Betrachtungen des Todes: Formen und Funktionen der ›meditatio mortis‹ in der europäischen Literatur des 17. Jahrhunderts [Reprint 2012 ed.] 9783110950786, 9783484365902

This comparative study places literary meditation on death in the context of the emergence of a 'meditative concept

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German Pages 469 [472] Year 2004

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Betrachtungen des Todes: Formen und Funktionen der ›meditatio mortis‹ in der europäischen Literatur des 17. Jahrhunderts [Reprint 2012 ed.]
 9783110950786, 9783484365902

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Forschungsvorhaben und Forschungsstand
2. Im Zeichen der Suche nach dem meditativ-lyrischen Ich
3. Selbst-Sichten mit betrachtendem Blick auf den Tod
3.1 Meditation und Gewissen
3.2 Anatomisches Gewissens-Spektakel: Selbstentfremdung und Selbstentdeckung in den Bildern des Todes
3.3 Selbst- und Zeitwahrnehmung in der meditatio mortis
3.4 Curiositas: Meditative Selbsterforschung und meditatio mortis als Gefahr
4. Résumé und Ausblick
Auswahl meditativer Gedichte (in der Reihenfolge ihrer Interpretation)
Quellen- und Literaturverzeichnis
Namenregister

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Frühe Neuzeit Band 90 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt

Stephanie Wodianka

Betrachtungen des Todes Formen und Funktionen der >meditatio mortis< in der europäischen Literatur des 17. Jahrhunderts

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2004

Ausgezeichnet mit dem Dissertationspreis der Justus-Liebig-Universität Gießen 2002/03. Die Drucklegung wurde finanziert durch den Gießener SFB 434 »Erinnerungskulturen«.

Über Betrachtungen des Todes freuen sich nur die im Jenseits. Deshalb ist dieses Buch dem Andenken meiner Großeltern Elisabeth und Heinrich Wodianka gewidmet.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-36590-0

ISSN 0934-5531

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004 http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Vorwort Schöne Gedanken lassen sich an Vergänglichkeit und Jenseits knüpfen. Dennoch bin ich froh, dabei sehr menschlich-diesseitige Begleiterinnen und Begleiter gefunden zu haben, bei denen ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte. Die Untersuchung ging aus dem von Prof. Dr. Gerhard Kurz geleiteten Teilprojekt »Individualisierung der Erinnerung in der meditativen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts« des Gießener Sonderforschungsbereichs 434 »Erinnerungskulturen« hervor. Die Diskussionen in diesem Forschungskontext waren für die Idee und Entwicklung der Arbeit maßgeblich. Auch die zahlreichen Forschungsaufenthalte in Bibliotheken des In- und Auslandes sowie die Finanzierung der Drucklegung wären ohne diese Einbindung nicht möglich gewesen - für die großzügige Unterstützung bin ich dem SFB sehr dankbar. Besonders danken möchte ich dem Leiter des Teilprojektes und Betreuer meiner Dissertation, Prof. Dr. Gerhard Kurz, durch den mein Interesse für die meditative Literatur der Frühen Neuzeit geweckt wurde. Er hat als kritischer und ermutigender Ratgeber viele Weichen meines Studiums und dieser Untersuchung gestellt. Prof. Dr. Dietmar Rieger und Prof. Dr. Günter Oesterle haben mich durch Gespräche, Ideen und Gutachten nicht nur auf Durststrecken beflügelt. Auch bei ihnen möchte ich mich herzlich für ihre Begleitung und Unterstützung bedanken. Mein Dank geht auch an Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann und Prof. Dr. Friedrich Vollhardt, ohne deren Hinweise mir vieles entgangen wäre. PD Dr. Manfred Koch danke ich für seine Hilfe in Bezug auf diese Arbeit und dafür, dass er mich immer in meinen komparatistischen Interessen bestärkt hat. Er sowie Dr. Günter Butzer, Dr. Bettina Bannasch und Dr. Joachim Jacob haben das Arbeiten an den »Betrachtungen des Todes« nicht nur besser, sondern auch angenehmer gemacht. Ihre Anregungen und Rückmeldungen haben mir an entscheidenden Stellen den Weg gewiesen - dafür möchte ich ihnen herzlich danken. Bedanken möchte ich mich auch bei Dr. Barbara Thums, Dr. Almuth Hammer, Dr. Christian Senkel, Dr. Harald Tausch, Susanna Lulé, Cornelia Bartels, Christoph Neuhoff und Dagmar Krauße für ihre ebenso gesellige wie wissenschaftliche Unterstützung an langen Gießener Abenden. Sehr dankbar bin ich für die Förderung durch das Cusanuswerk, das im dritten und letzten Promotionsjahr die konzentrierte Weiterarbeit gewährleistet und mir darüber hinaus einen wertvollen Diskussionsrahmen geboten hat. Ebenso wichtig für die Fertigstellung der Arbeit war ein insgesamt sechsmonatiges Stipendium der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, durch das ich von den Bibliotheksbeständen,

VI aber auch von den vielfältigen Diskussionsmöglichkeiten der Forschungseinrichtung profitieren konnte. Mein besonderer Dank geht an dieser Stelle an Dr. Gill Bepler, Prof. Dr. Cornelia Niekus Moore, Dr. Udo Thiel, Dr. Claudia Benthien, Dr. Alexander Bitzel, Dr. Patrizia Carmassi und Jun.-Prof. Dr. Ursula Kundert, deren Anregungen und kritische Nachfragen ich sehr geschätzt habe. Für die Erstellung des Registers danke ich Nassrin Sadeghi. Die gründlichen Korrekturen von Cornelia Bartels, Dagmar Krauße und Susanne Sehr haben vieles gerade gerückt und so manches Unheil verhindert - auch ihnen gilt mein herzlicher Dank. Für die jenseits der Betrachtungen des Todes liegenden Anregungen und Motivationen danke ich Prof. Dr. Dietmar Rieger und meinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Romanistik sowie Dr. Astrid Erll, mit denen ich gerne den Blick über die Vier letzten Dinge hinaus richte. Meinen Eltern danke ich für alle ideellen und materiellen Grundsteinlegungen. Ohne Matthias hätte ich manchmal das Wichtige aus den Augen verloren. Ohne ihn und den kleinen Leopold wäre es auch nicht so schön, diese Arbeit fertig zu haben. Gießen, im März 2004

Inhaltsverzeichnis 1. Forschungsvorhaben und Forschungsstand 1.1 Ziele und Vorgehensweise 1.2 Individualität, Erinnerung und Todesbetrachtung in der meditativen Literatur des 17. Jahrhunderts - Begriffsklärungen 1.3 Geschichte und konfessionelle Ausprägungen der Meditation 1.3.1 Traditionen und Entwicklungen bis zur Reformation 1.3.2 Die Meditation des späten 16. und 17. Jahrhunderts: zu Konfessionsspezifika und Krisendiskussion 1.3.3 Zur Geschlechtsspezifik der Meditation 2.

3.

Im Zeichen der Suche nach dem meditativ-lyrischen Ich 2.1 Unter dem Vorzeichen >unlyrischer Lyrik< 2.2 Andacht zwischen lyrischer inventio und rhetorischem Inventar 2.3 Meditation in der Lyrik des 17. Jahrhunderts: Struktur, Methode und Inspiration 2.4 Die Ebenen meditativer Lyrik - meditative Lyrik als Medium der Selbstthematisierung 2.5 Das meditativ-lyrische Ich Selbst-Sichten mit betrachtendem Blick auf den Tod 3.1 Meditation und Gewissen 3.1.1 Das meditative Gewissen: »zerbrochenes Herz« und »témoignage à soy« als »main business« 3.1.2 Drei Dimensionen der Selbstthematisierung: Sündengefühl und Erinnerungshölle, Distanznahme und Innensicht, Selbstbetrachtung mit doppeltem Boden 3.2 Anatomisches Gewissens-Spektakel: Selbstentfremdung und Selbstentdeckung in den Bildern des Todes 3.2.1 Meditative Mehrstimmigkeit: der mitgesprochene Tod 3.2.1.1 Doppelte Sprechsituation, »Psalmodie intérieure« und Anatomie der Seele 3.2.1.2 Bespiegelung im entstellten Selbst-Bild 3.2.2 Verkörperte Selbsterinnerung am Kreuz der Meditation: der mitgelittene Tod

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Vili 3.2.2.1 Körper-sprachliche Grenzverwischung im betrachtend aneignenden Mitleiden 3.2.2.2 Die Passion des Gewissens auf der Bühne der Meditation 3.2.2.3 Compunctio am eigenen Leibe: der Karten-Körper der Passion 3.2.3 Zwischenbilanz 1 3.3 Selbst- und Zeitwahrnehmung in der meditatio mortis 3.3.1 »Verbündniß« und »Zertrennung«: meditatio mortis als meditatio individualitatis 3.3.1.1 »Unausleschliche Erinnerung« der »GewissensKette« . 3.3.1.2 Sorge um das »Tout précieus« und die »einzele Besonderheit« - Dekomposition und Komposition im Panoramablick 3.3.1.3 Meditation gegen Verwirrung, Verwechslung und Vergessen: Der auf den Lippen getragene Tod in Testament und Epitaph 3.3.1.4 Zwischenbilanz II 3.4 Curiositas: Meditative Selbsterforschung und meditatio mortis als Gefahr 3.4.1 Die Feindin der memoria 3.4.2 Gewissen, Tod und Richard Burtons »Anatomy of Melancholy« 3.4.3 Neugieriges (Selbst-)Betrachten, Stehenbleiben auf dem Weg der Meditation und Erinnerungsstörung 3.4.4 »II me plaît [...] de voir esteindre ma vie« die Lust der Selbstbetrachtung im Tod 3.4.5 Erinnerungsstörung mit doppeltem Boden: Tod und Gewissen als Betrachtungs-Fixpunkt 4.

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Résumé und Ausblick

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Auswahl meditativer Gedichte

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis

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Namenregister

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1.

Forschungsvorhaben und Forschungsstand

1.1 Ziele und Vorgehensweise Mit der Frage nach Formen und Funktionen der literarischen Todesmeditation bewegt sich die vorliegende Untersuchung im Rahmen einer thematischen Untergruppe der religiösen Meditation, die zunächst nur mit dem im 17. Jahrhundert fast allgegenwärtigen Topos der Vergänglichkeit von Interesse zu sein scheint. Man könnte zunächst vermuten, dass diese morbide anmutenden Texte kaum mehr als formal-funktionale Selbstverwerfungs-Bekundungen und somit >todlangweilig< sind. Frühneuzeitliche Betrachtungen des Todes - so möchte ich zeigen - reihen sich jedoch nicht nur in die Tradition des vamtas-Gedankens ein, sondern bergen auch ein Potential, das individuelle Selbstthematisierung und Selbsterinnerung initiiert und darüber hinaus auch einen Rahmen bietet, Individualitäts- und Identitätsbewusstsein literarisch zum Ausdruck zu bringen. Diese Deutungsvariante wird plausibel, wenn die Todesmeditation bzw. die Bildlichkeit des Todes in der Meditation in ihrem Zusammenhang mit der Herausbildung eines neuen und mit der Verbreitung der Meditationspraxis in enger Verbindung stehenden Gewissenskonzeptes gesehen wird: Todes- und Selbstbetrachtung und deren Verhältnis zueinander stehen deshalb im Zentrum dieser komparatistischen Studie. Dabei zielt das Interesse der Arbeit auf die literarische Gestaltung der Meditation - diese wird dabei nicht als Gattung verstanden, sondern als Textstruktur aufgezeigt, die verschiedene Gattungen und Textsorten prägen kann. Der kulturgeschichtliche Zusammenhang von Todesbetrachtung und Gewissen ist im Hinblick auf drei Aspekte für die Fragestellung der Untersuchung relevant. Zum einen wird im Rahmen der meditatio mortis und der Betrachtung der Vier letzten Dinge erinnernde Selbstthematisierung im Sinne der Gewissenserforschung als Verpflichtung institutionalisiert. In der Todesbetrachtung wird ein Akt der Selbsterinnerung evoziert, der - auch im Rahmen eines konventionellen, überindividuellen Musters für den Meditierenden die Möglichkeit bietet, ein Bewusstsein für die eigene individuelle Geschichte zu entwickeln und die Todesbetrachtung zum Ausgangspunkt zu nehmen, um das eigene Ich zum Thema der Meditation zu machen.1 Die meditatio

Vgl. auch Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Aus dem Frz. v. Hans-Horst Henschen und Una Pfau. München / Wien 1980 (Frz. >1978), S. 254.

2 mortis ist eine Meditation über das eigene Leben, bei der sich der Meditierende aus der Perspektive des meditativ ins Leben vorverlegten Todes als für sein persönliches Heil verantwortliches Individuum ins Blickfeld rückt. Die Bedeutung der Gewissenserforschung für lebensgeschichtliche Selbsterinnerung ist in der Forschung bereits mehrfach diskutiert worden. 2 Die meditatio mortis wird dabei jedoch meist in die Tradition des selbstverwerfenden und rollenhaften memento mori gestellt, die jegliche individuelle Selbstthematisierung von vornherein unmöglich mache. Der Arbeit liegt hingegen die Überzeugung zugrunde, dass sich Individualität und Rollenhaftigkeit, Subjektivität und rhetorisch-didaktische Intention nicht ausschließen. Der Einzelne soll sich im 17. Jahrhundert zwar als Träger einer Rolle verstehen und er verleiht diesem Selbstverständnis (z.B. als der Vergänglichkeit unterworfener Mensch, als Christ, als Gläubiger) in der Todesmeditation auch Ausdruck, er kann und soll sich aber dennoch der Wichtigkeit des zu verantwortenden individuellen Umgangs mit dem Tod im Rahmen seiner Rolle bewusst bleiben. Die Erkenntnis überindividueller Sterblichkeit kann individuelle Beschäftigung mit dem eigenen Tod und Leben initiieren, und umgekehrt kann die Meditation über den eigenen Tod in die Erkenntnis überindividueller Vergänglichkeit münden. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass sich der Einzelne im 17. Jahrhundert ebenso wenig wie heute ausschließlich als Träger einer Rolle oder ausschließlich als Individuum versteht, setzt sich die Studie zum Ziel, die Todesbetrachtung unter neuen Vorzeichen zu untersuchen. Als zweiter wichtiger Aspekt ist neben dieser selbstbetrachtenden Retrospektive der Todesmeditation aber auch die Prospektive und der Gesamtüberblick von Inter-

Wemer Mahrholz: Deutsche Selbstbekenntnisse. Ein Beitrag zur Geschichte der Selbstbiographie von der Mystik bis zum Pietismus. Berlin 1919; Dietrich Rössler: Der »ganze« Mensch. Das Menschenbild der neuen Seelsorgelehre und des modernen medizinischen Denkens im Zusammenhang der allgemeinen Anthropologie. Göttingen 1967, S. 209; Walter Spam: Dichtung und Wahrheit. Einführende Bemerkungen zum Thema: Religion und Biographik. In: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie, Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge. Hg. v. Walter Sparn. Gütersloh 1990, S. 11-29, S. 15; Volker Drehsen: Lebensgeschichtliche Frömmigkeit. Eine Problemskizze zu christlich-religiösen Dimensionen des (auto)biographischen Interesses in der Neuzeit. In: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie, Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge. Hg. v. Walter Spam. Gütersloh 1990, S. 33-62; Alois Hahn: Identität und Selbstthematisierung. In: Selbstthematisierung und Selbstzeugnis: Bekenntnis und Geständnis. Hg. v. Alois Hahn und Volker Kapp. Frankfurt a.M. 1987, S. 9-24; ders.: Zur Soziologie der Beichte und anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse: Selbstthematisierung und Zivilisationsprozess. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 34 (1982), S. 407^134; ders. / Herbert Willems: Wurzeln modemer Subjektivität und Individualität. In: Individualität. Hg. v. Karl Eibl und Marianne Willems. Hamburg 1996 (Aufklärung 9), S. 7-37, S. 8; Philippe Ariès: Geschichte des Todes, S. 254; Hans-Rudolf Velten: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1995, S. 213; Gerd Birkner: Heilsgewißheit und Literatur. Metapher, Allegorie und Autobiographie im Puritanismus. München 1972 (Geschichte und Theorie der Schönen Künste 18), S. 160ff.; Edith Feistner: Zur Semantik des Individuums in der Beichtliteratur des Hoch- und Spätmittelalters. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 115 (1996), H. 1, S. 1-17.

3 esse, d.h. die den zukünftigen Tod erinnernde, Zeit und Über-Zeitlichkeit umfassende Selbst-Sicht als Individuum. Es ist zu fragen, inwiefern in der meditatio mortis die betrachtende, selbsterinnernde Auseinandersetzung mit Definition und Erhaltung der eigenen Individualität über Tod und Zeit hinaus von Bedeutung ist. Die Meditation über den eigenen Tod legt die Reflexion nahe über das postmortale Schicksal des im Tod getrennten Paares von Leib und Seele, über die Teilbarkeit der eigenen Individualität und über das, was die eigene Individualität und Identität ausmacht. Noch ein dritter Untersuchungsstrang zum Verhältnis von Todes- und Selbstbetrachtung als Rahmen für Individualität und Erinnerung im 17. Jahrhundert ergibt sich für diese Arbeit. Die in den Bußpsalmen und der Passion Christi vorgezeichnete Beziehung zwischen Sünde und Tod3 wird in der meditativen Literatur unseres Untersuchungszeitraumes zum Anlass für ein Spiel mit dem Verhältnis von physischen und psychischen Zuständen - Sünde und Anfechtung werden in Bildern physischen Schmerzes und körperlichen, tödlichen Verfalls dargestellt. Die Studie geht der Frage nach, inwiefern dabei das (metaphorische) Sprechen des meditierenden Ich über Krankheit und Tod, über Sünde und Heil als Phänomene zwischen Körper und Geist, zwischen Identität und körperlich-seelischer Selbstentfremdung im Sinne individuell-erinnernder Selbstthematisierung zu deuten ist.4 Es ist zu vermuten, dass meditative Verinnerlichung und An-Eignung des Bibelwortes die Nutzung der biblischen Bildlichkeit für individuelle Selbstthematisierung initiiert haben - der mit dem Psalmisten mitgesprochene bzw. mit dem Gekreuzigten mitgelittene Tod soll in seiner Relevanz für das frühneuzeitliche Gewissenskonzept untersucht werden. Entwickelt und begründet wird die These, dass die meditative Auseinandersetzung mit dem Gewissen ein >meditatives Gewissenskonzept< nach sich zieht, das als verinnerlichter Anspruch an sich selbst zu beschreiben ist. Dieser führt dazu, dass Sünde als Selbstentfremdung empfunden und in den Bildern von Tod, Verfall und Verwesung als körperlicher Selbstentfremdung thematisiert wird. Es soll deutlich gemacht werden, dass nicht (nur) der Neostoizismus zu diesem verinnerlichtem Gewissenskonzept geführt hat,5 sondern dass der frühneuzeitlichen Meditation hier eine entscheidende kulturgeschichtliche Funktion zuzuschreiben ist. Die bisherige Forschung trägt den genannten Aspekten im Hinblick auf die literarische meditatio mortis nur vereinzelt und in Ansätzen Rechnung. Vor allem die konfessionsübergreifende und damit notwendigerweise komparatistische Untersuchung meditativer

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So z.B. in den Bußpsalmen (insbes. Psalm 6 und Psalm 38), in Joh. 4 und Matth. 9. Zum Motiv der Dekomposition s. Peter André Alt: Der fragile Leib. Körperbilder in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. In: Colloquia Académica. Akademievorträge junger Wissenschaftler. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Stuttgart 1995, S. 7-31. Auch Kittsteiner beobachtet die Herausbildung eines Gewissens als »innerer Gerichtshof« im 16. und 17. Jahrhundert, macht jedoch vor allem den Einfluss des Neostoizismus als Reaktion auf Verunsicherung und religiöse Krise für dieses Phänomen verantwortlich (Heinz Dieter Kittsteiner: Gewissen und Geschichte. Studien zur Entstehung des moralischen Bewußtseins. Heidelberg 1990, S. 15).

4 Literatur der Frühen Neuzeit steht noch aus. Adelheid Beckmann6 berücksichtigt zwar im Rahmen einer vergleichenden Motivuntersuchung zwischen französischer und deutscher Barocklyrik auch die Motive vanitas, Krankheit und Tod, lässt aber den Aspekt der Individualität und der Selbst-Erinnerung sowie den Bezug zu Meditation und Meditationsliteratur außer acht. Robert G. Collmer7 untersucht in seinem Aufsatz zur Todesbetrachtung in der englischen Lyrik (John Donne, George Herbert, Henry Vaughan und Richard Crashaw) den Hintergrund der Meditations- und Erbauungsliteratur und verweist insbesondere auf den Stellenwert der Todesbetrachtung bei Joseph Hall,8 übergeht aber den Aspekt der Selbstthematisierung und Selbsterinnerung und stellt stattdessen den devotionalen, moralischen und pragmatischen Zweck der meditatio mortis ins Zentrum seiner Überlegungen. Auch die Untersuchungen von Ferdinand van Ingen, 9 Hans-Henrik Krummacher,10 Joseph Leighton11 und Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert12 konzentrieren sich auf die deutsche Barocklyrik bzw. auf einzelne Autoren und verstehen die von ihnen aufgezeigten rhetorischen Traditionen und Strukturen als Antipoden der Individualität,13 ohne auf den meditativ-individuellen und selbsterinnernden Aspekt einzugehen. Obwohl die intensive Thematisierung des Todes wie die Meditation im späten 16. und 17. Jahrhundert ein europäisches Phänomen darstellt, wurde das Erkenntnispotential komparatistischer Untersuchungsperspektiven bisher kaum genutzt. Auch die jüngst erschienene Arbeit von Christian Belin beschränkt sich auf die französischsprachige Meditationsliteratur.14 Die vorliegende Untersuchung strebt deshalb

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Adelheid Beckmann: Motive und Formen der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts und ihre Entsprechungen in der französischen Lyrik seit Ronsard. Ein Beitrag zur vergleichenden Literaturgeschichte. Tübingen 1960. Sie untersucht in ihrer komparatistischen Studie die Thematisierung von Vanitas, Krankheit und Tod bei Autoren wie Pierre de Ronsard, Joachim du Beilay, Philippe Desportes und Jean de Sponde unter Bezugnahme auf Sonette von Gryphius, Weckherlin u.a. Robert Grary Collmer: The Meditation on Death and ist Appearence in Metaphysical Poetry. In: Neophilologus 45 (1961), S. 323-333. »Hall undertook to show that meditation (in the mystical sense) on eternal life and death could lead up the scale to God. He developed the meditation on death in much greater detail and curiously enough - with more interest and vigor than the meditation on eternal life.« (Robert Grary Collmer: Meditation on Death, S. 325). Ferdinand van Ingen: Vanitas und Memento Mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966. Hans-Henrik Krummacher: Das barocke Epicedium. Rhetorische Tradition und deutsche Gelegenheitsdichtung im 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch der Schiller-Gesellschaft 18 (1974), S. 89-147. Joseph Leighton: Poems of Mortality in the German Baroque. In: German Life and Letters 26 (1982/1983), S. 241-257. Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert: Der triumphierende und der besiegte Tod in der Wortund Bildkunst des Barock. Berlin 1975. Grundlegend zur rhetorischen und heilsgeschichtlichen Einbindung der Dichtung in unserem Untersuchungszeitraum die Arbeit von Wolfram Mauser: Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die »Sonnete« des Andreas Gryphius. München 1976. Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002. S. dazu meine Rezension in arbitrium 1 (2003), S. 125-128.

5 an, d u r c h d i e E i n b e z i e h u n g d e u t s c h e r , f r a n z ö s i s c h e r u n d e n g l i s c h e r Q u e l l e n e i n e n Beitrag zur komparatistischen, überkonfessionellen A n a l y s e und Kontextualisierung meditativer Texte zu leisten. Zur Konturierung des i m m e n s e n Textcorpus dienten zunächst die einschlägigen Arbeiten und Textanthologien zur meditativen Literatur.15 D a v o n ausgehend wurden a b e r a u c h z a h l r e i c h e b i s h e r in d e r F o r s c h u n g u n b e r ü c k s i c h t i g t g e b l i e b e n e , z.T. b i s h e r nicht e d i e r t e m e d i t a t i v e T e x t e in L y r i k u n d P r o s a e i n b e z o g e n , d i e d u r c h i n t e n s i v e Q u e l l e n l e k t ü r e in d e n B i b l i o t h e k e n v o n W o l f e n b ü t t e l , M ü n c h e n , P a r i s , S t r a ß b u r g u n d G e n f e r s c h l o s s e n w e r d e n k o n n t e n . U m e i n e n illustrierten u n d u m s o r e i z v o l l e r e n E i n b l i c k in d i e l i t e r a r i s c h e T o d e s m e d i t a t i o n d e s 17. J a h r h u n d e r t s z u g e w ä h r e n , b a s i e r e n die Ergebnisse und die Argumentation der Arbeit auf umfangreichem Quellenmaterial aus der deutschen, f r a n z ö s i s c h e n und englischen meditativen Literatur. D i e Arbeiten von Philippe A r i è s 1 6 u n d J e a n D e l u m e a u 1 7 verstehe ich insofern als

richtungsweisend

f ü r d i e s e S t u d i e , a l s s i e in B e z u g a u f T o d u n d G e w i s s e n d e n

kulturissenschaftlichen Horizont der Fragestellung eröffnet haben. D i e Untersuchun-

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Wegweisend bei der Zusammenstellung des Textcorpus waren die Erkenntnisse und Bibliographien von Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8); dies.: Méditations calvinistes sur les pseaumes dans la littérature française du XVIe siècle. In: Acta Litteraria Académica Scientiorum Hungaricae 1982, S. 117— 155; dies.: Die Meditation - Mentalitätsgeschichtliche Deutungen einer Gattung. In: Das Ende der Renaissance: Europäische Kultur um 1600. Hg. v. August Buck. Wiesbaden 1987 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 6); Udo Straten Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1995 (Beiträge zur historischen Theologie 91); ders.: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tübingen 1987 (Beiträge zur historischen Theologie 71); Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. Aus dem Frz. v. Hans-Horst Henschen und Una Pfau. München / Wien 1980 (Frz. '1978); Jean Delumeau: L e Péché et la Peur. L a culpabilisation en Occident (XlIIe -XVIIIe siècles). Paris 1983; ders.: L'aveu et le pardon. Les difficultés de la confession (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1990, ders.: Rassurer et protéger. Le sentiment de sécurité dans l'occident d'autrefois. Paris 1989; ders.: La religion de ma mère. Le rôle des femmes dans la transmission de la foi. Paris 1992; The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. ν. Louis L. Martz. New York 1963; Louis L. Martz: The Poetry of Meditation. A Study in English Religious Literature of the Seventeenth Century. New Haven 2 1962 ('1954); Linda Timmermans: L'accès des femmes à la culture (1598-1715). Un débat d'idées de Saint François de Sales à la Marquise de Lambert. Paris 1993; Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961; Jean Rousset: L'intérieur et l'extérieur. Essais sur la poésie et sur le théâtre au XVIIe siècle. Paris 1968; Early Modem Women Poets (1520-1700). An Anthology. Hg. v. Jane Stevenson und Peter Davidson. Oxford 2001; Female & Male Voices in Early Modem England. An Anthology of Renaissance Writing. Hg. v. Betty S. Travitsky und Anne Lake Prescott. New York 2000; Michel Vovelle: Mourir autrefois. Attitudes collectives devant la mort aux XVIIe et XVIIIe siècles. Paris 1974.

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Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Jean Delumeau: Le Péché et la Peur. L a culpabilisation en Occident (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1983

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6 gen von Klára Erdei, 18 Udo Sträter19 und Christian Belin 20 haben die Meditation als interdisziplinären Forschungsgegenstand weiter ins Zentrum des Interesses gerückt und ihre frömmigkeitsgeschichtlichen Kontexte maßgeblich erhellt. Wichtige Impulse zum Zusammenhang von Meditation, Erinnerung und Literatur verdankt die vorliegende Studie auch dem einschlägigen Sammelband von Gerhard Kurz.21 Grundlegend für die literaturwissenschaftliche Ausrichtung der vorliegenden Arbeit sind außerdem die auf die englische Lyrik beschränkten Untersuchungen von Louis Martz 22 und Barbara Kiefer-Lewalski 23 bzw. die sich auf die Dichtung Spees konzentrierende Studie Martina Eicheidingers, 24 die die Meditation für die strukturelle Analyse lyrischer Texte fruchtbar machen. Bei Martz und Eicheldinger geschieht dies unter Betonung der katholischen Meditation, Kiefer-Lewalski unterstreicht hingegen die ihrer Ansicht nach spezifisch protestantischen Betrachtungsmodelle. Angestrebt wird vor diesem Hintergrund eine komparatistische Untersuchung der meditativen Literatur, die der Todesbetrachtung und dem hier so bezeichneten >meditativen Gewisssen< als europäischen, überkonfessionellen Phänomenen des 17. Jahrhunderts Rechnung trägt und deren Potential für Selbstthematisierung und Selbst-Erinnerung im Hinblick auf Individualitäts- und Identitätsbewusstsein verfolgt. Unter Bezugnahme auf literarische Todesmeditationen und deren Erscheinungsformen in verschiedenen Gattungen soll gezeigt werden, inwiefern insbesondere die Selbst-Sichten des lyrischen meditierenden Ich mit betrachtendem Blick auf den Tod einen Rahmen für spezifisch frühneuzeitliche Formen von Individualität und Erinnerung bieten. Die Gedichtauswahl im Anhang der Untersuchung präsentiert eine bislang ausstehende Zusammenschau z.T. noch nicht edierter meditativer Gedichte in deutscher, französischer und englischer Sprache.

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Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbiitteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8). Udo Sträter: Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1995 (Beiträge zur historischen Theologie 91); ders.: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tübingen 1987 (Beiträge zur historischen Theologie 71). Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002. Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2). Louis L. Martz: The Poetry of Meditation. A Study in English Religious Literature of the Seventeenth Century. New Haven 2 1962 ('1954). Kiefer-Lewalski, Barbara: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979. Martina Eicheldinger: Friedrich Spee - Seelsorger und poeta doctus. Die Tradition des Hoheliedes und Einflüsse der ignatianischen Andacht in seinem Werk. Tübingen 1991.

7 1.2 Individualität, Erinnerung und Todesbetrachtung in der meditativen Literatur des 17. Jahrhunderts - Begriffsklärungen Selbstthematisierung und Selbst-Erinnerung im Sinne von Individualität, Selbstbewusstsein und Subjektivität werden von der Forschung für unseren Untersuchungszeitraum - wenn nicht gar mit dem Argument der rhetorischen Rollenhaftigkeit und Konventionalität bestritten - zumindest als problematisch dargestellt und behandelt.25 Werden Ansätze von Individualität in unserer Epoche festgestellt, geschieht dies meist mit der Einschränkung, dass diese nur als »vorbereitendes Ideenmaterial< zu werten seien, das erst in den folgenden Jahrhunderten genutzt werde und sich zu >echter< Individualität entfalte. Luhmann sieht in der Frühen Neuzeit »Individualität [...] noch an den Inklusionskontext der stratifizierenden Gesellschaft gebunden und nicht zur Exklusion freigegeben.«26 Überwiegend von nichtreligiösem autobiographischem Schrifttum ausgehend, wird dem 17. Jahrhundert »chronikalische Beschränktheit«27 in Bezug auf Selbstthematisierung bescheinigt.28 Wiedemann beschreibt die Individualität im Barock als »durch den Willensakt des Rollenverhaltens gebändigt«.29 Doch schließen sich Rollenhaftigkeit und Individualität wirklich aus, oder ist, wie Mead30 und Goffman 31 annehmen, Individualität immer auch mit Rollenhaftigkeit verbunden? Grundsätzliche Schwierigkeit bei der Frage nach individueller Selbstthematisierung und Selbsterinnerung im 17. Jahrhundert ist, dass zum einen der Begriff >Individualität< in der Forschung eine große Bedeutungsvarietät aufweist, und zum anderen in der Literatur- und Mentalitätsgeschichte die zeitliche Bestimmung der Anfänge eines

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Einen Überblick über die ältere Forschungslage bietet Inge Bemheiden: Individualität im 17. Jahrhundert. Studien zum autobiographischen Schrifttum. Frankfurt a.M. 1988 (Literarhistorische Untersuchungen 12), S. 3-17. Vgl. Niklas Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. 3 Bde. Frankfurt a.M. 1989, Bd. 3, S. 186. Ralph-Rainer Wuthenow: Das erinnerte Ich. Europäische Autobiographie und Selbstdarstellung im 18. Jahrhundert. München 1974, S. 24. Ralph-Rainer Wuthenow: Das erinnerte Ich, S. 25. Conrad Wiedemann: Bestrittene Individualität. Beobachtungen zur Funktion der Barockallegorie. In: Formen und Funktionen der Allegorie. Symposion Wolfenbüttel 1978. Hg. v. Walter Haug. Stuttgart 1979, S. 574-591, hier S. 579f. George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Hg. v. Charles W. Morris. Frankfurt a.M. 1968 ('1934), insbes. S. 198f. Erving Goffman: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt a.M. 4 1980 ('1967); ders.: Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S. auch Soeffner, der auf die Notwendigkeit des Bewusstwerdens über die Rollenhaltung für ihre Überwindung hinweist (Hans Georg Soeffner: »Typus und Individualität« oder »Typen der Individualität«? - Entdeckungsreisen in das Land, in dem man zuhause ist. In: Typus und Individualität im Mittelalter. Hg. v. Horst Wenzel. München 1983, S. I l ^ t 4 , hier S. 18f.).

8 Individualitätsbewusstseins umstritten ist.32 Schon Nelson 33 stellt diese begriffliche und daraus resultierende sachliche Unsicherheit fest: Quarreling over the application of the term to this or that person or period, scholars have failed to recognize that they are using the term to cover many different meanings. [...] The term individualism [...] has been used so broadly as to include recognition of the individual as a value, the sanction for singularity, moral autonomy, and self assertiveness. It has also been employed to designate what is more accuratly called subjectivity.34

Die nach Nelsons Auffassung zu weite Fassung des Begriffs resultiert jedoch aus der Tatsache, dass die Wertschätzung der eigenen Individualität, das Bewusstsein eigener Einmaligkeit, Selbst-Bewusstsein, moralische Autonomie und Subjektivität sich durchaus eignen, um das Konzept neuzeitlicher Individualität zu umschreiben. Diese Aspekte sind jedoch mit Frank und Haverkamp nicht als Synonyme für Individualität zu verstehen,35 sondern sind deren Ausdruck und Bedingung und deshalb in ihrer Gesamtheit als Anhaltspunkte für die Untersuchung von Individualität und ihrer Thematisierung prinzipiell sinnvoll. Begriffsunsicherheiten resultieren weniger aus der Definition dieser >Individualitätskonstituenten< als aus der einseitigen und verabsolutierenden Untersuchung einzelner Aspekte, die dann zu großen Differenzen in der zeitlichen und begrifflichen Einordnung von Individualität führen. Um der Frage nach Individualitäts- und Selbstthematisierung im 17. Jahrhundert nachzugehen, erscheint es bei Vermeidung solcher Einseitigkeit und Verabsolutierung deshalb gerechtfertigt, nach den o.g. Anhaltspunkten zu suchen. Im Folgenden sollen >Individualität< und die mit diesem Konzept verschränkten Begriffe als Bezugssystem beschrieben werden, ohne dass damit eine erschöpfende Behandlung und Darstellung der Forschungsdiskussion um diese Kategorien geleistet werden könnte. Beabsichtigt ist lediglich eine der Fragestellung dieser Arbeit angemessene Grundlegung operabler Definitionen. Individualität wird in dieser Untersuchung definiert als Individualitäts-Bewusstsein,36 das die eigene Einmaligkeit, nicht wiederholbare Besonderheit und Eigenheit in

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S. dazu auch Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. v. Richard van Dülmen. Köln 2001. Norman Nelson: Individualism as a criterion of the Renaissance. In: Journal of English and Germanic Philology 32 (1933), S. 316-334, S. 316 u. S. 332. Norman Nelson: Individualism as a criterion of the Renaissance, S. 316 u. 334. In diesem Sinne ist der von Haverkamp und Frank postulierten »dreifachen Verneinung« bei der Definition des Individualitätsbegriffs zu folgen: »I. Individuum, nicht Subjekt; II. Individualität, nicht Identität; ΙΠ. Individuum als >ineffabile< (Inkommensurabilität).« (Manfred Frank / Anselm Haverkamp: Ende des Individuums - Anfang des Individuums? In: Individualität. Hg. v. Manfred Frank. München 1988 (Poetik und Hermeneutik 13), S. VI-XX, S. XI.). Diese entscheidende Bedeutung erfahrt der Individualitätsbegriff bei Hegel: Über das Verständnis der Individualität als Einzigartigkeit hinausgehend, ist für ihn das Bewusstsein von Individualität für die Individuation entscheidend (das »Allgemeine des Geistes«). S. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe. Frankfurt a.M. 1969-1979, Bd. 3: Phänomenologie des Geistes, S. 230. Der neuzeit-

9 ihrem Wert erkennt und sich mit dieser in Abgrenzung z u m außerhalb seiner selbst L i e g e n d e n auseinandersetzt. Individualitätsbewusstsein erfordert deshalb z u m einen eine Wendung zu und in sich selbst, andererseits aber auch eine Distanznahme v o n sich selbst. Nur durch diesen zugleich subjektiv-inneren und objektiv-äußeren Blick erkennt sich das Individuum in Differenz zu anderen. 3 7 D i e Individualität bestimmt sich dabei nicht durch einen unveränderbaren Kern v o n Charakteristika, sondern beinhaltet die M ö g l i c h k e i t des Wandels, unter der Bedingung, dass dieser sich in Selbst-Übereinstimmung vollzieht: Ein Individuum ist demnach ein selbstbewußtes Einzelwesen, das sein Leben in dem Sinn auf die Behauptung seiner Eigentümlichkeit hin entwirft, daß es für gültig nur erachtet, was in ihm selbst und durch es selbst Beglaubigung findet. Das Selbst, das sich hier durchhält, ist kein substantieller Kem von Eigenheiten, sondern eine prinzipiell offene, >indefinible< Instanz, aus der je und je neu ein Weltverhältnis hervorgeht. Entscheidend ist nicht, daß ich tue, was seit jeher für mich >charakteristisch< ist, sondern daß ich vielleicht gerade im Vollzug einer Wendung gegen mein altes Ich mich von innen her mit mir einig weiß und mich damit frei sowohl gegenüber Ansprüchen von außen wie gegenüber den eigenen vergangenen Fixierungen verhalten kann. 38 Schon hier zeigt sich die oben angesprochene Verschränkung mit weiteren keinesfalls synonymen, aber verwandten Begriffen. Individualität ist Bedingung und Ausdruck v o n Identitätsbewusstsein: Nur wer sich trotz prinzipieller Offenheit für Änderung als durchhaltendes Selbst begreift, kann sich seiner Individualität bewusst sein. Mit d e m Begriff >personale Identität ist i m Folgenden in d i e s e m Sinne das B e w u s s t s e i n der Sich-selbst-Gleichheit und Kontinuität der Person in der Zeit gemeint. 3 9 D i e s e s B e w u s s t s e i n der Verbundenheit von Bewusstseinserfahrungen wird John L o c k e am Ende unseres Untersuchungszeitraumes als » c o n s c i o u s n e s s « bezeichnen:

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liehe Individualitätsbegriff geht zurück auf Descartes, der die »Individualität der denkenden Substanzen« behauptet. Diese erkennt sich jeweils durch Denken in ihrer Unterschiedlichkeit zu anderen körperlichen und denkenden Substanzen. Leibniz führt den Gedanken Descartes' weiter, indem er Individuen nicht nur als materiell, sondern auch als formell voneinander unterschieden sieht. Auf diese Weise führt er die Begriffe Individuum und Individualität zusammen (vgl. Eintr. Individuum, Individualität. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Basel 1971-1995, Sp. 300-323, insbes. Sp. 310ff.). Vgl. auch Norbert Elias zum Konzept des homo clausus als spezifisch neuzeitlicher Typ der Selbsterfahrung (Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Frankfurt a.M. 1990, S. LVI-LVIII) und Claudia Benthien: Im Leibe wohnen. Literarische Imagologie und historische Anthropologie der Haut. Berlin 1998, S. 15. Manfred Koch: Die erinnerte Geliebte. Zu einem Petrarca-Motiv in der deutschen Lyrik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 327-356. Mit Recht wendet sich Koch in seinem Aufsatz gegen einen Individualitätsbegriff, der Individualität nur noch als Produkt eines Diskurses, als bloßen Effekt von sozialen, kulturellen und semiotischen Mechanismen beschreibt (insbes. S. 336ff.). Entsprechend der Definition Erik Homberger Eriksons - s. dazu Eintr. Identität, Ich-Identität. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter und. Karlfried Gründer. Basel 1971-1995, Sp. 148-151, hier Sp. 148f.

10 This plain consciousness [...] unites Existences, and Actions, very remote in time, into the same Person, as well as it does the Existence and Actions of the immediatly preceding moment: So that whatever has the consciousness of present and past Actions, is the same Person to whom they both belong. 40 Thiel erläutert die Identitätsdefinition Lockes: In other words, I am at present the same person as I was in the past not because I am the same living body, nor because the same substance thinks in me, but only because my present conscious experience is connected with that of past conscious experience: they belong to one conscious life, and this means that they are part of one identical person. 41 Personale Identität meint die b e w u s s t e Einheit einer unverwechselbaren L e b e n s g e schichte - in der D i m e n s i o n der Zeit bedeutet sie nach Habermas und Frank das bewusste Verhältnis der Totalität einer Lebensgeschichte zu den singulären Erlebnissen und Lebensbezügen, aus denen sie sich aufbaut. 4 2 Identität als subjektive Verbindung v o n Bewusstseinserfahrungen ist j e d o c h nachdrücklich nicht mit e i n e m B e w u s s t s e i n des Sich-gleich-Bleibens i.S. v o n Unveränderlichkeit zu verwechseln. 4 3 Identitätsbewusstsein kann das B e w u s s t s e i n implizieren, ein anderer werden zu können, w i e schon Montaigne in seinen Essais

de morale

( 1 5 8 0 ) formuliert:

Je ne peins pas l'estre. Je peins le passage, non un passage d'âge en autre, ou, comme diet le peuple, de sept en sept ans, mais de jour en jour, de minute en minute. Il faut accomoder mon histoire à l'heure. Je pourray tantost changer, non de fortune seulement, mais aussi d'intention. C'est un contrerolle de divers et muables accidens et d'imaginations irrésolues et, quand il y eschet, contraires: soit queje sois autre moy-mesme, soit queje saisisse les subjects par autres circonstances et considerations.44

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John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. Übersetzt und erläutert von J.H. Kirchmann. Leipzig 2 1894, Buch II., Kap. 27, §16 [Engl. Essay on Human Understanding, '1690]. Udo Thiel: Personal Identity. In: The Cambridge History of Seventeenth-Century Philosophy. 2 Bde. Hg. v. Daniel Garber und Michael Ayers. Cambridge 1998, Bd. 2, S. 868-912, hier S. 891. Zum philosophischen Identitätsdiskurs, vor allem in Bezug auf Zeit, s. Harald Tausch: Locke, Addison, Hume und die Imagination des Gartens. In: Der imaginierte Garten. Hg. v. Günter Oesterle und Harald Tausch. Göttingen 2001 (Formen der Erinnerung 3), S. 2 3 ^ 4 , S. 28. Tausch zeigt mit Perspektive auf das 18. Jahrhundert das identitätsauflösende Potential der Identitätskonzeption Lockes, das sich durch deren Inbezugsetzung zur Zeit ergebe. Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse. Frankfurt a.M. 1973. S. dazu auch den Eintr. Identität, Ich-Identität. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Basel 1971-1995, Sp. 148-151, hier Sp. 150. Ähnlich wie Habermas äußert sich hierzu auch Manfred Frank: Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Reflexionen über Subjekt, Person und Individuum aus Anlaß ihrer »postmodemen« Toterklärung. Frankfurt a.M. 1986, S. 129f., der von einer »kontinuierlichen Selbstdeutung« spricht. »Identitätstheorien sind, einem heute durchaus geläufigen Mißverständnis zum Trotz, das gerade Gegenteil eines Denkens, welches das personale Sein in Gesellschaft und Kultur als Substanz faßt, als etwas zumindest, was ein für allemal feststeht bzw. in einen stabilen Bezugsrahmen eingebunden ist.« (Jürgen Straub: Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs. In: Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität. Hg. v. Aleida Assman und Heidrun Friese. Frankfurt a.M. 1998, S. 73-104, S. 88). Michel de Montaigne: Essais. Neu hg. v. V.-L. Saulnier. 3 Bde. Paris 1965, Bd. 3, S. 804.

11 Das Bewusstsein der potentiellen Veränderung in der passage von Moment zu Moment, das dennoch nicht deren Verknüpfung zur histoire in Frage stellt, macht Identitätsbewusstsein aus und unterstreicht seine Nähe zum Individualitätsbegriff. Der Begriff >Selbst-Bewusstsein< steht durch das Kriterium der im Selbst liegenden, bewussten Einzigartigkeit in engem Zusammenhang mit dem neuzeitlichen Individualitätsverständnis und wird hier im doppelten Sinne verwendet: Zum einen im Sinne des Sich-seiner-selbst-bewusst-Seins und Vertrautseins mit sich selbst,45 des Selbst-Empfindens und auf sich selbst gerichteten Bewusstseins,46 zum anderen als Bezeichnung für Selbstvertrauen, für Sich-bewusst-Sein über eigene Werte, Qualitäten und Kompetenzen 47 Selbst-Bewusstsein erfordert insofern sowohl ein zu und in sich selbst gewendetes »Beisichsein«48 als auch - wie das Individualitäts-Bewusstsein - ein Auf-Distanz-Gehen zu sich selbst, das aus dieser Distanz heraus das Erkennen des eigenen Selbst49 und das »bewusste Selbst-Bewusstsein« ermöglicht:50 Selbstbewusstsein zeigt sich in der philosophischen Analyse in einer charakteristischen Doppelstellung, einerseits in seinem Fungieren im Zusammenhang der erkennenden Weltbeziehung des selbstbewussten Menschen, andererseits in der internen Verfassung des Wissens von sich selbst.51 Als die Weise, in der sich das bewusste Subjekt thematisiert, steht Selbst-Bewusstsein in engem Zusammenhang mit den Begriffen Selbstreflexion, Selbstbewertung und Selbstkontrolle52 und konnte schon in der Antike im Sinne des >Mit-Wissens< (conscientia) die Bedeutung >Gewissen< konnotieren, und auch bei Leibniz und Hegel stehen die beiden Begriffe in enger Beziehung zueinander.53 Störmer-Caysa verortet den Begriff des Gewissens entsprechend auch im Spannungsfeld des Begriffsgeflechtes, das hier im Zusammenhang mit der Individualitätsdefinition zugrunde gelegt wird:

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Dieter Henrich: Zwei Theorien der Verteidigung des Selbstbewußtseins. In: Grazer Philosophische Studien 7/8 (1979), S. 77-99. S. Eintr. Selbstbewußtsein. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter und. Karlfried Gründer. Basel 1971-1995, Sp. 350-379, insbes. Sp. 352-355, 359, 365; unter dem gleichen Lemma auch Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Hg. v. Hans Jörg Sandkühler. Hamburg 1990, S. 240. Eintr. Selbstbewußtsein. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter und. Karlfried Gründer. Basel 1971-1995, Sp. 350-379, Sp. 352ff. und Sp. 358 sowie unter dem gleichen Lemma Eislers Handwörterbuch der Philosophie. Neu hg. v. Richard Müller-Freienfels. Berlin 2 1922 ('1913), S. 590. Eintr. Selbstbewußtsein. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Sp. 361. Eintr. Selbstbewußtsein. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Sp. 359. Vgl. Manfred Frank: Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Reflexionen über Subjekt, Person und Individuum aus Anlaß ihrer »postmodernen« Toterklärung. Frankfurt a.M. 1986, S. 64. Dieter Henrich: Selbstbewußtsein und spekulatives Denken. In: ders.: Fluchtlinien. Philosophische Essays. Frankfurt a.M. 1982, S. 125-182, S. 151. S. Eintr. Selbstbewußtsein. In: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Hg. v. Hans Jörg Sandkühler. Hamburg 1990, S. 239. Eintr. Selbstbewußtsein. In: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Sp. 351,356, 361.

12 Es geht beim Gewissen immer um eine interne Instanz der Handlungskontrolle, und insofern tangieren die historischen Inhalte der Begriffe aus dem Übersetzungsfeld Gewissen die Vorstellungen des Menschen von sich selbst, vom Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen. Der Wandel dieser Vorstellungen zur Neuzeit hin wird in der Forschung in den Problembündeln Identität, Subjektivität und Individualität erörtert, denn es gilt [...] als ausgemacht, daß die Neuzeit erst in einem langandauemden Prozess gelernt hat, Ich zu sagen, Subjekt und Individuum. 54 >Subjektivität< ist als Instanz des Selbstbezugs, als Selbst-Umgrenzung des Inneren v o m A u ß e n unmittelbar an das neuzeitliche Individualitätsverständnis und SelbstB e w u s s t s e i n geknüpft und deshalb als Schlüsselbegriff in unsere Untersuchung mit einzubeziehen. A u c h hier erscheint die Selbst-Sicht des Individuums als Wendung z u m Inneren und aus der D i s t a n z v o n sich selbst als b e s t i m m e n d : »Our modern notion of the self is related to, o n e might say constituted by, a certain sense [...] of inwardness. [...]. In our languages o f self-understanding, the opposition >inside outside< plays an important role.« 5 5 Henrich sieht die Grundeinsicht der modernen Subjektphilosophie in der Dementierung der Annahme, dass [...] in irgendeinem, das der Mensch als von sich verschieden, wenngleich ihn angehend, erfahrt, ein Anspruch gelegen sein könne, in dem das aufgeht, als was er sich selber erfährt und wozu er sich aus seinem ihm selbst vertrauten Wesen bestimmt weiß. Die moderne Philosophie hat [...] die Wahrheit des Satzes gefaßt, daß Einsicht zuletzt auf einen >Weg nach innen< verwiesen sei - nicht in dem Sinn, daß sie ganz in ihn eingeht, wohl aber in dem, daß sie auf ihn begründet und ohne ihn nicht verläßlich ist. 56 In Anlehnung an diese neuzeitliche Subjekt-Definition Henrichs erfolgt die Verwendung des Begriffs >Subjektivität< in dieser Arbeit für das sich aus der B e z i e h u n g zu sich selbst definierende Ich, das sich nicht an v o n außen als verbindlich gesetzten N o r m e n orientiert, sondern sich selbst als Innerliches z u m Ausgangspunkt n i m m t 5 7 u n d s i c h nur durch d i e s e u n d vor dieser D i m e n s i o n authentischer Innerlichkeit gerechtfertigt finden kann. 5 8 Hier deutet sich der Z u s a m m e n h a n g mit der moral i s c h e n A u t o n o m i e d e s I n d i v i d u u m s an ( s . o . ) . 5 9 Subjektsein bedeutet aber auch, 54

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Uta Störmer-Caysa: Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters. Berlin 1998, S. 1. Charles Taylor: Sources of the Self. The Making of the modem Identity. Cambridge 1989, S. 111. Taylor weist auf die Historizität dieses Selbst-Verständnisses hin, das weder interkulturellen noch diachronischen Absolutheitsanspruch besitzen kann, sich aber als unser »westlich-modernes« Begriffsverständnis durchgesetzt hat. Dieter Henrich: Die Grundstruktur der modernen Philosophie. In: ders.: Selbstverhältnisse. Stuttgart 1982, S. 83-108, S. lOOf. Vgl. Eintr. Subjektivität. In: Metzler Philosophie Lexikon. Hg. v. Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. Stuttgart 1996, S. 501. S. Manfred Koch: Der Sündenfall ins Schöne. Drei Deutungen der Paradiesgeschichte im 18. Jahrhundert. In: Ästhetische und religiöse Erfahrungen der Jahrhundertwenden. Bd. 1: Um 1800. Hg. v. Wolfgang Braungart, Gotthard Fuchs und Manfred Koch. Paderborn 1997, S. 97-114, S. 111. Ritter spricht in Bezug auf den Subjektivitätsbegriff Hegels von »Beisichselbstsein«, »Innerlichkeit« und »Leben in der Moralität des sittlichen Bewusstseins« (Joachim Ritter: Subjektivität und industrielle Gesellschaft. Zu Hegels Theorie der Subjektivität. In: ders.: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt a.M. 1974, S. 11-35, S. 11).

13 sich selbst nicht transparent und durchschaubar zu sein und sich zum Zwecke der Selbst-Erkenntnis fragend in sich selbst zu vertiefen 60 - Subjektivitätsbewusstsein motiviert Selbstthematisierung. Der das Subjekt konturierende bewusste Selbstbezug steht in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Identität im Sinne der über das Zeitkontinuum hinweg Handlungen und Empfindungen verknüpfenden consciousness. Allerdings vollzieht sich dieses Subjekt-Bewusstsein nicht nur aus einer selbstreflexiven Perspektive: Das Individuum muss zudem auch in Distanz zu sich selbst treten, um sich selbst >von außen< zu betrachten und zu erfahren. 61 Festzuhalten ist, dass das dargestellte Bezugssystem von Begriffen nicht unter dem Zeichen der Synonymität steht, sondern in seiner Komplexität Anhaltspunkte für die Beschreibung individueller Selbsterinnerung und Selbstthematisierung im 17. Jahrhundert zur Verfügung stellt. Dabei soll keinesfalls behauptet werden, Individualität bzw. individuelle Selbstthematisierung im späten 16. und 17. Jahrhundert sei mit Individualität i.S. des deutschen Idealismus und der Romantik gleichzusetzen. Es geht vielmehr darum, strukturelle Merkmale für die Untersuchung der historischspezifischen Performanz individueller Selbstthematisierung in Texten der Frühen Neuzeit fruchtbar zu machen. Das Wechselspiel von Wendung zu und Distanz von sich selbst erwies sich als konstituierend für das erläuterte Begriffssystem und wird als strukturelle Beschreibung von Individualitätsthematisierung im Sinne dieser Arbeit maßgeblich sein. Die vorliegende Untersuchung ist motiviert durch die Annahme, dass die (Todes-) Meditation spezifische, verschränkende Erinnerungsformen zwischen individueller und überindividueller Erinnerung hervorbringt. Zu untersuchen ist auch, inwiefern das meditierende Ich in der Betrachtungsliteratur des gewählten Zeitraumes individuelle Selbsterinnerung im Unterschied etwa zu einem summarischen Sündengedächtnis62 vollzieht, welcher Metaphern sich das meditierende Ich zur Thematisierung individueller Selbsterinnerung in Selbst- und Todesbetrachtung bedient 63 und welche 60 61

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S. Henrich, Das Selbstbewusstsein und seine Selbstdeutungen, S. 113f. Dieser Gedanke stammt ursprünglich von George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus. Hg. v. Charles W. Morris. Frankfurt a.M. 1968 ('1934), S. 180. S. zum Ganzen auch Hans Rudolf Velten: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1995, S. 308ff. Ebenso Thomas Luckmann: Persönliche Identität, soziale Rolle und Rollendistanz. In: Identität. Hg. v. Odo Marquard und Karheinz Stierle. München 1979 (Poetik und Hermeneutik 4), S. 293-313, S. 296. Vgl. auch die Ausführungen oben zum Begriff >Selbstbewusstseinnach innen< oder einer Selbstbetrachtung >von außenmeditative Literatur< und literarische Betrachtungen des Todes< einzugehen. Die Arbeit konzentriert sich auf den Zeitraum vom letzten Drittel des 16. Jahrhunderts bis ca. 1680. Das untere Eckdatum resultiert aus dem Wiederanstieg der Produktion und Verbreitung der deutschen, französischen und englischen meditativen Literatur um 1570. Der zeitliche Endpunkt ergibt sich aus dem Abflauen der interkonfessionellen Meditationswelle ab ca. 1680.64 Durch diese zeitliche Begrenzung wird - was erstaunen mag - der Pietismus i.e.S. weitgehend ausgeklammert (Speners Pia desiderio erscheinen im Jahr 1675).65 In der pietistischen Frömmigkeitspraxis lebt die Meditation zwar weiter, erfährt aber - wie in dieser Arbeit im Ausblick ebenfalls gezeigt werden soll - durch die Institutionalisierung der Betrachtung in den collegia pietatis und durch eine Neubestimmung des Verhältnisses von meditativer Lyrik, Gesang und Andacht Modifikationen, die die >pietistische Meditation< als eigenständiges Phänomen auszeichnen. 64

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Zur ausführlichen Darstellung der Verbreitung bzw. des Verbreitungszeitraumes erbaulicher Literatur sei verwiesen auf die grundlegende Untersuchung von Udo Straten Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1995 (Beiträge zur historischen Theologie 91) und Hartmut Lehmann: Das Zeitalter des Absolutismus. Stuttgart 1980 (Christentum und Gesellschaft 9), S. 114ff. Indizien für die weite Verbreitung und starke Rezeption der Erbauungsliteratur liefern insbesondere die großen Auflagenzahlen sowie einschlägige Hinweise in Leichenpredigten, die z.T. über die exercitia pietatis und die bevorzugten Erbauungsbücher der Verstorbenen Auskunft geben (s. z.B. Georg Heinrich Götze: Memento mori! Todtenbibliothec: bei christlicher Beerdigung TM. Hn. M. Thomae Honstedts [...]. Hamburg 1704). Nach Schueller sind von 400 in Frankreich im Zeitraum zwischen 1580 und 1610 erschienenen Meditations- und Erbauungswerken 380 Übersetzungen aus dem Spanischen, Italienischen und anderen europäischen Sprachen (Thomas Schueller: La femme et le Saint. La femme et ses problèmes d'après S. François de Sales, Paris 1970, S. 229). Philipp Jacob Spener: Pia Desideria: Oder Hertzliches Verlangen / Nach Gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen [...]. Frankfurt a.M. 1680 ( Ί 6 7 5 ) .

15 Vor allem ist eine Klärung der Begriffe Meditations- und Erbauungsliteratur sowie eine Abgrenzung zu den untersuchten lyrischen Texten notwendig. Grundsätzlich schließt die Untersuchung in Anlehnung an Albrecht Schöne, der in seinem Sammelband Die deutsche Literatur. Das Zeitalter des Barock66 Predigten ebenso wie Grabschriften und »andächtige Betrachtungen« als literarische Zeitzeugnisse vereint, meditativ-erbauliche Werke und religiöses Gebrauchsschrifttum in ihr Literaturverständnis ein. Im Hinblick auf das dichterische Selbstverständnis des 17. Jahrhunderts ist es sinnvoll, für diese Epoche einen weit gefassten Literaturbegriff zu verwenden.67 Die Untersuchung versucht - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - , den Blick auf die Vielfalt literarischer Gattungen zu richten, in denen sich Betrachtungen des Todes manifestieren. Im neutestamentarischen Sinne68 bezeichnet >Erbauung< die von Gott und Christus ausgehende Mehrung und Stärkung der Gemeinde Christi und des Glaubens des Einzelnen als Gemeindeglied, die sowohl an sich selbst als auch am Nächsten geübt werden kann. Die Bibelübersetzung Luthers gibt den Begriff auslegend als »Besserung« wieder, so dass die >Erbauung< während der Reformationszeit selten explizit genannt wird. In den nachreformatorischen Jahrzehnten, insbesondere ab der Wende zum 17. Jahrhundert, gewinnt der Begriff im Rahmen einer frömmigkeitsgeschichtlichen Wandlung, die auf die Verinnerlichung von Glaubensinhalten drängt, an Bedeutung.69 >Erbauung< wird im 17. Jahrhundert zu einem Schlüsselwort für Reform und Verinnerlichung des kirchlichen Lebens. Der Begriff bezeichnet Schrifttum, das insbesondere individuelles religiöses Empfinden zu fördern sucht und die Anleitung zu praktischem Christentum betont. Die Inhalte reichen von der »Reihung von Heilstatsachen (geistliche ABC-Bücher) Uber Meditationsanweisungen bis zur Anleitung zu subjektiv-innerlicher Seelenschau und Selbstprüfung«. 70 Die >Meditationeinverleibt< werden. Die Meditation ist ein individueller, verinnerlichender und alle Seelenkräfte einbeziehender Weg über die Selbsterkenntnis zur Gotteserkenntnis, der zwar überindividuell nachvollziehbar ist, aber vom meditierenden Ich jeweils individuell beschritten wird. Ein weiteres Strukturelement der Meditation ist in der »Pendelbewegung«77 der Seele zwischen dem Abgrund der Sünde und Gottes Güte zu sehen, die durch das wechselseitige Impulsgeben zweier Komponenten im Gott-Mensch-Bezug bedingt ist. Jeder der beiden Pole gibt den Impuls zur Rückbesinnung auf den anderen: Die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit verweist den Meditierenden auf Gottes Güte und die Heilstat Christi zur Vergebung der Sünden. Vor der großen Güte Gottes wiederum erkennt der Meditierende beschämt den Abgrund der eigenen Sündhaftigkeit. Im ersten Teil der Meditation erkennt und bekennt der Meditierende durch Selbstbesinnung und Selbsterinnerung die Tiefen seiner Sünden. Diese Er- und Bekenntnis verleiht die Kraft für den Aufschwung der Seele zum zweiten Teil: in ihm findet die Bewunderung der Barmherzigkeit Gottes statt, die im Glaubensbekenntnis und lobpreisenden Gebet endet. Diese binäre Pendelstruktur erfährt im Modell der deliberate meditation Halls durch die Betonung von Opposition und Balance besondere Ausprägung. Das Gebet kann hinführender, unterbrechender oder beschließender Teil der Meditation sein.78 Die Meditation ist aber - im Unterschied zum Gebet - weniger durch den Dialog mit Gott, als durch das Selbstgespräch gekennzeichnet.79

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Günter Butzer: Eintr. Phantasie. In: Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Hg. v. Nicolas Pethes und Jens Ruchatz. Reinbek bei Hamburg 2001, S. 437ff. Der Begriff stammt von Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbiitteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), S. 4 5 ^ 7 . »Das Gebet solle allezeit vorher gehen / ehe man meditirt. Das Gebet bereitet der Meditation den Weg / und hinwieder gibt die Meditation dem Gebet die Stärcke und das Wesen [...].« (Lewis Bayly: Praxis Pietatis. Das ist: Übung der Gottseligkeit: Anfanglich in Englischer Sprache beschrieben / Durch Herrn D. Ludwig Baili [...]; Und über dreyssigmal gedruckt: Jetzt seiner Würde halb umbgesetzt / und hervor gegeben. Ander Theil / In sich begreiffend die fürtreffliche Übung gottseliger und andächtiger Meditation [...] Sampt einer nützlichen Vorrede von Prüfung des Gewissens / und etlich schönen Exempeln solcher Betrachtungen. Aus dem Englischen und Frantzösischen in unsere Teutsche Sprache gebracht. Lüneburg 1635 ['1628], Ander Teil, S. 46f.) Günter Butzer: Eintr. Meditation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. v. Gert Ueding. Tübingen 2001, S. 1016-1023. S. auch Christina M. Pumplum: »Eine öffentliche Bekenntnis vor aller Welt«. Form und Funktion der Andächtigen Betrachtungen der Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694). In: Gebetsliteratur der Frühen Neuzeit als Hausfrömmigkeit. Funktionen und Formen in Deutschland und den Niederlanden. Hg. v. Ferdinand van Ingen und Cornelia Niekus-Moore. Wiesbaden 2001, S. 68. Christian Belin trägt diesem Charakteristikum

18 Ein wichtiges strukturelles Merkmal der Meditation ist in der Wiederholung zu sehen - diese verweist auf die Metapher der >ruminierenden< Verinnerlichung des Meditationsobjektes, die die >körperlich-erinnernde< Aneignung durch das Kauen, Wiederkäuen und Verdauen80 des Meditationsobjektes erst ermöglicht. Ruhe, Einsamkeit, Wiederholung und Dauer sind Voraussetzungen der meditativen Haltung die Meditation ist nicht nur als punktuelle Handlung zu verstehen, sondern wird auch als Disposition angestrebt.81 Zu betonen ist die systematische Regelung und Progression der Meditation. Dieser methodisch vorgegebene, aber individuell vom Meditierenden nachzuvollziehende Weg zur überindividuellen Erkenntnis schlägt sich als spezifische Struktur bzw. in Form von Strukturelementen in Texten nieder und zeichnet diese somit als meditative Texte aus. Mit Meditationsliteratur oder meditativer Literatur werden deshalb in dieser Untersuchung Texte der Erbauungsliteratur bezeichnet,82 in denen die Meditation strukturell aufscheint. So wird die Meditation hier nicht als Gattung, sondern als Textstruktur verstanden, die sich in verschiedensten Untergattungen der Erbauungsliteratur wie Predigten und Leichenpredigten, Gebetbüchern, Anleitungen zur Gewissenserforschung, religiösen Traktaten und in der Lyrik finden kann. Die Meditation ist als Glaubensübung ein Ausdruck individueller, intensiver Frömmigkeit. In schriftlicher Form werden ihre Strukturelemente in verschiedenen religiös-literarischen Gattungen wirksam. Sie ist eine methodisch geregelte, strukturierte geistliche Übung, in der der Meditierende einen individuellen Weg zu einer überindividuellen Erkenntnis beschreitet. In diesem Sinne lässt die Meditation ein spezifisches Erinnerungs-Potential vermuten, das die Grenzen zwischen individueller und über-individueller Erinnerung in ihrer Gültigkeit für die meditative Literatur der Frühen Neuzeit in Frage stellt. Aus den meditativen Strukturmerkmalen Wiederholung und Permanenz resultieren weitere zu vermutende Konsequenzen für frühneuzeitliche Erinnerungsformen in der meditativen Literatur: Mit der dispositiv-meditativen Haltung könnte auch eine dispositiv-erinnernde Haltung einhergehen. Auf der Basis

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der Meditation auch in der Titelgebung seiner Monographie Rechnung: Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002. Zur Bedeutung der rammaiio-Metaphorik für das Vergessen als >Ausscheiden< des überflüssigen Angeeigneten und als Bedingung des Erinnerns s. Günter Butzer: Pac-man und seine Freunde. Szenen aus der Geschichte der Grammatophagie. In: Medien des Gedächtnisses. Hg. v. Aleida Assmann, Manfred Weinberg und Martin Windisch. Stuttgart / Weimar 1998, S. 228-244. Und ders.: Eintr. Ruminatio. In: Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Hg. v. Nicolas Pethes und Jens Ruchatz. Reinbek bei Hamburg 2001, S. 511f. S. auch Alois Hahn: Zeitknappheit als Problem der religiösen Lebensführung in der französischen Gegenreformation. In: Aspekte der Gegenreformation. Hg. v. Victoria von Hemming. Frankfurt a.M. 1997 (Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 1), S. 516 und 519, die von der Frömmigkeit im 17. Jahrhundert als vom Laien erwarteten »zu lebendem Beruf« spricht. Dazu auch Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 114ff. S. Gerhard Sauder: Eintr. Erbauungsliteratur. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Bd. 3. Hg. v. R. Grimminger. München 1980, S. 28-82, S. 251-266.

19 dieser Hypothesen wird die Studie der Frage nach Individualität und Erinnerung in der (lyrischen) Selbst- und Todesbetrachtung nachgehen. Mit den Begriffen Betrachtungen des Todesmeditatio mortis< oder >Todesmeditation< wird in dieser Untersuchung die Literatur gefasst, die die Strukturmerkmale der Meditation aufweist und in denen sich ein implizites oder explizites meditierendes Ich betrachtend mit Sterben, Tod oder Jenseits (Himmel oder Hölle)83 auseinandersetzt. Im Rahmen der Todesmeditation treten Sterbekunst, Todeswarnung und visionäre Elemente in unterschiedlicher Gewichtung mit- und nebeneinander auf und lassen keine Gattungsbestimmung in Reinform zu. Unter >meditativer Todesvision< sind diejenigen Todesmeditationen zu verstehen, in denen sich das betrachtende Ich sich den eigenen Tod meditativ vergegenwärtigt, ihn damit in der Meditation antizipiert bzw. betrachtend >erlebtruminatio< s. Fidelis Ruppert: Meditatio - Ruminatio. Zu einem Grundbegriff christlicher Meditation. In: Erbe und Auftrag. Benediktinische Monatsschrift 53 (1977), S. 83-93. Femer Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 28f. S. dazu Günter Butzer: Pac-man und seine Freunde. Szenen aus der Geschichte der Grammatophagie. In: Medien des Gedächtnisses. Hg. v. Aleida Assmann u.a. Stuttgart / Weimar 1998, insbes. S. 233-237. Aurelius Augustinus: Confessiones - Bekenntnisse. Übersetzt, v. Joseph Bemhart. München 1955.

22 Meditation bedeutet für Augustinus das Nachsinnen und Nachdenken über die Endlichkeit des menschlichen Lebens und das aeterna meditari, das Betrachten des Ewigen - damit steht sein Meditationsbegriff der meditatio mortis besonders nahe. Von besonders großer und in unserem Untersuchungszusammenhang nachhaltiger Bedeutung ist sein Postulat »Noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore homine habitat Veritas.«94 Mit diesen Worten formuliert Augustinus das Grundaxiom der Meditation für die folgenden Jahrhunderte: Der Weg zur Gotteserkenntnis verläuft über das eigene Innere. Die augustinischen Inhalte und Strukturen prägten die Meditation des Abendlandes nachhaltig.95 Wie an späterer Stelle noch zu erläutern sein wird, legt er damit aber zugleich den Grundstein der Selbstreflexivität, deren Perspektive aber letztlich auf Gotteserkenntnis gelenkt ist: Augustine's proof of God is a proof from the first-person experience of knowing and reasoning. I am aware of my own sensing and thinking; and in reflecting on this, I am made aware of its dependence on something beyond it, something common. [...]. By going inward, I am drawn upward.96

Die frühchristliche Meditation wurde ohne schriftlichen Ausdruck in den mönchischen Exercitien weitergepflegt, blieb aber bis zum 11. Jahrhundert auf die halblaut murmelnde, wiederholende Lektüre der Bibel beschränkt. Dadurch sollte eine tiefe innere, geistige Vertrautheit mit dem ruminierten Wort zu dessen Memoration erlangt werden. 97 Es ist hervorzuheben, dass die Meditation bis ins späte Mittelalter eine rein monastische Praxis war und nicht von Laien ausgeübt oder gar schriftlich niedergelegt wurde.98 Die klösterliche Lebensweise und die Zurückgezogenheit in die Einsamkeit der Zelle stellen den Rahmen der mittelalterlichen Meditation dar. In der monastischen Tradition tritt die enge Beziehung von Meditation und memoria deutlich hervor: Durch das murmelnde oder laute >Wiederkäuen< des Bibelwortes soll dessen Memoration gesichert werden. Seit dem 11. Jahrhundert erscheint die Meditation auch als Titel religiöser Texte. Wie die Meditation der Mönche zur Fähigkeit führen sollte, spontan biblische Zitate oder Anspielungen zu erinnern und miteinander zu verknüpfen, so wird auch in diesen Texten die Meditation als Verweisstruktur wirksam. Bereits in dieser Zeit zeichnet sich die Meditation im Unterschied zum dialogisch angelegten Gebet als

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Aurelius Augustinus: De vera Religione. In: Augustinus. De Libero Arbitrio. De vera Religione. Übersetzt und erläutert v. Wilhelm Thimme. Zürich 1962, S. 486. Zur antiken Meditation s. auch Pierre Hadot: Exercices spirituels et philosophie antique. Paris 1981 und das Kapitel »La méditation Augustinienne« in Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 35-55. CharlesTaylor: Sources of the Self. The Making of the modern Identity. Cambridge 1989, S. 134. S. Eintr. Meditation. In: Theologische Realenzyklopädie. Hg. v. Gerhard Müller. Berlin 1977-1997, S. 328-353, S. 338. Ausführlicher zur monastischen Meditation s. Heinrich Bacht: »Meditatio« in den ältesten Mönchsquellen. In: GuL 28 (1955), S. 360-373. S. dazu auch Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 57-84.

23 Selbstgespräch aus - trotz der engen Verbindung von Betrachtung und Gebet durch den Dreischritt lectio - meditatio - oratio dominiert die monologische Form," die Meditation kann aber gleichwohl Gebete enthalten und lässt sich in vielen Fällen zutreffend beschreiben als Selbstgespräch in Anwesenheit Gottespersönliche< Verhältnis zu Christus wurde wichtig, aus der compassio, in der sich die eigene und die Geschichte Jesu überlagern, entstand die Christus- und Gottesliebe. 101 Rhetorik, Selbstgespräch und Selbstaffektion kennzeichnen die mittelalterlichen Meditationstexte. Die im Frühmittelalter durch stillschweigende Übereinkunft praktizierte Dreigliederung der Meditation in lectio (intensiv memorierender Umgang mit dem Bibelwort) meditatio (dessen innerliche, geistige Durchdringung) - oratio (Wendung zu Gott mit der Bitte um Zuwendung des erkannten Heils) wurde bis zum Ende des Mittelalters um die contemplatio (gnadenhafte, nicht methodisierbare Erfahrung Gottes) als viertem Schritt erweitert.102 Die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Meditation impliziert neben dem Leben und der Passion Christi die sogenannten >Vier letzten Dinge< (Tod, Jüngstes Gericht, Hölle und Paradies) als zentrale Meditationsobjekte.103 Die metho-

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Günter Butzer: Eintr. Meditation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. v. Gert Ueding. Tübingen 2001, Sp. 1016-1023, Sp. 1016. Günter Butzer: Eintr. Meditation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Sp. 1018. Ausführlicher s. Hans Wolters: Meditation bei Bernhard von Clairvaux. In: Geist und Leben. Zeitschrift für Aszese und Mystik 29 (1956), Sp. 206-218. Insbesondere die contemplatio kennzeichnet die Meditation als geistliche Übung, in der religiöse Tiefe oft nur schwer von mystischen Erlebnissen zu unterscheiden ist. Trotz der Schwierigkeit der Abgrenzung kann folgende Unterscheidung als Orientierungshilfe dienen: Das religiöse Erlebnis besteht in der Meditation als Weg und Endziel, während der Mystiker die Meditation lediglich als Ausgangspunkt nimmt, um sich durch sie auf das Göttliche in sich selbst zu besinnen und zur mystischen Gottesschau und Einheit mit Gott zu gelangen. Vgl. dazu Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), S. 20. S. Hans-Henrik Krummacher: »De quatuor novissimis«. Über ein traditionelles theologisches Thema bei Gryphius. In: Respublica Guelpherbytana. Wolfenbütteler Beiträge zur Renaissance-

24 dische Systematisierung wurde v.a. durch die spätmittelalterliche religiöse Reformbewegung der devotio moderna vorangetrieben (Thomas von Kempen, Sermones de vita et passione Domini, De imitatione Christi), Gerhard Groote differenzierte in De quatuor generibus meditationum Bibelmeditation, Betrachtung der Offenbarungen der Heiligen, der scholastischen Lehrmeinungen und der vom Gläubigen selbst geformten Bilder als vier Arten der Meditation. Die Nennung der selbst hervorgebrachten bzw. geformten Bilder verweist zudem auf die steigende Bedeutung der Einbildungskraft in der Meditation des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Die grundlegendste, gegenstandsunabhängige Systematisierung erfuhr die Meditation durch die Scala meditoria Wessel Gansforts, der die Meditation in Anlehnung an die rhetorische dispositio aufbaut. 104 Sie wurde von Jean Mombaer dem Werk Rosetum exercitiorum spiritualium (1494) zu Grunde gelegt und fand auf diesem Wege eine Verbreitung, deren Wirksamkeit sich noch in den meditativen Texten der Frühen Neuzeit nachweisen lässt. In einem einleitenden Teil wird das Thema ausgewählt und präsentiert (exordium). Der erste Hauptteil ist der memoria als erster Seelenkraft gewidmet und entspricht der rhetorischen narratio, in der der Gegenstand kommemoriert, zergliedert, mittels rhetorischer Figuren erhellt und ausgeschmückt wird (divisio und amplificatio). Der auf die Seelenkraft des Intellekts gerichtete Teil arbeitet mit Techniken dialektischer Argumentation wie Erörterung, argumentatio und refutatio. Die folgende ruminatio hat die Funktion der abschließenden, durchdringenden Zusammenfassung inne und leitet Uber zum beschließenden, auf den Willen (dritte Seelenkraft) abzielenden, affektiven Teil, der aus der gustado der göttlichen Süße, der confessio und der um göttliche Hilfe flehenden, vertrauenden (confidentia) oratio besteht. Die rhetorische peroratio erscheint im letzten Teil der Meditation und beinhaltet Danksagung, Empfehlung und Anheimgebung in Gottes Willen. Ignatius von Loyola (1491-1556)105 vereinfachte das Meditationsmodell von Gansfort bzw. Mombaer und schuf mit seinen Exercitia spiritualia (1548) eine meditative Struktur, die für die katholische Meditation der Frühen Neuzeit von bestimmender Wichtigkeit werden sollte und auch über die konfessionellen Grenzen hinweg die meditative Literatur beeinflusste.106

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und Barockforschung. Festschrift für Paul Raabe. Hg. v. August Buck. Amsterdam 1986 (Chloe 6), S. 499-576. Diesen Zusammenhang zeigt Günter Butzer: Eintr. Meditation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. v. Gert Ueding. Tübingen 2001, Sp. 1016-1023, Sp. 1019, auf den sich diese Ausführungen stützen. Die »Exercitia spiritualia« Loyolas entstanden zwischen 1521 und 1541. S. Carl-Alfred Zell: Untersuchungen zum Problem der geistlichen Barocklyrik mit besonderer Berücksichtigung der Dichtung Johann Heermanns (1585-1647). Heidelberg 1971, S. 104. Dieses Phänomen ist auf den Einfluss der Gegenreformation zurückzuführen. Zur Gegenreformation s. Paul Hankamer: Deutsche Gegenreformation und deutsches Barock. Die deutsche Literatur im Zeitraum des 17. Jahrhunderts. Stuttgart 31964; sowie Heinrich Lutz: Reformation und Gegenreformation. München 5 2002; Ronnie Po-Chia Hsia: Gegenreformation: die Welt der katholischen Erneuerung. 1540-1770. Frankfurt a.M. 1998 und Aspekte der Gegenreformation. Hg. v. Victoria

25 Es gelang Ignatius von Loyola mit seinen Exercitia spiritualia, ein Meditationsmodell zu schaffen, das sowohl den spirituellen Bedürfnissen der Gläubigen als auch den Ansprüchen der Kirche als Institution auf das Kontroll- und Führungsmonopol entsprach.107 Mit dieser neuen Methode der traditionellen monastischen Exerzitien fand er einen meditativen Weg für die katholischen Gläubigen, ihrem Bedürfnis nach intensivem, unmittelbarem und persönlichem Glauben und individueller Buße unter der Kontrolle und Lenkung der Kirche gerecht zu werden, ohne die seelische Schlüsselgewalt der Kirche aufgeben zu müssen. Da Ignatius das theologische Fundament der katholischen Kirche nicht unterlief, sondern einen Mittelweg zwischen individuell-außerkirchlicher und kirchlich-institutionalisierter Glaubensübung fand, wurden seine Geistlichen Übungen 1548 sogar vom Papst anerkannt und trugen dazu bei, individuelle Reformbestrebungen innerhalb der katholischen Kirche zu bremsen. Im Katholizismus beginnt sich die Meditation durch die Verbreitung der Exerctia spiritualia deshalb nicht nur - wie schon seit Jahrhunderten - als monastische, sondern auch als populäre Form der geistlichen Übung zu etablieren. Ignatius von Loyola wendete die Lehre von den fünf geistigen und fünf leiblichen Sinnen, die bereits im Mittelalter bekannt war, systematisch und zielbewusst an und nutzte die bewirkten psychologischen Effekte in der Meditation zugunsten einer tiefen innerlichen und sinnenhaften Erfahrung des Betrachtungsgegenstandes. Die ignatianische Meditation zeichnet sich insbesondere durch einen geregelten methodischen Ablauf und die damit verbundene Führung des Meditierenden bei der Affektevozierung und deren Bändigung sowie durch die Betonung der Rolle der Einbildungskraft zur affektiven Vergegenwärtigung aus. Die Geistlichen Übungen sind insgesamt auf eine Dauer von vier Wochen angelegt. In der ersten Woche soll schwerpunktmäßig die Erwägung und Betrachtung der Sünden stattfinden, in der zweiten wird das Leben Christi bis zum Palmtag betrachtet, in der dritten Woche das Leiden Christi und in der vierten schließlich die Auferstehung und Himmelfahrt. Die Struktur der einzelnen, täglichen Meditationen soll hier exemplarisch vorgestellt werden. Der Titel der Meditation gibt das Thema an: »Die zweite Übung ist eine Meditation (Besinnung) über die Sünden.«108

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von Fleming. Frankfurt a.M. 1997. Vgl. Delumeau und Timmermans, die die Bedeutung der Gegenreformation für die Meditation als katholische Frömmigkeitspraxis aufzeigen (Jean Delumeau: L'aveu et le pardon. Les difficultés de la confession [XlIIe-XVIIIe siècles]. Paris 1990; ders.: La religion de ma mère. Le rôle des femmes dans la transmnission de la foi, Paris 1992; ders.t Le péché et la peur. La culpabilisation en Occident [XlIIe-XVIIIe siècles]. Paris 1983; Linda Timmermans: L'accès des femmes à la culture [1598-1715]. Paris 1993, S. 288-303). S. das Kapitel »La méthode ignatienne« in Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 85-98, hier S. 93: »Ignace privilégie toujours la manière à la matière, et la méthode au contenu.« Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen. Übertragung und Erklärung ν. Adolf Haas. Freiburg i. Br. 1967, S. 33.

26 Es folgt das aus einem Vorbereitungsgebet bestehende praeludium, in dem nach dem Willen Gottes gebetet werden soll: »Das Vorbereitungsgebet ist: von Gott, unserem Herrn die Gnade erbitten dazu hin, daß alle meine Absichten, Handlungen und Beschäftigungen rein auf den Dienst und das Lob seiner göttlichen Majestät geordnet seien.« 109 Die im Titel genannte »Sünde« hat den Impuls gegeben zur Hinwendung zur göttlichen »Gnade«. In der compositio als nächstem Meditationsschritt folgt eine psychisch-emotionale Vorbereitung, die Gedächtnis und Einbildungskraft einsetzt, um sich meditierend in das Thema zu versenken. Dieser Meditationsteil fordert die memoria als erste Seelenkraft des Meditierenden - sein Ziel ist es, mit Hilfe der Einbildungskraft sowohl konkrete als auch abstrakte Betrachtungsgegenstände anschaulich vor Augen zu stellen. Die erste Vorübung ist der Aufbau des Schauplatzes. Dazu ist zu bemerken, dass bei der Betrachtung oder der Besinnung über etwas Sichtbares, wie etwa beim Betrachten Christi unseres Herrn, der anschaubar ist, dieser Aufbau darin bestehen wird, mit der Schau der Einbildungskraft den körperlichen Ort zu sehen, an dem sich der zu betrachtende Gegenstand findet. Körperlichen Ort nenne ich zum Beispiel einen Tempel oder Berg, auf dem Jesus Christus oder Unsere Herrin sich befinden, entsprechend dem, was ich betrachten will. Bei Unsichtbarem, so wie hier bei den Sünden, besteht der Aufbau [des Schauplatzes] darin, mit der Schau der Einbildungskraft zu sehen und zu betrachten, wie meine Seele in diesem verweslichen Leib eingekerkert ist und wie beide zusammen als ein Ganzes in diesem Erdental wie verbannt sind unter vernunftlosen Tieren; ich sage ausdrücklich: beide zusammen als Ganzes aus Leib und Seele.110

Mit Hilfe von Gedächtnis (memorierender Rückgriff auf Bilder)111 und Einbildungskraft kehrt der Meditierende zum Abgrund der Sünde zurück, nachdem zuvor sein Beten auf die Gnade Gottes und dessen Lobpreis gerichtet war. Der nächste Meditationsschritt ist die analysis, die den Intellekt als zweite Seelenkraft heranzieht, um den Meditierenden auf den zu betrachtenden Gegenstand zu konzentrieren. Dabei findet vor allem das rhetorische Mittel der amplificatio Anwendung, indem durch Vergleich, Steigerung, Aufzählung und Zerlegung das Betrachtungsobjekt tiefer durchdrungen wird: Der erste Punkt ist die Reihenfolge der Sünden; das heißt: alle Sünden des Lebens ins Gedächtnis rufen und dabei von Jahr zu Jahr oder von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt durchsehen. Hierzu ist dreierlei behilflich: erstens, den Blick richten auf den Ort oder das Haus, wo ich gewohnt habe; zweitens, den Umgang, den ich mit anderen gepflogen habe; drittens, den Beruf, in dem ich gelebt habe. 112

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Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen, S. 33. Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen, S. 33f. Carruthers beschreibt die Rolle der Memoria in der Meditation über die Letzten Dinge folgendermaßen: »These are recognizably uses of memory, but for thinking, for inventing, for making a composition in the present that is directed towards our future.« (Mary Carruthers: The Craft of thought: Meditation, Rhetoric, and the Making of Images, 400-1200. Cambridge MA 1998, S. 69). Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen. Übertragung und Erklärung ν. Adolf Haas. Freiburg i. Br. 1967, S. 36.

27 Neben der intellektuellen Zergliederung und Durchdringung wird hier auch die Bedeutung der memoria im Sinne der Selbst-Erinnerung offensichtlich. Die angestrebte Selbst- und Sündenerkenntnis zwingt den Meditierenden dazu, sich seiner Lebensgeschichte zu erinnern. Der Rückgriff auf bestimmte Mnemotechniken wie die Memorierung von Orten oder das Unterteilen des Lebens in Zeitabschnitte ist besonders hervorzuheben. Der auf den Willen (dritte Seelenkraft) abzielende Teil der Betrachtung ist als Synthese der Höhepunkt der Meditation. Die Einbildungskraft wird hier wirksam über die applicatio sensorum, d.h. die Anwendung der fünf Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten), welche zur affektiven Vergegenwärtigung und Aneignung des Betrachtungsobjektes führt. Der Meditierende simuliert so seine Anwesenheit in der imaginierten Szene und macht sie sich affektiv zu eigen. Es folgt das colloquium des Meditierenden mit Gott, das die evozierten Affekte wieder bändigt: »Schließen mit einem Gespräch der Barmherzigkeit. Mit Gott unserem Herrn sich unterhalten und Dank sagen, dass er mir bis zur jetzigen Stunde das Leben geschenkt hat, dann sich vornehmen mit seiner Gnade in Zukunft sich zu bessern. Vaterunser.«113 Hier hat die Selbst- und Sündenerkenntnis den Impuls gegeben zum »Gespräch der Barmherzigkeit«, zur Hinwendung zu Gott und zur Gotteserkenntnis. Der Blick in die Zukunft (»was ich für Christus tun soll«) macht die Perspektive der Umkehr in der Meditation deutlich. Das abschließende Vaterunser ist Ausdruck des objektiven Glaubensbekenntnisses, das am Ende der Meditation steht. Der Meditierende kommt in diesem abschließenden Gebet zu Ruhe und friedlicher Stille. Luthers (1483-1546) Theologie prägte und veränderte auch die protestantische Frömmigkeitspraxis. Der Reformator lehnt den der Meditation als geistlicher Übung innewohnenden Gedanken der religiösen Perfektion ab. Trotz seiner Beeinflussung durch die devotio moderna stellt er die Meditation in den Dienst einer Schriftexegese, die gerade nicht systematisch und strukturiert verläuft und sich der altkirchlichen Tradition annähert. Die von ihm postulierte Trias von oratio - meditatio - tentatio bezieht sich nicht auf eine Meditationsstruktur, sondern beschreibt »unterschiedliche Aspekte desselben religiösen Erlebens: einer den ganzen Menschen als geistigaffektive Einheit umfassenden, durch die Heilige Schrift vermittelten Erfahrung Gottes, die sich insbesondere in der Anfechtung ereignet.«114 Auf dieser Stufe der

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Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen, S. 37. Günter Butzer: Eintr. Meditation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. v. Gert Ueding. Tübingen 2001, Sp. 1016-1023, Sp. 1020. So auch Oswald Bayer: Oratio, Meditatio, Tentatio. Eine Besinnung auf Luthers Theologieverständnis. In: Lutheijahrbuch 55 (1988), S. 49ff. und Martin Nicol: Meditation bei Luther. Göttingen 2 1990 ( Ί 9 8 4 ) , S. 101: »Somit könnten wir zusammenfassend formulieren: Meditation im Sinne Luthers meint die Erhellung der angefochtenen Existenz durch das Wort, gleichzeitig die existenzielle Erhellung des Wortes durch die Anfechtung.«

28 Erfahrung der göttlichen Gnade in der Anfechtung geschieht die Überwindung der Angst, womit die consolatio, der Trost gegeben wird. Erdei sieht in diesem Zurücktreten der Bedeutung der Sünde und Buße hinter der Bedeutung von spes und fides den vorübergehenden Rückgang der protestantischen Meditationsliteratur zur Zeit Luthers bis ca. 1580 begründet.115 Die Lehren des Reformators könnten der Meditation als Frömmigkeitspraxis einen eher geringen Stellenwert zugeordnet haben, indem sie - vorübergehend - durch die unmittelbare Verbindung von Glaube und Heil im sola fide die Last der Sünde auf den Schultern des einzelnen Gläubigen zu erleichtern schienen. Der Glaube allein, nicht Buße, Selbst- und Sündenerkenntnis oder eine nach Perfektion strebende Frömmigkeitspraxis versprechen die Zuwendung des göttlichen Heiles. Luther betont eindringlich, dass nur die Gnade Gottes zum Gelingen der Meditation führen kann, nicht eine menschliche Eigenleistung in der Meditation.116 Längeres Gebet und Meditation sind bei Luther nicht eindeutig voneinander geschieden, was den engen Zusammenhang von oratio und meditatio im lutherischen Meditationsverständnis unterstreicht:117 Luther akzentuiert das äußerliche Aneignen des Bibelwortes durch die meditative ruminatio i.S. des lauten Lesens und Betens und stellt sich gegen spiritualistische Tendenzen der Meditation. Gerade nicht ein ausschließliches >In-sich-GehenAus-sich-heraus-Gehen< macht die meditative Betrachtung nach Luther aus.118 Weiterhin ist zu bemerken, dass die mittelalterliche Sünden-, Tod- und Höllenmeditation im Sinne der Verwerfung der Furchtreue zugunsten einer stärkeren Betonung der Passionsmeditation an Bedeutung verlor. Dabei standen nicht Affekterzeugung und Mitleid,119 sondern die Erkenntnis der Liebe Christi im Mittelpunkt der Betrachtung, die zum Vertrauen auf Christi Erlösungstat und zur Bekämpfung der Heilsangst führen sollte. Zusammenfassend ist zunächst die Entsystematisierung der meditativen Praxis zugunsten ganzheitlicher, durch das Bibelwort vermittelter Schriftexegese und Gotteserfahrung in der Anfechtung (tentatio) festzuhalten. Weiterhin ist von Bedeutung, 115

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Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), S. 80f. S. Martin Nicol: Meditation bei Luther. Göttingen 2 1990 ('1984), S. 124f. Martin Nicol: Meditation bei Luther. Göttingen 2 1990 ('1984), S. 64-66 und 92 sowie Johannes Wallmann: Zwischen Herzensgebet und Gebetbuch. Zur protestantischen deutschen Gebetsliteratur im 17. Jahrhundert. In: Gebetsliteratur der Frühen Neuzeit als Frömmigkeitspraxis. Funktionen und Formen in Deutschland und den Niederlanden. Hg. v. Ferdinand van Ingen und Cornelia Niekus-Moore. Wiesbaden 2001, S. 26. S. Martin Luther: S. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Weimar 1966 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Weimar 1883), 10 I, 1, S. 435. Oswald Bayer: Oratio, Meditatio, Tentatio. Eine Besinnung auf Luthers Theologieverständnis. In: Lutherjahrbuch 55 (1988), S. 23ff. und 36ff. Auf Affektevozierung gerichtetes, tränenreiches Mitleid mit dem Gekreuzigten, wie es die mittelalterliche Passionsmeditation kennt, bedeutete für Luther einen Missbrauch der Passionsmeditation (s. Martin Nicol: Meditation bei Luther. Göttingen 2 1990 ('1984), S. 125).

