aus einer α- und einer β-Untereinheit besteht, die umeinander gewickelt sind. Durch die Bindung an Aktin und Verankerung mittels Ankyrin zur Membran bewahren die Erythrozyten ihre Form. Ein Bande-4.1-Protein stabilisiert den Komplex aus Aktin und Spektrin. Ankyrin ist wiederum nichtkovalent an die zytoplasmatische Seite eines Bande-3-Moleküls gebunden, dessen Hauptaufgabe es ist, als Kanal durch die Membran hindurch den passiven Austausch von Anionen zu ermöglichen. Ein weiteres integrales Protein der Erythrozytenmembran ist das Glykophorin, welches einen Kohlenhydratüberzug aus 16 Oligosaccharidketten aufweist. Die Hauptfunktion dieses Proteins beruht auf der großen Anzahl an negativen Ladungen an der Sialinsäure, dem Zuckerrest am Ende jeder Kohlenhydratkette. Diese Ladung bewirkt, dass sich die roten Blutkörperchen gegenseitig abstoßen, was eine Verklumpung der Zellen verhindert. Die Unterschiede in der Aminosäuresequenz des Glykophorins sind verantwortlich dafür, ob jemand die Blutgruppe A, B oder 0 hat (. Abb. 1.32). Dystrophin bindet an das Aktinnetzwerk und ist Mittler zwischen der Plasmamembran und der extrazellulären Matrix. Ist das Gen mutiert, so kommt es zu den erblichen Formen der Muskeldystrophie. Wenn Dystrophin

77 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.32. Modell der Plasmamembran des Erythrozyten von der Innenseite aus gesehen. Man erkennt, wie die integralen Proteine in die Lipiddoppelschicht eingebettet und wie die peripheren Proteine, aus denen das innere Membrangerüst besteht, angeordnet sind. Das Bande-3-Dimer ist vereinfacht dargestellt. Das Bande-4.1-Protein stabilisiert die Komplexe aus Aktin und Spektrin (Aus Voet/Voet: Biochemistry, 2. Auflage 1995)

ganz ausfällt, kommt es zum Typ Duchenne, wird nur ein Teil des funktionellen Genproduktes gebildet, resultiert daraus die Muskeldystrophie Typ Becker. Stressfasern sind eine Verbindung von Aktinfasern und Myosin. Sie binden an Integrine der Plasmamembran und weitere Proteine. Fibroblasten erhalten durch sie ihre Oberflächenhaftung und Endothelzellen ihre Widerstandsfähigkeit.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Klinik Hämolytische Anämien Hereditäre hämolytische Anämien wie die Sphärozytose beruhen auf einer Störung des Proteingerüsts. Das Protein Spektrin ist die Hauptkomponente an der Membraninnenseite der Erythrozytenmembran. Es ist für die Zellform verantwortlich und als Spektrinnetzwerk über Anheftungsproteine mit der Plasmamembran verknüpft. Eine Anomalie in der Netzwerkstruktur führt zum krankhaft gesteigerten Erythrozytenzerfall und einer kompensatorisch gesteigerten Erythropoese. Somit sind weniger Erythrozyten vorhanden als bei gesunden Individuen, die roten Blutkörperchen sind dabei eher kugelförmig als abgeflacht.

Amöboide Zellfortbewegung

Bewegungsfähigkeit von Zellen, wie die der Leukozyten oder der Fibroblasten in Zellkultur, kommt durch Veränderungen der Zellform zustande. Wir finden diesen Bewegungstyp bereits bei einem einfach gebauten Einzeller, der Amöbe, d.h. diese Form der Zellfortbewegung ist durch die ganze Evolution beibehalten worden und ist ein Beispiel für die Universalität des vorgestellten Prinzips. Die Amöbe bewegt sich unter Veränderung ihrer Zellform fort, indem sie in Fortbewegungsrichtung Zytoplasmafortsätze bildet (fingerförmige Pseudopodien und schaufelförmige Scheinfüßchen, die als Lamellopodien bezeichnet werden; bei Fibroblasten spricht man vom Filopodien). Wie kommt es jedoch zur Bildung dieser Zytoplasmafortsätze? Hierzu müssen wir wissen, dass das Zytoplasma der Amöbe in zwei Zuständen vorliegen kann, in einem flüssigen Solzustand und einem festen Gelzustand. Die Gelform umhüllt wie ein Mantel die Zelle und verleiht ihr ihre Festigkeit. Man bezeichnet den Gelmantel als Ektoplasma oder Plasmagel, den von ihm umschlossenen inneren Raum als Endoplasma oder Plasmasol. Bei der Bewegung strömt Endoplasma in die Pseudopodien und wird dort zu Plasmagel verfestigt, umgekehrt wird Ektoplasma in Endoplasma verflüssigt. Der Wechsel der Sol-Gel-Zustände wird durch Aktin und andere Proteine, wie Myosin, bewirkt. Die kontraktilen Elemente sind, wie man elektronenmikroskopisch feststellen kann, im Ektoplasma und in der äußeren Zone des Endoplasmas dichter und strenger geordnet als im übrigen Zytoplasma. Biochemisch läuft der Vorgang folgendermaßen ab: Filamin bindet mit seinen beiden

79 1.2 · Zelluläre Strukturelemente

. Abb. 1.33. Bewegung einer Amöbe. Die Bewegungsrichtung (langer Pfeil) entspricht dem physiologischen Vorderende der Zelle. a Schema zum Bewegungsmechanismus. Punktiert Grenze zwischen Ekto- und Endoplama; dünne Pfeile Strömungsrichtung des EndoplasmaSols. Dicke Pfeile mögliche Orte der Kontraktionsprozesse. b Verteilung der Plasmafilamente nach elektronenmikroskopischen Aufnahmen (nach Hadorn und Werner 1971)

Enden an Aktinfilamente und vernetzt sie zu einem dreidimensionalen Netz, wodurch der gelartige Zustand erreicht wird. Umgekehrt fragmentiert Gelsolin die Aktinfilamente, indem es an Aktin bindet, zu Brüchen im Molekül führt und so den Solzustand herbeiführt (. Abb. 1.33). Mikrovilli

Zellen zeigen häufig eine Differenzierung der Oberfläche, die im Zusammenhang mit ihrer spezifischen Funktion steht. So besitzen resorbierende Zellen Bürstensäume (z.B. Niere) oder Stäbchensäume (z.B. Dünndarm), die die Oberfläche vergrößern und damit die Resorptionsfähigkeit um ein Vielfaches erhöhen. Man bezeichnet diese Zytoplasmafortsätze als Mikrovilli. Mikrovilli sind also Vorstülpungen der Zellmembran mit eingelagerten Enzymen. Da die Mikrovilli senkrecht zur Zelloberfläche stehen, benötigen sie eine Stabilisierung. Diese wird durch Filamentbündel erreicht, die sich durch den gesamten Zytoplasmafortsatz ziehen und Anschluss zum Zytoskelett der Zelle besitzen. Dabei handelt es sich um Aktinfilamente, die im Zusammenwirken mit Myosin eine aktive Verlängerung und Verkürzung sowie eine Seitwärtsbewegung der Mikrovilli erlauben. An der Basis der Mikrovilli findet häufig die Endozytose statt. Mikrovilli können spezielle Aufgaben übernehmen. So finden wir sie beispielsweise bei Zellen von Geschmacksknospen oder bei den Photorezeptorzellen von Insektenaugen, wo die Oberflächenvergrößerung zu einer erhöhten räumlichen Konzentration des in die Zellmembran eingelagerten Sehfarbstoffs

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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. Abb. 1.34. Mikrovilli des intestinalen Epithels der Katze (nach Macleod 1973)

und damit zu einer Sensibilitätssteigerung führt (. Abb. 1.34 und . Übersicht 1.24). . Übersicht 1.24. Mikrovilli und ihre Funktion Aufbau:

Vergrößerung der Zelloberfläche Zytoplasmahaltige Vorstülpungen der Plasmamembran mit eingelagerten Enzymen Stabilisierung durch Aktinfilamentbündel mit Verbindung zum Zytoskelett

Funktion:

Hauptsächlich Resorption (Dünndarm, Nierentubuli) Spezielle Funktionen wie bei Photorezeptorzellen

81 1.3 · Zellkommunikation und Signaltransduktion

1.3

Zellkommunikation und Signaltransduktion

1.3.1 Allgemeine Prinzipien

Zellkommunikation zwischen Zellen erfolgt immer durch die Produktion eines Signalmoleküls einer signalgebenden Zelle und Weiterleitung dieses Signals an eine signalempfangende Zelle, die dieses mit Hilfe eines Rezeptorproteins spezifisch erkennt und beantwortet. In der signalempfangenden Zelle wird das ankommende extrazelluläre Signal in ein intrazelluläres verwandelt, das dann die Reaktion der Zelle beeinflusst (. Abb. 1.35). Die Überführung oder besser der Umwandlungsprozess von einem Signal in ein anderes wird als Signaltransduktion bezeichnet.

Formen der Signalübertragung Nun können Signale sowohl auf kurze oder auch auf weite Distanzen übermittelt werden, was verschiedene Kommunikationsverfahren erfordert. Das einfachste davon ist die endokrine Signalübertragung: ein Signal wird in den Blutkreislauf abgegeben. Dieser Weg wird von Hormonen beschritten, die von endokrinen Zellen produziert werden. Bei der parakrinen Signalübertragung diffundieren die Signalmoleküle durch das extrazelluläre Medium. Sie bleiben also in der engeren Umgebung der aussendenden Zelle. Signalmoleküle zur Regulation der Zellproliferation bei der Wundheilung oder bei Entzündungen gehören dazu. Ein Weg der selbststimulierenden Signalübertragung ist die autokrine. Sie kann auf die eigene Zelle zurückwirken oder auch das Tumorwachstum durch Absonderung von Wachstumsfaktoren stimulieren. . Abb. 1.35. Signaltransduktion

extrazelluläres Signal

Rezeptor

intrazelluläres Signal

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Ein ganz anderer Prozess wird bei der neuronalen Signalübertragung beschritten, die man auch als synaptischen Signalprozess bezeichnet. Hier wird ein intrazelluläres elektrisches Signal in ein extrazelluläres chemisches umgewandelt, was zur Ausschüttung von Neurotransmittern führt, welche zwischen der Membran der Nervenzelle und der Zielzelle diffundieren. Schließlich gibt es die kontaktabhängige Signalübertragung über ZellZell-Kontakte.

Signalverstärkung Empfängt eine Zelle ein Signal von außen, so muss dieses auf ein Zielmolekül treffen, das zur Zelle gehört. Diese Zellmoleküle sind immer Rezeptorproteine. Das Rezeptorprotein führt dann den ersten Übertragungsschritt durch, indem es ein intrazelluläres Signal erzeugt. Dies löst in der Regel eine Kette von Signalübertragungsprozessen aus. Die Nachricht wird von einer Gruppe von Signalmolekülen auf eine weitere weitergegeben, von der wiederum jedes die Produktion eines neuen Signals auslöst, bis schließlich die Antwort ausgelöst ist. Man bezeichnet diese Übertragungsketten als Signalkaskaden. In den meisten Fällen verstärken Signalkaskaden ein Signal, weswegen häufig wenige extrazelluläre Signalmoleküle ausreichen, um eine starke Reaktion auszulösen. Sie können ein Signal auch verteilen, sodass mehrere Reaktionen gleichzeitig ausgelöst werden (. Abb. 1.36). . Abb. 1.36. Signalkaskaden mit Signalverstärkung und Signalverteilung

Signal Rezeptor

Reaktion

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83 1.3 · Zellkommunikation und Signaltransduktion

Klinik Onkogene und Tumorsuppressorgene Bei der Entstehung von Tumoren (Onkogenese) kann durch Mutation ein Onkogen entstehen, das die Entwicklung von Krebs induziert. So kann beispielsweise eine Mutation den Rezeptor für einen Wachstumsfaktor verändern, sodass die Zelle und ihre Folgezellen fälschlich glauben, ein Teilungssignal zu erhalten, und sich entsprechend teilen. Auch können durch Funktionsverlustmutationen Tumorsuppressorgene inaktiviert werden, deren Genprodukte erforderlich wären, um ein Teilungsverbot aufrecht zu erhalten. Die Inaktivierung bewirkt wiederum, dass die Zelle glaubt, ein Teilungssignal zu erhalten.

1.3.2 Signalmoleküle

Zwei Klassen extrazellulärer Signalmoleküle treffen auf ebenfalls zwei sehr unterschiedliche Arten von Rezeptoren: 4 Die erste Klasse sind große hydrophile Moleküle, die die Plasmamembran nicht durchdringen können. Sie benötigen daher Rezeptorproteine in der Plasmamembran der Zielzelle. 4 Die zweite Klasse von Signalmolekülen sind kleine hydrophobe Moleküle, die durch die Plasmamembran diffundieren. Ihre Rezeptoren sind im Zellinneren und normalerweise entweder Genregulatorproteine oder Enzyme, die aktiviert werden, wenn ein Signalmolekül an sie bindet.

Hormone Steroidhormone und Schilddrüsenhormone sind die bekanntesten Moleküle der 2. Klasse. Nach Passage der Plasmamembran binden sie im Zytosol oder im Zellkern an ihre Rezeptoren, die immer Genregulationsproteine sind. Sie leiten dann die Transkription der Gene ein. Klinik Testikuläre Feminisierung Die testikuläre Feminisierung, welche einem X-chromosomal-rezessiven Erbgang folgt, wird von gesunden Frauen vererbt. Von ihren XY-Kindern sind

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

die Hälfte phänotypisch weiblich, chromosomal jedoch männlich. Zwar besitzen sie das Gen, welches das männliche Geschlecht bestimmt, jedoch fehlt ihnen der Testosteronrezeptor, der im Föten und in der Pubertät für die Entwicklung der primären und sekundären männlichen Geschlechtsmerkmale notwendig ist. Diese Patienten stellen zwar Testosteron her, aber ihre Zellen können nicht darauf reagieren. Dementsprechend ist das phänotypische Geschlecht weiblich, bei vorhandenem männlichem genotypischem Geschlecht (. Abb. 1.37).

Stickstoffmonoxid Einige kleinere Signalmoleküle können, da der Mechanismus nicht über den relativ langsamen Weg der Genexpression geht, über direkte Enzymaktivierung innerhalb von Sekunden oder Minuten einen Effekt erreichen. Ein solches Signalmolekül, das die Plasmamembran durchquert und intrazelluläre Enzyme aktivieren kann, ist Stickstoffmonoxid (NO). Das gelöste Gas entsteht aus der Aminosäure Arginin. Endothelzellen (Auskleidung der Blutgefäße) setzen nach ihrer Stimulation durch Nervenzellen NO frei. Dies führt zur Entspannung glatter Muskelzellen in der Gefäßwand mit der Folge eines besseren Blutflusses durch Gefäßerweiterung. So ist auch von Nervenzellen lokal freigesetztes NO im Penis über eine lokale Erweiterung der Blutgefäße für die Erektion verantwortlich. Gelangt NO an eine Zielzelle, so ist das häufigste Zielenzym die Guanylatzyklase, das die Bildung von zyklischem GMP aus dem Nukleotid GTP katalysiert. Zyklisches GMP ist ein kleines intrazelluläres Signalmolekül und ähnelt in Struktur und Wirkungsmechanismus dem zyklischen AMP, dessen Wirkungsweise in 7 Kapitel 1.2.1 im Zusammenhang mit der Glykokalix beschrieben wurde.

1.3.3 Signalrezeptoren

Die meisten Signalproteine sind nicht hydrophob wie die Hormone sondern hydrophil und können daher nicht durch die Zellmembran diffundieren. Sie benötigen Rezeptorproteine. Diese kann man in drei Familien einordnen (. Übersicht 1.25):

85 1.3 · Zellkommunikation und Signaltransduktion

. Abb. 1.37. Patientin mit testikulärer Feminisierung und Karytyp 46, XY (aus Hammerton 1971)

. Übersicht 1.25. Zellkommunikation und Signaltransduktion Kommunikationsverfahren:

Endokrine Signalübertragung Parakrine Signalübertragung Autokrine Signalübertragung Neuronale Signalübertragung Kontaktabhängige Signalübertragung

Signalmoleküle:

Große hydrophile Moleküle mit Bindung an Rezeptorproteine Kleine hydrophobe Moleküle mit Membrandiffusion

Signalrezeptoren:

Ionenkanalgekoppelte Rezeptoren G-proteingekoppelte Rezeptoren Enzymgekoppelte Rezeptoren

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

4 ionenkanalgekoppelte Rezeptoren, 4 G-proteingekoppelte Rezeptoren, 4 enzymgekoppelte Rezeptoren. Bei ionengekoppelten Rezeptoren ist das Signal ein Ionenfluss, der elektrische Effekte induziert. G-proteingekoppelte Rezeptoren basieren auf der aktivierten Form eines membrangebundenen Proteins, das in der Lage ist, in die Ebene der Plasmamembran zu diffundieren und Reaktionskaskaden auszulösen. Enzymgekoppelte Rezeptoren induzieren katalytisch Aktivitäten auf der zytoplasmatischen Seite des Rezeptors. Hierdurch werden Signale erzeugt, die z.B. zur Freisetzung von Molekülen im Zytosol führen.

Ionenkanalgekoppelte Rezeptoren Ionenkanalgekoppelte Rezeptoren bezeichnet man auch als transmitterabhängige Ionenkanäle. Diese Rezeptoren nehmen an der synaptischen Signalvermittlung im Nervensystem teil. Ein chemisches Signal gelangt als Neurotransmitterimpuls an die Außenmembran der Zielzelle und induziert ein elektrisches Signal in Form einer Spannung über der Plasmamembran. Der Rezeptor verändert seine Konfiguration und in der Membran öffnet oder schließt sich ein spezifischer Ionenkanal z.B. für Na+-, K+-, Ca2+- oder Cl–-Ionen. Besonders die Öffnung eines Ca2+-Kanals kann durch Veränderung der intrazellulären Ca2+-Konzentration viele Enzyme verändern. Ionenkanalgekoppelte Rezeptoren kommen v.a. im Nervensystem und Muskelzellen vor, die ebenfalls elektrisch reizbar sind.

G-proteingekoppelte Rezeptoren G-proteingekoppelte Rezeptoren sind die am häufigsten vorkommenden Signalrezeptoren. Sie besitzen alle eine sehr ähnliche Struktur: eine einzige Polypeptidkette durchspannt die Lipiddoppelschicht siebenfach (. Abb. 1.38). Bindet ein Signalmolekül, so verändert der Rezeptor auf der zytoplasmatischen Seite seine Konfiguration und es entsteht eine Wechselwirkung mit einem G-Protein, einem Protein aus einer großen Proteinfamilie von GTP-bindenden Proteinen. G-Proteine verhalten sich wie molekulare Schalter. Beim Eintreffen eines Signals wechseln sie vom inaktiven in den aktiven Zustand. G-Proteine können Ionenkanäle regulieren, was eine sofortige Veränderung des Verhaltens der Zelle bewirkt. Sie können aber auch mit Enzymen in Wechselwirkung treten. Die häufigsten Zielenzyme sind hier Adenylatzyklase,

87 1.3 · Zellkommunikation und Signaltransduktion

. Abb. 1.38. G-proteingekoppelter Rezeptor

extrazellulärer Raum

Plasmamembran

Zytosol

G-proteingekoppelter Rezeptor

die für die Herstellung von cAMP verantwortlich ist (7 Kapitel 1.2.1) und Phospholipase C, die die kleinen Signalmoleküle Inositoltriphosphat und Diacylglycerol herstellt. Diese kleinen Signalmoleküle werden auch als second messenger bezeichnet (der first messenger ist das extrazelluläre Signalmolekül). Sie können rasch im Zytosol diffundieren und ein Signal in die gesamte Zelle tragen. So kann cAMP beispielsweise über Adrenalin als extrazelluläres Signalmolekül die Herzfrequenz steigern, den Glykogenabbau beeinflussen, den Fettabbau regulieren und die Cortisolausschüttung induzieren. Phospholipase C vermittelt über die Signalmoleküle Vasopressin und Acetylcholin den Glykogenabbau, die Segregation des Verdauungsenzyms Amylase und die Kontraktion der glatten Muskulatur.

Enzymgekoppelte Rezeptoren Die dritte Gruppe von Oberflächenrezeptoren sind die enzymgekoppelten Rezeptoren, die auf Wachstumsfaktoren als extrazelluläre Signalproteine ansprechen. Die Wachstumsfaktoren regulieren Zellwachstum, Proliferation und Differenzierung. Die Zellantwort auf Wachstumsfaktoren zählt zu den langsamen Zellantworten. Auch die enzymgekoppelten Rezeptoren sind Transmembranproteine. Bei der umfangreichsten Klasse dieser Rezeptoren dient die zytoplasmatische Enzymdomäne als tyrosinspezifische Proteinkinase, die Tyrosinketten von Proteinen phosphoryliert. Die Mehrheit aller Wachstumsfaktoren bedient sich dieser Rezeptor-Tyrosinkinasen. Eine wichtige Rezeptor-Tyrosinkinase führt auch zur Aktivierung eines kleinen zytoplasmatischen Signalproteins, des Ras, das der inneren zytoplasmatischen Membran anliegt. Fast alle Rezeptor-Tyrosinkinasen werden an Ras

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

gekoppelt, das sein Signal über komplexe Phosphorylierungskaskaden letztlich von der Plasmamembran in den Zellkern vermittelt. Über die Phosphorylierung von Genregulatorproteinen wird auf die Gentranskription Einfluss genommen und das Muster der Genexpression verändert. Dies kann u.a. die Proliferation von Zellen stimulieren. Insofern spielt Ras auch bei der Krebsentstehung eine Rolle. In 30% aller menschlichen Tumoren werden Mutationen des Ras-Gens gefunden.

1.4

Zellzyklus und Zellteilung

Der grundlegende Mechanismus der Zellvermehrung ist eine Verdopplung der genetischen Information und deren Weitergabe auf die Tochterzellen. Bei der Keimzellbildung (7 Kapitel 1.5) ist umgekehrt eine Reduktion der Chromosomenzahl notwendig, damit es nicht in jeder Generation zu einer Verdopplung der Chromosomen kommt. Identische Weitergabe und die Reduktion von Chromosomen, aber auch die Neukombination von Genen bei der Keimzellbildung und Befruchtung, sind grundlegende biologische Vorgänge, die eine Evolution der Organismen erst ermöglicht haben.

1.4.1 Intermitosezyklus

Die Voraussetzung zur Entstehung eines höheren Organismus ist die Zellvermehrung. Dabei durchläuft die wachsende Zelle bis zur Teilung in zwei Tochterzellen eine Folge von physiologisch unterschiedlichen, nicht umkehrbaren Phasen, die man als Intermitosezyklus zusammenfasst (. Abb. 1.39). Dieser weist drei Phasen auf: 4 G1-Phase, 4 S-Phase, 4 G2-Phase.

G1-Phase Die G1-Phase ist die Wachstumsphase der Zelle und dient der Vorbereitung auf die Zellteilung. Nach Abschluss der vorhergehenden Zellteilung wird die Proteinsynthese, die während der Kernteilung stark reduziert war, wieder aufgenommen. So werden die Proteine für den Verteilungsapparat der Chromo-

89 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

. Abb. 1.39. Intermitosezyklus

somen in der Mitose (Mitosespindel), die Enzyme für die Vermehrung der DNA und die Histone und nichtbasischen Proteine zur Umschließung der DNA gebildet. Weiter findet eine Neubildung der Zentriolen statt. Auch die RNA-Synthese steigt rasch an. Dagegen findet zunächst in den meisten Fällen keine DNA-Verdoppelung statt. Die Länge der G1-Phase kann sehr variabel sein.

S-Phase Nach der G1-Phase folgt die S-Phase, in ihr findet die Replikation (Verdopplung) der DNA statt (7 Kapitel 2). Hier spielen die Enzyme RNA-Polymerase, DNA-Polymerase und DNA-Ligase eine entscheidende Rolle. Nach Abschluss dieses Prozesses, der bei einem Säugetier konstant etwa 7-8 h in Anspruch nimmt, liegt das gesamte genetische Material der Zelle verdoppelt vor. Jedes Chromosom besteht aus zwei identisch aufgebauten Untereinheiten, den Chromatiden, die in der nächsten Mitose getrennt und auf die beiden

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

entstehenden Tochterkerne verteilt werden. Die Replikation der DNA erfolgt jedoch nicht, wie man annehmen könnte, von einem zum anderen Ende des Chromosoms, sondern nach einem für jedes Chromosom charakteristischen Synthesesystem, d.h. die DNA-Synthese beginnt an mehreren Stellen des Chromosoms, und die Stücke werden anschließend verknüpft. Ein solcher Abschnitt des DNA-Moleküls, an dem von einem Startpunkt aus die DNA-Synthese als Einheit durchgeführt wird, ist ein Replikon. Diese stückweise Synthese mit anschließender Verknüpfung bezeichnet man als asynchrone DNA-Synthese. Während der Replikation können bestimmte Umwelteinflüsse wie ultraviolettes Licht, ionisierende Strahlen und bestimmte Chemikalien den Aufbau der neuen DNA stören, d.h. es können Mutationen induziert werden. Nach der S-Phase werden bestimmte kleinere Replikationsfehler im DNA-Molekül durch Reparaturenzyme wieder beseitigt. Liegt ein genetischer Defekt in einem Reparaturmechanismus vor, so können dadurch für den Menschen schwere Erbleiden verursacht werden. Ein Beispiel hierfür ist Xeroderma pigmentosum. Diese Krankheit ist autosomal-rezessiv erblich, homozygote Träger müssen vor jedem Sonnenlicht geschützt werden, da durch den UV-Anteil induzierte genetische Defekte zu Hauttumoren führen (. Abb. 1.40). . Abb. 1.40. Xeroderma pigmentosum

91 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

G2-Phase Nach Abschluss der DNA-Replikation, also nach der S-Phase, verstreicht meistens noch eine relativ kurze Zeitspanne (etwa 3 h) bis zum Eintritt in die Kernteilung (Mitose). In dieser G2-Phase sind in der Zelle alle Voraussetzungen vorhanden, sofort in die Kernteilung einzutreten. Diese kann auch durch Außenfaktoren wie z.B. einen Temperaturschock stimuliert werden. Solche Verfahren werden experimentell angewandt, um eine Synchronisation in Zellkulturen zu erreichen.

G0-Phase Zellen, die ihre Teilungsaktivität einstellen und in einen Dauerzustand übergehen, oder solche Zellen, die für längere Zeit in einem Ruhezustand verharren, ohne ihre Regenerationsfähigkeit aufgegeben zu haben, verbleiben in der G1-Phase, die man dann als G0-Phase bezeichnet.

Kontrollmechanismen im Zellzyklus Insgesamt ist der Intermitosezyklus ein hochkomplexer Prozess, bei dem Fehler zu katastrophalen Auswirkungen führen können. So können Mutationen bewirken, dass sich eine Zelle nicht mehr den Bedürfnissen des umgebenden Gewebes unterwirft und sich ungeregelt zu teilen beginnt. Die Folge wäre das Heranwachsen eines Tumors. Und tatsächlich haben praktisch alle bekannten tumorwachstumsauslösenden Mutationen in irgendeiner Weise etwas mit Veränderungen in den Kontrollmechanismen des Zellzyklus zu tun. Das Zellzykluskontrollsystem ist also von außerordentlicher Bedeutung. Man kann von einer »molekularen Bremse« sprechen, die an unterschiedlichen Kontrollpunkten den Zyklus zum Stand bremsen kann, wenn der vorhergehende Zyklusschritt nicht regelgerecht abgeschlossen ist. Drei derartige Kontrollpunkte gibt es: 4 Den G2-Kontrollpunkt am Übergang von der G2-Phase zur Mitose. 4 Den Metaphasekontrollpunkt am Übergang von der Mitose zur G1-Phase. 4 Den G1-Kontrollpunkt am Übergang von der G1-Phase zur S-Phase. Kontrollpunkte des Zellzyklus

Zwei Gruppen von Proteinen sind hier von entscheidender Bedeutung, wobei die erste Gruppe, nämlich zyklisch aktivierte Proteinkinasen (Phosphat übertragende Enzyme), sozusagen das Rückgrat der Zellzykluskontrolle bilden. Wegen ihrer Abhängigkeit von der zweiten Gruppe werden sie als zyklinab-

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

hängige Proteinkinasen (CdK: cyclin dependent protein kinases) bezeichnet. Zykline selbst besitzen keine enzymatische Aktivität. Ihre Aktivität wird durch Phosphorylierung und Bindung an zyklinabhängige Proteinkinasen gesteuert. Wie der Name Zykline bereits aussagt, ändert sich ihre Konzentration periodisch im Verlauf des Zellzyklus, was bei den CdK nicht der Fall ist. G2-Kontrollpunkt. Während der G2-Phase aktivieren G2-Zykline zyklinabhängige Proteinkinasen und steuern den Eintritt in die Mitose. Dabei wird die Empfänglichkeit der CdK für ihre Zyklinaktivierung durch Phosphorylierung (mittels Kinasen) und Dephosphorylierung (mittels Phosphatasen) geregelt. Ein wichtiges Zyklin für den Beginn der Mitose ist Zyklin B. Seine ansteigende Produktion führt zur Bindung an phosphataktiviertes Cdc2 (eine Untereinheit der CdK). Dadurch bildet sich ein M-Phase-Förderfaktor (MPF), eine aktive Proteinkinase. Diese Proteinkinase phosphoryliert Schlüsselproteine, die entscheidende Mitoseprozesse steuern, wie die Chromosomenkondensation, den Zerfall der Kernhülle, die Neuorganisation der Mikrotubuli und die Ausbildung der Mitosespindel. Der Zerfall der Kernhülle erfolgt beispielsweise durch Auflösung der Kernlamina, einem Netzwerk aus Laminfilamenten, das der inneren Kernmembran anliegt. Die MPF-Kinase phosphoryliert die Lamine und bewerkstelligt so die Auflösung der Kernlamina. Mikrotubuliassoziierte Proteine werden ebenfalls phosphoryliert, was die Eigenschaften der Mikrotubuli ändert und zur Ausbildung der Mitosespindel führt. Dabei hilft die Bindung von Zyklinen wahrscheinlich auch, um die Kinase zu den Proteinen zu lenken. Metaphasekontrollpunkt. Sind schließlich die Chromosomen in der Meta-

phase (7 Kapitel 1.4.2) alle richtig geordnet, kann deren Verteilung auf die künftigen Tochterzellen beginnen. Phosphatgruppen werden durch Phosphatasen wieder abgebaut, Zyklin B wird von MPF induziert abgebaut, was umgekehrt zur Inaktivierung von MPF führt. Die Zellteilung kann dann eingeleitet werden. G1-Kontrollpunkt. Der schärfste Kontrollpunkt im Zellzyklus ist der Übergang

von der G1- in die S-Phase. Der Eintritt in die S-Phase wird durch G1-Zykline gesteuert, in dem sie während der G1-Phase an zyklinabhängige Proteinkinasen binden (S-Phase-Promotor). Die Neusynthese von G1-Zyklinen stoppt den Abbau von Zyklin B über die Inaktivierung des proteolytischen Systems.

93 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

Der Eintritt in die S-Phase wird ausgelöst durch eine Assoziation von Cdc1 mit G1-Zyklinen (. Übersicht 1.26). Vorher muss jedoch noch kontrolliert werden, ob bis jetzt alles korrekt verlaufen ist, vor allem ob keine DNA-Mutationen z.B. durch Kopierfehler vorliegen, ob der Zytoplasmagehalt richtig ist usw. Hierbei spielt das Protein p53 eine Schlüsselrolle. Fällt p53 durch Mutation aus, wird der Zyklus nicht gestoppt, es kommt zur ungehemmten Proliferation mit Tumorwachstum als Folge. So wurden auch in vielen Tumoren Mutationen am p53-Gen nachgewiesen. . Übersicht 1.26. Zellzykluskontrolle Kontrollpunkte:

G2-Kontrollpunkt: G2 ⇒ M

G2-Zykline (Zyklin B) ⇒ Cdc2 ⇒ MPF

M-Kontrollpunkt: M ⇒ G1

Abbau M-Zykline

G1-Kontrollpunkt: G1 ⇒ S Beteiligte Proteine:

G1-Zykline ⇒ Cdc1 und p53 Zyklinabhängige Proteinkinasen Zykline M-Phase-Förderfaktor (MPF) p53

Folge von Störungen:

Ungehinderte Proliferation und Tumorwachstum

Inaktivierung des Zellzykluskontrollsystems

Viele Zellen durchlaufen natürlich nicht in ständiger Teilung den Intermitosezyklus. Das Zellzykluskontrollsystem muss also auch inaktiviert werden können, damit Zellen in die G0-Phase eintreten können. So müssen z.B. Nervenzellen und Skelettmuskelzellen ein ganzes Leben ohne Teilung erhalten bleiben. Bei ihnen wird das Zellzykluskontrollsystem zum Teil außer Kraft gesetzt, viele CdK und Zykline werden inaktiviert und abgebaut. Die meisten unserer Körperzellen nehmen aber eine gewisse Zwischenposition ein, sie können sich teilen, falls es notwendig ist, tun dies aber selten, bzw. nur wenn sie von anderen Zellen das Signal zur Zellteilung erhalten (. Abb. 1.41).

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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Mitose auslösen

Mitose-Promoting-Faktor G2Kontrollpunkt

M-Zykline

Abbau der M-Zykline Ph

P

osp

hatas

e

P

Kin a s e n

P ADP zyklinabhängige Kinase

M CdK

G2 G1

CdK

S

Kina se n

Abbau der G1-Zykline

Phosphatase P

G-Zykline

P ADP

P G1Kontrollpunkt

. Abb. 1.41. Zellzykluskontrolle

1.4.2 Mitose und ihre Stadien

Nach Durchlaufen der beschriebenen Intermitosephasen ist die sich reproduzierende Zelle bereit, in die Kernteilung (Mitose) einzutreten (. Abb. 1.42 und 1.43). Bei der Mitose handelt es sich ausschließlich um die Verteilung des in der Intermitose replizierten DNA-Materials auf die beiden Tochterzellen, es findet jetzt keine DNA-Synthese mehr statt. Die Mitose ist exakt erbgleich, d.h. die beiden Tochterzellen enthalten infolge exakter Chromatidenverteilung die gleiche genetische Information.

95 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

. Abb. 1.42. Schema einer Mitose

Wie bereits beschrieben phosphoryliert der M-Phase-Förderfaktor die Kernlamina vor Eintritt in die Mitose und ändert die Eigenschaften der Mikrotubuli, was zur Ausbildung der Mitosespindel führt. Weiterhin wird durch eine Proteinkinase das Histon-H1 phosphoryliert, was zu einer dichteren Verpackung der Chromosomen führt. Der nachfolgende Ablauf der Mitose gliedert sich in verschiedene Teilschritte.

Prophase Die Prophase bereitet die Kernteilung vor, indem sich die Chromosomen durch Spiralisierung verdichten. Am Ende der Prophase liegen die Chromosomen in einer physiologisch inaktiven Transportform vor, wobei jedes Chromosom hier aus den beiden in der Intermitose entstandenen Tochterchromatiden besteht. Bereits in der Intermitose und vor der Verdopplung der Tochterchromatiden lagert sich die DNA jedes Interphasechromosoms mit dem Proteinkomplex Cohesin zusammen. Bei den beiden Tochterchromatiden dient das Cohesin dann als Brücke. Es hält die Schwesterchromatiden während

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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. Abb. 1.43 a-f. Mitose einer Fisch-Bastula. a Interphase, b Prophase, c Metaphase, d frühe Anaphase, e späte Anaphase, f Telophase (nach Macleod 1973)

97 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

der gesamten G2-Phase bis zur Mitose zusammen. Während der Kondensation in der Prophase dissoziiert der größte Teil des Cohesins von den Chromosomenarmen. Ausgelöst wir die Dissoziation durch Phosphorylierung der Cohesin-Untereinheiten und die Tochterchromatiden werden nur noch locker zusammengehalten. Die Verbindung an einer bestimmten Stelle, dem Zentromer, einer spezialisierten Region des Chromosoms, die sich durch eine Anhäufung repetitiver DNA-Sequenzen auszeichnet, bleibt jedoch wesentlich enger. Die Freisetzung des verbliebenen Cohesins von den Zentromeren erfolgt erst in der Anaphase. Außerdem wandern die beiden Zentriolen zu den Zellpolen, was durch Längenzunahme der Spindelfasern geschieht. Sie werden sozusagen zu den Zellpolen geschoben und legen damit bereits die Teilungsrichtung der Zelle im Gewebe fest. Der Prozess der Zentriolenwanderung wird von Motorproteinen aus der Dynein- und Kinesinfamilie angetrieben, die an die Zentriolen binden und Energie benutzen, die bei der ATP-Hydrolyse frei wird, um an den Spindelfasern entlang zu wandern. Die Verdopplung der Zentriolen findet bereits kurz vor der S-Phase statt. Der Bildungsort der Spindelfasern sind die Mikrotubulusorganisationszentren, deren Mittelpunkt die in einem rechten Winkel zueinanderliegenden Zentriolen darstellt. Die Prophase erstreckt sich über einen Zeitraum von 0,5-4,5 h.

