Bilder aus den Alpen: Eine andere Geschichte des Bergsteigens 9783205789833, 9783205789185

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Bilder aus den Alpen: Eine andere Geschichte des Bergsteigens
 9783205789833, 9783205789185

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M ARTI N S C HAR F E

Bilder aus den Alpen E I N E AN D E R E G E S C H I C HTE D E S B E R G STE I G E N S

2013 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch den Verein der Freunde des Alpenverein-Museums, Innsbruck Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Ernst Platz : Vom Sturm gepackt , 1919 ; Gouache , 40 ,5 x 33 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 1462.

© 2013 für den Text by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co.KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com © 2013 für die Abbildungen: Österreichischer Alpenverein, Innsbruck, und Deutscher Alpenverein, München

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Covergestaltung: Judith Mullan Layout: Bettina Waringer Druck und Bindung: Baltoprint Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier. Printed in Litauen ISBN 978-3-205-78918-5

INHALT EINLEITUNG

9

1

DIE KÄLTE DER BERGE

15

2

WINCKELMANN AM BRENNER

18

3

HIRTENIDYLL VOR MONTBLANC

21

4

TRAUE NIE DEN CARTELLINI !

24

5

RAST AM BILDSTOCK

27

6

DIE WAHRHEIT IM FALSCHEN BILD

30

7

DRACHEN IN DEN ALPEN

33

8

DER BLICK VON UNTEN

36

9

DER BLICK VON OBEN

39

10

VIERERLEI BERGSTEIGER

42

11

KRUZIFIX MIT BLITZABLEITER

45

12

STELLVERTRETER

48

13

DIE SPUR

51

14 DER SIEGER

54

15

DER PFLOCK IN DER EISSTIRN

56

16

ES IST ERREICHT

59

17

EIN SCHLUCK WEIN AUF 5800 FUSS HÖHE

62

18

FEUER AUF DEN BERGEN

65

19

ABENDBEHAGEN

68

20 HUGIS HÜTTE

71

21

74

ALM UND ALPINISMUS

22 EIN BIWAK VOR HUNDERTFÜNFZIG JAHREN

76

23 DER ALPENPALAST

79

5

24 DIE VERMESSUNG DER BERGE

82

25 DIE HÄUTUNGEN DER ALPENBOTANIK

85

26 ABSTIEG MIT BEUTE

88

27 KÖNIGLICHES HEUBÜNDEL

91

28 SOZIOGRAMM IN DEN ALPEN

94

29 GEMSJÄGER – DIE LEHRMEISTER DES ALPINISTEN

97

30 IN EILE BERGAB

100

31

103

RUCKSACKPORTRÄT

32 DER KNECHT ALS HERR

106

33 BEILÄUFIGES

109

34 ZERGLIEDERUNG

112

35 DER ÜBERFORDERTE TOURIST

115

36 TRÄUME

118

37

121

WER KENNT DIESE FRAU ?

38 DIE FRAGE

124

39 GANZ LEIB

127

40 AUSGESETZT

130

41

133

STEINMÄNNER

42 DIE LEGENDE VOM WILDHEUERRECHT

136

43 ALPENWAREN

139

44 EIN ANDERER BERGTOD

142

45 DAMPF UND RAUCH

145

46 WIE EIN TRAUMGEBILDE

148

47 VERSUCHUNG ZUM STÜRZEN

152

48 ZLATOROG

155

49 STURZ INS BODENLOSE

157

50 DER ERSTE PLATZ DES WELTTHEATERS

160

51

162

6

KEINE RETTUNG MEHR

52 DIE FARBE DES EISES

165

53 GLETSCHERZÄHMUNG

167

54 EIS UND FÜLLE DES WASSERS

170

55 ERDBEEREN AM GLETSCHER

173

56 OBEN DRÜBER , UNTEN DURCH

176

57

178

DIE PASSAGE

58 TEUFELSBRÜCKE  , MENSCHENBRÜCKE

181

59 SONNENFAHRT

183

60 SCHIENEN ÜBER DIE BERGE

186

61

189

EIN BILD DER ZIVILISATION

62 DIE WUNDE

192

63 IRRITATION IM GEBIRGE

195

64 GLÜCK IM UNGLÜCK

198

65 ÖDNIS , DOCH MIT HOFFNUNG

201

66 BERGSTEIGERS GLÜCKSRAD

203

ERSTVERÖFFENTLICHUNGEN

206

FOTONACHWEIS

206

REGISTER

207

7

8

EINLEITUNG Vor gut hundert Jahren erschien unter dem Titel »Bilder aus den Alpen« das Werklein eines gewissen M. Scharfe1. Er ist mir bislang unbekannt geblieben , auch glaube ich mich nicht mit ihm verwandt. Der Autor war evangelischer Pfarrer im Magdeburgischen und schilderte Vakanz-Erlebnisse und Begegnungen mit Angehörigen der zumeist katholischen Bevölkerung Tirols und Oberbayerns , aber auch mit versprengten Protestanten. Diese seine Schilderungen nannte er : Bilder aus den Alpen. Da ich nun Bilder im engeren und eigentlichen Wortsinne vorzuführen die ­Absicht habe – Bilder , die aus den Bergen ›berichten‹ und ›erzählen‹ – , glaubte ich mich berechtigt , dem alten Namensvetter seinen Titel sanft entwinden zu dürfen – der sei bei mir besser aufgehoben , dachte ich , zumal ich mit dem Untertitel ja deutlich die Absicht oder doch wenigstens die Hoffnung zum Ausdruck bringe , daß sich aus der Erläuterung der Bilder ein farbiger Beitrag zur Geschichte des Alpinismus ergebe oder gar zum Verhältnis , das die Menschen zu den Bergen haben , entwickelt haben oder haben können. Freilich ist nun aus der Betrachtung von Ölgemälden , Zeichnungen , Aquarellen oder Drucken keine ›Geschichte‹ im üblichen Sinn zu erwarten – also eine systematische , womöglich gar chronologische Darstellung , die vorgibt , sie wisse , wie sich das eine aus dem andern entwickelt habe. Ihr wäre ohnehin zu mißtrauen , da sie ja stets dem Gelungenen verpflichtet ist , eine bruch­lose Entwicklung zum Besseren und zum Erfolg hin behauptet und dabei vergißt , die Holzwege , die Umwege , das Mißglückte , das Mißratene und das Scheitern , das in der Geschichte vielleicht häufiger vorkommt als das Gelingen , zu erwähnen. Vielleicht spiegelt ja eine wilde Bilderfolge , ein bunter , vermeintlich zufällig zustande gekommener lockerer Bilderbogen die Geschichte des Berggehens getreuer ab als die angestrengte Bemühung , eine klare Linie zu finden. In ersten Überlegungen hätte der Untertitel dieses Buches heißen können : Eine bunte­ Geschichte des Bergsteigens – bunt im Sinne von farbig , anschaulich , aber auch von : kunterbunt , das heißt : durcheinander. Die Anordnung der Bilder folgt

1

M. Scharfe : Bilder aus den Alpen (= Festschriften für Gustav-Adolf-Vereine , Nr. 55). Leipzig o. J. (um 1906). 19 Seiten. – Ich danke dem Archivar des Österreichischen Alpenvereins , Martin Achrainer , Innsbruck , der mir diesen Fund zugespielt hat , herzlich. 9

diesem Nicht-Prinzip und mutet damit Betrachterinnen und Betrachtern , Leserinnen und Lesern einiges zu. Die Hoffnung wäre , daß sich die Summe der Zufälle , die Summe der scheinbar zufälligen Blicke auf bildliche Abspiegelungen des Verhältnisses , das die Menschen zu den Bergen haben können (und das sie vielfach verändert haben) , am Ende doch zu einem halbwegs Ganzen runde – so wie ja auch die bunt leuchtenden Einzelteilchen in einem Kaleidoskop zu einem lebendigen , ja vielleicht sogar überraschend schönen und stimmigen Gesamtbild zusammenschießen. Die Prosa der dem Buch beigegebenen Register – vor allem des Sachregisters – mag dem eher poetischen , jedenfalls mehr assoziativen Denk- und Empfindungsvorgang , der Verbindungslinien zwischen den verschiedenen Bildern und ihren besonderen Aspekten herzustellen weiß , zu Hilfe kommen. Damit ist auch schon angedeutet , daß das Verfahren dieses Buches darin besteht , unterschied­ liche Aspekte der Geschichte (und in der Geschichte) des Berggehens , soweit sie sich in Bildern niedergeschlagen haben , aufzublättern. Auch die ­Resultate einer solchen Methode müssen sich eine Geschichte des Bergsteigens nennen dürfen. Freilich ergibt sich auf diese Weise eine andere Darstellung der ­Geschichte als die übliche , die schon zufrieden ist , wenn sie von Sieg zu Sieg eilen darf. Es war nun anzunehmen , daß die von den Alpenvereinen in ihren Museen ­gesammelten Objekte den besten Einblick in den Kosmos der bildlichen Wider­ spiegelungen erlauben würden. Ich habe also die Bild-Bestände des Alpen­ verein­museums Innsbruck (des Österreichischen Alpenvereins) und des Alpinen Museums München (des Deutschen Alpenvereins) durchgesehen – wobei von vornherein klar war , daß aus der Innsbrucker Sammlung eine größere Zahl von Bildern herangezogen werden müßte , weil die Münchner Museumsbestände des ehemaligen Deutschen und Österreichischen Alpenvereins nach dem Zweiten Weltkrieg in Innsbruck ihre Heimat fanden (während die Bibliotheksbestände in München blieben).2 Doch die allermeisten Bilder in beiden Museen sind , wenn man die Alpenpflanzenbilder und die Porträts bekannter Bergsteiger außer acht läßt , schlichte Veduten – Ansichten also eines Berges , eines Höhenrückens , eines 2

10

Zur Geschichte dieser Sammlungen vgl. Monika Gärtner, Friederike Kaiser: Das Alpine Museum. Ein Haus für die »gewaltige Entwicklung des Alpinismus«. In: Alpenvereinsjahrbuch Berg 2011 (= Zeitschrift Band 135), S. 12–29; zum geschichtlichen Hintergrund der Sammlungen vgl. jetzt auch Martin Achrainer u. a.: Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918–1945. Hg. vom Deutschen Alpenverein, vom Oesterreichischen Alpenverein und vom Alpenverein Südtirol. Köln, Weimar, Wien 2011.

Gletschers , eines Tales , einer Hütte , kurz : möglichst naturgetreue Abbildungen im topographischen Interesse , die nicht viel mehr sagen als : So sieht es dort aus. Das Interesse an Dokumenten zur Geschichte des Berggehens indessen stellt höhere Ansprüche. Es wünscht sich Darstellungen des alpinistischen ›Alltags‹ und sucht nach einer charakteristischen Szene , einer auffallenden Gebärde , einer eigentümlichen Stimmung im Bild , kurz : Es erwartet einen besonderen Aspekt , eine Pointe. Diesen Aspekt im Bild bemerkt zu haben ist der einzige Vorsprung , den der Autor – zunächst ! – vor seinem Publikum hat. Er versucht ihn freilich auch alsbald wieder zu verkürzen , indem er den Bildern Texte beigibt , die den Leserinnen und Lesern ermöglichen , die Pointe mit eigenen Augen zu sehen – Texte , die sich teils eng an das Bild anschmiegen , teils aber auch mehr oder weniger von ihm entfernen (wenn es denn zum Exkurs gereizt hat). Allemal aber mußte dabei gelten , was schon Johann Joachim Winckelmann (1717– 1768) angemerkt hat : Nur dasjenige Kunstwerk , dasjenige Bild ist wirklich gesehen , das in Worten beschrieben ist. Die Suche nach dem besonderen alpinhistorischen Aspekt hat mich aus den rund 6500 Bildern3 des Innsbrucker und des Münchener Museums 66 Stücke auswählen lassen – wobei die Arbeit zum Teil erleichtert war , weil äußere Gründe (etwa schlechter Erhaltungszustand oder Kleinteiligkeit) gegen eine Reproduktion sprachen. Zum Teil war sie freilich auch durch den Umstand erschwert , daß ich mich – im Interesse einer Historiographie des Berggehens – nicht einem Geschmacksdiktat unterwerfen wollte : ich habe also gelegentlich , wenn es mir meinen Zwecken als dienlich erschien , auch handwerklich gefertigte und eher ungelenke Bilder herangezogen. Mit all diesen Bildern nun habe ich Zwiesprache gehalten – wohlgemerkt : mit den Werken und nicht mit ihren Urhebern. Denn jedes Individuum (also auch der Künstler) ist begrenzt , es kann sich selbst nur im Rahmen seiner Zeit verstehen. Auch der Künstler kann nicht bis ins letzte wissen , was er , unbewußt , in seinem Werk versteckt hat. Zuweilen sieht erst der Nachfahr , was darin verborgen war , und er sieht es ohne eigenes Verdienst einfach deshalb , weil ihm seine Zeit andere und neue Augen gegeben hat. So mag die Zwiesprache nach geraumer Zeit an die Oberfläche bringen , was im Bilde steckt – obwohl es dem Urheber , dem Künstler , selbst nicht bewußt war ; will sagen : Ich halte den oft gehörten und

3

In dieser Zahl ist die beträchtliche Münchener Ex-libris-Sammlung (etwa 5000 Stück) nicht mitgerechnet. 11

wohlfeilen Vorwurf , dieses oder jenes Bild sei ›über-interpretiert‹ (oder : der Autor habe etwas ins Bild ›hineininterpretiert‹) für nicht genügend tief durchdacht. Das ist die Methode. Mehr ist über sie nicht zu sagen. Das Handwerk versteht sich ja von selbst.

Nachzutragen sind indessen einige Mitteilungen über die Entstehung des Projekts. Im Rahmen einer Gastprofessur an der Universität Innsbruck (2002– 2006 und 2008 /  09) hielt ich aus naheliegenden Gründen auch Lehrveranstaltungen zur Geschichte des Alpinismus ab. Vor allem aber versuchte ich in mehreren Seminaren , mit den Studierenden zu üben , wie man Bilder beschreiben und deuten kann – Voraussetzung war , daß diese Übungen vor Originalbildern in den lokalen Museen stattfanden. Dieses Vorhaben führte uns auch immer wieder in das Alpenverein-Museum , das damals noch in der Wilhelm-GreilStraße untergebracht war. Der damalige Vizepräsident und Kulturbeauftragte des Österreichischen Alpenvereins , Dr. Oskar Wörz , wußte mich in einem abendlichen Gespräch im November 2002 für die Idee zu erwärmen , in der Mitgliederzeitschrift des ÖAV , die seit dem Jahr 2006 »Bergauf« heißt , ­regelmäßig einzelne Objekte aus dem Museumsbestand vorzustellen. Der erste Beitrag erschien zum Jahresende 2003. Mittlerweile ist die Serie auf über vierzig Nummern angewachsen. Die Abbildungen und überarbeiteten Kommentare dieser Serie bilden den Grundstock dieses Buches. Da sich die Beiträge an ein breiteres Publikum wandten , erschienen sie ohne Fußnotenbeiwerk. Dieses Prinzip habe ich auch in diesem Buch beibehalten. Wer zu den verwendeten Quellen vorstoßen will , wird in den meisten Fällen über die Register meines ­Buches »Berg-Sucht« Aufklärung finden.4 Zu danken habe ich vielen – allen voran dem Österreichischen und dem Deutschen Alpenverein , die mich in ihren Magazinen arbeiten ließen und die Abbildungsvorlagen kostenlos zur Verfügung stellten , sowie den Mitarbeiterinnen der beiden Vereine , Monika Gärtner und Mag.a Veronika Raich in Innsbruck und Friederike Kaiser , M. A. , und Martina Sepp , M. A. , in München. Sie haben mit großer Geduld Fragen beantwortet und mir alle erdenkliche Hilfe zukommen lassen und darüber hinaus das Projekt mit herzlichem Interesse begleitet. Dem Redakteur des »Bergauf« , Gerold Benedikter , danke ich für die reibungslose Zusammen-

4 Martin Scharfe: Berg-Sucht. Eine Kulturgeschichte des frühen Alpinismus 1750–1850. Wien, Köln, Weimar 2007. 12

arbeit , für Hilfe in einzelnen Sachfragen Martin Achrainer , Dr. Martin Bitschnau , Michael Guggenberger , Dieter Hereth , Elisabeth Knapp , Dr. Herlinde Menardi , Carolina Scharfe , Dipl.-Biol. Friederike Scharfe , Univ.-Prof. Dr. Ingo Schneider , Univ.-Prof. Dr. Heinz Slupetzky , Dr. Nicole Slupetzky, Bernhard Thöni und Sabine Wimmer. Zum Schluß – doch nicht zuletzt ! – bedanke ich mich bei Dr. Oskar Wörz , der , wie schon erwähnt , den Anstoß zur Bilderserie im ÖAV-Mitgliederheft gegeben hat , beim Programmleiter des Böhlau Verlags in Wien , Johannes van Ooyen , der mir die Idee zu diesem Buch schmackhaft zu machen wußte , und bei meiner Frau Hildegard Scharfe , ohne deren kritische Anfragen und Begeisterung und kräftige Mithilfe das Buch so nicht hätte zustandekommen können. Marburg an der Lahn , 22. Oktober 2012

Martin Scharfe

H I N W E I S E Z U D E N B I L D D ATE N : Maße : In der Regel habe ich die Bild- , nicht die Blattgröße angegeben , Ausnahmen werden eigens genannt. Höhe geht vor Breite , die cm-Maße habe ich auf ½ auf- oder abgerundet. Bildtitel : Die Inventare lassen nur selten mehr erkennen , von wem die Bildtitel stammen. In den meisten Fällen sind sie von irgend jemand zugeschrieben worden , dessen Interessen nicht bekannt sind und trotzdem unsere Wahrnehmung bestimmen. Deshalb sind Bildtitel , die nachweislich vom Künstler selbst stammen oder sonstwie autorisiert sind (etwa bei Graphiken durch eine aufgedruckte Legende) , in Anführungszeichen gesetzt. Bildautor : Bei Graphiken wird in der Regel nur der Zeichner oder Maler genannt , nicht jedoch der Stecher , Schneider , Lithograph , Verleger oder Verlag. Ich weiß um die Problematik dieses Verfahrens , habe es aber der Einfachheit und Einheitlichkeit wegen dennoch gewählt , weil es mir ja nicht um die Erstellung von Werkmonographien gehen konnte. Erstveröffentlichung : Der größte Teil der Abbildungen und Texte ist in einer ersten Fassung in der Mitgliederzeitschrift des Österreichischen Alpenvereins veröffentlicht worden ; sie hieß bis Ende 2005 : »Mitteilungen des Oesterreichischen Alpenvereins« , seit Anfang 2006 heißt sie : »Bergauf. Das Magazin des Oesterreichischen Alpenvereins«. Als Nachweis kürze ich ab : »Mitteilungen« oder »Bergauf«. 13

14

1

DIE KÄLTE DER BERGE Das mit Deckfarben gemalte Bild meint einen grauen Herbsttag (so lautet sein Titel) – doch das sehen wir selbst. Wir spüren die leicht depressive Stimmung , die von den von links oben nach rechts unten fallenden Linien ausgeht und von den kalten Farben. Die Wiesenhänge des Vordergrunds sind in blaß- und graugrünen Tönen gehalten. Die schwarze Einkerbung einer Straße durchschneidet diese herbstlichen Überreste bäuerlicher Tätigkeit und führt auf einen Weiler zu , dessen blendend weiß getünchte Häuser unter gedämpft bunten Bäumen 15

stehen. Die Laubkronen haben sich eigenwillig eingefärbt : grau , gedeckt grün , bräunlich. Dahinter aber sehen wir das fast befremdliche Hellblau eines bergigen Nadelwalds , links oben die kahlen , eisgrauen Felshänge eines Kars , vor dem Schneesträhnen aus den lebhaft ziehenden Wolken niedergehen. Schneeflecken haben sich festgesetzt , auch die ferneren Schneehänge rechts im Hintergrund wirken wie eine Antwort der Natur auf die störenden , grellen Häuser der Menschen.

FA L L E N D E L I N I E N , D R Ü C K E N D E FA R B E N Es ist ein zögernder Blick in die Höhe , den uns Otto Bauriedl (1881–1961) bietet , ein Kenner des Hochgebirges und ein Maler , der die Vereinfachung und zugleich die möglichst große Raffinesse von Formen und Farben anstrebte. Doch der Auf- und Hochblick dieses im Jahr 1906 gemalten Bildes läßt kein wirk­liches Interesse an den Höhen erkennen – sie sind allzu abweisend dargestellt. An ­einem solchen Tag mag man nicht aufsteigen. Aber es sind nur die ungünstigen Umstände , die uns abhalten ; wenn sie sich wendeten und besserten , machten wir uns vielleicht sofort und wohlgemut auf den Weg.

KÄ LTE I N E I N E M M ETA PHYS I S C H E N S I N N E Das war nicht immer so. Die Seelenlage der Menschen früherer Zeiten war anders. Eine große Angst (oder sagen wir besser : ein fürchterlicher Respekt ?) hinderte sie , allzuweit aufzusteigen – keine Angst im üblichen Sinn , sondern eine übernatürliche Angst , eine Angst vor menschenfeindlichen Gewalten , denen man allenfalls in Sagen undeutliche Konturen zu geben wußte. Es war nicht so , daß den Menschen der Aufstieg ins Kahle ausdrücklich verboten gewesen wäre. Er kam ihnen einfach nicht in den Sinn. Und wen Nahrungsnot und unstillbare Neugier dennoch in die Höhe trieben (wie die Steinbock- und die Gemsenjäger) , der glaubte gut daran zu tun , sein Handwerk im geheimen auszuüben. Es war nicht Kälte der Berge in einem meteorologischen , sondern in einem metaphysischen Sinn , welche die Menschen in unteren Regionen festhielt. Es bedurfte also einer gewaltigen Kulturrevolution , einer historischen Umstülpung der Seelen , damit Menschen ohne schlechtes Gewissen auf die höchsten und kältesten Berge steigen konnten – der Beginn des modernen Alpinismus vor 16

rund zwei Jahrhunderten ist diese Kulturrevolution , ist diese Seelenwende. Er profitierte von einer neuen Gott-Losigkeit des Aufklärungszeitalters , die Voraussetzung war für Bearbeitung und Abbau altüberkommener Angst.

L I E B E Z U D E N B E R G E N ? Wir Heutigen sind die Nutznießer jener Wende , die um das Jahr 1800 herum stattgefunden hat. An die Stelle der alten Furcht ist bei vielen längst ein brennendes Interesse getreten , ja nicht wenige sprechen nun von ihrer Liebe zu den Bergen. Aber kann man Steine und Eis und Ödnis lieben , wie man einen Menschen liebt ? Vielleicht ist die Floskel von der Liebe zu den Bergen nur ein Tarnwort für unsere Selbstliebe – es könnte ja sein , daß wir uns selbst lieben wegen unserer Fertigkeit , die Berge zu beherrschen. Unter der Hitze dieser produktiven Ich-Liebe aber ist die einst ewig dauernde , die nie in Frage gestellte , die grundsätzliche Eiseskälte der Berge dahingeschmolzen. Bergsteigen ist allenfalls noch eine Angelegenheit der Saison , der angemessenen Technik und der körperlichen Kondition. Nur gerade heute , sagt uns Otto Bauriedl in seinem Bild – gerade heute ist nicht der richtige Moment für einen Aufbruch in die Berge ; denn sie sind nun wirklich kalt , sie wollen uns heute nicht haben.

Angaben zum Bild : Otto Bauriedl : »Grauer Herbsttag« , 1906 ; Gouache auf Spanplatte , 44 x 33 ,5 cm. DAV , Inv.-Nr. 398.

17

2

WINCKELMANN AM BRENNER Johann Joachim Winckelmann war kein »Bergreisender« (so nannte man im 18. und frühen 19. Jahrhundert einen Alpinisten) , aber er ist zweimal durch die Alpen gereist und hat dabei mehr gesehen als mancher andere , der sich den Bergbesuch zur Regel gemacht hat. Denn er war ein Mann der Augen.

W A S I S T W I R K L I C H G E S E H E N ? Sein großes Verdienst ist es , erkannt zu haben , welch unermeßlich große Bedeutung die klassische griechische Kunst für die Entwicklung der gesamten europäischen Kultur hatte – er ist der Vormann der Antike-Begeisterung des späten 18. und des 19. Jahrhunderts. Doch war er nicht nur ein euphorischer , sondern zugleich auch ein äußerst kritischer Geist. Als erster nämlich sah er , 18

daß die klassischen Skulpturen Roms nur Kopien der griechischen sind. Und der ­Augenmensch vertrat den methodischen Leitsatz : Nur was mit Worten beschrieben ist , ist auch wirklich gesehen – eine Maxime , die auch unsere Bildreflexionen hat leiten sollen.

E N T S ETZ L I C H E , S C H A U R I G E L A N D S C H A F T Winckelmann hatte also Augen zu sehen. Doch zeigen die Resultate seiner Bergbesichtigungen , daß es nicht allein diese Augen sind , die uns die Bilder für unsere Erinnerungen liefern , sondern daß die Seele gleichsam mitsieht – wie wenn sie direkt hinter unserem Sehorgan säße. Es ist nämlich die Seele , die unsere Augen-Bilder eintrübt oder aufhellt , vergrößert oder verkleinert , harmonisiert oder verzerrt. Als Winckelmann im Frühjahr 1768 auf der Rückkehr von Rom durch Tirol kam und über den Brenner nach Norden reiste , war er in einer äußerst melancholischen Stimmung – unser heutiges Wissen legt uns nahe zu sagen : Er war in eine tiefe Depression gefallen. Sein Reisebegleiter berichtet , Winckelmann habe angesichts der Berge »tiefsten Ekel und Abscheu« empfunden und gesagt : »Sehen Sie , mein Freund , was für eine entsetzliche , schaurige Landschaft ! Diese unermeßlich emporsteigenden Berge !« Wir beobachten also eine eigentümliche historische Verschiebung : Während die meisten europäischen Intellektuellen sich längst freudig erregt und überschwenglich begeistert zeigten beim Anblick der Alpen , fiel Winckelmann zurück in jene alte kulturelle Verstimmung , welche die Menschen früher besetzt und blockiert hatte. Der leidende , der vielleicht kranke Winckelmann des Jahres 1768 war die verspätete subjektive Verkörperung einer historisch überholten Stimmung. Ganz anders war das dreizehn Jahre früher gewesen , als derselbe Mann , auf dem Weg nach Rom , Anfang Oktober 1755 über den Brenner reiste. Ihm mag sich der Blick geboten haben , den auch unsere Graphik zeigt. Von erhöhtem Standpunkt aus , den wir uns etwas südlich der Ortschaft Gries denken müssen , sehen wir in das breite , leicht gewellte Hochtal hinein , das sich hinten verschmälert und links und rechts von jähen Felsbergen begrenzt wird. Die spätnachmittägliche Sonne läßt die Bergwand auf der rechten Bild19

seite und die Menschen , die im Vordergrund mit Tieren , Wagen und Karren unterwegs sind , starke Schatten werfen. Die Passanten bewegen sich auf der Straße , die von der Mitte des Vordergrundes zunächst zum mächtigen Baukomplex des Zollschlosses Lueg führt (es wurde im Jahre 1809 zerstört , unser Bild könnte also kurz vorher entstanden sein) und dann in einer Wegstunde zur Paßhöhe. Der Zeichner (der vor allem in Wien tätige Ferdinand Runk , 1764–1834) hat es freilich nicht für angebracht gehalten , die Technologie dieses doch so bedeutenden Verkehrsweges hervorzuheben – die Straße schmiegt sich vielmehr in ihre Umgebung hinein , so daß sie am Ende ganz mit der Landschaft verschmolzen erscheint und sich unseren Blicken entzieht.

E I N W E G W I E I N D E R STU B E Der Winckelmann des Jahres 1755 indessen war von der Nützlichkeit und Bequemlichkeit dieses Weges , der die beinahe ungefährdete Passage durch eine unwirtliche , abweisende Bergnatur ermöglichte , so beeindruckt gewesen , daß er schrieb : »Über die höchsten Gebirge geht ein Weg wie in der Stube.« Doch nicht nur für den Tag – auch für die Nacht sah er genugsam gesorgt. »Alle halbe Stunde sieht man ein großes Wirtshaus« , schwärmte er , »wo Sauberkeit und Überfluß regiert. Betten sind allenthalben , so viel man haben will , und allenthalben wird man mit silbernen Messern und Gabeln bedient.« Es fällt uns Heutigen schwer , die Glücksgefühle eines seinerzeit ganz sicher­ privilegierten Mannes nachzuempfinden , die ihn bei der Durchfahrt durch eine harte Landschaft (er nannte sie : »wunderbare Natur« !) überkamen. Denn es liegt eine ungeheure historische und kulturelle Distanz zwischen dem Mann des 18. Jahrhunderts und uns. Vielleicht beginnen wir die Weite dieser Distanz zu ahnen , wenn wir – in Gedanken – in unser Bildchen in der Mitte die heutige Brennerstraße einzeichnen , links am Berghang die Eisenbahnlinie und rechts , geradenwegs über das alte Schlößchen Lueg hinweggehend und die Kirche St. Sigmund fast überdeckend , die Autobahn.

Angaben zum Bild : Ferdinand Runk : »Strasse über den Brenner bey Lueg« , um 1800 ; Aquatinta , 31 ,5 x 45 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 986.

20

3

HIRTENIDYLL VOR MONTBLANC Das bunt angelegte und großformatige graphische Blatt läßt uns von einer Anhöhe aus auf die Nordwestflanke des Montblanc blicken , der als riesiges weißes Massiv den Hintergrund beherrscht und abschließt. In der verschatteten Tiefe des Mittelgrundes erkennt man den Flußlauf der Arve , die , hinten links aus dem Gebirge kommend , nun der Rhone zuströmt , die sie in Genf erreicht. Als »Maler« des in Basel verlegten Blattes ist Baron Albert Bacler d’Albe genannt , ein in künstlerischen Angelegenheiten eher dilettierender napoleonischer General (1761–1824) , der angibt , er habe das Bild vor der Natur aufgenommen. Daß dies auch für die Szene des in wärmeren Tönen gehaltenen Vordergrunds gilt , darf man mit Fug und Recht bezweifeln – der Zeichner hat sie an 21

dieser Stelle ganz sicher nicht gesehen , er hat sie vielmehr zur Belebung der Landschaft in das Bild hineinkomponiert , fast möchte man sagen : hineinmontiert.

K E I N E H A R ML O S E STA F FA G E Man bezeichnet eine solche Szene als Staffage und meint damit eine herkömmliche Methode der Künstler , einem Landschaftsbild Tiefe zu geben und zugleich den Blick des Betrachters zu fesseln und ins Bild hineinzuziehen. Die Bestimmung der Staffagefiguren hat die Kunstkritik immer wieder einmal den Verdacht , ja die Gewißheit äußern lassen , sie hätten nichts zu bedeuten , sie seien reiner , harmloser Zierat oder ornamentale Zutat ohne eigenen Sinn. Daß dies eine vordergründige , ja ganz falsche Sicht ist , zeigt die genauere Betrachtung unseres Blattes , dessen Textbeigaben keineswegs abgeschnitten werden dürfen. Denn da steht , erstens , in der untersten und klein gedruckten Zeile eine aktuelle Angabe zur Gegenwart der 1790 gedruckten Graphik : am 8. August 1786 hätten zwei Einwohner von Chamonix , nämlich Doktor Paccard und der Führer Jacques Balmat , nachdem sie »tausend Gefahren« ausgestanden , die Spitze jenes »kolossalen Berges« erreicht , der im Hintergrund des Bildes so unglaublich abweisend weiß schimmert.

A H N U N G D E S KÜN F TI G E N Zweitens aber verweist unser unscheinbar wirkender kleiner Text weit in die Zukunft. Denn er sagt , der Montblanc sei der höchste aller Berge der »Alten Welt« ; das heißt doch : Man vermutete , ja wußte längst , daß es außerhalb Europas noch viel höhere Berge gibt. Damit aber ist auf die Zukunft angespielt – auf die Dynamik , ja explosive Entwicklung der Geschichte des Bergsteigens. Drittens

endlich

enthält

das

Blatt des eigentlich doch recht biederen Künstlers Bacler d’­ Albe einen unvermutet raffinierten Hinweis auf die Geschichte des Alpinismus. Wir sehen eine bürgerliche Kleinfamilie zu Gast (und zugleich abgewandt !) in der Sphäre der ländlichen Älpler. Sie 22

lagert , barfuß zwar , doch unverkennbar städtisch gekleidet , zwischen Schafen und Ziegen. Die beiden Älpler rechts daneben warten in gebührendem Abstand auf Aufträge , nachdem sie Proviant (einen Obstkorb) , vielleicht auch die Frau in ­einer Sänfte heraufgetragen haben. Im dämmrigen Innern der verlotterten Alphütte aber , die unter zerzausten Bäumen steht , sind zwei Frauen am Feuer und mit Butterstampfen beschäftigt.

E I N E N E U E STI M M U N G Schon ein halbes Jahrhundert vor der Entstehung unserer Montblanc-Graphik hatte Albrecht von Haller einer neuen Stimmung unter den Gebildeten Europas Ausdruck verliehen : er besang in seinem Gedicht »Die Alpen« von 1729 weniger die Alpen selbst als vielmehr die nun hochgeschätzte Kultur der Älpler. Unser Bild ist eine späte Abspiegelung dieser Tendenz – eines wohlwollenden Interesses an den Bergen und an ihren Bewohnern. Über die Hirten-»Idylle« in Kunst und Literatur wird nicht selten ein hämisches Urteil gesprochen. Dabei war sie doch , bei Licht besehen , eine der zwar geheimen , aber notwendigen Voraussetzungen und Vorstufen des modernen Alpinismus.

Angaben zum Bild : Albert Bacler d’Albe : »Vue du fameux Mont-Blanc dans le Haut Faucigny en Savoie« , Ansicht des berühmten Montblanc … in Savoyen. … , 1790 ; Farblithographie , kolorierte Federlithographie (Mischtechnik) , 46 x 62 cm (Blattgröße). ÖAV, Inv.-Nr. 2074.

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TRAUE NIE DEN CARTELLINI ! Nur auf den ersten Blick wirkt dieses Ölgemälde des 1916 im Alter von nur vierzig Jahren verstorbenen Bergsteigers und Malers Otto Barth grau , ton- und farblos. Wer sich auf das Bild einläßt , erspürt – im zweiten Blick sozusagen – jene frostige Stimmung , wie er sie vielleicht aus eigenem Erleben von frühmorgend­ lichen Aufbrüchen in den Alpen kennt.

M O R G E N L I C H T  , L A M P E N S C H E I N Der Maler führt uns in die von kalten Blau- und Grautönen beherrschte Morgendämmerung einer vergletscherten Hochgebirgslandschaft. Drei Männer (angetan mit Hüten , Jacken , Kniehosen und genagelten Stiefeln) steigen , den Rucksack 24

auf dem Rücken , am straff gespannten Seil zum Gletscher hinunter. Der letzte der Seilschaft steht leicht gebückt links vorn auf einem Fels- oder Geröllfleck. Seine grauviolette Schattengestalt wirkt fast riesenhaft , weil er die gesamte Höhe des Bildes einnimmt. Er hat die Pickelschlaufe ums Handgelenk geschlungen und verharrt nun in gespannter Aufmerksamkeit und beobachtet den vor ihm gehenden Seilgenossen , der einen steilen Firnhang hinabsteigt , während sich der erste der Seilschaft umgedreht hat (man erkennt sogar sein Gesicht) und mit der auffallend hell scheinenden Laterne seinem Nachfolger leuchtet. Dieser winzige Schein des Lampenlichts ist die einzige wirkliche Helligkeit im Bild. Nur auf den breiten Firnflächen der im Hintergrund steil aufragenden Bergkette spielt , vor allem in der Mitte , zaghaft erstes Morgenlicht. Es kommt von links , aus dem Osten – also steigen die Männer ungefähr in südöstlicher Richtung ab zu einem Gletscher , auf dem man eine schmale Mittelmoräne und Spaltenaufbrüche erkennen kann.

V E R S U C H E I N E R R E K O N STR U K TI O N Damit sind wir bei den Sachfragen , bei der Frage nach dem Ort. Der Maler selbst hat das Bild nicht bezeichnet. Der Katalog des Münchener Museums (wo sich das Gemälde ursprünglich befand) nennt als Titel : »Nächtlicher Abstieg vom Fiescher Gletscher«. Auf der Innsbrucker Karteikarte steht mit berechtigter Korrektur : »Aufbruch im Morgengrauen zum Fiescher Gletscher«. Doch wer hat diese Titel , diese »cartellini« erfunden ? Wir wissen es nicht , wir kennen auch Sachverstand und Wissen derer nicht , welche Karteikarten und Kataloge bearbeitet haben – also gilt allemal der Rat des großen italienischen Kunstkenners Giovanni Morelli : »Traue nie den Cartellini !« 25

Doch könnte es ja sein , daß sich in der Ortsbezeichnung »Fiescher Gletscher« ein mündlicher Hinweis des Künstlers erhalten hat. Es müßte sich dann um den Walliser Fiescher Gletscher handeln , der von den Bergen des Berner Oberlandes nach Süden zum Rhonetal hinunterzieht (und nicht um den Grindelwald-Fiescher-Gletscher , der nach Norden fließt). Und die drei Bergsteiger wären vielleicht in aller Frühe von der Finsteraarhornhütte aufgebrochen , wo sie die Nacht zugebracht hätten , und sähen nun im fahlen Morgenlicht das gut 3900 m hohe Groß-Wannenhorn vor sich aufragen. Und wenn alle diese Mutmaßungen stimmten , wäre das vom Maler nicht datierte Bild nicht vor dem Jahre 1906 entstanden – denn die erste Hütte unter dem Finsteraarhorn wurde erst 1905 erbaut …

STI M M U N G , A U F D A U E R G E STE L LT Doch habe ich mich verrannt. Ein Künstler ist kein Dokumentar-Fotograf , und Otto Barths Ziel war es sicher nicht , Berge unverwechselbar pedantisch abzupinseln. Was ihn interessierte , war vielmehr die Frage : ob sich die Stimmung jener dämmrig-kalten Morgenszene in Formen und Farben und mit pastösem Strich dergestalt einfangen lasse , daß sie von Betrachterinnen und Betrachtern des Bildes auch noch ein ganzes Jahrhundert später nachempfunden werden könne.

Angaben zum Bild : Otto Barth : Aufbruch zum Fiescher Gletscher , um 1910 ; Öl auf Leinwand , 101 x 134 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 155.

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RAST AM BILDSTOCK Es war gewiß das topographische Interesse , das dieses Bild – ein Aquarell ­Johann Jakob Dorners , des Jüngeren (1775–1852) – in die Alpenvereinssammlung geführt hat. Denn es zeigt uns groß im Hintergrund die Grundübelhörner im Gebirgsstock der Reiteralpe (im Berchtesgadener Land) , wie sie der Maler zu Beginn des 19. Jahrhunderts vom letzten verlandenden Zipfel des Hintersees aus , talaufwärts ungefähr nach Südwesten blickend , gesehen haben mag. Es herrscht die Stimmung eines milden Abends , die Abendsonne taucht die Berge in warmes Licht und läßt die Lärchbäume des linken Mittelgrundes (man möchte fast sagen , wenn das kein Widerspruch in sich selbst wäre:) in rostigen Goldfarben aufleuchten. Auch noch der ­offene Vordergrund , durch den ein Weg von der Mitte in das Dunkel des Waldes hineinzieht , während rechts davon tote Bäume 27

auf dem stillen, moorigen Wasser schwimmen – auch dieser Vordergrund noch schimmert leicht in den Rosafarben des Sonnenuntergangs. Wer das Bild aufmerksam betrachtet und sich vielleicht noch ein wenig in der Geschichte der Malerei umgetan hat , kann leicht erkennen , daß Johann Jakob Dorner sich Blick und Pinsel der Niederländer des 17. Jahrhunderts anzueignen versucht hat.

D A S TO P O G R A PH I S C H E I NTE R E S S E Doch nicht deshalb allein ist uns das Bild bedeutsam – zumal auch unser topographisches Interesse bald stillgestellt ist. Vielmehr zieht uns eine Szene an , die ins Zentrum des Bildes zu stellen der Maler für richtig befand. Unser Auge hat längst bemerkt , daß der Vordergrund des Bildes von niedergestürzten, wilden Gesteinsbrocken begrenzt wird – an den mächtigsten dieser Felsen , links , ist ein Bildstock angelehnt , dessen Rundbogengemälde – wohl Maria mit dem Jesuskind , blau-rot ? – von einem pagodenartigen Dach nicht überschattet , aber überragt wird. Vor diesem Bilde sehen wir eine Betbank , und vor dieser Bank steht ein Wanderer , in Kniehosen und weißes Hemd gekleidet , einen Rucksack auf dem Rücken , die Beine verschränkt. Dieser Wanderer ist es , der unsere Neugierde weckt. Denn auch gesetzt den Fall , der Maler Dorner habe ihn bloß zur Belebung der Landschaft – als Staffage – gewissermaßen künstlich ins Bild gesetzt , bleiben doch die Details der Szene (die gewiß auf Einzelstudien zurückgehen) merkwürdig genug.

D I STA N Z I E RTE P I E TÄT Denn der Mann betrachtet das Heiligenbild zwar andächtig – oder besser : pietätvoll ? – , aber er kniet nicht auf die Bank , wie wir es doch von den Frommen erwarten. Das fällt uns auf , wenn wir triviale Motive (etwa : Nöte mit den Knien !) außer acht lassen. Und wir sehen die Distanz verstärkt durch den Stock , auf den unser Wanderer sich stützt. Ja nicht einmal den Hut hat er vom Kopf genommen , was doch der geläufigsten Form der frommen Etikette entsprochen hätte. Nein : Der Mann 28

hat zwar Respekt – aber keine Ehrfurcht mehr. Dorners Wanderer ist äußerlich ein Mann der Tradition , aber innerlich ein Mann des Kommenden. Er ›verkörpert‹ – im Wortsinne ! – die Ahnung einer neuen Seelen-Haltung , die Voraussetzung war für die Entstehung des Alpinismus – als eines neuen , aufgeklärten , befreiten Umgangs mit der Wildnis der hohen Berge.

KEIN FROMMER GEDANKE MEHR Kein Gebet war da mehr gefragt , nicht einmal mehr das Stoßgebet , sondern die rasche , die vitale Reaktion des Menschenleibes , der Körper hatte zu funktionieren. Da ist kein Gedanke mehr erlaubt , hatte Valentin Stanig nach seiner Erstbesteigung des nah gelegenen Watzmanns (im Alleingang , 1800) notiert , nicht einmal mehr der frömmste Gedanke – also das Gebet. Doch diese Tendenz zur Gott-Losigkeit muß uns nicht verwundern. War doch der Verlust des Glaubens an überirdische Wesen die Voraussetzung dafür gewesen , daß sich Menschen überhaupt in die höchsten Gebirge wagen konnten.

Angaben zum Bild : Johann Jakob Dorner d. J. : Grundübelhorn am Hintersee , um 1820 ? ; Aquarell , 33 ,5 x 59 ,5 cm. DAV , Inv.-Nr. 1.185. 