29 dass Luther die Meditation als Gnadengeschenk Gottes betont und sie nicht als menschliche Eigenleistung verstanden sehen will. Auch die Wendung gegen spiritualistisch-mystische Tendenzen durch eine Betonung des äußerlichen Charakters der Meditation ist charakteristisch. Ebenso wird durch die Ablehnung von tränenreichem Mitleid in der Passionsmeditation eine gewisse Skepsis Luthers gegenüber zu starker Affektdominanz in der Meditation deutlich. Das bestimmende Moment in Bezug auf die calvinistische Meditation besteht in der Tatsache, dass Calvins Gebetsfrömmigkeit keinen Raum ließ für jeglichen individuellen oder gar literarischen Ausdruck von Glaubensinhalten. Er lehnt alle Affekthaftigkeit und literarische Ambition im Umgang mit dem Bibelwort ab, und auch die laienhafte Schriftauslegung ist wie die individuell-persönliche Frömmigkeit nicht mit seinen theologischen Prinzipien zu vereinbaren. Im Jahr 1557 publiziert er seine Psalmenkommentare unter folgender Prämisse: De ma part, en me conformant à la façon que Dieu a ici tenue, je m'efforcerai de suivre en bref le vrai fil du texte, et, sans insister à longues exhortations, je mettrai peine seulement de mâcher, comme on dit, les mots de David, afin qu'on puisse les digérer. [...]. [Et je veux] me restreindre tellement qu'il soit aisé aux plus ignorants de reconnaître que je n'ai voulu sinon éclairer la simple substance du texte. 120

Dieser Anspruch einer streng rationalistischen Bibelexegese steht zunächst im Gegensatz zur Praxis der Meditation. Andererseits mag die Bußtheologie Calvins das Bedürfnis nach individueller Frömmigkeitspraxis auch gesteigert haben. Reue erwächst nicht, wie nach lutherisch-protestantischer Vorstellung, aus dem Glauben und der Gottesliebe, sondern für Calvin ist der timor, die Gottesfurcht, alleinige Motivation der Buße. Nicht die Linderung der Sündenangst des Menschen, sondern deren Steigerung wird von ihm angestrebt. »In Calvins Bußtheologie stehen weder Liebe, noch die befreiende Absolution der Privatbeichte der Last der Sünde gegenüber. Er schaffte Bußsakrament und Beichte radikal ab und trat für die Alleinbeichte vor Gott, ohne kirchlichen Vermittler, ein.« 121 Die Meditation setzt ein Minimum an Zuversicht in Bezug auf individuelle Nähe zu Gott voraus. Calvins Betonen der Distanz zwischen Gott und dem einzelnen Gläubigen mag einerseits dem für die Meditation notwendigen Zutrauen entgegenstehen, einen individuellen Weg zu Gott zu bahnen. Fällt die institutionelle Vermittlerrolle der Kirche und der Beichte allerdings weg, so sieht sich der einzelne Gläubige auf seine individuelle Frömmigkeitspraxis zurückgeworfen. Die erlösende Heilstat Christi tritt hinter der Allmächtigkeit Gottes zurück, und so erklärt Calvins theozentrische,

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Jean Calvin: Vingt deux sermons de M. Jean Calvin, ausquels est expose le Pseaume cent dixneufieme contenant pareil nombre de huictains. Genf 1562, Premier sermon, Préface. Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), S. 88.

30 auf Steigerung der Schuldangst bedachte Frömmigkeit auch das Fehlen jeglicher Christusmeditationen im 16. und 17. Jahrhundert. Or, si l'on parcourt les ouvrages de dévotion dus à l'influence calviniste, et parus pendant les XVIe et XVIIe siècles, on est frappé de l'absence du Christ. L'âme dévote calviniste médite sur son péché, se travaille pour produire la repentence, s'abime dans le sentiment de la présence de Dieu - et semble ne point se souvenir du Christ Rédempteur. 122

Die calvinistische Meditation zeigt sich deshalb zunächst gebremst in Affektivität und Literarizität. Sie betont die Distanz des meditierenden Gläubigen zu Gott und drängt den der Christus- und Passiomeditation innewohnenden Erlösungsgedanken zugunsten des insistierenden Sündenbewusstseins und der Gottesfurcht zurück.

1.3.2 D i e Meditation des späten 16. und 17. Jahrhunderts: zu Konfessionsspezifika und Krisendiskussion Bereits im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts ist nicht nur ein quantitativer Anstieg der deutschsprachigen, englischen und französischen Meditations- und Erbauungsliteratur zu verzeichnen, sondern auch qualitative Veränderungen sind festzustellen. Dafür werden in der Forschungsliteratur verschiedene Gründe diskutiert - dominant ist die Annahme einer allgemeinen >Krise< in diesem Zeitraum. Hatte es bereits parallel zu Luthers Reformbestrebungen mystische Tendenzen gegeben, findet nun zunehmend mystisches Gedankengut Eingang in die protestantisch-lutherische Meditations- und Erbauungsliteratur.123 Insbesondere die Vorstellung der Natur als Ort und Medium mystischer Erfahrung und der Gottesbegegnung ist in meditativen Schriften allgegenwärtig. 124 Nachdem mystische Literatur zunächst nur außerhalb der lutherischen Kirche rezipiert wird, findet sie später unbemerkt in protestantischen Kreisen Verbreitung.125

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Eintr. Calvin, Calvinisme. In: Dictionnaire de Spiritualité. Ascétique et Mystique. Doctrine et Histoire. Hg. v. Charles Baumgartner u.a. Paris 1937-1986, S. 23-50, S. 33. Vgl. Johannes Wallmann: Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit. Zur Rezeption der mittelalterlichen Mystik im Luthertum. In: Chloe. Beihefte zum Daphnis. Bd. 2: Frömmigkeit in der frühen Neuzeit. Amsterdam 1984 und Wilhelm Koepp: Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum. Aalen 1973 (Neudruck der Ausgabe Berlin 1932). S. Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. 5 Bde. Bd. 3: Barock-Mystik. Tübingen 1988, S. 12: »Und gerade die Natur-Mystik besaß ebenfalls ein die konfessionellen Grenzen überschreitendes Frömmigkeitspotential; in ihr erwies das >Buch der Natur< bereits im 17. Jahrhundert seine einigende Kraft, während das >Buch der Bücher< nur für heillosen Unfrieden sorgte.« Dies erfolgte z.B. durch das Publizieren von mystischer Literatur unter Weglassung des Autorennamens. So veröffentlichte der Baseler Theologieprofessor Wolfgang Capito bereits im Jahr 1536 Werke des Mystikers Kaspar von Schwenckfeld in seiner Gebetsammlung »Precationes Christanae« und ermöglichte so die unbefangene Rezeption mystischer Literatur. Mystiker wie Valentin Weigel und Jacob Böhme wurden jedoch nie von der lutherischen Orthodoxie anerkannt.

31 Der protestantisch-lutherische Prediger Martin Moller ( 1 5 4 7 - 1 6 0 6 ) greift als einer der ersten programmatisch auf verschiedene m y s t i s c h e Strömungen zurück, 1 2 6 u m durch die Christus- und Passionsmystik einen W e g z u m G e m ü t des Gläubigen zu finden,

Glaubensinhalte zu verinnerlichen und für e i n e christliche Lebensführung

fruchtbar zu machen. 1 2 7 Er will in seinen Meditationen die Unmittelbarkeit des Erlebnisausdrucks wiedergeben, indem er den meditativen und betenden U m g a n g mit den von ihm zusammengestellten Texten nicht nur beschreibt, sondern auch exemplarisch vorführt. Mit Philipp Kegels (gest. 1611) Meditationswerk Zwölf geistliche

Andachten

werden weitere Einflüsse in der protestantisch-lutherischen Meditations- und Erbauungsliteratur wirksam: W i e Paul Althaus in seinen Untersuchungen zur evangelischen Gebetsliteratur n a c h g e w i e s e n hat, machen Übersetzungen aus Werken v o n A n s e l m von Canterbury, Bernhard von Clairvaux, Tauler und Thomas von Kempen ein Drittel seines Buches aus 1 2 8 und greifen somit direkt auf die mittelalterliche Tradition s o w i e die devotio tentum

moderna

zurück. A u c h Johann Arndts Vier Bücher

vom wahren

Chris-

( 1 6 0 5 - 1 6 1 6 ) w e i s e n eine deutliche N ä h e zur Mystik auf und prägen durch

ihren hohen Verbreitungsgrad im 17. Jahrhundert die Inhalte und Sprachformen der Betrachtung in der meditativen Literatur mit. 1 2 9 Später sind e s Herberger, 1 3 0 Joachim

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Martin Moller: Meditationes sanctorum Patrum. Schöne / Andechtige Gebet / Tröstliche Sprüche / Gottselige Gedancken / Trewe Bußvermanungen / Hertzliche Dancksagungen / vnd allerley nützliche vbungen des Glaubens. Aus den heyligen Altvätem Augustino, Bemhardo, Taulero vnd andern / fleissig vnd ordentlich zusammen getragen vnd verdeutschet [...]. Görlitz 1590 ('1584); ders.: Altera pars Meditationum ex sanctis Patribus. Ander Theyl Andechtiger schöner Gebet [...]. Allen andechtigen Hertzen / zum Christlichen Leben und seligen Sterben / gantz nützlich zubrauchen. Görlitz 1591. Die »Meditationes sanctorum Patrum« verwenden Übersetzungen von Texten der Erbaungsliteratur der mittelalterlichen Mystik (Pseudo-Augustinus, Bernhard von Clairvaux, Tauler). Elke Axmacher: Praxis Evangeliorum. Theologie und Frömmigkeit bei Martin Moller (1547-1606). Göttingen 1989 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 43), S. 200 u. 319. Paul Althaus: Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur. Hildesheim / Olms 1966 (Neudruck der Ausgabe Gütersloh 1927), S. 311 und 138. S. auch Hermann Beck: Die Erbauungsliteratur der evangelischen Kirche Deutschlands von Dr. M. Luther bis Martin Moller. Erlangen 1883, S. 209-216. Die »Vier Bücher vom wahren Christenthumb« Arndts erlebten bis 1740 in Deutschland 95 Auflagen, mit den Übersetzungen in andere Sprachen wurde das Werk 123 Mal aufgelegt (HansGeorg Kemper: Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. Bd. 2: Konfessionalismus. Tübingen 1987, S. 250; dazu auch Johannes Wallmann: Johann Arndt und die protestantische Frömmigkeit. Zur Rezeption der mittelalterlichen Mystik im Luthertum. In: Chloe. Beihefte zum Daphnis. Bd. 2: Frömmigkeit in der frühen Neuzeit. Amsterdam 1984.). Greiffenberg etwa bezieht sich in ihrem Betrachtungswerk explizit auf die Lektüre der Arndtschen Schriften (Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette / Lieder und Gedichte / zu Gottseligem Zeitvertreib / erfunden und gesetzet durch Fräulein Catharina Regina / Fräulein von Greiffenberg / geb. Freyherrin von Seyßenegg: Nunmehr Dir zu Ehren und Gedächtniß / zwar ohne ihr Wissen / zum Druck gefördert / durch ihren Vettern Hanns Rudolf von Greiffenberg / Freyherrn zu Seyßenegg. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe 1662), Bd. 3, S. 451; Bd. 5, S. 47; Bd. 7, S. 376). Insbesondere sein mystisch-spiritualistisches Bibelverständnis, das in Jesus die Schlüsselgestalt für das zu lüftende >Geheimnis< der Schrift sieht, trennt ihn von Luther. S. Valerius Herberger:

32 L ü t k e m a n n u n d H e i n r i c h Müller, d i e g a n z selbstverständlich d e n » A d e l « o d e r d i e » S c h ö n h e i t der S e e l e « 1 3 1 z u m B e t r a c h t u n g s g e g e n s t a n d m a c h e n u n d d e n » G o t t in u n s « 1 3 2 zu e r f o r s c h e n s u c h e n . A u c h das B e t r a c h t u n g s w e r k d e r Catharina R e g i n a v o n G r e i f f e n b e r g 1 3 3 z e u g t v o n starken m y s t i s c h e n E i n f l ü s s e n . Eine Reihe von Theologen [...] haben versucht, durch Erbauungsbücher, Gebetbücher, Meditationsbücher und Geistliche Lieder eine neue religiöse Sprache zu finden und das religiöse Erfahrungsdefizit des orthodox werdenden Luthertums auszugleichen. Fast alle haben sie dabei auf die vorreformatorische, altkirchliche und mittelalterliche, Mystik zurückgegriffen. Am umfassendsten und mit der nachhaltigsten Wirkung tat dies Johann Arndt, dessen Vier Bücher vom Wahren Christentum [...] für das ganze 17. Jahrhundert und weit darüber hinaus zum meistgelesenen Buch neben der Bibel wurden. 134 A u c h d i e c a l v i n i s t i s c h e Meditationsliteratur greift i m späten 16. und 17. Jahrhundert stark auf m y s t i s c h e Traditionen zurück, die z w a r o f f e n genannt, aber oft l e d i g l i c h als Inspirationsquelle b e z e i c h n e t w e r d e n . Pierre du M o u l i n ( T h é o p h i l e , ou de divin, l'esprit,

1 6 1 5 ) , Pierre du M o u l i n fils ( T r a i t é de la paix de l'âme 1 6 6 0 ) und Pierre Jurieu ( T r a i t é de la dévotion,

l'amour

et du contentement

de

1 6 7 5 ) sind d i e b e d e u t e n d s t e n

A u t o r e n m e d i t a t i v e r c a l v i n i s t i s c h e r Literatur, b e i d e n e n d i e N ä h e zur mittelalterl i c h e n M y s t i k d e u t l i c h wird. A u s d r ü c k l i c h s o l l e n aber t h e o l o g i s c h - d o g m a t i s c h e K o n t r o v e r s e n v e r m i e d e n w e r d e n , d i e d e m »esprit d e la d é v o t i o n « e n t g e g e n s t e h e n , s o Pierre Jurieu: Ceux qui liront ce Traité avec attention, reconnoitront facilement que l'Auteur n'est pas ignorant dans la Theologie des Mystiques, & on ne dissimule pas qu'on les a consultez. Ecrivant sur l'amour divin, on ne pouvoit pas ne point écouter ces Docteurs qui se disent Maîtres du pur amour. On les a donc lus [...]. Leurs pensées nous en ont donné d'autres, qui valent peut-être mieux. On s'est fort éloigné de la controverse, & de l'esprit de dispute qui est fort opposé à l'esprit de la dévotion. 135

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MAGNALIA DEI de JESU, Scripturae nucleo & medulla. [...] Gefasset Durch fleissiges Gebet / Lesen und Nachdenken / Hertz / Mund und Feder / VALERII HERBERGERI, Predigers in Frawstadt. [...]. Theil 1-12. Hamburg 1661. Joachim Lütkemann: Von der gläubigen Seele Schönheit. In: Der Vorschmack göttlicher Güte. Hg. v. Joachim Lütkemann. Wolfenbüttel 1653, Teil II, 16. und 17. Betrachtung, S. 434-445 und 484-486. Heinrich Müller: Geistlicher Dankaltar. Frankfurt 1694 ( 1 1669), 6. Andacht: Er beladet uns mit Heil. S. 166-169, S. 169. S. v.a. Catharina Regina von Greiffenberg: Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina / Frau von Greiffenberg / Freyherrin auf Seysenegg / Zu Vermehrung der Ehre GOttes und Erweckung wahrer Andacht / mit XII. Sinnbild=Kupfem verfasset und ausgefertiget. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983, Bd. 9 und 10 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1672). Johannes Wallmann: Der Pietismus. Göttingen 1990, S. 12f. Pierre Jurieu: La Pratique de la Dévotion, ou Traité de l'amour divin [...] A l'usage de tous les Fidèles & particulièremenzt de ceux qui souffrent pour Christ. Rotterdam 1700, S. 106f.

33 Die protestantische meditative Literatur des späten 16. und 17. Jahrhunderts rekurriert ebenfalls vermehrt auf altkirchliche Traditionen, wie etwa Johann Gerhard in seinen Meditationes Sacrae (1606/1607). 136 Auf diese Weise verstärkt sich auch wieder die Orientierung an der spätmittelalterlichen Meditationsstruktur i.S. der Scala Jean Mombaers. 137 Ein weiterer Befand ist hervorzuheben: Nicht nur gegenüber der mittelalterlichen Mystik und Meditationstradition, sondern auch gegenüber katholischen Quellen zeigt sich in der protestantischen Meditationsliteratur eine bemerkenswerte Aufgeschlossenheit, die sich in der überkonfessionellen, wechselseitigen Rezeption und Beeinflussung der Meditationsliteratur bemerkbar macht. Die von Philipp Kegel in seinen Zwölf geistlichen Andachten erwähnten »anderen Gebett« und die Struktur der Vorrede erweisen sich bei eingehender Analyse als direkte Übernahmen aus den deutschen Gebetbüchern der Jesuiten Canisius und Michaelis. 138 Auffällig ist die zunehmende Bedeutung der auf Vergegenwärtigung zielenden Inanspruchnahme der Einbildungskraft auch in protestantischen Meditationen. Als Beispiel soll hier eine klassisch-ignatianische compositio (Zusammenstellung des Ortes, der Zeit und der speziellen Umstände mit Hilfe der Vorstellungskraft) eines lutherischen Meditationsautors zitiert werden: Damit wir aber / diß theuwr unnd hochgelobt Sacrament / mit nutz und frucht / zu vnserem trost vnd vnderrichtung / bedencken vnd begehn mögen: sollen wir sonderlich / auf nachfolgende puncten vnnd artickel [...] gute achtung geben [...]. Nemlich fur das erst: Von wem diß freud vnd gnadenreich maal vnnd Sacrament sey gestiftet vnd eingesetzt worden. Demnach zu welcher zeyt. Zum dritten / an welchem ort: Zum vierten / welches die erste gest gewesen / mit denen es der Son Gottes zum ersten mal begangen. Zum funfften / mit was weiß vnd maß / form vnd gestalt / mit was Worten vnd Ceremonien / mit was fur einer speiß vnd tranck / es von dem Son Gottes vnnd des menschen sey eingesetzt worden. 139

Nicht nur mittelalterliche und mystische, sondern auch katholisch-jesuitische Einflüsse gelangen auf diese Weise als Zeugen der Gegenreformation, aber auch des Verblassens konfessioneller Abgrenzung in die protestantische Meditations- und Erbauungsliteratur. Eines der interessantesten und wichtigsten Beispiele für die Konfessionsgrenzen überschreitende Verbreitung katholischer Meditationsliteratur ist Hermann Hugos

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Johann Gerhard: Meditationes Sacrae (1606/1607). Lateinisch-deutsch. Kritisch hg., kommentiert u. mit einem Nachwort versehen von Johann Anselm Steiger. 2 Bde. Stuttgart - Bad Cannstatt 2000. Günter Butzer: Eintr. Meditation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. v. Gert Ueding. Tübingen 2001, Sp. 1016-1023, Sp. 1020f.; Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), S. 237. Paul Althaus: Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur. Hildesheim / Olms 1966 (Neudruck der Ausgabe Gütersloh 1927), S. 59-66 und 141f. Johann Wilhelm Stucken: Meditationes Eucharistiae / das ist / danckbare / tröstliche vnd heilsame Betrachtung deß H. vnd Hochwirdigen Abendtmals. Zürich 1587, S. 10-11.

34 (1588-1629) emblematisches Meditationswerk Pia desiderici aus dem Jahr 1624. 140 Das Buch des belgischen Jesuitenpaters erreichte eine Zahl von heute 55 bekannten lateinischen und 73 volkssprachlichen Ausgaben. 141 Im Gegensatz zur protestantischen ist für die katholische Meditationsliteratur des späten 16. und 17. Jahrhunderts zu beobachten, dass die Erstauflage meist in lateinischer Sprache erfolgt und erst später in die jeweilige Volkssprache übersetzt wird. Die Popularisierungstendenz der Meditation als Frömmigkeitspraxis setzt somit scheinbar im Katholizismus zeitlich verzögert als sekundärer Effekt ein, wie sich z.B. anhand der Schriften von Jeremias Drechsel und Hermann Hugo zeigen lässt. 142 Im Falle der Pia desiderio von Hermann Hugo wurde die lateinische Fassung im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts ins Französische, Spanische, Deutsche, Flämische, Polnische, Italienische, Dänische und Englische übersetzt.143 Dabei beschränkte sich die Rezeption und Übersetzung nicht nur auf katholische Kreise: Unter den Verfassern und Bearbeitern der volkssprachlichen Ausgaben waren nicht nur Katholiken wie Erasmus Franciscus, Carolus Stengel, Wencel Scherffer von Scherffenstein und Johann Christoph Hainzmann, sondern auch einige Protestanten kannten und schätzten Hugos Werk und trugen zu seiner volkssprachlichen Verbreitung bei, wie z.B. Johann Georg Albinus (Weiß), Jeanne Marie Bouvier de la Mothe-Guyon und Francis Quartes. Jeremias Drechsel und Friedrich Spee waren die Pia desideria ebenso bekannt wie Paul Fleming, Philipp von Zesen, Georg Philipp Harsdörffer, Andreas Gryphius, Johann Beer und Heinrich Mühlpfort.144

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Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Hg. ν. Carlos Sommervogel. Brüssel / Paris 1890/1900, Bd. 4, S. 513-520. Michael Schilling: Nachwort. In: Wencel Scherffer von Scherffenstein Hermanni Hugonis S.J. Gottsäliger Verlangen Drey Bücher (1662). Hg. v. Michael Schilling. Tübingen 1995, S. 3. So z.B. auch die Werke von Jeremias Drechsel: Richter Stuel Christi Oder Sonderbare Fürfordern / und gehaimes Gericht aines jeden Menschen in seiner Sterbstund [...] von Loachim Meichel verteutscht. München 1633; ders.: Der Ewigkeit Vorbott, deß Todts Heroldt. So Gesünden, Kranckhen, und Sterbenden Menschen sich woll zum Sterben zu beraiten zugeschickt wirdt. [...] durch Johan Jacob Schulpl ubersetzet. Wien 1642; ders.: Christlicher Trismegistus Das ist: Dryfacher Tractat / Wie man Dem Gewissen abwarten / Die Heiligen verehren / Deß Leibs pflegen soll. [...] Nun aber dem gemeinen Nutz zu gutem in die teutsche Sprach ubersetzt. Augsburg 1626; ders.: Zodiacus Christianus das ist Christlicher Himmelcirckel oder Zwölf Zeichen, bey welchen ein ieder Christ erkennen und schliessen kan, ob er von Gott zum ewigen leben fürsehen, und erwälet oder nicht. Wie dann in diesen Figuren aida XII bemelte Zeichen für äugen gesteh werden. [...] von Thomas Kern verteutscht. München 1640; ders.: Kreutz Schuel In welcher die Gedult gestärckt; hülff und trost an die Hand gegeben wird. [...] verteutscht durch loachim Meichel. München 1631; ders.: Sonnenwend das ist / Gleichförmigkeit deß Menschlichen Willens mit dem Willen Gottes [...] durch Joachim Meichel verteutscht. München 1631. Hester M. Black: Vorwort. In: Hermann Hugo. Pia Desideria. Hg. v. Hester M. Black. Scholar Press 1971, o. Pag. und Michael Schilling: Nachwort. In: Wencel Scherffer von Scherffenstein Hermanni Hugonis S.J. Gottsäliger Verlangen Drey Bücher (1662). Hg. v. Michael Schilling. Tübingen 1995. S. auch Michael Schilling: >Der rechte teutsche HugoPia desideria< Hermann Hugos SJ. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 70 (1989), S. 283-300. Michael Schilling: Nachwort. In: Wencel Scherffer von Scherffenstein Hermanni Hugonis S.J. Gottsäliger Verlangen Drey Bücher (1662), S. 4.

35 Einen interessanten Befund liefert auch der Vergleich von mehreren katholischen und protestantischen Übersetzungen des Textes mit der lateinischen Erstausgabe: Hugos Pia desiderio werden nicht nur konfessionsübergreifend rezipiert und übersetzt, sondern auch die Übersetzer greifen auf bereits vorliegende Übersetzungen beider Konfessionen zurück. Die lateinische Erstausgabe von 1624145 ist in drei Bücher mit den Titeln Gemitus Animae poenitentis, Vota Animae Sanctae und Suspiria Animae Amantis unterteilt. Jedes Buch enthält mehrere Betrachtungskapitel, die jeweils aus Sinnbild, Psalm-/ Bibelvers, einer ca. 80 Verse umfassenden Betrachung und einer Sammlung thematisch passender kurzer Textpassagen aus den Schriften der Kirchenväter bestehen. Der Benediktinermönch Karl Stengel reduziert in seiner Übersetzung mit dem Titel Gottselige Begierde Aus lautter sprächen der Heiligen Vättern Zusammen gezogen Und mit schönen Figuren gezieret durch R.P. Herrn Hermannum Hugonem S.J. von 1626146 diese Vorlage auf Sinnbild, Bibelzitat und kurze Textpassagen der Kirchenväter, unterschlägt also in seiner Übersetzung die Versbetrachtung und weite Teile der thematisch zusammengestellten Zitate. Der französische Katholik André Presson bietet in seiner volkssprachigen Fassung 147 in deutlicher Orientierung an Hugo neu gestaltete Sinnbilder und folgt der lateinischen Erstfassung auch in Bezug auf die gebotenen Psalmverse inklusive der von ihm selbst in Strophenform gebrachten Versbetrachtung (26 Strophen zu 8 Versen). Dabei lässt er die lateinische Fassung Hermann Hugos jeweils auf der gegenüberliegenden Buchseite mit abdrucken und gewährleistet so seine Nähe zur Textvorlage und deren Nachvollzug durch die des Lateinischen kundigen Leser. Aus der reichen Auswahl von Zitaten der Kirchenväter greift er lediglich eines oder wenige heraus und fügt stattdessen eine Liedstrophe mit Notenführung hinzu. Seine Übersetzung zeigt bereits einen über reine Übersetzung hinausgehenden innovatorischen Anspruch. Der Lutheraner Johann Georg Albinus ist einer derjenigen Übersetzer, die die interkonfessionelle Verbreitung und Bearbeitung der katholischen Meditationsliteratur im 17. Jahrhundert unter Beweis stellen: Er übersetzt Hermann Hugos >Bestseller< in offener Bezugnahme auf den katholischen Autor der Vorlage mit dem Titel Himmel=flammende Seelen=Lust, Oder: Hermann Hugons Pia Desideria, Das ist: Gottselige Begierden/Allen inbrünstig verliebten Jesus=Seelen (1675),148 und selbst

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Hermann Hugo: Pia desideria (Antwerpen 1624). Hg. v. John Horden. Scolar Press 1971. Carolus Stengel: Gottselige Begierde Aus lautter Sprüchen der Heiligen Vättem Zusammen gezogen Und mit schönen Figuren gezieret durch R.P. Herrn Hermannum Hugonem S.J. Verteutscht durch Carolum Stengelum [...]. Augsburg 1626. Andrea Presson: Das Klagen Der büssenden Seel Oder die so genannte Pia Desideria Erstlich von P. Hermanno Hugone der Societ. Jesu [...] Anietzo von Magistro Andrea Pressson Volcacente Francone [...] in hochteutsche Poesin [...] auch sambt betrachtung der lateinischen Carminum mit schönen anmüthigen Melodeyen neuen Kupfferstichen und annotationen [...] gezieret [...]. Bamberg 1672. Johann Georg Albinus (Weiß): Himmel=flammende Seelen=Lust, Oder: Hermann Hugons Pia

36 der bekannte protestantische Autor meditativer Schriften Justus Georg Schottelius verfasst eines der approbierenden Ehrengedichte im Band. Albinus kritisiert in seinem Vorwort die bislang vorliegenden Übersetzungen als verstümmelt, schlecht und eklektizistisch unehrenhaft unter fremdem Namen vorgehend und preist seine Version als die erste gelungene Übersetzung ins Deutsche an. Er unterschlägt keines der Elemente der Hugoschen Betrachtungen, bietet auch die Versbetrachtungen, fasst diese aber nicht wie sein katholischer Vorgänger in Strophen- oder Liedform und zeigt auch einen bedeutend freieren Umgang mit der lateinischen Textvorlage. Vor allem aber unterscheidet sich seine Übersetzung im Vergleich zu den katholischen Übersetzungen durch den in den einzelnen Betrachtungen jeweils großen Anteil von Zitaten aus den Schriften der Kirchenväter. Damit unterstreicht er nicht nur die von ihm eingeforderte Nähe zu Hugos Erstausgabe von 1624, sondern rechtfertigt sich auch präventiv gegenüber Kritik aus den Reihen der Orthodoxie, die ihm Nähe zum Katholizismus vorwerfen könnte. Indem er seine übersetzten bzw. bearbeiteten Texte ausgiebig mit Passagen aus den Schriften der Kirchenväter untermauert, folgt er nicht nur der allgemeinen Tendenz der protestantischen Meditationsliteratur des 17. Jahrhunderts, die sich verstärkt auf die altkirchlichen Texte bezieht (s.o.),149 sondern beweist auch unabhängig von der Konfession des Urverfassers die theologische Unbedenklichkeit seines Textes. Johann Christopher Hainzmanns Übersetzung mit dem Titel Himmlische Nachtigall / Singend Die Gottselige Begirden der biissenden / heiligen und verliebten Seel von 1684150 veranschaulicht nun die oben angesprochene konfessionsübergreifende Beeinflussung der Übersetzungen untereinander: Das 3. Klag=Lied der Klagen der biissenden Seel erweist sich als Synthese der katholischen Presson-Übersetzung (s.o.) und der protestantischen Übersetzung von Albinus! Er übernimmt in der Versbetrachtung die von Presson aufgebrachte Strophenform und bietet - wie sein protestantischer Vorgänger Albinus - nicht nur einen oder wenige, sondern eine breite Auswahl der von Hugo zusammengestellten Passagen aus den Schriften der Kirchenväter. Alle von ihm gebrachten Textzauszüge finden sich auch in der Albinus-Übersetzung. Nicht nur die überkonfessionelle Rezeption der meditativen Literatur, sondern auch die konfessionsübergreifende Intertextualität der Übersetzungen führt demnach zu einem gemeinsamen Fundus an meditativen Inhalten, Strukturen und Vorbildern, der die Grenzen zwischen den Konfessionen für die Meditation als Frömmigkeitspraxis zwar nicht aufhebt, aber doch relativiert.

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150

Desideria, Das ist: Gottselige Begierden / Allen inbrünstig verliebten Jesus=Seelen / in hochteutscher gebundener und ungebundener Rede andächtig vorgestellet / von Johann Georg Albinus [...]. Frankfurt 1675. Günter Butzer: Eintr. Meditation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. v. Gert Ueding. Tübingen 2001, Sp. 1016-1023, Sp. 1020f. Johann Christopherus Hainzmann: Himmlische Nachtigall / Singend Die Gottselige Begirden der büssenden / heiligen und verliebten Seel. In Hoch=Teutsche Sprach übersetzt und verfaßt [...] Durch Joannem Christophorum Hainzmann. Weingarten 1684.

37 Hervorzuheben ist neben wechselseitiger Rezeption und Übersetzung aber auch eine bisher unberücksichtigt gebliebene Erklärung für die Interkonfessionalität der meditativen Literatur unseres Untersuchungszeitraumes: Ähnlichkeiten könnten auch aus dem Rückgriff protestantischer Autoren auf vorreformatorische Traditionen resultieren. Einige strukturelle Entsprechungen zwischen protestantischer und katholischer Meditation wären somit weniger auf gegenseitige Einflussnahme oder »Rekatholisierung«151 protestantischer Meditationspraxis als auf gemeinsame Wurzeln in der mittelalterlichen Meditationspraxis (z.B. die Scala Wessel Gansforts oder das Rosetum exercitiorum spiritualium Jean Mombaers) zurückzuführen. Die katholische Meditation in der nachreformatorischen Zeit basiert grundsätzlich auf dem Modell Loyolas (s. Kap. 1.3.1), das sich vor allem durch den hohen Stellenwert der auf die Gedächtnisbilder rekurrierenden Einbildungskraft auszeichnete. Bei Friedrich Spee, Verfasser des Güldenen Tugend-Buchs und der Trutz-Nachtigall, wird das für die Meditation fruchtbar zu machende innere Bilderinventar des Gedächtnisses folgendermaßen umschrieben: [...] und ob dan schon gemelte ding vergangen seind, oder weg gethan, so seind doch noch nicht vergangen deren ding gestalten oder controfeyen, sondern die hastu noch inwendig bey dir behalten, und also stehet noch bey dir inwendig alles eigentlich, subtil, und schön abgemahlet, was du einmal zuvor gesehen, gehöret, gefuhlet, gerochen, geschmecket, ia auch gedacht hast [...]. 152

Er betont dabei ausdrücklich die Einbildungskraft in ihrer schöpferischen, d.h. nicht nur reproduzierenden Dimension: Nun aber sprich ich, dass auß dieser selbigen lehr von den innerlichen bildnußen, geistliche leut gelegenheit nehmen können, dass sie zunzeiten [...] so wohl ihnen selbsten als Gott dem Herren, etwan allerhand schöne lüstige Spectacul oder auffzüg in ihrem innerlichen Sinn und Seelen mögen anstellen. Dan weil unsere Fantasey eine solche krafft hat, dass sie auß denen bildnußen, die sie allbereit ihr gantzes leben durch eingenommen hat, widerumb durch deren vilfáltige Vermischung und zusammenfügung, auch zertrennung, Veränderung, Vermehrung etc newe andere seltzame, manigfáltige, uberauß wunderliche und herrliche Vorbildungen machen kann: und weil dan diese newe Vorbildungen sich auch also bald abbilden etc so ist leicht zu ermessen, wie wunderbarliche schöne sachen man Gott zu ehren erdencken, und in die Seel abreissen könne. 153

Die innere Bühne der Meditation kann Schauplatz eines »Spectacul« werden, das durch Neukombination, Modifikation und Multiplikation innerer Bilder inventatio durch imaginatio bedeutet. 154

151

Zur >Rekatholisierung< des Protestantismus s. auch Carl-Alfred Zell: Untersuchungen zum Problem der geistlichen Barocklyrik mit besonderer Berücksichtigung der Dichtung Johann Heermanns (1585-1647). Heidelberg 1971, S. 105. 152 Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch (1649). Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968, S. 450f. 153 Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch (1649), S. 462. 154 Vgl. dazu Dieter Breuer: Friedrich Spees immerwährendes Gotteslob. In: Friedrich Spee zum 400. Geburtstag. Hg. v. Franz Gunther. Paderborn 1995, insbes. S. 216f.

38 Die für die ignatianischen Exercitia spiritualia charakteristische Systematik und Methode der Verlaufsstruktur, die von den Jesuiten der zweiten Jahrhunderthälfte noch verschärft wurde, bleibt zwar auch im späten 16. und 17. Jahrhundert bestimmend, es zeichnet sich aber im 17. Jahrhundert bei manchen Autoren eine zunehmende Betonung des unverkrampften Umgangs mit der Abfolge und Durchführung der Meditationsschritte und ausdrückliche Vorsichtigkeit und Sanftheit in der meditativen Beschäftigung mit sich selbst ab. François de Sales (1567-1622) ist nicht nur in Frankreich einer der wichtigsten katholischen Meditationsautoren und Vertreter dieser neuen katholischen Meditation, seine Introduction à la vie dévote (1609) war ein Publikumserfolg und fand in ganz Europa Verbreitung. Sie wurde ins Lateinische (1614), Spanische (1618), Italienische (1621) und Englische (1631) übersetzt, bis sie schließlich im Jahr 1656 den Gläubigen in 17 Sprachen zugänglich war. Die deutsche Übersetzung erschien erst im Jahr 1699. De Sales rät dazu, sich nicht zu streng an Vorgaben und Abfolgen der einzelnen Meditationsschritte zu halten. Vor allem ist den meditativ evozierten affections ausreichend Raum zu geben: Den Affekten ist nachzugehen, auch wenn dadurch die Ordnung der Meditation gestört wird. Il vous arrivera quelquefois qu'incontinent apres la preparation, vostre affection se treuvera toute esmue en Dieu: alhors, Philothee, il luy faut lascher la bride, sans vouloir suivre la methode que je vous ay donnee; car bien que pour l'ordinaire, la consideration doit preceder les affections et resolutions, si est-ce que le Saint Esprit vous donnant les affections avant la consideration, vous ne deves pas rechercher la considération, puisqu'elle ne se fait que pour esmouvoir l'affection. 155

Wenn der Heilige Geist ungeachtet der üblichen Abfolge die affections vor den considérations eingibt, so ist an dieser Regelmissachtung nichts auszusetzen. Die considérations sind nur Mittel zum Zweck der Erregung der Affekte - kommen sie >von selbstrichtigen< Abfolge. Die considérations sind als Mittel zum Zweck zu verstehen, der in den Affekten liegt. Sie stellen den intellektbetonten Teil der geistlichen Übung dar, der den affektbetonten vorbereitet.156 Auf diesen folgen dann die den Willen betreffenden résolutions. Das Er- und Abwägen mittels des Intellekts dient dem émouvoir und ist in jedem Falle der Wichtigkeit der Affekte unterzuordnen. Gleiches gilt auch auf der Mikroebene der considérations als zweitem Schritt der Meditation. Auch hier ist nicht starres Befolgen und chronologisches Erledigen der zu betrachtenden und zu erwägenden Punkte gefordert, sondern diese sind vielmehr als Angebot zu verstehen, aus dem nach den persönlichen meditativen Bedürfnissen ausgewählt werden kann. Die individuelle Entscheidung darüber, was dem meditierenden Ich für seine Betrachtung zuträglich ist, macht den Erfolg der Meditation aus.

155

François de Sales: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 21961, Bd. 1, S. 83f. 156 Vgl. Eintr. considérations. In: Dictionnaire de Spiritualité. Ascétique et Mystique. Doctrine et Histoire. Hg. v. Charles Baumgartner u.a. Paris 1937-1986, Sp. 1609-1611.

39 Die englische Meditationsliteratur greift ebenfalls - vor allem unter dem Einfluss der Gegenreformation, nicht zuletzt aber auch durch die Verbreitung von François de Sales' An Introduction to a Devoute Life (1614) - in großem Maße auf katholische Vorbilder zurück. Nicht nur der jesuitische Meditationsautor Robert Person, sondern auch Joseph Hall, Lewis Bayly und Daniel Dyke - um die in unserem Untersuchungszeitraum bedeutendsten Meditationsautoren Englands zu nennen publizieren unter dem starken Einfluss gegenreformatorischer Erbauungsliteratur und dem Vorbild Luis de Granadas (Book of Prayer and Meditation, 1554) und Ignatius von Loyolas, die seit Mitte des sechzehnten Jahrhunderts in englischer Übersetzung kursierte. Zu nennen sind hier unter anderem Werke von Gaspar Loarte (Instructions and Advertisements, How to meditate the Misteries of the Rosane, 1579), der Christian Directory des englischen Jesuiten Robert Parsons sowie dessen protestantische Version von Edmund Bunny. 157 Diese Literatur hat in England ihren Weg gemacht. Sie blieb nicht auf die katholischen Kreise beschränkt, [...], sondern erreichte ebenso eine protestantische Leserschaft, die aus dem Kontrast die Marktlücken der eigenen Buchproduktion erkannte und sich bis zum Entstehen einer thematisch und qualitativ vergleichbaren eigenen Erbauungsliteratur an die katholischen Bücher hielt. So kam es in England zu der paradoxen Situation, daß zwar die im Untergrund arbeitenden katholischen Missionspriester scharfen Verfolgungen ausgesetzt waren, ihre Bücher jedoch offen kursierten. 158

Für die englische Meditations- und Erbauungsliteratur gilt in noch größerem Maße, was bereits für die protestantisch-lutherische festgestellt wurde: Gerade das Verschmelzen verschiedenster >fremder< Traditionselemente führt zu einer >eigenen< Meditations- und Erbauungsliteratur: Die englischen Verfasser von Erbauungsschriften haben in größerer Freiheit als ihre protestantischen Kollegen auf dem Kontinent aus gesamtkirchlicher Tradition und zeitgenössischer Literatur ausgewählt und adaptiert. [...] Dabei entwickelt die englische Erbauungsliteratur ihr eigenes Gesicht, ohne ihre Quellen, aus denen sie bisweilen schöpft, zu verleugnen. 159

Vor allem durch den französischen Einfluss und dabei insbesondere durch die englische Übersetzung der Introduction à la vie dévote von François de Sales und dessen Schüler Jean Pierre Camus (The Spritual Combat, 1631) betonte auch die englische Meditationsliteratur trotz ihrer grundsätzlichen Prägung durch das ignatianische Meditationsmodell die Vermeidung allzu penibler Befolgung der Meditationsabfolge

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Vgl. Louis L. Martz: The Poetry of Meditation. A Study in English Religious Literature of the Seventeenth Century. New Haven 2 1962 (Ί954), S. 4-13 und Philipp Wolf: Meditative Lyrik und Erinnerung im England des 17. Jahrhunderts. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 4. Udo Straten Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tübingen 1987 (Beiträge zur historischen Theologie 71), S. 58f. Udo Straten Sonthom, Bayly, Dyke und Hall, S. 60.

40 und all ihrer »actes of the understanding, Will, Memory, Preludes, Pointes, Affections, Resolutions, Thankesgivings, Oblations, Demands, Preparations, Invocations, Compositions of Place, Representations, with all that great and combersome traine, whereof the instructions for Meditation are full.« 160 Die Struktur der Meditation hat ihre Gültigkeit als Mittel zum Zweck, darf aber nicht zum Selbstzweck geraten (s. dazu Kap. 3.4). In England werden die jesuitisch-katholischen Meditationsvorlagen zwar aufgenommen, aber relativ unbefangen kritisiert und eklektizistisch nach eigenen Vorstellungen modifiziert. Trotz des gegenreformatorischen Einflusses und der starken Prägung durch die katholischen Betrachtungsmodelle ist die Eigenständigkeit und Innovation der englischen Betrachtungsliteratur hervorzuheben: Sie bringt spezifische Meditationsformen hervor, die ihrerseits in bedeutendem Maße die meditative Literatur des Kontinents beeinflussten. Es ist das Verdienst Barbara Kiefer-Lewalskis, trotz der von Louis Martz und Udo Sträter mit Recht aufgezeigten katholischen Prägungen auf das protestantische Selbstbewusstsein und Profil der englischen Literatur hingewiesen zu haben: »Though Catholic and Protestant meditation are understandably similar in their profound concern with the interior life, and their emphasis pon the conversion experience, seventeenth-century English Protestants were themselves aware of important differences.« 161 Was die anglikanische Meditation in England, deren prominentester Vetreter Joseph Hall ist, vor allem auszeichnete, ist die thematische Ausweitung auf die Three Books of God: die Schöpfung, die Heilige Schrift und das Buch der eigenen Seele.162 Ein weiteres Kennzeichen der Meditation Halls ist die binäre Struktur. In seiner Schrift The Arte of Divine Meditation (1606) stellt er die meditation deliberate als strukturierte, systematische geistliche Übung in Anlehnung an die o.g. Grundzüge der Meditation zwar vor. Doch weniger diese Aufteilung in die drei Hauptschritte Vorbereitungsteil, Gedächtnis, Intellekt, Affekte und Willen umfassenden Hauptteil und abschließendes Gebet im Kolloquium, sondern eine durch Opposition und Balance gekennzeichnete zweiteilige Pendelstruktur prägt die Hallsche Betrachtung. So beinhaltet z.B. die »Consideration of the subject wherein or whereabout it is employed« sowohl die »Considerations of the appendances and qualités of it« als auch die »Considerations of that which is contrary to it, or diverse from it«.163 Ebenso wie der Katholik François de Sales (s.o.) betont auch Hall die Freiheit im Umgang mit der Abfolge der Meditationsschritte:

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Jean Pierre Camus: A Sprituall Combat: A Tryall of a Faithfull Soule or Consolation in Temptation. Douay 1632 [engl. Übersetzung v. Thomas Carre], S. 222. Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 5 und 148. Frank Livingstone Huntley: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study With the texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). New York 1981, Introduction, S. 5, 9, 13. Joseph Hall: The Arte of Divine Meditation (1606). Inhaltsverzeichnis. In: Frank Livingstone Huntley: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England, New York 1981, S. 70.

41 [...] we may not be too curious in a precise search of every >place< and argument, without omission of any (though to be fetched in with racking the invention). For, as the mind, if it go loose and without rule, roves to no purpose, so, if it be too much fettered with the gyves of strict regularity, moveth nothing at all. [...] when we stick in the disposition of any of the >places< following (as if, meditating of sin, I cannot readily meet with the >Material and Formal CausesAppendances< of it), we rack not our minds too much with the inquiry thereof, which were to strive more for logic than devotion; but without too much disturbance of our thoughts, quietly pass over to the next. If we break our teeth with the shell, we shall find small pleasure in the kernel. 164 M e t h o d e und Regelhaftigkeit werden hier nicht außer Kraft gesetzt, sondern lediglich g e g e n Missverständnisse immun gemacht, die mehr logic als devotion könnten. Sie bleiben bei Hall immer Mittel z u m Z w e c k der devotion racking

of the mind bedeutet nur disturbance

das v o n der pleasure

of our thoughts

fördern

- verkrampftes

und

teeth-breaking,

der Meditation abhält.

Joseph Hall verdient zudem deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil er als Initiator eines Meditationsmodells gilt, in d e m Imagination, Assoziation und individuelles Erleben und Erfahren eine maßgebliche Rolle spielen und das in g e w i s s e m Sinne auch als G e g e n m o d e l l zur Regelhaftigkeit, Planung und methodischer Systematik des ignatianischen Meditationsmodells steht. Er veröffentlicht im Jahr 1 6 3 0 seine Occasional

Meditations

als extemporal

meditation

(sie werden im Gegensatz zur deliberate

meditation

auch

bezeichnet), die einen weiten Wirkungskreis entfalteten

und insbesondere auch die deutsche Meditationsliteratur beeinflusst haben: Georg Philipp Harsdörffers Nathan

164 165

166

und Jotham,165

Gottholds

zufällige

Andachten166

von

Joseph Hall: The Arte of Divine Meditation (1606), S. 88f. Die »Occasional Meditations« von Hall werden explizit als Vorlage genannt in Georg Philipp Harsdörffers Schrift »Nathan und Jotham« (1651), Teil II, Nr. LX, o. Pag. Dazu Jean Daniel Krebs: Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658). Poétique et poésie. Bern 1983; ders.: Harsdörffers geistliche Embleme zwischen katholisch-jesuitischen Einflüssen und protestantischen Reformbestrebungen. In: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock. Hg. v. Dieter Breuer. Wiesbaden 1995, S. 539-552. Zur Emblemtheorie in Harsdörffers »Frauenzimmer Gesprächsspielen« s. Bettina Bannasch: Von der Tunkelheit der Bilder. Das Emblem als Gegenstand der Meditation bei Harsdörffer. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 307-326. Christian Scriver: Gottholds zufällige Andachten bei Betrachtung mancherlei Dinge zur Ehre Gottes und Uebung der Gottseligkeit abgefasst. Rengshausen 1861 (unvollst. Nachdruck der Ausgabe Magdeburg '1663). Scriver ist als Vermittler emblematischer Struktur vor allem für Brockes wichtig, der diesen im »Irdischen Vergnügen in Gott« ausdrücklich erwähnt. (Barthold Hinrich Brockes: Das Irdische Vergnügen in Gott / bestehend in Physikalisch- und Moralischen Geschichten. Hamburg 1721-48, Bd. 2, S. 476). Hier zur Illustration eine »Zufällige Andacht« aus der Feder Scrivers: »In demselben Gehölze verspürte Gotthold einen artigen Wiederschall, der ihm seinen Morgengesang gleichsam wollte verdoppeln und zu Gott ausschicken helfen. Er vergaß schier drüber der innerlichen Andacht, die des Gebetes Seele und Leben ist, und hatte seine Lust an seiner also gezwiefachten Stimme; aber bald erinnerte er sich, daß der Wiederhall keineswegs von Gott erschaffen, ihn von schuldiger Gebetsandacht abzuführen, sondern vielmehr ihn zu gottseligen Gedanken zu veranlassen. Ich habe hierin, sprach er, mein Gott, eine Abbildung deiner Güte, die meinem gläubigen Gebet recht herzempfindlich entgegen schallet und antwortet. [...]. Darum gib

42 Christian Scriver s o w i e die Naturbetrachtungen des Simplicissimus in Grimmelshausens Continuatio167

gehen auf das Vorbild der Hallschen >Zufälligen Andachten
Zufällige< Alltagssituationen, Natur, Landschaft oder Gegenstände werden z u m spontanen Meditationsanlass, indem das Betrachtete die Erinnerung an Glaubensinhalte motiviert und mit H i l f e von Imagination und Assoziation allegorisch-emblematisch ausgedeutet wird. Der > zufällig Meditierende< hört auf den allegorischen, »direkt-indirekten Sprechakt« 1 7 0 der Natur, 1 7 1 einer Alltagssituation oder eines Objektes: 1 7 2

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mein Gott, daß ich stets vor dir, als vor deinem Angesicht (deiner göttlichen Allgegenwärtigkeit und Allwissenheit nimmer vergessend) wandele und fromm sei (I. Mos. 17, 1).« (Christian Scriver: Gottholds zufallige Andachten [1663], Nr. 4, S. 6f., »Der Wiederschall«). Das assoziative, >zufällige< Moment dieses Meditationstypus zeigt sich im zitierten Beispiel in der Tatsache, dass Gotthold über die >Lustangemessenezu künstlichen und schwer verständlichem deutschen Übersetzung von Paul Schede im Jahr 1572 bewiesen hatte.34 Es ist in unserem Untersuchungszusammenhang bemerkenswert, dass die Beziehung zwischen Rhetorizität und geistlicher Lyrik im späten 16. und 17. Jahrhundert diskutiert wurde. Die Diskussion ist ein Hinweis darauf, dass die geistliche Lyrik bereits von den Zeitgenossen als literarischer >Sonderfall< gesehen wurde 35 - ein

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John Donne: Devotions Upon Emergent Occasions. New York 1953, S. 486f. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die Bibel im 18. Jahrhundert als »Rede des Affekts« und »kunstlos spontane Naturdichtung« und Zeugnis unkontrollierter Einbildungskraft in die Kritik geriet. Hierin könnte ein weiterer stützender Hinweis für die Annahme liegen, dass die Bibel im 17. Jahrhundert bereits als legitimierender Rahmen< für Selbstthematisierung gelten konnte (s. Joachim Dyck: Athen und Jerusalem. Die Tradition der argumentativen Verknüpfung von Bibel und Poesie im 17. und 18. Jahrhundert. München 1977, S. 91-130). S. Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 27, die hierin ein spezifisch protestantisches Phänomen bzw. eine typisch protestantische Ästhetik in Abgrenzung zur katholischen Meditation und meditativen Literatur sieht. John Bunyan: Grace abounding to the Chief of Sinners [...]. In: The Complete Works of John Bunyan (1658). 4 Bde. Hg. v. Henry Stebbing. Hildesheim 1970, Bd. 1, S. 3f. Hans-Georg Kemper. Deutsche Lyrik der frühen Neuzeit. 5 Bde. Bd. 2: Konfessionalismus. Tübingen 1987, S. 200ff. Auch in der älteren Forschungsliteratur nimmt die geistliche Dichtung der Frühen Neuzeit eine Sonderstellung ein: Hinweise auf die ansonsten vehement bestrittene Individualitätsthematisierung sind auffallenderweise nahezu ausschließlich in dem Teil der Forschungsliteratur auszumachen, der sich auf die geistliche Dichtung der Zeit bezieht. Hier finden sich Charakteristiken zu einzelnen Gedichten wie »Spiegel der Herausbildung neuzeitlicher Subjektivität«, »beginnende Individualdichtung«, »subjektive Innerlichkeit«, die eine »neue Idee des Menschen« verwirkliche, »Überschwang menschlichen Selbstgefühls«, »Sichaussprechen menschlicher Affekte

100 Status, der sich auf die Anforderung ästhetischer Gestaltung individueller Substanz (s.o.) i m Sinne individueller Frömmigkeitspraxis gründen könnte. D a m i t ist e i n e zusätzliche M o t i v a t i o n g e g e b e n , den F o r m e n der Selbstthematisierung i m S i n n e v o n Individualität und Erinnerung in der geistlichen Lyrik über die A u f d e c k u n g meditativer Strukturen nachzugehen. D i e geschilderte Kontroverse verweist aber auch auf ein Selbst- und Formbew u s s t s e i n in der Frühen N e u z e i t , das j e g l i c h e antagonistische Gegenüberstellung v o n Rhetorik u n d Selbstthematisierung, v o n K o n v e n t i o n und Individualität, als unzutreffend und literatur- w i e kulturgeschichtlich verfehlt verbietet. Schindler ist zuzustimmen, w e n n er argumentiert: [...] the individual creative ego cannot be denied as master of its creation even in the most normative of ages. Literary critics and literary historians, without failing to realize the force of tradition, indeed necessarily considering fully its various aspects, must, nevertheless, not fail to recognize a poem as the basically individual and coherent entity it is. 36 Konventionalität und Originalität, Rhetorik und Selbstausdruck, Rolle und Individualität schließen sich nicht gegenseitig aus, 3 7 und zwar unabhängig v o n literarischer E p o c h e oder historischem Zeitpunkt.

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und Willensbewegungen«, »Ansätze zu subjektiver Ich-Aussprache« oder »Wegbereiter der Erlebnislyrik« (Bernhard Sorg: Das lyrische Ich. Untersuchungen zu deutschen Gedichten von Gryphius bis Benn. Tübingen 1984 [Studien zur deutschen Literatur 80], S. 15. Ebenso Hiltrud Gnüg: Entstehung und Krise lyrischer Subjektivität. Vom klassischen lyrischen Ich zur modernen Erfahrungswirklichkeit. Stuttgart 1983 [Germanistische Abhandlungen 54], S. 3.) Ohne diese Befunde unkritisch übernehmen zu wollen, ist nach dem Grund für dieses Phänomen zu fragen. S. z.B. auch Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert: Das Problem des Todes in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts. Berlin 1970 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1931), S. 210. Karl Viëtor: Deutsche Barockliteratur. In: Geist und Form. Aufsätze zur deutschen Literaturgeschichte. Bern 1952, S. 24f.; ähnlich auch Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1: Von der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache. Hamburg 3 1967, S. 330; Ingeborg Röbbelen: Theologie und Frömmigkeit im deutschen evangelisch-lutherischen Gesangbuch des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Göttingen 1957, S. 86 u. 74; Carl-Alfred Zell: Untersuchungen zum Problem der geistlichen Barocklyrik mit besonderer Berücksichtigung der Dichtung Johann Heermanns (1585-1647). Heidelberg 1971, S. 35; Günther Müller: Geschichte des deutschen Liedes vom Zeitalter des Barock bis zur Gegenwart. Darmstadt 1959 (Nachdruck der Ausgabe München 1925), S. 98. Auffallend ist auch, dass in Titeln älterer Forschungsbeiträge, die sich auf die geistliche Barocklyrik beziehen, häufig das Wort »Problem« vorkommt. Auch diese Tatsache deutet darauf hin, dass sich die (meditative) geistliche Lyrik nur mühsam unter den Topos >unlyrischer Lyrik< subsumieren lässt. Marvin S. Schindler: The Sonnets of Andreas Gryphius. Use of the Poetic Word in the Seventeenth Century. Gainesville 1971, S. 13. Auch die Erkenntnisse linguistischer Textanalyse sprechen gegen das grundsätzliche Ausschließen von Selbstthematisierung und Individualität in einem rhetorisch-persuasiven Text: Jeder Sprechakt verwirklicht mehrere Sprechfunktionen gleichzeitig: Der Zweck der persuasio und das Vorhandensein rhetorischer Strukturen in der barocken Lyrik müssen nicht zwangsläufig expressive und poetische Funktionen ausschließen. S. Roman Jakobson: Linguistics and Poetics. In: Style in Language. Hg. v. Thomas Albert Sebeok. New York 1960, S. 350-377; vgl. auch Peter Krahé: Persönlicher Ausdruck in der literarischen Konvention: Paul Fleming als Wegbereiter der Erlebnislyrik? In: Zeitschrift für deutsche Philologie 106 (1987), S. 481-511, S. 506, und Wolfgang Trautwein: »Von innen zwar ein Paradies, von Außen Unruh, Zanck und Plagen«. Zur

101 Baroque lyric poetry is no more pure convention than is Erlebnislyrik pure inspiration and experience. Both are a combination of conventional practices and unique impulse. [...]. Poetry in both periods is in some degree original and conventional, unique and representive, inspired and fabricated.38 Rhetorizität, Konventionalität und Rollenhaftigkeit sind als zu berücksichtigende und in die Interpretation einzuschließende, aber nicht der Lyrizität prinzipiell widersprechende Phänomene der Lyrik unseres Untersuchungszeitraumes aufzufassen. Ähnlich argumentiert auch Barner, nach dessen Auffassung die postulierte »Nicht-Lyrizität« nicht in der Rhetorik oder dem Barock an sich begründet liegt, sondern in der Erlebnistheorie. Er konstatiert, [...] daß die Vorurteile gegenüber >Rhetorik< und gegenüber >Barockrhetoric< from >self expression [...]: But ancient rhetoric also emphasized invention, and, in the culture that is my focus here - Western monasticism - the techniques of rhetoric became primarly focused not on tasks of public persuasion but on tasks of what is essentially literary invention.40 Das Verfügen über ein >Inventar< w i e z.B. die Topik, das nicht zuletzt über die Mnemotechnik der Rhetorik aufgebaut und verfügbar gehalten wird, ist nicht Hindernis und Beschränkung, sondern Voraussetzung der inventio.41

Da die Literatur unseres

Untersuchungszeitraumes in hohem Maße auf antiken und mittelalterlichen Traditionen

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Komposition von Johann Christian Günthers Liebesgedichten. In: Daphnis 16 (1987), S. 167-218, S. 169f. sowie Dietmar Jaegle: Das Subjekt im und als Gedicht. Eine Theorie des lyrischen Text-Subjekts am Beispiel deutscher und englischer Gedichte des 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1995, S. 37f. Flora Kimmich: Sonnets of Catharina von Greiffenberg. Methods of composition. Chapel Hill 1975 (University of North Carolina. Studies in the Germanic Languages and Literatures 83), S. 120. Wilfried Barner: Barock-Rhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970, S. 451. Mary Carruthers: Reading with attitude, Remembering the Book. In: The Book and the Body. Hg. v. Dolores Warwick Frese / Katharina O'Brien O'Keeffe. Notre Dame 1997, S. 8. Mary Carruthers: Reading with attitude, Remembering the Book, S. 9. S. auch Wilfried Floeck: Esthétique de la diversité: pour une histoire du baroque littéraire en France. Paris 1989.

102 der Rhetorik und der Meditation aufbaut, 42 sind diese Einsichten, wenn auch nur mit Einschränkung zu übertragen, so doch in jedem Falle in die künftigen Überlegungen mit einzubeziehen. Friedrich Spee formuliert ein Programm, das deutliche Ähnlichkeiten mit der inventio auf der Basis des bereits vorhandenen Gedächtnisinventars aufweist und dabei schöpferische, nicht nur reproduzierende Momente erkennen lässt. Er beschreibt das Vermögen der Phantasie, durch »[...] vilfältige Vermischung vnd zusammenfügung, auch zertrennung, Veränderung, Vermehrung etc newe andere seltzame, manigfältige, vberauß wunderliche vnd herrliche Vorbildungen« zu entwickeln und somit »wunderbarlich schöne sachen [...] erdencken, vnd in die Seel abreissen« zu können. 43 Auch Delumeau macht in seiner Untersuchung La religion de ma mère eine Beobachtung, die die Gültigkeit des Zusammenhanges von memoria i.S. einer Gedächtniskammer (Inventar) und inventio für die Frühe Neuzeit annehmen lässt: Tout d'abord, livres et cantiques, à force d'être lus ou chantés, finissent par s'inscrire dans les mémoires, par >s'incorporer< aux personnes. [...]. La mémoire se trouve érigée en véritable vertu chrétienne, à la fois symbole d'une prière assidue et manifestation de la foi. [...] Intérioriés, passages bibliques ou cantiques sont aussi pourvoyeurs de formules que l'on fait siennes: les chants [...] fournissent [...] un répertoire de citations [...] pour exprimer telle pensée ou tel état psychologique. 44

Die als verbindlich gesetzte Annahme, von der Originalität der Gedanken und Bilder auf die Authentizität der lyrischen Aussage schließen zu dürfen bzw. eine direkte, evidente Verbindung zwischen beidem zu sehen, ist damit in Frage zu stellen45 - entscheidend ist nicht die Originalität eines Bildes, sondern seine individuelle Aneignung. Gerade die Meditation arbeitet mit der Verinnerlichung und persönlichen Aneignung inventarisierter Bilder und Inhalte und erschöpft sich dennoch nicht in überindividueller oder oberflächlicher Konventionalität. Die Meditation weist zum einen starke strukturelle Ähnlichkeiten zur Rhetorik auf und bietet sich zur Integration in oder Adaption an die >Poetik der Rhetorik< an, wie Cohen, Martz und Hadot bereits gezeigt haben:

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Christian Belin spricht von »moules rhétoriques«, die von der geistlichen Lyrik neu gefüllt werden (Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 146). Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch (1649). Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968, S. 462. Dazu auch Dieter Breuer: Friedrich Spees immerwährendes Gotteslob. In: Friedrich Spee zum 400. Geburtstag. Hg. v. Franz Gunther. Paderborn 1995, S. 216f. und Hans-Georg Kemper: Friedrich von Spee. In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hg. v. Harald Steinhagen und Benno von Wiese. Berlin 1984, S. 98. Jean Delumeau: La religion de ma mère. Le rôle des femmes dans la transmission de la foi. Paris 1992, S. 202. S. auch Becker-Cantarino, die das Andachtslied des 17. Jahrhunderts als Medium des Bekenntnisses und des Glaubensbekenntnisses in der Privatandacht sieht (Barbara Becker-Cantarino: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur 1500-1700. Stuttgart 1987, S. 228).

103 Meditation focused and disciplined the powers that a man already possessed, both his innate powers and his acquired mode of logical analysis and rhetorical development. 46 ; The preceding sketch of the triadic structure of meditative method and of literary rhethoric has shown that the function of their divisions is similar and comparable and that the trust of their development is vertical, i.e. both move toward an affective or acute climax. 47

Andererseits bietet sie aber auch als individueller Weg zur überindividuellen Erkenntnis die Möglichkeit zur Verschränkung von individueller Selbstthematisierung mit der Gotteserkenntnis und mit einem Selbstbewusstsein als überindividuellem Träger einer Rolle in der göttlichen Heilsordnung. So beteuert das lyrische Ich der Elegie neufviesme aus den Honestes poesies (1632) des französischen Benediktinermönchs Dom Simplicien Gody (etwa 1600-1660) beteuert seine Absicht, die Wahrheit zu sagen und mit seinen Worten nicht zu täuschen: »Or, ie m'en vay conter la vérité, / Et me pourtraire avec sévérité« (V. If.). Was immer man ihm nachsagen möge, seine »Muse sans pompe« sei nicht von »menteuse humeur« (V. 6 und 11), und den Klingen seiner »douleurs, & soucis« werde oft an Schärfe genommen, »Quand ie les vois dedans une Elegie«. Es finde Trost »ruminant le mal qui me possede, / Parfois cela me passe pour remede.« 48 Die Meditation, das Ruminieren (»ruminant le mal qui me possédé«) wird zum Authentizitätsbeleg erklärt. Seine Poesie lügt nicht, sondern spiegelt die meditierende Auseinandersetzung mit »mes ennuis, mes douleurs, & soucis« und dient dem meditierenden und lyrischen Ich als >Arzneizufällig< als Meditationsanlass erfahren werden. Nicht von der monastischen

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Jean de La Ceppède: Théorèmes (1613/1621). Hg. ν. Yvette Quenot. 2 Bde. Paris 1988-1989, Bd. 1, Avant-propos, S. 6. S. dazu auch Jean Rousset: L'intérieur et l'extérieur. Essais sur la poésie et sur le théâtre au XVIIe siècle. Paris 1968, S. 26ff. Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. ν. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983, Bd. 1, S. 65ff. Auch hier ist auf die Funktion der Natur als allegorischer Hinweis und ihre Ausdeutung als Emblem hinzuweisen. Jons zeigt, »[...] daß die sinnbildliche Qualität der Dinge für Gryphius auf der Grundlage eines christlich-spirituellen Verhältnisses zur als Schöpfung Gottes verstandenen Wirklichkeit der Welt beruht.« (Dietrich Walter Jons: Das »Sinnen-Bild«. Studien zur allegorischen Bildlichkeit bei Andreas Gryphius. Stuttgart 1966 [Germanistische Abhandlungen, 13], S. 81).

105 Tages- und Gebetsplanung, sondern von der individuellen Meditationsdisposition und der subjektiven Bereitschaft, Natur als Betrachtungsimpuls wahrzunehmen, wird die Tageszeitenmeditation in diesem Kontext getragen und neu funktionalisiert. Die sich in diesem Konzept manifestierende Spannung zwischen dem Betrachtungs->Zufall< und dessen Inszenierung als solchem steht dem Modell der Occasional Meditation von Joseph Hall nicht entgegen, sondern ist für dieses geradezu konstitutiv.52 Mit dieser Grundkonstellation zeigt sich die meditative Haltung als Disposition des lyrischen Ich als eine beständige mentale Haltung, die sich über alle Tageszeiten erstreckt und durch diese als individuell wahrgenommener Betrachtungsimpuls lediglich aktiviert und inspiriert wird. Der gesamte Gedichtzyklus wird in seiner Bildlichkeit durch den Tag-Nacht bzw. Hell-Dunkel-Kontrast bestimmt.53 Die Sonne ist nicht nur Licht im physikalischen Sinne, sondern wird spirituell gedeutet.54 Dabei ist die Helligkeit und der Tag Gott und dem göttlichen Heil zugeordnet: »dich meine Sonn / mein Licht« (Ι., V. 14), »licht / daß/ wo wir immer stehn// Uns siht und riht« (II., V. 14), »Dein ewig heller glantz sey vor und neben mir« (III., V. 10), »So wenn der plötzliche Tag wird anbrechen / wird [...] // Sonder vermänteln eröffnet sich finden« (IV., V. 13f.).55 Dunkelheit und Nacht sind hingegen Bilder der Selbsterkenntnis menschlicher Sündhaftigkeit: »Vertreib die dicke Nacht / die meine Seel umbgibt // Die Schmertzen Finsternüß die Hertz und geist betrübt« (I., V. 9f.), »der schwartze Schatten fleucht // In eine hol / in welche sich verkreucht // Den Schand und furcht sich zu verbergen zwinget« (II., V. 9-11), »reiß mich auß dem thai der Finsternüß zu Dir« (III., V. 14), »Schrecken / und stille / und dunckeles grausen / finstere kälte / bedecket das Land« (IV., V. 1). Die nahende Dunkelheit am Abend verweist aber auch auf den »Abend« des eigenen Lebens (vgl. V. 13: »Und wenn der letzte Tag mit mir wird abend machen«) und damit auf den Tod. Die vergangenen Geschäftigkeiten in der Helligkeit des Tages (III., V. 1-3) entsprechen den vergangenen Lebensjahren, die unversehens vorbeieilen: »Diß Leben kömmt mir vor als eine renne bahn.« (ΙΠ., V. 8). Die Betrachtung des Abends initiiert und impliziert hier eine

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Vgl. dazu die Ausführungen zum Meditationskonzept der »Zufalligen Betrachtung« oder »Extemporall Meditation« von Joseph Hall in Kap. 1.3.2. dieser Untersuchung. Allgemein zur bildlichen Verwendung von Licht, Sonne, Nacht und Dunkelheit bei Gryphius s. Gerhard Fricke: Die Bildlichkeit in der Dichtung des Andreas Gryphius. Darmstadt 1967, S. 35-37 und 41ff. Eine ausführliche, sich auf die Bildlichkeit des Zyklus konzentrierende Deutung liefert Dietrich Walter Jons: Das »Sinnen-Bild«. Studien zur allegorischen Bildlichkeit bei Andreas Gryphius. Stuttgart 1966 (Germanistische Abhandlungen, 13), S. 164-183. S. auch Isabella Rüttenauer: Die Angst des Menschen in der Lyrik des Andreas Gryphius. In: Aus der Welt des Barock. Hg. v. Richard Alewyn. Stuttgart 1956, S. 50f. S. Gary Robert Harris: The Theology of the German Seventeenth-Century Meditative Poem. Diss. Ohio State University 1978, S. 135. Harris präzisiert: »>Day< figures twice in the process of salvation. The first day breaks into the night of earthly being in order to bestow grace on those to be blessed. The second is the Day of Judgement, when all ambiguities are resolved.« (Gary Robert Harris: The Theology of the German Seventeenth-Century Meditative Poem, S. 140).

106 meditatio mortis, die Betrachtung des Todes. Im Rahmen der Todesbetrachtung und vor der blendenden Helligkeit des göttlichen Lichts wird sich das lyrische Ich der eigenen >dunklen< Sündhaftigkeit bewusst - dieses Bewusstsein gibt den Impuls zur Hinwendung zu göttlichem Glanz und Heil: »Und wenn der letzte Tag wird mit mir abend machen // So reiß mich auß dem thai der Finsternuß zu Dir.« (III., V. 13f.); »Erleuchte den / der sich itzt beugt vor deinen Füssen. // Vertreib die dicke Nacht / die meine Seel umbgibt« // [...] // Gib [...] // Daß ich dich meine Sonn / mein Licht mög ewig schawen.« (I., V. 8-14). 5 6 Damit ist auch die in Kap. 1.3 beschriebene Pendelstruktur der Meditation zwischen den jeweils auf den anderen verweisenden Impulsen »göttliche Gnade« / Selbst- und Sündenerkenntnis in diesem Gedichtzyklus verwirklicht. Schindler geht in seiner Besprechung dieses Gedichtzyklus ausführlich auf die von den vier Sonetten konstituierte meditative Einheit ein, wobei er insbesondere verschränkende Beziehungen zwischen den Sonetten Morgen und Abend sowie zwischen Mittag und Mitternacht sieht.57 Schindler macht auch auf die Zirkelstruktur der vier Sonette aufmerksam, die durch das nur unvollständigen Gelingen der Meditation für das meditierende Ich zustande kommt: Far from attaining that peace of mind which is the real goal of such a meditation and is to stem from the insights gained, the poetic >I< concludes, vastly more agitated than when it began the sequence, in contemplation of the horrors waiting at >Gottes Gerichten The day of meditation has, in fact, succeeded only partially. [...]. The grace requested in >Morgen< and pleaded for in >Abend< does not seem to have come, and he must move on to a new day and a new attempt.58

Betrachtet man die Sonette in ihrer Ganzheit als Zyklus, so kann in dem Gedicht Mitternacht auch die Anfechtung als Teil der lutherischen Trias der Gotteserfahrung (oratio - meditatio und tentatio) gesehen werden. Das lyrische Ich >erlebt< in diesem auch metrisch durch sein unruhiges Versmaß von den drei Sonetten unterschiedenen Gedicht meditativ die Anfechtung der Nacht, 59 wobei durch den Ausblick auf den

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Obermüller verweist auf die Bedeutung von Nacht und Finsternis als Metapher für Melancholie (Klara Obermüller: Melancholie in der deutschen Barocklyrik. Bonn 1974 [Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 19], S. 78-80). Marvin S. Schindler: The Sonnets of Andreas Gryphius. Use of the Poetic Word in the Seventeenth Century. Gainesville 1971, S. 155ff. Marvin S. Schindler: The Sonnets of Andreas Gryphius, S. 157f. Steinhagen sieht hingegen das lyrische Ich durch den Akt der Erkenntnis schon von der »Finsternüß« befreit und schreibt den Sonetten »Morgen« und »Abend« aus diesem Grunde eine rein didaktisch-exemplarische Intention zu (Harald Steinhagen: Didaktische Lyrik. Über einige Gedichte des Andreas Gryphius. In: Festschrift für Friedrich Beißner. Hg. v. Ulrich Gaier und Werner Volker. Bebenhausen 1974, S. 421f.). Dem ist jedoch bei Betrachtung des gesamten Zyklus nicht zuzustimmen - die Sonette beschreiben die >Höhen und Tiefen< des meditierenden Ich. Insbesondere »Mittemacht« zeigt das meditierende Ich in Anfechtung. Die Nacht als Zeit der Anfechtung begegnet bereits im ersten Bußpsalm und wird von Johann Arndt in seinen Bußpsalmmeditationen aufgegriffen: »Und damit der liebe David ferner andeute / daß seine Thränen nicht Heuchelthränen seyn / nennet er die Zeit / nemlich die Nacht / wenn er allein ist. Denn solche Thränen lassen sich nicht gerne sehen / / sie sind Gott am besten bekannt /

107 Jüngsten Tag, an dem die Wahrheit zutage tritt, entsprechend auch ein gewisses konsolatorisches Moment als Überwindung der tentado anklingt. Durch die zirkelhafte Sonettanordnung und die Tatsache, dass dem lyrischen Ich die meditative Überwindung der Anfechtung nicht zu gelingen scheint, wird die Notwendigkeit der meditativen Haltung als Disposition angedeutet, die nie endgültig ans Ziel gelangt. Auch die Struktur des wechselseitigen neuen Impulses im Bild des Pendels gelangt somit sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene des Sonettzyklus zum Ausdruck. In ihm ist im Hinblick auf die >Unendlichkeit< des Suchens und Findens eine Konstellation dargestellt, die auf das Verständnis moderner Subjektivität verweist: Auch das neuzeitliche Subjekt sieht sich einem ständigen >Pendeln< zwischen Selbstentzweiung und Selbsteinigung ausgesetzt, das sich als zirkelhafter Prozess der fragenden Vertiefung in sich selbst äußert. 60 Die lyrische Verwirklichung des meditativen Zirkels bedeutet insofern auch die Thematisierung von Subjektivität. Zurückzukommen ist auf die eingangs erwähnte Beobachtung, dass der Gedichtzyklus die Tageszeiten Morgen, Mittag, Abend und Mitternacht in den jeweiligen Gedichttiteln aufgreift und damit die Meditation als dispositive Haltung des lyrischen Ich zu erkennen gibt. Die Betrachtung ist keine punktuelle Handlung, sondern begleitet den Gläubigen latent als Lebenshaltung und wird lediglich angeregt und inspiriert. Die Tageszeiten werden - durch Umfunktionalisierung der monastischen TageszeitenBetrachtung (s.o.) - zum Anlass einer Occasional Meditation nach dem Vorbild des Engländers Joseph Hall.61 In ihr initiiert die >zufállige< Lektüre des »Buchs der Natur« eine Meditation - ihre Voraussetzung ist die Annahme einer sinnvollen Schöpfung Gottes, die - ausgehend von der >zufällig< wahrgenommenen, konkreten Situation - als Emblem für eine allgemein-abstrakte Wahrheit assoziativ ausgedeutet wird. So ist die betrachtete »Morgenrötte« ein Sinnbild 62 der erbetenen Erleuchtung durch

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denn die hohen Anfechtungen und geistliche Trawrfigkeit plaget die Seelen am allermeisten des Nachts / da man des Trosts wartet von einer Morgenwache bis zur andern.« (Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids des Königlichen Propheten / Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...]. Lüneburg 1644, S. 51). Vgl. Kap. 1.2. S. Kap. 1.3.2. Auch Greiffenberg nutzt die okkasionelle Meditation in der Natur (Peter Maurice Daly: Catharina Regina von Greiffenberg. In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hg. v. Harald Steinhagen und Benno von Wiese. Berlin 1984, S. 624). Die Einsamkeit in der Natur ist für Greiffenberg neben dem Abendmahl eine weitere Möglichkeit der Gotteserfahrung. Auch das lyrische Ich in dem die 5. Betrachtung über die Gefangennahme Jesu einleitenden Gedicht »Je tieffer, je höher« spiegelt eine solche zufällige Naturbetrachtung wider (in: Catharina Regina von Greiffenberg: Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina / Frau von Greiffenberg / Freyherrin auf Seysenegg / Zu Vermehrung der Ehre GOttes und Erweckung wahrer Andacht / mit XII. Sinnbild=Kupfern verfasset und ausgefertiget. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983 [unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1672], Bd. 9, S. 188f. S. Gedichtanhang). Zur Emblematik bei Greiffenberg s. auch Peter Maurice Daly: In the Light of the Emblem. Toronto 1979. Die Bezeichnung >Sinnbild< ist im Barock das gängige Synonym für >Emblemzufällige< Betrachtung abendlicher Ruhe und des Sonnenunterganges in Abend wird Sinnbild der eigenen Vergänglichkeit (V. 13) und die bedrohliche Mitternacht ist warnendes Emblem des Jüngsten Gerichts (V. 7f., llf., 15ff.). Auffallend ist, dass die Ausdeutung des Natur-Emblems wie eine conclusio immer am Ende des Gedichtes erscheint. Das lyrische Ich begibt sich in die »Rolle« des Christen, für den das betrachtete Sinnen-Bild mit seiner über-individuellen Wahrheit zutrifft. Dadurch verliert die meditativ-subjektive Aneignung der Naturerscheinung aber nicht zwangsläufig ihren individuellen Charakter. Nur bei Missachtung der notwendigen Trennung von meditativem Erkenntnisakt und über-individueller Wahrheit als Meditationsobjekt müssen diese meditativen Gedichte als >unlyrisch< erscheinen (s. auch Kap. 2.5).63 Die Gedichttitel können jeweils als inscriptio, die im Gedicht beschriebene und der Meditation des lyrischen Ich zu Grunde liegende Tageszeit als pictura und die Ausdeutung als allgemeine Glaubenswahrheit als subscriptio des >zufälligen< Emblems aus dem Buch der Natur gelten. Weitere Strukturelemente der Meditation werden auch durch die deutliche Einbeziehung von Gedächtnis, Verstand und Willen wirksam, wie anhand des Morgen Sonnets gezeigt werden soll. Der Titel des Gedichtes gibt zur Vorbereitung der Meditation den Gegenstand der Betrachtung an: den sich erhebenden Morgen. Im ersten Quartett wird mit Hilfe der Einbildungskraft der Schauplatz der Meditation entworfen, das Gedächtnis liefert die Bilder zu seiner Ausstattung: »die helle schar« der Sterne zieht sich zurück (V. 1), der Mond verblasst (V. 2), »die Morgenrötte« erscheint und »lacht // Den grauen Himmel an« (V. 2f./3), »der sanffte Wind erwacht« (V. 3), und die Morgenröte »reitzt das Federvolck / den newen Tag zu grüssen« (V. 4). 64 Das zweite Quartett zielt auf den Verstand als zweite Seelenkraft, deutet das Betrachtete abstrahierend aus und nutzt dazu rhetorische Figuren. Das erwachende »leben dieser Welt« (V. 5) steht nun metonymisch für die im ersten Terzett erinnerten Einzelbilder, metaphorisch »küßt« es die Welt (V. 5) und »steckt sein Haupt empor« (V. 6), seine »Stralen« »blinckern« nun auf der See und stehen im Vergleich zu den Strahlen der sich erhebenden »Morgenrötte« des ersten Quartetts.

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In diesem Sinne ist die von Wiedemann im Zusammenhang mit der Gattung der Gesellschaftsschäfereien postulierte Auffassung, der für das allegorischen Ausdeuten und Ausstatten von Natur jegliche Intuitivität und subjektive Phantasie bestreitet und hier nur öffentlich-kollektive Wissensorientierung sieht, nicht auf den >meditativen Erkenntnisakt< zu übertragen: »Der gemeinsame Fundus an gelehrtem Form-, Exempel- und Sinnbildwissen scheint hier nicht an Funktion und Geltung einzubüßen, sondern nur zu gewinnen. Ja freie Natur wird geradezu zum Bewährungs-, Übungs- und Experimentierfeld solcher zivilisatorischer Kompetenz.« (Conrad Wiedemann: Andreas Gryphius. In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hg. v. Harald Steinhagen und Benno von Wiese. Berlin 1984, S. 4 3 5 ^ 7 2 , S. 588). Flemming weist in seiner Untersuchung zwar auf die bei Gryphius auffallende »Sinnlichkeit« der Beschreibung hin, die alle Sinnesorgane mit einbezieht, erkennt diese aber nicht als meditatives Prinzip (Willi Flemming: Andreas Gryphius. Eine Monographie. Stuttgart 1965, S. 134f.).

109 Die verstandesmäßige Erfassung der Erlösungsbedürftigkeit des sündigen Ich wird auch durch die dialektische Gegenüberstellung des »gebeugten« lyrischen Ich mit der »dreymal höchsten Macht« Gottes erreicht - der Helligkeit des Tages wird die Dunkelheit der Sünde vergleichend entgegengestellt: »O dreymal höchste Macht // Erleuchte den / der sich itzt beugt vor deinen Füßen.« (V. 7f.) Im ersten Terzett des Sonetts zielt die Betrachtung auf den Willen als dritte Seelenkraft ab. Die Vergegenwärtigung des Betrachteten wurde bereits angekündigt im »itzt« des Verses 8, nun wird mit Hilfe der Einbildungskraft das Betrachtete sinnlich auf das lyrische Ich appliziert. Es ist nun selbst Teil des Schauplatzes: Die »Nacht« umgibt »meine Seel« (V. 9) und wird sichtbar, die »Schmertzen« sind fühlbar und auch über die Augen sinnlich als »Finsternüß« wahrzunehmen (V. 10). Der Wunsch nach Erquickung und Stärke (V. 11) verbindet vorletztes und letztes Terzett als Übergang vom willentlichen Erfassen zum Kolloquium. Im letzten Terzett kommt der Wille zur künftigen Lebensbesserung »in deinem dinst allein« (V. 12) explizit zum Ausdruck, der Resultat des ganzheitlichen, auch affektiven Erfassens ist. Er ist gleitend verbunden mit dem gebetsähnlichen Schluss: »Gib / daß ich diesen Tag / in deinem dinst allein // Zubring; und wenn mein End' und jener Tag bricht ein // Daß ich dich meine Sonn / mein Licht mög ewig schawen.« (V. 12-14). 65 Demnach lassen sich in dem Sonettzyklus des Protestanten Gryphius neben lutherischen (oratio - meditatio - tentatio) und anglikanischen (Occasional Meditation) festzustellenden Strukturelementen der Meditation auch solche Strukturen finden, die an das systematisch alle drei Seelenkräfte einbeziehende ignatianische Meditationsmodell und dessen Betonung der Einbildungskraft erinnern. 66 Diese lassen sich einerseits aus dem überkonfessionellen Rezeption und wechselseitigen Beeinflussung der Meditations- und Erbauungsliteratur erklären.67 Zum anderen hatte das Betrachtungskonzept der Exercitia spiritualia - abgesehen von der Betonung der mit Hilfe der Einbildungskraft erstellten >inneren Bühne< der Meditation als innovativem Moment) - weniger auf einer Erfindung durch den Jesuitenpater als auf der Vereinfachung der spätmittelalterlichen Scala der Meditation nach Gansfort bzw. Mombaer basiert,68 so dass die Ähnlichkeit mit der >katholischen< Meditationsstruktur z.T. auch ohne die Vermittlung Loyolas mit dem für die protestantische Meditation unseres Untersuchungszeitraumes charakteristischen Rückgriff auf spätmittelalterliche Betrachtungsmodelle zu begründen wäre. Die genannten meditativen Strukturelemente waren auch deshalb für protestantische wie katholische Lyrikautoren attraktiv, weil sie sich durch die deutliche und dreiteilige Schrittfolge von compositio, analysis und colloquium sowie die Verknüpfung von Gedächtnisinventar und inventio im Sinne

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So auch Gary Robert Harris: The Theology of the German Seventeenth-Century Meditative Poem. Diss. Ohio State University 1978, S. 136. Auf diese seiner Ansicht nach >katholischen< Strukturen in protestantischer Literatur verweist insbesondere Martz in seinen Untersuchungen. S.Kap. 1.3.2. S.Kap. 1.3.

110 (re-)produktiver Einbildungskraft bei der Erstellung des Schauplatzes in besonderer Weise mit Regeln der Rhetorik und Poetik vereinbaren ließen. An dieser Stelle ist auf die grundsätzliche und sich auch in den vorliegenden Sonetten spiegelnde Parallele zwischen der poetisch-rhetorischen und der meditativen Struktur einzugehen. Sowohl Meditation als auch rhetorische Rede basieren auf einem dreigliedrigen Aufbau,69 und auch in Bezug auf ihre Wirkungsabsicht auf geistig-seelische Fähigkeiten sind sie einander ähnlich. 70 Das exordium oder prooemium, das die Aufmerksamkeit des Rezipienten gewinnen soll, findet hier seine Entsprechung im Vorbereitungsteil der Meditation, der das Thema der Meditation wählt und nennt. Im Falle des Sonettzyklus von Gryphius ließe sich die jeweilige Gedichtüberschrift als exordium deuten. Der auf das Gedächtnis zielende Meditationsteil findet seine Entsprechung in der rhetorischen narratio: »Der Meditierende kommemoriert den Gegenstand, zergliedert ihn in einer divisio gemäß den rhetorischen loci, erhellt ihn durch die Anwendung von Figuren, Vergleichen und Exempeln und erweitert ihn mit den Mitteln der amplificatio.«lx Der auf den Intellekt gerichtete Schritt der Meditation vollzieht sich entsprechend der rhetorischen dispositio unter Anwendung dialektischer Gegenüberstellung (argumentado und refutado). Die rhetorische Entsprechung des meditativen colloquiums kann entweder in der conclusio oder in der perorado gesehen werden - sie wird z.B. im ersten Sonett des Zyklus im gebetsähnlichen Schlussterzett angedeutet. In einem weiteren Sinne kann von einem meditativen Einfluss auf den Gedichtzyklus gesprochen werden. Die zahlreichen Parallelen der Sonette zu den Gebeten Ein

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Diese Struktur findet auch im Emblem als Dreischritt von inscriptio, pictura und subscriptio eine Entsprechung. »Wie sich die Wirkungsabsicht des ignatianischen Andachtstyps auf verschiedene geistig-seelische Fähigkeiten des Adressaten erstreckt, so spricht auch der Redner unterschiedliche Persönlichkeitsbereiche an. Gemäß der Lehre von den drei Persuasionsgraden des docere, delectare und movere muss die Rede auf Verstand und Gefühl des Hörers einwirken, um ihr Ziel zu erreichen. [...]. In den Geistlichen Übungen transponiert Ignatius das Verfahren der rhetorischen Psychagogie in den Prozess der Andacht. Er bedient sich der erprobten Strategien zur Affektlenkung, die ihm die Rhetorik bereitstellt, um mit ihrer Hilfe dem Gegenstand der Meditation oder Kontemplation zu größter psychologischer Wirksamkeit zu verhelfen. Strukturierung und Darbietung des Übungsstoffs entsprechen der Forderung nach Anschaulichkeit und amplifizierender Darstellung, wie es die Schulrhetorik erhebt.« (Martina Eicheldinger: Friedrich Spee - Seelsorger und poeta doctus. Die Tradition des Hoheliedes und Einflüsse der ignatianischen Andacht in seinem Werk. Tübingen 1991, S. 56f.). S. dazu auch Paul Rabbow: Seelenführung. Methodik der Exercitien in der Antike. München 1954, S. 77f. sowie Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. 2 Bde. München 21973, §§ 257, 259 und 810 sowie Fritz Gerald Cohen: The Structures of German Meditative Poetry of the Seventeenth Century: An Analysis of representative Models. In: Michigan Germanic Studies 12 (1986), H. 1, S. 34-51. Günter Butzer: Eintrag Meditation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. ν. Gert Ueding. Tübingen 2001, S. 1019.