Prometaphase In der Prometaphase löst sich die Kernmembran auf. Diese Membran ist eine Doppelmembran, die einem netzartigen Geflecht aus Laminen, der Kernlamina, aufsitzt. Die Auflösung der Kernlamina wird durch die Phosphorylierung der Laminmoleküle mittels zyklinabhängiger Kinase begünstigt. Dadurch geht ihr Zusammenhalt verloren, und durch den Verlust der Bindung zwischen den Laminen löst sich die Kernmembran auf. Die Kernhülle zerfällt in kleine Membranvesikel, die sich in der gesamten Mitosezelle verteilen. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass dieser Mechanismus in den letzten Jahren in Frage gestellt wurde. Untersuchungen an Säugerzellen legen die Vermutung nahe, dass die Kernhülle durch mechanische Kräfte der Mikrotubuli und Molekülmotoren zerrissen wird. Nach Auflösung der Kernmembran kann der Spindelapparat an den Chromosomen ansetzen. Dabei bilden sich die Kinetochor-Spindelfasern zwischen den Zentromeren der Chromosomen und den Zentriolen aus. Die KinetochorSpindelfasern sind von den Pol-Spindelfasern zu unterscheiden, die die Zentriolen zu den Polen verschoben haben.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Metaphase Die Chromosomen liegen nun frei etwa in der Mitte des Zytoplasmas. Die Kinetochor-Spindelfasern haben nun alle Chromosomen an den Zentromeren erfasst. Aus dem Bereich des Spindelapparats werden alle größeren Zellorganellen verdrängt. Auch die Nukleolen wurden aus dem Spindelbereich eliminiert und haben sich im Grundplasma aufgelöst. Im Verlauf von wenigen Minuten gelangen die Spindelfaseransatzstellen der Chromosomen in die Äquatorialebene (Metaphaseplatte, Symmetrieebene zwischen beiden Spindelpolen) und werden durch den gegenseitigen Spindelfaserzug dort in der Schwebe gehalten (diese sternartige Figur wird auch als Monaster bezeichnet). Die Chromosomenarme ragen in dieser Phase gewöhnlich polwärts aus der Äquatorialebene heraus. In jedem Chromosomenarm wird nun ein Längsspalt sichtbar (teilweise ist dieser auch schon in der Prophase erkennbar), und zuletzt hängen die beiden identischen Spalthälften des Chromosoms, die Chromatiden, nur mehr in der Zentromerregion zusammen. Verlust des Zentromerbereichs. Durch mutative Ereignisse ist es möglich, dass

der Zentromerbereich eines Chromosoms verloren geht. Die Deletion entsteht in diesem Fall durch zwei Bruchereignisse im Zentromerbereich. Die Folge ist 4 Verlust des Chromosomenstücks zwischen den Bruchstellen und 4 Wiederverschmelzung der beiden Chromosomenarme. Da die Spindelfasern jedoch nur an einem Zentromer ansetzen können, dieser Chromosomenbereich jedoch verlorengegangen ist, ist nun eine ordnungsgemäße, exakt erbgleiche Verteilung der Chromosomen auf die beiden Tochterkerne nicht mehr möglich. Das Chromosom mit der Deletion wird zufallsgemäß bei der Zellteilung in eine der beiden Tochterzellen geraten. Damit tritt eine zahlenmäßige Veränderung im Chromosomenbestand (numerische Chromosomenmutation) in den beiden Tochterzellen auf, die entweder zum Zelltod oder zu abnormalen Zelllinien führt.

Anaphase Wie die Metaphase ist auch die darauffolgende Anaphase von relativ kurzer Dauer (2 bis 20 min). Als erstes teilen sich die Zentromeren, die in der Metaphase die beiden Chromatiden eines Chromosoms noch zusammenhielten, in der Längsachse der Chromosomen und geben damit die Chromatiden für eine

99 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

Trennung frei, was man auch als Ende der Metaphase bezeichnen kann. Dann erfolgt mit Hilfe der Spindelfasern eine Trennung der Chromatiden und ihr Transport zu den entgegengesetzten Zellpolen, mit einer Geschwindigkeit von 1 nm pro Minute. Dies geschieht durch Kürzerwerden der Kinetochormikrotubuli und weiteres Auseinanderrücken der Spindelpole. Die durch die beiden Chromatidensätze gebildeten zwei sternartigen Anordnungen werden auch als Diaster bezeichnet. Zwei Prozesse bei der Steuerung der Anaphase sind von besonderer Bedeutung. Die vollständige Trennung der Schwesterchromatiden und die Antriebskräfte der Chromosomenwanderung. Die vollständige Trennung erfolgt durch die Freisetzung des in der Prophase beschriebenen Cohesins. Eine Protease namens Separase spaltet eine wichtige Untereinheit der Cohesinmoleküle, welche die Schwesterchromatiden an den Zentromeren zusammenhalten, wodurch diese für die Anaphasebewegung freigesetzt werden. Bezüglich der Kräfte für die Chromosomensegregation werden zwei Modelle diskutiert, die möglicherweise beide zur Krafterzeugung beitragen. An den Kinetochoren wurden zytoplasmatisches Dynein und mindestens zwei kinesinähnliche Proteine nachgewiesen. Die Chromosomen sind also mit allen notwendigen Motorbestandteilen ausgestattet, um sich an einem Mikrotubulus entlang weiter zu bewegen. Das Dynein wandert am Mikrotubulus entlang zum Minusende und würde demnach auch ein angeheftetes Chromosom in die Polrichtung ziehen. Zumindest hat man nachgewiesen, dass eine Hemmung der Dyneinfunktion in der Anaphase die Wanderung der Chromosomen erheblich verlangsamt, man kann also davon ausgehen, dass dieses Motorprotein zumindest zur Polwanderung der Chromosomen beiträgt. Das zweite Modell, für das es ebenfalls experimentelle Belege gibt, geht davon aus, dass die Depolymerisierung der Chromosomen-Mikrotubuli in der Anaphase nicht die Folge der Chromosomenwanderung, sondern deren Ursache ist. Hiernach erzeugt die Depolymerisierung der Mikrotubuli an den Spindelfasern mechanische Kraft, so dass die Chromosomen vorwärts gezogen werden können. Selbst wenn jedoch die Mikrotubulimotoren nicht die entscheidenden Krafterzeuger wären, so sind sie dennoch entscheidend daran beteiligt, die Kinetochoren an die Plusenden der Chromosomenmikrotubuli zu binden, während diese ihre Untereinheiten verlieren.

Telophase Die letzte Phase der Kernteilung, die Telophase, fällt gewöhnlich mit der Zellteilung zusammen. Mit der Bildung einer neuen Kernhülle wird ein neuer

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Arbeitskern gebildet. Zur Ausbildung der neuen Kernhülle gruppieren sich zunächst Membranvesikel um einzelne Chromosomen und fusionieren dann zur Kernhülle. Auch die Kernporen werden wieder gebildet. Die Kernlamine, Intermediärfilamentproteinuntereinheiten, die in der Prophase phosphoryliert wurden, werden nun dephosphoryliert und bilden wieder die Kernlamina, die aus den Intermediärfilamenten Lamin A und C besteht, die an den Lamin-BRezeptor, ein Protein der inneren Kernmembran, gebunden und untereinander vernetzt sind. Nach Bildung der Kernhülle werden durch die Poren Kernproteine transportiert, der Kern dehnt sich aus, neue Nukleolen entstehen. Die bei der Kernteilung dicht geballten Chromosomensätze lockern sich durch Entfaltung und Entschraubung der Chromatiden auf. Mit der Entspiralisierung der Chromosomen steigt die RNA-Syntheseleistung im Kern wieder messbar an, wodurch die Proteinsynthese im Zytoplasma wieder zunimmt. Die Dauer der Telophase ist bei verschiedenen Organismen sehr unterschiedlich.

Zytokinese In der Zytokinese wird das Zytoplasma in zwei Hälften geteilt und somit werden auch andere Zellkomponenten wie Membranen, Zytoskelett, Organellen und lösliche Proteine auf die Tochterzellen verteilt. Dies geschieht mit Hilfe eines kontraktilen Ringes, der aus Aktin und Myosin besteht. Er schnürt die Zelle ein und teilt sie in zwei Tochterzellen. Die endgültige Teilung in zwei Tochterzellen wird in der immer enger werdenden Teilungsfurche in der Regel für kurze Zeit unterbrochen, da sich in der Mitte der Zelle noch Überreste der Mitosespindel befinden. Dieser Mittelkörper muss zuerst zerstört werden, wobei hier ein Zentriol offenbar als Teil eines Zytogenese-Kontroll-Punktes beteiligt ist. Danach bildet sich durch Depolarisation der Mikrotubuli, ausgehend vom Zentromer, wieder die Interphaseanordnung der Mikrotubuli (. Übersicht 1.27).

Mitoseindex Der Mitoseindex gibt die Teilungsgeschwindigkeit einer Zellpopulation an und ist in Tumoren ein Indikator für die Geschwindigkeit des Gewebewachstums.

Chromosomenanalyse Die Mitose kann in der Metaphase gehemmt, sozusagen arretiert werden. Man benutzt diese Möglichkeit zur Untersuchung des menschlichen Chromosomensatzes (Karyotyp). Eine solche Analyse wird heute in der Regel an Lym-

101 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

Übersicht 1.27. Phasen der Mitose Prophase:

4 Spiralisation der Chromosomen und Sichtbarwerden der Chromatiden 4 Wanderung der Zentriolen zu den Zellpolen, angetrieben durch Motorproteine und durch Pol-Spindelfasern

Prometaphase:

4 Auflösung der Kernhülle 4 Ausbildung der Kinetochor-Spindelfasern 4 Anordnung der Spindelfaseransatzstellen in der Äquatorialebene durch die Spindelfasern 4 Chromatiden hängen nur noch in der Zentromerregion zusammen, wodurch das typische Bild eines Metaphasechromosoms entsteht

Anaphase:

4 Teilung der Zentromeren 4 Trennung der Chromatiden und Transport zu entgegengesetzten Zellpolen

Telophase:

4 Entspiralisation der Chromosomen 4 Bildung einer neuen Kernhülle und einer Kernlamina 4 Bildung der Nukleolen 4 Auflösung des Spindelapparats

Zytokinese:

4 Durchschnürung der Zelle mit zufälliger Verteilung der Zellorganellen 4 Entstehung von zwei Tochterzellen 4 Bildung der Interphaseanordnung der Mikrotubuli

phozyten vorgenommen. Dies hat den Vorteil, dass das Untersuchungsmaterial vom Arzt leicht gewonnen werden kann. Die aus dem Blut gewonnenen Lymphozyten werden in einer Kurzzeitkultur mit Phytohämagglutinin, einem pflanzlichen mitoseanregenden Stoff, künstlich zur Teilung angeregt und mit dem synthetischen, auch in Pflanzen vorkommenden, Colchizin in der Metaphase – der günstigsten Analysephase – arretiert. Das Colchizin hemmt die Polymerisation der Mikrotubuli und verhindert damit die Ausbildung der Spindel (7 Kapitel 1.2.10). Nach hypotoner Behandlung der Zellen, z.B. mit KCl, schwellen diese durch einströmendes Wasser an und spreiten die Chromosomen für die spätere Analyse. Anschlie-

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

ßend wird das Material mit einem Gemisch aus Eisessig und Methanol fixiert und auf Objektträger verbracht. Nach entsprechender Anfärbung (Bänderung) können die Chromosomen unter dem Mikroskop betrachtet werden. Natürlich ist eine Chromosomenanalyse auch an Zellen von anderen Geweben möglich. Erwähnt seien hier Fibroblastenkulturen und Zellen des Knochenmarks, die durch Punktion gewonnen werden können (. Abb. 1.44).

Zytostatika Aus medizinischen Gründen kann es wichtig sein, die Zellvermehrung zu hemmen. So wendet man in der Tumortherapie ionisierende Strahlen an, die durch Zerstörung der DNA eine Zellvermehrung hemmen. Chemotherapeutika werden eingesetzt, um das Wachstum und die Ausbreitung eines Tumors einzudämmen. Stoffe, die eine solche Hemmung herbeiführen können, werden als Zytostatika bezeichnet. Dabei kann die zytostatische Wirkung auf einer Hemmung des Mitoseablaufs durch Mitosegifte beruhen oder direkt an den Chromosomen angreifen, z.B. durch die Induktion von Mutationen. Letztlich

. Abb. 1.44. Präparation menschlicher Chromosomen

103 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

wird durch Zytostatika, die auf mutativem Wege wirken, die DNA-Replikation gehemmt. Aber auch andere Wege zytostatischer Wirkung sind bekannt, wie die Hemmung der Nukleinsäurebiosynthese durch Antimetabolite. Zwar ist für eine Reihe von zytostatisch wirkenden Stoffen der Wirkmechanismus relativ gut aufgeklärt, dies gilt jedoch keineswegs für alle Substanzgruppen. Bei manchen wird empirisch der erwünschte Effekt beobachtet, der zugrundeliegende Mechanismus liegt jedoch im Dunkeln.

1.4.3 Amitotische Veränderung des Chromosomensatzes

Endomitose In besonders spezialisierten Zellen oder auch unter pathologischen Bedingungen (beispielsweise bei Tumoren) kann es zu einer Vermehrung der Chromosomen innerhalb der intaktbleibenden Kernmembran ohne Ausbildung einer Mitosespindel kommen. Man bezeichnet diesen Vorgang als Endomitose. Die Folge ist eine Vervielfachung des Chromosomensatzes, eine Polyploidie. Üblicherweise werden durch Polyploidisierung alle Chromosomen einer Zelle verdoppelt, vervierfacht etc. Allerdings können auch nur einzelne Chromosomen betroffen sein (partielle Endomitose). Als Beispiel für eine solche Vermehrung des Chromosomensatzes wurden bereits Osteoklasten und Fremdstoffriesenzellen angesprochen. Ein weiteres Beispiel sind die Knochenmarkriesenzellen (Megakaryozyten). Ebenso finden wir beim Menschen in einem Teil der Leberzellen eine Verdopplung des Chromosomensatzes. Die Endomitose führt zu einer Vergrößerung des Kernvolumens, was eine Vergrößerung der Zelle nach der in 7 Kapitel 1.1.2 dargestellten Kern-Plasma-Relation möglich macht. Die Zelle wird dadurch zu höheren Transkriptions- und damit zu höheren Syntheseleistungen befähigt.

Zellfusion Bei der Zellfusion finden eine Auflösung von Zellmembranen und die Bildung mehrkerniger Komplexe statt, die als Synzytien bezeichnet werden. Das bekannteste Beispiel hiefür ist die Fusion von Myoblasten zur Bildung quergestreifter Muskelfasern. Während bei der Endomitose also die Zellteilung unterbleibt, ist die Zellfusion ein sekundärer Prozess der Verschmelzung von Zellen.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Amitose Entspricht die Endomitose einer Chromosomenvermehrung ohne Zellteilung, so wird eine Zellteilung ohne Chromosomenvermehrung als Amitose bezeichnet. Ohne Ausbildung einer Teilungsspindel und ohne Auflösung der Kernhülle wird bei diesem Vorgang der Kern hantelförmig durchschnürt und die Zelle geteilt. Diese Form der Zellteilung kommt vor allem in besonders ausdifferenzierten, spezialisierten Zellen vor, bei denen sich eine Funktionsunterbrechung, wie sie durch die normale Mitose gegeben wäre, für den Organismus ungünstig auswirken würde. Dies kann auch in krankhaften Fällen vorkommen. Als Beispiele wären Ziliaten (Wimpertierchen, z.B. Pantoffeltierchen) und bestimmte Protisten zu nennen (. Übersicht 1.28). . Übersicht 1.28. Endomitose, Zellfusion und Amitose Endomitose:

Chromosomenvermehrung ohne Zellteilung

4 Folge:

Polyploidie, Vergrößerung der Zelle

4 Beispiele:

Megakaryozyten, Osteoklasten, Fremdstoffriesenzellen, Leberzellen, Tumorzellen

Amitose:

Zellteilung ohne Chromosomenvermehrung

4 Folge:

Kernfragmentation, Mehrkernigkeit

4 Beispiele:

Ziliaten und bestimmte Protisten

Zellfusion:

Sekundäre Verschmelzung von Zellen unter Auflösung von Zellmembranen

4 Folge:

Synzytien

4 Beispiele:

Myoblasten zur Bildung quergestreifter Muskelfasern

1.4.4 Regeneration und funktionelle Veränderungen

Vermehrung von Stammzellen In einem Organismus behalten keineswegs alle Zellen ihre Teilungsfähigkeit bei. Im Gegenteil, die meisten Zellen sind differenzierte Spezialisten, die gleichzeitig mit der Ausdifferenzierung ihre Fähigkeit zur Mitose verloren haben. Dabei wird die Stabilität des Zellphänotyps durch die Blockierung bestimmter Gene erreicht. Nur in wenigen Fällen kann dieser Zustand rückgängig gemacht werden, sodass es zu einer Entdifferenzierung kommt. Bei sehr vielen spezialisierten Zellen wird daher eine Gruppe von Zellen bereitgehalten, die als

105 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

Stammzellen dienen und teilungs- und entwicklungsfähig sind. Ein Zusammenschluss derartiger teilungsfähiger Zellen in Form einer Zellschicht nennt man Blastem. So erfolgt die Vermehrung bzw. Regeneration von Haut und Schleimhäuten (Epithelien) des Menschen durch ein Blastem, das Stratum germinativum. Stammzellen können pluripotent sein. So müssen Knochenmarkzellen im Rahmen der Hämatopoese (Blutbildung) zahlreiche Zelltypen liefern, weil die roten und ein Teil der weißen Blutkörperchen nicht mehr zu einer Teilung befähigt sind (. Übersicht 1.29). . Übersicht 1.29. Zelltypen der Hämatopoese, die von pluripotenten Stammzellen abstammen

Pluripotente Stammzellen

Erythrozyten Neutrophile Granulozyten Eosinophile Granulozyten Basophile Granulozyten Lymphozyten Monozyten (Makrophagen) Megakaryozyten Mastzellen (in Kultur)

Rote Blutkörperchen Leukozyten Weiße Blutkörperchen

Auch in der weiter unten beschriebenen Spermatogenese wird der Nachschub der Zellen durch Stammzellen gewährleistet. Grundsätzlich hat bei der Zellteilung einer Stammzelle jede Tochterzelle die Wahl, entweder eine Stammzelle zu bleiben oder eine ausdifferenzierte Zelle zu werden. Man bezeichnet dies als differenzielle Zellteilung. Somit sind bei der Stammzellteilung grundsätzlich zwei denkbare Möglichkeiten gegeben: 4 Eine einfache Möglichkeit wäre, dass bei der Teilung einer »unsterblichen« Stammzelle grundsätzlich eine Asymmetrie herrscht. Die Tochterzellen wären dann eine unsterbliche Stammzelle und eine Zelle, die in die Differenzierung geht, mit der Folge abzusterben. 4 Die zweite Möglichkeit ist die höherer Flexibilität, dass nämlich aus einer Stammzelle je nach Bedarf auch zwei Stammzellen werden können. Nach diesem Mechanismus ist es möglich, die Proliferationseinheiten schnell zu vermehren. Dagegen bliebe nach dem ersten Beispiel die Zellzahl der Stammzellen immer gleich und somit könnte abhängig von der fixen Zahl der

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Abb. 1.45. Proliferationseinheit bei einer differenziellen Zellteilung mit Erhalt einer Stammzelle von Generation zu Generation

Stammzellen auch nur eine unflexible Zahl sich differenzierender Zellen gebildet werden. Dies gerade wäre jedoch beispielsweise für die Haut (Epidermis), die nach Verletzungen schnell regeneriert werden muss, außerordentlich ungünstig. Dabei ist zu beachten, dass jede Proliferationseinheit in jeder Generation mindestens eine »unsterbliche« Stammzelle bilden muss (. Abb. 1.45).

Adaption von Zellen Durch funktionelle Belastung eines Organs oder Gewebes kann es zu einer kurzfristig einsetzenden lokalen Zellvermehrung kommen (numerische Regeneration). Die daraus resultierende Organ- oder Gewebevergrößerung bezeichnet man als Hyperplasie. Bei der Hypertrophie werden im Gegensatz zur Hyperplasie keine Zellen vermehrt, stattdessen vergrößern sich die Zellen. Dies kann mit einer Polyploidisierung ganzer Chromosomensätze oder einzelner Chromosomen (Aneuploidie) einhergehen. Die Vergrößerung der Zellen dient insbesondere der Ver-

107 1.4 · Zellzyklus und Zellteilung

mehrung von Funktionsstrukturen in den Zellen. Der gegenteilige Vorgang der Verkleinerung von Zellen wird als Hypotrophie bezeichnet. Von einer Metaplasie spricht man, wenn eine Gewebeart in eine andere umgewandelt wird. Dabei werden differenzierte Zelltypen umgewandelt, dies geschieht normalerweise durch eine inadäquate Reizung von Geweben. Klinik Metaplasien von Epithelien Das Epithel in den Bronchien zeigt normalerweise hochprismatische Zellen. Durch Rauchen entwickeln sich typische Plattenepithelzellen, die die hochprismatischen Zellen in diesem Bereich verdrängen. Ein anderes Beispiel ist die Verschleimung von Epithelien bei Überdosierung von Vitamin A.

Eine weitere Adaption von Zellen auf Umwelteinflüsse ist die Atrophie. Diese stellt eine erworbene Abnahme der Größe eines Organs oder Gewebes dar. Dies geschieht entweder durch Verkleinerung von Zellen (einfache Atrophie) oder durch Verminderung der Zellzahl (zelluläre Atrophie). Bei der Abnahme der Zellzahl liegt meist ein pathologischer Regenerationsmangel vor, die teilungsfähigen Zellen sind geschädigt (. Übersicht 1.30). Klinik Muskelhypertrophie und -atrophie Beim Muskeltraining kommt es zu einer Vergrößerung der Muskelzellen mit einer Vermehrung der Myofibrillen. Bei Minderbelastung bzw. Nichtgebrauch zeigt sich dagegen eine Muskelatrophie. Hier handelt es sich um einen Abbau von Funktionsstrukturen zur Muskelbewegung.

Zelluläre Atrophie Strahlen, Toxine (z.B. Benzol) und Medikamente (z.B. Zytostatika) sind in der Lage, eine pathologische Atrophie der blutbildenden Zellen des Knochenmarks herbeizuführen. Die Folgen sind Leukozytopenie, Thrombozytopenie und Anämie. Eine entsprechende Schädigung der teilungsfähigen Zellen nach Zytostatika kennt man in Haarwurzeln (Haarausfall) und in der Dünndarmschleimhaut.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Übersicht 1.30. Gewebeveränderungen Atrophie:

Organ- und Gewebeverkleinerungen durch Verkleinerung von Zellen oder Verminderung der Zellzahl

Hypotrophie:

Verkleinerung von Zellen ohne Zellverminderung

Hypertrophie:

Vergrößerung von Zellen ohne Zellvermehrung, z. T. mit Polyploidie oder Aneuploidie

Hyperplasie:

Organ- oder Gewebevergrößerung durch Vermehrung der Zellzahl (numerische Regeneration)

Metaplasie:

Umwandlung einer Gewebeart mit differenziertem Zelltyp in eine andere, normalerweise durch inadäquate Reizung

1.5

Meiose (Keimzellbildung)

1.5.1 Entwicklung der Geschlechtszellen

Wenn die Zahl der Chromosomen in jeder Generationen konstant bleiben soll, so muss der diploide Chromosomensatz (2n), der in jeder Körperzelle des Menschen vorhanden ist, in den Geschlechtszellen auf die Hälfte reduziert werden. Erst dann können die haploide Eizelle (1n) und das haploide Spermium (1n) zur Zygote verschmelzen, die damit wieder einen diploiden Chromosomensatz besitzt (. Abb. 1.46).

. Abb. 1.46. Stark vereinfachtes Schema zur Reifeteilung und Befruchtung

109 1.5 · Meiose (Keimzellbildung)

Diesen Vorgang bezeichnet man als Meiose (Reifeteilung). In der Meiose werden im Gegensatz zur Mitose homologe Chromosomen voneinander getrennt und damit der Chromosomensatz auf die Hälfte reduziert. In der Mitose werden dagegen Chromatiden getrennt, der Chromosomensatz wird nicht reduziert. Die Entwicklung der Geschlechtszellen wird als Spermatogenese und Oogenese bezeichnet. Beide Vorgänge stimmen hinsichtlich der Teilungsfolge und Verteilung der Chromosomen grundsätzlich überein (. Abb. 1.47). 4 Die Urkeimzellen sind wie Körperzellen diploid. Sie führen zunächst zahlreiche mitotische Teilungen durch und produzieren eine große Zahl von Spermatogonien und Oogonien. 4 Diese entwickeln sich weiter zu Spermatozyten I. Ordnung und Oozyten I. Ordnung, beides noch diploide Stadien. 4 Diese Stadien treten nun in die Reduktionsteilung ein, die sich in zwei Reifeteilungen (R I und R II) aufgliedert, und entwickeln sich über Spermatozyten II. Ordnung und Oozyten II. Ordnung 4 entweder zu reifen Spermien oder zu Eizellen und Polkörpern. Jede diploide Spermatogonie bildet somit 4 haploide Spermien, jede diploide Oogonie 1 Eizelle und 3 Polkörper. Bevor wir nun auf die speziellen Verhältnisse, die wir beim Menschen vorfinden, genauer eingehen, ist es notwendig, den entscheidenden Schritt in der Keimzellentwicklung, die Meiose, detailliert zu besprechen.

1.5.2 Ablauf der Meiose

S-Phase Bevor die Geschlechtszellen in die Meiose eintreten, durchlaufen sie eine ähnliche Entwicklung wie gewöhnliche Körperzellen in der Interphase vor einer Mitose. Auch hier finden wir während der letzten prämeiotischen Interphase eine S-Phase, in der die Replikation der DNA stattfindet. Die so vorbereiteten Zellen treten nun in die erste Reifeteilung ein. Die Verteilung der Chromosomen in der Meiose läuft, wie bereits erwähnt, in zwei Teilschritten ab: 4 In der ersten Reifeteilung (R I) werden die homologen Chromosomen, die aus zwei Chromatiden bestehen, voneinander getrennt (. Abb. 1.48).

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

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. Abb. 1.47. Vergleichendes Schema von Oogenese und Spermatogenese

111 1.5 · Meiose (Keimzellbildung)

. Abb. 1.48. Erste Reifeteilung der Meiose

4 Die zweite Reifeteilung (R II) entspricht prinzipiell einer Mitose, in der die beiden Chromatiden voneinander getrennt werden (. Übersicht 1.31).

Verlauf der 1. Reifeteilung Prophase I

Die Prophase I lässt sich wiederum in mehrere Teilschritte aufteilen. Leptotän. Die Chromosomen spiralisieren sich und werden als feine Fäden sichtbar. Die Spiralisierung verstärkt sich von dieser Phase bis in die Metaphase hinein weiter. Eine Zweiteilung der Chromosomen in die Chromatiden ist noch nicht sichtbar. Jedes Chromosom ist mit beiden Enden, den Telomeren, an der Kernmembran fixiert.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Übersicht 1.31. Meiose 1. Reifeteilung (RI) Prophase I 4 Leptotän:

Sichtbarwerden der sich spiralisierenden Chromosomen Fixierung der Telomeren an der Kernmembran

4 Zygotän:

Synapsis, synaptonemaler Komplex ist für exakte Paarung verantwortlich

4 Pachytän:

Sichtbarwerden von Bivalenten mit 4 Chromatiden = Tetradenstadium Rekombination durch Crossing-over

4 Diplotän:

Lockerung der Parallelkonjugation durch Auflösung des synaptonemalen Komplexes Chiasmata werden sichtbar

4 Diakinese:

Weiteres Auseinanderweichen der homologen Chromosomen

Metaphase I

Formierung der Bivalente in der Äquatorialplatte Auflösung der Chiasmata

Anaphase I

Trennung der homologen Chromosomen und Bewegung zu entgegengesetzten Polen

Interkinese

Bildung zweier haploider Tochterkerne

2. Reifeteilung (RII) Prophase II Metaphase II Anaphase II Telophase II

Entspricht mitotischer Teilung, wobei als Ergebnis die homologen Chromatiden getrennt werden und 4 Zellen mit haploidem Chromosomensatz entstehen



Karyotyp Diploid, 4 Chromatiden

Genetische Rekombination unter Erhaltung einer konstanten Chromosomenzahl

Haploid, 2 Chromatiden

Haploid 1 Chromatide

Zygotän. Im Zygotän beginnen sich die homologen Chromsomen (oft von den Enden her fortschreitend) parallel aneinander zu lagern. Dieser Vorgang wird als Synapsis bezeichnet und stellt den entscheidenden ordnenden Vorgang in der Meiose dar. Die Chromosomenpaare liegen nun mit den einander entsprechenden Genorten exakt nebeneinander. Dies wird durch die »Schienung« mittels eines proteinartigen Bandes erreicht, an das sich die beiden Schwesterchromatiden anlagern. Die Proteinachsen der homologen Chromosomen liegen dann einander gegenüber. Zwischen ihnen sieht

113 1.5 · Meiose (Keimzellbildung)

man im Elektronenmikroskop einen Zwischenraum, den synaptonemalen Komplex. Pachytän. In dieser Phase wird erkennbar, dass jedes Chromosom aus zwei Chromatiden aufgebaut ist, sodass insgesamt 4 parallele Stränge sichtbar werden, die sich paarweise umeinander winden. Man beachte, dass die Chromatiden nicht etwa im Pachytän erst gebildet werden, sie werden lediglich in diesem Stadium sichtbar. Ihre Bildung, d.h. die Replikation der DNA, hat schon vor Beginn der Prophase I in der S-Phase der Interphase stattgefunden. Die gepaarten homologen Chromosomen bezeichnet man als Bivalente. Da sich diese Bivalente aus 4 Chromatiden zusammensetzen, spricht man auch von einem Tetradenstadium. Diplotän. Die Parallelkonjugation lockert sich allmählich wieder. Dabei ist an

bestimmten Stellen noch eine Verbindung zwischen den homologen Chromosomen zu erkennen, bei der sich jeweils eine Chromatide mit einer des anderen Chromosoms zu überkreuzen scheint. Diese Überkreuzung wird auch als Chiasma bezeichnet. Diakinese. Die homologen Chromosomen weichen noch weiter auseinander

und werden von der Kernmembran abgelöst, wobei sich in vielen Fällen die Chiasmata an die Enden der Chromosomen verlagern. Diese Terminalisierung entsteht vermutlich unter dem Zug der auseinanderweichenden Chromosomen. Die Chiasmata können dann ganz abreißen oder werden noch bis in die Metaphase aufrechterhalten. Mit der Diakinese ist die Prophase I beendet. Metaphase I

Die homologen Chromosomen formieren sich als Bivalente in der Äquatorialplatte. Die Kernmembran hat sich inzwischen aufgelöst. Die Zentromeren der Chromosomen richten sich nach einem der Spindelpole aus. Da diese Orientierung zufallsgemäß erfolgt, kann sich durchaus in einem ersten Bivalent beispielsweise das Zentromer des väterlichen Chromosoms zu dem einen Spindelpol, in einem zweiten Bivalent zum anderen Pol hin orientieren. Anaphase I

Die gepaarten Chromosomen trennen sich nun und wandern, das Zentromer voraus, aus der Äquatorialplatte polwärts.

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Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Interkinese

Am Ende der 1. Reifeteilung bilden sich zwei haploide Tochterkerne.

Verlauf der 2. Reifeteilung Bei der zweiten Reifeteilung handelt es sich um eine mitotische Teilung. Sie schließt sich ohne zwischengeschaltete S-Phase unter Umgehung einer Intermitose und einer ausgedehnten Prophase direkt an die Interkinese der ersten Reifeteilung an. Die zweite Reifeteilung trennt die Chromatiden des haploiden Chromosomensatzes der in der ersten Reifeteilung entstandenen beiden Tochterzellen. Die . Abbildung 1.49 zeigt den gesamten Verlauf der Spermatogenese im zytologischen Bild.

1.5.3 Funktion und Fehlfunktionen der Reifeteilung

Verteilung des Erbguts Aus jeder in die Meiose eintretenden diploiden Zelle entstehen 4 haploide Zellen. Das Erbgut wird bereits vor der Meiose in der S-Phase repliziert. Vor dieser Replikation ist jedes aus nur einer Chromatide bestehende Chromosom doppelt vorhanden. Nach der Replikation haben wir 2 homologe Chromosomen, die aus je 2 Chromatiden bestehen, also insgesamt 4 Chromatiden. In der ersten Reifeteilung werden die beiden homologen Chromosomen getrennt, in der zweiten Reifeteilung die homologen Chromatiden jedes dieser Chromosomen auf 4 Meioseprodukte verteilt. Dabei bleibt es dem Zufall überlassen, aus welchen Chromosomen (der väterlichen oder mütterlichen Linie) die vier haploiden Chromsomensätze zusammengestellt werden. Überdies werden im Diplotän Chiasmata zwischen homologen Chromosomen erkennbar. Diese Chiasmata sind die zytologisch sichtbaren Folgen eines Austauschs von Teilen des Erbguts, der im sog. Crossing-over der Prophase I stattgefunden hat. Beim Crossing-over findet in zwei Nicht-SchwesterChromatiden homologer Chromosomen an den gleichen Stellen ein Bruch statt. Diese Bruchstellen vereinigen sich dann über Kreuz. Crossing-over-Prozesse ermöglichen also eine Neuverteilung der Gene innerhalb der Kopplungsgruppe. Durch diesen Vorgang wird die genetische Kombinationsfähigkeit über die zufällige Verteilung der väterlichen und mütterlichen Chromosomen hinaus noch erhöht (. Abb. 1.50).

115 1.5 · Meiose (Keimzellbildung)

. Abb. 1.49. Verlauf der Spermatogenese beim chinesischen Hamster mit charakteristischen Stadien der 1. und 2. Reifeteilung. 1 Spermatogonienmetaphase. 2 Präleptotän. 3 Leptotän. 4 Zygotän. 5 Pachytän. 6 Diplotän. 7 Metaphase I. 8 Metaphase II. 9 Spermatiden. 10 Spermien

1

116

1

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

. Abb. 1.50. Crossing-over und zytologisch sichtbares Chiasma

Chromosomenfehlverteilungen Sowohl in der 1. als auch in der 2. Reifeteilung kann es zu Chromosomenfehlverteilungen kommen, die beim Menschen zu Trisomien führen, dem Auftreten von 3 homologen Chromosomen. Ursache hierfür sind meiotische Nondisjunctionprozesse. Nach allgemeiner Annahme haben Chiasmata nicht nur die Funktion der Rekombination durch Crossing-over, sondern sind auch zur Erkennung der homologen Chromosomen notwendig. Beispielsweise haben Oozyten eine lange Ruhephase bis zur Befruchtung. Hier können sich offenbar Chiasmata lösen, wobei das Risiko mit zunehmendem Alter der Frau ansteigt. Dadurch werden homologe Chromosomen nicht mehr als solche erkannt und können fehlverteilt werden. Dies ist die Hauptursache für den Anstieg der Trisomierate bei Spätgebärenden.

1.5.4 Spermato- und Oogenese

Nachdem wir nun die Meiose als entscheidenden Schritt der Keimzellenentwicklung kennen gelernt haben, können wir die Morphogenese der Keimzellenentwicklung, wie sie beim Menschen stattfindet, genauer darstellen. Dies trägt wesentlich zum Verständnis der Chromosomenfehlverteilungen des Menschen bei.

117 1.5 · Meiose (Keimzellbildung)

. Abb. 1.51. Querschnitt durch einen Säugerhoden

Entwicklung des Spermiums Die Spermatogonien legen während ihrer Entwicklung zu reifen Spermien eine räumliche Wanderung im Hoden zurück. Querschnitte des Säugerhodens (. Abb. 1.51) zeigen eine konzentrische Zonierung von Samenkanälchen. Die Spermatogonien nehmen hier eine periphere Lage ein, während ihre Abkömmlinge, solange sie die Spermatogenese durchlaufen, fortschreitend von der Wand der Kanälchen abdrängen. Da bei der Teilung einer Spermatogonie immer nur ein Abkömmling zur Spermatozyte I wird, während der andere den Charakter einer Spermatogonie beibehält, findet bis zum Erlöschen der Geschlechtsfunktion eine Vermehrung der primordialen (bei der Geburt bereits angelegten) Geschlechtszellen statt, die Anzahl der insgesamt erzeugten Spermien ist folglich sehr groß. Beim Menschen sind alle Stammspermatogonien bereits bis zur Pubertätszeit gebildet. Beim geschlechtsreifen Mann treten jede Sekunde eine große Anzahl diploider Spermatozyten in die wenige Stunden dauernde Reduktionsteilung (Meiose) ein und führen zu 4 Spermatiden (runde Zellen mit Plasma). Die Spermatiden entwickeln sich dann ohne weitere Zellteilung zu reifen Spermien. Hierbei machen sie einen bemerkenswerten Differenzierungsprozess durch. Aus den relativ undifferenzierten Spermatidenzellen entwickeln sich hochdifferenzierte, bewegliche Zellen. Diese Spermien bestehen aus einem

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118

1

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Kopf, einem Mittel- und einem Schwanzstück. Der Spermienkopf lässt sich in ein Akrosom und einen Kern unterteilen. Der Kern enthält das genetische Material in Form eines haploiden Chromosomensatzes mit extrem kondensierten Chromosomen. Im Mittelstück liegen zwei Zentriolen (sie sind die späteren Zentriolen der befruchteten Eizelle) sowie Mitochondrien, die eine Rolle bei der Bewegung des Schwanzstückes spielen, das als Geißel ausgebildet ist (. Abb. 1.52).

Entwicklung der Oozyte Wie . Abbildung 1.47 zeigt, sind Spermatogenese und Oogenese genetisch identische Prozesse. Sie dienen beide der Reduktion des Chromosomenbestands von 2n auf 1n und damit der Produktion befruchtungsreifer Ge. Abb. 1.52. Schematischer Aufbau eines reifen Spermiums

119 1.5 · Meiose (Keimzellbildung)

schlechtszellen. Dennoch zeigen beide Prozesse im meiotischen Geschehen eine ganze Reihe von prinzipiellen Unterschieden, wie das Studium der Oogenese des Menschen zeigt (. Abb. 1.53 und . Übersicht 1.32). . Übersicht 1.32. Vergleich des Ablaufs der Spermatogenese und der Oogenese Spermatogenese

Oogenese

1. Monat 3. Monat

Urkeimzellen Spermatogonien

Urkeimzellen Oogonien RI

7. Monat Geburt: Pubertät:

Spermatogonien Spermatogonien Stammspermatogonien und Spermatozyten I

Oozyten I Diktyotänstadium Diktyotän, Oozyten I

R I und R II

Ende R I und unvollständige R II 1. Ovulation

Ständiges Durchlaufen der Spermatogenese mit differenzieller Teilung der Stammspermatogonien zu:

Pro Zyklus nehmen 10-50 Oozyten die Meiose wieder auf und entwickeln sich zu:

Stammspermatogonien

Metaphase-II-Oozyten

Spermien

Pronukleusstadium

Zygote

Die weibliche Meiose beginnt im Gegensatz zu der männlichen bereits während der Embryonalentwicklung und endet erst Jahrzehnte später nach der Befruchtung der Eizelle. Etwa bis zum 3. Monat der Embryonalentwicklung finden sich in der Keimbahn ausschließlich mitotische Zellteilungen. Dann tauchen die ersten meiotischen Kerne auf. Pachtyän- und Diplotänstadien werden im 7. Monat beobachtet. Gleichzeitig beginnen bis zum 7. Monat immer neue Oogonien die Meiose. Nach dem Diplotänstadium entwickelt sich die

1

120

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

1

. Abb. 1.53. Schema der Meiose der Frau

121 1.5 · Meiose (Keimzellbildung)

Meiose nicht wie üblich weiter. Die Chromosomentetraden, die sich nun eigentlich in der Äquatorialplatte anordnen sollten, strecken sich stattdessen und lockern sich unter Erhaltung der Chiasmata wieder auf. Die Zellen gehen in ein Wartestadium über (Diktyotän). Kurze Zeit nach der Geburt befinden sich alle Geschlechtszellen eines Mädchens, das sind etwa 400.000 bis 500.000, in diesem Oozytenstadium. In diesem Ruhestadium können nun die Oozyten für viele Jahre, ja Jahrezehnte, verbleiben. Bis zum Beginn der Pubertät degenerieren allerdings bereits 90% der angelegten Oozyten. Mit Eintritt der Geschlechtsreife nehmen von den verbliebenen Oozyten in der ersten Hälfte des Monatszyklus ca. 10-50, angeregt durch Hormone, die

. Abb. 1.54. Befruchtete menschliche Eizelle im Vierzellstadium: Zona pellucida und eine größere Anzahl von Spermien sind gut zu erkennen (nach Edwards)

1

122

1

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

Meiose wieder auf. Darauf folgen die Diakinese, die die Prophase I der ersten meiotischen Teilung beendet, dann die Metaphase I, die Anaphase I, die Telophase I und im Abstand von wenigen Minuten die Prophase II und Metaphase II. In diesem Stadium kommt die Entwicklung erneut zum Stillstand. Zytologisch findet man eine ungleiche Plasmaverteilung zwischen Eizelle und 1. Polkörper. Beide Zellen bleiben jedoch umschlossen von einer dicken Proteinhülle (Zona pellucida). Einige Stunden nach Erreichen der Metaphase II findet, durch Hormone induziert, die Ovulation (der Eisprung) statt. Üblicherweise verlässt nur eine Oozyte den Eierstock und wird vom Eileiter aufgefangen. Die anderen im gleichen Zyklus herangereiften Oozyten degenerieren. Im Eileiter kann nun das Eindringen des Spermiums und damit die Besamung der Metaphase-II-Oozyte stattfinden. Erst danach führt die Metaphase-II-Oozyte die Meiose zu Ende, wobei der 2. Polkörper abgetrennt wird. Das jetzt vorliegende Stadium wird als Pronukleusstadium bezeichnet, da sich jeweils um die haploiden Chromosomensätze der Oozyte und des Spermiums eine Kernmembran ausbildet und so jeweils ein Pronukleus entsteht. Anschließend verschmelzen die beiden Pronuklei zum diploiden Zygotenkern, der sich in schneller Folge mitotisch weiterteilt (. Abb. 1.54).