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DIE WAHRHEIT IM FALSCHEN BILD Kahle , scharfkantige Felsformationen bilden eine enge Schlucht , die von einem riesigen Schneeball fast gänzlich ausgefüllt wird. Dieser Schneeklumpen (die Bildunterschrift erklärt ihn zu einer ›Schnee-Lauwe‹ , also zu einer Lawine nach unserem Sprachgebrauch) läßt allerlei Einschlüsse erkennen : Häuser , entwur30

zelte Bäume , verwirbelte Tiere , kopfüber in der Schneemasse steckende Menschen. Gleich wird er das Dorf in der Talsohle zermalmen , die Häuser am linken Bildrand hat er schon erfaßt und aus ihren Fundamenten gerissen.

EI N G I GANTISCH ER SCH N EEKLU M PEN Aber das heutige Auge , das von unserem modernen Wissen gesteuert ist , will die ganze Szene – sie wurde im Jahr 1754 veröffentlicht – als unwirklich entlarven. Wo , fragt es nach , soll es solche bizarren Felsen geben ? Wo soll unter derartigen Steingebilden eine menschliche Siedlung angelegt sein – eine Siedlung zumal , die auf keinerlei alpine Studien des Zeichners hindeutet , sondern eher an die Strohhütten niederländischer Maler des 17. Jahrhunderts erinnert ? Und welchen Weg soll denn die Lawine genommen haben , wie soll sie sich an den nackten Steilwänden aufgerollt , und wo soll sie ihre Einschlüsse gefangen haben ? Denn das Bild , das der Lawinengestalt gegeben ist , geht ja ganz offensichtlich von der Beobachtung eines abrollenden Schneeballs im Pappschnee aus. Es ist ein Begriff der Lawine , den wir uns nach unseren alltäglichen Flachländererfahrungen bilden , sagt der später als Philosoph weltberühmt gewordene Georg Wilhelm Friedrich Hegel , nachdem er 1796 wirkliche alpine Lawinen erlebt hat (er sieht spritzenden Schneestaub und aus Felsspalten quellende Schneemassen) : so wie wir Schnee von unseren ­Dächern herabrollen sehen.

ZÄ H E B I L DTR A D I TI O N E N Es erhebt sich also die Frage nach der Wahrheit eines Bildes der alpinen ­Lawine , das man wenigstens seit zwei Jahrhunderten schon kannte (schon Hans Burkmair ließ solche Schneeballen auf seinen Theurdanck , den Kaiser Maximilian , herabprasseln , 1517). Das 18. Jahrhundert begann zu zweifeln , wie die Notiz Hegels zeigt , aber im großen ganzen sah es sein Wissen im Lawinenbild , das 31

Daniel Düringer entworfen und David Herrliberger verlegt hatte , gut aufgehoben. Die Lawinen , schrieb noch der Hannoveraner Apotheker Andreae 1763 in seinem Gotthard-Reisebericht , sind »herabrollende Schneeklumpen« , »welche Herrliberger überaus schön in Kupfer vorgestellet« hat (damit sind zwei Kupferstiche gemeint , von denen wir den einen abbilden). Sie »wickeln bekanntermaßen zuweilen Menschen und Tiere in sich , ohne Errettung übrig zu lassen«. Herrliberger beschreibt denn die ›Einwicklung‹ der Menschen auch recht realistisch : sie werden elendiglich zerdrückt und übel zerschmettert oder im Schneestaub erstickt.

W A H R H E IT I M I R RTU M So zeigt sich , daß der Begriff der Lawine , der sich aus der alpinen Erfahrung gebildet hat , schon früh durchaus unserer modernen Auffassung entspricht , während das Bild des furchtbaren Schneeballs , der alles in sich einwickelt , noch lange – auf frommen Votivtafeln bis weit ins 19. Jahrhundert hinein – die Vorstellung der Menschen (auch in den Alpengegenden selbst !) beherrscht. Auch im falschen Bild , auch im Irrtum also kann Wahrheit verborgen sein.

Angaben zum Bild : Daniel Düringer : »Schnee-Lauwen [ …]« , 1755 , in David Herrliberger : Neue und vollständige Topographie der Eydgenoßschaft [ …]. Erster Theil. Zürich 1755 (1. Aufl. 1754) , nach S. 78 ; Radierung , 25 ,5 x 13 ,5 cm. DAV , Inv.-Nr. 16.

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DRACHEN IN DEN ALPEN Das Bild , ein kolorierter Kupferstich vom Anfang des 18. Jahrhunderts , ist rasch beschrieben – zumal es , so meinen wir vielleicht zunächst , nicht viel mit den Alpen zu tun hat. Wir sehen keinen Berg , sondern eine ebene Gegend , wir sehen nicht die Öde der pflanzenlosen und kalten Höhe , sondern eine fast üppige Vegetation. Ein Mann , die Axt geschultert (ein Bergmann , ein Holzhauer vielleicht) , schreitet munter , fast eilig dahin – und erschrickt. Reflexartig führt er seine rechte Hand vors Gesicht , denn vor ihm bäumt sich auf offenem Weg ein Untier auf , das er so nicht gekannt , aber irgendwann einmal erwartet haben mag , weil von ihm so oft die Rede gewesen war in den Berichten der Alten und der Berggänger. Die hatten vom Stollen- oder Springwurm erzählt , von drachenartigen Wesen in den höchsten Alpen – immer und immer hatte man sie gesehen , war vor ihnen erschrocken und hatte die unterschiedlichsten Beschreibungen geliefert. 33

D I E N E U G I E R D E D E S W I S S E N S C H A F TL E R S So lebendig war diese Tradition der Wahrnehmung der alpinen Wirklichkeit , daß Johann Jakob Scheuchzer in seiner erstaunlichen Briefumfrage im Jahre 1699 (es interessierten ihn die ›natürlichen Wunder‹ der Schweiz) erkunden wollte , was man im Gebirge von geflügelten Drachen wisse , wie sie aussähen , welchen Schaden sie anrichteten bei Mensch und Vieh. Das war Nr. 166 in einem Katalog von 189 Fragen , die sich allesamt für Wesen und Besonderheiten des Gebirges interessierten – eine Umfrage also , mit der man getrost die moderne Alpenforschung beginnen lassen kann. Und der Zürcher Scheuchzer (1672– 1733) war ja nicht irgendwer , und am allerwenigsten war er ein Phantast. Er hatte an Universitäten in Deutschland und in den Niederlanden eine breite Ausbildung als Naturwissenschaftler und Mediziner , als Astronom und Mathematiker erhalten und arbeitete zuletzt als erster Stadtarzt und Professor der Physik in Zürich. Der Mann , den eine fast unglaubliche Wißbegierde antrieb , der systematische Forschungsreisen in die Berge machte , regelmäßige Wetterbeobachtungen auf dem Gotthard anregte , riesige Sammlungen anlegte (etwa von Versteinerungen) , und der seine Erkenntnisse in umfangreichen illustrierten Büchern festzuhalten und weiterzugeben suchte (aus einem dieser Bücher stammt unser Kupferstich) – der Mann war ein kühler , rationaler Kopf. Seine Frage nach den Drachen läßt sich nämlich auch so lesen : Gibt es diese Drachen , von denen die Bergbewohner erzählen , wirklich ? Man darf also sagen : Die neuzeitliche Alpenforschung beginnt mit der Drachenfrage.

A LT E A N G S T- G E S C H I C HTE N Die Älpler sahen die abscheulichen Wesen aber weiterhin. Noch über ein Jahrhundert später , 1810 , berichtete ein österreichischer Vermessungsoffizier von der oft vergeblichen Mühe , auf den Bergspitzen Triangulierungssignale – also hölzerne Stangen , Pyramiden oder andere Gestelle – zu errichten. Denn die Bevölkerung suche sie zu zerstören : sie betrachte die Vermessungszeichen als Vorboten des Unheils , weil man in der Dämmerung geflügelte Drachen um sie herumfliegen sehe. Unter den aufgeklärten Wissenschaftlern dagegen hatte um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert herum längst die Skepsis über die Neugierde gesiegt. Hatten sie es anfangs noch für möglich gehalten , daß die Drachensagen der Älp34

ler nur panisch übertriebene , also im Grunde verständliche Berichte seien über Begegnungen mit bislang unbekannten Schlangenoder Eidechsenarten , wuchs nun der Zweifel und siegte am Ende. Ja mehr noch : Der Zweifel verwandelte sich in Spott , ja in Satire – womit angezeigt war , daß der Angsttraum , in dem die alpinen Drachen ihr Unwesen getrieben hatten , ausgeträumt war.

V O M Z W E I F E L Z U M S P OT T Übriggeblieben (und als Denkmal des ironischen Spiels mit dem Grusel bis heute zu besichtigen) ist die Karikatur des uralten Sagentraums – gezeichnet etwa von Wilhelm von Diez (1839–1907). Der alte Drache räkelt sich satt und faul in einer Höhle , vor deren Eingang Hut , Schuhe und Bergstock des einsamen Bergwanderers liegen , auch sein abgenagter Schädel und ein glattgeputzter Beinknochen. Das Untier aber hat sich die noch glimmende Tabakspfeife des Alpinisten ins Maul geschoben und läßt den Rauch genüßlich ins Freie ­ziehen.

Angaben zum Bild : Johann Melchior Füßli : Drachen , 1723 , aus Johann Jacob Scheuchzer : Uresiphoites helveticus /  sive itinera per Helvetiae alpinas regiones. Zürich [ ?] 1723 , Fig. 8 ; Kupferstich koloriert , 17 x 15 ,5 cm. DAV , Inv.-Nr. 185.

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DER BLICK VON UNTEN Wenn wir uns den raschen Überblick über die Gestalt einer Gegend verschaffen wollen , greifen wir zu einer topographischen Karte oder zu einer jener vor allem von Touristikorganisationen bevorzugten Panorama-Darstellungen (die neuerdings zuweilen durch Satellitenaufnahmen ersetzt werden). Alle diese Versuche , eine Landschaft zu ›verstehen‹ , können befriedigend enden , weil sie sich unserem Verlangen nach Ein-Deutigkeit beugen. Vor allem wollen wir wissen , welcher Blick , welche Perspektive uns Betrachtern und Betrachterinnen zugedacht ist : der Blick auf die Landschaft von einem beliebigen Punkt aus , aber eben in ver36

läßlicher Zentralperspektive ; oder der Blick aus der Perspektive des Satelliten ; oder der theoretische Blick aus unvorstellbarer Höhe des Weltalls , der die Objektivität der Karte erzeugt.

I R R I TAT I O N D E R P E R S P E K TI V E N Aber dieses Verlangen ist historisch neu , wir besitzen es erst seit rund zweihundert Jahren , und deshalb irritiert uns die hier abgebildete Darstellung der Stadt Kitzbühel und ihrer nächsten Umgebung aus dem Jahr 1620. Wir merken rasch , daß wir das Bild drehen müssen – daß uns also kein verläßliches Verhältnis von Standpunkt und Blickrichtung entgegenkommt. Schon wenn man die Angaben der Himmelsrichtungen (oben in unserer Hauptabbildung : ORIENS , Osten) lesen will , muß man das Bild drehen. Man erblickt dann das Flußtal der in zahllosen Adern von Süd nach Nord dahinströmenden Ache neben der sauber gezeichneten Siedlung. Nach Westen und Osten aber geht der Blick zunächst über die von Hecken und Zäunen eingegrenzten bebauten Fluren hinauf zu den Wiesen- und Weidegebieten zwischen den Waldstücken und -streifen , welche die Rodungsarbeit stehengelassen hat. Man erkennt dort oben auch Heu- und Almhütten und das auf Holzgestellen zum Trocknen aufgesteckte Heu. Der Blick geht also hinauf , wir scheinen uns unten zu befinden und nach oben zu blicken – und gleichzeitig blicken wir doch aus der Vorgelperspektive auf die Stadt und ihre unmittelbare Umgebung hinunter.

Z U R G E S C H I C H TE D E R K A RTE Dieses Chaos der Perspektiven war indessen nicht nur ein Problem bei der Konzeption von Panorama-Ansichten – die Irritation des Blickes kennzeichnet auch alle älteren Anstrengungen , verläßliche Karten zu zeichnen. Noch die so gelobten Tiroler Karten Peter Anichs zeigten Ortschaften , Straßen und Flüsse gleichsam senkrecht von oben gesehen – wie im modernen Kartenbild. Die Berge indessen zeichnete er in der herkömmlichen Maulwurfshügel-Manier , also in der Perspektive schräg von oben. Mit solch unvollkommenen Karten mußten noch 37

die Bergpioniere der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts zurechtkommen. Ihre Meßaktionen auf den Gipfeln lieferten dann endlich die Daten für eine neue Kartographie. Doch es waren nicht nur neue Daten , die ein neues Kartenbild lieferten – wichtiger war eine Revolution in den Köpfen , die nun plötzlich die Einheitlichkeit der Perspektive verlangte : nämlich den systematischen Blick von hoch oben , der es nahelegte , die Berghänge in mehr oder minder starken Schraffen oder in mehr oder minder dichten Höhenlinien zu zeichnen. Dieser epochale Wahrnehmungs- und Darstellungswandel vollzog sich um das Jahr 1800 , und obwohl er doch für die Geschichte des Bergsteigens so ungeheuer bedeutsam ist , ist er kaum einmal bemerkt worden.

D I E L E B E N SW E LT A LS I N S E L Unsere Panoramakarte aber ist noch zwei Jahrhunderte entfernt von dieser Revolution des Blickes. Sie schwimmt wie eine Insel der Seßhaftigkeit im unend­ lichen Meer der übrigen Welt , mit der sie nur durch die Himmelsrichtungsangaben verbunden erscheint. Und schon gar nicht interessiert sie sich für die fremde Welt des Hochgebirges , von dem nur ein blasser Zipfel (vielleicht das Kitzbüheler Horn ?) zaghaft hinter den östlichen Wäldern hervorlugt.

Angaben zum Bild : Andreas Faistenberger : »Stot Kizpichel Aº 1620« , Stadt Kitzbühel im Jahr 1620 ; Aquarell , 80 ,5 x 78 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2646.

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DER BLICK VON OBEN Den Blick von oben steil hinunter ›aushalten‹ zu können , ohne daß einem schwindlig wird – das ist nicht selbstverständlich und nicht jedermanns Sache. Bestimmte Berufe und Tätigkeiten erforderten ihn seit je. 39

S C H W I N D E L N D E TI E F E Hirten und Jäger in den Hochgebirgen mußten diesen Blick in die Tiefe beherrschen , doch auch Zimmerleute und Maurer , ja selbst Seeleute , wenn sie an den Segeln auf den turmhohen Masten ihrer Schiffe zu tun hatten. Und neuerdings kommt als neue Sparte der Montagearbeiter hinzu und der Fassaden- und Fensterputzer an unseren Wolkenkratzern. Daß aber weitere Bevölkerungskreise wenigstens in ihrer Freizeit mit dem Blick in die Tiefe konfrontiert sind , ist eine – historisch gesehen – ganz junge Sache : erstmals in der Geschichte der Menschheit schildern die Ersteiger der höchsten Alpengipfel um 1800 den Schwindel , der sich ihrer bemächtigt , notieren die Gefühle , die sie aufwühlen , und beschreiben den gewaltigen Panorama- und Tiefblick. Es ist dies übrigens just auch der Zeitpunkt , an dem Wissenschaftler , die mit dem Heißluftballon aufsteigen , ebenfalls diesen Blick , der steil von oben hinab ins Unendliche geht , erproben.

D I E F R A U , D E R M A N N Er ist auch das Thema unserer Abbildung. Ein junges Paar aus der Stadt ist , vom Bergführer geleitet , auf einem Gipfelfelsen des bizarren Kalkgebirges , das den Hintergrund bildet , angekommen. Ganz im Vordergrund sehen wir die junge und sportliche , mit dunklem Rock , heller Bluse und modisch karierter Mütze bekleidete Frau sitzen. Der Blick in die Tiefe ist ihr ganz offenkundig unbehaglich , mit ihrer rechten Hand hält sie sich fest am Gestein , wir erkennen sogar die verkrampften Fingerknöchel. Ihr mit Kniehose , dickwollenen Kniestrümpfen und weißem Hemd bekleideter Gefährte indessen versucht Gelassenheit zu zeigen (oder gar zu demonstrieren ?) , er steht aufrecht und frei , hat die karierte Wol­ljacke lässig über die Schulter geworfen und setzt den Pickel , den er ­locker (auch das sieht man !) in seiner Linken hält , mit der Spitze hart am Rand des Felsens auf. Während die beiden nun gebannt die Tiefe fixieren , hat allein der Führer , den man leicht gebückt links hinter dem Paar mit dem Seil beschäftigt sieht , 40

den Blick frei für anderes – er scheint aufmerksam das Geschehen in einer entfernten Felswand zu beobachten.

D ER STU RZ D ES MALERS Unser so schlichtes wie aufschlußreiches Bild ist flott hingeworfen – der 1879 geborene Künstler , Alpinist und Sportler Gustav Jahn hat es um das Jahr 1910 als Aquarell grau in grau gemalt (als ›Grisaille‹ also) und einzelne Stellen weiß ›gehöht‹ , um Lichteffekte hervorzuzaubern. Es gehört zu einer ganzen Reihe von bis heute ansprechend gebliebenen Skizzen , die Jahn für die Kataloge des ­Wiener Sporthauses Mizzi Langer-Kauba entworfen hat. Der Künstler selbst aber fand im Jahre 1919 den Bergtod an der Ödsteinkante im Gesäuse. Er liegt auf dem so unendlich anrührenden Bergsteigerfriedhof von Johnsdorf begraben (im Grab Nr. 116 links hinter dem Kirchlein). Die Inschrift auf der schlichten Marmorplatte lautet : »Gustav Jahn / Akad. Maler / Abgestürzt am 17 VIII 1919 im 41. Lebensjahre«.

Angaben zum Bild : Gustav Jahn : Der Blick von der Felsspitze , um 1910 ; Gouache (Grisaille) , 36 x 24 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2542.

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VIERERLEI BERGSTEIGER Vor uns liegt ein entzückendes kleines , in duftigen Farben recht virtuos gemaltes Aquarell – allerdings muß , wer alle Details erkennen möchte , schon genau hinschauen. Wer scharfe Augen hat , kann links unten den Namen der Künstlerin – Gabrielle Rechberg – lesen (über die nichts weiter bekannt ist und über die keines der gängigen kunstgeschichtlichen Nachschlagwerke Auskunft gibt) und die Jahreszahl 1854. Auf der Rückseite des Blattes aber ist , für Betrachterinnen und Betrachter natürlich unsichtbar , der dargestellte Ort bezeichnet : »Watzmann Spitze«. 42

W A L L FA H R E R  , TO U R I STE N   , JÄG E R Gemeint ist die nördlichste und mit 2651 m niedrigste der drei Watzmann-Spitzen , das Hocheck , von dem sich der berühmte und aus­gesetzte Grat südwärts zur Mittelspitze (2713 m) und zur Südspitze (2712 m) hinzieht. Während die Mittelspitze , soweit man weiß , erstmals im Jahre 1800 und die Südspitze gar erst 1832 bestiegen wurde , war das Hocheck ein altes – fast möchte man sagen : traditionelles – Bergziel , ein heiliger Ort , an dem schon im 18. Jahrhundert ein Bildstock errichtet worden war : ein Kruzifix mit einem verschließbaren Kästchen , in dem sich ein Marien­bild befand. Vor ihm kniet , links auf unserem Bildchen , andächtig betend ein einheimischer junger Mann – ein einsamer, frommer Wallfahrer. Außer ihm befinden sich noch zwei Bergsteigergruppen auf dem Gipfel : rechts ein bürgerliches Paar (der Mann schaut stehend durch ein Fernglas) mit dem auf einem Stein sitzenden einheimischen Führer , den man an Federhut und Bergstock erkennt , und in der Mitte eine Familie (bestehend aus dem Elternpaar und zwei Töchtern) , die einen eigenen Führer mitgebracht hat , der mit ausgestrecktem Arm die Aussicht erklärt.

D E R U N S I C H T B A R E W I S S E N S C H A F TL E R Wir sehen also auf diesem so unscheinbaren wie aufschlußreichen Bilddokument zunächst drei Typen von Bergsteigern : den frommen Mann , der , um zu beten oder ein Gelübde zu erfüllen , in traditioneller Religiosität den Gipfel erklommen hat ; sodann den neuen Typus des Touristen , der , um ein aufregendes Naturerlebnis zu genießen , sich auf den Berg führen läßt – es ist übrigens bemerkenswert , daß vier der sechs Touristen Frauen oder Mädchen sind , die man an ihren breitkrempigen Strohhüten gut erkennen kann. Ganz andere Interessen haben indessen die beiden einheimischen Führer (›Profis‹ , würden wir heute sagen) , die vielleicht Jäger sind und sich sommers und sonntags das ersehnte Zubrot verdienen. Den vierten Typus des Gipfelersteigers aber sehen wir nicht – er ist nur durch sein Gerät repräsentiert , die Wetterstation , die sich auf oder hinter 43

der aus Steinen aufgetürmten Gipfelpyramide erhebt : gemeint ist der Wissenschaftler (auch ein moderner Typus) , der Lage- und Höhenmessungen vornimmt , Thermometer und Barometer abliest und Niederschlagsmengen notiert.

D I E W E I S H E I T D E S B I L DC H E N S Doch besteht die Weisheit unseres kleinen Bildchens nicht nur darin , daß es uns viererlei Bergsteiger vorstellt – es zeigt uns auch ihre ›Dinge‹ , ihre (etwas ungewöhnlich , aber treffgenau gesagt :) materiellen Repräsentationen. Der fromme Mann aus dem Volk kniet vor dem Bildstock. Die Hirten und Jäger des Landes haben schon vor langer Zeit den Steinmann errichtet. Den Wissenschaftlern ist die Beobachtungsstation zuzurechnen. Zur neuen Touristengeneration aber gehört das Gipfelkreuz rechts hinten – übrigens auch das Fernglas und das Skizzenbuch , in welches das Mädchen zeichnet , das vor der Gipfelpyramide sitzt. Es zeichnet und skizziert , wie wenn es die Malerin Gabrielle Rechberg selbst wäre , 1854.

Angaben zum Bild : Gabrielle Rechberg : »Watzmann Spitze« , 1854 ; Aquarell , 28 ,5 x 25 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 45.

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KRUZIFIX MIT BLITZABLEITER Der ungewöhnlich große Stahlstich , den Blasius Höfel nach einem Aquarell von Matthäus Loder (1781–1828) gefertigt hat – wir zeigen ein koloriertes Exemplar – , trägt die Unterschrift : »Feyerliche Enthüllung und Einweihung des Kreuzbildes von Gußeisen auf dem Erzberge in Steyermark am 3ten Juny 1823« – es geht also um die Einweihung eines frühen Gipfelkreuzes , die Erzherzog Johann von Österreich eine Herzensangelegenheit war.

E I N E S D E R F R Ü H E STE N G IP F E L K R E UZ E Man blickt auf einen runden, unbewaldeten Berggipfel , der die rechte Bildhälfte fast füllt und über und über mit Menschen bedeckt ist , deren Menge sich bis in den felsigen Vordergrund der Bildmitte erstreckt. Andächtig blicken die Versam45

melten , die so exakt gezeichnet sind , daß man sie zählen könnte , aufs Zentrum des Geschehens auf dem Berggipfel. Viele sind betend auf die Knie gefallen. Den linken Bildrand bilden zwei alte Wetterbäume , die im Vordergrund auf Fels wurzeln. Mit Hilfe einer Leiter sind Neugierige hoch hinaufgestiegen , um den feierlichen Akt zu beobachten. Zwischen den Bäumen und dem Erzberg­ gipfel hindurch fällt der Blick auf einen tiefer gelegenen Bergsattel , auf dem man , in der Ferne schon , nochmals viel Volks erkennt. Dieser Rücken stellt die Verbindung her zu der kahlen , von Schuttkaren durchzogenen Bergkette des Eisenerzer Reichensteins , der im Hintergrund (ungefähr nach Süden hin) den Bildhorizont bildet. Hie und da steigen noch Nebel auf und verbinden sich mit den quellenden Haufenwolken am Himmel der rechten Bildhälfte. Es ist später Morgen oder früher Vormittag , ein strahlender Tag : die Sonne bescheint die Szene und wirft nur noch kurze Schatten nach rechts. Auch weht ein leichter Ostwind , wie man an den Flammen der Riesenkerzen sieht , die die Bergleute rechts des Kreuzes halten , und an der großen Fahne. Auf dem Berggipfel aber erhebt sich ein riesiges Kreuz. Der überlebensgroße Gekreuzigte ist nach links , nach Osten ausgerichtet , der Sonne entgegen. Am Fuß des Kreuzes kann man einen Altar erkennen mit Altargefäßen und Pflanzenwerk und darüber , am Stamm befestigt , ein retabelartiges Gebilde – wir wissen , daß es ein Bild ist mit aufgeschlagenen Flügeltüren. Der Priester vor dem ­Altar – also links vom Kreuz – zeigt die Monstranz , die Menschen verneigen sich oder fallen auf die Knie , Fanfarenbläser stemmen ihre Instrumente empor , man hört sie förmlich schmettern. Diese bewegte Szene , das ideelle Zentrum des ­Bildes , spielt sich auf der obersten Höhe des Berges ab , die mit Holzbohlen zu einer Art Podest gestaltet ist. Links und rechts unterhalb dieses Podestes sind in militärischer Ordnung die Bergleute aus Vordernberg und Eisenerz aufgestellt und bilden einen Kordon gegen das Volk , das von unten andrängt.

N E U E B E R GTH E O L O G I E Unser Bild ist nicht das einzige Dokument , das von Verlauf und Bedeutung der Erzberg-Zeremonie des Jahres 1823 zeugt. In den Zeitungen erschienen detaillierte Berichte. Der Brief , in dem der Erzherzog dem Geistlichen Ideen für seine Predigt mitteilte , ist erhalten. Vor allem aber ist die Festpredigt selbst im Druck erschienen – sie galt fortan lange Zeit sogar als Musterpredigt für Gipfelkreuz46

Einweihungen , weil sie eine neue Bergtheologie enthielt. Denn der Festprediger nahm Bezug auf die monumentale Steinsäule , die der Erzherzog Johann auf dem Ortler nach dessen Erstersteigung im Jahre 1805 zu errichten befohlen hatte als Zeichen des menschlichen Triumphs über die Widrigkeiten der wilden Natur. Hier aber auf dem Erzberg sei nun »keine eitle Riesensäule« mehr errichtet worden , so der Geistliche , sondern ein »Zeichen der Erlösung«. Das heißt doch : Das Kreuz auf dem Berg war nun gedeutet als Wiedergutmachung , als Buße für eine blasphemische Tat – nämlich die Besteigung der Berge ohne das schlechte Gewissen , das früher die Gipfelgänge stets begleitet hatte.

D A S K R E U Z A L S Z E I C H E N D E R E NTC H R I STL I C H U N G So ist denn das frühe Gipfelkreuz eine ambivalente kulturelle Gebärde : es ist ohne Zweifel ein Zeichen des christlichen Glaubens , aber es ist zugleich ein verhülltes und verhüllendes Indiz für den Prozeß der Entchristlichung. Ein gebrochenes Zeichen ist es ohnehin , wie ein letzter Blick auf unser Bild zeigt. Denn über dem Haupt des Gekreuzigten ragt ein Blitzableiter in den Himmel , das heißt doch : Das Kreuz , das sonst und einst die Fluren der Menschen vor dem Wetter (als dem Zorn Gottes) geschützt hatte , mußte nun selbst durch menschliche Kunst , durch menschliches Vermögen vor dem Blitz bewahrt werden.

Angaben zum Bild : Matthäus Loder : »Feyerliche Enthüllung und Einweihung des Kreuzbildes von Gußeisen , auf dem Erzberge in Steyermark , am 3ten Juny , 1823« , 1823 ; Stahlstich von Blasius Höfel , koloriert , 36 x 54 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2782.

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STELLVERTRETER Eine verbreitete Sage will wissen , Otto Barth habe auf seinem im Jahre 1911 gemalten monumentalen Ölbild , das unverkennbar die Spitze des Großglockners mit dem Gipfelkreuz zeigt , den ersten Berggang Kalser Führer zu Beginn des Sommers darstellen wollen (und nicht etwa , obwohl sich für diese Sichtweise gute Gründe anführen ließen , den Gipfelbesuch eines städtischen Touristen mit Hilfe seines einheimischen Führers) – eine fromme Wallfahrt gewissermaßen als Bitte um Segen für die Touren der Saison. Doch kennen wir keinen Bildtitel des Malers selbst und keine Äußerung aus seinem Munde , welche die 48

in Alpinistenkreisen und in der Literatur kursierende Überlieferung legalisiert hätte.

E I N E I K O N E D E S A LP I N I SM U S Aber das wissen wir : daß das prächtige Bild in den Kreisen der Bergfreunde rasch zur Ikone geworden und eine Ikone wohl auch bis heute geblieben ist (weshalb wir es mitsamt seinem schlicht schimmernden Rahmen reproduzieren). Diesen Tatbestand kann man auf sich beruhen lassen. Doch kann man in ihm auch die eigentliche Frage vergraben sehen – die Frage nämlich , wie es zu dieser gefühlsmäßigen Heiligsprechung des Bildes , wie es zu dieser Ikonisierung kommen konnte , die unerbittlich nach einem erfundenen Titel ruft (etwa : Morgengebet der Führer usw.). Ich meine , das Gemälde selbst halte dafür eine Antwort bereit.

Z W E I E R L E I A N D A C HT Zwei Männer sind in aller Frühe den Berg heraufgestiegen und haben nun das Gipfelkreuz erreicht , dessen bizarre Rauhreif-Eisgebilde dem Ostwind entgegenstehen. Die Sonne , die soeben aufgegangen ist , gießt warmes Rosa-Licht darauf wie auch auf den aufgetürmten Gipfelschnee und die oberste Zone der fernen Bergkette im Norden. Die Blaufarben des geschichteten Himmels spielen von einem satten Violett in der Höhe in kalte Türkistöne am tiefgezogenen Horizont. Es ist , als spiegelten sie sich umgekehrt in den noch verschatteten Hängen über der Pasterze , vor denen die Szene , auf die es ankommt , grandios aufgebaut ist. Wir blicken auf das ragende Kreuz mit seiner bombastischen Zier , dessen Spitze den Rahmen durchstößt. Diesem Kreuz wendet sich ein Mann in heftiger Bewegung zu (das Seil , in das er eingebunden ist , wirft sich ganz im Vordergrund schlängelnd auf , der Hut ist ihm auf die Seite gerutscht). Er hält es mit der Rechten fest , während er das an den Stamm geheftete kleine Kruzifix mit den Lippen berührt. Links davon und etwas tiefer steht ruhig und sicher der andere Mann (auf dessen Brust wir das Bergführerabzeichen erkennen) mit breitem gesenkten Bartgesicht und gefalteten Händen , mit denen er den vom Kopf genommenen Hut hält , in stille Andacht versunken – eine eher vierschrötige Gestalt , die an die Männertypen des Albin Egger-Lienz erinnert. Während aber die Natur – Eis , Schnee , Gebirge , Atmosphäre , Licht – in diese betörenden Rosaund Blaufarben getaucht ist , sind die Menschen und ihr Werk – ihre Ausrüstung , 49

das Gipfelzeichen mit den metallenen Verankerungen , die auf seine Gefährdung verweisen – in schwere erdig-braune , orangen durchtränkte Töne gebracht : äußeres Anzeichen für die bewußte oder unbewußte Absicht des Malers , der Gipfelszene besondere Bedeutung einzumalen.

H I N Ü B E R G E S P I E G E LTE S W U N S C HB I L D In der Tat : Barths Gemälde ist keine historische Erzählung über eine wie auch immer geartete Gipfel-Tat , es ist vielmehr ein Wunsch-Bild. Die derbe Stärke der Männer interessiert vor allem insofern , als sie herbeigewünschtes Kontrast-Bild zum ›blutleeren‹ , ›nervösen‹ Städter der Zeit um 1900 ist. Und ganz sicher war es nicht das vorrangige Ziel des Malers , einen gleichsam ethnographischen Beitrag zur Volksfrömmigkeitsforschung jener Epoche zu liefern. Vielmehr hat sein Pinsel die Sehnsucht nach ursprünglicher Lebenskraft und naiver Religiosität auf die Leinwand-Gestalten hinübergespiegelt. Die beiden Männer sind also Stellvertreter-Figuren : so wollten der Maler und die Betrachter seiner Bilder gerne gewesen sein. Und jene Seelenstimmung vorbehaltloser Hingabe , die wir in uns selbst vielleicht heimlich vermissen , macht uns Barths Gemälde bis heute so anziehend , vertraut und lieb. So erzählt das Bild viel eher etwas über uns selbst als über jene Männer aus den Bergen , die vor uns hingemalt sind. Sie sind nur das hart konturierte Vexierbild unserer eigenen , ganz und gar nebelhaften , undeutlichen und verwirrten Gefühle. Sie sind ein Phantom unserer selbst – so wie ja auch der Maler (der im Jahre 1911 schon ernsthaft erkrankt war) den Glocknergipfel mitsamt dem doch fast grotesk verzierten Kreuz einer Postkartenfotografie nachfantasiert hat. Doch das desavouiert seine Kunst nicht – seit Erfindung der Fotografie haben sich die Maler , auch die größten , dieses Hilfsmittels bedient. Aber der Hinweis hilft uns zu verstehen , daß in unserem Bild manipulierter Wirklichkeit Wahrheit ausgedrückt ist – und zwar Wahrheit nicht über das , was wir zu sehen glauben , sondern Wahrheit über uns Betrachter.

Angaben zum Bild : Otto Barth : Morgengebet der Kalser Bergführer auf dem Großglockner , 1911 ; Öl auf Leinwand , 176 x 188 cm (Bildgröße). ÖAV , Inv.-Nr. 2509.

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DIE SPUR Am Abend des 12. November 1779 notierte der 30jährige Johann Wolfgang Goethe in der warmen Stube der Kapuziner auf der Realp bei einem Stück Brot und einem Glas Wein , was ihn beim Zug der fünfköpfigen Karawane (er war mit zwei Begleitern und zwei Führern unterwegs) über die tiefverschneite Furka besonders beeindruckt hatte.

D I E FU R C H E  , D I E M A N G EZ O G E N H AT »Es war ein seltsamer Anblick« , lesen wir in den »Briefen aus der Schweiz« , »in der ödesten Gegend der Welt , und in einer ungeheuren einförmigen schneebe51

deckten Gebirgswüste , wo man rückwärts und vorwärts auf drei Stunden keine lebendige Seele weiß , wo man auf beiden Seiten die weiten Tiefen verschlungener Gebirge hat , eine Reihe Menschen zu sehen , deren einer in des andern tiefe Fußtapfen tritt , und wo in der ganzen glatt überzogenen Weite nichts in die Augen fällt , als die Furche , die man gezogen hat. Die Tiefen , aus denen man herkommt , liegen grau und endlos in Nebel hinter einem. Die Wolken wechseln über die blasse Sonne , breitflockiger Schnee stiebt in die Tiefe und zieht über alles einen ewig beweglichen Flor.« Und dann fügt er einen zunächst ganz unscheinbar wirkenden , bei Licht besehen aber hoch bedeutsamen Satz an : »Ich bin überzeugt« , schreibt Goethe , »daß einer , über den auf diesem Weg seine Einbildungskraft nur einigermaßen Herr würde , hier ohne anscheinende Gefahr vor Angst und Furcht vergehen müßte.«

A L P I N I S M U S A LS Ü B E R W I N D U N G A LTE R A N G S T Goethe hat hier mit seinem großen historischen und psychologischen Spürsinn präzise erfaßt und prägnant auszudrücken gewußt , was die Grundlage für die ›Erfindung‹ des Alpinismus ist (die ja just in jenen Jahren sich vollzieht) : nämlich die Bearbeitung und Überwindung althergebrachter Angst und die neue Erfahrung , daß man in der wilden Gebirgsnatur nicht notwendigerweise »vergehen« muß. Und anschauliches Zeichen dieser Erfahrung ist »die Furche , die man gezogen hat« – die Spur im Schnee , die in denselben Jahren der geniale Caspar Wolf immer wieder gemalt hat , die Spur als Selbstvergewisserung der eigenen Kraft und des leiblichen Tuns wie auch des sozialen Zusammenwirkens beim Spuren , »wo einer in des andern tiefe Fußtapfen tritt« !

D I E BED EUTU N G D ES SPU RENS Viele Jahrzehnte später , am 15. August 1865 , hat der damals ebenfalls 30jährige (und später auch berühmt gewordene) Maler Franz Defregger (1835–1921) nochmals eine solche Spur mit weichem Bleistiftstrich gezeichnet. Diesmal führt sie auf eine Bergspitze – auf den Gipfel des Großvenedigers mit der markanten Wächte. Der Zeichner läßt uns die Dimensionen des Raumes empfinden , indem er den Grat gegen den Himmel mit seinen Wolken wachsen läßt. Fast am oberen Bildrand sieht man die fünf Männer , die nun aus der Spur getreten sind , innehalten und in die Ferne blicken – oder zurück auf die »Furche« , die sie gezogen haben. 52

Die schlichte und zurückhaltende Skizze Defreggers (die übrigens nicht mit einer auf den »11. Aug. 65« datierten Zeichnung verwechselt werden darf , die schon mehrfach reproduziert worden ist) hat es freilich schwer , uns von ihren Qualitäten zu überzeugen. Unsere Augen müssen sie nämlich verteidigen gegen all die buntscheckigen , zuckenden und marktschreierischen Reize , die uns tagtäglich beeindrucken wollen.

Angaben zum Bild : Franz von Defregger : »Venediger-Gipfel« , 1865 ; Bleistift , 24 x 32 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2620.

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DER SIEGER Groß ins Zentrum gerückt ist in unserem Bild eine fast bizarr zu nennende , aus steil aufgerichteter Schichtung gebildete und in violetten Tönen gemalte Felsformation , die nach links senkrecht abbricht. Ihren Fuß im Abgrund sehen wir nicht , wohl aber jenseits der Taltiefe im Sonnenlicht ein hellschimmerndes Firngebirge unter lichtblauem Himmel.

E I N B L I C K I N S G E H E I M E ? Auf dem äußersten Rand des hohen Felsens steht im gespreizten Schritt ein Mann , der nach links in jene Weite blickt , die der Bildbetrachter nicht sehen 54

kann. Dieser Blick ins Geheime scheint der Lohn zu sein , der dem Mann gewinkt hat. Der Maler Willy Moralt (1884–1947) , der dieses Deckfarbenbild im Jahre 1913 in München gemalt hat (von Moralt kennt man sonst eher Idyllen , die Spitzwegs Motiven nachempfunden sind) , hat auf der Rückseite einen heute nur mehr schlecht lesbaren Satz notiert , demzufolge das Blatt einem »Bezwinger« sämtlicher Viertausender der Schweiz gewidmet ist – dem Bezwinger , dem Sieger also , dem Helden. Der kriegerisch-militärische Ton der Sprache ist unüberhörbar.

B E R G ST E I G E N A LS K R I E G Dieser Ton fiel Beobachtern schon gleich am Beginn jener Kulturströmung auf , die wir Alpinismus nennen – um das Jahr 1800 also. Er scheint sich aber im Lauf des nächsten Jahrhunderts verschärft zu haben , und vielleicht ist es kein Zufall , daß unser Bild kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstanden ist. Um den Gedanken , Bergsteigen sei ein Kampf , vollends deutlich zu machen , ist der ­Alpinist als Soldat (in feldgrauer Uniform , mit Schildmütze und Wickel­ gamaschen) dargestellt – er ist also als Mann gedacht , der sich im Krieg mit der Natur befindet und diese zu bezwingen , zu besiegen , zu unterjochen , ja zu demütigen hat.

D ER SCH RITT I NS LEERE Das freilich ist eine Vorstellung , deren Fragwürdigkeit uns Heutigen in zunehmendem Maße aufdämmert. Wir schauen uns unseren »Bezwinger« also nochmals genauer an und finden nun vielleicht , daß er seinen Schritt allzu forsch auf den äußersten Rand setzt – wie wenn er schon zum nächsten ausholte , wie wenn er gleich ins Leere träte.

Angaben zum Bild : Willy Moralt : »Dem Bezwinger …« , 1913 ; Gouache , 46 x 37 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 223.

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DER PFLOCK IN DER EISSTIRN Es gehört zu den bemerkenswerten Umständen in der Geschichte des frühen Alpinismus , daß zwischen der Ersteigung der beiden mächtigsten Gipfel der Hohen Tauern mehr als vier Jahrzehnte lagen – der Glockner wurde in zwei ersten Anläufen 1799 und 1800 bezwungen , der Venediger aber (nachdem ein Versuch im Jahre 1828 wegen eines zum Glück ohne Todesopfer verlaufenen Lawinenunglücks hatte abgebrochen werden müssen) erst im September 1841.

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E I N P R O J E K T BÜ R G E R L I C H E R ÖF F E NTL I C HK E IT Und noch einen Unterschied zwischen den beiden Expeditionen gilt es festzuhalten : die Glockner-Aktion war eine aristokratische Unternehmung gewesen , die der Fürstbischof von Klagenfurt finanziert und geleitet (und zu der er namhafte Wissenschaftler eingeladen) hatte. Die Venediger-Besteigung aber muß bereits als ein gesellschaftlich moderneres Projekt gesehen werden – nämlich als Vorhaben der bürgerlichen Öffentlichkeit. Als Schafhirten (»Schafler« , wie es in einem der Berichte heißt) sich auf der Suche nach verlorenen Schafen im Sommer dieses Jahres verirrten und verstiegen , erkannten sie eine Zugangsmöglichkeit zur Venedigerspitze.

M I T FA H N E U N D TR O M P ETE N S C H A L L Die Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer , und in der Salzburger Zeitung erschien eine Anzeige , die öffentlich zur Teilnahme an der Besteigung des »Bergriesen« einlud. Vierzig Interessierte trafen daraufhin zum vereinbarten Zeitpunkt in Neukirchen ein , um unter Trompetenschall ins Obersulzbachtal aufzusteigen , wo sie in den höchsten Almhütten nächtigten. Dort begann am 3. September morgens um ½ 2 Uhr (viel zu spät , wurde später kritisiert) der eigentliche Aufstieg , für den offiziell drei Gründe genannt wurden : Erstens hatte der Venediger bislang als unbesteigbar gegolten , zweitens wollte man möglichst exakt seine Höhe messen , weil die Meinung vertreten wurde , er sei höher als der Großglockner , und drittens wollte man endlich prüfen , ob an der Sage , daß man von der Spitze aus Venedig sehen könne , etwas Wahres sei. Unser Bild , eine in Linz gedruckte Kreidelithographie , die auch dem offiziellen Expeditionsbericht beigegeben wurde , zeigt die letzte Phase der Unternehmung. Wir blicken auf die lange und schon weit auseinandergerissene Reihe der mit Alpstöcken versehenen Männer – wahrlich schon ein Vorflackern des modernen alpinen Massentourismus. Die Karawane bewegt sich an den phantastisch gebildeten Eisklüften des Vordergrunds vorbei (»Gräber« , heißt es im Bericht , die bereitet seien für den »Frevel« der Ersteigung !) , vor denen Nebelfetzen schweben.