Ill Morgensegen und Ein Abendsegen aus dem Parodie sgärtlein12 von Johann Arndt lassen den Zyklus als Ergebnis des individuellen Nachvollzugs einer Meditation durch das lyrische Ich erkennen: die Methode der verinnerlichenden und aneignenden Betrachtung wird für den lyrischen Text fruchtbar gemacht. Die »schar« der Sterne, die im Morgen Sonnet als »ewig hell« beschrieben wird, scheint sich auf das zu Beginn von Arndts Morgen Gebet73 gleich zweimal genannte »ewige Licht« zu beziehen. Auch der das Sonett bestimmende Gegensatz von »dunkler« Sündhaftigkeit und »heller« Güte Gottes (V. 8-10) ist im meditativen Gebet Arndts angelegt: »Vor allen Dingen aber erleuchte mich mit dem ewigen Lichte, welches ist mein Herr Jesus Christus, daß er in mir leuchten möge mit seiner Gnade und mit seiner Erkenntnis. [...]. Treibe von mir aus alle geistliche Finsterniß und Blindheit meines Herzens.« Wie im Gedicht (V. 11-13) folgt die Bitte um göttliche Führung bei allen Werken (»Behüte mich«, »Erwecke in mir«, »führe mich«) und der Ausdruck des Willens, der göttlichen Führung zu folgen: »Ich befehle dir alle meine Werke, daß sie zu deines Namens Ehre gereichen, und zu Nutz meines Nächsten.« Das Sonett Abend lässt sich in einigen Punkten auf das Gebet Ein Abendsegen74 zurückfuhren. »Der Menschen müde scharen« und »Thier und Vögel« (V. 2f.), die sich im Gedicht nach abendlicher Ruhe sehnen, erscheinen auch in den ersten Worten des Gebets von Arndt - sie nutzen »die Nacht zur Ruhe, auf daß sich Menschen und Vieh erquicken«. Und auch der »port«, dem sich »der glieder Kahn« unaufhaltsam nähert (V. 5) ist gedanklich im Abendsegen angelegt: »Du hilfest ja immer eine Last nach der anderen ablegen, bis wir endlich zur Ruhe und an den ewigen Tag kommen, da alle Plage und Beschwerung aufhören wird.« Die Bitte des Abendgebets »Gieb mir, daß ich nicht erschrecke vor dem Grauen des Nachts, daß ich mich nicht fürchten möge vor den plötzlichen Schrecken, noch vor den Sturmwinden der Gottlosen« wird im Sonett im Sinne einer Nicht-Erfüllung aufgegriffen. Das lyrische Ich empfindet »Schrecken und Stille und dunckeles grausen« (V. 1) und befindet sich melancholisch in »trauriger einsamkeit« (V. 2). »Gottlose« erscheinen ihm (»Wetzet ein bluttiger Mörder die Klinge?«, V. 7), bis das lyrische Ich sich schließlich selbst als »Gespenst« erkennt: »Ach wir verschwinden gleich alß die gespenste / die umb die stund unß erscheinen und flihn.« (V. 10). Die kurze Andeutung der von der Forschung bisher nicht erkannten75 zum Teil wörtlichen, zum Teil gedanklichen Entsprechungen des Gedichtzyklus mit den beiden

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Johann Arndt: Johann Arnds [...] Paradiesgärtlein voller Christlicher Tugenden wie solche zur Uebung des wahren Christenthums durch andächtige, lehrhafte und trostreiche Gebete in die Seele zu pflanzen [zuerst 1612]. In: Johann Arndt. Sechs Bücher vom Wahren Christenthum; Nebst dessen Paradies=Gärtlein [...]. Hg. v. August Francken [...]. Halle 1743. Johann Arndt: Paradiesgärtlein, S. 77-79. Johann Arndt: Paradiesgärtlein, S. 79f. Krummacher macht in seinem Aufsatz zwar auf die Beeinflussung der Sonn- und Feiertagssonette von Gryphius durch das »Paradiesgärtlein« und andere Erbauungswerke aufmerksam, lässt aber die Entsprechungen in anderen Sonetten außer Acht. (Hans-Henrik Krummacher: Andreas Gry-

112 Gebeten aus dem Paradiesgärtlein zeigt das Entlanggehen des lyrischen Ich an einem erbaulichen Text, der auf diese Weise indirekt die Struktur der Sonette mitbestimmt. Der meditierte Text wurde in der individuellen Andacht des lyrischen Ich so stark verinnerlicht, damit angeeignet und für das eigene Ich fruchtbar gemacht, dass sich die Worte und Bilder der Meditation fast unbemerkt in eine neue Bedeutungsebene fügen und den Gedichtzyklus prägen.76 In Bezug auf die Ebenen meditativer Lyrik wird auf diese Erscheinungsform meditativer Strukturen später näher einzugehen sein. 77 Neben der meditativen und individuellen Aneignung des Paradiesgärtlein Arndts durch das lyrische Ich, der meditativen Grundhaltung als Disposition in der okkasionellen Betrachtung und der >subjektiven< Pendelbewegung in der Meditation konnten in diesem Gedichtzyklus auch die das Gedächtnis, den Verstand und den Willen umfassenden, an spätmittelalterliche bzw. ignatianische Meditationsmodelle erinnernden meditativen Strukturelemente compositio, analysis und colloquium nachgewiesen werden. Auf der Makroebene des Gedichtzyklus zeigte sich auch die lyrische Umsetzung der nach der Auffassung Luthers letztlich zur consolatio führenden tentatio als Stadium der Gotteserfahrung. Zudem wurde die Selbst- und Sündenerkenntnis des lyrischen Ich als elementare meditative Stufe auf dem Weg zur Gotteserkenntnis auf der Ebene des Gedichts wie des Zyklus' deutlich. Festzuhalten ist auch die gezeigte gegenseitige Entsprechung und Unterstützung meditativer und poetisch-rhetorischer Strukturen, die neben strukturellen Ähnlichkeiten vor allem auf die für Meditation wie Rhetorik geltende Verknüpfung von Gedächtnis (Inventar)

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phius und Johann Arndt. Zum Verständnis der »Sonn- und Feiertagssonette«. In: Formenwandel. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Böckmann. Hg. v. Walter Müller- Seidel und Wolfgang Preisendanz. Hamburg 1964, S. 116-137. Krummacher bestreitet die Bedeutung der Perikopensonette als Ausdruck persönlicher Andacht mit dem Argument, dass Gryphius auf die Tradition der Perikopenliteratur und den Fundus der Erbauungsliteratur zurückgreife. Von besonders großem Einfluss sind nach Krummacher Mollers »Meditationes« und die »Praxis Evangeliorum«, Arndts »Paradiesgärtlein«, Herbergers »Hertz-Postilla« sowie die Perikopendichtungen Heermanns (Hans-Henrik Krummacher: Der junge Gryphius und die Tradition. Studien zu den Perikopensonetten und den Passionsliedem. München 1976, S. 226-252). Obwohl die Beeinflussung Gryphius' durch die Perikopen- und Erbauungsliteratur als Tatsache anzusehen ist (s. auch Hans-Henrik Krummacher: Andreas Gryphius und Johann Arndt. Zum Verständnis der »Sonn- und Feiertagssonette«. In: Formenwandel. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Böckmann. Hg. v. Walter Müller- Seidel und Wolfgang Preisendanz. Hamburg 1964, S. 116-137), ist den Schlussfolgerungen Krummachers nicht beizupflichten. Persönliche Andacht schließt die Orientierung an Tradition und den ohnehin weit verbreiteten Erbauungswerken nicht aus, sondern ist als weiteres Indiz für die Verwirklichung meditativer Strukturen zu sehen. Krummacher selbst betont an anderer Stelle die von Moller über Heermann zu Gryphius führende Traditionslinie, die von dem Ziel einer in persönlicher Andacht verwirklichter Applikation und »innerlichen Aneignung der Perikopen bestimmt« ist (S. 264). Insofern steht das intertextuelle >Benutzen< von Erbauungswerken, die nicht zuletzt als Anleitung zur Meditation gelesen wurden, nicht im Widerspruch zur These einer hier lyrisch umgesetzten, persönlich-individuellen Meditation. S. Kap. 2.4.

113 und Einbildungskraft (inventio) zutrifft. Grundsätzlich sollte deutlich geworden sein, dass die meditative Struktur den individuellen Weg des lyrischen Ich zur überindividuellen Erkenntnis nachzeichnet. Hervorzuheben ist an dieser Stelle das festgestellte Amalgam meditativer Strukturmerkmale unterschiedlicher konfessioneller bzw. vorreformatorischer Provenienz im Gedichtzyklus, das die Ausführungen zur überkonfessionellen und wechselseitigen Beeinflussung bzw. eklektizistischen Übernahme von Vorbildern und Strukturen in der meditativen Literatur unseres Untersuchungszeitraumes illustriert.78 Nicht in jedem meditativen Gedicht - das sei in diesem Zusammenhang nochmals und im Hinblick auf spätere Lyrikanalysen hervorgehoben - lassen sich derartig vielfältige strukturelle Charakteristika der Meditation nachweisen wie in den hier exemplarisch analysierten Gedichten, nicht immer ist ihre meditative Progression so evident und vollständig. Die Tendenz zum freieren Umgang mit der meditativen Struktur, die für die meditative Literatur des späten 16. und 17. Jahrhunderts charakteristisch ist,79 führt auch in der Lyrik zur differenzierteren Betonung und Konzentration verschiedener Strukturelemente der Meditation.

2.4 Die Ebenen meditativer Lyrik - meditative Lyrik als Medium der Selbstthematisierung Die im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts entstandenen Dichtungen der Protestantin Margarethe Susanne Kuntsch (1651-1717) eignen sich in besonderer Weise, um den sowohl explizit-inhaltlichen als auch implizit-strukturellen Zusammenhang von (Todes-) Betrachtung und Lyrik zu illustrieren. Insbesondere ist hier die Vielschichtigkeit meditativer Lyrik hinsichtlich der poetologischen Ebenen in den Blick zu nehmen. 80 Kuntschs Gedichtsammlung mit dem Titel Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte (1720) wurde postum durch ihren Enkelsohn Christian von Stockmann veröffentlicht und von Friedrich Hunold mit einem Vorwort versehen. In diesem Vorwort rechtfertigt er das literarische Schaffen Kuntschs: Er betont, dass die Autorin ihre >weiblichen
lebenslaufbegleitend< Zeugnisse ihrer Frömmigkeitspraxis und ihrer religiösen Auseinandersetzung mit Schicksalsschlägen - sie sind gleichsam ein geistliches Tagebuch, in dem viele der Gedichte mit dem Datum und Anlass ihres Entstehens versehen sind und somit Autorin und lyrisches Ich in eine enge Beziehung setzen. Zudem ist das Leben Kuntschs geprägt von einer ständigen Betrachtung des Todes in mehrfachem Sinne - beherrschendes Thema ihrer Gedichte ist die Klage über ihr »Creutz«: Sie bringt insgesamt 14 Kinder zur Welt, von denen nur ein einziges überlebt. Ihre Gedichte spiegeln das Aufflammen der Hoffnung bei jeder Geburt eines lebenden Kindes und die sich immer wieder wiederholende Trauer um dessen Verlust durch den Tod (sie erleidet vier Frühgeburten, zwei Kinder sterben kurz nach der Geburt, fünf ereilt der Tod als Babys oder Kleinkinder, ein Junge stirbt mit sieben, ein Mädchen mit elf Jahren). Doch nicht nur der Tod ihrer Kinder, sondern auch ihr eigener Tod bzw. ihr Todeswunsch ist Objekt permanenter lyrischer Meditation. Der vorangestellte selbst verfasste Lebenslauf unterstreicht die Nähe von Autorin und lyrischem Ich. Zudem bezieht sie einige ihrer Gedichte im Titel explizit auf die Lektüre von Meditationsliteratur und gibt Aufschluss über ihren

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Margarethe Susanne von Kuntsch: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720, Vorrede, o. Pag.

115 Bibliotheksbestand 8 2 und ihre Lektüregewohnheiten. S o ist den Gedichtüberschriften bzw. d e m Inhaltsverzeichnis (s. Abb. I ) 8 3 zu entnehmen, dass ihre Lektüre v i e l e >Klassiker< der Meditationsliteratur umfasste: neben Bibel und Katechismus werden z.B. Werke v o n Johann Arndt, 8 4 Johann Gerhard, 8 5 Joachim Lütkemann, 8 6 Georg Lintzner, 8 7 Justus Georg Schottelius, 8 8 Heinrich Müller 8 9 und Erasmus Francisci 9 0 genannt. Titelerläuterungen w i e Als sie es zum erstenmal andernmahl

durchlesen

oder Uber eben dieselben

durchlesen,

Als sie es zum

verweisen auf die wiederholend-

ruminierende Lesart, die der Meditation e i g e n ist (s.o.), o f f e n s i c h t l i c h a u c h die Lektüre Margarethe Susanne Kuntschs geprägt hat und durch die das lyrische Ich der

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Zur Bedeutung realer und fiktiver Bibliotheken in der Literatur s. Dietmar Rieger: Imaginäre Bibliotheken. Bücherwelten in der Literatur. München 2002. Margarethe Susanne von Kuntsch: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720, Inhaltsverzeichnis [Universitäts- und Landesbibliothek SachsenAnhalt in Halle a.d. Saale, DC 508 (3, 2. Ex.) (1)]. Johann Arndt, Vier Bücher vom Wahren Christenthum. Magdeburg 1605-1615. Johann Gerhard: Schola Pietatis. Das ist: Christliche und Heilsame Unterrichtung / Was für Ursachen einen jeden wahren Christen zur Gottseligkeit bewegen sollen / auch welcher Gestalt er sich an derselben üben soll. [...]. Nürnberg 1709 (Ί622), von Kuntsch als »Anführung zum gottseligen Leben« bezeichnet. Joachim Lütkemann: Der Vorschmack göttlicher Güte. Wolfenbüttel 1653. Georg Lintzner: Memento mori. Das ist: Heilsame Todes-Gedancken Wie nemlich ein wahrer Christ seinen Tod stets betrachten und sich durch ein christlich Leben zu demselben bereiten: Sonderlich aber mit kräfftigen Trost-Sprüchen wider seine letzten Feinde ausrüsten soll; Auf daß er Christ-ritterlich überwinden und endlich die Crone des Ewigen Lebens überkommen möge. Samt einem Anhange von der Seligen und Unseligen Ewigkeit zum Trost und Warnung. Nürnberg 1675. Justus Georg Schottelius: Sonderbare Vorstellung / Wie es werde mit Leib und Seel Des Menschen werde Kurtz vor dem Tode, / in dem Tode / und nach dem Tode werde bewandt seyn. Braunschweig 1675; ders.: Eigentliche und Sonderbare Vorstellung Des Jüngsten Tages und darin künfftig verhandenen Grossen und Letzten Wunder=Gerichts Gottes: Wie es ordentlich nach denen uns geoffenbarten Umständen / alsdan daher gehen / endlich nach ausgesprochenem Uhrtheile / die Gottlosen samt den Teufelen zur Hölle / die Auserwehlten samt dem Herrn Jesu zu Himmel fahren / auch Himmel und Erde darauf samt den Elementen im Feuer vergehen werden. Nachdenklich in Teutscher Sprache beschrieben / mit nötigen Erklärungen und schönen Kupfer=Stükken. Braunschweig 1668; ders.: Sonderbare Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit In Teutscher Sprache Nachdenklich beschrieben / Samt kurtzem Vorberichte Von der Zeit und Ewigkeit. Braunschweig 1673; ders.: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal / Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich / und also vor die Augen gelegt / daß einem gottlosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben / und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet. Wolfenbüttel 1676. Heinrich Müller: Himmlischer Liebes=Kuß / Oder Vbung deß wahren Christenthumbs / fließend auß der Erfahrung Göttlicher Liebe. Erfurt 1742 (>1659). Erasmus Francisci: Die Letzte Rechenschafft Jeglicher und aller Menschen abzulegen / Zu den Füssen der Ewigen Majestet: In vier und sechzig Bedenckungen Deß Sonderbaren Seelen=Gerichts / und Allmenschlichen End=Gerichts abgehandelt: [...] Denen Unbußfertigen heilsam=schrecklich / den Bußfertigen Trost=erfreulich fürgestellet / auch mit vielen neuen Liedem und Sinnbildern geziert [...]. Nürnberg 1681.

116 3 t ? n M t ü b e r fcie © Ä i ' r f s f e . I . (5£>tt g e w e i d e t e r ifiicben'ÏSDrtit» b e r ant ì ù c f e t i g e n urtò m i t C t e u ç b c i e g t e n S y 1 ν ictt. t. Surfum Cords. "" Pag. j . a. 'isti jpcrrn Siati) r(î mutibei'bíi^ir, unb führet es i-err» liifrfcimutf. E f . 1 8 . 2 9 . 7 3. S y m b . ; © e r ^ r r i | í m e m 2 : ( K i ! , φ π φ ί meine Seele, bet-inn «ttÊ ifj^auf i()n beffen. T h r c n . 3 , 1 1 4 . 10 4 . 3iwf»tintecuiigjw;f«(igenïobáre,bft(¡ fie ({erben »urbe. 16 s. 2iÍ;f4)íffc¿=Obπ1ιφβ Segierbe jtt flerbeit. 23 ». © t t ä w i j u g a u i «ιΐίφίη Capitela bei S i k M βιob. ibid. 9. Síagítmb î v c f t be? Ariern ίί()ίίίφ{Π. 33 I I . © n i briffe Sopite! bei £atóicf>Kré ® ί ν α φ . 37 1 2 . © a i i í . C a p i t e l ber fpifrel mi bit SRétttev. 40 13. Uber bie heilige 25i»cl. 45. 1 4 ; líber 3ofc.Siieblíngi .iirc()kfen. ?4 30. Sitó fíe feU-fxi jiim anbertt mabl biircbíefen. íí 3 t . Uber betreiben t>igeiffio&l, a l i |ie e i juttt erfïen mal bnr®Iefen. srechenschaftspflichtig< vor Augen geführt werden (s.o.). 100

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Erasmus Francisci: Die Letzte Rechenschafft Jeglicher und aller Menschen abzulegen / Zu den Füssen der Ewigen Majestet: In vier und sechzig Bedenckungen Deß Sonderbaren Seelen=Gerichts / und Allmenschlichen End=Gerichts abgehandelt: [...] Denen Unbußfertigen heilsam=schrecklich / den Bußfertigen Trost=erfreulich fürgestellet / auch mit vielen neuen Liedern und Sinnbildern geziert [...]. Nürnberg 1681, Vorbericht, o. Pag. [Hervorhebungen S.W.]. Erasmus Francisci: Die Letzte Rechenschafft, S. 903 und S. 904f. [Hervorhebungen S.W.]. Erasmus Francisci: Die Letzte Rechenschafft, S. 990f.

121 Interessanterweise wird in Franciscis Rechenschafft mehrmals auch auf die Kunst als vor Gott zu verantwortendes Gut verwiesen: »Schrifften« 103 liegen dem Gottesurteil über den Einzelnen ebenso zugrunde wie »Gemalte / Bilder / und Bücher / wodurch die Christliche Jugend schändlich verführt wird«. 104 Und: »Je mehr Einer Gaben / von oben / empfangen hat (natür= oder geistliche) je mehr hat er zu verrechnen.«105 Dadurch findet Vers 5 des Gedichtes einen direkten Anknüpfungspunkt in der Rechenschafft, der es ermöglicht, mit diesem Verweis auf das »dichtende« (lyrische) meditierende Ich die Grenze zwischen lyrischem, meditierendem und Autor-Ich, das bei der Betrachtung des Gottesgerichtes inneren Widerstand und Erschrecken fühlt, verschwimmen zu lassen. Das erste Terzett steht für das auf den Intellekt abzielende Strukturelement der Meditation und geht in das die Betrachtung schließende Gebet im zweiten Terzett über: »Wenn ich es recht erweg/der Satan klagt mich an / und mein Gewissen zeugt daß ich nicht recht gethan / Ich fiel verzweifelt hin/wenn mich nicht dieß könnt laben // Herr Jesu/dein Verdienst/dasselbe bleibet mein / Du bist das Lebens=Buch/ach zeichne mich darein / So werd ich meinen Fund zu meinem Richter haben.« Das lyrische Ich »erwägt« die eigene Sündhaftigkeit, es versucht diese - entsprechend der Struktur der Meditation - verstandesmäßig zu erfassen. Es erkennt dabei, dass es der Verdammung und Verzweiflung anheim gegeben wäre, wenn es nicht auf die Erlösungstat Christi vertrauen dürfte (V. 1 Iff.)· Deshalb endet die Betrachtung in der gebetsähnlichen Wendung zu Christus und im Glaubensbekenntnis, im Vertrauen auf den Erlöser ein gnädiges Urteil zu erfahren. Wie bereits im Zusammenhang mit dem ersten mit der Rechenschafft in Bezug zu setzenden Gedicht wird auch hier der Rat Franciscis als Meditations-Exempel und Meditationsinstruktion befolgt, bei der Betrachtung des Jüngsten Gerichtes die Erlösungstat Christi nicht aus den Augen zu verlieren: Die Gerichts=Furcht soll nie / in unsrem Hertzen / allein herrschen; sondern / in Gesell= und Mit=Herrschafft einer gläubigen Hoffnung: auf daß man / an seiner Seligkeit / nicht kleinmüthig zweifle / und zuletzt gar verzweifle. 106 ; Denn die Seele / welche nicht / ihr selbsten / noch der Welt / sonderm dem Herrn / zu gefallen suchet / beschaut sich alle Tage in zween Spiegeln: erstlich: in dem Gesetz=Spiegel der Göttlichen Gerechtigkeit / und Gebote: der ihr ihre Flecken verweiset / und sie / mit der Furcht seines Eyfers / zur Reue und Besserung auffschrecket: Hernach in dem Glaubens=Spiegel der Göttlichen Gnade / und unserer Rechtfertigung vor Gott / durch den vollkommenen Gehorsam Jesu Christi: welcher sie tröstet / zu dankbarer Gegen=Liebe entzündet / alle verwerffliche Knecht=Furcht austreibet / und ein kindliches Vertrauen zu Gott in ihr aufrichtet. Solche zwiefache Spiegel=Schau und Anschickung wird uns eine zittrende Freude / und sehnendes Verlangen nach dem Tage Jesu Christi / erregen / und weder der Vermessenheit / noch der Zaghafftigkeit / Stat geben. 107

103 104 105 106 107

Erasmus Erasmus Erasmus Erasmus Erasmus

Francisci: Francisci: Francisci: Francisci: Francisci:

Die Die Die Die Die

Letzte Letzte Letzte Letzte Letzte

Rechenschafft, S. Rechenschafft, S. Rechenschafft, S. Rechenschafft, S. Rechenschafft, S.

997. 1002. 1004. 1122. 1130.

122 Gewissensbetrachtung als >Selbstbespiegelung< bedeutet immer nicht nur Gesetzes-, sondern auch Glaubensmeditation. Das lyrische meditierende Ich gebietet seiner »Verzweiflung« (V. 11) Einhalt durch die Betrachtung des »Verdienstes« Jesu (V. 12) und folgt damit der Meditationsanleitung Franciscis - es macht sich ruminierend die Lektüre zu eigen. Was »beym erstenmahl durchlesen« noch als summarische Inhaltswiedergabe lyrisch gestaltet wird, erfährt bei der wiederholten, ruminierenden Lektüre eine neue meditative, aber auch lyrische Tiefe. Das »Bedencken« des Jüngsten Tages, im ersten Gedicht noch als Wunsch und Absicht formuliert, wird hier in der Betrachtung des lyrischen Ich auf der inneren Bühne der Meditation vergegenwärtigt, als »Donner=Wort«, das »in meinen Ohren schallt« (V. 1). Die Betrachtung des göttlichen Gerichts verweist - als Gegenschlag des Pendels - auf die Selbstbetrachtung. Dabei wird nicht die allgemeinmenschliche (»Gehn Fehler wo mit ein«), sondern die individuell-eigene Sündhaftigkeit durch meditative Selbsterkenntnis bewusst: »Ich fühle daß mein Geist in mir zurücke prallt« (V. 8). Und die nach der ersten Lektüre allgemein gehaltene Einsicht, dass wahres Christentum sich nicht nur mit »Wissen« begnügt, wird nach wiederholtem Lesen zur verinnerlichten, angeeigneten Erkenntnis und auf das Subjekt des meditierenden lyrischen, aber auch meditierend schreibenden Ich übertragen: über »alles was ich thu / auch rede / oder dichte« wird das Urteil Gottes ergehen. Die Bitte, begangene Sünden zu »schenken« (V. 4) wird bei der Betrachtung zur Verzweiflung, die nur durch die verinnerlichende Vergegenwärtigung des Kreuzestodes Christi »gelabt« (V. 11) aufgefangen werden kann - die Selbsterkenntnis der Sündhaftigkeit verweist auf die Erlösungshoffnung als zweitem Pol des meditativen >PendelsPendeln< zwischen Selbst- und Gotteserkenntnis strukturieren das Gedicht, dessen lyrisches Ich sich das Betrachtungsobjekt ruminierend-wiederholend angeeignet hat. Der lyrische Text kann auch als Anleitung zur Meditation gelesen werden, wenn man die Rezipienten-Ebene mit einbezieht, ebenso auch als Gegenstand der Betrachtung im Sinne meditativ-ruminierender Gedichtrezeption. Als Rezipient ist nicht zuletzt auch die Autorin selbst in Betracht zu ziehen. Damit ist das Sonett zugleich Meditation, Meditationsanleitung und Meditationsobjekt, und zwar auf der Ebene von Autorin, lyrischem Ich und Rezipienten.109 Das sich im Text äußernde Klang-, Form- und Gattungsbewusstsein verweist auf die ästhetische Reflexion dieser Mehrschichtigkeit meditativer Lyrik, die je nach Betrachtungsperspektive als Gegenstand, Subjekt oder Medium der Meditation aufleuchtet.

2.5 Das meditativ-lyrische Ich Welche Schlussfolgerungen sind nun aus dem Nachweis meditativer Strukturelemente in lyrischen Texten des 17. Jahrhunderts zu ziehen? Wenn sich lyrische Texte als >meditative Texte< erweisen, so tritt eine mögliche und weiter zu untersuchende Verschränkung von individuellen und rollenhaft-exemplarischen Elementen zutage, die die oft vertretene - und für die nicht-meditative Poesie auch sicher zutreffende - Meinung relativieren könnte, Poesie impliziere im 17. Jahrhundert weniger >subjektiv-lyrische< Momente, sondern diene lediglich rhetorischen Zwecken und der Vermittlung überindividueller Wahrheiten. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass lyrische Texte unseres Untersuchungszeitraumes 108

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Vgl. Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 313. S. auch Günter Butzer: Schicksale des lyrischen Ich. In: Lyrik und Erinnerung. Hg. v. Gerhard Kurz. Sprache und Literatur 2 (1999), S. 3-15, S. 13.

124 durch ein rhetorisches Selbstverständnis und die Betonung des Verweischarakters alles Individuellen auf die allgemeingültige Heilsordnung gekennzeichnet sind. Doch steht dieses Verweisen auf das Allgemeingültige, Überindividuelle nicht im Widerspruch zu Individualität und Selbstthematisierung, sondern ist - wie durch die gegenseitige Ergänzung und Unterstützung rhetorischer und meditativer Strukturen gezeigt werden konnte - verschränkt mit dem Durchlaufen eines individuellen meditativen Erkenntnisprozesses. Dieser meditative >Weg zur Wahrheit< ist konstitutiver Bestandteil des Gedichtes und repräsentiert die >lyrischemeditatives Erlebnis< originäres Erfahrungseigentum des lyrischen Ich. Die folgenden Untersuchungen gehen deshalb von der Annahme aus, dass die Selbstthematisierung zur Selbsterkenntnis eine nicht zu unterschlagende Konstituente des meditativen Gedichtes ausmacht und nicht durch ihre Hinführung zur Erkenntnis überindividueller Wahrheit als inexistent zu leugnen oder unter dem Vorwand der Rhetorizität in ihrem Wert als individuell-subjektiver meditativer Weg zu negieren ist. Auch wenn Thema oder Struktur(elemente) eines meditativen Gedichtes in der Meditationsliteratur vorgebildet sind, schließt dies individuell-subjektive Momente im Sinne lyrischer Selbstthematisierung nicht aus. Intertextuelle Bezüge zur Meditations- und Erbauungsliteratur sind vielmehr Hinweise, die auf das individuelle Sich-Aneignen dieser Meditationsmodelle durch das meditierende lyrische Ich hindeuten. Die lyrische Meditation ist - unabhängig von ihrem auf allgemeine Wahrheit verweisenden Ende - zunächst als Ausdruck der Selbstbetrachtung anzuerkennen. Dir meditativer, allgemeingültiger Erkenntnisgehalt sollte nicht dazu führen, den Erkenntnisweg zwangsläufig ebenfalls als über-individuell und rollenhaft zu beurteilen - dies würde dem Charakter der meditativen Praxis als verinnerlichtem, persönlich-individuellem Erkenntnisweg nicht gerecht. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Reflexionen zum Lyrikverständnis im Rahmen von Meditation, Poetik und Rhetorik erscheint es als gerechtfertigt, auf der Suche nach Formen der Selbstthematisierung in Todesbetrachtung und Todesvision des 17. Jahrhunderts neben Texten aus der Meditations- und Erbauungsliteratur meditative Lyrik als Untersuchungsmaterial heranzuziehen.

3. Selbst-Sichten mit betrachtendem Blick auf den Tod Die Selbst-Sichten des lyrischen, den Tod betrachtenden Ich unseres Untersuchungszeitraumes werden dann im Hinblick auf die Frage nach Individualität und Erinnerung relevant, wenn sie im Kontext eines neuen und mit der Verbreitung der Meditationspraxis in enger Verbindung stehenden Gewissenskonzeptes, des hier so genannten >meditativen GewissensGewissen< entsteht um 1000 n. Chr. als Lehnübersetzung für lat. conscientia. Der lateinische Begriff ist seinerseits ein Äquivalent für griech. syneidesis. Die soziative Funktion der Präfixe syn-, con- und Ge- verweist auf das Verständnis des Wortes als Mit-Wissen mit jemandem in einer Sache. Sind Wisser und Mitwisser identisch, so steht in der griechischen und römischen Tradition das Gewissen für Sich-bewusst-Sein oder begleitendes Bewusstsein1 - es lässt sich damit in Bezug setzen mit dem Begriff des Selbstbewusstseins, der oben bereits erläutert wurde. Das Gewissen ist dabei sowohl als konkret-punktuelle Anspruchs- als auch als dispositive Kontrollinstanz zu verstehen2 - in diesen beiden Funktionen erscheint es im Bewusstsein des (mit sich selbst) Mitwissenden. Im Unterschied zum französischen >conscience< und englischen >conscience< meint das deutsche Wort >Gewissen< eindeutig eine moralische Instanz und bedeutet nicht - wie im Englischen und Französischen - zugleich ein neutrales Bewusstsein seiner selbst. Das Konzept des deutschen Begriffs >Gewissen< ist somit enger gefasst als das der englischen und französischen >conscience< . 3 Die vorliegende Arbeit untersucht - aufgrund der Einsicht in die Inkongruenz des deutschen, französischen und

Heinz Dieter Kittsteiner: Gewissen und Geschichte. Studien zur Entstehung des moralischen Bewusstseins. Heidelberg 1990, S. 13. Eintr. Gewissen. In Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Basel 1971-1995, Sp. 574-584, Sp. 591. Vgl. Uta Störmer-Caysa: Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters. Berlin 1998, S. 3.

126 englischen Begriffes und in der Überzeugung, dass nicht nur dort, wo der Begriff >Gewissen< oder >conscience< fallt, vom Gewissen die Rede ist - nicht sein explizites Auftreten, sondern gerade auch dessen nicht begrifflich-explizite Thematisierungen. Grundsätzlich kann die Wortbedeutung in ein philosophisches (Stoa) und ein theologisches Gewissensverständnis (Paulusbriefe) unterteilt werden. Der philosophische Begriff betont die Autonomie des Gewissens als innere Instanz der Beurteilung sittlichen (eigenen) Handelns, als »Gott in uns«, wie Seneca (55 ν. Chr. - 40 η. Chr.) im 41. Brief an Lucilius schreibt - für ihn übernimmt das Gewissen die Funktion des innerlichen Bewahrers und Wächters vor schlechten Taten.4 Das theologische Begriffverständnis hingegen ist gekennzeichnet durch die Ambivalenz dieser Instanz, die zwar einerseits autonomes und entscheidungsfähiges inneres Zeugnis der Selbstrechtfertigung oder Selbstverurteilung ist (s. vor allem die Paulusbriefe), andererseits aber auch den göttlichen Willen als Norm spiegelt und damit durch ihre Dependenz vom Transzendenten charakterisiert wird. Das >Mitwissen< des theologischen Gewissens ist, so Augustinus,5 stets zugleich ein Wissen um das Mitwissen um eigenes Stehen vor Gott (coram Deo) und um dessen Mitwissen des Gewissens (in conspectu Deo). Das theologische Gewissensverständnis ist deshalb nicht eindeutig als autonomes oder autoritäres zu bestimmen, sondern wird durch die Spannung zwischen diesen beiden Polen konturiert.6 Das Gewissen kann sowohl retrospektiv als auch prospektiv wirksam werden. Das rückschauende Gewissen ist >schlechtGewissensbiss< (morderi conscientia)7 genannt. Mit dem Begriff der >recta conscientia,materialen< Vorstellung der Sünde, die als äußerliche Macht vom passiven Ich Besitz ergreift, noch nicht ein Gewissensverständnis als verinnerlichte Normierungsinstanz mit sich. Doch hat der Mensch durch die Tatsache, dass er sich als Subjekt der Sünde begreift, schon im Mittel- und Spätmittelalter die Voraussetzung für ein >empfundenesconscientia< oder Gewissen bezeichnet, wird der moralische Bezug beider Termini aufgehoben, und es entstehen neue Begriffe wie >conscientia fidelisTrost< gelangtes >wiederaufgerichtetesunverzagtesfröhliches< Gewissen.«17 Dieses Konzept des Gewissens ist nicht denkbar ohne die Perspektive auf die Erlösungstat Christi, und so warnt Luther vor der versuchten Autonomie des Gewissens, die in und durch sich selbst Rechtfertigung sucht: »Darum hüte dich, daß du deine Sünden auf dein Gewissen legest, auf daß du nicht erschreckest, sondern lege sie frei auf Christus.«18 Allerdings bestimmt auch Luther das Gewissen insofern als innerliche Instanz, als er sich gegen ein Gewissensverständnis wendet, das sich nur über die Einhaltung ritueller Gebote, also über äußerliche Gewissenhaftigkeit definiert. Anstelle dieser unfreiwilligen Pflichterfüllung fordert er die Freiwilligkeit guter Werke, die Früchte des Geistes und des Glaubens sind.19 Die conscientia ist im Verständnis Luthers primär das durch den Glauben bestimmte Gottesverhältnis. Die ethisch-innerliche Instanz, die das Verhältnis des Menschen zu sich selbst definiert, wird zwar durch die Forderung der Freiwilligkeit angedeutet, bleibt aber ein Gnadengeschenk Gottes und somit letztlich eine außerhalb des menschlichen Einflussbereiches liegende Instanz. Calvin insistiert auf dem Bewusstsein eines unüberbrückbaren Abgrunds zwischen Mensch und Gott und betont in diesem Sinne ähnlich wie Luther die grundsätzliche Sündhaftigkeit des Einzelnen durch die Erbsünde. Er fordert deshalb permanente Buße 20 und betont das Gewissen als ein allgegenwärtiges, zwischen Gott und dem Menschen vermittelndes Mit-Wissen.

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S. Uta Störmer-Caysa: Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters. Berlin 1998, S. 80 und 385. Eintr. Gewissen. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hg. v. Joachim Ritter und. Karlfried Gründer. Basel 1971-1995, Sp. 574-584, Sp. 583. Martin Luther: S. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Weimar 1966 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Weimar 1883), Bd. 31/2, S. 33f. S. Heinz Dieter Kittsteiner: Die Entstehung des modernen Gewissens. Frankfurt a.M. 1991, S. 159-165. »Au reste, ceux qui inventent une nouvelle manière de Chrestiente, c'est que, pour recevoir le

129 Der damit angesprochene Begriff der Buße ist in seiner Geschichte und seiner Beziehung zum Gewissen zu erläutern. Die Buße ist nicht misszuverstehen im umgangssprachlichen Wortsinn von >Bestrafung< für Fehlverhalten, sondern impliziert nach christlichem Begriffsverständnis die Momente Reue und Umkehr.21 Die apostolischen Väter bezeichnen den liturgischen Ritus der Buße als confessio - seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. bis ins hohe Mittelalter bezeichnet das Wort paenitentia die Gesamtheit der Schritte, die den Büßenden zur Versöhnung mit Gott, dem Ziel der Buße führen. Im Mittelalter entbrennt ein Streit um die Motivation der im 11. Jahrhundert als Sakrament eingeführten Buße, der bis zum Ende des 17. Jahrhunderts anhalten wird.22 Zentrale Streitpunkte sind die Begriffe >contritio< und >attritioattritio< kommt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf, in der Frühscholastik bleibt die Unterscheidung der Begriffe zunächst ungeklärt. Im 14. Jahrhundert werden erste Abgrenzungsversuche unternommen, die die contritio als Sündenreue definieren, die durch die Liebe zu Gott motiviert ist, während die attritio ein menschliches Motiv der Reue ist, das sich aus der Angst vor verdienter Strafe und somit Selbstliebe speist. Das Konzil von Trient (1551) versucht, die Streitigkeiten um die innere Disposition beim Bußsakrament durch Begriffsklärung zu schlichten und definiert die für das Bußsakrament notwendige contritio schließlich als Seelenschmerz und Verabscheuung der begangenen Sünden mit dem Vorsatz, in Zukunft nicht mehr zu sündigen, unterscheidet dabei aber eine >vollkommene< von einer >unvollkommenen< contritio: Die vollkommene contritio ist durch die Gottes- und Nächstenliebe motiviert, die unvollkommene entspricht der attritio (s.o.) und gründet sich auf die Hässlichkeit der Sünde und die Angst vor der Hölle.23 Dieser Streit um die Motivation der Reue ist deshalb in den Kontext der Geschichte des Gewissens zu stellen, weil er das Bewusstsein der Unterscheidung zwischen autoritärem und autonomem Gewissen spiegelt und die Ambivalenz des theologischen Gewissens (s.o.) zum Ausdruck bringt. Die durch Angst vor Strafe motivierte Reue betont das autoritäre, die sich auf die Gottes- und Nächstenliebe gründende das innerlich-autonomere Moment des theologischen Gewissens. Im Katholizismus wird die Auseinandersetzung um die innere Disposition bei der Buße als Voraussetzung für wirksame Absolution bei der Beichte fortgesetzt und prägt

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22 23

Baptesme, on ayt certains jours ausquels on se exerce en Penitence, devant qu'estre receuz à communiquer à la grâce de l'Evangile, n'ont nulle apparence en leur erreur et folie. Je parle de plusieurs Anabaptistes [...]. Mais ce sont les fruicts que produict cest exprit de phrénésie, d'ordonner quelque peu de jours à faire Penitence, laquelle doibt estre continuée de l'homme chrestien toute sa vie.« (Jean Calvin: Institution de la Religion Chrestienne. Hg. v. Jacques Pannier, Paris 1961, S. 172). Eintr. pénitence. In: Dictionnaire de Spiritualité. Ascétique et Mystique. Doctrine et Histoire. Hg. v. Charles Baumgartner u.a. Paris 1937-1986, Sp. 943-1010, Sp. 943. Eintr. pénitence. In: Dictionnaire de Spiritualité, Sp. 97 Iff. Eintr. pénitence. In: Dictionnaire de Spiritualité, Sp. 973.

130 als Attritionismus-Kontritionismus-Debatte auch das späte 16. und 17. Jahrhundert. D i e Sensibilität für die Spannung z w i s c h e n autoritären und autonomen M o m e n t e n des G e w i s s e n s kristallisiert sich weiterhin i m Streit u m die innere Disposition als Voraussetzung der Absolution i m Bußsakrament. D a s Konzil v o n Trient hatte die Auseinandersetzungen nicht zu vermindern vermocht, der Einzelne war verpflichtet, sich auf »wahre Reu und L e i d « als Voraussetzung der Absolution betrachtend zu erforschen. D a s Konzil verschärfte die Ansprüche an die Gewissenserforschung der katholischen Gläubigen zusätzlich, indem es die Notwendigkeit der Beichte aller Sünden betonte: D a s absichtliche Verschweigen v o n Sünden gegenüber d e m Beichtvater galt nunmehr als Hindernis für die Wirkmächtigkeit der Absolution. 2 4 Jacob Hornstein warnt in seiner Catholischen

Beichtpredigt

(das protestantische Äquivalent wäre wohl

die »Christliche Bußpredigt«) die Gläubigen vor der ungenügenden Beichte, [...] nemblich / daß sie solche ihr Beicht / ohne hertzliche Rew und Leyd / (welches warlich der aller notwendigst theyl der Büß ist / ohn welche auch die Beicht gar nichts nutzet) thun unnd verzichten: Dann da iemands hierinnn / warumb es zuthun sey / vor allem nicht mit Fleiß / bey sich selbst betrachtet und erweget / so kan man auch anders dar auß nichts erachten / dann daß ein schlechter Lust / Eyfer und Ernst da seyn müsse / und folgends ein solcher Mensch / seiner Sachen keinen Nutz schaffen werde / welches zwar allen denen widerfahrt / so ohne die Rew beichten. [...] »Sag derhalben nochmaln / daß dem Priester deß Büssers Siind bekannt und bewust seyn müsse / er aber der Büsser / ihme zuvor ein recht geschaffene / nutzliche / fruchtbare und volkommliche Beicht / [...] darummen zu thun schuldig seye / das ist / ein rechter Christlicher Büsser / muß nicht allein Gott / sondern auch dem Priester / nicht nur etlich / sondern alle und jede / bewüste und begangne Todsünd beichten unnd gern bekennen [...]. Sonsten [...] so ists nicht möglich / daß einem solchen die gebeichte Sünd verzygen / unnd darvon möge absolutiert werden [...]. [Er] bleibt derohalben so lang in Gottes Straff unnd Ungnaden / wie lang er nicht volkommenlich dem Priester beichtet. 25 A u c h die im Z u g e der Gegenreformation a u f k o m m e n d e Idee der Generalbeichte, bei der alle Sünden - auch die bereits i m Laufe des Lebens gebeichteten - noch einmal rekapituliert werden, stellten durch diese verordnete >Sündenbiographie< neue Anforderungen an die Gläubigen. 2 6 Zudem wurde nicht geklärt, ob sich die unvollkommene attritio

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sich etwa durch den Einfluss des Sakramentes noch in v o l l k o m m e n e

contritio

S. Κ. J. Becker: Die Notwendigkeit des vollständigen Bekenntnisses in der Beichte nach dem Konzil von Trient. In: Theologie und Pholosophie 47 (1972), S. 161-228. Jacob Hornstein: Ein Christlich Catholische Beichtpredig / Von denn stummenden Beichtvättern unnd Beichtkindern / auch von dem Gewalt eines getrewen Catholischen Beichtvatters / welchem ein jeder Büsser und Todsünder / mit mündlicher / volkömmlicher / Sakramentalischer Beicht underworffen ist / ausser welcher sonsten kein Gnad / Verzeyhung noch Seligkeit zuerhoffen [...]. Ingolstadt 1591, S. 16. Verwiesen sei dazu auf Alois Hahn / Herbert Willems: Wurzeln moderner Subjektivität und Individualität. In: Individualität. Hg. v. Karl Eibl und Marianne Willems. Hamburg 1996 (Aufklärung 9), S. 7-37, die die Auswirkungen der gegenreformatorischen Praxis auf die Ethik untersuchen. S. auch Wolfgang Leiner: La princesse et le directeur de conscience. Création romanesque et prédication. In: La pensée religieuse dans la littérature et la civilisation du 17e siècle en France. Hg. v. Manfred Tietz und Volker Kapp. Paris 1984 (Biblio 17).

131 wandeln könne (außersakramentale Rechtfertigung).27 Diese Position stützte einerseits die autoritäre Kraft der Absolution in Abgrenzung zur protestantischen Lehre und konnte andererseits der Abschreckung der katholischen Gläubigen durch die >zu hohen< Ansprüche an die Gläubigen bei der Beichte entgegenwirken - gegen diese Form des >Laxismus< im Bußsakrament wandte sich der Jansenismus durchaus nicht allein, aber in besonders heftiger Weise. In den Folgejahren entbrannte der Streit über weitere Fragen der inneren Disposition zur Buße, z.B. über die Art der die contritio motivierenden Gottesliebe.28 Der vor allem von jesuitischen Theologen vertretene und von den Jansenisten scharf abgelehnte Probabilismus in der katholischen Moraltheologie 29 nach dem vom Einzelnen glaubwürdige Gewissensgründe< gegen die Befolgung eines moralischen Gesetzes geltend gemacht werden können, steht ebenfalls in der Reihe der Hinweise auf die ins Bewusstsein getretene Spannung zwischen >innerem< und >äußerem< Gewissen und zeigt, dass die Beibehaltung des Sakraments der Beichte und die Absolution keinesfalls die Entlassung in oberflächliche Selbstbetrachtung für die katholischen Gläubigen bedeutete.30 Vielmehr deutet die Tatsache, dass sich die Moraltheologie in jener Zeit unter dem Namen >casus conscientiae< als eigenständiges Fach herausbildete und dass z.B. der seinerzeit bekannteste katholische Theologe, der Tiroler Jesuit Paul Laymann, in seinen moraltheologischen Schriften entschieden für die Verbindlichkeit auch des irrenden Gewissens (conscientia erronea) eintrat und das Gewissen häufig als psychologisches Gewissenserlebnis thematisierte,31 auf die zunehmende Fixierung auf das Gewissen als innere, individuell zu ergründende Instanz hin. De Sales warnt explizit vor zu routinierter, zu wenig individueller Gewissenserforschung und Sündenbekenntnis: Ne faites pas seulement ces accusations superflues que plusieurs font par routine: je n'ay pas aymé Dieu tant que je devois; je n'ay pas prié avec tant de devotion que je devois; je n'ay pas chéri le prochain comme je devois; je n'ay pas receu les Sacrements avec la reverence que je devois,

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Alain Duval: Le concile de Trente et la confession. In: La Maison-Dieu 118 (1974), S. 131— 180. Die Darstellung dieses Streites ginge über das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit hinaus - s. dazu Eintr. pénitence. In: Dictionnaire de Spiritualité. Ascétique et Mystique. Doctrine et Histoire. Hg. v. Charles Baumgartner u.a. Paris 1937-1986, Sp. 790-853. Jean Delumeau: L'aveu et le pardon. Les difficultés de la confession (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1990, S. 133 und 137. Vgl. Alois Hahn: Zeitknappheit als Problem der religiösen Lebensführung in der französischen Gegenreformation. In: Aspekte der Gegenreformation. Hg. v. Victoria von Flemming. Frankfurt a.M. 1997 (Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 1), S. 513: »Tatsächlich verwenden sowohl katholische wie evangelische Kontroverstheologen dieser Zeit moralische Argumente zur Abqualifizierung der gegnerischen Konfession, etwa wenn die Protestanten der Beichte vorwerfen, sie verhindere wegen der ständigen Möglichkeit der Verzeihung sittliche Strenge und die Katholiken umgekehrt der Abschaffung der Beichte protestantische Sittenlosigkeit zuschreiben, weil man dort ja nicht mehr gezwungen sei, sich regelmäßig zu verantworten.« Helmut Weber: Die Bedeutung des Gewissens bei Friedrich Spee und in der Moraltheologie seiner Zeit. In: Friedrich Spee zum 400. Geburtstag. Kolloquium der Friedrich-Spee-Gesellschaft Trier. Hg. v. Gunther Franz. Paderborn 1995, S. 53-55 und 60.

132 et telles semblables: la rayson est parce qu'en disant cela vous ne dites rien de particulier qui puisse faire entendre au confesseur Testât de vostre conscience, d'autant que tous les Saintz de Paradis et tous les hommes de la terre pourroyent dire les mesmes choses s'ilz se confessoyent. Regardés donq quel sujet particulier vous aves de faire de ces accusations la [...]• Il faut donq dire le fait, le motif et la duree de nos péchés; car encores que communément on ne soit pas obligé d'estre si pointilleux en la declaration des péchés venielz, et que mesme on ne soit pas tenu absolument de les confesser, si est-ce que ceux qui veulent bien espurer leurs ames pour mieux atteindre a la sainte devotion, doivent estre soigneux de bien faire connoistre au medecin spirituel le mal, pour petit qu'il soit, duquel ilz veulent estre guéris. 32

Nicht nur der > sündige Faktneue< Gewissenserforschung und Buße ihre wahrhaft reinigende Wirkung entfalten. Das Gewissen ist als »sujet particulier« in seiner Individualität zu erfassen und nicht als überindividueller Fall oberflächlich abzuurteilen. Während in der Forschung immer wieder auf die Bedeutung der protestantischen Theologie für die Individualisierung der Frömmigkeitspraxis und für die individuelle Auseinandersetzung mit dem Gewissen hingewiesen wird,33 sollte hiermit die These plausibel gemacht werden, dass durch die Debatte um die innere Disposition beim Bußsakrament auch im katholischen Gewissenskonzept eine Sensibilisierung für die Innerlichkeit des Gewissens und der daraus sich ableitenden Konsequenzen für das Bußsakrament festzustellen ist. Delumeau weist ebenfalls auf die Betonung des Gewissens in der katholischen Frömmigkeitspraxis hin: Car aucune Eglise chrétienne ni aucune autre religion n'ont accordé autant d'importance que le catholicisme à l'aveu détaillé et répété des péchés. Nous restons marqués par cette incessante et cette [...] contribution à la connaissance de soi. [...] Conscience individuelle et aveu sont liés. [...] Or, entre le >connais-toi toi-même< de Socrate et celui de Freud, il y a eu, comme lien et comme multiplicateur, l'apport énorme [...] de la confession telle qu'elle a été enseigné et vécue dans le catholicisme. 34

Dabei bleiben seine Argumente hier aber auf der Ebene der Quantität35 und berücksichtigen nicht die Bedeutung der Meditation als qualitative Neuerung der Gewissensthematisierung durch Sensibilisierung für die innere Beichtdisposition in unserem Untersuchungszeitraum, auf die sich die Argumentation der vorliegenden Arbeit primär stützt und die im Laufe dieser Untersuchung auszuführen ist. 32

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François de Sides: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 2 1961, Bd. 1, S. 110-112. So z.B. Heinz Dieter Kittsteiner: Die Entstehung des modernen Gewissens. Frankfurt a.M. 1991; Wolfgang Weber: Im Kampf mit Saturn. In: Zeitschrift für Historische Forschung 17 (1990), H. 2, S. 155-192, hier S. 163f. Jean Delumeau: L'aveu et le pardon. Les difficultés de la confession (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1990, S. 7f. Nach Jean Delumeau: Le Péché et la Peur. La culpabilisation en Occident (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1983, S. 351, publizierten in Frankreich, Italien und Spanien in den Jahren zwischen 1564 und 1663 über 600 Autoren Gewissenskasuistiken, noch eindrucksvoller sei die Zahl der Traktaten zur Gewissensberuhigung.

133 Schließlich ist auch Luthers Ablehnung der Buße als Sakrament im Kontext der Betonung der Sensibilisierung für die innerliche Disposition bei der Buße zu sehen: Luther verwirft nicht den Bußakt bzw. die Beichte - er postuliert lediglich, dass nicht die Absolution durch eine äußere Instanz oder die Äußerlichkeit guter Werke, sondern allein der Glaube an die Erlösungstat Christi Rechtfertigung verheißen kann. Durch diese Kritik des »katholischen Außenwerkes«, das dem protestantisches »Innenwerk« entgegenzusetzen sei,36 ist auch bei Luther von einer Verschiebung des Gewissenskonzeptes hin zur Innerlichkeit zu sprechen. In diesem Zusammenhang ist näher auf das protestantische >Gewissen im Gewitter< einzugehen, das die Subtilität und Schwierigkeit der Ersetzung des »katholischen Außenwerkes« durch »protestantisches Innenwerk« verdeutlicht und weitere Bezüge zwischen Gewissenskonzept und Frömmigkeitspraxis erhellt. Wie Kittsteiner in seinen Untersuchungen zur Entstehung des modernen Gewissens und zu Gewissen und Geschichte gezeigt hat, ist die Geschichte des moralischen Bewusstseins mit einer Naturerscheinung und einer aus ihr hervorgehenden Predigtgattung verknüpft: dem Gewitter und der sogenannten protestantischen >WetterpredigtWettergebetWetterpredigten< eine U m und Neudeutung des Gewitters: Blitz und Donner sind nun als Realpredigt Gottes zu verstehen, als Aufruf zu Gewissenseinkehr und B u ß e an die Sünder. Zumindest der Landbevölkerung dürfte dieser G e w i s s e n s - A p p e l l verständlicher, weil diesseitig bedrohlicher g e w e s e n sein als z.B. der >städtische< Libellas cher Scheid= vnd Heuchler

vnd Absagbriejf

deß eiverigen

/gerechten

Repudii

Gottes/an

Oder alle

SchreckliUnbußfertige

[...] des Straßburger Predigers Johann Schmidt. 4 1

Teufel und H e x e n werden in der Konzeption des Gewitter-Gewissens ausdrücklich als Urheber des Gewitters ausgeschlossen - Gott ist Herrscher über Gut und B ö s e und gewährt ihnen lediglich für kurze Zeit, ihr Unheil zu treiben. Statt G l o c k e n g e -

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Martinus Titius: Eine Christliche in Gottes Wort gegründete Predigt / Vom Donner / Hagel unnd Blitzen / von wem es komme / was Gott darmit suche und meine / womit wir aille solche Hagelstraffen verursachen / und wie wir sie künnfftig von uns können abwenden. Magdeburg 1616, o. Pag. Johann Kiesling: Geistreiches Wetter=Büchlein / Das ist: Gottselige Erinnerung / wie sich ein jedes frommes Christen=Hert / bevorab in schweren Wetters=Zeiten [...] Christlich verhalten soll. Darinnen auch allerhand Trostreiche Sprüch= Gebet= und Seuftzerlein; Deßgleichen auch schöne Klag= Buß= und Dancklieder / vor / in / und nach gefährlichem Hagel= und Donner=Wetter [...] begrieffen. Nürnberg 1673, S. 9ff. Johann Schmidt: Libellus Repudii Oder Schrecklicher Scheid= vnd Absagbrieff deß eiverigen / gerechten Gottes / an alle Unbußfertige vnd Heuchler. Begriffen im Buch der Richter cap. 10. Ich wil nicht mehr helffen / gehet hin & c. Hiebevor in Neun vnterschiedenen Predigten öffentlich erkläret / Vnd jetzo fürnemlich Dem grossen sichern / gottlosen Hauffen dieser letzten argen Welt / welcher ohn auffrichtige hertzliche Büß ganz vergeblich auff Göttliche Hülffe und Frieden wartet / zur trewhertzigen wolmeynenden Warnung [...]. Straßburg 1640. Dass den Gläubigen in städtischen Gegenden stärker unter dem Aspekt der Sozialdisziplinierung mit Verweis auf soziale Ordnungen »Realpredigten« gehalten wurden, kann hier nur vermutet werden.

135 läut, Weihrauch und Bibel-Amuletten ist nun vom Einzelnen ernsthafte erinnernde Selbsterforschung, Reue und Zerknirschung des Herzens und »andächtiges Gebet« gefordert, das Gewitter sollte auf das Gewissen des einzelnen Gläubigen wirken.42 Das Gewitter findet fortan im Gewissen des einzelnen Gläubigen statt - der Protestant Johann Arndt beschreibt in seiner populären Erbauungsschrift Vier Bücher Von wahrem Christenthumb das schwer angefochtene Gewissen ebenfalls als Schauplatz entfesselten teuflischen Treibens, das letztlich von Gott geschickt, gelenkt und auch wieder gebändigt wird: In hohen geistlichen Anfechtungen soll man folgende Hauptgründe deß Trosts mercken und zu Hertzen nehmen. 1. Das die hohen schweren Anfechtungen / trawrige schwermütige gedancken / schrecken der Seelen / Angst deß Gewissens / nicht widerfahren / ohne GOTTES sonderbarem Raht und gnädigen willen / wie hart auch der Sathan den Menschen zusetzet. 43

Dieses protestantische Gewitter-Gewissen verlässt in zweierlei Hinsicht die Perspektive der Gegenwart, die die katholischen »Abwehrmittel« auszeichnen. Zum einen ist es nicht nur auf die gegenwärtige tödliche Bedrohung des Gewitters gerichtet, sondern auch auf einem >donnernden< Urteilsspruch Gottes am Jüngsten Tage: Vor dem Donnerknall des göttlichen Gerichtes ist die Identität nur durch rechtzeitige Reue und Buße des im Gewitter >gemachten< Gewissens in der Zukunft und im überzeitlichen Jenseits zu bewahren. Das Gewitter ist nicht mehr nur Anlass, sich tödlich bedroht zu sehen, sondern sich in Vorbereitung auf Tod und Jüngstes Gericht seines Gewissens zu erinnern. Zudem impliziert das protestantische neue Gewissenskonzept eine zeitliche, prospektive Dimension, die weit über die aktuelle Wetterlage hinausgeht: [...] wann wir mit schröcklichem Donner= und Hagel= Wetter von Gott dem Herrn heimgesucht werden / sollen wir vor allen Dingen in uns selbsten gehen / unsere Sünde und Unrecht erkennen / rechtschaffene wahre Busse thun. Dann weil wir täglich fallen / so müssen wir auch täglich wiederumb auffstehen / und weil wir jederzeit sündigen so müssen wir auch die gantze Zeit unsers Lebens Busse thun. 44

Das Gewissen wird nicht nur für die Zeit der durchziehenden Gewitterfront geweckt, sondern soll »täglich« wachen, letztlich für »die gantze Zeit unsers Lebens« zur Disposition werden. So wird das auf die konkrete Gegenwart bezogene katholische »Außenwerk« sakramentaler Handlungen und Riten zur Selbstbewahrung bei Gewitter ersetzt durch

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Heinz Dieter Kittsteiner: Gewissen und Geschichte. Studien zur Entstehung des moralischen Bewusstseins. Heidelberg 1990, S. 37f. Johann Arndt: Vier Bücher Von wahrem Christenthumb / Heilsamer Busse / Hertzlicher Rewe und Leid ober die Sünde und wahrem Glauben: auch heiligem Leben und Wandel der rechten wahren Christen [...]. Magdeburg 1610, 2. Buch, Kap. 53, S. 343. Johann Kiesling: Geistreiches Wetter=Büchlein / Das ist: Gottselige Erinnerung / wie sich ein jedes frommes Christen=Hertz / bevorab in schweren Wetters=Zeiten [...] Christlich verhalten soll. Darinnen auch allerhand Trostreiche Sprüch= Gebet= und Seuftzerlein; Deßgleichen auch schöne Klag= Buß= und Dancklieder / vor / in / und nach gefährlichem Hagel= und Donner=Wetter [...] begrieffen. Nürnberg 1673, S. 88f.

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das »Innenwerk« der punktuellen und zeitlich permanenten Reue, Zerknirschung und Bußfertigkeit des Gewitter-Gewissens, die auch die postmortale Identität im Jenseits berücksichtigt. 4 5 Bereits in den Buchtiteln der protestantischen >Wortreligion< zeigt sich die Subtilität des protestantischen Gewitter-Gewissens. Das katholische »Außenwerk« mit seinen Sakramentalien wird metaphorisch in das neue protestantische Gewissenskonzept übertragen: Gebetbücher tragen Titel wie Wetterglöcklein,46 das Gebet repräsentiert den »Weihrauch« katholischer Abwehrmagie, der Mund des reuigen, zerknirschten und dem Bußaufruf des Gewitters folgenden Protestanten das katholische Glockengeläut. Wenn du hinfort solcher Donnerwetter mehr solltest nach Gottes willen erleben / in welchen die Papisten einen Dampff von geweihten Kreutern machen / in die zu Ach geweiheten Ochsenhömer stossen / unnd mit allem ubelgetauften Glocken und Schellen stürmen / so greiff du auch zu deinen Christlichen jetzt erzehlten zweyen Künsten / las erstlich in wahrer Büß vnnd Glauben deinen von Gott erforderten lieblichen Rauch eines inbrünstigen und hertzlichen seufftzern zu jm auffsteigen / mache darnach ein starck und laut getöne mit deinem Vater unser / oder dem nechstgedachten Gebetlein / wie mit einem Hom oder Drometen und schrey hefftig zu Gott / unnd endlichen / da du ja nicht bald erhöret wirst / las darumb nicht abe / sondern thue mit dem klöppel der Zungen in der Glocken des Mundes / für der Thür des Himmles einen puls unnd schlag in den andern / und höre nicht auff / biß der Höheste deinen Rauch in gnädigsten gefallen annehme / deiner in Barmhertzigkeit gedencke / und die Thür seiner allmechtigen Hülffe dir öffne / so wirstu gewißlich erfahren / das sein Zom im Wetter gestilt / unnd alle Gefahr an Leib Seel und Gütern durch jhn nach seinem Willen gnädiglich verhütet worden. 47

Das Gewissen im Gewitter ist somit auch relevant in Bezug auf protestantische Gruppenidentität im 17. Jahrhundert. In der Abgrenzung vom »Außenwerk« katholischer sakraler Handlungen und in der Konkurrenz um die wirksamste Schadensabwehr werden Wetterpredigt und Gewitter-Gewissen zum protestantischen Identitäts-Merkmal. Das Gewitter wird zum natürlichen Erinnerungs-Ereignis protestantischer Identität. Interessanterweise impliziert diese Abgrenzung von Katholizismus und Aberglauben durch das Gewissen im Gewitter dabei aber eine Integration modifizierter katholischer religiöser Traditionen und sakraler Handlungen. Als protestantisches Identitätsmerkmal nimmt dieses Gewissenskonzept katholische Identitätsmerkmale in sich auf, wie der emphatische Ausruf des Wetterpredigers Johann Kiesling ver-

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Heinz Dieter Kittsteiner: Gewissen und Geschichte. Studien zur Entstehung des moralischen Bewusstseins. Heidelberg 1990, S. 36. Anonymus: Geistliches Wetter=Glöcklein. Das ist: Etliche schöne Christliche Gebetlein / zur Zeit deß Donners und Ungewitters. O. O. 1732. Zit. nach Heinz Dieter Kittsteiner: Gewissen und Geschichte. Studien zur Entstehung des moralischen Bewusstseins. Heidelberg 1990, S. 37. Kittsteiner verweist auch auf ein Wetterbüchlein, das von seinem anonymen Verfasser sogar als Amulett auf dem Hausaltar empfohlen wird: »Wilt du nun mit dem Gsind Ruh haben / thu mich hören Diß Wetterglöcklein kauff: das thut dich gründlich lehren / Wie dich verhalten solst / daß dein Hauß / Hof und Gut Vor Gottes Zorn und Gwalt / verbleib in sichrer Hut. Aus dem besten Metall der Schrifft ist es gegossen / In die Haus-Kirch gestifft / ließ es nur unverdrossen / Mit Eyfer und Andacht.« (Anonymus: Geistliches Wetter=Glöcklein, Eingangsgedicht).

137 deutlicht: » O ein eiveriges und andächtiges Gebet / ist das beste Donner und Wetter G l ö c k l e i n ! « 4 8 S o wird i m zur B u ß e und G e w i s s e n s e i n k e h r aufrufenden Gewitter und in der Wetterpredigt als Merkmal protestantischer Identität vertraute katholische Identität zugleich ausgegrenzt und miterinnert. A b d e m letzten Drittel des 16. Jahrhunderts werden i m Protestantismus weitere Stimmen laut, die eine Differenzierung und Verifizierung auch des »Innenwerkes« einfordern, damit Luthers Forderungen noch vertiefen und eine endgültige Einlösung d e s Glaubens als »Innenwerk« beanspruchen. D a s prominenteste Beispiel in d i e s e m Zusammenhang ist Johann Arndts ( 1 5 5 5 - 1 6 2 1 ) Forderung nach »wahrer B u ß e « . 4 9 S e i n e Vier Bücher flussreichste

Vom wahrem

Christenthumb50

( 1 6 0 5 - 1 6 1 0 ) , die w o h l das ein-

und am weitesten verbreitete lutherische Erbauungswerk darstellen, 5 1

repräsentieren die erneute Verbreitungswelle der Meditation i m Protestantismus ab d e m letzten Drittel d e s 16. Jahrhunderts. Mit ihnen führt Arndt aber auch eine Veränderung theologischer Positionen i m Protestantismus vor A u g e n , die vor allem die Bußtheologie betreffen 5 2 und die von Luther vertretene unmittelbare Verbindung v o n Glauben und Heil wieder auflösten bzw. auf das Verblassen dieser reformatorischen Überzeugung aufbauten. Arndt postuliert in seiner Vorrede, dass der Gläubige »nicht allein durch den Glauben an Christum Vergebung [s]einer Sünden erlangen soll [...].« 5 3 Unter d e m Titel »Was wahre B u ß e sei und das rechte Kreuz und Joch

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Johann Kiesling: Geistreiches Wetter=Büchlein / Das ist: Gottselige Erinnerung / wie sich ein jedes frommes Christen=Hertz / bevorab in schweren Wetters=Zeiten [...] Christlich verhalten soll. Darinnen auch allerhand Trostreiche Sprüch= Gebet= und Seuftzerlein; Deßgleichen auch schöne Klag= Buß= und Dancklieder / vor / in / und nach gefährlichem Hagel= und Donner=Wetter [...] begrieffen. Nürnberg 1673, S. 15. S. Udo Sträter: Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1995 (Beiträge zur historischen Theologie 91). Johann Arndt: Vier Bücher Von wahrem Christenthumb / Heilsamer Busse / Hertzlicher Rewe und Leid ober die Sünde und wahrem Glauben: auch heiligem Leben und Wandel der rechten wahren Christen [...]. Magdeburg 1610. S. dazu Hartmut Lehmann: Das Zeitalter des Absolutismus. Stuttgart 1980 (Christentum und Gesellschaft 9), S. 116: »In Deutschland übertrafen jedoch Johann Arndts Bücher vom wahren Christentum die Wirkung aller anderen erbaulichen Literatur: Von der ersten Auflage im Jahr 1605 bis zum Jahre 1740 erschienen sie 95mal auf deutsch, dazu noch 28mal in Übersetzung [...], das sind zusammen 123 Auflagen in 135 Jahren oder im Durchschnitt knapp eine Auflage pro Jahr.« Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), S. 240: »Die Geschichte der Gattung hing immer eng mit der Bußtheologie zusammen [...]. Nicht anders bei Arndt. Die Meditation nahm an Bedeutung zu, weil seine Bußlehre eine andere als Luthers Bußtheologie war, die der Meditation viel weniger Beachtung schenkte.« Johann Arndt: Arnd's Vier Bücher vom wahren Christenthum, nebst dessen Paradies-Gärtlein. Stuttgart o.J. ( Ί 6 1 0 ) , Vorrede, S. 3. In »Das dritte Send=Schreiben« [an Johann Gerhard] beschreibt er den Aufbau seines Werkes: »Das erste Büchlein bahnet, und öffnet den Weg zum innern Menschen: Das andere führet etwas näher zu demselben, nemlich zum Geschmack der geistlichen Dinge, durch die Geduld des Creutzes: Das dritte lehret den Menschen in sich und in sein Innerstes einkehren, und zeiget, daß das Reich Gottes inwendig in uns sey: Das vierdte

138 Christi« heißt es weiter: »Denn ohne solche innerliche Buße ist Christus dem Menschen nichts nütze, das ist, er ist nicht theilhaftig seiner Gnade und der Frucht seines Verdienstes, welches mit reuendem, zerbrochenem, bußfertigem, gläubigem und demüthigem Herzen muß ergriffen werden.« 54 Glaube und Gnade werden zwar in der Beschreibung des Bußaktes genannt, treten aber hinter der »innerlichen Buße« des »zerbrochenen Herzens« und der Lebensbesserung zurück - das Bild einer >aktiven Buße< deutet sich an. Gefordert wird nun [...] eine viel höhere innerliche Buße, da der Mensch absterben sollte der Hoffart, dem Geiz, der Wollust, sich selbst verläugnen, hassen, der Welt absagen, und alle dem, was der Mensch hat, sich Gott ergeben, sein Fleisch kreuzigen, täglich Gott das rechte Opfer bringen, ein zerbrochen, zerschlagen und erschrocken Herz, und weinende Seele im Leibe tragen. Wie in den Bußpsalmen solche innigliche Herzensbuße beschrieben ist. Darum ist dies die rechte Buße, wenn das Herz innerlich durch Reue und Leid zerbrochen, zerrissen, zerschlagen, und durch den Glauben und Vergebung der Sünden geheilet, getröstet, gereiniget, geändert und gebessert wird, darauf auch die äußerliche Besserung des Lebens folget. 55

Die Qualität der Buße dominiert nun die alleinige Wirkmacht des Glaubens56 - Innerlichkeit, Inniglichkeit und das wahrhaft zerbrochene Herz sind die Qualitätsmerkmale >wahrer Bußeconfession généralemauvaise conscience< s'est développée en même temps que l'art du portrait. Elle a accompagné la montée de l'individualisme et du sens de la responsabilité. 62 58 59

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Vgl. Kap. 3.1.1. Heinz Dieter Kittsteiner: Gewissen und Geschichte. Studien zur Entstehung des moralischen Bewusstseins. Heidelberg 1990, S. 15. S. dazu auch Uta Störmer-Caysa: Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters. Berlin 1998, S. 24: »Gewissen kann erst eine innere Instanz genannt werden, vor der der Einzelne seine Taten rechtfertigt oder verurteilt.« Jean Delumeau: Le Péché et la Peur. La culpabiüsation en Occident (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1983, S. 336. Erdei, Klára: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), S. 112ff., hier S. 117. Jean Delumeau: Le Péché et la Peur. La culpabilisation en Occident (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1983, S. 10.

140 Gemeinsam ist den drei genannten grundlegenden Untersuchungen die Erkenntnis, dass Sündenangst, Schuldgefühl und Selbstkonzept sich gegenseitig konstituieren bzw. einander beeinflussen. Außerdem liegt ihnen die Überzeugung zu Grunde, dass äußere oder mentalitätsgeschichtliche Faktoren wie konfessionelle Auseinandersetzungen (Kittsteiner), Heilskrise (Erdei) und ein daraus resultierendes individuelles Schuldgefühl (Delumeau) dieses Selbstkonzept als Individuum begünstigen. Die Intensivierung des individualisierten Schuldgefühls und des schlechten Gewissens sowie die wachsende Wichtigkeit der Selbstprüfung und Selbsterkenntnis fordern den Menschen demnach dazu heraus, seine Identität zu bestimmen und beeinflussen das Bewusstsein seiner Selbst-Verantwortung und Individualität. In einem dritten Punkt stimmen Kittsteiner, Erdei und Delumeau überein: Der Gläubige führt in unserem Untersuchungszeitraum die Auseinandersetzung mit Schuld und Sünde nicht mehr als Glied der Glaubensgemeinschaft, sondern steht mit seiner individuellen Schuld, als deren intentionaler Urheber er sich erkannt hat, einsam vor Gott. Auf sich selbst und seine Schuld zurückgeworfen, macht der Gläubige sich auf die Suche nach einem neuen Weg zum Heil - diese Suche führt ihn, so Erdei, zur Meditation. Aber auch umgekehrt sind die Verbindungslinien zwischen frühneuzeitlichem Gewissenskonzept und Meditation - jenseits einer Festlegung für oder gegen eine Heilskrise im 16. und 17. Jahrhundert - für unsere Fragestellung von Interesse: Das in der Forschung konstatierte neue Gewissenskonzept und individualisierte Schuldgefühl könnte nicht nur die Gläubigen zur Meditation als Frömmigkeitspraxis geführt haben, sondern die Meditation könnte auch umgekehrt ihrerseits ausschlaggebend für die Herausbildung des verinnerlichten Gewissenskonzeptes gewesen sein. In diesem Sinne wäre der Einfluss des Neostoizismus, den Kittsteiner in seiner Geschichte des Gewissens für das Gewissen als »innerer Gerichtshof« im 16. und 17. Jahrhundert geltend macht, zu relativieren. Diese These ist durch folgende grundsätzliche Überlegungen zum Stellenwert des Gewissens in der Meditation zu erläutern. Die Funktion des Gewissens als Kontrollinstanz erfordert Selbst-Einsicht, eine je nach Gewissenskonzept punktuelle oder dispositive Gewissenserforschung als bewusste Überprüfung der Übereinstimmung des Gewissensanspruches mit zurückliegenden oder geplanten Handlungen. Die Gewissenserforschung ist (Teil der) Selbsterkenntnis: »La conscience [...] est strictement individuelle, étant une connaissance de soi.«63 Neben der Aufforderung Sokrates' zur moralischen Introspektion unterstreicht auch die Bibel die Notwendigkeit der Selbsterkenntnis. 64 In der Meditation ist die Selbsterkenntnis notwendige Stufe auf dem Weg zur Gotteserkenntnis, und die Gotteserkenntnis weist in der Meditation gemäß der beschriebenen Pendelstruktur zurück auf die Selbsterkenntnis als Sünder. Die Selbsterkenntnis stellt somit einen Knotenpunkt zwischen Gewissen und Meditation dar. In diesem Sinne impliziert

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Eintr. conscience. In: Dictionnaire de Spiritualité. Ascétique et Mystique. Doctrine et Histoire. Hg. v. Charles Baumgartner u.a. Paris 1937-1986, Sp. 1548-1575, Sp. 1550. Eintr. conscience. In: Dictionnaire de Spiritualité, Sp. 1513ff.

141 jede Meditation, unabhängig von ihrem Betrachtungsobjekt, die Auseinandersetzung mit dem Gewissen. Wie wichtig die Erforschung der inneren Disposition bei der Buße im Protestantismus und Katholizismus des späten 16. und 17. Jahrhunderts war, wurde bereits im letzten Kapitel gezeigt und soll hier nicht wiederholt werden - als zentrale Begriffe erwiesen sich hier »zerbrochenes Herz« (als innere Disposition der wahren Buße) und »sujet particulier« (die Erkenntnis der Individualität des eigenen GewissensFalls). Diese >richtige< innere Bußdisposition vermag die Meditation ebenso herbeizuführen wie auch zu überprüfen. Deshalb ist die meditative Gewissenserforschung im Spannungsfeld zwischen autoritärem äußerem und autonomem verinnerlichtem Gewissenskonzept im 17. Jahrhundert die >Hauptaufgabe< der Gläubigen: »The maine business is to see how the matter stands between God, and my own soule, no third person, but God and mine own conscience.«65 Die Meditation ist der rechte Weg, das Gewissen zu erforschen: Hier fordt der Herr von dir / dass du in das innerste deines Gewissens gehen / sehen und forschen solt. Dieses in sich gehen aber geschieht / wenn sich der Mensch mit allen seinen Kräfften / Verstände / Willen / und Gedächtnisse von der Welt und allen weltichen Dingen erledigt / und seine Seele mit allen ihren Begierden zu Gotte / durch den heiligen Geist wendet. 66

Unter der Kapitelüberschrift »Of the matter and subject of our meditation« (Chapt. XII.) fordert Joseph Hall das Bemühen um Selbsterkenntnis im Rahmen der Meditation und kritisiert das Streben nach Wißbegier und Gelehrtheit, das die Kenntnis des eigenen Ich vernachlässigt: »[...] so that while they would be acquainted with the whole world, they are strangers at home, and while they seek to know all other things, they remain unknown to themselves.«67 In der calvinistischen meditativen Literatur des späten 16. und 17. Jahrhunderts zeigt sich ein Gewissensbegriff, der die Rechenschaft vor sich selbst unterstreicht - ein >gutes Gewissen< ist zwar nicht im Sinne des Freiseins von Sünde, aber als vor sich selbst aufrichtige und unerschrockene Kontrollinstanz möglich, die sich nichts nachsieht und sich freiwillig verurteilt. Ein gutes Gewissen ist denkbar solches, »qui rend témoignage à soy-mesme« und das sich nicht vorwerfen kann, »d'avoir fermé les yeux (depuis sa conversion) pour ne point voir la vérité & la justice.« 68 Die

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James Ussher: A Method for Meditation or, A Manuali of Divine Duties, fit for every Christians Practice. Psalm 119. 99. Thy Testimonies are my meditation. London 1657, S. 36. Michael von Lanckisch: Kummer und Cur eines verwundeten Gewissens; das ist Einfältiger nütz- und tröstlicher Bericht vom Gewissen, wie dasselbe so leichtlich verletzet aber schwerlich geheilet werde und was massen es wieder zurechte zu bringen, zu trösten und zu heilen seye. Dresden 1660, S. 464. Joseph Hall. The Art of Divine Meditation ('1606). In: Frank Livingstone Hurtley: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study with the Texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). Binhampton/New York 1981. Pierre Jurieu: De la Paix avec Dieu. In: Pierre Jurieu: La Pratique de la Dévotion, ou Traité de

142 Pflicht, »témoignage à soy« abzulegen und »ne se pardonner rien« bedeutet, sich >gewissenhaft< zu prüfen, die Augen vor nichts zu verschließen und »volontairement« das Urteil über sich selbst zu sprechen. Im Spannungsverhältnis zwischen autoritären und autonomen Momenten des frühneuzeitlichen Gewissensverständnisses nimmt die Meditation, so ist zu vermuten, eine Schlüsselstellung ein.69 Sie könnte die Verlagerung des Gewissens in sich selbst hinein nicht nur ausdrücken, sondern auch motiviert oder unterstützt haben und (mit-)verantwortlich sein für ein Gewissenskonzept, das Gott zwar zunächst als Orientierungs- und Bezugspunkt im Sinne einer Norm gebenden Instanz beibehält, aber das Schuldbewusstsein und den Urteilsspruch über sich selbst zunehmend verinnerlicht bzw. sich mit der außerhalb des eigenen Ich liegenden Kontrollinstanz identifiziert. Diese Annahme lässt sich neben den o.g. Verbindungslinien zwischen Meditation, Selbsterkenntnis und Gewissen auch dadurch begründen, dass die Meditation die ganzheitliche Aneignung und Verinnerlichung des Meditationsobjektes im Sinne überindividueller Erkenntnis anstrebt und dabei über die Stufe individueller Aneignung und Verinnerlichung verläuft. So auch bei der Sündenmeditation und meditativen Gewissenserforschung: Gewissen und Sünde sind nicht nur im Sinne überindividueller Erkenntnis, sondern zuvor in ihrer über Verinnerlichung, Aneignung und imaginativ-memorativen Identifikation erreichten individuellen Dimension zu betrachten. Eine weitere Aussage ist für das meditative Gewissen aus der Meditationsstruktur abzuleiten: Die Meditation zeichnet sich durch Wiederholung und Dauer aus, sie soll dem Gläubigen zur Disposition werden und gerade nicht nur punktuell-momentane Übung sein. So ist vermutlich auch die meditative Selbsterkenntnis und Gewissenserforschung nicht als punktuell-momentane Übung, sondern als Disposition gefordert: das meditative Gewissen ist im Unterschied zum Gewittergewissen durch seinen Bezug zum Zeitkontinuum gekennzeichnet. Dies bedeutet einen beständigen Blick auf die eigene Vergangenheit, eine Übung der Selbst-Erinnerung und der Sensibilität im Bezug auf das eigene Ich. Selbst-Prüfung und Selbst-Hinterfragung im zeitlichen Kontext fordern notwendig auch ein Auf-Distanz-Gehen zu sich selbst, um sich aus dieser Distanz als Selbst zu erkennen. Insofern besitzt das meditative Gewissenskonzept Hinweisfunktion auf das Selbstkonzept als Individuum und die Formen der Selbstthematisierung. Durch die Etablierung und Forderung der Meditation wird die Gewissenserforschung gleichsam zur Institution und Notwendigkeit.70 Umgekehrt verweist die Notwendig-

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l'amour divin [...]. A l'usage de tous les Fidèles & particulièremenzt de ceux qui souffrent pour Christ. Rotterdam 1700, S. 76f. »The Stoic tradition shared with the Pauline-Augustinian [...] a belief in the universal corruption of man, a view of the moral faculty as a divine agency within man, and a belief in self-knowledge of the divine.« (Geoffrey Aggeler: »Sparkes Of Holy Things«: Neostoicism And The English Protestant Conscience. In: Renaissance and Reformation / Renaissance et Réforme 3 [1990], S. 223-240, S. 234). Die für die religiös und kirchlich eingebundene Bildungsschicht gewonnenen Erkenntnisse sind

143 keit der Erforschung der inneren Bußdisposition auf die Meditation. Die Begriffe »zerbrochenes Herz«, »témoignage à soy«, »maine business« und »sujet particulier« umreißen die Eckpunkte des Rahmens, in dem das >meditative Gewissen< steht: Es ist getragen vom Anspruch der meditativen Aneignung und Überprüfung des zerbrochenen Herzens als innerer Bußdisposition, betont die aufrichtige Rechenschaft vor sich selbst, wird im Gegensatz zum punktuell geweckten Gewittergewissen als Disposition und Hauptaufgabe gedacht und bedeutet trotz der am Ende der Meditation stehenden überindividuellen Erkenntnis individuelle Selbsterkenntnis als »sujet particulier«. Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Arbeit die Veränderung des Gewissenskonzeptes als Ausdruck und Resultat der meditativen Beschäftigung mit sich selbst und der meditativen Selbstthematisierung eingehender nachvollzogen werden. Von besonderem Interesse in unserem Zusammenhang ist die Frage, welche Konsequenzen das meditative Gewissenskonzept für Formen der Erinnerung, Selbstthematisierung und Individualitätsbewusstsein des Menschen im 17. Jahrhundert impliziert und inwiefern die (lyrische) Todesmeditation dabei als Initiationsmoment, Ausdrucksmedium und Resultat gelten kann. 3.1.2 Drei Dimensionen der Selbstthematisierung: Sündengefühl und Erinnerungshölle, Distanznahme und Innensicht, Selbstbetrachtung mit doppeltem Boden Das >meditative Gewissen< im Kontext der meditatio mortis soll im Hinblick auf drei Dimensionen untersucht werden: 1. als betrachtend angeeignetes psychosomatisches < Phänomen; 2. als >ganzheitliche< Selbstthematisierung im Spannungsfeld zwischen Distanznahme von und Wendung in sich selbst; 3. als Methode der betrachtenden Metareflexion. Auf dieser Abstraktion zu drei Untersuchungsdimensionen werden die folgenden Kapitel aufbauen. Die Sensibilisierung der Gläubigen im späten 16. und 17. Jahrhundert für die innere Bußdisposition und deren gesteigerte Relevanz für Absolution bzw. heilsversprechende allerdings nicht auf alle Volksschichten zu übertragen. Bereits die Titel der Meditations- und Erbauungsschriften weisen mit ihrem fast penetranten Mahnungscharakter darauf hin, dass es wohl einiger - oft erfolglos bleibender - Überzeugungsarbeit bedurfte, die Meditation als eine Übung praktizierter Frömmigkeit auch dem »einfachen Kirchenvolk« schmackhaft zu machen. So überschreibt Ahasver Fritsch zwei seiner Erbauungswerke eindrucksvoll: »Der Sündliche Kirchen-Schlaffer. Zur Warnung vorgestellet [...]«. Jena 1672; »Drey Nützliche und Erbauliche Tractätlein / Deren das I. Die leider! heutiges Tages verschmähete Heilige Pietät / Und Wahre Gottesfurcht. II. Das von Türcken und Heyden Beschämte Christenthum. Wie auch III. Die Qvaal der Frommen [...]«. Leipzig 1690. Es vollzieht sich, so Sträter, »eine tiefe Scheidung zwischen einer der Kirche und ihrer Verkündigung weitgehend indifferent gegenüberstehenden Mehrheit und den sich untereinander enger zusammenschließenden Kreisen der Frommen, die verstärkt auch nach Wegen zu einer Vertiefung ihrer spirituellen Praxis suchten.« (Udo Sträter: Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1995 [Beiträge zur historischen Theologie 91], S. 147).

144 wahre Buße beeinflusst das Verhältnis von Meditation und Gewissen: Die Sünde als psychologisches Phänomen und emotional wahrnehmbare Erfahrung rückt immer weiter in den Mittelpunkt des meditativen Interesses.71 In ausführlichen Beschreibungen wird der eigene Sündenstand thematisiert, seinen innerlichen Ursachen und Auswirkungen nachgegangen und eine tiefgründige Beschäftigung mit Ausmaß und Intensität von Schuldgefühlen sowie den psychisch-emotionalen Auswirkungen auf das eigene Befinden angestellt.72 Durch die Selbsterforschung nach dem Sündengefühl wird das Gewissen als Bewusstseinsphänomen betont und wahrgenommen - die meditative Beschäftigung mit dem eigenen Gewissen ist notwendig, um sich selbst vom Schmerz des Sündengefühls zu befreien: Quelques pechez se font sentir incontinent, & laissent une piqueure comme le Scorpion. A cette piqueure le remede doit estre promptement appliqué par la repentance & par la foy, autrement le venin gagne, & la playe devient mortelle. [...] Pourtant le sage Chrestien visitera souvent l'estat de sa conscience, & s'appelera soy-mesme à conte, pour nettoyer par repentance l'ordure qui s'y est attaché par la corruption du monde & par la sienne propre. 73

Weniger die Furcht vor Strafe als der Gewissensschmerz selbst motiviert die meditative Selbsterforschung: »Car ce qui m'est le plus terrible en mon péché, n'est pas la frayeur de ton jugement, c'est le péché qui m'effraye de sa laideur, qui me confond par son énormité, & qui m'accable de son poids.«74 Auf dieses Schuld- und Schmerzgefühl folgt daraufhin die Beschreibung der vom Menschen durch die Buße erworbenen Gewissensberuhigung, der inneren Freude und des Friedens als Resultat und Nutzen der Buße. Sündenmeditation bedeutet, so Röbbelen, ein »vom Menschen zu beginnendes und zu regelndes Exercitium, das er mit ausführlichen Sündenbetrachtungen und systematischer Erweckung von Schuldgefühlen anheben lässt und auf deren Weg er über die Reflexion seines Reueschmerzes fortfährt zur Selbstbeobachtung seines Bußganges und seiner Vergebungsbitte bis hin zur Beschreibung seines Erlösungsgefühles.« 75 Weniger die Rechenschaft vor Gott als äußere Kontroll- und Richtinstanz als das anklagende, nagende und quälende innere Sündengefühl des Menschen bestimmt die

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Nach Auffassung Röbbelens lassen sich diese Beobachtungen auch am Glaubensverständnis des 17. Jahrhunderts machen. Es gehe nicht mehr um den Glauben als »Widerfahrnis«, sondern um »Glaubenserfahrungen« oder die besonderen Erfahrungen eines gottgefälligen Lebens (s. Ingeborg Röbbelen: Theologie und Frömmigkeit im deutschen evangelisch-lutherischen Gesangbuch des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Göttingen 1957, S. 221). Ingeborg Röbbelen: Theologie und Frömmigkeit, S. 123. S. auch Geoffrey Aggeier: »Sparkes Of Holy Things«: Neostoicism And The English Protestant Conscience. In: Renaissance and Reformation / Renaissance et Réforme 3 (1990), S. 223-240, S. 229. Pierre Jurieu: De la paix avec Dieu. In: Pierre Jurieu: La Pratique de la Dévotion, ou Traité de l'amour divin [...]. A l'usage de tous les Fidèles & particulièremenzt de ceux qui souffrent pour Christ. Rotterdam 1700, S. 91f. Pierre le fils Du Moulin: Semaine de Méditations et de Prières. Avec une preparation pour la Sainte Cene. Paris 1671, S. 16. Ingeborg Röbbelen: Theologie und Frömmigkeit im deutschen evangelisch-lutherischen Gesangbuch des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Göttingen 1957, S. 163.

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Gewissensbetrachtungen. Der »Gewissenswurm« und die durch die Sünde empfundene »piqueure du Scorpion« (s.o.) wird zu einem der dominierenden Themen der Meditations- und Erbauungsliteratur. Justus Georg Schottelius macht in seinem zwischen 1673 und 1676 entstandenen Werk über die Vier letzten Dinge 76 das Gewissen zum zentralen Begriff. Ob Tod, Jüngstes Gericht, Hölle oder Himmelreich, immer ist seine Eigentliche und Sonderbare Vorstellung des Jüngsten Tages bestimmt von der jeweiligen Befindlichkeit des Gewissens. Die Seele des Menschen ist, so die Grundannahme Schottelius', untrennbar und ewig mit dem Gewissen verbunden. In der Sonderbaren Vorstellung veranschaulicht Schottelius die ewige Verbundenheit von Seele und Gewissen in einem Emblem, das die inscriptio »Seel und Gewissen Unzertrennlich« trägt. Die pictura zeigt eine geharnischte Hand, die mit einer Zange ein blutendes Herz fest umgreift, dabei durchbohrt und vor einen Spiegel hält. Die in Versen verfaßte subscriptio erklärt: »Weist du / was sey dein Gewissen // So dein Hertz hat durchzerrissen II Durchgekniffen / durchgepresst II Und dich ewig nicht verlesst? II Wirst du Böses thun und Wehlen II Dein Gewissen wird dich quelen II Wird dich richten / wird dich nagen II Und am Jüngsten Tag anklagen.«77 Die geharnischte Hand mit der Zange stellt das Gewissen dar, das das Herz als Sinnbild der Seele fest durchkneift und somit untrennbar mit ihm verbunden ist. Das Herz blutet im festen Klammergriff des Gewissens, es wird unbarmherzig durchbohrt von dem in diesem Bild auch angedeuteten Gewissenswurm. Das Gewissen hält die Seele gleichsam vor einen Spiegel, die sich in diesem selbst erkennen muss. Dieser Klammergriff währt ewiglich, so die erklärende subscriptio. Das erläuternde Gedicht prophezeit quälendes Nagen des Gewissens, das am Jüngsten Tag zum Ankläger wird: »Dein Gewissen wird dich quelen // Wird dich richten / wird dich nagen // Und am Jüngsten Tag anklagen.«

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Das Werk besteht aus thematisch geordneten und aufeinander aufbauenden Gedichtstrophen, die mit zum Teil mehrere Seiten umfassenden Erläuterungen in Prosa versehen sind, die ihrerseits >erbaulichen< Charakter tragen. Da diese von Prosapassagen unterbrochenen, nummerierten Strophen größtenteils nicht Bestandteil voneinander unabhängiger Gedichte sind, sondern Teil des Werkes als Ganzem, werden die Strophen im Anhang einzeln abgedruckt. Die Titel der vier Bände lauten: Justus Georg Schottelius: Eigentliche und Sonderbare Vorstellung Des Jüngsten Tages und darin künfftig verhandenen Grossen und Letzten Wunder=Gerichts Gottes: Wie es ordentlich nach denen uns geoffenbarten Umständen / alsdan daher gehen / endlich nach ausgesprochenem Uhrtheile / die Gottlosen samt den Teufelen zur Hölle / die Auserwehlten samt dem Herrn Jesu zu Himmel fahren / auch Himmel und Erde darauf samt den Elementen im Feuer vergehen werden. Nachdenklich in Teutscher Sprache beschrieben / mit nötigen Erklärungen und schönen Kupfer=Stükken. Braunschweig 1668; ders.: Sonderbare Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit In Teutscher Sprache Nachdenklich beschrieben / Samt kurtzem Vorberichte Von der Zeit und Ewigkeit. Braunschweig 1673; ders.: Sonderbare Vorstellung / Wie es mit Leib und Seel Des Menschen werde Kurtz vor dem Tode / In dem Tode / und nach dem Tode bewandt seyn. Braunschweig 1675; ders.: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal / Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich / und also vor die Augen gelegt / daß einem gottlosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben / und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet. Wolfenbüttel 1676. Justus Georg Schottelius: Eigentliche und Sonderbare Vorstellung des Jüngsten Tages, S. 177f.

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147 Zwei Dinge machen die Bedeutsamkeit dieser Vorstellung aus: Zum einen garantieren Seele und Gewissen in ihrer Unsterblichkeit die Identität des Menschen über seinen Tod hinaus. Das Gewissen ist dabei die entscheidende Verbindungsstelle, die als ständiger Protokollant das irdische Leben des Menschen mitschreibt und dessen Zeugenaussage auch am Jüngsten Tag über den weiteren Werdegang bestimmt. Zum anderen erscheint das Gewissen hier nicht nur als Zeuge, sondern auch als Ankläger und zwingt zur Selbsterkenntnis im Spiegelbild. Der liber vitae wird nicht mehr nur äußerlich vorgehalten und verlesen, sondern ist zum spürbaren Klammergriff des Gewissens geworden und verdeutlicht somit auch eine intensivere Identifizierung mit dem gefühlten Gewissen. An anderer Stelle heißt es bei Schottelius in Bezug auf die individuelle Entscheidung über Himmel und Hölle am Jüngsten Tag: »[...] niemand nirgends kann verweilen // Als wohin ihn schleunig treibt / des Gewissens Spruch und Trukk [,..].«78 Das Gewissen selbst gibt den >gefiihlten< Ausschlag für Himmel oder Hölle, die verinnerlichte Richtinstanz treibt den Einzelnen aus sich selbst heraus als innerlicher Gewissens-Impuls in Richtung (Selbst-)Verdammung oder (Selbst-)Erlösung! Nicht nur als identifizierende und Identität schaffende Instanz, Verdammung oder Erlösung anzeigendes Gefühl, Ankläger und Richter fungiert das Gewissen in der Konzeption Schottelius', sondern auch als Höllenpein. Die Grausame Beschreibung und Vorstellung Der Hölle und der Höllischen Qwaal Oder Des andern und ewigen Todes basiert überwiegend auf der Darstellung der durch die Gewissensbisse verursachten Pein des verdammten Sünders. Schon das Titelkupfer (s. Abb. 2) 79 zeigt den weit aufgerissenen Schlund eines Drachens, dessen sechs erschreckend lange, verschoben in einander greifende Zähne die Aufschrift »Reuqwaal«, »Angstqwaal«, »Marterqwaal«, »unendlich«, »unvergleichlich« und »unabwendlich« tragen und damit die physische Folter als nur eine von drei möglichen darstellen. Die psychische Qual durch Angst und Reue als Folterinstrumente des Gewissens dominiert, der Gewissenswurm durchbohrt im Titelkupfer grauenerregend das Auge des Höllendrachens. Um auch akustisch auf die später folgende Beschreibung der »unbeschreiblichen« Gewissens-Folter vorzubereiten, zieht Schottelius alle sprachlichen Register:80 »Allerkläglichst Winselbrunst / überschmertzlichst Heulgewitter // Karmenvoller Wimmerwind / Schluchtzen und ein Seuftzgeknitter // Füllet diese Höllenluft / schallet

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Justus Georg Schottelius: Eigentliche und Sonderbare Vorstellung des Jüngsten Tages, S. 133. Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal / Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich / und also vor die Augen gelegt / daß einem gottlosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben / und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstiikken zugleich vorgebildet. Wolfenbüttel 1676, Titelkupfer [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. Te 1156]. S. dazu auch Jörg Jochen Berns: Höllenmeditation. Zur meditativen Funktion und mnemotechnischen Struktur barocker Höllenpoesie. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 141-173.

