Bildfelder: Stilleben und Naturstücke des 17. Jahrhunderts 9783050095356, 9783050063256

Die niederländische Stillebenmalerei des 17. Jahrhunderts nahm aktiv an den naturphilosophischen und naturwissenschaftli

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Bildfelder: Stilleben und Naturstücke des 17. Jahrhunderts
 9783050095356, 9783050063256

Table of contents :
Dank
Einleitung
DAS BILD ALS SPEZIES
Niederwelt/Sottobosco
Picturas Acker
Bilder, die wie Pilze aus dem Boden schießen
Scala naturae
Urzeugung
Temporariae: sich in der Existenz verausgabend
Panspermia – Leben nach Plan
Atomismus – Leben als »Accident«
Grund und Bildgrund
»Campeggiare« und »Schilderen«
Die Spezies zeigt die Gattung vor
Die Farbe Braun
Mutter Erde
Monströse Kunst
Der Sohn als Species
Wachstum und Verfall
Descensus – ascensus
Der Mensch als Ephemeron
Das Naturtableau bricht auf
Das Bild als Bio-topos
Schöpfen aus der Tiefe
Wissensnetzwerke
Mimesis I : Das Bild als »Spezies« Der Maler als Gärtner
DAS BILD ALS PHARMAKON
Gemaltes Gift
Medusas Blut
Theriak
Dichtung und Wahrheit
Arbeit am Mythos
Von Dingen und Tatsachen
Schlangenstein
Tarantella
Pharmakeia
Kräuter
Steine
Mimesis II : Die Droge der Repräsentation. Der Maler als Apotheker
DAS BILD ALS PALINGENESIS
Alchemie
Sulphur – Sal – Mercurius
Augen öffnen
Augentrost
Gold und Silber
Zinnober
Schneeweiß und Rosenrot
Fall in die Materie
Palingenesis
Mimesis III : Tod und Verklärung. Der Maler als Alchemist
DAS BILD ALS EPHEMERON
Natürliche Farbe und künstliche Farbe
Verf und kleur
Farbe als Färbung (De coloribus)
Farben und Elemente
Purpurrot und Lauchgrün
Schicht für Schicht
Colores proprii – colores apparentes
Regenbogen und Blumenstrauß
Austerus – floridus
Apparent colour
Prisma und Palette
Getrübte Medien
Van Hoogstraten liest Digby
Alchemie und Optik
Hylemorphismus und Atomismus
Acker und Feld
Mimesis IV: Das Bild als »Ephemeron« Farbe als Akzidens
Nachwort und Ausblick
Farbtafeln
Bibliographie
Register
Bildnachweis

Citation preview

B I L D F E L DER

F E L DER BI LD Karin Leonhard

Stilleben und Naturstücke des 17. Jahrhunderts

Akademie Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der VolkswagenStiftung und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Umschlagmotiv: Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Kröte und Blauer Winde, 1660, Öl auf Leinwand, Staatliches Museum Schwerin (Detail).

Einband, Gestaltung und Satz: Petra Florath, Berlin Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2013 Akademie Verlag GmbH Ein Unternehmen von De Gruyter www.degruyter.de Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-006325-6

INHALTSVERZEICHNIS

Dank Einleitung

IX 1

DAS BILD ALS SPEZIES Niederwelt/Sottobosco Picturas Acker Bilder, die wie Pilze aus dem Boden schießen Scala naturae Urzeugung Temporariae: sich in der Existenz verausgabend Panspermia – Leben nach Plan Atomismus – Leben als »Accident« Grund und Bildgrund »Campeggiare« und »Schilderen« Die Spezies zeigt die Gattung vor Die Farbe Braun Mutter Erde Monströse Kunst Der Sohn als Species Wachstum und Verfall Descensus – ascensus Der Mensch als Ephemeron Das Naturtableau bricht auf Das Bild als Bio-topos Schöpfen aus der Tiefe Wissensnetzwerke

9 13 24 33 47 56 60 66 70 74 77 85 91 96 101 104 119 123 134 147 161 168

Mimesis I : Das Bild als »Spezies«. Der Maler als Gärtner

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DAS BILD ALS PHARMAKON Gemaltes Gift Medusas Blut Theriak Dichtung und Wahrheit Arbeit am Mythos Von Dingen und Tatsachen Schlangenstein Tarantella Pharmakeia Kräuter Steine

182 188 194 203 206 210 211 218 228 231 242

Mimesis II : Die Droge der Repräsentation. Der Maler als Apotheker

250

DAS BILD ALS PALINGENESIS Alchemie Sulphur – Sal – Mercurius Augen öffnen Augentrost Gold und Silber Zinnober Schneeweiß und Rosenrot Fall in die Materie Palingenesis

259 264 271 275 283 287 297 304 311

Mimesis III : Tod und Verklärung. Der Maler als Alchemist

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DAS BILD ALS EPHEMERON Natürliche Farbe und künstliche Farbe Verf und kleur Farbe als Färbung (De coloribus) Farben und Elemente Purpurrot und Lauchgrün Schicht für Schicht Colores proprii – colores apparentes Regenbogen und Blumenstrauß Austerus – floridus Apparent colour Prisma und Palette Getrübte Medien Van Hoogstraten liest Digby Alchemie und Optik Hylemorphismus und Atomismus Acker und Feld

332 335 339 343 347 355 358 362 370 375 381 389 394 400 405 408

Mimesis IV: Das Bild als »Ephemeron«. Farbe als Akzidens

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Nachwort und Ausblick

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Farbtafeln Bibliographie

433

Register

469

Bildnachweis

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DANK

Über die Zeit hat sich viel Dank angesammelt. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde haben meine Arbeit mit ihrem Interesse, ihrem Rat und ihrer Hilfsbereitschaft begleitet; sie wäre ohne ihre Unterstützung nicht in der hier vorliegenden Form zustande gekommen. Die Arbeit wurde im Mai 2012 in leicht veränderter Form an der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät der KU Eichstätt-Ingolstadt als Habilitationsschrift eingereicht, als Abschluss einer Assistententätigkeit am Lehrstuhl für Kunstgeschichte unter der Leitung von Michael F. Zimmermann. Während der Forschungsarbeit war das Projekt von vielen Institutionen großzügig unterstützt worden. Besonders profitiert habe ich von den Diskussionen während meines Aufenthalts im Kunsthistorischen Institut in Florenz. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den beiden Direktoren, Alessandro Nova und Gerhard Wolf, sei an dieser Stelle noch einmal für ihr Interesse und die Offenheit des Gesprächs gedankt. Der dortige Kontakt zu einigen Kuratoren und Restauratoren hat mir Einblicke in die materielle Kultur des 17. Jahrhunderts gewährt – mein Dank geht hier vor allem an Stefano Casciù, Marzia Faietti, Anna Ruggiero und Massimo Seroni. Äußerst fruchtbringend waren auch meine Aufenthalte am Yale Center for British Art, New Haven, mit dem Team um Lisa Ford, Elisabeth Fairman und Kraig Binkowski, sowie an den Deutschen Auslandsinstituten für Geschichte in London und Washington. Mit kompetentem Rat stand mir wiederholt Michael Frantzen von der Zoologischen Staatssammlung in München zur Seite, der mich lehrte, zumindest die Schlangen seines Terrariums weniger zu fürchten. Dankbar bin ich aber vor allem all denen, die bereit waren, große Teile des Textes zu lesen, und die ihn durch ihre Hinweise, Ergänzungen und kritischen Anmerkungen in vielerlei Hinsicht bereichert haben: Ich danke hier Peter Bexte, Frank Fehrenbach, Christine Göttler, Martin Kemp, Thomas Leinkauf, Gerhard Zimmer und Michael F. Zimmermann, deren hellsichtige Kommentare mir geholfen haben, den Text zu verbessern und in seine endgültige Form zu bringen. Wichtige Hinweise, Kritik und Unterstützung erhielt ich außerdem von Hannah Baader, Tawrin Baker, Sheila Barker, Stefan Bartilla, David Brafman, Nils Büttner, Werner Busch, Mark Clarke, James Clifton, Stefano Cracolici, Fokko Jan Dijksterhuis, Sven Dupré, James Elkins, Robert Felfe, Victoria von Flemming, Romana Filzmoser, Beate Fricke, Claudia Fritzsche, Ulrike Gehring, Stefan Grohé, Hanneke Grootenboer, Stephanie Hanke, Henrike Haug, Ulrich Heinen, Eric Jorink, Ulrike Kern, Thomas Kisser, Christiane

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DANK

Kruse, Sachiko Kusukawa, Tilly Laaser, Barbara Lange, Julia Marciari-Alexander, Jasmin Mersmann, Annibale Mottana, Sylvie Neven, Jan Nicolaisen, Tanya Paul, Susanne Rehn, Marlise Rijks, Anna Marie Roos, Maurice Sass, Heike Schlie, Irina Schmiedel, Peter Scholz, Gero Seelig, Steffen Siegel, Brigitte Sölch, Marie-Theres Stauffer, Claudia Steinhardt-Hirsch, Nicola Suthor, Claudia Swan, Simon Turner, Mauro di Vito, Berit Wagner, Philipp Weiss, Gregor J. M. Weber, Thijs Weststeijn, Thea Vignau-Wilberg, Tanya Zimmermann sowie von meinen Freunden der Forschergruppe Ad fontes! Neue Forschungen zu Bildkonzepten des niederländischen 17. Jahrhunderts. Sie alle sind mir über viele Jahre hinweg wertvolle Gesprächspartner gewesen. Während meiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig, habe ich mit Ilka Becker, Heike Klippel und Bettina Wahrig vor kurzem noch eine Expertenrunde in Sachen Toxikologie und Mykologie aufgetan. Seitdem glaube ich an Spontangenesen. Die Arbeit am Text begann am kunsthistorischen Institut der KU Eichstätt-Ingolstadt, das letzte Kapitel habe ich während meiner Zeit am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin geschrieben. Ein ausdrücklicher Dank gilt deshalb neben den vielen Kolleginnen und Kollegen an beiden Departments und in der von Sven Dupré geleiteten Forschergruppe Art and Knowledge in Pre-Modern Europe auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der dortigen Bibliotheken: Sie haben zuweilen das Unmögliche möglich gemacht. Für die Vorbereitung zur Drucklegung, Gestaltung und sorgfältige Durchsicht des Manuskripts gilt mein besonderer Dank Johannes »Adlerauge« Lotze, Linn Burchert, Giulia Simonini, Monika Damjantschitsch und Dietmar Reinbacher sowie, für seinen persönlichen Einsatz, meinem Bruder Klaus Loenhart. Maria-Theresia Leuker-Pelties hat mit mir das Bedeutungsspektrum niederländischer Termini diskutiert und Nicole Dorweiler meine Übersetzungen der niederländischen Quellen redigiert – hierfür geht ein herzlicher Dank nach Köln. Großzügige Druckkostenzuschüsse der VolkswagenStiftung, unter deren Förderung die Arbeit während eines Projekts an der Universität Leipzig konzipiert wurde, sowie der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein erlauben es, die Habilitation in dieser Form zu publizieren. Die Drucklegung übernahm der Akademie Verlag, Berlin, wobei das Buch bei Martin Steinbrück und Petra Florath in den besten Händen lag.

EINLEITUNG

1 | Mario Nuzzi und Giovanni Maria Morandi, Bildnis Mario Nuzzis (gen. Mario de’ Fiori) beim Malen

einer Vase mit Blumen, 1659, Öl auf Leinwand, 195 × 265 cm, ehemals Palazzo Chigi-Odescalchi, Rom, seit 1918 im Palazzo Chigi, Ariccia.

Im Bildnis Mario Nuzzis (gen. Mario de’ Fiori) beim Malen einer Vase mit Blumen, 1659 in Rom entstanden, sind Figürliches und Nicht-Figürliches ineinandergeblendet. Nuzzi (1603– 1673) hatte das lebensgroße Gemälde als Teil eines vierteiligen Zyklus der Jahreszeiten in Zusammenarbeit mit dem Figurenmaler Giovanni Maria Morandi (1622–1717) für den gerade erst zum Kardinal ernannten Flavio Chigi (1631–1693) ausgeführt. In ihm praktiziert Nuzzi das mimetische Verfahren der Stillebenmalerei. Die prächtige Vase mit allen möglichen Blumenarten ist gleich doppelt ins Bild gesetzt, sowohl als natürlicher Strauß auf einem Tisch wie als gemaltes Abbild auf der Leinwand. Letzteres stellt Nuzzi als unfertiges Produkt dar, das heißt der Maler ist gerade erst dabei, das Bouquet auf die dunkel grundierte Leinwand zu übertragen. Eine blaue Iris, die den Strauß bekrönt, ist bislang nur

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EINLEITUNG

in einer Vorzeichnung zu erkennen, während die gefüllten Anemonen, eine Pfingstrose, ein Büschel gelber Lilien und einige Tulpen in verschiedenen Stadien dargestellt sind – nicht in Stadien des Auf- und Verblühens, wie man es sonst bei Blumenstilleben gewohnt ist, sondern in Stadien der malerischen Vervollkommnung durch den Künstler, der die Blumen ebenfalls zum Öffnen und Blühen bringen kann. Die Palette mit den Farben und die den Pinsel haltende Hand sind durch die Perspektive nahe an die Leinwand gerückt, praktisch schon Teil von ihr.1 Nuzzis Gemälde soll Auftakt einer Studie sein, die sich dem Verhältnis von Kunstund Naturtheorie des 17. Jahrhundert widmet. Ausgangspunkt dafür war einmal folgende Fragestellung gewesen: Lassen sich Möglichkeiten finden, die mimetischen Strukturen barocker Stilleben zu besprechen und dabei auf andere Vorstellungen und auf ein anderes Vokabular zurückzugreifen als auf spiegelmetaphorische Konzepte und einen entsprechend reflexiv verstandenen Abbild- und Realismusbegriff? Sicherlich, innerhalb der Kunstgeschichte erscheinen barocke Stilleben als Beispiele mimetischer Kunst schlechthin: dazu gemacht, die natürliche Welt zu verdoppeln, indem sie diese täuschend echt wiedergeben; Trompe-l’oeils, durch deren ästhetische Grenze wir mehr oder weniger »hindurchsehen«; Versammlungsorte malerischer Realismen, durch die ein Bild in natürlicher Korrespondenz mit der Außenwelt zu stehen scheint. Über die Behauptung aber, im Stilleben würde die Natur künstlich verdoppelt werden, sind wir nicht mehr viel hinausgekommen. Doch wie aussagekräftig ist eine solche Behauptung überhaupt, was will es bedeuten, dem Bild eine Assimilationskraft an natürliche Vorbilder zuzuschreiben, es zum Double einer akribisch erfassten Wirklichkeit zu erklären? Die Crux jeder Beschäftigung mit solchen Fragen ist, dass wir noch in den Erklärungen vollkommen ungeklärte Begriffe verwenden. Im Fall der Stilleben betrifft dies sowohl den Natur- wie den Bildbegriff, deren Definitionen wir als gegeben voraussetzen. Wenn die Rede davon ist, dass die »Natur« im »Bild« mimetisch verdoppelt wird, haben wir im Grunde kaum etwas ausgesagt, der Satz erscheint wie eine Gleichung mit zwei Unbekannten. Die vorliegende Untersuchung will anders vorgehen. Gesucht wird ein Neustart der Diskussion, der stärker auf die historische Diskussion des Natur- und Bildbegriffs zurückgreift. Gefragt werden soll beispielsweise, inwiefern im 17. Jahrhundert mimetische Strukturen als ein »biotisches Vermögen zur Reproduktion« verstanden wurden und sich aus diesem Grund barocke Kunst- und Naturtheorie wie von selbst in Beziehung setzen lassen. Gerade die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts nimmt aktiv an den naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Diskursen der Zeit teil und ist in der Forschung dennoch bis heute vereinfachend als »realistisch-abbildende« oder allenfalls als »empirische«

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Ich behalte die alte Schreibweise bei, denn die Etymologie des Begriffs »Stilleben« ist ungeklärt. Einerseits verweist die Bezeichnung auf die Darstellung stillen, d. h. »gestellten« und unbewegten Lebens. Andererseits lassen sich von der Wortwurzel »stel« Begriffe wie »stylus« (lat.: »Griffel«) und »Gestalt« ableiten, diese semantische Ebene sollte man nicht frühzeitig aufgeben. Vgl. Gerhard Köbler, Indogermanisches Wörterbuch, 3. Auflage (2000), 389–399; Willibald Sauerländer, »From Stilus to Style: Reflections on the Fate of a Notion«, in: Art History 6/3 (1983), 253–270.

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EINLEITUNG

Kunst bezeichnet worden. Hier ist eine Rehabilitierung der Begriffe »Wi(e)derspiegelung« und »Mimesis« dringend notwendig geworden. Es mag unter anderem an solchen fehlenden begrifflichen und inhaltlichen Auflösungen liegen, dass man den Stilleben regelmäßig eine verblüffende Formähnlichkeit mit natürlichen Vorbildern attestiert und sie wie fixierte Spiegelbilder einer vorgegebenen Wirklichkeit behandelt, ohne zu bemerken, dass die barocke Naturtheorie etwas ganz anderes nahelegt. Sie nämlich propagiert ein dynamisches Schöpfungskonzept, und jede Wiederholung der Naturformen z. B. in Bildern involviert einen inneren Partizipationsakt, nicht nur eine äußere Gestaltähnlichkeit. Derselbe Umstand mag weiterhin dazu geführt haben, dass die physische Basis der Stilleben vernachlässigt wurde: Was wissen wir heute noch über deren Materialikonographie? Der kunsthistorischen Literatur folgend könnte man meinen, barocke Stilleben seien wie transparente Folien, die sich über die Außenwelt schieben, obwohl jeder Malakt im 17. Jahrhundert selbstverständlich als Hantieren mit von unterschiedlichen Qualitäten und Kräften durchsetzten Substanzen angesehen und das Bildfeld als inhomogen eingestuft wurde. Die gesamte Affektstruktur der barocken Bildwahrnehmung ist überhaupt nur so, d. h. über die substantielle Basis und die daraus ableitbaren Eigenschaften der Farben und Formen, erklärbar. Barocke Bildmedien verfügen über eine materielle Tiefe, und die verwendeten Farben über affizierende Eigenschaften. Eine These wird sein, dass die Maler des 17. Jahrhunderts mit dieser Tiefe bewusst umgingen, und mehr noch, dass die Stilleben daraus quasi wie aus einem Grund oder Feld gezogen oder hervorgeholt wurden. Lässt man diese Assoziation durchgehen, d. h. anerkennt man das biotische Vermögen der Malerei, Formen analog der Natur zu entfalten, dann können zwei weitere Thesen angegliedert werden: erstens, dass das Stilleben die beiderseitige Fähigkeit von Natur und Kunst thematisiert, Ähnlichkeiten zu erzeugen, und zweitens, dass es aus diesem Grund prädestiniert ist für eine Theoretisierung mimetischer Strukturen der Kunst im allgemeinen (dass also, wenn man so will, das Stilleben zum Reflexionsfeld für Mimesis, und damit zur selbstreflexiven Kunstform avanciert). Der barocken Kunst- und Naturtheorie zufolge zielt Mimesis jedenfalls kaum darauf, tote Kopien der Natur zu entwerfen, vielmehr geht es darum, durch die getreue Wiederholung natürlicher Formen an den Prozessen von Werden und Vergehen, Wachstum und Verfall und somit an einem vitalen Prinzip teilzuhaben. Vielleicht kann man sogar soweit gehen zu sagen, dass der Malerei auf diese Weise eine belebende Kraft zukommen kann, die sie der Natur analog werden lässt. Eine dynamische Ausrichtung verleiht den Bildern einen anderen Stellenwert als lediglich den einer second-hand-Natur. Qua mimesis sind sie ein produktives Organ zur Herausarbeitung einer solchen zweiten Wirklichkeit und nicht dessen nachträgliches und abtrennbares Resultat. Unser Programm lautet deshalb wie folgt: Verstehen wir für einen Moment das Bild nicht als Spiegel und Fenster, sondern als Feld, auf dem Naturformen durch ars und techne (τέχνη) kultiviert werden. In ein solches Feld kann sowohl etwas hineingelegt wie herausgeholt werden. Stellen wir uns weiterhin vor, der Maler bewirtschaftet ein solches Feld, indem er den Boden und darin hineingelegten Samen zur Blüte und Frucht bringt wie ein Gärtner, Bauer oder Feldarbeiter. Es gibt genügend Gründe, ihn in dieser Verwandt-

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EINLEITUNG

schaft zu sehen, denn »wir säen die Feldfrüchte, pflanzen die Bäume; wir bringen durch Wasserleitungen den Landflächen Fruchtbarkeit; wir dämmen die Flüsse ab, lenken sie, ändern ihren Lauf, mit einem Worte: Mit unseren Händen versuchen wir in der Allnatur eine zweite Natur zu schaffen«2, schreibt Cicero, der bereits das kultivierte Land als menschliche Schöpfung – als Kreation – versteht. Auf der Suche nach einem Vokabular, das die materielle Tiefe und Dichte des Bildträgers sowie des Malvorgangs ausdrückt, stößt man schnell auf Begriffe aus der Botanik und Agrikultur; nur dass es nun um das Bestellen, Kultivieren und Fruchtbarmachen des Bildfelds, Picturas Acker, geht, wie es in den barocken Quellen heißt. Eine Feststellung während der Recherchen zu dieser Studie war beispielsweise gewesen, dass sich auf der metaphorischen Ebene Stilleben und Landschaft berühren, und es mag der Grund dafür sein, warum sich in der letztlichen Auswahl der Bildbeispiele immer wieder Mischformen der beiden Gattungen eingeschlichen haben. Die Wortsuche für ein produktiv-mimetisches Bildfeld jedenfalls lässt sich leicht fortführen. Dann geht es um den campus, Grund oder Boden der Malerei, und weiter, denn wir haben es zugleich mit Fortpflanzungs- und Wachstumsformeln zu tun, um das Bildfeld als Erde, Höhle oder Uterus. Ein solcher fertiler Grund steht in einem engen – weil genealogischen – Verhältnis zu den species und Einzelformen, die auf ihm abgebildet werden oder aus ihm entstehen. Dafür verantwortlich, das heißt für die Herstellung jener Genealogie zuständig aber ist das repetitive Prinzip von Mimesis, das in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Umwertung erfahren oder zumindest mit einem Bindestrich versehen werden sollte: Mimesis ist Wieder-holung, verstanden als biotische Reproduktions- und Fortpflanzungskraft, die Formen aus der Tiefe löst und an die Oberfläche bringt. Wieder-holung ist überhaupt das Stichwort: Im naturtheoretischen Diskurs des späten 16. und 17. Jahrhunderts wird ein solches repetitives Vermögen als Fähigkeit der Selbstreproduktion von Lebensprozessen, der Artenkonstanz und auch der individuellen Selbsterhaltung hoch geschätzt. Im kunsttheoretischen Diskurs wiederum wird Mimesis als »Motor zur Herausarbeitung einer zweiten Wirklichkeit«3 erkannt – man denke an Ricœurs Ausspruch, dass ein Mensch sich nur über den deutenden Umweg durch Symbol, Mythos, Traum, Sprache und Kunst selbst verstehen kann und natürliche Formen erst über ihre Wiederholung zu Zeichen werden.4 Beide Mimesis-Vorstellungen sind eng aufeinander bezogen. Dennoch, für eine kunsthistorische Einordnung einer »Ästhetik des Bildfelds« muss an dieser Stelle differenziert werden: Bild»gründe« gibt es schon immer, und zwar in ihrer doppelten Funktion als materieller Träger, d. h. als Grund, auf dem ein Bild entsteht, sowie als Grund zur Bildentstehung, d. h. als Voraussetzung einer expressiven Leistung. Wirklich thematisiert und bildimmanent reflektiert wird Letztere vielleicht erst seit Leonardo da Vinci (1452–1519) und seinen aus den Tiefen herauswachsenden bzw. darin verschwindenden Bildräumen. In ihnen tritt das Dargestellte auf temporaliserte und relationale Weise in Erscheinung: Es bleibt in den Bildgrund eingebunden, und wenn es sich 2 3 4

Cicero, De nat. deor., 2, 152–153. Thomas Metscher, Mimesis, Bielefeld 2004, 14. Paul Ricœur, Zeit und Erfahrung, 3 Bde., München 1988–1991, I, 71.

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EINLEITUNG

als Gestalt von ihm löst, dann nur, um sich doch weiterhin auf ihn zu beziehen.5 Solche kontinuierlichen Bild»felder« finden im 16. und 17. Jahrhundert ihre Fortsetzung in der Formulierung eines an jeder Stelle mit potentieller Ausdruckskraft erfüllten Erscheinungsraums, in dem die Farbe aus einem immanenten Kräftespiel heraus entsteht beziehungsweise dieses sichtbar macht oder »ausdrückt«. Tizian (ca. 1487–1576) ist sicherlich der eindrucksvollste Exponent jener bildoperativen Vorgänge, die den gesamten Bildraum durchlaufen und sich in Farbe ausdrücken. Seine Gemälde sind nicht zuletzt deshalb ästhetische Großprojekte, weil es in ihnen um die Entfaltung eines kreativen Potenzials mit den Mitteln der Farbe geht.6 Es ist aber wichtig zu verstehen, dass es in der Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit einen weiteren, wenngleich anders ausgerichteten Strang gibt, der ebenfalls das Ziel einer »Ausdrücklichkeit« des Bildfelds verfolgt. Dieser Strang ist naturphilosophisch motiviert und entwickelt sich entlang der Frage, warum und in welchem Moment scheinbar ungeordnete Materie formale Bindungen eingehen kann und wann sich diese aufheben lassen. Er berührt Fragen nach den generativen Kräften in Kunst und Natur sowie nach den genealogischen Verhältnissen zwischen einem Vor- und einem Abbild. Dabei wird neben der Vorstellung, dass sich alles zyklisch wieder-holt, zugleich auch die unendliche Potentialität des materiellen Grunds, seine inhärente Transformationskraft, thematisiert. Um diesen Strang einer Ästhetik des Bildfelds geht es in der folgenden Untersuchung, wobei sich beide Bereiche – Ästhetik und Naturphilosophie – nicht immer voneinander trennen lassen. Vor allem am Ort der Farbe gibt es Verflechtungen, und so verdient dieser gesonderte Aufmerksamkeit. Das erste Kapitel ist jenem produktiv-rezeptiven Feldcharakter der Bilder gewidmet. Die Beispiele führen von der sottobosco-Malerei Otto Marseus van Schriecks (1619/20– 1678) und Elias van den Broecks (1649–1708) zu den Stilleben Rachel Ruyschs (1664–1750) und den großen Naturtableaus Abraham Mignons (1640–1679), in denen die Vorstellung des Bildes als bio-topos systematisch ausgebaut wurde. Jenes Naturtableau wird im Laufe des 17. Jahrhunderts allerdings aufbrechen, und zwar nicht zuletzt aufgrund der Menge visueller Daten, die beispielsweise über die mikroskopischen Beobachtungen der sich als Disziplinen zunehmend herauskristallisierenden Naturwissenschaften gewonnen wurden und sich kaum mehr zu einer Einheit zusammenfassen ließen. Hier kommt es zu Spannungen, die in den Bildern ausgetragen werden. Im zweiten Teil soll der pharmazeutische Diskurs nachgezeichnet werden, der die Malerei von jeher begleitete und in der Gattung des Stillebens seinen authentischsten Austragungsort fand. Sobald man nämlich eine Nähe zwischen den dargestellten Pflanzen, Kräutern, Früchten und Blumen sowie den Materialien, mit denen sie abgebildet werden, herstellt, wird das Genre des Stillebens (und auch der Landschaft) als ein solcher Austragungsort der visuellen Aneignung und Auf5 6

Zur emanativen Dynamik des Bildfelds bei Leonardo vgl. Frank Fehrenbach, »Veli sopra veli. Leonardo und die Schleier«, in: Ikonologie des Zwischenraums. Der Schleier als Medium und Metapher, hg. v. Johannes Endres, Barbara Wittmann & Gerhard Wolf, München 2005, 121–147. Valeska von Rosen, Mimesis und Selbstbezüglichkeit in Werken Tizians. Studien zum venezianischen Malereidiskurs, Emsdetten 2001; Daniela Bohde, Haut, Fleisch und Farbe. Körperlichkeit und Materialität in den Gemälden Tizians, Emsdetten 2002.

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EINLEITUNG

arbeitung von Natur relevant. Weiß man weiterhin von der antiken Bezeichnung der Pigmente als pharmakeia (φαρμακεία) – und diese hält sich lange Zeit in den Farbtraktaten –, muss man sich fragen, inwieweit die Nähe zwischen Pharmazie und Malerei nicht auch noch auf der wahrnehmungstheoretischen Ebene mit Modellen der Übertragung, ästhetischen Ansteckung und/oder Heilung zusammengeht. Pharmakeia jedenfalls sind ebenso wohltuende wie schädliche und giftige Substanzen, und der Diskurs ihres medizinischen Einsatzes gleicht dem Diskurs der Maler über Einsatz und Wirkung der Farben. Erneut hat man sich das Bildfeld als materiell dicht und mit inhärenten Kräften und Qualitäten versehen vorzustellen. Die Vorstellung, aus diesem materiellen Feld herauszutreten und transformative Kräfte zu entfalten – verstanden als Verwandlung und Palingenesis der Natur in Kunst –, wird im dritten Teil behandelt. Die Verwandlung unedler Stoffe in höhere war aber auch Ziel der hermetischen Transmutationslehre, und so treffen sich die Bestrebungen alchemistischer und künstlerischer Tätigkeit in der Sublimierung primitiven Ausgangsmaterials. Voraussetzung dafür ist die Vorstellung, dass Bilder Orte fortwährender Zeugung und Regenerationskraft oder auch einfach nur der dynamischen Sichtbarwerdung von Lebensformen sein können. Dem aristotelischen Verständnis zufolge war die Natur ein endlicher, abgeschlossener Raum und selbst wieder aus distinkten Einheiten gebildet, ganz so wie ein Mosaik, von dem man bei sorgsamer Sammlungs- und Systematisierungsarbeit einen vollständigen Überblick sowohl der Teile als auch des zusammengesetzten Ganzen erhalten konnte. An der Auflösung dieses Naturverständnisses wird das späte 16. und gesamte 17. Jahrhundert über gearbeitet. Das Konzept, von dem es letztendlich abgelöst wird, ist ein dynamischevolutionäres, das das Werden über das Sein stellte, wie es unter anderem in Francis Bacons Novum organon (1620) verkündet, aber als Vorstellung schon lange vorbereitet wurde, mit zeitlichen Stufen und Schichten ebenso wie mit Bewegung und Kräften argumentierte und auf die Vorstellung einer prinzipiellen Unendlichkeit und Unabschließbarkeit der Naturformen zusteuerte. Der epochale Wandel von einem substantiellen System in ein relationales und dynamisches ist letztes Thema dieser Arbeit. Im vierten und abschließenden Teil konzentriert sie sich deshalb auf die Verhandlung des Naturbegriffs zwischen der aristotelischen Biologie und den neuen empirischen Naturwissenschaften, die mit der Aufgabe des Substanzdenkens vor ein ganz neues Erkenntnisproblem gestellt wurden – nämlich wie man auf der Basis sinnlicher Daten überhaupt eine Theorie und ein begriffliches Verständnis begründen konnte. Davon zuletzt, denn diese Problematik betrifft das komplexe barocke Grundproblem des Verhältnisses zwischen einem äußeren physischen Objekt und einem beobachtenden Subjekt. Wir sehen, dass der veränderte Naturbegriff sofort mit einer Bildtheorie verbunden ist und zu einer Wahrnehmungspsychologie der inneren Erfahrungen überleitete. Deshalb soll nochmals anhand der Farbe diskutiert werden, warum und wann die Verlagerung weg von einer substantialistischen Farblehre hin zu einer sowohl perspektivierten wie psychologisierten Anschauungs- bzw. Reiz- und Empfindungstheorie möglich wurde. Und was ist nun ein Bild?

ICH WAR JA EINST SCHON KNABE, MÄDCHEN, STRAUCH, VOGEL UND AUS DEM MEERE EMPORTAUCHENDER STUMMER FISCH. Empedokles

DAS BILD ALS SPEZIES

»Creation [is]: a making or forming of something, as it were, out of nothing« Edward Phillips: New World of Words, Or an English Dictionary, 1671.

NIEDERWELT/SOTTOBOSCO 1648 war der in Nijmegen geborene Otto Marseus van Schrieck zusammen mit einigen anderen niederländischen Künstlern – »sommige jonge knapen die de reislust in ’t hoofd kreegen«1 – nach Rom aufgebrochen. Arnold Houbraken (1660–1719) berichtet, dass sich in dieser Gruppe auch Mathias Withoos (1627–1703)2 und Hendrik Graauw (ca. 1627– 1693)3 befanden, die beide im Atelier von Jacob van Kampen (1595–1657), dem Baumeister des Amsterdamer Rathauses, ausgebildet worden waren. In Italien stieß dann der junge Willem van Aelst (1627–ca. 1683) zu dieser Gruppe und verkehrte, wenn wir Houbraken folgen wollen, aufs engste mit Otto Marseus. Van Aelst war unter der Protektion der Medici nach Rom geschickt worden, und Houbraken weiß zu berichten, dass Marseus und er sogleich allerhand Dummheiten zusammen anstellten.4 Tatsächlich musste Van Aelst bereits nach einem Monat die Stadt fluchtartig verlassen, um dem Gefängnis zu entgehen, denn er 1 2

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Arnold Houbraken, De groote schouburgh, 3 Bde., Amsterdam 1718–1719, II, 186. Zur gemeinsamen Reise nach Rom vgl. ebenda. Eine daraus abgeleitete Schilderung auch bei Jacob Campo Weyerman, De levens-beschryvingen der Nederlandsche konst-schilders en konst-schilderessen, 4 Bde., Den Haag 1729–1739, II, 240, der noch einmal deutlich macht, dass es sechs junge Künstler waren, die nach Italien aufgebrochen waren, wobei einer auf der Reise starb. Ottos Bruder, der Grottenmaler Evert Marseus, hatte diese Reise vielleicht schon einige Jahre zuvor unternommen, sein Werk jedenfalls weist italianisierende Züge auf. Über Graauw hatte sich Nicolas Poussin anerkennend geäußert. Vgl. Houbraken, Schouburgh, II, 189–190. Eine ähnliche Beschreibung bei Weyerman, Levens-beschryvingen, II, 243–244. Vgl. Houbraken, Schouburgh, I, 228: »[Evert van Aelst] stierf 1658, naarlatende tot naarvolger in de Konst WILLEM van AELST, Zoon van zyn Broeder Jan van Aelst, Notaris te Delft, die deze Konst van zynen Oom zoo wel geleerd heeft, dat hy nog jong zynde, hem te boven ging, ja zodanig in de Konst toenam, en het leven zo natuurlyk wist na te bootsen, dat zyn penceelwerk geen schildery, maar het leven zelf scheen te wezen. Hy heeft in zyn jeugt vier jaren in Vrankryk en zeven jaren in Italien de Konst geoeffent, en in dien tyd by Kardinalen, Vorsten en groote Heeren in anzien geweest. In den jare 1656 weder in zyn Vaderland gekeerd, heeft hy zig met ’er woon eerst te Delft, daar na tot Amsterdam begeven, alwaar zyne Konst by alle konstkenners hoog geagt is geworden, en tot een hoogen prys verkogt.«

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2 | Arnold van Houbraken,

De groote schouburg, I, Tafel R (Portrait von Otto Marseus van Schriek, unter Pieter van Laer und Nicolaes van Helt, gen. Stockade): »Zyn Beeltnis staat in de Plaat R onder aan, en nevens het zelve eenige kruiden waaronder zig een slang vertoont«.

hatte in einer Streiterei einen Franzosen beinahe getötet. Ein Brief, der 1654 an Gian Carlo de’ Medici (1611–1663) einging, berichtet von der überstürzten Abreise des Malers, und zusammen mit einigen anderen Hinweise ergibt sich das Bild eines provokanten jungen Künstlers, der zugleich auch »un gallant huomo« gewesen sein soll.5 Otto Marseus scheint ihn gut gekannt zu haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sich die Wege beider in Frankreich gekreuzt, wo Marseus für Anna von Österreich Blumenstücke gemalt hatte und

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Über Van Aelst und Van Schrieck siehe ebd., I, 358: »Hy [= Van Schrieck] heeft ook lang in dienst van den Groothertog van Florencen geweest, en Napels en Romen bezogt, daar Guelhelmo van Aelst die een Discipel van hem geweest is, met hem verkeerde, en menige klugt met hem uitvoerde.« Der dort geäußerten Ansicht, Willem van Aelst sei ein Schüler Otto Marseus van Schriecks gewesen, wurde in der Forschung wiederholt widersprochen: Van Aelst hatte sich bereits vor seiner Abreise in die Delfter Lukasgilde eingetragen. So Fabrizio Piermattei an Gian Carlo de’ Medici. Archivio di Stato di Firenze, Archivio Mediceo del Principato, MS 5326, 334v.

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NIEDERWELT/SOTTOBOSCO

Van Aelst zur gleichen Zeit seine ersten Aufträge ausführte.6 Van Schrieck bleibt weiterhin in Rom, kehrt aber spätestens um 1657 nach Amsterdam zurück.7 Die künstlerische Vernetzung wird wichtig werden, wenn es um die Frage geht, auf welche Weise sich ein unstetes, zwischen Stilleben und Landschaftsmalerei changierendes Bildkonzept über die niederländischen Landesgrenzen hinweg durchsetzen konnte. Gemeint

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Vgl. Susanne Steensma, Otto Marseus van Schrieck. Leben und Werk, Hildesheim u. a. 1999, 13, die einen Frankreich-Aufenthalt irgendwann in den Jahren 1643–1648 für wahrscheinlich hält. Bereits Bergström hatte vermutet, dass Van Schrieck gemeinsam mit Willem van Aelst in Paris gewesen war (Ingvar Bergström, »Marseus, peintre de fleurs, papillons et serpents«, in: L’Oeil 233 [1974], 24); für Van Aelsts Abreise nach Frankreich jedenfalls wird gemeinhin das Jahr 1645 oder 1646, für seine Weiterreise nach Italien 1651 oder 1652 angenommen. Vgl. Tanya Paul, ›Beschildert met een Glans‹: Willem van Aelst and Artistic Self-Consciousness in Seventeenth-Century Dutch Still Life Painting, Diss. Virginia 2008, 50. Bis 1646 hatte sich auch Willem Kalf in Paris aufgehalten. Aus dem Jahr 1651 ist ein Prunkstilleben von Van Aelst erhalten, das neben einer Taschenuhr – einem späteren Markenzeichen Van Aelsts, das hier eingeführt wird – eine Medaille mit dem Portrait des jungen Ludwig XIV. zeigt. Ludwig war in diesem Jahr volljährig und damit regierungsfähig geworden. Zudem wissen wir, dass ein Früchtestilleben Van Aelsts im Besitz des Hofmalers Philippe de Champaigne war. Vgl. Paul, Beschildert met een Glans, 57. Zu Van Aelsts Verbindung zu den Medici, vor allem zu Giovan Carlo und Leopoldo, siehe ebd., 64–81. Marseus’ früheste datierte Werke sind Blumenstilleben (1644, 1647) und zeigen Utrechter Einfluß. Bereits im Stilleben von 1644 findet sich der charakteristische Schmetterlingsabdruck seiner späteren Werke, während ein Gemälde von 1647 auf einem zerknitterten Blatt Papier die moralisierende Inschrift DE TYT WAS, DE TYT IS, DE TYT ZAL ZYN aufweist. Marseus hat außerdem sog. Fischstilleben mit Meerestieren hergestellt; ein Beispiel von 1653, heute in Privatbesitz, ist datiert und signiert, siehe Abb. 6 in Douglas R. Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck (1619/20– 1678) and the Nature Piece: Art, Science, Religion and the Seventeenth-Century Pursuit of Natural Knowledge, Diss. Michigan 2004, Ann Arbor 2005. Literatur zu Otto Marseus van Schrieck: Adrianus D. de Vries, »Otto Marseus«, in: Oud Holland 1 (1883), 166–168; Curt Habicht, »Ein vergessener Phantast der holländischen Malerei«, in: Oud Holland 41 (1923), 31–37; Laurens J. Bol, Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, nahe den großen Meistern. Landschaften und Stilleben, Braunschweig 1969 (darin das Kapitel »Waldboden und Dünenboden mit vielen kleinen Tieren«); Albert P. de Mirimonde, »Psyche et le papillon«, in: L’Oeil 168 (1968), 2–11; ders., »Une nature morte enigmatique de Paolo Porpora«, in: La Revue du Louvre 20 (1970), 145–154; Bergström, »Marseus, peintre de fleurs«, 24–29; ClaudeGérard Marcus, »Otto Marseus van Schrieck et les peintres de reptiles, insectes et sous-bois«, in: Art et Curiosité (1974), 80–83; Fausta Franchini Guelfi, »Otto Marseus van Schrieck a Firenze«, Teil I in: Antichità Viva 2 (1977), 15–26, Teil II in: Antichità Viva 4 (1977), 13–21; Laurens J. Bol, ›Goede onbekenden‹. Hedendaagse herkenning en waardering van verscholen, voorbijgezien en onderschat talent, Utrecht 1982; Ausst.-Kat. Bergamo (1986), Orbis pictus. Natura morta in Germania, Olanda e Fiandra, XVI–XVII secolo, Galleria Lorenzelli, Bergamo 1986; Best.-Kat. Florenz (1989), Gallerie e Musei Statali di Firenze. I dipinti olandesi del Seicento e del Setttecento, bearb. v. Marco Chiarini, Rom 1989; Gregor J. M. Weber, »Stilles Leben am Erdboden«, in: Kunst und Antiquitäten 1/2 (1993), 24–29; Erika Gemar-Koeltzsch, Holländische Stillebenmaler im 17. Jahrhundert, 3 Bde., Lingen 1995; Steensma, Otto Marseus van Schrieck; Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck; Gianluca Bocchi, Ulisse Bocchi: Pittori di natura morta a Roma. Artisti stranieri 1630–1750, Viadana 2005, 23–36 (»Otto Marseus van Schrieck detto Ottone Marcellis o Snuffelaar«). Alle im weiteren verwendeten Katalognummern beziehen sich auf das Werkverzeichnis in Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 101–202. Gemar-Koeltzsch, Holländische Stillebenmaler, III, 921. In Rom wohnte Marseus nahe San Lorenzo in Lucina, vgl. G. J. Hoogewerff, Nederlandsche kunstenaars te Rome (1600–1725): uittreksels uit de parochiale archieven, Rom 1943, 127.

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ist das Genre des sottobosco (niederl.: bosstilleven)8, das von Otto Marseus in den 50er Jahren des 17. Jahrhunderts regelrecht »erfunden« wurde. Sottoboschi aber, auch Waldbodenstücke oder einfach nur Niederwelt9 genannt, sind den subterranen bzw. chthonischen Gewalten und Potenzen gewidmete Naturstücke. Im Schattenreich des Unterholzes, unter abgestorbenen Bäumen, Felsvorsprüngen und Mauern, in feuchten Höhlen und Grotten werden primitive Lebensformen erzeugt und spielen sich naturhistorische Ur-Dramen ab. Die Bilder agieren als ein Tummelplatz unerlöster Kreaturen und sind hochgradig moralisierbar, aber gleichzeitig macht sich in ihnen ein naturwissenschaftliches Interesse breit, das im Laufe der Entwicklung des Genres überhand gewinnt und es mit jener neuartigen Naturempirie verbindet, die wir so gerne – und vielleicht mit vorschnellen Prämissen – der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts zuschreiben.10 Der Pendelschlag zwischen symbolischer Lektüre und visueller Aufmerksamkeit soll uns im weiteren interessieren. Ort der Erfindung war Rom, was die frühe Streuung des Bildkonzepts erklärt, ein weiteres Zentrum Amsterdam, zu dem Marseus später zurückkehrte. Dann waren es vor allem neapolitanische Maler, allen voran der sich 1656 in Rom aufhaltende Paolo Porpora (1617– 1673) und seine Lehrer Giovanni (1615–1660) und Giuseppe Recco (1634–1695), die den neuen Stil der Niederwelt adaptierten. Neapel war ein geeigneter Ort für die Rezeption der sottoboschi, nicht nur, weil es als Schlangengebiet per se galt und der Tarantella-Tanz 8

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Ich verwende in diesem Zusammenhang bewusst den Begriff des sottobosco. Douglas R. Hildebrecht hatte sich in seiner Untersuchung der Bildentwürfe Van Schriecks für die Bezeichnung nature piece entschieden, gerade weil diese weiter gefasst ist (Otto Marseus van Schrieck, v. a. 7ff und 84–85). Von mir werden dagegen einige Aspekte forciert, und diese gehen von der zeitgenössischen Debatte um die Möglichkeit einer Urzeugung aus. Die darin verhandelten subterranen Gewalten und Potenzen der Natur finden im Terminus des sottobosco oder der Niederwelt ihren direktesten Ausruck. Diese Bezeichnung nach Habicht, »Ein vergessener Phantast«. Zur Terminologie des sottobosco und ihrer Geschichte vgl. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 31–33. Eine weitere Künstlerfigur, die sich der Erde als Matrix aller Formen widmete, war der Keramiker Bernard Palissy (1510–1589) gewesen. Vgl. dessen Schriften in: Aurèle La Roque, The Admirable Discourses of Bernard Palissy, Urbana 1957, sowie Bernard Palissy, Oeuvres completes de Bernard Palissy, hg. v. Paul-Antoine Cap, Paris 1844. Siehe außerdem Ernst Kris, »Der Stil ›Rustique‹: Die Verwendung des Naturabgusses bei Wenzel Jamnitzer und Bernard Palissy«, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien 22 (1926), 137–208; Hanna Rose Shell, »Casting Life, Recasting Experience: Bernard Palissy’s Occupation between Maker and Nature«, in: Configurations 12/1 (2004), 1–40; Martin Kemp, »Palissy’s Philosophical Pots: Ceramics, Grottos and the ›Matrice‹ of the Earth«, in: Le origini della Modernità, hg. v. Walter Tega, Florenz 1999, 69–88; ders., Seen/Unseen. Art, Science, and Intuition from Leonardo to the Hubble Telescope, Oxford 2006, 96–115; Louis Dimier, »Bernard Palissy: Rocailleur, fontenier et décorateur de jardins«, in: Gazette des Beaux Arts 76/12 (1943); Carl Christian Dauterman, »Snakes, Snails, and Creatures with Tails«, in: The Metropolitan Museum of Art Bulletin 20/9 (1962), 272–285; Serge Grandjean, Bernard Palissy et son école, Paris 1952; Pierre Gascar, Les secrets de Maître Bernard: Bernard Palissy and et son temps, Paris 1980; Leonard N. Amico, Bernard Palissy: In Search of Earthly Paradise, New York 1996; Karin Leonhard, »Pictura’s Fertile Field. Otto Marseus van Schrieck and the Genre of Sottobosco Painting«, in: Simiolus 34/2 (2009/2010), 95–118. Mit Verbindung zur Alchemie: William R. Newman, Promethean Ambitions. Alchemy and the Quest to Perfect Nature, Chicago 2004. Über den Naturabguss von Pflanzen und Tieren siehe z. B. den gleichnamigen Artikel von Edgar Lein, in: Ausst.-Kat. Nürnberg (2007/2008), Nürnberger Goldschmiedekunst, 1541–1868, Nürnberg 2007, 205–215.

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3 | Paolo Porpora, Unterholz mit Pilzen, Eidechsen und Schlangen, ca. 1655, Öl auf Leinwand, 36 × 64 cm, Museo Pignatelli, Neapel.

dort zuhause war (alles Themen des neuen Genres), sondern auch wegen der seit 1650 in loser Formation zusammenkommenden Accademia degl’ Investiganti, deren Mitglieder zu den ersten experimentell ausgerichteten Geistern der Zeit zählten.11 Zudem gab es eine wichtige Verbindung zum florentinischen Hof, die sich hauptsächlich über die Kardinäle Gian Carlo (1611–1663) und Leopoldo de’ Medici (1617–1675) sowie den Großherzog Ferdinando II. (1610–1670), später noch über Cosimo III. (1642–1723) etablierte. Diese Zusammenhänge gilt es zu rekonstruieren.

PICTURAS ACKER Ein erster datierter, heute in den Uffizien befindlicher sottobosco von Otto Marseus van Schrieck gibt Rückschlüsse auf die Abnehmer des neuen Genres. Eine Röntgenuntersuchung hatte unter der Farbschicht eine Signatur des Malers sichtbar gemacht: »OTTO MARSEVS/DE SCHRIECK Fecyt in Roma/1655«.12 Cosimo III. hatte das Gemälde 1699 in seine Villa della Topaia bringen lassen, wo es einer Sammlung botanischer und zoologischer

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Houbraken verweist auf einen Neapel-Aufenthalt Van Schriecks; Porpora wiederum ist seit 1656 in Rom nachweisbar, siehe Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 14. Im selben Jahr entstand Jan Davidsz. de Heems, einem Waldbodenstilleben ähnliches Gemälde in der Petersburger Eremitage, das richtungsweisend für eine nachfolgende Generation von Malern – Anna und Rachel Ruysch, Abraham Mignon etc. – werden sollte. Matthias Withoos wiederum war bereits 1653 zurück nach Holland zurückgekehrt und hatte von da an keinen nachweislichen Kontakt mit Van Schrieck. Folgen wir Steensma, so »ist davon auszugehen, dass sich im Werk des Matthias Withoos der Entwicklungsstand des Sottobosco von 1653 wiederfindet« (ebd., 35) bzw.

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4 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Pilzen, Schlange und Skorpion,

signiert und datiert OTTO MARSEVS/DE SCHRIECK Fecyt in Roma/1655 Ly 10 aug., Öl auf Leinwand, 38 × 47.8 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz, Inv.-Nr. 5268 (Provenienz: Slg. Cosimo III de’ Medici, Villa della Topaia).

Werke zugeführt werden sollte.13 Aus den Unterlagen des prinzlichen Reisemarschalls Cosimo Prie geht hervor, dass der spätere Großherzog auf seinen beiden ausgedehnten Reisen nach Holland 1668/1669 mehrmals Amsterdam und dabei auch Willem van Aelst und Otto Marseus besuchte, von letzterem kaufte er drei Gemälde. Insgesamt befanden sich im Besitz des Großherzogs sogar sieben sottoboschi von der Hand Van Schriecks.14 Dazu kamen vier in der Sammlung seines Onkels Leopoldo befindliche Werke kleineren Formats, die eventuell schon in den 50er Jahren in Italien angekauft worden waren. Van Schrieck befand sich zusammen mit Willem van Aelst und Mathias Withoos zu dieser Zeit in Rom, und, wie Houbraken meinte, auch in Florenz. Van Aelst jedenfalls hatte sich später mit der goldenen Kette gebrüstet, die ihm vom Großherzog von Toskana als Geschenk

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dadurch angenommen werden muss, dass sich die Gattungskriterien des sottobosco bereits in den frühen 50er Jahren konkretisierten; der Wechsel Otto Marseus’ von Paris nach Rom wäre hier genauer zu untersuchen – aus dem Blumenmaler wird in diesen Jahren ein Maler der Niederwelt. Nach Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 121. Siehe auch Best.-Kat. Florenz (1989), 288. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. BI.58, BI.59 und AI.9. Cosimo kaufte sie 1668/1669 für 500 Gulden. Insgesamt können sieben Werke Schriecks in der Sammlung Cosimos III. de’ Medici nachgewiesen werden, vgl. ebd., Kat.-Nr. AI.9, BI,8, BI.9, BI.21, BI.58, BI.59, BI.89. Cosimo III. übernahm 1670 die Regentschaft.

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überreicht worden war15, und von Mathias Withoos wissen wir, dass er in den zwei Jahren seines römischen Aufenthalts von Leopoldo de’ Medici wegen der »Sauberheit seines Pinselstrichs« bevorzugt wurde und fast ausschließlich für diesen an sottobosco-ähnlichen Naturstücken arbeitete16; die Bindung der Gruppe zum Medici-Zirkel war also eng. Da der spätere Kardinal Leopoldo »vermutlich sowohl in Rom als auch in Florenz verweilte, könnte er als Bindeglied zwischen Van Schrieck und dem Florentiner Hof fungiert 15

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Vgl. Houbraken, Schouburgh, I, 229: »WILLLEM, anders GUILHELMO, was een man (na dat hy in Italien geweest had) die een grootmoedigen inborst bezat, en die niemant, inzonderheid als hy wat boven zyn peil gedronken had, ontzag. ’T is gebeurt, dat de Borgermeester Maarzeveen met hem geschil kreeg, over d’eene of andere zaak, waar door zy in woorden kwamen. VAN AELST, die voor een Borgermeester van Amsterdam niet wilde ’t zeil stryken, in een zaak daar hy meende regt in te hebben, stoof op, trok zyn boven rok open, en toonde op zyn borst den gouden penning, en keten, die hy van den Grootertog van Toskanen had gekregen, zeggende: Gy zyt met een geldzak om uw hals geboren, en dat is t al; maar dat ik ben, ben ik door verdienste.« Vgl. auch Alfred von Wurzbach, Niederländisches Künstler-Lexikon, 3 Bde., Wien & Leipzig 1906–1911, I, 4–5: »Houbraken, dessen Biographie zum Teil auf den Angaben Bleiswycks beruht, sagt, dass er im J. 1656, nach vierjährigem Aufenthalte in Frankreich und siebenjährigem in Italien, also nach elfjähriger Abwesenheit, wieder nach Delft zurückkehrte. In Florenz hatte er längere Zeit für Ferdinand II. von Medicis, Großherzog von Toskana, gearbeitet, u. er war in Italien, wo seine Werke unter dem Namen Guglielmo d’Olanda bekannt waren, sehr geschätzt. Houbraken bezeichnet ihn auch als einen Schüler des O. Marseus van Schrieck, mit dem er in Florenz befreundet war. Später nahm er seinen Wohnsitz in Amsterdam u. hatte dort die Absicht, sich mit der Blumenmalerin Maria van Oosterwyk zu verheiraten. (…) Als seine Schüler bezeichnet man Rachel Ruysch, die aber noch sehr jung war, als Willem starb, u. Ernst Stuven.« Zu Maria van Oosterwiyck vgl. Wurzbach, Künstler-Lexikon, II, 256: »Geb. 20. Aug. 1630 zu Noorddorp bei Delft, gest. unvermählt zu Eutdam nächst Monikendam 12. Nov. 1693 in dem Hause ihres Vetters, des Predigers Jacobus van Assendelft. Sie war eine Tochter des Predigers Jacobus van Oosterwyck, Schülerin des J. D. de Heem zu Utrecht und lebte in Delft. Houbraken erzählt, dass Willem van Aelst sie heiraten wollte, dass aber seine Bemühungen vergebens waren. Ihre Magd Geertje Pieters war ihre Schülerin. Sie arbeitete für Ludwig XIV., für Kaiser Leopold, den Statthalter Wilhelm III. und den König von Polen.« Nach Houbraken war sie eine Schülerin von De Heem in Antwerpen um 1648/1650. Nach einigen Jahren Tätigkeit in Delft hielt sie sich vornehmlich in Amsterdam und Den Haag auf. Zu Withoos’ Arbeit für Leopoldo und seine akribische Naturdarstellung vgl. Houbraken, Schouburgh, II, 187–188: »MATHIAS WITHOOS, wiens wyze van schilderen by die, welke een gelyke verkiezing omtrent de voorwerpen der Konst hadden, merkelyk in zuiverheid van penceel doorstak, raakte hier door in de gunst van den Kardinaal de Medicis, voor wien hy wel’t meest, zoo lang hy te Rome was, schilderde. Dog nie tegenstaande hy het ’er wonder wel hadde, dreef hem de zugt tot zyn Vaderland weder te rug, zoo dat hy tot zyn verblyfplaats Amesfoort verkoos in ste van die waereldstad, waar hy bleef tot den jare 1672 (…). Hy bedong in de fleur van zyn leven drie, vier, vyf, en ook wel zes hondert gulden voor een groot stuk, maar het was ’er ook na geschildert. Ik heb ’er gezien by de erven van den Heer de Moor Borgermeester van Hoorn, waar in op het aller uitvoerigste stonden afgebeeld Distelen, Lakebladen, en diergelyk soort van kruiden, tusschen beide gevult met lies, graanhalmen, korebloemen, papavers; den grond geciert met veil, paddestoelen, breweegbladen, en ander smal kruid: hier een Kikvors, daar een bontkleurige Hagedis, ginder een Slang die onder de schaduw van ’t loof schuilt, of ook wel een Muis, die aan ’t een of ander kruid zit te knagen, zoo uitvoerig dat men de haartjes zoude hebben konnen tellen; vorder de kruiden doorzaait, met allerhande soort van Rupzen, Slakken, Flintertjes, of ook wel een Spin in haar web; tot Mieren in ’t kluis, alles even natuurlyk en met grooten vlyt en gedult uitgewerkt.« Withoos’ Affinität zur naturwissenschaftlichen Illustration wird bei seinen Kindern fortgeführt – sein jüngster Sohn Frans reiste nach Batavia, wo der Gouverneur Kamphuysen von ihm Pflanzen und Insekten zeichnen und malen ließ.

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haben.«17 Neuere Forschungen haben ergeben, dass Marseus’ Schlangen- und Tierbilder, ja selbst noch die einfacheren Versionen von farfalle e funghi in Rom generell sehr schnell auf Resonanz in den höchsten Kreisen stießen. Wir müssen fragen, wie dies möglich war trotz des geringen Sujets, dessen Konsum durch das gelehrte Publikum, zum Beispiel von Salvator Rosa (1615–1673), ausdrücklich verspottet wurde.18 In den Inventarlisten einiger der bekanntesten Sammler – Lorenzo Onofrio Colonnas, Mariano Patrizis, der Familie der Pallavicini, des Marchese del Carpio – taucht Marseus’ Name mehrmals auf, im Fall Marianos, der mit den Medici und dem Papst verwandtschaftlich verbunden war, ist die Provenienz von »due quadri di Monsù Otto con fiori e serpi« bis ins Jahr 1654 rückführbar. An anderer Stelle wird ein Gemälde des Malers ausführlich beschrieben und mit charakteristischem barocken Vokabular belegt: »il capriccio, molto bizzarro«.19 Darüberhinaus behauptet Houbraken jedoch auch, dass Marseus »lang 17

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Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 85. Siehe auch Franchini Guelfi, Otto Marseus van Schrieck, I, 21f. Zu den Gemälden im Besitz des Kardinals gehörten Schriecks Landschaft mit Eidechse, Schmetterlingen und Schnecke (Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. BI.19) sowie ein Sottobosco mit Schlange und Schmetterlingen (Kat.-Nr. BI.28). Zum Florentiner Mäzenatentum im 17. Jahrhundert vgl. Alvaro Gonzáles-Palacios, »The Taste of Later Medici«, in: Apollo 90 (1969), 348–349; Stella Rudolph, »Mecenati a Firenze tra Sei e Settecento«, Teil I: »I committenti privati«, in: Arte Illustrata 5 (1972), 228–241, Teil II: »Aspetti dello stile Cosimo III«, in: Arte Illustrata 6 (1973), 213–228, Teil III: »Le opere«, in: Arte Illustrata 7 (1974), 279–298; Lucia Tongiorgi Tomasi, »Leopoldo de Medici collezionista«, in: Paragone 307 (1975), 15–38; Omaggio a Leopoldo de’ Medici. Parte I: Disegni, bearb. v. Anna Forlani Tempesti & Anna-Maria Petrioli Tofani, Parte II: Ritrattini, bearb. v. Silvia Meloni Trkulja, Florenz 1976; Francis Haskell, Patrons and Painters. A Study in the Relations between Italian Art and Society in the Age of the Baroque, London & New Haven 1980; Edward L. Goldberg, Patterns in Late Medici Art Patronage, Princeton 1983; Ausst.-Kat. Berlin (1987), Kunstschätze der Medici, Bode-Museum, Berlin & Albertinum, Dresden, Berlin 1987. Zum Bestand und zur Rolle der holländischen Malerei im Florenz der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts siehe Best.-Kat. Florenz (1989), Gallerie e Musei. Außerdem: Ausst.-Kat. Florenz (1985), Natura viva in Casa Medici, Palazzo Pitti, Florenz 1985; vgl. auch: Ausst.-Kat. Florenz (1969), Artisti alla Corte Granducale, Florenz 1969. Siehe Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck, 51–52, der eine bislang übersehene, auf Otto Marseus van Schrieck gemünzte Stelle in Salvator Rosas satirischem Poem Il pittura von ca. 1650 aufführen kann: »Altri studiano à far sol’Animali,/ E senza rimirarsi entro a gli specchi/ Si ritraggono giusti, e naturali,/ Par che dietro al Bassan ciascun invecchi,/ Rozzo Pittor di Pecore, e Cavalle,/ Ed Eufranore, e Alberto han negl’ orecchi./ E Son le schole lor mandre, e stalle,/ E consumano in far, l’etadi intere,/ Biscie, Rospi, Lucertole, e Farfalle«. Poesie e lettere edite e inedite di Salvator Rosa, hg. v. Giovanni A. Cesareo, Neapel 1892, 231–232. Siehe Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck, 53–57. Eine Transkription des Inventars Patrizis von 1654 in Elena Fumagalli, »Raffaello Vanni in Palazzo Patrizi a Roma«, in: Paragone 477 (1989), 129–148. Vgl. außerdem den Getty Pronvenance Index (GPI) unter http://piweb.getty. edu, Stichwort: »patrizi«, Dokument I-3368. Zu Lorenzo Onofrio Colonna siehe Eduard A. Safarik, Collezione dei dipinti Colonna. Inventari 1611–1795, München u. a. 1996, sowie GPI, Stichwort: »colonna«, Dokument I-538. Zu Don Gaspar del Carpio vgl. Haskell, Patrons and Painters, 190– 192, sowie GPI, Stichwort: »carpio«, Dokument I-2626. Bei der Beschreibung des »capriccios« Van Schriecks, das unter einer Schmetterlingsgirlande einen modisch gekleideten Jüngling im Laufschritt mit Windrad und einer Schale mit Golddublonen zeigte (einen Jüngling, wie es heißt, »che habbi denari da spendare e grilli per la testa«), handelt es sich um einen Auszug aus Antonio degl’ Effeti, Studiolo di Pittura della Ricchezza in casa dell’abate Antonio degl’ Effeti per Giov. Molo alla Maddalena, Biblioteca Casanatense, Rom, MS 2372. Das beschriebene Motiv stellt allerdings einen Sonderfall dar. Zum Anteil nordischer Kunst in Effetis Studiolo siehe Godfridus Johannes

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in dienst van den Groothertog van Florencen«20 gewesen sei, und tatsächlich lassen sich viele seiner sottoboschi in Florentiner Sammlungen nachweisen. Von den Anfängen Marseus’ in Rom in den frühen 1650er Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 1678 hatten die Medici allein zwölf Gemälde (darunter zehn sottoboschi) angekauft und auf diese Weise die größte Sammlung der Werke Otto Marseus van Schriecks angelegt.21 Rom und Florenz, und hier wiederum der Hof des Granducale, waren die ersten Orte der Bekanntmachung des neuen Genres der Niederwelt, wenngleich sich in kürzester Zeit in Neapel, Amsterdam, Utrecht, Prag und Frankfurt verwandte (und durchaus über Marseus angeregte) Bildkonzepte herausbildeten. Die Zeit der ersten Ankäufe fällt jedenfalls nicht nur mit einem verstärkten naturhistorischen Interesse und darin noch einmal mit einer Vorliebe für das Kuriose, Abjekte und Exotische zusammen, sondern auch in die Hochphase der barocken Urzeugungsdebatte, wie sie über Fortunio Liceti (1577–1657), Daniel Sennert (1572–1637), William Harvey (1578–1657), Johan Baptista van Helmont (1580–1644), René Descartes (1596–1650), Pierre Gassendi (1592–1655), Athanasius Kircher (1602–1680) etc. vorbereitet und allenorts zum Brennpunkt der biogenetischen Fragestellungen gemacht worden war.22 Zugleich häufen sich die Tätigkeiten der empirisch arbeitenden wissenschaftlichen Nachfolgeinstitutionen der römischen Accademia dei Lincei.23

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Hoogewerff, Bescheiden in Italie, Den Haag 1917, 173–176. Zur Präsenz niederländischer Werke, v. a. der Bamboccianti, in römischen Sammlungen siehe außerdem Luigi Spezzaferro, »Per il collezionismo dei Bomboccianti a Roma nel Seicento«, in Ausst.-Kat. (1998), Da Caravaggio a Ceruti. La scena di genere e l’immagine dei pitocchi nella pittura italiana, Brescia & Mailand 1998, 83–88. Siehe auch die Angaben in Bocchi, Pittori di natura morta, 35–36: »Angela Negro records how Duke Gian Battista Rospigliosi gave two Marseus paintings to his wife Maria Camilla (Angela Negro, La collezione Rospigliosi: La quadreria e la committenza artistica di una famiglia patrizia a Roma nel Sei e Settecento, Rom 1999, 103, 199, sowie Anm. 2), but it seems that four paintings by Marseus were at the Duke’s palace (A. Casassa & M. Rosci, »Per una statistica delle presenze di natura morta in inventari italiani, 1624–1817«, in: La natura morta in Italia, hg. v. Frederico Zeri, 2 Bde., Mailand 1989, I, 95).« Houbraken, Schouburgh, I, 358. Siehe Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck, 58: »The presence of such a large number of Marseus’ pictures in Florence made the Medici and visitors to the Granducal court the most important audience of the artist’s career.« So auch in weiteren Schriften Gassendis, sowie in: Joseph Du Chesne alias Quercetanus, Ad veritatem hermeticae medicinae, Paris 1604; Anselm Boetius de Boodt, Gemmarum et lapidum historia, Hanau 1609; Fortunio Liceti, De spontaneo viventium ortu, Padua 1618; Daniel Sennert, De spontaneo viventium ortu, in ders., Hypomnemata physica, Frankfurt a. M. 1636; William Harvey, De generatione animalium, Amsterdam 1651; Pierre Gassendi, Syntagma philosophicum, Lyon 1658; Athanasius Kircher, Mundus subterraneus, 2 Bde., Amsterdam 1664–1665; Francesco Redi, Esperienze intorno alla generazione degl’insetti, Florenz 1668; Filippo Buonanni, Ricreazione dell’occhio, Rom 1681, sowie in den Schriften von Johan Baptista van Helmont, Marcello Malphighi und Antoni van Leeuwenhoek. Aufgrund von Beobachtungen an Pilzen widersprachen Luigi Ferdinando Marsigli (1658–1730) und Giovanni Maria Lancisi (1654–1720) in ihrem Buch Dissertatio de generatione fungorum, Rom 1714, der Vorstellung von Spontanerzeugung. In einem Brief von 1652, den Cassiano dal Pozzo (1588–1657) and den florentinischen Arzt und Botaniker Giovanni Nardi (1585–1654) adressierte, wird Otto Marseus auch als wissenschaftlicher Zeichner erwähnt: So habe er auf Pergament eine wertvolle Zitronensorte gezeichnet, die Nardi im Auftrag Gian Carlo de’ Medicis als Geschenk nach Rom gesandt hatte: »Mandai subito a

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Bereits 1652 hatte Samuel van Hoogstraten (1627–1678) Otto Marseus in Rom besucht. In seiner Inleydinge tot het hooge schoole der schilderkonst (1678) berichtete er von jenem Maler, der in der römischen Fraktion der bentvuegels der Snuffelaar genannt wurde, weil er »allerwegen naar vremd gekleurde of gespikkelde slangen, hagedissen, rupsen, spinnen, flintertjes, en vremde gewassen en kruiden omsnuffelde«24, also seinen Blick vollkommen in den Erdboden grub und niedere Kreaturen wie »Schlangen, Eidechsen, Raupen, Spinnen, Schmetterlinge und fremde Gewächse« observierte – und damit genau jenes Repertoire der Ungetiere, das Aristoteles (384–322 v. Chr.) zufolge Spielfeld metamorphotischer Kräfte war.25 Wir können hier erste metaphorische Verbindungen zwischen

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chiamare Otho Merceus [sic] (…).« Marseus sei es nicht erlaubt gewesen, den Zweig aus seinem Hause zu entfernen (»non gl’havendo permessi che porti il ramo a casa di nessuno […]«); vielmehr habe sich jeder Interessierte zu ihm begeben müssen: »(…) a chi volesse farlo vedere l’inviti a casa sua«, so zum Beispiel auch Lelio Orsini, der Bruder des Kardinals Virginio Orsini, siehe Jaco Rutgers, »Otto Marseus van Schrieck in Rome: een opdracht van Cassiano dal Pozzo«, in: Oud Holland 125/1 (2012), 59–64. Der Brief befindet sich im Fondo Galileiano der Biblioteca Nazionale Centrale dei Firenze und ist publiziert in Le opere dei discepoli di Galileo Galilei. Carteggio. Vol. 2: 1649–1656, hg. v. Paolo Galluzzi & Maurizio Torrini, Florenz 1984, 77–79, nr. 481. Cassiano dal Pozzo besaß eine umfangreiche Sammlung botanischer Zeichnungen; sie dienten z.T. als Vorbilder für die Kupferstiche in Giovanni Battista Ferraris Hesperides (Rom 1646), vgl. David Freedberg & Enrico Baldini, Citrus Fruit. The Paper Museum of Cassiano dal Pozzo. A Catalogue Raisonné. Series B – Natural History I, London 1997. Es gibt bislang nur wenige Otto Marseus zugeschriebene Zeichnungen (Crocker Art Museum, Sacramento; Sammlung des Earl of Darby), vgl. Rutgers, »Otto Marseus«, 61; Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck, 75–76; Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 160; William Breazeale, »Nature and a New Drawing by Otto Marseus van Schrieck«, in: Master Drawing 45 (2007), 527–533. Houbraken, Schouburgh, I, 357–358. Vgl. auch die Beschreibung bei Weyerman, Levens-beschryvingen, II, 102–103: »Otho Marcelis: Kwam het daglicht te beschouwen, op het jaar duyzent ses hondert en dertien. Hy was een konstig Schilder van Distels, driegekoleurde Amaranthus, Heulplanten, Bloemen, en schilderachtige Kruyden, welke stukken hy zoo aardiglyk stoffeerde met Slangen, Hagedissen, Sprinkhaanen, groene Kikvorschen, Vlindertjes, Ruspen, en andere kruypende Diertjes, dat er de Liefhebbers van zyn Eeuw wel aan wilden, gelyk die als noch hedendaags wel gewilt worden. Hy heeft veel Tafereelen te Parys geschildert voor de Koninginne Moeder Maria de Medices, welke Vorstin aan dien Otho Marcelis de vrye Tafel en een Louis d’or daags liet geeven, welke dag hy in vier uuren schilderens bepaalde. Ook schilderde hy een geruyme tyd voor den Groot Hartog van Toskanen, van waar hy een tocht dee na Napels en Romen, en vrolyk leefde en naarstighlyk schilderde. De Bendvogels te Romen doopten hem den Snuffelaar, dewyl hy om en tom liep zoeken en snuffelen na veelkleurige Slangen, gevlamde Hagedissen, haairige Spinnen, gevlakte Ruspen, en na allerhande zeldzaame wilde gewassen en Kruyden. Na dat hy moede en afgemat was van het reyzen, kwam hy afzakken na zyne Geboortestad, en trouwde met een Juffer, die na zyn overlyden noch een paar Mannen verorberde, zo wel en zo smaakelyk had dien Konstschilder dat Kruydie roerme niet weeten te vergasten op de Huuwelyks lekkernyen. Die Weduwe vertelde aan Arnold Houbraken, dat haar Man Slangen, Hagedissen en diergelyke kruypende Gediertens spysde op een stuk Land, buyten Amsterdam, dat wel expresselyk en naauwekeuriglyk omheynt was, op dat hem die lievelingen niet zouden komen te ontkruypen. Dat hy die Gediertens dagelyks zelfs voede, en er ook eenige op ’t hok achter zyn huys had zitten, om die altoos tot zyn dienst by der hand te hebben; ja dat sommige Slangen zodanig aan hem gewenden, door die dagelyksche behandeling, dat hy die in een gestalte zo als ’t hem luste kon schikken met zyn maalstokje, dewelke dan zo lang in die gestalte bleeven zitten of leggen, tot dat hy die behoorlyk had gekonterfyt. Wat daar van zy is onbekent, doch dit weeten wy naauwkeurig van naby, dat

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dem am Boden haftenden Blick des Malers und seiner erdig gehaltenen Malerei ziehen. Auf die Frage, was seine Bilder am meisten charakterisiere, wäre eine mögliche Antwort, dass sie der Spurensuche eines Jägers oder der Feldarbeit eines Bauern glichen – der Boden müsse durchstriffen, auf Spuren primitiven Lebens hin untersucht und anschließend reproduktionsfähig gemacht werden. Dem geht die grundsätzliche Vorstellung voraus, dass ein Bildfeld materielle Qualitäten berge und sich in seiner formalen Bearbeitung beziehungsweise Durchpflügung als »fruchtbar« erweise. Nur wenig später beispielsweise wird Cornelis de Bie (1627–ca. 1715) ein Gedicht auf den Großmeister der barocken Blumenund Fruchtstücke, Jan Davidsz. de Heem (1606–1683), verfassen, in dem er ihn als erfolgreichen Maler im Durchpflügen von »Picturaas vrugtb’ren Akker« beschrieb: Beide, Vater und Sohn (David Davidsz. [1570–1631] und Jan Davidsz. de Heem) hätten Auge und Gaumen gleichermaßen umschmeichelnde Früchte wie Weintrauben, Pfirsiche, Aprikosen, Kirschen, Orangen, Zitronen und Granatäpfel gemalt. Beide seien so vortreffliche Nachahmer der schönen Natur, dass man versucht sei zu sagen: »De Zoon doorploegt zoo wel, zoo zuiver en zoo wakker,/ Gelyk de Vader doet, Picturaas vrugtb’ren Akker./ Die ’t werk van Vader en van Zoon stelt by malkander/ Kan geenzins onderscheid bespeuren (…).«26

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de meeste Nederlandsche Vrouwen min gehoorzaam zyn aan de beveelen van haare Heeren en Meesters, de Mannen, en dat men gevolglyk de Juffers beledigt wanneer men die komt te schelden voor Slangen en voor Hagedissen. Hy daalde neerwaards op het jaar duyzent ses hondert drie en zeventig, oud sestig jaaren, om eens te gaan snuffelen of er geen schilderachtige planten en kruyden groeiden op den Oever van Karons Veerhuys; en deweyl wy tot noch toe geen kondschap van hem hebben gekregen uyt die Quartieren, is ons onbewust hoe hy het aldaar heeft gevonden. Zyn Konterfytsel staat onder aan op de plaat R, geetst by A. Houbraken.« Cornelis de Bie, Het gulden cabinet vande edele vry schilder-const, Antwerpen 1661–1662, 217. Zitiert nach Houbraken, Schouburgh, I, 211–212: »Beider [= David Davidsz. en Jan Davidsz. de Heem] neiging liep tot het schilderen van allerhande soort van oog- en smaakstreelende vrugten, als Druiven, Persiken, Abrikoozen, Kersen, Oranje, Sitroene en Granaatappelen. Beide waren zy afgerigt op ’t nabootsen der schoone natuur; zoo dat’er gezeit word by gemelden de Bie: De Zoon doorploegt zoo wel, zoo zuiver en zoo wakker,/ Gelyk de Vader doet, Picturaas vrugtb’ren Akker./ Die ’t werk van Vader en van Zoon stelt by malkander,/ Kan geenzins onderscheid bespeuren (…)«. Zur parallelen Entwicklung des Blumen- bzw. Früchtestücks im Wald bei Jan Davidsz. de Heem vgl. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 29: »Eine Sonderstellung [das Genre sottobosco betreffend] nimmt Jan Davidsz. de Heem (1606–1683/1684) ein, der bereits 1636 die Niederlande verlässt, um sich in Antwerpen niederzulassen. Seit 1658, vielleicht sogar früher war er zeitweise, sicher aber von 1667 bis 1672 wieder in Utrecht sesshaft. Seine Nähe zu Schriecks Arbeiten verdient gesonderte Betrachtung, da er eine Sonderform des Sottobosco entwickelt, das Blumenbzw. Früchtestück im Wald. Ein datiertes Werk von 1655 bestätigt dabei die parallele Entwicklung der beiden Maler. Schrieck befindet sich zu diesem Zeitpunkt nachweislich noch in Italien und kann Jan D. de Heem somit nicht beeinflusst haben. Im Gegensatz zu Schrieck kommt es ihm jedoch nicht auf die Schilderung der Fauna und Flora in ihrer natürlichen Umgebung an, sondern er nutzt den Waldboden als ›Bühne‹ für seine Naturobjekte. Auch seine Waldbodenstilleben wurden von zahlreichen Nachfolgern kopiert. Den Schritt zum ›echten‹ Sottobosco hat er aber nie vollzogen.« Für Beispiele siehe das Bild in der Sammlung des Prinzen von Liechtenstein, Vaduz. Das datierte Gemälde von 1655 befindet sich in der Eremitage, Petersburg, und zeigt u. a. Insekten, Schnecken, Regenwürmer, Schmetterlinge, eine Eidechse und eine eigenartig geringelte Schlange, vgl. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 29 und Ausst.-Kat. Utrecht & Braunschweig (1991), Jan Davidsz de Heem und sein Kreis, hg. v. Sam Segal, Utrecht & Braunschweig 1991, 156–157, sowie Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. 17.

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In der Meinung des 17. Jahrhunderts entsprach De Heems Leinwand einem kultivierbaren Feld oder campus, den er mit seiner Malerei zu voller Blüte und sogar zu wirtschaftlichem Ertrag treiben konnte, ebenso wie Otto Marseus’ Leidenschaft für die Niederwelt sich unmittelbar dem Leben auf und im Erdboden zuwandte und Malerei auf diesem Weg mit kreatürlichen Fragen (und den Anfängen von Kultur) in Zusammenhang brachte. Noch Gerard de Lairesse (ca. 1640–1711) hatte im zweiten Buch seines Groot schilderboek von 1707, »welches die Grundregeln, wohl zu ordiniren abhandelt«, die Anordnung der Bildgegenstände auf der Leinwand (ordinantie) mit dem Prinzip des artgerechten standplaats im großen Tableau der Natur verglichen. Seine Anweisung an den Maler, der »Neigung« (neiging) der darzustellenden Lebewesen zu folgen und auf dem Bildfeld jeden Gegenstand und jede Art »ans rechte Ort zu führen«, d. h. ihm einem Lebensraum am Boden oder in der Luft beziehungsweise dem jeweiligen Element zuzuordnen, wird im Sinne der aristotelischen Topologie und Qualitätenlehre – vor allem der Vorstellung einer inhärenten, sich einem bestimmten Ort und einer Form hinwendenden inclinatio der Materie – begründet. Die Auswahl der Lebewesen ähnelt der auf dem Titelblatt von Laurens Van Haecht Goidtsenhovens Mikrokosmos=Parvus mundus (Antwerpen 1579), das ihm vielleicht als direkte Anregung diente. »Schaut: Die Vorsichtigkeit sitzt hier bey dem Verstand/ Sie setzt der Luft das Thier Chamäleon zur Hand/ Den Maulwurf zu der Erd, zum Feuer den Salamander/ Zum Wasser einen Fisch, verkehrt es durcheinander/ Nachdem der Ort es fügt, erwählet hoch und nieder/ Wie jedes Neigung ist, nicht der Natur zu wider./ So muß ein Künstler thun in seinem ordiniren,/ Wenn er ein jedes sucht ans rechte Ort zu führen« [»elk na zyn aart, op rechte plaats gaat zetten«].27 27

Gerard de Lairesse, Großes Mahler-Buch, 3 Bde., Nürnberg 1784, II, 48. »Verhandelende de grondregelen om wel te Ordineeren: Hier zit voorzichtigheid verzelschapt door ’t verstand:/ Zy steld de lucht, het dier kameleon, ter hand,/ En geeft aan de aarde een mol, aan ’t vuur een salamander,/ Aan ’t water eenen vis; waar na dat elk verander/ Van standplaats, en verkiesd zyn zeetel laag of hoog,/ Na dat zyn neiging eist en hem natuur bewoog./ Zo moet den konstenaar in ’t schikken daar op letten,/ Dat hy, elk na zyn aart, op rechte plaats gaat zetten«. Gerard de Lairesse, Groot schilderboek. Waar in de schilderkonst in al haar deelen grondig wird onderweezen, Haarlem 1740 [Amsterdam 1707], II, 43. In Gèrard de Jodes und Laurens Van Haecht Goidtsenhovens Mikrokosmos=Parvus mundus (Antwerpen 1579) wird das Frontipiz im Sinne der Lehre von den aufsteigenden Seelenvermögen erklärt: »Homo rectè Microcosmos, hoc est paruus mundus appellatur, propter eam quam cum mundo habet similitudine. Nam quem admodum mundus rotundus est, duo habens Lumina, stellas, calorem & frigus, & quatuor elementis regitur: sic etiam caput humanum rotundum est, habet qùe duos oculos, capillos fulgentes: cæteraque, quæ de mundo, aptè etiam de homine vereque, dicuntur. Quod autem vt in mundo, sic & in homine aër sit, apparet in Chameleonte, solo aëre viuente, ver quem in natura cholerica significatur. Quod verò & ignis ut in mundo ita etiam in homine reperiatur, testis est Salamandra solum igne viuens: per quam natura denotatur sanguinea. A quam quoques, sicuti in mundo ita etiam corpore humano esse testatur Stvrio aqua & vento tantum victitans, per quem natura intelligitur flegmatica, in homine antem aquæ locum obtinet vrina. Quod denique, & terra sit patet in Talpis, quæ terrestribus lubrici deficientibus, terra viuere creduntur: per quas melancholica significatur. Item, veluti in mundo omnes sunt creaturæ, ita homo omnis est creatura, Creaturarum antem aliæ solum formam habent, vt lapides: qua etiam homo praeditus est: aliæ & formam habent, &

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5 | Titelpagina mit Chamäleon, Maulwurf und Fisch, in: Laurens van Haecht: Mikrokosmos.

Parvus mundus, Antwerpen 1579.

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Das Bildfeld spiegelt die natürliche Ordnung wieder, denn es wiederholt nicht zuletzt einen biologischen Lebensraum. Ebenso wie das natürliche Tableau streng hierarchisch gegliedert ist und den Gesetzen der vier Elemente gehorcht, sollen den Lebewesen auch auf Picturas Acker bestimmte Plätze zugewiesen werden, das heißt das Bildfeld weist an bestimmten Stellen unterschiedliche Qualitäten wie »hoch oder nieder« oder Beschaffenheiten wie »feucht« oder »trocken« auf. Es ist kein homogener und ganz sicher kein entleerter Bildraum, der erst über die Figuren und Gegenstände eingerichtet wird, sondern Figur und Bildfeld gehen eine wechselseitige Beziehung ein, so als ob bestimmte Orte und Nachbarschaften geeigneter für die Aufnahme einer Form sind als andere. Über Van Hoogstraten ist überliefert, dass Marseus, ganz in der Tradition der Blumenmaler, die »vor allen Dingen einen Blumen-Garten haben und denselben aufs fleißigste bauen«28 müssen, bereits in Rom ein eigenes Vivarium angelegt hatte, um die darin gehaltenen Schlangen und Echsen zu beobachten und in seinen Bildern zu künstlichem Leben zu erwecken.29 Nach seiner Rückkehr nach Amsterdam kaufte er sich ein Haus am Watergraap- oder Diemermeer, eine als Waterryck bezeichnete Niederung, von der wir aus verschiedenen Quellen wissen. In ihr hielt er erneut Amphibien und Reptilien, um sie naer het leven abzubilden. Jacob Campo Weyerman (1677–1747), für seine unterhaltsamen Einträge bekannt, gibt ein Gespräch der Witwe wieder, die berichtet, dass die Tiere so an Otto Marseus gewöhnt gewesen seien, dass er sie mit seinem Malstock »in een gestalte zo als ’t hem luste kon schikken« und sie so lange sitzen oder liegen blieben, bis er sie abgemalt hatte.30 1663 war dann der französische Reisende Balthasar de Monconys (1611–1665) mehrmals im Waterryck zu Besuch, um zusammen mit dem Herzog de Chevreuse »einige Sachen bey den berühmten Mahler Otho [zu besehen], und unter andern die trefflichen Stücken, die er zu Rom gemacht hat und in einem Buche zusammen herausgeben will.«31 Nur auf diesem Weg erfahren wir von einer geplanten Publikation des Malers, die jedoch

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crescunt, vt arbores: sic & homo aliæ præter formam crescunt & sentiunt, vt animantia: quorum alia rursum volatilia sunt, alia verò in aqua degentia, sic & homo mente animoque, sursum volat, & in aquis natare nouit.« De Lairesse, Mahler-Buch, XII/1 (»Abhandlung der Blumen«), 381. »Die zich dan met een ernstig voorneemen tot deze verkiezing of oefening wil begeeven, dient voor alle dingen noodzaakelyk een bloemtuin te hebben, en de zelve naarstig te bouwen, op dat hy, als de tyd van ’t jaar zulks toelaat, altyd schoone en uitgelezene bloemen moge verkrygen […]«. De Lairesse, Groot schilderboek, XIII/1, 357. Samuel van Hoogstraten, Inleyding tot de hooge schoole der schilderkonst, Rotterdam 1678, 169: »Maer zeker onzen Otho Marseus (alias Snuffelaer) heeft zijn bequaemheit in de konst, en tot wat deel hy neygde, genoeg laten blijken: want als ik in ’t jaar 1652 by hem te Romen was, verwonderde ik my over zoo veel gedrochten, als hy onderhielt en voede: welkers natuere hy ook zoo wonderlijk deurgronde, als hy hare gedaentens levendich heeft uitgebeelt.« Weyerman, Levens-beschryvingen, II, 103. Balthasar de Monconys, Des Herrn des Monconys ungemeine und sehr curieuse Beschreibung seiner (…) Reisen, Leipzig & Augsburg 1697 [Lyon 1665], 653. Marie de Rohan, Hofdame und enge Vertraute Anna von Österreichs sowie in eine Verschwörung gegen Kardinal Richelieu verwickelt, hatte in zweiter Ehe mit Claude de Lorraine, Herzog de Chevreuse, nur Töchter geboren. Nach dem Tod des Herzogs wurde der Titel deshalb auf den Sohn Marie de Rohans aus erster Ehe, Louis Charles d’Albert (1620–1699), übertragen. Monconys begleitete ihn 1663 auf einer Reise in

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niemals realisiert wurde. Interessant ist auch, dass Monconys ihn anfangs mit dem als Entomologe wie Landschafts- und Blumenmaler tätigen Johannes Goedaert (1617–1668) verwechselte, der zu dieser Zeit gerade an seiner berühmten Metamorphosis naturalis arbeitete und sich brennend für Kreationsfragen interessierte.32 Das Missverständnis

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die Niederlande. Zu Balthasar de Monconys und seinem Bruder Gaspard, die in Lyon eine reiche Kunst- und Naturaliensammlung zusammentrugen, siehe Anthony Turner, »Grollier de Servière, the Brothers Monconys. Curiosity and Collecting in Seventeenth-Century Lyon«, in: Journal of the History of Collections 20/2 (2008), 205–215. Der erste der drei Bände von Johannes Goedaerts Metamorphosis naturalis, ofte Historische Beschrijvinghe van den oorspronk, aerd, eygenschappen ende vreemde veranderinghen der Wormen, Rupsen, Maeden, Vliegen, Witjens, Byen, Motten ende dierghelycke dierkens meer; niet uyt eenighe boecken, maer alleenelyk door eygen ervarentheyd uytgevonden, beschreven, ende na de konst afgeteyckent erschien 1660 in Middelburg. Goedaert war zeitlebens in Middelburg tätig. Monconys hatte fälschlicherweise angenommen, dass Otto Marseus der Autor von Goedaerts Metamorphosis naturalis und zudem in Frankreich tätig gewesen war, vgl. die Tagebucheintragungen des Balthasar de Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 582 (Middelburg, Juli 1663): »Ferner suchte ich ein Buch de Insectis und dessen Autorem, welchen ich fälschlich vor den Marcum Othonem hielte; er heisset aber eigentlich Goedantius, der es gemacht hat/ und ist sein Tage nicht in Franckreich gewesen. Der Verleger dieses Buchs/ nahmens Fierentius, ist ein artiger Mann/ und zeigte mir allerhand schöne Muscheln/ drey Chinesische Bücher/ worunter eines der Euclides war/ wie auch das Original von Goedartii Buche/ und andere Sachen mehr (…).« Zu Goedaert siehe Laurens J. Bol, »Johannes Goedaert, schilder-entomoloog«, in: Tableau 7/2 (1985), 65–70; ebd., 7/3 (1985), 64–69; ebd. 7/4 (1985), 48–54, sowie als gekürzte Fassung: ders., »Johannes Goedaert, schilder-entomoloog: En een terugblik op de oorsprong van het 17de-eeuwse Nederlandse bloemstuk met kleine gedierte als bijwerk«, in: ders., Goede onbekenden, Utrecht 1982, 30–35. Siehe auch ders., »Een Middelburgse Brueghel-groep«, in: Oud Holland 74 (1959), 1–19. Zur Beziehung zwischen Goedaert, Joris Hoefnagel und Jan Swammerdam siehe Eric Jorink, »Between Emblematics and the ›Argument from Design‹. The Representation of Insects in the Dutch Republic«, in: Early Modern Zoology. The Construction of Animals in Science, Literature and the Visual Arts, hg. v. Karl A. E. Enenkel & Paul J. Smith, Leiden u. a. 2007 (= Intersections 7), 147–175; ders., Reading the Book of Nature in the Dutch Golden Age, 1575–1715, Leiden & Boston 2010, 181–252. Auf die Rolle der Entomologen für die frühe Stillebenmalerei komme ich noch zu sprechen; siehe dazu weiterhin Jorink, »Representation of Insects«, 4, und Ingvar Bergström, »On Georg Hoefnagel’s Manner of Working with Notes on the Influence of the Archetypa Series of 1592«, in: Netherlandish Mannerism, hg. v. Görel Cavalli-Björkman, Stockholm 1985, 177– 188; Thea Vignau-Wilberg, »In Minimis Maxime Conspicua. Insektendarstellungen um 1600 und die Anfänge der Entomologie«, in: Early Modern Zoology, hg. v. Enenkel & Smith, 217–243; Marjorie Lee Hendrix, Joris Hoefnagel and the ›Four Elements‹: A Study in Sixteenth-Century Nature Painting, Ann Arbor 1985. In Amsterdam trifft Monconys dann auf Otto Marseus van Schrieck und sein »Waterryck«, vgl. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 636–637: »Den 20. war ich nebst meinem Sohne und Gergeau zu Waterreik bei dem Otho seine Schilderyen zu besehen. Er zeigte uns eines von van den Velde, worauff eine Seestille vorgestellet war/ wie auch seine Zwiefalter oder Schmetterlinge/ darunter er einen den Pfeil nennete/ weil dessen Flügel wie das Gefieder an einem Pfeile oder Boltzen gestaltet waren. Er gieng mit mir zurücke/ und als wir den Hertzog auff dem Marckte antraffen/ (…) führte er ihn und uns durch die Stadt zu einigen anderen Liebhabern von Kunststücken/ unter denen der Herr Hudde, welcher wegen seiner Wissenschaft in der Algebra sehr berühmt ist/ den Hertzog/ mich und meinen Sohn jeden mit einem kleinen microscopio, von einem kleinen Linsen-Glase/ die er selbst also erfunden hat/ beschenckete.« Weitere Notizen zu Otto Marseus folgen am 25. August 1663: »Ferner giengen wir nach dem Admiralitaets Hause/ und inzwischen dass man die Schlüßel hohlte/ kauffte ich noch ein See Stückgen von van den

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wurde schnell geklärt und die Autorschaft der Goedaertschen Metamorphosis berichtigt.33 Aufschlußreich bleibt aber die eigentliche Verwechslung, denn sie deutet auf eine Affinität der beiden Maler, die sich nicht allein über die Bildmotivik erklären lässt, sondern auch über die naturhistorische Ausrichtung ihrer Gemälde und das gemeinsame Interesse an biogenetischen Vorgängen und Metamorphosen, die von beiden nach eigenen Beobachtungen »alleenelyk door eygen ervarentheyd uytgevonden, beschreven, ende na de konst afgeteyckent«34 wurden. In Middelburg war es Monconys dann gelungen, Johannes Goedaert selbst kennenzulernen, »welcher mit seinen Experimenten an den Gewürm oder Insectis immer noch fortfähret und mir sagte, dass aus verfaulten Biltzen (= Pilzen) oder Pfifferlingen allerhand Würmer entstünden, die er mir in seinem Buche zeigte, das er mit der Zeit in Druck zugeben vermeinte. (…).«35 Wir sind beim Gedanken einer Urzeugung primitiver Lebewesen aus Schlick, Schlamm und Moder angelangt. Es ist der Moment, in dem die niedrigsten Bildmotive ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten, denn wer hätte sich jemals vorher um verfaulende Pilze gekümmert, um die ein Schmetterling flattert? Die subterranen Gewalten und Potenzen der Natur jedenfalls beschäftigen die Künstler der sottoboschi. Kehren wir zu deren Anfängen und damit noch einmal nach Rom zurück.

BILDER, DIE WIE PILZE AUS DEM BODEN SCHIESSEN Einige frühe, Otto Marseus zugeschriebene und in Italien entstandene Werke im Mittelformat zeigen einen moosigen Waldboden, der mit verschiedenen Pilzarten bedeckt ist36, oder Champignons und Insekten37, einen Sottobosco mit Pilzen38 oder auch Reptilien, Pilze und Schmetterlinge39. Uns soll vor allem eines interessieren: Das Genre des sottobosco beginnt mit diesen Darstellungen. Nahezu alle frühen bosstilleven Van Schriecks zeigen Fungi. Doch wie ist es möglich, dass um 1650 ein Champignon oder ein Pfifferling

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Velde, dergleichen eines am Morgen von dem Herrn Otho erhandelt hatte.« Ebd., 652. Am 27. August: »Den 27. besahe der Hertzog einige Sachen bey den berühmten Mahler Otho, und unter andern die trefflichen Stücken/ die er zu Rom gemacht hat/ und in einem Buche zusammen heraus geben will«. Ebd., 653. Zwischen 1660 und 1700 erschienen mehrere holländische Ausgaben sowie Übersetzungen ins Englische (1682), Französische (1700) und Lateinische (1662–1669; 1685). Die englische Übersetzung wurde von Martin Lister betreut und 1682 in York herausgegeben (Johannes Godartius of Insects, York 1682). Ihr war eine lateinische Edition vorausgegangen, die für eine Anzahl späterer Illustratoren Pate stand, u. a. für Maria Sybilla Merian. Das Buch beschreibt die Metamorphose der Insekten, wie sie größtenteils in Experimenten von Goedaert selbst nachvollzogen wurde, vgl. Sam Segal, Flowers and Nature. Netherlandish Flower Painting of Four Centuries, Amstelveen 1990. Zu den Illustratoren der englischen Ausgabe siehe Robert W. Unwin, »A Provincial Man of Science at Work: Martin Lister, F.R.S., and his Illustrators, 1670–1683«, in: Notes and Records of the Royal Society of London 49/2 (1995), 209–230. Goedaert, Metamorphosis naturalis, Frontispiz. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 583. Provenienz: Diplomat L. McCormick-Goodhardt, Virginia, abgebildet in: Art News (1952), 31. Rouen, Musée des Beaux-Arts, Inv. 811.48, Öl auf Leinwand, 33,5 × 45 cm. Sammlung Brian Koetser, London (1974), Öl auf Leinwand, 34 × 43,5 cm, signiert. Basel, Öffentliche Kunstsammlung, Inv. 1500. Öl auf Leinwand, 32,5 × 41,5 cm.

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BILDER, DIE WIE PILZE AUS DEM BODEN SCHIESSEN

6 | Otto Marseus van Schrieck, Pilz und Schmetterlinge, Öl auf Holz,

18.3 × 26.7 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz, Inv. 1890, n. 1232 (ehemals Slg. Ferdinando II de’ Medici, Poggio a Caiano).

zum eigentlichen Bildgegenstand werden konnte?40 Wie konnte es geschehen, dass sich die Niederwelt so despektierlich in den Vordergrund drängte? Tatsächlich gab es innerhalb des sich gerade erst entwickelnden Genres schon bald einzelne, sich systematisch wiederholende Gruppen oder Anordnungen wie jene die Leinwandfläche in ein humides Terrain verwandelnde Darstellung von Pilzen in einer klammen Landschaft, die allenfalls von einem tanzenden Schmetterling bekrönt wurde. Sie sind kurios genug. Ein heute in Prag befindliches, von Nicolaes Lachtropius (1640–1700) in den 60er Jahren angefertigtes sottobosco macht die grundlegende Disposition deutlich. Gezeigt werden drei phallisch sich aus dem Waldboden schiebende Pilze und fünf gaukelnde Schmetterlinge, die von Lachtropius als Naturabdruck auf die Tafel aufgebracht wurden und deren schillernde Farbigkeit wir heute nurmehr erahnen können, weil ihre Schuppen verblasst beziehungsweise verloren sind.41 Der Gegensatz von feuchter Erde und ätherischer Leichtigkeit muss einmal sehr reizvoll

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In der Bibliothèque de l’Institut de France gibt es drei Alben mit ca. 600 Zeichnungen von Pilzen, hergestellt im Italien der 1620er Jahre. Viele von diesen Zeichnungen waren mit Hilfe des neuerfundenen Mikroskops gemacht worden, vgl. Martin Clayton, »Three Newly Published Albums of Seventeenth-Century Mycological Drawings«, in: ScienceDirect – Mycologist 20/4 (2006), 125–190. »Auf einen hellocker präparierten Grund, der mit einem klebrigen Präparat bestrichen wird, wird ein natürlicher Schmetterlingsflügel aufgedrückt und wieder abgezogen. Die feinen gefärbten Schuppen des originalen Flügels bleiben auf der Leinwand haften. Solange diese Stelle nicht gefirnist wird, erhält sich sogar das leichte Schillern der Flügel. Im Laufe der Jahrhunderte leiden diese empfindlichen Stellen am meisten, so dass heute nur noch Reste mit dem Stereomikroskop auszumachen sind«. Gregor J. M. Weber, Stilleben alter Meister in der Kasseler Gemäldegalerie, Melsungen 1989, 36.

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7 | Nicholas Lachtropius, Sottobosco mit Pilzen, signiert und datiert

N. Lachtropius 166., Öl auf Leinwand, Nationalgalerie Prag, Inv.-Nr. 0 520. Die abgefallenen Schmetterlingsflügel haben auf der Bildfläche Leerstellen hinterlassen.

gewesen sein. Die natürliche Größe der Schmetterlinge kontrastiert mit den übersteigert dargestellten Pilzen, deren Häute schuppenartig aufblättern und zu bersten drohen. Und es kommt einem De Lairesse in den Sinn, der im ersten Buch seines Groot schilderboek einmal schrieb: »Die Champignons oder Erdschwämme bedeuten die kurze Zeit, oder den plötzlichen Auf- und Untergang.«42 Seit der Antike war man fasziniert von der Tatsache, dass die eigentlichen, hut-, keulen-, knollen- oder krustenförmigen Fruchtkörper nur einen kleinen Teil des gesamten Organismus ausmachten und durch das im Erdboden verwachsene Myzel getragen wurden. Der Gedanke, Pilze entstünden aus Fäulnis, wobei das Myzel ein Zwischenstadium

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De Lairesse, Mahler-Buch, I/3, 40. »De champignons beteekenen korten tyd, of schielyke op- en ondergang«. De Lairesse, Groot schilderboek, I/3, 201. De Lairesse bespricht diese Ikonographie im Zusammenhang einer allegorischen Darstellung einer »antiken Tafel, woraus das Moderne, oder die Mode vertrieben«. De Lairesse, Mahler-Buch, I/3, 40.

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zwischen verfaulenden Pflanzen und den Pilzen sei, war Grund dafür, dass der Pilz bereits bei antiken Autoren zum Symbol schlechthin für die biologische Urzeugungslehre, die Abiogenese43, avancierte und einen klassifikatorisch wenig festlegbaren Bereich zwischen unbelebtem Erdreich und primitivem Organismus markierte. Das Rätsel ihres Mischwesens und die Frage, »ob es lebte oder nicht«44, war auch für Plinius d. Ä. (ca. 23–79 n. Chr.) unlösbar. Bis in die Neuzeit hinein wurde das Erscheinen von Pilzen also mit »Miasmen« (μίασμα, miasma) erklärt: Die Pilze entstünden durch schlechte Ausdünstungen der Erde oder durch faulenden Untergrund, und der Glaube an die generatio spontanea wurde durch Pilze genährt, weil man ihre Sporen vor Erfindung des Mikroskops nicht sehen konnte. Durch ihr plötzliches Auftreten nach Regenschauern waren sie für Homer Früchte der Verbindung von Himmel und Erde. In Adam Lonicers Kreuter-Buch (1557) finden wir deshalb den Eintrag, dass bestimmte Pilze »Schwämme der Götterkinder« seien, weil sie ohne einen Samen wüchsen, daher würden sie auch »von den Poeten Gygenais [sic] oder terra nati [Kinder der Erde] genannt«. Zugleich aber sei es »die Natur aller Schwämme zu bedrängen« und hervorzuquellen; sie seien »kalter, phlegmatischer, feuchter und roher Natur«.45 In einem ungefähr 1655 entstandenen sottobosco von Otto Marseus beispielsweise, das der kleinen Tafel von Lachtropius in der Auswahl seiner Spezimen ähnelt und zudem in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Gemälde steht, das Marseus später an den Florentiner Großherzog Cosimo III. verkaufte, finden wir genügend Ahnlehnungen an die sexualisierten Diskurse der zeitgenössischen medizinischen und naturhistorischen Literatur.46 Vor allem Adriaen de Jonghes alias Hadrianus Junius’ Phalli, ex fungorum genere in Hollandiae, 1564 verfasst und 1601 noch einmal aufgelegt – im übrigen das erste Traktat, das einer einzigen Spezies der Fungi gewidmet worden war –, gibt Aufschluss über den Stand der derzeitigen Diskussionen. Der beigefügte Holzschnitt stammt von niemand Geringerem als Maerten van Heemskerck (1498–1574) (»cuius viri iconum celebritas eodum quo orbis terrarum termino clauditur«47); auch ein brieflicher Austausch mit Johannes Sambucus (1531–1584) zum Thema wird erwähnt. Junius beginnt charakteristischerweise mit einer kurzen Lobpreisung der generativen Kräfte der Mutter Erde, deren Fruchtbarkeit einen 43 44 45

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Begriff eingeführt von Thomas Henry Huxley, siehe The Scientific Memoirs of Thomas Henry Huxley, hg. v. Michael Foster, 5 Bde., London 1898–1903, III, 572–594. Zu Pilzen bei Plinius siehe N.H. XIX, 36–38, und XXII, 92–99. So z. B. in Galens De simplicium medicamentorum und De probis pravisque alimentorum succis, wo Pilzen unter den Nahrungsmitteln der »kälteste und dickste Saft« zugeschrieben wird. Vgl. im Gegensatz dazu die heiß-trockene Natur der Distel, die zur gleichen Zeit auf den Bildern Van Schriecks auftaucht. Lonicer spricht von »Gygenais«, der korrekte Begriff wäre jedoch »Gägenneis«. Den Hinweis verdanke ich Gerhard Zimmer. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. BI.22. »Das Bild zeigt Ähnlichkeiten zum ersten datierten sottobosco in Florenz, Galleria degli Uffizi (Kat.-Nr. BI.17). Diese Schaffensphase beeindruckte auch (…) Paolo Porpora nachhaltig«. Ebd., 121. Nach Hildebrecht ist es zugleich »an important precedent both in subject matter and style for the Braunschweig picture dated 1663«. Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck, 205. Hadrianus Junius, Phalli, ex fungorum genere in Hollandiae, Delft 1564, 6. Die ersten drei Pilzbücher wurden allesamt von Niederländern verfasst: Nach Adriaen de Jonghe erschien 1601 in Antwerpen die Fungorum in Pannoniis observatorum brevis historia des Botanikers Carolus Clusius sowie 1675 das Theatrum fungorum des Pfarrers Frans van Sterbeeck.

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unerschöpflichen Vorrat natürlicher Früchte und Güter garantiere. Auch wenn manche Autoren vor der Ausbeutung der Erde, dem Verlust ihrer generativen Kräfte gewarnt hätten: Ihre Fruchtbarkeit sei dann doch größer als alle Skeptiker es hätten glauben wollen; spielerisch verwandele sie ihre Kräfte in Formen, die uns allen bekannt seien – wie Zymbeln und Becher, Mützen, Hauben oder Kappen, Finger, Haare, sie produziere ohne Unterlaß Formen, die Trauben oder Gurken ähnelten, wie Lungenflügel aussähen, die Gestalt von Sternen oder Pinseln annähmen. Die Schöpfung sei also bei weitem nicht abgeschlossen im Sinne eines an den Schöpfungstagen festgelegten Quantums, das über die Zeit vergehen müsse: Vielmehr bringe die Erde die Formen immer wieder aufs Neue hervor, wobei die gütige Einschränkung gelte, dass die Samen giftiger Pflanzen beispielsweise wesentlich kurzlebiger seien als die anderer Lebewesen. Als Beispiel zieht Junius eine Sorte von Fungus heran, die in den Niederlanden bislang unter dem Namen unger eijeren, d. i. Eier der bösen Geister, bekannt gewesen sei, ihn jedoch so sehr an einen Phallus oder Ithyphallus erinnere48, dass er den Pilz kurzerhand umbenannt habe. Die Ähnlichkeit sei im Sinne der ludi Naturae verblüffend gelungen. Das Wachstum dieser Kreatur, über deren taxinomia sich Junius bis zuletzt nicht sicher ist, beginnt zuerst als weißer, mit zäher Flüssigkeit (succus) gefüllter Ball bzw. als Ei. Erst später, nach längerer Erwärmung breche die runde Hülle auf, um jenen Stiel zu entlassen, der dem männlichen Genital ähnele. Die Begleitumstände der Entdeckung werden entsprechend in Szene gesetzt. Ein wegen seiner krummen Beine an Vulcanus erinnernder Wagenfahrer nämlich hatte den Phallus impudicus erstmals in den Sanddünen gefunden und den holländischen Gelehrten zu jenem aufsehenerregenden »miraculum et spectaculum Naturae« geführt. Und auch wenn der Standort – eine Dünenlandschaft – nicht unbedingt mit den antiken Beschreibungen nasskalter Bodenbeschaffenheiten zusammenging: Junius fühlt beim Brechen und Aufheben des Fungus die Schwere und Kälte der Frucht in seiner Hand (»penetrabilis frigoris sensum adferat«49) und erstaunt sich über die daraufhin eintretende Verwandlung. Die weiße Kugel rötet sich leicht und erscheint jetzt wie eine mit Äderchen durchzogene Haut, eine Verlebendigung, die selbst der aufgeklärte Humanist Junius nur »magisch« nennen kann.50 Bis zuletzt bleibt ihm der Vorgang ihrer Entstehung unerklärlich: Von einem vergleichbaren, jedoch in Jagdgründen beheimateten Pilz will der Volksglauben wissen, er sei aus dem auf den Boden tropfenden Samen brünstigen Wilds entstanden. Junius mutmaßt deshalb, dass der in der Paarungszeit verstreute und in den Dünensand dringende Samen der vielen Hasen für die Entstehung der Phalli verantwortlich sei. Die Erde hätte dann die Aufgabe einer natürlichen Matritze übernommen und die verschwendete generative Kraft der Tiere in niedrigeren Lebensformen aufgefangen. Es ist ziemlich klar, dass 48 49 50

Hadrianus bezieht sich hier auf die antike griechische »Phallologia«, d.i. eine Prozession, bei der ein hölzerner Phallus (»Ithyphallus«) mitgeführt wurde, vgl. Junius, Phalli, 8: »Quamobrem verò nomen Phallo dederim, facilis explicatu ratio est (…).« Junius, Phalli, 7. Ebd.: »Ea vbi prim¯u scrobe reuellitur, pallidor est, mox paulatim purpurascit, intercurrentibus sparsim venulis quibusdam sanguineis (…).«

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8a | Maerten van Heemskerck,

»Phallus impudicus«, in Adriaen de Jonghe (Hadrianus Junius), Phalli, ex fungorum genere in Hollandiae, Delft 1601 (1564).

8b | Werkstatt Ulisse Aldrovandi,

Fungi Priapei, in Album 6a, fol. 135, Biblioteca Universitaria, Bologna.

ein Genuß dieses Nahrungsmittels, des Phallus impudicus, die Potenz nur wieder weitergibt. Kommen wir noch einmal auf die Beobachtung zurück, dass das Genre des sottobosco ein feuchtkaltes Klima heraufbeschwört und eine ganze Reihe früher Beispiele Fungi zeigen. Man könnte an dieser Stelle auf die wachsende Anzahl verschiedener Sorten in Otto Marseus’ Darstellungen verweisen und darauf, dass sich neben ihnen schon bald andere chthonische, erdenschwere Lebewesen wie Eidechse, Kröte und Schlange in neuen Narrativen einfinden. Das Genre wird immer raffinierter ausgebaut bzw. collagenhaft

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erweitert. Die Vielfalt der Fungi beispielsweise entfaltet sich bei Van Schrieck jetzt bouquetartig auf der Leinwandfläche, das heißt dicht gedrängt und in unnatürlicher Zusammenstellung: Niemals würde man all diese Sorten am selben Standort und zur selben Zeit antreffen. Regelmäßig erscheint ein Schmetterling am oberen Bildrand oder wird – das entwickelt sich zu einem Leitmotiv, fast zum eigentlichen Bildsujet – von den Tieren der Niederwelt herabgezogen und bedroht. In Marseus’ Schweriner51 Bild einer fetten Kröte beispielsweise, die gerade aus einem Erdloch kriecht, übernimmt das dick aufgetragene Pigment die Aufgabe einer generativen Matritze, aus der die Kreatur nicht nur im übertragenen Sinn hervorgeht. Die Darstellung erinnert an Beschreibungen in den Naturhistorien des 17. Jahrhunderts, wo man gerne

9 | Naturabguss einer Kröte, wahrscheinlich als Tintenfass verwendet, Padua, Anfang 16. Jh.,

Bronze, H. 8.5 cm, Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer, Inv.-Nr. KK 5938. 10a | Detail aus 10.

Plinius zitierte, der der Meinung war, dass sich Frösche im Winter in Schleim auflösten und erst wieder im Sommer ihre Form zurückgewännen; oder Aelian (ca. 170–ca. 222), der auf einer Reise nach Neapel Frösche gesehen haben wollte, deren vorderer Teil sich bewegte, während der hintere ungeformt war und wie schlammige Erde zerrann; sowie Ovid (43 v. Chr.–ca. 17 n. Chr.), der in den Metamorphosen entsprechende Strophen auf die unfertige Natur der Amphibien verfasste: »altera pars vivit, rudis est pars altera tellus.«52

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Die vielen Ankäufe von sottobosco-Gemälden für das Schweriner Schloss fallen unter die Regentschaft Herzogs Christian Ludwig II., der westlich des Alten Schlosses eine Bildergalerie anbauen ließ. Spätestens seit 1752 beherbergte diese in zwei Geschossen einen großen Teil der Gemäldesammlung, vgl. Gero Seelig, »Zur Baugeschichte der Bildergalerie am alten Schloss in Schwerin«, in: Mecklenburgische Jahrbücher 122 (2007), 141–158. Ein im römischen Kunsthandel befindliches und Mathias Withoos zugeschriebenes Gemälde (Öl auf Leinwand, 101 × 80,5 cm) zitiert Marseus’ Schweriner Kröte ebenso wie seine in Schwerin befindliche Darstellung eines Aaronstabs (Abbildung in: Bocchi, Pittori di natura morta, 57 [Fig. MW.6]). Plinius, N.H. IX, 158: »Es ist auch merkwürdig, dass sie, wenn sie ½ Jahr alt sind, sich in Schlamm auflösen, ohne dass es Jemand sieht, und wiederum im Frühlingswasser sich ebenso beleben, wie sie zuvor waren. Die Natur muss daher hierbei stets sehr geheimnisvoll zu Werke gehen, da dies

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10 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Kröte und Blauer Winde, signiert und datiert

O. MARSEUS. D S 1660, Öl auf Leinwand, 53.7 × 68 cm, Staatliches Museum Schwerin, Inv.-Nr. 154.

doch alle Jahre erfolgt«. Vgl. ebd. auch die Entstehung von Mäusen (ebd. IX, 179): »Allein dergleichen wird durch die Überschwemmung des Nils, welche alles an Wunderkraft übertrifft, glaubwürdig; denn, wenn er das Land wieder verlässt, so findet man kleine Mäuse, deren Erzeugung aus Wasser und Erde eben begonnen hat, indem sie an einem Theile des Körpers schon leben, während das Übrige noch aus Erde besteht«; zu Ovid: Met. XV, 375. Vgl. Edward Topsell, History of Four-Footed Beasts and Serpents, London 1658, 718–719: »Aelianus saith, that as he travailed out of Italy into Naples, he saw divers Frogs by the way (…), whose fore-parts and head did move and creep, but their hinder-parts was unformed and like to the slime of the earth, which caused Ovid to write thus: (…) ›Durt hat his seed ingendring Frogs full green, Yet so as feetlesse without legs on earth they lie, So as a wonder unto passengers is seen, One part hath life, the other earth full dead is nye.‹« Eine ähnliche Passage auch bei Sextus Empiricus, Pyrr. hyp. I, 41. Für Plinius ist es auch der Grund, warum der Salamander nur nach einem Regenschauer auftaucht (Plinius, N.H. X, 188). Zur generativen Kraft von Regenwasser vgl. ebd. XXXI, 95; Lukrez, De rer. nat. II, 871–873; Aristoteles, H.A. 569 a 13–18, und ebd., 570 a 10. Ovid zufolge konnte aus Wasserdampf nahezu alles entstehen und Plinius beschrieb die spontane Zeugung der Insekten z. B. aus feuchter Höhlenluft (wir erinnern uns, dass Marseus’ Bruder Evaert Grottenmaler war). Lukrez, der seit seiner Widerentdeckung im späten 15. Jahrundert zu einem der meistgelesensten Autoren avancierte, berichtete, dass Fliegen aus menschlichen Leichen herauswachsen würden; ähnliche Beschreibungen gibt es von der Entstehung von Kleinstlebewesen aus verfaulendem Fleisch, vor allem von Ochsen.

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Otto Marseus’ Darstellung ist in vielerlei Hinsicht aufschlußreich: Nicht nur die Kröte, sondern auch die in ihrer Pracht und Schönheit kontrapunktisch eingesetzte Blaue Winde strotzt vor protrudierender Kraft.53 Die Blüten zeigen alle Stadien des Aufblühens und Vergehens, sie werden wie Schirme auf- und zugeklappt. Dazwischen flatterten einmal mit schillernden (weil abgedrückten) Flügeln zwei Schmetterlinge, während ein dritter zur Beute der Kröte geworden ist. Diese fasziniert in ihrer Hässlichkeit; sie erscheint mit der Aggression des zähen Phlegmas auf der Bildfläche – langsam gerinnt sie zur Form. Anders verhält es sich mit der Wühlmaus, der schon seit der Antike nachgesagt wurde, dass sie aus dem Staub, aus dem Nichts entsteht, sie ist ebenfalls der Erde zugeordnet, nur eben schon einer trockeneren.54 Mit beiden wird die Magie einer Schöpfung beschworen, die in der schweren Materie beginnt, sich aus ihr hervorarbeitet und bis zum ätherischen Gebilde aufsteigen kann. Die Modifizierungen der Form, die dabei entstehen können, werden allein schon an den verschiedenen Stadien der Schmetterlinge deutlich, die als Raupe und fliegendes Insekt dargestellt sind, und zwar derselben Spezies.55 Vergleichbar mit den Windenblüten und ihren unterschiedlich geöffneten Zuständen, die auch verschiedene Grade von Sichtbarkeit implizieren, gibt sich hier erneut ein Interesse an metamorphotischen Übergängen zu erkennen. Das ist keineswegs selbstverständlich, ich komme später darauf zurück, denn der sottobosco hat sich als Genre seit seiner Entstehung in Rom verändert (er ist weitgehend experimentell geworden, er hat auf die naturhistorischen Diskussionen der Zeit reagiert, sich aktiv an ihnen beteiligt). Jetzt sei nur gesagt, dass die transistorischen Momente, in denen sich eine Lebensform von einer anderen ablöst, nicht zuletzt auf die verschiedenen Realisierungsgrade übergreifen können, mit denen auf dem Bildfeld die Naturgegenstände in ihren Farben und Formen entfaltet werden können. Hier die Beispiele: Marseus hat Moos gestempelt und gewischt, Schmetterlingsflügel sowohl abgeklatscht wie gemalt. Indexikalischer Naturabdruck und artifizielle Imitation, Natur und Kunst sind faktisch miteinander verbunden. Zur Entstehungszeit und kurz danach, als 53

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Die Blaue Winde wurde von De Lairesse in seinem Groot schilderboek von 1707 als Symbol von »Standhafftigkeit« eingesetzt: »Convulvulus &c. (Winde) die Standhafftigkeit«. De Lairesse, Mahler-Buch, XII/5, 387. »Convulvulus, enz. standvastigheid«. De Lairesse, Groot schilderboek, XII/5, 362. Die Erklärungen der Entstehung von Mäusen können variieren. Aristoteles und Aelian berichten von der spontanen Befruchtung weiblicher Mäuse durch das Lecken von Salz (Aristoteles, H.A. 580 b 32; Aelian, De nat. anim. IX, 3); bei Plinius genügt ein gegenseitiges Lecken des Fells: »Generatio eorum lambendo constare, non coitu, dicitur« (Plinius, N.H. X, 185), während eine andere Art seiner Meinung nach aus den Elementen von Wasser und Erde hervorgeht, sobald das Wasser verdunstet. Ebd. IX, 179. Isidorus (Orig. XII, 3, I) glaubt, dass alle Mäuse aus trocknendem Schlick hervorgehen. Ähnlich Sir Thomas Browne (1605–1682), der Fäulnis für die Entstehung von Mäusen verantwortlich macht, die er temporariae nennt, weil sie bald wieder sterben müssen. In: The Works of Sir Thomas Browne, hg. v. Henry G. Bohn, 3 Bde., London 1835–1836, I, 289. Auch der niederländische Alchemist und Mediziner Johannes Baptista van Helmont (1579–1644) offerierte ein Rezept zur künstlichen Generierung von Mäusen: »If a dirty shirt is stuffed into the mouth of a vessel containing wheat, within a few days, say 21, the ferment produced by the shirt, modified by the smell of the grain, tranforms the wheat itself, encased in its husk, into mice«. Nach Louis Pasteur: Oeuvres de Pasteur, Paris 1922–1939, II, 328. Nach Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck, 224.

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die squamulae der Schmetterlingsflügel noch nicht abgefallen und verblasst waren, hätte man kaum zwischen dem ultramarinen Pigment der Blütenblätter und den glänzenden Schuppen der Schmetterlingsflügel unterscheiden können. Beide erscheinen als leuchtende Farbflecke auf Picturas Acker, von dem Cornelis de Bie und Houbraken ja schon gesprochen hatten.56

SCALA NATURAE Was aber kann es für ein Lebewesen – eine Pflanze, ein Tier, einen Mensch – bedeuten, »langsam an Form zu gewinnen«? Die Schmetterlinge ebenso wie die blauen Blüten des Convulvulus werden in verschiedenen Graden der Vollkommenheit gezeigt, und das heißt: in verschiedenen Graden ihrer formalen Entfaltung. Lässt sich hier ein gemeinsames kunst- und naturtheoretisches Programm ausmachen? Der im 17. Jahrhundert virulent werdende Gedanke einer Metamorphose der Lebensformen zeigt, dass es innerhalb der eigenen Spezies Stufen der Perfektion gibt. Dem geht der Gedanke einer Stufenleiter des Seins voraus, in der jede Spezies und jede Gattung zwar einen festen Platz innerhalb eines hierarchischen Wertesystems einnimmt, dessen Kriterium aber ebenfalls das der formalen Komplexität und Vollkommenheit ist. Das System umfasst so unterschiedliche Naturformen wie, sagen wir: Kröte und Schmetterling, braune Erde und Blaue Winde, und die dazwischen auftretenden Spannungen sind als Steigerungsmöglichkeiten zu verstehen: Die Skala drückt eine Gradation zunehmend vollkommener werdender Formen und Vermögen aus. Denn ihre Ordnung ist sowohl eine hierarchische als auch enkaptische Stufenordnung – die jeweils niederen Vermögen sind in den mit den höheren Vermögen ausgestatteten Wesen mitenthalten, als höhere aber durch ein Novum charakterisiert.57 Die Einteilung der Natur in eine solche scala naturae, wie sie noch das 17. Jahrhundert kennt, hat eine lange Vorgeschichte. Sie soll im weiteren vorgestellt werden, denn die darin versammelten Argumente sind weiterhin zentraler Bestandteil einer barocken Kunsttheorie, die die

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Nicht zuletzt stellt sich so die Frage nach der Nähe oder Entferntheit mimetischer Malerei von der Wirklichkeit. Dies ist eine zentrale Fragestellung innerhalb der frühneuzeitlichen ästhetischen Diskussion. Sie geht von Platons bekannter Stelle im 10. Buch der Politeia aus, derzufolge die nachahmenden Schöpfungen der Malerei sich von der Wirklichkeit am weitesten entfernt hätten, und wird wohl am ausführlichsten in Gregorio Comaninis 1591 erschienenem Traktat Il Figino, overo del fine della pittura besprochen. Platon hatte am Beispiel des Bettgestells zwischen drei Wirklichkeitsgraden unterschieden: dem der Idee des Betts, dem seiner materiellen Ausführung durch einen Tischler sowie dem gemalten Abbild seiner Erscheinung, und daraus den Schluss gezogen. »Gar weit also von der Wahrheit ist die Nachbildnerei« (Platon, Pol., 598b). Comanini hatte dasselbe Problem am Beispiel eines Zaumzeugs diskutiert, das 1) als Funktion oder Idee existiert, 2) als ein Gegenstand, der dieser Funktion entspricht, oder 3) als sein gemaltes Abbild, d. h. als Repräsentation. Daran anschließend diskutiert Comanini die Aufgabe der Malerei, möglichst perfekt zu imitieren, und er wirft dabei die Frage nach der eigentlichen Referentialität der Imitation auf. Vgl. Hans Werner Ingensiep, Geschichte der Pflanzenseele. Philosophische und biologische Entwürfe von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart 2001, 43.

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Formschaffung der Maler in Analogie zur Formproduktion in der Natur setzt und somit eine Ästhetik des Bildfelds etabliert. Aristoteles war ein leidenschaftlicher Beobachter der Natur gewesen und darin vorbildhaft für das erwachende Interesse der Frühen Neuzeit am Naturstudium. Er und Theophrast (ca. 371–287 v. Chr) hatten an der Akademie den kosmologischen Ausführungen Platons (429–347 v. Chr.) beigewohnt und ihre eigenen Untersuchungen systematisierend darauf aufgebaut. Verglichen mit den Meinungen des Lehrers hinsichtlich der Physik und Natur der Dinge gab es viele Übereinstimmungen und einige entscheidende Abweichungen. Zum einen war Platon den empirischen Wissenschaften gegenüber skeptisch eingestellt. Seine Ideenlehre verweilte nicht bei der sinnlichen Wahrnehmung, die nur Auskunft über eine Welt des Partikulären geben konnte, auch wenn er der wissenschaftlichen Observation einen gewissen Stellenwert einräumte, weil sie uns ein modellhaftes Bild des »Schönsten alles Gewordenen«58 (und damit eine Vorstellung der intelligiblen Ordnung ante rem) vermittle. Platon berief sich größtenteils auf ältere Quellen, v. a. der Atomisten, um beispielsweise die Grundeinheiten der materiellen Substanz zu erklären oder physiologische Zusammenhänge darzulegen59; doch obwohl seine Naturphilosophie nachhaltig gewirkt hat, ist er als Biologe nicht hervorgetreten. In erster Linie lag ihm an einer Mathematisierung

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Platon, Tim. 29 a 5–b 1: »Denn sie ist das Schönste alles Gewordenen. (…) So also entstanden, ist sie nach dem durch Nachdenken und Vernunft zu Erfassenden und stets sich Gleichbleibenden auferbaut; da sich aber dies so verhält, ist es durchaus notwendig, dass diese Welt von etwas ein Abbild sei.« Zu Platons Wertschätzung des Gesichtssinns und der sinnlichen Erscheinung als Modell einer intelligiblen Ordnung siehe Tim. 47 a–b: »Meiner Ansicht nach ist die Sehkraft uns die Ursache des größten Gewinns, da ja wohl von den jetzt über das Weltganze angestellten Betrachtungen keine stattgefunden hätte, wenn wir weder die Sonne, noch die Sterne noch den Himmel erblickten. Nun aber haben der Anblick von Tag und Nacht, der der Monate und der Jahre Kreislauf die Zahl erzeugt und den Begriff der Zeit sowie die Untersuchungen über die Natur des Alls uns übermittelt. Und hieraus haben wir uns verschafft das Wesen der Philosophie, als welches ein größeres Gut weder kam noch jemals kommen wird dem sterblichen Geschlecht als Geschenk von den Göttern«; zu seiner Skepsis der sinnlichen Wahrnehmung als Erkenntniswerkzeug gegenüber vgl. dagegen Pol. 523 b 3–4 oder Phaid. 65 b 1–6: »Wann also trifft die Seele die Wahrheit? Denn wenn sie mit dem Leibe versucht, etwas zu betrachten, dann offenbar wird sie von diesem hintergangen. – Richtig.« Im Philebos wird Platon die »Notwendigkeit, auch unreinere Erkenntnissse zur Mischung zuzulassen« anerkennen (Phil., 62 a 2). Zur Unterscheidung zwischen einer Welt ewiger Formen, von der wir Modelle und Abbilder erhalten, und einer Welt des Entstehens und Vergehens (bzw. der Rolle von Verstand und Sinneswahrnehmung) vgl. Tim. 27 d 6–28 a 4: »Zuerst nun haben wir (…) dies zu unterscheiden: was ist das stets Seiende, das Entstehen nicht an sich hat, und was das stets Werdende, aber niemals Seiende; das eine, stets gemäß demselben Seiende ist durch Vernunft mit Denken zu erfassen, das andere dagegen durch Vorstellung vermittels vernunftloser Sinneswahrnehmung vorstellbar, als entstehend und vergehend, nie aber wirklich seiend.« Wenngleich mit originellen Einschüben, siehe Geoffrey Ernest Richard Lloyd, »Plato as a Natural Scientist«, in: The Journal of Hellenic Studies 88 (1968), 78–92. Außerdem: Alfred North Whitehead, »Platonism and the History of Science«, in: Proceedings of the American Philosophical Society 66 (1927), 159–182; Francis MacDonald Cornford, Plato’s Cosmology. The Timaeus of Plato, London 1937; Benjamin Farringon, Greek Science. Its Meaning to Us, Harmondsworth 1961 [1944]; Robert S. Brumbaugh, »Plato and the History of Science«, in: Studium Generale 16 (1961), 520–527.

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und Abstrahierung der Wissenschaften, in seiner Hinwendung zum empirischen Wissen unterschied sich der jüngere Aristoteles also fundamental von seinem Lehrer. Andererseits hatte Platon auf dem Gebiet der Zoologie erste Klassifizierungsversuche mittels dichotomischer Unterscheidungskriterien eingeleitet und eine Skala der Lebendigkeit aufgestellt, derzufolge sich Lebewesen nach den Graden ihrer Bewegtheit in einer Seinsordnung staffeln ließen.60 Eine scala naturae war aber auch schon im vorsokratischen Denken ansatzweise vorhanden, und zwar richtete sie sich nach dem Grad der Vollkommenheit, den ein Lebewesen bei der Geburt erreicht hatte, und das heißt, nach dem Grad der Ähnlichkeit der Nachkommen mit den Eltern. Für eine Mimesis- und Formentheorie wird dieses Kriterium sehr wichtig werden. Säugetiere, die »ihnen selber ähnliche Jungen« zur Welt brächten, wird Aristoteles später wiederholend schreiben, verfügten über ein größeres mimetisches Vermögen als zum Beispiel Seetiere oder Vögel, die nur Eier ablägen.61 Es gibt also bei Empedokles (ca. 495–435 v. Chr.) und anderen erste Andeutungen einer Stufenleiter des Lebens, die mit der Perfektion von Form zu tun hat. Zudem hatten die Vorsokratiker eine Einteilung des Naturreichs in Pflanzen, Tiere und den Menschen gekannt. Ihre Unterscheidungskriterien entsprachen den vier biologischen Funktionen der Wahrnehmung, Atmung, Ernährung und Fortpflanzung. Aristoteles wird ihnen darin teilweise folgen. Empedokles aber sprach auch den Tieren und Pflanzen die Fähigkeit zur aisthesis (αı’´σθησις) zu, d. h. zur Fähigkeit, Lust und Schmerz – wie Sehnsucht, Trauer, Freude – zu empfinden.62 An einer Stelle ging er sogar soweit zu sagen, dass sie Denkfähigkeit besäßen, weil er wie auch »Parmenides und Demokrit das Denkvermögen und die Seele für ein und dasselbe«63 hielt. »Denn wisse nur: alles hat Vernunft und Anteil am Denken«, heißt es in einem Fragment des Empedokles.64 Solche Einschätzungen änderten sich in der Folge, aber das ist

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V. a. in Sophistes und Politeia. Aristoteles, G.A. 732 a 25–733 b 16. Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968, 239: »Für beseelt, ja vernunftbegabt, hat Empedokles nur alle organischen Wesen gehalten, freilich einschließlich der Pflanzen, denen er nicht nur Empfindung und Gefühl, wie Sehnsucht, Trauer und Freude, sondern auch Denkvermögen zuschrieb«. Vgl. Pseudo-Aristoteles, Von den Pflanzen, I 1. 815 a 15; in: Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch von Hermann Diels, hg. v. Walther Kranz, Berlin 1934– 1935, unter 31 A 70. Zur Beseeltheit der Pflanzen bei Empedokles siehe außerdem Ingensiep, Pflanzenseele, 5–13 (»Die Pflanze in der Philosophie des Empedokles«). Aetius IV 5,12 (= Kranz, Vorsokratiker, 31 A 96). Vgl. ders. IV 5,8 (= Kranz, Vorsokratiker, 31 A 97): »Nach Empedokles hat die Vernunft ihren Sitz in der Zusammensetzung des Blutes«; Theophrast, De sens. 10 (= Kranz, Vorsokratiker, 31 A 86 [als Meinung des Empedokles]): »Daher denken wir auch vor allem mit dem Blut. Denn in diesem seien am meisten die Elemente gemischt.« Ebd., Fragment 110, 10. Vgl. auch Sextus Empiricus’ irritierte Äußerung: »Noch befremdlicher glaubte Empedokles, dass alle Wesen vernunftbegabt wären, nicht nur die Tiere, sondern auch die Pflanzen.« Ebd., Fragment VIII 289. Neben den elementar-materiellen Aspekten seiner Kosmogonie entwickelt Empedokles hier also auch die Vorstellung einer allen Lebewesen inhärenten Biopsyche, vgl. Ingensiep, Pflanzenseele, 6: »Diese Fragmente belegen, dass Empedokles’ Begriff von Seele einen universalen Umfang zu haben scheint.«

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nicht das entscheidend neue Moment in der späteren Klassifikationslehre.65 Vielmehr besteht es darin, dass die ehemals rein biologisch gedachten Funktionen aus dem Bereich der physis (φύσις) in den der psyche (ψυχή), d. h. der Seelenkunde überwechselten. Dazu musste erst ein Abstand zu den Interessen der Vorsokratiker gewonnen werden, die nach dem stofflichen Urgrund der Dinge und den Gesetzen ihres Entstehens und Vergehens fragten und sie einer immanenten Bewegung (der Verdichtung, Verdünnung etc.) zuschrieben, ohne auf ein zweites, dem Stoff gegenüberstehendes belebendes und ordnendes Prinzip einzugehen. Damit es dazu kommen konnte, bedurfte es der Antwort Platons auf das System der Vorsokratiker. Sie bestand darin, sich zunächst weniger um eine Einteilung der Lebewesen als um die innere Konstitution des Menschen zu kümmern und eine ethische Fragestellung daran anzuknüpfen. Platon ging es um verschiedene Modalitäten des menschlichen Verhaltens, das ihm zufolge entweder einem rationalen, seelischen oder einem begehrenden Seelenvermögen (logistikon, λογιστικόν; thymoeides, θυμοειδεσ ´ ; epithymetikon, επιθυμητικóν) unterstehen konnte. Sie hatten ihren Sitz in unterschiedlichen Regionen des Körpers: Der Vernunft entsprach der Kopf, der (sterblichen) Seele die Brust, und die Begierde oder der »Appetit« war zwischen Bauchnabel und Zwerchfell angesiedelt. Tatsächlich konnte sich die innere Konstitution des Menschen entsprechend ändern, d. h. »seiner Sinnesart gemäß und der in ihm erzeugten (…) Gesinnung entsprechend, stets die ähnlich beschaffene tierische Natur annehmen.«66 Im Timaios wird dies klar dargelegt. Bediente sich ein Mensch zu wenig seines Verstandes, so sank er Platon zufolge auf tiefer liegende Ebenen der Seinshierarchie ab, von denen er jedoch auch wieder aufsteigen konnte. Dabei waren Dekadenz und Aszendenz im Sinne einer morphologischen Verwandlung zu verstehen: Der Unvernünftige nahm zunächst die Form einer Frau, dann eines Vogels, eines Vierfüßlers und eines Reptils an, um zuletzt, was am schlimmsten war, zu einem Fisch, einem Seetier oder einer Muschel zu degradieren.67 »Da aber die unverständigsten unter ihnen, deren ganzer Körper der Erde zugewendet ist, der Füße nicht mehr bedürfen, erzeugten die Götter dieselben fußlos und auf dem Boden sich dahinwindend. Die vierte Gattung endlich, die der Wassertiere, entstand aus den allerunverständigsten und unwissendsten, welche die sie Umgestaltenden nicht einmal mehr eines reines Atemzuges wert achteten, weil ihre Seelen durch alle Vergehungen befleckt waren, sondern, anstatt des Einziehens 65

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Platon stellt hier noch ein Zwischenglied dar: Wie Empedokles (und im Gegensatz zu Aristoteles) schreibt er den Pflanzen Empfindungsfähigkeit (aisthesis) zu, wenngleich keine Denkfähigkeit. Das Pflanzenleben entspricht ihm zufolge der untersten, d.i. dritten Ebene des menschlichen Seelenvermögens, das sich durch Lust- und Schmerzgefühl sowie durch die Begierde zur bzw. Ablehnung von Nahrungsaufnahme auszeichnet (Tim. 76 e 7–77 c 4 [»Die Natur der Pflanzen«]), vgl. J. B. Skemp, »Plants in Plato’s Timaeus«, in: The Classical Quarterly 41/1–2 (1947), 53–60. In De anima wird Aristoteles eine ähnlich anthropozentrische Haltung einnehmen und wie Platon die Pflanzenssele als das unterste (d.i. vegetative oder nutritive) Seelenvermögen des Menschen klassifizieren. Platon, Tim. 42 c. Platon, Tim. 90 e, 91 d–92 c. Hierin folgt er in gewisser Weise Empedokles: »Ich war ja einst schon Knabe, Mädchen, Strauch, Vogel und aus dem Meere emportauchender stummer Fisch«. Kranz, Vorsokratiker, Fragment 117.

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der reinen und feinen Luft, zu dem Einatmen des schlammigen und schweren Wassers herabstießen. Daher entstanden der Schwarm der Fische sowie der Schaltiere und alles, was sonst im Wasser lebt, denen zur Buße der tiefsten Unwissenheit der am tiefsten gelegene Aufenthalt anheimfiel. Dieses alles führte nun damals und führt noch jetzt, vermöge des Erlangens und Einbüßens des Unverstandes und Verstandes, den wechselnden Übergang der Tierarten ineinander herbei.«68 Im dem Lebenden in seiner Gesamtheit gewidmeten Kapitel seines Timaios entwickelte Platon den Gedanken der »Pflege der Seele«69. Die Psyche konnte im Naturreich aufsteigen und fallen. Hier gab es eine Nähe zur Lehre der Vorsokratiker, derzufolge sich Seelenwanderungen als Metamorphosen im Naturreich äußerten: »Unter den Tieren werden sie zu Löwen, die in den Bergen hausen und auf der nackten Erde lagern, unter den schön belaubten Bäumen aber zum Lorbeer. (…) Zuletzt aber werden sie zu Sehern, Sängern und Ärzten und Führern unter den erdbewohnenden Menschen, und von da wachsen sie empor zu Göttern, an Ehren Reichsten.«70 In Auseinandersetzung mit der sophistischen Anthropologie entwickelten Sokrates und schließlich Platon ein neues Bild vom Menschen, von dessen Seele sowie von seiner Bestimmung und Stellung in der Natur. Was der Mensch ist und sein soll, wurde auf die nur ihm eigentümliche Seelennatur bzw. auf das Verhältnis seiner Seelenordnung zur Ordnung des beseelten Kosmos im Ganzen zurückgeführt. Die vernünftige Menschenseele, die das Wahre, Schöne und Gute zu erfassen vermag, ihre Stofflosigkeit, Unveränderlichkeit und Ewigkeit wurde zum Kennzeichen eines Wesens, das sich einerseits gegen die »Natur« der Tiere, andererseits gegen das Göttliche abzugrenzen versucht und doch Anteil an beidem hat. Auch Platon bezog sich also auf verschiedene Seelenzustände, wenn er von »Pflanzen« im Gegensatz zu »Tieren« sprach, aber seine scala war mehr eine ethische als eine biologische. Sie wird in eine Staatslehre eingebettet: Der vegetative bzw. begehrende Seelenteil (επιθυμητικóν, epithymetikon) wird mit dem dritten Stand, den Bauern und Feldarbeitern, gleichgesetzt – eine Verknüpfung, die für eine frühneuzeitliche Ästhetik des Bildfelds wichtig werden wird. Der dritte Stand stellt einen Ort des Nutzens (der Artenerhaltung, Fortpflanzung und Reproduktion) dar und damit eine unterste Stufe der Kulturalisierung von Natur.71

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70 71

Platon, Tim. 90 e, 91 d–92 c. Platon, Tim. 89 d. Vgl. Ingensiep, Pflanzenseele, 26–27. Hierbei handelt es sich um eine positive Deutung von »Begehren«: Demnach »könnte bei der Pflanze eine Art von Willensempfindung ihre Erhaltung gewährleisten (…): Nach dieser biologischen Deutung würde der Pflanze ein ihr eigentümliches, lebensförderliches Empfindungsleben zukommen, wenngleich auf niedrigster Seelenstufe.« Ebd., 34. »Trifft diese ›biologische‹ Deutung der Pflanzenseele zu, ist es nicht Aristoteles, sondern Platon, der die universalen, ethischen Momente von ihr trennt und sie einer ethisch neutralen scala naturae, auch um der Menschen willen, zuführt«. Ebd., 35. Kranz, Vorsokratiker, Fragment 127 und Fragment 146. Vgl. Skemp, »Plants«; Friedrich Solmsen, »Antecedents of Aristotle’s Psychology and Scale of Beings«, in: The American Journal of Philology 76/2 (1955), 160–161. Platon unterschied noch nicht zwischen einzelnen Tierarten, sondern behandelte sie als Gesamtheit. Im Unterschied dazu widmete die peripatetische Schule ihre Untersuchungen hauptsächlich den differentiae einzelner Arten und Gattungen.

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Nur in diesem Zusammenhang konnten Naturstudien zum Beispiel zur Wahrnehmung und Ernährung zum Thema der Akademie werden. In Platons Theaitetos mehr noch als in seinem Timaios ist die visuelle Wahrnehmung bereits mit einer inneren Seelenbewegung verbunden, wenngleich er die vorsokratische Vorstellung zu widerlegen sucht, dass Wahrnehmung bereits Erkenntnis sei72, und aisthesis gerät zur Schwelle zwischen den inneren und äußeren Vermögen des Menschen. Dies ist entscheidend für die weitere Bewertung des Zusammenhangs von Körper und Seele. Platons Trennung von Idee und Erscheinung (χωρισμός, chorismos) ist bekannt genug, aber im Timaios spricht er von seelischen Vorgängen in enger Verbindung zu physiologischen im Sinne einer Teilhabe (μέθεξις, methexis). Es ist jedoch eine Sache, eine Verbindung zwischen Wahrnehmungsorganen und Seele anzunehmen, und eine andere, die Perzeptionen selbst als Aktivitäten oder Vermögen der Seele zu verstehen. Diesen Schritt vollzog erst Aristoteles. Seine Zusammenlegung von biologischen und psychischen Funktionen führt dazu, dass Materie und Form, Körper und Geist eine untrennbare Einheit eingehen. Ich führe sein System gleich aus, nur soll schon jetzt deutlich werden, dass das Interesse an den Sinnestätigkeiten und den biologischen Funktionen der Lebewesen, wie es die Vorsokratiker gekannt hatten, von ihm in eine Seelenlehre und in eine ontologische Taxonomie überführt wurde. Damit dieser Schritt getan werden konnte, musste die sinnliche Wahrnehmung selbst eine Umwertung erfahren. Sie konnte nicht länger als mechanisch-passiver Vorgang, sondern musste vielmehr als eine aktive Tätigkeit verstanden werden.73 Diese Umwertung war revolutionär. Aristoteles setzte mit seinem eigenen biologischen Klassifikationswerk (post rem) an der vorsokratischen und platonischen Schule an, doch er distanzierte sich schnell ebenso vom Dualismus Platons wie vom Mechanismus der Atomisten. Seine naturhistorischen Studien wurden dann auch jenseits der Akademie, als er Athen bereits verlassen hatte, ausgeführt.74 72 73

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Vgl. Aristoteles, De anim. 427 a 21 (= Kranz, Vorsokratiker, 106 D): »Die alten Philosophen halten Denken und Wahrnehmen für dasselbe; in diesem Sinne hat sich auch Empedokles geäußert.« Die Vorstellung von »aktiv« und »passiv« darf nicht mit den Intra- und Extramissionsmodellen z. B. in den antiken Sehkonzepten verwechselt werden. Paradoxerweise schien Aristoteles nämlich ein Seheindruck, obwohl er vom Auge passiv empfangen wurde, eine aktive Tätigkeit (weil Aktualisierung) des Seelenvermögens zu sein. Aus diesem Grund führte er in sein Modell des visuellen Wahrnehmungsvorgangs ein als »Medium« bezeichnetes Zwischenglied ein, das den direkten Kontakt zwischen Objekt und Wahrnehmungsorgan untersagte. Die Atomisten und auch Platon hatten noch mit einem solchen Kontakt argumentiert. Für Aristoteles berühren sich Gegenstand und Auge jedoch nie; immer ist ein Medium zwischengeschaltet, das die Funktion hat, eine Aktualisierung im Sinne einer Bewegung von der Potenz (dynamis, δύναμις) zum Akt (energeia, ἐνέργεια) einzuleiten. Ingensiep, Pflanzenseele, 36: »Erst Aristoteles, der Begründer der Zoologie, bringt [die Seelenlehre] in eine Form, die sowohl in der Philosophie als auch in der Naturwissenschaft erkenntnisleitend sein sollte. (…). Bei Aristoteles wird das Wesen des Lebendigen zwar Seele genannt, aber inhaltlich neubestimmt, indem das Seelenprinzip der Selbstbewegung zum Charakteristikum des Lebensprozesses gemacht wird und das Prinzip ›Empfindung‹ nur noch ›echten Lebewesen‹ (zoa), d. h. Tieren, zuerkannt wird. Mit dem Näherrücken von Mensch und Tier und dem Abrücken der Pflanzen bricht nach Platon die innerseelische Verwandtschaft aller Lebewesen auseinander,

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Überhaupt war auf wissenschaftlichem Gebiet das Jahrhundert nach Platon epochemachend gewesen. Speusippos (410/407–ca. 338 v. Chr.), Neffe und Nachfolger Platons an der Akademie, hatte die wissenschaftliche Klassifikation von Tieren und Pflanzen vorangetrieben, aber von ihm sind nur einige Fragmente überliefert. Euklid (ca. 360–ca. 280 v. Chr.) und Archimedes (ca. 287–212 v. Chr.), Apollonios von Perge (ca. 262–ca. 190 v. Chr.), Aristarchos von Samos (ca. 310–230 v. Chr.) oder Ktesibios (285–222 v. Chr.), dessen Wasseruhr bis zur Erfindung Christiaan Huygens’ (1629–1695) im 17. Jahrhundert die genaueste Zeitmessung bot, setzten Standards in der Mathematik, Astronomie und Mechanik; mit Eratosthenes (276–196 v. Chr.) begann das Zeitalter der Geographie. Aristoteles und Theophrast starteten ihre Untersuchungen in der Zoologie und Botanik; neben Hippokrates von Kos (ca. 460–370 v. Chr.) waren es Herophilos von Chalkedon (ca. 330–ca. 255 v. Chr) und Erasistratos (ca. 305–ca. 250 v. Chr.), deren Physiologie und Anatomie für die Medizin Galens (129–ca. 200/216 n. Chr.) ausschlaggebend wurden. Umso wichtiger ist es festzustellen, dass die biologischen Sytematierungsversuche trotz älterer Anläufe erst mit Aristoteles in stringenter Weise durchgeführt wurden. Das ist der Grund, warum man sich seit dem späten 16. Jahrhundert hauptsächlich auf seine Schriften bezog, wenn es um die Aufteilung der biologischen Diversität in einzelne genera und species ging. Keine andere Naturgeschichte, auch die reichhaltigere von Plinius nicht, hatte in Gattungsfragen bis weit in das 17. Jahrhundert hinein eine solche Schlagkraft gehabt wie die aristotelische.75 Ihre drei großen zoologischen Abhandlungen De generatione animalium, De partibus animalium und Historia animalium beschäftigen sich jedoch nicht nur mit dem Bau, dem Aussehen und der Lebensweise von Tieren im Sinne einer Taxonomie, sondern auch mit Vorgängen der Zeugung und Genese von Lebewesen inklusive des Menschen.76 Zusammen mit seiner Physik und De anima gehören sie zu den von den Naturphilosophen am meisten rezipierten Schriften. Am Beispiel Sir Kenelm Digbys (1603–1665) beispielsweise werden wir später sehen, wie stark dessen Argumentation über das Verhältnis

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obgleich sie doch vordergründig durch des Aristoteles Lehre von den Seelenstufen gefestigt zu sein scheint.« Und: »Dies kann (…) geschehen, nachdem die ethisch akzentuierte platonische Lehre von den drei Seelenteilen und ihren Funktionen von Aristoteles einer fundamentalen naturgeschichtlichen Transformation unterzogen wird: der Transformation der Seele von einem vorrangig ethischen Prinzip in ein vorrangig biologisches Lebensprinzip«. Ebd., 37. Zu Plinius vgl. Wolfgang Hübner, »Der descensus als ordnendes Prinzip in der ›Naturalis historia‹ des Plinius«, in: Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit, hg. v. Christel Meier, München 2002, 25–41; Helmut Leitner, Zoologische Terminologie beim älteren Plinius, Hildesheim 1972. Zur Chronologie siehe v. a. Geoffrey Ernest Richard Lloyd, »The Development of Aristotle’s Theory of the Classification of Animals«, in: Phronesis 6/1 (1961), 59–81. Inzwischen herrscht der Konsens, dass die biologischen Schriften in Aristoteles’ »mittlerer Phase« zwischen seinen beiden Athenaufenthalten in folgender Reihenfolge entstanden: H.A. – P.A. – G.A. Zur Logik einer scala naturae, die innerhalb der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte vor allem als great chain of beings bekannt wurde, siehe den gleichnamigen Titel von Arthur O. Lovejoy, The Great Chain of Being. A Study of the History of an Idea, New York 1960; Eduard Zeller, Aristotle and the Earlier Peripatetics, 2 Bde., London 1897, I, 466ff; II, 22ff; Solmsen, »Antecedents of Aristotle’s Psychology«, 148–164.

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der Geschlechter aus De generatione animalium geschöpft hatte und wie sehr sie mit einer Seelenlehre verbunden war. Aristoteles hatte Platons Aufteilung der Seelenvermögen und ihre fehlende Konnektivität mit den biologischen Vorgängen kritisiert, weil Körper und Geist auf diese Weise nur physiologisch und nicht epistemologisch miteinander verbunden seien – die Wahrnehmungsorgane beispielsweise würden von Platon weiterhin wie etwas Fremdes behandelt, das zwar Wichtiges mitzuteilen hätte, dem aber keine eigene Untersuchung gewidmet wird. Aristoteles will dies ändern und macht den Weg zu einem wissenschaftlichen Studium biologischer Prozesse frei. Allerdings trennt er dabei das nutritive Seelenvermögen der Pflanzen von der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit der Tiere und Menschen ab. Pflanzen leben (zen, ζῆν) zwar, werden aber nicht als Lebewesen (zoa, ζώα) bezeichnet: »Wenn nun Pflanzen zwar leben, aber – nach Aristoteles anders als bei Platon – kein Bewusstsein haben, so muss zwischen beiden Aspekten eine gewisse Spannung bestehen.«77 Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass sich im Seelenvermögen der Pflanzen dafür etwas anderes ausdrückt, nämlich die unkörperliche Gestaltungskraft alles Lebendigen oder morphogenetische »Gestaltseele«, die zur Erzeugung von Gleichartigem führt und darin eine Minimaldefinition von mimesis abgibt. Demnach hat die Pflanze »Anteil am naturimmanenten, idealen Prozeß der Verähnlichung mit Gott, indem sie sich fortpflanzt. Als Individuum vergeht sie zwar wie alles Irdische, als Art aber dauert sie an, ist Schöpfung der vegetativen Seele, die die Grundlage des Lebens schlechthin ist.«78 Kommen wir damit zur aristotelischen Unterteilung: Die Rangordnung der Lebensformen und Seelenvermögen beginnt mit dem untersten – dem Nährvermögen (threptike psyche, θρεπτικὴ ψυχή) –, steigt dann auf zu den Sinnesvermögen (aisthetike psyche, αἰσθητικὴ ψυχή) und weiter bis zum Vernunftvermögen (noetike psyche, νοητικὴ ψυχή), wobei das je niedrigste Vermögen fundamentaler, weil unentbehrlich für das höhere ist und auch ohne dieses bestehen kann, aber nicht umgekehrt das höhere ohne das niedrigere. Auf diese Weise erklärt sich die Differenz zwischen vegetativem Leben und animalischem. Beide Seelenvermögen wiederum sind im Menschen vorhanden, werden aber von ihm durch seine Intelligibilität überschritten. Dass letztere bei der Zeugung von außen hinzukommt, also göttlicher Natur ist, ist nicht der einzige Verweis auf Transzendenstrukturen in der aristotelischen Lehre. Vielmehr bedeutet die Übersteigung niedriger Seinsstufen durch höhere jeweils eine Transzendierung, und man darf sich von der Vorstellung einer Stufenleiter nicht täuschen lassen – die einzelnen Ebenen sind nicht in ein Geneseverhältnis zu setzen, sondern unabhängig voneinander zu denken. Natürlich läuft eine zusammenfassende Bewegung durch diesen Bau (es gibt genera, species und individua,

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Fernando Inciarte, »Der Begriff der Seele in der Philosophie des Aristoteles«, in: Seele. Ihre Wirklichkeit, ihr Verhältnis zum Leib und zur menschlichen Person, hg. v. Klaus Kremer, Leiden & Köln 1984, 46. Ingensiep, Pflanzenseele, 47.

| 11 | 12a, b

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11 | Didacus Valades, Die Kette des Seins, in: Rhetorica Christiana, Perugia 1579, fol. 220v.

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12a | Carolus Bovillus (Charles de Bouvelles), Liber de sapiente, Paris 1510, fol. 119v.

das Sein ist wie bei Platon hierarchisch gegliedert) aber gleichzeitig muss man feststellen, dass sich die verschiedenen Lebensformen nicht ineinander überführen lassen.79 Dieser Punkt in Aristoteles’ Denken ist in der Forschung allerdings kontrovers diskutiert worden. Tatsächlich gibt es Stellen in seinen biologischen Schriften, die vom Gegenteil zeugen. Für uns ist es wichtig, diese genau zu lesen. Denn in Aristoteles’ Klassifikationsversuchen verschwimmen die Grenzen zwischen einzelnen Spezies und sogar zwischen Gattungen, sobald es sich um die Einordnung von niederen, vor allem von maritimen Lebewesen handelt. Hier gibt es Unklarheiten in der Zugehörigkeit, zum Beispiel 79

»Die Ordnung im Organischen ist also eine hierarchische und enkaptische Stufenordnung: Die jeweils niederen Vermögen sind in den mit den höheren Vermögen ausgestatteten Wesen mitenthalten, als höhere aber durch ein Novum charakterisiert. (…). Sie drückt zugleich eine Gradation zunehmend vollkommen werdender, zielstrebiger Selbstbewegungsprozesse aus, markiert Grade der Selbstverwirklichung der Seele mittels eines bestimmten Typs von ›Organismus‹«. Ebd., 43.

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12b | Carolus Bovillus (Charles de Bouvelles), Liber de sapiente, Paris 1510, fol. 120r.

Verwischungen zwischen Pflanzen- und Tierreich. Die höheren Organismen erscheinen als distinkte Substanzen in einer erkennbaren Ordnung, während die niederen Spezies diese Ordnung zunehmend kontaminieren und für Verwirrung im Klassifikationssystem sorgen.80 Aristoteles anerkennt die proteische Kraft des Meeres verschiedene Male und hält die daraus hervorgehenden Kreaturen für primitive Wesen. Formallogisch besteht die

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»Das Kontinuitätsprinzip fängt die allzu harte Abgrenzung des Anorganischen vom Organischen durch die Psyche auf und fixiert die Pflanzen in einer linearen Ordnung der Natur nach Vollkommenheitsgraden – der späteren scala naturae«. Ingensiep, Pflanzenseele, 45. »Nichtsdestoweniger darf dieses zielstrebige Fortschreiten der Natur nicht evolutionistisch, oder gar darwinistisch gedeutet werden. Nicht die Arten gehen ineinander über, sondern immanente Seelenkräfte verwirklichen gleichsam in vielen kleinen qualitativen Organisationszentren eine Kette von diskreten Organismen, die erst im 18. Jahrhundert ihren Organisationsgraden entsprechend in der scala naturae ihre höchste Durchführung erfahren«. Ebd., 46.

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scala naturae der Lebewesen jedoch bis zur untersten Stufe weiterhin aus diskreten Einheiten, die sich nicht überlappen. Selbst über Generationen hinweg kann es nichts Neues auf Erden, sondern nur die Wiederholung derselben Arten und Formen geben. Dies ist das konservative und unter dem Stichwort Formenkonstanz zusammenzufassende Moment der aristotelischen Entelechielehre.81 81

Für Aristoteles und andere ist die Aufrechterhaltung der Lebensprozesse via Assimilation erstes Prinzip. Sowohl in seinen naturphilosophischen Schriften wie in seiner Physik und Poetik, wo es um die Fähigkeit künstlicher Reproduktion geht, wird dies deutlich ausgesagt. In seiner Physik erscheint Mimesis entweder als die Fähigkeit des Menschen, »die Gebilde der Natur zum Abschluß zu bringen« oder aber »die Gebilde der Natur nachzubilden«. Aristoteles, Phys. 199 a. »Überhaupt sucht unsere Kunst teils zu vollenden, was die Natur nicht zu Ende bringen kann, teils ahmt sie die Natur nach. Wenn also das Handwerk zwecktätig arbeitet, dann auch die Natur, weil in beiden die Reihenfolge der Handgriffe sich genau entspricht«. Aristoteles, Phys. 199 a. Aristoteles kann sogar noch den Kunsttrieb der Tiere in sein System einbauen, also überlegen, »ob nicht die Spinnen mit einer Art Verstand arbeiten und die Ameisen und dergleichen Tiere. Und wenn man einen Schritt weitergeht, dann scheint auch in der Pflanzenwelt nur das vor sich zu gehen, was dem Zweck dienlich ist. Wenn also aus Natur und zielstrebig die Schwalbe ihr Nest baut und die Spinne ihr Netz (…), dann muß man doch einsehen, dass diese Ursache auch in den Naturvorgängen und -dingen sich findet«. Aristoteles, Phys. 199 a. Die in der Natur angelegten Potenzen werden jedes Mal ihrem telos (τέλος) zugeführt, das Werden strebt zum Sein, so als würde die Materie nun sichtbar zeigen, was an Struktur zuvor unsichtbar vorhanden war. Mimesis meint demnach die sinnliche Vergegenwärtigung verborgener Formen, ihre Entdeckung oder Entfaltung. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen Kunst- und (lebendigen) Naturproduktionen. Denn die organischen Naturformen bilden sich aufgrund eines inneren seminalen Prinzips heraus, so wie eine Pflanze aus einem Saatkorn entsteht, während Kunstwerke durch einen externen Eingriff in die Materie entstehen. Kunst und Natur haben für Aristoteles deshalb nur eine einzige, allerdings entscheidende, Gemeinsamkeit. Diese liegt in ihrer beider Bewegung auf ein formales Ziel oder eine finale Ursache hin. Ein Kunstwerk kann also 1) die Schritte einer natürlichen Formbildung wiederholen und d. h.: nachahmen oder 2) einen vorzeitig abgebrochenen Formprozess der Natur zu Ende führen (man denke hier nur an die barocken Steinbilder, in denen die vorgefundenen Flecken und Muster vom Maler fort- bzw. in Gestalten umgesetzt wurden). Man kann das Verhältnis aber auch umkehren und den Naturvorgängen eine ähnlich zweckgerichtete Ratio zuschreiben wie sie den Künstler leitet, wenn er eine Venus- oder Apollfigur aus einem Stück Stein schlagen will. Der Plan, d. h. die angestrebte Form existiert vor dem Werkprozess, in Kunst wie Natur, argumentiert Aristoteles. Beide Male soll ein zunächst nur potentiell Vorhandenes realisiert werden, soll sich die Form von dynamis zu energeia steigern. Das ist die Gemeinsamkeit in künstlichen und natürlichen Prozessen, denn in beiden waltet das Prinzip der Spezialisierung und Dingwerdung ehemals ungeformter (potenter) Materie. Aristoteles erweitert seinen Vergleich zwischen Kunst- und Naturproduktion noch um das Beispiel eines im Arbeitsprozess auftretenden Formfehlers: »Fehler kommen auch im Arbeitsgang des Handwerks vor, ein Schreiber schreibt einmal falsch und der Arzt mischt einmal die Medizin falsch. Daher kann dies auch in der Natur vorkommen. (…) Die Missgeburten sind Fehler auf dem Wege zum eigentlichen Zweck«. Aristoteles, Phys. II, 8, 199 b. Eine »krause Natur«, fährt er fort, gibt es eigentlich gar nicht, sondern es handelt sich bei jeder Anormalität um eine Abweichung vom prädestinierten Weg, um eine Störung des Plans von außen. Außeneinwirkungen sind verantwortlich für ungewöhnliche Formen. Wodurch aber wird der Stoff innerlich gestaltet und geformt? Man kann sich dabei an eine Frage erinnert fühlen, mit der Aristoteles der Behauptung Empedokles’ begegnete, dass sich Pflanzen aufgrund ihrer elementaren Bestandteile sowohl nach unten wie nach oben ausbreiten würden (der Erdanteil würde die Pflanze nach unten ziehen und sie Wurzeln schlagen lassen, das innere Feuer dagegen nach oben ans helle Tageslicht treiben). Warum, fragte Aristoteles, würde die

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Denn jedes Wesen ist nur eine Aktualisierung von etwas bereits Vorhandenem und in seiner formalen Entwicklung festgelegt. Während seiner Genese nimmt es zunehmend klarer und deutlicher jene Gestalt an, die in ihm potentiell angelegt war. Im Bestfall müssten sich alle Exemplare einer Art vollkommen ähnlich werden. Tatsächlich sind für Aristoteles Formen, die sich in der Schöpfung nicht wiederholen, ein Problem, denn alleine die Formeninvarianz im Wandel der Welt gilt ihm als Garant der Transzendenz, d. h. hierin erfüllt sich die Einheit der Schöpfung – das Individuum wird sterben, nicht aber seine Gattung. Die Artenerhaltung ist ihm wichtigstes Prinzip des kosmologischen Plans, ein cross-over der Spezies oder das Prinzip der Mutation undenkbar und buchstäblich ungeheuerlich.82 Andererseits gesteht er der Natur Potentialität im Sinne unenendlicher Formenvarianz zu und vergleicht diese, interessant genug, mit der graduellen Abstufung der Farben. Es ist nur so, dass sich Aristoteles innerhalb seiner Biologie auf die tatsächlichen,

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Pflanze dann während des Wachstums nicht auseinandergerissen werden? Die Antwort lieferte er sich selbst: es sei das vegetative Seelenvermögen, das die Pflanze wachsen lasse und doch zugleich wie eine kohäsive Kraft rückbinde und zusammenhalte (Aristoteles, De anim. 415 b–416 a). Empedokles hatte, wenngleich gleichnishaft, von Feigensaft gesprochen, der wie ein Bindemittel alle Elemente verklebe und verleime. Mit Leim, Nägeln oder Stricken, durch Berührung oder Verknotung, erwiderte Aristoteles in seiner Metaphysik, lasse sich Einheit allenfalls gewaltsam herstellen. Eine organische Form würde dabei nicht erreicht werden, denn sie sei sehr viel mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Vielmehr müsse der Gegenstand einen eigenen inneren Zusammenhalt erhalten, der durch eine das Material durchlaufende und strukturierende Kraft gestiftet werde (Aristoteles, Met. Iota 1, 1052 a 24–25: »Vor allem ist Einheit da, wo dies alles von Natur aus vorhanden ist und nicht durch Gewaltanwendung, wie da, wo mit Leim oder Nägeln oder Stricken gearbeitet wird, wo der Gegenstand vielmehr in sich selbst den Grund des Zusammenhaltes hat«). An dieser Stelle häufen sich die Vergleiche mit Handwerk und Kunst, denn wie in der Kunst sei auch in der Natur »jede schöpferische Tätigkeit und jede letzte Bewegung an den Stoff gebunden.« »Die Seele [hier z. B. des Künstlers], in der die Gestalt ist, und ihr Wissen«, heißt es dann weiter, »bewegen die Hände oder sonst ein Glied in einer ganz bestimmten Bewegungsart, nach der sich dann das richtet, was entstehen soll. Ist die Bewegung dieselbe, ist auch das Erzeugnis dasselbe. Die Hände und die Glieder wieder bewegen den Stoff. Genau so wirkt die Natur (…)«. Aristoteles, G.A. 730 b 27. Wir können diesen Aspekt zur Mimesisvorstellung der Frühen Neuzeit hinzufügen. Eine Gestalt wird nicht aus einzelnen Bausteinen »mit Leim oder Feigensaft« zusammengeklebt, sondern durch eine Bewegung im Material erzeugt, so als führe eine gestaltende Hand den Formprozess. Auf diese Weise breitet sich die Form langsam im Stoff aus und realisiert sich in ihm. Zur Rolle des Pneumas als Kohäsionskraft vgl. Gad Freudenthal, Aristotle’s Theory of Material Substance. Heat and Pneuma, Form and Soul, Oxford 1995; Frank Fehrenbach, »Compositio corporum. Renaissance der Bio Art«, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus 9 (2005), 152; ders.: »Calor nativus – color vitale: Prolegomena zu einer Ästhetik des ›Lebendigen Bildes‹ in der frühen Neuzeit«, in: Pfisterer & Seidel, Visuelle Topoi, v. a. 157–158. Hybridbildungen und Deformationen werden zwar als Abweichungen der Norm, aber noch immer im Rahmen der Formenkonstanz verhandelt, vgl. Herbert Granger, »Deformed Kinds and the Fixity of Species«, in: The Classical Quarterly 37/1 (1987), 110–116. Der christlichen Schöpfungslehre zufolge werden dämonische Wesen dann als Verirrungen und Abwandlungen der göttlichen Kreation verstanden; auch der Satan wird als ein Mischwesen angesehen; hier gibt es Verbindungen zur phantastischen Formbildungskraft der Groteske, vgl. Fehrenbach, »Compositio Composito corporum«, 149–150. Entscheidend ist zu verstehen, dass »die Mischwesen ursprünglich im Numinosen beheimatet sind. Vielleicht gehen auch die heraldischen Chimären auf apotropäische Ursprünge zurück«. Ebd., 150; mit Verweis auf Werner Wunderlich, »Dämonen, Monster, Fabelwesen. Eine kleine Einführung in Mythen und Typen phantastischer Geschöpfe«, in: Dämonen, Monster, Fabelwesen, hg. v. Ulrich Müller & Werner Wunderlich, St. Gallen 1999, 26.

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erfahrbaren Lebensformen beschränkt, und es dann innerhalb der einzelnen Spezies oder Substanzen keine Variation geben kann – so wie es immer nur dieses Rot oder jenes Blau gibt, wenn man mit dem Finger darauf zeigt. An dieser Stelle stoßen wir auf den Widerspruch im aristotelischen Substanzbegriff, der schon die scholastische Nachfolge umtrieb und im Verlauf des 17. Jahrhunderts vollkommen aufbrach: Denn auf der einen Seite erscheint jedes Einzelding als konkrete Substanz, andererseits muss man aber von den mannigfachen Erscheinungen der Einzeldinge absehen und hinter ihnen allgemeinere Formen erkennen. Der Widerspruch liegt also in der unklaren Priorität von Allgemeinem und Einzelding, und damit im »Nebeneinander von streng logischem Realismus und rein sensualistischer Psychologie.«83 Ontologisch, das ist schnell klar, kann man den Begriff des Allgemeinen beziehungsweise der reinen Form »nicht entbehren, während die Psychologie des Erkennens ihm keine vollkommene Rechtfertigung zu bieten vermag.«84 Es ist das entscheidende epistemologische Dilemma der Frühen Neuzeit. Verstärkt wird es durch die stoische Verknüpfung von Physik und Ethik, die Hinwendung zu Selbsttätigkeit und planvoll-schaffender Aktivität.85 An diesem Punkt wird seit etwa Mitte des 16. Jahrhunderts verstärkt eingehakt, d.i. an der zentralen Stellung des Substanzbegriffs im aristotelischen Naturkonzept und der Vorstellung ewiger Formenkonstanz. An seine Stelle treten nun Formverwandlungen, Besonderheiten und Veränderlichkeiten der Erscheinung in den Mittelpunkt des Interesses. Im scholastischen Sinn beispielsweise waren Farben Akzidentien gewesen, die als nicht-wesentliche Eigenschaften der Lebewesen zwar der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich waren, über die aber nichts ausgesagt werden konnte. Das machte sie zu Elementen einer Welt des Besonderen, auf die man zeigen und die man wahrnehmen konnte, ohne

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Ernst Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, 4 Bde., Darmstadt 1974 [1906], I, 69. Ebenda. Die stoische Naturphilosophie beispielsweise war vom Bemühen um eine systematische Einheit der nacharistotelischen Philosophie gekennzeichnet, mit der die Vorgänge innerhalb der natürlichen Welt in eine geschlossene Gesetzlichkeit gebracht werden konnten. In diesem neuen Licht wird der Kosmos als sich aus eigener Kraft bewegender Organismus betrachtet, wobei man die Vergöttlichung der Physis bzw. die Sphäre des materiellen Werdens und Vergehens mit der ethischen Fragestellung menschlicher Freiheit und Verantwortung zusammenzubringen versucht. All das wird seinen Niederschlag in einer Gliederung des Wertvollen, einer scala naturae, finden: »Nach der Erklärung Ciceros definiert die Stoa den Wert von etwas (das aestimabile) durch seine Beziehung zur ›Natur‹. Mit ›Natur‹ (natura) kann nun in stoischen Texten die Universalnatur im Sinne eines organisch strukturierten Weltganzen gemeint sein, das identisch ist mit Gott. (…) Aus einer Sicht des Ganzen – so die stoische These – sind alle natürlichen Dinge und Ereignisse naturgemäß, d. h. Elemente eines harmonischen Zusammenhangs. (…) Verliert in der Perspektive eines derartigen kosmologischen Optimismus nicht die Rede von gut und schlecht überhaupt ihren Sinn? Die Stoa beharrt mit Nachdruck auf der Geltung der Prädikate gut und schlecht auch in kosmischer Sicht. (…) Damit stellt sich der Stoa erstmals das Problem, Zustände und Ereignisse einmal als sinnvolle Elemente eines sinnvollen Gesamtgeschehens verstehen und anerkennen und zum anderen sie als Dispositionen und Handlungen sittlich verantwortlicher Menschen als moralisch schlecht beurteilen zu müssen«. Maximilian Forschner, Die stoische Ethik, Stuttgart 1981, 20 und 160–161.

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dass sich darüber allgemeingültige Sätze bilden lassen würden. Bislang galten sie als schmückendes Beiwerk der substantiellen Welt, das sich bei Bedarf abstreifen ließ, um den Blick auf die beständigen Formen freizugeben. Im späten 16. Jahrhundert werden sie nun gerade aufgrund ihrer individualisierenden Eigenschaften interessant.86 Ähnlich verhält es sich mit der Klassifikation der Spezies und Gattungen, die beispielsweise John Locke (1632– 1704) zu Anfang des 18. Jahrhunderts dazu veranlasste, die vorgenommenen Grenzziehungen als arbiträr – als »only our abstract ideas«87 – anzusehen. Das ganze 17. Jahrhundert arbeitete an der Transformation und Auflösung des aristotelischen Substanzbegriffs; Locke ging dann soweit zu sagen, dass es überhaupt keine Substanzen gebe, sondern alles Existierende partikulär, also überbordender »Rand« (und nicht essentielle Mitte) sei. Die Arbeit mit und gegen Aristoteles wird uns über die nächsten Seiten beschäftigen. Seine barocken Kritiker setzten an bestimmten Stellen seiner Lehre an, und wir müssen uns fragen, warum in diesem Zusammenhang ausgerechnet seine zoologischen Schriften von Belang wurden. Ein Grund liegt sicherlich in der darin vorgenommenen Aufteilung und Klassifizierung der Lebewesen in Arten und Gattungen und der Formenkonstanz als Voraussetzung dieser Ordnung. Lockes Kritik an der aristotelischen Gattungslehre beispielsweise mündete in einer Sprachkritik, betraf also weitaus mehr als eine desolat gewordene biologische Systematik. Eine Frage, die sich jetzt stellte, bezog sich zum Beispiel auf die Stärke der entelechetischen Kraft am untersten Ende der scala naturae. Aristoteles hatte sie als äußerst schwach eingeschätzt, so dass sie das Prinzip der Formenkonstanz bedrohte: Hier gab es eine mögliche logische Bruchstelle, die sowohl von Vertretern wie Kritikern der scholastischen Schule aufgegriffen wurde und ihrem Inhalt nach zu einem der umstrittensten Themen des 17. Jahrhunderts avancierte. Es handelt sich um die sogenannte Urzeugungstheorie (Abiogenese).

URZEUGUNG Als Gefährdung der kosmologischen Ordnung wird die Idee der freien Morphose bereits in den ersten Zeilen von De generatione animalium beschrieben. Dort setzt Aristoteles zwei Möglichkeiten der Fortpflanzung voneinander ab – eine geschlechtliche im Sinne der Artenerhaltung und eine ungeschlechtliche (γένεσις αὐτόματος, genesis automatos), die Lebewesen spontan aus »faulem Stoff« oder erwärmtem »Schlamm« entstehen lässt: »Alle Tiere, die aus einer Paarung von Artgenossen hervorgehen, zeugen ebenfalls wieder nach Arteinheit. Sind dagegen Tiere nicht aus Tieren hervorgegangen, sondern aus faulendem

86 87

Mit einer langen Vorgeschichte seit der Spätscholastik und der Diskussion des univoken Seinsbegriffs durch Duns Scotus. John Locke, Essay III, 6, § 22. Siehe auch Michael J. Ayres, »Locke versus Aristotle on Natural Kinds«, in: Journal of Philosophy 78 (1981), 247–272.