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Auf der höchsten Erhebung stehen schon sieben Männer , von denen einer , ganz rechts , den mitgebrachten Holzpflock in die »Eisstirn« des Bergriesen treibt – an diesem Pflock auf der äußersten Gipfelwächte wird sodann nicht nur eine Blechschatulle mit den Namen der Expeditionsteilnehmer befestigt , sondern auch die rot-weiße Fahne , die der Anführer der dritten Gruppe trägt. Aus den Berichten wissen wir , daß diese Fahne gleich wieder ins Tal mitgenommen , beschriftet und – denkwürdige Idee ! – dem Salzburger Museum übergeben wurde.

V I E L L E I C H T A L LZ U D E M O K R ATI S C H Über dem Bild , auf dessen Rahmen die Namen der Teilnehmer mitgeteilt sind , strahlt die Sonne – die allegorische Sonne des Hauses Österreich. Die Sonne aber ist zugleich auch das Sinnbild der Aufklärung und der Demokratie. Da das Unternehmen Venediger-Ersteigung freilich vielleicht allzu ›demokratisch‹ angelegt war , erreichten nicht alle Teilnehmer den Gipfel. Die sechsundzwanzig Glücklichen sind alle abgebildet. Ein weiterer Alpinist , den wir ganz rechts nur noch in Halbfigur sehen , wird wohl gleich aufgeben – er gehört zu den vierzehn Männern , die , wie in den Berichten zu lesen ist , mit eingefallenem , gealtertem Gesicht und mit entzündeten Augen apathisch auf dem Eise liegen blieben , bis sie sich wieder der Reihe der Rückkehrenden anschließen konnten.

Angaben zum Bild : Franz Pracher : »Spitze des Gross-Venedigers« , 1841 ; Kreidelithographie , 27 ,5 x 32 cm (Blattgröße). ÖAV , Inv-Nr. 2580.

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ES IST ERREICHT Noch in der Nacht hat sich der Hochtourist auf den Weg gemacht und ist mit seinen Skiern Stunde um Stunde aufgestiegen. Doch nun steht er auf dem kleinen Gipfelplateau aus festem Firn und freut sich , daß sein Zeitkalkül aufgegangen ist ; denn just in dem Augenblick , da er den höchsten Punkt erreicht hat , erhebt sich hinter den noch ganz im Dunkeln liegenden Bergkämmen strahlend die Sonne.

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G I P F E L G E N Ü S S E  , G IP F E LR ITUA L E Das ist die Zeit des Innehaltens , des Verweilens , des Schauens. Der Skibergsteiger , den wir in Rückansicht sehen , stützt sich breit auf die massiven Stöcke mit den großen Tellern. Er hat , um sich gegen den frischen Luftzug zu schützen , den Mantelkragen über dem Rucksack , der ihm formlos auf dem Rücken hängt , hochgeschlagen und seine schwarze Wollmütze über die Ohren heruntergezogen. Auch die Tabakspfeife hat er schon aus der Tasche geholt und zwischen die Zähne gesteckt – gleich wird er sie , wenn es der Wind denn erlaubt , anzünden , um die einsamen , die glücklichen Minuten zu genießen. Das Blatt zeugt von Erfahrung und gesättigter Anschauung. Der die Szene auf diese Weise festgehalten hat , kannte sich offenbar aus mit Gipfelgenüssen und Gipfelritualen : es war der Architekt und Graphiker Edwin Henel (geboren 1883 in Breslau , gestorben 1953 in Garmisch-Partenkirchen; die weitaus meiste Zeit seines Lebens verbrachte er indessen in München) , der auch ein malerisches Werk mit Gebirgslandschaften und -szenen hinterlassen hat. Unser Blatt ist auf der Rückseite gestempelt : Edwin Henel , Oberstdorf. Da der Künstler sich um 1926 /  28 in der Allgäu-Stadt aufgehalten hat , haben wir auch einen Anhaltspunkt für die Datierung unseres kleinen Kunststückes.

DIE VERWEIGERUNG Es ist eine sparsam aquarellierte Federskizze , die im Strich und in den Kreuzschraffuren den versierten Zeichner erkennen läßt und in der delikaten Farbgebung (außer dem Schwarz von Hose und Mütze und einem kleinen roten Akzent in den Bommeln der Strickstulpen sehen wir nur zwei verschiedene Blautöne) einen empfindsamen Augenmenschen. Denn es hätte doch naheliegen können , die Sonne in Feuergold oder warm flutendem Gelb zu geben. Den vollen Farbakkord aber hat der Künstler sich und uns versagt. Doch vielleicht gehörte diese auffällige Verweigerung des satten Farbdreiklangs – anders gesagt : die kühle , ja unterkühlte Farbgebung – gerade zu seinem Konzept ? Denn es gibt noch andere Störungen im Bild – gewiß nur leichte , aber doch auch unübersehbare Irritationen.

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I R R ITATI O N E N Da ist nämlich zum anderen der durch leichte Übertreibungen wenigstens von ferne an die Karikatur erinnernde Zeichenstil (das leicht geblähte Mäntelchen , die etwas dünn geratenen Beine unseres Sportsmannes) , insbesondere der Wolkenvorhang hebt sich vielleicht allzu bühnenhaft in die Höhe – wie wenn er zu einer Theatervorstellung oder gar Premiere hochgezogen würde. Und da sticht uns noch , dritte Auffälligkeit , die Überschrift »Es ist erreicht !« ins Auge , die ja nun einen ironischen Unterton nicht mehr leugnen kann. Der Künstler , ahnen wir , wollte verhindern , daß die klassische Szene des auf dem Berg genossenen Sonnenaufgangs ins Sentimentale abrutscht. Vielleicht darf man auch sagen : Er versuchte sich durch Ironisierung gegen pathetischen Überschwang , den er nicht angemessen fand , zu wehren.

Angaben zum Bild : Edwin Henel : »Es ist erreicht !« , um 1926 /  28 ; Federzeichnung aquarelliert , 25 ,5 x 17 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2161.

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EIN SCHLUCK WEIN AUF 5800 FUSS HÖHE Das abgebildete Blatt – es ist eine aus vier Steinplatten (mit den Farben Schwarz , Gelb , Rot und Blau) sorgfältig gedruckte Farblithographie – zeigt den Blick vom Plassen nach Süden auf das gewaltige Massiv des Dachsteins , das fast die gesamte Bildfläche ausfüllt , mit seiner etwa zehn Kilometer entfernten höchsten Erhebung. Im Vordergrund aber sehen wir auf der Anhöhe eine dreiköpfige Menschengruppe. Es ist ein freundlicher Hochsommermorgen (daß es Morgen ist , sagt uns der nach Westen weisende Schatten) , die Sonne scheint in den Gletscher hinein und taucht die oberen Felspartien in zartes Grau , während die steilen Abgründe noch tief verschattet sind. Hinter dem Bergmassiv steigen vor dem lichtblauen Himmel Quellwolken aus dem oberen Ennstal herauf. 62

K E I N M O R G E N B L I C K A U F D E N D A C H STE I N Doch keiner von den dreien auf der Plassenhöhe interessiert sich im Augenblick für diese Ansicht – weder der links vor uns stehende Mann mit breitkrempigem Federhut und in einheimischer Kleidung (wohl ein Jäger ?) , der eine Kraxe auf dem Rücken trägt und offensichtlich der Führer und Träger ist , noch die beiden auf dem Boden sitzenden städtischen Bürger in dunkelblauem Rock , die (was wir aus den auf ihren Knien liegenden Skizzenblöcken schließen) im Begriff sind , den Dachstein zu zeichnen , sich aber im Moment einem ganz anderen Genuß zuwenden : der ältere Mann rechts , der mit dem schwarzen Zylinder Stirn und Augen vor der Sonne schützt , schenkt dem jüngeren , den wir in Rückenansicht sehen und der Ranzen und Zylinder hinter sich ins Gras gelegt hat , aus der Flasche einen Schluck Wein ins Glas. Während die beiden Blauröcke sich also einander zuwenden in Erwartung des stärkenden Trunks (Wein galt ja bis weit ins 19. Jahrhundert hinein keineswegs nur als Genuß- , sondern insbesondere auf anstrengenden Touren als Stärkungsmittel) , beobachtet der Jäger die Szene aus deutlichem Abstand – es sieht nicht so aus , als würde auch ihm ein Schluck zuteil.

F Ü N F Z E I C H E N D E R D I STA N Z Es sind also wenigstens fünf Zeichen , die uns die Trennung zwischen den Klassen augenfällig machen : der Jäger bietet den Städtern für Lohn seine Dienste an und trägt ihnen das Gepäck , seine regionale und soziale Herkunft ist an der Kleidung zu erkennen ; er bleibt stehen , während die anderen sitzen ; er verharrt in gebührendem Abstand , und er nimmt nicht teil am Umtrunk. Doch sind auch die beiden Städter nicht nur zu ihrer Ergötzung auf den Berg gestiegen : sie haben sich Arbeit vorgenommen (deshalb sind sie früh aufgebrochen) , sie wollen die Nordansicht des Dachsteins zeichnen. Unser Bild , entstanden im Jahr 1825 , stammt von Jakob Alt , der 1789 in Frankfurt am Main geboren worden war und es dann als Maler 63

und Lithograph in Wien (wo er erst 1872 starb) zu einiger Berühmtheit brachte. Seinem ältesten Sohn Rudolf freilich sprach man noch mehr Verdienste um die Kunst zu , weshalb er später gar in den Adelsstand erhoben wurde. Wir aber wissen , daß sich Jakob Alt auf unserer Lithographie selbst festgehalten hat , wie er seinem 13jährigen Sohn Rudolf , den er im Landschaftszeichnen ausbildet , ein Gläschen Wein einschenkt.

D E R KÜ N S T L E R A LS N ATU R F O R S C H E R Wenn wir das nicht wüßten , könnten wir die beiden Städter (von denen wir jetzt sagen können : Es sind Wiener) auch für Naturforscher halten , die das Panorama genau zu bestimmen versuchen oder ihre Beobachtungen über Gesteinsbildung , Pflanzenwelt und atmosphärische Erscheinungen protokollieren. Wie den Wissenschaftlern ging es den Malern um Exaktheit in der Erfassung der Natur – weshalb Jakob Alt auf unser Blatt die Mitteilung eindrucken ließ , es sei 5800 Fuß über der Meeresfläche gezeichnet (also , den Fuß zu 34 Zentimetern gerechnet , auf einer Höhe von 1953 Metern – das ist die Höhe , welche auch unsere neueste Alpenvereinskarte für den Plassen angibt). Und die Pflanzen im Vordergrund zeichnete er so genau , daß der Botaniker , ja daß sie gar jeder auch nur halbwegs versierte Alpenblumenfreund bestimmen kann.

Angaben zum Bild : Jakob Alt : »Der Dachstein vom Blassen bey Hallstatt« , 1825 ; Farblithographie , 22 ,5 x 32 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 54.

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FEUER AUF DEN BERGEN Die in unaufdringlichen Farben gehaltene Lithographie , die auf einem Entwurf des seit den 1830er Jahren in München tätigen Landschaftsmalers Bernhard Stange (1807–1880) beruht , zeigt uns auf dem Felsplateau eines mittleren Berggipfels knapp über der Baumgrenze fünf Männer , die sich in Berglertracht geworfen haben , in heftiger Gemütsbewegung. Während einer von ihnen auf den untergehenden Mond weist , begrüßt der auf der höchsten Stelle stehende Mann – ganz offensichtlich der Wortführer der Gruppe ! – mit elastischem Schritt und geschwenktem Hut pathetisch die aufgehende Sonne. Ein frischer Ostwind bläht seinen Rock und läßt vor allem die Fahne gewaltig in den Morgenhimmel flattern – fast mühelos scheint der Mann mit seiner Linken die Stange mitsamt Fahnentuch und Laubkranz in die Höhe zu halten.

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S C H W A R Z R OT G O L D Links der Gruppe aber leuchtet ein schon ziemlich niedergebranntes Feuer , und bei genauem Hinsehen entdecken wir auch auf den Höhen des Hintergrunds weitere Feuerpünktchen. Sie geben – wie auch das Morgenlicht auf den Bergen in der Ferne – dem Bilde Glanz. Den stärksten Farbakzent indessen bildet das Schwarz-Rot-Gold der Fahne. Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Das Bild ist ein politisches Signal der 1848er-Bewegung (die Jahreszahl 1848 ist groß unter der Szene zu lesen !) , und auch der Text , der unten eingedruckt ist , preist die großen Ziele , die noch nicht erreicht sind : Freiheit und Einheit aller deutschen Stämme : »Von deiner Berge höchsten Spitzen /  Hinaus zum fernsten Meeresstrand /  Sieh’ deine Flammengrüsse blitzen , /  Du grosses deutsches Vaterland ! /  / Die Schatten flieh’n ! so lasse prächtig /  Im Morgenlicht dein Banner weh’n : /  Sei einig , deutsches Volk , dann mächtig /  Und frei , wie deine Berge steh’n !« Es dauerte aber kaum ein halbes Jahrhundert , bis völkisch und deutschnational gesinnte Gruppierungen das Zeichen des Bergfeuers für sich reklamierten , und wenig später war es Bestandteil nationalsozialistischer Propaganda geworden.

E I N E E NTL I E H E N E I D E E Doch war die Idee des politischen Bergfeuers nur geliehen (im Falle der Nazi-Feuer möchte man gar sagen : gestohlen) aus dem Arsenal der traditionellen ländlichen Kultur. Während die Feuer dort aber fest in das Korsett der jahreszeitlichen (und meist christlich eingefärbten) Rituale eingespannt waren – Funkenfeuer etwa , Maifeuer , Johannisfeuer , Martinifeuer – , wurden sie nun als frei verfügbar und als allemal neu etikettierbar angesehen. Als die Berge um Innsbruck anläßlich des Anthropologentages 1894 mit zahlreichen Feuern festlich illuminiert wurden , hieß es im Bericht ausdrücklich : »in der Art der Sonnwend- oder Johannisfeuer«. Auch schon die Höhenfeuer des schweizerischen Unspunnenfestes von 1808 oder die Pilatus-Beleuchtungen seit den 1870er Jahren hatten nichts mit einer unhinterfragten Tradition zu tun , sondern waren bürgerliche ­Festinszenierungen. Diese Linie führt direkt zu den hypertrophen Bergfeuerspek66

takeln der Gegenwart , die mit Schlagzeilen wie : »Berge in Flammen – Täler im Staunen« für sich werben. In der »Tiroler Zugspitz-Arena« sollen die aus 8000 Feuerstellen gebildeten Bilder und Zeichen die Augen der Touristen feucht werden lassen.

Z E I C H E N D E R F R E U D E , Z E I C H E N D E R N OT Bei solchem Aufwand (und in unseren elektrisch illuminierten Zeiten) kann leicht in Vergessenheit geraten , daß das Feuer eines der ursprünglichsten Mittel und Zeichen der Kultur des Menschen ist : wo Feuer ist , da ist in der Regel ein Mensch , der es anzuzünden wußte – aus welchem Grund auch immer. Das nächtens hoch am Berg aufleuchtende Gipfelfeuer ist zwar ein vergängliches , aber unübersehbares und höchst eindrucksvolles Ereignis. Schon 1792 zündete es ein Gemsjäger auf der Triglav-Spitze an , 1834 dokumentierte es die dritte Zugspitz-Ersteigung , Friedrich Simony zündete im September 1843 nachts auf dem Dachstein »ein bengalisches Signalfeuer in einem solchen Ausmaße« , daß man es noch in Ischl sehen mußte. Thurwieser pflegte nachts von hohen Bergen »den Bewohnern des Landes ein Zeichen mittelst Feuer zu geben«. Das Nonplusultra solcher Selbstdarstellungen war die »Feuerpyramide« , die der Bergoffizier Gebhard im Auftrag des Erzherzogs Johann vom Ortler erstrahlen ließ anläßlich der ersten Ersteigung im Jahr 1805. Den geheimnisvollsten , den poetischsten Bericht vom Feuer auf hohem Berg (und eine Erinnerung an den Umstand , daß das Zeichen des Feuers offene Bedeutung hat !) gibt uns indessen eine Sage , die schon im Jahr 1806 aufgezeichnet worden ist. Sie berichtet vom unbekannten Erstersteiger des Eigers. Es sei ein Engländer gewesen , er habe oben auf der Spitze ein Feuer angezündet – »entweder als Zeichen seiner Dortseyns , oder als Nothzeichen«. Der kühne Bergsteiger ist nie wieder gesehen worden.

Angaben zum Bild : Bernhard Stange : »1848« , um 1848 ; Farblithographie , 40 ,5 x 59 ,5 cm (Blatt­ größe : 49 ,5 x 64 ,5 cm). DAV , Inv.-Nr. 456.

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ABENDBEHAGEN Die undatierte , frisch und zügig , ja fast impressionistisch mit Deckfarben hingepinselte Skizze von Ernst Platz (1867–1940) zeigt uns eine Abendszene im Hochgebirge : ein Paar genießt (so meinen wir) vor der Hütte , deren Außenwand und Dachtrauf im Bild links und oben zu erkennen sind , den Untergang der Sonne und die milden Temperaturen eines ausklingenden Sommertages.

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VERD I ENTER G EN USS Es ist ein Paar aus der Stadt , das heraufgestiegen ist und sich nun für die Mühe des Weges belohnt sieht. Die Frau – mit der aktuellen Frisur der späten zwanziger Jahre und in modischer Jacke – sitzt vorne , die Beine übereinandergeschlagen , die Hände vor dem Knie gefaltet. Hinter ihr steht der Mann , an die rötlich leuchtende Hüttenwand gelehnt , auf die sein Schatten fällt. Über dem hellen Hemd mit dem weißen Kragen trägt er eine Weste , im Mund steckt die Tabakspfeife. So suchen sie in interesselosem Schauen die Behaglichkeit des Abends zu fassen und die prächtigen Farben , welche über die Berglandschaft ausgegossen sind. Ein warmes Blau , das gelegentlich ins Violette und ins Grünliche changiert , dominiert. Es liegt auf den gegenüberliegenden Berghängen und über der Tiefe und auch noch auf dem im Bildvordergrund breit hingemalten , nur leicht abschüssigen Platz vor der Hütte. Der Widerschein der Sonne aber flackert in ocker- und rosafarbenen Tönen auf den beiden Gesichtern (die der Künstler noch mit sparsamen roten Tupfern belebt hat) , huscht über den Boden und liegt weit drüben über dem Tal ruhig auf zwei Bergrücken : Abendstille allenthalben , ja Abendfrieden.

S PÄTE A N KÖM M L I N G E Da taucht unerwartet noch ein später Bergwanderer auf , ein Führer gewiß , wir sehen ihn klein am rechten Bildrand. Der Mann mit dem Hut kommt aus der Tiefe. Den Daumen seiner linken Hand hat er unter den Träger des Rucksacks geklemmt. Das kurze Ende des Seils , das mehrfach über Schulter und Brust geschlungen ist , läuft locker durch seine rechte , die Pickel-Hand und fällt über den Terrainabsatz in die Tiefe hinab – als Verbindung zu einem Touristen wohl , den wir nicht sehen , aber erahnen. Gleich wird er , denken wir , hinter der steilen Felskante auftauchen , erschöpft vielleicht und abgehetzt.

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STÖ R U N G Unser Paar aber an der Hüttenwand macht keine Anstalten , die Neuankömmlinge zu begrüßen. Die Frau bleibt sitzen , der Mann läßt die Hände untätig auf dem Rücken , nicht einmal die Pfeife nimmt er aus dem Mund , und beide scheinen über die verspäteten Berggänger hinweg ins Abendrot zu blicken. Es ist die oft erfahrene , die altbekannte Szene der Durchkreuzung des abendlichen Behagens. Wir sehen keine Idylle , wie wir wähnen wollten – wir sehen vielmehr die Störung einer Idylle. Die freilich bringt Spannung ins Bild (und das lag ganz ­sicher in der Absicht des Künstlers) : eine Spannung , die wir vielleicht gleich anfangs spürten , die wir aber jetzt erst begreifen.

Angaben zum Bild : Ernst Platz : Abendbehagen , um 1930 ? ; Gouache , 36 x 26 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 1391.

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HUGIS HÜTTE Als sich ab den 1780er Jahren Gelehrte anschickten , mit Unterstützung einheimischer Gemsjäger und Hirten die höchsten Berge Europas zu ersteigen , stießen sie rasch auf ein logistisches Problem (so würden wir heute sagen) – die Almhütten , die doch die höchsten Ansiedlungen im Alpengebiet waren , konnten zwar als Stützpunkte für die ›Bergreisen‹ benützt werden , doch lagen sie zu tief , anders gesagt : Die Wege und Höhenunterschiede , welche die ›Bergreisenden‹ zu meistern hatten , waren zu weit und zu groß. Also lag es nahe , vor dem Schlußanstieg möglichst weit in das vegetationslose Gelände vorzudringen und da – etwa neben oder auf dem Gletscher – zu biwakieren.

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V O M W E RT D E S I M P R O V I S I E RTE N Meist glich dann ein solches »Bivouac-Local« demjenigen der Brüder Meyer aus dem schweizerischen Städtchen Aarau , die im Jahre 1811 erstmals wichtige Gipfel wie das Jungfrauhorn erstiegen : an eine notdürftig von Eis und Schnee befreite Felswand fügten sie zwei Steinmäuerchen , legten ihre langen Alpenstöcke als Dachgebälk darüber und deckten dieses mit einem Tuch zu (in diesem Falle : mit einem schwarzen Leintuch , das sie auch als Gipfelfahne verwenden wollten) , das an den Enden mit schweren Steinen befestigt wurde. Es ist vielleicht eine Anmerkung wert , daß dieses primitivste Kulturwerk einen mächtigen Schritt der kulturellen Weiterentwicklung ermöglicht hat.

D I E N E U G I E R D E S W I S S E N S C H A F TL E R S Denn die frühen Bergunternehmungen dienten der wissenschaftlichen Erkenntnis in einem sehr umfassenden Sinne : man wollte wissen , wie in jenen extremen Höhen Temperatur und Luftdruck , Wind und Licht und Schall beschaffen seien , wie sich der menschliche Leib verhalte , und nicht zuletzt : was es mit Eis und Schnee , Firn und Gletschern auf sich habe. Der Genfer Gelehrte de Saussure brachte deshalb im Sommer 1789 (im wohl allerersten Langzeitversuch der ­Alpingeschichte) sechzehn Tage auf dem Col du Géant im Montblanc-Gebiet zu , wo er eine Steinhütte und zwei Zelte hatte errichten lassen , um , abwechselnd mit seinem Sohn , Tag und Nacht alle zwei Stunden die Meßinstrumente ablesen und ihre Daten protokollieren zu können. Und noch in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts forschte der Naturwissenschaftler Louis Agassiz mit seinen Mitarbeitern und den einheimischen Helfern sommers mehrere Jahre von einem Biwak aus , das unter einem riesigen Felsklotz angelegt und ironisch Hotel genannt worden war : »Hôtel des Neuchâtelois«. Dieses Forschungsbiwak im Berner Oberland lag auf der mächtigen Mittelmoräne , die sich an der Stelle bildet , wo Finsteraargletscher und Lauteraargletscher zusammenfließen und dann den Unteraargletscher bilden , der heute in den Grimselstausee mündet. Auf dieser Moräne hatte schon ein gutes Jahr72

zehnt früher der Alpenforscher Franz Josef Hugi aus Solothurn eine einfache Steinhütte erbaut für Untersuchungen , die er seit 1827 jährlich wochenlang betrieb. Wir sehen die »Hütte des Herrn Hugi« ganz rechts im Vordergrund des Bildes mit zwei in ihre Mäntel eingehüllten ­Gestalten. Drei weitere Männer erkennt man am Rand des linken Gletschers (des Finsteraargletschers). Hinter­ der Hütte liegt ein kolossaler Felsbrocken , auf dem eine Orientierungs- und Vermessungsstange aufgerichtet ist.

D I E NACH RI CHT I N D ER WEI N FL ASCH E Als Agassiz auf Hugis Hütte stieß , fand er in einer geleerten Weinflasche die Notiz , das Biwak auf der Moräne sei zwischen 1827 und 1830 zusammen mit dem Gletschereis mehrere hundert Fuß talabwärts gewandert. Unsere Lithographie aber (Joseph Betannier hat sie 1839 mit Kreide gezeichnet) hat ihren Weg durch ganz Europa genommen.

Angaben zum Bild : Joseph Betannier : »Unter-Aar-Gletscher« , 1839 ; Kreidelithographie , 32 ,5 x 40 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 687.

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ALM UND ALPINISMUS Als Thomas Ender wohl um 1850 das Aquarell anlegte , das wir auch heute noch als betörend schön empfinden , sah die Welt anders aus als heute – auch die damals abgelegene Ecke im hinteren Fuscher Tal , die er malte : heute dröhnt der Motorenlärm der Großglocknerstraße vierhundert Höhenmeter über der Trauner­ alm , die wir auf unserem Bildchen sehen. Der Gletscher des Fuscher Eiskars , der in hohen Wasserfällen zum Käfertal herabstürzt , ist inzwischen gewaltig geschrumpft , und insbesondere hat die Alm selbst ihr Gesicht verändert.

ALM EN I M WAN D EL Zwar ist sie zum Glück nicht aufgegeben worden , was fast ein Wunder ist in der gegenwärtigen Krise der Almwirtschaft , aber der Ertrag , den die Arbeit mit dem Weidevieh erbrachte , erschien doch stets als unsicher. Und so arrangierte sich der Besitzer schon um das Jahr 1890 mit den Tendenzen der Zeit und baute die Alm für touristische Zwecke aus. 74

Daß die Almen (und die ›Alpen‹ in der Schweiz) freilich damals schon fast ein Jahrhundert lang eine überaus bedeutsame Rolle in der Bergsteigerei gespielt hatten , ja daß sie sozusagen die Basislager der großen alpinistischen Unternehmungen waren , ist heute nur noch wenig im Bewußtsein.

D I E HÜT TE D E S H I RTE N A LS ›B A S I S L A G E R‹ Bevor die Alpenvereine erst weit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Bau ihrer zunächst spartanisch eingerichteten und wenig zahlreichen Schutzhütten begannen , waren die Almhütten – allerdings nur die am höchsten in den Talschlüssen gelegenen menschlichen Niederlassungen des kurzen Sommers – die natürlichen Stütz- und Ausgangspunkte vor allem der Erstersteigungsversuche. Das handhabten die Alpinisten im Berner Oberland nicht anders als diejenigen , welche die höchsten Spitzen der Tauern zu ›erobern‹ versuchten. Nur in den Westalpen , etwa am Montblanc , brauchte man von Anfang an einen ›künstlich‹ errichteten Stützpunkt.

B A U T E N D E S N E U E N B E DÜ R FN I S S E S Aber auch in den Ostalpen lagen die Almhütten für anspruchsvollere Bergunternehmungen zu tief , deshalb brach man anfangs hier so früh auf wie heute in den Westalpen – weil die Teilnehmer an der Großvenedigerersteigung Anfang September 1841 nicht schon um Mitternacht loszogen , sondern ›erst‹ um zwei Uhr morgens , wäre das Vorhaben fast gescheitert : der Weg war zu lang , der Höhenunterschied zu groß. Für die zweite Ersteigung im Jahr darauf aber konnte man schon eine eigens für alpinistische Zwecke errichtete Unterstandshütte im Keeskar benützen , die siebenhundert Meter höher lag (an der Stelle der heutigen Kürsingerhütte). Diese Unterkunft war im alpinistischen Interesse zweifellos funktionaler. Verloren ging allerdings , wie andernorts auch , eine Möglichkeit des Kontaktes zur einheimischen Bevölkerung , zu ihrem Wissen und zu ihrer Lebensweise.

Angaben zum Bild : Thomas Ender : Das Käfertal , um 1850 ; Aquarell , 25 x 37 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 1181. 75

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EIN BIWAK VOR HUNDERTFÜNFZIG JAHREN Wer schon nach Bildquellen gesucht hat , die ihm den Alltag des frühen Alpini­ sten anschaulich machen können , weiß , wie rar sie sind. Die erhabene Natur­ ist tausendfach dargestellt ; doch Bilder , die zeigen , wie die Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts die Berge ganz praktisch bewältigt haben , finden sich kaum. Den Malern – und vielleicht auch dem Publikum ? – war das Thema wohl zu ­trivial. Doch wer sich für die Geschichte des Bergsteigens interessiert und für die Frage , wie unsere heutigen Erfahrungen , unser heutiges Wissen , unsere heutigen Bergtechniken zustandegekommen sind , ist dankbar für jedes kleine Blättchen.

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U T E N S I L I E N D E S A LP I N I STI S C H E N A L LTA G S Ein solches Zeugnis zum alpinistischen Alltag vor anderthalb Jahrhunderten ist hier abgebildet – eine Farblithographie aus einem Pariser Verlag , die auf die Zeichnung des Landschaftsmalers Laurent Deroy zurückgeht. Eine Gruppe von elf Bergsteigern – eine Karawane , wie man damals sagte – hat am späten Nachmittag oder frühen Abend des 4. August 1856 (die Sonne steht auf dem Bild vielleicht ein bißchen zu hoch !) im Schutz der dunklen Felsen links , die vom Montblanc du Tacul – also von Westen – herabziehen , ihr Biwak auf dem Gletscher der Vallée Blanche , des Weißen Tals , aufgeschlagen. Dahinter sieht man die grell beleuchteten Eis- und Firnhänge der Aiguille du Midi mit ­ihren bizarren Granitspitzen , deren bis dahin nicht bestiegener Hauptgipfel (er ist 3842 m hoch) das Ziel der ›Bergreise‹ war. Die Bergsteiger – links der Graf Fernand de Bouillé , das Haupt der Unternehmung , rechts die zehn Führer und Träger in Wollröcken , mit Gamaschen und breitkrempigen Hüten – haben sich um ein Feuer gelagert im Schutze eines Paravents aus Stoffbahnen , die an langen Bergstöcken befestigt sind. Man erkennt sogar einige der Bergstöcke mit dem spitz geschmiedeten Eisenhaken , die man benützte , um sich an Felsen und über Eiswände hochzuziehen – ein Gerät , das vorwiegend in den Westalpen gebräuchlich war und gegen Ende des 19. Jahrhunderts allmählich durch den Eispickel verdrängt wurde.

WEINFLASCHEN IM SCHNEE Doch das Bild teilt uns noch viel mehr mit. Rechts hinter dem Windschutz sieht man die Leiter liegen , die man zur Überwindung von Gletscherspalten und Bergschründen verwendete. Am linken Ende des Paravents liegt ein Seil (»Strick« sagte man damals) , daneben ein Ranzen , und links davon stecken sechs Wein-

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flaschen im Schnee – wir dürfen annehmen , daß sie (als seinerzeit wichtiges Nahrungs- und Stärkungsmittel) schon ausgetrunken sind ; denn der Begleittext des Bildchens meldet , daß auf der Höhe von 3500 Metern , auf der das Biwak lag , zehn Grad Kälte herrschten. Der Text behauptet auch , daß der Graf am nächsten Tag die Aiguille du Midi erstiegen habe. Das stimmt nicht ganz : drei seiner zehn Führer waren es , welche das Bravourstück vollbrachten. Sie pflanzten im Auftrag des Grafen die weiße Fahne des längst untergegangenen französischen Königtums auf – politische Rückwärtsträumerei eines alpinistischen Realisten.

D A S W E I S S E TA L  –  H E UTE Das alles aber sehen wir auf unserem Bildchen nicht. Und natürlich sehen wir nicht , daß heute direkt über die Köpfe der elf Bergsteiger die Seilbahn zur Aiguille­ du Midi schweben würde, und daß sich 2100 Meter tiefer der Verkehr durch den Montblanc-Tunell wälzt.

Angaben zum Bild : Laurent Deroy : »Premiere ascension de L’aiguille du midi par le comte Fernand de Bouillé« , Erstersteigung der Aiguille du Midi durch den Grafen F. de Bouillé , 1856 ; Farblithographie , 16 x 23 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 1.

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DER ALPENPALAST Die alpinistische Bewegung hatte schon in dem Augenblick einen frühen Höhepunkt erreicht , als zum ersten Mal ein wenn auch bescheidenes Gebäude eigens zu dem Zweck errichtet wurde , die Ersteigung von hohen Bergen zu erleichtern. Das war im Jahre 1785 der Fall , in dem der Genfer Gelehrte und Bergsteiger Saussure gleich zwei steinerne »Hütten« bauen ließ , um seinem heißersehnten Ziel , den Montblanc zu besiegen , näher zu kommen.

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D E R F R E U N D D E R R E V O L UTI O N Nur vier Jahre später veranlaßte er auf dem Col du Géant einen weiteren Bau , und 1793 sorgten andere Genfer Bergbegeisterte für die Errichtung eines kleinen steinernen »Asyls« für Forscher , Maler und Naturbewunderer auf dem Montan­vert (also ebenfalls im Montblancgebiet) – eines kleinen »Tempels« , wie wir lesen , welcher der »Natur« – genauer : der Naturwissenschaft – geweiht sein sollte. Das Bauwerk verfügte über einen Herd , und als weiteres Inventar war vorgesehen : Utensilien zur Feuer- und Lichtbereitung , Hängematten , eine Axt , eisenbeschlagene Alpenstöcke , Thermometer , Barometer , Leinwand und Verbandszeug. Der Stifter dieser Unterkunft nannte sich einen »Freund der Freiheit« – im Klartext : der Revolution (der ›Großen‹ , der Französischen Revolution !).

D I E » HÜT TE « D E S F Ü R STE N Größer könnte der Gegensatz zum Finanzier und Organisator des ersten ›strategisch‹ geplanten Hüttenbaus in den Ostalpen nicht sein : es war ein Angehöriger des Hochadels , nämlich der Klagenfurter Fürstbischof Franz Xaver , Altgraf zu Salm-Reifferscheid, der 1799 den seinen Namen führenden Stützpunkt , die Salmhütte , am Rande des Leiterkeeses errichten ließ , um die Ersteigung des Glockners zu ermöglichen. Unser Bild zeigt links den damals fünfzigjährigen ­Bischof hoch zu Roß mit einem Teil seines Mitarbeitergefolges und rechts einige der unentbehrlichen Heiligenbluter Gehilfen , die ja als die wahren Erstersteiger gelten müssen. Hinten im Zentrum des Bildes aber sehen wir vor dem Gletscherabbruch breit hingelagert die heute nicht mehr existierende Hütte , welche Ausgangspunkt für die Expeditionen 1799 (zum Kleinglockner) und 1800 (zum Großglockner) war , in den Jahren danach jedoch geplündert wurde und verfiel. Einer der Bericht­ erstatter nannte sie »ein außerordentliches Werk« , ja gar einen »Alpen-Pallast«. Und das war sicher nur halb ironisch gemeint , denn außer den drei Räumen , die durch Türen voneinander getrennt waren , gab es noch eine an die Bergseite angebaute Küche , in welcher der mitgebrachte Koch (aus »Vorräthen aller Art vom Brode bis zur Ananas«) ein so köstliches 80

Mahl bereitete , daß es einem der Teilnehmer vorkam , als speiste man »in des Fürsten Pallaste zu Clagenfurt« , ja als sei man »in die üppigen Gefilde Calabriens versezt« !

P LÜN D E R U N G U N D V E R FA L L Viel schlichter war die Hütte angelegt , die Erzherzog Johann von Österreich nur wenige Jahre später , 1805 , erbauen ließ , damit der Ortler leichter zu ersteigen sei ; auch sie ist bald darauf verfallen. Und der andere Plan des bergbegeisterten Johann , »auf der schönen Alpwiese am Fuße des Ortlers und Königspitz ferners ein für Reisende bequemes Wohnhaus zu bauen« , konnte , der kriegerischen Zeitläufte wegen , nie verwirklicht werden.

Angaben zum Bild : Johann Ev. Scheffer von Leonhardshoff und Joseph Hermann : Die Erstbesteigung des Großglockners , ca. 1803 , Kopie von Josef Pögl , 1928 ; Öl auf Leinwand , 102 x 127 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2512. – Das von Scheffer von Leonhardshoff und Hermann gemalte Original befindet sich im Klagenfurter Landesmuseum.

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DIE VERMESSUNG DER BERGE Der Kupferstich aus dem Jahr 1767 zeigt in einem ovalen Medaillon den Mathematiker , Astronomen und Vermesser Peter Anich – zwei allegorische Frauen­ gestalten halten sein Porträt , dessen Rahmen mit allerlei Rankenwerk und Weinlaub geschmückt ist , in die Höhe. In der verwirrenden Fülle des Zierats wäre so manches Detail zu entdecken , zu beschreiben und zu deuten. Nur Berge sehen wir nicht – und trotzdem verweist unser Bilddokument auf eins der wichtigsten Elemente in der Erschließungsgeschichte der Alpen : auf ihre Vermessung nämlich.

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M AT H E M AT I K D E R B E R G E Anich , 1723 in einfachen ländlichen Verhältnissen in Oberperfuß bei Innsbruck geboren (er wurde übrigens nur 43 Jahre alt !) , dann zum Geometer ausgebildet , wurde wegen seiner allseits bewunderten Leistungen beauftragt , ganz Tirol zu vermessen. Doch die Vermessung dieses bergigen Territoriums war nichts Nebensächliches , es war ein Teil der Vermessung der Welt – das heißt : der mathematisch exakten Durchdringung ihres Äußeren. Die Großartigkeit dieses Projekts war den Zeitgenossen bewußt. Es ist kein Zufall , daß Anich eine Erdkugel in den Händen hält.

D E R »T YR O L E R B A U E R « M IT D E R E R DK U G E L Die Erschließung der Alpen ist also nur ein Unterkapitel der Erschließung der ganzen Erde. Auch die Landkarte – wir sehen halb aufgerollte Blätter des »Atlas Tyrolensis« auf dem Tisch vor Anichs Halbfigur und am Arm der rechten Frauengestalt ! – ist sowohl Resultat der Landesaufnahme als auch Ausweis der Unterwerfung der nur erst lückenhaft durchforschten Welt. Noch die Erst­ ersteiger von Klein- und Großglockner hatten in den Jahren 1799 und 1800 keine bessere und neuere Karte als die des Innsbrucker »Tyrolerbauers« (wie er im Titel seiner ersten Biographie genannt wurde) in Händen , auf der die Stelle , die sie erkletterten , als »Glokner B.« (das heißt : Glockner-Berg) bezeichnet war. Nicht nur Lagepläne und Karten , Richtungs- und Entfernungsangaben und damit Daten für die in Phantasie und Hirn des Betrachters beliebig reproduzierbare Vorstellung einer Berglandschaft waren also das Ergebnis der Vermessungsaktionen , sondern auch die Fest­ legung der Namen – erst diese Erkundung , Zuordnung und Veröffentlichung der Bergnamen ermöglichte den unmißverständlichen Gedankenaustausch der künftigen Bergsteiger.

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B E R G N A M E N FA LS C H V E R STA N D E N Hier ist freilich eine groteske Pointe anzufügen. Anich war zunehmend schwerhörig. Die Bauern , Hirten und Jäger , von denen er die Flur- und Bergnamen zu erfahren trachtete , mußten ihm diese ins Ohr brüllen – und trotzdem kamen sie da wohl nicht immer unbeschädigt an. Gut möglich also , daß da und dort ein kleines Mißverständnis die Grundlage der weiteren Kommunikation bildete.

Angaben zum Bild : Joseph Anton Zimmermann : »Petrus Anich Tirolensis« , Peter Anich aus Tirol , 1767 ; Kupferstich , 16 x 11 ,5 cm , Frontispiz zu [Daniel Sternberg , Joseph Ster­ zinger :] Lebensgeschichte des berühmten Mathematikers und Künstlers Peter Anichs eines Tyrolerbauers. Verfasset von einer patriotischen Feder. München 1767. ÖAV , Inv.-Nr. 28.

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DIE HÄUTUNGEN DER ALPENBOTANIK Oft läßt schon der erste Blick die eigentliche , aber zunächst verborgene Bedeutung eines Bildes erahnen , er entreißt ihm sozusagen seine Botschaft. So ist es auch beim abgebildeten Objekt , einem Plakatentwurf von Gustav Jahn aus 85

dem Jahre 1910 : das geheimnisvoll leuchtende Grün , die Goldschrift und der Goldrahmen heben das Bild , obwohl sein Inhalt – Pflanzen ! – ziemlich trivial ist , über die Sphäre des Alltags hinaus. Sie deuten auf Kostbares hin , noch bevor uns die Parole »Schutz den Alpenpflanzen !« gesagt hat , daß in der Bergnatur ein wertvolles Gut – ein botanischer Schatz sozusagen – verlorenzugehen droht oder schon verloren gegangen sein könnte. Die dekorative Anlage des Bildes bestärkt unsere Ahnung , denn der Künstler hat ihm einen Rundbogen eingezeichnet – wie das Rundbogenfenster einer Kirche oder ein Altarblatt , auf dem früher einmal die Erlösung prophezeit sein mochte. Nun aber fällt der Blick auf eine karge Landschaft mit Felsgestein , Zirbelkiefer und Alpenrosen.

A H N U N G D E S K O STB A R E N Drum herum freilich bietet der Maler eine Lehrstunde der alpinen Pflanzenkunde mit durchaus brauchbaren Darstellungen. Zwar hätte sich der botanisch Interessierte vielleicht im einen oder anderen Fall differenziertere Angaben gewünscht (etwa , um Verwechslungen vorzubeugen , die lateinischen Bezeichnungen) , aber über die Lust zur freien künstlerischen Ausgestaltung hat doch die Lust zur sachlich präzisen Belehrung entschieden gesiegt. Damit steht Jahns Plakatentwurf in einer lang anhaltenden Tradition. Denn der frühe Alpinismus , der noch nicht diesen Namen hatte , war von breit gefächerten Interessen bestimmt , unter denen die wissenschaftliche Neugierde auf botanische Entdeckungen eins der vornehmsten war : man fand auf der »botanischen Jagd« seither unbekannte Pflanzen in großer Zahl , beschrieb und benannte sie und suchte dieses Wissen zu verbreiten. Die Fachleute führten ausgedehnte Korrespondenz und trieben mit frischen oder gepreßten und getrockneten Pflanzen und mit Herbarien einen schwungvollen Handel. Der Regensburger Botaniker David Heinrich Hoppe rühmte sich , allein durch seine Hände seien 50 000 Pflanzen gegangen (und das waren gewiß die selteneren Arten !) und in ganz Europa verteilt worden.

R A U B B OTA N I K Da mochten dann die Ironiker und Spötter nicht ferne sein. Einer der Teilnehmer an der großen Expedition zur Ersteigung des Großglockners im Jahre 1800 no86

tierte launig , die beteiligten Botaniker (zu denen der erwähnte Hoppe gehörte) seien dadurch aufgefallen , daß sie »immer den Kopf zur Erde senkten , traurig langsam herumschlichen , bald hier , bald da mit ihren klinischen Bajonetten um eine Pflanze in den Boden hineinstachen«. Der eine oder andere von ihnen gar habe »vorzüglich mörderisch in den Alpen herumgestochen«. Da wurden die Pflanzen also noch bedenkenlos , ja mit einem von der Wissenschaft geliehenen guten Gewissen ausgerissen – so wie auch die einheimischen Wurzelgräber und die fleißigen Edelweißpflückerinnen bei ihrem Geschäft keine Skrupel haben mußten. Erst als die bürgerlichen Bergreisen in Massentourismus umschlugen , bekam die vorher so löbliche »botanische Jagd« einen schalen Beigeschmack. Man befürchtete und beobachtete nun den Schwund der Arten , begann ein Gefühl für die Kostbarkeit der alpinen Pflanzenbestände zu entwickeln und versuchte , dieses neue Interesse zu organisieren – nicht nur , aber auch im Alpenverein. Der Auftrag , der zu Jahns Entwurf führte , ist Ausdruck dieser neuen Tendenz , welche die älplerische Sammlerei und ein Jahrhundert der wissenschaftlichen und touristischen Raubbotanik ablösen sollte.