1.6

Zelltod

1.6.1 Apoptose

Der programmierte Zelltod wurde ursprünglich an B-Lymphozyten nach Behandlung mit Glukokortikoiden beobachtet. Die Zellen schrumpfen, der Kern wird zerschnitten, die Zellmembran zerfällt und die Reste werden phagozytiert. Heute wissen wir, dass die Apoptose, neben der Proliferation und Differenzierung von Zellen, ein ganz normaler Vorgang ist, um zum einen ausgeglichene Zellpopulationen zu sichern und zum anderen bei der Embryonalentwicklung von wesentlicher Bedeutung ist. So sterben z.B. im Knochenmark und im Darm von gesunden Menschen pro Stunde Milliarden von Zellen. Grundsätzlich ist das Überleben einer Zelle von externen oder internen Signalen abhängig. Unter bestimmten Bedingungen aktiviert sich ein intrazelluläres Selbstmordprogramm, eben der programmierte Zelltod. Dabei ist wichtig, dass durch Apoptose andere Zellen nicht in Mitleidenschaft gezogen

123 1.6 · Zelltod

werden. Der Inhalt der Zellen wird dichter, die Zelle schrumpft, das Zytoskelett kollabiert, die Kernhülle löst sich auf, die DNA wird zerschnitten und der Kern fragmentiert. Anschließend werden die Zellreste von Nachbarzellen oder von Makrophagen phagozytiert, bevor ihr Inhalt austreten kann. Zellen, die stattdessen nach einer Verletzung sterben, schwellen an und platzen und verteilen ihren Inhalt über die Nachbarzellen (Zellnekrose). Dies kann zu Entzündungsreaktionen führen, was durch apoptotische Vorgänge verhindert wird. Der eigentliche Ablauf der Apoptose beginnt mit der Aktivierung einer Proteinfamilie mit dem Namen Caspasen zu einem frühen Zeitpunkt der Apoptose. Sie sind verantwortlich für die meisten, ja vielleicht sogar alle im Verlauf des Zelltods beobachteten Veränderungen. Caspasen sind eine Gruppe von Zysteinproteasen, das sind Proteasen mit einem Zysteinrest im katalytischen Zentrum. Diese spalten eine Gruppe von essentillen Proteinen. Dies sind: 4 Mehr als ein Dutzend Proteinkinasen einschließlich der fokalen Adhäsionskinase, deren Inaktivierung die Zelladhäsion der apoptotischen Zelle verstärkt. 4 Lamine, womit der Zerfall der Kernmatrix und die Schrumpfung des Zellkerns eingeleitet wird. 4 Proteine des Zytoskeletts, wie z.B. die Bestandteile von Intermediarfilamenten (Aktin, Tubulin, Gelsolin) 4 Eine Endonuklease, die die DNA angreift und in Bruchstücke zerlegt. Der Ablauf dieser Kaskade führt zum programmierten Zelltod, der in weniger als einer Stunde abgeschlossen sein kann. Bei den Signalwegen, die zur Apoptose führen unterscheidet man zwischen dem extrinsischen oder todesrezeptorvermittelten Signalweg und dem intrinsischen Signalweg. Bei ersterem führt die Bindung eines extrazellulären Liganden (z.B. von Tumornekrosefaktor TNF) zur Konformationsänderung eines Rezeptors, welche dann die Bindung und Aktivierung nach geschalteter Proteine, nämlich der beschriebenen Caspasen, bewirkt. Beim intrinsichen Signalweg, den man auch als den mitochondrienvermittelten bezeichnet, sind es interne Stimuli, wie genetische Schäden, extrem hohe Ca2+-Konzentration, oxidativer Stress oder das Fehlen von Überlebenssignalen, die die Apoptose einleiten. Es werden proaptotische Proteine der Bcl-2-Familie aus dem Zytosol an die äußere Mitochondrienmembran verlegt, was zur Frei-

1

124

1

Kapitel 1 · Allgemeine Zellbiologie, Zellteilung und Zelltod

setzung von Zytochrom c führt, womit das entscheidende apoptotische Ereignis eingeleitet wird. Im Zytosol angelangt wird Zytochrom c zum Teil eines Multienzymkomplexes (Apoptosekörperchen) zu dem auch Vertreter der Caspasefamilie gehören, durch welche dann die Apoptose eingeleitet wird. Beide Wege konvergieren also letztlich durch die Aktivierung derselben Caspasen. Wie bereits erwähnt spielt die Apoptose während der Embryonalentwicklung eine bedeutende Rolle. So entstehen unsere Finger und Zehen durch programmierte Zellauflösung. Sie trennen sich erst voneinander, wenn die Zellen in den Zwischenräumen sterben. Auch Nervenzellen werden embryonal im Überschuss gebildet. Nur die Zellen überleben, die von den Zielzellen, die sie innervieren sollen, die richtigen Signale erhalten. Im Intermitosezyklus wirkt p53 Apoptose induzierend, wenn entstandene DNA-Schäden nicht repariert werden können. Ist p53 selbst mutiert, kommt es zur ungebremsten Proliferation.

1.6.2 Nekrose

Die Nekrose ist der lokale Gewebstod in einem Organismus als Folge einer Stoffwechselstörung, z.B. Sauerstoffmangel oder unter der Einwirkung chemischer, physikalischer oder traumatischer Ursachen. Die Nekrose ist immer mit Entzündungszeichen und in der Regel mit einer Wunde verbunden. Innerhalb der Zellen findet ein degenerativer körnig-bröckeliger Zerfall des Chromatins (Karyorhexis) statt, dem die Karyolyse, also die Auflösung des Zellkerns, bzw. die Kernpyknose folgt, die Verdichtung des Kerns. Schließlich kommt es zur Ruptur, also zum Zerreißen der Zellmembran. Der Zellinhalt ergießt sich über Nachbarzellen, was die Entzündungsreaktionen verursacht (. Übersicht 1.33). . Übersicht 1.33. Apoptose und Nekrose Apoptose:

Programmierter Zelltod, durch andere Zellen ausgelöst und durch »Selbstmordproteasen« ausgeführt

Zweck der Apoptose:

Sicherung ausgeglichener Zellpopulationen, Zellersatz, Embryonalentwicklung, unschädliche Beseitigung von Zellen

Nekrose:

Platzen oder Zerfall von Zellen mit Entzündungserscheinungen. Von außen ausgelöster Zelltod, häufig durch Wunden

2 2

Grundlagen der Humangenetik

2.1

Organisation und Funktion eukaryotischer Gene – 126

2.2

Chromosomen des Menschen – 210

2.3

Formale Genetik – 232

2.4

Gonosomen, Geschlechtsbestimmung und -differenzierung – 269

2.5

Mutationen – 277

2.6

Klonierung und Nachweis von Genen und Mutationen – 320

2.7

Entwicklungsgenetik – 351

2.8

Populationsgenetik – 354

126

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

> > Einleitung

2

Im vorhergehenden Kapitel haben wir einen Einblick in den Zellaufbau erhalten. Wir haben dabei erkannt, dass die Zelle eine Art biologischer Fabrik darstellt. Mit dem Elektronenmikroskop konnten wir wie bei einer Werksbesichtigung einiges über den Fabrikationsablauf in den einzelnen Werkshallen, den Organellen, erfahren. Wir wollen nun versuchen, eine Dimension tiefer zu gehen, und die Maschinen dieser Fabrik, ihre Steuerung und ihre Produkte näher betrachten. Die molekularbiologische Forschung unserer Zeit erschloss gerade auf diesem Gebiet spannende Zusammenhänge, die unser Verständnis für die Biologie der Zelle beträchtlich vertieft haben.

2.1

Organisation und Funktion eukaryotischer Gene

2.1.1 Träger der Erbinformation

Wie bereits erwähnt bestehen Chromosomen aus Desoxyribonukleinsäure (DNA), Histonen (basischen Proteinen) und nicht-basischen Proteinen. Auch wurde die DNA bereits als Träger der genetischen Information beschrieben (. Übersicht 2.1). Diese Behauptung kann auch mit experimentellen Daten belegt werden. . Übersicht 2.1. Biologische Aufgaben des Erbmaterials Replikation:

Präzise Verdopplung während der Zellteilung

Speicherung:

Speicherung der gesamten notwendigen biologischen Funktion

Weitergabe:

Weitergabe der genetischen Information an die Zelle

Stabilität:

Aufrechterhaltung der Strukturstabilität um Erbänderungen (Mutationen) zu minimieren

Seit über 100 Jahren ist bekannt, dass die Erbinformation in den Chromosomen lokalisiert ist. Jedoch hielt man viele Jahrzehnte hindurch die Proteine für die Träger der Erbinformation. Experimente von Avery und Mitarbeitern lieferten aber im Jahr 1944 den zweifelsfreien Beweis für die DNA als Träger der genetischen Information. Damit wurde die Epoche der molekularen Genetik eingeleitet.

127 2.1 · Organisation und Funktion

Experimenteller Beweis Die Arbeiten von Avery gründeten sich auf ein Experiment, das von Griffith bereits 1928 durchgeführt worden war und den eigentlichen Beweis für die Behauptung, das genetische Material bestehe aus Desoxyribonukleinsäure, schon erbracht hatte. Die Befunde konnten jedoch erst 1944 richtig gedeutet werden. Griffith arbeitete mit zwei Stämmen von Pneumokokken (Bakterien, die zu den Erregern der Lungenentzündung zählen), einem krankheitserregenden (virulenten) S-Stamm, der sich durch Umhüllung mit einer Polysaccharidkapsel auszeichnet, und einem R-Stamm, der durch Mutation die Fähigkeit zur schützenden Kapselbildung verloren hat und infolgedessen nicht virulent ist (. Abb. 2.1). Er injizierte Mäusen den nicht virulenten R-Stamm zusammen mit hitzegetöteten und damit ebenfalls nicht mehr virulenten S-Zellen. Zu seiner Überraschung starben die Versuchsmäuse an Infektionen, die durch virulente S-Zellen verursacht wurden. Offenbar waren die toten Zellen in der Lage, die Eigenschaft, Kapseln zu bilden, auf die lebenden, nicht virulenten R-Zellen zu transformieren und sie damit zu virulenten S-Zellen umzuformen. Aufbauend auf den Befunden von Griffith stellten Avery und seine Mitarbeiter nun gereinigte Bakterienextrakte her und erkannten durch chemische Analysen, dass die transformierende Substanz DNA ist. Weiter stellten sie fest, dass Agenzien, wie z.B. DNase (ein DNA abbauendes Enzym), die Transformationsfähigkeit der DNA zerstören. Proteinschädigende Agenzien blieben dagegen ohne Einfluss. Die DNA übertrug also in den Experimenten von Griffith die Fähigkeit, Kapseln zu bilden, von dem virulenten Donatorstamm auf den nicht virulenten Akzeptorstamm. Damit war der Beweis für die DNA als Träger der genetischen Information geliefert.

RNA als Träger genetischer Information Außer Desoxyribonukleinsäure kann auch Ribonukleinsäure (RNA) als Träger der genetischen Information dienen. So enthalten viele pflanzen- und tierpathogene Viren keine DNA, sondern ausschließlich RNA.

2.1.2 Aufbau der DNA

Bestandteile Nukleinsäuren sind Moleküle mit Molekulargewichten in der Größenordnung von Millionen. Durch nukleinsäurespaltende Enzyme (Nukleasen) lassen sich

2

128

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

2

. Abb. 2.1. Versuche von Griffith, die zur Entdeckung der bakteriellen Transformation führten und den entscheidenden Beweis für die DNA als Träger der genetischen Information lieferten

129 2.1 · Organisation und Funktion

diese Makromoleküle in Untereinheiten spalten, deren Molekulargewicht etwa 350 beträgt. Man bezeichnet diese monomere Untereinheit der Nukleinsäuren als Nukleotid. Ein Nukleotid besteht aus: 4 einer spezifischen stickstoffhaltigen Base, 4 einer Pentose, 4 einer Orthophosphatgruppe. Die Verbindung von Base und Pentose wird als Nukleosid bezeichnet (. Abb. 2.2). Nukleoside entstehen durch eine N-glykosidische C-N-Bindung mit formaler Wasserabspaltung an der Hydroxylgruppe am C-l’-Atom einer Pentose und an einer NH-Gruppe einer Base (. Abb. 2.3). RNA und DNA unterscheiden sich in ihren Pentosen. RNA-Nukleotide enthalten eine Ribose, DNA-Nukleotide eine 2’-Desoxyribose (. Abb. 2.4). Sowohl bei DNA als auch bei RNA finden sich je 4 stickstoffhaltige Basen, und

. Abb. 2.2. Schema zum Aufbau und zur Nomenklatur eines Nukleotids

. Abb. 2.3. Zusammensetzung von Adenosin aus Adenin und Ribose

2

130

2

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

. Abb. 2.4. 2’-Desoxyribose der DNA und Ribose der RNA

zwar je 2 Purin- und 2 Pyrimidinabkömmlinge (. Abb. 2.5 und 2.6). Von seltenen Basen abgesehen, gibt es in den einzelnen Nukleinsäuren jeweils nur 3 verschiedene Pyrimidinbasen, dabei kommt die Base Thymin nur in DNA vor, die Base Uracil nur in RNA (. Übersicht 2.2). . Übersicht 2.2. Zusammensetzung von DNA und RNA Purinbase

Pyrimidinbase

DNA:

Guanin, Adenin

Cytosin, Thymin

RNA:

Guanin, Adenin

Cytosin, Uracil

Chemische und physikochemische Daten zeigen, dass Nukleinsäuren aus langen und unverzweigten Fadenmolekülen bestehen. Hierbei sind die einzelnen Mononukleotide durch Phosphodiesterbindungen zwischen C-3’ und C-5’ der Pentosen miteinander verknüpft. Die Moleküle besitzen also wegen der 3’-5’Bindungen zwischen Zucker und Phosphat einen Richtungssinn (. Abb. 2.7). Nukleinsäuren bestehen also aus vielen Bausteinen, den Nukleotiden. Ein Nukleotid setzt sich aus einer stickstoffhaltigen Base, einer Pentose und einer Orthophosphatgruppe zusammen (. Abb. 2.8). DNA enthält die Basen Ade. Abb. 2.5. Purinbasen

131 2.1 · Organisation und Funktion

. Abb. 2.6. Pyrimidinbasen

. Abb. 2.7. Schematischer Ausschnitt aus einem Polynukleotidstrang (Nach Bresch u. Hausmann 1972)

. Abb. 2.8. DNA-Nukleotid

2

132

2

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

nin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T) und als Pentose eine Desoxyribose. RNA enthält in der Regel statt der Base Thymin Uracil (U) und eine Ribose statt Desoxyribose.

Strukturmodell der DNA Kristallographische Untersuchungen (Beugung von Röntgenstrahlen) zeigen, dass die DNA eine Schraubenstruktur besitzt. Weiter lässt sich aus den Daten für Durchmesser und Ganghöhe der Schraube einerseits und für Masse und Länge des Moleküls andererseits belegen, dass es sich um eine Doppelschraube (Doppelhelix) handeln muss. Chargaff entdeckte (1950-1953) eine allgemeine Gesetzmäßigkeit für DNA verschiedenster Herkunft: ! Das molekulare Verhältnis von Adenin zu Thymin und von Guanin zu Cytosin beträgt stets 1:1.

Auf diesen hier nur kurz angedeuteten Befunden basiert im Wesentlichen das 1953 von Watson und Crick aufgestellte und später in Einzelheiten von Wilkins verbesserte DNA-Strukturmodell. Diese drei Wissenschaftler teilten sich 1962 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin für ihre Forschung zur molekularen Struktur der DNA (. Abb. 2.9). Danach besteht das DNA-Molekül aus 2 Polynukleotidsträngen, die eine gegenläufige Polarität besitzen und zu einer Doppelschraube umeinander gewunden sind. Dabei bilden jeweils 2 sich gegenüberliegende, zueinander komplementäre und senkrecht zur Halbachse stehende Basen mit ihren Nebenvalenzen Wasserstoffbrücken. Dabei paart sich Adenin stets mit Thymin und Guanin stets mit Cytosin. Der Drehsinn der Spirale bildet eine Rechtsschraube. Die Windungen weisen dabei eine breite und eine schmale Rinne auf. Der Abstand zwischen den aufgestockten Basen beträgt 3,4 Å. Nach jeweils 10 Basenpaaren, also 34 Å, ist eine volle Umdrehung erreicht (. Abb. 2.10). Die gegenläufige Polarität bedeutet, dass in einem Polynukleotidstrang die Sequenz C-3’-Phosphat-C-5’ ansteigend, in dem anderen abfallend verläuft. Die Stabilität der Helix beruht auf Stapelkräften, die zwischen den hydrophoben Seiten eng beieinanderliegender Basen auftreten, nicht, wie man annehmen könnte, auf den Wasserstoffbrücken komplementärer Basen (. Abb. 2.11, . Übersicht 2.3).

133 2.1 · Organisation und Funktion

. Abb. 2.9. Molekulare Struktur der Nukleinsäure. Reproduktion der Originalpublikation. Nature 1953, Vol. 171, pp 737-738

2

134

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

2

. Abb. 2.10. Struktur der DNA (Nach Knippers et al. 1990)

135 2.1 · Organisation und Funktion

. Übersicht 2.3. Struktureller Aufbau der DNA Doppelhelix:

2 Polynukleotidstränge sind zu einer Doppelschraube umeinandergewunden

Polarität:

Beide Stränge besitzen eine gegenläufige Polarität

Basenpaarung:

Spezifische Basenpaarung: A mit T und G mit C

Drehsinn:

Gegen den Uhrzeigersinn aufsteigender Drehsinn, eine volle Umdrehung ist nach 10 Basenpaaren erreicht

Stabilität:

Hydrophobe Bindungen beieinanderliegender Basen schaffen den Zusammenhalt

. Abb. 2.11. Paarung komplematärer Basen durch zwei bzw. drei Wasserstoffbrücken

2.1.3 Replikation der DNA

Der Vermehrungsmechanismus der DNA wird als Replikation bezeichnet. Die große biologische Bedeutung dieses Vorganges liegt darin, dass durch ihn die Information des elterlichen Erbguts (Genom) auf die Nachfolgegeneration übertragen wird. Nach dem Watson- und Crick-Modell zeigt die DNA gerade bezüglich der Replikation einen großen Vorteil. Durch die Komplementarität

2

136

2

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

der Basen ist nämlich die Information im DNA-Molekül doppelt und in jedem Polynukleotidstrang einmal vorhanden. Grundsätzlich ist die Information eines Strangs ausreichend, um die Basensequenz des anderen zweifelsfrei anzugeben.

Aufspreizung der Doppelhelix Mehrere Enzyme sind in den Vorgang der Replikation eingebunden. Sie sind bei Prokaryoten als Replikationskomplex an die Zellmembran gebunden. Zunächst öffnet sich das DNA-Molekül nach der Art eines Reißverschlusses. Dabei besteht der erste Schritt zur Öffnung des DNA-Moleküls in der Aufwindung der Doppelhelix durch eine Helikase. Zur Verminderung der Spannung setzt dabei eine Topoisomerase gelegentliche Einzelstrangbrüche in die DNA. Das Öffnen der Doppelhelix erfolgt durch ein weiteres Enzym, welches die beiden Polynukleotidstränge so spreizt, dass sich die relativ leicht zu trennenden Wasserstoffbrücken lösen. Schließlich stabilisieren DNA-Bindungsproteine die einzelsträngige DNA und verhindern eine neuerliche Nukleotidpaarung. Bei der Öffnung der Doppelhelix stoßen wir auf ein mechanisches Problem. Nach Röntgendiagrammen ist die DNA nämlich eine plektonemische Doppelhelix. Eine plektonemische Helix entsteht, wenn man zwei Drähte gleichzeitig um einen Stab windet. Zieht man den Stab heraus, so hängen die Drähte in jeder Windung ineinander und müssen für eine Trennung auseinandergedrillt werden (. Abb. 2.12). Die entgegengesetzte Möglichkeit ist eine paranemische Doppelhelix. Sie entsteht durch Aneinanderlegen von zwei getrennt gewickelten Stäben. Diese Form ist jedoch in der DNA-Doppelhelix nicht verwirklicht. Eine semikonservative Replikation, die eine Öffnung der Spirale voraussetzt, ist bei der biologischen plektonemischen Doppelhelix nur möglich, wenn entweder eine Rotation um die Zentralachse erfolgt, wobei ein Ende der Helix festgehalten werden müsste, oder es müssten DNA-Einzelstrangbrüche auftreten, die durch Reparaturenzyme wieder geschlossen werden, sobald der andere Strang die Kettenöffnung passiert hat. Die letztere Möglichkeit würde jedoch eine sehr hohe . Abb. 2.12. Modell der plektonemischen Doppelhelix

137 2.1 · Organisation und Funktion

Zahl an Brüchen bedeuten, was bisher nicht nachgewiesen werden konnte. Daher wird heute die erste Möglichkeit, nämlich die Rotation favorisiert, wobei die erwähnten gelegentlichen Einzelstrangbrüche wie drehbare, die Rotation nicht weiterleitende Gelenke wirken.

Replikation mittels Polymerasen Nach der Öffnung der Doppelhelix entstehen neue Stränge der richtigen Sequenz, indem sich jede einzelne Base der beiden getrennten Stränge aus dem Vorrat der verschiedenen Nukleotide der Zelle das Nukleotid mit der zu ihr passenden komplementären Base sucht. Der parentale Strang dient gleichsam als Matrize für den neu zu synthetisierenden Strang (. Abb. 2.13). Dabei paart sich je ein Strang der parentalen DNA mit einem neu synthetisierten Strang.

. Abb. 2.13. Replikationsmodell der DNA

2

138

2

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Dieser Vorgang wird als semikonservative Replikation bezeichnet. Die Polarität der beiden Elternstränge ist durch die Position der 5’- und der 3’-Enden gekennzeichnet. Die Replikation pflanzt sich in der Replikationsgabel fort, wobei die Synthese des linken Tochterstrangs kontinuierlich ablaufen kann. Sie wird durch die DNA-Polymerase α (bei Bakterien Polymerase III) ermöglicht. Anders ist dies bei der Synthese des rechten Tochterstrangs. Sie verläuft von oben nach unten, dabei werden nur kurze DNA-Stücke synthetisiert (sog. Okazaki-Stücke). Somit muss zwangsläufig alle paar hundert Nukleotide ein neues DNA-Stück anfangen. Dieses wird dann mit dem vorher synthetisierten durch DNA-Polymerasen verknüpft, die das 3’-Ende eines DNA-Stücks mit dem 5’-Ende eines zweiten DNA-Stücks verbinden. Interessanterweise kann aber keine der vier gefundenen DNA-Polymerasen (α, β, γ, δ) eine DNA-Kette neu anfangen. Sie können nur ein Desoxynukleotid an das 3’-Ende einer schon bestehenden Kette anhängen, die man als Primer bezeichnet. Dies bedeutet, dass die DNA-Polymerasen nur das Kettenwachstum, nicht jedoch den Kettenanfang durchführen können. Es ist eine interessante Entdeckung, dass diese Primer-Stücke, von denen aus die DNA-Synthese ablaufen kann, nicht aus DNA, sondern aus RNA bestehen. Folglich ist das Enzym, das diese Primer macht, auch keine DNA-Polymerase, sondern eine RNA-Polymerase (Primase). Der Anfang einer Nukleinsäurekette wird also immer von einer RNA-Polymerase gemacht, nur diese Polymeraseklasse kann eine Nukleinsäurekette beginnen.

Reparatur durch Polymerase DNA-Polymerasen wiederum, nämlich die DNA-Polymerase β (bei Bakterien Polymerase I) haben noch eine andere spezifische Funktion bei der Replikation, die RNA-Polymerasen nicht haben. Diese Enzyme können nämlich ein falsch eingebautes Nukleotid wieder herausschneiden und durch ein richtiges ersetzen: sie besitzen eine 3’-Exonukleaseaktivität. Durch diesen Reparaturmechanismus kann die Mutationsrate entscheidend gesenkt werden. Mit dieser Erkenntnis gewinnt auch die Tatsache, dass der Primer als RNAFragment gemacht wird, eine andere Bedeutung. Wenn er nämlich seine Funktion erfüllt hat, kann er wieder durch die RNA-spezifische β-Polymerase abgebaut und die so entstandene offene Phosphodiesterbindung mit der DNA-Polymerase durch DNA-Kettenwachstum geschlossen werden. Hierdurch wird die Fehlerrate über das gesamte Genom möglichst gering gehalten. Die Verbin-

139 2.1 · Organisation und Funktion

dung der neu synthetisierten DNA-Fragmente zu einem einheitlichen Strang erfolgt schließlich durch eine DNA-Ligase (. Übersicht 2.4). . Übersicht 2.4. Ablauf der Replikation mit beteiligten Polymerasen Enzym/Protein

Biologischer Schritt

Helikase:

Entwindung der Doppelhelix

Topoisomerase:

Entspannung der verdrillten Doppelhelix und Setzung von Einzelstrangbrüchen, als die Rotation nicht weiterleitende Gelenke

DNA-Bindungsprotein:

Stabilisierung der einzelsträngigen DNA

Primase (RNA-Polymerase):

Synthese einer kleinen PrimerRNA

DNA-Poymerase α (bei Bakterien Polymerase III):

Durchführung der Replikation durch Kettenverlängerung in 5’-3’-Richtung; komplementäre Anlagerung von Desoxyribonukleosidtriphosphaten an zu kopierende Basen

DNA-Polymerase β (bei Bakterien Polymerase I):

Abbau der RNA-Primer und Reparatur (Exonukleaseaktivität) falsch eingesetzter Basen

DNA-Ligase:

Verbindung der DNA-Fragmente zu einheitlichem Strang

Replikation mitochondrialer DNA DNA-Polymerase γ:

Durchführung der Replikation ausschließlich in Mitochondrien

DNA-Polymerase δ:

Funktion unklar

Übertragung des Erbguts Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die DNA nach dem Watsonund Crick-Modell alle Erfordernisse an das genetische Material erfüllt. Die DNA erlaubt die Informationsspeicherung, sie besitzt die Möglichkeit der identischen Replikation und der Reparatur und somit der Weitergabe des Erbguts. Als Grenzfall können gewisse Fehler (Mutationen) auftreten (. Übersicht 2.1).

2.1.4 DNA-Reparatur

Folgen von Replikationsfehlern Veränderungen der DNA können spontan oder induziert entstehen. Wir werden diese Prozesse und ihre Folgen für den Menschen im 7 Kapitel 2.5 noch

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

näher betrachten. Mutationen stellen einerseits zweifellos den Motor der Evolution dar. Andererseits benötigt aber auch dieser Motor eine gewisse Regulation, da sonst Mutationen in unkontrolliert hohem Maße nicht die Variationsbreite steigern würden, sondern dem Organismus keine Chance zum Überleben gäben. Zur Korrektur von Replikationsfehlern aber auch zur Korrektur von exogen durch Umwelteinflüsse induzierten Veränderungen an der DNA wurden im Verlaufe der Evolution DNA-Reparaturmechanismen entwickelt. Sie sind wahrscheinlich sowohl als Antwort auf DNA-Kopierfehler (kein System ist absolut perfekt) als auch auf natürliche radioaktive Strahlung entstanden, der die Organismen ja während der gesamten Existenz biologischen Lebens ausgesetzt waren und sind. Allerdings dürfen diese Systeme auch nicht überlastet werden, da sie in der Regel zwar ein »Normalmaß« dieser Fehler bewältigen können, durch zivilisatorische Entwicklung bedingte Erhöhungen der Mutationsrate jedoch nicht oder nur unzureichend reparieren können. Die Folgen hieraus wären oder sind eine erhöhte Abortrate, eine erhöhte Rate genetisch geschädigter Kinder und eine Erhöhung des Tumorrisikos.

DNA-Reperaturmechanismen Ultraviolette Strahlen (auch kosmische Strahlen) führen zu einer Reihe von Veränderungen in den Nukleotidbasen. Dabei ist die biologische Hauptwirkung die Bildung von Zyklobutandimeren zwischen benachbarten Pyrimidinen. Dies führt zu einer Veränderung in der Geometrie der DNA-Doppelhelix (. Abb. 2.14). Bei E. coli-Zellen konnte man ein Enzym nachweisen, das sich an das Pyrimidindimer bindet und das Dimer nach Aktivierung durch sichtbares Licht spaltet. Somit repariert dieses photoreaktivierende Enzym . Abb. 2.14. Bildung von Zyklobutandimeren zwischen benachbarten Pyrimidinen

141 2.1 · Organisation und Funktion

zum ursprünglichen Zustand, wobei für die Reaktion sichtbares Licht notwendig ist. Aber auch im Dunkeln finden Reparaturprozesse statt. Der wichtigste davon ist die Exzisionsreparatur. Bei der Exzisionsreparatur erkennt eine spezifische Endonuklease das Pyrimidindimer und spaltet es auf der 5’-Seite des Dimers. Nach dieser Öffnung schneidet eine Exonuklease das Dimer und einige benachbarte Nukleotide heraus. Die DNA-Polymerase repariert die entstandene Lücke und durch die Ligase wird die Kontinuität des Polynukleotidstrangs wieder hergestellt (. Abb. 2.15). Vielen Patienten, die an Xeroderma pigmentosum leiden, fehlt ein Bestandteil dieses Reparaturwegs (7 Kapitel 2.5.1). Ein weiterer Reparaturweg ist die Postreplikationsreparatur. Durch UVStrahlen entstandene Pyrimidindimere stören die Replikation. Die DNA-Polymerase kommt über ein Dimer im Matrizenstrang nicht hinweg. Daher setzt

. Abb. 2.15. Schema der DNA-Exzisionsreparatur nach UV-Schäden

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

sie erst 100-1.000 Nukleotide später wieder ein, was dem diskontinuierlichen Replikationsmechanismus entspricht. Dadurch enthält der replizierte Tochterstrang eine entsprechende Lücke, während der zweite Tochterstrang intakt ist. Durch rekombinationsähnliche Vorgänge kann es nun zu einem Austausch von DNA-Material zwischen beiden Replikationsprodukten kommen und damit zur Herstellung der Strangkontinuität. Beschädigungen der DNA bedingen, wie an Bakterien gezeigt werden kann, eine Reihe von sofortigen Schutzmaßnahmen. Man spricht deshalb von SOS-Reparatur. Hierzu gehören die Synthese eines Inhibitors der Zellteilung, die Synthese eines Inhibitors für eine Exonuklease, die beschädigte DNA abbaut, aber auch fehlerhafte Reparaturen, auf die hier einzugehen den Rahmen des Textes sprengen würde (. Übersicht 2.5). . Übersicht 2.5. Auswahl einfach mendelnder genetischer Erkrankungen, für die DNAReparaturstörungen angenommen werden Krankheit

Erbgang

Syndrom

Folgen der Reparaturstörung

Xeroderma pigmentosum

Autosomalrezessiv

Hautkrebs und Melanome

Mangelhaftes Herausschneiden von Pyrimidindimeren

FanconiAnämie

Autosomalrezessiv

Gehäuftes Auftreten maligner Erkrankungen

Sensibilität gegen Mutagene, die DNA vernetzen

BloomSyndrom

Autosomalrezessiv

Gehäuftes Auftreten maligner Erkrankungen, kleiner Wuchs, Hautkrankheiten im Gesicht

Häufiger Austausch zwischen Schwesterchromatiden bei UV-Bestrahlung

Ataxia telangiectasia

Autosomalrezessiv

Maligne Erkrankungen des Lymphsystems, neurologische und immunologische Störungen, Hautkrankheiten

Häufig spontane Chromosomenaberrationen

CockayneSyndrom

Autosomalrezessiv

Zwergwuchs, vorzeitiges Altern, Hautkrankheiten

Hemmung der DNA-Replikation durch UV-Strahlen

Retinoblastom

Autosomalrezessiv

Maligne Neoplasmen der Augen

Besondere Empfindlichkeit von Zellkulturen gegen Röntgenstrahlen

143 2.1 · Organisation und Funktion

2.1.5 Genetischer Code

Was der Papyrus für Archimedes, Schnüre für den Inka oder Papier und Kugelschreiber für den modernen Menschen, das ist also die DNA für den lebenden Organismus. Bisher haben wir das Papier kennen gelernt, auf dem die biologische Sprache geschrieben ist. Auch die Schriftzeichen haben wir bereits vorgestellt. Nun ist es an der Zeit, auch lesen zu lernen.

Triplett-Raster-Code Erinnern wir uns hierbei an unsere eigene Schrift. Die deutsche Schrift verwendet zur Darstellung ihrer Begriffe 26 verschiedene Buchstaben. Die Natur benutzt zum Aufbau ihrer Proteine 20 verschiedene Aminosäuren. Die Anzahl der Buchstaben, die zur Darstellung eines Begriffs benötigt werden, ist sehr verschieden. So sind für den Begriff »Arzt« nur 4 Buchstaben, für den Begriff »Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän« jedoch 42 Buchstaben notwendig. Ganz ähnlich verhält es sich beim Aufbau der Proteine, auch hier wechselt die Zahl der in einer Proteinkette verwendeten Aminosäuren beträchtlich. Die Verwendung von 26 verschiedenen Buchstaben bereitet bei der Codierung der Begriffe oft technische Schwierigkeiten. Der Mensch hat darum zur nachrichtentechnischen Informationsübermittlung noch andere Codesysteme entwickelt, z.B. das Morsealphabet. Hier werden nur drei verschiedene Zeichen verwendet, nämlich der Punkt, der Strich und der Zwischenraum. Dieser Vorteil des Morsealphabets muss jedoch mit einem Nachteil erkauft werden. Man benötigt zur Übermittlung einer Nachricht zwar nur drei verschiedene Zeichen, dafür braucht man zur Darstellung eines Begriffes jedoch eine wesentlich größere Zeichenfolge. Doch wenden wir uns nun dem »Morsealphabet des Lebens«, dem genetischen Code, zu. Auch für die Zelle ist es ungünstig, für die 20 Aminosäuren, aus denen alle Proteine aufgebaut sind, 20 Schriftzeichen zu verwenden. Auch sie chiffriert die einzelnen Aminosäuren in einem Code ähnlich dem Morsealphabet und nimmt dafür eine größere Zeichenfolge in Kauf. Doch benutzt die DNA nicht drei, sondern vier Zeichen, nämlich die vier verschiedenen Basen (Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin). Nun ist leicht nachzuvollziehen, dass nicht ein Nukleotid eine Aminosäure determinieren kann. Auch zwei Nukleotide reichen nicht aus, da sich aus ihnen nur 16 verschiedene Zweiergruppen bilden lassen, also nur 16 Aminosäuren codiert werden könnten. Die benötigte Mindestzahl sind also drei Nukleotide,

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

und genau dieser Triplett-Raster-Code ist auch tatsächlich der von der Natur gewählte Weg. Eine Aminosäure wird durch drei Nukleotide codiert. Man nennt dieses Triplett ein Codon. Die Aufeinanderfolge der vier verschiedenen Nukleotide in der DNA ist also nicht zufällig, sondern jedes Nukleotid ist in einer unperiodischen Anordnung wie ein Buchstabe in einer Schrift festgelegt.

Degeneration des Codes Der Triplett-Raster-Code ermöglicht die Konstruktion von 43 = 64 verschiedenen Nukleotidtripletts. Somit stehen also 20 Aminosäuren 64 verschiedene Nukleotidtripletts gegenüber. Dies ermöglicht eine »Degeneration« des Codes, die tatsächlich auch existiert. So wird z.B. die Aminosäure Alanin durch die Codons GCG, GCA, GCC und GCU codiert (. Abb. 2.16). Dabei fällt sofort auf, dass sich die verschiedenen Codons für Alanin nur im letzten Nukleotid unterscheiden. Es sieht also so aus, als ob eine Aminosäure durch die beiden ersten Plätze allein im Triplett bestimmt ist. Eine solche

. Abb. 2.16. Code-Sonne (Nach Bresch u. Hausmann 1972)

145 2.1 · Organisation und Funktion

»Degeneration« kann man als logisch bezeichnen. Unlogisch wäre eine Degeneration dagegen, wenn eine Aminosäure durch völlig verschiedene Codons gekennzeichnet wäre. Auch dieser Weg ist in der Natur beschrieben. So wird z.B. Serin durch die Nukleotidtripletts UCU, UCC, UCA, UCG, AGC und AGU codiert. Die ersten vier Tripletts passen als Gruppe in das logische System, genauso die Tripletts 5 und 6. Betrachtet man jedoch alle 6 Codons im Block, so kann die Codierung von Serin insgesamt nicht als völlig logisch betrachtet werden. Ähnliches gilt für Arginin und Leucin. Wir sehen, dass sowohl eine logische als auch in einigen Fällen eine unlogische Degeneration existiert. Die Degeneration des genetischen Codes lässt sich also nur teilweise in ein logisches System bringen, wenn auch die überwiegende Anzahl der Aminosäurecodons durch logische Degeneration gekennzeichnet ist.