148 hindurch ewiglich // Daß die Ohren gellen stets / Haar zu Berge beugen sich.« 81 Mit Neologismen und eindrucksvollen Komposita, die auch lautmalerisch das Höllenklagen unterstreichen, schafft Schottelius ein wahres Höllenszenario. Die Ursache des Gezeters der armen Seelen wird in Strophe LXIX. genannt: »Bös Gewissen bricht hier los / stichelt / krauelt / tobet / wütet // Feurig: bittre Reu und Leid / aber all zu spät / ausbrütet: // Bös Gewissen zerrt und reißt / und zerfleischet Seel und Hertz // Weil es durcheinander mengt / Sünd der Zeit und ewig Schmertz.« 82 Das grausame Zerfleischen der Seele durch das Gewissen währt unendlich, das »Sticheln, Kraulen, Toben und Wüten« (vgl. Vers 1) ist das Feuer der Hölle (Vers 2), das die »Sünd der Zeit« mit Ewigkeit rächt. Das Gewissen bringt zusätzliche Qualen durch die von ihm ausgelöste Reue mit sich: »Bös Gewissen bringt in eins / als mit Zangen und mit Hammer // Das Gewissen und die Reu durch den ewig-festen Klammer: // Jahre / Monden / Stunde / Zeit / nicht sind in der Hölle noch // Des Gewissens Klokk und Uhr schläget stets / und wehret doch.« 83 Die pictura des o.g. Emblems wird hier aufgegriffen und ergänzt durch das Bild des Uhrwerks des Gewissens, das keine Sekunde still steht:84 Sein Ticken verstummt nie, und dennoch ist die Zeit in der Hölle nicht bemessen, sie ist zeitlos. Keine äußere Macht, kein Höllenungeheuer ist es, das die Seele zerfleischt, sondern der Mensch selbst, sein im Herzen ein Leben lang gezüchteter Gewissenswurm: »Was ist greulicher / als sich selbsten grimmiglich zerbeissen // Und sein eigne Haut und Fleisch / nagen und zu stükken reissen? // Dieses thut der Höllenwurm / O der Wurm / so nimmer stirbt // Der durch nagend-steten Biß seine Nahrung fort erwirbt.«85

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Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal / Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich / und also vor die Augen gelegt / daß einem gottlosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben / und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet. Wolfenbüttel 1676, S. 173, Strophe LH. Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal, S. 222, Strophe LXIX. Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal, S. 227, Strophe LXX. Die Vorstellung von der Gewissens-Uhr findet sich auch im »Güldenen Tugend-Buch« des Katholiken Friedrich Spee: »Wan ein Vhrwerck abgelaufen, muß mans wider auffziehen vnd stellen: Also auch der Mensch. Solches aber geschieht durch emewerung des geistes, vnd seiner vorigen Fürsatz, oder gelübden: Item durch die erforschung deß gewissens: Item durch die beicht: Vmsere Affecten seind die gewichter, die sencken sich immer zu der erden: da muß man sie zunzeiten widerumb in die höhe ziehen, vnd zu der beicht gehen.« (Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch [1649]. Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968, S. 430). S. dazu auch Jörg Jochen Berns: »Vergleichung eines Vhrwercks, vnd eines frommen andächtigen Menschens.« Zum Verhältnis von Mystik und Mechanik bei Spee. In: Friedrich Spee. Dichter, Theologe und Bekämpfer der Hexenprozesse. Hg. v. Italo M. Battafarano. Trento 1988, S. 101-126. Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal / Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich / und also vor die Augen gelegt / daß einem gotüosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben / und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit

149 Das Gewissen als wahrnehmbares, zu empfindendes Bewusstseinsphänomen wird im Bild des »Höllenwurms« personifiziert - er ist nicht nur zu fühlen, sondern auch mit Hilfe der Vorstellungskraft zu sehen. Der Gewissenswurm erscheint an anderer Stelle auch als »Gewissensschlange«: »Grössres Leidthun nirgends ist / als die bös Gewissensschlange // Die bei uns den Sündengift eingesogen hat so lange // Und sich nun gefeistet hat anzubeissen ewiglich // Und untödlich tödtet doch durch angstbringend Biß und Stich.« 86 Kein physischer Schmerz kann so groß sein wie der innere Biss und Stich des Gewissens, »gefeistet« durch die Sünden im irdischen Leben. Zusammenfassend warnt Schottelius: »Unter aller Höllenpein // Wird die größte auch mit sein // Des Gewissens Angst und Qwaal // Wans bedenket tausentmahl // Die verlohrne Seeligkeit // Und die so verseumte Zeit // Daß man were losgerissen // Von dem bösen Angstgewissen!« 87 Der Gedanke an die nicht genutzte Lebenszeit und die selbstverschuldeten Gewissensbisse machen das Dasein zur Hölle. 88 Die Hölle ist keine Folterkammer, kein mit glühenden Eisen und Zangen ausgestatteter Pfuhl, sondern die Pein des Menschen kommt von innen, aus ihm selbst, ist Selbstqual und Empfindung. Gott als Richter und Ankläger oder der die Hölle beheizende Teufel spielen in dem von Schottelius geschaffenen Szenario nur eine relativ unauffällige Nebenrolle. 89 Ort der Handlung ist die Gefühlswelt des Menschen, der auch die Rolle von Ankläger, Richter und Folterknecht inkarniert. Das Gewissen, das in unauslöschlicher Einheit mit der unsterblichen Seele seine Identität auch über den Tod hinaus bewahrt, beginnt, Strafe,

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etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet. Wolfenbüttel 1676, S. 228, Strophe LXXI. Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal S. 234, Strophe LXXII. Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal S. 233, ohne Strophenzählung. Ähnliche Auffassungen finden sich auch bei Tauler und bei Luther - s. dazu Uta Störmer-Caysa: Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters. Berlin 1998, S. 388. Auch die >katholische Hölle< wird mit Schuldgefühlen statt mit Kohle geheizt: »Die culpa oder schuldt der Sünden ist dermassen häßlich / da / wofern die Menschen sie sehen köndten / sie gewißlich vor ihr fliehen würden wie vor dem Teufel. Dann ob schon der Teufel erschrecklich ist / so ist er doch nit so erschrecklich / als eben die schuldt: Der Teufel stinckt / aber die culpa ist der Gestanck selbst: Der Teufel peinigt und martert / aber er ist nit die Marter selbst / wie die schuld ist: Und beschließlichen / die schuldt ist in ihrer formalitet dermassen böß / daß man sich vor ihr vil mehrers entsetzen soll / denn vor dem Teufel selbst: und vilmehrers erschrickt und stinckt sie / und vil mehrers martert und peinigt sie die verdampten in der Höllen / weder alle gestanck / alle unfletereyen / und alle Teufel sie erschrecken / peinigen und marteren könden.« (Petrus de Medina / Egidius Albertinus [Übers.]: Das Buch der Warheit/ Begreifft drey Theil. Im ersten wird man unterwisen / was gestalt die Ehr / Reichthumb und Wollustbarkeiten der Welt sollen werden verachtet [...]. Im andern / was der Mensch seye / was Gott ist [...]. Im dritten wird gehandlet von dem Todt: Warum die Menschen sterben: Was gestalt sie in ihrem letzten End versuecht werdenvon dem Sathan / und was man thuen müsse zum seligen Sterben. Es wird auch erkläret das sonderbare und allgemeine Gericht / die Straff der Gottloosen / und Glory der Frommen. München 1648, S. 96).

150 N o r m und G e b o t des Richter-Gottes durch die Sensibilität d e s M e n s c h e n für das e i g e n e Innere zu ersetzen. Ausführlich geht auch Johann Gerhard in seiner Meditation auf das quälende innere » S ü n d e n g e f ü h l « ein. I m Unterschied zu Schottelius stellt er nicht nur das gefühlte G e w i s s e n als Folterinstrument der H ö l l e vor, sondern verlegt die H ö l l e ins Diesseits - als >höllischen< Gewissenschmerz: Nimmermehr kann ein jrrdisch Fewr // brennen so sehr / und ungeheur // Als wie diese Flam jnnerlich // Brennet / verzehrt / und frisst umb sich. // Die Seel ist ewig / und ohn End // Die durch diß Fewer wirdt gebrent. // [...] Kein eusserliche Peitsch / noch Rut // Niemals dem Leibe so weh thut // Als wie sehr jnnerlich die Seein // Die Stösse deß Gewissens queln. // [...] Thue fleiß / dass durch wahre Andacht // Der Gewissens Wurm wird umbgebracht //Auff dass er dich nicht ewiglich // Nage / und beisse grausamlich. 90 D a s meditierende Ich in den v o n Etienne Alemandi aus d e m Italienischen (Cesare Calderari) ins Französische übersetzten Meditationen beschreibt ebenfalls die Höllenqualen des gefühlten G e w i s s e n s , die bis hin z u m Gefühl d e s Außer-sich-Seins führen - die A b w e i c h u n g v o m Selbstanspruch ist Strafe genug: Ce peché se presente continuellement à moy, comme un cruel ennemy, & ie ne le descouvre à peine des yeux de ma pensee, qu'il me fait voir le fléau d'un iuste chastiment. Π me fait venir la mort pour m'oster la vie, le diable pour me tourmenter, l'enfer ouvert pour m'engloutir. [...] O quelle croix! ô quel cruel tourment! ô quel Enfer miserable il me fait voir avec les yeux & esprouver avec l'esprit! Autant de fois que ie le vois, autant de fois ie demeure hors de moy tout esperdu. 91 D a s meditative G e w i s s e n impliziert permanente Selbst-Erinnerung statt punktuellem Sünden-Gedächtnis: Es begleitet den Einzelnen »continuellement«. D i e Selbsterinnerung des meditativen G e w i s s e n s haftet d e m Meditierenden an und ist mit i h m identisch, w i e auch William Perkins betont - die »miserie« eines schlechten G e w i s sens ist ein dispositives Höllengefühl, dessen Qual in permanenter Allgegenwart v o n inneren »pangs, terrours and feares« besteht: His [the impenitent sinners] miserie within is two-folde: The first is a guiltie conscience which is a very hell unto the ungodly men. For hee like a silly prisoner, & the conscience like a iayler which follows him at the heeles, and dogges himwhitersoever hee goes, to the end he may see and

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Johann Gerhard: Ein und fünfftzig gottselige, christliche evangelische Andachten oder geistreiche Betrachtungen. Poetisch bearbeitet von Burcard Großmann (1608). Hg. v. Johann Anselm Steiger. Stuttgart - Bad Cannstatt 2001, 33. Andacht: Von der Reinigkeit des Gewissens, S. 310-320, hier S. 319f. Etienne Alemandi: Conceptions théologiques sur le miserere mei, &c. Enrichies en ceste seconde Edition, de Meditations sur les larmes de David, contenues audit Psalme.Traduictes d'Italien en François par R.P. Estienne Alemandi [...]. Rouen 1605 ('1598), S. 313. Charles Drélincourt beschreibt das Gewissen als »Hölle auf Erden«. Die Bösen, »ces Méchans-là«, wie er sie nennt, leiden an ihren Sünden Höllenqualen: »Car dés cette Vie ils ont un ver, qui leur ronge le cœur; & une espéce d'Enfer, qui tenaille leur conscience criminelle.« (Charles Drélincourt: Les Consolations de l'âme fidèle contre les frayeurs de la mort. Avec les Dispositions & les Préparations nécessaires pour bien mourir. Nouvelle Edition, revue exactement, & augmentée par l'auteur, Paris 1669 ['1651], S. 533).

151 observe all his sayings and doings. It is like a register, that sits alwaies with the pen in his hand, to record and inrollall his wickednes for everlasting memorie: It is a little iudge, that sits in the middle of a man, even in his very heart to arraigne him in this life for his sinnes [...]. Therefore the pangs, terrours and feares of all impenitent persons, are as it were, certaine flashings of the flam of the hell fire. The guiltie conscience makes a man like him which lies on a bedde that is too straight, and the covering too short; who would with all his heart sleepe, but cannot. 92

Das Gewissen wird zu einem psychologischen Terminus und wird als psychosomatische Empfindung beschrieben. 93 Aus der meditativ >geübten< Sündenerkenntnis entsteht ein Sündengefühl, ein Schuldbewusstsein; die meditative Beschäftigung mit der Sünde nimmt eine anthropozentrische Wendung im Sinne des Betrachtens, Nachdenkens und Nachempfindens seiner selbst. Damit relativiert der Meditierende die Rieht- und Strafkompetenz Gottes, wie die folgenden an den Meditierenden gerichteten Worte Gerhards zeigen: Deß Gewissens verurtheile nicht: // Jn welchem der Beklagt zugleich // Jst / Ankläger / Richter / und Zeug // Gefengnus / Thürm / und Henckersknecht / Der exequirt Urthel und Recht. // Was konnte doch für ein Außflucht // Für diesm Gericht werden gesucht // Do eben dieses / so da klagt // Zeug ist / und alles selbst auß sagt? // [...] Dieser Richter kann wol allein // Einem jedem darzu gnung seyn // Daß er jhn auff seine Anklag // Richten / und gar verdammen mag. 94

Hier wird deutlich, dass die Selbsterforschung in der Meditation mit dem Ziel der Sünden- und Selbsterkenntnis unmittelbar auf das Gewissensverständnis einwirkt. Das eigene Gewissen, nicht Gott, erscheint hier als der »Richter«, der den Menschen »vorsichtiger seyn« lässt. Die Rieht- und Strafinstanz wird somit verinnerlicht und als permanente Selbsterinnerung in das eigene Gewissen verlegt, der Gläubige kontrolliert sich selbst. Die conscientia, das begleitende Mit-Wissen im Individuum ist die Instanz, die als Innendimension über den Wert des eigenen Handelns entscheidet. Dieser originär stoische Gedanke lässt den Richter-Gott als omnipräsenten Bezugspunkt aus dem Blickfeld geraten oder ihn zumindest als sekundäre Instanz in den Hintergrund treten. Die meditative Innerlichkeit führt insofern zu Subjektivität, als sie über die Identifizierung mit den göttlich gesetzten Normen das eigene Innere zum Prüfer und Richter macht und die Strafe des Gewissens >fuhltgefühlten< Gewissen. Sybille Ursula zu Schleswig-Holstein definiert im Jahr 1674 die Hölle als Folter der Selbsterinnerung und der Einbildungskraft, wenn sie über die Verdammten schreibt: »Ihre ubelthaten / schweben ihnen stäts im Gedächtnis. [...] Ihre innerliche Sinne / stellen ihnen stäts zu betrachten vor / das Böse / so sie verseumet.« 96 Ein entscheidendes Folterinstrument der Hölle besteht dabei auch in der Klarheit der Imagination, die nicht ver-, sondern ent-deckt, wie Pierre Nicole in seiner Meditation über die Vier letzten Dinge beschreibt: Le pouvoir que l'homme a de se tromper dans cette vie sert beaucoup à diminuer le sentiment de ses maux. [...] Il ne voit que ce qu'il veut; & il s'imagine souvent voir ce qu'il ne voit pas. [...] Dieu ne permettra pas qu'ils puissent ignorer leurs maux. [...] Il faudra qu'ils se voyent tels qu'ils sont, sans qu'ils puissent en diminuer la moindre partie par l'erreur de leur imagination. 97

Die Verdammten des 17. Jahrhunderts sind in der Hölle demnach zu einer Selbst-Sicht verurteilt, die auf memoria und intensiver, aber nicht das Selbstbild verzerrender Einbildungskraft basiert! Das meditative Gewissen bedeutet permanente Selbsterinnerung einer verinnerlichten Instanz, die bei der Abweichung von diesem Anspruch an sich selbst als Schmerz körperlich wahrgenommen wird: Das meditative Gewissen hat eine sinnlich-körperliche Dimension, 98 der v. a. in den Kap. 3.2.1 und 3.2.2 weiter nachzugehen ist. Aber noch weitere Präzisierungen des >meditativen Gewissens< lassen sich schon jetzt andeuten. William Perkins beschreibt in seinem Discourse of Conscience das Gewissen folgendermaßen: [...] conscience hath two assistants: minde, and memorie. The minde is the storehouse and keeper of all manner of rules and principles. It may bee compared to a book of law, in which are set down the penal statutes of the land. The dutie of it is to preferre & present to the conscience rules of divine law, whereby it is to give iudgement. Memorie serves to bring to minde the particular actions which a man hath done or not done, that conscience may determine of them. [...] Neither doth conscience accuse and condemne onely for the time of present, but also long after a thing is done."

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Worinnen das Übel und die schädlichen Früchte, so daraus entstehen, wenn der Mensch sich selbst nicht erkennet, Und im Gegenteil Der herrliche und unvergleichliche Nutzen der wahren Selbst-Erkäntniß ausführlich vorgestellet wird. Hamburg '1726, S. 243). Sibylle Ursula Herzogin zu Schleswig-Holstein: Himmlisches Kleeblat oder Betrachtungen Der Allerhöchstheiligsten DreyEinigen Gottheit: Von einer nunmehr HochSeeligsten HochFürstlichen Person hinterlassen. Nürnberg 1674, S. 357. Pierre Nicole: Traité sur les quatre derniers fins de l'homme. In: Essais de Morale contenus en divers Traités sur plusieurs devoirs importants. Paris 3 1682 ('1672-1677), S. 172f. S. Mary Carruthers: Reading with attitude, Remembering the Book. In: The Book and the Body. Hg. v. Dolores Warwick Frese und Katharina O'Brien O'Keeffe. Notre Dame 1997, S. 2. William Perkins: Three bookes of Cases of Conscience. In: The Workes of that Famous and

153 Dem Gewissen werden demnach zwei Gedächtnisbereiche zugewiesen: ein Normspeicher (»minde«) und ein Speicher des individuellen Verhaltens (»memorie«). Während der erstgenannte Speicher überzeitlich ist und »rules of divine law« enthält, ist der zweite auf die Zeit bezogen: auf Gegenwart und selbst weit zurückreichende Vergangenheit. Michael von Lanckisch definiert im Kapitel »Wo das Gewissen wohne und was es sey?«: Hieraus siehestu liebes Christen Mensch wo du das Gewissen suchen könnest / daneben wie es als ein Auffmercker aller deiner Sachen in dem Hertzen verborgen liege; Dis weiß dein Hertz / darumb es / 'so offt es schlaget / sich reget oder rühret / dich dieses deines Auffmerckens erinnert / zur Frömmigkeit und allen guten Übungen anmahnet. So verachte nun solches nicht / sondern laß alle Hertzens=Schläge dir lauter Gewissen=Warnungen seyn. 100

Seine Verortung des menschlichen Gewissens zeigt zweierlei: Erstens stützt sie die am Ende des letzten Kapitels postulierte These der körperlichen Dimension des selbsterinnernden meditativen Gewissens - jeder Schlag des Herzens macht es für das Individuum spürbar. Zum anderen verweist es - wie die zitierte Passage aus dem Gewissenstraktat von Perkins - auch auf seine zeitliche Dimension: Das Herz gibt einen Rhythmus vor, der das Gewissen zeitlich strukturiert >schlagen< läßt. Schottelius spricht in einer bereits oben zitierten Passage sogar explizit von »des Gewissens Klokk und Uhr«,101 und bei Friedrich Spee ruft der Pulsschlag als inneres »Uhrwerck« zur Gewissenserforschung. 102 Aber nicht nur im Sinne eine Wendung zum Innen im Sinne einer Konzentration auf das eigene Ich wird das meditative Gewissen wirksam, sondern auch im Sinne einer Distanznahme zu sich selbst. Die Unterscheidung im Hinblick auf die Perspektive der erinnernden Selbstbetrachtung und Selbstsicht wird in der meditativen Literatur des 17. Jahrhunderts explizit vorgenommen. Die Voraussetzungen des Individualitätsbewusstseins i.S. der Definition dieser Arbeit, die sowohl auf der Wendung in

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Worthy Minister of Christ in the Universitie of Cambridge, Mr. William Perkins. Newly corrected according to his own copies [...]. 3 Bde. London 1616, Bd. 1, S. 516-551, hier S. 535f. Michael von Lanckisch: Kummer und Cur eines verwundeten Gewissens; das ist Einfältiger nütz- und tröstlicher Bericht vom Gewissen, wie dasselbe so leichtlich verletzet aber schwerlich geheilet werde und was massen es wieder zurechte zu bringen, zu trösten und zu heilen seye. Dresden 1660, S. 19. Auch der Titel des Werkes betont die körperliche Dimension des Gewissens. Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal / Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich / und also vor die Augen gelegt / daß einem gottlosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben / und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet. Wolfenbüttel 1676, S. 227. S. Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch (1649). Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968, S. 430. Dazu ausführlich Jörg Jochen Berns: »Vergleichung eines Vhrwercks, vnd eines frommen andächtigen Menschens.« Zum Verhältnis von Mystik und Mechanik bei Spee. In: Friedrich Spee. Dichter, Theologe und Bekämpfer der Hexenprozesse. Hg. v. Italo Michele Battafarano. Trento 1988, S. 101-126. S. auch Jens Maienhof: Die Uhrenkapitel im »Güldenen Tugend-Buch« als Grundmuster für die Frömmigkeit und die seelsorgerlichen Anliegen Friedrich Spees. In: Spee-Jahrbuch 7 (2000), S. 103-120.

154 sich selbst als auch in der Distanznahme v o n sich selbst beruht, wird hier auf der Metaebene thematisiert - die Selbsterinnerung kennt mehrere Perspektiven: Deß Menschen gedechtnuß ist wie ein glänzender unnd klarer Christall / in welchem man die fiirgangne ding sihet: Aber wie derselb Christal ein Materi ist / auß deren man Augengläser oder Brillen machet / dadurch die übrige ding gesehen werden / unnd ein Spiegel / darin sich einer selbst beschawet unnd betrachtet [...] eben also ist die betrachtung der Menschlichen gedächtnuß / anjetzo ein Spiegel / bald aber ein Brill oder Augenglaß. Ein Spiegel ist sie / wann der Mensch sich selbst und alleinig beschawet und betrachtet. Ein Brill oder Augenglaß aber ist sie / wann sie ausser ihr selbst gehet / wann die seel ihre Augen der gedechtnuß / auff die betrachtung irer Vorfahren wirfft / [...] dienet ihm die gedechtnuß an statt einer Brillen oder Augenglases / aber nicht an statt eines Spiegels. Alle diejenige / so ihre Reichthumb/ grosse Güter / macht und herrligkeit betrachten / [...] schawen nit in Spiegel / sondern durch brillen. Alle die jenige / so nur auff andere Leut sehen / [...] pflegen nit zu sehen durch den Spiegel / sondern durch Brillen / und ihre gedechtnuß dienet ihnen nit an stat eines Spiegels / sondern an statt einer Brillen oder Augen Glases. 103 D i e meditative Selbsterkenntnis als Stufe auf d e m W e g zur Gotteserkenntnis fordert v o m Einzelnen neben der Kehrung in sich selbst, sich auch >von außen< zu betrachten und sich in der Distanz zu sich selbst ein Bild von sich zu schaffen. Jacques Abbadie fordert in s e i n e m Werk L'art

de se connaître

soy-meme

dazu auf, sich selbst aus

einer distanzierten Perspektive zu betrachten: Il est vrai que comme nous sommes accoûtumés à mesurer tout par raport à nous mêmes, nous sommes en possession de nous regarder comme le centre de perfection, & de trouver trop grands ou trop petits les corps, qui nous environnent, selon qu'ils s'approchent ou qu'ils s'éloignent de la grandeur du nôtre: mais vous n'avez que changer d'état, où voir les choses par d'autres yeux que les vôtres, ou les considérer dans un sens d'opposition pour vous désabuser à cét égard. 104 D i e Selbstbetrachtung im Spiegel der Meditation bedeutet die Suche nach d e m SelbstBild. Wer v o n Sünde und Laster befreit sein will, »[...] der n e m e die artzney und das mit der eignen erkentnuß an die handt / und m a c h e auß seiner gedechtnuß nicht brillen und a u g e n g l e s e r / sondern ainen S p i e g l . « 1 0 5 A u c h der exemplarische christliche »Pilgrim« in Bunyans bekanntem puritanischem Erbauungswerk The Process

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Pilgrim's

sieht i m sonnigen Licht der Selbsterkenntnis auf seinen W e g zurück: 1 0 6

Aegidius Zamorienses: Nosce te ipsum. Oder: Kenn dich selbst. Auß Geistlichen Hieroglyphicis, weltlichen Symbolis, oder Zeichen / Gleichnussen / Gemälden / und verborgnen Rätherischen Sprüchen [...] durch Aegidius Albertinus [...] verteutscht. München 1607, S. 4. So auch Dyke - wie in einem Spiegel soll sich der Meditierende bei der Gewissenserforschung betrachten: »Here is a glasse, wherin we may behold the faces of our hearts.« (Daniel Dyke: The Mystery of SelfeDeceiving. Or a discovrse and discovery of the deceitfulnesse of Mans Heart. London 1615, S. 11). Jacques Abbadie: L'Art de se connaître soy-même. Rotterdam 1696. Aegidius Zamorienses: Nosce te ipsum. Oder: Kenn dich selbst. Auß Geistlichen Hieroglyphicis, weltlichen Symbolis, oder Zeichen / Gleichnussen / Gemälden / und verborgnen Rätherischen Sprüchen [...] durch Aegidius Albertinus [...] verteutscht. München 1607, S. 5. Nach Webber evoziert die puritanische Pilgervorstellung ein im Gegensatz zu den Anglikanern unterschiedliches Sein in der Zeit. Während die Puritaner die Bewegung in der Zeit, chronologische Abfolge und Fortschreiten des Einzelnen betonen, seien die Anglikaner im Bewusstsein immerwährender Gegenwart (Joan Webber: The eloquent »I«. Style and Self in SeventeenthCentury Prose. Madison 1968, S. 28ff.).

155 Wie des Tages Licht dergestalt angebrochen / sähe er einmal hinter sich / nicht aus Verlangen wieder umzukehren / sondern bey des Tages Licht zu sehen / mit was für Gefahr er in dem Finstern zu thun gehabt hatte / und da sähe er sehr eigentlich den Graben an der einen / und den Morast an der andern Seiten / und zugleich auch wie schmahl der Fußsteig war / dadurch er zwischen den beyden hatte hingehen müssen / er sah auch die Feld=Teuffel / die Drachen / die Heuschrecken des Abgrunds / doch alles nur von fernen / denn nach anbrechendem Tage kamen sie ihm nicht näher / jedoch konte er sie wol sehen [...]. Da ward der Christ sehr bewogen / wegen der Erlösung von allen diesen Gefahren / denen er / wie er nunmehr verspürete / auff diesem betrübten Wege war unterworffen gewesen / die er / ob er sie schon vorher mehr gefürchtet / nun viel klarer sähe / weil des Tages Licht sie ihm jetzund zeigete / denn die Sonne gieng nun schon über ihm auff / und dieses war vor dem Christen eine grosse Wolthat.107

Vor allem durch die Einfuhrung der Generalbeichte in der katholischen Frömmigkeitspraxis, in der alle, also auch bereits gebeichtete Sünden nochmals in die confessio aufgenommen werden, 108 aber auch durch die im Calvinismus und Puritanismus verbreitete Suche nach Heilszeichen im eigenen Leben wurde diese Selbstbetrachtung aus der souveränen Gesamtperspektive im späten 16. und 17. Jahrhundert gefördert. Sie bedeutet eine biographische Erinnerungspflicht,109 die die Betrachtung des eigenen Lebens in seiner Kontinuität als Ganzes fordert bzw. »die kontinuierliche

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John Bunyan: Eines Christen Reise Nach der Seeligen Ewigkeit / Welche in unterschiedlichen ayvrigen Sinnen=Bildern Den gantzen Zustand einer Bußfertigen und Gottsuchenden Seelen vorstellet / In Englischer Sprache beschrieben Durch Johann Bunian [...] und nun umb seiner Fürtrefflichkeit willen in die Hochteutsche Sprache übersetzet Durch J.L.M.C. Hamburg 1694, S. 140. »Eine der wichtigsten Neuerungen in den Beichtauffassungen der katholischen Kirche zeigt sich in der Idee der Generalbeichte, wie sie während der Gegenreformation aufkommt. Haben die üblichen Beichten zwar die Funktion, das Gewissen zu erforschen, so tilgen sie doch auch andererseits die bereuten Sünden. Demgegenüber bietet die Generalbeichte Anlass, auch die schon verziehenen Sünden noch einmal zu beichten. Es geht um eine wirkliche Sündenbiographie. Das gesamte Leben wird in einer bestimmten Weise rekapituliert.« (Alois Hahn: Identität und Selbstthematisierung. In: Selbstthematisierung und Selbstzeugnis: Bekenntnis und Geständnis. Hg. v. Alois Hahn und Volker Kapp. Frankfurt a.M. 1987, S. 9-24, hier S. 21). Auf die ignatianische Tradition aufbauend, rät Francisais Coster dazu, das Leben im Rückblick nach prägenden Erlebnissen in Lebensabschnitte zu zerteilen (Francisais Coster: Schatzbüchlein voller Wegweiser der gnadenreichen Sodaliter der H. Mutter Gottes Mariae. Münster / Westphalen 1614, S. 66. Zur Aufteilung in Lebensabschnitte rät auch Jeremy Taylor, der die Gefahr einer Generalbeichte darin sieht, nur die Spitze des Sündenbergs erkennen zu lassen: »For if we make but one Generali account, and never reckon till we die, either we shall only reckon by great summes, and remember nothing but clamorous and crying sins, and never consider all that we ought, we must needs be confounded with the multitude and variety. But if we observe all the little passages of our life, and reduce them into the order of accounts and accusations, we shall finde them multiply so fast, that it will not only appear to be an ease to the accounts of our death-bed, but by the instrument of shame will restrain the inundation of evils; it being a thing intolerable to humane modesty to see sins increase so fast, and vertues grow up so slow; to see every day stained with the spots of leprosie, or sprinkled with the marks of a lesser evil.« (Jeremy Taylor: Holy Living and Holy Dying. Bd. 2: Holy Dying. Hg. v. P. G. Stanwood. Oxford 1989 [Engl.: The Rule and Exercises of Holy Dying, Ί650], S. 54). Vgl. Walter Sparn: Dichtung und Wahrheit. Einführende Bemerkungen zum Thema: Religion und Biographik. In: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie, Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge. Hg. v. Walter Spam. Gütersloh 1990, S. 11-29, hier S. 15.

156 Rechenschaftsablegung über ein ganzes Leben an die Stelle einer w e i t g e h e n d nur kasuistisch orientierten Beichtpraxis« 1 1 0 setzt. Nicht nur das N e n n e n äußerer Taten oder das Durchgehen des Katalogs der Todsünden wurde in der Beichte verlangt, sondern auch Gedanken, M o t i v e und der biographische Zusammenhang rückten ins Interesse des Beichtgeschehens. D i e Aufforderungen zur Selbstbetrachtung aus der Gesamtübersicht in der meditativen Literatur bleiben auch außerhalb des Katholizismus nicht auf der Ebene äußerer Lebensfakten stehen. » N a c h d e m schon Calvin die Möglichkeit einer Unterscheidung an äußeren Kriterien ausgeschlossen hat, wird diese Frage der intensiven Selbstanalyse überwiesen. D i e englische Erbauungsliteratur entwickelt ein S c h e m a v o n >Kennzeichen< (signes),

die es d e m Christen in der

Selbstprüfung ermöglichen sollen, zu e i n e m begründeten Urteil über seinen Zustand zu gelangen«. 1 1 1 S o kommt es bei der calvinistischen und puritanischen Erwählungsfrage auf das Erkennen innerer, nicht nur äußerer Heilszeichen an. 1 1 2 D i e inneren »Verwandlungen«, die die göttliche Gnade i m erwählten M e n s c h e n auslöst, sind schon i m Diesseits festzustellen und sind Indiz dafür, Gott >zu besitzeninneren Begleiterscheinungen der Frömmigkeit beschäftigt und damit das äußerlich-objektiv nicht Nachweisbare, das selbst durch Selbsthinterfragung letztlich nicht Ergründbare ins Zentrum der Betrachtung rückt. Für die englische Meditationsliteratur sind ähnliche Beobachtungen zu machen. Martz stellt in Bezug auf den im England des 17. Jahrhunderts weit verbreiteten Spiritual Combat fest: »The subtlety of effort expended in this battle leaves no corner of the mind unexamined: the whole treatise is one astonishing tribute to the psychological penetration of the sixteenth-century masters of self-analysis.« 124 Dyke fordert: »[...] we may [...] espy euen the smallest wrinckle of deceit whatforever«125

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Justus Georg Schottelius: Sonderbare Vorstellung / Wie es mit Leib und Seel des Menschen, S. 75. Dass die Übertragung anatomischer Sicht- und Erkenntnis weisen kein Forschungskonstrukt ist, sondern im 17. Jahrhundert bewusst zur meditativen Selbstbetrachtung eingesetzt wurde, zeigt auch folgender Titel einer Anleitung zur Selbstbetrachtung von Otho Casmannus aus dem Jahr 1606: »Homo Novus: Das ist / Geistliche Anatomey oder Betrachtung deß newen Menschen/ in welcher / allein auß Gottes Wort / die schöne und lehrreiche Vergleichung deß natürlichen Leibs unnd seiner Gliedern / mit dem innerlichen geistlichen Leib / das ist / mit der Seel und ihren Krafften / angezeigt / und außführlich erklärt wird. Sampt beygefiigten Erinnerungen und Gebetten [...]. Zu hochnothwendigem Underricht und Ermahnung unserer Lebensbesserung/ zu Befestigung unsers Glaubens: Wie auch zu bestendiger und sighaffter Gegenwehr wider die Anfechtungen deß Teufels / deß Fleisches und der Welt. Bern 1606. Pierre Moulin: Heraclite ou de la Vanité et Misère de la vie humaine. Par P. Dr. Moulin. Ministre de la Parole de Dieu, en l'église de Paris. Sedan 1613, S. 14. Vgl. Ezechial Culverwell, die Richard Rogers »Seven Treatises« bezeichnet als »the Anatomie of the soule, wherein [...] we may as it were, with the eye behold [...] the right constitution of the whole and every part of a true Christian.« (Richard Rogers: Seven Treatises Containing such Direction as is Gathered out of the Holie Scriptures [...] called the practice of Christianitie, The Second Treatise, Shewing at Large what the Life of the True Beleever is. London 1603, Preface, To the Christian Reader). Louis L. Martz: The Poetry of Meditation. A Study in English Religious Literature of the Seventeenth Century. New Haven 2 1962 ('1954), S. 128. Daniel Dyke: The Mystery of Selfe-Deceiving. Or a discovrse and discouery of the deceitfulnesse of Mans Heart. London 1615, S. 11.

160 und versucht, in seinem Kapitel »Of certaine notes which the words of God giveth of an upright heart« durch Anführung verschiedener, vom Meditierenden in sich selbst zu beobachtender »notes« für ein »sincere heart« die Möglichkeiten der Unaufrichtigkeit gegen sich selbst bei der Gewissenserforschung einzuschränken. »After this discovery by the meanes, wee must lay our hearts to the rule of the word, and examine them by those notes which there are given of an upright and sincere heart. And these are many.«126 Glaube, Buße und Gehorsam als Zeichen des Gnadenstandes werden zur Überprüfung ihres wahrhaftigen Vorhandenseins in einzelne Komponenten zerlegt, die ihrerseits wieder durch bestimmte Kriterien und »notes« an sich selbst zu erkennen sind. »Dyke greift hier noch über die Forderung der Selbstprüfung hinaus. Die Selbstpriifung kann so oberflächlich und selbstgefällig verlaufen, daß sie den Anschein geistlicher Gesundheit erweckt, wo doch Krankheit verborgen ist. Sie kann zu falscher Selbstzufriedenheit führen und damit ihre Aufgabe pervertieren.«127 Doch nicht nur innerhalb der meditativen Selbstbetrachtung wird diese Aufmerksamkeit gegenüber sich selbst gefordert, sondern auch außerhalb der Meditation im Sinne einer Meta-Betrachtung, die sich auf der Ebene der Qualität mit der eigenen Unergründlichkeit auseinandersetzt und die Perspektive auf sich selbst zu potenzieren und zu spiegeln sucht. So erforscht sich das meditierende Ich bei Pierre du Moulin: Avec quelle negligence me suis-je acquitée des devoirs de son service! Que de froideur en mon zèle! Que d'égarement en mes prières! Que de nonchalance en l'exercice des bonnes œuvres! Ay-je écouté sa parole avec attention? L'ay-je méditée avec affection? L'ay-je gardée avec fidélité?128

Nicht nur die Selbstbetrachtung, sondern auch die Meta-Betrachtung der Selbstbetrachtung ist gefordert! So gibt der Autor der Practical Methode of Meditation unter der Kapitelüberschrift »What is done after Meditation« sechs Schritte an, die der Meditierende nach der Meditation an und in sich selbst nachvollziehen soll. Zuerst sind die einzelnen Abschnitte der Betrachtung auf ihr Gelingen oder Misslingen hin zu untersuchen. Als zweiten Schritt wird empfohlen: »We may examine the distractions we have suffered, and the remedies we have used to reclaime our selves«; in den nächsten beiden Schritten soll sich der Meditierende über die Art der empfundenen Tröstungen und Phasen der Trostlosigkeit befragen: »We may examine the consolations we have felt, seeking the occasions of them«; »We may examine the desolations if we have had any, searching out their causs«. Im Rahmen des fünften Schritts ist zu überlegen, »whether we have had aboundance of matter

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Daniel Dyke: The Mystery of Selfe-Deceiving, S. 332ff. Udo Sträter: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tübingen 1987 (Beiträge zur historischen Theologie 71), S. 106. Pierre le fils du Moulin: Semaine de Méditations et de Prières. Avec une preparation pour la Sainte Cene. Paris 1671, S. 7.

161 for our discourse or scarcity, endeavoring to find the causes of both«, oder aber es sollen die Affekte und »good purposes« untersucht werden, die geweckt wurden. Zuletzt soll der Meditierende den Verlauf bzw. die erwähnenswerten Früchte der Betrachtung schriftlich festhalten: »We may note in some little booke those thinges which have passed in our Meditation, or some part of them, if we think them worth the paynes.« 129 Die Meditation selbst wird demnach zum Objekt der Reflexion und des Nach-Fiihlens im Zirkel der Selbsthinterfragung. Auch der französische Katholik François de Sales, dessen Meditationswerk im 17. Jahrhundert in ganz Europa rezipiert wurde, gibt in seiner Introduction à la vie dévote allen Philothees einen >Inventurkatalog< an die Hand, mit dessen Hilfe der eigene Seelenzustand und das Verhältnis zu Gott, aber auch das Verhältnis zu sich selbst regelmäßig vom Meditierenden auf doppelter Ebene zu überprüfen ist. Diese >Inventur< betrifft die Meditation auch auf der Meta-Ebene: Jede innere Bewegung im Verlauf der geistlichen Übung soll registriert und auf ihre Ursachen hin untersucht werden, jeder mögliche dunkle Fleck auf der >Gewissens-Weste< soll damit nicht nur entfernt, sondern auch in seinen Ursachen erkannt werden. Unter der Kapitelüberschrift »Examen de Testat de nostre ame envers Dieu« 130 heißt es: 3. Quel est vostre cœur a l'endroit des exercices spirituelz? Les aymez-vous? les estimez-vous? vous faschent-ilz point? en estes-vous point desgoustee? auquel vous sentes-vous moins ou plus inclinee? Ouir la parolle de Dieu, se confesser, prendre les advis spirituelz, s'apprester a la Communion, se communier, restreindre ses affections: qu'y a-il en cela qui repugne a vostre cœur? Et si vous treuves quelque chose a quoy ce cœur aye moins d'inclination, examines d'où vient ce desgoust, qu'est-ce qui en est la cause.

Der meditierende Gedanke an das Göttliche soll nicht nur stattfinden, er soll auch als angenehm empfunden werden und mit derart positiver Befindlichkeit verbunden sein, dass er sich nicht so leicht von anderem verdrängen lässt. Wieder muss das meditierende Ich gewissenhaft in sich hineinhören, um diese Effekte an sich zu überprüfen: 5. Quel est vostre cœur a l'endroit de Dieu mesme? Vostre cœur se plaist-il a se resouvenir de Dieu? en ressent-il point de douceur aggreable? Ha, dit David, je me suis resouvenu de Dieu et m'en suis delecté. Sentes-vous en vostre cœur une certaine facilité a l'aymer et un goust particulier a savourer cet amour? Vostre cœur se recree-il point a penser a l'immensité de Dieu, a sa bonté, a sa suavité? Si le souvenir de Dieu vous arrive emmi les occupations du monde et les vanités, se fait-il point faire place, saisit-il point vostre cœur? vous semble-il point que vostre cœur se tourne de son costé et en certaine facon va au devant? Il y a certes des ames comme cela.

Auch die Sprache der Meditation wird der Metabetrachtung unterzogen, auch hier könnte sich eine Sünde verbergen: »8. Quant a vostre langue, comme parles-vous

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Richard Gibbons: The Practical Methode of Meditation. In: ders.: An Abridgement of Meditations of the Life, Passion, Death, and Resurrection of our Lord and Saviour Iesus Christ. Written in Italian by the R. Father Vincentius Bruno of the Society of Iesus. O. O. 1614, § 3. François de Sales: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 2 1961, Bd. 2, S. 180-183.

162 de Dieu? Vous plaises-vous d'en dire du bien selon vostre condition et suffisance? aymes-vous a chanter les cantiques?« Auch das Selbstgespräch und das Sprechen über sich selbst wird auf der Meta-Ebene der Inventur unterzogen: »5. Quant a la langue, vous vantes-vous point ou d'un biais ou d'un autre? vous flattes-vous point en parlant de vous?« Die Selbstthematisierung spielt sich damit auf zwei Ebenen ab, die in einer Zirkelbewegung aufeinander verweisen: die Überprüfung des eigenen Gewissens und die Überprüfung der dabei notwendigen Selbstaufrichtigkeit. Das eigene Innere wird nun als kaum endgültig zu ergründender Abgrund erfahren: »Man knoweth his inward thoughts, purposes, and desires, but the frame and disposition of his heart hee knoweth not, noryet alwaies the qualities of those thoughts, where they tend, what secret deceit lies, and lurkes in them.« 131 Selbsterkenntnis und Selbstthematisierung werden im meditativen Gewissen problematisiert und auf der Metaebene der Betrachtung fokussiert. In der Meditation über die Meditation< strebt der Betrachtende eine meditative Selbsterkenntnis an, in der er seiner bewussten Unergründlichkeit Rechnung trägt und ihr zugleich mit >doppeltem Boden< der Betrachtung entgegenzuwirken versucht. Diese Selbsterkenntnis eigener Unergründlichkeit verweist auf ein Subjektbewusstsein, das in der meditativen Selbstbetrachtung evoziert und zugleich thematisiert wird. Welches >Gefahrenpotential< in dieser Form der potenzierten Selbstbespiegelung in der Meditation gesehen wurde, soll in den Kap. 3.4ff. gezeigt werden.

3.2 Anatomisches Gewissens-Spektakel: Selbstentfremdung und Selbstentdeckung in den Bildern des Todes Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse über das Selbstthematisierung ermöglichende und initiierende Potential der Meditation erscheint eine Untergattung der Meditation in neuem Licht: die Todesbetrachtung. Wie für die Meditation im Allgemeinen gilt auch für die meditatio mortis, dass sie nicht als Textgattung beschrieben werden kann, sondern lediglich als Textstruktur in verschiedenen Gattungen literarisch wirksam und fassbar wird. Mit dem Begriff >meditatio mortis< oder >Todesmeditation< wird in dieser Untersuchung - wie bereits in Kap. 1.2 definiert - die Literatur gefasst, die die Strukturmerkmale der Meditation aufweist und in denen sich ein implizites oder explizites meditierendes Ich betrachtend mit Sterben, Tod oder Jenseits (Himmel oder Hölle) 132 auseinandersetzt. Im Rahmen der Todesmeditation treten Sterbekunst,

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Daniel Dyke: The Mystery of Selfe-Deceiving. Or a discovrse and discouery of the deceitfulnesse of Mans Heart. London 1615, S. 312. Die katholische Todesmeditation schließt zusätzlich die Betrachtung des Fegefeuers mit ein.

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Todeswarnung und visionäre Elemente in unterschiedlicher Gewichtung mit- und nebeneinander in Lyrik und Prosa auf - literarische Gattungsbegriffe wie >Ars-moriendiMemento-mori-Lilerat\ir< greifen deshalb zu kurz und vermögen die inhaltliche und formale Varianz der Todesbetrachtung in der Literatur nicht zu fassen. Unter >meditativer Todesvision< sind diejenigen Todesmeditationen zu verstehen, in denen sich das betrachtende Ich den eigenen Tod meditativ vergegenwärtigt, ihn damit in der Meditation antizipiert bzw. betrachtend >erlebtmors< in der theologischen Bibliographie des Protestanten Martin Lipenius aus dem Jahr 1685 zeigt zudem, dass nicht einzig das allgemeine Ansteigen der Buchproduktion für die Popularität der meditatio mortis verantwortlich sein kann und die literarische Thematisierung des Todes nicht nur absolut, sondern auch relativ zunimmt. 140 Schlägt man in seiner Bibliotheca Realis Theologica Materiarum Rerum et Titulorum nach, so stellt man fest, dass das Lemma >mors< auffallend viel Raum beansprucht und dem Bibliographen ein Literaturfeld von großer Wichtigkeit zu sein scheint: 163 deutschsprachige Einträge werden verzeichnet. Im Vergleich dazu werden unter »meditatio« nur 44 deutschsprachige Publikationen genannt. »>L'invasion dévote< s'est donc accompagnée d'une insistance sur la mort encore plus forte que par le passé et le XVIIe siècle a représenté dans toute l'europe un sommet à cet égard.« 141 Auch die Qualität der Todesbetrachtung ist im späten 16. und 17. Jahrhundert eine andere und neue: nicht das über-individuelle memento mori und die Betrachtung der für alle Menschen gültigen Sterblichkeit und Erwartung des Jüngsten Gerichts machen die meditatio mortis dieses Zeitraumes aus, sondern die betrachtende Hinwendung zum Ende der eigenen Lebenszeit, zum individuellen Sterben und Tod - das ganz persönlich-individuelle mortale und postmortale Schicksal steht im Mittelpunkt der Betrachtung.142 Dieses Phänomen korrespondiert mit der Beliebtheit und Verbreitung der Meditation in unserem Untersuchungszeitraum als Ausdruck der Suche nach einem individuellen und von der Kirche unabhängigen Weg zum Heil. Der Gläubige nimmt sein Heils-Schicksal selbst in die Hand - er versteht sich nicht mehr nur als Teil der Glaubensgemeinschaft, die ihn zum kollektiven Heil führt, sondern zunehmend als handelndes Subjekt, das aktiv seine nun individuelle Beziehung zu Gott gestaltet. In Parallele zu diesem Selbst- und Glaubensverständnis verändert sich auch die Tradition der meditatio mortis. Nicht mehr der Tod als über-individuelles Fatum oder der Jüngste Tag als »zweiter Tod«143 steht im Zentrum der Betrachtung, sondern das

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Van Ingens Argument, die Zunahme an Dichtungen, die sich mit dem Tod befassen, sei nicht auf intensivere Auseinandersetzung mit dem Tod zurückzuführen, sondern auf die allgemeine Zunahme der Buchproduktion, ist somit zu widerlegen (s. Ferdinand van Ingen: Vanitas und Memento Mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966, S. 354f.). Jean Delumeau: Le Péché et la Peur. La culpabilisation en Occident (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1983, S. 389. Dietrich Korn: Das Thema des Jüngsten Tages in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1957, S. 21, 31 und 118; Ferdinand van Ingen: Vanitas und Memento Mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966, S. 114. S. auch David Harley: The Theology of Affliction and the Experience of Sickness in the Godly Family, 1650-1714: The Henrys and the Newcomes. In: Religio Medici. Medecine and Religion in Seventeenth Century England. Hg. v. Ole Peter Grell und Andrew Cunningham. O.O. 1996, S. 273-292, hier S. 281. Zum Dogma des Jüngsten Gerichts als zweitem Tod, der auf den ersten Tod als Ende des irdischen Lebens folgt, s. Richard Herzog: Vom Aufhören. Darstellungsformen menschlicher Dauer im Ende. In: Das Ende. Figuren einer Denkform. Hg. v. Karlheinz Stierle und Rainer Warning. München 1996, S. 283-329, hier S. 292.

166 eigene Sterben, der eigene Tod gewinnt als Meditationsgegenstand an Bedeutung. 144 Diese Tendenz ist bei den protestantischen Gläubigen ebenso festzustellen wie bei den Katholiken, denen »Seligkeit und Verdammung näher [stehen] als der Jüngste Tag, das Einzelgericht über die Seele nach dem Tode näher als das große Weltgericht.«145 Im Unterschied zur protestantischen Lehre geht die katholische Theologie weiterhin von der Vorstellung des Fegefeuers aus, das quasi als Zwischenstufe zwischen Tod und Ewigkeit gestellt ist und in dem der Einzelne zeitlich begrenzt seine Sünden abbüßt, bevor er >gereinigt< ins Himmelreich aufgenommen wird. Insofern besteht für die katholischen Meditierenden ein engerer Zusammenhang zwischen individuellem Tod und individuellem postmortalem Schicksal. 146 Auch für sie tritt jedoch die Bedeutung des Jüngsten Gerichtes als überindividuellem Gericht hinter eigenem Tod und individuellem Schicksal im Fegefeuer zurück.147 So lautet das Programm Jeremias Drechseis in seinem Richter Stuel Christi Oder Sonderbare Fürfordern / und gehaimes Gericht aines jeden Menschen in seiner Sterbstund (1633): »Hie stellen wir dir / lieber Leser / den Richterstuel Christi für Augen / nicht zwar den Jüngsten tag / an welchem die gantze Welt zugleich miteinander wirdt gerichtet werden / sonder das Gericht / welches mir unnd dir das allernegste seyn / und nit lang mehr außbleiben wird«. 148 Er will zur Betrachtung »von disem allergehaimesten und Particulargericht« anregen, indem er Art und Weise, Umstände, Ort und Zeit des individuellen Rechenschaftsgebens vor Augen führt. Er hält die Meditierenden dazu an, permanent vor sich selbst Rechenschaft abzulegen und sich nicht in der Anonymität der sündigen Menschheit zu flüchten, weil letztlich doch jeder Einzelne individuell vor dem Partikulargericht erscheinen müsse. 149

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Dietrich Korn stellt fest: »Es ging dem 17. Jahrhundert um den Menschen, nicht mehr um den Schöpfungszusammenhang.« (Dietrich Korn: Das Thema des Jüngsten Tages in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1957, S. 21). Ähnlich auch Hahn: »Dem Bewußtsein der individualisierten Individualität korrespondiert eine verstärkte Angst vor dem eigenen Ende.« (Alois Hahn: Unendliches Ende: Höllenvorstellungen in soziologischer Perspektive. In: Das Ende. Figuren einer Denkform, S. 155-182, hier S. 179). Dietrich Korn: Das Thema des Jüngsten Tages in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1957, S. 31. Nach der Ansicht von Hahn »[...] akzentuiert die Drohung eines unmittelbar auf den Tod folgenden individuellen Seelengerichts die Eigenverantwortung für das Handeln, stärkt also ihrerseits die Individualisierung.« (Alois Hahn: Unendliches Ende: Höllenvorstellungen in soziologischer Perspektive. In: Das Ende. Figuren einer Denkform. Hg. v. Karlheinz Stierle und Rainer Warning. München 1996, S. 155-182, hier S. 180); s. auch David Cressy: Birth, Marriage, and Death. Ritual, Religion, and the Life-Cycle in Tudor and Start England. Oxford 1997, S. 386. Kemper veranschlagt durch die Lehre vom Fegefeuer hingegen die Bedeutung des Einzeltodes im Verhältnis zum Jüngsten Tag im Katholizismus als geringer (Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit. 5 Bde. Bd. 2: Konfessionalismus. Tübingen 1987, S. 243). Jeremias Drechsel: Richter Stuel Christi Oder Sonderbare Fürfordern / und gehaimes Gericht aines jeden Menschen in seiner Sterbstund [...] von Joachim Meichel verteutscht. München 1633, Vorrede. Jeremias Drechsel: Richter Stuel Christi Oder Sonderbare Fürfordern, S. 19 und 25.

167 Sicherlich hat das Ausbleiben der Parusie150 und das damit verbundene Verschwinden der Naherwartung dazu beigetragen, dass der Tod des Einzelnen gegenüber dem Jüngsten Gericht an meditativer Bedeutung gewann. 151 Von mindestens ebenso großer Bedeutung dürfte aber die Popularisierung der meditativen Praxis gewesen sein, die nicht nur einen individuellen Weg zu Gott, sondern auch einen Weg zu Selbsterkenntnis und Selbstthematisierung als Individuum bahnt. Das Zurücktreten des Jüngsten Tages als überindividueller Richt-Tag Gottes entspricht den hier dargelegten Erkenntnissen zum meditativen Gewissen: Wenn ein individuelles Schuldgefühl und die Selbstverurteilung durch die innere Richt-Instanz des Gewissens so stark als innerer Anspruch und psychologisches Phänomen sinnlich-körperlich >gefuhlt< wird, dass er als höllische Strafe oder Hölle auf Erden gelten kann, so ist der Urteilsspruch des Jüngsten Tages schon vorweggenommen. Zudem lenkt die Selbstthematisierung vor dem Hintergrund des Zeitkontinuums und mit Blick auf Kontexte und Entwicklungen den Blick zwangsläufig weg vom alles entscheidenden Einzelmoment, der den Meditierenden nicht mehr in seiner Ganzheit und Individualität zu erfassen vermag. Aus diesem Grunde verliert auch der Todesmoment an Bedeutung. Zunächst scheint zwar die nach der Ansicht von Ariès zu beobachtende Abwertung des Todesmoments im Vergleich zum Mittelalter152 dem von Delumeau und Korn vertretenen Befund zu widersprechen, dass das Jüngste Gericht gegenüber dem Einzeltod an Bedeutung verliere.153 Dennoch lassen sich, wie ich zeigen möchte, beide Beobachtungen miteinander vereinbaren und erklärend aufeinander beziehen, denn: Nur der reale Todesmoment verliert für den Gläubigen der Frühen Neuzeit an Bedeutung, nicht aber der in der Meditation imaginierte und sich angeeignete Tod! Im Zuge der Durchsetzung des >meditativen Gewissens< relativiert der permanente Blick auf 150

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Dietrich Kom: Das Thema des Jüngsten Tages in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1957, S. 118. Ferdinand van Ingen: Vanitas und Memento Mori in der deutschen Barocklyrik. Groningen 1966, S. 114. »Der Tod wurde dann durch die Sterblichkeit im Allgemeinen ersetzt, d.h. das früher in der historischen Realität der hora mortis verdichtete Gefühl des Todes wurde nun im Gesamtstrom des Lebens verdünnt und aufgelöst und büßte damit seine gesamte Intensität ein.« (Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Aus dem Frz. v. Hans-Horst Henschen und Una Pfau. München / Wien 1980 [Frz. >1978], S. 403). »Die Dinge verlaufen nämlich zunächst weiter so wie in der mittelalterlichen Vergangenheit: das gleiche literarische Genre wie das der artes moriendi, die gleichen Totentänze, sogar mehr Totenköpfe und Schienbeine in den Kirchen, dieselbe Erblassungsverpflichtung, derselbe Weihecharakter beim Testament. Keine ins Auge fallenden Veränderungen - man könnte sich täuschen und glauben, dass die jahrhundertelange Kontinuität bruchlos fortbesteht. Und dennoch scheint unter dieser gleichbleibenden Stetigkeit eine neue Einstellung auf - oder wenn nicht eine neue Einstellung, so doch eine kaum eingestandene Abwertung alter Einstellungen. [...] Der unmittelbare Augenblick des Todes soll uns als Bezugspunkt dienen, an dem sich der Wandel erkennen läßt. [...]. Seit dem 16. Jahrhundert beginnt der unmittelbare Augenblick des Todes zu Hause und auf dem Sterbebett seine relative Bedeutung einzubüßen.« (Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Aus dem Frz. v. Hans-Horst Henschen und Una Pfau. München / Wien 1980 [Frz. Ί978], S. 381 f.)

168 die eigene Gesamtbiographie und die gefühlte Übereinstimmung mit sich selbst zwar die Bedeutung des realen Todes als punktueller Anlass der Selbstbetrachtung. Jedoch bedeutete die Verbreitung der meditativen Praxis im Allgemeinen und der meditatio mortis im Besonderen, dass jeder Augenblick des Lebens nun in der Verfassung verbracht werden sollte, in den die Sterbekunst des Mittelalters den Sterbenden in seiner Sterbestunde versetzen wollte - die Todesbetrachtung wird im 17. Jahrhundert als Disposition zu Lebzeiten gefordert und relativiert nur in diesem Sinne die Anforderungen der Todesstunde: »On ne meurt qu'une fois, et de là on conclut qu'il faut bien mourir. [...] ainsi, on ne vit qu'une fois un tel et tel moment; on ne saurait donc plus revenir sur ses pas [...] et réparer les fautes de la première marche [...] ce moment ne changera plus: éternellement il sera le même, nous sera rappelé tel que nous l'avons passé et sera marqué de ce caractère ineffaçable.« 154 Der Tod wird im Leben betrachtend bewältigt und vor dem Eintritt der Todesstunde meditativ gestorben. Die erinnernde Vergegenwärtigung des zukünftigen Todes und der Ewigkeit wird als permanenter (Selbst-)Erinnerungsakt angestrebt. Der in der Meditation imaginierend zu vergegenwärtigende und anzueignende Tod gewinnt in unserem Untersuchungszeitraum im Gegensatz zum realen Tod sogar an Bedeutung und ist keinesfalls im Begriff, im Gefühl allgemeiner Sterblichkeit unterzugehen. Die meditatio mortis bedeutet das meditative Erleben der eigenen Todesstunde zu Lebzeiten. »[...] mettez vous une fois le mois, ou plus souvent si vous le voulez, en état de mourir, & considérez vous comme un malade qui est prest de rendre l'ame.«, rät der Jesuit Crasset. 155 Die Todesbetrachtung versteht sich im 17. Jahrhundert gerade nicht als abstrakte Theorie oder als Spekulation über das Allgemein-Menschliche, sondern als Praxis, als meditatives >Erleben des individuellen Todesc »Dans tous les arts on devient plus habile par la pratique que par la spéculation. Nous ne pouvons donc rien faire de mieux et de plus utile que de penser souvent à la mort, et de méditer sur ce qui se passe dans le redoutable moment où elle arrive.«156 Der über den Tod Meditierende muss dabei zwangsläufig auf innere Bilder des Todes aus dem Gedächtnisinventar zurückgreifen, die von der memoria aufgefunden und mit Hilfe der Imagination 157 neu kombiniert und auf der inneren Bühne der

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Zit. nach Alois Hahn: Zeitknappheit als Problem der religiösen Lebensführung in der französischen Gegenreformation. In: Aspekte der Gegenreformation. Hg. v. Victoria von Flemming. Frankfurt a.M. 1997 (Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 1), S. 508-528, S. 527, der auf die Verwendung des Topos der Einmaligkeit der Sterbestunde für jeden Augenblick des Lebens hinweist. Jean Crasset: Préparation à la mort. [...] Revûe & augmentée de nouvelles Préparations. Paris 5 1690, S. 9. Bellarmin: L'art de bien mourir. In: Anonymus: L'esprit, les consolation de la foi et les devoirs qu'elle impose a l'époque des calamités publiques, et surtout des maladies contagieuses, suivi de l'art de bien mourir, par le cardinal de Bellarmin. Genf 1832, S. 108. S. Günter Butzer: Eintr. Phantasie. In: Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Hg. v. Nicolas Pethes und Jens Ruchatz. Reinbek bei Hamburg 2001, S. 4 3 7 ^ 3 9 .

169 Meditation zum Schauplatz des eigenen Todes zusammengestellt werden. 1 5 8 Der Tod kann nur als Tod der anderen erfahren werden, nur durch die meditative Ein-Bildung und Vergegenwärtigung kann der Meditierende ihn sich zu e i g e n machen. Parmi ces moyens et dispositions pratiques, quelques-uns reviennent en fréquent leitmotiv. Méditer sur la mort, c'est méditer sur la mort d'autrui: et c'est le dialogue avec un crâne; c'est méditer sur la mort du Christ: et le crucifix complète ce tableau en termes de nature morte. Enfin telles préparations conduisent à imaginer sa propre mort dans le cadre de véritables exercices de simulation. 159 Der Tod des Anderen wird in der meditatio

mortis angeeignet und somit z u m eigenen

Tod zu Lebzeiten. 1 6 0 In e i n e m Sonett F l e m i n g s 1 6 1 heißt es: Ich bin betrübt mit ihm, dem Freunde jener Zeit. / Es tauret mich sein Fall, in dem er muß verlieren / des Herzens halben Teil und hin zum Grabe führen. / Ich bin betrübt mit ihm, es tauret mich sein Leid. / [...] Wir Menschen pflegen oft zu klagen über Leichen / und wissen selber nicht, wie nah' uns unsre Zeichen / des Todes sind gesteckt. [...] Drum will ich Andre klagen / und hierbeineben auch von meiner Schwachheit sagen: / so hab' ich recht beweint in einem Fremden mich. D i e Betrachtung des eigenen Todes scheint mitunter eine bewusste Entfernung v o n sich selbst zu spiegeln - das Ich tritt in Distanz zu sich selbst, w e i l der e i g e n e Tod nur als Tod des Anderen (und sei es der eines distanziert betrachteten >anderen< Ich) vorstellbar ist. Meditierender und Meditiertes spiegeln sich w e c h s e l s e i t i g , suchen sich i m betrachtenden Anblick des vorgestellten Gegenüber. Philippe de Mornay beschreibt den Tod als Trennung v o n sich selbst: » N o u s s o m m e s au monde, & le m o n d e e n nous: & pour se separer du m o n d e , se faut séparer d e s o y - m e s m e . Or ceste separation s'appelle mort.« 1 6 2 Bedeutet der Tod ein »separer de s o y - m e s m e « , s o bedeutet die Todesmeditation die imaginative Vergegenwärtigung und Versinnli-

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S. Bettina Bannasch: Eintr. Vergegenwärtigung. In: Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Hg. v. Nicolas Pethes und Jens Ruchatz. Reinbek bei Hamburg 2001, S. 622f. Michel Vovelle: Mourir autrefois. Attitudes collectives devant la mort aux XVIIe et XVIIIe siècles. Paris 1974, S. 67. Dies zeigt sich auch in einer der Todesmeditationen aus der Feder John Donnes, wie sich bereits anhand einiger Kapitelüberschriften deutlich machen lässt: I. The first alteration, The first grudging of the sicknesse; V. The Physician comes; VI. The Physician is afraid; XIII. The Sicknes declares the infection and malignity thereof by spots; XV. I sleep not day nor night; XVI. From the Bells of the Church adjoyning, I am daily remembered of my buriall in the funeralls of others; XVIII. The Bell rings out, and tells me in him, that I am dead; XXIII. They warne mee of the feareful danger of relapsing (John Donne: Devotions Upon Emergent Occasions. In: Divine Poems, Devotions, Prayers. New York 1953, S. 57-106). Paul Fleming: »Als ihm Herrn Timothei Swirsens Hausfrauen Ableben in Ehsten berichtet ward«. In: ders.: Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965, Bd. 1, S. 456, V. 1^1, 9-11, 12-14. Philippe de Mornay: Discours de la vie et de la mort. Par P. de Momay Gentil-homme François. Revue & augmenté: Auquel est adiousté les meditations de I. Sauonarole sur les Pseaumes traduicts par iceluy de Momay. Pour mourir bien heureux à vivre faut apprendre. Pour vivre bien-heureux à mourir faut entendre. Paris 1584, S. 30.

170 chung dieser Trennung von sich selbst. Das meditierende Ich muss sich selbst zum Anderen werden, muss sich meditativ aus sich selbst heraus begeben und sich einen Spiegel vorhalten, um den Tod in der Meditation zu >erleben< und in ihm sich selbst zu erkennen. Die Selbst-Bespiegelung erfordert ein In-Distanz-Treten zu sich selbst im Sinne eines Blickes von außen, aber auch eine Wendung zu sich selbst mit dem Ziel der An-eignung des Spiegelbildes: Meditierender und Meditiertes verschmelzen förmlich ineinander, werden eins und überwinden die trennende Distanz. Diese beiden individualitätskonstituierenden Selbstbetrachtungsperspektiven163 - Distanznahme von und Wendung in sich selbst durch imaginierende Aneignung des Todes - sind in den Todesmeditationen des 17. Jahrhunderts auszumachen. Exemplarisch ist dies anhand einer Occasional Meditation von Joseph Hall unter dem Titel »LXXVII. Upon the Tolling of a Passing-bell« zu zeigen: How doleful and heavy is this summons of death! This sound is not for our ears but for our hearts. It calls us not only to our prayers but to our preparation; for our prayers for our dearting soul, to our preparation for our own departing. We have never so much need of prayers as in our last combat. Then is our great adversary most eager, then are we the weakes, then nature is so overlabored that it gives us not leisure to make use of gracious motions. There is no preparation so necessary as for this conflict; all our life is little enough to make ready for our last hour. What, am I better than my neighbours? How oft hath this bell reported to me the farewell of many more strong and vigorous bodies than my own, of many more cheerfol and lively spirits! And now what doth it but call me to the thought of my parting? Here is no abiding for me; I must away too. Oh thou that art the God of comfort, help Thy poor servant that is now struggling with his last enemy. His sad friends stand gazing upon him and weeping over him, but they cannot succor him; needs must they leave him to do this great work alone. None but Thou to whom belong the >issues of death< (Ps. 68:20) canst relieve his distressed and overmatched soul. And for me, let no man die without me. As I die daily so teach me to die once; acquaint me beforehand with that messenger which I must trust to. Oh teach me so to number my days that I may apply my heart to true wisdom (Ps. 90, 12).164

Das >zufállige< Hören der Totenglocke erinnert an den eigenen Tod und initiiert die Todesmeditation. Der Tod des Anderen wird zum Ausgangspunkt für die Meditation über »our own departing«. Das meditierende Ich tritt in Distanz zu sich selbst, wenn es selbstkritisch feststellt: »What, am I better than my neighbours?« Es betrachtet sich mit >anderen Augenanderen< Toten, dessen Sterbeglocke gerade läutet, und der Vorstellung des eigenen Todes. Die Bitte »[...] help Thy poor servant that is now struggling with his last enemy. His sad friends stand gazing upon him and weeping over him, but they cannot succor him; needs must they leave him to do this great work alone. None but Thou to whom belong the >issues of death< (Ps.

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Vgl. Kap. 1.2. Joseph Hall: Occasional Meditations. In: Joseph Hall: A Meditation of Death: According to the Former Rules. In: Frank Livingstone Huntley: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study With the texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). Binghampton / New York 1981, S. 164f.

171 68, 20) canst relieve his distressed and overmatched soul« lässt für einen Moment offen, wer der »poor servant« ist, für den hier gebetet und gebeten wird. Dann ist das meditierende Ich ausschließlich bei sich selbst angekommen und wendet sich in und zu sich selbst: »And for me«. Das meditierende Ich ist so sehr mit dem Toten verbunden, dass es mit dem Toten den Tod meditierend erlebt. Entsprechend heißt es daraufhin: »[...] let no man die without me. As I die daily so teach me to die once« - der Tod des anderen soll helfen, meditierend »täglich« mitzusterben, um zu lernen, einst den eigenen Tod zu sterben. Distanz und Nähe zu sich selbst, Anderer und eigenes Ich verschwimmen in dieser Todesmeditation zu einem Amalgam, das das >zufallig< gehörte Geläut durch die Einbildungskraft zur eigenen Sterbeglocke werden lässt. Der Einbildungskraft kommt in der Meditation vor allem im Zuge der compositio, d.h. der Zurichtung des Schauplatzes auf der inneren Bühne der Betrachtung,165 und bei der auf die Affekte zielenden sinnlichen Aneignung eine bedeutende Funktion zu. Dabei ist nicht nur das unmittelbar am Tod des Anderen und an sich selbst Beobachtbare und eventuell bereits Beobachtete (wie die Verwesung im Grab, das Gewimmel der Maden und Würmer und der Zerfall des menschlichen Körpers zu Erde) als aus dem Gedächtnis reproduzierter Sinneseindruck Gegenstand der Meditation, sondern auch das, was sich der Beobachtung entzieht und nur durch (re-)produktive Imagination auf der inneren Bühne der Meditation vergegenwärtigt werden kann: Gefühle und sinnliche Wahrnehmungen in der Stunde des eigenen Todes und Lohn und Strafe im Jenseits. Betrachte ich den Tod / welche Betrachtung klug machet / Psal. 90. und von großer Wichtigkeit ist / so bilde ich mir ein / ich lege auf dem Siegbette kranck / und mit nach und nach abnehmenden Kräfften / mit den letzten Todes=Schmertzen ringend / und wie ich nach dem Tod in die Erde verscharret / und mein Leib verwesend / den Würmern zu einer Speise werden muß. Dieses alles lasset sich sichtbarlich vor=ein=und abbilden. Hieraus fleusset die Betrachtung des zeitlichen / und wie wir aus diesem Leben durch den Tod in ein andres Leben eingehen müssen. [...] Ferners wie die Frömmigkeit mit Freuden / die Boßheit mit ewigem Hertzeleid belohnet werden wird. Also wird man durch das sichtbarliche zu Betrachtung des Unsichtbaren veranlasst.166

Bei diesem meditativen Sich-Einbilden und Sich-Hineinfühlen sind alle Sinne beteiligt - der Tod wird durch Riechen, Schmecken, Tasten, Hören und Sehen versinnlicht und meditativ angeeignet. Der Meditierende lässt sich den Tod in der Meditation »auf der Zunge zergehen«, er wird von ihm zerkaut, verdaut, wiedergekäut. Man gibt sich nicht nur mit der Leichenbeschreibung zufrieden, sondern verfolgt das Schicksal

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Bereits in Kap. 2.3ÍÍ. wurde gezeigt, dass das Entwerfen eines Schauplatzes auf der inneren Bühne der Meditation im späten 16. und 17. Jahrhundert nicht ein spezifisch katholisches bzw. ignatianisches Meditationscharakteristikum ist, sondern auch in protestantischen Betrachtungen eine wichtige Rolle spielt. Anonymus: Das Gespräch des Hertzens / oder Das eiferige Gebet / welches aus geistlichen Betrachtungen veranlasst in dem Sinne / sonder Rede / zu Gott geschicket wird. Psalm 19/15. HERR / laß die wolgefallen das Gespräch meines Hertzens / HERR mein Hort und mein Erlöser! Nürnberg 1704, S. 80.

172 des menschlichen Körpers bis ins Grab hinein. Der Tod ist ein »Spectacel« auf der inneren B ü h n e der Meditation, der tote Körper ist nicht starr, sondern scheint v o m Leben der Würmer, Schlangen und des Ungeziefers bewegt zu werden. Der Leichnam ist aktiv, er stinkt, schwillt an und »inficirt« b i s w e i l e n sogar die Lebenden, die sich zu recht fast ohne A u s n a h m e »fürchten und entsetzen«. So bald der Mensch den Todten=Kittel angezogen und den Mund zu weit aufgemacht / siehet er ihm schon öffters nicht mehr gleich. Liegt er nur etliche Tage / absonderlich bey warmen schwilligten Wetter / was ist das für ein entsetzlicher Anblick! Grün und Gelb / Braun und Blau / ja offt fast Mohren=fárbig ist das Angesicht / der übrige Leib mehrmals dick aufgeschwollen / der noch überdas so abscheulich stinckt / auch offtmals die Gesunden inficirt / daß es nicht zu beschreiben. Eröffnet man solche Särge nach etlichen Wochen / Monaten oder Jahr / O welche Spectacel siehet man da! O welche heßliche Ungeziefer / Würmer und Motten / ja Kröten und Schlangen siehet man an dem gantzen Leib / an den so kurtz vorher so schönen Rosen=farben Wangen und Corallen=Lippen / hauffenweis herum kriechen und schwärmen / da guckt eine Kröte zum Mund heraus / dort frisst eine Schlange an den Brüsten / die Augen sind schon ausgeholt und sitzen weiß nicht was für kleine Crocodillen darinnen / oder so die Mahlzeit schon geendet und sie selber einander wieder aufgezehrt / so liegt nichts anders im Sarg / als ein Bein=Gripp / für dem sich fast jederman fürchtet und entsetzet. 167 A u c h Gefühle und Empfindungen müssen imaginiert werden, u m den Tod >meditativ zu erlebenc. D i e meditatio

mortis

erfordert

[...] prévenir, autant qu'il est possible, le moment de la mort. Et comment? en se demandant à soi-même: Quel sentiment aurai-je à la mort de ce que j'entreprends aujourd'hui? ce queje vais faire me troublera-t-il alors? me consolera-t-il? me donnera-t-il de la confiance? me causera-t-il des regrets? L'approuverai-je? le condamnerai-je? 168 Pierre N i c o l e hält die Imagination der äußeren Todesumstände und - s y m p t ô m e für w i c h t i g . Von n o c h größerer Wichtigkeit aber ist es, die Einbildungskraft auf die innerlichen Vorgänge zu richten und sich diese meditativ zu vergegenwärtigen: » C e ne sont encore là que les dehors de la mort; & j e n'ay dessein par là, que d'ébranler un peu les sens par l ' i m a g e de l'extérieur de cét état. Mais l'intérieur en est bien plus affreux & bien plus terrible. Et c ' e s t ce qu'il faut tâcher de déveloper«. 1 6 9 N i c o l e kritisiert, daß zu v i e l e M e n s c h e n sich in ihren Meditationen den Tod als Ende der Fähigkeit zu empfinden und zu Fühlen vorstellten: »En un mot, ils ne forment l'idée de la mort, que sur c e que l ' o n c e s s e de faire en mourant, & non sur c e que l ' o n c o m m e n c e de faire & de sentir dans le m o m e n t de la mort.« 1 7 0 »Mais pour tirer plus d'avantage de cette pratique, il est b o n de ne juger pas simplement de toutes choses, c o m m e si on devoit bien-tost mourir, mais d'entrer autant qu'il est possible dans les

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Abraham [Johann Ulrich Megerle]: Besonders meublirt- und gezierte Todten=Capelle / Oder Allgemeiner Todten=Spiegel [...]. Würzburg 1710, S. 282f. Louis Bourdaloue: Sermon sur la pensée de la mort. In: Louis Bourdaloue: Œuvres complètes de Bourdaloue de la Compagnie de Jésus. Paris 1846, Bd. 3, S. 240. Pierre Nicole: Traité sur les quatre derniers fins de l'homme. In: Essais de Morale contenus en divers Traités sur plusieurs devoirs importants. Paris 3 1682 ('1672-1677), Bd. 4, S. 42. Pierre Nicole: Traité sur les quatre derniers fins de l'homme, S. 43f.

173 vûës & les sentimens que l'on aura au moment que l'ame quittera le corps.«171 Das meditative In-sich-Hineinfiihlen bei der meditatio mortis legt den Bezug zum meditativen Gewissem nahe, das ebenfalls Regungen und Empfindungen nachspürt und das Ich nach innen auslotet. Die Selbst-Befragung im Hinblick auf das eigene Innere haben Todes- und Gewissensbetrachtung gemeinsam. Damit ist eine Verbindungslinie aufgedeckt, die es nahe legt, die Todesmeditation nicht nur als Thematisierung des Todes, sondern auch als Auseinandersetzung mit Schuld und Gewissen zu deuten. Dies begründet die Bedeutung der meditatio mortis als Freiraum und Ausdrucksrepertoire zur Selbstthematisierung - sie hat nicht nur den realen Tod zum Objekt, sondern auch den imaginierten Tod als Kontext der Selbstthematisierung. Wie die Meditation und die meditative Praxis allgemein, hat auch die Todesmeditation dabei sowohl eine Trostfunktion als auch eine Warnfunktion inne. Dies spiegelt sich in der Meditationen und Meditationsanleitungen wider - das Argument des Trosts in Leben und Sterben und die Warnung vor dem nicht betrachteten und deshalb unvorbereiteten Tod durchziehen leitmotivisch die Todesbetrachtungen. Johannes Henning stellt seine meditatio mortis dementsprechend unter den Titel Todes=Gedancken / Das ist: Christliche Betrachtung Der Menschlichen Sterbligkeit Denen Rohen Welt=Kindern Zur Aufmunterung und Erinnerung: Frommen Christen aber Zu Trost und Erquickung In Noht und Tod Vorgestellet [...].172 Wenn die meditatio mortis die Erlösung durch den Kreuzestod Christi aus dem Blick verliert und bei der Vorstellung des körperlichen und ewigen Todes verharrt, löst sie blanke Angst und >tödlichen< Schrecken aus: ohne die Perspektive der Heilstat bleibt nur Tod und Hölle. Meditatio mortis impliziert nur dann ein tröstendes Moment, wenn sie die Betrachtung des Todes mit der Betrachtung des Heilsgeschehens verbindet. Sie entfaltet eine warnende Komponente, wenn sie den körperlichen Tod bzw. die Möglichkeit des selbst verschuldeten und individuell zu verantwortenden Ausbleibens der Erlösung ins Zentrum der Betrachtung rückt - die Todesangst wird durch das meditativ evozierte Bewusstsein eines schlechten Gewissens gesteigert. Du / Gottes Verächter bedencke / wie dich / in der Todesstund deine Verachtung Gottes du / Gotteslästerer / und Flucher! bedencke / wie dich / in der Todesstund / dein Gotteslästern / und Fluchen du / Entheiliger des Sabbats! bedencke / wie dich in der Todesstund / deine Entheiligung des Sabbats du / ungerechter Richter! bedencke / wie dich in der Todesstund / deine Ungerechtigkeit du / Sorgloser Seelsorger! bedencke / wie dich / in der Todesstund / deine Sorglosigkeit du / ungehorsamer Zuhörer! bedencke / wie dich / in der Todesstund / dein Ungehorsam du / zornsüchtiger Unversöhnlicher und Rachgieriger Mensch! bedencke / wie dich / in der Todesstund / dein Zorn / Unversöhnlichkeit / und Rachgirigkeit / du / Todschläger! bedencke / wie dich / in der Todesstund / deine Blutdürstigkeit du / unzüchtiger Hurer / und Ehebrecher! (derer verdammten Belialskinder verfluchte Teufelsrott / mit einem Zeter- und Angstgeschrey aller christlichen Hertzen / je länger je lieber gehäuffet wird) bedencke / wie dich / in der Todesstund / deine Unzucht /

171 172

Pierre Nicole: Traité sur les quatre derniers fins de l'homme, S. 95. Johannes Henning: Todes=Gedancken / Das ist: Christliche Betrachtung Der Menschlichen Sterbligkeit Denen Rohen Welt=Kindem Zur Aufmunterung und Erinnerung: Frommen Christen aber Zu Trost und Erquickung In Noht und Tod vorgestellet [...]. Braunschweig 1691.

174 Hurerey / und Ehebruch du / Liebvergessener und vortheilhaftiger Handirer! bedencke / wie dich / in der Todesstund / deine Lügen / und deine Verleumdung du / unersätlicher Geizwanst! bedencke / wie dich / in der Todesstund / deine Unersätlichkeit / und Geiz ängstigen / drücken / quälen / peinigen / und in Verzweiflung stürzen können! [...]. O Sünder! O du boßhaftiger und freventlicher Sünder! Dein Hertz wird / in der Todesstund / auch mit dreyen Spiesen durchstochen werden. Der erste / wird seyn / das stetige Nagen des Gewissens / wegen der begangenen Sünden: der andere / wird seyn / der gegenwärtige Leibesschmerz / des instehenden grimmigen Todes: der dritte / wird seyn / die schreckliche Furcht des bevorstehenden strengen und engen Gerichts. Diese drey Spiese werden dein Hertz also durchwühlen / daß du für Jammer und Elend wünschen mögest / daß du nit geboren werest. 173

Das wiederholte »Du [...], bedencke!« scheint den Meditierenden gleichsam zu beschwören, ihn in den Bann des Todes ziehen zu wollen. Durch iterative und auf Parallelität basierende Figuren, die sich in Wortwahl und Syntax feststellen lassen, gewinnt der Text aber auch eine ästhetisch-literarische Komponente. Die Lust am Gedanken des Todesschreckens manifestiert sich auch in der Textgestaltung. Diese Beobachtung wirft auch ein anderes Licht auf die literarische Todesmeditation - die Gelegenheit zur Beschreibung der Schrecken von Verwesung und Verfall zur »Warnung« und zum »Trost« wird auffällig bereitwillig genutzt. Die meditative Beschäftigung mit dem Tod wird als sinnliche dargestellt. Farbe und Geruch, Form und Feuchtigkeit sollen die Sinne des Meditierenden ansprechen und lassen den Tod sinnlich wahrnehmbar erscheinen - eine Sinnlichkeit, die in den lyrischen Todesmeditationen und meditativ-visionären Todesbeschreibungen noch deutlicher zutage tritt. Dabei kann die meditative Einbildungskraft an ihre Grenzen stoßen. Joseph Hall bezieht die Begrenztheit der Imagination bzw. den letztlich unauslöschlichen, aber auch nicht vorstellbaren Unterschied zwischen Einbildung des eigenen Todes in der Meditation und Erfahrung des eigenen Todes in seine Betrachtungen der Arte of Divine Meditation mit ein: But, O my soul, what ails the to be thus suddenly backward and fearful? No heart hath more freely discoursed of death in speculation; no tongue hath more extolled it in absence. And now that is come to thy bed's side, and hath drawn thy curtains, and takes thee by the hand, and offers thee service, thou shrinkest inward and, by the paleness of thy face and wildness of thine eye, betrayest an amazement at the presence of such a guest. That face that was so familiar to thy thoughts is now unwelcome to thine eyes. I am ashamed of this weak irresolution. Witherto have tended all thy curious meditations? What hath Christianity done to thee if thy fears be still heathenish? [...] Is this the fruit of thy long and frequent instruction? Didst thou think death would have been content with words? Didst thou hope it would suffice thee to talk while all other suffer? 174

Seine Todesmeditation integriert die Einbildung des Nicht-Einzubildenden, die Vorstellung, dass der »death in speculation« den Schrecken des Todes in der realen 173

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Johann Michael Dilherr: Betrachtung des Todes / und des Gerichts / fürgestellet in etlichen kurtzen Wochenpredigten. Nürnberg 1648, S. 22ff. Joseph Hall: A Meditation of Death: According to the Former Rules. In: Huntley, Frank Livingstone: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study With the texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). Binghampton / New York 1981, Kap. XIII.: The Complaint, S. 116.

175 Todesstunde nicht nehmen kann bzw. die Einbildung nicht an den realen Tod heranzureichen vermag. Auch die mögliche Wirkungslosigkeit der Todesmeditation i.S. des gescheiterten Banns des Schreckens der realen Todesstunde des meditierenden Ich wird durchmeditiert, der Tod wird damit > doppelt gebannte Hier gerät die Todesmeditation zum zirkelhaften Drehen um sich selbst: auch die Einbildung der Erfahrung der Diskrepanz zwischen Einbildung und Realität in der Todesstunde bleibt Einbildung, der Tod entzieht sich dem Erleben, und dennoch wird im Bewusstsein der Unmöglichkeit der Einbildung des eigenen Todes dieser weiter auf der inneren Bühne des Todes imaginiert. Je mehr das meditierende Ich um den Tod als Mittelpunkt des Drehens um sich selbst kreist, desto spürbarer wird die Verselbständigung der spiralförmigen Bewegung um und zu sich selbst:175 »Et comme il arrive qu'un élément, à mesure qu'il retourne vers son centre, s'y porte avec un mouvement plus rapide, ainsi, plus nous avancerions vers notre terme, plus nous sentirions croître notre activité et notre zèle. C'est le miracle visible que la présence de la mort opéroit.«176 Die Grenzen menschlicher Einbildungs- und Erkenntniskraft sind letztlich nur durch göttliche »Unterrichtung« und »Erleuchtung« zu überschreiten, wie Baxter in seinen Dying Thoughts bekennt: Es ist eine sonderbahre Art der Zucht und Unterrichtung GOTTES / durch welche wir unsere Tage müssen so zehlen lernen / daß wir unsere Hertzen auff Weißheit befleißen: ohne welche wir nimmer in der That / oder würcklich / oder auch seeliglich / entweder dieser / oder sonst einige von den gemeinesten / schlechtesten Lectionen lernen werden. Wan wir schon die beste Warheit / und gewitzesten Gründe / gelesen / gehöret / geredet und geschrieben haben / so wißen wir sie doch nicht anders / als ob wir sie nicht wüsten / und glauben als wan wir nicht glaubten / durch eine schlechte und draumente Art der Begreiffung / biß GOTT durch eine sonderbahre Erleuchtung dieselbe Dinge unserem Verstand klahre vorstelt / und die Seele durch eine sonderbahre Auffmunterung erweckt / zu empfinden was wir wißen [...]. Seithero wir uns selbst von Gott abgesondert haben / so ist eine Wand zum Unterscheid zwischen unseren Sinnen und unserem Verstand und unserem Willen und Neigungen / so daß die Gemeinschafft zwischen ihnen verstöhret ist / und wir sind in uns selbst zertheilet / durch diese Trennung unserer Kräfften. 177

Aus dem Bewusstsein der eigenen Begrenztheit beim »zehlen unserer Tage« und der Erfahrung der nur »draumeten Art der Begreiffung« durch die Inkongruenz von »unseren Sinnen und unserem Verstand«, von »unserem Willen und Neigungen«, resultiert ein Bewusstsein innerer Zerteilung, wie Baxter hier beschreibt. Von großem Interesse ist diese Äußerung in unserem Untersuchungszusammenhang, weil die Meditation als Weg zur ganzheitlichen Selbst- und Gotteserkenntnis diese Trennung zu überwinden versucht: Sie will Sinne und Verstand, Willen und Neigungen zusammenführen,

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177

Vgl. Kap. 3.4ff. zur Gefahr der Meditation. Louis Bourdaloue: Sermon sur la pensée de la mort. In: Bourdaloue, Louis: Œuvres complètes de Bourdaloue de la Compagnie de Jésus. Paris 1846, S. 248. Richard Baxter: Sterbens Gedancken Uber Phil: 1.23. Zu seinem eigenen Nutzen in der letzten Zeit seiner vielerley leiblichen Schmertzen und Schwachheiten beschrieben. Und auff begehren auß der Engüschen in die Hoch=teutsche Sprach treulich übergesetzet. Cassel 1685 [Engl.: Dying Thoughts, >1683], S. 357f.

176 indem sie mit göttlicher Hilfe auf der inneren Bühne der Meditation durch Einbildungskraft und Gedächtnis die Wahrheit »klahre vorstelt«. Die Todesmeditation evoziert die Erfahrung innerer Zerteilung und Inkongruenz, um das Bewusstsein der In-dividualität zu intensivieren. Deshalb liegt die Faszination des Todes gerade nicht in seiner Realität, sondern in seiner meditativen Vergegenwärtigung und Aneignung durch Imagination und Gedächtnis. Die Todesmeditation erlaubt dem Meditierenden das souveräne Spiel mit Selbsterkenntnis und der Überwindung >innerer Zerteilung< durch die alle drei Seelenkräfte umfassende, d.h. individuelle »klare Vorstellung« auf der inneren Bühne der Meditation. Die Meditation über den imaginierten Tod ist in einer weiteren Hinsicht für die Untersuchung von Selbstthematisierung im Sinne von Individualität und Erinnerung relevant, indem sie den Körper zum Zeichen-Arsenal macht. Um diesen Zusammenhang grundsätzlich und in Vorbereitung auf die spezielleren Untersuchungen in den Kap. 3.2ff. zu erläutern, ist eine im 16. Jahrhundert neu entstehende Wissenschaft in unsere Überlegungen einzubeziehen: die Anatomie, deren Grundstein von Andreas Vesal mit dem Werk Fabrica de humanis corporis libri Septem (Basel 1543) gelegt wurde. Bei der Untersuchung meditativer Selbstbetrachtungen mit Blick auf den Tod ergeben sich auffällige Parallelen zwischen anatomischen Erkenntnis- und meditativen Todes- und Selbstbetrachtungsmethoden, die über die nahe liegende Gemeinsamkeit ihres Betrachtungsobjektes - des Körpers bzw. toten Körpers - hinausgehen und die ich in ihrer Bedeutung für die Frage nach Erinnerungsformen der Frühen Neuzeit aufzeigen möchte. 178 Private und öffentliche Sektionen boten Chirurgen und Ärzten, aber auch Philosophen, Theologen, Malern und Bildhauern die Möglichkeit, anhand der Öffnung und Zergliederung von Leichnamen Kenntnisse über die sichtbaren und verborgenen Teile des menschlichen Körpers zu gewinnen. Auch Andreas Gryphius nahm wie viele andere Dichter des 17. Jahrhunderts in Leiden an Sektionen teil und führte selbst Untersuchungen an einer Mumie durch, die er schriftlich dokumentierte. 179 Die Anatomie des 16. und 17. Jahrhunderts war keine elitäre, sondern populäre

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S. auch zahlreiche Titel von Todesmeditationen, die diese Parallele unterstreichen: George Strode: The Anatomie of Mortalitie. London 1618 und John Moore: A Lively Anatomie of Death: Wherein you may see from whence it came, what it is by name, and what by Christ [...]. London 1596. Zur Selbstbetrachtung und Anatomie s. insbes. Anonymus: Geistliche Anatomia, Das ist: Beschreibung eines wahren Christen in seinem gantzen Wandel / nach allen seines Leibes Gliedmassen. Voll Geistlicher Unterweisung / zu Erlangung des Ewigen Lebens. Budissin 2 1662. - S . auch Lutz Danneberg: Die Anatomie des Text-Körpers und Natur-Körpers. Das Lesen im liber naturalis und supernaturalis (Säkularisierung in den Wissenschaften seit der frühen Neuzeit 3). 179 Vgl. seine »Mumiae Wratislavienses« (1662). S. dazu Peter André Alt: Der fragile Leib. Köiperbilder in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. In: Colloquia Académica. Akademievorträge junger Wissenschaftler. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Stuttgart 1995, S. 7-31, S. 10.