D A S V E R D I E N ST D E S KÜN STL E R S Aber auch die Naturschutzbewegung , so notwendig sie seinerzeit war (und wir zögern nicht , ihr das Etikett ›fortschrittlich‹ anzuhängen !) , ist in ihrer historischen Begrenzung zu sehen. Heute , nach einem weiteren Jahrhundert des zivilisatorischen Wirkens der Menschheit , können wir erkennen , und wissen wir , daß es nicht ausreicht , den Menschen das Pflanzenpflücken auszureden. Wir verstehen jetzt , daß der Rückgang der seltenen Alpenpflanzen nur Teil ist und vielfach nur Symptom einer allgemeineren bedrohlichen Entwicklung. Diese neue , diese ökologische Sicht konnten Jahn und seine Auftraggeber , konnte auch die frühe Naturschutzbewegung noch nicht haben. Aber sie haben sie vorbereitet. Das ist ihr historisches Verdienst – und der Bildkünstler hat vielleicht den größten Anteil an diesem Verdienst , weil er die bunt wuchernde Vielfalt der ungestörten Natur uns so unmittelbar und eindrucksvoll vor’s Auge zu setzen wußte.

Angaben zum Bild : Gustav Jahn : »Schutz den Alpenpflanzen !« , 1910 ; Mischtechnik (Aquarell , Deckfarben , Goldbronze) , 85 x 72 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2721. 87

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ABSTIEG MIT BEUTE Abstieg ist eine zwiespältige , eine oft gefährliche , jedenfalls nicht immer erfreuliche Sache. Erst der moderne Wintersport , vielleicht auch die technische Perfektionierung des Abseilens hat dem Herabkommen vom Berg eine größere Lust-Note zu geben vermocht. Und so darf es uns nicht wundern , daß Darstellungen des Abstiegs selten sind. Eins der raren Blätter bilden wir hier ab : Herr Saussure steigt mit seinem Sohne und Führern nach einem siebzehntägigen Aufenthalt vom Montblanc wieder herab. Der große Genfer Gelehrte hat soeben erfolgreich den (soweit wir wissen) ersten wissenschaftlichen Langzeitversuch in großer Höhe abgeschlossen , und nun bewegt sich die ›Karawane‹ zu Tal – im Triumphzug gewissermaßen , weil reiche Beute mitgeführt wird in Gestalt von Tage­büchern mit unzähligen Beobachtungsnotizen und langen Tabellen mit Meßdaten : da , wo der einheimische Wurzelgräber keine Pflanze , der Gems­jäger kein Tier mehr findet , da erfährt der Alpinwissenschaftler , was der Menschheit 88

vorher unbekannt war , und teilt es ihr mit. Unmittelbar nach seiner Exkursion im Juli 1789 veröffentlichte Saussure seine Erfahrungen und den Bericht seines Abenteuers , dessen Abschluß unser Kupferstich zeigt.

W I S S E N S C H A F TL I C H E N E U G I E R D E Saussure hatte für seinen Versuch eine möglichst schneefreie Stelle gesucht , die allen Wettern ausgesetzt und ungefähr 1800 Klafter – also etwa 3500 Meter – hoch sein sollte. Man verwies ihn auf einen neu entdeckten Übergang (er schreibt : eine Straße !) zwischen Chamonix und Courmayeur , den er dann Col du Géant nannte. So heißt das Joch noch heute. Es ist nach neuerer Messung 3365 m hoch und liegt halbwegs zwischen dem Montblancgipfel und den Grandes Jorasses. Dort ließ der Forscher eine Steinhütte und zwei Zelte errichten. Er beobachtete und maß nun über zwei Wochen lang , machte allerlei Versuche und trug , in Pelze eingewickelt und einen am Feuer angewärmten Stein unter den Füßen , die Ergebnisse spätabends in sein Buch ein , um dann um Mitternacht letzte Daten abzulesen und zu notieren. Der Sohn stand schon um vier Uhr wieder auf , sodaß sich Meßreihen fast rund um die Uhr ergaben. Die vier Führer aber , die man oben behalten hatte , sorgten für Feuer , Schmelzwasser und Essen.

D I E L U F T D E S O LYM PS Der letzte Abend war hinreißend schön , Saussure beschreibt in begeisterten Sätzen die Erscheinung , die wir heute Alpenglühen nennen – die Gipfel im »schönsten Rosenroth und Carmin« ! – , und das silberne Licht des aufgehenden Mondes. »Die Luft um uns herum hatte jene vollkommene Heiterkeit und Klarheit , welche Homer der Luft des Olymps zuschreibt , indessen die Thäler , in die sich die Dünste dichte zusammengezogen , ein dunklerer und finsterer Aufenthalt zu seyn schienen.« Da hinunter geht’s nun also , in der Schlucht links unten sehen wir die Zeichen menschlicher Zivilisation – Dorf mit Kirchturm und Straße – und einige Bäume der oberen Waldgrenze , rechts vorn schöpft einer der Begleiter nach Schmelzwasserwochen erstmals wieder frisches Wasser. Im rechten oberen Bildviertel 89

kann man bei genauem Hinsehen die Steinhütte und ein Zelt erkennen – das Lager , von dem sich die Karawane herabbewegt , die aus zehn Lastenträgern besteht und aus drei Männern (in der linken Bildhälfte) , die durch kein Gepäck belastet sind : Saussure senior , rechts davon der Sohn , dahinter der persönliche Diener.

EI N I NTERESSEN K O N FLI KT Am Ende des Aufenthalts in der Höhe hatte der Expeditionsleiter , so teilt er mit , noch einen Schwächeanfall erlitten , den er auf Hunger zurückführte. Was eine Nebensächlichkeit zu sein scheint , erlaubt indes den aufschlußreichen Blick auf ein Problem des frühen Alpinismus. Saussure betont ausdrücklich , er und sein Sohn hätten auf dem Col du Géant keinerlei Langeweile verspürt. Doch den Führern aus Chamonix stand der Sinn nun wirklich nicht nach einer Verlängerung des kalten und luftigen Aufenthalts : um den Abstieg zu erzwingen (argwöhnt wenigstens Saussure) , ließen sie am letzten Abend , um ihn wirklich zum letzten zu machen , die restlichen Lebensmittelvorräte einfach verschwinden.

Angaben zum Bild : »Mr. Saussure steigt mit seinem Sohne und Führern nach einem 17.taegigen Aufenthalt von Montblanc wieder herab« , um 1789 ; Kupferstich , 14 ,5 x 19 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 4.

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KÖNIGLICHES HEUBÜNDEL Das Bild , das eine eigenartige , auf den ersten Blick vielleicht sogar befremdliche Szene zeigt , ist einfach aufgebaut. Eine Diagonale von rechts oben nach links unten zerteilt es in zwei gleich große Hälften : links geht der Blick über eine verlandende Schwemmlandschaft auf hellblau schimmernde Berge , vor die sich , rechts vom Gebirge herabkommend , dampfende Wolkenballen schieben.

CHAISELONGUE AUF BERGRASEN Das Leben aber spielt sich auf der Kante ab , mit der sich der Berghang des Vordergrunds von der Ferne abhebt. Es ist eine fast grotesk wirkende Szene , die das Zentrum des großformatigen Ölgemäldes bildet. Denn auf einer mit rotem 91

Samt ausgeschlagenen Chaiselongue , die auf einen großen robusten Schlitten montiert ist , ruht ein nobel gekleideter Herr mittleren Alters. Der Schlitten aber wird in seiner Talfahrt über grüne Matten gesteuert und gebremst von drei jungen Männern in ländlicher Tracht – von einem Mann mit auffallendem Federhut , der , vorne zwischen den Holmen stehend , die Fersen seiner genagelten Stiefel mit ganzer Kraft in den Rasen stemmt , und von zwei weiteren Burschen , die das Gefährt an straff gespannten Stricken sichern. Daß es flott abwärts geht , zeigt der gefleckte Hund im Vordergrund , der mit fliegenden Ohren und wehendem Schweif einherspringt. Rechts oben aber sehen wir ein zweites Schlittengefährt , ebenfalls von drei Männern geleitet , um die Ecke biegen. Das Bild ist nicht das Werk eines ganz großen Meisters (eine mündliche Überlieferung , die durchaus zutreffend sein könnte , spricht es Philipp Foltz zu ; seine Lebensdaten : 1805–1877) – da ist zu viel Schablone in der Zeichnung etwa des Waldes oder der Berge , da ist zu penetrant die Theaterkulissenmalerei zu spüren , als welche der Erdboden des Vordergrunds behandelt ist , und dem ersten Schlittenführer glaubt man seine Bremsbewegung nicht – zumal ja seine Hände das Holz nicht richtig fassen. Aber die ganze Szene enthält doch viel Wahres über die sozialen Verhältnisse und die kulturellen Tendenzen der Zeit , in der das Bild entstanden sein dürfte (manche Details deuten auf die späten 30er oder frühen 40er Jahre des 19. Jahrhunderts hin).

D I E L ÄS S I G K E IT D E R G EÜ BTE N H A N DG R I F F E Denn der vornehme Herr im gepolsterten Schlitten ist zwar überaus modisch und fein gekleidet (man nehme nur das sorgsam gebundene weiße Halstuch oder die Farbharmonie zwischen den langen Hosen , dem hohen Hut und den feinen Lederhandschuhen !) , aber er hat soeben auch eine Exkursion ins Gebirge hinter sich gebracht : in seiner linken Armbeuge hält er den gespornten und mit Widerhaken versehenen Jägerstecken , den er als Bergstock benützt hat , während er seinen rechten Unterarm nicht ohne Eleganz über die linke Lehne seines Gefährts hängen läßt – damit rechts von ihm noch Platz ist für einen Strauß von Kräutern. Denn der Herr (eine Sage will in ihm einen der bayerischen Könige sehen) hat botanisiert , was man auch an der Botanisiertrommel sieht , die einer der Männer hinter dem Schlitten (nebst einem Regenschirm) umgehängt hat. Vielleicht darf man in dem Herrn mit Schildmütze , der im zweiten Schlitten sitzt , einen Naturwissenschaftler sehen oder einen gebildeten Sekretär. 92

Denkwürdig ist nun , daß der König (nennen wir ihn so !) sich mit seinem Hündchen , das vorne auf der Chaiselongue steht , zu

unterhalten

scheint – er

kommuniziert nicht mit seinen Helfern. Diese aber reden sehr wohl miteinander und erfüllen dabei ihre Aufgabe , wie so nebenher , mit Perfektion (wie man an ihren zurückgelehnten Körpern und an den straffen Stricken sieht). Es ist die Routine der lang geübten Schritte und Handgriffe , die ihnen diese lässige Souveränität verschafft – eine Routine , die aus der überlebenswichtigen (und zugleich todgefährlichen) Arbeit mit dem Heu erwachsen ist , das in übermannsgroßen Ballen und Bündeln an Seilen oder auf Schlitten von den Bergwiesen zu Tal gebracht werden muß.

E M A N Z I PAT I O N D E R H E R R E N Diesen Zusammenhang zwischen Alpintechnik und Arbeitsroutine haben die »Bergreisenden« der Zeit um 1800 rasch erkannt – sie fühlten sich in den Händen der Bergler einerseits geborgen und sicher , andererseits aber beschämte sie die Abhängigkeit. Sie fühlten sich »hinauf-« oder »hinabgehißt« und behandelt »wie ein Heubündel« oder gar »wie ein Mehlsack«. Letztlich waren sie bestrebt , diese als unwürdig empfundene Abhängigkeit von den Knechten abzuschütteln – was dann in Konsequenz zum sogenannten führerlosen Bergsteigen führen mußte. Der Herr auf unserem Bild freilich denkt wohl noch nicht einmal im Traum an diesen letzten Schritt der Emanzipation.

Angaben zum Bild : Philipp von Foltz ( ?) : König Max von Bayern ( ?) kehrt aus dem Gebirge zurück , um 1840 ; Öl auf Leinwand , 97 x 123 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2743.

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SOZIOGRAMM IN DEN ALPEN Unser Bild , ein kleinformatiges Aquarell , zeigt die Prager Hütte. Sie liegt am südlichen Abhang des Vorderen Kesselkopfes im Venedigergebiet ; und weil man später dreihundert Meter höher und eine Stunde entfernt in westlicher Richtung eine neue Hütte gebaut hat (die einen der Hauptzugänge zum Großvenediger erleichtert) , nennt man sie seither die Alte Prager Hütte.

E I N HÜT TE NP O RTR ÄT Auch wenn wir ihre Lage nicht kennten , dürften wir doch auf eine Mittags- oder Spätvormittagssituation schließen , weil wir in der linken , fensterlosen Traufwand des Gebäudes die Wetter- und Westseite vermuten und auf der gegenüberliegenden Seite , die wir nicht sehen , die wettergeschützte Ostwand mit dem Ein94

gang. Die uns zugewandte Giebelfront mit ihren vier Fenstern wäre dann die nach Süden ausgerichtete Hauptfront , auf welche die davor befindliche Menschengruppe tiefliegende Schatten wirft – diese Schatten aber zeigen uns eine hochstehende Sonne an. Das auf den ersten Blick nicht gerade mitreißende Bild wurde ganz gewiß in dokumentarischer Absicht angelegt – was sich auch aus dem Umstand ergibt , daß es zu einer ganzen Serie solcher Hüttendarstellungen zu gehören scheint. Den Maler kennen wir nicht , aber wir sehen , daß er kein Dilettant war , sondern ganz sicher ein akademisch ausgebildeter Künstler. Er hat das undankbare Motiv in vornehmlich braunen , in der rechten oberen Hälfte in überwiegend graublauen Tönen versiert hingepinselt.

D E R F L U C H D E R S C H ÖN E N A U S S I C HT Wenigstens für die Entstehungszeit aber haben wir sichere Anhaltspunkte. Wir wissen , daß die Hütte 1872 erstmals erbaut wurde. Freilich hatte der mit dem Bau beauftragte Wirt den Platz wegen einer attraktiveren Aussicht eigenmächtig näher an den Gletscher , das Schlattenkees , gerückt – prompt wurde die Hütte schon im Frühjahr 1877 durch eine Lawine zerstört. Doch hat man sie schon im selben Jahr am ursprünglich vorgesehenen Ort wieder aufgebaut und sicherheitshalber mit einer Schutzmauer bewehrt. Diese Mauer sehen wir auf unserem Aquarell deutlich links hinter dem Gebäude – wir haben es also mit dem Neubau zu tun , der am 21. August 1877 eröffnet wurde. Ganz vollendet war die Hütte aber noch nicht : noch fehlen die für den Schutz in der rauhen Herbst- und Winterzeit so wichtigen Fensterläden. Man darf also die Entstehungszeit des Bildchens in den September oder späten August dieses Jahres legen. Und es ist nicht schwer zu erraten , daß der Maler an einem schönen Spätsommermorgen aufgestiegen war , um die Hütte in Augenschein zu nehmen und an Ort und Stelle zu porträtieren – schließlich galt sie mit ihren fünfundvierzig Schlafplätzen als eine der »wohnlichsten und geräumigsten im ganzen Gebiet der Alpen« , wie es in einem Bericht jener Zeit heißt. Doch hat der Maler viel mehr als nur ein für die allgemeine Hüttengeschichte (oder für die Geschichte der Sektion Prag des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins) bedeutsames Zeugnis hinterlassen. Denn unser Interesse hat sich ja längst der Szene zugewandt , die sich vor der Hütte abspielt. Man hat ein Tischchen und eine Bank ins Freie gestellt. Hinter dem Tisch sieht man drei Be95

sucher , Männer mit Hüten ; zwei sitzen , einer steht dahinter. Sie trinken Rotwein , die Flasche steht auf dem Tisch , und es mundet ; denn der Wirt – im weißen Hemd unter der Weste und mit weißem Schurz – trägt diensteifrig schon wieder eine Flasche auf , was ihn freuen wird.

D E R M A N N I M A B S E ITS Einer aber nimmt nicht teil am Umtrunk : der müde Mann , der links am Boden hockt mit deutlichem Abstand zu den Zechern. Man hat ihm keinen Stuhl angeboten , geschweige denn ein Glas. Der geflochtene Rückentragkorb , in dem er schwitzend heraufgetragen hat , worauf die drei Herren nicht verzichten wollten , ist an die Hüttenwand gelehnt. Und um die Abseitsstellung zu betonen , die ja auch ein soziales Abseits meint , hat der Maler den Mann aus dem Tauerntal eingerahmt mit zwei langen Bergstöcken , die an die Mauer gelehnt sind , und ihren Schatten. Und vielleicht erst jetzt , nachdem wir das Aquarell lange genug betrachtet haben , bemerken wir , daß die drei Gäste und der Wirt – sie wirken ja ohnehin wie aus einem Westernfilm herausgefallen ! – fordernd aus dem Bild herausschauen : sie haben sich in Szene gesetzt , sie schauen auf den Maler , der diese bedeutsame Szene , dieses Soziogramm – als die in ein Bild übersetzten sozialen Verhältnisse – festhalten soll. Und sie schauen (nach hundertfünfunddreißig Jahren !) auch heute noch – auf die heutigen Betrachterinnen und Betrachter , die einerseits froh sind , solche Verhältnisse in der alten Welt Europas überwunden zu haben , die andererseits aber auch wissen , daß ein paar tausend Kilometer weiter , in den Gebirgen der Dritten Welt , solche Bergsteiger-Soziogramme nach wie vor zu besichtigen sind.

Angaben zum Bild : N. N. : Die Alte Prager Hütte , 1877 ( ?) ; Aquarell , 17 ,5 x 21 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2740. 96

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GEMSJÄGER –  DIE LEHRMEISTER DES ALPINISTEN Es wird oft darauf hingewiesen , daß im späten 18. Jahrhundert eine »brennende Begierde« entstand , die hohen Berge zu besteigen und zu erforschen. Doch wird selten bedacht , daß dieses neue Interesse sein Ziel nicht – oder nur mühsam , oder erst viel später – erreicht hätte , wenn ihm nicht von Anfang an Experten zur Verfügung gestanden wären : Experten der (modern gesagt :) alpintechnischen Machbarkeit.

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E XP E RT E N D E R A LP I NTE C H N I K Diese Experten waren in den Höfen und Hütten der Alpentäler zu Hause. Sie hatten ihr Wissen über den Umgang mit den Bergen seit Jahrhunderten erlernt , weitergegeben , erprobt und erweitert. Es waren die Hirten , die Kristall- und Wurzelsammler , es waren vor allem die Gemsjäger , die über die notwendigen Gebirgs- und Wetterkenntnisse , über Ortswissen und antrainierten Orientierungssinn , über die Techniken des Sichzurechtfindens in Fels und Eis , in Schrofen und Geröll , bei Tag und Nacht , in Hitze und Kälte und Sturm verfügten – und nicht zuletzt über leibliche und mentale Fähigkeiten wie Körperstärke , Gewandtheit , Gleichgewichtssinn , Schwindelfreiheit , Kaltblütig­ keit. Mit diesen ›bäuerlichen‹ Experten gingen die Berg-Reisenden der bürgerlich-städtischen Kultur ein Bündnis der Praxis ein : wußten die einen , was sie auf den Berggipfeln erfahren wollten , so wußten die anderen , wie man da hinaufkommen könnte.

Ü B E R D E M A BG R U N D Unser

Bildchen – eine

kleinformatige ,

zweifarbige , elegante Druckgraphik der Zeit um 1820 – zeigt zwei namentlich genannte Schweizer Jäger (Jean Fellmann , Gabriel Schilt) in gefahrvoller Lage. Vor der in duftiger Manier angedeuteten Tiefe­ und Weite des Raumes , über dem Abgrund , den wir mit Schaudern spüren und über dem schon die Lämmergeier kreisen , gibt der Künstler die Szene im Vordergrund auf nacktem , abweisenden Felsgestein : während der eine Jäger (rechts vorn liegt der erlegte Steinbock) breit grätschend und mit aufgestützten Armen fest auf einem Felssporn hockt , versucht der andere , der eine tote Gemse umgebunden hat , mit seinem rechten , bestrumpften Fuß auf der Schulter des Genossen stehend , die Höhe zu gewin98

nen , indem er mit seiner Linken in einen Riß greift und sich mit der anderen Hand auf seinem Bergstock in die Höhe stemmt. Die alpintechnischen Details hat der Künstler mit Sorgfalt wiedergegeben : Steigeisen , die man damals auch im Fels gebrauchte , randgenagelte Stiefel (der emporklimmende Jäger hat sie umgehängt) , Seil , Bergstock und Hammer (die sich erst ein halbes Jahrhundert später zum Pickel zusammenfanden).

K O N K U R R E N Z U N D S O L I D A R ITÄT Zwar zwang die Not den Jägern vielfach ein Einzelgängertum auf , das von Neid und Konkurrenzgefühlen gesteuert war. Aber dieselbe Not – das heißt : die Abhängigkeit von der abweisenden Natur – zwang sie auch zu Kooperation und Solidarität. Insofern ist unsere Graphik ein moralisches Lehrbildchen auch noch der modernsten Unternehmungen im Gebirge.

Angaben zum Bild : J. Hess : »Position dangereuse près du Finsteraarhorn de Jean Fellmann et Gabriel Schilt , fameux chasseurs de bouquetin et chamois , le 14 octobre 1822«. J. Fellmann und G. Schilt , berühmte Steinbock- und Gemsenjäger , in gefähr­ licher Lage am Finsteraarhorn , 14. Okt. 1822 ; Aquatinta zweifarbig , 21 x 29 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 1161.

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IN EILE BERGAB Heute werden zumeist Rekorde des Aufstiegs gemeldet. Doch weiß man ja : Den wahren Meister erkennt man an Tempo und Eleganz des Abstiegs. Und oft ist die Kürze des Abstiegs lebensrettend. Da müssen Knie- und Fußgelenke funktionieren ; da bedarf es des sicheren und geübten Auges , das blitzartig die Auftrittsstellen ausmacht und das fest sitzende Gestein vom lockeren zu unterscheiden vermag und im Falle des Fehltritts den Leib tänzelnd im Lot hält.

D E R S C H R I T T D E S JÄG E R S Dieses bergsteigerische Vermögen hat der Zeichner unseres Blattes , der Franzose Édouard Pingret (1788–1875) begriffen und hervorragend ins Bild zu setzen vermocht. Er zeigt uns einen Gemsjäger aus dem Berner Oberland. Wir 100

­sehen , daß er ohne Beute und verspätet , also in Eile , vom Berg zurückkehrt. Sein rechtes Bein ist im Laufschritt stark nach hinten abgewinkelt , während er das linke stramm nach vorn ausgestreckt hat und mit dem Absatz des steig­ eisenbewehrten Schuhs in einem langen Schritt knapp , aber gezielt über der Kante auftrifft. Der Oberkörper macht eine heftige Ausgleichsbewegung (so daß der Schoß der aufgeknöpften kurzen Jacke in die Luft hinausflattert) ; denn mit seiner linken Faust hat der Mann den langen Bergstock fest umfaßt , während er dessen Ende fast spielerisch zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner Rechten führt , um die eisenbeschlagene Spitze exakt an der gewünschten Stelle auf­ setzen zu lassen.

E I N E PAT H O S F O R M E L Alles ist Abwärtsbewegung an unserem Mann : das gestreckte Bein , der gezielte Bergstock , das parallel dazu nach unten zeigende Gewehr auf dem Rücken – ja noch der schiefsitzende flache Hut ; und alles ist Heftigkeit : der Riesenschritt , die fliegende Jacke , die aufflatternden langen Haare. Die drei um die Brust geschlungenen Lederbeutel und der Tragriemen der Flinte wirken wie Fesselungen und verstärken daher fast noch den Eindruck der unbändigen Abwärtsbewegung. Der große Kunsthistoriker Aby Warburg hätte wohl von einer »Pathosformel« gesprochen. Die Kreidelithographie ist sparsam , aber wunderbar fein koloriert – wir wissen nicht , ob vom Lithographen Engelmann selbst , jedenfalls ist der notwendig konzentrierte Blick des Jägers durch zwei winzige Augen-Tüpfelchen betont. Im Kontrast zum bräunlich gekleideten Mann sind die Geländestufen des Vordergrunds in blauer und grünlicher Farbe gehalten. Es ist wohl Gletschereis gemeint. Doch ganz sicher können wir nicht sein. Denn in der Zeit , in der unser Bild entstanden ist , benutzte man die Steigeisen auch im Felsgelände.

TE M P O U N D E L E G A N Z D E S A B S TI E G S Gewiß gehört das Blatt zur Massenware , die für einen interessierten europäischen Markt produziert worden ist. Aber dem Zeichner , dem Lithographen und dem Koloristen ist es in Gemeinschaftsarbeit doch gelungen , den Typus des Gemsjägers – und 101

damit den Typus des Führers der bürgerlichen frühen Alpinisten – uns vor Augen zu stellen. Zu seinen herausragenden Berufsfertigkeiten gehörten seit je Tempo und Eleganz des Abstiegs. Der Bergreisende und exakte Beobachter Baron ­Ramond hat deshalb um das Jahr 1800 herum notiert , daß die Gemsjäger , wenn sie aus dem Gebirge zurückkehren , »mehr in die Ebene sich hinabzustürzen als hinunterzusteigen« scheinen.

Angaben zum Bild : Édouard Pingret : »Chasseur de Chamois« , Gemsjäger , 1825 ; kolorierte KreideLithographie , 32 ,5 x 24 cm (Blattgröße). DAV , Inv.-Nr. 165.

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RUCKSACKPORTRÄT Auf der Zeichnung , die Ernst Platz wohl Mitte der zwanziger Jahre mit der Tuschfeder auf getöntem Papier angelegt hat , sieht man einen form­losen Rucksack aus schwerem Textilgewebe , der mitsamt anderen Bergsteiger­utensilien auf einem vom Künstler nur noch angedeuteten Stuhl (mit gesägter Rückenlehne und schräg eingezapften Beinen) abgestellt ist. Wir sollen vielleicht denken , der Besitzer des alpinistischen Ensembles sei von einer Gletschertour zurückgekehrt und raste nun in einer Hütte. Er habe die durchnäßten Schuhe ausgezogen , den Stock an den Stuhl gelehnt , die Wolljacke aus dem Rucksack gezogen und sich über den feuchten Rücken gehängt. 103

R E L I Q U I E N D E R B E R G S U C HT Aber stellt man , wenn man in der Hütte ist , die Schuhe auf einen Stuhl ? Nein , die Sachen sind also nicht zufällig abgelegt und dann gezeichnet worden – der Maler hat sie vielmehr sorgfältig hindrapiert , weil er sie uns mit allen Details zeigen will : den Rucksack selbst mit den ledernen Tragriemen samt den so einfachen wie sinnreichen Dornschnallen , den Bergstock , dessen Mannslänge man nur erahnen kann und von dessen Eisenspitze man wissen muß ; die zum Betrachten sauber übereinandergelegten handgeschmiedeten, zweiteiligen Steigeisen mit acht Zacken , ein paar derbe Halbschuhe mit Rand- und Sohlennägeln und ledernem Schuhriemen und unter dem Absatz aufgenagelten Harscheisen , und schließlich die mit einem Korken zugepfropfte Weinflasche aus dunklem Glas , die aus dem Rucksack lugt , als sei eigens für sie eine Öffnung hineingeschnitten worden , damit man sie jederzeit rasch herausholen könne … Da ließen sich nun mit Gewinn alpinhistorische Betrachtungen anschließen : etwa über Kleidung und Gerät (Halbschuhe mit eisenbenagelten Ledersohlen , Bergstock statt Pickel), über die Materialien (zerbrechliches und schweres Glas statt Aluminium oder Kunststoff) , über den Proviant (Wein als Durstlöscher und Stärkungsmittel). Solche historischen Betrachtungen wären umso mehr berechtigt , als ja wohl auch dem Zeichner Ernst Platz ein alpingeschichtliches Porträt vorschwebte , als er die Alltagsdinge des Berggehers wie heilige Details auf einem Altar , wie Reliquien der Bergsucht für uns aufgebaut hat. Wie wichtig dem Künstler das scheinbar so belanglose Ensemble war , sieht man an der sorgfältig ausgeführten Signatur rechts unten : Ernst Platz , München. Das sollte also keine beiläufig hingeschluderte Skizze sein ; der Zeichner hatte Ernsthaftes im Sinn.

T R A U E N I E D E N C A RTE L L I N I  ! Eine Notiz im Inventarverzeichnis , deren Herkunft und Verläßlichkeit wir leider nicht kennen , besagt , Platz habe hier die Bergausrüstung des großen Alpinisten Hermann von Barth gezeichnet. Doch der Eindruck , den uns die Zeichnung machen will (Platz habe Barths Rucksackstilleben zufällig gesehen und rasch skizzierend festgehalten) , trügt. Denn von Barth starb im fernen Afrika schon im Jahre 1876 , als der spätere Künstler in Karlsruhe vielleicht noch nicht einmal seine Gymnasialzeit angetreten hatte ; die beiden sind sich also nie begegnet. 104

Und dennoch hat Platz mit seiner Zeichnung ein historisches Porträt geschaffen : zwar kein Porträt der alpinen Ausrüstung des Alleingängers Hermann von Barth , aber doch ein Ding-Porträt des älteren und klassischen Bergsteigens.

S C H U H E  –  U N D D I E F R A G E N A C H D E R E N DL I C HK E IT Wir schätzen heute am Künstler Ernst Platz , daß er , statt sentimentale oder gar verblasene Stimmungsbilder der Bergnatur zu produzieren , sein Interesse an der konkreten und historischen Praxis des Bergsteigens in Bildern festgehalten hat. Und wir schätzen sein tiefes Interesse an der Erfahrung der Endlichkeit des Menschendaseins – ein Fragen , das mit dem noch etwas linkischen und eher schwülstigen Todgerippe-Bild von 1893 begonnen hatte , dann aber in die schockierenden Bilder der Auswegslosigkeit des Stürzens mündete.

Nun erst fällt uns der penetrante Hinweis auf die technischen Details der beiden Schuhe auf dem Stuhl auf – der Schuhe , die , gleichsam physiognomisch , in Seiten- und Unteransicht präsentiert sind , der Schuhe , von denen alles abhängen kann. Vielleicht hätte ich statt Rucksackporträt schreiben sollen : Schuh-Porträt.

Angaben zum Bild : Ernst Platz : Bergsteigerutensilien , 1920er Jahre ? ; Federzeichnung , 25 x 27 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2750.

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DER KNECHT ALS HERR Daß auch die Pyrenäen eine Erschließungsgeschichte haben , ist uns Mitteleuropäern noch wenig ins Bewußtsein gerückt. Dabei gehört der Bericht über die Ersteigung des Canigou durch König Peter von Aragonien kurz vor dem 106

Jahr 1300 zu den allerersten exakten Bergreisebeschreibungen , die uns erhalten geblieben sind. Und in Ramond (eigentlich : Louis-François Ramond de Carbonnières , 1755–1827) besitzen wir nicht nur einen Schriftsteller , der die Alpen­reisen seiner Zeit mitreißend zu vermitteln wußte , sondern auch die ›alpinistische‹ Eroberung der Pyrenäen – es kennzeichnet freilich unser eingegrenztes Interesse , daß Ramonds Werke bis heute nicht hinlänglich ins Deutsche übersetzt sind.

U N S E R B E G R E N ZTE S I NTE R E S S E Nur wenige Jahre nach dem Tod Ramonds entstand die aquarellierte Bleistiftzeichnung , die wir abbilden. Da sie offenbar als Vorlage für ein Blatt in einem 1834 erschienenen Album mit 40 Lithographien diente (als Zeichner der Kreidelithographie gibt sich Édouard Pingret aus , als lithographische Anstalt firmiert Bénard , Paris) , erfahren wir Näheres über das Motiv : eine Szene aus der Ersteigung des Pic du Quairat und des Pic Carré (als Höhe sind 1585 Toisen , also etwa 3090 Meter angegeben) am 12. August 1833 unter der Leitung des Führers Lafont (so wird sein Name in der Pariser Edition geschrieben) aus ­Bagnères-de-Luchon – die Lafonts waren eine Führer-Dynastie des halbwegs zwischen Atlantik und Mittelmeer gelegenen Pyrenäen-Ortes.

E I N PY R E N Ä E N - G IP F E L Wir sehen drei Männer beim Ersteigen einer Wand aus blockartig gestaffeltem Felsgestein : in der Mitte den eher klein geratenen Bergreisenden mit städtischer Schildmütze und umgehängter Tasche , der Wind läßt die Schöße seines grünen Rockes flattern , mit seiner Linken ergreift er die höhere Felskante , um sich daran hochzuziehen , und seine Rechte umfaßt den Bergstock , mit dessen Hilfe er sich hochstemmen will , kurz : Er nimmt , hoch konzentriert , alle seine Kräfte zusammen. Der links unter ihm folgende Träger , vielleicht ein Junge , scheint der Situation eher gewachsen , wenn er wohl auch etwas außer Atem ist – hat er doch die Utensilien des Herrn (man sieht den umge107

hängten Schirm) und , in einem runden Henkelkorb , den Proviant zu schleppen , zu dem zwei Weinbouteillen gehören.

WI E SEGN EN D Die Szene aber beherrscht die überlebensgroß erscheinende Gestalt des Führers Lafont (oder Lafund) in grauer Wollkleidung , aus der das orangefarbene Wams herausleuchtet. Über den Kopf hat er , wie der Träger , eine Zipfelmütze gestülpt , und an den Füßen trägt er leichte , halboffene Kletterschuhe. Er hält , seinen mannshohen Bergstock leicht vom Felsboden abhebend , im Aufstieg kurz inne , dreht sich um zu seinen Gefährten und streckt seine rechte Hand über sie aus – wie wenn er sie segnen wollte. Der sonst der Knecht ist und den Städtern zu Diensten sein muß , um sein karges Leben zu fristen : hier ist er für kurze Zeit der Herr.

Angaben zum Bild : Édouard Pingret : »Lafont , guide à Baqnères-de-Luchon , Ascension au Pic du Quairat , Pic Carré , 1585 Toises , le 12 Août 1833« (nach der lithographierten Fassung von 1834) , Die Ersteigung des Pic du Quairat und des Pic Carré am 12. August 1833 , unter Leitung des Führers Lafont , 1833 ; Bleistift aquarelliert , 21 ,5 x 17 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 108.

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BEILÄUFIGES Fast stets wollte die herkömmliche Alpingeschichtsschreibung ihr Lesepublikum mit Berichten über ungewöhnliche Leistungen überraschen und fesseln. Bis heute liegt ihr die Chronologie und mitfühlende Schilderung der Siege am 109

Herzen. Selbst da noch , wo sie über das Leiden und die Tragik des Scheiterns redet , geht es gleichsam um den Triumph über das Leiden , um – paradox gesagt – den Sieg über die Niederlage. Allemal also interessiert sie das Außer­ ordentliche.

D E R KÜ N S T L E R A LS G E S C H I C HTS S C H R E IB E R D E S A L LTA G S Dabei ist selten bedacht worden , daß die Vorbedingung der außerordentlichen Leistung in aller Regel die Übung ist und die Gewöhnung , das Geübte und das Gewohnte , die Routine , die Selbstverständlichkeit des Alltäglichen – die , weil sie so beiläufig daherkommt , das Interesse des Historikers nicht mehr erregt. Was wissen wir denn von Ernährung und Hygiene der Bergsteiger in alten Zeiten ? Wie halfen sie sich , wenn Schwäche sie überkam ? Welche Knoten knüpften sie ? Kennen wir ihre Handgriffe und Geräte ? Was wissen wir von den Materialien ihrer Ausrüstung und von den Tücken dieser Materialien ? Erst allmählich bildet sich eine Geschichtsschreibung des alpinistischen Alltags , und zu ihren wertvollsten Gewährsleuten gehören die Künstler. Ernst Platz war ein solcher Beobachter des Bergsteigeralltags. Auch das scheinbar völlig Nebensächliche interessierte ihn , machte sein Auge munter und fuhr ihm in den Zeichenstift , wie die mit Kohle und Bleistift angelegte Skizze ­eines Berggängers zeigt , die er auf den 21. Februar des Jahres 1899 datierte. Sie zeigt einen Mann mittleren Alters in Rückansicht , der vielleicht nach beschwerlichem Aufstieg soeben eine Hütte oder ein Gasthaus betreten hat. Bei leicht gebeugtem Rücken (wir vermuten eine gewisse Müdigkeit) nimmt er mit dem rechten Fuß eine erste Stufe. Er ist noch voll angekleidet. Über der Hose aus schwerem Tuch trägt er eine kurze wollene Jacke , auf dem Kopf sitzt der Hut mit schmaler Krempe , auch die an der Außenseite geknöpften Filzgamaschen hat er noch nicht abgelegt.

D I E G E B Ä R D E D E R E R S C H L A F FU N G Am auffälligsten aber ist die Gebärde des Nachschleppens : während die ganze Gestalt in Bewegung zu sein scheint (wenn auch in gemächlicher : das rechte Bein ersteigt , mühsam fast , so scheint es , die Stufe , der linke Arm schwingt leicht aus) , zieht er mit seiner rechten Hand den Rucksack an einem der beiden ledernen Tragriemen nach – nein : Er schleppt ihn über den Fußboden. Er macht 110

sich nicht die Mühe , ihn aufzuheben , und er wollte , nachdem er ihn geöffnet hatte , nicht mehr die Energie aufbringen , ihn mit dem Lederriemen wieder zuzubinden , dessen Enden wir über die Erde schleifen sehen. Der gebeugte Mann in seiner trägen Aufwärtsbewegung , der offene Rucksack , aus dem der Inhalt herauszufallen droht , das Geräusch des Schleifens , das wir zu hören glauben , das nur mit einem statt mit beiden Trageriemen angefaßte Stück (Platz hat sich um dieses Detail in zwei Nebenskizzen nochmals eigens bemüht) : das ist die Gebärde zwar nicht der Erschöpfung , aber doch der müden Nachlässigkeit , das ist die Gebärde der Erschlaffung.

D I E STO F F L I C HK E IT D E R M ATE R I A L I E N Doch zeigt der Künstler nicht nur diese wenig heldenhafte , aber doch durchaus normale Szene , die zu allem Berggehen gehört und an seinem Ende keineswegs unehrenhaft ist : die unübersehbaren Zeichen der Müdigkeit. Er signalisiert uns darüber hinaus sein sinnliches Interesse an der Stofflichkeit der Materialien : am spröden , groben Textil des Rucksacks , am schweren Wollstoff von Jacke und Hose , am derben Filz des Hutes und der Gamaschen. Ganz beiläufig also und nebenher hat der Maler seinen Beitrag geleistet zu einer farbigen Geschichtsschreibung des Alpinismus.

Angaben zum Bild : Ernst Platz : Bergsteigerstudie , 1899 ; Kohle und Bleistift , 31 ,5 x 19 ,5 cm. DAV , Inv.-Nr. 57.

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ZERGLIEDERUNG Bis heute findet man die Rolle , welche der wissenschaftlichen Neugierde in der Geschichte des Bergsteigens zukam , zu wenig gewürdigt – und doch waren es die Gelehrten mit ihren scheinbar abstrusen Interessen , die den Alpinismus ins Laufen brachten. Eine ähnliche – keineswegs böswillige , aber eben dennoch hinderliche – Mißachtung trifft die Malerei. Die Leistungen der Künstler hinsicht112

lich unseres Verständnisses der Alpen und des Alpinismus haben sich noch wenig herumgesprochen. Dabei haben sie unsere Blicke geprägt. Der Aarauer­ Maler Caspar Wolf , um ein Beispiel zu nennen , war wohl der erste Mensch , der schon am Ende des 18. Jahrhunderts die Gletscher so sah , wie wir sie noch heute sehen : als Eispratzen , die vom Tal Besitz ergreifen wollen.

D I E S O G E N A N NTE N B E R GM A L E R Auch die sogenannten Bergmaler – man denkt zuerst an Ernst Platz , dann aber auch an Gustav Jahn , Otto Barth , Edward Th. Compton , in der Schweiz wenigstens an Alexandre Calame und Hans Beat Wieland – haben ein eigentümliches Schicksal erlitten. Während sie und manche ihrer Werke in Kreisen der Berg­ steiger oft übermäßig geschätzt wurden , weil sie sich der Realitätstreue der Photographie näherten – oder weil man sie als Glorifizierung des alpinistischen Tuns mißverstand – , haben sie in Kreisen der Kunsthistoriker manche nasenrümpfende Mißachtung erfahren , weil sie sich einem bestimmten Gegenstand verschrieben hatten und weil sie sich im Interesse naturgetreuer Darstellung oft der stilistischen Fortentwicklung der Malerei verweigerten. Dabei ist manchmal übersehen worden , daß die Künstler – wie übrigens auch die Schriftsteller ! – ­einen beachtlichen und ganz eigenständigen Beitrag zum Verständnis des Bergsteigens geliefert haben : Ansichten sowohl seiner leiblichen als auch seiner seelischen Bewegungen.

DAS FR AGM ENT U N D DAS GANZE Die Fragmente über zwei Bergführer etwa , die Ernst Platz bunt aufs Papier gebracht hat , sind ja keineswegs als Kunstwerk gemeint. Sie sind vielmehr Zwischenresultate der Augenschule und Vorstudien für ein Ganzes. Zunächst sehen wir Körperteile in charakteristischer Bewegung und Geste : wie die Hand eines gebeugten Arms eine Kante umfaßt oder in einen Riß greift , wie sich Knie- und Fußgelenke beim Aufwärtsgehen abwinkeln , wie Finger sich anklammern und eine Faust sich ballt. Am meisten aber fällt das Porträt des schnurrbärtigen Mannes mit den markanten Zügen ins Auge , der den Hut keck zurückgeschoben hat und nun mit kritisch prüfendem , ja skeptischem Blick eine Situation zu beurteilen versucht , die er wohl gleich meistern wird.

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Was aber im Bild bis zum Exzeß zergliedert erscheint , läßt sich doch auch alsbald wie ein Seelen-Puzzle zu einem Wunsch-Psychogramm zusammensetzen : so wünschte man sich den Führer , dem man sich anvertraut – gesund , entschlossen , kühl abwägend , stark.

DIE WISSENSCHAFT DER GEBIRGE Das Widerspiel von Fragment und Ganzem gehört also , wie unser spätes Beispiel zeigt , unabdingbar zum Erkenntnisprozeß. Um aber die ehedem so fremde Bergwelt zu verstehen , mußte sie – wenn auch nur vorerst – insgesamt ­einem Prozeß der Zergliederung geopfert werden. Das ist der Sinn der Millionen Meßund Beobachtungsdaten aus Botanik , Geologie , Geographie , Meteorologie , Medizin und so weiter , welche die Bergreisenden anfangs sammelten , damit sie sich am Ende zu einer »Wissenschaft der Gebürge« wieder zusammenfügten (die Jakob Samuel Wyttenbach schon im Jahre 1781 gefordert hatte). Was wir heute über die Bergwelt wissen und über den Umgang mit ihr – unsere Wissenschaft der Gebirge ! – , ist nichts anderes als das Resultat einer unendlichen Zahl von Zergliederungs- und Kompositionsversuchen.