Stopp- und Startcodons Drei Codons stehen für keine spezifische Aminosäure. UAA, UAG und UGA sind Stoppcodons. Man bezeichnet sie auch mit ochre, amber und opal. Sie bedeuten Kettenabbruch, bei ihnen kommt also die Proteinbiosynthese zum Stehen. Wichtig ist, dass für den Kettenabbruch nur drei Codons vorhanden sind. Wären es mehr, so würden spontane Mutationen häufig zur Unterbrechung der Proteinbiosynthese führen und damit für den Organismus katastrophale Folgen haben. Es gibt aber auch ein Startcodon. Dies codiert für die Aminosäure Methionin, welche unter bestimmten Bedingungen den Start veranlasst. Neben AUG kann auch das Codon GUG, welches für Valin codiert, Methioninstart bedeuten (. Übersicht 2.6). Aus Platzgründen muss hier leider auf eine Erörterung der Experimente, die zur Aufklärung des Codes führten, verzichtet werden. Der an einer detail. Übersicht 2.6. Aufbau des genetischen Codes Art des Codes:

Triplett-Raster-Code mit 4 Basen, welche 64 Möglichkeiten für 20 Aminosäuren ergeben

Degeneration:

Überwiegend logisch: schafft durch Variabilität in der Codierung eines Tripletts Toleranz für spontane Mutationen

Stoppcodons:

UAA, UAG und UGA

Startcodons:

AUG und GUG

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

lierten Beschreibung Interessierte sei hier auf die Lehrbücher der Molekulargenetik verwiesen.

2 2.1.6 Aufbau und Definition von Genen

Vergleicht man die Nukleotidsequenz eines Gens bei Prokaryoten mit der Aminosäuresequenz eines Proteins, so stellt man fest, dass die Reihenfolge der Nukleotide des Gens genau mit der Aminosäurefolge im Protein korrespondiert. Die Länge der DNA-Sequenz des Gens hängt also direkt von der Länge des Proteins ab, für das es codiert. Besitzt ein Protein n Aminosäuren, so müssen 3n Basenpaare dafür codieren. Tatsächlich hielt man diesen Aufbau, der aus der Analyse von Prokaryotengenen hergeleitet war, lange Zeit für den allgemein gültigen. Eine Generation von Medizin- und Biologiestudenten lernte als schlagwortartige Definition: ein Gen – ein Enzym oder später erweitert: ein Gen – ein Protein.

Aufbau von eukaryoten Genen Im Jahr 1977 wurde jedoch dieses einfache Genkonzept erschüttert, als man technisch durch die Entdeckung der Restriktionsenzyme soweit war, auch Eukaryotengene zu untersuchen. Dabei war das β-Globin das erste Gen von Eukaryoten, das ausführlich untersucht wurde. Überraschenderweise entdeckte man durch elektronenmikroskopische Aufnahmen Schleifenbildungen zwischen dem β-Globin, der genomischen DNA und der Copy-DNA (cDNA), die mit Hilfe des Enzyms Reverse Transkriptase aus mRNA erstellt wurde. Diese Schleifen wurden durch genomische DNA-Regionen verursacht, die offensichtlich in der cDNA nicht vorhanden waren, obwohl als Voraussetzung angenommen wird, dass die cDNA tatsächlich eine identische Kopie der mRNA darstellt. Beim β-Globingen fand man zwei solcher Regionen, die innerhalb der codierenden Regionen lagen und drei Sequenzen des zugehörigen Proteins bzw. der entsprechenden mRNA unterbrachen. Dies war die Entdeckung der unterbrochenen Gene bei Eukaryoten. In der Zwischenzeit hat man in vielen Genen von Eukaryoten solche Unterbrechungen entdeckt, die man jedoch bisher nie bei typischen Prokaryoten fand. Allerdings konnte man inzwischen bei einem T4-Phagen unterbrochene Gene nachweisen. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch ihre proka-

147 2.1 · Organisation und Funktion

ryotischen Wirte solche Gene enthalten, die man bisher nur noch nicht entdeckt hat. Jedenfalls ist dieser Genaufbau für den Menschen die Regel. Nur sehr wenige menschliche Gene haben keine Unterbrechungen, diese sind in der Regel sehr klein (. Übersicht 2.7). Insgesamt gibt es bei menschlichen Genen erhebliche Größenunterschiede. . Übersicht 2.7. Menschliche Gene (Auswahl), die nicht durch Introns unterbrochen sind Alle 37 Mitochondriengene Histongene Gene für kleine RNA, z.B. die meisten tRNA-Gene Hormonrezeptorgene:

S-HT18-Serotoninrezeptor Dopaminrezeptor D1 und D5 Angiotensin-II-Typ-1-Rezeptor α2-adrenerger Rezeptor Formylpeptidrezeptor

Hodenspezifische Expressionsmuster:

Phosphoglyceratkinase (PKG2) Glyzerinkinase (GK) Gen der myc-Familie (MYCL2) Pyruvatdehydrogenase E1a (PDHA2) Glutamatdehydrogenase (GLUD2)

Exons und Introns

Man hat die Sequenzen, die in der mRNA vorhanden sind, als Exons definiert und solche, die dort fehlen, als Introns. Exon- und Intronlängen sind sehr unterschiedlich. In menschlichen Genen sind Exons durchschnittlich 122 bp lang. Dabei ist die Exonlänge unabhängig von der Länge des Gens, so sind auch einige sehr große Exons bekannt. Bei großen Genen ist der Exongehalt dagegen sehr gering. In der Regel übertrifft die Länge der Introns die der Exons um ein Vielfaches. Splicing

Auf dem Wege zwischen Information auf DNA-Ebene und Genexpression muss also noch ein Prozess dazwischengeschaltet sein, den wir zumindest bis

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

heute bei Prokaryoten nicht beobachten konnten. Von der DNA wird eine Kopie in Form von RNA abgelesen, die genau die Sequenz im Genom wiedergibt. Man hat diese RNA auch als heterogene nukleäre RNA (hnRNA) bezeichnet. Diese hnRNA kann allerdings nicht direkt für die Proteinproduktion herangezogen werden: sie ist ein Rohling, der erst noch durch die Exzision der Introns zurechtgeschnitten werden muss. Man hat diesen Vorgang als splicing (deutsch: Spleißen) bezeichnet. Das Ergebnis des Spleißens ist dann eine mRNA, die aus einer Reihenfolge von Exons zusammengesetzt ist. Dabei werden die Exons immer in derselben Reihenfolge hintereinander geordnet, in der sie in der DNA auftreten. Bedeutung der unterbrochenen Gene

Doch welchen Sinn haben die »unterbrochenen« Gene der Eukaryoten mit ihrer in Exons fragmentarisch angeordneten Information? Leider ist man dabei auf Spekulationen angewiesen, da experimentelle Belege, ja sogar Hinweise, fehlen. Möglicherweise könnten unterbrochene Gene Vorteile für evolutionäre Veränderungen bieten. Wir wissen, dass die DNA aufgrund verschiedener Mechanismen erstaunlich flexibel ist. So können DNA-Bereiche von einem chromosomalen Ort ausgeschnitten und in einen anderen eingesetzt werden, auch können sie zwischen homologen Genen ausgetauscht werden. Solche Prozesse könnten dann gefährlich werden, wenn sie Gene zerstören. Kommt jedoch der Austausch von DNA innerhalb der Introns vor, so ist die potenzielle Zerstörung von Informationen limitiert. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Austausch von Introns und ihre Rearrangierung im Laufe der Zeit dem Aufbau neuer Gene dient. Funktion von Introns

Diese Überlegungen schreiben den Introns nur eine indirekte Funktion zu. Dagegen sind viele Molekularbiologen der Meinung, dass Introns einfach Nukleotidsequenzen ohne jegliche Funktion sind. Diese Meinung beruht auf folgenden Tatsachen: 4 Alle bisher untersuchten Introns beginnen mit derselben Sequenz von zwei Basen, nämlich G-T, und enden mit A-G. Damit sind Beginn und Ende klar für das Ausschneiden markiert. 4 Mutationen in Basensequenzen nahe oder innerhalb der IntronExon-Grenzen führen zu mRNA, die kein funktionsfähiges Protein bilden.

149 2.1 · Organisation und Funktion

4 Künstlich aus den Exons konstruierte Minigene werden mit einem Promotor häufig genauso effizient exprimiert wie natürliche Gene aus dem Zellkern. Letztere Aussage wird jedoch insofern relativiert, als sich bei der experimentellen Übertragung von Genen in sog. transgene Mäuse herausgestellt hat, dass eine Intron-Exon-Sequenz bessere Chancen hat, tatsächlich auch exprimiert zu werden. Die Gründe hierfür sind allerdings unbekannt. Dennoch sieht es bisher so aus, als ob die Funktion der Introns für die Genexpression weitgehend irrelevant ist. Andererseits wurden aber in wenigen Fällen regulatorische DNA-Sequenzen beschrieben, die innerhalb eines Introns eines Gens liegen. Auch konnte in jüngster Zeit mehrfach gezeigt werden, dass Introns katalytische Fähigkeiten besitzen, die in ihrem eigenen Ausschneiden resultieren. So gibt es bei Pilzen, aber auch bei anderen Organismen Introns, die sich selbst aus einem Vorläufer-rRNA-Transkript herausschneiden und die losen Enden der Exons zusammenfügen. Mindestens kann aus diesen Beschreibungen abgeleitet werden, dass nach der Entdeckung von katalytischer RNA die Annahme, alle biochemischen Reaktionen würden von Proteinen katalysiert, relativiert werden muss. Einige Introns wurden auch innerhalb von Promotor- und Enhancerregionen entdeckt, welche Gene ein- und abschalten. So könnten Introns auch als Rezeptoren für bestimmte Hormone dienen, die einzelne Gene während bestimmter Entwicklungsphasen aktivieren und in anderen Phasen deaktivieren. Durch die Separierung der Exons für viele verschiedene Proteine in Antikörpergenen schaffen die Introns Flexibilität und ermöglichen Rearrangements von multipel codierenden Regionen, die zur Produktion von mehr als 18 Mio. verschiedenen Antikörpermolekülen notwendig sind.

Gendefinition Die ursprüngliche Gendefinition wurde nicht nur durch den komplizierteren Aufbau der Eukaryotengene erschüttert. Man fand auch bei Pro- und Eukaryoten, bei diesen allerdings selten, einige Gene, die überlappen und sogar Gene innerhalb von Genen, die bei der Translation die Synthese mehrerer Polypeptide steuern. Auch hat man in den letzten Jahren einige große menschliche Introns gefunden, in denen komplette kleine Gene enthalten sind. Allerdings werden diese meist von verschiedenen Strängen transkribiert.

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Nicht jedes Gen wird an Ribosomen translatiert, also in ein Protein umgesetzt. Translatiert werden nur Gene, von denen eine mRNA gebildet wird. Dagegen werden Gene für tRNA und rRNA ausschließlich transkribiert. Man könnte zusammenfassend ein Gen als den Abschnitt der DNA definieren, der zwischen einem Transkriptionsstart (Promotor) und einem Transkriptionsende (Terminator) liegt (. Abb. 2.17). Diese Definition auf der Basis der Transkriptionseinheit stimmt tatsächlich für viele Gene. Sie wird jedoch dann mangelhaft, wenn mehrere Gene in einer Transkriptionseinheit, gesteuert durch einen Promotor, abgelesen werden. Wir sehen also, dass man heute auf eine klare und griffige Gendefinition verzichten muss. Man kann letztlich ein Gen nur folgendermaßen definieren: ! Ein Gen ist ein Abschnitt der DNA, der ein funktionelles Produkt codiert.

In den meisten Fällen ist dieses Produkt eine Polypeptidkette.

Kontrollelemente menschlicher Gene Die riesige Anzahl miteinander agierender Gene erfordert in höheren eukaryotischen Genomen bzw. beim Menschen ein ausgeklügeltes Kontrollsystem. Das wesentlichste Kontrollsystem, das ein Gen sozusagen einschaltet, ist sein Promotor. Promotoren sind die Initiatoren der Transkription. Sie liegen in der Regel strangaufwärts vom Gen, oft wenig vom Transkriptionsstart entfernt. Ihr

. Abb. 2.17a,b. a Modellvorstellung zum Aufbau eines Eukaryotengens. b β-Globingen des Menschen mit 3 Exons und 2 Introns

151 2.1 · Organisation und Funktion

Charakteristikum ist eine Kombination kurzer Sequenzen, die von Transkriptionsfaktoren erkannt werden. Weiterhin findet man bei bestimmten Genen häufig etwas strangaufwärts von den Promotoren (ca. 1 kb von der Transkriptionsstartstelle entfernt) sog. Response-Elemente (RE). Die Expression dieser Gene wird von externen Faktoren, wie Hormonen oder Wachstumsfaktoren, bzw. internen Signalmolekülen wie dem cAMP gesteuert. Bindet der entsprechende Signalfaktor an ein solches RE-Element, so kann eine starke Genexpression ausgelöst werden. Die Transkription eukaryotischer Gene kann durch positive Kontrollelemente, die Enhancer, verstärkt werden. Man findet sie bei vielen menschlichen Genen. Negative Kontrollelemente sind dagegen die Silencer. Sie können die Transkriptionsaktivität von Genen unterdrücken, wobei ihr Wirkmechanismus bisher nicht gut verstanden ist.

Pseudogene Neben den aktiven und funktionstüchtigen Genen gibt es viele Pseudogene. Diese entstehen oft bei der Entwicklung von Genfamilien und sind Nukleinsäuresequenzen, die über weite, jedoch nicht über alle Bereiche einem vollwertigen Gen entsprechen. Sie werden aber in der Regel weder transkribiert noch translatiert. Pseudogene sind nicht mehr funktionierende Gene, die ursprünglich durch Genduplikation entstanden sind und anschließend durch Mutationen wie beispielsweise durch Deletionen modifiziert wurden. Sie bilden sozusagen den »Mülleimer der Evolution«. Aber so wie manche Schriftsteller Fragmente sammeln, auch wenn sie nicht sofort sinnvoll zu verwenden sind, so entledigt sich auch das Genom dieser Gene nicht. Vermutlich erwies sich im Laufe der Evolution das Sammeln der Pseudogene als nützlicher als eine »Müllbeseitigung«. Denn sie können im Sinne einer Weiterentwicklung modifiziert werden, um wieder transkribiert und zu einem neuen veränderten Protein translatiert zu werden.

Single copy-Sequenzen Gene für die Produktion von Strukturproteinen, Transportproteinen, Hormonen, Rezeptoren, Enzymen, regulatorischen Proteinen usw. liegen in der Regel nur in einer einzigen Kopie vor. Der Mensch besitzt viele Tausende dieser Single copy-Sequenzen. Über 15000 mendelnde Merkmale, die von Defektzuständen und schweren Erbkrankheiten bis zu Variationen im Bereich des

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Normalen führen, kennen wir heute. Jährlich wird von Victor McKusick von der John Hopkins School of Medicine in Baltimore ein aktualisierter Katalog dieser Gene herausgegeben. Davon wurden viele bereits chromosomal lokalisiert.

Repetitive DNA-Sequenzen Repetitive DNA-Sequenzen sind solche, bei denen multiple identische oder nahezu identische Kopien von DNA-Basensequenzen vorliegen. DNA-Restriktionsfragmentanalysen zeigen die Existenz von repetitiver DNA in allen Eukaryoten. Unter den repetitiven DNA-Sequenzen im Genom finden sich einerseits Sequenzfamilien, die funktionstüchtige Gene umfassen, andererseits gibt es viele repetitive Sequenzen, die keinen Genen angehören.

2.1.7 Transkription der DNA ! Ribonukleinsäure (. Abb. 2.18) unterscheidet sich von Desoxyribonukleinsäure grundsätzlich durch 4 den Besitz von Ribose anstelle von Desoxyribose, 4 den Einbau der Base Uracil anstelle von Thymin, 4 Einsträngigkeit (abgesehen von der tRNA).

In der Zelle gibt es jedoch nicht eine einzige einheitliche RNA, sondern verschiedene Typen von RNA, die völlig verschiedene Funktionen übernehmen. Man unterscheidet: 4 Messenger-RNA (mRNA), 4 Transfer-RNA (tRNA), 4 ribosomale RNA (rRNA). Allen diesen RNA-Typen ist jedoch gemeinsam: 4 Sie werden alle im Kern an der DNA gebildet, die Matrizenfunktion besitzt. 4 Sie dienen alle der Umsetzung der genetischen Information in Polypeptidketten. 4 Dabei bestimmt die DNA die Synthese der RNA, die RNA die der Polypeptide, aus denen letztlich die Proteine entstehen.

153 2.1 · Organisation und Funktion

. Abb. 2.18. Ribonukleinsäure (Nach Knippers et al. 1990)

Der Fluss der genetischen Information von der DNA über die RNA zum Polypeptid wird als das zentrale Dogma der Molekularbiologie bezeichnet. Kürzlich entdeckte man jedoch, dass eukaryotische Zellen, einschließlich Säugern und Mensch, nicht-virale DNA-Sequenzen besitzen, die für Reverse Transkriptase codieren (ein Enzym, das RNA in DNA umschreiben kann). Da zusätzlich bewiesen ist, dass somit einige RNA-Sequenzen als Matrize für die DNA-Synthese fungieren können, gilt dieses Dogma nicht mehr uneingeschränkt, denn hier verläuft der Informationsfluss umgekehrt.

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Bildung von Messenger-RNA

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Die Messenger-RNA trägt, wie der übersetzte Name »Boten-RNA« bereits sagt, die genetische Information der DNA ins Plasma. Man nennt den Vorgang der Informationsübertragung von DNA auf mRNA Transkription (. Übersicht 2.8). Allerdings wird nur ein geringer Teil der gesamten DNA jemals transkribiert. Der Anteil der mRNA an der gesamten RNA der Zelle beträgt etwa 3%. Ihr Molekulargewicht ist sehr unterschiedlich und liegt in der Größenordnung von 100.000 bis einige Millionen. . Übersicht 2.8. Vorteile der Transkription Informationsübertragung:

Die DNA verbleibt im Zellkern, die mRNA überträgt die Information zum Bau der Proteine ins Zellplasma

Informationsselektion:

Transkription bestimmter DNA-Abschnitte je nach Bedarf

Informationsmultiplikation:

Durch mehrfaches Kopieren kann ein in größerer Menge benötigtes Enzym rasch ausreichend zur Verfügung gestellt werden

Prinzip der Transkription Betrachten wir nun den Vorgang der Transkription etwas genauer. Die Biosynthese von Proteinen erfolgt im Zellplasma. Die Information über den Bau der Proteine, sozusagen die Konstruktionspläne, liegt jedoch in der DNA im Zellkern, ohne diesen jemals zu verlassen. Von diesen Originalplänen macht nun die Zelle eine Negativkopie in Form einer mRNA. Dabei wird nur einer der beiden DNA-Stränge, der coding-Strang, in RNA übersetzt. Die RNA-Polymerase unterscheidet, welcher der »sinnvolle« Matrizenstrang ist. Da die wachsende Kette komplementär zum Matrizenstrang ist, hat das Transkript dieselbe 5’-3’-Orientierung wie der zur Matrize komplementäre Strang. Daher wird der coding-Strang auch oft als Gegensinnstrang bezeichnet, der Nicht-Matrizenstrang oft als Sinnstrang.

Regulation der Transkription Bei eukaryotischen Zellen beträgt die Transkriptionsgeschwindigkeit 1,8 kb/ min. Insgesamt werden drei unterschiedliche RNA-Polymerasen benötigt, um die unterschiedlichen RNA-Klassen zu synthetisieren. Gene, die für Polypeptide codieren, werden zum überwiegenden Teil von der Polymerase II transkribiert. Allerdings können eukaryotische Polymerasen die Transkription

155 2.1 · Organisation und Funktion

nicht initiieren. Hierzu sind Transkriptionsfaktoren notwendig, die an die DNA binden, und zwar an mehrere kurze Sequenzelemente in der direkten Nähe eines Gens. Diese dienen somit als Erkennungsstellen für die Transkriptionsfaktoren, die dann der Polymerase den Weg weisen. Diese Erkennungssequenzen, die sich häufig stromaufwärts (oft weniger als 200 bp) von den codierenden Sequenzen eines Gens befinden, also am Anfang des Gens und dort eine zusammenhängende Gruppe bilden, werden als Promotoren bezeichnet. Weitere regulatorische Elemente sind die Enhancer. Während der Abstand der Promotoren von der Transkriptionsstartstelle relativ konstant ist, sind die Enhancer oft mehrere Kilobasen davon entfernt. Promotoren werden niemals transkribiert, Enhancer dagegen können, wie z.B. bei den Immunglobulinen, auch in Introns liegen. Sie binden regulatorische Proteine. Danach findet zwischen Promotor und Enhancer eine DNA-Schlaufenbildung statt, die regulatorischen Proteine können mit dem an den Promotor gebundenen Transkriptionsfaktor und der RNA-Polymerase interagieren und die Transkription verstärken. Im Weiteren gibt es Silencer mit der umgekehrten Funktion. Sie befinden sich sowohl in der Nähe der Promotoren als auch innerhalb des 1. Introns. Bei einigen Genen, die nur in bestimmten Zelltypen oder zu bestimmten Zellstadien exprimiert werden, enthält der Promotor ca. 25 bp stromaufwärts der Transkriptionsstartstelle immer eine TATA-Box, die auch etwas abgewandelt sein kann. Promotoren für Haushaltsgene, Gene, die in der Mehrzahl aller Zellen exprimiert werden, sowie zahlreiche andere Genpromotoren besitzen keine TATA-Box. Hier findet man häufig eine GC-Box. Sie enthält Variationen der Konsensussequenz GGGCGG. Die CAAT-Box (etwa an der Position -80 vom Transkriptionsstartpunkt aus) ist ebenfalls bei Promotoren weit verbreitet und in der Regel der für die Wirksamkeit des Promotors bestimmende Faktor (. Übersicht 2.9). . Übersicht 2.9. Konsensussequenz ausgewählter Promotorboxen, die von Transkriptionsfaktoren erkannt werden Box

Konsensussequenz der DNA

TATA

TATAAA

GC

GGGCGG

CAAT

CCAAT

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Die RNA-Polymerase wird durch die Bindung an die Transkriptionsfaktoren aktiviert und beginnt an einer bestimmten Stelle mit der RNA-Synthese (. Abb. 2.19). Häufig ist dies ein G- oder A-Nukleotid in definierter Entfernung vom Startcodon eines Gens. Oft sind Gene, die transkribiert werden, durch sog. CpG-Inseln gekennzeichnet. Dies ist eine Abkürzung für die Kopplung von C mit G über eine 3’5’-Phosphodiesterbindung. Es handelt sich hierbei um DNA-Bereiche von 12 kb Länge, in denen dieses Dinukleotid häufig vertreten ist, während es in der restlichen DNA wesentlich seltener zu finden ist. Die Cytosinreste in den CpGDinukleotiden können am Kohlenstoffatom 5 methyliert werden. Die Methy-

. Abb. 2.19. Transkriptionsstart: Mehrere Transkriptionsfaktoren binden am Promotor direkt neben einem Gen und bringen die RNA-Polymerase in Startposition zur Transkribierung eines Gens

157 2.1 · Organisation und Funktion

lierung wird in der Regel als Transkriptionsverbot angesehen. Ist bei einem Promoter eine CpG-Insel methyliert, so ist normalerweise die Genexpression des dazugehörenden Gens unterdrückt (. Übersicht 2.10). . Übersicht 2.10. Ablauf der Transkription Transkriptionsgeschwindigkeit:

1,8 kb/min

RNA-Polymerasen: 4 RNA-Polymerase I-III:

Für Transkription der verschiedenen RNA-Klassen

4 RNA-Polymerase II:

Für überwiegende Mehrheit der zellulären Gene

Transkriptionsregulatoren:

Promoter, Enhancer, Silencer und Transkriptionsfaktoren

Promotorboxen:

TATA-Box GC-Box CAAT-Box

Transkriptionsunterdrückung:

Methylierung der DNA, besonders 5-Methylcytosin

Processing und Splicing der RNA Die im Zellkern synthetisierte RNA ist wesentlich größer als die, die man im Zytoplasma an den Ribosomen findet. Es wird eine sehr viel größere Prekursorform produziert, die dann durch das sog. Processing im Verlauf des Transports vom Zellkern zum Zytoplasma, noch im Kern, zur endgültigen mRNA zurechtgeschnitten wird (. Abb. 2.20). Man bezeichnet die Prekursorform in den verschiedenen Processingstadien als heterogene nukleäre RNA (hnRNA), weil die RNA-Moleküle in der Länge variieren. Von der hnRNA stammt auch eine kleine nukleäre RNA ab: die snRNA (s = small) ist bei der Durchführung des Splicing beteiligt, welches wir weiter unten kennen lernen werden. Beim Menschen wurde man auf diese RNA durch Autoantikörper aufmerksam, die man bei Trägern von systemischem Lupus erythematodes nachweisen kann. Ablauf des Processing

Das Processing (. Übersicht 2.11) beinhaltet sowohl ein Wegschneiden als auch ein Anheften von Gruppen, die im primären Transkript nicht vorhanden waren. Bereits Sekunden nach Transkriptionsbeginn wird ein spezielles Nukleotid, das 7-Methyl-Guanosin über eine Triphosphatbrücke an das 5’-Ende als

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

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. Abb. 2.20. Transkription eines Gens auf hnRNA und Splicing der hnRNA zur translationsfähigen mRNA. (Cap und Poly-A-Schwanz werden nicht translatiert)

Cap einer neuen mRNA angefügt. Das Cap dient der Anheftung der mRNA an das Ribosom. . Übersicht 2.11. Processing der mRNA Capping:

Anheftung von 7-Methyl-Guanosin an das 5’-Ende, dies ermöglicht spätere Fixierung der mRNA an das Ribosom

Polyadenylierung:

Anheftung eines Poly-A-Schwanzes an 3’-OH-Ende

Spleißen:

Trennung und Zusammenfügung von den Exons mit übersetzbarer Information von den dazwischen liegenden Introns, die nicht übersetzt werden

159 2.1 · Organisation und Funktion

. Abb. 2.21. Das Faktor-VIII-Gen. Offener Balken stellt das Gen dar, die ausgefüllten Teile entsprechen den 26 Exons. Weiterhin sind 10 Restriktionsenzyme mit Schnittstellen aufgetragen, die zur Identifikation des Gens führten. Die grauen Balken repräsentieren die DNA-Abschnitte in λ-Phagen (λ) und Cosmidklonen (p). (Nach Gitschier et al. 1984)

Danach folgt die weitere Anheftung von Nukleotiden an das 3’-Ende der Kette mit einer Geschwindigkeit von 30-50 Nukleotiden pro Sekunde. Direkt nach Beendigung dieser Kette wird eine Sequenz von Nukleotiden abgespalten und 100-200 AMP werden an das 3’-OH-Ende angeheftet. Dieser Vorgang, den man als Polyadenylierung bezeichnet, dient dem Schutz des primären Trankskripts vor zytoplasmatischen Enzymen. Nach allen Untersuchungen fand man bis heute nur eine einzige mRNA, die im Kern nicht polyadenyliert und ohne Poly-A-Schwanz ins Zytoplasma entlassen wird. Dies ist die mRNA für Histonproteine, die nur eine kurze Überlebenszeit im Zytoplasma haben. Die Modifikation des primären Transkripts dient offenbar dem längeren Überleben der mRNA im Zytoplasma. Nach genauer Betrachtung des Prekursormoleküls ließ sich zeigen, dass dieses im Zellkern im Durchschnitt ca. 5.000 Nukleotide lang ist, während die mRNA im Zytoplasma nur ungefähr 1000 Nukleotide umfasst. Damit war klar, dass im Gegensatz zu Prokaryoten, keine direkte Abhängigkeit zwischen der Länge der DNA-Sequenz des Gens und der Länge des Proteins besteht, für das es codiert. Die Verkürzung des Primärtranskripts bedingt ein Zurechtschneiden der mRNA vor der Translation. Diesen Vorgang, der der Entfernung der Introns dient, haben wir bereits als splicing (Spleißen) angesprochen (. Abb. 2.21).

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Splicing der RNA

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Introns beginnen immer mit GT und enden mit AG. Dies sind die beiden Stellen, an denen das Intron herausgeschnitten wird. Offenbar zeigen sie jedoch nicht allein ein Intron an, bzw. reichen sie zur Intronerkennung nicht aus. So wurde noch eine dritte wesentliche Intronsequenz entdeckt, die für das Splicing wichtig ist, die sog. branch site. Sie befindet sich nahe am Ende des Introns, maximal 40 Nukleotide vom terminalen AG-Ende entfernt. Das Splicing läuft demnach in 3 Schritten ab: 4 Der 1. Schritt ist die Spaltung der 5’-gelegenen Exon-Intron-Grenze (Donatorstelle). 4 In einem 2. Schritt greift das G-Nukleotid an der Donatorstelle nukleolytisch ein A an der branch site an, es folgt eine Lassobildung. 4 Der 3. Schritt ist die Spaltung der 3’-gelegenen Exon-Intron-Grenze (Akzeptorstelle), das Intron wird als Lasso freigesetzt und die Exonanteile werden zusammengespleißt. Mehrere snRNA-Komplexe führen dabei das Splicing aus. Diese Partikel bestehen aus proteingebundenen snRNA-Molekülen und bilden die Spliceosomen. Diese binden an die Donatorstelle, die branch site und die Akzeptorstelle und führen das Splicing durch (. Abb. 2.22).

. Abb. 2.22. Splicing der hnRNA

161 2.1 · Organisation und Funktion

Alternatives Spleißen und Spleißmutationen

Bei vielen menschlichen Genen werden Spleißstellen alternativ benutzt. Dadurch entstehen verschiedene mRNA-Sequenzen für gewebsspezifische Proteine. Das Calcitoningen ist ein Beispiel hierfür. Eine Kombination aus alternativem Spleißen und alternativer Polyadenylierung führt zu unterschiedlichen Genprodukten. In der Schilddrüse wird Calcitonin gebildet, das im Blut den Ca2+-Spiegel konstant hält, im Hypothalamus wird dagegen das sog. calcitoningenverwandte Peptid gebildet, das neuromodulierend und trophisch wirken kann. Auch können Spleißmutationen die Spleißstellen inaktivieren oder zu einer kryptischen Spleißstelle aktivieren. Ein Beispiel hierfür ist die β-Globin-Mutation D26K im Hämoglobin E. Sie verursacht unerwarteter Weise eine β-Thalassämie. Das Codon 26 liegt in der DNA-Sequenz in der Nähe der Spleißdonatorstelle im Codon 30. Die Substitution G⇒A vermindert die Effektivität der Spleißreaktion.

Transfer-RNA (tRNA) Die Transfer-RNA (tRNA) macht etwa 10% der gesamten RNA der Zelle aus. Sie ist für den Aminosäuretransport zuständig. Ihre Aufgabe besteht somit darin, aus dem Zellraum Aminosäuren aufzunehmen und an den Syntheseort der Polypeptidketten zu bringen, wo sie dann entsprechend der Matrizenvorschrift der mRNA zusammengebaut werden. Aufbau der tRNA

tRNA-Moleküle besitzen etwa die Form eines Kleeblatts (. Abb. 2.23), sind aus 75-90 Nukleotiden aufgebaut und haben ein Molekulargewicht von etwa 30.000. Betrachtet man tRNA verschiedener Organismen und verschiedener Aminosäurespezifität, so fällt bei allen bisher bekannten tRNA-Spezies eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Der Stiel des Kleeblatts hat am 3’-Ende der Nukleotidkette stets die Basensequenz 5’ … XCCA3’. Dabei bedeutet X an 4. Position vor dem Ende, dass hier in den einzelnen tRNA-Spezies verschiedene Basen auftreten. An dieses 3’Ende wird die für jede tRNA spezifische Aminosäure angeheftet. Am 5’-Ende steht immer ein pG. Die mittlere Kleeblattschleife ist durch ein für die angeheftete Aminosäure charakteristisches Basentriplett gekennzeichnet. Dieses als Anticodon bezeichnete Basentriplett ist komplementär zu dem Triplett, das die entsprechen-

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

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. Abb. 2.23a,b. a tRNA der Aminosäure Serin, b Modell der dreidimensionalen Struktur einer tRNA (Nach Rich 1978)

163 2.1 · Organisation und Funktion

de Aminosäure auf der mRNA codiert, und dient zum Ablesen der mRNAMatrize. Eine weitere Gemeinsamkeit aller tRNA-Moleküle ist die Existenz einer großen Anzahl seltener Basen neben den vier Standardbasen. Da diese seltenen Basen keinen komplementären Partner finden können, garantieren sie die Einzelsträngigkeit der entsprechenden Regionen. Eine seltene Base, ψ, liegt in der TψC-Schleife, die eine wichtige Rolle bei der Anheftung der tRNA an das Ribosom spielt. An der DHU-Schleife finden wir die seltene Base Dihydroxyuridin. Diese Schleife ist hauptsächlich für die Anlagerung der tRNA an die Synthetasen verantwortlich. Processing der tRNA

Ein ähnliches Processing, wie bei der mRNA beschrieben, findet auch bei tRNA-Molekülen statt. Das primäre Transkriptionsprodukt ist auch hier größer. Zunächst werden mehrere tRNA in einem Molekül synthetisiert. Dieses wird dann in die einzelnen tRNA gespalten, die 5’- und 3’-terminalen Sequenzen werden durch Processingenzyme entfernt. Beim Menschen wird die tRNA von 497 Genen codiert. Die seltenen oder modifizierten Basen sind nicht im ursprünglichen Transkriptionsprodukt vorhanden, sie werden im Zuge des Processing durch Umwandlung der gängigen Basen gebildet. Kopplung der Aminosäuren an tRNA

Wie erkennt eine bestimmte Aminosäure ihre tRNA? Der erste Schritt ist die Aktivierung der Aminosäure mit Hilfe von Adenosintriphosphat (ATP), vermittelt durch das Enzym Aminoacyl-tRNA-Synthetase. Für jede tRNA existiert mindestens ein solches Enzym. Nun lagern sich die Aminosäuren und ATP zusammen. Dadurch entsteht Aminoacyl-AMP, in dem der Aminosäurerest aktiviert ist, sowie Pyrophosphat. Als nächstes erkennt die AminoacyltRNA-Synthetase an der spezifischen Tertiärstruktur die Dihydroxyuridinschleife der zu ihr gehörenden tRNA. Das Enzym richtet die tRNA so aus, dass eine freie Hydroxygruppe der Ribose des endständigen Adenosins in den Bereich des Aminoacyl-AMP gelangt. Schließlich wird der Aminosäurerest auf die Ribose des Adenosins der tRNA unter Freisetzung von AMP übertragen, und die Synthetase löst sich für neue Reaktionsvermittlungen. Die Aminosäure ist an ihre tRNA gekoppelt und kann mit Hilfe des Anticodons richtig in ein Polypeptid eingebaut werden.

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Ribosomale RNA

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Den größten Anteil an der gesamten RNA der Zelle hat mit 80-85% die ribosomale RNA (rRNA). Sie ist, wie der Name bereits sagt, ein Bestandteil der Ribosomen, die aus der rRNA und aus Proteinen bestehen. rRNA wird an Chromosomenabschnitten synthetisiert, an denen eine vielfach wiederholte Folge von Genorten für rRNA vorliegt. Die große Zahl redundanter Gene für rRNA ist wegen der großen Menge der benötigten rRNA notwendig. Man bezeichnet die Chromosomenabschnitte, auf denen die Gene für rRNA lokalisiert sind, als Nukleolusorganisatoren. Processing der rRNA

Auch bei der rRNA findet ein Processing aus Prekursormolekülen statt. Beim Menschen wird ein langes Primärtranskript mit einer 28 S-, einer 18 S- und einer 5,8 S-Einheit gebildet. Im ersten Schritt des Processing wird, enzymatisch vermittelt, ein Schnitt zwischen der 18 S- und der 5,8-S-Einheit durchgeführt und das Intron entfernt. Dann wird die 5,8 S-rRNA an die 28 S-Einheit gebunden, die zusammen mit ihr, sowie einer 5 S-rRNA, die separat transkribiert wird, und 49 Proteinen die größere 60 S-Untereinheit eines Ribosoms bildet. Die 40 SUntereinheit ist nur aus 18 S-rRNA und 33 Proteinen aufgebaut. Zusammengefügt bilden beide Einheiten das 80 S-Ribosom der Eukaryoten (. Abb. 2.24 und

. Abb. 2.24. Processing der rRNA für Ribosomen von Eukaryoten

165 2.1 · Organisation und Funktion

. Übersicht 2.12). Bei Prokaryoten besteht die rRNA in der 50 S-Untereinheit aus 23 S-rRNA und 5 S-rRNA. In der 30 S-Untereinheit kommt nur die 16 SrRNA vor. . Übersicht 2.12. Entstehung der verschiedenen RNA-Arten Messenger-RNA

Transfer-RNA

Ribosomale RNA

Genebene

Produktion einer größeren Prekursorform

Produktion mehrerer tRNA in einem Molekül

Produktion einer 28 SrRNA, einer 18 S-rRNA, einer 5,8 S-rRNA und einer 5 S-rRNA

Processing

Capping und Polyadenylierung, Splicing von Introns und Exons

Spaltung in einzelne tRNA, Entfernung der terminalen Sequenzen und Bildung der seltenen Basen

Zusammenfügen zur 60 S-und 40 S-Untereinheit

Hemmung der Transkription Die Transkription kann durch verschiedene Antibiotika gehemmt werden. So bindet Rifamycin die prokaryotische DNA-abhängige-RNA-Polymerase. Dies führt zu einer Blockierung der RNA-Synthese, allerdings nur bei Prokaryoten. Das Gift des Knollenblätterpilzes α-Amanitin hemmt die RNA-Polymerase II bei Eukaryoten. Auch sind Stoffe bekannt, die direkt mit der DNA interagieren und so die Nukleinsäuresynthese hemmen, wie z.B. Actinomycin.