177 Wissenschaft. Der Sektionssaal in Padua war Schauplatz öffentlicher anatomischer Sitzungen, die - einem Spektakel gleich - Hunderte von Zuschauern anlockten.180 Das Interesse an anatomischer Literatur war so groß, dass der Augsburger Wundarzt und Barbier Joseph Schmidt im Jahr 1646 ein Anatomietraktat in >Taschenbuchformat< auf den Markt brachte, das auch dem »gemeinen Mann« die neue Sicht auf den (eigenen) Körper erlauben sollte. Er sei dazu gedrängt worden, sein »kleines Compendium«, [...] diß mein Anatomisch Tractätlein nit länger bey mir zubehalten / sondern dem gemeinen Mann zum besten / auch der lieben Jugend / so zu dergleichen Kunst lust haben / zur underrichtung in öffentlichen Track zu geben; Sonderlich aber / weil in dergleichen bequemen Form / deren die Figuren aller orten beygefügt / keins / meines Wissens bißher publicirt worden / auch nicht ein jeder die grosse und kostbare Anatomische Bücher einkauften / oder bey sich tragen kan. 181

Die Popularisierung anatomischen Wissens schuf die Voraussetzungen für neue Beschreibungsmöglichkeiten und Sichtweisen in Bezug auf den menschlichen Körper, ein detailreiches Gedächtnisinventar an Bildern, auf das der Meditierende in der Todesbetrachtung zurückgreifen konnte - vieles, was sich früher der Beobachtung entzog, wurde nun bei öffentlichen Sektionen ans Tageslicht gebracht. Die >Bühne der Anatomie< lieferte neue Bühnenausstattung und neue Requisiten für die innere Bühne der Meditation. Mit wissenschaftlicher Genauigkeit und Fachkenntnis - die Autoren wie z.B. Gryphius aus eigener Sektionserfahrung nachweislich hatten (s.o.), gehen Todessymptome, Verfall und Verwesung in die Meditationsliteratur ein. Wie auf dem Seziertisch wird der (eigene) menschliche Körper zergliedert, seine Verfallserscheinungen werden in ihrer ganzen Sinnlichkeit für Auge, Nase und Tastsinn auf die innere Bühne der Meditation gebracht. Gryphius bezeichnet den Anatomiesaal in Leiden sogar einmal als »Anatomischen Schau=Platz«182 und unterstreicht damit das Potential der Anatomie als Requisite und Bühnenausstatter der inneren Bühne der Meditation. Wie nahe sich Anatomie und Todesmeditation standen, zeigt sich auch in den Illustrationen anatomischer und meditativer Literatur - die Abbildungen des Todes, von Skeletten und Toten in der meditativen Literatur ähneln anatomischen

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»Eigens dafür entworfen werden sogenannte Anatomietheater, welche die Zerlegung des Leichnams öffentlich als theatralen Akt inszenieren.« (Claudia Benthien: Haut. Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Reinbek bei Hamburg 1999, S. 59). Joseph Schmidt: Spiegel der Anatomy Darinn zusehen alle Innerliche und Äusserliche Gliedmassen des Menschlichen Leibs, Auff das kürtzest verfast [...]. Augsburg 1646, Vorrede. Auch der Innentitel betont die >Taschenbuchform< des Werkes: »Spiegel der Anatomiae. Darinnen die Sinnreiche / Künstliche Auffschneidung / Theilung und Zerlegung eines Menschlichen Leibs und Cörpers / durch alle desselbigen innerliche und eüsserliche Glidmassen / so mit aigentlicher Beschreibung erklärt / als mit lebendigen Contrafacturen fürgebild. Auß den aller Vomembsten Autoribus zusammen getragen / und in das kleine Compendium versetzt.« Andreas Gryphius: Dissertationes fúnebres, Oder Leich=Abdanckungen. Leipzig 1667 ('1666), S. 407.

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Darstellungen oder sind sogar mit ihnen identisch.183 Einige tabulae der o.g. anatomischen Abhandlung in Taschenbuchform von Schmidt zeigen sogar mit Schaufel oder Sense ausgestattete Skelette oder menschliche Anatomien in Andachtshaltung (in die Hand gestützter Kopf, gebeugt über einem Lesepult, s. Abb. 3). 184 Eine weitere Ursache für die Nähe zwischen Anatomie und Todesmeditation ist auch darin zu sehen, dass Anatomie und Meditation gleichermaßen nach (Selbst-) Erkenntnis streben. Wie das Erkenntnisinteresse der Anatomie darin liegt, durch Zergliedern den Menschen in seiner physischen Beschaffenheit zu erkennen und wissenschaftlich beobachtend zu durchdringen, so verfolgt auch die Meditation ein Erkenntnisinteresse: Sie strebt nach Selbst- und Gotteserkenntnis. In unserem Untersuchungszeitraum ist die Vorstellung von Erkenntnis mit dem Begriff der Anatomie eng verbunden. Den Leibcörper ferner belangendt / ist zu Erkandtnuß desselbigen nachmahln der rechte Schlüssel ANATOMIA, oder die Kunst der Zerlegung unnd Zerschneidung Menschlichen Leibs / welche alle desselbigen Heimlichkeiten / so eusserlich / so innerlich / durch jede Glieder unnd Gliedtmassen eröffnet unnd ergründet: Nemblichen / das lebhaffte Hertz / das sinnreiche Him / die blutreiche Leber / die edle Geister / den narhafften Speißmagen / die lüfftige Lung / das Eingeweyd / sampt deren unzahlbaren Gefäß und Mittelgliedern: Also dass der Menschliche Leib Cörper und Gebäw / vermittelst solches künstlichen Auffschnitts / gäntzlichen erforschet und erkennet wirdt. 185

Titel wie Burtons Anatomy of Melancholy1*6 die in Leiden (!) erschienene Anatomie de la MesseK1 von Pierre Du Moulin (1638) und die anonym in Versen verfasste Wohlausgefiiehrte Jungfer-Anatomiexn (ca. 1680) verweisen auf die Zuversicht, sich

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184

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S. auch Joseph Schmidt: Spiegel der Anatomy Darinn zusehen alle Innerliche und Äusserliche Gliedmassen des Menschlichen Leibs, Auff das kürtzest verfast [...]. Augsburg 1646, insbes. Tabulae 3-5, 214, 215 und Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Aus dem Frz. v. Hans-Horst Henschen und Una Pfau. München / Wien 1980 (Frz. '1978), S. 467. Aus: Realdus Columbus: Anatomia, Das ist: Sinnreiche / Künstliche / Begründete Auffschneidung / Theilung / unnd Zerlegung eines vollkommenen Menschlichen Leibs und Cörpers / durch alle desselbigen innerliche und eusserliche Gliedtmassen und Gefäß [...]. Darauß das hohe/ scharpffsinnige Wundergebäw deß Menschlichen Leibs beyder Gestallt zu erlernen / welcher Form / Bildtnuß / Proportz und Gestallt der gantze menschliche Leib Cörper [...] durch den Allmächtigen Schöpffer Anfangs plasmiert und erschaffen [...]. Frankfurt a.M. 1609 [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. A: 38.9 Phys. 2°]. Realdus Columbus: Anatomia. Frankfurt a.M. 1609, Widmung. Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. Hg. ν. Thomas Faulkner, Nicolas Κ. Kiessling u. Rhonda L. Blair. 3 Bde. Oxford 1989. Pierre Du Moulin: Anatomie de la Messe: Ou est monstré par l'Escrituere Sainte, & par les tesmoignages de l'ancienne église, que la messe est contraire à la parole de Dieu, & éloignée du chemin de salut. Leiden 1638. Anonymus: Wohlausgeführte Jungfer-Anatomie, darinnen unterschiedliche Meinungen von dem Ursprung und eigentlichen Bedeutungen des Wortes Jungfrau artlich angefuehret und entdecket worden: worauf auch beschrieben sind d. neuen u. wunderlichsten Kleidungs-Trachten d. Jungfern, nebenst etlichen Spruech-Woertern u. andern ihren ueblichen Sitten und Gebraeuchen in wohl-lautende Verse verfasset. O.O. ca. 1680.

Abb. 3

180 durch anatomisches Vorgehen alle Wissensbereiche erschließen zu können. 1 8 9 Wenn e s u m das vollständige, s y s t e m a t i s c h e Erfassen e i n e s nicht durch oberflächliche Betrachtung z u erschließenden Sachverhaltes geht, s o z e i g e n o.g. Überschriften, wird auf das Vokabular und die zergliedernde M e t h o d e der A n a t o m i e zurückgegriff e n . 1 9 0 W i e z.B. aus d e m Titel einer Leichenpredigt v o n Henning Petersen aus d e m Jahr 1 6 6 4 hervorgeht, wird anatomisches Vokabular im 17. Jahrhundert auch dann benutzt, w e n n e s u m seelische und psychische Zustände geht, die e s betrachtend zu erkennen gilt - die v o n ihm gehaltene Leichenpredigt ist »Eine geistliche Anatomi oder B e s c h a w u n g des [ . . . ] Hertzens Hiobs, w e l c h e [ . . . ] Zu betrachten fürgestellet [...]«. 1 9 1 N o c h expliziter erscheint dieser Zusammenhang in f o l g e n d e m Titel: Novus:

Das ist/

welcher

/allein

Geistliche auß Gottes

Anatomey Wort/die

lichen Leibs unnd seiner Gliedern

190

191

deß newen

schöne und lehrreiche

/ mit dem innerlichen

der Seel und ihren Krafften / angezeigt

189

oder Betrachtung

/ und außführlich

Menschen

Vergleichung

geistlichen erklärt

deß

Homo / in natür-

Leib / das ist / mit wird. Sampt

beyge-

Die anatomischen Kenntnisse bedeuteten aber nicht nur Selbsterkenntnis im Sinne von Versicherung über die (eigene) körperlich-menschliche Beschaffenheit, sondern hatte auch Verunsicherung zur Folge. Das tradierte Wissen über den Körper wird durch empirische Untersuchungen und »Sinnreiche / Künstliche Auffschneidung / Theilung und Zerlegung eines Menschlichen Leibs und Cörpers / durch alle desselbigen innerliche und eüsserliche Glidmassen« in Frage gestellt bzw. widerlegt, alte Vorstellungen vom Inneren des Körpers gelten nicht mehr. Dies zieht eine Infragestellung im Hinblick auf den eigenen Körper nach sich, die die Auseinandersetzung mit bzw. das Interesse an Körper und Tod mit initiiert haben könnte. Im »Second Anniversary« von John Donne beklagt das lyrische Ich seine Verunsicherung in Bezug auf seine körperliche Selbstkenntnis: »Pour soul, in this thy flesh what dost thou know? / Thou know'st thyself so little, as thou know'st not, / How thou did'st die, nor how thou wast begot. / [...] Thou art too narrow, wretch, to comprehend / Even thyself; yea though thou wouldst but bend / To know thy body. Have not all souls thought / For many ages, that our body is wrought / Of air, and fire, and other elements? / And now they think of new ingredients, / And one soul thinks one, and another way / Another thinks, and 'tis an even lay. / Know'st thou but how the stone doth enter in / The bladder's cave, and never break the skin? / Know'st thou how blood, which to the heart doth flow, / Doth from one entricle to th'other go?« »New ingredients« des Körpers und der Blutkreislauf wurden durch die Anatomie entdeckt und revolutionierten die Vorstellungen von Funktionieren und Versagen des Körpers. Diese Erfahrung elementarer Erschütterung tradierter Vorstellungen birgt für das lyrische Ich bei Donne den grundsätzlichen Zweifel an den Möglichkeiten menschlicher Selbsterkenntnis: »What hope have we to know ourselves, when we / Know not the least thing, which for our use be? (John Donne: The Second Anniversarie. Of the Progrès of the Soule, zit. nach The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. v. Louis L. Martz. New York 1963, S. 119-129, 123). S. dazu auch Manfred Pfister: Auf der Suche nach dem verlorenen Leib. In: Modelle literarischen Strkturwandels. Hg. v. Michael Titzmann. Tübingen 1991, S. 69-88, hier S. 75. Zur >anatomischen Selbstbetrachtung< s. auch Mino Bergamo: L'Anatomie de l'âme, de François de Sales à Fénélon. Übers, von M. Bonneval. Grenoble 1994, der allerdings primär auf die Bedeutung der Seelenstruktur und mystischen Topologie für die Psychoanalyse Freuds abhebt. Henning Petersen: Eine geistliche Anatomi oder Beschawung des [...] Hertzens Hiobs, welche [...] bey [...] Leich Bestaetigung [...] Herrn Philippi Erben zu Norwegen [...] da S. Fuerstl. Durchlaucht den 27sten Septemb. Des verflossenen 1663. Jahres [...] verschieden / Zu betrachten fürgestellet hat [...]. Schleswig 1664.

181 fügten

Erinnerungen

und Gebetten

[...]. 1 9 2 Im Inhaltsverzeichnis werden dann unter

ausdrücklicher B e z u g n a h m e auf das G e w i s s e n f o l g e n d e Kapitel angekündigt: Von dem gantzen Leib deß Newen Menschen / dessen geistliches Haupt Christus ist; Abtheilung deß menschlichen Leibs / inn gleichförmige und ungleiche Theyl; Von dem Gebein und Nerven und Banden deß Leibs und seiner Glidern; Von dem vordem Theyl deß Haupts / dem Angesicht und der Stirn / von der Conscientz oder Gewissen; Von den Augen; Von den Beinen in gemein: Von deß Menschen Beständigkeit / unnd Wanderschafft mit GOTT; Vom Hertzen; Von der Gallen deß Newen Menschen / sampt Erinnerung wider den bösen Zorn / unnd vermahnung zum loblichen Zorn; Von der Miltze / unnd der geistlichen Melancholey oder Trawrigkeit. Deshalb ist zu vermuten, dass der anatomisch zergliederte und betrachtete Körper der meditativen Todesvision und die körperliche Selbstbeschreibung des lyrischen Ich als totes Objekt anatomisch-meditativer Betrachtung in der Lyrik d e s 17. Jahrhunderts Sinnbild der meditativen Selbsterkenntnis sind - und zwar einer Selbsterkenntnis, die über die offensichtliche, oberflächliche und überindividuelle Einsicht in die e i g e n e Vergänglichkeit h i n a u s g e h t . 1 9 3 B e i der U n t e r s u c h u n g der T o d e s m e d i t a t i o n e n i m 17. Jahrhundert fällt entsprechend auf, dass in ihnen z u m einen die D e k o m p o s i t i o n des Körpers, und z u m anderen das Verhältnis v o n Leib und S e e l e immer wieder i m Zentrum der Betrachtung steht. D e r M e n s c h erscheint als Zusammenstellung v o n Einzelteilen - entweder als Komposition von Leib und Seele, oder aber als K o m position einzelner Körperteile. Der Selbstbeschreibung als D e k o m p o s i t i o n im Sinne anatomischer Sezierung wird i m 17. Jahrhundert ein besonderer (Selbst-)Erkenntniswert zugeschrieben. Für Bossuet besitzen Auflösung, Trennung und Zergliederung deshalb so große Bedeutung als Spiegel der Wahrheit, weil sie d e m kompositioneilen Charakter des M e n s c h e n entsprechen: La nature d'un composé ne se remarque jamais plus distinctement que dans la dissolution de ses parties; comme elles s'altèrent mutuellement par le mélange, il faut les séparer pour les bien connaître. [...] lorsque venant à se séparer le corps retourne à la terre, & que l'âme aussi est mise en état de retourner au Ciel d'où elle est tirée, nous voyons l'un et l'autre dans sa pureté. 194

192

Otho Casmannus: Homo Novus: Das ist / Geistliche Anatomey oder Betrachtung deß newen Menschen / in welcher / allein auß Gottes Wort / die schöne und lehrreiche Vergleichung deß natürlichen Leibs unnd seiner Gliedern / mit dem innerlichen geistlichen Leib / das ist / mit der Seel und ihren Krafften / angezeigt / und außführlich erklärt wird. Sampt beygefügten Erinnerungen und Gebetten [...]. Zu hochnothwendigem Underricht und Ermahnung unserer Lebensbesserung / zu Befestigung unsers Glaubens: Wie auch zu bestendiger und sighaffter Gegenwehr wider die Anfechtungen deß Teufels / deß Fleisches und der Welt. Bern 1606. 193 vgl. hingegen Peter André Alt: Der fragile Leib. Körperbilder in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. In: Colloquia Académica. Akademievorträge junger Wissenschaftler. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Stuttgart 1995, S. 7-31, insbes. das Kapitel »Sinnbilder der Selbsterkenntnis: Leiche und Skelett«, S. 9ff. Alt sieht in Leiche und Skelett zwar »Sinnbilder der Selbsterkenntnis«, aber im Unterschied zur vorliegenden Untersuchung nur im Sinne der ars moriendi, des »Körperekels« und der vanitas-Einsicht. 194 Jacques Bénigne Bossuet: Sermon sur la mort et méditation sur la brièveté de la vie. Paris 1921 (entstanden 1649-1690,>1772-1790), S. 29f.

182 Dekomposition und Verfall sind als den Menschen konstituierendes Prinzip exemplarisch erkennbar in der Trennung von Leib und Seele im Tode. »Die Annahme eines unüberbrückbaren Dualismus zwischen Körper und Seele bleibt dominierend für das literarische Körperbild des 17. Jahrhunderts.«195 Und gerade die Trennung von Körper und Seele läßt beide in ihrer »pureté« erscheinen und in ihrem wahren Wert erkennen. So folgert Bossuet: »[...] je ne crains point d'assurer que c'est du sein de la mort & de ses ombres épaisses que sort une lumière immortelle pour éclairer nos esprits touchant l'état de notre nature.«196 Das Dunkel des Todes birgt ein unsterbliches Licht< der Selbsterkenntnis - die Dekomposition zeigt das wahre Ich, sie entdeckt, wie bei einer anatomischen Untersuchung oder Sezierung, das Wahre, unter der Oberfläche Verborgene. Durch ihre Nähe zu anatomischer Lexik und Methode ist die Untersuchung von Todesmeditationen bzw. Todesvisionen, die diese meditative (Selbst-)Dekomposition vorführen, im Hinblick auf mögliche Selbstthematisierung so viel versprechend. Diese spiegeln den Versuch des meditierenden Ich, sich selbst durch anatomische Zergliederung zu erkennen und mit den Worten des Zerfalls zu beschreiben. Die meditative Vergegenwärtigung und Beschreibung des (eigenen) Todes des lyrischen Ich wird als metaphorisches Sprechen doppeldeutig und lässt etwas unter der Oberfläche Verborgenes, Tiefgründiges und anatomisch zu Ent-deckendes vermuten:197 Nicht Selbstverwerfung, sondern individuelle Selbstthematisierung und Selbsterinnerung zeigt sich in der Bildlichkeit von Tod und Verfall. 198 Die Modernität der durch Vesalius im Jahr 1543 erstmals systematisch exerzierten und beschriebenen anato-

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Peter André Alt: Der fragile Leib. Körperbilder in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. In: Colloquia Académica. Akademievorträge junger Wissenschaftler. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Stuttgart 1995, S. 7-31, S. 17. Der Tod wird »zu etwas Metaphysischem, das in einer Metapher zum Ausdruck kommt: der Metapher der Trennung von Seele und Leib, wie die Trennung zweier Ehegatten oder gar zweier lieber und alter Freunde empfunden wird. Der Gedanke des Todes wird mit der Vorstellung der Teilung des menschlichen Kompositums verknüpft, und zwar zu einer Zeit, in der jener Dualismus in die kollektive Sensibilität einzudringen begann. Der Schmerz des Todes wird nicht zu den realen Leiden der Agonie, sondern zur Trauer Uber eine zerbrochene Freundschaft in Beziehung gesetzt.« (Ariès, Philippe: Geschichte des Todes. Aus dem Frz. v. Hans-Horst Henschen und Una Pfau. München / Wien 1980 [Frz. >1978], S. 5).

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Jacques Bénigne Bossuet: Sermon sur la mort et méditation sur la brièveté de la vie. Paris 1921 (Ί772-1790), S. 31. S. Hans-Gert Roloff: Der Mensch und sein Körper in der älteren deutschen Literatur. In: Der Mensch und sein Körper. Von der Antike bis heute. Hg. v. Arthur E. Imhof. München 1983, S. 90f. zur Tradition des literarischen Körperbildes: »Der Ausdruckssinn dieser sprachlichen Körperlichkeit ist in jeder Zeit indes durch verschiedene ideologische Systeme bestimmt, die sich der sprachlichen Körperlichkeit in zum Teil gegensätzlichen Konzeptionen bedienen, so dass hier keineswegs der Wirklichkeitscharakter, sondern allein der Funktionscharakter zum Ausdruck kommt.« S. Gerhard Kurz: Eintr. Bild, Bildlichkeit. In: Literatur Lexikon. Begriffe, Realien, Methoden. Hg. v. Walter Müller-Seidel und Wolfgang Preisendanz. Bd. 13. Hg. v. Volker Meid. Gütersloh 1992, S. 109-115, S. 110.

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183 mischen Methode 199 besteht u.a., so z.B. Claudia Benthien,200 in ihrer Betonung des Individuellen im Gegensatz zum Allgemeinen und in der Herausarbeitung innerer Fakten im Gegensatz zur äußeren Erscheinung. Beide Aspekte treffen auch auf die Meditation als frühneuzeitliche Frömmigkeitspraxis zu. So ist eine weitere Parallele als These den folgenden Kapiteln vorauszuschicken: Wie die anatomische Zerteilung die Frage nach dem Zusammenspiel des Ganzen aufwirft 201 bzw. die Zerstückelung des Körpers diesen erst als Ganzen vorstellbar und beschreibbar macht, 202 so ist auch die meditative, nach innen gewendete Selbstbetrachtung Voraussetzung der distanzierten Selbst-Sicht als Ganzes, als Individuum. Um zu zeigen, inwiefern die meditative Todesthematisierung Ausdruck individueller, erinnernder Selbstthematisierung im Sinne betrachtender Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewissen sein kann, soll die lyrische meditado mortis im Folgenden in Bezug auf die Passions- und die Bußpsalmbetrachtung erläutert werden. Aufbauend auf den Ergebnissen Kiefer-Lewalskis, die - allerdings beschränkt auf die protestantische meditative Literatur in England - die ihrer Ansicht nach >typisch protestantische< poetisch-metaphorische und typologische Lesart der Bibel und deren »particular kind of application to the self« 203 in der anglikanischen Meditation des 17. Jahrhunderts aufzeigt, will diese Arbeit die Todesbetrachtung des (lyrischen) meditierenden Ich in ihrem Bezug zu individueller und erinnernder Selbstthematisierung untersuchen. Die als radikal bildlich aufgefasste Sprache der Bibel, so Lewalski, »offered biblical imagery and poetic figures to the Christian poets as vehicles of charged significance, presenting universal religious meanings against with particular observations and experiences«. 204 Die hier angedeutete Verschränkung von individueller Erfahrung (»personal experience«) und überindividueller Glaubensüberzeugungen (»universal religious meanings«) soll in meditativen Texten nachvollzogen werden, um lyrische Todesbetrachtungen aus neuer, jenseits antagonistischer Individualitäts- und Rhe-

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Vesalius, Andreas: De humani corporis fabrica. Basel 1543. Im Gegensatz zur früheren Praxis, bei der ein Handlanger sezierte, während der Anatom dazu aus dem Lehrbuch vortrug, seziert der Anatom nun selbst. Zudem werden nicht mehr nur Tiere, sondern auch Menschen anatomisch untersucht. Hervorzuheben ist auch die enge Zusammenarbeit zwischen Anatom und Künstler, um ein getreues Abbild der physischen Natur des Menschen herzustellen. Körperteile: eine kulturelle Anatomie. Hg. v. Claudia Benthien und Christoph Wulf. Reinbek bei Hamburg 2001, S. 13. Michael Sonntag: Die Zerlegung des Mikrokosmos. Der Körper in der Anatomie des 16. Jahrhunderts. In: Transfigurationen des Körpers: Spuren der Gewalt in der Geschichte. Hg. v. Dietmar Kamper und Christoph Wulf. Berlin 1989, S. 59-96, S. 87. So u.a. Körperteile: eine kulturelle Anatomie. Hg. v. Claudia Benthien und Christoph Wulf. Reinbek bei Hamburg 2001, Einleitung und Stefanie Wenner: Ganzer oder zerstückelter Körper. Über die Reversibilität von Körperbildern. In: Körperteile: eine kulturelle Anatomie, S. 361-380. Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 148. Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics, S. 72f.

184 torizitätskonzepte zu verortender Perspektive zu untersuchen. Die Meditation über das Leiden Christi und die Bußpsalmen wird, so die zu belegende These, Uber die konfessionellen Grenzen hinaus als Ausdrucksrepertoire, Referenz- und Initiationspunkt wirksam, um individuelle Selbsterinnerung als körperliche zu verschlüsseln. Der Konnex zwischen Todesmeditation einerseits und Bußpsalm- und Passiomeditation andererseits geht über die nahe liegende Verbindungslinie der Verpflichtung zu Sündenbekenntnis, Buße und Erlösungshoffnung in der oder in Vorbereitung auf die Todesstunde hinaus und ist in der (lyrischen) Todesmeditation unseres Untersuchungszeitraumes weitaus hintergründiger. Das meditative Gewissen als physisches und psychisches Phänomen, als sinnlichkörperlich wahrgenommener Anspruch an sich selbst205 findet in der Bildlichkeit von physischem Verfall und Tod des Psalmisten und des am Kreuz leidenden Christus in der Lyrik des 17. Jahrhunderts ein neues Ausdrucksrepertoire206 zur Verbalisierung der letztlich unkommunizierbaren inneren Bußdisposition: der wahren Buße und echten Zerschlagenheit des Herzens, des Gewissens, das Sünde als Abweichung von sich selbst im Sinne von Selbstentfremdung empfindet. In den Bußpsalmen ist der Zusammenhang von Sündenbewusstsein und Buße mit Krankheit und Tod exemplarisch vorgeprägt, David leidet körperlich an den »Eiterbeulen« und »Wunden« seiner Sünde. Mitleiden, Verinnerlichung und Aneignung in der (lyrischen) Meditation verwischen die Grenze zwischen Meditierendem und Meditationsobjekt. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die so entstehende >doppelte Sprechsituation< zu lenken, in der die Worte Davids zum eigenen Wort des Meditierenden werden und die schließlich den Bezug zum Psalmisten nur noch implizit erkennbar macht: Der Meditierende lässt in den Bußpsalmen David für sich sprechen, spricht mit den Worten Davids und findet in den Worten Davids und in deren Bildlichkeit zu eigenem Sprechen. Eine ähnliche Überlegung ist für die Passionsbetrachtung anzustellen: Auch das meditative Mit-Leid mit Christus, der am Kreuz leidet,207 kann ein Identifikationsmoment bergen - der meditierte Todesschmerz Christi wird zum eigenen

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S.Kap. 3.1.2. Gestützt wird dieser Gedanke durch die Untersuchungsergebnisse von Paulette Leblanc: Les paraphrases françaises des psaumes à la fin de la période baroque (1610-1660). Paris 1960, S. 265, die in den französischen lyrischen Psalmparaphrasen einen Freiraum für Selbstaussage und persönliches Bekenntnis der Dichter verwirklicht sieht: »II semble que, se sentant couverts du nom de David, beaucoup d'entre eux crurent pouvoir confier aux vers de leur paraphrases des idées et des sentiments qu'ils n'auraient pas osé exprimer en leur propre nom«. S. dazu auch Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 31ff. und l l l f f . und Klára Erdei: Méditations calvinistes sur les pseaumes dans la littérature française du XVIe siècle. In: Acta Litteraria Académica Scientiorum Hungaricae 1982, S. 117-155. Peter André Alt: Der fragile Leib. Körperbilder in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. In: Colloquia Académica. Akademievorträge junger Wissenschaftler. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Stuttgart 1995, S. 7 - 3 1 , S. 13ff., stellt fest, daß die Drastik der Beschreibung der Wunden Christi in der Literatur des 17. Jahrhunderts stark zunimmt. Er verweist zudem auf das identifikatorische Moment, das dieser Drastik zugrunde liegt - der zerstörte (eigene) Körper wird zum imitierten Christusleib. Allerdings sieht auch er im Gegensatz

185 tödlichen Schmerz der Sünde. Das meditative Gewissen wird über die Vermittlung der Bußpsalm- und Passiomeditation als Eiterbeule des Psalmisten und als Nagel des Gekreuzigten kommunizierbar, und zwar in der für die Meditation charakteristischen Verschränkung von Individuellem und Überindividuellem, von Selbstthematisierung und rhetorischem Rollenspiel in der Heilsordnung. So ergibt sich die zentrale These, dass die Todesmeditation bzw. die Bildlichkeit des Todes in der Meditation in ihrem Zusammenhang mit der Herausbildung des meditativen Gewissens< zu sehen ist. Betrachtende Todesvisionen und Todesmeditationen in der Lyrik des 17. Jahrhunderts sind nicht nur auf die vanitas- und memento-moriTopik zurückzuführen, sondern als lyrische Thematisierung des permanent erinnernden >meditativen Gewissens< zu deuten, das in den Bildern physischen Verfalls und Schmerzes zum Ausdruck kommt.

3.2.1

Meditative Mehrstimmigkeit: der mitgesprochene Tod

3.2.1.1

Doppelte Sprechsituation, »Psalmodie intérieure« und Anatomie der Seele

Calvin besorgte im Jahr 1539 in Straßburg den ersten Druck von 22 französischen Psalmenliedern, die er z.T. selbst verfasst hatte. Ab 1542 erweiterte er diese Zusammenstellung zunächst mit Hilfe von Clément Marot, später mit Théodore de Bèze auf 150 Psalmenlieder, die er zwanzig Jahre später zum ersten Mal als Gesamtausgabe zum Druck brachte. Diese Liedsammlung zeichnet sich durch besonders große Nähe zur biblischen Textvorlage aus - nur das Bibelwort selbst ist nach Ansicht Calvins die würdige Sprache des Gotteslobes: Wir brauchen Lieder, die nicht nur anständig, sondern auch heilig sind, Lieder, die uns gleich Stacheln zum Bitten, zum Lob Gottes reizen, zum Nachdenken über seine Werke, damit wir ihn lieben, fürchten, ehren und preisen. Dabei trifft zu, was der heilige Augustinus sagt: daß niemand etwas singen kann, was Gottes würdig ist, wenn er es nicht von ihm empfangen hat. Darum, wir mögen suchen, wo wir wollen, wir werden keine besseren und dazu geeigneteren Lieder finden als die Psalmen Davids, die der Heilige Geist ihm eingegeben und gemacht hat. Und so sind wir, wenn wir sie singen, gewiß, daß Gott uns die Worte in den Mund legt, als ob er selbst in uns sänge, um seine Ehre zu erhören. 208

Dieser Hugenottenpsalter war von größtem Einfluss für die reformierten Kirchen, und auch im deutschsprachigen Gebiet versuchte man, am Erfolg dieses Psalters teilzuhaben: Nachdem Paul Schede mit seiner deutschen Übersetzung des Psalters im Auftrag Friedrich III. durchgefallen war, gelang Ambrosius Lobwasser 1573 eine

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zur vorliegenden Untersuchung nicht das >meditative ErlebenI< of the Psalms keeps open the possibility of identification of poet translator with singer / psalmist [...].« (Kim Walker: Women Writers of the English Renaissance. New York 1996, S. 98). Théodore de Bèze: Chrestiennes Méditations (1581). Hg. ν. Mario Richter. Genf 1964, S. 71. »His meditations are tripartite; they include a transcription of the Psalm from which they ostensibly devolve, an »occasions and an >argumentAnlasses< zeigt aber auch, dass sich das meditierende Ich im Folgenden auf einer Ebene zwischen biblischem Wort und eigenem Wort bewegt. Die »occasion« des Psalmisten zu Buße und Dank wandelt sich unbemerkt zur »occasion« des Meditierenden: [...] Seigneur, David en-eut-il jamais plus d'occasion que moy! Moy, que tu as tant de fois retiré de la mort? Moy que tu as arraché visiblement des mains, cent fois de mes ennemis, cent fois des tiens? 220 ; Seigneur, je me représente ici ton serviteur David, l'homme selon ton cœur: et mon povre auorton, que diray-je, au prix? 221

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die »Méditation sur le sixiesme psalme« aus den Chrestiennes Méditations von Théodore de Bèze. Diese Meditation über den ersten Bußpsalm beginnt nicht mit der Betrachtung des ersten Verses, sondern zeigt in einer ein Drittel der gesamten Betrachtung umfassenden Passage die Identifizierung des Meditierenden mit der Ausgangssituation der Bußpsalmen, der körperlich-sinnlichen Sündenerkenntnis: Hélas, moy plus que miserable, assailli, pressé, outré de toutes parts, navré mortellement par ma conscience, percé d'outre en outre par le sentiment d'infinis forfaits, ne me restant plus que le profond abysme du desespoir: et quant au corps accablé de mal, plongé en douleurs, en qui tourment ne peut plus rien trouver à tourmenter, que feray-je, que diray-je, où iray-je, que trouveray-je en moi sinon ce qui souffre, et la cause de ce que je souffre, et qui me presterà secours d'ailleurs? 222

Der Meditationsbeginn führt die Identifizierung mit der Ausgangssituation des Psalmisten als Grundvoraussetzung für die eigene Betrachtung des Bußpsalms vor Augen. Das identifikatorische Moment wird als meditativ angeeignetes der literarischen Psalmmeditation vorangestellt und stellt damit die gesamte folgende Bußpsalmbetrachtung unter das Vorzeichen einer doppelten Sprechsituation - die Worte Davids könnten nicht nur die eigenen Worte des Meditierenden sein, sie sind die Worte des meditierenden Ich. Im weiteren Verlauf führt die Meditation über den Bußpsalm zur Selbst- und Sündenerkenntnis, die über das in der Psalmvorlage Vorgegebene weit hinausgeht. Wieder ist es das Selbst-Urteil des gefühlten Gewissens, dem besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird: Helas, Seigneur, comme tu as regardé et bien marqué nos pechez, comme tu le me fay maintenant sentir, considere ce pauvre pecheur changé, condamnant ce qu'il a trop longuement approuvé, voire se jugeant soy-mesmes, qui est le vray moyen de n'estre point jugé par toy.223

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Philippe de Duplessis Mornay: Meditations Chrestiennes sur les Psaumes VI., XXV., XXX., & XXXII. La Rochelle 1586, S. 35. Philippe de Duplessis Mornay: Meditations Chrestiennes, S. 46. Théodore de Bèze: Chrestiennes Méditations (1581). Hg. v. Mario Richter. Genf 1964, S. 52. Théodore de Bèze: Chrestiennes Méditations, S. 56.

190 Die Meditation über das Bibelwort initiiert demnach über Assoziation bzw. Identifizierung meditative Selbst-Thematisierung. Das Ich Davids kann in der Meditation mit dem meditierenden Ich kongruent werden - in diesem Falle entsteht die d o p pelte SprechsituationSpiegelniedrig< wäre d i e s e Deutungsvariante, die »scrupuleusement« am oberflächlichen Wortsinn festhält. D i e selbst v o n Christus den Psalmen entgegengebrachte Wertschätzung lässt sich nur dann nachvollziehen, w e n n man die zweite, versteckte B e d e u t u n g s e b e n e freilegt: d i e P s a l m e n b e d i e n e n s i c h der Erfahrungen u n d d e s Lebens Davids als Vorwand (»prétexte«) oder Muster (»figure«), u m seine Kirche zu Gotteslob, -liebe und -dienst anzuleiten. Außerdem, s o der Autor der B u ß p s a l m m e ditationen, seien die ins Detail gehenden Beschreibungen von Krankheiten, Wunden, S c h m e r z e n und anderer schändlicher D i n g e u n w ü r d i g e T h e m e n , die - o h n e ihre Konnotation betrachtet - w o h l kaum geeignet seien, z u m Gotteslob in den M u n d der Kirchenglieder gelegt zu werden: Il y est fait mention de maladies du corps, de blessures, de layes, de violentes douleurs, & d'autres accidens tels que les pourroit souffrir un corps accablé de maladies honteuses, & des suites de tous les déréglemens des pecheurs les plus infames. Nous ne voyons rien de tout cela dans les récits que l'Histoire des Rois nous fait de la vie de David; & quand même il aurait eu toutes ces maladies, ce n'auroit pas été un sujet propre à être chanté dans un Pséaume, en les spécifiant jusqu'aux circonstances les plus secretes. Ce ne seraient pas des sujets dignes d'être mis dans la bouche de tous les enfans de l'eglise, pour en composer leurs Cantiques ordinaires de louange à Dieu. 237 Le M a s s o n beschreibt die Übertragung des Wortsinns auf den Meditierenden j e d o c h nicht als unmittelbare, sondern als über Christus vermittelte. N a c h seiner Vorstellung appliziert David seine Leiden auf den Erlöser, nutzt die Bilder seines eigenen Leidens dazu, prophetisch das Leid Christi zu beschreiben: Il est donc bien plus croyable que le Prophete se sert seulement icy de l'occasion de certaines choses qu'il a souffertes luy-même pendant son affliction; & qu'il en fait une extension pour tout appliquer à la personne de JESUS-CHRIST, qu'il a vû; & qu'il fait parler icy par l'esprit Prophétique; de-même que le Prophète Isaie l'a vû depuis comme un lépreux frapé de la main de Dieu, & chargé de pechez de tout le monde. C'est pourquoy nous ferons deux sortes de réflexions sur chaque Verset de ce Pséaume; les unes par rapport à David, & les autres par rapport à nôtre Seigneur JESUS-CHRIST. 238

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Innocent Le Masson: La Psalmodie intérieure. Sujets de Méditation sur les sept pseaumes de la Pénitence, et sur les huit Beatitudes, avec des reflexions sur les sept Dons du Saint Esprit. Par un Supérieur de plusieurs Monasteres de Religieuses. Seconde Partie. Lyon 1696, S. 22f. Innocent Le Masson: La Psalmodie intérieure, S. 53. Innocent Le Masson: La Psalmodie intérieure, S. 59f.

196 Auch in der Meditation wird deshalb diesem Doppelsinn Rechnung getragen: Zunächst wird der Psalmvers in Bezug auf David betrachtet, dann im übertragenen Sinne in Bezug auf Christus. Zur Illustration sei hier eine Passage aus der Meditation über den 3. Bußpsalm zitiert - die im Bußpsalm beschriebenen Pfeile Gottes werden auf das Kreuzesleid Christi übertragen, so dass nicht mehr David, sondern Christus das Ich der Bußpsalmen ist. Schließlich wird über die Vermittlung des Erlösers der Psalmtext auf die Glieder der Kirche und das meditierende Ich selbst appliziert, es findet durch den in den Bußpsalmen impliziten Fürsprecher zu eigenem Sprechen: Mais tout cecy se trouve bien mieux accomply dans JESUS-CHRIST. Il parle dans le premier Verset pour son corps, qui est l'eglise, & il y demande sa délivrance des châtimens de la colere de Dieu, & dans ce second Verset, il demontre qu'il la demande avec justice, par ce qu'il a voulu recevoir sur soy-même toutes ces flèches, & porter ainsi la colere de son Pere pour les membres qui composent cette Eglise. [...] O Seigneur, écoutez favorablement pour moy les paroles que vôtre cher Fils vous dit icy: car c'est pour moy qu'il parle. Souvenez-vous qu'il s'est offert pour être la victime de nôtre Redemption parce qu'il l'a voulu. Souvenez-vous qu'il vous a rendu une gloire infinie, & qu'il a composé le remede de ma guerison de ses propres blessures. Ne permettez pas que j'abuse davantage d'un remede si précieux; faites par vôtre misericorde, qu'il ne soit pas sans effet à mon égard. 2 3 9

Dieses Muster wird in der Bußpsalmmeditation L e Massons durchgehalten. Zunächst wird der Psalmtext als Wort Davids betrachtet, dann als Wort Christi, schließlich als >eigenes< Sprechen des meditierenden Ich, das sich über die eigene Sünden-Krankheit (es spricht von seiner »guerison«) mit dem Psalmisten und dem Leidenden am Kreuz identifiziert und so an der »remede« der Wunden teilhat, die es mit David und Christus betrachtend teilt. Die im 16. und 17. Jahrhundert geforderte wahre Buße und aufrichtige Reue als innere Bußdisposition ist - nicht nur nach protestantischer Vorstellung - eine innerliche Angelegenheit, die nicht nach außen kommunizierbar ist. Die Bußpsalmmeditation besitzt auch in dieser Hinsicht eine besondere Attraktivität: Die Worte Davids scheinen dem Nicht-Verbalisierbaren Ausdruck verleihen zu können und sich, »auff unsere Noth insonderheit gerichtet«, 2 4 0 über den Weg der Identifikation in den Mund des Meditierenden zu legen. Wiewol ich nun mit besonderem Fleiß unnd Nachdencken die geistliche Praxin und Übung des Psalters nach dem inwendigen Menschen / aus den geistreichen und vortrefflichen Worten der Psalmen / aus den schönen Schlußreden desselben / aus innerlichem Zeugnis des Gewissens / auch aus gleichstimmenden Sprüchen der Propheten beschreiben wollen / so habe ich doch gar offt gesehen und befunden / daß es unmuglich den inwendigen geistlichen Reichthumb des Reichs Christi / und der gläubigen Seelen / so im Psalter abgemahlet / gnugsam zu erklären und auszugründen / denn es sind unaussprechliche Seuffzen in den Psalmen / die kaum mit Gedancken zu erreichen / wil geschweigen / mit Worten auszusprechen seyn / und wird der königliche Prophet

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Innocent Le Masson: L a Psalmodie intérieure, S. 62f. Vorrede Johann Gerhards an den christlichen Leser. In: Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids des Königlichen Propheten / Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...]. Lüneburg 1644, o. Pag.

197 David wol unser aller Meister bleiben / im Glauben / in Erkäntniß / in Hoffnung / in sieghaffter Überwindung / in Empfindung der gottseligen Frewdigkeit und Süssigkeit des himlischen Trostes / im Leiden / in Gedult / in Beten / in Seufftzen / in der Busse / in Andacht / in Loben und Dancken / darumb er auch ein Mann nach Gottes Hertzen genennt wird. 241 D a v i d verwirklicht das Ideal der innerlichen B u ß e im G e g e n s a t z zur äußerlichen H e u c h e l b u ß e und fungiert deshalb als durch meditative Identifikation mit s e i n e m Wort nachzuahmendes Modell: Da er das Kirren und Winseln der armen Tauben seiner Seelen beschreibet / das ist / er beschreibet die innerliche Buße des Hertzens / und unterscheidet dieselbe von der äusserlichen Heuchelbusse. Es sind dreyerley Gradus der hohen / innerlichen / geistlichen Trawrigkeit. 1. Das unaussprechliche Seufftzen der Seelen. 2. Die heissen Thränen. 3. Wie auch der Leib in solcher Trawrigkeit veraltet und verschmachtet / welches nichts anders ist denn die Eigenschafften und Gradus der wahren innerlichen Hertzenbusse. 242 Der Psalmist löst in diesem Sinne den qua re z u m Scheitern verurteilten Versuch des Gläubigen, das Nicht-Sagbare auszusprechen: Nur über den meditativen Nachvollzug d e s Wortes D a v i d ist wahre B u ß e zu verbalisieren. D i e Bußpsalmen lehren, » w a s man / w e n n man büß thun will / sagen und für Wort gebrauchen s o l l e . « 2 4 3 Hinzu kommt, dass das Sprechen auf d e m Totenbett in der Frühen Neuzeit als besonders >wahres< Sprechen, als m i t besonderer Authentizität u n d Autorität ausgestattete Äußerung galt. 2 4 4 D i e in den Bußpsalmen angelegte Somatisierung von Sünde und B u ß e in Krankheit und körperlichem Verfall bietet somit zusätzlich die Möglichkeit der authentischen Verbalisierung und legitimen bildlichen Veräußerlichung wahrer Buße. D i e s e Bildlichkeit des Körpers erlaubt es, innerliche und damit unsichtbare und unkommunizierbare Seelenzustände zu umschreiben. Arndt erläutert in der Meditation über den ersten Bußpsalm den Körper als Abbild der S e e l e explizit: Ja an uns selbst haben wir dessen ein Exempel / wie die Sünde / das tödliche Gifft / unsem Leib zu nichte macht [...]. Sonderlich aber geschieht diß in hohen geistlichen Anfechtungen / denn der Zorn Gottes alle Leibeskräfte zubricht / und die innersten Marek und Gebein durchsuchet [...]. Es greifft die innerliche Hertzenbusse Leib und Seele an / und alle Kräffte. Denn Busse muß aus allen Kräfften der Seele und des Leibes gehen. 245

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Vorrede Johann Gerhards an den christlichen Leser. In: Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids, o. Pag. Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids, S. 49. Cunrad Dieterich: Poenitentialia Davidica, Die Sieben Bußpsalmen des Königlichen Propheten Davids / in unterschiedenen Predigten erkläret und ausgelegt [...]. Erster Theyl / Darin die drey ersten Buß=Psalmen begrieffen / [...]. Franckfurt 3 1660 ('1624), S. 12. In Bezug auf die Autorität von Äußerungen weiblicher Sterbender s. Ralph Houlbrooke: Death, Religion, and the Family in England, 1480-1750. Oxford 1998, S. 185: »[...] women for their part had certain exceptional opportunities on the deathbed. Forbidden to speak in church, they might now utter prayers, exhortations, and statements on faith which were heard with a special respect. The puritan way of death, which particularly encouraged the outward manifestation of individual faith, allowed women a prominent role in the drama of their own deathbeds. Several widowed husbands carefully noted down the >special speaches< by their wives on such occasions.« Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids des Königlichen Propheten / Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...]. Lüneburg 1644, S. 51.

198 Auch Martin Muthreich betont den Zusammenhang von physischem und psychischem Leiden und erklärt die Bildlichkeit des ersten Bußpsalms folgendermaßen: Heylen sol er ihn wegen seiner Gebeine so sehr erschrocken / und wegen seiner Seelen / so auch sehr erschrocken: Dann so saget er: Heyle mich Herr / dann meine Gebeine sind sehr erschrocken / meine Seele ist sehr erschrocken. Hier ist zu wissen er rede nicht von einem leiblichen Erschrekken der Gebeine / da die Gebeine erschrecken und krafftloß irgend vom Fieber oder sonst von einer andern Kranckheit / sondern von der Schwachheit und Erschrecken des Geistes / dadurch auch die Gebeine dermassen erschrecken und erzittern / daß sie offters keine Kraft haben / ja sind keine Gebeine mehr / können auch den Leib nicht mehr tragen. 246 D a s G e w i s s e n als P h ä n o m e n z w i s c h e n K ö r p e r und Geist wird in der Meditation über den

Psalter D a v i d s beschreibbar als » A u s s a t z / Item / W u n d e n / Striemen /

Eyterbeulen die nicht verbunden / noch gehefftet / noch gelindert s e y n « 2 4 7 - eine Veräußerlichung physischer und psychischer Selbst-Entfremdung. I m m e r wieder wird in den Bußpsalmbetrachtungen auf die unmittelbare Verbundenheit und Wechselwirkung zwischen Körper und Seele, damit aber auch auf den Körper als Ausdrucksmedium des Gewissens, hingewiesen: Alle glieder meines leibes sind darvon eingenommen / mein schwaches fleisch erzitteret darüber / auch meine gebein werden darvon gequelet. Dann wann rechtschaffene forcht und bekümmernuß das gemiit deß menschen umbfangen hat / so kan es anders nicht seyn / der leib erfahret auch die wiirckungen derselben: weil diese beyde / der Leib und die Seele / so genaw und starck verbunden / daß / was für frewde oder leyd dem einen widerfahret / das ander nohtwendig seinen theil darvon haben muß: eben gleich wie in zweyen Zimmeren / die an ein andern sind / keine bewegung oder tumult in dem einen fürgehen kan / so nicht auch in dem anderen gehöret werde. [...] Meine Schwachheit hat sich mit Sünde uberfüllet / und ist nun in eine gefährliche / ja tödliche kranckheit außgeschlagen. Alle die kräfften meiner Seelen sind angestecket / und dieses gifft hat sich durch alle die glieder meines Leibs außgebreitet. Ich fühle keine krafft mehr / ich kann keine ruh haben: nicht allein meine schwächere glieder / sondern auch die aller stärckeste / sind überall zerschlagen. 248 Entsprechend begreift die M a r y S y d n e y ( 1 5 6 1 - 1 6 2 1 ) ihre literarische Psalmübersetzung als Produkt eines körperlichen Aktes - das meditative, körperlich-sinnlich >gefühlte< Gewissen fordert bei seiner Thematisierung nicht nur bildliche Körperbeschreibung, sondern auch den Körper als sein authentisches Ausdrucksmittel.

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Mary

Martin Muthreich: Hertz=durchdringende Buß=Glocke / So da auffmuntert Zu einem gottseeligen Leben: Insonderheit aber zur recht Christlicher Bußfertiger Vorbereitung / die man anzustellen / wegen würdigen Gebrauchs des Hochheiligen Abendmahls / Worzu gehörig / 1. Emste Rew und Leyd über die Sünde / 2. Wahrer Glaube an Christum / 3. Besserung des sündlichen Lebens; Begriffen / In den Sieben Buß=Psalmen des Königes und Propheten Davids: Welche In LIX. Predigten [...] Erkläret worden [...]. Cüstrin 1662, S. 48f. Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids des Königlichen Propheten / Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...]. Lüneburg 1644, S. 489. John Hayward: Lachrimae Davidis. Oder Thränen Davids. Das ist: Geistreiche Betrachtungen über den VI. und XXXII. wie auch C X X X . Buß=Psalmen: Anfänglich in Englisch beschriben / Durch Johann Hayward [...] jetzund aber in unser Teutsche Spraach übergebracht [...]. Bern 1659 [Engl.: Davids tears, or an Exposition of the Poenitential Psalmes, '1623], S. 34 und 37.

199 Sydney, so Lamb, sieht ihr Mitsprechen mit David als »physical rather than an intellectual act, literally writing from the heart's feelings rather than from the head's thoughts«. 249 Der biblische Psalter selbst wird im 17. Jahrhundert als Zergliederung des Seelen-Körpers gelesen - in den English Annotations heißt es: »This Book is by some called, The Anatomy of the Soul: And that not unfitly, for herein we see all the affections of Gods servants lively expressed in excellent paterns.«250 Die Bußpsalmen sind aus diesem Grunde auch als ein >Buch des meditativen Gewissens< zu lesen. Schon der Jesuit Robert Parsons bezeichnet im Kapitel »Howe necessarie it is to enter into earnest consideration and meditation of our estate« David als einzigartiges Exempel meditativer Gewissenserforschung: »But above all other, the example of holye David is singuler herein, who every where almoste, make the mention of his continuali exercise in meditation [,..].« 251 Auch Johann Arndt nennt bereits im Titel seiner Bußpsalmmeditationen, der Auslegung des gantzen Psalters Davids [...]. Aus den Worten der Psalmen [...] und aus innerlichen Zeugnis des Gewissens depromiret und erkläret [...], das Zeugnis des Gewissens als eine der Quellen neben den Psalmen und anderen Texten aus dem alten und neuen Testament, die den Wahrheitsgehalt und die Authentizität seiner Meditationen garantieren.252 Das meditativ-aneignende Mitsprechen der Bußpsalmen ermöglicht Selbstthematisierung durch die Verbalisierung des gefühlten, in sich selbst körperlich-sinnlich empfundenen Gewissens. Die Bußpsalmen zeigen des Menschen höchste Furcht, die durch ein »geängstetes Gewissen« entsteht und einem »Vorschmack der Hölle auf Erden« gleichkommt. Aber wenn Gott die Seele angreifft / und lasset dieselbe Hellenangst empfinden / nimbt seinen Trost hinweg / das ist der rechte Zorn Gottes / und ein Vorschmack der Hellen / dafür in Mensch lieber alles zeitliche Creutz leyden solt. Darwieder betet hie der liebe David. [...]. Wir sehen hie an David / wie er in seinem Gewissen seine Sünde gefühlet / erkant und sich gefürchtet / Gott auch die Straffe abgebeten. 253

Die Bußpsalmen können auch insofern als Modell des meditativen Gewissens fruchtbar gemacht werden, als sie eine Struktur vorgeben, die den Meditierenden leitet und in seinem Meditationsweg begleitet, um ihn nicht etwa auf der Stufe der 249

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Mary Ellen Lamb: Gender and Authorship in the Sidney Circle. Wisconsin 1990, S. 117. Vgl. Kim Walker: Women Writers of the English Renaissance. New York 1996. Annotations upon all the Books of the Old and New Testament [...] By the Joynt-Labour of Certain Learned Divines. London 1645, zit. nach Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 43. Robert Parsons: The Christian Directory. The First Booke of the Christian Exercise, appertayning to Resolution (1582). Hg. v. Victor Houliston. Leiden 1998, S. 14. Dazu auch Philipp Wolf: Meditative Lyrik und Erinnerung im England des 17. Jahrhunderts. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 202. Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids des Königlichen Propheten / Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...]. Lüneburg 1644. Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids, S. 44.

200 Selbst- und Sündenerkenntnis verharren zu lassen, 254 sondern sein Fortschreiten zur Erlösungshoffnung und Gotteserkenntnis zu unterstützen: Solches lehret uns auch dieser sechste Psalm / welcher der erste ist unter den Bußpsalmen / und ist ein kläglich Gebet und ein betrübtes Seufftzen eines geängsteten Gewissens / so Gottes Zorn fühlet / und mit der Hellen und Todtesfurcht geplaget wird / und beruhet dieser Psalm vomemlich auff zweyen Puncten. Der erste ist eine Klage über seine Schrecken des Gewissens / über Furcht des Todtes und der Hellen / über Angst und Trawrigkeit. Der ander ist ein Trost / daß Gott sein Gebet erhöre / und seine Feinde zurücke treibe / Es lehret uns aber in diesem der lieb David / was die rechte Busse sey / und worin dieselbe bestehe: Nemlich in Erkäntnis und Bekäntnis der Sünde / und in hertzlicher Rew und Leyd über die Sünde / und in demütiger Abbitt der Straffe. 2. In Anruffung umb Gnade und Trost durch wahren Glauben: Darauff endlich die Errettung folget von allen Seelenfeinden. 3. Welches alles zu dem Ende gerichtet / daß kein Mensch in seinen Sünden verzweiffein solle / sondern die Augen des Glaubens wenden auff Gottes Barmhertzigkeit / und dieselbe ohn Unterlaß anruffen / so wird Gott endlich das Weynen und Flehen hören / und das Gebet annehmen. 255

Eine weitere Parallele macht die Bußpsalmen für die Meditierenden des 17. Jahrhunderts zum Meditationsmodell. Wie die Meditation eine Struktur vorgibt, in deren Rahmen Affekte evoziert, artikuliert und kontrolliert werden, so ist auch der Psalter das >Buch des Affektsc Sage demnach / was das Hertz im Menschen ist / das ist der Psalter in der Bibel / denn in keinem Buch der Schrifft das Hertz der Gläubigen mit allen innerlichen geistlichen Affecten und Bewegungen / in Liebe und Leid / in guten und bösen Tagen also abgemahlet und beschrieben ist als im Psalter. [...] Wolte Gott erkenneten alle Gläubigen ihr eigen Hertz aus dem Psalter/ und reformirten dasselbe nach diesem Contrafect. 256

Indem er bei der Betrachtung über die Bußpsalmen sein »eigen Hertz« im Sprechen mit David gespiegelt sieht, erkennt, artikuliert und kontrolliert der Meditierende seine »inneren geistlichen Affecten und Bewegungen«. Die unsichtbare, unkommunizierbare wahre Buße ist in den Worten Davids »abgemahlet« und kann als körperliches Selbstporträt in der Meditation erinnernd nachgezeichnet werden. Die in den Bußpsalmen bzw. im meditativ-identifikatorischen Sprechen mit David angelegte Möglichkeit der Verbalisierung des Unkommunizierbaren, die dem meditativen Gewissen als gefühlte und innerliche Instanz entsprechende Bildlichkeit an der Grenze zwischen Physischem und Psychischem sowie die in der Struktur der Bußpsalmen vorgeprägte meditative Bewegung begründen die Faszination und meditative Attraktivität der Bußpsalmbetrachtung für die Meditierenden unseres Untersuchungszeitraumes.257 Als »biblischer Poet« 2 5 8 eignet sich David in beson-

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Vgl. Kap. 3.4.S. Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids des Königlichen Propheten / Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...]. Lüneburg 1644, S. 43. Vorrede Johann Gerhards an den christlichen Leser. In: Johann Arndt: Auslegung des gantzen Psalters Davids, o. Pag. Im Zusammenhang mit englischen lyrischen Bußpsalmbearbeitungen sind auch Anne Lock (ca. 1534 bis nach 1590) und Mary Sidney (1561-1621) als wichtige Vertreterinnen zu nennen. Mary

201 derer Weise als Modell des meditierenden lyrischen Ich, das - wie in den Gedichten Batter my heart aus den Holy Sonnets von John Donne und The Altar von George Herbert - mit der Stimme des Psalmisten spricht. Das in den Holy Sonnets erschienene Sonett Batter my heart259 des Anglikaners John Donne (1572-1631) beginnt mit einer Bitte an Gott, die auf ein Grundmotiv in den Bußpsalmen zurückgeht: »Batter my heart«, so fleht das lyrische Ich im ersten Vers. Das >zerschlagene Herz< erscheint in Psalm 51, 19 als das von Gott bevorzugte Opfer, und auch in Psalm 38 und 102 ist das zerschlagene bzw. geschlagene Herz Ausdruck der Selbstzerknirschung und Sündenerkenntnis. Es stellt Voraussetzung und Motivation des Psalmisten für seine Bußverse dar, und so wird es auch hier an den Beginn des Gedichtes gestellt: Das lyrische Ich reiht sich somit in die Tradition Davids ein und sehnt sich nach dem Gleichsein mit dem Psalmisten, um im Folgenden >mit ihm< singen zu können. In den ersten Worten des Sonetts zeigt sich in doppelter Hinsicht ein meditatives Moment: Einerseits basiert die Bitte an Gott zu Anfang des Gedichts auf der bereits erfolgten meditativen Auseinandersetzung mit den Bußpsalmen - sie resümiert die >seelische Ausgangslage< der Bußpsalmen. Zum anderen verwirklicht sich in den Eingangsworten des Gedichts eine aktuelle Meditation, die vom lyrischen Ich mit der Bitte um die rechte meditative Haltung eingeleitet wird: Um mit Davids Worten sprechen und meditieren zu können, muss dessen Bußdisposition beim lyrischen Ich evoziert werden. Die Bitte des lyrischen Ich richtet sich an den »three person'd God«. Hier tritt ein neutestamentarisches Moment auf, das das Sprechen des lyrischen Ich mit dem Psalmisten als dennoch eigenes, aktuelles Sprechen auszeichnet. Die Anspielung auf Vater, Sohn und Heiligen Geist wird in den Versen zwei und vier fortgesetzt: Der Gottvater »knocks«, der Heilige Geist »breathes« und der Sohn (vgl. engl, sun) »shines« (V. 2), könnten aber - wenn das Herz wahrhaft >zerschlagen< ist - dem lyrischen Ich zu neuer Zuversicht und Stärke verhelfen (»That I may rise, and stand«,

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Sidney, die auch Philippe du Plessis Momays »Discours de la vie et de la mort« ins Englische übersetzte (Discourse of Life and Death, 1590), konsultierte bei ihrer das Werk des Bruders Henry fortsetzenden Arbeit an den lyrischen Psalmübersetzungen u.a. den Psalter von Théodore de Bèze (s.o.); ihre Gedichte waren trotz ihrer späten Publikation im Jahr 1823 sowohl John Donne als auch George Herbert bekannt (s. Mary Sidney / Philip Sidney: The Psalms of Sir Philip Sidney and the Countess of Pembroke. Hg. v. J. C. A. Rathmell. New York 1963; Auszüge und Kommentar auch in: Early Modern Women Poets [1520-1700], An Anthology. Hg. v. Jane Stevenson und Peter Davidson. Oxford 2001, S. 85f. und in Silver Poets of the Sixteenth Century. Hg. v. Douglas Brooks-Davies. London 1992, S. 291ff.) Die »Meditation of a Penitent Sinner [...] Upon the 51th Psalm of David« von Anne Lock wird in Kap. 3.4.5 dieser Arbeit verhandelt.). S. dazu auch Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 213ff. Im Folgenden zit. nach The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. v. Louis L. Martz. New York 1963, S. 90f. S. Gedichtanhang.

202 V. 3), 260 indem der Vater es nun nicht mehr schlägt, sondern bricht, der Heilige Geist nicht mehr nur atmet, sondern stürmend bläst, 261 und der Sohn als >Sonne< nicht mehr nur scheint, sondern brennt und das lyrische Ich mit seinen Flammen ansteckt (V. 4). Das zerschlagene Herz ist die Voraussetzung für die Entfaltung der wahren Heils- und Wirkkraft Gottes, die dem Meditierenden an der Person Davids in den Bußpsalmen beispielhaft vor Augen geführt wird. Im zweiten Quartett stellt das lyrische Ich an sich jedoch bedauernd die Vergeblichkeit seines Bemühens (»Labour to admit you, but Oh, to no end«, V. 6) um wahre Herzensbuße nach dem Vorbild Davids fest und benutzt dabei die Bildlichkeit der Bußpsalmen: »like an usurpt towne« und »captiv'd« fühlt sich das lyrische Ich und spielt damit auf das die Bußpsalmen durchziehende Motiv der Feinde und der Gefangenschaft an. 262 Schwäche und Unwahrheit im Glauben zeigt sich in dieser Befangenheit und wird dem lyrischen Ich bewusst. In den Bußpsalmen geht das Leiden an der eigenen Sündhaftigkeit einher mit dem Leiden an den Machenschaften der Feinde. Durch diesen in der Bibel vorgeprägten Zusammenhang ist das von Vokabular der Feindschaft und des Krieges durchzogene zweite Quartett auch als Ausdruck der Sündenerkenntnis und des Leidens an der eigenen Sündhaftigkeit zu deuten, als usurpierende und gefangen nehmende Macht, »another due« (V. 5 u. 8), gegen die sich das lyrische Ich vergeblich zu verteidigen (»defend«, V. 7) sucht. Bis zu dieser Textstelle zeichnet sich das Gedicht durch die Heftigkeit der Bewegung auf der Bild- und Wortebene aus. Dem »knocke, breathe, shine« wird deutlich das »breake, blowe, burn« entgegengesetzt, und auch das kriegerische Vokabular weist auf den >Unfrieden< in der Seele des lyrischen Ich hin. In den folgenden Terzetten wird die Beziehung von Sünde, Gefangenschaft und Feindschaft noch deutlicher. Die Sünde, »your enemie«, 263 ist das Hindernis, welches das lyrische Ich von Gott trennt. 264 Das lyrische Ich wird der Sünde als Fessel gewahr, und so erfolgt in den letzten vier Versen die Bitte an Gott, von der Sünde zu befreien. Die Wortebene »Divorce«, »breake that knot«, »imprison mee«, »enthrall mee« unterstreicht die Vorstellung der Gefangenschaft und Fesselung, von der nur Gott befreien kann: »I [...] never shall be free, / Nor ever chast, except you ravish mee.« (V. 12-14). durch das eingefügte »except« im letzten Vers und die dadurch bewirkte Wortstellung in der Abfolge Subjekt - Prädikat - Objekt können die drei

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»rise« und »stand« nehmen die Sonnenmetaphorik des Scheinens und des engl. Homophons >son/sun< wieder auf. >to blow< kann neben der Bedeutung >stürmen, blasen< als Substantiv auch den (Axt-)Hieb meinen - diese Doppeldeutigkeit wiederholt und ergänzt die Bitte um das >zerschlagene< Herz. S. dazu Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 271f.: »With characteristic dramatic imagination and application of this abstract doctrine to himself, the speaker invites the whole of God's power and force to be directed upon himself in a much more intense form than the biblical norm would seem to require.« Vgl. Ps. 6, 11; 102, 9; 102, 21; 102, 29; 143, 3; 143, 9; 143, 12. Vgl. Ps. 6, 11; 38, 13; 102, 9; 143, 3; 143, 9; 143, 12. Vgl. Ps. 6, 5; 38, 22; 102, 3; 143, 7.

203 letzten Worte als Aussage der meditativ (wieder-)gewonnenen Heilzuversicht verstanden werden: »you ravish mee«. Ausgehend von der Bitte um ein wahrhaft >zerschlagenes Herz< erfolgte der meditative Weg des lyrischen Ich im vorliegenden Sonett in formaler und inhaltlicher Anlehnung an die Bußpsalmen über Klage, Sündenerkenntnis und Bitte um Erlösung bis hin zu neuem Vertrauen in Gottes Verheißung. Donne nutzt die typologische Lesart der Bußpsalmen, um durch die meditative Identifikation mit David dem lyrischen Ich ein Bild- und Ausdrucksrepertoire zu verleihen, das die eigene Progression in der Betrachtung auszudrücken vermag. Die in den Psalmen angelegte meditative Bewegung von Anfechtung, Sündenerkenntnis und wieder gewonnener Heilszuversicht zeigt sich auch in Gedichten von George Herbert (1593-1633). In ihnen ist ein Durchwandern verschiedener seelischer Zustände des meditierenden Ich festzustellen, das vom lyrischen Ich seismographisch nachgezeichnet wird. In The Altar165 kann eine meditative Aneignung des 4. Bußpsalms (Psalm 51) durch das lyrische Ich aufgezeigt werden, die das Gedicht inhaltlich und strukturell bestimmt. Der Gedichttitel The Altar sowie die optische Anordnung der Verse als Altar im Sinne konkreter Poesie weisen darauf hin, dass der lyrische Text selbst als Altar aufzufassen ist. Die drucktechnisch hervorgehobenen Worte A L T A R , H E A R T , S A C R I F I C E und wiederum A L T A R assoziieren auf den ersten Blick die letzten Verse des vierten Bußpsalms, Psalm 51. 266 Dort heißt es: »Herr, tu meine Lippen auf, / daß mein Mund deinen Ruhm verkündige. II Denn Schlachtopfer willst du nicht, ich wollte dir sie sonst geben, / und Brandopfer gefallen dir nicht. // Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist, / ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten. II Tu wohl an Zion nach deiner Gnade, / baue die Mauern zu Jerusalem. II Dann werden dir gefallen rechte Opfer, Brandopfer und Ganzopfer; / dann wird man Stiere auf deinem Altar opfern (Ps 51, 17-21).« 267

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Zit. nach The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. ν. Louis L. Maitz. New York 1963, S. 147. S. auch George Herbert: The Temple. Sacred poems and private ejaculations. Mit einer deutschen Versübersetzung von Inge Leimberg: Münster u.a. 2002. S. Gedichtanhang. Rosemond Tuve: A Reading of George Herbert. Chicago / Illinois 2 1965 ('1952), S. 184 sieht das Gedicht ausschließlich in Parallele zu Deut. XXVII, 2-9 und Exod. XX, 22ff.; diese Interpretation erscheint jedoch als wenig schlüssig, da die Bibel dort zwar von unbehauenen Steinen spricht, mit denen der Altar Gottes errichtet werden soll, aber das im Gedicht Herberts zentrale Bedeutung tragende >Herz< an keiner Stelle erwähnt wird. Der Bezug zu Ps. 51 ist, wie zu zeigen, sehr viel eindeutiger und direkter. Auch bei Louis L. Martz: The Poetry of Meditation. A Study in English Religious Literature of the Seventeeenth Century. New Haven 2 1962 ( Ί 9 5 4 ) bleibt der Bezug zu Psalm 51 unerkannt - er erwähnt zwar die »imagery of a stony heart«, die sich in mehreren Gedichten der »Holy Sonnets« nachweisen lasse, führt dieses Motiv aber ausschließlich auf Exodus 31, 18 und 2. Korinther 3, 3 zurück, ohne »The Altar« als lyrische Bußpsalmmeditation zu erkennen. Hervorhebungen S.W.

204 Die beiden ersten Verse verdeutlichen und vertiefen diesen Zusammenhang: Ein »broken Altar« wird von dem lyrischen Ich als »servant« des Herrn erbaut (V. 1), »made of a heart, and cemented with teares« (V. 2). Der Altar, der Gott gefallt, besteht aus einem zerbrochenen, zerschlagenen, d.h. von wahrer Buße bewegten Herz. Die Wahrhaftigkeit der Buße wird unterstrichen durch die »teares«, die den Zement zur Erbauung des Altars darstellen. Der zerschlagene, zerbrochene Altar des Herzens, »whose parts are as thy hand did frame« ist ein Opfer, das Gott gefällt - er selbst hat die den Altar konstituierenden Stücke mit seiner Hand geschlagen, sie sind göttlich: »No workmans tool hath touch'd the same.« (V. 4). Nur das Herz ist ein so hartes >Baumaterial< für den Opferaltar, dass allein Gottes Kraft es in Stücke zerschlagen kann (V. 5-8). Es ist in doppeltem Sinne >hartzerschlagen< werden, und es ist hart im positiven Sinne, als es die einzig Gott gefälligen und beständigen Bausteine des Altars zu liefern vermag. Jedes Bruchstück des zerschlagenen Herzens ist Opfergabe, ist Lobpreis Gottes: »Wherefore each part / Of my hard heart / Meets in this frame, / To praise thy name.« (V. 9-12). Jedoch nur dann, wenn das lyrische Ich >seinen Frieden hält< (V. 13), werden die Steine des Altars nicht aufhören, Gott zu preisen. Hierbei bleibt offen, ob mit diesem Frieden ein Friede zwischen Gott und dem lyrischen Ich gemeint ist, etwa im Sinne von Freisein von Sünde und Handeln nach den von Gott gegebenen Normen, oder aber ob dieser Friede ein Friede des lyrischen Ich mit sich selbst ist, was auf ein autonomeres Gewissensverständnis oder die Bewahrung eines positiven Selbstbildes schließen lassen würde. Die beiden Schlussverse des Gedichtes, die gemeinsam mit den beiden vorangegangenen den Sockel des durch die Versanordnung gebildeten Altars darstellen, bitten um die Annahme dieses aus dem zerschlagenen Herz des lyrischen Ich erbauten Opferaltars: »O let thy blessed S A C R I F I C E be mine, / And sanctifie this A L T A R to be thine.« (V. 15f.). Das lyrische Ich bringt auf dem und durch das Gedicht verwirklichten Altar sein zerschlagenes Herz zum Opfer. Seine Worte formen optisch den Altar, der akustisch durch das Gedicht gebaut wird und aus den Bausteinen des zerschlagenen Herzens besteht. Das in den Bußpsalmen als Gott gefälliges Opfer beschriebene zerschlagene Herz liegt hier nicht auf dem Altar, sondern es ist der Altar - es ist Voraussetzung einer wahren Opfergabe, Voraussetzung für die Errichtung des Altars aus den von Gott geschlagenen Herzens-Stücken. Das zerschlagene Herz ist auch drucktechnisch als das Herz, das >Herzstück< eines wahren Opferaltars dargestellt: Das in Sperrschrift gedruckte Wort » H E A R T« befindet sich in Analogie zum menschlichen Körper am oberen Rand des Mittelstückes zwischen Kopf und Fuß des Altars. Das Gedicht scheint sich zunächst nur auf die letzten vier Verse des vierten Bußpsalms zu beziehen. Dort ist vom zerschlagenen Herz als der Gott darzubringenden Opfergabe die Rede. Bei genauerer Betrachtung erweist es sich allerdings als Verwirklichung und lyrische Umsetzung des direkt vorangehenden Psalmverses: »Herr, tu meine Lippen auf, / daß mein Mund deinen Ruhm verkündige.« (Ps 51, 17). Dem

205 lyrischen Ich, das mit dem Psalmisten um Gottes Gnade bei seiner Verkündigung gebeten zu haben scheint, wurden die Lippen geöffnet - es verwirklicht in dem und durch das Gedicht die Verkündigung des Ruhmes Gottes. Implizit ergeben sich jedoch auch Beziehungen zu den vorangehenden Psalmpassagen, die sozusagen im >meditativen Vorfeld< des lyrischen Ich liegen. Dabei handelt es sich um die meditative Aneignung des zerschlagenen Herzens, das dem Gedicht als >wahre Opfergabe< zu Grunde liegt. Das Gedicht setzt zwar erst mit den letzten Versen des Psalms wörtlich ein, beruht jedoch auf Klage, Auseinandersetzung mit der eigenen Sündhaftigkeit, dadurch erreichter Sündenerkenntnis und der Bitte um Erlösung, wie sie in Ps 51, 2-16 vorgezeichnet ist: »[...] denn ich erkenne meine Missetat, / und meine Sünde ist immer vor mir.[...] Siehe, ich bin als Sünder geboren, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen. [...] Lass mich hören Freude und Wonne, / daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. [...] Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, / und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.« Die meditative Auseinandersetzung mit dem Psalmtext und die Identifikation mit David ist die Voraussetzung für das zerschlagene Herz des lyrischen Ich - das Gedicht erscheint auf diese Weise sowohl als Produkt einer Bußpsalmmeditation (es ist der im Psalmtext geforderte >Altar< aus dem zerschlagenen Herz des lyrischen Ich), als auch als deren aktueller Vollzug. Das Gedicht beginnt mit einem Präludium, in dem nach dem Willen Gottes in Vorbereitung auf die Meditation gebetet wird: »A broken A L T A R , Lord, thy servant reares« (V.l). Die Verse 1-A zeichnen den Altar durch die Zusammenstellung der Gedächtnisbilder in seinen Bestandteilen nach und betonen die Rolle von Sinnen und Einbildungskraft durch das Erwähnen des »heart«, der »teares«, der »hand« und dem Hinweis auf den Tastsinn: »No workmans tool hath touch'd the same.« Die konkrete Form des Gedichtes, das als Altar vor die Augen tritt, spiegelt die meditative Erstellung des Schauplatzes durch die Einbildungskraft als schöpferischen Vorgang. In den Versen 5 bis 8 folgt die verstandesmäßige Erfassung des Meditationsgegenstandes, die Kommentierung der Psalmverse 51, 18-21: »A H E A R Τ alone / is such a stone, / As nothing but / Thy pow'r doth cut.« Die folgenden vier Verse verwirklichen das meditative colloquium, das Gedächtnis, Verstand, Einbildungskraft und Affekte zusammenfuhrt und durch den Willen - hier der feste Vorsatz, Gott durch das Opfer des zerschlagenen Herzens fortan zu preisen - vertieft: »Wherefore each part / Of my hard heart / Meets in this frame, / To praise thy name. / That if I chance to hold my peace, / These stones to praise thee may not cease.« (V. 9-12). Am Ende der Meditation des lyrischen Ich steht das Gebet, in dem das meditierende Ich zu Ruhe und friedlicher Stille kommen soll - die >Pendelbewegung< der Meditation klingt aus: »O let thy blessed S A C R I F I C E be mine, / And sanctifie this A L Τ A R to be thine.« (V. 15/16). Insgesamt lässt sich im Vergleich mit Donnes Sonett Batter my heart feststellen, dass das >zerschlagene Herz< des lyrischen Ich bei Herbert ausgeglichener, weniger eruptiv und kontrollierter in Bezug auf die evozierten Affekte wirkt. Eine mögliche

206 Begründung für diese Beobachtung könnte in der stärkeren Beeinflussung Herberts durch Joseph Hall und François de Sales liegen. Im Gegensatz zur streng jesuitischen Meditation, die den meditativen Gedichten John Donnes zu Grunde liegt,268 betont die von Joseph Hall empfohlene Meditation und Selbstanalyse, die zum verschlagenen Herz< führen soll, das schonende, vorsichtige und sanfte Moment - der Meditierende soll auf einfühlsame Weise den Bewegungen des Herzens nachgehen: When you desirest earnestly to be freed from any evil, or to obtaine any good; the first thing you must doe, is to repose thy mind, and quiet thy thoughts and affects from over-hastie poursuite of thy desire; and then faire and softly beginne to pourchase thy wishe, taking by order, and one after another, the meanes which you judgest convenient to the attaining thereof [...]. My soule is allways in my hands ô Lord and I have not forgotten thy law, sayd David. Examin often every day, at least morning and evening, whether thy soule be in thy hands, or some passion of unquietnes hath robbed thee of it. Consider whether thou have thy hart at comandment, whether it be not escaped and fled away from thee, to some unrulie affection of love, hatred, envie, covetousnes, feare, joye, sadnes: and if it be wandred astray, seek it out presently, and bring it back againe gentlie [tout bellement] to the presence of God, resigning it with all thy affections and desires unto the obedience and direction of his divine pleasure. 269

Diese Vorsichtigkeit und Behutsamkeit mit sich selbst steht in starkem Gegensatz zum evozierten >Unfrieden< der Seele in Donnes Batter my heart: Das lyrische Ich in Donnes Gedicht bringt ein >gesprengtes< Herz zum Opfer, das lyrische Ich in The Altar hingegen ein >behutsam zerklopft und zerknirschtesSprechen mit David< erscheint als Ergebnis und Umsetzung der meditativen Aneignung der Bußpsalmen und eröffnet dem lyrischen Ich strukturell, inhaltlich und sprachlich die Möglichkeit, die eigene meditative Seelenbewegung und das in und durch die Meditation >zerschlagene Herz< im Sinne der Selbst- und Sündenerkenntnis lyrisch nachzuzeichnen. Trotz der überindividuellen Meditationsstruktur und der überindividuell gültigen Exempelhaftigkeit der Worte Davids ist der meditative Nachvollzug dieses Modells als individueller anzuerkennen 270 - der meditative Weg, den das

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Vgl. The Poetry of Meditation. A Study in English Religious Literature of the Seventeeenth Century. New Haven 2 1962 ('1954), S. 147: »In evoking this blend of fear and love, of which the >Holy Sonnets< are compounded, the Jesuit of our period tends to cultivate a greater degree of intellectual >discourse< than writers of a Salesian tendency appear to allow.« Zur katholischen Prägung der Meditation bei Donne und insbes. der »Holy Sonnets« s. auch Anthony Low: Love's Architecture. Devotional Modes in Seventeenth-Century English Poetry. New York 1978, S. 57. Engl. Übersetzung zit. nach The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. v. Louis L. Martz. New York 1963. Vgl. François de Sales: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 2 1961, Bd. 2, S. 148f. S. auch Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 302 zu den Gedichten George Herberts, insbesondere zu »The Altar«:

207 lyrische Ich in der Bußpsalmbetrachtung beschreitet und der im Gedicht zum Ausdruck kommt, ist ihm eigen. Der lyrische Text ist sowohl Produkt einer Bußpsalmmeditation (es ist der im Psalmtext geforderte Altar aus dem zerschlagenen Herz des lyrischen Ich) als auch deren aktueller Vollzug. Zudem kann das Gedicht auf der Rezipientenebene als Meditationsanleitung gelten und ist bei der meditierenden Aneignung durch den Rezipienten wiederum vollzogene Betrachtung, die auf dem lyrischen Altar< geopfert wird.271

3.2.1.2 Bespiegelung im entstellten Selbst-Bild Einer der lyrischen Entretiens solitaires des französischen Protestanten Georges de Brébeuf (1617-1661) unter dem Titel De quelle maniere le peché anéantit Γ Homme, et de la resistance que la Grace trouve en luy (1660) 272 kann als meditative Todesvision gelten, in der das individualitätsbewusste Moment der überindividuell nachzuvollziehenden Bußpsalmbetrachtung in besonderer Weise durch das lyrische Ich unterstrichen wird. Das lyrische Ich spricht zwar mit den Worten Davids und identifiziert sich mit der in den Bußpsalmen vorgeprägten Rahmensituation, insistiert dabei aber auch auf deren individueller Aneignung. Der über-individuelle Rahmen der Bußpsalmen initiiert und ermöglicht individuelle Selbstreflexion des lyrischen Ich, das sich durch das Vorzeichen des einsamen Selbstgespräches über Sünde und Gnade als meditierendes ausweist. Ausgangspunkt der lyrischen Meditation ist das aus den Bußpsalmen bekannte Bewusstsein von Schuld und des damit verbundenen Leids: »Que ma condition est basse et déplorable, / Qu'elle est digne de mes ennuis! / Infirme et révolté, malheureux et coupable, / Seigneur, voilà ce que je suis.« (V. 1-4). Die folgenden Strophen

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»Several poems throughout the collection sho Herbert's speaker, in quasi-typological terms, taking on the role of New Covenant psalmist as he appropriates and turns to his own uses the Psalmist's words and forms.« Helen Wilcox: Entering >The Templec women, reading, and devotion in seventeenth-century England. In: Religion, Littérature, and Politics in Post-Reformation England. 1540-1688. Hg. v. Donna B. Hamilton und Richard Strier, S. 189ff. sieht Herberts Lyrik - vor allem »A Priest to the Temple« (1652) - in besonderer Weise geeignet für die Interaktion zwischen Rezipient und Text. Insbesondere für weibliche Leser bieten ihrer Ansicht nach seine Gedichte ein hohes Identifikations- und Partizipationspotential, und zwar durch die Nähe zum biblischen Wort, durch die Verwendung einer der Liebeslyrik ähnlichen Sprache und durch Herberts »autobiographical mode«. Seine Gedichte, so Wilcox, »[...] do not require passive reception on the part of the reader, but participation. The first-person style turns the reader, in effect, into the protagonist of the poems, and the ironies of complexity and simplicity with which they are concerned thus also involve the reader. [...] This is the appeal of Herbert's poems for most readers - male and female, seventeenth-century and modern - but for ealy woman readers it represented a radical opportunity to exchange passivity for activity, and to find a devotional voice.« Diese sich auf die partizipierende und identifizierende Lektüre von Herberts Lyrik gründende »Stimme« manifestiere sich z.B. in den meditativen Texten von Elizabeth Delavai (s. dazu Kap. 3.3. der vorliegenden Untersuchung) und An Collins. In: Georges de Brébeuf: Entretiens solitaires. Hg. ν. René Harmand. Paris 1912.

208 machen das Bewusstsein des Individuell-Besonderen und trotz aller Parallelen von der Klage des Psalmisten Unterschiedenen deutlich: »N'estoit-ce point assez de ces maux nécessaires / Où les hommes sont condamnez? / Falloit-il joindre encor tant de maux volontaires / A ceux qui m'estoit destinez?« (V. 5-8). Das lyrische Ich beklagt nicht nur das ohnehin schwer zu tragende allgemein-menschliche Leid im Zustand der Erbsünde (vgl. Ps 51, 7): »Naistre dans la foiblesse, et vivre dans la peine, / Dans la disgrace ou dans l'effroy, / Mourir dans la douleur, c'est la misère humaine, / Et c'en estoit assez pour moy.« (V. 13-16) - seine >Sonderstellung< wird ab Strophe V. betont und begründet: »Mais pour moy-mesme, helas! j'ay trop peu de tendresse / Pour me contenter de mes maux, / Je joins mon insolence avecque ma foiblesse, / Et mes vices à mes deffauts.« (V. 17-20). Der Strophenbeginn »Mais [...] moy-mesme« markiert deutlich das Individualitätsbewusstsein des lyrischen Ich, das sich in seiner individuellen Schuld betrachtet und nicht in der überindividuellen »misère humaine« aufgeht. Nachdem das meditierende Ich seine Sündhaftigkeit in Grundzügen beschrieben hat (Strophen VI. und VII.), resümiert es in Strophe VIII. in Anspielung auf die in den Psalmen 6, 38, 102 und 143 beklagte Verfolgung durch die Feinde: »Avec mes ennemis j'ay tramé ma ruine, / Comme eux j'ay juré mon trépas, / Et jusqu'à cet excez ma fureur me domine, / Qu'une mort ne me suffit pas.« Das Ich wird sich in der Sünde selbst zum Feind und geht dem eigenen Untergang entgegen - es sieht sich in seinem »excez« so unvergleichlich, dass im Unterschied zu dem drohenden Tod des Psalmisten in den Bußpsalmen ein Tod allein nicht ausreichen würde, um die Sünden- und Selbsterkenntnis zu beschreiben. Die Todesvision des meditierenden Ich ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich - es wird sich selbst zum Mörder, ermordet sich selbst >tausendmal< täglich durch die >Liebe zur Sünde< und hat seine tötende Kraft auch nach dem Tode noch nicht verloren: »Mille fois assassin de moy-mesme, / Je meurs chaque jour mille fois.« (V. 35f.); »Cet amour [...] / Est en toutes façons une haine si forte / Qu'il tue encore après la mort.« (V. 3 8 ^ 0 ) . Das meditierende lyrische Ich empfindet sich selbst als Qual, sein Leid entspringt aus ihm selbst und verkehrt damit die eigene Menschlichkeit: »Funeste violence! emportement extrême, / Qui renverse toutes les loix!« (V. 33f.). Sein Leid ist unmenschlich, stürzt in ein Nichts, das nichts Vergleichbares kennt und das meditierende Ich auf leidvolle Weise einzigartig macht: »Lorsqu'à cet inhumain mon cœur preste silence, / Quel malheur est égal au mien? / De moment en moment me plongeant dans l'offence, / Il me replonge dans le rien.« (V. 41^44). Das Zurückgeworfensein in das Nichts (V. 44) lässt sich als schmerzlich bewusstes Zurückgeworfensein auf sich selbst deuten - das Individualitätsbewusstsein des lyrischen Ich, das das Gedicht als Grundmotiv durchzieht, wird hier als Selbstreflexivität erfahren. Gestützt wird diese Deutung durch die folgenden Verse, die das Leiden nicht als äußere Strafe, sondern als Leiden an sich selbst im selbstreflexiven Echo unterstreichen - die Scham vor sich selbst verdoppelt die >seltsamenbefremdlichen< Leiden: »Dans cet abaissement, dans ce malheur estrange, / Ma honte redouble mes maux« (V. 53f.).

209 Das Seltsame und Befremdliche des Leidens an der Sünde wird nun in Anlehnung an die Bußpsalmen in den Bildern des Todes,273 der Schwäche274 und der Finsternis275 beschrieben, die in der Ferne Gottes ihre Ursache haben: »Aveugle par mon choix je ferme la paupière / Aux rayons qui luisent sur nous, / C'est-là mon châtiment, vous estiez ma lumiere, / Et je n'ay point voulu de vous. [...] Devais-je attendre moins? Vous étiez seul ma force, / Et j'ay voulu m'en dépouiller. Privé de sentiment, je conçois peu l'envie / De ce qui peut le réparer, / C'est ma punition, vous estiez seul ma vie, / Et j'ay voulu m'en séparer.« Das lyrische Ich ist >bei Leben totverändert< und >entstellt< (»transformé«), es ist sich selbst durch die Sünde fremd geworden. Die Abweichung von den Normen des Gewissens, das zwar auf der Basis der »loy« Gottes steht, aber als Anspruch an sich selbst verinnerlicht ist, macht den >Schmutz< und >Abfall< der Sünde zur Abweichung von sich selbst und führt zur Selbst-Entstellung, die das meditierende Ich sich selbst fremd und

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In: Philippe Desportes: Poésies Chrestiennes. Rouen 1629, S. 65-69. Vgl. auch ein Gedicht aus den »Sonnets Chrétiens« (1646) des aus einer Hugenottenfamilie stammenden Jean Ogier de Gombauld (1588-1666), in dem das lyrische Ich an seiner Sünde als »Cette source de mort, cette homicide peste« leidet und sich in seiner Selbsterkenntnis als sich selbst entfremdet beschreibt: »Cette source de mort, cette homicide peste, / Ce péché, dont l'enfer a le monde infecté, / M'a laissé, por tout être, un bruit d'avoir été, / Et je suis de moimême une image funeste. // [...] Mais c'est fait de ma gloire, et je ne suis plus rien, / Qu'un fantôme qui court après l'ombre d'un bien, / ou qu'un corps animé du seul ver qui le ronge. // Non, je ne suis plus rien, quand je veux m'éprouver, / Qu'un esprit ténébreux, qui voit tout comme en songe, / Et cherche incessament ce qu'il ne peut trouver.« (Zit. nach Poètes français de l'âge baroque. Anthologie [1571-1677], Hg. v. Jean Serroy. Paris 1999, S. 302).

216 abstoßend werden lässt: »Que ie trouve en mon ame & de crasse & d'ordure! [...] / Et que mon premier être a changé de figure!« (V. 45-48) Die Gewissenserforschung wird strukturiert durch einzelne Organe bzw. Körperteile, die den Anstoß zur Erinnerung an die eigenen Sünden geben. Der Geist hing Finsternis und Vergänglichkeit nach, das Herz hat sich den Leidenschaften hingegeben und »kochte« vor Wut und Missgunst, Neid und Hass, Stolz und Verzweiflung, Ehrgeiz, Falschheit und Untreue haben es entstellt und befleckt (V. 49-66). Doch nicht nur das Herz als Symbol des Gemütes und der Seele, auch die Augen, >Könige der Sinneverdoppelt< sich. Um die Sünde >zu ertränkengesät< (V. 105), die Buße zur Hölle werden: »Et la bouche de l'enfer s'ouvre afin de me prendre« (V. 108). Nach diesem Höllenszenario des Gewissens294 gelangt die Meditation zur Gegenbewegung des Pendels, das meditierende Ich wendet sich zurück an Gott: »Mais pourtant a mon Dieu ie me veux presenter, / le veux bas a ses pieds tout en pleurs me ietter / [...] / Plaise toy de tout point mes pechez pardonner:

293 294

Vgl. dazu Kap. 3.3.1.2. Vgl. Kap. 3.1.2.

217 [...] / Que mon ame au tombeau ne soit plus detenue.« (V. 115f., 132). Am Ende der Meditation wagt damit der Betrachtende die Bitte um Vergebung und um Errettung aus dem >Grab< der Sünde, das in der Gewissensbetrachtung vom meditierenden Ich selbst geöffnet wurde und nur Entstellung und grauenhaften Anblick barg. Als könne das meditierende Ich sich selbst neu als Einheit zusammensetzen, zählt es nun die zuvor als entstellt betrachteten Sinne, Organe und Körperteile, Leib und Seele auf und bittet abschließend um deren Rückführung zur ursprünglichen Bestimmung, der Verehrung Gottes: »Eclaire a mon esprit & le conduis a toy, / Remply mon cœur d'amour, de constance & de foy, / De tous obiets trompeurs mes yeux vueille distraire, / Mon oreille a iamais soit ta voix écoutant, / Ma bouche incessamment ta gloire aille chantant, / Et que d'ame & de corps sans fin ie te rèvère.« (V. 133-138). Der >Blick in den Spiegel< bedeutet für das meditierende Ich des Gedichts Selbsterkenntnis als entstelltes, verzerrtes Monster, das wie bei einer Graböffnung in der Meditation mit Grauen betrachtet wird. Die Bilder körperlicher Entstellung verbalisieren die Selbstentfremdung durch die Abweichung vom Selbstanspruch des meditativen Gewissens. Die Meditation des lyrischen Ichs beginnt im Zustand der Verzweiflung und Not in Anfechtung, führt über erschreckende Selbsterkenntnis und endet in der Hoffnung auf ein neues Sich-Finden in der Übereinstimmung mit sich selbst. Die im Gedicht Desportes' beobachtete Selbstentfremdung des lyrischen Ich und die Bespiegelung des enstellten Selbst-Bildes lässt sich auch in einem titellosen Gedicht von Thomas Traherne (1637-1674) 295 erkennen. Spiegelbild und lyrisches Ich stehen einander gegenüber, wobei das Spiegelbild des schlechten Gewissens durch die personifizierte Sünde repräsentiert wird. Das lyrische Ich wirkt von Beginn des in vier Strophen unterteilten Gedichtes an >atemlosinnerliche< Drohen des Gewissens im Spiegel der Selbsterkenntnis als schmerzende Pfeile - das mit Sünde belastete Gewissen ist die einzig wahre tödliche Krankheit: »The only bitter III: Dost Kill!« (V. 13f.). Die Großschreibung des »Kill« (ansonsten werden nur Substantiva, Pronomen und Versanfänge mit Großbuchstaben versehen) verdeutlicht auch hier das allegorisch-symbolische Sprechen - die Sünde ist im übertragenen Sinne eine tödliche Krankheit >von innenanderen Ichtot< sind, und ohne alle >heiligen Schätze< durchlebt das lyrische Ich die Hölle auf Erden: »As if I now did Dwell / In Hell.« (V. 20f.). Die mangelnde Übereinstimmung mit sich selbst bedeutet Höllenqualen - auch hier zeigt sich die Hölle des meditativen, gefühlten Gewissens, die nicht mit Kohle, sondern mit Gewissensbissen der Selbst-Erinnerung geheizt wird (vgl. Kap. 3.1.2). Die fünfte und letzte Strophe steigert das Leiden unter dem Gewissen zur Todesvision. Das angesprochene Du ist nun nicht mehr ein Teil des lyrischen Ich, nicht mehr die Sünde bzw. das belastete Gewissen, sondern Gott: »Lord! / O hear how short I Breath! / See how I Tremble here beneath! / A Sin! Its Ugly face / More Terror, then its Dwelling Place, / Contains, (O Dreadful Sin!) / Within!« (V. 22-28). Die Kurzatmigkeit, die das gesamte Gedicht durchzieht, wird zur tödlichen Atemnot, das lyrische Ich verliert die Selbstkontrolle, beginnt zu zittern.296 Das Selbstgespräch mit dem Spiegelbild des Gewissens ist auf seinem Höhepunkt ein Selbstgespräch angesichts des Todes (s. V. 22-28).