Angaben zum Bild : Ernst Platz : Bewegungsstudie zweier Bergführer , 1899 ; Bleistift und Deckfarben , 44 x 32 cm. DAV , Inv.-Nr. 311.

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DER ÜBERFORDERTE TOURIST Heinrich Kley , geboren 1863 in Karlsruhe , gestorben kurz vor Kriegsende 1945 in München , war ein herausragender satirischer Zeichner der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Insbesondere die zivilisatorischen Tendenzen seiner Zeit – und hier vor allem die technischen Neuerungen und ›Fortschritte‹ – versuchte er durch künstlerische Zuspitzung zu charakterisieren und zu deuten , indem er teils technische Artefakte (wie Eisenbahnen , Automobile , Maschinen) , teils Menschen mit Hilfe seiner überbordenden Phantasie in Tiere verwandelte und in verfremdenden , grotesken Szenen ›zur Kenntlichkeit entstellt‹ vorführte. 115

Z U R K E N NTL I C HK E I T E NTSTE L LT Eine Zeichnung dieses außerordentlichen Künstlers , dessen Einfälle und Manier bis heute so erfrischend geblieben sind , stellen wir hier vor : Ein Tourist , ein menschlicher Elefant oder ein elefantuöser Mensch , wandert im Gebirge – und ist damit überfordert. Es handelt sich um eine Federzeichnung auf getöntem Papier , die nur an wenigen Stellen ganz sparsam weiß gehöht ist. Sie zeigt einen auf einer Bank sitzenden vermenschlichten Elefanten , dem der mächtige Rüssel schlapp über die Brust und den beträchtlichen Bauch herabhängt. Seinen linken Arm hat er in Erschöpfungspose hinter die Rücklehne der Bank gelegt , die breiten Ohren , wie als Sonnenschutz , über dem Nacken übereinandergefaltet. Er hat geglaubt , sich für seine ›Sommerfrische‹ dem Landesstil anpassen zu sollen , hat sich also eine von bestickten Hosenträgern gehaltene, kurze Lederhose angezogen. So sitzt er nun da , so schwer , daß sich das Sitzbrett der Bank unter ihm biegt. Er hat das leichte Obergewand von sich geworfen , auch den Hut mit der großen weißen Feder und den Rucksack , aus dem die Weinflasche herauslugt. Ganz außer Atem stiert der touristische Elefant vor sich hin und wischt sich mit seiner plumpen Rechten den Schweiß von der Stirn. Er ist auf der Bank zusammengesackt – nicht einmal den langen , mit eiserner Spitze versehenen Bergstock hat er ordentlich beiseite gestellt oder gelegt , er hat ihn sich einfach in den Schoß fallen lassen.

E I N B A STA R D D E S A LP I N I SM U S Der Künstler hat uns also eine überaus lebendige , trotz der Verfremdung ins Tierische aus der genau beobachteten Wirklichkeit genommene Szene vors Auge gezaubert – eine Szene , deren kritischer Charakter noch gesteigert ist durch weitere Zitate aus Realität und Phantastik der Aussichtsbank-›Idylle‹ : der Tourist hat offenbar allerlei Unrat – Papierfetzen , Speisereste wohl auch – einfach vor sich hingeworfen , ein Verliebter hat für seine Fanny ein Herz in die Banklehne geschnitzelt , und der Verschönerungsverein Neuhaus-Schliersee firmiert gar als geschäftstüchtige GmbH ! 116

Damit ist der alpine Tourismus als ökonomischer Faktor ins Spiel gebracht , der Berg-Tourismus der Massen als ungeliebter Bastard des Alpinismus – ungeliebt natürlich nicht zuletzt auch deshalb , weil man um die gemeinsamen historischen Wurzeln weiß. Das unterschiedliche Vermögen der Körper aber bietet heute eine hervorragende Möglichkeit der Distanzierung in Witz , Satire , Karikatur und in allerhand anderer Kritik am untrainierten Zustand der Touristen.

D A S V E R MÖ G E N D E R KÖ RP E R ›Heute‹ soll heißen : Das war nicht von jeher so. Die Abhängigkeit der alpinen Leistung und der Genußfähigkeit von einer bestimmten Zurichtung des Körpers mußte erst erforscht und erfahren werden. Noch Anfang der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts – anläßlich der offiziellen Erstersteigung des Venedigers – wunderte man sich , daß die mageren Männer (die man für schwächlich hielt) den Gipfel relativ problemlos erreichten , während »die schwersten Körper« (die man gesund und stark glaubte) bald zurückfielen und am schnellsten »unterlagen« – was man sich damit erklärte , daß sie auch am tiefsten in den Schnee einsanken. In den zwanziger Jahren freilich , als Kley seine freche Skizze hinwarf , kannte man die Zusammenhänge zwischen dem Trainingszustand des Körpers und seiner Leistungsfähigkeit fast so gut wie heute. Der Zeichner konnte mit seinem Wissen spielen und seinem bösen Scherz freien Lauf lassen in einem kleinen Kunstwerk , das zu betrachten nach wie vor großes Vergnügen bereitet.

Angaben zum Bild : Heinrich Kley : Elefant , auf einer Bank ausruhend , 1911 ; Federzeichnung , weiß gehöht , 23 x 27 cm (Blattgröße) ; erschienen in : Simplicissimus 16 / 1911 , No. 22. ÖAV , Inv.-Nr. 83.

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TRÄUME Die Kulturbewegung , die wir Alpinismus nennen , hatte am Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht richtig begonnen , da wurde schon die Frage diskutiert , welche Motive wohl die Bergsteiger in die gefährliche Höhe trieben , und ob das nicht eine unsinnige oder zumindest völlig unverständliche Leidenschaft sei. Die Sympathisanten der neuen Bewegung verwiesen auf die Alpenjäger (die Steinbock- und vor allem die Gemsjäger) : auch diese hätten kaum Gewinn. Sie lebten und wirkten in großer Gefahr , und trotzdem ließen sie nicht von ihrem Ziel. Der 118

Jäger also , der starke , furchtlose Mann , der gewandt über Fels und Eis sich zu bewegen versteht , war bald das heimliche Vorbild , ja gar das andere Ich des Städters , den es in die Berge zog.

D E R G E MSJ ÄG E R A LS M A N N S I D E A L Das Bild , das wir reproduzieren , zeigt aber nicht einfach den bürgerlichen oder adligen Bergsteiger. Es zeigt auch nicht den einheimisch-ländlichen Jäger , sondern es führt uns vor , wie beide – Bergsteiger und Jäger – in eins gesetzt sind , und zwar in der Gestalt des Erzherzogs Johann von Österreich , des Bruders des Kaisers Franz I. Der Aufklärer , Politiker , Beförderer der Wissenschaften und des Alpinismus lebte von 1782 bis 1859. Als ihn der etwa gleichaltrige Maler Johann Peter Krafft (1780–1856) im Ölbild festhielt , war der Erzherzog sechsunddreißig Jahre alt. Natürlich war Johann auch Jäger ; und trotzdem zeigt das Bild mehr als nur Genre – also mehr als einen verkleideten Angehörigen des Herrscherhauses bei der Ausübung einer Passion.

B E R G S TE I G E R U N D JÄG E R I N E I N S G E S ETZT Erzherzog Johann steht aufrecht und fest auf einer weit vorkragenden bemoosten Felsplatte. Sein rechtes Bein , das Spielbein , fußt auf dem äußersten und höchsten Rand der Platte. Während der Blick des Betrachters über eine bewaldete Schlucht in die Ferne geführt wird , wo man Eisgebirge blinken sieht , schaut unser Mann gedankenverloren nach links in die Tiefe des Abgrunds hinab. Er ist in schlichtes Jägergewand gekleidet , auf dem Kopf sitzt der federgeschmückte Hut , dessen dunkle und breite Krempen-Unterseite das Gesicht und vor ­allem die Stirn hell herausleuchten läßt. Die Arme hat Johann vor der Brust verschränkt , der lange Bergstock liegt leicht in der Ellbogenbeuge. An einem Gurt , der über die linke Schulter gelegt ist , hängt das Gewehr. Gedankenverloren , sagte ich , blickt der Erzherzog in die Tiefe – traumverloren. Vielleicht darf man sagen , der Maler habe zeigen wollen , hier werde der Traum von der Identifikation mit dem (wie Johann zu wissen glaubte) unverdorbenen , noch naturnahen Mann des Volkes geträumt. Dann wäre das Bild ein Rätsel , hinter dessen Augenschein weit mehr verborgen ist , als wir auf Anhieb sehen.

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D I E V E R R ÄT E R I S C H E S P U R D E R B I L DG E S C H I C HTE So wird es sein. Denn das Bild hat eine zwar schlicht erscheinende , in Wirklichkeit aber aufregende Geschichte. Unsere Abbildung beruht auf einer Farbreproduktion von 1911 , die ihrerseits auf einen kolorierten Stahlstich des Jahres 1817 zurückgeht. Der aber war für massenhaften Gebrauch angefertigt worden , weil das originale Ölgemälde (es ist nicht öffentlich zugänglich) , das Krafft im selben Jahr 1817 gemalt hatte , eine Woge von Emotionen auslöste. Und nun darf sinniert werden über die Betrachterinnen und Betrachter und ihre Gefühle beim Anblick des Bildes : ein Knäuel wohl von unbewußten Empfindungen und von dunkler Sehnsucht , das kaum zu entwirren ist – so wie man vielleicht auch der Frage , ob Bergsteigen eine verstehbare Leidenschaft sei oder eine unverständliche , am besten ihr Geheimnis läßt.

Angaben zum Bild : Johann Peter Krafft : Erzherzog Johann als Gemsenjäger , 1817 ; Öl auf Leinwand ; Blasius Höfel : kolorierter Stahlstich nach diesem Gemälde , 1817 ; Farbdruck 1911 nach diesem Stahlstich , 40 ,5 x 27 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 67.

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WER KENNT DIESE FRAU ? Das gefällige Blättchen , eine Radierung , hat Johann Adam Klein während seines ersten Münchner Aufenthaltes im Jahr 1818 angefertigt. Klein , 1792 in Nürnberg geboren , lebte und arbeitete in Wien , in Rom und (am längsten) in München , wo er im Jahre 1875 starb. Er war versierter Graphiker , der insbesondere Tierstücke­ 121

zeichnete , aber auch zahlreiche Szenen aus dem militärischen und ländlichen Genre : tüchtige , liebenswerte , teilweise auch recht flotte , ja genialisch-anmutige Kleinkunst , die ihn zu einem der beliebtesten Radierer des 19. Jahrhunderts machte. So begehrt waren seine Studien , daß andere Verleger in jenen Zeiten des noch mangelhaften Urheberschutzes einzelne Blätter ›abkupferten‹, also kopierten – so auch das ganz selten gewordene Stück , das der Künstler mit der Unterschrift »Sennerin von der Königsalpe bei Berchtesgaden« versehen hat.

V O M Q U E L L E NW E RT D E S G E NR E B I L D E S Groß im Bild ist eine junge Frau in alpiner Landschaft zu sehen : spärliche Vegetation , weiße Wolkenfladen vor einem steil aufragenden Berg rechts im Hintergrund und die Andeutung einiger Almgebäude (rechts im Mittelgrund) kennzeichnen die Situation. Die Sennerin ruht stehend aus : ihre schwer beladene Kopfkraxe (die Last ist unter einem Tuch verborgen , obenauf liegt der hohe Hut) hat sie auf einen Steinblock aufgesetzt , und mit dem Bergstock , den sie in ihrer Linken hält , stützt sie noch denjenigen Teil der Last ab , die ihr auf dem Kopfpolster liegt. Gleich , ahnen wir , wird sie ihren Weg fortsetzen.

S A C H L I E B E U N D S A C HK E N NTN I S Aber mit diesen Schuhen ? Sie scheinen eher einem der Stadt-Modelle des Künstlers zu gehören , der , an sich überaus interessiert an sachlicher Richtigkeit (also etwa : an stimmiger Anatomie) , schon einmal selbstironisch eingestand , daß er die Oberkiefer von Wiederkäuern arglos mit Schneidezähnen ausgestattet habe … Doch sonst überrascht die Detail- und Sachliebe und die Detail- und Sachkenntnis – man betrachte etwa den Eisenbeschlag des Bergstockstachels oder die Kraxe und die Raffinesse ihrer simplen Konstruktion. Jede Bindung erkennt man , und man sieht , wie die Weidenruten durch die Bohrlöcher geführt sind.

D E R B L I C K E I N E R S E L B STB E W U S STE N Unser Bildchen also : eine ländlich-alpine Genreszene , gewiß. Aber zugleich ist es auch viel mehr – nämlich ein Beitrag zur Geschichte des frühen Alpinismus. Mit solchen Bergstöcken erstiegen die ›Bergreisenden‹ und ›Touristen‹ die höch122

sten Gipfel , und mit solchen Kraxen trug man ihre Lasten. Und die Frauen erprobten und übten wie die Männer die Techniken der Bewegung und des Lasttragens im alpinen Gelände , und sie gaben ihre Erfahrungen an die Jungen weiter : diese kulturelle Leistung ist noch selten gewürdigt worden. Die junge Frau in Johann Adam Kleins Bildchen jedoch scheint um diese Leistung zu wissen – ganz selbstbewußt schaut sie aus dem Bild heraus auf den Betrachter , fast herausfordernd fixiert sie seine Augen. Wer ist diese Frau ?

Angaben zum Bild : Johann Adam Klein : »Sennerin von der Königsalpe bei Berchtesgaden« , 1818 ; Radierung , 15 x 12 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 998.

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DIE FRAGE Erich Erler (1870–1946) ist der Maler des hochformatigen Bildes , das drei junge Männer beim Erklettern einer Felswand zeigt. Er war selbst Alpinist und nannte sich nach dem Ort im oberen Engadin , in dem er lange Jahre wohnte und arbeitete , Erler-Samaden. In heutigen Karten liest man dagegen die romanische Form des Ortsnamens : Samedan. 124

N I C HT O H N E PATH O S Erich Erler-Samaden also zeichnete und malte um das Jahr 1930 herum nicht ohne Pathos die prekäre Situation , in der sich die drei Kletterer befinden. Vom rechten unteren zum linken oberen Bildrand sehen wir , von der Morgensonne orangefarben beschienen , eine Felsformation in abschüssiger Plattenbildung steil aufsteigen , welche die drei Kletterer zu bezwingen versuchen. Sie sind vom Sattel eines Gletschers , den wir tief unten erkennen (und aus dem scharfkantige graublaue und an ihrer Südostseite leicht im Sonnenlicht liegende Felsrippen zum rechten Bildrand hinaufziehen) , heraufgestiegen. Da sie , wie es in der Bergsteigersprache heißt , im ›kombinierten Gelände‹ unterwegs sind , haben sie am Fuß der Felswand ein Rucksackdepot angelegt und dort die schwere Ausrüstung zurückgelassen. Nur einen Eispickel haben sie noch mitgenommen , den der letzte der Kletterer , den wir rechts unten in Halbfigur sehen , in der Hand hält. Ansonsten führen sie kein Gepäck mehr mit sich bis auf den kleinen Rucksack des Vorkletterers links oben im Bild. Da erkennen wir auch , daß sie die schweren Bergstiefel mit Kletterschuhen vertauscht haben – Socken wohl mit angenähten Flechtsohlen.

SCH LÜSSELSTELLE Doch ist nun eine heikle Lage eingetreten. Während der mittlere der Kletterer , den wir fast in voller Größe und en face sehen , den Vorsteiger sichert (ein fein beobachtetes Detail : der abgespreizte Zeigefinger seiner linken Hand , durch die er das Hanfseil laufen läßt !) , sucht dieser auf der schrägen und glatten Fläche Halt. Sein rechter Fuß scheint ins Leere zu treten oder zu rutschen oder stützt sich mit den Zehenspitzen auf die Schulter des Kameraden. Das linke Knie ist auf Reibung gegangen , und mit den Händen versucht er sich festzuklammern. Der Eindruck einer gewissen Hilflosigkeit (einer gewissen Hilflosigkeit auch des Malers ?) wird noch verstärkt durch den Umstand , daß die Figur in die obere Bildecke gedrängt (und das Passepartout etwas unglücklich geschnitten) ist.

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G E G E N D E N W I N D G E F R A GT In dieser kritischen Situation scheint in den beiden anderen jungen Männern , deren kantige Gesichter doch wohl Unbekümmertheit , ja unbeugsamen Siegeswillen ausdrücken sollen , eine gewisse Sorge aufzusteigen : nervös gespannt blicken sie nach oben , der eine bleckt kalt die Zähne , und der andere scheint gegen den Wind bang und ungeduldig die Frage hinaufzurufen : was denn los sei , ob es denn nicht weitergehe. Die Antwort , die der Vorsteiger herauspreßt (er wendet den Kopf ja leicht nach hinten) , kennen wir nicht. Aber wir wissen und sehen , daß der Typus des Bergsteigers , den unser Bild zeichnet , dem Typus des nationalsozialistischen Mustermannes ähnelt. Vom Maler selbst weiß man , wie willfährig er den politischen Machthabern gedient hat. Insofern ist es bemerkenswert , daß ein Bild wie Erlers Gemälde der drei Kletterer , das doch ganz gewiß bis in die Klammerungen des Vorsteigers hinein den absoluten Willen zur Überwindung aller Widrigkeiten , den absoluten Willen zum Sieg ausdrücken sollte , letztlich eine Szene des Versagens zeigt : eine gewisse Kläglichkeit , die vielleicht ganz unbewußt zum Ausdruck gebracht ist.

Angaben zum Bild : Erich Erler-Samaden : Drei Kletterer , um 1930 ; Tempera auf Papier , 49 x 32 ,5 cm (Größe des ausgemalten Blattes : 57 ,5 x ca. 42 cm). DAV , Inv.-Nr. 637.

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GANZ LEIB Das Ölbild , vom Kitzbüheler Künstler Alfons Walde (1891–1958) im Jahr 1930 mit pastosem Pinselauftrag gemalt , hat seinerzeit Bekanntheit erlangt , weil es als Vorlage für ein Plakat der »Tyrol«-Werbung verwendet worden ist. Es wird mit Recht unter dem Titel »Aufstieg« geführt , weil zwei bergsteigende Skigänger das 127

Bild beherrschen. Doch geht es zugleich auch um das Widerspiel von Steigen und Abfahren. Denn wir sehen ja in der Ferne klein vier Skiläufer am Beginn ihrer Fahrt in die Tiefe. Und auch die beiden Männer des Vordergrunds werden bald die Berauschung der Abfahrt genießen als »das umgekehrte Erlebnis des Bergsteigens« – so hat es der Philosoph Ernst Bloch (in seinem Essai »Alpen ohne Photographie«) im selben Jahr genannt , in dem Walde sein Bild gemalt hat – , als »ein paradox befreiendes Erlebnis der Schwere«.

DIE ÜBERWINDUNG DER SCHWERE Das Thema unseres Bildes ist jedoch vor allem die kraftvolle Überwindung der Schwere im Aufstieg. Zwei junge Männer haben sich auf ihren Skiern den steilen Hang heraufgearbeitet – in ausladender Bewegung. Der Voransteigende nimmt fast die ganze Breite des Bildes ein. Er zeichnet mit den abgewinkelten Armen , den Skistöcken und den quergestellten Skiern ungefähr die Form eines Trapezes. Seine Hände führen die Stöcke energisch und elegant zugleich , der Rucksack scheint ihn nicht zu belasten. Beiden Männern ist heiß. Sie haben das weiße Hemd , das sie zur dunklen Hose tragen , weit aufgerissen und die Ärmel hochgekrempelt. Spürbare , ja sichtbare Aggressivität bestimmt die Szene , sie wird durch das Rot der Mütze des Zweiten gesteigert. Die schweren scharfrandigen Schatten sowohl auf den Leibern als auch im Schnee des Vordergrunds und der Ferne verschärfen das gleißende Licht. Auf die gefällige Ornamentik der schwingenden Skispuren , die wir auf anderen Winterbildern der Zeit sehen können , hat der Maler verzichtet. Und die weiche Modellierung des mächtigen Schneehangs im Mittelgrund und der rahmenden kolkartigen Vertiefungen scheint nur den Zweck zu haben , die beiden Körper aus dem Bild herausplatzen zu lassen.

MÄ N N E R O H N E G E S I C HT Aber Gesichter sehen wir keine , sie sind durch tiefe Schatten ausgelöscht. Es geht dem Maler nicht ums Individuum , es geht ihm um den Typus. Der Typus aber scheint Intellektualität wie Sensibilität hinter sich gelassen zu haben (wie anders sonst soll man den auf einem muskulösen Hals aufsitzenden kleinen Kopf deuten ?) , 128

ihm ist allein der Leib noch wichtig mit seinen Fähigkeiten : der Körper des Mannes selbstverständlich , der – so beginnen wir es heute zu sehen – den Raum füllt und sich sperrig in den Vordergrund schiebt.

A L P I N I S M U S A LS S P O RT Doch auch ohne allen Eifer kann der nüchterne Beobachter zur Erkenntnis kommen , daß die verschiedenen Phasen der Geschichte des Bergsteigens durch die Dominanz ganz unterschiedlicher Interessen geprägt waren. Anfangs mußte naturgemäß zunächst einmal begriffen werden , was die hohen Gebirge sind , was sie kennzeichnet  und wie der Mensch auf ihnen funktioniert : deshalb das Interesse am Wissen und am Fühlen in der Frühphase des Alpinismus – bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Später dann ging es ums Unterkriegen und ums Besetzen – also um die Ersteigung auch noch des letzten Gipfels. Man mag das Ende dieser Phase in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingetreten sehen. Exakte Jahreszahlen taugen wenig , wichtiger ist die Beobachtung , daß Bergsteigen nun zunehmend als eine Variante sportlicher Tätigkeit angesehen wird. Alfons Waldes Bild aus dem Jahr 1930 ist ein Dokument dieses jungen Interesses.

Angaben zum Bild : Alfons Walde : Aufstieg , 1930 ; Öl auf Karton , 68 x 47 cm. DAV , Inv.-Nr. 2162.

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AUSGESETZT Ein scharfer Firngrat zieht sich von der Mitte des rechten Bildrandes nach links hinten auf einen Berg zu , der von Wolkennebeln verhüllt ist. Diese wirbeln die steilen Schneehänge herauf , auf denen heller , ja blendend-gleißender Schein liegt. Darüber (in der rechten oberen Bildecke) sieht man ein kleines Stück tiefblauen Himmels. Es herrscht Sturm , doch das Wetter ist nicht ›aussichtslos‹. 130

E I N E P R E KÄ R E S I TUATI O N Vier Alpinisten – drei Männer , eine Frau – arbeiten sich geduckt über das Joch hinüber. Sie setzen die steigeisenbewehrten Stiefel in die Fußstapfen , die dicht unterhalb des Grates schon eingespurt sind , und suchen sich mit dem breit­ armig gepackten und quer gehaltenen Eispickel zu sichern. Außerdem sind sie durch das jeweils um die Hüfte geknüpfte Seil verbunden , das der Sturm waagrecht nach links hinauspeitscht. Die Deckfarbenstudie zeigt die Realität alpinistischen Tuns unter schwierigen Bedingungen , der Künstler, Ernst Platz , ist hier Dokumentarist : er hat , obwohl er nicht fotografiert , sondern zeichnet , ein alpingeschichtliches Dokument geschaffen. Gleichwohl ist das Bild viel mehr als nur bloßes Abbild der Wirklichkeit , weil es uns Betrachterinnen und Betrachter in Spannung versetzt und mitfiebern , ja mitleiden und endlich hoffen läßt.

M E H R A LS N U R D O K U M E NTATI O N Die Seilschaft befindet sich nämlich erst am Beginn des Grates , der weiter hinten noch heikle Über­ gänge vom Schnee auf den Fels (und umgekehrt) verheißt – eine prekäre Situation nicht nur wegen der Steile des Firnhanges und wegen der das Gleich­ gewicht gefährdenden Windstöße , sondern vor allem auch wegen der unterschiedlichen alpinistischen Versiertheit und Seelenlage der vier : während der erste und der letzte der Bergsteiger routiniert und ruhig wirken , machen die beiden in der Mitte einen eher unsicheren Eindruck. Insbesondere der jungen Frau hat der Maler (und damit scheint er den verbreiteten Vorurteilen seiner Zeit beizupflichten) den Part der Ängstlichkeit zugedacht , denn sie wirkt überfordert – als einzige hält sie das Seil nicht kurz , mit ihrem linken Fuß bricht sie aus dem Tritt aus (sie löst Schneeballen aus , die der links vorn klaffenden Kluft entgegenstürzen) , und zu allem Überfluß schaut sie auch noch in die gähnende Tiefe , statt den Blick auf die Spur zu richten. Trotzdem macht uns der Maler Hoffnung auf einen guten Ausgang der Partie , auf die glückliche Meisterung der ausgesetzten Passage (wie wir heute sagen). 131

Denn man sieht links in der Ferne zwei Bergsteiger , die vielleicht die Spur getreten und den Grat fast überwunden haben.

E I N W O RT V E R Ä N D E RT S E I N E N S I N N Daß eine Stelle , ein Ort als ›ausgesetzt‹ bezeichnet werden kann , ist eine sprachliche Neuerung des späten 19. und des 20. Jahrhunderts (wohl im Gefolge der »Demokratisierung des Bergsports«). Vorher konnte nur ein Lebewesen , ein Mensch ›ausgesetzt‹ sein – ausgesetzt den feindlichen Naturkräften , den Gefahren der Angst , des Schwindels , des Schwindens der Kräfte und des Stürzens. In unserem Bild sind also beide Wortbedeutungen vereint , die alte und die neue : ausgesetzte Menschen an ausgesetztem Ort.

Angaben zum Bild : Ernst Platz : Vom Sturm gepackt , 1919 ; Gouache , 40 ,5 x 33 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 1462.

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STEINMÄNNER Grobes Blockwerk bildet den Gipfelaufbau , der von einem fast mannshohen Steinmann überragt wird. Links von diesem aufgeschichteten Mal erkennen wir eine große Platte mit Schneerest , rechts davon einen sich ausruhenden , sitzenden Bergsteiger , der ein Bein weit von sich gestreckt hat und in die Weite schaut. Der mächtige Vollbart , der Pickel , den er nicht aus der Hand gibt , der Hut mit der krummen Feder sind die Zeichen des Führers , der vielleicht (so sieht es wenigstens aus) gerade eine Zigarre raucht , die ihm der geführte Tourist spendiert hat.

A M Z U C K E R H Ü TL Dieser Tourist ist der Maler selbst , nämlich Anton Heilmann (geboren 1830 in Neumarkt bei Salzburg , gestorben 1912 in Wien) – »ein trefflicher Aquarellist und ein scharf beobachtender Landschafter des alpinen Hochgebirges« , hat ein Kenner Anfang der zwanziger Jahre geurteilt und angefügt , Heilmann habe auch 133

für allerlei Zeitschriften eine große Zahl hoch geschätzter Illustrationen aus der Bergwelt geschaffen. Als Vorlage für eine solche Graphik wird unser mit weichem Bleistift gezeichnetes und leicht und luftig aquarelliertes Blatt gedient haben , denn der Künstler hat es nicht nur signiert (unten in der Mitte) , sondern auch exakt datiert auf den 11. September 1891. Vor allem aber geht das dokumentaristische Interesse aus den mitgelieferten Lokalbezeichnungen hervor : »Am Zuckerhütl« , so ist die Szene aus den Stubaier Alpen links unten bezeichnet , und eine weitere Inschrift benennt den hellen Berg mit den mächtigen Firnflanken , auf den unser Blick in ungefähr südöstlicher Richtung geht , als Sonklarspitze. Mit den fein gezackten Horizontlinien aber sind wohl die Dolomiten gemeint.

D ER U NSI CHTBARE MALER Darstellungen alpiner Landschaft gibt es in unendlicher Zahl – selten freilich sind Gestaltungen , denen die Abbildung der reinen Natur nicht genügt. Zu diesen Ausnahmen gehört unser kleines Kunstwerk. Heilmann zeigt neben der ­monumentalen Landschaft den Bezwinger der wilden Natur , den Menschen (genaugenommen befinden sich ja zwei Menschen »am Zuckerhütl« – neben dem Führer , den wir sehen , noch der für uns unsichtbare Maler , dessen Perspektive wir einnehmen) , und er zeigt das triumphale Zeichen dieser Unterwerfung , den Steinmann : den Steinmann als Dokument menschlicher Kulturleistung. Verachtet mir den Steinmann nicht !

KÄ LTE D E S E I S E S , H Ä RTE D E S STE I N S Doch so , wie der Mensch auf den Steinmann abgefärbt hat , so hat vielleicht auch der Steinmann auf den Menschen abgefärbt. Wie das aufgeschichtete Gestein sollte auch der Alpinist sein , der Mann aus Heilmanns Generation : hart und kalt , das heißt : empfin134

dungslos gegen Entbehrungen und Schmerzen , ohne ›störende‹ Gefühle , nur aufs Ziel ausgerichtet , auf den Erfolg erpicht – ein Stein-Mann eben. Von heutigen Bergsteigerinnen und Bergsteigern erwarten wir ein anderes Psychogramm. Aber möglicherweise war ja die von den Männern jener Zeit erträumte (oder die diesen Männern abgezwungene ?) Eises- und Steinhärte Voraussetzung für die alpinistischen Leistungen der Jahre um 1900 – einer Epoche , die manche von uns heute vielleicht nicht mehr lieben , aber doch achten , ja insgeheim vielleicht sogar bewundern.

Angaben zum Bild : Anton Heilmann : »Am Zuckerhütl« , 1891 ; Bleistift aquarelliert , 18 x 29 cm (Blattgröße). ÖAV , Inv.-Nr. 3316.

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DIE LEGENDE VOM WILDHEUERRECHT Es ist den Alpenvereinen hoch anzurechnen , daß sie in einem sehr umfassenden Sinne ›Bilder aus den Alpen‹ gesammelt haben. So ist auch das hier wiedergegebene Ölbildchen keineswegs ein direktes Zeugnis zur Geschichte des Bergsteigens – und dennoch weist es uns die Spur zu einem verschütteten , ja verschwiegenen , jedenfalls noch kaum irgendwo ausführlicher besprochenen Kapitel des Alpinismus. Auf dem Rasenstück einer steinigen Anhöhe sitzt , nach links gewendet und von der Abendsonne beschienen , ein Mädchen , angetan mit weißer Bluse , rotem Mieder und weißem Schurz vor dem dunklen Rock. Es trägt einen breiten Halsschmuck , das Haar ist schlicht gehalten und hinten eingerollt. 136

Wir sollen wohl an eine Sennerin denken , die ihr Tagwerk vollbracht hat. Doch der freie Blick , den wir Betrachterinnen und Betrachter des Bildes auf die blauviolettfarbenen Vorgebirge im Hintergrund haben und auf den fein leuchtenden Abendhimmel , wird ihr nicht zuteil. Sie ist müde , und sie ist in tiefe , vielleicht trübe Gedanken versunken. Wange und Stirn des Kopfes stützt sie mit ihrer rechten Hand , und ihr Blick geht leer ins Unbestimmte , während ihr bloßer linker Unterarm , der uns nähergerückt ist , auf ihrem Oberschenkel aufruht – in der Hand aber hält sie einen Rosenkranz.

D I E KÜM M E R N I S D E R S E N N E R I N Sollen wir an die Sorge um einen Geliebten denken oder an die Sorge wegen eines untreuen Geliebten – also an das , was man gemeinhin Liebeskummer der einen oder anderen Art nennt ? Oder sollen wir vielleicht gar imaginieren , die junge Frau habe sich ungehörigerweise allzusehr mit einem Burschen eingelassen – in einer Weise , die sie , die kirchentreue Fromme , als Sünde empfinden mußte ? Der Rosenkranz mit seiner Erinnerung an Sünde und Schuld ist doch überaus deutlich , ja vielleicht allzu auffällig in den Vordergrund gerückt – ganz nah vor unser Auge , so daß wir ihn nun , nach einer Weile des Betrachtens , fast als Zentrum des Bildes empfinden. Nicht nur die von uns Heutigen vielleicht als sentimental empfundene Attitüde , sondern auch stilistische Eigenheiten (und Unzulänglichkeiten) des Bildchens können dazu ermuntern , es dem Kasseler Maler August von der Embde (1780–1862) zuzuschreiben , der sich seit den dreißiger Jahren so manche Szene aus dem ›Volksleben‹ vorgenommen hat. Freilich kann man nie sicher sein , daß dem vielbeschäftigten Manne nicht eine seiner Töchter die Hand geliehen hat. Aber wir wollen die von manchem Kenner geübte Kritik an der künstlerischen Qualität nicht vertiefen. Wir halten auch die inzwischen wohlfeil gewordene Kritik an einer allzu zuckersüßen Idealisierung des Landlebens selbst für eine ideologische Ablenkung – denn vielleicht geht es in unserem Bildchen gar nicht um Sehnsucht oder Betrübnis der Sennerin , sondern um die Sehnsucht nach der Sennerin ! Man darf sich zu einem solchen Gedanken ermuntert sehen durch die Fülle der Zeugnisse , die das Begehren der Bergreisenden – Männer des Bürgertums – zum Ausdruck gebracht haben. 137

MÄ N N E R PH A N TA S I E N Es sind natürlich indirekte Zeugnisse – Projektionen , so sagen wir heute. Das Begehren ist hinübergespiegelt auf die Bewohner der Alpen , auf Älplerinnen und Älpler , denen heftiges geschlechtliches Verlangen nachgesagt wird. Die Geschichtsschreibung des Alpinismus hat diesen Zug bislang völlig übersehen – geflissentliches Verschweigen einer als peinlich betrachteten Tendenz ? Dabei hatte schon Albrecht von Haller in seinem die Sehnsucht einer Epoche artikulierenden , heute aber nur mehr schwer zu genießenden Gedicht von 1729 (»Die Alpen«) Sexualität als Problem angesprochen : »Hier bleibt das Ehbett rein !« Doch die nachfolgenden Bergreisenden und Beobachter des Lebens auf den ­Alpen glaubten anderes zu sehen – der rüstige Älpler , so schrieb einer , platonisiere nicht (will sagen : seine Liebe sei nicht nur platonisch). Ein anderer gibt vor , er habe unter ›geräuschvollen Pärchen‹ gelitten. Der Arzt Johann August Schultes gar behauptet im Jahr 1804 , er habe durch die offenen Fugen in den Balkenwänden einer Almhütte »unglücklicher Weise« Szenen sehen ›müssen‹ , die keiner der obszönen antiken Dichter »üppiger und derber« habe schildern können. Und er habe sich der Kraft wundern müssen , »die noch in des Mannes Lenden ist«. Zu solchen Männerphantasien paßt es denn auch trefflich , daß bald »Brust-Bilder« von Älplerinnen auf den Markt und in Umlauf kamen – alpinistische Pornographie sozusagen.

D I E V E R W I S C HTE S P U R »Wildheu« heißt ein Gedicht Johann Viktor von Scheffels (1826–1888) , und seine letzte Zeile lautet eindeutig-zweitdeutig (nachdem von der Sennin , der rauhen , die Rede war) : »Hoch ob der Alm gilt Wildheuersrecht.« Zu solchen sexuellen Phantasien hat uns eine schwache Spur , die wir im Bilde wahrzunehmen glaubten , hingeführt. Doch hat der Maler (oder die Malerin ?) alles getan , diese Spur zu verdecken : wie ›züchtig‹ ist doch unsere Sennerin gegeben , und in reinlicherem , in strahlenderem Weiß kann man Bluse und Schürze nicht malen.

Angaben zum Bild : August von der Embde ( ?) : Sennerin , um 1840  ? ; Öl auf Holz , 22 ,5 x 28 cm. DAV , Inv.-Nr. 192. 138

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ALPENWAREN Die Emailliertechnik hat es ermöglicht , einen Gemäldeentwurf des Malers Theodor Kleehaas (1854–1929) aufs Blech zu bringen. Der vor allem in München tätige Künstler ist dafür bekannt , daß er sich von den Entwicklungen der europäischen Malerei wenig beeindrucken ließ und sich dem Stil der Genremalerei vom Ende des 19. Jahrhunderts verpflichtet sah – so wie diese liebte auch er gefällige folkloristische Motive aus der Alpenwelt. Die Reklametafel , die für Schokolade warb , ist ein Beispiel seiner Kunst. Sie könnte zu Beginn der zwanziger Jahre entstanden 139

sein ; denn die Schokoladefabrik Alpursa war noch im Kriegsjahr 1917 gegründet worden.

E I N E SÜ S S E V E R F Ü H R U N G S SZ E N E Das simpel aufgebaute Bild ist rasch beschrieben. Auf dem Rain eines Wegrandes sitzen vor einer blumigen Wiese , in farbige Trachtenstücke und weiße Blusen gekleidet , eng aneinandergeschmiegt in neckischem Tête-à-tête , zwei Mädchen , das eine brünett , das andere blond. Sie haben die Hüte abgenommen und schauen auf den Betrachter , der sich durch das schelmische Lächeln samt Augenaufschlag und das Wildblumensträußchen in den Händen der Blonden eingeladen fühlen darf. Hinter dem heiteren Pärchen erhebt sich ein Bildstock. Der Weg aber führt zu einigen Häusern und dann , im Bildhintergrund und jenseits eines tief eingeschnittenen Tales , einfach und breit an einem bläulich schimmernden Bergmassiv empor zu einem jochartigen Übergang. Gefragt , welche Einfälle wir beim Betrachten der anziehenden Szene hätten , würden wir vielleicht sagen , es kämen uns Werte in den Sinn wie : kindliche Einfalt , Liebe , Treue , unverfälschtes Gefühl , Sauberkeit , Frische , möglicherweise auch arglose Frömmigkeit. Und doch ist – das wissen wir , wenn wir die WerbeInschrift lesen – der freundliche Anblick von vornherein korrumpiert , er ist nur Vorwand ; denn es geht um ganz anderes. Das Bild zeigt eine Verführungsszene. Versatzstücke der Bergler-Kultur sind uns als süßes Lockmittel vor die Augen gesetzt , damit wir die handfeste Ware Schokolade kaufen.

F O L K L O R E A L S K U LTU R E L L E W A R E Auf die Idee , Traditionen der eigenen Kultur – heute nennt man das etwas gespreizt : immaterielles kulturelles Erbe ! – in die dringend benötigte bare Münze umzuwandeln , waren manche Alpenbewohner schon früh gekommen. Peter Prosch , ein armer Hausierer aus dem Zillertal (1744–1804) , der mit gamsledernen Handschuhen durch die Lande reiste , stilisierte sich zu einem derben , aber ›echten‹ Tiroler voll Mutterwitz und brachte es auf diese Weise zum Hofnarren , den die Fürsten an ihren Höfen , damit er sie mit seinen groben Scherzen un140

ter die Tische lachen ließ , herumreichten. Andere Zillertaler verstanden es , das traditionelle Liedgut so artifiziell einzusetzen , daß sie das Publikum in den Konzertsälen der europäischen Großstädte zu Tränen rührten und zu Begeisterungsstürmen hinrissen. Und allenthalben in den Bergen entdeckte man , daß das ­Jodeln die Geldbörsen der Touristen aufspringen ließ – Mark Twain schreibt in den 1870er Jahren recht witzig , er habe in der Schweiz fürs Jodeln gutes Geld gegeben. Doch als die Jodler nicht mehr enden wollten , habe er aus lauter Verzweiflung fürs Aufhören bezahlt.

E I N E E NTE I GN U N G Wir beobachten also den verständlichen Wunsch und Versuch der Alpenbewohner , statt der wenig ergiebigen materiellen Alpenwaren – Gamsleder , Enzianwurzeln , Halbedelsteine , Latschenöl etwa – die eigene Kultur zu vermarkten und älplerische Folklore als kulturelle Ware zu verkaufen. Doch bei diesem Vorhaben hat man sie übervorteilt. Andere haben sich angemaßt , die ungeschützten kulturellen Überlieferungen der Alpenregionen zum Zwecke der Profitsteigerung zu verwenden – es hat also eine Enteignung stattgefunden. Wie früh und umfassend das geschehen ist , zeigen etwa die Anzeigenseiten der Alpen- und Alpenvereinszeitschriften. Unser Emaille-Bild mit der Schokolade-Reklame ist nur ein besonders bunter und besonders süßer Ausdruck solcher Tendenzen.

Angaben zum Bild Theodor Kleehaas : »ALPURSA Alpenmilch-Schokolade« , um 1920 ; Email auf Eisenblech , 75 x 52 cm. DAV , Inv.-Nr. 2. 457. 

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EIN ANDERER BERGTOD Alpinismus und Militär , ja Alpinismus und Krieg – das sind Themen , die umfassend zu bearbeiten sich noch niemand richtig getraut hat. Dabei gäbe es so viel Material vorzustellen und soviel zu sagen. Man müßte Hannibals wie Napoleons Kriegszüge erwähnen , man hätte von den Vermessungsoffizieren zu reden , und man müßte sich vor allem auch die beiden letzten Weltkriege vornehmen. Gerade sie wären , nachdem bis in die jüngste Zeit hinein gar oft rechtfertigende , ja verklärende Stimmen zu hören gewesen waren , endlich mit Distanz und kritischem Blick auch alpinhistorisch neu zu betrachten.

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ALPI N ISM US U N D KRI EG Hans Beat Wieland (1867–1945) , der Schweizer Bergsteiger , Skipionier und Maler , war gewiß nicht unschuldig an der Befestigung einer alpinistischen Heldenideologie , die uns heute so unangenehm aufstößt. Es gibt so manches Bild von ihm , das man als Apologie , wenn nicht als Verherrlichung des Krieges verstehen kann. Doch war er auch – als ›protokollierender Maler‹ , als zeichnender Kriegsberichterstatter (ab 1915) – wohl zu nah an der Wirklichkeit und zu sehr Realist , als daß er nicht auch die ›andere Seite‹ des aberwitzigen Abschlachtens und den ›anderen Bergtod‹ hätte wahrnehmen und darstellen müssen (wenn auch in vergleichsweise milder Form). Kunst , wenn sie wirklich frei ist , birgt stets auch Spuren des Unangepaßten und Widerspenstigen , ja des Widerspruchs.

SPUREN DES WIDERSPRUCHS Wielands großformatiges Graphik-Blatt läßt uns im Vordergrund , der etwa die Hälfte des Bildes ausmacht , eine nach links leicht abschüssige Firnfläche ­sehen , die vom Sturm verweht und glattgezogen ist. Links vorne haben sich kleine Kolke gebildet , auch lugen einzelne Latschenspitzen unterm Schnee hervor. Dieser Firnvordergrund , der ganz im Schatten liegt und im Sommer eine grüne und blumenübersäte Almwiese sein mag , wird beherrscht von zwei mächtigen düsteren Holzkreuzen , an denen jeweils ein struppiger Kranz aus kurzen Legföhrenzweigen hängt. Die bereits ausgefransten Bandschleifen hat der Wind herumgewirbelt oder schräg auf den Schnee gelegt , und eine Inschrifttafel läßt uns das Wort GEFALLEN erahnen. Vier kleinere Kreuze stehen schwarz gegen den linken Bildrand. Den Hintergrund aber bilden vor streifig bewölktem Himmel grell von der Sonne angestrahlte Dolomitenberge , die Schneehalden an ihrem Fuß sind in gleißendes Licht getaucht.