2.1.8 Genregulation, differenzielle Genaktivität

Regulation der Genexpression Bei der Beschreibung der Transkription wurden bereits die Transkriptionsfaktoren als regulatorische Elemente beschrieben, die oft von weit entfernten Genen transkribiert werden und erst an die Promotorregion wandern müssen. Auch die Enhancer und Silencer wirken regulierend: sie binden Proteine, die der Genregulation dienen. Zusätzlich gibt es Unterschiede zwischen transkriptionell aktiven und inaktiven Regionen in der DNA, was sich in der Struktur des Chromatins wiederspiegelt. Inaktives Chromatin ist stärker kondensiert, wird spät in der SPhase des Zellzyklus repliziert, außerdem zeigt es eine feste Bindung an das

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Histon H1. Transkriptionell aktive DNA hat eine offene Konformation, wird in der Regel früh in der S-Phase repliziert, besitzt eine schwache Bindung von Histon-H1-Molekülen und eine starke Acetylierung der nukleosomalen Histone. Die Promotoren enthalten keine methylierten Zytosine. Gerade diese Methylierung von Basen, besonders von 5-Methylcytosin, ist eine ganz besondere Eigenart des Wirbeltiergenoms. Die DNA einiger anderer Eukaryoten, wie z.B. die der Fruchtfliege Drosophila, ist nicht methyliert. Man bringt diese Methylierung mit einer Unterdrückung der Transkription in Verbindung. Sie ist an selektiven Repressionsmechanismen für nicht zu transkribierende Gene beteiligt. Andere Regulationsmechanismen, wie die durch (Steroid)Hormone wurden in 7 Kapitel 1.3.2 bereits angesprochen. Auch Mutationen können die Genexpression beeinflussen. Die testikuläre Feminisierung als klinische Folge einer Mutation im Androgenrezeptor mit der Konsequenz, dass keine mRNA für Testosteron produziert wird, verdeutlicht dies eindrucksvoll.

Differenzielle Genaktivität Die Zelldifferenzierung ist im Wesentlichen ein Vorgang der differenziellen Genaktivität, d.h. in Zellen, die sich unterschiedlich differenzieren, werden unterschiedliche Gene aktiviert oder unterschiedliche Gene inaktiviert. Dabei hat zwar - von Ausnahmen abgesehen - weiterhin jede Zelle die gesamte genetische Information, genauso wie die ursprüngliche Zygote, sie kann aber nur einen Teil dieser Information »abrufen«. Verschiedene Zellen werden genetisch unterschiedlich reguliert. Die . Übersicht 2.13 verdeutlicht die verschiedenen möglichen regulierenden Schritte. Besonders die Ontogenese (Keimentwicklung) ist durch ständige Veränderungen des Phänotyps gekennzeichnet. Sie beginnt mit den ersten Furchungsteilungen und setzt sich über embryonale, fetale und Jugendstadien bis zu den Stadien höchster Differenzierung fort. Dabei ist ein und derselbe Genotyp in der Lage, sehr verschiedene Phänotypen in gesetzmäßiger Abfolge hervorzubringen. Beispiel Hämoglobin

Als Beispiel sei hier das Hämoglobinmolekül genannt, das uns zum Verständnis der Genaktivitäten auf molekularer Ebene hilfreich sein kann. Zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung können nacheinander verschiedene Gene

167 2.1 · Organisation und Funktion

. Übersicht 2.13. Regulation der Genaktivierung Intrazelluläre Regulation Regulation auf DNA-Ebene:

Genamplifikation Abbau von Genen in Somazellen Kernverlust

Regulation der Transkription:

Steuerung der Bereitstellung von mRNA Negative Genregulation bei Prokaryoten über Repressoren:

4 Substratinduktion

Positive Genregulation bei Pro- und Eukaryoten:

4 cAMP

4 Endproduktrepression

Regulation der Translation:

Steuerung der Halbwertzeit der mRNA Steuerung der Faktoren der Proteinbiosynthese

Regulation der Enzymaktivität:

Steuerung über das Endprodukt

Interzelluläre Regulation Steuerung über Signale:

Hormonregulation Neurotransmitterregulation

sein, um die Funktion eines Genprodukts den jeweiligen Entwicklungsprozessen ideal anzupassen. Das Hämoglobinmolekül von Kindern und erwachsenen Menschen (HbA) setzt sich zu 98% aus 2 α- und 2 β-Polypeptidketten zusammen und wird daher als α2β2 bezeichnet. Alle Erwachsenen besitzen darüber hinaus in kleinem Umfang etwa 2% HbA2: dies besteht aus je 2 α- und 2 δ-Ketten und wird als α2δ2 bezeichnet. Die δ-Kette unterscheidet sich nur in 10 Aminosäurepositionen von der β-Kette. Das fetale Hämoglobin (HbF) dagegen besteht aus 2 α- und 2 γ-Ketten (α2γ2). Zum Zeitpunkt der Geburt trägt es mit ca. 80% den Hauptanteil an der Hämoglobinmenge, wird dann aber zunehmend ersetzt, sodass es bereits nach einigen Monaten nur noch wenige Prozent ausmacht (. Abb. 2.25). Man kann bei HbF 2 Varianten unterscheiden: 4 Aγ (mit Alanin), 4 Gγ (mit Glycin). Die γ-Kette unterscheidet sich mit 43 Aminosäuren recht erheblich von der β-Kette. Die α-Kette mit 141 Aminosäuren und die γ-Kette mit 146 Aminosäu-

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168

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

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. Abb. 2.25a,b. Ontogenese der menschlichen Hämoglobinketten. a Entwicklungsmuster der verschiedenen Globinketten. b Charakteristische Orte der Erythropoese während der Entwicklung. Es bestehen charakteristische Ähnlichkeiten in der Zeitfolge der Entwicklung von Dottersack ε- und ζ-Kette, Leber und Milz und γ-Kette, Knochenmak und ß-Kette (Nach Motulsky 1970)

ren haben 50 Aminosäuren gemeinsam. Weiterhin kommen in den ersten Embryonalwochen noch embryonale Hämoglobine vor: Hb Portland-I, welches durch 2 ζ-Ketten charakterisiert ist (ζ2γ2), Hb Gower 1 mit 2 ζ- und 2 ε-Ketten (ζ2ε2) und Hb Gower 2 mit 2 α und 2 ε-Ketten (α2ε2). In der Aminosäurezusammensetzung gleicht die ζ-Kette der α-Kette, und die ε-Kette hat Ähnlichkeit mit der β-Kette (. Übersicht 2.14). Der Vorteil der embryonalen und fetalen Hämoglobine ist ihre höhere Sauerstoffbindungskapazität, die den Gasaustausch in der Plazenta erleichtert.

169 2.1 · Organisation und Funktion

. Übersicht 2.14. Menschliche Hämoglobine von der embryonalen bis zur adulten Entwicklung Stadium

Hämoglobin

Struktur

Embryonalphase

Hb Gower 1

ζ2ε2

Hb Gower 2

α2ε2

Hb Portland

ζ2γ2

HbF

α2Gγ2

Fetalphase

α2Aγ2 Adultphase

A

α2β2

A2

α2α2

Klinik Thalassämien Als klinisches Beispiel für die Folgen falscher oder nicht vorhandener Genaktivität seien hier die Thalassämien dargestellt. Mutationen führen zu dieser Gruppe von Hämoglobinopathien, die durch eine ungenügende oder fehlende Synthese der einen oder anderen Hämoglobinkette gekennzeichnet sind. Häufig sind hier Deletionen im Gen mit unterschiedlicher Länge. Man unterscheidet 2 Gruppen von Thalassämien. 4 Thalassämien mit Mutationen im α-Gen 4 Thalassämien mit Mutationen im β-Gen. In diesen Fällen ist die α- oder β-Globinproduktion herabgesetzt oder nicht vorhanden. Bezüglich der klinischen Beschreibung, der regionalen Häufigkeit in früheren Malariagebieten und des vielfältigen Musters genetischer Defekte sei hier auf die Lehrbücher der Humangenetik verwiesen.

2.1.9 Translation

Die DNA ist Träger der genetischen Information, diese Information ist in Nukleotidtripletts niedergelegt (. Abb. 2.26). Da sich die genetische Information im Zellkern befindet, die Proteinbiosynthese aber im Plasma stattfindet, wird ein Mittler in Form der MessengerRNA benötigt. Diese Übertragung der Nach-

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

codogener Strang

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Kern

Zytoplasma

m-RNA Anticodon t-RNA

Aminosäure

. Abb. 2.26. Übersetzung von Nukleotidtripletts in mRNA und codierte Aminosäuren

richt von der DNA auf die mRNA haben wir als Transkription bezeichnet. Wir wollen nun beschreiben, wie im Zellplasma die Information der mRNA in Proteine umgesetzt wird. Man bezeichnet diesen Vorgang im Gegensatz zur Transkription als Translation (. Abb. 2.27). Eine wesentliche Rolle bei der Translation spielen die Ribosomen. Sie sind das bindende Glied zwischen der mRNA und der mit Aminosäuren beladenen tRNA. Man kann sie als die »universellen Druckmaschinen« der Zelle bezeichnen.

171 2.1 · Organisation und Funktion

. Abb. 2.27. Schema der Transkription und der Translation. Das Processing der mRNA wurde der Übersicht halber nicht mit eingezeichnet

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Ablauf der Translation

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Der Vorgang beginnt mit der Bildung des Initiationskomplexes. Die ribosomale 40 S-Untereinheit erkennt das 5’-Cap unter Beteiligung von Proteinen. Sie sucht die mRNA ab, bis sie auf das Startcodon AUG stößt, welches für Methionin codiert. AUG muss aber in die richtige Sequenz eingelagert sein, um als »Start« erkannt werden zu können. Die häufigste Erkennungssequenz ist GCCA/GCCAUGG. Dabei ist offenbar das letzte G und das 3 Nukleotide vor AUG liegende G für die Kennung entscheidend. Anschließend werden die Aminosäuren nacheinander in die sich verlängernde Polypeptidkette eingebaut. Über eine Peptidbindung wird jeweils die Aminogruppe der neu an den Translationskomplex herangebrachten Aminosäure mit der Carboxylgruppe der zuletzt eingebauten Aminosäure verknüpft. Als Peptidbindung bezeichnet man eine Reaktion zwischen Carboxylgruppe und Aminogruppe zweier Aminosäuren unter Wasserabspaltung. Diese Reaktion wird mit Hilfe des Enzyms Peptidyltransferase katalysiert, das integraler Bestandteil der großen Untereinheit ist (. Abb. 2.28). Dieser Vorgang wird solange fortgesetzt, bis die Polypeptidkette fertiggestellt ist und sich vom Ribosom trennt (. Abb. 2.29). Übersetzung der Codons

Es gibt 64 Codons, aber nur 20 verschiedene Aminosäuren. Der genetische Code ist also degeneriert. Auch gibt es nur etwas mehr als 30 tRNA-Moleküle im Zytoplasma und 22 in den Mitochondrien. Beide können die 64 Codons erkennen. Die ersten beiden Positionen sind hier bei der Paarung von CodonAnticodon entscheidend. In der 3. Position kann es zu Schwankungen kommen. Nach der Wobble-Hypothese sind auch G-U-Paarungen gestattet. (. Übersicht 2.15) und es wird von der A-U- und G-C-Regel abgewichen. Wie erkennt nun die Zelle, dass ein Polypeptid fertiggestellt ist? Das Ende der Polypeptidkette (Termination) wird durch eines der Nonsenscodonen angezeigt, die »Stopp« bedeuten. Für im Kern codierte mRNA sind dies UAA, UAG und UGA (7 Code-Sonne . Abb. 2.16), für in den Mitochondrien codierte UAA, UAG, AGA oder AGG. Die Stoppcodons der Kern-mRNA werden als . Abb. 2.28. Peptidbindung zwischen Carboxylgruppe und Aminogruppe zweier Aminosäuren

173 2.1 · Organisation und Funktion

. Abb. 2.29. Ausschnitt aus einer Polypeptidkette (Nach Bresch u. Hausmann 1972)

. Übersicht 2.15. Wobble-Hypothese Base am 5’-Ende des tRNA-Anticodon

Erkannte Base am 3’-Ende der mRNA

A

Nur U

C

Nur G

G

C oder U

U

A oder G

amber, ochre und opal bezeichnet. Den Bereich zwischen Start- und Stoppcodon bezeichnet man als offenes Leseraster (open reading frame). Es gibt sowohl am 5’- als auch am 3’-Ende der mRNA zwar transkribierte, aber untranslatierte Sequenzen (5’-UTS und 3’-UTS). Dabei sind die 5’-UTS in der Regel kürzer als 100 bp, die 3’-UTS normalerweise viel länger. Neben dem 5’-Cap spielen sie offenbar für die Auswahl der mRNA zur Translation eine entscheidende Rolle. Es gibt Hinweise dafür, dass sie als Translationsbeschleuniger wirken und eine hohe Effizienz der Translation bewirken (. Übersicht 2.16). Wie der . Abbildung 2.27 zu entnehmen ist, wird die mRNA bei der Translation meist nicht nur durch ein einziges Ribosom »gezogen«, sondern aus »ökonomischen« Gründen durch mehrere nebeneinanderliegende Ribosomen,

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

. Übersicht 2.16. Ablauf der Translation

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Bildung des Initiationskomplexes:

40 S-Untereinheit des Ribosoms erkennt 5’-Cap und sucht Startcodon AUG, welches in richtige Sequenz eingelagert ist (GCCA/GCCAUGG). Ribosom wird durch die große Untereinheit vervollständigt. Initiationsfaktoren (kleine Proteine) und Energie sind beteiligt

Elongation:

Wachstum der Polypeptidkette durch Verknüpfung der von tRNA antransportierten richtigen Aminosäuren durch Peptidbindung unter Katalyse von Peptidyltransferase

Termination:

Ende der Polypeptidkette wird bei Kern-mRNA durch die Stoppcodons UAA, UAG und UGA, bei mitochondrialer mRNA durch UAA, UAG, AGA und AGG angezeigt. Nicht-Sinn-Codons führen zum Kettenabbruch

sodass an einem mRNA-Strang gleichzeitig mehrere Polypeptidketten entstehen. Man bezeichnet den Verband zwischen mRNA und mehreren Ribosomen als Polysomenverband. Wird die Polypeptidsynthese an einer mRNA beendet, so lösen sich die Ribosomen wieder von dieser und stehen im Plasma für die Ablesung eines anderen Messengers und damit für die Produktion einer anderen Polypeptidkette zur Verfügung. Die Ribosomen sind also wirklich universelle Druckmaschinen der Zellen, in die eine beliebige mRNA als Druckstock eingelegt werden kann. Wechsel der mRNA

Aus Untersuchungen an Bakterien weiß man, dass die mRNA sehr kurzlebig ist. Ihre Halbwertszeit liegt etwa bei 100 s. Die Halbwertszeit der mRNA höherer Organismen ist ebenfalls relativ kurz, wenn sie auch mehrere Stunden beträgt. Was ist der biologische Sinn dieser kurzen Halbwertszeiten? Sie sind eine sehr ökonomische Einrichtung der Zelle. Eine Bakterienzelle z.B. unterliegt häufig Milieuveränderungen, die eine schnelle Adaption der Zelle erfordern. Eine schnelle Adaption erfordert aber einen schnellen Wechsel der Syntheseleistungen. Wäre die mRNA langlebig, so würden über einen langen Zeitraum immer dieselben Enzyme gebildet (z.B. zum Abbau des Stoffs A), die vielleicht aufgrund eines Milieuwechsels nicht mehr gebraucht werden. Dafür können andere lebensnotwendige Enzyme (z.B. zum Abbau des Stoffs B) nicht gebildet werden. Ist die mRNA jedoch kurzlebig, so werden an der DNA nur so lange neue mRNA-Spezies zum Abbau von A transkribiert und in die Translation gegeben, wie der Stoff A im Milieu vorhanden ist. Fehlt der Stoff A plötzlich und muss stattdessen B abgebaut werden, so kann unter Kontrolle der

175 2.1 · Organisation und Funktion

DNA sofort mRNA für B gebildet werden. Diese kann schnell translatiert werden, da die mRNA für A, die die Ribosomen besetzt hält, schnell verdämmert und damit die Druckmaschine freigibt. Zellen höherer Organismen unterliegen nicht so raschen Milieuveränderungen wie Bakterien, somit ist es günstiger, dass die mRNA höherer Organismen etwas langlebiger ist.

Hemmung der Translation Die Unterschiede im Aufbau pro- und eukaryotischer Ribosomen wurden bereits beschrieben. Ebenso wurde in 7 Kapitel 1.1.2 beschrieben, dass die Mitochondrien prokaryotische Ribosomen besitzen, im Gegensatz zu den Ribosomen der übrigen Zelle. Dies hat Auswirkungen auf die Antibiotikatherapie. Verschiedene Antibiotika greifen nämlich an unterschiedlichen Stellen der Translation ein. So bindet Chloramphenicol an 70 S-Ribosomen und hemmt deren Peptidyltransferase. Puromycin führt dagegen zum Kettenabbruch sowohl bei 70 S- als auch bei 80 S-Ribosomen. Cycloheximid ist ein spezifischer Hemmer der Translation von Eukaryoten, indem es nur die Translation von 80 S-Ribosomen hemmt. Letztere Antibiotika sind daher nur zur experimentellen Anwendung geeignet.

2.1.10 Kartierung und Klonierung von Genen

Grundsätzlich kann man bei der Kartierung von Genen zwischen der physikalischen und der genetischen Kartierung unterscheiden (. Übersicht 2.17).

Physikalische Kartierung nach klassischem Ansatz Eine physikalische Karte des Menschen besteht natürlich, genau so wie die genetische Karte, aus den 24 Einheiten, die sich aus 22 Autosomen und den Geschlechtschromosomen X und Y ergeben. Allerdings existieren völlig verschiedene Grundprinzipien der Kartierung, die auf den sehr unterschiedlichen Zugangswegen beruhen, wobei das Ziel immer die Lokalisierung von DNASequenzen auf bestimmte »physikalische« Bereiche von Chromosomen ist. Die ältesten Methoden der physikalischen Lokalisation von Genen entstammen der klassischen medizinischen Zytogenetik. An erster Stelle wären hier Chromosomenzuordnungen von Genen zu nennen, die auf mikroskopisch erkennbaren Chromosomenstrukturveränderungen beruhen. Durch Untersuchung von Gen-Dosis-Effekten kann man Rückschlüsse auf die Lage

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

. Übersicht 2.17. Methoden der Genlokalisation

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Physikalische Kartierung Zellhybridisierungstechniken

Vorwiegend Maus-Mensch-Zellhybride. In den letzten Jahren sehr verfeinerte Methoden zur Kartierung

In-situ-Hybridisierung (konventionell)

Radioaktiv markierte DNA wird an Metaphasechromosomen hybridisiert. Häufigkeitsverteilungen nach Autoradiographie führen zur Lokalisation von Single copy-Sequenzen

Fluoreszenz-in-situHybridisierung

In-situ-Hybridisierung mit wesentlich gesteigertem Auflösungsvermögen zur Lokalisation von Single copy-Sequenzen. Neue Anwendung der Methode beim chromosome painting zur Erkennung komplexer Strukturveränderungen, vorwiegend auch zur Tumordiagnostik

Hochauflösende physikalische Kartierung

Z.B. Klon-Contigs, Sequenzierung

Genetische Kartierung

Familiäre Kopplungsuntersuchungen, Restriktionskartierung, Mikrosatelliten, SNPs

eines Gens ziehen, wenn ein Verlust oder ein Vermehrung eines bestimmten Chromosoms oder Chromosomensegments vorliegt. Auch X-chromosomale Gene lassen sich nach einem ähnlichen Muster auffinden. Tritt ein Gendefekt oder eine Genvariante nur im männlichen Geschlecht auf, so ist eine Lage des dazugehörigen Genortes auf dem X-Chromosom wahrscheinlich, da im weiblichen Geschlecht der Effekt durch das intakte zweite X-Chromosom überlagert wird. Männlichen Individuen fehlt aber ein entsprechender Genort, da statt des homologen X-Chromosoms ein Y-Chromosom vorhanden ist. Es ist seit langem bekannt, dass Zellen in der Zellkultur miteinander fusionieren können. Die Zellen verschmelzen miteinander über die Zellmemban und es entstehen zunächst Zellen mit zwei Kernen. Bei der nächsen Mitose kommt es zur Mischung der Chromosomen beider Ursprungszellen. Es entsteht ein tetraploider Zellkern, der allerdings bei den nächsten Mitosen nach und nach überschüssige Chromosomen abgibt. Vor ca. 30 Jahren konnte man diese Beobachtung experimentell systematisieren. Man stellte fest, dass bestimmte Viren die Rate der Zellfusion erheblich steigern können. Am häufigsten benutzte man dazu das Sendai-Virus aus der Gruppe der Paramyxoviren, dessen Virusnukleinsäure vorher zerstört wird, um eine tödliche Infektion der Zelle zu verhindern. Die Fusionsaktivität wird hier-

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durch nicht wesentlich beeinflusst. Zur Lokalisation von menschlichen Genen benutzt man Fusionsprodukte menschlicher Fibroblasten oder Lymphozyten mit bestimmten Mauszelllinien. Wir haben bereits erwähnt, dass bei fusionierten Zellen Chromosomen verloren gehen. Bei den Maus-Mensch-Zellhybriden bleibt der Mauschromosomensatz mit 2n=40 Chromosomen immer vollständig erhalten. Die menschlichen Chromosomen gehen nach und nach verloren, so dass man in Hybridzellen nie 86 (40+46) Chromosomen findet, sondern meist 41+55 Chromosomen. Die übrig bleibenden menschlichen Chromosomen sind eine statistische Auswahl aus dem Chromosomensatz. Dabei gibt es Methoden, den Verlust der menschlichen Chromosomen auch spezifisch zu selektionieren. Isoliert man Hybridzellen mit verschiedenen menschlichen Chromosomensätzen, ist es möglich, ein Set von Hybridzellen zu erzeugen, mit dem man DNA-Sequenzen spezifisch zuordnen kann. Es gibt mehrere Abwandlungen dieser Methode, mit denen man entweder chromosomenspezifische Hybridzellen herstellen kann oder nicht ganze Chromosomen in den Hybridzellen vorfindet, sondern eine subchromosomale Kartierung mit Hilfe von Hybridzellen vornehmen kann, die nur Fragmente von menschlichen Chromosomen enthalten. Aber auch mit den subtilen Methoden aus diesem Bereich braucht man 100-200 Hybridzellen, um eine Karte für ein menschliches Chromosom zu erstellen, was in der Praxis für die Kartierung eines ganzen Genoms mit riesigen Mengen von Hybridzellen nicht durchführbar ist. Die neueste Entwicklung auf diesem Gebiet sind bestrahlungsinduzierte Hybride, die man auch als Bestrahlungshybride bezeichnet. Bei diesem Verfahren werden bei letaler Bestrahlung der Donatorzellen chromosomale Fragmente erzeugt, die anschließend auf Empfängerzellen übertragen werden. Eine Variante verwendet menschliche Fibroblasten als Ausgangsmaterial. Hiermit gelingt es mit 100-200 Hybridzellen vom ganzen Genom eine Karte mit ausreichender Auflösung zu erstellen. In-situ-Hybridisierung

Eine andere Methode zur Lokalisation menschlicher Gene ist die In-situDNA-Hybridisierung. Bei dieser Technik wird radioaktive DNA unter bestimmten Bedingungen Metaphasechromosomen beigegeben. Die DNA bindet an Chromosomenabschnitte, in denen die komplementären Sequenzen vorkommen. Zum Nachweis der am Chromosom gebundenen radioaktiven DNA verwendet man autoradiographische Methoden und wertet die Signale statistisch aus.

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Nachfolgend ist es gelungen, die Auflösung der In-situ-Hybridisierung mit Fluoreszenzfarbstoffen (FISH, Fluoreszenz-In-situ-Hybridisierung) erheblich zu steigern. Man verwendet DNA-Sonden, die durch modifizierte Nukleotide mit Reportermolekülen charakterisiert sind. An diese Reportermoleküle lassen sich fluoreszenzmarkierte Affinitätsmoleküle binden. Über Reportermoleküle mit verschiedenen Fluorophoren und mit technisch hochentwickelten Bildverarbeitungssystemen ist es möglich geworden, mehrere DNA-Klone gleichzeitig zuzuordnen. Die FISH-Technik hat in einer besonderen Form der Anwendung zum sog. chromosome painting geführt. Hier besteht die Sonden-DNA aus vielen verschiedenen DNA-Fragmenten, die von einem einzigen Chromosomentyp stammen. Man erhält solche Sonden durch eine Kombination aller DNA-Insertionsfragmente einer chromosomenspezifischen DNA-Bank. Nach Hybridisierung wird das Signal von vielen einzelnen Loki über das ganze Chromosom gebildet. Das ganze Chromosom fluoresziert. Durch verschiedene Fluoreszenzmarker kann man alle Chromosomen und sogar Teilbereiche von ihnen in unterschiedlichen Farben markieren. Chromosome painting findet einen weiten Anwendungsbereich bei komplizierten chromosomalen Umlagerungen, die teilweise bei neu entstandenen Strukturveränderungen oder sehr häufig bei Tumoren vorzufinden sind. Weiterhin lässt sich die Auflösung bei der FISH-Kartierung durch Hybridisierung von DNA-Sonden an ausgestreckte Chromosomen, künstlich entspiralisierte DNA-Fasern oder an Interphasechromosomen, die entspiralisiert vorliegen, noch steigern. Die bis jetzt beschriebenen Methoden zur physikalischen Kartierung haben Grenzen im Auflösungsvermögen im Bereich einiger Megabasen. Auch die besten Ansätze über Bestrahlungshybriden-Kartierung erreichen keine Auflösung höher als 0,5 Mb. Deshalb wurden sie im Human Genom Projekt durch molekulare Kartierungsmethoden ergänzt. Um die Kartierung menschlicher DNA-Klone zu verbessern, wurden zusätzliche Technologien entwickelt. Anstatt das ganze Genom zu benutzen, hat man Chromosomensortierungsmethoden entwickelt. Über Durchflusszytometrie auf der Basis der Zellfraktionierung in FACS-Zellsortern wurden die einzelnen Chromosomen des Menschen sortiert, so dass man chromosomenspezifische DNA-Bibliotheken aufbauen konnte. Eine andere Methode, die Chromosomenmikrodissektion, mechanisch oder über Laserschnitt, ermöglichte die Gewinnung einzelner chromosomaler Teilbereiche.

179 2.1 · Organisation und Funktion

Hochauflösende physikalische Kartierungsmethoden Zur Erstellung der endgültigen physikalischen Karte, also zur Beschreibung der vollständigen Nukleotidsequenz, ist es bei der Moleküllänge beispielsweise eines ganzen Chromosoms notwendig, dieses in ein System sich ergänzender Klone mit DNA-Fragmenten, welche die gewünschte Sequenz völlig abdecken, aufzulösen. Dabei müssen sich die Klone überlappen, damit keine Lücken auftreten. Man bezeichnet dies als ein Klon-Contig (. Abb. 2.30). Durch die Klonierung werden die DNA-Fragmente natürlich auf verschiedene Zellen verteilt, so dass die ursprüngliche Anordnung der Fragmente im Chromosom verloren geht. Mit geeigneten Methoden muss man dann diese Information über die Überlappung der Insertionsfragmente wiedergewinnen. Hier stieß man auf das Problem, dass man zu Beginn der 1990er Jahre nur genomische DNA-Bibliotheken mit Cosmid-Klonen besaß, die eine Insertlänge von bis zu 40kb hatten, meist anonym waren und überwiegend unkartiert. Hieraus, also aus hunderttausenden von unterschiedlichen Klonen einer menschlichen . Abb. 2.30. Schematische Darstellung eines Klon-Contigs aus sich überlappenden DNAFragmenten

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

kompletten DNA-Bibliothek, eine Erstellung von Klon-Contigs zu versuchen, ist ein frustrierendes Unterfangen. Die Lösung, die Reduzierung der Klon-Zahl durch Erhöhung der Insertgröße, erforderte die Entwicklung eines neuen Klonierungssystems in künstlichen Eukaryoten-Chromosomen. Gelöst wurde die Aufgabe über künstliche Hefechromosomen (YACs, yeast artificial chromosomes) da Hefechromosomen nur kleine originäre Sequenzen benötigen, um die Chromosomenfunktion zu erhalten. Eine Isolierung dieser Sequenzen und ihre Verbindung mit langen menschlichen DNA-Inserts im Megabasenbereich reduzierte die Klonanzahl einer kompletten menschlichen DNA-Bibliothek auf 12.000–15.000 Klone. Eine YAC-Karte von ca. 75% des menschlichen Genoms wurde 1995 mit 225 Contigs einer durchschnittlichen Länge von 10 Mb erreicht. Allerdings sind YACs strukturell sehr instabil. Bei 50% von ihnen fanden sich Veränderungen, so dass sie oft keine verlässliche Repräsentation der genomischen DNA darstellten. Es waren entweder Teile deletiert oder es kam zu Rearrangements, also zu einer Umorientierung innerhalb der Sequenz. Ein weiteres Problem war der Chimärismus. Einzelne transformierte Zellen enthielten zwei oder mehr Stücke menschlicher DNA, oft von unterschiedlichen Chromosomen. Man löste dieses Problem durch die Erstellung von Karten mit Markern aus kurzen sequenzierten Bereichen, (sequence tagged sites, STSs). STSs sind einige Dutzend Basenpaare lang und müssen in der gesamten DNA einmalig sein. Außerdem sollen ihre Abstände voneinander gering sein. Dann ist es möglich, jedes physikalisch erfasste Gebiet einer jeglichen Problemregion zu korrigieren, durch STS-Typisierung anderer Arten von Klonen und damit 40-100 kb lange Bruchstücke in die richtige Position zu bringen. Als Vektoren dienen hierbei Cosmide. Bereits 1995 konnte eine menschliche STS-Karte mit mehr als 15.000 STSs und einem durchschnittlichen Abstand von weniger als 200 kb publiziert werden. Neben STSs von genomischer DNA wurden solche von cDNA entwickelt, die man als ETSs (expressed sequence tags) bezeichnet. Damit war ein detaillierter physikalischer Rahmen für das menschliche Genom geschaffen. Nun wurde es notwendig, eine weitere Generation von Klon-Contigs zu schaffen, um DNA-Stücke zu erhalten, die klein genug für eine direkte Sequenzierung waren. Als Klonierungssystem wurden hierfür BACs (bacterial artificial chromosomes) und in einem kleineren Ausmaß PACs (P1 artificial chromosomes = künstliche Chromosomen des Bakteriophagen P1) verwendet, welche Insertgrößen zwischen 100 und 250 kb aufnehmen können. Die dafür

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eingesetzte Schrotschussklonierung schaffte DNA-Sequenzen mit statistisch gestreuten Spaltstellen und allen denkbaren Überlappungen. Dabei basierte die Human Genom Projekt-Sequenzierungsstrategie auf einer hierarchischen Schrotschussklonierung. Dies bedeutet, dass die für die Sequenzierung ausgewählte DNA aus Inserts von individuellen BAC-Klonen bestand, die akkurat auf der physikalischen Karte platziert waren. Craig Venter, (Gründer der U.S.Firma Celera Genomics) benutzte die ganze Genom Schrotschuss Sequenzierungsstrategie (. Abb. 2.31), also die Sequenzierung direkt von isolierter genomischer DNA.

Genetische Kartierung – Kopplungsanalysen

. Abb. 2.31. Strategien der hierarchischen und der ganzen Genom Schrotschuss Sequenzierung

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

Genetische Kastierung – Kopplungsanalysen Kopplungsstudien

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Zur Risikoberechnung für eine bestimmte Erbkrankheit kann man in manchen Fällen Studien über Genkopplung heranziehen. Gene sind auf »Verpackungseinheiten«, den Chromosomen, zusammengefasst. Befinden sich zwei Gene auf verschiedenen, nicht homologen Chromosomen, beobachtet man freie Rekombination. Liegen sie jedoch auf dem gleichen Chromosom, so werden sie häufiger gemeinsam vererbt, als dies bei Unabhängigkeit zu erwarten ist. Man spricht dann von Genkopplung. Je weiter jedoch zwei Gene auf einem Chromosom voneinander entfernt liegen, desto unabhängiger voneinander werden sie vererbt. Mit der Entfernung nimmt die Wahrscheinlichkeit von Crossing-over-Prozessen zu, die Rekombination ist dann die sichtbare Folge eines Crossing-over zwischen daran beteiligten Genen. Je enger zwei Gene auf einem Chromosom nebeneinander liegen, desto häufiger werden sie gekoppelt vererbt. Bei vollständiger Kopplung ist die Rekombinationshäufigkeit 0. Wenn keine Kopplung vorliegt, also freie Rekombination möglich ist, kann sie maximal 0,5 betragen. Die Abstände von Genen werden in Centi-Morgan (cM) gemessen (die Einheit Morgan wurde ursprünglich bei Riesenchromosomen der Fruchtfliege Drosophila melanogaster eingeführt, zu Ehren des Nobelpreisträgers und Drosophila-Genetikers Morgan). Eine Rekombinationshäufigkeit von 1% entspricht etwa einem Abstand von 1 cM oder etwa 1000 Kilobasen (kb) auf der DNA. Die Bewertung von Kopplungsanalysen erfolgt statistisch. Man berechnet sog. LOD-Scores (logarithm of the odds), indem man das Wahrscheinlichkeitsverhältnis aufstellt: Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Loki gekoppelt sind Rekombinationsmöglichkeit 0 Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Loki nicht gekoppelt sind Rekombinationsmöglichkeit 0,5 Man drückt dieses Verhältnis meist als Logarithmus mit der Basis 10 aus. Dies ist dann der LOD-Wert. Eine Kopplung wird als signifikant betrachtet, wenn der LOD-Wert über 3,0 liegt, also das Verhältnis der Wahrscheinlichkeiten den Wert 1000 übersteigt. Ein LOD-Wert von -2 oder weniger spricht dafür, dass keine Kopplung vorliegt.

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In manchen Fällen ist nicht direkt festzustellen, ob ein Mensch für ein pathologisches Gen heterozygot ist. Oft ist dagegen aufgrund vieler Kopplungsstudien bekannt, dass zwei Gene nahe beieinander liegen. Kann nun das Markergen durch pränatale Diagnostik erkannt werden, so lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit schließen, dass das Kind auch das für die Erbkrankheit codierende Gen besitzt. Beispiel. Es ist möglich, an Amnionzellen eine Bestimmung der HLA-Typen

durchzuführen (Human-Leukozyten-Antigene). In Risikofamilien kann so eine Form des adrenogenitalen Syndroms (AGS) nachgewiesen werden, da die HLA-Gene mit dem Gen für die 21-Hydroxylase eng gekoppelt und auf dem kurzen Arm von Chromosom 6 lokalisiert sind. Genetische Kartierung über Restriktionsfragmentlängen-Polymorphismen

Die Wirkungsweise von Restriktionsendonukleasen und ihre Verwendung zur Genotypendiagnostik wird in den 7 Kapiteln 2.6.1 und 2.6.3 ausführlich besprochen. Restriktionsendonukleasen können auch zur Restriktionskartierung benutzt werden, und eine erste Karte wurde bereits 1987 erstellt. Auf einer solchen Karte sind die Reihenfolgen und Abstände der Erkennungsstellen für mehrere Restriktionsendonukleasen eingetragen. Ihre Abstände umfassen durchschnittlich etwa 0,1 kb bis über 1 Mb, so dass es sich um eine etwas gröbere Einteilung des Genoms handelt. Anfangs war die Methode über Hybridisierungsassays materialaufwändig und teuer. Sie wurde jedoch durch die RFLP-Typisierung über PCR (7 Kap. 2.6.2) wesentlich vereinfacht. Die Methode beschreibt die erste Generation von DNA-Markern und hängt für klinischgenetische Untersuchungen von einer informativen Meiose ab. Bei Menschen ist durchschnittlich etwa eine von 210 Basen mutiert. Die meisten dieser Mutationen sind neutral und bleiben unbemerkt. Gelegentlich befindet sich jedoch eine solche Mutation an einer Schnittstelle für ein Restriktionsenzym, und das eingesetzte Restriktionsenzym kann nicht schneiden. Das resultierende DNA-Fragment ist folglich länger als eines ohne diese Mutation. Da jedoch beide Fragmente viele Basensequenzen gemeinsam haben, werden sie von der gleichen DNA-Sonde erkannt. Jede Fragmentlänge definiert einen Haplotyp. RFLP-Haplotypen werden wie alle anderen Allele vererbt. Jede Person erhält einen vom Vater und einen von der Mutter. Ist nun eine Person heterozygot für einen RFLP, so zeigen die DNA-Fragmente, an welche die Sonde hybridisiert, bei homologen Chromosomen Längenunterschiede. Aber nicht

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

jeder Heterozygote ist informativ. Um ein Gen zu markieren, muss der RFLP auf demselben Chromosom liegen wie das interessierende Gen, da er sonst in der Meiose von diesem Gen wegsegregiert. Bei einem dominanten Erbleiden, wie beispielsweise der Chorea Huntington, bei der die Vererbung eines einzigen Allels ausreicht, um die Symptomatik auszulösen, ist ein RFLP ein klarer Marker, wenn er sich bei allen erkrankten Verwandten nachweisen lässt, nicht aber bei den Gesunden. Da sich dominante Erkrankungen manchmal erst spät manifestieren, klärt eine Anwesenheit des Markers bei fraglichen Anlageträgern oder bei Feten die genotypische Situation und damit das Übertragungs- bzw. Erkrankungsrisiko. Bei autosomal-rezessiven Erkrankungen lässt sich in dem betroffenen Kind ein Marker von jedem Elternteil nachweisen. X-chromosomale Erbgänge werden durch einen RFLP auf dem X-Chromosom des Mannes und durch zwei RFLP bei der Frau markiert. In der Praxis bedeutet dies, dass Kopplungsanalysen mit RFLP nur innerhalb von Familienuntersuchungen durchgeführt werden können, in die neben dem Patienten auch seine Eltern und häufig noch andere Angehörige einbezogen sind. Bei X-chromosomal-rezessivem Erbgang sind insbesondere die männlichen Familienmitglieder (z.B. Vater und Großvater einer ratsuchenden Frau) informativ. Bei autosomal-dominanten Erkrankungen sollte ein möglichst großer Stammbaum mit gesicherten Merkmalsträgern und Nicht-Merkmalsträgern vorhanden sein, wobei die Merkmalsträger heterozygot für die RFLPs sein sollten. Bei autosomal-rezessiven Erkrankungen genügen neben dem Patienten die Eltern und möglicherweise Geschwister, wobei in der günstigsten Situation die Eltern heterozygot und der Erkrankte homozygot für die RFLP-Allele ist. Andere Konstellationen lassen nur in begrenztem Umfang Aussagen zu. Die Möglichkeit der Anwendung in der Pränataldiagnostik hängt in jedem Einzelfall immer vom Ergebnis einer individuellen Familienuntersuchung ab (. Übersicht 2.18). Insgesamt betrachtet ist diese Methode mit einem grundsätzlichen Nachteil behaftet. Sie ist nämlich zur Kartierung wenig informativ. RFLPs haben nur zwei Allele. Eine Restriktionsschnittstelle ist anwesend oder abwesend. Die maximale Heterozygotie ist 0,5. Die Kartierung einer erblichen Krankheit über RFLPs ist häufig frustrierend, da sich zu oft herausstellt, dass eine Schlüsselmeiose uninformativ ist.