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»Man was sick when his body was out of control.« (Roy Sydney Porter / Dorothy Porter: In Sickness and in Health. The British Experience 1650-1750. London 1988, S. 62).

219 Die Vision des eigenen Todes impliziert dabei das Höchstmaß an Selbsterkenntnis: Der Tod lässt das meditierende lyrische Ich vor sich selbst die Augen öffnen. 297 Als habe es eine furchtbare Vision vor Augen, beschreibt es den hässlichen Anblick der Sünde im Spiegel der Selbsterkenntnis. Die Syntax der letzten Verse ist kompliziert und scheint verwirrt, birgt aber eine tiefere Wahrheit, wie das Sprechen in einem entrückten, aber bewusstseinserweiterten Zustand. Aufgelöst müssten die letzten Zeilen lauten: >Das hässliche Gesicht der Sünde birgt in sich mehr Schrecken als der Ort, an dem sie gebüßt wird, die Hölle. < Der eingeklammerte Einschub in Vers 27 erinnert an ein Stöhnen des in der Todesvision leidenden meditierenden Ich des Gedichts. Die komplizierte und umgestellte Syntax des letzten Satzes rückt das »Within !« als Ausruf ans Ende und verleiht ihm eine Selbständigkeit als Vers. Damit erlangt der Ausruf »Within !« auch eine erweiterte Bedeutung, die das Gedicht inhaltlich und strukturell resümiert: Der Ausruf beschreibt das Leid der Selbsterinnerung des meditativen Gewissens »within«, das auch nur in Form eines >Gesprächs within< adäquat verbalisiert werden kann - in Form eines meditativen Selbstgesprächs mit dem hässlichen, entstellten und entfremdeten Spiegelbild des Gewissens. An dieser Stelle ist nochmals auf den möglichen Einwand einzugehen, dass in den geistlichen Gedichten der Frühen Neuzeit lediglich von einem exemplarischen, rollenhaften Ich gesprochen werden könne, das nicht subjektiv-individuell und deshalb auch nicht >lyrisch< sei. Es ist - wie in Kap. 2.5 bereits dargelegt - zu berücksichtigen, dass die Todesbetrachtung, die sich als meditative Struktur auch in der Lyrik nachweisen lässt, den lyrischen Text unter das Vorzeichen meditativer Beschäftigung mit sich selbst stellt und dass deshalb auch erkenntnishafte, überindividuell wirkende Elemente Bestandteil der individuellen Meditation des lyrischen Ich sind. Nicht Krankheit und körperlicher Verfall oder ausschließlich didaktische Intention liegen dem meditativen Gedicht zugrunde, sondern ein >meditatives ErlebnisZweck< l i e g e in der Vermittlung der erkannten über-individuellen Wahrheit. 3 0 5 In der Tat spricht die durch die vanitas- Warnung erfolgte W e n d u n g d e s Sonetts ins A l l g e m e i n g ü l t i g e zunächst dafür, j e g l i c h e Subjektivität und Individualität für das l y r i s c h e Ich d e s G e d i c h t s a u s z u s c h l i e ß e n . A u c h C o l l m e r sieht in der l y r i s c h e n Bearbeitung von Todesvisionen keine Erlebnisverarbeitung, sondern eine doppelte rhetorische Intention: The first was grounded in the recognition that all men fear death; it held that to reduce fear the mind should be purposefully thrown imaginatively into the presence of death. Second, godliness was believed to be a desiderable trait; one way to acquire this godliness was to pursue thoughts of death, which because of their terror would lead men to consciousness of their need for God. 306 A n g s t b e w ä l t i g u n g und » S e l b s t m o t i v i e r u n g « zu e i n e m g o t t g e f ä l l i g e n L e b e n sind demnach als Grund der großen Verbreitung solcher Todesmeditationen zu sehen und als überindividueller Z w e c k intendiert. D o c h ist zu berücksichtigen, dass der Titel des Sonetts, » A n sich Selbst«, das Gedicht unter das Vorzeichen meditativer Beschäftigung mit sich selbst stellt und meditative Strukturelemente das Gedicht als >meditatives Gedicht< auszeichnen. Selbst der erkenntnishafte, über-individuell wirkende Schluss (V. 1 2 - 1 4 ) ist Bestandteil der individuell-persönlichen Meditation. Nicht Krankheit und körperlicher Verfall liegen e t w a als Erlebnis d e m Gedicht zugrunde, sondern ein >meditatives Erlebnis< des lyrischen Ich, ein individueller meditativer W e g zur über-individuellen Erkenntnis. 3 0 7

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Thematisierung des einzelnen Menschen und der Erhaltung seiner Individualität zeugt. Denn schließlich steht hier nicht der Jüngste Tag als Ende der gesamten irdischen Welt, sondern das ganz persönliche Ende im Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. Kap. 3.2). Wolfram Mauser: Dichtung, Religion und Gesellschaft, S. 147. Robert Grary Collmer: The Meditation on Death and ist Appearence in Metaphysical Poetry. In: Neophilologus 45 (1961), S. 323-333, S. 325. Insofern widerspreche ich der in der Forschung dominierenden Ansicht - vgl. Viktor Manheimer: Die Lyrik des Andreas Gryphius. Studien und Materialien. Berlin 1904, S. 193f., Walther Rehm: Der Todesgedanke in der deutschen Dichtung vom Mittelalter bis zur Romantik. Halle a.d. Saale 1928, S. 193f., Gerhard Fricke: Die Bildlichkeit in der Dichtung des Andreas Gryphius. Darmstadt 1967, S. 118, Erich Trunz: Fünf Sonette des Andreas Gryphius. Versuch einer Auslegung. In: Vom Geist der Dichtung. Gedächtnisschrift für Robert Petsch. Hg. v. Fritz Martini. Hamburg 1949, S. 204 und Renate Gerling: Schriftwort und lyrisches Wort. Die Umsetzung biblischer Texte in der Lyrik des 17. Jahrhunderts. Meisenheim am Glan 1969, S. 115 und Marian Szyrocki: Andras Gryphius. Sein Leben und Werk. Tübingen 1964, S. 55, die eigene Krankheit, persönliche Erlebnisse und »schwere Erfahrungen« in Gryphius' Lyrik »selbstquälerisch« zum Ausdruck gebracht sehen. Nicht die lyrische Verarbeitung angeblicher Krankheitserfahrung oder des tatsächlich bevorstehenden Todes des Autors macht diese Gedichte aus, sondern die meditative Einbildung in Anlehnung an Bußpsalmen (und Passion, s. dazu Kap. 3.2.2.2) im Rahmen betrachtender Auseinandersetzung mit eigener Sünde und dem Gewissen. So beschreibt das lyrische Ich in Gombaulds Sonett »Comme en songe« reinen Zustand mit den Worten »Et je suis de moy-mesme une image funeste«, es empfindet sich als »fantosme qui court apres l'ombre d'un bien / Ou qu'un corps animé d'un seul ver qui le ronge«. Es sei »plus rien [...] / Qu'un

224 Hier tritt die bereits mehrfach erwähnte Verschränkung von individueller Meditation und überindividuellem rhetorischem Z w e c k zutage, die die oft vertretene - und für die nicht-meditative Poesie auch sicher zutreffende - Meinung relativiert, die im Zeichen der Rhetorik stehende P o e s i e diene nicht der Wahrheitsfindung, sondern der Wahrheitsvermittlung. 3 0 8 Der meditative >Weg zur Wahrheit< ist konstitutiver Bestandteil des Gedichtes und repräsentiert die lyrische, individuell-subjektive Komponente des Gedichts. Dieser W e g ist zwar überindividuell nachvollziehbar, bleibt aber dennoch originäres Erfahrungseigentum des lyrischen Ich. D i e Wahrheitsfindung nimmt einen großen Teil des Gedichtes ein und ist durch ihre Wendung zur überindividuellen, rhetorischen Wahrheitsvermittlung nicht als inexistent beiseite zu schieben oder unter d e m Vorzeichen der persuasio

in ihrem Wert als individuell-subjektives meditatives

Erlebnis zu negieren. 3 0 9 Meditative A n e i g n u n g und Einbildung ist nicht mit e i n e m »Rollengedicht« gleichzusetzen, 3 1 0 und umgekehrt ist selbstverständlich auch nicht j e d e s R o l l e n g e d i c h t ein m e d i t a t i v e s Gedicht. D i e M e d i t a t i o n ist e b e n nicht nur Argumentation im Dienste v o n Wahrheit, Rhetorik und Rollenbewusstsein innerhalb der Heilsordnung, und deshalb sind bei (lyrischen) Texten mit meditativer Struktur diese Aspekte auch nicht verabsolutierend und in künstlicher Ausschließlichkeit in den Vordergrund zu rücken. 3 1 1

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esprit ténébreux, qui void tout comme en songe, / Et cherche incessamment ce qu'il ne peut trouver.« (Zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 2, S. 92, V. 4, V. lOf. und 13f.). Ebenso spricht das lyrische Ich in Pierre Patrix' (1583-1671) Gedicht mit dem Titel »Étant un peu remis de sa crainte, il s'offre à Dieu pour mourir au pied de la croix« (zit. nach La poésie française de 1640-1680. Poésie religieuse, Epopée, Lyrisme officiel. Hg. v. Raymond Picard. Paris 1964, S. 153) von sich als »cette maigre, sèche et mourante victime« (V. 6), »en cet état funeste« (V. 13) sei dies nun alles, was ihm zum »triste départ« bleibe (V. 16). Auch die folgenden Zeilen sind leicht als lyrische Bewältigung eines zurückliegenden Krankheitserlebnisses misszuverstehen: »M'y voilà parvenu, toute force me laisse; / Je ne fais que tomber de faiblesse en faiblesse; / Ma fin sans doute approche, et de peur d'expirer, / N'ose plus respirer. //Ah! voici ce moment que mon âme appréhende: / Au secours, mon Sauveur, permettez que je rende / Et mes derniers soupirs, et mes derniers abois, / Au pied de votre Croix.« (V. 17-25) Dem lyrischen Ich sind die Kräfte entschwunden, es wagt nicht mehr zu atmen, der Zeitpunkt des letzten Atemzuges ist gekommen. Gewissensthematisierung in den Bildern der tödlichen Sünde initiiert die lyrische Todes- und Dekompositionsvision - die Annahme angeblicher biographisch-erlebnishafter Bezüge verflacht ungerechtfertigt die Lyrizität dieser Gedichte im Dienste des rhetorischen Vanitas-Topos. S. z.B. Hans Peter Herrmann: Naturnachahmung und Einbildungskraft. Zur Entwicklung der deutschen Poetik von 1670 bis 1740. Bad Homburg v. d. H. 1970 (Ars Poetica 8), S. 51. Zur berechtigten Rede vom >subjektiven< lyrischen Ich in der meditativen Lyrik s. auch Günter Butzer: Schicksale des lyrischen Ich. In: Sprache und Literatur 30 (1999), H. 2: Lyrik und Erinnerung, S. 3-15, S. llf. So hingegen Wolfram Mauser: Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die »Sonnete« des Andreas Gryphius. München 1976, S. 147: »Der eigentliche Anstoß war der Gedanke, die Wahrheit. Sie galt es zu vermitteln. Dieser Vermittlung kann die Fiktion des persönlichen Leidens (Rollengedicht) ebenso dienen wie die Abfolge von asyndetischen Exempelreihen, die den Gedanken der Vergänglichkeit eindringlich vor Augen führen.« So z.B. Wolfram Mauser: Dichtung, Religion und Gesellschaft, S. 120, 139, 145ff., der zwar die Gedichte Gryphius' vor dem Hintergrund der Meditation sieht, die Meditation aber nicht als ganze anerkennt und stattdessen nur die am Ende stehende überindividuelle Erkenntnis gelten

225 Selbst die in dieser Arbeit bereits dargestellte Tatsache, dass die Betrachtung des Todes und die Beschreibung physischer Verfallssymptome in der Erbauungsliteratur vorgebildet ist, 312 schließt ihren subjektiven Gehalt nicht aus. In Kap. 1.3.2 wurde bereits gezeigt, dass intertextuelle Bezüge zur Meditations- und Erbauungsliteratur Hinweise auf das individuelle Sich-Aneignen dieser Meditationsmodelle in der eigenen Meditation sind. Die lyrische meditatio mortis und meditative Todesvision ist - unabhängig von ihrem auf allgemeine Wahrheit verweisenden Ende - zunächst als Ausdruck der Selbstbetrachtung anzuerkennen. Ihr meditativer, allgemeingültiger Erkenntnisgehalt sollte nicht dazu führen, den Erkenntnisweg zwangsläufig ebenfalls als über-individuell und rollenhaft zu beurteilen - dies würde dem Charakter der meditativen Praxis als verinnerlichtem, persönlich-individuellem Erkenntnisweg nicht gerecht. In einer meditatio mortis bei Jacob Böhme heißt es, nachdem das exemplarische meditierende Ich seinen Tod betrachtend >erlebt< hat (»Vor dir liege ich als ein Todter, dessen Leben auf seinem Gaumen schwebet«), zum >Formelcharakter< der Bilder des Todes zur meditativen Gewissensthematisierung explizit: Auf solche oder dergleiche Art, wie sich ein ieder in seinem Gewissen fühlet, in was Sünden er seine Seele eingeführet hat, mag er beichten, wiewol, so der Fürsatz recht Ernst ist, keine Formula nöthig zu machen ist, dann der Geist Gottes, welcher balde im Willen des Gemüths ist, wird sie ihme im Gewissen wol selber machen. 313

Die überindividuellen formulae der Todesvision entstehen bei > wahrer Busse< in der Meditation quasi von selbst als individuelle, vom Gewissen »selber gemachte«. Diese Verschränkung von Individuellem und Überindividuellem ist für das meditierende (lyrische) Ich des 17. Jahrhunderts charakteristisch. Der meditative Blick auf das eigene Sterben im >erlebten Tod< bzw. das Lebendig-tot-Sein in der Todesvision ist

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lassen will. Ebenso Karl Otto Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts. Bonn 1962, S. 177-182, der bezeichnenderweise von der Kategorie des »Meditierend-Deiktischen« spricht. Zur weiteren Illustration sei hier eine Todesmeditation von Dilherr angeführt: »Erstlich wird sie [die Seele] auß den äussersten Gliedern weggetrieben: Vnd sterben anfänglich die Zeen / Finger / Füsse; darnach die Arm und Bein; und also folgends ein Glied nach dem andern Das Häubt erzittert: der Verstand verfallt: die Augen werden wie vergaset / und trehen sich im Kopff herüm: die Ohren werden taub: die Zunge wird stumm; oder bringet doch so zerstümmelte Wort für / daß sie auch die allerbesten Freunde nicht verstehen können: die Nase spitzet sich an / und fallet ein: der Odem wird kurtz: der gantze Leib reucht schon nach der Erden / darein er in Kürtz solle verscharret werden [...].« (Johann Michael Dilherr: Freud / in Leid: Vnd Lebendiger Trost / wider den zeitlichen Tod / Vnd wider die Anfechtung im Absterben ungetauffter Kindlein. Nürnberg 3 1653, S. 223f. S. auch Georg Lintzner: Memento mori. Das ist: Heilsame Todes-Gedancken Wie nemlich ein wahrer Christ seinen Tod stets betrachten und sich durch ein christlich Leben zu demselben bereiten: Sonderlich aber mit kräfftigen Trost-Sprüchen wider seine letzten Feinde ausrüsten soll; Auf daß er Christ-ritterlich überwinden und endlich die Crone des Ewigen Lebens überkommen möge. Samt einem Anhange von der Seligen und Unseligen Ewigkeit zum Trost und Warnung. Nürnberg 1675, S. 3Iff.). Jacob Böhme: Christosophia oder Der Weg zu Christo (wahrsch. 1620). In: Jacob Böhme: Sämtliche Schriften. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730 in elf Bänden. Neu Hg. v. Will-Erich Peuckert. Stuttgart 1957, Das I. Büchlein: Von wahrer Busse, S. 12.

226 Zeugnis der Selbstthematisierung aus der individualitätsbewussten, in sich selbst gewendeten und zu sich selbst in Distanz tretenden Perspektive der Selbst-Betrachtung im Kontext des permanent erinnernden, verinnerlichten meditativen Gewissens.

3 . 2 . 2 Verkörperte S e l b s t e r i n n e r u n g a m K r e u z der M e d i t a t i o n : der mitgelittene Tod D i e meditative Selbstthematisierung in den Bildern des Todes ist auch in ihrem Zusammenhang mit der Passionsbetrachtung zu sehen. Dieser Konnex geht über die nahe liegende Verbindungslinie der Erlösungshoffnung in Vorbereitung auf die Todesstunde hinaus 3 1 4 und ist in der (lyrischen) Todesmeditation unseres Untersuchungszeitraumes mitunter bedeutend hintergründiger: Das meditative Mitleiden des betrachtenden Ich kann die Grenzen zwischen Meditationsobjekt und Meditationssubjekt verschwimmen lassen und die Passionsbetrachtung zur Selbstbetrachtung am Kreuz der Meditation führen, zum selbsterinnernden Körpergedächtnis. Luther modifizierte das Passions Verständnis des Mittelalters 3 1 5 - er wandte sich gegen die compassio

im Sinne des Mitleidens durch die Einfühlung in das Leiden

Christi und verstand auch die imitatio Christi nicht mehr als Tugendnachfolge. In der

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Dazu sei eine Passage aus Ahasver Fritschs Passionsbetrachtung zitiert, die den Meditierenden in seinem »geängsteten Gewissen« auf die Erlösungshoffnung des Kreuzestodes Christi verweist: »Aengstet dich dein Gewissen / quälet dich die Sünde / schrecket dich der Zorn Gottes / jaget dir der herbey nahende Tod eine Furcht ein: Machet dir das zukiinfftige Gericht / und die darauf folgende Höllen= Verdamnüß angst und bange: Ach! sihe nur mit unverwendeten Glaubens=Augen / das erhöhete eherne Schlänglein / deinen gecreutzigten Jesum an. Das Leyden und Sterben Jesu Christi ist die rechte Nacht=Harffe / die den Menschen in der Sünden= und Todes=Nacht lebendig machet. Laß diese Nacht= Harpffe in deinen Ohren erklingen. Die allersiisseste Betrachtung Christi Lebens und Todes kan dir des Todes Bitterkeit versüssen und vertreiben. Nur immer in seine Wunden / in sein Hertz / in sein mit Speichel / Blut und Schweiß besudeltes Angesicht gesehen. Solches anschauen gibt der matten / kraftlosen / unruhigen Seelen Krafft / Stärcke / Labsal / Ruhe / Trost / Leben / Heyl und Seligkeit.« (Ahasver Fritsch: Im Nahmen Jesu! Der Biß aufs Blut jämmerlich gegeisselte JESUS Der einig=geliebteste Sohn Gottes. Item In der traurigen Leidens=Nacht wachende JESUS / Zu heiliger und erbaulicher Betrachtung Vorgestellet [...]. Frankfurt a.M. 1660, S. 94). Ähnlich in den Todesbetrachtungen von Charles Drélincourt: »Pour mourir avec la paix & le repos de la conscience, il faut avoir toûjours devant nos yeus la Mort & Passion de nôtre Seigneur Jésus Christ, & nous apuyer sur la Croix. Car la Mort de ce Prince de Vie est le vray modèle de la nôtre; Et c'est la source de toutes les joyes & de toutes les consolations de l'Ame fidèle.« (Charles Drélincourt: Les Consolations de l'âme fidèle contre les frayeurs de la mort. Avec les Dispositions & les Préparations nécessaires pour bien mourir. Nouvelle Edition, revue exactement, & augmentée par l'auteur, Paris 1669 ['1651], S. 334). Im Spätmittelalter schrieben vor allem Bernhard von Clairvaux und die Bewegung der devotio moderna der Passsiomeditation eine große Bedeutung zu (s. dazu auch Wolfgang Brueckle / Jürgen Müller: Der innere Christus. Zur mnemotechnischen Tradition der Passionsandacht und einer mystischen Vergegenwärtigung des Gekreuzigten bei Pieter Bruegel d. Ä. In: Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistungsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne. Hg. v. Jörg Jochen Bems und Wolfgang Neuber. Wien 2000, S. 605-638, S. 606ff.).

227 lutherischen Passionsbetrachtung waren die Affekte nicht primär auf das Leiden Jesu auszurichten, sondern auf den sündigen Zustand des Gläubigen selbst - die compassio geht aus der Selbsterkenntnis hervor. Die der Passion implizite Erlösungshoffnung erfährt gegenüber dem Aspekt der Tugendnachfolge stärkere Betonung. Daraus resultiert ein neues Konzept der Passionsmeditation, die weniger als affektives Selbstgespräch denn als katechetischer Dialog im Dienste des docere zu verstehen ist. Die Betrachtung der Passion zielt primär auf die weniger affektive als verstandesmäßige Selbsterkenntnis des protestantischen Gläubigen als simul iustus et peccator. Martin Moller, Verfasser der Soliloquia de Passione lesu Christi,316 machte diese Entwicklung insofern rückgängig, als er in seinen Passionsbetrachtungen wieder stärker die religiöse Erfahrung und die für die Meditation der Frühen Neuzeit charakteristische Selbstaffektion mit dem Ziel ganzheitlicher Verinnerlichung betonte. Moller gilt als bekanntester Vermittler altkirchlicher und mittelalterlicher Mystik an den Protestantismus. Seine auf Verinnerlichung gerichtete Frömmigkeit bedeutet aber keine grundsätzliche Infragestellung protestantischer Theologie und versteht sich nicht im Widerspruch zu ihr. Das >Mystische< der lutherischen Mystik Mollers, später auch Arndts und Johann Gerhards, liegt hauptsächlich in der Innerlichkeit des Glaubensbegriffs und bewegt sich nach Auffassung der neueren Forschung stets im Rahmen der lutherischen Dogmatik. 317 Die Möglichkeit der unio cum Deo als mystisches Hauptthema erscheint bei Moller in dogmatisch domestizierter Form in ihrer eschatologischen Perspektive und war somit leichter in die protestantische Lehre zu integrieren.318 Die von der Dogmatik geforderte Selbsterkenntnis wird aller-

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Martin Moller: Soliloquia de Passione lesu Christi. Wie ein jeder Christen Mensch das allerheyligste Leyden und Sterben unsers Herrn lesu Christi / in seinem Hertzen betrachten / Allerley schöne Lehren / und heylsamen Trost darauß schöpften / und zu einem Christlichen Leben / und seligen Sterben / nützlich gebrauchen sol. Aus heiliger Göttlicher Schrifft / und den alten Vätern / mit fleiß zusammen getragen. Görlitz 1587. Als weitere >Bestseller< verfasste er das Manuale de praeparatione ad mortem. Heylsame und sehr nützliche Betrachtung, wie ein Mensch christlich leben und seliglich sterben sol. Görlitz 1595 und Praxis Evangeliorum. Einfeltige erklerung und nützliche betrachtung der Evangelien so auff alle Sontage und vomemesten Fest jährlich zu predigen verordnet sind. Für alle fromme Hertzen / die sich in jetzigen letzten Zeiten vom sündlichen Welt Laufft absondern / und auff die Erscheinung unsers Herrn lesu mit Frewden warten. Görlitz 1601. So vor allem Elke Axmacher: Zur Rezeption mittelalterlicher Mystik durch Martin Moller. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 68 (1989). Zit. nach der elektronischen Veröffentlichung unter http://www.tgkm.uni-bielefeld.de/theologie/dozent/axmacher/mystik.htm. Zum Passionsverständnis grundlegend Elke Axmacher: Praxis Evangeliorum. Theologie und Frömmigkeit bei Martin Moller (1547-1606). Göttingen 1989 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 43), S. 168-177. Anders noch Albrecht Ritsehl: Geschichte des Pietismus in der lutherischen Kirche des 17. und 18. Jahrhunderts. Bonn 1886, der alle Mystik im Protestantismus kompromisslos ablehnt, und Wilhelm Koepp: Johann Arndt. Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum. Aalen 1973 (Neudruck der Ausgabe Berlin 1932). Elke Axmacher: Zur Rezeption mittelalterlicher Mystik durch Martin Moller.

228 dings - im Unterschied zu Luther - verwirklicht durch Selbstaffektion. 3 1 9 D i e s e wird erreicht durch innere Bilder, 3 2 0 die die Einbildungskraft bei der Lektüre der Schrift hervorbringt. D i e durch Moller, Arndt und Gerhard vertretene nachreformatorische Passionsmeditation rückt durch die Nutzung der Einbildungskraft als M e d i u m der Selbstaffektion in die N ä h e der ignatianischen Betrachtung, deren Traditionslinie in den katholischen, vor allem jesuitischen Passionsbetrachtungen des späten 16. und 17. Jahrhunderts fortgeführt w i r d . 3 2 1 D i e (lyrische) Passionsbetrachtung des späten 16. und 17. Jahrhunderts steht, so soll i m Folgenden g e z e i g t werden, i m Zeichen d e s meditativen G e w i s s e n s . D i e zur Selbstaffektion durch die Einbildungskraft erzeugten inneren Bilder der Passionsbetrachtung dienen d e m meditierenden Ich als Ausdrucksrepertoire zur Selbstthematisierung in den Bildern des Todes. B e s o n d e r e Aufmerksamkeit ist dabei auf Rollenspiel, Bühnentechnik und Körper-Choreographie auf der inneren B ü h n e der meditativen Selbsterinnerung zu lenken.

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Günter Butzer: Rhetorik der Meditation. Martin Mollers »Soliloquia de Passione Iesu Christi« und die Tradition der eloquentia sacra. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 65. Das intensiv geübte Mitleiden in der Meditation widerspricht dem (neo-)stoizistischen Ideal der constantia, der beständigen Affektbeherrschung. Justus Lipsius, durch dessen Vermittlung die Philosophie der Stoa im 17. Jahrhundert zu großem Einfluss gelangte, beschreibt in seinem Traktat »De Constantia« die Vorstellung, dass neben der objektiven Vernunft als göttlichem »Funken« im Menschen der subjektive »Wahn« als zweites, korrumpiertes Erkenntnisvermögen besteht, das dem Menschen die »[...] bilder der dinge [...] durch die Fenster der Sinne« vermittelt und dadurch die Affektbeherrschung gefährdet (Justus Lipsius: Von der Bestendigkeit [De constantia]. Hg. v. Leonard Forster, Stuttgart 1965 [Faksimiledruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der 2. Auflage von c. 1609], Buch I., Kap. 5, S. 14). Ein derartiger »zu meßigender« Affekt ist auch das selbst »elend« machende Mitleid: »Und damit dieselbige Erbarmung recht beschrieben werde / so ist sie nichts anders / als ein gebrechen eines schwachen und geringen Gemüts / welches gantz und gar damider ligt / wann es sihet / das es etwa einem andern ubel gehet.«(Justus Lipsius: Von der Bestendigkeit, Buch I, Kap. XII., S. 35). Die Meditation scheint, indem sie bewusst auf die Evozierung von Affekten setzt, sie aber durch bestimmte methodische Schritte lenkt und zügelt, den Freiraum für eine Affektgeladenheit zu schaffen, die ansonsten den philosophischen Ansprüchen der Zeit i.S. der objektiven, affektentbundenen Erkenntniskraft der Vernunft nicht genügen kann. Zur Affektregulierung, Selbstaffektion und therapeutischen Einverleibung des sterbenden Christus s. Günter Butzer: Rhetorik der Meditation. Auch Luther baute auf die Evozierung innerer Bilder durch die Lektüre und lehnte lediglich äußere Bilder bzw. die Auffassung, dass die inneren Bilder durch äußere zu beeinflussen seien, ab (Jörg Jochen Berns: Umrüstung der Mnemotechnik im Kontext von Reformation und Gutenbergs Erfindung. In: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400-1750. Hg. v. Jörg Jochen Berns und Wolfgang Neuber. Tübingen 1993 (Frühe Neuzeit 15), S. 35-72, S. 42). Wie Kemper feststellt, »[...] pflegte und entwickelte gerade der Jesuitenorden eine stark am Willen und der Phantasie orientierte Mystik [...], in welche zugleich die Visionsliteratur als spätmittelalterliche Modegattung breiten Eingang fand [...].« (Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit. 5 Bde. Bd. 3: Barock-Mystik. Tübingen 1988, S. 20). S. dazu auch Friedmann Harzer: Meditation und Imagination in Friedrich Spees »Güldenem Tugend-Buch«. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 291-305.

229 Passionsbetrachtungen sind in unserem Untersuchungszeitraum durch besondere Quantität und Intensität ausgezeichnet. 322 Mit anatomischer Genauigkeit beschreibt 322

In der »Bibliotheca Realis Theologica Omnium Materiarium, Rerum et Titulorum« (1685) von Martin Lipenius werden unter dem Lemma >passio< allein 232 deutschsprachige Titel aufgeführt. »Zu den beliebtesten Motiven der deutschen Barockliteratur gehört die bereits aus der mittelalterlichen Mystik geläufige meditatio vulnerum Christi, die Beschreibung der Wundmale des Erlösers und seines verletzten Körpers. Detailliert, mit bisweilen irritierender Akribie [...] wird der zerschundene, gefolterte Leib Jesu dargestellt.« (Peter André Alt: Der fragile Leib. Körperbilder in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. In: Colloquia Académica. Akademievorträge junger Wissenschaftler. Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Stuttgart 1995, S. 7-31, S. 12). S. auch Kiefer-Lewalski, die vom Nachvollzug der Passion »in sensory detail« spricht (Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 152). S. z.B. Martin Moller: Soliloquia de Passione Iesu Christi. Wie ein jeder Christen Mensch das allerheyligste Leyden und Sterben unsers Herrn Iesu Christi / in seinem Hertzen betrachten / Allerley schöne Lehren / und heylsamen Trost darauß schöpffen / und zu einem Christlichen Leben / und seligen Sterben / nützlich gebrauchen sol. Aus heiliger Göttlicher Schlifft / und den alten Vätern / mit fleiß zusammen getragen. Görlitz 1587; Martin Opitz: Herrn Martin Opitzens Erzehlung Des Leidens und Sterbens unsers Heylandes. Beneben XII. Geistlichen Betrachtungen des allerheiligsten Todes JESU Christi [...] auffgesetzet Von Thomas Stegern / Prediger zu Leipzig. Leipzig 1659; Regina Catharina von Greiffenberg: Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina / Frau von Greiffenberg / Freyherrin auf Seysenegg / Zu Vermehrung der Ehre GOttes und Erweckung wahrer Andacht / mit XII. Sinnbild=Kupfern verfasset und ausgefertiget. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983, Bd. 9 und 10 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1672); Günther Heiler: Geistlicher Blumen=Garten Uber das bittre Leiden und Sterben Jesu Christi, Darauß ein jeder Gottesfurchtiger und bedrängter Christ / in allerley Creutz und Elend / Jammer und Trübsal / Noth und Todt / mancherley schöne Blümlein zu seyner Labung und Stärckung abbrechen kann. Frankfurt 1669; M. Christian von Stöcken: Christi Ohnmacht der Christen Andacht / Poetisch auffgesetzet / Und mit unterschiedlichen so wol Passions-Gesängen als =Gebeten vermehret / also / daß es an staht eines Passion-Büchleins kan gebraucht werden. Ratzeburg 1668; Günther Heiler: Passions=Harfe / Das ist Andächtige Betrachtungen des allerheilsamsten Leidens Christi / Allen Gottseligen Jesus=Liebhabem fürgestellet [...]. Straßburg 1676; Ahasver Fritsch: Im Nahmen Jesu! Der Biß aufs Blut jämmerlich gegeisselte JESUS Der einig=geliebteste Sohn Gottes. Item In der traurigen Leidens=Nacht wachende JESUS / Zu heiliger und erbaulicher Betrachtung Vorgestellet [...]. Frankfurt a.M. 1660; Ahasver Fritsch: Im Nahmen des Gecreutzigten! Geistlicher Myrrhen=Püschel / zwischenzweyen Brüsten hangend / Das ist / hertzbeweglichste Ermahnung / zu täglicher und ohnabläßiger innigster Betrachtung Des bittern Leidens und Sterbens Jesu Christi / Des Sohns Gottes unsers einigen Heylandes Mittlers und Erlösers Nebst einigen anderen Passions=Andachten [...]. Breslau 1680; Johann Heermann: Crux Christi. Die schmertzliche und trawrige Marter=Woche / unsers hochverdienten Heylandes Jesu Christi / Daraus zu sehen / wie Blutsawr es ihm worden / uns zu erlösen. Betrachtet aus dem schönen Passion=Büchlein der vier Evangelisten / Und in Eilff Lehr= und Trostreichen Predigten erkläret [...]. Leipzig 1618; Franciscus Coster: Fünfftzig Betrachtungen / Von der gantzen History / deß bittern Leidens und Sterbens / unsers geliebten Herrn und Seligmachers Iesu Christi. Durch [...] Franciscum Costerum [...] im Latein beschrieben [...]. Dillingen 1588; Ludovicus Crasius: Passion=Spiegel / Oder Vortrab Zum Buch deß Lebens. Worinnen Zehen Haubt=Geheimnussen deß bittern Leyden und Sterbens / in der Persohn CHRISTI, Durch anmüthige Klag=Figuren Auff ein newartende Weiß. Einerseits von der Lieb / und anderseits von den Schmertzen. [...] Zu mitleydigen Augen / und Dancksichtigen Hertzen wol zubetrachten und hochzuachten: Sonderlich durch die Heilige Fasten=Zeit [...] Sampt einem Zusatz Von Verehrung der allerheiligsten fünff Wunden Jesu Christi / oder ein andächtig Weiß / in disen zeitlich und ewig zuwohnen. Wien 1671.

230 die Protestantin Regina Catharina von Greiffenberg in ihren Passionsbetrachtungen den Tod Jesu am Kreuz: Es arbeiteten alle Glieder / es krachte das herze / in daransteckung aller kräften. Es rungen alle ädern und kräfte alles eingeweides / und trieben ihr vermögen heraus. Das him vertruknete seine feuchtigkeit / das hirn=häutlein zerspränge fast darob / die augen=häutlein u. gläßlein verschmelzten ihre säfte / die ohren vermieten ihre gehör=werkzeuge / der nase luft=röhrlein schössen mit blut an / die gurgel ward von heraufsteigenden dämpfen erstöcket / das äderlein der zunge wolte vor anziehung abreissen / die zäne vor schmerzen knirschen und ausfallen. Was thäte erst das herze? ach! das wolte vor tausend quälen brechen / zerspringen und vergehen / vor starker bewegung / zwang / und drang / den es leiden muste. Der magen verschrumpfte / die leber zergienge / das milz ward versteinert / die nieren zerschmolzen / das mark in beinen Schwunde und versotte sich / vor lauter ringen und bewegen / durch unleidliche schmerzen. 323

Das meditierende Ich fühlt sich in »eigentlichster Einbildung« in die Passion Christi ein, wie die Rede vom Erneuern und Vergrößern der Qualen durch das Sich-Winden in Schmerzen und die recht detaillierten Vorstellungen324 vom Einreißen der Wunden durch den der Schwerkraft unterworfenen Körper zeigen: Ich will durch innigliches Mitleiden / aus eigentlichster Einbildung / am Hertzen die Schmerzen fühlen / die ihme das unbarmhertzige Kreutzeinstossen in die Erde / an seinen heiligen Hände= und Füsse=wunden verursachet hat: [...]. Ach! in wie viel hohem grad wurde sein Leiden gesetzet / durch das Kreutz=aufsetzen. Da wurden erst die Nägel=wunden / durch den schwehren Leib / abwerts gezogen / und recht ausgedehnt / daß sie hätten ausreissen mögen. Ach! unausdenkliche schmerzen! Da hatte / das ganze hängende Leib=Gewicht / keine andere Haltung / als dem aller unerleidlichsten wundenhaft. Bald wird die schwerheit den Leib von dem Kreuzstamm hinweg und abwerts gezogen haben / daß alle Adem und Gatter / mit uneinbildbaren Schmertzen / in tausend Stücke hätten zerspringen mögen. Bald werden sich die Glieder und Kräfte so gesteiffet und angesetzet haben / daß sie ihn an sich gezogen / aber ihme / wegen Einhaltung des Odems und Geblütes / schier das Hertze abgedrucket. Er wird sich / wie ein armer Wurm / winden wollen / und doch solches nicht vermocht haben / weil er weder Hände noch Füsse an sich ziehen können. So hätt er auch sein schmertzen vermehret / wann er sich jähling an das Kreutz=holtz mit dem rucken angestossen: dann dadurch hätte er die Geissel=striemen aufgeritzet / oder aber von der domen=kron einen neuen Haubt= und Hertz=stich bekommen. 325

Mit Hilfe der Einbildungskraft und den Gedächtnisbildern anatomischer Beschreibungen - auf die Bedeutung der Anatomie als Wissenschaft wurde bereits in Kap. 3.2 323

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Catharina Regina von Greiffenberg: Das allerheiligst- und allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi, Bd. 9, S. 107f. Kiefer-Lewalski behauptet in ihrer Untersuchung, die detaillierte Ausmalung der Lebensstationen Christi oder der Vier letzten Dinge in der Meditation gelte lediglich für die katholische, nicht aber für die protestantische Betrachtung (Barbara Kiefer-Lewalski: Protestant Poetics and the Seventeenth-Century Religious Lyric. Princeton 1979, S. 157). Dieser Auffassung kann vor dem Hintergrund des hier zusammengestellten Quellenmaterials nicht gefolgt werden. Catharina Regina von Greiffenberg: Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina / Frau von Greiffenberg / Freyherrin auf Seysenegg / Zu Vermehrung der Ehre GOttes und Erweckung wahrer Andacht / mit XII. Sinnbild=Kupfern verfasset und ausgefertiget. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983, Bd. 9 und 10 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1672), Bd. 9, S. 558-566.

231 hingewiesen - werden die Schmerzen des Erlösers ausgemalt. Dabei wird kein Detail ausgelassen, um die Grausamkeit des Kreuzestodes zu beschreiben - Hirnflüssigkeit, Hirnhaut, Augenlider und Augapfel, Innenohr und Zungenbändchen, Herz, Leber, Milz und Nieren spiegeln in pathologischen Reaktionen den »unleidlichen« Schmerz des Erlösers. Auffällig ist die Nähe der Texte Greiffenbergs zur anatomisch-wissenschaftlichen Lexik, z.B. in der Anatomia, Das ist: Sinnreiche / Künstliche /Begründete Auffschneidung / Theilung / unnd Zerlegung eines vollkommenen Menschlichen Leibs und Cörpers / durch alle desselbigen innerliche und eusserliche Gliedtmassen und Gefäß des Realdus Columbus aus dem Jahr 1609.326 Diese arbeitet ebenfalls stark mit Komposita und Verniedlichungsformen und weist auf den eventuellen Rekurs Greiffenbergs auf anatomische Literatur zur betrachtenden Vergegenwärtigung und Aneignung der Passion hin. So ist in der anatomischen Abhandlung ebenfalls vom »Hirnschalen=Häutlein« die Rede, auch werden »Etliche ästlein / welche durch die Löchlein der Hirnschalen schliessendt / sich in das Häutlein / so ob der Hirnschalen gelegen / und in die mäußlechte Haut außtheilen« beschrieben. Weitere Parallelen bzw. wörtliche Entsprechungen finden sich in der Beschreibung des »Pergamentshäutlein« und der »drey Feuchtigkeiten«, dem »Regenbogen Häutlein«, der »Glassförmigne Feuchtigkeit« sowie im Kapitel »Von dem Zäpfflein / Mandeln oder HalsEycheln / auch von demjenigen Häutlein / so die Nasen / den Gaumen / den Mündt / den Magenmundt / den Magen / die Gedärm und das Lufftrohr bekleydet«. Auch Kapitel über »Miltz«, Nieren und »Von den Gebeinen des Menschlichen Leibs« bzw. über das »Marek« lassen verblüffende, meines Erachtens von der Forschung bislang nicht erkannte lexikalische Entsprechungen zwischen anatomischer Literatur und Passionsmeditation erkennen. Die anatomisch genaue Beschreibung und Vergegenwärtigung des Betrachteten unterstützt das meditative und erkennende Einfühlen des betrachtenden Ich in den Körper des Gekreuzigten. Es setzt die Passion auf der >inneren Bühne der Meditation aber auch in Beziehung zur anatomischen Sektion, die ebenfalls als ein >Bühnenspektakel< des 17. Jahrhunderts gelten kann, 327 wie folgende Passage aus der anatomischen Abhandlung von Thomas Bartholinus zeigt: »In Summa, ich stelle hier vor den Kern aller Anmerckungen / und warhafften Meinungen / welche bishero entweder auf den Schaubühnen (da man die Cörper zerleget) gezeiget / oder aus

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Realdus Columbus: Anatomia, Das ist: Sinnreiche / Künstliche / Begründete Auffschneidung / Theilung / unnd Zerlegung eines vollkommenen Menschlichen Leibs und Cörpers / durch alle desselbigen innerliche und eusserliche Gliedtmassen und Gefäß [...]. Darauß das hohe/ scharpffsinnige Wundergebäw deß Menschlichen Leibs beyder Gestallt zu erlernen / welcher Form / Bildtnuß / Proportz und Gestallt der gantze menschliche Leib Cörper [...] durch den Allmächtigen Schöpffer Anfangs plasmiert und erschaffen [...]. Frankfurt a.M. 1609, insbes. S. 52ff. und 162ff. »Eigens dafür entworfen werden sogenannte Anatomietheater, welche die Zerlegung des Leichnams öffentlich als theatralen Akt inszenieren.« (Claudia Benthien: Haut. Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Reinbek bei Hamburg 1999, S. 59). Vgl. auch meine Ausführungen in Kap. 3.2.

232 den Schrifften herfür gebracht [..,].«328 Der anatomische Saal in Padua war - wie ein barockes Logentheater - mit Zuschauerplätzen auf Rängen ausgestattet, der Seziertisch die >BühneRolle< spielten. Die Tatsache, dass in der Frühen Neuzeit ausschließlich Straftäter als Sektionsobjekte in Frage kamen, 329 unterstreicht die anatomische Sektion auf der anderen Seite in ihrer Parallele zu Passion und Passionsbetrachtung als Akt der Buße. Ein paargereimtes, in Alexandrinern verfasstes Gedicht des französischen Katholiken Jean Auvray (1580-1630) 330 spielt mit der Grenzverwischung zwischen anatomischem Spektakel< und Passionsbetrachtung. Das lyrische Ich lässt sich von seiner Einbildungskraft als »insensible main« (V. 2) auf den »mont épouvantable« (V. 5) entführen, wo nichts »qu'horreur, qu'effroy, que sang, qu'abomination, / que mort, que pourriture et desolation« herrschen (V. 9f.). Das scheinbar gegen seinen Willen an diesen Ort getragene Ich sieht dort ein Kreuz, an dem »un homme massacré« (V. 14) hängt, dessen gewaltsamer Tod - der den meisten anatomischen Sektionen im 16. und 17. Jahrhundert vorausging - sich an seinem blutüberströmten, entstellten Körper erkennen lässt. Er ist »sanglant« »meurtry«, »difforme«, das Blut »que versoit son corps en mille lieux / Deshonoroit son front, et sa bouche, et ses yeux« (V. 15-18). Distanziert wird das am Kreuz hängende Objekt beschrieben: An »mille endroits« ist seine »chair« verletzt, von »ses pieds, ses mains, son chef, et sa bouche et son flanc« strömt »en ruisseaux« Blut herab (V. 20-22). Die Drastik der Beschreibung nimmt in den folgenden Zeilen weiter zu und wird erreicht durch die distanzierte Detailbeobachtung von Folterresultaten, die scheinbar unberührt und unkommentiert wie in einem Sektionsbericht wiedergegeben werden: »Sa peau sanglante estoit cousue avec ses os, / et son ventre attaché aux vertebres du dos / Sans entrailles sembloit, une épine cruelle / Fichoit ses aiguillons jusques dans sa cervelle, / Dont les sanglots bouillons à mesure sechez / Couloient, barbe et cheveux sur sa face couchez« (V. 25-30). Der Eingeweide entleert, ist die Bauchvorderseite an den Rücken geheftet, Nägel durchbohren den Kopf bis zum Gehirn. Die Blutströme sind »à mesure« bereits getrocknet, Haare und Bart kleben im Gesicht, »Ce qui restoit« hängt »horriblement« herab (V. 32). Lediglich in den Adjektiven »cruelle« und »horriblement« wird eine leichte Wertung des vorgestellten Bildes bzw. eine emotionale Regung ob des sich darstellenden Grauens angedeutet. Auch eine Zusammenfassung wird in diesem anatomischen Bericht< geliefert: »Bref, comme en ces lepreux confirmez et pourris, / L'on voyoit au profond de ses larges ulceres / Ses veines, ses tendons, ses nerfs et ses arteres, / L'on pouvoit aisément luy conter tous les os« (V. 34-37). Der geschundene Körper ist bereits nach allen Regeln der

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Thomas Bartholinus: Neu-verbesserte Künstliche Zerlegung deß Menschlichen Leibes / In vier absonderliche Bücher eingetheilet [...]. Nürnberg 1677 ( Ί 6 5 1 ) , Vorrede. Claudia Benthien: Haut. Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Reinbek bei Hamburg 1999, S. 76. Zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, S. 138f. S. Gedichtanhang.

233 Anatomie geöffnet, Venen, Sehnen, Nerven, Arterien und Knochen sind freigelegt und bezeichnet. 331 Dieses Anatomieobjekt wird nicht weiter als Christus identifiziert - allein Kreuz, Nägel und die örtliche Festlegung auf den >Berg< macht diesen Sektionsbericht zur compositio einer Passionsbetrachtung.332

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Vgl. Claudia Benthien: Haut. Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Reinbek bei Hamburg 1999, S. 77f. zum sich selbst bereitwillig öffnenden Körper anatomischer Darstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts. Der aus einer Hugenottenfamilie stammende, im Jahr 1625 zum Katholizismus konvertierte Antoine Girard de Saint-Amant (1594-1661) beschreibt in seinem acht Strophen umfassenden »Fragment d'une Méditation sur le Crucifix« die betrachtende Ein-Bildung und Vergegenwärtigung des Gekreuzigten durch das lyrische meditierende Ich, die in einigen Punkten der compositio des lyrischen Ich bei Auvray entspricht. Die Bezeichnung des Gedichtes als »Fragment« stützt den Befund, dass es sich auch hier nicht um eine ganze Meditation, sondern um die compositio einer Meditation handelt. Auch hier wird das meditierende Ich von der Einbildungskraft >fortgetragen< zum Grauen des Kreuzes, auch hier wird der Leib des Gekreuzigten anatomisch geöffnet. Die objektive Distanznahme scheint jedoch zugunsten stärker affektiven Momenten gedämpft. Zu Beginn steht die buchstäbliche örtliche Vergegenwärtigung - das lyrische Ich ist >vor Ortmit großem geistigen Eifer< auf den Berg Zion: »Pour contempler sa passion, / Pour m'en faire une image et plus vive et plus forte, / Sur la montagne de Sion / La grandeur de mon zèle en esprit me transporte.« (I., V. 5-8). Das lyrische Ich wird von der eigenen Imagination förmlich zum Betrachtungsort >getragen< - das Ich übernimmt die passive, die Einbildungskraft die aktive, sich verselbständigende Komponente. Die folgenden Strophen stellen den Erfolg der meditativen Vergegenwärtigung unter Beweis: Sie beginnen jeweils mit den Worten »J'y voy« oder »J'y remarque« und greifen diese zuweilen auch innerhalb der Strophe wiederholend auf. »J'y voy mon Sauveur attaché, / J'y voy les rudes doux, les cruelles espines« (II., V.5f.). Das lyrische Ich führt sich Nägel und Domen in ihrer Grausamkeit vor Augen, um sich den von Christus am Kreuz stellvertretend gelittenen SündenSchmerz weiter meditativ zu versinnlichen. Augen, Stirn, Hände und Füße - Körperteil für Körperteil wird das Martyrium durchgespielt, betrachtet (»J'y voy«, »J'y regarde«) und in der meditierenden Nach-Empfindung schmerzlich ausgekostet: »J'y voy languir ces chers soleils / Qui n'ont qu'eux-mesmes de pareils; / J'y contemple ce front auguste / Se courber sous un faix injuste. / J'y regarde ces nobles mains, / J'y voy ces dignes pieds s'enfler dans le martire« (III., V. 1-6). Die vierte Strophe führt die Betrachtung des verwundeten Christus-Hauptes aus: »J'y voy ses cheveux humectez / En distiler de tous costez / Sous l'aspre et funeste couronne / Qui pique ce qu'elle environne.« (IV., V. 1-4). Das Haar des Gekreuzigten ist vom Blut der Wunden getränkt, die die Dornenkrone reißt. Auch in diesem Gedicht werden die Schmerzen des Gekreuzigten mit anatomischer Genauigkeit und Sezierkunst beschrieben - Gewebe, Nerven, Muskeln und Adern werden freigelegt: »J'y voy de ses bras estendus / Fremir la chair, les nerfs, les muscles et les veines, / Et des tourmens qui nous sont dus, / Son corps en chaque part faire ses propres peines.« (V., V. 5-8). (Antoine Girard de Saint-Amant: Fragment d'une Méditation sur le Crucifix. In: Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, S. 141-143).

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3.2.2.1 Körper-sprachliche Grenzverwischung im betrachtend aneignenden Mitleiden Immer wieder wird zur Meditation über das Leiden Christi aufgefordert, die Passion wird Körperteil für Körperteil, S c h m e r z für S c h m e r z vergegenwärtigt. Durch das meditative M i t - L e i d e n d e s Betrachters erfährt das L e i d d e s Gekreuzigten in den Passionsbetrachtungen des späten 16. und 17. Jahrhunderts e i n e mehrfache Spieg e l u n g i m meditierenden Ich. Der Meditierende vergegenwärtigt und verinnerlicht die Passion in der Meditation s o intensiv, dass - w i e auch bereits in B e z u g auf die Bußpsalmmeditation g e z e i g t 3 3 3 - die Grenze z w i s c h e n Betrachter und Betrachtetem v e r s c h w i m m t und der Kreuzestod Christi z u m Tod der Meditierenden » a m Kreuz der Meditation« 3 3 4 wird. Der e i g e n e Körper wird in der Todesbetrachtung mit d e m gekreuzigten Körper Christi vereint; insofern ist in der protestantischen e b e n s o w i e in der katholischen Passionsbetrachtung v o n einer unio d e s meditierenden Ich mit Christus zu sprechen. 3 3 5 U m bereits vor d e m tatsächlichen Tod den Todesschmerz fühlen zu können und meditativ zu >erlebenPathologia< auf die anatomische Beschreibung der Passion Christi, die den Meditierenden zur tiefgründigen, ent-deckenden und zergliedernden (Selbst-)Erkenntnis führen soll. Mauser ist der Ansicht, in der protestantischen Andachtsliteratur gehe es nicht um die Einheit des Gläubigen mit Christus, sondern um lediglich um die Bitte um ewiges Leben (Wolfram Mauser: Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die »Sonnette« des Andreas Gryphius. München 1976, S. 97). Er deutet auch die ausdrückliche Bezugnahme Gryphius' in seinem Kreuzigungsgedicht »An den gecreuzigten Jesum« auf das Gedicht des polnischen Jesuiten Matthias Casimir Sarbjewski »Hinc ut recedam« nicht als Verweis auf Gemeinsamkeiten, sondern als Abgrenzung von dessen katholischer Kreuzesandacht (Wolfram Mauser: Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert, S. 93). Nach Auffassung Wolfs hingegen sind es gerade die katholischen Meditierenden, die nur Zuschauer vor der Bühne der Meditation in der compositio sind und das Betrachtete nicht auf sich selbst anwenden (Philipp Wolf: Meditative Lyrik und Erinnerung im England des 17. Jahrhunderts. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 [Formen der Erinnerung 2], S. 201-216, S. 214). Das in diesem Kapitel vorgestellte Konzept der meditativen Aneignung im Mitsprechen und Mitsterben lässt sich hingegen - so soll in den folgenden Gedichtanalysen gezeigt werden - in katholischen wie in protestantischen Texten beobachten. Nicol beschreibt die Passionsmeditation als »affektives Einleben in die Geschichte Jesu, ein intensiv bildhaftes Miterleben und Mitleiden, in dem sich die eigene und die Geschichte Jesu überlagern.« (Martin Nicol: Meditation bei Luther. Göttingen 2 1990 ['1984], S. 340). Das körperliche Einswerden von Betrachtetem und Betrachter zeigt sich auch in Madame de Blémurs »Exercice de la mort contenant diverses pratiques de dévotion très utiles pour se disposer à bien mourir« aus dem Jahre 1677: »O mon cher Sauveur! faites un collyre de vôtre sang, et l'appliquez sur mes yeux, permettez-moi que je les enchâsse dans les vôtres, afin que l'esprit qui a dirigé

235 Der Katholik Claude Hopil (1580-1633) beschreibt in einem »cantique sprituel«, »très propre[s] à enflammer les ames à la devotion & à l'amour de Dieu« unter dem Titel Contemplation de Iesus en Croiχ331 das aneignende und vergegenwärtigende Nachempfinden des Kreuzestodes Christi in der Meditation des lyrischen Ich. Auf zwei paargereimte Alexandriner folgt jeweils ein sechshebiger, optisch abgesetzter Vers, so dass sich neunzehn Strophen ergeben. Die Betrachtung des lyrischen Ich setzt unvorbereitet ein, der Gekreuzigte steht bereits auf der inneren Bühne der Meditation vor Augen: »Qui meurt en ceste Croix si cruelle & si dure? / le ne scay, ce mourant n'a ni tein ni figure / D'un vray homme en ce lieu« (V. 1-3). Der grausam Gekreuzigte ist bis zur Unmenschlichkeit entstellt. So fragt das lyrische Ich: »Est-ce un homme en effect que ceste mort devore?/ Un Ange ne meurt pas, un Dieu ne meurt encore, / Non c'est un Homme-Dieu.« (V. 4—6). Das Gott-Menschsein Christi und seine Konsequenzen für den Tod am Kreuz, der Jesus >verschlingt< (V. 4), zieht sich im Folgenden als Motiv durch die Meditation des lyrischen Ich. Zunächst wird die Göttlichkeit Christi durchgespielt: »C'est donc un Dieu qui meurt, celuy qui prit naissance / Pour d'eternelle mort sauver l'humaine essence, / Mais qui le fait mourir?« (V. 10-12). Die Beantwortung der Frage nach den Kreuzigern lässt das meditierende Ich in Ohnmacht versinken, sein Seufzen bei Betrachtung der eigenen Urheberschaft dieses >grausamen Kreuzes< ist selbst >tödlichvoyant< unterstreicht die Unmittelbarkeit des Sehens: »Voyant ses belles mains saigner, ie n'ay plus l'ame, / Voyant ses pieds clouez à la Croix ie me pasme. / Disant ô cher Espoux // Clouez si bien mon cœur par vostre amour tres-forte / Sur la sanglante Croix que l'ame en moy soit morte / Et vivante pour vous.« (V. 22-27). Indem das meditierende Ich durch die Einbildungskraft >sieht< (»Voyant«) und die Gedächtnisbilder der Passion (blutige Hände und durchbohrte Füße) erinnert, verliert es mit dem verblutenden Christus das Bewusstsein (»ie me pasme«). Dabei bittet es um Mit-Kreuzigung des eigenen Herzens (V. 25). Der Schauplatz der Meditation lässt das lyrische Ich weinend aufschreien: »Voyant du Corps sacré ruisseler cinq fontaines / Les causes de ma vie & l'effect de ses peines / le m'escrie en pleurant« (V. 28-30). Das meditierende Ich blutet durch

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vos regards pendant les jours de vôtre pélérinage, gouverne les miens jusqu'à la mort.« Das Blut Christi ist die >Augensalbemitsterbenmeditativen Tod< zu konstatieren: »Mourant? las! il est mort, & ie suis mort encore / par la compaßion qui mon esprit devore« (V. 34f.). Explizit wird das Mitleid (»compaßion«) genannt, das den »Geist verschlingt«, Leid und Mitleid werden in ihrer Ähnlichkeit zudem lyrisch gestaltet durch die chiastische Verknüpfung von dem auf das lyrische Ich bezogenen »mort encore / esprit devore« (V. 34f.) mit dem zu Anfang des Gedichts auf Christus bezogenen »mort devore / meurt encore« (V. 4f.). Die Verse 36 bis 51 gestalten die diesem Sterben und Mitsterben implizite Erlösungshoffnung (»Non, ie meurs & ie vy«, V. 36), bevor die letzten beiden Strophen die >Todesvision< des lyrischen Ich zum Schlaf der Braut auf dem >Sterbebett< der Liebe modifizieren, die am Tag der Erlösung erwachen wird. »O Dieu que ce séjour est remply de merveille! / le ne scay que je fay, ie dors & mon cœur veille, / Helas ie meurs d'amour! // O filles de sion, gardez qu'on ne resueille / L'Espouse de Iesus qui dans ce lict sommeille / Iusqu'à tant qu'il soit iour.« (V. 52-57). Dass dieses aneignende Mitsterben mit dem Gekreuzigten kein spezifisch katholisches Phänomen ist, zeigt ein Blick auf das betrachtende Ich in Martin Mollers Soliloquia de Passione Jesu Christi. Es erinnert die Gedächtnisbilder der Passion Christi (»in meinem Herzen«) und eignet sich das Leiden Christi am Kreuz körperlich an (»an meinem Leibe«), um sich auch sprachlich (»in meinem Munde«) mit ihm zu identifizieren: Ja dasselbe dein heyliges Creutz und Leyden / wil ich allzeit in meinem Hertzen / an meinem Leibe / und in meinem Munde tragen. Ich wils in meinem Hertzen tragen / Denn ich wil täglich / und ohne unterlaß daran gedencken / Es sol mir zu Hertzen gehen / auff das ich mit S. Paulo sagen möge: Ich weiß nichts / ohne allein Jesum Christum den gecreutzigten. Ich wils auch an meinem Leibe tragen / Denn ich wil alles Creutze und Widerwertigkeit / aus Liebe gegen dir / HERR Jesu / gerne dulden / Auff das ich auch sagen möge: Mache mir hinforth niemand weiter mühe / Denn ich trage die maizeichen meines HERREN Jesu an meinem Leibe. Ja das ich sprechen könne:Ich bin sampt Christo gecreutziget.338

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Martin Moller: Soliloquia de Passione Iesu Christi. Wie ein jeder Christen Mensch das allerheyligste Leyden und Sterben unsers Herrn Iesu Christi / in seinem Hertzen betrachten / Allerley schöne Lehren / und heylsamen Trost darauß schöpffen / und zu einem Christlichen Leben / und seligen Sterben / nützlich gebrauchen sol. Aus heiliger Göttlicher Schrifft / und den alten Vätern / mit fleiß zusammen getragen. Görlitz 1587, S. 7. Vgl. auch die Passionsbetrachtungen Greiffenbergs - die Passion Jesu wird meditativ nachempfunden und mitgelitten - meditierendes Ich und Christus werden im Schmerz vereinigt, wie auch die Passionsmeditation Greiffenbergs zeigt: »Wie kan ich die Bestürtzung aussprechen / die ich fühle über das Leiden des [...] Allerhöchsten / über das würm=elend der selbsten Himmels=Herrlichkeit? Diese Betrachtung ist / wie jenes Propheten Meermessung / so immer tieffer / und letztlich unergründlich wird. Wie kan ich aus der bestürtzenden Mitleidens=regung entkommen / daß ich nicht in einen See der thränen stürtze / die mit alle Worte zerstösset / wann ich seine Schmerzen bedenke?« (Catharina

237 B i s hin z u m Mitsterben mit Christus am Kreuz geht die meditative Identifikation mit d e m Betrachteten, 3 3 9 die Herz, Körper und Sprache umschließt. In e i n e m Sonett d e s Katholiken Jean de La Ceppède ( 1 5 5 0 - 1 6 2 3 ) mit d e m Titel J'ensanglante

ces carmes340

wird das identifizierende, aneignende Einswerden in der

Passionsmeditation auf verschiedenen Ebenen durchgespielt und z u m Extrem gesteigert. Hier verschmelzen nicht nur meditierendes Ich und Betrachtungsobjekt, sondern auch meditierendes und dichtendes Ich, sogar das Sonett selbst wird mit d e m Blut Christi getränkt. 3 4 1 D a s Gedicht ist durch die häufige Verwendung des Farbadjektivs »rouge« (V. 1 , 1 3 ) und mit dieser Farbe assoziierte Substantive w i e »pourpre« (V. 5, 6), »sang« (V. 8, 9, 14), »agneau« (V. 12), »chair« (V. 14) gleichsam blutgetränkt. D a s erste Quartett führt in die Meditation ein und stellt den roten Purpurmantel vor A u g e n , der Christus als ruhmreichen Sieger und K ö n i g ausweist. Im zweiten Quartett taucht das meditierende Ich ins Rot d e s Purpurmantels ein, das blutrot, z u m Blut Christi wird*. » O pourpre, emplis m o n test de ton jus précieux« (V. 5). Sogleich findet eine Verschmelzung und Verinnerlichung d e s Blutstromes in der Meditation statt, das meditierende Ich wird zur Quelle des blutigen Stromes: »Et

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Regina von Greiffenberg: Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina / Frau von Greiffenberg / Freyherrin auf Seysenegg / Zu Vermehrung der Ehre GOttes und Erweckung wahrer Andacht / mit XII. Sinnbild=Kupfern verfasset und ausgefertiget. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983, Bd. 9 und 10 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1672), Bd. 9, S. 557); »Ach! Lybier=Löwische / Tartar=Pardische und über=Tyger=tyrannische Hände! die ihr die Hände meines Liebsten [ach! mit demselbigen auch mein Herze] durchboret! [...] Damit auch seine schmertzen / ein wenig zu verwüten und zu vertoben / nicht zeit gewinnen möchten / so fahren sie fort / und durchgraben (ach! auch mein Ingeweid vor mitleiden!) die heilige Füsse meines innigst=geliebten Jesu.« (Catharina Regina von Greiffenberg: Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi, Bd. 9, S. 55 lf.). Die mit-leidende Betrachtung eignet sich den Schmerz Christi an, die Meditation über die Durchbohrung seiner Hände durchbohrt förmlich das Herz des meditierenden Ich, das bei der meditativen Einbildung des Durchgrabens der Füße selbst den Schmerz in seinem Innersten, seinem »Eingeweide« zu spüren glaubt. Zum betrachtenden Einswerden mit Christus am Kreuz s. auch Dohm zu den Passionsbetrachtungen der Catharina Regina von Greiffenberg (Burkhard Dohm: Poetische Alchimie. Öffnung zur Sinnlichkeit in der Hohelied- und Bibeldichtung von der protestantischen Barockmystik bis zum Pietismus. Tübingen 2000, S. 27 und 32ff.). In einem dreistrophigen Gedicht des Protestanten Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) lautet der variierte Refrain in den jeweils beiden letzten Zeilen der acht Verse umfassenden Strophen: »Und mich machet mein Verlangen / Nagelfest am Kreuze hangen. [...] Also machet mein Verlangen / Mich fest an dem Kreuze hangen. [...] Also machet mein Verlangen / Mich mit ihm am Kreuze hangen.« (Georg Philipp Harsdörffer: Sehnsucht nach dem Kreuze. In: Bibliothek deutscher Dichter des siebzehnten Jahrhunderts. Hg. v. Karl Förster. Leipzig 1838, Bd. 9, S. 55f.). Zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 121. S. Gedichtanhang. S. dazu auch Jean Rousset: L'intérieur et l'extérieur. Essais sur la poésie et sur le théâtre au XVIIe siècle. Paris 1968, der diese Selbst-Imprägnierung des lyrischen Ich und des Gedichtes im Blut Christi (S. 31) sowie das meditative Verschmelzen von »drame contemplé« und »langage poétique« (S. 38f.) im Sonett beschreibt.

238 luy fay distiller mille pourprines larmes, / A tant que méditant ton sens mystérieux, / Du sang trait de mes yeux j'ensanglante ces carmes« (V. 6-8). Die Meditation treibt dem Meditierenden blutige Tränen aus - je intensiver der »sens mystérieux« des Opfertodes verinnerlicht wird, desto intensiver ist das Fließen des Blutes, das die Verse des Sonettes befleckt und Dichtung mit Meditation durchtränkt, zu meditativer Dichtung, lyrischer Meditation werden lässt. Bemerkenswert ist, dass sich auf lautlicher Ebene dabei ein Doppelsinn ergibt: »méditant ton sens mystérieux« erinnert klanglich an »méditant ton sang mystérieux«. Die Meditation lässt nicht nur Meditationssubjekt und -objekt, sondern auch Bedeutungen verschmelzen, verwischt auch auf semantischer Ebene Grenzen. Wunderbare Bedeutung und wunderbares Blut sind eins, die Meditation über das Blut Christi schafft Bedeutung, die Meditation über die Bedeutung des Opfertodes versinnlicht die Bedeutung zu Blut. Das meditative Einswerden alles mit allem verwischt auch syntaktische Zuordnungen, Bezüge werden unklar. Das angesprochene Du des folgenden Terzetts ist mehrdeutig: »Ta sanglante couleur figure nos pechez / Au dos de cet Agneau par le Père attachez; / Et ce Christ t'endossant se charge de nos crimes.« (V. 9-12) Zwei Deutungen sind dabei möglich: Das Blut Christi tritt in der Meditation so deutlich vor Augen, dass es im folgenden Terzett zum Dialogpartner des lyrischen Ich werden kann - seine blutrote Farbe bildet die menschliche Sünde auf dem Gekreuzigten ab. Christus trägt Blut auf seinem Rücken und belädt sich so mit >unseren< Sünden. Oder aber der in den Quartetten beschriebene Purpurmantel ist der syntaktische Bezugspunkt (V. 5: »O pourpre!«), dessen blutrote Farbe die Sünden auf Christi Rücken abzeichnet, das »t'endossant« wäre dann im Sinne des Tragens eines Kleidungsstückes zu verstehen. Das letzte Terzett betont abschließend das Einssein des Meditierenden mit dem Meditierten, der sich und seine blutroten Sünden im blutroten >Mantel des Opferfleisches< verbirgt.342 Das Rot, das sich über den Gekreuzigten, den Purpurmantel, den Meditierenden, dessen Sünden und das gesamte Gedicht ergießt, lässt die Konturen zwischen Leidendem und Mit-Leidendem, zwischen erlittenem und meditativ mitgelittenem Tod verschwinden und macht die Passions-Erinnerung in der Meditation zur Selbst-Erinnerung am Kreuz. Die meditative Aneignung des Betrachteten343 ist in manchen Passionsmeditationen 342 vgl. Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 165-167. 343 In den Todesmeditationen des Protestanten Schottelius gerät die betrachtende körperliche Aneignung des Blutes Christi zur erpresserischen Sicherheit der Erlösungshoffnung. Das meditierende Ich betritt förmlich die Szene auf der inneren Bühne der Passionsmeditation und greift nach dem Blut Christi: »Davon solstu und kanstu / mein Gott / mich auch nimmermehr außschliessen / weil ich mein Lebenlang / alle meine Hoffnung und Zuversicht / eintzig und allein auf eben dieses höchste Versiinungs Wesen / so Christus erworben / gesetzet / und mich darauf verlassen habe / auch noch itzund darauf beharren / darauf sehen / darauf hoffen / darauf leben / und sterben will: Weil auch dieses Blut Verdienst Christi das Überflüssigste ist / so greiffe ich mit beyden Glaubens Händen dahinnein / und eigene mir dieses in wahrer Zuversicht als mein Eigenes

239 auch als sprachliche Aneignung wirksam 344 und wird über das meditative Mitsprechen mit dem sterbenden Christus erreicht, das an die >doppelte Sprechsituation< der Bußpsalmbetrachtung345 erinnert. In der Erzehlung des Leidens und Sterbens unsers Heylandes von Martin Opitz wird die sprachliche Identifizierung und Aneignung über die wörtliche Rede Jesu am Kreuz erreicht, die über Passagen und Seiten hinweg das >eigene< Sprechen des Meditierenden in der Ichform ermöglicht. Jesus schreyet an dem Creutze [...] Das Haupt ist mit Dörnern / Hände und Fiisse mit Nägeln / das Gesicht mit Backenstreichen / und mein gantzer Leib mit Geissein und Striemen verletzet worden. Welch eusserliche Sinn meines Leibes hat den Schmertzen nicht empfunden? Es plagen mich ja die Streiche der Geissein und der Nägel. Das Schmecken? Man hat mich mit Gallen und Essig getränket. Das Riechen? Ich hange in dem stinckichten Orte der Aaße und faulen Cörper. Das Hören? Meine Ohren sind voll von dem Schmähen und Höhnen der Lästerer. Das Sehen? Ich sehe meine Mutter und allerliebsten Jünger weinen und kläglich thun. 346

Die Einbildung der Passion auf der inneren Bühne der Meditation sowie die Einbeziehung der fünf Sinne zur Affektsteigerung wird hier Jesus in den Mund gelegt. Jesus meditiert in der Passionsbetrachtung Opitz' am Kreuz exemplarisch vor, damit der Meditierende sich in seiner Meditation dessen Betrachtung am Kreuz aneignen, seine Worte mitsprechen und somit mit Christus am Kreuz >mitsterben< kann. Ein ähnliches Konzept liegt dem Klagegedickte über das unschuldigste Leiden und Tod unsers Erlösers Jesu Christi347 des protestantischen Dichters Paul Fleming (16091640) zugrunde. Auch hier wird die Sprache bzw. das Mitsprechen zum Medium des meditativen Mitsterbens mit dem Gekreuzigten. Die Länge des Gedichtes (es umfasst 444 Verse, die die ruminatio des meditierenden lyrischen Ich unterstreichen) macht hier die Beschränkung auf einige markante Passagen notwendig. Das lyrische Ich ruft die Muse Melpomene zu sich, um »an diesem öden Ort« (V. 1) zu »trauren« (V. 18). Die ästhetische Komponente ist, so wird hier deutlich, initiierender Bestandteil der folgenden Passions- bzw. Todesmeditation. Der öde Ort, die Einsamkeit, ist der rechte Rahmen für die Passiobetrachtung: »Hier sind wir aus der Welt, hier ist der Ort zu klagen / den, den die tolle Welt nach so viel tausent Plagen / zum Kreuze hat verdampt, den, den die grimme Welt / vom höchsten Himmel

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zu.« (Justus Georg Schottelius: Sonderbare Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit In Teutscher Sprache Nachdenklich beschrieben / Samt kurtzem Vorberichte Von der Zeit und Ewigkeit. Braunschweig 1673, S. 288). S. auch Martin Moller: Soliloquia de Passione Iesu Christi. Wie ein jeder Christen Mensch das allerheyligste Leyden und Sterben unsers Herrn Iesu Christi / in seinem Hertzen betrachten / Allerley schöne Lehren / und heylsamen Trost darauß schöpften / und zu einem Christlichen Leben / und seligen Sterben / nützlich gebrauchen sol. Aus heiliger Göttlicher Schrifft / und den alten Vätem / mit fleiß zusammen getragen. Görlitz 1587, S. 7 - das meditierende Ich will auch hier Kreuz und Leid Christi »in meinem Munde« tragen. S.Kap. 3.2.1. Martin Opitz: Herrn Martin Opitzens Erzehlung Des Leidens und Sterbens unsers Heylandes. Beneben ΧΠ. Geistlichen Betrachtungen des allerheiligsten Todes JESU Christi [...] auffgesetzet Von Thomas Stegern / Prediger zu Leipzig. Leipzig 1659, S. 11. Paul Fleming: Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965, Bd. 1, S. 15-27.

240 aus bis in das Grab gefällt, / den wahren Gott aus Gott, den frommen Sündenbüßer, / den Zahler aller Schuld, den treuen Himmelschließer.« (V. 21-26). Jesus Christus wird hier als der »fromme Sündenbüßer« bezeichnet, wird zum Modell des Meditierenden. Schon in diesem Detail liegt eine erste Verwischung der Identitätsgrenze zwischen Christus und dem meditierenden lyrischen Ich. Nach einer resümierenden Lebensbeschreibung Jesu (bis V. 156) gelangt das Gedicht zum Passionsgeschehen: »Jetzt geht die Marter an, jetzt muß der Heiland schwitzen, / bei frischer Lenzenluft. Er glüt vor Grimmeshitzen, / damit sein Vater brennt und wir stets schüren zu. Die schwere Höllenangst läst ihm nicht so viel Ruh.« (V. 157-160). Das »Jetzt« zu Beginn des 156. Verses betont die Vergegenwärtigung in der Meditation. Die Angst und das Leiden Jesu vor seiner Gefangennahme im Garten Gethsemane wird nicht nur anhand äußerer Zeichen beschrieben (»Der Schweiß ist nicht ein Schweiß, Blut sehn wir von ihm rinnen«, V. 161), sondern auch durch die Vorstellung der von außen nicht wahrnehmbaren Symptome des Sterbens des Gekreuzigten, die nach-empfunden werden: »[...] der Puls schlägt nährlich an. Wie ist ihm doch zu Sinnen!« (V. 162).348 Dieses durch Imagination evozierte SichHineinversetzen in die Situation Christi wird gestützt durch die Parallelisierung des betenden Jesus mit den auf das gleiche Gebet vertrauenden Gläubigen - hier wird die meditative Identifikation über die Sprache vorbereitet: »Er betet brünstiger das Abba in der Loh, / das Abba, welches uns in letzter Angst macht froh.« (V. 163f.). Jesus ist in einem Zustand der Angst, der der menschlichen Todesangst entspricht und in dem das Jesus und den Gläubigen gemeinsame Gebet des Vaterunser Erleichterung verspricht. Die Leidensszenen werden erinnernd ins meditative Bewusstsein gehoben, effektvoll visualisiert und lebendig vor Augen geführt. Wiederholt erscheint das rhetorisch-exklamierende und im Sinne frühneuzeitlicher, nicht nur katholischer Meditationspraxis deutlich an die Einbildungskraft appellierende »Seht!«, das die atemlose Affektgeladenheit der Passionsbetrachtung verstärkend hervorhebt: Von Kot und Speichel fleust das heilig' Angesicht, / von Dornen schmerzt das Haupt, die Haut von Geißeln bricht. / Seht, welch ein Mensch ist das! geht, fragt, ob man auch finde / ein' Angst, die dieser gleicht. Er ist, als für uns stünde / sein Schatten und nicht er. Wie macht ihn doch so naß / der Wust und Schmerzensschweiß? Seht welch ein Mensch ist das! / Seht welch ein Mensch ist das! so ihr noch könt erkennen, / daß er nicht sei vielmehr ein Wurm als Mensch zu nennen. / Wie elend ist er doch, wie krank! wie mat! wie blaß! / wie wund! wie zugericht! Seht welch ein Mensch ist das! / Der Leib ist Beuelen voll, gelifert Blut und Eiter / rinnt häufig von ihm weg, die Wunden brechen weiter, / die Strimen laufen auf in ungezählter Zahl. (V. 211-223).

Auffallend ist zum einen, dass die beschriebenen Beulen, Blut und Eiter nicht der biblischen Passionsbeschreibung entsprechen, sondern an die Bußpsalmen erinnern. In Psalm 38 beschreibt sich der Psalmist als verwundet und geschlagen durch den

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»nährlich« ist hier in der Bedeutung von >kaum< zu verstehen (s. Eintr. nährlich. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. München 1984 [Fotomech. Nachdruck der Erstausgabe 1854ff.], Sp. 308).

241 erzürnten Gott und klagt: »Meine Wunden stinken und eitern / um meiner Torheit willen« (Ps 38, 6). Die enge Verbindung zwischen Buße bzw. Bußpsalmmeditation und Passiobetrachtung zeigt sich hier durch intertextuelle Bezüge. Interessant ist in unserem Zusammenhang vor allem, dass das Possessivpronomen bei der Beschreibung des geschundenen Körpers unterschlagen wird: es heißt »das Haupt«, »die Haut«, »der Wust und Schmerzensschweiß«, »der Leib«, »die Wunden« und »die Strimen«, nicht aber >seine Hautsein Leibseine Wunden< etc. Durch diese Technik wird die Identifikation mit dem Schmerz Christi über das Medium der Sprache erleichtert - der Schmerz kann zum Schmerz des Meditierenden werden, er ist nicht eindeutig Jesus zugeschrieben und damit auf das meditierende Ich >übertragbarverdient< hätte. In Vers 225-230 wird die beschriebene Qual mit der Sündhaftigkeit des Menschen in Beziehung gesetzt, das lyrische Wir erkennt die eigene Strafe verdienende Sündhaftigkeit. So sehr wird dabei die Situation vergegenwärtigt, dass ein Eingreifen möglich erscheint: »O Modul aller Angst! O Exemplar zu dulden! / Wir, wir sind Streiche werth, denn unser sind die Schulden. / Wie kanst du so den Sohn, o Vater, richten zu? / Halt inne, schlag auf uns und gib dem Bürgen Ruh! / O Qual, o höchste Qual! O Marter aller Plagen, / die du, o Bruder, must für uns ietzunder tragen!« Die Wunden Christi gehen auch in folgenden Wortspiel in das Wundsein des Sünders über bzw. heilen diese durch die Vereinigung der Wunden von Sünder und Erlöser: »Du bist Immanuel, von unsern Wunden wund, / durch welche Wunden du die unsern machst gesund.« (V. 321f.). Auch hier sind es onomatopoetische, also sprachästhetische Mittel, die das meditative Einswerdern mit Christus initiieren und kommunizieren. In den Versen 260-266 wird erneut mit Hilfe von Wortspiel und Paradoxon die Grenze zwischen lyrischem Wir und Christus verwischt, der Schmerz im Wechselspiel zwischen Meditierendem und Meditiertem, zwischen Erlöser und Erlöstem geteilt: »Der Segen wird ein Fluch, auf daß wir Segen hätten, / vom Fluche frank und quit: die Freiheit geht in Ketten, / auf daß wir würden frei. Sein Blut durchstreicht den Brief, / der wider unser Blut zu Gott stets schrie und rief, / Er mus auf Golgatha das Kreuz ihm selber tragen, der unser Kreuze trägt.« Bemerkenswert ist, dass in den Versen 297ff. der im Mitleid >doppelte Schmerz< explizit angesprochen wird: »Es kunte niemand nicht ein Beileid mit ihm haben, / das war die doppelt' Angst.« (V. 297f.). Effektreich wird der Tod Christi daraufhin im Gedicht inszeniert: »Ach Leben, bistu tot? [...] / O Höchster, neigst du dich? [...]. / Die Hände werden welk, der Beine Mark erkaltet, / blutrünstig ist die Haut, gelifert und veraltet; / hier hängst du ausgespannt, geädert, abgefleischt, / zerstochen, strimenvoll, entleibet, ausgekreischt.« (V. 329-340). Wiederum wird das Possessivpronomen unterdrückt, der körperliche Verfall wird einer syntaktischen Leerstelle zugeschrieben, die der Meditierende durch Identifikation füllen kann, um sich den Schmerz zu eigen zu machen.

242 In Vers 429 wechselt die Perspektive des Gedichts zum lyrischen Ich, das bewegt von der Betrachtung der Passion den Wunsch ausspricht: »Ach hätt ich auch gelebt zu Nikodemus Zeiten«, um gleich darauf zu erkennen: »Das Wündschen hilft mir nichts. Jehova, nim vor Willen, / weil ich doch meinen Wundsch kan ietzund nicht erfüllen, / nim an diß Sterbelied, nim an den Grabgesang, / den, höchster Freund, aus mir dein grimmer Tod erzwang!« (V. 437—440). Die Illusion, dem Passionsgeschehen gegenwärtig zu sein, wird hier gebrochen, bevor die folgenden Schlusszeilen im Dankgebet und der Perspektive auf den Jüngsten Tag das Gedicht beenden (V. 441—444). Wenn das Gedicht auch nur in Auszügen besprochen werden konnte, so sollte doch die bemerkenswerte Intensität der Versinnlichung und des evozierten Mitleidens hier deutlich geworden sein, die die Passionsbetrachtung zur Meditation über den eigenen Tod werden lässt. Die Rede vom »Sterbelied« und »Grabgesang« sowie die Bezeichnung des Textes als »Klagegedichte« unterstreichen als metasprachliches Sprechen die Sprache als Medium des meditativen Einswerdens von Betrachtetem und Betrachter.349

3.2.2.2 Die Passion des Gewissens auf der Bühne der Meditation Doch wie lässt sich der oben behauptete Zusammenhang zwischen Passionsbetrachtung und meditativem Gewissen in den Bildern des Todes begründen? Über die auf der Hand liegende Verbindung von Gewissen und Erlösungstod Christi hinaus, der die Vergebung der das Gewissen >ängstenden< Sünden verspricht, eröffnet die Betrachtung der Passion Christi noch einen weiteren Konnex zur Gewissensbetrachtung. Einerseits macht die identifizierende, mitleidende Betrachtung des Kreuzestodes Christi dessen Passion zum eigenen Passionsleid an der eigenen Sünde. Die Kreuzigungsnägel sind die Nägel des individuellen Schuldgefühls, die schmerzhaft ins eigene Bewusstsein treten - Sünde bedeutet nicht die Verletzung äußerer Normen (symbolisiert im geschundenen Leib Christi), sondern Selbst-Verletzung des verinnerlichten Gewissens-Anspruches (symbolisiert in der meditativen Selbst-Kreuzigung). Im Kreuzesleid Christi spiegelt sich andererseits auch dieses eigene Leid des >meditativen Gewissens< an der Sünde, das Leiden Christi erinnert an die eigene, als Abweichung von sich selbst empfundene und als körperlicher Schmerz zu umschreibende Sündhaftigkeit, für die Christus am Kreuz stirbt. Die meditativ evozierte Erinnerung an die eigene Sünde lässt das Leiden Christi am Kreuz >miterinnern< - das meditative Gewissen als körperlich gefühlter bzw. zu umschreibender Schmerz 350 legt die Übertragung des Passionsschmerzes auf den Meditierenden nahe. Der meditierende Sünder macht sich das Passionsleid nicht nur zu eigen, um zu wahrer Buße, zur authentischen

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Indem das meditierende Ich »diß Sterbelied« dem angesprochenen »Jehova« darreicht und ihn als durch die Betrachtung der Passion aus ihm »erzwungene« Gabe bezeichnet, wird die mitgesprochene, identifizierende Aneignung des Kreuzestodes Christi vom Verdacht unorthodoxer Mystik befreit. S. Kap. 3.1.2. und 3.2.1.ff.

243 Selbstzerknirschung als rechte innere Bußdisposition zu gelangen, 3 5 1 sondern das gefühlte meditative Gewissen ist Passion, nur zu beschreiben als mitgelittener Tod am Kreuz. Damit öffnen sich ihm - in Parallele zur Bußpsalmmeditation - auch neue Möglichkeiten der Verbalisierung des Unkommunizierbaren. Seine in der Passionsbetrachtung evozierte und exerzierte »innigliche Herzensbuße«, nach außen nicht zu verifizieren, wird in den Bildern der Wunden, Striemen, Geißelungen, Demütigungen und Todesängsten Christi beschreibbar. D i e Passionsmeditation verursacht einerseits das schmerzhafte Empfinden der eigenen Sünde und fordert die Verinnerlichung des Gewissens als Anspruch an sich selbst, ist andererseits aber auch Ausdrucksrepertoire zur Selbstthematisierung des meditierenden Ich. D i e Identifikation mit der eigenen Sünde und die Individualisierung des Schuldgefühles machen die Passionsbetrachtung zur Betrachtung des eigenen Gewissens, w i e William Perkins betont: [...] thou must know and beleeve, not only that Christ was crucified, but that hee was crucified for thee; for thee I say in particular. Here two rules must be remembered and practised. One, that Christ on the crosse was thy pledge and surety in particular, that hee then stood in the very roome and place, in which thou thy selfe in thine owne person, shouldest have stood; that thy very personall and particular sins were imputed and applied for him [...]. 352 Wie in unserem Untersuchungszeitraum nicht der Jüngste Tag als überindividueller Richttag der Menschheit, sondern der individuelle, eigene Tod in der Meditation auf der Bühne der Betrachtung inszeniert wird, und w i e das >meditative Gewissen< nicht die Meditation über allgemeinmenschliche Sündhaftigkeit, sondern individuelle Selbstthematisierung impliziert, so bedeutet auch die Passionsbetrachtung die Meditation über Christi Kreuzestod für die individuell-eigene Sünde »in particular«. 353

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Wie die folgende Meditationspassage zeigt, ist diese Übertragung und Aneignung des Schmerzes das begründete Ziel der Meditation, die das Gewissen >fühlbar< machen will: »Nun wirstu ans Creutz geschlagen / mein Heyland. Deine Hände und Fiisse werden durch graben / der Leib außgedehnet / daß man alle deine Gebeine zehlen kan. O Jammer! Schmertz / Angst und Marter! Diese Nägel gehen auch mir durchs Hertz / und diese Hammer=Schläge rühren auch mein Gewissen. Ach meine Hände / die so viel Böses verübet / die solten angefesselt und angenagelt werden. Meine Füsse / die auff dem breiten Weg / der zur Verdamnis führet / fort und fort einher gegangen / die die solten durchgraben und durchbohret werden: mein Leib / den ich zum Dienst der Ungerechtigkeit begeben / o der solte außgedehnet / gefoltert und gemartert werden [...].« (Adam Tribbechov: Die gecreutzigte Liebe / Das ist: Betrachtung Einer gläubigen Seelen / Uber die Historia des bittern Leidens und Sterbens JESU CHRISTI Unsers HERRN und Heylandes / Wie solche von den Vier Evangelisten besschrieben. Gotha 1676, S. 203). William Perkins: A Declaration of the true Manner of knowing Christ crucified. In: The Workes of that Famous and Worthy Minister of Christ in the Universitie of Cambridge, Mr. William Perkins. Newly corrected according to his own copies [...]. London 1606, Bd. 1, S. 626. Ebenso der Katholik Friedrich Spee, der in seinem »Güldenen Tugend-Buch« den Meditierenden dazu anhält, die Bedeutung der Passion »pro me« und »umb meinetwillen« zu betrachten (Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch [1649]. Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968, S. 523, 385 und 493. S. dazu auch Martin Eicheldinger: Friedrich Spee - Seelsorger und poeta doctus. Die Tradition des Hoheliedes und Einflüsse der ignatianischen Andacht in seinem Werk. Tübingen 1991, S. 102 und 120.

244 Der Meditierende muss die Passion Christi als Leiden des Erlösers an seinen »very personall and particular sins« betrachten.354 Die Erkenntnis, individueller Urheber des betrachteten Passionsschmerzes zu sein, macht die Passionsbetrachtung zur erinnernden Selbstbetrachtung. Zur Illustration sei hier eine Passage aus Philippe de Outremans Le vray pédagogue chrétien angeführt: Si j'entre au jardin des Oliviers, je le vois trembler, se plaindre, s'attrister, siier du Sang par grumeaux, à la seule considération de mes ingratitudes, & pechez. Si je poursuis de considérer sa Passion, je vois que tout ce qu'on luy a fait endurer, vient de moy. Je luy ay craché à la face vomissant des paroles lascives, & deshonnêtes; je luy ay bandé les yeux, oubliant qu'il me regardoit. le l'ay souffleté par mes mauvaises ouevres; je luy ay arraché les cheveux, quand par mes scandales j'ay détourné de luy mon prochain, je l'ay postporé à Barrabas, le laissant pour une chestive créature; la curiosité de mes habits, l'a fait vêtir de pourpre; mes ambitions l'ont couronné d'épines; mes vanitez luy ont mis le sceptre de roseau en la main; mes plaisirs sensuels luy ont donné du vin avec du fiel; mes mauvais pas luy ont cloiié les pieds, & mes mauvaises ouevres les mains; Enfin je l'ay crucifié encore un coup en moy-même, j'ay marché sur le Fils de Dieu, & foulé son précieux Sang. Et puisque sa Passion à fait trembler la terre, fendre les pierres, & ouvrir les sépulchres, c'est la raison que je tremble épouvanté de la Iustice divine, que je brise mon cœur de contrition & que j'ouvre le sepulchre de ma conscience par la confession, pour en faire sortir les corps morts de mes pechez. 355

Die Leiden der Passion werden hier einzeln durchgegangen und jeweils mit eigenen Verfehlungen in Verbindung gebracht. Die Anaphern »Je luy ay [...]« unterstreichen das meditierende Ich als Subjekt der an Christus vollzogenen Folterqualen. Diese Meditationsmethode schafft eine Verbindung zwischen Passion Jesu und meditierendem Ich, die zu Selbstzerknirschung als authentischer Bußdisposition führt (»je brise mon cœur de contrition«) und das >Gewissens-Grab< öffnet für Selbsterkenntnis und Sündenbekenntnis (»j'ouvre le sepulchre de ma conscience par la confession, pour en faire sortir les corps morts de mes pechez«). Die Passion Christi und das Leid an der eigenen Sünde werden in der Meditation derart parallelisiert, dass die Sünden zu »corps morts«, zu Leichnamen Christi werden, die im Grab des meditativen Gewissens liegen und durch die Betrachtung der Auferstehung Christi selbst aus dem Verborgenen auferstehen. So entsteht eine meditative Potenzierung und Verschachtelung des Passionsschmerzes: Jesus leidet für die Sünder, der Sünder an der Sünde und an der meditativen Erkenntnis, durch diese den Schmerz Christi verursacht zu haben. Er betrachtet sich in der Passion Christi selbst und thematisiert sein meditatives Gewissen am Kreuz der Meditation.

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Ebenso M. Georg Dedeken: Praxis Conscientiarum, Das ist: Gründliche Beschreibung nach allem Unterricht / Lehr und Trost / Wie mit zerschlagenen Gewissen und betrübten Hertzen in Anfechtungen und grossen Nöthen zu handeln / so wol den Angefochtenen selbst / als andern / die bey ihnen sind / sehr nütz= und tröstlich zu gebrauchen^...]. Eißleben 1668, Ander Theil, S. 31: »Darum soltu deine Sünde nicht allein also ansehen / daß du erkennest daß sie rechte Sünde sey / sondern / daß du auch erkennest / daß sie dein eigen und keines andern Sünde seyn / das ist / du solt erkennen und glauben / daß Christus nicht allein für der andern Menschen / sondern auch / daß er eigentlich für deine Sünden gegeben sey.« Philippe de Outreman: Le vray pédagogue chrétien. Lyon 1686, Bd. 1, S. 241.