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Stoff, so zeugen diese zwar, aber eine andere Gattung.« Da letztere aufgrund ihrer parentalen Herkunftslosigkeit kein genetisches Programm mit sich tragen, kommen sie als Elternpaare für weitere Zeugungen nicht in Frage, denn »wären sie (…) doch auch wieder zur Paarung befähigt, dann müssten aus ihnen wieder artverschiedene Nachkommen hervorgehen, und aus diesen wieder andere, und so ins Unendliche. Aber die Natur meidet das Unendliche, da das Unendliche unvollendet ist und die Natur immer Vollkommenheit anstrebt.«88 Die Begrenzung des Unendlichen durch Artenerhaltung und Formenkonstanz ist der Abgeschlossenheit der Weltentstehung geschuldet, sie zieht eine Disziplinierung heterodoxer Lebensformen nach sich, die zu Aberrationen und Missgeburten abgewertet werden. Würde man nun, im Sinne des oben genannten Passus, die urgezeugten Wesen selbst wieder mit Zeugungskraft versehen, käme dies einer Außerkrafttretung der entelechetischen Zeugungs- und Wachstumsprozesse durch eine unkontrollierbare Metamorphose und Verwandlung gleich.89 Begeben wir uns mit diesen Paradigmen ins 17. Jahrhundert. Im barocken Muschelbuch Ricreazione dell’occhio e della mente nell’osservazione delle chiocciole (1681) des Jesuitenpaters Filippo Buonanni (1638–1723) beispielsweise erhält die genetische Entwicklung der Muschel ein eigenes Kapitel. Buonanni beginnt sein Capo sesto über die Frage, »welches das geeignete Material zur Produktion der Muschel ist«, in deutlicher Reminiszenz an die aristotelische Fortpflanzungslehre: Die Muschel entsteht, so lesen wir, nicht 88

89

Aristoteles, G.A. 715 b 4–21. Eine Verschiebung der Argumentation jedoch in der H.A. 539 b 8–12: Dort wird die mögliche Entstehung neuer Spezies aus der Kopulation urgezeugter Wesen angedacht. Siehe weiterhin Plinius, N.H. X, 87: »Einige Thiere aber werden von nicht gebornen Dingen hervorgebracht, und haben keinen ähnlichen Ursprung (…). Einige von diesen haben keine Zeugungsfähigkeit, wie z. B. die Salamander. Sie sind weder männlichen noch weiblichen Geschlechts, ebens wie die Aale und alle diejenigen Thiere, welche weder lebendige Junge noch Eier zur Welt bringen. Geschlechtlos sind auch die Austern und die übrigen auf dem Grunde des Meeres und an Klippen hängenden Thiere. Die aber von sich selbst entstehen, erzeugen zwar, wenn unter ihnen Männchen und Weibchen sind, durch Vermischung etwas, allein dies ist unvollkommen, ihnen unähnlich und pflanzt sich nicht weiter fort, wie die Maden der Fliegen.« Zur Urzeugungstheorie allgemein: Edmund O. von Lippmann, Urzeugung und Lebenskraft, Berlin 1933; Nils von Hofsten, »Ideas of Creation and Spontaneous Generation prior to Darwin«, in: Isis 25/1 (1936), 80–94; Henry Harris, Things Come to Life. Spontaneous Generation Revisited, Oxford 2002. Zur antiken Auffassung: Eugene S. McCartney, »Spontaneous Generation and Kindred Notions in Antiquity«, in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 51 (1920), 101–115; David M. Balme, »Development of Biology in Aristotle and Theophrastus: Theory of Spontaneous Generation«, in: Phronesis 7/1 (1962), 91–104; William Merritt Read, »Spontaneous Generation in Lucretius III, 713–740«, in: The Classical Journal 36/1 (1940), 38–40. Zum Mittelalter: Remke Kruk, »A Frothy Bubble: Spontaneous Generation in the Medieval Islamic Tradition«, in: Journal of Semitic Studies 35 (1990), 265–282; Maaike van der Lugt, Le ver, le démon et la vierge: Les théories médiévales de la génération extraordinaire, Paris 2004. Zum 17. Jahrhundert: Therese Zöller, Die Lehre von der Urzeugung im 17. und 18. Jahrhundert, Würzburg 1941; Everett Mendelsohn, »Philosophical Biology vs Experimental Biology: Spontaneous Generation in the Seventeenth Century«, in: Actes du XIIe congrès inter­ national d’histoire des sciences, Paris 1971, I-B, 201–226; John Farley, The Spontaneous Gene­ ration Controversy from Descartes to Oparin, Baltimore 1974. Zur Debatte im 19. Jahrhundert: Nils Roll-Hansen, »The Death of Spontaneous Generation and the Birth of the Gene: Two Case Studies of Relativism«, in: Social Studies of Science 13/4 (1983), 481–519.

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URZEUGUNG

13 | Filippo Buonanni, Ricreazione dell’occhio e della mente nell’osservazione delle chiocciole, Rom 1681, Frontispiz.

durch biologische Zeugung, sondern als spontaner Akt des göttlichen Schöpfers. Buonanni erwähnt die antike Urzeugungstheorie wie eine Selbstverständlichkeit, doch sollten wir an dieser Stelle aufmerken, weil die antike Tradition diesbezüglich keinen göttlichen Schöpfer, sondern allenfalls einen Mindestbestand »seelischer Wärme« (πνεῦμα, pneuma) als Ursache der Belebung angenommen hatte, hier also bereits eine wichtige Änderung des 17. Jahrhunderts vorliegt. In antiken Naturgeschichten wurden Muscheln aufgrund ihrer angeblich ungeschlechtlichen Fortpflanzung auf der niedersten Stufe der Hierarchie der Lebewesen angesiedelt: »Alle Schaltiere entstehen durch Urzeugung im Schlamm, je nach dessen Verschiedenheit wieder andere, in kotigem die Muscheln, in sandigem die Schnecken.«90

90

Aristoteles, H.A. 547 b 18–21. Später zählt Aristoteles als Beispiele für urgezeugte Lebewesen noch Schwämme und Seeanemonen auf.

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Aristoteles zufolge formen sich Muscheln und Muschelschnecken plastisch im Schlamm des Meeresbodens, in Sand und in feuchten Höhlen oder Grotten. Die subterranen Orte korrespondieren ebenso zur mythologischen wie erdgeschichtlichen Vorstellung einer Unterwelt, die morphologisch in Bewegung geraten ist und manchmal wie eine Töpferwerkstatt, manchmal wie eine Schmiede beschrieben wird, dazu später. Jedenfalls gleichen die Schaltiere (testacea), wie Aristoteles sie nennt, Gefäßen oder Skulpturen, die von einem Töpfer aus feuchtem Ton modelliert werden, an der Luft trocknen beziehungsweise in der Sonne härten.91 Als materielle Voraussetzungen gelten eine nährstoffreiche Erde, Feuchtigkeit und Wärme – Muscheln und Schnecken werden über Jahrhunderte hinweg als Zusammenspiel der vier Elemente verstanden: Wasser und Erde bieten den Nährboden, während Wärme und Luft die Morphose initialisieren und über zunehmende Härtung zum Stillstand bringen. »Der Unterschied nun, ob ein Gebilde zur wertvollsten Gattung gehöre oder zu einer wertloseren, beruht ganz auf der Art des einbezogenen Lebensquells. Darauf sind auch die Bereiche von Einfluß und der Leib, der ihn in sich zieht. Im Meerwasser ist viel Erdhaftes, weswegen aus seinen Bestandteilen auch der Bau der Schalentiere hervorgeht, wobei ringsherum das Erdhafte sich härtet und festigt zur gleichen Erstarrung, wie Knochen und Horn, die von Feuer nicht zu schmelzen sind, während im Innern der Körper umschlossen ist, der die Lebenskraft hat.«92 Gleichermaßen klassisch ist die Parallelisierung mit der Pflanzenwelt, die ebenfalls auf eine Verbindung von Erde und Wasser, wenngleich in einem anderen Verhältnis, zurückzuführen ist und ähnlich primitive Lebensformen hervorbringt. Aristoteles erklärt die größere Artenvielfalt im Meer jedoch damit, dass das Feuchte insgesamt »bildsamer« und als Lebensspender dem Trockenen überlegen sei.93 Der Schule machende Passus aus De generatione animalium liest sich wie folgt: »Nun ist über die Schaltiere zu reden. (…) Weil ihr Wesen zu Pflanzen im Gegensatz steht, leben auf der Erde nur wenige Arten, (…) dagegen im Meere und ähnlichen Gewässern viele Arten in mannigfacher Gestalt. Die Gattung der Pflanzen ist im Meere und dergleichen Stellen wenig oder sozusagen gar nicht vertreten, sondern sie leben nun wieder alle auf dem Lande, dem ihr Wesen und ihre Zusammensetzung entspricht. Und je mehr das Feuchte als Lebensspender dem Trockenen überlegen ist und das Wasser dem Lande, umso lebendiger ist auch das Wesen der Schaltiere als das der Pflanzen. Es sieht so aus, als suchten die Schaltiere dasselbe

91 92 93

Vgl. auch die traditionelle Vorstellung, dass auch Perlen im Wasser weich seien und erst an der Luft, wie Korallen, erhärteten. So schon von Plinius (N.H. VIIII, 109) behauptet und in den Aquarien- und Muschelbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts vielfach wiederholt. Aristoteles, H.A. 547 b 18–21. Plinius erklärt auch auf diese Weise, warum viele Tiere, die im Wasser leben, größer als Landtiere sind (N.H. IX, 2).

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14 | Alessandro Allori, Perlentaucher, 1572, Palazzo Vecchio, Florenz.

15 | Bernard Palissy (Werkstatt), Keramikplatte mit Naturabgüssen von Schlangen, Fröschen, Eidechsen und anderen Wassertieren, um 1570, Louvre, Paris.

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Verhältnis zum Wasser, wie die Pflanzen zum Lande, gleich als wären die Pflanzen Schaltiere des Landes, die Schaltiere Pflanzen des Wassers. Aus diesem Grund ist das Leben im Wasser auch vielgestaltiger als auf dem Lande, da das Wasser in seinem Wesen bildsamer ist und zur Verkörperung geeigneter, fast ebenso, ja besonders, was im Meere sich sammelt. (…) Das Meer dagegen ist feucht und viel bildsamer dabei als das trinkbare Wasser und in seinem Wesen warm; so hat es Teil an allen Urstoffen, am feuchten, an der Lebensluft und an der Erde, so dass in ihm sich auch im einzelnen Tiere aus allen Bereichen wieder finden. Die Pflanzen nämlich kann man zum Erdhaften rechnen, die Wassertiere zum wässrigen, die Landtiere zur Luft.«94 Auf die Aufteilung »erdhaft«, »wässrig«, »luftig« kommen wir noch. Vor allem für die barocke Stillebenmalerei ist diese Textstelle maßgebend. Die summarische Bezugnahme auf die vier Elemente in Balthasar van der Asts (1593/1594–1657) Muschelstilleben von ca. 1630 beispielsweise funktioniert aufgrund von zeitgenössisch klar verständlichen Codes, die die Muschel als Meereswesen hauptsächlich dem Element Wasser, die Blumen und Früchte sowie die Eidechse der Erde und die fliegenden Insekten dem Element Luft zuschreiben. Eine besondere Affinität besteht zwischen den urgezeugten maritimen Lebensformen und der Pflanzenwelt. Muschel und Blume verhalten sich zueinander »als wären die Pflanzen Schaltiere des Landes, die Schaltiere Pflanzen des Wassers«, hier gibt es also bereits eine klassifikatorische Grauzone, in der die Differenz zwischen vegetativen Lebensformen und urgezeugten verschwindend klein erscheint. »Der Unterschied von Geschöpf und Lebewesen liegt aber nur in der Empfindung. (…) Die Schaltiere, die in der Mitte zwischen Pflanze und Tier stehen und gleichsam an beiden Bereichen Anteil haben, vollbringen das Werk keiner dieser Gruppen. Als Pflanze haben sie nicht den Unterschied von Männchen und Weibchen und zeugen nicht eines im andern, als Tier tragen sie nicht Frucht aus sich heraus, wie die Pflanzen, sondern bilden sich und wachsen aus gewissen erdigen oder feuchten Zusammenstellungen.«95 Vor allem bei Zoophyten96 wie Quallen, Korallen, Meerschwämmen, etc., die aufgrund ihrer ambivalenten Zugehörigkeit zu Tier- und Pflanzenreich als Verunsicherung der Gattungs94 95 96

Aristoteles, G.A. 761 a 14–761 b 15. Weitere Passagen in Aristoteles, H.A. 547 b 17–23 und 548 a 15, sowie G.A. 763 a 26–34. Vgl. auch Plinius, N.H. IX, 160. Zur Entstehung der Schnecken ebd., 162. Aristoteles, G.A. 731 b 4–14. Als Begriff erstmals bei Edward Wotton, Edoardi Wottoni (…) De differentiis animalivm libri decem, Paris 1552. Eine Beschreibung bereits bei Aristoteles: »Die (…) Quallen (…) stellen ein Mittelding dar zwischen Pflanze und Tier nach ihrem Wesen. Sofern sie nämlich losgelöst sind und sich auf ihre Nahrung stürzen, sind sie tierartig, auch weil sie Widerstände spüren. (…) Aber wegen ihrer Unvollkommenheit und weil sie bald anwachsen an Felsen, stehen sie der Gattung der Pflanzen nahe. (…) Ihnen ähnlich ist die Gattung der Seesterne, (…) das gleiche gilt von den Schaltieren« (P.A. 681 a 49–b 17). Zur Klassifikationsgrundlage vgl. Skemp, »Plants«, 56: »Whether pumpkins were animals was therefore a burning question in the Academy at this time, and Aristotle

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16a | Balthasar van der Ast, Muscheln und Früchte, Öl auf Holz, 29 × 37 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden, Inv.-Nr. 1257.

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Balthasar van der Ast, Stilleben mit Blumen, Muscheln und Insekten, 1635, Öl auf Holz, 24 × 35 cm, Privatsammlung.

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beständigkeit verstanden wurden, hatte Aristoteles Unsicherheiten in der Klassifikation eingestanden. Dazu reihten sich die wie Blumen oder Pflanzen aus »gewissen erdigen oder feuchten Zusammenstellungen« hervorgegangenen Amphibien und Schaltiere. »Bei manchen Gebilden im Meere kann man nämlich streiten, ob es ein Tier oder eine Pflanze ist. Es ist angewachsen und geht vielfach zugrunde, wenn es abgelöst wird. Die Steckmuscheln zum Beispiel sind angewachsen und die Messermuscheln können nicht mehr leben, wenn man sie abreißt. Überhaupt gleicht die ganze Gattung der Schaltiere den Pflanzen, wenn man sie neben die beweglichen Tiere stellt. Empfindungen zeigen die einen von ihnen gar nicht, die andern nur schwach. Der Bau des Körpers ist bei einigen fleischig, wie bei den Seescheiden und Seeanemonen. Schwämme dagegen sehen ganz wie Pflanzen aus. Schrittweise zeigt so ein Tier immer mehr Leben und Bewegung als das andere.«97 Man kann in diesem Zusammenhang an die durch alle naturhistorischen Schriften geisternde Legende der an Wasserpflanzen und Bäumen heranwachsenden conchae anatiferae denken – die Nabelschnur zwischen Pflanze und Tier wird in Text und Bild hervorgehoben –, die als Mischwesen genau diesen Zwischenbereich besiedeln und sich, zur Kuriosität erklärt, in den Wunderkabinetten der Zeit finden lassen. Die dazu erzählten Geschichten wollen hier eine sonderbare entelechische Kraft am Werk sehen. Fallen diese Muscheln nämlich wie reife Früchte von den Bäumen ins Wasser, wird durch die Feuchtigkeit eine nächste Metamorphose in Gang gesetzt, und sie mutieren zu wilden Gänsen oder Enten, die sich aus dem Wasser in die Luft emporschwingen und in ihren Verwandlungen schrittweise an Lebendigkeit zunehmen. Lobelius (1538–1616), Ulisse Aldrovandi (1522–1605), Geronimo Cardano (1501–1576), Guillaume Bouchet (1513–1594), Olaus Magnus (1490– 1557) oder Jan Jonston (1603–1675) haben die conchae anatiferae oder canes beschrieben, im Reisetagebuch des französischen Diplomaten Balthasar de Monconys findet sich eine grobe Skizze.98 In den barocken Kompilationswerken wirken solche Erzählungen fremd

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and Plato took opposite sides on it. In effect, while Plato recognized the division into zoa and azoa, Aristotle (…) made a further subdivision. When classifying all living things according to levels of zoe, Aristotle expressly denies aisthesis to plants (…). This distinction is not annulled in the zoological works, but speaking there as a naturalist he points out that nature passes from lifeless objects to animals in such unbroken sequence, interposing beings ›which live and yet are not animals‹, that scarcely any difference seems to exist between neighbouring groups. Sponges are almost plants and are stationary. Sessile ascidians are very close to plants, but, as they have a flesh-like substance, may be to some extent sensitive. Plato, who is no naturalist, objects to this class (…) and insists that aisthesis is bound up with the lowest form of zoe because it belongs to the lowest kind of the soul in his own system.« Aristoteles, H.A. 588 b 12–21. Siehe auch P.A. 681 a 10–15: »Die Austern unterscheiden sich nur wenig in ihrem Wesen von Pflanzen, sind aber trotzdem noch tierähnlicher als die Schwämme, die schon ganz und gar wie Pflanzen wirken. Denn die Natur schreitet stetig fort von den unbeseelten Dingen zu den Geschöpfen durch die zwar lebenden Dinge, die aber noch keine Tiere sind, so dass der Unterschied des einen vom andern nur klein erscheint, weil sie sich nahe stehen.« Vgl. Ulisse Aldrovandi, De reliquis animalibus exanguibus libri quatuor (…), nempe: De mollibus, crustaceis, testaceis, et zoophytis, Bologna 1606, 543–544; Geronimo Cardano, De rerum varietate, Paris 1557, 212; Les serées de Guillaume Bouchet (1584–98), 6 Bde., hg. v. C. E. Roybet,

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17 | Sog. »Entenmuscheln«, in Ulisse

Aldrovandi: De reliquis animalibus exanguibus libri quatuor, post mortem eius editi: nempe de mollibus, crustaceis, testaceis, et zoophytis, Bologna 1606, 554.

und aufregend. Man diskutiert jetzt über die Möglichkeit, dass nicht nur einzelne Lebewesen Metamorphosen durchlaufen können, sondern sich die gesamte Kette der Lebewesen – gattungsübergreifend – in Bewegung befindet. Zumindest in den niederen natürlichen Bereichen scheinen metamorphotische Kräfte am Werk zu sein, die vollkommen neue Lebensformen entstehen lassen können. Ansätze zu einer solchen Vorstellung glaubte man schon bei Aristoteles zu finden, man argumentierte also gleichzeitig mit ihm und gegen ihn und versuchte, das Prinzip der Formenkonstanz aufzubrechen. Tatsächlich dauert die Diskussion über den Einfluß der aristotelischen Naturlehre auf die Evolutionstheorie bis

Paris 1827–1883, III, 256; Jan Jonston, A History of the Wonderful Things of Nature, übers. v. John Rowland, London 1657, 198; Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 648; Olaus Magnus, Beschreibung allerley Gelegenheyte/ Sitten/ Gebräuchen vnd Gewohnheyten/ der Mitnächtigen Völcker in Sueden/ Ost vnnd Westgothen/ Norwegen vnnd andern (…), Straßburg 1567, cclxxvij: »Eyn anderer Schottischer Historienschreiber/ der die heymligkeyt der Natur eyn wenig fleissiger dann jehner beschriben hat/ saget/ daß in der Inseln Orachades genennet/ Enten wachsen auß eyner Frucht eynes Baums/ wann sie in das Meer fallen/ welche als bald/ wann sie stück werden/ entweder zu den heymischen oder zu den Wilden hinweg fliegen.« Noch in John Brands Popular Antiquities, London 1795, findet sich ein Abschnitt zur Metamorphose der conchae anatiferae. – Auch bei Pilzen und Schwämmen ist man sich nicht sicher, ob sie ins Pflanzenoder Tierreich fallen.

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heute an, und ihre Rolle an der Wende zum 17. Jahrhundert ist mehr als komplex.99 Im Zentrum stand die Frage möglicher kontinuierlicher Übergänge vom Anorganischen zum Organischen, von Pflanze zu Tier und Mensch, aber auch von Natur zu Kunst. Aristoteles hatte diese Möglichkeit verneint und stattdessen auf das Modell eines zwar stufenweisen, aber nicht-kontinuierlichen Zusammenhangs diverser Lebensformen verwiesen. Im Bereich des feuchten Erdbodens wiederum, wo sich spontan gezeugte Geschöpfe tummelten, war das System schon bei Aristoteles außer Kontrolle geraten.

TEMPORARIAE: SICH IN DER EXISTENZ VERAUSGABEND Der Tribut an die urgezeugte Form der Schöpfung war ein kurzes Leben, eines das aufblüht und erlischt. Aristoteles kannte insgesamt nur zwei Arten biologischer Prokreation. Jedes komplexere Leben ging auf höhere Prinzipien und vor allem auf ein Elternpaar zurück, welches sowohl das gattungsspezifische Aussehen als auch die prädikativen Eigenschaften vererbte. Die generatio spontanea niederer Lebewesen ohne Samen und ohne Eltern dagegen brachte je nach Beschaffenheit des Bodens und einwirkender Wärme unterschiedliche Kreaturen hervor (feuchtere und trockenere, immer jedoch kurzlebige) – was ein so materialistischer Gedanke war, dass er im gegenreformatorischen Barock auf Widerstand stoßen und modifiziert werden musste. Dennoch, die Idee von Abiogenese wurde im Zuge der zoologischen Wissenskompilation des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts in die natürliche Seinsordnung aufgenommen, denn sie garantierte eine Kontinuität vom Einfachsten und Bewegungslosen zum Lebendigsten und Komplexesten. Zwei Aspekte sollen uns daran besonders interessieren: Zum einen, dass dieser »homogene Raum der ordnungsfähigen Identitäten und Unterschiede«100, von dessen späterem Verschwinden Michel Foucault eindrücklich schreibt, im Barock mit allen Mitteln aufrechterhalten werden sollte. Zum anderen, und als Gedanke eng damit verbunden, wird im Modell der Abiogenese der essentielle Link zwischen Mineral- und Pflanzenreich zum Tierreich thematisiert, d. h. die Möglichkeit einer graduellen Überführung von toter Materie in Leben. Auch William Harvey, der, obwohl er ein Vertreter der neuen experimentellen Physiologie war, Aristoteles stark rezipierte, vertrat die Vorstellung eines einzigen großen Lebenstableaus. Darin werden Pflanze und Tier analogisch behandelt:

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A. W. Benn, »Aristotle and the Philosophy of Evolution«, in: Mind 20/78 (1911), 234–247; Conway Zirkle, »Species before Darwin«, in: Proceedings of the American Philosophical Society 103/5 (1959), 636–644; zur Rolle der Zoophyten z. B. Herbert Granger, »The Scala Naturae and the Continuity of Kinds«, in: Phronesis 30/2 (1985), 189. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a. M. 2002, 328.

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TEMPORARIAE: SICH IN DER EXISTENZ VERAUSGABEND

»Tiere haben mit Pflanzen Eines gemeinsam: dass einige von ihnen aus Samen entstehen und andere spontan erzeugt werden. Pflanzen beispielsweise gehen entweder aus einem Samen hervor oder entspringen wie von selbst der Erde, wo sie ein Prinzip gefunden haben, das sie hervorbringen konnte. Ebenso wie einige Pflanzen ihre Nahrung aus dem Boden ziehen, während andere in Mutterpflanzen heranwachsen, werden auch einige Tiere von Eltern ihrer Art gezeugt, während andere spontan entstehen, d. h. nicht aus einem Samen, der dem Tier vorausgeht und ihm seine Art zuweist. Einige dieser Tiere werden aus modriger Erde oder verwesenden Pflanzen gebildet, wie zum Beispiel eine Anzahl von Insekten, die auch im Inneren von Tieren heranwachsen oder aus ihren Exkrementen...«101 Innerhalb des Kreislaufs von Wachsen und Vergehen steigert sich das Lebensvermögen (von Pflanze und Tier zu Mensch) ebenso, wie es am Ende ins vollkommene Wildwerden und Exkrement-Werden zurückfällt.102 Bei Aristoteles und seinem Nachfolger am Lyceum, Theophrast, fällt das Wort αὐτόματον (automaton), wenn es darum geht, erstes Leben aus dem Schlamm und Morast, oder wie bei den Mäusen, aus dem Staub zu beschreiben. Tatsächlich ist ja der Boden, auf dem dieses Leben automatisch entsteht, selbst einmal ein Organismus beziehungsweise eine Ausscheidung aus einem vitalen Körper gewesen; in Antike wie Barock ist man in solchen Beschreibungen ganz unerschrocken. Das Erstehen neuer Lebewesen aus dem Moder vergangener Geschöpfe wird als natürlicher Prozess verstanden, der sich von seiner primären Ursache bereits losgelöst hat, also nur noch sekundären, immanent rotierenden Prinzipien gehorcht. Deshalb kann von automatisch entstandenem Leben gesprochen werden. Das vitale Prinzip ist in die Materie hineinverlagert, wo es an jeder Stelle ausbrechen, d. h. aktualisiert werden kann. Die Pflanzen und Tiere der Urzeugungslehre sind konditionale Wesen, sie erscheinen als Folge einer materialen Implikation. An diesem Punkt setzen sowohl die Faszination wie die Bedenken der barocken Biologen ein, die eine intern verlinkte Entstehungskette verfolgen, die in letzter Konsequenz keinen Gott mehr benötigt.103 Umso wichtiger werden nun die kleinen und geringen Kreaturen – d. i. die Niederwelt. In Theophrasts einflussreicher Historia plantarum gibt es 101

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Harvey, De generatione animalium, Beginn von Sektion II. (Übersetzungen sind hier und im Folgenden von der Autorin, wenn nicht anders angegeben). Auch in De motu cordis vertrat Harvey explizit die Meinung, »die sponte nascentia« sei eine der beiden möglichen Zeugungsarten von Lebewesen. Weiterführend: Elizabeth B. Gasking, Investigations into Generation, 1651–1828, Baltimore 1967. Zur unerschrockenen Thematisierung des Exkrements in der barocken Literatur bzw. zum sogenannten »dung paradox« vgl. John Owens Epigramm »Stercoris encomium«, in: Epigrammatum libri tres, 3 Bde., London 1607, II, Nr. 194 (»Vile excrementum es stercus, sed inutile non es/ Tunutrimento das alimenta meo«) oder Caspar Dornaus Poem »De furno, et latrina«, in: Amphitheatrum sapientiae socraticae joco-seriae, Hannover 1619, I, 349. Siehe dazu Arthur S. Paese, »Things without Honor«, in: Classical Philology 21 (1926), 27–42. Vgl. auch die christliche Auffassung, dass Noahs Arche während der Sintflut keine niederen Lebewesen aufgenommen hatte: Denn diese konnten aus dem Schlick später von alleine entstehen (Augustinus, Civ. Dei XV, 27; Pseudo.-Eusthathius von Antiochien, Bas. Hex., IX, 2); ein ähnlicher Gedanke bereits in Ovid, Met. I, 416–437.

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18 | Roelant Savery, Memento Mori, 1607–1611, signiert, Öl auf Holz,

20 × 23 cm, Nationalmuseum Stockholm.

beispielsweise Passagen, die sich mit der Vermehrung von Pflanzen, und dabei vor allem mit niedrig wachsenden Kräutern und einjährigen Pflanzen befassen. »Bäume und Pflanzen können auf folgende Weise vermehrt werden: durch spontane Zeugung; durch Entstehung aus Samen; aus einer Wurzel; aus einem Steckling (einem Stück, das von einem Zweig oder Ast oder vom Stamm weggebrochen wurde) (…). Von diesen Möglichkeiten ist die spontane Zeugung die erste, obwohl die Fortpflanzung aus Samen oder Wurzel natürlicher erscheint (…). Spontane Zeugung findet vor allem bei kleineren Pflanzen statt, und dann wiederum hauptsächlich bei Kräutern und annuellen Pflanzen. Dennoch geschieht es auch hin und wieder bei größeren Gewächsen, z. B. wenn es viel regnet oder eine besondere Beschaffenheit der Erde und der Luft dafür verantwortlich ist. Viele glauben, dass auch Tiere auf diese Weise entstehen.«104 104

Theophrast, Hist. plant. II, 1. Übersetzt nach der englischen Ausgabe: Theophrast, Enquiry into Plants, hg. v. Sir Arthur Hort, 2 Bde., London 1948, I/2, 105. Vgl. auch das Interesse am Element Wasser als »Lebenselement«, wie es durch das berühmte Helmontsche Weiden-Experiment legimitiert wurde: »In this experiment, a willow shoot weighing 5 pounds was placed in 200 pounds of soil and allowed to grow. After five years, during which time only water was added, the weight of the soil was virtually unchanged, yet the willow shoot had increased ist weight to 168 pounds. ›All vegetables‹, van Helmont concluded, ›do materially arise wholly out of the element of water‹«. Farley, Spontaneous Generation Controversy, 9; das Zitat im Zitat in: Johan Baptista von Hel-

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TEMPORARIAE: SICH IN DER EXISTENZ VERAUSGABEND

19 | »Putrefactio«, in: Daniel Stolcius von Stolcenberg, Chymisches Lustgärtlein, Frankfurt a. M. 1624, o. P.

Wird nur eine Vegetationsperiode benötigt, blüht die Pflanze also nur einen Sommer wie zum Beispiel die Blaue Winde in Otto Marseus’ Schweriner Bild, haben wir es eventuell mit einem spontan gezeugten und in seiner Existenz sich verausgabenden Exemplar (temporaria) zu tun. Die Erklärung ist nicht unangezweifelt geblieben, selbst Theophrast hat einige Einwände vorgebracht und nach einer genaueren Untersuchung verlangt. »Vielleicht ist es ja auch nicht wahr, zumindest für größere Pflanzen mag es nicht stimmen. Es kann sein, dass alle Stationen der Entwicklung ihrer Samen unserem Auge entgehen (…). Vielleicht entgeht sogar die Samenentwicklung einiger Kräuter unserem Auge (…). Auch bei Bäumen ist der Samen zuweilen schwer erkennbar, weil von geringer Größe (…).«105 Im Zeitalter des Mikroskops wird man hier ansetzen und die Urzeugungsfrage zu einem rein visuellen Problem erklären. Darin liegt die Sprengkraft der neuen Instrumente: Eine geänderte Sichtbarkeit, d. h. eine Verlängerung der Sichtbarkeit in die Tiefe der Lebewesen

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mont, Oiratrice, or physick refined, übers. v. J. Chandler, London 1662, 110. Für Robert Boyle war das Experiment Bestärkung seiner eigenen chemischen Untersuchungen, vgl. dazu: Charles Webster, »Water as the Ultimate Principle of Nature. The Background to Boyle’s Sceptical Chymist«, in: Ambix 13 (1966), 96–107. Theophrast, Hist. plant.

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hinein entscheidet über den Ort des Ursprungs von Leben.106 Vor allem aber wird der materielle Boden als generativer Faktor entwertet. Das geschieht jedoch erst in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts. Als Otto Marseus seine ersten sottoboschi malte, war die Frage des Ursprungs zwar heftig diskutiert, aber noch in keinem Feld entschieden worden. Ganz im Gegenteil haben wir in Rom mit Athanasius Kircher und Filippo Buonanni zwei prominente Befürworter der Urzeugungstheorie vor uns, um deren Veröffentlichungen europaweite Debatten entbrannten. Zur selben Zeit enstanden auf dem Gebiet der empirischen Wissenschaften erste Sozietäten mit dezidiert anti-aristotelischem Charakter, die sich der Überprüfung dieser Theorie via Observation und Experiment widmeten.

PANSPERMIA – LEBEN NACH PLAN Bereits Athanasius Kirchers Aktivitäten, über Jahrzehnte am Collegio Romano angesiedelt, bestanden nicht nur aus Publikationen, sondern auch aus wissenschaftlichen Experimenten, die seine Theorien unterstützen sollten.107 Eben diese Experimente wurden zum 106

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»The durability of these beliefs was due to two related factors: the ecclesiastical scholasticism of the Middle Ages and the intellectual dominance of Aristotle. Even those who, like van Helmont and Harvey, made major contributions to the development of empirical enquiry in other contexts saw nothing questionable in Aristotle’s views on spontaneous generation (…). The passage of the centuries did nonetheless produce a progressive narrowing of the range of living things that were still thought to be generated spontaneously. With the continual growth of knowledge concerning the modes of reproduction of both animals and plants, and in the absence of any credible evidence that larger species could arise fully formed from inanimate matter, the attention of men of learning turned inevitably to the study of smaller creatures or those whose mode of reproduction remained obscure. By the later years of the seventeenth century the only living things still widely believed to be generated spontaneously were insects, the smallest creatures then known«. Harris, Things Come to Life, 5–6. Zu Kircher siehe: Conor Reilly, Athanasius Kircher SJ: Master of a Hundred Arts, 1602–1680, Rom 1974; Joscelyn Godwin, Athanasius Kircher: A Renaissance Man and the Quest for Lost Knowledge, London 1979; Thomas Leinkauf, Mundus combinatus: Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers S. J. (1602–1680), Berlin 1993; Paula Findlen, Possessing Nature: Museums, Collecting, and Scientific Culture in Early Modern Italy, Berkeley 1994; dies. (Hg.), Athanasius Kircher: The Last Man Who Knew Everything, London 2004. Siehe weiterhin: Enciclopedismo in Roma barocca: Athanasius Kircher e il Museo del Collegio Romano tra Wunderkammer e museo scientifico, hg. v. Maristella Casciato, Maria Grazia Ianniello & Maria Vitale, Venedig 1986; Valerio Rivosecchi, Esotismo in Roma barocca: Studi sul Padre Kircher, Rom 1982; Athanasius Kircher und seine Beziehungen zum gelehrten Europa seiner Zeit, hg. v. John Fletcher, Wiesbaden 1988. Zur Urzeugungstheorie bei Kircher siehe u. a. Hiro Hirai, »Kircher’s Chymical Interpretation of the Creation and Spontaneous Generation«, in: Chymists and Chymistry: Studies in the History of Alchemy and Early Modern Chemistry, hg. v. Lawrence Principe, New York 2007, 77–87; sowie ders.: »Interprétation chymique de la création et origine corpusculaire de la vie chez Athanasius Kircher«, in: Annals of Science 64 (2007), 217–234. Zu Kirchers Mundus subterraneus: Lynn Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, New York 1923–1958, 8 Bde., VII, 567–578; Gerhard F. Strasser, »Science and Pseudoscience: Athanasius Kircher’s Mundus Subterraneus and his Scrutinum […] Pestis«, in: Knowledge, Science, and Literature in Early Modern Germany, hg. v. Gerhild S. Williams & Stephan K. Schindler, Chapel Hill 1996, 210–240; Nicoletta Morello, »Nel corpo della

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Prüfstein der Urzeugungstheorie, die im Rom der 1650er und 1660er Jahre in ihre heisse Phase trat, also genau zu einem Zeitpunkt, als der sottobosco als Bildgattung konzipiert wurde. In England waren es Robert Boyle (1627–1691) und Henry Oldenburg (1618–1677), in Italien Francesco Redi (1626–1697) und Marcello Malpighi (1628–1694), in den Niederlanden vor allem Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723), die an der Widerlegung dieser Theorie arbeiteten. Dem stand auf der anderen Seite eine ältere Generation nicht weniger prominenter Vertreter der Urzeugungstheorie gegenüber wie zum Beispiel Pierre Gassendi, William Harvey und Sir Kenelm Digby, die teilweise der aristotelischen Idee, teils atomistischen Modellen folgten. Kirchers so kontrovers diskutierte Vorstellung vom Ursprung des Lebens beispielsweise hatte selbst wieder einen Vorläufer in den Schriften seines Freundes Marcus Marci Kronland (1595–1667), dessen Idearum operatricium idea 1635 in Prag erschienen war, sowie in der 1618 publizierten Abhandlung De spontaneo viventium ortu des Paduaner Mediziners Fortunio Liceti (1577–1677), in der die Ursprungsidee schon im Titel auftaucht und inhaltlich korpuskular verhandelt wurde.108 Um die Urzeugungsidee aktuell halten zu können, arbeitete Kircher an einer Modifizierung, die den wichtigsten Moment – den der Animation unbelebter Materie – entscheidend umformulierte. Seine Alternative argumentierte nun sehr viel mehr in Einklang mit christlichen Schöpfungsgedanken. Um den Kreislauf des Lebens aufrechtzuerhalten, so Kircher, herrsche in der körperlichen Welt eine zeugende Urkraft (vis seminalis et spermatica), die den Tod der Individuen einer Spezies durch kontinuierliche Fortpflanzung überkomme. Formenkonstanz war auch in der aristotelischen Kosmologie ein Grund gewesen, die Destruktion einzelner Lebewesen zu akzeptieren: Die Art an sich würde niemals untergehen. Innerhalb der Fortpflanzung werden alle spezifischen Merkmale auf die nächste Generation übertragen, so dass individuelle Tode keine Auswirkung auf die Gesamtheit des Schöpfungsplans haben. Im klassischen Denken war Zeugung also nötig, um die Formen am Leben zu halten – Zeugen war Dienst an der Form.109 In Kirchers Mundus subterraneus (Amsterdam 1664–1665) können wir nachlesen, dass Gott aus dem Nichts eine prima materia erschaffen habe, die sich deshalb chaotisch verhalte, weil sie alles zur gleichen Zeit beinhalte. In ihr enthalten wären also

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terra: Il geocosmo di Athanasius Kircher«, in: Athanasius Kircher: Il museo del mondo, hg. v. Eugenio Lo Sardo, Rom 2001, 179–196. Siehe außerdem: Michael T. Walton, »Genesis and Chemistry in the Sixteenth Century«, in: Reading the Book of Nature: The Other Side of the Scientific Revolution, hg. v. Allen G. Debus & Michael T. Walton, Kirksville 1998, 1–14, sowie Hiro Hirai, Le concept de semence dans les théories de la matière à la Renaissance: De Marsile Ficin à Pierre Gassendi, Turnhout 2005. Letztere wurde auch von Daniel Sennert (1572–1637) rezipiert, dessen gleichnamiges Traktat De spontaneo viventium ortu in sein Hauptwerk Hypomnemata physica aufgenommen und 1636 in Frankfurt publiziert wurde, vgl. dazu: Hirai, »Kircher’s Chymical Interpretation«. Augenfällige Übereinstimmungen zwischen Liceti und Kircher v. a. in Liceti, De spontaneo, 206, und Kircher, Mundus subterraneus, 338. Jean Bernhardt, »Aristoteles«, in: Geschichte der Philosophie, hg. v. François Châtelet, 8 Bde., Frankfurt a. M. 1973, I, 141: »(…) wie die Zeugung es einem sterblichen Leben ermöglicht, sich durch die Erneuerung der Generationen der göttlichen Unsterblichkeit zu nähern, die es nie erreichen kann.«

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alle Substanzen, die innerhalb der Naturgeschichte jemals zur Existenz kommen könnten. Außer dieser Urmaterie und der menschlichen Seele, die bei jeder Zeugung von außen hinzukäme, schaffe Gott nichts de novo, das heißt die Materie sei an sich inspiriert oder informiert, so dass alle Lebewesen sich selbst hervorbringen können und der Kreislauf des Lebens damit geschlossen sei.110 Die materielle Welt sei von Anbeginn an von panspermia durchdrungen, dem universalen Samen der Natur.111 Über ihn gelangten die Formen und Farben in die Welt; über ihn seien die Arten und Gattungen der Pflanzen und Tiere vom ersten Schöpfungstag an festgelegt. Er sei foetura mundi, semen primogenium, vom Schöpfer-Architekten in die Welt gelegt, um den göttlichen Bauplan mit der unbeirrbaren Zielstrebigkeit eines spiritus architectonicus auszuführen.112 Kircher hatte auf diese Weise die Fruchtbarkeit der Natur in den architektonischen Schöpfungsplan Gottes integriert. In Michael Sendivogius’ (1566–1636) Novum lumen chymicum (Frankfurt a. M. 1604) wiederum besteht der universale Samen aus dem subtilsten Teil der vier Elemente, der als animierende Kraft in der Erde schlummert.113 Bei jeder 110 111

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Kircher, Mundus subterraneus, 327. Zu Kirchers Konzept von panspermia vgl. Joseph Gutmann, Athanasius Kircher (1602–1680) und das Schöpfungs- und Entwicklungsproblem, Fulda 1938; Leinkauf, Mundus combinatus, 92–110; Ingrid D. Rowland, »Athanasius Kircher, Giordano Bruno, and the Panspermia of the Infinite Universe«, in Findlen: Kircher, 191–205. Die Vorstellung eines organisierenden spiritus architectonicus findet sich bereits bei Anselm Boetius de Boodt (1550–1632), Leibarzt Rudolfs II., dessen einflussreiche mineralogische Schrift Gemmarum et lapidum historia, Hanau 1609, Kircher nachweislich gekannt hatte, vgl. Hirai, »Kircher’s Chymical Interpretation«, 80: »In his extremely influential mineralogical work ›Gemmarum et lapidum historia‹ (Hanau, 1609), de Boodt used this idea to explain the introduction of vegetable fecundity into the world at the time of the Creation according to Genesis 1:11. His idea was so influential that the leading natural philosophers of the first half of the seventeenth century like Daniel Sennert (1572–1637) and Pierre Gassendi (1592–1655) accepted it for their explanation of mineral formation«. Weiterhin: Robert Halleux, »L’œuvre minéralogique d’Anselme Boèce de Boodt (1550–1632)«, in: Histoire et Nature 14 (1979), 63–78; Hiro Hirai, »Les Paradoxes d’Etienne de Clave et le concept de semence dans sa minéralogie«, in: Corpus 39 (2001), 45–71, v. a. 59–66. Ein Zusammenhang zwischen dem naturphilosophischen Revival der Vier-Elementenlehre in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts und der von der Elementenlehre beeinflussten Stillebenmalerei Roelant Saverys oder Ambrosius Bosschaerts wäre weiterhin nachzuverfolgen. Bei Joris Hoefnagel ist der Zusammenhang offensichtlich; die Anfänge der Stillebenmalerei sind nachhaltig von Hoefnagels Archetypa geprägt. Roelant Savery war zur selben Zeit am Prager Hof tätig, in der Anselmus Boetius de Boodt, beeindruckt von den alchemistischen Konzepten des französischen Paracelsianers Joseph Du Chesne, seine Vorstellung eines spiritus architectonicus und der Fruchtbarkeit des göttlichen Schöpfungsplans vortrug und Marcus Marci Kronland zu seinen Hörern zählte. Nach seinem Aufenthalt in Prag (1604–1612 und erneut 1615) war er in Amsterdam, Haarlem, v. a. aber in Utrecht tätig, wo er 1619 Mitglied der Lukasgilde wurde. Erwähnenswert ist die enge Verbindung zur Malerfamilie der Bosschaerts, die wiederum Vorbild und Anreger für viele Blumen- und Früchtemaler in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war. So beeinflusste Ambrosius Bosschaert d. Ä. nicht nur seine drei Söhne, Ambrosius d. J., Johannes und Abraham, sondern als Lehrer auch seinen Schwager Balthasar van der Ast. Zu den »Vier Elementen« Hoefnagels vgl. Hendrix, Joris Hoefnagel; Thea Vigneau-Wilberg, »Niederländische Emigranten in Frankfurt und ihre Bedeutung für die realistische Pflanzendarstellung am Ende des 16. Jahrhunderts«, in: Ausst.-Kat. Frankfurt (1993), Georg Flegel. Stilleben, Stuttgart 1993, 157–180; Georg Hoefnagel, Archetypa studiaque patris Georgii Hoefnagelii (1592), kommentierte FaksimileAusgabe Staatliche Graphische Sammlung München, München 1994; Marjorie Lee Hendrix &

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Aktivierung verwandelt er sich in einen partikulären Samen, das heißt die universale Lebenskraft nimmt eine spezifische, individualisierte Form an. Diese entfaltende Kraft wiederum, die Kircher auch als virtus plastica bezeichnet, wird mit der Aktivität des göttlichen Lichts verglichen, das mit seinen Strahlen die Welt sichtbar macht und differenziert. Aus dem Dunkel erheben sich dann die einzelnen Formen und erscheinen die Farben der Körperwelt. An dieser Stelle hatte Marcus Marci Kronland bekanntlich mit seiner optischen Theorie angesetzt und begonnen, zu Demonstrationszwecken mit dem Prisma zu hantieren (»tot formae coexistere in uno«114). Ebenso wie sich das weiße Licht in ein farbiges Spektrum auffächert, wenn es durch ein Prisma geschickt wird, erhält jedes Ding seine bestimmte Farbe und Gestalt dank der organisierenden vis plastica des universalen Samens.115 Tatsächlich vergleicht Marci dessen Aktivierung in partikuläre Samen mit winzigen Bläschen, die wie Glasprismen wirken oder wie die Wassertropfen eines Regenbogens: Sie zerlegen das weiße Licht in unterschiedliche Farben, partikularisieren es also ebenso. Im weiteren Differenzierungsprozess brechen die transparenten Hüllen auf und geben den eigentlichen Spiritus frei. Wenn die lebendige Masse nun langsam Gestalt annimmt, so

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Thea Vignau-Wilberg, Nature Illuminated: Flora and Fauna from the Court of the Emperor Rudolf II, London 1997. Zu den Bosschaerts vgl. Laurens J. Bol, The Bosschaert Dynasty, Painters of Flowers and Fruit, Leigh-on-Sea 1960. Zu Quercetanus siehe Hiro Hirai, »Paracelcisme, néoplatonisme et médicine hermétique dans la théorie de la metière de Joseph Du Chesne à travers son Ad veritatem hermeticae medicinae (1604), in: Archives internationales d’histoire des sciences 51 (2001), 9–37. Johann Marcus Marci von Kronland, Idearum operatricium idea, Prag 1635, 2. Zur Verbindung von Optik und Embryologie bei Marci vgl. Joseph Needham, History of Embryology, Cambridge 1959, 80: »His Idearum Operatricium Idea, published in 1635, was a mixture of purely scientific contributions to optics, and speculative theories about embryology. Thus he explained the production of manifold complexity from the seed in generation by an analogy with lenses, which will produce complicated beams from a simple light-source. The formative force radiates from the geometrical centre of the foetal body, creating complexity but losing nothing of its own power. Marcus Marci thus links together the following trends of thought: (1) the old Aristotelian theory of seed and blood, (2) the new rationalistic mathematical attitude to generation as e.g. in Gassendi and Descartes, (3) the new experimental approach, in his contributions to optics, (4) the cabbalistic mysticism of light as the fountain and origin of things. Finally (5) by his brilliant guess of centres of radiant energy, he anticipates much of modern embryology (field theories, fate of part as function of positions, etc.).« Vgl. außerdem Edmund Hoppe, »Marcus Marci de Kronland. Ein vergessener Physiker des 17. Jahrhunderts«, in: Archiv für Geschichte der Mathematik, der Naturwissenschaften und der Technik 30 (1927), 1–2; Jili Marek, »Newton’s Report (New Theory about Light and Colours) and its Relation to Results of his Predecessors«, in: Physis 11 (1969), 390–407; Johann Flechter, »Johann Marcus Marci Writes to Athanasius Kircher«, in: Janus 59 (1972), 95–118; Giuliana Mocchi, Idea, mente, specie: Platonismo e scienza in Johannes Marcus Marci (1595–1667), Soveria Manelli 1990; Karin Leonhard, »Welt im Fluss. Energieübertragungsmodelle im 17. Jahrhundert«, in: Lichtgefüge in Kunst und Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts – Rembrandt und Vermeer, hg. v. Carolin Bohlmann, Thomas Fink & Philipp Weiss, München 2008, 41–58; Margaret D. Garber, »Chymical Wonders of Light: J. Marcus Marci’s Seventeenth-Century Bohemian Optics«, in: Early Science and Medicine 10 (2005), 478–509; dies., »Transitioning from Transsubstantiation to Transmutation: Catholic Anxieties over Chymical Matter Theory at the University of Prague«, in: Principe, History of Alchemy and Chemistry, 63–76; dies.: Alchemical Diplomacy: Optics and Alchemy in the Philosophical Writings of Marcus Marci in Post-Rudolfine Prague 1620–1670, Diss. University of California, San Diego 2002.

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aufgrund eines Wechselspiels zwischen der Entfaltung innerer, vorab eingelagerter Kräfte und den Einflüssen der Außenwelt. Marcis spekulative Embryologie, eng verknüpft mit optischen Überlegungen und Experimenten am Prisma, verbindet aristotelische Ideen mit den mechanischen Erklärungsmodellen beispielsweise eines Descartes und des Atomismus Gassendis. Dazu kommt das alchemistische Gedankengut seiner Zeit, und in dieser Kombination, als äußerst heterogenes Stückwerk scholastischer, mechanistischer und alchemistischer Vorstellungen, ist er ein typischer Vertreter des mittleren 17. Jahrhunderts. Erwähnt soll sein, dass Marci zumindest im Groben das experimentum crucis von Isaac Newton (1642–1727) vorwegnahm, als er durch Experimente feststellte, dass ein farbiger Strahl aus dem Spektrum weder durch Reflexion noch durch erneute Refraktion verändert wird.116 Allein deshalb ist seine Lichttheorie spannend zu lesen, aber was uns in diesem Zusammenhang besonders beschäftigt, ist die komplexe Verknüpfung optischer und biogenetischer Argumentationen. Kircher bezieht sich nicht zuletzt in seinen camera obscura-Experimenten bewusst auf Marcis plastisches Konzept.117 Die Vorstellung einer graduellen Überführung toter Materie in Leben interessiert uns, weil sie den visuellen Topos von der mimesis (μίμησις) der Lebewesen via Farbe und Leinwand nährt. Dennoch, von Kircher und seinen Zeitgenossen musste sie modifiziert werden; die antike materialistische Ausrichtung der Schöpfungsgeschichte im Sinne der Urzeugungslehre grenzte im 17. Jahrhundert an Häresie. Die Natur kann nicht von alleine Lebewesen hervorbringen, sonst würde sie ja unabhängig zum kosmologischen Plan agieren beziehungsweise Geschöpfe hervorbringen, die von Gott nicht vorhergesehen waren und Monstern gleichkämen. Kircher ist nicht der einzige, der versucht, das abiogenetische Konzept an diesem Punkt zu relativieren. Kritisch ist ja der Moment der Animation an sich, der im klassischen Modell inzidentell stattfindet, d. h. durch die Kopplung materieller Umstände.118 Wir hatten aber auch gesehen, dass das vitale Prinzip im aristotelischen Entwurf einer Naturgeschichte bereits in die Materie hineinverlagert worden war und jede

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Vgl. Hoppe, »Marcus Marci de Kronland«. Vgl. die aufschlußreiche Parallele von Kirchers Interpretation des camera obscura zu Marcis Prismenversuchen: »The plastic power organizes living beings by its radiating force according to the nature of each species. To explain this radiation, Kircher makes recourse to experiments with the camera obscura. According to him, when the figure of a man is exposed to rays of light introduced into a dark room, the ›species‹ of the man are projected on the wall of the room. After radiating from each point of the figure, the rays are united while still retaining their individual natures, at the pinhole of the camera obscura; although they seem to be simple and uniform to human perception, there actually exist there various species endowed with the proper colors of each part. Thus for Kircher, the radiation of the plastic power is similar to the radiation of light. Just as there can be diverse forms in a ray of light, a diversity of figures and colors can be contained in a single seed. Kircher also compares the light-like diffusion of the plastic power to that of the divine intelligence. In fact, he follows the discussions of Marci very closely for these developments.« Hirai, »Kircher’s Chymical Interpretation«, 6. Vgl. auch Lukrez, De rer. nat. VI, 797–798: »Multaque nunc etiam existunt animalia terris/ Imbribus et calido solis concreta vapore.«

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substantielle Unterscheidung zwischen Körper und Seele unterdrückt werden sollte.119 Kircher forciert diesen Gedanken, indem er betont, dass im Kreislauf von Werden und Vergehen, in dem der Universalsame sich in den verschiedensten Gestalten realisiert, auch noch der verwesende Körper ein Stück Restwärme oder fortpflanzende Potenz beibehalte. Dieser vitale spiritus sei vergleichsweise schwach, eine winzige Lebensflamme (minima scintillula), die, eingefangen in korpuskulare Behälter, durch die Luft getragen und mittels Regen und Wind über den Erdball verteilt werde. Ähnliche Vorstellungen wurden dann in zahlreichen Naturgeschichten wiederholt.120 Kircher schreibt: »Der unmittelbarste materielle Träger urgezeugten Lebens ist unser Samen, in dem verborgen ein spiritus liegt. Dieser ähnelt einem bestimmten Seelenvermögen, das (wie Fortunio Liceti richtig sagte) nach dem Tod im Körper verbleibt, jedoch nicht als Form, sondern als kleinste Korpuskel. In ihnen wird die Seele auch nach dem Tod des Lebewesens wie in einem Gefäß [vas] aufbewahrt.«121 Treffen diese winzigen Samenkapseln auf eine geeignete Matrix, und werden sie in diese versenkt, kann neues Leben entstehen. Denn noch immer wirkt in ihnen die vis plastica des einstigen Lebewesens nach, wenngleich sie jetzt deutlich geschwächt ist. Es ist der Grund, warum sich im spontanen Zeugungsakt grundsätzlich nur noch niedrigere Lebewesen herausbilden können: Sie sind schwache Abbilder der ursprünglichen Spezies. Zoophyten fallen beispielsweise in diese niedere Kategorie, Sukkulenten oder Pilze. Doch auch fossile Abdrücke und Versteinerungen werden auf diese Weise erklärt: Hier war nicht mehr genügend vitale Kraft vorhanden gewesen, um belebte Wesen zu erschaffen. Fossilien sind letzte Abdrücke der Lebensformen, ein gleichzeitiges Aushauchen und Versteinern derselben. 119

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Kircher bezieht sich hier konkret auf Aristoteles’ berühmten Satz »Es entstehen in der Erde und im Wasser Tiere und Pflanzen, weil in der Erde Feuchtigkeit, im Wasser Lebensluft und überall seelische Wärme ist. So ist in gewisem Sinne alles voller Seele« (G.A., 762 a 18–21). Kircher überformt diese Vorstellung mit seinem panspermia-Konzept und entfernt sich damit von einem abiogenetischen Modell, demzufolge Leben aus unbelebter Materie entstehen könne. Niedere Lebewesen entstehen seiner Meinung nach zwar ohne sexuelle Zeugung, sind aber dennoch (schwache) Abkömmlinge eines universalen Samens. Bei Cardano, De sub. XVI, gibt es ähnliche Stellen, nur ist es dann der Laich selbst, der in Stürmen hochgewirbelt wird, um an anderer Stelle herabzuregnen, vgl. die Naturhistorie von Topsell, History of Four-Footed Beasts, 718–719: »Cardan seemeth to finde a reason in nature for this raining of Frogs (…). These prodigious rains of Frogs and Mice, little fishes and stones, and such like things is not to be wondered at: for it cometh to passe by the rage of the windes in the tops of the Mountains, or the uppermost parts of the Seas, which many times taketh up the dust of the earth and congealeth them into stones in the air, which afterwards fall down in rain; so also doth it take up Frogs and Fishes, who being above in the air, must needs fall down again. Sometimes also it taketh up the egges of Frogs and Fishes, which being kept aloft in the air among the whirlwindes, and storms of shewers, do there engender and bring forth young ones, which afterwards fall down upon the earth, there being no pool for them in the air. These and such like reasons are approved among the learned for natural causes of the prodigious raining of Frogs.« Zur Zeugung durch Wind siehe auch Plinius, N.H. XVI, 93. Dort steht, dass der Wind zu bestimmten Zeiten eine besonders befruchtende Eigenschaft habe, Plinius nennt ihn dann genitalis spiritus mundi. Kircher, Mundus subterraneus, 337.

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Für Kircher ist mit dieser Erklärung zweierlei gewonnen. Zum einen kann er die aristotelische Formenkonstanz aufrechterhalten, weil selbst noch urgezeugte Wesen auf ein von Gott geschaffenes Schema zurückgehen und die verschiedenen Arten und Spezies der Tier- und Pflanzenwelt wiederholen, wenngleich in minderer Qualität. Zum anderen wird auf diese Weise das gesamte Wissenstableau zusammengehalten, dessen Ränder auszufransen drohten. Noch kann es nichts Neues unter der Sonne geben, wir können allenfalls tiefer in die Geheimnisse der göttlichen Natur eindringen. Hinter den natürlichen Vorgängen des Lebens steht der Bauplan eines göttlichen spiritus architectonicus, der sich in der Natur allenfalls in stärkeren und schwächeren Abbildern manifestiert, aber selbst in der niedrigsten Kreatur erkennbar bleibt. Ein Denken in hierarchischen Strukturen durchzieht die Vielzahl biologischer Gattungen, Spezies und Individuen und ordnet sie wie ein Magnetfeld, dessen Anziehungskraft nach unten zu nachlässt, aber keine noch so geringe Seinsstufe in Zufälligkeit oder Chaos entlässt. Insgesamt aber können wir verzeichnen, dass die Kraft der universalen taxinomia Gefahr läuft nachzulassen, und zwar geschieht dies an der Basis der Seinshierarchie, im Bereich der niedrigsten, urgezeugten Lebewesen. Hier wird eine creatio ex nihilo zur Denkmöglichkeit und der Einbruch von Kontingenz in die räumliche Anordnung des Lebendigen theoretisch vollzogen.122

ATOMISMUS – LEBEN ALS »ACCIDENT« Konkrete Überlappungen der Diskussion an verschiedenen Orten ergeben sich, wenn wir uns Pierre Gassendi und dem Revival des Atomismus v. a. in den Niederlanden123 und England124 zuwenden. Gassendi war für Kirchers Konzeption des spiritus wichtig gewesen, der 122

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Die Möglichkeit der Entstehung neuer Spezies durch Urzeugung (beziehungsweise durch die Kopulation zweier urgezeugter Wesen) wird schon bei Aristoteles als Angriff auf die Formenkonstanz verstanden und stellt eine Herausforderung für neuzeitliche Naturphilosophen dar. Siehe Aristoteles, G.A. 715 b 2–15, sowie H.A. 539 b 8–12: »Bei Tieren, die von selbst entstehen (…) und dabei in Männchen und Weibchen zerfallen, entsteht aus deren Paarung [zwar] etwas, aber nie das gleiche Tier, sondern ein unentwickeltes, z. B. aus sich paarenden (…) Fliegen die Maden (…), und aus diesen entwickeln sich weder Tiere gleich den Eltern, noch sonst Tiere, sondern nur solche.« Das Prinzip von Heterogenesis (oder Xenogenesis) wird im 17. Jahrhundert u. a. von Francesco Redi diskutiert. Zum Unterschied von Abiogenesis und Heterogenesis vgl. Farley, Spontaneous Generation Controversy, 1. Descartes hat die Urzeugung bereits mechanistisch erklären wollen, als Folge der Einwirkung von Wärme auf sich (durch Fäulnis) zersetzenden Stoff. Die freigelösten Partikel würden durch die zugeführte Wärme zu erhöhter Bewegung angeregt, dadurch entstünden (organische) Materieballungen, siehe René Descartes, »Formation de l’animal«, in: Oeuvres, hg. v. Charles Adamer & Paul Tannery, 12 Bde., Paris 1897–1913, XI, 277. Im Unterschied zur aristotelischen Lehre verhält sich bei Descartes die Materie vollkommen passiv; sie wird durch Bewegungsgesetze organisiert. Gassendi wird hier Alternativen einführen. Das atomistische Revival begann mit der ersten, 1473 gedruckten Lukrez-Ausgabe und ihrer Rezeption durch Aonio Paleario, De animorum immortalitate, Lyon 1536; Scipione Capece, De principiis rerum, Neapel 1546; Daniel Heinsius, De contemptu mortis, Leiden 1621. In England wurden im 17. Jahrhundert gleich mehrere Übersetzungen von Lukrez’ De rerum natura herausgegeben, vgl. den einflussreichen Essay on the First Book of T. Lucretius Carus, ›De rerum natura‹, Interpreted and Made English Verse von John Evelyn, London 1656, sowie Titi

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noch die winzigsten Materiemoleküle mit vitaler Energie versorgte.125 Vor allem aber war er es, der die Frage nach dem Ursprung menschlichen Lebens mit Nachdruck stellte und naturalistische Erklärungsmodelle einforderte. Der explizit anti-aristotelische Duktus seiner Schriften konnte mit Kirchers Anliegen einer Stabilisierung der Formenwelt nicht übereingehen, und dennoch trafen sich beide im Versuch einer Modifizierung der Urzeugungslehre. Gassendis reformierter Atomismus sah vor, die gefährlichen atheistischen Tendenzen aus dem Weg zu räumen, indem er das antike Modell frei beweglicher Atome im leeren Raum an einigen Stellen grundlegend revidierte. Lukrez (ca. 97–ca. 55 v. Chr) beispielsweise hatte in De rerum natura beschrieben, wie sich durch zufällige Kollisionen die Atome verbanden und Aggregate bildeten, und daraus ganz willkürlich Samen für Pflanzen, Tiere und sogar für Menschen entstanden.126 Der antike Autor konnte sich auf die aristotelische Basiserklärung verlassen, wonach feuchte Erde und Wärme ausreichten, um Leben ad hoc entstehen zu lassen – Atome wurden durch die Wärmezufuhr als einer Art Kohäsionskraft gebunden beziehungsweise zusammengebacken, wobei die so entstandenen Samen in höhlenartigen uteri, kleinen Mutterschößen gleich, im Erdreich lagerten. In Lukrez Lehrgedicht wird der Urbeginn der Welt auf diese Weise nachgezeichnet: Alle Lebewesen, sogar die ersten Menschen sind spontane Zeugungen der Materie und in ihrer Zusammensetzung letztendlich rückführbar auf atomare Konstellationen. Die ersten Embryonen wären dann solange in der Erde herangereift, bis sie aus den uteri ausbrechen und

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Lucretii Cari. De rerum natura libri sex, Cambridge 1675 (zweite Ausgabe 1685); T. Lucretius Carus, the Epicurean Philosopher, His Six Books ›De natura rerum‹, Done into English Verse, with Notes, übers. v. Thomas Creech, Oxford 1682. Weiterführend: Cosmo A. Gordon, A Bibliography of Lucretius, London 1962; Thomas F. Mayo, Epicurus in England (1650–1725), Dallas 1934; Monte Ransome & Catherine Wilson, »Lucretius and the History of Science«, in: The Cambridge Companion to Lucretius, hg. v. Stuart Gillespie & Philip R. Hardie, Cambridge 2007, 131– 148. Zur Urzeugungslehre bei Lukrez siehe auch Read, »Spontaneous Generation in Lucretius«. Gassendi vertrat den Glauben an eine seminale Präexistenz, nicht jedoch an eine Präformation der Lebewesen: Diese seien von Gott beim Schöpfungsakt als semina rerum in die Welt gelegt worden – kleine aus Atomen hergestellte moleculae, denen eine winzige Lebensflamme (flammula) eingegeben worden wäre, vgl. Hiro Hirai: »Le concept de semence de Pierre Gassendi entre les théories de la matière et les sciences de la vie au XVIIe siècle«, in: Medicina nei Secoli 15 (2003), 205–226, v. a. 215–218; William B. Hunter Jr., »The Seventeenth Century Doctrine of Plastic Nature«, in: Harvard Theological Review 43/3 (1950), 197–213; Matthew R. Goodrum, »Atomism, Atheism, and the Spontaneous Generation of Human Beings: The Debate over a Natural Origin of the First Humans in Seventeenth-Century Britain«, in: Journal of the History of Ideas 63/2 (2002), 207–224. Lucrez, De rer. nat. II, v. a. 590–600. Schon in Empedokles’ Kosmogonie gibt es die Vorstellung spontan gezeugter, aus der Wärme der Erde hervorgehender Lebewesen; zunächst sind es v. a. die Bäume. Vgl. Ingensiep, Pflanzenseele, 5–6: »Gemäß diesen Grundsätzen entwirft Empedokles eine mechanistische Urzeugungslehre (…): Aus den Grundelementen ermischte Stücke von Pflanzen, Tieren und Menschen entsprießen der Erde, werden zufällig zusammengefügt (…). So seien bereits vor der Scheidung in Tag und Nacht die Bäume als erste Lebewesen aus der Erde mittels ihrer Wärme hervorgetrieben, zunächst unvollständig und in abenteuerlichen Konfigurationen, um sich schließlich zu ganzen Körpern zu formieren. Nach deren Vollendung seien dann die Tiere entstanden. (…) Aus den vier Elementen lässt der ›Physiker‹ Empedokles alle Lebewesen hervorgehen und wieder eingehen in einen ewigen Mischungsprozess der Elemente.«

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20 | Georgius Segers, Darstellung eines »Fungus

anthropomorphus«, in: Miscellanea curiosa; sive Ephemeridum medico-physicarum Germanicarum 2 (1671), 112.

ans Tageslicht treten konnten. Eine milchähnliche, aus den Poren der Erde tretende Substanz diente ihnen, die ja elternlos waren, zur ersten Ernährung. Im weiteren konnte die Kette der Generationen durch sexuelle Fortpflanzung eröffnet werden. Lukrez war aber auch der Meinung, dass einige Kreaturen bis zuletzt spontan gezeugt wurden, vor allem niedrige, kaltfeuchte Tiere und Pflanzen, die zu ihrer Entstehung wenig Wärme benötigten. Überhaupt nannte er als Grund für die Abnahme spontaner Zeugungen innerhalb der Naturgeschichte die langsame Erschöpfung der Erde, die wie ihre eigenen Geschöpfe alterte und dabei ihre Feuchtigkeit und Wärme verlor. Mittlerweile wäre eine Spontanerzeugung großer Tiere oder des Menschen gar nicht mehr möglich. Allenfalls primitive Organismen entstünden elternlos, als letzte Geschöpfe der Mutter Erde (als letzte terra nati). Es gibt im übrigen kleine Bildergeschichten dazu. Wenn man sehen will, wie sich solche Metamorphosen visuell ereignen, so kann man beispielsweise Georgius Segers’ Darstellung eines Fungus anthropomorphus von 1671 heranziehen, die mit der Vorstellung von ad hoc und aus der blanken Materie heraus generierter Lebensformen spielt, in der sich Mensch- und Pilzform ludistisch annähern. Es bleiben Spielformen der Natur (ludi naturae), aber dahinter steht die Faszination möglicher Transgressionen zwischen Pflanzen-, Tier- und Menschenreich. Auch in Johannes Goedaerts Metamorphosis naturalis tragen die von ihm spontan erzeugt geglaubten Schmetterlingslarven menschliche Züge,

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ATOMISMUS – LEBEN ALS »ACCIDENT«

21 | Johannes Goedaert, Schmetterlingslarve mit menschlichen Zügen, in ders.:

Metamorphosis naturalis, Middelburgh 1662–1667, III, Tafel C.

aber wenngleich dies ebenfalls eng mit der naturhistorischen Diskussion dieser Tage zu tun hat, so ist die Ausrichtung ein wenig anders, denn Goedaert will die Materie transzendieren.127 Die materialistische Erklärung der Entstehung von Leben dagegen, ohne göttlichen Eingriff und Anteil, musste an den kosmologischen Grundfesten des 17. Jahrhunderts rütteln. Die Epikureische Lehre verneinte jede Vorsehung und Planmäßigkeit während der Weltentstehung, die auch nur wieder eine vergängliche Materieballung in einem unendlichen Raum darstellte und jederzeit von anderen Ereignissen übertroffen und aufgelöst werden konnte. Unter konsequentem Verzicht auf transzendente und metaphysische Annahmen hatten die Atomisten ein Weltbild entworfen, das ausschließlich mit quantifizierbaren physikalischen Größen operierte. Darin lag die Attraktivität für barocke Propagandisten einer neuen empirischen Wissenschaft, und Gassendi war sicherlich einer der wichtigsten Vertreter jener atomistischen Neubegründung der Welt, die mit der christli-

127

Georgius Segers, »Fungus anthropomorphus«, in: Miscellanea curiosa, sive Ephemeridum medico-physicarum Germanicarum 2 (1671), 112–113.

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chen Lehre so schwer vereinbar war.128 Er versuchte den Vorwürfen atheistischer Häresie dann auch sogleich zuvorzukommen, indem er Gott sowohl die Rolle des Schöpfers wie des Organisators der von ihm inzwischen als begrenzt gedachten atomaren Welt zuwies. Das Ausmaß des divinatorischen Eingriffs ließ er jedoch weitgehend undefiniert: So konnte es in manchen Fällen weiterhin Zufallskonstellationen der Atome geben, während Gott in anderen Fällen ihre Bewegungen in Bahnen lenkte beziehungsweise den Samen aller Pflanzen und Tiere schon an den ersten Schöpfungstagen über die Länder und Meere verstreut und den Formverlauf unwiderruflich festlegt hatte.129 Mit letzterem Gedanken wird der theologischen Prädestinationslehre Genüge getan, und Atomismus und Aristotelismus fügen sich, ein wenig gewaltsam zwar, doch immerhin zusammen.

GRUND UND BILDGRUND Durch die Einführung eines seminalen Prinzips wurden materialistische Tendenzen noch einmal zurückgedrängt. Selbst die kleinsten Materieteilchen waren belebt und mit einer Art Kohäsionskraft versehen, die Wachstums- und Formationsprozesse auf unsichtbare Weise lenkte und leitete. Voraussetzung dafür war die christliche Zuschreibung eines aktiv-hervorbringenden Naturprinzips, das in der Antike als All-Natur oder Welt-Seele agierte, an Gott selbst: Gott als natura naturans. »Wie zwischen Einzelseele und ihren persönlichen Schöpfergott, so kann christlich auch zwischen die einzelnen Naturdinge und Naturprozesse keine ontologische Instanz dazwischentreten, auch die Natur wird ›unmittelbar‹ zu Gott in dem Sinne, dass er immediates, erstes Prinzip aller ihrer zumindest substantiellen Formen, aller ihrer erstrangigen, fundierenden Kräfte ist – im 16., vor allem aber dann im 17. Jahrhundert wird dann mit dem Gedanken der vollständigen Abhängigkeit auch noch der unscheinbarsten, kontingenten, ephemeren Einzelvorgänge und der in sie involvierten ›singularia/particularia‹ von Gott Ernst gemacht.«130 Gleichzeitig hatte sich der Blick auf die physische Welt geschärft und den Einzeldingen – ihrem Aussehen, ihrer individuellen Gestalt – größere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen. Bleiben wir weiterhin auf der Ebene der barocken Naturtheorie, um die Spannung zu besprechen, die sich zwischen einem detailliert beobachtenden, präzisen Zugriff auf die Natur auftut und etwas, was man als Geheimnis der Schöpfung oder deren durchwirkende generative Kraft 128

129 130

Gassendis Publikationen beginnen 1624 mit einer anti-aristotelischen Abhandlung Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos und einer 1630 gegen Robert Fludd verfassten Streitschrift Epistolica exercitatio, in qua principia philosophiae Roberti Fluddi medici reteguntur. Dem folgen 1643 und 1644 zwei Streitschriften gegen Descartes (Disquisitiones anticartesianae sowie Disquisitio metaphysica). 1647 veröffentlichte er die erste seiner Schriften zu Epikur (De vita, moribus et placitis Epicuri; 1649 folgte sein Syntagma philosophicae Epicuri und 1658 sein Syntagma philosophicum, in denen sich gehäuft Passagen zur Urzeugungstheorie finden lassen. Vgl. u. a. Howard B. Adelmann, »Gassendi on Generation«, in: ders., Marcello Malphighi and the Evolution of Embryology, 5 Bde., Ithaca, New York 1966, II, 798–816. Pierre Gassendi, Syntagma philosophicum, Paris 1658. Thomas Leinkauf, »Implikationen des Begriffs natura naturans in der Frühen Neuzeit«, in: Ludi naturae. Spiele der Natur in Kunst und Wissenschaft, hg. v. Hartmut Böhme, Robert Felfe & Natascha Adamowsky, München 2010, 103–120, hier 112.

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bezeichnen könnte. Eine solche biotische Kraft, die aus toter Materie wie aus einem tiefen Grund oder Erdboden einzelne Lebensformen hervorholt, wachsen lässt und verwirft, bleibt als produktives Wirkprinzip der Natur (natura naturans) selbst formlos beziehungsweise realisiert sich in den einzelnen Naturformen (natura naturata) jeweils aufs Neue.131 Umgekehrt wird jene dynamische Fortpflanzungskraft in den singulären Naturformen bildhaft ruhiggestellt. Sie konkretisiert sich in ihnen, indem sie in eine differenzierte Sichtbarkeit überführt wird, die nun auch benenn- und klassifizierbar ist. Deshalb kann sich künstlerische Mimesis auf die Darstellung eines biotisch-genetischen Vermögens beziehen. Als geheimnisvolle Wirkkraft der Schöpfung bleibt es an sich zwar unsichtbar, aber es wird über die Einzigartigkeit der Naturformen zugänglich gemacht. Letztere kann man beispielsweise über Detailrealismen sichtbar machen, also durch die Beschreibung von Oberflächenstrukturen und Minutien, aufgrund derer die Körper unverwechselbar und individuell erscheinen – gerade in der niederländischen Malerei wird ja der physisch-vergängliche Status der dargestellten Gegenstände solcherart vor Augen geführt. Die Tiere, Pflanzen, Früchte erscheinen zum Greifen nahe, geradezu haptisch-präsent in ihrem konkreten Dasein. Weiterhin aber verweisen sie über sich hinaus auf eine Spezies und Gattung, denn sonst könnten wir sie nicht benennen. Und sie deuten drittens auf einen Grund, wodurch sie entstanden sind, wodurch sie bestehen und vergehen. Im sottobosco fällt dieser »Grund« in dem Moment mit dem feuchtdunklen Bildgrund zusammen, in dem ihn der Malerpinsel berührt. Die braune Fläche agiert als campus, aus dem die Formen entstehen – als eine Art Nährboden, aus dem die Naturgegenstände unversehens hervortreten, wild wuchernd um sich greifen und fast schon aus dem Bildfeld treten. Man kann aber auch sagen, sie agiert als campus im Sinne eines Jagdgrunds zum Aufspüren aller möglichen Formen des Seins (posse fieri) – eine Metapher, die Cusanus (1401–1464) in De venatione sapientiae aufgebracht hatte und die noch von Comenius (1592–1670) im 17. Jahrhundert verwendet wird.132 Verstehen wir sie, die Fläche, und ihn, 131

132

Zum Verhältnis von Grund und Bildgrund sowie zur Relationierung von Malen und Denken vgl. Thomas Leinkauf, »Philosophische Implikationen des Begriffs ›Grund‹ am Beispiel der Vorstellung eines ›propre fond‹ bei Leibniz«, in: Der Grund. Das Feld des Sichtbaren, hg. v. Gottfried Boehm & Matteo Burioni, München & Paderborn 2012, 279–302. Vgl. Widmungsschreiben der comenischen Schrift Via lucis (Wege des Lichtes) an die Royal Society, Amsterdam 1668, 3. Bei Comenius wachsen die Dinge in der Interaktion, in gegenseitiger Einwirkung. »Dynamische und immanentistische Elemente in den Naturdeutungen des Comenius bereiten jedoch auch seinen Weg zur aktiven Auffassung des Menschen vor. Eine gewisse Unabhängigkeit, die für die Natur garantiert wird, postuliert dasselbe in noch höherem Maße für den Menschen, der zwar aus der Natur aufwächst, diese jedoch zugleich unübertrefflich überragt, da seine Aufgabe nicht bloß darin besteht, die ›Ordnung der Dinge‹ (oder rationes rerum) zu erkennen, sondern auch neue Dinge zu schaffen und alte zu ändern. Der Mensch soll die Natur nicht nachahmen, sondern umgestalten«. Pavel Floss, »Comenius und Descartes«, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 26/2 [1972], 252. Grundsätzliches zum »Bild-Begriff bei Cusanus« im gleichnamigen Aufsatz von Thomas Leinkauf in: Denken mit dem Bild. Philosophische Einsätze des Bildbegriffs von Platon bis Hegel, hg. v. Johannes Grave & Arno Schubbach, München 2010, 45–75. Hier wird u. a. auf die aktive, intentionale Ausrichtung in Bildprozessen (»Ähnlichwerden«) und damit auf eine Dialektik von Identität und Differenz oder Einheit und Vielheit hingewiesen, die ein solches produktives »Bild« zu

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22a, b | Otto Marseus van Schrieck, Zwei sottoboschi mit Pilzen, um 1657, Öl auf Leinwand,

jeweils 31.8 × 41.3 cm, Jack Kilgore Kunsthandel, New York.

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den Grund, als einen Möglichkeitsort natürlicher und künstlicher Prokreation, so kommen wir nicht umhin, den Einzeldingen einen ephemeren und dem grundierten Bildfeld einen proteisch-generierenden Charakter zuzugestehen. Wenn aber die konkreten Einzelformen nur wieder jenen Grund sichtbar machen, aus dem sie generiert oder auf den sie aufgetragen wurden, dann basieren die niederländischen Naturdarstellungen – und vor allem die sottoboschi, in denen es allem Anschein nach um Generierung per se geht – auf einer bipolaren Struktur: Sie thematisieren den Bildgrund ebenso wie die Lebewesen, die daraus entstehen, das Pigment und die Malmaterie ebenso wie die Bildgegenstände, die damit dargestellt werden. Und die bipolare Struktur dialektisiert das Bildfeld weiterhin: Einerseits werden die Tiere und Pflanzen ihrer äußeren Erscheinung nach minutiös beschrieben und nah an die Bildgrenze gerückt – Flechten und Moos werden wie eine zweite Natur haptisch aufgebaut, die Schmetterlingsflügel direkt aufgetragen –, andererseits haften sie wesentlich der braunen Farbe an, die sie an den Bildgrund als imaginären Ursprungsort rückbindet. Dabei zeigt die Spannung zwischen Annäherung und Distanz der bildlichen Darstellung gegenüber der Natur auf, dass eine empirische Datenerhebung nicht unbedingt Intimität mit den physischen Gegenständen oder gar Erkenntnis derselben erzeugt. Vielmehr handelt es sich bei allen Einzeldingen nur immer um Spezifizierungen einer unendlich potenten Naturkraft, die eben weil sie bildhaft wird und sich zeigen muss, zugleich genuines Thema der Kunst ist. Innerhalb der Naturtheorie des 17. Jahrhunderts sind Einzelform, Gattung und Seinsgrund immer schon in ein Bildverhältnis gesetzt und verweisen aufeinander. Natur- und Kunsttheorie sind aufgrund der Abbildfunktion, die einer Spezies zukommt, wechselseitig aufeinander bezogen.133

133

mehr als einem bloßen »Abbild« macht. Zum Begriff des »campus« und seinen weiteren Bedeutungen zum Beispiel als »Jagdgrund« bei Cusanus siehe Clyde Lee Miller, Reading Cusanus: Metaphor and Dialectic in a Conjectural Universe, 206 (»Possibility and Divine Prey«): »The year before he died Nicholas of Cusa presented a lengthy summary of his lifelong intellectual quest. He titled it De venatione sapientiae (The Hunt for Wisdom). Nicholas organized the entire work around an elaborate metaphor, that of the hunt or chase. In this work he proposes that the various symbols, rubrics, and symbolic names for God – some of which he had explored in his earlier writings – might be likened to ten campi, or hunting fields, where Wisdom could be pursued, that is, where God could be sought.« Vgl. auch Cusanus, De venatione sapientiae, hg. v. Raymond Klibansky & Hans Gerhard Senger, Hamburg 1982, v. a. Anm. 147–169; Siegfried Dangelmayr, Gotteserkenntnis und Gottesbegriff in den philosophischen Schriften des Nikolaus von Kues, Meisenheim am Glan 1969, 273–278; Hermann Schnarr, Modi essendi. Interpretationen zu den Schriften De docta ignorantia, De coniecturis und De venatione sapientiae von Nikolaus von Kues, Münster 1973, 68–166; Kurt Flasch, Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung, Frankfurt a. M. 1998, 603–622. Bei Cusanus erhält das mögliche bzw. unmögliche Sein (posse fieri) gegenüber dem realen Sein eine stärkere Betonung: Gemeint ist sowohl die (Un-) Möglichkeit des Geschehens wie des Entstehens tatsächlichen Seins. Dazu buchstäblich grundlegend: Jeroen Stumpel, »On Grounds and Backgrounds«, sowie der Sammelband Der Grund. Das Feld des Sichtbaren, hg. v. Gottfried Boehm & Matteo Burioni, München 2012. Im Nachwort fasse ich einige der darin versammelten Positionen zusammen und beziehe mich auf mögliche Unterschiede sowie Wechselbeziehungen zwischen »Grund« und »Feld«.

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»CAMPEGGIARE« UND »SCHILDEREN« In Kunst wie Natur emergieren die Spezies aus dem Bereich des Ungeformten, Chthonischen, dem braunen Grund oder Feld. Weil es aber darum geht zu verstehen, dass Naturund Kunsttheorie sich derart, das heißt auf der Produktionsebene, miteinander in Beziehung setzen lassen, macht es Sinn, an dieser Stelle in den kunsttheoretischen Traktaten nachzuschlagen und zu überprüfen, welche Bedeutung dem Feld oder Grund im malpraktischen Sinn zukommen konnte. Innerhalb der italienischen Kunsttheorie nämlich, etwa bei Cennino Cennini (ca. 1370–ca. 1440) oder Giorgio Vasari (1511–1574), war eine Bedeutung von campo, dem »Feld«, zunächst das Bestreichen einer Fläche mit Farbe gewesen. Jeroen Stumpel hat gezeigt, wie die Tätigkeit des campire oder campeggiare das Anbringen einer homogenen Farbschicht bedeuten kann, also vor allem eine materielle Komponente aufweist, und wie sie im 16. Jahrhundert nicht nur zu einem kunsttheoretischen Grundbegriff avanciert, sondern sich dieser in seiner Bedeutung verändert: Nun geht es weniger um den Farbauftrag und zunehmend um das Verhältnis zwischen Figur und Grund, also um kompositorische Werte des Bildaufbaus. Die Farben sollten so gesetzt werden, dass sie sich vor einem Grund abheben und entweder ornamental gesehen oder figurativ gedeutet werden konnten.134 In einem interessanten Passus hat Stumpel deshalb einmal bemerkt, dass sich hier die Wortbedeutungen von campo und schild – also der »Grund« oder das Farbfeld und das »Schild« bzw. die Wappenmalerei – berühren, denn »schilder, the Dutch word for painter, may also be related to heraldic parlance, for schild means shield, so the verb schilderen might be the perfect translation of Cennini’s campeggiare.«135 Man muss hier allerdings genau sein, denn in den Malerbüchern geht es, wenn der Begriff 134

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Jeroen Stumpel, »On Grounds and Backgrounds. Some Remarks about Composition in Renaissance Painting«, in: Simiolus 18 (1988), 219: In Cennini’s Libro dell’arte »we learn that, when talking about the art of painting, a basic meaning of campo (or related verbs like campire or campeggiare) could be ›a layer of paint or color‹ (or the application of that paint). ›And bear in mind that the panel‹, Cennini writes, ›needs to be laid in more times (più volte campeggiata) than a wall; but still not so much as not to need to have the green, which lies under the flesh colors, always show through a little.‹ We encounter the same basic meaning much later, in part of Vasari’s definition of a painting: ›La pittura è un piano coperto di campi di colori‹, which might be translated as ›Painting is essentially a plane surface with colors.‹« Stumpel hat auch herausgestellt, wie der Farbauftrag (campo) bei Vasari ein Mittel zur Erreichung von Plastizität und Tiefenräumlichkeit bedeutet: »There is no doubt that his campi di colori, or strokes of paint, were meant to create effects of rilievo on the surface of walls or panels; that is, effects of three-dimensionality rather than flatness« (ebd., 220). Wichtig ist festzustellen, dass ein campo einen stabilen Farbwert aufweisen muss: »So, campo could mean a stroke of paint in more or less one hue or color«. Ebenda. Ebd., 221. Zur Begriffsbestimmung von schilderen und schilderij siehe außerdem Lydia De PauwDeveen, De begrippen »schilder«, »schilderij« en »schilderen« in de zeventiende eeuw, Brussel 1969. Damit klingt im übrigen ein Konzept der Malerei als bemalte Fläche oder farbiges Feld an, das später von Svetlana Alpers aufgegriffen und mit der Kartographie in Verbindung gebracht werden wird: Eine solche Kunst zeichne sich durch eine feste und einsinnige Oberflächenstruktur aus, sie habe eine Affinität zur Geologie, Geographie sowie zur Darstellungsform der »Karte«. Diese funktioniere strukturell vor allem als flächendeckendes Nebeneinander von Einzelformen; eine Tiefendimension werde durch Staffelungen erreicht. Vgl. Svetlana Alpers, Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln 1985, 411.

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campo fällt, nicht nur um die Erzeugung räumlicher Tiefe durch die Verwendung mehrerer Felder oder »Gründe«. Schon in Cenninis Libro dell’arte bezeichnet der Begriff campo nicht einfach eine Grundierung, sondern »eigentümlicherweise auch ein Kontrastverhältnis (…). Hier zeigt sich also, dass mit campo keineswegs eine Kompositionsweise vorgestellt ist, nach der Vorder-, Mittel- und Hintergrund gestaffelt werden, sondern vielmehr ein sichtbarer Kontrast zwischen mehreren Farbschichten.«136 Dass eine begriffsgeschichtliche Untersuchung des Bildgrunds aussteht, hat kürzlich noch einmal Matteo Burioni betont. Wir können nur immer weitere Beispiele sammeln, in denen der Begriff verwendet wurde und kunsttheoretisch relevant wird, um seine Bedeutung genauer zu umreissen. Festgehalten werden kann, dass das Bildfeld in lateinischen und deutschen Quellen der frühen Neuzeit regelmäßig als campus oder »Feld« bezeichnet wurde, dass dann im niederländischen und deutschen Sprachraum Mitte des 15. Jahrhunderts außerdem der maltechnische Begriff grund, grunt oder gront in Erscheinung trat und dass diese Bezeichnung zunehmend zwischen so unterschiedlichen Bedeutungen wie dem materiellen Malgrund einerseits sowie der »Anlage« und dem »Anfang« des Werkes andererseits zu changieren begann, also metaphorisch ausgedeutet werden konnte.137 Im Niederländischen beispielsweise meint man mit grond(t) allgemein eine unterste oder tragende Schicht, wobei es im Altniederländischen zunächst zwei Wortformen gab, nämlich grunnd für den Meeresboden (bodem van de zee) und grund für eine ebene Fläche oder ein Feld (vlakte, veld). Letztere kann zum einen als Erdboden oder Acker verstanden werden, d.i. als Grund, auf dem etwas angebaut wird oder etwas wächst, oder zum anderen als Terrain oder Fundament, auf dem ein Gebäude oder generell etwas Erhabenes, Dreidimensionales errichtet wird.138 Im übertragenen, maltechnischen Sinn wiederum kann der Begriff auch im Niederländischen (grond) jene Bedeutung eines campo annehmen, die oben bereits anklang: Dann geht es darum, mittels Farbauftrag einen Hintergrund abzu-

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Matteo Burioni, »Grund und campo. Die Metaphorik des Bildgrundes in der frühen Neuzeit oder: Paolo Uccellos Schlacht von San Romano«, in: Der Grund. Das Feld des Sichtbaren, hg. v. Gottfried Boehm & Matteo Burioni, München & Paderborn 2012, 98. Im Übereinanderlegen verschiedener campi entsteht Differenzierung und damit rilievo. Burioni, »Grund und campo«, 96. Zum Begriff »campo«: »Dieser Terminus für das Bildfeld geht vermutlich auf eine sehr alte Tradition zurück, da bereits in den Mappae clavicula von ›campus facere‹ die Rede ist. Ein Göttinger Musterbuch aus dem 15. Jahrhundert prägte dafür das treffende, deutsche Wort ›Feldung‹. Im niederländischen und deutschen Sprachraum trat Mitte des 15. Jahrhunderts der maltechnische Begriff grund, grunt oder gront erstmals in Erscheinung.« Im weiteren wird im 15. Jahrhundert zwischen Grundierung und Bildgrund unterschieden, z. B. indem das Malen einer Tafel mit der Errichtung eines Gebäudes verglichen wird. »Ohne dass er positiv bestimmt würde, war ›Grund‹ hier etwas anderes als Bildfeld, Bildträger oder Malschicht. Durch die Wahl des Wortes ›Grund‹ wurde das Malen selbst als regelhafter, architektonischer Prozess begriffen, ein Werk gewissermaßen ›aus dem Fundament‹ errichtet.« Ebd., 96–97. Burioni verweist auf die terminologische Untersuchung von Jilleen Nadolny, »European Documentary Sources before c. 1550 Relating to Painting Grounds Applied to Wooden Supports. Translation and Terminology«, in: Preparation for Painting. The Artist’s Choice and Its Consequences, hg. v. Joyce H. Townsend, Tiarna Doherty, Gunnar Heydenreich, Jacqueline Ridge, London 2008, 1–13. Nach: Woordenboek der Nederlandsche taal, begr. v. Matthias de Vries & Lamert Allaerd te Winkel, 40 Bde., Leiden & Den Haag, 1882ff, Lemma »grond«.

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geben für eine Figur, die von ihm absticht, oder eben jenen Kontrast zu erzeugen, der schon mit zwei oder mehreren Pinselstrichen eintreten kann – erneut aufgrund der Farbigkeit sowie des materiellen Aufbaus und nicht aufgrund einer vorab gezeichneten Umrisslinie (disegno). Bei Otto Marseus und anderen sottoboschi-Malern des 17. Jahrhunderts ist es nun so, dass Figur und Grund nicht allein in ein formales, sondern in ein genealogisches Verhältnis gesetzt wurden. Die Figur basiert auf der materiellen Basis des Malgrunds, ja, sie emergiert geradezu aus ihr. Ihr Erscheinen auf der Bildfläche jedenfalls geschieht im Sinne eines zunehmend haptischen Zutage-Tretens: Die übereinandergelegten Pinselstriche ergeben nach und nach ein Relief im Sinne des Aufbaus in mehreren Farbschichten, der grond konkretisiert sich im Körper bzw. in der Figur. Und da diese Konkretisierung oder Realisierung nicht einfach nur im räumlichen Sinn als Differenzierung zwischen einem Davor und Dahinter, sondern auch im genealogischen Sinn zwischen einem Vorher und Nachher geschieht, tritt Zeitlichkeit auf den Plan. Die sottoboschi zeigen Formen in statu nascendi, und zwar sowohl malerische wie biologische, aber weil es sich um Primitivformen handelt, drohen sie, in die Materie zurückzufallen. Man kann also sagen, dass »Picturas Acker« in so manchen Stilleben und Naturstücken des 17. Jahrhunderts einen genuinen Grund zur Entfaltung sowohl von Natur- wie Kunstformen bietet, weil die Frage der Repräsentation der Natur zugleich eine Frage nach der Repräsentation innerhalb der Natur ist.139 Inwieweit zwischen den frühneuzeitlichen Unterteilungen der Natur in Gattungen und Spezies sowie den Gattungstheorien in der Bildenden Kunst Bezüge hergestellt werden können, muss noch eigens besprochen werden, zwischen beiden gibt es einen sachlichen Zusammenhang. Für den Moment sei jedoch nur daran erinnert, dass »der Begriff species, der ›Schein‹, ›Aussehen‹, ›Anblick‹ bedeutet, aus der Wurzel spec- [stammt], die ›schauen, spähen, sehen‹ bedeutet und in speculum, Spiegel, spectrum, Bild, Larve, etc. wiederzufinden ist. In der philosophischen Terminologie wird species verwendet, um das griechische eidos zu übersetzen (…); von daher rührt die Bedeutung, die der Begriff in den Naturwissenschaften annehmen wird (Tier- oder Pflanzenart). [Zunächst aber] unterteilt die species die Gattung nicht, sondern zeigt sie vor.«140 Die Spezies macht die Gattung überhaupt erst sichtbar, ist eidos (εἶδος), also selbst substantiell Bild. Nicht zuletzt weil sie dies tut, d. h. weil einer species, verstanden als Lebewesen und Bild, im konkret Sichtbaren immer auch ein ontologischer Überschuss anhängt, der sie mit ihrer Gattung verbindet, entsteht im Stilleben und in den vielen Naturstücken des 17. Jahrhunderts jene seltsame Spannung zwischen Einzelform und Ganzem, Detailrealismus und Symbolik.141 In seinem spezifischen Sein ist jedes Lebewesen sowohl nach 139 140 141

Diese Formulierung hat Frank Fehrenbach gefunden. Es ist in einem solchen veränderten Kontext, dass die species hauptsächlich zu einem Identitätsund Einordnungsprinzip geraten, vgl. Giorgio Agamben, »Das spezielle Sein«, in: ders., Profanierungen, Frankfurt a. M. 2005, 52–53. Aristoteles hatte mit eidos sowohl die »Art« wie auch die »Form« bezeichnet. Das hat zu interpretatorischen Schwierigkeiten geführt, vor allem das Verhältnis der Kategorien betreffend, in der eidos (als »Art«) zweite Substanz ist, zu der Metaphysik, in der eidos (als »Form«) erste Substanz ist.

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DIE SPEZIES ZEIGT DIE GATTUNG VOR

außen zeigende Erscheinung wie partizipierendes Abbild eines Urbilds. Im Resonanzraum zwischen symbolischer und realistischer Bedeutung gibt sich Natur, so könnte man außerdem ausführen, sowohl als »das ›Innere der Dinge‹, das sich zu verbergen liebt«, wie auch »als erscheinende Fomenvielfalt, die beobachtbar, analysierbar, propositional darstellbar ist.«142 In ersterer Bedeutung werden die Konstanten innerhalb der wechselnden Mannigfaltigkeit von Dingen angezeigt und als Verweise auf eine Ganzheit der Natur verstanden, in letzterer wird dagegen das konkrete physische Dasein (zwischen Werden und Vergehen) zum Gegenstand der Betrachtung gemacht: »Die species ist der Gattung untergeordnet und von ihr wird die Gattung in ihrem Wesen ausgesagt«, und zwar »vermittels der differentia specifica«; »genus und species sagen aber das Wesen einer Sache in Hinblick auf ein Exemplar oder Individuum aus.«143 Zwischen Einzelbeobachtung und Gesamttableau kommt es im Laufe des 17. Jahrhunderts jedoch zu Spannungen: Denn im Kontext der neuen empirischen Wissenschaften und Bilder wiederholt sich nicht nur das Grundproblem, wie die Dinge unserer Erfahrungswelt in eine übergeordnete Einheit zu bringen sind, sondern es verstärkt sich noch. Das Dilemma, das sich zwischen allgemeinen Formen und Einzeldingen, und d. i. zwischen einer Ontologie und einer Psychologie der Wahrnehmung auftut, spiegelt sich in der dialektischen Spannung wieder, mit der »Natur« in den Bildern gleichermaßen gezeigt wie verhüllt wird. Einen solchen instabilen Zustand gibt es in der Kunst vielleicht schon immer, aber der Advent der Naturwissenschaft und ihrer neuen optischen Apparaturen forciert ihn deutlich.144

DIE SPEZIES ZEIGT DIE GATTUNG VOR Kehren wir an dieser Stelle auf die populäre Vermittlungsebene der vielen Naturhistorien des späten 16. und 17. Jahrhunderts zurück. Ein erneuter Blick bestätigt die zeittypische Heteroglossie, die Mehrzüngigkeit als notwendiges Ergebnis barocker Kompilatorentätigkeit. Neue und alte Lehrmeinungen liegen blank und unvermittelt nebeneinander. Um Beispiele zu nennen: Schlangen werden als magische Verlebendigung toter Materie verstanden, gleichzeitig werden ihre Geschlechtsorgane analysiert.145 Einmal wird die Kröte als spontanes Produkt des nassen Erdreichs beschrieben, dann wieder gilt ihre Zugehörigkeit zum Erdreich als rein habituell. Einmal wird sie den terra nati zugeordnet, ein anderes Mal erhält sie den Rang und Namen einer klassifizierbaren Spezies.

142 143 144 145

Thomas Leinkauf, »Der Naturbegriff in der Frühen Neuzeit. Einleitung«, in: Der Naturbegriff in der Frühen Neuzeit. Semantische Perspektiven zwischen 1500 und 1700, hg. v. Thomas Leinkauf, Tübingen 2005, 3. T. Trappe, »Species«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 13 Bde., Basel 1995, IX, Sp. 1315ff, hier 1343. Agamben, »Das spezielle Sein«, 55. Eine grundsätzliche Verwirrung besteht darin, dass sich spontan erzeugte Tiere, manchen kanonischen Texten zufolge, selbst sexuell fortpflanzen können, wie zum Beispiel die Schlangen, deren Eier man schon in antiken Texten besprochen findet, ohne dass deswegen die Vorstellung einer generatio spontanea aufgegeben worden wäre.

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Zu bedenken ist, dass sich mit dem changierenden Natur- und Kreationskonzept des 17. Jahrhunderts auch der Mimesis-Begriff veränderte. Betrachten wir Otto Marseus’ 1662 datierten sottobosco, das berühmte Braunschweiger Stilleben mit Insekten und Amphibien.146. Auf ihm sind unterschiedliche Aspekte des barocken Naturbegriffs versammelt. Auf engstem Raum ist das klassische Repertoire urgezeugter Wesen dargestellt – auf dem feuchten Moosboden tummeln sich um verschiedenartige Pilze und Pflanzen Schmetterlinge, Insekten, Kröten und andere Kriechtiere –, doch geschieht dies sowohl mit wissenschaftlicher Akribie wie mit der Geste eines Demiurgen, der Dinge aus dem Nichts entstehen lässt.147 Der dargestellte Ort gleicht einem Terrarium, vollgesteckt mit giftigem Getier. Das Klima ist schwül und stickig; Pilze schieben sich aus dem feuchten Untergrund; auf ihren Kappen sammeln sich Tropfen, die aus dem eigenen Saft hervorgetrieben wurden. Links unten können wir sogar ein Exemplar der unger eijeren (Eier der bösen Geister) sehen, deren phallische Verwandlungskünste Hadrianus Junius eindringlich beschrieben hatte. In den barocken Naturhistorien werden, der antiken Tradition folgend, Pilze unisono als zähfließend und dem phlegmatischen Temperament verhaftet beschrieben, und man ahnt die Relevanz der Säftelehre auch für die Entstehung dieses Bildes. »Derartige Pilze weisen eine weichlich-klebrige Oberfläche auf und verfaulen und zerfallen sofort nach dem Ablösen vom Erdboden«, heißt es beispielsweise bei Dioskorides.148 Der Schwüle eines Treibhauses gleich, wird im gedrängten Innenraum des Bildes Wachstum provoziert und werden Formen aus dem reifen Boden getrieben, gemäß der produktiven Zusammenkunft von Feuchtigkeit und Wärme. Dabei sind die terra nati ihrer Herkunft und ihrem Aussehen nach obskur und in ihrer Wirkung toxisch – eine »Fauna und Flora des Bösen in der Kulisse des dunklen Waldes: die Natur als Oper oder barockes Trauerspiel, den Fröschen in ihrer Perspektive zur Schau gestellt.«149 Zugleich aber zeichnet Marseus die Fruchtkörper so detailliert und umreißt sie so scharf, dass man keinen Augenblick daran zweifelt, einem analytischen Auge bei der Arbeit zuzusehen. Die Zornnatter, Vierstreifennatter und Viper sind ebenso leicht klassifi146 147

148 149

Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. BI.33. Zur zoologischen Bestimmung vgl. ebd., 127: »In der linken Bildhälfte schlängelt sich eine gesprenkelte Zornnatter zwischen den Pilzen hindurch. Daneben lässt eine fette Kröte ihre Zunge aus dem Maul hängen, vermutlich nach einem vergeblichen Jagdversuch. Eine Eidechse bewegt sich im Schutz der Distelblätter fauchend auf sie zu. In der Bildmitte windet sich eine Vierstreifennatter um einen Baumstamm, wobei sie eine blühende Tulpe niederdrückt. Ihre Aufmerksamkeit gilt einer außereuropäischen Natternart, die sich mit weit aufgerissenem Maul nähert. Deutlich sichtbar sind die Giftzähne des Tieres. Der unscharfe, fast rudimentär ausgearbeitete Hintergrund, eine Felslandschaft, dient als Kulisse für das Treiben im Vordergrund. Die einzelnen Tiere und Pflanzen, durch Lichtführung und Farbigkeit hervorgehoben, lassen sich größtenteils eindeutig bestimmen. (…) Die realistische Schilderung einzelner Pflanzen und Tiere spiegelt [Marseus’] Vorliebe für die genaue Naturbeobachtung wider. Im Kontrast dazu steht die konstruierte Handlung, Pflanzen und Tiere kommen weder räumlich noch zeitlich in dieser Zusammensetzung in der Natur vor. Das Verhalten der sich angreifernden Schlangen ist ebenso unnatürlich wie das ›friedliche Nebeneinander‹ der anderen Tiere. Die Vegetation entspricht mit Ausnahme der Tulpe der Realität.« Dioskorides, Mat. med. IV. Anita Albus, Die Kunst der Künste. Erinnerungen an die Malerei, Frankfurt a. M. 2005, 255.

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23 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Schlangen, Kröte und Tulpe, signiert und datiert OTTO/MARSEO.1662, Herzog Anton-Ulrich-Museum, Braunschweig, Inv. Nr. 431.

zierbar wie die Erdkröte und Libelle auf der rechten Bildseite oder die zarten Triebe einer Sternwinde im Hintergrund; während sich eine Eidechse schutzsuchend unter einer Mariendistel versteckt hat, die eine ganz andere semantische Perspektive ins Spiel bringt.150 Tatsächlich handelt es sich bei dieser Bezeichnung um einen gängigen Terminus des 17. Jahrhunderts. Noch Weyerman kann erkennen, dass es sich in der Darstellung eines »groot gepunt blad van een kruyt« in einem Gemälde Abraham Mignons um eine »Marias melkdistel« handelt.151 Allein im Inventar des Otto Marseus van Schrieck sind knapp ein Dutzend Gemälde mit »en Maria distel« aufgelistet, und dies in Differenzierung zu anderen Distelarten, wie z. B der einfachen Wegdistel. Die dadurch eingeschobenen heilsgeschichtlichen Implemente aber wirken zurück auf das mögliche Bedeutungsspektrum der naturalistischen Darstellung beispielsweise der Vipern und Nattern, die nun doch auch eine gefallene, das heißt vom Heil abgefallene Natur bedeuten können, unerlöst und in Feindschaft 150

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Ipomoea quamoclit: einjährige Sternwinde, die Ende des 16. Jahrhunderts aus Mexiko erstmals nach Florenz gebracht und von dort aus in die Alte Welt eingeführt wurde. Wahrscheinlich war sie von Caccini an Clusius gesandt worden; eine frühe Zeichnung (1577–1587) von J. Ligozzi befindet sich im Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi. Siehe Margherita Zalum Cardon, Passione e cultura dei fiori tra Firenze e Roma nel XVI e XVII secolo, Florenz 2008, 57. Weyerman, Levens-beschryvingen, II, 394.

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24 | Otto Marseus van Schrieck, Tierleben in einer Steingrotte, signiert, Öl auf Leinwand,

58 × 45.5 cm, Staatliches Museum Schwerin, Inv.-Nr. 454.

miteinander lebend. Natur- und Heilsgeschichte beziehen sich aufeinander, wobei sie nicht ineinander aufgehen können. Denn wenn auch der Darstellungsmodus ein empirisch beobachtender ist und mit Realismen zu überzeugen versucht, so geht es im Bild um mehr als um reine Observation. Die Vegetation ist mit Ausnahme der Tulpe zwar ebenso wie die Tiere korrekt wiedergegeben, doch deren Verhalten und Handlung sind künstlich beziehungsweise erscheinen konstruiert und stehen den Bildrealismen konträr gegenüber. Schlangen sind Schlangen und doch keine, dasselbe gilt für nahezu jedes dargestellte Objekt in Otto Marseus van Schriecks Naturtableau. Die geknickte Tulpe hat in der Forschung

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vollkommen inkohärente Deutungen hervorgerufen, weil sie eben sowohl eine wie keine Tulpe ist.152 Antike Lehrmeinungen sowie emblematisch-symbolische Lesarten stehen neben neuerem empirisch-wissenschaftlichem Profil; auch die Raumlogiken spreizen sich auseinander. Im sottobosco beispielsweise konkurriert die Aufsicht auf ein naturwissenschaftliches Tableau, auf dem Tiere und Pflanzen nebeneinander ausgebreitet und akribisch beschrieben werden, häufig mit der Tiefenflucht einer verklärten Landschaftsmalerei. Im dunklen Bildvordergrund versammeln sich Tiere in sorgsam geschilderter Vegetation und in antagonistischen Anordnungen – im übrigen nicht unähnlich den Konstellationen auf Historienbildern, welche sie zu paraphrasieren und wodurch sie das Unterste nach oben zu kehren scheinen –, während sich in der Ferne die Farben lichten und die Pinselstriche breiter und weicher verlaufen. Ähnlich divergierende Ansichten – der dichotomische Blick in die Höhle und wieder hinaus in die sonnige Weite sowie eine dadurch entstehende Achsenkomposition – unterteilten schon das Bildfeld der niederländischen Grottenmaler, zu denen unter anderem Ottos Bruder Evert van Schrieck (ca. 1614/1617–1681) gehörte.153 In einem Gemälde von Otto Marseus beispielsweise, das sich in Schwerin befindet, haben wir tatsächlich eine Kopplung von Grottenbild und sottobosco-Malerei vor uns. Durch den Bogen einer Felshöhle, in dessen Innerem sich nebst einer stacheligen Distel eine Schlange und Eidechse sowie drei Schmetterlinge (im Naturabdruck) befinden, blicken wir auf eine idyllische Landschaft, die nicht nur den weiten Prospekt eines Abendhimmels aufweist, sondern im unteren Register auch einen Hirten, der Schafe und Kühe nach Hause treibt. Der tunnelartige Blick aus dem Dunklen ins Helle verbindet das Bild mit den Höhlenphantasien der niederländischen Italianisanten, deren Interesse an der chthonischen Seite des Weltenbaus mit dem der sottobosco-Maler durchaus zusammenfällt.154 Zuweilen aber, 152

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Das Braunschweiger Bild ist einmal als ein »Drama um den schönen Tulipan« beschrieben worden (Albus, Kunst der Künste, 255), der symbolisch für die Niederlande steht, ein andermal ist die Blume als Hinweis auf den eingebrochenen Tulpenhandel oder einfach nur als realistisch geschilderte, sich aber in der Umgebung fremd ausnehmende Spezies einer Papageientulpe. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 127. Zur Grotten- und Höhlenmalerei des niederländischen 17. Jahrhunderts, die eng mit den Italienaufenthalten der Bamboccianten verbunden ist, hat Stefan Bartilla gearbeitet. Siehe seinen Vortrag »Die Bedeutungsgeschichte der ›Höhle‹ in der Bildenden Kunst im 17. und 18. Jahrhundert. Höhlenphantasien niederländischer Italianisanten« (Zentralinstitut für Kunstgeschichte [2001]; Einsicht in das Manuskript), sowie ders.: Die Wildnis: visuelle Neugier in der Landschaftsmalerei. Eine ikonologische Untersuchung der niederländischen Berg- und Waldlandschaften und ihres Naturbegriffs um 1600 (Diss. Universität Freiburg 2000), http://www.freidoc.uni-freiburg. de/volltexte/1893/. Heute sind nur noch wenige Gemälde Evert van Schriecks bekannt; eines befindet sich zum Beispiel in der Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel. In den Inventaren des 17. Jahrhunderts dagegen trifft man regelmäßig auf Bilder von ihm. Den Schritt in das Innere der Höhle hat erst die niederländische Malerkolonie in Rom vollzogen, trotz der früheren Entdeckung des Grottenthemas in der flämischen Malerei. Ihre Themen – Höhlen als Aufenthalte von Nymphen, als Stätten antiker Grabmäler und als Orte heidnischer Kulte – bewirken in der raumperspektivischen Gestaltung fast immer einen tunnelartigen Sog, der durch dichotomische Helldunkelkontraste gesteigert wird. Nebenbei soll bemerkt werden, dass das »nach bisherigem Wissen vermutlich erste Grottenbild von Cornelis van Poelenburgh stammt, der von 1617 bis 1626 in Italien weilte und es wahr-

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denn auch das wird bald spürbar, nimmt das Dunkel der Grotte so überhand, dass der Ausblick ins Freie nur mehr wie ein optisches phantasma am Ende eines Perspektivglases wahrgenommen wird. Im Braunschweiger Stilleben von Otto Marseus – nun eben ein ausgewiesenes Beispiel von Niederwelt – scheint die Aussicht nochmals verengt worden zu sein. Man hat das Gefühl, nicht mehr in eine Schlangenhöhle, sondern in ein Terrarium zu sehen, dessen vorderste Glasfront der Leinwandfläche entspricht, und den Blick sofort durch die dunkle Öffnung ins Freie zwängen zu wollen. Die Pilze sind überreif, man wittert Fäulnis. Die Feuchtigkeit gerinnt zu Perlen, Fliegen sammeln sich auf den aufgeplatzten Hüten. Das humide Klima und die Kompaktheit der Bildgegenstände bewirken eine klaustrophobische Enge. Otto Marseus hat in diesem Fall auf dem Stiel eines Pilzes signiert, was uns nachdenken lässt. Die Signatur verweist noch einmal auf eine Verbindung zwischen biologischen und künstlerischen Kreationsfragen, und das in einem Bild, das quasi aus sich selbst heraus gewachsen ist. Kehren wir zur Frage mimetischer Reproduktionsfähigkeit zurück. Die konkreten Formen haben einen Grund, aus dem sie entstehen. Das Verhältnis von Einzelform und »Grund« im doppelten Sinn des Wortes aber ist Thema des 17. Jahrhunderts und wird von den Malern aufgegriffen. Offensichtlich behandeln sie in unseren Beispielen den Malgrund noch nicht wie eine form- und qualitätsfreie Materie155, sondern sprechen ihm spezifische Eigenschaften und generative Fähigkeiten zu. Entspricht das Bildfeld also einem materiellen Feld, d. h. einer rezeptiven Matritze, die nach Formung strebt? Dann wäre alles Dargestellte sowohl sich Materie aneignende wie dadurch zur Entfaltung kommende Form, und das einzelne Bild die Realisierung einer in der Materie bereits vorhanden gewesenen Potenz. Mimesis würde dann Zweierlei involvieren: seminales Konzept und ovulare conceptio, die Bildformen aufwerfend und aufnehmend zugleich. »Materiam quidem actu in se non continere formas, sed in materia esse quandam dispositionem & propensionem

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scheinlich für den Großherzog von Toskana während seines kurzen Aufenthaltes in Florenz (vor 1621) schuf«. Bartilla, »Bedeutungsgeschichte der Höhle«. Auf der winzigen Kupferplatte öffnet sich die langgestreckte Höhle wie ein Portikus mit mehreren Bögen zur Landschaft hin. Offensichtlich dient sie als touristisches Ausflugsziel, denn die winzigen Figuren zeugen vom gewaltigen, wenngleich übertriebenen Maßstab der Höhle. Bald jedoch wird das Genre mit Phantasien überlagert und ganz dem chthonischen Kontext übergeben. Die spannungsreichen ChiaroscuroEffekte erzeugen eine gespaltene Raumperspektive, der auf ikonographischer Ebene die Gegenüberstellung von Nähe und Ferne, Natur und Kultur, Antike und Christentum antwortet, vgl. Bartilla, »Bedeutungsgeschichte der Höhle«. Zu Poelenburghs Aufenthalt in Florenz siehe Nicolette Catherine Sluijter-Seijffert, Cornelis van Poelenburgh (ca. 1593–1667), Diss. Univ. Leiden 1984, 28–29; Eckhard Schaar, »Poelenburgh und Breenbergh in Italien und ein Bild Elsheimers«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Instituts in Florenz 9 (1959/1960), 25–54; Marco Chiarini, »Filippo Napoletano, Poelenburgh, Breenbergh e la nascita del paesaggio realistico in Italia«, in: Paragone 269 (1972), 18–34. Poelenburgh war Sandrart zufolge in den Dienst des Großherzogs von Toskana getreten und lernte dort Callot kennen, der 1621 nach Frankreich zurückkehrte. Vier Gemälde Poelenburghs hingen angeblich im Schlafzimmer Cosimos, allerdings fehlen Belege in den Archiven der Medici über seine Auftragsarbeit. Die Existenz des Bildes im Besitz der Medici ist sei 1702 belegt. Nach Bartilla, »Bedeutungsgeschichte der Höhle«. Wie sie in der quantifizierenden Physik galileisch-cartesischer Prägung durchaus schon angedacht war.

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25 | Signatur des Malers, Detail aus Abb. 23.

ad formam, quae ubi compleatur…«156 antwortet Daniel Sennert beispielsweise auf die Frage nach dem Ursprung der Formen noch immer in peripatetischer Manier. Muss man sich das Bildfeld also wie einen campus vorstellen, in dessem Boden der Same immer schon potentiell anwesend war? Kirchers Vorstellung der von panspermia durchdrungenen Welt ging in diese Richtung, und auch Gassendi hatte Gott als Sämann beschrieben. Der Malvorgang – der Vorgang von mimesis – käme dann einem kultivierenden Akt, und der Maler einem Bauern oder zweiten Adam gleich, der das materielle Feld durchpflügt und bestellt. Selbst die Konsistenz der Farben, ihre graduell feuchter und trocken werdende Substanz, wäre für den Aufbau einer rezeptiven Bildfläche relevant. Sie wird jeweils unterschiedlichen Lebensbereichen zugeordnet, zum Beispiel finden sich am unteren Bildrand der sottoboschi fast immer Mooskissen, deren sattes Aussehen vom Auftrag zähflüssiger Farbe mit der »Fettpresse« herrührt. Sie markieren humides Terrain, aus ihnen steigen – wie in einem Spätwerk Otto Marseus’ mit der Darstellung eines Aronstabs157 – manchmal nur 156 157

Daniel Sennert, De chymicorum cum Aristotelicis et Galenicis consensu et dissensu, Wittenberg 1619, 193. Im Werkverzeichnis (Steensma, Otto Marseus van Schrieck) Kat.-Nr. BI.103. Das Schweriner Gemälde zeigt den seltenen Aronstab als Grünpflanze, ohne Fruchtstand. Vgl. ebd., 158: »Im Vordergrund nebeneinander aufgereiht, befinden sich diverse Pilze, ein Aronstab, ein Frosch und eine goßblättrige Grünpflanze. Ein Grashüpfer in der oberen Bildmitte ergänzt die Szene. (…) Der sel-

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26 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Aronstab, signiert OTHO Marseus 1676,

Öl auf Leinwand, 54 × 47 cm, Staatliches Museum Schwerin, Inv.-Nr. G 2330.

noch einige Sumpfpflanzen hervor. Auffällig jedenfalls ist, dass sich das drucktechnische Verfahren der sogenannen Fettpresse allenfalls im Genre der Niederwelt findet – »außerhalb des sottobosco sind keine weiteren Anwendungsbereiche in der bildenden Kunst betene Aronstab wurde von Schrieck bereits in früheren Werken dargestellt [vgl. ebd., Kat.-Nr. BI.3].« Auch im Nachlaßinventar wird ein Gemälde mit dieser seltenen Pflanze erwähnt: »Een dito daerin een vliegende duyvel met een egel en Aarans kruijt«, vgl. ebd., 113.

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kannt«.158 Die Ausbildung von qualitativ unterschiedlichen Orten oder Böden im Sinne der Elementenlehre von feucht, warm, trocken, kalt, beziehungsweise die Nutzung derselben, ist natürlich auch ein Thema in der Agrikultur. Wir werden später noch sehen, wie regelmäßig sich bildende Künstler seit etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts der geo- bzw. mineralogischen Metaphorik bedienen und mit Bauern und Bergwerksleuten vergleichen, um ihre Tätigkeit zu einer ganz irdischen, wenngleich proteischen Angelegenheit zu machen.

DIE FARBE BRAUN Die Farbe Braun nämlich, die Joachim von Sandrart (1606–1688) zufolge dem »Chaos oder dem vermängten Klumpen«159 einer prima materia ähnelt, gleichzeitig aber auch als TodFarbe (doodverf) bezeichnet wurde, sobald man sie zur Grundierung (Imprimitur) der Bildträger verwendete, weckt jene Assoziation eines erdhaften Grundes, aus dem heraus Formen entstehen und vergehen.160 Stilleben- wie Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts arbeiten mit Vorliebe mit Brauntönen; ein Grund dafür mag unter anderem diese Assoziation gewesen sein. Denn nicht nur in den Gemälden, auch in den niederländischen Gedichten, bei Pieter Cornelisz. Hooft (1581–1647), Gerbrand Bredero (1585–1618) und Samuel Coster (1579–1665), bei Joost van den Vondel (1587–1679) und Hendrik Laurensz. Spieghel (1549–1612) beispielsweise gibt es mehrfach in »licht en bruin« (Helldunkel) verfasste Landschaftsbeschreibungen und einen zunehmenden Einsatz der Farbbezeichnung »bruin« zur Charakterisierung des nächtlich-dunklen zerfetzten Wolkenhimmels. Schnell verfärbt er sich »in ’t Aackelighe bruyn«161, in ein »dampigh, mistigh bruyn«162, gleicht also in seiner Feuchte dem dunklen Erdreich, das es nachts umfasst: »Tot dat de bruyne nacht die Aarde

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Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 74. Joachim von Sandrart, Teutsche Akademie der edlen Bau-, Bild- und Malereikünste, 2 Bde., Nürnberg 1675–1679, I/3, 88. Zur Tod-Farbe vgl. Hessel Miedema, »Over kwaliteitsvoorschriften in het St. Lucasgilde; over ›doodverf‹«, in: Oud Holland 101 (1987), 141–147. Sie ist als Verfahren (Imprimitur) allerdings nicht auf die Farben Grau und Braun beschränkt, siehe Still Lifes: Techniques and Style. An Examination of Paintings from the Rijksmuseum, hg. v. Arie Wallert, Zwolle 1999, 21–23. In der englischen Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts findet sich das Verfahren unter dem entsprechenden Namen dead colouring, so z. B. bei Alexander Browne, Ars Pictoria, or an Academy Treating of Drawing, Painting, Limning, Etching, London 1669, 84 (»On dead colouring«): »First you must only dead colour the Face, as the Oyl-Painters do, and not meddle with the rest (…). The dead colouring of a Face must be done the roughest and boldest of all.« Und in Bezug auf die Landschaftsmalerei ebd., 90: »At your first working dead colour all the piece over, leave nothing uncovered, lay the colour smooth and even.« Zur Rolle der Imprimitur in den Werken von Hercules Seghers und Rembrandt siehe die Beiträge von Sebastian Egenhofer, »Grund und Territorium bei Hercules Seghers«, in: Der Grund. Das Feld des Sichtbaren, hg. v. Gottfried Boehm & Matteo Burioni, München & Paderborn 2012, 251–278; und Nicola Suthor, »Transparenz der Mittel. Zur Sichtbarkeit der Imprimitur in einigen Werken Rembrandts«, in: ebd., 223–250. Gerbrand Bredero, Boertigh, amoreus en aendachtigh liedt-boeck, Amsterdam 1622, in: ders., De wercken, 3 Bde., Amsterdam 1890, III, 246, Zeile 248. Joost van den Vondel, De werken, 12 Bde., Amsterdam 1855–1869, I, 32, Zeile 115.

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gants bedeckt.«163 Wolkenhimmel und Erdboden werden gleichermaßen zu Orten atmosphärisch-dichter Materieansammlung und zu Schauplätzen proteischer Formenbildung. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte auch Samuel van Hoogstraten die Landschaftsmaler zum Wolkenstudium aufgefordert, ganz im Sinne der macchia-Malerei, die in jedem Fleck eine potentielle Gestalt vermutete.164 Lesen wir weiterhin in der barocken Kunstliteratur; als Exempel dient noch einmal die Landschaftsmalerei: Arnold Houbraken berichtet im Anschluss an Samuel van Hoogstraten von einem Wettstreit dreier Künstler, innerhalb eines Tages ein Bild vollenden zu können. Es handelt sich um die Landschaftsmaler François van Knipbergen (oder Knibbergen; 1596–1674) und Jan van Goyen (1596–1656) sowie den Marinemaler Jan Porcellis (1583/1585–1632). »Knipbergen stellte eine ziemliche große Leinwand auf die Staffelei«, so Houbraken, »und da er den Pinsel vollkommen zu seinem Willen hatte, begann er nach seiner gewohnten Weise so zu malen, dass Alles, was er berührte, sogleich fertig war, denn Luft, Fernsichten, Bäume, Berge, stäubende Wasserfälle flossen aus seinem Pinsel wie die Buchstaben aus der Feder eines gewandten Schreibers.«165 Die deutsche Übersetzung stoppt 163 164

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Gerbrand Bredero, »Griane« (1618), in: ders., De wercken, I, 112, Zeile 108. Vgl. dazu Stanley Newman Werbow, »The ›Brown Night‹ in the German Baroque«, in: Modern Language Notes 64/6 (1949), 380–386. Van Hoogstraten, Inleyding, 140: »Men moet ook zijn vlijt aenleggen in den geestigen zwier der wolken wel waer te nemen, en hoe haere drift en gedaente in een zekere evenredenheyt bestaet; want het ooge des konstenaers moet de dingen ook zelfs uit haere oorzaken kennen, en van de zotte waen des gemeenen volx vry zijn; daer dit vers van spreekt: ’t Gebeurt ook, als de wolken zich verdikkem/ Of spreijen, dat d‘ onnoozelen verschrikken/ Van Beelden, die zy aen den Hemel zien,/ Als teykenen, van ’t geen noch zal geschien./ Veel wonders is gewis in ’t zwerk te speuren,/ ’t Zy als het stormt, of als de wolken scheuren/ Maer dat men dier of Schip daer uit bootseert,/ Is domme waen van ’t graeuw, dat ongeleert/ In onze konst, door waenzicht wort bedroogen;/ Een Schilder heeft hier toe vry beter oogen;/ Hy kent en kleur en omtrek, nevens ’t licht,/ En oordeelt met naeukeuriger gezicht.« (»Man muß seinen Fleiß in das richtige Wahrnehmen des geistvollen Schwunges der Wolken investieren und wie ihr Dahintreiben und ihre Gestalt in einem gewissen Verhältnis zueinander besteht.« In der deutschen Übersetzung zitiert nach: Landschaftsmalerei, hg. v. Werner Busch, Berlin 1997, 145). Zitiert nach Arnold Houbraken, Grosse Schouburgh der niederländischen Maler und Malerinnen, bearb. v. Alfred von Wurzbach, Wien 1880, 73–74. In der niederländischen Originalausgabe: Houbraken, Schouburgh, I, 166–168. Vgl. Eric Sluijter, »Jan van Goyen als marktleider, virtuoos en vernieuwer«, in: Ausst.-Kat. Leiden (1996), Jan van Goyen, bearb. v. Christian Vogelaar, Stedelijk Museum De Lakenhal, Leiden 1996, 39. Bei Van Hoogstraten lautet die Stelle: »Nevens deeze zat Jan van Goyen, die op een gansch andere wijze te werk ging: want hy zijn geheel paneel in ’t gros overzwadderende, hier licht, daer donker, min noch meer als een veelvewige Agaet, of gemarbert papier, bestont allerley aerdige koddigheeden daer in te zoeken, die hy met weynig moeiten en veel kleyne toetsjes kenlijk maekte, zoo dat ginder een aerdig verschiet, versiert met boere gehugten, zich opdee; hier zagmen een oude steevest met poort en waeterhooft voor den dag komen, en in ’t aenkabbelende water wederglanssen, scheepen en schuiten, met vragt of reyzigers belaeden, af en aen’haelen, en in ‘t kort zijn oog, als op het uitzien van gedaentens, die in een Chaos van verwen verborgen laegen, afgerecht, stierde zijn hand en verstandt op een vaerdige wijs, zoo datmen een volmaekte Schildery zag, eermen recht merken kon, wat hy voor hadt.« Van Hoogstraten, Inleyding, 237–238. Siehe auch die Weiterführung: »En hoewel Knipbergens stuk grooter, en van Gooyens volder van werk was, Parselles had in het zijne keurlijker natuerlijkheyt, en nae de kunst iets ongemeens, datmen nimmermeer, in de dingen, die zoo nae een zeekere fleur van de hand rollen, of anders als by geval gezocht en gevonden worden, bespeurt.« Ebd., 238.

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26 | François van Knibbergen, Landschaft mit Figuren, um 1640, Öl auf Holz, 35.9 × 47.5 cm, Privatsammlung.

27 | Jan van Goyen, Fischerboote in einer Flussmündung in der

Abenddämmerung, ca. 1643, Öl auf Holz, 25.5 × 30.5 cm, National Maritime Museum, Greenwich, London, Palmer Collection.

28 | Jan Porcellis, Schiffbruch, 1631, Öl auf Holz, 36,5 × 66,5 cm,

Koninklijk Kabinet van Schilderijen Mauritshuis, Den Haag.

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hier, während es im niederländischen Orginal weiter heißt, dass der Maler auf lockere Weise vorging, und die Wolken, Felsen, der aufgeworfene Boden spielerisch aus den Farben geboren wurden: »de dunne wolken dreven hem als van de hand, en de klipagtige rotsen, en brokkelige gronden werden als spelende uit zyne verwen geboren«.166 Houbraken betont Knipbergens Fähigkeit, aus dem Gedächtnis zu malen anhand automatisch abrufbarer Formeln für die verschiedenen Motive der Natur. Es ist jedoch nicht Knipbergen, sondern Porcellis, der den Wettstreit gewinnt, obwohl oder gerade weil er am langsamsten arbeitet und seine Ausführungen einer vorgefassten geistigen Idee (im Niederländischen sehr schön: denkbeeld) folgen.167 Der Zweitplazierte, Jan van Goyen, arbeitete dagegen ganz ungewöhnlich. Seine Malweise wird von Houbraken als »fremdartig«168 bezeichnet, weil er »auf eine ganz andere Weise zu Werke ging; denn nachdem er die ganze Leinwand, hier lichter, dort dunkler, mehr oder minder wie einen vielfarbigen Achat überpinselt [»zyn geheel paneel overzwadderende hier ligt, daar donker«] hatte, suchte er die verschiedenen Farbklekse mit dem Pinsel zu einem Hintergrunde mit BauernGehöften zu gestalten. Hier sah man einen Thurm zum Vorschein kommen, der sich im plätschernden Wasser spiegelte, dort verschiedene Schiffe und Boote mit Frachten oder Reisenden; kurz gesagt, sein Auge, geübt, die in dem Chaos unentwirrbarer Farben verborgen liegenden Gestalten herauszufinden, hatte seine Hand und seinen Geist so angeregt, dass man ein vollendetes Bild zu sehen glaubte, ehe man noch entnehmen konnte, was er eigentlich zu malen beabsichtigte [»men regt merken kon, wat hy voorhad«].«169 Samuel van Hoogstraten hat in seiner Version hinzugefügt, dass die lose grundierte Leinwand in ihrer Struktur neben einem Achat auch einem Stück marmorierten Papiers glich, und sich die Schemen quasi wie von alleine aus dem »Chaos van vermengde verwen« herauszulösen und zu konkretisieren begannen, sobald Van Goyen den unregelmäßig braunen Bildgrund mit dem Pinsel berührte.

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Houbraken, Schouburgh, I, 167. Ebd., 167: »Maar de aanschouwers gaven den moed byna verloren, als zy zagen hoe traag hy zyn penceelen handelde, ja het scheen in ’t eerst, of hy moedwillens den tyd verkwiste, of niet wist, hoe te beginnen. Maar dit kwam om dat hy eerst een vast denkbeeld vormde van zyn gansche werk, eer hy verf op ’t paneel bragt.« Ebd., 168. Jan Nicolaisen, »Chaos unentwirrbarer Farben. Künstlerische Handschrift als Ausdruck von Subjektivität in der niederländischen Malerei und Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts«, in: Ausst.-Kat. Kiel (2004), Augenkitzel. Barocke Meisterwerke und die Kunst des Informel, Kiel 2004, 34–40. Siehe ebd., 36: »Eine solche Wette wäre im 15. Jahrhundert aufgrund der zeitaufwendigen Maltechnik der mehrschichtigen Ölmalerei mit zahlreichen Lasuren undenkbar gewesen. Sie ist Ausdruck für die Tendenz zur Vereinfachung von Maltechniken und für die Verbreitung der Nass-inNass-Malerei im 16. und 17. Jahrhundert.« Vgl. zudem Miedema, »Over kwaliteitsvoorschriften«.

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Die unterschiedlichen Mimesis-Konzepte in den drei Fällen sind offensichtlich; sie entsprechen verschiedenen Vorstellungen der Entstehung von Form und der Wichtigkeit von disegno. So wäre Knipbergen, der den dritten Platz belegte, ein sachgerechter Vertreter der Vorstellung, mittels Kunst die natürliche Formbildung nachzuahmen, das heißt den Formverlauf in malerische Kürzel und Schriftzüge zu verwandeln und zügig zu wiederholen. Im Gegensatz dazu erscheint Van Goyen, zweitplaziert, als Advokat der Gleichstellung von Kunst und Natur, wobei er als Maler die Potentialität des Stoffes nutzen beziehungsweise inhärente Srukturen und Formen aufgreifen und weiterführen sollte, während Porcellis als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgeht, weil er, am stärksten der disegnoLehre folgend, das formale Konzept vor die praktische Ausführung gestellt, ja dieses als denkbeeld bis ins Detail antizipiert habe. Innerhalb der Forschung hat vor allem Van Hoogstratens Stelle zu Van Goyen Beachtung gefunden, weil sie einer moderneren Nass-in-Nass-Technik entspricht, die kaum mehr mit Lasuren arbeitet.170 In ihr eröffnet sich die Möglichkeit von Formbildung über Farbdifferenzen statt über Umrisszeichnung, und tatsächlich erinnert Van Goyens »Chaos van verwen«, in dem die Gestalten »verborgen laegen« erneut an Sandrarts »Chaos oder dem vermängten Klumpen« einer prima materia, »aus welchem alles erschaffen worden«.171 Eine solche Passage referiert aber auch auf Aristoteles’ Schrift über das Entstehen und Vergehen der Lebewesen, De generatione et corruptione, in der biologische und künstlerische Formbildungen in ein enges Verhältnis gesetzt worden waren. Worin genau liegt die Gemeinsamkeit? Aristoteles hatte geschrieben, dass die Natur erst die Form und dann die unterschiedlichen Farben festlegt, wenn sie Kreaturen schafft, vergleichbar den Malern, die von einem disegno ausgehen und das Kolorit in einem zweiten Schritt hinzufügen: »Alles wird zunächst durch Umrisslinien abgegrenzt«, heißt es da, »um dann erst später seine Farbe zu bekommen und die rechte Weichheit und Härte, geradezu wie bei einem Maler, nur dass die Natur am Werke ist. Auch die Maler machen ja zunächst einen Umriss in Linien und füllen dann erst das Geschöpf mit Farben aus.«172 Bei nochmaliger Lektüre erweist sich der Formbildungsvorgang von Lebewesen allerdings als wesentlich komplexer. Deren Aussehen und Gestalt entsteht nämlich nicht allein formaliter, als Ergebnis einer äußeren Begrenzung, sondern zugleich materialiter und wie von innen heraus. Es sind also nicht allein die primär vorhandenen, den Formbildungsprozess aktiv bestimmenden Umrisslinien, sondern eine an verschiedenen Stellen langsam eintretende Verhärtung der ehemals weichen Ursprungsmasse, die einen Körper begrenzen und eigenständig werden lassen. Sicherlich ist ein genetisches Programm vorab in die Materie gelegt worden, 170

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»Bereits 1546 wurde in s’Hertogenbosch als Reaktion auf einen befürchteten Qualitätsabfall durch die Verkürzung traditioneller Maltechniken eine Anordnung der Malergilde erlassen, dass alle Farben mit der so genannten Tod-Farbe vorkoloriert werden sollten, also zumindest zweischichtig aufzubauen seien. Allerdings bleibt dies der einzige Hinweis auf den Versuch einer öffentlichen Qualitätskontrolle im 16. Jahrhundert. In die Autonomie der Entwicklung künstlerischer Techniken wurde offenbar nie ernsthaft eingegriffen«. Nicolaisen, »Chaos unentwirrbarer Farben«, 36. Vgl. auch Miedema, »Over kwaliteitsvoorschriften«. Von Sandrart, Teutsche Akademie, I/3, 86. Aristoteles, G.C. 743 b 26–29.

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doch inzwischen ist deutlich geworden: Auch über einen sich langsam ausprägenden Figur-Grund-Unterschied kann sich eine Gestalt von der Umgebung absetzen. Frühneuzeitliche Illustrationen zur aristotelischen Embryonenbildung haben eine solche Vorstellung sogar ausdrücklich nahegelegt und im 17. Jahrhundert den Boden für epigenetische Überlegungen bereitet. William Harvey beispielsweise hatte daraus den Schluß gezogen, selbst das Herz eines entstehenden biologischen Organismus sei im Entwicklungsvorgang nicht primär vorhanden, sondern gehe aus der rhythmischen Bewegung des Bluts sekundär hervor. Irgendwann, als Ergebnis des Kreislaufs und der Selbstberührung, der dadurch entstehenden Verdickung des Bluts, beginne das Herz als Organ selbst zu schlagen und nun umgekehrt den Takt für den Organismus vorzugeben. In solchen Momenten ist die Idee der Selbstorganisation der Materie zum Greifen nahegerückt. Führt man diesen Gedanken fort – und wiegesagt ist er noch immer eingepasst in die Intentionalität eines Schöpfergotts – so verwehrt sich die Vorstellung eines physischen Selbstvollzugs (Autopoiesis) doch zunehmend gegen die kausalen Verkettungen innerhalb eines entelechetischen Gefüges. Man kann den Wachstum und die Gestalt, vor allem an der materiellen Basis des Seins, nicht immer steuern oder vorhersagen; die Strukturen wachsen »wie von selbst«, den Umständen und Gegebenheiten folgend, aus der Materie hervor, und einzelne Elemente verbinden sich zu kontingenten Formenspielen der Natur. Lose Atome können sich über variierende Impulse, Rhythmen und Bewegungen zu neuartigen Konstellationen formieren. Die barocke Kunst- und Naturtheorie wertet freie oder spontan erzeugte Formgebungen auf, zumal solche Irregularitäten zur Vielfalt (varietas) sowohl der natürlichen wie künstlichen Welt beitragen.173 Zum anderen aber, und das erscheint als verschärftes Dilemma, sollen sie weiterhin Teil eines Schöpferplans sein. Man einigt sich darauf, dass selbst die Eigenmächtigkeit immanenter Vorgänge Ordnungen hervorruft, die rückwirkend eine strukturierende Kraft vermuten lassen: »sonst wäre unser Natur-Begriff endgültig transzendentalisiert und subjektiviert, nur noch der Begriff«,

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Innerhalb der Kunsttheorie geraten Realistik und Phantastik bzw. Form und Unform, solange sie weiterhin in einem aristotelischen System gedacht werden, seit Ende des 16. Jahrhunderts in einen produktiven Widerspruch, vgl. die differenzierten Überlegungen in Comaninis Figino, dargelegt am Beispiel Arcimboldos: »Diciam pure quello, che è la verità; & confessima, virtù fantastica, l’ufficio della quale è di ricevere le specie apportate da gli esteriori sensi al senso commune, & di ritenerle, & ancora di comporle insieme, essere gagliardissima nell’ Arcimboldo (…)«. Comanini, Il Figino, 52. Und: »Fate stima, che non c’è frutto, o pur fiore, che non sieno cauati dal naturale, & imitati con quella maggior diligenza, che possibil sia. Ma l’applicatione de i detti frutti alle membra è tanto ingegnosa, che la marauaglia conuiene che passi in stupore«. Ebd., 43–44. Derart fabriziere Arcimboldo eine »malerische Alchemie«, die künstliche Dinge schaffe, wie sie die Natur selbst nicht hervorgebracht habe. Es stellt sich die Frage nach der Referentialität mimetischer Verfahren: »Given that an artist imitates, what exactly does he imitate? Does he copy only that which is in nature? Does he rearrange what nature produces? If he invents, can he be said to imitate?« Ann Doyle-Anderson & Giancarlo Maiorino, »Introduction«, in: Gregorio Comanini, Il Figino, or: On the Purpose of Painting, hg. v. Ann Doyle-Anderson & Giancarlo Maiorino, Toronto & London 2001, xii.

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das heißt, ein bloßer Spiegel »unserer selbst«.174 Noch formale Aberrationen und ludi naturae sind Produkte einer planenden und vorsehenden Natur, sei es aufgrund eines »plastischen Prinzips« (plastick nature) wie beispielsweise bei den Cambridger Platonisten, die die Ansicht vertraten, dass noch die kleinsten Materiepartikel von einer seminalen Kraft durchzogen wären, oder aufgrund der Vorstellung einer sich dynamisch entfaltenden und ausdifferenzierenden Natur wie später bei Leibniz.175 Weiterhin gilt: »Gott ist natura naturans, das wird sich zu Spinoza und zum Deutschen Idealismus durchhalten.«176 Die Horizonte natürlicher und künstlerischer Kreativität aber haben sich geöffnet und sie werden in den barocken Diskursen sogleich mit größter Sorgfalt ineinander überführt. Die Verschränkung von ars-natura geht wie folgt: Natur wird grundsätzlich als tätig beschrieben; auf diese Weise wird ihr ein technisches und also ein menschlich-göttliches Vermögen zugestanden. Der Kunst wiederum atttestiert man eine biotisch-mimetische Produktionskraft, so als ob es künstlerische Kreativität vor allem zur Darstellung eines inhärenten Formenreichtums gäbe. Eine derart forciert vorangetriebene Diskussion, die mit Fug und Recht eine poietologische genannt werden kann, konzentriert sich zunächst auf die geheimnisvolle Schnittstelle zwischen toter Materie und lebendiger Kreatur. Darüberhinaus aber hängt sie mit der Frage zusammen, ob es in Kunst und Natur materielle Selbstvollzüge geben kann – sagen wir: zumindest in den Randbereichen, als parergonaler Wildwuchs der großen tela vitae – oder ob Materie nicht vorab informiert und die daraus erwachsene Gestalt präformiert sei?

MUTTER ERDE Interessanterweise ist das neue Bewusstsein um eine materielle Basis des Lebens ein Grund dafür, warum man Anfang des 20. Jahrhunderts mit wachsender Aufmerksamkeit auf das 17. Jahrhundert und seine Kunst zurückblickte. Wir können an dieser Stelle an die wiederholte Referenz Walter Benjamins (1892–1940) auf den in seiner Zeit viel gelesenen, inzwischen fast vergessenen Literaturwissenschaftler Karl Borinski (1861–1922) denken,

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Siehe die Überlegungen von Leinkauf, »Implikationen des Begriffs natura naturans«, 106–107: »Seither, sozusagen von der Stoa bis zur modernen Naturwisenschaft, ist das Menschen-unabhängige Selbstsein des Natürlichen zugleich mit der genuin menschlichen Erwartung und/oder Unterstellung des an sich geordneten, rationalem Verstehen zugänglichen Selbstvollzuges (Autopoiesis) konfrontiert. Selbst hierzu kritische Positionen, die auf der irregulär-chaotischen Eigenmächtigkeit der Natur oder der physikalischen Mikrovorgänge insistieren, können doch ihre prätendierten ›wisssenschaftlichen‹ Deutungen dieser Vorgänge eben nur als irgendwie geordnete, strukturierte und damit experimentell-verifizierendem Zugriff zugängliche Vorgänge ansetzen: sonst wäre unser Natur-Begriff endgültig transzendentalisiert und subjektiviert, nur noch der Begriff unserer selbst.« Vgl. u. a. Hunter Jr., »Doctrine of Plastic Nature«, z. B. 199: »Most important for the second half of the century is the idea of plastic nature, closely related to the earlier theory of seminal reasons – the logoi spermatikoi [λόγοι σπερματικοὶ] or rationes seminales of the Stoics and Neo-Platonics.« Das Konzept wird unter anderem im Gedanken der graduellen Entfaltung einer unendlich potenten Naturkraft bei Anne Conway und Leibniz fortgeführt. Leinkauf, »Implikationen des Begriffs natura naturans«, 111.

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der als einer der Entdecker des »deutschen Barock« in die Geschichte der Frühneuzeitgermanistik eingegangen ist und zwei Abhandlungen über Braun als Trauerfarbe (1918) und Nochmals die Farbe Braun (1920) verfasst hat.177 Borinski begann seinen ersten Vortrag mit einem Verweis auf den Bereich der Bildenden Kunst: »Mit welcher Berechtigung«, fragt er, »tritt auf neueren Gemälden, der Renaissance, zumal des farbigen Barock, das Braune, das sich ja wohl durch seinen leuchtenderen Ton vor dem toten Schwarz empfehlen möchte, als Trauerfarbe auf?«178 Im Anschluß verweist er auf »zurzeit sichtbare Bilder der Münchener alten Pinakothek«, auf einen trionfo della morte der Schule des Mantegna, auf einen sterbenden Seneca von Luca Giordano (1632–1705), auf eine barocke trauernde Maria mit braunem Mantel. Im weiteren versucht sich Borinski in einer philologischen Zusammenstellung und teilweisen etymologischen Herleitung der Farbe Braun als Trauerfarbe. Braun: Das meint für Borinski das Dämmerige, Schattenhafte, Unauffällige, Unkennntliche, Erdfarbene, es ist »die Farbe der Verschwiegenheit«.179 Zuvor aber hatte Borinski noch eine andere Saite angeschlagen. Denn das beziehungsweise die Braune selbst sei ja Phryne, die Kröte, wie die berühmte griechische Hetäre des 4. Jahrhunderts aus Thespeia mit dem olivfarbenen Gesicht hieß, die Praxiteles (ca. 390–ca. 320 v. Chr.) als Modell für seine Knidische Aphrodite diente. Der zweite Teil seines zwei Jahre später vorgetragenen Referats (von 1920) an der Akademie ist dann auch ganz Phryne, dem nussbraunen Mädchen (wie es später bei Goethe heißen wird) und der erotischen Bedeutung der braunen Farbe gewidmet. »Diese erotische Bedeutung des Braun führt schon im Altertum durch den Namen der Phryne auf das Tier, das als einziger offener Träger des Wortstamms in der Sprache, den Namen mit ihr teilt: die Braune an sich, die

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Marcel Lepper, »Die ›Entdeckung‹ des ›deutschen Barock‹. Zur Geschichte der Frühneuzeitgermanistik 1888–1915«, in: Zeitschrift für Germanistik 17/2 (2007), 300–321. Borinski war außerordentlicher Professor in München und seit 1917 Mitglied der philosophisch-philologischen Klasse der Akademie; als »Wilhelm Scherer-Schüler« gehörte er zu jener Gruppe von Akademikern, die auf eine Überwindung des Historismus im Sinne einer ahistorischen Typenbildung zielten, vgl. Christa Hempel-Küter, Germanistik zwischen 1925–1955, Berlin 2000, 47. Benjamin bezieht sich in seinem Trauerspielbuch auf dessen beide Hauptwerke Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der literarischen Kritik in Deutschland aus dem Jahre 1886 sowie Die Antike in Poetik und Kunsttheorie von 1914. Bei einer Literatur-Recherche stößt man jedoch auf weitere Titel, die für Benjamin interessant gewesen sein mögen: Es gibt ein Bändchen von Borinski über Das Theater. Sein Wesen, seine Geschichte, mit einem kurzen Abschnitt zur barocken Allegorie auf der Bühne, außerdem eine Studie über Baltasar Gracián und die Hoflitteratur in Deutschland (1894). Karl Borinski, Braun als Trauerfarbe (= Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Philologische und Historische Klasse), München 1918, 3. Ebd., 7. Sie ist für Borinski zudem eine verhüllte Liebesfarbe (ebd., 9), denn sie entsteht, wenn man über ein rotes Gewand einen schwarzen Trauerschleier legt, in der Literatur erscheint sie oft als Signum geronnenen Bluts und deutet auf einen gewaltsamen Abschied. In ihrer Mittelstellung zwischen Licht und Finsternis, Tod und Leben, sei sie, heißt es abschließend in fast benjaminschem Ton, die »passende Farbe der trauernden Überlebenden«. Ebd., 18. Zur zeitgenössischen Diskussion der Farbe Braun als Signatur des Barock vgl. Karl Viëtor, »Die Barockformel ›Braune Nacht‹«, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 63 (1938), 284–298; einige Quellen zum Gebrauch der Farbbezeichnung ›bruin‹ in niederländischen Gedichten des 17. Jahrhunderts bei Newman Werbow, »The Brown Night«.

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Kröte (rana bufo).«180 Borinski weiß um die vielen »Albsagen, die von der Kröte noch im Schwange sind«181, vor allem aber von der »Gleichung ›Kröte und Gebärmutter‹«182. Die Kröte hilft bei Schwangerschaft und Wehen, und Borinski erinnert an die antike Medizin, »die die Gebärmutter für ein selbständiges Wesen im weiblichen Körper ansah, ein Kröten-Tier, das zunächst in ihm herumspaziere und dadurch seine krankhaften Zufälle und Zustände errege. Kein Geringerer als Plato überlieferte diese Theorie der Neuzeit (…) im Timaios.«183 Die »dem Altertum geläufigen magischen und aphrodisischen Bezüge der Frösche und Froschlurche«184, bei Plinius und anderen, so Borinski weiter, werden in die Neuzeit kolportiert; Borinski interessiert sich für das Nachleben der Antike in der Renaissance und – das ist nun eine Variante zum Beispiel zu Warburg und Panofsky – auch im Barock. Walter Benjamin wiederum hatte in seinem Kafka-Essay (1934) auf eine Dialektik von Erinnern und Vergessen hingewiesen, die er mit einer ähnlich dialektischen Struktur von Sexualität und Schuld zusammenbrachte und dabei vorgeschichtlich verankerte: »Jedes Vergessene mischt sich mit dem Vergessenen der Vorwelt, geht mit ihm zahllose, ungewisse, wechselnde Verbindungen zu immer wieder neuen Ausgeburten ein«.185 In einem 180 181 182 183

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Karl Borinski, Nochmals die Farbe Braun (= Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Philologische und Historische Klasse), München 1920, 11. Ebd., 13. Ebd., 14. Ebenda. Zu »Plato’s View of the ›Wandering Uterus‹« siehe den gleichnamigen Aufsatz von Mark J. Adair, in: The Classical Journal 91/2 (1995/1996), 153–163. Vor allem in Mittelalter und Früher Neuzeit wurde der Uterus als eine im Körper lebende Kröte imaginiert, vgl. Britta-Juliane Kruse: »Es herrschte die Auffassung, die Gebärmutter sei wie eine Kröte in einer dunklen feuchten Grotte in der weiblichen Körperhöhle situiert, könne sich von ihrem Platz bewegen oder im Körper aufsteigen und so Schmerzen hervorrufen. Zur möglichen Erklärung dieser Analogie von Tier und Organ kann auf die Fähigkeit der Kröten, sich aufzublähen, verwiesen werden, was sich mit der Eigenschaft der Gebärmutter während der Schwangerschaft deckt. Außerdem sind das feuchte ›Biotop‹ der Gebärmutter und der Lebensraum der Kröte vergleichbar.« In: dies., Verborgene Heilkünste: Geschichte der Frauenmedizin in Spätmittelalter, Berlin & New York 1996, 50–53. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung des Frosches siehe Bernd Hüppauf, Vom Frosch: Eine Kulturgeschichte zwischen Tierphilosophie und Ökologie, Bielefeld 2011. Borinski, »Nochmals die Farbe Braun«, 14. Walter Benjamin, »Franz Kafka« (1934), in: Gesammelte Schriften II/2, Frankfurt a. M. 1991, 430. In Überkreuzung biblischer und mythischer Traditionen wird nun der Schuldkomplex eingeführt: »Da [nämlich] im biblischen Paradigma des ›Sündenfalls‹ das Leben davor, im Topos des Paradieses, als asexuell erscheint, gibt es im Buch der Schöpfung keine Anhaltspunkte für die Vorstellung einer kreatürlichen (d. h. einer vor allem leiblichen und sexuellen) Existenz jenseits bzw. vor dem Begriff der Sünde. Im biblischen Deutungsmuster tritt der (sexuelle) Leib erst mit der Sünde, d. h. als immer schon unreiner, in Erscheinung.« Insofern greift Benjamin hier auf mythische Darstellungen einer heidnischen Vorwelt zurück und kennzeichnet Kafkas Vorweltfiguren, »Chiffren einer rätselhaften Schuld« (ebd.), im Rückgriff auf den Matriarchatsforscher Johann Jakob Bachofen: »Die Kreatur erscheint bei ihm [Kafka] auf der Stufe, die Bachofen als die hetärische bezeichnet. (…) Es ist der Moorboden solcher Erfahrungen, aus denen die Kafkaschen Frauengestalten aufsteigen. Sie sind Sumpfgeschöpfe (…).« Deren Vergangenheit »führt eben in den finsteren Schoß der Tiefe zurück, wo sich jene Paarung vollzieht, ›deren regellose Üppigkeit‹, um mit Bachofen zu reden, ›den reinen Mächten des himmlischen Lichts verhaßt ist und die Bezeichnung luteae voluptates [= ›schmutzige [wörtl. schlammige] Begierden‹], deren sich Arnobius bedient, rechtfertigt.« Nach Sigrid Weigel, »Eros«, in: Benjamins Begriffe, hg. v. Michael Opitz & Erdmut Wizisla, 2 Bde., Frankfurt a. M. 2000, I, 329–330; für das Benjamin-Zitat siehe

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Aufsatz von 1982 hatte Ned Lukacher deshalb »Benjamin’s fascination with chthonian elements, with the powers of the underworld, with the subterranean mysteries of the prehistoric earth, with the primal maternal mysteries of Demeter«186 als das Kernstück seiner revolutionären Einstellung, seiner marxistischen Dialektik bezeichnet. Urzeitliche Träume flössen aus der Erdtiefe der Geschichte in die Gegenwart, um eine Zukunft zu konfigurieren. In diesen Momenten werde der Geschichtsverlauf unterbrochen und angehalten, es sei der Moment des dialektischen Bildes, das Lukacher ein »utopisches« Bild nennt. Mit jenem »return of the repressed«, das bei Aby Warburg (1866–1929), Benjamin und Borinski gleichermaßen Thema ist, gerät aber auch die matriarchale soziale Struktur der frühen Menschheitsgeschichte in den Fokus der Aufmerksamkeit. Benjamin selbst schreibt davon eingedenk Johann Jakob Bachofens (1815–1887) Vorstellung einer primitiven Gesellschaftsform des Hetärismus, die sich völlig auf der natürlichen Produktivität der Frau gründete187: »Nicht die Erde ahmt dem Weibe, sondern das Weib der Erde nach. (…) Also die erste Entstehung geschah aus dem Mutterschoß der Erde, die Fortpflanzung durch das Weib.«188 Und dann, mit Blick auf die antike Urzeugungslehre: »›Noch bis jetzt‹, sagt Plutarch, ›bringt die Erde ganz vollständige Tiere hervor, wie zum Beispiel Mäuse in Ägypten und an vielen anderen Orten Schlangen, Frösche und Grillen, wenn von außen eine andere Ursache oder Kraft hinzukommt.‹ Diese Tiere werden aus der Erde erzeugt und ernährt.«189 Es gibt also eine enge Zusammengehörigkeit des Mutterrechts und der chthonischen Erdreligion, des »mit Feuchtigkeit getränkten und durch sie geschwängerten Erdreichs«. Und weiter heißt es: »In ähnlichen Gründen wurzelt die mythologische Wichtigkeit der Schlange, der Schildkröte, der Frösche und Krebse. Alle diese Tiere lieben Schlamm- und Sumpfgründe, in welchen sich die Mischung von Erde und Wasser gewissermaßen verkörpert, und die eben darum als das Urchaos, aus welchem alles Leben hervorgeht, angesehen werden.«190 Grundsätzlich aber zeichne sich, Bachofen zufolge, ein historisch beschiedener Kampf zwischen dem hetärischen und dem demetrischen Prinzip, d. h. zwischen »der

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Walter Benjamin, »Johann Jakob Bachofen«, in: Gesammelte Schriften, II/1, Frankfurt a. M. 1991, 428–429. Benjamin wiederum zitiert aus folgender Ausgabe: Johann Jakob Bachofen, Urreligion und antike Symbole, hg. v. Carl Albrecht Bernoulli, 3 Bde., Leipzig 1926, I, 386. Ned Lukacher, »Walter Benjamin’s Chthonian Revolution«, in: boundary 2/11 (1982/1983), 48. Johann Jakob Bachofen (1815–1887) postulierte in seinem 1861 erschienenen Hauptwerk, Das Mutterrecht, dass der patriarchalischen Gesellschaft eine menschliche »Urgesellschaft« vorausgegangen sei, die ein Matriarchat gewesen ist, in der die Mutter das Haupt der Familie war. Eine entscheidende Rolle spielte dabei, dass stets eindeutig festgestellt werden konnte, wer die Mutter eines Kindes war, während man sich der Vaterschaft damals nie zweifelsfrei gewiss sein konnte. So war die Mutter als Familienoberhaupt die Figur, zu der alle Fäden mit Sicherheit zusammenliefen. Die Mutter nahm nach Bachofen die Führungsrolle in der Gesellschaft ein und wurde als lebensspendende Göttin verehrt. Bachofen vermutete vor der matriarchalischen Phase eine noch »weniger zivilisierte« Gesellschaftsform, den »Hetärismus«. Er gründete völlig auf der natürlichen Produktivität der Frau. (…) Die matriarchale Phase liegt also zwischen der niedrigsten Zivilisationsform und dem Patriarchat. Im Patriarchat wiederum regiert der Vater als Repräsentant der Prinzipien von Recht, Vernunft, Gewissen und hierarchischer gesellschaftlicher Organisation. Johann Jakob Bachofen, Das Mutterrecht, Frankfurt a. M. 1975, 255. Ebd., 158. Ebd., 187.

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Regellosigkeit hetärischer Zeugung, insbesondere der Sumpfvegatation, dem reinen, sich selbst überlassenen Tellurismus, und dem Gegensatz der Ackerbaukultur aus.«191 Dabei käme die hetärische Zeugung (»die Mischung der Sumpftiere«) »einer Selbstumarmung der Urmaterie«192 gleich. Im demetrischen Zeitalter dagegen »erscheine der Vater zwar über die ihm im Mutterrecht bloß zukommende Funktion des Besamers, des Sämanns, der, wenn er den Samen in die Furche gestreut, wieder verschwindet«193, aber eine solche Gynaikokratie gehöre nicht mehr vorkulturlichen Zeiten an, sie sei vielmehr selbst schon ein Kulturzustand. Sie entspräche der Periode des Ackerbaulebens, der geregelten Bodenkultur, nicht jener der natürlichen Erdzeugung und nicht dem Sumpfleben – sei also bereits cultura, nicht mehr bloße natura.194 Benjamin war von der Vorstellung einer promisken Gesellschaftsform, die noch keinem Vater als Repräsentant der Prinzipien von Recht, Vernunft, Gewissen und einer hierarchisch gesellschaftlichen Organisation antwortet, fasziniert; in ihr fand er in hohem Maß demokratische Gleichheitsgedanken (»un ordre démocratique et des idées d’égalité civique«195) wieder – tatsächlich ist für ihn der »Kommunismus untrennbar mit einer Gynäkokratie« verbunden (»le communisme lui semblait même être inséparable de la gynécocratie«196). Im Hetärismus gelte noch das Wort von der »unbeweinten Schöpfung«197 – natürlich produzierend, wachsend und vergehend, gründe sie sich auf Stoff allein – »mais le mot Stoff (étoffe) veut dire la matière touffue, dense et ramassée. Elle est l’agent de cette promiscuité générale dont la plus ancienne humanité porte l’empreinte dans sa constitution hétairique.«198 Deshalb sei für Bachofen, so Benjamin weiter, der Tod oder Verfall der alleinige Schlüssel zur Erkenntnis; er vereine die beiden gegensätzlichen Prinzipien einer dialektischen Geschichtsbewegung. »Der Tod ist der kluge Vermittler zwischen Natur und Geschichte: das, was einmal geschichtlich war, fällt durch den Tod zurück in das Reich der Natur; das was einmal natürlich war, fällt durch den Tod in das Reich der Geschichte.«199 191 192 193 194

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Ebd., 33. Ebd., 245. Ebd., 70. Bachofens Diskussion des Mutterrechts, und damit verbunden der grundsätzlichen Promiskuität einer frühen, noch vor der matriarchalen Gesellschaftsform angesiedelten Phase menschlicher Zivilisation, war über Ludwig Klages und die Münchener Kosmische Runde aufgegriffen und rehabilitiert worden, nur wollte sie Benjamin, der sich außerordentlich davon affiziert zeigte, vor dem Zugriff des deutschen Faschismus bewahren (der u. a. in der Kosmischen Runde um sich griff). Seiner dialektischen Auffassung des Mythos zufolge galt es, dessen materielle Basis zu erkennen und ihn nicht als anthropologische Konstante hinzunehmen, also eine historische Mythologie zu betreiben, eine Mythenkritik im Pendelschwung von Bewahren und Zerstören. Sein zwischen dem Juli 1934 und Januar 1935 verfasster Essay zu Bachofen rief die symbolische Verfasstheit der Mythen in Erinnerung, die als subterrane Kraft vorgeschichtlicher Erfahrung in die Geschichte eingriffen und umgekehrt von der Geschichte aufgegriffen und aufgelöst wurden. Benjamin, »Johann Jakob Bachofen«, 230. Ebenda. Ebd., 222. Zuvor hatte Benjamin über Bernoullis und Bachofens Beschreibung des »Clair-obscur«, der Schattenhaftigkeit und Farblosigkeit der Plutonischen Unterwelt gesprochen. Ebd., 222–223. Ebenda. Der Tod meint auch keine gewaltsame Vernichtung, so hätte die Antike das Leben beispielsweise immer nur im Sinne eines Mehr oder Weniger verstanden: »On peut même dire que la

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Im Bachofen-Essay ging es Benjamin aber nicht allein um den materialistischen Entwurf einer Vorgeschichte, in der die Positionen von Mutter und Hetäre noch ungeschieden, die leibliche Existenz noch nicht abgewertet war, sondern auch um den Entwurf einer anti-väterlichen Poetologie. Der Idee von Kreativität, wie sie in der Vorstellung geistiger Schöpfung – dem Prinzip des Vaters folgend – tradiert worden sei, wird ein archaischer Eros entgegengehalten, der nicht auf eine Schöpfung im Intellektuellen, eine göttliche Schöpfung oder mimetische Nachahmung zielt. Wenn wir an dieser Stelle zu den Kreativitätsvorstellungen des 17. Jahrhunderts zurückkehren, so um sie mit etwas zu verbinden, was innerhalb der kunsthistorischen Forschung bezeichnenderweise als »negative Mimesis« bezeichnet wird, d. h. als kreatürliche, auf Stoff gegründete und beinahe noch formlose Schöpfung. Als Signatur fungiert hier wie dort die promiske Kröte, die phryne.

MONSTRÖSE KUNST Chthonische Kreaturen wie Eidechsen, Kröten und Frösche sind regellos gezeugte und, wie eben auch Bachofen bemerkte, vaterlose Kreaturen. Die bekannteste Geschichte, die eine solche vaterlose Schöpfung zum Thema hat, findet sich in Vasaris Vita di Leonardo (1568), in der Vasari von einem monströsen Kunststück berichtet, mit dem der Maler zu Anfang seiner Karriere für Aufsehen gesorgt haben soll: Ein Bauer hatte Leonardos Vater, Ser Piero da Vinci, einen grob geschnitzten hölzernen Schild mit der Bitte übergeben, etwas darauf malen zu lassen. Der Vater überreichte es Leonardo, und dieser entschied sich für die Darstellung eines Ungeheuers. Vasari fährt fort: »Zu diesem Zweck brachte Leonardo in einen der Räume, zu denen nur er selbst Zutritt hatte, zwei Arten von Eidechsen, außerdem Grillen, Schlangen, Falter, Heuschrecken. Fledermäuse und noch andere seltsame Tiere vergleichbarer Art. Aus dieser Menge nahm er verschiedene Elemente [zum Vorbild] und vereinigte sie zu einem schrecklichen, grauenerregenden Ungeheuer, das mit seinem Atem Gift und Feuer spie. Er ließ es aus einer dunklen Felsspalte hervorkommen, während es aus dem geöffneten Schlund Gift, aus den Augen Feuer und aus den Nüstern Rauch ausstieß. Er malte dies alles in so unheimlicher Weise, dass die Wirkung tatsächlich monströs und grauenerregend [monstruosa et orribile] war, und dabei mühte Leonardo sich so lange mit diesem Werk, dass sein Arbeitszimmer mit Gestank der toten Tiere erfüllt war, den er selbst allerdings wegen seiner großen Liebe zur Kunst nicht bemerkte.«200

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mort a été pour lui la clé de toute connaissance, conciliant les principes opposés dans le mouvement dialectique. Ainsi est-il en fin de compte le médiateur prudent entre la nature et l’histoire: ce qui a été historique par la mort retombe finalement au domaine de la nature; ce qui a été naturel par la mort retombe finalement au domaine de l’historique«. Ebd., 223. Giorgio Vasari, Das Leben des Leonardo da Vinci, hg. v. Sabine Feser, Berlin 2006, 23–24. »Portò dunque Lionardo per questo effetto ad una sua stanza, dove non entrava se non egli solo, lucertole, ramarri, grilli, serpe, farfalle, locuste, nottole ed altre strane spezie di simili animali; dalla molti-

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Anders als die Sage um Zeuxis geht, der die schönsten Jungfrauen der Stadt Kroton zusammenrief, um ihre Körperteile zu einem Bild der Helena zu vereinigen, trägt Leonardo unheimliche Tiere zusammen, um aus ihnen ein Monster zu schaffen. Richard Turner hat in diesem Zusammenhang von einer negativen Mimesis gesprochen, weil die künstlerische Ambition in die Herstellung eines durch seine Hässlichkeit abstoßenden Bildes geht, in eine Kunst, die sich den Schock zum Ziel gesetzt hat 201 Die Begebenheit selbst ist wahrscheinlich erfunden. Schon seit Walter Pater (1839–1894) ist an der Wahrheit des Berichts gezweifelt und stattdessen vorgeschlagen worden, dass man Vasaris Beschreibung des Erstlingswerks als eine Zusammenstellung von Topoi verstehen sollte, die die künstlerische Frühbegabung Leonardos hervorkehren sollte. Mit dem Schild erscheint sozusagen eine bildgewordene Definition der Malerei gleich zu Anfang der Vita, und sie verweist auf Leonardos Erfindungsgabe sowie auf die Wirkmacht auch der späteren Werke.202 Dass sie sich dabei des chthonischen Vokabulars bedient, zeigt aber auch, wie regellos sich diese Kreativität im Verhältnis zur normativen oder idealen Gestaltgebung verhält. Und dennoch, ungeachtet ihrer dunklen Herkunft endet sie in einem Moment perfekter Illusion – zuletzt wird damit der Vater erschreckt: Leonardo hat sich während seiner Arbeit eingeschlossen und das Werk beendet, ohne dass sein Vater es in dieser Zeit gesehen hätte. Als dieser nun das Zimmer betritt, kann er beim Anblick des Ungeheuers sein Entsetzen nicht verbergen. »Denn er konnte nicht glauben, dass dies bloß ein Schild und das Bild, das er sah, nur gemalt war. Als er zurückweichen wollte, hielt Leonardo ihn mit folgenden Worten auf: ›Dieses Werk erfüllt seinen Zweck. Nehmt es also mit Euch, denn es hat das Ziel erreicht, das man von allen Kunstwerken erwartet.‹«203 Die subversive Geste in dieser

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tudine de’ quali variamente adattata insieme cavò un animalaccio molto orribile e spaventoso, il quale avvelenava con l’alito e faceva l’aria di fuoco; e quello fece uscire d’una pietra scura e spezzata, buffando veleno dalla gola aperta, fuoco dagli occhi, e fumo dal naso sì stranamente, che pareva monstruosa ed orribile cosa affatto: e penò tanto a farla, che in quella stanza era il morbo degli animali morti troppo crudele, ma non sentito da Lionardo per il grande amore che portava all’arte«. Giorgio Vasari, »Le vite de’ più eccelenti architetti, pittori, et scultori italiani« [Florenz 1550], in ders., Le opere di Giorgio Vasari, hg. v. Gaetano Milanesi, 9 Bde., Florenz 1981, IV, 24 (»Vita di Leonardo da Vinci«). Richard Turner, »Words and Pictures: The Birth and Death of Leonardo’s Medusa«, in: Arte Lombarda 66 (1983), 103–111. Ulrich Pfisterer, »Erste Werke und Autopoiesis. Der Topos künstlerischer Frühbegabung im 16. Jahrhundert«, in: Visuelle Topoi. Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, hg. v. Ulrich Pfisterer und Max Seidel, München & Berlin 2003, 271. Siehe auch Patricia L. Rubin, »What Men Saw: Vasari’s Life of Leonardo da Vinci and the Image of the Renaissance Artist«, in: Art History 13 (1990), 34–46. Der gesamte Passus lautet: »Finita questa opera, che più non era ricerca né dal villano né dal padre, Lionardo gli disse che ad ogni sua comodità mandasse per la rotella, che quanto a lui era finita. Andato dunque ser Piero una mattina alla stanza per la rotella, e picchiato alla porta, Lionardo gli aperse dicendo che aspettasse un poco; e ritornatosi nella stanza, acconciò la rotella al lume in sul leggio, ed assettò la finestra che facesse lume abbacinato; poi lo fece passar dentro a vederla. Ser Piero nel primo aspetto non pensando alla cosa, subitamente si scosse, non credendo che quella fosse rotella, né manco dipinto quel figurato che e’ vi vedeva; e tornando col passo a dietro, Lionardo lo tenne, dicendo: Questa opera serve per quel che ella è fatta; pigliatela dunque, e portetela, ché questo è il fine che dell’opere s’aspetta. Parse questa cosa più che miracolosa a ser Piero, e lodò grandissimamente il capriccioso discorso di Lionardo; poi comperata tacitamente da un merciaio

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Erzählung, entwickelt anhand der regellosen Schöpfung eines Monsters, gipfelt im väterlichen Schock. Doch das Entsetzen Ser Pieros ist nicht die letzte Reaktion auf Leonardos Schild. Der Schrecken verwandelt sich in Erstaunen und Bewunderung, sobald die Kunstfertigkeit erkannt wird. Damit hat der illegitime Sohn die künstlerische Herausforderung erfolgreich angenommen: »Nicht auf ideale Schönheit wie die meisten anderen Künstler, sondern auf getreue Nachahmung der abstoßendsten Hässlichkeit zielte also laut Vasari Leonardo mit seinem ersten Werk. Für den Betrachter ergab sich der ästhetische Genuss daher nicht schon aus dem Thema der Darstellung, sondern erst im Erkennen der eigenen Täuschung und der daraus offenbaren künstlerischen Leistung. Genau dies hatte Aristoteles in seiner Poetik (1448b 10–12) für das Wesen künstlerischer Nachahmung festgestellt: ›Selbst Dinge, die wir in Wirklichkeit mit Abscheu betrachten, gefallen uns, wenn wir sie als mit großer und genauer Kunstfertigkeit gemalte Bilder betrachten, wie zum Beispiel die Formen der ekelerregendsten Tiere und Leichen.‹ Die Kommentatoren des 16. Jahrhunderts präzisieren: Mit den Tieren seien Würmer, Käfer, Schaben, Motten und anderes Kriechgetier gemeint – also genau das Inventar von Leonardos angeblichem Untier. Die Theorie vom ästhetischen Genuß eigentlich hässlicher Objekte findet sich zwar auch bei Plutarch, Thomas von Aquin oder etwa Manuel Chrysoloras, aber um die Mitte des 16. Jahr-

un’altra rotella dipinta d’un cuore trapassato da uno strale, la donò al villano, che ne li restò obligato sempre mentre che e’ visse. Appresso vendè ser Piero quella di Lionardo secretamente in Fiorenza a certi mercatanti cento ducati, ed in breve ella pervenne alle mani del duca di Milano, vendutagli trecento ducati da’ detti mercatanti«. Vasari, »Vite«, IV, 24–25. »Als er die Arbeit beendet hatte, verlangten weder der Bauer noch der Vater danach. Dennoch ließ Leonardo seinen Vater wissen, dass wann immer es ihm recht sei, er nach dem Schild schicken lassen könne, da er seine Arbeit daran abgeschlossen habe. Also kam Messer Piero eines Morgens wegen des Schildes zu jenem Raum. Als er klopfte, öffnete ihm Leonardo und bat ihn, noch einen Augenblick zu warten. In sein Zimmer zurückgekehrt, stellte Leonardo den Schild auf eine Staffelei ins Licht und verhängte das Fenster so, dass es ein sanftes Licht verströmte. Dann ließ er Piero eintreten und schauen. Messer Piero, der im ersten Moment nicht an die Sache dachte, schreckte sofort zurück, denn er konnte nicht glauben, dass dies bloß ein Schild und das Bild, das er sah, nur gemalt war. Als er zurückweichen wollte, hielt Leonardo ihn mit folgenden Worten auf: ›Dieses Werk erfüllt seinen Zweck. Nehmt es also mit Euch, denn es hat das Ziel erreicht, das man von allen Kunstwerken erwartet.‹ Messer Piero erschien dieses Werk mehr als wunderbar und in höchstem Maß lobte er Leonardos einfallsreiche Rede. Danach kaufte er im Stillen bei einem Händler einen anderen Schild, auf den ein von einem Pfeil durchbohrtes Herz gemalt war. Diesen gab er dem Bauern, der ihm bis an sein Lebensende dankbar verbunden blieb. Kurz darauf verkaufte Messer Piero Leonardos Schild für hundert Dukaten heimlich an einige Kaufleute in Florenz, und schon kurze Zeit später kam er in die Hände des Herzogs von Mailand, der ihn von besagten Kaufleuten für dreihundert Dukaten erworben hatte«. Vasari, Leben des Leonardo, 24–25. Zur sublimierenden Wirkkraft einer Ästhetik des Schrecks und sogar des Horrors (vgl. das Namensspiel bei Otto Marseus van Schrieck), die in Vasaris Anekdote kunstvoll vorbereitet wird, vgl. z. B. Fehrenbach, »Compositio corporum«, 149. Dabei ist die Nähe zur kunsttheoretischen Konzeption des capriccio unübersehbar, vgl. dazu Roland Kanz, Die Kunst des Capriccio. Kreativer Eigensinn in Renaissance und Barock, München & Berlin 2002, v. a. 54–80.

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MONSTRÖSE KUNST

hunderts war die Herkunft des Gedankens von Aristoteles unbezweifelt.«204 Plutarchs Moralia wiederum, in der es um abstoßende Motive in Dichtung und Malerei geht, war gerade im 17. Jahrhundert stark rezipiert worden. In De pictura veterum beispielsweise hatte Franciscus Junius (1591–1677) anhand des entsprechenden Passus den Wettstreit zwischen Natur und Kunst thematisiert und die perfekte Imitation des Bildes über die Schönheit des dargestellten Objekts gestellt: »Seeing then that in the contemplation of the rare workes of Art, we are not so much taken with the beautie it selfe, as with the succesfull boldnesse of Art provoking Nature to a strife, it falleth out that not onely the Imitation of faire but of foule things also doth recreate our mindes. We love to see a painted Lizard, sayth Plutarch, usw.«205 Und auch Samuel van Hoogstraten zitiert in seiner Inleyding Plutarch. Mit ihm, lesen wir dort, kann gesagt werden, dass, wenn wir eine gemalte Eidechse, einen Affen oder das Gesicht des hässlichen Thersites – »jae’t alerafschuwelijkste en verachtste« – sehen, wir uns nicht freuen und sie nicht bewundern, weil sie schön, sondern weil sie ihrem Vorbild ähnlich sind. Denn dem Wesen nach könne das Hässliche niemals schön werden. Vielmehr werde die Nachahmung, ob von etwas Wertlosem oder etwas Wertvollem, gelobt, sobald sie Ähnlichkeit erreiche.206 Grundsätzlich ist Van Hoogstraten der Überzeugung, dass auch triviale Motive Gegenstand der Kunst sein dürfen, und widerspricht darin vor allem Erasmus, der gemeint hatte, dass nur seltene oder edle Tiere es wert seien, gemalt zu werden. Eine erfolgreiche Nachahmung, heißt es stattdessen bei ihm, setze die Hierarchie der Gattungen außer Kraft: Anstatt ein schlechter Historienmaler zu sein, wäre es besser, 204

205 206

Pfisterer, »Autopoiesis«, 272. Die Aufzählung des Bildinventars in Pier Vettoris Commentarii in primum librum Aristotelis de arte poetica, Florenz 1560, 31–32; zu Manuel Chrysoloras siehe Götz Pochat, »Natura pulchrior ars?«, in: Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter, hrsg. v. Willi Erzgräber, Sigmaringen 1989, 205–219. Plutarch, Mor. I, 18; Thomas von Aquin, Sum. theol. I, qu. 39 art. 8. Eine Weiterführung der Diskussion findet sich in Gregorio Comaninis Il Figino (1591): Dort wird auf Aristoteles’ Diktum der vollkommenen Wiedergabe des Unvollkommenen – und selbst des Abjekten – zurückgegriffen, um zum Schluss zu kommen, dass Vollkommenes und Unvollkommenes einander auf ästhetischer und erkenntnistheoretischer Ebene ebenso bedingen wie z. B. Freude und Leid: »(…) perche l’vn contrario è ragione della cognitione dell’altro, conoscendosi il freddo per mezo del caldo, e’ l caldo per mezo del freddo«. Comanini, Il Figino, 92. Auf ebd., 119, wird das dialektische Schema mit dem Kontrast von Schwarz und Weiß in Verbindung gebracht: Sie fungieren als Kontrast, d. h., in Comaninis Worten, »(…) come nella stessa pittura il negro fa rileuare, et forgere il bianco.« Comanini schließt jedoch mit der Erkenntnis, dass »(…) in componimento graue fugge di rispondere à contraposto con contraposto: ma con vna sprezzatura artificiosa aggiunge qualche parola nel rispondere alle prima dette, la quale non habbia di sopra alcuna corrispondenza: si come quegli, che sà, questi antiteti partorire humilità, & bassezza, & non conuenire à magnifica forma di stile« (ebd., 232) – dass also Kontrastierungen umgekehrt »commonplaces« hervorbringen und einer differenzierten Ästhetik entgegenstehen können. Franciscus Junius, De schilder-konst der oude, Middelburg 1641, 65. Plutarch, Mor. I, 18 (»Wie der Jüngling die Dichter hören soll«). Van Hoogstraten, Inleyding, 77: »(…) zoo zeggen wy met Plutarchus, dat wy de Schilderye van een Haegdisse, van een aep, van een alderleelijksten Thersites tronie, jae ’t alderafschuwelijkste en verachtste, als ’t maer natuerlijk is, met lust en verwonderinge aenzien, en zeggen, hoewel men het leelijke en mismaekte niet schoon, noch het slechte heerlijk kan maeken, dat leelijk nochtans mooy wort, door zijne natuerlijkheyt, en ten aenzien van de de naevolginge, de zelve lof verdient die men aen’t uitgelezenste schuldich is te geven.«

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29 | Wenzel Jamnitzer, Zwei Naturabgüsse von Eidechsen, um 1540/50, Silber, 7 und 4,2 cm; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Inv.-Nr. HG 11135 & 11136.

30 | Glasierter Naturabguss einer Eidechse aus der Werkstatt Bernard Palissys, um 1565–1567, Grottofragment der Tuilerien, Paris.

31 | Werkstatt Ulisse Aldrovandi, Eidechsen, in Album 4c, fol. 52, Biblioteca Universitaria, Bologna.

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durch perfekte Imitation des Niederen zu glänzen.207 Van Hoogstraten gebraucht statt »ähnlich« oder »übereinstimmend« im übrigen das Wort »natürlich« (natuerlijk), um die erstrebte Wirkung zu beschreiben; Kunst und Natur, Abbild und Vorbild sollen scheinbar bruchlos ineinander übergehen.