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. Übersicht 2.18. Kopplungsanalysen bei fraglichen Anlageträgern von monogenen Erkrankungen mit Hilfe von Restriktionsfragmentlängen-Polymorphismen (RFLP) Erbgang

Diagnostische Ausgangssituation in der Familie

Autosomal-dominant

Möglichst großer Stammbaum mit gesicherten und für die RFLP heterozygoten Merkmalsträgern

Autosomal-rezessiv

Patient, Eltern und möglicherweise Geschwister: Die günstigste Situation ist bei Heterozygotie der Eltern für die RFLPAllele und Homozygotie der Patienten gegeben

X-chromosomal-rezessiv

Männliche Verwandte (wie Vater oder Großvater)

Indexpatienten sind zur Diagnostik fraglicher Anlageträger obligat

Genetische Kartierung über Mikrosatelliten-Marker

In 7 Kapitel 2.1.12 werden die Mikrosatelliten als polymorphe Marker im menschlichen Genom behandelt. Sie erlauben eine Kopplungskarte des menschlichen Genoms hoher Dichte von ungefähr einem Marker pro CentiMorgan (cM – die Einheit Morgan wurde ursprünglich bei den Riesenchromosomen der Fruchtfliege Drosophila melanogaster eingeführt; eine Rekombinationshäufigkeit von 1% entspricht etwa einem Abstand von 1 cM oder etwa 1.000 kb). Hiermit war ab 1994 ein Gerüst geschaffen zur Entwicklung einer detaillierten physikalischen Karte aller Chromosomen. Die weitere Verfeinerung führte zur bisher datailliertesten Mikrosatellitenkarte, welche 5.136 Mikrosatelliten-Marker umfasst in 146 Familien mit einer Gesamtzahl von 1.257 meiotischen Ereignissen. Genetische Kartierung über Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs)

Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) sollten nochmals eine Verfeinerung der genetischen Kartierung ermöglichen, womit die bisher höchste Auflösungsmöglichkeit über polymorphe Marker angesprochen ist. MikrosatellitenMarker sind hoch polymorph, aber sie haben Grenzen in der Feinauflösung genetischer Karten, da sie nur etwa alle 30 kb vorkommen und auch nicht besonders für automatisierte Typisierung geeignet sind. SNPs bestehen meist nur als 2 Allelen, sind also wenig polymorph und haben eine hohe Frequenz im Genom von durchschnittlich einem SNP pro Kilobasenpaar. Sie eignen sich auch gut zur automatisierten Typisierung. Damit sind sie ideale Marker für die Zuordnung chromosomaler Regionen zu Krankheiten verursachenden Genen. Ein internationales SNP-Konsortium hat in der jüngsten Vergangenheit eine

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

menschliche SNP-Karte mit einer Gesamtzahl von 1,42 Mio SNPs entwickelt, was einen SNP pro 2 kb bedeutet. Alle bisher beschriebenen genetischen Kartierungen beruhen auf einem Grundprinzip, nämlich Familiendaten. Die Grundlagen sind in der Regel Marker-Typisierung von Mitgliedern einer Vielfalt von Multigenerationsfamilien. Das Ergebnis sind immer Sätze von gekoppelten Markern (Kopplungsgruppen), die aus 24 Einheiten bestehen, welche den verschiedenen menschlichen Chromosomen entsprechen.

Klonierungsverfahren Bis 1980 war wenig über die Lokalisation von menschlichen Krankheitsgenen bekannt. Dann ging die Entwicklung durch die Entdeckung polymorpher DNA-Marker und die Entwicklung der PCR-Methoden für Kopplungsanalysen sehr rasch. Dabei kann man vier Hauptstrategien für die Klonierung und Kartierung ausmachen (. Abb. 2.32). Dies sind 4 funktionsspezifische Klonierung, 4 positionelle Klonierung, 4 positionsunabhängige Kandidatengenverfahren, 4 positionelle Kandidatengenverfahren. Funktionsspezifische Klonierung

Bei der funktionsspezifischen Klonierung wird versucht, ein Gen aufgrund einer bekannten Funktionsinformation zu identifizieren. So kann man über das Genprodukt das Gen identifizieren, indem man genspezifische Oligonukleotide herstellt und diese für die Suche in cDNA-Banken (c = copy-DNA: DNA, die mit dem Enzym Reverse Transkriptase über eine mRNA-Matrize synthetisiert wurde) einsetzt. Eine andere Methode benutzt spezifische Antikörper, die gegen das Proteinprodukt erzeugt werden. Diese lassen sich dann ebenfalls nach verschiedenen Methoden zur Suche der zugehörigen cDNA einsetzen. So wurde z.B. das Gen für den Blutgerinnungsfaktor VIII durch funktionsspezifische Klonierung über Oligonukleotide kloniert. Positionelle Klonierung

Bei der positionellen Klonierung muss von dem gesuchten Gen die Zuordnung zu einer chromosomalen Teilregion bekannt sein (über Kopplungsanalyse, chromosomale Anomalien usw.), weitere Informationen sind nicht erforderlich. Man versucht dann über physikalische und genetische Karten eine genau-

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. Abb. 2.32. Methoden zur Identifikation von Krankheiten, die einfach mendelnd vererbt werden

ere Positionsbestimmung des Genlokus und der Kandidatengene in diesem Bereich. Da allerdings über das Humangenomprojekt immer mehr Daten vorhanden waren, wurde dieses Verfahren mehr und mehr durch das positionelle Kandidatengenverfahren abgelöst. Über positionelle Klonierung wurden Gene für wichtige genetische Erkrankungen isoliert, wie das Gen für DuchenneMuskeldystrophie, Mukoviszidose (zystische Fibrose), Chorea Huntington, die adulte Form der polyzystischen Niere, Darmkrebs und Brustkrebs. Positionsunabhängiges Kandidatengenverfahren

Das positionsunabhängige Kandidatengenverfahren geht von Vermutungen über Kandidatengene aus, ohne dass man eine chromosomale Zuordnung kennt. Man arbeitet hier mit möglichen Homologien zu Phänotypen bei Tieren

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Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

oder auch beim Menschen, für die ein entsprechendes Gen bereits bekannt ist, oder man prüft, inwieweit das Gen zu einer bereits bekannten Genfamilie aufgrund diagnostischer Befunde gehören könnte. Allerdings war dieser Ansatz bisher selten erfolgreich. Positionelles Kandidatengenverfahren

Die in den letzten Jahren mit Abstand erfolgreichste Methode ist das positionelle Kandidatengenverfahren. Hierzu ist notwendig, dass die chromosomale Teilregion für einen Krankheitslokus bekannt ist. Man kann dann über Datenbanken nach Kandidatengenen suchen. Da wir zunehmend mehr über die Zuordnung von menschlichen Genen zu bestimmten Chromosomenbereichen wissen, gewinnt diese Methode immer mehr an Treffsicherheit. So wurde mit dieser Methode das Gen β-Amyloid-Vorläufer-Protein, das bei der AlzheimerKrankheit eine wesentliche Rolle spielt, genauso entdeckt wie Gene für Marfan-Syndrom, Charcot-Marie-Tooth-Hoffmann-Krankheit, Typ 1 A und B des familiären Melanom, erblicher Nicht-Polyposis-Dickdarmkrebs, maligne Hypothermie, multiple endokrine Neoplasie Typ 2A, Retinopathia pigmentosa und Waardenburg-Syndrom Typ 1 (. Abb. 2.33).

. Abb. 2.33. Zunahme positioneller Kandidatengenverfahren bei der Identifizierung von Genen für menschliche Erkrankungen (Nach Collins 1995)

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Bei allen Erfolgen der molekularen Methoden sollte jedoch auch erwähnt werden, dass die meisten Krankheiten des Menschen, die durch Gene bedingt sind, eben nicht monogen vererbt, sondern durch Mutationen in mehreren Genen verursacht werden, also polygener Natur sind und multifaktorielle Ursachen (genetische und Umweltparameter) krankheitsauslösend wirken. Hier gilt es in der Zukunft nach Anfälligkeitsgenen zu suchen, wobei sich hier der Nachweis als wesentlich schwieriger herausstellt als bei einfach mendelnden Erkrankungen.

2.1.11 Genfamilien

Die Existenz von Genfamilien lässt sich am besten am Hämoglobin demonstrieren. Man hat heute gute Gründe anzunehmen, dass aus einem einzigen ursprünglichen Gen bei den Vorfahren der heute lebenden Wirbeltiere einerseits ein Gen für Myoglobin, andererseits ein solches für ein einfaches Hämoglobin entstanden ist, welches aus einer einzigen Polypeptidkette bestand und durch ein einziges Gen determiniert war. Aus diesem einzigen Gen, das vor ca. 600 Mio. Jahren existiert haben muss, haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach durch Duplikation die Gene für die α-, β-, γ- und δ-Ketten des menschlichen Hämoglobins gebildet. Die Übereinstimmung der vier Polypeptidketten ist nämlich zu groß, um durch Zufall erklärt werden zu können. Wie wir der . Abbildung 2.34 entnehmen, stimmen α-, β-, γ- und δ-Kette in 50 Aminosäuren überein, γ-, β- und δ-Kette in 103 und β- und δ-Kette in 136. Nach Schätzungen haben sich die α- und γ-Kette vor etwa 600 Mio. Jahren getrennt, die β- und δ-Kette vor 44 Mio. Jahren. Man kann weiter abschätzen, dass eine Aminosäurensubstitution in der evolutionären Proteinentwicklung durchschnittlich alle 14,5 Mio. Jahre vorkommt. Die Entwicklung des Hämoglobinmoleküls lässt sich durch die Evolution der Tiere verfolgen. So haben relativ frühe Entwicklungsformen auch ein einfacheres Hämoglobin. Wir finden solche einfachen Hämoglobine z.B. beim Neunauge oder bei Schleimfischen. Bei Knochenfischen findet man HbF, das ja auch als fetales Hämoglobin bei den Plazentaliern einschließlich des Menschen vorhanden ist. HbA2 (αα/δδ), das zu 2% im Blut des Menschen vorhanden ist, besitzen nur höhere Primaten, nicht jedoch niedere Affen. Interessanterweise haben Schimpanse und Mensch eine identische Aminosäurenzusammenset-

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. Abb. 2.34. Stammesgeschichtliche Entwicklung der Polypeptidketten des Hämoglobins

zung der α- und β-Ketten. Beim Gorilla weicht die α-Kette in einer Aminosäure, die β-Kette in zweien von der menschlichen Aminosäurensequenz ab. Der tetramere Molekülaufbau unseres »modernen« Hämoglobins hat, gegenüber dem einfachen ursprünglichen Hämoglobin und gegenüber dem Myoglobin, die aus jeweils nur einer Kette bestanden bzw. bestehen, den Vorteil, dass es sich mit gleichzeitig 4 O2-Molekülen beladen kann, da es ja 4 Hämgruppen besitzt. Auch wird durch den Übergang vom fetalen HbF (αα/γγ) zu adultem HbA1 (αα/ββ) um die Zeit der Geburt ein weiterer Anpassungsvorteil an die Bedingungen der O2-Bindung erreicht. Die menschlichen Hämoglobingene liegen als zwei separate Cluster verwandter Multigenfamilien auf der DNA. Der α-Gencluster wurde auf den kurzen Arm von Chromosom 16 lokalisiert und umfasst einen Bereich von 25 kb. Die γ-δ-β-Familie liegt auf dem kurzen Arm von Chromosom 11 und umfasst eine Region von 60 kb. Bisher ist der genetische Mechanismus unbekannt, der die Genfunktion auf den zwei verschiedenen Chromosomen so reguliert, dass in gleicher Menge α und Nicht-α-Polypeptidketten resultieren. Die Strukturgene des α-Komplexes – von 5' (stromaufwärts) zu 3’ (stromabwärts) – schließen das embryonale ζ-Gen, ein Pseudogen für Hbζ und zwei identische α-Gene ein. Die verschiedenen Gene des β-Clusters sind das embryonale ε-Gen, 2 fetale γ-Gene, ein Hbβ-Pseudogen, ein Hbδ- und ein HbβGen (. Abb. 2.35).

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. Abb. 2.35. Strukturgene des α-Komplexes auf Chromosom 16 und der β-Genfamilie auf Chromosom 11. Für das α- und β-Globingen ist die Intron-Exon-Struktur und die Codonnummer gezeigt, bei der Introns die Exons unterbrechen. Ein bekanntes Pseudogen am 3-Ende des Genclusters ist nicht eingezeichnet

2.1.12 Der allgemeine Aufbau des menschlichen Genoms

Am 01. Oktober 1990 war der Start des Human Genom Projektes, des wohl bisher ehrgeizigsten wissenschaftlichen Großprojektes der Menschheitsgeschichte, das uns heute einen sehr detaillierten Einblick in den allgemeinen Aufbau des menschlichen Genoms erlaubt. Bereits nach 10 Jahren am 16. Juni 2000 konnte Craig Venter, Gründer der U.S. Firma Celera Genomics, die Sequenzierung von über 90% der 3 Mrd. Bausteine des menschlichen Genoms bekannt geben. Der Fortschritt des Projekts übertraf damit alle bisherigen Erwartungen. Im Februar 2001 traten weltweit die Genomforscher und Wissenschaftspolitiker an die Öffentlichkeit und präsentierten in Nature und Science die Arbeitsversion der Genkarte des Menschen. Zugegebenermaßen hatte diese Sequenzierung noch größere Ungenauigkeiten und Lücken. In Abständen folgte die genauere, nahezu vollständige Sequenzierung einzelner Chromosomen mit Abschlussqualität. Die genaue Sequenzierung von 99,99% des gesamten menschlichen Genoms mit 3,2 Mrd. Basen wurde zum 50. Jahrestag der

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Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA am 14. April 2003 bekannt gegeben. Zu diesem Zeitpunkt schätzte man, dass das Genom des Menschen ca. 30.000 bis 35.000 Gene umfasst. Am 21. Oktober 2004 wurde die Zahl der proteincodierenden Gene herunterkorrigiert, so dass unser gegenwärtiger Wissensstand der folgende ist: ! Das Kerngenom hat einen DNA-Gehalt von ca. 3.080 Mb, das mitochondriale Genom von 16,6 kb. Ca. 20.000–25.000 proteincodierende Gene und ca. 3.000 RNA-Gene koordinieren ihre Funktion mit 37 Mitochondriengenen zur Organisationsstruktur der humanen Zelle.

Das Kerngenom Im Kerngenom sind knapp 5% der Sequenzen hoch konserviert, wie vor allem der Vergleich mit dem Mausgenom zeigt. Diese 5% gliedern sich in 1,5% codierende DNA und konservierte Sequenzen innerhalb nicht translatierter Bereiche. Der größte Teil (90-95%) der codierenden DNA wird in Proteine übersetzt, der Rest sind Gene für untranslatierte RNA. Dabei muss man sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch über gewisse Unsicherheitsfaktoren im Klaren sein. Das Internationale Human-Genom-Sequenzierungskonsortium hat 2001 die Genzahl auf 30.000-40.000 hochgerechnet, Craig Venter auf 26.000-38.000 mit eher einer Tendenz nach unten. Das liegt daran, dass man zu diesem Zeitpunkt ein Drittel bis die Hälfte aller Gene klar identifiziert hatte, der Rest war eine Angabe von Computervorhersagen, die bei translatierten Genen eher genau sind als bei RNA-Genen. Dieser Wert wurde 2004 durch das Internationale Human-GenomSequenzierungskonsortium für proteincodierende Gene auf 20.000-25.000 korrigiert. Davon sind 19.599 Gene bekannt und 2188 zusätzliche Gene vorhergesagt, von denen man annimmt, dass sich weniger als 2000 bestätigen lassen. Der Rest könnten Fragmentationen und falsch eingeordnete Pseudogene sein. Selbst wenn man annimmt, dass Gene mit kurzen offenen Leserastern der Entdeckung bisher entgangen sind und diese mit einem oberen Wert von 10% annimmt, bleibt die Zahl unter 25.000 (dem oberen Wert der Abschätzung). Transkripte wurden bisher etwas über 34.000 beschrieben, was 1,54 Transkripten pro Lokus entspricht. Bisher enthält die Sequenzierung noch 341 Gaps, die meisten davon (308) im euchromatischen Bereich, 33 im heterochromatischen. Bei dieser Abschätzung der Genzahl muss natürlich beachtet werden, dass sie nur proteincodierende Gene und keine Gene für tRNA, rRNA, snRNA, snoRNA und MikroRNA beinhaltet. Man nimmt hier gegenwärtig weitere bis zu 3000 Gene an.

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Ca. 95% des nukleären Genoms sind nichtcodierende DNA. Hiervon sind wieder ca. 45% repetitive Sequenzelemente, die ursprünglich RNA-Transkripte einer Retrotransposition darstellen, also durch Reverse Transkriptase umgeschriebene RNA in natürliche cDNA, die ins Genom integriert wurde. Weitere ca. 44% sind tandemförmige Sequenzwiederholungen. Der Rest besteht aus Heterochromatin. Die codierenden Sequenzen beinhalten häufig Familien verwandter Sequenzen, die teilweise in Clustern auf einem oder mehreren Chromosomen vorliegen. Sie sind durch Genduplikationen in der Evolution entstanden. Unter ihnen ist ein signifikanter Teil Primaten-spezifisch. Der Mechanismus der Genduplikation ist auch verantwortlich für viele nicht-translatierte Defektsequenzen, die zu Genfragmenten und Pseudogenen geführt haben und im Genom verstreut liegen, genauso wie defekte Kopien von RNA. Man schätzt die Zahl der Pseudogene im Genom auf etwa 20.000. Der Anteil von konstitutivem Heterochromatin umfasst ca. 200 Mb, der Rest des Humangenoms ist Euchromatin (. Abb. 2.36) Die Verteilung des Chromatins und der Gene im Genom

Die durchschnittliche Größe eines menschlichen Chromosoms beträgt ungefähr 140 Mb mit einer erheblichen Varianzbreite innerhalb der Chromosomen und einer unterschiedlichen Menge von konstitutivem Heterochromatin. Das Heterochromatin verteilt sich auf ungefähr 3 Mb-Segmente um jedes Zentro-

. Abb. 2.36. Kerngenom

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mer plus eines großen Anteils auf verschiedenen Chromosomen. Hier sind vor allem die kurzen Arme der akrozentrischen Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22 zu nennen und der lange Arm des Y-Chromosoms. Weiterhin findet sich Heterochromatin im Bereich der Sekundärkonstriktionen der langen Arme der Chromosomen 1, 9 und 16. Im Euchromatin beträgt der durchschnittliche CG-Gehalt 41%. Auch hier gibt es chromosomale Variabilität zwischen 38% CG und 49%. Auch die innerchromosomalen Unterschiede sind erheblich. In den Giemsa-Banden der Chromosomen gibt es hierzu eine klare Korrelation derart, dass helle Banden eher CG-reich und dunkle eher CG-arm sind. Dies wiederum reflektiert die unterschiedliche Gen-Dichte, da CG-reiche Regionen ebenfalls relativ reich an Genen sind. Dabei variiert die Gendichte substanziell zwischen verschiedenen Chromosomenregionen und zwischen verschiedenen Chromosomen. Menschliche RNA-Gene

RNA-Gene produzieren zum größten Teil Moleküle, die bei dem allgemeinen Prozess der Genexpression assistieren. Andere RNA-Familien sind an der RNA-Reifung, einschließlich Spaltung und basenspezifischer Modifikation von anderen RNAs (mRNA, rRNA, tRNA) beteiligt. Wieder andere, die erst kürzlich identifiziert wurden, haben offenbar regulatorische Funktionen. Die Zelle benötigt eine große Menge rRNA für die Ribosomen als Orte der Proteinbiosynthese. Folglich codiert die nukleäre DNA wahrscheinlich 700800 rRNA-Gene, in tandemförmig wiederholten Clustern, sowie viele Pseudogene. Von den vier Typen von rRNA sind die 28 S, die 5,8 S und die 18 SrRNA in einer einzigen Transkriptionseinheit codiert. Es gibt 5 Cluster mit 30-40 Tandemrepeats, welche in den kurzen Armen der Chromosomen 13, 14, 15, 21 und 22 angesiedelt sind. Die 200-300 5 S-rRNA-Gene liegen ebenfalls in Tandemanordnung vor, wobei die größte Ansammlung nahe dem Telomerbereich auf Chromosom 1q41-42 lokalisiert ist. Es existieren ebenfalls viele verstreute Pseudogene. Für die tRNA wurden 497 Gene und 324 Pseudogene beschrieben. Die 497 Gene gehören entsprechend ihrer Anticodon-Spezifität zu 49 Familien. Sie liegen verstreut in Clustern auf allen Chromosomen mit Ausnahme von Chromosom 22 und Y. 280 der 497 Gene liegen auf den Chromosomen 6 (140) und 1, ein weiteres Cluster findet sich auf Chromosom 7. Die snRNA (small nuclear RNA) ist eine heterogene Gruppe von RNAs die u.a. am Funktionsmechanismus der Spliceosomen beteiligt ist. Es sind annä-

195 2.1 · Organisation und Funktion

hernd 100 beschrieben, die teilweise in Clustern vorliegen. Zwei Cluster auf Chromosom 17q21-q22 und Chromosom 1p36.1 sind näher analysiert. Da viele snRNAs uridinreich sind, werden sie mit U und einer Klassifikationsnummer abgekürzt, z.B. U1-U6. Eine andere große RNA-Familie sind die snoRNAs (small nucleolar RNAs) mit über 100 Genen. Sie sind überwiegend im Nukleolus vorzufinden und verantwortlich für Basenmodifikationen in rRNA beim Prozessieren. Sie bewerkstelligen aber auch Basenmodifikationen an anderen RNAs. Es sind zwei Superfamilien beschrieben, die C/D-Box-snoRNAs und die H/ACA-snoRNAs. Erstere ist in die 2’-O-Ribosemethylierung und letztere in die Pseudouridylierung zu Pseudouridin, eine häufig modifizierte Base, involviert. Man findet snoRNA-Gene häufig in Introns anderer Gene sowie meist als Einzelkopie und verstreut, obwohl auch einige große Cluster bekannt sind. Neben den bisher beschriebenen RNA-Typen gibt es noch eine ganze Anzahl weiterer regulatorischer RNAs. Sie haben teilweise katalytische Funktion als Ribozyme, sind am Export von Proteinen durch die Zellmembran beteiligt, sind involviert in die X-Inaktivierung, assoziiert im Imprinting oder Antisense-RNA und möglicherweise vieles mehr. Für einige dieser teilweise langen, teilweise kleinen RNA-Sequenzen gibt es Hinweise auf eine Clusterung, andere sind auf viele Chromsomen verstreut. Sie sollen hier nur pauschal erwähnt, aber nicht weiter beschrieben werden, zumal über ihre Lokalisation noch relativ wenig bekannt ist (. Übersicht 2.19).

Mitochondriale Gene Mitochondrien sind intrazelluläre Organellen mit eigenen genetischen Systemen. Menschliche mitochondriale DNA (mtDNA) ist doppelsträngig, zirkulär und 16.569 Basenpaare lang und besitzt zu 44% (G+C). Ein kleiner Bereich ist dreifachsträngig (D-Loop) zur repetitiven Synthese eines kurzen Segments. Die insgesamt 37 eng angeordneten Gene besitzen keine Introns und nur 3 Promotoren. Sie verteilen sich auf einen schweren, guaninreichen Strang mit 28 Genen und einen leichten, welcher reich an Cytosin ist, mit 9 Genen (. Abb. 2.37). Die Mutationsrate der mitochondrialen DNA ist etwa 5- bis 10mal so hoch wie die der nukleären DNA. In menschlichen Zellen befinden sich mehrere tausend Kopien dieses mitochondrialen DNA-Moleküls, was insgesamt bis zu 0,5% des DNA-Gehalts einer somatischen Zelle ausmacht. Bei der Zellteilung werden zwar die DNA-Ringe und damit die Mitochondrien verdoppelt, damit die Tochterzellen die gleiche Ausgangsmenge erhalten, es

2

196

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

. Übersicht 2.19. Menschliche RNA codiert im Zellkern

2

RNA Klasse

RNA Typen

Funktion

rRNA

28 S, 5,8 S, 5 S, 18 S

Bestandteil der großen ribosomalen Untereinheit Bestandteil der kleinen ribosomalen Untereinheit

tRNA

49 verschiedene Typen

Bindet an die Codons der mRNA

snRNA

Annähernd 100, viele mit U bezeichnet und Klassifikations-Nr.

Hauptsächlich Komponenten der Spliceosomen

snoRNA

Über 100 verschiedene Typen

Methylierung der 2’-OH-Gruppe von rRNA rRNA-Modifikation bei der Bildung von Pseudouridin rRNA-Prozessierung

Weitere regulatorische RNAs Mikro-RNA XISTRNA TSIX-RNA

Ca. 200 Klassen

Kleine regulatorische Moleküle assoziiert in die Inaktivierung des X-Chromosoms

AntisenseRNA weitere RNAs

Ca. 1.500 Typen

Regulation des Imprintings z.B. Komponenten der Telomerase, Komponenten des Proteinexports, Transkriptionsregulatoren der RNA-Polymeras II, Aktivatoren von Steroid-Rezeptoren, spezifische Organkomponenten

gibt jedoch keinen Sortiermechanismus, der feststellt, welche Mitochondrien in welche Tochterzelle gelangen. Sie verteilen sich also rein zufällig. Man bezeichnet dieses Phänomen als Heteroplasmie. Der mitochondriale Genetische Code

Der mitochondriale Genetische Code unterscheidet sich leicht vom nukleären (. Übersicht 2.20, Übersicht 2.21). 93% der DNA des mitochondrialen Genoms sind codierend. Die codierenden Sequenzen einiger Gene zeigen etwas Überlappung. In den meisten Fällen sind die codierenden Sequenzen benachbarter Gene aufeinanderfolgend oder getrennt durch ein oder zwei nichtcodierende Basen. Bei manchen Genen fehlt

197 2.1 · Organisation und Funktion

. Abb. 2.37. Struktur der mitochondrialen DNA und ihrer Gene mit den Schnittstellen für die Restriktionsendonukleasen Pvu II und Sac I (D-Loop nicht eingezeichnet) (Nach Wilichowiski 1990)

das Terminationscodon. UAA-Codons werden dann posttranskriptional eingefügt.

Codierende DNA Menschliche Gene können sehr unterschiedlich groß sein, eine Beobachtung, die man bei allen komplexen Organismen macht (. Abb. 2.38). Im Gegensatz dazu sind, entsprechend der geringen Genomgröße von Mikroorganismen, deren Gene sehr kurz und, da sie keine Introns besitzen, hängt die Länge des

2

198

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

. Übersicht 2.20. Unterschiede in der Translation einzelner mRNA-Codons zwischen dem universellen Code und Mitochondrien

2

mRNA Codon

Aminosäuren Pro- und eukaryotische Zellen

Mitochondrien Hefe

Drosophila

AUA

Isoleucin

Methionin

Methionin

Methionin

AGA, AGG

Arginin

Arginin

Serin (AGA)

Stoppcodon

CUA

Leucin

Threonin

Leucin

Leucin

UGA

Stoppcodon

Tryptophan

Tryptophan

Tryptophan

Säuger

. Übersicht 2.21. Kern- und Mitochondriengenom des Menschen im Vergleich

Größe

Kerngenom

Mitochondriengenom

3.080 Mb

16,6 kb

DNA-Moleküle gesamt/Zelle

46

Mehrere tausend

Gen-Anzahl (proteincodierend)

Ca. 20.000 bis 25.000

37

Gendichte

1 Gen pro 100 kb

1 Gen pro 0,45 kb

Repetitive DNA

Über 50% des Genoms

Sehr wenig

Introns

In den meisten Genen

Nicht vorhanden

Rekombination

Ja

Nein

Vererbung

Mendelnd

Maternal

Proteins direkt von der Länge des Gens ab. Der Mittelwert der Gengröße eines menschlichen Gens errechnet sich zu 27 kb mit einer enormen Varianzbreite. So sind manche menschliche Gene deutlich unter 10 kb groß, andere liegen zwischen 10 kb und 100 kb und wieder andere sind enorm groß. Als Beispiel sei hier das bisher größte bekannte menschliche Gen, das Dystrophingen mit über 2,4 Mb genannt. Entsprechend sind auch die Zeitunterschiede bei der Transkription. Beim Dystrophingen dauert sie 16 h. Beachtlich sind auch die Unterschiede beim Intron-Exon-Verhältnis und damit bezüglich des codierenden Anteils eines Gens. Generell kann man feststellen, dass eine inverse Korrelation zwischen Gengröße und codierendem Anteil besteht. Die erheblichen Größenunterschiede von Genen beruhen also vorwiegend auf der erheblichen

199 2.1 · Organisation und Funktion

. Abb. 2.38. Vergleich von Gengröße und Exon-Anteile (in %) bei ausgewählten menschlichen Genen.

Längenvariabilität der Introns. So sind die kleinsten menschlichen Introns im Bereich von zweistelligen Basenpaaren, die größten dagegen sind Hunderte von kb groß. Exons sind dagegen im Durchschnitt weniger als 200 bp groß, obwohl es auch hiervon Ausnahmen gibt (das größte bisher sequenzierte Exon hat 7,6 kb). Es besteht die strenge Tendenz, dass große Gene sehr große Introns besitzen. Allerdings scheint die natürliche Selektion, wegen der langen Transkriptionszeiten bei großen Introns, für hoch exprimierte Gene kurze Introns zu bevorzugen (. Übersicht 2.22). Anteile an repetitiver DNA

Repetitive DNA-Anteile finden sich sowohl in Introns als auch in Exons, wobei sie in Introns und flankierenden Sequenzen sehr häufig sind, in codierender DNA ist ihr Umfang unterschiedlich. Tandem-Sequenzen in Bereichen, die für Proteindomänen codieren, sind ebenfalls recht häufig, wobei die Sequenzhomologie zwischen den Repeats unterschiedlich sein kann. Die Lage von Genen mit verwandter Funktion

Gene, die für Polypeptide mit identischer oder verwandter Funktion codieren und häufig evolutionär durch nicht allzu lange zurückliegende Duplikationen entstanden sind, finden sich oft geclustert, wobei mehrere Cluster oder auch

2

200

Kapitel 2 · Grundlagen der Humangenetik

. Übersicht 2.22. Das menschliche Genom im Überblick

2

Größe des Genoms

Ca. 3.080 Mb

Größe des Mitochondriengenoms

16,6 kb

Hochkonservierter Anteil

Ca. 150 Mb (4,5%)

Codierend

Ca. 50 Mb (1,5%)

Regulatorische u. andere Anteile

Ca. 100 Mb (3%)

Zahl der proteincodierenden Gene

Ca. 20.000 bis 25.000

Zahl der Mitochondriengene

37

RNA-Gene

Ca. 3.000 (mit gewissen Unsicherheiten)

Pseudogene

Ca. 20.000

Gengröße

Durchschnittlich 27 kb mit enormer Varianz

Exonzahl

Variierend von 1 bis 363

Exongröße

Variierend von 95

Achondroplasie

80

Tuberöse Sklerose

80

Neurofibromatose

40

Marfan-Syndrom

30

Myotone Dystrophie

25

Chorea Huntington

1

Adulte polyzystische Niere

1

Familiäre Hypercholesterinämie

> Einleitung

3

Mikroorganismen haben sich aus gemeinsamen Vorstufen von Tieren und Pflanzen entwickelt und sind daher systematisch weder dem Pflanzen- noch dem Tierreich zuzuordnen. Haeckel fasste daher 1866 alle Mikroorganismen, die sowohl Eigenschaften von Pflanzen als auch von Tieren haben, unter dem Begriff Protisten zusammen. Protisten sind im Gegensatz zu echten Pflanzen und Tieren einfach gebaut: Sie sind entweder einzellig oder entwickeln nur sehr gering differenzierte Gewebe. Man unterscheidet zwischen höheren Protisten, die den Zellaufbau einer eukaryoten Zelle besitzen, und niederen Protisten, deren Zellstruktur wesentlich einfacher ist. Letztere werden als Prokaryoten den Eukaryoten gegenübergestellt und als Frühformen der organischen Evolution angesehen. Zu den höheren Protisten (Eukaryoten) gehören: 4 Pilze, 4 Algen, 4 Protozoen. Zu den niederen Protisten (Prokaryoten) gehören: 4 Bakterien, 4 Blaualgen. Weiterhin zählen subzelluläre Formen wie 4 Viren und 4 Viroide zur Gruppe der Mikroorganismen (. Abb. 3.1). Für die Medizin sind v.a. Bakterien, Pilze und Viren von Bedeutung. Das Ende des Kapitels widmet sich den Prionen, die bei der Creutzfeld-Jacob-Krankheit eine Rolle spielen.

3.1

Morphologische Grundformen der Bakterien

Bakterien werden aufgrund bestimmter morphologischer, biochemischer und evtl. pathogenetischer Eigenschaften in Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten eingeteilt. Dabei wendet man das binominale System nach Linné an (. Übersicht 3.1). Die meisten Erreger sind nach Krankheiten oder

373 3.1 · Morphologische Grundformen der Bakterien

. Abb. 3.1. Evolutionäre Entwicklung der wichtigsten Gruppen von Mikroorganismen

ihren Entdeckern benannt. Wir wollen dieses System jedoch weitgehend außer Acht lassen, und stattdessen einzelne, morphologisch interessante Formen von Bakterien besprechen (. Abb. 3.2).

3.1.1 Kokken

Kokken sind mehr oder weniger kugelförmige, unbewegliche, nicht-sporenbildende Bakterien. Sie können gram-positiv oder gram-negativ sein (7 Kapitel 3.2.2). Zu den gram-positiven Kokken gehören die Staphylokokken (Diplokokken) und die Streptokokken, zu den gram-negativen die Meningokokken und die Gonokokken.

3.1.2 Stäbchenbakterien

Stäbchenbakterien können begeißelt oder nicht begeißelt, gram-positiv oder gram-negativ sein, sich aber auch säurefest verhalten. Es gibt Sporenbildner unter ihnen.

3

374

Kapitel 3 · Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie

3

. Abb. 3.2. Bakterienformen

. Übersicht 3.1. Bestimmungsschlüssel für die wichtigsten Bakteriengruppen* Untergruppen

Genera

I. Myxobacteria (biegsame, dünnwandige Zellen, Beweglichkeit beruht auf Gleitmechanismus) II. Spirochäten (biegsame, dünnwandige Zellen, Beweglichkeit beruht auf axialem Filament) 4 Treponema 4 Borellia 4 Leptospira III. Eubakterien (rigide, dickwandige Zellen, unbeweglich oder Beweglichkeit, die auf Geißeln beruht) A. Mycelartige (Actinomyces)

4 4 4 4

Mycobacterium Actinomyces Nocardia Streptomyces

B. Einfache unizelluläre 1. Obligat intrazelluläre Parasiten

6

4 Rickettsia 4 Coxiella 4 Chlamydia

375 3.1 · Morphologische Grundformen der Bakterien

2. Frei lebende 4 Gram-positive – Kokken

4 Streptococcus 4 Staphylococcus

– Nicht sporenbildende Stäbe

4 Corynebacterium 4 Listeria 4 Erysipelothrix

– Sporenbildende Stäbe obligat aerob obligat anaerob

4 Bacillus 4 Clostridium

4 Gram-negative – Kokken

4 Neisseria

– Stäbchen, die nicht aus dem Darmmilieu stammen – Spiralige Formen

4 Spirillum

– Gerade, sehr kleine Formen

4 4 4 4 4 4

– Stäbchen aus dem Darmmilieu Fakultativ anaerobe

Obligat aerobe Obligat anaerobe

Pasteurella Brucella Yersinia Francisella Haemophilus Bordetella

4 Escherichia (und verwandte coliforme Bakterien) 4 Salmonella 4 Shigella 4 Klebsiella 4 Proteus 4 Vibrio 4 Pseudomonas 4 Bacteroides 4 Fusobacterium

IV. Zellwandfreie Formen 4 Mycoplasma *Aufgeführt sind v.a. Genera mit den für den Menschen pathogenen Spezies.

3

376

Kapitel 3 · Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie

Zu den Stäbchenbakterien gehören z.B. die Enterobakteriaceae, die Gattung Bacillus sowie Mykobakterien und Escherichia coli.

3

3.1.3 Vibrionen

Vibrionen sind gram-negative, kommaförmig gekrümmte Stäbchen mit einer einzigen polar angeordneten Geißel. Ihre Vertreter können Cholera und Sepsis hervorrufen.

3.1.4 Spirochäten

Spirochäten (Schraubenförmige) sind eine große heterogen zusammengesetzte Gruppe spiralig geformter, langer, dünner, beweglicher, bakterienähnlicher Mikroorganismen. Die spiralenförmige Zelle ist mit einem schlanken, kontrahierbaren Faden, der meist aus einer einzigen Fibrille besteht, verflochten. Der Mechanismus der Bewegung ist mit dem der begeißelten Bakterien nicht vergleichbar. Zu ihnen gehören die Erreger des Rückfallfiebers (Borellien), der Syphilis (Treponema) und der Leptospirose.

3.1.5 Mykoplasmen

Mykoplasmen sind bakterienähnliche Mikroorganismen, die keine Zellwand besitzen. Das Zytoplasma ist nur von einer festen Membran umgeben. Sie weisen dementsprechend keine feste Gestalt auf, sondern sind von quallenartiger Plastizität. Mykoplasmen sind für die Veterinärmedizin von größerer Bedeutung als für die Humanmedizin. Sie sind die Erreger des Syndroms »Primäre atypische Pneumonie« sowie von fieberhaften Erkrankungen des Respirationstraktes, gehören aber auch zur normalen Flora des Mundes und des Urogenitaltraktes.

377 3.2 · Aufbau der Bakterienzellen (Protozyte)

3.1.6 Chlamydien

Bei den Chlamydien handelt es sich um eine große Gruppe nichtbeweglicher, gram-negativer, obligat intrazellulärer Parasiten, die alle ähnlich strukturiert sind und ein gemeinsames Gruppenantigen besitzen. Im Zytoplasma der Wirtszelle durchlaufen sie einen besonderen Entwicklungszyklus. Wahrscheinlich haben sich Chlamydien aus gram-negativen Bakterien entwickelt. Sie können als Bakterien angesehen werden, denen einige wesentliche Stoffwechselleistungen zur Energiebildung fehlen, weswegen sie auf eine intrazelluläre Existenz angewiesen sind. Zu ihnen zählen die Erreger der Ornithose, des Lymphogranuloma venereum, des Trachoms und der Einschlusskörper-Conjunctivitis.