245 Im Passion=Spiegel [...] Zu mitleydigen Augen [...] wol zu betrachten [...] des Jesuiten Ludwig Crasius (1671) 356 wird diese Doppelung des Kreuzigungsschmerzes Christi im meditativen Gewissen des Betrachters auch in den »Sinnbildern« der Betrachtungen dargestellt. Das neunte Emblem (»Von der erbärmlich / und schmählichen Creutzigung Jesu. Die Lieb schlaget mit frembder als mit eigener Hand den Herrn Jesum mit Härid und Füssen ans Creutz / und verwundet ihn mit seinem Willen. Der Schmertz aber durchdringet denselben mit höchster Empfindnuß«, s. Abb. 4) 357 zeigt Jesus liegend auf einem Holzkreuz. Während eine weibliche Figur (die »fremde Hand« der Liebe) ihm mit lieblichem Gesicht mittels eines Hammers die Kreuzigungsnägel ins Fleisch treibt, krümmt sich die zweite abgebildete Frau (die »eigene Hand« der Liebe) vor Schmerz neben ihm am Boden. Diese Szene spiegelt eine Szene auf der inneren Bühne der Meditation, bei der der Betrachtende (als Subjekt der Passionsbetrachturig und als Betrachter des Bildes) sich selbst als diese Sünden-Nägel in den Leib Christi treibenden Sünder erkennt, zugleich aber auch als sich neben Christus windenden Mitleidenden und Leidenden. Er ist Mit-Leidender im meditativ vergegenwärtigten Schmerz Christi, und Leidender am eigenen meditativen Gewissen, das ihn zum am Kreuz der meditativen Selbsterkenntnis Gekreuzigten macht. Im Medium der Lyrik erscheint dieses meditative Mitsterben am Kreuz des Gewissens in einem Gedicht von Pierre Patrix (1583—1671)358 mit dem Titel Estant un peu remis de sa crainte. Il s'offre à Dieu pour mourir au pied de la Croix (1660). 359 Dabei dominiert die eigene Todesvision sogar den betrachteten Tod Christi, dessein Kreuz erst in der Schlusszeile als Ort der Betrachtung genannt wird. Nur einige versteckte Hinweise und eine im wahrsten Sinne des Wortes >gegen den Strich< gerichtete Lektüre lassen diesen gerade unter Berücksichtigung des Titels vordergründig als (etwa autobiographische) Sterbebeschreibung oder Erfahrungsbericht zu deutenden Text 360 als Selbstbetrachtung des meditierenden Ich am Kreuz des eigenen Gewissens erkennen. Das Ich des Gedichts beschreibt sich als dem Grabe nahe (»Un pied dans le sépulcre, et tout prêt d'y descendre«, V. 1) und als >sterbendes Skelett< (»cette maigre, sèche et mourante victime«, V. 6). Interessanterweise

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Ludovicus Crasius: Passion=Spiegel / Oder Vortrab Zum Buch deß Lebens. Worinnen Zehen Haubt=Geheimnussen deß bittern Leyden und Sterbens / in der Persohn CHRISTI, Durch anmüthige Klag-Figuren Auff ein newartende Weiß. Einerseits von der Lieb / und anderseits von den Schmertzen. [...] Zu mitleydigen Augen / und Dancksichtigen Hertzen wol zubetrachten und hochzuachten: Sonderlich durch die Heilige Fasten=Zeit [...]. Sampt einem Zusatz Von Verehrung der allerheiligsten fünff Wunden Jesu Christi / oder ein andächtig Weiß / in disen zeitlich und ewig zuwohnen. Wien 1671. 357 Ludovicus Crasius: Passion=Spiegel, Das neunte Bild [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M:Th 483], 358 Patrix ist auch Verfasser von Bußpsalmmeditationen (s. Pierre Patrix: La Miséricorde de Dieu, sur la conduite d'un pécheur pénitent [...]. Blois 1660). 359 Zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, S. 988f. S. auch La poésie française de 1640-1680. Poésie religieuse, Epopée, Lyrisme officiel. Hg. v. Raymond Picard. Paris 1964, S. 153. S. Gedichtanhang. 360 vgl. die Interpretation des Gedichts »An sich Selbst« von Andreas Gryphius.

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Abb. 4

247 sieht sich dabei das lyrische Ich aber als Opfer seiner selbst, wie durch den Reim von »crime« und »victime« unterstrichen wird: »N'ayant à vous offrir, pour expier mon crime, / Que cette maigre, sèche et mourante victime« (V. 5f.). Damit wird das beschriebene Sterben als Passion an der eigenen Sünde angedeutet. Die ironische Selbstbeschreibung als »don précieus« und »magnifique offrande« in der folgenden Strophe spielt weiter auf den Kreuzestod Christi als >Erlösungs-Gabe< an und verstärkt die Assoziation dieser meditativen Todesvision mit der Passionsbetrachtung: »O le don précieux! La magnifique offrande! / Quel présent je vous fais! que ma ferveur est grande!« (V. 9f.). In einem »état funeste« befindet sich das lyrische Ich und bedauert, angesichts dieses - meditativ eingebildeten - Todes diesen nicht früher betrachtet zu haben: »[...] c'est tout ce qui me reste, / Et mille repentirs d'avoir songé si tard / A ce triste départ.« (V. 13 und 14-16). Das meditierende lyrische Ich vergegenwärtigt sich nun die letzten Atemzüge, bis der Atem stillzustehen scheint: »M'y voilà parvenu, toute force me laisse; / Je ne fais que tomber de faiblesse en faiblesse; / Ma fin sans doute approche, et de peur d'expirer, / N'ose plus respirer. // Ah! voici ce moment que mon âme appréhende« (V. 17-21). Die letzte Strophe setzt den angeeigneten Todesmoment in Szene: »Au secours, mon Sauveur, permettez que je rende / Et mes derniers soupirs, et mes derniers abois, / Au pied de votre Croix.« (V. 22 -24). Diese Schlusszeilen lassen sich in einer vordergründigeren Deutung verstehen als Bitte des sterbenden lyrischen Ich um Erlösung und als Vorsatz, sich Gott hinzugeben und im Vertrauen auf Christi Tod zu sterben (»pour mourir au pied de sa croix«, s. Gedichttitel). Die sich auf die o.g. versteckten Hinweise auf Sündenerkenntnis und Kreuz stützende subtilere Deutungsvariante aber lässt das Gedicht als Passionsbetrachtung am Fuße des Kreuzes erscheinen: Die Schlusszeile »Au pied de votre Croix« ist als Spiegelung der expliziten Gedichtüberschrift zu verstehen und spielt mit der möglichen doppelten Lesart des lyrischen Textes. Liest man das Gedicht nämlich >gegen den StrichstirbtDer rechte teutsche HugoPia desideria< Hermann Hugos SJ. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 70 (1989), S. 283-300, Vorrede. Auffällig ist, dass es insbesondere weibliche Meditierende sind, die in ihrer Meditation in körperliche Interaktion mit dem Gekreuzigten treten. Ausführlich zur Frage geschlechtsspezifischer Meditation s. Kap. 1.3.3. Vgl. auch »Das allerheiligst- und allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi, zwölf andächtige Betrachtungen« (1672) der Catharina Regina von Greiffenberg und Dorothée de Iulien: Elevations à Jesus-Christ, sur des textes du Nouveau Testament, Avec quelques Reflexions surs divers sujets. A quoy l'on a ajoûté quelques Poesies chrétiennes. Montpellier 1689, Kapitel »Elevation. Sur les playes de nôtre Seigneur Iesus-Christ« (S. 75ff.). In einem Anhang einer französischen Übersetzung des »Combattimento Spirituale« (vom Übersetzer Bertier irrtümlich nicht Scupoli, sondern dem Spanier Jean de Castagniza zugeschrieben), beschreibt ein unbekannter Autor unter dem Titel »Méditations sur les douleurs intérieures de Nostre Seigneur Jesus-Christ« (S. 267ff.) die meditative Begabung einer Frau, die in besonderer Weise befähigt sei, sich meditativ in die inneren (!) Kreuzesqualen Jesu hineinzuversetzen. »J'ay connu une ame extrêmement desireuse de se repaistre & de se rassasier des fruits amers de la Passion du tres-doux & amoureux JESUS, laquelle après beaucoup de temps & de prières tres-ardentes, fut à la fin introduite par la main de ce doux Sauveur dans le Sanctuaire de son cœur affligé sur la croix. Cette grace si particulière luy fut plusieurs fois accordée, & cela avec une si parfaite & si abondante communication des sacrez tourmens du Sauveur, qu'elle estoit souvent contrainte de s'écrier, à cause de l'extrême douleur qu'elle ressentoit: C'est assez, mon Sauveur, c'est assez, je ne puis plus supporter de si grands maux.« So intensiv fühlt die Meditierende die Schmerzen Christi mit, dass sie selbst vor Schmerz aufschreit. Die Vereinigung mit Christi im Schmerz trägt deutlich eine erotische Komponente, ist lustvoll. Die Meditierende möchte im >Meer der Schmerzen< förmlich untergehen, will im gemeinsamen Schmerz mit ihrem »doux amour« den Tod finden: »Cette ame bien-aimée de Dieu me racontoit aussi, que parmy les ardeurs de son Oraison elle disoit quelquefois à Dieu, mais avec un grand transport; Ouy, mon Sauveur, je vous conjure par tout ce que je puis, de m'engloutir & de m'abismer dans l'Océan amer des douleurs intérieures de vostre sainte ame, parce que c'est là que je desire de mourir, ô ma douce vie! ô mon doux amour! pourveu qu'il vous plaise de la sorte.« (268f.) Lustvolle Begierde scheint die Meditierende beim Gedanken an die Schmerzen Jesu zu erfüllen - sie möchte so >hautnah< wie möglich die Qualen Christi empfinden. Doch nicht die äußeren, körperlichen Schmerzen stehen dabei im Zentrum der Betrachtung, sondern die inneren, seelischen Kreuzesleiden reizen die Meditierende: »Dites-moy donc, ô mon IESUS! quelle fut la douleur extrême de vostre cœur agonisant. Là-dessus le Fils de Dieu avoit pris une fois la parole pour luy faire cette réponse. Quand tu auras compris quel est mon amour pour Dieu & pour l'homme, tu comprendras pour lors quelles furent mes douleurs intérieures sur la Croix. [...] Quand l'aimable JESUS dit à cette Amante si passionnée de sa Croix, que les douleurs de

249 beider Geschlechter aber wird die Mutter Gottes >als Frau< von Crasius als Exempel des betrachtenden Mitleids mit dem Gekreuzigten dargestellt. Von besonderem Interesse sind hier die mit dieser meditativen Einbeziehung der Mutter Gottes in Zusammenhang stehenden >bühnentechnischen< Konsequenzen der Crasius-Passionsmeditationen. Die Verschachtelung verschiedener Bühnen der Meditation und verschiedener Betrachterperspektiven, die durch wechselseitige meditative Identifikation aber sämtlich vom Meditierenden eingenommen werden können, 364 macht die compositio der zwölften Passionsbetrachtung nämlich zum >meditativen Zappinge Das Fleisch Jesu / und Hertz Mariae waren zween rechte Spiegel / welche gegeneinander gestellet die brennenden Liebs=Affecten untereinander verwechselt / und die Schmertzen verdoppelt haben. Was Jesus im Fleisch gelitten / das hat Maria im Hertz überstanden / in welchem ein lebhafftes Contrafecth deß Leydens ihres Sohns eingedrucket / mir und dir die Lieb und Schmertz vor Augen halten / daß wir darinnen / ob ein Schmertz ihrem Schmertzen zu vergleichen / beob-

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son cœur en sa passion estoient égales à l'amour qu'il avoit eu pour la creature; il sembloit qu'alors elle tombast en défaillance dans la veue qu'elle avoit de cet amour incomparable, dont elle s'estoit fait une si excellente idée; & il falloit mesme que dés l'heure que ces sacrées paroles avoient frappé son oreille, elle soustinst la teste avec quelque chose, à cause de la foiblesse & de la douleur qu'elle sentoit en tout son corps. Mais après qu'elle avoit esté un peu en cet estât, elle reprenoit doucement ses forces, & redisoit encore avec un sentiment merveilleux: ô mon Dieu! ô unique bien de mon ame, ouy je vous demande cette grace, & je vous la demande par vous même, que vous me disiez quelles furent les peines de vostre cœur amoureux sur vostre Croix. A cette feconde demande son divin Maistre répondit ainsi doucement.« Das meditative Einfühlen in die Liebe und den Seelenschmerz Christi führt zum körperlichen Zusammenbrach der Meditierenden, erhöht aber auch ihr Verlangen, noch mehr >Schmerzeslust< nachzuempfinden. Es folgt die eindringliche Beschreibung der Leiden Christi, deren Grundprinzip in folgendem Argument besteht: Jede einzelne der Qualen der Märtyrer, unschuldig Hingerichteter, der Pilger und der reuigen Sünder ist an sich schon unerträglich. Unvorstellbar sind entsprechend die inneren und äußeren Qualen Christi, der am Kreuz alle bisher gelittenen und je vorstellbaren Qualen zugleich auf sich nimmt. Der beobachtende Seelenführer der Meditierenden berichtet daraufhin die Reaktion der Begabten auf das Nachfühlen der schier unvorstellbaren Schmerzen Christi: »Je me souviens bien qu'elle finit de cette sorte touzte noyée dans ses larmes: O mon Dieu! queje vois bien maintenant que ie vous ay causé, mal-heureuse que ie suis! de grands & divers supplices, soit que vous me mettiez par vostre grace au nombre de vos Eleus, ou que vous me précipitiez entre les damnez, à cause de mes crimes! je n'avois iamais, Mon Sauveur, compris que le peché vous offencast aussi cruellement qu'il fait. Car ie ne croy pas que j'eusse peché avec tant de facilité, avec tant de legereté comme i'ay fait, si ie l'eusse tant, soit peu connu. [...] O mon doux Amant! vos peines sont enfin si grandes, & en si grand nombre, que vous ne me semblez plus un Dieu, mais si je l'ose dire ainsi, & si je ne vous offence point en le disant, vous me semblez un vray Enfer de peines amoureuses. Et elle l'appelloit ainsi plusieurs lois par une sainte simplicité, & par un exces de tendresse & de compassion qu'elle avoit pour les extrêmes souffrances de son bien-aimé.« (S. 288f). In Tränen aufgelöst, erkennt die Meditierende im Nach-Fühlen des Kreuzesschmerzes ihre eigene Sündhaftigkeit und bereut. Auch hier, in der Selbst- und Sündenerkenntnis, werden erotische Züge deutlich: Die Meditierende wendet sich an den »doux Amant«, der ihr als >Hölle der Liebesqualen< erscheint. Ihre »tendresse« und »compassion« steigert sich zum »exces«, in der Vereinigung mit ihrem »bien-aimé« (Antoine Bertier: Le combat spirituel. Composé en Espagnol par Dom Jean de Castagniza Religieux de l'Ordre de S. Benoist et traduit en françois sur l'original manuscrit. Paris 1675, S. 267ff.). Die folgenden Ausführungen können auch für die Passionsbetrachtungen des Katholiken Friedlich Spee in seinem »Güldenen Tugend-Buch« und der »Trutz=Nachtigall« Geltung beanspruchen.

250 achten / und gegen beyde / so wol Mutter als Sohn / umb ihrer Schmolzen und Lieb willen ein Hertz=inbrünstiges Mitleyden erwecken sollen. [...] Ihr Schmertzen war so groß / als die Lieb / dann die Lieb ist die Maaß deß Schmertzens [...]. Und hat also die schmertzhaffte Mutter Gottes von dem grausamen Schwert deß Mitleydens in dem Hertzen ein solche Marter außgestanden / daß sie auch ohne Blutvergiessen nicht allein ein wahre Martyrin / sonder noch mehr als ein Martyrin / ja die Königin aller Märtyrer und Martyrinnen gewehlet worden. 365 Der Meditierende kann seine Perspektive s o w o h l auf das Leiden Christi als auch auf das Leiden Mariae lenken. D a das Herz der mit Christus betrachtend mitleidenden Maria aber auch seinerseits das Leiden Jesu spiegelt und verdoppelt, 3 6 6 s o dass die Betrachtung des leidenden Herzens Mariae auch eine Co-Betrachtung des Gekreuzigten ist, kann er auch beide zugleich ins Zentrum seiner Betrachtung stellen. N e b e n seiner eigenen Perspektive ist d e m Meditierenden auch die Perspektive des leidenden Jesus oder die der betrachtend mitleidenden Maria möglich. Er staffelt damit u. U. drei Bühnen der Meditation hintereinander: D i e Kreuzigung Christi wird auf d e m entferntesten Schauplatz der Meditation als Szene entworfen, auf der davor platzierten Bühne betrachtet Maria den gekreuzigten Sohn auf der erstgenannten Bühne der Meditation, der Meditierende schließlich betrachtet Maria und deren Passionsbetrachtung auf seiner inneren Meditationsbühne, der >Schauplatz< d e s betrachteten Kreuzes ist dabei v o m meditierenden Ich aus g e s e h e n perspektivischer Fluchtpunkt auf der entferntesten Bühne der Betrachtung. Indem der Meditierende auch sein eigenes Leid an der die Kreuzigung verursachenden individuellen Sünde betrachtet, könnte man sogar v o n einer vierten, aus der Vogelperspektive einzusehenden Bühne sprechen. 3 6 7 D i e s e

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Ludovicus Crasius: Passion=Spiegel / Oder Vortrab Zum Buch deß Lebens. Worinnen Zehen Haubt=Geheimnussen deß bittern Leyden und Sterbens / in der Persohn CHRISTI, Durch anmüthige Klag=Figuren Auff ein newartende Weiß. Einerseits von der Lieb / und anderseits von den Schmertzen. [...] Zu mitleydigen Augen / und Dancksichtigen Hertzen wol zubetrachten und hochzuachten: Sonderlich durch die Heilige Fasten=Zeit [...] Sampt einem Zusatz Von Verehrung der allerheiligsten fünff Wunden Jesu Christi / oder ein andächtig Weiß / in disen zeitlich und ewig zuwohnen. Wien 1671, Das zwölfte Bild. Auch in der »Trutz-Nachtigall« Friedrich Spees macht Maria keinen Unterschied zwischen eigenem Leiden und Christi Leid - seine Qualen sind als mitgelittene ihre Qualen (Friedrich von Speer Trutz-Nachtigall [1649]. Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. Bern 1985, S. 44). Zur Parallelisierung der Gottesmutter mit der mitleidenden sponsa des Hohenliedes s. Martina Eicheldinger: Friedrich Spee - Seelsorger und poeta doctus. Die Tradition des Hoheliedes und Einflüsse der ignatianischen Andacht in seinem Werk. Tübingen 1991, S. 331. Im Hinblick auf die bei Crasius beschriebene wechselseitige Spiegelung zwischen Christus und Betrachterin s. auch die Passionsmeditation der Sibylle Ursula Herzogin zu Schleswig Holstein, wo es heißt: »Ach! meine Seele! betrachte noch einmal / deinen verschiedenen Jesum / am Creutz. [...] Diß sind die heiligen fünf Wunden / darinn du sichern Schutz und Zuflucht hast / in aller Leibes= und Seelen-Noth. Niemand kan dich aus dieser Vestung rauben. Wann du dahin fliehest / so ist dir ewig geholfen. Der Herr Jesus / lässet ihm die Seite durchstechen: damit du sein Herz sehen möchtest. Ach! er wüste dir seine Liebe nicht kräftiger zu bezeugen. Er weiset dich in sein Herz: da solst du seine brennende Liebe sehen; daselbst wirst du dich abgebildet finden. Ach! vergiß nicht / dich darinn zu suchen.« (Sibylle Ursula Herzogin zu Schleswig-Holstein: Himmlisches Kleeblat oder Betrachtungen Der Allerhöchstheiligsten DreyEinigen Gottheit: Von einer nunmehr HochSeeligsten HochFürstlichen Person hinterlassen. Nürnberg 1674, S. 346f.) Eine weitere Bühnenperspektive impliziert die bereits oben zitierte Passionsbetrachtung von Opitz, in der Jesus aus der Perspektive des Kreuzes sein eigenes Leiden und die mitleidend

251 meditative Perspektivbühne verwirklicht in der Meditation die technischen Illusionsund Theaterinnovationen Aleottis und Sabbattinis368 - barockes Meditationstheater, in dem der Meditierende gleich in mehrere individuell angeeignete Rollen schlüpft, mit ihnen interagiert und ihr eigener Zuschauer mit wechselnder Platzreservierung ist. Dieses Rollenspiel bietet auf der inneren Bühne der Meditation die Möglichkeit der individualitätsbewussten Selbstbetrachtung und Selbstthematisierung aus verschiedenen in sich selbst gewendeten und in Distanz zu sich selbst tretenden Perspektiven.369 Der Tod kann somit in verschiedenen Rollen bereits zu Lebzeiten auf der inneren Bühne der Meditation imaginativ >erlebt< werden, und die individuelle Erfüllung dieser überindividuellen Rollen durch das betrachtende Ich macht den Reiz dieser erinnernden Selbstthematisierung in den Bildern des Todes aus. Auch das zehn Strophen zu jeweils acht Versen umfassende Gedicht Hertzens=Angst eines bußfertigen Sünders des Protestanten Andreas Gryphius (1616—1664)370 ist im Hinblick auf diese >meditative Bühnentechnik< der Passionsbetrachtung von großem Interesse. Das lyrische Ich steht als Schauspieler »überhäuft mit Lastern« und »Im tieffsten Unglücks=Schlam vertäufft« auf der inneren Bühne der Meditation und verbalisiert seine inneren Bilder und Affekte für die Zuschauer. Es erscheint in der ersten Strophe aber zugleich auch als Betrachter des Bühnengeschehens, das ihm »vor Augen gesetzt« wird: »Mein Heyland! Was werd' ich beginnen! // Ich gantz mit Lastern überhäufft // In tieffsten Unglücks=Schlam vertäufft. // Jetzt werd' ich meiner Bosheit innen // Jetzt werd' ich durch mich selbst erschreckt: // Indem mich deine Hand auffweckt. // Und mir / wie hoch ich dich verletzet // Und hart erzörnt / vor Augen setzet.« (Strophe I.) . Die Anapher »Jetzt« betont die Unmittelbarkeit, mit der der Schauplatz mit Hilfe der Einbildungskraft »vor Augen [ge]setzet« wird. Das »durch sich selbst erschreckte« meditierende Ich nennt in der zweiten Strophe die Ursache dieses Schreckens an sich selbst - das >gefühlte< Gewissen: »Wie wird mir / ach! ach! Mein Gewissen // Fühlt schärffster Wunden grimme Noth! // Mein Hertz erschüttert ob dem Todt // Und wird vom innern Wurm durchbissen. // Rinnt herbe Thränen Tag und Nacht! // Rinnt / rinnt des Höchsten Donner kracht! // O wann nichts übrig mehr / als Sterben! // O könt ich in der Gruft verderben!« (Strophe II.). Nachdem bereits in der ersten Strophe durch das »verletzet« auf den durch die Sünde am Kreuz >verletzten< Christus angespielt wurde, konturieren nun die »schärffsten Wunden«, die Nennung des »Todt«, Erdbeben und Donner diese Gewissensbetrachtung zugleich als Passionsbetrachtung. Da die genannten Wunden, Tod und Erschütterung aber auch auf das lyrische Ich selbst bezogen werden können, ist hier zugleich eine

368 369 370

betrachtende Mutter Maria betrachtet (Martin Opitz: Herrn Martin Opitzens Erzehlung Des Leidens und Sterbens unsers Heylandes. Beneben ΧΠ. Geistlichen Betrachtungen des allerheiligsten Todes JESU Christi [...] auffgesetzet Von Thomas Stegern / Prediger zu Leipzig. Leipzig 1659, S. 11). Nicola Sabbattini: Pratica di Fabricar Scene, E Machine Ne' Teatri. Ravenna 1638. Vgl. die Individualitätsdefinition in Kap. 1.2. Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. ν. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983, Bd. 2, S. 110-112. S. Gedichtanhang.

252 Todesvision des am Gewissen leidenden meditierenden Ich impliziert, das zudem in den letzten beiden Strophenzeilen seinen Todeswunsch ausspricht. Strophe III. schildert das Bewusstsein des einsamen (»geschieden«), verantwortlichen Stehens vor Gott (»Maur' [...] Die ich von Missethat gebaut«), das individuelle Schuldgefühl des lyrischen Ich, das bereits die drohende Hölle »schaut«: »Ich leider bin von Gott geschieden! // Durch eine Maur' ob der mir graut // Die ich von Missethat gebaut! // Nun miß' ich Freude / Trost / und Frieden. // Ich schau der Höllen offnes Hauß// Speit auf mich Glut und Marter aus! // Des Höchsten Grimm will Urtheil sprechen // Und schon den Richterstab zubrechen.« In der folgenden Strophe wird die barocke Bühnenmaschinerie in Gang gesetzt - die innere Bühne des meditierenden lyrischen Ich ist eine barocke Vertikalbühne mit Himmelskonstruktion und Höllenschlund. Die imposante (Geräusch-)Kulisse371 wird vom lyrischen Ich verbalisiert. Der Himmel wird mir / ach! Geschlossen// Er deckt mit Wolcken seine Zier// Die heiigen Wächter fliehn für mir // Kein Trost kommt mehr herab geflossen // Ich schaue nichts als Blitz und Nacht // Indem erhitzter Wetter Macht // Mit viel verhärter Donner= Knallen // Auf meinen Seitel dräut zu fallen. III Die Erd' ermüdet mich zu tragen// Bricht unter mir / ich schau die Klufft II In der man ewig Zetter rufft! II Ich schau die Werckstatt grauser Plagen II Ich schau verruchter Seelen Pein! II Ach! Was kann mehr erschrecklich seyn! II Mehr schrecklich ists / dass in den Bränden II Die Marter nimmermehr zu enden. (Strophen IV.f.).

Das meditierende Ich richtet zunächst den Blick nach oben zum Himmel, dann nach unten in die aufbrechende Hölle. Es beschreibt als >Schauspieler< auf der inneren Bühne sein »Schauen«, um sich selbst als Zuschauer betrachten zu können. Auf der Metaebene des Gedichtes kann so aber auch der Rezipient zum Betrachter des lyrischen Ich und des von ihm Geschauten werden. Die sechste Strophe ist insofern besonders interessant, als sie die Erkenntnis der eigenen Sünden als den wahren Schrecken der Hölle entlarvt - hier zeigt sich eine Parallele zu dem in Kap 3.1.2 beschriebenen selbsterinnernden Sündengefühl als höllisches Folterinstrument: »O grauser Anblick! kan ich sehen // hier schau ich was ich ie begieng // Und wider meinen Gott anfing; // Was je gewünscht / gedacht / geschehen! // Hier schau ich was ich unterließ // Was ich vor Gnade von mir stieß« (V. 1-6). Nicht physische, sondern die psychische Qualen des selbsterinnernden meditativen Gewissens< sind die Kohlen des Höllenfeuers! Nichts bleibt dem lyrischen Ich in dieser Vision verborgen, es wird mit all seinen Lebens-Sünden konfrontiert, so dass es erkennt: »Weh! weh mir! weh / mein ganzes Leben // War nur des Satans Dienst' ergeben« (V. 7f.). Im Kontext der impliziten Passionsbetrachtung, die zu Beginn des Gedichtes angedeutet wurde und die sich am Ende des Gedichtes noch stärker manifestieren wird, kann das »Hier schau ich was ich je begieng« aber auch als Betrachtung der »schärffsten Wunden« Christi am Kreuz gedeutet werden, die als Wundmale die erinnernde Selbsterkenntnis des meditierenden Ich markieren.

371

Das »Donner=Knallen« sowie »Blitz und Nacht« können auch als Anspielung auf den Bußruf des in Kap. 3.1. dargestellten Gewitter-Gewissens verstanden werden.

253 Die in Strophe VII. verzweifelt gestellte Frage nach Erlösung (»Wie wickel' ich mich aus der Ketten [...] Darff ich vor Gottes Richtstuhl tretten? // Was geb' ich an? Was wend ich vor«, V. 1 und 4f.) wird in den letzten drei Strophen des Gedichtes durch die verstandesmäßige Aneignung und Ausdeutung der Passion beantwortet. Hatte die Betrachtung des Gekreuzigten bislang die Sündenerkenntnis fokussiert, steht nun der Erlösungsgedanke im Zentrum. Das meditierende lyrische Ich fallt auf der Bühne der Meditation am Fuß des Kreuzes »in ernster Reu und Buße« nieder: Ach Jesu die fall ich zu Fusse // Der du dich hast zum Heil der Welt // In Noth und Marter eingestellt // Ich komm in emster Reu und Busse. // Du hast ja des Gesetzes Fluch // Und ungerechter Richter=Spruch // Daß ich nicht ewig möcht umkommen // Unschuldig über dich genommen. I I I Du hast als du vor mich gestorben II Und dein gekröntes Haupt geneigt I I Und dein eröffnet Herz gezeigt // Mir die Gerechtigkeit erworben II Hat nicht dein Rosinfarbnes Blut II Gelescht der Holl erhitzte Glut II Ach komm denn / komm mich zu entbinden II Komm dann / und tilge meine Sünden. I I I Ach komm und heile meine Wunden! / Brich ein / was zwischen mir und Gott. / Du hast ja durch den heiigen Todt / Mit mir auf ewig dich verbunden. / Wie könnt ich denn verlassen stehn! / Wie könt ich Trostloß von dir gehen! / Nein! Nein! Mit dir will ich obsiegen // Laßt Fluch und Sünde mich bekriegen! (Strophen VIII. - X.).

Das auf sich selbst und seine individuelle Schuld zurückgeworfene meditierende Ich muss sich im Vertrauen auf das in der Meditation angeeignete Kreuz nun nicht mehr »verlassen« sehen. Sein >Bühnenabtritt< (»von dir gehn«) erfolgt im Vertrauen auf Christi Erlösungstat und im Willen (als dritte in der Meditation einbezogene Seelenkraft), »Fluch und Sünde« in Zukunft »zu bekriegen«. Der beschriebene meditative Bühnenauftritt des lyrischen Ich und dessen auch im Titel erscheinende Unbestimmtheit und »Rollenhaftigkeit«372 scheint zunächst der Individualität der im Gedicht thematisierten höllischen Selbsterkenntnis entgegen zu stehen. Doch auch hier ist auf den individuellen meditativen Vergegenwärtigungspirozess zu verweisen. Die Übertragbarkeit des Erkenntnisgehalts widerspricht nicht der in der Meditation individuell angeeigneten »Hertzens=Angst« des lyrischen meditierenden Ich, das sich aus der Doppelperspektive von Zuschauer und Schauspieler auf der barocken Vertikal- und Maschinenbühne betrachtet.

3.2.2.3 Compunctio am eigenen Leibe: der Karten-Körper der Passion Der am Kreuz der Meditation mitgelittene Tod ist aber auch in seiner ErinnerungsFunktion in Bezug auf das meditative Gewissen zu sehen. In der Meditation des 17. Jahrhunderts wird der Passionsschmerz meditativ eingebildet und angeeignet, um sich ein Gedächtnis zu machen - und zwar ein Gedächtnis der Passion Christi, das auch eine Körper-Erinnerung des eigenen Gewissens ist. Der Schmerz als »mächtigstes Hilfsmittel der Mnemonik« 373 wird in der Passionsmeditation dabei aber nicht 372 373

Vgl. Kap. 2.1. Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. Hg. v. Karl Schlechta. Bd. 2: Zur Genealogie der Moral. München 1955, S. 802: »Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, wehzutun, bleibt im Gedächtnis«.

254 als reales, sondern als meditativ e v o z i e r t e s und imaginiertes m n e m o t e c h n i s c h e s Instrument wirksam. 3 7 4 Mary Carruthers hat in ihrer Untersuchung den Zusammenhang von als affektive Selbstzerknirschung und compunctio

compunctio

als mittelalterliche Lektüre- und

Mnemotechnik aufgezeigt. Das lateinische >pungopunctus< bedeutet >durchbohrendurchstechenVerwunden< einer Oberfläche. D a s Wort habe, s o Carruthers, auch bald eine emotionale Bedeutung i m Sinne von >seelischer Verwundung< erlangt. Im Mittelalter wurde die compunctio

auch im Rahmen der meditativen Lek-

türe v o n Bedeutung: M a n teilte den Bibeltext in kleinere, leichter zu memorierende Abschnitte ein, 3 7 5 und zwar mit H i l f e eines kleinen Punktes, den man in den Text setzte, u m den Textabschnitt zu markieren. The earliest citations given in the OED, from the sixteenth and seventeenth centuries, use >punctuation< particularly in the context of religious meditation and liturgical song texts, such as the Psalms: it is the method of marking up units of text into mnemonically useful length by means of >pointing< them. So we have here a chain (catena), mnemonically associated through the key syllabe punct-, which attaches physical puncture-wounds, with (page) punctuation, with affective compunc-tion of heart - and so from heart to memory [...]. 376 D i e Passionsmeditation unseres Untersuchungszeitraumes exerziert - so möchte ich z e i g e n - die mittelalterliche compunctio

am ( e i g e n e n ) gekreuzigten L e i b e durch

und macht den Leib am Kreuz z u m >punktierten< Text: In der meditativen (Selbst-) Kreuzigung setzt sie N ä g e l am (eigenen) Leib und teilt ihn in Abschnitte ein, die die Selbsterinnerung strukturieren. S c h o n im Mittelalter, s o Gillespie, existierte die

374

375

376

Barbara Thums beschreibt in ihrem Aufsatz »Zur Topographie der memoria in frühneuzeitlicher Mystik: Catharina Regina von Greiffenbergs >Geistliche GedächtnisorteWachs-Gedächtnis< bei Greiffenberg anspielt (Christian Soboth: »Herr / mein Gedächtniß ist vom Wachs zu deinen lenken« - Formen und Funktionen der memoria in den »Geistlichen Sonetten, Liedern und Gedichten« von Catharina Regina von Greiffenberg«. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 [Formen der Erinnerung 2], S. 273-290, S. 278). Auch die uns bekannte Segmentierung des Bibeltextes in Verse, die von dem mit Calvin befreundeten Drucker Robert Etienne erst im Jahr 1551 vorgenommen wurde, ist als compunctio zur besseren Memorierbarkeit im Sinne protestantischer Bibelfestigkeit zu sehen (s. Jörg Jochen Berns: Umrüstung der Mnemotechnik im Kontext von Reformation und Gutenbergs Erfindung. In: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400-1750. Hg. v. Jörg Jochen Bems und Wolfgang Neuber. Tübingen 1993 [Frühe Neuzeit 15], S. 35-72, hier S.70 und 71). Mary Carruthers: The Craft of thought: Meditation, Rhetoric, and the Making of Images, 400-1200. Cambridge MA 1998, S. lOOf.

255 Vorstellung der Passion als Buch und Text.377 Interessanterweise sei die Betrachtung des Gekreuzigten als Text gebunden an die Überlagerung der narrativen Ebene durch die visuelle: Erst die Passion als Folge von Bildsequenzen (Eintreiben der Nägel, Wunden Christi) mache das Kreuz zum Text.378 Ein Ausschnitt aus Valerius Herbergers Horoscopia Passionis Domini illustriert die Gültigkeit dieser Vorstellung im 17. Jahrhundert: »Deine Brust ist voll Striemen / durch deine Striemen sind wir geheilet [...]. Du bist das tröstliche Buch des Lebens / du bist gebunden in die zwey Bretter des heiligen Creutzes / mit starcken eisernen Puckeln beschlagen / Dein Leib ist voll Schlifft / da lese ich mit Esaja unnd Petro / durch deine Wunden [...].«379 Die Balken des Kreuzes sind die >Buchdeckel< des Buch-Körpers Christi,380 in bzw. auf dem ein Text zu lesen ist. Die eisernen »Puckeln« sind die punktförmigen Lesezeichen, die die Textabschnitte der »Schrifft« markieren. Diese Nägel und Wunden auf dem Körper-Text dienen einerseits als mnemotechnische Stütze des meditativ zu erinnernden Kreuzestodes, sie sezieren den Körper Jesu, um ihn >zerkleinert< leichter ruminieren zu können. So auch in einer Passionsbetrachtung aus dem Güldenem Tugendbuch des Jesuiten Friedrich Spee unter dem Titel »Liebreiches gebett zu JESU dem gekreutzigten, mitt dem mund und hertzen zu sprechen«.381 Das meditierende Ich »siehet« Christus betrachtend am Kreuz und vergegenwärtigt ihn Körperteil für Körperteil, Oberbegriffe werden dabei zusätzlich in Unterbegriffe unterteilt: »Zum Haupt Jesu«, »Zun hären«, »Zum Angesicht«, »Zun Augen«, »Zun Wangen«, »Zum Mund«, »Zum Halß«, »Zun Händen«, »Zur brüst«, »Zun Füssen«. Erst am Ende der Meditation kann der gekreuzigte Leib als Ganzes betrachtet und memoriert werden: »Zum gantzen Leib«. Die Betrachtungsrichtung verläuft dabei von oben nach unten, d.h. vom am Fuße des Kreuzes betrachtenden Ich aus gesehen >entfernten< Christushaupt hinunter zu seinen Füßen, und zeichnet so die erkennende Annäherung des meditierenden Ich an das Betrachtungsobjekt durch punktierende Zerteilung nach. 382

377

Vincent Gillespie: Strange Images of Death: The Passion in Later Medieval English Devotional and mystical Writing. In: Zeit, Tod und Ewigkeit in der Renaissance Literatur. Hg. v. James Hogg. Salzburg 1987 (Analecta Cartusiana 3), S. 111. 378 Vincent Gillespie: Strange Images of Death, S. 122f. 379 Valerius Herberger: Horoscopia Passionis Domini. Passionszeiger. JC. Feyertag. [...]. In: Die Ordnung der XXIV Stunden [...] eingetheilet. [...]. Leipzig 1653 ( Ί 6 1 1 ) , S. 439. 380 Yg] a u c h (jje n e u n t e Passionsbetachtung der Catharina Regina von Greiffenberg, in der es heißt: »Es ist in sein Wunden=Buch / mit dem Glaubens=Gold geschrieben / dass ich mich versenk und schenke ganz in seine Lieb und Ehr.« (Catharina Regina von Greiffenberg: Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina / Frau von Greiffenberg / Freyherrin auf Seysenegg / Zu Vermehrung der Ehre GOttes und Erweckung wahrer Andacht / mit XII. Sinnbild=Kupfem verfasset und ausgefertiget. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983, Bd. 9 und 10 [unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1672], Bd. 10, S. 608). 381 Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch (1649). Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968, S. 522-526. 382 S. auch Jörg Jochen Bems: Film vor dem Film: bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Marburg 2000, S. 2 9 - 3 2 zur Bildsequenzierung im Dienste der Steuerung des Imaginationsflusses.

256 Am Ende der Betrachtung bittet der Meditierende um compunctio des Herzens durch die betrachteten Wunden: »O ihr heilige wunden, verwundet mir mein hertz, verwundet mich mitt liebe.« 383 So wird andererseits auch der eigene, meditativ mitleidende und mitsterbende Körper >mit-punktiertzergliedernden< petrarkistischen Dichtung s. Martina Eicheldinger: Friedrich Spee - Seelsorger und poeta doctus. Die Tradition des Hoheliedes und Einflüsse der ignatianischen Andacht in seinem Werk. Tübingen 1991, S. 118f. 384 Vgl. die bereits oben zitierte Passage aus den »Soliloqia de Passione Iesu Christi« Martin Mollers, in denen das meditierende Ich die »maizeichen« Christi am eigenen Leibe trägt: »Ja dasselbe dein heyliges Creutz und Leyden / wil ich allzeit in meinem Hertzen / an meinem Leibe / und in meinem Munde tragen. Ich wils in meinem Hertzen tragen / Denn ich wil täglich / und ohne unterlaß daran gedencken/ [...] Auff das ich auch sagen möge: Mache mir hinforth niemand weiter mühe / Denn ich trage die maizeichen meines HERREN Jesu an meinem Leibe. Ja das ich sprechen könne: Ich bin sampt Christo gecreutziget.« (Martin Moller: Soliloquia de Passione Iesu Christi. Wie ein jeder Christen Mensch das allerheyligste Leyden und Sterben unsers Herrn Iesu Christi / in seinem Hertzen betrachten / Allerley schöne Lehren / und heylsamen Trost darauß schöpffen / und zu einem Christlichen Leben / und seligen Sterben / nützlich gebrauchen sol. Aus heiliger Göttlicher Schlifft / und den alten Vätem / mit fleiß zusammen getragen. Görlitz 1587, S. 7). 385 Friedrich von Spee: Trutz-Nachtigall (1649). Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. Bern 1985, S. 229-234. 386 Eicheldinger bezeichnet das Lied als »Monolog der andächtigen Seele« und weist auch auf die sich im Lied manifestierende gegenläufige Bewegung der Betrachtung von unten und des von oben herabströmenden Blutes Christi hin (Martina Eicheldinger: Friedrich Spee - Seelsorger und poeta doctus. Die Tradition des Hoheliedes und Einflüsse der ignatianischen Andacht in seinem Werk. Tübingen 1991, S. 333ff.).

257

auf textimmanenter wie potentiell auch texttranszendierender Ebene (vgl. Kap. 2.4) verschmelzen lassen: 387 »Füß, und Hende / Seit, und Körper voller blut! / Reichlich schweissen, / Scheinbar gleissen / Alle Wunden, alle Straich; / Schaw nun fliesset, / Und sich giesset / Purpur, über Marmer bleich.« (IV, 4-12). 388 Der sich vom weißen Marmor »gleißend« abhebende, fließende Purpur assoziiert die schwarze Schrift auf weißem Papier als Körper-Text. Die in der Passionsbetrachtung angeeigneten Wunden führen das lyrische Ich zur selbstbetrachtenden Todesvision: »Bin von Wunden / Uberwunden, / Mir gebrichts an Hertzen Wind. / Häuffigs winden / macht mich schwinden, / Kaum ich mehr den Athem hab, / Seufftzen, weinen, / O der peinen! / Mich noch bringen gar ins grab.« (Χ., V. 4 - 12). Der mitgelittene Tod am Kreuz der Meditation ist selbsterinnerndes Leid an der eigenen, individuellen und das verinnerlichte Gewissen >schmerzenden< Sünde. 389 Die Verbindungslinie zwischen in Abschnitte teilender compunctio als Erinnerungstechnik und ebenfalls zerteilender Anatomie als Erkenntnistechnik unterstreicht die Selbsterinnerung am Kreuz als Selbsterkenntnis am Kreuz des meditativen Gewissens. In einer lyrischen Kreuzbetrachtung aus der Feder des französischen Katholiken Pierre de Saint Louis390 (1626-1684) ist es Magdalena am Fuß des Kruzifixes, die - eins geworden mit dem Meditationsobjekt (»se fond, et se confond au pied du crucifix«) - im durch Wunden geöffneten Körper Christi wie in einem weit geöffneten Buch liest, und in ihm einen Schatz der Erkenntnis findet: »C'est dans ce livre rouge, ouvert de toutes parts, / Qu'elle apprend le secret, et l'art de tous les arts, / C'est sur ce parchemin, tout percé comme un crible, / Qu'elle peut voir le jour du Jugement terrible, / [...] C'est ainsi qu'elle trouve, en cette tragédie, / De toutes les vertus, une encyclopédie.« Magdalena >liest< im Leib am Kreuz und schreitet diesen punktierten (»percé«) Text als Weg der Betrachtung ab (»parchemin«). In diesem Theaterstück (»tragédie«, zur Bühnentechnik der Meditation s.o.) findet sie »une encyclopédie« - eine im roten, geöffneten Buch des gekreuzigten Körpers gesammelte Erkenntnis. Der durchbohrte Text-Körper erscheint in der lyrischen Passionsbetrachtung des mit-gekreuzigten lyrischen Ich in einem weiteren Sinne: Auch das Gedicht ist

387 Ygj jjans Georg Kemper: Friedrich von Spee. In: Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk. Hg. v. Harald Steinhagen, Benno von Wiese u.a. Berlin 1984, S. 102 und Martina Eicheldinger: Friedrich Spee, S. 106. 388 Hier ist auf die Ähnlichkeit petrarkistischer Liebesdichtung mit der zergliedernden Selbstbeschreibung in der lyrischen Passionsmeditation hinzuweisen. S. dazu auch Martina Eicheldinger: Friedrich Spee, S. 337f. 389 Weber kommt in seiner Untersuchung des Gewissens bei Spee zu dem Schluss: »Er hat einen Blick und ein Gespür für das Gewissenserlebnis gehabt und die Gewissensmacht. Das hat ihn zum Schreiben gebracht [...].« (Helmut Weber: Die Bedeutung des Gewissens bei Friedrich Spee und in der Moraltheologie seiner Zeit. In: Friedrich Spee zum 400. Geburtstag. Kolloquium der Friedrich-Spee-Gesellschaft Trier. Hg. v. Gunther Franz. Paderborn 1995, S. 51-65, S. 65). 390 Pierre Saint-Louis: »La Madeleine au désert de la Sainte Baume, poème spirituel et chrétien« (1668), V. 46ff., zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 145.

258 >punktiert< in kleinere Abschnitte, in metrische Einheiten, Verse und Strophen, die die Selbsterinnerung am Kreuz der Meditation - auf der textimmanenten Ebene für das lyrische Ich und auf texttranszendierender Ebene für den meditierenden Rezipienten - leichter ruminierbar machen. 3 9 1 Je deutlicher der Akzent der Betrachtung auf das meditative Mitleiden und Mitsterben mit d e m Gekreuzigten gesetzt ist, desto deutlicher wird der e i g e n e Körper des meditierenden Ich z u m Erinnerungs-Medium. Das lyrische Ich in der sechs Strophen zu j e fünf Versen umfassenden Hymn to God my God, in my Sicknesse392

v o n John D o n n e

( 1 5 7 2 - 1 6 3 1 ) betrachtet sich selbst als mit dem Gekreuzigten Einsgewordenen in einer Todesvision, die man als >anatomische Passions-Geographie< bezeichnen könnte. Der betrachtete, mit d e m Gekreuzigten eins gewordene Körper des meditierenden Ich wird z u m Erinnerungs-Medium und geht dabei über das v o n der Forschung postulierte Körper-Gedächtnis der P a s s i o n hinaus, das lediglich das durch die A f f e k t - N ä g e l >eingravierte< Gedächtnis der Erlösungshoffnung meint. 3 9 3

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»Lastly, even they that have taught the art of memory have showed nothing so apt for it as a certain room divided into many places well and thoroughly known. Now, that hath the verse in effect perfectly, every word having his natural seat, which seat must needs make the word remembered.« (Philip Sidney: A Defence of Poetry. In: Philip Sidney: Miscellaneous prose of Sir Philip Sidney. Hg. v. Katherine Duncan-Jones und Ian von Dorsten. Oxford 1973, S. 101). Das Gedicht ist der >RaumGedächtnisorte< unterteilt und geordnet ist. Jedes Wort hat seinen ihm zugewiesenen Platz und kann somit leichter erinnert werden. In ähnlicher Weise formuliert Bacon die ordnungschaffende Gedächtnis-Funktion der Poesie: »Itaque et ordo manifesto juvat Memoriam. Subest enim Praenotio, id quod quaeritur tale esse debere ut conveniat cum ordine. Similiter carmina facilius discuntur memoriter quam prosa. Si enim haeretur in aliquo verbo, subest praenotio, tale debere esse verbum quod conveniat cum versu. Atque ista Praenotio est Artificialis Memoriae pars prima.« (Francio Bacon: De dignitate et augmentis scientiarum, V, 5. In: Francis Bacon: The Works of Francis Bacon. Hg. v. James Spedding. Stuttgart 1963 (Reprint der Ausgabe London 1858), Bd. 1, S. 648f. Bereits Quintilian (Marcus Fabius Quintilian: De institutione oratoria. Hg. u. übers, ν. Helmut Rahn. Darmstadt 1975, XI, II, 39, S. 602f.) beschreibt die leichtere Memorierbarkeit der Poesie, und die im Mittelalter mündlich vorgetragene Dichtung greift ebenfalls auf Reim bzw. Assonanz, Metrum und Vers als Gedächtnisstützen zurück. Zur mnemonischen Funktion von Metrum, Vers und Reim s. Ulrich Ernst: Ars memorativa und Ars poetica. In: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst. Hg. v. Jörg Jochen Berns und Wolfgang Neuber. Tübingen 1993 [Frühe Neuzeit 15], S. 73-100, S. 76ff.). Zit. nach The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. ν. Louis L. Martz. New York 1963, S. 136f. S. Gedichtanhang. S. Vincent Gillespie: Strange Images of Death: The Passion in Later Medieval English Devotional and mystical Writing. In: Zeit, Tod und Ewigkeit in der Renaissance Literatur. Hg. v. James Hogg. Salzburg 1987 (Analecta Cartusiana 3), S. 111-159; Barbara Thums: Zur Topographie der memoria in frühneuzeitlicher Mystik: Catharina Regina von Greiffenbergs »Geistliche Gedächtnisorte«. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 251-272; Christian Soboth: »Herr / mein Gedächtniß ist vom Wachs zu deinen lenken« - Formen und Funktionen der memoria in den »Geistlichen Sonetten, Liedern und Gedichten« von Catharina Regina von Greiffenberg. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit, S. 273-290.

2.59 Die erste Strophe stellt das Gedicht unter das Vorzeichen der Todesbetrachtung das lyrische Ich betrachtet zu Lebzeiten (»here before«) den Tod und das Jenseits (»that holy room«): »Since I am coming to that holy room, / Where, with thy choir of saints for evermore, / 1 shall be made thy music; as I come / 1 tune the instrument here at the door, / And what I must do then, think here before.« Die betrachtende Hymn to my God ist das irdische Stimmen des Instrumentes des lyrischen Ich. Ede zweite Strophe stellt den Schauplatz der Meditation zusammen - das lyrische Ich liegt auf dem Sterbebett. Kiefer-Lewalski interpretiert das Gedicht aus diesem Grunde als >zufällige Andachtstraits< ist im Englischen Homonym für >Wege< und >Nöteauf dem Sterbebett< Christi Kreuz ebenso wie den Baum des Sündenfalls auf dem eigenen Körper aufgezeichnet. Beide befinden sich nach der mittelalterlichen Legenda aurea am selben Ort 403 und fallen nun auf dem lyrischen Ich als »flat map« im Körper als Erinnerungs-Ort zusammen: »We think that Paradise and Calvary, / Christ's Cross, and Adam's tree, stood in one place; / Look Lord, and find both Adams met in me; / As the first adam's sweat surrounds my face, / May the last Adam's blood my soul embrace.« Die letzte Strophe beinhaltet die Pointe dieser geographisch-zweidimensionalen Selbstbetrachtung angesichts des meditativ vergegenwärtigten Todes: »So in this purple wrapped receive me Lord, / By these his thorns give me his other crown; / And as to others' souls I preached thy word, / Be this my text, my sermon to mine own, / Therefore that he may raise the Lord throws down.« Umhüllt mit dem Purpur Christi Blutes vertraut das lyrische Ich auf seine Erlösung, die Dornen Christi lassen auf die Krone des ewigen Lebens hoffen. Das zweimal verwendete Demonstrativpronomen »these« bzw. »this« eröffnet eine interessante Deutungsvariante: Das lyrische Ich zeigt hier auf sich selbst, auf den eigenen, zweidimensional ausgestreckten Körper auf dem meditativ eingebildeten Sterbebett. Dadurch sind »these his thornes« als die Körper-Karte punktierende Dornen zu verstehen, und »this my text« erklärt den Körper zum Text, zur eigenen Predigt! Rückwirkend erscheint das Purpur, in das das lyrische Ich sich eingeschlagen sieht (»wrapped«) als roter Bucheinband (engl. >wrapperin sich wohnende< Einheit wahrnehmen, 405 und zwar ausgerechnet durch die anatomische Selbstbeschreibung als Wegenetz, das alle Körperorte durch die sezierend freigelegten Bahnen der Adern miteinander verbindet. »These thornes« Christi, die den Körper des lyrischen Ich als Text und »flat map« mitpunktieren (s.o. zur mittelalterlichen Mnemotechnik der compunctio), teilen den Körper- und Passionstext als eigene Predigt zudem in memorierbare Abschnitte und markieren die Erinnerungsorte des meditativen Schauplatzes (»Jerusalem«, »Calvary«, »Christs Cross«). Die Betrachtung des lyrischen Ich im Gedicht Donnes hat die Passion, den Kreuzestod Christi dahingehend meditativ angeeignet, dass es sich selbst als Text am Kreuz betrachtet. Die punktierende Zerteilung des Passionstextes, des betrachteten Christuskörpers und des eigenen mitgekreuzigten Körpers als Erinnerungsmedium hat zur ruminie-

403

S. John Donne. The complete english poems. Hg. v. Albert Smith. Baltimore u.a. 1971, Notes, S. 665. 404 Vgl. Kap. 3.2 und 3.3.1.2. 405 Yg] Kap. 1.2 zur Individualitätsdefinition und Kap. 3.3.1.2.

263 renden, gänzlichen körperlichen Aufnahme des Passionstextes geführt, bis hin zum körperlichen Aufgehen im und als Text am Kreuz. Sieht das lyrische Ich den eigenen Körper als >Textwrappergekreuzigten Text< erscheinen lässt. Der Buchtitel ist auf diese Haut gedruckt, der >Buch-Körper< birgt die unter der Haut verborgenen und nun anatomisch freigelegten Geheimnisse. Claudia Benthien macht zudem auf die Häufigkeit von Häutungs-Abbildungen im 17. Jahrhundert aufmerksam, 407 die meiner Ansicht nach dieses Spiel mit Zwei- bzw. Dreidimensionalität des Körpers in besonderer Weise spiegeln. Auch ein Emblem aus Crasius' Passionsbetrachtung zeigt statt des gekreuzigten dreidimensionalen Körpers Christi ein am Kreuz aufgespanntes, zweidimensionales, mit übergroßen Nägeln punktiertes Leichen- oder Schweißtuch Christi (s. Abb. 7). 408 Maria, die als Identifikationsfigur und Betrachtungsexempel hinter dem Kruzifix steht, ist ihrerseits von einer arma Christi durchbohrt und somit >mitgekreuzigtein anderen werden zu können, wie Montaigne in seinen Essais de morale (1580) formuliert. 428 Das Bewusstsein der potentiellen Veränderung in der »passage« von Moment zu Moment, die dennoch nicht die diese liierende »histoire« in Frage stellt, macht Identitätsbewusstsein aus. Es motiviert die dispositive, nicht lediglich punktuelle Selbstbetrachtung aus der Perspektive des meditativ vorverlegten, vorläufigen Endes der eigenen Lebenszeit. Die Meditation über den Tod impliziert im 17. Jahrhundert eine meditatio temporis et identitatis, die im Hinblick auf individuelle Selbstthematisierung und Selbsterinnerung des (lyrischen) betrachtenden Ich zu untersuchen ist. Die meditative Beschäftigung mit dem Tod impliziert die meditative Beschäftigung mit der individuellen Verantwortung mit der eigenen begrenzten Lebenszeit. Deshalb steht im 17. Jahrhundert Selbstbetrachtung im Sinne einer Selbst- und Zeitbilanz mit der meditatio mortis in engem Zusammenhang. Die meditative Selbstbilanz und Selbsterforschung angesichts des meditativ vergegenwärtigten Todes hat dabei in zweifacher Weise Konsequenzen für das Gewissen als auf die Zeit zu beziehendes Konzept. Zum einen verdeutlicht sie die zeitliche Begrenztheit und Dringlichkeit der Verpflichtung und Chance, retrospektiv von einem vorläufigen vergegenwärtigten Todes-Zeitpunkt aus Selbst- und Gewissensbetrachtung zu üben. Zum anderen ist sich das meditierende Subjekt, das sich permanent-dispositiv den eigenen Tod betrachtend vor Augen führt, nicht nur im retrospektiven, sondern auch im prospektiven Sinne der Wichtigkeit der Selbstbewahrung des Gewissens bewusst. Die meditatio mortis, das betrachtende Sich-vor-Augen-Stellen des eigenen Todes, wirkt auf jeden einzelnen Körperteil und lässt ihn >klug werdenc 429 Freylich / freylich würden wir nimmermehr Übels thun / und in die Sünde willigen / wenn wir das Ende unsers Lebens immerdar uns vor Augen stelleten. Wenn wir bedächten / daß die Glieder unsers Leibes im Tode einmal werden erkalten und erstarren / würden wir dieselbe nicht ergeben der Sünden zu Waffen der Gerechtigkeit [...]. Wenn wir bedächten / daß unsere Augen im Tode werden vertunckeln / würden wir der Augenlust in diesem Leben desto ehe und mehr Urlaub geben [...]. Wenn wir bedächten daß unsere Ohren im Tode werden verstopffet / würden wir dieselbe nicht dargeben / schandbare Wort / Narrentheidungen / Verleumdungen und dergleichen zu hören [...]. Wenn wir bedächten, daß unser Mund im Tode werde verschlossen und verriegelt / so würden wir kein faul Geschwätz aus unserm Munde lassen gehen [...]. Wenn wir bedächten / daß wir im Tode unsere Hände und Füsse nicht mehr werden können regen / so würden wir mit unsem Händen niemand beleidigen [...]. Wenn wir bedächten / daß im Tode die Seele vom Leibe würde abscheiden / so würden wir dieselbe nicht so gar vertieften in den Lüsten des Fleisches

428

429

»Je ne peins pas l'estre. Je peins le passage, non un passage d'âge en autre, ou, comme diet le peuple, de sept en sept ans, mais de jour en jour, de minute en minute. Il faut accomoder mon histoire à l'heure. Je pourray tantost changer, non de fortune seulement, mais aussi d'intention. C'est un contrerolle de divers et muables accidens et d'imaginations irrésolues et, quand il y eschet, contraires: soit que je sois autre moy-mesme, soit que je saisisse les subjects par autres circonstances et considerations.« (Michel de Montaigne: Essais. Neu hg. v. V.-L. Saulnier. Paris 1965, Bd. 3, S. 804). Auch hier zeigt sich ein dekompositorisches Prinzip der Selbstbetrachtung (vgl. Kap. 3.3.1).

273 [...]. Wenn wir bedächten / daß unser Leib von Schlangen und Würmern solle gefressen werden / so würden wir die Sünde in unserm sterblichen Leibe nicht lassen herrschen [...].430 Permanente Todesbetrachtung bewahrt prospektiv und dauerhaft vor dem körperlichen Gewissens-Schmerz. Bevor jedoch auf die Kontinuität der Selbstbilanz angesichts des meditativ vergegenwärtigten Todes näher eingegangen wird (s. u. zu den Meditationen Délavais), soll hier zunächst die punktuelle Selbstbilanz als Gesamtüberblick über die eigene Lebenszeit aus der Perspektive des meditativ vorverlegten Lebens-Endpunktes i m Zentrum des Interesses stehen. Für die katholischen Gläubigen unseres Untersuchungszeitraumes wird dieser Gesamtüberblick über die e i g e n e Lebenszeit vor a l l e m durch die Einführung der Generalbeichte in der katholischen Frömmigkeitspraxis institutionalisiert, in der alle, also auch bereits gebeichtete Sünden, nochmals in die confessio

aufgenommen

werden. 4 3 1 Ihnen wird dazu geraten, die Lebenszeit zur Erleichterung des Überblicks über sich selbst in der Zeit in Abschnitte einzuteilen - eine compunctio432

in der

D i m e n s i o n der Zeit: 1. Welche Gottselig und sicher zu sterben begehren / pflegen von ihrem gantzen Leben hero ein allgemeine Beicht zu thun / ob vielleicht voriger Zeit sie etwas verschwiegen / oder nicht recht vorbracht / berewet und abgebüsset hätten. Dann ein solche Sach / daran das ewige Heyl hangt / soll nicht oben hin / sondern auffs allersicherst / und fleissigst angestellt / und verrichtet werden. Auß dem erscheint / wie unweißlich thun / die bey Lebzeiten nit recht gebeicht / und zu letzt / da sie deß vorigen Lebens nicht können gedencken / oben hin / und nicht recht gebeichtet / davon scheiden. 2. Wäre derhalben der beste Rath / daß man noch bey guter Gesundheit unnd Verstand die gemeine Beicht in gewisse Puncten oder schrifftlich abtheilete / oder zu Gedächtnuß fasseie / damit solche wolgethan / oder was sonsten nicht recht erörtert / oder sonsten mangelhafft vorgelauffen wäre / zum letzten künte gebessert werden. Dieser Rath ist an sich selbst allzeit gut / jedoch der Zeit am besten / da die Seel von allen andern Dingen frey der wahren Rew gäntzlich soll ergeben seyn. Dann wer dann erst seines Lebens Lauff erforschen / und sein Thun erörtern will / wann ihm Witz / Krafft und Verstand entgeht / wird sich sehr betrogen finden / sintemal diß Werck einem gesunden unnd wolverständigen gnugsamb zu schaffen gibt. 433

430

431

432 433

Johann Gerhard: Schola Pietatis. Das ist: Christliche und Heilsame Unterrichtung / Was für Ursachen einen jeden wahren Christen zur Gottseligkeit bewegen sollen / auch welcher Gestalt er sich an derselben üben soll. [...]. Nürnberg 1709 ('1622), S. 149. »Eine der wichtigsten Neuerungen in den Beichtauffassungen der katholischen Kirche zeigt sich in der Idee der Generalbeichte, wie sie während der Gegenreformation aufkommt. Haben die üblichen Beichten zwar die Funktion, das Gewissen zu erforschen, so tilgen sie doch auch andererseits die bereuten Sünden. Demgegenüber bietet die Generalbeichte Anlaß, auch die schon verziehenen Sünden noch einmal zu beichten. Es geht um eine wirkliche Sündenbiographie. Das gesamte Leben wird in einer bestimmten Weise rekapituliert.« (Alois Hahn: Identität und Selbstthematisierung. In: Selbstthematisierung und Selbstzeugnis: Bekenntnis und Geständnis. Hg. v. Alois Hahn und Volker Kapp. Frankfurt a.M. 1987, S. 21). Auf die ignatianische Tradition aufbauend, rät Franciscus Coster dazu, das Leben im Rückblick nach prägenden Erlebnissen in Lebensabschnitte zu zerteilen (Franciscus Coster: Schatzbüchlein voller Wegweiser der gnade nreichen Sodaliter der H. Mutter Gottes Mariae. Münster / Westphalen 1614, S. 66). Vgl. Kap. 3.2.2. Franciscus Coster: Heylsamer Spring=Brunn Zum Ewigen Leben. Dillingen 1663, S. 116ff.

274 D a die reale Sterbestunde den Blick auf sich selbst verstellt, wird die Selbstbilanz »bey guter Gesundheit unnd Verstand« ins Leben verlegt. Der Gewissens-Überblick über das gesamte

Leben wird z u m Gewissens-Überblick über den bisherigen

»Lebens Lauff«

und muss entsprechend auch immer wieder aktualisiert werden. Der Meditierende ist dazu angehalten, den status quo seines G e w i s s e n s , sein Verhältnis z u m Tod und sein Verhalten in der begrenzten, knappen Zeit immer wieder neu zu definieren. Eine der wichtigsten Quellen zur Erschließung der protestantischen Lebensrückblicke ist in den Leichenpredigten der Frühen N e u z e i t zu s e h e n . 4 3 4 Im R a h m e n der meditatio

mortis

war die schriftliche Niederlegung des e i g e n e n » L e b e n s = L a u f f e s «

oder der so genannten personalia

i m Hinblick auf die nach d e m eigenen Tode zu

erwartende Leichenpredigt in Europa verbreitet, w i e entsprechende Äußerungen in Texten dieser Gattung zeigen: 4 3 5 »In den Lebensläufen fanden sich H i n w e i s e darauf, dass die Verstorbenen zu Lebzeiten und nicht selten in e i n e m Alter, in d e m sie

434

435

Im Gegensatz zu den protestantischen Leichenpredigten sind die katholischen bisher kaum erforscht. Dass diese Textgattung auch bei den Katholiken bekannt war, zeigt folgende Titelauswahl: Heinrich Wynick: Ein Catholische Leichpredig / In welcher bey de von den Mitteln / so Gott der Heir selbst zur Seligkeit / als zu dem Himlischen Hierusalem und rechtem Vaterland verordnet: Auch vom Gottseligen Leben und Christlichen Absterben der Edlen [...] Junckfrawen Marien Bocks von Nordtholtz. Ingolstadt 1581; Melchior Khlesel: Christliche unnd Catholische Leichpredig. Uver die Hochkläglich unnd schmertzlich Begräbnuß / der Durchleuchtigsten Fürstin und Frawen/ Frawen Elisabeth [...] Königin zu Franckreich [...]. Wien 1592; Johann Ertlin: Christliche Leichpredig / Bey der Besingung deß Hochwirdigen Fürsten und Herrn / Herrn Ernesti / Bischoffen zu Bamberg hochlöblicher Gedächtnuß [...]. Ingolstadt 1592; Thomas Dueller: Grabmahl Der Allerdurchleuchtigsten/und Großmächtigen Kayserin Mariae Leopoldinae [...]. Wien 1649. Eine der wenigen Studien zur katholischen Leichenpredigt liefert der Sammelband Oratio Funebris. Die katholische Leichenpredigt der frühen Neuzeit. Zwölf Studien. Mit einem Katalog deutschsprachiger katholischer Leichenpredigten in Einzeldrucken 1576-1799 aus den Beständen der Stiftsbibliothek Klostemeuburg und der Universitätsbibliothek Eichstätt. Hg. v. Birgit Boge und Ralf Georg Bogner. Amsterdam 1999 (Chloe. Beihefte zum Daphnis 30). Während im 16. Jahrhundert nur etwa 55 Leichenpredigten von Jesuiten gehalten wurden, waren es im 17. Jahrhundert nach der Statistik Sommervogels 704. Den Gründen für diesen eklatanten Anstieg wäre in einer gesonderten Untersuchung nachzugehen. S. Eintr. Eloges fúnebres. In: Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Hg. ν. Carlos Sommervogel. Brüssel / Paris 1890/1900, Bd. 10, Sp. 1067-1122. Dazu auch: Katholische Leichenpredigten des 16. bis 18. Jahrhunderts. In: Oratio funebris. Die katholische Leichenpredigt der frühen Neuzeit. Zwölf Studien. Hg. v. Birgit Boge und Ralf Georg Bogner. Amsterdam 1999 (Chloe. Beihefte zum Daphnis 30), S. 317-339. So z.B. Johann Gerhard: Christliche Leichpredigt Bey der ehrlichen und Volckreichen Leichbestattung deß weyland Ehrwirdigen [...] Herrn Melchioris Bischoffs / Pfarrern zu Koburg [...]. Coburg 1615. Dazu einschlägig Rudolf Lenz: Zur Funktion des Lebenslaufes in Leichenpredigten. In: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie und Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge. Hg. v. Walter Spam. Gütersloh 1990, S. 93-104, S. 96 und Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Aus dem Frz. v. Hans-Horst Henschen und Una Pfau. München / Wien 1980 (Frz. '1978), S. 254. Zur Leichenpredigt im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts s. Martin Papenheim: Erinnerung und Unsterblichkeit. Semantische Studien zum Totenkult in Frankreich (1715-1794). Stuttgart 1992 (Sprache und Geschichte 18), S. 39^t5. Die bekannteste französische Leichenpredigtsammlung sind die »Oraison funèbres« von Jacques Bénigne Bossuet. Auch von François de Sales, Bérulle und Père Senault sind Leichenpredigten bekannt (s. Martin Papenheim: Erinnerung und Unsterblichkeit, S. 41).

275 weder durch Krankheit n o c h andere U m s t ä n d e dazu veranlasst wurden, b e g o n n e n hatten, ihren Blick auf das bevorstehende Lebensende zu richten und ihr >Haus zu bestellenGeschichte< bedeutet, Rechenschaft über die Vergangenheit abzulegen.« (Heike Düselder: Der Tod in Oldenburg. Sozial- und kulturgeschichtliche Untersuchungen zu Lebenswelten im 17. und 18. Jahrhundert. Hannover 1999, S. 261). Vgl. v.a. Rudolf Lenz: Zur Funktion des Lebenslaufes in Leichenpredigten. In: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie und Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge. Hg. v. Walter Sparn. Gütersloh 1990, S. 93-101, hier S. 96. Zu diesem Komplex s. Werner Mahrholz: Deutsche Selbstbekenntnisse. Ein Beitrag zur Geschichte der Selbstbiograpliie von der Mystik bis zum Pietismus. Berlin 1919; Dietrich Rössler: Der »ganze« Mensch. Das Menschenbild der neuen Seelsorgelehre und des modernen medizinischen Denkens im Zusammenhang der allgemeinen Anthropologie. Göttingen 1967, S. 209; Walter Spam: Dichtung und Wahrheit. Einführende Bemerkungen zum Thema: Religion und Biographik. In: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? S. 11-29, hier S. 15; Volker Drehsen: Lebensgeschichtliche Frömmigkeit. Eine Problemskizze zu christlich-religiösen Dimensionen des (auto)biographischen Interesses in der Neuzeit. In: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? S. 33-62; Alois Hahn: Identität und Selbstthematisierung. In: Selbstthematisierung und Selbstzeugnis: Bekenntnis und Geständnis. Hg. v. Alois Hahn und Volker Kapp. Frankfurt a.M. 1987, S. 9-24; ders.: Zur Soziologie der Beichte und anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse: Selbstthematisierung und Zivilisationsprozess. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 34 (1982), S. 407^434; ders. / Herbert Willems: Wurzeln moderner Subjektivität und Individualität. In: Individualität. Hg. v. Karl Eibl und Marianne Willems. Hamburg 1996 (Aufklärung 9), S. 7-27, S. 8; Philippe Ariès: Geschichte des Todes. Aus dem Frz. v. Hans-Horst Henschen und Una Pfau. München / Wien 1980 (Frz. '1978), S. 254; Hans Rudolf Velten: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1995, S. 213; Gerd Birkner: Heilsgewißheit und Literatur. Metapher, Allegorie und Autobiographie im Puritanismus. München 1972 (Geschichte und Theorie der Schönen Künste 18), S. 160ff.; Edith Feistner: Zur Semantik des Individuums in der Beichtliteratur des Hoch- und Spätmittelalters. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 115 (1996), H. 1, S. 1-17; Andrea Constanze Göldner: Begräbnisbrauchtum im 16. bis 18. Jahrhundert anhand gedruckter Leichenpredigten. Marburg 1988 (unveröff. Magisterarbeit), S. 46f.; Robert Kolb: Burying the Brethren: Lutheran Funeral Sermons as Life-writing. In: Rhetorics of Life-Writing in Early Modern Europe. Hg. v. Thomas F. Mayer und D. R. Woolf. Michigan 1995, S. 97-113.

276 Zu Beginn stellt Rappolt die Grandstruktur seiner Todesbetrachtungen vor: »Indem ich mich meiner Sterbligkeit und des herbeynahenden letzten Endes erinnere / so bedencke ich zugleich die Praeterita, oder das vergangene meines Lebens / theils die Praesentia, und was noch immer gegenwärtig / theils die Futura, und was noch zukünfftig / und auff dasselbe folgen wird.« 438 Die Meditation über den Tod umfasst die systematische Betrachtung von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und Ewigkeit. Das meditierende Ich geht chronologisch vor und beginnt mit einem Akt des Erinnerns, d.h. mit dem andächtigen Sich-Bewusstmachen der »leibliche[n] Geburt« und der »geistliche[n] Wiedergeburt« in der Taufe. Auch wenn dies keine Erinnerung im eigentlichen Sinne bedeutet, da Geburt und Säuglingsalter vom Menschen nicht erinnert werden können, so zeigt sich in diesem Gedanken doch die Rückbesinnung auf den Ursprung, die >Wurzeln< des Ich. Der Lebensbeginn wird als Weichenstellung für das spätere Leben begriffen und wird zum Anlass des Dankes an Gott, »daß Er mich zu einem vernünfftigen Menschen / und von Christlichen Eltern hat lassen gebohren werden« und »Er mich zur Heiligen Taufe / als das Mittel meiner künfftigen Seligkeit / befördert [...].« Der Verweis auf christliches Elternhaus, Taufe und Erziehung gehört zum Schema der personalia in Leichenpredigten. Es folgt - ebenfalls in konventioneller Weise - die Erinnerung an die »Aufferziehung« und die »sündliche« und »Academische mühselige« Jugend, wobei der Bezug zu Gott nie aus den Augen verloren wird. Interessant ist im Folgenden, dass das meditierende Ich die Worte der Propheten ex negativo als Legitimation der Selbstaussprache nutzt: »[Ich hab] es doch dahin nicht bringen können / daß ich mit Hiob sagen könnte: Mein Gewissen beist mich nicht meines ganzen Lebens halben.« 439 An die Stelle eines individuellen, persönlichen Schuldbekenntnisses en détail tritt das Bibelwort und ein allgemeines Bekenntnis, das nur in der Umkehrung des reinen Gewissens anderer besteht. Chronologisch weiterfahrend erinnert Rappolt Orte und Situationen, die individuell an seine eigene Geschichte gebunden sind. Er positioniert sein persönliches Schicksal im Rahmen des allgemeinen Zeitgeschehens und der sozialen Umstände: Er habe nach dem Abschluss seiner Schulbildung in Schulpforta440 seine »Academische mühselige Jugend [...] aliis inserviendo zubringen müssen« und sei zu jeder Zeit auf Mittel und Hilfe anderer angewiesen gewesen. Auch sein »officio publico«, in dem er mit Gottes Hilfe habe dienen können, bleibt nicht unerwähnt und lässt Stolz auf den gesellschaftlichen Rang durchscheinen. Zudem zeigt die Hervorhebung der Elitebildung und der »Academischen« Jugend Selbst-Bewusstsein und Identitäts-Bestimmung: »Individuelle Bildung geht über die Verwertbarkeit und die Tradierung von Wissen

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Friedrich Rappolt: Meditationes Mortis, Oder Christ-Selige Todes-Gedancken. Leipzig 1677, Meditatio Mortis I., o. Pag. Auch für die folgenden Zitate ist keine Seitenangabe möglich. Bemerkenswert ist hier die Subjektivierung des Gewissens, das »beist« und »nagt«. Elitegymnasium in Sachsen.

277 hinaus: sie wird zum Identitätsmerkmal, das der standesgemäßen Abgrenzung und der Zugehörigkeit zu einer Elite dient.«441 Auffallend ist die betonte Bescheidenheit, mit der Rappolt im sechsten Punkt der Meditation seines beruflichen Weiterkommens gedenkt. Er schreibt sie zunächst seinen Förderern als Verdienst zu, um dann hinzuzufügen: »Ist bey demselben nechst meiner Unterhaltung was gutes geschehen / So sey es GOTT alleine zugeschrieben.« Doch verrät die Tatsache, dass er seine berufliche »Karriere« als wichtige Lebensetappen in die Meditation aufnimmt, seinen Stolz und hebt diesen sogar durch die Präterition hervor. »Siebendes [gedenke ich] an meine Ehe«, führt das meditierende Ich fort und dankt Gott für die Kinderschar, die »aus einem ehrlichen keuschen Ehebett« hervorging. Die Erinnerung an familiäre emotionale Bindung wird durch die Einbeziehung Gottes legitimiert und geht hier nicht über das Exemplarische und Modellhafte hinaus: »[...] die ungefärbte Liebe und Treue / die wir gegen einander geführet / ist uns und Gott am besten bekant.« Die Betrachtungen des Gegenwärtigen umfassen »theils meine Theologische Ampts-Verrichtungen / theils meine Haushaltung / theils auch meine ie zu Zeiten einfallende Schwach-und Kranckheiten.« Negative Umstände (»da das Einkommen nicht gar groß«) und »Schwach-und Kranckheiten« werden als väterliche Züchtigung Gottes zum Positiven gewendet und als Anlass zum memento mori gedeutet: »Absonderlich aber lasse ich mir gedachte Beschwerungen einen prodromum und nuncium mortis seyn / und lasse keinen Tag hingehen / daß ich mich nicht meiner Entkleidung und Ablegung der irdischen Hütten darbey erinnern sollte [...].« Auch hier folgt Rappolt dem Schema zeitgenössischer personalia aus Leichenpredigten, in denen der Umgang des Verstorbenen mit Krankheit und Tod gewöhnlich als Exemplum gepriesen wurde. In diesem Sinne ist auch seine Bitte an Gott zu verstehen, er möge bei der Überwindung aller Schmerzen helfen, »daß ich das Meinige biß an mein Ende dabey noch verrichten könne«. Sie ist Ausdruck des Wunsches nach einem bewussten, nach allen Regeln der >Kunst< exerzierten Sterben. Die Futura als weiterer Meditationsgegenstand werden bestimmt von der Sorge um ein »ehrlich Begräbniß«. Interessanterweise nennt Rappolt bei diesem wenig originellen Wunsch (er gehört zum Standardrepertoire der Testamente im 17. Jahrhundert) mehrere Bibelstellen, die ihm im Leben wichtig waren und ihm Halt gaben. Damit überschreitet er das überindividuelle Schema des »Lebens=Lauffes« und läßt ein sich auf Literatur stützendes Individualitätsbewusstsein442 erkennen: Das medi441

442

Hans Rudolf Velten: Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1995, S. 354. Aleida Assmann geht in ihrem Aufsatz »Kanonforschung als Provokation der Literaturwissenschaft« auf das individualitätsbegründende Moment von Lektüre ein. Sie macht auf zwei literarische Porträts aus der Feder des Kritikers und Essayisten Leigh Hunt (1784—1859) aufmerksam, die u.a. die Beschreibung der persönlichen Bibliothek bzw. der Lesegewohnheiten von »The Old Gentleman« und »The Old Lady« nutzen, um die beiden Figuren zu charakterisieren (Aleida Assmann: Kanonforschung als Provokation der Literaturwissenschaft. In: Kanon, Macht, Kultur. Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildungen. Hg. v. Renate von Heydebrand. Stuttgart 1998 [Germanistisches Symposion. Berichtsbände 19]).

278 tierende Ich definiert sich erinnernd über Texte, die ihm in bestimmten Lebenssituationen eine Hilfe waren oder prägende Bedeutung hatten. Diese Textauswahl setzt einen Akt der Selbstreflexion voraus, ein Bewusstwerden der eigenen Individualität. Zwar kam es wohl mitunter vor, dass dem Verstorbenen vertraute Meditations- und Erbauungsliteratur mit ins Grab gegeben wurde und man bei der Beerdigung die Bibelstellen zitierte, die ihm zu Lebzeiten von besonderer Bedeutung waren. 443 In Verbindung mit dem Wunsch nach einem »ehrlich Begräbniß« und der Bestimmung seiner Grabinschrift zeigt dies aber auch, dass die Meditation hier die Funktion eines Testaments übernimmt: Rappolt legt die Art und Weise fest, in der er (als Exempel) erinnert werden möchte. Am Beispiel Rappolts läßt sich zeigen, dass das rollenbewusste memento mori als Anlass und Legitimation der Selbstthematisierung dient. Die Todesbetrachtung kann Motivation und Rahmen sein für die erinnernde Vergegenwärtigung der eigenen Lebensgeschichte. Die Meditationes mortis Rappolts folgen zwar in weiten Teilen dem Grundmuster von Lebensläufen im 17. Jahrhundert. Bemerkenswert ist jedoch die Auswahl und Nennung bestimmter ihm persönlich wichtiger Bibelstellen. Auch Stolz in Bezug auf irdische Leistungen und Ämter sowie Standesbewusstsein wurden trotz aller vanitas-Einsicht deutlich. Die »Meditationes mortis« Rappolts lassen sich aus diesen Gründen nicht nur als Selbsterinnerung, sondern auch als Versuch testamentarischer Festlegung seines Fortbestehens in der Erinnerung der Nachwelt lesen. In besonders interessanter Weise zieht das lyrische Ich in dem Sonett Bekäntnüß444 von Paul Fleming (1609-1640) erinnernde Selbstbilanz im Verhältnis zu Zeit und Zeitlichkeit. Der Titel stellt des Gedicht unter das Vorzeichen einer confessio als Resultat meditativer Selbstbetrachtung, die in den Quartetten mit einem summarisch erinnernden Sündenbekenntnis beginnt. Zeitliche Perspektive ist der erinnernde Rückblick auf die eigene Vergangenheit - ein vorläufiger Lebens-Endpunkt, der die Selbstbetrachtung auf dem Sterbebett ins Leben verlegt: »Mehr böse noch als bös' hab' ich bisher gelebet, / bei kalter gottesfurcht mich brennend angestellt, / den Himmel oft getäuscht, mehr mein Freund und der Welt, / bin selten über mich und Wolken an geschwebet« (V. l^t). Nur mit »kalter Gottesfurcht«, die nicht von Herzen, nicht aus wahrer Überzeugung kommt, hat das lyrische Ich bis jetzt sein Leben zugebracht. Schlechtigkeit (»mehr böse noch als bös'«, V. 1), Verstellung (»mich brennend angestellt«, V. 2; »den Himmel oft getäuscht«, V. 3) und eitle Selbstsucht (»mehr mein Freund und der Welt«, V. 3) zeichnen den bisherigen Lebenswandel aus. Mit der

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Dies geht z.B. hervor aus Georg Heinrich Götze: Memento mori! Todtenbibliothec: bei christlicher Beerdigung TM. Hn. M. Thomae Honstedts [...]. Hamburg 1704. Die Leichenpredigtsammlungen bergen interessante Aufschlüsse über die Rezeptionsgeschichte der Meditations- und Erbauungsliteratur. Paul Fleming: Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965, Bd. 1, S. 444. S. Gedichtanhang.

279 Einsicht »bin selten über mich und Wolken angeschwebet, / der schnöden Eitelkeit und Erden angeklebet.« (V. 4f.) ist nicht nur die Selbsterkenntnis verbunden, der Eitelkeit der Welt allzu oft verfallen zu sein. Die Formulierung »bin selten über mich und Wolken an geschwebet« verrät auch nüchterne Selbsteinschätzung und Selbstbewusstsein: Nicht ein selbstverwerfendes >nie< steht in Vers 4, sondern »selten«. Vor allem aber ist Metapher des freien Schwebens über den Wolken vor dem Hintergrund der meditatio mortis als Selbst- und Zeitbetrachtung von Interesse: Sie ist nicht nur zu deuten im Sinne des Topos der geforderten Absage an die Welt, sondern auch i m Sinne der bilanzierenden Selbstbetrachtung aus der übergeordneten Vogelperspektive. Das Gedicht lässt sich somit auch als Selbsterkenntnis des lyrischen Ich verstehen, den im Gedicht selbst vollzogenen und dokumentierten Lebensrückblick bisher nur »selten« vorgenommen und als meditative Selbstbetrachtung im Rahmen der Todesbetrachtung geübt zu haben. Umso plausibler wird diese Deutung im Konte xt der folgenden Verse, in denen sich das betrachtende lyrische Ich aus souveräner Selbstdistanz selbst erkennt, bekennt und bewertet: »Ich habe das getan, das mir selbst nicht gefallt, [...] Ich muß, will ich schon nicht, bekennen wider mich. / Mein Urteil, meine Straf' und Todesart Sprech' ich.« (V. 6 und 9f.) Vers 6 erstaunt, weil er Gott als alleinigen, richtenden und urteilenden Bezugspunkt vermissen lässt: »Ich habe das getan, das mir selbst nicht gefällt.« Das lyrische Ich ist die Norm, an der das Verhalten gemessen wird, sein innerlicher Richterspruch löst die Unzufriedenheit mit sich selbst aus. Erst in den beiden folgenden Versen erscheint eine Norm gebende äußere Instanz: Die »Rechnung« Mose - hier könnten die 10 Gebote gemeint sein - steht offen, das lyrische Ich fühlt sich als »Schuldner« (V. 7) und befindet über sich, »ofte« (nicht immer!) gegen sie verstoßen zu haben. Besonders bemerkenswert in Bezug auf Selbstverständnis und Gewissenskonzept ist das folgende Terzett (V. 9-11): »Ich muß, will ich schon nicht, bekennen wicler mich. Mein Urteil, meine Straf und Todesart Sprech' ich. Ich hab' es so und so und ärger noch getrieben.« Der erinnernde Lebensrückblick assoziiert auch den Gedanken an Zukunft und Ewigkeit, an das Urteil des Jüngsten Gerichtes. Doch wird diese Vorstellung auf bemerkenswerte Weise modifiziert: Hier ist es das lyrische Ich selbst, das die Rolle von Ankläger, Richter und Henker in sich vereint. Das Selbst-Urteil in der Gegenwart tritt an die Stelle des zukünftigen Gerichtes bzw. der Zeit enthobenen Strafe in Ewigkeit. Das Reimpaar »mich / ich« (V. 9/10) betont zusätzlich die Subjektivität des lyrischen Ich. Erst im Schlussterzett erscheint der allwissende Gott: »Und was erzähl' ich viel die ungezählte Zahl / von meinen Schulden her? Gott liest sie allzumal / von meiner Stirnen ab, an der sie sind geschrieben.« (V. 12-14). Diese Verse klingen fast wie eine Entschuldigung für die ausgiebige meditative Selbstthematisierung im Sinne souveräner Selbst-Sicht im Überblick. Anklage, Richterspruch und Strafe sind Gott in der Gegenwart schon vorweggenommen (V. 9-11). Das Bekäntnüß kann ein Selbstbekenntnis bleiben, weil Gott die Schuld des lyrischen Ich ohnehin kennt und das lyrische Ich aus sich selbst heraus unzufrieden ist mit sich selbst, »wider sich selbst bekennt«, Gewissensbisse

280 fühlt, sich selbst verklagt, verurteilt und bestraft. 4 4 5 Weder u m eine summarische Aufzählung der »ungezählten Zahl« der Sünden geht es in diesem Gedicht, noch u m pauschale Selbstverwerfung. Das lyrische Ich zieht aus der erinnernden Retrospektive betrachtend Selbstbilanz - aus der distanzierten Selbst-Sicht des S c h w e b e n s »über mich und Wolken«. D i e meditatio

mortis ist in e i n e m weiteren Sinne als meditatio

temporis

zu verstehen:

D i e Todesmeditation impliziert in unserem Untersuchungszeitraum auch

kontinuier-

liche, d.h. lebenszeitbegleitende Selbst- und Gewissensbetrachtung. Der Jesuit Friedrich Spee legt in seinem Güldenen

Tugend-Buch

der »geistlichen

Tochter« f o l g e n d e Worte in den Mund: O Jesu, ich wollte gern auch disen Tag dein vhrwercklein sein, vnd auff deiner brüst an deinem hertzen hangen, vnd dir gar fleißig alle stunden schlagen. Das hertz solle das Vhrwercklein sein, der pulß des hertzens ist die vnruh, die zung der hammer, die stimm das glöcklein, die vhren aber sein das lob GOTTES: vnd so offt nun mir mein vhrwercklein am halß schlagen wird, so offt will ich auch dir die vhren deines lobs schlagen vnd sprechen: Gelobt sey Gott in ewigkeit! Amen. 446 Spee lässt keinen Z w e i f e l daran, dass dieser Blick auf die innere Uhr zugleich ein Blick auf das e i g e n e G e w i s s e n ist: Wan ein Vhrwerck abgelaufen, muß mans wider auffziehen vnd stellen: Also auch der Mensch. Solches aber geschieht durch ernewerung des geistes, vnd seiner vorigen Fürsatz, oder gelübden: Item durch die erforschung deß gewissens: Item durch die beicht: Vnsere Affecten seind die gewichter, die sencken sich immer zu der erden: da muß man sie zunzeiten widerumb in die höhe ziehen, vnd zu der beicht gehen. 447 Hat die Meditierende einmal ihren Pulsschlag z u m G e w i s s e n - oder L o b e s z e i c h e n erklärt, s o trägt lebenslänglich jeder einzelne Herzschlag diese Bedeutung, und zwar unabhängig v o m bewussten Willen: [...] ist gnug, dass man darauff gedacht habe, da man die auffsetzung gemacht hat: darnach behalten die zeichen ihre auffgesetzte bedeutung, so lang, biß du es widerruffest, ob du schon hernacher nit mehr darauf gedenckest: dan die zeichen bleiben gleichwol zeichen. 448

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446

447 448

»This confession is directed inward; it is an exercise for the speaker's benefit only. Confession to God is unnecessary because of His omniscience; once the individual has convinced himself of his own culpability, he can do nothing more.« (Gary Robert Harris: The Theology of the German Seventeenth-Century Meditative Poem. Diss. Ohio State University 1978, S. 70). Friedrich Spee: Güldenes Tugend-Buch (1649). Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968, S. 430. Sehr aufschlussreich und informativ dazu Berns, Jörg Jochen: »Vergleichung eines Vhrwercks, vnd eines frommen andächtigen Menschens.« Zum Verhältnis von Mystik und Mechanik bei Spee. In: Friedrich Spee. Dichter, Theologe und Bekämpfer der Hexenprozesse. Hg. v. Italo Michele Battafarano. Trento 1988, S. 101-126. Friedrich Spee: Güldenes Tugend-Buch, S. 430. Friedrich Spee: Güldenes Tugend-Buch, S. 440.