DER SOHN ALS SPECIES Durch die wiederholten Verweise auf Plutarchs (ca. 45–125) Moralia innerhalb der kunsttheoretischen Texte des 17. Jahrhunderts war die Eidechse zur Signatur des perfekt imitierenden Künstlers geraten. Sie erscheint immer dann auf der Bildfläche, wenn das Verhältnis zwischen Kunst und Natur oder genauer zwischen Natur-Hässlichem und Kunst-Schönem zur Debatte steht. Gerade dieses Verhältnis bedarf jedoch noch einiger Erläuterungen. Von der Antike bis zur frühneuzeitlichen Diskussion hatte es einige Revisionen erfahren und nicht zuletzt einen veränderten Kunstbegriff hervorgerufen. Eine wichtige Station innerhalb der Diskussion war Thomas von Aquins (ca. 1225–1274) Bestimmung des Schönen gewesen. Sie war vorhin nur kurz erwähnt worden, aber sie ist entscheidend, um das Lob der perfekten Imitation im christlich-abendländischen Diskurs genauer zu verorten. Kommen wir deshalb noch einmal auf Thomas’ Summa theologicae zurück.

207

Vgl. Thijs Weststeijn, The Visible World. Samuel van Hoogstraten’s Art Theory and the Legitimation of Painting in the Dutch Golden Age, Amsterdam 2009, 365–366: »Van Hoogstraten shows little interest in a supposed ›hierarchy of Creation‹ in which some elements are deemed more ›spiritual‹ and hence more worthy than others to be depicted: ›Learn first to follow the riches of nature, and imitate what is in it. The sky, the earth, the sea, the animals, and good and common people, all serve for our practice. The flat fields, hills, streams and trees provide us with works enough. (…) And in the least of objects one can learn to apply all the fundamental rules that belong to the most glorious things« (Van Hoogstraten, Inleyding, 18). The ›least of objects‹ according to Van Hoogstraten, are worth drawing because in them, too, the painter can demonstrate his ability to depict the visible and apply the ›fundamental rules‹ of art. In general the disparate elements of the visible world are of interest to the artist, ›for there is some grace in everything‹. Even the representation of the ugly and insignificant has an essential place in the depiction of the entire visible world, and as such does not have to be condemned out of hand. Van Hoogstraten observes, for instance, on the depiction of horses, that ›many others of our compatriots of this age have been more passionate about the ugliness, leanness and unsightliness of them: not that I wholly condemn such, for the material we choose often compels us to depict unpleasant things, which, if we render them fittingly, become seemly‹ (ebd., 168). He thus sees no need to idealize nature in all cases: ›Do not scruple to follow the beauty that is in nature, but be assured that what is pleasant in life will also make your work loved‹ (ebd., 231). Another passage from the Inleyding that should be quoted in this context is the classification into ›degrees of art‹ (genera pingendi) that Van Hoogstraten works out; he formulates the ideal of the ›universal master‹ who has to be accomplished in all three genres. This trichotomy accords the highest intellectual status to the depiction of people in emotional interaction; the first two degrees, that deal with still-lifes and genre painting respectively, nonetheless also have a theoretical appreciation. Even trivial objects are worth painting, Van Hoogstraten tells us, provided it is done in a convincing manner (…). Elsewhere, too, Van Hoogstraten describes how ›the ugly‹ becomes ›beautiful‹, worthy of being depicted, because of the success of the imitation. ›It is not unamusing to see the things that divert one in Painting; and particularly if they are rendered wittily and in the liveliest manner‹; Van Hoogstraten mentions in this regard Snijders, Bassano and Castiglione (ebd., 171).«

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Dort wird unter anderem ein theologischer Bildbegriff entwickelt, dessen Herleitung wie folgt geht: Weil Gottvater das Attribut des ewigen Seins (aeternitas) zugesprochen werden kann, der Sohn dagegen die Aufgabe hat, das Sein vollkommen abzubilden, ist der Sohn ein genaues Bild (species) des Vaters und darin bereits selbst wieder schön (pulchritudo). Schön aber ist in den Augen Thomas’, was sich durch Vollkommenheit (integritas, perfectio), Übereinstimmung (proportio, consonantia) und Klarheit (claritas) auszeichnet. In diesem Zusammenhang, genauer, als Reaktion auf die Frage, welche Bedeutung die Kategorie der »Übereinstimmung« beziehungsweise »Ähnlichkeit« für die Vorstellung von Schönheit haben kann, fällt Thomas’ bekannter Satz »unde videmus quod aliqua imago dicitur esse pulchra, si perfecte repraesentat rem, quamvis turpem« – selbst Hässliches kann schön genannt werden, sobald es die eigentliche Sache vollkommen (perfecte) wiedergibt.208 Demnach ist Ähnlichkeit bereits ein entscheidendes Kriterium von Schönheit. Die paradoxe Verknüpfung von turpis und pulcher kann durch eine repraesentatio perfecta erklärt werden. Was aber bedeutet dies für die nachfolgende ars-natura-Debatte? Zunächst soviel: Weil der species-Begriff hineinspielt, kann man annehmen, dass jedes spezielle Sein, und sei es noch so häßlich, solange es in Einklang mit einem Vorbild stehe, schön genannt werden kann. Dies gilt bereits innerhalb des Naturreichs. Dort kommt einer species die Aufgabe zu, noch auf der niedrigsten Stufe, und zwar aufgrund ihrer Ähnlichkeit oder Entsprechung mit einem Gattungs- oder Artenmuster, für »Schönheit« zu sorgen. Wir haben bereits gesehen, inwiefern im 17. Jahrhundert Einzelform, Gattung und Grund in ein Bildverhältnis gesetzt sind. Alles erhält seine Daseinsberechtigung und ästhetische Wirkung aufgrund der Ebenbildlichkeit mit einem selbst niemals sichtbar werdenden Urbild. Auf diese Weise wird der Heilsplan des göttlichen Schöpfers zur Erscheinung gebracht. Theologisch ergibt sich die Auflösung der Paradoxie, zugleich häßlich und schön sein zu können, noch einmal aufgrund der essentiellen Bildfunktion (species) des Sohnes. Seine Schönheit resultiert aus der Fähigkeit, ja sogar der explizit gestellten Aufgabe des getreuen Abbildens eines väterlichen Vorbilds. Was aber, wenn es kein Vorbild gibt, das er nachahmen kann? Innerhalb der Theologie war dieser Gedanke gar nicht erst denkbar, aber innerhalb der Naturphilosophie war er langsam möglich geworden. Hier hakt als kritisches Korrektiv die Debatte der barocken Naturtheoretiker nach. Und hier werden nun 208

In Sum. theol. I, qu. 39 art. 8 diskutiert Thomas u. a. die Eigenschaftlichkeit der Trinität Vater – Sohn – Geist, welche er mit der Trias Ewigkeit (aeternitas) – Bild, Schönheit (species, pulchritudo) – Gebrauch (usus) parallelisiert: »(…) Secundum igitur primam considerationem, qua consideratur absolute Deus secundum esse suum, sic sumitur appropriatio Hilarii, secundum quam aeternitas appropriatur patri, species filio, usus spiritui sancto. Aeternitas enim, inquantum significat esse non principiatum, similitudinem habet cum proprio patris, qui est principium non de principio. Species autem, sive pulchritudo, habet similitudinem cum propriis filii. Nam ad pulchritudinem tria requiruntur. Primo quidem, integritas sive perfectio, quae enim diminuta sunt, hoc ipso turpia sunt. Et debita proportio sive consonantia. Et iterum claritas, unde quae habent colorem nitidum, pulchra esse dicuntur. Quantum igitur ad primum, similitudinem habet cum proprio filii, inquantum est filius habens in se vere et perfecte naturam patris. Unde, ad hoc innuendum, Augustinus in sua expositione dicit, ubi, scilicet in filio, summa et prima vita est, et cetera.«

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ebenfalls, in ihrer Kippfunktion zwischen Kunst und Natur, die chthonischen Kreaturen – Kröten, Eidechsen – relevant. Bachofen hatte sie, wie wir gesehen haben, als Signum einer negativen Mimesis und damit als Ergebnis einer antiväterlichen Kreativität charakterisiert. Benjamin hatte hinter ihrem Regime sogar weitergehend eine chthonische Revolution vermutet, d. i. eine Wiederholung der aphrodisiatischen Kraft von Phryne mit dem olivfarbenen Gesicht: Sie fungiert als Venus und Kröte zugleich und kehrt auf paradoxale Weise die Werte um, die dem ästhetischen Diskurs der Frühen Neuzeit auf oberflächlicher Ebene anhaften. Denn ähnlich Phryne, die sich als arme Kapernhändlerin und »Braune«, wie der Name eigentlich sagt, in ein Schönheitsideal und eine der reichsten Frauen Athens verwandelt, ist beispielsweise auch Leonardos Schöpfung dunkel und glanzvoll zugleich: Monströs der Herkunft nach, doch schön in ihrer bildhaften Wiedergabe; in perfekte Form gebrachte Unform. Der Künstler schafft ein Ungeheuer und zugleich die entgegenwirkende Bildmagie, wenn er den Schild mit Kreaturen der Niederwelt bemalt. Dazu passt, dass Vasari weiterhin angibt, Leonardo habe auf seinem Bild ein monstrum darstellen wollen, »so dass jeder, der den Schild zu Gesicht bekäme, sich erschrecken und er die gleiche Wirkung erzielen würde wie einst der Kopf der Medusa.«209 In den Viten nämlich war die Beschreibung von Leonardos monströsem Schild der des Medusenhaupts vorausgegangen, und so konnte man über die Assoziation von Schild und Medusa gleich zu Anfang der Erzählung auf eine erschreckende Wirkung auf den väterlichen Betrachter schließen.210 Die erste Episode bereitet die nachfolgende kunsttheoretisch vor. Beide Male geht es um die heilende Umkehrung des Schrecklichen und Unförmigen durch die Kunst der Reprä-

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Vasari, Leben des Leonardo, 23 (»[…] ed appresso ingessatala ed acconciatala a modo suo, cominciò a pensare quello che vi si potesse dipingere su, che avesse a spaventare chi le venisse contra, rappresentando lo effetto stesso che la testa già di Medusa« [Vasari, »Vite«, IV, 24]). Hier lässt sich im übrigen eine Verbindung zum »tödlichen Schreck« schlagen, den das capriccio auslösen kann: »Ursprünglich, etwa bei Dante, meint das Wort (als Verb: raccapricciare) den tödlichen Schreck, der die gekräuselten Haare zu Berge (capo riccio) stehen lässt. Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts setzt sich eine zweite Etymologie durch: der Sprung der Ziege (capra), die unerwartete Kombination des Getrennten – das Verfahren der Metapher, das Bewunderung hervorruft. Bei Vasari verbinden sich beide Stränge: das capriccio ist zugleich lustig, bizarr und terribile«. Fehrenbach, »Compositio corporum«, 150–151, mit Verweis auf Kanz, Die Kunst des Capriccio, 31– 32. Bedeutsam wird eine Schöpfungstheorie, die zwischen Freiheit und Willkür oszilliert. Zur Bildtradition des Medusenhaupts als apotropäisches Symbol auf Schildern des 16. Jahrhunderts vgl. Ausst.-Kat. New York (1998), Heroic Armor of the Italian Renaissance: Filippo Negroli and His Contemporaries, hg. v. Stuart W. Pyhrr & José-A. Goday, New York 1998. Zur affektiven Kraft von Medusenbildern vgl. Ulrich Heinen: »Haut und Knochen – Fleisch und Blut. Rubens’ Affektmalerei«, in: Rubens Passioni: Die Kultur der Leidenschaften im Barock, hg. v. Ulrich Heinen & Andreas Thielemann, Göttingen 2001, 70–109; ders., »Zur bildrhetorischen Wirkungsästhetik im Barock: Ein Systematisierungsversuch nach neurobiologischen Modellen, in: Bildrhetorik, hg. v. Joachim Knape, Baden-Baden 2007, 113–158; ders., »Huygens, Rubens and Medusa – Reflecting the Passions in Paintings. With some Considerations in the Neuroscience in Art History«, in: The Motions of the Mind. Representing the Passions in the Arts of the Early Modern Netherlands [Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 60], hg. v. Stephanie Dickey & Franziska Gottwald, Zwolle 2010. See also Susan Koslow, »›How Looked the Gorgon then...‹: The Science Poetics of The Head of Medusa by Rubens and Snyders«, in: Shop Talk: Studies in Honor of Seymour Slive, hg. v. Cynthia P. Schneider, Cambridge, Massachusetts 1995, 147–149.

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sentation. Es bedeutet aber auch, dass, erstens, die Reaktionen von Schock und Erkenntnis dialektisch aufeinander bezogen sind, und, zweitens, der ästhetische Genuss durch die Entdeckung der Intervention des Bildfelds überhaupt erst ermöglicht wird. Gerade nämlich wenn sie etwas Hässliches darstellt, wird die transformierende Fähigkeit der Malerei offensichtlich. »Taming Nature by Art«211 hatte Franciscus Junius die domestizierende Kraft der Kunst einmal genannt. Negative und positive Mimesis erscheinen als Seiten der einen Medaille künstlerischer Repräsentation, je nachdem, ob man sie von der formgebenden, väterlichen, oder der material-maternalen Seite aus betrachtet. Der Sohn als species dagegen agiert im Dazwischen, im Bildmedium.

WACHSTUM UND VERFALL Als Kreativitätskonzept erfährt eine auf Stoff gegründete und beinahe noch formlose Schöpfung spätestens seit dem 16. Jahrhundert Konjunktur. Das entstehende Dilemma ist bereits benannt: In der Naturtheorie besteht es darin, dass die Erde oder Materie als autonom gewordener Uterus für spontane Lebensformen fungieren konnte – mit der Folge, dass man sich herausgefordert sah, rückwirkend auch die Herkunft des Menschen zu biologisieren. Auf bildtheoretischer Ebene gibt es vergleichbare Befürchtungen des Verlustes mimetischer Ähnlichkeit, denn wo sich die Formen wie zufällig aus der Materie hervorarbeiteten, wird das System der Abbildlichkeit in Frage gestellt. Aufgewertet wurde hingegen die künstlerische Phantasie, und selbst der Zufall – man denke an die Tradition der macchia-Malerei, der mit dem Malgrund verbundenen alla-prima-Technik Tizians oder die Nass-in-Nass-Malerei Van Goyens – hielt in der Kunsttheorie und -praxis offiziellen Einzug.212 Gerade aber Van Goyens flüssig entstandenen Landschaften sind manchen Kritikeraugen schon des 17. Jahrhunderts wie Ergebnisse einer promisken Bildfläche erschienen, die sich zu schnell mit jedem Pinsel einlässt. Die Schnelligkeit der Ausführung wird gelobt und getadelt; die Bilder erscheinen in ihrer Flüchtigkeit jedenfalls ephemer, verzeitlicht. Sie haben ihre feste Form verloren. Innerhalb der Naturtheorie waren die chthonischen Lebewesen am unteren Ende der Seinspyramide der primären Ursache von jeher am weitesten entfernt gewesen. Dualistischen Weltschöpfungsgeschichten zufolge galten sie als »Ungeschöpfe« des Teufels, der ihre Gestalt zwar zu formen, sie aber nicht zu beleben vermochte.213 Jetzt wurden sie den Maschinen und Automaten der cartesischen Mechanik insofern ähnlich, als sie ihre Lebendigkeit materiell eingelagerten Kräften entnahmen. In den modifizierten Urzeugungstheorien des 17. Jahrhunderts sind diese Kräfte allerdings, wie wir gesehen haben, immer noch göttliche Derivate. Aber die zeitliche Unvorhersehbarkeit ihrer jeweiligen Aktivierung, die sich hauptsächlich »den Umständen verdankt«, charakterisiert sie als

211 212 213

Junius, Schilder-konst, 65. Weiterführend: Nicola Suthor, Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München 2010. Vgl. Hannjost Lixfeld, Gott und Teufel als Weltschöpfer, München 1971, 15.

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32 | Otto Marseus van Schrieck, Landschaft mit Eidechse, Schmetterlingen und

Schnecke, Öl auf Leinwand, 38.5 × 47.5 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz, Inv. 1890, n. 1262 (Provenienz: Slg. Kardinal Leopoldo de’ Medici, Palazzo Pitti).

tendentiell kontingente Naturphänomene mit eigener Motivation und Dynamik. Es ist die Fähigkeit der Selbsterschaffung und -erhaltung, welche urgezeugte Wesen laut Aristoteles zu automata (αὐτόματα), und das heißt zu autopoietischen Systemen machte. Weil sie rekursiv organisiert sind und ihre Bestandteile demselben Organismus angehören, der sie produziert, gibt es in den forciertesten Momenten naturtheoretischer Überlegung keine Trennung zwischen Erzeuger und Erzeugnis mehr.214 Im Braunschweiger Bild beispielsweise wird der Rückfall auf den bloßen Schöpfungszustand mehr als deutlich vorgeführt. In ihm begegnen wir nichts als Kreaturen. Und egal ob man noch immer die modifizierten hylomorphischen Modelle scholastischer Prägung in Anschlag nahm oder die modernere atomistische Erklärung von Biogenese, die Säkularisierung des Schöpfungsstands war angedacht, und damit die Schwächung des metaphysischen Hintergrunds auch der Bilder. Damit will ich vor allem sagen, dass sich das Verhältnis von Physik und Metaphysik stärker dialektisiert. Denn natürlich gibt es im Gegenzug transzendentale Einschlüsse. Wie wir gesehen haben, wird manchmal ein Ausblick auf eine ideale Landschaft jenseits des Gestrüpps offeriert, die wie durch einen Tunnel

214

Eine Paralleleschichte findet sich in der kunsttheoretischen Begriffskonzeption von compositio – nach Cennino Cenninis wirksamen Vorstoß wird eine Ästhetik des Zusammenfügens v. a. bei Leon Battista Alberti weiterentwickelt; sie findet im künstlichen »Leben« von Automaten sowie in der Bio-Art ihre legitimen Nachkommen. Siehe Fehrenbach, »Compositio corporum«, 145–147.

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33 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Schlange, Distel und

Schmetterlingen, signiert OTTO Marseus, Öl auf Leinwand, 68.4 × 53 cm, Staatliches Museum Schwerin, Inv.-Nr. 440.

oder durch die Linse eines Perspektivs in der Ferne wahrgenommen wird: als optisches phantasma oder als Netzhautbild ohne Substanz. Gerade aber weil es als kristalliner Einschluß im dunklen Bildfeld erscheint, kann es schnell wegfallen. In vielen sottoboschi geschieht eben dies, es gibt dann auch keinen Horizont mehr, so dass wir nur noch auf lehmfarbenen Boden blicken. So sehr in die Physik verstrickt, wie das 17. Jahrhundert es war, fiel es schwer, eine Symmetrie zwischen Materie und Form, Physik und Metaphysik aufrecht zu erhalten. Kircher und Gassendi hatten versucht, unzählige minimae scintillulae in die Materie einzuschließen, um die Formbildung göttlich zu legitimieren. Descartes hatte in De forma-

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tione foetus (1664) dagegen schon behauptet, dass die Gestaltbildung des tierischen Foetus auf mechanistische Weise erklärt werden könne, denn auch die Samenmaterie müsse nach physikalischen Gesetzen operieren. Wenn wir uns dazu die Anstrengungen selbst Kirchers oder Gassendis ins Gedächtnis rufen, die Vorwürfe der Häresie abzuwenden, die ihre biogenetischen Erklärungen begleiteten, wird das Dilemma, zwischen Materie und Geist, Welt und Transzendenz vermitteln zu können, immer deutlicher. Am stärksten entbrannte der Disput in England, wo sich einige der avanciertesten Wissenschaftler – William Harvey, Sir Kenelm Digby oder der mit Thomas Hobbes (1588–1679) und Théodore Turquet de Mayerne (1573–1654/1655) befreundete Mediziner Walter Charleton (1619–1707) – ebenfalls für eine atomistisch begründete Urzeugungstheorie aussprachen, nicht zuletzt weil die Alternative, die Präformationslehre, um die Mitte des 17. Jahrhunderts als äußerst konservativ galt und sich neue Modelle noch nicht gefunden hatten.215 Ihre Kritiker erkannten sofort eine atheistische Tendenz in der Art, wie die offensichtliche Kluft zwischen unorganischer Materie und organischem Leben von ihnen behandelt, ja übergangen worden war.216 In The Primitive Origination of Mankind beispielsweise begann der unter Cromwell zu Rang und Ehren gekommene Matthew Hale (1609–1676) seine Attacke gegen die Vorstellung einer sponte nascentium deshalb sofort mit der Feststellung, »that Mankind had a beginning, and that the successive Generations of Men were in their Original Ex non genitis.«217 Der Ursprung des Lebens aber sei undenkbar »without the Supposition of Divine Power and Ordination«218, außerdem könne man sich nicht vorstellen, dass die Erde eine Art Uterus für komplexere Lebewesen hätte darstellen können.219 Noch mehr lehnte er sich gegen die physikalische Reduktion Descartes’ und der Atomisten auf, die in seinen Augen auf eine Machination des Lebens hinauslief, denn er konnte nicht einsehen »that the Animals are only Engins.«220 Hale war zuerst dem Calvinismus nahegestanden, 215

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Kenelm Digby, Two Treatises, 215. Erstmals in Paris 1644 unter dem Titel Two Treatises, in the One of Which the Nature of Bodies, in the Other, the Nature of Man’s Soule, is Looked Into: In Way of Discovery of the Immortality, of Reasonable Soules erschienen; bis 1669 dann in mehreren Auflagen unter dem Titel Of Bodies and of Mans Soul. Hier nach der Ausgabe von 1669; Walter Charleton, Physiologia Epicuro-Gassendo-Charltoniana, London 1654. Vehemente Kritik an der Urzeugungstheorie findet sich bei Richard Bentley, A Confutation of Atheism from the Structure and Origin of Humane Bodies, ursprünglich in drei Teilen veröffentlicht (London 1692); später aufgenommen in: The Folly and Unreasonableness of Atheism, London 1693, und bei Matthew Hale, The Primitive Origination of Mankind, London 1677 (auf deutsch 1683 erschienen). Siehe dazu auch Goodrum, »Atomism, Atheism«, 212–213. Hale, Primitive Origination, 1. Hale war zunächst Richter unter Cromwell; später wurde er Lord Chief Justice of England. Ebd., 277. Ebd., 279: »The nutrition could never be supplied from any Terrestrial Veins, unless we should suppose that succus nutritious of the Earth to become menstruous, and converted into Blood or other suitable consistence for the nourishment of the Embryo.« Ebd., 10. »Again, if we look upon the Supposition of Epicurus, and his Explicator, Lucretius, and his Advancer, Gassendus, how many things must be taken for granted, that are not only perfectly inevident to our sense, but altogether improbable? The multitude of physically indivisible Atoms, their strange Figures accommodated to their Motion, Adhesion, and Coagulation, their declined Motions, and the means of their Coalition: And when all this will not serve to contain things within any possible certainty or specifical determination, to patch up that defect, certain Moleculae

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hatte sich aber 1660 den Remonstranten angeschlossen. Nun votierte er gegen den teleologischen Determinismus und die Prädestinationslehre ebenso, wie er den Mechanismus cartesischer Prägung ablehnte. Sein Argument ist sehr einfach: Alle als automata oder Engins in die Welt gekommenen Lebewesen werden durch ihre Physis bestimmt und sind dadurch unwiederbringlich der Vergänglichkeit preisgegeben. Allen automata und ephemera ist keine lange Lebensdauer beschieden. Bei Aristoteles waren sie diejenigen Lebewesen gewesen, die kaum ein Seelenvermögen besaßen. Reduzieren wir die vitale Frage deshalb auf diese physische Komponente, betrachten wir Lebewesen vor allem als Engins, so kommt dies einem generellen Verzicht auf die Diskussion über den Einschluß der Seele gleich. Sie aber ist das einzige Prinzip, das den Verfall der Kreaturen aufhalte, den Lauf der Zeit stoppe. Wachstum und Verfall waren im 17. Jahrhundert unlösbar ineinander verschränkte Operationen innerhalb der göttlichen Schöpfung der Natur. Die Frage aber nach der eigentlichen Animationskraft der toten Materie barg Zündstoff für den weiteren Verlauf der Diskussion, die sich ja eben um die Frage drehte, ob eine Kette fortschreitender Differenzierungen von der natürlichen zur intelligiblen Welt reichte oder ob man sich das Verhältnis als Bruch zu denken und den Menschen als »Sonderform« und Kulturwesen aus der Naturgeschichte herauszulösen hatte? Biologisches Leben, so könnte man einerseits schlussfolgern, war schlichtweg etwas ganz anderes als intelligibles Leben, denn nur dieses konnte auf Erlösung und ein Weiterleben jenseits der physischen Grenzen hoffen. Hier blieben Natur und Geist unvereinbare Kategorien beziehungsweise war der Geist ein transzendenter Einschluss im Gehäuse der Physis. Für andere aber, die die radikale Trennung nicht mitmachen wollten und mehr dem aristotelischen System der sich steigernden Seelenvermögen anhingen, musste es zwischen Materie und Geist eine Berührung, eine Form des genuinen Austausches geben. Immer wieder bezog man sich, über die reichen Umwege der kommentierten Nachschriften, auf Aristoteles’ Naturgeschichte sowie auf De anima, in der die scala naturae mit den Abstufungen des Seelenvermögens zusammengelegt wurde. Seelenvermögen aber ist zugleich Lebensvermögen. Aristoteles hat jede sinnliche Wahrnehmung augenblicklich zu psychischen und weitergehend zu kognitiven Ereignissen erklärt. Im Kreislauf von Werden und Vergehen, in dem sich Leben energetisch aufbaut und in dem es zusammenfällt, sind Wahrnehmung und Erkenntnis untrennbar gekoppelt. Jenseits des mineralischen Bereichs ist alles belebt:

Seminales must be supposed to make up that Defect, and to keep the World and its Integrals from an Infinitude of excursions every moment into new Figures and Animals, and yet made up merely by chance, and by the contexture of those Atoms which have neither quality nor energy, nor any thing else besides their small and imperceptible Moles, to make them operative, and that Local Motion which they there have; but they teach us not from whence they have it« (ebenda). Insgesamt gelten seine Zweifel sogar der epistemischen Reichweite naturwissenschaftlicher Forschung im Ganzen: »I am now more in doubt than before: Neither are we ever likely to attain any certain or satisfactory knowledge in the Physical Causes, Effects and Appearances in their largest extent and latitude«. Ebd., 11.

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»Wir sagen, (…) dass das Beseelte gegenüber dem Unbeseelten durch das Leben bestimmt ist. Da aber das Leben in mehrfacher Bedeutung verstanden wird, sagen wir, dass es lebe, wenn Leben auch nur in einer seiner Bedeutungen vorliegt: als Vernunft, Wahrnehmung, örtliche Bewegung und Stehen, ferner als Bewegung der Ernährung, dem Schwinden und dem Wachstum nach. Daher scheinen auch alle Dinge, die wachsen, zu leben; denn sie besitzen anscheinend in sich ein Vermögen und Prinzip von solcher Art. (…) Sie wachsen und (…) leben bis zum Ende, solange sie Nahrung aufnehmen können. Dieses Vermögen kann von den anderen getrennt sein. Unmöglich aber können bei den sterblichen Wesen die anderen von jenem getrennt bestehen. Dies ist offenkundig bei den Dingen, die wachsen, denn ihnen kommt kein anderes Seelen-Vermögen zu.«221 Wann aber erweist sich Materie als belebt? In Daniel Sennerts De chymicorum cum Aristotelicis et Galenicis von 1619 beispielsweise heißt es schon, dass auch die »Metalle, Mineralien, Gemmen, Edelsteine222 am Lebensprinzip teilhaben, und es ist bezeichnend, dass seine scala naturae vor allem im Bereich der Mineralien und Pflanzen an Feindifferenzierung zugelegt hat. Die Natur zeigt sich hier schrittweise als »Element, Salz, Schwefel und Bitumen, Erde, Stein, Metall, Pilz und Trüffel, Schimmelpilz, Kraut, Frucht, Baum, Zoophyt, Wurm, Insekt, Fisch, Vogel, Tier, Mensch«223, und auf diese Weise ist alles beseelt und steht miteinander in Verbindung. Gerade der Übergang zwischen toter und lebendiger Materie, den man sich nicht anders als mit pneuma-spendender Intervention erklären kann, beschäftigt nicht nur die Naturphilosophen und natural scientists, sondern entschieden die Künstler. Man muss jedoch, was die Frage nach der Belebung oder Beseelung der Seinsstufen der natürlichen Welt angeht, erneut differenzieren. Der Einfluss der stoischen Naturlehre, die eine pneumatische Ordnung der Dinge proklamierte, war zu Beginn des 17. Jahrhundert stark geworden. Dabei hatten die Stoiker entgegen der Tradition der Vorsokratiker und selbst noch gegen den Kontinuitätsgedanken in der aristotelischen Seelenlehre eine anthropozentrische Naturordnung aufgebaut, die auf eine Stufenordnung zielte, in welcher das Niedrigere um des Höheren willen existierte: Zenon von Kition (335–262 v. Chr.) zufolge war die Seele eine vorübergehend konkretisierte Physis, die nach dem Tode wieder in dieser Natur aufgeht. Aus der Sicht von Diogenes Laërtius (3. Jh. v. Chr.) im Kapitel über Zenon »ist die Natur ein künstlerisches Feuer, das sich planvoll dem Werke der Erzeugung

221 222 223

Aristoteles, De anim. 413 a. Sennert, De chymicorum, 227: »(…) tum etiam metalla, mineralia, gemmas, lapides, vivere«. Sennert verweist in diesem Zusammenhang interessanterweise u. a. auf Thomas Mouffet und argumentiert im weiteren paracelsistisch: »Ita vivit Sal, Sulphur, Mercurius«. Ebenda. Ebd., 220. Die einzelnen Stufen im Aufstieg vom mineralischen zum vegetabilen und animalischen Sein werden im 17. Jahrhundert immer differenzierter ausgehandelt. In satirischer Überspitzung werden in Cyrano de Bergeracs L’autre monde ou États et empires de la lune, Paris 1657 (postum), 109, sukzessive Stein, Blei, Ulme, Eiche, Auster, Wurm, Mücke, Frosch, Spatz, Affe, Mensch aufgezählt.

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widmet; es ist ein feuriger, der Kunst verwandter Hauch.«224 Auf dem Hintergrund eines Kosmos, der im Feuer, im pyr technikon (πῦρ τεχνικόν), sein gestaltendes Wesenselement hat, wird die fundamentale Bedeutung des pneuma enthermon (πνεύμα ε Æνθερμον) erschließbar – an dieser Stelle müssen wir aufmerken, denn aufgrund der Begrifflichkeiten (ars, techne) ermöglicht sie eine Verbindung zur Formfrage und zu Kreativitätsvorstellungen in der frühbarocken Kunsttheorie. »Das schöpferische Feuer ist nicht nur göttlichen Ursprungs als das All durchwaltender warmer Hauch, pneuma enthermon, sondern wird mit Gott und der Natur identifiziert.«225 Demnach sind Leben und Gedeihen der Pflanzen und Tiere Ausdruckskraft einer künstlerischen Schaffenskraft der Natur: Die Lebewesen stehen durch ein sympathetisches Netz sogar mit allen Weltteilen in Wechselwirkung; das feinstoffliche pneuma durchweht alles Seiende. »Kein Teil eines Ganzen hat isoliert für sich seinen Platz, sondern ist für das Ganze, um dessen willen es da ist und auf das es von Natur angelegt oder absichtlich angefertigt ist, als nutzbringend und wesensgemäß bewährt.«226 Unter pneuma versteht man demnach im stoischen Sinn ein gestaltendes und einheitsstiftendes Urprinzip, das die gesamte Gott-Natur in unterschiedlichen Graden feinstofflich durchdringt. Diese ist hierarchisch gegliedert, mit einer Betonung der Spitze, d. h. »die niederen Seinsstufen sind nur um der höheren, Pflanzen und Tiere also nur um des Menschen willen da.«227 Eine solche teleologische Ausrichtung zeigt, dass »in der Stoa die wesentlich von Aristoteles grundgelegte Seelenstufenordnung der Natur ihre schärfste Ausprägung erfährt, auch und gerade in bezug auf die ethischen und weltanschaulichen Konsequenzen, die auch unabhängig von der stoischen Kosmologie die abendländische Tradition bis heute prägen.«228 Dem gesamten Kosmos unterliegt eine vernünftige Ordnung; die Natur ist zweckmäßig eingerichtet und mit »Keimkräften der Vernunft« (logoi 224 225 226 227 228

Diogenes Laërtius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Buch I–X, hg. v. Klaus Reich, Hamburg 1967, 79–80 (= VII, 1). Heinrich & Marie Simon, Die alte Stoa und ihr Naturbegriff. Ein Beitrag zur Philosophiegeschichte des Hellenismus, Berlin 1956, 98. Vgl. Ingensiep, Pflanzenseele, 81. Nach Simon, Naturbegriff, 87. Das Zitat im Zitat: Plutarch, o. A. Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 1984 [1948], 71. Ebd., 83. Und wenn es auch paradox klingen mag: Mit Einführung des pneumatischen Prinzips als Bewegungsursache, die zwar den gesamten Kosmos durchzieht, aber als »Wärme«, »Spiritus« oder »Lebensantrieb« tendentiell physikalischen Charakter erhält, werden Teile der Lebenswelt entseelt; das thermon (θερμόν) fungiert zumindest in den unteren Bereichen der scala naturae als eine Art biologischer Seelenersatz. Zwischen dem Pflanzen- und Tierreich gibt es ebenso eine Kluft wie zwischen Tier und Mensch. Tatsächlich hat die Abgrenzung der Menschen- von der Tierseele die Stoiker fundamental bewegt; dem liegt der moralphilosophisch motivierte Wunsch zugrunde, ihn als Vernunftwesen zu kennzeichnen: »Indem in der stoischen Naturlehre das pneuma als konkretes Bewegungsprinzip gleichsam als äußerer Seelenersatz gerade für die physis der Pflanzen bedeutsam wird, scheint ihr Weg zum ›Automaten‹ der Neuzeit vorgezeichnet. ›Die Pflanzen aber bewegen sich wie von selbst, nicht durch eine Seele‹ (SVF II 708). Allerdings bedeutete dieses Chrysipp (ca. 280 v. Chr. geb.) zugeordnete Zitat nach Aëtios, dass die Pflanzen automatos pos kineisthai seien, nach stoischer Auffassung, dass sie von einer göttlichen Natur in der für sie geeigneten Lebensform zweckmäßig in Lebensbewegungen versetzt werden und nicht bloß nach mechanischen Gesetzen gestoßen werden wie später bei den Cartesianern«. Ingensiep, Pflanzenseele, 89.

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spermatikoi, λόγοι σπερματικοὶ) ausgestattet, die die Entwicklung und Entfaltung jeder Lebensform vorantreiben – zum Nutzen des Menschen. Angesichts der anthropozentrischen Ausrichtung der Stoa, die den Menschen als intelligibles Wesen der Kette der Lebewesen sowohl voranstellt als ihn daraus ausgrenzt, gibt es aber auch Gegenstimmen in den eigenen Reihen, die sich gegen die scharfe Trennung zwischen psyche und physis wandten und, unter grundsätzlicher Anerkennung der Stufenordnung, stärker an das Kontinuitätsprinzip der aristotelischen Naturphilosophie anknüpften.229 Ihnen zufolge wird noch den niedrigsten Reihen der Naturordnung ein Trieb zur Selbsterhaltung zugestanden, der sie zu Wesen macht, die sich nachhaltig im Dasein verankern. Wir haben schon gehört, dass dieser Trieb, zumindest wenn er sich in seiner reinen Form auf der untersten Ebene der Seinshierarchie äußert, mit der Fähigkeit zur Selbsterschaffung zusammengehen kann, und dass dieses doppelte Vermögen – sich nicht nur ein Dasein zu schaffen, sondern es auch zu erhalten – in den Natur- und Kunsttheorien des 17. Jahrhunderts als poietologische Aussage verwendet wird. Thematisiert wird dabei die Kluft zwischen anorganischer Materie und organischem Leben. Folgende Fragen lassen sich anschließen: Ist es möglich, eine zweite, künstliche Natur zu schaffen, bei der der Mensch schöpferisch tätig ist? Und handelt es sich dabei hauptsächlich um eine Vergegenständlichung des menschlichen Wesens, also um die Präsenz des Eigenen, oder doch auch um das Verstehen des Anderen? Kann der Mensch als Kulturwesen aus der Kette der Lebewesen herausgelöst werden, und wenn ja: Welche Rolle spielt dabei der Unterschied von psyche und physis? – Worin besteht überhaupt der Unterschied zwischen Natur und Kunst? Betrachten wir dazu ein Beispiel und lesen erneut in den barocken Naturhistorien. Elias van den Broecks in Schwerin befindliche Darstellung von Kakteen, Eidechsen, Insekten und Agaven, in den 1680er Jahren entstanden, schreibt die Tradition der Waldbodenstilleben fort, wie sie uns durch Otto Marseus van Schrieck bekannt geworden sind, nun aber ausschnitthaft, auf einzelne Spezies konzentriert. Zwischen den fleischigen Blättern von Sukkulenten und Kakteen begegnen sich zwei kampfbereite Smaragdeidechsen, zwei Nashornkäfer fliegen durch die Luft.230 Grüntöne beherrschen die Bildpalette nahezu durchgehend und verunklären die Grenze zwischen Pflanzen- und Tierreich. Der Zoom auf den 229

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So z. B. Poseidonios (135–50 v. Chr.): »›Die Natur macht keine Sprünge.‹ Ihm kam es mehr auf das Gemeinsame als auf das Trennende an, auf die Einheit des Lebens, auf die Allmählichkeit der Übergänge. Schon den Elementen sei Leben zu eigen, denn z. B. der Asphalt und manche Metalle ließen ein pflanzenähnliches Wachstum erkennen oder der Magnet verfüge über Anziehungskräfte, die bei Pflanzen Ernährung und Wachstum mit ermöglichten. Die Schwämme stehen nach Poseidonios an der Grenze von Tier und Pflanze, da sie sich aus eigenem Triebe bewegen, aber am Felsen festgewachsen sind. In seinem Werk über die Affekte soll er den festgewachsenen Zoophyten eine ›Kraft des Begehrens‹ (epithymetike dynamis) zugeschrieben haben«. Ingensiep, Pflanzenseele, 85. Vgl. die zeitgenössischen Beschreibungen der Eidechsen, die sich untereinander angeblich aggressiv und kampfbereit zeigen, dem Menschen gegenüber jedoch zahm erscheinen: »And if at any time three or four of them to be taken, and so let together to fight, it is a wonder to see how eagerly they wound one another, and yet never set upon the man that put them together«. Topsell, History of Four-Footed Beasts, 742.

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34 | Elias van den Broeck, Kakteen, Eidechsen, Insekten und Agaven, 1680er Jahre, Öl auf Leinwand, 62.5 × 53 cm, Staatliches Museum Schwerin.

Erdboden, der uns auf gleiche Ebene mit Tier und Pflanze bringt, macht Mikrostrukturen deutlich, die uns sonst schnell entgangen wären (die akribisch beschriebenen Texturen der Blattoberflächen, die scharfen Kanten der Felsen, die Schuppen der Echse etc.) und eine Art visuelles Rauschen erzeugen. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Unruhe lediglich auf der semiotischen Ebene zu erklären, so als wäre sie das Ergebnis eines Überangebots optischer Daten, die den Realismus der Darstellung an die Grenze treibt und unsere Rezeption

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überfordert. Vielmehr hat sie noch eine andere, medienbezogenene Ursache. Van den Broecks Malerei präsentiert uns eine perfektionierte Kunst der Deskription, und seine Herausarbeitung der taktilen Qualitäten der Felsen und Blattoberflächen beispielsweise, die farbliche Evokation eines kalt-trockenen Klimas, der Moment animalischer Rivalität geraten in Spannung zur Bewegungslosigkeit der Bildmotive und des Bildträgers. Paradoxerweise erscheinen vor allem die Pflanzen animiert. Unbewegt, aber mit Lebenskraft ausgestattet, rufen sie die Möglichkeit eines Übergangs zwischen Empfindungslosigkeit (anaisthesis) und Empfindungsfähigkeit (aisthesis) in Erinnerung, wie ihn die frühneuzeitliche Naturphilosophie in Anlehnung an antike Pneumatheorien thematisierte.231 Häufig genug werden dort Pflanzen mit schlafenden Kindern verglichen: »Weil sie [die Geschöpfe] im Laufe der Entwicklung immer wacher werden, ist es folgerichtig, dass bei Beginn das Gegenteil der Fall war, das Schlafen, auch deshalb, weil der Übergang vom Nichtsein zum Sein einen Zwischenzustand voraussetzt, und der Schlaf dieser Wesen scheint wie ein Grenzgebiet zwischen Leben und Nichtleben zu sein, und es scheint, als wenn der Schlafende weder schon ganz da ist, noch nicht da ist. Wer wacht, lebt vor allem deshalb, weil er empfindet. Wenn jedoch ein Geschöpf notwendig Empfindung haben muss und dann überhaupt erst ein Geschöpf ist, wenn es seine erste Empfindung bekommt, dann darf man den Anfangszustand nicht Schlaf nennen, sondern nur eine Art Schlaf, wie ihn auch die Gattung der Pflanzen hat. Denn in dieser Zeit führen nun einmal die Geschöpfe ein pflanzliches Leben, Pflanzen jedoch können nicht schlafen, da kein Schlaf ohne Erwachen ist. Aber der Zustand der Pflanzen ist dem Schlaf ähnlich ohne Erwachen. (…) Schlafen also müssen die Geschöpfe in der Mutter die meiste Zeit (…). Daher schlafen sie auch nach der Geburt noch die meiste Zeit. Und im Wachsein lachen auch kleine Kinder noch nicht, aber im Schlaf weinen und lachen sie. Denn auch im Schlaf haben die Geschöpfe Empfindungen.«232 231

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Damit verbunden ist die Fähigkeit zur (Selbst-)Erkenntnis, denn »Vorstellungen entstehen aus sinnlichen Wahrnehmungen und/oder aus dem Denken«. Ingensiep, Pflanzenseele, 50. »Pflanzen können Aristoteles zufolge nicht wahrnehmen, weil sie keine formale Abstraktion vornehmen können«. Ebd., 52. Bei Pflanzen mit fleischähnlicher Substanz (wie z. B. Sukkulenten) ist sich Aristoteles nicht sicher, ob sie nicht schon über Empfindungsfähigkeit verfügen. Ihrer »Fleischlichkeit« wegen stehen sie an der Schwelle zur Tierwelt. Für Vorsokratiker und für Platon verfügen Pflanzen dagegen grundsätzlich über aisthesis. Aristoteles, G.A. 778 b–779 a. Es gibt eine vergleichbare Besprechung der »Natur der Pflanzen« in Platon, Tim. 76 e 7–77 c 4, in der den Pflanzen folgende Merkmale zugeschrieben werden: a) Nährkraft und Wachstum, b) Wahrnehmung (aisthesis), c) Unbeweglichkeit, d) Vernunflosigkeit. In der Attestierung von aisthesis unterscheidet sich Platon von Aristoteles. Ähnlichkeiten zwischen den beiden Systemen gibt es wiederum im Verständnis des Pflanzenlebens als unterste (d.i. dritte) Ebene des menschlichen Seelenvermögens. Platon zufolge wurden die Pflanzen nach dem Menschen als dessen Ergänzung (und vor den Tieren) geschaffen: »Nachdem nun alle Teile und Glieder des sterblichen Tieres unter sich naturgemäß verbunden waren und es auf Grund der Notwendigkeit sich ergab, dass es im Feuer und in der Luft sein Leben vollbringen müsse und dass es deshalb, durch beide aufgelöst und entleert, seinem Verderben entgegengehe, sannen die Götter auf Hilfe für dasselbe. Sie verbinden nämlich andere Gestaltungen und Sinneswerkzeuge zu einer anderen, der menschlichen verwandten Natur und lassen diese zu einem anders beschaffenen

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Der Schlaf als »Zwischenzustand zwischen Sein und Nichtsein«, als »Grenzgebiet zwischen Leben und Nichtleben«, gleicht dem vegetativen Seelenvermögen. Beinahe noch, so argumentiert Aristoteles an einer anderen Stelle, ist man auf dieser Stufe ein blankes Geschöpf und gar kein Lebewesen, denn erst mit dem Wahrnehmungsvermögen wird die Grundlage für ein Empfindungsleben gelegt, das entweder Empathie oder wenigstens Sympathie oder Mitleid beanspruchen kann. Doch wenn man sich die Passage genau durchliest, so zeichnet sich umgekehrt der ontologische Sprung deutlich ab, der das Reich der Pflanzen von jenem der bloßen Materie trennt. Sie gehören der Stufe wenig qualifizierten nackten Lebens (zoe, ζωή) an, die den Zyklus von Nähren und Zeugen begründet und allen Lebewesen, Tieren, Menschen wie auch den Göttern, gemein ist. Um die Steigerung der Qualifikationen bzw. Vermögen geht es dann im weiteren; Aristoteles hatte den Aufstieg in höhere Lebensformen mit einem allmählichen Erwachen und Tätigwerden bzw. »AktWerden« verglichen und mit diesem Konzept nicht zuletzt den Materialismus seiner frühen Schriften überwunden.233 Dabei ist zu beobachten, wie der Kontinuitätsgedanke auf jeder neuen Ebene das Fundament bereitet, denn nicht nur die Lebewesen reihen sich nach dem Prinzip fortschreitender Abstufung aneinander. Auch im Einzelwesen existieren unterschiedliche Vermögen, die, in die Tiefe hinabgestuft, wie Keime reifen, um sich zu entfalten und aus dem Dunklen zum Leben aufzusteigen. Es gäbe im übrigen viele weitere Beispiele der sottobosco-Malerei, in denen die aus dem tellurischen Reich aufsteigenden Pflanzen zur animierten Hauptfigur werden – bei Nicolaes Berchem (1620–1683) zum Beispiel, dessen Disteln vom Licht so hart getroffen sind, dass ihre Spitzen aufglimmen, oder bei Mathias Withoos, der die Rippenstruktur der Blätter, ihre Erhöhungen und Vertiefungen

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Lebenden hervorsprießen. Aber die jetzt zahmen Bäume, Gewächse und Saaten wurden uns, nachdem der Landbau sie veredelte, befreundet; denn vorher gab es nur wildwachsende Gattungen, älteren Ursprungs als die zahmen. Alles nämlich, was da etwa des Lebens teilhaftig ist, darf wohl füglich und mit dem vollsten Rechte ein Lebendes heißen. Gewiß aber nimmt das, wovon wir jetzt sprechen, an der dritten Art der Seele teil, von der wir behaupten, dass sie zwischen Zwerchfell und Nabel ihren Sitz bekam und welcher keine Meinung, Erwägung und Vernunft zusteht, aber wohl mit Begierden verbundene schmerzliche und angenehme Empfindungen. Es verharrt nämlich fortwährend in einem leidenden Zustande, und seiner Natur gemäß verlieh ihm das Entstehen nichts, als selbst in sich und um sich selbst bewegt, mit Zurückweisen der Bewegung von außen her und der eigenen folgend, mit Einsicht etwas auf sich Bezügliches zu erwägen. Darum lebt es und ist nicht von einem Lebenden verschieden, aber unbeweglich und steht, der von ihm selbst ausgehenden Bewegung entbehrend, eingewurzelt fest.« Die Stoiker scheinen dagegen Aristoteles’ Aufteilung übernommen zu haben und unterscheiden in der Folge zwischen der psychis von Tieren und der physis von Pflanzen. Vgl. Sextus Empiricus, Adv. mat. IX, 81. Wiegesagt leben Aristoteles zufolge die Pflanzen, aber sie sind noch keine empfindenden Lebewesen. Foucault wird sehr viel später den Spieß umdrehen und den Menschen zum schlafenden Wesen erklären. Die damit verbundene Kritik an wissenschaftlicher Positivität und menschlichen Souveränitätsgedanken lässt die aufkommende Anthropologie als Wissenschaft vom Menschen suspekt erscheinen. Die Loslösung von jenem Schlaf, »der so tief ist, dass er ihn paradoxerweise als Erwachen empfindet« (Foucault, Ordnung der Dinge, 375), kann Foucault zufolge allenfalls durch eine Umschreibung der menschlichen Existenz ex negativo geschehen. Foucaults und Agambens Auseinandersetzungen mit dem anthropos (ἄνθρωπος) setzen an den aristotelischen Schriften an, dies hat eine Diskussion um die Abtrennung und Weiterführung klassischer biologischer Episteme im modernen Zeitalter forciert und das 17. Jahrhundert zum Schauplatz solcher Umbrüche gemacht.

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35 | Nicholas Berchem, Distel, Pilze und Waldbodentiere, signiert, Öl auf Leinwand, 96 × 76 cm, Privatsammlung Rom.

derart betont, dass sie die Leinwandfläche in einen knisternden, vielfach gefalteten Stoff zu verwandeln scheinen. Bei Withoos ist die Grundtönung dunkelbraun bis schwarz, grün, oder blau; darauf sitzen in Bleiweiß die Lichter. Bei Berchem ist sie wärmer gehalten, farblich mehr ins Erdfarbene gezogen.234 Ich greife an dieser Stelle nur wenig voraus, wenn ich die Vorstellung einer Stufenleiter des Lebens mit einigen Überlegungen zur Animationskraft der Farbe in Verbindung bringe. Es bietet sich an, aus Lodovico Dolces (1508–1568) Dialogo della Pittura zu zitieren, um jene Ungewissheit, »was es denn nun heißt, lebendig zu sein und wie sich die Übergänge auf der scala naturae, zwischen dem Mineralischen, Vegetativen, Animalischen

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Eine Abbildung in Bocchi, Pittori di natura morta, 52 (M. Withoos: Sottobosco con due ramarri che aggrediscono una farfalla, Öl auf Leinwand, 69 × 52 cm, Florenz, Privatsammlung [ehem. Villa Medicea di Artimino], Fig. MW.2).

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36 | Mathias Withoos, Sottobosco mit Stieglitz, um 1653, Öl auf Leinwand, 69 × 52 cm, Privatsammlung Florenz (ehemals Villa Medicea di Artimino).

und dem höchstrangigen Objekt animierender Nachahmung, dem menschlichen Leib, begreifen ließen«235 nicht einfach nur als eine ikonographische zu verstehen. Vielmehr geht es um den schwer ausmachbaren Unterschied zwischen toter und belebter Materie durch den Einzug einer alles durchwirkenden Seelenkraft oder eben des nackten Lebens, welcher in der Kunst sorgsam ausgetestet wird und die Ungewissheit zu einer biologischen und letztendlich anthropologischen werden lässt:

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Frank Fehrenbach, »›Eine Zartheit am Horizont unseres Sehvermögens‹. Bildwissenschaft und Lebendigkeit«, in: Kritische Berichte 3 (2010), 36; vgl. auch ders., »Calor nativus – color vitale: Prolegomena zu einer Ästhetik des ›Lebendigen Bildes‹ in der frühen Neuzeit«, in: Pfisterer & Seidel, Visuelle Topoi, 151–170.

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»Das colorito ermöglicht jene Farbtöne, mit denen die Natur die beseelten und die unbeseelten Dinge unterschiedlich malt (wenn man so sagen darf). Beseelte: wie etwa die Menschen und die wilden Tiere; unbeseelte, wie die Steine, Kräuter, Pflanzen und ähnliches, auch wenn diese je nach ihrer Art beseelt sind, da sie an jener Seelenkraft Anteil haben, welche vegetativa genannt wird, und diese Seelenkraft macht dauerhaft und hält im Dasein. Aber ich spreche als Maler und nicht als Philosoph.« – »Mir erscheint Ihr sowohl das Eine als auch das Andere.«236

37 | Primitive Bewegung als erstes Zeichen von Leben. Schüttelkasten, deutsch, nach 1550, hergestellt aus Holz, Papier, Draht, Muscheln, Moos, 12.5 × 23.8 × 17.4 cm, Kunsthistorisches Museum Wien, Sammlung Schloss Ambras, Inv.-Nr. 5432.

Wo und wann beginnt Leben, und wodurch – durch welche Lebensvermögen – unterscheiden sich Pflanze, Tier, Mensch voneinander? Die Logik des barocken Waldbodenstillebens besteht unter anderem darin, die Grenze zwischen Bewegung und Bewegungslosigkeit zu markieren, oder besser, sie immer weiter zurück in die Tiefe des Erdbodens zu verfolgen. Das stufenweise erwachende Bewusstsein der Naturwesen wird einerseits im changierenden Kolorit, andererseits als gesteigerte physische Aktivität geschildert (erinnern wir uns, 236

Lodovico Dolce, Dialogo della pittura, Venedig 1557, 116–177: »Il colorito serve a quelle tinte, con lequali la Natura dipinge (che cosi si puo dire) diversamente le cose animate & inanimate. Animate: come sono gli huomini e gli animali bruti: inanimate, come i sassi, l’herbe, le piante, e cose tali: benché queste ancora siano nella spetie loro animate, essendo elleno partecipi di quell’anima, che è detta vegetativa: la quale le perpetua e mantiene. Ma ragionerò da Pittore, e non da Filosofo«; hier in der Übersetzung von Fehrenbach, »Eine Zartheit«, 36.

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dass Aristoteles den Tieren die Fähigkeit zur Bewegung attestiert hatte, die sie von den Pflanzen unterscheidet). Echsen und Käfer beleben das Bild buchstäblich aufgrund ihrer Fähigkeit, nicht nur wahrnehmen und empfinden zu können wie die Pflanzen, sondern den Ort zu wechseln, sie sind physisch nicht gebunden und können sich im Fall der Käfer sogar in die Luft erheben. Die natürliche Wärme (pneuma, calor) wiederum ist von keiner Lebensform abtrennbar. Sie zieht sich als verbindender Stoff durch alle Register der biologischen Arten und Gattungen, was bedeutet, dass noch auf den niedrigsten Stufen Nährund Zeugungskraft existieren. »Daher ist in gewissem Sinne alles voller Seele«237, schreibt Aristoteles in De generatione animalium. Was aber vermag diese Kraft tatsächlich? – Bei Dolce haben wir gelesen, dass die vegetative Seelenkraft dauerhaft macht und im Dasein hält. In den antiken Schriften greifen an dieser Stelle einmal mehr biogenetische und poietologische Konzepte ineinander: »Die Nährkraft findet sich nämlich in allem, ob Pflanze oder Tier, und zwar als die Kraft, etwas sich selber Gleiches hervorzubringen (Assimilationskraft, mimesis).«238 Damit sind wir erneut bei mimetischen Strukturen und ihren Erklärungsmodellen angelangt. Aristoteles und andere hatten die Lebewesen nach dem Grad der Vollkommenheit unterteilt, den sie bei ihrer Geburt erreicht hatten. Die Hierarchie der Gattungen war hier eine der perfekten Form. Inzwischen wissen wir aber auch, dass die Eidechse als »imperfect creature«239 und Signatur einer negativen Mimesis gelten kann. Schon in der antiken Naturlehre galt sie aufgrund ihrer selbstregenierenden Fähigkeit als bestes Beispiel dafür, etwas sich selber Gleiches hervorzubringen, ohne noch einen äußeren Anstoß oder Formgeber zu benötigen.240 Eidechsen, deren Gliedmaße nachwachsen können; Sukkulenten, 237 238

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Aristoteles, G.A. 762 a 21. Zum aristotelischen Pneumabegriff einschlägig: Freudenthal, Aristotle’s Theory of Material Substance; zur Hierarchie der Formen ebd., 65–70. Zur Vorstellung von der Beseeltheit der Pflanzen vgl. ebd., 70–73, sowie Ingensiep, Pflanzenseele. Aristoteles, G.A. 735 a 25–28. »In der Hochscholastik des 13. Jahrhunderts etabliert sich schließlich in Anlehnung an die aristotelische Tradition eine im Kontext der christlichen Seelenlehre transformierte Pflanzenseele als anima vegetativa«. Ingensiep, Pflanzenseele, 106. Vgl. die Definition bei Albertus Magnus: Demnach zeichnet sich die anima vegetativa durch eine vis generativa aus, »welche von dem Körper, in dem sie sich befindet, einen der Potenz nach ihm ähnlichen Teil empfängt, in diesem durch Heranziehung anderer Körper, die sie ihm assimiliert, das Erzeugt- und Vermischtwerden hervorruft und jenen Teil in Wirklichkeit dem ursprünglichen Körper ähnlich macht«. Albertus Magnus, Sum. de hom., q. 16, a. 1, 78a. »Wie schon bei Aristoteles ist die vis generativa (…) das eigentliche Ziel der anima vegetativa, da sich ihr die Erhaltung der Formen und der Art verdankt«. Ingensiep, Pflanzenseele, 157. Für das frühneuzeitliche Naturstudium wird die Pflanze gerade deshalb interessant, weil sie den minimalsten Ausdruck des Lebendigen (zoe) verkörpert. Vgl. die barocke Unterscheidung zwischen »perfect« und »imperfect creatures« analog zur aristotelischen Einteilung in blutlose Tiere und Bluttiere. Sie wird in den frühneuzeitlichen Naturhistorien fortgeführt. Die antike Urzeugungstheorie bezog sich generell vor allem auf Tier- und Pflanzenarten, die durch eine komplizierte, weil nicht immer zweigeschlechtliche Fortpflanzung auffielen, so dass der Glaube an spontan erzeugtes Leben lange Zeit durchaus gerechtfertigt erschien. Viele der asexuellen oder zwittrigen Fortpflanzungsarten wurden erst im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts entdeckt, wie zum Beispiel die der Parthenogenesis, deren reproduktionsökonomischer Vorgang – eine Verdoppelung der weiblichen Population durch Zellklonung – 1740 von Charles Bonnet erkannt wurde. Unter den Reptilien waren es vor allem Eidechsen, die sich ihre Artenerhaltung

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die sich durch Teilung vermehren; Nashornkäfer, die den barocken Naturhistorien zufolge ihre Jungen aus dem Boden herausformten – bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wurde die asexuelle Generierung von Leben mit der fertilen Kraft des Elements Erde gleichgesetzt, das, in Verbindung mit Wärme, unerschöpfliche kreative Potenzen entwickelte. Die mimetische Kraft des Künstlers wiederum wird am Beispiel der Eidechse gezeigt, die auf dem Gemälde so lebendig wirkt, dass man sie, wie Van Hoogstraten vorhin einmal sagte, für natuerlijk halten kann.241 Mit Dolce wiederum kann man vermuten, dem Künstler sei es gelungen, sie für die Dauer der Betrachtung im Dasein zu verankern.

DESCENSUS – ASCENSUS Ich will noch etwas ergänzen: Sennerts Aufzählung einer »Kette der Lebewesen« hatte sich zwischen einer peripatetischen und neustoizistischen Argumentation bewegt, derzufolge sich die vier Klassen der Lebewesen (Menschen – Tiere – Pflanzen – Mineralien) zu einer göttlichen Ganzheit zusammenfügen, in der noch das geringste und winzigste Einzelteil als sinnvoller Baustein agiert.242 Sennert hatte sie im Sinne einer Klimax angeordnet, das heißt einer aufsteigenden Leserichtung vom Mineral zur Pflanze, zum Tier und Menschen. Bereits Chrysipp, letztes Schulhaupt der älteren Stoa und auf Aristoteles aufbauend, hatte in einer solchen Reihenfolge argumentiert und damit seine materialistische Erkenntnistheorie untermauert, derzufolge alle sprachlichen Bezeichnungen auf sinnlichen Wahrnehmungen basieren beziehungsweise nur über Verallgemeinerungen der Einzelerscheinungen gewonnen werden können. Bei den Platonikern wiederum gab es ebenfalls eine solche aufsteigende Tendenz, nur ist sie dann der Vorstellung eines möglichen Wiederaufstiegs der Seele im geistigen Sinne geschuldet. Üblicher war es allerdings, um den ontologischen Stellenwert der Lebewesen oder auch nur die Anordnung ihrer

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in Extremsituationen und in Gefangenschaft durch Parthenogenesis sicherten, das heißt durch die asexuelle Duplikation der weiblichen Tiere. Ohne ein ausgereiftes Erklärungsmodell musste die Beobachtung solcher Vorgänge einer wundersamen creatio ex nihilo gleichkommen. Ebenso konnten sich im Pflanzenreich einige Sukkulenten ungeschlechtlich reproduzieren, also veritable Klone entwickeln, vgl. Orlando Cuellar, »Animal Parthenogenesis«, in: Science 197/4306 (1977), 837–843; The Continuum Encylopedia of Animal Symbolism in Art, hrsg. v. Hope B. Werness, New York 2006, 318. Zu einer Kulturgeschichte des Froschs siehe Hüppauf, Vom Frosch. Zur stoischen Verknüpfung von Ethik und Physik vgl. Forschner, Stoische Ethik, 163: »Die Stoa führt den Aufbau und die Gliederung des Universums auf zwei Prinzipien zurück, den aktiven Logos und die passive Hyle. Der Logos durchdringt den amorphen Stoff in einem endlosen periodisch gegliederten Prozeß mit gestufter Intensität und modifizierter Qualität; er konstituiert so eine Vielzahl von Dingen von unterschiedlicher Form, verschiedener Dauer, verschiedenem Rang. Er spezifiziert sich in verschiedene Weisen des Seins und Selbstseins, in anorganischen Dingen zur bloß gestaltgebenden und zusammenhaltenden Spannung, in Organismen zu immanentem Wachstum, in Tieren zu Wahrnehmung, Selbstempfindung und Trieb, in Menschen zu Bewusstsein und Willen, wobei die höheren Seinsformen die niederen implizieren und integrieren. (…) Wie der Logos des Universums, so wird auch der Logos des Menschen als die höchste und wertvollste Form des Seins ausgezeichnet; von seiner durch Selbsttätigkeit vermittelten rechten Verfassung allein hängt ab, ob der Mensch die ihm durch seine spezifische Natur vor- und aufgegebene Vollendung erreicht.«

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Lebensräume zu demonstrieren, nach dem absteigenden Prinzip vom Höherrangigen zum Niederrangigen, vom Größeren zum Kleineren zu argumentieren. Vor allem in der Gattung der Lehrgedichte – in Aratos von Solois (ca. 310–245 v. Chr.) Phainomena oder Vergils (70–19 v. Chr.) Georgica beispielsweise – ist man auf diese Weise verfahren. Astrologische Zeichen, die Abfolgen der Jahreszeiten, meteorologische Ereignisse vom Himmel herab können mit den marginalsten Erscheinungen in Verbindung gebracht werden, indem die Motive in den Gedichten »vom Allerfernsten zum Allernächsten und vom Allergrößten zum Allerkleinsten [absteigen]: Das letzte Wetterzeichen liefern die winzigen Mäuse, die sich angesichts des nahenden Unwetters ins Erdloch verkriechen.«243 So wird auch den kleinen, hässlichen, unbeachteten Tieren ein Platz im großen Tableau der Natur eingeräumt – etwas, das vor allem Plinius in seiner Naturgeschichte aufgriff, wenn er zum Beispiel »am Anfang des letzten Tierbuchs über die Insekten ausruft: in his tam parvis atque tam nullis quae ratio, quanta vis, quam inextricabilis perfectio! Und etwas weiter: cum rerum natura nusquam magis quam in minimis tota sit. Entsprechend am Anfang seines letzten Buches, wo es zunächst einmal heißt: ut nihil instituto operi desit, gemmae supersunt (…). Auf die Vollständigkeit kommt es also an, zu der auch und gerade das Kleinste wie die Perlen gehört.«244 Plinius beginnt seine Aufzählungen zwar jeweils mit den größten Tieren und Pflanzen, doch seine im stoischen Geist verfasste Naturgeschichte konzentriert sich immer wieder auf die Lebewesen und Elemente am Ende des descensus – mit einer »Andacht zum Detail«245, wie es einmal heißt. Seine zoologischen Bücher wiederum sind nach den vier Elementen geordnet, weshalb die Beschreibung mit den terrestria und aquatilia (Erde und Wasser als räumlich niedrigst gelegene Lebensbereiche) beginnt, zu den volatilia übergeht und interessanterweise bei den Insekten endet, denen aufgrund ihrer brennenden Bisse und Stiche eine Affinität zum Feuer nachgesagt wurde. Nach den Tieren werden die Pflanzen vorgestellt, dann die Heilmittel, die aus Pflanzen und Tieren gewonnen werden, abschließend werden Mineralien und Steine und damit die untersten Bereiche der Naturgeschichte beschrieben. Diese aber erhalten ihr eigenes Gewicht, sobald sie zum Gegenstand menschlicher Kunstfertigkeit werden. Plinius zufolge schafft sie ihre größten Leistungen gerade aus der toten Materie wie zum Beispiel Erzen, Erden, Salzen, wobei sich die niedere Position auf der Skala dann vollkommen umkehrt. Ebenso befinden sich leblose Materialien wie Gold und Edelsteine am Ende der Stufenleiter, sind aber wertvoller als die meisten anderen Naturprodukte. So überlagern und überkreuzen sich in Plinius’ Naturalis historia die Bewegungen von descensus und ascensus derart, dass nun neben funkelnden Edelsteinen auch Kleinstlebewesen wie die Insekten als hochrangige (weil konzentrierte) Details erscheinen und jene Andacht hervorrufen, die Plinius zu seinen ausführlichen Naturbeschreibungen bewegte und die im niederländischen 17. Jahrhundert erneut auflebt und bildwirksam wird. Man kann sich auf diesen Gedanken des Wertvollen im Kleinen beziehen, wenn im Jargon der Zeit Schmetterlinge 243 244 245

Hübner, »Der descensus als ordnendes Prinzip«, 26. Ebd., 36. Die zitierten Plinius-Stellen befinden sich in N.H. XI, 2; XI, 4 sowie XXXVII, 1. Plinius, N.H. XIV, 7: »Nos (…) nec deterrebit quarundam rerum humilitas.«

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DESCENSUS – ASCENSUS

38a | Jan van Kessel, Libelle, Falter und Insekten mit wilden Erdbeeren, 1650er Jahre, Öl auf Holz, 9 × 13 cm, Ashmolean Museum, Oxford.

38b | Jan van Kessel, Maikäfer und Käfer, Asseln und andere Insekten mit Immergrün,

1650er Jahre, Öl auf Holz, 9 × 13 cm, Ashmolean Museum, Oxford.

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und Libellen als fliegende Edelsteine bezeichnet werden, und mehr noch, wenn sie sogar mit aus Edelstein gewonnenen Pigmenten gemalt werden.246 Erze, Erde, Salze aber bildeten nicht nur die Basis von Plinius’ Naturhierarchie, sondern auch zu den seit Paracelsus (1494–1541) populär werdenden Scheide- und Verwandlungskünsten in der Alchemie. Die darin verfolgte Vision, die materielle Grundlage der Natur zu sublimieren beziehungsweise vom Erdhaften zum Subtilen aufsteigen zu lassen, lässt sich nicht zuletzt auf die mimetische Fähigkeit des Künstlers übertragen. Dieser hantiert mit Farben, die dem Bereich toter Materie angehören, auf solche Weise, dass sie auf der Stufenleiter des Seins vom leblosen Pigment zum wertvollen, weil lebendig wirkenden Bild als »Gold« übergehen. Man denkt sofort an Plinius’ Positionierung der leblosen Mineralien auf der untersten Stufenleiter des Naturreichs und wie sie durch menschliche Technik und Kunstfertigkeit veredelt werden können, sowie daran, dass solche künstlichen Produkte derselben paradoxen Eigenschaft unterliegen, die dem Gold und den Edelsteinen nachgesagt wird: nichts als tote Materie und zugleich mit einer fast magischen Kraft versehen zu sein. Eine ähnliche Logik erklärt den seltsamen Umstand, dass sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts innerhalb der Naturstudien ausgerechnet ein Insektenfieber auszubreiten begann. Nahezu alle empirisch orientierten Naturwissenschaftler der Zeit waren zunächst Entomologen. Den Erweis von Gottes Existenz aus der Natur und den Wundern seiner Schöpfung zu erbringen – entsprechend der Devise Natura in minimis maxima –, war dann auch die entscheidende Motivation physikotheologischer Überlegungen des 17. Jahrhunderts. Physikotheologen folgten der Überzeugung, dass das Größte sich im Kleinsten, das Unendliche im Endlichen zeige sowie das fein ausdifferenzierte Taxonom des »Buches der Natur« notwendig vom Dasein eines Großen Werkmeisters zeuge. Dies avancierte zur Standardformel innerhalb der barocken Naturtheorie: Sie sorgte für einen kohäsiven Zusammenhang des ansonsten langsam in disparate Einzelheiten zu zerfallen drohenden Naturtableaus.247

246

247

Zur Mikrologie Jan van Kessels siehe u. a. De Bie, Gulden cabinet, 409–410: »Van Kessel volght hem [= Brueghel] naer soo suyver, net en eel/ Soo scherp, en los in’t cleyn door t’ toetsen van Pinseel/ Dat d’ooghen verder niet haer crachten connen draghen/ Als t’gen sy in dit werck aenschouwen met behaghen./(…) Wanschapen Schepsels en verscheyden vremde dinghen/ Weet ons van Kessel als het leven voorts te bringhen,/ Daer niet (hoe cleyn dat is) in’t minsten in en blijckt/ Oft door sijn Konst alleen aen’t leven heel ghelijckt.« Vgl. Sara Stebbins, Maxima in minimis. Zum Empirie- und Autoritätsverständnis in der physikotheologischen Literatur der Frühaufklärung, München 1980; Robert Felfe, Naturgeschichte als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jacob Scheuchzer, Berlin 2003; Das Paradox. Herausforderung des abendländischen Denkens, hg. v. Roland Hagebüchler & Paul Geyer, Würzburg 2002. Eine weitere Annahme, nämlich dass als Grundlage alles Lebendigen eine vis vitalis als eigenständiges Prinzip angenommen werden muss, die das Besondere des Lebens betont und einen Wesensunterschied zwischen Organischem und Anorganischem aufmacht, brachte manchen barocken Naturtheoretiker dazu, die Rückführung auf bloße chemische und physikalische Grundprinzipien abzulehnen. Als ein Vorläufer solcher vitalistischer Gedanken gilt sicherlich erneut Aristoteles, der das Lebendige alleine als ein durch ein entelechisches Lebensprinzip Ermöglichtes betrachtete.

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39 | Jan Swammerdam,

eigenhändige Zeichnung des Ephemeron, MS BPL 126B, fol. 15r, Universitätsbibliothek Leiden.

DER MENSCH ALS EPHEMERON An dieser Stelle kann man sich daran erinnert fühlen, dass Jan Swammerdam (1637–1680) als bekennender Physikotheologe im Untertitel seines berühmten kleinen Buches über die Eintagsfliege Ephemeri vita (1675) darauf hinwies, dass es sich bei seinem Insektentraktat zugleich um eine »Darstellung des menschlichen Lebens« (Afbeeldingh van ’s menschen leven) vor und nach dem Sündenfall handele, dass also auch Menschen ephemera seien. Schon Joris Hoefnagel (1542–1600) hatte die Eintagsfliege in seiner Archetypa (1592) folgewirksam als Symbol der Vergänglichkeit des Lebens eingesetzt, darin folgte ihm 1602 Aldrovandi in De animalibus insectis nach. 1634 dann war Outgert Cluyts (Clutius; 1578– 1636) Abhandlung De hemerobio erschienen, in der das Gleichnis erneut aufgegriffen und die Untersuchung mit Plinius’ berühmten Ausspruch gerechtfertigt wurde, dass sich »in keinem andern Gegenstande die Kunst der Natur glänzender erweist«248 als in den kleinsten Kreaturen. In Middelburg wiederum arbeitete zu dieser Zeit Johannes Goedaert, mit

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Plinius, N.H. XI, 1.

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40 | Johannes Goedaert, Titelblatt der Metamorphosis naturalis mit Autorenportrait, Ausgabe Amsterdam 1700.

dem Otto Marseus einmal verwechselt worden war, an der Herausgabe seiner dreibändigen Metamorphosis naturalis, die sich ebenfalls auf Insekten konzentrierte. Jan van Gool (1685–1765) weiß zu berichten, dass er »een van de eersten is geweest, die, met groot andacht en gedult, de vormverwisseling dezer wonderbaere Schepseltjes heeft nagespoort«.249 Goedaert aber war, wie wir wissen, sowohl Stilleben- und Landschaftsmaler wie Alchemist und Entomologe, und seine wissenschaftlichen Beobachtungen, die er um 1635 aufnahm, bestärkten ihn zum einen in seinem Glauben an die Urzeugung, zum anderen waren sie ihm Anlaß, die Metamorphose der Insekten als Gleichnis für die Auferstehung der Toten am Tag des Jüngsten Gerichts zu deuten. Wie aus der Larve oder Raupe eine Fliege, Libelle oder ein Schmetterling entstehen würden, schreibt Goedaert, so wüchse auch eine neue Generation aus der alten hervor und so würden die Toten aus ihren Gräbern auferstehen.250 Die Erzeugung und Generation der Insekten wird mit biblischen Passagen abgeglichen und symbolisch überhöht, und wem dies alles als wenig repräsentativ für einen

249 250

Johan van Gool, De nieuwe schouburg der Nederlantsche kunstschilders en schilderessen, 2 Bde., Den Haag 1750, I, 42. Vgl. v. a. Jorink, Reading the Book of Nature, Kapitel 4 (»Insects: ›The Wonders of God in the Humblest Creatures‹«), 201–209.

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Gesamtdiskurs erscheinen mag, der sollte an Athanasius Kircher denken, der wenig später in Rom ganz ähnlich argumentierte, als er tote Fliegen mit Regen- oder Honigwasser besprühte und behauptete, sie damit zum Leben erwecken zu können, oder an Sir Kenelm Digby, der wenig später in London geäscherte Pflanzen durch Wärme reanimieren wollte.251 Von Kircher beispielsweise hatte Balthasar de Monconys folgendes Rezept erhalten und in seinem Reisebuch notiert: »Man nehme zu Pulver-gedörrte Fliegen und benetze sie mit Regen-Wasser, setzte sie denn an die Sonne, so werden zu Stunden andre Fliegen draus werden.«252 Wir erinnern uns, dass es Monconys war, der auf seiner Reise durch die Niederlande sowohl Otto Marseus van Schrieck wie Goedaert (neben vielen anderen Künstlern, Alchemisten und Naturwissenschaftlern wie Jan Vermeer [1632–1675], Frans van Mieris d. Ä. [1635–1681], Gerard Dou [1613–1675], Isaac Vossius [1618–1689], Francesco Giuseppe Borri [1627–1695] etc.) besuchte, und in England engen Kontakt zu Sir Kenelm Digby unterhielt. Borri beispielsweise hatte eine »pronta resurrezione della carne senza dover attendere il Giudizio Universale«253 für äußerst glaubwürdig gehalten und auch die Vorstellung eines im menschlichen Samen eingeschlossenen Homunculus befürwortet, der zum Leben erwachen oder eben auch vertrocknen und vergehen kann. Digby wiederum bezieht sich in seiner Überlieferung auf einen Bericht des paracelsistischen Arztes Joseph Du Chesne (Quercetanus, 1546–1609), der dem »Experiment eines polnischen Arztes« – gemeint ist wahrscheinlich Michael Sendivogius – beigewohnt hatte, »that shewed him a dozen glasses: Hermetically Sealed; in each of which was a different Plant: for example, a Rose in one, a Tulip in another, a Clove-Gilly-flower in a third; and so of the rest. When he offered theses Glasses to your first view, you saw nothing in them but a heap of Ashes in the bottome. As soon as he held some gentle heat under any of them, presently there arose, out of the Ashes, the Ideæ of a Flower and the stalk belonging to those Ashes, and it would shoot up and spread abroad, to the due height and just demensions of such a Flower; and had perfect Colour, Shape, Magnitude, and all other accidents, as if it were really that very flower. But when ever you drew the heat from it; as the Glass and enclosed air and matter within it grew too cool by degrees, so would this flower sink down by little and little: till at length it would bury it self in its bed of Ashes. And thus it would do as often as you exposed it to moderate heat, or withdrew it from it. I confess it would be no small delight to me to see this experiment, with all the circumstances

251 252

253

Sir Kenelm Digby, A Discourse Concerning the Vegetation of Plants, London 1669, 225–226. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 873. Weiter heißt es dort: »Er versicherte mir auch, dass zu Rom im Frühlinge alle morgen, wenn die Sonne auffgienge biss zu Mittage, auff den dächern und in den Gärten unzehlig viel Muscheln entstünden, welche aber wieder, wenn es Mittag würde, vergiengen.« Francesco Redi dagegen kritisiert Athanasius Kircher, der (»obwohl ein ehrenwerter Mann«) im 12. Buch seiner 1664–1665 publizierten Mundus subterraneus fälschlich – wie Redi zeigen will – behauptet hatte, dass tote Fliegen, mit Honigwasser besprüht und erwärmt, »spontan« kleine Würmer generierten. Giorgio Cosmacini, Il medico ciarlatano. Vita inimitabile di un europeo del Seicento, Bari 2001, 87.

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that Quercetanus sets down. Athanasius Kircherus, at Rome, assured me he had done it; and gave me the process of it. But, no industry of mine could effect it.«254 Aufgrund solcher Aufzeichnungen wissen wir, dass in Rom und London zur gleichen Zeit an Versuchen zur Wiederbelebung beziehungsweise Auferstehung physischen Lebens via ars und techne gearbeitet wurde. Im weiteren beschreibt Digby ein Experiment, dessen Anleitung ihm ebenfalls von Kircher vermittelt wurde. Mit der Asche einer Nesselpflanze wurde eine Lauge angesetzt, die nach einsetzendem Frost die zackige Struktur und Musterung der Nesselblätter aufwies. Wurde das Eis verflüssigt, verschwanden die kristallinen Strukturen schnell wieder. Digby zeigte dieses Experiment niemandem Geringeren als dem Leibarzt des englischen Königs, dem Paracelsisten und Künstlerfreund Théodore Turquet de Mayerne, »who, I remember, was as much delighted with it, as my self.«255 Digby erklärt sich das Phänomen damit, dass die eigentliche Substanz einer Pflanze in ihren Salzen quasi wie eingefroren enthalten sei. Sie erlaube keinen Wechsel in eine andere Spezies oder Gestalt, sondern bewahre in sich alle Qualitäten der Pflanze, von der sie einmal gewonnen wurde.256 Im weiteren überlegt er, ob das Gesehene eine wirkliche Wiedergeburt (true Palingenesis) der originalen Pflanzen sei oder nur ein Bild (Portraiture) von ihnen: »No Painter in the world could have drawn their shapes more completely.«257 Von diesen Experimenten ausgehend schließt Digby – interessant genug – auf die leibliche Auferstehung der Körper am Tag des Jüngsten Gerichts als endgültige Verwandlung der ganzen Welt, entsprechend der paulinischen Doktrin im ersten Korintherbrief.258 Johannes Goedaerts Verweis auf die Metamorphose der Insekten als Gleichnis für die apokalyptische Erwartung der Totenerweckung ließe sich weiter kontextualisieren. Am aufschlussreichsten ist es jedoch, seine Metamorphosis zu durchblättern, die er in einigen Ausgaben selbst kolorierte. Überhaupt spielen Farben in seinen Untersuchungen eine große Rolle, denn in ihrem Wechsel signalisieren sie sogleich eine innere Zustandsveränderung des Tiers. Zunächst werden die Herkunft und der habituelle Raum der Raupe beschrieben, aber dies geschieht nur, um sofort zum entscheidenden Moment der metamorphischen Veränderung überzugehen und ihn mit größter Anteilnahme zu schildern. Zu einer Abbildung des dritten Bandes, die die metamorphischen Stadien eines Falters zeigt und die Verpuppung der Raupe mit menschlichen Zügen darstellt, heißt es dann auch ganz anschaulich: »Als der Zeitpunkt ihrer Veränderung kam, wurde sie innerhalb von zwei Stunden ihrer ganzen schönen Farbe beraubt und dunkelrot und (…) blau, ganz so, als ob sie der Tod überkäme. Sie hat sich in die Metamorphose am 30. August 1663 begeben,

254 255 256 257 258

Sir Kenelm Digby, A Discourse Concerning the Vegetation of Plants, London 1669, 226. Ebd., 227. Ebenda. Ebenda. Kor. I, 15: 42–43; Digby, Vegetation of Plants, 228–231. Zum Kontext siehe Jacques Marx, »Alchimie et palingénésie«, in: Isis 62/3 (1971), 274–289, v. a. 282.

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41 | Johannes Goedaert, Blumenvase mit Heuschrecke und Schnecke, Öl auf Holz, 40 × 53 cm, Privatsammlung.

und am 11. April des Jahres 1664 hat sie sich aus ihrer harten Wohnung herausgebissen, vollkommen verändert mit aschgrauen und schönen samtigen Flügeln, was hier nebenstehend abgebildet ist.«259 Von Goedaert sind nur drei Blumenstilleben erhalten260, aber sie geben genügend Auskunft über die tatsächliche Verschränkung von wissenschaftlicher Observation und Bildtradtion. Es sind feine, wenngleich zu seiner Zeit schon antiquiert wirkende Stücke in der 259

260

Goedaert, Metamorphosis naturalis, 5–6: »Eer hy sich tot de veranderinghe begaf, wiert hy inden tijdt van twee uyren ganschelijck van sijn schoon coleur berooft, ende wiert donckerroodt ende uyt den blaeuwen, even als of hem den doodt anquaem. Hy heeft sich tot veranderinghe ghestelt op den 30. Augusti 1663. ende op den 11. April des Jaers 1664. is hy uyt sijne harde wooninghe komen door-bijten, verandert zijnde in een asch-graeuwen ende schoon gewaterden Uyl ofte Kapelle, hier nevens afgeschildert.« Nach Adriaan van der Willigen & Fred G. Meijer, A Dictionary of Dutch and Flemish Still-Life Painters Working in Oils 1525–1725, Leiden 2003, 93: »Middelburg (bought 1996); Two undated panels in priv. colls.«

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Art der Bosschaerts, die ja ebenfalls in Middelburg ansässig waren, bevor sie nach Utrecht weiterzogen. Vor braunem Grund hebt sich in unserem Beispiel eine Vase mit jeweils einem Exemplar einer Tulpe, Rose, Iris, Nelke und Anemone ab. Wie so oft in den niederländischen Stilleben ist sie auf einer Plinthe abgestellt worden, die abgeschlagene Stellen aufweist und auf eine andere Dauer verweist als die sich für wenige Tage öffnenden Blüten und die noch augenblicklicher wirkenden Insekten, welche schwirren, fliegen, kriechen oder sich wie die Schnirkelschnecke am rechten unteren Bildrand langsam, aber stetig aus dem Bild bewegen. Die Blüten sind allesamt mit feinen Äderungen und farbigen Nuancen durchzogen und dadurch spezifizert worden, wobei das rot und weiß gestreifte Kleid der Nelke, wenn man dessen wiederholte Verwendung in anderen Stilleben des 17. Jahrhunderts und überhaupt die Farbsymbolik der Zeit in Betracht zieht, nicht ohne übergreifende christologische Deutungsmuster auskommt. Generell ist die Darstellung natürlich nicht natürlich. Ein zu den Blüten abtauchender Nachtfalter261 bildet einen Gegenpol zum prächtigen Admiral, der tendentiell aufsteigt und an den Blüten zu saugen scheint, während eine Heuschrecke links, eine Biene inmitten der zartfarbenen Rosenblüte sowie die erwähnte Schnecke rechts als zusätzliche Protagonisten aufgeführt werden und von einigen weiteren Insekten sekundiert werden. Selbst der gemalte Tautropfen, in seiner Balance zwischen Fluss und Stillstand, trägt zur konzentrierten Spannung des Bildes bei. Goedaerts Interesse am Lebenszyklus zwischen Werden und Vergehen aber verdichtet sich motivisch noch einmal in der chinesischen Porzellanvase: auf ihr verspricht ein Phoenix die Wiederauferstehung nach Ablauf des irdischen Lebens. Zu Goedaerts alchemistischem Hintergrund kommen wir noch. Nun sind es vor allem die Eintagsfliege als Ephemeron und der Schmetterling als Psyche, die im naturtheoretischen Diskurs des 17. Jahrhunderts einen neuen Stellenwert erhielten: Gespiegelt im Kleinsten und Niedrigsten wird an ihrem Beispiel eine Afbeeldingh van ’s menschen leven, ein Gleichnis des menschlichen Lebens, hergestellt. Hoefnagel, Goedaert, Mouffet, Kircher, Digby, Swammerdam, sie alle hatten das Mysterium der Auferstehung der menschlichen Seele anhand entomologischer Beispiele erklärt. Auch dass die Psyche als aufsteigender Falter zur gleichen Zeit in den Stilleben und Waldbodenstilleben Einzug hält, können wir an vielen Beispielen beobachten. Lachtropius’ Prager sottobosco haben wir bereits gesehen, dort hatten die schillernden Schmetterlingsflügel auf dem nächtlich dunklen Gemälde einmal die ganze Farbigkeit ausgemacht. Joannes Goedaert wiederum hatte Tag- und Nachtfalter nicht nur in seinen Stilleben dargestellt, sondern wissenschaftlich beobachtet (»niet uyt eenighe Boecken, maer alleenelyck door eygen ervarentheyt uytgevonden, beschreven ende na de Konst afgeteyckent«262) und theologisch gedeutet. Und auch in Margaretha de Heers 1644 datiertem Muschelstilleben mit Insekten, dessen dunkler Bildraum von einem schräg einfallenden Lichtstrahl erhellt wird, steigen zwei prächtige Falter wie aus dem leeren Schneckengehäuse empor.263 Betrachten wir die 261 262 263

Es handelt sich um den Stachelbeerspanner oder Stachelbeer-Harlekin, einen in Mitteleuropa inzwischen selten gewordenen Nachtfalter mit auffallender Musterung. So der Untertitel von Goedaerts Metamorphosis. Es gibt eine ganz ähnlich konzipierte kleine Holztafel mit Muscheln und Insekten von Pieter van de Venne, 1656 datiert, 26,00 × 20,60 cm, Detroit Institute of Arts. Siehe dazu Edwin Buijsen u. a.,

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42 | Margaretha de Heer, Muschelstilleben mit Insekten, 1641, Öl auf Holz, 27.5 × 19,5 cm (35.5 × 28 cm), Fries Museum, Leeuwarden, Inv.-Nr. S00582.

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kleinformatige Tafel genauer: Ein fetter Nashornkäfer schiebt sich über den Boden. Sein skurriler Panzer ist von der Malerin mit größter Sorgfalt wiedergegeben worden, denn der Käfer gehört seit seiner berühmten Darstellung in Hoefnagels Archetypa und Claes Jansz. Visschers Wiederholung derselben in den Diversae insectarum volatilium icones (Amsterdam 1630), vielleicht auch durch die in etwa zeitgleiche Publikation von Thomas Mouffets (1553–1604) Insektenbuch, zum festen Repertoire der Insektenmaler. In Mouffets Theater of Insects: Or Lesser Living Creatures können wir dann auch über die abiogenetische Natur des Nashornkäfers nachlesen: »Like the Beetle it hath no female, but shapes its own form it self. It produceth its young one from the ground by it self. Joachim Camerarius did elegantly express, when he sent to Pennius [Thomas Penny] the shape of this insect out of the storehouse of the Duke of Saxony, with these Verses: A Hee begat me not, nor yet did I proceed/ From any female, but my self I breed.«264 Das Tier stirbt einmal pro Jahr und wird, wie ein Phoenix, nach dem Tod durch die Sommerhitze wieder zum Leben erweckt. Durch die Wiedergeburt wird der symbolische Bezug des Tieres zu Christus noch evidenter: »A thousand summers heat and winters cold/ when she hath felt, and that she doth grow old/ Her life that seems a burdon, in a tomb/ Of spices laid, comes younger in her room.«265 Nebenbei sei daran erinnert, dass Elias van den Broeck solche Käfer bildkräftig in Szene gesetzt hatte, wenngleich seine Bildgeschichte schon unter einem weniger emblematischen Vorzeichen steht. Jan Swammerdam dagegen kann sich fast ausschließlich bei den biologischen Feinstrukturen aufhalten, die ihm Beweis der göttlichen Ordnung sind: »Alle Züge des Apelles«, schwärmt der unermüdliche Zergliederer in seiner Anatomie des Nashornkäfers, »sind gegen die zarten Striche der Natur nur grobe Balken. Alles künstliche Gewebe der Menschen muss sich vor einer einzigen Trachee verkriechen. Wer will sie abbilden?

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Haagse schilders in de Gouden Eeuw: Het Hoogsteder lexicon van alle schilders werkzaam in Den Haag 1600–1700, Den Haag & Zwolle 1998, 354; Best.-Kat. Detroit (2004), Detroit Institute of Arts, Masters of Dutch Painting, London 2004, 238–239, Eintrag von S. Donahue Kuretsky. Van de Venne war Sohn von Adriaen van de Venne, der 1614 nach Middelburg und 1625 weiter nach Den Haag zog. Thomas Mouffet, The Theater of Insects, or Lesser Living Creatures, London 1658, 1008–1009. Der Arzt und Naturwissenschaftler Joachim Camerarius gehörte dem Kreis um Hoefnagel und Mouffet an; zudem existiert ein umfangreicher Briefwechsel zwischen ihm und Carolus Clusius. 1580 hatte er den schriftlichen Nachlass von Conrad Gesner erworben. Er war selbst ein ausgezeichneter Latinist, sein Vater Joachim Camerarius d. Ä. hatte noch zum Humanistenkreis um Albrecht Dürer gehört. Siehe Vignau-Wilberg, »In Minimis Maxime«, 234. Von Camerarius war 1590 und 1604 in Nürnberg ein vierbändiges Emblembuch erschienen, dessen Einträge Naturobjekte zum Gegenstand haben. Ebd., 236. Nach Vignau-Wilberg, »In Minimis Maxime«, 238.

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43 | Nashornkäfer in Thomas Mouffets The Theater of Insects:

Or Lesser Living Creatures, London 1658, 1009.

44 | Nashornkäfer in Jacob Hoefnagels (nach Joris Hoefnagel) Archtypa studiaque patris

Georgii Hoefnagelii, Frankfurt 1592, I, 1.

Welcher Witz vermag sie zu beschreiben? Welcher Fleiß kann sie hinlänglich untersuchen?«266 Über Margaretha de Heer (1600–1665) ist wenig bekannt, nur dass sie mit dem Maler Andries Pietersen Nijenhof verheiratet und in Groningen tätig war, doch wird sie wegen ihrer Vorliebe für Naturstudien von Schmetterlingen, Käfern, Muscheln und Blumen 266

Friedrich Dannemann, Die Naturwissenschaften in ihrer Entwicklung und in ihrem Zusammenhange, Leipzig 1920, 179. Vgl. Albus, Kunst der Künste, 254.

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in der Literatur gerne mit Maria Sibylla Merian verglichen. Ihr Neffe, Willem de Heer (1637–1681), hat zeitweise als Zeichner für Agnes Block (1629–1704) gearbeitet, eine angeheiratete Nichte des Dichters Joost van Vondels, die ihren Garten und ihre Orangerie auf Pergament festhalten ließ und dafür in den Jahren 1671 bis 1697 unter anderem Künstler wie Maria Sibylla Merian (1647–1717), Otto Marseus van Schrieck, Herman Saftleven (1609–1685), Anthony Claesz. III (1636–?) sowie Pieter (1655–1692), und Alida Withoos (1661/1662–1730) engagiert hatte. Willem de Heer hat sie im übrigen einen auf die schöpferische und kultivierende Fähigkeit des Stillebenmalers gemünzten Zweizeiler gewidmet: »Zij schept zomwyl lust op ’t lant/ daer zy bloemen zaeit en plant«.267 Margaretha wiederum war eine Nichte des friesischen Dichters Gysbert Japicx (1603–1666) – »de vader van de Friese letterkunde« – gewesen.268 Bol schreibt ganz richtig, dass De Heer in der Darstellung ihrer Kleintiere, anders als Merian, konkrete Anlässe schildert, »ja sie erzählt gleichsam kleine Geschichten. Die Vielfalt der Natur wird von ihr nicht nur genauestens dargestellt, sondern in einen situativen inhaltlichen Zusammenhang gebracht.«269 Die Einbindung der Insekten und anderen Kleingetiers, selbst der Blumen und Kräuter in bildkräftige Narrative ist für die Anfänge des Stillebens und anderer Naturstücke sehr wichtig. Zwar weicht die emblematische Aneignung der Tiere im Laufe des Jahrhunderts einem immer stärker observierenden und deskriptiven Darstellungsmodus, aber die Verschränkung von Heils- und Naturgeschichte bleibt lange Zeit ein Thema. Die Stillebenmaler halten sich in einem Zwischenbereich zwischen akkurater Naturbeobachtung und gleichnishafter Überhöhung auf, der weder mit der Vorstellung eines »empirischen Blicks« des niederländischen 17. Jahrhunderts noch mit der eines »disguised symbolism« der Bilder ausreichend beschrieben werden kann.270 Einerseits hatte der Advent einer wissenschaftlichen Revolution es erschwert, die vielen nun eintreffenden empirischen 267 268

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Nach Catharina C. van de Graft, Agnes Block, Vondels nicht en vriendin, Utrecht 1943, 135–152, v. a. 143–146. Der Auftrag resultierte in drei Blumenbüchern und einem Vogelbuch. Zum Auftrag an Otto Marseus ebd., 119 und 139. Vgl. Bol, Goede onbekenden, 92: »Zij stamde uit een kunstenaarsgeslacht. Haar vader, Arjen (of Adriaen) Willems, was glazenier evenals zijn vader en grootvader, terwijl ook haar broer Gerrit Ariensz. als ›glasmaker‹ te boek stond [der ansonsten auch als Maler von Naturstücken tätig war]. Van moederszijde was Margareta een nicht van de dichter Gysbert Japicx, de vader van de Friese letterkunde, die de schilderes prijst en haar ›me nicht‹ noemt in een gedicht ›Aen de kunstrycke Margarita de Heer, na oogh verlusting in heur wonderwerking‹. In een dichtbundel, Klioos Kraam, in 1656 in Leeuwarden uitgegeven, komen zeven aan haar als kunstenares gewijde gedichten voor. Als lofdichter spant Japicx in dit gezelschap de kroon. Hij schrijft aardige regels als ›En Bomen lillen met’er lovren, Bloey-bloemen mijn gezicht betov’ren‹.« Laurens J. Bol, »Margaretha de Heer«, in: Tableau 4 (1982), 265ff; ders.: Goede onbekenden, 92– 96; siehe auch Ann Sutherland Harris & Linda Nochlin, Women Artists 1500–1950, New York 1977; Gemar-Koeltzsch, Holländische Stillebenmaler, II, 476; Peter Karstkarel, »Margareta de Heer en haar ›stukjes‹«, in: Tableau 1 (1978), 37–39. Vgl. die in Svetlana Alpers, Art of Describing, Chicago 1983, aufgemachte Kontroverse zwischen einem realistisch-empirischen und einem ikonographisch-symbolischen Blick auf niederländische Bilder (in Auseinandersetzung mit Erwin Panofsky, Early Netherlandish Painting, Cambridge, Massachusetts 1953, beziehungsweise der Utrechter Schule um Eddy de Jongh). Im weiteren wird die deutsche Ausgabe zitiert: Svetlana Alpers, Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln 1985.

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DER MENSCH ALS EPHEMERON

45 | Nashornkäfer in Jan Jonstons Historiae naturalis de insectis libri III, Frankfurt 1653, Frontispiz.

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Einzelerhebungen zu einer symbolischen Ganzheit zusammenzufügen. Andererseits arbeitete man als Maler wie als Wissenschaftler mit den jeweiligen naturhistorischen Dispositiven der Zeit und war als gewissenhafter Beobachter zugleich an deren Auflösung wie an deren Neuorganisierung beteiligt. Es gehört zum Schicksal einiger unter ihnen, wissenschaftlichen Entdeckungen in der ersten Stunde beigewohnt oder aktiv daran teilgenommen zu haben, und nicht zuletzt deshalb ändert sich das Genre im Laufe des 17. Jahrhunderts so stark, wie wir gleich sehen werden. Natürlich sollte man sich immer wieder die Frage stellen, auf welchem Weg sich natur- und kunsttheoretisches Wissen verbreitete, wie sich diskursive Felder eröffnet und konstellative Zusammenhänge zwischen Wissenschaftlern und Künstlern ergeben haben. Wie konnte es zu einer derartigen inhaltlichen Aufladung des Genres des Stillebens, vor allem der sogenannten nature pieces kommen, wer wusste, was in den Naturdiskussionen der Zeit auf dem Spiel stand? Man muss die zeitgenössischen Diskussionen kennen, um ein Verständnis von der Aktualität der Stillebenmalerei und des neugewonnenen Sujets von Niederwelt zu gewinnen. Wie in sonst keiner Gattungsgeschichte beispielsweise ist beim sottobosco auf den genauen Zeitpunkt der Entstehung und auf den kulturhistorischen Kontext zu achten, denn er wird gerade anfangs vornehmlich von gegenreformatorischen Tendenzen getragen, steht aber zugleich in direktem Kontakt mit den avanciertesten Ergebnissen in den Naturwissenschaften, die sich im Laufe der Zeit gegen die alte Urzeugungstheorie richteten und größtenteils von Protestanten oder Reformierten getragen wurden. Das Genre machte auf diese Weise einen Wandel mit, den man im Detail weiter rekonstruieren müsste, im Großen und Ganzen aber als Verschiebung von einem theologischen zu einem physikotheologischen Interesse bezeichnen könnte. Tatsächlich erlebte die biogenetische Debatte seit den 1650er Jahren bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ihre absolute Hochzeit. Alle entscheidenden Debatten wurden in dieser Etappe geführt, so dass sie nach der Jahrhundertwende abflauten und nur noch stellenweise aufflackerten; das Genre fand bald danach sein Ende.

DAS NATURTABLEAU BRICHT AUF Das gesamte 17. Jahrhundert über hatte man sich in den unterschiedlichsten naturtheoretischen Lagern gleichermaßen daran gemacht, den Anfängen biologischen Lebens auf die Spur zu kommen. Indem an allen Orten veritable Kreationsfragen – Fragen von conceptio, Fragen des kreatürlichen Ursprungs sowie des Verhältnisses von Materie und Form – aufgeworfen wurden, trafen sich die Interessen der Naturtheoretiker notwendig mit denen der Künstler. Die unterschiedlichen Lager waren jedoch erneut in sich geteilt: Es gab hier wie dort Befürworter und Gegner der These spontan erzeugten Lebens, mit allen Abschattierungen, die ein derartig komplexer Diskurs zu bieten hat. Grundsätzlich waren jedoch die Aristoteliker und Paracelsisten starke Anhänger der Vorstellung eines inhärenten seminalen Prinzips der Erde, das jederzeit – asexuell – freigesetzt werden könne (Präformisten), während sich die neoterischen Naturforscher und die Physikotheologen mehr dem Ovulismus und epigenetischen Entwicklungsmodellen zuwandten.

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DAS NATURTABLEAU BRICHT AUF

Der am Florentiner Hof mit pharmazeutischen Aufgaben betraute Francesco Redi beispielsweise war ein entscheidender Protagonist der experimentellen Naturwissenschaften gewesen. Bereits eine Stelle in seinem Schlangenbuch verrät sein Interesse an biogenetischen Vorgängen und der wissenschaftichen Widerlegung der Urzeugungstheorie: In Auflistung einiger Beispiele erzählte Redi von der Ignoranz eines Mannes, der nicht einsehen wollte, dass die »vielen kleinen Frösche, die im Sommer auf den staubigen Straßen herumspringen, wenn es zu regnen beginnt, nicht in dem Augenblick entstehen, in dem die Regentropfen sich mit dem Staub verbanden, sondern schon Tage vorher existierten.«271 Auch dazu gibt es begleitende Bildgeschichten: In der Osloer Nationalgalerie befindet sich beispielsweise ein Gemälde unbekannter Hand mit Fröschen und Schnecken, die sich unter nächtlichem Himmel zu treffen oder überhaupt erst aus dem Erdreich zu schlüpfen scheinen.272 Und auf einer von Jacob Gerritsz. Cuyp (1594–1652) signierten und 1638 datierten Holztafel im Dordrechts Museum, das immerhin die Maße 38 × 76 cm hat, blicken wir auf ein Tulpenbeet, aus dem nicht nur die Pflanzen aus dem Boden sprießen und dicke Tautropfen auf ihren Blättern versammelt sind, sondern sich auch zwei Frösche begegnen. Ihre Färbung geht bruchlos in die braune Grundierung des Holzes über. In beiden Fällen sind Erde und Feuchtigkeit, verbunden mit Wärme, erste Voraussetzungen für die Entstehung primitiver, lebendiger Organismen. Einem solchen Bild stellte Redi die These – und später den experimentellen Beweis – gegenüber, dass es schlichtweg nicht möglich sei, aus dem Nichts beziehungsweise aus rein materiellen Voraussetzungen Leben zu erzeugen. Immer schon muss eine genetische Information in Form von Ei- oder Samenzellen vorliegen, die die Spezies formten, schon immer gäbe es die Notwendigkeit der Fortpflanzung über Samen oder sexuelle Kopulation. Die Versuchsreihe, die Redi startete, ist so berühmt, dass sie nicht eigens erzählt werden muss: Mit ihr soll dargelegt werden, dass 271

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Francesco Redi, Experiments on the Generation of Insects, übers. v. Mab Bigelow, Chicago 1909 (Francesco Redi, Esperienze intorno alle generazione degl’insetti, Florenz 1668), 23: »I love Thales, I love Anaxagoras, Plato, Aristotle, Democrits, Epicurus, and all the princes of philosophy; but I do not, however, wish servilely to bind myself to swear that all they have said or written is true, as daily the lowest plebs out of so many insolent sectaries do; who for the excessive and, so to say, rabid love they bear for the head of the school, do not wish to hear opinions contrary to those which lead to quibbling, sophistry, and eventually to shouting, but sometimes they are forced to listen and for obvious reasons are convinced, not knowing how to find escape or subterfuge; and if it is whished to make them see some experiment, they put their hands over their eyes. I know for sure that a teacher, deep in the writings of the peripatetics, a very venerable man, not to be forced to admit as real the invisible stars and other curiosities found in the skies by Galileo, refused to put his eye to the telescope; and there was another, to whom I said that those little frogs that in the summer jump around the dusty public streets when it begins to rain do not arise at the moment from the incorporation of the drops of rainwater with the dust but are already formed many days before, promising to give him a true experience, by making him see and receive proof, that all those frogs which he believed to be born just then, had stomachs full of grass and intestines full of excrement; never was it possible to satisfy him by my opening one in front of him, whichever one might suit him.« Öl auf Leinwand, 51 × 39 cm; Oslo Nasjonalgalleriet, Inv. NG. M. 00437. Eine Abbildung in Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. B3.57. Ein vergleichbares Gemälde von Johannes Bosschaert befindet sich im Nationalmuseum Stockholm (»Stilleben mit Tulpen«, Öl auf Leinwand, 46 × 64 cm, Inv.-Nr. NM 6666).

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46 | Otto Marseus van Schrieck zugeschrieben, Frösche und

Schnecken, Öl auf Leinwand, 51 × 39 cm, Nasjonalgalleriet Oslo, Inv.-Nr. NG. M. 00437.

47 | Jacob Gerritsz. Cuyp, Frösche und Tulpen, signiert und datiert 1638, Öl auf Holz,

38 × 76 cm, Dordrechts Museum.

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»die Erde, nachdem sie ganz nach Geheiß des Höchsten und Allmächtigen Schöpfers die ersten Pflanzen und Tiere hervorgebracht hat, niemals wieder solche Pflanzen oder Tiere hervorgebracht hat (…), und alles, (…), das sie produziert, allein aus den Samen der Pflanzen und Tiere hervorgeht, die auf diese Weise – d. h. mit ihren eigenen Mitteln – ihre Spezies erhalten. Und obwohl wir täglich unzählige Würmer in toten Körpern und modrigen Pflanzen beobachten können, neige ich zu der Annahme, dass auch diese Würmer durch Samen erzeugt wurden. (…) Ich versichere Ihnen, dass ansonsten rein gar nichts darin entsteht.«273 Interessanterweise basiert Redis Festhalten an vorgegebenen Formen und Spezies noch immer auf der naturhistorischen Tradition, derzufolge keine »Novität« und damit auch keine Autonomie einzelner Lebensarten entstehen konnte. Jede Lebensform war abhängig von einer ihr vorangegangenen Generation, die sie erzeugte. Um dies zu beweisen (um zu zeigen, dass es keine »Novität« geben konnte), verbesserte Redi sein Experiment zur Widerlegung der generatio spontanea systematisch. Man muss erneut auf das Zeitgefüge achten. 1668 publizierte Redi ein Traktat über einige Esperienze intorno a diverse cose naturali (e particolarmente a quelle, che ci son portate dall’Indie fatte da Francesco Redi e scritte in vna lettere al reverendissimo padre Athanasio Chircher), das sich mit Kirchers Urzeugungstheorie auseinandersetzte. Zu jener Zeit glaubte man, dass Maden von selbst in verwesendem Fleisch entstünden. In seinem Experiment nahm Redi drei Töpfe und füllte sie mit Ochsen- oder Vipernfleisch: Einen Topf schloss er vollständig ab, den zweiten ließ er offen und den dritten bedeckte er mit feinem Gazestoff. Fliegenmaden erschienen nur in dem offenen, aber nicht in dem verschlossenen Gefäß. In stetiger Wiederholung und Abwandlung seines Experiments kam Redi bald zu dem Schluß, dass omne vivum ex ovo – »alles Leben aus einem Ei entsteht« – und omnia animalia per animalia parentes erklärbar wären. Die Auseinandersetzung wird konkret mit Athanasius Kircher geführt, der (»obwohl ein ehrenwerter Mann«) im 12. Buch seiner 1664–1665 publizierten Mundus subterraneus fälschlich behauptet hatte, dass tote Fliegen, mit Honigwasser besprüht und erwärmt, »spontan« kleine Würmer generierten. Von solchen Animations- beziehungsweise Resurrektionsgedanken hatten wir ja schon gehört. Und wir hatten gesehen, dass Kircher mit seiner Meinung nicht alleine stand. Francesco Redi hatte mit seiner Skepsis gegenüber der Urzeugungstheorie nicht nur ihn, sondern auch Sir Kenelm Digby und sogar William Harvey sowie Vertreter des aristotelischen und paracelsistischen Lagers gegen sich. Ein Tagebucheintrag des allenorts emsig notierenden Balthasar de Monconys zeigt jedoch auch, dass Redis experimentum schon lange vor seiner Publikation, nämlich 1663, in der neu gegründete Royal Society in London diskutiert wurde, ein Zeichen dafür, dass seine Theorie nicht nur in Italien,

273

Redi, Experiments, 26.

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sondern auch in England augenblicklich rezipiert wurde. Die Wege der Wissensvermittlung waren kurz, weil sich stets mündliche Berichterstatter einfanden.274 Doch nicht nur in Florenz und London, auch in Amsterdam war der Boden für eine nachhaltige Revidierung der älteren Lehrmeinungen bereitet. Vor allem seit etwa 1660 boomte es auf dem Gebiet der Entomologie; alles drehte sich um die Minima biologischen Lebens sowie die Frage ihrer Genealogie. Swammerdam beispielsweise konnte stolz berichten, wie er in Anwesenheit von Melchisédec Thévenot (ca. 1620–1692), dem in die Niederlande gereisten Cosimo III. de’ Medici und anderen demonstrierte, wie Teile des späteren Schmetterlings bereits in der Raupe vorhanden seien und wie er damit Goedaerts Vorstellung (dass die Raupe zunächst sterben müsse, um den Schmetterling als dessen Auferstehung freizugeben) widerlegen konnte.275 Als leidenschaftlicher Gegner der Urzeugungslehre hatte er in seiner Historia insectorum generalis von 1669 außerdem an der Entkräftung des alten Zauberglaubens gearbeitet, Leben aus dem Nichts entstehen zu lassen. Dabei ist es interessant zu wissen, dass Swammerdam zwar seit 1663 mikroskopische Untersuchungen anstellen konnte, aber seine Beobachtungen bis 1669 weiterhin hauptsächlich mit dem bloßen Auge ausführte.276 Nichtsdestotrotz sind es die 1660er Jahre, in denen die Mikroskopie einen plötzlichen Aufschwung erlebte. Christiaan Huygens 274

275 276

Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 492: »Noch einer behauptete, dass die insecta der Würme [sic] nicht durch Corruption gezeuget würden, und führte zum Exempel an, dass er einsten die Eingeweyde von einem Vieh, und andere leicht faulende Stücken Fleisch in ein gläsern Gefäß gethan, und dasselbige oben nur mit Baumwolle verstopfet hätte, dass es weder Fliegen noch einige andere Ungeziefer beschmeissen, sondern nur die durch die Baumwolle leicht=dringende Luft berühren können, und gantzer 6. Wochen lang also stehen lassen, aber nicht die geringste Anzeige eines Wurms oder anderes Geschmeisses, so sich etwas darinne generiret, bemercket habe.« In der gleichen Sitzung wurden mögliche Mittel zur Schlangenbekämpfung besprochen: »Damals als ich in der Academie war, ward erzehlet: dass wenn man Sal Tartari auff Nattern, Kröten und dergleichen gifftige Thiere streuete, selbige davon stürben, wo bey ein anderer dieses annähernd versicherte, dass Quecksilber eben diese Wirckung thäte, auch bemeldte Thiere in Irrland unmöglich leben, noch so gar das Erdreich von besagter Insel vertragen könnten, allermassen es öffters versuchet worden, dass wenn man aus Engelland Erdreich und solche Thiere nach Errland mit allem Fleiß übergebracht, selbige, so bald sie hervorgekrochen und dem Irrlandischen Erdreich sich genähert, stracks wieder umgekehret und doch endlich nach oftmaliger dessen Wiederholung verrecket wären. Ein andrer sagte: dass wenn man ein Stäbgen von Stechpalmen (Houx) in einem gewissen see in Irrland und zwar also steckte, dass ein Theil in dem morast, der mittlere in dem Wasser, und der oberste in der Lufft wäre, so würde man nach Verlauff etwa eines Jahres befinden, dass der Theil des Stäbgens in der Lufft sein Holtz behalten, der aber im Wasser in Stein, und der im Grunde steckende in etwas metallisches verwandelt worden«. Ebd., 491. Sal tartari: Weinstein (Tartarus) wird verbrannt und der Rückstand geglüht. Es hinterbleibt ein weisses Salz, Hauptbestandteil Kaliumcarbonat (K 2CO3); kalzinierter Weinstein. Die Royal Society wurde am 28. November 1660 im Gresham College in London-Holborn als Verein zur Förderung naturwissenschaftlicher Experimente gegründet. Zu den 12 Gründungsmitgliedern zählten u. a. Sir Christopher Wren und William Petty; zu den frühen Mitgliedern Robert Boyle, John Evelyn, Robert Hooke, Samuel Pepys, John Wallis, John Wilkins, Thomas Willis, Theodor Haak und der Sekretär Henry Oldenburg (Motto der Royal Society: »Nullius in Verba«). Seit 1665 wurde das Journal der Philosophical Transactions herausgegeben. Jan Swammerdam, Historia insectorum generalis, Utrecht 1669, 105. Nach Jorink, Reading the Book of Nature, 226.

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beispielsweise begann sich für das Mikroskop um 1665 zu interessieren, wobei sein Vater Constantijn (1596–1687) als einer der ersten, nämlich in den 1620er Jahren, Interesse daran angemeldet hatte und berichtete, dass er den Maler Jacques de Gheyn II. (1565–1629) davon überzeugen wollte, die durch die Linse gesehenen kleinen Objekte und Insekten mit seinem Pinsel abzumalen. Auch Johannes Hudde (1628–1704), seinerseits Mathematiker und späterer Bürgermeister von Amsterdam, spielte 1657 mit dem Gedanken, der Fortpflanzung von Insekten mit dem Vergrößerungsglas nachzugehen.277 Mit Hudde aber muss Otto Marseus van Schrieck ein enges Verhältnis gehabt haben, denn Balthasar Monconys, dessen Reiseberichten im übrigen wir einen tiefen Einblick in die Wissensnetzwerke der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verdanken, wird nach einem Besuch im »Waterryk« von Marseus vertraulich durch die Stadt geführt. Man macht bei dem Mikroskopisten Halt: »Den 20. [August 1663] war ich nebst meinem Sohne und Gergeau zu Waterreik bei dem Otho seine Schilderyen zu besehen. Er zeigte uns eines von van den Velde, worauff eine Seestille vorgestellet war/ wie auch seine Zwiefalter oder Schmetterlinge/ darunter er einen den Pfeil nennete/ weil dessen Flügel wie das Gefieder an einem Pfeile oder Boltzen gestaltet waren. Er gieng mit mir zurücke/ und als wir den Hertzog auff dem Marckte antraffen/ (…) führte er ihn und uns durch die Stadt zu einigen anderen Liebhabern von Kunststücken/ unter denen der Herr Hudde, welcher wegen seiner Wissenschaft in der Algebra sehr berühmt ist/ den Hertzog/ mich und meinen Sohn jeden mit einem kleinen microscopio, von einem kleinen Linsen-Glase/ die er selbst also erfunden hat/ beschenckete.«278

277

278

Constantijn Huygens, Mijn jeugd, hg. v. C. L. Heesakkers, Amsterdam 1987, 132; J. A. Worp, »Fragment eener Autobiographie van Constantijn Huygens«, in: Bijdragen en Medeelingen van het historisch Genootschap 18 (1897), 1–122, hier 120: »Corpora nempe, quorum inter atomos hactenus aestimatio fuit, omnem humanam aciem longe fugientia, inspectanti oculo tam distincte obiecit, ut, cum maxime vident imperiti, quae nunquam videre, nihil se videre questi primo, mox, incredibilia oculis usurpare clamitent. Revera enim istud novo in theatro naturae, alio in terrarum orbe versari est et, si Geinio patri diuturnior vitae usus obtigisset, aggressurum fuisse credo, quo impellere hominem non invitum coeperam, minutissima quaeque rerum et insectorum delicatiore penicillo exprimere compilatisque in libellum, cuius aeri exemplaria incidi potuissent, Novi Orbis vocabulum imponere.« In der deutschen Übersetzung zitiert nach Svetlana Alpers, Kunst als Beschreibung, 49: »Denn in der Tat boten sich Objekte, die bis dahin unter die Atome gerechnet wurden, da sie sich dem menschlichen Auge weithin entzogen, dem Beobachter auf einmal so deutlich dar, dass, wenn völlig unerfahrende Leute erblicken, die sie vorher nie gesehen haben, sie sich zunächst beklagen, dass sie nichts sähen, doch alsbald ausrufen, dass ihnen unglaubliche Dinge vor die Augen träten. Denn wirklich handelt es sich um ein neues Schauspiel der Natur, eine andere Welt, und wenn dem älteren de Gheyn länger zu leben beschieden gewesen wäre – ich glaube, er wäre daran gegangen, wozu ich seitdem einen Menschen anfeuere, freilich nicht gegen seinen Willen: die überaus winzigen Gegenstände und Insekten mit einem feineren Pinsel wiederzugeben und zu einem Büchlein zusammenzustellen, das mit dem Wort Neue Welt überschrieben wäre und aus dem Musterbeispiele in Metall gestochen werden könnten.« Siehe auch I. Quirijn van Regteren Altena, De Gheyn. Three Generations, Den Haag 1987, 136–138; Jorink, Reading the Book of Nature, 4–5. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 636–637 (26. August 1663).

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Dazu passt die Erinnerung Balthasar de Monconys, dass auch der Alchemist und Wunderheiler Giuseppe Francesco Borri in einem Gespräch Otto Marseus und Hudde in einem Atemzug genannt hätte: »Er [Borri] hält von dem des Cartes so wenig als von Vossio, doch aestimirt er ein wenig den Herrn Hudde und den Mahler Otho.«279 Borri aber wiederum tritt mit auf den Plan, weil er, auf die Heilung von Augenleiden spezialisiert, Otto Marseus »an einem Krebsschaden im Auge / den alle Medici vor incurabel gehalten / glücklich curiret«280 hatte. Offensichtlich handelte es sich dabei um ein erfolgreich vorgenommenes Starstechen, für das sich Borri bereits einen Ruf erworben hatte. Über Quellen wissen wir, dass Borri außerdem den zwischen 1657–1663 in Amsterdam ansässigen friesischen Maler Jürgen Ovens (1623–1678) kannte – von ihm ließ sich Borri nicht nur zweimal portraitieren, sondern er besaß auch zwei Genrestücke von seiner Hand.281 Die Portraitsitzungen 279

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Ebd., 653. Die vollständige Passage lautet: »Ich redete darauf mit den Herrn Borry, welcher vor ein 3. oder 4. Tagen ausm Haag allhier angekommen war/ er entschuldigte sich aber/ dass er sein Laboratorium mir ietzo nicht zeigen könnte/ doch wiese er mir einige seiner Curiositäten/ wovon er groß Werck machte/ damit ich sehen sollte/ dass er sich in dergleichen Sachen wohl verstünde; es verlohnte sich aber wahrhafftig nicht die Mühe damit. Er machte mir auch ein falsch Compliment, u. wendete vor/ als ob er mir im Haag einige Muscheln hätte verehren wollen/ die ich aber anzunehmen versagt/ wiewohl es sich nicht also verhielte. Er hält von dem des Cartes so wenig als von Vossio, doch aestimirt er ein wenig den Herrn Hudde und den Mahler Otho, welcher mir selbst gestanden/ dass Borry ihn an einem Krebsschaden im Auge/ den alle Medici vor incurabel gehalten/ glücklich curiret hätte.« Zu Hudde siehe Rienk Vermij & Eisso Atzema, »Specilla circularia: An Unknown Work by Johannes Hudde«, in: Studia Leibnitiana 27/1 (1995), 104–121; Rienk Vermij, »Bijdrage tot de bio-bibliografie van Johannes Hudde«, in: Gewina 18/1 (1995), 25–35. Zu Huddes Plan, der nicht ausgeführt wurde, siehe Bibliotheek van de Universiteit van Amsterdam (UBA) MS D 29, 1r–2v. Gerard Vossius hatte in De theologia gentili (Amsterdam 1641, 1527–1647) die zu seiner Zeit umfassendste und verständigste Passage über die Kleinschöpfung Gottes und die Insekten verfasst, während sein Sohn Isaac, Fellow der Royal Society und mit Franciscus Junius befreundet, eine kurze lateinische Abhandlung über »Glastropfen« geschrieben hat – gemeint sind allerdings nicht die Kugellinsen des Mikroskops, sondern sogenannte Glastränen oder Batavische Tropfen (Correspondence of Henry Oldenburg, hg. v. A. Rupert Hall & Marie Boas Hall, London 1965–1973, 180). Es ist leider keine Abschrift mehr vorhanden, siehe Jorink, Reading the Book of Nature, 218. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 653. Borri hatte sich für Augen- und Kataraktoperationen eine weitreichende Reputation aufgebaut, vgl. Cosmacini, Medico ciarlatano, 89: »Nel frattempo uno di tali miracoli lo aveva già compiuto operando alla perfezione, con uno strumentario messo a punto per lui dal proto chirurgo di Innsbruck Rocco Mattioli, un paziente, con cataratta ›abbassata‹. Il successo del difficile intervento contribuiva alla sua reputazione di grande oculista«. Ole Borch war ein Bewunderer Borris gewesen; Borri wird auf Geheiß Friedrichs III. nach Dänemark eingeladen. In jungen Jahren hatte er in Rom Athanasius Kircher unterrichtet. Seine Traktate: De ortu et progressu chemiae (1668); Hermetis, Aegypiorum et chemicorum sapientia (1674); Conspectus chemicorum scriptorum (postum 1696); Francesco Giuseppe Borri widmete ihm 1664 seine alchemistische Schrift Specimina quinque chymiae Hyppocraticae. Ein erstes, inzwischen verschollenes Portrait entstand ca. 1661–1663 in Amsterdam (überliefert durch einen Stich von Pierre Louis van Schuppen). Das zweite Portrait ist um 1667 in Hamburg oder vielleicht auch am dänischen Hof in Auftrag gegeben worden (»Halbfigur, lose hängender goldverbrämter Mantel, blauer Vorhang, abgerundete Ecken«; nach Schmidt 1922 im Besitz des Lehnbarons Reedtz Thoth, Schloss Gauno, Dänemark). Zwei Musikstücke von Ovens »in einem geschnittenen vergoldeten Rahmen« wurden »am 21. Dezember 1666 im Besitze eines bankerotten Herrn Francisco Josepho Burry« erwähnt (Mitteilung von Abraham Bredius an Harry Schmidt, vgl. Harry Schmidt, Jürgen Ovens. Sein Leben und seine Werke, Kiel 1922, 171). Ovens

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fanden im Haus von Ovens in der Lauriersgracht statt, das der Maler 1660/1661 von Govaert Flinck (1615–1660) übernommen hatte. In ihm befand sich, wie Houbraken berichtet, ein großes Atelier mit Oberlicht. Ovens fügte ihm eine große Gemäldesammlung sowie eine Bibliothek hinzu, die, wie das Inventar seiner Witwe später auflistete, einige paracelsistische Titel aufwies. Das Nachbarhaus wiederum gehörte dem Kunsthändler Gerrit Uylenburgh (1625–1679), mit dem Ovens auch später noch, nach seiner Rückkehr nach Friedrichstadt, in geschäftlichen Beziehungen stand.282 Auf diese Weise beginnt sich eine kleinere Konstellation inmitten des größeren Amsterdamer Wissens- und Kommunikationsnetzwerks abzuzeichnen, in dem auch die Maler eine zentrale Rolle spielten. In Kreisen der naturhistorischen Scavants beispielsweise muss Otto Marseus recht bekannt gewesen sein, denn Monconys suchte ihn bei seiner Ankunft in Amsterdam sofort auf, als ersten Künstler neben dem ihm aus gemeinsamen Tagen in Frankreich bekannten und wie Otto Marseus aus Nijmegen stammenden

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hatte auch den Amsterdamer Arzt und Anatomisten Nicolaes Tulp zweimal portraitiert und außerdem Portraits von Johann Amos Comenius sowie dem »Holsteinschen Plinius« Adam Olearius, Verfasser der Gottorfschen Kunst-Kammer (Schleswig 1666), angefertigt. Mit letzterem war Ovens Schwiegervater, Jens Martens, freundschaftlich verbunden gewesen. In der Büchersammlung des Inventars der Witwe Ovens, elf Jahre nach dem Tod des Malers erstellt, befanden sich u. a. »Jan Jonstons Beschrijving der natur aller dieren (Amsterdam 1660), Conrad Gesners Historia animalium (Frankfurt 1603), ferner das 1661 zu Frankfurt a. M. herausgekommene Buch, das sich Wasser Stein der Weysen oder chymische Tractätlein, vormahlen durch Lucas Jennis ausgegeben, nannte und vielleicht auch die zweibändige Ausgabe der Werke des Theophrastus Paracelsus«. Schmidt, Jürgen Ovens, 75. Ebd., 78: »Von [Jacob Böhme] führt das Verzeichnis sieben Werke an. Freilich haben drei von ihnen nicht in des Malers Bibliothek gestanden, da sie erst in den achtziger Jahren erschienen sind. (…) Die Tatsache bleibt, dass dieser unter dem Einfluss des Paracelsus stehende Theosoph und Mystiker (…) dem Ovenschen Kreise und doch wohl auch dem Maler selbst, der seine zuerst in Holland gedruckten und viel gelesenen Werke dort kennen gelernt haben wird, bekannt gewesen und (…) geschätzt worden ist.« Zur Bibliothek Ovens siehe Harry Schmidt, Das Nachlaß-Inventar des Malers Jürgen Ovens, Leipzig 1913; Heiko Damm, Michael Thimann & Claus Zittel (Hg.), The Artist as Reader, Leiden & Boston 2012. Houbraken, Schouburgh, II, 22. Zu Ovens siehe Houbraken, Schouburgh, I, 273–274, der ihn zu den Schülern Rembrandts zählte. Das Haus lag an der Nordseite der Lauriersgracht zwischen der ersten und zweiten Brücke, in direkter Nachbarschaft zum Haus des Kunsthändlers Gerrit Uylenburg. Flinck hatte sich darin ein großes Atelier gebaut, das mit Abgüssen nach berühmten Antiken, fremdländischen Gewändern und Waffen sowie goldgestickten Teppichen reich geschmückt war (nach Schmidt, Jürgen Ovens, 30). Ovens war mit Flinck eng befreundet gewesen. Nach dessen Tod vollendete er ein von ihm angefangenes Bild, das im Amsterdamer Rathaus ausgestellt wurde, und übernahm seine Wohnung und sein Atelier. Dem Haus fügte er eine umfangreiche Bibliothek und Gemäldesammlung hinzu, denn Ovens war auch als Kunsthändler tätig. Siehe weiterhin: Gertrud Schlüter-Göttsche, Jürgen Ovens: Ein schleswig-holsteinischer Barockmaler, Heide in Holstein 1978; Lars O. Larsson, »Jürgen Ovens und die Malerei an den nordeuropäischen Höfen um die Mitte des 17. Jahrhunderts«, in: ders., Wege nach Süden, Wege nach Norden: Aufsätze zu Kunst und Architektur, hg. v. Adrian von Buttlar, Ulrich Kuder & Hans-Dieter Nägelke, Kiel 1998, 170–184; Martin B. Djupdræt, »Die Inszenierung der Gottorfer Geschichte durch Jürgen Ovens: Der Zyklus von Historiengemälden aus Schloß Gottorf«, in: Nordelbingen 70 (2001), 25–49.

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Nicolaes van Helt, genannt Stockade (1614–1669).283 Monconys berichtet weiter, dass Hudde ihm und Marseus während des Besuchs die Herstellung seiner mikroskopischen Linsen sowie die beste Methode verriet, das Kristall während des Schmelzvorgangs zu reinigen. Dem alchemischen Vokabular nach zu urteilen, handelte es sich um Insider-Informationen. Auch technische Apparaturen zur Lichtverstärkung wurden in diesem Zusammenhang diskutiert. »Er hat noch ein anderes microscopium, an welches er ein dickes Linsen Glas jenseits des Objecti appliciret, dergestalt, dass der Strahl des Lichtes, welcher durch das Linsen Glas gehet, das objectum erhelle, oder illuminire.«284 Zuguterletzt unterhielt man sich über sogenannte Glastränen oder Batavische Tropfen, kleine, metastabile Glastropfen, die derart unter Spannung stehen, dass, sobald man die Spitze eines Tropfens abbricht, er in Glasstaub zerspringt. Monconys zeigte sich fasziniert von diesem Phänomen und sammelte in seinem Notizbuch alle möglichen Erklärungen. Giuseppe Francesco Borri war zu diesem Zeitpunkt gerade erst von Den Haag nach Amsterdam übergesiedelt. Mit ihm hatte sich Monconys ausgiebig über alchemistische Scheidetechniken ausgetauscht; außerdem hatte er ihm zum gleichen Thema einige Briefe von Sir Kenelm Digby und Henry Oldenburg aus London überbracht. Im Gegenzug hatte Borri dann mit solchem Eifer von einem Prinzipalelement gesprochen, »das er das Feuer der Dinge nennete, die Dünste oder substanzien der Erde, die sich daran anlegeten und verdicketen, ihre besonderen Figuren machten und auff diese die vegetabilia entstünden,«285 dass Monconys ihn in den nächsten Tagen gleich mehrere Male aufsuchte. Gemeint ist der in der alchemistischen Lehre unter die drei Grundelemente zählende Sulphur (Schwefel), von dem man sagte, dass er in festem und sichtbarem Zustand in der Erde, in verborgenem oder subtilem dagegen im Feuer anzutreffen sei. Wie zum Beweis der geheimen Formationskräfte der Natur berichtete ihm Borri erneut von jener Palingenesis einer Rose, die, als Asche oder trockene Erde in einer Flasche aufbewahrt, bei Erwärmung jederzeit ihre ursprüngliche Gestalt annehmen konnte. Monconys notierte sich die genaue Beschreibung

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Nicolaes van Helt, genannt Stockade, Nijmegen 1614–1669 Amsterdam. Aufenthalte in Italien (ca. 1634), Frankreich (1637–1645), Antwerpen (1646–1647) und Amsterdam (1652–1669). Nach Joseph Eduard Wessely, »Stockade, Nicolas de Helt«, in: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. v. der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, XXXVI (1893), 281: »Nicolas de Helt-Stockade, Maler und Radierer, geboren in Nijmegen 1614 (nach Houbraken 1613). Er war ein Schüler des älteren Daniel Ryckaert, dessen Tochter er ehelichte. In der Kunst beschäftigte er sich vor der Hand mit Landschaftsmalerei; da er aber nicht lange in seinem Vaterlande blieb, sondern zeitig nach Venedig und Rom übersiedelte, so ging er bald zur Historienmalerei über.« Auf dem Rückweg aus Italien hielt er sich auf Anraten Sandrarts in Paris auf; im Anschluss siedelte sich in Amsterdam an. Siehe weiterhin Houbraken, Schouburgh, I, 364–368; Weyerman, Levens-beschryvingen, II, 109–110; De Bie, Gulden cabinet, 312 (wo seine Beliebtheit am französischen Hof betont wird). Van Schevichaven gibt an, dass Stockade einige Zeit in Lyon verbracht hat, wo er eventuell Balthasar de Monconys kennenlernte. 1645 habe er sich dort mit Johanna Houwaert verheiratet, deren Schwester Antoinette im selben Jahr den Maler Jan Asselyn ehelichte. In: Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek, 10 Bde., Leiden 1911, III, 568–569. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 637. Ebd., 608.

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und Rezeptur, die, wie wir inzwischen ahnen, beinahe im Wortlaut auf Athanasius Kircher beziehungsweise auf Kenelm Digbys Discourse Concerning the Vegetation of Plants (1661) und damit auf Quercetanus’ eindrucksvollen Bericht zurückgeht. »Er meldete ferner, es wär ihm zu unterschiedenen malen begegnet, dass, wenn er frische Erde von einem Gottesacker oder Kirchhofe (wie oben von dem Saffte gesaget ist) auff beschriebene Art eingesetzt hätte, ihm tausend Blendungen (spectres) von Flüssen und Menschen, welche in Schiffgen überführen, vorkommen wären.«286 Giuseppe Borri ist es auch, der Monconys die Erzählung von den sich-in-Enten-verwandelnden Muscheln (conchae anatiferae) nahebrachte, die später als Skizze Eingang in dessen Reisetagebuch fanden und noch Immanuel Kant (1724–1804) interessieren sollten.287 Und wenn Borri auch lautstark erklärte, dass er von Descartes und Vossius wenig hielt, so ließ sich Monconys natürlich nicht davon abhalten, letzteren ebenfalls mehrmals aufzusuchen und sich dessen Microscopium zeigen zu lassen. Wie er interessiert berichtet, bestand es »aus einem kleinen als ein hemisphaerium gemachten lente oder Linsen=Glase (…), welche in ein Holtz, das hinter eine kleine schwartze Tafel sacht anstösset, eingefasst an der Seite des Auges eingebogen, und in der mitten durchstochen ist, damit man durch ein kleines Loch durch sehen kann« und also haargenau den Mikroskopen von Antony von Leeuwenhoek glich, nur dass dieser Metallfassungen verwendet hatte.288 Monconys besuchte Isaac Vossius im August 1663 in Den Haag, nicht ohne tags zuvor in Leiden in den Ateliers von Frans van Mieris und Gerard Dou Visite gehalten und einige Gemälde betrachtet zu haben. Diese seien, trägt er in sein Tagebuch ein, überaus »glücklich gemahlt« gewesen. Mit Vossius unterhält er sich dann über dessen kürzlich herausgegebenes Buch Von der Ursache der Winde und der Bewegung des Meeres (De causis ventorum & motu maris, Den Haag 1663) und läßt sich seine Bibliothek zeigen, vor allem »6. biß 7. grosse Bücher von allen Orientalischen Kräutern, welche perfect wohl aufgeleimet, und in allen ihren Blüthen, Körnern, Saamen und Wurzeln conserviret, ihren Nahmen und Eigenschaften nach aber durchgehends beschrieben waren«.289 Anschließend unterhielt man sich über Mikroskopie und Teleskopie, wobei Vossius »eines gewissen Mannes« gedachte, »welcher, wenn er zwo Perspektive in einander steckte, die Gebirge in dem Monden gantz deutlich ersehen könne«, wenngleich gerade »nach Delft verreiset war.«290 Das Mikroskopieren

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Ebd., 622. Vgl. Kants Exzerpte aus Kleins Abhandlung »Von den Schaalthieren« für seine Physische Geographie. Jacob Theodor Klein, »Von den Schaalthieren, Conchae anatiferae, Entenmuscheln und beyläufig von Pholaden oder Steinmuscheln«, in: Danziger Versuche (1754) II, 349–354. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 630. Ebd., 630. Ebd., 631. Bei jenem Instrumentenbauer handelt es sich um den Delfter Linsenschleifer Johan van der Wyck (1623–1679). Dieser hatte zunächst in Delft gearbeitet, um dann in den schwedischen Militärdienst einzutreten. 1663 kehrte er in die Niederlande zurück. Bald darauf wechselte er jedoch, zum Gouverneur von Stralsund ernannt, erneut in den schwedischen Dienst. Zur Rolle Van der Wycks als Linsenschleifer, Hersteller von Teleskopen und optischen Instrumenten wie der camera obscura siehe Huib J. Zuidervaart & Marlise Rijks, »›Most Rare Workmen‹. Optical Practi-

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im Kleinstbereich dagegen war vor allem Vossius’ Sache. In dieser Hinsicht muss man wissen, dass schon Vossius’ Vater Gerard (1577–1649) sich für Insekten als Minima biologischen Lebens interessiert und in De theologia gentili (1641) den vollständigsten Überblick über die Lehrmeinungen auf entomologischem Gebiet vorgelegt hatte. Nun war es Isaac, der wiederum sehnlichst auf die Publikation von Francesco Redis Esperienze intorno alla generazione degli insetti wartete, um die älteren Erklärungsmodelle zu modernisieren.291 In gewisser Weise markierten die Jahre 1663–1668 einen Höhe- und Wendepunkt innerhalb der aufgeheizten naturhistorischen Diskussion. Auch wenn das peripatetische Erbe durch Kircher, Digby, Borri und andere nachhaltig verteidigt wurde – die Argumentation verlagerte sich immer mehr in Richtung der Gegner der Urzeugungstheorie, wie sie von Redi, Swammerdam oder Antoni van Leeuwenhoek exemplarisch vorgeführt wurde. Dass Marseus sich für die Urzeugungsdebatte und generell für biologische Prokreationsfragen interessierte, ist aus den Gemälden bereits ersichtlich geworden, und es liegt nahe, dass er in Amsterdam neben Hudde auch mit weiteren Naturwissenschaftlern Kontakt hielt. Mit wirklicher Sicherheit wissen wir dies jedoch erst seit einiger Zeit. In Jan Swammerdams Buch der Natur, 1737–1738 posthum von Herman Boerhaave herausgegeben, findet sich ein Passus, der in der Forschung lange Zeit übersehen worden war, und von einer Entdeckung handelt, die der »Blumen- und Insektenmaler Otto Marseus« ihm einmal mitgeteilt habe. Douglas Hildebrecht hat die Stelle ausfindig gemacht und uns ein Zeugnis von Marseus’ Neugier geliefert, den vermeintlich spontanen Zeugungen der Insektenwelt auf die Spur zu kommen, im übrigen in enger Nähe zu den von Marcello Malpighi im Anschluß an Francesco Redi ausgeführten mikroskopischen Untersuchungen zur geheimnisvollen Entstehung von Cecidien (Anatome plantarum idea, London 1675). Durch Boerhaaves postume Herausgabe von Swammerdams Publikation wiederum ist Otto Marseus’ Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte ins 18. Jahrhundert überliefert worden. So wundert es nicht, dass beispielsweise 1746 August Johann Rösel von Rosenhof (1705–1759) über die Täuschungsvorgänge im Tierreich berichtet und dabei noch einmal auf Marseus verweist. Rösel von Rosenhof stammte selbst aus einer Nürnberger Familie von Tier- und Waldbodenmalern und hatte sich weitergehend zum Naturforscher und Entomologen entwickelt. Wie Goedaert und Swammerdam vor ihm hatte er einen Großteil seiner Untersuchungen der Entwicklung der Schmetterlingslarve gewidmet, diese auch selbst herangezogen und nach der Natur beobachtet. Statt schöner Papilions, wie er in seiner Insecten-Belustigung schreibt, wären ihm jedoch zuweilen nur Schlupfwespen aus dem Kokon geschlüpft – ein Umstand, zu dessen Klärung er jene Passage in Swammerdams herbeizieht:

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tioners in Early Seventeenth-Century Delft« (in Vorbereitung). Hier werden u. a. Verbindungen zum Delfter Mikroskopisten Antoni van Leeuwenhoek sowie zu Jan Vermeer aufgezeigt. Topsells The History of Four-Footed Beasts (1607) und The History of Serpents (1608), beide von William Jaggard verlegt, wurden 1658 zusammen unter dem Titel The History of Four-Footed Beasts and Serpents wiederaufgelegt. Zu Vossius siehe Jorink, Reading the Book of Nature; zu Mouffet vgl. Vignau-Wilberg, »In Minimis Maxime«, v. a. 231–238.

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»Wie dieses zugehe, ist vielen unbegreiflich gewesen, und auch selbst Schwammerdam [sic] sagt, er wisse hier nichts tüchtiges und zuverlässiges anzugeben, ob ihn gleich Otto Marsilius, ein berühmter Blumen- und Insektenmahler, berichtet, er hätte gesehen, dass die Raupen von den Mücken angestochen und mit Eyern beleget würden, aus welchen diese Würmer kämen; und ich sollte fast glauben, die Schlupfwespen (…) so aus den Insecten von ganz anderer Art kommen, haben nebst andern, von verfaulten Aesern lebenden, verschiedenen Würmern, zu der irrigen Meinung Anlaß gegeben, es könnte durch die Fäulung aus einer Creatur eine ganz andere entspringen.«292 Damit wird rückwirkend bestätigt, was sich als Bild zuvor abgezeichnet hatte: Die »Blumen- und Insektenmahler« nehmen lebhaften Anteil am Naturdiskurs der Zeit, und das Genre verändert sich wie ein wechselnder Kommentar zur Frage, über welche mimetischen Reproduktions- und Fortpflanzungskräfte die Natur tatsächlich verfügen kann. Die Wissensnetzwerke der Zeit funktionieren ausgezeichnet. Über Nicolaus Steno (1638–1686), der mit Swammerdam seit den gemeinsamen Studientagen in Leiden aufs Engste befreundet und 1666 unter Ferdinando II. zum Leibarzt der Medici avancierte, wurden Francesco Redi und Malpighi über Swammerdams Untersuchungen auf dem Laufenden gehalten; bekanntlich hatte Cosimo de’ Medici zuvor vergeblich versucht, Swammerdam selbst nach

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August Johann Rösel von Rosenhof, Insecten-Belustigung, Nürnberg 1746, (»Sammlung der Hummeln und Wespen«, 2. Teil, 18). Zuvor heißt es bei ihm: »Nichts kann aber einem Insektenliebhaber verdrüßlicher fallen, als wann er die mit vieler Mühe aufgesuchte Raupen so weit gebracht, dass sie sich nunmehr verwandeln sollen, oder auch schon in eine Puppe verwandelt haben, und er aus selbigen, statt des mit sehnlichem Verlangen erwarteten Papilions, ganz ander Creaturen zum Vorschein kommen siehet. So wird oft die Schönste und vollkommenste Raupe bald von vielen, bald von wenigen Maden, so in ihr ihren Aufenthalt gehabt, durchbohret, und gehet darüber zu Grunde; und aus mancher Puppe kommen, statt des Papilions, etliche entweder kleinere oder größere Schlupfwespen.« Vgl. dazu weiterhin Albus, Kunst der Künste, 262. Die Stelle bei Swammerdam lautet: »I must not omit a circumstance which I heard from Otto Marsilius, the late painter of flowers and insects. It was this that he had seen, at the time when caterpillars were busy in divesting themselves of their skins, or when they had just performed the operation, and were grown faint and weak of it, a great many flies, some bigger and others less, piercing the bodies of such Caterpillars, and depositing in the wounds, so made, quantities of little eggs; from which proceed the Worms, that are every year so commonly found in Caterpillars. As yet I must own, I never saw this myself, but allowing it to be fact, it would perhaps greatly help us in explaining the generation of worms found in the viscera, or bowels, of larger animals; provided especially such worms were found afterwards to turn to Flies, or other winged insects, which as yet I have not been able to determine experimentally, notwithstanding the pains and attention I must have bestowed on the observations of changes of this kind. Admitting Marsilius’ account to be true, and that some of the perforations he observed were made into veins and arteries, and eggs deposited in such perforations, there can be no difficulty in conceiving how the circulating blood might have dispersed these seeds of animals all over the body. It must be owned, after all, that these things are as yet buried in a cloud of darkness, which obscurity, nothing but the brightest light of experiments can dispel«. Jan Swammerdam, The Book of Nature, or, The History of Insects, aus dem Niederländischen und Lateinischen übers. v. Thomas Floyd, London 1758, II, 69. Vgl. Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck, 222.

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48 | Ausschnitt aus dem Zyklus Die vier Erdteile (»Asien«) von Jan van Kessel, 1664/65,

Öl auf Kupfer, Alte Pinakothek, München, Inv.-Nr. 1911.

Florenz zu holen.293 Die italienisch-niederländischen Verbindungen im Wissenschaftssektor waren nicht zuletzt durch das gemeinsame Interesse an Prokreationsfragen gestärkt worden. In London wurde, den Tagebucheinträgen Samuel Pepys’ (1633–1703) folgend, sogar in den Kaffeehäusern über die Relevanz der Urzeugungstheorie diskutiert. Am 14. Dezember 1660 notiert er einen Besuch »to the Coffee House where we light upon very good company and had very good discourse concerning insects and their having a generative faculty as well as other creatures«294 Wenig später, 1664–1666, machte sich auch Jan van Kessel (1626–1679) über die barocke Vorstellung eines ad hoc gezeugten Lebens lustig, nur dieses Mal erneut am Beispiel der Frösche, die sich, der alten Urzeugungslehre zum Trotz, in einer Darstellung der vier Erdteile in einer Nebenszene fröhlich paaren. Und in einem Kasseler Stilleben, das gegen Ende des 17. Jahrhunderts entstand, kommentierte Rachel Ruysch die biogenetischen Debatten ihrer Zeit mit einer gemalten Fußnote am unteren Rand des Gemäldes –

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Auf seiner Reise in die Niederlande besuchte Leibniz 1676 auch Jan Swammerdam (neben Spinoza, Van Leeuwenhoek und Hudde), vgl. z. B. Kurt Müller & Gisela Krönert, Leben und Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz, Frankfurt a. M. 1969, 46. Die frühe Mikroskopie hatte Einfluss auf die Debatte zwischen Mechanisten und Vitalisten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Eintrag vom Freitag, 14. Dezember 1660, in Samuel Pepys’ Tagebuch.

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der Szene zweier sich auf einem Stein liebkosender Schnecken295; Otto Marseus hatte zuvor mehrmals die arabeske Paarung der Libellen ins Bild gesetzt. Hier wie dort wird an der Entzauberung der älteren Lehrmeinungen und den emblematisch verschlüsselten Bedeutungen der Natur gearbeitet und werden stattdessen die Beobachtungen naer het leven und die dem Auge vorliegenden Strukturen ins Zentrum gerückt (die allerdings erneut bezaubernd wirken konnten).296 Die vielen nature pieces des 17. Jahrhunderts machen die Veränderungen mit – weg vom substantialistischen (oder materialmimetischen) hin zum aufgeklärten Naturbild, weg von den Dingen und hin zu den Tatsachen, wobei die Bewegung nie eindimensional, sondern flirrend, in einer immer auch wieder rückwärts ausschlagenden Linie verläuft.

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DAS BILD ALS BIO-TOPOS Die Bildfläche sowohl als konzeptionellen wie prokreativen Ort, als tellurisches Bild-Feld zu verstehen, ist Thema des ersten Kapitels gewesen. Dabei nehmen die vielen sottoboschi, Stilleben und Naturstücke inmitten des biogenetischen Interesses des 17. Jahrhunderts einen besonderen Stellenwert ein: Sie sind Reflexionsorte für den mimetischen Zusammenhang von Kunst und Natur und sie sind Schauplätze einer sich entfaltenden produktiven Energie. Interessanterweise wird das Genre zu dieser Zeit mehrfach weiblich bespielt: Margaretha de Heer, Rachel Ruysch, Maria Sibylla Merian oder Maria van Oosterwijk (1630–1693) erweisen sich als biotopologische Malerinnen. Gender ist im Stilleben ein Thema; es wird als tendentiell weibliches Genre aufgefasst, dessen erste Aufgabe es ist, Ähnlichkeiten zwischen Vor- und Abbild herzustellen. Wie aber kann ein Bildfeld zum biotopos werden? Kehren wir dazu noch einmal zu den Schmetterlingen zurück und verfolgen ihren Einsatz in der Stillebenmalerei der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Als junge Malerin beispielsweise hatte Rachel Ruysch einen Teil des Großen Teichs von Jan Davidsz. de Heem kopiert, aber den landschaftlichen Hintergrund mit seinen Anzeichen menschlichen Lebens, dem auf De Heems Leinwand viel Platz eingeräumt wurde, weggelassen.297 Stattdessen konzentriert sie sich auf das Blumen295

296 297

Für diesen Hinweis danke ich Gregor J. M. Weber. Die meisten Schneckenarten sind entgegen der gängigen Meinung eingeschlechtlich, nur manche Süßwasserschnecken sind Zwitter (Hermaphroditen). Zur ikonographischen Implikation vgl. Helen S. Ettlinger, »The Virgin Snail«, in: Journal of the Warburg and Courtald Institutes 41 (1978), 316. Daniel Arasse dagegen hatte sich über die Anwesenheit einer Schnecke in der Verkündigungsdarstellung Francesco del Cossas gewundert (Daniel Arasse, Le détail: Pour une histoire rapprochée de la peinture, Paris 1996), siehe auch François-Xavier Gleyzon, Shakespeare’s Spiral. Tracing the Snail in King Lear and Renaissance Painting, Lanham, Maryland 2010. Dies in Einklang mit Jorinks These einer langsamen Veränderung des Augenmerks »from text to observation, from symbol to structure, from wonder at the singula to wonder at the everyday«. Von Rachel Ruysch gibt es insgesamt drei variierende Kopien desselben Motivs (Rochester, Memorial Art Gallery [1686]; Rotterdam, Museum Boymans-van Beuningen [1685]; Kassel, Gemäldegalerie [ca. 1686]). Siehe Marianne Berardi, »The Nature Pieces of Rachel Ruysch«, in: Porticus 10/11 (1987–1988), 2–15, die die Vorlage noch Abraham Mignon, nicht Jan Davidsz. de Heem zuschreibt. Ruysch hatte außerdem Otto Marseus van Schrieck kopiert, siehe ebd., 7: »Of the dozen

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49a | Jan Davidsz. de Heem, Großer Teich, signiert, Öl auf Leinwand, 113 × 130 cm, Sammlung Liechtenstein, Schloss Vaduz, Inv.-Nr. 926.

49b | Abraham Mignon, Kopie nach De Heems Großer Teich, Öl auf Leinwand,

113 × 141 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Bamberg, Inv.-Nr. 754.

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bouquet auf der rechten Seite des Gemäldes, das sich buntfarbig um einen morschen Baumstamm windet. Das florale Arrangement befindet sich am Rand eines Teichs, der wie ein Biotop alle möglichen Arten von Kleingetier angezogen oder sogar erzeugt hat – sich am Ufer und im Wasser aufhaltende Frösche, Schnecken, Schlangen und eine Eidechse, die, wie wir wissen, allesamt mit der Vorstellung einer sponte nascentium verbunden sind. In Ruyschs Gemälde jedoch hat die Biodiversität zugenommen. Neben den Amphibien sehen wir Insekten und Schmetterlinge um den Baumstumpf kreisen, so als wäre er ein Maßstab für die mögliche Höhe eines Aufstiegs aus dem biotopos. Das prominent geschilderte Blumenbouquet zeigt Päonien in leuchtendem Rot neben Rosen und einer prächtigen weißen Lilie. Dabei fällt auf, dass diese Blumen nicht einfach nur eine marianische oder christologische Symbolik ins Bild tragen, sondern die heilsgeschichtlichen Bezüge naturgeschichtlich fundamentieren: Ein Schmetterling bekrönt den Aufbau. Er tippt an den Rand der Lilienblüte, wie um ihren Saft zu erreichen. Es ist interessant zu sehen, dass Ruysch den Goldfink in De Heems Gemälde durch die universalere Figur der psyche ersetzt hat und es sich nun nicht mehr einfach um eine theologische Auferstehungsthematik handelt wie vielleicht noch bei Margarethe de Heer, sondern ein stufenweiser Aufstieg auf der scala naturae angedacht ist. Die Steigerung der Seelenvermögen, ausgehend vom biologischen Untergrund, der buchstäblich aus Schlick besteht, bis hin zur befreiten Seele, avanciert zum eigentlichen Bildthema.298 Naturhistorische und theologische Programme können im Zeitalter der Gegenreformation nahtlos ineinanderübergehen, weil Natura Trägerin einer göttlichen Bestimmung ist und in ihrer Gesamtheit die unteilbare Einheit dieses höchsten Wesens manifestiert. Die Einheit ist die einer Verschiedenheit. Ein ähnlicher Widerspruch, der im Naturdenken des 17. Jahrhunderts gar nicht als ein solcher angesehen wird, zeigt sich in den gemalten Naturstücken, man spricht hier vielleicht besser von einer natürlichen »Vielheit

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nature pieces Ruysch painted early in her career, half are heavily indebted to the work of Van Schrieck.« Zu De Heems Blumen in einer Landschaft (der große Teich) siehe Sam Segal, der das Gemälde als Spätwerk des Malers (entstanden um 1670) identifiziert: Ausst.-Kat. Utrecht & Braunschweig (1991), 156–159. Zur Adaption des Großen Teichs durch Ruysch vgl. ebd., 158: »Wie die Künstlerin mit dem Bild von (oder nach) De Heem in Berührung kam, ist unbekannt. Möglicherweise führt der Weg über Ernst Stuven (1657–1712) und Abraham Mignon (1640–1678).« Denn auch Abraham Mignon hat verschiedene Details des Vaduzer Gemäldes übernommen (z. B. Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv.-Nr. GK 1190; Magdalena Kraemer-Noble, Abraham Mignon 1640–1679, Petersberg, Hessen 2007, 20), während sich eine Kopie des Großen Teichs in der Staatsgalerie Bamberg befindet (Inv.-Nr. 754) und Ernst Stuven zugeschrieben wird. Ein von Stuven signiertes Blumenbouquet vor Baumstamm, das denselben Ausschnitt von De Heems Teich zeigt, den auch Ruysch gewählt hat, ist 1980 bei Sotheby’s versteigert worden (22.04.80, Lot 129). Umgekehrt hat Otto Marseus van Schrieck neben seinen sottoboschi auch eine Blumenkranzmadonna beziehungsweise Een Maria met het kindeken Jesus gemalt. Im Nachlassinventar der Anna Hoefyser, Witwe von Willem Beek, in Dordrecht (publiziert in: Abraham Bredius, Künstler-Inventare. Urkunden zur Geschichte der holländischen Kunst des XVIIten und XVIIIten Jahrhunderts, 7 Bde., Den Haag, 1915–21, II, 708), wird Een Maria met het kindeken Jesus door Otto Marseus erwähnt; Steensma spricht von einer Blumenkranzmadonna, vgl. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 23.

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50 | Rachel Ruysch, Blumenstilleben am Waldboden, Öl auf Leinwand, 93 × 74 cm, Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel, Inv. 1749ff. Nr. 212.

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51 | Abraham Mignon, Blumen in Grotte, signiert A. Mignon fe., Öl auf Leinwand, 100 (97) × 78 cm, Nationales Kunstmuseum Bukarest, Inv.-Nr. 8156/190.

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an Gradstufen, die einander in der Einheit der Welt transzendieren.«299 Von der Schlange bis zum Schmetterling ist es im Grunde ein weiter Weg, der im Bild sowohl als möglicher Aufstieg gezeigt wird wie als möglicher Rückfall oder Sturz. Alle Lebewesen sind Teile eines großangelegten Tableaus, einer tela vitae, wie es bei Kircher einmal heißt.300 Die Frage, ob wir in den gemalten Niederwelten des 17. Jahrhunderts eine aufbauende oder eine gefallene Natur vor uns haben, kann deshalb nur im graduellen Sinn eines »mehr oder weniger« beantwortet werden. Letztendlich handelt es sich um eine Standortfrage im ontologischen Feld und damit um einen relationalen Begriff, entstanden durch Blicke nach oben und unten sowie das Bewusstsein, ebenso fallen wie steigen zu können. Der sottobosco ist beidseitig, vom Boden wie vom Luftraum aus gedacht. Er beschreibt Wachstumsvorgänge und deren Gefährdung; er markiert eine Bildgattung ganz am unteren Ende der Stufenleiter, mit aufsteigender Tendenz, die das Bewusstsein eines tiefen Ausgangspunkts voraussetzt: des Falls in die Materie zu Anfang der Menschheitsgeschichte. Der tiefgläubige Abraham Mignon wiederum, der nach dem Weggang Jan de Heems aus Utrecht vom Consistorium der Wallonischen Kirche zum Diakon gewählt worden war301, ist wie kein anderer Maler seiner Zeit mit der Darstellung des immensen Reichtums und der Vielfalt der Natur beschäftigt. Immer wieder gehen seine Bemühungen dahin, die vielen Naturdinge zu organisieren und durch eine Verquickung natur- und heilsgeschichtlicher Bezüge in eine übergreifende Ordnung und Einheit zu überführen. Verweilen wir abschließend bei seinen Blumen- und Naturstücken, die eine summa summarum barocken Naturwissens – ein Wissenstableau im buchstäblichen Sinn – darstellen. Überhaupt kann man beobachten, wie die Bezüge im Laufe des Jahrhunderts detaillierter ausgearbeitet werden und wie das Tableau gerade aufgrund seiner zunehmenden Binnendifferenzierung kaum mehr zusammenzuhalten ist und in diverse Einzelmotive zu zerfallen droht. Mignon beispielsweise hatte sich neben großen Blumen- und Früchtestilleben in der Art seines Vorbild De Heems in der Sonderform der Waldbodenstilleben geübt, die bei ihm nicht nur von zahlreichen Insekten und Kleingetier bevölkert und mit vielen kleinen Wassertropfen versehen sind, sondern darüberhinaus mit eucharistischem Beiwerk wie Getreidegarben und Weintrauben angereichert wurden. Das in einer Privatsammlung befindliche Waldstilleben mit Blumen, Vögeln und Insekten, ein brillantes Beispiel seiner Art, oder seine Blumen in der Grotte lehnen sich erneut an De Heems Großen Teich an, in etwa in demselben Ausschnitt, den auch schon Rachel Ruysch für ihre Studie gewählt hatte.302 Jedes Detail ist exakt ausgearbeitet sowie mit Reflexlicht und Schlagschatten plastisch modelliert. Noch Weyerman kann sich der Freude am mimetischen Detail dieser Bilder nicht erwehren und beschreibt ein Blumenstilleben Mignons, dessen Blattwerk so natürlich und fein wiedergegeben gewesen sei, dass man mit künstlichen Farben keine stärkere Lebendigkeit (leeven) erzielen könne. Aber auch ein Gemälde im Kunstkabinett 299 300 301 302

Bernhardt, »Aristoteles«, 143. Kircher, Mundus subterraneus, 337. Zu Mignon siehe den Werkkatalog von Kraemer-Noble, Abraham Mignon, 14. Eine ähnliche Wiederholung gibt es im schmalen Werk der Anna Ruysch, Schwester von Rachel und Tochter des Anatomie- und Botanikprofessors Frederik Ruysch.

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52 | Abraham Mignon, Waldstilleben mit Blumen, Vögeln und Insekten, signiert A. Mignon f., Öl auf Leinwand, 78,5 × 94,5 cm, Privatbesitz.

des Delfter Sammlers Valerius de Reuver (Röver; 1686–1739) sei herrlich gemalt gewesen: Die Pfirsiche wären vor Reife beinahe dahingeschmolzen und hätten Farbnuancen aufgewiesen, wie man sie in der Natur nicht schöner finden könne, die Trauben seien so durchsichtig dargestellt, dass man ihre Kerne sich im Saft bewegen zu sehen vermeinte. Es sei bewundernswert, wie der Pinsel des Malers ein derart banales Sujet wie die Traube in der Farbigkeit, Anordnung und der Darstellung unterschiedlicher Reifegrade so kunstvoll der Natur habe angleichen können, dass man glaube, keinem Pinselstrich oder Farbfleck, sondern dem natürlichen Vorbild selbst gegenüberzustehen.303 Alle anderen Früchte seien 303

Der vollständige Absatz: »Noch hebben wy te Brussel by een Kleerkooper en ter zelve tijd een Konstkooper, genaamt N. de Beer, een Bloemstuk gezien, dat (…) zeer delikaat was behandelt, inzonderheyt de groene bladen; en onder andere was een groot gepunt blad van een kruyt, Marias melkdistel genaamt, zo natuurlijk en zo lieffelijk gevolgt met het konstpenseel, dat men het leeven met aardsche koleuren niet nader kon evennaaren. (…) Den nochmals gemelde Heer Valerius de Rover tot Delft bezit en konststuk van Abraham Minjon, zo heerlijk in zijn soort, dat het een echt Konstkenner vervrolijkt die dat komt te beschouwen. De Persikken schijnen door rijpheyt te smelten, en zijn zo lieffelijk gebloost dat de beruchte Noortwijksche niet schoonder gekoleurt zijn, zo versch van de takken gebrooken: ook zijn de Druyven zo doorschijnende, dat het schijnt als of men de korrels in hun smaakelijk vocht zag beweegen; en voornaamelijk heeft zijn penceel eenige troffen langwerpige Druyven zo konstiglijk in hunne koleuren, verkortingen, en min ofte meer rijpte, na de natuurlijke Druyven nagevolgt, dat men zich verbeelt geen panneel of verf te zien, maar doorrijpe Druyventroffen. De overige vruchten hebben dezelve konstdeugden, zijn wel getêkent, geschildert, geschikt, gehouden, en het welk wonderlijk is voor het oog, zy zijn al te zamen als met

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mit derselben Kunstfertigkeit »getêkent, geschildert, geschikt & gehouden«, ja vom Maler gleichsam mit ihren eigenen Häuten und Schalen überzogen worden. Die Früchtestücke in Cambridge oder Aschaffenburg und vor allem das Früchtestilleben einer privaten Sammlung, auf dessen pelziger Haut einer Quitte und den samtigen Oberflächen der Pfirsiche kleine Wassertropfen sitzen, machen deutlich, was Weyerman mit dieser Bemerkung gemeint hat.304 Glatte Schalen mit harten Glanzlichtern wechseln sich mit weichen ab, deren Reflexe sanft aufschimmern; zuweilen sind die Häute aufgeplatzt, so dass das feuchte Innere hervortritt. Die Perlen scheinen nicht einfach nur Tautropfen, sondern aus der Reife und Süße des Fruchtfleischs herausgeschwitzt worden zu sein. Insekten werden davon angezogen wie die Vögel in Zeuxis’ Kunststück: »Het is een Konstjuweel dat ten trots der Lente, en als in een tweestrijd met de Natuur schynt geschildert.«305 Die Naturstücke, die diesen Früchtestilleben zeitlich nachfolgen, erhalten sich die materialmimetische Qualität und gehen sogar noch darüber hinaus, indem sie die Farben der Früchte und Blumen aus dem Dunkel des Waldbodens hervortreten lassen und den Bildraum dadurch graduell tiefenstaffeln. Reicher als bei Mignon kann ein Stilleben kaum mehr konzipiert werden. Ich versuche, den ersten Eindruck etwas zu ordnen: Nicht nur das Turiner Waldbodenstilleben, sondern diverse andere Gemälde wie die Blumen in Waldlandschaft, Blumen und Tiere in Grotte oder das Vogelnest in Grotte wiederholen und variieren Ausschnitte aus De Heems Großem Teich, dieses Prototyps eines zwischen Stilleben und Landschaft angesiedelten Mischtypus, den De Heem seit den späten 1650er Jahren entwickelte. Mignon folgt ihm

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hunne eyge schillen overtrokken; in ’t kort dat Fruytstuk is het alderschoonste dat wy ooit hebben beademt«. Weyerman, Levens-beschryvingen, II, 394–395. Valerius de Röver/Reuver d. J. heiratete 1709 Cornelia van der Dussen. Sie lebten auf der Westseite der Oude Delft neben dem Prinsenhof, wahrscheinlich Hausnummer 173, und besaßen ein weiteres Anwesen auf der Ostseite der Voorstraat. Berühmt war sein »Kunstkabinet«, das in größten Teilen bereits von seinem Vater, Valerius Röver d. Ä. (?–1693) zusammengetragen worden war. Es umfasste 161 Gemälde der Kategorien Historie (36), Landschaft (27), Architektur (11), Marine (6), Genre (30), Stilleben (12), Portrait (27), Varia (12). Unter ihnen befanden sich fünf Gemälde von Frans Hals. In 1750 wurde eine Auslese der Sammlung (62 Gemälde, darunter 8 Rembrandts) für 40,000 Gulden an den Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel verkauft. Ein weiterer Rembrandt wurde später für 475,000 Gulden von Zar Alexander I. für die Eremitage angekauft. Landgraf Wilhelm VIII. hatte für einige Zeit in den Vereinigten Provinzen gelebt und dort mit Govert van Slingelandt (1623–1690) verkehrt, einem Sammler in Den Haag, auf dessen Rat hin er die Delfter Sammlung erwarb. Siehe Reinier Boitet, Beschryving der stadt Delft, Delft 1729, 790. Die Kategorien nach Ernst Wilhelm Moes: »Het Kunstkabinet van Valerius Rover te Delft«, in: Oud-Holland 31 (1913), 4–24; Ausst.-Kat. Delft (1982), De stad Delft: Cultuur en maatschappij van 1667 tot 1813, bearb. v. H. Domen, Delft 1982, 131; H. L. Houtzager, Gedenkboek van het Genootschap Delfia Batavorum 1935–1985, Amsterdam 1985, 52; Peter C. Sutton, »A Brief History of the Collecting of Dutch Landscapes«, in: The Hoogsteder Exhibition of Dutch Landscapes, Den Haag & Zwolle 1991. Siehe weiterhin Kees Kaldenbach, www.xs4all.nl/~kalden/ (letzter Zugriff am 25.02.2012). Zum Motiv der Weintraube in Stilleben siehe Ausst.-Kat. Bordeaux (1999), Les raisins du silence: Chefs-d’oeuvre de la nature morte européenne du XVIIe et du XVIIIe siècle, Musée des BeauxArts, Bordeaux 1999. Kraemer-Noble, Abraham Mignon, Abb. 18, 14 und 19. Weyerman, Levens-beschryvingen, II, 394.

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53 | Abraham Mignon,

Stilleben mit Früchten und Nüssen auf einer Steinplatte, signiert, Öl auf Holz, 34 × 27 cm, Fitzwilliam Museum Cambridge, Inv.-Nr. 3027.

54 | Abraham Mignon,

Früchtstilleben, signiert A Mignon (ligiert) fe., Öl auf Holz, 33 × 26 cm, Privatsammlung.

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hier nach; seine »Blumenstücke dieser Art sind größtenteils zwischen 1669 und 1672 entstanden, als Jan de Heem sich in Utrecht aufhielt und sein Atelier mit Mignon teilte.«306 In Mignons Turiner Version beispielsweise, die ehemals in der Quadreria von Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736) hing, haben wir es zunächst mit einem uns inzwischen bekannten Bildvokabular zu tun: Um einen abgestorbenen Baumstumpf rankt sich ein leuchtend farbiges Blumenarrangement aus rotem Mohn, Kornblumen und blauer und gelber Iris, während sich links, im Gegenlicht eines Landschaftsausblicks, die Silhouette einer Distelpflanze abzeichnet sowie an ihrem Fuß eine Maus erscheint, und wir im Dunkel des hohlen Baumstamms neben einigen Fröschen am Wasserlauf einen Kampf zwischen Eidechse und Schlange ausmachen können. Für Mignons Naturstücke ist allerdings eine weitere Zutat – ein Schneeballstrauch – charakteristisch, in dessen belaubten Ästen ein Distelfink brütet; das Vogelmännchen befindet sich auf der Spitze des abgestorbenen Baumstumpfs und trägt einen Zweig für den Nestbau im Schnabel.307 Durch eine doppelte Achsenkomposition wird der stillebenhafte Baumstumpf einerseits nach vorne in unmittelbare Nahsicht gerückt, andererseits eröffnet eine Maueröffnung am linken Bildrand einen Ausblick in die Tiefe, auf eine bergige Landschaft mit Dorfkirche und hellem Licht am Horizont. In den einzelnen Versionen variiert der Schauplatz des Motivs dann zwischen dunkler Waldszene, Brückenbogen und Grottenlandschaft, wie beispielsweise in der heute in Privatbesitz 306

307

Kraemer-Noble, Abraham Mignon, 236. Zur Entwicklung der künstlerischen Idee, ein Waldbodenstilleben mit einem Blumenstück zu kombinieren, vgl. Ausst.-Kat. Utrecht & Braunschweig (1991), 159: »Über die Kompositionen von Frans Snyders gelangt man zu den stärker ausgearbeiteten Landschaftshintergründen Jan Davidsz. de Heems, wie er sie zuerst in seinem ersten großen Prunkstilleben von 1642 verarbeitet (Kat.-Nr. 7). Die nächsten Schritte De Heems sind die 1653 einsetzenden Übertragungen von Stilleben in eine Landschaft (Kat.-Nr. 17; Früchte und Blumen in einer Landschaft, 1655, Eremitage, Sankt Petersburg, Inv.-Nr. 1107) und sein Ruinenstilleben mit Früchten (Kat.-Nr. 18; Ruine mit Früchten und Vogelnest, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden, Inv.-Nr. 1261). So kommen De Heem und Mignon auf die Idee des Blumenstückes innerhalb einer Landschaft. Dieser Gedanke findet Nachfolge bei Ernst Stuven und Rachel Ruysch, die ihn bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts hinein fortführen.« Zur narratologischen Konsequenz solcher Kombinationen von Landschaft und Stilleben siehe Claudia Fritzsche, Der Betrachter im Stilleben. Raumerfahrung und Erzählstrukturen in der niederländischen Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts, Weimar 2010, sowie dies., »Kleine Geschichten und große Geschichte. Erzählung in der niederländischen Stillebenmalerei des 17. Jahrhunderts«, in: Die sichtbare Welt. Visualität in der niederländischen Literatur und Kunst des 17. Jahrhunderts, hg. v. Maria-Theresia Leuker, Münster, New York, München & Berlin 2012, 131–146. Hier lassen sich Bezüge zur stoischen Oikeiosis-Lehre herstellen, derzufolge die liebevolle Zuwendung zur eigenen Nachkommenschaft Tiere und Menschen verbindet. Mit der Notwendigkeit zur Selbstbezüglichkeit, die erst eine identifikatorische bzw. reflexive Struktur ermöglicht (beschrieben als »Selbstbefreundung«), ergeben sich Verbindungen zwischen dem Trieb der Arterhaltung, Reproduktion und der »Sorge um die Nachkommenschaft«. Vgl. Ingensiep, Pflanzenseele, 84: »Die Natur befreundet sich mit sich selbst, wie es bei Diogenes Laërtius (7, 85) heißt: ›Der erste Trieb, so sagen sie (scil.: die Stoiker), der sich in einem lebenden Wesen regt, sei der der Selbsterhaltung; dies sei eine Mitgabe der Natur von Anbeginn an (…). Denn es war doch nicht zu erwarten, dass die Natur das lebende Wesen sich selbst entfremde, oder auch, dass sie, nachdem sie das Geschöpf einmal hervorgebracht, sich weder die Selbstentfremdung noch die Selbstbefreundung habe angelegen sein lassen. Es bleibt also nur übrig zu sagen, dass sie nach vollzogener Schöpfung es mit sich selbst befreundet habe. Denn so wehrt es alles Schädliche ab und verschafft allem, was seiner Eigenart dienlich ist, freien Zutritt.‹«

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55 | Abraham Mignon, Blumen und Tiere in Waldlandschaft, signiert A. Mignon fe., Öl auf Leinwand, auf Holz aufgezogen, 66 × 79 cm, Galleria Abauda, Turin, Inv.-Nr. 548 (Provenienz: Quadreria von Prinz Eugen, Wien).

56 | Abraham Mignon, Vogelnest, signiert A. Mignon fec., Öl auf Leinwand, 82 × 100 cm,

Musée du Louvre, Paris, Inv.-Nr. 1553 (Provenienz: Slg. Ludwig XIV).

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befindlichen Ausführung eines Waldstillebens mit Blumen, Vögeln und Insekten, wo die dämmerige Szene durch einen steinernen Torbogen von der Hintergrundslandschaft abgetrennt wurde. Jetzt bereichert nicht nur eine prächtige Madonnenlilie nebst Rose das Blumenbouquet, sondern es wird auch an den Tiergeschichten gearbeitet: Der Kampf mit der Schlange hat einer Eidechse inzwischen das Leben gekostet; eine Maus beobachtet das Geschehen von einem Felsvorsprung aus; ein Hirschhornkäfer klettert einen abgestorbenen Baumstumpf hinauf; links vorne taucht ein Vogel ins Bild, dessen Gefieder trotz des Dunkels geheimnisvoll buntfarbig aufleuchtet.308 Nochmals reicher zeigt sich Mignons ehemals in der Sammlung Ludwigs XIV. (1638–1715) befindliches Vogelnest, über das schon viel geschrieben wurde.309 In ihm nämlich hat der Mensch sichtbare Spuren hinterlassen, so dass der Anspruch des Malers, ein umfassendes Wissenstableau aus Natur-, Menschheits- und Heilsgeschichte zu erarbeiten, in vollem Umfang eingelöst wurde.310 In den Worten von Magdalena KraemerNoble: »Die Komposition ist so vollgepackt mit Gegenständen, Pflanzen und Tieren in totem und lebendigem Zustand, dass man sich vorsichtig zum Zentrum der Darstellung vortasten muss. Auf einem Holzfass ist mitten auf dem Waldboden mit seitlich sichtbarem Wasser zwischen Blattwerk, Wiesenblumen und abgeholzten Baumstümpfen ein Nest mit geschlüpften Vögeln gesetzt. Ein Gartenrotschwanzweibchen mit einem Wurm im Schnabel fliegt darauf zu. Hinter dem Fass steckt eine Flinte mit darüberliegender Angel. Es sind die beiden Geräte, mit denen das hängende Eichhörnchen getötet und der Haufen Süßwasserfische, rechts über dem Fass hängend, gefangen wurden. Auf sie stürzen sich umherlaufende Frösche und ein aus dem Dickicht sich heranpirschendes Eichhörnchen. An zwei sich bekriegenden Schlangen im Blattwerk rechts ist auszumachen, wie unentschieden der Kampf des Guten gegen das Böse ist.«311 Am unteren Bildrand, könnte man hinzufügen, schieben sich erneut die Pilze aus dem humiden Boden aus Braun- und Ockertönen, der dem Biotop sowohl Grund wie Malgrund ist.312 308 309

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Kraemer-Noble, Abraham Mignon, 230 und 236. Erste Erwähnungen bereits bei Théodore Lejeune, Guide théoretique et pratique de l’amateur des tableaux, 3 Bde., Paris 1864, II, 288; Gustav Friedrich Waagen, Handbuch der deutschen und niederländischen Malerschulen, Stuttgart 1862, 251; siehe außerdem Gerhard Bott, »Ein Vanitas-Naturstück von Abraham Mignon als Neuerwerbung im Hessischen Landesmuseum«, in: Kunst in Hessen und am Mittelrhein 10 (1970), 56–57; Stefan Grohé, Stilleben. Meisterwerke der holländischen Malerei, München 2004, 64; Kraemer-Noble, Abraham Mignon, 220. Mignon hatte sich »nach dem Weggang von Jan (I) de Heem vom Consistorium der Wallonischen Kirche Utrecht für fünf Jahre für das Amt einer der vier Diakone wählen« lassen. »Er wurde eingesetzt für soziale Belange in der Gemeinde und für die Auslegung der Heiligen Schrift als einziger Quelle und Norm des christlichen Glaubens«. Kraemer-Noble, Abraham Mignon, 14. Ebd., 220. Zur Maltechnik Mignons vgl. ebd., 29: »Alle seine Stilleben haben gemeinsam, dass Mignon sehr sorgfältig mindestens drei Schichten Grundierung in mehreren dünnen opaken Lagen von BraunOckertönen, immer mit Karbonschwarz gemischt, aufgetragen hat. Darüber wurden ein bis zwei graue, aus Bleiweiß und Karbonschwarz bestehende Schichten aufgetragen, auf die wiederum mit dunkelgrauer Farbe die Grundformen der Komposition wie in einer Art Grisaille-Malerei eingezeichnet wurden. Erst dann erfolgte die farbliche Ausgestaltung, vom Hintergrund bis zu den ganz prominenten Objekten im Vordergrund. Dies gilt für die Darstellung von Früchten, wäh-

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Immer wieder ist bemerkt worden, wie eine neue Wissenschaftlichkeit in die barocken Naturstudien einzog und die ältere, emblematisch eingesetzte Tier- und Pflanzensymbolik ablöste. Einige Beispiele haben wir bereits gesehen: Obwohl Elias van den Broeck dasselbe Repertoire verwendete wie Margaretha de Heer oder andere Insekten- und Tiermaler der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, erscheinen seine Nashornkäfer in neuem, d. h. naturwissenschaftlichem Licht, gleichsam wie Naturstudien, die neben den morphologischen Beschreibungen nun auch diejenigen ihrer Lebensräume und Verhaltensweisen umfassen. Rachel Ruysch wiederum hatte statt dem christlichen Goldfink den universaleren Schmetterling gewählt, um ihn als Verkörperung des Lebensvermögens hochsteigen und die »komplexe, unendlich abgestufte und endlich in die unerschließbare räumliche und zeitliche Tiefe gehende Produktivität der Natur (natura naturans)«313 in allen Nuancen durchstreifen zu lassen. In diesem Moment können wir den Wandel der barocken Naturbilder von den frühen emblematischen Darstellungen, in denen die Tiere und Pflanzen additiv nebeneinandergestellt wurden, hin zu den späteren fein ausgesponnenen und intrinsisch vernetzten Naturtableaus noch einmal gut nachvollziehen. Dass diese Bilder trotz ihrer Fülle verhältnismäßig übersichtlich wirken, lässt sich auf naturtheoretischer Ebene vielleicht wie folgt erklären: Da sich in in den vielen einzelnen Lebewesen als species gleichzeitig auch Klassen, Arten und Gattungen offenbaren, wird in das scheinbare Chaos des phänomenalen Reichtums sofort wieder Ordnung gebracht. Als graduelle Erscheinungen eines protrudierenden Naturprinzips stehen sie in unmittelbarer Abhängigkeit zum Schöpfergott, ja sie sind aus ihm als dem Grund allen Lebens hervorgewachsen. Selbst in den kleinsten oder schwächsten Formen kommt das biotische Vermögen der Natur wie der Kunst zum Tragen. Es wird parallelisiert mit einem gestuften ethischen Sein, dem wiederum eine sich steigernde Wahrnehmung des Betrachters entspricht: Möglichst vollkommene Formen sollen nicht nur möglichst perfekt nachgeahmt, sondern auch möglichst perfekt wahrgenommen werden. Averroës (1126–1198) hatte diejenige Seele die glücklichste genannt, die am vollkommensten empfange. Eine solche Abbildtheorie im Naturwie im Kunstreich umfasst alle Stufen des Seins, wenngleich sie in der Darstellung des anthropos (ἄνθρωπος) und seiner moralischen Handlungen gipfelt.314 Entsprechend äußert sich Willem Goeree (1635–1711) in seiner Inleyding tot de practijck der algemeene schilderkonst:

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rend er die Grundierungen für Blumensträuße und Waldstücke meist auf bräunlich-roter Grundierung aufbaute.« Leinkauf, »Implikationen des Begriffs natura naturans«, 117. Auf diese Weise wird die Brücke vom Allgemeinen zum Besonderen und weiter zum Individuum geschlagen, vgl. Rudolf Preimesberger, »Genus-Species-Individuum? Domenichinos Allegorien in S. Carlo ai Catinari«, in: Heilige und profane Bilder. Kunsthistorische Beiträge aus Anlass des 65. Geburtstags von Herwarth Röttgen, hg. v. Sabine Poeschel, Reinhard Steiner & Reinhard Wegner, Weimar 2001, 117–132. Siehe außerdem Averroës’ Kommentar zur Stelle 1448b10–25 in der aristotelischen Poetik (»Expositio poeticae seu Poetria Ibinrosdin«, in: Aristoteles Latinus, XXXIII (»De arte poetica«), 39–83. Zur Neurezeption der aristotelischen Poetik in der Renaissance siehe zuletzt: Brigitte Kappl, Die Poetik des Aristoteles in der Dichtungstheorie des Cinquecento, Göttingen 2006.