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D I E W I DM U N G Vielleicht ist es kein Zufall , daß der Künstler gerade diese Radierung , gerade dieses Bildmotiv mit einer handschriftlichen Widmung versehen hat (sie ist rechts unter dem Monogramm HBW und dem ins Papier eingeprägten Plattenrand sichtbar : »Dem alpinen Museum gewidmet /  Hans Beat Wieland.«). Zu den traditionellen Totengedenktagen im Herbst eines jeden Jahres hätten auch die Alpenvereine etwas zu sagen.

Angaben zum Bild : Hans Beat Wieland : Soldatengräber am Pordoijoch , um 1915 ; Radierung , 37 x 45 ,5 cm (Blattgröße). ÖAV , Inv.-Nr. 2778.

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DAMPF UND RAUCH Das Bild  ist eines der größeren Ölgemälde in der Folge unseres Bilderreigens – Heinrich Heinlein (1803–1885) , ein Künstler , der vor allem in München tätig war und von da aus die Alpen bereiste , hat es 1847 gemalt. Der weithin düstere Vordergrund hat viel Konventionelles an sich , er könnte , stilistisch gesehen , auch glatt ein halbes Jahrhundert früher entstanden sein. Doch der Blick auf die in Rosa- und Violett-Tönen klar herausmodellierten Felsmassen der Berge und den in golden-warmem Licht aufleuchtenden Himmel mit den phantastischen Wolkengestalten beeindruckt auch die Betrachterin , den Betrachter unserer Tage – da ist der Maler Heinlein mit seiner gezügelten Pinselsprache , die sich an den harten Kanten des Gesteins entlangtastet , ganz auf der Höhe seiner 145

Zeit , und gerade deshalb bietet uns sein Werk auch heute noch hohen Kunstgenuß.

I N T E R E S S E N D E R B I L DB ETR A C HTU N G Das Bild ist bislang unter zwei Aspekten betrachtet worden. Ein patriotisch-historistisches Interesse hat sich auf die Figurengruppen des Vordergrunds gestürzt und hier Szenen des ›Tiroler Freiheitskampfes‹ von 1809 erkennen wollen : auf dem Vordergrund des Originals erkennt man einen am Boden liegenden Toten samt einigen trauernd betenden Männern. Daneben ist ein Laken ausgebreitet , auf das sie bald den nächsten Verwundeten oder Getöteten legen werden , der gerade über die Brücke getragen wird , die einen Wildbach überspannt. Der zweite Aspekt , der vor allem den Bergfreunden wichtig war , galt den geographischen Fakten und der Frage , ob Heinlein hier real existierende Berge gemalt habe. Deshalb heißt das Bild heute Dolomitenlandschaft.

D I E BÖSEN M ENSCH EN Ich aber lade Leserinnen und Leser ein , einen dritten Aspekt zu bedenken , indem ich auf ein zunächst kaum wahrnehmbares , aber doch deutlich gezeichnetes Detail hinweise. Auf der Höhenlinie , mit welcher der düstere Vorder- und Mittelgrund abbricht , um den Blick auf die besonnte Bergkulisse freizugeben , ist (ziemlich am linken Bildrand) ein brennender Bergbauernhof zu erkennen. Die nach links treibenden dunklen Rauchschwaden signalisieren Brandschatzung , Krieg , Unheil , Ungerechtigkeit. Und jetzt sehen wir , wie dieser Rauchfahne die

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auffällige Wolkenfahne entspricht , die – fast wie ein Feuerrauch , aber was sollte an diesem steilen und kahlen Felsenhang brennen können ? – düster und an den Rändern doch grell beleuchtet von der Flanke des imposanten Bergmassivs nach rechts in den ­Himmel zieht. Das ist keine platte Parallele , aber doch eine auffällige Entsprechung. Und wir begreifen , daß der Maler auch die groteske Bergformation im linken Hintergrund durchaus mit Bedacht in Gewitterwolken gehüllt hat.

ECHOWAND DER SEELE Rauch und Wolkendampf : was kleine Kinder mühsam zu unterscheiden lernen – der Maler hat sie in künstlerischer Ahnung wieder in eins gesetzt. Die Wolkenfahne aus der Bergflanke ist ihm ein gewaltig rollendes Echo , eine ins Riesengroße gesteigerte Antwort auf die kleinliche Rauchfahne der bösen Menschen : den Berg hat er gefaßt als Echo-Wand der Seele. Damit aber hat Heinrich Heinlein , undeutlich und ganz sicher unbewußt , zugleich die psychologische Einsicht vorweggenommen , daß alle die Eigenschaften , die wir den Bergen zusprechen , nichts anderes sind als Projektionen unserer eigenen Psyche.

Angaben zum Bild : Heinrich Heinlein : Dolomitenlandschaft , 1847 ; Öl auf Leinwand , 138 x 191 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2624.

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WIE EIN TRAUMGEBILDE Um es gleich vorweg zu sagen : Die bizarre Phantastik dieses Bildes (einer erstmals im Jahr 1860 veröffentlichten Farblithographie) fällt völlig aus ihrer Zeit : so sieht und malt damals kein anderer mehr die Gletscherwelt – zumal es schon seit Anfang der fünfziger Jahre großartige Fotografien von Montblanc-Aufstiegen 148

gibt , etwa von den Brüdern Bisson. Und außerdem scheint die abenteuerliche Szenerie auch völlig dem Anspruch des Autors zu widersprechen ; denn Dr. Wilhelm Pitschner , der sie gezeichnet und dem Lithographen Carl Ullrich zur Ausführung anvertraut hat , war kein Poet (was man schon aus seiner manchmal ­allzu blumigen Sprache schließen kann) , sondern Naturwissenschaftler – allerlei ­Beobachtungs- und Meßergebnisse dachte er von seiner Expedition heimzu­ bringen.

D E R N AT U R W I S S E N S C H A F TL E R I M G E B I R G E Der »Hauptgegenstand« seiner Untersuchungen aber sollte das bislang völlig unbekannt gebliebene »mikroskopische Leben« des »Riesenberges« Montblanc sein : Lebewesen der hochalpinen Regionen , die erst unter dem Mikroskop sichtbar werden – die »Zwergbewohner des Erdreichs« , die »Pygmäen des versteinerten Riesen«. Pitschner also war (würde man heute sagen :) Mikrobiologe , kühler Wissenschaftler mit weiten Interessen. Gerade deshalb interessiert uns sein so phantastisch gesteigerter Entwurf : Warum behauptet er , die Gletscher des Montblanc-Massivs während der Besteigung im Sommer 1859 so gesehen zu haben , wie wir sie nicht glauben wollen ?

MENSCHLEIN ÜBERM EISSCHLUND Denn da ist ein gigantisches Eistheater vor uns aufgebaut mit Kulissen wie in der Geisterbahn einer Jahrmarktsbude. Zwar wirken die Schneegebirge des Hintergrunds auch auf unsere heutigen Augen einigermaßen ›realistisch‹ – vom Mittelgrund aber zieht sich bis zum vorderen Bildrand ein fürchterlicher Abgrund , den Spalte zu nennen eine unzulässige Verharmlosung wäre. Aus diesem Schlund taucht , wie von einer Theatermaschine hochgedreht , eine kahle Felszackenkette auf (es sind die Grands Mulets) , deren tiefbraune Färbung ins Auge fällt , weil sonst zarte Eisbläue das Bild beherrscht. Fast in der Bildmitte aber bilden zwei riesige überkragende Eiszungen so etwas wie eine überdimensionierte Gletscherspalte. Séracs wachsen unvermittelt auf der linken Zunge und verweisen mit ihren Schatten auf den Sonnenstand , während hinter ihnen (und auch vor den Grands-Mulets-Felsen) der Schnee der Lawinen aufstäubt. Am rechten Bildrand haben sich kolossale Eisstalagmiten aus der grundlosen Tiefe heraufgebogen , und von den Rändern der Fels- und 149

Schneeflächen triefen Eiszapfen hinunter , wie sie der Zeichner wohl vom Fenstersims oder Dachtrauf seines Berliner Hauses kannte. In dieser einschüchternden Welt sind winzige Menschlein unterwegs. Eine Fünferseilschaft ist dabei , den klaffenden Schlund mit Hilfe einer Leiter zu überwinden. Hoch über ihr sieht man eine weitere Seilschaft eine Eiswand erklettern auf dem Weg zur Behelfshütte , die das scharfe Auge auf dem untersten rechten Absatz der Grands Mulets vielleicht gerade noch erkennen kann. Links , dem Vordergrund zu , sind noch zwei Nachzügler unterwegs.

W I E I N E I N E M H O H LS P I E G E L Natürlich hat Pitschner die Menschen mit Bedacht so klein gezeichnet : es sollte unmittelbar anschaulich werden , wie ausgeliefert sie sind in der wilden , grandiosen Natur und wie hilflos (so wie er am Ende ja selbst , vorübergehend erblindet , vom Montblanc herabgeführt werden mußte) – ohnehin glaubte er nicht nur die Resultate einer exakten naturwissenschaftlichen Empirie dem Publikum mitteilen zu sollen , sondern auch seine Seelen-Erfahrungen. Das Medium der Sprache schien ihm hierfür nicht ausreichend , er zog das Bild hinzu , das Medium der Kunst ; denn dieses erlaubte ihm , die Eindrücke seiner Seele wie in einem Hohlspiegel verzerrt darzustellen – wie wenn er von einem Traum erzählte : von einem 150

»Traumgebilde aus den fernsten Grenzen unseres Sonnenreiches , da wo Neptun in langen , vierzigjährigen Wintern einherzieht«. Wir haben es uns angewöhnt , über solche Erzählungen , über solche Bilder zu lächeln , weil wir glauben , sie als unrealistisch abtun zu dürfen. Man könnte aber auch sagen : Wir glauben lächeln zu sollen , wir erheben uns , weil unsere Fähigkeit , große Eindrücke zu empfangen , geschwunden ist. Unser historisch erworbener Realitätssinn ist keineswegs nur ein Gewinn.

Angaben zum Bild : Wilhelm Pitschner : »Meine Ueberschreitung der Gletscher von Buissons und Tacconay in der Nähe der Grands Mulets-Felsen« , 1860 (Lithographie von Carl Ullrich) ; Farblithographie , 38 x 24 ,5 cm. In : Wilhelm Pitschner : Der Mont-Blanc. Darstellung der Besteigung desselben am 31. Juli , 1. und 2. August 1859. Ein Blick in die Eislandschaften der Europäischen Hochalpen. Erläutert durch einen Atlas […]. 2. Aufl. Genf 1864 , Tafel 3. DAV , Inv.-Nr. 19.

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VERSUCHUNG ZUM STÜRZEN Mit Recht ist unser Vorhaben , die Berge zu ersteigen , aufs Gelingen angelegt – was denn sonst , wird man fragen. Und selbstverständlich gehe es darum , jeden Sturz zu vermeiden ; ja es sei vorteilhaft und geboten , Gedanken ans Stürzen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Stürzen , sagt man in heutiger Diktion , ist »kein Thema«. 152

E I N V E R STÄ N D N I S M IT D E R TI E F E Das war nicht immer so. Es gab Tendenzen vor allem in der Frühzeit des Alpinismus , das Problem des Stürzens und des drohenden Sturzes nicht einfach wegzuschieben , sondern gründlich zu reflektieren. Einer der klügsten Interpreten der Geschichte des Alpinismus , Claude Reichler , hat gar ein gewisses »Einverständnis mit der Tiefe« beobachtet – einen , so schreibt er , »Pakt zwischen Mensch und Abgrund«. Wer die historischen Zeugnisse gründlich und vorurteilslos studiert hat , kann solches Urteil nur bestätigen. Auch unser Bild ist ein anschaulicher Beleg für jenen Diskurs , der uns heute vielleicht gar nicht mehr behagen mag. Die Rede ist von einem Motiv , das Peter Krafft zwischen 1821 und 1825 gleich mehrmals gemalt hat. Eines dieser Gemälde hat Carl Rahl , um massenhafte Verbreitung zu ermöglichen , in Stahl gestochen. Die Bild-Idee stammt aus Byrons ›dramatischem Gedicht‹ »Manfred« , das 1817 im Druck erschienen war : Manfred , ein Fürst , wie Faust ein unruhiger , wißbegieriger Geist , steigt (so will es die Regie des Dichters) auf den Gipfel der Jungfrau , um sich dort in den Abgrund zu stürzen : »Nimm Erde du /  Nun die Atome !« Der Schwindel packt ihn (»die Berge drehn sich wirbelnd , /  Es flirrt mir vor den Augen rings«) – doch da hindert ihn ein Gemsenjäger , der sich unbemerkt genähert hat , im letzten Augenblick am Sprung und rettet ihn.

V E R E ITE LTE R S TU R Z Diese Szene sehen wir. Auf einem absonderlichen Felsauswuchs steht , in altdeutsche Tracht gekleidet , Manfred dunkel vor den aus der Tiefe heraufdampfenden Wolkengebilden und hellbesonnten Eisriesen des Berner Oberlandes. Mit gegrätschten Beinen sucht er den Schwindel zu parieren , der ihn erfaßt hat , seine weit aufgerissenen Augen stieren ins Leere , schon trudelt sein Barett in die Tiefe. Doch da – kurz vor dem Sturz , den wir befürchten müssen – erscheint urplötzlich hin­­ter ihm der Jäger mit umgehängter Beute­ und zieht ihn mit ausgreifendem , kraftvol153

len Schritt nach rechts ins Sichere , wo er den Bergstock schon eingestemmt hat. Manfred aber , der sich am Sprung gehindert sieht , schwankt äußerlich wie ­innerlich : während seine linke Hand hastig in den Gürtel des Jägers greift , liegt seine rechte nur unschlüssig in der ausgestreckten Hand seines Retters , dem er später noch berichten wird vom »Bewußtsein /  Mit Todesdurst , – der noch nicht ist gelöscht«.

T H E O R I E D E S S C H W I N D E LS I M N E B E N S ATZ Solche Empfindungen mögen wir als gänzlich absurd laut und weit von uns weisen. Aber in der Szene des im Schwindel schwankenden Manfred und seines vereitelten Todessprungs , wie sie Byron gedichtet und Krafft gemalt hat , bleibt doch als rätselhafter Rest die unerledigte Frage nach dem süßen Zug zurück – nach der Lust , die in Angst und Sturz sich verbirgt. Schopenhauer , der Philosoph , hat sie einmal in frappierender Kürze angesprochen – eine Theorie des Schwindels gleichsam im Nebensatz : »wie wir uns von einer Höhe hinabstürzen , aus Schwindel , d. h. durch den Gedanken , es sei unmöglich , hier fest zu stehn , die Quaal aber , hier zu stehn , sei so groß , daß es besser sei , sie abzukürzen : dieser Wahn heißt Schwindel.«

Angaben zum Bild : Johann Peter Krafft : Manfred wird vom Gemsenjäger gerettet , um 1825 ; Stahlstich von Carl Rahl , 41 x 31 ,5 cm. DAV , Inv.-Nr. 876.

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ZLATOROG Über Karl Huck (1876–1926) , den Wiener Maler , der das Ölbild »Zlatorog« im Jahre 1923 gefertigt hat , kann man in einem der bedeutendsten Nachschlagewerke lesen : er male mit Vorliebe Tiere in Hochgebirgslandschaft , »naturwahr , dabei doch stets ein wenig stilisiert , mit ausgesprochen dekorativer Tendenz und einem Hang zum Phantastischen«. Diesem Urteil aus dem Jahr 1925 möchte man auch heute noch zustimmen , wenn man unser Bild zu Sage und Mythos des Grattieres betrachtet – jenes sozusagen ›heiligen‹ Tieres , dessen Tötung von den Berggottheiten bei Strafe verboten ist.

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D E R MY TH O S V O N D E R H E I L I G E N G A MS Es fällt einem aber auch sofort der Widerspruch auf zwischen der realistischperspektivisch gemalten Fels- und Firnlandschaft im rechten Hintergrund und dem flächig-dekorativen Hauptmotiv im Vordergrund : die gestürzte weiße Gams mit den goldenen Krickeln , die mit tränenfeuchten Augen dem Bildbetrachter ins Gesicht blickt – während aus der Wunde das Blut sickert , aus dem die roten Blumenblüten wachsen. Was man indessen nicht sieht , ist das Ende der Geschichte : Das Tier überlebt , der frevelnde Schütze aber kommt , indem ihn der Schwindel in die Tiefe stürzt , zu Tode.

D I E H E R R I N D E R TI E R E Ganz unverkennbar bezieht sich der Maler Huck in seinem Werk auf ein Werk des eine Generation älteren thüringischen Schriftstellers Rudolf Baumbach (1840– 1905) , der in seinem fast hundert Seiten langen Gedicht »Zlatorog. Eine Alpensage« (erstmals erschienen 1877) eine seinerzeit begeistert aufgenommene Geschichte ausgebreitet hatte , in welche die verschiedensten Motive alpiner Sagen hineingeschüttelt waren : Erzählungen vom verborgenen Schatz , von der verfluchten Alpe , von seltenen Blumen , die aus unrecht vergossenem Blut wachsen , von der die hilflose Kreatur schützenden und bewahrenden »Herrin der Tiere«.

D ER FREIBERG Gerade dieses letzte Motiv aber bildet einen harten , unverletzlichen Kern in Gedicht und Bild , der alles Zeitgebundene , der auch die Sentimentalitäten Hucks und Baumbachs übersteht und überstrahlt und in unseren notwendigerweise ökologisch interessierten Jahren neue Aufmerksamkeit finden wird : Es gibt eine Zone auf den hohen Gebirgen , in welcher die geheimnisvolle »Herrin der Tiere« dem machtlüsternen Menschen die Verfügungsmacht entzieht – es ist der alte Gedanke des »Freiberges« , eines geschützten , ja paradiesischen Bezirkes , dessen Ordnung der Mensch nicht ungestraft verletzen darf. Angaben zum Bild : Karl Huck : Die Zlatorog-Gams , 1923 ; Öl auf Leinwand , 200 x 205 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2887. 156

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STURZ INS BODENLOSE Das Unglück , das unmittelbar auf die soeben erstmals geglückte Ersteigung des Matterhorns am 14. Juli 1865 folgte und vier der sieben Bergsteiger in den Tod riß , ist oft beschrieben worden. Daß der ›Fall‹ – Fall im Doppelsinne ! – seinerzeit solches Aufsehen erregte , lag sicher nicht nur an Edward Whympers Medien­ 157

geschick. Auch läßt sich das weltweite Interesse keineswegs bloß auf den geheimnis- und gerüchteumwitterten Seilriß und auf die zugehörigen Verdächtigungen zurückführen.

DAS GERISSENE SEIL Vielmehr konnte jeder Mensch unmittelbar sehen , daß sich hier eine ›Tragödie‹ in des Wortes eigentlicher Bedeutung abgespielt hatte , weil dem höchsten Triumph die bitterste Niederlage auf dem Fuße folgte. Ja mancher mochte gar die mythischen Dimensionen spüren , welche die bittere Geschichte durchzitterten. Whymper will gesagt haben , als seine Leute eine Fahnenstange schulterten , um auf der Bergspitze den Sieg gebührend anzeigen zu können : das heiße Gott versuchen. Dachte er an Frevel , an Strafe ?

›A U F ST I E G‹ U N D ›FA L L‹ Die Vermutung , daß die unauflösliche Verknotung von Sieg und Niederlage , von Erfolg und Versagen , von glücklichem Aufstieg und glücklosem Absturz den eigentlichen Schauer der Matterhorn-Geschichte

ausmache ,

bestätigt

uns Gustave Doré , der großartige Zeichner und Graphiker (1833–1882) , der auch ein engagierter Berggänger war. Nachdem Whymper noch im Jahr 1865 in einem in der Presse veröffentlichten Brief das Matterhorn-Ereignis bekanntgemacht hatte , schuf Doré zwei großformatige , in braunen und schwarzen Tönen gehaltene lavierte Tuschzeichnungen (die in Paris aufbewahrt werden) mit den Themen : Besteigung des Berges , Gipfelsieg , und : Tragödie , Absturz. Vier Jahre später ließ er die etwas kleiner gehaltene graphische Version erscheinen – zwei Lithogra­phien , von denen wir das Sturzbild reproduzieren. Dieses Sturzbild ist eine erstaunliche , eine aufregende Sache. Überraschend ist nicht , daß ein Sturz stattfindet (das ist beim Bergsteigen gewissermaßen ›alltäglich‹) , sondern daß dieser Sturz vor unseren Blicken stattfindet , ja daß uns die ganze Ausweglosigkeit des Sturzes ins Bodenlose schonungslos vor Augen geführt wird. Zwar hatte 158

es auch vorher schon bildliche Darstellungen des Abstürzens in den Bergen gegeben , doch waren das stets ›Rettungsbilder‹ gewesen – geistliche Rettungsbilder etwa , Votivbilder , die den Verunglückten betend dem ewigen Heil entgegen­ sausen sahen , oder säkulare technische Rettungsbilder , auf denen der rasche Griff des Führers das Unheil verhinderte (der Solothurner Künstler Martin Disteli hat um 1830 solche Bilder gemalt).

K E I N E R ET TU N G M E H R Nun aber eröffnete Doré eine völlig neue Tradition. Hier war keine Rettung mehr , nun stürzten die Alpinisten ohne jede Hoffnung ins Leere und in den Tod. Wer eindrückliche Beispiele sucht , schaue sich Ferdinand Hodlers Aufstiegs- und Absturzbilder von 1894 an oder die gräßlich realistischen Studien von Ernst Platz (Wächtenbruch 1897 , In der Lawine 1904). Es gehört nicht viel Phantasie dazu , sich die These auszudenken : In einer Zeit , in der nun alpinistisch alles ›machbar‹ schien , mußten die Künstler daran erinnern , daß es ein Wahn sei , zu glauben , man könne sich alles verfügbar machen.

Angaben zum Bild : Gustave Doré : »Ascension du Mont Cervin , 14 juillet 1865. La chute« , Besteigung des Matterhorns , 14. Juli 1865. Der Sturz , 1865 ; Lithographie , 51 x 38 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 199.

159

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DER ERSTE PLATZ DES WELTTHEATERS Zu den stimmungsvollsten und zugleich stattlichsten Alpengemälden gehört das Großglocknerbild von Edward Th. Compton – der Maler , 1849 in London geboren und 1921 in Feldafing gestorben , hat es im letzten Kriegsjahr 1918 in ­Öl­farben auf Leinwand gemalt.

Ü B E R D E M N E B E LM E E R Von einer graubraun kahlen Felsenhöhe im Vordergrund geht der Blick hinüber zur weithin verschatteten Nordost-Seite des vereisten Bergmassivs , von links her – also von Südosten – wirft die Morgensonne warmes , silbriges Licht teils auf die Firnfelder und -grate , teils auf das dampfende und wogende Nebelmeer , das den Pasterzengletscher und die Tiefe des gesamten Mittelgrunds verdeckt : »Und unter den Füßen ein neblichtes Meer , Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr« – 160

so beschrieb Friedrich Schiller im »Lied des Alpenjägers« (im Schauspiel »Wilhelm Tell« , 1804) , einst diese Situation, »Durch den Riß nur der Wolken / Erblickt er die Welt , / Tief unter den Wassern / Das grünende Feld.«

DER RISS IN DEN WOLKEN Doch nicht einmal den Blick durch den Wolkenriß gönnt uns der Maler Compton : wir sehen nicht das »grünende Feld« , also die Kulturbemühungen der Menschen , wir sehen nicht das tägliche Getriebe , wir sehen nicht den Krieg – wir sehen weder die Probleme des Lebens noch gar die Erfolge und Fortschritte der Zivilisation. Alles hat uns der Maler weggeblendet mit seiner aufwallenden Wolkenwatte und erinnert damit an eine Erfahrung , die in der langen Kulturgeschichte Europas einer größeren Anzahl von Menschen erst ganz spät ermöglicht worden ist – ermöglicht durch den Alpinismus (schon vor Beginn der Fliegerei !) seit gerade einmal zwei Jahrhunderten.

D I E BÖS E N B R ÜD E R Diese Erfahrung finde ich kaum irgendwo anders besser ausgedrückt als beim jungen slowenischen Theologen Valentin Stanič (er schrieb sich deutsch : Stanig) im Bericht seiner Ersteigung des Hohen Gölls im Salzburger Land im Jahre 1801 (also fast gleichzeitig geschrieben wie Schillers Alpenjägergedicht !) , wo er die äußerst widersprüchliche Empfindung notiert : »O Mensch , wie groß du bist !« – und zugleich auch : »O Mensch , wie klein du bist !« Es brauche große Kraft , um den Entschluß zu fassen , aus dieser »hohen Herzensfülle« und »unbeschränkten Freiheit« wieder zurückzukehren zu den Menschen da drunten – »zu den guten und« (so fügt er ausdrücklich an) »bösen Brüdern«. Allemal habe er die Bergspitze über den Wolken nur mit »Wehmut« verlassen können : diesen »ersten Platz des Welttheaters«.

Angaben zum Bild : Edward Th. Compton : Großglockner , 1918 ; Öl auf Leinwand , 120 x 200 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2888. 161

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KEINE RETTUNG MEHR Das Blatt , das den Bruch einer Wächte und den Sturz einer Seilschaft zeigt , wurde erstmals im Jahr 1898 einem bürgerlichen Publikum gezeigt – den Leserinnen und Lesern der »Illustrierten Welt«. Dieses Publikum hat ganz sicher das Einfühlungsvermögen und die hochentwickelte Technik des Xylographen bewundert (er hat seinen Namen links unten hinterlassen) , der den Entwurf des Malers Ernst Platz in das harte Buchsbaumholz mit dem Stichel so einzugraben verstand , daß die graphischen Effekte den Bildinhalt vollkommen unterstützen. Denn es ist , wie jedermann sehen kann , ein höchst dramatisches , ein höchst realistisch wirkendes Bild entstanden – obwohl nicht anzunehmen ist , daß die Zeichnung der stürzenden und durch Luft und Schneestaub wirbelnden Leiber auf Naturstudien beruht. Wohl aber hat der Maler auf eine reiche Tradition von Sturzdarstellungen in der abendländischen Kunst zurückgreifen können. Man denke nur an Ikarus , an die aus dem Himmel geworfenen Engel , an den Sturz der Verdammten in den Höllenpfuhl. 162

D E R S T U R Z D E R V E R D A M MTE N Wir blicken auf zwei Seilschaften , die an einem extrem steilen Schneehang unterwegs sind. Eine Dreiergruppe kommt in der schmalen ausgetretenen Spur auf uns zu und muß mit ansehen , wie der ihr vorangehenden Vierergruppe das Unglück passiert. Die Männer sind wohl etwas zu hoch gekommen , weil unten Abrißschrunden drohen , und zu weit auf die phantastisch hinausgezwirbelte , in Schichten angewachsene Gratwächte (wir sehen sie ganz oben im Bild) hinausgeraten , die jetzt unter ihnen wegbricht. Die drei vorderen stürzen ins Leere , wirbelnd , desorientiert , den Pickel teils krampfend festhaltend , teils fallen lassend. Mit den Händen scheinen sie Halt zu suchen , wo keiner mehr ist. Die Firnbrocken fliegen , eine dichte Schneewolke stäubt links den Abgrund hinunter und herauf und wird den Stürzenden gleich die Sicht nehmen , vielleicht sollte man sagen : Der kalte Staub wird sie gnädig einhüllen , während die Traumfilme ablaufen in der rasenden Ewigkeitsgeschwindigkeit , bevor das Bewußtsein schwindet.

D E R L E TZTE TA GTR A U M Zwar versucht der letzte der vier Männer geistesgegenwärtig , den Fall noch zu verhindern , indem er mit seinem rechten Arm den Pickel links über den Leib zurück in den Schnee schlägt. Doch der Anker kann nicht halten , das gespannte Seil katapultiert den Mann aus dem versuchten Stand , sein rechter Fuß tritt schon ins Leere. Nicht nur für die Seilgenossen – auch für ihn gibt’s keine Rettung mehr. Angesichts dieser Ausweglosigkeit der Situation und der Hilflosigkeit der trudelnden Körper fällt die Teilnahmslosigkeit , ja Apathie der Gesichter auf. Unvermögen des Künstlers scheidet als Grund sicher aus. Möglich ist , daß er sich dem Sensationsverlangen nach angstverzerrten Mienen verweigern wollte. Wahrscheinlicher aber scheint mir , daß er ganz bewußt einen Beitrag zu leisten versuchte zur Debatte über die möglichen Empfindungen von Bergsteigern , die in den Tod stürzen.

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O H N E A N G ST , O H N E P E I N Denn wenige Jahre zuvor , 1892 , hatte der Schweizer Albert Heim seine »Notizen über den Tod durch Absturz« veröffentlicht. Sie standen am Beginn einer empirischen Sturzforschung – und einer lebhaften Debatte. Heim , der zusammengetragen hatte , was man aus den Berichten verunglückter Menschen wußte , die wie durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen waren , glaubte sagen zu dürfen , daß keinerlei Angst die Empfindungen beim Stürzen trübe – vielmehr glichen sie einer »enormen Steigerung des Lebens«. Der Sturz werde »ohne Schmerz , ohne Angst , ohne Pein« erlebt , er werde gar als »schön« empfunden , und der den Sturz abschließende Tod sei »subjectiv ein schöner Tod«. Das mag so sein. Man muß es wohl auf sich beruhen lassen. Und doch darf man auch den Gedanken äußern , daß in den Kreisen der Bergfreunde , die ja immer wieder einmal mit kritischen Anwürfen zu kämpfen hatten , die apologetische , die befriedende und befriedigende Tendenz der Forschungsergebnisse Heims sehr willkommen sein mochte.

Angaben zum Bild : Ernst Platz : Wächtenbruch , 1897 ; Holzstich , 34 x 50 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2666.

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DIE FARBE DES EISES Würde ich nach meinem Lieblingsstück unter den Bergbildern gefragt – vielleicht , ja wahrscheinlich würde ich auf ein kleines Aquarell zeigen , das zunächst gar nicht auffällt unter der großen Zahl anspruchsvoller Bilder aus der Hand berühmter Maler. Der wenig bekannte Thomas Ender hat es um das Jahr 1850 mit feinem Pinsel – hingehaucht (so möchte man sagen , wenn das Bildchen nicht zugleich so detailbesessen exakt von der Natur abgenommen wäre).

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H I N G E H A U C H TE B L Ä U E Unser Blick geht über den Gletscherfluß , der auf uns zuläuft und rechts von riesigen rundgeschliffenen Felsbrocken , links aber von einer abschüssigen Seitenmoräne begrenzt wird , von der die Grasnarbe weithin abgerutscht ist ; und er geht hin auf die steile Eisfront eines Gletscherabbruchs. Die hochgetürmte Eiswand nimmt die ganze Breite des Bildes ein und ist das eigentliche Ziel des Betrachterblickes , weil ihr einst das Hauptinteresse des Malers galt.

M I T H I STO R I S C H E N A U G E N Wir blicken also mit historischen Augen auf den Eisabbruch des Schwarzensteinkeeses in den Zillertaler Alpen , wie er sich vor anderthalb Jahrhunderten dem Auge darbot – die Farbe des Eises dagegen können wir (je nachdem , wie die Lichtverhältnisse sind) auch heute noch erfahren , so wie sie Enders Meisterhand festgehalten hat : in den feinen Nuancen der betörenden Bläue , in der glasigen Durchsichtigkeit des gefrorenen Wassers , im Widerspiel von warmem Sonnenlicht und kalten Schatten auf den turmhohen Eissäulen.

D E R M A L E R V O N S E I N E N FA R B E N Ü B E R D A U E RT Thomas Ender , geboren 1793 , stammte aus ärmlichen Wiener Verhältnissen , doch am Ende war er ein vielgereister Mann und hochgeachteter Künstler , der lange Jahre im Dienst des Erzherzogs Johann und Professor an der Wiener Akademie gewesen war. Im Jahre 1875 starb er – vier Jahre später schon wurde unterhalb des Schwarzensteinkeeses die erste Berliner Hütte erbaut. Die so zarten wie frischen Farben , mit denen er die Eisbläue zeichnete , haben ihn überdauert : keine Reproduktion wird ihnen ganz gerecht – wer die Zauberfarbe sehen will , die der Maler dem Gletschereis zu geben wußte , muß sich den Anblick des Originals verschaffen.

Angaben zum Bild : Thomas Ender : Ursprung des Ziller am Schwarzensteinkees , um 1850 ; Aquarell , 19 x 25 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2626.

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GLETSCHERZÄHMUNG Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset hat einmal geschrieben , es sei eine herausragende Besonderheit des Menschen , daß er sich (im Unterschied zum Tier) mit dem Wesen der Welt nicht abfinden wolle. Deshalb erfinde und übe er seine Technik. Technik sei – als Bearbeitung und Veränderung der Umwelt – nichts anderes als »Reform der Natur«.

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R E F O R M D E R N ATU R Auch mit dem Wesen der Gletscher wollten sich die Menschen der Hochgebirge nie abfinden. Die bedrohlich vorrückenden Eispratzen und insbesondere die dahinter oft aufgestauten und unvorhersehbar ausbrechenden Eisseen waren Anlaß zu beständiger Sorge. Man versteht also , daß eine eigene ›GletscherTechnik‹ entwickelt wurde (mit Erörterungen über Sprengung , Beschießung , Bombardement , Damm- , Stollen- und Schleusenbau) , über deren Stand im Jahre 1773 der Jesuit Joseph Walcher , Professor der Mechanik und Hydraulik an der Wiener Universität , in seiner reich illustrierten Schrift »Nachrichten von den Eisbergen in Tyrol« berichtet.

D I E F R O M M E G E S E L LS C H A F T Unser Bild (ein laviertes Tuschblatt , das Hans Beat Wieland zur Illustration einer Abhandlung über das Pitztal gezeichnet hat , die im Jahr 1900 in der Zeitschrift des Alpenvereins erschienen ist) zeigt eine ganz andere Methode , den Gletscher zu zähmen : die religiöse Variante der Gletscher-Technik sozusagen , deren Ritual sich lange gehalten hat – ein Bittgang der so verzweifelten wie hoffenden Gläubigen zum Mittelbergferner in den Ötztaler Alpen , dessen unteres Ende der Künstler als glattgeputzten , von klaffenden Querspalten durchzogenen Eisrücken darstellt , aus welchem die Pitze als weißschäumender Wildbach hervorbricht. Die fromme Gesellschaft hat sich auf dem Fels- und Mattengelände über dem Gletschertor versammelt – samt Kreuzfahne (rechts hinter ihr sehen wir die Mulde der aus dem Eis gehauenen Kanzel) , Herrgottsstange und Ewigem Licht. Der Weihrauchkessel fliegt , und der Priester hebt segnend – oder beschwörend ? – seine Arme. Und die Landleute zeigen sich in den herkömmlichen Gebärden der Andacht : kniend , die Hüte abgenommen , die Köpfe gesenkt , die Hände gefaltet oder aneinandergelegt oder gar vors Gesicht geschlagen.

D ER SCH R ÄG E BLI CK Nur einer – wir sehen ihn ziemlich rechts am Bildrand , sein Gesicht hebt sich deutlich vom Weiß des Eises ab – scheint nicht eigentlich zu dieser Gesellschaft zu gehören : ein Städter wohl (das schließen wir aus der Kleidung) , und er steht , während alle anderen Männer außer den Dienern der frommen Handlung knien. 168

Zwar hat er die Hände zusammengelegt , doch scheint er nicht bei der Sache zu sein : sein Blick geht nicht aufs heilige Zentrum , sondern gewissermaßen schräg aus dem Bild heraus. Es sieht so aus , als taxiere er kühl einen der Bittfahrer (den Mann mit der umgehängten Tasche nämlich , dessen Rückansicht wir in der Bildmitte des Vordergrunds sehen). Ich meine , es sei der Künstler selbst , der sich hier gezeichnet hat : als distanzierter Beobachter , der die Szene zwar exakt protokolliert , wie wenn er dabeigewesen wäre – aber eben als Szene einer vergehenden oder bereits vergangenen Epoche.

Angaben zum Bild : Hans Beat Wieland : Bittgang zum Mittelbergferner , 1900 ; Tuschzeichnung laviert und leicht weiß gehöht , 27 ,5 x 32 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2655. – Die Zeichnung ist gedruckt erschienen in der Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1900 , S. 128.

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EIS UND FÜLLE DES WASSERS Wer die Graphik-Blätter der Alpenvereinsmuseen durchsieht , wundert sich wohl über den großen Bestand an eindrucksvollen Wasserfall-Darstellungen der Zeit um 1800 , der da zusammengetragen ist – der Betrachter möchte vielleicht vermuten , der eigenartige Sammlungsschwerpunkt sei einem Spleen der Museumsleute zu verdanken. Doch mit diesem Verdacht läge er völlig falsch ; denn es war das Zeitalter selbst – das frühe 19. , insbesondere aber das späte 18. Jahrhundert – , das begeistert war von der Idee des herabstürzenden Wassers und sich nicht sattsehen wollte oder konnte an den (ich möchte sagen : fast manisch produzierten) Bildern der alpinen Wasserfälle.

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D I E FA S Z I N AT I O N D E S W A S S E R FA L LS Was nun im einzelnen auch beigetragen haben mag zur Faszination , die von den malerischen Wasserfall-Bildern ausging : eins der wichtigsten , heute aber vergessenen Motive war ein Zusammenhang , der uns selber ganz geläufig ist , der jedoch erst im 18. Jahrhundert entdeckt worden war und das auslöste , was wir einen Aha-Effekt nennen. Jahrhunderte , ja wohl Jahrtausende lang hatten die Menschen Gletscher und ewigen Schnee als kalte , unfruchtbare , häßliche Wüstenei wahrgenommen – manche zweifelten gar und meinten , hier habe der Schöpfer wirklich kein Meisterstück geliefert.

W E N D E D E R T H E O L O G I E , W E N D E D E R N ATU R - A N S I C HT Doch ein aufkeimendes Interesse an Art und Besonderheiten der hohen Berge führte allmählich zur Erkenntnis , daß dieses ungeheure Eisreservoir der Alpen Voraussetzung ist für die Bewässerung und damit für die Fruchtbarkeit weiter Teile Europas. Die Weisheit des Schöpfers war rehabilitiert , und Gletscher , Bergquellen , Wasserfälle und Gebirgsflüsse erhielten nun ganz neue , nicht zuletzt von jenem theologischen Gedanken gespeiste Bedeutung. Sie galten jetzt als Wunder der Natur – die negative Wahrnehmung der Gletscher schlug um in eine positive. Die Gletscher , einst als abstoßend und häßlich empfunden , erschienen den Menschen nun als erhabene Schönheit.

F R U C H T B A R K E IT A U S D E R ÖDN I S Das abgebildete Blatt , ein kolorierter Umrißlinienstich , zu dem Carl Hackert – der Landschaftsmaler und Radierer lebte von 1740 bis 1796 – um das Jahr 1780 die Vorlage gezeichnet hat , zeigt den geschilderten Zusammenhang. Aus dem kahlen Gebirge schiebt sich ein wild zerklüfteter Gletscher herunter (das berühmte Mer de Glace) , bricht gleichsam in sich zusammen und verwandelt sich in brausende , gurgeln171

de , über die Felsen hinabstürzende Wassermassen. Die Menschen , die das Eis untersuchen und den strudelnden Strom betrachten , erscheinen vor dieser gewaltigen Naturkulisse nur noch winzig klein. Rechts vorn aber am Bildausgang , am steinigen Ufer des tobenden Flusses Arveyron , zeigt uns der Künstler in den dünnen Büschen schon die ersten Zeichen der Fruchtbarkeit.

Angaben zum Bild : Carl Hackert : »Vue de la Source de L’Arveron« , Anblick des Arveyron-Ursprungs , um 1780 ; kolorierter Umrißlinienstich , 34 ,5 x 47 cm ; ÖAV , Inv.-Nr. 42.

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ERDBEEREN AM GLETSCHER Unser Blick geht auf ein kolossales , in rosafarbenen und bläulichen Tönen schimmerndes Fels- und Eismassiv , das den größten Teil des Bildhintergrunds füllt. Zum rechten Bildrand hin türmt sich eine jähe und finstere , schrofige Felswand. Zwischen diesen beiden Massiven fließt von rechts her ein Gletscher ins Tal , der nur durch einen schmalen Bannwald vom Dorf getrennt zu sein scheint , das wir im Mittelgrund sehen.

E I N E L E TZTE B A STI O N D E R K U LTU R Diese Menschenbehausung , letzte Bastion der Kultur vor der Wildnis , wird unserer Aufmerksamkeit nicht nur durch den Weg empfohlen , der von der Mitte des vorderen Bildrands direkt auf die Kirche hinzielt , sondern auch durch deren Turmspitze , die wie ein Finger auf das Gletschereis zeigt. Den Vordergrund des 173

Bildes aber bildet eine fruchtbare , von Hecken und Zäunen durchzogene wellige Landschaft , die sich aus dem verschatteten Flußtal nach links zu einer anmutigen Höhe hinaufzieht. Ein reifes Kornfeld und weidende Herden bilden den vollkommenen Kontrast zur kargen und kalten Alpinszenerie. Wer die Unterschrift der einst in großer Zahl produzierten kolorierten Kreidelithographie liest , weiß so gut wie derjenige , der die Gegend aus eigener Anschauung kennt , daß die Ortschaft Grindelwald gemeint ist mit dem Unteren Grindelwaldgletscher im Zustand der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Die Fels- und Eismassen der Bildmitte ziehen also zum Schreckhorn hinauf und hinüber , während die düstere Felswand rechts zu den letzten Ausläufern des Eigers gehört. Das warme Licht , das von rechts kommt – von Süden – , ist der Schein der Mittagssonne.

A L L E J A H R E S Z E ITE N Z U G L E I C H Das Motiv ist oft und oft an Ort und Stelle gezeichnet worden , öfters noch aber wurde es in irgendeiner Werkstatt ›abgekupfert‹. Unser ­Exemplar , das der Zeichner und ­Lithograph Johann Heinrich Bleuler aus Schaffhausen im nahen Feuer­ thalen hergestellt und vertrieben hat (seine Lebensdaten : 1758–1823) , gehört sicher nicht zu den herausragenden künstlerischen Leistungen der Zeit , aber darauf kommt es hier gar nicht an. Denn das Bild sollte etwas bedeuten : es wollte zeigen und sichtbar machen , was Jean-Jacques Rousseau in seiner »Neuen Héloïse« von 1761 verwundert notiert hatte. An einem Ort , mit einem Blick sieht man Blumen des Frühlings , Früchte des Sommers und des Herbstes , Eis des Winters. Alle Jahreszeiten schießen an einem Ort und in einem Augenblick zusammen. Das war die aufregende neue Erfahrung , die mit gefälligen graphischen Blättern wie dem unsern in die Salons und Stuben Europas transportiert wurde.

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D A S S TA U N E N A BH A N D E N G E K O M M E N Doch war da auch schon ein noch eindrücklicheres Bild gefunden oder erfunden worden , nämlich das der roten , duftenden Erdbeeren , die direkt neben dem Eis des Gletschers reifen. Es findet sich seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts fast in allen alpinen Reisebeschreibungen. Noch vor kurzem – also in der Zeit der Entstehung unseres Bildes – habe das Eis des Grindelwaldgletschers »die blumigten Fluren« berührt , lesen wir in einem Bericht des Jahres 1814 , »so daß man , mit dem einen Arm an das Eis gelehnt , mit der andern Hand Erdbeeren pflücken konnte«. Das erregte einst Staunen. Uns aber langweilt es , das Staunen ist uns abhanden gekommen. Haben wir doch Erdbeeren sommers wie winters allezeit zuhanden – im Kühl- oder Gefrierfach des Supermarkts.