3.2

Aufbau der Bakterienzelle (Protozyte)

3.2.1 Unterschiede zur Euzyte

Die wichtigsten Unterschiede der Protozyte zur Euzyte wurden bereits in 7 Kapitel 1.1 und . Übersicht 1.1 dargestellt. Zur Erinnerung: Prokaryoten haben nur ein »Chromosom«: Die DNA liegt im Nucleoplasma eingebettet frei in der Zelle. Sie besitzen keine Mitochondrien und keine endogenen Membranen und Kompartimente. Die Ribosomen der Protozyte sind etwas kleiner als die von Euzyten (70S-Ribosomen in Prokaryoten und 80S-Ribosomen in Eukaryoten). Sie machen z.B. bei Escherichia coli ca. ¼ der gesamten Zellmasse aus (ca. 15.000 pro Zelle). Außerdem gibt es Unterschiede in der Genstruktur, der Replikation, der Transkription und der Translation. Protozyten besitzen keine »unterbrochenen Gene« (. Abb. 3.3).

3.2.2 Zellwand

Ein Charakteristikum der Bakterienzelle ist es, dass das Zytoplasma und seine Membranen von einer festen Zellwand umschlossen sind, die dem Bakterium seine mechanische Festigkeit verleiht. Die osmotisch wirksame Schranke ist allerdings die semipermeable Zytoplasmamembran, die die Zufuhr bzw. Abgabe von gelösten Substanzen kontrolliert. Die Zellwand ist dagegen für Salze und niedermolekulare Substanzen passierbar.

3

378

Kapitel 3 · Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie

3

. Abb. 3.3. a Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Dünnschnittes von Escherichia coli (Nach Darnell et al. 1990); b Schematischer, vereinfachter Längsschnitt durch eine Prokaryoten-Zelle (E. coli)

Anfärbung der Zellwand Das Anfärben der Zellwand ist für die Taxonomie von außerordentlicher Bedeutung: 4 Gram-positive und Gram-negative Bakterien lassen sich mit einem Kristallviolett-Jod-Komplex anfärben, der in Wasser unlöslich und in Alkohol oder Aceton schwach löslich ist. Während sich gram-positive Zellen durch Alkohol nicht entfärben lassen, geben gram-negative Keime bei dieser Behandlung den Farbstoff wieder ab.

379 3.2 · Aufbau der Bakterienzellen (Protozyte)

4 Mykobakterien, wie z.B. die Krankheitserreger M. tuberculosis oder M. leprae, sind weder gram-positiv noch gram-negativ. Im Gegensatz zu diesen lassen sich Mykobakterien auch dann nicht entfärben, wenn dem Alkohol Salzsäure zugesetzt wird. Sie sind säurefest.

Aufbau der Zellwand Mureinsacculus. Die Bakterienzellwand besteht aus einem Stützskelett aus

weitgehend einheitlichen Polymeren, dem Glykopeptid Murein. Dabei handelt es sich um ein Heteropolymer, in dem in glykosidischer Bindung N-Acetyl-Glukosamin und ein Milchsäureether dieser Verbindung, nämlich N-Acetyl-Muraminsäure, abwechselnd miteinander verknüpft sind und gerade, nicht verzweigte Ketten bilden. Die Muraminsäureglieder werden zusätzlich durch Aminosäuren peptidisch verknüpft, so dass eine Quervernetzung entsteht, die die heteropolymeren Ketten zu einem sackförmigen Riesenmolekül, dem Mureinsacculus, verbindet (. Abb. 3.4). Dieser Mureinsacculus fungiert als Stützskelett der Zellwand. Akzessorische Substanzen. Der Mureinsacculus ist von akzessorischen Sub-

stanzen umgeben. Unterschiede bei verschiedenen Bakteriengruppen. Gram-positive und gram-negative Bakterien unterscheiden sich sowohl im Aufbau des Mureinsacculus als auch in den akzessorischen Substanzen: 4 Gram-negative Bakterien besitzen ein einschichtiges Mureinnetz, dem große Mengen Lipoproteine, Lipopolysaccharide und Phospholipide angelagert sind.

. Abb. 3.4. Ausschnitt aus einem einschichtigen Mureinsacculus (E. coli). G: N-Acetyl-Glukosamin, M: N-Acetyl-Muraminsäure. Die Muraminsäureglieder sind durch Peptidbrücken quervernetzt

3

380

Kapitel 3 · Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie

4 Gram-positive Bakterien weisen ein mehrschichtiges Mureinnetz auf, der Protein- und Polysaccharidgehalt ist gering. Ihrem Mureinnetz ist ein weiteres komplexes Makromolekül, die Teichonsäure angelagert. Sie ist Träger der antigenen Eigenschaften dieser Bakterien (. Abb. 3.5 und 3.6).

3 Endotoxine Definition. Die Lipopolysaccharide in der Zellwand gram-negativer Bakterien werden bei der Abwehrreaktion des Körpers durch Zerfall der Bakterien freigesetzt. Insbesondere der Lipidanteil (Lipid A) wirkt toxisch, weswegen man die Lipopolysaccharide auch als Endotoxine bezeichnet. Wirkungsweise. Die Lipopolysaccharide reagieren mit Rezeptoren der Makrophagen, die daraufhin Interleukin 1 ausschütten. Dieses erniedrigt die Temperaturempfindlichkeit des Temperaturregulationszentrums im Hypothalamus, was zu Fiberreaktionen führt. Parenteral bewirkt Endotoxin beim Menschen bereits in sehr kleinen Mengen ( K sein. Die Populationsgröße nimmt ab. Dies ist der Fall, wenn z.B. Schmetterlingsraupen in großen Massen auftreten und die Bäume kahl fressen. Vor der Verpuppung sterben infolge der Nahrungsknappheit die meisten Raupen ab. Die Population reduziert sich auf ein Normalmaß.

Regulation der Populationsdichte Die Populationsdichte wird durch dichtebegrenzende Faktoren bestimmt. Man unterscheidet zwischen Faktoren, die von der Dichte der Population abhängig sind (dichteabhängige Faktoren) und Faktoren, die nicht in direkter Beziehung zur Populationsdichte stehen (dichteunabhängige Faktoren):

3

450

3

Kapitel 3 · Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie

4 Zu den dichteabhängigen Faktoren zählen die Minimierung von Lebensraum und Nahrung durch zu hohe Bevölkerungszahlen, wodurch die intraspezifische Konkurrenz um optimale Lebensbedingungen wächst. Hinzu kommen Krankheiten und eine erhöhte Bedrohung durch die gleichzeitige Vermehrung von Fressfeinden. 4 Dichteunabhängige Faktoren, die dezimierend auf die Populationsdichte einwirken können, sind entweder klimatische Bedingungen (Hitze, Kälte, extreme Trockenheit, Niederschläge, Überschwemmungen, Wind) oder interspezifische Konkurrenz um Nahrung, Wasser und Lebensraum (. Übersicht 3.14). . Übersicht 3.14. Dichteabhängige und dichteunabhängige Faktoren Dichteabhängige Faktoren

Dichteunabhängige Faktoren

4 intraspezifische Konkurrenz 4 Fressfeinde und Parasiten 4 Krankheiten

4 interspezifische Konkurrenz 4 Klima

Die Regulation der Populationsdichte kann durch einen Regelkreis wiedergegeben werden. Die Regelgröße ist hierbei die Populationsdichte. Diese wird durch die Sterbe- und Geburtenrate (Stellglied) beeinflusst. Der Ist-Wert ergibt sich aus dem Zusammenspiel der dichteabhängigen Faktoren (Regler). Die Führungsgröße, die wiederum den Sollwert der Populationsdichte bestimmt, bilden die dichteunabhängigen Faktoren. Diese Ökofaktoren wirken aber gleichzeitig auch als Störgröße auf die Populationsdichte ein (. Abb 3.36).

Populationsdynamik Populationen sind stetigen Veränderungen der Größe und der Dichte durch Zuwanderung, Abwanderung, Natalität und Mortalität ausgesetzt. Treten Populationsschwankungen kurzfristig innerhalb einer Generation oder eines Jahres ein, spricht man von Oszillationen. Langfristige Dichteänderungen werden dagegen als Fluktuationen bezeichnet.

Volterrasche Gesetze Ein Beispiel für immer wiederkehrende Populationsschwankungen findet man in Räuber-Beute-Beziehungen (Episitismus, 7 Kapitel 3.8.4). Der italienische

451 3.8 · Ausgewählte Kapitel aus der Ökologie

. Abb. 3.36. Regelkreis zur Veranschaulichung der Regulation der Populationsdichte durch dichteabhängige und -unabhängige Faktoren

Mathematiker Volterra hat 1926 die Gesetzmäßigkeiten des Episitismus in drei Grundregeln mit Modellcharakter festgehalten: 1. Volterrasches Gesetz: Innerhalb einer Räuber-Beute-Beziehung schwanken die Populationsgrößen des Räubers und der Beutetiere periodisch und im zeitlichen Wechsel zueinander.

3

452

3

Kapitel 3 · Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie

Sinkt die Anzahl der Beutetiere, sinkt auch mit zeitlichem Verzug die Anzahl der Räuber aufgrund der Nahrungsknappheit. Bei abnehmender Anzahl von Greifern kann sich die Population der Beutetiere erholen. Je mehr Beutetiere vorhanden sind, desto mehr Räuber können folglich überleben, wodurch die Anzahl der Räuber steigt. Beispielhaft für Räuber-Beute-Beziehungen sind Luchs- und Schneehasenpopulationen. 2. Volterrasches Gesetz: Die Populationsdichte des Räubers und des Beutetieres schwankt immer um einen Mittelwert (Gesetz der Erhaltung der Durchschnittszahlen). Der Erhalt der Durchschnittsdichte wird durch die periodischen Schwankungen von Beute und Fressfeind bedingt. 3. Volterrasches Gesetz: Nimmt die Dichte einer Population von Beute und Räuber gleichmäßig ab, so steigt zunächst die Anzahl der Beutetiere schneller an als die der Räuber (Gesetz der Störung der konstanten Durchschnittszahlen). Ein Beispiel für das 3. Volterrasche Gesetz ist die Schädlingsbekämpfung. Beim Einsatz von chemischen Pestiziden können nicht nur Schädlinge, sondern auch ihre natürlichen Feinde dezimiert werden. DDT z.B. wirkt sowohl gegen Schildläuse (Schädling) wie auch gegen Marienkäfer (natürlicher Fressfeind). Die Bedingungen in der Natur sind zu komplex, um generelle Aussagen zuzulassen. So sind Räuber- und Beutetiere nicht immer ausschließlich aufeinander spezialisiert. Das Nahrungsangebot des Räubers kann beispielsweise verschiedene Beutetiere umfassen, so dass die Populationsdichte nicht alleine von der Dichte eines Beutetierbestandes abhängig sein muss. Die Gesetze gelten demnach nur in konstanten Populationen ohne Zu- und Abwanderung und bei Spezialisierung von Räuber- und Beutetier aufeinander (. Abb. 3.37 a,b).

Massenwechsel In Zeiten sehr günstiger Umweltbedingungen und unabhängig von RäuberBeute-Beziehungen kann es zur Massenvermehrung von Individuen einer Population kommen. Bei steigender Populationsdichte wird der intraspezifische Konkurrenzkampf um die optimale Ausnutzung von Lebensbedingungen größer. Durch den Dichtestress ausgelöst, wird Adrenalin ausgeschüttet, wodurch es zu einer Steigerung der Aktivität der Artgenossen kommt. Gleichzeitig nehmen die Aggressivität und die Anzahl von Krankheiten zu, während die

453 3.8 · Ausgewählte Kapitel aus der Ökologie

. Abb. 3.37. Die Volterraschen Gesetze a Diagramm zum 1. und 2. Volterraschen Gesetz (Nach Vogel und Angermann) b Diagramm zum 3. Volterraschen Gesetz (Nach Vogel und Angermann )

Fruchtbarkeitsrate sinkt. Infolgedessen kommt es zu Massenabwanderungen und auch zum Kannibalismus. Nur einige wenige Individuen bleiben übrig und können die Population wieder aufbauen. Der Massenwechsel wird bei vielen Nagetieren (Lemminge, Ratten), aber auch bei Vögeln (Bussard, Habicht), bei Fischen (Forelle) und bei Schmetterlingen (Kiefernspanner) beobachtet.

r-/K-Strategen Neben dichtebegrenzenden Faktoren spielen auch genetische Faktoren eine Rolle bei der Stabilisierung von Bevölkerungsdichten. Man stellt zwei Selektionstypen einander gegenüber: 4 Der r-Stratege (r = endogene Wachstumsrate) produziert in Zeiten optimaler Lebensbedingungen eine große Anzahl Nachkommen, von denen sich nur die lebensfähigsten durchsetzen. Trotz Verlust einer großen Anzahl von Nachkommen durch Räuber oder sich ändernde Umweltbedingungen bleiben genügend Individuen übrig, um den Arterhalt zu garantieren. Die meisten r-Strategen sind Kleinorganismen mit rascher Generationsfolge, wie z.B. Blattläuse und Wasserflöhe. 4 Im Gegensatz hierzu passt sich der K-Stratege (K = Kapazitätsgrenze eines Raums) selektiv den vorhandenen Lebensbedingungen an. Durch seine

3

454

Kapitel 3 · Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie

Anpassungsfähigkeit benötigt der K-Stratege weniger Nachkommen, um die Arterhaltung zu gewährleisten (z.B. Adler, Meisen).

3

Die meisten Arten sind jedoch keine reinen r- oder K-Strategen, sondern stellen ein Kontinuum aus beiden Selektionstypen dar.

3.8.4 Wechselbeziehungen zwischen artverschiedenen

Organismen Der durch Umweltfaktoren bestehende Kontakt von Populationen verschiedener Arten führt zu sehr unterschiedlichen Beziehungen, die sich in extremer Ausprägung unter dem verallgemeinernden Gesichtspunkt, ob die Beziehungen positiv, negativ oder neutral sind, gut klassifizieren lassen, i.Allg. aber durch fließende Übergänge miteinander verknüpft sind.

Konkurrenz Eine einfach verständliche Beziehung ist die Konkurrenz. Zwei oder mehr Arten benötigen gemeinsam einen Umweltfaktor (z.B. Nahrung, Wärme, Licht, Wasser, Sauerstoff usw.) und gefährden oder beeinträchtigen sich daher in ihrer Existenz, wobei die Toleranz- und Präferenzbereiche für die Konkurrenzfähigkeit der Arten eine entscheidende Rolle spielen. Der Konkurrenzkampf kann sich dabei in verschiedener Weise äußern, wie z.B. durch direkte Wegnahme des Konkurrenzfaktors (z.B. der Nahrung) oder durch Territorialverhalten, Aggression, Drohhaltung usw. Konkurrenz kann zum Verschwinden einer Art in einem Areal führen, indem die siegende Population durch Massenzunahme die unterliegende verdrängt, es kann sich aber auch ein Verhältnis der Koexistenz einspielen.

Symbiose Während Konkurrenz eine Negativbeziehung zwischen verschiedenen Arten ist, die auf einem Mangel an gegenseitiger Anpassung beruht, ist Symbiose eine Positivbeziehung, die durch wechselseitige Anpassung durch lange Selektionsprozesse charakterisiert ist. In der Biologie lassen sich viele Beispiele für diese Form der Vergesellschaftung finden. Symbiose kommt zwischen Pflanzen, Tieren sowie zwischen Pflanzen und Tieren vor. Auch der Mensch besitzt Symbionten, wie z.B. die Mikroflora des

455 3.8 · Ausgewählte Kapitel aus der Ökologie

Dickdarms. Diese Mikroorganismen leben einerseits von der Nahrung, die der Mensch zu sich nimmt, andererseits wirken sie beim Aufschluss von Nahrungsmitteln mit sowie beim Aufbau von Wirkstoffen (z.B. Vitaminen). Zudem sind sie Antagonisten von Krankheitserregern. Ein weiteres Beispiel eines menschlichen Symbionten wäre das für Säuglinge lebenswichtige Bakterium Lactobacillus bifidus. Es ist notwendig für die Vitaminsynthese und macht 90% der Darmflora von Brustkindern aus. Das Wachstum von L. bifidus wird durch eine in Frauenmilch enthaltene Stoffgruppe, den sog. Bifidus-Faktor, garantiert, der z.B. in Kuhmilch nicht enthalten ist, was zur Überwucherung von L. bifidus durch E. coli und andere Bakterien bei Kuhmilchernährung führt. Auch die menschliche Haut ist ständig mit bis zu 1.000 Keimen/qcm Oberfläche besiedelt. Die »Grundbesiedelung« der Vagina erfolgt hauptsächlich durch Laktobazillen. Durch sie wird das in den vaginalen Epithelzellen gespeicherte Glykogen zu Milchsäure metabolisiert und dadurch der pH-Wert bei 4,0 bis 4,5 stabilisiert. Antibiotikatherapien können sowohl die normale Bakterienflora des Darms als auch die des Genitaltraktes negativ beeinflussen.

Kommensalismus Außer der symbiotischen Vergesellschaftung kennen wir den Kommensalismus. Hier handelt es sich nicht um eine Vergesellschaftung zum gegenseitigen Nutzen, sondern eher um die Duldung nicht eingeladener Gäste, die sich konstant oder gelegentlich von den Überresten der Nahrung einer anderen Art ernähren. Dabei schädigen die Arten einander nicht. Ein typisches Beispiel von Kommensalismus ist das Nahrungsverhältnis zwischen Großraubtieren wie Tiger und Löwe und Aasfressern wie Hyäne, Schakal, Geier, Rabe u.a., die die Reste der Beute beseitigen.

Episitismus und Parasitismus Weiterhin wären das Räuber-Beute-Verhältnis (Episitismus) und das Schmarotzertum (Parasitismus) zu nennen: 4 Beim Episitismus ernährt sich eine Art (Räuber), die auf einer höheren Ernährungsstufe steht, von einer anderen (Wirt), die auf einer niedrigeren Ernährungsstufe steht. 4 Beim Parasitismus lebt eine Art (Parasit) auf oder im Körper (Ekto- und Endoparasitismus) von Individuen einer anderen Art (Wirt) und ernährt sich von deren organischer Substanz (. Übersicht 3.15).

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Kapitel 3 · Grundlagen der Mikrobiologie und Ökologie

. Übersicht 3.15. Wechselbeziehungen zwischen artverschiedenen Organismen

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Konkurrenz

Interspezifische Konkurrenz um Nahrung, Lebensraum und Ökofaktoren

Symbiose

Wechselbeziehung von zwei Arten zum gegenseitigen Nutzen

Kommensalismus

Wechselbeziehung zwischen zwei Arten, wobei eine Art einen Nutzen hat, die zweite Art aber weder positiv noch negativ beeinflusst wird

Episitismus

Räuber-Beute-Beziehung

Parasitismus

Schmarotzertum

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Glossar der verwendeten Fachausdrücke

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

α-Amanitin: Pilzgift des grünen Knollenblätterpilzes, das die RNA-Polymerase hemmt.

dert wird. Ursache ist eine autosomal-rezessive Störung der Kortisolbiosynthese, auch nichtgenetisch erworbene Formen treten auf.

Abortive Virusinfektion: Virusinfektion, die nicht zur Freisetzung infektiöser Viren und zu Krankheitserscheinungen führt.

Adrenoleukodystrophie: Genetische Erkrankung, der eine Störung der Peroxisomen zugrunde liegt.

Achondroplasie: Chondrodystrophie. Dominant erbliche Erbanlage mit Zwergwuchs, eingesunkener Nasenwurzel, großem Kopf, gelegentlicher Hydrozephalie, kurzen Gliedmaßen bei normaler Rumpflänge. Sakralwirbelsäule gegen Lumbalwirbelsäule geknickt (Lordose).

Adsorption: Viruskontakt mit der Wirtszelle.

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Adaptine: Hüllproteine, die die Clathrin-Hülle an die Vesikelmembran binden und das Einfangen und die Auswahl von zu transportierenden Molekülen unterstützen. Adaptosekörperchen: Multienzymkomplex beim mitochondrienvermittelten Signalweg zur Apoptose.

Aerobier: Lebewesen, die Gegenwart von Sauerstoff zum Leben benötigen. Aflatoxine: Kurzwort aus Aspergillus flavus und Toxine; Stoffwechselprodukte verschiedener Schimmelpilze. Agar-Agar: Getrockneter pflanzlicher Schleim aus verschiedenen Gattungen roter Meeresalgen; da er sich gelartig in Wasser löst, dient er z. B. zur Bereitung von Bakteriennährböden, als Arzneimittelträger oder als Abführmittel. AIDS: Aquired Immunodeficiency Syndrome.

Adenosin-Desaminase-Mangel (ADA): Autosomal-rezessiv erblicher Mangel an Adenosindesaminase. Das Enzym dient der Purinrückgewinnung beim Nukleinsäureabbau. Ein Enzymmangel in T-Lymphozyten führt zur Immunschwäche. Adenoviren: Doppelsträngige DNA-Viren, die zu Erkrankungen des Respirationstraktes, fieberhaftem Katarrh, Pharyngitis oder Konjunktivitis führen. Sie sind in der Lage Genmutationen zu induzieren. Adrenogenitales Syndrom (AGS): Oberbegriff für Krankheitsbilder, die als Folge einer Über- oder Fehlproduktion von Nebennierenandrogenen entstehen und bei denen die Genitalsphäre in männliche Richtung verän-

Akrosom: Kappenartige Struktur, die den vorderen Teil des Spermienkopfes umkleidet und beim Eindringen des Spermiums in die Oozyte eine große Rolle spielt. Akrozentrisch: Chromosomen, bei denen das Zentromer sehr nah am einen Ende liegt, sodass der eine Chromosomenarm kurz, der andere sehr viel länger ist. Aktin: Bestandteil des Muskeleiweißes, kommt als globuläres monomeres und dimeres G-Aktin und als fibrilläres polymeres F-Aktin vor. F-Aktin ist Bestandteil des Grundgerüsts der Muskelfibrillen. G-Aktin enthält 1 Mol ATP pro monomere Einheit; durch Aufspaltung in ADP entsteht F-Aktin-ADP, das

459 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

durch Dialyse in G-Aktin-ADP übergeht und mit ATP wieder zu F-Aktin-ADP zu polymerisieren vermag. F-Aktin bildet mit Myosin die reversible Komlexverbindung Aktomyosin. Aktinfilament: Filament, das aus einer verdrillten Kette (F-Aktin) identischer globulärer Aktinmoleküle, dem G-Aktin, besteht. Aktinfilamente kommen in jeder eukaryotischen Zelle vor. Aktiver Transport: Stofftransport durch die Zellmembran über Membrantransportproteine gegen ein Konzentrationsgefälle, einen osmotischen Druck oder einen elektrischen Gradienten. Albinismus: Rezessiv erbliche Stoffwechselstörung mit fehlender Farbstoffbildung, bedingt durch einen Block im PhenylalaninTyrosin-Stoffwechsel. Alkaptonurie: Rezessiv erbliche Stoffwechselstörung, bedingt durch einen genetischen Block, der den Abbau der Homogentisinsäure verhindert (Braunfärbung des Urins). Alkylierende Agenzien: Substanzen, die als Zytostatika bei der Chemotherapie von Tumoren Verwendung finden. Die zytostatische Wirkung beruht auf einer Alkylierung der DNA, was zu Genmutationen, Chromosomenbrüchen oder Vernetzungen der DNA führen kann.

Alloenzyme: Enzymproteine, die sehr ähnliche bzw. identische Enzymaktivitäten am Substrat ausüben, in ihrem Molekülaufbau jedoch mehr oder weniger verschieden sind. Alloenzyme entstehen durch Mutationen eines Genlokus, sind also Enzymvarianten, die auf verschiedenen Allelen desselben Genorts basieren. Alterspigment: Lipofuscin, in Zellen mesenchymaler Herkunft und Epithelzellen angereichert, auch als Abbau- oder Abnutzungspigment bezeichnet. Alterspolygon: Darstellungsform von Altersstrukturen in einer Population. Alzheimer Krankheit: Nach dem deutschen Neurologen Alois Alzheimer (1864-1915) benannte präsenile (um das 50. Lebensjahr auftretende), unaufhaltsam fortschreitende Demenz. Degenerative Erkrankung der Großhirnrinde. amber: Stoppcodon UAA. Amenorrhö: Nichteintreten oder Ausbleiben der Regelblutung bei einer geschlechtsreifen Frau. Amitose: Bildung von Tochterzellen physiologischer oder pathologischer Natur durch Durchschnürung des Zellkerns ohne Auflösung der Kernhülle und ohne Ausbildung einer Teilungsspindel.

Allantois: Embryonaler Harnsack. Allele: Alternative Formen von Genen, die denselben Lokus im Chromosom einnehmen. Die verschiedenen Allele unterscheiden sich voneinander durch eine oder mehrere mutative Veränderungen. Allele sind also Mutanten eines Gens.

Amniozentese: Punktion der Fruchtblase zur Fruchtwasserdiagnostik. Amöben: Ordnung der Rhizopoden (einer Klasse der Protozoen). Zu den Amöben gehören auch parasitische Arten des Menschen, z. B. Entamoeba.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Amplifikation: Vermehrung der Kopienzahl eines Gens oder DNA-Abschnitts. Amyloid: Stärkeähnlicher Eiweißkörper, der durch krankhafte Prozesse im Organismus entsteht. Amyloid-Prekursor-Protein-Gen (APP): In der Region 21q22 lokalisiertes und für einen Teil der erblichen Form der Alzheimer-Krankheit verantwortliches Gen. Analatresie: Das angeborene Fehlen der Afteröffnung. Anämie: Verminderung der Zahl und/oder des Hämoglobingehaltes der Erythrozyten unter die Norm. Anaerobier: Lebewesen, die in Abwesenheit von Sauerstoff existieren. Die lebensnotwendige Energie wird nicht durch Atmung, sondern vorwiegend durch Gärungsprozesse gewonnen. Außer einigen niedrigen Pilzen, z. B. Hefen, sind hierzu v. a. bestimmte Bakterien befähigt. Anaphase: Kernteilungsphase; Trennung der Chromatiden und ihr Transport zu den entgegengesetzten Zellpolen. Aneuploidie: Das zusätzliche Vorhandensein oder das Fehlen von ein oder mehr Chromosomen im Chromosomensatz. Annexine: Proteine, die an Phospholipide in Gegenwart von Calcium binden. Antibiotikum: Natürliches Stoffwechselprodukt aus Bakterien, Aktinomyzeten, Flechten, Algen, Pilzen und höheren Pflanzen, das Mikroorganismen abtötet oder deren Wachstum hemmt.

Anticodon: Spezifisches Nukleotidtriplett der tRNA, komplementär zum Nukleotidtriplett der mRNA, das als Codon bezeichnet wird. Antigen: Jede Substanz, die einen Organismus zur Bildung von Antikörpern anregt. Dies sind Fremdeiweißkörper, Bakterien und ihre Toxine, Viren, Blutkörperchen und tierische und pflanzliche Gifte. Die Bedeutung von Antigen hat keinerlei Zusammenhang mit der Bedeutung von Gen. Antikörper: Reaktionsprodukt eines Organismus, nach parenteraler Zufuhr eines Antigens entstehend und mit diesem in einer spezifischen Form reagierend; Antikörper sind Proteine. Antimetabolite: Chemische Verbindungen, die einen lebenswichtigen Stoffwechselprozess blockieren. Die Konkurrenz der Antimetabolite mit den Metaboliten führt zu einem Defizit der Metabolite. Anti-Müllerian-Hormon: Hormon, das bei der männlichen Geschlechtsentwicklung die Weiterentwicklung des Müllerganges unterdrückt. Antizipation: Vorverlegung, Vorwegnahme (z. B. des Krankheitsbeginns). Aortenisthmusstenose: Angeborene Verengung bis Atresie des Isthmus aortae. Apert-Syndrom: Skelettdysplasie mit Mittelgesichtshypoplasie, kompletter Syndaktylie von Fingern und Zehen. Die Ursache ist ein autosomal-dominant erbliches Gen, wobei fast ausschließlich Neumutationen beobachtet werden. Väterlicher Alterseffekt ist nachgewiesen. Apoptose: Programmierter Zelltod.

461 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Apozytose: Vorgang der Vesikelabschnürung oder der Abspaltung von ganzen Zellteilen (z.B. Milchfetttropfensekretion oder Duftsekretion). Aspermie: Fehlen von Spermien und aller Zellen der Spermatogenese im Ejakulat. Assembly: Zusammenbau der synthetisierten strukturellen Elemente zum Virion. Ataxia teleangiectasia: Autosomal-rezessiv erbliche Erkrankung, die mit Entwicklungsstörungen im Kleinkindesalter, grober Ataxie und Tremor einerseits und Hautveränderungen wie Teleangiektasien und Café-au-laitFlecken andererseits einhergeht. Weiterhin finden sich in den Zellen gehäuft Chromosomenbrüche. ATP: Adenosintriphosphat; zentrale Verbindung im Energiehaushalt der Zelle. Atrophie: Abnahme der Größe eines Organs oder Gewebes durch Verkleinerung von Zellen oder Verminderung der Zellzahl. Autophagie: Verdauung von von der Zelle selbst gebildetem Material. Autophagolysosom: Lysosom zum Abbau zelleigenen Materials, Rückgewinnung verwertbaren Materials und Einschluss nicht abbaubarer Reste in Restkörper. Autosomen: Alle Chromosomen eines Chromosomensatzes mit Ausnahme der Geschlechtschromosomen. Autotrophie: Ernährungsweise von Pflanzen, die ohne Zufuhr organischer Verbindungen aus anorganischen Substanzen mit Hilfe der Sonnenenergie köpereigene organische Verbindungen bilden.

Azol-Antimykotika: Antimykotika, die die Biosynthese des für den Aufbau der Pilzmembran notwendigen Ergosterins hemmen. Azoospermie: Fehlen der Spermien in der Spermienflüssigkeit.

B β-Globulin: Heterogene Eiweißfraktion des Serums. Bänderung: Chromosomendarstellungsmethode zur eindeutigen Zuordnung von Chromosomen und Chromosomenbereichen. Bakterienkapsel: Polysaccharid- oder Polypeptidummantelung, die die Virulenz erhöht. Bakterienklon: Bakterienkolonie, die von einem einzigen Bakterium abstammt. Alle Bakterien eines Klons sind (von spontanen Mutationen abgesehen) erbgleich. Bakteriensporen: Resistente Dauerformen, bestehend aus DNA und wenig Zytoplasma in einer festen Wand. Endosporen. Bakteriophage: Virus, das Bakterien angreift. Bakteriozidie: Bakterientötung. Barr-Body: In verschiedenen Körpergeweben (z. B. der Mundschleimhaut) vorkommendes Geschlechtschromatinkörperchen, beweisend für die weibliche Geschlechtsdeterminierung. Basalkörper: Organell, das Geißeln und Zilien verankert.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Basalmembran: Schicht zwischen Epithelzellen und Bindegewebe.

Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE): Rinderwahnsinn, durch Prionen ausgelöst.

Bifidus-Faktor: Eine vorwiegend in Frauenmilch, aber nicht in Kuhmilch enthaltene, für das Wachstum von Lactobacillus-bifidusStämmen im Darm des Brustkindes unentbehrliche Stoffgruppe.

Bruttoprimärproduktion (BPP): Die Summe der durch Photosynthese gewonnenen Energie eines Biosystems.

Biomasse: Gesamtheit alles lebenden, toten und zersetzten organischen Materials pro Flächeneinheit (Blätter, Holz, Knochen, Fleisch). Die Maßangabe erfolgt entweder als Lebend-, Trocken- oder Kohlenstoffgewicht. Biotop. Natürlicher, abgrenzbarer Lebensraum einer darauf abgestimmten Lebensgemeinschaft (Biozönose). Biozönose: Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren oder von Pflanzen- und Tiergemeinschaften, die durch gegenseitige Abhängigkeit und Beeinflussung in Wechselbeziehung stehen. Bivalente: Gepaarte homologe Chromosomen während der ersten meiotischen Teilung.

Bürstensäume: Zelloberflächenvergrößerung zur Erhöhung der Resorptionsfähigkeit. Burkitt-Lymphom: Schnell wachsender, hauptsächlich in Gesichtsknochen auftretender Tumor.

C CAAT-Box: Promotorbox; Konsensussequenz, die von Transkriptionsfaktoren erkannt wird. cAMP: Zyklisches Adenosinmonophosphat, »second messenger«. cDNA: Copy-DNA, die mit Hilfe des Enzyms Reverse Transkriptase aus mDNA erstellt wurde Cap: Nach der Transkription modifiziertes 5Ende von eukaryotischer mRNA.

Blastem: Indifferentes Bildungsgewebe, aus dem in der Embryonalentwicklung oder bei Regenerationsvorgängen die differenzierten Gewebe hervorgehen.

Carrier: Träger, die durch aktiven Transport gegen ein Konzentrationsgefälle Stoffe durch die Membran transportieren.

Blastozyste: Bezeichnung für die Blastula (embryonale Zellansammlung) der Säugetiere.

Caspasen Proteinfamilie die für die Apoptose von Zellen verantwortlich ist.

Bloom-Syndrom: Autosomal-rezessiv erbliche Erkrankung mit beträchtlicher Wachstumsverzögerung sowie teleangiektatisches Erythem der Gesichtshaut und »Vogelprofil«. Gehäufte Chromosomenbrüche in den Zellen.

Caveolae Einstülpungen der Zellmembran mit einem Gerüst aus Caveolinprotein, die Transportfunktion bei der Endo- und Transzytose haben.

463 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Centi-Morgan (cM): Maßeinheit zur Bestimmung von Genabständen, die auf der Rekombinationshäufigkeit beruht. 1% Rekombinationshäufigkeit entspricht etwa 1 cM oder etwa 1000 Kilobasen auf der DNA. Chemotherapeutika: Wirkstoffe unterschiedlicher Struktur, die pathogene Keime im Wachstum hemmen oder abtöten. Chiasma: Überkreuzung von Nicht-Schwesterchromatiden bei der Mitose, morphologische Ursache von Crossing-over. Chimäre: Lebewesen oder Gewebe aus Zellen verschiedenen Genotyps. Chlamydien: Zu den Bakterien gehörende, nicht bewegliche, gram-negative, obligat intrazelluläre Parasiten. Chloroplast: Pflanzliches Zellorganell, das Chlorophyll enthält und von einer Doppelmembran umgeben ist. Ort der photosynthetischen Aktivität. Chloroplasten haben wie Mitochondrien eigene DNA und vermehren sich durch Teilung. Chorea Huntington: Autosomal-dominant erbliches Nervenleiden mit schnellen unwillkürlichen (choreatischen) Bewegungen, langsamem körperlichem Zerfall und zunehmenden psychischen Veränderungen bis zur Demenz schweren Grades. Entwicklung meist zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr. Chorionbiopsie: Entnahme von Biopsiematerial der Zottenhaut, einer vom Embryoblast abstammenden schützenden und nährenden Embryonalhülle. Christmas-Faktor: Faktor IX der Blutgerinnung. Sein Fehlen, welches zur Hämophilie B

führt, wurde erstmals bei einem Patienten mit Vornamen Christmas nachgewiesen. Chromatide: Eine der beiden sichtbar getrennten longitudinalen Untereinheiten aller reduplizierten Chromosomen, die zwischen der frühen Prophase und der Metaphase der Mitose und zwischen dem Diplotän und der Metaphase II der Meiose sichtbar werden. Diese Untereinheiten werden während der Anaphase der Mitose und der Anaphase II der Meiose getrennt. Chromatin: Substanz mit charakteristischen Färbeeigenschaften, die im Interphasekern zu finden ist und das genetische Material der Zelle enthält; wahrscheinlich Interphaseform der Chromosomen. Chromosom: Bindungsstruktur, bestehend aus einer linearen Anordnung von Genen. Chromosomenaberration: Veränderung der Chromosomenstruktur oder -zahl. – Numerisch: Veränderung der Chromosomenzahl. – Strukturell: Veränderung der Chromosomenstruktur. Chromosomenmosaik: Individuum oder Gewebe mit unterschiedlicher Chromosomenzahl in verschiedenen Zellen, entstanden durch somatisches Non-Disjunction. Chromosomenmutation: Chromosomenstrukturveränderung oder numerische Abweichung. chromosome painting: Besondere Form der FISH-Technik zur Darstellung aller Chromosomen mit Fluoreszenzfarbstoffen.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Chromosomensatelliten: Ort für kodierende mittelrepetitive Sequenzen auf den Chromosomen 13-15, 21 und 22. Chronisch myeloische Leukämie: Leukämieform, bei der man in den malignen Zellen des Knochenmarks sowie in den Leukosezellen der Peripherie ein Markerchromosom, das Philadelphia-Chromosom, findet. Es handelt sich um eine reziproke Translokation zwischen Chromosom 9 und 22. Cis-trans-Golgi-Netzwerk: Teil des Golgi-Apparats, das für das Sortieren von Proteinen wichtig ist. Coated pit Einstülpungen der Zellmembran bei der Bildung von Endosomen, wobei die Grube clathrinummantelt ist oder ein Gerüst aus Caveolinprotein auf der zytoplasmatischen Seite besitzt. coated vesicles: Membranumschlossene Vesikel, die durch Pinozytose aufgenommen wurden und im Elektronenmikroskop wie ummantelt aussehen. Cockayne-Syndrom: Autosomal-rezessiv erbliche Erkrankung mit Wachstums- und Entwicklungsstörungen, vorzeitigem Altern, Mikrozephalie und Hauterkrankungen. Coding-Strang: DNA-Strang, der in RNA übersetzt wird. Codon: Nukleotidtriplett, das eine Aminosäure kodiert. Coherin: Proteinkomplex der Chromosomen, der Schwesterchromatiden als Brücke zusammen hält.

Colchizin: Synthetisches pflanzliches Produkt, mit dem es für Chromosomenanalysen möglich ist, die Zellen in den für die Analyse günstigen Metaphasen zu arretieren. COP »coated proteins«, ummantelte Vesikel, die intrazellulären Transportvorgängen dienen. CpG-Inseln: Kopplung von Cytosin mit Guanin über eine 3’-5’-Phosphodiesterbindung, häufig Zeichen für Gene, die transkribiert werden. Corpus luteum: Gelbkörper; entsteht im Ovar nach der Ovulation aus dem gesprungenen Follikel. Bildungsort von Östrogenen und Progesteron. Cosmid: Plasmid mit Verpackungssequenzen von Lambda, einem E.-coli-Virus. Creutzfeld-Jakob-Erkrankung: Seltene Erkrankung des zentralen Nervensystems mit Nervenzelldegeneration des Groß- und Kleinhirns, der Basalganglien und des Rückenmarks. Cri-du-chat-Syndrom: Deletion eines kurzen Arms des Chromosoms 5 beim Menschen (Katzenschrei-Syndrom). Crossing-over: Vorgang, der zur genetischen Rekombination führt; man versteht darunter den reziproken Austausch von Chromosomensegmenten an sich entsprechenden Positionen von homologen Chromosomenpaaren durch symmetrische Bruchereignisse und kreuzweise Reunion. Cubitus valgus: Fehlstellung des Ellbogens, meist kombiniert mit Überstreckbarkeit.