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»Damit wir nun zu dem jenigen, was allbereits gesagt ist/ noch etwas hinzuthun möchten, welches zu einer verständlichen Großachtung der Mahler-Kunst dienlich seyn könnte, so muß man mercken, daß dieselbe eine vollkommene Nachfolgerin der Natur ist, an welcher sie so schön angehefftet ist, daß sie voneinander nicht mögen abgetrennet werden. (…) Die Natur ist unerforschlich reich aller und jederley Arten Dinge herfür zu bringen, dessen wir ein Exempel haben an so viel tausend Menschen, Thieren und Gewächsen, welche ob sie schon einerley Geschlechtes seyn, gleichwol einander nicht eigentlich ähnlich sind; Hierin kann von der Kunst gesaget werden, dass sie dieselbe Vollkommenheit besitze, in dem sie im Nachfolgen so mancherley Formen und Gestalten, als sie will, herfür bringet.«315 Die Maler barocker Naturstücke wie Rachel Ruysch, Otto Marseus van Schrieck, Elias van den Broeck oder Abraham Mignon entwickelten aus solchen graduellen Strukturen ein pyramidales oder axiales Kompositionsschema. Erdkröte und ätherischer Schmetterling werden an die entgegengesesetzten Enden einer in Vielfalt und Reichtum kaum zu übertreffenden tela vitae gesetzt. Dazwischen lebt es sich auf alle möglichen Arten und Weisen. Das Schema wird vielfach variiert, und man darf nicht denken, dass sich ein solches Achsenprinzip lediglich als Stilmittel durchsetzte. Vielmehr verleiht es dem Genre seine selbstreflexive Verfasstheit. Folgende Indizien lassen sich dafür nennen: Erstens ist die hierarchisierende Achsenstruktur Teil der Bildikonographie. An ihr entlang als einer vitalen Achse, die vom Erdboden ausgeht und in den Luftraum reicht, entfalten sich Formenreichtum und Komplexität der vielen Lebewesen, die – zweitens – als species einer Gattung zugleich deren Bilder sind. Dabei tut sich – drittens – eine Parallele zwischen Natur- und Kunstsystem auf: Denn die Stilleben machen uns anschaulich vor, wie in jedem speziellen Sein sofort auch übergeordnete Strukturen aufscheinen beziehungsweise Realismus und Symbolismus ineinander übergehen können. Darin imitieren sie die Natur, die in ihrer unübersehbaren Mannigfaltigkeit zwar unerschöpflich Gattungs- und Artmuster variiert, aber im selben Moment auf dahinterstehende Gesetze verweist. Nehmen wir deshalb an, die vielen sottoboschi, Naturstücke und Stilleben des 17. Jahrhunderts sichern sich ihren Platz am unteren Ende der Hierarchie der Gattungen unter anderem aufgrund der ihnen zugrundeliegenden Gattungsfrage (d.i. des Bild- oder species-Werdens an sich). Nehmen wir weiterhin an, die graduellen Strukturen barocker Natur- und Kunstsysteme greifen derart ineinander und zielen auf eine gemeinsame Einheit, dass bald so etwas wie die eigen315

Willem Goeree, Anweisung zu der ›Practic‹ oder Handlung der Allgemeinen Mahlerkunst, Hamburg 1678, 24–25 (»Maar op dat wy tot het geene alreede gezeid is, noch yts mogten toevoegen, dat tot een verstandelijk grootachting van de Schilderkonst kan dienen, moetmen aanmerken datze een volstrekte navolgster is van de volmaakte natuur, aan welke sy soo seer is vast geschakeld, datze van den anderen niet mag gescheiden worden. […] De natuur is onnaspeurlijk rijk in menigerley van yder soort voort te brengen, waar van wy een Exempel hebben aan soo veel duisend Menschen, Dieren, en Gewassen: die, alhoewel sy van een geslachte zijn, echter malkander niet juist gelijkstatltig zijn: hier in kan de konst gezeid worden deselve volmaaktheid te besitten, voor so veel sy in ’t navolgen soo menigerley form als ze wil, voortbrengt«. Willem Goeree, Inleyding tot de practijck der algemeene schilderkonst, Amsterdam 1697 [1670], 20–21).

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ständige Existenz von »Natur« einerseits, von »Kunst« andererseits (als Substitute der göttlichen Schöpfung) angedacht werden kann. Wiegesagt erst angedacht, denn im 17. Jahrhundert wird sie bis zuletzt als Derivat, und nicht als Ersatz einer solchen göttlichen Produktivkraft verstanden. Es würde bedeuten, dass sich zwar Profanierungen innerhalb der tela vitae anbahnen, aber dass sie weiterhin von einem metaphysischen Überbau aufgefangen sind. Die Einzelbeobachtungen nehmen zu, aber sie werden schlussendlich in ein Gesamtbild zurückgeführt. Ebenso ist die religiöse Thematik von Tod und Auferstehung, die die frühen Stilleben bestimmte, bei weitem nicht aufgegeben, sondern allenfalls stärker mit biologischen Prokreationsfragen und der Vorstellung einer Stufenleiter des Lebens durchmischt worden. Gleiches lässt sich von der Abhängigkeit naturwissenschaftlicher Entwürfe zum christlichen Weltbild sagen, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter anderem in einer barocken Physikotheologie mündeten.

SCHÖPFEN AUS DER TIEFE Auf der Ebene der Naturtheorie findet sich die Wiederholungsstruktur mimetischer Aneignung alleine schon in der reflexiven Verfasstheit der Materie selbst. Deren Fortpflanzungskraft setzt ein mit Ähnlichkeiten operierendes Verfahren in Gang, das der natürlichen Welt des Werdens und Vergehens eine stabile Welt des Seins gegenüberstellt, und zwar schlichtweg, indem sie Formen an anderer Stelle und zu anderen Zeiten wiederholt. Indem immer wieder dieselben Formen auftauchen (denn auch diesen Begriff kann man wörtlich nehmen), kommt man zum Schluss, es handele sich dabei lediglich um eine Verschiebung desselben formalen Prinzips, quasi um dessen ständige Aktualisierung oder Re-Präsentation. Das mimetische Vermögen durchzieht als vertikale Axis alle Schichten der Seinspyramide. Um es aber fassen zu können, sucht man nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller Organismen, über den jede Seinsform verfügt. Im Fall der aristotelischen Lehre und ihrer frühneuzeitlichen Nachfolge ist es das alles durchwaltende Prinzip der biotischen Nähr- und Zeugungskraft (zoe) – sie hatte Aristoteles mit mimesis gleichgesetzt.316 Alle Gattungs- und Artenbegriffe entstehen aufgrund der Formstabilität von Lebewesen über Generationen hinweg; das heißt alleine aufgrund des mimetischen Verhaltens der Natur. Einem weitverzweigten Baum ähnlich, der sich regelmäßig verjüngt, bringt sie auf jeder Stufe sich gleichende Geschöpfe und als Krone der Schöpfung den Menschen hervor. Am unteren Ende, im Wurzelbereich, genügt sich die primitive Kraft darin, Formen zu reproduzieren und am Leben zu erhalten, am obersten agiert der Mensch im öffentlichen Raum.317 Entscheidend für die Einordnung des Menschen in die ontologische Hierarchie ist 316

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Man muss die entsprechende Stelle aus De generatione animalium daraufhin noch einmal genauer lesen: »Die Nährkraft findet sich nämlich in allem, ob Pflanze oder Tier, und zwar als die Kraft, etwas sich selber Gleiches hervorzubringen (Assimilationskraft, mimesis). Darauf läuft ja schließlich alle natürliche Entwicklung hinaus bei Tier und Pflanze (…). Erzeuger ist ein gleichnamiges Wesen, z. B. ein Mensch für einen Menschen (…)«. Aristoteles, G. A. 735 a 25–28. Aristoteles unterscheidet vom politisch-aktiven (βίος πολιτικός, bios politikos) und philosophisch-kontemplativen (βίος θεωρητικός, bios theoretikos) vor allem das dem Vergnügen gewid-

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also der Grad seiner Beteiligung an den Lebensvermögen, die sich von biologischen zu sozialen und politischen steigern. – Denn was ist der Mensch, worin besteht sein »Eigentliches«? Am Anfang seiner Politik beispielsweise hatte Aristoteles deutlich zwischen einem reproduktiven, hauptsächlich der Fortpflanzung und Erhaltung des Lebens gewidmeten und einem politisch qualifizierten Sein unterschieden. In seiner Nikomachischen Ethik schreibt er dann: »Hat [der] Mensch keine Aufgabe? (…) Was wäre diese eigentlich? Das [nackte] Leben hat er nämlich auch mit den Pflanzen gemein, wie es scheint, wir suchen aber etwas ihm Eigenes. Daher ist von der Nähr- und Wachstumskraft abzusehen. Das nächste wäre eine Wahrnehmungskraft, die er aber auch ersichtlich mit Pferd, Rind und jedem Tier gemein hat. Es bleibt nur die Betätigung des vernünftigen Seelentums. (…) Dann sehen wir als Aufgabe des Menschen eine gewisse Lebensgestaltung, und zwar die Betätigung seiner Seele und Handlungen aus Vernunft, als Aufgabe des edlen Menschen.«318 Dieselbe Dreiteilung der Seelenvermögen, entsprechend der kosmisch-biologischen Stufenleiter Pflanze – Tier – Mensch, findet sich auch in der stoischen Naturlehre und Ethik, nur dass sie hier mit einer Pneuma-Theorie verbunden wurde. Ihr zufolge sind Pflanzen und Tiere allein um des Menschen willen geschaffen, d. h. ihre Entwicklung, ihr Keimen, Wachsen und Gedeihen dienen der Entfaltung des Logos im Menschen. Eine solche stoische Verschränkung von Natur- und Lebensordnung, die sich in den auf den Logos bzw. die Götter ausgerichteten Stufen spiegelt, ist uns u. a. durch Ciceros Werk De natura deorum von Poseidonios überliefert319: »Wenn wir von den ersten und unvollkommenen Wesen zu den letzten und vollkommenen fortschreiten, so gelangen wir notwendigerweise zum Wesen der Gottheit. Zunächst zeigt sich, dass die Pflanzen der Erde von der Natur erhalten werden, sie bewahrt sie ausschließlich durch Nahrung und Wachstum. Den Tieren hingegen hat sie auch Sinne und die Fähigkeit gegeben, sich zu bewegen und außerdem die Triebe, um das Leben zu erhalten und das, was es gefährdet, abzuwehren. Den Menschen hat sie zusätzlich noch mit Vernunft ausgestattet, damit diese die Begierden leitet, ihnen einmal nachgibt und ein anderes Mal Schranken setzt.«320 Die Vorstellung einer Hierarchie der Lebensformen geht in die Kunsttheorie ein. Im Kapitel »Vervolg van de drie graeden in de Schilderkonst« beispielsweise nennt Samuel van

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mete Leben (βίος ἀπολαυστικός, bios apolaustikos). Aristoteles, Nik. Eth. 95 a 33: »Drei Lebensformen nämlich fallen am meisten auf, die eben genannte (= bios apolaustikos), die des Staatsmannes und als dritte des Denkers. Die meisten entscheiden sich als Knechtsseelen ganz offen für die Lebensform des lieben Viehs (…). Die Vernünftigen und die Tatmenschen aber suchen die Ehre.« Aristoteles, Eth. Nik. 98 a 1–20. Kursivsetzung K.L. Ingensiep, Pflanzenseele, 87. Poseidonios, nach Cicero, De nat. deor., 2,23ff.

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SCHÖPFEN AUS DER TIEFE

Hoogstraten die vegetative Wachstumskraft eine »grünende« (»groeijende«) Kraft und vergleicht sie mit der »gevoelijke en beroerende« der Tiere sowie der »denkende of redelijke« Fähigkeit des Menschen. Er unterscheidet also ganz in aristotelischem Sinne das Nährvermögen (threptike psyche) der Pflanzen vom Sinnesvermögen (aisthetike psyche) der Tiere und dem Vernunftvermögen (noetike psyche) der Menschen, um diese Unterscheidung in einem nächsten Schritt auf die Gattungshierarchie der Malerei zu übertragen. Demnach existieren auch innerhalb der Kunstproduktion drei unterschiedliche Stufen oder »Vermögen«. Der Kunstkenner muss sie ihrem graduellen Wert entsprechend einordnen und einschätzen können: »Und so sollen die Kunstliebhaber (…) verstehen, dass Gemälde, so kunstvoll und naturgetreu sie auch ausgeführt sein mögen, von unterschiedlichem Wert sind: Und dass man sie nach dem Rang, den sie auf der ersten, zweiten oder dritten Stufe einnehmen, beurteilen soll (…): Die Philosophen, die von der Seele schreiben, sagen dass diese aus dreierlei Vermögen bestehe, und dass man dreierlei Stufen ihrer Wirkkraft bemerken kann: das erste Vermögen bezeichnen sie als das grünende [=vegetative], und dieses soll die Ursache für den Wachstum aller Kräuter, Pflanzen, Bäume, Mineralien sein, d. h. von allen wachsenden, aber gefühllosen Dingen. Das zweite nennen sie das empfindende oder berührende Vermögen, und es ist allerlei lebendigen Tieren, Fischen, Vögeln und auch den Menschen eigen. Das dritte Vermögen ist das denkende, urteilende oder vernünftige, und mit diesem sollen [allein] die Menschen begabt sein.«321 321

»Al hoewel de liefhebbers, door het leezen van dit voorgaende Hooftdeel, genoegzaem verstaen zullen, dat de konststukken, hoe aerdig en natuerlijk uitgevoert, van verschillende waerde zijn: En datmenze nae de rang, die zy in de eerste, tweede, of derde trap hebben, behoort te achten: zoo zal ’t ons echter niet verdrieten deeze zaek noch eens van nieuws aen op te neemen: op dat de konstkenners de stukken, die hen voorkomen, nae waerde moogen schatten. De Philosophen, van de zielen handelende, zeggen datze of van driederley natueren zijn, of datmen ’er driederley graeden van werkingen af bespeurt: d’ eerste noemen zy de groeijende, en deeze zoude de oorzaeke van wasdom in alle kruiden, planten, boomen, mijnstoffen, en dergelijke toeneemende, doch ongevoelijke dingen zijn. De tweede noemen zy de gevoelijke en beroerende, en deeze eygenen zy allerley slach van levendige dieren, visschen, voogelen en de menschen toe. De derde noemen zy de denkende, de Reedewikkende, of de Reedelijke, en met deeze zouden alle menschen begaeft zijn.« Van Hoogstraten, Inleyding, 85, Kursivsetzung K. L. Der anschließende Absatz lautet wie folgt: »Nu, dit in de natuer zoo zijnde, want in ernst van onzichtbaere dingen te handelen spaeren wy voor onze Onzichtbaere Werelt, zoo zien wy, dat deeze driederley soorten van leevens, de dingen, die zy bezitten, of min of meerder verheerlijken. Wy zien de kruiden, bloemen, Edele gesteenten, en wat’er meerder zonder beweegen groeyt, met groote verwondering aen; maer hoe veel wonderlijker is ’t, het gevoogelte, dat door een gelijke kragt van de groeijende ziele zoo schoon met pluimen en veederen bekleet is, zich daer en boven te zien beweegen, en d’aerde verlaetende, door de dunne lucht heen te vliegen. Het ooge van de geringste kat verdooft al ’t geschitter van de dierbaerste Diamant of Karbonkel; en met een woort gezegt, zoo is ’t gedierte, dat zig beweegt en gevoelt, zoo veel heerlijker, en uit muntender dan eenig ongevoelijk schepsel, als het leeven uitmuntender en lofwaerdiger is, dan de doodt. Geen minder verschil van waerdigheyt is ’er tusschen deeze simpel leevende en gevoelende werking in de dieren, en de Reedewikkende uitvoering van den mensch. Want die de Historyen der dieren beschrijven zeggen, dat zy, yder nae haeren aert, dus of zoo doen: dat is, zy volgen haer natuer; min noch meer als een uurwerk, dat geen andere

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Die barocke Gattungstheorie der Bildenden Künste wiederholt die naturhistorische Stufenleiter, um sie in eine kulturhistorische zu verwandeln, deshalb muss die höchste Kunstform der Malerei notwendig einen (handelnden und vernünftigen) Menschen hervorbringen.322 Sie argumentiert hierarchisch nach Belebtheit oder Beseeltheit. So hatte der Kunsthändler Piermattei beispielsweise, nachdem Gian Carlo de’ Medici den Stillebenmaler Willem van Aelst mit Empfehlungen nach Rom geschickt hatte, nicht einfach gesagt,

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drift heeft, dan die de veeder aen ’t raederwerk meededeelt. Maer wie zouw al de veranderlijke werkingen, die van de menschen, door ’t zoo zeer verschillende reedewikken, bedreeven worden, kunnen optellen, of in zijn verstand begrijpen? Wat vangt de wil niet al aen? En wat voert de Fortuin niet al uit? En om hier ook met een woord af te komen, zoo zeg ik: dat de doeningen der menschen, die door ’t Reedewikken en de wil bedreeven worden, zoo veel van de bedrijven der andere dieren, die alleen met de roerende en beweegende ziele begaeft zijn, verschillen, als’er verschil is tusschen een Arend, die van een hoogen tooren, daer hy zich wat gerust heeft, daer heene vliegt, en een steenken, dat hy met zijn klaeuwen van booven afstoot: want schoon dit steenken langs de daeken steuitende, al eenige kromme sprongen maekt, het daelt en volgt zijn gezette streeken, terwijl den vogel, nae ’t schijnt, de vier oorden des werelts tot zijn wil en open heeft. Maer waer toe, vraegt gy, dient deeze wijtweydentheyt? Ik zal ’t u zeggen. Als gy dan met my verstaet, dat’er zoodanige graeden van waerdigheyt en Edelheyt in de voorwerpen der natuere zijn; en daer by, dat’er zoo veel meerder kennis en konst tot het uitbeelden van een leevendig dier, als tot iet onberoerlijx vereyscht wort: dat de konst haer uiterste kracht van nooden heeft in de bedrijven der menschen, en dat de Schilderyen in waerde moeten gehouden worden nae de konst, die daer insteekt: Zoo zult gy met my ook zeer lichtelijk de Schilderyen kunnen schiften, en zeggen, dit stuk behoort tot de eerste, ’t ander tot de tweede, en dat tot de derde trap. Gy zult ook gewaer worden, hoe ver dat zy in dien graed, daer zy in zijn, malkander overtreffen, en zelfs, hoe somtijts eenige van d’eerste trap, andere van de tweede en derde trap in waerde te booven gaen. Want in yder graed ofte trap is noch menigerley rang, daermen de konstige werken nae haere verdiensten in stellen moet. Echter staet dit vast, dat hoe overaerdig eenige bloemen, vruchten, of andere stillevens, gelijk wy ’t noemen, geschildert zijn, deeze Schilderyen evenwel niet hooger, als in den eersten graed der konstwerken moogen gestelt worden; al waerenze zelfs van de Heem, Pater Zegers, jae Zeuxis en Parrasius, tot bedriegens toe uitgevoert. Tot den tweeden graed behooren alle kodderyen, bambootserytjes, Brouwers poetsen, hedendaegse speeltjes, molenaers kroegjes, Ludius landschappen, en Pyreykus Ezeltjes. Hoewel wy daerom niet toestaen, dat alle kladderyen, door ’t verbeelden van gemelde voorwerpen, tot deeze graeden behooren. Want wy verwerpen al wat onkonstig is, en keuren af, al wat geen rang onder goede dingen kan houden: Anders zoude den derden en hoogsten graed der konst wel den alderverachtsten zijn; want men ziet overal dozijn werk van doorluchtige Historyen. De Schilderyen dan, die tot den derden en hoogsten graed behooren, zijn die de edelste beweegingen en willen der Reedewikkende schepselen den menschen vertoonen«. Van Hoogstraten, Inleyding, 85–87. Zu Van Hoogstratens Referenzen zur aristotelischen Poetik und Naturphilosophie siehe Hans-Jörg Czech, Im Geleit der Musen. Studien zu Samuel van Hoogstratens Malereitraktat ›Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst: Anders de Zichtbaere Werelt‹ (Rotterdam 1678), Münster 2002, z. B. 251; Celeste Brusati, Artifice and Illusion. The Art and Writing of Samuel van Hoogstraten, Chicago u. a. 1995; Weststeijn, Visible World. Vgl. Eberhard König & Christiane Schön (Hg.), Stilleben, Berlin 1996, 55 (»Das Stilleben im akademischen Gattungsgefüge«): »Das zugrundeliegende Werteschema entstammt neoplatonischem Gedankengut, das die Erscheinungen der Welt je nach dem Grade ihrer Beseelung, ihres Atmens, ihres Lebens gewichtet. Die von ihren Bildgegenständen bestimmte Rangordnung der Maler wird am klarsten bei Félibien fassbar. (…) Innerhalb der niederen Sujets sorgen platonische Kriterien für Feinsortierung: An anderer Stelle schreibt Félibien, jener, der lebende Tiere darstelle, sei schätzenswerter als der, der nur tote und unbewegliche Dinge malt.« Ebd.: »Schneider (…) weist darauf hin, dass die Rangordnung der Bildgegenstände einem philosophischen Schema des Mittelalters, dem ›Porphyrischen Baum‹, entspricht, ›wonach sich die Wirklichkeit als bloß Unkörperliches

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Willem solle sich den Historien widmen, sondern den generelleren Rat gegeben, er solle sich »le cose che si muovono« zuwenden.323 Van Hoogstraten wiederum hatte die Doktrin der Gattungshierarchie in die niederländische Kunsttheorie eingeführt. In seiner Inleyding schreibt er, dass kein Blumen- oder Früchtestück, und sei es von Jan Davidsz. de Heem oder Daniel Seghers (vor 1590–1661), ja selbst von Zeuxis oder Parrhasios gemalt, die niedrigste Stufe der Malkunst überschreiten könne: Stilleben würden auf der Stufe vegetabiler Fortpflanzungskraft verharren, wobei das Vermögen, Ähnliches hervorzubringen, in einer möglichst überzeugenden Augentäuschung resultiere: »Echter staet dit vast, dat hoe overaerdig eenige bloemen, vruchten, of andere stillevens, gelijk wy ’t noemen, geschildert zijn, deeze Schilderyen evenwel niet hooger, als in den eersten graed der konstwerken moogen gestelt worden; al waerenze zelfs van de Heem, Pater Zegers, jae Zeuxis en Parrasius, tot bedriegens toe uitgevoert.«324 Als zweite Stufe der Malerei folgten die Drollerien der Bamboccianten, belebte Landschaften und Tierdarstellungen sowie alles, das über eine (animalische) Bewegungsfähigkeit verfüge. Nobelste Aufgabe aber des Malers wäre die Darstellung menschlicher (vernünftiger beziehungsweise moralischer) Handlungen.325 Auch André Félibiens (1619–1695) in den Entretiens vorgestellte Gattungshierarchie gehört in diesen Zusammenhang, ihr zufolge bilden die Allegorie die oberste, Stilleben und Niederwelt dagegen die unterste Stufe der Gattungshierarchie. Bei Félibien zielt die Steigerung aber nicht nur auf eine zunehmende Verlebendigung des Bildes oder auf eine moralische Adelung der Motive, vielmehr soll sie in einer allegorischen Sprechsituation münden. Die Allegorie stellt für ihn die finale Kunstform dar, weil sie eine Verschleierung des eigentlich Darzustellenden – und damit einen Wechsel vom Realen ins Ideale – einleitet. »Da es in der Kunst unterschiedlich Arbeitende gibt, die sich unterschiedlichen Sujets zuwenden, so bleibt es dabei, dass in dem Maße, in dem sie sich mit den

323 324 325

oder Körperliches über das Belebte, Beseelte bis hinauf zum Menschen als Krone der Schöpfung, der eine unsterbliche Seele besitze, aufbaut.‹« Das Zitat im Zitat: Norbert Schneider, Stilleben, Realität und Symbolik der Dinge. Die Stillebenmalerei der frühen Neuzeit, Köln 1989, 8. Vgl. Paul, Beschildert met een Glans, 67 und 71. Van Hoogstraten, Inleyding, 87. Vgl. Van Hoogstraten, Inleyding, 87; Paul Taylor, Dutch Flower Painting, New Haven 1995 (»The Flower Piece and Dutch Art Theory«), 79. Siehe dazu Van Hoogstraten, Inleyding, 75 (»Derde hooftdeel. Van de dryderley graden der konst«): »Het eerste gilde komt met Lippus hervonde vond van grotissen te voorschijn, of met zwierige festons, vlecht bloemkranssen, en stelt veelverwige ruikers in potten en vazen; en Wijntrossen en schoone Pers en Abrikoos, of Meloen en Citroen, en een helderen Wijnroomer op een zwangeren Dis; met witte en geverfde Papeljoentjes, Roomsche Haegdis, en Kalabrische Tarantel, of Muyzijkboek en Vanitas in der eeuwicheit. Of zy bestellen keukens met allerley kost, van Vlees en Visch, en bekoorlijk Wiltbraet, en al wat onder den naem van stil leven begreepen is. Zoo draegt een boomgaert allerley vruchten, en zoo wort de konst in alle deelen rijp. Elke goede boom draegt zoodanich fruit, als hem eygen, of in hem geint is. En aller dingen eygenschappen worden zoo best doorsnuffelt [!]. Maer deze Konstenaers moeten weten dat zy maer gemeene Soldaeten in het veltleger van de konst zijn.« Vgl. aber auch Weststeijn, Visible World, 89: »Successful imitation apparently transcends the hierarchy of the genera: Van Hoogstraten believes it is better to shine in one of the lower ›degrees‹ than to be a mediocre history painter.«

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schwierigsten und vornehmsten Dingen beschäftigen, sie von dem Niedrigeren und Allgemeineren aufsteigen und sich durch eine erlauchtere Arbeit adeln. So steht jener, der in vollkommener Weise Landschaften malt, über jenem, der nur Früchte, Blumen oder leere Schalengehäuse malt. Jener, der lebende Tiere malt, wird mehr geschätzt als jene, die nur tote und bewegungslose Dinge darstellen. Und da die menschliche Gestalt auf Erden das vollkommenste Werk Gottes ist, so ist auch mit Gewissheit jener, der sich zum Nachahmer Gottes macht, indem er menschliche Figuren malt, bei weitem hervorragender als alle anderen. Obgleich es jedoch keine geringe Sache ist, die Gestalt eines Menschen gleichsam lebendig erscheinen zu lassen und ihr den Anschein von Bewegung zu geben, die sie nicht hat, so hat doch ein Maler, der nur Portraits malt, noch nicht die hohe Vollkommenheit der Kunst erreicht und kann nicht die Ehre beanspruchen, die den gelehrtesten unter ihnen zukommt. Dafür ist es notwendig, von der Einzelfigur zur Darstellung von Gruppen überzugehen; man muss – wie die Historiker – die Historie und die Fabel und große Taten behandeln oder – wie die Dichter – angenehme Sujets darstellen. Um noch höher aufzusteigen, muss man in allegorischen Darstellungen die Tugenden großer Männer und die erhabensten Geheimnisse unter dem Schleier der Fabel zu verhüllen wissen.«326 Innerhalb der frühneuzeitlichen Kunsttheorie besaßen vor der Etablierung einer solchen Klassifizierung zwei andere Aufteilungssysteme Gültigkeit: »Das eine richtete sich nach den Gegenständen und trennte (…) Figürliches und Nicht-Figürliches; das andere aber unterschied künstlerische Verfahren je nach Anteil von Imitatio oder Inventio.«327 Für das Stilleben galt: »Das spätere Stilleben sollte die Schnittmenge besetzen, die entsteht, wenn man die Malerei nach beiden Mustern teilt; denn für diese Gattung bleibt das untere Ende (…) im Nicht-Figürlichen unter Voraussetzung von Imitatio.«328 Es ist interessant zu verfolgen, auf welche Weise diese Begriffe im 17. Jahrhundert verhandelt wurden: Dem Stilleben, das man auf der untersten Stufenleiter ansiedelte, wird keine eigene Innovations- und keine Urteilskraft, sondern lediglich eine mechanische oder automatische Abbildungsqualität zugeschrieben. Das ist insofern logisch, als die Gegenstände einer nature morte eben nicht belebt sind, also auch der naturhistorischen Bewertungsskala nach gering ausfallen, 326

327 328

André Félibien, Entretiens sur les vies et sur les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes avec les vies des architectes, Paris 1725, V, 311–312. Deutsche Übersetzung nach Jutta Held: Französische Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts und der absolutistische Staat, Berlin 2001, 250–251. König & Schön, Stilleben, 50. Ebd. Vgl. Taylor, Flower Painting, 83: »The concept of ideal art affected flower painting in two opposing ways. First, flower painting, like the other minor genres, was considered inferior because it was painted nae ‘t leven, from the life, or from the motif, without idealising its subject matter. It was too easy, being a mere mechanical reproduction of appearances, devoid of the judgment, taste, and dramatic sense needed for history painting, it rendered inanimate objects, which lacked the soul necessary to partake of Divinity; and it painted things as they were, without idealising them. Conversely, the second way that the notion of ideal art affected the floreal still life was that some flower painters apparently did try to idealize their motifs (…).«

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SCHÖPFEN AUS DER TIEFE

und deshalb keiner innovativen Darstellungsform folgen. In Stilleben ist wenig Leben und Bewegung, häufig genug aber geht es in ihnen um die generische Hervorbringung derselben, also den Beginn/Übergang von Leben und Bewegung. Die barocke Gattungshierarchie nimmt auf die älteren Aufteilungssysteme Rücksicht, wenn sie deren Kriterien koppelt und aus dem Stilleben eine betont bodenständige Gattung macht. Als Definition setzt sich durch, dass ein Stilleben Nicht-Figürliches imitiert. Alle Interpretationen der Kunstgeschichte, es als Gleichnis der Vergänglichkeit der irdischen Welt zu verstehen, sind sogesehen gerechtfertigt. Denn das Stilleben ist ein bodenschweres Genre, es verbleibt im Materiellen und Partikulären, das ist seine Aufgabe. Aber die Materie zeichnet sich durch eine bestimmte Qualität aus: Sie ist reflexiv verfasst, so dass sie Formen reproduzieren kann. Die Fähigkeit, Formen nachahmen und wiederspiegeln zu können, ist primitiv, aber sie ist zugleich die Voraussetzung jedes Symbolsystems menschlicher Kommunikation. Sie ist der Motor der Herausarbeitung einer zweiten Wirklichkeit. Das Stilleben thematisiert demnach das Vermögen von Natur und Kunst, Ähnlichkeiten zu erzeugen. Im Grunde ist das ein bescheidener Ausgangspunkt für die Entstehung einer ganzen Kunstgattung. Umso interessanter erscheint die Tatsache, dass es im Laufe seiner Entwicklung eine steile Karriere erfuhr und zum »Testfall für die Möglichkeit von Autonomie innerhalb des künstlerischen Schaffens«329 avancierte. Eine Erklärung dafür bietet aber gerade die vom Genre offerierte Chance, die beiden bildenden Verfahren von Natur und Kunst mit Hilfe des Mimesisbegriffs zu parallelisieren und, wenn man so will, das biotische Potential im Kunstwerk herauszukehren. Sein erklärtes Ziel, Formen fortzupflanzen und zu reduplizieren, erscheint nicht zuletzt als Dienst an der Naturschöpfung. Im Stilleben wiederholt der Künstler nämlich gar nicht so sehr die äußeren Gegenstände der Natur, sondern das repetierende Prinzip der Natur selbst. Sein Thema ist die Darstellung der Produktivkraft, der Poiesis. Dies wäre ein mögliches Fazit einer Diskussion des Bildes als species. Natur- und Kunsttheorie kommen ohne das Prinzip der Formwiederholung nicht aus. Zugleich wird das innovative Vermögen in Frage gestellt, denn wie kann etwas Neues entstehen, wenn sich die Dinge nur wiederholen? Indem man mimesis jedoch als etwas versteht, das nicht einfach nur kopiert, sondern nachahmt; nicht abbildet, sondern ausdrückt; nicht spiegelt, sondern reproduziert – mimesis als ein Bildwerden, im Prozess begriffen –, wird die Potentialität des Bildfelds in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Etwas Neues kann es dann vielleicht immer noch nicht geben, stets jedoch etwas mögliches Anderes. Ein dynamisches Bildkonzept ist auf Varietät ausgerichtet, und die vielfältig protrudierenden Formen beziehen sich zuletzt mehr über innere Strukturähnlichkeiten aufeinander als über äußere Gestaltähnlichkeit. Nun ist es so, dass jener dynamische, nach außen hin gewendete Bezug zur Welt, der sich eben nicht nur passiv abbildend, sondern gestaltend und transformierend äußert, bereits dazu dienen kann, den realistischen Blick auf die Stilleben zu dekonstruieren. Demnach sollte der Mythos vom spiegelnden Abbild der Natur, das der niederländischen 329

König & Schön, Stilleben, 50.

| vgl. 1

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Kunst attestiert wird, relativiert werden: Zum einen aufgrund der dynamischen Ausdrucksfähigkeit der sich permanent verwirklichenden Kunstformen, zum anderen aber auch aus ähnlichen Gründen, aus denen sich die natural scientists in jenen Jahren nicht einfach nur stracks in die Empirie begeben haben. Deren Erkenntnisse vollziehen sich in Abarbeitung an den visuellen und literarischen Topoi beziehungsweise in bewusstem Umgang und Eingliederung derselben, und Kunst und Naturwissenschaft ergänzen sich in diesen Belangen nicht nur, sondern konkurrieren miteinander oder vertreten verschiedene Wirklichkeitsansprüche. Im Bildfeld treten die Naturformen nur insofern auf, als andere Formen nicht-realisiert und damit unsichtbar bleiben; also handelt es sich beim Malakt keineswegs nur um eine Bestätigung des bereits Vorhandenen, sondern um einen partizipativen und selektiven Vorgang. Auch muss die Herausbildung wissenschaftlich-künstlerischer Netzwerke, die Kontextgeschichte der Entstehung des »empirischen« Bildes, seine stete Heteroglossie beachtet werden. Davon soll noch einmal abschließend das nächste Kapitel handeln.

WISSENSNETZWERKE Es ist beispielsweise eine Reduktion, Elias van den Broecks Sottobosco mit Kakteen, Eidechsen, Insekten und Agaven, das im Grunde gar keines ist, sondern eher an ein Vivarium oder eine künstlich angelegte Felslandschaft erinnert, lediglich unter dem Topos der Naturnachahmung zu betrachten. Es gäbe viel mehr zu besprechen. Das Bild wäre beispielsweise ohne den Kontext des barocken Sammlungswesens und Interesses am Exotischen nicht denkbar, auch gibt es in Haltung und Inszenierung der beiden sich rivalisierenden Tiere ironisierende Anspielungen an die Historienmalerei, auf die ich gesondert eingehen möchte. Zudem – und momentan geht es mir vor allem darum – hat Van den Broeck anders als Otto Marseus, der mehr und mehr nach lebenden Vorbildern arbeitete, nicht ad vivum gemalt, sondern schlecht konservierte oder getrocknete Echsen der Spezies Lacerta bilineata oder Lacerta viridis vor sich gehabt.330 Solche Beobachtungen relativieren den vermeintlich

330

»Deren Haltung ist keineswegs natürlich, die Hinterbeinstellung beim unteren Tier sogar unmöglich; auch sind die Schwänze viel zu kurz. Der Lebensraum – ein trockener, felsiger Hang – ist zwar richtig wiedergegeben, aber mit exotischen Pflanzen versetzt: Oben kann man eine Opuntia aus Amerika erkennen, die großen Rosetten rechts sind ebenfalls in Amerika beheimatete Agaven, die kleineren vorne links ein mediterraner Hauswurz (Sempervivum). Beim Käfer handelt es sich um ein Pärchen des europäischen Nashornkäfers (Oryctes nasicornis), die zwar fliegen können, es aber nicht häufig tun und das Gemälde auf diese Weise gestellt erscheinen lassen. Die in Südeuropa zu findende Schnirkelschnecke (Cepaea) ist gut getroffen, wenngleich hinten etwas zu kurz geraten.« Für die zoologische und botanische Bestimmung danke ich Michael Frantzen, Zoologische Staatssammlung München. Zum Gebrauch getrockneter Insekten für den Zeichenunterricht siehe z. B. Henry Peacham, The Art of Drawing with the Pen, and Limming in Water Colours, London 1607, 43 (»Flowers, Flies«): »For Butterflies, Bees, Wasps, Grashoppers, and the like, some are more easie to be Drawn than others, and also not hard to be Coloured; but for these and Flowers, I would advise you in time of year, to get as many several sorts of them as you can, which you may preserve in Boxes (if kept from Air) a long time. But do not keep them too hot, as near the Fire, for that will dry them too

| vgl. 34

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57 | Elias van den Broeck, Stilleben mit Distel und Schmetterlingen, mit Leerstellen anstelle der

aufgeklebten Schmetterlingsflügel, ca. 1690, Öl auf Leinwand, Standort unbekannt.

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empirischen Gehalt der andererseits bestechend klar gemalten Bilder. Während Otto Marseus seine Tiere im Vivarium hielt, hatte Elias van den Broeck, obwohl oder gerade weil sich das Genre auf dem Kunstmarkt zu etablieren begann, sie nicht mehr naer het leven beobachtet. Über Van den Broeck wissen wir weiterhin nicht viel. Houbraken berichtet, dass er einer der besten Schüler Ernst Stuvens (ca. 1657–1712) gewesen sei (was im Sinne einer Chronologie unwahrscheinlich ist) und trotzdem »das Glück nur von hinten gesehen habe«331. Weyerman fügt dem hinzu, dass er »beter wist te schilderen als te leeven«332, weil er sich, einer hoffärtigen Laune folgend, mit seinem Mäzen überworfen und dadurch runiert habe. Van den Broeck war in Antwerpen geboren, aber mit seinen Eltern bereits in jungen Jahren nach Amsterdam gezogen, wo er um 1665 zunächst als Goldschmied ausgebildet wurde. Bis 1669 lernte er dann unter dem Stillebenmaler Cornelis Kick (ca. 1631– 1681) und wechselte als Assistent in die Utrechter Werkstatt Jan Davidsz. de Heems. Es ist wahrscheinlich, dass er 1672 De Heem nach Antwerpen folgte; zumindest ist ein Jahr später seine Mitgliedschaft in der dortigen Gilde belegt.333 In diesen Jahren etablierte er sich sowohl als Blumenmaler wie Maler von Waldbodenstilleben mit Schlangen und Eidechsen in der Manier Otto Marseus van Schriecks. Auch die Technik des Schmetterlingsabdrucks hatte er in sein Repertoire aufgenommen. Von Weyerman wissen wir, dass er angeblich deshalb die Stadt verlassen musste, das heißt weil er mit seinen Schmetterlingsabdrücken für Irritation sorgte – ein Maler habe die Natur in Kunst zu überführen und nicht einfach zu präsentieren. In seiner Lebensbeschreibung niederländischer Maler und Malerinnen berichtet er 1729, die »samtbehosten Signeurs« Antwerpens hätten Elias van den Broeck nach Amsterdam verscheucht. »Die verschnupften Hänschen« hätten nicht erwogen, mokiert sich Weyerman, »dass die geklebten Falterchen schöner und natürlicher sind als gemalte, weil sie nicht nur ihre ganze Zeichnung behalten, sondern auch länger als die gemalten bestehen.«334 1685 kehrte er deshalb nach Amsterdam zurück, wo er sich »buiten de

331

332 333

334

much, and also will take away the true Colour from them; also do not Touch them too much, nor lay one upon another, for that also spoils them.« Houbraken, Schouburgh, III, 378 (»een man […], die de fortuin maar van agteren gezien heeft«). Vgl. entsprechend die Biographie von Ernst Stuven (ebd., III, 371–378) – Houbraken zufolge war Stuven 1675 18-jährig aus Hamburg nach Holland gekommen, wo er bei Johannes Voorhout, Willem van Aelst und Abraham Mignon arbeitete. Während seiner Lehrzeit bei Van Aelst war er Mitschüler von Rachel Ruysch. Weyerman berichtet ausführlich vom »roekeloozen« Charakter Stuvens, der sich vor allem einen Ruf als »raazenden Konstschilder« machte, Amsterdam deshalb verlassen musste und die letzten Jahre seines »verachtelijk leeven« in Rotterdam verbrachte. Weyerman, Levens-beschryvingen, III, 204–211. Ebd., 211. »Der Lehrvertrag zwischen Cornelis Kick und dem Vater des minderjährigen Elias van den Broeck wurde bei einem Amsterdamer Notar abgeschlossen und ist heute noch erhalten. In diesem Vertrag wurde festgeschrieben, dass Elias für vier Jahre bei seinem Meister lernen und leben sollte, während der Vater jährlich 140 Gulden Lehrgeld und nach Beendigung der Lehrzeit nochmals 100 Gulden zu bezahlen hatte«. Gemar-Koeltzsch, Holländische Stillebenmaler, II, 201. Weyerman, Levens-beschryvingen, III, 211–212. Der gesamte Absatz lautet: »Elias van den Broek. Was een Sinjoor geboortig van Antwerpen, die beter wist te schilderen als te leeven. Zijn stijl bestont in het schilderen van Bloemen, Kruyden, Hagedissen, Slangen en diergelijke voor-

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Amsterdamse Utrechtse poort op’t Molepad« niederließ, einen Bloemhof, d. h. eine Gärtnerei bewirtschaftete und 1711 starb. Auch sein Lehrer Cornelis Kick, der als Portrait- und Stillebenmaler erfolgreich war und neben Van den Broeck den Blumenmaler Jacob van Walscapelle (1644–1727) ausbildete, hatte übrigens eine Gärtnerei besessen. Diese verlagerte er in späteren Jahren ans Diemer Meer und damit in direkte Nachbarschaft zu Otto Marseus’ Waterryck. Um die Verbindungen enger zu ziehen: Während des 17. Jahrhunderts hatte sich ein enges Netzwerk zwischen Stillebenmalern in Utrecht, Antwerpen, Amsterdam, Delft, and Frankfurt ausgebildet. Die Utrechter Schule war immer schon besonders erfolgreich gewesen, vor allem der Kreis um Jan Davidsz. de Heem, an den De Bie’s Lobgedicht auf »Picturas fruchtbaren Acker« gerichtet gewesen war. Auf einem seiner vielen Besuche in der Stadt, wahrscheinlich um 1660, hatte dann der Frankfurter Maler Jacob Marrell (1614– 1681) den jungen Abraham Mignon nach Utrecht gebracht. Mignon arbeitete noch immer in der Werkstatt Jan Davidsz. de Heems, als Elias van den Broeck dazukam, und scheint das Atelier nach De Heems Abreise nach Antwerpen 1672 übernommen zu haben. Jacob Marrell wiederum war Sohn des gleichnamigen Frankfurter Rechtsgelehrten und Stadtschreibers und zudem ein Schüler Georg Flegels (1566–1638) gewesen. Ab 1634 hielt er sich in Utrecht auf, wo er sein Einkommen neben der Malerei und dem Kunsthandel mit dem Verkauf von Tulpenzwiebeln bestritt. Nach dem Tod seiner Frau war er nach Frankfurt zurückgekehrt, hatte dort 1651 das Bürgerrecht erhalten und Johanna Sibylla Heimius, die zweite Frau und Witwe von Matthäus Merian d. Ä. (1593–1650) geheiratet. Maria Sibylla, Johannas Tochter aus erster Ehe, wird uns später noch interessieren, ebenso wie Rachel Ruysch, die ihren Vater, den Amsterdamer Professor für Anatomie und Botanik werpen. Hy was genootzaakt van Antwerpen te verlaaten, en zich te vertrekken naar Amsterdam, dewijl de in fluweelgebroekte Sinjoors van die eerste Stad hem beschuldigden van de Vlindertjes geplakt en niet geschildert te hebben, daar die besnuyfde Hannekens niet overwoogen, dat de geplakte Vlindertjes schooner en natuurlijker zijn als geschilderden, dewijl zy niet allenlijk hun gantsche têkening behouden, maar ook langer dan de geschilderden duuren. Hy maakte in den beginne een goeden opgang in Amsterdam, doch hy stiet zijn fortuyn met de voet door een Sinjooriaale koppigheyt, dewijl hy krakkeelde met een Heer zijn Konst Meceen, die daar op zo een haat tegens hem opvatte, dat hy noch den Schilder, noch de meenigvuldige Bloemstukken en geschilderde Kruyden, die hy van Elias van den Broek had gekogt en rykelijk betaalt, in zijn oogen kon dulden, maar dezelve aan de Konstbeminnaars ten besten gaf met deeze woorden; Daar staan die Schilderyen, Heeren, geef’er zo veel en zo weynig voor als je begeert, want ze zyn doorns in myne oogen. Die Liefhebbers vatten aanstonds dien Heer op zijn woord, en gaaven vyfentwintig a dartig guldens voor een Bloem- of Kruydstuk, waar voor den Schilder hondert daalders had geeyscht, en ook gekreegen; en daar op daalde de markt van zijn konst zo deerlijk, dat hy een weerzin kreeg in het leeven. Om de waarheyt niet te benadeelen, dien Elias van den Broek was geen tovenaar in de Schilderkonst, want voor eerst die een van zijne stukken ziet, ziet’er hondert, dewijl hy geen geest had om zyne ordonnantien die zeer maager zijn te varieeren; en ten tweeden zyn de Bloemen, Kruyden en groene bladen zo zwaar als loot, een slegte qualiteyt in die styl, dewyl die lenteschatten zo dun en doorschynent als kristal behooren gekonterfijt worden, anders zijn het prullen. Hy woonde buyten de Utrechtsche poord op het Moolepad, daar hy een fraaye Bloemtuyn had tot zyn gebruyk, en hemelde op het jaar duyzent zeventhondert en elf.« Vgl. auch Albus, Kunst der Künste, 263, sowie Weber, »Stilles Leben«, 27.

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Frederik Ruysch (1638–1731), in den 1660er Jahren zusammen mit Mignon nach Utrecht begleitete, sowohl bei Jan Davidsz. de Heem wie bei Willem van Aelst studierte, später Juriaan Pool (1666–1745), einen Adoptivsohn Abraham Mignons, heiratete und ebenfalls mit dem Waldbodenstilleben experimentierte, ja sogar einige Werke von Otto Marseus direkt kopierte.335 In seiner Lehre bei Willem van Aelst wiederum war der aus Hamburg stammende und zunächst bei Georg Hinz (Hainz, Heintz; ca. 1630–1688) ausgebildete, wegen seines cholerischen Temperaments späterhin in Misskredit geratene Ernst Stuven ihr Mitschüler gewesen. Fast alle Stillebenmaler der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts haben sich einmal mit dem Waldbodenstilleben auseinandergesetzt. Jan Davidsz. de Heem, Rachel Ruysch, Abraham Mignon, sie alle haben an der Ausarbeitung des barocken Naturtableaus gearbeitet. Sie waren bekannt mit Malern der Niederwelt wie Otto Marseus van Schrieck, Mathias Withoos oder Elias van den Broeck, verwandt mit Stillebenmalern wie Jacob Marrell, Juriaan Pool oder Maria Sibylla Merian, sie waren Lehrer, Schüler oder Mitschüler von Willem van Aelst, Maria van Oosterwijk, Cornelis Kick, Jacob van Walscapelle, standen in Austausch mit der Stillebenschule der Bosschaerts, kannten die Muschelstilleben Balthasar van der Asts oder den Insektenmaler Johannes Goedaert. Sie waren ebenfalls bekannt und zum Teil verwandt mit Naturwissenschaftlern und -historikern sowie mit Theologen (wie unter anderem Maria van Oosterwijk, die Tochter eines protestantischen Pfarrers war und bei De Heem und Van Aelst studierte); sie handelten mit Blumen, Blumenzwiebeln, Bildern; sie verkauften an Bürger, Aristokraten, den Klerus. Jeder Versuch, die Vielschichtigkeit der Stillebenproduktion und -rezeption des 17. Jahrhunderts nachzuzeichnen, muss zum Scheitern verurteilt sein. Wir können sie aber zumindest feststellen und auf der Komplexität der Bilder beharren, die in ihrer Aufgabe, die Natur zu verdoppeln, auf der kunsttheoretischen Ebene zeitweise so wenig gegolten haben und doch genau darin ihren Verdienst finden. Denn gerade in der Repetition liegt eine ihrer Stärken: vor allem wenn man zugibt, dass ihr mechanisch-organischer Status eine veritable Medientheorie impliziert. Im 17. Jahrhundert wird die junge Gattung des Stillebens in eine den Naturbegriff auf komplexe Weise reflektierende Kunstform überführt.

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Frederik Ruysch war Professor für Anatomie und Botanik in Amsterdam und besaß eine Kuriositätensammlung, die in großen Teilen von Zar Peter dem Großen für seine Petersburger Kunstkammer aufgekauft wurde, vgl. Jozien J. Driessen-van het Reve, De ›Kunstkamera‹ van Peter de Grote. De Hollandse inbreng, gereconstrueerd uit brieven van Albert Seba en Johann Daniel Schumacher uit de jaren 1711–1752, Hilversum 2006, 118–156. Mit 15 Jahren begann Rachel Ruysch bei dem Blumenmaler Willem van Aelst zu studieren; 1695 heiratete sie den Portraitmaler Juriaen Pool, von dem u. a. das Portrait Frederik Ruyschs im Museum Bijmans Van Beuningen, Rotterdam, stammt. Als erste Frau wurde sie 1701 zusammen mit ihrem Mann Mitglied der Malergilde in Den Haag. Der Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz in Düsseldorf engagierte sie von 1708 bis 1716 als Hofmalerin, zudem vermittelte er seinem Schwiegervater, Cosimo III. de’ Medici, einige ihrer Werke. Zu den Biographien niederländischer Stillebenmaler siehe v. a. Willigen & Meijer, Dictionary of Dutch and Flemish Still-Life Painters.

M IMESIS I DAS BILD ALS »SPEZIES«. DER MALER ALS GÄRTNER

58 | Willem Forchont, Christus als Gärtner (Noli me tangere), vor 1678, signiert, Öl auf Kupfer, 43,5 × 64,5 cm, Privatbesitz.

Man kann dem wieder-holenden Charakter des Stillebens nachspüren, wenn man es nicht nur in seinem autonomen, sondern in seinem peripheren oder parergonalen Dasein in anderen Bildformen aufsucht.336 Willem Forchonts (1608–1678) Noli me tangere beispielsweise, mit Öl auf eine relativ große Kupferplatte gemalt, ist nur eine der vielen Christusals-Gärtner-Darstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts, die das Thema der Auferstehung 336

Vgl. Victor Stoichitas Darstellung der Existenz des Stillebens als parergon, in: Das selbstbewußte Bild: Der Ursprung der Metamalerei, München 1998, 32–39 (»Die Geburt des Stillebens als intertextueller Prozess«). Der Begriff fällt, das Stilleben betreffend, bereits im 17. Jahrhundert. Vgl. Van Hoogstraten, Inleyding, 76: »Deeze dingen [gemeint ist das Stilleben] zijn by de ouden als overmaet of toegift tot het voornaemste werk geacht geweest, en wierden van hen Parerga genoemt.«

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MIMESIS I

mit der Tätigkeit des Bauern und Feldbestellers in Zusammenhang bringen und darin die Genres von Stilleben und Landschaft integriert.337 Die Schilderung aus dem JohannesEvangelium (Joh. XX, 11–18) wird detailreich in Szene gesetzt: Maria Magdalena hat ihr Salbgefäß abgestellt und ist vor einem Jesus niedergekniet, der sich ihr erstaunlich leger im Habitus eines Gärtners präsentiert und doch auf das Noli me tangere verweist. Der Maler hat die beiden Hauptfiguren in eine weite Landschaft gesetzt, wobei im Mittelgrund ein gepflegt angelegter Garten und weiter rechts dann die Grabeshöhle mit dem zur Seite geschobenen Stein zu erkennen ist. Der Bildraum staffelt sich weiter in die Tiefe, und einmal ragen die drei Kreuze des Kalvarienbergs auf; zum Tal hin erstreckt sich die Stadt Jerusalem. Vor dieser Landschaft, die eine Heilslandschaft ist, wird offensichtlich gegärtnert. Am rechten Bildrand sind Gemüse und Früchte zu einem Stilleben angehäuft, wobei sich zwei Rettiche derart überlagern, dass sie dem Betrachter wie das Kreuz der Osterfahne erscheinen, und sich, ebenfalls bedeutsam, im Hintergrund ein weißer Rosenstock über einem roten auftürmt. Der graue Boden, dessen Farbe sich noch einmal am Horizont wiederholt, geht bald schon unmerklich in einen Garten- und dann in einen weiten Landschaftsraum über. Aber erst das Aufbrechen des Erdreichs ist es, das die Auferstehung sichtbar macht, und so gerät nicht nur die geöffnete Grabeshöhle zum Gleichnis für die Renaissance des Sohnes, sondern auch die aus dem Erdboden geholten Früchte, das parergonale Stilleben.338 Christus hat sich ja selbst unter die Erde gebracht, so argumentiert man, um daraus aufzuerstehen wie die Frucht aus dem Samen; der Boden hat ihn nach den Tagen der Passion wieder freigegeben. Dargestellt wird er deshalb als einer, der die Erdscholle bearbeitet und fruchtbar macht. In den Gemälden der Barockzeit wird ihm gerne eine Artischockenpflanze zur Seite gestellt – so beispielsweise im Noli me tangere von Abraham Janssens (1567 oder auch 1573/1575–1632) und Jan Wildens (1586–1653) oder auch im Gemälde von Adriaen van Stalbemt (1580–1662), wo sie sich aus den erdigen Tönen des Vordergrunds schiebt –, weil sie, den Distelgewächsen zugehörig, in ihrer Blüte als das Symbol neuen Lebens galt. Der Gedanke jedoch, dass die Auferstehung als heilende Passage oder umgekehrt jede Heilung als eine Art Wiedergeburt verstanden werden kann, verdient noch einmal besondere Aufmerksamkeit: Denn innerhalb der Epiphanietheorie ist der Gedanke mimetisch operierender Genealogien virulent. Einem theologischen Bildbegriff folgend ist Christus als Sohn zugleich die species seines Vaters, dem er gleicht wie die Pflanze dem Samen. Wenn der Vater die Ewigkeit bedeutet, so hatte es Thomas bereits ausgeführt, so ist der Sohn das Bild dieser Ewigkeit, deren spezielles und zur Sichtbarkeit drängendes Sein. Die Ewigkeit zeigt sich in ihm, dem ungetrübten Medium, auf vollkommene Weise. Und so kann man sagen, dass Christus als Gärtner auch für den nachahmenden Maler, für 337

338

Laut Auskunft von Fred G. Meijer, Konservator am Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie, Den Haag, stammen die Figuren von Willem van Herp (ca. 1614–1677), für das stillebenhafte Arrangement mit Früchten und Gemüse in der rechten unteren Ecke wird Jan Brueghel d. J. (1601–1678) genannt (Hampel Auktion, 25. März 2011, Lot.-Nr. 180). Zu Willem Forchont (Willem de Fochier) siehe das ausführliche Kapitel bei Weyerman, Levens-beschryvingen, III, 409– 423. Vgl. Stoichita, Ursprung der Metamalerei.

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59 | Adriaen van Stalbemt, Noli me tangere – Waldlandschaft mit Christus als Gärtner und

Maria Magdalena, signiert AV.STALBEMT, Öl auf Holz, 51.5 × 76 cm, Privatbesitz.

die perfekte Repräsentation, für die ständige Auferstehung der Formen im Ablauf der Generationen steht. Betrachten wir barocke Bilderzyklen der Jahreszeiten und Menschenalter, sehen wir uns stets mit dem mimetischen Gedanken der Wieder-holung der Formen aus dem Erdreich konfrontiert – das in der Malerei natürlich das Reich der potentiellen Farbigkeit ist. Grundlegend dazu war der Niederwelt die Farbe Braun zugeschrieben worden als das ungeordnete »Chaos der Farben«, aus dem die Lebewesen hervorgehen und in das sie, erneut zur Unform geworden, zurückfallen müssen. Im nächsten Kapitel wird diesem Gedanken noch einmal Rechnung getragen, und der apollinischen Gärtnerfigur wird der Antichrist in Form der Schlange entgegengestellt. Der Paradiesgarten kommt ohne sie nicht aus.

»DA SPRACH DER HERR ZU MOSE: MACHE DIR EINE EHERNE SCHLANGE UND RICHTE SIE AN EINER STANGE HOCH AUF. WER GEBISSEN IST UND SIEHT SIE AN, DER SOLL LEBEN. DA MACHTE MOSE EINE EHERNE SCHLANGE UND RICHTETE SIE HOCH AUF. UND WENN JEMANDEN EINE SCHLANGE BISS, SO SAH ER DIE EHERNE SCHLANGE AN UND BLIEB LEBEN.« 4. Mose 21, 6–9.

»DIE FURCHT VOR DEM TOD TREIBT ALL DIE ZAUBEREIEN UND OKKULTEN HEILKÜNSTE HERVOR. DER PHARMAKEUS [ ΦΑΡΜΑKEΥΣ ] (ZAUBERER, MAGIER, GIFTMISCHER) SETZT AUF DIESE FURCHT.« Jacques Derrida, »Platons Pharmazie«, in: ders., Dissemination, hg. v. Peter Engelmann, Wien 1995, 135.

DAS BILD ALS PHARMAKON

Wenn es zutrifft, dass die Gattung des Stillebens das Vermögen von Kunst und Natur thematisiert, Ähnlichkeiten herzustellen, und zwar über Generationen hinweg: Was bedeutet dies in bild- und medientheoretischer Hinsicht? Vieles deutet darauf hin, dass ihm, dem Stilleben, im Besonderen die Fähigkeit zugesprochen wird, natürliche Körper zu reproduzieren. Dem Double mangelt es zwar an biologischer Lebendigkeit – das wird zum uneinholbaren Topos –, aber man kann ihm nicht die täuschende Ähnlichkeit absprechen, mit der es uns glauben macht, es handele sich im Bild weiterhin um einen realen Körper. Die Aufgabe von Kunst als einem Substitut von Leben ist es dann, die Grenze auszutesten, an der ein Zeichen für etwas Vergangenes oder Dagewesenes steht und somit dessen natürliche Abwesenheit betont oder umgekehrt dessen aktualisierte Präsenz im Sinne einer künstlichen Anwesenheit bedeuten soll. Das Dilemma des Bildes zwischen einer verlorenen natürlichen Gegenwart und ihrer künstlichen Wieder-holung rekurriert auf diese Gegenüberstellung; jeder Animation geht eine Mortifikation voraus, vice versa. Die Einholung des Realen durch das Symbolische trifft auf jedes Zeichensystem zu, aber für das Bild gilt es im Besonderen, weil ein ikonisches Zeichen und sein Bezeichnetes leicht miteinander verwechselt werden können. Für eine Diskussion des Verlusts der Gegenwärtigkeit durch Repräsentanz gibt es vor allem einen Referenztext. In dem für die Kunsttheorie so wichtig gewordenen platonischen Dialog des Phaidros vergleicht Sokrates (469–399 v. Chr) ein Schriftstück, das der junge Phaidros mitgebracht hat, mit einer Droge (pharmakon, φάρμακον) und erklärt, dass »der Erfindung des pharmakon der Vorwurf gemacht werden wird, dass sie [gemeint ist die Schrift, der geschriebene Text] das lebendige Wort durch das atemlose Zeichen ersetzt, (…) dass sie genauso wenig wie eine Skulptur oder wie ein unbelebtes Gemälde von sich aus zu antworten vermag«.1 Deshalb ist die Schrift nicht nur ein Hilfsmittel, sondern auch »schädlich, weil [sie] künstlich ist. Das pharmakon steht dem natürlichen Leben entgegen«.2 Worum geht es in Platons Phaidros? Ich fasse die für uns entscheidenden Passagen des Dialogs zusammen: Sokrates hat sich von Phaidros dazu überreden lassen, sich für einen Tag aufs Land zu begeben. Sie haben sich zum Gespräch auf dem Boden gelagert, und Phaidros versucht gerade, die Anordnung und Hauptargumente eines Textes wiederzugeben, 1 2

Derrida, »Platons Pharmazie«, 102. Ebd., 111.

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der von Lysias, einem der talentiertesten Schriftsteller seiner Tage, verfasst worden war. Den Text allerdings hat er nicht auswendig gelernt, sondern er hält ihn unter seinem Mantel versteckt. In diesem Moment unterbricht Sokrates Phaidros und erzählt ihm die Geschichte von Theuth, dem Gott der Schrift. Dieser habe einst entdeckt, wie man die lebendige Stimme durch ein Zeichensystem ersetzen, d. h. repräsentieren könne. Als er sie dem König zum Geschenk machen will, wird die Gabe zurückgewiesen, und zwar weil sie, wie der König ihm mitteilt, die Erinnerung unterstütze, im Gegenzug aber das Gedächtnis zerstöre. Deshalb nennt Sokrates den Erfinder der Schrift im folgenden einen Pharmazeutiker, d. h. einen Zauberer ebenso wie einen Apotheker. Warum dieser Vergleich? – Dem lebendigen Wort wird die »atemlose« Schrift gegenübergestellt, die zwar hilft, sich vergangener Gespräche und Ereignisse zu erinnern, die aber unserem Gedächtnis (verstanden als Gegenwärtigkeit) zuwiderläuft, weil wir uns nun auf äußere Zeichen verlassen und unser Gedächtnis externalisiert haben. Ähnlich greift auch die Medizin in natürliche Abläufe ein, indem sie diese sowohl unterstützt wie stört. Ein pharmakon bricht stets als etwas Künstliches von außen in etwas Lebendiges ein, ist immer etwas Hinzukommendes und Verspätetes oder Nachträgliches zu einem lebenden Organismus, selbst wenn es dazu gedacht ist, zu heilen oder ein Leben zu verlängern. An anderer Stelle erklärt Platon: Weil jedes Leben einen natürlichen Verlauf und ein natürliches Ende nimmt, während ein pharmakon es künstlich verkürzen oder verlängern will, ist ein pharmakon ein Supplement des Lebens und selbst nicht-lebendig.3 Dazu kommt, dass Sokrates sich gegen jede Form von Repräsentation verwehrt und stattdessen die Gegenwärtigkeit oder Anwesenheit betont hat, indem er beispielsweise die Malerei ausdrücklich als Abmalung des Lebendigen (ζωγραφίᾳ, zographia) bezeichnete. Er verteidigt die Rede, den Dialog und das ohne äußere Hilfsmittel auskommende Gedächtnis des Sprechenden, und er weiß als Sohn eines Bildhauers, »der zunächst das Metier seines Vater hätte übernehmen sollen«4, nur zu gut, dass sowohl die Malerei wie die Bildhauerkunst Künste des Schweigens sind. Figuren, Masken, Trugbilder sind für ihn allenfalls Stellvertreter einer lebendigen Anwesenheit, und auch die Schrift fällt unter diese Kategorie: »Denn dieses Schlimme (deinon) hat doch die Schrift«, erklärt Sokrates Phaidros, »und ist darin ganz eigentlich der Malerei ähnlich (homoion zographia). ¯ Denn auch diese stellt ihre Ausgeburten hin als lebend (hos ¯ zo¯ nta), wenn man die Ausgeburten aber etwas fragt, so schweigen sie gar ehrwürdig (semn¯os) still. Ebenso auch die Schriften«.5 Wir wissen, dass das Wort pharmakon im Griechischen sowohl »Heilmittel« wie »Gift« heißen kann, aber es bedeutet auch »Malerei« oder »Farbe«, und zwar »nicht die natürliche Farbe, sondern die künstliche Färbung, den chemischen Farbstoff, der das in den 3

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»Die Schrift ist nicht die lebendige Wiederholung des Lebendigen. Was sie mit der Malerei gemeinsam hat. Und ebenso wie die Politeia im gleichen Moment, wo sie die nachahmenden Künste verdammt, Malerei und Dichtkunst vergleicht, ebenso wie die Poetik des Aristoteles sie gleichfalls unter demselben Begriff mimesis ¯ verknüpfen wird, so vergleicht auch Sokrates hier das Geschriebene mit dem gemalten Portrait, das Graphem mit dem Zographem.« Ebd., 153–154. Ebd., 155. Platon, Phaidr. 275 d.

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Dingen gegebene Chromatische nachahmt«.6 Sokrates beispielsweise verwendet das Wort ausdrücklich, um die Farbe zu bezeichnen, die Maler verwenden: Pigmente sind pharmakeia »die den nachgeahmten Dingen ähneln und aus welchen das Bild besteht.«7 Da die Polysemie des Wortes gleichermaßen eine Übersetzung als »Arznei«, »Zaubertrank«, »Droge«, »Heilmittel«, »Gift«, »Tinktur«, »Farbe«, »Pigment«, »Schminke« etc. nahelegt, ist man bereits zu dem Schluss gekommen, das Gemälde selbst agiere wie ein pharmakon, oder, umgekehrt, das pharmakon sei »die Droge der Repräsentation« oder ein künstliches Manipulieren beziehungsweise Herumdoktern an der Natur. Grundsätzlich aber gilt: Spricht man von der Malerei als pharmakon, »so müsste man [auch] von der Macht der Verzauberung [sprechen], von der nach Art der Medusa erstarren machenden Faszination, der alchimistischen Verwandlung, die es der Zauberei und der Magie verwandt sein lässt.«8 Man müsste alleine schon davon sprechen, weil im Medusenbild ebenso wie in jeder mimetischen Repräsentation Verlebendigung und Erstarrung gleichermaßen thematisiert sind und dies zu einer Poietologie und zu einer Ästhetik des Bildfelds unweigerlich dazugehört. Die Idee der Malerei als pharmakon kreist um die pervertierende Funktion des Bildes, etwas Abwesendes oder Verlorenes durch ein Double zu ersetzen, und damit letztendlich um eine Fetischisierung der Bilder. Wenn es in der Malerei um Verzauberung geht, so weil sie Artefakte schafft, die auf das Leben der Menschen einwirken und deren Verhalten zu beeinflussen scheinen. Die vielen Animationsstrategien der Kunst des 16. und 17. Jahrunderts beispielsweise sind aufschlussreiches Indiz für das Verlangen eines Kunstpublikums nach einer Wirkungsmacht des Bildes, wie man sie sonst nur Lebewesen und im Grunde nur Personen zuschreiben würde. Demnach ist das Bildfeld ein genuiner Ort der »Untoten«, hat Mitchell einmal gesagt, und diese Einschätzung kann man erweitern: Im 17. Jahrhundert ist es auch ein Ort der »Ungeschöpfe«. Erzählt wird »a tale of horror, when that which should be dead, or should never have lived, is suddenly perceived as alive«.9 Der Grund der Unheimlichkeit ist folgender: Die Verlebendigung des Bildes wird stets über die Mortifikation des Lebens im Bild erkauft. Sehen wir uns ein Beispiel an.

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Ebd., 145. Selbiges gilt für das lateinische Äquivalent (medicamen). Dessen Bedeutung changiert erneut zwischen 1. Heilmittel, Medikament, Arznei, Pflaster, Salbe; 2. Gift(trank); 3. Zaubermittel, -trank; 4. Färbemittel, -saft, Farbe, Schönheitsmittel, Schminke; sowie 5. Hilfsmittel. Platon, Kratyl. 434 a–b. Auch bei Plutarch, De Or. Def.; in diesem Sinne wiederum in Johannes Scheffer, Graphice, Nürnberg 1669, zitiert. Julius Pollux bezeichnet die Künste allgemein als pharmaka (Onomast. I vii c 28). Derrida, »Platons Pharmazie«, 128. W. J. T. Mitchell, What Do Pictures Want?, Chicago 2005, 54–55: »The living organism has two logical opposites or contraries: the dead object (the corpse, mummy, or fossil), which was once alive, and the inanimate object (inert, inorganic), which never was alive. The third opposition is, then, the negation, the return (or arrival) of life in the nonliving substance, or the mortification of life in the image (as in a tableau vivant […]). The figure of the ›undead‹ is perhaps the obvious place where the uncanniness of the image comes into play in ordinary language and popular narrative, especially the tale of horror, when that which should be dead, or should never have lived, is suddenly perceived as alive.«

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60 | Unbekannter Maler (flämisch), Kopf der Medusa, ca. 1600, Öl auf Holz, 49 × 74 cm,

Galleria degli Uffizi, Florenz.

GEMALTES GIFT In der Kunstsammlung des Großherzogs von Toskana, Ferdinando II. (1610–1670), befand sich einmal ein Medusenhaupt, das heute in den Uffizien ausgestellt ist. Es ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Das Gesicht trägt klassische Züge, obwohl es vergleichsweise grob und maskulin erscheint. Der abgeschlagene Kopf liegt auf dem Boden, mit im Schreck erstarrtem Ausdruck, die Stirn in Falten gelegt, Augen und Mund halb geöffnet. Einige goldene Strähnen locken sich an Stirn und Schläfen, während sich anstelle des Haars dicke Schlangenkörper winden und in eine aufgewühlte und ineinander verschlungene Masse verwandeln, sobald sie mit dem Boden in Berührung kommen. Die kahle Umgebung suggeriert den Eingang einer Grotte oder einer dunklen Felsspalte. Kleinere Blutlachen versiegen im Boden. Dieser wird ansonsten nur noch von chthonischen Lebewesen – einer Eidechse, einer Ratte, einer Fledermaus, einigen Fröschen – bevölkert, die die Szene umringen wie Trauernde ein Totenbett. Lange Zeit galt das Gemälde als ein Frühwerk Leonardo da Vincis. Die Zuschreibung beruht auf einer Passage in Vasaris Vita di Leonardo (1568), in der eine Darstellung des Medusenhaupts erwähnt wird, und zwar folgt diese Stelle auf eine längere, in der Vasari von Leonardos Kunststück eines giftspeienden Ungeheuers berichtet, das er für seinen Vater Messer Piero da Vinci auf einem Schild ausgeführt und das uns bereits im kunsttheoretischen Kontext einer »negativen Mimesis« und Kunst des Monströsen beschäftigt hat. Dabei war schon festgestellt worden, wie furchterregend die Darstellung auf den

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Betrachter gewirkt haben musste, aber wie der Schrecken sofort auch abgewendet wurde – im Moment des Erkennens der künstlerischen Leistung, die nun sogar Genuß verursachen und den Schild, wenn man so will, in seiner Form zu einem Abwehrschild des Dargestellten machen konnte. Leonardos Kunst verletzt die Norm, um sie auf vollkommene Weise zu erfüllen. Dadurch nämlich, dass der inversive Akt der Malerei es vermag, zwei Extreme auf der Bildfläche zu versammeln – Schönheit und Hässlichkeit, Anziehendes und Abstoßendes, in perfekte Form gebrachte Unform –, verwandelt sich auch das Bildfeld in eine Art Kippfläche, die zwischen einer Mimesis des Positiven und Negativen verhandelt. Leonardos Schild wird zum pharmakon der Kunst der Repräsentation, das die Monströsität des Dargestellten heilend umkehrt. Die dialektische Beziehung zwischen Natur und Kunst sollten wir im Auge behalten. In der Forschung ist im übrigen schon seit Walter Pater (1839–1894) an der Wahrheit des Berichts gezweifelt und stattdessen vorgeschlagen worden, dass man Vasaris Beschreibung des Erstlingswerks als eine Zusammenstellung von Topoi verstehen sollte, die die künstlerische Frühbegabung Leonardos hervorkehrt. Mit dem Schild erscheint sozusagen eine bildgewordene Definition der Malerei gleich zu Anfang der Vita, und sie verweist auf Leonardos Erfindungsgabe sowie auf die Wirkmacht auch der späteren Werke.10 Anders verhält es sich mit dem unvollendet gebliebenen Medusenbild, das er selbst in der großherzoglichen Sammlung Cosimos I. (1519–1574) gesehen hatte. »Da hatte Leonardo den Einfall, ein Ölbild vom Haupt der Medusa zu malen, deren Frisur aus einer Ansammlung von Schlangen bestehen sollte – eine Erfindung, wie man sie sich seltsamer und ungewöhnlicher nicht denken könnte.«11 Hier ist die Existenz des Gemäldes belegt, es wurde in den Inventaren der Medici mehrfach erwähnt, wenngleich sich seine Spuren schon in den letzten zwanzig Jahren des Cinquecento verloren haben.12 Sehr viel später, 1782, war Luigi Lanzi (1732–1810) auf der Suche nach Werken Leonardos in den Uffizien auf unser Medusenhaupt gestoßen. Im Glauben, dass es sich um Leonardos verschollenes Gemälde handeln müsse, veröffentlichte er seinen Fund im Museumsführer der Uffizien und stieß damit eine Erfolgsgeschichte an: Über großformatige Druckgrafiken weit verbreitet, gehörte das Medusenbild bald zu den beliebtesten Werken des Florentiner Künstlers. Ein französischer Kritiker sah in ihm eine Nähe zur Mona Lisa; Percy Bysshe Shelley (1792–1822)

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Vgl. Pfisterer, »Autopoiesis«, 271. Siehe auch Rubin, »What Men Saw«. Der gesamte Passus: »Vennegli fantasia di dipingere in un quadro a olio una testa d’una Medusa, con una acconciatura in capo con uno aggruppamento di serpe, la più strana e stravagante invenzione che si possa immaginare mai; ma come opera che portava tempo, e come quasi interviene in tutte le cose sue, rimase imperfetta. Questa è fra le cose eccellenti nel palazzo del duca Cosimo, insieme con una testa d’uno angelo (…).« Vasari, »Vite«, IV, 25–26 (»Da hatte Leonardo den Einfall, ein Ölbild vom Haupt der Medusa zu malen, deren Frisur aus einer Ansammlung von Schlangen bestehen sollte – eine Erfindung, wie man sie sich seltsamer und ungewöhnlicher nicht denken könnte. Doch war dies ein Werk, das Zeit erforderte, und so blieb es wie fast alle seine Vorhaben unvollendet. Derzeit befindet es sich in der vorzüglichen Sammlung im Palast des Herzogs Cosimo, zusammen mit dem Kopf eines Engels (…).« Vasari, Leben des Leonardo, 26). Vgl. dazu ebd., 72, Anm. 47.

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61 | Peter Paul Rubens & Frans Snyders, Kopf der Medusa, ca. 1615–1616, Öl auf Leinwand, 69 × 118 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien.

widmete ihm ein Gedicht, noch für Walter Pater zählte es zu den beeindruckendsten Stükken des Meisters. Erst Bernard Berenson (1865–1959) hatte Zweifel angemeldet und der Holztafel 1916 die Autorschaft Leonardos abgesprochen.13 Inzwischen wissen wir, dass es sich bei dem Gemälde um die Arbeit eines flämischen Meisters handelt, die Ferdinando II. von seinem ehemaligen segretario di camera, Ippolito de Vicq aus Brügge, als Zeichen seiner Ergebenheit vermacht worden war und die nicht vor 1668 Eingang in die Sammlung gefunden hat.14 Leonardos Meisterwerk gilt als verloren. Die Beschreibungen Vasaris hatten jedoch sicherlich dazu beigetragen, dass das Medusenhaupt um 1600 zum motivischen Bestseller avancierte. Peter Paul Rubens (1577– 1640) und Caravaggio (1571–1610) haben jeweils ihre Versionen gemalt, möglicherweise in Anspielung auf beziehungsweise Konkurrenz mit dem berühmten Vorbild, auch wenn sich genaue Zusammenhänge nicht mehr nachweisen lassen.15 Bekanntlich hatte Kardinal Francesco Maria del Monte (1549–1627) bei Caravaggio einen Schild in Auftrag gegeben, 13

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Vgl. Luigi Lanzi, La Real Galleria di Firenze, Pisa 1782, 132; Percy Bysshe Shelley, »On the Medusa of Leonardo da Vinci in the Florentine Gallery«, in ders., Selected Poetry, hg. v. Neville Rogers, London 1968, 357–358; Walter Pater, The Renaissance: Studies in Art and Poetry, Berkeley 1980 [London 1873], 83; Bernard Berenson, The Study and Criticism of Italian Art, London 1916, 3 Bde., III, 20. Siehe dazu v. a. Almond Richard Turner, Inventing Leonardo, Berkeley 1994. Zur Konnotation einer »negativen Mimesis« siehe außerdem Richard Turner, »Words and Pictures: The Birth and Death of Leonardo’s Medusa«, in: Arte Lombarda 66 (1983), 103–111. Vgl. Ausst.-Kat. Florenz (2008), Medusa. Il mito, l’antico e i Medici, Florenz 2008, 66. Zur martialischen Ikonographie der Medusa und ihrer Darstellung auf Waffen und Schilden siehe Detlef Heikamp, »La Medusa del Caravaggio e l’armatura dello Scià Abbâs di Persia«, in: Paragone 199 (1966), 62–76; Ausst.-Kat. Wien (1977), Peter Paul Rubens 1577–1640. Zur Wiederkehr

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62 | Michelangelo Merisi da Caravaggio, Medusa, 1597,

Öl auf Leinwand auf Holz, ø 55 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz.

um ihn 1601 Ferdinando I. de’ Medici (1549–1609) zu überreichen, der gerade dabei war, seine Rüstkammer einzurichten. Von Marino Marini wurde die Darstellung als Anspielung auf die Macht des Großherzogs über seine Feinde verstanden und damit apotropäisch gedeutet. Eine frühe Kopie von Rubens Gorgonenhaupt in der Sammlung des reichen Amsterdamer Kaufmanns Nicolaas Sohier (1590–1642) wiederum war mit einem Vorhang verdeckt gewesen, der zur Seite gezogen werden konnte, um eben jenen von Vasari beschriebenen Effekt des (kurzen) Horrors zu erzielen, den schon Messer Piero da Vinci erfahren hatte und der Ergebnis des perfekten subversiven Kunststreichs seines Sohnes war. Auch das Medusenhaupt des unbekannten flämischen Meisters war ursprünglich von einem Rahmen aus Ebenholz und einem farbig changierenden Vorhangstoff umgeben gewesen. Rubens’ Gorgonenhaupt war nach England an George Villiers, Herzog von Buckingham (1592–1628), verkauft und dort 1635 in einem Inventar erfasst worden. Über Constantijn Huygens (1596–1687), der die Kopie in Sohiers Sammlung gesehen hatte, wissen wir von der sinisteren Anziehung, die das Motiv auf den barocken Betrachter ausüben konnte

seines 400. Geburtstags, Wien 1977, 81–83; John Varriano, »Leonardo’s Lost Medusa and Other Medici Medusas from the Tazza Farnese to Caravaggio«, in: Gazette des Beaux-Arts 130 (1997), 73–80.

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und davon, dass Huygens selbst ein solches schreckliches Gemälde lieber nicht in seinem eigenen Haus wissen wollte. In seiner Autobiographie von 1629/1630 notierte er wie folgt: »Von

den vielen Gemälden [die ich gesehen habe] ist mir eines stets in Erinnerung geblieben. Ich habe es bei meinem Freund Nicolaas Sohier zu sehen bekommen, in seinem prachtvoll eingerichteten Haus in Amsterdam. Dargestellt ist das abgeschlagene Haupt der Medusa, umschlungen von Schlangen, die aus ihrem Haar herauswachsen. Das Gesicht der wunderschönen Frau hat seine Anmut noch bewahrt, gleichzeitig erweckt es durch den eben eingetretenen Tod und den Kranz der scheußlichen Schlangen aber auch Grauen. Die Kombination [von beidem; Schönheit und Grauen des Antlitzes] ist so geschickt ausgeführt, dass der Betrachter durch die plötzliche Konfrontation (normalerweise ist das Gemälde von einem Vorhang verdeckt) geschockt, zugleich aber auch von der Lebensechtheit und Schönheit ergriffen wird, mit der das grausame Motiv wiedergegeben ist. Doch während ich mich lobend über dieses [Gemälde] auslasse, das ich lieber im Haus von Freunden als in meinem eigenen hängen sehen möchte, kommt mir die schöne Antwort eines Gesandten der Teutonen in den Sinn, der, als auf dem Forum Romanum ein kostbares Gemälde eines alten Schäfers mit seinem Stock ausgestellt wurde, gefragt wurde, was seiner Ansicht nach der Wert desselben sei. Mit der seinem Volk eigenen Offenheit antwortete er, dass er so einen Mann nicht einmal umsonst haben möchte. Keine andere Botschaft habe ich an die Kunstkritiker, die die Schönheit von etwas daran messen, wieviel Grauen es erzeugt. Wenn jemand Mord und Totschlag mit der gleichen Anmut der Stimme besingt, mit der er sonst heitere und komische Situationen darstellt, dann bitte ich ihn höflich, beide – Vortrag und Inhalt – mir zum Gefallen aufeinander abzustimmen. Schöne Dinge können auch durch eine derbe Darstellung nicht ganz verdorben werden, aber was hässlich ist, kann durch eine [gute] Darstellung nicht angenehm werden.«16 Tatsächlich winden sich um Rubens’/Snyders’ ca. 1617/1618 entstandenes Haupt der Medusa nicht mehr nur Schlangen, sondern es wird auch von einem Feuersalamander, von Spinnen und einem Skorpion flankiert. Die Schlangenkörper verknoten sich zu ornamental-grotesken Schleifen, während das andere Getier giftig-böse auf dem Erdboden kriecht.

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Das lateinische Manuskript befindet sich in der Bibliotheek der Koninklijke Akademie, Den Haag, Huygens-handschriften, Catalogus van Handschriften Nr. XL.VIII; siehe Worp, »Fragment eener Autobiographie«, 73; ders., »Constantiyn Huygens over de schilders van zijn tijd«, in: Oud Holland 9 (1891), 106–136, v. a. 119–120. Siehe auch Ulrich Heinen, »Zur bildrhetorischen Wirkungsästhetik im Barock: Ein Systematisierungsversuch nach neurobiologischen Modellen«, in: Bildrhetorik, hg. v. Joachim Knape, Baden-Baden 2007, 113–158. Rubens hat das Gemälde ca. 1617 – vielleicht in Zusammenarbeit mit dem Tiermaler Frans Snyders (1579–1657) – fertiggestellt. Die Version, die Huygens gesehen hat, muss eine Werkstattkopie nach dem Original gewesen sein, das sich seit 1635 im Besitz des Duke of Buckingham (1592–1628) befand. Zu den verschiedenen Versionen siehe Wolfgang Prohaska, in: Ausst.-Kat. Wien (1977), Kat.-Nr. 23, 81–83; P. C. Sutton, in: Ausst.-Kat. Boston (1994), The Age of Rubens, Boston 1994, 245–247.

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Es antizipiert bereits das Bildpersonal der sottoboschi, vermittelt also noch einmal ikonographisch zwischen dem Gorgonenschicksal und den chthonischen Kräften, wie sie in den späteren Waldbodenstilleben vorkommen. Es ist dann nur mehr ein Schritt vom abgeschlagenen Medusenhaupt der flämischen und italienischen Meister zur Erfindung der sottoboschi Mitte des 17. Jahrhunderts durch Otto Marseus und andere. Dennoch, bevor wir uns ihnen wieder gänzlich zuwenden können, müssen wir die mythologischen Hintergründe besser kennen lernen, die dem neuen Genre seine Wirkkraft verleihen. Wollten wir damit zu einer Poetik des Bild-Felds zurückkehren, so vielleicht, indem wir der Leinwand nicht mehr nur ein Produktions-, sondern zugleich ein Zerstörungspotential zuschreiben. Dabei müssten wir uns von der Idee der Leinwand als fruchtbarem Acker auch gar nicht verabschieden, die auf kunst- und naturtheoretischer Ebene tief verwurzelt ist. Vielmehr erhält das Feld in seiner Bestellung einen Riss und öffnet sich zur Furche oder Erdspalte. In diesem Moment gibt es Einblicke in das dunkle Erdinnere frei, aus dem, wie es der Mythos will, berauschende Dämpfe aufsteigen, die zu Trance führen und ebenso Visionen wie Wahnsinn hervorrufen können. Einem solchen inversiven Bildverständnis zufolge kann eine plane Leinwandfläche zur tiefen Höhle werden. Sie gleicht jetzt auch nicht mehr einem Paradiesgarten und Acker, in den die Formen hineingelegt werden wie Samen, sondern einer Wüste, Felsenlandschaft, einem Schlammboden oder irgendeinem anderen unwirtlichen Ort, der sich der Einschreibung einer blanken Reproduktionsstruktur widersetzt. Ein solcher Boden wird entweder zu hart oder zu weich sein, um Formen dauerhaft aufzunehmen. Ein solcher Ort wid immer auf der Eigen- und Widerständigkeit der Materie beharren, die neben der Aufgabe abzubilden und zu reproduzieren, ein eigenes Dasein führt. Ein solches Bild stellt sich gegen die Vorstellung eines Christus als Gärtner, dessen Aufgabe es ist, perfekte Abbilder und species zu kultivieren. Stattdessen hindert es die Naturformen daran, sich im Bild zu wiederholen, und fordert zu Störungen, Auflösungen oder Abweichungen, Unformen oder Monstrositäten heraus. Es fungiert nicht mehr als Grund mimetischer Ähnlichkeit, sondern als Ungrund einer negativen Mimesis. Der Sündenfall ist ein solches Gegenbild, oder auch Medusenbilder, denn sie handeln von Ereignissen, in denen die apollinische Schönheit und Vater-Sohn-Ähnlichkeit ein Stück weit verloren gingen; stattdessen sind sie Verwandlungsbilder mit grundsätzlich formzerstörerischem Potential. Das Paradoxe einer Mimesis des Negativen aber ist, dass in der Kunst jedweder Formverlust auch wieder eingefangen und sozusagen ästhetisch wettgemacht werden kann. Wer wie Leonardo Monstren und Ungeschöpfe derart überzeugend darstellen kann, dass sie für wirklich gehalten werden und die Wirkkraft eines Lebewesens entfalten, holt die Unform über den Umweg der perfekten Wiedergabe ins Bild, will sagen: Eine Mimesis des Negativen tritt ein, wenn die mimetische Kunst das Ungeheuerliche ausgrenzend auch wieder einschließt.

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MEDUSAS BLUT In der griechischen Mythologie war Python der Erddrache von Delphi; er wurde als Schlange dargestellt und bewachte das Orakel von Delphi, das im Kultzentrum seiner Mutter, der Erdgöttin Gaia, durch einen Stein, den Omphalos oder »Nabel«, representiert wurde. »Pytho« also war der Name des Erdzentrums – der Höhle, in der die Erdgöttin ihre Prophezeiungen äußerte, die von ihrer Priesterin, auf einem Dreifuß über der Erdspalte sitzend, aufgenommen wurden.17 »Python« wiederum wird zum chthonischen Gegner des olympischen Gotts Apollon, der ihn tötete und sich für diesen Frevel einer rituellen Reinigung und Sühne unterziehen musste, nach seiner Rückkehr jedoch die Herrschaft über das delphische Heiligtum übernahm. Nach Plutarch geht auch das Olympische Fest auf die Tötung des Python zurück.18 In der ältesten Fassung des Mythos, dem Homerischen Hymnus (ca. 522 v. Chr.), tötet Apollon einen weiblichen Drachen, den Hera als Wächter für ihren Sohn Typhon eingesetzt hatte.19 In dieser Fassung ist der Name des Drachens Delphos Δελφός (delphos, δελφός = Gebärmutter [!]) und nicht Python, vielmehr wird letzterer erst von dem unter den Strahlen der Sonne verfaulenden (πυθέσθαι, pythesthai) Leichnam der Schlange hergeleitet. Bei Ovid finden wir einen ähnlichen Ursprungsmythos, hier entstand der Python – urgezeugt – aus dem faulenden Schlamm und Schleim, der nach der Deukalischen Flut zurückgeblieben war und alles bedeckte. Python aber wird von dem mit der Sonne identifizierten Apollon »mit tausend Pfeilen« getötet. Fäulnis ist demnach die Wurzel für den Namen des Orakels, den Beinamen des Gottes und den Titel der Priesterin, der Pythia, das heißt der Name geht auf jenen Tag zurück, an dem der erschlagene Leib des Erddrachens unter der brennenden Hitze von Hyperion oder Helios verrotten (πύθειν, pythein) musste. Es ist zugleich ein Akt der Heilung, denn Apollon hat die chthonische Macht überkommen. In Apollons Sohn Asklepios wird diese Seite des Gotts noch einmal veranschaulicht.

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Zur Figur von Python als Erdgeist, der von Apollon erschlagen und unter dem Omphalos begraben wurde, vgl. Erwin Rohde, Psyche, 2 Bde., Leipzig 1890–1894. Vgl. Plutarch, Quaest. Gr. 293c. Vers 361–374: »Phoibos Apollon frohlockte:/ ›Hier nun sollst du verwesen auf männernährender Erde,/ Künftig bist du nicht mehr für die Menschen ein böses Verderben,/ Welche die Frucht der Erde, der vielernährenden essen,/ Die zu meinem Altar vollkommene Großopfer führen./ Denn vor dem grausamen Tod errettet dich weder Typhaon [=Typhon]/ Noch die verrufne Chimaira: hier wirst du liegen, und elend/ Lassen dich Helios’ Licht und die schwarze Erde verfaulen.‹/ Rief es jauchzend, und Dunkel umhüllte die Augen des Drachens./ Ihn aber ließ dort verwesen des Helios heilige Stärke./ Darum heißt ›Pytho‹ der Ort der Verwesung, und rufen die Menschen/ Phoibos als Pythier an, weil des sengenden Helios Stärke/ Dort gerade verwesen ließ das scheußliche Untier.« Homerische Hymnen, hg. v. Gerd von der Gönna & Erika Simon, Tübingen 2002, 26–27. Die Pythischen Spiele wurden alle vier Jahre aufgeführt; als heiliges Drama stand das Duell zwischen Apollon und Python im Mittelpunkt. Siehe John Bathurst Deane, The Worship of the Serpent, London 1833, v. a. Kapitel V, 329; Joseph Eddy Fontenrose, Python. A Study of Delphic Myth and Its Origins, Berkeley, Los Angeles & London 1959; Karl K. Kerenyi, The Gods of the Greeks, London 1980 [1951], v. a. 135–136; Rohde, Psyche.

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Apollons Gegner hat zunächst jedoch mehrere Gesichter. In älteren Erzählungen werden ab und an zwei Drachen erwähnt, die im Laufe der Zeit zu einer Figur verschmolzen. Die Erzähler scheinen den delphischen Erddrachen Python mit Typhon, Gaias letztem Sohn, gezeugt von Tartaros, verwechselt zu haben. Wie Hesiod (ca. 750–650 v. Chr.) erzählt, versuchte er auf Betreiben Gaias Zeus zu töten. Bei Hesiod können wir außerdem nachlesen, wie er zuletzt in einem gigantischen Zweikampf von Zeus überwältigt und in den Tartaros geworfen wurde, während andere berichten, dass er unter dem Ätna gefangen gehalten wurde und dort für Eruptionen sorgt – Typhon ist in diesen Erzählungen zur chthonischen Verkörperung der vulkanischen Kräfte und damit zum Gegenspieler des olympischen Gotts Hephaistos geworden. Das bringt uns zu Nikander von Kolophon (ca. 197–130 v. Chr.), der in seinem Lehrgedicht Theriaca angibt, dass »giftige Spinnen, zusammen mit gefährlichen Reptilien und Vipern und den zahllosen anderen Bürden, die die Erde uns auferlegt hat, von Typhons Blut abstammen«20, welches im Kampf mit Zeus vergossen wurde. Die Vorstellung vom Hervorgehen der giftigen Kreaturen, Krankheiten und Plagen aus dem Körper des geschlagenen Typhons wurde später in Antoninus Liberalis’ (2. Jh. n. Chr.) Metamorphosen wiederholt.21 Aber im Gegensatz dazu, und in einer sehr viel bekannteren Version, wird in Apollonios Rhodius’ (3. Jh. v. Chr.) Argonautica22, Ovids (43 v. Chr.–17 n. Chr.) Metamorphosen und Lucans (39–65 n. Chr.) Pharsalia23 berichtet,

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Nikander, Ther. 8–20. Gow & Scholfield kommentieren: »No such lore is to be found in Hesiod, cite Acusilaus for the statement that πάντα τὰ δάκνοντα [panta ta daknonta, i.e. ›anything that bites‹] sprang from the blood of Typhon, who, if not a Titan, belongs to that order of beings.« Andrew S. Gow & Alwyn F. Scholfield, Nicander. The Poems and Poetical Fragments, London 1997 [1953], 170. Zu Nikanders Toxikologie siehe John Scarborough, »Nicander’s Toxicology; I: Spiders, Scorpions, Insects and Myriapods«, in: Pharmacy in History 21/1 (1979), 3–34; Teil II in: Pharmacy in History 21/2 (1979), 73–92; zur Verwendung von Mineralien für Drogen und Medikamente siehe Annibale Mottana, »Nicander on Stones and Inorganic Materials«, in: Rendiconti Lincei. Scienze fisiche e naturali 9/17 (2006), 333–353. Vgl. Francis Celoria, The Metamorphoses of Antoninus Liberalis. A Translation with a Commentary, London & New York 1992. Apollonios Rhodius, Arg. IV, 1515–1536: »For when over Libya flew godlike Perseus Eurymedon (…) bearing to the king the Gorgon’s head newly severed, all the drops of dark blood that fell to the earth, produced a brood of those serpents. Now Mopsus stepped on the end of its spine, setting thereon the sole of his left foot; and it writhed round in pain and bit and tore the flesh between the shin and the muscles. And Medea and her handmaids fled in terror; but Canthus bravely felt the bleeding wound, for no excessive pain harassed him. Poor wretch! Already a numbness that loosed his limbs was stealing beneath his skin, and a thick mist was spreading over his eyes. Straightway his heavy limbs sank helplessly to the ground and he grew cold; and his comrades and the hero, Aeson’s son, gathered round, marvelling at the close-coming doom. Nor yet though dead might he lie beneath the sun even for a little space. For at once the poison began to rot his flesh within, and the hair decayed and fell from the skin.« Lucan, Phars. IX, 1070–1088: »Where western waves on farthest Libya beat, warm’d with the setting sun’s descending heat, dreadful Medusa fix’d her horrid seat. (…) It was from this monster to afflict mankind, that nature first produc’d the snaky kind: on her, at first, the forky tongues appear’d; from her their dreadful hissings first were heard. Some wreath’d in folds upon her temples hung, some backwards to her waist depended long; some with their rising crests her forehead deck; some wanton play, and lash her swelling neck: And while her hands the ending vipers comb, poisons distil around, and drops of livid foam.«

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63 | Nikander, Theriaka y Alexipharmaka, Manuskript aus dem 10. Jh.,

Bibliothèque Nationale de France, Paris, MS suppl. grec. 247, fol. 6v–7r.

wie alle Arten giftiger Tiere – wie die Vipern der Sahara – aus dem Blut der Medusa geboren wurden, das aus ihrem abgeschlagenen Haupt zu Boden tropfte: »Tragend die ruchtbare Beute des natterlockigen Scheusals/ Flog durch Dünne der Luft mit rauschenden Fittichen Perseus,/ Über die libyschen Sande. Da siegreich jener sich fortschwang,/ Tröpfelten blutige Tropfen vom Haupt der Gorgo Medusa,/ Welche die Erd’ aufnehmend in mancherlei Schlangen beseelte:/ Darum wimmelt das Land von der Brut feindseliger Würmer«24, heißt die bekannte Stelle bei Ovid. Manchmal wird die Legende dahingehend erweitert, dass Athena, nachdem sie das Gorgonenhaupt von Perseus erhalten und an ihren Schild geheftet hatte, das magische Blut der Medusa an den Arzt Asklepios verschenkte. Mit ihm aber hatte es folgende Bewandtnis: Ein Teil wirkte als tödliches Gift, der andere hatte die Kraft, Tote auferstehen zu lassen. Medusas Blut ist der Inbegriff eines pharmakon. Kommen wir damit zu den Bildern der sottobosco-Maler. Aus dem Blut der von Perseus getöteten Medusa erwachsen nicht nur, wie die Sage will, alle Arten von giftigen Tieren, sondern auch das neue Genre der sottoboschi, der sogenannten Niederwelt. Es gibt formale und inhaltliche Bezüge zwischen den gemalten Gorgonenhäuptern der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und der in der zweiten Jahrhunderthälfte entstehenden sottobosco-Malerei, denn die dargestellten Ungeschöpfe sind sowohl urgezeugt wie medusenoder pythonhaft, das heißt aus dem verfaulenden Leichnam der Ur-Schlange hervorgegan-

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Ovid, Met. IV, 770.

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gen.25 Schlangenhaar und Medusenblut bilden demnach die radix eines barocken Diskurses über die pharmazeutischen Wirkkräfte der Bilder: Rubens’/Snyders Kopf der Medusa ist von einer aufgewühlten Masse verschlungener und sich zuweilen tatsächlich verschlingender Ringelnattern (Natrix natrix) umrahmt, deren sich ekstatisch windende und verknotende Leiber im Versuch, sich gegenseitig zu entkommen, einen äußerst grauenvollen Anblick bieten. Weiterhin gibt es einige giftige Tiere zu sehen. Der gelbgestreifte Feuersalamander beispielsweise verfügt über Drüsen, die ein ätzendes Sekret absondern und mit den farbigen Partien seiner Haut einhergehen. Zwei Spinnen erinnern an den Tarantelbiss, neben ihnen befindet sich ein schwarzer Skorpion und eine Amphisbaene, ein zweiköpfiges Fabeltier, das durch Gesners und andere barocke Naturhistorien noch als echte, wenngleich dämonisierte Schlangenspezies geisterte. Bis dahin repräsentiert das Gemälde das klassische Repertoire giftiger Tiere, wie es in den toxikologischen Standardwerken der Antike und Frühen Neuzeit, von Nikander, Dioskorides, Galen, Plinius und ihren Nachfolgern und Kommentatoren vorzufinden ist. Wir können sehen, wie die schädlichen Kreaturen aus Medusas Blut hervorgehen – Blut, das am Boden gerinnt und sich in windende Schlangenkörper verwandelt. Gift als Heimsuchung des Menschen, als drohende Vorahnung seiner Leiden und Krankheiten, entspringt dem abgeschlagenen Gorgonenhaupt. Wir erinnern uns, dass sich die chthonische Revolution gegen die sonnenhaften Autoritäten Apollons, Perseus’ und Zeus’ kehrte. Umgekehrt wappnen sich diese Gottheiten mit lichthaften Pfeilen, die gegen den Feind wie Injektionen wirken, und verfügen über die Fähigkeit, tödliche Krankheiten zu heilen oder, wie es auch einfach nur heißt, die Dunkelheit eines bewölkten Himmel zu vertreiben. Indem die Kunst an dieser apollinischen Aufgabe teilhat, ist sie augenblicklich mit der Pharmazie, der apothekischen Heilkunst, verbunden. Im 16. und 17. Jahrhundert, vor allem während der Pestzeiten, bezog man sich regelmäßig auf Nikanders Lehrgedicht und die Homerischen Hymnen, so zum Beispiel Vincenzo Cartari in seinen Le imagini de i dei de gli antichi (1556). Die Dichter schreiben, erklärt Cartari, dass es Apollons Pfeile waren, die die große, nach der Flut aus der Erde geborene Schlange töteten, denn Python verkörpere Fäulnis, die immer dann aus dem Erdboden aufsteige, wenn dieser zu feucht sei, bis sie von den heißen Sonnenstrahlen – Apollons Pfeilen – zurückgedrängt werde. Phoebus Apollon verscheuche mit seiner Wärme und seinem Licht außerdem die dunkle Jahreszeit und treibe aus dem Boden Heilkräuter hervor. 1648 dann veröffentlichte Domenico Panarolo seine wichtige epidemiologische Studie Apollo Pythius, seu putredo debellata, in der er die Schlange als Personifikation der zerstörenden und vergiftenden, dem Lebensprinzip entgegenstehenden Kräfte verstand.26 Der 25 26

An dieser Stelle soll noch einmal auf die enge Beziehung zwischen Delphos (als Gebärmutter) und jenem Urschlamm (Python), bevor er apollinisch bezwungen wurde, hingewiesen werden. Aus ihr entspringen alle generativen Prozesse. Vgl. Vincenzo Cartari, Le imagini de i dei de gli antichi, hg. v. Ginetta Auzzas, Vicenza 1996 [1556], 53; Domenico Panarolo, Apollo Pythius seu putredo debellata, Rom 1648, 7–8. Von römischen Autoren wird außerdem regelmäßig ein Zusammenhang zur Fäulnis in den römischen Sümpfen hergestellt, dabei u. a. mit Rückverweisen auf Lucius Iunius Moderatus Columellas (gest. um 70 n.Chr.) Werk über die Landwirtschaft De re rustica, in dem bereits erwähnt wird, dass sich dort Schlangen spontan generieren würden, die dasselbe Gift in sich trügen wie der faule

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medizinische Kampf des Menschen gegen die Schlange – symbolisiert durch Python, Typhon und Medusa – richte sich gegen die Herrschaft der chthonischen Elemente und subterranen Gewalten, und das heißt gegen die mythisch-kraftvolle Verbindung von Gaia und Tartaros. Durch sie wären Vergänglichkeit, Tod und Verfall in die Welt gebracht worden. In abgeschwächter Form jedoch seien alle giftigen Tiere erneute Repräsentationen des mächtigen Gegners: Schlangen, Spinnen, Skorpione, aber auch Fungi, toxische Stoffe und Mineralien. Man kann erkennen, wie schnell die Vorstellung einer chthonischen Herrschaft mit der Angst vor tödlicher Gefahr, Krankheit und Verfall zusammengeht und wie sehr der Erlösungsgedanke umgekehrt in pharmazeutischen Worten und Bildern Ausdruck findet. Apollon, Gott des Lichts, der Musik, Poesie und Bildenden Künste, ist zugleich ein Arzt, der größte Heiler. Es ist deshalb von Bedeutung, dass er in der antiken Giftliteratur stets als erlösende und reinigende Kraft erwähnt wird. Entsprechend können wir lesen, dass »keine Viper, keine giftigen Spinnen oder stechenden Skorpione die Waldwiesen von Klaros bewohnen, denn Apollon hat den Orakelort mit Eschenbäumen gesäumt und den grünen Waldboden von jedem giftigem Getier gereinigt.«27 Die Passage stammt aus einem Fragment des zuvor schon erwähnten Nikander von Kolophon, der auf die pharmazeutische Diskussion der frühen Neuzeit entscheidenden Einfluss hatte. Doch im Grunde haben wir es nicht mit einem Antagonismus, sondern mit einer inversiven Relation zwischen chthonischen und appollinischen Kräften zu tun, ähnlich dem Prozess einer alchemistischen Transformation: Nur wenn die eine Kraft zurücksinkt, kann die andere, quasi im Gegensinn, aufsteigen und sich entfalten. Medusas Blut kann sowohl töten wie Tote auferstehen lassen; es sind also gar nicht nur die giftigen, sondern auch die pharmazeutisch-belebenden Eigenschaften der Schlange, die sie unheimlich machen. Eine Gefahr des chthonischen Regimes besteht darin, dass sich Materie verselbständigen oder von fremden Kräften in Besitz genommen werden kann, d. h. nicht oder kaum mehr apollinisch gesteuert ist. Dies ist nicht zuletzt für eine Bildtheorie von Bedeutung, die sich gleichermaßen um das Produktions- wie Zerstörungspotential des Bildes kümmert oder nach dessen Status zwischen Monströsität und ästhetischer Bewältigung fragt. Eine ähnliche Fragestellung, den therapeutischen Aspekt gegensinniger Elemente betreffend, findet sich in den naturwissenschaftlichen Disziplinen selbst. Theorien über die wechselweise heilendschädliche Wirkung des Schlangengifts entwickeln sich zu einem vorrangigen Thema der frühneuzeitlichen Pharmazie. Und so kann man sagen, dass der herpetologische Diskurs einer über das biotische (Un-)Vermögen der Materie war bzw. über die künstliche Kontrolle, mit der man beides – die Fähigkeit, Leben zu erzeugen wie zu beenden – dem menschlichen Zugriff unterstellen wollte.

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Schlamm, vgl. Thomas Clifford Allbutt, Greek Medicine in Rome, London 1921, 337. Zur apollinischen Ikonographie in England vgl. die Studie von Raymond A. Anselment, The Realms of Apollo: Literature and Healing in Seventeenth-Century England, Newark 1995. Nikander, Oph., 31: »No viper, nor harmful spiders, nor deep-wounding scorpion inhabit the glades of Clarus, for Apollo veiled its deep grotto with ash-trees and purged its grassy floor of noxious creatures.«

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64 | Illustration zur Heilung eines Schlangen-

bisses mit Eisenkraut (Verbena officialis, L., Vervain), Biblioteca Laurenziana, Florenz, MS Plut. 73.16, c., fol. 35r.

65 | Apollon als Deus medicina oder Christus

medicus, 9. Jh., ursprgl. 28.5 × 21 cm, Landesbibliothek Kassel, 2o MS phys. et hist. nat. 10, fol. 30v.

Beschäftigt man sich mit der Entwicklung toxikologischer Studien im 16. und 17. Jahrhundert, so stößt man unweigerlich auf inhaltliche Widersprüche. Mindestens zwei Dispositive treffen aufeinander: Zum einen wird der mythische Hintergrund mehr oder weniger ungebrochen in die neuzeitliche Pharmazie kolportiert, so dass wir es mit einem besonders symbolträchtigen Zweig der Wissenschaftsgeschichte zu tun haben – die mythologischen Narrative spielen noch in die aufgeklärtesten Traktate hinein. Zum anderen aber setzt gerade jetzt eine »Arbeit am Mythos«28 ein: allen voran durch Francesco Redi, einen der interessantesten Protagonisten der neuen experimentellen Wissenskultur. Im Zuge dieser Bewegung findet man im paradoxen Mit- und Nebeneinander fiktionalen und faktualen Sprechens den Ort, an dem sich eine wissenschaftliche Rhetorik herausbildet und etabliert: So wenig wie den physikalischen Vorgängen seitdem noch eine Form von Magie oder Lebendigkeit zum Beispiel der Materie attestiert werden kann, so wenig können diese magischen Konzepte zugunsten einer empirischen Faktizität vollkommen überwunden werden (d. h. zugunsten einer scheinbar objektiven und allen einsehbaren Logik, die die Verflechtung von Materie und Geist ein für allemal löst). 28

Siehe Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt a. M. 2001 [1984].

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Francesco Redi selbst hat im Zusammenhang mit seinen Schlangenexperimenten über die Unterscheidung von Faktum und Fiktum nachgedacht. Angeregt wurde er durch die am Florentiner Hof um Ferdinando II. – den zweiten Mithridates, wie er genannt wurde – eingeführte Theriak-Herstellung.29 Denn Redis Osservazioni intorno alle vipere, seine erste unabhängige wissenschaftliche Arbeit, hatten die in Florenz zu einer offiziellen Zeremonie avancierte Herstellung des Gegengifts Theriak zum Ausgangspunkt.

THERIAK Der Prozedur standen hohe Autoriäten bei, es war ein fürstliches Unternehmen. Bereits die Ärzte des klassischen Griechenland hatten versucht, die Bisse giftiger Schlangen mit einer Kräutermixtur aus Anis, Fenchelsamen und Kümmel zu heilen, die – als Rezept bereits in die Mauer des Asklepieions auf der Insel Kos eingemeißelt – Theriak genannt wurde.30 Unter Mithridates VI. Eupator (132–63 v. Chr.), der ein Giftmörder war und sich selbst vor Anschlägen fürchtete, wurde die Rezeptur auf 54 Ingredienzen und magische Zutaten wie Entenblut, Schlangen- und Krötenfleisch angereichert, später kam noch das aus Mohn gewonnene Opium hinzu.31 Im antiken Rom soll Andromachus (54–68 n. Chr.), der Leibarzt des Kaisers Nero (37–68 n. Chr.), es durch zahlreiche weitere Zutaten verbessert haben. Galen berichtet, dass die Rezeptur von Nero aus Angst vor einem Giftmord regelmäßig als Gegenmittel geschluckt und von Kaiser Mark Aurel (121–180) täglich zur Immunisierung eingenommen wurde. Theriak war zunächst einmal ein Medikament für Fürsten, die mit der Gefahr auf einen Anschlag lebten. Galen hat einmal geschrieben, dass unter den vielen Übeln, die einem anheimfallen könnten, keines mehr Unheil verursache als toxische Substanzen und giftige Tiere. Vor anderen Gefahren könne man fliehen. Gift aber wäre man schutzlos ausgeliefert: In einem 29

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Donato Eremita (»aromatico e medico di Rocca d’Evandro, dell’Ordine dei Predicatori«) beispielsweise hatte sein Traktat Elixir vitae, Neapel 1624, Ferdinando II., Großherzog von Toskana, mit folgenden Worten gewidmet: »(…) al pari dei suoi predecessori e imitatori di Mitridate, re del Ponto, impiega tesori nelle vere preparazioni di preziosissimi antidoti, e per tal opra appresso di sé mantiene gran numero di artefici, pratici, e intendenti di misteri dell’occulta filosofia, da’ quali mi glorio anch’io d’aver, ne’ primi anni appreso il modo d’avanzarmi in questa professione.« Nach: Antonio P. Torresi, Il Ricettario Medici. Alchimia, farmacopea, cosmesi e tecnica artistica nella Firenze del Seicento, Ferrara 2004, 22. Der Begriff wird erstmals um ca. 170 v. Chr. bei Nikander von Kolophon erwähnt. Die persische bzw. turkmenische Bezeichnung Teriak bzw. Theriaak für die aus dem Mohn gewonnene Substanz führte wohl zu dem Namen Theriac, siehe z. B. Thomas Holste, Der Theriakkrämer. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Arzneimittelwerbung, Hannover 1976; Gilbert Watson, Theriac and Mithridatium: A Study in Therapeutics, London 1966; The Medical Renaissance of the Sixteenth Century, hg. v. Andrew Wear, Roger Kenneth French & Ian M. Lonie, Cambridge 1985; Paula Findlen, Museums, Collecting and Scientific Culture in Early Modern Italy, Berkeley 1989, 287–386. Zentren der Theriak-Herstellung in der Frühen Neuzeit waren neben Venedig und Florenz vor allem Amsterdam und Nürnberg, vgl. Giuseppe Olmi, »Farmacopea antica e medicina moderna: La disputa sulla teriaca nel Cinquecento bolognese«, in: Physis 19 (1977), 197–246; Richard Palmer, »Pharmacy in the Republic of Venice in the Sixteenth Century«, in: The Medical Renaissance, hg. v. Wear, French & Lonie, 100–117, v. a. 108–110.

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kurzen Moment von Unaufmerksamkeit, vielleicht sogar unwissentlich könne man Gift einnehmen oder von einer Schlange gebissen werden. Deshalb, heißt es weiter, wäre es notwendig, das Naturreich nach Gegenmitteln zu durchforsten und diese zu einem kraftvollen Antidot zu verarbeiten.32 Dabei hatte Galen selbst toxikologische Schriften verfasst (De antidotis I und II; De theriaca ad Pisonem; De theriaca ad Pamphilianum33), die im 16. und 17. Jahrhundert mehrfach aufgelegt wurden. De antidotis II beinhaltete eine Sammlung von über 130 Rezepten, die der griechische Arzt aus verschiedensten Quellen zusammengetragen hatte, während De theriaca in Ergänzung dazu eine wissenschaftliche Erklärung lieferte. Alle diese Schriften konzentrierten sich auf die Herstellung des als »Theriak« (griech.: θηρίον, therion = wildes oder giftiges Tier) bezeichneten Antidots, das von Andromachus im 1. Jahrhundert v. Chr. erfunden worden war und seitdem in den unterschiedlichsten Abwandlungen Eingang in die medizinische Praxis gefunden hatte. Galen bezeichnet es zuweilen verstärkend als antidotos theriake (ἀντίδοτος θηριακή) und manchmal eben auch als pharmakon. Dabei ist wichtig zu wissen, dass die Traktate nicht nur von Schlangengift handelten, sondern alle Arten von Vergiftungen betrafen, die durch »giftige Tiere, Schlangen, Skorpione, Spinnen, Bienen, tollwütige Hunde und ähnliches« hervorgerufen werden konnten. Galen geht in seinen Traktaten allerdings auch auf die Herstellung eines speziell als »Mithridatium« bezeichneten Antidots ein, dessen ursprüngliche Zusammensetzung und Propagierung auf Mithridates VI., König von Pontus (114– 63 v. Chr.) zurückgeführt wurde. Seine giftmörderischen Neigungen kamen Galen zufolge nur noch denen von Attalus III., König von Pergamon, gleich, der im 2. vorchristlichen Jahrhundert die Wirkung von Giften und Gegengiften an Verbrechern ausprobieren ließ. Justin weiß zu berichten, dass der König sich selbst im Garten betätigte, harkte und säte und giftige Kräuter mit harmlosen mischte, sie mit giftigen Säften tränkte und als Geschenke wahllos an Freunde schickte.34 Theriaca stellt neben den ebenfalls von Nikander verfassten Alexipharmaca die älteste, wenngleich nur im Fragment überlieferte, toxikologische Abhandlung dar. Auf diese Weise gehören dessen Lehrgedichte zusammen mit Dioskorides’ Kapitel über Gifte in der Materia medica sowie Plinius’ Naturalis historia mit ihren zahllosen Einträgen zu Vergiftungen zu den wichtigsten toxikologischen Referenzwerken der Antike.35 Galen bezieht sich unablässig darauf, und Pietro Andrea Mattio32 33 34

35

Vgl. Galen, »De theriaca ad Pisonem«, in: ders., »Opera omnia«, in: Medicorum graecorum, opera quae exstant, hg. v. C. G. Kühn, Hildesheim 1964–1965 [Leipzig 1821–1833], XIV, 295–310. Letztere stammt eventuell nicht aus Galens Feder, wurde ihm aber im 17. Jahrhundert zugeschrieben. Vgl. Watson, Theriac and Mithridatium, 4. Die erwähnte Stelle bei Justin, Epit. XXXVI, 4. Es ist wahrscheinlich, dass ihm, Attalus III., Nikander von Kolophons umfangreiches Lehrgedicht Theriaca gewidmet war, das in Hexameterform von verschiedenen Giften erzählt, genauer von den »giftigen Reptilien und ihren tödlichen Angriffen, die uns unvorhergesehen widerfahren, sowie von heilenden Gegenmitteln.« Ebenda. In der Forschung ist man sich einig, dass sie auf einem verloren gegangenen Text des griechischen Arztes Apollodorus basiert, der bereits im 3. Jahrhundert n. Chr. über Antidote geschrieben hatte. Von Nikanders zahlreichen Werken sind heute nur noch folgende Lehrgedichte überliefert: Theriaca (»Über giftige Tiere«); Alexipharmaca (»Über Gifte und ihre Gegengifte«) sowie Georgica (»Über das Landleben«, das Vergil beeinflusste). Zu Nikanders Gifttraktaten siehe Mottana,

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66a | Kräuter und Mineralien als Antidot gegen den Schlangenbiss, in: Nikander, Theriaka y Alexipharmaka, Manuskript aus dem 10. Jh., Bibliothèque Nationale de France, Paris, MS suppl. grec. 247, fol. 15v–16r. 66b | Fol. 16v–17r.

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66c | Fol. 43v–44r. 66d | Fol. 4v–5r.

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lis (1501–1577) Wiederauflage der dioskoridischen Schrift in den Commentarii, die bald auch volkssprachlich übersetzt wurden, popularisierte die antiken Anweisungen noch einmal.36 Seit 1531 erschienen Nikanders Texte im Lateinischen, Französischen und Italienischen, denn der Bedarf nach sogenannten pharmacopeia – Arzneibüchern mit Rezepturen für Medikamente und Hinweisen auf deren Wirkstoffe – stieg gewaltig. Mit dem Aufschwung verbunden war eine Aufwertung der Gilde der Apotheker.37 Für die Medici wiederum war ein Vergiftungstod nie ganz unwahrscheinlich gewesen, und so hatten sie schon früh ein Interesse an der Wirkung toxischer Substanzen bekundet. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die Haltung von Schlangen am Hof in Mode gekommen. Zur selben Zeit begannen die Medici, alle möglichen Medusenbilder zu sammeln, sei es auf Gemmen, Geschirr, Waffen oder Gemälden. Dabei handelte es sich um Kunstwerke, die ebenso für ihre Kunstfertigkeit wie ihre apotropäische Wirkung geschätzt wurden. Wiederum zur selben Zeit baute Ferdinando II. das pharmazeutische Familieninteresse wirtschaftlich aus und begann, Antidote in größerem Umfang herzustel-

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37

»Nicander on Stones«; Scarborough, »Nicander’s Toxicology«; ders., Pharmacy’s Ancient Heritage: Theophrastus, Nicander, and Dioscorides, Lexington 1985; Peter K. Knoefel & Madeline C. Covi, A Hellenistic Treatise on Poisonous Animals (The ›Theriaca‹ of Nicander of Colophon): A Contribution to the History of Toxicology, New York 1991. In Galens Schrift De antidotis wird Theriak mit einem Zusatz von Vipernfleisch als Heilmittel gegen Vipernbisse empfohlen. Galen, »De theriaca«; zur Zuschreibungsfrage siehe Rudolf Beer, »Galenfragmente im ›codex Vindobonenis 16‹«, in: Wiener Studien 34 [1912], 97–108. Zur Theriakherstellung siehe außerdem Prosper Alpin, De medicina aegyptiorum libri IV, Venedig 1591. Weiterführend: Watson, Theriac and Mithridatium, 4–5: »Theriake (theriac) was the name given to the kind of antidote which was specially meant to counteract the bites of venomous creatures, serpents, scorpions, spiders, bees, mad dogs, and the like. To the composition of both antidotes and theriacs went herbs, animal substances, mineral substances.« Mit zunehmender Verbreitung des Mittels wurde die Zusammensetzung immer komplizierter, bereits Galen zählt in seiner Rezeptur 70 Zutaten auf. Conrad Gesner (1516–1565) wiederum gibt in seinem Schlangenbuch Anweisung, ausschließlich weibliche Vipern zu fangen, kurz nachdem sie sich gehäutet hätten; zudem sollten sie sich nach der Schlachtung noch lange krümmen und verbluten: Conrad Gesner, Gesnerus De serpentibus oder Schlangen-Buch, durch Jacobum Carronum vermehrt und in diese Ordnung gebracht, anitzo aber mit sonderem Fleiß verteutschet, Frankfurt a. M. 1662 bzw. 1671, Reprint Hannover 1994, LVI: »Insbesonders die ein frauel gesicht und auffgereckten schwancken halß haben. (…) Hierneben ist nuh das ort zu betrachten/ dass man sie an keiner feijchten statt oder in gesalzenen orten/ vnd dem gestadt des meeres sahe/ sonder vil mehr in steinigem gebirg/ weyt von wassern gelegen.« Und: »Wann sie nun zu rechter zeyt gefangen werden/ solt du jnen den kopff und schwantz (…) auff vier zwerch finger breit abhauwen/ vnnd darnach gar eben waernemen ob sie gleych verbluten vnnd stracks also sterben/ denn die selbigen sind hierzu vntugenlich/ die sich aber hefftig krümben/ erzahlen/ auch nit schnell verbluten/ sind am aller besten.« Das derart gewonnene Theriak ermöglichte es den Probanden, die heiße, brennende Natur der giftigen Schlange in kleinen Dosen prophylaktisch einzunehmen. Tatsächlich findet man in den Herbarien, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts gedruckt werden, an vielen Stellen Hinweise auf die antike Tradition der Theriakherstellung, wenngleich die Rezepturen nach Region und Verfügbarkeit der Kräuter und Mineralien variieren. Die antiken Gifttraktate aber waren an einen mythischen Hintergrund gebunden gewesen. Dieser wird in die Herbarien und Pharmakopeia kolportiert. Zur Tradierung des Textes von Nikander und seinen Ausgaben vgl. Gow & Scholfield, Nicander, 9–17. Zum Ärztestreit, der Aufwertung des Apothekerwesens und der damit verbundenen Verbreitung von Pharmakopöen siehe Hugh Trevor-Rope, Europe’s Physician. The Various Life of Sir Theodore de Mayerne, New Haven & London 2006, 208–213.

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len und zu vertreiben. Im Florentiner Kontext hatte das illustre pharmakon schon früher einen wichtigen Platz eingenommen. Eine Referenz findet sich beispielsweise in Marsilio Ficinos De vita, wo die Einnahme von Theriak empfohlen wurde, um den Körper von allen Giften zu reinigen und für die Aufnahme astraler Eigenschaften empfänglich zu machen, vor allem denjenigen, die der Melancholie oder einem kontemplativen Leben zugeneigt waren.38 Im 17. Jahrhundert war es zu einer teuren Ware geworden, mit der man einen Markt bespielen konnte. Die Medici hatten sich auf die Herstellung spezialisiert, mit Venedig als größtem Konkurrenten.39 Es ist anzunehmen, dass Francesco Redi in seiner Funktion als Leibarzt des Großherzogs das über mehrere Tage abgehaltene, an magische Riten erinnernde Schlachten, Häuten und langsame Rösten von Vipern überwachen musste, deren Asche für die Aufbereitung des Gegengifts verwendet wurde. Hunderte von Schlangen wurden im Juni aus Neapel nach Florenz gebracht, um zu einem Pulver verbrannt zu werden, das inzwischen mit bis zu 300 verschiedenen Kräutern vermischt wurde und nicht nur gegen Schlangenbisse, Epilepsien und Aussatz, sondern auch gegen Pest, Cholera und Syphilis helfen sollte. Der Prozedur wohnte eine hohe Theatralität inne, auf die Redis Schlangenbuch in gewisser Weise antwortete. Tatsächlich beginnt es mit einer Beschreibung der Ankunft der vielen Schlangen aus Neapel im Juni 1663, der Ferdinand II. und Leopoldo de’ Medici mit ihrem Hofstaat beiwohnten. Schnell entspann sich unter den Anwesenden, so Redi, ein Gespräch über die Rolle der Vipern in der Herstellung des Antidots, über die Zusammensetzung ihres Gifts und den Ort, an dem es produziert werde. Da sich darüber keine Einigung abzeichnete, befahl der Großherzog eine Versuchsanordnung »zur Feststellung der Wahrheit«.40 Jedermann sollte seine Meinung anhand verschiedener Experimente überprüfen können. Auf diese Weise begann die an insgesamt mehr als 300 Exemplaren vollzogene Experimentenreihe Redis, die ihn über die Frage, ob das Gift in einem Stachel am Schwanzende sitze (schnell widerlegt), in der Galle produziert werde (der Schlangenfänger Jacopo Sozzi, genannt »il Viperaio«, trinkt zur Demonstration triumphierend ein Glas Gallensaft) oder über die Fangzähne appliziert werde (verifiziert) zur entscheidenden Problemstellung führte: 38

39 40

Donald Beecher hat die wissenschafts- und kulturhistorische Relevanz der talismanischen Wirkung der Droge noch einmal zusammengefasst: »But theriaca in any considered or analytical medical context was anything but a tried and proven remedy for simple maladies. It was and would remain (…) not only a pharmaceutical icon, but a drug under empirical siege, and a site for philosophical debate over the nature of the occult or unexplained pharmaceutical actions, as opposed to those deemed mechanical in accordance with the received doctrines concerning the humors. (…) Theriaca, itself, was composed of ingredients, each of which carried its own potential for astral fortification, and so might very well perform in the same talismanic way as the words, music, stones, jewelry, amulets, medals, and the multitude of other magically iconic objects which the gens de bien right up to the Medici kept around them in fifteenth-century Florence.« Donald Beecher, »Ficino, Theriaca, and the Stars«, in: Marsilio Ficino: His Theology, his Philosophy, his Legacy, hg. v. Michael J. B. Allen, Leiden 2002, 243. Wichtige Umschlagplätze für die Droge wiederum waren die Handelsstädte Amsterdam und Nürnberg. Francesco Redi. On Vipers, hg. v. Peter Knoefel, Leiden, New York u. a. 1988, 5. Francesco Redi, Osservazioni intorno alle vipere, Florenz 1664, 6: »(…) per ritrovar delle cose la mera verità nuda, pura, e schietta.«

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Muss das Gift in den Blutkreislauf gelangen, um zu töten? An dieser Stelle beginnt neben der experimentellen Observation ein intertextueller Diskurs, der die Laborsituation historisch verankert und mehr noch: historisch relevant macht. Er liest sich zunächst wie eine Detektivgeschichte, in der nichts weniger als die »Akte Cleopatra« noch einmal geöffnet wurde. Ist es denn wahrscheinlich, fragt Redi, dass sich die ihren Tod so sorgfältig planende Cleopatra damit zufrieden gab, eine Viper aus ihrem Versteck zu holen und an ihre Brust zu halten? Viele Bilder und Gemmen zeigen uns diese Version, wie auch die Berichte bei Plutarch (ca. 45–ca. 125), Propertius (ca. 50–ca. 15 n. Chr.), Paolo Orosio (ca. 375–ca. 420) unter anderen, doch gibt es Gegendarstellungen zum Beispiel in Galens De theriaca ad Pisonem oder in Dio Cassius Cocceianus’ (ca. 163–ca. nach 229) Historiae romanae libri XLVI.41 Bei letzteren heißt es, die ägyptische Königin hätte ihre Haarnadel in Schlangengift getaucht und sich damit kurzentschlossen in die Haut geritzt. Ein solches Verfahren zeugt ebenso von der Willenskraft der Königin wie von ihrem Wissen um die Wirkung des Gifts, das am tödlichsten wirkt, wenn es in direkten Kontakt mit einer Wunde kommt und ins Blut gelangt. Angesichts der Experimente, die Redi in Dutzenden an Hunden, Katzen, Ziegen, Hühnern usw. anstellte, war inzwischen ganz klar geworden, dass dies die effektivste Art war, ein Lebewesen zu vergiften. Man konnte das Schlangengift problemlos trinken, wenn man keine inneren Verletzungen oder kranken Zähne hatte, heißt es weiter, man konnte zuweilen sogar einen Vipernbiss überleben, wenn er falsch plaziert war. Niemals jedoch konnte man der tödlichen Kraft entkommen, die das Gift in einer offenen Wunde entfaltete. Die Experimente hatten nicht nur einen Streitpunkt der Mediziner geklärt (noch Marc’Aurelio Severino [1580–1656] hatte in seiner Vipera pythia, id est, De viperae natura, veneno, medicina, demonstrationes, & experimenta nova, Padua 1651, nicht glauben wollen, dass appliziertes Gift tödlich sein konnte; später wird Redi sich mit Moyse Charas [1619–1698] darüber streiten, ob nur gereizte Schlangen giftig seien), sondern den Vorgang eines historischen Ereignisses rekonstruiert – oder, in Jay Tribbys Worten: »With the assistance of history’s rhetoric and pharmacy’s curios, Francesco Redi and his collegues thus reconstitute the image of Cleopatra’s death in 30 BC – and this in Florence in 1664 AD.«42 Es bedeutet weiter, dass Redis Schlangenbuch neben seinem Ziel, »die nackte, reine, echte Wahrheit«43 darzustellen, zu einem rhetorischen Meisterwerk geworden war, weil er die narrativen Dispositive des »Falls Cleopatra« genauestens kannte und nutzte. Galen und Dio Cassius werden beispielsweise an manchen Stellen fast wortwörlich zitiert, imitiert. Sein Buch ist wissenschaftlicher Laborbericht und Historienroman in einem, ein glänzendes Literaturstück und zudem der Auftakt zu einer Reihe weiterer naturwissenschaftlicher Publikationen, in denen er die Klaviatur der Stilebenen und Narrative zwischen Dichtung

41 42 43

Dio Cassius Cocceianus, Historiae romanae libri XLVI, Paris 1548. Jay Tribby, »Cooking (with) Clio and Cleo: Eloquence and Experiment in Seventeenth-Century Florence«, in: Journal of the History of Ideas, 52/3 (1991), 417–439, hier 433. Redi, On Vipers, 3.

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67 | Guido Reni, Tod der Kleopatra, ca. 1625–1630, Öl auf Leinwand, 124 × 94 cm, Neues Palais Potsdam.

und Wahrheit virtuos bespielt. »Mein Herr«, schreibt Redi an den Sekretär der Accademia, den Comte Magalotti, »jeden Tag sehe ich mich mehr in meinem Vorhaben bestätigt, nicht den Naturerscheinungen zu glauben, es sei denn ich sehe sie mit meinen eigenen Augen und sie werden durch wiederholte Erfahrung bestätigt. Denn ich erkenne immer mehr, welch schwieriges Unterfangen es ist, sich der Wahrheit zu nähern, die so oft durch falsche Aussagen verunklärt wurde.«44 44

Ebenda (»Viele Autoren, alte wie neue, ähneln jenen Schafen, von denen unser göttlicher Dichter [Dante] schrieb: Gleichwie die Schäflein aus dem Stalle gehen/ Eins, zwei und drei, indessen noch verzagt/ Die andern mit gebeugten Köpfen stehen/ Bis was das erste tat, nun jedes wagt/ Wenn jenes harrt, geduldig die Beschwerde/ Des Drangs erträgt und nach dem Grund nicht

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68 | Stefano della Bella, Kopfstudie einer Viper, 1660er Jahre,

Gabinetto Disegni e Stampe, Florenz, Inv.-Nr. 892 Orn.

So beginnt Redis Bericht über die Schlangen aus den Jahren 1663/1664, dem die Beschreibungen einiger Experimente folgen, und in diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert zu sehen, wie in der jungen Gattung der sottoboschi fast gleichzeitig der wissenschaftliche Realismus steigt und die Bilder profan werden.45 Die giftigen Fangzähne der Natter in Marseus’ 1662 datiertem Braunschweiger Bild beispielsweise heben sich deutlich vom dunklen Hintergrund ab, während die Schlangen in seinen früheren Bildern zuweilen

45

fragt […]«. Das Zitat stammt aus Dante, Div. Com., Fegefeuer, Dritter Gesang, 27–28 (»Ogni giorno più vado confermando nel mio proposito di non voler dar fede nelle cose naturali, se non a quello che con gli occhi miei propri io vedo, e se dall’iterata, e reiterata esperienza non mi venga confermato: imperciocchè sempre più m’accorgo, che difficilissima cosa è lo spiare la verità frodata sovente dalla menzogna, e che molti Scrittori, tanto antichi, quanto moderni somigliano a quelle pecorelle, delle quali il nostro Divino Poeta. Come le pecorelle escon dal chiuso/ Ad una, a due, a tre, e l’altre stanno/ Timidette atterrando l’occhio, e ’l muso/ E ciò che fa la prima, e l’altre fanno/ Addossandosi a lei, s’ella s’arresta/ Semplici, e quete, e lo ’mperché non sanno (…).« Redi, Osservazioni intorno alle vipere, 5). In einer Passage beispielsweise wird diskutiert, wie viele Zähne Schlangen eigentlich besitzen, und Redi (On Vipers, 18) fasst die älteren Meinungen zusammen: »Paulus Aeginata und Ali Abate erwähnen lediglich zwei in männlichen wie weiblichen Tieren. Vincent de Beauvais spricht dagegen von drei; Baldo Angelo Abati und Johann Vesling von vier; und Albertus Magnus behauptet, dass die männliche Viper zwei Zähne im oberen Kiefer und zwei korrespondierende im unteren besäße. Im ebenso gewissenhaften wie merkwürdigen Brief De dente vipere kommt Giovanni Battista Odierna zu der Meinung, dass Vipern achtundvierzig kleine Zähne hätten, während er sich bei den großen in Schweigen hüllt. Marc’Aurelio Severino behauptet, dass er mindestens drei, vier, sogar fünf, vielleicht sechs im oberen wie unteren Kiefer der Schlangen gesehen hätte. Wem dürfen wir also glauben?« Zu den Traktaten der erwähnten Autoren siehe Redi, On Vipers, 73–74.

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noch zahnlos erscheinen. Von Stefano della Bella (1610–1664) ist im Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi die Aquarellzeichnung eines Vipernkopfs mit Giftzähnen überliefert, die im Zusammenhang mit den Florentiner Schlangenexperimenten entstanden sein könnte. Solche realistischen Details greifen bald auch in der Ölmalerei um sich, einmal ist es die Luftröhre des Reptils, ein anderes Mal der Vorgang, ein Meerschweinchen mit dem Kopf zuerst zu verspeisen, auf die die Blicke des Malers gelenkt werden. Was aber bedeutet es, ein Bild mit wachsenden Profanierungen zu versehen?

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DICHTUNG UND WAHRHEIT Wenig später saß der damals schon aus der französischen Académie royale entlassene Abraham Bosse (1604–1676) an der Zeichnung von Schlangen, die der Pharmazeut Moyse Charas im Gegenzug zu Redis Experimenten seziert hatte. Charas, der zunächst Chemie am Jardin Royale unterrichtete sowie der persönliche Apotheker Ludwigs XIV., bei seiner Emigration nach England dann von Charles II. war, hatte in seinen Klassen früh mit lebenden Vipern experimentiert und auch zur Giftherstellung publiziert. Charas jedenfalls publizierte die von Bosse hergestellten und in vielerlei Hinsicht auf Baldo Angelo Abati (2. Hälfte 16. Jh.) antwortenden Stiche 1669 in seinen Nouvelles expériences sur la vipère, und zwar weil sich, wie Charas in seiner Einleitung schreibt, in frühere Traktate immer noch Fehler eingeschlichen hatten, die durch die präzise Zeichenkunst von Monsieur Bosse (»il a bien voulu designer apres le naturel, & en faire graver toutes les parties considerables de cet Animal«) nun jedoch behoben wären.46. Umso auffälliger ist die Diskrepanz zwischen dem fortschrittlichen Anspruch der Zeichnungen und Charas’ hartnäckiger 46

Moyse Charas, Nouvelles expériences sur la vipère, où l’on verra une description exacte de toutes ses parties, la source de son venin, ses divers effets et les remèdes exquis que les artistes peuvent tirer de la vipère, tant pour la guérison de ses morsures que pour celle de plusieurs autres maladies, Paris 1669. Vorwort: »En dissequant toutes ces Vipères, nous voulûmes voir les parties que les Autheurs ont remarquées, & qui mes ont representées dans les Livres de quelquesuns; & les conferant avec les naturelles que nous avions devant nos yeux, nous y reconnûmes beaucoup d’obmission de parties fort considerables, une introduction des quelques-unes imaginées, & des representations & des situations de plusieurs, assez mal dessinés, & asses mal placées; On creut que je devois tâcher de faire quelque chose de plus accomply: Et Monsieur Bosse dont l’intelligence & le scavoir en l’Art de dessiner & de graver, sont connus & estimez de tout le monde, en des choses bien plus relevées que n’est l’Anatomie de la Vipère, se trouvant par bon-heure en une de nos assemblées & prenant grand plaisir à obliger ses amis, témoigna des-lors qu’il seconderoit fort volontièrs mon intention: & ayant eu de moy des sujets à suffisance, il a bien voulu designer apres le naturel, & en faire graver toutes les parties considerables de cet Animal.« Weitere Passagen zur Viper in Moyse Charas, Thériaque d’Andromachus, dispensée et achevée publiquement à Paris par Moyse Charas, avec les réformations et les observations de l’auteur tant sur l’élection et sur la préparation, que sur le dernier mélange de tous les ingrédiens de cette grande composition [Alternativtitel: Histoire naturelle des animaux, des plantes et des minéraux qui entrent dans la composition de la thériaque d’Andromachus, dispensée et achevée publiquement à Paris, par Moyse Charas, avec les réformations et les observations de l’auteur] (1668); ders., Pharmacopée royale galénique et chimique, Paris 1676. Vgl. auch P. Catellani & R. Console, »Moyse Charas, Francesco Redi, the Viper and the Royal Society of London«, in: Pharmacy in History 34/1 (2004), 2–10.

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69 | Abraham Bosse, Kupferstich mit der Anatomie einer Viper, in Moyse Charas, Nouvelles expériences sur la vipère, Paris 1669, tab. I.

Behauptung, dass Schlangen nur giftig seien, wenn sie gereizt würden, dass das Gift nichts anderes sei als die Materialisierung der aggressiven Imagination des Tiers: »Wir schließen daraus, dass die Imagination der Viper, gereizt durch Rachegedanken, die sich in ihr geformt haben, die Animalgeister in Bewegung versetzt und sie gewaltsam durch die Nerven und deren Verzweigungen in die Höhlungen der Fangzähne presst, und dass diese dadurch in den Blutkreislauf der [gebissenen] Tiere gelangen (…).«47 Redis Antwort auf Charas’ Einwurf ist in ähnlich polemischer Eleganz verfasst wie seine früheren Osservazioni. Sie stützte sich auf seine Experimente, die auf ein anderes Ergebnis schließen ließen und sich von den poetischen Fabeln dadurch unterschieden, dass sie durch wiederholte Beobachtung verifiziert würden. Die Künste, so Redi, bedienten sich einer poetischen licenza, die zum Teil einer leichteren Lesbarkeit und Verständlichkeit der istoria diente, während die Wissenschaften einen ganz anderen Zweck verfolgten, nämlich den der Archäologie falscher Aussagen. Gleichzeitig eröffnet er eine Bildtypologie, in der es zweierlei »wahre« Bilder gibt, Bilder der Fiktion und Bilder der Wirklichkeit. Sie erfüllen verschiedene Funktionen und sind eventuell nicht gegeneinander ausspielbar. Die moderneren Maler jedenfalls, so Redi in expliziter Referenz auf Pier Vettoris (1499–1585) Analyse der Historienmalerei in den Variarum lectionum libri XXV (Florenz 1533), wür47

Charas, Nouvelles expériences sur la vipère, 96: »Nous conluons donc, que l’imagination de la Vipère, estant irritée par l’idée de la vengeance qu’elle s’est formée, donne un mouvement aux esprits que ne se peut exprimer, & et les pousse avec violence par les nerfs & par leurs vibres, vers la cavité des dents, comme dans une entonnoir, & et que de là ils sont portez dans le sang de l’animal, par l’ouvertures qu’elles luy ont faite (…).«

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den die poetische Lizenz zur freien Gestaltung weitaus mehr auskosten als die alten, die sich enger an die res ipsae der geschichtlichen Ereignisse gehalten hätten. Die Treue der Modernen zu den Dingen sei geschwächt, weil sie sich bereits in einem Kunstsystem verankert sähen, das Selbstbezüge herstelle und verlange. Die historische Zeit, die sich zwischen das Ereignis und seine Darstellung geschoben habe, würde dem poetischen intertextuellen Verfahren Vorschub leisten und den medialen Status der Darstellung betonen (sie sind immer schon Produkt von cultura). Eine Rekonstruktion beziehungsweise Aufdeckung der Tatsachen (natura) dagegen könne nur das methodische Verfahren der Naturwissenschaftler liefern, die, wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, ebenfalls Historienschreiber und -maler seien, nur eben auf dem Gebiet der Naturhistorie und ohne jene licenza artistica. Man fühlt sich an die von Aristoteles in seiner Poetik vorgenommene Unterscheidung zwischen Historiographie und Dichtkunst erinnert, derzufolge ein Geschichtsschreiber sich dem Partikulären, So-Dagewesenen zu widmen habe, ein Dichter dagegen dem Bereich des Möglichen und Virtuellen. In der Naturwissenschaft nun geht die Bewegung hin zum profanen Detail, zum Partikel. Da Redi selbst sowohl als Dichter wie Naturwissenschaftler tätig war, kann er zwischen beiden Bereichen ebenso vermitteln wie Grenzen ziehen. Er muss sich nur einiger rhetorischer Griffe bedienen, um Charas’ Schlangen spöttisch zu »französischen« zu erklären, deren Gift »aus der imaginären Idee von Zorn und Rache entstehe«48, während italienische Vipern schlichtweg über ein biologisches Organ verfügten. Sein Brief an Charas schließt mit der Bitte an den französischen Kollegen, sich in weiteren Experimenten der gemeinsamen Natur der Tiere zu versichern und dann ein Kapitel der Naturgeschichte abzuschließen, das seinerseits bereits besiegelt sei. Sogesehen fordert er Charas auf, in Paris zu sehen, was er in Florenz schon längst gesehen hat, nämlich repetitive biologische Muster und keine vorgeblendeten Bilder älterer Lehrmeinungen. Tatsächlich aber blieben beide Erklärungen – Redis biologische und Charas’ psychologische – bis 1768 nebeneinander bestehen. In einem Klassifkationswerk taufte Joseph Nicolaus Laurent (1750–1780) sogar dementsprechend zwei Vipernarten nach ihnen49, und der Streit wurde nicht vor 1781, in einem Traktat von Felice Fontana (1730–1805), endgültig zugunsten Redis beschlossen.50

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Redi, On Vipers, 45. Vipera Francesco Redi und Vipera Mosis Charas, in: Josephus Nicolaus Laurent, Specimen medicum, Synopsis reptilium, emendatam circa venena et antidota reptilium Austriacorum, Amsterdam 1966 [Wien 1768], 9. Siehe auch Redi, On Vipers, xvi. Vgl. Peter Knoefel, Felice Fontana. Life and Works [Societa di Studi Trentini di Scienze Storiche], 2 Bde., Trient 1984, I/2, Kapitel III. In Fontanas Ricerche fisiche sopra il veleno della vipera, Lucca 1767, war jedoch bereits entscheidendes Material vorgelegt worden.

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ARBEIT AM MYTHOS 51 Die Herausbildung des Fachs der Herpetologie oder Toxikologie – in enger Relation zur Pharmazie und Biologie des 17. Jahrhunderts – basierte zu großen Teilen auf Falsifikationen. Dies sage ich in Abgrenzung zur positivistischen Wissenschaftstheorie, die der visuellen Wahrnehmung und dem Experiment eine Objektivität und Positivität zugesteht, die ihr so nicht zukam. Sicherlich hatte sich in der Wissenschaftssprache der Zeit ein deskriptives Vokabular ausgeformt (verbunden mit einer Betonung des Sehens und Beobachtens), weil, wie man wiederholt feststellte, die Sprache Sachverhalte immer schon auslegte anstatt sie einfach nur wiederzugeben. In London hatte sich die Royal Society bezeichnenderweise auf das Motto Nullius in Verba geeinigt, dem provando e riprovando der Florentiner Accademia del Cimento folgend. Aber solche Programme als Absage an ältere narrative oder mythologische Strukturen zu verstehen, wäre vorschnell geurteilt. Vielmehr geht es, um hier mit Blumenberg zu sprechen, darum zu verstehen, dass die menschliche Anstrengung, »den letzten Horizont, als den ›mythischen Rand der Welt‹, zu besetzen, nur der Vorgriff auf die Ursprünge und Ausartungen des Unvertrauten [ist]. Der homo pictor ist (…) das mit der Projektion von Bildern den Verläßlichkeitsmangel seiner Welt überspiegelnde Wesen.«52 Die Zeit jedenfalls war reif für eine Arbeit am Mythos. Nach dem Vorbild der 1603 gegründeten und 1630 aufgelösten Accademia dei Lincei hatte sich 1650 in Neapel die lose Formation einer experimentell ausgerichteten Accademia degl’ Investiganti zusammengefunden, sowie, 1657 in Florenz, die schnell berühmt werdende Accademia del Cimento.53 Letztere prosperierte in den zehn Jahren ihres Bestehens vor allem aufgrund der Beiträge des Mathematikers und Physikers Vincenzo Viviani (1622–1703), eines Assistenten Galileo Galileis (1564–1642), und Giovanni Borellis (1608–1679), dessen Naturphilosophie strikt auf mechanistischen Prinzipien beruhte, sowie der Unterstützung durch die Brüder Leopoldo de’ Medici und Ferdinando II., Großherzog von Toskana. An den im Palazzo Pitti 51

52

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Vgl. den gleichnamigen Titel bei Hans Blumenberg. Dort provoziert die »Herrschaft über die Wirklichkeit« via wissenschaftliche Erkenntnis, bzw. der menschliche »Eintritt in die Geschichte«, zugleich den Wunsch nach »archaischer Resignation«, d.h. dem Zurücksinken und Vergessen einer solchen erkenntniskritischen Leistung. Ergebnis ist eine inversive Relation zwischen mythischer Traumwelt und Suprematie des Subjekts: »Welchen Ausgangspunkt man auch wählen würde, die Arbeit am Abbau des Absolutismus der Wirklichkeit hätte immer schon begonnen. Unter den Relikten, die unsere Vorstellung von der Frühzeit des Menschen beherrschen, sein Bild als das des tool-maker prägen, bleibt all das unauffindbar, was auch geleistet werden musste, um eine unbekannte Wirklichkeit bekannt, ein ungegliedertes Areal von Gegebenheiten übersichtlich zu machen. Dazu gehört das der Erfahrung Unzugängliche hinter dem Horizont.« Blumenberg, Arbeit am Mythos, 13–14. Ebenda. Jede Diskussion um den Erkenntniswert visueller Wirklichkeitsaneignung sollte notwendig im Bewusstsein des blinden Flecks der menschlichen Erkenntnisfähigkeit begonnen und vollzogen werden. Mythos und Wissenschaftlichkeit berühren sich stets, und die Bilder reichen mit ihren Rändern an beide Instanzen und verzahnen sie. Innerhalb der vielen Kontroversen des 17. Jahrhunderts wurde das Dilemma öffentlich vorgeführt, es war das Dilemma zwischen der Relevanz empirischer Einzelbeobachtungen und der Allgemeingültigkeit des Systems. Vgl. Michele Maylender, Storia delle Accademie d’Italia, 5 Bde., Bologna 1976 [1926–1930].

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abgehaltenen Treffen nahmen unter anderem Nicolaus Steno und Francesco Redi teil; unter dem Motto provando e riprovando wurde der experimentelle Charakter der Institution, seine explizit anti-aristotelische Ausrichtung angekündigt.54 Das dahinterstehende erkenntniskritische Problem betraf das Verhältnis zwischen der empirischen Beobachtung der Körperwelt und ihrer systematischen Ordnung – und damit die barocke Methode des Experimentalismus bzw. Empirismus als solche. Man fühlt sich zu Recht an die Schwierigkeit der aristotelischen Nachfolger erinnert, zwischen der konkreten Erscheinung der Einzeldinge (particularia) und einer allgemeinen Form der genera zu vermitteln beziehungsweise im »Nebeneinander von streng logischem Realismus und rein sensualistischer 54

Die Akademie bestand nur zehn Jahre, bis 1667, d. h. als drei ihrer Mitglieder Florenz verließen und Leopoldo zum Kardinal ernannt wurde. Ihre Publikation (Saggi di naturali esperienze fatte nell Accademia del Cimento, Florenz 1667) war einflussreich und markierte innerhalb der Wissenschaftshistoriographie den Beginn der modernen Physik. Vgl. Martha Ornstein, The Rôle of Scientific Societies in the Seventeenth Century, London 1963 [Chicago 1928], 89. 1780 veröffentlichte Giovanni Targioni Tozzetti (1712–1783) zusätzliches Material (Atti e memorie inedite dell’Accademia del Cimento e notizie aneddote dei progressi delle scienze in Toscana […], Florenz 1780). Zur Institution der Accademia del Cimento vgl. William Edgar Knowles Middleton, The Experimenters. A Study of the Accademia del Cimento, Baltimore 1971; Paolo Galuzzi, »L’Accademia del Cimento«, in: Quaderni Storici, 48/3, 788–844; Tribby, »Cooking (with) Clio and Cleo«; Mario Biagioli, »Etiquette, Interdependence, and Sociability in Seventeenth-Century Science«, in: Critical Inquiry 22/2 (1996), 193–238; Aldo Tucciarone, »Provando e riprovando: Beatrice e l’Accademia del Cimento«, in: Quaderni di Storia 24/47 (1998), 103–112; Domenico Bertolini Meli, »Shadows and Deception: From Borelli’s ›Theoricae‹ to the ›Saggi‹ of the Cimento«, in: The British Journal for the History of Science 31/4 (1998), 383–402; ders., »Authorship and Teamwork around the Cimento Academy: Mathematics, Anatomy, Experimental Philosophy«, in: Early Science and Medicine 6 (2001), 65–95; Marco Beretta, »At the Source of Western Science: The Organization of Experimentalism at the Accademia del Cimento (1657–1667)«, in: Notes and Records of the Royal Society in London 54/2 (2000), 131–151; Ausst.-Kat. Florenz (2001), Scienziati a corte: L’arte della sperimentazione nell’Accademia galileiana del Cimento, 1657–1667, hg. v. Paolo Galluzzi, Livorno 2001, hierin v. a. Lucia Tongiorgi Tomasi, »L’Accademia del Cimento e le arti. Tracce di un dialogo«, 59–63; Luciano Boschiero, »Natural Philosophizing inside the Late Seventeenth-Century Tuscan Court«, in: The British Journal for the History of Science 35/4 (2002), 383–410; ders., Experiment and Natural Philosophy in Seventeenth-Century Tuscany. The History of the Accademia del Cimento, Dordrecht 2007. Leopoldo war in seiner Jugend selbst von Evangelista Torricelli (1608–1647) unterwiesen worden, der sich mit seinen Vakuumexperimenten und Überlegungen zum Quecksilberbarometer zu dieser Zeit ebensoviele Freunde wie Feinde gemacht hatte. Doch auch jetzt, 1657, waren Theorien zum Vakuum umstritten und in letzter Konsequenz nicht nur für Anhänger der älteren Schule, sondern auch für Descartes und seine Nachfolger inakzeptabel. Descartes, der bekanntlich gesagt hatte, dass er das Vakuum lediglich in Torricellis Kopf vermutete, fand mit seiner Vorstellung einer res extensa bei vielen Wissenschaftlern Gehör, die einen gemäßigten Liberalismus vertraten und den Atomismus in letzter Konsequenz ablehnten. Die Möglichkeit des Vakuums nämlich traf nicht nur die scholastische Physik im Kern, sondern stellte für jeden eine rigorose Glaubensentscheidung dar: Hielt sich der Mensch in einem kontinuierlich erfüllten Raum auf, und ist dieser Raum an jeder Stelle plastisch geformt? Dann war die Ordnung der natürlichen Welt visuell erfahrbar. Oder konstituerten sich die Lebewesen aus atomaren Verbindungen, deren geometrische Bausteine locker nebeneinanderlagen und sich allenfalls als reduktives Produkt des Denkens fassen ließen? Dann hatte der eigentliche Aufbau der Körperwelt wenig mit seiner sinnlichen Erfassung zu tun. Die Frage des Stellenwerts der sinnlichen Wahrnehmung innerhalb der Epistembildung des 17. Jahrhunderts ist an dieser Stelle keineswegs vorgeschoben, sondern ganz im Gegenteil elementar.

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Psychologie«55 ein überzeugendees System zu erstellen. Niemals zuvor war die Abhängigkeit der Erkenntnis von den Bedingungen der sinnlichen Erfahrung so deutlich geworden (und zugleich so übertüncht worden). Die vergleichende Beobachtung des Verhaltens der Körperwelt führte zu neuen Ansichten über deren Grundlagen. Die ständige Neuanordnung der Versuchsreihen gab jedoch auch Rückschlüsse auf die spezifische Situativität, welche den Versuchen jeweils zu Grunde lag. Sogesehen wurde klar, dass bestimmte Dispositive auf die Wahrnehmung der Natur einwirkten und umgekehrt der Einfluss dieser Wahrnehmung auf das systematische Denken offen zu Tage trat. Man konnte sehen, wie die Theorie der Natur und Materie eine eigene Historizität annahm. Nicht zuletzt wurde dadurch Aristoteles’ grundlegende Unterscheidung zwischen Faktum und Fiktion – konkret: Geschichtsschreibung bzw. Naturwissenschaft versus Literatur bzw. Kunst – anhand inhaltlicher Kriterien aufgehoben. Auch im Bereich der Physik oder Biologie arbeitete man mit Traditionen, ganz bewusst. Im Grunde geht es also erst gar nicht um das Aufdecken von Wahrheit, sondern um eine Umstrukturierung des Denkens zum Beispiel nach dem Prinzip der Falsifikation oder einer Philosophie des Nein56, die in den Akademien praktiziert wurde – auch wenn diese uns glauben machen wollte, dass die Theorie genauso zum Reich der Fakten gezählt werden konnte wie die Experimente selbst.57 Deshalb sprach man an der Accademia weiterhin vom »Entdecken« und »Enthüllen« der arcana naturae, so als wären sie im Verborgenen immer schon dagewesen und nur noch nicht sichtbar geworden. Das Frontispiz der englischen Ausgabe der Saggi di naturali esperienze beispielsweise – der einzigen Publikation der Accademia del Cimento – zeigt genau diesen Moment.58 Dort muss Aristoteles zusehen, wie sich die Diva Natura erst jetzt, das heißt erst unter der Ägide der Accademia, vollkommen vor ihm entblößt. Die kleine, Caravaggios Medusa imitierende Kartuschenfigur erinnert noch einmal an Redis Schlangenexperimente und die Schutzherrenschaft der Medici. 55 56 57

58

Ernst Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, 4 Bde., Darmstadt 1974 [1906], I, 69. Begriff nach Gaston Bachelard, Die Philosophie des Nein. Versuch einer Philosophie des neuen wissenschaftlichen Geistes, Frankfurt a. M. 1980 [La Philosophie du Non, Paris 1940]. Dies meine ich im Sinne Bachelards, der Wissenschaft und Philosophie wechselseitig aufeinander beziehen und erhellen will. Vgl. Bachelard, Philosophie des Nein, 18–19: »Denn die Wissenschaftler halten eine metaphysische Ausbildung für überflüssig; sie beteuern, dass sei einzig und allein die Lehren der Erfahrung akzeptieren, soweit sie auf dem Gebiet der experimentellen Wissenschaften arbeiten (…). Für den Wissenschaftler gehört auch die Wissenschaftstheorie noch zum Reich der Fakten. (…) Für den Philosophen gehört die Philosophie der Wissenschaft nie vollständig zum Reich der Fakten.« Zu einer fehlenden Faktualitätstheorie im Gegensatz zur gut ausgebauten Fiktionstheorie in den Literaturwissenschaften vgl. z. B. Meike Herrmann: »Fiktionalität gegen den Strich lesen. Was kann die Fiktionstheorie zu einer Poetik des Sachbuchs beitragen?«, in: Arbeitsblätter für die Sachbuchforschung 7, Berlin, Hildesheim 2005, http://www.sachbuchforschung.de/html/ literatur.html (letzter Zugriff am 15. 01. 12). Die italienische Erstausgabe erschien autorenlos, die Accademia verhielt sich als Kollektiv; engl. Ausgabe: Essayes of Natural Experiments Made in the Academie del Cimento under the Protection of the Most Serene Prince Leopold of Tvscany. Written in Italian by the Secretary of that Academy. Englished by Richard Waller, London 1684.

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70 | Richard Waller, Frontispiz der englischen Ausgabe der Saggi di naturali esperienze (Essays of Natural Experiments Made in the Academy del Cimento), London 1684.

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VON DINGEN UND TATSACHEN Was aber bedeutet das mit Blick auf die Bilder, worin bestehen die Gemeinsamkeiten? Zum einen: Die Maler der sottoboschi und barocken Naturstücke arbeiteten im engen Umfeld der experimentellen Wissenschaftler der Accademia, zuweilen für dieselben Mentoren und Auftraggeber. Hier ergibt sich ein Zusammenhang im Sinne einer personalen Konstellation, und dieser geht eine Berührung naturwissenschaftlicher und künstlerischer Interessen auf inhaltlicher Ebene voraus. Der andere Konnex ist ein systemischer; er betrifft den Hang zum profanen Detail, zur Beschreibungskunst auch in den barocken Naturstücken. Wir haben gesehen, wie das von Rachel Ruysch, Mignon, Withoos und anderen entworfene Naturtableau aufgrund der zunehmenden Binnendifferenzierung schon kaum mehr zusammenzuhalten war und in diverse Einzelmotive zu zerfallen drohte. Die Schwierigkeit, zwischen Einzeldingen und allgemeinen Naturgesetzen zu vermitteln, in der Vielfalt eine Einheit zu erkennen und mit einer übergeordneten symbolischen Ordnung zu verbinden, stellte sich seit Mitte des 17. Jahrhunderts Naturwissenschaftlern und Malern gleichermaßen. Hier wie dort kämpfte man auch damit, zwei unterschiedliche zeitliche Kategorien in Einklang zu bringen: die Jetztzeit der sinnlichen Erfahrung und die Überzeit eines einheitlichen Natursystems – zwei Kategorien, die sich in der Malerei zum Beispiel in der Wahl realistischer oder symbolischer Darstellungsmodi äußern konnten. Hat man einmal verstanden, dass es im alten Streit um das Verhältnis zwischen Realismus und Symbolismus in barocken Stilleben und Naturstücken gar nicht so sehr um die Frage geht, ob Malerei eine mimetische Beschreibungskunst ist oder nur das Deckblatt eines disguised symbolism, sondern um unterschiedliche Grade von Sichtbarkeit, so lässt sich die Diskussion in eine andere Richtung fortführen. Man kann dann beispielsweise fragen, ob sich die Spannung zwischen realen und symbolischen Formen in den Naturstücken des 17. Jahrhunderts nicht geradezu notwendig ergeben muss, weil sich die vielen Einzeldinge bezogen auf ein übergeordnetes, hervorbringendes Naturprinzip unterschiedlich opak beziehungsweise durchsichtig verhalten. Folgt man diesem Gedanken, dann konzentrieren sich die Stilleben und barocken nature pieces nicht mehr nur um einen verdeckten Bildsinn hinter den Gegenständen und auch nicht um ein Lob täuschend echt dargestellter Oberflächen der Dinge selbst, sondern um das wechselseitige graduelle Sichtbarwerden und Verschleiern des Allgemeinen im Besonderen, des Besonderen im Allgemeinen. Der Gedanke wurde schon einmal geäußert, als es um den proteischen Charakter des Malgrunds und sein Verhältnis zu den darauf entstehenden Bildformen ging. Man kann ihn an dieser Stelle erneut aufgreifen, um die Beziehung zwischen veristischem Detail und verallgemeinerndem Symbol dialektisch zu verhandeln. Wie lassen sich visuelle Wahrnehmung und systemische Darstellung in Einklang bringen? Nur, indem wir sie als dynamische Größen denken, die sich in einer Doppelbewegung voneinander entfernen und einander annähern: Das profane Detail beispielweise lädt sich durch seine Integration im großen Tableau mit Bedeutung auf, und umgekehrt konkretisieren sich die Formen der Gattung oder der Naturgesetze erst in den einzelnen Formen der individua. Dahinter steht modellhaft eine abendländische (christlich-platonische) Bildtheorie, derzufolge sich

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im Bild wechselweise beides – eine Transzendenz- und eine Inkarnationserfahrung – manifestiert. Bachelard zufolge gibt es zwei konträre epistemologische Hindernisse, die jedes Denken beschränken: die Untersuchung allzu gemeiner Prinzipien einerseits und der allzu partikulären Ergebnisse andererseits.59 Nun lässt es sich nicht leugnen, dass der Sichtbarkeit und damit den particularia des Naturtableaus in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine immer entscheidendere epistemologische Rolle zugeschrieben wird. Umso schwieriger ist es, der empirisch erfahrenen Außenwelt übergeordnete Strukturen und damit eine Theorie abzugewinnen. Als Lösung bietet sich an, die eigene Erfahrung, die den Makel psychologischer Augenblicklichkeit hat, mit weiteren Erfahrungen abzugleichen. Als Kriterium für »Wahrheit« gilt nun die ästhetische Kategorie von »Gleichheit« oder »Ähnlichkeit«, so zum Beispiel, wenn sich in der Wiederholung von Experimenten Bilder mehrmals einstellen und dadurch wechselseitig stabilisieren. Auf diese Weise nehmen die Naturwissenschaften mimetische Verfahren in ihre Prozesse von Wissensgenerierung auf, denn nur die ständige Wieder-gabe gleicher Bilder entscheidet darüber, ob man einer Struktur oder einem Gesetz auf der Spur ist oder sich nicht gerade im Einmaligen verliert.

SCHLANGENSTEIN Ein Beispiel dafür ist Redis Arbeit am pharmakon. Die Schlange, das Viperngift, beschäftigte ihn über viele Jahre hinweg. Mit seinem Interesse stand er nicht allein, denn es ging um nichts weniger als um die Modernisierung und Verbesserung eines antiken Heilmittels, das zunächst sich vor Giftattacken, Pest und Melancholie fürchtenden Fürsten zukam, aber inzwischen den Status eines Universalmittels erreicht hatte. Für lange Zeit waren Theriak und Mithridatium die teuersten und wirkungsmächtigsten Antidote gewesen. Seit den späten 1650er Jahren jedoch spielte der von den Jesuitenmissionaren aus Indien und China nach Europa gebrachte und dort zu Höchstpreisen angebotene »Schlangenstein« oder »Giftmagnet« – Lapis serpentinus, Lapis anguinus – eine wichtige Rolle in der Pharmazie. Den Berichten zufolge handelte es sich bei ihm um einen kleinen, linsenförmigen schwarzen Stein, der aus den Köpfen der Cobra de capello oder Brillenschlange herausgeschnitten wurde und als Antidotum gegen Schlangenbisse diente. Auf eine Bisswunde aufgelegt begann er sofort, sich an dieser festzusaugen und daran solange haften zu bleiben, bis das Gift vollständig in ihn übergegangen war. Dann fiel er von alleine ab und konnte, nachdem er in (sich daraufhin grün färbende) Milch gelegt worden war, wiederverwendet werden. Der landläufigen Meinung nach wurden auf diese Weise nicht nur Schlangenbisse, sondern Vergiftungen verschiedenster Art geheilt.60 Als Alternative galt 59 60

Vgl. Bachelard, Philosophie des Nein, 19. Siehe den Eintrag in der von Johann Georg Krünitz begründeten Ökonomischen Encyclopädie, 242 Bde., Berlin 1773–1858, CXXXXV, 270–272: »Schlangenstein, im gemeinen Leben Giftmagnet, Lapis serpentinus, Lapis anguinus; Fr. Pierre de serpens des Indes, Portug. Piedra de Cobra, ein kleiner schwarzer, glatter und glänzender Stein, der besonders in Ostindien durch die Holländer und Engländer zum Handel gebracht wird. Die meisten dieser Steine liefern die Insel Ceylon,

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der Krötenstein, der in einem ähnlichen Verfahren gewonnen und dem eine ähnlich heilende Eigenschaft nachgesagt wurde. Otto Marseus van Schrieck besaß einen solchen teuren Schlangenstein; er ist im Inventar gelistet.61 Erneut war es Athanasius Kircher, der sich nach eingehenden Gesprächen mit dem polnischen Jesuitenmissionar Michal Boym (ca. 1612–1659) zum Advokaten des neu entdeckten Antidots erklärte. Boym hatte aus China einige Schlangensteine mitgebracht, die Kircher zu einem Experiment dienten; es fand 1663 in Rom statt.62 Einem Hund, den man

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die Küste von Malakka, Sumatra und Borneo. (…) Die meisten alten Schriftsteller halten den Schlangenstein für einen aus der Brillenschlange gewonnenen Stein. Sie geben seine Form platt und rund, und seine Farbe in der Mitte weiß und am Rande blau an, und halten ihn für ein untrügliches Mittel gegen alle giftigen Schlangenbisse, so wie überhaupt gegen alle giftigen Bisse. Man soll ihn auf den Schaden oder die gebissene Wunde legen, woran er sogleich kleben bleibt, bis er das Gift an sich gezogen; dann fällt er ab; man wirft ihn hierauf in frische Milch, wo er das angezogene Gift wieder von sich läßt, und dann wiederum auf frische Wunden gelegt werden kann; oder man legt ihn auch auf dieselbe Wunde, um zu sehen, ob er noch Gift anzieht. Ist dies nicht mehr der Fall, d. h., bleibt er nicht mehr kleben, so ist dies ein Zeichen, daß die Wunde völlig gereiniget ist. Es haben jedoch auch schon in dieser Zeit mehrere Naturforscher und Reisende daran gezweifelt, daß dieser Stein von der erwähnten Schlange komme, sondern man hat die Braminen [= Brahmanen] beschuldiget, daß sie solche fälschlich dafür ausgegeben, um ihnen dadurch mehr Ansehn zu geben, und mit Recht. Wenigstens war der Glaube allgemein, daß man diese Art Steine auch bei uns auf eine künstliche Art nachmache, so daß sie eben die Kraft der Indischen Steine haben. So wollte man auch dergleichen Steine hinter den Kappen der Brillenschlange in der Größe eines Hühnereyes gefunden haben, welche ebenfalls ein vortreffliches Mittel wider das Gift seyn sollen; allein neuere Naturforscher erwähnen nichts davon.« Frühe Erwähnungen des Schlangensteins finden sich in The Correspondence of Henry Oldenburg, hg. v. Alfred Rupert Hall & Marie Boas Hall, 13 Bde., Madison 1965–1986), IV, 468, sowie V, 446, 512; Nehemiah Grew, Musaeum Regalis Societatis; or, A Catalogue and Description of the Natural and Artificial Rarities Belonging to the Royal Society and Preserved at Gresham Colledge, London 1681, 51–52; Pierre Le Gallois, Conversations de l’Academie de Monsieur l’abbé Bourdelot, contenant diverses recherches, observations, experiences, & raisonnemens de physique, medecine, chymie & mathematique, Paris 1672, 69–73 (Le Gallois bezieht sich auf Experimente, die von Moyse Charas durchgeführt wurden); John E. Fletcher, »Athanasius Kircher and Duke August of Brunswick-Luneburg: A Chronicle of Friendship«, in: Athanasius Kircher und seine Beziehungen zum gelehrten Europa seiner Zeit, hg. v. John E. Fletcher, Wiesbaden 1988, 99–138, v.a. 112–113. Erwähnungen von Schlangensteinen z.B. im Reisebericht des Jean Baptiste Tavernier: Six Voyages en Turquie, en Perse, et aux Indes, 2 Bde., Amsterdam 1678, II, 392. Eine ausführliche Darstellung der barocken Debatte um den Schlangenstein gibt Martha Baldwin, »The Snakestone Experiments: An Early Modern Medical Debate«, in: Isis 86/3 (1995), 394–418. Siehe z. B. Browne, Works, II, 14–17. Krötensteine sind die kugelförmigen Zähne vom Fisch Lepidotes (Lepidotus) Dem Volksglauben zufolge stammten sie aus den Köpfen von Kröten. Zu Otto Marseus’ Inventar siehe Bredius, Künstler-Inventare, II, 697ff; Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 209–215: als Nr. 149 ist ein Schlangenstein (»een serpentsteen«) aufgeführt. Ebd., 213. Michal Piotr Boym (1612–1659) war bald nach seiner Ankunft in China in die dortigen Machtkämpfe zwischen Kaiser Yongli und den eindringenden Mandschu verwickelt worden. Der Kaiser war zum Christentum konvertiert, im Glauben, die westlichen Herrscher würden darauf zu Beistand bewegt werden können. Boym wurde nach Rom und Venedig gesandt, um dem Papst und Dogen die Situation des Kaisers zu erklären. Kurz nach seiner Rückkehr nach China publizierte er eine Abhandlung über die Flora sinensis, fructus floresque (Wien 1656), die erste in Europa erschienene Beschreibung eines Ökosystems des Fernen Ostens, in der er die Heilkräfte chinesi-

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71a | Krötenstein, Slg. Liane Hüne. Da die kugelförmigen Zähne des fossilen Fischs Lepidotes (Lepidotus) wie Krötenhäute aussahen und darin der Haut an Beulenpest erkrankter Menschen ähnelte, wurde der sog. Krötenstein vor allem als Amulett gegen die Pest getragen. Als gemahlenes Pulver galt er als Arzneimittel gegen Vergiftungen. 71b | Schlangen aus Serpentin, oberitalienisch, 2. Hälfte 16. Jh., Kunsthistorisches Museum Wien,

Sammlungen Schloss Ambras, Inv.-Nr. PA 929.

zuvor von einer Viper hatte beißen lassen, wurde ein solcher Stein aufgelegt; er genas. Sofort sah Kircher sich in der Meinung bestätigt, dass der Stein wundersame Kräfte ausübte und das Gift aus dem Körper zog. Besonders ausführlich wurde der Moment geschildert, in

scher Kräuter, darunter auch den Schlangenstein mit einer Abbildung vorstellte. Ein zweites Werk über chinesische Pflanzen und ihre medizinische Wirkung (Clavis medica ad Chinarum doctrinam de pulsibus, Nürnberg 1686) kam erst postum in der Überarbeitung von Andreas Cleyer auf den Markt. Zu Boym siehe Robert Chabrie, Michel Boym, Jesuite polonais et la fin des Ming en Chine, Paris 1933; Eva Kraft, »Christian Mentzel, Philippe Couplet, Andreas Cleyer und die chinesische Medizin«, in: Fernöstliche Kultur, hg. v. Helga Wormit, Marburg 1975, 158–196; Louis Pfister, Notices biographiques et bibliographiques sur les Jésuites de l’ancienne Mission de Chine, 1552–1773, Shanghai 1932–1934, 269–276; Joseph Dehergne, Répertoire des Jésuites de Chine de 1552 à 1800, Rom 1973, 34–35. Als weitere Quelle dienten Kircher die Berichte seines Freundes, des Jesuitenpaters Heinrich Roth (Rodius), der, 1620 in Augsburg geboren, auf der indischen Insel Salsette in der Nähe von Goa als Missionar tätig war. 1650 verließ er Indien, um von 1659–1663 das Jesuitenkolleg in Agra zu leiten. Hier lernte ihn der französische Entdecker Francis Bernier, ein Experte der Philosophie der Religionen in Indien, kennen. Im Jahr 1663 kam er für kurze Zeit nach Rom und kehrte 1664 nach Agra zurück, wo er 1667 starb. Kircher zitiert Gespräche mit ihm in seiner China illustrata und im Magneticum naturae; Roth war außerdem der Autor der ersten Beschreibung des Sanskritalphabets, die Athanasius Kircher in seiner China illustrata veröffentlichte. Von Roth verfasste Schriften: Relatio rerum notabilium Regni Mogor in Asia, Aschaffenburg 1668 [Straubing 1665]; »Iter ex Agra Mogorum in Europam ex relatione PP. Joh. Gruberi et H. Roth«, in: Athanasius Kircher, China illustrata, Amsterdam 1667, 90–92; »Itinerarium St. Thomae Apost. ex Judaea in Indiam, und Dogmata varia fabulossissima Brachmanorum«, in: Kircher, China illustrata, 156–162; »Exactissimum opus totius grammaticae Brachmanicae cujus et rudimenta is [Roth] primus Europae communicavit«, in: Athanasius Kircher & Georgius de Sepibus, Romani Collegii S.J. musaeum, Amsterdam, 1678, 65; zu Roth siehe auch Cornelius Wessels, Early Jesuit Travellers in Central Asia, 1603–1721, Neu-Delhi 1992, 199–200.