Angaben zum Bild : Johann Heinrich Bleuler : »Le dessous du Glacier de Grindelwald« , Der untere Grindelwaldgletscher , um 1800 ; Kreidelithographie koloriert , 35 x 52 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 715.

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OBEN DRÜBER , UNTEN DURCH Im praktischen Umgang mit den Alpen kann der kulturgeschichtlich interessierte Zeitgenosse eine eigenartige Gegenbewegung erkennen : denn je mehr sich im modernen Alpinismus die Devise : Hinauf ! durchsetzt , desto mehr interessiert sich das Alltagsbedürfnis für die Möglichkeit des : Unten durch !

Z W E I G E G E N S ÄTZL I C H E TE N D E N Z E N Unser Bild – ein seinerzeit für den Markt gefertigtes nüchternes graphisches Blatt , keineswegs sehr flott , doch als historisches Dokument äußerst schätzenswert – kann als Zeugnis für die Gleichzeitigkeit beider Tendenzen ›gelesen‹ werden. Denn während die Gotthardstraße in elegant trassierten Serpentinen an Höhe gewinnt , steht , fast an ihrem nördlichen Beginn , ein wuchtiges Galerie-Werk , das man auch als Vorboten der späteren und viel gewaltigeren Tunell-Bauten sehen darf.

V O R B OT E D E S TU N E L LS Das mit Feder und Kreide gezeichnete und dann lithographierte Blatt stammt aus der Hand Anton Winterlins (1805–1894) , eines Basler Zeichners , der links 176

unten vermerkt hat , er habe das Motiv nach der Natur gefertigt – was wir gerne glauben wollen. Die Zeichnung wird noch im Jahr 1848 (die Jahreszahl ist samt dem Namen des ausführenden Kantons , Uri , über dem Portal zu sehen) oder kurz danach entstanden sein. Links im Vordergrund sehen wir die Reuß in ihrer Felsschlucht herunterstürzen. Rechts darüber thront bildbeherrschend das mächtige Werk des Galeriebaus aus Hausteinen , das Schutz vor den Felsstürzen bietet , deren Trümmer gut zu erkennen sind. Es nimmt den Passanten , die auf der Straße unterwegs sind (eine Kolonne von Fahrzeugen , Viehtreibern oder Säumern , eine Kutsche mit Vorspann , einzelne Boten und Träger wie das Paar , das wir vor der dunklen Öffnung der Galerie sehen) , eine ihrer größten Sorgen. Zwar war die den Nordzugang des Gotthards sperrende SchöllenenSchlucht schon früh notdürftig gangbar gemacht worden (erstmals wohl gegen das Jahr 1200) – etwa mit Hilfe der Teufelsbrücke , deren Holzbau schon 1515 durch einen Steinbogen ersetzt wurde , oder mit Hilfe der Twerren­brücke , einer aberwitzigen Holzkonstruktion , die mit Ketten an der glatten Felswand des Chilchstocks aufgehängt war. Zwar war dieses schwindelerregende Werk ab dem Sommer 1708 überflüssig geworden , nachdem man (erstmals !) einen sechzig Meter langen Tunel l, das bald in aller Welt berühmte sogenannte Urner Loch , ins Gestein gesprengt hatte. Aber eine Fahr-Straße war die GotthardStraße damit noch lange nicht : Menschen und Tiere hatten nach wie vor Fels­ stufen zu überwinden , Lasten mußten also getragen werden.

D I E ST R A S S E E N DL I C H B E FA H R B A R Es bedurfte gewaltiger Anstrengungen , bis die neue Gotthard-Fahrstraße um das Jahr 1830 herum fertiggestellt war mit den Tremola-Rampen im Süden und mit den Schöllenen-Rampen , die unser Bild zeigt , im Norden : edel geschwungen , fünf Meter breit , schön aufgemauert , von granitenen Randpfosten begrenzt. Sie hat dem Verkehr bis in die letzten fünfziger Jahre gedient. Doch das wissen die wenigsten von denen , die heute – meist in Eile und voll Ungeduld – tief unten durch den Berg fahren.

Angaben zum Bild : Anton Winterlin : »Nouvelle Galerie dans la Schoelinen« , Neue Galerie in der Schöllenen , um 1848 ; Feder- und Kreidelithographie , 15 ,5 x 20 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 734. 177

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DIE PASSAGE Wer selbst noch nie übers Hundskehljoch gegangen ist , aber eine Karte der Zillertaler Alpen zur Hand hat , wird versucht sein zu sagen : der Maler habe den Übergang von Nord nach Süd dargestellt – also den Höhepunkt des Weges , der , aus dem Zillergrund kommend , durch den Hundskehlgrund hinaufführt auf die Höhe von 2561 Metern und dann wieder steil hinab ins Südtiroler Ahrntal , und der Maler lasse uns teilhaben am Blick auf die jenseitige Bergkette mit ihren hochgelegenen Trogtälern und bewaldeten Nordhängen.

DAS I NTERESSE D ES MALERS Doch war dem Maler Heinrich Hoffmann (1859–1924) solche Ortsbestimmung wohl gar nicht so wichtig , als er im August 1906 über das Joch ging , dort für eine Weile innehielt , Geländesituation und Ausblick mit geübtem Blick zu erfassen suchte und dann mit raschen Bleistiftstrichen ins Skizzenbuch zeichnete. Auch wird er Angaben zu den Farben notiert haben , um das Bild später im Atelier zu malen und zu vollenden. Doch die Details waren ihm Mittel zum 178

Zweck – ihn interessierte wohl weniger die konkrete Topographie als vielmehr die Spannung , die im vermeintlich so alltäglichen , so unspektakulären Übergang liegt : das Unvorhersehbare , das Geheimnis der Passage nämlich. Das Bild , in ungewöhnlichem Breitformat gemalt , ist einfach und übersichtlich angelegt. Der Vordergrund , der links in hellerem Licht , rechts aber im Schatten liegt , wird durch eine fast waagrechte Linie , die erst gegen den rechten Bildrand hin aufsteigt , von der übrigen Landschaft abgeschnitten. Genau vor der Mitte dieser Linie sieht man den Weg noch kurz bis zum Scheitelpunkt und zur Scheitellinie ansteigen. Jenseits des tief eingeschnittenen Tales aber steigen die Waldhänge auf , man blickt in ein Hochtal hinein und am Ende auf befirnte Bergspitzen. Über diesem Gebirge (als einer zweiten Bildschicht) türmen sich graue und weiße Wolken , die tiefblaue Himmelsstücke frei lassen , so daß wir auf eine unentschiedene Wettersituation schließen – eine offene Situation also , die dem Charakter des Jochübergangs vollkommen entspricht : Man weiß nicht , was einen jenseits erwartet , das Joch ist ein prekärer Ort.

RITEN D ES Ü BERGAN GS Der Maler hat also recht daran getan , das Bild in diesem angestrengten Querformat anzulegen. Joch ist so. Es geht hinüber , fast unmerklich , aber dann ist man auch unwiderruflich drüben – auf der anderen Seite , die man vorher nicht kennt. Der einsame Wanderer mit seinem Bergstock jedoch , den wir in Rückansicht klein auf der Scheitellinie des Vordergrunds sehen , ist schon drüben. Er sieht mehr als wir , er hat uns den neuen Blick voraus. Die Alten wußten um diese Bedeutung des Übergangs , sie sparten deshalb nicht mit symbolischen Markierungen , die zu rituellen Gebärden einluden : so wie das bemalte, hölzerne Kruzifix , das auf dem auf179

steigenden Rücken ganz rechts im Bild aufragt – übrigens als dunkle Vertikale , die sich in der kleineren Figur des Wanderers wiederholt. Der könnte wenige ­Augenblicke zuvor zu seinem Heiland aufgeschaut , den Hut gezogen , sich vielleicht bekreuzigt oder gar ein Gebet gemurmelt haben in der Hoffnung , gesegnet den Rest des Weges anzutreten.

D I E WÜ R D E D E S J O C H S Die Jochkreuze aber standen stets wie alle Wegkreuze an viel begangenen Wegen. Denn die Menschen der Berggegenden haben sich immer ›ökonomisch‹ bewegt. Viele Jahrtausende lang waren ihnen nur die Übergänge , die Pässe wichtig. Und je niedriger und bequemer diese waren , desto beliebter waren sie. Erst seit rund zweihundert Jahren streben wir auf die Gipfel. Was aber sind zwei Jahrhunderte in der Geschichte der Menschheit ? Die Überschreitung des Jochs hat die Würde eines ungeheuren Alters. Das war es vielleicht , was uns der Maler Hoffmann in seinem besinnlichen Bild vor Augen führen wollte.

Angaben zum Bild : Heinrich Hoffmann : »Hundskehljoch« , 1906 ; Öl auf Hartfaser , 21 ,5 x 53 cm. DAV , Inv.-Nr. 86.

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TEUFELSBRÜCKE , MENSCHENBRÜCKE Das mit Kreide auf den glattgeschliffenen Stein gezeichnete und dann im Druck vervielfältigte Blatt des Zürcher Malers Heinrich Keller (er lebte von 1778 bis 1862) zeigt die Teufelsbrücke in der Schöllenen-Schlucht als Teil des nördlichen Anstiegs zum Gotthard-Paß. Die Brücke , die wir abgebildet sehen , ist am Ende des 19. Jahrhunderts eingestürzt , nachdem sie um das Jahr 1830 durch einen etwas höher gelegenen , eleganteren , technisch perfekteren Neubau ersetzt worden war , über den nun erstmals eine Straße geführt werden konnte. Auf den ›Neubau‹ von 1830 blickt man noch heute hinab , wenn man statt Autobahn und Tunell die inzwischen auch schon wieder alt gewordene Gotthardstraße benützt , die über den Paß führt.

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BRÜCKEN-GENEALOGIE Das Motiv der Teufelsbrücke – der älteren wie der neueren – wurde hundertmal gezeichnet und abgezeichnet , gemalt und abgemalt , weil es die Menschen faszinierte als grausenerregenden Höhepunkt eines klug durch Schluchten geleiteten und an Felsen angeklebten Weges. Leicht mochte man die Sage glauben : der Teufel habe das kühne Bauwerk errichtet , dafür aber den Preis eines Menschenlebens gefordert. Doch so potent der Teufel als Ingenieur war : als Psycholog taugte er nicht viel , er ließ sich prellen (man betrog ihn mit einem Ziegenbock) , und die Gotthardstraße hatte ihre Brücke – ohne Menschenopfer.

K E I N B E D A R F M E H R F Ü R D E N TE U F E L In der Zeit , in der unser Bildchen entstand , war es zumindest unter den Gebildeten Europas unschicklich geworden , an den Teufel zu glauben. Sie wiesen die Behauptung , die Brücke über die Reuß sei Teufelswerk , hämisch zurück und reklamierten sie als Menschenwerk. Einer von ihnen gar – Johann Georg Sulzer , Verfasser eines später berühmt gewordenen Systems der Ästhetik – vermaß die Brücken Europas mit eigener Hand und fand bei Verona eine mit der doppelten Spannweite der Teufelsbrücke. »Ich sehe also nicht« , merkte er nörgelnd an , »warum man zu Erbauung dieser Brücke den Teufel nöthig gehabt hätte , da durch Menschen-Kunst weit grössere sind gemacht worden.«

B R Ü C K E U N D A LP I N I SM U S Was unser Bildchen mit dem heutigen Alpinismus zu tun hat ? Es zeigt zum einen eine Weise der Bewältigung der Alpen vor der Entstehung des Alpinismus : eine Straße der alten Art , welche mit Hilfe der Brücke eine an sich unpassierbare Stelle überwindet. Zum andern aber ist mit Bild , Straße und Brücke längst unser moderner Alpinismus geahnt. Denn Hand aufs Herz : was wäre unser heutiges Klettern , Bergwandern , Skifahren ohne Brücken und Straßen und – ohne das Auto , das dieser Straßen bedarf ? Angaben zum Bild : Heinrich Keller : »Die Teüfels-Brükke am St. Gotthards-Berg im Canton Ury« , Anfang 19. Jh. (vor 1830) ; Kreidelithographie , 16 ,5 x 23 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 690. 182

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SONNENFAHRT Der Amerikaner Sam Clemens (wir kennen ihn unter seinem Schriftsteller-Namen Mark Twain) hatte kein Glück mit dem Sonnenaufgang auf der Rigi , der doch in den Reiseführern so gepriesen war. Erst verschlief er ihn , dann schaute er aus dem Fenster des Hotels in die falsche Richtung , nämlich nach Westen. Und als er seinen Irrtum bemerkte , war es viel zu spät , die Sonne stand schon hoch am Himmel. So lesen wir es im satirischen Reisebericht »Ein Bummel durch Europa« , 1878. Nur wenige Jahre später ließ der Franzose Alphonse Daudet die Alpenreise seines komischen Helden Tartarin mit einem ähnlichen Mißgeschick beginnen : der sieht auf dem prominenten Berg vor lauter Nebel und Dunst rein gar nichts , während ein Kenner die unsichtbaren Gipfel der Berner Alpen erklärt (»Tartarin in den Alpen« , 1885). 183

I R O N I E U N D S ATI R E Doch der Spott , die Satire konnte noch so bissig sein , die Karikatur noch so entlarvend (die verschlafenen Hotelgäste notdürftig in Bettlaken gehüllt !) : der durch bildungsbürgerliche Lektüre aufgeholfenen Sehnsucht nach Genuß des Sonnenaufgangs auf jenem mit knapp 1800 Höhenmetern nun wirklich nicht sonderlich hohen , aber eben exponierten Berg war kein Abbruch zu tun. Die Zeugnisse der Emphase sind Legion. Wir kennen sie seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts , und wir können ihnen noch heute begegnen.

S O N N E N A U F G A N G SK U LT Nach dem ersten Jahrhundert der Begeisterung wurde diese durch ein Ingenieurswerk kräftig befördert : im Jahre 1871 war die Zahnradbahn auf die Spitze der Rigi (»Rigi-Kulm«) fertiggestellt – sie gilt als erste Bergbahn in den Alpen und führt von Vitznau am Vierwaldstätter See über eine Höhendistanz von mehr als 1360 Metern hinauf. Unser Bild , eine kolorierte Kreidelitho­ graphie , zeigt im Vordergrund den untersten Teil der Anlage in ihrer ganzen Künstlichkeit – aus den Felsen gesprengt , auf einen hohen Steindamm gebettet. Die eigenartige Lokomotive , von Führer und Heizer bewartet , schiebt einen Wagen mit drei Touristen herauf und stößt dabei einen Dampfstrahl senkrecht in die Höhe. Der Blick geht über die engste Stelle des Vierwaldstätter Sees ungefähr nach Süden auf das nicht einmal zehn Kilometer entfernte Buochser Horn – im Zentrum aber sehen wir die barocke Pfarrkirche von Vitznau , wie sie heute noch steht : mit dem nördlich an den Chor angebauten dreigeschossigen Turm (samt den in den Turmhelm eingelassenen Zifferblättern) und mit der das Dach überragenden Blendfassade der Westfront. Der Zeichner hat seinen Teil geleistet zu jenem Prozeß , der den Berg verfügbar gemacht hat.

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A N G ST I N D E R B E R GB A H N Auch die Gewöhnung an die Bergbahn gehört zu diesem Prozeß. Mark Twain , um auf ihn zurückzukommen , beschreibt anschaulich , wie die Passagiere bei der Talfahrt zunächst den Atem anhalten und sich in Rückenlage begeben. Doch bald gewinnen sie Vertrauen , und der Erzähler kann endlich , wie er sagt , in Seelenruhe seine Pfeife anzünden. Übrigens kann man heute neben der Talstation der Bahn ein grünlackiertes Exemplar der Lokomotive sehen , das 1873 in Winterthur gebaut worden ist. Es gleicht der Maschine auf unserem Bild aufs Haar.

Angaben zum Bild N. N. : »Die Rigibahn« , um 1871 ; kolorierte Kreidelithographie , 15 ,5 x 20 ,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 733.

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SCHIENEN ÜBER DIE BERGE Das Bild , das Edward Compton in der bekannten naturalistischen Manier gemalt hat , stellt uns den von Westen gesehenen Montasch vor (den Montásion) , einen schroffen , 2753 m hohen Berg im italienischen Teil der Julischen Alpen. Es ist , auf den ersten Blick wenigstens , ein zurückhaltendes Werk , das auf die geläufigen Effekte der Farbe verzichtet : als ein grau in grau gemaltes Aquarell , aus dem nur wenige , sparsam angebrachte weiße Flecken herausleuchten. Vor allem die Schneefelder auf einigen schwächer geneigten Flächen des Berges fallen auf. Und da vor dem Berg Nebel aus den Tiefen aufsteigen und Schleier vor seinem Fuß bilden , wirkt er abgehoben , ja wie entrückt.

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D A S B E R G B I L D A LS V O R W A N D Vielleicht ist ja die Darstellung des Berges auch nur ein Vorwand. Vielleicht hat sich der Maler gar nicht so sehr für die gewiß abenteuerlich-romantische Talschlucht interessiert , die von dem am Fella-Fluß gelegenen Ort Dogna nach Osten hinaufzieht und rechts eher ihre teils bewaldeten , teils kahlen Nordhänge zeigt als den freundlicheren Südhang , von dem uns , fast in der Bildmitte , ein im Licht gelegenes Kirchlein herunterblinkt. Vielleicht also , wollte ich sagen , geht es in diesem Bild gar nicht so sehr um die Gebirgsnatur als vielmehr um die Einwirkung des Menschen auf diese Natur – um den kulturellen Kontrapunkt in Gestalt der Eisenbahn , die mit ihren Anlagen das unterste Viertel des Bildes bestimmt. Das wäre die Pointe dieses für Compton doch recht ungewöhnlichen Bildes , hat er doch in aller Regel versucht , die Anzeichen der modernen menschlichen Zivilisation auszublenden.

G E H I L F E N D E S A LP I N I SM U S Aber der Maler war ja nicht weltfremd. Er hat erfahren und gewußt , wie sehr ihm die Eisenbahn seine Arbeitsreisen erleichtert hat. Und so zeichnet er sie und ihren Weg , der die krassen Geländeunterschiede nivelliert , in liebevoller Minuziosität : wie weit hinter dem Baum (links im Vordergrund , wir glauben eine Eßkastanie zu erkennen) , der uns die Distanz zur Ingenieursszenerie verkürzt , zunächst ein hoher Steindamm aufgemauert ist , den Strebepfeiler stützen und zwei Wasserdurchlässe entlasten. Dahinter sehen wir ein Bahnhofsgebäude , rechts davon die Dampf- und Rauchschwaden einer rangierenden Lokomotive. Es folgt eine hell gemauerte Galerie , aus der ein Zug auftaucht und (nach rechts , also talabwärts Richtung Udine fahrend) soeben auf einem Viadukt angelangt ist – einem Standardprodukt der Eisenbahnbau-Ingenieure des späten 19. Jahrhunderts : Stahlgittergerüste , die auf hohe gemauerte Steinpfeiler gelegt sind. Unter dem

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Viadukt aber glauben wir eine Barackenanlage zu sehen (die Bahn wurde im Jahr 1879 gebaut) , vorübergehende Arbeits- und Wohnstätte der EisenbahnbauArbeiter , die wie die Straßenbau- und Tunellbau-Arbeiter keine Alpinisten , aber Handlanger und Gehilfen des Alpinismus waren , weil sie ihm die Zugänge zu den Bergen erleichterten oder zuweilen gar erst ermöglichten.

D E R S P OT T D E S A UTO M O B I L I STE N Denn die Eisenbahnen führten zum einen in das Gebirge hinein – ihre Bedeutung für den Alpinismus und seine Großtaten ist noch viel zu wenig bedacht worden. Zum andern aber führten sie auch über die Alpen hinweg und dienten damit einem allgemeineren Austausch von Menschen und Waren. Die »Überschienung der Alpen« (ein etwas gespreizter Ausdruck des Offiziers und seinerzeit gefeierten Schriftstellers Amand von Schweiger-Lerchenfeld) begann in den Jahren 1848 bis 1854 mit der grandiosen Semmering-Bahn (unser Bild zeigt ja eine ihrer beiden südlichen Fortsetzungen nach Triest , dem einstigen österreichischen Mittelmeerhafen). Aber kaum war sie mit der großen Gotthardbahn im wesentlichen vollendet (1882) , da dauerte es nur noch wenige Jahre bis zum Auftritt des Automobils. Und die stolzen , ja arroganten Automobilisten priesen ihre neue Freiheit und spotteten über die Eisenbahn , deren geschwärzte Wagen ihnen »wie aneinander gekoppelte rußige Käfige« vorkamen. Und sie besangen das helle Band der luftigen Gebirgsstraße , »die oben hinüber führt« – »während sich die Eisenbahn unten irgendwo durch das Gebirge wühlt«.

Angaben zum Bild : Edward Th. Compton : Der Montasch von Westen , um 1880 ? ; Aquarell (Grisaille) , 34 ,5 x 50 ,5 cm. DAV , Inv.-Nr. 968.

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EIN BILD DER ZIVILISATION Albin Egger-Lienz (1868–1926) , dessen Gemälde »Bergraum I« aus dem Jahre 1911 hier abgebildet ist , muß heutzutage auch außerhalb Österreichs nicht mehr vorgestellt werden. Er gehört längst zu den Klassikern der neueren Malerei. Und jedermann weiß , daß er in seinen Bildern versucht hat , Szenen , Gestalten und Formen auf das Wesentliche zu reduzieren und zu konzentrieren.

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BERG-RAUM Auch unser fast quadratisches Bild ist einfach angelegt und einfach zu beschreiben – was mitnichten heißt , daß es ein simples oder gar oberflächliches Werk wäre. Unser Blick geht mit einem Seitental , das durch einen bergsturzartigen Hangvorsprung versperrt scheint , in die Bildmitte und auf ein tiefer eingeschnittenes und quer laufendes Haupttal zu , hinter dem erneut steile Hangflächen aufsteigen zu mächtigen Bergstöcken , deren Spitzen abgeschnitten sind. Warme (fast möchte man sagen : heiße) schokoladefarbene Töne dominieren den ›BergRaum‹. Nur hoch oben links leuchtet ein Firncouloir auf , und auch am rechten oberen Bildrand liegen in den Mulden drei helle Firnfelder. Vor allem aber sticht – fast in der Bildmitte – ein hell ockerfarbiger Wiesenhang mit Bergbauernhof in die Augen.

V E R R ÄT E R I S C H E G L ETS C H E R R E STE Ein schlichtes Naturbild also ? Mit gleichem Recht könnte man sagen : ein raffiniertes Bild der Zivilisation , ein hintergründiges Bild der Kultur. Zwar sieht man keine Menschen , doch erkennt (oder erahnt) man ihre Spuren , und die Spuren der Menschen nennen wir nun einmal Zivilisation oder Kultur. Unübersehbar ist der gerodete Kultur-Fleck mit den Behausungen für Mensch und Tier. Aber auch der Bergwald , der uns an reine Natur erinnern will , ist , als Bannwald , eine bewußte

Kulturleistung – er

könnte

ja längst abgeholzt sein. Und selbst die Gletscherreste hoch oben im Bild lernen wir in diesen Jahren lesen als Resultate unserer modernen Lebensweise.

D I E G E S C H I C HTE D E S B I L D E S Das alles können wir im Bilde sehen. Was wir in der Regel aber nicht sehen – oder vielmehr : nicht erkennen – , ist : daß sich dieser Blick auf die Natur , den wir mit dem Maler tun , nicht von selbst versteht. Jahrhunderte vor uns haben die Farben der Natur so nicht gesehen , haben die Gewalt der Formen so nicht 190

bemerkt , haben es nicht ertragen können , nur Natur und keine Menschen zu zeigen. Der Blick auf die Natur war nie – und ist auch heute nicht – ›natürlich‹ , also selbstverständlich. Er ist vielmehr in einem langen historischen Prozeß der Zivilisation zurechtgemodelt worden zu dem Empfinden , das wir heute als ›normal‹ bezeichnen möchten. Manche haben in Albin Eggers Bild vor allem das Gewaltige , das Ungebärdige der Natur , ja ihr Schoßartiges gesehen. Nicht zu Unrecht. Doch mit gleichem Recht darf man jetzt auch sagen : ›Bergraum I‹ ist ein Bilderrätsel , nein : ein Bild der Zivilisation.

Angaben zum Bild : Albin Egger-Lienz : »Bergraum I« , 1911 ; Kaseinfarben auf Leinwand , 112 x 130 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2591.

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DIE WUNDE Für alle diejenigen , welche die strahlenden Ansichten der Bergwelt aus der Umgebung der Rudolfshütte kennen (die längst ein fast mondänes Berghotel geworden ist) , mag unser Bild – ein großformatiger Holzstich des Münchener Malers und Graphikers Günther Graßmann (1900–1993) – leicht verstörend 192

wirken. Zwar werden sie die Bergkette , die vor dem lebhaft bewegten Himmel den Horizont weit oben abschließt , wiedererkennen : die Dreitausender Totenkopf , Hohes Riffl , Johannisberg , Eiskögele als Teil des Höhenzugs , der die Glockner- mit der Granatspitzgruppe verbindet. Aber die technischen Installationen , mit denen die Landschaft geradezu vollgestellt ist , irritieren doch das Auge , das vielleicht den Frieden einer Bergkulisse sucht.

G E ST Ö RT E B E R G L A N D S C H A F T Aber dem Künstler ging es ganz offensichtlich nicht um die gewöhnliche Idylle. Er protokollierte vielmehr sachlich und minuziös , welche Verletzungen der Landschaft und welche Anstrengungen notwendig sind , um das unersättliche Energiebedürfnis und -gelüst der modernen Zivilisation zu befriedigen – auch und gerade dann , wenn es um die Gewinnung von sogenannten regenerativen Energien geht. So begab sich denn Graßmann im Sommer 1952 an eine höher gelegene Stelle (am heutigen Hans-Gruber-Weg) , um von dort aus , ungefähr nach Osten blickend , die noch im Bau befindliche , aber schon weithin fertiggestellte Staumauer des Weißsees und die diversen Hilfsbauten zu zeichnen , mit denen der Westabhang des Hinteren Schafbüchels besetzt war. Dem später in hundert Exemplaren gedruckten altmeisterlichen Stich vergaß er nicht die Erklärung anzufügen , daß die Weißsee-Sperre der Stromerzeugung der Österreichischen Bundesbahnen diene (die den Stausee bislang als Vorspeicher des Tauernmoos-Sees nutzen).

DIE POESIE DER INGENIEURE Bildbeherrschend sehen wir im Vordergrund die dunkle Staumauer , die »Nordsperre« des Weißsees , die in die Tiefe des Tobels hinabstürzt. Und dunkel – sollte man sagen : drohend ? – hängt über ihr , insektenhaft fast wirkend mit dem nach unten hängenden Verteilerarm , die skelettartige Metallkonstruktion des »Betonübergabegerüsts« (wie die Bauingenieure sagen). Es hängt an zwei Kabelkränen , deren Führungs- und Zugseile es vor allem sind , die den erwarteten Blick auf die Bergkulisse zerschneiden. An solchen Seilen hängt auch der Betonkübel , der aus der Betonmischanlage , dem hohen Gebäude links der Bildmit193

te , kommt und sich gleich in das Gerüst und damit in die Schalung des rechten Teils der Staumauer entleeren wird. Mit dieser Mauer , die im linken Teil die Krone noch nicht ganz erreicht hat , ist der See schon erheblich aufgestaut worden. Ganz am rechten Bildrand erkennt man auf der hell gegen die dunkle Wasserfläche stehenden Halbinsel die winzig klein wirkende alte Rudolfshütte neben dem Turm , der zum Ablassen des Wassers dient. Sie droht bald im Wasser unterzugehen (weshalb man sie dann geschleift hat – sie wäre sonst bis zum ersten Stock im Wasser verschwunden). Den größeren Ersatzbau hat man einige Jahre später neben der Seilbahnstation der Österreichischen Bundesbahnen , die wir links oben fast auf der Höhe des Bergrückens (des Hinteren Schafbüchels) sehen , neu errichtet. Wir merken also , daß sich der Künstler Graßmann ganz auf die Poesie der Ingenieure eingelassen hat , um den Kontrast zwischen natür­licher und technischer Welt recht deutlich hervorzuheben. Die Prosa der Welt der Arbeit indessen hat er nicht vergessen : man sieht die Arbeiter in heftiger Körperbewegung auf dem schwebenden Krangerüst , man sieht sie zwischen den Schalungen der Dammkrone , man sieht sie mit geschultertem Werkzeug auf den Wegen unterwegs , und man erkennt ihre Behausungen , die Baracken , am Hang rechts hinter der Betonmischanlage.

DIE WUNDE DER ERINNERUNG Die Weißsee-Bauarbeiter des Jahres 1952 aber sind gewissermaßen die ›Nachkommen‹ der Zwangsarbeiter und der Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau , die zwischen 1939 und 1945 für das Weißsee-Projekt der Deutschen Reichsbahn schuften mußten – im Damm- und Straßen- und Anlagebau , in der Materialbeschaffung , vor allem aber auch in den kilometerlangen Stollen , die seither das Wasser unauffällig unter dem Gebirge durchleiten. Man hat diesen Arbeitern vor kurzem eine ehrende Gedenktafel gewidmet , die Aktion war längst fällig gewesen. Doch kann auch sie die Wunde der Erinnerung – die Wunde der Erinnerung an den Einbruch des Nazi-Terrors und -Unrechts in die vermeintlich so friedliche Gebirgswelt – nicht heilen , die schlimmer schmerzen muß als jede Wunde der Landschaft.

Angaben zum Bild : Günther Graßmann : »Weissee-Talsperre [ …]« , 1952 ; Holzstich , 60 x 46,5 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 3326. 194

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IRRITATION IM GEBIRGE Das große quadratische Bild , das Rolf Liese im Jahr 1987 mit Acrylfarben gemalt hat , überrascht uns durch seine wahnwitzige Perspektive. Den unmittelbaren Vordergrund bilden die eiförmig oder kugelrund zugeschliffenen Kieselsteine 195

eines Bachbettes , in dem sich der Bildbetrachter zu befinden – ja in dem er , abwärts blickend , zu liegen scheint ; denn die Kiesel wirken durch ihre gewaltsame Nähe über die Maßen groß. Obwohl sie nur das unterste Drittel der Bildfläche in Anspruch nehmen , sind sie doch bildbeherrschend. Insbesondere zwei dieser Steine beeindrucken durch ihre schwere urzeitliche Wucht , die noch gesteigert erscheint durch die am linken Stein eher bläuliche , am rechten vorwiegend bräunliche Zeichnung , die teils auf Einschlüsse , teils auf Algenbesatz hinzudeuten scheint.

D ER SK AN DAL D ES BI LD ES Dieser Vordergrund absorbiert den Blick völlig , die Landschaftsandeutungen des Mittelgrunds wirken eher plakativ – ein grauvioletter Bergrücken rechts , dahinter eine bis zum oberen Bildrand aufsteigende hellere Fels- und Schrofenwand , über der Ferne eines weiten Tals wabernde Wolkensträhnen in diffusem Licht. Nur am linken Bildrand ist den Steinen des Bachbetts die gezackte Silhouette eines Nadelwaldstückes nähergerückt. Doch vor ihr erblicken wir den Skandal dieses Bildes : ein kleines rotweißes Verkehrsschild , das den Verkehr aller Motorfahrzeuge untersagt , angebracht an einem schwarzen Querbalken , der eine Fahrstraße abzusperren scheint. Trotz seiner geringen Größe wirkt dieses Zeichen unversöhnlich , ja aggressiv. Zwar nimmt es die runden Formen der Kiesel ganz ungefähr auf , doch seine Farben sucht man im Bild sonst vergebens. Auch wenn uns der Maler die Barriere der riesigen Rundsteine vors Auge gesetzt hat : stolpern (mit unseren Gedanken stolpern !) sollten wir über das kleine Verkehrsschild im Gebirge.

D A S A U TO I N D E N A LP E N Das Auto in den Alpen – eine vertrackte Geschichte. Einerseits glauben wir an seine Unentbehrlichkeit : welche Tour wird noch ohne Auto geplant ? Die Reklameseiten in den Mitgliederzeitschriften der Alpenvereine sprechen Bände. Schon lange wird keine Wand , wird kein Gipfel mehr ohne Auto erstiegen.

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Auf der anderen Seite wissen wir längst viel zuviel über die Schädlichkeit des motorisierten Verkehrs. Die Begeisterung der Automobilpioniere , die sich schon um die Wende zum 20. Jahrhundert brüsteten , alle wesentlichen Alpenpässe überfahren zu haben (es waren an die hundert Paßstraßen , und es waren unbefestigte Wege , auf denen man riesige Staubwolken aufwirbelte) , und ihr frenetischer Jubel sind uns fremd geworden. Wir schütteln vielleicht gar unwillig den Kopf , wenn wir noch in einem Standardwerk aus dem Jahre 1930 (Kurt Mair : Die Hochstraßen der Alpen) ein Foto eingerückt sehen , das zeigen soll , welch steile Hüttenanfahrt der Autor mit seinem Fahrzeug gemeistert hat – über Stock und Stein.

D ER WI ED ERGÄN G ER Auf unserem Bild aber scheint der Wiedergänger des Automobilisten aus dem Jahre 1930 unterwegs zu sein. Er ist oben über den Gebirgspaß gefahren , den wir hinter unserem Rücken wissen , und findet nun seinen Weg gesperrt. Das ist die eigentliche Irritation , die von Lieses Bild ausgeht : nicht die Auffahrt in die Berge ist verboten , sondern ein letztes Stück der Abfahrt.

Angaben zum Bild : Rolf Liese : Bachbett , 1987 ; Acryl auf Nessel , 120 x 120 cm. DAV , Inv.-Nr. 644.

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GLÜCK IM UNGLÜCK Da steht er nun , der Elefant als Hochtourist , auf dem schmalen Felsband. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen und angstvoll angelegten Ohren , den faltigen Rüssel unter die Seilrolle gesteckt , hat er sich , als er den Steinschlag über sich prasseln hörte , mit Rücken und breitem Hinterteil an die senkrechte 198

Wand gepreßt in plötzlicher Bewegung (weshalb der Pickel , dessen Schlaufe um seinen rechten Vorderfuß geschlungen ist , nach links auspendelt). Nun aber ist es ihm gelungen , sich in panischer Reaktion Halt zu verschaffen , indem er die schweren Hinterbeine mit den Hufen , die wie randgenagelte Stiefel wirken , und eine ›Hand‹ gegen den Felsen stemmt. Die andere Hand , der andere Vorderfuß indessen rudert hilflos in der Luft. Doch es hilft alles nichts , die Fracht erwischt ihn , ein Stein trifft seine harte Stirn. Wir spüren , ja sehen den Schmerz , und es ist nicht einmal sicher , ob der nächstfolgende größere Brocken unseren elefantischen Bergsteiger verschonen will.

D I E P L Ö TZ L I C HK E IT D E S S C H L A G S Dabei hatte der sich so sachkundig vorbereitet und ausgerüstet mit Feldflasche und Laterne , mit Rucksack und Seil , das wir sorgfältig aufgerollt um den Hals gehängt sehen. Der Künstler Heinrich Kley hat es wie auch die Pickelhaue , die Zehen und den rechten Hauptkontur mit einigen sparsamen Weißtupfen hervorgehoben , ansonsten aber alle Wirkung seinem flüssig-nervösen Federstrich überlassen , der das massige Volumen der Gestalt so gut trifft wie die haptische Qualität der faltigen Haut oder das ruckartige Innehalten in der Schreckbewegung.

D E M E R H A B E N E N E I N E N STR E I C H G E S P I E LT Heinrich Kley liebte es , Menschen als Tiere zu zeichnen – also menschliche Fähigkeiten und menschliche Schwächen in Gestalt und Handlungen der Tiere auszudrücken. Dabei ist eine Fülle großartiger , so heiter-anmutiger wie auch manchmal bitterböser Karikaturen entstanden , die oft mit dem Kontrast zwischen der graziösen Bewegung und der Unförmigkeit eines keineswegs grazilen Körpers spielen : tänzelnde , schlittschuhlaufende , kletternde Nilpferde , Krokodile , Elefanten etwa bilden die Motive seiner meisterhaften Stücke. Auch der Witz unserer Skizze lebt von der Diskrepanz zwischen Perfektion und Plumpheit , zwischen monströser Gebärde und peinlichem Versagen. Es ist der mit überraschender Plötzlichkeit auftretende Schlag , der die Komik vorbereitet , die wir empfinden. Und wir ziehen Vergnügen aus dem Streich , der dem Erhabenen gespielt wird – so hat es jedenfalls Friedrich Theodor Vischer schon im Jahre 1837 notiert : »Auch der Witz« , schrieb er , »besteht darin , daß eine Erhabenheit zu Fall gebracht wird.« 199

D E R E RTA P PT E M E N S C H Wir aber wollen , daß unser Elefant nicht wirklich zu Fall gebracht wird. Wir wollen ihn nicht stürzen sehen. Wir wünschen ihm , daß er mit einer Beule an der Stirn davonkommt – kurz : daß er Glück im Unglück hat. Mag er dann auch am abendlichen Hüttenstammtisch mit einer alpinistischen Heldentat prahlen : wir wissen doch mit Vischer : »Das Komische ist der ertappte Mensch.«

Angaben zum Bild : Heinrich Kley : Der Elefant als Bergsteiger , um 1911 ; Federzeichnung , weiß gehöht , 40 ,5 x 29 cm ; erschienen in : Simplicissimus 16 / 1911 , No. 22. ÖAV , Inv.-Nr. 84.

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ÖDNIS , DOCH MIT HOFFNUNG Rudolf Alfred Jaumann , geboren 1859 in Pilsen , nach dem Studium an den Kunstakademien in Prag , München und Wien zunächst in München und später in Salzburg tätig , ist vor allem als Zeichner und virtuoser Illustrator bekannt geworden. Das Lesepublikum alpiner Literatur darf aus seinen Zeichnungen , die bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts veröffentlicht worden sind , schließen , daß der Künstler ein intimer Kenner der Bergwelt und der Bergsteigerei war. Das große Ortler-Bild malte er im Jahre 1920 , also als 61jähriger Mann.

M E H R A LS R E I N E TO P O G R A PH I E Der Blick geht von der unwirtlichen Düsternis des hohen Zaytales über das obere Suldental (etwa bei Sulden) hinweg in südwestlicher Richtung auf die abwei201

sende Ostflanke des Ortlers und auf die ungefähr nach Süden zur Königsspitze hinziehende vereiste Bergkette. Diese topographischen Fakten waren dem Maler durchaus wichtig – man kann fast jede Eisrinne und jeden Felsgrat benennen und erkennt beispielsweise rechts des Hauptberges die Eisauflage des Oberen Ortlerferners und links davon den langgezogenen westlichen Suldenferner , dessen Endmoräne ins Tal hinunter streicht. Doch wichtiger noch als solche morphologischen Details waren dem Künstler ganz offensichtlich die Stimmungswerte des Bildes , die ihn – den wir als kalten Dokumentaristen glaubten zu kennen – auch als Meister der Tönungen und des Atmosphärischen ausweisen.

R A B E N V Ö G E L V O R R O S A G E WÖL K Jaumann türmt gewissermaßen vier Horizonte übereinander. Der düstere , fast frösteln machende Vordergrund mit seinem schweren Blockwerk ist in bleigrauen bis grünschwarzen Tönen gehalten. Zwei Rabenvögel sind aufgeflattert und lassen sich vom Aufwind des Tales , in das sie hinabzublicken scheinen , hochtragen. Jenseits des Tales erhebt sich als nächster und Haupt-Horizont die mächtige Bergkette in kalter Blaufärbung , die gleichsam marmorartig von weißen Firnadern durchzogen ist. Darüber wölbt sich als dritter Horizont aufdampfend ein Wolkengebirge , das in der oberen Bildmitte den blauen Himmel freigibt und diesen mit freundlich rosafarbenem Widerschein umrahmt.

D I E L E E R E G L O R I O L E D E R G OT TH E IT Aus solchem Himmel , erinnern wir uns , aus solcher Wolkengloriole wäre in Bildern früherer Jahrhunderte die Gottheit erschienen , um die Menschheit zu richten und zu trösten. Im Bild des 20. Jahrhunderts freilich findet solcher Mythos der Religion keinen Platz mehr. Doch macht uns diese kleine kulturhistorische Erinnerung aufmerksam auf das Leuchtende in Jaumanns Ortler-Gemälde , und nun erst bemerken wir , wie sich das an die Wolken hingehauchte freundliche Licht hie und da als Widerschein auf den Firn- und Gletscherflächen spiegelt , ja noch die Felsblöcke rechts im Vordergrund zu erwärmen scheint.

Angaben zum Bild : Rudolf Alfred Jaumann : Ortler , 1920 ; Öl auf Leinwand , 149 x 200 cm. ÖAV , Inv.-Nr. 2822. 202

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BERGSTEIGERS GLÜCKSRAD Wir sagen zuweilen , jemand habe Fortüne , und meinen damit : Er sei ein Glückspilz. Und die antike Gestalt der Fortuna wird oft als Glücksgöttin bezeichnet. Doch das ist nur halb richtig , ja die Bezeichnung ist gar irreführend , weil sich die Bedeutung des deutschen Wortes Glück in den letzten Jahrhunderten stark ge203

wandelt hat. »Glück« – als ein so unerwartetes wie unverdientes Ereignis – hatte ursprünglich nicht den ausschließlich positiven Sinn , den wir ihm heute beimessen. Als »Glück« wurden einst auch abträgliche , schädliche , gefährliche , also negative Geschehnisse bezeichnet , die wir jetzt Unglück nennen. Glück war nur ein anderes Wort für Schicksal.

F O RTU N A U N D F O RTÜN E Das sogenannte Glücksrad , ein schon im Mittelalter gebräuchliches Bildmotiv , ist also eher ein Schicksalsrad. Ernst Platz griff das Thema in seiner Bleistiftzeichnung aus dem Jahre 1899 auf , um Mühe , Glück und Gefahren des Bergsteigerlebens aufzuzeigen. (Das Blatt , von dem wir nur den größeren unteren Teil reproduzieren , ist signiert und datiert.) Die nackte , nur von einem leichten Schleier umwehte Fortuna mit Stachelflügeln auf dem Rücken und dem Stern im üppigen Haar dreht mit dem Hebel die Scheibe , welche die Szenen des Bergaufstiegs , des Gipfelerfolgs und – statt derjenigen des Abstiegs – des Absturzes aufeinander folgen läßt.

D A S S C H I C K S A LSR A D Oft haben die Künstler das Bildthema benutzt , um Aufstieg , Höhepunkt und Fall ein und derselben Figur darzustellen – also zum Beispiel den Weg eines Herrschers hin zum Höhepunkt seiner Macht und wiederum hin zu seiner Entmachtung , zu seinem Fall. Platz indessen zeigt ganz offensichtlich drei verschiedene Individuen , um damit anzudeuten : Den einen trifft das Unglück , den andern nicht , dem einen ist das Schicksal hold , dem andern keineswegs. Links sehen wir einen Bergsteiger , der sich eher unbeholfen am Gestein hochzuziehen versucht. Dem nächsten sind Gipfelbehagen und Gipfelglück beschieden : er fügt , genüßlich rauchend , den letzten Stein zum Steinmännchen. Der dritte aber stürzt rechts kopfüber ab. Hut , Pickel und Weinflasche fliegen ihm voraus.