465 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

D Deletion: Strukturelle Chromosomenaberration: Verlust eines Teils eines Chromosoms. Desminfilamente: Intermediärfilamente für Muskelzellen. Desmosom: Knopfartige Haftschale, bestehend aus jeweils benachbarten Zellen angehörenden Hälften, die durch Kittsubstanzen verbunden sind. Desoxyribonukleinsäure (DNA): Träger der genetischen Information. Destruent: Organismus, der organische Rückstände zu einfachen, anorganischen Verbindungen abbaut. Diabetes mellitus: Zuckerkrankheit; unterschieden werden Typ I (insulinabhängiger, juveniler Diabetes) und Typ II (nicht insulinabhängiger Diabetes, Altersdiabetes). Diakinese: Prophasestadium der Meiose (R1) vor Eintritt in die Metaphase. Diaster: Sternartige Anordnung; in der Anaphase der Mitose gebildet durch die beiden Chromatidensätze. differenzielle Genaktivität: Die Aktivität bzw. Inaktivität unterschiedlicher Gene in verschieden differenzierten Zellen. differenzielle Zellteilung: Zellteilung mit Tochterzellen unterschiedlicher Bestimmung. Diffusion: Gegenseitige Durchdringung von Gasen, Flüssigkeiten oder Lösungen.

Diktyosom: Strukturelle Einheit des GolgiApparates. Diktyotän: Ruhestadium in der Oogenese während der ersten Reifeteilung, zum Zeitpunkt der Geburt eintretend und bis zur präovulatorischen Phase unter Erhaltung von Chiasmata anhaltend. Dipeptid: Zusammenschluss zweier Aminosäuren (durch Peptidbindungen). Diplotän: Stadium in der Prophase der Meiose. DNA, mitochondriale: DNA der Mitochondrien. DNA, repetitive: DNA, die nicht in Einzelkopiesequenzen vorliegt; man unterscheidet mittel- und hochrepetitive DNA. DNA, single copy: Einzelkopiesequenzen der DNA. DNA-Polymerase: Enzym für die DNA-Synthese aus Desoxyribonukleosidtriphosphaten an einem DNA-Einzelstrang als Matrize. DNA-Reparatur: Verschiedene Mechanismen, die nach der DNA-Replikation Fehler korrigieren. Dominanz: Im strengen Sprachgebrauch bezeichnet man ein Allel als dominant, wenn beim Heterozygoten neben seiner Wirkung die Wirkung des anderen Allels nicht erkennbar ist. In der Humangenetik ist es üblich, von Dominanz zu sprechen, wenn ein Gen bereits im heterozygoten Zustand eine deutlich erkennbare Wirkung hat, egal ob diese gleich der des homozygoten Zustandes (der oft unbekannt ist) ist oder auch nicht.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Doppelhelix: Struktur der DNA; aus zwei Polynukleotidsträngen gegenläufiger Polarität zu einer plektonemischen Doppelschraube gewunden.

Edwards-Syndrom: Trisomie des Chromosoms 18. Träger besitzen eine Reihe äußerer und innerer Missbildungen und sehr geringe Lebenserwartung.

Dose dependent sex reversal-Gen: Gen in der Region Xp, welches für die testikuläre Differenzierung mit verantwortlich ist.

Effektor: Protein, das eine Änderung der sterischen Konfiguration des Repressors bewirken kann und über diesen Mechanismus in die Regulation des Operons eingreift.

Dottersack: Nabelbläschen, embryonales Vorratsorgan beim Menschen. Down-Syndrom: Trisomie 21. Drosophila: Fruchtfliege. Drumstick: Chromatinkörperchen, das dem inaktivierten X-Chromosom entspricht und an den segmentkernigen Leukozyten weiblicher Personen nachweisbar ist. Ductus deferens: Samenleiter; Ausführungsorgan des Hodens, der in die Harnröhre mündet. Duplikation: Strukturelle Chromosomenaberration: zweimaliges Auftreten ein und desselben Chromosomensegments im haploiden Chromosomensatz. Dynein: Protein in den Fortsätzen der Mikrotubuli der Zilien mit ATPase-Aktivität. Dystrophin: Protein aus der Familie der Spektrine. Sein Defektzustand führt zur Muskeldystrophie.

E EcoRI: In der Molekularbiologie häufig verwendetes Restriktionsenzym von E. coli.

Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) SNPs kommen in hoher Frequenz (durchschnittlich ein SNP pro kb) im Genom vor und bestehen meist nur aus zwei Allelen. Sie eignen sich zur genetischen Kartierung und sind Marker zur Zuordnung chromosomaler Regionen zu Krankheiten verursachenden Genen. Eklipse: Stadium während der Virusvermehrung, in dem die Virussyntheseprozesse stattfinden und in dem das Virus in der Zelle nicht nachweisbar ist. Ektoplasma: Zytoplasmabeschaffenheit von Zellen mit amöboider Bewegung; Plasmagel. Elektrophorese: Bewegung geladener Moleküle in einem elektrischen Feld, die zur Auftrennung von Molekülklassen benutzt wird. Elementarkörperchen: Enzymkomplex der Atmungskette im Mitochondrium. Elementarmembran: Bauelement der meisten Zellstrukturen, aufgebaut aus einer bimolekularen Lipidlage und Proteinen. ELISA: Enzyme-linked-immunosorbent-assay; Testverfahren zur HIV-Diagnostik. Elongation: Kettenverlängerung bei der Translation.

467 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

empirische Belastungsziffer: Grundlage zur Erhebung eines Wiederholungsrisikos bei multifaktoriell erblichen Erkrankungen.

Endozytose: Transport von festen (Phagozytose) oder gelösten (Pinozytose) Stoffen in die Zelle.

Endomitose: Chromosomenvermehrung bei intakt bleibender Kernmembran ohne Ausbildung einer Spindel.

Endproduktrepression: Form der Regulation der Genaktivität. Steuerung der Inaktivierung von Genen, wenn eine genügende Menge eines Endproduktes vorhanden ist.

Endonuklease: Enzym, das innerhalb von Nukleinsäureketten spaltet. Endoparasit: Parasit, der innere Organe befällt. Endoplasma: Flüssige Zytoplasmabeschaffenheit von Zellen mit amöboider Bewegung: Plasmasol. Endoplasmatisches Retikulum: Aus Elementarmembranen aufgebautes Membranlabyrinth im Zytoplasma. – rau: mit Ribosomenbesatz; – glatt: ohne Ribosomenbesatz.

Energiefluss: Bewegung der Energiemenge in einer Biozönose. Enhancer: Kurze DNA-Sequenzelemente, die die Transkription eines Gens verstärken. Enzym: Protein, das chemische Reaktionen im lebenden Organismus ermöglicht oder kontrolliert, wobei es unverändert aus der Reaktion hervorgeht (Biokatalysator). Epidermolysis bullosa simplex: Krankhafte Ablösung der Oberhaut. Epididymis: Nebenhoden.

Endosom: Aus Membraneinstülpung entstehendes Membranvesikel. Endospore: → Bakterienspore. Endosymbiontische Virusinfektion: Persistierende Infektion, die durch Antibiotikabehandlung nicht virusfrei wird. Endothelzellen: Zellen, die einschichtig die Gefäße auskleiden. Endotoxine: Bakterielle Toxine, die Bestandteile der Zellwand sind und bei deren Zerstörung freigesetzt werden. Endosymbiontentheorie: Theorie, nach der Mitochondrien und Chloroplasten durch Endosymbiose von Bakterien mit Zellen entstanden sind.

Episitismus: Räuber-Beute-Beziehung. Episom: Genetisches Element (DNA-Ring), das als Teil des Chromosoms oder unabhängig davon in Bakterien auftritt. Erbgang, autosomal: Vererbungsmodus von Genen, die auf den Autosomen lokalisiert sind. Erbgang, autosomal-dominant: Vererbungsmodus von dominant wirkenden Genen, die auf den Autosomen lokalisiert sind. Erbgang, autosomal-rezessiv: Vererbungsmodus von rezessiv wirkenden Genen, die auf den Autosomen lokalisiert sind.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Erbgang, geschlechtsgebunden: Vererbungsmodus von Genen, die auf den Gonosomen lokalisiert sind. Erbgang, intermediär: Vererbungsmodus von allelen Genen, bei denen im heterozygoten Zustand beide Genprodukte unabhängig nebeneinander vorkommen und sich beide phänotypisch manifestieren. Der heterozygote Phänotyp nimmt eine Mittelstellung zwischen den beiden homozygoten Formen ein. Erbgang, kodominant: Vererbungsmodus von allelen Genen, bei denen im heterozygoten Zustand beide Genprodukte unabhängig voneinander vorkommen und sich beide phänotypisch manifestieren. Erbgang, multifaktoriell: Genetische Determinierung eines Phänotyps nicht durch ein einziges Gen, sondern durch das Zusammenwirken vieler Gene (Beispiel: Körpergröße, Physiognomie, Irisstruktur, Pigmente).

ERVs Autonome endogene retrovirale Sequenzen, die zur Gruppe der LTR-Retrotransposons gehören. Euchromatin: Chromatin des Interphasekerns, das in entspiralisierter Form vorliegt und als aktives Genmaterial angesehen wird. Eukaryoten: Alle Organismen mit Ausnahme der Bakterien und Blaualgen. Eutrophie: Nährstoffreichtum, Nährstoffüberschuss. Bei Gewässern Überdüngung. Euzyte: Zelltyp aller Lebewesen mit Ausnahme von Bakterien und Blaualgen, deren einfacheren Zelltyp man als → Protozyte bezeichnet. Exon: Kodierender Teil der DNA bzw. mRNA. Exonuklase: Nukleinsäuren abbauendes Enzym.

Erbgang, X-chromosomal-dominant: Vererbungsmodus von dominant wirkenden, auf dem X-Chromosom gelegenen Genen.

Exosporium: Bei bakterieller Endosporenbildung äußerste Schicht; Lipoproteinmembran mit einigen Kohlenhydraten.

Erbgang, X-chromosomal-rezessiv: Vererbungsmodus von rezessiv wirkenden, auf dem X-Chromosom gelegenen Genen.

Exotoxine: Bakterielle Toxine, die von diesen produziert und ausgeschieden werden.

Ergastoplasma: Zellregion mit besonders reichem rauem endoplasmatischem Retikulum. Erythropoetin: Botenstoff zur humoralen Steuerung der Erythropoese. Erythrozyt: Rotes, bei Säugetieren kernloses Blutkörperchen. Beim Menschen scheibenförmige Zelle mit einer Eindellung an der Ober- und Unterseite.

Exozytose: Abgabe von geformten Bestandteilen in das umgebende Medium einer Zelle. Expressed sequence tags (ESTs) Ein übersetzter STS (7 Sequence tagged sites), den man durch zufällige Selektion eines cDNA Klons zur Sequenzierung und Erstellung von Primern erhält, um spezifisch über PCR das korrespondierende Fragment genomischer DNA zu amplifizieren.

469 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Expressivität: Stärke, mit der ein Gen manifestiert wird. Exzisionsreparatur: DNA-Reparaturmechanismus.

Filamin: Protein bei der amöboiden Zellbewegung. Es bindet an Aktinfilamente und vernetzt sie zu einem dreidimensionalen Netz, wodurch der Gelzustand erreicht wird. Filopodium: Zytoplasmafortsatz bei Fibroblasten.

F Fimbrien: → Pilus, Sexpilus. F-Aktin: Polymerisat aus G-Aktin mit strangförmiger doppelhelikaler Struktur; Myofilament. Faktor VIII: Antihämophiles Globulin, welches bei der Hämophilie A mutiert ist. Faktor IX: Christmas-Faktor, welcher bei der Hämophilie B mutiert ist.

first messenger: Hormonmoleküle, die an Rezeptoren binden und den Zellstoffwechsel beeinflussen. FISH: Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung; Methode zur Lokalisierung von DNA-Sequenzen. Flagellin: Protein der Bakteriengeißel.

Fanconi-Anämie: Autosomal-rezessiv erbliche Erkrankung. Chronisch fortschreitende hyperchrome makrozytäre Anämie, infolge Panmyelopathie, die außerdem von chronischer Leukopenie und Thrombopenie begleitet ist. In den Zellen gehäuft Chromosomenbrüche. F-Body: Die langen Arme des Y-Chromosoms, die sich bei Anfärbung mit fluoreszierenden Kernfarbstoffen durch ein intensives Leuchten auszeichnen. F-Faktor: Zusatzchromosom bei Bakterien, dessen An- oder Abwesenheit das »Geschlecht« bestimmt und bei der Konjugation die Voraussetzung für die Übertragung genetischen Materials von der Spender- in die Empfängerzelle schafft. Fibroblasten: Vorstufe der Fibrozyten, die wahrscheinlich an der Bildung der Bindegewebsfasern beteiligt sind.

Fleckfieber: Typhus exanthematicus. Flemming-Körper: Schmale, azidophile Brücke als letzte Verbindung zwischen zwei Zellen bei der Zytokinese. Fluid-mosaic-Modell: Modell zum molekularen Aufbau der Zellmembran. Fluoreszenz-in-situ-Suppressionshybridisierung: In-situ-Hybridisierung mit Fluoreszenzfarbstoffen und Absättigung der repetitiven Sequenzen. Fragiles X-Syndrom: Geschlechtsgebundene Schwachsinnsform mit fragiler Stelle am XChromosom. Molekularbiologisch liegen expandierende Trinukleotide vor. Frame-shift-Mutation: Mutation, die durch Deletion oder Insertion einer oder zweier Nukleotide zu einem Leserasterwechsel führt.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Fremdstoffriesenzellen: Vielkernige Riesenzellen, die an meist körperfremde, gelegentlich auch abgewandelte körpereigene Substanzen angelagert sind und diese z. T. in sich aufnehmen.

G G-Aktin: Monomeres Protein; Grundbaustein des Aktins. G0-Phase: Phase im Zellzyklus. Zellen, die ihre Teilungsaktivität einstellen und zeitweise oder für immer in einen Dauerzustand übergehen ohne ihre Regenerationsfähigkeit aufgegeben zu haben, verbleiben in dieser Phase. G1-Phase: Phase im Zellzyklus. Wachstumsphase der Zelle nach der Mitose und Vorbereitungsphase auf die nächste Zellteilung. G2-Phase: Phase im Zellzyklus vor der Mitose und nach der S-Phase. gap junction: Zellkontakt durch lokale Verengung des Interzellularraums zwischen benachbarten Zellen. Gaucher-Krankheit: Autosomal-rezessive Lipidspeicherkrankheit, verursacht durch den Defekt einer lysosomalen Hydrolase. Subtypen mit verschiedenem neurodegenerativem Verlauf und verschiedenem Manifestationsalter sind bekannt. GC-Box: Charakteristische Box von Promotoren. Geißeln: Fadenförmige Zellorganellen zur Fortbewegung. Vorkommen bei Pro- und Eukaryoten, jedoch von verschiedenem Aufbau. Bei Prokaryoten aus Flagellin, bei Eukaryoten aus Mikrotubuli.

Gel: Plasmazustand. Gelsolin: Protein, das Aktinfilamente fragmentiert und den Solzustand bei der amöboiden Zellbewegung herbeiführt. Gen: DNA-Abschnitt, der für ein funktionelles Produkt codiert, meist für eine Polypeptidkette. Genamplifikation: Spezifische Vermehrung von rDNA oder proteincodierenden Genen. Gene, unterbrochene: Eukaryotengene mit Introns und Exons. genetic engineering: Genetische Manipulation, durch die ein Organismus mit einer neuen Kombination von Erbeigenschaften entsteht. Genetische Beratung: Beratung von Personen und Paaren mit Problemen, die durch die Geburt eines Kindes mit einer genetischen Erkrankung oder durch ein erhöhtes Risiko eines Erbleidens für den Ratsuchenden und/ oder seine Nachkommen entstanden sind. Genetischer Code: Koordinationsprinzip, nach dem die genetische Information in der DNA niedergelegt ist. Genetische Drift: Verschiebung der Genhäufigkeit und der Genotypenverteilung durch zufällige Änderungen im Allelbestand. Besonders in kleinen Populationen von Bedeutung. Genfamilie: Eine Gruppe von Genen, die aus dem gleichen Vorläufergen hervorgegangen sind. Genfluss: Langsamer Austausch von Genen zwischen zwei Populationen.

471 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Genhäufigkeit: Anteil der verschiedenen Allele eines Gens in einer Population. Genitalhöcker: Tuberculum genitale.

Genotypendiagnostik: Nachweisverfahren zur Erkennung oder zum Ausschluss monogener Erkrankungen auf DNA-Ebene (direkte und indirekte Methode).

Genmutation: Mutation, die im submikroskopischen Bereich liegt. In der engsten Begriffsfassung wird unter Genmutation eine mutative Veränderung innerhalb der Grenzen eines einzigen Gens verstanden. Als Ergebnis von solchen Genmutationen entstehen alternative Formen von Genen, die sog. Allele.

Genotypenhäufigkeit: Häufigkeit von Genotypen in einer Population.

Genom: Basischromosomensatz (haploid) eines Organismus, bestehend aus einer speziesspezifischen Anzahl von Bindungsgruppen, die die komplette Summe der Gene tragen.

Geschlechtschromatin oder Sexchromatin: Plankonvexes sphärisches oder pyramidales und feulgenpositives intranukleäres Körperchen, gewöhnlich an der Peripherie des Interphasekerns gelegen (Barr-Körperchen). Es repräsentiert eines der beiden X-Chromosomen der Frau in inaktiver Form. Sind im pathologischen Fall mehr als zwei Gonosomen vorhanden, so findet man für jedes weitere X-Chromosom ein Barr-Körperchen.

Genomanalyse: Moderner Ausdruck zur Analyse von Krankheitsanfälligkeiten auf Ebene der DNA. Sequenzanalyse des Genoms. genomic imprinting: Unterschiedliche Expression der Gene, je nachdem, ob sie vom Vater oder von der Mutter stammen. Dieser geschlechtsspezifische Einfluss der Gene ist unabhängig davon, ob sie auf den Autosomen oder auf den Geschlechtschromosomen lokalisiert sind, und beeinflusst die embryonale Entwicklung und die Expression der genetischen Krankheiten. Genommutation: Führt zu Hyper-, Hypound Polyploidien, also zum mehrfachen oder geringerfachen Vorhandensein einzelner Chromosomen oder ganzer Chromosomensätze. Genotyp: Gesamtheit aller Erbanlagen eines Organismus.

Genpool: Gesamtheit aller Gene einer Population. Gentechnologie: Technik.

Rekombinanten-DNA-

Giemsa-Bänderung: Chromosomenfärbemethode, die bänderförmige Strukturen auf den Chromosomen nach Präparation von Metaphasechromosomen erzeugt. Gliafilamente: Intermediärfilamente in Neuronen. Glykogenose II: Syndrom, das auf einem Defekt der lysosomalen 1,4-Glykosidase beruht. Glykophorin Integrales Protein der Erythrozytenmembran, dessen Ladung bewirkt, dass sich die roten Blutkörperchen gegenseitig abstoßen, was eine Verklebung der Zellen vermindert. Die Aminosäuresequenz des Glykophorins ist für die Blutgruppen A, B, und 0 verantwortlich.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Glykogenspeicherkrankheiten: Gruppe von X-chromosomal-rezessiv erblichen Krankheiten, bei denen Glykogen aufgrund eines Enzymdefekts nicht vollständig abgebaut werden kann und in verschiedenen Organen, vor allem im Herzen, in quergestreifter Muskulatur, Leber und/oder Niere gespeichert wird. Glykokalix: Zellüberzug aus Polysacchariden, dessen Beschaffenheit genetisch kontrolliert ist, daher art- und immunospezifisch. Verantwortlich u. a. für die Zellmotilität, den Stoffaustausch und die Zellerkennung. Golgi-Apparat: Zisternenstapel, der hauptsächlich dem Sekrettransport, der Lysosomenproduktion, der Ergänzung der Glykokalix und der Aufrechterhaltung des Membranflusses dient. Golgi-Zisterne: Geschlossenes Membranpaar aus dem Diktyosom. Gonadenagenesie: Vollständiges Fehlen der Geschlechtsdrüsenanlage. Gonosomen: Geschlechtschromosomen (im Gegensatz zu den Autosomen). Gower-Zeichen: Schwierigkeiten beim Aufstehen vom Boden bei der Muskeldystrophie Typ Duchenne. Die Patienten gehen zunächst in den Kniestand und richten sich dann auf, indem sie sich mit den Händen auf den Oberschenkeln abstützen. Gram-Färbung: Färbemethode bei Bakterien, die taxonomische Bedeutung besitzt und auch mit bestimmten Eigenschaften der Bakterien korreliert ist. Granulozyten: Granulierte Leukozyten.

Gründereffekt: Das häufige Vorkommen eines seltenen Allels, das sich von einem Gründer ausgehend in Folgegenerationen ausgebreitet hat. Gynäkomastie: Unnatürliche Brustentwicklung bei Männern; durch hormonale Störungen verursachte Vermehrung des Brustdrüsengewebes oder Fettablagerungen in der Brustdrüse.

H Hämatopoese: Blutbildung. Hämoglobin: Blutfarbstoff der Erythrozyten, bestehend aus vier Untereinheiten mit je einer Peptidkette und einem Häm; jeweils zwei Peptidketten sind identisch. Hämoglobin überträgt im Organismus den Sauerstoff, indem es in der Lunge ein Molekül O2 je Hämeinheit aufnimmt und im Gewebe wieder abgibt. Hämoglobin E: Hämoglobinkrankheit, gehäuft in den Mon Khmer sprechenden Gruppen; vor allem in Thailand, Kambodscha und anderen südostasiatischen Ländern. hämolytische Anämie: Anämie durch krankhaft gesteigerten Erythrozytenzerfall. Hämophilie: Bluterkrankheit. Haplotyp: Der von der mütterlichen bzw. väterlichen Seite vererbte Komplex gekoppelter Allele. Haptoglobine: Zuckerhaltige Plasmaproteine, die Hämoglobin binden können. Der Haptoglobinpolymorphismus spielt eine Rolle bei Fällen strittiger Vaterschaft.

473 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Hardy-Weinberg-Gesetz: Die Genhäufigkeiten und damit die Häufigkeiten der beiden homozygoten Genotypen und des heterozygoten bleiben von Generation zu Generation konstant, wenn weder Auslese noch Inzucht wirksam sind.

Heterodisomie: Vorliegen von beiden Chromosomen eines Elternteils.

Hashimoto-Thyreoiditis: Immunthyreoiditis, die meist bei Frauen jenseits des 40. Lebensjahres vorkommt. Autoaggressionskrankheit der Schilddrüse.

Heteromorphismus: Von verschiedener Gestalt.

Haushaltsgene: Gene, die für die allgemeinen Aufgaben des Zellstoffwechsels verantwortlich und daher in jeder Zelle aktiv sind. Hefen: Sprosspilze. Die für Hefen typische Art der asexuellen Vermehrung ist die Zellsprossung. Helikase: Protein zur Entwindung der Doppelhelix. Hemidesmosom: Struktur, die Verankerung von Epithelzellen mit dem darunter gelegenen Bindegewebe herstellt. Hemizygotie: Vererbungsmodus von Genen, die nur einmal im Genotyp vorhanden sind (üblicherweise gebraucht bei Genen, die auf dem einzigen X-Chromosom des Mannes lokalisiert sind). Hepatomegalie: Vergrößerung der Leber bei Rechtsherzinsuffizienz, Hepatitis, Krankheiten mit Ablagerung von Stoffwechselprodukten in den Leberzellen, Geschwülsten und Parasitenbefall.

heterogene nukleäre RNA (hnRNA): Prekursorform der RNA in den verschiedenen Processingstadien.

Heterophagolysosom: Lysosom, das zellfremdes Material verdaut. Heteroplasmie: Ungleiche Verteilung mutierter Mitochondrien auf die Tochterzellen. Heterotrophie: Ernährungsweise, die auf organische Nahrung angewiesen ist. Heterozygotentest: Test, der mit biochemischen oder gentechnologischen Methoden erlaubt, heterozygote Träger eines rezessiven Erbleidens festzustellen (Beispiel: Bluterkrankheit). Heterozygotie: Bei eukaryoten (diploiden) Organismen das Vorhandensein von verschiedenen Allelen an sich entsprechenden genetischen Loki in homologen Chromosomen. Hfr-Stämme: »high frequency of recombination«; Bakterienstämme, bei denen der F-Faktor ins Genom eingebaut ist. High-motility-group-Box (HMG): Spezielle Aminosäuresequenz. high resolution banding: Hochauflösende Bänderungstechnik.

Herbivor: Pflanzenfressendes Tier. Heterochromatin: Chromatin des Interphasekerns, das in spiralisierter Form vorliegt und als inaktives Genmaterial betrachtet wird.

Histone: Heterogene Gruppe von Proteinen, reich an basischen Aminosäuren. Sie werden im Komplex mit chromosomaler DNA gefunden.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

HIV: Human Immunodeficiency Virus. HLA-System: Human lymphocyte system A oder humane Leukozytenantigene. Der HLAGenkomplex ist auf den kurzen Arm von Chromosom 6 in der Region p21-p23 lokalisiert. Homozygotie: Bei eukaryoten (diploiden) Organismen das Vorhandensein von identischen Allelen an sich entsprechenden Loki in homologen Chromosomensegmenten. Hormon: In einem Körperorgan produzierter chemischer Wirkstoff, der RNA-Synthese oder Stoffwechsel in anderen Organen oder Geweben stimuliert. Huntington-Krankheit: Autosomal-dominant erbliches Nervenleiden mit choreatischen Bewegungen, langsamem körperlichem Zerfall und zunehmenden psychischen Veränderungen bis zur Demenz schweren Grades. Ausprägung meist zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr. Hypercholesterinämie: Erhöhter Gehalt des Blutes an Cholesterin. Familiäre Form ist autosomal-rezessiv erblich. Hyperlipämie: Vermehrter Neutralfettgehalt des Blutes. Hyperplasie: Größenzunahme eines Organs oder Gewebes. hyperploid: Zellen oder Individuen mit einem oder mehr zusätzlichen Chromosomen oder Chromosomensegmenten. Hypertrophie: Zunahme der Größe eines Organs oder Gewebes durch Vergrößerung der Zellen.

Hyphen: Zellfäden von Pilzen, bestehend aus Zellwand und Zytoplasma mit dessen Einschlüssen: H. können querwandlos oder durch Querwände zellig gegliedert sein. Hypoglykämie: Absinken des Blutzuckers unter Normalwerte. Hypogonadismus: Hormonale Unterfunktion der Keimdrüsen und die daraus resultierenden Krankheitszeichen. hypoploid: Zellen oder Individuen, denen eines oder mehrere Chromosomen oder Chromosomensegmente fehlen. Hypothyreose: Unterfunktion bei Funktionsausfall der Schilddrüse mit Verminderung des Thyroxingehaltes des Blutes. Hypotone Behandlung: Behandlung mit Lösung mit geringerem osmotischem Druck als eine Vergleichslösung; notwendiger Schritt bei der Chromosomenpräparation.

I Illegitimes Crossing-over: Crossing-over an nicht exakt homologen DNA-Abschnitten. Immunglobuline: Antikörper, die Antigene erkennen und binden und den körpereigenen Abwehrmechanismus aktivieren. Da die Proteine mit Antiköperaktivität im Blut des Menschen in der γ-Globulinfraktion nachweisbar sind, werden sie als Immunglobuline bezeichnet. Man unterscheidet zwischen IgG, IgA, IgM, IgD und IgF. Influenzaviren: Grippeviren; Myxovirus influenzae. Initiation: Beginn der Translation.

475 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Insertion: Hinzufügung eines chromosomalen Abschnittes.

Intermediäre Filamente: Bestandteile des Zellzytoskeletts aus fibrillären Proteinuntereinheiten.

Insertionssequenz: DNA-Sequenz, die der Integration von F-Faktoren in das bakterielle Chromosom dient.

Intermitosezyklus: Zyklus zur Zellvermehrung.

In-situ-Hybridisation: Methode zur Lokalisation von Single-copy-Sequenzen auf der DNA durch Hybridisation von radioaktiver RNA oder DNA an Metaphasechromosomen.

Interphase: Phase einer Zelle zwischen zwei Mitosen. Eigentliche Aktivitätsphase im Zellzyklus, in der alle Synthesen stattfinden, die für die folgende Mitose benötigt werden. Unterteilung in G1-, S- und G2-Phase.

Insulin: Lebenswichtiges Hormon der β-Zellen der Langerhans-Inseln des Pankreas. Das Insulinmolekül besteht aus zwei Ketten, einer A-Kette mit 21 Aminosäuren und einer B-Kette mit 30 Aminosäuren.

Interphasezytogenetik: Zytogenetik am Interphasekern mit Hilfe der Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung.

Integrine: Verbindungsmoleküle, die intrazelluläre Aktinfilamente mit extrazellulären Matrixproteinen verbinden. Intercristaeraum: Raum zwischen den beiden Elementarmembranen eines Mitochondriums. Interkinese: Bildung zweier haploider Tochterkerne in der 1. Reifeteilung. Interleukin: Bezeichnung für einzelne Faktoren der Lymphokine, einer Stoffgruppe, die von Zellen vermittelte, spezifische Immunreaktionen auslöst und nicht zu den Immunglobulinen gehört. Die Bildung geht von Lymphozyten aus. intermediär: Gene verhalten sich i., wenn ein heterozygotes Allelpaar eine Mittelstellung einnimmt, die durch die entsprechenden homozygoten Allelkombinationen induziert werden.

Intron: Nichtcodierender Teil der DNA bzw. mRNA, der durch Splicing beseitigt wird. Inversion: Strukturelle Chromosomenaberration: Drehung eines Chromosomenstücks innerhalb eines Chromosoms um 180°. Ion: Elektrisch geladenes Teilchen, das aus Atomen oder Molekülen entweder durch Entzug eines oder mehrerer Elektronen (positives I.) oder durch Elektronenzufuhr (negatives I.) entsteht. Ionenpore: Mechanismus zur Aufnahme von Ionen durch die Zellmembran. IS-Elemente: Insertionssequenzen; bewegliche genetische Elemente; Transposons. Isochromosom: Chromosom, dessen Arme morphologisch gleich sind und die identische genetische Information enthalten, wobei die Reihenfolge der Genorte spiegelbildlich symmetrisch ist. Isodisomie: Vorliegen desselben elterlichen Chromosoms in zweifacher Ausfertigung.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Isoenzyme: Enzymproteine, die sehr ähnliche bzw. identische Enzymaktivitäten am Substrat ausüben, in ihrem Molekülaufbau jedoch mehr oder weniger verschieden sind. Entstehung durch Genduplikation.

Kartagener-Syndrom: Angeborener familiärer Fehlbildungskomplex mit Situs inversus, Bronchiektasien und Nasenpolypen; manchmal auch Brustkorbanomalien, Herzfehler, hormonale Störungen.

Isoniazid (INH) Isonikotinsäurehydrazid, Tuberkulostatikum mit Wirkung auf schnell wachsende Tuberkulosebakterien, wirkt in hoher Dosis auch tuberkulozid.

Karyogramm: Summe aller Chromosomen einer Zelle, nach morphologischen Kriterien beschrieben.

J Jacob- und Monod-Modell: Hypothese zur Regulation der Transkription.

Karyolemm: Kernmembran. Karyolymphe: Kernsaft, der die Chromosomen und Nukleolen umgibt. Karyolyse: Auflösung des Zellkerns. Karyon: Zellkern oder Nukleus.

K Kampomele Dysplasie: Fehlbildung der Gliedmaßen mit Verkrümmung. Kandidatengen: Gen, das aufgrund seiner Eigenschaften als potenzieller Lokus für bestimmte Krankheitsgene betrachtet werden kann. Kaposi-Sarkom: Maligner Tumor der Blutgefäße, bevorzugt der Haut und der inneren Organe. Kapsid: Die aus identischen proteinhaltigenStruktureinheiten (Kapsomeren) zusammengefasste Proteinkomponente des Virions. Kapsomeren: Struktureinheiten, die das Kapsid der Viren bilden. Karnivor: Fleischfressendes Tier.

Karyoplasma: Protoplasmatische Substanz im Kernraum. Karyorrhexis: Zerfall des Chromatins bei der Nekrose. Karyotyp: Chromosomensatz eines Individuums, definiert sowohl durch Zahl als auch durch Morphologie der Chromosomen, wie sie in der mitotischen Metaphase mikroskopisch sichtbar sind. Kennedy-Syndrom: Sehnervatrophie mit Zentralskotom auf der Herdseite und Stauungspapille auf der Gegenseite bei raumforderndem Prozess in der vorderen Schädelgruppe. Trinukleotidexpansion auf Chromosom Xq. Kernkörperchen: Bestandteil des Zellkerns, bestehend aus entstehenden Ribosomen und rRNA; auch Nukleolus genannt. Kernlamina: Netzartiges Geflecht aus Laminen an der Innenmembran des Zellkerns.

477 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Kern-Plasma-Relation: Relation zwischen Kernvolumen und Zytoplasmamenge einer Zelle. Kernporen: Dienen dem Stoffaustausch zwischen Kern und Zytoplasma. Kernpyknose: Verdichtung des Zellkerns bei der Apoptose. Ketosen: Monosaccharide mit einer Ketogruppe. Kinetochor: Spindelfaseransatzstelle. Kinetosom: Basalkörper. Klasse: Systematische Einheit: K. steht zwischen Stamm und Ordnung. Klinefelter-Syndrom: Trisomie der Geschlechtschromosomen vom Typ XXY. Klon: Population von Zellen oder Organismen, die von einer einzigen Zelle abstammen. Klon-Contig: Zusammenhängende Region im Genom, die aus einer Reihe überlappender DNA-Klone besteht. Klonierung: Vermehrung von bestimmten DNA-Segmenten durch Einsetzen in Plasmide oder Viren. Knock-out-Tiermodelle: Tiermodelle, bei denen ein Gen ausgeschaltet ist. Kodominanz: Gene verhalten sich kodominant, wenn bei einem heterozygoten Allelpaar beide Genprodukte unabhängig voneinander vorkommen und sich beide phänotypisch manifestieren.

Konsensussequenz: DNA-Sequenz von Promotorboxen. Kokken: Mehr oder weniger kugelförmige, unbewegliche, nicht sporenbildende Bakterien, gram-positiv oder gram-negativ. Kollagen: Zu den Gerüstproteinen gehörige Proteine, die hauptsächlich aus Monoaminosäuren bestehen. Vorkommen als kollagene Fasern in Bindegewebe, Sehnen, Faszien und Bändern, ferner in Knorpeln oder Epidermis; auch das Ossein des Knochens und das Dentin gehören zu den Kollagenen. Koloniestimulierende Faktoren: Fördern bei der Entwicklung von Blutzellen die Differenzierung und das Wachstum von Vorstufen unterschiedlicher Zelltypen. Werden als Medikamente gentechnisch hergestellt und bei der Tumorbehandlung unterstützend eingesetzt. Kommensalismus: Tischgenossenschaft; das Zusammenleben zweier Organismen, bei dem sich der eine, meist kleinere Organismus vom Nahrungsüberschuss des anderen miternährt. Konduktorin: Heterozygote Überträgerin eines rezessiven Erbleidens. Üblicherweise gebraucht bei X-chromosomal-rezessiver Vererbung; Beispiel: Bluterkrankheit, Konduktorin gesund, hemizygote Söhne krank. Konjugation: Parasexuelle Form der Übertragung von genetischer Information durch zellulären Kontakt zwischen einer Spender- und einer Empfängerzelle. In der Empfängerzelle kann dann Rekombination mit dem Chromosomenabschnitt, der homolog zu dem übertragenen Stück ist, stattfinden.

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Kapitel 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Konkurrenz: Wettbewerb zwischen zwei Arten oder zwischen zwei Organismen derselben Art um optimale Lebensbedingungen.

Langerhans-Inseln: Insulin produzierende Zellgruppen in der Bauchspeicheldrüse.

Konsumenten: Organismen, die bei der Nahrung von energiereichen organischen Verbindungen abhängig sind.

Latente Virusinfektion: Virusinfektion ohne Krankheitssymptome, die durch bestimmte Einflüsse in einen akuten Zustand übergehen kann (z. B. Herpes simplex).

Kontaktinhibition: In Zellkulturen Anstoßen von Zellen an andere mit folgender Einstellung der Vermehrung.

Lepore-Hämoglobin: Weist Teilersatz der αdurch β-, δ-Teile auf; verursacht eine der βThalassämie ähnliche Anämie.

Kopplungsanalyse: Studie über Genkopplung, die zu Risikoberechnungen für Erbkrankheiten benutzt wird.

Leptotän: Erstes Stadium der Prophase I der 1. Reifeteilung, in dem sich die Chromosomen spiralisieren.

Kopplungsgruppe: Gene, die in der Regel gemeinsam vererbt werden. Ausnahme: Trennung durch Rekombination.

Lesch-Nyhan-Syndrom: X-chromosmal-rezessive Erkrankung; Überproduktion von Harnsäure mit Dysfunktion des Zentralnervensystems.

Kuru-Kuru-Erkrankung: Ähnliche Erkrankung wie die Creutzfeld-Jakob-Krankheit. Die Erkrankung wurde in Neu-Guinea beschrieben und durch Verzehr rohen menschlichen Hirns ausgelöst. Prionen werden als Erreger verantwortlich gemacht.

L Labia minora und majora: Kleine und große Schamlippen. lag-Phase: Beim Wachstum einer Bakterienkultur Bezeichnung der Anlaufphase, in der relativ wenige Teilungen stattfinden. Laktose-Operon: Gene mit der Information für die laktoseverwertenden Enzyme. Lamellopodium: Schaufelförmiges Scheinfüßchen bei der amöboiden Zellbewegung.

Leydig-Zellen: Hodenzwischenzellen. L-Formen: Den Mykoplasmen ähnliche, weitgehend zellwandlose Bakterienformen, die sich durch Penicillin induzieren lassen. Ligase: Enzym, das zwei DNA-Ketten kovalent verknüpft. LINE: Long Interspersed Nuclear Elements; mittelrepetitive DNA-Sequenzen aus unterschiedlichen Sequenzfamilien mit langer Konsensussequenz. Linker-DNA: Synthetische Nukleotide einer vorgegebenen Sequenz zum Einbau von Fremd-DNA in einen Plasmidvektor. Auch Verbindung zwischen Nukleosomen im Eukaryotenchromosom. Lipofuszin: Lipide von Membranresten, die durch Lysosomen nicht abgebaut werden können. Die Restkörperchen haben braune

479 4 · Glossar der verwendeten Fachausdrücke

Farbe (Alterspigment). Häufiges Vorkommen in Leber-, Herzmuskel- und Nervenzellen. LOD-Score: Maß für die Wahrscheinlichkeit einer genetischen Kopplung zweier Loki. Wert >3 Kopplung,