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dem er geradezu magisch an der Wunde andockte und erst wieder von ihr abfiel, als die Heilung vollendet war. Kircher erklärte das Verhalten des Steins durch die magnetische Anziehungskraft von Gleichartigem, also durch das Prinzip wechselseitiger Ähnlichkeit. In seiner 1667 erschienenen China illustrata ebenso wie dem im selben Jahr publizierten Magneticum naturae regnum sive disceptatio physiologica63 sollte Kircher darauf eingehen und die Wirkkraft des Schlangensteins auf einen kosmischen Magnetismus rückführen. Giftige Pflanzen, Tiere, Mineralien verlören, einmal in Kontakt gebracht mit vergleichbaren Substanzen, ihre zerstörerische Wirkung. Ebenfalls durch magnetische oder sympathetische Anziehung wurden die Heilkräfte der aufgrund ihrer mehrfarbigen Flecken, Streifen und Adern an Schlangenhaut erinnernden »Serpentinsteine« erklärt. Ihr Variationsreichtum an Farben und Farbkombinationen galt als Herausforderung an die künstlerische Gestaltung auf dem Gebiet der Kleinplastik, in der, mit Oberitalien und Padua als Zentrum, Amulette in Form sich windender Schlangen zur Austreibung giftiger Stoffe gefertigt wurden. In den Wunderkabinetten der Zeit durften sie nicht fehlen, zum Beispiel sind im Inventar von Schloss Ambras von 1596 »zwo schlangen von grien stainen«, das heißt aus Serpentinstein, verzeichnet, außerdem »schlangen von roth mermelstain, gscheggert.«64 – »Wie vielen Steinen sagte man auch ihm wundertätige Kräfte nach: Er könne als Glück bringender Talisman verwendet werden und habe die magische Fähigkeit, Gefäße zerspringen zu lassen, in denen sich vergiftete Flüssigkeiten befinden.«65 Eine Eigentümlichkeit der Schlangensteine als alexipharmaka (ἀλεξιφάρμακα) ist, dass das Prinzip wechselseitiger Ähnlichkeit, und damit ein mimetisches Verhältnis, für die Heilung verantwortlich ist. Aufgrund der Fähigkeit der Natur, Ähnlichkeiten zu erzeugen, entstehen natürliche Korrespondenzen, die vom Künstler – hier: vom Steinmetz – aufgegriffen und weitergebildet werden. In Oswald Crolls (ca. 1563–1609 Basilica chymica beispielsweise wird jedes Blatt und jeder Stein, der in seiner Musterung dem mehrfarbigen Natternhemd gleicht, für ein Antidot gegen den Schlangenbiss gehalten, ja selbst wenn man die charakteristischen Flecken, Farben und Streifen in effigie (!) betrachten würde, wäre einem bereits

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Athanasius Kircher, Magneticum naturae regnum, sive Disceptatio physiologica, Rom 1667. In seiner Mundus subterraneus (1665) hatte er bereits ein auf Homöopathie und Magnetismus basierendes toxikologisches Erklärungsmodell ausgeführt, vgl. Kircher, Mundus subterraneus, II, 104–161. Inventar von Schloss Ambras (1596), fol. 377r. Ausst.-Kat. Ambras/Innsbruck (2006) & Wien (2007), Die Entdeckung der Natur. Naturalien in den Kunstkammern des 16. und 17. Jahrhunderts, hg. v. Wilfried Seipel, Wien 2006, 103. Weiterführende Literatur zu Kunst- und Wunderkammern (Auswahl): Barbara Jeanne Balsiger, The Kunst- und Wunderkammern: A Catalogue Raisonné of Collecting in Germany, France and England 1565–1750, Diss. Pittsburgh 1970; Ausst.-Kat. Amsterdam (1992), De wereld binnen handbereik. Nederlands kunst- en rariteitenverzamelingen 1585–1735, hg. v. Ellinoor Bergvelt & Renée Kistemaker, 2 Bde., Amsterdam 1992; Andreas Grote, Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800, Opladen 1994; Adalgisa Lugli, Naturalia et Mirabilia. Les cabinets de curiosités en Europe, Paris 1998; Patrick Mauriès, Cabinets of Curiosities, London 2002; Julius v. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance, Leipzig 1908; zum Serpentinstein siehe z. B. Eva-Maria Hoyer, Sächsischer Serpentin. Ein Stein und seine Verwendung, Leipzig 1996.

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geholfen.66 Der Serpentinstein galt außerdem als »Wärmestein«, den man »gegen Koliken auflegen und in pulverisierter Form gegen Blasenleiden einsetzen konnte.«67 Eine ähnliche Fähigkeit, durch Verfärbungen toxische Stoffe zu indizieren und gegebenfalls zu neutralisieren, wurde Haifischzähnen und roten Korallen, aber auch der Perle nachgesagt. Die Entzauberung des Schlangensteins als wirksamem Antidot wurde erst Ende des 17. Jahrhunderts eingeläutet. Redi selbst arbeitete in dieser Zeit im Auftrag der Medici an der Herstellung großer Mengen Theriaks sowie an einer anderen Entzauberung – der des Viperngifts. Seine toxikologischen Studien konzentrieren sich demnach mehr und mehr auf das Jahr 1663. Kirchers Experiment mit einem solchen Stein hatte 1663 stattgefunden, als sich der Jesuitenpater Heinrich Roth (1620–1668) in Rom aufhielt, doch tatsächlich hatte er bereits 1656 ein Exemplar des China-Buches von Michal Boym samt einer Abbildung des Schlangensteins an Ferdinand II., Großherzog von Toskana, geschickt, und Boym 66

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Vgl. Oswald Croll, Basilica chymica, Frankfurt a. M. 1609. Zitiert nach der Ausgabe Köln 1610: »All plants, then, which portray the serpent’s spotted slough, and exhibit the viper’s varicolored spots, even in an effigy reproducing its distinctive parts, are effective against its bites.« Der Gedanke, dass die Einbildungskraft bzw. die Betrachtung von Bildern den Körper beeinflussen kann, war bereits von Galen (De sanitate tuendo) geäußert und im 15. und 16. Jahrhundert vor allem über die Schriften von Marsilio Ficino (1433–1499) und Theophrastus Paracelsus propagiert worden. Im 17. Jahrhundert integrierte ihn Johan Baptista van Helmont (1577–1664) in seine Theorie von der medizinischen Ansteckung bzw. Abwehr durch ein »principium vitale et seminale«. Sheila Barker hat dies am Beispiel der Pest näher erläutert: »Van Helmont’s widely read works assert that the symptoms of the plague are pathologically indistinguishable from those symptoms produced by its mere idea or ›seminal image‹. According to Van Helmont, when fear plants the seminal image of plague into the intellect, it becomes an idea terrifica capable of exercising deleterious effects on the body’s archeus, or vital essence; since these effects are the symptoms of the disease, they can lead to death just as the individual had contracted plague through contagion. Van Helmont also claimed that plague and other diseases could be averted by imagining oneself to be invulnerable; in theses cases, the seminal image of health acts as a prophylactic against the seminal image of the disease.« Sheila Barker, »Poussin, Plague, and Early Modern Medicine«, in: The Art Bulletin, 86/4 (2004), 661. Barker zitiert aus folgenden Traktaten: Luigi Luigini, De compescendis animi affectibus per moralem philosophiam et medendi artem, Basel 1562; Daniel Sennert, Practicae medicinae libri I–VI, Wittenberg 1628–1635, 164; Johan Baptista van Helmont, Ortus medicinae, Amsterdam 1648 (Reprint als Opera omnia, Frankfurt 1707); Matteo Naldi, Regole per la cura del contagio, Rom 1656, 9; Geronimo Gastaldi, Tractatus de avertenda et profliganda peste politico-legalis, Bologna 1684; Antonio Sponta, Trattato della peste et della cura, et preservation d’essa (Biblioteca Apostolica Vaticana, Rom, Barb. lat. 4256, 679); Gregorio Rossi, De peste, Rom 1656; Thomas Feyens, De viribus imaginationis, Leiden 1635; Stefano Binetti (Ètienne Binet), Sovrani et efficaci rimedi contro la peste e morte subitanea alli Sig. Governatori della città di Vienna in Francia e trasportati da un sacerdote nella lingua italiana, per consolatione dell’anime atterite dal timore della morte, Rom 1656, 59–60; Giuseppe Balestra, Gli accidente più gravi del male contagioso osservati nel lazzaretto all’isola, Rom 1557, 15v; Athanasius Kircher, Scrutinium physico-medicum contagiosae Luis, quae pestis dicitur, Rom 1658, 110–116; Thomas Wright, The Passions of the Minde in General, London 1604, 61; George Thomson, Loimotomia, or, The Pest Anatomized, London 1666, 33. Weitere Hinweise zu englischen Autoren bei Anselment, Realms of Apollo, 238, nr. 49. Zur Theorie der Einbildungskraft bei Paracelsus und Van Helmont vgl. den gleichnamigen Artikel von Heinz Schott, »Paracelsus and Van Helmont on Imagination: Magnetism and Medicine before Mesmer«, in: Paracelsan Moments: Science, Medicine, and Astrology in Early Modern Europe, hg. v. G. Scholz Williams & Charles Gunnoe Jr., Kirksville 2002, 135–147. Croll, Basilica chymica, 103.

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korrespondierte selbst aus Indien mit dem Medici-Fürsten über eine Sendung der sogenannten Giftmagneten.68 Redi aber, der sich von Kirchers Konkurrenz in Sachen Toxikologie angestachelt sah, startete das Gegenexperiment und überzeugte die Kritiker schnell aufgrund einer sehr viel genauer ausgeführten und dem Motto der Florentiner Accademia folgenden wiederholt abgehaltenen Versuchsreihe. Seit 1662, als drei als Zoccolanti bezeichnete Franziskanermönche dem Großherzog einige Schlangensteine als Geschenk mitgebracht hatten, beschäftigte ihn das pharmazeutische Potential derselben.69 Und dennoch, erst neun Jahre später konnte er seine Untersuchung zu den Akten legen. Die Steine, so seine Bewertung, hätten über den langen Versuchszeitraum hinweg keine antidotische Wirkung gezeigt. Jede eingetretene Heilung wäre ein bloßer Zufall oder ein spontaner Einfall der Natur gewesen, im Ganzen überwogen die vielen Misserfolge. Die Zusammenfassung seiner Ergebnisse publizierte er 1671 mit einer expliziten Adressierung an Athanasius Kircher (Esperienze intorno a diverse cose naturali e particolarmente a quelle che ci son portate dall’Indie fatte da Francesco Redi e scritte in una lettera al Reverendissimo Padre Atanasio Chircher della Compagnia di Giesù), der darauf nicht reagierte.70 Redi hatte inzwischen den Posten des großherzoglichen Pharmazisten inne und beriet europaweit Fürsten und berühmte Persönlichkeiten bei Gesundheitsfragen.

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Athanasius Kircher an Ferdinando II. de’ Medici, 15. Juni 1656, in: Le opere dei discepoli di Galileo Galilei, hg. v. Paolo Galluzzi & Maurizio Torrini, 2 Bde., Florenz 1984, II, 348. Boyms Brief ist wiedergegeben in Giovanni Targioni-Tozzetti, Notizie degli aggrandimenti delle scienze fisiche accaduti in Toscana nel corso di anni LX del secolo XVII, 4 Bde., Bologna 1967, III, 244. Zum Austausch kurioser Naturgegenstände zwischen Missionaren, Kaufleuten und Naturwissenschaftlern sowie einer Politik des Schenkens an den Fürstenhöfen, siehe Paula Findlen, »The Economy of Scientific Exchange in Early Modern Italy«, in Patronage and Institutions: Science, Technology, and Medicine at the European Court, 1500–1750, hg. v. Bruce T. Moran, Rochester & New York 1991, 5–24. Zum Stellenwert solcher Kuriositäten in fürstlichen Sammlungen vgl. Adalgisa Lugli, Naturalia et mirabilia: II collezionismo enciclopedico nelle Wunderkammern d’Europa, Mailand 1983; Krzysztof Pomian, Collectors and Curiosities: Paris and Venice, 1500– 1800, Cambridge 1991. Vgl. Francesco Redi, Esperienze intorno a diverse cose naturali e particolarmente a quelle che ci son portate dall’Indie fatte da Francesco Redi e scritte in una lettera al Reverendissimo Padre Atanasio Chircher della Compagnia di Gesù, Florenz 1686; zum Schlangenstein siehe 1–13 und 59–62. Sechs Jahre später antwortete Kirchers Student und Assistant Giuseppe Petrucci auf die Vorwürfe Redis in seinem Prodromo apologetico alli studi Chircheriani, nella quale con un’apparato di saggi diversi, si da prova dell’esquisito studio ha tenuto il celebrattissimo padre, Atanasio Chircher, circa il credere all’opinioni degli scrittori, si de’ tempi andati, come de’ presenti, e particolarmente intorno a quelle cose naturali dell’India, che gli furon portate, o referte da quei che abitarono quelle parti, Amsterdam 1677. Petruccis Schrift wurde von Jansonnius verlegt, der viele Publikationen Kirchers herausbrachte, siehe Baldwin, »Snakestone Experiments«, 405, Anm. 21: »Petrucci is particularly defensive of Kircher’s reputation in his letter of dedication. See also pp. 6, 11, 24, 26. The book was dedicated to Johann Friedrich Waldstein, bishop of Prague and primate of Bohemia. It was published by the Amsterdam printer Jansonnius, who published many of Kircher’s volumes, including Mundus subterraneus (1665), China illustrata (1667), Ars magna sciendi (1669), Latium (1671), Arca Noe (1675), and Turris Babel (1679). The illustration of the cobra serpent in Petrucci (p. 9) is identical with that in the 1667 edition of Kircher’s China illustrata (cit. n. 7), p. 81.«

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Es geht mir an dieser Stelle jedoch nicht darum, den Gegensatz zwischen der jesuitisch-paracelsistischen Pharmazie Athanasius Kirchers und jener Francesco Redis herauszustellen – ein Gegensatz, der existierte und sich zu diesem Zeitpunkt zu einem Wettstreit zwischen Rom und Florenz ausweitete –, sondern darum, uns auf den Stand der toxikologischen Diskussion der Zeit zu bringen. Kircher war selbst ein durch und durch experimenteller Geist gewesen, wenngleich ein Antagonist Redis, und die paracelsistische Iatrokunst (ἰατρός, iatros = Heiler), der Kircher stellenweise verpflichtet war, spielte eine entscheidende Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Chemie und Pharmazie. So wäre es irreführend, an einer strikten Trennung zum Beispiel zwischen scholastischen und neoterischen Positionen festzuhalten; selbst an der Accademia del Cimento wurde ja ständig zwischen ihnen vermittelt. Glaubt man dennoch an eine historische Wissensbewegung von den »Dingen« zu den »Tatsachen«, wie sie auf anderer Ebene Michel Foucault und Bruno Latour vorgeschlagen haben, so kann man sich diese allenfalls als mäandrierende Bewegung vorstellen, mit der im Hin und Her von Zeiten und Orten verschiedene Wissenslager miteinander verknüpft und vermischt wurden. Bei der Etablierung eines neueren naturwissenschaftlichen Systems, das sich von der Naturphilosophie mehr und mehr abkoppelte, handelte es sich um einen langwierigen, weil stets partiell verlaufenden Transformationsprozess vormaligen Wissens. Dazu kommt, dass im 17. Jahrhundert zwischen den beiden Polen eines »Substantialismus« und »empirischen Rationalismus« ein besonders aktives epistemologisches Feld entstanden war, in dem an vielen Stellen gearbeitet wurde. Und wenn im scholastischen Schuldenken noch tendentiell eine Einheit der Substanz postuliert wurde und diese nun in der experimentellen Bewegung in Misskredit gerät, so geschieht die Auflösung mithilfe eines dialektischen Prozesses: »Konkret gesprochen heißt das, dass der Substanzbegriff (…) eine klare Überleitung zu der neuen Lehre des Nicht-Substantialismus darstellen wird.«71

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Bachelard, Philosophie des Nein, 29. Dass sich ein solches Wissensnetzwerk nur in dynamischen Differenzierungsprozessen herstellen lässt, diese aber doch auch arretiert und benannt werden müssen, stellt ein grundsätzliches Dilemma der Darstellung von Wissensformierung dar. Ihm entspricht zum Beispiel ein instabiles Verhältnis zwischen mündlicher Kommunikation und Schriftkultur. Doch ebenso spielen die Bilder eine Rolle, sobald sie als Arretierungs- (und Verflüssigungs-)medien innerhalb epistemischer Kulturen agieren. Ähnlich wie die Traktate, Protokolle, gedruckten Korrespondenzen etc., die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, vor allem aber seit Beginn des 17. Jahrhunderts eine gesteigerte Sichtbarkeit intellektueller Prozesse nach sich zogen, trugen bildliche Visualisierungsformen dazu bei, eine empirische und über Visualität geregelte Wissenschaftlichkeit zu entwickeln. Zugleich bildeten sich eigene Einsatzgebiete, Reichweiten und Spielregeln, aber auch Unzulänglichkeiten und Grenzen für die jeweiligen Darstellungsformen heraus. Redi hatte ja schon begonnen, zwischen ihnen und vor allem zwischen verschiedenen Darstellungskontexten zu unterscheiden.

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TARANTELLA Dem klassischen System zufolge war bei allen Seinsvorgängen zwischen wesentlichen (substantiellen) und unwesentlichen (akzidentellen) Eigenschaften zu unterscheiden gewesen. Im 17. Jahrhundert ist diese Unterscheidung nicht einfach obsolet geworden, aber die beiden Kategorien beginnen sich zu durchdringen, und zwar zuweilen so stark, dass eine Art dynamische Struktur den Platz des ehemals festen Seinsgefüges einnimmt. In unserem Fall bedeutet es zum einen, dass erst durch den ständigen Abgleich (provando e riprovando) der empirisch hervorgerufenen und sich variantenreich einstellenden Bilder der Kern einer »Sache« herausgeschält wird, d.h. über eine ständig differenzierende, modal operierende Wahrnehmung. Zum anderen schärft die Beobachtung gradueller Unterschiede aber auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit gemeinsamer, über die individuellen Körper hinausgehender Relationen, zum Beispiel in Form physikalischer Gesetzmäßigkeiten oder eines übergeordneten seinslogischen Systems. An der Transformation des klassischen ontologischen Gefüges haben sowohl Wissenschaftler, Philosophen und Künstler gearbeitet. Ein Beispiel, an dem sich die Auflösung substantieller Kategorien noch einmal auf andere Art zeigen lässt, ist der barocke Tarantismus. Er dient als Beobachtungsfeld einiger Eigenschaften, die dem pharmakon zugeschrieben wurden, und er ist für eine Bilddiskussion nicht zuletzt deshalb aufschlussreich, weil er sich auf die pharmazeutische Dimension der Farben beruft. Eben diese Dimension verliert sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit der zunehmenden Etablierung eines neuen Farbsystems, das keine ontologischen Wertigkeiten mehr aufweist. Im letzten Kapitel wird darauf noch einmal eingegangen. Auch im barocken Tarantismus befinden wir uns anfangs im Einzugsfeld einer kosmologisch fundierten Pharmazie, die später auf eine psychologische Ebene verlagert wird.72 Dazu muss man wissen, dass es seit dem 17. Jahrhundert vermehrt Studien zur heilenden Kraft der Tarantella gab.73 Parallel zur mimetisch operierenden Heilkraft von 72

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Zur ontologischen Differenz und Spannung zwischen Farbe als sinnliche Erscheinungsweise von Gegenständen und Farbe als (färbende) Substanz sowie zur häufigen Giftigkeit dieser Substanzen (»Pharmakon Farbe«) vgl. Bettina Wahrig: »Schwarz-Weiß im Kopf oder Blau im Gesicht? Farbe als Substanz«, in: Christian Frey, Heidi Mehrkens, Thomas Kubetzky, Klaus Latzel & Christoph Friedrich Weber (Hg.), Sinngeschichten. Festschrift Ute Daniel, Wien, Köln & Weimar 2013 (im Druck). Zur Tarantel-Literatur des 15.–18. Jahrhunderts: die Tanzform wird in Sertum papale de venenis von Guglielmo di Marra di Padova (Rom 1362) erstmals näher ausgeführt. Weiter: Sante Ardoini, Opus de venenis, Venedig 1492; Baldassare Castiglione, Il libro del cortegiano, Venedig 1551 [1528]; Niccolò Perotti, Cornucopiae latinae linguae, Basel 1536; Girolamo Fracastoro, De contagione et contagiosis morbis, Leiden 1591 [Venedig 1546]; Alexander ab Alexandro, Genialium dierum Libri VI, Leiden 1673 [1549]; Simeon Zuccolo da Cologna, La pazzia del ballo, Padua 1549; Gaudenzio Merula, Memorabilia, Lyon 1558; Ferdinando Ponzetti, De venenis, Rom 1562; Pietro Andrea Matthioli, Commentarii in sex libros Pedacii Dioscoridis, Venedig 1565; Dioskorides, Materia medicinal, Salamanca 1570; Gariopontus, Medici vetustissimi, de morborum causis, accidentibus et curationibus. Libri VIII, Basel 1586; Ulisse Aldrovandi, Storia naturale dei ragni, o. O. 1602; Vincenzo Bruno, »Dialogo delle tarantole«, in: Tre dialoghi, Neapel 1602; Sebastián Covarrubia, Tesoro de la lengua castellana, Madrid 1611; Epiphanio Ferdinando, Centum

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Theriak und Schlangenstein beispielsweise hatte Athanasius Kircher eine Theorie zum Tarantelbiss entwickelt, die er in seiner wichtigsten Schrift über den Magnetismus, dem Magnes, sive De arte magnetica von 1641 vorstellte. Seine toxikologischen Überlegungen wurden an dieser Stelle, was uns besonders interessieren soll, mit einer Musik-, Bewegungs- und Farbtheorie verbunden. Der Tarantismus, die Tanzwut der von der Tarantel Gebissenen, war als Krankheitsbild im 17. Jahrhundert zwischen Melancholie und Ekstase angesiedelt. Solche Affekte seien typische Ergebnisse von Vergiftungen, so Kircher, der damit nur einmal mehr den für das barocke Zeitalter üblichen Vergleich zwischen Melancholie und Schlangengift zog. Der Biss der Tarantel jedenfalls lehrt uns, welche Modelle historiae seu observationes et casus medici, Venedig 1621; Vincenzo Giustiani, Discorso sopra la musica, Rom 1641; Athanasius Kircher, Magnes, sive De arte magnetica, Rom 1641; ders., Musurgia universalis, sive Ars magna consoni et dissoni, Rom 1650; Girolamo Marciano di Leverano, Descrizione, origine succesi della provincia d’Otranto, Neapel 1855 [MS 1. H. 17. Jahrhundert]; Simon Hafenreffer, »De curatione vulnerum a reptilibus et insectis inflictorum«, in: ders., Nosodochium, in quo cutis affectus traduntur, Ulm 1660; Franz Plater (Platter), De tarantismo, Basel 1669; Athanasius Kircher, Phonurgia nova, sive Coniugium mechanico-physicum artis et naturae, Kempten 1675; Caspar Schott, Magia universalis, Bamberg 1675; Hermann Grube, De ictu tarantulae et vi musices in ejus curatione, Frankfurt a. M. 1679; Simon Aloysius Tudecius, Leibarzt der Königin Christine von Schweden, 1656, zitiert in: Théophile Bonet, Medicina septentrionalis collatitia, Genf 1684; Christoph Fischer alias Agathus Carion, Athanasii Kirchers Neue Hall- und Thon-Kunst, Nördlingen 1684; Antonio Bulifon, Lettere memorabili, istoriche politiche ed erudite, Neapel 1693; Giorgio Baglivi, »Dissertatio VI. de anatome, morsu et effectibus tarantulae«, in: ders., Opera omnia, Leiden 1704, 599–640; Ludovico Valletta, De phalangio apulo, Neapel 1706; Nicola Caputo, De tarantulae anatome et morsu, Lecce 1741; Francesco Serao, Della tarantola, o vero falangio di Puglia, Neapel 1742; J. B. M. Schwarz, Dissertatio inauguralis medica De tarantismo et chorea viti, Wien 1766; Tommaso Niccolò d’Aquino, Deliciae tarantinae, Neapel 1771; Andrew M. Turnbull, Concerning Italy, the Alleged Effects of the Bite of the Tarantula and Grecian Antiquities, Edinburgh 1771; Anton Friedrich Büsching, Eigene Gedanken und gesammelte Nachrichten von der Tarantel, o.O. 1788. Was die Verbreitung in England und den Niederlanden betrifft, so gibt es bereits in Joris Hoefnagels (1542–1600) vielrezipierter Archetypa eine Abbildung der Tarantel mit dem Inspruch Virtutem terribilium tuorum dicent generationes Psa[lmus]144 – Die Kindeskinder werden die Macht Deiner gewaltigen Taten preisen (Psalm 144). Sir Kenelm Digby war 1658 in seinem Büchlein zum medizinischen Gebrauch des Powder of Sympathy auf den Spinnenbiss eingegangen, den er mit dem eines tollwütigen Hundes verglich und mit Tarantella-Rhythmen zu heilen versuchte; und Johannes Goedaert widmete der Tarantel ein ausführliches Kapitel in seiner Metamorphosis naturalis. Dort beispielsweise wird besprochen, dass die kalt-feuchte Natur das Tier im Winter kraftlos werden und keine Nahrung mehr zu sich nehmen lasse. In den Sommermonaten sei die Spinne dagegen besonders gefährlich, wobei ihr Gift zuweilen ein Jahr im Körper der Gebissenen verbleibe, bevor die Symptome sichtbar würden. Manche von der Tarantel Gebissenen würden dann singen, andere tanzen, rasen oder fechten, wieder andere in Schweigen versinken und melancholisch werden; manche fühlten sich eingesperrt und bekämen Platzangst, andere bildeten sich ein, dass sie nun Könige seien und viele Untertanen hätten. Alle reagierten empfindlich auf Farben. Als Therapie wird der Tanz nach Musikstücken empfohlen, die je nach Temperament und Art der Vergiftung unterschiedliche Kompositionen erforderten. Dazu sei viel Erfahrung notwendig, sonst richte man nur Schaden an. Selbst die Spinnen begännen nach diesen Rhythmen zu tanzen. Vgl. Goedaert, Metamorphosis naturalis, III, 100–108. Der englische Arzt und natural scientist Martin Lister (1639–1712) übersetzte Goedaerts Metamorphosis naturalis ins Englische und verfasste selbst eine Naturgeschichte der Spinnen; darin zweifelt er jedoch an der Wirksamkeit des Tarantella-Tanzes, vgl. z. B. Dr. Martin Listers Naturgeschichte der Spinnen, hg. v. Friedrich H. W. Martini & Johann A. E. Goeze, Quedlinburg 1778, 56.

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der Übertragung, ästhetischen Ansteckung und/oder Heilung es im 17. Jahrhundert gab. Dabei spielt die mimetische Fähigkeit zur Verdoppelung und gleichzeitigen Umkehrung einer Ur-Sache eine wichtige Rolle, und eben diese Fähigkeit verbindet Kunst und Pharmazie. Tatsächlich ist es ein Vermögen zur Wiederholung, das beide zu Iatrokünsten macht. In der Repetition scheint Vorgängiges rückgängig gemacht und aufgehoben werden zu können. Die Tarantella, was so viel heißt wie »kleine Tarantel« – nach der apulischen Spinnenart Lycosa tarentula –, ist eine aus heidnischen Riten abgeleitete instrumentelle oder vokale Tanzform, bei der man sich ellipsen-, kreis- oder spiralförmig und in zunehmender Geschwindigkeit um einen fixierten Mittelpunkt dreht, um im Sinne einer therapeutischen Maßnahme und mit Verlass auf kosmologische, magnetische Kräfte das Spinnengift katapultisch aus dem Körper zu treiben. Die Tarantella ist deshalb bereits traditionell als ein danza di possessione ausgewiesen, also mit ekstatischem Hintergrund und mit religiös-rituellen Bestandteilen, ihre Heimat ist das spanisch beeinflusste Neapel und Apulien, ihre Aufführungszeit die Erntezeit, denn die Tarantel lauert auf dem Feld; die Tarantella ist ein Tanz der Landbevölkerung. Charakteristisch ist der binäre Rhythmus, dem im wesentlichen zwei Schrittfolgen entsprechen: Auf der sogenannten schweren Zeit befindet sich ein Fuß auf dem Boden, während der andere angehoben ist und leicht nach vorne weist oder auf der zweiten Zeit auf eine Gerade in der Verlängerung des auf dem Boden befindlichen Fußes hindeutet. Die Arme bewegen sich konträr zur Bewegung der Füße: Wird der linke Fuß gehoben, hebt sich der rechte Arm und umgekehrt. Die Schritte zeichnen dabei eine Ellipse bzw. einen Kreis mit einem unveränderlichen Mittelpunkt. Das Tempo der Tarantella ist variabel und reicht vom Andante bis zum Prestissimo, vom Cantabile pastorale zum virtuosen Precipitato, oftmals mit einem Finale im Presto accelerando, denn Variabilität ist das Kennzeichen der notwendigen Rhythmenfindung für den heilenden Effekt.74 Die Tarantella kann solistisch, von Tänzerpaaren oder Gruppen gesungen und gespielt oder auch nur rein instrumental aufgeführt werden. Letzteres findet sich dann vor allem in der therapeutischen Tarantella, um die es uns ja vornehmlich geht. Charakteristisch ist zudem das Stock- oder Säbelschlagen, wie man es in Athanasius Kirchers Phonurgia nova sieht: Dort werden zwei Tarantella-Tänzer unter dem Einfluss einer »kriegerischen Tarantel« gezeigt, die einen Tanz mit Schwertern (danza delle spade oder pizzica-scherma) vollführen. Obwohl als Tanzform über das gesamte Mittelalter verbreitet und in der Handschrift Sertum papale de venenis von 1362 von Guglielmo di Marra da Padova (tätig um 1350 n. Chr.) erstmals näher ausgeführt, erlebt die Tarantella im 17. Jahrhundert ihren erklärten Höhepunkt, der sich den zeitgenössischen Berichten zufolge als wahre Tanzwut, als karnavaleske sexuelle Befreiung, mit Tendenz zur Hysterie äußert und zu Trancezuständen, Erschöpfung und physischem Zusammenbruch oder psychischer vollkommener 74

Zudem gibt es eine stark artikulierte Einbindung der Ritornell-Struktur, d. h. als selbständiges instrumentelles, vokal-instrumentelles oder als rein vokales Musikstück übernimmt jeweils ein Vers die Funktion eines Ritornells, was die starke Ornamentstruktur des Tanzes erklärt.

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72a | Athanasius Kircher, Neue Hall- und Thonkunst (Phonurgia), Nördlingen 1684, Frontispiz.

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72b | Athanasius Kircher, Neue Hall- und Thonkunst (Phonurgia), Nördlingen 1684, fol. 145.

Niedergeschlagenheit führen kann, Weinen und Lachen zugleich hervorbringt, sich in grotesken Bewegungen und unkontrollierten Zuckungen auslebt. Im 17. Jahrhundert auch wurde die Tarantella als chorea imaginativa oder lasciva chorea mit der Hexerei verbunden, gestützt durch Hinweise auf eine heidnisch-dionysische Abstammung, denenzufolge die Sirenen im Versuch, Odysseus mit ihrem Gesang zu betören und ob ihres Misserfolgs enttäuscht, die Grazien baten, ihnen einige erotische Tanzbewegungen beizubringen. Der Überlieferung zufolge erfanden entweder die Grazien ihren Fischbeinen zum Spott die rhythmische Tarantella, oder aber die Sirenen versuchten den erotischen Tanz so sehr, so dass ihnen als Strafe die Fischschwänze angehext wurden. Im 16. und 17. Jahrhundert wiederum glaubte man, dass sich die Wirkungen des Tarantelbisses durch Sympathie fortpflanzen und jene Gemüter erreichen konnten, die für Extremzustände wie tiefste Melancholie oder höchste Ekstase empfänglich waren. Sogesehen war die Tarantella ein Tanz für Begeisterte und Besessene, ein Zeichen eines pathischen Erregungszustands (mania).75 Ursache jeder Tarantella war eine Vergiftung, und d. h. eine kosmische Störung, ein Eingriff und eine aufgezwungene Affiziertheit mit etwas Fremden durch einen schockhaften Biss. Die Symptome konnten im weiteren ganz verschiedenartig ausfallen: Zuerst 75

Platon hatte im Phaidros zwischen zwei Arten von mania unterschieden: Die erste war das Resultat eines krankhaften Zustands, die zweite göttlicher Herkunft. Im weiteren zählt er vier Arten göttlichen »Wahnsinns« auf: eine mantische Trance, die von Apollon inspiriert ist und zur Divination führt, eine telestische, mit Dionysos verbundene und rituell ausgeführte Trance, außerdem eine durch die Musen verursachte poetische sowie eine erotische (zurückgehend auf Eros und Aphrodite).

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wurden Niedergeschlagenheit und tiefe Depression, Atemnot und Sprachschwierigkeiten, zuweilen Lähmungen der Glieder und v. a. des Kehlkopfes festgestellt, diese konnten dann von kataraktischen Lach- und Weinkrämpfen, gesteigerter sexueller Erregung, plötzlich auftretenden Anfällen mit Tendenz zur Selbstverletzung oder umgekehrt von Zuständen vollkommener Aphasie abgelöst werden.76 Die anfängliche tiefe Depression, die mit einem Erkalten des Körpers einherging, wurde im Barock durch das plötzliche Stocken und Verklumpen der Körpersäfte erklärt, so dass ein Verflüssigen und Erwärmen derselben nötig wurde, und zwar durch die Kreis- und Ellipsenformen beschreibenden, sich grundsätzlich beschleunigenden Tanzschritte der Tarantella.77 Die Tarantella diente der Wiederherstellung der kosmischen Ordnung im Menschen. Um das Gift abzubauen, musste er zerbrochene Equilibrien in sich überwinden. Während seines Tanzes identifizierte sich der Kranke mit der Natur, deren Harmonie er durch Töne und Farben wahrnahm und deren Schwingungen er in seinen Körper aufnahm. Der Kranke wurde zur schwarzen Sonne (oder schwarzen Spinne) im Zentrum, umgeben von den Planeten, symbolisiert durch die Menschen und Musiker, die ihn auf seiner Heilung begleiteten. Zuweilen wurde auch in den Farben der Kleidung der »erste Biss« der Tarantel visuell nachgeahmt. Im »Tarantierten« weckte dies das Bewusstsein einer bösen Vergangenheit, welches durch Ausschwitzung, im Grunde zunächst ganz physisch, nach außen katapultiert – herausgeschleudert – werden sollte: »Man war in dieser Zeit allgemein der Überzeugung, das Gift der Tarantel würde durch Musik und Tanz in den ganzen Körper vertheilt und durch die Haut ausgetrieben; bliebe aber auch nur die kleinste Spur davon in den Adern zurück, so wäre diese ein fortwährender Zunder des Übels, so dass die Tanzanfälle durch Musik immer wieder 76

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Vgl. Justus C. F. Hecker, Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters, Berlin 1865, 166, über einen Bericht von Niccolò Perotti: »Die Gebissenen verfielen gewöhnlich in Trübsinn, und waren wie betäubt ihres Verstandes kaum mächtig. Dieser Zustand aber verband sich bei manchen von ihnen mit einer so großen Empfänglichkeit für Musik, dass sie bei den ersten Tönen beliebter Melodien jauchzend vor Freude aufsprangen und ohne Unterlass so lange tanzten, bis sie erschöpft und halb leblos niedersanken. Bei anderen nahm die Krankheit nicht diese heitere Wendung; sie weinten beständig, und wie von Sehnsucht gepeinigt, verbrachten sie ihre Tage kummervoll und in großer Betrübnis. Noch andere warfen in krankhaftem Liebesrausch begehrliche Blicke auf Weiber, und man erzählte von Todesfällen, die unter Lachen oder Weinen erfolgt sein sollten.« Antike Erwähnungen des Tarantelbisses finden sich in den medizinischen Schriften von Aetius von Amida, Dioskorides, sowie in Nikanders Theriaca (jedoch niemals in Verbindung mit Tanzwut) – erst Gariopontus, ein salernitanischer Arzt des 11. Jahrhunderts, beschreibt »eine Art Wahnsinn, dessen entfernte Verwandtschaft mit der Tarantelkrankheit aus einer ganz auffallenden Erscheinung einleuchtet. Die Kranken geberdeten sich in ihren plötzlich eintretenden Anfällen wie Wüthende, sprangen empor mit wilden Bewegungen der Arme, und lag ihnen ein Schwert zur Hand, so verwundeten sie sich und andere, so dass man sie sorgfältig sichern musste. Sie hörten Stimmen und verschiedenartige Töne, und vernahmen sie in dieser Sinnestäuschung den Klang beliebter Instrumente, so begannen sie einen krampfhaften Tanz, oder liefen mit äußerster Anstrengung ihrer Kräfte, bis sie ermüdet waren.” Hecker, Volkskrankheiten, 168. Man nutzte das contravveleno oder alexipharmakon der Tarantella, um die gestauten Energien zu verflüssigen, denn der zeitgenössischen Theorie zufolge konnten kraft der musikalischen Rhythmen ebenso versteinerte Bewegungen verlebendigt wie im kranken Körper gefangene Energien freigesetzt werden. Vgl. Marius Schneider, La danza delle spade e la tarantella, Lecce 1999 [1948]; sowie ders., Pietre che cantano: Studi sul Ritmo di tre chiostri catalani di stile romanico, Milano 1976.

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und wieder angeregt werden könnten«78, grundsätzlich fand der Kranke Erleichterung in wiederholtem Schaukeln und Wiegen. Das Finden der geeigneten Musik verlief empirisch: Die Musiker spielten verschiedene Melodien, solange bis der Kranke reagierte, und sein Körper in Bewegung geriet. Die Heilung konnte sich über Stunden und sogar über mehrere Tage fast ununterbrochenen individuellen und kollektiven Tanzens erstrecken. Häufig wurde die vitalisierende Kraft der Musik mit dynamischen Motiven unterlegt: wie z. B. dem Labyrinth, konzentrischen Kreisen oder Spiralbewegungen, dem kontrapunktischen Überkreuzen von Klingen oder anderen symbolischen Gegenständen. Im pizzica-scherma, dem tarantellesken Schwerttanz beispielsweise, begegnen sich zwei Tänzer mit Messern oder Schwertern, oder genauer, bilden eine zusammenhängende Doppelfigur. Dabei handelt es sich um das Austanzen einer dualistischen Spannung, die ihren Ausdruck in verschiedenen begrifflichen und motivischen Gegensatzpaaren wie Erde und Himmel, Werden und Vergehen, Gesundheit und Krankheit etc. findet. Durch die transformierende Kraft der Musik soll eine Überwindung der inneren Störung und Entzweiung hergestellt werden, so dass der Tanz zum Antidot und alexipharmakon gerät, das nicht nur den Körper des Erkrankten entgiftet, sondern eine Purifikation universalen Ausmaßes einleitet. Übrigens ist das der Grund, warum sich auf der magischen und therapeutischen Ebene des Tanzes sofort christologische und heilsgeschichtliche Deutungen aufsatteln ließen. Heilung und Heil beziehen sich notwendig aufeinander, und es ist von daher nicht überraschend zu erfahren, dass die Iatromusik und der Iatrotanz der pizzica-scherma vor einer großen Menge Kranker aufgeführt wurden, die sich vor dem Sanktuarium von San Rocco versammelt hatten.79 Der heilige Rochus spielte innerhalb der frühneuzeitlichen Therapeutik aufgrund der wiederholten Pestepidemien eine wichtige Rolle – über den Zusammenhang von Pest, Medizin und die Rolle der Kunst im 17. Jahrhundert hat Sheila Barker ausführlicher geschrieben80 –, wobei als eigentlicher Schutzpatron der »Tarantisten« der heilige Paulus (»S. Paolo delle tarante«) fungiert. Dass er als Heilpraktiker und zweiter Asklepios gefeiert wird, hat mit einer mittelalterlichen Legendbildung zu tun. Derzufolge soll Paulus nach überstandenem Schiffbruch vor der Insel Malta an Land gegangen und von einer Schlange gebissen worden sein. Nachdem er das Tier ins Feuer geschleudert und einen Fluch über alle Schlangen ausgesprochen hatte, verbreitete sich bald der Glaube, die in den weichen Ablagerungen der Mittelmeerinsel immer wieder gefundenen Haifischzähne seien ihrer Herkunft nach Zähne der von Paulus verfluchten Nattern. Die sogenannten Zungensteine oder St. Pauls-Steine wurden als apotropäische Amulette um den Hals oder um den Arm gebunden, in Wein oder Wasser eingelegt oder pulverisiert getrunken, denn man glaubte, auf diese Weise von Krankheiten verschont zu bleiben. Außerdem wurde ihnen die Eigenschaft nachgesagt, durch Schwitzen die Nähe von Gift anzuzeigen, so dass sie in Wein getaucht und neben verdächtige Nahrungsmittel gelegt 78 79 80

Hecker, Volkskrankheiten, 171. Vgl. Georges Lapassade, Intervista sul tarantismo, Maglie 1994, 155. Vgl. Barker, »Poussin, Plague«, 659–689. Vgl. auch Elisabeth Hipp, »Poussin’s The Plague at Ashdod: A Work of Art in Multiple Context«, in: Piety and Plague: From Byzantium to the Baroque, hg. v. Franco Mormando & Thomas Worcester, Kirksville 2007, 177–223.

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73 | Entlarvung des Zungensteins als fossilen Haifischzahn, in: Nicolaus Steno, Elementorum

myologiae specimen, seu musculi descriptio geometrica, cui accedunt Canis Carchariae dissectum caput et dissectus piscis ex Canum genere, Florenz 1667, tab. IV. 74 | Sogenannte Natternzungenkredenz aus fossilen Haizähnen und Koralle, 15./16. Jh., Schatzkammer des Deutschen Ordens, Wien, Inv.-Nr. K-037.

wurden. Bekanntlich hat erst der dänische Arzt und Naturforscher Nicolaus Steno, den Cosimo III. an den Florentiner Hof gerufen hatte, entdeckt, dass es sich bei den Natternzungen in Wirklichkeit um die Zähne längst ausgestorbener Haie handelte. Dieser Teil der Wissenschaftsgeschichte und frühen Toxikologie ist also eng mit einer Heiligen- und Heilsgeschichte verbunden, aber natürlich auch mit einer Kunstgeschichte, denn die Goldschmiede vor allem des 16. und 17. Jahrhunderts haben entsprechende Natternkredenzen und -amulette in großem Umfang hergestellt. Referenzen der danza delle spade zur Passion und Kreuzigung Christi wurden weiterhin im Überkreuzen der Klingen, der Betonung der gegensätzlichen Prinzipien von Erde und Himmel erkannt, während es im Tarantismus ja grundsätzlich darum ging, eine Art Neugeburt oder therapeutische Auferstehung des Erkrankten einzuleiten. Selbst die Verwendung der einzelnen Musikinstrumente unterlag einem polaren Schema. Auf dem Fell des Tamburins beispielsweise wurden dunkle und tiefe Töne erzeugt, mit den Schellen dagegen metallisch-helle, und das Zusammenspiel diente zur akkustischen Darstellung eines symbolischen Aufstiegs aus einem tiefen Tal in gebirgige Höhen (basso-alto). Man kann sich an dieser Stelle zurecht an die Bildikonographie der sottobosco-Malerei erinnert fühlen, das heißt an deren felsige Staffage oder an die Doppelstruktur von dunklem Dickicht im Vorder- und hellem Horizont im Hintergrund. Innerhalb der Literatur zur pizzicascherma jedenfalls bilden Tal und Berg den Ausgangs- und Endpunkt einer paesaggio

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mistico.81 Verfolgt man deren Instruktionen weitergehend, lernt man die komplexe Binnenstruktur der symbolischen Reise kennen: Dann wird deutlich, dass es sich dabei um einen steilen Aufstieg handelt, er beginnt in einem Bereich (basso), in dem sich noch Wasser und Erde durchmischen, symbolisiert durch Schilf, Frosch, Fisch sowie die Kreuzspinne (ragno acquatico). Diesem Bereich der Erde oder des feuchten Tals (valle) werden die Töne der Holzinstrumente zugeordnet. Während des sukzessiven Aufstiegs nehmen Wärme und Trockenheit zu, das Element des Wassers trifft auf subterranes Feuer, man ist in der paesaggio mistico an den Ausläufern des Gebirges angekommen, und die Instrumente wechseln zu Tamburin, Dudelsack und Flöten über, nun weitgehend metallische Klänge erzeugend. Hier befindet sich der symbolische Aufenthaltsort der Tarantel und des Skorpions. Erst diesem Teil der mystischen Reise ist die eigentliche Gebirgslandschaft (montagna) zugeordnet, wobei man sie sich stets als durch die Körperbewegung des Tanzenden, durch seine erhobenen Arme evoziert vorzustellen hat, während der untere Teil seines Körpers dem Element der Erde (valle) angehört. Grundsätzlich mimt der Tänzer einen Lebensbaum (arbor vitae) – im Erdreich wurzelnd, in die Höhe ragend –, auf dessen Krone ein mystischer »monte metallico di Giove« aufsitzt, in dem sich der Heilungsakt endgültig, und zwar im Sinne einer vollkommenen Umkehrung und Aufhebung der anfänglichen Vergiftung, vollzieht. Sukzessive werden im Tanzen die vier Elemente durchlaufen und es kommen verschiedene Instrumente zum Einsatz. Die Tonfolgen und -modi werden daraufhin abgestimmt und nicht nur den narrativen Ereignissen, sondern auch bestimmten Orten jener mystischen Landschaft zugeordnet, die den Tänzern als unsichtbarer Schauplatz hinterlegt ist.82 So kann man sagen, dass die zu passierende Sumpf- und Felslandschaft der paesaggio mistico, und mit ihr zugleich auch die dunkle Niederwelt der sottoboschi, als Gegenbild oder Transitraum zum Paradiesgarten angelegt wurde. In ihr ist die gefallene, d. h. vom Heil abgefallene Natur dargestellt, die genesen muss.83 Die Tiersymbolik funktioniert im übrigen nach einem ähnlichen Muster. Die unsichtbare Landschaft ist von Tieren bevölkert, zu denen die Tänzer durch einen, wie es in der Literatur heißt, totemismo pastorale in Beziehung stehen und die man sich auf einer imaginären Heilskurve aufgereiht vorzustellen hat.84 Im 17. Jahrhundert folgt diese Anordnung zugleich einem System mystischer Korrespondenzen und steht sowohl mit dem Zodiak, den Jahreszeiten sowie den Lebensaltern des Menschen in Verbindung.85 Dabei korreliert das aufgerufene Repertoire mit dem Bildpersonal der sottobosco-Malerei: Kröte, 81 82 83

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Begriff nach Schneider, Danza delle spade, 20. Vgl. Schneider, Danza delle spade, 62–63. An dieser Stelle macht auch das Schutzpatronat des heiligen Paulus noch einmal Sinn: Zusammen mit Petrus bildet er eine duale Einheit: Sein Alter Ego wacht über die Schlüssel, die dem Kranken am Ende seiner therapeutischen Reise durch eine paesaggio mistico das Tor zum Paradies öffnen. Traditionell endet der Festtag von Peter und Paul in einer »notte della taranta«. Vgl. Schneider, Danza delle spade, 158. Ombretta Franco & Stefano Zuffi, Musica maga. Teoresi e storia della meloterapia dei poteri terapeutici e fascinatori della musica, Genua 1996, 70: »La salute del corpo è assicurata dall’armonica proporzione delle complexiones e la musica sembra la medicina più adatta a mantenerla o

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75 | Michelangelo Merisi da Caravaggio, Jüngling, von einer Eidechse gebissen, 1595–1600, Öl auf Leinwand, 66 × 49.5 cm, National Gallery, London, Inv.-Nr. NG6504.

Frosch, (Smaragd-)Eidechse, Muschel, Schlange, Skorpion, Spinne. Innerhalb dieses Repertoires gibt es dann noch eine komplementäre Konstellation zwischen Tarantel und Eidechse sowie zwischen Frosch und Kröte. Sie bilden jeweils ein Paar (im dualen Sinne von bassoalto), das sich um einen wechselweisen symbolischen Auf- und Abstieg des Berges und Lebensbaums bemüht.86 Vor allem Tarantel und Eidechse werden häufig parallel verhandelt: Der Meinung des 17. Jahrhunderts zufolge führte sowohl der Biss der einen wie der anderen zum tarantismo, der musikalisch ausgetrieben werden musste. Gleichzeitig unterscheiden sie sich in der Nachhaltigkeit ihrer Wirkung: Das Schicksal der Tarantel sei enger mit dem des Menschen verbunden, heißt es, weil ihr Biss ihn zu töten vermag und sich deshalb stärker in das menschliche Gedächtnis einpräge als zum Beispiel der Biss einer

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ristabilirla per la corrispondenza dei quattro modi (misolidio, dorico, lidio e frigio) con i quattro elementi, le quattro qualità, i quattro umori e così via, di corrispondenza in corrispondenza.« In den Rundtanz der Tarantella wird die Muschel sogar faktisch integriert, indem sie, mit Wasser gefüllt und mit Kräutern geschmückt, während des Tanzens gehalten wird; barocke Autoren schreiben mehrfach davon.

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Eidechse. Letzterer schadete dem Menschen weniger. Eidechse und Tarantel aber sind durch ihren Biss sowohl Schock wie Ekstase – mania (!) – auslösende Tiere. Caravaggios Darstellung eines Jünglings, von einer Eidechse gebissen beispielsweise muss in diesem Kontext verstanden werden.87

PHARMAKEIA Im Tarantismus wurden den Notenfolgen und Rhythmen bestimmte Farbtöne zur Seite gestellt. Unleugbar ist einer der wichtigsten Berührungspunkte zwischen Kunst und Medizin die Farbe – Farbe verstanden als die sichtbare Eigenschaft einer Substanz. Wir wissen, dass frühneuzeitliche Diskussionen über spezifische Qualitäten und Eigenschaften von Kräutern und Edelsteinen hauptsächlich in einem medizinischen Kontext stattfanden, das heißt ein Arzt verstand den gesundheitlichen Zustand seines Patienten als Ergebnis einer aus dem Gleichgewicht geratenen Balance zwischen den vier Säften des Körpers. Die Säftelehre wiederum war eng an die Theorie von den vier Elementen angelehnt, so dass die Zusammensetzung der Medikamente aus verschiedenen Anteilen von Erde und Feuer, Wasser und Luft eine wichtige Rolle in der Prophylaxe und Behandlung von Krankheiten spielte. Sowohl mineralische wie vegetabile oder animalische Substanzen dienten als Heilmittel. Teilweise konnten sie toxisch sein – Mediziner der neueren paracelsistischen Schule beriefen sich sogar ausdrücklich auf die homöopathische Transformation von Gift in Gegengift. In einem englischen Traktat findet sich folgende Anweisung: »As for example, a toad for itself is mere poison, yet if first dryed in the sun, (…) and to burn to ashes, if these ashes be laid upon a place stung or venomously bit, or the like, you shall see one venom attract the other, and the place freed from venom. (…) So antinomy, though full of venomous arsenic qualities, after his poison is taken away, may be transmuted into medicine, which never more for the future retaineth poison, but be so able and efficatious as to attract the poison of diseases to itself and expel it out of the body, with it self«88, entsprechend Dioskorides’ berühmtem Diktum: »Die Schlange, getrunken in Wein, heilt ihren eigenen Biss.«89 Antike Autoren hatten aus diesem Grund noch den primitivsten und geringsten Lebewesen einen Platz in medizinischen Rezepturen eingeräumt. Um eine Berührung auf farbtheoretischer Ebene herzustellen, müssen wir wiederum nur Plinius bemühen, der in seiner Naturalis historia feststellte, dass die Natur »noch

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Vgl. Stefano Cracolici, »Savonarola e le bizzarie di corte«, in: Michele Savonarola: Medicina e cultura di corte, hg. v. Chiara Crisciani & Gabriella Zuccolin, Florenz 2011, 25–58; sowie Mauro di Vito, »The Talismanic Value of Vermin on the Doors of the Baptistry in Florence«, in: Images at Work, hg. v. Ittai Weinryb, Ashley Jones, Hannah Baader & Gerhard Wolf (in Druck). Zum Zusammenhang von Tarantella-Tanz und barocker Farbtherapie bereite ich derzeit eine Quellenedition vor. William Thrasher, The Marrow of Chymical Physick, London 1669, 129. Dioskorides, Mat. med. VII, lx.

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den unscheinbaren Kräutern, sogar den stachlichten, Heilkräfte verliehen [hat]. Sie reißen mich zur Bewunderung und Verehrung der Vorsehung hin, denn [die Natur] malte die Arzneimittel in die Blumen gleichsam hinein [›pinxerat remedia in floribus‹] und lud durch deren Aussehen die Menschen ein, verband also Heil und Freude miteinander.«90 Eine solche Feststellung geht mit dem Umstand zusammen, dass Farbe und Pigment im 17. Jahrhundert noch immer aus Pflanzen, Kräutern und Edelsteinen durch Pulverisieren und Destillieren gewonnen wurden. Kunst und Medizin rekurrieren gleichermaßen auf die Eigenschaften (proprietas) der Mineralien und Pflanzen, die sich in ihrer Farbigkeit, den unterschiedlichen Farbtönen etc. ausdrücken. In diesem Zusammenhang ist es aufschlussreich zu erfahren, dass im Mittelniederdeutschen das Wort Kraut (kruyt) für alle möglichen drogistischen Mittel verwendet wurde, also damit ebenso Heilkräuter wie Mineralien oder Pigmente gemeint sein konnten.91 In analoger Weise wurden mineralische und pflanzliche Substanzen von Apothekern und Ärzten für die Aufbereitung medizinischer Rezepturen und Tinkturen und von den Künstlern für die Zubereitung von Tempera- und Ölfarben verwendet: »Eoque pictores et medici utuntur«92 heißt es schon bei Plinius, und an anderer Stelle, zu Beginn des 35. Buchs seiner Naturgeschichte spricht er von der Natur der Mineralien und Metalle und erklärt, dass in einer solchen Abhandlung die Arzneikunst ebenso wie die Kunst »zu malen und zu färben mit berühret werden« müssen.93 Bis in das 17. Jahrhundert hinein jedenfalls wird eine Diskussion um Bildwirkungen, und zwar vor allem um die Wirkung von Farben, im Kontext einer größeren Diskussion um die Dialektik von Gift und Gegengift beziehungsweise Arznei geführt, wie zum Beispiel noch bei Roger de Piles, der die Farbe erneut als pharmakon bezeichnete, nun aber

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Plinius, N.H. XXII, 7. Doris Oltrogge, »The Werden Accounts and Other Sources on the Trade in Manuscript Materials«, in: Trade in Artists’ Materials. Markets and Commerce in Europe to 1700, hg. v. Jo Kirby, Susie Nash & Joanna Cannon, London 2010, 189–198, hier 195: »A ›verwekruyt‹ is not, as one could suppose, a herb (German: Kraut), but in Middle Low German kruyt was the term used for all kinds of drug ware: for example, medical herbs, other drugs, minerals, pigments etc.« Vgl. auch Karl-Heinz Bartels, »Drogenhandel und apothekenrechtliche Beziehungen zwischen Venedig und Nürnberg«, in: Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 2, Frankfurt a. M. 1966, 64. Plinius, N.H. XXVII, 71. Im Anschluss kommt er auf die »Ehre der Malerey« zu sprechen. In der Übersetzung von Plinius, Naturgeschichte, Rostock & Greifswald, 1765, II, 729: »Nachdem wir die Natur der Metalle (…) [und] auch der Dinge, welche an denselben wachsen, fast angezeiget haben, wobey die Sachen in solcher Verbindung standen, daß ein unermäßlicher Vorrath der Arzeneykunst, die Finsternisse der Werkstätte, auch die eigensinnige Genauigkeit, [Skulpturen zu fertigen], und zu malen, und zu färben, zugleich mit berühret werden mußten: so sind nun noch die Arten der Erde selbst und die Steine übrig, die eine noch fast zahlreichere Reihe ausmachen.« Die englische Ausgabe macht den Zusammenhang deutlicher: »I have now given at considerable length an account of the nature of metals, which constitute our wealth, and of the substances that are derived from them; so connecting my various subjects, as, at the same time, to describe an immense number of medicinal compositions which they furnish, the mysteries thrown upon them by the druggists, and the tedious minutiae of the arts of chasing, and statuary, and of dyeing.« The Natural History of Pliny, übers. v. John Bostock & H. T. Riley, 6 Bde., London 1855, VI, 223.

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76 | Beispiele von Pharmakeia in einer Abschrift von Matthaeus Platearius’ Liber de simplici

medicina, Tusche und Tempera auf Pergament, 15./16. Jh., Bibliothèque Nationale, Paris. Die meisten der dargestellten Medikamente wurden auch als Pigmente verwendet.

positiv gewendet im Sinne einer erholenden und stärkenden Wirkung auf den Betrachter.94 Auch im Lateinischen waren die Bezeichnungen medicamen und venenum quasi austauschbar, und so wurde die künstliche Farbe, die ja selbst einmal aus der Natur gewonnen wurde, als entweder unheilvolle oder heilende, gefährliche oder beruhigende, stärkende Kraft verstanden.95 Wir wissen beispielsweise, dass in Florenz bis Ende des 16. Jahrhunderts die Maler in der Gilde der Ärzte und Apotheker (Arte dei medici e speziali) angesiedelt waren, weil sie ihre Pigmente von den Apothekern kauften: Das Banner der Gilde zeigte die Jungfrau mit Kind, wobei hinzukommt, dass der die Madonna abbildende Hl. Lukas

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Zur Diskussion von Farbe als pharmakeia und chromata in der französischen Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts, ebenfalls mit Rekurs auf Platon und Derrida, siehe Jacqueline Lichtenstein, The Eloquence of Color. Rhetoric and Painting in the French Classical Age, Berkeley u. a. 1993, 52: »Color, because of its paradoxical nature as pharmakon, can also produce contrary effects. Excess in a color can interfere with vision, as excess of colors can, and block the perception of contours and the identification of forms. Mixed colors (…) dazzle the eye and set off a flash, blurring vision rather than illuminating it.« Vgl. auch Ps.-Longinus, Peri hypsous Περὶ ὕψους (Vom Erhabenen), XVII, 1–2, der sich erneut auf den Einsatz der Farbe bezieht. Zur Feminisierung der Farbkunst als Verführungskunst – ebenso Illusion wie Vergnügen erzeugend, vergleichbar der Kosmetik und des Make-ups – siehe Jacqueline Lichtenstein, »Making Up Representation: The Risks of Femininity«, in: Representations 20 (1987), 77–87. Charles Lock Eastlake, Methods and Materials of Painting, New York 2001 [1847], 4: »The words medicamen and venenum are employed by the Latins in the same sense.« Mit Bezug auf Plinius, N.H. IX, 62 und 64; sowie Vergil, Georg. II, 465; Scheffer, Graphice.

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beides war, Maler und Arzt, so dass er sowohl als Mediziner wie als Künstler, der »in Farben und Mosaiken«96 gearbeitet habe, angesprochen werden konnte.97

KRÄUTER Inwieweit die These vom Bild als pharmakon greifen mag, kann man am besten anhand eines Beispiels diskutieren; ich wähle ein bereits gezeigtes. Otto Marseus’ Sottobosco mit Pilzen, Schlange und Skorpion, signiert und datiert »fecyt in Roma 1655 Ly to aug.«, das kurz nach seiner Entstehung in der Villa Topaia des begeisterten Naturalisten Cosimo III. de’ Medici nahe Florenz hing, zeigt eine ganze Bandbreite giftiger oder schädlicher Planzen und Tiere. Das unheilvolle Szenario befindet sich in einer schmalen Höhle oder Felsspalte hoch oben in den Bergen. Eine Vierstreifennatter gleitet die Steine hinab, das Maul weit geöffnet, um den halbtrunken vor ihr gaukelnden Falter zu fangen. Vier weitere Nachtfalter kreisen um einen Pilz der Sorte Amanita caesarea, der sich aus dem mageren Felsenboden geschoben hat, während andere Fungi im dunklen Hintergrund nur schemenhaft zu erkennen sind und doch seltsam animiert erscheinen. Erneut können wir einen die 96

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Übersetzung nach: Adolphe Didron & Paul Duran, Manuel d’iconographie chrétienne, Paris 1845, 3. Vgl. Eastlake, Methods and Materials, 5. Die Compagnia di San Luca, zunächst eine Gemeinschaft unabhängig zu den Gilden, entwickelte sich weiter zur Florentinischen Accademia e Compagnia delle Arti del Disegno (1563; formal im Gildensystem der Stadt seit 1572 verankert), siehe Anthony Hughes, »An ›Academy for Doing‹. I: The Accademia del Disegno, the Guilds and the Principate in Sixteenth-Century Florence«, in: Oxford Art Journal 9/1 (1986), 3–10; Julia A. DeLancey, »Dragonsblood and Ultramarine: The Apothecary and Artists’ Pigments in Renaissance Florence«, in: The Art Market in Italy, Fifteenth-Sixteenth Centuries, hg. v. Marcello Fantoni, Louisa C. Matthew & Sara F. Matthews-Grieco, Modena 2003, 141–150, v. a. 142– 143. »The Florentine speziale occupied a position at a nexus between the – to the modern mind – seemingly disparate professions of doctor and artist, and the disparate fields of medicine and art. And yet, our knowledge of the Renaissance mind tells us that these fields were not unrelated at the time.« Siehe auch ebd., 148: »By examining apothecaries and their trade, we can better understand the position that pigments most likely held, not only in the mind and business of speziali, but also, through them, in Florentine culture more widely. In addition to their use by painters as the sine qua non of their craft, they served doctors, alchemists, sculptors, and dyers. As such, it is unlikely that a material such as ultramarine would have been seen solely as a colore, but simultaneously as capital, as a coloring agent, as a medicine, and as a gem, and therefore of particular value to its main merchant, the speziale.« Vgl. auch Mary Ann Jack, »The Accademia del Disegno in Late Renaissance Florence«, in: Sixteenth Century Journal 7/2 (1976), 3–20. Zur Freund- und Feindschaft der Farben siehe Frank Fehrenbach, »Calor nativus – Color vitale: Prolegomena zu einer Ästhetik des ›Lebendigen Bildes‹ in der frühen Neuzeit«, in: Visuelle Topoi: Erfindungen und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, hg. v. Ulrich Pfisterer & Max Seidel, München 2003, 151–170. Ein ähnlicher rezeptionstheoretischer Ansatz, mit besonderem Augenmerk auf das 16. und 17. Jahrhundert, bei Barker, »Poussin, Plague, and Early Modern Medicine«, 659–689; Thijs Weststeijn, »›Painting’s Enchanting Poison‹. Artistic Efficacy and the Transfer of Spirits«, in: Spirits Unseen. The Representation of Subtle Bodies in Early Modern European Culture, hg. v. Christine Göttler & Wolfgang Neuber, Leiden 2008, 141– 178; Christine Göttler, »Fire, Smoke and Vapour: Jan Brueghel’s ›Poetic Hells‹. ›Ghespoock‹ in Early Modern European Art«, in: dies. & Neuber, Spirits Unseen, 19–46; zu einer Rezeptionstheorie zwischen Affekt und Infekt siehe allgemein Ansteckung. Zur Körperlichkeit eines ästhetischen Prinzips, hg. v. Miriam Schaub & Nicola Suthor, München 2005.

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feuchte Höhle als Unterschlupf nutzenden schwarzen Skorpion ausmachen (Urodacus manicatus). Und während die Höhlenöffnung den Blick auf einen heiteren Sommerhimmel freigibt, der sich mit Wolken langsam zuziehen beginnt, erscheint das Innere kalt, dunkel und unheimlich. Der Kontrast wird durch die Farbgebung verstärkt – der Felsen, genauer: der Umriss des Höhlenmunds zieht eine zackige Demarkationslinie zwischen lichten und dunklen Partien des Gemäldes.98 Im Inneren der Grotte sind die Farben ins Tenebrose gezogen, mit einer Ausnahme: Der orange Hut der Amanita liefert einen leuchtenden Farbakzent. Gemeinhin als »Kaiserling« bekannt, wurde er noch im 17. Jahrhundert als besonders teuerer Speisepilz gehandelt, doch wurde er häufig genug mit seinen tödlichen Namensvettern aus der Amanita-Familie verwechselt, zum Beispiels mit dem giftigen Fliegenpilz (Amanita muscaria), so dass die Bildikonographie seltsam unbestimmt bleibt.99 Im großen und ganzen, und für das bloße Auge, gibt es nämlich keine klare Unterscheidung zwischen essbaren und schädlichen Fungi; die Übergänge sind fließend. Dioskorides beispielsweise, in seinem toxikologischen Kapitel der Materia medica, war der Meinung, dass die Umgebung darauf Einfluss nehme, ob ein Pilz essbar oder giftig sei – eine Meinung, die von Plinius in aller Ausführlichkeit wiederholt wird, nicht ohne auf den vemeintlich spontanen Ursprung der Fungi aus feuchtem Schlamm zu verweisen, der sie wie Schwämme alle Qualitäten ihrer Umgebung aufsaugen lässt: 98

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Über die zeitgenössische Ikonographie des Skorpions gibt uns Gregorio Comaninis Il Figino weiteren Aufschluss: Anhand einer in Rom auf dem Campidoglio aufgestelten allegorischen Skulptur der Fruchtbarkeit und ewigen (agrikulturellen) Wiederkehr der Formen beschreibt er, wie das im Stachel des Skorpions sitzende Gift Gegenreaktionen hervorrufe bzw. wie jede neue Formbildung aus den komplementären Prinzipien von Konflikt und Freundschaft, Konsonzanz und Dissonanz, hervorgehe. Vgl. Comanini, Il Figino, 107. Im Zusammentreffen von Wärme und Feuchtigkeit entstünden spontane Erzeugungen, äußere sich Kreativität. Der im Winter wie tot erscheinende Skorpion schärfe seinen Stachel im Frühling und zeige, dass ihm die Kälte nichts habe anhaben könne. Vgl. ebd., 258: »Ora, perche il Mondo, secondo la dottrina d’Empedocle, trahe origine dalla lite, & dall’amicitia, conueneuolmente lo Scorpione si potrebbe intendere per simbolo della creatione, come segno della concordia, & della discordia. (…) Anzi mi vò persuadendo, che questo Scultore per significatione della medesima humidità (…) habbia scolpito appresso la pianta de i frutti, lo Scorpione, che viue d’humido, & la facella rouescia, che dinota il notturno tempo.« Erwin Panofsky zeigt sich zu Unrecht amüsiert über Comaninis allegorische Interpretation, vgl. Idea: A Concept in Art History, Columbia 1968 [Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunstheorie, Leipzig & Berlin 1924], 237–238. Sein Name stammt von der Vorliebe der römischen Cäsaren für diesen Pilz. Amanita caesarea wurde zuerst 1772 vom italienischen Mykologen Giovanni Antonio Scopoli als Agaricus caesareus beschrieben (in: Giovanni Antonio Scopoli, Flora Carniolica exhibens plantas Carnioliae indigenas et distributas in classes, genera, species, varietates ordine Linnaeano, 2 Bde., Wien 1772, II, 419), bevor er 1801 von Persoon in die Gruppe der Amanita gezählt wurde: Christaan Hendrik Persoon, Synopsis Methodica Fungorum, Göttingen 1801, 252. In Rom wurde er als boletus gehandelt (von griech. βωλίτης, bolites), nach der Bezeichnung von Galen. Nach John Ramsbottom, Mushrooms & Toadstools, London 1953, 6. Im Englischen gibt es für die Zusammenstellung von Kröten und Pilzen einen etymologischen Hintergrund. Mit der Bezeichnung »toadstool« sind vor allem giftige Pilze bzw. Schirmpilze gemeint (als klassisches Beispiel gilt die Amanita muscaria). Interessanterweise gibt es sowohl im Niederländischen wie im Deutschen Äquivalente (»padde(n)stoel« bzw. »Krötenschwamm«).

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»Denn wenn da, wo sie wachsen, ein Schuhnagel, ein rostiges Stück Eisen oder ein morsches Stück Tuch liegt, so ziehen sie sogleich allen fremden Saft und Geschmack in sich und bilden daraus Gift; wer aber anders als die Landleute und die, welche sie sammeln, kann das wissen? Sie ziehen auch noch andere Gifte ein, zum Beispiel wenn sich neben ihnen eine Schlangenhöhle befindet, oder wenn eine Schlange einen eben sich öffnenden Pilz anhaucht, denn ein Gift besitzt die Fähigkeit, noch ein anderes aufzunehmen.«100 Grundsätzlich wird der Fruchtkörper der Fungi als kalt, schwammig und korrupt beschrieben, und barocke Naturhistorien und Herbarien paraphrasieren nur immer Dioskorides’ Charakterisierung ihrer quellenden und aufdringlichen Natur: »Die meisten unter ihnen ersticken und strangulieren den Esser.«101 Auch Galen hatte sich eine negative Meinung über Pilze im täglichen Speiseplan gebildet, mit Ausnahme des Kaiserlings, den er für essbar hält, vor dem er aber aufgrund seiner leichten Verwechslung mit anderen giftigen Verwandten ausdrücklich warnt.102 Dass ausgerechnet dieser Pilz in Marseus’ sottobosco eine prominente Rolle spielt, scheint nun kein Zufall zu sein. Ein Teil der Bildikonographie sammelt sich um die orangerote Kappe der Amanita herum, die beides sein kann, ein Zeichen für Genuss und Gesundheit ebenso wie für Ansteckung, Krankheit und Tod, je nachdem, an welcher Stelle und in welcher Umgebung sie sich ansiedelte – die Qualitäten der Umgebung können auf sie übergehen. Weiterhin interessant ist die Beobachtung, dass die orange Pilzkappe im Bildfeld nicht einfach nur grell aufleuchtet, sondern aus Zinnober hergestellt wurde – einem orangen Pigment, das beim Zerreiben immer röter wird.103 Zusammen mit Bleiweiß und Auripigment, das als arsenhaltiges Pigment schon manchem Künstler zum Verhängnis geworden ist, dient es dem farbigen Aufbau der Pilzkappe. Sie wird damit materialiter zur giftigsten Stelle im Bild.104

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Plinius, N.H. IV, 79 und 46. Die Passage beginnt wie folgt: »Die erste Ursache ihrer Bildung liegt in dem Schlamme und der scharfen Feuchtigkeit der Erde oder einer eicheltragenden Wurzel. Anfangs sind sie zäher als Schaum, dann stellen sie einen häutigen Körper dar und endlich bilden sie sich gänzlich aus. Diese Giftpilze müssen wiegesagt durchaus verworfen werden.« John Gerard, The Herball or Generall Historie of Plantes, London 1597, 1386. Das vollständige Zitat: «Galen affirmeth that they are all very colde and moist, and therefore do approach vnto a venomous and murthering facultie; and ingender a clammie, pituitous, and cold nutriment if they be eaten. To conclude, fewe of them are good to be eaten; and most of them do suffocate and strangle the eater.” In Dioskorides, Mat. med. VI, xxiii, heißt es: »Alle Schwämme würgen eben/ als zöge man einem den Hals mit Stricken zusammen.« Nach Frank Matthews Dugan, Fungi in the Ancient World, St. Paul, Minnesota 2008. Cennini zufolge konnte man es über 20 Jahre lang jeden Tag reiben, und es würde immer noch besser werden. Vgl. Cennino Cennini, Il libro dell’arte, Florenz 1859, 27. Vgl. beispielsweise die bei Karel van Mander angegebene Anekdote in der Lebensbeschreibung des Hendrick Goltzius (1558–1661/1617): Karel van Mander, Het schilder-boeck, Haarlem 1604, 282r: »Neffens dit ongheluck, jongh kindt wesende, gheschiedet dat zijn Vader door ongeluck oft onbewist hem hiet steken in de mondt Orpriment, oft Aurapigmentum, het welck den Vader ten besten hy mocht weder uyt crabde« (»Abgesehen von diesem Unglück geschah es, dass sein Vater

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Solche Beobachtungen geben uns erneut Einblicke in die komplexe Beziehung zwischen toxischen Substanzen und einer barocken Farbtheorie – Farbe meint keine äußerliche Erscheinung der Dinge, sondern deren innere Qualität: In den Herbarien und medizinischen Büchern der Zeit beispielsweise gilt eine hellgelbe Farbe stets als Indiz von Gift. Oft wird eine solche Diagnose in Bezug auf Fungi entwickelt: »Some think that the pale coloured are the most hurtful because they have the more Lunar poison in them.«105 Plinius warnt zudem vor der giftigen Beschaffenheit bläulich wirkender Pilze, und im 16. Jahrhundert meinte Mattioli in Referenz auf Dioskorides, die Giftigkeit mancher Pilze aus den schillernden Verfärbungen an den Bruchstellen ablesen zu können: »Beim Auseinanderbrechen werden sie zuerst grün, dann schwarzrot, bis schließlich dunkelblau und zuletzt schwarz. (…) Dieser Umstand erfordert eine kräftige und unempfindliche Person, die sich beim Anblick dieser Veränderungen nicht vor ihrer Bösartigkeit fürchtet.«106 Dazu muss man wissen, dass für lange Zeit Pilze als Pflanzen galten, so dass man über sie in Herbarien nachlesen kann. Außerdem tauchen sie regelmäßig in Handbüchern zur Färberkunst auf, weil sie zur Erzeugung kräftiger und frischer Textilfarben verwendet wurden.107 Das Druck- und Verlagswesen des 17. Jahrhunderts produzierte eine Menge pharmazeutischer Literatur, deren Bandbreite von kostbaren, handkolorierten Herbarien zu billigen daily companions reichte. Solche Handbücher waren beliebt, weil sie, wie es in deren Einleitungen heißt, »die magischen und physischen Eigenschaften von Bäumen und Kräutern sowie ihre Heilkräfte gegen nahezu alle Krankheiten«108 meist tabellarisch zusammenfassten; außerdem gab es einen wahren Boom in der Publikation sogenannter Wunder- oder Geheimbücher (»Books of wonder«, »Books of secrets«), in denen man Rezepturen zur Farbgewinnung und zu Techniken der Gravierkunst neben denen des Tintenmachens, Vergoldens und Lackierens, aber auch zur Kosmetik nachlesen konnte. Häufig genug waren sie mit Büchern zur Färbe- und Destillierkunst zusammengebunden, und man findet dort allenorts den Konnex zwischen künstlichen Farben und den Ressourcen im Naturreich – »notwithstanding, the so great variety of Colour in the Herbs, Roots,

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ihn, als er noch ein kleines Kind war, Auripigment in den Mund stecken ließ, welches er, den Missgriff merkend, dann, so gut er konnte, wieder herauskratzte.« Das Leben der niederländischen und deutschen Maler von 1400 bis ca. 1615, übers. v. Hanns Floerke, Worms 1991 [1906, nach der Ausgabe von 1617], 329). Israel Hiebner, Mysterium sigillorum, herbarum & lapidum, London 1698, 103: »All sorts of mushrooms are nothing but the swellings of the earth, occasioned by a viscous humidity of the earth and trees, for Luna is Lady of all Moisture. (…) They give, according to the nature of all Lunars) a pale colour. (…) Some think that the pale coloured are the most hurtful because they have the more Lunar poison in them.« Mattioli, Commentarii, zitiert nach Albus, Kunst der Künste, 256. Mit Pilzen oder Moos zu färben hat eine lange Tradition, die weit in das 16. und 17. Jahrhundert reichte, vgl. Giovanni Ventura Roseto, Libro di tentoria intitolato Plicto, Venedig 1540 & 1565, sowie Patricia Perkins, »Ecology, Beauty, Profits. Trade in Lichen-Based Dyestuffs through Western History«, in: Journal of the Society of Dyers and Colourists 102 (1986), 221–227; Annette Kok, »A Short History of the Orchil Dyes«, in: The Lichenologist 3 (1966), 248–272. John Durant, Art and Nature Joyn Hand in Hand, or, The Poor Man’s Daily Companion, London 1697, Frontispiz.

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77 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Pilzen, Eidechse und Insekten,

Öl auf Leinwand, 34 × 43 cm, Musée des Beaux-Arts Rouen, Inv.-Nr. 811.48.

Leaves and Flowers from whence they were distilled«109, schreibt Johann Sigismund Elsholtz beispielsweise einleitend in seiner Curious Distillatory, or, The Art of Distilling Coloured Liquors, Spirits, Oyls, etc. from Vegitables, Animals, Minerals and Metals von 1677, die auf Latein schon einige Jahre zuvor erschienen war. In den von John Bates verfassten Mysteryes of Nature and Art (1634) heißt es weiter: »Colours are either merely tinctures of vegetables, or substances of minerals, or both: (…) Vegetables are rootes, juces, berries, and such like things as grow out of the earth. Minerals are such as are dig’d out of the earth, as earth, and stones, &c.«110 Dass Farben über substantielle Eigenschaften verfügten, weil sie aus Pflanzen, Beeren, Wurzeln, aus Erde, Steinen und Mineralien gewonnen wurden, war bis weit in das 17. Jahrhundert hinein die naheliegendste Antwort auf die Frage, warum man ihnen eine so starke

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Johann Sigismund Elsholtz, The Curious Distillatory, or, The Art of Distilling Coloured Liquors, Spirits, Oyls, etc. from Vegitables, Animals, Minerals and Metals, London 1677 [Destillatoria curiosa, sive Ratio ducendi liquors coloratos (…), Berlin 1674], 17. Zur Tradition der Wunderbücher siehe William Eamon, »Arcana Disclosed: The Advent of Printing, the Books of Secrets Tradition and the Development of Experimental Science in the Sixteenth Century«, in: History of Science 22 (1984), 111–150; ders., Science and the Secrets of Nature: Books of Secrets in Medieval and Early Modern Culture, Princeton 1994. John Bate, The Mysteryes of Nature and Art, London 1634, 120.

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wahrnehmungspsychologische Kraft zuschreiben konnte. Die Sache war sogar die, dass der Lehrmeinung nach die Entstehung, Wirkung und Bedeutung der Farben, seien sie in der Natur zu beobachten oder auf der Malerpalette entstanden, zusammen diskutiert werden sollten, weil jeder Farbton zunächst einmal das Ergebnis einer physikalischen Mischung der Elemente und derart auch für die Zwecke der Malerei geeignet sei. Man müsse sich vorstellen, schreibt beispielsweise Matteo Zaccolini (1574–1630) in seinem Farbtraktat De colori von 1618/1622, die Palette des Malers würde aus denselben vier Grundelementen erzeugt werden, die den gesamten Kosmos bestimmten, und zwar, indem die Erde als Ausgangsbasis mit ihren Mineralien durch eine Verbindung mit Wasser, Luft und Feuer das Spektrum der gesamten physikalischen Farben hervorbrachte. In dem Moment, in dem ein Maler sie auf die Leinwand auftrug, hatte er mit denselben Substanzen und Qualitäten zu tun, die im Naturreich walteten.111 Es sei gleichsam, wie wenn die Naturmaterialien, sobald sie auf der Bildfläche erschienen, ein doppeltes Gesicht annehmen könnten: Erde und Mineralien, führt Zaccolini aus, sind Teil der kosmischen Natur, aber sie dienen den Künstlern dazu, ihre Werke auszuführen, sie würden als Malmaterialien tagtäglich auf die Leinwand aufgetragen (»de quali serve alli Pittori per dipingere l’opere loro, che toccarli tutto il giorno con Mani«), ebenso wie auch vegetabile Substanzen (»vicino della superficie della Terra«), das sind Kräuter, Pflanzen, Bäume, Früchte als Ausgangsstoffe für die Herstellung künstlicher Farben verwendet würden. Weil die Pigmente der Maler als pharmakeia aus organischen und inorganischen Substanzen des Naturreichs gewonnen werden, seien sie zur selben Zeit künstliche und natürliche Farben. Aus der Verdoppelung der Wirklichkeit entsteht im weiteren das Paradoxon mimetischer Darstellung: Mit dem Pinsel, heißt es beispielsweise im Figino, kann »das Wahre [›vero‹] mit dem Falschen [›finto‹] nachgeahmt [werden], bis das Wahre durch das Falsche bezwungen ist, das nun wahrer als die Wahrheit« erscheint, d. h. »bis die Früchte und Blumen nur noch Schatten von jenen sind, die mit den Farben dargestellt [›schattiert‹] werden«.112 Herbarien informierten den Leser über die spezifischen Eigenschaften von Pflanzen und Kräutern, ihre »cracht en werckinghe« (Kraft und Wirkung), wie wir zum Beispiel in Rembert Dodoens’ (1516/1517–1585) Cruyde-Boeck von 1554 lesen, von dem, wie wir wissen, Otto Marseus ein koloriertes Exemplar besaß.113 Dodoens’ Buch schließt dann auch mit einer Tabelle ab, in der »die Natur und Eigenschaften, wohltuende wie schädliche, aller 111 112 113

Zaccolini, De colori. Grundsätzlich solle Kunst die Natur sowohl hinsichtlich ihrer wahren Farben wie der colori cangianti nachahmen, d.i. sowohl der den Gegenständen inhärenten Farben wie der instabilen Regenbogen- und Schillerfarben, die über reflektierende Oberflächen erzeugt werden. Comanini, Il Figino, 7: »Stà ’l pennello in disparte,/ Onde imitar solea/ Così ’l vero col finto,/ Che ’l ver rimanea vinto/ Dal falso, che del ver più ver parea:/ Tal, ch’ombre i frutti, e i fiori/ Eran di quei ch’ombraro i suoi colori.« Ins Französische durch Charles de L’Écluse (Histoire des Plantes, Antwerpen 1557), 1578 von Henry Lyte ins Englische (A New Herbal, or Historie of Plants, London) und 1583 ins Lateinische übersetzt. Rembert Dodoens wurde 1517 in Mechelen geboren. Er studierte Medizin in Löwen, wurde Leibarzt Maximilians II. und Rudolphs II. und 1582 Professor für Medizin in Leiden, wo er drei Jahre später starb. Sein Cruyde-Boeck war nach der Bibel das meist übersetzte Buch seiner Zeit.

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78 | Rembert Dodoens, Cruyde-Boeck, Antwerpen 1563. Frontispiz mit der Darstellung von Apollon,

Asklepios, Gentius, Arthemisia, Mithridates, Lysimachus sowie Herkules, der den Drachen im Garten der Hesperiden erschlägt.

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Kräuter, Bäume und Pflanzen«114 notiert sind. Viele davon beziehen sich auf deren toxische beziehungsweise antidotische Qualitäten. Neben sechs Einträgen beispielsweise zu möglichen Vorgehensweisen, »Schlangen zu vertreiben« (indem man aromatische Kräuter verbrennt, kaut oder auf der Haut zerreibt), werden mehr als siebzig Kräuterrezepturen aufgeführt, die »gegen Schlangenbisse«, »gegen Vipern- und Schlangengift«, oder »gegen jede Art von Gift« helfen sollen. Pflanzen wie das Weidenröschen, die Holunderbeere, die Wasserkresse oder der Mönchspfeffer (agnus castus) »vertreiben die Schlangen und alle anderen giftigen Tiere, die auf dem Boden kriechen«115, so dass es »keinem giftigen Tier gelingt, Schaden anzurichten.«116 114 115 116

Vgl. Dodoens, Cruyde-Boeck, Frontispiz. Henry Lyte, New Herball, or Historie of Plants, London 1619, 497 (= Dodoens, Cruyde-Boeck, Antwerpen 1563, 603: »[…] ende verdrijft alle slanghen«). Lyte, New Herball, 307 d (»Leopard’s Bane« = Gamswurz). Im Anhang listet Lyte folgende Seiten »against Biting of Vipers, Snakes, and Venemous Beasts« auf: 12 b, h (»Clote Burre/Burdock« = Große Klette); 21 c und 27 e (»Conyza/Flebane« = Katzenschweif); 40 a (Pimpernell); 44 b (»Turnsole« = Europäische Sonnenwende); 63 b und 77 b (»Scabious« = Grindkraut/Knopfblume); 78 b (»Scordion« = Knoblauch-Gamander [Lauch-Gamander]); 120 c (»Scurzonea« = Bocksbart); 132 d (»Cammomill« = Kamille); 139 e (Iris); 149 a (Hyazinthe); 166 c (»Wild Time« = wilder Thymian); 168 b und 173 a (»Ocimastrum« = Wohlgemut); 177 a (»Calamint« = Bergminze); 180 f (»Sage« = Salbei); 184 d (»White Horehound« = Weißer Andorn); 185 a (»Bawme/Melissa« = Melisse); 192 d (»Dittany« = Kretischer Bergtee); 199 c (Nigella); 201 a («Libanotus” = Rosmarin); 204 c (»Daucus« = Möhre); 213 g (»Horestrange« = Kühwurz); 215 c und 218 p (»Laserpitium« = Laserkraut); 251 b (»Galangall« = Zyperngras); 226 a und 239 b (»Sow-bread« = wilde Zyklame); 240 a (»Gentian« = Enzian); 250 a (»Polemonium« = Jakobsleiter); 296 c (»Capillus Veneris« = Frauenhaarfarn); 313 e (»Mandrake« = Alraune); 325 e (»Wheat« = Weizen); 360 b (»Trefoil/Treacle Clover« = Hopfenklee); 364 c (»Bupleuros« = Hasenohr); 374 g (»Eryngium« = Mannstreu, blaue Eddeldistel [!]: »good for those that are bitten of any venemous beasts, or have received or drunk poyson«, »the grean herbe is layed to the bitings of venemous beasts, especially to the bitings of frogs. The Apothecaries of this Countrey doe use to preserve the roote of Eryngium, to be given to the aged and old people, or others that are consumed or withered, to nourish and restore them againe«); 378 e (»Globe Thistle« = Kugeldistel); 383 l (»Blessed Thistle/Carduus Benedictus« = Gottesgnadenkraut [!]: »good against all poyson«, »given with great profite against the pestilence«); 388 a (»Gallion« = Wegkraut); 431 f (»Carrot« = Karrotte); 432 c (»Parsnip« = Pastinake); 440 a und 442 b (»Myrrhis« = Myrrhe/Süßdolde); 444 d und 446 c (»Rocket« = Rucola); 456 b (Pfeffer); 457 e (»Garlicke« = Knoblauch); 460 c (»Leek« = Lauch); 465 d (Affodill); 466 d (Wein); 481 b (»Thorne Broome« = Stechheide); 486 f (Tamariske); 506 f (»Oranges/Citrons«); 519 c und 538 e (»Oke tree« = Eiche). »Against Poyson, or Serpents, or Vipers«: 7 b (»Buglosse« = Ochsenzunge); 59 d (»Tormentill« = Blutwurz: »against all poyson, and against the plague or pestilence«); 208 d (Betonie); 210 f (»Panax« = Ginseng). »Against all Poyson, and Venome«: 81 g (»Houseleeke« = Hauswurz); 128 d (»Giroflier« = Goldlack: »against the pestilence and all poyson«); 166 c (»Wild-Time« = Wilder Thymian); 168 b, g und 186 b (»Rue« = Raute: »against the pestilence, and all poyson, and against the bitings of vipers and serpents; the same eaten or drunk in wine, helpeth them that are sicke with eating of venomous toadstooles or mushrooms«); 192 c (»Dictam« = Diptam-Dost); 204 c (»Daucus« = Möhre); 205 d (»Saxifrage« = Steinbrech); 208 d (Betonie); 211 a (»Lovage« = Liebstöckel); 217 a (»Laser« = Laserkraut); 226 a und 230 b (»Asarabacca« = Haselwurz); 239 b (»Sow-bread« = Wilde Zyklame); 240 a (»Gentian« = Enzian); 246 a (»Valerian« = Baldrian: »and they are put into preservatives and medicines made against poyson, and the pestilence, as Triacles and Mithridates«); 253 a (»Niesewurte« = Nieswurz); 304 a (Anemone); 352 a (»Galega« = Geißraute);

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KRÄUTER

Otto Marseus van Schrieck muss ein eifriger Leser dieser und anderer Herbarien gewesen sein. Dodoens’ Cruyde-Boeck jedenfalls sagt uns, dass Alpenveilchen gegen Schlangenbisse helfen sollen, wenn sie in pulverisierter Form mit Wein eingenommen werden, und tatsächlich finden wir sie in Marseus’ Sottobosco mit Natter, Eidechse und Schmetterlingen in Schwerin.117 Wir lesen, dass der Saft aus der Wurzel des Aronstabs sowie des, wie er bis heute heißt, Schlangen-Wiesenknöterich – ihrerseits obskure Schattenpflanzen – Schlangen abwehrt, wenn man mit ihm Arme und Hände einreibt: Marseus malte die beiden Pflanzen mehrere Male; am prominentesten, in dunklen, erdfarbenen Tönen, erscheint der giftige Aronstab in einem Schweriner Gemälde von 1676.118 Das Maiglöckchen finden wir in einem sottobosco von 1668, das einmal Cosimo III. gehörte119, den giftigen Fingerhut, den man in der Volkssprache auch den Hexenhandschuh nannte, in einem Gemälde in Göttingen120, und den roten Mohn, zusammen mit dem Aronstab (der nun ein Bündel roter giftiger Beeren zeigt), in einem frühen Gemälde in Florenz.121 Es gibt viele weitere Beispiele. Marseus hat giftige Pflanzen und ihre pflanzlichen Gegenmittel in endlosen Kombinationen zusammengestellt, wie ein Arzt oder Apotheker, der von den Eigenschaften der Kräuter und Pflanzen weiß und sie entsprechend wirkungsvoll einsetzt. Unter den Heilkräutern, deren »heiße« und »zusammenziehende« Eigenschaft bei Schlangenbissen besonders gerne eingesetzt wurde, spielt wiederum die Mariendistel eine

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118 119 120 121

360 c (»Treacle« = Melasse); 372 c (»Thistle Chameleon« = weiße Chamäleondistel [!]); 383 g (»Blessed Thistle« = Gottesgnadenkraut: »The Blessed Thistle, or the juice thereof taken in what sort soever it be, is singular good against all poyson, so that whatsoever he be that hath taken poison, he shall not be hurt therewithall, if immediately he take of Carduus benedictus into his bodie, as was prooved by two young folke, which when they could not be holpen with treacle, yet were they made whole by the use of blessed Thistle, as Hierome Bock writeth« [gemeint ist Hieronymus Bock, Das Kreütter Buch, Darinn Underscheidt, Namen vnnd Würckung der Kreutter, Stauden, Hecken vnnd Beumen, sampt jhren Früchten, so inn Deutschen Landen wachsen, Straßburg 1539]); 417 d (»Mallow« = Malve); 425c (»Turnip« = Weißrübe); 426 b (»Long Rape« = Steckrübe); 432 c (»Parsnip« = Pastinake: »the seede of wild Parsnip is good against all poyson (…). And truly it is so excellent for this purpose that it is left us in writing, that when the Stags or rather the wilde Hartes have eaten of this herbe, no venemous beastes may annoy or hurt them«); 433 b (»Parsley« = Petersilie); 450 b und 496 a (Agnus Castus: »is good against all venemous beasts, it chaseth and driveth away all serpents and other venomous beasts from the place where as it is strowed or burned: it healeth all bitings and stingings of the same, if it be laid upon the place […], the like vertue hath the seed thereof drunken«); 506 l (»Oranges/Citrons«); 516 h (»Fig« = Feige: »and this was a secret preservative which Mithridates used against all venome and poyson«); 527 c (Walnuss); 538 e und 456 b (Pfeffer); 457 d (»Garlick« = Knoblauch); 466 d (Affodill). Bei Dodoens werden auch Oregano gegen den Stich des Skorpions oder des Spinnenbisses (Dodoens, Cruyde-Boeck, 203) sowie der Blauweiderich oder Ehrenpreis zum Vertreiben von Schlangen und giftigen Tieren (ebd., 69) aufgeführt. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. BI.60. Zur Ikonographie der Zyclamen siehe Lyte, New Herball, 238: »Sow-Bread groweth in moist and shadowie places, underneath trees, hedges, and bushes, and in certayne Woods.« Im weiteren werden die purgativen Kräfte der Pflanze aufgezählt. Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. BI.103. Ebd., Kat.-Nr. BI.58. Ebd., Kat.-Nr. BI.57. Ebd., Kat.-Nr. BI. 3.

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79 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco

80 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco

81 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco

82 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit rotem Mohn, Königskerze und Aronstab, 1655–1660, Öl auf Leinwand, 64.5 × 49 cm, Palazzo Pitti, Florenz, Inv.-Nr. 43.136.

mit Aronstab, 1676, Öl auf Leinwand, 54 × 47 cm, Staatliches Museum, Gemäldegalerie Schwerin.

mit Fingerhut, 1667, signiert OTTO Marseus 12.7.1667, Öl auf Leinwand, 58 × 45.5 cm, Kunstsammlung der Universität Göttingen, Gemäldegalerie Göttingen.

mit Maiglöckchen, signiert und datiert Ottho/Marseus v. Schrieck. 1668-1-29, Öl auf Leinwand, 81.5 × 67.5 cm, Galleria degli Uffizi, Florenz (Provenienz: Slg. Cosimo III de’ Medici), Inv.-Nr. 43.128.

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KRÄUTER

83 | Otto Marseus van Schrieck, Sotto-

bosco mit Ringelnatter, Eidechse und Schmetterlingen, ca. 1665, Öl auf Leinwand, 68.4 × 53 cm, Staatliches Museum, Gemäldegalerie Schwerin.

84 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco

mit Mariendistel, Heilkräutern und einer Libelle, Öl auf Leinwand, 46.5 × 56.5 cm, ehemals Christie’s, Amsterdam.

entscheidende Rolle. Allein im Inventar, das nach Marseus’ Tod aufgenommen wurde, finden sich mehr als zehn Gemälde, die »een Maria distel« nebst Schlange und Eidechsen zeigen, sowohl vollendete wie unvollendete. Aus derselben Quelle wissen wir, dass Marseus im Besitz jenes »herbarium[s] van Doddenees« war, »dwelcke beleent syn door den overleden met 250 gulden« war – jenes wertvollen Herbariums von Dodoens also, das nach Marseus’ Tod verpfändet wurde –, und auch eines Medusenbildes (»een hooft van Medusa«) fremder Provenienz, dass sich bis zuletzt in seinem Haus befand. Der Besitz eines Schlangensteins wurde vorhin schon erwähnt. Darüberhinaus listet das Inventar wiederholt Gemälde auf, die im Zentrum eine Amaranth-Pflanze (Fuchsschwanz) zeigen – ein bitter schmeckendes Kraut, das, wie es im Cruyde-Boeck heißt und im Volksglauben belegt wird, gegen den Biss giftiger Tiere helfen würde.122 Ähnliche Einträge gibt es zur Mariendistel. Bei Dodoens heißt es: »Der Samen soll denen, die von Schlangen oder anderen giftigen Tieren gebissen wurden, zur Genesung gegeben werden.«123 Eine letzte Protagonistin 122 123

Dioskorides listet sie unter dem Namen Ageratum auf. Dodoens, Cruyde-Boeck, 451. Lyte, New Herball, 377: »The roote of our Ladies Thistle is drye and astringent. The seede is hot and of subtill parts (…). The seede is given with great profit to such as are bitten with serpents, and other venomous beasts.« Auch schon bei Plinius gibt es eine Rezeptur von Nesselsamen, die die Wirkung des Schierlings, der Pilze und des Quecksilbers aufheben soll, und mit Schildkrötenbrühe gekocht auch die der Salamander, Schlangen und Skorpione neutralisiert. In der Lebensbeschreibung Otto Marseus van Schriecks hatte Jacob Campo Weyerman im

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85 | »Mariendistel« (Carduus Mariae,

»Onser vrouwen distel«), in: Rembert Dodoens, Cruyde-boeck, Antwerpen 1563, 451.

innerhalb Marseus’ Naturdramen ist die Melde. Dodoens beschreibt sie in ihrer Qualität als feucht und kalt und warnt den Leser vor einer regelmäßigen Einnahme, da sie, wie es heißt, »Flecken, Sommersprossen und Pickel« hervorruft. Ähnlich den Pilzen werden immer wieder die einfärbenden Eigenschaften der Pflanzen und Kräuter hervorgehoben. Die Melde beispielsweise wurde seit dem Mittelalter als Färbepflanze für Grüntöne verwendet, der Fuchsschwanz und die Distel dagegen als gelber Farbstoff. Moos und Flechten waren weitere stark färbende Mittel. Sie alle gehören zum festen Bildinventar der sottoboschi.

STEINE Auch das nächste Beispiel, an dem ein mit Sym- und Antipathien arbeitendes Bildkonzept unter anderem auf materialmimetischer Ebene entwickelt werden soll, ist uns bereits bekannt, es handelt sich um Marseus’ Schweriner Sottobosco mit Kröte und blauer Winde. Es ist ein ungewöhnliches Gemälde mit einer seltsamen Ikonographie, wenngleich es bereits eine frühere Version in der Royal Collection in London gibt, die eine Ranke mit mittig übrigen beide Bildmotive – die des dreifarbigen Amaranth sowie die der Distel – als eine besondere »Spezialität« des Malers bezeichnet: »Hy was een konstig Schilder van Distels, driegekoleurde Amaranthus, Heulplanten [= Mohn], Bloemen, en schilderachtige Kruyden, welke stukken hy zoo aardigh stoffeerde met Slangen, Hagedissen, Sprinkhaanen, groene Kikvorschen, Vlindertjes, Ruspen, en andere kruypende Diertjes, dat er de Liefhebbers van zyn Eeuw wel aan wilden, gelyk die als noch hedensdaags wel gewilt worden.« Weyerman, Levens-beschryvingen, II, 102.

| vgl. 10

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STEINE

gesetzter, prächtiger blauer Blüte in Kombination mit einer Schlange zeigt.124 Einige Schmetterlinge umzirkeln den Blumenstiel, während sich die Verschlingung der Ranken im dünnen, spiralartig gewundenen Schlangenkörper formaliter fortsetzt. Die Blätter sind von Insekten und Raupen angefressen. Die Frage biologischen und moralischen Aufstiegs und Verfalls liegt vage, ungestellt, in der Luft, und vielleicht sind wir Zeuge einer Art von psychomachia, aber das Gemälde liefert uns keinen eindeutigen Schlüssel zu seiner Interpretation. Tatsächlich sollten wir genau über diesen Sachverhalt nachdenken und unsere Aufmerksamkeit noch einmal einem der auffälligsten Merkmale des Bildes zuwenden: dem der Farbe und des Pigments. Bevor ich dazu übergehe, möchte ich einige barocke Referenzen zur Glockenblüte der Blauen Winde zusammentragen.125 Wie jeder Gärtner weiß, sind die meisten Sorten von Convolvulaceae lästiges Unkraut, weil sie die edleren Pflanzen umschlingen und langsam ersticken. Eben diese parasitäre Natur wird in den Herbarien des 16. und 17. Jahrhunderts hervorgehoben.126 Der Ton ändert sich jedoch sofort, wenn es zur blauen Spezies kommt, die beispielsweise in Lobelius’ Stirpium adversaria nova (1571) als »rarissima & pulcherrima« beschrieben wurde.127 In Rembert Dodoens’ Cruyde-Boeck finden wir folgenden Eintrag: »The Withiwinde is of a hoate and drie qualitie or nature.«128 Betont wird nicht mehr die umschlingende und erstickende Natur der Pflanze, sondern ihre heiße und trockene Wirkkraft als Heilpflanze. Offensichtlich wird die Blume von Marseus als strahlende Gegenspielerin zur phlegmatischen Natur der Kröte und der kalten Feuchte der Erdgrube ins Bild eingeführt. Um die symbolische Gefahr des giftigen Tiers abzuwenden, der ja bereits ein Schmetterling (ψυχή, psyche) zum Opfer gefallen ist, verlässt sich der Künstler auf das Prinzip sympathetischer und antipathetischer Kräfte, kontrastiert die Qualitäten von kalt und warm, feucht und trocken, Ähnliches mit Gegensätzlichem, wie ein Arzt, der versucht, eine Giftattacke oder drohende Krankheit zu kurieren. Lobelius hatte der spezifisch blauen Sorte der Winde dann sogar einen eigenen Namen gegeben. Er bezeichnete

124 125 126 127

128

Steensma, Otto Marseus van Schrieck, Kat.-Nr. BI.5. D.i. Volubilis minor oder Helxine cissampelos. Vgl. Dioskorides, Mat. med. IV, xxxvii; ausführlicher in: Matthioli, Commentarii, IV, xxxvii. Pierre Pena & Matthias Lobelius, Stirpium adversaria nova, London 1571, 271ff, v. a. 274. Lobelius studierte Medizin in Montpellier. Nach ausgiebigen Reisen durch Frankreich, Italien, Deutschland und England praktizierte er in Antwerpen und Delft. In England war er Leibarzt von König Jacob I. Lyte, New Herball, 392. Der Gesamttext lautet: »The blue Withiwinde hath slender branches and small, by whiche it clymbeth up, and wrappeth or windeth it selfe about trees and poles. (…) The flowers are fashioned like belles, blewe and hollowe.« Ebd., 393: »There are two sortes of Bindeweede or Withywinde, the one bearing a blue flower, the other a white, whereof one is great, the other small. (…) The blue Withiwinde hath slender branches and small, by whiche it clymbeth up, and wrappeth or windeth it selfe about trees and poles. The leaves be large and cornered, like to the old leaves of Ivye, saving that they be not so harde. The flowers are fashioned like belles, blewe and hollowe.« Daran angefügt: »The Nature: Bindeweede or Withiwinde is of a hoate and drie qualitie or nature. The Vertues: Withiwinde or Bindeweede is not fit to be put in medicine, as Galen and Pliny witnesseth.« Plinius wiederum hatte die Convolvulus mit der schönen Form einer Lilie verglichen (N.H. XXI, 11).

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sie als »asureus, sine caeruleus«129; wobei asureus den zeitgenössischen Farbbezeichnungen entsprechend von der Farbe von Lapislazuli oder Azurit meinte. Über Jahrtausende hatte man diesen Steinen heilende Eigenschaften zugesprochen. Der Legende zufolge brachten sie das Blaue des Himmels – und damit verbunden das göttliche Licht – auf die Erde. For allem Lapislazuli wurde gegen Melancholie und Depressionen eingesetzt und in geriebenem Zustand für medizinische Zwecke und als kosmetisches Mittel verwendet; nicht zu vergessen ist seine Verwendung als teures Pigment in Tempera- und Ölmalerei. Umso bedeutsamer erscheint nun, dass Otto Marseus die über der Kröte verhalten schwebenden Blütenkappen der Blauen Winde in teuerstem Lapislazuli gemalt hat, das Pigment ganz rein, beinahe wie eine Glasur, auftragend. Die blaue Blume wird so zur auffallenden Bildfigur, vor allem, wenn wir wissen, dass Otto Marseus das Pigment in anderen Gemälden kaum mehr verwendet hat. Hören wir weiterhin Georgius Agricola (1494–1555) in De natura fossilium, oder konsultieren wir andere Edelsteinbücher. Dort heißt es, dass »Lapislazuli den Himmel repräsentiert, weil es goldene Punkte enthält, die die Sterne meinen.«130 Thomas Nicols (geb. 1659) gibt an, dass die Steine von trockener Natur seien »und dass die besten unter ihnen wohltuend für die Augen wären, wenn man sie regelmäßig anblicke.«131 Es sei ein »schöner, himmelblauer Stein«, deshalb heiße es auf Latin »Cæruleus lapis, auf Italienisch Azuro ultra-marino«. Und es widerstehe sogar der Feuerprobe: »Wenn der Stein in Feuer gehalten wird, ändert er seine Farbe nicht. (…) Dioskorides hat gesagt, dass dieser Stein abwehrende Kräfte habe. Andere Ärzte haben bewiesen, dass er über eine reinigende Wirkung verfüge und dass er gegen alle möglichen melancholisch verursachten Krankheiten helfe.«132 Derselbe Autor fügt eine Rezeptur von Antonius Musa Brassavolus, Apotheker zu Ferrara, an, die die Herstellung von Pillen aus zerriebenem Lapislazuli, Kampher, Anis, Zimt und anderen reinigenden Zutaten erläutert.133

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Pena & Lobelius, Stirpium, 274: »Asureus, sine caeruleus Convulvulus Hederaceus, vel smilaceus, exoticus: Haec omnium huius classis rarissima & pulcherrima, nec nisi hortis Italie, Galliæ, & Belgiae nota, ubi amœna purpura porrectis attextísque; secus parietes & perticas funibus viticeis, gracilibus, umbracula concinannt, atque fornices, visu periucunda: vicende quippe floribus, è pediculorum calyce exeuntibus, Iasmini, aut Vincæ pervincae similibus, sed ora quinis stellatim prominentibus angulis, nolae cæruleæ vel asureæ effigie: unde Campana Lasura Italis. Folia ternis angulis singula, in teneriusculis pediculis, Ciclamen, Hederámve annosam imitata, nonnihil hirsuta: longa & gracilis radix, nulla sua parte in Medicorum commercia venit.« Nach Agricola, in der Übersetzung von Thomas Nicols, A Lapidary, or, The History of Pretious Stones, Cambridge 1652: »Sapphirus (lapis-lazuli) and cyanus (sapphire) are dark blue, hence the name of the latter stone. (…) Lapis-lazuli is enlivened by small golden points. Both gems are blue as the heavens but lapis-lazuli especially resembles the heavens because of the golden points which represent the stars.« Nach Nicols, Lapidary, 84. Nach ebd., 152. Antonius Musa Brassavolus, De medicamentis tam simplicibus, Leiden 1555, 180. Auch Théodore Turquet de Mayerne bestätigt den therapeutischen Einsatz von Lapislazuli: »It is the diamond of all colours by reason of his never fading perfectione. It also comforteth the brayne, and therefore is very profitable against frenzies, vertigo, palpitation cordis, melancholia and other sicknesses of the spirit.« Nach Johannes Alexander van de Graaf, Het de Mayerne manuscript als bron voor de

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STEINE

86 | Schmetterlingsflügel im Naturabdruck, Detail aus Abb. 24. 87 | Zwei der Libellen mit echten, eine mit gemalten Flügeln, in Joris Hoefnagel: Animalia Rationalia

et Insecta (Ignis) LIV, c. 1575/1580, Aquarell und Gouache auf Pergament, ca. 14.3 × 18.4 cm, National Gallery of Art, Washington D.C.

Innerhalb der Bildtradition wurde die leuchtend blaue Farbe ihres hohen Werts wegen zur Darstellung des Madonnenmantels verwendet. Sie mag eine apotropäische Wirkung assoziiert haben, denn den Lapidarien zufolge war die Haupteigenschaft von Lapislazuli, seinen Träger zu schützen und Unheil abzuwenden, quasi einen Schutzmantel über ihm zu entfalten. Und vielleicht wäre es nicht mehr als Spekulation, die Blaue Winde mit einer marianischen Symbolik in Zusammenhang zu bringen, wenn Marseus nicht immer wieder auch die Mariendistel als Protagonistin seiner Bilder gewählt hätte. Schmetterlinge kreisen sprialförmig um deren stachelige Blätter, die, einmal mehr, innerhalb der antiken und frühneuzeitlichen Pharmazie wegen der brennenden Natur der Distel als Gegengift eingesetzt wurden, während Schlangen am Waldboden lauern oder einen Felsen herabgleiten. Wir wissen nicht genügend über Marseus’ religiöse Überzeugungen, nur soviel, dass seine Bilder im gegenreformatorischen Rom sofort in den höchsten Kreisen des Klerus und der Aristokratie auf Interesse stießen.134 Es könnte bedeuten, dass Otto Marseus Strukturen der Heilsgeschichte in seine wesentlich profaneren Naturgeschichten implementierte, und es würde vielleicht auch die leichte Ironie erklären, mit der er jeder Figur eine Rolle zuteilt, nicht zuletzt, indem er auf Märchenstrukturen zurückgreift, wie wir sie etwa auch bei Shakespeare oder anderen barocken Autoren vorfinden. Erlösung beziehungsweise Heilung tritt ein, wenn die Fee oder irgendeine Erlöserfigur die Kröte küsst oder ein wirksames Gegengift hervorzaubert, das die schädlichen Mächte entkräftet:

134

schildertechniek van de Barok, Mijdrecht 1958, 168; siehe auch Pamela H. Smith, The Body of the Artisan. Art and Experience in the Scientific Revolution, Chicago 2004, 113, wo weitere Beispiele angeführt werden. Vgl. Hildebrecht, Otto Marseus van Schrieck, 54.

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88 | Elias van den Broeck, Stilleben mit Distel und Schmetterlingen, mit Leerstellen anstelle der

aufgeklebten Schmetterlingsflügel, ca. 1690, Öl auf Leinwand, Standort unbekannt (Detail).

89 | Dosso Dossi, Jupiter malt Schmetterlinge, 1523–24, Öl auf Leinwand, 111 × 150 cm, Wawel, Krakau.

»You spotted snakes with double tongue/ Thorny hedgehogs, be not seen/ Newts, and blind-worms, do not wrong/ Come not near our Fairy Queen. (…) Weaving spiders come not ere/ Hence, you long-legg’d spinners, hence! Beetles black, approach not near/ Worm nor snail, do not offence.«135 Und plötzlich erweist sich die Gegenüberstellung von Kröte und Blauer Winde als dichotisch, das heißt von zwei Seiten her argumentierend: Sie eröffnet sowohl eine buchstäbliche wie figürliche Lesart; sie konstituiert und zeigt, präsentiert und repräsentiert die antagonistischen Kräfte der Natur, die sich via Farbe sichtbar äußern. Ähnliches kann zu den Schmetterlingsabdrücken gesagt werden, die einigen Zeitgenossen zur Kritik gereichten. Marseus hatte echte Schmetterlingsflügel auf die Leinwand abgeklatscht und damit die Grenze zwischen den formativen Kräften in Kunst und Natur aufgehoben. Während des 17. Jahrhunderts war man sich äußerst bewusst darüber gewesen, dass die menschliche Schöpfungskraft ausgetestet werden musste, dass sie vom formalen Reichtum und der Mannigfaltigkeit der Natur ad infinitum herausgefordert werden würde.136 Wiegesagt musste Otto Marseus’ Nachfolger, Elias van den Broeck, Antwerpens Gilde verlassen, weil er Schmetterlingsflügel nicht gemalt, sondern direkt auf das Bild aufgetragen hatte und das dann eben »keine Kunst« sei. Die Maler der sottoboschi versuchen also noch auf der Pigmentebene Farbe und Gegenstand in Einklang zu bringen; sie sind von der Idee fasziniert, Stein mit Stein, Erde mit Erde und Pflanzen mit Pflanzen darzustellen: die giftige Pilzkappe mit toxischem Pigment, die himmelblaue Blüte mit Lapis-

135 136

Die Zeilen stammen aus Shakespeares »Fairies’ Song« im Midsummer’s Night Dream, Akt II, Szene II. Zur Technik von Schmetterlingsabdrücken siehe Weber, »Stilles Leben«, 36; ders., Stilleben alter Meister, 24–29.

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lazuli. Marseus interessiert sich – das wird später noch wichtig werden – sowohl für die eigentlichen Farbsubstanzen wie für den Farbwechsel in der Natur. Er hat das Chamäleon gemalt und die sogenannte Chamäleonpflanze mit dem gefleckt dreifarbigen Blatt. Er hat bunte Papageien- und schillernde Vogelfedern dargestellt sowie die Farbschattierungen welken Laubs. Die blaue Morning Glory leuchtet im dunklen Schattenreich ebenso wie die giftig roten Beeren des Aronstabs. Aber mehr als alles andere hat er die malerischen Möglichkeiten durchprobt, um Gegenstands- und Materialebene, wie sie sich in der Natur getroffen hatten, auf der Bildfläche erneut zusammenfallen zu lassen. Dazu kommen die vielen Namensspiele und semantischen Überschneidungen. Pilze heißen im niederländischen paddestoel oder Krötenstuhl, weil Kröten angeblich gern auf Schwämmen und Pilzen sitzen. Die Schuppen der Smaragdeidechse schimmern wie grüne Edelsteine. Der bläulich-schillernde Kopf und Abdomen einer Libelle verwandeln sich durch ultramarines Pigment zur teuersten Stelle des Bildes, und das Insekt wird so seiner Bezeichnung als »fliegendes Juwel« gerecht. Feuchtes Moos wird mit dem Schwamm aufgetupft und erhält so seinen schaumartig-gratigen Charakter. Die sprachliche Bezeichnung und die malerische Darstellung einer Pflanze, eines Steins oder eines Lebewesens überkreuzen sich, weil sie beide auf der physis, dem materiellen Gemachtsein des Dargestellten basieren. Es ist der Gedanke von mimesis, auf die Probe gesellt. »Könnte wohl jemand ein Gemälde irgendeinem Dinge ähnlich ausarbeiten, wenn nicht schon von Natur die Färbemittel (pharmakeia), aus denen das Gemälde zusammengesetzt wird, jenen Dingen ähnlich wären, welche die Malerei nachahmt?«137 fragt Sokrates im Kratylos. Denken wir an die Reichweite der Bezeichnung der Pigmente als pharmakeia zurück, so wird die Sache noch komplizierter. Dann sind die Pigmente nicht mehr nur natürliche Substanzen, sondern stets auch Stellvertreter jener Substanzen, die sie darstellen. Sie verbinden zwischen Natur und ihrer Reproduktion in der Kunst und stören diese Verbindung gleichermaßen, wobei ihre symmetrische Doppelheit zwischen eigenständigem Dasein und Repräsentation auf der Doppelheit jedes Zeichens beruht. – Schnell wird nun auch die Umkehrfunktion der Farbe ersichtlich: Farbe als Pigment und als pharmakon kann gegen sich gekehrt und verwendet werden: Giftiges, Niederes oder Hässliches verkehrt sich unter dem Pinsel in Schönheit, Natur in eine Kunst der perfekten Imitation. Einerseits ermöglicht die Kunst eine »Umwandlung der Droge in ein Heilmittel, des Giftes in ein Gegengift«, andererseits wird Farbe auch wieder zur Droge der Repräsentation, wie Sokrates sie nannte, zu einer Medizin, einer Tinktur oder sogar einem Zaubertrank, der uns täuscht und berauscht: Die Gefährlichkeit der die Sinne betäubenden Farbe, die in die Dialektik von Gift und Arznei eingespannt ist, liegt in der Erzeugung eines künstlichen Trugbildes. Eine solche Umkehrfunktion ist überhaupt nur möglich, weil die Farbe genau »die Mitte bildet, in der die Gegensätze sich entgegensetzen können«138. Die eigentliche Schnittstelle zwischen Natur und Kunst aber bilden die Pigmente, die, wie wir bei Otto Marseus gesehen haben, beides sein können, Natur und Kunst, Gift und Gegengift zugleich, 137 138

Platon, Kratyl. 434 a–b. Beide Zitate nach Derrida, »Platons Pharmazie«, 135.

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B I LD ALS PHARMAKON

90 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Chamäleon, Schlange und Rotem Kardinal (Cardinalis cardinalis), Öl auf Leinwand, 47.5 × 38.5 cm, Palazzo Madama, Rom (Teilslg. Palazzo Pitti, Florenz), Inv.-Nr. 43.135.

91 | Otto Marseus van Schrieck, Papagei und

92 | Otto Marseus van Schrieck, Schlange,

93 | Otto Marseus van Schrieck, Waldboden-

Eidechse, Schmetterlinge um einen dreifarbigen Amaranth, signiert OTHO Marseo v. S. 1669-7-27, Öl auf Leinwand, 60 × 48 cm, Privatsammlung.

Eisvogel («Santamaria«), Insekten und Blumen, Öl auf Leinwand, 49 × 39 cm, Palazzo Madama, Rom (Teilslg. Palazzo Pitti, Florenz), Inv.-Nr. 43.134.

stilleben mit Reptilien, Schmetterlingen und dreifarbigem Amaranth, signiert O. Marseus D… [De Schrieck], Öl auf Leinwand, 61 × 48 cm, Palazzo Pitti, Florenz, Inv.-Nr. 43.130.

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entsprechend Paracelsus’ Diktum, »alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.« Später, als sich der pharmakologische Diskurs in einen kunsttheoretischen verwandelt hatte, gilt der gemalte Schild der Medusa als Reflexion über die pharmazeutische Funktion der ästhetischen Grenze. Auch Derrida hatte vom medusischen Faszinosum der Bilder gesprochen, und man kann die Rede ganz wörtlich nehmen: Was schön und lebendig war, erscheint nun monströs, fesselnd, todbringend – vice versa, wenn man die Geschichte verfolgt und bedenkt, dass es Asklepios mit Medusas Blut möglich war, ebenso zu töten wie die Toten auferstehen zu lassen. Bilder gelten als Schauplätze der Verkehrung und alchemistischen Verwandlung von Substanzen. Grundsätzlich ist eine solche Verkehrung in zwei Richtungen möglich: Eine Pharmazie kann der Entgegenwirkung giftiger Einflüsse durch Arznei gleichkommen; sie kann Leben verlängern und Totes verlebendigen. Sie kann aber auch taumelnd machend wie eine Droge oder paralysierend wirken wie eine Narkose; sie kann als Schminke, sogar als Totenmaske fungieren, die Lebendigkeit allenfalls simuliert. Im Gorgias wird beschrieben, wie eine Droge andere Säfte aus dem Körper austreibt, so dass pharmakon und alexipharmakon zwei Seiten derselben Sache bezeichnen. Für die Funktion der Farbe trifft eine solche Dialektik zu, denn Farbe ist sowohl natürlich wie künstlich: Sie stellt einen (Umkehr-)Ort zwischen Zeichen und Bezeichnetem dar.

M IMESIS II DIE DROGE DER REPRÄSENTATION. DER MALER ALS APOTHEKER

94 | Adam Elsheimer, Apollon und Koronis, 1607–08, Öl auf Kupfer, 26.8 × 32.2 cm,

Walker Art Gallery, Liverpool, Inv.-Nr. WAG10329.

In Adam Elsheimers (1578–1610) Apoll und Koronis wird eine solche Dialektik von Tötung und Heilung bildhaft vor Augen geführt. Allerdings muss man die Geschichte dazu kennen, derzufolge der später als Arzt berühmt werdende Asklepios selbst einmal aus dem Bauch der sterbenden Mutter geschnitten wurde, um die Reichweite der Verbindung von Medizin und Malerei zu erahnen, in der es in dieser kleinen Kupfertafel unter anderem geht. Koronis war Apollon untreu geworden, worauf dieser seine Geliebte aus Eifersucht hatte töten lassen, die Tat aber sofort bereute und umzukehren versuchte. Eben jener Augenblick ist von Elsheimer dargestellt: Koronis ist von einem Pfeil getroffen, und Apollon sucht nach Heilkräutern, um den Tod vielleicht doch noch abwenden zu können. Die Sage will, dass ihm die Heilung nicht mehr gelingt. Aber er rettet seinen ungeborenen Sohn aus dem Mutterleib und übergibt ihn dem Zauberer Cheiron. Dieser soll ihn in den Heilkünsten

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MIMESIS II

unterrichten: »Als er verloren die Müh’ nun sah (…) duldetete Phoibos [Apollon] es nicht, dass auch sein Same in Asche/ Sinke mit ihr. Aus den Flammen hervor und dem Schoße der Mutter/ Riss er den Sohn und trug ihn zur Höhle des zwiefachen Cheiron«, heißt es bei Ovid. Cheirons Tochter wird Asklepios entgegennehmen und ihm weissagen: »›Heilbringer dem Kreise der Lande‹/ Wachse, du Knabe, heran! Dir werden der Sterblichen Leiber/ Oftmals danken sich selbst. Du darfst das genommene Leben/ Führen zurück; doch wagst du den Göttern zuwider es einmal,/ Wird dies ferner zu tun dein Ahn mit der Flamme dir wehren/ Leichnam wirst du sodann, kein Gott mehr sein.«139 Das Schicksal erfüllt sich, weil Zeus aus Furcht, dass durch die Heilkünste des Asklepios nun bald kein Mensch mehr sterben würde, den wundertätigen Arzt mit einem Blitzstrahl töten wird. Davon handelt die Geschichte, nur hat Elsheimer sie seltsam vage dargestellt und einige ikonographische Unbestimmtheiten eingeführt. Die Figur des Apollon beispielsweise ist als solche kaum ausmachbar; vielmehr ist sie schon öfter für einen Hirten gehalten

95 | Asklepios sammelt Heilkräuter: »Scolapius qui vetonica invenit«, 9. Jh., 28 × 20 cm, Bibliothèque Nationale Paris, MS lat. 6862, fol. 29v.

worden; sie entstammt jedoch einer alten Bildtradition des Heilkräuter sammelnden Apollon/Asklepios. Die emsig Holz herbeischaffenden Figuren im Bildmittelgrund erscheinen auf den ersten Blick wie Menschen, die ein Lagerfeuer zur Nacht vorbereiten. Auf den zweiten jedoch erkennt man, dass sie nackt oder bocksbeinig sind und siedelt sie besser auf einer bacchantisch-mythologischen Ebene der Erzählung an. Erst dann wird klar, dass es sich um jenes Feuer handeln muss, auf dem der Erzählung zufolge der Leichnam Koronis’ aufgebahrt werden und aus dessen Flammen Asklepios als eine Art Phoenix auferstehen wird. Vor allem aber die Figur der Koronis gibt Rätsel auf, weil sie in ihrer Pose mehr lebendig als tot zu sein scheint. Elsheimer hat ihren Körper ohne Wunde dargestellt, aber der am Boden liegende Pfeil ist blutrot. In warmes Licht getaucht und vor dunklen Hintergrund 139

Ovid, Met. II, 612–675.

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MIMESIS II

gesetzt, leuchtet ihr geschwellter Leib auf, während ihre Arme mit verführerischer Grazie um den Kopf geschlungen sind. Dabei wissen wir, dass es sich bei dieser Pose um eine Referenz auf Jacopo Tintoretto (1518–1594) handelt, genauer um die Übernahme einer weiblichen Figur aus dem Bethlehemitischen Kindermord in der Scuola San Rocco in Venedig. Und dennoch, wenn es nur darum ginge, dahinter einen gelehrten Kommentar oder eine Verbeugung vor dem italienischen Meister zu vermuten, so wäre dies weit gefehlt. Vielmehr geht die Kunst des jungen Elsheimers aus der des Älteren ähnlich hervor wie die Heilkraft des Asklepios aus der des apollinischen Vaters, das heißt sie wird auf ihn genealogisch

96 | Jacopo Robusti Tintoretto, Bethlehemitischer Kindermord, 1582–1587, Öl auf Leinwand,

422 × 546 cm, Scuola Grande di San Rocco, Venedig.

übertragen. Asklepios gleicht seinem Vater nicht nur in dessen Meisterschaft als Heiler, sondern er erneuert diese und macht sie dadurch selbst noch einmal lebendig. Einmal wird es ihm sogar gelingen, einen Toten wiederzuerwecken, und darin übertrifft er Apollon. Vielleicht kann man also sagen, dass Elsheimer die Kunst Tintorettos auf vergleichbare Weise wiederbelebt, indem er sie aus einer anderen Geschichte wiederholt, aktualisiert und verjüngt. Schon Tintorettos Kommissionen für San Rocco waren in einem medizinischen Kontext entstanden, sie gruppieren sich um die Vita eines Pestheiligen. Elsheimer wiederum zeigt in mehreren Gemälden Interesse an pharmazeutischen Aspekten. In der Erzählung von Tobias und dem Engel beispielsweise, der er sich in mehreren Versionen gewidmet

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hat, wird der Sohn, in Umkehrung der ursprünglichen Idee der Kraftübertragung, den kranken Vater heilen. Stephen Bann hat die Rolle der Kunst als Pharmazie deshalb einmal wie folgt zusammengefasst: »Both in Apollo and Coronis and in his repeated subject of Tobias and the Angel Elsheimer concerns himself with the arts of medicine. In the former, he conjures up the circumstances for the birth of the god of healing, while in the latter he takes an obscure story from the Apocrypha, of a son who cures his father with the liver of a miraculous fish. To presuppose that Elsheimer was attentive to these fables of healing is not necessarily to assume that he had a personal psychological investment in this beneficent theme. It is also possible, for example, that he had friends, or even patrons, in professional medical circles. What may be the most attractive idea to pursue (…), is the possibility that he saw in the long, laborious work of painting his tiny images, and in the quasi-alchemical preparation of his pigments, a powerful and congenial analogy to the arts of healing: there would indeed be images to heal and save. To track this issue further, however, would lead not into the personal history of one man, but into the wider social and cultural history of the arts in the Western tradition.«140 Doch ist Koronis tot oder schläft sie nur? In der Malerei wird diese Ambivalenz auf Dauer aufrecht erhalten. Das Inkarnat schimmert golden auf, die Kleider sind gerade erst abgelegt worden, die Arme erwecken den Anschein, als seien sie in der Bewegung angehalten worden. Während ein biologischer Organismus ein natürliches Ende nimmt, setzt Malerei ihm eine pharmazeutische Kraft entgegen. Deshalb sind Medizin und Malerei apollinische Künste, und deshalb kann der Maler zum Apotheker werden. Und auch die Pigmente kennen wir als pharmakeia. Sie widersetzen sich dem natürlichen Organismus, um einen künstlichen Aufschub oder eine Aufhebung seiner Lebendigkeit zu bewirken. Ihr Eingriff besteht darin, das Leben über das Jetzt hinauszuschieben. Damit ist der Beginn einer mimetischen Bildtheorie formuliert. Wie aber wollen wir diese Theorie zusammenfassen? Konsequenterweise bleibt ein Bild, verstanden als pharmakon, ebenso stumm wie es verzaubert und berauschen kann. Aufgrund der Betonung seiner Künstlichkeit, die natürlich wirkt, kann ein Bild zu einem Fetisch werden (lat.: facticius = »nachgemacht, künstlich«; franz.: fétiche = »Zauber[mittel]«) – als genuine Themen einer solchen Kunst gelten daher Stummheit, Tod, Schlaf, aber auch das Spiel, das Fest und die Maskerade. Entsprechend umfasst das dazugehörige Wortfeld so unterschiedliche Begriffe wie: »Maske«, »Make-up«, »Kosmetik«, »Parfum«, »Glasur«, »Paste«, »Brei«, »Saft«, »Alkohol«, »Droge«, »Tinktur«, »Gift«, »Arznei«, »Öl«, »Farbe«, »Pigment«, »Substrat«, »Essenz« usw.; als Tätigkeiten des Malers werden das Zerreiben, Streichen, Auftragen, Einfärben, Kochen und Destillieren von Substanzen aufgeführt. Mit einer solchen Aufzählung ist bereits eine alchemistische Dimension des Bildfelds angedeutet, von der das nächste Kapitel handeln soll.

140

Stephen Bann, »Meaning/Interpretation«, in: Critical Terms for Art History, hg. v. Robert S. Nelson & Richard Shiff, Chicago 1996, 141–142.

»DU NARR: WAS DU SÄST, WIRD NICHT LEBENDIG, ES STERBE DENN. (…) ES WIRD GESÄT VERWESLICH, UND WIRD AUFERSTEHEN UNVERWESLICH.« 1. Korintherbrief 15, 36–42.

DAS BILD ALS PALINGENESIS

Wenn die Symmetrie zwischen Farbe und pharmakon, wie ich sie aufzuzeigen versucht habe, richtig ist, so gilt es noch einen letzten Aspekt zu beachten. Wir müssten dann nicht nur die pharmazeutische (heilende oder schädliche, verlebendigende oder mortifizierende) Bildwirkung besprechen, sondern auch Analogien in der Bildproduktion finden. Dabei stößt man schnell auf Vergleiche mit der Alchemie. Einen ersten Hinweis liefert Vasari, wenn er auf die Entdeckungsgeschichte der Ölfarbe eingeht. Sie wird von Karel van Mander (1548–1606) zu Eingang seiner Vita der Gebrüder Van Eyck wiederholt, mit der das Schilder-boeck beginnt: Johannes, heißt es dort, »untersuchte vielerlei Arten von Farben, zu welchem Zwecke er sich mit Alchemie und Destillieren beschäftigte.«1 Seit Vasari Jan van Eyck (ca. 1380/1390–1441) einen Alche­ misten genannt und dessen »Erfindung« der Ölmalerei als Ergebnis chemischer Experi­ mente bezeichnet hatte, wurden vor allem die niederländische und venezianische Kunst unter diesem Vorzeichen verhandelt. Die Verwendung der alchemistischen Metaphorik zur Charakterisierung der nordalpinen und venezianischen Kunst hatte demnach mit dem besonderen Stellenwert der Farbe zu tun: Alchemie – das kam dem Vorgang einer Kunst­ produktion nahe, die sich in erster Linie auf das Herstellen, Mischen und Auftragen der Farben, deren Leuchtkraft und »Lebhaftigkeit«2 und damit auf die spezifischen Eigenschaf­ ten der colori stützte und nicht auf disegno. In der Folge waren die Herstellung und Zube­ 1

2

Van Mander, Leben der niederländischen und deutschen Maler, 25–26. Die Stelle bei Vasari lau­ tet: »Avvenne in questi tempi che esercitandosi in essa in Fiandra Giovanni da Bruggia [= Van Eyck], pittore molto stimato in que’ paesi per la buona pratica che egli in quel mestiero aveva ac­ quistata con le fatiche de’ suoi studii, e con la frequente imaginazione che del continuo aveva di arrichire l’arte del dipingere, avvenne, dico, mentre che e’ cercava di trovare diverse sorti di colori, dilettandosi forte della alchimia, e stillando continovamente olii per far vernice e varie sorte di cose.« Vasari, »Vite« II, 565 (»Vita di Antonello da Messina«). Van Eyck hat die Ölmalerei nicht erfunden; schon in der Schedula und anderen mittelalterlichen Rezeptbüchern finden sich techni­ sche Angaben, vgl. Gotthold Ephraim Lessing, Vom Alter der Oelmalerei aus dem Theophilus Presbyter, Berlin 1774; Rudolf Erich Raspe, A Critical Essay on Oil-Painting, Proving That the Art of Painting in Oil Was Known Before the Pretended Discovery of John and Hubert Van Eyck, London 1781. Zur Rezeptionsgeschichte siehe z. B. Oskar Bätschmann, »Oil Painting. The Legends of a Workshop Secret«, in: Artificii Occulti. Knowledge and Discernment in the Artistic and Scientific Cultures of the Netherlands and the Spanish Habsburg World, hg. v. Christine Göttler & Sven Dupré (in Vorbereitung). Van Mander, Leben der niederländischen und deutschen Maler, 26r (»[…] dat d’Oly oock de ver­ wen veel levender maeckten«. Van Mander, Schilder-boeck, 199v).

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B I LD ALS PALINGENESIS

reitung der Pigmente ebenso integrierter Teil der barocken Kunsttheorie wie die affizie­ rende Wirkung des Kolorits (Farbe als »Erreger«) oder die Animierung des Dargestellten, das den kunsttheoretischen Topoi zufolge erst über die Farbe einen Körper, d. i. Fleisch und Blut erhält. Dabei traf die sokratische Frage, ob man »ein Gemälde irgendeinem Dinge ähnlich ausarbeiten könne, wenn nicht bereits auf der Pigmentebene eine Verwandtschaft herrschen würde«3, die Debatte im Kern, die sich darum drehte, wie man Pigmente in Kunst und damit in eine zweite Natur verkehren könne und in welchem Verhältnis das Material zur Form stehe. Die Verwandlung unedler Stoffe in höhere war aber auch Ziel der hermetischen Transmutationslehre, und so trafen sich die Bestrebungen alchemistischer und künstlerischer Tätigkeit in der Veredlung primitiven Ausgangsmaterials.4 Es gibt dann auch genügend Hinweise auf alchemistische Unternehmungen seitens der Künstler und Kunsttheoretiker. Der an der Florentinischen Accademia angesiedelte Benedetto Var­ chi (1502–1565) beispielsweise hatte ein alchemistisches Traktat verfasst (Questione sull’alchimia, Florenz 1544), Lodovico Dolces (1508–1568) Dialogo von 1565 beschäftigt sich mit Farbsubstanzen und ihren verlebendigenden Qualitäten; Parmigianinos (1503– 1540) Vernachlässigung der Malerei zugunsten alchemistischer Experimente wird von Vasari ebenso wie Domenico Beccafumis (ca. 1486–1551) Serie alchemistischer Holzschnitte erwähnt; der Bildhauer Benvenuto Cellini (1500–1571) verstand seine Kunst als Transfor­ mationsprozess; für Hendrick Goltzius (1558–1616/1617), der als Glasmaler begann, und Anthonis van Dyck (1599–1641), der die Tochter des Alchimisten Patrick Ruthven ehe­ lichte, sind Überlegungen zur Purifizierung der Pigmente und hermetischen Probierkunst über Quellen belegt.5 Dem kann man weitere Berichte hinzufügen. Sie führen uns zurück 3 4

5

Platon, Kratyl. 434 a–b. Dabei sollte man einen Aspekt beachten, den u. a. Gernot und Hartmut Böhme herausgestellt ha­ ben: »Charakteristisch für die chemischen Künste (…) ist, dass sie vielfach auf die Erscheinungen von Substanzen ausgerichtet waren. Die Kunst des Färbens, nicht nur von Textilien, sondern auch von Steinen und Glas, ferner die Herstellung von Substituten und Surrogaten, das Vergolden und Versehen von anderen Stoffen mit Goldglanz oder auch Perlmuttglanz stand in hohem Ansehen. Entscheidend scheint uns an dieser Praxis zu sein, dass sie auf die Herstellung bestimmter sinnli­ cher Qualitäten durch Zusätze und Agenzien gerichet war. Der Neuplatonismus bestimmte die entstehende Alchemie durch eine Materialisierung des Formprinzips, also durch die Auffassung, dass Qualitäten selbständige Substanzen seien. Als Tinkturen, Samen oder Essenzen können sie sich, das war die Meinung, über große Materiemassen ausbreiten, diese gewissermaßen anstecken oder tingieren. (…) Naturgemäß trat in dieser Praxis die Vier­Elementenlehre zurück.« Gernot & Harmut Böhme, Feuer Wasser Erde Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente, München 1996, 121 (»Von Aristoteles zur Alchemie«). Eine Konzentration auf alchemistische Transformationen würde in dem Sinne also eine Bedeutungsverlagerung auf die Materialisierung des Formprinzips und damit auf die Erscheinungen der Körperwelt bedeuten, vergleichbar dem Visualisierungs­ interesse der bildenden Kunst. Zu Goltzius siehe Karel van Mander, »Het Leven der Doorluchtighe Nederlandsche en Hoogh­ duytsche Schilders«, in: ders., Schilder-boeck, 286v; Arnoldus Buchelius, Vitae eruditorum Belgicorum, MS UB Utrecht Nr. 838, 270–271; Ausst.­Kat. Amsterdam, New York & Toledo (2003), Hendrick Goltzius, hg. v. Huigen Leeflang & Ger Luijten, Zwolle 2003, 20; Weststeijn, »Painting’s Enchanting Poison«, 149; zu Parmigianino vgl. Vasari, Le Vite, IV, 545; Ausst.­Kat. Casalmag­ giore (2003), Parmigianino e la pratica dell’alchimia, hg. v. Sylvia Ferino­Pagden u. a., Mailand 2003. Cellini lässt das Blut des abgeschlagenen Medusenhaupts in Bronze erstarren; zur alchemi­ stisch­symbolischen Bedeutung der Medusa für die Bildhauerei siehe Michael Cole, »Cellini’s

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in die Niederlande, in das Gebiet der Stilleben­ und sottobosco­Malerei und damit zu einigen Protagonisten, die wir bereits im ersten Kapitel kennengelernt haben.

ALCHEMIE Als nämlich im Juli 1663 der an Kunst und Naturwissenschaft interessierte Balthasar de Monconys in Middelburg auf den Maler und Entomologen Johannes Goedaert traf, kam es zu einem jener denkwürdigen Gespräche, die in späteren Darstellungen stets nur bruch­ stückhaft wiedergegeben werden, weil sie scheinbar unterschiedlichen Bereichen zugeord­ net werden. Sie gehören jedoch zusammen. Für das Treffen hatte es mehrere Anläufe ge­ geben. Zunächst wollte Monconys den Maler sehen, weil er ihn für Otto Marseus van Schrieck hielt, von dem er offensichtlich schon in Frankreich gehört hatte. Goedaert war an diesem Tag nicht zuhause, so dass sein enger Freund und Verleger Jacob Fierens (vor 1642– 1669) den Reisenden unterhielt und ihm »das Original von Goedartii Buche/ und andere Sachen mehr (…)«6 zeigte – hierbei handelte es sich um das Manuskript des ersten Teils

6

Blood«, in: The Art Bulletin 81/2 (1999), 215–235. Zu Van Dycks und Digbys alchemistischen Experimenten siehe Bruce Janacek: »Catholic Natural Philosophy: Alchemy and the Revivification of Sir Kenelm Digby« in: Margaret J. Osler (Hg.): Rethinking the Scientific Revolution, Cam­ bridge 2000, 89–118; zu Van Dycks Heliotropismus siehe John Peacock, The Look of Van Dyck. The Self-Portrait with a Sunflower and the Vision of the Painter, Aldershot 2006, v. a. 273–280, wobei Peacock das Gemälde neoplatonisch interpretieren will. Vor kurzem hat Tine L. Meganck eine Interpretation der sympathetischen Bildstruktur in Van Dycks Portrait Sir Kenelm Digbys mit Sonnenblume und seinem Selbstportrait vorgeschlagen, die auch den alchemistischen Hin­ tergrund der Freundschaft beleuchtet. Zu Kunst und Alchemie (Auswahl): Lawrence Principe & Lloyd DeWitt (Hg.), Transmutations: Alchemy in Art, Philadelphia 2002; Smith, Body of the Artisan, v. a. 129–154; Newman, Promethean Ambitions, v. a. 115–163; Claudia Swan, Art, Science and Witchcraft in Early Modern Holland, Cambridge 2005; Jacob Wamberg (Hg.), Art & Alchemy, Kopenhagen 2006; Matilde Battistini, Astrology, Magic, and Alchemy in Art, Los Angeles 2007; Bernadette Bensaude­ Vincent & William R. Newman, The Artificial and the Natural: an Evolving Polarity, Cam­ bridge, Massachusetts 2007; mit Blick auf die Niederlande: Volker Manuth, Jillian Harrold & Dianna Beaufort, »Alchemy in Dutch Art of the Sixteenth and Seventeenth Centuries«, in: Ausst.­Kat. Kingston & Canada (1996/1997), Wisdom, Knowledge & Magic. The Image of the Scholar in Seventeenth-Century Dutch Art, Kingston 1996, 19–25. Vgl. weiterhin das »Art & Alchemy«­Projekt am Max­Planck­Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, innerhalb der Forschergruppe »Art and Knowledge in Pre­Modern Europe«, Dir. Sven Dupré. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 582 (Middelburg, Juli 1663). Auch bei einem nächsten Besuch war Goedaert nicht anzutreffen, wobei die Tür von der Tochter des Malers geöffnet wurde, die, wie Monconys unverhohlen bemerkte, »gewiß eine von den schönsten und angenehmsten Mädgen war, die ich mein Tage gesehen.« Ebenda. Am nächsten Tag besichtigt Monconys zusam­ men mit Fierens in Middelburg »einige schöne Gemälde des Zimmer [›plusieurs cabinets des curi­ eux en Peintures‹], und traff unter anderem viel von dem van der Hulst von Gorcum an, welcher kleine Figuren, wie Calot, mit Ölfarben macht, etliches von Siderius van Deyle in migniatur. Dieser wohnt zu Arnemuyden und mahlt auch Perspectiv mit einer schönen Colorite und sehr artig, einige von Lorme aus Rotterdam, dieser mahlt auch Perspective (…), und etliche von Sleigselau, aus Leiden, welcher treffliche Nacht­Stücke schildert.« Ebd., 586. Die erwähnten Maler sind: Maerten Fransz. van der Hulst (?) (1605–1645); Dirk van Delen (ca. 1605–1671), der bei Frans Hals (ca. 1582–1666) lernte, dann Bürgermeister in Arnemuiden wurde und zur gleichen Zeit (1639–1665) in die St.­Lukas­Gilde in Middelburg eingeschrieben war; Anthonie de Lorme

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der Metamorphosis. Wenig später kann Monconys dann Goedaert endlich persönlich tref­ fen. Im Tagebuch findet sich folgende Notiz: »Sobald wir da angekommen/ führte mich der Herr Fierens zu den Mahler Goedart, welcher mich das Antimonium also zurichten lehrete (…). Besagter Goedart mahlt sehr wohl in Landschafften/ Gewürme und Blumen.«7 Laurens J. Bol, der Johannes Goedaert als einen »goeden onbekenden« für die Kunstge­ schichte wiederentdeckte, hat diese Stelle schon nicht mehr zitiert. Ihr folgt aber eine sehr viel längere nach, die Goedaert als veritablen Alchemisten zeigt: »Er ist dabey ein Chymi­ ste, und weiß dem Antimonio die facultatem emeticam zu benehmen/ und kann/ vermit­ telst eines Pulvers/ welches er in einem Schmelztiegel zerlässet/ ein Stück Eysen/ oder zum Exempel eine Degenklinge augenblicks so schmelzen/ dass es so weich wird wie Butter.«8 Für Monconys scheint Goedaerts kombiniertes Tätigkeitsfeld aus Malerei, Entomo­ logie, Pharmazie und Alchemie nichts Ungewöhnliches gewesen zu sein. Man redet sehr bald über die Urzeugungslehre, an der Goedaert ja festhielt, sowie über dessen »Experi­ mente an den Gewürm oder Insectis, die er mir in seinem Buche zeigte, das er mit der Zeit in Druck zugeben vermeinte«9 – damit ist der zweite Teil seiner Metamorphosis über den Farbwechsel, die Verpuppung und Verwandlung der Insekten gemeint. Vor allem aber no­ tiert Monconys einige Rezepte zur Herstellung alchemistischer Pharmakeia, die Goedaert ihm bereitwillig überließ. Ein erstes diente der Erzeugung von Brechweinstein: »Rc. 1. Pfund Antimonium, 1 Pfund Salpeter/ zerpulvert und mischet es wohl zu­ sammen/ setzet darauff einen Schmelztiegel ans Feuer/ und wenn selbiger glüend genug ist/ so thut von den Pulver einen Löffel voll nach dem anderen hinein/ dek­ ket den Tiegel aber jedesmal mit einem Ziegel Steine zu/ biß gantz decoquirt oder abgekochet/ und wann nun das geschehen/ so leget auf dem Tiegel glüende Koh­ len/ lasset selbige verglimmen und den Tiegel von sich selbst kalt werden/ zerpul­ vert so dann das jenige was in dem Tiegel ist/ und schüttet dasselbe Pulver in warm Wasser/ filtrirt es/ hebt das Wasser auf/ und was in durchsäugen sitzen blieben/ das trocknet noch einmal/ pulverisiret es/ vermischt es mit von neuem mit so viel Salpeter als es schwer ist/ und wiederholet diese Operation biß zum drittenmale; und also wird das Antimonium praepariret seyn; da thut nun ferner Cremorem Tartari und Scammonaea dazu/ welcher also zugerichtet wird: pulverisirt selbige wohl/ thut sie darauff in ein irden Becken/ und giesset Spiritum vini drauf/ damit

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(1610–1673), Maler von Kircheninterieurs; sowie Pieter van Slingelandt (1640–1691), fijnschilder in Leiden. Jacob Fierens war von 1642–1669 in Middelburg als Buchhändler und ­verleger tätig, er lebte in der Giststraat »in de Globe« und gab neben Goedaerts Metamorphosis et historia naturalis insectorum auch das Bancket-werck van goede gedachten (1657) von Johan de Brune sowie die Tafelen van interest (1652) des Rechenmeisters Cornelis Eversdijck heraus. Vgl. Pieter J. Meer­ tens, Letterkundig leven in Zeeland in de zestiende en de eerste helft der zeventiende eeuw, Amsterdam 1943, 421 und 436. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 583. Ebenda. Ebenda.

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die gantze Tinctur herausgezogen werde/ wenn nun nichts mehr heraus will/ so lasset den also impraegnirten Spiritum vini bey einem gelinden Feuer biß zur Helffte evaporiren, giesset sodann frisch Wasser dazu/ so wird sich die Scammonaea in ein schönes gummi praecipitiren. Die Dosis ist 20. Gran Antimonium, 20. Gran Scammonaea und 10. Gran Cremor Tartari. Wenn man ein wenig Wein Essig auf die Wasser giesset/ in welchen man das Antimonium, nachdem es gebrennet wor­ den/ zerlassen hat/ so wird selbiges sich in ein weisses Pulver praecipitiren. Dieses ist/ wenn man es in Rosen= oder auch nur schlechten Wasser so lange wäschet/ biß es keinen Geschmack mehr hat/ ein vortrefflich Schweiß=treibendes Mittel/ und muß man davon einnehmen 20. Gran, 15. Gran Hirschhorn/ und 10. Gran Wer­ muth­Salz mit Teriack.«10 Zurück bleibt in dieser aufwendigen Prozedur ein pharmakon zur Purifizierung des Kör­ pers. In vorsichtiger Dosierung wirkte es abführend, brechreizsteigernd und schweiß­ treibend; bei iatrochemisch ausgerichteten Ärzten galt es als Universalmittel. Ausgangs­ material war das Antimonium crudum, jene als »Spießglanz« bekannte grauschwarze Modifikation des Antimon(III)­sulfids, die nach Meinung der alten Alchemisten in seiner Wirkung einem »coagulierten Mercurius« und ihrem Aussehen nach dem Blei ähnelte. Im alchemistischen Prozess sollte das Antimon deshalb das irdische Prinzip, die Urmaterie symbolisieren, die in das Ätherische übergehen konnte. Späteren Begriffserklärungen zu­ folge leitete sich der Name von der latinisierten Form des hypothetischen griechischen Wortes ανθήμόνιον (anthemonion: die Blüte, das Ausgeblühte) ab. Die Lösung des Anti­ monsulfids in Salpetersäure bewirkte im chymischen Prozess einen Oxidationsvorgang, der mehrfach wiederholt werden musste, damit die anfängliche Schwefelverbindung beim Glühen an der Luft in eine Sauerstoffverbindung übergehen, die sogenannte Spießglanzle­ ber (Antimonii hepar) ausbilden und dann zusammen mit der Weinsäure (Cremor tartari) den Brechweinstein (Tartarus emeticus) ergeben konnte. Als Cremor tartari wiederum wurde gereinigter Weinstein bezeichnet, der unter Beigabe der Scammonaea – der Wurzel der Trichterwinde Convolvulvus scammonaea oder »Purgierwinde«, die hier vor allem in ihrer chemischen Eigenschaft als Bindemittel eingesetzt wurde11 –, bereits ein Heilmittel 10

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Ebd., 584–585. Zur Herstellung von »Cremor tartari«, »Antimonium crudum« und »Antimonii hepar« vgl. z. B. Krünitz, Ökonomische Encyclopädie, CLVIII, 326–373; G. W. Gessmann, Die Geheimsymbole der Chemie und Medizin des Mittelalters, Graz 1899; Wolfgang Schneider, Lexikon alchemistisch-pharmazeutischer Symbole, Weinheim 1962. Für eine gemeinsame Durch­ sicht der Rezepturen und eine ausführliche Diskussion danke ich Tilly Laaser, Staatliche Akade­ mie der Bildenden Künste Stuttgart, und Susanne Rehn, Deutsches Museum München. Scammonaea = Convolvulvus scammonaea (scammonia), d. i. Trichterwinde (»Purgierwinde«); vgl. Matthieu Joseph Bonaventure Orfila, Traité des poisons tirés des règnes minéral, végétal et animal, 2 Bde., Paris 1815, II, 96: »Convolvulvus scammonaea: Plusieurs auteurs affirment que le suc concret de cette racine est vénéneux.« In mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rezeptbü­ chern wird das aus der Scammonaea gewonnene Harz sowohl als Bindemittel verwendet wie auch der Mischung zur Abwehr von Insektenbefall beigefügt. Für den Hinweis danke ich Mark Clarke; siehe auch ders., Mediaeval Painters’ Materials and Techniques: The Montpellier ›Liber diversarum arcium‹, London 2011, § 4.38.4A­4B (»Such as flies will not touch it, put in some scam­

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erster Güte ergab. Das Antimonium galt als edles Ausgangselement der alchemistischen Transformation und der aus ihm hergestellte weißpulvrige Tartarus emeticus (Brechwein­ stein) als wunderbare Universal­Medizin, welche sämtliche anderen Medizinen überflüs­ sig machen sollte.12 Tatsächlich war die von Paracelsus eingeführte innerliche Anwendung von Anti­ monverbindungen im 16. und 17. Jahrhundert sehr umstritten, im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts sogar offiziell verboten, und führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Iatrochemikern und »galenischen« Ärzten – ein Grund vielleicht, warum Mon­ conys gesondert vermerkte, dass ihm Goedaert »das Antimonium also zubereiten lehrete, dass der Patiente sich nicht brechen oder vomiren darff.«13 Als Präparat wurde es zwar schon in der antiken Heilkunde verwendet, und zwar als schwarze Augensalbe und Au­ genschminke sowie zur äußerlichen Behandlung von Wunden und Geschwüren. Jetzt aber wurde der als Antimonium crudum bezeichnete schwarze Spießglanz auch in Form von Pillen oder als Beigabe in Getränken gegen Melancholie und Übelkeit eingenommen.14 Antimonii hepar (Spießglanzleber) wiederum nannte man die leberfarbene Mischung verschiedener Antimonverbindungen, die man durch Verpuffen von Antimonium mit Salpeter und anschliessendes Glühen erhielt. Mit Wasser ausgewaschen – Goedaert nahm dazu sogar Rosenwasser – lieferte sie ein wichtiges Zwischenprodukt zur Bereitung des wertvollen Brechweinsteins und konnte selbst schon als Arzneimittel eingenommen werden.

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mony«); Dioskorides, Mat. med. IV, clxvi: »Etliche [sammeln den Safft] wenn er trucken worden, fleissig ein. Der allerbeste Scammonei, oder Safft (denn diesen Safft nennet man auch mit dem Namen seines Krauts) ist leicht, dünn, schwämmig, klar, glänzendt, an der Farb dem Ochsenleim ehnlich.« Nach Gessmann, Geheimsymbole, 26. Ich verwende den Begriff »chymisch« im Folgenden ab­ wechselnd mit »chymicus, chemicus, chemisch« im Sinne von »scheidekünstlerisch, zur Scheide­ kunst gehörig, durch dieselbe bewirkt, dieselbe treibend usw.« (Ludwig August Krauss, Kritischetymologisches medizinisches Wörterbuch, Göttingen & Wien 1826, 196) und meine damit die vordisziplinäre Form der Chemie. Demgegenüber indiziert der Begriff »Alchemie« in tendentiel­ ler Abgrenzung davon die »höhere (vermeintlich edlere) Chemie, geheime Chemie; (…) die Adep­ tik, das Suchen und Finden des Steins der Weisen.« Krauss, Wörterbuch, 37. Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 584. Am stärksten wurde die Kenntnis des Antimons und seiner Verbindungen durch den 1604 erschienenen Triumphwagen Antimonii des Basilius Valentinus befördert. »Die purgirende Kraft oder Eigenschaft des Spießglanzes ist zuerst um das zwölfte Jahrhundert bekannt geworden, zu welcher Zeit ein Mönch des Benediktiner=Ordens, (…) Basilius Valentinus, in einem Werke, welches er geschrieben (…), den Spießglanz in unend­ lich vielen Krankheiten als ein wirksames Mittel preiset. Im fünfzehnten Jahrhunderte hat end­ lich Paracelsus, welcher der Meinung des Valentinus folgte, solches noch mehr bekannt gemacht. Während dieser Zeit stritten die Aerzte lange heftig über die heilsame oder schädliche Kraft dieses Mittels, bis man denn endlich einstimmig dahin übereinkam, seine heilsamen Kräfte anzuerken­ nen, und es erschienen eine große Anzahl Mittel, welche daraus bereitet wurden, in den Apothe­ ken.« Krünitz, Ökonomische Encyclopädie, CLVIII, 333. Zum Antimon und seinen Verbindun­ gen siehe ausführlich ebd., 326–373. Aus metallischem Antimon fertigte man pocula vomitoria, das sind Becher, die mit Wein gefüllt wurden, der nach einigem Stehen durch gelöstes Antimon brechreizerregend wirkte. Die aus An­ timon gedrehten pillulae perpetuae (ewige Pillen) wirkten abführend und konnten nach Ge­ brauch erneut verwendet werden.

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Gleiches galt für den aus dem Antimonii hepar hervorgehenden Crocus metallorum, ein rotbraunes, geruch- und geschmackloses Pulver, luftbeständig und unlöslich in Wasser: »Kocht man nämlich die gepülverte Spießglanzleber mit Wasser, so nimmt dieses die auflöslichen Theile in sich. Der Rückstand hat eine braunrothe Farbe, und wurde Metallsafran, Crocus metallorum genannt. (…) Ehemals bediente man sich des Metallsafrans, die Flecke der Augen damit zu vertreiben«, oder generell seiner purgierenden Eigenschaften wegen.15 Es ist wichtig zu wissen, dass »in der Alchemie Antimone und ihre Verbindungen aufgrund ihrer außergewöhnlichen Eigenschaften eine wichtige Rolle [spielten]. Der Legierungsfähigkeit mit Gold wurde große Bedeutung beigemessen, seine medizinischen Wirkungen führte man auf dessen Eigenschaft, das Gold zu reinigen, zurück. In der Probierkunst nämlich verwendete man Antimonsulfid zur Scheidung von Gold und Silber. Dabei wurde eine Silber-Gold-Legierung mehrmals mit Antimonit geschmolzen, wobei sich eine Gold-Antimon-Legierung am Gefäßboden ansammelte und das geschmolzene Silbersulfid abgegossen wurde. Beim nochmaligen Erhitzen der Legierung verbrannte das Antimon und verrauchte dabei als Antimonoxid; das reine Gold blieb zurück. Von der Fähigkeit des Antimons, Gold und Silber zu scheiden, rührt dann seine Bezeichnung als Index ultimus (»letzter Richter«) her, wobei nun eine christologische Dimension mithineinspielt – die Scheidekunst als Gleichnis des jüngsten Gerichts und der Auferstehung.«16 Beim selben Zusammentreffen mit Monconys hatte Goedaert auch sein Verwandlungsrezept »Das Eysen zu schmelzen (Das ist der Crocus Martis stellatus)« weitergegeben: Rot von Farbe, weil nach verschiedenen Methoden aus Eisen bereiteter Rost, bestand der Crocus Martis vor allem aus Eisenoxid. Das von Goedaert empfohlene Rezept lautet wie folgt: »Rc. [4] Untzen a wohl pulverisiret, lasset es in einem Tiegel schmeltzen, und wann es geschmoltzen, so thut 2. Löffel voll wohl zerstossenen Salpeter hinzu, rühret es mit einer Spatel untereinander, jedoch dass ihr tapfer dabey anblaset. Wann nun alles wohl schmeltzet, und man sodann ein Stück Eisen oder eine Degen-Klinge

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Krünitz, Ökonomische Encyclopädie, CLVIII, 371. Ebd., 328: »Der Spießglanz ist dasjenige Metall, mit welchem man die meisten chemischen Prozesse vorgenommen, weil die Alchymisten in dem Wahne gestanden, hieraus für die Kunst: Gold zu machen, vielen Nutzen zu ziehen.« Im Ausbrennen und -glühen des Antimons beispielsweise blieb ein »Klümpchen mehr oder weniger reinen Metalls zurück, das man ‚kleiner König’ (regulus) nannte und das im alchemistischen System eine ausgezeichnete Stellung einnahm, weil es den wertvollen Kern, die eigentliche Substanz des Ausgangsmaterials darstellte. Führte man die Reduktion von Antimon mittels Eisen als Reduktionsmittel durch, erhielt man auf der Oberfläche einen kugelförmigen Regulus antimonii martialis, auch als Signatstern des Antimons (Stella antimonii) bekannt, dem man eine besondere Beziehung des Antimons zur Sphäre der Sterne nachsagte und dem nicht zuletzt Basilius Valentinus, Robert Boyle und Isacc Newton besondere Aufmerksamkeit schenkten.« Nach Claus Priesner, »Regulus«, in: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, hg. v. dems. & Karin Figala, München 1998, 302; vgl. auch Gerhard Brey, »Antimon«, in ebd., 50.

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hineinsteckt, so wird es zerfliessen wie Butter. Er sagte mir auch, wie man das Gold in der Hand schmeltzen könne; wenn man nehmlich einen Ducaten in eine Eyer­ schal oder in eine Pommerantzen Schelffe legte, oben drauff Salpeter und Tartarum wohl pulverisiret thäte, und sodann mit einer Kohle anzündete.«17

SULPHUR – SAL – MERCURIUS Die klassische Vier­Elementenlehre war über lange Zeit die allgemein akzeptierte Theorie der Materie gewesen, während die antike alchemistische Lehre von der Konstitution aller Dinge aus Mercurius und Sulphur ausgegangen war. Im 16. Jahrhundert tauchte dann das revidierte alchemistische Modell von den drei Prinzipien, den ›tria prima‹ des Paracelsus auf.18 Schon in der älteren Tradition hatten wiegesagt Sulphur und Mercurius die beiden Prinzipien gebildet, die für die Beschaffenheit von Naturdingen verantwortlich waren; Paracelsus fügte ihnen als drittes Prinzip Sal hinzu und stellte so eine triadische Basis für die unausschöpfbaren gestalterischen Möglichkeiten der Natur her. Es ist immer wieder herausgestellt worden, dass Paracelsus der Vier­Elementenlehre zwar eine gewichtige Konkurrenz schuf, sie aber zugleich aus ihrem Schattendasein gegenüber der alchemisti­ schen Tradition befreite, weil er der Existenz einer schwarzen Grundsubstanz oder prima materia, aus der die vier Elemente und weiterhin der gesamte Stufenbau der Naturwelt hervorgingen, einen besonderen Stellenwert einräumte. Antipodisch stand der prima materia eine ultima materia, bestehend aus der Trias Sulphur, Sal und Mercurius, entgegen, womit die Zerfallsprodukte gemeint waren, in die sich die Substanzen am Ende eines alchemischen Scheideprozesses auflösten.19 »Das große Schema von prima und ultima materia bedeutet, dass Paracelsus das von der Antike tradierte Kreislaufdenken in bezug auf die Natur aufbricht: Die Substanzen zerfallen schließlich nicht in die Stoffe, aus denen sie entstanden sind.«20 In jedem Körper sind die drei »ultimativen« Bestandteile bereits enthalten, die sich allerdings nur über Wärmezufuhr aus den Substanzen herauslösen las­ sen. Demnach wird der gesamte Naturprozess als ein Prozess des Erzeugens und Gebärens aus der schwarzen prima materia einerseits und des Scheidens in ultimative Prinzipien an­ dererseits verstanden, wobei sich hier die beiden Traditionen von Naturphilosophie und Alchemie ineinander verschränken. In den alchemischen Bereich vorzudringen bedeutet nun, nicht nur der elementaren Stofflichkeit, sondern den formschaffenden Prinzipien selbst auf der Spur zu sein. Denn die Alchemie gleicht der Kunst darin, die Prozesse der Natur nachahmen zu wollen. Und nicht nur nachzuahmen: Die im »chaos sulphereos­sale­ 17 18

19 20

Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 585–586. Die genaue Angabe (4 Unzen) findet sich nur in der französischen Originalausgabe: Balthasar de Monconys, Journal des voyages de Monsieur de Monconys, Lyon 1665, 113. Nach John M. Stillman, The Story of Alchemy and Early Chemistry, New York 1960, 117. Die Bezeichnungen beziehen sich nicht auf die gängigen chemischen Stoffe, sondern allgemeiner auf die hinter den Erscheinungen stehenden Prinzipien: Sulphur meint das brennbare, Mercurius das flüchtig­flüssige und Sal das formgebende, stabile Prinzip. Vgl. Böhme, Feuer Wasser Erde Luft, 122. Ebd., 128.

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mercurialis« angelegten Potenzen galt es zu aktualisieren und die natürlichen Prozesse künstlich zu vollenden, so dass der Alchemist einem Künstler glich, und umgekehrt der Künstler einem Alchemisten, wenn er neue Formzusammenhänge schuf, etwa indem er seine Farben alchemisch zubereitete oder diverse Elemente zu einem neuen Ganzen zu­ sammenfügte.21 Bereits im Brenntiegel verschmolzen, schieden und verwandelten sich die Substanzen. Um nur einige in der Retorte gewonnenen Pigmente zu nennen: Das gelbe Auripigment beispielsweise kam zwar natürlich vor, konnte aber auch synthetisch aus Arsen und Schwefel hergestellt werden. Zinnober entstand durch Zusammenführen von Schwe­ fel und Quecksilber, und die leuchtend orange Farbe von Mennige ergab sich, wenn sich Bleiweiß beim Glühen im Ofen zunächst in gelbe Bleiglätte und dann in rote Bleimennige umwandelte. Die Herstellung aller dieser Pigmente involvierte oder ergab toxische Stoffe. Im Unterschied dazu waren rote Eisenoxidpigmente ungiftig und konnten durch Brennen gelben Eisenoxids gewonnen werden; seit dem 17. Jahrhundert wurden sie durch Erhitzen von Eisensulfat in besonders reiner Form künstlich hergestellt. Ein von den Alchemisten als Caput­mortuum (»Totenkopf«) bezeichnetes violettbraunes Pigment wiederum ging als Nebenprodukt aus der Herstellung von rauchender Schwefelsäure aus Eisenvitriolstein hervor. Goldschwefel, ein feines, orangerotes, geruch­ und geschmackloses Antimonsulfid, wurde aus einer Antimonpentachlorid­Lösung mittels Schwefelwasserstoff ausgefällt, und das antimonhaltige Neapelgelb wurde seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts synthe­ tisch hergestellt.22

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Die Vermischung einzelner Substanzen zu einer neuen, veredelten, kann auf alchemischem Weg geschehen; im übertragenen Sinn aber auch durch die Zusammenführung einzelner Teile zu ei­ nem Ganzen durch compositio, zum Beispiel die Komposition eines Gemäldes. Maßgeblicher Ge­ danke ist die Perfektion einer unvollendeten Natur, vgl. Fehrenbach, »Compositio corporum«, 151–152. Bei Auripigment handelt es sich um eines der ältesten Pigmente. Die Farbe eignete sich als dek­ kender Aufstrich und auch für Goldimitationen; als Färbemittel benutzte man es trotz der Giftig­ keit außerdem auch für Textilien. Zinnober, ein rotes Quecksilbersulfid (HgS), zählt neben rotem Ocker und natürlich vorkommenden roten Eisenoxiden zu den häufigsten verwendeten Pigmen­ ten; es kommt als Mineral in der Natur vor, wird aber schon früh aus Quecksilber und Schwefel künstlich hergestellt. Mennige, d.i. Blei(II,IV)­oxid, war in allen Techniken einsetzbar; es konnte bereits in einem simplen Brennvorgang aus Blei in einem irdenen Gefäß über dem Feuer herge­ stellt werden, wobei gelbes Bleimonoxid als Zwischenstadium entstand. Als Caput mortuum wurde der Rückstand gebrannten Vitriols in der Retorte bezeichnet. Vgl. Thomas Brachert, Lexikon historischer Maltechniken. Quellen – Handwerk – Technologie – Alchemie, München 2001. Goldschwefel (Antimonpentasulfid) ist seit dem 16. Jahrhundert bekannt, lässt sich in Öl und Wasser mühelos zubereiten und ist im Prinzip für alle Techniken der Tafelmalerei geeignet. Bis auf wenige Ausnahmen wurde er aber kaum in der Kunst angewandt, sondern vor allem medizi­ nisch eingesetzt; zur Zusammensetzung vgl. z. B. Nicholas Eastaugh, Valentine Walsh, Tracey Chaplin & Ruth Siddall, Pigment Compendium. A Dictionary of Optical Microscopy of Historical Pigments, Amsterdam, Boston et al. 2008, 24. Zu Neapelgelb vgl. Brachert, Historische Maltechniken, 174: »Die (Wieder­)Entdeckung des schon in der Antike bekannten Materials wird in die 2. H. des 16. Jh. datiert. Antimonhaltiges Blei (Letternmetall) könnte als Altmetall dabei mit im Spiel gewesen sein.« Damit zählt das helle Neapelgelb zu den wenigen wirklich neuen Farbmitteln, die im Barock in die Malerei eingeführt wurden, vgl. Hermann Kühn, Heinz Roosen­ Runge u. a., Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, 3 Bde., Stuttgart 1984, I, 364 und

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Man kann sehen, dass Schwefel und Quecksilber, zwei der drei paracelsistischen Grundprinzipien bzw. die beiden Hauptelemente der Alchemie, als tatsächliche chemische Stoffe einen regelmäßigen Bestandteil der Rezepturen ausmachten. Seit dem 16. Jahrhun­ dert erfuhr auch der Spießglanz eine Karriere, und zwar sowohl propagiert durch die para­ celsistische Lehre wie auch vorangetrieben im technisch­handwerklichen Bereich, z. B. im Zuge der Buchdruckerkunst, deren Lettern aus antimonhaltigem Blei gegossen wurden und nun ihren Weg ins Altmetall fanden. Das für unsere Belange Interessante solcher An­ timonverbindungen ist jedoch ihre gleichzeitige Verwendung als pharmazeutisches Präpa­ rat. Im Kunsthandwerk und in der Kunst wurde Antimonium in seinen Modifikationen und Verbindungen zur Legierung von Bronzen, als Mittel zur Schwarzbeizung, in der Buchmalerei (hier vor allem um Stahlfarbe darzustellen, die nach dem Trocknen poliert wurde), aber auch zum Gelbfärben von Glas und Glasuren in der Keramik verwendet, und es war ferner der Ausgangsstoff für die Herstellung des bereits erwähnten Neapelgelbs.23 Als Medikament wiederum half roter Goldschwefel gegen katarrhalisches Leiden; der Crocus metallorum wurde als starkes Brechmittel eingesetzt; der dunkle rohe Spießglanz (Antimonium crudum), in Pillenform verabreicht, gehörte wie der weiß kristallisierende Tartarus emeticus zu den bekanntesten Heilmitteln des späten 16. und 17. Jahrhunderts – Grauspießglanz und das daraus hergestellte Antimonium crudum waren zwei der wichtig­ sten Mineralien in der Spagyrik, d. h. in der pharmazeutischen und therapeutischen Um­ setzung der Alchemie.24 Nun gibt es einige weitere Elemente, die Goedaerts alchemistische Scheidekunst mit seiner Malkunst und seinen Stilleben gemein hat: das (gläserne) vas hermeticum bei­ spielsweise, in dem sich die Substanzen verwandeln, »ausblühen« und dabei ihre Farbe verändern; zudem die zentrale Stellung der Rose innerhalb des Blumenarrangements oder aber die Wichtigkeit der roten und weißen Farbe, die in der Scheidekunst Indikationen der Verwendung basaler Elemente wie Sulphur und Mercurius sind. Im hermetischen Voka­ bular nämlich hatte die Rose (als flos sapientiae) von Anfang an eine vergleichbar zentrale Bedeutung erhalten. In vielen Illustrationen kann man sehen, wie sie während des Trans­ mutationsvorgangs die Farbe wechselt beziehungsweise als weiße Rose für die Königin, als rote für den König und mit gemischtfarbigen Blütenblättern für die Vereinigung der bei­ den gegensätzlichen Prinzipien steht. Der Tau (lat.: ros) auf den Blättern wiederum galt in

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366; Claudio, Seccaroni, Giallorino. Storia dei pigmenti gialli di natura sintetica, Rom 2006, 327–340. Nach Brachert, Historische Maltechniken, 22. Zur Herstellung und Bestimmung der gelb­, orange­ und rotfarbenen Antimonsulfide vgl. Eastaugh u. a., Pigment Compendium, 24: »The precipitate changes hue from straw­yellow, lemon­yellow, orange­red to deep crimson«; zur Ver­ wendung des Antimons in der Keramikproduktion der Frühen Neuzeit vgl. Seccaroni, Giallorino, Rom 2006, 71–92; zur Verwendung als Metallfarbe, die aufpoliert wird, vgl. u. a. Henry Peacham, The Art of Drawing with the Pen, London 1607, 61 (»Antemonie«). Vgl. Krünitz, Ökonomische Encyclopädie, CLVIII, 334: »Die gebräuchlichsten Zubereitungen des Spießglanzes waren in den Apotheken noch in dem zweiten Drittel des verwichenen Jahrhunderts folgende: Hepar Antimonii, Crocus metallorum, Vinum emeticum, Tartarus emeticus, Vitrum, Regulus, Sulphur auratum, Flores, Butyrum, Cinnabaris, Pulvis Algarothi, Panacea universalis, Bezoardicum minerale, Calx diaphoretica.«

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97 | Johannes Goedaert, Chinesische Vase mit Blaumeise, Muschel und Blumen,

signiert Joh: goedaert, Öl auf Holz, 50 × 37 cm, Privatsammlung.

der Alchemie seit langem als Deckname für den im alchemischen Prozess entstehenden Weinstein (Cremor tartari). Im Stilleben mit Meise finden wir am unteren Ende des Bou­ quets verwelkende Blätter vor, was zur Tätigkeit des kleinen Vogels passt, der gerade einen Nachtfalter mit seinem Schnabel zerpickt, wobei sich die Farbe der Blätter von Braungrün ins Gelbe verändert – eine Farbigkeit, die sich heute in der Bemalung der Keramikvase wiederholt, aber wohl einmal blau war und durch die altersbedingte Veränderung des Farbmittels inzwischen ins Goldene spielt. In der Mitte des Straußes, neben den prächtigen Tulpen, ragt der Kopf eines Hornveilchens heraus, farblich nun von einer gelben Mitte

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zum blauvioletten Blütenrand ausstrahlend und darin selbst schon einer kleinen Flamme gleichkommend: In der Decksprache der Alchemie des 17. Jahrhunderts spielt das blaue Veilchen eine zunehmende Rolle; es soll die Belebtheit des Mineralischen in Analogie zur pflanzlichen Vegetation verdeutlichen.25 Im Stilleben mit Heuschrecke und Schnecke, das wir schon gesehen haben, ist die zackige Blütenform einer Anemone in einem derart leuchtenden Rot gehalten, dass man, hat man einmal von Goedaerts alchemistischen Ex­ perimenten und vom besonderen Stellenwert der Farbe innerhalb der Scheidekunst gehört, mehr als versucht ist, eine Verbindung zwischen beiden zu ziehen.26 Ziel des Transmutati­ onsprozesses ist es ja, unedle Metalle in (rotes) Gold zu verwandeln oder, im übertragenen Sinn, unreine Substanzen zu purifizieren. Gleichzeitig agiert die Anemone innerhalb der christologischen Blumensymbolik des 17. Jahrhunderts fast immer als Chiffre für die Pas­ sion und Auferstehung Christi, für Pascha und resurrectio. So wird der alchemistische Gedanke sogleich mit der Vorstellung einer möglichen Aktivierung, Befreiung und Aufer­ stehung des in der Materie eingeschlossenen spiritus in Verbindung gebracht sowie mit dem Wunsch, dass auch die Naturformen sich stets verjüngen und erneuern mögen. Selbst die den Stilleben beigefügten Tiere scheinen den Aufstieg und die Sublimie­ rung der Substanzen von der Urmaterie zum ätherischen Gebilde mitzumachen. Neben jener Meise, die einen Nachtfalter zerpflückt, liegt auf der schweren Steinplinthe eine Muschelschnecke, wie immer das tellurische Element symbolisierend, während im anderen Stilleben eine Schnecke ihren Platz einnimmt und nun zwei Falter in das obere Bildfeld und damit in den Luftraum aufsteigen. Dabei handelt es sich um den Stachelbeerspanner oder Stachelbeer­Harlekin (bessenvlinder), einen inzwischen selten gewordenen Nachtfal­ ter mit auffallender Musterung, der von Goedaert im ersten Buch seiner Metamorphosis als »weiß, und sehr kunstvoll schwarz gefleckt« beschrieben wurde, sowie um einen Admiral (atalanta), den er im zweiten Teil als »pfauenfarben, und schön anzusehen« bezeichnete.27 Beide Male sind es Falter mit charakteristischer weiß­schwarzer bzw. rot­schwarzer Muste­ rung ähnlich den geflammten Blütenblättern, die in den Bildern in allen Variationen auf­ tauchen. Die chinesische Vase selbst aber ist Boden und Auffangbecken für alle Stadien des Blühens, Verblühens, Ausblühens der Blumen, der Destillate und Substrate. Man fühlt sich an die Glasvasenexperimente von Sendivogius, Quercetanus, Kircher und Digby erin­ nert, die parallel zu ihren Diskussionen über Palingenesis versuchten, vertrocknete Pflanzen

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Vgl. Priesner, »Farben«, in: ders. & Figala, Alchemie, 133: »Das Blau spielte in der Alchemie sehr lange keine Rolle. Erst in der Spätphase, mit dem Aufkommen der exakten Naturwissenschaften, tritt bei Michael Sendivogius, Jean d’Espagnet (1564–1637) und insbesondere bei Isaac Newton das Blau im Zusammenhang mit Blumen in Erscheinung (blaues Veilchen). Zumindest bei New­ ton spielt hierbei auch die Kenntnis der Spektralfarben eine Rolle.« Als solche erscheint sie beispielsweise auf fol. 30 der Mira calligraphiae monumenta, die von Jo­ ris Hoefnagel (1542–1600) in den 1590er Jahren für Rudolf II. illuminiert worden waren. Vgl. Hendrix & Vignau­Wilberg (Hg.), Nature Illuminated. Die Anemonenblüte in Goedaerts Stille­ ben erstrahlt in hellem Rot, das aus der Komposition hervorsticht, weil es vom Maler an keiner Stelle abschattiert wurde. Eine Pigmentanalyse steht noch aus. »Wit ente seer aerdigh met swart gepleckt«; »Pauw­koleurig, en schoon om aan­zien.« Nach Bol, Goede onbekenden, 32.