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U N S E R E H O F FN U N G Solchen Sturz , solches Ungemach wünscht sich nun freilich niemand. Fortuna auf unserem Bildchen strengt sich zwar mächtig an , doch wird sie wohl gleich erlahmen , und das Rad wird zum Stillstand kommen. Dann möchten wir oben sein , ungefährdet , im Behagen und im Glück.

Angaben zum Bild : Ernst Platz : Bergsteigers Glücksrad , 1899 (Ausschnitt) ; Bleistift , 33 ,5 x 20 cm (Blattgröße). ÖAV , Inv.-Nr. 1453.

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ERSTVERÖFFENTLICHUNGEN Bisher unveröffentlicht waren die Bildbeschreibungen 1, 2, 5, 6, 7, 8, 11, 18, 25, 28, 30, 33, 34, 38, 39, 42, 43, 46, 47, 51, 57, 60, 62, 63. Alle anderen Bildbeschreibungen sind zunächst als Kolumne in der Zeitschrift „Bergauf“ des Oesterreichischen Alpenvereins (bis 2005: »Mitteilungen des Oesterreichischen Alpenvereins«) erschienen und für dieses Buch überarbeitet worden: 3 in Bergauf 2012/2, S. 83 / 4 in Bergauf 2007/4, S. 33 / 9 in Mitteilungen 2004/3, S. 14 / 10 in Mitteilungen 2004/2, S. 33 / 12 in Bergauf 2012/3, S. 60 / 13 in Bergauf 2010/3, S. 71 / 14 in Bergauf 2008/3, S. 47 / 15 in Mitteilungen 2005/4, S. 27 / 16 in Bergauf 2011/2, S. 93 / 17 in Mitteilungen 2005/1, S. 36 / 19 in Bergauf 2010/4, S. 55 / 20 in Bergauf 2006/1, S. 38 / 21 in Mitteilungen 2005/5, S. 35 / 22 in Bergauf 2006/3, S. 41 / 23 in Bergauf 2006/2, S. 43 / 24 in Bergauf 2007/1, S. 37 / 26 in Bergauf 2007/2, S. 46 / 27 in Bergauf 2012/4, S. 76 / 29 in Bergauf 2006/4, S. 29 / 31 in Bergauf 2010/2, S. 63 / 32 in Bergauf 2008/2, S. 59 / 35 in Bergauf 2009/4, S. 55 / 36 in Bergauf 2009/2, S. 48 / 37 in Bergauf 2007/5, S. 48 / 40 in Bergauf 2009/1, S. 37 / 41 in Bergauf 2009/5, S.  48 / 44 in Bergauf 2010/5, S. 43 / 45 in Bergauf 2009/3, S.63 / 48 in Bergauf 2008/1, S. 31 / 49 in Bergauf 2008/4, S. 47 / 50 in Mitteilungen 2005/3, S. 28 / 52 in Mitteilungen 2004/5, S. 30 / 53 in Bergauf 2011/4, S. 77 /­ 54 in Mitteilungen 2004/4, S. 31 / 55 in Bergauf 2011/3, S. 53 / 56 in Bergauf 2011/5, S. 91 / 58 in Bergauf 2007/3, S. 35 / 59 in Bergauf 2012/5, S. 86 / 61 in Bergauf 2008/5, S. 48 / 64 in Bergauf 2012/1, S. 67 / 65 in Bergauf 2010/1, S. 38 / 66 in Bergauf 2011/1, S. 43.

FOTONACHWEIS für die Innsbrucker Bilder: WEST.fotostudio, Wörgl; für die Münchener Bilder: Wilfried Bahnmüller (1, 5, 39, 57, 60, 63), Wolfgang Pulfer (6, 18, 43, 46), Erich Reismüller (7, 33, 34, 42), Stefan Ritter (47), Erich Sperl (30).

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ERSTVERÖFFENTLICHUNGEN Bisher unveröffentlicht waren die Bildbeschreibungen 1, 2, 5, 6, 7, 8, 11, 18, 25, 28, 30, 33, 34, 38, 39, 42, 43, 46, 47, 51, 57, 60, 62, 63. Alle anderen Bildbeschreibungen sind zunächst als Kolumne in der Zeitschrift „Bergauf“ des Oesterreichischen Alpenvereins (bis 2005: »Mitteilungen des Oesterreichischen Alpenvereins«) erschienen und für dieses Buch überarbeitet worden: 3 in Bergauf 2012/2, S. 83 / 4 in Bergauf 2007/4, S. 33 / 9 in Mitteilungen 2004/3, S. 14 / 10 in Mitteilungen 2004/2, S. 33 / 12 in Bergauf 2012/3, S. 60 / 13 in Bergauf 2010/3, S. 71 / 14 in Bergauf 2008/3, S. 47 / 15 in Mitteilungen 2005/4, S. 27 / 16 in Bergauf 2011/2, S. 93 / 17 in Mitteilungen 2005/1, S. 36 / 19 in Bergauf 2010/4, S. 55 / 20 in Bergauf 2006/1, S. 38 / 21 in Mitteilungen 2005/5, S. 35 / 22 in Bergauf 2006/3, S. 41 / 23 in Bergauf 2006/2, S. 43 / 24 in Bergauf 2007/1, S. 37 / 26 in Bergauf 2007/2, S. 46 / 27 in Bergauf 2012/4, S. 76 / 29 in Bergauf 2006/4, S. 29 / 31 in Bergauf 2010/2, S. 63 / 32 in Bergauf 2008/2, S. 59 / 35 in Bergauf 2009/4, S. 55 / 36 in Bergauf 2009/2, S. 48 / 37 in Bergauf 2007/5, S. 48 / 40 in Bergauf 2009/1, S. 37 / 41 in Bergauf 2009/5, S.  48 / 44 in Bergauf 2010/5, S. 43 / 45 in Bergauf 2009/3, S.63 / 48 in Bergauf 2008/1, S. 31 / 49 in Bergauf 2008/4, S. 47 / 50 in Mitteilungen 2005/3, S. 28 / 52 in Mitteilungen 2004/5, S. 30 / 53 in Bergauf 2011/4, S. 77 /­ 54 in Mitteilungen 2004/4, S. 31 / 55 in Bergauf 2011/3, S. 53 / 56 in Bergauf 2011/5, S. 91 / 58 in Bergauf 2007/3, S. 35 / 59 in Bergauf 2012/5, S. 86 / 61 in Bergauf 2008/5, S. 48 / 64 in Bergauf 2012/1, S. 67 / 65 in Bergauf 2010/1, S. 38 / 66 in Bergauf 2011/1, S. 43.

FOTONACHWEIS für die Innsbrucker Bilder: WEST.fotostudio, Wörgl; für die Münchener Bilder: Wilfried Bahnmüller (1, 5, 39, 57, 60, 63), Wolfgang Pulfer (6, 18, 43, 46), Erich Reismüller (7, 33, 34, 42), Stefan Ritter (47), Erich Sperl (30).

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REGISTER PERSONEN Achrainer, Martin 9, 10, 13 Agassiz, Louis 72 f. Andreae, Johann Gerhard Reinhard 32 Alt, Jakob 62–64 Alt, Rudolf von 64 Anich, Peter 37, 82–84 Bacler d’Albe, Albert 21–23 Balmat, Jacques 22 Barth, Hermann von 104 f. Barth, Otto 24–26, 48–50, 113 Baumbach, Rudolf 156 Bauriedl, Otto 15–17 Benedikter, Gerold 12 Betannier, Joseph 71–73 Bisson, Gebrüder 149 Bitschnau, Martin 13 Bleuler, Johann Heinrich 173–175 Bloch, Ernst 128 Bouillé, Fernand Graf de 77 f. Burkmair, Hans 31 Byron, George Gordon Lord 153 f. Calame, Alexandre 113 Clemens, Sam 183 Compton, Edward Th. 113, 160 f., 186–188 Daudet, Alphonse 183 Defregger, Franz von 51–53 Deroy, Laurent 76–78 Diez, Wilhelm von 35 Disteli, Martin 159 Doré, Gustave 157–159 Dorner d. J., Johann Jakob 27–29 Düringer, Daniel 30–32 Egger-Lienz, Albin 49, 189–191 Embde, August von der 136–138 Ender, Thomas 74 f., 165 f. Engelmann, C. 101 Erler-Samaden, Erich 124–126 Faistenberger, Andreas 36–38 Faust 153 Fellmann, Jean 98 f. Foltz, Philipp von 91–93 Fortuna 203–205 Franz I., Kaiser von Österreich 119 Füßli, Johann Melchior 33–35 Gärtner, Monika 10, 12 Gebhard, Johann A. 67

Goethe, Johann Wolfgang von 51 f. Graßmann, Günther 192–194 Guggenberger, Michael 13 Hackert, Carl 170–172 Haller, Albrecht von 23, 138 Hannibal 142 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 31 Heilmann, Anton 133–135 Heim, Albert 164 Heinlein, Heinrich 145–147 Héloïse 174 Henel, Edwin 59–61 Hereth, Dieter 13 Hermann, Joseph 79–81 Herrliberger, David 32 Hess, J. 97–99 Hodler, Ferdinand 159 Höfel, Blasius 45, 47, 120 Hoffmann, Heinrich 178–180 Homer 89 Hoppe, David Heinrich 86 f. Huck, Karl 155 f. Hugi, Franz Josef 71, 73 Ikarus 162 Jahn, Gustav 39–41, 85–87, 113 Jaumann, Rudolf Alfred 201 f. Johann, Erzherzog von Österreich 45–47, 67, 81, 119 f., 166 Kaiser, Friederike 10, 12 Keller, Heinrich 181 f. Kleehaas, Theodor 139–141 Klein, Johann Adam 121–123 Kley, Heinrich 115–117, 198–200 Knapp, Elisabeth 13 Krafft, Johann Peter 118–120, 152–154 Lafont (Lafund) 107 f. Langer-Kauba, Mizzi 41 Liese, Rolf 195–197 Loder, Matthäus 45–47 Mair, Kurt 197 Manfred 153 f. Mark Twain 141, 183, 185 Max I., König von Bayern 93 Maximilian I., Kaiser 31 Menardi, Herlinde 13 Meyer, Gebrüder 72

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Moralt, Willy 54 f. Morelli, Giovanni 25 Napoleon I., Kaiser von Frankreich 21, 142 Neptun 151 Ooyen, Johannes van 13 Ortega y Gasset, José 167 Paccard, Michel-Gabriel 22 Peter, König von Aragonien 106 Pingret, Édouard 100–102, 106, 108 Pitschner, Wilhelm 148–151 Platz, Ernst 68–70, 103–105, 109–111, 130–132, 159, 162–164, 203–205 Pögl, Josef 79–81 Pracher, Franz 56–58 Prosch, Peter 140 f. Rahl, Carl 153 f. Raich, Veronika 12 Ramond, Louis-François, Baron de Carbonnières 102, 107 Rechberg, Gabrielle 42–44 Reichler, Claude 153 Rousseau, Jean-Jacques 174 Runk, Ferdinand 20 Salm-Reifferscheid, Franz Xaver, Altgraf zu 80 Saussure, Horace Bénédict de 72, 79, 88–90 Saussure, Theodore 72, 88–90 Scharfe, Carolina 13 Scharfe, Friederike 13 Scharfe, Hildegard 13 Scharfe, M. 9 Scheffel, Johann Viktor von 138 Scheffer von Leonhardshoff, Johann Evangelist 79–81 Scheuchzer, Johann Jakob 34 f.

Schiller, Friedrich von 161 Schilt, Gabriel 98 f. Schneider, Ingo 13 Schopenhauer, Arthur 154 Schultes, Johann August 138 Schweiger-Lerchenfeld, Amand Freiherr von 188 Sepp, Martina 12 Simony, Friedrich 67 Slupetzky, Heinz 13 Slupetzky, Nicole 13 Spitzweg, Carl 55 Stange, Bernhard 65–67 Stanig (Stanič), Valentin 29, 161 Sternberg, Daniel 84 Sterzinger, Joseph 84 Sulzer, Johann Georg 182 Tartarin 183 Tell, Wilhelm 161 Theurdanck 31 Thöni, Bernhard 13 Thurwieser, Peter Karl 67 Ullrich, Carl 148–151 Vischer, Friedrich Theodor 199 f. Walcher, Joseph 168 Walde, Alfons 127–129 Warburg, Aby 101 Whymper, Edward 157 f. Wieland, Hans Beat 113, 142–144, 147–169 Wimmer, Sabine 13 Winckelmann, Johann Joachim 11, 18–20 Winterlin, Anton 176 f. Wörz, Oskar 12 f. Wolf, Caspar 52, 113 Wyttenbach, Jakob Samuel 114 Zimmermann, Joseph Anton 82–84

B E R G E, L A N D S C H A F TE N U N D O RTE Aarau 72, 113 Ache 37 Afrika 104 Ahrntal 178 Aiguille du Midi 77 f. Arve 21 Arveyron 170–172 Bagnères-de-Luchon 107 f. Basel 21, 176 Berchtesgaden 121–123 Berchtesgadener Land 27 Berlin 150 Berliner Hütte 166 Berner Oberland 26, 72, 75, 100, 153, 183 Bossons-Gletscher 151

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Brenner 18–20 Buochser Horn 184 Canigou 106 Chamonix 22, 89 f. Chilchstock 177 Col du Géant 72, 80, 88–90 Courmayeur 89 Dachau 194 Dachstein 62–64, 67 Deutschland 34 Dogna 187 Dolomiten 134, 143, 145–147 Eiger 67, 174

Eisenerz 46 Eisenerzer Reichenstein 46 Eiskögele 193 Engadin 124 England 67 Ennstal 62 Erzberg 45–47 Europa 22, 71, 96, 174, 182 Feldafing 160 Fella 187 Feuerthalen 174 Fiescher Gletscher 25 f. Finsteraargletscher 72 f. Finsteraarhorn 26, 97–99 Finsteraarhütte 26 Frankfurt am Main 63 Furka 51 Fuscher Eiskar 74 Fuscher Tal 74 Garmisch-Partenkirchen 60 Genf 21, 72, 79 f., 88 Gesäuse 41 Glockner 48, 50, 56 f., 74, 79–81, 83, 86, 160 f. Glocknergruppe 193 Gotthard 32, 34, 176 f., 181 f., 188 Granatspitzgruppe 193 Grandes Jorasses 89 Grands Mulets 149–151 Gries 19 Grimselstausee 72 Grindelwald 26, 174 Grindelwaldgletscher 173–175 Großglockner s. Glockner Großvenediger s. Venediger Groß-Wannenhorn 26 Grundübelhörner 27, 29 Hallstatt 64 Hannover 32 Hans-Gruber-Weg 193 Heiligenblut 80 Hinterer Schafbüchel 193 f. Hintersee 27, 29 Hocheck 43 Hoher Göll 161 Hohes Riffl 193 Hohe Tauern 56 Hundskehlgrund 178 Hundskehljoch 178–180 Innsbruck 9–12, 66, 83 Ischl 67 Italien 186 Johannisberg 193 Johnsdorf 41 Julische Alpen 186 Jungfrau, Jungfrauhorn 72, 153

Käfertal 74 Kalabrien 81 Kals 48, 50 Karlsruhe 104, 115 Kassel 137 Keeskar 75 Kesselkopf 94 Kitzbühel 37 f., 127 Kitzbüheler Horn 38 Klagenfurt 57, 80 f. Kleinglockner s. Glockner Königsalpe 121–123 Königsspitze 81, 202 Kürsingerhütte 75 Lauteraargletscher 72 Leiterkees 80 Linz 57 London 160 Lueg 20 Magdeburg 9 Matterhorn 157–159 Mer de Glace 171 Mittelbergferner 167–169 Montanvert 80 Montasch (Montásion) 186–188 Montblanc 21–23, 72, 75, 79 f., 88–90, 148–151 Montblanc du Tacul 77 Montblanc-Tunell 78 München 10–12, 25, 55, 60, 65, 115, 121, 139, 145, 192, 201 Neuchâtel 72 Neuhaus-Schliersee 116 Neukirchen 57 Neumarkt 133 Niederlande 34 Nürnberg 121 Oberbayern 9 Oberperfuß 83 Oberstdorf 60 Obersulzbachtal 57 Ödsteinkante 41 Österreich 34, 58, 189 Ötztaler Alpen 168 Olymp 89 Ortler 47, 67, 81, 201 f. Ortlerferner 202 Ostalpen 75, 80 Paris 77, 107, 158 Pasterze 49 Pic Carré 107 f. Pic du Quairat 107 f. Pilatus 66 Pilsen 201 Pitze 168 Pitztal 168

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Plassen 62–64 Pordoijoch 142–144 Prag 95, 201 Prager Hütte 94–96 Pyrenäen 106–108 Realp 51 Regensburg 86 Reiteralpe 27 Reuß 177, 182 Rhone 21, 26 Rigi 183–185 Rom 19, 121 Rudolfshütte 192, 194 Salmhütte 80 Salzburg 57 f., 133, 201 Salzburger Land 161 Samedan 124 Sankt Sigmund 20 Savoyen 23 Schaffhausen 174 Schlattenkees 95 Schliersee 116 Schöllenen 177, 181 Schreckhorn 174 Schwarzensteinkees 165 f. Schweiz 34, 51, 55, 66, 72, 75, 98, 113, 141, 143 Semmering 188 Solothurn 73, 159 Sonklarspitze 134 Steiermark 45, 47 Stubaier Alpen 134 Südtirol 178 Sulden 201 Suldenferner 202 Suldental 201 Taconna(z)-Gletscher 151 Tauern 75

Tauernmoossee 193 Tauerntal 96 Teufelsbrücke 177, 181 f. Thüringen 156 Tirol 9, 19, 37, 67, 83 f., 127, 140, 146, 168 Totenkopf 193 Trauneralm 74 Tremola 177 Triest 188 Triglav 67 Twerrenbrücke 177 Udine 187 Unteraargletscher 72 f. Uri 177, 182 Urner Loch 177 Vallée Blanche 77 Venedig 57 Venediger 52 f., 56-58, 75, 94, 117 Verona 182 Vierwaldstätter See 184 Vitznau 184 Vordernberg 46 Wallis 26 Watzmann 29, 42-44 Weißsee 192-194 Westalpen 72, 75, 77 Wien 13, 20, 41, 64, 121, 133, 155, 166, 168, 201 Winterthur 185 Zaytal 201 Ziller 165 f. Zillergrund 178 Zillertal 140 f. Zillertaler Alpen 166, 178 Zuckerhütl 133-135 Zürich 34, 181 Zugspitz, Zugspitze 67

SACHEN Abend 27, 34, 68–70, 136 f. Abendrot 70 Abfahrt 128, 197 Abgrund 54, 62, 98, 119, 149, 154, 157–159, 163 Abhängigkeit 93 Abseilen 88 Abstieg 88–90, 100–102, 204 Älpler, Älplerin 22 f., 34 f., 138; s. auch Sennerin Älpler, Kultur der 22 f., 66, 75, 138, 140 Aggression, Aggressivität 128, 196 Ahnung 147 Alleingänger s. Bergsteigen, führerloses Allegorie 58, 82 Alltag, alpinistischer 11, 76 f., 104, 109–111 Alm 74 f.

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Almhütte 23, 37, 57, 71, 74 f., 122, 138 Almwirtschaft 74 Alpe s. Alm Alpe, verfluchte 156 Alpenforschung 34, 73, 88; s. auch Wissenschaft der Gebirge Alpenglühen 89 Alpenpflanzen s. Blumen, Pflanzen Alpenverein 10–14, 27, 75, 87, 95, 136, 144 Alpenvereinszeitschrift 141, 168 f., 196 Altar 46, 86 Alte Welt 22, 96 Andacht 28, 46, 49, 168 Angst 16 f., 34 f., 52 f., 131 f., 163 f., 185 Angstlust 154

Anthropologentag 66 Antike 18, 138 Apathie 58, 163 Apologetik 164 Arbeiter 188, 194 Aristokratie 57, 80, 92 f., 119 Astronomie 34, 82 Aspekt 10 f., 146 Aufklärung 17, 29, 34, 58, 119 Aufmerksamkeit 25 Aufstieg 59, 100, 127–129, 148, 158 f., 204 Augenmensch 18 f., 60 ausgesetzt 130–132 Ausrüstung 49, 76–78, 97–99, 103–111, 125, 199 Aussicht 43, 57, 95, 161 Aussichtsbank 116 f. Auto, Automobil 74, 115, 182, 188, 196 f. Autobahn 20, 181 Axt 33, 80 Bachbett 196 Ballon 40 Bannwald 190 Baracke 188, 194 Barometer 44, 80 Bart 49, 133 Basislager 75 Bauer 84, 98 Baum 15 f., 27 f., 31, 46, 89 Baumgrenze 65, 89 Begehren s. Sexualität Behaglichkeit 68–70, 204 f. Bekleidung 24, 28, 40, 55, 60, 63, 65, 69, 73, 77, 92, 103 f., 107–111, 119, 128, 136, 138, 168 Bergbahn 183–185 Bergbauernhof 146, 190 Bergbeleuchtung 66 Bergfeuer s. Feuer Bergführer s. Führer Berghaken s. Hakenstock Bergkrankheit 58 Bergkulisse 146, 149 Bergmaler 113 Bergmann 33, 46 Bergnamen 83 f. Bergnot 67 Bergreise, Bergreisender 18, 71, 77, 87, 93, 98, 102, 107, 114, 122, 137 f. Bergschrund 77, 131, 163 Bergsteigen, führerloses 93, 105 Bergsteigerfriedhof 41 Bergstock 28, 35, 43, 57, 72, 77, 80, 92, 96, 99–104, 107 f., 116, 119, 122, 154, 179 Bergsucht 12, 104 Bergtechnik 17, 93, 97, 99, 123; s. auch Praxis Bergtheologie 47, 171 Bergtod 41, 142–144 Bergwanderer s. Wanderer Beschreibung 11 f., 19, 33, 107 Betbank 28

Beton 193 f. Beute 88–90, 98, 101, 153 Bildinschrift 22 Bildstock 27–29, 43 f., 140 Bildtitel 13, 24–26, 48 f. Bittgang 167–169 Biwak 71–73, 76–78 Blasphemie 47 Blick aus dem Bild 123, 140, 156, 168 f. Blick des Bildbetrachters 22, 31, 36–38, 158, 166, 196 Blick vom Berg, auf den Berg 19 f., 38–41, 52, 57, 63, 100–102, 113, 119, 131, 137, 153, 161, 190 f. Blitz 47 Blitzableiter 45–47 Blumen 64, 85–87, 139 f., 156, 174 f. Blut 156 Bosheit 147, 161 Botanik 64, 85–87, 92, 114 Botanisiertrommel 92 Bote 177 Brandschatzung 146 Brot 51 Brücke 146, 181 f. Bürger, bürgerlich, Bürgertum 22, 43, 57, 63, 66, 87, 98, 102, 119, 137 Buße 47 Butterstampfen 23 Cartellino s. Bildtitel Chaiselongue 92 f. Dämmerung 34 Demokratie, Demokratisierung 58, 132 Depression 15, 19 deutschnational 66 Diebstahl 90 Dinge 44, 105 Diskurs 153 Distanz, historische 20 Distanz, kulturelle 20 Distanz, soziale 63, 92, 96 Dorf 31, 89, 173 Drache 33–35 Dritte Welt 96 Ebene 33 Edelweißpflückerin 87 Ehe 138 Ehrfurcht 29 Eidechse 35 Eile 100–102 Einfalt 140 Einheit 66 Eis 165 f., 170–175 Eisenbahn 115, 186–188, 193 f. Eispickel s. Pickel Eissee 168 Eiszapfen 150 Ekel vor Bergen 19

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Elefant 115–117, 198–200 Eleganz 100, 102 Emanzipation 93 Emotion s. Gefühl Empfindung s. Gefühl Emphase 184 Energiegewinnung 192–194 Entchristlichung 47 Entstellung 115 f. Erbe, kulturelles 140 Erdbeeren 173–175 Erdkugel 83 Erfolg 9, 135, 152, 158, 204 erhaben, Erhabenes 199 f. Erkenntnis 72, 114 Ernährung 89, 110 Erschlaffung 111 Erschöpfung 116 Erschrecken s. Schreck Erstersteiger, Erstersteigung 29, 40, 43, 47, 56–58, 67, 72, 75, 80, 83, 106 f., 117, 157 Ex libris 11 Fahne 46, 58, 65 f., 72, 78, 158, 168 Fahrstraße s. Straße Familie 22, 43 Farbe, Farbtöne 165 f., 178, 186, 190, 196 Fehltritt 100 Feldflasche 199 Felssturz 177 Fernglas 43 f. Festinszenierung 66 Feuer 23, 65–67, 77, 80, 89, 146 f. Fliegen 161 Fluß 21, 37, 172, 174 Folklore, Folklorismus 137, 139–141 Fortschritt 115 Fortuna 203–205 Fotografie 50, 113, 128, 131, 148 Fragment 112–114 Frau 23, 39–44, 69, 121–123, 131, 136–141 Freiberg 156 Freiheit 66, 80, 161, 188 Freiheitskampf, Tiroler 146 Frevel 57, 156, 158 Frömmigkeit 28, 43 f., 47, 137, 140, 167–169 Fruchtbarkeit 171 f., 174 Führer 22, 40, 43, 48–51, 63, 69, 77 f., 89 f., 106– 108, 112–114, 133 f., 159 führerlos s. Bergsteigen, führerloses Funkenfeuer 66 Fußstapfen 52, 131 Galerie 176 f., 187 Gamaschen 77, 110 Gasthaus 20, 110 Gebärde 11, 110 f., 168, 179 Gebärde, kulturelle 47 Gebet 29, 43, 46, 48–50, 146, 159, 168, 180 Gebildete 19, 23, 128, 182

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Gedenktafel 194 Gefahr 98 f., 118, 132, 204 Gefühl 19, 40, 50, 65, 118–120, 129, 135, 141, 154, 161, 163 f., 191 Geheimnis 16, 55, 67, 86, 120, 158, 179 Gelände, kombiniertes 125 Gelassenheit 40 Gelingen s. Erfolg Gelübde 43 Gemse 98, 155 f. Gemsjäger 16, 67, 71, 88, 97–102, 118–120, 153 f. Genremalerei 122, 139 Genuß 117 Geographie 114, 146 Geologie 64, 114 Geometrie 83 Gerät 44 Gerücht 158 Gesicht 128 Gesundheit 117 Gewandtheit 98, 100 Gewehr 101, 119 Gewissen 16, 47, 87 Gewitter 147 Gewöhnung 110, 185 Gipfel 22, 38, 40, 42–53, 56–59, 62, 65, 72, 77, 89, 98, 123, 129, 133, 153, 158, 161, 180, 183, 204 Gipfelfeuer 67 Gipfelkreuz 44–50 Gipfelkreuzeinweihung 45–47 Gipfelpyramide 44 Gipfelritual 60 Gipfelszene s. Szene Gipfelzeichen 58 Glaube s. Frömmigkeit Gleichgewicht 98, 131 Gletscher 11, 24–26, 62, 71–74, 77, 80, 95, 101, 103, 113, 125, 148–151, 165–175, 190, 202 Gletscherspalte 25, 57, 77, 149 Gletscher-Technik 168 Glorifizierung s. Idealisierung Glück, Glücksgefühl 20, 198–200, 203–205 Gottesdienst 168 Gott-Losigkeit 17, 29 Grabkreuz 142–144 Grat 43, 52, 130–132, 163 Groteske 50, 84, 91, 115, 147 Händefalten 49 Hängematte 80 Hakenstock 77, 92 Hammer 99 Handgriff 93, 110, 159 Handschuh 92, 140 Heil, ewiges 159 Heiligenbild 28 Heldenideologie 55, 143; s. auch Ideologie Herbar 86 Herbst 15–17, 144 Herd 23, 80

Herr-Knecht-Dialektik 93, 106–108 Herrin der Tiere 156 Heu, Heuarbeit 37, 91–93 Heubündel 91–93 Heuhütte 37 Hilflosigkeit 150, 156 Himmelsrichtung 37 f. Hirt 23, 40, 44, 71, 84, 98 Höhenfeuer 66 Höhenlinie 38 Höhenmessung 44, 57 Höhenunterschied 71, 75 Höhle 35 Hofnarr 140 Holzarbeiter 33 Hotel 72, 183 f., 192 Hütte 11, 26, 68 f., 71–73, 75, 79–81, 89 f., 94–96, 103 f., 110, 150, 166, 192, 194, 197, 200 Hüttenwirt 95 f. Hund 92 f. Hunger 90 Hut 28, 35, 43, 49, 63, 65, 69, 77, 92, 96, 101, 113, 116, 119, 122, 133, 168, 180, 204 Hygiene 110 Ich-Liebe s. Selbstliebe Idealisierung 113, 137 Identifikation 119 Ideologie 137; s. auch Heldenideologie Idylle 21–23, 55, 70, 116, 193 Ikone 49 Individuum 128 Ingenieur 187, 194 Inschrift 41, 140, 143 Intellektuelle s. Gebildete Interesse 11, 16 f., 23, 27 f., 86 f., 97, 105, 112, 129, 146, 149, 171, 178 f. Interessenkonflikt 90 Ironie 61, 72, 80, 86, 122, 184 Irritation 37, 60 f., 195–197 Irrtum 32, 183 Jäger 40, 43 f., 63, 84, 101, 118–120, 156, 161; s. auch Gemsjäger, Steinbockjäger Jägerstecken 92 Jahreszeit 174 Joch 89, 131, 140, 178–180 Jochkreuz 180 Jodeln 141 Johannisfeuer 66 Kabelkran 193 Kaltblütigkeit 98 Kar 16, 46 Karawane 51, 57, 77, 88, 90 Karikatur 35, 61, 117, 184, 199 Karren 20 Karte 36–38, 64, 83, 178 Kartographie 38 Kerze 46

Kieselstein 195 f. Kirche, Kirchturm 86, 89, 173, 184, 187 Klasse, soziale 63 Klettern 97–99, 106–108, 124–126, 150, 182 Kletterschuhe 108, 125 Knie, knien 28, 46, 125, 168 Knoten 110 Körper 29, 112–114, 117, 127–129 Körperbewegung 100–102, 112–114 Kolk 128, 143 Komik 199 f. Kommunikation 83 f., 93 Kondition, körperliche 17 Konkurrenz 99 Konzentrationslager 194 Kooperation 99 Kopie 122 Korrespondenz 86 Kraxe 63, 96, 122 Kreuz schlagen 180 Krieg 55, 81, 142–144, 146, 161 Krieg mit der Natur 55 Kristallsammler 98 Kruzifix 43, 45–47, 179 f. Küche 80 Künstler, Kunst 11, 13, 21 f., 64, 69 f., 87, 96, 110 f., 112–115, 131, 137, 139, 143, 146 f., 150, 159, 163 Kultur 161, 173, 187, 190 Kulturrevolution 16 f. Kunst, klassische 18 f. Kutsche 177 KZ-Häftling 194 Lämmergeier 98 Lärche 27 Landkarte s. Karte Landschaft 22, 36, 193 Langeweile 90 Langzeitversuch 72, 88–90 Laterne 25, 199 Laubkranz 6 Lawine 30–32, 56, 95, 149, 159 Lawinenmauer 95 Lebensweise, moderne 190 Leib 29, 72, 100, 127–129 Leiden 110 Leidenschaft 118–120 Leistung, körperliche 117 Leistung, kulturelle 123 Leiter 46, 77, 150 Licht 72, 80 Liebe 116, 137 f., 140 Liebe zu den Bergen 17 Lied 141 Luftdruck 72 Lust 88, 154 Männerphantasie 136–138 Maifeier 66 Maler 64

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Malerei, Geschichte der 28, 31 Mann 40, 49 f., 54 f., 69, 96, 119, 123, 126–129, 133–138 Marienbild 28, 43 Martinifeuer 66 Massentourismus 57, 87, 117; s. auch Tourismus Material 110 f. Mathematik 34, 82 f. Maulwurfshügel-Manier 37 Medizin 34, 114 Melancholie 19 Meßdaten 88 f., 114, 149 Messen 72, 89 Metaphysik 16 Meteorologie 16, 64, 114 Mikrobiologie 149 Mikroskop 149 Militär 46, 55, 142 Mißgeschick 183 Mißverständnis 83 f. Mode 40 f., 69, 92 Mond 65, 89 Monstranz 46 Moräne 25, 72 f., 166, 202 Morgen 24–26, 46, 48–50, 62, 65 f., 125, 160 Morphologie 202 Motiv, Motivation 118 f., 171 Motorfahrzeug 196 Müdigkeit 110 f., 137 Museum 10, 12, 27, 58, 144, 170 Mythos 155 f., 158, 202 Nationalsozialismus 66, 126, 194 Natur, abweisende, wilde 15–17, 19 f., 47, 52, 99, 134, 150, 171, 191 Natur, erhabene 76, 171 Naturforscher 64 Naturschutzbewegung 87 Naturwissenschaft 34, 72, 80, 87, 92, 149 f. Nebel 46, 52, 57, 130, 160, 183, 186 Neid 99 Nervosität 50, 126 Neugier 16 Neugierde, wissenschaftliche 34, 72, 86, 112 Niederlage 158 Niederschlag 44 Nivellierung 187 Obst 23 Obszönität 138 Ödnis 33, 51, 201 f. Öffentlichkeit 57 Ökologie 87, 156 Ökonomie 117, 140 f. Orientierung 98 Panorama 36–38, 64 Panoramablick 40 Paravent 77 Paß 20, 180 f., 197

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Passage 20, 131, 178–180 Passant 20, 177 Passion s. Leidenschaft Pathos 61, 65, 125 Pathosformel 101 Patriotismus 146 Perspektive 36–38, 195; s. auch Vogelperspektive, Satellitenperspektive, Zentralperspektive Pflanzen 10, 64, 85–87, 92, 140 Phantastik 115 f., 148 f., 155 Physik 34 Pickel 25, 40, 69, 77, 99, 125, 131, 133, 163, 199, 204 Pietät 28 Plünderung 80 Politik 66, 78, 119, 126 Pornographie 138 Porträt 10, 82, 105, 112–114 Praxis des Bergsteigens 105; s. auch Bergtechnik Predigt 46 f. Priester 46, 168 Projektion 138, 147 Proviant 23, 90, 104, 108 Psychogramm 114, 135 Rabe 202 Rätsel 119, 154, 191 Ranzen 63, 77 Raubbotanik 86 f. Rauch 145–147 Rauchen 35, 60, 133, 185, 204 Realitätssinn 151 Regenschirm 92, 108 Reklame 127, 139–141, 196 Religion 202; s. auch Frömmigkeit, Glaube Reliquie 104 Respekt 16, 29 Rettung 153 f., 162–164 Rettungsbild 159 Revolution des Blickes 38 Revolution, Französische 80 Ritual 66, 168, 179 Rodung 37, 190 Rosenkranz 137 Routine 93, 110, 131 Rucksack 24, 28, 60, 69, 103–105, 109–111, 116, 125, 128, 199 Rucksackdepot 125 Sänfte 23 Säumer 177 Sage 16, 34 f., 48, 57, 67, 92, 136–138, 155 f., 182 Saison 17, 48 Satellitenperspektive 36 f. Satire 35, 115, 117, 183 f. Sauberkeit 140 Schaf 23, 57 Schall 72 Scheitern 9, 110 Scherz 117, 140 Schicksal 204

Schlange 35 Schlitten 92 f. Schlucht 30, 89, 119, 177, 182, 187 Schlüsselstelle 125 Schmelzwasser 89 Schmerz 135, 164, 199 Schnee 16, 51 f., 117, 127–131, 143, 150, 163, 171, 186 Schneeball 30–32, 131 Schneestaub 31 f., 52, 149, 162 f. Schokolade 139–141 Schreck 33, 198 f. Schuh 24, 35, 92, 99, 101, 103–105, 108, 122, 125, 131, 199 Schutzhütte s. Hütte Schwäche, -anfall 90, 110 Schwarz-rot-gold 66 Schwindel, Schwindelfreiheit 39 f., 98, 132, 152–154, 156 Schwindeltheorie 154 Seele 16, 19, 29, 50, 113, 131, 147, 150 Segen 108, 168, 180 Sehnsucht 120, 138 Seil 25, 40, 49, 69, 77, 92 f., 99, 125, 131, 163, 198 f. Seilbahn 78, 194 Seilriß 158 Seilschaft 25, 131, 150, 162 f. Selbstliebe 17 Sennerin 121–123, 136–138 Sensationsverlangen 163 Sensibilität 128 Sentimentalität 156 Sérac 149 Seßhaftigkeit 38 Sexualität 137 Sicherung 125, 131 Siedlung 31, 37 Sieg 10, 54 f., 109 f., 126, 129, 158 Sinnbild 58 Skepsis s. Zweifel Ski 59–61, 127–129 Skibergsteigen 59–61, 127–129, 143, 182 Skistock 59 f., 128 Skizzenblock, -buch 44, 63, 178 Soldat 55 Soldatengrab 142–144 Solidarität 99 Sommer 68, 75 Sommerfrische 116 Sonne 19, 46, 52, 54, 58, 60, 62 f., 77, 95, 125, 136, 143, 149, 160, 174 Sonnenaufgang 49, 59–61, 65, 183–185 Sonnenuntergang 27, 68 f. Sonntag 43 Sonnwendfeier 66 Soziogramm 94–96 Sport 129 Sportmode 40 f. Spott 35, 86, 184, 188 Springwurm 33 Sprung 153 f.

Spur 51–53, 128, 131 f., 136, 138, 143, 163, 190 Städter, städtisch 23, 48, 50, 63 f., 69, 98, 108, 119, 141, 168 Staffage, Staffagefigur 22, 28 Stand 163 Stange 34, 73 Staumauer 192–194 Stausee 192–194 Steigeisen 99, 101, 103–105, 131 Steinbock 98 Steinbockjäger 16, 97–99, 118–120 Steinmann 44, 133–135, 204 Steinsäule 47 Steinschlag 198–200 Stimmung 11, 15, 24, 26, 202 Stimmung, kulturelle 19, 23 Störung 60, 70, 135 Stofflichkeit 111 Stollen 194 Stollenwurm 33 Strafe 155 f., 158 Straße 15, 37, 89, 177, 181 f., 188, 196 Strick s. Seil Stube 20, 51 Stuhl 96, 103 Sturm 130–132, 143 Sturz 41, 55, 102, 105, 132, 152–154, 156–159, 162–164, 200, 203–205 Sturzbild 158 f., 162 Sturzforschung 164 Supermarkt 175 Symptom 87 Szene 22, 28, 31, 46, 49 f., 63, 66, 68, 91, 95 f., 98, 111, 115 f., 122, 126, 128, 137 f., 140, 146, 149, 153 f., 169, 189 Tabakspfeife 35, 60, 69 f., 185 Tagebuch 88 f. Tagtraum s. Traum Technik 167 f., 193 f. Temperatur 72 Tempo 100, 102 Tendenz 23, 29, 87, 92, 115, 138, 141, 153, 164, 176 Teufel 182 Teufelsbrücke 181 f. Theaterkulisse 92 Theatralik 61 Theologie 171; s. auch Bergtheologie Thermometer 44, 80 Tier, tierisch 20, 23, 31, 115 f., 121 f., 155 f., 167, 177, 182, 190, 199, 202 Tier, heiliges 155 f. Tod 52, 56, 105, 142–144, 146, 153–159, 162–164; s. auch Bergtod Topographie 11, 27 f., 36, 179, 202 Totengedenktag 144 Tourismus, Tourist 43 f., 48, 67, 69, 74, 115–117, 122, 133, 141, 184; s. auch Massentourismus Tracht 65, 92, 116, 140, 153 Tradition 29, 43, 66, 141

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Träger 63, 90, 107 f., 123, 177 Tragödie 158 Training 117 Traum 35, 78, 118–120, 135, 148–151, 163 Treue 140 Triangulation 34 Tunell 78, 176 f., 181, 188, Typus 43, 101 f., 105, 126, 128 Überforderung 131 Überschienung 188 Umfrage 34 Umtrunk 63 Umweg 9 Umwelt 167 Unbewußtes 11, 50, 120, 147 Unglück 34, 56, 157, 163 f., 198–200, 203–205 Unheil 146 Uniform 55 Unrat 116 Unrecht, Ungerechtigkeit 146 f., 156, 194 Unspunnenfest 66 Unterwerfung 134 Unwirtlichkeit 20, 201 Vedute 10 Vegetation 33, 71, 122 Verbandszeug 80 Verfremdung 115 f. Verfügbarkeit 66, 159, 184 Verführung 140 verirrt 57 Verkehr 197 Verkehrsschild 196 Vermessung 34, 38, 73, 82–84 Vermessungsoffizier 34, 142 Vermessungszeichen 34, 73 Versagen 126 Verschiebung, historische 19 Verschönerungsverein 116 versteigen 57 Versteinerung 34 Verstimmung, kulturelle 19 Vexierbild 50 Viadukt 187 f. Vieh 34, 74, 174 Viehtreiber 177 völkisch 66 Vogelperspektive 37 f. Volksfrömmigkeit 50 Volksleben s. Folklorismus Vorsteiger 125 f. Vorurteil 131 Votivbild 32, 159 Wächte 52, 58, 163 Wächtenbruch 159, 162–164 Wagen 20

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Wahn 159 Wahrheit 30–32, 50, 92 Wahrnehmung 34, 38 Wald 16, 27 f., 37 f. Wallfahrer, Wallfahrt 43, 48, 167–169 Wanderer 28, 35, 69, 179 f. Ware, kulturelle 139–141 Wasser 170–172 Wasserfall 74, 170–172 Weg 20, 33, 71, 75, 140, 173, 179 f., 182, 197 Wegkreuz 180 Weide 37, 74 Wein 51, 62–64, 96, 104 Weinflasche 63, 73, 77 f., 96, 104, 108, 116, 204 Weltkrieg, Erster 55, 140, 142–144 Weltkrieg, Zweiter 10, 115, 142 Werbung s. Reklame Wetter 47, 89, 94, 98, 130, 179 Wetterbaum 46 Wetterbeobachtung 34, 64 Wetterstation 43 f. Widerspruch 143 Wiese 15, 37, 81, 140, 143 Wildbach 146, 168 Wildheuer 136–138 Wildnis 29, 173 Wind 72 Wintersport 88 Wirtshaus s. Gasthaus Wißbegierde 34, 129, 153 Wissenschaft, Wissenschaftler 34, 40, 43 f., 57, 64, 71–73, 88–90, 112, 114, 119 Wissenschaft der Gebirge 114 Witz 117, 199 f. Wolken 16, 46, 52, 61 f., 91, 122, 130, 143, 145, 147, 153, 160 f., 179, 196, 202 Wolkengloriole 202 Wolkenkratzer 40 Wolkenriß 161 Wunde 156 Wunschbild 50, 114 Wurzelgräber, -sammler 87 f., 98 Zeitung 46, 57 Zelt 72, 89 f. Zentralperspektive 37 Zergliederung 112–114 Ziege 23 Zigarre 133 Zivilisation 87, 89, 115, 187, 189–191, 194 Zlatorog 155 f. Zorn Gottes 47 Zufall 10 Zukunft 22, 29 Zwangsarbeiter 194 Zweifel 31, 34 f. Zwiesprache 11 Zylinderhut 63