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98 | Alchemiehandbuch des Appenzeller Wundarztes Ulrich

Ruosch, 1. H. 17. Jh., Tempera auf Pergament, ca. 8 × 6 cm, Privatbesitz, fol. 48v: Fixatio: »So bald der sallamadar fein/ gestorben und gar todt wird sein/ so wirst du sechen herus glitzen/ die vögell die heissen phoenicen.«

und Blumen – namentlich die Rose und Distel – mit iatrochemischen Methoden zu neuem Leben zu erwecken, oder eben an die Illustrationen alchemistischer Manuskripte zum Opus magnum. Dort ragt beispielsweise in der zweiten Transmutationsstufe oder sogenannten Weißung (albedo) eine weisse Blume aus dem Kolben heraus, in der Stufe der Rötung (rubedo) dagegen eine rote. In Goedaerts Stilleben mit Heuschrecke und Schnecke war die chinesische Vase dann noch mit einem Phoenix verziert worden, der im alchemistischen Wortgebrauch symbolisch für die letzte Stufe des Großen Werkes, des Opus magnum, stand. All diese motivischen Anspielungen mögen genügen, das Stilleben als einen Ort der künstlerischen Verwandlung zu deuten, doch wird das vas hermeticum in den Schriften und Illustrationen der Frühen Neuzeit selbst noch als Phoenix­Ei vorgestellt, das zurück­ bleibt, wenn sich der Vogel in seinem Nest verbrennt: Ihm wird ein neuer Phoenix – oder derselbe Vogel, verjüngt – entschlüpfen. Derart präsentiert sich das Bildfeld als Schauplatz einer wunderbaren, alle Stadien und Farben durchlaufenden regenerativen Kraft, die Neues aus Altem hervortreibt, und natürlich öffnet sich dadurch sofort die nächste seman­ tische Ebene und es sind christologische Bezüge hergestellt, denn seit dem Mittelalter spricht man ausdrücklich vom Opfercharakter des Phoenix­Vogels und setzt ihn der »hailigen sêl«

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und damit Christus gleich, der sich geopfert habe, um die Auferstehung einzuleiten: Gold­ und purpurfarben sei sein Gefieder, in das »rôsenvarb federn mit wunderleicher manig­ värbichait eingemischt [seien].«28 Das Zitat stammt aus dem Buch der Natur des Konrad von Megenberg (1309–1374), jener seit 1536 in Nachdrucken auf den Markt kommenden Naturgeschichte des 14. Jahrhunderts, die als erstes systematisiertes Kompendium des Wissens über die geschaffene Natur im deutschen Sprachraum weithin rezipiert wurde. Jedoch gibt es viele andere Wege, auf denen ein solches Naturwissen in die Ateliers ge­ langte und in Kunst verwandelt wurde, wie zum Beispiel durch die Lektüre der im nieder­ ländischen Kulturraum unvergleichlich populären Naturkunde Der natueren bloeme des Jacob van Maerlant (ca. 1225– ca. 1299).29 Diese stellte eine Kompilation von Thomas von Cantimprés (1201–1270/1272) Liber de natura rerum und Werken des Albertus Magnus (ca. 1200–1280) in gereimten Versen dar und war im Anschluss von besagtem Konrad von Megenberg bearbeitet worden. Mit ihr wurde ein Kanon der Naturbeschreibung etabliert, auf den man sich noch im 17. Jahrhundert regelmäßig bezieht. Dass Johannes Goedaert nicht unbelesen gewesen war, beweist im übrigen seine Metamorphosis, in der er sich auf die Lektüre klassischer Autoren wie Aesop (um 600 v. Chr.), Pindar (522/518– ca. 445 v. Chr.), Horaz (65–8 v. Chr.), Seneca (ca. 1–65 n. Chr.) und Augustinus (354–430) beruft sowie auf die naturhistorischen Schriften von Aristoteles, Plinius, Guillaume Ron­ delet (1507–1566) und Ulisse Aldrovandi (1522–1605).30 Dabei hatte er keine Universität besucht und war auch nicht des Lateinischen mächtig, doch war er über seine entomologi­ schen Studien und alchemistischen Experimente in wissenschaftlichen Kreisen bekannt geworden; Gelehrte und Curiosi wie Monconys machten in Middelburg bei ihm Halt. Sein Geheimrezept, einen »treffelijken extract van alsem« (Wermut, Artemisia absinthium) herzustellen, verkaufte er später an den Middelburgischen Arzt und Chirurgen Cornelis

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Er lebe dreihundertvierzig Jahre. Im Alter suche er den schönsten Baum in den höchsten Bergen auf und errichte sich ein Nest aus Weihrauch, Myrrhe und Zimt. Wenn die Sonne dann ihre Strahlen auf dieses Nest werfe, gehe es in Flammen auf. Vgl. Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur, hg. v. Franz Pfeiffer, Stuttgart 1861, III/B.28, 186 (»Von dem Fenicen«): »Sô daz ge­ schiht, sô legt er sich in daz feur und verprinnet. dar nâch über wênig tag wirt ain würmel aus dem aschen und gewint dar nâch flügel.« In anderen Versionen ist es dann eben kein »würmel«, sondern ein Vogelei, in dem die mystische Verwandlung stattfindet. Jacob van Maerlant, »Der Naturen Bloeme«, 58va und 59ra, in: Corpus van Middelnederlandse teksten, hg. v. Maurits Gysseling, Den Haag 1981, II/2, 1, 5969–5974: »(…) es hi mede sere scone na des paus sede sijn als iofti guldijn ware met purperen plumen arentare sijn start gheleu blau mede met rooden vedere van groter sconede«. Vgl. Jorink, Reading the Book of Nature, 201: »Goedaert probably never studied at a university. He was pious, well­versed in the Scriptures, and enjoyed a wide reputation for his lovable char­ acter (his Dutch surname means ‚good nature’). He was a close friend of the preacher and natural philosopher Johannes de Mey, who was equally famous for his friendly nature. The latter played an important role in the composition and publication of Goedaert’s work.« Zu De Mey (1617– 1678), der als Theologe und Prediger tätig war, siehe L. Knappert, »Mey, Johannes de«, in: Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek, VII, 873.

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AUGEN ÖFFNEN

van de Voorde (ca. 1630–1678), der aufgrund seiner paracelsistischen Neigungen gemein­ hin der »chymische doctor« genannt wurde und seine iatrochemischen Interessen mit ihm teilte.31

AUGEN ÖFFNEN Goedaert mag einige seiner Pigmente selbst hergestellt haben, sie entstanden sowohl als End­ wie als Nebenprodukt, wenn er alchemisch zugange war. Ein anderer »Chymiker«, mit dem Balthasar de Monconys sich nur einen Monat später über Scheidetechniken un­ terhielt, war Giuseppe Francesco Borri gewesen. Dabei handelt es sich um jene Begegnung im August 1663, von der wir schon gehört haben und in der Borri mit ihm über die Palin­ genesis einer Rose sprach, sowie um einige weitere Besuche, in denen er vor allem über die generative Kraft des Sulphur berichtete. Kurz zuvor muss Borri die Augenoperation an Otto Marseus van Schrieck durchgeführt haben, deren erfolgreicher Ausgang in Amster­ dam als Nachricht die Runde machte: Borri war als Starstecher zu dieser Zeit bereits be­ kannt. Um 1659 hatte er in Straßburg einen Patienten von einem Augenkatarakt befreit, für das ihm der Innsbrucker Chirurg Rocco Mattioli Instrumente bereitgestellt hatte.32 Seitdem hatte Borri weiter an dem Verfahren gearbeitet, denn in den als Epistolae duae publizierten Briefen wird von Versuchen beschrieben, die 1662 in Amsterdam stattfanden und in denen er eine Methode zur Verjüngung des Sehsinns an Tieren demonstrierte. Das Experiment war von Borri später in Kopenhagen wiederholt worden, wo ihm unter ande­ rem Thomas Bartholin (1616–1680) und Ole Borch (1626–1690) zur Seite standen.33 Dabei ist wichtig zu verstehen, dass es sich bei Borris Augenoperationen nicht ledig­ lich um eine chirurgische, sondern um eine alchemistische Behandlung des Patienten mit Augenwassern handelte. Die chirurgische Leistung der Amsterdamer Versuche bestand 31

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De Waard, »Goedaert«, in: Molhuysen, Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek, I, 944– 945; Baumann, »Voorde«, in: ebd., IX, 1230. Cornelis van de Voorde hatte in Leiden unter Joannis van Horne (1621–1670), Johannes Antonides van der Linden (1609–1664) und Albert Kijper (1614–1655) studiert und sich dann in Middelburg niedergelassen. Für seinen Einsatz bei der Pest­ bekämpfung 1670 wurde er mit einem Preis von 300 Gulden ausgezeichnet. 1664 publizierte er das erfolgreiche Lehrbuch De nieuw lichtende fakkel der chirurgie ontstoken ten profite van alle diegene welke genegen zijn de heelkonst, so theoretice als practice, in haar volkomen perfectie te leeren, gestelt by vrage en antwoorde, vgl. Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek, IX, 1230–1231. Diese wurden in Giuseppe Francesco Borri, Epistolae duae. I. De cerebri ortu & uso medico. II. De artificio oculorum humores restituendi. Ad Th. Bartholinum, Kopenhagen 1669, 64–66, abgebil­ det. Die Briefe sind auf den 25. März und 25 Juni 1662 datiert und an Bartholinus adressiert. Borri, Epistolae duae; siehe auch Ole Borch, »Oculi humores excussi redeunt, non ex adventitio per siphones infuso, sed ex defluente a cerebri vasis liquore«, in: Acta medica et philosophica Hafniensia Annorum 1671 et 1672, Kopenhagen 1673, 151–154. Ole Borch hatte in Leiden studiert und wurde später Professor in Kopenhagen. Zwischen 1660–1665 besuchte er die Niederlande und traf dort mit Nicolaus Steno, Johannes Glauber (1604–1670), Giuseppe Borri und Comenius zu­ sammen. Weiterführend: Luigi Belloni, »Il ciarlatano F. G. Borri (1627–95) e la rigenerazione degli umori oculari«, in: Simposi clinici Ciba II/4 (1965), xlix–lvi; Cosmacini, Medico ciarlatano, 104–107.

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darin, die »erschöpfte Augenflüssigkeit zu ersetzen«, indem man »einem Thier das Auge ausdrückte/ und einen Schnitt in den humorem aquosum thäte/ (worbey aber in acht zu nehmen/ dass der nervus opticus noch auch ein anderer humor dürffte verletzet werden/ und selbiges hernach wieder restituierte, (…) [indem] man in die Wunde Safft von Chelidonia majora, das ist/ Schwalben= oder Goldwurz (…) tropffete.«34 Bartholin behauptet, dass die anfänglichen Versuche an Tieren (d.i. an Gänsen, Katzen und Schafen) derart erfolgreich waren, dass man die Behandlung zuletzt auch bei Menschen anwendete; er selbst sei dabei Augenzeuge gewesen.35 Entsprechend schreibt Borri, dass »brutorum hominum­ que oculos ad pristinum statum tam feliciter restitui Amstelodami«36, dass er also schon in Amsterdam sowohl bei Tieren wie Menschen den ungetrübten Zustand des Auges glück­ lich wiederherstellen konnte (in diesem Zusammenhang fällt das Wort palingenesis). Der Erfolg Borris, so erläutert es dessen enger Freund und Vertrauter Ole Borch, beruhte auf dessen Fähigkeit, eine enge Verbindung zwischen einer »Lichtphilosophie« und einer »Ophthalmiatrik« herzustellen. Die operative Seite hat man sich dabei wie folgt vorzustellen: Mit einem dünnen Skalpell oder einer Nadel wurde in die vordere Augen­ kammer gestochen, und deren Flüssigkeit wurde von Borri mit den Fingern herausge­ drückt (»[…] molli digitorum pressione humores tantum ab illis eliciuntur«37). In einem zweiten Schritt versuchte er, eine »Regeneration der Augenflüssigkeit« einzuleiten, indem er ein iatrochemisch zubereitetes Heilwasser in die leere Augenkammer tropfte.38 Das Heilwasser bestand bestenfalls aus drei Zutaten: Zunächst gewann Borri ein Extrakt des Schöllkrauts (Chelidonia), einem milchsaftigen Mohngewächs, das als ophthalmologi­ sches Heilmittel galt, und dieses wurde wohl auch mit einer geringen Menge Vitriol versetzt. Im zweiten Bericht wird außerdem erwähnt, dass das Vitriol in Oro potabile gelöst werden sollte, einer alchemistischen Universalmedizin, von der man glaubte, sie würde die Heil­ kräfte des Pflanzenextrakts potenzieren und eine Regeneration der Körpersäfte einleiten.39

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In Mailand hatte Monconys vom Kanonikus Manfredo Settala (1600–1680) Genaueres über Bor­ ris ophthalmologische Experimente erfahren. Das Zitat fährt fort: »(…) und deckte es hernach mit ein wenig Träbern (avec un peu du marc [= Hülsen von ausgebrautem Malz o. Ä.]), oder dem zurückgebliebenen dicken/ zu habe aber dabey acht/ dass die Operation auff Marmor geschehe/ und das Thier im geringsten nicht daran rühre oder es aufreisse/ welches/ wenn mans nicht ver­ hindert/ gar leicht geschehen kann/ indem das Ding jucket.« Monconys, Beschreibung seiner Reisen, 906. Dies ist unwahrscheinlich. Belloni gibt an, dass Borri sich in Kopenhagen davor hütete, die Expe­ rimente an menschlichen Augen auszuführen. Frederik III, König von Dänemark (1609–1670), bat ihn um die Behandlung eines Pagen, der sein Augenlicht verloren hatte, und Bartholinus zeigte ihm seinen Neffen, der von einem Schlag seiner Stute erblindet war. In letzterem Fall will Borri eine Verletzung des Sehnervs erkannt haben, die eine Regeneration des Gesichtssinns un­ möglich machte. Nach Belloni, »Il ciarlatano«, liii. Borri, Epistolae duae, 36. Ebd., 49. Cosmacini, Medico ciarlatano, 104. Im späten 16. und 17. Jahrhundert zählte die Verabreichung leicht ätzender Augenwasser zu den üblichen Behandlungsmitteln bei Augenkrankheiten, dann allerdings verstanden als äußerlich angewandte Reinigungsmittel und nicht als Injektion, vgl. Richard Banister, Diseases of the Eyes,

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AUGEN ÖFFNEN

Mit dem Schöllkraut wiederum hatte es in alchemistischen Kreisen eine besondere Be­ wandtnis: Zum einen sei Chelidonia aufgrund ihrer heilkräftigen Wirkung eine »Him­ melsgabe« (lat.: coelidonum), zum anderen wurde sie etymologisch mit der »Schwalbe« (griech.: chelidon, χελιδών) in Verbindung gebracht. Diese sammelt, so will es die Legende, die Blätter des Schöllkrauts,, um mit dem Saft die Augen ihrer blinden Kinder zu bestrei­ chen (»aqua illa acuit haud dubiè visum«).40 Die Linderung, die einem Patienten mit ge­ schwächtem Augenlicht in dieser Legende versprochen wurde, hatte sich Borri zum Ziel gemacht. Seine Operation sollte eine Verjüngung und Umwandlung der krankhaft ver­ dickten Augenflüssigkeit einleiten, die durch Zuführung des Heilwassers neue Sehkraft erlangte. Auch das Vitriol war aus okkulten Gründen ausgesucht worden, Borri erklärt dies genau: Der Name Vitriol bestehe aus den Anfangsbuchstaben des kabbalistischen Satzes Visita interiora terrae, rectificando invenies occultum lapidum, fungiere also zu­ gleich wie eine magische Formel, die den Sublimierungsakt begleitet und unterstützt: Siehe in das Innere der gereinigten Erde, und du wirst den geheimen Stein, die wahre Medizin finden.41 Ole Borch wiederum vergleicht den durch die Augenoperation eingeleiteten

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London 1622: »Among the remedies used by female quacks are alum and vitriol (…). They fail to send their patients to an experienced ophthalmologist if their treatment remains unsuccessful, they use an eye wash which is too acid.« Nach Julius Hirschberg, Geschichte der Augenheilkunde, Leipzig 1899–1912, § 319. Vgl. auch Banister, Diseases of the Eyes, 59: »They will dress the eyes with some sharpe water of Allom, Copperisse, or such.« Bei Banisters Traktat handelt es sich um die englische Übersetzung von Jacques Guillemeaus Des maladies de l’oeil (Paris 1585), einem Schüler Ambroise Parés. Ein Rezept »Wider den Staar und Augen­Weh« findet sich auch in Mon­ conys, Beschreibung seiner Reisen, 589: »Man lasse Eyer auff Kohlen­Feuer harte werden/ schneide sie in zwey Theile/ nehme den Dotter heraus und lege in das Hohle des weissen von weissen Kupferwasser als eine Bohne groß/ nebst doppel so viel Zucker Candi, lege die andere Helffte des weissen oben drauff/ drücke es zusammen in ein leinen Tüchel/ und streiche mit ei­ nem Federgen das herausgehende Wasser in das schadhaffte Auge.« Das Rezept hatte Monconys im Juli 1663 von einem Herrn Longin erhalten (»Er versteht etwas in der Chymie«). Ebenda. Als »Oro potabile« oder »Trinkgold« wiederum wurde kolloidales Gold bezeichnet, d.i. Sole (Kolloide) aus winzigen Goldpartikeln mit einem Durchmesser von 2 bis 100 nm. Charakteri­ stisch für kolloidales Gold ist die tiefrote Farbe, die durch die kleine Goldpartikelgröße zustande kommt; bei größeren Partikeln wechselt die Farbe ins Schmutziggelbe. Seit dem Mittelalter be­ kannt, wurde es vor allem von Paracelsus als Universalmittel gepriesen: »Unter allen Elixieren ist das Gold das höchste und das wichtigste für uns, denn es kann den Körper unzerbrechlich erhal­ ten. Trinkbares Gold heilt alle Krankheiten, es erneuert und stellt wieder her.« Goldkolloide wur­ den u. a. zur Rotfärbung von Gläsern verwendet. Borch, »Oculi humores«, 153. Ähnliches zum Schöllkraut bereits bei Dioskorides, Mat. med. II, xciv, und bei Plinius, N.H. XXV, 50. Zuvor hatte Aristoteles angegeben, dass Schwalbenaugen nachwachsen, wenn man sie bei jungen Vögeln aussticht (G.A. 774 b 25). Eine weitere Legende rankt sich um den sogenannten lapis chelidoniae. Verzehrt und verdaut nämlich würde sich das Schöllkraut in den Schwalbenmägen in kleine weiße und rote (in einer anderen Version in rote und schwarze) Steine verwandeln, die in alchemistischen Experimenten verwendet wurden, um Quintessenzen herzustellen, oder in der Medizin, um den Gesichtssinn zu schärfen: »sô man [den Stein] in wazzer wescht, sô klært er diu augen und scherpft daz gesiht.« Von Megenberg, Buch der Natur, VI/17, 440 (»Von dem swalbenstain«). Eine Abbildung z. B. in Ulisse Aldrovandi, Musaeum metallicum, Bologna 1648, 791. Auch De Mayerne hatte ein »Aqua coerulea ad oculos« entwickelt, dem Chelidonia zugegesetzt wurde. MS Sloane 2048, British Library, London, fol. 62v. Das Akronym war in alchemistischen Traktaten weit verbreitet. Bei Vitriolen handelt es sich all­ gemein um kristallwasserhaltige Sulfate zweiwertiger Metalle.

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99a, b | Giuseppe Francesco Borri, Epistolae duae. I. De cerebri ortu & uso medico. II. De artificio oculorum humores restituendi. Ad Th. Bartholinum, Kopenhagen 1669, II, 65–66.

Heilungsvorgang mit einem chemischen Prozess: Das Auge ähnele einer Retorte, und die Infusion des Heilwassers soll das entnommene Kammerwasser nicht einfach ersetzen, sondern dazu führen, frische Flüssigkeit aus dem Gehirn zu ziehen und in die Kammer zurückfließen zu lassen. Auf diese Weise regeneriere sich die Augenflüssigkeit und ver­ jünge sich der Gesichtssinn. Für die eigentliche Operation verließ sich Giuseppe Borri auf Instrumente, die er von Rocco Mattioli, dem Chirurgen des österreichischen Erzherzog­ paars Ferdinand Karl (1628–1662) und Anna de’ Medici (1616–1676), zur Verfügung ge­ stellt bekommen hatte; sie wurden von ihm außerdem für das konventionelle Starstechen verwendet. Hier konnte der Katarakt mithilfe eines spitz zulaufenden hohlen Rohrs an­ gesaugt werden, während die fein gewundenen Goldfilamente eines weiteren Instruments die Verdickung »vel interciperent vel omninò in frustilla discerperent«42, also entweder

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Borri, Epistolae duae, 53. Zur Vorgehensweise beim Starstechen siehe Hirschberg, Augenheilkunde, § 314–322. Als zusätzliche Heilmethoden beziehungsweise als Mittel zur Stärkung des Gesichtsinns wurden empfohlen: die Einnahme von Pillen; die Einhaltung einer speziellen Diät, um die Feuchtigkeit des Auges zu regulieren; Augenwasser zum Auswaschen der Augen (unter Verwendung verschiedener Destillate); Augensalben; Dampfbäder für das Auge; mit Heilwassern getränkte Kompressen; das Tragen von Edelsteinen (z. B. Jaspis) oder Kräutern (z. B. Wegwarte) in kleinen Amuletten oder auf der nackten Haut. Zahlreiche Rezepte finden sich in: Georg Bartisch, Ophthalmodoyleia, das ist/ Augendienst, Newer und wolgegründter Bericht von Ursachen und Erkentnüs aller Gebrechen/ Schäden und Mängel der Augen und des Gesichtes, Dresden 1583. Für eine Diskussion der damals üblichen Praktiken danke ich Tawrin Baker.

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vollständig abtrennen oder in einzelne Teile zerkleinern konnten. In Amsterdam ist Otto Marseus van Schrieck wahrscheinlich auf letztere Weise von Borri behandelt worden.

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AUGENTROST Im 17. Jahrhundert konnten Namen beredt sein: Der stets als sehr umgänglich beschrie­ bene Goedaert beispielsweise hatte sich seinen Namen zur zweiten Natur gemacht – er kann mit »gutartig« oder, wenn man will, auch mit »aus guter Erde« übersetzt werden (Art, Beschaffenheit [aerd], Erde [aerd[e]]). Vielleicht ist es deshalb nicht falsch, seine Stilleben, hergestellt aus pharmakeia, als wohltuenden Augentrost zu bezeichnen. Die Vorstellung von Kunststücken als Oogentroost (Euphrasia) war in den Niederlanden si­ cherlich vor allem seit Constantijn Huygens’ Veröffentlichung des berühmten gleichnami­ gen Gedichts in der Sammlung Kornblumen (1658) schwungreich belebt worden. Anlaß für das Gedicht war die Verfinsterung des Augenlichts einer engen Freundin des Dichters – Lucretia van Trello (ca. 1590–1663) – gewesen, und Huygens’ »Absicht war nun zu zei­ gen, dass meist alle Menschen blind sind im Erkennen ihrer wahren Interessen.«43 Sein Gedicht sollte Lucretia sehend machen, wenngleich hier ein innerer Blick gemeint war, der die Dinge in reinerem Licht erscheinen und die Außenwelt nebensächlich werden ließ. Aber auch ophthalmologische Werke des 17. Jahrhunderts führten den Begriff im Titel, und dann gab es die vielen Wortspiele zum »Augenglas«, die sich nicht nur auf die zur Scharfsicht verhelfende Brille, sondern auch auf jene kleinen Glasbehälter bezogen, die man zum Reinigen und Ausspülen der Augen benutzte, und die im Zeitalter der Glaubens­ spaltung im übertragenen Sinn vor allem als Kur für die spirituelle Blindheit der (jeweils anderen) Konfession gemeint waren.44 Im alchemistischen System war der Zusammenhang zwischen einer »Lichtphiloso­ phie« und einer »Ophthalmiatrik«, wie Borri sie in seiner Augenbehandlung anstrebte, immer schon gegeben. In Heinrich Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeterna von 1602 beispielsweise gibt es eine phantastische Tafel mit einer »kosmologischen Darstellung des alchemistischen Werks in der Form eines Augapfels. Aus der Pupille, dem makrokos­ mischen vierelementischen Chaos taucht der kugelförmige Lapis auf als die renovierte kleine Welt. Um die anstehende ›Renovierung‹ der Welt darzustellen, bedient sich die Illu­ stration im weiteren der alchemistischen Tiersymbolik und damit auch einer Farbsym­ bolik: ›Der Vogel repräsentiert die Phasen des Werks. Er ist zusammengesetzt aus Rabe (Putrefactio), Schwan (Albedo), Pfau (Phase der Buntheit) und Phoenix (Rubedo).‹«45 Ro­

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Friedrich Otto, Die Gesamtliteratur Niederlands, Hildburghausen, Amsterdam & Philadelphia 1838, 239. Auch in ophthalmologischen Traktaten finden sich »Augentrostgedichte«, vgl. Richard Banister, A Treatise of One Hundred and Thirteene Diseases of the Eyes and Eye-Lids, London 1622 (»to console a patient«), 35. So beispielsweise von Jacob Schalling, Ophthalmia, sive Disquisitio hermetico-galenica de natura oculorum (…) Augentrost, darinn von Natur, sichtbaren Bildnissen, Kranckheiten vnd Artzeneyen der Augen trewlich vnd fleissig gehandelt wird, Erfurt 1615. Alexander Roob, Das hermetische Museum. Alchemie und Mystik, Köln 2011, 103.

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100 | Kupferstich von Paullus van der Doort in: Heinrich Khunrath, Amphitheatrum sapientiae aeterna, Hanau 1609 [Hamburg: s.n., 1595], o. P. Für Doorts Stich »Heinrich Khunrath in seinem Labor«, der ebenfalls in diesem Band erschien, lieferte Hans Vredeman de Vries die Vorlage.

bert Fludd (1574–1637) wiederum vergleicht die Zusammensetzung des Auges mit einem Ei, entsprechend der mittelalterlichen Auffassung, derzufolge das Auge aus drei verschiede­ nen Kondensationsformen der Körperflüssigkeit bestand, und deutet sie entsprechend der alchemistischen Transformationslehre.46 »Das Auge des Menschen [ist] ein Abbild der Welt und alle Farben darin [sind] in Kreisen angeordnet.«47 46

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»1. Der eisartige linsenförmige Bereich ist durchsichtig und von mittlerer Härte; 2. der wässrige, weißliche Bereich umschließt den ersten wie das Eiweiß den Dotter; 3. der glasartige, glänzende Bereich versorgt die beiden ersteren mit Nahrung aus dem Blut.« Übersetzung Roob, nach Robert Fludd, Utriusque cosmi historia, Oppenheim & Frankfurt 1617–1621, II. Zu Fludds Sphärenmo­ dell und kosmischer Ikonographie vgl. jüngst Wilhelm Schmidt­Biggemann, »Bilder des Unsicht­ baren. Robert Fludds Konzeption des Weltgeists«, in: Göttler & Neuber (Hg.), Spirits, 197–210; zu Fludds Farbkreis (1626) vgl. u. a. John Gage, Colour and Culture. Practice and Meaning from Antiquity to Abstraction, Boston, Toronto & London 1993, 9. Fludd, Utriusque, II. Weitergehend: »Das Augenweiß entspricht dem Ozean, der die ganze Welt von allen Seiten umschließt; eine zweite Farbe dem Festland, das der Ozean umschließt oder das zwischen den Wassern steht; eine dritte Farbe in der mittleren Region: das ist Jersualem, die

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Seelentrost via Augenheilung: Der Saft der Chelidonia war Bestandteil von Borris ophthalmologischem Extrakt, er wurde als Heilwasser in das Auge getropft.48 Die Pflan­ zen­ und Tiersymbolik von Chelidonia und chelidon lässt nun aber auch die Anwesenheit von Schwalben in den gemalten Naturstücken des 17. Jahrhunderts in neuem Licht erschei­ nen, denn sie treten als traditionelle Boten des Zeitenwechsels und der Auferstehung ebenso in Erscheinung wie als Verheißung eines geschärften und sublimierten Gesichts­ sinns. In einem Waldbodenstilleben, das Abraham Begeyn (ca. 1637–1697) zugeschrieben wird und im unteren Bereich viel verwelktes Blattwerk zeigt, sitzen beispielsweise eine Schwalbe und ein Goldfink einträchtig nebeneinander auf einem Ast. Häufiger jedoch taucht der Distelfink alleine in den Gemälden auf. Schon in Jan Davidsz. de Heems Großem Teich jagt er die scala naturae des Baumstamms hinab, um einem schillernden Eisvogel zu be­ gegnen; bei seinem Schüler Abraham Mignon findet er sich dann mit Abstand am häufigs­ ten. Stieglitz, Distelfink und Goldfink aber sind nur verschiedene Namen desselben Vogels, dessen Gefieder zum Beispiel in einem Erdbodenstilleben von Mathias Withoos so golden aufleuchtet, dass man sofort an das wertvolle Edelmetall denken muss. Das Bild lässt sich alchemistisch entschlüsseln: Als chthonisches Element hat Withoos in der unteren Bild­ hälfte die braune Kröte aus Otto Marseus’ Schweriner sottobosco übernommen, neben der er zusätzlich eine Eidechse postiert hat; oben thront der Goldfink auf der Spitze eines künstlich wirkenden Pflanzenarrangements.49 In einem Blumenstück, das im nahen Um­ kreis Otto Marseus van Schriecks entstanden ist, verkörpert dann eine Sonnenblume die erfolgreich vollzogene transmutatio, mit der Eidechse am Boden als Ausgangselement Mercurius. Ihm ist im Hintergrund eine Szene aus den Metamorphosen angefügt: Aktaion trifft auf Diana. Vielleicht mag damit anklingen, dass wir gerade einem arcanum beiwoh­ nen, einem Geheimnis oder einer Verwandlung.50

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Mitte der Welt. Eine vierte Farbe aber, die Schau des ganzen Auges selber (…) ist Zion, der Mittel­ punkt von allem, darinnen sichtbar wird die Erscheinung der ganzen Welt.« Der Name leitete sich von der lateinischen Bezeichnung für Glas (vitrium) ab, da Vitriole im frischen Zustand eine entfernt farbige Ähnlichkeit mit Glas haben. Nach Arnold Fr. Hollemann, Nils Wiberg & Egon Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie, Berlin & New York 2009, 583. Ein alchemistischer Vergleich wurde durch den Farbwechsel bestätigt. Tatsächlich wechselt seine Farbigkeit in etwa derselben Abfolge wie die des Farbspektrums des Regenbogens: Die Auf­ lösung frischen Vitriols sieht zunächst meergrün aus und wird dann sehr bald gelbgrün, gelb, rotgelb. Vgl. z. B. Krünitz, Ökonomische Encyclopädie, CCXXVI, 184–238. Vgl. Bocchi, Pittori di natura morta, 57, Abb. MW.6. Eine andere Zuschreibung durch Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 403, Tafel 3: »Pieter Withoos, zugeschr., Erdbodenstilleben mit Kröte und Eidechse in einer Landschaft, Leinwand 101 × 80,3 cm, Privatsammlung.« Steensma, Otto Marseus van Schrieck, 358, Kat.­Nr. B2.26. Die Sonnenblume wird von einer Distelpflanze flankiert. Mohn und Distel aber gehören in der paracelsistischen Medizin zu den wichtigsten Arzneipflanzen, vgl. Paracelsus, VII, 89 (»Von dem englischen Distel [carduus angli­ cus]«, in: Herbarius. Von den Heilwirkungen der Nieswurz, der Persicaria, des Salzes, der EngelDistel, der Korallen und des Magneten, in: Paracelsus. Sämtliche Werke, hg. v. Karl Sudhoff & Wilhelm Matthießen, 14 Bde., Hildesheim, Zürich & New York 1996 [München & Berlin 1922– 1933], II, 35): »Dise wurz des englischen distels ist dermaßen in ir natur, so sie in irer operation ist, welche gleich dem mon ist, so zeucht sie von einem andern die kraft aus und gibt’s dem, der sie tregt zu der selbigen zeit. nun hierin so wissen, wie das natürlich beschehen mag. nun merken am ersten, alles das die kunst vermag zu tu im liecht der natur, das vermag die natur auch zu tun on

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101 | Mathias Withoos, Erdbodenstilleben mit Kröte und Eidechse in einer Landschaft, Öl auf Leinwand, 101 × 80,3 cm, Privatsammlung.

die kunst. als ein exempel. ich sez, die kunst vermag ein arznei und kraft zu nehmen und aus zu ziehen den kreutern und die selbigen dem menschen zu geben, als dan mit der arznei probirt wird, das man nimbt von den kreutern und gibts den kranken. nun vermag die natur widerumb auch, die arznei zu nehmen im wasser, in der erden, im gestirn und sie fassen in das corpus, kraut oder stein. und als dan, was sie do uberal genomen hat, dem menschen zu geben in ein kraut oder sa­ men.« Zum Mohn vgl. z. B. Paracelsus, VII, 275 (»De papavere«, in: In macri poemata de virtutibus herbarum, radicum etc., in: Paracelsus, Sämtliche Werke, III, 421): »Opium est succus papa­ veris, so man papaver in der milch austruckt, und exiccirt secundum artem. et valet contra venena, quia maximum est arcanum et ingredines quoque in theriacam, etc.« Auch in zwei frühen Stücken Otto Marseus’, die sich im Palazzo Madama, Rom, befinden und Vögel mit metallisch schillerndem Gefieder zeigen oder jenen Zweikampf zwischen Chamäleon und Schlange, der von einem roten Kardinal bekrönt wird, wirkt alchemistisches Bildvokabular deutlich hinein – die Farben leuchten aus dem dunklen Bildfeld wie Edelsteine. Viele Naturstücke des 17. Jahrhunderts weisen eine mehr oder weniger untergründige hermetische Ikonographie auf, die mit einer christologischen kombiniert wird. Dem bei De Heem und Mignon regelmäßig auf­

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102 | Umkreis Otto Marseus van Schrieck, Waldbodenstilleben mit

Diana und Aktaion, 67 × 72 cm, Öl auf Leinwand, Alte Pinakothek, München, Inv.­Nr. 4957.

tauchenden Eisvogel beispielsweise wurde nachgesagt, sein farbig changierendes Federkleid würde sich nach seinem Tod ständig mausern. Albertus Magnus, Konrad von Megenberg und Konrad Gesner erzählen, dass der dem toten Eisvogel abgezogene und an die Wand geheftete Balg sich alljährlich erneuere, weswegen der Vogel regelmäßig mit Vorgängen von Auferstehung und Regeneration, aber auch mit einer immaculata conceptio in Verbindung gebracht wurde: »Ge­ main läut waenent, wer dem toten vogel die haut abzieh mit den ferdern und spanne si an ain want, so mauze sich diu haut all jar, reht als an dem lebentigen eisvogel.« Von Megenberg, Buch der Natur, III/B.43, 202 (»Von dem Eisvogel«). Plinius (N.H. X, 47) und Isidorus (Etym. XII, 7:25) zufolge beruhigte sich die stürmische See während seiner Brutzeit an der Küste auf ungewöhnli­ che Weise – Grund, diese Tage dies halcyonides (nach lat.: halcyon, Eisvogel) zu nennen. Vgl. dazu auch Wolfgang Harms, »Der Eisvogel und die halkyonischen Tage. Zum Verhältnis von na­ turkundlicher Beschreibung und allegorischer Naturdeutung«, in: Verbum et signum. Festschrift für Friedrich Ohly, hg. v. Hans Fromm, Wolfgang Harms & Uwe Ruberg, 2 Bde., München 1975, I, 477–515.

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103a | »Putrefactio mit Kröte und Schlange am Boden der Retorte«. Alchemistisches Manuskript aus dem

16. Jh., British Library, MS Egerton 845, fol. 16r.

103b | Kröte und Lebensbrunnen, in: Claudio de’ Domenico Celentano di Valle Nove, Prima medicina

nostra ex natura est composita, Neapel 1606, The Getty Research Institute, Los Angeles, Manly Palmer Hall Collection of Alchemical Manuscripts, 950053 box 22, fol. 17r.

Innerhalb des hermetischen Vokabulars jedenfalls gelten Schlange, Frosch, Kröte schon lange als symbolische Repräsentationen des Putrefaktionsvorgangs und der Regene­ rierung von Materie aus der Fäulnis. Pamela Smith hat in diesem Zusammenhang einmal eine Abbildung eines alchemistischen Manuskripts gezeigt, in der die Erdtiere am unteren Ende eines vas hermeticum sitzen, während sich im Inneren des Gefäßes die Vereinigung der beiden entgegengesetzten Prinzipien vollzieht, dargestellt als die Hochzeit eines Liebes­ paars, vollzogen im Koitus als coniunctio, während aus der Öffnung des Kolbens ein Vogel hervorsteigt – ähnlich findet sich die Kröte als Ursprung eines Lebensbrunnens in vielen alchemistischen Manuskripten.51 Dies ist das in Variationen immer wieder auftauchende Bild der putrefactio, die zur alchemistischen transmutatio führt, denn »die Fäulung ist ein wunderbarer Schmied«, welcher die Elemente ineinander überführt.52 Der Goldfink am oberen Ende des Baumstumpfs stünde dann als Zeichen für einen geglückten Ausgang des Versuchs, das Erdreich samt seiner unedlen Stoffe in einzelnen Stufen zu transzendieren 51 52

Smith, Body of the Artisan, 119. »Solche Veränderungen macht sie ohne Unterlaß so lange bis Himmel und Erde zusammen in ei­ nen glasigen Klumpen schmelzen.« Anton Josef Kirchweger, Aurea catena, Leipzig 1781.

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AUGENTROST

und eine kraftvolle Synthese der Einzelelemente einzuleiten. Das untere Ende wiederum dient als Basis des Sublimierungsvorgangs, der in der dunklen Stufe der Fäulnis, in der die Dinge ihre Kohäsionskraft verloren haben und zerfallen, seinen Ausgang nimmt; mit der erdverbundenen Kröte sowohl als Komplement wie als Konterpart des ätherischen Vogels. Denn die Kröte, so heißt es in Michael Maiers Symbola aurea mensae von 1617, »steht im Gegensatz zur Luft, sie ist ein dieser entgegengesetztes Element, nämlich die Erde, die sich langsamen Schrittes bewegt, und nie vertraut sie sich einem ande­ ren Element an. Der Kopf ist schwer und blickt zur Erde. Aus diesem Grunde be­ zeichnet sie die philosophische Erde, die nicht fliegen kann, da sie fest und solide ist. Auf ihr als Basis und Fundament ist das goldene Haus zu errichten. Wenn es beim Werke die Erde nicht gäbe, würde die Luft davonfliegen, weder hätte das Feuer seine Nahrung, noch das Wasser sein Gefäß.«53 Ähnlich vergleicht Kenelm Digby die Kröte mit einem Magnetstein, der die in der Luft befindlichen Salze zu sich hinabzieht und zu einem Körper vereint, denn die Gegensätze ziehen sich an: »And, the Loadstone or Manges, of a like substance (though nothing near so pure) that is in the Earth, the creeping Toad there, sucks and pulls down this flying Dragon to it; and both of them become one body.«54 Denn »man kann kein Ding, das schwer ist, leicht machen ohne Hilfe der leichten Ding. Auch können die leichten Ding nicht niedergedrückt werden ohn Beistand der schweren Ding. (…) Machet also die Körper geistlich und was fix ist machet fliehend.«55 Vielleicht wird deshalb auch in Marseus’ Schweriner sottobosco die einen Schmetterling verschlingende Erdkröte von einer leuch­ tenden blauen Blume begleitet, die aus dem Moder hervorgegangen ist und nun heilende Kräfte entfaltet. Innerhalb der alchemistischen Symbolik steht die braune Kröte regel­ mäßig stellvertretend für das braungraue Antimonium (Terra nigra, Plumbum mortuum oder Saturnus philosophorum, »Spießglanz« bzw. Lapis occultus56), das als Ausgangsstoff des stufenweise angelegten Veredelungsvorgangs galt. Als Tiersymbol für Quecksilber (Mercurius) wiederum hatte sich schon lange die Eidechse durchgesetzt, die wegen ihrer blitzartigen Beweglichkeit den Eigenschaften des

53 54

55 56

Michael Maier, Symbola aurea mensae, Frankfurt 1617. Digby, Vegetation of Plants, 224–225. Im Bild wird das dialektische Schema auch an anderen Stellen aufgegriffen: Um den Baumstamm rankt sich eine Trichter­ oder Purgierwinde, vor dem sich kontrapunktisch ein giftiger und sich vielfach verfärbender Aaronstab (ebenfalls aus einem Schweriner Gemälde Otto Marseus van Schriecks übernommen) hervorschiebt. Pseudo­Aquinas, Aurora consurgens, Anfang des 16. Jahrhunderts, zitiert nach Robb, Hermetisches Museum, 195. Der Stein war zu diesem Zeitpunkt mit vielen mystischen und magischen Eigenschaften versehen worden. Als Haupteigenschaft wurde ihm die Verwandlung von niederen Metallen in Gold und Silber zugeschrieben, ebenso wie die Fähigkeit, via Einnahme alle möglichen Krankheiten zu hei­ len und das Leben künstlich zu verlängern. Andere Eigenschaften umfassten die Herstellung un­ unterbrochen brennender Lampen oder die Transmutation einfachen Glases in wertvolle Steine und Juwelen sowie die Erzeugung von weichem und knetbarem Glas. Vgl. das Synonymregister in Schneider, Lexikon, 117.

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104 | Otto Marseus van Schrieck, Sottobosco mit Kröte und Blauer Winde, signiert und datiert O.MARSEUS. D S 1660, Öl auf Leinwand, 53.7 × 68 cm, Staatliches Museum Schwerin, Inv.­Nr. 154.

quecksilbrigen Elements so nahe kam.57 Sie taucht am unteren Rand von Withoos’ Bild auf, neben der die fliegenden Falter herabziehenden Erdkröte. Tatsächlich finden sich zahl­ reiche Textstellen für den merkurialen Charakter der Eidechse als silbrig helles Gegenbild zur Schwärze der Erdkröte und zum feuchten Zustand der Materie. Im Liber secreto des Pseudo­Albertus Magnus beispielsweise hatte man ihre Flinkheit festgestellt und dazu geraten, für die Beleuchtung eines Hauses den Schwanz einer Eidechse abzuschneiden und die daraus hervordringende Flüssigkeit aufzusammeln, denn »sie ist wie Quecksilber« und würde, wenn man den Docht einer Lampe damit befeuchtet, »das Haus hell und weiß oder wie mit Silber überzogen« erscheinen lassen. Und im populären Handbuch Rechter Gebrauch der Alchimei gibt es mehrere Rezepte zur Metallveredelung durch das Verbrennen von Eidechsen, oder wie hier, durch deren »Aushungern«, wobei die »Eidechsen« erneut als Synonym für das am Anfang des alchemistischen Prozesses hinzugezogene »lebendige Silber« stehen: »vnnd nimm neun mollen [mhd.: mol, molle = Eidechse]/ vnd th u˚ sie in den hafen mit der milch/ vnnd den sturz darüber/ grab in mitt der milch in die erden die da feucht sei/ vnnd das der sturtz mit dem loch ob der erden sei/ das die moll lufft 57

Pamela H. Smith, »Vermilion, Mercury, Blood, and Lizards: Matter and Meaning in Metalwork­ ing«, in: Materials and Expertise in Early Modern Europe: Between Market and Laboratory, hg. v. Ursula Klein & Emma Spary, Chicago 2010, 29–49, hier 46.

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GOLD UND SILBER

haben m˚ogen das sie nitt sterben/ laß sie stehn biß an den sibenden tag nach mit­ tag/ so nimm den hafen mit den mollen herauß/ so haben sie den messing vor hunger ausfressen/ vnnd die groß gifft zwingt den messing/ das er sich m˚uß wan­ deln zu˚ golt.«58 Das Quecksilber der Eidechse nagt und sättigt sich am Messing des verwendeten Ge­ schirrs, erläutert der Schreiber dem Leser, so dass durch vorsichtiges Erwärmen und Ver­ brennen der »Eidechsen« sowie durch anschließendes Abkühlen und Trocknen der Mixtur ein feiner Goldstaub (»gut ˚ calx solis«) entsteht. Damit wird unedles Metall in edles über­ führt, und die Eidechse etabliert sich als populäre Chiffre für ein in Gold sich verwandeln­ des Argentum vivum. An solche Gleichnisse lassen sich natürlich erneut theologische Les­ arten anschließen. Dass die Eidechse auf einer christlich­symbolischen Ebene mit der jungfräulichen Gottesmutter in Beziehung gesetzt wurde, hat jedoch nicht nur mit ihrer Verbindung zu (Queck­)Silber zu tun, sondern auch mit ihrer angeblich ungeschlecht­ lichen Zeugung. Es ist eben kein Zufall, dass spontan erzeugte Tiere innerhalb der Alche­ mie so wichtig werden. Obwohl sie der niedrigsten Stufe der Naturhierarchie angehören, bringen sie asexuell generierte Geburten hervor, entsprechend der chemischen Zusam­ menführung von Wärme und Feuchtigkeit. Überhaupt wird die gesamte barocke Urzeugungs­ debatte aus alchemistischer Sicht dann relevant, wenn ihre Protagonisten die Regenerations­ bzw. Generierungsfähigkeit der Materie selbst zuschreiben, allerdings mit dem Hinweis, dass sich ein spiritus darin eingeschlossen hat, den es zu befreien gilt. Die Eidechsen und Schnecken, die der Muttergottes als Attribute mitgegeben werden, haben mit eben diesem Gedanken zu tun, auch ohne Geschlechtlichkeit zeugen und gebären zu können – wenn­ gleich aus einem der Materie beigegebenen seminalen Prinzip heraus.59

GOLD UND SILBER Stets bewegen sich die Tier­ und Pflanzensymbole in einer christlich­hermetischen Dop­ peldeutigkeit. Eine christliche Lesart beispielsweise hätte in der Kombination von Gold­ fink, Winde oder Distelstrauch entweder Hinweise auf Christus und die Passionsgeschichte vermutet oder aber die Distel als Mariendistel erkannt; die implizite Botschaft wäre dann 58

59

Pamela H. Smith hat zur alchemistischen Ikonographie der Eidechse verschiedene Quellen zu­ sammengetragen, siehe Smith, »Vermilion«, 46. Vgl. hier: Anonym., Rechter Gebrauch der Alchimei/ Mitt vil bisher verborgenen uund lustigen Künstien/ Nit allein den fürwitzigen Alchmisten/ sonder allen kunstbaren Werckleutten/ in und ausserhalb feurs. Auch sunst aller menglichen inn vil wege zugebrauchen, Frankurt a. M. 1531, fol. XIII. Der Debatte haftet in dem Moment ein ketzerisches Moment an, in dem man andeutet, dass auch Christus als urgezeugtes Wesen gelten kann. Nur durch Beibehaltung der Prädestinationslehre und die Versicherung göttlicher Einschlusstechniken in die Materie kann ein solcher Lapsus ver­ mieden werden. In einem Brief von 1666, der ihm beinahe zum Verhängnis wurde, lässt sich Giu­ seppe Francesco Borri über diesen Punkt ausgiebig aus und verteidigt nicht nur die Idee des Ho­ munkulus aus der Sicht der Paracelsisten, sondern zwischen den Zeilen auch Vorstellungen autoerotischer Fortpflanzung beziehungsweise eines »grande coito universale«. Cosmacini, Medico ciarlatano, 120.

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die der Erlösung und Auferstehung gewesen. Der Distelfink aber, zunächst ein christologi­ sches Symbol, kann seiner Bedeutung nach mühelos in ein alchemistisches Register wech­ seln und zum Gold(­fink) sowie zum »König« und Stein der Weisen werden. Mit der Ma­ riendistel erscheint die Himmelskönigin im Bild, und dem Betrachter wird die unio, die Vereinigung der entgegengesetzten Prinzipien, wie eine Erwartung vor Augen gestellt: »Der Ätherhimmel war allen Menschen verschlossen, so dass sie zur Hölle hinun­ tergingen und dort ewig gefangen blieben. Aber Christus Jesu hat die Pforte des ätherischen Olymps geöffnet und das Plutonische Reich aufgeschlossen, damit die Seelen befreit würden, als im jungfräulichen Geheimnis und tiefsten Sakrament, die Jungfrau Maria jenes empfing, was das Herrlichste im Himmel und auf Erden war; (…) Die Jungfrau aber blieb unverletzt und unversehrt; daher wird der glor­ reichsten göttlichen Jungfrau Maria nicht ohne Grund der Mercurius gleichgestellt. Denn Mercurius ist Jungfrau, weil er im Bauch der Erde niemals irgendeinen me­ tallischen Körper vermehrt hat und dennoch uns den Stein erzeugt durch die Lösung des Himmels; d.h. er öffnet das Gold und führt die Seele heraus (…).«60 In der alchemistischen Verwandlung der Metalle strahlt Maria wie Mercurius in silber­ nem Glanz und bereitet die Erscheinung des Goldes vor, während die stärkste Strahlkraft Christus als »Sol Invictus« zugeschrieben wird. Die Sonnenmetaphorik konnte auf eine lange Tradition zurückblicken; sie verantwortete die apollinischen Züge im Christusbild. War sie erst einmal formuliert, breitete sie sich, ohne auf Widerstand zu stoßen, in alle Bereiche der theologischen und naturphilosophischen Traktatliteratur aus. So waren bei­ spielsweise in Isidor von Sevillas (ca. 560–636) De natura rerum neoplatonische und christliche Sonnenkonzepte einflussreich miteinander verwoben worden. Vor allem aber Macrobius (385/390–nach 430) gilt als wichtige Referenz, wenn er in seinen Saturnalia den christlichen Gott mit der Sonne gleichsetzt. Isidor hatte dies übernommen und aus­ geführt, wie die Sonne zu Christus’ modus operandi wird, um Lebens­ und Heilkraft in die Welt zu bringen, ihm dergestalt die Rolle des Schöpfers und Erneuerers verleihend.61 Die Sonne oder der Morgenstern werden mit dem göttlichen Licht gleichgesetzt, wobei der von Homer als »unvergleichbarer Arzt« bezeichnete Asklepios – apollinisch, königlich auch er – die Sonnenstrahlen als Vermittler der göttlichen Wohltat, die bis zur Erde reicht und die negativen dämonischen Kräfte zu tilgen vermag, zur Heilung der Kranken ein­ setzt.62 60

61 62

Conrad Waldkirch, Artis auriferae quam chemiam vocant, 3 Bde., Basel 1593, I/10, 575–631. Siehe dazu auch Rudolph Werner Soukup & Helmut Mayer, Alchemistisches Gold. Paracelsistische Pharmaka, Wien, Köln & Weimar 1997, 222. Der alchemistische Sublimierungsvor­ gangs setzt sich aus folgenden Stufen zusammen: Putrefactio – Calcinatio – Sublimatio – Destillatio – Solutio – Digestio – Cohabatio – Fermentatio. Macrobius, Saturn. XV, 3; siehe Isidorus de Seville, Traité de la Nature, hg. v. Jacques Fontaine, Bordeaux 1960, 237–243. So in Hermetica. The Greek Corpus Hermeticum and the Latin Asclepius in a New English Translation, hg. v. Brian P. Copenhaver, Cambridge 1992, 59–61. Dazu ausführlicher: Ursula Szula­ kowska, The Alchemy of Light. Geometry and Optics in Late Renaissance Alchemical Illustration,

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GOLD UND SILBER

Auf einer alchemistischen Erzählebene geht dem erlösenden Sonnengleichnis stets die Leidensgeschichte einer sogenannten »Marter der Metalle« voran, so dass es zu einer Parabel auf die Bereitung der zerstörerischen Feuchtigkeiten durch saturnische Faulung und die Erneuerung mit dem merkurialen Prinzip gerät. Es greifen Narrative verschiede­ ner Herkunft ineinander: Wie Apoll die Erdschlange Python zum Verrotten brachte und dadurch ein neues Zeitalter einleitete, so wird Fäulnis zum Ausgangspunkt einer neuen, veredelten Herrschaft. Die alte wird als saturnisch beschrieben und mit dem Zustand des Menschen nach dem Sündenfall verglichen: »Sehet«, sagt Jakob Böhme (1575–1624), »im Saturne liegt ein Gold verschlossen. Also auch desgleichen der Mensch lieget jetzt nach seinem Falle in einem groben, ungestalten, viehischen toten Bildnis verschlossen. Er ist wie der grobe Stein im Saturno, der äußere Leib ist ein stinkender Kadaver, weil er noch in dem Gifte lebt.«63 Der Sündenfall in die Materie wird also mit einem groben Bildnis ana­ log gesetzt, das kaum über Gestalt verfügt, vergleichbar den Ungeschöpfen der Niederwelt. Doch während Saturn den giftigen Anfangszustand der prima materia, den rohen chaoti­ schen Ausgangsstoff darstellt, bedeutet Sol dessen endgültige Reifung nach dem Durch­ lauf aller sieben Sphären. Damit ist die pharmazeutische Lesart der Sonnensymbolik wohl etabliert: Durch die Kraft der feurigen Strahlen wird die tödliche Wunde, die Adams Fall aufgerissen hat, wieder »heil und die ganze Erde wunderte sich«. Der französische Alche­ mist Nicolas Flamel (ca. 1330–1413/1418) beispielsweise führte dies sehr bildhaft aus: Das Licht »reisset und erlöset den Menschen aus dem Jammertal, das ist: aus dem Verdruß der Armut, der Krankheit und erhebt ihn mit seinen Flügeln mit Lob und Ehre aus den stin­ kenden Gewässern.«64 Der saturnischen Nacht folgt eine Sonnenherrschaft, die nun auch eine Herrschaft des göttlichen Sohnes ist. Denn dass es in den alchemistischen Schriften stets auf einen Generationswechsel hinausläuft, der eingeläutet werden muss, ist offen­ sichtlich. Der Sohn muss, wie es wiederholt heißt, den Vater oder König töten, sein Blut sammeln und ihm eine Grube bereiten, aus der etwas Neues sprießen kann. In einer be­ eindruckenden Kupferstichserie der Pretiosa Margarita (Venedig 1546) des Janus Lacinius wird der Ablauf genau geschildert. Dort erbitten Sohn und Diener vom König die Macht über das Reich, im Anschluss erfolgt der Königsmord als alchemistisches Gleichnis der notwendigen Aufhebung bestehender Formen. In einer quasi­saturnalischen Wende werden Hierarchien umgekehrt und eine Mortifikation des Alten eingeleitet, ja die Materie selbst soll in ihrem inneren Zusammenhang aufgelöst werden, damit sie neue Verbindungen eingehen kann.

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Leiden 2000, 32. Siehe außerdem Emma J. Edelstein & Ludwig Edelstein, Asclepius. Collection and Interpretation of the Testimonies, Baltimore 1945; Karl Kerényi, Der göttliche Arzt. Studien über Asklepios und seine Kultstätten, Darmstadt 1956. Jakob Böhme, De signatura rerum (Von der Geburt und der Bezeichnung aller Wesen), o. O. 1635 [1622]. Nicolas Flamel, Chymische Wercke, Ausgabe Hamburg 1681, mit eingeflochtenen Textstellen aus der Offenbarung 13, 3. Zur antipodischen Figur von »Sumpfmann und Engel« vgl. u. a. Jörg Völl­ nagel: Alchemie. Die göttliche Kunst, München 2012, Abb. 67.

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105 | Aus Fäulnis entsteht Schöpfung. »Sumpfmann und Engel«, Illustration des Splendor solis. Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 D 3, 1531/32, fol. 16.

Das Ziel einer Erneuerung und Verjüngung des Bestehenden muss allerdings ge­ nauer gefasst werden, denn eigentlich geht es weniger um eine Verwandlung als um die Wiedergeburt des Alten im Neuen, wenngleich in sublimierter Form. Tatsächlich »bitten die Diener Gott um die Zurückgabe des Königs«65, heißt es im Text; die neue Erzeugung ist also zugleich eine alte. Das Original wird stets eingefordert, obwohl eine Kopie, ein Ab­ bild, ein Remake es erfolgreich vertritt. Jede verjüngte Lebensform aber ist eine Wieder­ holung der ursprünglichen. In der Theologie erscheint der Vater erneut im Sohn, in der Naturtheorie wird die Art in der Spezies sichtbar, in der Alchemie aufersteht der getötete König wie der Phoenix aus der Asche. Unter diesem Gesichtspunkt wird es verständlicher, mit welcher Nachhaltigkeit Narrative des Sündenfalls oder einer saturnischen Nacht den sottoboschi und Naturstücken des 17. Jahrhunderts eingeschrieben sind und wie sie zuletzt mit den Urzeugungslehren zusammenhängen. Verstehen wir diese Bilder nämlich als Darstellungen fortwährender Zeugung und Regenerationskraft oder auch einfach nur als Orte der dynamischen Sichtbarwerdung von Lebensformen, so bedarf es zunächst einer

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Janus Lacinius, Pretiosa Margarita, Leipzig 1714 [Venedig 1546], 38.

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ZINNOBER

106 | Splendor solis, »Pfauen­

schweif«, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 D 3, 1531/32, fol. 28. Die cauda pavonis zeigt durch die wechselnden Farberscheinungen die stufenweise Umwandlung der prima materia an.

saturnalischen Wende der Umkehrung beziehungsweise Aufhebung der bestehenden For­ men. Fäulnis setzt ein als Gärungsort des Neuen, und dieser Ort ist als ein giftiger aus­ gewiesen. Der Biss der Ungeschöpfe leitet den eigenen Heilungsprozess ein.

ZINNOBER Kommen wir nun auf die Rolle der Farbe zu sprechen. Seit der Antike gelten Farben als Indikatoren einer Stufenleiter der Animationskraft, und ein Farbwechsel wird als Resultat eines Zustandswechsels der Substanzen verstanden. Innerhalb der Alchemie wiederum wurden die Substanzen hauptsächlich über ihre Farbe bestimmt, und Farbveränderungen repräsentierten die verschiedenen Stufen des Opus magnum. Die Verwandlung der Ele­ mente glich einem Weg vom Dunkel zum lichten Silber beziehungsweise zur roten Farbe des Goldes, je nachdem ob durch die Transmutationen unedlen Stoffs nur weißes Elixir (Silber) oder das wertvollere Gold gewonnen werden sollte. Nach paracelsischem Vorbild geschah dies in sieben Farbgraduationen. Ausgangspunkt war meist die Schwärze (nigredo), die mit einem Urzustand der Materie, der materia prima, gleichgesetzt wurde. Nachdem der Prozeß verschiedene Farbstufen, verstanden als gelb­grün­weiß­irisierender »Pfauen­

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schweif«, durchlaufen hatte, signalisierte eine rote Färbung (rubedo) die erfolgreiche Überführung der Ausgangssubstanzen in einen veredelten Zustand. Dabei wurde die schon seit der griechischen Alchemie als Schwärzung (melanosis, μελανοσις), Weißung (leukosis, λευκοσις), Gilbung (xanthosis, ξανθοσις) und Rötung (iosis, ιοσισ) beschriebene Farbfolge aufgegriffen und weiter differenziert. Die Bedeutung, die den Farben des alche­ mistischen Prozesses beigemessen wurde, trat besonders in der ausgeklügelten farblichen Gestaltung der symbolischen Darstellungen der verschiedenen Stadien des Opus hervor. Besonders häufig ist die Durchführung einer Transmutation in sieben Stufen, so bei Pseudo­Paracelsus und in Stephan Michelspachers Cabala, speculum artis et naturae in alchymia (1654), oder zwölf Stufen etwa bei George Ripley (ca. 1415–1490), und der Wechsel konnte zuweilen durch die Glaswand eines vas hermeticum, d. h. eines Kolbens oder einer Retorte verfolgt werden.66

66

Zum stufenweisen Übergang der Farben im Verlauf einer alchemistischen Transmutation: Ähn­ lich der antiken, u. a. der aristotelischen Licht­ und Farbtheorie, zu der man eine Analogie her­ stellte, verstand man das alchemistische Experiment als einen Weg vom Dunkel ins Licht und die chromatischen Veränderungen als darin aufscheinende ontologische Stufen oder Stationen. Vgl. Karin Figala, »Opus Magnum«, in dies. & Priesner, Alchemie, 261–262; die darin erwähnten Quellen sind: Pseudo­Paracelsus, De natura rerum, o. O. 1572; Stephan Michelspacher, Cabala, speculum artis et naturae in alchimia, Augburg 1615; George Ripley, »Liber duodecim portarum«, in: Theatrum chemicum, 6 Bde., Oberursel & Straßburg 1602–1661, III (1659), 797ff. Vgl. auch die Anleitung zu »Colours to be Observed in the Operation of the Great Work«, in: Aurifontia Chymica, or, A Collection of Fourteen Small Treatises Concerning the First Matter of Philosophers, for the Discovery of Their (Hitherto So Much Concealed) Mercury. Which May Have Studiously Endeavoured to Hide, but These to Make Manifest, for the Benefit of Mankind in General, London 1680, 92–95: »YOU must expect to have it exceeding Black, within 40 days after you have put your Composition into the Glass over the Fire; if it be not black, proceed no further, for it is unrecoverable: it must be as black as the Ravens Head, and must continue a long time, and not utterly to lose it during five months./ If it be Orange colour, or half Red, within some small time after you have begun your Work, without doubt your Fire is too hot; for these are tokens that you have burnt the Radical humour and vivacity of the Stone./ Know ye not, that you may have Black or anything mixed or compounded together with moisture: But you must have Black which must come and proceed of Perfect Metalline Bodies, by a real Putrefaction, and to continue a long time./ As for the colours of Blew and Yellow, they signifie that the Solution and Putrefac­ tion is not yet perfectly finished, and that the colours of our Mercury are not yet well mingled with the rest./ The Black aforesaid is an evident sign, that in the beginning the Matter and Com­ position doth begin to purge it self, and to dissolve into small Powder, less than the Motes in the Sun; or a glutinous Water, which feeling the heat, will ascend and descend in the Glass: at length it will thicken and congeal, and become like Pitch, exceeding Black; in the end it will become a Body, and Earth, which some call Terra foetida; for then by reason of the perfect Putrefaction, it will have a scent or stink like unto Graves newly opened, wherein the Bodies are not thorowly consumed. Hermes doth call it Terra foliis, but the proper name is Leton, which must be blanched and made white./ This blackness doth manifest a Conjunction of the Male and Female, or rather of the four Elements./ Orange colour then doth shew that the Body hath not yet had sufficient diges­ tion, and that the humidity (whereof the colours of Black, Blew, and Azure do come) is but half overcome by the dryness./ When dryness doth predominate, then all will be white Powder: It first beginneth to whiten round about the outward sides of the Glass; the Ludus Philosophorum doth say, that the first sign of perfect whiteness, is the appearing of a little hoary circle passing upon the Head, shewing it self round about the Matter on the outward sides of the Glass, in a kind of Citrine colour.«

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107a–d | Pretiosissimum Donum Dei des Georgius Aurach, 17. Jh. Mit den alchemistischen Trans­

formationsstufen von solutio, solutio perfecta, rosa alba und rosa rubea. Bibliothèque de l’Arsenal, Paris, MS 975.

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Im alchemistischen Opus wird die erste Stufe stets mit der Farbe Schwarz ange­ zeigt. Sie entspricht dem Stadium anfänglicher Putrefaktion und leitet den Transformati­ onsvorgang ein, darin vergleichbar den sottoboschi, in denen die Naturformen aus dem dunklen Malgrund als einer ebenso morbiden wie fruchtbaren terra foetida hervortreten. Die Farbe Schwarz signalisiert einen Ort der Verwesung, der zugleich einem neuen Leben Nahrung zuführt, und in ihrer Aufgabe des gleichzeitigen Auslöschens alter und Hervor­ bringens neuer Formen gleicht sie nicht zuletzt einem Gottesacker (das Bild des geöffneten Grabes findet sich regelmäßig in solchen Ausführungen). In einem englischen Handbuch des 17. Jahrhunderts heißt es deshalb wie folgt: »The Black aforesaid is an evident sign, that in the beginning the Matter and Com­ position doth begin to purge it self, and to dissolve into small Powder, less than the Motes in the Sun; or a glutinous Water, which feeling the heat, will ascend and de­ scend in the Glass: at length it will thicken and congeal, and become like Pitch, ex­ ceeding Black; in the end it will become a Body, and Earth, which some call Terra foetida; for then by reason of the perfect Putrefaction, it will have a scent or stink like unto Graves newly opened, wherein the Bodies are not thorowly consumed.« 67 Es verwundert nicht, dass Sir Kenelm Digby kurz zuvor die Farbe Schwarz eine »wach­ sende Farbe« genannt und sie mit dem Grün verglichen hatte, und zwar aufgrund der Ent­ stehung beider aus der Verbindung von Wärme und Feuchtigkeit. Aus einer derart frucht­ baren Allianz hervorgegangen wird diesen Farben eine biogenetische Kraft zugesprochen, denn tatsächlich handele es sich bei ihnen um die Einfärbung beziehungsweise Verdunke­ lung des wärmenden Sonnenlichts, wenn es auf eine große Menge an Feuchtigkeit treffe: »Black, as also greene (which is neere of kinne to blacke) are growing colours, and are the dye of heate incorporated in aboundance of wett.«68 Wollte man deshalb eine Art Skala der Fertilität und Prokreativität der Farben erstellen, so könnte man das unterschiedliche Ver­ hältnis zwischen Wärme und Feuchtigkeit zum Gradmesser ernennen. Alle Farben ent­ stehen aus unterschiedlichen Zusammensetzungen der Elemente und aufgrund verschie­ dener Anteile von Wärme und Kälte, Trockenheit und Feuchtheit: »Orange colour then doth shew that the Body hath not yet had sufficient digestion, and that the humidity (whe­ reof the colour of Black, Blew, and Azure do come) is but half overcome by the dryness.«69 Das zugrundeliegende Farbschema will ich im nächsten Kapitel besprechen, aber es sei schon soviel gesagt, dass auf derselben Basis im alchemischen Vorgang zunächst der in al­ len Farben changierende »Pfauenschweif« durchlaufen wird, bevor er bei geglücktem Aus­ gang in der die Farbenvielfalt erneut zusammenfassenden Farbe Weiß endet. Im Anschluss kennzeichnet ein Hinüberspielen in eine gelbe Färbung jene Phase des Prozesses, in der der Perfektionsgrad des natürlichen Goldes erreicht ist (»the sign of perfect whiteness […]

67 68 69

Ebd., 94–95. Ebenda. Ebd., 95.

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ZINNOBER

108a–c | In der Phase der »Nigredo« wird die

Materie durch Fäulnis aufgelöst und auf ihre Grundstrukturen zurückgeführt; derart gerät sie zur fruchtbaren Muttererde. In der Phase des »Pfauenschwanzes« weicht die Schwärze dem Spiel der Farben. Manuskript des Donum Dei, British Library, London, Sloane MS 2560, 2. Hälfte 15. Jh., fols. 8, 10 & 12.

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109a, b | Gemäß der Schwefel­Quecksilber­Theorie gilt es, die beiden Substanzen so zu mischen, dass daraus das rote Elixir entsteht. Manuskript des Donum Dei, British Library, London, Sloane MS 2560, 2. Hälfte 15. Jh., fol. 7. Nach der Phase der »Nigredo« und dem Farbenspiel des Pfauenschwanzes entsteht aus der Asche eine Blume, die das erblühende Werk anzeigt. Ebd., fol. 15. Nach Völlnagel, Alchemie, 63.

shews itself in a kind of citrine Colour«70). Damit jedoch ist dieser Prozess nicht zu Ende: Der lapis philosophorum selbst erscheint zuletzt als roter Stein, denn »Rot ist die perfekte Farbe, rotes Gold demnach quasi übernatürlich perfektes Gold, was wiederum identisch mit dem Stein ist. Die Farbe Rot steht in der Alchemie für die höchste Vollendung, nicht etwa, wie man annehmen könnte, das dem Gold eigene Gelb.«71 Solche und andere Zitate geben Anlaß, über Bedeutung und Wirkung der roten Farbe nachzudenken. Ein Pigment beispielsweise, dem in der Alchemie besondere Bedeutung zu­ geschrieben wurde, war das Zinnoberrot (cinnabaris; minium). Für seine Sonderstellung gibt es mehrere Gründe. Zur Zubereitung verwendete man zwei der drei paracelsistischen Grundelemente – Mercurius (Quecksilber) und Sulphur (Schwefel) –, so dass deren Ver­ bindung von jedem Adepten zugleich als unio der beiden gegensätzlichen Prinzipien von Form und Materie, hyle (ὕλη) und morphe (μορφή), verstanden wurde: Bei der Bereitung des lapis philosophorum »bedeutet der ›Mann‹ meist Sulphur, der mit Mercurius, gleich­ sam als dem Weibe (uxor, Gattin) vermählt wird (= conjunctio).«72 Den chemischen 70 71 72

Ebenda. Priesner, »Farben«. Schneider, Lexikon, 92.

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ZINNOBER

Prozess als Hochzeit zu sehen, die einen Zeugungs­ und Gebärungsvorgang initiiert, geht auf eine alte alchemische Tradition zurück. Farbsymbolisch wird die Hochzeit als eine Ver­ bindung und Mischung von Schwarz und Weiß angegeben; versteht man sie nicht nur als Vermählung ulitmativer Prinzipien, sondern der tatsächlichen chemischen Stoffe Schwe­ fel und Quecksilber, so geht aus ihr Zinnoberrot als Pigment hervor. Schon bei Plinius findet sich ein Passus über die besondere Bedeutung der Farbe, und Cennino Cennini hatte vermerkt, dass das rote Pigment »durch Alchemie, in einer Retorte« entstehe.73 Seine syn­ thetische Herstellung wird u. a. in der Schedula genauer beschrieben: »Wenn du Zinnober zu bereiten wünschest, nimm Schwefel […], zerbröckele ihn auf einem trockenen Steine und gibe zwei Theile Quecksilber hinzu, von gleichem Gewicht auf der Wage. Hast du flüssig vermengt, so bringe ihn in ein Glasgefäss, bedecke es allerseits mit Thonerde, schliesse die Mündung, auf dass kein Dampf entweiche, und setze ihn zum Austrocknen an’s Feuer. Bringe es mitten unter brennende Kohlen, und sobald es warm wird, vernimmst du ein Geräusch von in­ nen, wie nämlich das Quecksilber sich mit dem brennenden Schwefel mengt. So­ bald der Laut verstummt, entferne sogleich das Gefäss, öffne es und nimm die Farbe heraus.«74 Die künstliche Herstellung von Zinnober ist eine der in den mittelalterlichen Manuskripten am häufigsten wiederholten Rezepturen; sie war verhältnismäßig einfach und das Präparat nicht sonderlich teuer. Dennoch, die Dämpfe bei der Erhitzung waren toxisch, ebenso wie das Pigment selbst, das zwar anorganisch und unlöslich ist, aber durch Verschlucken neu­ rotoxische Reaktionen hervorruft. Dessen ungeachtet wurde es in den Pharmazien aufge­ führt, und nicht zuletzt über das Auge konnte die Farbe wie ein medicamen eingenommen werden.75 Es eröffnet sich ein weitreichendes und komplexes semantisches Feld: Farben als pharmakeia, der Maler als Apotheker. Die Assoziationen, Vergleiche und Bilder, die sich einstellen, gehören unweigerlich zu einer Poetik des Bildfelds, die die mineralischen, pflanzlichen und animalischen Substanzen als genuine Ausgangsbasis von Kunst themati­ siert. Dazu gesellt sich jene montane Metaphorik, die den Maler mit einem Bergmann 73 74

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Plinius, N.H. XXXIII, 115; Cennini, Libro dell’arte, XL, 24. Theophilus Presbyter, Schedula diversarum artium, Kap. XLI (»Vom Zinnober«) – sowohl die Datierung der Rezeptkompilation als auch die Identität von Theophilus sind ungeklärt; das Hauptcorpus entstand im 11.–13. Jh. Zur alchemistischen Bedeutung von Zinnober vgl. u. a. Smith, »Vermilion«; Spike Bucklow, The Alchemy of Paint. Art, Science and Secrets from the Middle Ages, London 2009, 77. »Die fabrikmäßige Herstellung künstlichen Zinnobers began erst im 17./18. Jh.« Kühn u. a., Künstlerische Techniken, 21. Im 17. Jahrhundert lag das Zentrum der europäischen Zinnoberproduktion in Amsterdam; zur Herstellung siehe A. F. E. van Schendel, »Manufacture of Vermilion in 17th­Century Amsterdam. The Pekstok Papers«, in: Studies in Conservation 17 (1972), 70–82, mit Wiedergabe eines Manuskripts des holländischen Farben­ händlers Willem Pekstok. Hier vor allem zur inneren Einnahme und als Zinnober­Räucherungen bei Syphilis­Erkrankun­ gen, wobei schon Musa Brassavolus 1551 vor den Gefahren solcher Anwendungen warnte. Auch in Künstlerkreisen ist man sich dessen bewusst, vgl. Peacham, The Art of Drawing, 52: »Our fairest and most principall Red is Vermilion, called in Latin minium, it is a poison.«

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110 | Der Alchemist als Heiler: Der Genesungsprozess vollzieht sich

stufenweise, vom Unterleib ausgehend über den silbernen Oberkörper zum goldenen Haupt. Staatsbibliothek zu Berlin, MS germ. qu. 848, um 1520, fol. 27v.

111 | Der Alchemist als Sämann: Michael Maier, Atalanta fugiens, frz. Abschrift des 17. Jh.s, The Getty Research Institute, Los Angeles, Manly Palmer Hall Collection of Alchemical Manuscripts, 950053 box 27, fol 27r.

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ZINNOBER

gleichsetzt, der sich in den Schoß der Erde begibt, um Gold und Juwelen an den Tag zu be­ fördern. Erst im Licht entfalten sie ihre wahre Farbe und ihren Glanz, wenngleich sie im Dunklen schon potentiell vorhanden waren.76 Weiterhin werden Bilder aus der Agrikultur verwendet: Der Stein der Weisen beispielsweise sei »ein Feld, das der Adept pflügen muss und in das Natur und Kunst ihren Samen hineingelegt haben, damit es Früchte bringe«, heißt es in der hermetischen Literatur. »Alchemical transmutation was seen to operate on the same model as that of sowing seeds«77, erläutert Pamela H. Smith. In einem ersten Schritt löse sich der Same in die prima materia auf, in der er sich dann in weiteren Schrit­ ten erneuerte, vermehrte und in ein edleres Material verwandelte. Derart gingen alle Dinge und Lebewesen aus der prima materia als immer neue Kombinationen der drei Grundelemente oder simplicia »sulphur, sal, mercurius« hervor. Aufgrund der vielfältigen Kombinationen der Elemente unterscheiden sich die einzelnen Lebensformen, wie Paracel­ sus schreibt, ebenso wie ein fruchtbarer Garten unterschiedliche Blüten und Früchte her­ vorbringt. Im Anschluss wird der Vorgang des Blühens und Gedeihens, wie er von einem Bauern oder Gärtner in die Wege geleitet wird, mit der Aufgabe des Malers verglichen. Denn auch der Maler bringt einen Keim oder Samen zur Ausformung und trägt dazu bei, dass sich genus und species ausdifferenzieren. Vor allem aber weil er sich der Farben be­ dienen kann, gelingt es ihm, »ein unzal der figuren und formen« hervorzubringen, »keine der andern gleich«: »So scheit sich ein ietlich art aus in sein genus und species, als wan einer het in ei­ nem sack durch einander aller der samen, so nun auf der welt seind, bei einander. und so ers nun in garten seet, so ist die natur do und gibt einem ietlichen samen sein eigne frucht zum end. (…) als wan ein maler ein farben hat, daraus macht er ein unzal der figuren und formen, keine der andern gleich, also do auch; die natur hats in ir hant wie der maler. alein in dem scheit sich die natur und der maler von ein ander, das die natur lebendig ding macht, der maler tot ding, die natur wesent­ lich ding, der maler schattending.«78 76 77

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Parallel dazu wurden Diskussionen über die Frage geführt, ob es bereits im Dunkeln Farben ge­ ben könne, siehe Henry Guerlac, »Can there Be Colors in the Dark? Physical Color Theory before Newton«, in: Journal of the History of Ideas 47/1 (1986), 3–20. Nach Smith, Body of the Artisan, 136. Dementsprechend interpretiert Jacques van Lennep auch den Ackermann bzw. pflügenden Bauern im Vordergrund von Brueghels Ikarus als Symbol für die »Alchemie als himmlische Ackerwirtschaft der Weisheit.« Jacques van Lennep, »L’alchimie et Pierre Bruegel l’Ancien«, in: Bulletin des Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique 14 (1965), 105–126. Für den Hinweis danke ich Berit Wagner, Frankfurt. Zur Metaphorologie des Gartens vgl. außerdem John Read: »The Gardens of Hermes”, in: ders. (Hg.): Prelude to Chemistry. An Outline of Alchemy, its Literature and Relationships, London 1936, 255–278. Paracelsus, VIII, 343–345 (»De mineralibus liber«), in: Paracelsus, Sämtliche Werke, III, 41–43. Siehe auch ebd., 47, wo der Alchemist als »dispensatoris« beschrieben wird, »der die ding ordnet, die do zusamen gehörent, domit das daraus wird, das daraus werden sol. Der selbig ist nun von got verordnet, der es zusamen füge, und ist archeus naturae.« Vgl. Rudolf Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin 1904 [1899]: »Archeus (Archaeus, ›Herrscher‹) heißt nach Para­ celsus die lebendige, schöpferische, bildende Naturkraft, welche unbewußt in den Dingen als ›fa­ bricator‹ (Meteor. C. 4) wirkt (in den Elementen als ›Vulcanus‹).« Der archeus wird nicht nur mit

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Einmal darauf aufmerksam geworden, begegnet uns das Motiv des Ackerbaus immer wie­ der. »Guter, reiner, fett und milder Acker, nötige Feuchtigkeit zur Faulung und Wachs­ tums­Nahrung, desgleichen Sonnenwärme zur Wachsung und Zeitigung, erfordert jede Saat. Also auch in der Kunst. Erst bereite deinen Samen in der Materi; diese sollst du rei­ nigen (…). So wird der reine Feuer­ und Wassergeist deine Frucht segnen«79, heißt es in zeitgenössischen Texten, denn in alchemistischen Vorgängen geht es darum, eine von Gott unvollendet gelassene Kreation zur Vollendung zu bringen: »Die natur ist so subtil und so scharpf in iren dingen, das sie on grosse kunst nicht will gebrauchet werden; dan sie gibt nichts an den tag, das auf sein stat vollendet sei, sonder der mensch muss es vollenden. Dise vollendung heisset alchimia.«80 In Sendivogius' Novum lumen chemicum (1604) wird Saturn als Gärtner gezeigt, der seinen Garten gießt, um den Metallen Feuchtigkeit zuzu­ führen; in seinem Viridarium chymicum dann vergleicht Daniel Stolcius von Stolcenberg (1600–nach 1640) die chymische Wissenschaft in ihrer ganzen Arbeit mit einem »Ackers­ mann, der sein Feld bereitet und einen Samen drein streuet«. Es ist ein himmlischer Ackerbau, führt er aus, denn hier wird der Materie Sol (Gold) und Luna (Silber) als Gär­ stoff zugesetzt, um sie zu vermehren: »Wenn du die zwei Stücke wohlbekannt wirst wer­ fen auf unser Land: so wird diese Flamm’ lebendig ihre Kräfte geben von sich.« Auch wird »der liebliche Baum nach Gebühr zeitige Früchte geben dir.«81 Auf diese Weise schließt sich der zyklische Lebenslauf zwischen corruptio und generatione: Denn »was du säst wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. (…) Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich (…). Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.«82 Stolcenberg zitiert hier zuletzt aus dem Korintherbrief (15, 36–44), der auch Sir Kenelm Digby und anderen zur Rechtfertigung der Transsubstantionslehre gedient hatte und mit einem barocken Bildbegriff in Zusammenhang gebracht worden war.

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einem »maler«, sondern auch mit einem »eisenschmid« verglichen, »der zusamen bringt, was zu­ samen gehört. Als ein becker, der ein brot backt zusamen nimbt, was zusamen gehört, oder ein weinman, der zum weinbau zusamen nimbt, das zum weinbau gehört. (…) So nimpt er zusamen die simplicia, sulphur, sal, mercurium.« Paracelsus, VIII, 349. Vgl. Van Helmonts Vorstellung ei­ nes »principium vitale et seminale«, das den archeus eines Körpers betreffe, d.h. das die formale Fortbildung eines Organismus vergleichbar einem Maler, Schmied, Bäcker oder Winzer beein­ flusse. M. Barcius & Johann von Sternberg, Hermetisches A.B.C. deren ächten Weisen alter und neuer Zeiten vom Stein der Weisen. Ausgegeben von einem wahren Gott- und Menschenfreunde, Ber­ lin 1778–1779. Paracelsus, Das Buch Paragranum III, 2 (»Der dritte Grundt der Medicin welcher ist Alchimia«), hg. und eingel. v. Johannes Huser, Theophrastus Paracelsus. Bücher und Schriften, Hildesheim 1971, 61. Daniel Stolcius von Stolcenberg, Viridarium chymicum, Frankfurt 1624. Vgl. dazu Ferdinand Weinhandl: »Einführung in die Alchemie des ›Chymischen Lustgärtleins‹ und ihre Symbolik, in: Daniel Stolcius von Stolcenberg: Chymisches Lustgärtlein, Darmstadt 1987 [Frankfurt a. M. 1624], n.p. Von Stolcenberg, Viridarium chymicum.

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SCHNEEWEISS UND ROSENROT

SCHNEEWEISS UND ROSENROT Arbeiten wir von nun an unter der Prämisse, auch Johannes Goedaert habe uns in seinen Stilleben solche Auferstehungsvisionen vorgeführt und damit nicht zuletzt eine Parabel der Verwandlung von Natur in Kunst aufgemacht. Kunstgeschichtlich steht er in einer Tradition der Stillebenmalerei, die mit Jan Brueghel d. Ä. (1568–1625) und Ambrosius Bosschaert d. Ä. (1573–1621) begann und ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte – Goedaert ist schon eher ein später Vertreter dieses speziellen Bild­ typs, wenngleich seine Gemälde weiterhin große stilistische Ähnlichkeiten aufweisen. Können wir deshalb auf einen alchemistischen Hintergrund für die frühen Stilleben rück­ schließen? Wenden wir uns dazu den Anfängen der Stillebenmalerei zu. In einem Stilleben Ambrosius Bosschaerts mit Blumen in einer Wanli­Vase, sig­ niert und datiert AB 1619, Öl auf Kupfer, 31 × 22,5 cm, das sich im Rijksmuseum Amster­ dam befindet, hat der Maler einen Strauß mit prächtigen Tulpen in einer goldverbrämten Vase dargestellt; auf einer Steinplatte liegen eine Nelke sowie ein Alpenveilchen, während dem Rand der prächtigsten Tulpe – weiß­rot geflammt und hoch oben im Zentrum des Bildes – eine kleine Libelle anhaftet. Tautropfen haben sich auf einigen Rosenblättern ge­ sammelt, die zudem angefressen sind, aber solche Zeichen von Verfall finden sich nur auf der unteren Bildhälfte. Von nun an steigert sich die Pracht und Kostbarkeit der Blumen: Die Größe und Leuchtkraft der Rosen, Anemonen und Tulpen nimmt nach oben hin zu. Im Strauß findet sich erneut ein Hornveilchen wie in Goedaerts Stilleben, nur ist es dieses Mal leicht seitlich an den Rand gerückt; ansonsten schweift der Blick zurück zur wertvol­ len Vase, die einmal mit einem blauen Blütendekor verziert war, das heute grün erscheint. Im Infrarot­Reflektogramm kann man sehen, dass Bosschaert die großen Blüten mit einer kräftigen Unterzeichnung versehen hatte, während er kleinere Formen wie die des Veil­ chens und der Narzissen erst nachträglich in den Strauß eintrug. Seit das Rijksmuseum bei einigen Stilleben eine genaue Pigmentanalyse veranlasste und diese Tafel darunter fiel, wissen wir außerdem, dass Bosschaert an vielen Stellen Zinnober verwendete, vor allem aber in der Blüte der roten Anemone, die er zudem mit Karmesinrot abtönte.83 Das ist im Grunde nichts Ungewöhnliches und bleibt zunächst der Malpraxis der Zeit geschuldet, aber mit Blick auf das gesamte Bildvokabular und in Anbetracht wiederkehrender Struk­ turen auch in anderen Stilleben lassen sich die Blumen, ihre Anordnung, ihre Farben nun auch in einem alchemistischen Sinne deuten. In einem der Brueghel­Werkstatt zugeschrie­ benen Blumenstrauß in einem Glasgefäß beispielsweise, das einige typische Motive der Stilleben Jan Brueghels wiederholt, kann man in den Blättern der oberen Tulpe ein phan­ tastisches chromatisches Schauspiel erleben; die Blüte erinnert an eine züngelnde Flamme, deren Farbe zwischen Weiß, Gelb, Rot und Blau changiert. Den unteren Rand des Bouquets markieren erneut giftige Cyclamen, über denen ein Veilchen wie bei Goedaert in der Bild­ mitte sitzt. Eine ganz ähnliche Glasvase lässt sich in einem Stilleben Brueghels im Rijks­ museum ausmachen, und hier schimmert eine gefranste Nelke in weichen Inkarnattönen 83

Vgl. Wallert, Still Life, 50.

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112 | Ambrosius Bosschaert, Stilleben mit Blumen in einer Wanli-Vase, signiert und datiert AB 1619, Öl auf Kupfer, 31 × 22.5 cm, Rijksmuseum Amsterdam.

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113 | Werkstatt Jan Brueghels d. Ä., Blumenstrauß in einem Glasgefäß, Öl auf Kupfer, 22.6 × 18.4 cm, Städel Museum, Frankfurt a. M., Inv.­Nr. 1219.

114 | Jan Brueghel d.Ä., Stilleben mit Blumen in

einem Glas, ca. 1610–1620, Öl auf Kupfer, 24.5 × 19 cm, Rijksmuseum Amsterdam, Inv.­Nr. SK­A­2102.

zwischen Weiß und Rot. Dieses Mal ist ein Zweig silbrigen Heiligenkrauts zwischen die Stiele gesteckt worden, was als Bildmotiv ein wenig ungewöhnlich ist, aber als Chiffre für die Heilkräfte der Hl. Familie die Möglichkeit einer pharmazeutischen Lesart vertieft, während Libelle und Schmetterling zum inzwischen bekannten Bildrepertoire gehören, die Anwesenheit einer aufsteigenden anima oder des freigesetzten spiritus indizierend. Hat man einmal begonnen, die Bildstrukturen auf pharmazeutische beziehungsweise al­ chemistische Motive hin zu durchsuchen, so stößt man auf immer neue Zusammenhänge, die sich um die beiden Pole von Verfall und Aufstieg, Werden und Vergehen, Produktion und Zerstörung herum gruppieren. Selbst Marseus’ unheilvoll wirkendes Braunschweiger Sottobosco mit Nattern erscheint in neuem Licht, wenn man seine dunkle Bildbasis als Inkarnation der putrefactio versteht, aus der die geflammte Tulpenblüte als Verheißung der einsetzenden transformativen Kräfte ersteht. Doch erschöpfen diese und ähnliche Interpretationen die frühen Stilleben tatsäch­ lich? Auffallend ist, dass sich in den Stilleben des 17. Jahrhunderts durchweg ähnliche Bildstrukturen feststellen lassen, und zwar seit Erfindung des Genres.84 Im Miniaturbuch 84

Zu den Anfängen und zur Ausformung der Blumenstillebenmalerei vgl. u. a. Beatrijs Brennink­ meijer­de Rooij, Roots of 17th-Century Flower Painting. Miniatures – Plant Books – Paintings, Leiden 1996; Ausst.­Kat. s’Hertogsenbosch (1982), Een bloemrijk verleden. Overzicht van de Noord- en Zuidnederlandse bloemenschilderkunst, 1600 – heden, hg. v. Sam Segal, Amsterdam 1982; Sybille Ebert­Schifferer, Die Geschichte des Stillebens, München 1998; Ausst.­Kat. Amster­

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115 | Joris Hoefnagel, Pfau zwischen zwei prächtigen Blumenvasen, in: Mira calligraphiae monumenta, 1590er Jahre, Tempera und Tusche auf Papier, 16.5 × 12.5 cm, J. Paul Getty Museum’s Collection, MS 20, fol. 85 (Ausschnitt). Die Kalligraphien waren 1561–62 von Georg Bocskay für Ferdinand I. ausgeführt worden. In diesem Fall wurde das Papier zuerst geweißt, dann wurde die Schrift mit einer durchsichtigen abweisenden Flüssigkeit aufgetragen. Im Anschluss erfolgte die Schwärzung der gesamten Seite mit Tusche. Die Miniaturen wurden von Hoefnagel in den 1590er Jahren eingefügt. Während der Pfau noch farblos erscheint, leuchten die Tulpen und Lilien vor allem der rechten Vase in Gelb­ und Orangetönen.

Rudolfs II. beispielsweise, den Mira calligraphiae monumenta, gibt es eine Illumination Joris Hoefnagels, in der ein Pfau zwischen zwei prächtigen Blumenvasen dargestellt ist. Die Szene ist auf schwarzen Grund aufgetragen; im unteren Bereich verweist die Darstel­ lung zweier Schmetterlinge und einer Libelle auf die Vorstellung einer Erneuerung oder Auferstehung der Naturformen. Auch die frühen Stilleben Roelant Saverys (1576/1578– 1639), Ambrosius Bosschaerts d. Ä. und Jan Brueghels d. Ä., am Hof Rudolfs II. in Prag, in Antwerpen oder Utrecht entstanden, weisen einen alchemistischen und pharmazeutischen Hintergrund auf, und dieser vererbt sich – zumindest der Struktur nach – an die späteren. Häufig genug werden die Blumenvasen von chthonischem Getier wie Eidechsen oder Frö­ schen flankiert, wie zum Beispiel in Saverys Stilleben im Fitzwilliam Museum, Cam­ bridge, dessen farbige Blüten vor dem dunklen Hintergrund wie Juwelen aufleuchten. Und während es dort eine Glasvase ist, so hat in Georg Flegels Stilleben mit Blumen eine golden schimmernde Metallvase den Platz in der Bildmitte eingenommen. Ziegenböcke formen mit ihren Hörnern groteske Henkel, während ein Totenkopf auf der Vase prangt, als sei er das notwendige Pendant zur roten Anemone im Blumenstrauß. Wie aber soll man die dam (1999), Still-Life Paintings from the Netherlands 1550–1720, hg. v. Alan Chong & Wouter Kloek, Amsterdam 1999; Ausst.­Kat. Frankfurt & Basel (2008/09), Die Magie der Dinge – Stilllebenmalerei 1500–1800, hg. v. Jochen Sander, Ostfildern 2008.

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116 | Roelant Savery, Stilleben mit Blumen in

einem Glas, Eidechse, Frosch und Libelle, signiert ROELANDT SAVERY EE und datiert 1637, Öl auf Kupfer, 36 × 29.2 cm, Fitzwilliam Museum, Cambridge, Inv.­Nr. PD.19­2002. 117 | Georg Flegel, Stilleben mit Blumen,

ca. 1604, Öl auf Holz, 22.5 × 15 cm, Fitzwilliam Museum, Cambridge, Inv.­Nr. PD.12­1996.

118 | Jan Brueghel d. Ä., Stilleben in einer irdenen Blumenvase, signiert BRVEGHEL, ca. 1607/1608, Öl auf Holz, 60.3 × 42.2 cm, Fitzwilliam Museum, Cambridge, Inv.­Nr. PD.20­1975.

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Anwesenheit eines Laubfroschs, der auf den Golddukaten sitzt, sowie eines Käfers, einer Schnecke, einer Muschel neben Metallen und Halbedelsteinen, anders verstehen als eine Parabel auf die Verwandlungskräfte der chthonischen oder basalen Naturelemente durch Kunst, sei es nun die des Adepten, des Goldschmieds oder des Malers? Neben Brueghels Irdener Blumenvase, die sich ebenfalls im Fitzwilliam Museum in Cambridge befindet, liegen ein kostbares Geschmeide, ein wertvoller Ring, einige einzelne Juwelen wie achtlos abgelegt auf dem Tisch. Deren Pracht aber konkurriert mit dem farbigen Glanz der aus allen Jahreszeiten zusammengetragenen Blumen und Blüten, für die ja selbst einmal mineralische oder organische Pigmente die Ausgangsbasis gebildet haben.85 Auch in Italien entstehen im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts Stilleben mit alchemistischem Gepräge, sei es vom sogenannten Meister der Grotesken Vase oder von Tommaso Salini (1575–1625) und anderen. Hier formen sich erneut bizarre, der Unterwelt entsprungene Wesen zu üppigen Henkeln und Schäften von Vasen, deren Bäuche mit fruga­ len Szenen bemalt oder verziert sind – mit einer Venus und Amor beispielsweise, oder einer Heimsuchung. Sogleich aber muss diese Beobachtung um mindestens zwei Aspekte er­ weitert werden, nämlich dass sich die alchemistischen und pharmazeutischen Auslegun­ gen der Stilleben parallel zu heilsgeschichtlichen bewegen beziehungsweise mit ihnen im genuinen Verbund stehen, und außerdem, dass es sich bei ihnen nicht einfach um ikono­ graphische Deutungen von Bildmotiven handelt, sondern dass sie vielmehr bildstrukturell zu verstehen sind und das Bildkonzept als ganzes tangieren. Ein Beispiel für eine solche Reichweite der Interpretationen wäre zum Beispiel die Frage, inwiefern sich die materielle Ebene der Bilder in die semantische einschreibt. Wahrscheinlich ist sie allenfalls dialek­ tisch zu behandeln, in dem Sinne, dass sich die eine Bedeutungsebene in der anderen im­ pliziert beziehungsweise diese jene expliziert, und man sich also die Bedeutungsebene eines Bildes im gleichen Moment materiell realisiert vorzustellen hat. Sogesehen geht es nicht 85

Zum Wettstreit zwischen gemalten Blumen und Edelsteinen hat sich Brueghel in einem Brief an Kardinal Federico Borromeo (1564–1631) geäußert: »Sotto i fiori ho fatto una Gioia con manefa­ tura de medaiglie, con rarita del mano. Metta poi VS Ill.mo per judicare, se le fiori non passeno ori et gioii.« Brief vom 25. August 1606, in: Giovanni Crivelli, Giovanni Brueghel, Pittor fiammingo o sue lettere e quadretti esistenti presso l’Ambrosiana, Mailand 1868, 74–75; die korrigierte Transkription in: Stefania Bedoni, Jan Brueghel en Italia e il collezionismo del Seicento, Florenz & Mailand 1983, 111–112 («Unter den Blumen habe ich ein Prunkstück mit Münzen gemalt sowie mit einer erlesenen Handarbeit. Euer Ehren müssen selbst urteilen, ob nicht die Blumen Gold und Edelsteine übertreffen”). Auch Borromeo kommentierte diesen »Streit«: »Für nicht geringer wird der Streit der Blumen angesehen, deren Wert der Künstler, Brueghel selbst, mit einer besonders liebenswürdigen Erfindung angezeigt hat. Er malte nämlich am Fuße der Vase einen Diamanten, bei dessen Anblick wir das verstanden haben, was wir auch sonst gedacht hätten: der Wert dieses Werkes entspricht dem Wert der Juwelen« (»At florum pugna non minor spectatur, quorum pre­ tium Artifex ipse Bruguelus lepidissimo commento indicavit. Pinxit enim in imo vase adaman­ tem, quo inspecto intellexissimus id, quod etiam alioqui statuissemus; gemmarum scilicet aesti­ mationi indicaturum par esse operis huius pretium.« Federico Borromeo, Musaeum, Mailand 1625, 26). Vgl. Barbara Welzel, »Wettstreit zwischen Kunst und Natur. Die Blumenstilleben von Jan Brueghel d. Ä. als Triumph des Bildes«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 65/3 (2002), 328 und 340. Zu Borromeos Patronage vgl. Arlene Quint, Cardinal Federico Borromeo as a Patron and Critic of the Arts and his Musaeum of 1625, New York & London 1986.

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119 | Jan Brueghel d. Ä., Stilleben mit Blumengirlande, 1618, Öl auf Holz, 47.5 × 52.5 cm, Musées royaux

des Beaux­Arts de Belgique, Brüssel.

120 | Tommaso Salini, Blumenvase mit dem Wappen der Familie Spada, Öl auf Leinwand, 75 × 60 cm, Privatsammlung. 121 | Tommaso Salini, Blumenvase mit dem Wappen des Kardinals Poli, Öl auf Leinwand, 75 × 60 cm,

Privatsammlung. Salini war der Onkel Mario Nuzzis und der erste große Vertreter der römischen Stillebenmalerei.

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allein um motivische Entschlüsselungen, sondern um ein Verständnis des Bildfelds als Ort natürlicher und künstlicher Transformationen (die sich unter anderem in Farben äußern).86

FALL IN DIE MATERIE Ich möchte mich auf ein besonderes Beispiel konzentrieren, und zwar, weil es alchemisti­ sche Motive mit denen des Sündenfalls verbindet und uns so an den tellurischen Aus­ gangspunkt unserer Überlegungen zurückbringt. Im Kunsthandel ist vor kurzem ein Ge­ mälde aufgetaucht, das nach einer Generalreinigung die Signatur Nicolaes Lachtropius’ freigab und nun zu den wenigen gesicherten Werken des sich ansonsten als Kutschenmaler und Metbrauer verdingenden Meisters gehört.87 Das erwähnte Gemälde zeigt eines der ambitioniertesten Waldbodenstilleben des Künstlers. Um den Stiel einer Mariendistel win­ den sich Malven, eine Ackerwinde und Tulpen. Schmetterlinge flankieren das Blumenarran­ gement, während sich im moosigen Erdreich Pilze, eine Schnecke, eine Eidechse und eine Natter versammeln (letztere sind deutlich von Otto Marseus van Schrieck übernommen). Das untere Zentrum wird zur Bildmitte hin von einem Rebstock weitergeführt, zwischen dessen Trauben und Weinblättern einige Distelfinken sitzen, während das Gebilde nach oben hin von einem Zweig leuchtend goldenener Aprikosen bekrönt wird. Erst auf den zweiten Blick fällt die im Dunkel des Bildhintergrunds versunkene Darstellung der Urszene des ersten Menschenpaars auf. Nach ihrer Vertreibung aus dem 86

87

Eine Allegorie des Feuers Jan Brueghels beispielsweise, die ebenfalls für Kardinal Federico Borro­ meo bestimmt war und in der Ambrosiana hängt, zeigt eine vulkanische Schmiede, in der alle möglichen Kunstgegenstände und Waffen hergestellt werden. In der unteren rechten Bildecke hat Brueghel auf einigen miniaturhaft dargestellten Töpfen und Gefäßen die Namen alchemistischer Elemente eingetragen, die zuweilen zugleich Pigment und Arznei sein können: »Some medical bottles are visibly labelled with the names of potent alchemical elixirs: potable gold (aurum potabile), water of paradise (aqua paradisi), and a tincture made from corals.« Darauf hat Christine Göttler hingewiesen, vgl. dies., Last Things. Art and the Religious Imagination in the Age of Reform, Turnhout 2010, 381, sowie ebenda, Fußnoten 10–12: »Aurum potabile was believed to pro­ tect against the plague. See, for example, Thomas Erastus, Disputatio de auro potabili, Basel 1575; Benedictus Figulus, Pandora magnalium naturalium aurea et benedicta, Strasbourg 1608; Francis Anthony, Apologia veritatis illucescentis pro auro potabili, London 1616. – Aqua paradisi is described in Francis Bacon’s New Atlantis as ›very sovereign for health and prolongation of life‹. (…) For the tincture made of corrals, see Conrad Khunrath, Medulla destillatoria et medica, Leipzig 1594.« Ich danke Gregor J. M. Weber für den Hinweis. Die wenigen überlieferten sottoboschi des Malers lehnen sich motivisch an Otto Marseus van Schrieck an, während sich seine Blumenbouquets und Früchtestilleben stilistisch ebenso wie bis in die Übernahme einzelner Motive auf Willem van Aelst zurückführen lassen. Ansonsten ist von Lachtropius wenig bekannt. Ab 1656 war er in Am­ sterdam tätig, ab 1689 wurde er in Alphen am Rhein nachgewiesen, vgl. weiterhin Wurzbach, Künstler-Lexikon, II, 1, sowie Gemar­Koeltzsch, Holländische Stillebenmaler, III, 575; Alphon­ sus Petrus Antonius Vorenkamp, Bijdrage tot de geschiedenis van het Hollandsch stilleven in de 17 eeuw: Proefschrift ter verkrijging in de letteren en wijsbegeerte aan de Rijks-Universiteit te Leiden, Leiden 1933, sowie Weyerman, Levens-beschryvingen, III, 309, wo ein Gemälde im Be­ sitz des Delfter Portraitmalers Thomas van der Wilt erwähnt wird. Siehe auch W. M. C. Regt, »Lachtropius«, in: Nieuw Nederlandsch biografisch woordenboek, X, 499, wo Lachtropius als Re­ monstrant auftritt.

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FALL IN DIE MATERIE

Paradiesgarten bearbeiten sie mit Spaten und Schaufel das Erdreich, um es zu kultivieren. Wir können diese Szene so deutlich lesen, weil Lachtropius sie aus einem Stich Pieter Jansz. Saenredams (1597–1665) nach Abraham Bloemaert (1566–1651) aus der Adam-undEva-Serie übernommen hat, dessen Inskription von einem gefallenen Zeitalter spricht, in dem nichts als Erde und Gestrüpp existierte, die Häuser aus Stroh und Palisaden gezim­ mert waren und Erdhacke und Spindel zu den ersten Werkzeugen der Menschheit gehör­ ten: Horrida iam dumis tellus, et decolor aetas/ Stramineas habitare casas, et figere cervos/ Suadebat, terramque rudi tentare ligone,/ Longaque versato diffundere stamina fuso.88 In einer Kopie des Blattes ist der Sinn noch deutlicher gemacht und die graphische Darstellung um ein »verlorenes Paradies« erweitert worden: Die Schlange kriecht nun auf dem Boden, beobachtet von einer Katze und einem Adler. Es gibt keine Freiheit mehr, heißt es in der Unterschrift, alles steht unter Zwang. Der Tod herrscht über das Erdreich, das mit Werkzeugen mühselig bearbeitet werden muss, um fruchtbar zu werden. Das klingt, als wäre das Narrativ des Sündenfalls entsprechend einer abfallenden Linie angeordnet worden, die ihren Ursprung an einem paradiesischen Ort genommen hat, über den sich allenfalls ex negativo, als Verlust sprechen lässt. Im späten 16. und 17. Jahr­ hundert jedoch hatten so unterschiedliche Charaktere wie Guillaume de Salluste Du Bar­ tas (1544–1590), John Milton (1608–1674) und Athanasius Kircher gesehen, dass man das Paradies zunächst einmal verlieren muss, um es über den Umweg des Lebens zurückzuge­ winnen. Ihrer Meinung nach kann sich der Mensch nur über die Erkenntnis des Bösen in einer als durchweg gut verstandenen göttlichen Schöpfung seinen eigenen Platz sichern, das ist aufgrund der Wahlfreiheit zwischen einem göttlichem und einem davon abgefalle­ nen Sein. Es gehört deshalb zu einem Grundzug des 17. Jahrhunderts, die Existenz des Bösen als notwendige Kategorie des menschlichen Daseins zu akzeptieren, und in diesem Sinne wurde sie in die jeweiligen Wirklichkeitsentwürfe implementiert. In Miltons Paradise Lost (1667) beispielsweise findet sich diese Denkfigur besonders ausgeprägt. An einer Stelle im XII. Buch hegt Adam den Zweifel, ob seine Verführbarkeit durch die Schlange wirklich fatal oder in gewisser Weise nicht doch auch ein Segen gewesen sei. Ohne den Biss in den Apfel der Erkenntnis gäbe es keine Menschheitsgeschichte, die christliche Inkar­ nation und Auferstehung wäre nie geschehen, die Erlösung der Menschheit durch gött­ 88

Der hochformatige Stich wird in Marcel G. Roethlisberger, Abraham Bloemaert and His Sons. Paintings and Prints, 2 Bde., Doornspijk 1993, I, 123–125, als Nr. 76 verzeichnet, d.i. als Nr. 5 der Adam­und­Eva­Serie. Roethlisberger gibt den Text wieder mit: »Horrida iam dumis tellus, et de­ color aetas/ Stramineas habitare casas, et figere cervos/ Suadebat, terramque rudi tenare ligone,/ Longaque versato diffundere stamina fuso.« (»The earth, now with horrible thornbushes, and the vitiated age led people to live in straw huts, erect palisades, till the ground with the rough hoe, and thread long yarn with a rounded spindle.«) Es gibt drei Kopien des Blattes, von denen hier Nr. 3 abgebildet ist (= ebd., 124: Kopie 3, Abb. 134, publ. von Claes Claesz. Visscher II [1649–1702], nach 1682, 374 × 513 mm). Der beigegebene Text lautet: IN SUDORE VULTUS TUI VESCITOR CIBO, DONEC REVERTARIS IN HUMUM, CUM EX EA DESUMTUS FUERIS (Genesis 3, 19), ergänzt durch den niederländischen Text: »Hier is de Vrijheijt weg en alles onder dwang, Een yeder moet in ’t sweet nu sloven um syn broodt, En onderworpen sijn de prickel van de doodt. O Staatsucht schoon voor ’t oog, wat is u nasmaack wrang!« Den Zusammenhang zwischen Stich und Bild hat zuerst Gregor J. M. Weber erkannt.

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122 | Nicolaes Lachtropius, Blumen und Früchtestilleben mit allerlei

Getier, im rechten oberen Hintergrund eine Darstellung von Adam, Feldarbeit verrichtend, signiert und datiert N. Lachtropius 1667(?), Öl auf Leinwand, 102 × 80,5 cm, Wenzel Kunsthandel Bamberg.

122a | Detail aus 122.

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123 | Abraham Bloemaert, Adam und Eva bei der Feldarbeit, Blatt 5 der Adam­und­Eva­Serie (1607), Kupferstich, 37.4 × 51.3 cm, publ. von Claes Claesz. Visscher II (nach 1682).

liche Intervention nicht eingetreten. Wir hätten niemals geahnt, dass die Welt göttlich erschaffen sei, sondern würden bis zuletzt in einem bewusstlosen Zustand, ähnlich den Tieren, verharren. Es ist dann kein Zufall, dass Arthur O. Lovejoy als Autor des ideengeschichtlichen Bestsellers The Great Chain of Being in einem Artikel auf eben dieses »Paradox of the Fortunate Fall« in Miltons Poem hingewiesen hat.89 In Paradise Lost lässt der Dichter den Erzengel Michael die Prophezeiung einer Wiederkunft Christi und des Jüngsten Gerichts mit folgenden Worten einleiten:

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Arthur O. Lovejoy, »Milton and the Paradox of the Fortunate Fall«, in: English Literary History 4/3 (1937), 161–179. Siehe auch Geoffrey Hartman, »Milton’s Counterplot«, in: English Literary History 25/1 (1958), 1–12; John Rogers, »Milton and the Mysterious Terms of History«, in: English Literary History 57/2 (1990), 281–305.

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»›(…) denn die Erde/ Wird überall dann Paradies, noch weit/ weit wonnevoller als dies Eden, sein.‹// Hier schwieg, ans große Ziel der Welt gelangt/ Der Engelsfürst, zu ihm dann unser Ahn/ Erfüllt von freudiger Bewundrung, sprach// ›O un­ ermeßne, grenzenlose Güte/ Die all dies Heil aus Bösem schafft und Böses/ Zum Guten wendet, wunderbarer noch/ Als da zuerst sie durch die Schöpfung Licht/ Aus Finsternis berief! Ich zweifle fast/ Ob mich der Sünde noch gereuen soll/ Die ich beging und zeugte, nun ich seh/ Daß mehr des Guten draus entspringen wird// Für Gott mehr Ehre, für den Menschen mehr/ Der Gnade Gottes, weit mehr Huld als Zorn!‹«90 Light out of darkness – Adam muss sich überlegen, ob er den Sündenfall bereuen soll oder mit ihm nicht eher eine Bewusstseinsgeschichte einleitete, die das Böse benötigt, um zu Selbsterkenntnis zu gelangen. Lovejoy hat in seinem Artikel noch einmal einige literari­ sche Vorläufer dieses Gedankens zusammengetragen, so dass wir Passagen aus dem ein­ flussreichen Werks des Hugenotten Du Bartas zur Schöpfungs­ und Menschheitsgeschichte kennen, auf die sich Milton stützte: »Trois biens non esperez: sçavoir, gloire pour soy/ Ver­ gongne pour Sathan, felicité pour toy/ (…)/ Tu viuois icy­bas, or tu vis sur le Pole/ Dieu parloit avec toy: or tu vois sa Parole/ Tu vivois de doux fruicts: Christ ore est ton repas/ Tu pouvois trebucher: mais or tu ne peux pas«, heißt es in seiner 1592 posthum veröffentlich­ ten Seconde Semaine.91 Neben Du Bartas gab es entsprechende Stellen im Werk von Giles Fletcher (ca. 1586–1623), dessen ambitioniertes Gedicht The Triumph of Christ von 1610 ähnliche Gedankengänge aufweist, oder in Giovan Battista Andreinis (1576/1579–1654) Mysterienspiel L’Adamo, das von Voltaire als eigentliche Inspirationsquelle für Miltons Paradise angegeben wurde.92 Die antithetische Parallele von Sündenfall und Erlösung wird in diesen Stücken in der Metaphorik von zwei gegenläufigen Stämmen oder Bäumen, zu­ weilen auch von zwei unterschiedliche Früchte tragenden Gärten umschrieben. Dem Pa­ radiesbaum beispielsweise wird das Holzkreuz auf dem Kalvarienberg entgegengehalten, dem Garten Eden der von Gethsemane usw.: 90

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John Milton, Paradise Lost, XII, 462 ff; 473 ff; 478 ff: »(…) for then the Earth/ Shall all be Paradise, far happier place/ Than this of Eden, and far happier days.// So spake the Archangel Mi­ chael; and then paused,/ As at the world’s great period; and our Sire,/ Replete with joy and wonder, thus replied.// ›O Goodness infinite, Goodness immense!/ That all this good of evil shall produce,/ And evil turn to good – more wonderful/ Than that which by creation first brought forth/ Light out of darkness! Full of doubt I stand,/ Whether I should repent me now of sin/ By me done or occasioned, or rejoice/ Much more that much more good thereof shall spring;/ To God more glory, more good will to men/ From God – and over wrath grace shall abound (…).‹« Guillaume de Salluste Du Bartas, La seconde semaine, Rouen 1592, 53. Du Bartas’ Gedicht zählt zu den einflussreichsten Gedichten des späten 16. Jahrhunderts und wurde Anfang des 17. Jahr­ hunderts von dem am schottischen Hof James VI. (1566–1625) tätigen Joshua Sylvester als Essay of the Second Week (1598) ins Englische übersetzt, ebenso wie The Divine Weeks of the World’s Birth (1604). James VI. versuchte umsonst, Du Bartas nach Schottland zu holen. Ein direkter Zusammenhang kann nicht nachgewiesen werden, während Du Bartas von Milton bewusst aufbereitet wurde. Siehe Ettore Allodolis Ausgabe des Adamo, Lanciano & Carabba 1913, sowie Winifred Smith, »Giovan Battista Andreini as a Theatrical Innovator«, in: The Modern Language Review 17/1 (1922), 31–41.

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»Sweet Eden was the arbour of delight/ Yet in his honey flowres our poyson blew/ Sad Gethsemane the bowre of baleful night/ Whear Christ a health of poyson for us drew/ Yet all our honey in that poyson grewe.«93 Und weiter: »That good, or bad, whither I cannot wiss// To call it a mishap, or happy miss/ That fell from Eden and to heav’n did rise.«94 Die Vorstellung, dass Gift sich in Honig verwandeln beziehungsweise als Theriak gegen sich selbst verwendet werden kann, verleitete Andreini dazu, die Freuden des ersten Men­ schenpaares und ihrer Nachkommen nach dem Jüngsten Gericht nicht nur im Himmel, sondern bereits auf Erden anzusiedeln. Und während man in Hugo Grotius’ (1583–1645) Tragödie Adamus exul (1601) oder Joost van den Vondels Barockdramen Lucifer (1654) und Adam in ballingschap (1664) zwar hoffnungsvoll auf die Zukunft blickt, aber weniger den zweigipfligen Aufbau der Heilsgeschichte betont, bezieht sich das ansonsten in man­ cherlei Hinsicht ähnliche Stück Miltons immer wieder genau auf jene Dialektik: »His evil/ Thou usest, and from thence creat’st more good«95, schreibt er zunächst über den von Luzi­ fer bedrohten Gott, dann über den Menschen. Es gibt nichts, was den Unterschied zwi­ schen Gutem und Bösem besser ermessen ließe als die Formel, die Milton uns an dieser Stelle anbietet: »But to create/ Is greater than created to destroy.«96 Als unbedingte Schöp­ fungsapotheose verstanden setzt sie die christliche Welt­ und Heilsgeschichte in Gang, so dass der Sturz des Menschen einen Sinn macht. Das Böse muss demnach in die Welt kommen als Gift, das sich selbst zum Gegen­ gift wird. Der Sündenfall ist nichts anderes als das gewonnene Bewusstsein einer Wahl­ freiheit; er funktioniert als Auslöser des Sturzes ebenso wie als Umkehrmoment innerhalb der Fallrichtung des Seins, das sich in einer Art Drehbewegung zum Anfang zurück zu orientieren vermag. Angesichts des Ungleichgewichts der Kräfte gibt es jedoch auch Zwei­ fel an der Möglichkeit einer tatsächlichen Rückkehr in den göttlichen Zustand; Milton hat dies in Paradise Lost besungen: »Leicht überzeugt man sich, dass all das Gute/ Des wir uns freun, vom Himmel niedersteigt/ Doch dass von uns etwas hinaufgelange/ So mächtig, um des ew’gen Gottes Sinn/ Und seinen höchsten Willen zu bewegen/ Scheint schwer zu glau­ ben«,

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In: Giles & Phineas Fletcher, Poetical Works, hg. v. Frederick Samuel Boas, 2 Bde., Cambridge 1908–1909, I, Stanza 2. Ebd., I, Stanza 12. Digby sieht in der Alchemie dasselbe Prinzip walten, denn »(…) dann habt ihr das metallische Salz/ die grosse Tinktur, den Theriac aus Gifft gearbeitet/ eine unbeschreibliche gute Artzeney aus dem größten Gifft zugerichtet.« Steven Blankaart, Stephan Blancards Theatrum Chimicum, oder, Eröffneter Schau-Platz und Thur zu dem Heimligkeiten in der ScheideKunst (…) durch Kenelm Digby, Leipzig 1700. Milton, Paradise Lost, VII, 615–616. Die Stelle bezieht sich jedoch noch nicht auf die himmlische Erlösung, sondern auf die göttliche Schöpfung einer »new­made world« als Antwort und Repara­ tur der luziferischen Destruktion. Ebd., VII, 606–607.

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lässt er seinen Adam sagen, wobei ihm Eva fragend antwortet: »Ich Sünderin (…), ich, al­ les Todes erste Ursach, soll/ Des Lebens Quelle sein?«97 Es folgt die notwendige Bestrafung und Vertreibung aus dem Paradies, in dem sie zu bleiben gehofft hatten. Das Paar muss »in die Ebene«, ins »niedre Tal«, und »jene Erde baun, draus du genommen wardst.«98 Eva nimmt Abschied von den »Blumen, die ihr nirgend sonst gedeiht/ (…) ich gab euch Na­ men/ Wer wird euch nun zur Sonne richten, wer/ Euch liebend tränken mit Ambrosia?«99 Auf diese Weise erscheint das erste Menschenpaar wie das irdische Gegenbild zu Christus als Gärtner, der die Sonne selbst verkörpert. Es bedeutet zum einen, dass ihr Abstieg in die Dunkelheit einer pharmazeutischen Logik, derzufolge ein Gift geschluckt werden muss, um sein Gegenteil zu bewirken. »That I who first brought death on all, am graced/ The source of life (…)«100, heißt es bei Milton, wobei der Satz in seiner ambivalenten Aussage zu einer Schlüsselstelle des gesamten Poems gerät. Später hat Heinrich von Kleist (1777– 1811) in seinem Essay Über das Marionettentheater (1810) ein solches Paradoxon zum Paradigma seiner Erkenntnistheorie gemacht – denn »mithin (…) müssten wir wieder vom Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen?«101 Es bedeu­ tet zum anderen, dass das menschliche Dasein der Reflexion und damit des Sündenfalls bedarf. Dass die menschliche Ausgangssituation eine düstere ist, darüber lässt man auch im christlichen Kontext keinen Zweifel aufkommen. Nun aber geht es häufig genug um die Konterkarierung einer solchen niederen Stufe durch Kultur oder, wie es schon bei Pli­ nius hieß, durch die Erfindung der Künste.102 Sie wird mit der Kultivierung der mensch­ lichen Erkenntniskraft gleichgesetzt, weil es hier wie dort um Bildungs­ beziehungsweise Veredelungsvorgänge geht. Im Bild von Lachtropius beispielsweise wird der Eintritt in die reflexive Stufe als gleichzeitiger Beginn der Kultivierung der toten Materie dargestellt. Der Lebensbaum, der in diesem Fall eher einem künstlichen Arrangement unterschiedlichs­ ter Blumen und Pflanzen gleicht, wurzelt im unwirtlichen Erdreich. Schon eine einfache 97 98 99 100 101 102

Ebd., XI, 141 ff: »Eve, easily may faith admit, that all/ The good which we enjoy from heaven descends// But that from us aught should ascend to heaven/ So prevalent as to concern the mind/ Of God high­blessed, or to incline his will/ Hard to belief may seem.« Ebd., XI, 261 ff: »(…) and send thee from the garden forth to till/ The ground whence thou wast taken, fitter soil«. Ebd., XI, 273 ff: »O flowers/ That never will in other climate grow/ My early visitation, and my last/ At even, which I bred up with tender hand/ From the first opening bud, and gave ye names/ Who now shall rear ye to the sun, or rank/ your tribes, and water from the ambrosial fount?« Ebd., XI, 168 ff. Heinrich von Kleist, »Über das Marionettentheater«, in: ders., Sämtliche Werke und Briefe, 4 Bde., hg. v. Siegfried Streller, Frankfurt a. M. 1986, III, 480. Plinius war noch ohne christlichen Optimismus ausgekommen. Im 7. Buch seiner Naturge­ schichte »Von der Entstehung und Beschaffenheit des Menschen, und von der Erfindung der Kün­ ste« hatte er ein düstereres Ausgangsbild des Menschengeschlechts entworfen. Zwar müsse man mit Recht »mit dem Menschen den Anfang machen, um desswillen die Natur alles Andere er­ schaffen zu haben scheint, wenn sie gleich für ihre großen Gaben einen so hohen und strengen Preis setzt,« schreibt er in den Eingangszeilen und schließt die Frage an, ob die Natur »gegen den Menschen eine gute Mutter oder eine böse Stiefmutter gewesen sei.« Plinius, N.H. VII, 1. Die Er­ findung der Künste arbeitet der Naturverfallenheit emanzipatorisch entgegen.

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Untersuchung der Einzelmotive zeigt, dass sich das Bild im weiteren typologisch lesen lässt und bedeutungsvoll nach oben steigert – den Sündenfall konterkarierend verweist die Weintraube auf die erlösende christliche Passion, und als Chiffren der Auferstehung sitzen gleich mehrere Stieglitze im Geäst. Derart fungiert das Stilleben als Gegenpol des paradie­ sischen Baums der Erkenntnis, wobei die Goldfrüchte in einer Art inversiver Verdoppe­ lung die Wirkung des Apfels rückgängig machen und aufheben sollen. Aufgrund ihrer Farbe legen sie aber nicht zuletzt auch eine alchemistische Deutung nahe, und tatsächlich gibt es nicht nur bei Milton eine den Prozess ins Dynamische treibende Antithesis von paradise lost and regained; auch im alchemischen Vorgang muss ja eine dunkle Phase durchlaufen werden, um die Materie in sublimierter Form auferstehen zu lassen. Beide, christologische und hermetische Lesart, lassen sich leicht miteinander verschränken, weil die Bildstruktur auf einer dualistischen Spannung zwischen Dunkelheit und Licht beziehungs­ weise der Verwandlung primitiver Stoffe in edle basiert und es innerhalb dieser Polaritäten um Bewegungen des Fallens und Aufsteigens geht.

PALINGENESIS Das Prinzip von descensus und ascensus ist uns in der abendländischen Kultur­ und Geistes­ geschichte als eine grundlegende Struktur so vertraut, dass wir darüber eine genauere Analyse seines historischen Diskurses immer wieder vergessen. Für eine Poetik des Bild­ felds jedenfalls, wie sie uns in den letzten beiden Kapiteln beschäftigt hat, wird eine Meta­ phorik des Wachsens – des Werdens und Vergehens – entscheidend, die in Rückgriff auf die aristotelische Naturphilosophie und im Zuge der neoterischen Bewegungen der jungen Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert mit besonderer Intensität diskutiert wurde. Dies hat Auswirkungen auf den Kunstbegriff, der sich stets ins Verhältnis mit der barocken Naturdiskussion setzt und Kunst entweder als Vervollkommnung der Natur oder umge­ kehrt Natur als generatives Vorbild der Kunst definiert. Einer Ästhetik des Bildfelds zu­ folge muss die materielle Tiefe ebenso betont werden wie ihre produktive Teilhabe an der Herausarbeitung einer zweiten Wirklichkeit. Eine Herausforderung dieser Studie soll ja sein, das Bild als ein Feld zu verstehen, in dem durch ars und techne Naturformen kulti­ viert und in ein genealogisches Verhältnis gesetzt werden können. Es ist das quasi­bioti­ sche Vermögen der Bilder zur Reproduktion, das dem Dargestellten Leben einzuhauchen scheint, und dieses Vermögen wird nicht nur dem Künstler zugeschrieben, der den Dingen in einer schöpferischen Geste adamitischen Atem verleiht, sondern zuweilen schon der Ausgangsmaterie selbst, die sich spontan zu formen vermag und reflexiv verfasst ist. Auf der Ebene der Sujetbildung wiederum kann man schnell zu dem Schluss kommen, dass Sündenfall und Auferstehung die entscheidenden (weil alle anderen Motive zirkulär umschließenden) Narrative jener Poetik des Bildfelds sind. Das seminale Prinzip, das in der Erzählung vom Fall und Aufstieg der Menschen in allen möglichen Varianten in Er­ scheinung tritt, äußert sich auf bildtheoretischer Ebene in der Vorstellung, etwas in die Tiefe des Bildes hineinlegen zu können, das zu einem anderen Zeitpunkt hervorgeholt und even­ tuell sogar selbst produktiv werden kann. Dazwischen liegt ein nicht klar benennbarer

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Transitraum der Verwandlungen, der dafür verantwortlich ist, dass aus blanker Materie etwas Ähnliches wie eine Lebensform entsteht. Das morphologische Interesse verbindet Künstler und Naturwissenschaftler. »L’arte comincia dove la natura finisce«103 schreibt der Augenheiler Giuseppe Fran­ cesco Borri und meint damit, dass sich eine Verjüngung oder Wiedergeburt biologischer Lebenskraft künstlich einleiten lässt. Es ist im Laufe dieser Untersuchung immer deutli­ cher geworden: Die sottoboschi, Naturstücke und Stilleben des 16. und 17. Jahrhunderts konzentrieren sich auf die Verwandlung und Erneuerung natürlicher Formen im Reich der Kunst, und zwar sowohl auf einer ikonographischen wie auf einer materiellen und me­ dialen Ebene. Bereits motivisch werden verschiedenste Bedeutungsstränge ineinander ver­ woben: Beispielsweise kann man in der hermetischen Literatur nur mit Mühe unterschei­ den, ob der Autor bei der Beschreibung des Opus magnum den Tod und die Wiedergeburt der Metalle oder der menschlichen Seele meint, weil die exoterische Alchemie unauflöslich mit der esoterischen verbunden ist. Ähnlich changiert in den Bildern die Bedeutung zwi­ schen einer ästhetischen, die den Status der Kunst als »zweite Natur« betrifft, einer natur­ philosophischen, die sich mit der Sublimierung niedriger Stoffe in höhere befasst, und einer theologischen beziehungsweise metaphysischen, in der das Bild zum Gleichnis der Auf­ erstehungslehre gerät. Hier nun müssen wir einen eigenen Begriff einführen – den der Palingenesis. Der Gedanke von Palingenesis (von griech. πάλιν, palin = wieder; und γένεσις, genesis, Schöpfung/Geburt) nämlich durchzieht alle Register der barocken Naturdiskussion. Jacques Marx hat die Bedeutungen des Begriffs in einem großartigen Aufsatz zusammen­ getragen und für unseren Zeitraum spezifiziert, denn seit dem späten 16. Jahrhundert meint er nicht mehr nur die antike Vorstellung von Seelenwanderung beziehungsweise die christliche Auferstehungslehre oder jede Form von Wiedergeburt – wenngleich er gedank­ lich weiterhin damit verbunden bleibt –, sondern hat eine alchemistische Bedeutung an­ genommen.104 Auch ist er stark an die Anschaulichkeit empirischer Experimente gebun­ den. Unter Palingenesis versteht man nun die Lehre von den die Materie durchwandernden Naturformen, beispielsweise wenn Wachs erhitzt wird oder Wasser gefriert und diese trotz unterschiedlicher Materialisierungen doch immer Wachs beziehungsweise Wasser bleiben. Im 17. Jahrhundert bezieht sich Palingenesis also auf das Verhältnis von Form und Materie, wie es vor allem unter dem Einfluss atomistischer Strömungen problematisiert worden war. Als Paradebeispiel dienen Kirchers und Digbys Experimente zur Wiederbele­ bung toter Pflanzen und Tiere aus der erhitzten beziehungsweise in Wasser gefrorenen Asche, von denen wir bereits gehört haben. Dementsprechend finden sich in den Lexika Ein­ träge wie diese: »Wiederherstellung, Wiederherzeugung, Palingenesia heisst eine Wieder­ 103 104

Borri, nach Cosmacini, Medico ciarlatano, 110. Vgl. Jacques Marx, »L’idée de palingénésie chez Joseph de Maistre«, in: Revue des Etudes Maistriennes 5–6 (1980), 113–124; siehe außerdem Rudolf Unger, »Zur Geschichte des Palingenesis­ gedankens im 18. Jahrhundert«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (1923), 257–277; Thorndike, History of Magic and Experimental Science, VIII, 767.

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erweckung oder Hervorbringung einer verbrannten Blume oder Pflantze, aus ihrer Asche, durch Chymische Kunst.«105 Sowohl Athanasius Kircher wie Sir Kenelm Digby hatten die Präformationslehre zur Voraussetzung ihrer Überlegungen zu jenen Pflanzen gemacht, die aus Asche oder Destillaten wie ein floreus phoenix oder phoenix vegetabile hervorstiegen. Kirchers An­ weisung können wir sogar nachlesen, sie lautet wie folgt: Man erwärme eine mit Flüssig­ keit gefüllte Glasphiole, indem man sie in die Sonne stellt oder in Mist versenkt. Dem Ge­ fäß wird nun die geäscherte Blume beigegeben. Bald kann man beobachten, wie sich der Geist (spiritus) der Pflanze aus dem Bodensatz materialisiert, nach oben steigt und sich als dünner Film oder »Häutchen« auf die Oberfläche der Flüssigkeit legt, wobei er unter­ schiedliche Farben annimmt. Kircher beschreibt den Bodensatz des hermetischen Glases als »Fond«, der sich zunächst grün färbt, aus dem sich aber langsam blauer Staub abson­ dert. Dieser formiert sich schrittweise zu einem Stiel, zu den Blättern und der Blüte der sich über Feuchtigkeit und Wärme regenerierenden Pflanze. Reduziert man aber die Wär­ mezufuhr des Gefäßes, so Kircher, so sinkt die Vegetation auf den Boden zurück und löst sich in ein unstrukturiertes chaos auf. Umgekehrt kann man die Pflanze durch Sonnen­ oder Wärmeeinwirkung beliebige Male wiederbeleben oder auferstehen lassen.106 In seinem Mundus subterraneus fügt er dem Gesagten eine Abbildung bei, wobei die in einer Phiole dargestellte Pflanze, wie es im Schriftband heißt, erst durch ein Wechselspiel von Natur und Kunst zu jener kohärenten Gestalt zusammengefügt worden sei, die in Same wie Asche gleichermaßen potentiell angelegt war. Es gibt weitere Namen, denn Kircher steht mit seinen Experimenten nicht alleine: Neben Digby und Monconys finden sich vergleich­ bare Berichte unter anderem in den Traktaten von Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658), Jacques Dobrzenski (= Schwarzbrück, 2. Hälfte 17. Jh.), Jacques Gaffarel (1601–1681) oder Caspar Schott (1608–1666).107 105 106

107

Großes Vollständiges Universal-Lexicon, hrsg. v. Johann Heinrich Zedler, 68 Bde., Leipzig & Halle 1732–1754, LV (1748), 2097. Kircher, Mundus subterraneus, II, 413–414. Die Metaphorik vom floreus phoenix zieht sich weit in das 18. Jahrhundert, wie zum Beispiel bei Vallemont: »Die Pflantze, welche eingeschlossen, und in ihrer Aschen vergraben lag, ermuntert sich, stehet auf, und thut sich vonsammen. In der Zeit einer halben Stunde wird dieser Vegetabilische Phoenix aus seiner Aschen wieder gebohren. Diese zu Staub gemachte Rose, steht aus ihrem Grabe auf, um ein neues Leben anzunehmen. Sie ist ein Bild derjenigen Auferstehung, durch welche die in dem Schatten des Todes liegende Ver­ storbene werden zu der seeligen Unsterblichkeit eingehen.« Abbé de Vallemont, Des Herrn Abts von Vallemont Merckwürdigkeiten der Natur und Kunst, Bautzen 1714, 430–431. Kircher hatte die Rezeptur angeblich vom chymisch versierten Kaiser Ferdinand III. erhalten, wobei dieser ihn auf das vierte Buch der paracelsistischen Schrift De natura rerum aufmerksam gemacht habe, in dem es um De vita rerum geht. Während ihres Rombesuchs 1657 hätte dann die schwedische Königin Christina (1626–1689) einer palingenetischen Vorführung Kirchers beige­ wohnt, »und diese gelehrte Prinzessin vergnügte sich lange Zeit an Betrachtung dieses Wunder­ Wercks.« Vallemont, Merckwürdigkeiten, 436. Marx erwähnt weiterhin Balthasar Conrad (1559–1665), Gaston Dulco (1530–?), Jean­Daniel Mayor (1670–1723), Georg Christoph Petri de Hartenfels (1633–1718), sowie den mit Spinoza (1632–1677) und Nicolaus Steno befreundeten Theodor Kerckring (1638–1693). Dass sich später bei Naturalisten wie dem Abbé de Vallemont solche Erwähnungen vor allem in Büchern zur Gartenbaukunst wiederfinden, die ein Interesse an der zyklischen Vermehrung der

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124a | »Palingenesis« einer Pflanze, in Athanasius Kircher, Mundus subterraneus,

Amsterdam 1664–65, 414.

124b–d | Abbildung eines Arbor Dianae, einer wiederauferweckten Rose und eines

Spatzes, in Abbé de Vallemont, Merckwürdigkeiten der Natur und Kunst, Budißin 1714, 396, 495 und 517 (tab. IX, XI und XII).

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»Resurrexit« heißt es, wenn der Vorgang der Palingenesis abgeschlossen ist. Bald geht es nicht mehr nur um die Auferstehung einer einzelnen Pflanze oder Rose aus den Resten ihrer physischen Existenz, vielmehr können nun ganze Landschaften in einer Glas­ phiole schemenhaft aufsteigen. Das jedenfalls berichtete der französische Arzt und Chirurg David de Planis Campy (1589–ca. 1644) bereits in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts: Felder, Hügel, Weiden, ein vegetabiler Mikrokosmos sei für ihn auf den Glaswänden der chymischen Gefäße erschienen, vergleichbar einer Weltschöpfung, die sich auf dem Boden des Gefäßes ansiedele, emporsteige und immer deutlicher herausbilde: »Make a Lamp Fire under it, till there appear in the Vessel the Scene of the Uni­ verse in the Spring: that is to say, all sorts of Trees with their Blossoms, Meadows enamel’d with Flowers, Streams gliding through them, with ten thousand Foun­ tains; some sprouting out of Rocks; others from knotted Oaks. You may observe likewise the Plains waving with Corn. Some Animals too will appear bounding over the Hills, and trudding along the Plains. But what most claims our Admir­ ation, is to see around the Globe a great number of Stars, some fixt, and others wandering. These are Miracles I could never have believed had not my Eyes been the irreproachable Witnesses of them.«108 Solche Visionen sind sicherlich zum einen den dendritisch verästelten Kristallstrukturen geschuldet, wie sie zum Beispiel in Experimenten mit Salzlösungen entstehen; zum ande­ ren bilden sich während der chemischen Prozesse häufig Sedimente am Boden des Glases sowie ölige Absonderungen auf der Oberfläche der Flüssigkeit, die an geologische Forma­

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Pflanzen über Samen und Stecklinge, am Reifen, Entsaften, Destillieren und Konservieren von Früchten verfolgen, ist dann kein Zufall mehr: Hier wie dort geht es sowohl um Fortpflanzungs­ praktiken wie um das künstliche Manipulieren des Aussehens und der Qualitäten der Pflanzen. Vallemont beschreibt beispielsweise, wie man Früchte in Form von Tierköpfen ziehen kann, in­ dem man die junge Frucht in Model legt und darin weiterwachsen lässt, oder wie Blumen durch gefärbtes Wasser eine fremde Buntheit oder durch die Beigabe von Parfüm einen besonderen Duft erhalten. Die Zugabe von Asche und Dung bringt besonders prächtige Pflanzen hervor. Asche und Dung aber sind die favorisierten Ausgangssubstanzen nicht nur der Gärtner, sondern der Alche­ misten, die im Schlamm und Destillat potentielle Wachstumsformen vermuten. Dort schließen sich Ausführungen zur Palingenesis wie von alleine an. Vallemont wiederum dient in nahezu al­ len Belangen der italienische Gewährsmann Giambattista della Porta (1535–1615). Er hatte mit seiner Magia naturalis (1558) den Prototyp eines »Book of wonder« verfasst, in dem es u. a. um Anleitungen zum Destillieren, Lackieren, der Weinherstellung geht und wo in diesem Zusam­ menhang auch die Rolle der Farbe diskutiert wird. David de Planis Campy, La petite chirvrgie chimiqve medicale, Paris 1621, Kap. 22. Ähnlich bei John French, The Art of Distillation, or, A Treatise of the Choicest Spagyrical Preparations Performed by Way of Distillation, London 1651, 149–150 (»To make the representation of the whole World in a Glasse«): »Take of the purest Salt­Nitre as much as you please, of Tin half so much; mix them well together, and calcine them Hermetically; then put them into a Retort, to which annex a Glass­Receiver, and lute them well together, let there be leaves of Gold put into the bottom thereof, then put fire to the Retort, until vapours arise that will cleave to the Gold: augment the fire till no more fumes ascend: then take away the Receiver, and close it Hermetically, and make a Lamp­fire under it, and you will see represented in it the Sun, Moone, Starrs, Fountains, Flowers, Trees, Fruits, and indeed, even all things, which is a glorious sight to behold.«

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tionen erinnern. In solche Formationen kann man Bilder hineinsehen. Die Beschreibungen künstlich erzeugter vegetabiler Lebensformen häufen sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts und erhalten sich weit in das 18. Jahrhundert hinein. Dabei etablieren sich Sehkonventionen, wie zum Beispiel die des scheinbaren sichtbaren Auflebens von Pflanzenstrukturen in sogenannten chemischen Gärten. Allen Experimenten gemein ist, dass sie in einer Flüssigkeit langsam heranwachsen, um zuweilen sogar, einem Blumenstrauß ähnlich, über den Rand des Gefäßes quellen.109 Sie als Blumenbouquets, Gärten oder Landschaften zu bezeichnen, kommt dann zwar einem vorschnellen Analogieschluss gleich, der sich allenfalls auf metaphorischer Ebene halten lässt, doch sollte man ihn nicht zu schnell zur Seite schieben. Die barocken Autoren zur Palingenesis attestieren selbst den primitivsten Bausteinen im Naturreich einen Drang zur Bildwerdung, der weltenschöpferische Züge aufweist. Aus dem scheinbaren Nichts einer primitiven Ausgangsbasis entstehen komplexe Lebensformen, und nicht nur das: Sie wachsen quasi-organisch daraus hervor. Natur scheint künstlich hergestellt werden zu können. Und weil man als Grund dafür annimmt, dass sich hier wie dort unsichtbare Ideen oder Formen materialisieren, werden auch die Bildgebungsverfahren von Kunst und Natur analog gesetzt: »Jegliche Pflantze oder Blume wuchs von allen Seiten zu einer gehörigen Größe und Ausbreitung, an welcher ihre eigene Farben, Figuren, Grösse und andere dergleichen accidentia schattenweise abgemahlet waren. Jedoch so genau und so nette, dass die Sinnen die Vernunfft hierbey hätten betrügen können, um zu glauben, daß dieses wesentliche und wahrhaffte Blumen wären. (…) Und waren die Bilder und Vorstellungen (…) mit solcher Nettigkeit gezeichnet, dass ein Apelles sie nicht hätte nachmachen können«, heißt es noch ein Jahrhundert später in den Curiositez de la nature et de l’art sur la végétation des Abbé de Vallemont (1649–1721).110 Dort wird außerdem gezeigt, wie ein Spatz als bescheidene Version des Vogels Phoenix durchgeht, wenn er sich via Palingenesis aus seiner Asche in einen Moineau resscuscité verwandelt. Vallemont verweist eigens auf die beigefügte Abbildung: »Voilà donc un petit Moineau ressuscité, comme un Phénix du milieu de ses cendres. Voyez la Figure.«111 109

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Dies ist beim sogenannten »Metallick Tree« der Fall. Diese Experimentenreihe ist »außer Zweifel einer von den aller curieusesten Würckungen in der Chemie (…), da man siehet, wie ein Baum sich formiret, und nach und nach unten aus dem Boden einer mit Wasser gefüllten Flasche hervor wächset.« Vallemont, Merckwürdigkeiten, 395. Vallemont bezieht sich zudem auf Varianten des Experiments durch Wilhelm Homberg (1652–1715), wie sie in den Mémoires de l’Académie vom 30. November 1693 publiziert wurden. Als Metallick Tree (lat.: Arbor Diana or Dianae), aber auch als Arbor Philosophorum wurde das dendritische Amalgam bezeichnet, das man erhielt, indem man Silber in einer starken Säure – dem aqua fortis – auflöste und es daraufhin auskristallisieren ließ. »Anscheinend von ganz alleine wächst eine vegetabile Struktur auch über die Gefäßränder hinaus und treibt immer feinere Spitzen aus, Dendriten. Im 18. Jahrhundert gehörte dieser Effekt zu den bekannten, aber in seiner Vorgehensweise ungeklärten Phänomenen.« Erich Kleinschmidt, Die Lesbarkeit der Romantik. Material, Medium, Diskurs, Berlin 2009, 204. Im 17. und 18. Jahrhundert zeugte das Experiment von der Existenz von Leben selbst noch im mineralischen Bereich: »Selbst die Metalle verwandeln sich in Pflanzen, eben, als wenn die gantze Natur mit der Vegetation wollte beschäftigt seyn.« Vallemont, Merckwürdigkeiten, 394. Ebd., 425 und 427. Nach Jacques Gaffarel, Curiosités inouïes, Paris 1629, 100. Über die Palingenesis eines verbrannten Vogels kann man bereits in Paracelsus’ De generatione rerum naturalium (1538) nachlesen,

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PALINGENESIS

Man kann sich durch die barocke Literatur lesen nur anhand des Leitfadens diver­ ser Reanimationstechniken, die erstellt wurden, um neben den eingeäscherten Pflanzen, neben vegetabilen Landschaften und wiederbelebten Tieren auch die Geistererscheinungen berühmter Persönlichkeiten vor den Augen erstaunter Zeitgenossen auferstehen zu lassen. Natur­ und Bildtheorie überlappen sich hier. Die medizinhistorische Erklärung der Zeit lautet beispielsweise, dass es sich dabei um die Materialisierung der Animalgeister der Verstorbenen handele, die durch äußere Wärmezufuhr reaktiviert worden seien. Aller­ dings seien hier nur noch die Schatten (umbrae) und Schemen der Toten zu sehen, nicht mehr deren tatsächliche physische Präsenz. Digby wiederum sinnt darüber nach, ob sich mindestens in den Pflanzenexperimenten durch Erhitzung oder Gefrieren der Asche eine »true Palingenesis« der biologischen Lebensformen zeige und nicht nur deren »portrai­ ture«. Eines der eindrucksvollsten Beispiele palingenetischer Erneuerungversuche erhal­ ten wir deshalb, wenn wir in der Biographie Sir Kenelm Digbys nachlesen. Wir werden gleich sehen, wie sich Digby darauf bezog, als er Van Dyck mit dem Portrait seiner Frau beauftragte, deren Lebenswandel posthum rehabilitert werden sollte, denn im Bild wird die tote Geliebte wieder(ge)holt und glorifiziert. Insgesamt geht es um die Rechtfertigung künstlicher Transformationen, die die Grenzen der Natur überschreiten, vergleichbar den Experimenten, in denen man versuchte, »eine tode Pflanze auf[zu]erwecken, sie unsterb­ lich [zu] machen; und indem wir sie mitten aus ihrer Asche wieder lebendig machen, ge­ ben wir ihr eine Art glorificirten Cörpers.«112 Alle palingenetischen Autoren beglaubigen

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wobei Paracelsus den Gedanken der Wiedergeburt mit der Generationskraft von Fäulnis zusam­ menbringt. Verbrennt man einen lebenden Vogel zu Asche und läßt diese in einem verschlosse­ nen Gefäß (und unter Zutat von etwas Flüssigkeit) zu Schlamm verfaulen, so könne daraus ein neuer Vogel entstehen: »Es ist dabei auch noch ein größeres zu wissen, nämlich: wenn der selbige Vogel lebendig in einem versiegelten Cucurbiten mit dem dritten Grad des Feuers zu Pulver und Asche gebrannt wurde, darnach, so verschlossen, in der höchsten Putrefaction ventre equino zu mucilaginischem phlegma putreficiert wird, so kann nun weiter die selbige mucilaginische phlegma zum andern Male ausgebrütet und so ein renovierter und restaurierter Vogel werden, wenn diese mucilaginische phlegma nämlich wiederum in seine erste Schale oder Häuslein ver­ schlossen wird. Das heißt, die Toten wieder lebendig gemacht, heißt die Wiedergeburt und Clari­ ficierung, welches ein großes und hohes Mirakel der Natur ist. Und nach diesem Proceß können alle lebendigen Vögel getötet und wieder lebendig gemacht, renoviert und restauriert werden. Das ist auch das höchste und größte Magnale und Mysterium dei, das höchste Geheimnis und Wun­ derwerk, das Gott den tödlichen Menschen offenbart hat.« Vollständig. »Herr Digby war einer von den ersten, so die Wunderwercke der Palingenesie be­ trachtet: Wir können, sagt er, eine tode Pflanze auferwecken, sie unsterblich machen; und indem wir sie mitten aus ihrer Asche wieder lebendig machen, geben wir ihr eine Art glorificirten Cör­ pers, und gleichsam, so zu sagen, als wie wir hoffen, unsere Cörper nach der Auferstehung zu se­ hen.« Vallemont, Merckwürdigkeiten, 424. Zu »Alchemy and the Revivification of Sir Kenelm Digby« siehe außerdem den gleichnamigen Aufsatz von Janacek. In Verbindung mit dem um 1600 einsetzenden Revival atomistischer und korpuskularer Theorien wurde Palingenesis zum Prüfstein für Fragen der Beziehung von Materie und Form. Paracelsus hatte an der Möglichkeit einer zweiten Geburt oder Wiedergeburt der menschlichen Seele keinen Zweifel gelassen, und seine Anhänger hatten diese Idee auf theologischem Gebiet mit der seeli­ schen Perfektibilität gerechtfertigt. »Alles was die Pflantze in sich beschliesset, ist in dem Saam­ Korn wieder vereiniget: und durch ein grosses Wunder­Werck wird alles diß, was das Saam­Korn in sich hält, in einen gar sehr viel kleinern Begriff gebracht, in ein Stäubchen von demjenigen

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die Existenz von die Materie durchwandernden Formen, die ständig aktualisiert werden müssen, aber niemals verloren gehen. Als Symbol solcher Überzeugungen dient die aus der Asche auferstehende Rose. Die Vorstellung, einer verwelkten Rose in ihrer künst­ lichen Wiederherstellung oder Auferstehung »eine Art glorificirten Cörpers« zu verleihen, gerät im 17. Jahrhundert zu einer bildtheoretischen Aussage, denn Wiedergeburt (»palin­ genesis«) und Repräsentation (»portraiture«) beziehen sich aufeinander, und zwar in dem Sinne, dass ihre »Farben, Figuren, Groesse und andere dergleichen accidentia schatten­ weise abgemahlet waren, (…) so daß man ihnen eine Art eines immerwaehrenden Blei­ bens zu geben« versucht: »Eine Rose, die so zaertlich und delicat gewesen, und der ihre fluechtige Schoenheit so kurtze Zeit gedauret, wird durch diese Kunst unsterblich wer­ den.«113

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Saltz, so aus der Pflantze derselben Art gezogen. Hierdurch hatte Paracelsus das Kunststück, die Pflantzen aus ihrer Asche wiederum hervorzubringen. Er zog aus den Pflantzen eine wässerischte, und eine öhlichte Materie, darein er ihre Aschen einweichte, die er vor eine Materiam Primam hielte; darüber er diese aufgelößte Saltze ausbreitete, welche er die wesentliche und wiederaufer­ weckende Forme der Pflantze, nennete.« Vallemont, Merckwürdigkeiten, 431–432. Pierre Borel (Petrus Borellius, ca. 1620–1671) wiederum hatte in seiner Bibliotheca chimica nicht nur erneut über den alchemistischen Wiederauferstehungsprozess der Pflanzen aus ihrer Asche gesprochen, sondern behauptet, dass auch manche Hörner und Geweihe, wenn sie in die Erde gerammt wür­ den, Wurzeln bildeten. Pierre Matthieu (1563–1621) erwähnte einen als Baum geformten Gold­ barren, der Heinrich IV. zum Präsent gemacht worden war. Entsprechend hatte sich Ole Borch der Palingenesis von Metallen gewidmet, und Kenelm Digby wollte in ähnlichem Zusammenhang die paulinische Doktrin der leiblichen Auferstehung ins Spiel bringen, denn eine Form konnte seiner Meinung nach in unterschiedlichen Materien vielfach wiedergeboren werden. Vallemont wird sein Kapitel zur Palingenesis entsprechend mit dem Titel Le phénix végétal überschreiben und dort einige Abbildungen einfügen. Ebd., 394 sowie 419; vgl. auch Marx, »Idée de palingénésie«, 281–282. Vallemont, Merckwürdigkeiten, 423 und 422. Palingenesis meint also die jeweilige Wiedergeburt einer Form in unterschiedlicher Materie und thematisiert damit den ontologischen Status von Bildhaftigkeit an sich. Sie operiert 1) repetitiv, im Sinne der Wieder­holung, 2) transformatorisch, d.h. in der Wiederholung sowohl anders als auch gleich bleibend, 3) inversiv, im Sinne der Aufhebung des Originals durch sein Double, und 4) reflexiv, im Sinne einer dadurch ermöglich­ ten Selbstwahrnehmug und ­erkenntnis.

M IMESIS III TOD UND VERKLÄRUNG. DER MALER ALS ALCHEMIST. FALL UND »PALINGENESIS« DER LADY VENETIA DIGBY

125 | Anthonis van Dyck, Venetia, Lady Digby auf dem Totenbett, 1633, Öl auf Leinwand, 74.3 × 81.8 cm, Dulwich Picture Gallery, London, Inv.­Nr. DPG194.

Lady Venetia (1600–1633) war eine Schönheit von zweifelhaftem Ruf gewesen. Kenelm Digby und sie hatten sich schon als Kinder gekannt. Der Entschluss zu heiraten, stand früh fest, doch gab es starken Widerstand seitens der Mutter Digbys, vor allem, als Venetia während einer längeren Abwesenheit Digbys die Nachricht von seinem angeblichen Tod

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MIMESIS III

126 | Anthonis van Dyck, Selbstportrait mit Sonnenblume, 1633, Öl auf Leinwand, 61.5 × 75.2 cm, Sammlung des Duke of Westminster.

erhielt und sich mit Edward Sackville (1591–1652) liierte, dem sie, so will es eine undurch­ sichtige Überlieferung, zwei Kinder schenkte. Der ganze englische Hof war inzwischen gegen eine Heirat; doch Digby ehelichte Venetia heimlich und schrieb im Anschluss einen Rechtfertigungsbrief an seine Familie. Dieser ist nicht zuletzt ein philosophisches Doku­ ment, denn Venetia erscheint darin als Exemplum seiner Seelenlehre und erkenntnistheo­ retischen Überlegungen.114 Wir wissen weiterhin, dass Venetia Digby im Jahr 1633 unvermutet starb, vielleicht verursacht durch ein verunglücktes Experiment ihres Ehemanns, des inzwischen zum Naturwissenschaftler gewordenen Kenelm Digby. Um ihre Jugend und Schönheit zu er­ halten, hatte sie mit Viperngift versetzten Wein eingenommen; eventuell führte eine zu hohe Dosierung zu ihrem Tod.115 Digby bittet den Maler Anthonis van Dyck, Venetia noch 114 115

Posthum herausgegeben als: Sir Kenelm Digby, Private Memoirs, London 1827. Die darin ausge­ sparten erotischen Passagen erschienen erstmals als Anhang in: F. W. Bligh, Sir Kenelm Digby and His Venetia, London 1932, 285–300. Eine ausführlichere Darstellung der historischen Zusammenhänge in Death, Passion and Politics. Van Dyck’s Portraits of Venetia Stanley and George Digby, hg. v. Ann Sumner, London 1995; Robert Torsten Petersson, Sir Kenelm Digby, London 1956; John Farquhar Fulton, Sir Kenelm Digby. Writer, Bibliophile and Protagonist of William Harvey, New York 1937; Bligh, Sir Kenelm Digby; Janacek, »Catholic Natural Philosophy«, 89–90; Karin Leonhard, »Vom Wenden der Gewänder. Van Dyck malt Venetia Digby«, in: Barock – Moderne – Postmoderne: ungeklärte Beziehungen, hg. v. Victoria von Flemming, Wiesbaden 2013, 147–178. Digby hatte nach dem Tod seiner Frau angegeben, dass Venetia seit einigen Jahren immer wieder an Kopf­ schmerzen litt und deshalb Vipernwein zu sich nahm. Dem steht die offizielle Diagnose von »con­ sumption« entgegen (»which at the time meant merely a wasting­away«), siehe Petersson, Sir Kenelm Digby, 102. Gleichzeitig ging das Gerücht um, »that Kenelm had killed her by having her eat capons fed on wine of vipers. His intention, they said, was thus to preserve her beauty. It was

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127 | Anthonis van Dyck (Werkstatt), Sir Kenelm Digby mit

Sonnenblume, Öl auf Leinwand, 1630er Jahre, 91.5 × 71 cm, National Maritime Collection, Greenwich, London, Inv.­Nr. BHC2658.

einmal zu malen, und zwar so wie er sie am verhängnisvollen Morgen vorgefunden hatte. Wie wir von Giovanni Pietro Bellori (1613–1696) wissen, war Digby gleich nach Ankunft Van Dycks in England 1632 zu dessen engem Freund und Gönner geworden – »per una said that King Charles ordered an autopsy since there was suspicion of poisoning, and, according to Aubrey’s addition, when the head was opened very little brain was to be found.« Ebd., 103, in Referenz zu John Aubrey, ›Brief Lives‹, Chiefly of Contemporaries, Set Down by John Aubrey, between the Years 1669–1696, hg. v. Andrew Clark, 2 Bde., Oxford 1898, I, 231. Zur Zubereitung von Vipernwein vgl. z. B. die Angabe in French, Art of Distillation, 121: »VIPER WINE IS MADE THUS. Take of the best fat vipers, cut off their heads, take off their skins, and unbowel them. Then put them into the best canary sack, four or six according to their bigness into a gallon. Let them stand two or three months. Then draw off you wine as you drink it. Some put them alive into the wine, and there suffocate them, and afterwards take them out, and cut off their heads, take off their skins, and unbowel them, and then put them into the same wine again, and do as before. This wine has the same virtues as the foregoing quintessence [This quintessence is of extraordinary virtue for the purifying of the blood, flesh, and skin and, consequently, of all diseases therein. It cures also the falling sickness, and strengthens the brain, sight, and hearing, and preserves from grey hairs, renews youth, preserves women from abortion, cures the gout, consumption, causes sweat, and is very good in and against pestilential infections.]. It also pro­ vokes to venery, cures the leprosy and such like corruptions of the blood.« Digby hatte selbst al­ chemistische und pharmazeutische Rezepturen, Kochrezepte und Rezepturen zur Weinherstel­ lung gesammelt. Sie wurden 1669 unter dem Titel The Closet of the Eminently Learned Sir Kenelme Digbie Kt. Opened in London herausgegeben.

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vicendevole collegazione di genio e di benevolenza confidava in lui ogni sua fortuna«116; es folgten einige Aufträge für Familienbildnisse. Nun, 1633, wendet sich Digby an Van Dyck mit der Bitte um ein Totenbettbild Venetias. Das Bildnis wird ihn im weiteren überall hin begleiten, es ist zugleich

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»the Master peece of all the excellent ones that ever Sir Anthony Vandike made, who drew her the second day after she was dead; and hath expressed with admir­ able art every circumstance about her, as well as the exact manner of her lying, as for the likenesse of her face; and hath altered or added nothing about it, excepting onely a rose lying upon the hemme of the sheete, whose leaves being pulled from the stalke in the full beauty of it, and seeming to wither apace, even whiles you looke upon it, is a fitt Embleme to express the state her bodie then was in.«117 Nach Venetias plötzlichem Tod aber, der so verdächtig war, dass eine Autopsie beordert wurde (man vermutete zunächst ein Giftattentat des Ehemanns aus Eifersucht), gab Digby Van Dyck noch ein weiteres Gemälde in Auftrag. Hier sitzt Venetia als Prudentia, perlen­ geschmückt und in reichem Gewand, die Schlange der Weisheit oder auch der Sünde fest 116

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Giovanni Pietro Bellori, Le vite de’ pittori, scultori e architetti moderni, Turin 1976 [Rom 1672], 280. Noch im selben Jahr gibt Digby dem Maler den Auftrag zu einem Familienportrait, das ihn zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern zeigt; auf der linken Seite kann man ange­ schnitten eine Armillarsphäre erkennen, die als astronomisches Modell zur Darstellung der Be­ wegung von Himmelskörpern dient. Bellori beschreibt außerdem ein weiteres Portrait Digbys von der Hand Van Dycks, in dem der Höfling »in abito di filosofo con l’impresa di una sfera rotta« (ebenda) und mit einer Sonnenblume dargestellt ist ähnlich jener, mit der sich der Maler in sei­ nem eigenen Selbstportrait attributiert. Bellori hat hier allerdings etwas durcheinandergebracht: Im Gemälde befindet sich außer der dunklen Figur Digbys nur eine große Sonnenblume. Es diente dann wiederum als Vorlage für Robert van der Voersts Portraitstich für die Van Dycksche Iconographia, in der die Sonnenblume durch eine zerbrochene Armillarsphäre ersetzt wurde, die wie­ derum auf die unversehrte Version im Familienbildnis Bezug nimmt. Der Portraitstich weist ein aus Horaz entnommenes Motto auf: »Si fractus illabatur orbis intrepidum (impavidum) ferient ruinae« (Wenn der Himmel bricht und fällt, so regnen die Stücke doch auf ein ungebeugtes Haupt). Siehe dazu auch Christopher Brown, »Allegory and Symbol in the Work of Anthony van Dyck«, in: Wort und Bild in der niederländischen Kunst und Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, hg. v. Herman Vekeman & Justus Müller Hofstede, Erfstadt 1984, 123–135, hier 126. Zur Spannweite möglicher Bedeutungen der Sonnenblume und Armillarsphäre siehe u. a. Peacock, Look of Van Dyck; Niels Büttner, »›...is said to follow the light of the Sun‹. Van Dycks Selbst­ bildnis mit der Sonnenblume«, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 65 (2002), 24–42; Robert R. Wark, »A Note on Van Dyck’s Self­Portrait with Sunflower«, in: Burlington Magazine 98 (1956), 52–55; J. Bruyn & J. A. Emmens, »The Sunflower Again«, in: Burlington Magazine, 99 (1957), 96–97; Judith Dundas, »Ben Jonson and Van Dyck. A Study in Allegorical Portraiture«, in: Emblematica VII/1 (1995), 61–78; u. a. Peacock betont Digbys und Van Dycks neoplatonischen Hin­ tergrund. Für Digby trifft dies jedoch nur teilweise zu; vielmehr zeichnen sich seine naturphilo­ sophischen und erkenntnistheoretischen Schriften durch eine Hinwendung zum Aristotelismus aus, die dem Neoplatonismus der Cambridger Platonisten bewusst entgegensteht. Und weiter: »It standeth all day over against my chair and table (…) and all night I goe into my chamber I sette it close by my bedside, and by the faint light of a candle, me thinkes I see her dead indeed; for that maketh painted colours looke more pale and ghastly than they doe by daylight.« Sir Kenelm Digby, Brief vom 19. Juni 1633, in Peter Murray, Dulwich Picture Gallery: A Catalogue, London 1980, 56.

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128 | Anthonis van Dyck, Venetia, Lady Digby als Prudentia, ca. 1633/34, Öl auf Leinwand, 100.9 × 80 cm, National Portrait Gallery, London, Inv.­Nr. NPG 5727.

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im Griff und mit zwei Tauben spielend, auf einem steinernen Block, an den die Personifi­ kation des Verrats – erkennbar am Doppelgesicht – gekettet ist. Zu ihren Füßen liegt der Amorknabe als Verkörperung der profanen Liebe mit verbundenen Augen, gelöschter Fa­ ckel und gestutzten Flügeln, alles das beschreibt Bellori ausführlich. Heute sind von dem Gemälde noch sechs weitere zeitgenössische Fassungen bekannt.118 Die allegorische Ver­ wandlung Venetias in Prudentia ist von Bellori überliefert, der das Gemälde in seinen Vite de’ pittori beschreibt und sich auf eine entsprechende Information von Sir Kenelm Digby beruft, dem Ehemann der durch ihren früheren Lebenswandel als leichtfertig geltenden Lady Venetia.119 Folgen wir Bellori, so wird wahrscheinlich, dass Digby das gesamte ikono­ graphische Programm selbst entworfen hat, und dass die schnelle Verbreitung durch Ko­ pien kleineren und größeren Formats als durchdachte Bildpropaganda verstanden werden kann, die zur Ehrenrettung der Lady eingesetzt wurde. Digby jedenfalls hat in seinen erst posthum herausgegebenen private memoirs ausgiebig über seine Bereitschaft, das skanda­ löse Vorleben seiner Frau zu vergessen, Rechenschaft abgelegt, und Eddy de Jongh nimmt diese Ausführungen zum Anlass, im Portrait Van Dycks eine Art Maria Magdalena zu entdecken, die dem Publikum als ebenso kluge wie geläuterte Schönheit präsentiert werden 118

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Siehe Oliver Millar, The Tudor, Stuart and Early Georgian Pictures in the Collection of Her Majesty the Queen, London 1963, Nr. 179: »Sir Kenelm Digby’s memory may not have been wholly accurate and there are discrepancies between Bellori’s description and the present version of the design. Bellori adds that Van Dyck was so pleased with the composition that he also painted a small version, and that both were taken to France in the Civil War; (…). Despite Hazlitt’s praise (‚The Pictures at Windsor Castle’ [1823], in: Works, hg. v. A. R. Walker und A. Glover [1903], IX, 38) no. 179 does not seem to be Van Dyck himself, but to be a contemporary copy, probably executed in Van Dyck’s studio. A better version in the Palazzo Reale, Milan, has more at top and bottom and may show the original design which may in the case of no. 179 have been mutilated in the time of Charles II when it was set into its place at Windsor (…).« Vgl. zudem Aubrey, Brief Lifes, 232: »Her picture drawn by Sir Anthony Vandyke hangs in the queene’s draweing­roome, at Windsor­castle, over the chimney.« Bellori, Vite, 280: »Venne in pensiere al medesimo Cavaliere Digby di far dipingere sopra una gran tela la Signora sua Consorte in forma della Prudenze sedente in candida veste con un velo di colore, e balteo di gemme. (…) Sopra una gloria di Angeli con suoni, e canti, tenendo trè di loro la palma, e la ghirlanda sopra la testa della Prudenza in contrasegno di vittoria, e di trionfo de’vitij, e’l motto, e cavato da Giovenale NULLUM NUMEN ABEST SI SIT PRUDENTIA [Wo Weisheit einzieht, da wohnt [bereits] Gott].« Malcolm Rogers, »Van Dyck’s Portrait of Lord George Stuart, Seigneur d’Aubigny, and Some Related Works«, in: Van Dyck 350, hg. v. Susan J. Barnes & Art­ hur K. Wheelock Jr., Hannover & Washington 1995, 108–109, zitiert die entsprechende Satire Ju­ venals, in der das Motto zu finden ist, sowie die Illustrationen (Buch III, VIII und XVII) in George Withers Collections of Emblemes (1635) »in which snakes and doves are associated with death, prudence and immortality; and the standard allusion to death in the foot placed on the recumbent cupid whose torch lies beside him on the ground. It has been suggested that Ben Jonson, who composed, in his Eupheme, a sequence of poems on the theme of the ›Fair fame left to posterity of that truly­noble lady‹, may have ›devised the theme for this work‹.« Graham Parry, »Van Dyck and the Caroline Court Poets«, in: Studies in the History of Art 46 [1994], 257–260. Siehe außer­ dem Susan Barnes, Nora de Poorter, Olivar Millar & Horst Vey, Van Dyck. The Complete Catalogue of the Paintings, New Haven & London 2004, 507–508; Ausst.­Kat. London (2009), Van Dyck & Britain, hg. v. Karen Hearn, London 2009, 96; Ausst.­Kat. Antwerpen & London (1999), Van Dyck: 1599–1641, hg. v. Christopher Brown & Hans Vlieghe, New York 1999, 254; Arthur K. Wheelock Jr. u. a., Anthony van Dyck, Washington 1990, 253.

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soll.120 Sie wird als bekehrte Sünderin gezeigt und damit als Verneinung dessen, was sie war und nun eben nicht mehr ist. Das ist in seiner Struktur bemerkenswert, denn Van Dycks Darstellung geschieht indirekt, d.h. über Rückbezüge auf Venetias skandalöses Vor­ leben: Der Amorknabe verweist ebenso darauf wie die Figur mit dem Doppelgesicht, das angeblich die Züge des Verführers oder Verleumders trägt. Es sind also gar keine Tugen­ den, sondern Untugenden, die dargestellt werden, und sie taugen zur Allegorie der Prudentia nur, weil sie inzwischen zurechtgestutzt, gefesselt und überwunden wurden. Venetias ist alleine nur deshalb »prudent«, weil sie aufgehört hat, »imprudent« zu sein. In ihrer Bekeh­ rung als Sünderin ist sie jedoch eine überzeugendere Verkörperung der Prudentia als an­ dere es jemals hätten sein können. Wiegesagt hatte Digby schon gleich zu Anfang versucht, seine umstrittene Heirat mit Venetia mithilfe einer Seelen­ bzw. Erkenntnislehre zu rechtfertigen. Es gäbe keine menschliche Seele, die sich in einem unschuldigen oder reinen Zustand befände, so Digby, immer schon seien Geist und Materie miteinander verbunden und verhielten sich antago­ nistisch zueinander. Seine Rechtfertigungssätze korrespondieren mit der am Anfang sei­ nes Traktats Of Bodies and of Man’s Soul gestellten Frage des Sokrates aus Platons Phaidros: »Animae naturam, absque totius natura, sufficienter cognosci posse existimas?« (»Glaubst du, dass man die Natur der Seele verstehen kann, ohne die Natur des Ganzen?«), die als unruhiger roter Faden sein gesamtes Schaffen durchzieht.121 Seine Antwort ist ein­ deutig, wir können es nicht, die Seele ist körperlich korrumpiert, und das macht ihr Stu­ dium sofort auch zu einem des abschattierten materiellen Seins, der Physik und mensch­ lichen Affekte. Kenelm Digby jedenfalls hat an vielen Stellen seiner Schriften über der Beurteilung des Verhältnisses von mind and body (oder rationalem judgment und sinn­ licher affection) innegehalten und geschlussfolgert, dass sich diese unvereinbar zueinan­ der verhalten. Gerade aufgrund ihrer entgegengesetzten Natur müssen sie sich bei ver­ gleichbarer Stärke wechselseitig vertreiben.122 So ist er sich klar darüber, dass ein Leben nur im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen denkbar ist. Deshalb macht er in sei­ nen Schriften nicht nur die prinzipielle Mischnatur des Menschen stark, sondern betont noch die Beeinflussung der anima während ihrer weltlichen Verstrickung mit dem Körper durch jede Art von »corporeal motion«. Seine Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer di­ rekten Kommunikation mit der Ideenwelt geht tief, weil die Seele weltlichen Eindrücken (»impressions«) ausgesetzt ist, weil sie also nicht nur von Gott, sondern auch von der Um­ welt geprägt wird. Wir haben es immer mit an Materie gebundenen Formen zu tun, alles andere wäre, Digbys Kritik an Platon zufolge, eine bloße Engelsschau.123

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Eddy de Jongh, »Pearls of Virtue and Pearls of Vice«, in: Simiolus 8 (1975/1976), 97. Digby, Of Bodies and Man’s Soule, Frontispiz. Das Zitat stammt aus Platon, Phaidr., 270 c. »But of iudgements, and affections, none are incompatible to one another, but those that are di­ rectly opposite to one another by contradiction.« Digby, Of Bodies and Man’s Soule. »Der Dualis­ mus zwischen körperlichem und geistigem Sein, zwischen Bewusstsein und äußerer Wirklichkeit besteht auch bei ihm ungeschwächt fort.« Cassirer, Erkenntnisproblem, II, 213. In »abstracting from all materiality (…), [Platon] made them like Angels.« Digby, Of Bodies and Man’s Soule, 4.

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Digbys Philosophie zeichnet sich also durch eine radikale Akzeptanz der physi­ schen Intervenierbarkeit seelischer Prozesse aus. Es besteht für ihn kein Zweifel darüber, dass die Seele selbst Flecken aufweist, denn sie sie ist nicht nur eingesperrt in das dunkle irdische Gefängnis, sondern mit dem »obscure dungeon of noisom [nauseous] flesh«124 tatsächlich in Berührung, seine Bewegungen werden auf sie übertragen. Dadurch wird sie von den Dingen ihrer Umgebung eingefärbt und geprägt, sie wechselt in dieser Zeit in graduellen Stufen »from less knowledge to more knowledge«125, und dieses Wissen über­ nimmt sie als Erinnerung sogar in ihr nächstes Leben. Digby Verweis auf die mögliche Korruption oder Perfektibilität der menschlichen Seele während ihres irdischen Aufent­ halts und – expressis verbis – mit Hilfe ihres Zusammenhangs mit der Körperwelt ist, wie er mehrmals erklärt, gegen die platonische Doktrin der eingeschlossenen anima gerichtet, die der körperlichen Hülle nach dem Tod ganz unverändert entschlüpft.126 Unsterblich ist die Seele auch bei Digby, aber form­ und perfektionierbar im Sinne einer gesteigerten Selbstwahrnehmung und ­entfaltung, eines wachsenden Selbstbewusstseins.127 Mehr noch, sie wird von ihm, dem geschmeidigen Hofmann, mit einem zu trainierenden Körper verglichen, dessen Glieder in der Praxis bestimmte Fähigkeiten erlangen können (die Fin­ ger, so sein Beispiel, greifen nicht von allein zum richtigen Akkord, das Lautenspiel muss gelernt sein).128 Ebenso verhält es sich mit den einzelnen Seelenfakultäten, die bei wieder­ holter Übung gestärkt und damit zu einer Art Kunstfertigkeit werden können. Hier kom­ men wir zu Van Dycks Gemälde zurück, denn die gefestigte Tugendhaftigkeit von Lady Venetia ist ihm das beste Beispiel für ein gereiftes Seelenvermögen. Digby sieht sich in ihrem Fall als ihr Lehrer, und sein Erziehungsplan folgt einem klassisch angelegten Mus­ ter, demzufolge sich prudence bzw. Intellekt nicht von den Lebensformen der kreatürli­ chen Welt abstrahieren lässt, sondern aus ihnen als menschliche Sonderleistung hervor­ geht. Vor allem die aristotelische Vorstellung einer unauflösbaren mind­body­Union auf Erden entwirft er mit der Geste eines Hochzeiters, der sich die Ehe als hylemorphische Verbindung und den Part des Mannes als den des Formgebers imaginiert. In letzter Konse­ quenz wäre es deshalb, wie er schreibt, »my fault if she proves not as I would have her; and

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Ebd., 102. Ebd., 103. »Truly, the Platonick Philosophers (who are perswaded that a humane Soul doth not profit in this life, nor acquired any knowledg [sic] here, as being of her self compleatly perfect; and that all our discoursings are but her remembrings of what she had forgotten) will find themselvs ill bestead, to render a Philosophical and sufficient cause of her being lock’d into a Body.« Ebd., 102. »We may then conclude, that the knowledg of our Soul (which is indeed her self) will be, in the next life, more perfect and strong, or more slack and weak; according as, in this life, she hath often and vigorously, or faintly and seldom, busied her self about those things which beget such know­ ledge.« Ebd., 105. »In the same manner it fares with the Soul; whose essence is that which she knows: her several knowledges may be compared to arms, hands, fingers, leggs, thighs, &c. in a Body; and all her knowledges, taken together, compose (as I may say) and make her up what she is. Now, those limbs of hers, though they be, when they are at the worst, entire, and well shaped in bulk, (to use the comparison of Bodies): yet they are susceptible of further perfection, as our corporeal limbs are, by often and orderly usage of them.« Ebd., 104.

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MIMESIS III

I am confident that her life will belie any rumour that may have been spread (…). Censure me by the tenor of my future life, wherein I dare boldly promise to myself that, when­ soever I shall avow her for such, she will prove an exact pattern of a virtuous wife, and I of a happy man (…).«129 Zur Bekräftigung seiner Idee, die Herausbildung der eigenen Person als eine Art Kultivierungsprojekt zu verstehen, zieht er die naturumwälzenden Leistun­ gen der Menschheit (Handwerk, Wissenschaft und Kunst) heran, die die materielle Welt als Basis benötigen und sich mit ihr verbinden, bevor sie sie verwandeln, er argumentiert pragmatisch, bottom­up: »(…) for they were once brittle mould that are now saints; and how full are all stories of men and women, whose natures, when they have attained to mature age, have differed much from what their younger years did promise. And let it be re­ membered that the clearest brooks that are, have some mud, but which not at all defile the pureness of the stream if it be not indiscreetly stirred.«130 Betrachten wir deshalb Van Dycks Gemälde, für das Digby das ikonographische Programm entwarf, als ein allegorisches Bild der Erkenntniskraft, das, wie wir wissen, vom Auftrag­ geber mit einem Juvenal entlehnten Motto bedacht wurde: NULLUM NUMEN ABEST SI SIT PRUDENTIA (»Wo Weisheit einzieht, dort wohnt [bereits] Gott«). Venetia stellt Pru­ dentia dar und damit Ratio oder Judgment, so dass sie zu einer Allegorie des menschlichen Bewusstseins wird – das barocke Substitut der Metaphysik. Denn »Digby bietet eines der frühesten Beispiele dar, wie die neue idealistische Denkweise innerhalb der scholastischen Tradition selbst zur Geltung kommt und zu einer Umgestaltung des Problems der Er­ kenntnis führt.«131 Gemeint ist der Biss in den Apfel der Erkenntnis, den wir – aufgefrischt durch Miltons Deutung in »Lost Paradise« – als Erlösungsgeste der frühneuzeitlichen Subjektivität erkennen. Wie das erste Elternpaar, so war auch Venetia dem Schlangengift zum Opfer gefallen, und zwar nicht ein, sondern zwei Mal, wenn man Digby Glauben schenken will. Dem ersten Fall, der sie zur Sünderin stempelte und für eine Heirat un­ geeignet machte, war sie durch eine Wendung zum tugendsamen Leben wirksam ent­ gegengetreten. Ebenso ziehe ihr Tod nun eine Verwandlung nach sich, aus der sie gereinigt hervorgehe. Digby glaubt an ihre Auferstehung, und zwar, im Anschluss an die paulini­ sche Doktrin, nicht nur an eine Auferstehung des Geistes, sondern auch des Fleisches. 129

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Zur Rolle des Ehemanns als formende agency vgl. noch einmal Digby, Private Memoirs, 291. Vgl. an dieser Stelle auch den poetischen Nachruf des befreundeten Ben Jonson zum Tod Venetia Dig­ bys: »She was in one a many parts of life;/ A tender mother, a discreeter wife,/ A solemn mistress, and so good a friend,/ So charitable to religious end/ In all her petite actions so devote,/ As her whole life now become one note/ Of piety and private holiness (…).« Ben Jonson, »Eupheme, or the Fair Fame Left to Posterity of That Truly Noble Lady, the Lady Venetia Digby«, in: Ders., The Works, London 1838, 724. Digby, Private Memoirs, 277. Und noch einmal, konkret die Vergangenheit seiner Frau betref­ fend: »What discreet man ever threw away a fair and rich garment for having a small spot in some one corner of it?« Ebd., 288. Wenig später wird John Aubrey soweit gehen, von Digby zu berichten »that he would say that ›a wise man, and lusty, could make an honest woman out of a brothell­ house‹.« Aubrey, Brief Lifes, 230. Cassirer, Erkenntnisproblem, II, 207.

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MIMESIS III

Doch, fragt er sich, auf welche Weise kann der menschliche Körper nach dem Tod in Ver­ bindung mit der Seele bleiben? Wie kann der gesamte mind­body­Komplex in ein neues Leben überführt werden? Eines der Beispiele, das Digby verwendete, um das Geheimnis vorzuführen, war die Palingenesis der Rose aus ihrer Asche gewesen. Anhand des chy­ mischen Wiederbelebungsversuchs hatte er das Mysterium der Auferstehung anschaulich zu machen versucht und wie zur Abgrenzung die Kategorie des »Portraits« herangezogen. Die Seele nämlich, so Digby, erlaube nach dem Tod keinen Wechsel in eine andere Gestalt, sie sei an ihr spezielles Sein gebunden. Der auferstandene Körper mag sich äußerlich ver­ ändern, jedoch »in substance and reality, it is the same«132. Deshalb sei er nicht nur ein bloßer Schatten (»umbra«) oder ein »portrait« des ehemaligen Körpers, sondern dessen wirkliche Wiedergeburt und »true Palingenesis«, d. i. sowohl eine vollkommene Erhaltung als auch eine Transfiguration des Körpers, von dem er einmal ausgegangen war. Darin nämlich gleiche der auferstandene Leib dem Embryo vor der Geburt – auch er sehe dem späteren Körper nicht ähnlich, besäße aber dieselbe Form oder Seele (Digby nennt sie seine »identity«). Der Seele wiederum sei als »co­partner« ein eigener Leib zur Seite gestellt, mit dem sie auch nach dem Tod eine Allianz bilde und in dem sie wiedergeboren werde. Zuletzt hatte Digby Van Dyck darum gebeten, ein entsprechendes Emblem in Venetias Totenbettbild einzufügen: »A rose lying upon the hemme of the sheete, whose leaves being pulled from the stalke in the full beauty of it, and seeming to wither apace, even whiles you looke upon it.«133 Der zerstörerischen Vision eines im Tode sich auflösen­ den Körpers hält er die transformatorische eines Kleiderwechsels entgegen: »All this leads me to speak something of the Resurrection of Humane Bodies. (…) Not only while the Soul is separated from her Earthy Companion; but, when she shall be clothed again, that new flesh will partake the constancy of her glorious Mate. But why do I call it new flesh? I may be pardon’d for doing so, when I consider the new qualitites and endowments it shall have put on: But, otherwise, in sub­ stance and reality, it is the same, the very same, that accompany’d me in this long and tedious Pilgrimage upon Earth. (…) It is true, that my eyes, my ears, my whole body, now after near 60. years durance in Nature, are the same, the very same, they were when I lay a weak Embryon in my Mothers Womb. (…) Nothing hinder the Identity of this Body of mine; as long as the Form, which makes it be what it is, re­ mains still the same. If then the Form of Man, which is his Soul, remains the same after its separation from the Body, as it was while co­partner with the Body: what difficulty is there to allow her to have the same Body she had in this World, if she be built up again to a whole Man, out of the general Magazine of Matter; which furnish’d her with a Body before, and which hath no this or that belonging to it, otherwise than as some Form engrossing it, makes it be this or that Body? There is nothing more clear, nothing more evident, nothing more rigorously true. FINIS.«134 132 133 134

Digby, Of Bodies and Man’s Soule, 130. Sir Kenelm Digby, Brief vom 19. Juni 1633, in Murray, Dulwich Picture Gallery, 56. Digby, Of Bodies and Man’s Soule, 130–142.

»L’OBJET EST UNE TOILE, & TU TIENS LE PINCEAU.« Mercier

DAS BILD ALS EPHEMERON

Als Digby, Kircher und andere Alchemisten des 17. Jahrhunderts palingenetische Experimente durchführten, war die alles bewegende Frage gewesen: Ob sich am materiellen Ausgangs- und Endpunkt eines Lebens – in Same und Asche – immer schon eine formgebende Kraft finden ließe? Und wenn ja: Wo sich dann überhaupt noch die Grenze zwischen Leben und Tod befände? Dieselben Fragen hatten zuvor schon die Gelehrten im Streit um biologische Spontangenesen zu ihren Ursprungsthesen organischen Lebens geführt. Eine mögliche Antwort war, dass es sich bei jeder Schöpfung und Fortpflanzung nur um die Aktualisierung einer bereits vorhandenen, der Materie innewohnenden Kraft – und damit letztendlich um Reanimierungen eines eingeschlossenen spiritus – handele. Solche Gedanken sind tendentiell aristotelischer Provenienz; in der spezifischen Adaption des 17. Jahrhunderts, in der eine ungeahnte Komplexität der Lebensfragen aufgebaut wurde, sollten sie den Spalt zwischen Materie und Form bzw. Geist reduzieren, den die cartesisch-mechanistische Lehre zwar nicht geschaffen, jedoch merklich vertieft hatte. Man konnte diese Einschätzung jedoch auch umdeuten, indem man betonte, dass eine vis vitalis als eigenständiges Prinzip angenommen werden müsse, die das Besondere des Lebens betone und einen Wesensunterschied zwischen Organischem und Anorganischem aufmache. Als Vorläufer solcher vitalistischer Gedanken galt erneut Aristoteles, der das Lebendige als durch ein entelechisches Lebensprinzip ermöglicht betrachtete, und zum anderen auch Platon, in dessen Dialog des Theaitetos man darüber staunt, dass es so etwas wie Leben überhaupt gibt.1 Die mit Überschneidungen verschiedenster Inhalte und Traditionen arbeitende Bestimmung des Naturbegriffs ist eine der okkupierendsten Beschäftigungen des 17. Jahrhunderts. Sie zieht unmittelbar Kreationsfragen nach sich, diese werden auf allen Gebieten neu verhandelt: Aristotelische und atomistische Form- und Materievorstellungen treffen aufeinander und entwickeln inkohärente Mischformen; Präformationslehre und Epigenese wetteifern im biogenetischen Bereich um die Vorherrschaft; dahinter stehen die unvereinbaren Vorstellungen von Formenkonstanz und Kontingenz auf dem Feld der Naturge-

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Platon, Theait. 155 d. In den weiteren alternativen Darstellungen zum Mechanismus des 17. Jahrhunderts, z. B. bei den Cambridger Platonisten oder im Vitalismus Van Helmonts und Anne Conways (1631–1679), wird eben diese Gegenbewegung unterstützt, modifiziert und in das 18. Jahrhundert überführt.

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B I LD ALS EPHEMERON

schichte, die erst von den dynamischen Evolutionstheorien des frühen 19. Jahrhunderts abgelöst werden sollten.2 Im Grunde ist das bereits der Link zum kommenden und letzten Kapitel, in dem es noch einmal um die Diskussion des Verhältnisses von Form und Materie gehen soll, nun dargelegt am Beispiel der Farbe. Auch hier löst zunächst ein mechanistisches Modell das substantialistische Erklärungssystem ab und stellt die Formfrage neu. Die Diskussion um das Verhältnis von Form und Materie wird das gesamte Jahrhundert über geführt, aber ich konzentriere mich im weiteren auf das späte 17. Jahrhundert, um einen Paradigmenwechsel aufzuzeigen, der das Verständnis davon, was Farbe ist und wie ihre Entstehung zu erklären sei, vollkommen verändert hat.

NATÜRLICHE FARBE UND KÜNSTLICHE FARBE Das Farbkapitel im sechsten Buch seiner Inleyding beispielsweise hat Samuel van Hoogstraten nur aufgrund solcher systemischer Verschiebungen schreiben können. Es beginnt mit einigen Gedanken zum Stellenwert der Farbe in der Malerei. Van Hoogstraten referiert dabei unter anderem auf Karel van Mander und Seneca. Die Farbe gebe dem Körper erst seine »rechte volkomenheit«3, heißt es da, sie sei ihm aber zeitlich nachgeordnet: »De verwe, die d’oogen meest roost, wort in ’t leste, als ’t lichaem zijn volmaektheit alree heeft, daer over gestort.«4 Auf diese Weise wird auf kunsttheoretischer Ebene ein Verhältnis zwischen Zeichnung und Kolorit aufgebaut, das uns bekannt ist: Farbe erweist sich als eminentes, wenngleich der Form bzw. dem disegno des Bildes nachgereichtes Mittel. Vergleichbar mit einem bunten Kleid, das übergestriffen wird, verleiht es dem dargestellten

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Das Aufkommen der neuen atomistischen Bewegung, bei der sich die Materie passiv verhielt und lediglich mechanischen Bewegungsgesetzen gehorchte, war eine Provokation v.a. auf theologischem Gebiet. Um sie überhaupt in den kosmologischen Apparat integrieren zu können, musste die Frage nach dem Ursprung des Lebens und seiner organischen Formen neu gestellt werden: Er durfte nicht einfach dem atomistischen Zufall überlassen werden. Anfang des 17. Jahrhunderts überwog dabei die Präformationstheorie (auch: Emboîtement- oder Einschachtelungstheorie), bei der die konkrete Vorausbildung sämtlicher Teile eines Organismus im Ei (Ovulisten) oder Samen (Animalculisten) gelehrt wurde. Im späten 17. Jahrhundert florierte dagegen mehr der Glaube an präexistente Formen: Hier wurde lediglich die göttliche Aussaat von Samen (im Sinne von Potenzen) am Beginn der Welt vorausgesetzt, aus denen alle späteren Formen hervorgehen konnten. Beide Vorstellungen existierten nebeneinander, müssen aber unterschieden werden. Antithetisch dazu verhielt sich das dynamische Konzept der Epigenesis, bei der die Organisation eines Lebewesens aus bloßen Anlagen als Neubildung hervorging. Dieses wurde von William Harvey u. a. in die Diskussion eingeführt, entfaltete seine Argumentationskraft aber hauptsächlich im 18. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert hatte das Festhalten an der Urzeugungsidee nicht zuletzt mit einer Verweigerungshaltung der Präformationsidee gegenüber zu tun, die als konservativ angesehen wurde, vgl. neben William Harvey v.a. Sir Kenelm Digby, der die Urzeugungslehre aus diesem Grund vehement verteidigte. Digby, Two Treatises, 215. Van Hoogstraten, Inleyding, 216. Ebd., 216–217 (»Die Farbe, welche die Augen am meisten reizt, wird als letztes, wenn der Körper bereits seine Vollkommenheit erreicht hatte, darüber gestülpt«).

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NATÜRLICHE FARBE UND KÜNSTLICHE FARBE

Körper seine momentane individuelle Lebendigkeit. Als primitivstes Ausdrucksmittel der Malerei erscheint die Farbe aber, sobald sie direkt, ohne durch eine Zeichnung geformt worden zu sein und sich einem Umriss zu fügen, eingesetzt wird. Es folgt eine Formulierung, die wiederholt wird und dadurch an Nachdrücklichkeit gewinnt: Van Hoogstraten spricht nämlich von der mimetischen Fähigkeit der Malerei, »tot iet vlaks op een vlakte nae te maeken.«5, d. h. zweidimensionale Gegenstände wie zum Beispiel Blätter durch Abdruck auf einer Fläche abzubilden. Die indexikalische Abbildungsfähigkeit stellt die niedrigste Stufe künstlerischer Repräsentation dar, hier fungiert die Farbmaterie lediglich als reproduzierende Matritze, ohne von der Hand des Künstlers durchdrungen worden zu sein. Interessanterweise führt Van Hoogstraten in diesem Zusammenhang die sottoboscoMalerei in der Tradition Otto Marseus van Schriecks an.6 Nicht nur, dass es in solchen Bildern um eine akkurate Naturnachahmung gehe, erklärt er, vielmehr erwiesen sich die darin angewandten Abdrucktechniken als besonders geeignet für die erste Stufe einer Wiedergabe der Natur, heißt es in der Inleyding. Die abgedrückten Formen von Moos und Blättern bedürften keiner zeichnerischen Modellierung und Schattierung, sondern seien »alleen met de kleur bekommert«; und auf diese natürliche Grundlage könne man wie auf eine »eerste trap« alles mögliche Ungetier (»alle ongediert«) wie Schlangen, Eidechsen, Taranteln oder Frösche stellen. Die nächsten Schritte, mit denen das Bild buchstäblich aufgebaut wird, entfernen es von der Fläche und lassen es zunächst plastisch und dann räumlich erscheinen. Van Hoogstraten weist den Maler wie folgt an: Man füge dem primitiven Ausgangsmaterial des Malgrunds und den Naturabdrücken einige (komplexere) Formen wie Blumen oder Muscheln hinzu, und zwar so, wie sie dem Betrachter im Freien und von einer einheitlichen Lichtquelle getroffen erscheinen. Hier nun käme die Hand des Künstlers, der Einsatz von Helldunkel und einer plastischen Modellierung zum Tragen. Auf diese Weise, d. h. durch das sorgsame Studium der Naturformen und ihrer graduellen Hervorbringung via Farbe und Form, erreiche bereits ein Anfänger Resultate, für die er sich vor einem Meister nicht zu schämen brauche: »Andere stellen moosige Untergründe her und drucken Blätter darauf ab, als ob sie gemalt wären, und wissen diese alleine mit Farbe artig zu verzieren. Schlangen, Eidechsen, Taranteln, Frösche und alles mögliche Ungetier wiederum kann man gut auf diesen Untergrund (als einer ersten Stufe) plazieren, und von einer gemalten Fliege oder Spinne ist von manchem spitzfindigen Geist eine gute Arbeit abgeliefert worden. Laßt uns dann noch allerlei Kräuter und Blumen, Seegewächse und Muscheln, und was es alles mehr gibt, hinzufügen: Und wenngleich keines dieser 5 6

Ebd., 218. In Willem Beurs’ De groote waereld in ’t kleen geschildert, Amsterdam 1692, wird im übrigen ein ganzes Kapitel der Darstellung von »kriechenden Thieren und dergleichen Ahrt« gewidmet, wie sie im sottobosco vorkommen. Dabei werden vor allem Anweisungen für die prächtige und zuweilen exotische Farbgebung von Schlangen gegeben, während Skorpione, »Kröten/ Fröschen/ Schnecken und andern Thierlein« direkt nach der Natur abgemalt werden können. Ebd., 99–100.

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129 | Otto Marseus van Schrieck, Stilleben mit Papagei und Schlange, 1650er Jahre, Öl auf Leinwand, 52 × 39 cm, Anhaltische Gemäldegalerie, Dessau, Inv.-Nr. 116. In diesem Bild arbeitete Van Schrieck sowohl mit der ›Fettpresse‹ wie mit der Lüsterfarbentechnik. Auf die rauhe Moosstruktur plaziert er eine Schlange; den untersten Schmetterling malt er auf Blattsilber, um die Leuchtkraft der Farben zu unterstützen.

genannten Dinge ohne Modellierung und Schattierung auskommt, so werden sie doch, wenn sie im Freien unter einheitlichem Licht imitiert werden, dem Neuling zeigen, dass seine fleißige Beobachtung selbst den Meister täuschen kann.«7 Van Hoogstratens Exkurs zur sottobosco-Malerei ist eine Reflexion über die mimetische Funktion der Farbe. Bereits in ihrer primitivsten Anwendung als Abklatschtechnik erfülle

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Van Hoogstraten, Inleyding, 218 (»Andere maeken mossige grondetjes, en drukken ’er bladeren op, gelijk ik toonen kan, en weeten die dan, alleen met de kleur bekommert, aerdich op te sieren. Slangen, Haegedissen, Tarantels, en Kikkers, en alle ongediert, mach ik wel wederom op deezen eersten trap stellen, en van een geschilderde Vliege of Spinne is somtijts van eenige waenwijzen groot werk gemaekt. Laet ons ’er allerley kruiden en bloemen, zeegwas en hoorens, en wat des meer is, byvoegen: en howel geen van al deeze genoemde dingen zonder ronding en schaduwing bestaen kunnen, zoo zullenze nochtans, in een open lucht, en overal gelijk licht nagevolgt, den aenkomeling doen zien, dat zijn vlytige opmerking ook meester zal doen vergissen«).

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VERF UND KLEUR

sie die Aufgabe der Naturnachahmung, aber solche Mittel könnten weiterhin gesteigert werden durch die Fähigkeit der Malerei zur täuschenden Imitation von Körperlichkeit durch »ronding en schaduwing«8. Auch hier kommen die Pigmente zum Einsatz, nur dienen sie nicht einfach dazu, der Natur zum Selbstabdruck zu verhelfen, sondern werden gebraucht, um Natur- in Kunstfarben zu übersetzen. Ähnlichen Überlegungen waren wir schon im Vorwurf an Elias van den Broeck begegnet, als es hieß, die abgedrückten Schmetterlingsflügel seiner Bilder seien keine rechte Kunst, denn hier liege keine Übersetzungsleistung vor, und es ist aufschlussreich zu sehen, wie intensiv zu dieser Zeit über die ambivalente Rolle der Farbe nachgedacht wird, die beides sein kann: Natur und Kunst. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass Van Hoogstraten mit mindestens zwei unterschiedlichen Modellen operiert, wenn er über Farbe spricht, denn zum einen ist er sich sicher, dass »alle dingen hebben haere koleuren in de scheppinge bekomen, en zijn door het eerste licht zichtbaer geworden«9, dass also alle Dinge ihre Farben während der Schöpfung erhalten haben, so dass man sagen kann, sie seien auf natürliche Weise eingefärbt, während er gleichzeitig auf der Möglichkeit einer perfekten Wiedergabe dieser Farben im Reich der Kunst besteht. Natürliche und künstliche Farbe werden in Relation gesetzt, gehören jedoch unterschiedlichen Seinsstufen an, vergleichbar den realen Dingen und ihren scheinbaren Verdoppelungen im Bild.

VERF UND KLEUR Die beiden Modelle »natürlicher« und »künstlicher« Farbgebung werden in der niederländischen Kunsttheorie gerne chiastisch verschränkt: Zum einen agiere die Natur wie eine Künstlerin, heißt es dort, weil sie die Dinge einfärbe und bemale, zum anderen ähnele der Künstler der Natur, weil er imstande sei, ihre Farben mit Pigmenten täuschend nachzuahmen. Es ist leicht zu sehen, dass beide Konzepte nicht zuletzt deshalb eng aufeinander bezogen werden können, weil es in der barocken Farbtheorie, solange sie von Körper- oder Pigmentfarben handelt, zunächst um stoffliche Mischungs- und Färbevorgänge geht. In Natur und Kunst wird mit Farbstoffen hantiert, die Teil der Gegenstandswelt sind und sich daraus gegebenfalls extrahieren lassen; sie können wiederum verwendet werden, um Oberflächen zu bestreichen oder Körper einzufärben. Einem solchen stofflichen Verständnis von Farbe wird aber schon in den antiken und mittelalterlichen farb- bzw. wahrnehmungstheoretischen Schriften ein anderes zur Seite gestellt: das der optischen Farberscheinung oder Lichtfarbe. Im Niederländischen beispielsweise kennt man für die Bezeichnung von »Farbe« kein Einzelwort, sondern zwei Begriffe, die eng aufeinander bezogen sind und im Laufe der Zeit immer mehr austauschbar werden, die aber verschiedenen Wurzeln entspringen. Verf oder verw(e); mnl. varuwe, var(e)we, v(a)erwe; mnd. varwe, varve, varfe; mhd. varwe; nhd. Farbe ist germanischen Ursprungs. Der Begriff wird im heutigen Sprachgebrauch am 8 9

Ebenda. Ebd., 219.

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besten mit Farbe, Deckfarbe, Farbauftrag oder Anstrich übersetzt, aber der Bedeutung nach rührt er von der Tätigkeit des Färbens (verven) her und bezieht sich deshalb zunächst auf Vorgänge, in denen Farbstoffe oder Pigmente zum Einsatz kommen, um Materialien zu bedecken oder einzufärben. Im 17. Jahrhundert spricht man beispielsweise häufig davon, dass die Dinge entweder eine »natuerlijcke verwe« haben oder aber eine »verf aanneemen« beziehungsweise ihre »verwe verliezen«, und man bezieht sich damit auf ein wesentliches Aussehen der Dinge.10 Die Bedeutung des aus dem Französischen (couleur) beziehungsweise Lateinischen (color) entlehnten Begriffs kleur (koleur; mnl. colore oder calore [caloor]) dagegen tendiert zunächst eher zu einer Beschreibung der Farben, wie sie unseren Augen erscheinen. Wird also mit verf tendenziell der materielle Aspekt der Farbe (im Sinne von Farbstoff oder Pigment) betont, so verweist kleur stärker auf die qualitativen Eigenschaften des Farbtons oder Kolorits. Man kann die Erklärung aber auch weiterdenken und sagen, dass mit verwen eher Farben gemeint sind, die in chemisch-physikalischen Prozessen hergestellt werden wie zum Beispiel in Färbevorgängen oder als Pigmentmischung auf der Palette der Maler, während man von kleuren als von Farbeindrücken in der Wahrnehmung des Betrachters spricht. Verf wäre dann etwas, das der stofflichen Welt angehört, während kleur auf die sensuelle Erfahrung verweist. »De Oost-Indische inkt met een weinig Roets gemengt, geeft een aardige en gebrokene koleur«11 heißt es beispielsweise in Willem Goerees Inleyding tot d’algemeene teykenkonst (1670) über den veränderten Farbton sowie die Wirkung, die sich einstellt, wenn man Tinten miteinander vermischt, und auch De Lairesse bezeichnet die Farben auf der Leinwand, sobald man sie nicht als Pigmente, sondern in ihrer Zusammenstellung betrachtet, als koleuren, zum Beispiel, wenn er davon berichtet, wie aus der Mischung der Pigmente ein neuer Farbton entsteht oder wie in »de schikking der Koleuren by en op malkander, om dezelve smeltende en bevallig met een goede harmonie te doen voortkomen.«12 Entsprechende Differenzierungen zwischen Farbstoff und Farbton kommen zu tragen, wenn man in barocken Traktaten zu Färbetechniken zwischen den Farben als kleur und verf unterscheidet und beispielsweise von verschiedenfarbigen Tüchern spricht, »die men op double coleuren begeert te verwen«13, oder in Rezeptbüchern Angaben zur Pigmentherstellung (»verve der schilders. Pigmenta, colores pictorum«14) findet, mit denen verschiedene couleuren erzielt werden können. Hier gibt es

10 11 12 13 14

Vgl. dazu ausführlicher Karin Leonhard, »verf, kleur. Farbtheorie und Stilleben im 17. Jahrhundert«, in: Ad Fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen, hg. v. Claudia Fritzsche, Karin Leonhard & Gregor J. M. Weber, Petersberg 2013, 55–82. Willem Goeree, Inleyding tot d’algemeene teykenkonst, Middelburg 1670, 91. De Lairesse, Groot schilderboek, I, 205 IV/1, 205 (»[…] die Ordnung der Farben neben- und aufeinander, um solche schmelzend und gefällig mit einer guten Harmonie hervorzubringen.« Gerard de Lairesse, Mahler-Buch, IV/1, 41). Dokument von 1658, in: Nicolaas Wilhelmus Posthumus (Hg.), Bronnen tot de geschiedenis van de Leidsche textielnijverheid (1333–1795), 6 Bde., Den Haag 1911, III, 124. Cornelis Kilianus, Etymologicum teutonicae linguae, sive dictionarium teutonicolatinum, Alkmaar 1605.

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VERF UND KLEUR

unter anderem Parallelen zur englischen Unterscheidung zwischen paint und colour oder dye und tint.15 Weiterhin fällt auf, dass kleur im 17. Jahrhundert meist verwendet wird, wenn es um den Glanz und die Leuchtkraft von Farben geht, zum Beispiel um »volle, heldere, lachende kleuren« oder eine »vrolicke, lieflicke ende levendighe coleur«, eine «blije coleur«16 oder »en gloevende coleur«17 wie etwa bei Van Mander. Es ist aufschlussreich zu sehen, dass sich dadurch ein breites Bedeutungsspektrum zwischen »vuurige kleuren« und »sombere kleuren« aufmacht, und zwar alleine dadurch, dass ein Urteil über die Brillanz der Farben (oder die Abwesenheit derselben) abgegeben wird: Etymologisch nämlich ist kleur mit dem Wortstamm Licht verbunden, denn »het woord kleur-zelve is zoo wel als het Latijnsche color, van lo, licht, en eigenlijk ge-lo-er, belichter of belichting, het zij in activen het zij in passiven zin. Het is dus het zelfde woord met gloor, dat ook uit ge-lo-er is saamgetrokken; gelijk lie, door de oude Angelsaxische uitspraak van loe ontstaan is, waarvan licht, glimmen, en ’t oude glinst en latere glinster, voortkoomt. Op het oog-zelf toegepast, waarin men oudtijds het licht en een uitschieting van stralen stelde, heeft het loeren, dat is lo-eren, en meer woorden van die afstamming gemaakt. En hiervan is een kleur en een glimp aan iets geven, het zelfde. Kleur drukt derhalve de belichting uit, wier verschillende wijziging, naar de oppervlakte der voorwerpen dit meêbrengt, de verscheidenheid van kleur maakt.«18 Die Semantik von kleur als strahlende Helligkeit oder Licht mag der Grund sein, warum der Begriff im 17. Jahrhundert vor allem im Kontext optischer Lichttheorien verwendet wurde – kleur verstanden als farbiges Licht, sei es des Regenbogens, des Prismas19 oder anderer leuchtender Erscheinungen. Um hier nur ein Beispiel zu nennen: Der bei der Verbreitung der Newtonschen Ansichten eine entscheidende Rolle spielende Pieter van Musschenbroek (1692–1761), Sohn des für seine Mikroskope und Teleskope berühmten Instrumentenbauers Johann Joosten van Musschenbroek (1660–1707), schreibt in seinen Beginsels der natuurkunde, wie »zoodanig een witte straal (van de zon) door eenen glazen prisma heen gaande, waardoor hy gebrooken woordt, en vallende (…) op een plat wit vlak, vertoond eene langwerpige figuur, met verscheide kleuren, volgends deeze orde altyd malkanderen

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16 17 18 19

Die Materialität der Farbe lässt in farbtheoretischer Hinsicht nun auch technische Belange wichtig werden, vgl. z. B. »dat hy bevondt, dat haer de verwe beter (…) met de Oly liet verdrijven en verwercken, dan met de vochtigheyt van Ey oft lijm, en niet en hoefde so ghetrocken te zijn gedaen.« Van Mander, Schilder-boeck, 199 b. Simon van Beaumont, Gedichten, hg. v. Jan Tideman, Utrecht 1843 [ca. 1620], 100. Karel van Mander, »Den grondt der edel vrij schilder-const«, in ders.: Schilder-boeck, VII, 6, 29v. Willem Bilderdijk, »De kleuren«, in: Nieuwe Taal- en Dichtkundige Verscheidenheden 4 (1825), 65–83, hier 77–78. Digby nennt sie »prismes which some do call fooles Paradises«. Digby, Two Treatises, 257.

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B I LD ALS EPHEMERON

130 | Cornelis de Heem, Papagei mit Blumenkorb, signiert, 1680er Jahre, Öl auf Holz,

85 × 119.5 cm, Galerie De Jonckheere, Paris.

volgende; Rood, Oranje, Geel, Groen, Blaauw, Purper en Violet.«20 Bis zur Durchsetzung der Newtonschen Optik Anfang des 18. Jahrhunderts war es jedoch ein weiter Weg gewesen, und das 17. Jahrhundert – viel zu wenig bearbeitet in dieser Hinsicht – erweist sich als interessant, weil der sich anbahnende Systemwechsel kreative Zwischenschritte abverlangte und eine Vielzahl alternativer Entwürfe hervorbrachte, an denen sowohl Wissenschaftler wie Künstler beteiligt waren. Auf die Möglichkeiten aber, mit Pigmenten die Lichtfarben des Regenbogens oder überhaupt die Farben der Natur nachzuahmen, will ich im Folgenden genauer eingehen. Sehen wir uns dazu ein erstes Beispiel an. In Cornelis de Heems Stilleben mit Papagei und Blumenkorb wird das Motiv des die Natur lautmalerisch nachahmenden Vogels in eine Parabel mimetisch operierender visueller Formen verwandelt. Auf einem Korb, der ob seiner Schwere umgekippt zu sein scheint und seinen Inhalt von bunten Blumen und Früchten auf einer Tischplatte verstreut, sitzt ein großer, in seinem Gefieder schillernd aufleuchtender Papagei. Aber unsere Aufmerksamkeit wird nicht nur darauf gelenkt, dass dessen gespreizte Schwanzfedern in lockeren Pinselzügen angelegt sind und

20

Pieter van Musschenbroek, Beginsels der natuurkunde, Leiden 1736, 554 (»Sobald ein weißer (Sonnen-)Strahl durch ein Prisma geht, wodurch er gebrochen wird, und […] auf eine weiße Fläche fällt, zeigt er sich dort in einer ovalen Gestalt mit verschiedenen Farben, und zwar immer in derselben Reihenfolge: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Purpur und Violett«).

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FARBE ALS FÄRBUNG (DE COLORIBUS)

man die Handbewegung des Künstlers via Farbe nachverfolgt, sondern dass sich das gestreifte Gefieder im Längsformat der Leinwand wie ein Regenbogen aufspannt. Die Assoziation kommt unweigerlich: Pigment-, Körper- und Lichtfarbe werden analog gesetzt, verf und kleur verweisen aufeinander. Das ist nicht immer so gewesen. Nun aber durchläuft das Licht als farbgebende Kraft das malerische Feld, so als ob es entweder selbst materiell geworden ist oder aber die erscheinenden Farben nur mehr Grade der Intensität jenes Lichtprinzips sind. Das Licht scheint die Federn und Blumen nicht von außen zu beleuchten, sondern Teil von ihnen zu sein, d. h. es scheint dem Bildfeld selbst anzugehören, das an jeder Stelle zum Leuchten gebracht und in ein vibrierendes Partikeluniversum (sei es aus Lichtteilchen oder Pigmenten) verwandelt werden kann.21

FARBE ALS FÄRBUNG (DE COLORIBUS) Cornelis de Heems Stilleben mit Papagei und Blumenkorb ist ein brillantes Beispiel für die wechselseitige Verschränkung der Vorgänge einer Materialisierung des Lichts und einer Optisierung der Farbe, die zur puren Erscheinung – und darin momenthaft, temporär – wird. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gehen Körper-, Pigment- und Lichtfarbe zuweilen einen derart engen Konnex ein, dass man sie bildkonzeptuell kaum mehr auseinanderhalten kann. Das ist noch immer neuartig innerhalb der Geschichte der Malerei, auch wenn die Anfänge einer solchen Reevaluierung der Farbe im späten 15 und 16. Jahrhundert liegen. Es mag auch kein Zufall sein, dass die Dynamisierungsvorgänge von Licht und Farbe vor allem in den Genres von Stilleben und Landschaft stattfinden, in denen sie sich von jeher ein Recht auf ihre explikative Darstellung ausbedungen hatten und sich leichter von den funktionalen Anforderungen mimetischer Bilder lösen konnten. Man muss jedoch auch sehen, dass De Heems Gemälde zwar auf der optischen Ebene aufregend neuartig wirkt, seiner Ikonographie nach aber einer älteren Tradition verpflichtet ist. In dieser war das Verhältnis zwischen den Farbregistern anders beschrieben gewesen, und es gehört zu den entscheidenden nächsten Schritten, sowohl die Differenzen wie Zusammenhänge zwischen dem alten und neuen Regime zu rekonstruieren, will man ein Verständnis für die konstitutive Wende der Farbdebatte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gewinnen. De Heems Stilleben mit Papagei und Blumenkorb geht wie beinahe jedes Stilleben ähnlichen Motivs auf eine seit dem 16. Jahrhundert weithin bekannt gemachte antike Kommentartradition der aristotelischen Schriften zur Wahrnehmung zurück, in denen unter anderem Theorien zur Farbentstehung und -mischung in der Natur dargelegt wurden. Der griechische Text De coloribus (Peri chromaton Περὶ χρωμάτων) aber, den man zuerst Aristoteles und dann Theophrast oder Straton von Lampsakos (ca. 340–ca. 268 v. Chr.) zuschrieb, der aber wahrscheinlich von einem anonymen Mitglied der peripatetischen Schule verfasst wurde, gehört zu den einflussreichsten farbtheoretischen Schriften. Bis ins 21

Vgl. Thomas Leinkauf, »licht. Intensitätsraum und Lichtentfaltung. Zur Raum- und Lichtauffassung im 16. und 17. Jahrhundert«, in: Ad fontes!, hg. v. Fritzsche, Leonhard & Weber, 17–34.

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131 | Jan Davidsz. de Heem, Prunkstilleben mit Papagei, signiert, ca. 1660, Öl auf Leinwand,

115.5 × 170 cm, Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste, Wien, Inv.-Nr. 612.

17. Jahrhundert hinein wurde er stark rezipiert, denn es gibt zwei mittelalterliche lateinische Übersetzungen, bekannt als Translatio vetus und Translatio vulgata, sowie eine dritte, aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammende Übertragung durch Caelius Calcagninus (1479–1541) von Ferrara.22 De coloribus beginnt mit folgendem rätselhaften 22

Vgl. H. B. Gottschalk, »The De Coloribus and its Authors«, in: Hermes 92 (1964), 59; weiterführend: Ezio Franceschini, »Sulle versioni latine medievali del Peri Chromaton«, in: Autour d’Aristote. Recueil d’études de philosophie ancienne et médiévale offert à Monseigneur A. Mansion, Louvain 1955, wiederabgedruckt in ders.: Scritti di filologia latina medievale, 2 Bde., Padua 1976, II, 654–673. Eine Zusammenfassung der Rezeptionsgeschichte bei Georg Wöhrle, Aristoteles. De coloribus, Darmstadt 1999, 27–29: »Etwas mehr erfährt man aus Harlfingers textgeschichtlicher Untersuchung der in enger Überlieferungsgemeinschaft zu Col. stehenden Aristotelischen Schrift de Lineis insecabilibus, zu deren Zweck er auch große Teile von Col. in allen verfügbaren Manuskripten kollatoniert hat. Dazu gehört auch die Paraphrase des Byzantiners Georgios Pachymeres, der im zwölften Buch seines exegetischen Kompendiums der Philosophie des Aristoteles den – von einigen Auslassungen abgesehen – vollständigen Text von Col. bietet. Hiernach geht Pachymeres’ Paraphrase auf dieselbe gemeinsame Vorlage, den codes deperditus η, wie die beiden Handschriften L (Vaticanus gr. 253) und Ha (Marcianus gr. 214) zurück. Der erste Kommentator im engeren Sinne war – soweit bekannt – Michael von Ephesos (etwa 1050 bis 1129). (…) Seine Kommentare zu De partibus animalium, De generatione animalium und den Parva naturalia boten im 16. und 17. Jh. im Original oder in lateinischer Übersetzung offensichtlich eine wichtige Grundlage für die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der aristotelischen Biologie. (…) Auch zur (pseudo-)aristotelischen Schrift De coloribus hat Michael einen Kommentar angekündigt (…). Allerdings hatte sich dessen Spur zunächst verloren. Jedenfalls die des griechischen Originals, denn Fabricius erwähnt eine lateinische Version (Bibliotheca Graeca III 245: ›Exstant in hunc librum [sc. De coloribus] Michaelis

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Passus: »Die einfachsten unter den Farben korrelieren den Elementen wie dem Feuer, der Luft, dem Wasser und der Erde. Luft nämlich und Wasser sind an sich von Natur aus weiß, das Feuer aber und die Sonne gelb. Auch die Erde ist von Natur aus weiß. Infolge von Einfärbung erscheint sie aber vielfarbig.«23 Wie haben wir ihn zu verstehen? Heute würden wir vielleicht sagen, dass das antike Farbmodell hauptsächlich ein photochemisches, oder allgemeiner, ein chemisches Modell für die Farbentstehung und den Farbwechsel im Naturreich war. Dieses widmete sich den gesetzmäßigen Veränderungen von Körperfarbe (»Einfärbung«) durch Lichteinwirkung und bot für lange Zeit eine Alternative zu den optisch-strahlungsgeometrischen Erklärungsmodellen (in der Traditon von Aristoteles’ De meteorologica), die einen zweiten wichtigen Zweig innerhalb der Farbtheorie ausmachten und späterhin die Oberhand gewannen. Beide sind eng miteinander verknüpft und können ineinander übergehen; strukturell wie historisch müssen wir sie jedoch auseinanderhalten. Theophrasts kritischer Zusammenfassung antiker Lehrmeinungen zur Wahrnehmung in seiner im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit stark rezipierten Schrift De sensibus wiederum ist es zu verdanken, dass sich auch einige atomistische Angaben zur Farbmischung erhalten haben. Dennoch, auf welches visuelle Regime bezogen sich die antiken Aussagen zu Farbmischungen? Die wenigen Fragmente atomistischer Farbtheorie machten selten genug Sinn. »Mischt man Rot mit Weiß ergibt sich ein Gelbgrün und kein Schwarz« heißt es beispielsweise bei Demokrit (ca. 460 – ca. 370 v. Chr.).24 Und weiter, mindestens ebenso unerklärlich: »Dunkelgrün mischt sich aus Scharlachrot und Dunkelblau, oder aber aus Gelbgrün und ein bisschen Scharlachrot.«25 Im Timaios gibt Platon außerdem an, dass »das Leuchtende ferner mit Rot und Weiß vermischt das Gelbe« erzeuge, und »Rot mit Schwarz und Weiß vermischt die Purpurfarbe« sowie »Braunrot und Schwarz die Lauchfarbe«26 ergebe. Versuche, solche Anweisungen nach dem Vorbild der Malerei als Theorie von Pigmentmischungen zu verstehen, schlugen fehl. Die Farbtheorien konnten nicht annähernd mit der empirischen Wirklichkeit in Verbindung gebracht werden.27 Sie lassen

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Ephesii, graeci scriptoris, scholia; sed latine tantum edita‹), und Gottschalk hat dafür auf den genauen Fundort verwiesen, nämlich die lateinische Übersetzung des Maximus Margunius aus dem Jahre 1575 (…). Harlfinger hat dann das griechische Original in drei Handschriften aufgefunden. (…) Die editio princeps (Aldina) der Schrift Col. erfolgte 1497. In der Renaissance wurde Col. von Caelius Calcagninus und von Simon Portius (zusammen mit einer Edition und einem Kommentar) ins Lateinische übersetzt. Dieser hat wohl als erster eine vermutungsweise Zuordnung der Schrift an Theophrast vorgenommen.« Goethe hatte im historischen Teil seiner 1810 erschienenen Farbenlehre eine deutsche, mit Friedrich August Wolf durchgesehene Übersetzung der Schrift De coloribus auf der Grundlage der Ausgabe von Simon Portius beigegeben. Pseudo-Aristoteles, De col. 791 a 1–5. Theophrast, De sens. 78. Ebd., 77. Platon, Tim. 67 d–68 c. Während beispielsweise Carl Prantl, der 1849 De coloribus wegweisend ediert hatte (Aristoteles: Über die Farben, Aalen 1978 [München 1849]), Demokrits Farbenlehre als Lehre von den subjektiven Erscheinungsformen einer immer neu kombinierten atomistischen Welt interpretierte, hielt Francis Macdonald Cornford in seinem bekannten Timaios-Kommentar an der Vorstellung fest, dass es sich bei Platons Farbkonzept um eines von Mischfarben handeln müsse, so

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sich jedoch entschlüsseln, wenn man ihre Ausführungen auf farbige Naturphänomene und nicht auf Pigmentmischungen wie in der Malerei bezieht. Es ist die Auswirkung des Lichts (beziehungsweise der Wärme des Sonnenlichts) auf die substantiellen Dinge selbst gemeint, die durch diese Einwirkung ihre Körperfarbe verändern. John Gage hat ganz richtig bemerkt, dass »the technical literature, from the Peripatetic De coloribus of the fourth century B.C. (Col. 795 b 10, 797 a 5) to the Onomastikon of Julius Pollux, compiled

wie sie Maler auf der Palette erzeugten (Cornford, Plato’s Cosmology). In Osbornes Studie zur antiken Farbtheorie wurden die Farbmischungen von Demokrit, Platon und Aristoteles dann schlichtweg als »hotchpotch« (Mischmasch) bezeichnet (H. Osborne, »Color Concepts of the Ancient Greeks«, in: The British Journal of Aesthetics 8 [1968], 269–283), und Helmut Dürbeck schloss seine langen Ausführungen zu diesem Thema in Resignation – es sei unwahrscheinlich, dass die obskure Bedeutung der Farbmischungen bei Demokrit und Platon jemals genügend erhellt werden könnte (H. Dürbeck, Zur Charakteristik der griechischen Farbenbezeichnungen, Bonn 1997). Innerhalb der Kunstgeschichte hat sich dann vor allem John Gage dieses Problems angenommen und es mit der Vermutung lösen wollen, dass die antiken Farbbegriffe eine weitere Bedeutung als die heutigen besessen hätten, und die Angaben deshalb nicht mehr mit den unseren übereinstimmten. Wiedergegeben nach Pieter Struycken, »Enkele Oudgriekse denkbeelden over kleur«, in Aristoteles’ Over kleuren, hg. v. Rein Ferwerda & Pieter Struycken, Budel 2001, 97–163; ins Englische übersetzt: Pieter Struycken, »Colour Mixtures According to Democritus and Plato«, in: Mnemosyne, 56/3 (2003), 273–305, hier: 287 und 291. Vgl. auch George Malcolm Stratton, Theophrastus and the Greek Physiological Psychology before Aristotle, Amsterdam 1964 [New York 1917]. Siehe weiterhin: John Isaac Beare, Greek Theories of Elementary Cognition from Alcmaeon to Aristotle, Oxford 1906; Walter Kranz, »Die ältesten Farbenlehren der Griechen«, in: Hermes 47 (1912), 126–140, wiederabgedruckt in Studien zur antiken Literatur und ihrem Fortwirken. Kleine Schriften, hg. v. Ernst Vogt, Heidelberg 1967, 247–257; Alfred E. Taylor, A Commentary on Plato’s Timaeus, Oxford 1928; Han Baltussen, Theophrastus Against the Presocratics and Plato: Peripatetic Dialectic in the De sensibus, Leiden 1990; Luc Brisson, Platon: Timée, Critias, Paris 1999 [1992]; Vincent J. Bruno, Form and Color in Greek Painting, London 1997; Gage, Colour and Culture; Maria Fernanda Ferrini, Pseudo Aristotele: I Colori. Edizione critica, traduzione e commento di M. F. Ferrini, Pisa 1999; The Atomists: Leucippus and Democritus, hg. v. Christopher C. W. Taylor, Toronto 1999; Wöhrle, Aristoteles: De Coloribus. Weiterführend zur antiken Farbtheorie: Humphry Davy, »Some Experiments and Observations on the Colours Used in Painting by the Ancients«, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London 105 (1815), 97–124; Maurice Platnauer, »Greek Colour-Perception«, in: The Classical Quarterly 15 (1921), 153–162; Jacques André, Étude sur les termes de couleur dans la langue latine, Paris 1949; Charles Mugler, Dictionnaire historique de la terminologie optique des Grecs. Douze siècles de dialogue avec la lumière, Paris 1964; Richard Sorabji, »Aristotle, Mathematics, and Colour«, in: The Classical Quarterly 22 (1972), 293–308; Eleanor Irwin, Colour Terms in Greek Poetry, Toronto 1974; J. J. Pollitt, The Ancient View of Greek Art. Criticism, History, and Terminology, New Haven & London 1974; Richard W. Baldes, »Democritus on Visual Perception: Two Theories or One?«, in: Phronesis 20 (1975), 93–105; ders., »Democritus on the Nature and Perception of ›Black‹ and ›White‹«, in: Phronesis 23 (1978), 87–100; Maria Michela Sassi, Le teorie della percezione in Democrito, Florenz 1978; P. G. Maxwell-Stuart, Studies in Greek Colour Terminology, Leiden 1981; Martin Kemp, The Science of Art. Optical Themes in Western Art from Brunelleschi to Seurat, New Haven & London 1990; John Gage, »A Locus Classicus of Colour Theory: The Fortunes of Apelles«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 44 (1981), 1–26; Laurence Villard, Couleurs et vision dans l’Antiquité classique, Rouen 2002.

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in the second century A.D. (I, 49), laid particular emphasis on this color change.«28 Gemeint ist die photochemisch hervorgerufene Farbveränderung in der Natur, d. h. ein biologisches Farbkonzept, eingebunden in die antike Diskussion um Wachstums-, Reife- und Alterungsprozesse in der Natur – als da zum Beispiel wären: die Farbveränderung von Blumen und reifenden Früchten, aber auch die Erklärung der unterschiedlichen Haarfarbe von jungen und älteren Menschen oder der Fellfarbe von Tieren. In einer groben Einteilung kann man nämlich bereits in der antiken Theorie jene drei unterschiedlichen Gebiete ausmachen, auf denen auch noch im 17. Jahrhundert über Farbentstehung und -mischung diskutiert wurde: 1) Farbe, wie sie von Malern verwendet wird (Pigmentmischung), 2) Farbe, wie sie in der Natur entsteht (Körperfarbe, d. i. photochemisch), sowie 3) Regenbogen- und Schillerfarben (Lichtfarbe, d. i. optisch-physikalisch). Umso wichtiger ist es festzustellen, dass wir in De coloribus eine andere Farbvorstellung und -erklärung vorfinden als zum Beispiel in Aristoteles’ De meteorologica, wo die Farben des Regenbogens besprochen und teilweise bereits optisch-physikalisch erklärt werden. Die Beobachtungen von De coloribus, die durchwegs empirisch sind, werden weiterhin mit farbigen Himmelserscheinungen wie Sonnenauf- und -untergang, dem Farbwechsel von Wolken etc. zusammengebracht und zusammen verhandelt, und daraus setzt sich die antike Farbenlehre zusammen (d. h. aus der phänomenbezogenen Besprechung sich verändernder Körperfarben; die Farben werden nur in seltenen Fällen als Pigment und nur ansatzweise, wie im Fall des Regenbogens, als Ergebnis der Lichtreflexion von spiegelnden Oberflächen verstanden).29

FARBEN UND ELEMENTE Die Bedeutung des Sonnenlichts als wärmendes, erleuchtendes und die Körperwelt farbig veränderndes Prinzip geht also bis auf die ersten Anfänge antiker Farbkonzepte zurück und verfestigt sich in der mittelalterlichen Kommentartradition zur Formel: Als unsichtbare Voraussetzung oder Potentialität alles Sichtbaren ist das Licht (lux) der Körperwelt seinslogisch vorgelagert, es kann auf ein durchsichtiges (perspicuus) Medium einwirken und 28 29

John Gage, »Colour in History: Relative and Absolute«, in: Art History 1 (1978), 104–130, hier 106. Vgl. zudem Jonas Gavel, Colour: A Study of Its Position in the Art Theory of the Quattroand Cinquecento, Stockholm 1979, 34–36. Wir müssen uns von nun an ein photochemisches Konzept bei der Deutung der Farbbegriffe hinzudenken; das ist bislang zu wenig getan worden. Auf dem Gebiet der spätmittelalterlichen Malerei und konkret zu Martin Schongauer hat Ulrike Heinrichs eine Studie zum Verhältnis von Naturstudium und Farbtheorie vorgelegt. Ulrike Heinrichs, Martin Schongauer. Maler und Kupferstecher, München 2007 (zur Analogie zur Chemie vgl. 137ff); zur Biologie und Farbtheorie bzw. zur Farbe als Anverwandlung der Elemente vgl. v.a. Frank Fehrenbach, »Calor nativus – color vitale; allgemeine Überlegungen zu Farbe und Alchemie in: James Elkins, What Painting Is: How to Think About Oil Painting, Using the Language of Alchemy, New York 1999; zur Farbe als körperphysiologischem Affektsymptom: Ulrich Heinen, »Haut und Knochen – Fleisch und Blut«; zur Erkenntnis der Luft-Meteore: Wetter, Wolken und Atmosphäre in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts wurde (mit Blick auf farbige Himmelserscheinungen) von Christina Storch, Frankfurt, 2012 eine Dissertation vorgelegt.

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sich dort als lumen zeigen beziehungsweise in Verbindung mit der Opazität (opacitas) und materiellen Dichte der Körperwelt farbig werden (color). Entsprechend indizieren die zuweilen als »Farben« bezeichneten Prinzipien Weiß und Schwarz die Opposition und notwendige Verbindung von Helligkeit und Dunkelheit bzw. Transparenz und Opazität in jedem visuellen Wahrnehmungsakt. Bereits Parmenides (tätig im 5. Jh. v. Chr.) entwarf ein solches Grundfarbenmodell, indem er zwei Elemente – Feuer bzw. Licht und die Nacht bzw. Dunkelheit – als sogenannte basale »Farben« einführte und mit Schwarz und Weiß assoziierte. Alle weiteren Farben ergeben sich aus dem Zusammenspiel dieser beiden Elemente, die mit den qualitativen Oppositionen von heiß und kalt sowie von trocken und feucht zusammenfielen. Demokrit schließt mit seiner Farbtheorie an dieses Oppositionspaar an, d. h. seine Farb»palette« besteht aus Weiß (λευκόν, leukon) und Schwarz (μέλαν, melan) als den beiden Grundfarben, doch ist sie jetzt um ein weiteres Oppositionspaar, nämlich um Rot (ἐρυθρόν, erythron) und Hellgrün bzw. Gelbgrün (χλωρόν, chloron) ergänzt worden. Auch in Platos Timaios wird die Zusammensetzung des Weltgebäudes aus den vier Elementen erklärt. Aus den Kombinationen von Feuer, Wasser, Luft und Erde30 lassen sich ihm zufolge alle physikalischen Realitäten herstellen, wobei die Elemente wiederum in kleine triangelförmige Splitter zerteilt werden können – auf diese Weise werden sie untereinander überhaupt erst mischbar. Für beide, für Demokrit wie Platon, erscheint Farbe als die Manifestation der Elemente beziehungsweise ihrer unterschiedlichen Interaktion in der belebten wie unbelebten Natur.31 Und beide behaupten – was ungemein folgenreich ist –, dass alle anderen Farben aus den von ihnen aufgestellten Grundfarben ausgehen, d. h. aus ihnen zusammengesetzt werden können. Später hatte eben diese Behauptung zu Verwirrung geführt, weil sich die Grundfarben Weiß und Schwarz, als Pigmentfarben verstanden, zwar in eine ganze Reihe von Grautönen überführen lassen, nicht aber in Buntfarben wie Rot, Violett oder Grün. Demokrits Vierfarben aber erklären sich aus den unterschiedlich zusammengesetzten Formen der an sich farblosen Atome. Jenes Gelbgrün (chloron) ¯ beispielsweise, auf das man als eigenständige Farbe erstmals bei Demokrit stößt und das man genaugenommen mit Hellgrün oder Gelbgrün übersetzen müsste, verweist in seinem System auf eine bestimmte Atomstruktur, wie sie vor allem junge Vegetation aufweist – d. h. es wird seinem Konzept zufolge mit keimendem Grün assoziiert, das erst 30 31

Platon stellt ihnen die regelmäßigen geometrischen Körper – Tetraeder (Feuer), Oktaeder (Luft), Ikosaeder (Wasser) und Kubus (Erde) – zur Seite. Die Kristallogie des 17. Jahrhunderts wird darauf zurückgreifen. Das von der Sonne ausgehende Licht bzw. die darin verankerte Wärme sollen ebenfalls auf diese Weise verstanden werden. Wird in den Traktaten von Weiß gesprochen, so meint man also keine physische Farbe im Sinne gebundener Pigmente, sondern das Grundelement Licht oder Feuer, das – Trockenheit und Wärme transportierend – der Dunkelheit bzw. Feuchtigkeit auf kosmologisch grandiose Weise gegenübergestellt wird. Dem Weiß am nächsten verwandt ist das Gelb, beide Farben werden aufgrund der gemeinsamen Assoziation mit Tag bzw. Tageslicht teilweise austauschbar. – Zu vermerken ist die Nähe jener photochemischen Farbtheorie, bei der Licht auf Materie trifft und deren veränderte Zuständlichkeit chromatisch anzeigt, zum Modell der biologischen Spontangenese, hervorgerufen durch die Interrelation von Wärme und feuchter Materie.

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noch reifen muss, um dann im weiteren tiefgrün zu werden. Diese Erklärung der Farbentstehung wird noch sehr wichtig werden, denn Demokrit zufolge war die Farbe »nichts an sich«: »Die Elemente, das Volle und das Leere hätten (zwar) Eigenschaften; aber das aus ihnen Zusammengesetzte erhalte Farbe (erst) durch Ordnung, Gestalt und Lage oder Richtung: denn darnach fielen die Erscheinungen aus.«32 Ein solches atomares Erklärungsmodell für Farbe wurde im 17. Jahrhundert reaktiviert – dann jedoch unterstützt durch die neue Vision mikroskopischer Instrumente. Aristoteles hatte in De meteorologica und De sensu et sensibilibus die Farbenpalette noch einmal entscheidend erweitert. In Meteor. 374 b 31–375 a 1 gibt Aristoteles für den Regenbogen die drei Hauptfarben Purpurrot (φοινικοῦν, phoinikoun), Grün (πράσινον, prasinon) und Dunkelblau/Violett (ἁλουργὸν, halourgon) an, erwähnt aber an anderer Stelle als Übergangsfarbe Gelb/Orange (ξανθόν, xanthon).33 In De sens. 442 a 20–25 unterscheidet er zwischen drei Stufen der Farbmischung, und die primäre besteht bei ihm ebenfalls aus dem bekannten Oppositionspaar von Weiß und Schwarz. Auf einer sekundären Stufe wird dieses in verschiedenen Proportionen gemischt, so dass sich daraus die Farben Hellgelb, Karmesinrot, Purpur, Grün und Dunkelblau ergeben – zusammen mit Weiß und Schwarz kommt Aristoteles nun auf sieben Farben.34 Alle weiteren Farbtöne sind Ergebnisse einer nochmaligen Mischung dieser Farben, diese siedelt er auf einer tertiären Seinsstufe an. Wir dürfen uns allerdings durch die Ähnlichkeit der sieben aristotelischen Hauptfarben mit dem Spektrum des Regenbogens nicht täuschen lassen: Sie sind zwar unter anderem an der Beobachtung des Regenbogens entwickelt worden, aber entsprechen natürlich nicht den Spektralfarben im modernen Sinne. Aristoteles erklärt sie als Übergangsphänomene des Lichts, wenn dieses in ein sich verdichtendes und eintrübendes Medium (hier die Luft) eintritt. Man könnte genauso gut sagen: Die Farben des Regenbogens sind Ergebnisse der Mischung von Weiß (lux, als heiß-trockenem Element) und der Dunkelheit (tenebra; kalt, feucht). Farben fungieren dann wiederum als Indikatoren für die materielle Dichte (crassissima) und elementare Zusammensetzung eines Mediums. Ist es subtil und kaum mit Materie durchsetzt, wird dies durch eine gelbe oder helle Farbe angezeigt; zwischen Auge und Gegenstand stellt sich dann kaum ein Hindernis ein. Nimmt die Opazität des Mediums zu, zum Beispiel beim Blick in die Ferne, verdunkelt sich die Farbe zum Violett oder Dunkelblau. Auf diese Weise, d. h. als actus des Durchsichtigen, wie es in De sensu et sensibilibus ausdrücklich heißt, realisiert das Licht das Medium in verschiedenen Stufen der elementaren Durchmischung und erzeugt die farbige Vielheit der Welt. »Licht ist des Durchsichtigen Farbe per accidens« heißt es dort, und in De anima wird noch einmal erklärt, dass »gewissermaßen die Helligkeit die möglichen

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In den Worten Goethes, der Stobäus (1580–1646) zitiert. Siehe Johann Wolfgang von Goethe, Farbenlehre, in ders.: Sämtliche Werke, 40 Bde., Frankfurt a. M. 1991, XXIII/1, 526. Zu Demokrit vgl. Maria Michaela Sassi, Le teorie della percezione in Democrito, Florenz 1978. Aristoteles, Meteor. 372 a 2–9. Die sieben Farbstufen (zwischen Weiß und Schwarz) werden von ihm an dieser Stelle mit den sieben Geschmacksstufen (zwischen süß und bitter) parallelisiert.

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Farben zu wirklichen Farben [macht].«35 Demnach ist sie den Farben vorgelagert, als eine von außen hinzutretende Bedingung, und in den Kommentaren wird eingehend darüber diskutiert, was es bedeutet zu sagen, dass Licht eine Tätigkeit des Durchsichtigen (perspicuitas) sei und Farben als accidens hervorbringe. Es stellt sich die Frage, ob die Farbigkeit im Licht oder durchsichtigen Medium inbegriffen sei oder nicht schon getrennt von lux und lumen existiere (sich aber mit dem lumen verbinden müsse, um sichtbar zu werden).36 Über das Verhältnis zwischen lux, lumen, perspicuitas und color wird sich ein lang anhaltender Disput entspinnen, in dem die wechselseitigen Abhängigkeiten der konzeptionell vielfältig auslegbaren Begriffe erörtert werden. In der wiederholten Rearrangierung und Redefinierung der Zusammenhänge sind einige der Wurzeln der neueren Farbkonzepte innerhalb der Natur- und Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts zu suchen. Karel van Mander beispielsweise fasst in seinem Lehrgedicht die peripatetische Farbvorstellung – gegründet auf die Polarität von Licht und Dunkelheit, Transparenz und Opazität bzw. Schwarz und Weiß sowie auf die Elementenlehre – wie folgt zusammen: »Als die dunkle Tiefe bestand oder wie die Dichter sagen, das Chaos, bevor die Dinge in Ordnung waren, und die Luft ohne Licht, von der Dunkelheit verschlungen, dalag, da waren die Farben mit ihren verschiedenen Namen noch nicht vorhanden oder sie waren noch ganz verborgen, um sich nachher erst zu offenbaren. Immer dort wo die Dunkelheit das Licht unterwirft und im Kampf besiegt, werden diese Farben vertrieben, denn das Gesicht ist weder stark noch scharf genug, um die dichte schwarze Dunkelheit zu durchdringen. Doch behalten die Farben während dieser Zeit ihre eigene Schönheit, ohne sie zu verlieren, nur sieht man sie nicht in der Dunkelheit. Um weiter noch breiter davon zu sprechen, so glaube ich, dass die Farben, die wir so immer sehen, von den vier Elementen, den harten und weichen, erzeugt werden und ihre Abstammung haben, wenn die Sonne scheint oder der Tag da ist. Aber was die Farbe selbst ist, die ihr Wesen aus den verschiedenen Zugaben [›met verscheyden accidenten‹] der vier Elemente erhält, wird jemand fragen.«37 35 36 37

Vgl. Aristoteles, De sens. 439 a; De anim. 430 a 17–18. Ebd. 419 a 10–11: »Denn das war das Wesen der Farbe, fähig zu sein, das wirklich Durchsichtige zu erregen.« Vgl. Guerlac, »Can There Be Colors in the Dark?« Rudolf Hoecker, Das Lehrgedicht des Karel van Mander, Den Haag 1916, 287. Der Begriff der accidenten müsste jedoch anders, d. h. in seiner aristotelischen Bedeutung als »Akzidentien« oder »Eigenschaften« der Substanzen übersetzt werden – einige Zeilen später spricht Van Mander dann auch »van des lichts substanty«. (»Maer als de diepte was duyster bevonden,/ Oft als de poeten van chaos ramen,/ Eer de dinghen in ordinanty stonden,/ En de locht sonder licht daer lagh verslonden/ Van de donckerheyt, over hoop al t’samen:/ De verwen oock, met haer verscheyden namen,/ Die en waren noch niet, oft soo sy waren,/ Noch gantsch verborghen, om nae t’openbaren./ Immers waer de Duysterheyt can het Lichte/ overheeren oft verwinnen in’t strijden,/ Gheen verwen zijn verhindert, maer t’ghesichte/ En is sterck noch scherp ghenoech, om de dichte/ Swarte donckerheyt te moghen doorsnijden:/ Doch behouden de Verwen in die tijden/ Haer selfde schoonheyt, sonder eenich missen,/ Al sietmense niet in de Duysternissen./ Om voorts noch breeder te spreken, ick achte/ Dat de verwen, hoe dat wy die oyt saghen,/ Al worden ghebaert, en hebben t’gheslachte/ Van de vier elementen, hard’ oft sachte,/ Waer hun beschijnt Son, oft dagh mach bedaghen:/ Maer wat verwe self is, mocht yemandt vraghen,/ De

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PUPURROT UND LAUCHGRÜN Innerhalb der peripatetischen Wahrnehmungstheorie spielt das Verhältnis zwischen Durchsichtigem und Opakem eine fundamentale Rolle. Man geht von der Einsicht aus, dass das Transparente nicht in jedem Fall durchsichtig ist; denn man sieht ja nur dann etwas, wenn es erleuchtet wird. Zwischen Dunkelheit und Licht gibt es demnach Übergangsstadien, entsprechend der graduellen Opazität, und in diesen generiert sich Farbe als accidens. Purpur beispielsweise entsteht im Übergang von Tag zu Nacht, wenn das Licht schwächer wird und sich mit Dunkelheit verbindet – d. h. aus einer Mischung von Weiß und Schwarz (trocken/feucht, zunehmende Feuchtigkeit). Auf der Palette der Maler hätte sich bei einer solchen Mischung ein ganz anderes Resultat ergeben, wir hätten Grau statt Purpur erhalten. Farben aber sind für Aristoteles ebenso wie für Platon oder Demokrit Ergebnisse der ewigen Transformation der Elemente, Resultat eines unendlichen natürlichen Prozesses aus Werden und Vergehen, und auf diese Weise müssen wir ihre Angaben im weiteren lesen. Purpur erklärt sich demnach als Übergangsfarbe des Sonnenlichts, wenn es in eine sich verdickende, feuchtere und erkaltende Atmosphäre tritt beziehungsweise vice versa, zum Beispiel wenn ein schwarzer Körper wie Kohle, Eisen etc. zum Glühen gebracht wird: »Deshalb ergibt ein schattiges Schwarz mit Licht gemischt eine rote Farbe. Denn wir beobachten, dass Schwarz, das sich mit dem Licht der Sonne oder dem vom Feuer mischt, stets rot wird. Auch wandeln sich alle schwarzen Gegenstände, wenn sie im Feuer erhitzt werden, in eine rote Farbe.«38 Überhaupt gerät Purpur zur bedeutungsschwersten Farbe (neben Weißgelb und Schwarz), weil es sich dem antiken Verständnis nach in der Mitte zwischen Licht und Finsternis, Wärme und Feuchtigkeit befindet, und in den Anteilen deshalb am ausgewogensten bzw. gesättigsten erscheint. »Glänzendes Violett aber entsteht, wenn sich schwaches Sonnenlicht mit leicht schattigem Weiß mischt. Deshalb erscheint die Luft bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang zuweilen purpurn.«39 Noch Karel van Mander bezieht sich in den Passagen seines Lehrgedichts zur Landschaftsmalerei auf das Phänomen der auf- und untergehenden Sonne mit der sorgfältigen Aufmerksamkeit von jemandem, der die Purpurfarbe nicht nur als Pigment, sondern als Färbestoff im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten versteht. Atmosphärische Farbveränderungen entstehen vor allem im Übergang von Tag zu Nacht, Nacht zu Tag. Dabei wird nicht nur die Luft eingefärbt, sondern die Farben spiegeln sich auch auf den umliegenden Körpern und Gegenständen wieder: »Beim Sonnenuntergang sieht man verschiedene Dinge viel röter gefärbt erscheinen, so der Erdboden, die Steine, die Ziegel, wie gleichfalls auch das Gesicht

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welcke met verscheyden accidenten/ Haer ghedaent’ heeft van de vier Elementen.« Van Mander, »Grondt«, XIII/2–4, 50r–50v). Willem Beurs greift diese Frage wieder auf und erklärt alleine die Farbe verantwortlich für die sichtbare Differenzierung innerhalb der Körperwelt: »Die sichtbahre Welt wird den Menschen durch die Farben bekand gemacht/ ja die unterschiedliche Cörper selber/ die darinnen seyn/ werden durch kein anderes Mittel als durch dieses der Fantasie oder Einbildung beygebracht.« Willem Beurs, Die grosse Welt ins klein abgemahlt, Amsterdam 1693, 2. Pseudo-Aristoteles, De col. 792 a 9–12. Ebd., 792 a 14–16.

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des Menschen, und wenn die Strahlen der Sonne dahin gelangen oder nur einen schönen Abglanz geben, so erhalten sie sofort eine leuchtend rote, feurige und glühende Farbe.«40 Van Mander hatte auch vom Abglanz des Kerzenscheins oder von Fackeln in dunkler Nacht gesprochen und den Malern geraten, die Farbveränderungen zu beobachten – »so muss man auf jede einzelne Erscheinung wie Mondschein, Brand, Blitz, Kerzenschein und die Schmieden wohl achten, da die Gegenstände je nach Art der Erscheinung ein anderes Licht erhalten«, weil »Feuer die Dunkelheit zum Weichen bringt und flüchtend einen Widerschein zeigt«41 –, eine Beobachtung, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zum beliebten Bildmotiv wird, so zum Beispiel bei Godfried Schalcken (1643–1706) oder in den Nachtstücken von Pieter van Slingelandt (1640–1691), wie sie Balthasar de Monconys während seines Aufenthalts in Middelburg gesehen hatte. In De coloribus wird die Entstehung von Purpurrot und Violett zudem an einem weiteren Beispiel erläutert. »So entsteht (…) eine weinartige Farbe, wenn sich luftartige Sonnenstrahlen mit reinem und glänzendem Schwarz mischen, wie bei den Weinbeeren, die ja während des Reifeprozesses weinfarben erscheinen. Wenn sie sich nämlich dunkel färben, wandelt sich das Rote ins Violette. In der dargelegten Weise muss man sämtliche Farbunterschiede betrachten.«42 Weiter heißt es: »Haare, Federn, Blüten und Früchte: sowie Pflanzen insgesamt: Aus vielerlei Gründen ist klar, dass alle Farbänderungen mit dem Reifungsvorgang zusammenhängen.« Und weiter: »In allen Pflanzen ist die Ausgangsfarbe das Grasgrüne. Denn sowohl Sprosse wie auch Blätter und Früchte sind zu Anfang lauchgrün von Farbe. (…) Mit zunehmender Schwärze der Feuchtigkeit wird das Gelbgrüne stark gesättigt und grasähnlich. Deshalb sind bei allen Pflanzen die alten 40

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Hoecker, Lehrgedicht, 171. Im Original: »Van de reflecty, reverberaty, teghen-glans oft weerschijn«: »In der Sonnen ondergangh sietmen blijcken/ Veel rooder gecoluert diversche saken/ Soo den gront der aerden/ steenen/ en brijcken/ Als des Menschen aensichten van ghelijcken/ Daerse de stralen der Sonnen gheraken/ Oft also een holder reflecty maken/ Wordense stracx een blosende rootachtich/ Vierich/ en gloeyende coleur deelachtich.« Van Mander, »Grondt«, VII/6, 29v. Vgl. auch den vorhergehenden Absatz: »Ghelijck Aurora haer bloeyende lippen/ Vertoont s’morghens vroegh, en des avonts spade/ Soo in’t afgaen van den dagh, als in’t kippen/ Thorens, Huysen, Boomen, Berghen, en Clippen/ Verwende met haren rooden ghewade/ Soo moet den Schilder wel neerstich slaen gade/ In gheflickerde Lucht, Berghen en Rootsen/ Het wesen van Aurora nae te bootsen.« Ebd., 29r–29v (»Wie Aurora morgens früh ihre blühenden Lippen zeigt oder wie sie abends spät, wenn der Tag wie ins Hühnerhaus herabsteigt, die Häuser, Bäume, Berge und Klippen mit ihrem roten Gewande schmückt, darauf müssen die Maler ernsthaft acht geben und in der flimmernden Luft auf Bergen und Felsen die Gestalt der Aurora nachbilden.« Hoecker, Lehrgedicht, 171). In De coloribus wird bekanntlich intensiv auf die Wechselwirkung gefärbten Lichts eingegangen, so 792 b 25–30 oder 793 b 12–21. Zum aristotelischen Erbe in Van Manders Absatz und zu seiner Bedeutung für die niederländische Landschaftsmalerei vgl. u. a. Hans-Joachim Raupp, »Sichtbare und unsichtbare Welten – nach der Natur und aus der Fantasie«, in: Die sichtbare Welt. Visualität in der niederländischen Literatur und Kunst des 17. Jahrhunderts, hg. v. Maria-Theresia Leuker, Münster, New York, München & Berlin 2012, 105–122, v.a. 107–108. Hoecker, Lehrgedicht, 179 ( »[…] Maer te vervolghen de Reverberacy/ Als Maenschijn/ brandt/ blixem/ keers-licht/ en smissen/ Op elck bysonder dientmen wel te gissen/ Hoe dat het in zijn ommestandts verclaren/ Sal altijd een ghelijck ghedaente baren […] vyer/ doet de duysterheyt wijcken/ Een oock metter vlucht zijn Reflecy blijcken«. Van Mander, »Grondt«, VII/25, 31r). Pseudo-Aristoteles, De col. 792 b 6–12.

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132 | Godfried Schalcken, Junge, einen Scheit entfachend, 1692-98, Öl auf Leinwand, 75 × 63.6 cm, National Galleries of Scotland, Edinburgh, Inv.-Nr. NG 2495.

Sprosse viel schwärzer als die jungen. Diese jungen Sprosse aber sind gelber, weil die Feuchtigkeit in ihnen noch nicht schwarz wird.«43 Diese Passage ist höchst aufschlussreich. Sie wirft nicht nur ein Licht auf die gebräuchliche Farbterminologie (z. B. πράσινον, prasinon [lauchgrün] im Gegensatz zu χλωρὸν, chloron ¯ [hellgrün bis gelbgrün] oder ποώδων, poodon ¯ [grasgrün]), sondern auch auf Demokrits zuvor zitierte, verwirrende Aussage »Mischt man Rot mit Weiß ergibt sich ein reines Gelbgrün« oder »Dunkelgrün mischt sich aus Scharlachrot und Dunkelblau, oder aber aus Gelbgrün und ein bisschen Scharlachrot.«44 Denn Demokrit hatte das Element des Feuers bzw. der Wärme mit der roten Farbe konnotiert und in seinem vorhin erwähnten Beispiel an Pflanzenkeimlinge gedacht, die unter der Erde weiß sind: Werden sie erwärmt, wechseln sie langsam ins Gelbgrüne. Eine weitere Zumischung von »Rot« (im Sinne von Wärme) lässt sie tiefgrün werden. Der Pflanzensaft verdickt sich, d. h. die elementaren Anteile von warm und kalt, feucht und trocken verändern sich. Auf ähnliche Weise lassen sich viele Passagen auch anderer antiker Abhandlungen zur Farbe deuten. Und umgekehrt lässt sich auf diesem Weg die Farbgebung mancher 43 44

Ebd., 794 b 20–795 a 4. Theophrast, De sens. 77–78.

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Bilder neu betrachten. In Joris van Sons (1623–1667) Früchtestilleben beispielsweise, das vor eine Gartenansicht gesetzt ist, sind nicht nur die Weintrauben in feinsten Farbabstufungen und Reifegraden gezeigt, sondern auch die herbstlich verfärbten Blätter – ein Beispiel, das in den Traktaten unter der Rubrik »natürliche Farbmischung« behandelt wird. Man kann sogar überlegen, ob das im Hintergrund ohne jeden ersichtlichen Grund ausgebrochene Feuer, dessen Rauch den Himmel dunkel einfärbt, auf die elementare Durchmischung von Feuer/Licht und Luftmedium hinweist, wie sie in Aristoteles’ De meteorologica ausgiebig besprochen und zur Voraussetzung aller farbigen Himmelserscheinungen gemacht wird. In einem anderen Beispiel, nun von Bartolomeo Bimbi (1648–1723), für Cosimo III. de’ Medicis Villa la Topaia entstanden, ist ein Obstkorb umgefallen und sein Inhalt auf dem Boden verstreut worden. Dieser häuft sich darauf wie zu einer einzigen großen Traube an. Das Bild zeigt verschieden gereifte Früchte einer einzigen Gattung, der Pflaumen, wobei die Unterschiede der Sorten und Reifegrade mittels einer fein abgestuften Palette aus Violett-, Mauve- und Magentatönen gegeneinander abgeglichen wurden; dazu rechts ein Brunnenbecken, Nässe suggerierend; im Hintergrund ein violett-purpurner Himmel als erneutes Zeichen der Durchdringung und gegenseitigen Sättigung von Licht und Feuchtigkeit.45 »Weil nämlich nicht alle Reifungen [sic] der Farben zugleich eintreten, sondern die einen früher, die anderen später zusammentreten, wandeln sie sich in vielen Fällen von der einen in die andere Farbe wie zum Beispiel die Weintrauben und die Datteln. Denn auch hier werden einige zunächst rot, wenn aber das Schwarze darin zusammentritt, wandeln sie sich wieder ins Weinfarbene. Schließlich werden sei dunkelblau, wenn sich das Rote endlich mit reichlich reinem Schwarzen mischt. Denn die später hinzutretenden Farben ändern, wenn sie überwiegen, die früheren Farben.«46 Als weitere Beispiele für eine photochemische Farbveränderung in der Natur werden in De coloribus neben der Weintraube und ihren Blättern außerdem der Granatapfel, Mohn, Olivenbaum, Lorbeer, Efeu

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»Ein bemerkenswertes (…) Beispiel der Passion des Großherzogs [Cosimo III.] war die Gemäldesammlung von la Topaia, einem oberhalb der Villa von Castello gelegenen Gartencasino. Von den 1690er Jahren bis 1723 schuf der Stillebenmaler Bartolomeo Bimbi aus Settignano (1648– 1729) etwa 50 botanische Porträts für die Sammlung.« Irina Schmiedel, »Zwischen Repräsentation und Klassifikation: Botanische Bücher und Bilder für die letzten Medici«, in: Imprimatur NF 23 (2013), 9–38. Cosimo III. war vor allem von den verschiedenen Früchtevarietäten eingenommen; zugleich wurde die Gemäldegalerie zu einer Art »Schaukammer der heimischen Früchtevielfalt, (…) den Reichtum seines Landes und die Reichweite seiner Herrschaft« repräsentierend. Ebenda. Zu Bartolomeo Bimbi und seinen Gemälden für das Casino della Topaia vgl. Silvia Meloni Trkulja & Lucia Tongiorgi Tomasi (Hg.), Bartolomeo Bimbi. Un pittore di piante e animali alla corte dei Medici, Florenz 1998; Hans W. Hubert, »›Cosmic Delight‹. Bartolomeo Bimbi and the Representation of Nature at the Court of Cosimo III de’ Medici«, in: The Art of Natural History. Illustrated Treatises and Botanical Paintings 1400–1850, hg. v. Therese O’Malley, New Haven 2008, 205–225, sowie Stefano Casciù & Chiara Nepi, Stravaganti e bizzarri. Ortaggi e frutti dipinti da Bartolomeo Bimbi per i Medici, Florenz 2008. Pseudo-Aristoteles, De col. 795 b 23–33.

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133 | Joris van Son, Stilleben mit Weintrauben, Melonen, Pfirsichen und Birnen in einem

formalen Garten, ca. 1660–1665, Öl auf Leinwand, 52.6 × 67.6 cm, Privatsammlung.

134 | Bartolomeo Bimbi, Pflaumen, 1699, Öl auf Leinwand, 174 × 228 cm, Poggio a Caiano, Villa Medicea, Inv. Castello 1910, n. 595.

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und die Blütenblätter der Rose sowie – indirekt, über die Farbterminologie – Lauch und Gras genannt.47 Wir können versuchsweise die ungewöhnliche Darstellung von sogenanntem Blütenund Wurzelgemüse daneben stellen, das als quasi-subterranes Gewächs in den fahlen Farbabstufungen zwischen Weiß und Grün wiedergegeben ist, alles vor düster zugezogenem Wolkenhimmel, ein Gewitter oder den Einfall der Nacht suggerierend, sowie die schrittweise Einfärbung der unterirdischen Pflanzen durch das (hier noch kaum vorhandene) Sonnenlicht beschreibend. In Nicola van Houbrakens (1668–1720) Früchte und Gemüse in Landschaft nämlich, das 1717 von Cosimo III. für die Villa di Castello angekauft worden war, erscheint das gesamte Bildfeld düster und bleich. Neben verschiedenen Sorten von Wintergemüse können wir einige Orangen in einer Kupferschüssel ausmachen; die Steinplatte sowie der glasierte Tontopf, der das leicht verschobene Bildzentrum markiert, sind in gedämpften Braun- und Grüntönen gehalten und von gleißenden Lichtern stellenweise erhöht. Früchte und Gemüse jedoch nähern sich dem nächtlichen Winterhimmel nicht einfach nur farblich an, vielmehr sind sie durch Pinselstriche faktisch ineinander verzahnt: Die im Hintergrund aufgetürmten Trauben und ein Kürbis beispielsweise lösen sich im lockeren Duktus des Pinsels schrittweise auf, so dass Blattwerk und Wolken kaum mehr zu unterscheiden sind. Was jedoch sagen solche Beobachtungen in Bezug auf die Beziehung von Farbe und Gegenstand aus? Offensichtlich dominiert in Van Houbrakens Gemälde das Motiv bzw. Element der trocken-kalten Erde, die in verschiedener Gestalt auftaucht (als Stein, Erde, Ton) und noch subterrane Materialien (Kupfer, Wurzelwerk) mit einschließt. Beim näheren Hinsehen entdecken wir – einer gemalten Fußnote gleich, die das chthonische Element hervorkehrt – eine Rübe halb im Erdreich vergraben. Die trocken-kalte Jahreszeit ist also der Grund, warum es dem Gemälde an Farbigkeit fehlt und es in dunklen bzw. bleichen Tönen aufgebaut wurde. Es herrscht ein Mangel an Licht: »Bei den [Sprossen] aber, bei denen sich das Feuchte nicht mit den Strahlen der Sonne mischt, bleibt die Farbe weiß, es sei denn, dass das Feuchte zuvor durch Alterung und Austrocknung schwarz wird. Deshalb sind auch bei allen Gewächsen die oberirdischen Teile zunächst gelbgrün, die unterirdischen aber, Stengel und Wurzeln, [sind] weiß«, heißt es in De coloribus.48 Im Winter ist die Farbe ebenso von Naturas Palette wie von der des Malers gewichen. Besonders auffallend in dieser Hinsicht, nicht zuletzt weil sie vom Licht scharf getroffen werden, zeigen sich die gebogenen Stiele der sogenannten Kardone oder Gemüseartischocke, die zum Verzehr gebleicht werden muss und dazu in der Erde vergraben

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Ein Beispiel, das zeigt, wie populär das alchemische bzw. photochemische Konzept von De coloribus seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war, ist Giovanni Camillo Maffeis Scala naturale, overo fantasia dolcissima, Venedig 1564. Hier wird über die Gründe von Farbentstehung und -wechsel in der Natur nachgedacht: Beide werden durch das Zusammentreffen von Sonnenwärme und Feuchtigkeit erklärt, vgl. ebd., Kap. IX (»Della generatione dell’herbe e colori loro«), Kap. XI (»Del colore dei fiori«), Kap. XII (»Cagione perché nelle piante si cangia il colore«) etc. Maffeis zufolge ordnet sich die Vielfalt und Gradation der Farbigkeiten in eine kosmologische scala naturale ein. Pseudo-Aristoteles, De col., 795 a 10–15.

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PUPURROT UND LAUCHGRÜN

135 | Nicola van Houbraken, Früchte und Gemüse in Landschaft, Öl auf Leinwand,

115 × 160 cm, Poggio a Caiano, Villa Medicea, Inv. 1890, n. 5137.

wird.49 Auf dem Bild ist sie wieder aus dem Boden geholt worden, so dass wir die bleichen, zart ins Grünliche gehenden Stiele erkennen können, während die distelartigen Blätter aussehen, als hätte man sie in grüne Farbe getaucht. Die klassische Erklärung einer solchen chromatischen Veränderung wäre gewesen, dass »die Sprossen, soweit sie unter der Erde sind, weiß [sind]. Wenn aber die Erde rings herum weggenommen wird, werden sie alle grasgrün, (…) weil auch die Feuchtigkeit, die durch die Zweige in sie hineinsickert, eine derartige Farbnatur besitzt.«50 In diesem Sinne scheint Van Houbrakens Gemälde über das Zusammenspiel von Erde und Winterlicht zu meditieren und darüber, wie man denn im Feld der Malerei Farbe »kultivieren« kann.51 Die Leinwandfläche als »Picturas Acker«, 49

50 51

Andrew Dalby, Food in the Ancient World, London 2003, 28: »A cardoon with edible flower was already known to Theophrastus, who described the flower-bottom, accurately, as ›resembling palm hearts‹. ›They are conserved in honey-vinegar with silphium and cumin, so that they may be eaten every day of the year‹, writes Pliny. (Theophrastus HP 6.4.10-11; Pliny NH 19.152-3; Athenaeus E 70a-71c; Palladius OA 11.11.1).« Pseudo-Aristoteles, De col. 795 a 15–19. Zur bleichen Farbe von Sprossen und ihrem langsamen Ergrünen vgl. erneut Goethe: »Die Samen, Bulben, Wurzeln und was überhaupt vom Lichte ausgeschlossen ist oder unmittelbar von der Erde sich umgeben befindet, zeigt sich meistenteils weiß. Die im Finstern aus Samen erzogenen Pflanzen sind weiß oder ins Gelbe ziehend. Das Licht hingegen, indem es auf ihre Farben wirkt, wirkt zugleich auf ihre Form. Das Licht versetzt sie dagegen sogleich in einen

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136 | Jacopo Zucchi, Allegorie von der Schöpfung, ca. 1585, Öl auf Kupfer, 55 × 45 cm,

Galleria Borghese, Rom.

als Bildgrund oder Nährboden mit tellurischen Eigenschaften: Dass wir die Kardone, als quasi-chthonische Frucht, dem Erdreich und der Nacht zugehörig interpretieren können, bestätigen auch andere Gemälde wie die Allegorie der Schöpfung, ca. 1585, Rom, Galleria tätigen Zustand, die Pflanze erscheint grün, und der Gang der Metamorphose bis zur Begattung geht unaufhaltsam fort.« Goethe, Farbenlehre, I.3, § 618–619 und § 620. Vgl. außerdem Maffei, Scala naturale, Kap. XII (»Perché le radici dell’herbe sono bianche«): »Sono bianche, (…) per stàr sottero, non sono nè dal Sole, nè da altro calore (…)«. Zur zeitgenössischen Malpraxis »von einigen Erd- und Hülsen=Früchten für die Küche« vgl. Beurs, Die grosse Welt, 146–151.

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SCHICHT FÜR SCHICHT

Borghese, von Jacopo Zucchi (1541–1589/1590). Dort erscheint sie am rechten unteren Bildrand ganz ähnlich wie bei Houbraken frisch aus der Erde gezogen, während eine Eule bei ihr wacht. Vom Erdboden aus in den Luftraum erstreckt und verwandelt sich das gesamte Spektrum der Kreation, darin einer Lichtalchemie gleichkommend, die vom Schöpfer initiiert wurde.52

SCHICHT FÜR SCHICHT In De coloribus gibt es eine weitere Passage, die uns helfen kann zu verstehen, wie eng der Bezug zwischen Farbgebung in der Malerei und Färbung in der Natur gedacht werden konnte. Neben der allgemeinen Vorstellung vom Blühen und Reifen der Farbe, die in diesem Text verhandelt wird, erklärt er auch, wie Natura selbst als Künstlerin agiert, indem sie die (weiße) Körperwelt mit Farbschichten überzieht wie ein Maler, der seine Leinwand mit Farbe bedeckt: »Das geschieht also auch bei den Früchten. Daß sich aber die Farbe der Früchte wandelt, wenn die frühere Farbe von den später hinzutretenden Farben überwältigt wird, kann man leicht an folgenden Beispielen sehen. Denn auch die Frucht des Granatapfelbaums und die (Blüten-)Blätter der Rosen sind zu Beginn weiß, schließlich aber, wenn sich die Säfte in ihnen infolge der Reifung färben, verändern sie die Färbung und schlagen in die violette Farbe und ins Rote um.«53 Vor allem der Granatapfel scheint ein bevorzugtes Demonstrationsobjekt für die Darstellung der einzelnen Stadien im Ablauf natürlicher Farbwechsel zu sein: »Am meisten ist dies beim Granatapfel deutlich. Anfangs sind die Kerne rot wie auch die Blätter, wegen der geringen Menge an Nahrung, die ausreift. Später verwandeln sie sich in eine grasartige Farbe, weil viel Nahrung zufließt und der Reifevorgang das nicht in gleicher Weise bewältigen kann. Schließlich aber, wenn die Nahrung schon gereift ist, entsteht wieder die rote Farbe.«54 Aber auch das schillernde Gefieder des Pfaus und der Taube werden in ähnlicher Weise verhandelt, da, wie es in De coloribus heißt, »keine Feder am Anfang eine derartige Farbe hat, sondern auch die bunten Vögel sozusagen (am Anfang) alle schwarz sind, wie der Pfau und die Taube (…). Später erst nehmen sie alle derartigen Buntheiten an, wenn die Färbung außerhalb des Körpers (…) eintritt. Daher entsteht wie bei den Pflanzen auch bei diesen die Reifung der Farben außerhalb des Körpers.«55 In allen Beispielen wird ein gradueller Farbwechsel thematisiert, der sich auf der Oberfläche der Gegenstände (»außerhalb der Körper«) abspielt, so als würden sich über diese immer neue Schichten von Farbe oder Abschattierungen derselben legen. Sehen wir uns auch dazu einige Gemälde an.

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Vgl. Margherita Zalum Cardon, Passione e cultura dei fiori (Abb. XX). Pseudo-Aristoteles, De col. 796 a 19–26. Ebd. 799 a 10–15. Zur zeitgenössischen Malpraxis vgl. erneut Beurs, Die grosse Welt, 152–153. Beurs unterscheidet beim Granatapfel zwischen einer »Farbe am Tag« und einer »Farbe unter dem Tag«, womit er die unterschiedlichen Farben der Schale und des Fruchtinneren meint. Das »Innerliche« des durchgeschnittenen Granatapfels erklärt er zum »Schaugerichte«. Ebd., 153. Pseudo-Aristoteles, De col., 799 b 9–16.

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137 | Bartolomeo Ligozzi, Blumen, Früchte und ein Papagei, 1688, Öl auf Leinwand, Galleria degli Uffizi, Palazzo Pitti, Florenz.

In Bartolomeo Ligozzis (1630–1695) Blumen, Früchte und ein Papagei beispielsweise treffen wir auf die bereits bekannte Darstellungsformel eines bewölkten Himmels mit abendlich eingefärbten Sonnenstrahlen. Vor dem Hintergrund eines formalen Gartens mit Brunnen, wie er für römische Stilleben in der Manier Mario de’ Fioris (1603–1673) charakteristisch ist, werden Früchte auf verschiedenen Ebenen angeordnet; im Mittelpunkt erscheinen eine Glasvase mit Blumen sowie ein Papagei. Der landschaftliche Hintergrund – der durchäderte Wolkenhimmel – sind als Bildmotive ebenfalls römischen Ursprungs und wurden in die Stilleben des florentinischen Malers Bartolomeo Bimbi, der bei Nuzzi lernte, aufgenommen und dort weiterentwickelt.56 Das Gemälde wurde 1699 von der Großherzogin Vittoria della Rovere (1622–1694) für die Villa ihres Sohnes, Kardinal Francesco Maria de’ Medici (1660–1711), in Auftrag gegeben, der ein passionierter Liebhaber und Sammler von Stilleben war. Der Maler selbst, Enkel des berühmten Jacopo, hatte in den 1670er Jahren einige Zeit in Rom verbracht. In diesem Beispiel eröffnet seine Auswahl an Blumen und Früchten einen prächtigen Farbreigen. Das Bild wird von einem Papagei bekrönt, der auf einem Paar Granatäpfel sitzt, die so reif sind, dass ihre Schalen aufgeplatzt sind und das Innere der Frucht freigeben. Nicht nur, dass die sorgfältig abgemischten Farbtöne mit goldenen Reflexlichtern erhöht wurden, die die Reife und Weichheit der Früchte andeuten, auch die Kerne, die sich noch immer fest in der Schale befinden, 56

Stefano Casciu & Marco Chiarini, Natura morta. Still-Life Painting and the Medici Collections, Florenz 2006, 46.

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SCHICHT FÜR SCHICHT

138 | Alexander Coosemans, Stilleben mit Papagei,

signiert A. Coosemans f. 1660, Öl auf Leinwand, 93.5 × 72 cm, Phillips, London.

139 | Franz Werner (von) Tamm, Blumen und Früchte mit Pfau, 1699, Öl auf Leinwand, 244 × 167.4 cm, Galleria Pallavicini, Rom, Inv.-Nr. 478.

erstrahlen in leuchtendem Rot. Der Papagei reiht sich in den Farbreigen mit seinem Gefieder, das im Licht schillert, mit grünen, gelben und roten Einschüssen, die einen irisierenden Effekt ergeben. Ein solcher Regenbogeneffekt erinnert an die Qualität von Seidenstoffen, deren Farbwechsel zustande kommt, indem man für Kett- und Schussfäden zwei gleich starke Garne in verschiedenen Farben verwendet. Je nach Bewegung und Faltenwurf des Stoffes reflektieren mal Kette, mal Schuss das Licht, und es entsteht der Eindruck von Dreidimensionalität in zwei Farben. Meist werden changierende Stoffe matt gewebt, so dass die Lichtbrechung ausschließlich über die beiden verschiedenen Garne erfolgt und jene Wirkung von Tiefe und Plastizität hervorruft, der eine ephemere Qualität anhaftet und die in der barocken Farbtheorie als Ergebnis einer wechselnden Beleuchtungssituation und des Einfallswinkels des Lichts verstanden wurde. Ein solcher Wechsel in ein optisches Regime wirkt sich unter anderem auf die zeitgenössische Theoretisierung der Stillebenmalerei aus, denn offensichtlich geht es inzwischen darum zu zeigen, dass man mit künstlichen Farben nicht nur Körper-, sondern darüberhinaus auch Lichtfarben nachahmen kann. In Alexander Coosemans’ (1627–1689) Stilleben mit Papagei beispielsweise geht es eigentlich nur noch um die Darstellung von Himmels- und Schillerfarben im Medium der Malerei, und in Franz Werner Tamms (1658–1724) Blumen und Früchte mit Pfau, 1699 entstanden, scheinen die Farben gar nicht mehr an den Körpern und Gegenständen zu haften, sondern wie eine farbige Luftdecke über ihnen zu schweben. Denn »der Pfau ist sehr

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schön von wegen der vielfältigen und glänzenden Farbe«, schreibt Willem Beurs (1656– 1700) in seiner Grossen Welt ins klein abgemahlt (Groote waereld in ’t kleen geschildert, Amsterdam 1692), »er glänzet absonderlich sehr in der Sonnen/ wenn er seinen Schwanz ausbreitet: und diesen mit Farben der Gebuhr nach abzubilden/ ist wahrlich eine große Kunst.«57

COLORES PROPRII – COLORES APPARENTES Die Unterscheidung zwischen Licht-, Körper- und Pigmentfarben, die die Voraussetzung für jene Konkurrenz zwischen natürlichen und künstlichen Farberscheinungen bildete, war wiegesagt bereits in den antiken Schriften vorhanden gewesen, aber man hatte sie weder systematisch noch begrifflich klar voneinander getrennt. In der mittelalterlichen Kommentartradition wurde eine Terminologie entwickelt, die zwischen den colores proprii (bzw. veri) und colores apparentes differenzierte, und zwar in der bereits bekannten Definition, dass mit »eigentlichen Farben« jene Farben gemeint waren, die den Gegenständen inhärent sind oder ihnen materiell anhafteten, während Regenbögen, Spiegelreflexe und Schillerfarben, also auf Reflexions- und Refraktionsvorgänge des Lichts zurückgehende und nicht den Körpern selbst zugehörige Farbphänomene, als »erscheinende Farben« bezeichnet und der visuellen Wahrnehmung zugeschrieben wurden. Mit colores proprii meint man in den mittelalterlichen Kommentaren demnach hauptsächlich eine stoffliche Färbung, und diese Theorie ist eingebunden in eine Diskussion um Wachstums-, Reife- und Alterungsprozesse der Natur: Noch Goethe kannte das Konzept gut. Er hatte vorgeschlagen Farben, »wo wir sie als dauernd, als den Körpern wirklich einwohnend zuversichtlich ansprechen können«, als »chemische« Farben zu bezeichnen: »Sie heißen colores proprii, corporei, materiales, veri, permanentes, fixi« – »die Dauer ist meist ihr Kennzeichen.«58 Im Fall der colores apparentes dagegen ist Farbe eine optische Erscheinung im Auge des Betrachters. Als Beispiele zur Erklärung der Erscheinungsfarben dient in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Traktaten alles, was spiegelt und glänzt oder Farbe für einen Moment annimmt, ohne sie tatsächlich zu besitzen, wie der Regenbogen, die Schillerfarbe mancher Vogelfedern, vor allem des Papageis, der Taube und des Pfaus, das Perlmutt der Muschel, die metallischen Panzer der Käfer, oder das Chamäleon, über dessen eigentliche Farbe man nichts sagen kann, sowie alle möglichen metallischen Oberflächen, zum Beispiel eines Spiegels, einer Rüstung oder eines Pokals. Farben, die auf diesen Oberflächen auftreten, werden als den Körpern nicht inhärent empfunden und colores apparentes genannt. Goethe hatte die derart entstehenden Farben in Abgrenzung zu den chemischen bekanntlich als »physische« Farben bezeichnet, weil sie ihrem Erklärungsmodus nach der physikalischen Optik unterliegen, und sie »als vorübergehende Wirkung farbloser, durchscheinender, durchsichtiger, undurchsichtiger Körper auf das Licht«59 ver57 58 59

Beurs, Die grosse Welt, 104. Goethe, Farbenlehre, I/3, § 486 und 487. Ebd., I.4, § 688.

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COLORES PROPRII – COLORES APPARENTES

standen. Für diese Erscheinungen gilt, dass sie eine Herausforderung an die Pigmentfarben der Maler darstellten, nicht zuletzt weil ihnen eine besondere Strahlkraft zugeschrieben und sie mit dem Element des Feuers in Beziehung gebracht wurden. In De coloribus beispielsweise heißt es, dass der Eindruck einer goldenen Farbe immer dann entsteht, wenn sich das Sonnenlicht auf einer glatten Oberfläche sammelt: »Glänzend heißt nichts anderes als Zusammenhalt und Dichte des Lichtes. Denn eine goldartige Farbe entsteht, wenn das Gelbe und Sonnenartige stark verdichtet wird und glänzt. Deshalb scheinen auch Nacken von Tauben und Wassertropfen goldfarben, wenn das Licht reflektiert wird.«60 Schon hier werden Schillerfarben als optischer Effekt beschrieben, d. h. die goldene Farbe der Taubenfeder oder eines Wassertropfens scheint einen Moment lang auf und verschwindet auch wieder, ebenso wie metallene oder glatte Gegenstände das Licht »verdichten« und konzentrieren, so dass ihre Oberfläche golden oder silbern aufblitzt. Nicht zuletzt tritt auf diese Weise Zeitlichkeit in Erscheinung. Es bedeutet, dass die gegenständliche Welt alleine schon durch die Verteilung der Farbwerte und -relationen temporalisiert wird, also auch ohne die narrativen Bezüge, die einen Wirklichkeitsausschnitt ebenfalls durchziehen, aktivieren, zeitlich strukturieren können. Für das Stilleben als Gattung ist dies von nicht zu unterschätzender Bedeutung: So sehr es unbewegt oder »still« sein mag – um es herum bewegt sich die Zeit. Man kann vermuten, dass eine zunehmend optisierte Wahrnehmung zu seiner Entstehungeschichte gehörte und ihm zu seiner Eigenständigkeit verhalf. Andreas Thielemann hat die niederländischen Stilleben des 17. Jahrhunderts einmal eine »optische Bank« genannt, weil das Genre wie dafür gemacht zu sein scheint, die Gesetzmäßigkeiten der Ausbreitung und Reflexion des Lichts an den Oberflächen der Gegenstände auf experimentelle Weise sinn- und augenfällig zu machen – indem zum Beispiel in gefüllten Wasserkaraffen Refraktionen eintreten, Gegenstände durch linsenartige Brechungen vergrößert, verkleinert oder verzerrt erscheinen, oder sich wie hier, in einem Früchtestilleben Ambrosius Bosschaerts d. J. (1609–1645), in polierten Flächen Spiegellichter sammeln.61 Eine solche Beobachtung könnte man um die folgende erweitern: dass 60

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Pseudo-Aristoteles, De col., 739 a 11–16. Van Mander wiederum zählt neben dem Pfau, der Taube und dem Papagei als Beispiel von Schillerfarben auch den Phoenix-Vogel auf: »Die den voghel Phoenix, nae t’coloreren/ van Pliny, oock saghe, t’waer een verfraeyen,/ Ghelijck als men den Paeuw siet glorieren,/ Makende t’wiel met zijn lustighe veren,/ En om den glanse naer de Son hem draeyen,/ Hoe schoon sietmen proncken de Papegaeyen,/ En de Duyven,/ wiens halsen gulden schijnen,/ Des haer Columba heeten de Latijnen.« Van Mander, »Grondt«, XIII/14, 51r (»Wer auch den Vogel Phoenix in der Farbe, wie sie Plinius beschreibt, sah, der muss erfreut sein, so wer den Pfau glänzen sieht, wenn er mit seinen schönen Federn das Rad schlägt und sich des Glanzes wegen nach der Sonne dreht. Wie schön sieht man die Papageien prunken und die Tauben, deren Hals golden scheint, weshalb sie von den Lateinern Columba genannt werden.« Hoecker, Lehrgedicht, 291). Er widmet dem Phoenix außerdem ein eigenes Unterkapitel. Van Mander, Schilder-boeck, 120r. Andreas Thielemann, »Das Stillleben als ›optische Bank‹ – Künstler-Raffinesse und optisches Wissen«, in: Artificii Occulti. Knowledge and Discernment in the Artistic and Scientific Cultures of Early Modern Europe, hg. v. Sven Dupré & Christine Göttler (in Vorbereitung). Zum

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140 | Ambrosius Bosschaert d. J., Früchtestilleben mit Heuschrecke, um 1635–40,

signiert, Öl auf Holz, 49 × 59 cm, Privatbesitz.

das Genre der Stillebenmalerei nicht allein optischen, sondern allgemeiner phänomenbezogenen Interessen folgt, und diese neben Lichtreflexionen auf der Beobachtung jeder Art von chromatischem Wechsel beruhen. Es geht um die Schilderung eines Gesamtzusammenhangs der (farbigen) Phänomenwelt, und dabei lässt sich Folgendes beobachten: Schon die frühen Stilleben setzen sich mit beiden Farbregimen auseinander – sowohl der colores proprii wie der colores apparentes. Der gängige Lobtopos dazu lautet, dass die Maler die »veelderhande bloemen, vogeltjes en vruchten, alles met hun levendige ver»Stilleben als optische Bank« vgl. als historische Stimme Willem Beurs: »Der Stahl und das Eysen seyn Weißlicht (…): Thut man unter das Weiß und Schwartz ein wenig Lack und Ocker/ so kann man Bley bekommen/ und Haußrath genug von Zinwerck mahlen/ entweder nach dem Leben/ wenn man sie auf den rechten Punct und Licht stellet/ oder nach Regeln des Wiederscheins von dem Lichte/ nach der Mathematica, da man die Mahler schwerlich anbringen kan/ da sie doch so viel gar leicht erlernen können dass sie keine merckliche Fehler begehen (…)/ weßwergen ich einem Jedem dazu von Herzen rathe.« Und: »Gleichwie in dem vorhergehenden Hauptstück der Wiederschein der Lichtstrahlen zu statten kam; so kompt nun auch hier derselbigen Strahlbeugung für/ die auf die fläche der Cörper von andern Dingen fält/ die durchscheinend seyn/ und da die Strahlen nach der rechten Linie zufallen oder abweichen in so weit der Durchgang von den Lichtstrahlen al da anhebet schwächer oder stärcker zu werden. Diese Strahlbeugung der Luft in das Glaß ist ohngefehr als zwey gegen drey/ ins Wasser bey nahe als drey gegen vier/ wie die Erfahrung lehret/ dessen sich ein Mahler bedienen kann. (…) Seyn in den Gläßern einige Geträncke/ so müssen unterschiedliche Strahlenbeugungen in acht genommen werden.« Beurs, Die grosse Welt, 118–119.

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COLORES PROPRII – COLORES APPARENTES

wen«62 oder »in natuurlijke verven afgebeeld«63 haben, so als wären ein jedes Mal Natur und Kunst am Ort der Farbe zusammengefallen. Zunehmend unterstellen sie diese aber nun einer flüchtigen Zeitlichkeit. Sie legt sich über die eigentlichen Farben und eröffnet einen transistorischen, ephemeren Raum. In Jan Davidsz. de Heems Prunkstilleben mit Papagei beispielsweise, das im Freien vor einer Felswand aufgebaut ist, werden nicht nur Weintrauben in feinsten Farbabstufungen und Reifegraden gezeigt, sondern auch Melonen, Pfirsiche und Granatäpfel, deren Schalen aufgeschnitten oder geborsten sind und Sicht auf das Innere freigeben. Zum einen haben wir es in De Heems Gemälde mit der Darstellung einer Fests der Sinne zu tun: Darauf deuten die Flöte, die den Gehörsinn anspricht, ebenso wie der Teller mit den Austern – ein Verführungsmotiv – und überhaupt die vielen aromatischen Früchte oder das eingeschenkte Weinglas, die unsere Einbildungskraft mit Duft, Geruch, Geschmack erfüllen. Zum anderen aber sind noch einmal alle relevanten Beispiele abgebildet, wie wir sie in De coloribus und seinen Nachfolgeschriften antreffen, als da wären: die herbstlich verfärbten Weinblätter samt der unterschiedlich reifen weißen und roten Trauben, die blutroten Kerne des Granatapfels und der in seinem buntfarbigen Gefieder aufleuchtende Papagei oder aber der prächtige Goldteller in der Mitte des Bildes. Sie tauchen in den Traktaten als Motive auf, um die Leuchtkraft der Farben sowie den natürlichen Farbwechsel zu demonstrieren – »Beispiele, wie sich alle Farben miteinander vereinen, sind die sprechenden Papageien, Vögel, Muscheln und noch mehr Dinge der Schöpfung«64, heißt es bei Van Mander. Und so wird nun auch im Bild ein chromatischer Reigen in Gang gesetzt, der im Gefieder des Papageis einen ersten Kulminationspunkt findet (denn hier werden alle Farben zusammengeführt), und vielleicht einen zweiten und eigentlichen im Inkarnatton des Fleisches in der Mitte, denn der barocken Theorie zufolge umfasst das Inkarnat alle Farben der natürlichen Welt und gleich darin dem Regenbogen.65 Derart feiert De Heems Stilleben die Nachahmung der Natur durch die Kunst auf dem Gebiet der Farben. Der Papagei als Imitationskünstler macht noch einmal auf ikonographischer Ebene deutlich, dass es sich um einen Wettstreit zwischen Natur- und Kunstfarbe und damit um ein Problem ihrer Ähnlichkeit beziehungsweise des Verhältnisses der gemeinsamen zu den unterscheidenden Eigenschaften handelt. Er berührt noch mit seinem Schnabel das Becken, dessen Reflexlichter golden aufblitzen, während sich im Hintergrund die Wolken am Himmel zusammenziehen und eine farbgesättigte Stimmung verbreiten. 62 63 64 65

Koenraad van Klenk, Voyagie vann den Heere Koenraad van Klenk, Extraordinaris Ambassadeur van haer Ho: Mo: aen Zyne Zaarsche Majesteyt van Moscovien, Amsterdam 1677, 5. François Valentijn, Oud en Nieuw Oost-Indiën, 5 Bde., Dordrecht & Amsterdam 1724–1726, I/2 (1724), 184 b. »So ist die Natur, die uns auf alles aufmerksam macht, die Ernährerin und Mutter der Malerei.« Hoecker, Lehrgedicht, 259 (»Dus Natuere, die ons alles maeckt vroeder/ Is van het schilderen voester en moeder.« Van Mander, »Grondt«, XI/8, 45v–46r). Man kann sogar überlegen, ob der im Hintergrund stattfindende Wechsel von Tag zu Nacht oder Nacht zu Tag, der den Himmel einfärbt, auf die elementare Durchmischung von Feuer/ Licht und Luftmedium hinweist, wie sie in Aristoteles’ De meteorologica ausgiebig besprochen und zur Voraussetzung aller farbigen Himmelserscheinungen gemacht wird.

| vgl. 131

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REGENBOGEN UND BLUMENSTRAUSS Vorhin ist schon aufgefallen, wie in den Stilleben Frucht- bzw. Blüten- und Himmelsfarben einhergehen. Das ist im System begründet, das letztendlich keine Trennung vornimmt, alles gehorcht dem Prinzip einer sich graduell abschattenden bzw. die Welt stufenweise einfärbenden Lichtontologie. Für unseren Zusammenhang wichtig wird, dass die Eintrübung des transparenten Mediums, wie sie Aristoteles verstand, nur im Bereich der unteren Atmosphäre stattfindet, denn ihm zufolge sind die eigentlichen Himmelsphären nicht länger aus den vier Elementen zusammengesetzt, sondern aus dem quasi unsubstantiellen Äther, und deshalb fallen sie nicht unter die Gesetze von Wachstum und Verfall. Und als Meditationen über Wachstum und Verfall, und nicht als Vanitas-Allegorien verstanden, sollte man so manche Stilleben deuten. Auf farbtheoretischer Ebene jedenfalls wird der Atmosphärengedanke samt seiner elementaren Mischverhältnisse sowohl mit den Farben des Blumenstraußes wie des Regenbogens in Verbindung gebracht, und in den Kunsttraktaten werden beide von jeher in einem Atemzug genannt – hier wiederum als koloristische Vorbilder der Malerei. Die Anfänge jener Konkurrenz zwischen Licht- und Pigmentfarben reichen weit zurück. Bereits Aristoteles hatte festgestellt, dass kein Maler die Regenbogenfarben nachahmen könne66, eine Meinung, der von Alexander von Aphrodisias (tätig um 198–209) Nachdruck verliehen wurde, wenn er einzelne Lichtfarben mit der Leuchtkraft auf der Pigmentebene verglich und diese jedes Mal als unterlegen empfand.67 Bei Plutarch heißt es dann, dass der Maler durch Pigmentmischung die Farben verschmutze und damit zum »Dahinwelken« und »Verblühen« (φθοραξ, phthorax) bringe68, ein Topos, der im niederländischen Kontext um 1600 aufgebrochen wird, als Karel van Mander, als Maler sprechend, 66 67

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Aristoteles, Meteor. 372 a 2–9. Ebd., 372 a 2–9: »Es sind dies die einzigen Farben, die die Maler kaum nachmachen können. Einige mischen sie sich ja selbst zurecht, aber das Purpurrot, Grün und Violett entstehen nicht durch Mischen, der Regenbogen jedoch hat diese Farben. Zwischen Purpurrot und Grün erscheint oft ein Gelb.« Vgl. auch Alexander von Aphrodisias, »In Meteorologicorum libros commentaria«, in: Commentaria in Aristotelem Graeca, hg. v. M. Hayduck u. a., 23 Bde., Berlin 1892–1909, III/2 (1899), 161. Eine Paraphrase bei John Gage, »Locus Classicus of Colour Theory«, 9: »that the (…) colours of the rainbow can neither be procured nor imitated by painters, and that red (phoinikoun, puniceus) is closer to white than green (prasinon, prasinus) and violet (halourgon, halurgus). The natural red pigments are cinnabar (kinnabari) and dragon’s blood (drakontion), which are made from the blood of animals; red is also made from a mixture (mixis) of talc (koupholithos) and purple (porphyron, purpureum), but this is much inferior to the natural colours. Natural green (prasinon) and violet are chrysocolla and ostrum, the one made from blood and the other sea-purple. But the artificial colours cannot match them: green is indeed made from blue (kyanon) and yellow ( chron), but violet from blue and red, for the contrasting energies of blue and yellow make green, but those of blue and red, violet. And in these cases the artificial colours are far inferior to the natural.« Dies zunächst bezogen auf die drei Grundfarben des Regenbogens (rot, grün, violett), die sich eben nicht durch Mischung herstellen lassen. Zur Idee der »reinen« Farben und der Unvergleichbarkeit der Farben des Spektrums und der Palette, bzw. der Fortführung dieser Debatte im 18. Jahrhundert, siehe u. a. Annik Pietsch, »Farbentheorie und Malpraxis um 1800. Die handwerkliche Produktion des künstlerischen Kolorits nach den ›Gesetzen der Ästhetik und

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REGENBOGEN UND BLUMENSTRAUSS

in einer Passage seines Schilderboeck zuversichtlich auf die Leuchtkraft des Regenbogens Bezug nimmt und Philips Angel (1616–1683) ihr in seinem Lof der Schilderkunst (1642) mit Blick auf den Paragone zwischen Malerei und Bildhauerei mit der Überzeugung begegnet: »(…) Um dies zum Abschluss zu bringen, so wollen wir den Bildhauern noch den letzten Todesstoß geben: wir sagen nämlich, dass die Malkunst viel allgemeiner ist, weil sie die Natur wesentlich vollständiger wiedergeben kann: nicht nur, dass sie allerlei Tiere wie Vögel, Fische, Würmer, Fliegen, Spinnen, Raupen nachahmen kann, vielmehr kann sie auch alle möglichen Metalle imitieren und ihrem Aussehen nach unterscheiden, wie z. B. Gold, Silber, Metall, Kupfer, Zinn, Blei, und was es mehr gibt. Man kann in der Malerei auch den Regenbogen, den Regen, Donner, Blitz, die Wolken, Windhauch, das Licht, Reflexionen und solche Dinge mehr darstellen wie z. B. den Sonnenaufgang, die Morgenstunden, die Dämmerung, den Abend, den die Nacht erhellenden Mond mit seinen Begleitern, den Sternen: Spiegelungen im Wasser, Menschenhaar, Pferde mit Schaum vor dem Mund etc., – Dinge, die die Bildhauer allesamt nicht nachahmen können.«69 Der Topos von der Uneinholbarkeit natürlicher Farben – vor allem der Lichtfarben – durch Kunst aber ist vor allem den Stillebenmalern zur Herausforderung geworden. Diese versuchen nun im Gegenteil, die Pigmente zum Leben zu erwecken und zum Leuchten zu bringen, und zwar indem man entweder Farbflächen farbig kontrastierend schattiert und nicht einfach nur abdunkelt, so dass sich besagte Schillereffekte ergeben, oder aber indem

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Physik‹«, in: Werner Busch (Hg.), Verfeinertes Sehen. Optik und Farbe im 18. und frühen 19. Jahrhundert, München 2008, 25–28. Philips Angel, Lof der schilderkunst, Leiden 1642, 25–26: »Maer om ons geding tot een eynde te brenghen, soo willen wy de Beeld-houwers den laetsten doodt-slach geven: wy seggen dan, dat de Schilder-Konst veel al-gemeener is, om dat sy de Natuyre veel over-vloedelijcker weet na te bootsen: want boven dien dat sy aff-beelt alderley Dieren, als, Vogelen, Vissen, VVormen, Vlieghen, Spinnen, Ruspen, soo kanse ons oock verthoonen alderhande Metalen; onderscheydende de selve, als Goudt, Silver, Metael, Koper, Tin, Loodt, en wat des meer is. Men kann door haer uyt beelden den Regen-Boogh, Regen, Donder, Blixem, Wolcken, Waesem, Licht, Weerschijn, en dierghelijcke dinghen meer, als, ’t opgaen vande Zonne: de Morgenstondt: het dalen van de Zonne: den Avondt: de Nacht-verlichtende Maen, met haer Leydtslieden, de Sterren: de Spiegelinghe in ’t Water: het Hayr van Mensche: het schuymbecken der Paerden &c. van welcke de Beeldt-houwers gheen van alen weten na te botsen«, vgl. dazu auch Ulrike Kern, »Samuel van Hoogstraten, René Descartes und der Regenbogen«, Vortrag vom 30. September – 2. Oktober 2010 in Frankfurt a.M., Konferenz Ordnungen des Sehens, Sektion »Bruchtstellen im Sichtbaren. Wahrnehmungs- und Darstellungsprobleme in der niederländischen Kunst«, Einsicht in das Manuskript. Angels Aufzählung von Bildmotiven (Tiere, Metalle, Regenbogen, Reflexionen im Wasser, Sonnenauf- und untergang etc.) ist zwar weiterhin der Tradition von De coloribus und natürlich Van Manders Schilder-boeck geschuldet, aber wir wissen auch, dass er andere Beispiele dazunahm wie die Beobachtung sich drehender Wagen- oder Spinnräder oder die Wahrnehmung eines feurigen Kreises, wenn eine Fackel geschwungen wird – allesamt Beispiele aus dem Bereich temporär erscheinender Phänomene. Sie können, Angel zufolge, im Medium der Bildhauerei nicht dargestellt werden. Vgl. Peter Bexte, »Krisen der Anschauung?«, in: Die sichtbare Welt, hg. v. Leuker, 37–52.

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man tonal verfährt und alle Stadien des »Blühens«, d. i. Leuchtens, in den Reigen zwischen Wachstum und Verfall einbezieht.70 Die Malanweisungen gehen dahin, in der Farbverteilung nicht einfach nur unterschiedliche Qualitäten, sondern Kräfte auszutarieren. Die jeweiligen Farbwerte aber werden beschrieben, als partizipierten sie an einem gemeinsamen Feld der Sichtbarkeit, aus dem man entsprechend der Stärke oder Schwäche der Leuchtkraft hervortreten oder in das man zurückfallen kann. Ein derart ins Bild gesetzter Gesamtzusammenhang der Farben im Sinne von Farbwerten entspricht dem graduell aufblühenden und abflauenden Spektrum des Regenbogens. Entsprechend rät Gerard de Lairesse den Blumenmalern dazu, die Farben auf der Leinwand so zu arrangieren, »dass durch Zusammenfügung einer neben der andern eine angenehme Vermischung der Couleur hervor komme, die dem Auge wohlgefället und dasselbe begnüget: welches darinnen bestehet, dass die gewaltigen und flammenden mit den schwachen in einer solchen Zusammenfügung ordiniret seyen, dass es einen lieblichen Regen-Bogen darstelle.«71 In Karel van Vogelaers (1653–1695) Metallvase mit Blumen beispielsweise, in den 1680er Jahren gemalt, wird die Malerpalette in der gesamten Bandbreite ihrer tonalen Möglichkeiten eingesetzt, um den Wettstreit zwischen Regenbogen- und Pigmentfarbe auszutragen. Sein Blumenbouquet birst geradezu vor Farbenpracht: Zartrosa Rosen, langstielige Nelken, rote Anemonen sowie eine weiße Schneeballblüte umrahmen zwei Sonnenblumen mit dunkler und heller Mitte; dazu gibt es gelbe Lilien- und blaue Windenblüten. An verschiedener Stelle taucht eine Passionsblume aus dem Dunkel auf, man kann sie zunächst kaum ausmachen, doch ist ihre Anwesenheit im barocken Stilleben eigentlich immer bedeutungsvoll. Tief unten auf dem Boden, verborgen in Schatten, erkennt man die Umrisse einer Veilchenpflanze. Van Vogelaer war einer der großen Vertreter des spätbarocken Stillebens in Rom. In Maastricht geboren, ließ er sich um 1675 in Rom nieder und etablierte sich als Maler von großformatigen Blumenstücken in der Manier Mario Nuzzis und Paolo Porporas; bald schon erhielt er deshalb den Beinamen Carlo de’ Fiori.72 Seine Metallvase mit Blumen ist ein prächtiges Exempel seines römischen Stils, erkennbar an dem kräftigen, kompakten Pinselstrich und einem glühenden Farbauftrag, in dem die Blumen aus dem dunklen Hintergrund nach vorne zu drängen scheinen.73 Doch lenken wir unser Augenmerk darauf, 70 71

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73

Darunter fielen also auch die Helligkeit und Sättigung der Farbe. De Lairesse, Mahler-Buch, II/12, 381 (»[…] dat de eene by de andere gevoegt, een aangenaame vermenging van koleur doe voortkomen, welche het oog behaagt en voldoet; bestaande hier in, dat de geweldige en vlammende met de zwakke in zulker voegen geschikt zeyn, dat het een lieffelyke regenboog kome te vertoonen.« De Lairesse, Groot schilderboek, II/12, 356). Sein Spitzname bei den Bentvueghels war dagegen schlichter »Distelbloom«, vgl. Ludovica Trezzani, »Karel van Vogelaer«, in: La natura morta in Italia, II, 808. Eine frühe Erwähnung Van Vogelaers bei Lione Pascoli, Vite dè pittori, scultori, ed architetti moderni, Di Carlo di Voglar, 1730–1736, 2 Bde., Perugia 1992, II, 780. De Lairesse, Groot schilderboek, XII/1, 356; ders., Mahler-Buch, XII/1, 380. Dort wird Simon Verelst (1644–1721) als Krönung der Stillebenmalerei bezeichnet; Mario Nuzzi wird neben

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141 | Karel van Vogelaer genannt Carlo de’ Fiori, Metallvase mit Blumen, 1680er Jahre, Öl auf Leinwand, 152 × 109 cm, Privatsammlung.

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wie Van Vogelaer das gesamte Spektrum der Regenbogenfarben über der Leinwandfläche ausgebreitet hat. Der Himmel ist durchtränkt von blauem und rotem Licht, das so dicht und materiell anmutet, dass es zugleich das Gefühl feuchter Farbe erweckt. Näher am Boden dunkeln die Farben ein und formen so eine substantielle Basis für die schwere Metallvase. Dabei ist es interessant zu sehen, wie der Maler die Farben ineinander vertrieben hat und sie nun stufenweise von Rot- zu Blau- und weiter zu dunklen Brauntönen übergehen. Die stärkste Helligkeit konzentriert sich in der Mitte, so dass sich das Bouquet nach vorne hin zu wölben bzw. den gesamten Bildraum zu kurvieren scheint. Wir kennen diese Art der farbigen Raumbehandlung in der niederländischen Kunsttheorie unter dem Namen houding, einem Begriff, der von Van Hoogstraten und De Lairesse stark gemacht wurde, indem sie ihm beide ganze Kapitel ihrer Abhandlungen gewidmet haben.74 Aber im Gegensatz zur Farbperspektive, die den Bildraum in die Tiefe öffnet, ist hier etwas ganz anders gemeint, denn die Kraft und Materialität der Farbe drängt nach vorne, zum Betrachter. Die räumliche Wirkung im Sinne von houding ergibt sich durch das Zusammenwirken unterschiedlich starker Farbintensitäten, erklärt beispielsweise Willem Goeree 1670 in seiner Inleyding tot d’algemeene teykenkonst, d. h. durch die Zusammenstellung heller und dunkler bzw. starker und abgeschwächter Farbtöne.75 Auch Van Hoogstraten hatte in dieselbe Richtung argumentiert, das farbige Komponieren des Malers mit dem Blumenbinden verglichen und es deshalb, wie Van Mander vor ihm, eine tuilkonst genannt: »Nun wollen wir noch über die stimmige Komposition und ausgewogene Zusammenstellung [der Farben] sprechen. Welches Geheimnis der Kunst wir gewöhnlich mit dem Wort houding bezeichnen; welches im Kolorieren dasselbe meint wie in der Messkunst die Wörter Symmetrie, Analogie, Harmonie und Proportion; darin vergleichbar dem Einklang und reizenden Gesang in der Musik. Denn das Konzept umfasst die bloße Zusammenstellung von Kräften, die aufeinander abgestimmt werden: die glückliche Verteilung der Farben, die wir die ›Blumenbindekunst‹ [›tuilkonst‹] nennen, sowie die ausgewogene Verteilung des Helldunkels: d.i. das Hervortreten, Zurückweichen, Modellieren und Verkürzen; und dies beinhaltet zuletzt

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Daniel Seghers (1590–1661) und De Heem genannt. Zu Simon Verelst siehe z. B. auch Weyerman, Levens-beschryvingen, III, 248–252, wo ein Gemälde Verelsts im Besitz des »beruchten en geleerden Hoogleeraar, den Heere Boerhave, Professor Botanicus op de Hooge Schoolen tot Leyden« erwähnt wird: »Een konstjuweel dat voor geene bloemschilderyen de vlag behoeft te stryken, ent dat wy noch onlangs met een diepe verwondering hebben beschouwt.« Ebd., 249. Weyerman berichtet auch vom »verval in de konst« des Simon Verelst während seiner Zeit in London, wo seine Hofartigkeit und Selbstüberschätzung derart geschürt wurde, dass sie in geistiger Verwirrung endete. Weiterführend: Paul Taylor, »The Concept of Houding in Dutch Art Theory«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 55 (1992), 210–232; ders., Dutch Flower Painting 1600– 1720, New Haven & London 1995, v.a. 77–114 (»The Flower Piece and Dutch Art Theory«). Goeree, Inleyding tot d’algemeene teykenkonst, 130: »… na de kragt die het heeft, het zy donker of ligt, voor-uyt als agter-uyt kan doen wijken, uyt reden van de toe-eygeningen en opsigten, die de kleuren of trappen van sterk en flauw tot malkanderen hebben […]«).

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142 | Peter Paul Rubens und Osias Beert, Pausias und Glycera, 1612–1615,

Öl auf Leinwand, 203.2 × 194.3 cm, The John and Mable Ringling Museum of Art, Sarasota, Florida. Glycera galt als Erfinderin der geflochtenen Blumenkränze, also einer kunstvollen Verarbeitung natürlicher Blumen.

alles, das bereits erwähnt wurde und für die Herstellung eines vollkommenen Gemäldes notwendig ist«,76 heißt es in seiner Inleyding d. i. das Zusammenstellen der Farben wird mit der Kunst, Blumensträuße oder Girlanden zu binden, in Verbindung gebracht.77 In ihr geht es ja auch 76

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»Zoo resteert’er noch van der zelver overeendrachtige ordening en meedevoegelijke schikkinge te spreeken. Welke geheymenis der konst wy gewoon zijn met het woort Houding uit te drukken; ’t welk in het koloreeren eeven het zelve beteykent, als in de konst der maetschiklijkheyt de woorden Simmetrie, Analogie, Harmonie, en Proportie; zijnde ook als de overeenstemming en bekoorlijke zangwijze in de Muzijk. Want het begrijpt in zich een zuivere vergaderinge van samenstemmende kracht; het wel schikken der koleuren, ’t welk wy de Tuilkonst noemen; en de ordentlijke schikking van lichten en schaduwen: nevens het voorkomen, wechwijken, ronden, en verkorten; en laet eyndelijk niets uitgeslooten van al’t gene dat, booven ’t geene dat reets verhandelt is; tot een volmaekte Schilderye behoort.« Van Hoogstraten, Inleyding, 300. Der Vergleich zwischen Blumenbindekunst und Farbkomposition (»Aen den bloemen, verwen sorteren leeren«) wurde bereits von Van Mander in seinem Lehrgedicht gezogen und findet sich später bei Joachim von Sandrart wieder. Basis dafür ist die bei Plinius zu findende Künstleranekdote um den Maler Pausias und das Blumenmädchen Glycera: »Indien wy dit deel oock

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darum, durch das Arrangement unterschiedlich heller oder leuchtender farbiger Blüten einen plastischen Eindruck zu erwecken, und so ist es kein Zufall, dass De Lairesses vorheriger Ratschlag an die Blumenmaler, kräftige mit gedämpften Farben zu kombinieren, so dass sie »einen lieblichen Regenbogen ergeben«, in einem ähnlichen Zusammenhang fällt. Mit der plastischen Farbwirkung aber ist nicht einfach nur die scheinbare Ausdehnung eines Körpers oder Raums (zum Beispiel qua Farbperspektive) gemeint, sondern der Terminus erhält die Bedeutung eines das Bildfeld aktiv ausweitenden und dynamisierenden Prinzips. Es ist der entscheidende Unterschied zu den früheren Stilleben zum Beispiel Jan Brueghels d. Ä., der Bosschaerts oder Roelant Saverys, in denen das Pigment zwar substantiell auf dem Bildträger haftet und nicht in der Repräsentation aufgeht, in denen diese Substanzen aber weiterhin als distinkt gedacht werden müssen und Farbe dazu dient, die Dinge zu unterscheiden, oder in Karel van Manders Worten: »Verwe gheeft onderscheyt der dinghen«, sie macht »schoon differentich«.78 Nun jedoch greifen die Farbmaterien inein-

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recht treffen conen,/ T’sal fraeylijck ons werck verschoonen te wonder,/ Als de Maeght Glycera van Scytionen,/ Bloem-krans vercoopster, die met onghewonen/ Aerdighen aerdt, thien duysent voudich onder/ Een wist te voeghen haer Bloemkens, bysonder/ Van verwen soo lustich, dat hem verblijde/ Pausias Schilder, diese daerom vrijde./ Laet ons oock aldus sorteren ons Laken,/ Want Pausias, siende dit constich voeghen,/ Haer Tuylkens en Hoeykens hy nae ginck maken,/ En werdt gheheel constich in dese saken.« Van Mander, »Grondt«, XI/2–3, 45r–45v (»Wenn wir auch dieses Teil gut treffen können, wie das Mädchen Glyceria von Sikyon, eine Verkäuferin von Blumenkränzen, die auf ungewohnt schöne Art 10.000fach ihre Blumen untereinander zu bringen wusste und besonders in der Farbenzusammenstellung so schön, dass es den Maler Pausias entzückte und er um sie freite, so wird sich unser Werk wunderbar verschönern. Lasst uns auch so wie Pausias unsere Gewänder auslesen, der, als er dies kunstvolle Komponieren sah, ihre Blumensträusse und -kränze nachahmte, so dass er sehr kunstvoll in diesen Dingen wurde.« Hoecker, Lehrgedicht, 257). Van Mander zitierte die antike Erzählung noch nicht im Zusammenhang von Blumenbildern, die als eigenständige Gattung erst gleichzeitig entstanden, vgl. Welzel, »Wettstreit«, 336. Im Gegensatz dazu bezieht sich Von Sandrart auf eben diese neue Bildgattung: »Er [Pausias] buhlete in seiner Jugend um eine Blumen Verkauferin zu Sicyon, Namens Glycera, welche auf tausenderley Arten/ die Blum-Büschlein und Kränzlein zierlich zu binden wuste: die er dann mit dem Pinsel nachzubilden sich befließe. Sie wuste aber die Blumen/ nach den Farben/ auf so mancherley Weise zu verwechseln/ und vermengen/ daß er sie nicht erfolgen konte: welcher Kampf dann mit Lust anzusehen war/ und hat er dardurch in seiner Kunst sehr zugenommen.« Von Sandrart, Teutsche Academie, II/1, 25. Pausias wird von ihm als Maler angeführt, der besonders durch »seine Kunst/ durch Farben zu erheben und zu rundieren« Nachruhm erlangt habe. Ebenda. Zur weiteren Karriere des Blumenstillebens als ästhetische Einübung und naturwissenschaftliches Studium der Farben vgl. Mary Gartside, Essay on Light and Shade, on Colours, and on Composition in General, London 1805; Gartsides Schrift steht zwischen Moses Harris’ Natural System of Colours (ca. 1766/1770) und Goethes Farbenlehre (1810), siehe Alexandra Loske, »Mary Gartside – A Female Colour Theorist in Georgian England«, in: St Andrews Journal of Art History and Museum Studies 14 (2010), 17–30; Raphael Rosenberg & Max Hollein, Turner – Hugo – Moreau. Entdeckung der Abstraktion, Frankfurt 2007; Jean-Jacques Rosat, »Goethe’s Theory of Colours«, in: The Letter of the Collège de France 17 (2005), 25–26; Kemp, Science of Art, 293. Van Mander, »Grondt«, XIII, 50v (»Die Farbe gibt den Dingen ihre Verschiedenheit«); sowie ebd., 51v. Auch Willem Beurs’ zwischen Farbtheorie und -Praxis angeordnetes Buch De groote waereld in ’t kleen geschildert von 1692 steht in dieser Tradition – der Blumenmaler Beurs versteht Farbe als dasjenige Kriterium, das die Vielfalt der Welt sowohl aufzeigt wie ordnet.

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ander, sie scheinen aus dem Malgrund hervorzutreten und in ihn zurückzufallen beziehungsweise sich raumplastisch nach vorne auszudehnen oder in die Tiefe zurückzuziehen, als unterstünden sie einem adhäsiven Feld, aus dem sie alleine mithilfe ihrer Leuchtkraft ausbrechen und von dem sie auch absorbiert werden können. Ein ähnliches Prinzip waltete ja in den Beispielen der sottobosco-Malerei: Hier war der Bildgrund zum Negativraum geworden, der nicht nur Libellen und Schmetterlinge, sondern auch schwächere Farben verschluckt. Zugleich war er Ausdruck eines Möglichkeitsraums, Ausgangspunkt jeder Kreativität. In Van Vogelaers Stilleben jedenfalls, mit der Sonnenblume in der Mitte, hat man die Assoziation des Blumenstraußes mit dem Spektrum des Regenbogens deutlich vor Augen gestellt bekommen. Der Maler hat die Metallvase mit dem Blumenstrauß aus Rosen, Nelken, Sonnenblumen, Ackerwinden, Tuberosen, Anemonen und Schneebällen zwar auf dem Erdboden plaziert. Aber man muss nur den farbigen Zusammenhalt von Blumen und Himmel beachten – ein dualistisch angelegtes Farbspektakel, in Pigmente umgesetzt –, um Ähnlichkeiten zwischen Himmel und Erde, Natur und Kunst herzustellen und an die elementaren Zusammenhänge zu denken, die Farben zu etwas machen, das jederzeit mit der Umwelt kommuniziert, weil sie demselben Regime oder einem kontinuierlichen Raum angehören. Weiterhin können diese Farben, und das wird zur Gewissheit, wachsen und vergehen und haben daher etwas »Bewegliches und Flüchtiges« an sich, sie vermitteln ein »Vorgefühl der Steigerung und des Rückgangs«, wie Goethe für die alten Farbbegriffe hellsichtig vermerkte. »Jede Farbe, welcher Art sie sei, kann von sich selbst eingenommen, in sich selbst vermehrt, überdrängt, gesättigt sein und wird in diesem Falle mehr oder weniger dunkel erscheinen. Die Alten nennen sie alsdann suasum πεπεισμενον [pepeismenon] (in sich gesättigt), in se consumptum (in sich selbst verschwendet), plenum (voll), saturum κατακορες [katakores] (satt), meracum ακρατον [akraton] (unvermischt), pressum βαρυ [baru] (schwer, gedrängt), adstrictum (zusammengezogen), triste (finster), austerum αυστηρον [austeron] (dunkel), amarum πικρον [pikron] (bitter, unangenehm), nubilum αμαυρον [amauron] (umwölkt, düster), profundum βαθυ [bathy] (tief, unmäßig). Sie kann ferner diluiert und in einer gewissen Blässe erscheinen; insofern nennt man sie dilutum (verdünnt), liquidum, ύδαρες [hydares] (wässrig, hell), pallidum εκλευκον [ekleukon] (blaß).«79 Die Farben der Natur können ebenso zusammenfließen und sich vereinigen, ineinander übergehen, sich mischen und trennen wie die Farben auf der Palette des Malers oder der Leinwand des Bildes, sie können verdünnt und verdickt werden, sie können koagulieren, gerinnen, eindunkeln und verblassen. Sie können süß oder herb, trocken oder feucht, 79

Goethe (nach Friedrich Wilhelm Riemer [1774–1845]), Farbenlehre, III.1, 562. Sic (Schreibweise aller griechischen Begriffe wie bei Goethe). Vgl. ebenda: »Bei aller Sättigung kann die Farbe dennoch von vielem Lichte strahlen und dasselbe zurückwerfen; dann nennt man sie clarum λαμπρον [lampron], candidum, acutum οξυ [oxy], excitatum, laetum, hilare, vegetum, floridum ευανθες [euanthes], ανθηρον [antheron].«

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warm oder kalt, freundlich oder düster sein, denn sie sind in jedem Moment mit Qualitäten behaftet und geben innere »Zustände« an. Vielleicht erklärt sich daraus, d. h. aus dem Vorgefühl der »Steigerung« und des »Rückgangs« in den Farben und der gar nicht nur metaphorischen Verwendung der Begriffe »Wachstum« und »Verfall«, die pulsierende Kraft so mancher barocker Stilleben. Man kann den Farben dabei zusehen, wie sie aufblühen und vergehen, denn sie agieren als Kräfte im Bildfeld, die sich gegenseitig steigern und vernichten können. Hier zeichnet sich der Hintergrund ab, vor dem sich das Genre des Stillebens als ein genuiner Ort für Farbstudien etablieren konnte und, wie man dann später mit Recht sagen kann, selbstreflexiv wurde.80

AUSTERUS – FLORIDUS An dieser Stelle sollte man ein letztes Begriffspaar hinzufügen, das mit der Beschreibung der an- und abschwellenden Leuchtkraft, Helligkeit und Sättigung der Farben zu tun hat. Denn natürlich waren sich bereits die Maler der Antike bewusst, dass man farbige Mitteltöne durch Mischung – sei es der Pigmente, sei es aufgrund übereinanderliegender Farblasuren (auch dünner Stoffe etc.) – erzielen konnte. Jede Mischung aber bedeutete für sie eine Zustandsveränderung und damit eine Verunreinigung der zuvor getrennten Substanzen.81 Plutarch beispielsweise führt an, dass »Pigmente, die man gemeinsam anreibt, während des Vorgangs ihre eigene Farbe verlieren«, weil »Mischung einen Konflikt hervorruft, der wiederum in einer Zustandsänderung resultiert, und weil jeder Auflösungsvorgang eine solche Art von Zustandsänderung ist«, »denn ohne Änderung lässt sich nicht wohl in einen anderen Zustand kommen, und der, welcher sich verändert, ist auch nicht mehr derselbe. (…) Die sinnliche Wahrnehmung verleitet uns nur, weil wir das wahre Sein nicht kennen, das, was bloß scheint, dafür zu halten«82, und er fügt wiegesagt hinzu, dass dies der Grund sei, warum Färber das Mischen der Farben ein »Verblühen«83 (phthorax) nannten (ein Begriff, den Aristoteles für das »Vergehen« bzw. Sterben von natürlichen Organismen verwendete) – etwas, das wir angesichts der Stillebenmalerei in Erinnerung behalten sollten. Offensichtlich sind es nicht nur Blumen, die aufblühen und verwelken, sondern die Farbe selbst, je nachdem, ob sie in einer reinen oder gemischten Form auf die Leinwand aufgetragen wird.84 Möglichkeiten zur Systematisierung der graduellen Farbwerte, -helligkeiten und

80 81 82 83

84

Weitere Ausführungen dazu in Karin Leonhard, »White Earth, or How to Cultivate Color in the Field of Painting – Still Life and Baroque Color Theory«, in: Vision and Its Instruments, hg. v. Alina Payne, Pennsylvania (in Vorbereitung). Vgl. Gage, »Locus Classicus of Colour Theory«, 6. Plutarch, »De defectu oraculorum«, in: Moralische Schriften (Moralia), X, 436. Ebd., X, 1229: »Das Eine aber ist lauter und rein; denn durch die Vermischung des Einen mit dem Andern entsteht die Verunreinigung, wiewohl auch Homer [Ilias IV, 141] von rothgefärbtem Elfenbein den Ausdruck μιαίνεσθαι [miainesthai, d. i. verunreinigt werden] gebraucht und die Färber von der Mischung der Farben die Ausdrücke φθειρεσθαι und φθορά [phtheiresthai und phtora, d. i. verderbt werden und Verderben]. Daher muss das Unvergängliche und Reine stets ein Eines und Unvermischtes seyn.« Ebenda.

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-sättigungen werden im 17. Jahrhundert in allen Variationen durchgespielt, sowohl durch Farbkombinationen wie durch Farbmischungen in verschiedensten Techniken und mit wechselndem Material. Die entscheidende Frage des 17. Jahrunderts, ob ein farbiger Mittelton »entmischt« und in seine primären Bestandteile zerlegt werden kann, hatte jedoch bereits antike Autoren beschäftigt, und der Gegensatz zwischen reinen und gemischten Farben spiegelt sich vielleicht auch in den beiden klassifizierenden Begriffen der colores austeri und colores floridi wieder, die in den Farbtraktaten seit der Antike verwendet wurden. Von ihnen gibt uns Plinius die ausführlichste Beschreibung: »Es gibt ernste [matte, dunkle; austeri] und lebhafte [hervorstechende; floridi] Farben. Beydes werden sie entweder von Natur oder durch die Vermischung. Lebhafte, die der Herr dem Maler anschafft, sind: Bergzinnober [minium], armenisch-blau [Armenium], gemachter Zinnober, Berggrün [chrysocolla], Indigo [indicum], Karmin [purpurissum]. Die übrigen sind ernste [dunkle].«85 Die Rede von den colores floridi wird von Plinius wenig später noch einmal aufgegriffen, und zwar, als er von der Erfindung des Apelles berichtet, der einen rauchigen Firniß über seine Bilder zog, um damit die Leuchtkraft der Farben zu dämpfen: »Eines (…) vermochte Niemand nachzuahmen, nämlich den schwarzen Lack, womit er seine fertigen Gemälde überzog, welcher so zart ist, dass er durch Zurückwerfen des Lichts den Glanz der Farben erhöhet, das Bild vor Staub und Schmutz schützt und nur in der Nähe sichtbar ist. Er wandte ihn zunächst deshalb an, damit die Helle der Farben die Augen nicht angreife, so dass man sie wie durch ein Marienglas aus der Ferne ansehen könne, und die allzu lebhaften Farben unvermerkt einen tiefern Ton erhielten.«86 Wie also haben wir die Farbbegriffe zu verstehen? – »Perhaps, in the broadest sense, the floridi colores simply signified colors which were bright, while the austeri colores signified those which were more somber (possibly as a result of having been blended with other

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Plinius, N.H. XXXV, 12 («Sunt autem colores austeri aut floridi. Utrumque natura aut mixtura evenit. Floridi sunt – quos dominus pingenti praestat – minium, Armenium, cinnabaris, chrysocolla, Indicum, purpurissum; ceteri austeri«). Vgl. Pollitt, Ancient View, 245. Plinius, N.H. XXXV, 36. Nochmals taucht der Begriff austerus einige Zeilen später auf, als Plinius die Fähigkeit des Malers Athenion von Maroneia rühmt: »Dem Nicas stellt man gleich oder zieht man vor den Athenion von Maronea [Maroneia], einen Schüler des Korinthers Glaucion, der im Colorit rauh aber dabei gefälliger ist, so dass aus seinen Malereien die Kenntnis hervorleuchtet.« Ebd., 40. Auch schon im pseudo-aristotelischen Text De coloribus tauchen diese Farbbezeichnungen auf. In der relevanten Passage geht es um Vorgänge gegenseitigen Einfärbens von Stoffen – warme und feuchte Dinge nehmen Farbe auf, während trockene sie wieder verlieren: »Denn die Gegenstände nehmen stets von ihnen allen, indem zugleich mit der Feuchtigkeit und der Wärme die Farben in die Poren eindringen, nach dem Trocknen die Farben von jenen an. Deshalb wird [die Färbung] auch oftmals daraus ausgewaschen: Die blühenden Farben fließen aus den Poren heraus.« Pseudo-Aristoteles, De col. 794 a 25–29. Hier ist mit »blühend« offensichtlich die Sättigung der Farbe bzw. als Gegenteil ihr Verblassen bei der Trocknung gemeint.

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143 | Das Konzept der »blühenden Farben« in Johann Ignaz Schiffermüllers Versuch eines Farbensystems, Wien 1772, Taf. 1. Schiffermüller wurde v. a. als Entomologe bekannt.

colors)«87, erläutert J. J. Pollitt ihre mögliche Bedeutung, wobei er aufgrund der etymologischen Nähe zwischen austerus und αὐστηρός (austeros) zugleich noch eine wichtige Verbindung zu einigen Stilbegriffen der antiken Rhetorik herstellt: Im 21. Kapitel von De compositone verborum nämlich hatte Dionysios von Halikarnassus (ca. 54 v. Chr.–ca. 8 n.Chr.) sich einer Klassifikation bedient, die er, wie er selbst schreibt, aus der Betrachtung von Bildern gewonnen habe, »denn Maler benutzen die selben Pigmente, aber mischen sie auf verschiedene Weise«88. Offensichtlich orientiert er sich in der Auswahl der Begriffe, mit denen er zwischen zwei rhetorischen Stilen unterscheiden will, an einer bereits bestehenden Farbterminologie. Der eine Sprachstil (austerus) sei »ernst« und »gesetzt« (aber das Wort αὐστηρός meint auch »vertrocknet«, »trocken«, »bitter« oder »rauh«), während der andere (floridus) im Gegensatz dazu »blühend«, »flüssig«, »elegant« wirke oder »süß« sei. Bei beiden handelt es sich um Stilmittel, die sowohl getrennt eingesetzt wie miteinander kombiniert werden können, und es gibt eine Stelle bei Plinius, in der mit einer ähnlichen Ambivalenz 87 88

Pollitt, Ancient View, 323–333. Ebd., 324.

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AUSTERUS – FLORIDUS

von der Malerei des Athenion von Maroneia (tätig im späten 4. – frühen 3. Jh. v. Chr.) gesprochen wird, die in geglückter Weise »in austeritate iucundior« gewesen sei. Für den Moment aber geht es mir immer nur wieder darum festzuhalten, dass auch Farben aufblühen und vertrocknen können und man annimmt, sie könnten dazu neigen, mehr oder weniger trocken oder feucht, herb oder süß zu sein.89 Aristoteles jedenfalls bespricht die Vorgänge visueller Wahrnehmung in Verbindung mit anderen Sinneswahrnehmungen, vor allem von Geruch und Geschmack, und mehr noch, er setzt sie analog, weil er glaubt, dass sie auf zwei entgegengesetzten Prinzipien wie Schwarz und Weiß oder Bitterkeit und Süße etc. basieren: »Ferner hat alles Wahrnehmbare seinen Gegensatz.«90 Derart kann er weiße und gelbe Farben mit einem süßen, schwarze dagegen mit einem bitteren oder scharfen Geschmack gleichsetzen, und die Parallelen zwischen Gesichts- und Geschmackssinn werden von ihm auch auf der sekundären Ebene gemischter Formen gezogen.91 Warum aber korrespondiert der Geruchs- mit dem Geschmacks- und folglich auch mit dem Gesichtssinn? Die Korrespondenz erklärt sich durch die jeweiligen species, die von den sichtbaren, schmackhaften, riechenden etc. Gegenständen ausgehen und die Sinnesorgane erreichen. Wenn die species des Geschmacks beispielsweise dasselbe Mischungsverhältnis zwischen süß und bitter aufwiese wie die species der Farbe zwischen weiß und schwarz, ließen sich beide aufeinander beziehen und würden als Eindrücke miteinander verknüpfbar. Einige dieser Mischungsverhältnisse seien wie Akkorde in der Musik missgestimmt und bereiteten Unbehagen, während andere unsere Sinne mehr erfreuten. Grundsätzlich gäbe es bestimmte Farben, Düfte und Geschmäcker, fährt Aristoteles fort, die uns von vorneherein angenehmer als andere erschienen. Als Beispiel führt er den Duft von Blumen an, denn dieser sei zu jeder Zeit angenehm.92 Platon hatte sich in seinem Philebos (51 a–e) ganz ähnlich geäußert und Blumenduft als reinen Genuss, eine Wohltat bezeichnet. 89 90 91

92

Vgl. Fehrenbach, »Calor nativus – Color vitale«. Aristoteles, De sens. 442 a 16. Ebd., 442 a 17–26: »Wie nun die Farben aus einer Mischung von Schwarz und Weiß entstehen, so die Geschmäcke aus einer solchen von Süß und Bitter. Und zwar entstehen sie je aus dem Verhältnis des Mehr oder Weniger, sei es nach bestimmten Zahlen der Mischung und Erregung, sei es in unbestimmter Form, dabei weisen die angenehmen wieder ein bestimmtes Zahlenverhältnis auf. Allein der Fettgeschmack gehört zum Süßen, salzig und bitter ist fast dasselbe, herb, stechend, sauer und scharf liegen dazwischen. Es gibt also etwa ebensoviel Arten der Geschmäcke wie der Farben, nämlich sechs, wenn man, wie billig, Grau zu Schwarz rechnet: es bleibt dann Gelb als Abart des Weißen, wie Fettig als Abart des Süßen, und Purpurrot, Violett, Grün und Blau zwischen Weiß und Schwarz, während alle andern Mischungen aus diesen sind. Und wie Schwarz eine Abwesenheit von Weiß im Durchsichtigen bedeutet, so Salzig und Bitter die Abwesenheit des Süßen in der Nahrung.« Ebd., 443 b 25–29: »Die andern Gerüche sind an sich angenehm, z. B. die der Blumen. (…) Sie reizen auch das Begehren nicht, eher das Gegenteil.« Aristoteles spricht alleine dem Menschen die Fähigkeit zur genussvollen Aufnahme von Blumenduft zu: »Darum auch ist der Mensch von allen Geschöpfen sozusagen das einzige, das an den Blumen und ihrem Geruch seine Freude hat. Denn ihre Wärme und ihre Erregung passt so recht zum Übergewicht an Feuchtigkeit und Kälte in diesem Teil des Körpers [gemeint ist das Gehirn].« Ebd., 444 a 30–34.

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144 | Justus Juncker, Birne mit Insekten, signiert und

datiert »Juncker f. 1765«, Öl auf Holz, 25.8 × 21.5 cm, Städel Museum, Frankfurt, Inv.-Nr. 1615.

Solche Äußerungen wurden in die Frühe Neuzeit übertragen, und sie spielen in das Genre des Stillebens hinein. Denn selbst wenn Geschmack und Geruch sich in Bildern nicht darstellen lassen, so machen sie doch einen Teil der Ikonographie von Stilleben aus. Diese geht eine enge Allianz mit den Bildmotiven ein, d. h. mit den Blumen und Früchten, die in allen Stadien des Blühens bzw. Reifens und Verwelkens dargestellt sind und dabei ihre Farbe, ihren Duft und Geschmack verändern. Deshalb kann man sagen, dass das Stilleben, zumindest eines Teils seiner Herkunft nach, über Wesen und Vorgänge von Wahrnehmung reflektiert – der visuellen Wahrnehmung in erster Linie, aber auch des Riechens, Schmeckens, Hörens und Tastens. Und vielleicht fasst Justus Junckers (1701/1703–1767) Birne mit Insekten, in einer leicht ironischen Geste, diese Tradition des Genres sowohl zusammen wie es sie zu Ende bringt: Eine Birne, in glühenden Farben dargestellt, die augenblicklich die Süße und Saftigkeit der reifen Frucht evozieren, kontrastiert mit der kalten Steinplinthe, auf die sie einmal mit Bedachtsamkeit gelegt worden ist. In dem Moment, in dem sich ihre Sinnlichkeit in Malerei verwandelte, ist sie zu ihrem eigenen Denkmal geworden.93 93

Zum Appetit anregenden Aspekt der Stillebenmalerei vgl. Beurs, Die grosse Welt, 134, 147, 149 und 151; die Passage hatte schon Houbraken amüsiert. Houbraken, Schouburgh, 355–356. Zum Verhältnis von Augenblicklichkeit und drohendem Davongleiten oder Vergehen des Augenblicks im Stilleben siehe Stefan Grohé, »Sehen im Gleichgewicht. Ordnungsvorstellungen in der niederländischen Malerei«, Vortrag vom 1./2. Okt. 2009 in Köln, Konferenz Die sichtbare

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APPARENT COLOUR Für unseren Zusammenhang wichtig ist es außerdem zu wissen, dass man sich schon früh bewusst war, wie sehr sich Körperfarben verändern, wenn man sie zum Beispiel in farbiges Licht stellt, und wie sehr wiederum der Widerschein ihrer Oberflächen die umliegenden Gegenstände einfärbt. Bereits in De coloribus wird ausführlich darüber geschrieben. Ich zitiere die Stelle aufgrund ihrer Relevanz vollständig: »Keine der Farben aber sehen wir rein wie sie ist, sondern alle sind in anderen gemischt. Denn wenn [sie] auch mit keiner der anderen [Farben gemischt sind], so erscheinen sie wenigstens gemischt mit den Strahlen des Lichtes und den Schatten andersartig und nicht, wie sie sind. Daher erscheint auch das, was wir im Schatten betrachten und im Licht und in der Sonne und je nachdem, ob der Lichtstrahl hart oder weich ist und ob seine Neigung so oder anders ist, und was es noch für weitere Unterschiede gibt, andersartig. [Andersartig erscheint] auch, was wir bei Feuerlicht, Mondlicht oder Licht von Fackeln sehen, weil auch das Licht eines jeden davon eine andersartige Farbe hat. [Die Dinge erscheinen andersartig] auch durch die Mischung der Farben miteinander; wenn nämlich die Farben einander durchdringen, nehmen sie eine [andersartige] Färbung an. Denn wenn Licht auf einen Gegenstand auftrifft und davon rot oder grasgrün gefärbt wird und wenn es dann reflektiert auf eine andere Farbe trifft, dann erhält es wiederum gemischt mit jener [zweiten Farbe] eine andere Farbmischung. Und das geschieht zwar häufig, aber unvermerkt, so dass das Licht zwar zuweilen als Mischung aus vielen Farben den Gesichtssinn erreicht, aber nur den Eindruck einer einzigen vorherrschenden Farbe bewirkt. Deshalb erscheinen auch [Objekte] im Wasser eher wasserartig, und das [, was man] im Spiegel [sieht], scheint die ähnliche Farbe zu haben wie die des Spiegels. Und man muss annehmen, dass das auch hinsichtlich der Luft so eintritt. Daher sind also alle Farben aus dreierlei Komponenten gemischt: aus dem Licht, aus dem durchsichtigen Medium des Lichtes wie zum Beispiel Wasser und Luft, und drittens aus den zugrundeliegenden Farben, von denen jeweils das Licht reflektiert wird.«94 Der sich derart einstellende Farbeffekt wird stets als ein gemischter und damit temporärer beschrieben – man denke nur an Van Manders bereits zitierte Passage des Lehrgedichts zur Einfärbung der Luft, der Gesichter und Körper durch das rote Abendlicht oder an seine Schilderung von Nachtszenen im Kerzenlicht oder Mondschein.95 Im 17. Jahrhundert gibt

94 95

Welt. Visualität in der niederländischen Literatur und Kunst des 17. Jahrhunderts, Einsicht in das Manuskript. Pseudo-Aristoteles, De col. 793 b 12–794 a 3. Zu Van Manders Konzept von »reflexy« und »weerschijn« siehe Philipp Weiss, »we(d)erschijn als Kernbegriff der Diskussion des malerischen Lichts bei Karel van Mander«, in: Ad fontes!, hg. v. Fritzsche, Leonhard & Weber, 35–54; Sven Dupré, »The Historiography of Perspective and Reflexy-Const in Netherlandish Art«, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 61 (2011), 35–60; Walter Melion, Shaping the Netherlandish Canon. Karel van Mander’s SchilderBoeck, Chicago & London, 1991, 70–77.

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es viele weitere Beispiele für eine neue Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, »wie Schatten, Streiflicht und die Beschaffenheit der Luft die Farben verändern,«96 oder wie »sich die Farben durch unterschiedliche Beleuchtungen verändern”97. Van Hoogstraten beispielsweise, aus dessen Inleyding diese Sätze stammen, unterscheidet zwar noch immer zwischen »Farben, die die Dinge selbst haben«98, so dass »jeder Körper eine natürliche Farbe«99 hat, und dem »Widerschein anderer Farben«100 auf diesen Körpern, aber letzterem wird nun eine sehr viel größere Aufmerksamkeit geschenkt. Ihm wird sogar ein eigenes Kapitel gewidmet: »Der Widerschein ist eigentlich ein Zurückstrahlen [›wederomkaetsing‹] des Lichts von allen beleuchteten Gegenständen«101, heißt es dort, wobei nun auch

96

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99 100 101

So eine Kapitelüberschrift in Van Hoogstraten, Inleyding, 264: »Wat de schaduwe, schamping, en dikte der locht, aen de verwen verandert« (»Wie Schatten, Streiflicht und die Beschaffenheit [eigtl. Dichte] der Luft die Farben verändern.« [Zu schamping vgl. ebd., 264 und 268: »Schamping is, wanneer het licht niet vlak op de dingen straelt, maer noes, gelijk langs heenen, en kan zeer bequaem in een ronde pilaer aengewezen worden.« »In den tweeden graedt stellen wy, als half verlicht, de schampingen, en vergelijken die met onze mezetinte, of halfverwen op de bruinte van ookers«]). »(…) de koleuren of verwen veranderlijk door onderscheyde verlichtingen.« Van Hoogstraten, Inleyding, 257. Ebd., 217: »Koleuren, die de dingen by zich selfs hebben.« Vgl. dazu auch Van Manders Beschreibung des Ursprungs der (Körper-)Farben im dreizehnten Kapitel seines Lehrgedichts (»Van der Verwen oorsprong, natuere, cracht en werckinge«): »In’t begin, als alle gheschapen dinghen/ Van hunnen Schepper, alderhooghst ghepresen,/ Begin, ghedaent’, en het wesen ontfinghen,/ Al wat de ooghe mach sichtbaer bestringhen,/ Hoe veel, verscheyden, en hoe vreemdt van wesen,/ Het heeft al zijn coleur ghehadt van desen/ Alder constichsten Beeldenaer en Schilder,/ Hoe can der Verwen oorsprongh blijcken milder?« Van Mander, »Grondt«, XIII/1 (»Als am Anfang alle geschaffenen Dinge vom hochgepriesenen Schöpfer Ursprung, Form und Wesen erhielten, alles das also, was das Auge umfassen kann, wie viel verschiedenes und dem Wesen nach fremdartiges es auch sei, so hat jedes doch seine Farbe von diesem kunstvollesten Bildhauer [eigtl. Bildner] und Maler erhalten. Wie kann der Farben Ursprung schöner erscheinen?« Hoecker, Lehrgedicht, 285). Van Hoogstraten, Inleyding, 258: »Elk ding zijn eyge en natuerlijke koleur.« Ebd., 263: »Weerglans van verscheide verwen.« Ebd., 263. Der vollständige Satz: »Weerglans is wel eygentlijk een wederomkaetsing van het licht van alle verlichte dingen maer in de konst noemen wy maer alleen reflectie of weerglans, de tweede verlichting, die in de schaduwe valt. De volmaektste weerglans is spiegeling. (…) De spiegeling geschiet in water, glas, metael, gepolijsten steen, en dergelijke gladdicheit, maer de dingen, die mat rul en oneffen zijn, ont-fangen maer alleen een gemeene verlichting, na de verwe van’t geen, daer zy door verlicht worden, ook na de tusschenwijte, en haere eygenschap (…).« Ebenda (»›Weerglans‹ [= Abglanz, Widerschein] meint eigentlich das Zurückstrahlen des Lichts von den beleuchteten Gegenständen, aber in der Kunst nennen wir nur die zweite [d. i. indirekte] Beleuchtung, die in den Schatten fällt, eine Reflexion oder einen Widerschein. Die vollkommenste Reflexion ist die Spiegelung. (…) Sie geschieht auf Wasser, Glas, Metall, poliertem Stein und ähnlichen glatten Oberflächen, während die Dinge, die matt und uneben sind, nur eine gemeine Beleuchtung erfahren, entsprechend der Farbe desjenigen, durch das sie beleuchtet werden, auch entsprechend dem Abstand und ihrer [der Dinge] Eigenschaft.«). Vgl. auch Sir Kenelm Digby: »The very same object must appeare of different colours, whensoever it happeneth that it reflecteth light differently to us (…) accordingly painters are saide to use almost opposite colours to expresse them. In like manner if you looke upon two pieces of the same cloth, or plush, whose graines lye contrawise to one an other, they will likewise appeare to be of different colours.« Digby, Of Bodies and Man’s Soule, 260.

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APPARENT COLOUR

145 | »Tis alles koloryt«, in: Willem Beurs, De groote

waereld in ’t kleen geschildert, Amsterdam 1692. Frontispiz.

die jeweils in den Bildern eingenommene Perspektive relevant wird: »Die Farben [›koleuren of verwen‹] verändern sich durch Körper, die das Licht verstellen und einen Schatten werfen, oder durch Streiflicht. Die Gesetze des Schattenwurfs werden in der Perspektive gelernt.«102 In Willem Beurs’ Farbtraktat De groote waereld in ’t kleen geschildert von 1692 gibt es außerdem eine schöne Stelle zur Reflexionskraft des Diamanten, in der beschrieben wird, wie der farblose Stein die Farben der Umgebung sammelt und auf seiner Oberfläche momenthaft aufblitzen lässt – Beurs nennt das Spektakel eine »spielende Farbe«: »Denn bißweilen spielet er Grün/ bißweilen blau/ dann scheinet er röthlicht/ nachdem eine andere Farbe darauf spielet/ oder die Augen des jenigen/ der ihn anschauet/ 102

Van Hoogstraten, Inleyding, 217: »De koleuren of verwen zijn veranderlijk door verhinderingen van eenige lichaemen, die de zelve beschaduwen, of door schampingen. De bepalingen van de schaduwen worden in de perspective geleert.« Zur Farbdiskussion bei Van Hoogstraten vgl. auch Kapitel V (»The Eloquence of Colour«) in Weststeijn, The Visible World, 219–265.

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oder die Stellung von derselbigen Fläche/ oder die Farben der Cörper/ die sich darauf zeigen/ beschaffen seyn.«103 Besonders anschaulich wird das Phänomen der gegenseitigen Einfärbung dann noch einmal in Gerard de Lairesses Groot schilderboek. In einer Passage, in der De Lairesse die optimale Hängung von Gemälden in einem mit Stofftapeten ausgestatteten Innenraum behandelt, kommt das Wissen um den »weerschijn« der farbigen Umgebung deutlich zu tragen: »Noch muß man überhaupt in Acht nehmen, dass in einer mit roth, gelb, blau= oder grün behangenen Kammer, alle Schatten eurer Objecten davon reflectiret, und mit eben selbiger Couleur gefärbet werden: jedoch die Tiefungen und Striche der schwächsten Objecten werden sich desto kräfftiger vorstellen (…).«104 Interessant ist zu sehen, dass es mittlerweile die Lichtfarbe (»koleur«) ist, die die Gegenstände einfärbt (»geverwd«), und wir uns den Erklärungsmodellen zufolge nun überwiegend in einem optischen Regime befinden. Dies wird durch das zeitgenössische Interesse an Linsen, Prismen, Glaskugeln oder Wassertropfen befördert, deren lichtreflektierende und -brechende Eigenschaften das Farbspektrum des Regenbogens hervorrufen können. Es ist in diesem Zusammenhang, dass die Farbfrage eine andere Richtung annimmt. Die chemisch-stoffliche Zustandsbeschreibung farbiger Gegenstände weicht der Schilderung ihrer optischen Augenblicklichkeit, und mit »Einfärben« meint man nun weniger einen farbstofflichen Vorgang als eine Wirkung des Lichts, das, wie es heißt, von den Oberflächen farbiger Dinge widerscheint oder »gereflexeerd« wird (und sich auf umliegenden Gegenständen erneut spiegelt oder fortpflanzt). Denn in den Diskussionen des 16. und 17. Jahrhunderts wird vermehrt die Frage gestellt, ob wir allenfalls die colores apparentes einer Erscheinungswelt wahrnehmen können, und nicht die Körperfarben selbst. Einige Peripatetiker des späten 16. Jahrhunderts hatten deshalb eine zusätzliche Unterscheidung eingeführt, die wichtig wird, weil sie die ontologische Differenz zwischen den Kategorien aufweichte: Ihrer Meinung nach war die »reflectie of weerglans«, die von den Gegenständen als deren farbiger Schatten ausging, selbst noch keine »erscheinende« Farbe, weil ihre Wahrnehmung auf einem tatsächlichen Vorhandensein und Mischverhältnis der von den Körpern ausstrahlenden species beruhte. Licht, das beispielsweise durch ein Glas Rotwein auf eine weiße Tischdecke fällt, färbt jene Stelle zwar nur in unse103

104

Beurs, Die grosse Welt, 123–124. Vgl. den Absatz zuvor: »Und was die spielende Farbe anbelanget/ (…) davon kan man nicht viel gewisses sagen/ es sey dann/ dass man es aus der Mathematica nicht ohne Mühe suchen wolte/ davor die Mahler lieber das Leben selber erwehlen/ weil es nicht betrieget/ wenn sie es nur geziemender massen können treffen und die unterschiedliche Farben können nachahmen/ die sich darin offenbahren.« Ebd., 123. De Lairesse, Mahler-Buch, V/1, 5 (»In ’t algemeen moet men ook in acht neemen, dat in een kamer met rood, geel, blaauw of groen behangen, alle de schaduwen uwer voorwerpen daar van gereflexeerd, en van dezelve koleur geverwd worden: doch de diepsels en toetsen der flaauwste voorwerpen zullen zich des te krachtiger vertoonen.« De Lairesse, Groot schilderboek, V/1, 249).

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146 | Georg Hinz, Mahlzeitbild, um 1665–1670, signiert, Öl auf Leinwand, 39.5 × 55 cm,

Gallerie Koller, Zürich.

rer Wahrnehmung und nicht faktisch rötlich ein, aber die Mischfarbe geht auf die Eigenschaften der Körper zurück und täuscht unsere Sinne im Grunde nicht. Van Hoogstratens Interesse am »weerglans van verscheide verwen« oder De Lairesses Wissen um den »weerschijn« der farbigen Umgebung stehen in dieser Tradition temporalisierter und dennoch weiterhin als »wahr« einzuordnender Farberscheinungen. Deshalb haben die Farbdiskussionen des späten 16. und des 17. Jahrhunderts nicht zuletzt Auswirkungen auf die in den Bildern dargestellte Zeitlichkeit, auf deren zunehmend ephemere Qualitäten. Um 1600 häufen sich Äußerungen, in denen die ontologische Unterscheidung zwischen den colores proprii und apparentes aufgeweicht oder ganz in Frage gestellt wird. Zunehmend werden Temporalisierungsvorgänge innerhalb der visuellen Wahrnehmung, hervorgerufen durch die Standortgebundenheit des Betrachters oder die gegenseitige chromatische Beeinflussung der Gegenstände, besprochen. Solche Themen sind in den komplexen Argumentationen der Peripatetiker schon lange vorbereitet, aber um die Veränderungen ihrer Wahrnehmungstheoreme differenziert nachvollziehen zu können, fehlt uns bislang die Forschung.105 In einem größeren Rahmen jedenfalls ist ein Interessenswandel 105

David C. Lindbergs Auge und Licht im Mittelalter. Die Entwicklung der Optik von Alkindi bis Kepler, Frankfurt a. M. 1987, hat – wenngleich in vielerlei Hinsicht verdienstreich – durch seine Konzentration auf die perspektivische Tradition ein Verständnis der physiologischen, wahrnehmungsphilosophischen und -psychologischen Theorien des 16. und 17. Jahrhunderts eher erschwert, und auch Alan E. Shapiro zeigt mit den Wahrnehmungsmodellen der peripatetischen Schule wenig Geduld (»Artists’ Colors and Newton’s Colors«, in: Isis 85 [1994], 600– 630). Einschlägige Untersuchungen wie Katherine H. Tachaus Vision and Certitude in the Age

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147 | Detail aus Abb. 140.

hin zur temporalisierten Erscheinungsfarbe, unterstützt durch ein optisches Interesse an transparenten Medien wie der Luft, des Glases, von Kristall oder Wasser etc., zu verzeichnen. Hat man sich auf der wahrnehmungstheoretischen Ebene einmal dazu entschieden, die Einfärbung eines Gegenstands durch die species anderer Gegenstände zu einer »wahren« Farbe zu erklären – nicht des Gegenstands selbst, sondern der Relation und Interaktion der Gegenstände und damit auch der Wahrnehmung des Betrachters –, so sieht man sich einer Welt egalisierter Sinneseindrücke gegenüber, die erst über den Verstand hierarchisiert und geordnet werden kann. Rotwein kann ein Tischtuch stofflich einfärben oder aber durch die von ihm ausstrahlenden species, d. h. durch eine Mutation des Lichts. Auf diese Weise geraten nicht nur die (über Distanz sich verändernde) Größe und (sich perspektivisch verzerrende) Form der wahrgenommenen Gegenstände, sondern auch deren jeweilige Farbigkeit zur Herausforderung an die Erkenntniskraft des Betrachters. Auf einer sensuellen Ebene wiederum gibt es kein Falschsehen, sondern nur ein Wahrnehmen; ein Gedanke, den später Descartes stark machen wird. Er hatte sich allerdings bereits vom Gedanken der species intentionales losgesagt, während das frühe 17. Jahrhundert noch vollauf damit beschäftigt ist, optische Erscheinungen auf der Grundlage derselben zu diskutieren. Gelehrte, Wissenschaftler und Künstler widmen sich gleichermaßen dem Verhalten der sich überlagernden und miteinander vermischenden species der Farben in einer vielschichof Ockham. Optics, Epistemology and the Foundations of Semantics 1250–1345, Leiden 1988, konzentrieren sich meist auf einen früheren Zeitraum, während die Diskussion um 1600 innerhalb der Forschung seltsam unbestellt bleibt.

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PRISMA UND PALETTE

tigen Diskussion, die nicht abgekürzt werden soll, und werfen die Frage auf, auf welche Weise sich eine allesumfassende Systematik der Farbmischung andenken lässt.

PRISMA UND PALETTE An dieser Stelle will ich auf Sir Kenelm Digby und damit auf ein Problem zu sprechen kommen, das sich ergibt, wenn man verschiedene Farbkonzepte aufeinander bezieht, die zu dieser Zeit noch nicht unbedingt demselben System angehörten. Digby nämlich hatte 1644 in seinem naturphilosophischen Treatise of Bodies and Man’s Soule eine lange Passage zur Farbmischung eingebaut hat, in der er auf die Malerei referiert. Sie erscheint bis heute rätselhaft. Samuel van Hoogstraten hatte sie gekannt und in seiner Inleyding kritisch kommentiert, wir haben hier also einen Fall vor uns, in dem Naturphilosophie und Kunsttheorie explizit in Austausch treten, aber sich, wie wir noch sehen werden, stellenweise auch wieder missverstehen. Besagte Stelle handelt von der Entstehung von Mischfarben und lautet wie folgt (in Van Hoogstratens Inleyding war sie beinahe vollständig paraphrasiert worden): »The various natures of middling colours we may learne of painters, who compose them upon their palettes by a like mixture of the extremes. And they tell us, that if a white colour prevaile strongly over a darke colour, reds and yellowes result out of that mixture; but if blacke prevaile strongly over white, then, blewes, violets, and seagreene are made. And accordingly, in our case, we can not doubt but that the primary lively picture of the white, must prevaile over the faint dusky sable mantle with which it cometh mingled to the eye: and doing so, it must needes make a like appearance as the sunnes beames do, when reflecting from a blacke cloud, they fringe the edges of it with red and with yellow; and the like he doth, when he looketh through a rainy or a windy cloude: and much like hereunto, we shall see this mixture of strong white with a faint shaddow of blacke, make at this brimme of the paper, a faire ledge of red; which will end and varnish, in a more light some one of yellow.«106 In seinem Traktat hatte Digby diese Passage in ein Kapitel über »apparent colours« eingeordnet. Darin behandelt er ein Prismen-Experiment, das er am Jesuitenkolleg in Liège unter Leitung von Francis Line (1595–1675; alias Francis Hall) durchführte, das aber im Grunde auf einige optische Versuche des englischen Mathematikers und Naturphilosophen Thomas Harriot (1560–1621) zurückging. Dieser hatte seit etwa 1597, ohne jedoch die Ergebnisse zu veröffentlichen, die Farbendispersion des Lichts im Prisma beobachtet und einige der Refraktionswinkel berechnen können.107 Das Experiment kann man sich so vor106 107

Digby, Of Bodies and Man’s Soule (»Of Sight; and Colour«), 265. Kursivsetzung K.L. Folgende Gesetzmäßigkeit war anhand des Kantenspektrums beobachtet worden: Je länger die Wellenlänge, desto geringer die Dispersionsgeschwindigkeit und desto größer der Refraktionsindex – Harriot hatte auf diese Weise die Refraktionswinkel bestimmter Farben (Grün, Orange, Rot) berechnen können. »Unfortunately Harriot’s results for prism colours became known only

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stellen: Legt man ein weißes Papier auf einen schwarzen Boden, so erscheint an dessen Kanten, wenn man mit einem Prisma darauf blickt, auf der einen Seite ein gelb-roter und auf der anderen Seite ein blauer Saum; das Phänomen ist heute als »Kantenspektrum« bekannt. Die Beobachtung hatte Digby, der sich wie Harriot im engeren Bekanntenkreis des Oxforder Mathematikers Thomas Allen (1540–1632), aufhielt, in seinem Treatise of Bodies aufgegriffen. Wichtig ist nun, dass er den roten Streifen des sogenannten Kantenspektrums nicht als Refraktionserscheinung des Lichts interpretierte wie Newton und andere Ende des Jahrhunderts, sondern vielmehr mit einer bekannten Stelle aus Aristoteles’ De sensu et sensibilibus in Verbindung brachte. Bereits hier kommt eine Referenz an die Malerei ins Spiel: »Eine Art der Entstehung von Farben«, heißt es nämlich in De sensu et sensibilibus, »wäre die, dass die eine [Farbe] durch die andere scheint, wie es einige Maler machen, die eine Farbe deutlicher über die andere streichen, wie wenn sie etwas in Wasser oder in Luft erscheinen lassen wollen oder wie die Sonne an sich wohl weiß erstrahlt, aber purpurn erscheint durch Schwaden und Rauch hindurch.«108 Offensichtlich ist Digbys Rede vom »dusky sable mantle«, der sich im Auge mit dem »lively picture of the white« mischt, dieser Passage ebenso geschuldet, wie seine Erwähnung eines rotgelben Saums, der sich um dunkle Wolken legt, wenn sie von hinten oder seitlich beschienen werden, eine deutliche Referenz an die aristotelische Meteorologie darstellt. Dort heißt es dann noch einmal unter anderem anhand des Beispiels der Sonne, die sich hinter Dunst oder Wolken verbirgt: »Man muss als Grunderkenntnis festhalten, dass Hell im Dunklen, oder hinter dem Dunklen, Rot hervorruft«109, wobei damit ein Phänomen angesprochen wird, dass man heute als »Phänomen der trüben Medien« oder auch als »Tyndall-Effekt«110 bezeichnet, wie bereits Hubert von Sonnenburg vermerkte: »Das

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to a few friends and colleagues. It is true that a report of them reached Prague where Kepler at once wrote to Harriot for particulars. However, the secretive Harriot asked Kepler to wait till he had published his researches on colours and the rainbow. As we know, most of Harriot’s discoveries remained unpublished.« Johannes A. Lohne, »Isaac Newton: The Rise of a Scientist 1661–1671«, in: Notes and Records of the Royal Society of London 20/2 (1965), 133. Aristoteles, De sens. 440 a 7–12. Weiter: »Auch hier vervielfältigen sich die Farben auf gleiche Weise, wie vorher, da ein Verhältnis bestehen kann zwischen der Farbe an der Oberfläche und in der Tiefe, während ein andermal jedes Verhältnis fehlt.« Vgl. beispielsweise auch Von Megenberg, Buch der Natur, II.16, 81: »Darum wiss, wenn sich der dunst gesament in den luft, so gestet er ze samen und wirt dicke, dez ersten von der chelten, und scheint uns danne als ein hauff weizzer wollen oder schwartzer. Daz haiss wir wolchen. Wann so vil erdisch rauches ist gemischt zu dem wäzzrigen dunst oder so der wäzzrig dunst gar dicke ze samen stet, so scheint daz wolchen schwartz; wenne aber der dunst clar ist, so scheint ez weizz. Ist aber da erdischer rauch dünner etzwievil, so scheint daz wolchen rat, und also ändert ez sich an der farb, reht als sich der tunst ändert an im selber.« Aristoteles, Meteor. 374 b 9–11. Nach John Tyndall (1820–1893) und Lord Raleigh (John William Strutt, 3. Baron Rayleigh, 1842–1919) benanntes Phänomen der Lichtstreuung in trüben Medien. Blaues Licht wird stets stärker gestreut als rotes, daraus erklärt sich u. a. die Erscheinung eines blauen Himmels und roten Sonnenuntergangs.

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148 | Kantenspektren. Links: weißer Streifen vor schwarzem Hintergrund (»Spalt«, Newton-Spektrum). Rechts: schwarzer Streifen vor weißem Hintergrund (»Balken«, Goethe-Spektrum). Die Fotografien sind jeweils mit und ohne Prisma aufgenommen worden. Die Streifen werden von oben nach unten schmaler, wenn der Abstand zwischen Objekt und Beobachter vergrößert wird.

Phänomen der trüben Medien gehört in den Bereich der Optik und nicht zur Terminologie des Malers. Der Grad der Trübheit kann wissenschaftlich durch die Menge des gestreuten Lichtes bestimmt werden. Luftperspektive ist eine Nachahmung trüber Atmosphäre. Bekanntlich erscheint Rauch vor einem dunklen Hintergrund bläulich kühl, gegen einen hellen warmtonig bzw. bräunlich. Durch eine zunehmend verschleierte Atmosphäre gesehen nimmt die Sonne eine orange bis rote Färbung an, während dunkle Hügel blau erscheinen, ähnlich wie rote Adern, die durch das trübe Medium der Haut gesehen werden. Verwandte Erscheinungen ergeben sich im Bereiche der Ölmalerei, wenn die Farbschichten überwiegend transparent sind. Im dünnen Auftrag über dunkler Unterlage erscheinen sie kühl, über heller Grundierung entsprechend warmtonig.«111 Von Sonnenburg hat jenen Hinweis auf eine mögliche Verbindung zwischen Optiklehre und barocker Maltechnik bereits 1979 in einem Artikel über Rubens’ Bildaufbau und Maltechnik gegeben, der Gedanke ist 1983 von Joyce Plesters maltechnisch bestätigt und 1993 von Ulrich Heinen aufgegriffen und ausführlich an Rubens’ Fleischmalerei exemplifiziert worden.112

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Hubert von Sonnenburg, »Rubens’ Bildaufbau und Technik. II. Farbe und Auftragstechnik«, in: Maltechnik-Restauro 3 (1979), 192. Joyce Plesters, »›Samson and Delilah‹: Rubens and the Art and Craft of Painting on Panel«, in: National Gallery Technical Bulletin 7 (1983), 40, 44; Ulrich Heinen, Rubens zwischen Predigt und Kunst. Der Hochaltar für die Walburgenkirche in Antwerpen, Weimar 1996, 123, 149f, sowie Anm. 259 und 552; ders., »Haut und Knochen – Fleisch und Blut«, 75.

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Wir sollten ihn im Gedächtnis behalten, wenn wir uns nun wieder Digbys Passage zur Farberscheinung im Kantenspektrum zuwenden. Digby nämlich hat die aristotelische Beobachtung getrübter Medien bereits mithilfe des Kantenspektrums weitergedeutet, denn das Purpurrot der Mischung aus Weiß und Schwarz ist bei ihm zu »a faire ledge of red which will end and varnish, in a more light some one of yellow«113 geworden, d. h. zur nuancierten Observation einer Spektralerscheinung. Er kann sie noch nicht im Sinne einer Lichtdispersion erklären, wie das später Newton tut, es handelt sich in seiner Deutung also keinesfalls um die Brechung und farbige Streuung weißen Lichts, vielmehr hat er einen Zusammenhang zwischen den meteorologischen Farberklärungen aristotelischer Prägung, d. i. dem Phänomen der »trüben Medien« einerseits, und den zeitgenössischen Prismenexperimenten andererseits hergestellt, bei denen sich Weiß und Schwarz als Extreme begegnen und farbige »Kanten« erzeugen. Dabei muss man wissen, dass die farbigen Säume des Kantenspektrums im Gegensatz zum Spektrum des Sonnenlichts nur aus zwei bis drei Farben bestehen, genauer: aus den langwelligen Farben Rot und Gelb auf der hellen Seite der Papierfläche, sowie den kurzwelligen Farben Blau und Meergrün auf der der dunklen. Die beiden Spektren werden lediglich durch einen Streifen – jene Kante, die entsteht, wenn Weiß und Schwarz aufeinandertreffen – getrennt. Noch für Goethe war dies der Beweis für das Zusammenwirken von Licht und Finsternis bei der Entstehung von Farben gewesen. In diesem Moment sei ihm klar geworden, dass Newton Unrecht habe und dass Farben nicht durch Teilung des weißen Lichtes, sondern durch die Mischung von Weiß und Schwarz entstünden, schreibt er in seiner Farbenlehre. Goethe und Digby stehen sich diesbezüglich also recht nahe: Beide versuchen das Phänomen ohne Spektraltheorie zu erklären.114 Erst später, gegen Ende des 17. Jahrhunderts ging man dazu über, das Kantenspektrum so zu deuten, dass die Strahlen verschiedener Wellenlängen im Prisma verschieden stark abgelenkt werden, die kurzwelligen Strahlen stärker als die langwelligen, und dass im Kantenexperiment auf diese Weise eine Vielzahl vertikal gegeneinander versetzter verschiedenfarbiger Bilder vor der weißen Fläche entsteht. Da sie sich überlappen, addieren sie sich in einem großen Teil des Bildes zur Lichtfarbe Weiß, während an den Rändern buntfarbige Säume zu sehen sind. In Digbys Deutung dagegen verblieben diese Farberscheinungen, selbst wenn sie bereits als Ergebnis einer prismatischen Streuung verstanden wurden, in einem Zwischenbereich zwischen der aristotelischen Farbmischungslehre und zeitgenössischen 113 114

Digby, Of Bodies and Man’s Soule, 265. Goethe, Farbenlehre, I.1, § 211–216 oder auch I.1, § 332 und § 333. »Bewegen wir eine dunkle Grenze gegen das Helle, so geht der gelbe breitere Saum voran, und der schmälere gelbrote Rand folgt mit der Grenze. Rücken wir eine helle Grenze gegen das Dunkle, so geht der breitere violette Saum voraus und der schmälere blaue Rand folgt.« Ebd., § 213. Deshalb hat Ulrike Kern einmal ganz richtig herausgestellt, dass sich Digby bei seinen prismatischen Versuchen noch nicht darüber bewusst gewesen sein konnte, dass es sich bei den beobachteten Farberscheinungen keinesfalls um ein geteiltes, sondern um ein kontinuierliches Farbspektrum handelte, das durch die Refraktion des Lichts entstand, vgl. Kern, »Van Hoogstraten, René Descartes und der Regenbogen«, o.P.

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korpuskularen Lichtkonzeptionen, d. h. man erklärte sie sich als Ergebnis wechselseitig überlappender farbiger Bilder im Sinne der species-Theorie oder als sich wechselseitig überlagernde Abstrahlungen oder Reflexionen der Lichtstrahlen von den körperlichen Oberflächen.115 Digby hat seine Beobachtungen im übrigen ganz korrekt wiedergegeben, und zwar von der Entstehung beider Kantenspektren, sei es im Übergang von der hellen zur dunklen oder von der dunklen zur hellen Fläche. Zu vermerken ist, dass er sich an dieser Stelle ein weiteres Mal ausdrücklich auf die Farbmischung der Maler bezieht: »But at the hither edge of the paper, where the secondary weake picture of white is mingled with the strong blacke picture, in this mixture, the white is prevalent, and accordingly (as we said of the mixture of the painters colours) there must appeare at the bottome of the paper, a lembe of deepe blew: which will grow more and more lightsome, the higher it goeth; and so, pasing through violet and seagreene it will vanish in light (…).«116 Außerdem ist sich Digby darüber bewusst, dass sich die Farbfolge umkehren kann, wenn das Prismenglas in einem anderen Winkel gehalten wird. Auch erscheinen die Streifen von oben nach unten schmaler, sobald sich der Abstand zwischen Objekt und Beobachter vergrößert. Hier wird nun zum dritten Mal ein Vergleich zur zeitgenössischen Malpraxis gezogen: »So that in this case, the white which is neerer, will mingle his feeble picture with the blacke that is further off: whereas before the blacke that was further off, mingled his feeble shadow with the strong picture of the neerer white. Wherefore by our rule we borrowed of the painters, there will now appeare a blew on the 115

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In der zeitgenössischen Farbtheorie von Franciscus Aguilonius wird eine solche Farbmischung – entsprechend der peripatetischen Theorie der species intentionalis – als compositio intentionalis bezeichnet, das heißt als (optische) Mischung farbig abstrahlender Lichtbilder der Gegenstände im Gegensatz zur compositio realis, d. i. der (physischen) Mischung der tatsächlichen Pigmente. Aguilonius unterscheidet in seinem Traktat also ebenfalls deutlich zwischen einer Vermischung unterschiedlicher Pigmente im Reibstein und einer optischen Mischung sich überlagernder farbiger Lichtbilder. »Franciscus Aguilonius, in his Opticorum libri sex (Antwerp, 1613), systematically subdivides colour mixture in a similar way, therein following the tradition of Aristotle’s De sensu et sensibilibus: ›The author states in his very first sentence that he does not intend to write about actual colorants, de coloribus concretis, (…) ›which painters put onto their paintings‹, but of those colors ›which are visible present in the above mentioned colorants with visible qualities‹. He then proposes three ways in which colour mixing ›may be accomplished: first by physical mixture of colorants (›real mixture‹; compositio realis; reipsa); second, by laying one colorant over another so that the underlying paint shows through the transparent layer over it (›intentional mixture‹; compositio intentionalis); and third by subdividing colorants into spots ›so small that they escape the eye‹ (…) (›perceptual mixture‹; composition notionalis).« Charles Parkhurst, »Aguilonius’ Optics and Rubens’ Color«, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 12 (1961), 42, 46–48. »(…) when it reacheth to the mastering field of primary whitenesse, that sendeth his stronger rayes by direct lines: and this transposition of the colours of the severall endes of the paper sheweth the reason why they appeare quite contrary, if you put a blacke paper upon a white carpet.« Digby, Of Bodies and Man’s Soule, 265. Kursivsetzung K.L.

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further end off the paper, where before appeared a red: and by consequence on the neerer end a red will now appeare, where in the former case a blew appeared.«117 Jedes Mal bezieht sich Digby auf die anteilige Durchmischung ontologischer Qualitäten: von Weiß und Schwarz oder von Transparenz und Opazität, so als handele es sich bei der Entstehung von Mittelfarben um Vorgänge des Einfärbens oder Durchtränkens liquider Substanzen – Digby beispielsweise spricht wie viele seiner Zeitgenossen von farbigem Licht als von »light which is dyed into colour«118. Wie aber lässt sich Digby zufolge das Verhältnis zwischen Licht, Körper und Medium beschreiben, wie dadurch das Phänomen unserer Farbwahrnehmungen erklären? Um zum Ausgangspunkt der Digbyschen Überlegungen zu gelangen, müssen wir im Traktat nur ein Kapitel zurückblättern; Digby hat es mit »On Sight, and Colour« überschrieben. Darin gibt er eine genauere Erklärung ab, und es ist nicht überraschend, dass er sich dabei ausdrücklich zur peripatetischen Tradition bekennt: Das Licht, heißt es dort, sei der mächtigste Agent, der auf das Auge einwirken könne, es werde aber in verschiedenster Weise durch Refraktionen und Reflektionen abgelenkt und ergebe auf diese Weise farbige Erscheinungen. Wenn es beispielsweise in einen transparenten Körper »einsinke«, so Digby, geschehe dies aufgrund der materiellen Dichte des Körpers doch nur »in part, and in part it doth not«119: »It can not choose but come out from such a body, in divers sortes mingled with darknesse, which if it be in a sensible quantity, doth accordingly make divers appearances: and those appearances are middle colours betweene white and blacke.«120 Bereits auf dieser ersten Ebene, auf der der Kontakt zwischen Licht und Körperwelt hergestellt wird, entsteht also der Eindruck von Mittel- oder Mischfarben, will sagen: aufgrund der unterschiedlichen Reflexion und Refraktion des Lichtes, verursacht durch die unterschiedliche Dichte der Körper, die mehr oder weniger glatt oder porös, mehr oder weniger durchsichtig etc. sind, sind alle »natürlichen« Körperfarben letztendlich zusammengesetzte Mischfarben aus den Extremen von Schwarz und Weiß. Man darf diesen Satz nicht missverstehen: Der farbige Eindruck entsteht nicht, weil das weiße Licht an der Oberfläche der Gegenstände gebrochen und spektral aufgefächert wird, sondern weil es, Digby zufolge, in unterschiedlichen Winkeln abstrahlt und dadurch mehr oder weniger stark zurückstrahlt – es geht also um die Kraft oder Intensität der Rückstrahlung sowie um ein sich gegenseitig stärkendes oder schwächendes Überlagern dieser Strahlen in der

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Ebd., 265–266. Ebd., 266. »This doctrine of ours of the generation of colours, agreeth exactly with Aristotles principles, and followeth evidently out of his definitions of light, and of colours (…). He defineth light to be actus Diaphani, (…) and he defineth colour to be, The terme or ending of a diaphanous body.« Ebd., 258. Ebenda.

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Luft.121 So basale Farbeindrücke wie Weiß und Schwarz beispielsweise entstehen, so Digby, aufgrund der »disposition of a bodies superficies, as it is more or lesse apt to reflect light (…). But a superficies is more or lesse apt to reflect light, according to the degrees of its being more or lesse penetrable by the force of light striking upon it; for those rayes of light that gaine no entrance into a body they are darted upon, must of necessity fly backe againe from it.«122 Demselben Prinzip unterschiedlich starker oder gedämpfter, d. h. verschieden intensiver Lichtstrahlung sind alle weiteren Farbeindrücke geschuldet. Die Beobachtung, dass sich Farbeindrücke, die Digby also zugleich auch als Helligkeitseindrücke versteht, von der Oberflächenbeschaffenheit der gegenständlichen Welt ableiten lassen, die aus unterschiedlich stark zusammengefügten bzw. hervortretenden und zurückweichenden materiellen Bausteinen besteht, bringt ihn dazu, solche Gesetze auch auf der Makroebene anzunehmen, d. h. sie auf die Wahrnehmung von Gegenständen und ihren Farben aus unterschiedlicher Entfernung anzuwenden. Digby zum Beispiel ist fasziniert davon, dass ein einheitlich gefärbter Stoff, wenn man ihn über die Schulter wirft und drapiert, unterschiedliche Farbwerte und Helligkeiten annimmt; hierbei muss es sich um optische Wirkungen handeln, denn der Stoff bleibt substantiell ja derselbe. In den Tiefen aber sammeln sich die Schatten, erläutert Digby dem Leser, während die hervorstehenden Grate der Faltenwürfe das Licht stark abstrahlen und deshalb sehr hell aussehen würden. Es ist wiegesagt an dieser Stelle, an der Digby seine erste Parallele zur Malerei zog. Hier schlägt er eine Verbindung zwischen der Farbgradation einer monochromen, räumlich jedoch vor- und zurückweichenden Oberfläche sowie der Art und Weise, wie ein Maler diesen plastischen Eindruck über den Einsatz von Weiß und Schwarz in Bildern nachahmen kann: »And we see painters heighten their colours, and make them appeare lighter by placing deepe shadowes by them: even so much, that they will make objects appeare nearer and further of, merely by their mixtion of their colours. Because, objects, the nearer they are, the more strongly and lively they reflect light, and therefore, appeare the clearer, as the others do more dusky.«123 Und: »Nay, the very same object must appeare of different colours, whensoever it happeneth that it reflecteth light differently to us. As we see in cloth, if begathered together in fouldes, the bottomes 121

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Digby zufolge lehrt Aristoteles, dass jedes »object must worke upon our sense, eyther by light; or at the least with light«, da es »light in divers manners to our eye« aussendet, »according to the divers natures of those objects in regard of hardnesse, density, and littleness of partes: we must agree that such bodies do worke diversely, and do make different motions or impressions upon our eye: and consequently, the passion of our eye from such objects must be divers (…), [and] the object appeare divers to uns in point of colour.« Ebd., 260. Ebd., 260. »But if light doth get entrance and penetrate into the body, it eyther passeth quite through it, or else it is swallowed up and lost in that body. The former, consistueth a diaphanous body, (…). And the semblance which the latter will have in regards of colour (…) must be black.« Ebenda. Ebd., 258–259.

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of those fouldes shew to be of one kind of colour, and the toppes of them, or where the cloth is stretched out to the full percussion of light, it appeareth to be of an other much brighter colour. And accordingly painters are saide to use almost opposite colours to expresse them.«124 So stark ist die Verbindung zwischen den Erscheinungen in der Natur und in der Kunst, dass der Einsatz von Farbe in der Malerei denselben Prinzipien folgt, die er auch an den physischen Gegenständen beobachten kann – d. h. hier wie dort signalisiert eine helle, strahlende Farbigkeit räumliche Nähe, eine dunkle dagegen Ferne oder Tiefe, sei es eines Gegenstands oder einer Oberfläche, die sich vor- und zurückwirft, oder einer perspektivischen Situation, in der es ein »näher« und »ferner« zu einem Betrachter gibt. Digby spricht weiterhin von der »variety of permanent colours in the bodies«, beispielsweise wenn man sie zusammenpresst oder poliert, so dass »the same body, remaining the same in substance, will shew it selfe of a different colour.«125 Die Stelle liefert im Grunde eine Besprechung der colores proprii, aber es wird schon hier deutlich, dass die Lokalfarben eines Gegenstands variieren und zu Erscheinungsfarben werden können. Deshalb ist es ist wichtig zu verstehen, dass für Digby jenes Prinzip einer Farbentstehung aus den Extremen Schwarz und Weiß bzw. Transparenz und Opazität zugleich auch das Erklärungsmodell jeder Farberscheinung ist, d. h. sowohl der colores proprii wie apparentes. Stets handelt es sich, wenn es um Farbwahrnehmung geht, um eine Vermischung zwischen Licht und Schatten, die im Grunde mit dem Einfallswinkel des Lichts zu tun hat: Die Lichtstrahlen werden in einem flachen Winkel geschwächt und ins Schattenreich gezogen, in einem steilen dagegen mit ganzer Kraft zum Auge des Betrachters zurückgeworfen. Das Gesetz der Reflexion oder des Widerscheins des Lichts wiederum wird auf die lokalen Farben der mehr oder weniger glatten oder porösen Körperwelt ebenso angewandt wie auf die erscheinenden Farben z. B. des Regenbogens: Hier nun ist es die unterschiedliche Dichte des Luftmediums, die für eine unterschiedliche Vermischung von Licht und Schatten verantwortlich ist. Nicht nur Helldunkelwerte, sondern das gesamte Farbspektrum entsteht durch Verminderung der Lichtintensität aufgrund der zunehmenden Opazität des Mediums. Digby gibt also an, dass sowohl Körperfarben wie Erscheinungsfarben nichts anderes sind als »various mixtures of light and shadowes, diversly reflected to our eyes.«126 Entscheidend ist der Grad der Transparenz eines Körpers oder Mediums; im Grunde ist er sogar für die Unterscheidung zwischen Körper und Medium verantwortlich. Da ein Körper graduell diaphan oder opak sein kann und ein transparentes Medium sich umgekehrt eindicken oder eintrüben lässt, sind Übergänge zwischen beiden möglich – Digby geht es, wie auch anderen Naturphilosophen um 1600, die sich mit Optik beschäftigen, stets um

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Ebd., 260. Ebd., 259. Ebenda.

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GETRÜBTE MEDIEN

eine Verdünnung oder Kondensation der Materieteilchen in den Medien, aufgrund derer das Licht unterschiedlich stark absorbiert bzw. reflektiert wird.

GETRÜBTE MEDIEN Nun ist man an dieser Stelle mehr als versucht, ein solches Erklärungsmodell der sich »graduell eintrübenden Medien«, wie es vorhin ja schon einmal anklang, mit maltechnischen Praktiken des 17. Jahrhunderts zusammenbringen, zum Beispiel mit Rubens’ Technik der Fleisch- bzw. Inkarnatmalerei. Hier wird unter anderem das variierende Mischverhältnis zwischen Pigment und Bindemittel relevant. Ulrich Heinen hat dies einmal wie folgt zusammengefasst: »Die überwältigende Wirkung [von Rubens’] Annäherung an die Physis des menschlichen Körpers verdankt sich nicht zuletzt der versierten Anwendung verschiedener Malmittel. Der Leibarzt des englischen Königs, Sir Théodore Turquet de Mayerne (1572–1655), den Rubens als Stoiker portraitierte (1629–1630) und mit dem auch Digby befreundet war, notierte mit dem eigentümlich stoffphysiologischen Interesse eines paracelsischen Arztes, dass Rubens den Pinsel beim Malen immer wieder in ein aus Terpentinöl und Harz gemischtes Verdünnungsmittel tauchte. So konnte Rubens die Farbkonsistenz flexibel einstellen und gab seinen Farben durch den Harzanteil und das mit dem Verdunsten des Terpentins verbundene Ausschleppen von Leinöl und Harz an die Oberfläche der Malschicht zugleich ihre enorme Brillanz und Transparenz. Maltechnische Untersuchungen zeigen, dass Rubens als Bindemittel vor allem Leinöl verwendete, ergänzt um das honigartig eingedickte Standöl. Die Impasto-Effekte und die anderen deckend aufgetragenen Farbpartien bestehen aus einer gelartigen, sowohl mit Wasser wie mit Terpentin vermalbaren Tempera, die sich pastos auftragen, aber auch cremig verstreichen lässt. So entstand das außergewöhnliche Nebeneinander von hauchdünner, durchscheinender Lasur und körperhaft verdichteter Farbmaterie der Rubensschen Inkarnate, so erreichten seine Farben einen enormen Streckungsbereich, variierbar von pastenartiger Festigkeit bis zu fast wässriger Dünnflüssigkeit.«127 Rubens hat in seiner Malerei demnach ein vergleichbares Prinzip sich verdünnender und verdickender Farbmedien und Bindemittel angewandt, wie Kenelm Digby, Franciscus Aguilonius (1567–1617) und andere optische Theoretiker der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts es zum Leitprinzip ihre Farbtheorien gemacht hatten.

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Heinen, »Haut und Knochen – Fleisch und Blut«, 81. Vgl. den technischen Report von Plesters, »Samson and Delilah«, 43, über das Verfahren »to use the pure colour from the palette and modify it not by the physical mixing of grinding different coloured pigments together, but by optical mixing, applying one layer over another. Rubens himself has done this to an advanced degree in the glazing techniques used in painting the draperies [e.g.] of the ›Samson and Delilah‹, but he also used combinations of both mixing techniques, for example when he employed a quantity of a warm brown, rather translucent paint for the background by modifying its colour and tone slightly with whatever pigments came to hand on the palette.« Zur »erscheinenden Farbe« im Gegensatz zur »Körperfarbe« bei Rubens und den variierenden Einsatz von flüssiger und sich verdickender Farbe vgl. außerdem die Bildanalysen von Irene Schütze, Sprechen über Farbe. Rubens und Poussin. Bildfarbe und Methoden der Farbforschung im 17. Jahrhundert und heute, Weimar 2004, 140–156.

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Darauf komme ich gleich zurück, denn Digby konnte seine Prismenexperimente nur deshalb mit zeitgenössischen Maltechniken in Verbindung bringen, weil er sie beide als Resultat des gleichen Prinzips verstand, nämlich »that light pass[eth] through different densities of the medium.«128 »And thus, you have the whole nature of luminous colours, resolved into the mixtion of light and darkness, by the due ordering of which, who hath skill therein, may produce any middle colour he pleaseth«129, schlußfolgert er in seinem Treatise, und indem er das tut, überbrückt er jenen Spalt zwischen optischer und physischer Farbmischung, der zu Beginn des Jahrhunderts zum theoretischen Problem geworden war. Es ist für ihn nicht nur so, dass die Farben des Regenbogens und die der Malerpalette den gleichen Prinzipien gehorchen, vielmehr basiert auf ihnen auch der physiologische Wahrnehmungsvorgang im Auge des Betrachters: Seine Wahrnehmungsorgane nämlich seien ebenfalls »made by the various minglings of rarity with density«130, so dass es dadurch möglich sei, einen genuinen Transfer zwischen Außenobjekt und Betrachtersubjekt herzustellen, d. i. »to passe the outward objects, by different degrees, unto an inward receiver.«131 So nehmen wir auch nie die lokale Farbe der Gegenstände war, sondern immer schon Mischfarben, die mit der Nachbarschaftlichkeit des Gegenstandes mit umliegenden anderen zu tun haben sowie mit dem transparenten, sich graduell verdünnenden oder verdickenden Medium, durch das hindurch wir auf diesen Gegenstand blicken. Dieselbe Vorstellung sich wechselseitig überlagender oder durchtränkender Eigenschaften wird von Digby auch auf Pigmentfarben übertragen. Ihm zufolge sendet beispielsweise das weiße Papier seines Prismenexperiments einen »whitish lightsome shadow« und der schwarze Teppich einen »darke mysty shadow«132 aus, beide überlagern sich im Luftraum und färben sich gegenseitig ein – diesen Vorgang vergleicht er mit Mischvorgängen in der Malerei. Auch changierende Seidenstoffe nehmen auf diese Weise, d. h. aufgrund der wechselseitigen Abstrahlung verschieden gefärbter Fäden, einen Mischton jenseits der eigentlichen Körperfarbe an, erklärt Digby, so dass »each colour will appeare apart as it truly is«133. Es wird offensichtlich, warum die gesamte Diskussion um Kantenspektren und Mischfarben der Maler in einem Kapitel über »apparent colour« geführt wird: Die colores proprii sind kaum zu diskutieren, weil sie als nicht direkt erfahrbare Farben inzwischen vom Regime der »apparent colours« subsumiert worden sind. In diesem Zusammenhang ist nun auch Digbys Anleitung für die Mischfarben der Maler zu verstehen, d. h. sie ist als Hinweis auf deren Lasurtechniken und nicht auf Pigmentmischungen zu lesen. Als »middling colours« werden von ihm nicht die physischen Farbmischungen auf der Palette oder Leinwand, sondern vielmehr der optische Effekt bezeichnet, der entsteht, wenn sich 128 129 130 131 132 133

Digby, Of Bodies and Man’s Soule, 259. Ebd., 271. Ebd., 273. Ebd., 274. »To what purpose are our senses, but to bring us into knowledge of the natures of the substances we converse with?« Ebenda. Ebd., 264. Ebenda. Vgl. Weststeijn, Visible World, 337.

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GETRÜBTE MEDIEN

149 | Bläuliche Halbschatten nach dem Gesetz der trüben Medien. Detail aus

Peter Paul Rubens, Amor schnitzt den Bogen, 1614, Öl auf Leinwand, 142.5 × 107 cm, Alte Pinakothek, München.

quasi-transparente Farbschichten übereinanderlegen als wären sie von den Gegenständen abstrahlende species. Digby geht es demnach um eine Analogie zwischen farbigem Licht (species) und lasierter Farbe – man vergleiche noch später Goethe, der in seiner Farbenlehre schreibt, dass die natürliche Körperwelt »von den apparenten Farben mehr oder weniger überlasiert [!]« werden kann, so als handele es sich dabei um eine Tätigkeit der Maler.134 Auch John Gage hat vorgeschlagen, diesen Teil der Digbyschen Ausführungen in Verbindung zu den Lasurtechniken zum Beispiel Anthonis van Dycks zu verstehen, der einen blauen Schimmer erzeugt, indem er dünne schwarze Schichten über weiße Farbe legt135, aber man kann grundsätzlicher sagen, dass es sich bei Digbys Vergleich um das Phänomen der trüben Medien handelt, d.h. um die Beobachtung, dass Ölfarben im dünnen Auftrag der Lasur über dunkler Unterlage kühler, über heller Grundierung entsprechend warmtoniger erscheinen. Den Begriff einer Optik »getrübter Medien« hatte wiegesagt Hubert von Sonnenburg in die Diskussion von Rubens’ Maltechnik eingebracht: »Pigmentanalysen von Inkarnaten bestätigen, dass es sich bei den Blautönungen der Halbschatten in der Regel um optische Farbwirkungen handelt und seltener um die Beimischung eines blauen Pigments (…). Meistens setzen sich die blaugrauen Halbschattentöne aus einer Pigmentmischung von Weiß, Schwarz und Zinnober zusammen. Werden diese Farbmischungen dünn auf die 134 135

Goethe, Farbenlehre, I.2, § 170. Gage, Colour and Culture, 153: «Digby had conceivably been thinking of the glazing methods much used by Van Dyck, by which a blue might be made by glazing black over white.”

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graue Imprimitur aufgetragen, so erscheinen sie nach dem Gesetz der trüben Medien bläulich. Bei Amor schnitzt den Bogen konnte durch Farbschnitte festgestellt werden, dass dort die bläulichen Schatten aus zwei dünnen Schichten bestehen, wobei die obere auch von der Pigmentierung her bläulich erscheint. Die gelben Höhungen liegen einschichtig (extrem dünn) über der rosa Inkarnatschicht.«136 Im Zusammenwirken der bläulichen Halbschatten mit den oft leuchtend roten Akzentuierungen gelinge Rubens eine Darstellung der Durchsichtigkeit des Körpers. Die abwechselnde Anwendung von kühlen und warmen Farbnuancen verbinde sich sinnvoll mit dem Hervor- und Zurücktreten der Formen und führe zur ungewöhnlichen Steigerung der dreidimensionalen Wirkung, so Von Sonnenburg. Dabei kann man über die unterschiedliche Einfärbung der Luft vor dunklen oder hellen Hintergründen bereits bei Leonardo da Vinci nachlesen, der das Verblauen entfernter Gegenstände ebenfalls anhand der Lasurmalerei erläuterte und es als optisches Resultat der Überlagerung schwarzer und weißer Malschichten (bzw. trockener und feuchter Luftschichten) verstand: »Man sieht (…) an den dunklen Schatten der weit vom Auge entfernten Berge, dass die Luft zwischen den Bergen und dem Auge ziemlich blau erscheint (…). Wer aber einen endgültigen Beweis dafür haben möchte, der bemale ein Brett mit verschiedenen Farben, auch mit einem sehr schönen Schwarz, über alle streiche er dann eine dünne, durchsichtige Schicht Bleiweiß: Dann wird er sehen, dass dieses helle Bleiweiß sich über keiner anderen Farbe von einem schöneren Blau zeigt als über schwarz, aber die Schicht muss dünn sein und die Farbe fein gemahlen.«137 Auch Rubens hatte den Effekt bläulicher Halbschatten hauptsächlich aus weißen und schwarzen Lasuren erzeugt, und Van Dyck folgte diesem Verfahren. Zeugnis davon geben nicht nur die Restauratorenberichte, sondern historische Quellen wie das Rezeptbuch Daniel Kings, der als Schüler Wenceslaus Hollars (1607–1677) dem Künstlerkreis um den Earl of Arundel angehörte. King beschreibt Van Dycks Herstellung der Fleischfarbe als »an ordinary carnation made of burnt oker, white, an other a little more red, a third more yellow, and a fourth of red oker and white, then a blewish shadow of cole blacke and white he scumbles over with bice white red or he useth sea cole or fat oyle and peter [= petrol] oyle of each a like quantity excellent varnish and used by Master Steenwike.«138 136 137

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Von Sonnenburg, »Rubens’ Bildaufbau und Technik«, 190; Heinen, Rubens zwischen Predigt und Kunst, 123, 149f, sowie Anm. 259 und 552; ders., »Haut und Knochen – Fleisch und Blut«, 75. Leonardo da Vinci, Codex Leicester, hg. vom Haus der Kunst, München, & Museum der Dinge, Berlin, und übers. v. Marianne Schneider, Düsseldorf 1999, Bl. 4A, fol. 4r. Der Hinweis findet sich bereits in Heinen, »Haut und Knochen – Fleisch und Blut«, Anm. 40. Hier lässt sich eine Brücke zum sfumato-Begriff und Leonardos Verwendung »hauchdünner, zahlloser Lasuren, häufig mit dem Seidenpinsel oder den Fingern aufgetragen« (Fehrenbach, »Veli sopra veli«, 131) schlagen. Zur virulent werdenden Metapher des Schleiers in der Maltheorie vgl. ebd., u. a. 121–123. Daniel King, Secrets in the Noble Arte of Miniatura or Limning, MS Add. 12461, British Library, London, 44r–44v. Vgl. außerdem Mansfield Kirby Talley, Portrait Painting in England: Studies in the Technical Literature before 1700, London 1981, 207–208: »King probably

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GETRÜBTE MEDIEN

Während seines Aufenthalts in England war Van Dyck dann dazu übergegangen, für die Erzeugung der Halbschatten nicht mehr nur die bei dortigen Malern sehr beliebte, im Verdünnen bläulich werdende »sea coal«, sondern Pigmente wie Ultramarin, Azurit oder Smalte zu verwenden. Offensichtlich ging es darum, die Wirkung noch zu steigern und die Haut seiner Modelle besonders transparent erscheinen zu lassen. William Gandy zufolge, dessen Vater als Assistant in Van Dycks Werkstatt arbeitete, sollte ein Maler, um ein Gesicht zart und durchsichtig wirken zu lassen, überhaupt »a great deal of blue«139 verwenden. Van Dyck jedenfalls wurde bekannt dafür, das Inkarnat seiner Figuren mit blauen Lasuren zu »brechen«, d. i. abzutönen: »I observed that the flesh was broken with blue where the light was, & all over as in this Nature he took a middling Hoggtoole or a large or according as the place did require & laid it all on, broad, with some flesh broken with blue, then (…) breaking it with more blue towards ye Sides then touch the high light afterwards.«140 Im Portrait der Lady Venetia Digby beispielsweise können wir sehen, wie das Blut unter der Haut pulsiert und seine rote Farbe bläulich erscheint. Van Dyck hat außerdem blaue Lasuren über das Gesicht gelegt, so dass Venetias Haut zart und beinahe wie durchsichtig wirkt.141

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found the mixture with smalt bluer than that with coal black. (…) It is not clear whether or not the bluish shadows were scumbled over with azurite, white, and red used separately and as occasion demnded, or with a tint made from the three colours mixed together. In recipes, when pigments or coloures are so listed without punctuation or conjunctions, a mixture is usually meant. Here, the context would tend to suggest a mixture.« Zum maltechnischen Befund vgl. ebd., 322: »Bluish half-glazes were used in the faces of Maria de Raet and Philippe Le Roy in the Wallace Collection. A stunning example is the portrait of Jean Grusset Richardot and his Son, in the Louvre, in which Van Dyck used very thin bluish shadows laid over the equally thin flesh colour of Richardot’s left hand. In place of blue, Van Dyck also made use of greyish mixtures which he half-glazed over his flesh tones, as in Alexandre della Faille in the Musée des Beaux-Arts, Brussels.« Siehe außerdem Ashok Roy, »The National Gallery Van Dycks: Technique and Development«, in: National Gallery Technical Bulletin 20 (1999), 76 und 54, sowie Paul Taylor, »Colouring Nakedness in Netherlandish Art and Theory«, in: The Nude and the Norm in the Early Modern Low Countries, hg. v. Karolien de Clippel, Katharina van Cauteren & Katlijne van der Stighelen, Turnhout 2011, 72: »Modern pigment analysis has already supported the visual impression as it has revealed the use of ultramarine in the National Gallery’s double portrait of Lady Elizabeth Thimbelby and Dorothy, Viscountess of Andover as well as the application of azurite in the flesh shadows of a Woman and Child.« King, Secrets in the Noble Arte, 44v. William Gandy, »Notes on Painting« (1673–1699), in: Memorandum Book of Ozias Humphrey, 1777–1795, British Library, MS Add. 22.950, 39v. Vgl. Taylor, »Colouring Nakedness«, 72: »In the Portrait of Lady Venetia Digby as Prudence in the National Portrait Gallery in London, blues are used all over the sitter’s exceptionally white flesh, giving her an almost sickly but also very frail and somehow distinguished hue.« Eine ausführlichere Darstellung der Zusammenhänge zwischen Digbys Erklärung des Kantenspektrums und der Maltechnik von Rubens und Van Dyck, dann auch mit Blick auf die »Mittelfarbe« Rot, bei Karin Leonhard, »›The Various Natures of Middling Colours We May Learne of Painters…‹ – Sir Kenelm Digby Looks at Rubens and Van Dyck«, in: Dupré & Göttler (Hg.), Artificii Occulti.

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150 | Detail aus: Anthonis van

Dyck, Venetia, Lady Digby als Prudentia, ca. 1633/34, Öl auf Leinwand, 100.9 × 80 cm, National Portrait Gallery, London, Inv.-Nr. NPG 5727.

VAN HOOGSTRATEN LIEST DIGBY Und so ist es kein Zufall, dass sich Digby in seiner Untersuchung neben den beiden Primärfarben« Weiß und Schwarz auf die beiden Mittelfarben Rot und Blau konzentriert: Das rot-gelbe bzw. blau-türkise Band des Kantenspektrum scheinen aus der Durchmischung eines (getrübten) Mediums mit Licht zu entstehen, ähnlich der Wahrnehmung einer (hellen) Sonne, die durch eine zunehmend verschleierte Atmosphäre eine rote Färbung annimmt, oder roter Adern, die durch das trübe Medium der Haut gesehen blau erscheinen. Auf einer maltechnischen Ebene, haben wir gesehen, korreliert diese Beobachtung vor allem mit der flämischen Tradition der lasierenden Inkarnatmalerei von Rubens und Van Dyck.142 Deshalb handelt es sich um ein Missverständnis, wenn Samuel van Hoogstraten einige Jahrzehnte später meint, Digbys hätte sich, wenn es um Farbmischungen geht, nicht von 142

Zur Überführung der Tradition der flämischen Inkarnatmalerei in die holländische Malerei durch Gerard de Lairesse siehe Taylor, »Colouring Nakedness«, 75: »Blue flesh tones of this type, scumbled in to the top layers of the paint surface, are not found in the Northern Netherlands before the arrival in Amsterdam of Gérard de Lairesse. That is not to say that blues were never used in flesh tones by Dutch painters, because they were. But when they were, they were normally mixed in with reds and ochres to produce shadows that often look grey, or at best purplish grey. (…) In advocating his blue ›tenderness‹, then, Gérard de Lairesse was recommending a southern technique to a northern audience.« Zur barocken kunsttheoretischen Diskussion der Fähigkeit, die Zartheit (»teêrigheid« bzw. »tederheid«) der Haut wiederzugeben, vgl. ebenda.

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Malern, sondern von Scharlatanen beraten lassen; niemals ließen sich andere Mischfarben als Grau aus der Zusammensetzung von Schwarz und Weiß herstellen – Van Hoogstraten geht, anders als Digby, von einer Farbmischung alla prima aus: »[Sir Kenelm Digby] sagt, dass wir die Übergänge der Mitteltöne [genau: ›veranderlijkheden van middel kleuren‹] von den Malern lernen können, die sie auf ihrer Palette mischen, indem sie gegensätzliche Farben miteinander kombinieren: Sie behaupten, dass ein roter oder ein gelber Farbton immer dann entsteht, wenn eine weiße Farbe über eine dunkle überwiegt. Dominiere dagegen die schwarze Farbe, so würden blaue, violette und meergrüne Mitteltöne entstehen.«143 Die Maler, »die diesem geistreichen Mann ein solches gelehrt haben, verdienen es allerdings«, fährt Van Hoogstraten fort, »von Apelles’ Farbreibern verspottet zu werden. Denn weder ein roter oder gelber Farbton kann aus der Mischung von weißer und dunkler Farbe entstehen, außer die dunkle Farbe ist bereits rot oder gelb, und die Farben können ja nicht mehr als rot oder gelb bezeichnet werden, wenn sie zu dunkel sind. Es resultiert auch kein blauer, grüner oder violetter Farbton aus einem größeren Anteil schwarzer Farbe, während eine Zugabe von Weiß ein schwärzliches Blau, Violett oder Grün ein bißchen – oder soviel man will – aufhellen hilft.«144

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Der ganze Absatz im Original: »Sir Kennelme Digby vermeet zich van de vermengeling der verwen te schrijven [in seinem Treatise of bodys, Kap. 30]. De veranderlijkheden van middel kleuren, zegt hy, mogen wy van de Schilders leeren, dieze op hare paletten vermengen, met een zamenvoeging der strijdige: zy geven voor, dat als het wit een bruine verwe vermeestert, dat daer dan een root of geel uit ontstaet. Maer, als het zwart het wit sterk overtreft, dat daer dan blaeuwen, violetten, en zeegroenen uit voortkomen. Zeeker, de Schilders, die dien zoo hoogverlichten man du sonderrecht hebben, verdienden van Apelles verwrijvers bespot te worden. Want noch root noch geel en kan ’er uit wit en bruin voortkomen, tenzy het bruin alreets overmatich rood of geel is, noch deeze verwen en laten niet af rood ofgeel te zijn, schoonze bruin zijn. Zoo zullen ook geen blaeuwen, groenen noch violetten uit de kracht van meerder zwart vermengt worden; maer een weynich wits kan zwartachtich blaeuw, paers, of groen, wel ietwes, of, zoo veel men wil, verlichten. De vermengelingen van twee verwen, indienze elkander bevrient zijn, brengen geen andere middelverwe uit, als die na beyden aert, als groen uit geel en blaeuw, purper uit blaeuw en root: gelijk de vermeningen in den Regenbooge te zien zijn. Daer en tegen zullen de vyandige verwen elkanderen byna geheel vernietigen, en niets anders dan een graeuwachticheit voort brengen, als te zien is in ’t zamenmengen van groen en root. Een graeuwachticheit, zeg ik, maer zoo mocht men alles, wat juist niet root, geel, of blaeuw was, graeuw noemen. Neen. Deeze overeenkomst en strijdicheit der verwen heeft ons ’t vermogen van byna al wat in de natuer gezien wort na te koloreeren, toegebracht, zoo datter niets anders als een wel geoeffent ooge, om de natuer met oordeel aen te zien, van nooden is.« Van Hoogstraten, Inleyding, 224. Vgl. dazu auch Kern, »Van Hoogstraten, René Descartes und der Regenbogen«. Van Hoogstraten, Inleyding, 224. Van Hoogstraten bezieht sich auf die von Plinius erzählte Episode, derzufolge Alexander der Große Apelles in seiner Werkstatt häufig besuchte, »als aber dieser König daselbst viel unnützes Zeug über die Kunst schwatzte, riet ihm Apelles höflich, er möge doch schweigen, die Knaben, welche die Farben rieben, lachten ihn sonst aus.« Plinius, N.H. XXXV, 36.

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Van Hoogstraten missversteht Digby also, wenn er als Maler argumentiert, der um die Gesetze der Pigmentmischung weiß, während Digby ein anderes Interesse – nämlich ein optisches und naturphilosophisches – verfolgt, wobei er sich auf die Vorstellung »getrübter Medien« und in seinen Vergleichen auf die Lasurmalerei bezieht. Die Analyse der beiden Autoren verwirrt sich aufgrund der Heterogenität der zeitgenössischen Farbkonzepte. Der Kreuzungspunkt ihrer Argumentationen mag zwar die Palette der Maler sein, doch greifen sie aus verschiedenen Richtungen darauf zu, und so kommt es zu Unstimmigkeiten. Wie also lassen sich physische und optische Farbmischung zusammenbringen? Die Frage beschäftigte Künstler, Naturphilosophen und Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts gleichermaßen, denn tatsächlich lassen sich die Erklärungsversuche zur Entstehung und Veränderung farblicher Erscheinungen in der Natur nur schwer mit den Gesetzen der Farbmischung auf der Palette der Maler vereinbaren. Noch 1707 versucht De Lairesse in seinem Groot schilderboek zwischen den unterschiedlichen Herkünften der beiden Farbtheorien zu vermitteln: »Was die Anzahl der Farben anbelangt«, schreibt er, »so sind deren sechse, in zweyerley Gattungen unterschieden. Die erste begreifet das Gelbe, Rothe und Blaue; und diese werden die Hauptcouleuren genennet. Die andere ist eine gemischte Gattung, und bestehet im Grün, Purpurroth und Blaulichtroth; diese tragen den Namen von gebrochenen Farben.«145 De Lairesse meldet sich an dieser Stelle als Maler zu Wort. Zwischen den naturtheoretischen und malpraktischen Farbkonzepten aber fehlt ein kontinuierlicher Gesamtzusammenhang, ein vereinheitlichendes physikalisches Modell zwischen Lichtund Pigmentfarben bildet sich zu seiner Zeit gerade erst heraus, und so befindet sich De Lairesse in einer für seine Zeit charakteristischen Zwischenstellung, wenn er im selben Satz das Konzept der drei Primärfarben Gelb, Rot, Blau sowie ihrer Mittelfarben mit der alten Vorstellung der farbgenerierenden Wirkkräfte von Weiß und Schwarz kombiniert: »Weiss und Schwarz werden nicht unter die Couleuren gerechnet, sondern allein Vermögende genannt; aus Ursache, weil die andern [Farben] ohne deren Beyhülfe nicht wirken können. Diese erstbenannte Couleuren haben auch ihre Sinnesbedeutungen, und besondere Eigenschaften. Das Weiße wird insgemein vor das Licht, und das Schwarze vor die Finsternis behalten.«146 145

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De Lairesse, Mahler-Buch, IV, 42 (»Wat het getal der Koleuren belangt, deze zyn ’er zes, in twee soorten onderscheiden. De eerste bevat het Geel, Rood en Blauw; en deze werden hoofdkoleuren genaamd. De andere is een gemengde soort, en bestaat in Groen, Purper, en Paars; en deze draagen den namen van gebrokene Koleuren.« De Lairesse, Groot schilderboek, I/4, 206). Zur Tradition der Aufzählung von Pigmentmischungen in den Traktaten des 16. bis 18. Jahrhunderts vgl. Ernst van de Wetering, »Reflections on the Relation between Techniques and Style: The Use of the Palette by the Seventeenth-Century Painter«, in: Historical Painting Techniques, Materials, and Studio Practice, hg. v. Arie Wallert, Leiden 1995, 196–203; Pietsch, »Farbentheorie und Malpraxis um 1800«, 15–40. De Lairesse, Mahler-Buch, IV, 42 (»Wit en Zwaart werden onder de Koleuren niet gerekend, maar alleen vermogende genoemd, om die reden, dat de andere, zonder hulp van deze, niet konnen werken. Deze genoemde Koleuren hebben ook hunne zinbetekeningen en byzondere eigenschappen. In ’t algemeen word het Wit voor het licht, en ’t Zwaart voor de duisternis

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151 | Anordnung und Mischung der Farben auf der Palette. Michiel

van Musscher, Maler in seinem Atelier, ca. 1665–1670, Öl auf Holz, 47.6 × 36.8 cm, Sammlung Earl of Northbrook, London.

Isaac Newton wiederum hatte sich schon in seinen frühen Notizen gegen die Meinung ausgesprochen, dass aus der Mischung von Licht und Schatten (oder Weiß und Schwarz) Farben entstehen konnten, selbst wenn man diese nicht als Ergebnis einer subtraktiven gehouden.« De Lairesse, Groot schilderboek, I/4, 206). Ähnlich Willem Beurs: »Hierauß ist nun klar zu sehen/ dass man Weiß und Schwartz unter die Farben oder Haupt-Farben zu zehlen nicht gehalten ist; sondern man kan sie betrachten als Materien/ die zur Erläuterung und Verdunckelung dienstlich seyn.« Beurs, Die grosse Welt, 4. Beurs argumentiert bereits vor dem Hintergrund der cartesischen Farbtheorie sowie von Robert Boyles atomistisch-mechanistischem Traktat Experiments and Considerations Touching Colour, London 1664, während bei De Lairesse m.E. noch stärker ein aristotelisches Erbe zu spüren ist. Selbst bei Beurs findet sich eine Relativierung, die die Differenz zwischen wissenschaftlicher Farbbetrachtung und künstlerischem Handwerk herauskehrt: »Diese Betrachtung ist entweder nicht viel oder auch gantz nicht vor die Mahlers.« Beurs, Die grosse Welt, 3. Mark Clarke hat ähnliche Vorbehalte in einer Gruppe mittelalterlicher Rezeptbücher festgestellt. Wiederholt beginnen diese mit den einleitenden Sätzen aus der pseudo-aristotelischen Schrift De coloribus, um sich im weiteren von den naturphilosophischen Lichttheorien abzugrenzen und auf Pigmentmischungen zu konzentrieren.

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Mischung auf der Palette, sondern als einen optischen Eindruck im Auge verstand. Interessanterweise diskutiert er die Frage anhand von Beispielen aus dem Bereich der Zeichnung und Druckgraphik und damit anhand der medialen Restriktion auf Schwarz-WeißKontraste. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass »no colour will arise out of the mixture of pure black & white for then pictures drawne with inke would be coloured or printed would seeme coloured at a distance & the verges of shadows would be coloured./ & lamb black & spanish whiteing would produce colours whence they cannot arise from more or lesse reflection of light or shadows mixed with light.«147 Der älteren Doktrin zufolge, so Newton, müsste sich, vergleichbar der Wirkung eines zweifarbig gewebten Stoffes, ja auch bei der Betrachtung von schwarzen Schraffurlinien eines Kupferstiches oder einer Zeichnung auf weißem Papier ein Changeant-Effekt einstellen, d. h. ein Mittelton der sich überlagernden weißen und schwarzen species beziehungsweise (wenn man sich diesen Vorgang bereits korpuskular denkt) der unterschiedlich reflektierten Lichtstrahlen. Schwarz und Weiß mischen sich jedoch nicht zum optischen Eindruck zum Beispiel von Rot, stellt er fest. Es ist bekannt, dass sich Newton selbst mit den Mischungsverhalten der Farben in Malerei und Graphik beschäftigt hat. Kurz nach 1659 beispielsweise fnden sich unter seinen Notizen zahlreiche Farbmischrezepte, er hatte sie aus John Bates The Mysteries of Nature and Art abgeschrieben, das selbst wiederum eine Kompilation von Rezeptsammlungen sowie von Anleitungen zum Farbauftrag und zur Farbbehandlung unter anderem in der Landschafts- und Portraitmalerei darstellte.148 Überhaupt hatte sich Newton bis 1664 auch in seinen Prismenexperimenten auf qualitative Farbexperimente beschränkt, d. h. er hatte die Farben seiner Untersuchungsobjekte verändert und die Daten für unterschiedliche Gläser, Flüssigkeiten sowie für verschiedenfarbige Ausgangssubstanzen aufgenommen. Erst im Anschluss hatte er sich Johannes Keplers (1579–1630) Paralipomena ad Vitellionem (1604) zugewandt, während die Anfänge seiner Farbversuche von einem starken chemischen Interesse zeugen.149 147 148

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Isaac Newton, Quaestiones quaedam philosophicae, MS Add. 3396, Cambridge University Library, Cambridge, UK, fol. 105v. »Isacus Newton Hunc Librum Possidet. Teste Edwardo Secker. Pret: 2d OB 1659« (Inschrift auf dem Deckblatt) = Pierpont Morgan Notebook, Pierpont Morgan Library, New York, USA, fol. 5r–5v, vgl. David Eugene Smith, »Two Unpublished Documents of Sir Isaac Newton«, in: Isaac Newton, 1642–1727: A Memorial Volume Edited for the Mathematical Association, hg. v. William John Greenstreet, London 1927, 16–34. Edward Neville da Costa Andrade konnte darlegen, dass Newton die dritte Ausgabe von John Bates viel rezipiertem The Mysteries of Nature and Art (London 1654) benutzte, siehe ders., »Newton’s Early Notebook«, in: Nature 135 (1935), 360. Weiterführend: Shapiro, »Artists’ Colors and Newton’s Colors«, v.a. 609. Inwieweit Newton auch Marcus Marci von Kronlands Buch über den Regenbogen Thaumantias. Liber de arcu coelesti deque colorum apparentium natura, ortu et causis (Prag 1648) oder dessen Dissertatio de natura iridis (1650) bekannt war, ist nicht wirklich geklärt; Christiaan Huygens jedenfalls nimmt darauf Bezug. In Thaumantias untersuchte Marci in zahlreichen Experimenten das durch ein Glasprisma erzeugte Spektrum, welches er iris trigonia nannte. »Nachdem [Marci] im Theorem VIII ausgeführt hat, dass die Farben des Sonnenlichtes nicht durch das Licht selbst erzeugt werden, sondern nur beobachtet werden, wenn die Lichtstrahlen

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An dieser Stelle müsste die Frage nach der Beziehung zwischen Optik und Alchemie, zwischen der Geschichte von verf und kleur, und damit nach einer Verbindung zwischen Pigment und Farbtheorie noch einmal neu gestellt werden: Im 17. Jahrhundert nähert man sich dem Farbphänomen gleichzeitig von der chemischen und physikalischen Seite her. Isaac Vossius beispielsweise hatte 1662 in Amsterdam eine Abhandlung De lucis natura et proprietate herausgegeben, in der weißes Sonnenlicht chemische Eigenschaften barg und zugleich als optische Mischung aller Farben betrachtet wurde. Goethe zufolge hatte er damit Newtons Lehre vorbereitet. »Ob nun gleich in dem reinen Licht keine Farben erscheinen«, heißt es bei Vossius, »so sind sie demungeachtet wahrhaft in dem Licht enthalten. Denn wie ein größeres Licht einem geringeren schadet, so verhindert auch ein reines Licht, das verdunkelte Licht zu sehen. Daß aber ein jedes Licht Farben mit sich führe, kann man daraus folgern, daß, wenn man durch eine Glaslinse oder auch nur durch eine Öffnung Licht in eine dunkle Kammer fallen läßt, sich auf einer entferntern Mauer oder Leinwand alle Farben deutlich zeigen, da doch an den Kreuzungspunkten der Strahlen und an den Stellen, die der Linse allzunah sind, keine Farben, sondern das bloße Licht erscheint.«150

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durch ein Medium in geneigter Richtung hindurchgehen und gebrochen werden, aber auch dann nur unter bestimmten Bedingungen gesehen werden, sucht er diese Bedingungen auf. Eine Zerlegung des Lichtes in Farben tritt nicht ein, wenn der Lichtstrahl senkrecht zur Begrenzung des brechenden Mediums eintritt, weil keine Brechung erfolgt. (…) Die Reihenfolge der Farben ist immer dieselbe, so dass rot stets am wenigsten abgelenkt wird, und die Winkel der Ablenkung der einzelnen Farben sind bei gleichem Inzidenzwinkel stets dieselben. (…) Darum ist ein farbiger Lichtstrahl aus dem Spektrum auch ganz unveränderlich, weder durch Reflexion noch durch nochmalige Brechung kann die Farbe eines solchen Lichtstrahls geändert werden.« Hoppe, »Marci de Kronland«, 287. In seiner Idearum operatricium idea (Prag 1635) entstehen die Farben seiner Meinung nach aus einer Kondensation des Lichts; diese Vorstellung ist noch immer dem peripatetischen Erbe geschuldet. Vgl. hierzu Hoppe, »Marci de Kronland«, 286, sowie Needham, Embryology, 80. Isaac Vossius, De lucis natura et proprietate, Amsterdam 1662, 63 (= 27. Kapitel: »Wie die apparenten Farben erzeugt werden«). Übersetzung nach Goethe, Farbenlehre, III.5, 728. Vgl. außerdem ebd., 730, dessen Kommentar: »Hier sehen wir also einige Jahre früher, als Newton sich mit diesem Gegenstande beschäftigt, seine Lehre völlig ausgesprochen. Wir streiten hier nicht mit Isaac Vossius, sondern führen seine Meinung nur historisch an. Die Tendenz jener Zeit, den äußeren Bedingungen ihren integrierenden Anteil an der Farbenerscheinung abzusprechen und ihnen nur einen anregenden, entwicklenden Anstoß zuzuschreiben, dagegen alles im Lichte schon im voraus zu synthesieren, zusammenzufassen, zu verstecken und zu verheimlichen, was man künftig aus ihm hervorholen und an den Tag bringen will, spricht sich immer deutlicher aus, bis zuletzt Newton mit seinen Ibilitäten hervortritt, den Reihen schließt und, obgleich nicht ohne Widerspruch, dieser Vorstellungsart den Ausschlag gibt. Wir werden in der Folge noch Gelegenheit haben, anzuzeigen, was noch alles vorausgegangen, um Newtons Lehre den Weg zu bahnen; können aber hier nicht unbemerkt lassen, daß schon Matthäus Pankl, in seinem Compendium Institutionum physicarum, Posoniae 1793, unsern Isaac Vossins für einen Vorläufer Newtons erklärt, indem er sagt: ›Den Alten war das Licht das einfachste und gleichartigste Wesen. Zuerst hat Isaac Vossius vermutet, die Mannigfaltigkeit der Farben, die wir an den Körpern wahrnehmen, komme nicht von den Körpern, sondern von Teilchen des Lichts her.‹«

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ALCHEMIE UND OPTIK Bleiben wir noch bei Vossius, dessen Traktat De lucis natura et proprietate zur gleichen Zeit erschien, in der sich Giuseppe Francesco Borri in Amsterdam aufhielt, auch wenn dieser ihn ja, wie wir gehört haben, nicht sonderlich »aestimirte«.151 Ein Teil von Vossius’ hybrider Farb- und Lichttheorie aber war wie bei Borri von der paracelsistischen Schwefellehre durchzogen gewesen. Das bringt uns zu den alchemistischen Kontexten zurück, in denen ein Großteil der Farbtheorien entwickelt wurde. Im 25. Kapitel beispielsweise hatte Vossius über »Die Materie der Farben« geschrieben und angegeben, dass sie grundsätzlich »von der Eigenschaft des Schwefels herrühre«. Jeder Farbwechsel werde durch Verbrennung dieses Elements hervorgerufen: »Der Grundstoff der Farben schreibt sich nirgends anders her als von dem Schwefel, der einem jeden Körper beigemischt ist. Nach dem verschiedenen Brennen dieses Elements entstehen auch die verschiedenen Farben: denn der natürliche Schwefel, solange er weder Wärme noch Feuer erfahren hat, ist durchsichtig; wird er aufgelöst, dann nimmt er verschiedene Farben an und verunreinigt die Körper, denen er beigemischt ist. Und zwar erscheint er zuerst grün, dann gelb, sodann rot, dann purpurfarb, und zuletzt wird er schwarz. Ist aller Schwefel erschöpft und verzehrt, dann lösen sich die Körper auf, alle Farbe geht weg und nichts bleibt als eine weiße oder durchsichtige Asche; und so ist die Weiße der Anfang aller Farben und das Schwarze das Ende. Das Weiße ist am wenigsten Farbe; das Schwarze hingegen am meisten. – Und nun wollen wir die einzelnen Arten und Stufen der Farbe durchgehen.«152 An den Argumenten kann man erkennen, dass Vossius an dieser Stelle den scholastischen Farbenlehren verpflichtet bleibt, sie aber mit paracelsistischen Elementen versetzt hat. Nicht nur, dass es in seinem Büchlein um eine Art Verzehrung des Schwefels durch Wärme bzw. Feuer geht und dies an Beispielen in der Tradition von De coloribus gezeigt wird: An »warmen Orten« nehme die Buntheit der Fauna und Flora zu, erklärt Vossius, während »kalte Orte« hauptsächlich weiß erschienen. Prozesse der Reifung (von Früchten, Blumen, Fell, Haaren etc.) werden als Aufzehrung der Feuchtigkeit der Körper verstanden und mit einem Farbwechsel ins Gelbe und Weißliche in Verbindung gebracht; Rot erscheint weiterhin als privilegierte Farbe, wird nun aber dem Schwefel gleichgesetzt. Darüberhinaus 151

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Zu den optisch-strahlungsgeometrischen Überlegungen in Vossius’ Lichttraktat siehe Fokko Jan Dijksterhuis, »A View from the Mountaintop: The Development of Isaac Vossius’ Optics, 1658–1666«, in: Isaac Vossius (1618–1689) between Science and Scholarship, hg. v. Eric Jorink & Dirk van Miert, Leiden 2012, 157–187. Goethe, Farbenlehre, III.5, 725 (= Vossius, De lucis, 60–61). Eine Beschreibung der Ordnung der Farben folgt im nächsten Kapitel: »Die erste Farbe daher, wenn man es Farbe nennen kann, ist das Weiße. Dieses tritt zunächst an das Durchsichtige, und da alle Körper von Natur durchsichtig sind, so kommt hier zuerst das Düstre (opacitas) hinzu, und der Körper wird sichtbar bei dem geringsten Lichte, auch wenn der Schwefel nicht schmilzt, den wir jedem Körper zugeschrieben haben.« Goethe, Farbenlehre, III.5, 726 (= Vossius, De lucis, 61).

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überwiegt weiter der Gedanke, dass sich aus den Mischungsverhältnissen von Weiß, Schwarz (und Rot, entsprechend der paracelsistischen Trias der Grundprinzipien) alle Farben zusammensetzen lassen, ein Gedanke, der uns erneut zum peripatetischen Erbe beispielsweise von De coloribus zurückbringt. Sonnenlicht oder Wärme erscheinen als von außen hinzutretende Agenten, die den Körpern durch Verbrennung Schwefel entziehen: »Zunächst an der Weiße folgen zwei Farben, das blässere Grün und das Gelbe. Ist die Wärme schwach, die das, was schweflicht ist, in den Körpern auflösen soll, so geht das Grüne voraus, welches roher und wäßriger ist als das Gelbe. Verursacht aber die Wärme eine mächtigere Kochung, so tritt sogleich nach dem Weißen ein Gelbes hervor, das reifer ist und feuriger. Folgt aber auf diese Art das Gelbe dem Weißen, so bleibt kein Platz mehr für das Grüne. Denn auch in den Pflanzen wie in andern Körpern, wenn sie grün werden, geht das Grüne dem Gelben voraus. (…) In welcher Ordnung man auch die Farben zählt, so ist die mittlere immer rot. Am mächtigsten ist hier das flammende Rot, und dieses entsteht nicht aus dem Weißen und Schwarzen, sondern es ist dem Schwefel seinen Ursprung schuldig. Und doch lassen sich aus dem Roten, dem Weißen und Schwarzen alle Farben zusammensetzen.«153 Dieser Absatz betrifft »die wahre, permanente und fixe Farbe«, während Vossius natürlich ebenfalls den »erscheinenden Farben« und ihrer Erzeugung ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Er nennt sie diejenigen Farben »die von ihren Körpern gewissermaßen abgesondert sind, welche man die apparenten nennt, wie die Farben des Regenbogens, der Morgenröte und die, welche durch gläserne Prismen sich ausbreiten,«154 d. h., er meint damit Phänomene von Lichtdispersion in transparenten Medien. Umso bezeichnender ist, dass er diese am Beispiel der Flammenfärbung erklärt, was zu dieser Zeit als chemische Analysemethode par excellence, nicht als optisch-physikalische verstanden wurde. Dazu muss man zunächst wissen, dass die Flammenfärbung in den peripatetischen Schriften ein immer wiederkehrendes Exempel für die verschiedenen Farbveränderungen durch Kondensation und Verbrennung gewesen war, wobei es in den Diskussionen dann vor allem um Verdichtungsvorgänge der durchsichtigen Elemente wie Wasser, Luft und Feuer durch die Beimischung von Erde ging: An der Flammenbasis, so die Erklärung der unterschiedlichen

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Goethe, Farbenlehre, III.5, 727 (= Vossius, De lucis, 62). »Nun ist aber eine andere Frage zu beantworten, welche verwickelter und schwerer ist: woher nämlich die Farben kommen, welche von ihren Körpern gewissermaßen abgesondert sind, welche man die apparenten nennt, wie die Farben des Regenbogens, der Morgenröte und die, welche durch gläserne Prismen sich ausbreiten. Aus dem, was wir gesagt haben, erhellt, wie mich dünkt, genugsam, daß die Flamme jederzeit der Farbe des Schwefels folgt und alle Farben zuläßt, außer dem Schwarzen und dem völlig Weißen. Denn der Schwefel enthält wohl die beiden Farben, aber eigentlich in der Flamme können sie nicht sein. Weiß zwar erscheinen zarte Flämmchen; wenn sie es aber vollkommen wären und nicht noch etwas von anderer Farbe zugemischt hätten, so wären sie durchsichtig und würden kein Licht oder ein sehr schwaches verbreiten. Daß aber eine Flamme schwarz sei, ist gegen die Vernunft und gegen die Sinne.« Goethe, Farbenlehre, III.5, 728 (= Vossius, De lucis, 63).

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152 | Gottfried von Wedig, Stilleben mit Kerze, um 1610–1620,

monogrammiert, Öl auf Holz, 34.5 × 27 cm, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt. Der dargestellte Farbübergang der Flamme blau – gelb – rot ist in den zeitgenössischen Schriften regelmäßig als Beispiel einer Farbveränderung durch Kondensation und Verbrennung herangezogen worden.

Färbung der Flamme, vermischen sich die feinen Erdteilchen mit dem Feuer, das diese feuchte Materie erst durchdringen muss und deshalb nicht hellweiß, sondern bläulich erscheint. Im oberen Teil der Flamme aber verflüchtigen sich die feuchten Dämpfe, und die Flamme selbst erscheint reiner, weißer und leuchtender, während sie an der Spitze, nun zunehmend von kalter Luft umgeben, ins Rötliche spielt.155 Vossius scheint zunächst mit seiner Farberklärung in dieser Tradition zu stehen, aber im Unterschied dazu wählt er als Bild die Flammenfärbung brennenden Schwefels – gelb von Farbe gibt dieses Element 155

Auch die Maler wissen von dem Phänomen. Man kann als späten Reflex darauf eine Stelle in Willem Beurs De groote waereld in ’t kleen geschildert zitieren, in der die Darstellung einer Flamme genauestens geschildert wird: »So legt man die Flammen der Fackeln und Windlichter mit Rauschgelb an/ man erhöhet sie mit Königsgelb/ und die Spitze erfordert ein wenig Zinnober darunter/ (…). Das Talcklicht ist bißweilen unten an der Flamme sehr schön blau/ wie auch wol die Flamme des Feuers/ wenn es sehr kalt ist.« Beurs, Die grosse Welt, 127–128.

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während des Brennvorgangs rotblaues Licht ab, oder noch einmal in Vossius’ Worten, die nun einen alchemischen Hintersinn haben: »Der natürliche Schwefel, solange er weder Wärme noch Feuer erfahren hat, ist durchsichtig. (…) [Im Verbrennen] erscheint er zuerst grün, dann gelb, sodann rot, dann purpurfarb, und zuletzt wird er schwarz.«156 Im Anschluss an diese Beschreibung liefert er eine lichttheoretische Erklärung, die uns auf die alte speciesTheorie sowie auf die Vorstellung zurückbringt, dass sich das Licht in einem dunstigen Medium einfärbt: »Dieses festgesetzt, fahr’ ich fort«, schreibt er: »Wie die Farbe des Schwefels in der verbrennlichen Materie, so ist auch die Farbe der Flammen, wie aber die Flamme, so ist auch das Licht, das von ihr ausgebreitet wird; da aber die Flamme alle Farben enthält und begreift, so ist notwendig, daß das Licht dieselbe Eigenschaft habe. Deswegen sind auch in dem Licht alle Farben, obgleich nicht immer sichtbar. Denn wie eine mächtige Flamme weiß und einfärbig erscheint, wenn man sie aber durch einen Nebel oder andern dichten Körper sieht, verschiedene Farben annimmt, auf eben diese Weise bekleidet sich das Licht, ob es gleich unsichtbar oder weiß ist, wenn es durch ein gläsernes Prisma oder durch eine feuchte Luft durchgeht, mit verschiedenen Farben.«157 Vossius wählt das Beispiel des Schwefellichts außerdem, um das Verhältnis zwischen wahrer und erscheinender Farbe zu erklären, denn erstere gäbe es »in« der Flamme selbst, während letztere als getöntes Licht davon abgestrahlt werde. »Wie aber Flamme und Feuer, je schwächer sie sind, ein desto schwächeres Licht von sich geben, so auch nach Gesetz und Verhältnis der wahren und materialisierten Farbe, die in der Flamme ist, wachsen und nehmen ab die apparenten Farben im Lichte.«158 Entsprechend erklärt Vossius das nach allen Seiten ausstrahlende Licht zur species des Feuers sowie das getönte Licht zur species der dem Feuer inhärenten Farben. Nimmt der im Schwefel vorhandene Farbstoff während des Verbrennungsvorgangs ab, so wird auch die Leuchtkraft seiner species nachlassen.159 Von diesem Gedanken ausgehend ist es für ihn nur noch ein Schritt, die von einer Flamme farbig abstrahlenden »Bilder des Lichts« mit jenen apparenten Farben zu vergleichen, mit denen sich »das unsichtbare oder weiße Licht bekleidet«, sobald es durch ein Prisma tritt. Bis dahin ist Vossius’ Farbtheorie in De lucis natura et proprietate nicht sonderlich über das peripatetische und alchemische Erbe hinausgegangen, und so ist es sicherlich nicht gerechtfertigt, seine Prismenbeobachtungen,

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Goethe, Farbenlehre, III.5, 725 (= Vossius, De lucis, 60–61). Ebd., 728–729 (= Vossius, De lucis, 64). Ebd., 729 (= Vossius, De lucis, 64). »Da nun aber das Licht Form und Bild des Feuers ist, welche aus dem Feuer nach allen Seiten hinstrahlen, so sind auch die Farben, die das Licht mitbringt, Formen und Bilder der Farben, welche wahrhaft und auf eine materielle Weise sich in dem Feuer befinden, von dem das Licht umhergesendet wird.« Ebenda.

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mit Goethe gesprochen, als Vorwegnahme der Newtonschen Lehre zu bezeichnen.160 Aber er hatte eben auch Descartes und Gassendi studiert, deren korpuskulare bzw. atomistische Theorien er auf- und angreift, und er hat die drei optischen Bücher des Willebrord Snellius (1580–1626) gelesen, in denen optisch-physikalische Studien zum Brechungsgesetz durchgeführt wurden.161 Deshalb ist Vossius’ Text von strahlungsgeometrischen Überlegungen und Diagrammen zum Refraktionsverhalten des Lichts durchzogen, und er hatte einige richtige Beobachtungen zur Dispersion des Lichts sowie zum additiven Mischungsverhalten der Spektralfarben angestellt. »So kann eben der metaphysisch unverdächtige Isaak Vossius in seiner Descartes-kritischen Abhandlung De lucis natura (1662) vom Licht (lux) sagen, daß aus ihm die Farben ›hervorgebracht‹ (propagari) werden und zwar insofern sie ›in ihm unsichtbar enthalten sind‹ (propagari a luce cui invisbiliter insunt)162. Er setzt dabei, gegen die Teilchentheorie (lineae, globuli, corpuscula) des Descartes argumentierend, einen systematischen, in sich kontinuierlichen Gesamtzusammenhang einer immanenten Licht- und Farbentstehung an: ›luminis profluvium [constituat] unum & continuum systema‹.«163 Vossius’ Abhandlung steht exemplarisch für den Stand der Farb- und Lichtdiskussion, wie er in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts im Anschluss an die Lichtkonzepte René Descartes’ und Pierre Gassendis und in Auseinandersetzung mit den optischen Theorien von Christiaan Huygens und Willibrord Snellius möglich war, wobei die scholastischen Grundlagen und paracelsistischen Ausdeutungen über lange Zeit spürbar blieben. Ähnliches kann zu Digby gesagt werden, dessen Farberklärungen ein charakteristisches Licht auf die englische Diskussion vor Newtons New Theory about Light and Colours (1672) werfen. Vossius’ Text zu Licht und Farbe zeigt aber auch, wie nahe sich chemische und physikalische Theorien mittlerweile gerückt sind, und man wird sich erneut jenes Desiderats der Forschung bewusst, die vielen Mischformen und Zwischenpositionen zu rekonstruieren, mit denen die Interdependenzen der beiden Bereiche historisch differenziert dargestellt werden könnten. Goethe beispielsweise spricht noch immer von den Bildern des Lichts und meint damit die species, die sich von den Gegenständen als Repräsentationen

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Ebd., 730. Vossius, De lucis, 36: »Porro priusquam ad alia refractionis pergam phænomena, præterire non possum insignem Willebrordi Snellii observationem, quæ unice sententiam nostram confirmat. Quantus vir ille fuerit in universa mathesi, quamvis ex iis quæ palam prostant scriptis satis colligi possit, multo tamen idipsum clarius constaret, si fata permisissent illa quoque perficere, quæ utique perfecisset, si vel paulo diuturniorem Deus vitam indulsisset. Inter alia vero præclara quæ reliquit monumenta, supersunt quoque tres libri optici, quorum usuram superiori hyeme concessit mihi filius ejus.« Zur optischen Theorie vgl. Dijksterhuis, »View from the Mountaintop«. Vossius, De lucis, 66. Zum Ursprung der Farben im Licht ebd., 64: »Insunt (…) lumini omnes colores« und zwar »non semper visibiliter«, andererseits wird zuvor behauptet (ebd., 59), daß Farbe eben kein »modifiziertes Licht« (lumen modificatum) sei. Vgl. Leinkauf, »licht«, 32. Ebenda. Das Zitat im Zitat: Vossius, De lucis, 4v. Vgl. auch Thomas Leinkauf, Thomas Fink & Philipp Weiss, »Intensitätsraum und Lichtentfaltung. Zur Raum- und Lichtauffassung im 16. und 17. Jahrhundert«, in: Ausst.-Kat. Kassel (2011), Das Licht im Zeitalter von Rembrandt und Vermeer, Petersberg 2011, 183–188.

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ablösen, während ihm eine strahlungsgeometrische Darstellung des Lichts in Linien ungeheuerlich vorkommt. Irgendwann aber ist auch das Bildfeld kein campus oder Akker mehr, das die species hervorbringt, weil das entsprechende Konzept von Form und Materie derart stark modifiziert wurde, dass es seinen Bezug zur natürlichen Anschauung verliert, d. h. im übertragenen Sinn, weil der Boden nicht mehr im Sinne einer mimetischen Repräsentation fruchtbar gemacht werden kann. Die Vorstellung der Bilder als species wird von einem punktualen Abbildungsverhältnis abgelöst: Linien und Punkte markieren in einem relationalen System diejenigen Stellen, an denen zuvor zusammenhängende Gestalten aus dem Bildgrund aufgetaucht waren. Letztendlich steht dahinter ein verändertes Materieund Formkonzept, das wir uns noch genauer ansehen müssen, auch wenn die vielen Zwischenschritte in der Forschung zur Wahrnehmungsgeschichte des 17. Jahrhunderts nicht genügend bearbeitet wurden, hier also Lücken klaffen, und zudem die historischen Ablösungsvorgänge in keinster Weise geradlinig verlaufen sind.

HYLEMORPHISMUS UND ATOMISMUS In einem einschlägigen Band über das »Schicksal des aristotelischen Hylemorphismus in der Frühen Neuzeit« haben Christoph Lüthy und William R. Newman verschiedene Positionen versammelt und klar gemacht, wie viele Zwischenlösungen es seit dem späten 16. Jahrhundert auf naturphilosophischem Gebiet gab.164 Den Herausgebern stellte sich die Frage, ob sich das aristotelische System deshalb so lange halten konnte, weil erst ein neues (z. B. mechanistisches) Modell entwickelt sein musste, von dem es dann vollständig abgelöst wurde, oder ob es sich nicht vielmehr um langwierige, weil partielle Transformationen handelte, die Begriffe wie hyle und morphe so lange am Leben hielten. Schon Kurd Lasswitz hatte in seiner Geschichte der Atomistik die anarchistische Struktur des 17. Jahrhunderts hervorgehoben, die sich in der unkoordiniert, weil gleichzeitig verlaufenden Verabschiedung und Aufrechterhaltung einzelner Aspekte des peripatetischen Systems äußerte, und Norma Emerton folgte dieser Einschätzung in ihrer Studie über The Scientific Reinterpretation of Form, nicht ohne auf die bereits innerhalb der Scholastik stattgefundenen Neuinterpretationen der aristotelischen Gedanken zu verweisen, die selbst schon entscheidende Veränderungen der antiken Lehre darstellten.165 Tatsächlich verschwanden die Beschreibungskriterien von »Form« und »Materie« nie ganz aus dem Wortschatz barocker Wissenschaftler, sondern gingen merkwürdige Verbindungen mit korpuskularen oder atomistischen Vorstellungen beziehungsweise deren binärem Begriffspaar von »Anordnung« (»Figur«) und »Bewegung« ein. Denn die Atomisten des 17. Jahrhunderts versuchten 164 165

Christoph Lüthy & William R. Newman (Hg.), The Fate of Hylomorphism. ›Matter‹ and ›Form‹ in Early Modern Science, Leiden 1997, v.a. 215–226. Kurd Lasswitz, Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton, 2 Bde., Leipzig 1890, siehe z. B. I, 502; Norma Emerton, The Scientific Reinterpretation of Form, Ithaca & London 1984; R. D. Sykes, »Form in Aristotle: Universal or Particular?«, in: Philosophy 50/193 (1975), 311–331; Charlotte Witt, »Hylomorphism in Aristotle«, in: The Journal of Philosophy 84/11 (1987), 673–679.

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zunächst noch immer, die Divergenzen durch eine Reduktion auf erste Prinzipien zusammenzuhalten. Aus ähnlichen Gründen wurde das hylemorphische Modell nicht aufgegeben, obwohl es auf der obsolet gewordenen Annahme einer natürlichen Anschauung der Welt basierte. Die Rolle der Optik wiederum ist entscheidend für diese epistemische Wende. In dem Moment, in dem die sogenannte »natürliche Sichtweise« mit Linsen verändert und gebrochen wurde, geriet das aristotelische Erklärungsmodell in Bedrängnis. Ihmzufolge realisierten sich einzelne Dinge oder Substanzen, wenn einer allgegenwärtigen neutralen prima materia bestimmte Qualitäten zugefügt wurden, durch die sie sich individualisierte. In einem solchen Modell war man auf die Richtigkeit der natürlichen Anschauung angewiesen, denn die Unterscheidung und Klassifizierung (in Gattungen und Arten zum Beispiel innerhalb der Biologie) geschah aufgrund der wahrnehmbaren Formen und Qualitäten einer kohärenten Körperwelt, jenes Tableaus kontinuierlicher Seinsweisen, von dem schon so oft die Rede war. Die neuen Sichtbarkeiten aber fügen ihm Sprünge und Brüche zu. Der kurze Exkurs in die Geschichte der Antagonismen und Verbindungen zwischen Hylemorphismus und Atomismus dient vor allem dazu, auf die Doppelbödigkeit aufmerksam zu machen, die für barocke Zeitgenossen in den Vorstellungen vom Zusammenwirken von Form und Materie lauern musste. Die aristotelische Idee war, dass »Form« als jener Agent fungierte, der die Materie spezifizierte und überhaupt erst in ein Objekt verwandelte, das man einer wissenschaftlichen oder ästhetischen Betrachtung unterziehen konnte. Durch die »Form« wurde der Materie ein spezielles Sein ermöglicht, oder, wie es zuvor schon einmal gesagt wurde: »Die species [unterteilt] die Gattung nicht, sondern zeigt sie vor.«166 Jeder Körper und jedes Ding lässt zugleich sich und seine Spezies und Gattung aufscheinen, er macht sie durch sein individuelles Sein ebenfalls sichtbar. Deshalb ist mit jeder Formwerdung ein Drängen verbunden, sich als Bild oder Repräsentant einer Gruppe oder ganzen Gattung anderen mitzuteilen und zu veräußern. Innerhalb der scholastischen Lehre war die inhärente Intentionalität der Bilder, über das individuelle eidos hinaus den zugehörigen genus zu zeigen, ihre eigentliche Legitimation.167 Athanasius Kircher hatte dieses »Drängen der Materie zur Form« im Blick gehabt, als er an jeder Stelle des Seins eine formgebende vis plastica vermutete, selbst noch im Bereich der primitiven urgezeugten Lebewesen. Auch Gassendi hatte, um den atomaren Anordnungen eine ähnliche Intentionalität zuzugestehen, diese mit teleologischer Kraft versehen. Bei ihm ist dasselbe Dilemma spürbar, das beispielsweise Daniel Sennert dazu brachte, trotz seiner Hinwendung zum korpuskular-atomaren Weltbild an den substantiellen Formen der aristotelischen Schule festzuhalten: Für Sennert war jede res naturalis synonym mit jeder substantia creata, d.h. einem Sein, das sich nicht sich selbst verdankt, sondern einem ersten Prinzip und dessen Schaffensakt. Für ihn war offensichtlich, dass ganze Körper qualitativ 166 167

Agamben, »Das spezielle Sein«, 54. Vgl. auch A. C. Lloyd, »Genus, Species and Ordered Series in Aristotle«, in: Phronesis 7/1 (1962), 67–90; Herbert Granger, »Aristotle and the Finitude of Natural Kinds«, in: Philosophy 62/242 (1987), 523–526; James Franklin, »Aristotle on Species Variation«, in: Philosophy 61/236 (1986), 245–252.

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etwas anderes darstellten als die Summe ihrer Einzelteile – eine Unterscheidung übrigens, die schon Aristoteles anerkannte und aus der heraus er Physik und Biologie auseinanderhielt. In der Physik wandte man sich der Zusammensetzung und Bewegung unbelebter Teile zu, in der Biologie dagegen der belebenden Funktion der Seele beziehungsweise Körpern als Einheiten.168 Das Verhältnis von particularia und universalia aber ist einer der Eckpfeiler aller naturphilosophisch orientierten Diskussionen des 17. Jahrhunderts. Ein anderer ist das Problem des Materiebegriffs sowie die Frage, mit welchen Grundeigenschaften man ihn auszustatten habe. Hier hält sich über lange Zeit die Vorstellung von der qualitativen Zuständlichkeit der Materie: »Auch der Übergang von der Alchemie zur Iatrochemie, wie er sich insbesondere bei Paracelsus vollzieht, hatte diese Form nicht prinzipiell verändert. Noch immer war es der qualitative Gesichtspunkt, der die Darstellung und Erklärung der Tatsachen allein beherrschte. In der Alchemie ist es dieser Gesichtspunkt, der den gesamten konstruktiven Aufbau bestimmt: Die einzelnen Metalle müssen in einander überführbar sein, weil sie sämtlich in gewissen Grundeigenschaften übereinstimmen und daher an bestimmten qualitativen ›Naturen‹ teilhaben, die die Kunst des Alchemisten zu sondern und einer gegebenen Materie im geregelten Fortgang aufzuprägen vermag.«169 Auf einer visuellen, die epistemische Kraft der Bilder betreffenden Ebene bedeutet das Festhalten an der Qualitätenlehre, dass »die sichtbaren Beschaffenheiten der Körper nur die äußere Erscheinungsweise dieser letzten qualitativen Komponenten [sind], die uns, wenn sie einmal in ihrer Eigenart und ihrer Wirkungsweise durchschaut sind, das Ganze der Natur völlig übersehen und das Geheimnis ihrer schöpferischen Tätigkeit beherrschen lassen.«170 Damit zu brechen kann bewirken, dass die äußeren Erscheinungsformen an Aussagekraft verlieren, weil sie sich von der inneren Konstitution der Dinge trennen, wie dies beispielsweise in der kopuskularphilosophischen Lehre Descartes’ der Fall ist. Es kann aber auch umgekehrt dazu führen, eine immanente Ursache der Erscheinungen der Einzeldinge zu vermuten, die ihnen einen gemeinsamen materiellen Zusammenhang, ein indifferentes, homogenisiertes Feld aus Korpuskeln oder Atomen eröffnet. Dieses ist mit Kräften durchzogen, es kann aktiviert und in Bewegung gesetzt werden. Die ältere Vorstellung einer qualitativ behafteten Materie, die Voraussetzung einer hierarchisch gegliederten Struktur der Naturformen ist, ist nun schon eine Weile lang als »Acker« beschrieben worden. Sein moderneres Pendant dagegen wäre das »Feld«: ein kontinuierlicher und an jeder Stelle mit potentieller Ausdruckskraft erfüllter Erscheinungsraum, in dem auch die Farbe aus einem immanenten Kräftespiel heraus entsteht beziehungsweise dieses sichtbar macht oder »ausdrückt«.

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Vgl. Emily Michael, »Daniel Sennert on Matter and Form: At the Juncture of the Old and the New«, in: The Fate of Hylomorphism, hg. v. Lüthy & Newman, 272–299. Vgl. auch die frühe Einschätzung in Kurt Polycarp Joachim Sprengels Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde, 5 Bde., Halle 1792–1799, IV, 361. Cassirer, Erkenntnisproblem, II, 429. Ebd., 430.

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Dabei kann man den Stellenwert der Farbe im barocken Feld ambivalent verstehen. Zum einen wird die Farbe ihrer verbindlichen Aussagekraft beraubt, weil sie vor allem die Wahrnehmung eines Körpers ausmacht, aber auf die Oberflächen der Körper beschränkt bleibt. In der Chemie Robert Boyles (1627–1691), in der dem Begriff des Elements eine neuartige, von seinem ehemaligen Kontext der Elementenlehre abgelöste Bedeutung zukommt, wird »den Dingen nichts anderes [anerkannt] als ihre distinkt erkennbaren Eigenschaften, als Größe, Gestalt und Bewegung.«171 Eine derart stattfindende Umgestaltung des Begriffs der Materie betrifft auch die Farbe; sie wird denselben Kriterien (Größe, Gestalt und Bewegung der Materiepartikel) unterstellt. Umgekehrt ist es gerade die Verlagerung der physikalischen, chemischen und philosophischen Erklärungen auf die Beschreibungsebene eines homogenisierten Materiefelds, die den Stellenwert der Farbe katapultisch in die Höhe treibt – sie rangiert nun gleichwertig neben dem der Form als temporäre und allenfalls relational gebundene Erscheinungsweise des Felds. Derart löst sie sich von den einzelnen Gegenständen ab und partizipiert an einem zusammenhängenden Ganzen.

ACKER UND FELD Das Problem von Teil und Ganzem verstärkt sich im Zuge der Klassifikationstätigkeiten des 17. Jahrhunderts, mit dem Ergebnis, dass sich die vielen Einzelformen nicht einfach ordnen lassen, sondern gegen eine vereinheitlichende Systematisierung sperren. Jetzt unterteilen die species die Gattung mehr, als dass sie sie vorzeigen würden.172 Inmitten der Vielfalt sitzt der Mensch als biologisch dem Tier inzwischen gar nicht mehr so unähnliches Wesen. Nach dem Prinzip von genus proximum et differentia specifica wird ihm zwar weiterhin die Fähigkeit zur Erkenntnis zugesprochen, aber sie wird ihm mit einer modernen Einschränkung übertragen: »Das Individuum ist zur Erkenntnis des Universums berufen und befähigt, weil es mit ihm von gleichem Stoffe, weil es das Erzeugnis derselben schöpferischen Grundkraft ist, die die äußere Welt hervorbringt und beherrscht. Und dennoch ist mit dieser Antwort das Problem erst in seinem ganzen Umfang und in seiner vollen Schärfe bezeichnet. Sofern das Subjekt dem Ganzen der Naturkausalität untergeordnet wird, sofern erscheint die Erkenntnis an die bestimmten und besonderen Naturbedingungen ihrer Entstehung geknüpft und bleibt in ihrer Ausdehnung und Geltung an sie gebunden. Das Erkennen wird zum Teilprozeß innerhalb des gesetzlichen Ablaufs des Gesamtgeschehens: wie aber ließe sich aus diesem Bruchstück, selbst wenn wir es in sich selber vollständig übersehen und bestimmen könnten, die Regel des Ganzen herleiten?«173

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Ebenda. Vgl. Agamben, »Das spezielle Sein«, 55: »Die Umwandlung der species in ein Identitäts- und Einordnungsprinzip ist die Erbsünde unserer Kultur, ihre unerbittlichste Vorkehrung. Man macht etwas persönlich – man bezieht es auf eine Identität – nur unter der Bedingung, dass man dessen species-Sein opfert. ›Speziell‹ ist nämlich ein Wesen – ein Gesicht, eine Geste, ein Ereignis –, das, indem es nicht einem ähnlich ist, allen anderen ähnlich ist.« Cassirer, Erkenntnisproblem, I, 176.

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Mit der Einsicht in ihre eigenen natürlichen Voraussetzungen verbleibt jede Erkenntnis im Partiellen, Fragmentarischen. Und mit ihr die Bilder. Nicht zuletzt bedeutet es nämlich, dass auch der Umgang mit Bildern, mit Kunst, immer wieder auf die Wahrnehmung zurückgeworfen wird als deren natürliche Voraussetzung. Es markiert den Ausklang einer Farbanschauung, die sich mit substantieller Kraft an die Malerei gebunden hatte. Ein solches stoffliches Konzept von Farbe, von dem nicht nur ein Teil der Stillebenmalerei seinen Ausgang genommen hatte, erfährt um 1700 sein Ende, mit Goethe und Schelling als späte bekennende Verteidiger. Dass Farbe nämlich eine optische Oberflächenerscheinung ist (als mechanistische Antwort auf die Frage nach ihrer Entstehung) beziehungsweise einen dynamischen Feldcharakter annimmt (in einer vitalistischen Deutung), gerät im Laufe des Jahrhunderts zur neuen, die Bildwahrnehmung strukturell verändernden Erkenntnis. Die Loslösung von der Substantialität der Farbe wiederum fällt zusammen mit dem mikroskopischen Erlebnis ihrer materiellen Komponenten. Bekanntlich hatte Robert Boyle seinen Blick durch das Mikroskop auf die auf der Palette der Maler angemischte Farbe Grün gelenkt. Er entschuldigt sich noch für seinen disziplinären Übergriff »to meddle with the mixing of Pigments« – sei dies doch »no inconsiderable part of the Painter’s Art«174 und deshalb nicht eigentlich sein Metier. Die Pigmentmischung aber steht paradigmatisch für sein eigenes modernes physikalisches Denken und wird als Modell benutzt, mit dem er sich gegen das Substanzdenken der Peripatetiker abgrenzen kann. Boyle gibt also an: »And with an Excellent Microscope, where the Naked Eye did see but a Green powder, the Assisted Eye as we noted above, could discern particular Granules, some of them of a Blew, and some of them of a Yellow colour, which Corpuscles we had beforehand caus’d to be exquisitely mix’d to compound the Green.«175 Seine Beobachtung wird von Leibniz aufgegriffen: »So empfinden wir, wenn wir eine grüne Farbe wahrnehmen, die aus gelben und blauen Stäubchen gemischt ist, nichts anderes als eine ins Winzige gehende Mischung von Gelb und Blau, auch wenn wir dies nicht bemerken und uns ein neues Wesen vorgaukeln.«176 Robert Boyle ist ein machtvoller Verkünder der malerischen Grundfarbentrias Rot-BlauGelb, wenngleich es weitere Stimmen schon seit Anfang des Jahrhunderts gegeben hat.177 174 175 176 177

Robert Boyle, Experiments and Considerations Touching Colour, London 1664, 219–221. Boyle, Experiments, 41. Gottfried Wilhelm Leibniz, »Betrachtungen über die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen« (1684), in: ders., Philosophische Schriften, 4 Bde. in 6 Tl.-Bdn., hg. von Hans Heinz Holz, Darmstadt 1985, I, 47. Gage (Colour and Culture, 154) führt hier beispielsweise Guido Antonio Scarmiglionis Auflistung von fünf Primärfarben auf (Weiß, Gelb, Blau [hyacinthinus], Rot und Schwarz [De coloribus, Marburg 1601]); Charles Parkhurst hat auf Louis Savots Nova, seu verius nova-antiqua de causis colorum sententia, Paris 1609, auf Anselmus de Boodts Gemmarum et lapidum historia, Hanau 1609, sowie auf Aguilonius (François d’Aguilon, Opticorum libri sex philosophis

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1664 kann er behaupten, dass die Palette der Maler alle Farbabstufungen der Natur wiedergeben könne, wenn sie nur über die drei Grundfarben Rot, Gelb, Blau (sowie Schwarz und Weiß) verfüge. Der malerischen Wiedergabe natürlicher Erscheinungen fehle vielleicht die Leuchtkraft des Lichts, aber sie weise keine Lücke im Farbsystem auf, d. h. dieses wird in seiner Logik als der Natur parallel angesehen: »There are but few Simple and Primary Colours (if I may so call them) from whose various compositions all the rest do as it were Result. For though Painters can imitate the Hues (though not always the Splendor) of those almost Numberless differing colours that are to be met with in the Works of Nature, and of Art, I have not yet found, that to exhibit this strange Variety they need imploy any more than White and Black, and Red, and Blew, and Yellow; these five, variously Compounded, and (if I may so speak) Decompounded, being sufficient to exhibit a Variety and Number of Colours, such, as those that are altogether Strangers to the Painter’s Pallets, can hardly imagine.«178 Es ist interessant zu sehen, wie ein Wissen, das aus der Werkstatt und Praxis der Maler stammte, über den Umweg des Mikroskops dorthin zurückgelangte. Der niederländische Maler Willem Beurs beispielsweise hatte Boyles Traktat gelesen und zeigte sich interessiert am atomistisch-mechanistischen Erklärungsmodell von Farbe. Für Beurs beispielsweise ist die Behauptung, »daß keine Farben ohne Licht seyn/ und daß ihr Unterschied gäntzlich von der Beschaffenheit der Fläche in den Cörpern/ darauf das Licht unterschiedlich fält und seine Wirckung hat/ herrühret/ (…) sehr leicht zu begreiffen; wie sie aber eigentlich durch diese Flächen und Bewegungen zu wege gebracht werden/ und welches die rechte Ahrt und Eigenschafft einer jeden Haupt=farbe insonderheyt sey/ auf was Weise gelb/ roth/ blau und grün unterschiedlich gemacht und zu wege gebracht wird/ ist meines Wissens noch nicht auf eine mathematische Weise erörtert und fest gestellet; ob schon die Mathematica (…) heutigen Tages sehr hoch gestiegen ist/ da wir des hochberühmten und erfahrenen Herren Boyle und anderer sehr ver-

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juxta ac mathematicis utiles, Antwerpen 1613) aufmerksam gemacht, in denen die Primärtrias von Rot, Gelb, Blau relevant wird, aber diese Auflistung müsste noch einmal auf die spezifischen Kontexte der einzelnen Farbtheorien hin überprüft werden. Vgl. auch Shapiro, »Artists’ Colors and Newton’s Colors«, 607: »Savot initially admitted only two primaries, red and blue, but then divided red into a red and a yellow; while de Boodt started with three, but then divided the red into two sorts, miniatus and ruber.« In William Pettys Bericht über Färbestoffe, in den 1660er Jahren für die Royal Society zusammengestellt, werden die Stoffe unter den drei Kategorien »rot«, »gelb« und »blau« aufgeführt, und es wird erklärt, dass diese für »all that great variety which we see in Dyed Stuff« verantwortlich seien. William Petty, »An Apparatus to the History of the Common Practices of Dying«, in: Thomas Sprat, A History of the Royal Society of London for the Improving of Natural Science, London 1959 [1667]; siehe Gage, Colour and Culture, 154. Boyle, Experiments, 219–221.

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ständiger Leute Experimenta, probstücke und Anmerkungen haben/ die auch des Cartes in der dingen Ahrt zu untersuchen weit übertroffen haben.«179 Zeitgleich mit Boyle hatte sich auch der Mikroskopist Robert Hooke (1635–1703) mit der Zusammensetzung von Mischfarben beziehungsweise ihrer möglichen Reduzierung auf Primärfarben beschäftigt, und zwar, was für die weitere Farbdiskussion wichtig werden wird, nicht nur, indem er mit dem Mikroskop die Zusammensetzung von Pigmenten untersuchte, sondern indem er hohle Glasprismen mit roter oder blauer Flüssigkeit füllte. Ihm zufolge genügten diese beiden Farben (genauer: ein ins Gelbe spielendes Scharlachrot sowie Blau; man kann hier an Digbys Interesse an denselben Farben denken), um im weiteren alle möglichen Mitteltöne herzustellen, eine Behauptung, die Christiaan Huygens dazu verleitete, sich gegen Newtons These eines im weißen Licht enthaltenen Farbspektrums zu stellen und stattdessen anzunehmen, dass sich die Entstehung aller Farben alleine »by the nature of motion of the Colours Yellow and Blew«180 und damit weiterhin aus einem dualistischen Prinzip heraus erklären lasse. Der sich nun entwickelnde Disput ist nicht zuletzt deshalb besonders wichtig für ein historisches Verständnis des Verhältnisses zwischen Pigmentfarben und Lichtfarben, weil man sich in ihm regelmäßig auf die Farbigkeit bestimmter Flüssigkeiten wie zum Beispiel Pflanzensäfte oder Färbestoffe sowie auf die Pigmentmischungen der Maler bezieht.181 Bei Hooke zum Beispiel wird die Vielfalt der im Prismenexperiment entstehenden »Mitteltöne« erneut an der Vielzahl farblicher Abstufungen auf der Palette der Maler gemessen:

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Beurs, Die grosse Welt, 3. Wiewohl in diesem Zitat die Farbe Grün auftaucht, geht Beurs wie Boyle von drei Hauptfarben (Gelb-Rot-Blau) aus: »Grün lassen wir deßwegen aus/ weil man es aus Gelb und Blauw temperiren kann.« Ebd., 5. Christiaan Huygens, »An Extract of a Letter Lately Written by an Ingenious Person from Paris, Containing Some Considerations upon Mr. Newtons Doctrine of Colors, as also upon the Effects of the Different Refractions of the Rays in Telescopical Glasses«, in: Philosophical Transactions of the Royal Society 96 (1673), 6086–6087: »I have seen, how Mr. Newton endeavours to maintain his new Theory concerning Colours. Me thinks, that the most important Objection, which is made against him by way of Quære, is that, Whether there be more than two sorts of Colours. For my part, I believe, that an Hypothesis, that should explain mechanically and by the nature of motion the Colours Jellow and Blew, would be sufficient for all the rest, in regard that those others, being only more deeply charged (as appears by the Prismes of Mr. Hook,) do produce the dark or deep-Red and Blew; and that of these four all the other colors may be compounded. (…) Mean time you may see, that if these Experiments do succeed, it can no more be said, that all the Colors are neccessary to compound White, and that ›tis very probable, that all the rest are nothing but degrees of Yellow and Blew, more or less charged.« Huygens‹ Brief richtet sich gegen Newtons Ablehnung der Hooke’schen Prismenexperimente bzw. der daraus gezogenen Schlussfolgerungen (Isaac Newton, »Mr Isaac Newtons Answer to some Considerations [of Robert Hooke] upon his Doctrine of Light and Colors«, in: Philosophical Transactions of the Royal Society 88 [1672], 5084–5103). Vgl. die vorhergehende Fußnote. Zu Boyles Beschäftigung mit den chemischen Eigenschaften von Pflanzensäften vgl. Goethe, Farbenlehre, I.3, § 208: »Es gibt verschiedene Bearbeitungen der Blumen und ihrer Säfte durch Reagentien. Diese hat Boyle in vielen Experimenten geleistet. Man bleicht die Rosen durch Schwefel und stellt sie durch andre Säuren wieder her. Durch Tobaksrauch werden die Rosen grün.«

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»All the varieties of colours imaginable are produc’d from several degrees of these two colours, namely Yellow and Blue, or the mixtures of them with light and darkness, that is, white and black. And all those most infinite varieties, which Limners [d. i. Miniaturmaler] and Painters are able to make by compounding those several colours they lay on their Shels or Palads, are nothing else, but some compositum, made up of some one or more, or all of these four.«182 Es ist in diesem Kontext, dass auch Boyle auf die Behauptung Kenelm Digbys und anderer zurückkam, man könne durch das Mischen von Weiß und Schwarz bzw. durch unterschiedliche Anteile von Helligkeit und Dunkelheit (Transparenz und Opazität) alle Farben hervorbringen. Seine Erklärung aber fällt anders aus, denn er nimmt nicht, wie zum Beispiel Hooke es zeitgleich getan hat, die Technik der Maler zum Modell der Lichtmischung, sondern lässt umgekehrt die Pigmentmischung zu einer Lichtfarbe werden. Entsprechend stellt er fest, dass für jede Körperfarbe eine Lichtbrechung verantwortlich sei, dass also der Grund der Farbentstehung in der Mikrostruktur der Körper und ihrer Interaktion mit dem Licht liege. Goethe hat diese charakteristische Stelle übersetzt und in seine Farbenlehre aufgenommen: »Da ich aber nicht habe finden können, daß durch irgend eine Mischung des Weißen und wahrhaft Schwarzen (denn hier ist nicht von einem Blauschwarz die Rede, welches viele für das echte halten) – daß, sage ich, je daraus Blau, Gelb, Rot, geschweige denn die übrigen Farben könnten erzeugt werden; da wir ferner sehen, daß diese Farben durchs Prisma und andre durchsichtige Körper hervorzubringen sind mit Beihülfe der Brechung: so scheint es, man müsse die Brechung auch zu Hülfe nehmen, um einige Farben zu erklären, zu deren Entstehung sie beiträgt, weil sie auf eine oder die andre Weise den Schatten mit dem gebrochenen Lichte verbindet, oder auf eine Art, die wir gegenwärtig nicht abhandeln können,«183 heißt es dort. Wenn Boyle von der Vermischung von Schatten und gebrochenem Licht spricht, so kann man erkennen, dass sich die Vorstellung sich überlagernder, von den Gegenständen abstrahlender Lichtfarben, wie sie früher durch die species-Theorie vertreten wurde, in dieser Bemerkung modifiziert erhalten hat – allerdings ist sie nun zur Interferenz der von der (körnigen) Oberfläche unterschiedlich stark gebrochenen Lichtstrahlen umgedeutet worden. Farbe ist ganz auf die Seite der Wahrnehmung verlegt worden. Auch 182 183

Robert Hooke, Micrographia, or, Some Physiological Descriptions of Minute Bodies Made by Magnifying Glasses, With Observations and Inquiries Thereupon, London 1665, 74–75. In der Übersetzung Goethes, Farbenlehre, III.5, § 738. Im Original: Boyle, Experiments, 87: »Since I have not found that by any Mixture of White and True Black, (for there is a Blewish Black which many mistake for a Genuine) there can be a Blew, a Yellow, or a Red, to name no other Colours, produced, and since we do find that these colours may be produced in the Glassprism and other Transparent bodies, by the help of Refractions, it seems that Refraction is to be taken into the Explication of some Colours, to whose Generation they seem to concur, either by making a further or other Commixture of Shades with the Refracted Light, or by some other way not now to be discoursed.«

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Caspar Bartholin d. J. (1655–1738) beispielsweise, Sohn von Thomas Bartholin, dem Zeugen der iatrochemischen Augenoperationen Giuseppe Francesco Borris, hatte aufmerksam Robert Boyles Experiments and Considerations upon Colour studiert und war in seinen Specimen philosophiae naturalis (1692) von der Frage ausgegangen, »an quidam colores sint reales, quidam vero saltem apparentes?«184 Dementsprechend zeigt seine Antwort weniger ein Interesse an den stofflichen Eigenschaften der Körper als an der sensualistischen bzw. epistemischen Komponente der Farbwahrnehmung, denn »omnes colores aeque veri & reales sunt, imo stricte loquendo, nulli sunt reales in ipsis obiectis, quia extra oculum nostrum non sunt.«185 Und: »Realitas (…), quae coloribus tribuitur, non dependet nisi a judicio nostro.«186 Körper- und Pigmentfarben gehen im Lichtregime auf, d. h., sie unterstehen dem Licht, von dem sie zuvor als separat existent gedacht worden waren, so dass das neue Regime eines der Wirkung des (gebrochenen) Lichts auf die Wahrnehmungsorgane ist. Isaac Newtons Lektüre von Boyles Schrift über die Farbe, wie sie beispielsweise in MS Add. 3396, den Quaestiones quaedam philosophicae, deutlich wird, oder allgemeiner die Tendenz, von der chromatischen Differenzierung eines Seins auszugehen, das mit der Oberflächenstruktur der Körperwelt zu tun hat, legt die Betonung auf ein kontinuierliches Farbspektrum, das aufblitzt, sobald es aktiviert wird, aber darüberhinaus nur virtuell existiert. Mit Robert Boyle, mit Robert Hooke, mit den Mikroskopisten und natural scientists des 17. Jahrhunderts wird das Terrain der Sichtbarkeit neu erkundet. Es ist nicht eigentlich das Mikroskop, sondern ein mikro-skopisches Regime, d. h. eine das korpuskular-atomistische Materiekonzept ernstnehmende Auffassung der visuellen Wirklichkeit, die das Substanzdenken aufbricht beziehungsweise in ein vibrierendes Partikeluniversum auflöst. Im peripatetischen Denken besaß die physische Welt in ihrem Urzustand lediglich eine potentielle Sichtbarkeit, die mit dem Eintritt der beiden Entitäten Hell/Dunkel aktualisiert wurde, sich seitdem aus ihnen speist und in farbiger Vielfalt ausdrückt. Mit den frühen atomistischen Materie- und Formkonzepten Pierre Gassendis, Isaac Beeckmans (1588–1637), Kenelm Digbys, René Descartes’ etc., mit der instrumentellen Vorbereitung einer Mikrologie innerhalb der Medizin, Physik oder Biologie, wird dieser Vorstellung auch gar nicht widersprochen, sie wird nur vollkommen anders begründet und dabei umgewertet. In der Mikroskopie verschwindet die Farbe aus dem Bild so wie die Erde, wie Wasser und Luft im antiken Denken zunächst auch einmal weiß waren. Die bunten Blütenblätter, selbst das rote Blut – Zeichen vitalen Lebens schlechthin – verblassen unter dem Blick des Mikroskopisten zu transparenten Globuli-Clustern, kristallinen Gitter- oder hochporösen Netzwerkstrukturen. Entscheidend wird im weiteren, dass sich selbst noch die Erde in eine solche kristalline Struktur auflöst, dass sie transparent und farblos wird; dass sich praktisch überall Kristallbildungen finden lassen, die das weiße Licht, wie man nun immer mehr annimmt, aufbrechen, farbig machen. Und man kann an dieser Stelle Newtons Diktum 184 185 186

Caspar Bartholin, Specimen philosophiae naturalis, Kopenhagen 1692, 48. Ebenda. Kursivsetzung im Original. Ebenda.

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einer prinzipiellen Diaphanie aller Körper einbringen: »Denn die dunkelsten Körper werden vollkommen durchsichtig, wenn man sie in die feinsten Theilchen zerlegt.«187 Die Beobachtung, dass der Staub von zerriebenen Edelsteinen farblos wird, war zuvor schon von Anselm de Boodt (1550–1632) und einigen Alchemisten gemacht worden; inhaltlich aber markierte sie einen Rückbezug zur atomistischen Vorstellung einer farblosen Materie, wie sie unter anderem Lukrez in De rerum natura vorgetragen hatte: »Je kleiner man Dinge zerteilet/ Desto mehr sich die Farbe verliert, die endlich verschwindet/ So, wenn man Gold zerreibt zu feinem Staube, des Purpurs/ Glänzendes Rot zerlegt in die allerzartesten Fäden:/ Welches dir klar erweist, dass, ehe zum Stoffe sie kehren/ Alle die Teilchen zuvor aushauchen jegliche Farbe. (…) Also lernt man daraus, da nicht alles zu sehn uns vergönnt ist/ Dass es auch einiges gibt, was ohne die Farbe bestehn kann.«188 Der Beginn der Sichtbarkeit wird auf diese Weise ins Unsichtbare, d. h. auf eine die Farbwahrnehmung zwar auslösende, selbst jedoch farblose Struktur zurückverlegt. Heute wissen wir, dass die meisten Minerale allochromatisch, d. h. durch Spurenelemente eingefärbt sind. Es handelt es sich dabei um Atome oder Moleküle, die in sehr kleinen Mengen in das Kristallgitter integriert werden, sich aber deutlich auf die Lichtdispersion des Kristalls auswirken, sodass es durch Absorption, Streuung und Reflexion zur unterschiedlichen Färbung des Kristalls kommt. Doch auch die Eigenfarbe farbiger Minerale geht auf die elektromagnetischen Eigenschaften der Atome und/oder Moleküle des Kristallgitters zurück. Die Kristallographie als Wissenschaft aber wird erst im 17. Jahrhundert begründet, und sie bezieht sich zurück auf Demokrits Vorstellung atomarer Materiecluster sowie auf Platos Gedanken einer geometrischen Formierung des Kosmos und der Elemente. Für die natural scientists der neuen Farbtheorie ist die gesamte Welt zu einem einzigen Kristall geworden, d. h. zu einer einzigen aufgeworfenen Oberfläche mit verschiedensten Facetten, Schrägen, Rauheiten, Poren und Zerklüftungen, von den großen Gebirgszügen angefangen bis hinunter zu den Mineralien der Erde, zum Sandkorn, zum Pigment und hinein in die Mikrostruktur noch der kleinsten Materiepartikel. In Berührung mit Licht wird dieser Kristall zum Leuchten gebracht, selbst bleibt er farblos. Hatte die antike, mittelalterliche, frühneuzeitliche Farbtheorie also eine ursprünglich weiße Erde gekannt, die sich schrittweise einfärbte und eindunkelte, so hat die Mikroskopie des 17. Jahrhunderts rückwirkend zu einer Entfärbung und Lichtung der physischen Realität geführt. Für die Kunst (als Kunst der Pigmente) bedeutet es, dass sie nun derselben Logik untersteht wie die Natur selbst – über Natur und Kunst breitet sich dasselbe Licht aus, für beide werden dieselben optischen Gesetze geltend gemacht. Es gibt keine substantielle Trennung mehr (denn die Materie ist form- und qualitätsfrei geworden), und es ist nicht mehr die vitale Wärme, die Farbveränderungen wie an reifenden Früchten 187 188

Isaac Newton, Opticks, London 1704, II/3, 54: »For the opakest Bodies, if their parts be subtily divided, (…) become perfectly transparent.« Lukrez, De rer. nat., II, 830.

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hervorruft. Stattdessen bricht sich ein physikalisch gewordenes Licht an der körnigen Oberfläche, die sich aufwirft, vor- und zurückspringt, feinste Farbnuancen hervorrufend. Mit der Optisierung aber geht eine Materialisierung der Farbe einher, denn selbst das die Oberfläche streifende Licht wird als Ansammlung von Korpuskeln und damit als bewegte Materie verstanden. Vielleicht, um zum Stilleben zurückzukehren, von dem wir als einem genuinen Ort von Farbstudien ausgegangen waren, vielleicht wäre Jean Siméon Chardin (1699–1779) der Maler eines solchen Lichts und einer solchen Oberfläche (seine pelzigen Früchte werden nicht mehr von einem wärmenden Sonnenstrahl, sondern vom Atelierlicht gestreift), aber auch schon bei Willem van Aelst oder Simon Verelst rutscht die Farbe ins Register des Staubigen, Körnigen, Irisierenden, kurz: ins Pigment. Jenes Zusammenspiel zwischen trockener Materie, Luft und Licht jedenfalls war es, das Denis Diderot (1713– 1784) dazu brachte, vor Chardins Stilleben mit Olivenglas, das er im Salon von 1763 sah, staunend auszurufen: »Dieses Porzellangefäß ist wirklich aus Porzellan. Diese Oliven sind vom Auge wirklich durch die Flüssigkeit getrennt, in der sie schwimmen. Man braucht diese Biskuits nur nehmen und zu essen, die Pomeranze nur aufzuschneiden und auszupressen, dieses Glas Wein nur anzufassen und auszutrinken, diese Früchte nur zu ergreifen und zu schälen, diese Pastete nur zu nehmen und das Messer anzusetzen. Dieser Mann versteht die Harmonie der Farben und der Reflexe. O Chardin, das ist nicht weiße, rote und schwarze Farbe, die du auf deiner Palette zerreibst; das ist die eigentliche Substanz der Gegenstände, das ist die Luft und das Licht, die du mit der Spitze deines Pinsels aufnimmst und auf die Leinwand überträgst.«189

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Denis Diderot, »Salon von 1763«, in ders., Schriften zur Kunst, ausgewählt und mit einem Nachwort von Peter Bexte, Berlin 2005, 79 (»C’est que ce vase de porcelaine est de la porcelaine; c’est que ces olives sont réellement séparées de l’oeil par l’eau dans laquelle elles nagent; c’est qu’il n’y a qu’à prendre ces biscuits et les manger, cette bigarade l’ouvrir et la presser, ce verre de vin et le boire, ces fruits et les peler, ce pâté et y mettre le couteau. C’est celui-ci qui entend l’harmonie des couleurs et des reflets. O Chardin ! ce n’est pas du blanc, du rouge, du noir que tu broies sur ta palette : c’est la substance même des objets, c’est l’air et la lumière que tu prends à la pointe de ton pinceau et que tu attaches sur la toile.« Denis Diderot, »Salon de 1763«, in ders., Salons, hg. v. Jean Seznec & Jean Adhémar, 4 Bde., Oxford 1963–1979, I, 222). Zu Chardins »Lichtmalerei« und den optischen Debatten seiner Zeit vgl. Michael Baxandall, »Bilder und Ideen: Chardins Dame beim Tee«, in: ders., Ursachen der Bilder. Über das historische Erklären von Kunst, Berlin 1990, 123–162, sowie ders., Shadows and Enlightenment, New Haven & London 1995; Pierre Rosenberg, »Chardin, ›The Great Magician‹«, in: ders. & Renaud Temperini, Chardin, München, London & New York 2000, 11–18; Carolin Meister, »Das Stilleben als optisches Theater. Zur Reflexion von Newtons Theorie der Körperfarben in der Lichtmalerei Chardins«, in: Busch (Hg.), Verfeinertes Sehen, 133–150; zu Newtons Farbtheorie, der »Mannigfaltigkeit der Farben« und ihre Einheit durch »Licht und Luft« vgl. weiterhin Pietsch, »Farbentheorie und Malpraxis um 1800«, 18–21; zur Karriere der Trias der Primärfarben im 18. Jahrhundert vgl. Ulrike Boskamp, Primärfarben und Farbharmonie. Farbe in der französischen Naturwissenschaft, Kunstliteratur und Malerei des 18. Jahrhunderts, Weimar 2009.

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153 | Jean Siméon Chardin, Das Olivenglas, 1760, Öl auf Leinwand, 71 × 98 cm, Louvre, Paris.

Das Lob muss viel gelten, denn eigentlich hatte Diderot der Malerei die Fähigkeit abgesprochen, eine solche Harmonie der Farben und Reflexionen zu erzeugen. Nur in der Natur werde sie vollkommen erreicht, weil die Luft und das Licht alle Gegenstände zusammenbinden und in Beziehung setzen würden. Im Gegensatz dazu verharre die Malerei in ihrer Künstlichkeit, oder genauer, sie müsse sich jedes Mal am ontologischen Unterschied erproben, der sich zwischen den Pigmente einerseits und dem lebendigen Ensemble einer gegenständlichen Welt andererseits, eingetaucht in Luft und Licht, auftue. Was der Maler auf seiner Palette zusammenmische, sei eben kein Fleisch oder Blut, und vor allem kein Licht und keine Luft, sondern es seien Pulver, zerstoßene Erden und Mineralien: »Stellen Sie Gegenstände aller Art und von allen möglichen Farben ohne Ordnung vor sich hin: Leinwand, Früchte, Getränke, Papier, Bücher, Stoffe und Tiere. Dann werden Sie sehen, dass die Luft und das Licht, diese beiden universellen Harmonisten [›harmoniques‹], alle diese Gegenstände irgendwie durch unmerkliche feine Reflexe miteinander in Einklang bringen; alles bekommt dadurch Zusammenhang, die Kontraste werden abgeschwächt, und ihr Auge findet an dem Ganzen [›ensemble‹] nichts auszusetzen. (…) Was der Maler auf seiner Palette verreibt, ist [dagegen] nicht Fleisch, Wolle, Blut, Sonnenlicht und Luft der Atmosphäre, sondern Ton, Pflanzensäfte, kalzinierte Knochen, zerriebene Steine und Metallkalke. Daher rührt die Unmöglichkeit, die unmerklich feinen gegenseitigen Reflexe der Gegenstände wiederzugeben; für den Maler also verbleibt es bei den feindlichen Farben, die sich

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154 | Jean Siméon Chardin, Pfirsiche, Walnüsse und ein Glas Wein, 1768, Öl auf Leinwand, 32 × 39 cm, Louvre, Paris.

niemals miteinander versöhnen können. Daher hat auch jeder Maler eine Palette, eine Technik [›faire‹], ein Technisches [›un technique‹], die ihm eigentümlich ist. Worin besteht dieses Technische? In der Meisterschaft, eine Anzahl von Dissonanzen aufzulösen (…).«190 190

Diderot, »Salon von 1763«, 67–68. Der vollständige Absatz im Original: »Assemblez confusément des objets de toute espèce et de toutes couleurs, du linge, des fruits, du papier, des livres, des étoffes et des animaux, et vous verrez que l’air et la lumière, ces deux harmoniques universels, les accorderont tous, je ne sais comment, par des reflets imperceptibles ; tout se liera, les disparates s’affaibliront, et votre oeil ne reprochera rien à l’ensemble. L’art du musicien qui, en touchant sur l’orgue l’accord parfait d’ut, porte à votre oreille les dissonants ut, mi, sol, ut, sol, si, ré, ut, en est venu là; celui du peintre n’y viendra jamais. C’est que le musicien vous envoie les sons mêmes, et que ce que le peintre broie sur sa palette, ce n’est pas de la chair, de la laine, du sang, la lumière du soleil, l’air de l’atmosphère, mais des terres, des sucs de plantes, des os calcinés, des pierres broyés, des chaux métalliques. De là l’impossibilité de rendre les reflets imperceptibles des objects les uns sur les autres; il y a pour lui des couleurs ennemies qui ne se réconcilieront jamais. De là la palette particulière, un faire, un technique propre à chaque peintre. Qu’est-ce que ce technique? L’art de sauver un certain nombre de dissonances, d’esquiver les difficultés supérieures à l’art. Je défie le plus hardi d’entre eux de suspendre le soleil ou la lune au milieu de sa composition sans offusquer ces deux astres ou des vapeurs ou de nuages; je le défie de choisir son ciel tel qu’il est en nature, parsemé d’étoiles brillantes dans la nuit la plus sereine. De là la nécessité d’un certain choix d’objets et de couleurs; encore après ce choix, quelque bien fait qu’il puisse être, le meilleur tableau, le plus harmonieux, n’est-il qu’un tissu de faussetés qui se couvrent les unes les autres. Il y a des objets qui gagnent, d’autres qui perdent, et la grande magie consiste à approcher tout près de nature et à faire que tout perde ou gagne

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Dergestalt wird noch einmal über den Status der Farbe reflektiert, die eben beides sein kann: Natur und Kunst. Mit Diderot sind wir jedoch, was die Argumentation um den Stellenwert der Farbe angeht, auf einer anderen Ebene angekommen, denn den Pigmenten wird keine Verbindung zu den dargestellten Gegenständen mehr zugestanden; sie sind zerriebene Erden, zerstoßene Pflanzen, sprich: Material auf der Palette des Künstlers. Lediglich die »Technik« des Malers vermag es, den natürlichen Zusammenhang der Dinge in einen künstlichen zu übersetzen, der wiederum natürlich wirkt, »aber dann sieht man nicht mehr die wirkliche und wahre Szene, sondern sozusagen ihre Übersetzung [›traduction‹]«.191 Deshalb habe jeder Maler seine eigene »Palette«, d. h. eine ihm eigentümliche Technik oder Manier, und man könne ihm den Aufbau des Bildes grundsätzlich nicht vorschreiben. Das Auge der Kunst und das Auge der Natur befinden sich im steten Abgleich der Eindrücke und im ständigen Hervorbringen einer solchen »traduction«. Es ist deshalb nur konsequent, dass die künstlerische Übersetzungsleistung bald auf jede Sinnesleistung übertragen werden konnte, so dass das natürliche Auge, dessen Wahrnehmung Diderot noch beschwor, von einem künstlichen ersetzt und jede Perzeption zu einem veritablen Kunstakt wird. So ist vielleicht zu verstehen, wie es Louis-Sébastien Mercier (1740–1814) in seinem Épître à un ami Ende des Jahrhunderts möglich sein konnte zu sagen: »Ah! Wer verleiht der Sonne ihre wohltuende Wärme, dem Nachtstern seine einsame Schönheit, den Blumen ihre Farben, den Früchten ihren Geschmack, dem stummen Gehölz sein bezauberndes Rauschen? Es sind deine Sinne, mein Freund. Diese Könige der Natur sind die göttlichen Schöpfer deiner so reinen Sinnlichkeit. Dein Auge malt das Blau, das den Himmel färbt, dein Ohr formt die melodischen Klänge. Das Universum, ihrer süß wirkenden Magie beraubt, wäre ohne Farben und Leben doch nichts als ein Chaos. Du bist es, der auf dem Bild die Striche setzt: Die Welt ist eine leere Leinwand, und du führst den Pinsel.«192

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proportionnellement; mais alors ce n’est plus la scène réelle et vraie qu’on voit, ce n’en est pour ainsi dire que la traduction.« Diderot, »Salon de 1763«, 217. Diderot, »Salon von 1763«, 69. Zum neuen Konzept von »Technik« in der französischen Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts siehe den Aufsatz von Paul Taylor, »From Mechanism to Technique. Diderot, Chardin, and the Practice of Painting«, in: Dupré & Göttler (Hg.), Artificii Occulti; zur vorbereitenden Rolle Roger de Piles’ siehe u. a. Gita May, »Diderot et Roger de Piles«, in: Publications of the Modern Language Association 85/3 (1970), 444–455. Louis-Sébastien Mercier, Mon bonnet de nuit, 2 Bde., London 1798, I, 220 (»Epître à un ami«): »Ah! qui donne au soleil sa chaleur salutaire/ A l’astre de la nuit sa beauté solitaire/ Aux fleurs ce coloris, aux fruits cette faveur,/ Aux bocages muets leur concert enchanteur?/ Ce sont tes sens, ami. Ces rois de la nature/ Sont les dieux créateurs de ta volupté pure./ Ton œil peint cet azur qui colore les cieux,/ Ton oreille a formé ces sons mélodieux./ L’univers, sans leur douce & puissante magie,/ Ne seroit qu’un chaos sans couleur & sans vie./ C’est toi qui vas créer tous les traits du tableau:/ L’objet est une toile, & tu tiens le pinceau.«

M IMESIS IV DAS BILD ALS »EPHEMERON«. FARBE ALS AKZIDENS

155 | Mario Nuzzi und Giovanni Maria Morandi, Bildnis Mario Nuzzis (gen. Mario de’ Fiori)

beim Malen einer Vase mit Blumen, 1659, Öl auf Leinwand, 195 × 265 cm, ehemals Rom, Palazzo Chigi-Odescalchi, seit 1918 im Palazzo Chigi, Ariccia.

Das Bildnis Mario Nuzzis beim Malen einer Vase mit Blumen nimmt innerhalb der Geschichte der Stillebenmalerei eine herausragende Stellung ein, und das aus mehreren Gründen. Zum einen war der Maler beruflich eng mit seinem Onkel Tommaso Salini (1575–1625) verbunden, der in die Kunstgeschichte nicht nur wegen seiner frühen Vasenstilleben einging, sondern auch wegen seiner Rolle als »angelo custode«193 seines Freundes Giovanni Baglione (1566–1643) in der berühmten Verleumdungsklage gegen Onorio 193

Zu Salini und Caravaggio siehe u. a. Mina Gregori, »Una svolta per Tommaso Salini pittore di nature morte«, in: Paragone 15–16 (1997), 58–63; zu Baglione und Salini siehe: Maurizio

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Longhi (1568–1619), Caravaggio, Orazio Gentileschi (1563–1639) and Filippo Trisegni.194 Salinis Stilleben übten zu seiner Zeit einen großen Einfluß auf die noch junge Gattung der Stillebenmalerei aus. Bartolomeo Bimbi beispielsweise stand während seines Aufenthalts in Rom für einige Monate in Kontakt mit Salini, der 1620 von den Medici für seine Dienste mit einer goldenen Kette belohnt worden war. Sogesehen ist Nuzzis Gemälde ein Rückblick und eine Hommage an die römische Stillebenmalerei, die sich über seinen Onkel aus den Anfängen hervorgearbeitet hatte und deren wichtigster Protagonist er nun selbst war. Zum anderen führt uns Nuzzi darin das Verfahren der Stillebenmalerei vor, die natürliche Welt im Bild zu wiederholen. Doch inwieweit lässt sich im barocken Stilleben eine Bildtheorie von Mimesis finden? De Lairesse hatte Stillebenmaler einmal dazu angeraten, »Blumen auf Karten-Blätter oder Pappe so schlecht als ihr wollet« zu malen – und »wäre es auch nur ein einziger Flecken, von jeder Couleur.«195 Die ausgeschnittenen Blüten oder »Flecken« konnte man dann auf einem dunklen Laubgrund »wie es beliebig/ stellen, und dieselben ordnen und wieder versetzen, nach eurem eigenen Concepte.«196 Deshalb verdoppeln Stillebenmaler die Gegenstände der Natur nicht einfach, so De Lairesse, sondern bringen sie auf analoge Weise auf die Leinwand.197 Wirklich innovativ ist diese Malerei nicht, aber sie ist doch auch kein sklavisches Abkonterfeien der äußeren Realität – etwas was auch Roger de Piles ausdrücklich betonte, wenn er die wirkungsästhetische Seite der Malerei über die eigentliche Abbildungstreue stellte.198 Selbst in der Stillebenmalerei existiert

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Marini, »Il Cavaliere Giovanni Baglione pittore e il suo ›angelo custode‹ Tommaso Salini pittore di figure. Alcune opere ritrovate«, in: Artibus et Historiae 3/5 (1982), 61–74. Giovanni Baglione beschreibt Salinis Tätigkeit als Stillebenmaler in seinen Vite de’ pittori, scultori & architetti, Neapel 1733 [Rom 1642], 177: »Si mise a fare de’ fiori, e de’ frutti, e d’altre cose dal naturale ben’espresse; e fu il primo, che pingesse, ed accomodasse i fiori con le folie ne’ vasi.« De Lairesse, Mahler-Buch, XII, 392–393. Ebd., 393: »Alsdenn schneidet sie aus, und leget eine jede Couleur ordentlich à parte in kleine Dosen. Mahlet alsdenn einen großen Feston oder Bouquet auf ein Bret oder auf Pappe, mit dem Laube aufgemacht; worauf ihr gemeldete Blumen, wie es beliebig / stellen, und dieselben ordnen und wieder versetzen könnet, nach eurem eigenen Concepte. (…) Sammlet allerhand seidene oder papierene Blumen mit ihren natürlichen Farben von jeder Gattung einen Theil, deren Stiele von eisernem Draht gemacht, wieman sie bey den Zierrath oder Krantzmachern zu kauffen findet. Wenn man nun ein Bouquet (…) begierig ist zu verfertigen: so ordiniret und versetzet so denn die Blumen zu- und auf einander, von welcher Farbe sie sich am besten zusammen schicken.« Vgl. auch De Lairesses Ausführungen zur Licht- und Schattengestaltung im Stilleben: »Wir sagten im vorigen Capitel, dass ein rechtschaffener Blumen-Mahler die Perspectiv nothwendig inne haben müsste; wiewohl die meisten, welches zu bedauern, dieselbige nicht verstehen. (…) Daher es geschieht, dass sie sich nicht um die Perspectiv bekümmern, indem sie sich einbilden, wenn sie nur einen Aug-Punct haben, so sey es schon richtig, und dieses nicht der Blumen wegen, nein, sondern nur bloß wegen der Ecke eines marmornen Tisches oder eines Steines, worauf sie eine Flasche setzen, als ob es gleich viel wäre, es mögen auch die Blumen getaget oder geschattet werden, wie sie wollen, diese von der Seite, jene von fornen, eine von unten, und die andere von oben. Hieraus kömmt es, dass in ihren Stücken durchgehends mehr als ein AugPunct ist, ja offtmahls so viele als der Blumen selbst.« Ebd., 384. Roger de Piles, Dialogue sur le coloris, Paris 1699 [1673], 6: »La nature (…) n’est pas toujours bonne à imiter; il faut que le Peintre la choisisse selon les regles de son Art.«

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ein Modus des Möglichen, innerhalb dessen der Künstler produzierend (und nicht lediglich reproduzierend) verfahren kann. In Nuzzis Gemälde führt der mimetische Wiederholungsgestus in erster Linie dazu, Ähnlichkeiten zwischen Natur und Kunst herzustellen, aber diese Repetition ist ein langwieriger Prozeß und als solcher dem der Natur ähnlich, die jeden Frühling vergangene Formen aus dem Erdreich holt, um sie neu zu beleben. Der Künstler gleicht Flora insofern, als er verborgene Formen aus dem Malgrund befördert und deren Samen zur Entfaltung bringt, und er gleicht Apollon oder Aurora, weil er mit seinem Pinsel täglich jene Finsternis verscheucht, die sich über die Schöpfung legt und sie der Sichtbarkeit entzieht: »De claerheyt des lichts, na duysterheyts wijcken,/ Der verwen schoonheyt brenghet te voorschijne,«199 schreibt beispielsweise Van Mander, nachdem er die im 16. Jahrhundert wiederholt gestellte peripatetische Frage aufgegriffen hatte, ob es auch Farben in der Dunkelheit gebe: »Als die dunkle Tiefe bestand oder wie die Dichter sagen, das Chaos, bevor die Dinge in Ordnung waren, und die Luft ohne Licht, von der Dunkelheit verschlungen, dalag, da waren die Farben mit ihren verschiedenen Namen noch nicht vorhanden oder sie waren noch ganz verborgen, um sich nachher erst zu offenbaren. Immer dort wo die Dunkelheit das Licht unterwirft und im Kampf besiegt, werden diese Farben vertrieben, denn das Gesicht ist weder stark noch scharf genug, um die dichte schwarze Dunkelheit zu durchdringen. Doch behalten die Farben während dieser Zeit ihre eigene Schönheit, ohne sie zu verlieren, nur sieht man sie nicht in der Dunkelheit.«200 Joachim von Sandrart schließt daran mit den folgenden Sentenzen an: »Der Anfang/ als der weise Schöpfer alle Dinge/ was wir mit den Augen sehen/ hervorgebracht/ hat er erstlich/ durch hervorruffung des Liechtes/ das Chaos oder den vermängten Klumpen/ aus welchem alles erschaffen worden/ entdecket. In diesem Chaos, waren damals alle Farben beysammen und durch einander vermänget/ bis sie von einander gesondert worden. Nachdem auch alle Dinge ihre Gestalt bekommen/ werden sie doch durch die Nacht-Finsternis wieder verdecket/ und müssen täglich durch das Tagliecht wieder sichtbar werden.«201 Deshalb ist in Nuzzis Bildnis beim Malen einer Vase mit Blumen die Palette des Künstlers bzw. diejenige Stelle des Bildes, an der die in Farbe getauchten Pinselspitzen die gemalten Blüten berühren, der eigentliche Ort der Produktionskraft von Mimesis. Dort verwandelt sich die in Erdtönen grundierte Leinwandfläche in Picturas Acker. Wenig später hat De 199

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Van Mander, »Grondt«, XIII/6, 50v (»Die Klarheit des Lichtes bringt nach dem Schwinden der Dunkelheit die Schönheit der Farben zum Vorschein. Denn (…) es gibt kein Ding, das keine Farbe hätte.« Hoecker, Lehrgedicht, 287). Und: »Dagh-licht is bequaemst, de Verwen t’onderscheyden.« Van Mander, »Grondt«, XIII/6, 50v. Hoecker, Lehrgedicht, 287. Der vollständige originale Text ist vorhin schon zitiert worden. Van Mander, »Grondt«, XIII/3, 50r–50v. Sandrart, Teutsche Academie, I/3, 86.

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MIMESIS IV

Lairesse dem dunklen Untergrund der Stillebenmalerei eine besondere Adhäsionskraft zugesprochen, an dem die Farben, vor allem wenn sie »mit dem Grund und Couleur Gemeinschaft« haben, besonders »kleben«202 blieben. Braunes und grünes Blattwerk und Laub, so die bekannte Passage, würden stark am Untergrund haften, während sich die Blumen entsprechend ihrer Farbigkeit (von Blau angefangen über Rot zu Gelb) von ihm zunehmend zu lösen vermögen. Auch das kann man in Nuzzis Bild im Bild beobachten, vor dessen Leinwand die Blütenköpfe zu schweben scheinen. Eine Metallvase mit Blumen, heute in Paris in der Sammlung Canesso zu sehen, gehört zu den wenigen gesicherten Werken Mario de’ Fioris. Sie ist im selben Zusammenhang wie sein Bildnis beim Malen einer Vase mit Blumen als Auftragsarbeit für Flavio Chigi 1659 entstanden und Teil eines die vier Jahreszeiten umfassenden Zyklus. Festzuhalten wäre an dieser Stelle vor allem die Eigenart des farbigen Arrangements, sich aus dem Hintergrund nach vorne, zum Betrachter hin, zu entwickeln. Tatsächlich treten einzelne, distinkte Formen nur langsam hervor. Das Blattwerk hebt sich vom dunklen Grund kaum ab, obwohl das von oben streifenartig einfallende Licht erste Differenzierungen schafft. Auch die blauen Blüten haben wenig Anteil an dieser Sichtbarkeit, während sich Rot, Gelb und Weiß vom Untergrund abheben und zur Mitte des Bouquets hin gedrängtere, lichtvolle Farbinseln bilden. Die größte Strahlkraft besitzt das Stilleben in seinem Zentrum, an der Stelle, an der die Narzisse an die blutrote Anemone grenzt. Die Auswahl der Blumen – Hyazinthen, Narzissen, Adonisröschen – rufen Ovids Metamorphosen in Erinnerung, es geht bei Hyazinth, Narziss und Adonis um einen Tod in jungen Jahren (um Leben als ephemeron) und anschließende substantielle Verwandlungen. Dass damit zugleich die christliche Passionsgeschichte gemeint ist, wird deutlich, wenn wir unseren Blick auf die rechte Bildhälfte lenken. Der leuchtend rote Fruchtstand des Aaronstabs wurde seiner Giftigkeit wegen, was zu dieser Zeit ganz bekannt war, als Theriak gegen Schlangenbiss eingesetzt. Eine Passionsblume vervollständigt nicht nur den dominierenden Rot-GelbWeiß-Akkord des Gemäldes, sondern beschließt das Bouquet auch im ikonographischen Sinn. Ausgangspunkt und Gegenspieler der momenthaft aufscheinenden Inkarnation ist der dunkle Malgrund. Als solcher rückt er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ins Zentrum farbtheoretischer Überlegungen. »Braun/ ist aus Roht und Schwarz vermischt und die nächste an dieser.«203 Schwarz wiederum »ist der Gegensatz von Weiß/ und verdunkelt alles: gleichwie durch diese alles verhellet wird. Also ist sie eigentlich keine Farbe/ sondern vielmehr der Tod aller Farben./ (…) Doch ist sie auch das Bild der Beständigkeit/ weil sie unter allen Farben am längsten dauret./ (…) Ihr Element ist die Erde/ der Planet Saturnus, das Metall Bley/ die Jahrzeit der Winter/ die Complexion die Melancholische oder kalttrucken.«204 202 203 204

De Lairesse, Mahler-Buch, XII, 387. Sandrart, Teutsche Academie, I/3, 88. Ebenda.

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MIMESIS IV

156 | Mario Nuzzi, Metallvase mit Blumen, 1659, Öl auf Leinwand, Sammlung Canesso, Paris.

Die Formen aus dieser andauernden bleiernen Schwere zu befreien, ist Aufgabe des Künstlers. Er sieht in die Tiefe der Malmaterie hinein, die sich wie eine Erdscholle öffnet. Darin ähnelt er (die Vergleiche kennen wir) einem Bauern oder Gärtner, Bergarbeiter oder Alchemisten. Seine Bilder erscheinen flüchtig, der braune Grund verschluckt die Details und lässt die Farbmassen wie Edelsteine aus dem Dunkel hervorleuchten (das Bild als ephemeron). Nuzzi stellt sein funkelndes Stilleben auf eine Steinplatte, die Risse aufweist, aber der Witterung zumindest für einige Zeit widersteht, und lässt es von einem Lichtstrahl für diesen Moment bescheinen.

NACHWORT UND AUSBLICK

157 | Robert Rauschenberg, Mud Muse (1971), 153.5 × 132.1 cm, Moderna Museet/ Museum of Modern Arts Stockholm, 2013.

Mud Muse – Robert Rauschenbergs Installation von 1971 zeigt uns einmal mehr den primitiven Grund einer Genese, nun jedoch hinübergerettet ins elektronische Zeitalter, in dem Schlamm in einem Becken bei Geräuschen zu brodeln beginnt, und versehen mit der »Hoffnung auf eine glückliche Zukunft der Weltgesellschaft«, in der die Technologie human erscheint und eine Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Ingenieuren gefördert wird. So also hat der fertile Schlick erneut einen Ort gefunden, an dem Formationen wie aus dem Nichts entstehen oder aus dem Grund herausplatzen; hier allerdings geschieht

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NACHWORT UND AUSBLICK

dies interaktiv als Reaktion auf die eigenen schmatzenden Geräusche, die auf Tonband aufgenommen und in elektrische Signale umgewandelt wurden.1 Demgegenüber scheint der Titel unangebracht zu sein. Genesis wird in dieser Installation ja lakonisch auf die Formel »elektronischer Impuls trifft auf Materie« gebracht, und doch stellt ihr der Titel eine inspirierende Muse zur Seite, spricht also von einer Art Poietologie oder verspricht zumindest etwas, worüber man nachsinnen kann, über das man ins Grübeln oder gar ins Träumen verfällt: Mud Muse. Es ist eine Muse, die sich der Kreativität zuliebe in die tiefsten Niederungen begeben hat; in der Literatur wird immer wieder die »undeniably scatalogical texture« des verwendeten Bohrschlamms betont. Umgekehrt muss man sich fragen: Wann ist uns Schlamm schon einmal so schön erschienen? Vielleicht gehen Technologie und Träumerei in dem Moment zusammen, in dem sie in einen Automatismus münden, der, darin der Mechanik einer Spieluhr gleich, kleine harte Impulse in fließende Assoziationen überführt und Assoziationen in Phantasien. In Mud Muse jedenfalls hält sich keine Form, sie zerinnt oder zerplatzt, kaum ist sie an die Oberfläche getreten, um mit dem Geräusch ihrer Eruption die nächste zu erzeugen. In seiner ständigen Wiederkehr ist das Ereignis ebenso basal wie banal – es ist »part of the blurp, blap, blop of everyday life. Through its extraordinary uses of ordinary sound technology, Mud Muse expressed an attitude that the physical body is both endlessly provocative and endlessly mundane.«2 Die Immanenz kreativer Prozesse, die sich im Kreislauf zwischen Formbildung und Formlosigkeit ebenso erschöpfen wie ständig aufs Neue provozieren, war in der Diskussion des Naturbegriffs des 17. Jahrhunderts zwar angedacht, aber nicht zu Ende gedacht worden; es bedarf dazu einiger weiterer historischer Zäsuren. Der frühneuzeitlichen Naturtheorie zufolge diente Mimesis der Erhaltung der Form; jeder Verlust an Form war einem antimimetischen Prinzip geschuldet. Was bedeutet es nun für eine Bildtheorie, Darstellungen aufzuwerten, die erst dabei sind, ihre Gestalt zu gewinnen oder schon wieder im Begriff sind, sie zu verlieren? Eine Bildtheorie, die dem Potential des Bildgrunds, wenn man so will, mehr geschuldet ist als der distinkten Einzelform?

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»Despite their original concept of an entirely self-activating work, the collaborators found that the system needed to be triggered by an outside sound-base. Rauschenberg commissioned performance-artist Petrie Mason Robie to create a soundtrack of recorded material taken from daily life as the basis for Mud Muse‘s activation. Describing how it operated, Rauschenberg said, ›Mud Muse starts from sound: An impulse is turned into an electrical signal and then spreads out into three other breakdowns, depending on its dynamics. Then each of those splits off in three ways.‹ Microphones located close to the tank were installed on the ceiling or on a nearby wall to protect them from mud splashes. Soundtracks of the base track, and of the eruption sounds of the work itself, played underneath the tank and were selected electronically by an apparatus controlling a pneumatic system comprised of air inlets, air pressure sources, and solenoid valves powered by electricity.« Rebekah J. Kowal, »Mud Muse«, 1998 (http://artnode. se/artorbit/issue3/f_merge/f_merge.html). Jasmin Mersmann hat mich darauf aufmerksam gemacht. Ebenda.

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NACHWORT UND AUSBLICK

Will man eine Kunstgeschichte der Form »von Grund auf entwickeln« – Begriffe wie »Kunst« und »Form« und »Grund« jedes Mal verstanden als historische Konzepte, nicht als zeitlose Größen -, und interessiert man sich für die unterschiedlichen Stimmen, die dabei entweder ein dynamisches Wirkprinzip oder umgekehrt eine stabile Schöpfung verteidigen, so wird deutlich, dass es sich dabei um zwei Denkbewegungen handelt, die sich notwendig aufeinander beziehen müssen. Sie lassen sich nur zusammen erzählen. Und doch hat die Thematisierung beispielsweise des Bildgrunds oder -felds eine weniger bekannte Kunstgeschichte geschrieben als die der Form, die darauf entsteht. Das ungleich gewichtete Verhältnis spiegelt sich ja auch in demjenigen von disegno und colore als den zwei Prinzipien wieder, die Malerei konstituieren. Der historische Vorrang von Umriss bzw. Zeichnung über Farbe entspricht dem des Geistes über die Materie, des Konzepts über das Material, aber auch dem der herausgelösten Einzelform über das Kontinuum. Was allerdings ist überhaupt gemeint, wenn man vom Bildgrund der Malerei spricht: Handelt es sich dabei um den Bildträger? Um die Imprimitur? Um den Hintergrund? Um einen homogenen Farbauftrag (campo) oder um mehrere sich überlagernde campi, die im Sinne des Vor- und Hintereinander ein rilievo erzeugen? Oder ist mit dem Bildgrund nicht eher ein Bildfeld oder gar ein Raster, d. h. eine relationale Bildstruktur gemeint? Wird der Bildträger vor allem als Fläche verstanden, die patchworkartig gefüllt wird? Jeroen Stumpel beispielsweise hat für die italienische Malerei des 16. Jahrhunderts jene Vorliebe herausgearbeitet, keinen Grund mehr zu zeigen, sondern die Bildfläche mit Figuren zu füllen und ihnen sogar die Rolle der Perspektive nachzuordnen. Oder handelt es sich im Gegenteil um jenen »Acker« der Malerei, der im ersten Teil dieses Buches vorgestellt wurde, und damit um ein Herausarbeiten und Entfalten der Formen aus der Tiefe, wie es mit Nachdruck u. a. die Maler der sottoboschi und Naturstücke des 17. Jahrhunderts taten? Mit den jeweiligen Bildkonzepten sind unterschiedliche mimetische Ansprüche verbunden, so dass Samuel van Hoogstraten bereits den Abdruck eines Blattes mit Farbe auf die Leinwand in seine Kunsttheorie aufnehmen konnte, als primitive Stufe von Wirklichkeitsabbildung. Innerhalb des mimetischen Modells, das Van Hoogstraten entwirft, wird der feuchte Naturabdruck zwar von der plastischen Modellierung der Gegenstände durch Licht und Schatten und weiter von einer illusionistischen Räumlichkeit übertroffen, doch ist es im Grunde jene gratige Oberfläche des zurückgelassenen Reliefs, die als Kleinstformel des stufenweisen Herausarbeitens aus dem Grund bildkonstitutiv wird. Sie markiert den Übergang zur Form und weiter zum Gegenstand und Raum, sozusagen als erste Spur einer eingezogenen Differenz des Bildgrunds. »So wie der Grund ein darauf errichtetes Gebäude, kann das Feld, wenn es ein Acker ist, Frucht tragen«3, hat kürzlich Wolfram Pichler resümiert und dabei bereits auf die Notwendigkeit hingewiesen, differenzierende Überlegungen zusammenzutragen: »Indessen steht eine eingehende kunsthistorische Debatte zum Thema Bildfeld noch aus.

3

Pichler, »Kunstgeschichte des Bildfeldes«, 440.

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NACHWORT UND AUSBLICK

Sie hätte zu zeigen, dass das Fach Kunstgeschichte auf mehr oder weniger reflektierte Weise mit einer Reihe von – zum Teil recht verschiedenartigen – Feldbegriffen operiert.«4 Worin aber besteht der Unterschied zwischen, sagen wir: Grund, Acker und Feld? »Am Bezug einer Figur auf einen Grund interessiert nicht zuletzt, ob und wie sich die Figur davon abhebt oder daraus hervortritt. Man kann sich den Grund als Geburtsstätte, als Bergungsort oder Grab von Figuren vorstellen, die aus ihm zur Erscheinung kommen oder in ihn zurücksinken; seine Dimension ist, so gesehen, die Tiefe. Dagegen wird mit Blick auf das Feld, obwohl es keineswegs flach sein muss, eher nach dessen Weite oder Ausdehnung gefragt und auf die jeweilige Stellung von Figuren geachtet. Tritt diese oder jene Figur überhaupt ins Feld ein? Und, wenn ja, an welcher Stelle? Hier geht es nicht so sehr um das Erscheinen oder Entschwinden von Figuren als solches, sondern um die Position, an der sie zur Erscheinung oder zum Einsatz kommen, und um die Abhängigkeit der Qualität ihres Erscheinens und Wirkens von ihrer jeweiligen Position.«5 Im Gegeneinandersetzen und Abwägen der unterschiedlichen formalen und semantischen Spektren von Grund- und Feldbegriff kann man zum Schluß kommen, dass sich die beiden Konzepte für eine Beschreibung unterschiedlicher Tendenzen des 17. Jahrhunderts eignen, weil sich über einen längeren Zeitraum hinweg eine gewisse Abfolge in ihrer Gewichtung beobachten lässt. Hier hilft unter anderem das Oppositionspaar, das eben eingeführt wurde: So zeichnet sich der Bezug zwischen Figur und Grund vor allem durch die Vorstellung von Tiefe aus, aus der heraus etwas erscheint oder in die etwas zurückfällt oder eingeschlossen wird, während der Feldbegriff mit Vorstellungen von Weite operiert und auf ein relationales Nebeneinander (von Orten, Figuren, etc.) verweist. Auch sind verschiedene Temporalitäten damit verbunden: Im graduellen In-Erscheinung-Treten oder Zurückweichen thematisiert sich Prozesshaftigkeit, also der generische Aspekt von Formwerdung und -verlust, während das Feld seine eigentliche Aufgabe – nämlich das Aufzeigen von Relationen – im Modus der Gleichzeitigkeit am besten erfüllt. Natürlich handelt es sich dabei um Tendenzen, denn auch dem Feld unterliegen temporale Strukturen; zum Beispiel kann es sukzessive besetzt oder aktiviert werden (im Sinne eines »Feldzugs«), mit dem Ergebnis, dass sich immer neue Konfigurationen oder Konstellationen ergeben. Im Gegensatz dazu erweist sich der Bildgrund als ein Kontinuum, aus dem heraus sich raumzeitliche Strukturen überhaupt erst entfalten können, also als etwas, das ihnen vorausgesetzt ist. Barocke Stilleben und Naturstücke können auf beides gegründet sein, auf Acker und Feld. Wir haben die Diskussion verfolgt, inwiefern im 17. Jahrhundert mimetische Strukturen des Bildes als ein biotisches Vermögen zur Reproduktion verstanden werden konnten und den Maler dazu eine virtuelle Tiefendimension des Bildträgers bereitgestellt wurde. Gegen Ende des Jahrhunderts jedoch, nicht zuletzt hervorgerufen durch ein verändertes Materiekonzept, zeichnet sich ein Wandel ab, und die künstliche Wiedergabe der

4 5

Ebenda. Ebd., 441.

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Gegenstandswelt erzeugt häufig ein temporäres Bild, das oberflächlich und bis zuletzt ungreifbar erscheinen muss – so sitzt die Farbe als farbiges Reflexlicht scheinbar lose auf den Häuten und Schalen der Früchte der Stilleben, sie wird beim geringsten Wechsel des Standorts wandern. Voraussetzung ist die Proklamation eines neuartigen Partikeluniversums, wie sie im zweiten Teil des Buches vorgestellt wurde: Derart lässt sich eine enge Verschränkung von Bildfeld und Einzelelement andenken, die durchgängig aufeinander verweisen, weil Pigment, Korpuskel oder Atom nicht nur das einzelne Bildelement konstituieren, sondern das gesamte Feld. Allerdings ging es in dieser Studie nicht alleine um die Diskussion des Stillebens als Ort mimetischer Strukturen, sondern parallel dazu auch darum, das darin eingelagerte Konzept einer (al-)chemischen Bildtheorie zu rekonstruieren, das zur Entstehung der Gattung beitrug oder zumindest früher Bestandteil ihrer Deutungen sein konnte. Ende des Jahrhunderts war sie von einer physikalisch-optischen buchstäblich überstrahlt worden, wie man es am besten noch einmal anhand der zeitgenössischen Farbdiskussionen sehen kann. Im Hintergrund steht eine Aufwertung der geometrischen Optik seit dem 16. Jahrhundert, die nun ihren regelmäßigen Platz in der naturphilosophischen Traktatliteratur fand, sowie eine Optisierung der Wahrnehmung, die sich beispielsweise in der verstärkten Diskussion ephemerer Erscheinungen wie sich verändernder Lichteinfälle, reflektierender Farben, wechselnder Perspektiven etc. wiederspiegelte. Diese entstehen als spezifische Konstellationen innerhalb eines ansonsten indifferenten Felds aus Korpuskeln und Atomen. Demgegenüber war das alchemische Modell eines gewesen, das sich von Anfang an innerhalb eines polaren Schemas bewegte und von Metaphern der Geburt, des Todes, der Grablegung und Auferstehung geprägt war. So scheint es konsequent, dass es sich häufig des Bildgrunds und seiner Tiefendimension bedient, der ein räumliches Davor und Danach, ein zeitliches Vorher und Nachher, einen ontologischen Ausgangs- und Endpunkt kennt (wenngleich sie zirkulär aufeinander bezogen sind). Tatsächlich geht es dabei ja in erster Linie um die Überführung qualitativ verschiedener Materie ineinander, mit dem Ziel einer Transsubstantion am Ende der meist langen Transformationskette. Picturas Acker produziert Formen aus der fertilen Bildtiefe heraus, und zur Beschreibung seiner Kreativität werden biologische und (al-)chemische Metaphern gebraucht, während die Reproduktionsfähigkeit eines atomaren Felds mechanisierte bzw. dynamisierte Züge aufweist. So jedenfalls stelle ich mir die Fortpflanzungskraft vor, die, durch ein solches Feld geschickt, in einer Art Kettenreaktion jedes Element mit dem nächsten in Verbindung setzt und konstellativ einrasten lässt. Jeder Punkt des Bildfelds partizipiert am Bildfeld als Ganzem, d. i. als einem Netzwerk sinnlicher Daten, die wechselweise aufeinander reagieren. Eine solche subtile Organisation der Bildfläche, die sich quasi eigenregiert, indem sie durchgehend einer Lichtregie folgt, einer einzigen Perspektive, einem bestimmten Augenblick, ist an die situative Wahrnehmung eines Betrachtersubjekts gebunden; sie geht in eine Wahrnehmungspsychologie über. Der ständige Rückverweis auf die eigene Empfindung oder Erfahrung im Wahrnehmen des Äußeren und die damit verbundene Frage, ob unsere Anschauung transzendental begründet ist oder aber in einem autopoietischen System mündet, wird zum Streitpunkt der nachfolgenden Jahrhunderte werden. In letzterem gibt es keine Trennung

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NACHWORT UND AUSBLICK

von Erzeuger und Erzeugtem mehr, denn die Prozesse sind rekursiv organisiert. Womit wir schon beinahe bei der mundanen Muse Rauschenbergs angekommen wären, die im Schlammbecken lustige Blasen aufsteigen und platzen lässt, und zwar als Reaktion auf die eigenen dadurch verursachten Geräusche. Aber wie einst in barocken Bildern Kunstwerke und Seifenblasen vor einem dunklen Grund aufsteigen, haben die Ingenieure, ungeachtet des ursprünglichen Konzepts eines vollkommen selbstorganisierten Kunstwerks, eine Tonaufnahme eingesetzt, die die Installation überhaupt in Gang setzt.

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S CALA NATURÆ

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SGANARELL: »Ich verstehe sehr wohl, dass unsere Welt kein Champignon ist, der ganz von allein in einer Nacht emporgeschossen ist. Ich möchte Sie gern fragen, wer all diese Bäume gemacht hat, diese Felsen, diese Erde und diesen Himmel, da über uns, – ob das alles von selbst entstanden ist. Sie zum Beispiel, wie Sie hier vor mir stehen – haben Sie sich ganz allein selber gemacht, und musste nicht Ihr Vater Ihre Mutter schwängern, damit Sie entstünden? Können Sie all die Teilchen sehen, aus denen die Maschine Mensch zusammengesetzt ist, ohne zu staunen, mit welcher Kunst da eines dem andern angepasst ist? Diese Nerven; diese Knochen, Venen, Arterien, Lungen, Herz, Leber und all die andern Organe, die … O, bitte, unterbrechen Sie mich doch, wenn’s Ihnen recht ist.« DON JUAN: »Ich warte, bis dein Vortrag zu Ende ist.« SGANARELL: »Mein Vortrag will sagen, dass – Sie mögen behaupten, was Sie wollen – an dem Menschen etwas Wunderbares ist, das alle Gelehrten nicht erklären können. Ist es nicht wunderbar, dass ich, der ich hier stehe, in meinem Kopf etwas habe, das hundert verschiedene Dinge in einem Augenblick denkt und meinen Körper alles machen lässt, was er will? Ich will in die Hände klatschen, ich will die Arme ausstrecken, die Augen zum Himmel erheben, zur Erde senken, die Füße bewegen, nach rechts gehen, nach links, vorwärts, rückwärts, mich umdrehn …« (Er stolpert und fällt hin). DON JUAN: »Das hast du von deinem Vortrag – eine blutige Nase.« Molière, Don Juan, 3. Akt. 1. Szene.

ANHANG

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B IBLIOGRAPHIE

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PERSONENREGISTER

Abati, Baldo Angelo 203 Aelian 30, 31 FN 52 + 54 Aelst, Evert van 9 FN 4 Aelst, Jan van 9 FN 4 Aelst, Willem van 9, 9 FN 4, 5 FN 4, 11, 11 FN 6, 14, 15 FN 15, 164, 170 FN 331, 172, 172 FN 335, 304 FN 87, 415 Aesop 270 Aguilonius, Franciscus 385 FN 115, 389, 409 FN 177 Aldrovandi, Ulisse 29, 54–55, 100, 123, 218 FN 73, 270, 273 FN 40 Alexander von Aphrodisias 362 Allen, Thomas 382 Andreini, Giovan Battista 308–309 Angel, Philips 363 Apelles 130, 316, 371, 395 Apollonios Rhodius 189, 189 FN 22 Apollonios von Perge 39 Aratos von Solois 120 Archimedes 39 Aristarchos von Samos 39 Aristoteles 18, 32 FN 54, 34–35, 36 Fn 65, 37 FN 69, 38–40, 42–43, 44 FN 81, 45, 47, 49 FN 90, 50, 52 FN 95, 54–57, 65, 66 FN 122, 76 FN 141, 89, 98–99, 105, 108, 110, 113 FN 231–232, 114, 118–119, 122 FN 247, 161–162, 180 FN 3, 2205, 208, 270, 273 FN 40, 331, 339, 340 FN 22, 341–343, 345, 347, 350, 361 FN 65, 362, 370, 373, 382, 387 FN 121, 407 Ast, Balthasar van der 52–53, 62 FN 113, 172 Athenion von Maronea 371 FN 86, 373 Augustinus 57 FN 103, 102 FN 208, 270 Aurach, Georgius 289 Bachofen, Johann Jakob 93 FN 185, 94, 94 FN 187, 95, 95 FN 194, 95 FN 197, 96, 103 Baglione, Giovanni 419, 419 FN 193, 420 FN 194 Bartholin, Caspar 413

Bartholin, Thomas 271, 271 FN 32, 272, 272 FN 35, 274, 413 Bate, John 235, 398, 398 FN 148 Beccafumi, Domenico 258 Beeckman, Isaac 413 Begeyn, Abraham 277 Bella, Stefano della 202–203 Bellori, Giovanni Pietro 321, 322 FN 116, 324 Benjamin, Walter 91, 92 FN 177, 93, 93 FN 185, 94, 94 FN 185, 95, 95 FN 194, 95 FN 197, 96, 103 Berchem, Nicolaes 114–115 Beurs, Willem 333 FN 6, 346 FN 37, 355 FN 54, 358, 360 FN 61, 368 FN 78, 374 FN 93, 377, 397 FN 146, 402 FN 155, 410, 411 FN 179 Bie, Cornelis de 19, 33 Bimbi, Bartolomeo 350, 350 FN 45, 351, 356, 420 Bloemaert, Abraham 305, 307 Boerhaave, Herman 144 Böhme, Jakob 141 FN 281, 285 Boodt, Anselmus de 17 FN 22, 62 FN 112–113, 4409 FN 177, 414 Borch, Ole 140 FN 280, 271–273, 318 FN 112 Borelli, Giovanni 206 Borelli, Pietro 318 Borinski, Karl 91, 92, 92 FN 177, 92 FN 179, 93–94 Borri, Giuseppe Francesco 125, 140, 142–144, 271–275, 277, 312, 400, 413 Bosschaert, Ambrosius d. Ä. 62 FN 113, 128, 135 FN 272, 172, 297–298, 300, 368 Bosschaert, Ambrosius d. J. 359–360 Bosse, Abraham 203–204 Boyle, Robert 59 FN 104, 61, 138 FN 274, 263 FN 16, 397 FN 146, 408–413 Boym, Michal 212, 215, 216 FN 68 Bredero, Gerbrand 85 Broeck, Elias van den 5, 111–113, 130, 159–160, 168–170, 170 FN 333, 171–172, 246, 335 Browne, Sir Thomas 32 FN 54

470

PERSONENREGISTER

Brueghel, Jan d. Ä. 122 FN 246, 297, 299–303, 304 FN 86, 368 Brune, Johan de 260 FN 6 Buonanni, Filippo 48–49, 60 Calcagninus, Caelius 340 Caravaggio 184–185, 208, 227–228, 419 FN 193, 420 Cardano, Gerolamo 54, 65 FN 120 Castiglione, Baldassare 101 FN 207 Cellini, Benvenuto 258 Cennini, Cennino 74–75 Charas, Moyse 200, 203–205, 212 FN 60 Chardin, Jean Siméon 415–417 Chigi, Flavio 1, 419, 422 Chrysipp 110 FN 228, 119 Chrysoloras, Manuel 98, 99 FN 204 Comenius [Johann Amos Comenius] 71, 141 FN 281, 271 FN 33 Coosemans, Alexander 357 Coster, Samuel 85 Croll, Oswald 214–215 Cuyp, Jacob Gerritsz. 135–136 Demokrit 35, 341, 341 FN 27, 342 FN 27, 344, 345 FN 32, 347, 349, 414 Descartes, René 17, 63 FN 115, 64, 66 FN 123, 70 FN 128, 106, 107, 140 FN 279, 143, 207 FN 54, 363 FN 69, 380, 404, 407, 413 Diderot, Denis 415–418 Digby, Sir Kenelm 39, 61, 107, 125, 137, 142–143, 219 FN 73, 259 FN 5, 281, 290, 296, 313, 317, 318 FN 112, 319–321, 324–325, 332 FN 2, 376 FN 101, 381, 389, 395, 412–413 Digby, Venetia 319–320, 322–328, 393 Dio Cassius Cocceianus, Lucius 200 Diogenes Laërtius 109 Dionysios von Halikarnassus 372 Dioskorides 78, 191, 195, 218 FN 73, 223 FN 76, 228, 232, 233–234, 241 FN 122, 243 FN 126, 244, 262 FN 11, 273 FN 40 Dobrzenski, Jacques 313 Dodoens, Rembert 236–239, 241–243 Dolce, Lodovico 115, 118 Dyck, Anthonis van 258, 258 FN 5, 259 FN 5, 317, 319, 320, 320 FN 115, 321, 322, 322 FN 116, 323–324, 324 FN 118, 324 FN 119, 325–328, 391, 391 FN 135, 392–393, 393 FN 138, 393 FN 141, 394

Elsheimer, Adam 250–253 Elsholtz, Johann Sigismund 235 Empedokles 8, 35, 35 FN 62, 35 FN 63, 35 FN 64, 36 FN 65, 36 FN 67, 38 FN 72, 44 FN 81, 45 FN 81, 67 FN 126 Erasistratos 39 Eratosthenes 39 Espagnet, Jean d’ 268 FN 25 Euklid 39 Eversdijck, Cornelis 260 FN 6 Eyck, Jan van 257, 257 FN 1 Félibien, André 164 FN 322, 165–166 Fierens, Jacob 259–260 Flamel, Nicolas 285 Flegel, Georg 171, 300–301 Fletcher, Giles 308 Fontana, Felice 205 Forchont, Willem 173, 174 FN 337 Gaffarel, Jacques 313 Galen 27 FN 45, 39, 191, 194–195, 198 FN 36, 200, 215 FN 66, 232 FN 99, 233, 243 FN 128 Galilei, Galileo 206 Gassendi, Pierre 17, 17 FN 22, 61, 62 FN 112, 63 FN 115, 64, 66, 66 FN 123, 67, 67 FN 125, 69, 70 FN 128, 83, 106–107, 404, 406, 413 Gentileschi, Orazio 420 Gesner, Conrad 130 FN 264, 141 FN 281, 191, 198 FN 36, 279 FN 50 Gheyn I., Jacques de 139 FN 277 Gheyn II., Jacques de 139 Giordano, Luca 92 Goedaert, Johannes 23–24, 67, 69, 123–128, 138, 144, 172, 218 FN 73, 259–260, 262–263, 266–271, 275, 297 Goeree, Willem 259, 336, 366 Goltzius, Hendrick 258 Gool, Jan van 124 Goyen, Jan van 86, 86 FN 165, 87–89, 104 Graauw, Hendrik 9 Grotius, Hugo 309 Guillemeau, Jacques 273 FN 39 Haecht Goidtsenhoven, Laurens van 20–21 Hale, Matthew 107 Harriot, Thomas 381–382 Harsdörffer, Georg Philipp 313 Harvey, William 17, 56, 57 FN 101, 60 FN 106, 61, 90, 107, 137, 332 FN 2 Heem, Cornelis de 338–339 Heem, Jan Davidsz. de 13 FN 12, 15 FN 15, 19–20, 147–149, 152, 154, 156, 158 FN 310,

471

PERSONENREGISTER

164 FN 321, 165, 170–172, 277, 278 FN 50, 340, 361, 366 FN 73 Heemskerck, Maerten van 27, 29 Heer, Margaretha de 128–129, 131–132, 132 FN 268, 147, 149, 159 Heer, Willem de 132 Helmont, Johan Baptista van 17, 17 FN 22, 32 FN 54, 58 FN 104, 60 FN 106, 215 FN 66, 296 FN 78, 331 FN 1 Helt, Nicolaes van [Stockade] 10, 142 Herophilos von Chalkedon 39 Hesiod 189 Hinz, Georg 172, 379 Hippokrates von Kos 39 Hobbes, Thomas 107 Hoefnagel, Joris 23 FN 32, 62 FN 113, 123, 128, 130, 130 FN 264, 131, 219 FN 73, 245, 268 FN 26, 300 Hollar, Wenceslaus 392 Hooft, Pieter Cornelisz. 85 Hoogstraten, Samuel van 18, 22, 86, 86 FN 165, 88–99, 101, 101 FN 207, 119, 163, 164 FN 321, 165, 165 FN 325, 332–335, 366–376, 377 FN 102, 379, 381, 394–395, 395 FN 144, 396 Horaz 270, 322 FN 116 Houbraken, Arnold 9–10, 13, 14, 15 FN 15–16, 16, 18 FN 25, 19 FN 25, 33, 86, 88, 141, 142 FN 283, 170, 374 FN 93 Houbraken, Nicola van 352–353, 355 Hudde, Johannes 24 FN 32, 139–140, 140 FN 279, 142, 144, 146 FN 293 Huygens, Christiaan 39, 138–139, 398 FN 149, 404, 411, 411 FN 180, Huygens, Constantijn 139, 185–186, 186 FN 16, 275 Isidor von Sevilla 284 Janssens, Abraham 174 Japicx, Gysbert 132, 132 FN 268 Jonghe, Adriaen de [Hadrianus Junius] 27–29, 78 Jonston, Jan 54, 133 Juncker, Justus 374 Junius, Franciscus 99, 104, 140 FN 279 Juvenal 324 FN 119, 327 Kalf, Willem 11 FN 6 Kampen, Jacob van 9 Kant, Immanuel 143 Kepler, Johannes 382 FN 107, 398 Kessel, Jan van 121, 122 FN 246, 146 Khunrath, Conrad 304 FN 86 Khunrath, Heinrich 275–276

Kick, Cornelis 170, 170 FN 333, 171–172 Kilianus, Cornelis 336 FN 14 Kircher, Athanasius 17, 60–67, 83, 106–107, 125–126, 128, 137, 140 FN 280, 143–144, 152, 212–217, 219–222, 268, 305, 312–314, 331, 406 Kleist, Heinreich von 310 Knipbergen, François van 86, 86 FN 165, 88–89 Konrad von Megenberg 270, 270 FN 28, 279 FN 50, 382 FN 108 Ktesibios 39 Lachtropius, Nicolaes 25–27, 128, 304–306, 310 Lacinius, Janus 285 Lairesse, Gerard de 20, 26, 32 FN 53, 336, 364, 366, 368, 378, 387, 394 FN 142, 396, 397 FN 146, 420, 422 Lanzi, Luigi 183 Laurent, Joseph Nicolaus 205 Leeuwenhoek, Antoni van 17 FN 22, 61, 143–144, 145 FN 290, 146 FN 293 Liberalis, Antoninus 189 Liceti, Fortunio 17, 61, 61 FN 108, 65 Ligozzi, Bartolomeo 356 Line, Francis [Francis Hall] 381 Lobelius 54, 243–244 Longhi, Onorio 419–420 Lonicer, Adam 27 Lorme, Anthonie de 259 FN 6, 260 FN 6 Lucan 189 Lukrez 31 FN 52, 64 FN 118, 66 FN 123, 66 FN 124, 67, 67 FN 124, 68, 107 FN 220, 414 Macrobius [Macrobius Ambrosius Theodosius] 284 Maerlant, Jacob van 270 Magalotti, Lorenzo 201 Malpighi, Marcello 61, 144–145 Mander, Karel van 233 FN 104, 257, 332, 337, 346, 346 FN 37, 347–348, 348 FN 40, 359 FN 60, 361–362, 363 FN 69, 366, 367 FN 77, 368, 368 FN 77, 375, 375 FN 95, 376 FN 98, 421 Marci von Kronland, Johann Marcus 61, 62 FN 113, 63, 63 FN 115, 398 FN 149 Marrell, Jacob 171–172 Mattioli, Pietro Andrea 234, 243 FN 126 Mattioli, Rocco 140, 271, 274 Mayerne, Théodore Turquet de 107, 126, 244 FN 133, 273 FN 40, 389 Medici, Anna de’ 274 Medici, Cosimo I. de’ 183 Medici, Cosimo III. de’ 14, 138, 145, 182 FN 335

472

PERSONENREGISTER

Medici, Ferdinando I. de’ 185 Medici, Ferdinando II. de’ 13, 15, 25, 145, 182, 184, 194, 198, 206, 216 FN 68 Medici, Francesco Maria de’ 356 Medici, Gian Carlo de’ 10, 11 FN 6, 13, 17 FN 23, 164 Medici, Leopoldo de’ 11 FN 6, 13–15, 105, 199, 206, 207 FN 54 Meister der Grotesken Vase 302 Melchisédec Thévenot 138 Mercier, Louis-Sébastien 418 Merian d. Ä., Matthäus 171 Merian, Maria Sibylla 24 FN 33, 132, 147, 171–172 Michelspacher, Stephan 288 Mignon, Abraham 5, 13 FN 12, 79, 147 FN 297, 148, 151–158, 160, 170 FN 331, 171–172, 210, 277, 278 FN 50 Milton, John 305, 307–310, 327 Monconys, Balthasar de 22–24, 55, 125, 137–143, 259–260, 262–263, 270–271, 272 FN 34, 273 FN 39, 313, 348 Monte, Francesco Maria del 184 Morandi, Giovanni Maria 1, 419 Mouffet, Thomas 109 FN 222, 129–130, 130 FN 264, 131, 144 FN 291 Musschenbroek, Johann Joosten van 337 Musschenbroek, Pieter van 337 Newton, Isaac 64, 263 FN 16, 268 FN 25, 337–338, 382, 384, 397–399, 404, 405 FN 168, 411, 413 Nijenhof, Andries Pietersen 131 Nikander von Kolophon 189–192, 194 FN 30, 195–196, 198, 223 FN 76 Nuzzi, Mario [Mario de’ Fiori] 1–2, 303, 356, 364, 419–423 Olaus Magnus 54 Oldenburg, Henry 61, 138 FN 274, 142 Oosterwijk, Maria van 147, 172 Orosio, Paolo 200 Ovens, Jürgen 140–141 Ovid [Publius Ovidius Naso] 30, 188–190, 251, 422 Panofsky, Erwin 93 Paracelsus 122, 141 FN 281, 215, 249, 262, 264, 273 FN 39, 277 FN 50, 295, 316 FN 111, 317 FN 112, 407 Paré, Ambroise 273 FN 39 Parmenides 35, 344 Parmigianino [Girolamo Francesco Maria Mazzola] 258

Parrhasios 164 FN 321, 165 Pater, Walter 97 Penny, Thomas 130 Pepys, Samuel 138 FN 274, 146, 146 FN 294 Piles, Roger de 418 FN 191, 420 Pindar 270 Platon 33 FN 56, 34, 34 FN 58, 35–36, 36 FN 65, 37, 37 FN 69, 37 FN 71, 38, 38 FN 73, 38 FN 74, 39, 40, 42, 54 FN 96, 93, 113 FN 231, 113 FN 232, 135 FN 271, 179–180, 222 FN 75, 230 FN 94, 325, 325 FN 123, 331, 341, 341 FN 27, 342 FN 27, 344, 344 FN 30, 347, 373 Plinius d. Ä. [Caius Plinius Secundus] 27, 30, 31 FN 52, 32 FN 54, 233, 243 FN 128, 50 FN 91, 52 FN 94, 65 FN 120, 93, 120, 122–123, 191, 195, 228–229, 230 FN 95, 232, 234, 241 FN 123, 243 FN 128, 270, 273 FN 40, 279 FN 50, 293, 310, 359 FN 60, 367 FN 77, 371–372, 395 FN 144 Plutarch 94, 98, 99, 99 FN 206, 101, 110 FN 226, 181 FN 9, 188, 200, 362, 370 Pollux, Julius 342 Pool, Juriaan 172 Porcellis, Jan 86–89 Porpora, Paolo 12–13, 27 FN 46, 364 Porta, Giambattista della 315 FN 107 Poussin, Nicolas 10 FN 3 Pozzo, Cassiano dal 17 FN 23 Praxiteles 200 Prie, Cosimo 14 Propertius 200 Quercetanus [Joseph Du Chesne] 17, 63 FN 113, 125–126, 143, 268 Recco, Giuseppe & Giovanni 12 Redi, Francesco 61, 66 FN 122, 125 FN 252, 135, 137, 144–145, 193–194, 199–205, 207–208, 211, 215–217 Rembrandt 85 FN 160, 141 FN 282, 154 FN 303 Reni, Guido 201 Ricœur, Paul 4 Ripley, George 288 Rondelet, Guillaume 270 Rosa, Salvator 16 Rösel von Rosenhof, August Johann 144 Rovere, Vittoria della 356 Rubens, Peter Paul 184–185, 191, 367, 383, 385, 389, 391–394 Ruysch, Anna 152 FN 302 Ruysch, Frederik 152 FN 302, 172, 172 FN 335 Ruysch, Rachel 5, 13 FN 12, 15 FN 15, 146–147, 147 FN 297, 149, 149 FN 297, 150, 152,

473

PERSONENREGISTER

152 FN 302, 156 FN 306, 159–160, 170 FN 331, 172, 172 FN 335, 210 Sackville, Edward 320 Saenredam, Pieter Jansz. 305 Salini, Tommaso 302–303, 419, 419 FN 193, 420, 420 FN 194 Sambucus, Johannes 27 Sandrart, Joachim von 82 FN 154, 85, 89, 142 FN 283, 367 FN 77, 421 Savery, Roelant 58, 62 FN 113, 300–301, 368 Scarmiglioni, Guido Antonio 409 FN 177 Schalcken, Godfried 348–349 Schiffermüller, Johann Ignaz 372 Schott, Caspar 313 Schrieck, Otto Marseus van 5, 9–32, 59–84, 98 FN 203, 105–106, 111, 124–125, 132, 136, 129–142, 144, 147, 149 FN 298, 160, 168, 170–172, 187, 202, 212, 231, 233, 235–236, 239–248, 259, 271, 275, 277, 278 FN 50, 279, 281–282, 299, 304, 333–334 Segers, Georgius 68 Seghers, Daniel 165, 366 FN 73 Seghers, Hercules 85 FN 160 Sendivogius, Michael 62, 125, 268 Seneca 92, 270, 332 Sennert, Daniel 17, 61 FN 108, 62 FN 112, 83, 109, 109 FN 222, 119, 406 Slingelandt, Govert van 154 FN 303 Slingelandt, Pieter van 260 FN 6, 348 Snellius, Willebrord 404 Snyders, Frans 156 FN 306, 184, 186, 186 FN 16, 191 Sohier, Nicolaas 185–186 Sokrates 37, 179–180, 180 FN 3, 181, 235, 247 Son, Joris van 350–351 Speusippos 39 Spieghel, Hendrik Laurensz. 85 Stalbemt, Adriaen 174 Steno, Nicolaus 145, 207, 225, 271 FN 33, 313 FN 107 Stolcius von Stolcenberg, Daniel 59, 296 Straton von Lampsakos 339 Stuven, Ernst 15 FN 15, 149 FN 297, 156 FN 306, 170, 170 FN 331, 172 Swammerdam, Jan 23 FN 32, 123, 128, 130, 138, 144–146 Tamm, Franz Werner 357 Theophilus [Theophilus Presbyter] 257 FN 1, 293 FN 74 Theophrast 34, 35 FN 63, 39, 57–59, 141 FN 281, 215 FN 66, 339, 341, 341 FN 22, 353 FN 49

Thomas von Aquin 98–99, 101 Thomas von Cantimpré 270 Tintoretto [Jacopo Robusti] 252 Tizian 5, 104 Trello, Lucretia van 275 Trisegni, Filippo 420 Uylenburgh, Gerrit 141 Vallemont, Abbé de [Pierre Le Lorrain] 316–317 Varchi, Benedetto 258 Vasari, Giorgio 74, 96–98, 103, 182–185, 257–258 Verelst, Simon 364 FN 73, 366 FN 73, 415 Vergil 120, 195 FN 35, 230 FN 95 Vettori, Piero 204 Vicq, Ippolito de 184 Villiers, George, Herzog von Buckingham 185, 186 FN 16 Vinci, Leonardo da 4, 5 FN 5, 96–98, 103, 182–184, 187, 392 Visscher, Claes Claesz. 305 FN 88, 307 Visscher, Claes Jansz. 130 Viviani, Vincenzo 206 Vogelaer, Karel van [Carlo de’ Fiori] 364, 364 FN 72, 365–366, 369 Vondel, Joost van den 85, 132, 309 Voorde, Cornelis van de 270–271, 271 FN 31 Vossius, Gerard 140 FN 279, 144 Vossius, Isaac 125, 143–144, 399–404 Walscapelle, Jacob van 171–172 Warburg, Aby 93–94 Weyerman, Jacob Campo 9 FN 2, 18 FN 25, 22, 79, 152, 154, 170, 174 FN 337, 304 FN 87, 366 FN 73 Wildens, Jan 174 Withoos, Alida 132 Withoos, Mathias 9, 13 FN 12, 14–15, 30 FN 51, 114–116, 172, 210, 277 Zaccolini, Matteo 236 Zenon von Kition 109 Zeuxis 97, 154, 164 FN 321, 165 Zucchi, Jacopo 354–355

BILDNACHWEIS Folgende Bibliotheken, Museen, Sammlungen und Galerien haben Bildmaterial zur Verfügung gestellt: Anhaltische Gemäldegalerie, Dessau; Ashmolean Museum, Oxford; Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München; Biblioteca Laurenziana, Florenz; British Library, London; Christie’s, Amsterdam; Dordrechts Museum, Dordrecht; Dulwich Picture Gallery, London; Fitzwilliam Museum, Cambridge; Fries Museum, Leeuwarden; Galleria degli Uffizi, Florenz; Gallerie Koller, Zürich; Galerie De Jonckheere, Paris; Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden; Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel; Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste, Wien; Gemäldegalerie, Berlin; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg; Hampel Kunstauktionen, München; Herzog Anton-Ulrich-Museum, Braunschweig; Hessisches Landesmuseum, Darmstadt; Im Kimsky Auktionshaus, Wien; J. Paul Getty Museum, Los Angeles; Jack Kilgore Kunsthandel, New York; Kunsthistorisches Museum, Wien; Kunstsammlung der Universität Göttingen, Gemäldegalerie Göttingen; Het Mauritshuis, Den Haag; Musée des Beaux-Arts, Rouen; Museo Pignatelli, Neapel; Nasjonalgalleriet, Oslo; National Galleries of Scotland, Edinburgh; National Gallery of Art, Washington D.C.; National Gallery, London; Nationales Kunstmuseum, Bukarest; Nationalgalerie, Prag; Nationalmuseum Stockholm; Palazzo Chigi, Ariccia; Palazzo Madama, Rom (Teilslg. Palazzo Pitti, Florenz); Phillips Art Auctions, London; Rijksmuseum, Amsterdam; Sammlung Canesso, Paris; Schatzkammer des Deutschen Ordens, Wien; Staatliches Museum Schwerin; Städel Museum, Frankfurt; Walker Art Gallery, Liverpool; Wenzel Kunsthandel, Bamberg. Alle weiteren Abbildungen stammen aus dem Archiv der Autorin.