231 Die >innere Uhr< der Meditierenden tickt permanent und unwillkürlich, ihr Schlagen ist Zeichen-Träger und versieht das innere Funktionieren mit einer symbolisch bedeutsamen Funktion, die kaum abzuschütteln ist. Die Meditationen der Lady Elizabeth Delaval, geschrieben in den Jahren 1662 bis 1671, 449 verdienen vor diesem Hintergrund in mehrerer Hinsicht Aufmerksamkeit. Die von der Autorin mit einem Vorwort versehene Sammlung von Meditationen weist den gleichen tagebuchähnlichen Charakter auf wie die Meditationen der Susanne Margarethe von Kuntsch. 450 Lady Elizabeth Delaval hielt über einen Zeitraum von

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Elizabeth Delaval: The Meditations of Lady Elizabeth Delaval. Written between 1662 and 1671. Hg. ν. D. G. Greene. Gateshead 1978. S. Kap. 2.4. Ein Beispiel für diese Form kontinuierlicher >Lebens-Mitschrift< ist auch in den Tagebüchern von Sigmund von Birken zu sehen (Die Tagebücher des Sigmund von Birken. Bearbeitet von Joachim Kröll. 2 Bde. Würzburg 1971). Im Unterschied zu den als geistliches Tagebuch< zu bezeichnenden Schriften Kuntschs und Délavais handelt es sich dabei jedoch um Tagesbilanzen, die primär alltägliche Verrichtungen, soziale Kontakte und zwischenmenschliche Konflikte (vor allem mit seiner ersten Ehefrau), Korrespondenzen und Finanzen bzw. Haushaltsführung festhalten. Gottesdienst, Andacht und das Verfassen geistlicher Schriften werden zwar unvermittelt neben diesen genannt (s. S. 6, 15), dabei aber vor allem in quantitativ-konstatierender Hinsicht thematisiert (z.B. Bd. 2, S. 6: »Das Threnenlied am Morgen gelesen. Das NeuJahrsGebet u. Jesuslied mit Jungfer Basen.«) Birken erwähnt meist nur unkommentiert, dass, wann und wo er den Gottesdienst verrichtet und wann er wie viele Seiten erbaulicher Literatur >produziert< hat (s. z.B. Bd. 1, S. 201: »Am XVI Capitel V. Buchs 3 1/2 Blatt geschrieben.«). Selten werden meditative Texte und Gebete in das Tagebuch aufgenommen (z.B. Bd. 1, S. 36), Reflexionen über die verrichtete Meditation im Sinne einer Betrachtung der Betrachtung< der Lady Elizabeth Delaval ist nicht erkennbar. Eine Gewissensbetrachtung im engeren Sinne sucht man in seiren Aufzeichnungen vergeblich, und auch über reine Erwähnung hinausgehende Bemerkungen über Todesbetrachtungen sind selbst während seiner Krankheit im Jahr 1671 kaum zu verzeichnen (Bd. 2, S. 2f.: »Jungfer Bas mir ein schönes Neujahr vor dem Bette gewünschet. Meine Psalmen u. Morgen Andachten im Bette gebetet [...]. Jungfer Bas [...] hat mir den Fuß gesalbet. Gottesdienst, wegen Hals-räuhe, zu Haus verrichtet, Herrn Ottens Sterb- u. Jesus-Predigt Herrn Müllers NeuJahrgebet gelesen, mein JesusLied gesungen, mit Threnen. Eine Maß bey Poppen holen lassen.«). Zu den ausführlicheren Betrachtungen zählt ein Text unter der Überschrift »LeibesZustand« (Bd. 2, S. 371), der aus zu einer Einheit zusammengestellten Eintragungen zwischen dem 8. und 29. Januar 1672 besteht und auch insofern eine Ausnahme innerhalb der Tagebücher darstellt, als er relativ ausformuliert und kontextualisierend gestaltet ist. Auch er zeigt die lebensweltliche und anlassgebundene Verankerung der Frömmigkeitspraxis Birkens: »Diesen Morgen u. Vormittag an Flüssen hart gelitten. Diese Nacht uns beyden trübselig, u. ein schwermütiger Tag gefolget. Diese Nacht das Harnglas gebraucht bey unruhigem Schlaffen. Diese Nacht Plag vom Soot. Unser beyder große Traurigkeit bei aufsuchung Gelds zum Verwechslen. Ach! Gott hat ja mehr, der Alles hat. Mein Magen- und Herzweh mich wieder aufs Bette gewiesen. Ach Gott! Sih mich mit GnadenAugen an. Das Wetter wieder endlich angezogen, und mir Hoffnung zur guten änderung gegeben, nach diesen schmerzlichen harten Wochen. Gestern und heut das FlüßPulver eingenommen. // Dein Herz, ô Jesu, gegen mir erwärme, / Daß deine Treu sich meiner Noht erbarme. / Sey wieder gut. Wirf weg die Rut: / Ich falle dir, mit Threnen, in die Arme. // Meine Herzliebste hat heut ihren climactericum magnum angetretten. Ach Jesu, du Freund treuer Freunde: laß uns in Gottes Furcht, Friede u. etwas Freide beisammen wohnen, und unser Stücklein EhenBrod haben, Auch seelig miteinander sterben. Amen. Rixae wegen des von Dr. Fabricio angetragenen Doctors, hinc neue Unpässlichkeit, u. 2tägiges Zürnen Uxoris.«

282 fast zehn Jahren hinweg ihre Meditationen schriftlich fest und verleiht ihnen im Alter von zwanzig Jahren als Gesamtwerk Bedeutung, indem sie diese in der Fastenzeit (»This season of the yeare which the cruch has particularly appoynted for a time of fasting and repentance«) chronologisch ordnet, überblickt und zusammenstellt. Unter der Überschrift »An introduction to some meditations and prayr's which I writ from the age of forteen year's old to that of twenty, which introduction was writ in Lent when I was 4 month's past twenty« beschreibt sie den Wert ihrer »meditations and prayers« als Früchte ihrer Frömmigkeitspraxis sowie die Motivation ihres Unternehmens: Haveing from the time of entering into my 14th yeare kept in scater'd paper's most of these resolution's I have made against the evill's of my life, I am now resolved by the Grace of God to colect them alltogether, it being (in my opinion) an imployment very proper for this season of the yeare which the cruch has particularly appoynted for a time of fasting and repentance. [...] My passion and my sences have resisted my reason and led my will captive. Sometimes one sometimes another of those unruly rebell's have through the whole course of my life strove to govern me, in which strife they have to, to oft prevaled. In these folowing meditation's there victory's are recorded from yeare to yeare, victory's which at once make me blush and tremble [...]. And tremble I must need's do, now that I call to mind my many, many sin's.[...] How cans't thou now, O my Soul, suport the burden of these sad yet true meditation's. What can keep thy spirit from sinking under the weight of those just sorow's thou art opress'd withall.451

Hier zeigt sich deutlich, dass die von Delaval verfassten und zusammengestellten Texte in dreifacher Weise meditativen Wert besitzen: Zum einen reflektieren sie Meditationen im nachhinein, spiegeln und resümieren zeitlich versetzt die Betrachtung. Zum anderen ist das Verfassen dieser Texte selbst für die Autorin ein meditativer Akt. Und schließlich bedeutet auch das Zusammenstellen und Überblicken der über die Jahre hinweg gesammelten Betrachtungen eine Meditation, in der sich die Autorin bespiegeln kann. Die Konfrontation mit ihrem Betrachtungstagebuch empfindet Delaval als belastend, die »sad yet true meditations« haben seismographisch die »victory's« ihrer Sünden über sie aufgezeichnet und erscheinen ihr bei der Betrachtung in ihrer Gesamtheit als »bürden«, unter der sie zusammenzubrechen droht. Indem Delaval in der Fastenzeit das Projekt unternimmt, »to colect them alltogether«, sammelt sie sich selbst und ihre Geschichte in der Meditation. In einem der letzten Kapitel ihrer Betrachtungen heißt es: These folowing meditations will but too planely prove how much reason I have never to let a day slip without observing those times of private devotions which I have set my selfe; for

451

Birkens Tagebücher sind vor allem insofern bedeutsam, als sie die enge Verflechtung von Alltagsverrichtungen und Frömmigkeitspraxis im 17. Jahrhundert vor Augen führen. Wie selbstverständlich stehen religiöse Praxis, Gartenarbeit, Rechenschaft über das Verfassen geistlicher Literatur und über finanzielle Ausgaben übergangslos nebeneinander. Darüber hinaus geben sie Auskunft über Birkens schriftstellerische Tätigkeit und seine engen und z.T. kooperierenden Kontakte zu anderen Autoren meditativer Literatur wie Johann Michael Dillherr und Regina Catherine von Greiffenberg (s. dazu den Kommentar von Kröll in Bd. 1, Anm. 1 und 2). Elizabeth Delaval: The Meditations of Lady Elizabeth Delaval. Written between 1662 and 1671. Hg. v. D. G. Greene. Gateshead 1978, S. 26f.

283 haveing neglected them now of late, my former resolations and vows have been banished out of my memory, and without scruple I have broke so many of them that now I begin to recolect my selfe and weigh my actions, I am amaized and confounded at the intollerable number of my sins [...].452

Das »colect them altogether« ist auch ein »recolect my seife« - was verdrängt, d.h. temporär >vergessen< wurde (»banished out of my memory«), wird im meditativen Akt der Betrachtung und Sammlung vergangener schriftlich fixierter Meditationen wieder ans Licht der Selbsterkenntnis gezogen. Die punktuelle Selbstbetrachtung aus der distanzierten Perspektive des Gesamtüberblicks speist sich hier aus der Meta-Betrachtung kontinuierlicher, schriftlich fixierter Selbstbetrachtung und wird auf diese Weise mit ihr verschränkt. Délavais Meditationen sind zudem von Interesse, weil sie in eindrucksvoller Weise Einblick in weibliche Frömmigkeitspraxis der Frühen Neuzeit verschaffen. 453 Sie illustrieren, mit welchem Maß an Zeit, Engagement, Ernsthaftigkeit und vor allem Selbstreflexion Frauen im England des 17. Jahrhunderts die Meditation übten. Vor allem in den Abschnitten, die die Selbsterforschung des meditierenden Ich spiegeln, wird das Maß der Auseinandersetzung mit dem (Selbst-)Anspruch meditativer Disposition deutlich - in der zweiten der »Meditation's writ in my 15th yeare« heißt es: »Therefore when necesary occasions dos not hinder me I do resolve every day (besides my own private morning and evening devotions and the publick prayer's of the cruch) to retier my selfe into my closet some houer of the day there to offer up my prayers and praises to the God of mercy.«454 Neben der üblichen Morgen- und Abendbetrachtung und der Andacht in der Kirche nimmt sich Delaval im Alter von fünfzehn Jahren vor, täglich mehrere Stunden in ihrem closet mit Frömmigkeitsübungen zu verbringen. Wie intensiv der Bezug zwischen öffentlich-kirchlicher Religiosität und Privatandacht ist, geht beispielsweise aus einer Kapitelüberschrift hervor: »Devotions for Good Friday cheifly colected out of a sermon preached by Lancelot Andrews, Lord Bishope of Winchester; the text being taken out of the first chaptier of the Lamentations of Jeremiah, verse the 12.«455 Die Predigt wird im closet meditativ ruminiert und für die eigene Betrachtung fruchtbar gemacht. Und auch das eigene Meditationsverhalten ist Objekt der Selbstbetrachtung: eine Meta-Meditation. Delaval bemerkt nur wenige Zeilen später selbstkritisch: »The most I have done has been but to behold or rather cast a glance at thy sorrows, but to meditate upon them, to consider them as no easy common matter of light moment, to ponder them in my heart, that, O my blessed Saviour, I have not done.« 456 Wie hart um die Erfüllung

452 453 454 455 456

Elizabeth Delaval: Vgl. Kap. 1.3.3. Elizabeth Delaval: Elizabeth Delaval: Elizabeth Delaval:

The Meditations of Lady Elizabeth Delaval, S. 202. The Meditations of Lady Elizabeth Delaval, S. 45. The Meditations of Lady Elizabeth Delaval, S. 190. The Meditations of Lady Elizabeth Delaval, S. 191.

284 des (Selbst-)Anspruches auf die Betrachtung als Disposition gerungen wird und wie schonungslos Delaval sich als Meditierende selbst betrachtet, zeigt eine ihrer MetaBetrachtungen, die sie im Alter von achtzehn Jahren verfasst: Thus when I have resolved to do my duty, I sit downe at ease without much troubling my selfe to see those resolutions well performed, but rather when Gods Holy Spirit breathes into me good thought's and remembers me that if I let passe the houer of prayer I cannot call it bake, I reject the admonition and am apt to anser, well, it is not yet neer the houer of publick prayer's when I must apear dres; I have yet a lettle time to talke, or to eat and be chearfull in, with those that belong to me; tis not nesesary to hury my selfe; I have time enough for my own private devotions and the publick ones too. And so I ether trifle away the whole morning or wickedly serve God in the last place, and thus I do agen when the time aproach's for the 9th houer of prayer. Any lettle inconsiderable afaire makes me defer or quite omit my devotions. 457

Delaval verbietet es sich, die Stunden der Andacht zugunsten willkommener Ablenkungen zu vernachlässigen. Die Meditation Délavais ist - im Unterschied zu der in Kap. 1.3.3 erläuterten Betrachtung als weibliche Nebentätigkeit bei Kindererziehung und Handarbeit - nicht mit anderen Alltagsbeschäftigungen zu vereinbaren, sie erfordert die ganze Aufmerksamkeit und braucht eigenen großzügigen Raum. Die Texte Délavais zeigen einerseits, wie eng die Verbindung von Meditation und weiblicher Autorschaft ist. Vor allem machen sie aber auch deutlich, wie ernst Delaval ihre (schriftlich fixierten) Meditationen nimmt und wie wenig sie bereit ist, ihr Schreiben und ihre Frömmigkeitspraxis als Nebenprodukt tugendhaften Wandels abzuqualifizieren. Auch wenn Délavais Meditationen nicht zu Lebzeiten in den Druck kamen, so weist das Verfassen einer Einleitung und die chronologische Anordnung und Strukturierung ihrer Textsammlung durch Überschriften auf ihr Bewusstsein hin, nicht nur eine Reihe von Texten, sondern ein aus Teilen bestehendes Ganzes schriftlich hervorgebracht zu haben, das auch erst als Ganzes (»to colect them alltogether«) und aus der zu sich selbst in Distanz tretenden Perspektive »from yeare to yeare« 458 seinen Wert zu entfalten vermag. Dies schmälert die Bedeutung der einzelnen Meditationen keineswegs, sie sind autonome Einheiten, keine Fragmente. Aber sie werden durch ihre Stellung im Gesamtkontext der Sammlung von der Eindimensionalität in die Zweidimensionalität erhoben, sie erhalten einen zusätzlichen Sinn als Teil einer Geschichte: der Geschichte der kontinuierlichen Selbstbetrachtung in einem Lebensabschnitt. Vor allem aber sind die Meditationen der Lady Elizabeth Delaval in diese Untersuchung mit einzubeziehen, weil sie - ohne dass es der Titel oder eine oberflächliche Lektüre vermuten ließe - als Todesbetrachtungen zu klassifizieren sind. Folgende Beobachtung macht diese Charakterisierung plausibel: Das Bewusstsein von Zeit und eigener Zeitlichkeit bzw. das Verhältnis des meditierenden Ichs zur Zeit wird hier reflektiert und durchzieht als roter Faden die Meditationssammlung. Der Tod 457 458

Elizabeth Delaval: The Meditations of Lady Elizabeth Delaval, S. 104. Elizabeth Delaval: The Meditations of Lady Elizabeth Delaval, S. 26.

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ist dem meditierenden Ich als Repräsentant der eigenen Zeitlichkeit und als Fluchtpunkt aller Zeit ständig präsent, ist Bezugspunkt aller Betrachtung - meditatio mortis erscheint hier als meditatio temporis. Insofern sind die Meditationen Délavais von einer ebenso allgegenwärtigen wie subtilen Form der Todesmeditation geprägt, der >meditative Tod zu Lebzeiten< und die Todesbetrachtung als Disposition erfahren eine neue Bedeutung, die im Folgenden zu erläutern ist. Bereits in den Überschriften der einzelnen Meditationen wird der Bezug zwischen Todes-, Zeit- und Selbstbetrachtung deutlich. Akribisch, bis auf den Monat genau, wird das Lebensalter (nur selten das Datum) notiert, in dem die Autorin die Meditation verfasste. 459 Unbarmherzig genau läuft die Lebensuhr des meditativen Ich mit und bleibt stets vor Augen, sie ist immer Rahmen und Hintergrund der Betrachtung. Betont wird das jugendliche Alter des meditierenden Ich - in der Tat war Lady Elizabeth Delaval mit ihren vierzehn bis zwanzig Jahren noch sehr jung, als sie ihr Betrachtungs-Tagebuch führt. Dennoch sind ihre Meditationen getragen vom betrachtenden Blick auf den Tod und von dem aus diesem resultierenden Bewusstsein ständiger Zeitknappheit: This was writ July the 25, 1671, at Seaton DeLaval 10 months after I was maryed. If my health permits, I will now begin to rise so early every morning, that I will be at least too houers alone in my closet before I begin to dress my selfe, for it may very probably be a chcife reason of my trifleing away so many dayes, that I am growne of late to allow so short a time in the beginning of the day for devotion, and none of it for reading and pious meditation. 460

Der Tod ist ständig präsent als Punkt Null der Zeituhr, die für das meditierende Ich permanent und unüberhörbar tickt,461 Betrachtung ist hier immer zugleich Todesbetrachtung. Die zur Verfügung stehende Zeit ist knapp und deshalb wertvoll - sie ist ein Schatz, der nicht verschwendet werden darf: The most advantageous penances are in my opinion such as at the instant put's us most in remembrance of those sins, we aflict our selves for. Therefor haveing waisted to many of my precious houer's in idle discourses, I do now resolve by a constant silence for some day's (except when duty or necesity makes me speake) to punish my selfe for this sin, and also to improve my silence into a sad meditation of this and other offences of my sinfull life. 462

Zeitverschwendung ist Sünde - und, so das Resultat der meditativen Selbstbetrachtung Délavais, in ihrem Fall ihre >HauptsündeÜberzeitlichkeit< aber auch Linderung erfährt. 471 Drehen um sich selbst und Wiederholung können erst in der Meta-Betrachtung, d.h. in der Betrachtung der bisherigen lebensbegleitenden und kontinuierlichen Meditationen im Gesamtüberblick ins Bewusstsein treten: Nur im Kontext des Meditationsganzen (der Sammlung ihrer Einzelmeditationen) werden Phänomene wie Wiederholung und Stillstand überhaupt wahrnehmbar. Hier zeigt sich die Bedeutung und der meditative Erkenntniswert der Betrachtung der Betrachtung< aus der Vogelperspektive im Schreibakt und im Unternehmen des »colect them altogether«. Das Gedicht Elizabeth Délavais mit dem Titel Upon the singing of a lark. Our time is in God's handm aus dem Kapitel »Meditation's writ in my 15th yeare« spiegelt den Tod als Lebensgefühl des lyrischen meditierenden Ich in einer meditatio temporis, die auch eine Betrachtung des Todes ist. Das Gedicht ist in drei Strophen unterteilt, wobei die Strophenlänge von der ersten bis zur letzten Strophe variiert (sieben, sechs und vier Verse). Die ersten beiden Strophen sind paarweise gereimt, die letzte steht im umschlingenden Reim. Bereits der Titel bedeutet eine Gattungszuschreibung: Unverkennbar ist die Anlehnung an Joseph Halls Occasional meditations aus dem Jahr 1633. Das Singen einer Lerche wird schon in der Gedichtüberschrift mit einer Glaubenswahrheit in Beziehung gesetzt - der Einsicht, dass die menschliche Lebenszeit (»our time«) in Gottes Händen liegt. Die lyrische Umsetzung dieses Meditationsmodells verdeutlicht die individuelle Aneignung der Meditation, die eigenes meditatives, aber auch kreatives

470 471

472

Elizabeth Delaval: The Meditations of Lady Elizabeth Delaval, S. 102. Vgl. Christian Belin: La Conversation intérieure. La Méditation en France au XVIIe siècle. Paris 2002, S. 348 und 363. Elizabeth Delaval: The Meditations of Lady Elizabeth Delaval. Written between 1662 and 1671. Hg. v. D. G. Greene. Gateshead 1978, S. 44f. S. Gedichtanhang.

289 Potential schafft. Zufälligkeit, aber auch Vergänglichkeit des Augenblicks wird schon im Gedichttitel verbunden mit der Allgegenwart der auf den Fluchtpunkt des Todes hin ausgerichteten Zeit. Kontrastiv steht der Verweis auf die Allmacht Gottes, der über der Zeit steht und neben dem das Zeitkontinuum in seiner Vergänglichkeit und Knappheit umso mehr hervorsticht. Meditationsanlass des lyrischen meditierenden Ich ist das Singen der Lerche. Die ersten Zeilen erwecken den Eindruck, als habe das lyrische Ich gerade >zufällig< das Singen der Lerche vernommen und habe dadurch das Thema der Meditation assoziiert: »The early lark wellcomes the breake of day, / But I (alass) drouse many hour's away.« (V. If.) Wie in Délavais Prosameditationen steht auch in diesem Gedicht die Zeitverschwendung im Zentrum der Betrachtung, und zwar - auch hier kehren zentrale Gedankengänge der Prosameditationen wieder - vor dem Hintergrund des permanenten Bewusstseins der Zeitknappheit angesichts des Todes. Das Singen der Lerche wird vom meditierenden lyrischen Ich in einer Zufälligen Betrachtung emblematisch ausgedeutet und erscheint als Mahnung und Vorwurf: »She to my God praises dos daily sing / Reproaching thus my slothful sin; / Whilest I do still neglect to worshipe him / Till all the golden houer's of morning light / Past a recall are vanish'd out of sight.« (V. 3-8). Das überindividuell wahrnehmbare Singen des Vogels erhält für das meditierende Ich eine individuelle Bedeutung und wird auf das eigene Ich bezogen. Die >Hauptsünde< des lyrischen meditierenden Ich (»my slothful idle sin«), die in ihrer Wiederholung wie in einer Kreisbewegung gefangen hält (»still«), besteht im Verstreichenlassen der »golden houer's of morning light«, die unwiederbringlich vorbeiziehen (»vanish'd out of sight«). Nachdem das >zufällige< Singen der Lerche in dieser ersten Strophe die Sünde der Verschwendung der von Gott gegebenen Zeit vor Augen geführt hat, bittet das lyrische Ich in der zweiten Strophe Gott um die Einsicht, ein neues Leben zu leben. »O thou, who only lasting Joy's canst give, / in mercy teach me a new life to live.«, heißt es in den ersten beiden Strophenzeilen. Der verantwortungslose Umgang mit der von Gott geschenkten knappen Zeit bedeutet, bei Leben tot zu sein. Die Doppelung »life« und »live« im zweiten Vers betont den impliziten Kontrast zum »Tod zu Lebzeiten« durch die ZeitverschWendung. Den Zeit verschwendenden, vergänglichen Freuden wird die ewige, echte Freude an Gottes Seite entgegengestellt. Das lyrische Ich bittet um die Gnade, »in jeder Minute« im Hinblick auf die erkannte »Zeit-Sünde« zu Besserung zu gelangen: »Thou, who unfadeing pleasures dost command, / Pleasures which ever are at thy right hand, / Give me thy grace each minute to improve / And fill my heart, O God, with heavenly love.« Nur durch die Nutzung jedes vergänglichen, vorbei fliehenden Augenblickes kann auf die Ewigkeit hingewirkt werden. Die dritte Strophe fasst die Meditation zusammen und endet in einer gebetsähnlichen Absichtserklärung in aus der Betrachtung gewonnener Einsicht: »Since time does fly too fast / For me to call one moment mine / Great and good God, what's thine / Let me no longer wast.« Die vorbei fliegende Zeit macht es dem lyrischen meditierenden Ich unmöglich, einen Augenblick festzuhalten und in Besitz zu nehmen - sie verhindert in ihrer Schnelligkeit die Kongruenz von Selbst- und Zeitwahrnehmung,

290 sie ist »too fast / for me«. Nur genutzte, im Hinblick auf die Zeitenthobenheit gelebte Zeit vermag zu sich selbst zu führen im »recolect myself«. 473 Die letzten beiden Verse weisen mit der Erkenntnis Gottes als überzeitlich Zeitmächtigem auf den Gedichttitel zurück, so dass das Gefangensein in der immer gleichen Sünde auch formal im geschlossenen Gedichtaufbau widergespiegelt wird. Diese kreisförmige Struktur des Gedichtes verweist zudem auf die Parallele zur Struktur der Meditation, die ausgehend vom Bewusstsein eigener Unergründlichkeit und der Notwendigkeit der Metabetrachtung474 auch als Zirkelbewegung zu umschreiben ist. Das im Gedicht dominierende okkasionell-meditative Strukturelement unterstreicht das Thema der Meditation: Das lyrische Ich nutzt im zufállig-meditativen Gedicht den vorbei fliehenden Augenblick des Singens der Lerche zur Betrachtung des Überzeitlichen, es nutzt die Zeit, die von Gott gegeben und beherrscht, aber umso mehr der individuellen Verantwortung des Einzelnen anheim gegeben ist. Die Occasional meditation repräsentiert wie kein anderes sich als Textstruktur manifestierendes Meditationsmodell das Bewusstsein der Zeitknappheit und Zeitflüchtigkeit, indem sie die der individuellen Verantwortung anheim gegebene Zeit des Augenblicks durch die Betrachtung des über-individuell Gültigen und Zeitenthobenen zur (emblematischen) Sinnhaftigkeit erhebt. Diese lyrische meditativ-okkasionelle Betrachtung des Augenblicks spiegelt die Selbstwahrnehmung des lyrischen Ich in seinem Verhältnis zu Zeit und Tod wider: seine Selbstsicht zwischen Kontinuität und Augenblick. Die Ausführungen dieses Kapitels sollten zeigen, dass die betrachtende Vorwegnahme des Todes in der meditatio mortis insofern mit einer meditatio temporis verknüpft ist, als sie Gegenwart und Vergangenheit in eine Distanz rückt, die Selbstbetrachtung aus der zeitlichen Vogelperspektive erlaubt. Diese über-schauende Selbstbilanz im Verhältnis zu Zeit und Ewigkeit initiiert eine Selbstsicht zwischen durch das innere »Vhrwerck« 475 getriebener permanenter Selbstbeobachtung einerseits und Momentaufnahme andererseits, in der das betrachtende Ich das Gewissen als eine Zeitverantwortung anmahnende »Klokk und Uhr« 476 erfährt.

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476

Elizabeth Delaval: The Meditations of Lady Elizabeth Délavai, S. 202. Vgl. Kap. 3.1.2 und 3.4f. Friedrich Spee: Güldenes Tugend-Buch (1649). Hg. v. Theo G. M. van Oorschot. München 1968, S. 430. Justus Georg Schottelius: Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal / Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich / und also vor die Augen gelegt / daß einem gottlosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben / und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet. Wolfenbüttel 1676, S. 227. »Klokk'« ist zu verstehen als der Glockenschlag der Uhr. Zu Schottelius' Höllenmeditation s. Berns, Jörg Jochen: Höllenmeditation. Zur meditativen Funktion und mnemotechnischen Struktur barocker Höllenpoesie. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 141-173.

291

3.3.1

»Verbündniß« und »Zertrennung«: meditatio mortis als meditatio individualitatis

3.3.1.1 »Unausleschliche Erinnerung« der »GewissensKette« D i e der Todesbetrachtung implizite Individualitätsbetrachtung ist im 17. Jahrhundert e n g mit der Betrachtung über Zeit und Identität verknüpft, sie wird thematisiert i m Kontext der Individualitätser/ia/iwng über Zeit, Tod und E w i g k e i t h i n w e g . 4 7 7 I m Folgenden möchte ich deshalb exemplarische literarische meditationes

mortis

vor-

stellen, die dieses Phänomen illustrieren und eine betrachtende Reflexion über das e i g e n e individuelle Sein vor, in und nach d e m Tode beinhalten. Justus G e o r g Schottelius reflektiert in s e i n e m Meditationstraktat Vorstellung

/ Wie es mit Leib und Seel des Menschen

In dem Tode/

und nach dem Tode bewandt

werde

Kurtz

Sonderbare

vor dem Tode /

seyn aus d e m Jahr 1 6 7 4 zunächst die

Konstituenten dessen, w a s als M e n s c h zu bezeichnen ist: Wie bekandt / so heisset die Seel nicht der Mensch / auch der Leib / heißt nicht der Mensch / wenn man eigentlich reden wil: wiewol sonst vielfältig bald der Leib / bald die Seel für die Bedeutung eines Menschen genommen wird. Die Vereinigung / Zusammenführung und Verbündniß nun der Seel mit dem Leibe / und des Leibes mit der Seel / machet allererst den Menschen: die Zertrennung dessen nun zertrennet auch den Menschen / und das fleischliche überbleibende Theil des Menschen heisset Leib / das geistliche Theil Seel. 478 Er geht damit w i e Descartes von der In-dividualität von Leib und S e e l e und deren Essentialität für den Menschen aus. 4 7 9 D i e »Zertrennung« von Leib und Seele bedeutet den Tod. Dabei verfallt der Leib nicht zu e i n e m Nichts, sondern wird von Gott als Staub und A s c h e bewahrt, u m am Jüngsten Tag wiederhergestellt und auferweckt zu w e r d e n 4 8 0 - nach christlicher Lehre umfasst die Wiederauferstehung S e e l e und Körper. 4 8 1 477

478

479

480

481

Auch Kemper beobachtet implizit für das 17. Jahrhundert ein gestiegenes Interesse an der Identitätserhaltung: »Im 17. nun wuchs aber das Interesse gerade an dieser Verklärung des Leibes und seinem künftigen Zusammenhang mit der Seele auffallend [...].« (Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit. 5 Bde. Bd. 2: Konfessionalismus, S. 247). Justus Georg Schottelius: Sonderbare Vorstellung / Wie es mit Leib und Seel Des Menschen werde Kurtz vor dem Tode / In dem Tode / und nach dem Tode bewandt seyn. Braunschweig 1675, S. lf. »According to Descartes, body and soul are rightly thought of as a single individual being, >because to conceive the union between two things is to conceive them as one single thingHaut< bemäntelt die unter ihm ebenso geborgene und behauste wie ent-deckte Identität. Die Betrachtung des Todes führt zur Betrachtung dessen, was die eigene Identität konstituiert: zur Betrachtung des mit der Seele untrennlich verbundenen Gewissens bzw. Gewissenskleides vor, in und nach dem Tode. Das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur Gruppe derer, die das Gottesgericht erwarten, geht mit dem Bewusstsein der Einmaligkeit und Individualität des Gewissenskleides einher. Der Meditierende findet bei Schottelius im Gewissen die (Bewusstseins-)Instanz, die seine Identität und Individualität über das Zeitkontinuum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinweg transportiert und gewährleistet. Es erfordert den selbsterinnernden und selbsterforschenden Blick in die Vergangenheit, die gegenwärtige Identifizierung mit diesem Vergangenen und den Blick auf das zukünftige postmortale, sich als identisch begreifende individuelle Ich als Träger des Gewissenskleides.

484 485

486 487

S. Kap. 3.3. Claudia Benthien: Haut. Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Reinbek bei Hamburg 1999, S. 14, 28, 3 2 u n d l l l f f . Claudia Benthien: Haut, S. 14. Claudia Benthien: Haut, S. 32.

294 3.3.1.2 Sorge um das »Tout précieus« und die »einzele Besonderheit« Dekomposition und Komposition im Panoramablick In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits die >anatomischeGewissens-Sektion< die Betrachtung einer weiteren, ganz elementaren Zertrennung, nämlich die Betrachtung der Trennung von Leib und Seele. Zwey Stücke sind / Vielgeliebte / und zum theil hertzlich betrübte Christen / die zur Substantz und Wesen des Menschen gehören / soll auch der Mensch ein Mensch seyn / so müssen sie beyde beysammen verbleiben / und diese sind Leib und Seele. [...] Im Tode werden sie getrennet / aber mit Schmertzen: Am Jüngsten Tage sollen sie wiederumb mit einander vereiniget / und hernach in alle Ewigkeit nicht mehr geschieden und vonsammen gerissen werden. 488

Das zur >zergliedernden< Selbsterkenntnis führende »Zählen der Tage« in der Todesmeditation impliziert aber die Einsicht des Meditierenden in seine innere »Verstöhrung« und »Zertheilung«, die letztlich das Begreifen ihrer selbst unmöglich macht: Es ist eine sonderbahre Art der Zucht und Unterrichtung GOTTES / durch welche wir unsere Tage müssen so zehlen lernen / daß wir unsere Hertzen auff Weißheit befleißen [...]. Wan wir schon die beste Warheit / und gewitzesten Gründe / gelesen / gehöret / geredet und geschrieben haben / so wißen wir sie doch nicht anders / als ob wir sie nicht wüsten / und glauben als wan wir nicht glaubten / durch eine schlechte und draumente Art der Begreiffung / [...] Seithero wir uns selbst von Gott abgesondert haben / so ist eine Wand zum Unterscheid zwischen unseren Sinnen und unserem Verstand und unserem Willen und Neigungen / so daß die Gemeinschafft zwischen ihnen verstöhret ist / und wir sind in uns selbst zertheilet / durch diese Trennung unserer Kräfften. 489

Das lyrische Ich im Sonett Pour entrée au sjet des saints soupirs, sur l'homme animal et spirituel von André Mage de Fiefmelin 490 (vor 1560 - nach 1603) beschreibt diese Selbstspaltung als innere Zerrissenheit, als Dissonanz der Zweiheit in Einheit: »D'un accordant discord s'entrechoquent en moi / Deux hommes en un homme, en un corps deux natures, / Deux formes en un être, et en deux créatures / Une personne humaine où un se double en soi. / En nous donc n'étant qu'un, où deux pourtant je vois, / S'accordent discordants [...]« (V. 1-6). Es sieht seine Seele zweigeteilt (»mon âme mi-partie«, V. 7), Seele und Leib zerreißen das hin- und herspringende Herz: »Mi-partissant mon cœur qui chancelle entre deux.« (V. 11). Interessant ist

488

489

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Johann Heermann: Güldene Sterbekunst Gezeiget in zwölff Predigten / Aus dem anmuthigen schönen Sterbe=Gesänglein Hertzlich thut mich verlangen / nach einem seligen End [...]. Leipzig 1659, S. 87f. Richard Baxter: Sterbens Gedancken Uber Phil: 1.23. Zu seinem eigenen Nutzen in der letzten Zeit seiner vielerley leiblichen Schmertzen und Schwachheiten beschrieben. Und auff begehren auß der Englischen in die Hoch=teutsche Sprach treulich übergesetzet. Cassel 1685 [Engl.: Dying Thoughts, >1683], S. 357f. Zit. nach Poètes français de l'âge baroque. Anthologie (1571-1677). Hg. v. Jean Serroy. Paris 1999, S. 158.

295 die Beschreibung dieser Selbstspaltung: Sie wird nicht lediglich selbstzergliedernd konstatiert, sondern als Zusammen-, Wechsel- und Gegenspiel von Akkord und Diskord begriffen (»un accordant discord«, deux [...] s'accordent discordants«). Mit der Meditation über die eigene Dekomposition im Tod geht im späten 16. und 17. Jahrhundert ein auffälliges meditatives Interesse an Erhalt, Zusammenhang und Rekonstruktion dieser >Teile< einher, das für die Fragestellung dieser Arbeit fruchtbar gemacht werden kann. Gerade die Meditation als Methode zur >ganzheitlichen< Gotteserkenntnis repräsentiert das Zusammenspiel von zergliedernder Einsicht in das eigene Un-Einheitliche und distanzierter Selbst-Sicht als Einheit. Das Titelkupfer des Zergliederten Christenmenschen (s. Abb. 8) 491 versinnbildlicht diese individualitätsbewusste Selbstbetrachtungsstruktur als anatomische Körperdarstellung. Die einzelnen, mit Buchstaben markierten Körper-Orte werden durch anatomische Zerlegung einsichtig und in ihrer Innensicht erläutert, bedürfen aber auch des einordnenden Überblicks über den Körper aus der Gesamtansicht, der zur Erkenntnis seines Funktionierens als Ganzer führt. Die Zerlegung, an die immer das Problem und die Notwendigkeit zur Rekonstruktion gebunden ist, führt in die dominierende Immanenz des Zerlegten/Zusammengesetzten, in seine >Anatomie< in Gestalt einer >AutonomieGewissenzergliedernden< Kapitel und die Aufteilung des Christenkörpers in seine »Theile« Abschnitte, die nach dem Zusammenspiel, dem Zusammenhalt bzw. dem Streit-Verhältnis der anatomisch zerlegten Teile fragen: »Von dem gantzen Leib deß Newen Menschen / dessen geistliches Haupt Christus ist; [...] Von deß Menschen Beständigkeit/ unnd Wanderschafft mit GOTT; [...] Von der Anweysung unnd Underrichtung deß geistlichen Kampffs: welche bestehet erstlich in der Vorbereitung: zum andern in dem Streit selbst, [...] Von den Partheyen zwischen welchen sich dieser Kampff

491

492

Anonymus: Geistliche Anatomia, Das ist: Beschreibung eines wahren Christen in seinem gantzen Wandel / nach allen seines Leibes Gliedmassen. Voll Geistlicher Unterweisung / zu Erlangung des Ewigen Lebens. Budissin 21662, Titelkupfer [Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Tg 3], Michael Sonntag: Die Zerlegung des Mikrokosmos. Der Körper in der Anatomie des 16. Jahrhunderts. In: Transfigurationen des Körpers: Spuren der Gewalt in der Geschichte. Hg. v. Dietmar Kamper und Christoph Wulf. Berlin 1989, S. 59-96, hier S. 87. S. auch Emst Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance. Darmstadt 1977; Charles A. Singer: A short history of anatomy from the Greeks to Harvey. New York 1957 und ders: Das Zusammenfließen von Humanismus, Anatomie und Kunst. In: Zu Begriff und Problem der Renaissance. Hg. v. August Buck. Darmstadt 1969, S. 326-335. Auch Kemper bemerkt: »Im 17. Jahrhundert nun wuchs aber das Interesse gerade an dieser Verklärung des Leibes und seinem künftigen Zusammenhang mit der Seele auffallend [...].« (Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit. 5 Bde. Bd. 2: Konfessionalismus. Tübingen 1987, S. 247).

Abb. 8

297 unnd Streit e r h e b t « . 4 9 3 D i e meditatio

mortis

kreist i m m e r w i e d e r u m d i e Frage der

In-dividualität über d e n T o d hinaus, w e i l die M e d i t i e r e n d e n nicht bei der selbstzerg l i e d e r n d e n Erkenntnis d e s (nicht nur körperlichen) Zerfalls stehen bleiben, sondern d i e s e a n a t o m i s c h e Selbstbetrachtung d i e B e u n r u h i g u n g über d i e K o n s e q u e n z e n der Zerteilung und d e n Erhalt d e s b e w a h r e n s w e r t e n G a n z e n impliziert. D i e christliche Lehre v o n der A u f e r s t e h u n g u n d W i e d e r v e r e i n i g u n g d e s Körpers und der S e e l e s o w i e deren j e w e i l i g e m Erhalt steht interessanterweise in v i e l e n Todesm e d i t a t i o n e n d e s späten 16. und 17. Jahrhunderts i m Zentrum der Betrachtung. D i e Identifikation mit d e m >meditativen G e w i s s e n < hat für d e n E i n z e l n e n das Interesse zur K o n s e q u e n z , n a c h der D e k o m p o s i t i o n durch d e n Tod und a m Tag d e s für d i e s e s G e w i s s e n haftbar m a c h e n d e n Jüngsten Gerichts s i c h selbst i d e n t i s c h z u b l e i b e n . 4 9 4 W e n n sich das Individuum als Urheber d e s s e n betrachtet, w a s i m (körperlich) >gefühlten< G e w i s s e n spürbar wird, ist d i e W i e d e r a u f e r s t e h u n g als i d e n t i s c h e s I n d i v i d u u m Voraussetzung für d i e Gerechtigkeit d e s Gottesgerichtes. D a s >meditative G e w i s s e m g e h t über d e n Tod hinaus: Hierauß folget nun / daß die Seel / nach ihrer Schaidung auß dem Leib / sich erinnere der vergangenen ding / wie auch aller deren / die sie in diser Welt erkennt und gewist hat / und daß sie sich in ihren gueten vollbrachten wercken frewe / hergegen die böse verrichte werck empfinde / und sich in denselben kümmere: Also / daß die Seel durch die abscheidung vom Leib / nit beraubt noch entsetzt wirt jrer eignen wirckung. 495 B e i S c h o t t e l i u s heißt e s in d i e s e m S i n n e ähnlich: Wird aber Gott der Herr keine neuen Leiber uns erschaffen / dann solche neue erschaffene Leiber hätten weder Böses noch Gutes gethan / und könnten auch daher weder gestraffet noch belohnet werden: Sondern eben dieser unser Leib / dieses Stück Fleisch / dieses gebrechliche Stanck-Gefäß soll es seyn / darinn unsere Seel am Jüngsten Tage soll wieder überkleidet und ewig vereiniget werden / darinn wir auch entweder mit Christo zum Himmel werden eingenommen / oder mit den Teuffein zu der Holl gestürtzet seyn. 496

493

Otho Casmannus: Homo Novus: Das ist / Geistliche Anatomey oder Betrachtung deß newen Menschen / in welcher / allein auß Gottes Wort / die schöne und lehrreiche Vergleichung deß natürlichen Leibs unnd seiner Gliedern / mit dem innerlichen geistlichen Leib / das ist / mit der Seel und ihren Krafften / angezeigt / und außführlich erklärt wird. Sampt beygefügten Erinnerungen und Gebetten [...]. Zu hochnothwendigem Underricht und Ermahnung unserer Lebensbesserung / zu Befestigung unsers Glaubens: Wie auch zu bestendiger und sighaffter Gegenwehr wider die Anfechtungen deß Teufels / deß Fleisches und der Welt. Bern 1606, Inhaltsverzeichnis. 494 Ygj j a C q U e s Bénigne Bossuet: Méditation sur la brièveté de la vie (1649-1690). Paris 1921, S. 15: »[...] cela demeure, cela entre dans ses trésors; ce que j ' y aurai mis, je le trouverai.« 495 Petrus de Medina / Egidius Albertinus [Übers.]: Das Buch der Warheit / Begreifft drey Theil. Im ersten wird man unterwisen / was gestalt die Ehr / Reichthumb und Wollustbarkeiten der Welt sollen werden verachtet [...]. Im andern / was der Mensch seye/ was Gott ist [...] Im dritten wird gehandlet von dem Todt: Warum die Menschen sterben: Was gestalt sie in ihrem letzten End versuecht werdenvon dem Sathan / und was man thuen müsse zum seligen Sterben. Es wird auch erkläret das sonderbare und allgemeine Gericht / die Straff der Gottloosen / und Glory der Frommen. München 1648, S. 203. S. dazu auch Edgar Morin: L'homme et la mort. Paris 1970, S. 198. 496 Justus Georg Schottelius: Sonderbare Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit In Teutscher Sprache Nachdenklich beschrieben / Samt kurtzem Vorberichte Von der Zeit und Ewigkeit. Braunschweig

298 Der Körper ist demnach mehr als eine vergängliche Hülle, er ist ein Teil in-dividueller Identität. Drélincourt begründet die Angst vor d e m Gedanken an die Verwesung d e s Körpers entsprechend: A la vérité, ce nous est une grande joye, de savoir que nôtre Ame en dépoiilliant ce Corps de terre, revest le Domicile éternel qui est du Ciel, & qu'elle s'en va contempler la face du Pére des Lumières. Mais cette sainte joye est mêlée de tristesse, & cette douceur céleste se détrempe en amertume, lors que nous songeons à l'état lamentable de ce pauvre Corps, abandonnné à la terre & aux vers. Car c'est une chose horrible que de voir pourrir & réduire en Cendre un Corps qui n'est pas seulement nôtre pavillon & nôtre Palais: mais qui fait une partie de nous-mêmes. Afin donc de rendre nôtre consolation parfaite & acomplie, il nous faut entretenir de cette douce & agréable pensée, que la ruine & la desolution que nous pleurons ne sera pas éternelle: mais que comme nôtre Corps tombe par la Mort, il se relèvera quelque jour par la Résurrection. 497 D i e Freude über das Sein an der Seite Gottes wird verbittert durch den Gedanken an den schrecklichen Zustand des Körpers nach d e m Tode, der in der Erde den Würmern z u m Opfer fällt. Denn, s o der Protestant Drélincourt, der Körper ist nicht nur unsere Behausung, unser >Palast auf ErdenIndividuum< auferstehen - der Körper wird nicht als etwas Neues oder Ähnliches, sondern als derselbe Körper mit der Seele wieder zusammengeführt. Die explizite Unterscheidung zwischen »le même Corps en espèce« und »le même individu« qualifiziert seine meditatio mortis als Zeugnis einer Individualitätsbetrachtung. Dementsprechend soll sich der Meditierende in der Todesmeditation mit allen Sinnen und mit seinem ganzen Körper seiner unteilbaren und unveränderlichen Einheit und Identität als Individuum bewusst werden: De ces yeus mourans, je te verray sur les nuës du Ciel, & sur un Trône de feu. De ces oreilles qui se ferment, j'entendray le son de la dernière trompette & les Cantiques des Anges. De cette langue qui ne peut plus parler, & qui a de la peine à se mouvoir, je chanteray éternellement tes loiianges divines, avec l'Eglise triomphante. De ces mains languissantes, je t'embrasseray & me coleray à toy. De ces piez qui font déjà comme dans le tombeau, je te suivray quelque part que tu ailles, & je me proméneray par toutes les rues de la sainte Cité. En ce même Corps qui va tomber dans la fosse de pourriture, je seray enlevé sur tous les Cieus, pour y reluire comme les Etoiles & comme le Soleil. [...]. Il n'y a plus qu'un soufle en mes narines: l'ombre de la Mort est déjà sur mes paupières; & mon Ame est sur le bord de mes lèvres. Mais en cette même chair que j'abandonne à la pourriture & aus vers, je contempleray ta gloire & ta magnificence. Je verray ta face en justice, & je feray rassasié de ta ressemblance quand je seray reveillé. 499

Drélincourt begibt sich hier exemplarisch in die Rolle des Meditierenden, der diese Worte in seiner Meditation nachspricht und sich mit ihnen identifiziert. Er gibt ein meditierendes Ich vor, das sich die eigene Sterbestunde vergegenwärtigt: Es imaginiert sich sterbende Augen, Ohren, die nichts mehr hören, eine bereits geschwollene, lahme Zunge, Körperteile und Gliedmaßen, die >wie im Grab< sind. Schon hier muss der Meditierende jedem einzelnen Sinnesorgan und jedem Körperteil nachfühlen. Zugleich verinnerlicht er nach den Vorgaben des exemplarischen meditierenden Ich, dass es dieselben Sinnesorgane und Körperteile sein werden, die er nach Tod und Auferstehung wieder ebenso fühlen können wird. In diesem verbindenden Bewusstsein liegt seine Identitätsbewahrung.500 Meditatio mortis bedeutet für das meditierende

499

Robert Parsons: The Christian Directory, S. 523. 500 Vgl. Joseph Hall: A Meditation of Death: According to the Former Rules. In: Huntley, Frank Livingstone: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study With the texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). Binghampton / New York 1981, S. 109-118, S.113. Der anglikanische Bischof Joseph Hall spielt in seiner »Meditation of Death« einzelne Körperteile durch und betrachtet sie nacheinander, um sie sich als bewahrte und erhaltene nach dem Tode vorzustellen - der Meditierende betrachtet in der zergliedernden Selbstbetrachtung die den Tode überdauernde Identität der In-dividualität: »Thou should not be cast off, O my body; rather, thou shalt be put to making. This change is no less happy for thee than for thy partner. This very skin of thine, which is now tawny and wrinkled, shall once more shine; this earth shall be heaven, this dust shall be glorious. These eyes, that are now weary of being witnesses of thy sins and miseries, shall then never be weary of seeing the beauty of the Saviour and thine own in His. These ears, that have been now tormented with the impious tongues of men, shall first hear the voice of the Son of God, and then the voices of

300 Ich bei Drélincourt eine über die meditatio corporis vermittelte meditatio individualitatis, deren lyrische Gestaltung im Folgenden anhand eines seiner Gedichte illustriert werden soll. Das Sonett des französischen Protestanten Laurent Drélincourt (1626-1680, Sohn von Charles Drélincourt) mit dem Titel Sur la Résurrection. Espérance du mourant501 (1677) scheint bei oberflächlicher Betrachtung nichts Spektakuläres zu bieten: das Gedicht kreist um die Vergänglichkeit des Körpers und stellt ihr die »espérance« auf die »Résurrection« entgegen. Der Untertitel Espérance du mourant zeichnet in seiner Doppeldeutigkeit das Gedicht als meditatives Sonett aus: Der bestimmte Artikel kann sowohl den Sterbenden im Allgemeinen bezeichnen als auch das individuelle lyrische Ich, das in seiner Todesvision auf die Auferstehung hofft. Das lyrische Ich spricht seinen Körper als Du des ersten Quartetts an: »Ainsi, Vase de terre, ainsi, Corps languissant, / Portative Maison, Tabernacle fragile, / Et d'un Tout précieus, Moitié foible et debile, / Tu t'en vas fondre, enfin, tu t'en vas périssant.« (V. 1^4). Die Umschreibung der hinfälligen Leiblichkeit verläuft durchaus konventionell, der Körper wird als »tönernes Gefäß«, »bewegliches Haus«, »zerbrechliches Tabernakel« und »schwache, hinfällige Hälfte« (V. 1-4) bezeichnet. Auffällig ist hier allerdings schon die Großschreibung dieser gängigen Metaphern - sie könnte gedeutet werden als graphische Kenntlichmachung der bewussten Verwendung von Topoi. Diese Beobachtung gewinnt an Interesse, wenn das lyrische Ich in Vers 3 von einem >wertvollen Ganzen< spricht, dessen >schwache und hinfällige Hälfte< der Körper sei: »Et d'un Tout precieus, Moitié foible et debile«. Sowohl das geschätzte Ganze als auch die körperliche Hälfte werden mit Majuskeln graphisch hervorgehoben. Die Rede vom »Tout precieus« ist deshalb interessant, weil sie vom Identitätsbewusstsein des lyrischen Ich zeugt - der Körper ist zwar vergänglich, aber das geschätzte Ganze wäre ohne ihn nicht denkbar. Das lyrische Ich versteht sich trotz und gerade in der Rede von der körperlichen Vergänglichkeit als Individuum, dessen Identität sich aus seiner Ganzheit definiert. Das folgende Quartett formuliert in einer Anrufung Christi die Hoffnung, dass die Auferstehung den >tönernen Behälter< in einen wiederaufstrahlenden Körper verwandeln wird: »Mais en Toy je m'assure, ô Sauveur Tout-puissant! / Ta parole, et ton bras, à tout est facile, / M'enlevant du Tombeau, feront de cette Argile, / Au Matin du grand jour, un Corps resplendissant.« (V. 5-8). Auch hier wird die Vorstellung der Ganzheit durch die Majuskel in »Tout-puissant« hervorgehoben. Der allmächtige »bras« assoziiert die zur Kreuzigung ausgestreckten Arme Christi, ein Kruzifix als Symbol der Titel gebenden »espérance du mourant«.

501

saints and angels in their songs of >AllelujahSterbensgedanken< sind Reflexionen eines meditierenden Ich über den Identitäts- und Individualitätserhalt der Seele über den Tod hinaus. Sie wurden - so wird in der Vorrede an den Leser betont - zunächst zum persönlichen Eigengebrauch und zu täglicher Todesbetrachtung verfasst. Baxter bezeichnet sie als nützliche und nötige Gedanken, die ein sanftes und ruhiges Sterben durch tägliches medititativ angeeignetes Sterben ermöglichen sollen. »Ich halte davor / es sey an diesem Werck / zu einem sanfften und geruhigen absterben sich vorzubereiten / allen Menschen in ihrem Leben so viel gelegen / daß eben diese Gedancken / die mir sehr nützlich und nötig gewesen sind / solches auch andern seyn können. Ob einem der Titul mißfiele / alß ob der Author tod seyn müsse /

502

Im Folgenden zitiert nach der deutschen Übersetzung Richard Baxter: Sterbens Gedancken Uber Phil: 1.23. Zu seinem eigenen Nutzen in der letzten Zeit seiner vielerley leiblichen Schmertzen und Schwachheiten beschrieben. Und auff begehren auß der Englischen in die Hoch=teutsche Sprach treulich übergesetzet. Cassel 1685 [Engl.: Dying Thoughts, '1683].

302 der wisse / daß ich täglich sterbe [...]«. Bestimmt wird seine Todesbetrachtung von der Sorge um den Erhalt der Seele, die nach dem Tod Gott anvertraut werden muss: »Aber HERR / du weist daß ich wol dein sein wolte und willig der deine; Und du bist es / nach welchem ich verlange zu leben: Deßwegen laß mich dir ruhig sterben / und dir meine Seele wiliglich vertrauen.«503 Die Voraussetzung zum ruhigen Sterben besteht für das meditierende Ich in Baxters Dying Thoughts in der betrachtenden Selbstvergewisserung darüber, dass Individualität und Identität der Seele über den Tod hinaus gewahrt bleiben. 504 Die Seele ist ein selbständiges Wesen: Dan das / so nichts ist / das kan auch nichts thun; aber die Seele beweget sich ja / sie verstehet / und will. Niemand wird leugnen / daß dieses durch etwas in uns geschiehet / und durch einiges selbständiges Wesen. Dieses selbständige Wesen aber ist das / so wir die Seele nennen: die ist ja nicht gar nichts / und sie ist in uns. 505

Die Seele ist das »Etwas«, das in uns sich »beweget«, »verstehet« und »will«. Durch Bewegung der Affekte, des Verstandes und des Willens, die sich »in uns« regen, wird auf die Existenz der Seele (»die ist ja nicht gar nichts«) als deren Urheberin (»thun«) geschlossen. Ihre Selbständigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass sie sich >in uns regt< - ihr wird ein autonomes Eigenleben zugeschrieben. Diese >Selbständigkeit< nähert sich dem dieser Arbeit zu Grunde liegenden strukturellen Verständnis von Individualität an: Betont wird hier die Selbstumgrenzung zum Außen im Sinne des Individualitätsbewusstseins. Deutlicher tritt dieser Gedanke in den Passagen hervor, in denen die mögliche Vereinigung der Seele nach dem Tode mit anderen Seelen oder Gott beunruhigt betrachtet wird. Die Frage für das meditierende Ich ist hier, »ob die Seelen also einzelen besonder zu verbleiben werden / oder vielmehr in eine gemeine Seele zusammen kommen / oder ob sie so wieder zu GOTT kehren / der sie gegeben hat / damit sie nicht mehr unterschieden seyen (oder viele) in besondere / als sie ietzo sind [.,.].«506 Das meditierende Ich setzt die Seelen der Menschen als »einzelen besonder« und als voneinander »unterschieden« voraus. Das Hervorgehen des Einzelnen aus und durch Gott widerspricht dieser Erkenntnis nicht, der gemeinsame Ursprung verhindert nicht das individuelle Sein: Dan ob schon die Art unserer Vereinigung mit ihm / und die Art unseres Herkommens von ihm / unseren Verstand übertrifft / so ist doch auser allem Zweifel / daß wir unterschieden / und ein jeder von dem andern abgesondert ist / auch ein ieder seine eigene Freude oder Elend vor sich

503 504

505

506

Richard Baxter: Sterbens Gedancken, S. 362. Der Begriff >Identität< kann erst in der Philosophie des 18. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Der Begriff >Individuum< hingegen wird schon im 17. Jahrhundert verwendet (s.o. Charles Drélincourt: Les Consolations de l'âme fidèle contre les frayeurs de la mort. Avec les Dispositions & les Préparations nécessaires pour bien mourir. Nouvelle Edition, revue exactement, & augmentée par l'auteur, Paris 1669 ['1651], S. 501). Richard Baxter: Sterbens Gedancken Uber Phil: 1.23. Zu seinem eigenen Nutzen in der letzten Zeit seiner vielerley leiblichen Schmertzen und Schwachheiten beschrieben. Und auff begehren auß der Englischen in die Hoch=teutsche Sprach treulich iibergesetzet. Cassel 1685 [Engl.: Dying Thoughts], S. 21. Richard Baxter: Sterbens Gedancken, S. 42f.

303 selbst habe. Deßwegen so ist keine Vereinigung mit GOTT vor die heiligen Seelen zu befürchten / sondern die so am aller eusersten möglich seyn wird / am höchsten zu begehren. [...] Wan also unsere Vereinigung mit GOTT unser absonderliches Wesen nicht aufhebet / und auch nicht zu beförchten / daß sie uns in unserem ersten Anfang verändern werde / so mögen wir also gleichfals sagen / von unser Vereinigung mit einer allgemeinen oder mancher Seele: Wan wir können vereiniget werden / so können wir auch vertheilet werden / und also ein unterschiedenes und nicht getheiletes Wesen haben / welches seine eigenen Zufalle haben wird. 507

Ein Verlust der »Unterschiedenheit« und »einzelen Besonderheit« wäre »zu beförchten«. Nur aufgrund des Vertrauens auf eine Vereinigung mit Gott, die die eigene Individualität nicht in Frage stellt, ist diese nicht zu fürchten, sondern »am höchsten zu begehren«. Ebenso bedeutet die »Vertheilung« der Seele nicht die Aufhebung ihres »nicht getheileten Wesens«, sondern gewährt weiterhin »eigene Zufalle«, d.h. die Selbständigkeit und Individualität der Seele. Der Wert des Seins im Jenseits steht und fallt für das meditierende Ich in Baxters Dying Thoughts mit dem Individualitätserhalt. Ebenso implizieren Baxters Sterbensgedanken eine Identitäts-Betrachtung. Auch hier fällt der Begriff Identität nicht, sondern sein Konzept wird umschrieben. Das meditierende Ich betont die Wichtigkeit der Identitätsbetrachtung im Rahmen der meditatio mortis: »Wir haben über das auch grosse Ursach zu betrachten; daß die Seelen / die Krafft und Tugend ihres Wesens nicht verliehren / weil solche ihr natürliches Wesen sind / nicht so wie sie vermischt seyn / sondern wie sie schlecht vor sich selbst bestehen«. 508 Das »natürliche Wesen« der Seele bleibt erhalten, die Seele »besteht vor [d.h. für] sich selbst« und gewährt damit Identität über den Tod hinaus. So wie Erde, Wasser, Luft und Sonne nicht gänzlich zerstört werden können (»Dergleichen Veränderungen sind von der natürlichen Furcht ausgeschlossen«),509 ist auch die Seele in ihrem »Wesen« und in ihrer >Wesentlichkeit< unzerstörbar. Das meditierende Ich versucht iterativ und ruminierend, sich des Individualitätserhaltes zu versichern. Im colloquium der Betrachtung wird resümiert: So daß wan man alle Dinge betrachtet / so ist kein Ursach zu förchten / daß die Seelen werden ihre Selbständig= und Beweglichkeit verlassen [...] so wenig als ihr Wesen / oder wesentliche Kräffte [...];510 Deijenigen Furcht die sich befürchten / daß ihre Vereinigung mit CHRISTO oder jegen einander all zu genau seyn werde / ist fleischlich und eitel; Sie werden eben so wenig dabey ihre Selbständigkeit verliehren / als die Flüsse / wan sie sich in die See ergiesen [...]: Ich habe schon vorher bewiesen / daß unsere besondere Selbständigkeit nimmer auffhöret. Und daß keine Vereinigung / wäre sie auch noch so sicher / zu befürchten sey / welche nicht das Wesen / oder die Kräffte der Gestalt und Würckung der Seelen verstören werde. 511

Das Kreisen der Todesbetrachtung um Identität und Individualität der Seele verweist auf die Wichtigkeit und zentrale Bedeutung des Selbsterhaltes für das meditierende

507 508 509 510 511

Richard Richard Richard Richard Richard

Baxter: Baxter: Baxter: Baxter: Baxter:

Sterbens Sterbens Sterbens Sterbens Sterbens

Gedancken, Gedancken, Gedancken, Gedancken, Gedancken,

S. S. S. S. S.

52. 31. 32. 62f. 126f.

304 Ich. Doch die in und durch die meditatio mortis versuchte Selbstversicherung lässt Zweifel durchscheinen: In der »Zueignung zum Beschluß« wird deutlich, dass das »ruhige und sanfte Absterben« im Sinne Baxters dem meditierenden Ich nicht ganz gelingen mag: Ich bin überzeuget / daß es viel besser sey abzuscheiden und mit CHRISTO zu seyn / als hier zu bleiben. Es wird aber noch viel ein mehrers zu solcher Überzeugung erfordert / umb meine Seele nach einem solchen Verlangen zu bewegen. Es wiederstehet noch allezeit / 1. Der natürliche Wiederwille jegen den Tod / welchen GOTT einem jeden Thier eingegeben hat / und welcher unordentlich / und gar zu strack wegen der Sünde worden ist. II. Daß / so von dem Unglauben überbleibt / welcher sich der Finstemiß allhier in dem Fleisch zum Vortheil bedienet. III. Der Mangel eines mehreren lebentigen Vorgeschmacks in einem himlischen Gemüth und Liebe / durch Schwachheit der Gnade / und der Furcht der Schuld. Diese wiedersetzen sich allem dem / was gesagt ist; Bloße Worte werden es auch nicht überwinden: Was muß also dan geschehen? Ist dan kein Mittel? 512

>Beunruhigend unruhig< fühlt sich der Betrachtende am Ende seiner betrachtenden Sterbensgedanken. Bloße Worte vermögen gegen natürliche Todesangst, Unglauben, menschliche Schwachheit und letztlich bleibende Zweifel durch »Mangel eines mehreren lebentigen Vorgeschmacks« nicht viel auszurichten. Zwar suggeriert die Systematisierung und Aufzählung der Ursachen Objektivierung und Distanz von der Sachlage, doch der Ausruf »Ist dan kein Mittel?« spiegelt die Verzweiflung des meditierenden Ich an sich selbst. Denn: der Widerspruch zwischen Sinnen, Verstand und Willen bedroht seinerseits Individualität und Identität: Seithero wir uns selbst von Gott abgesondert haben / so ist eine Wand zum Unterscheid zwischen unseren Sinnen und unserem Verstand und unserem Willen und Neigungen / so daß die Gemeinschafft zwischen ihnen verstöhret ist / und wir sind in uns selbst zertheilet / durch diese Trennung unserer Kräfften. 513

Selbstspaltung und Selbstentfremdung stellt das meditierende Ich hier an sich fest. Zwar stellt es diese in den Rahmen einer über-individuell gültigen Aussage, jedoch ist die Selbsterkenntnis der »Zertheilung« im Kontext des auch im Vorwort an den Leser betonten individuellen Weges zur überindividuellen Erkenntnis in der Meditation zu sehen. Insofern geht dieser überindividuellen Erkenntnis die individuell in der Meditation angeeignete Selbsterkenntnis in der Erfahrung der Individualitäts- und Identitätsbedrohung voraus. Der »Mangel der wesentlichen Begreiffung des zukünfftigen Standes der abgesonderten Seelen« und die »Befrembtung«, d.h.Verunsicherung und Selbstspaltung zwischen Vertrauen und Zweifel angesichts des >Wie< der Identitäts- und Individualitätserhaltes der Seele macht dem meditierenden Ich anhaltend zu schaffen und entlässt es nicht aus der Spirale der Selbstbetrachtung. Das »sanffte und geruhige Absterben« erscheint bei der iterativen, und verdächtig autopersuasiven Struktur der Betrachtung immer unglaubwürdiger, die Betrachtung kehrt immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück: 512

Richard Baxter: Sterbens Gedancken, S. 352.

305 Warumb solté mein Mangel der wesentlichen Begreiffung des zukünftigen Standes der abgesonderten Seelen / und meine Befrembtung wegen der Manier ihrer Selbständigkeit und Würckung / mich von diesen algemeinen Dingen / zweifelent machen / welche doch offenbahr sind / und außer allem verständigen zweifei? Daß die Seelen selbständige Wesen seyen / und nicht zu nichte gemacht werden / und wesentlich eben dieselbe wan sie den Leib verlassen / wie zuvor / daran zweifele ich nicht. 514 S o steht i m letzten Kapitel der meditativen Dying

Thoughts

die Einsicht, dass nur

Gott den W e g der » B e w e i ß = G r ü n d e « v o m K o p f in das Herz 5 1 5 bahnen kann: Alle meine beste Uhrsachen wegen unserer Unsterbligkeit und kiinfftigem Leben / sind nuhr eben wie der neu formirte Leib Adams / ehe und bevor GOTT einen Athem des Lebens ihm einbließ: Er ist es der sie zu lebhaften Uhrsachen machen muß. Derowegen muß ich beständig zu dem Vatter der Lichter meine Augen auffheben / und auff seine Erleuchtung und Liebe muß ich beständig harren; eben wie auff seinen Segen bey der Nahrung so ich gessen habe / welcher es zu meinem lebhafften Wesen verdauen muß: Die Beweiß=Gründe / werden mir nuhr wie eine verdauete Speise seyn / biß das GOTTES kräfftiger Einfluß sie verdauen mache. 516 » B e s t e Uhrsachen« und » B e w e i ß = G r ü n d e « nutzen nichts, w e n n sie nicht mit Gottes Hilfe meditativ ruminiert und dadurch ganzheitlich angeeignet werden. Nur die ruminano der (Todes-)Meditation als M e t h o d e der ganzheitlichen Selbst- und Gotteserkenntnis kann die v o m meditierenden Ich beklagte Selbst-»Zertheilung«, die Z w e i f e l und die Sorge u m den Individualitätserhalt thematisieren, aber auch heilen. D i e ruminatio

d e s Todes in der Meditation, das Zu-Lebzeiten-sterben-Lernen, wird

in der Consolatio

ad Baronissam

Cziganeam

von Daniel v o n C z e p k o ( 1 6 0 5 - 1 6 6 0 )

als Selbstbetrachtung v o m Standpunkt über, bei und in sich selbst definiert. Darumb, o Mensch, wilst du leben, so lerne sterben. Dann so lange du nicht todt bist, ist kein Leben in dir. Und lebe also, daß nichts anderes in dir lebe, als du. Du bist über alles gesetzet, und bekennest alle Dinge an dir, wie sie ewig sind. Alsbald du aber einen Augenblick zu der Zeit gekehret bist, dann hast du dich verlohren, dann bist du gefallen. Darum bleib bey dir. Ich wiederhole es, in dir ist der Himmel, und in dem Himmel ist Gott; und in Gott bist du. Und

513 514 515

516

517

Richard Baxter: Sterbens Gedancken, S. 358. Richard Baxter: Sterbens Gedancken, S. 363f. »The instrument for transfening truths from understanding to will and affection, from head to heart, is called by Baxter consideration, wich is synonymous with ratiocination, reasoning, discourse of mind, cogitation, and thinking.« (Isabel Rivers: Reason, Grace, and Sentiment. A Study of the Language of Religion and Ethics in England, 1660-1780. Bd. 1 : Whichcoe to Wesley. Cambridge u.a. 1991, S. 145). In diesem Zusammenhang Richard Baxter selbst: »Consideration doth, as it were, open the door between the head and the heart: the understanding having received truths, lays them up in the memory: now, consideration is the conveyer of them from thence to the affections«; »Meditation produceth reason into act« (zit. nach Isabel Rivers: Reason, Grace, and Sentiment, S. 145). Richard Baxter: Sterbens Gedancken Uber Phil: 1.23. Zu seinem eigenen Nutzen in der letzten Zeit seiner vielerley leiblichen Schmertzen und Schwachheiten beschrieben. Und auff begehren auß der Englischen in die Hoch=teutsche Sprach treulich übergesetzet. Cassel 1685 [Engl.: Dying Thoughts, 11683], S. 369. Daniel von Czepko: Werke. Hg. v. Werner Milch. Bd. 1: Geistliche Schriften. Darmstadt 1963, S. 120 [Hervorhebungen S. W.].

306 dasselbige Du ist alles, und das gantze. Und also sind alle Dinge in dir, oder du bist nicht das gantze, das in der Seele schwebt. Und wäre eines von allen nicht in dir, du könntest nicht seyn, noch leben. 517

Sich als Ganzheit, als Identität zu begreifen, die von den zeitlichen Weltläuften unangetastet bleibt, bedeutet eine Souveränität über den Tod, die im eigenen Selbst verborgen liegt. Sowohl Distanz von sich selbst aus der Vogelperspektive (»über alles gesetzet«, »schwebt«) als auch eine Wendung zu und in sich selbst518 (»bekennest alle Dinge an dir, wie sie ewig sind«, »bleib bey dir«) liegen diesem aus der Betrachtung des Todes hervorgehenden Selbstbewusstsein als sich selbst identisch bleibendem Individuum zugrunde. 519 Ausgehend von dieser Beobachtung soll hier ein weiterer lyrischer Text aus der Feder Daniel von Czepkos untersucht werden, der in diesem Zusammenhang von Interesse ist: die Rede Auß meinem Grabe.520 In dem aus 33 Strophen zu je sechs Versen bestehenden Gedicht entwirft Czepko ein lyrisches meditierendes Ich, das einen fiktiven am Grab des Ich Vorübergehenden anspricht und in die eigene Betrachtung einbindet. Das lyrische Ich hält in seiner Meditation durch den Epitaphtext als Toter aus seinem Grab zum meditativ eingebildeten Betrachter des Grabes eine Rede und mahnt, die eigene Vergänglichkeit zu bedenken: O Mensch, du Grab der Eitelkeit / Triet her zu diesem Grabe:/ Schau was ich dir, du Raub der Zeit,/ Darein geleget habe./ Was du ietzt bist und dann wirst seyn,/ Nihm von mir/ dir zur Warnung ein. (Strophe I.) So weit, so weit hast du zu mir,/ Dein Fuß hat zu der Erden:/ Der Tod, dein steter Gast winckt dir:/ Folg ihm: wiltu klug werden./ Was du sonst suchest weit und breit / Ist nichts als eitel Eitelkeit. (Strophe VII.)

Als Todesvision ist das Gedicht zu deuten, weil das lyrische Ich sich auf der inneren Bühne der Meditation vergegenwärtigt, tot im Grab zu liegen und aus der >Erfahrung< des Todes zu dem Vorübergehenden zu sprechen. Bemerkenswert ist hier die Perspektive auf die Zeit: Die Zukunft, ein nicht definierter Zeitpunkt nach dem eigenen Tode, wird als gegenwärtige Sprechsituation inszeniert, der Tod als Endpunkt des Zeitlichen und der irdischen Wirkmächtigkeit wird übergangen. Das meditierende lyrische Ich verinnerlicht seine Sterblichkeit, indem es sich als zukünftig Verfallendes meditativ vergegenwärtigt. Grabstätte, Sarg und Erde werden eingebildet und zugleich testamentarisch bestimmt: Kein pompöses Grab, keine Marmorplatte soll die letzte Ruhestätte des lyrischen Ich sein.521 518

519

520 521

Das Zusammenspiel von Distanz von und Wendung in sich selbst wurde in Kap. 1.2 als individualitätsbewusste Selbstbetrachtungsstruktur erläutert. S. auch den Sechszeiler Czepkos mit dem Titel »Je inniger, ie vollkommener, in dem ein lyrisches Ich im Selbstgespräch mit sich steht und sich selbst auffordert, in sich selbst zu gehen und »in sich zu schauen«, um sich dort erkennend »ohn Tod« zu finden. (Daniel von Czepko: Werke. Hg. v. Werner Milch. Bd. 1: Geistliche Schriften. Darmstadt 1963, S. 4 [Hervorhebungen S. W.]. Daniel von Czepko: Werke, Bd. 1, S. 391-398. »Ein kleiner Hügel ist mein Reich,/ Ein Orth von dreyen Ehlen: / Vier Brether einem Kasten gleich,/ Verwahrn mich und viel quehlen:/ Sechs Schauffein Erd'/ O sanffte Ruh!/ Scharm mich,

307 Der fiktive Vorübergehende kommt >zufällig< am Grab des lyrischen Ich vorbei und wird in eine Betrachtung eingebunden. 522 Der testamentarische Charakter der »Rede« ergibt sich zum einen aus dem impliziten, fiktiven Versuch, über den Tod hinaus wirksam zu werden. Zum anderen wird in einzelnen Textpassagen deutlich, dass das lyrische Ich seine irdische Identität nicht nur verwirft und zum mementowon-Topos stilisiert, sondern dabei auf sie verweist und versucht, die Weise des Erinnertwerdens zu bestimmen (s. u.). 523 In Strophe VIII. intensiviert das lyrische Ich die Vorstellung des eigenen Todes durch den unmittelbaren Vergleich des lebendigen Leibes mit dem verfallenden: »Der Leib, das Haus, in dem der Geist / Beherbergt so viel Jahre: / Der in der Übung ward gepreist,/ Liegt auff der Todten Bahre./ Was hurtig, was gerad und starck / Ist ietzt ein Aaß und fault im Sarg.« Was das lyrische Ich hier zum fiktiven Vorübergehenden >aus dem Grab< spricht, dient zugleich zur Vergegenwärtigung des eigenen Todes und Verfalls im Kontrast zum lebendigen Leib des Meditierenden, der »gerad und starck« und für seine Geschicklichkeit (»Übung«) bekannt ist. Deshalb ist das meditierende lyrische Ich Sprechender und Angesprochener zugleich - der Aufruf zur imaginierenden Betrachtung des Leichnams im Grab ist auch ein Selbst-Aufruf zur Leben und Tod verbindenden consciousness im Sinne Lockes, der Dialog zwischen Leiche und Betrachter am Grab ist entsprechend auch ein meditatives Selbstgespräch zur Selbstvergewisserung in der prä- und postmortalen Identität. Um Vergänglichkeit und Vergeblichkeit vor Augen zu führen, lässt das Ich der >Rede aus dem Grabe< in den Strophen IXX.-XXV. keine Gelegenheit aus, selbsterinnernd die Erinnerung an sich festzuschreiben und auf seine Qualitäten zu verweisen. Aus der das gesamte Leben in den Blick nehmenden, distanzierten Perspektive des meditativ angeeigneten Todes betrachtet sich das lyrische Ich. Stolz auf das eigene Wissen (»Sehr wenig hab ich nicht gewust«, Strophe IXX.), auf das literarische Schaffen als »Andenckmahl« und auf Forschungen (Strophe XXI.) wird deutlich, medizinische Kenntnisse, juristische, von den Mitmenschen geschätzte Fähigkeiten (Strophe XXIII.) und andere wissenschaftliche Umtriebigkeiten (Strophe XXV.)

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und auch viel Sorgen zu.// Ich war ein Mensch, wie du auch bist / Von Stand und von Verstände:/ Dein gleiches Bild, dein neben Christ:/ Jetzt lieg ich hier im Sande./ Kein Marmel darff mein Grab erhöhn,/ Daß ich kan leichter aufferstehn.« In diesem Zusammenhang ist zu verweisen auf die Praxis der Occasional Meditation des Anglikanischen Bischofs Joseph Hall, die auch auf die deutschsprachige Meditation des 17. Jahrhunderts großen Einfluss nahm (vgl. Kap. 1.3.2). Die Tatsache, dass Czepko das Gedicht kurze Zeit vor seinem Tode verfasste und sich Czepkos Biographie mit dem Gedicht in Beziehung setzen ließe, ist für die Interpretation irrelevant (s. den vollständigen Titel der »Rede« bei der Veröffentlichung 1663 in Andreas Gryphius' »Kirchhoffs-Gedancken«: Dan. von Czepko. Rom. Kayserl. Mayt. Wie auch Fürstl. Liegnitzischen/Briegischen/Wohlauischen Regierungs-Rathes/ REDE AUSZ SEINEM GRABE/ Welche Er/ annoch bey guter Gesundheit/ Doch nicht so gar unlängst Vor seinem/ den 8. Septembr. dieses noch lauffenden 1660sten Jahres/ erfolgten Ableben auffgesetzet). Nicht biographische Parallelen, sondern meditative Selbsterinnerung, testamentarische Identitätsdefinition und Identitätsverlängerung des lyrischen Ich über den Tod hinaus auf textimmanenter Ebene zeichnen das Gedicht aus.

308 werden aufgeführt - unter dem Vorzeichen, die Vergänglichkeit und Nichtigkeit all dieser an sich selbst erkannten Fähigkeiten aufzeigen zu wollen. In der nächsten Strophe wird die erzählende und aufzählende Selbsterinnerung an das Erlebte und Vollbrachte auf das lyrische Ich in seiner gegenwärtigen Todesvision rückbezogen: »Die Lippen, die es kund gethan,/ Die Hand, in die es kommen:/ Die Augen, die es schauten an,/ Die Ohrn, die es vernommen: Sind stumm, sind lahm, sind blind, sind taub,/ Und alles eine Handvoll Staub.« Interessanterweise funktioniert diese Rückbindung an die gegenwärtige Meditationssituation über die Betrachtung der eigenen Leiblichkeit: Die einzelnen Körperteile werden nacheinander zergliedernd in ihrer Veränderung durchgespielt, das Identitätsbewusstsein gründet sich hier auf die Möglichkeit vergleichender Betrachtung des Körpers. Dabei kommt wiederum eine Konvertierung präsentisch-subjektiver Zeitperspektive ins Spiel: Der zukünftige, tote Leib ist der gegenwärtige der Meditation, der gegenwärtig-lebende der vergangene Körper. Abschließend erteilt das lyrische Ich den Rat: »Mein Pilgram, eines das ist noth,/ Dasselbe heist: wol sterben:/ Kanstu es: du siehst nicht den Tod,/ Wo nicht: du must verterben./ Wol sterben, ist wol aufferstehn,/ Drauff wart' ich, du magst fürder gehn.« (Strophe XXXIII.). Die Empfehlung, das »wol sterben« zu lernen, hat das lyrische Ich selbst in dieser lyrischen Todesvision befolgt. Hier tritt ein zweiter, sich auf die räumliche Perspektive beziehender interessanter Aspekt zutage: Das meditierende Ich führt sich in der Meditation sich selbst aus der Doppelperspektive von unten aus dem Grab heraus und von oben in das Grab hinein vor Augen. Es ist selbst in seiner Meditation der »Pilgram«, der am eigenen Grab verweilt, sich in der Selbsterinnerung zeitlich und räumlich von oben betrachtet und sich die Perspektive auf sich selbst und aus dem Grab heraus in der Meditation aneignet. Die Individualitätsbetrachtung gründet sich in dieser meditatio mortis auf die Selbstspaltung in ein Ich, dessen Körper gerade vergeht und verwest, und in ein die eigene Vergänglichkeit aus der Distanz von oben betrachtendes. Sowohl der Redende aus dem Grabe als auch der Betrachter am Grab sind zwar verallgemeinerbar als Personifikationen der Vergänglichkeit und des Betrachtens von Vergänglichkeit, werden aber vom lyrischen Ich in seiner Meditation individuell angeeignet und >gefülltTeile< meditierend angeeignet und somit als Individualität zusammengeführt werden können. Die Selbstbetrachtung im Rahmen der meditatio mortis zeigt sich hier in einer meditativ eingebildeten Selbstspaltung in ein postmortales, verwesendes Ich im Grabe und ein dieses betrachtendes, zeitlich über es hinausreichendes, die in der meditativen Selbstansprache zugleich geschaffen, betrachtet und aufgehoben wird.

309 Dieses inszenierte Selbstgespräch in der Todesmeditation spiegelt personales Identitätsbewusstsein, das die Sich-selbst-Gleichheit und Kontinuität der Person vom Standpunkt antizipierter Retrospektive aus entwirft bzw. sie meditierend über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausdehnt. Das Bewusstsein der Ich-Konstanz besteht somit nicht mehr nur aus der präsentisch-subjektiven Perspektive im Sinne des augustinischen Zeitkonzeptes,524 sondern wird von der antizipierten (und insofern zur Gegenwart gemachten) Zukunft aus entworfen und betrachtet. Diese Vergegenwärtigung der Zukunft in der meditatio mortis bedeutet einerseits die Aufhebung der Zukunftsidee (schließlich besteht sie in der Betrachtung nur als Gegenwart), andererseits aber auch ihre Erhebung zu einer ewigkeitsgleichen, über-zeitlichen Permanenz: Die Zukunft erstreckt sich in der Todesbetrachtung über alle Zeitebenen, ohne ihnen unterworfen zu sein. Für die Frage nach Selbsterinnerung in der Todesbetrachtung bedeuten diese Beobachtungen, dass sich die zeitliche Retro- und Prospektive im gleichsam überzeitlichen Erinnerungsakt verschränken - die Todesbetrachtung ist hier erinnernde Vergegenwärtigung von Zukunft und Ewigkeit. Auch das Sonett Uber Abraham Orteis Parergon525 von Andreas Gryphius (1616— 1664) impliziert eine Individualitäts- und Identitätsbetrachtung zwischen Distanz von und Wendung zu sich selbst im Rahmen einer meditatio mortis. Der durch den Tod dem Verfall anheim gegebene dreidimensionale Leib erscheint dabei erst im letzten Vers explizit, die distanzierte zweidimensionale Selbst-Sicht von oben durch den »freyen sinn« erscheint gleichsam als Gegenmittel der Dekadenz. Wie bereits der Titel des Gedichtes angibt, dient die Kartensammlung (»Parergon«) des Kartographen Abraham Ortelius (1527-1598) dem lyrischen Ich hier als Anlass zur Meditation: »Uber« kann sowohl im Sinne von >sprechen über< als auch im Sinne von > sitzend / meditierend über< verstanden werden. Der Hinweis auf den durch das Parergon aufgeschlossenen »schaw=platz alter weit« (V. 1) ist einerseits zurückzuführen auf den deutschsprachigen Titel der Kartensammlung (Theatrum oder Schawplatz

524

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Augustinus' Zeitlehre ist charakterisiert durch die Subjektivierung der Zeit - Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft werden ausgehend vom präsentischen Zeitbewusstsein des Subjekts definiert. Bezugspunkt ist bei Augustinus die menschliche Seele; er beschreibt »drei Zeiten, Gegenwart des Vergangenen, Gegenwart des Gegenwärtigen und Gegenwart des Zukünftigen. Denn diese drei sind in der Seele, und anderswo sehe ich sie nicht. Gegenwart des Vergangenen ist die Erinnerung, Gegenwart des Gegenwärtigen die Anschauung, Gegenwart des Zukünftigen die Erwartung.« (Augustinus: Confessiones XI, 20, 26; hier zit. nach Aurelius Augustinus: Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen übertragen und mit einer Einführung von Wilhelm Thimme. München 9 2000, S. 318). Zu Zeitkonzepten und Zeitbewusstsein s. auch Kurt Flasch: »Was ist die Zeit?« Augustinus von Hyppo. Das XI. Buch der Confessiones. Historisch-philosophische Studie. Text - Übersetzung - Kommentar. Frankfurt a.M. 1993 und Hans Michael Baumgartner: Zeit und Zeiterfahrung. In: Hans Baumgartner: Zeitbegriffe und Zeiterfahrung. München 1994, S. 189-211. Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983, Bd. 1, S. 54f.

310 des erdbodems, warin die Landttafell der gantzen weldt, mit sambt aine der selben kurtze erklärung zu sehen ist, 1573), spielt aber zugleich auf die Zusammenstellung des Schauplatzes auf der inneren Bühne der Meditation an und unterstreicht diese Deutung (V. 1 und 4). Die Szenerie steht unter dem Zeichen der vanitas, selbst das Große, Stolze und Mächtige ist der Vergänglichkeit unterworfen: »Den schawplatz alter weit / in welchem noch zu finden // Was harter flammen grim / und rawer feinde schwerdt // Was der geschwinde plitz / undt lange zeit verkehrt // Schleust Orteis Handt hier auff [...]« (V. 1-4). Das meditierende Ich scheint die Karten Orteis zu durchblättern, die sich aus der Distanz des Betrachters als Panorama des plötzlichen wie schleichenden Untergangs auf dem »schawplatz« darbieten. Weder Zeit noch Raum setzen dem Verfall Grenzen, nur das Überzeitliche und Unbegrenzte vermag ihm entgegenzutreten: »[...] Mus gleich Athen verschwinden // Bricht Pergamus schon ein: ob die von stoltzen Winden // Hoch aufgeschwelte See / weit über länder fährt // Wirdt von der Erden schlundt die erden selbst verzehrt II Ist doch ein freyer sinn durch keine macht zu binden.« (V. 5-8). Der letzte Vers des zweiten Quartetts ist geprägt von einem im Vergleich zu den ersten Zeilen stark kontrastierenden selbstbewussten Ton: Einzig der »freye Sinn« ordnet sich nicht in die Gesamtansicht der Vergänglichkeit ein. In den folgenden Terzetten heißt es dann weiter: »Er reißt die schranken durch, in den ihn fleisch und noth / Und sterben pochen wil, und pocht den blassen todt, / Findt alles in sich selbst, und findt sich selbst in allen. / Er sieht, was nicht mehr ist, und was noch kommen soll, / Ihm ist im Untergang und weh der erden wohl / Und kan, ob gleich der leib, sein Wohnhaus, fällt, nicht fallen.« (V. 8-14). Nicht nur das stoische constantia-Motiv spricht aus diesen Zeilen. Der »schawplatz« erweist sich als Bühne der Todesbetrachtung, auf der der »freye sinn« den distanzierten Überblick behält. Die Formulierung »Findt alles in sich selbst« zeugt von Selbstbewusstsein der Möglichkeit in sich selbst gewendeten, inneren Selbst-Vergnügens am eigenen Ich als letztem Erkenntnisgrund. Es erfährt eine Variation und Erweiterung im »findt sich selbst in allen« - sich selbst in allen Dingen wiederzufinden bedeutet für das lyrische Ich zunächst, sich in Orteis »Parergon« gleichsam gespiegelt zu sehen - die Betrachtung der kartographisch verzeichneten Vergänglichkeit ist eine Selbstbetrachtung angesichts des über die Kartenbetrachtung meditativ vergegenwärtigten Todes. Im Sinne der Mikrokosmos-Makrokosmos-Lehre hieße dies, Strukturen des eigenen Selbst als Mikrokosmos in strukturähnlichen Entsprechungen in der Welt, dem Makrokosmos, wiederzufinden.526 In Ortelius' Kartensammlung mit dem Titel »Theatrum oder Schawplatz des erdbodems« wird in der Vorrede an die »guetwilligen Leser«, zu denen das meditierende Ich im Sonett Gryphius' wohl zählte, diese allegorische Parallelisierung der Erd- und Menschheitsgeschichte mit der individuellen Geschichte des Einzelnen explizit formuliert:

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Zum Weltbild des Barock s. Marian Szyrocki: Die deutsche Literatur des Barock. Eine Einführung. Stuttgart 1979, S. 24ff. Zur paracelsischen Naturlehre s. Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert: Deutsche Mystik zwischen Mittelalter und Neuzeit. Einheit und Wandlung ihrer Erscheinungsformen. Berlin 3 1969 ('1944), S. 172-174.

311 Dan wan man es (umb die Wahrheit zusagen) recht ansehen thuet, was ist des menschen leben anders, dan aine Historia die er ansahet, übt, und volendt zur zeit seines lebens. Inmals das ain ietwederer mensch sein aigne Historia scheinet zu haben: also das er auch durch die Natur zu der begird der wissenschafft was anderen vor ime, item was noch ietz, unnd nach seiner zeit geschehen soll, enzunden und bewegt wiert. 527 D i e s e s meditierende Wiedererkennen und sich vergleichende Einordnen in die Heilsordnung wirkt nicht individualitätsverwischend, 5 2 8 sondern birgt insofern auch ein identitätsstiftendes Moment, als das Erkennen der eigenen Individualität Bedingung ist für deren Wiederentdecken auf der Makroebene. D a s Einordnen und Wiedererkennen i m M a k r o k o s m o s setzt ein B e w u s s t w e r d e n des e i g e n e n M i k r o k o s m o s voraus. N a c h der A u f f a s s u n g des Ortelius liegen die Vorteile der (selbst-)betrachtenden Karten-Ansicht interessanterweise im besseres Empfinden, Verstehen und Erinnern der (eigenen) Historia. Während die Historien - ob es sich dabei um die Menschheits- oder die individuelle Geschichte handelt, bleibt hier bezeichnenderweise unklar - an sich oft »dunckhel, blint und verborgen« seien, würden den Betrachtern seines Parergon die dort als Karten dargestellten Geschichten »teutlich und verstendig«: [...] so erfaren und verstehens nitt allein besser, aber sie erhaltends dest lenger, unnd muegen es mitt mehrerm gefallen aim den andern mit Worten beteuten unnd einbilden. Nun wiert diese erinnerung und erkhantnuss (geleich wie vili Gelerte leuth mit uns bezeugen) an kaim orth besser oder leichtlicher, und mit wenigem arbeit oder Unwillen erlangt / dan in die Geographischen Carthen oder Landttaffeln, so derhalben darvon geschrieben, und von unterschiedlichen Authorn, zu grossem gefallen der Historien Liebhabern, aussgeben seindt. Welche (geleich ain ietwederer Leser, wan er die braucht, erfindt) machen das jenig wes man sonst ohne und sonder die, nur liset: ietz mit den äugen, geleich in ainen spiegell, scheinet zu sehen, und selbst darbey zu sein. U m das Suchen und Finden der e i g e n e n Rolle auf d i e s e m »schaw-platz« der Vergänglichkeit, u m die Balance z w i s c h e n der a n g e s o n n e n e n R o l l e und der e i g e n e n Individualität geht es in d i e s e m Karten-»spiegell«, der den Betrachter scheinbar i m Betrachteten präsent sein lässt. Sich selbst in allem zu finden bedeutet weiterhin, sich trotz aller Gemeinsamkeit mit allen irdischen D i n g e n und Weltläuften als unterschiedenes Individuum zu erkennen und sich mit sich selbst identifizieren zu k ö n n e n . 5 2 9

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Abrahamus Ortelius: Theatrum oder Schawplatz des erdbodens, warin die Landttafell der gantzen weldt, mit sambt aine der selben kurtze erklärung zu sehen ist. O.O. 1573, Vorrede An den guetwilligen Leser. Auch bei Harsdörffer heißt es: »Gewißlich ist eine Zusammenstimmung aller Sachen in diesem gantzen Erdkreiß / und vergleichet sich / der sichtbare Himmel mit der Erden / der Mensch mit der gantzen Welt.« (Georg Philipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächspiele. Hg. v. Irmgard Böttcher. Tübingen 1969 (Barock 20), Teil VIII, S. 232f.). Szyrocki sieht in dem Sich-Einordnen in die Harmonie und Heilsordnung des Universums die Aufhebung der Wichtigkeit des Einzelschicksals (Marian Szyrocki: Die deutsche Literatur des Barock. Eine Einführung. Stuttgart 1979, S. 24ff). Diese Sichtweise unterschlägt das zweite, neben der aus dem Weltbild resultierenden Exempelhaftigkeit und Verallgemeinerung des Individuellen bestehende Moment der Identitatsfindung und des Individualitätsbewusstseins, das aus dem vergleichenden Wiedererkennen des eigenen Selbst hervorgeht. Identität wird hier als Subjektbeziehung (geistig-seelische Vorgänge und Ergebnisse der Übernahme oder Ablehnung von Vorbildern, Überzeugungen, Werten und Eindrücken - >sich iden-

312 Was Petrarca nach seiner Besteigung des Mont Ventoux noch als falschen Weg zur Selbst- und Gotteserkenntnis glaubte beichten zu müssen, 530 ist für das meditierende Ich des 17. Jahrhunderts kein Problem mehr: Die Meditation bietet eine Struktur, die den selbstbetrachtenden Ein- und Überblick ermöglicht, fordert und vereinbar macht. Anatomische, selbsterinnernde Selbstzergliederung des Christenmenschen wird verschränkt mit dem ein-ordnenden Überblick über sich selbst als Ganzes, als In-dividum. Individualität geht dabei nicht zwangsläufig in der Heilsordnung auf, sondern bleibt als Mikrokosmos auch in sich erhalten und als Teil des Makrokosmos »zu finden« (vgl. V. 11). Diese Annahme wird gestützt durch die postulierte stoische Unantastbarkeit gegenüber den Weltläuften - das Ich findet gerade in Selbst-Abgrenzung zur Welt Übereinstimmung >in sich1978), S. 29. »Par la nature même des dispositions qu'il renferme, le testament occupe dans cet exercice de la mort une place ambigue: réglant à la fois la destination des biens terrestres, et se préoccupant des destinées de l'âme. Mais les manuels de préparation à la mort le placent au rang des exercices spirituels.« (Michel Vovelle: Mourir autrefois. Attitudes collectives devant la mort aux XVIIe et XVIIIe siècles. Paris 1974, S. 70f.). Testamente im herkömmlichen Sinne als Verfügung über weltliche Güter erfahren in der frühen Neuzeit einen Verbreitungshöhepunkt (Ralph Houlbrooke: Death, Religion, and the Family in England, 1480-1750. Oxford 1998, S. 84). Das Verfassen des Testamentes ist in dieser Zeit weltliche und religiöse Pflicht (Philippe Ariès: Geschichte des Todes, S. 245). Charles Drélincourt: Les Consolations de l'âme fidèle contre les frayeurs de la mort. Avec les Dispositions & les Préparations nécessaires pour bien mourir. Nouvelle Edition, revue exactement, & augmentée par l'auteur, Paris 1669 ('1651), S. 63.

318 Todesstunde wird auf diese Weise wiederkäuend angeeignet544 und ins Leben vorverlegt. Der Tod wird von Drélincourt in seiner Bedeutung für seine Empfindungen zur Meditation empfohlen. Abschied und Trennung bestimmen die Betrachtung des Todes - hier wird die Idee der Dekomposition im übertragenen Sinne deutlich. Es geht bei der im Testament vollzogenen meditatio mortis einerseits um die Betrachtung der Dekomposition im Sinne von physischem Verfall oder Trennung von Körper und Seele, andererseits auch im Sinne der Trennung von Freunden und der Welt als Auflösung vertrauter Einheit, vertrauten Verbundenseins. Wer das Testament betrachtend verfasst oder liest, trägt den Tod bereits auf den Lippen; im 17. Jahrhundert wurde noch laut gelesen, der Tod wird deshalb bei der Lektüre ausgesprochen und gefühlt. Dieses von Drélincourt verwendete Bild zeigt auch, dass der meditative Umgang mit dem Testament den Tod versinnlicht: Er wird innerlich spürbar (durch die Vergegenwärtigung des Trennungsschmerzes), aber auch hör-, sieht- und fühlbar und zum Geschmack. Er wird als gesprochenes Wort beim Lesen hörbar, sichtbar durch die Bewegung der Lippen. Fühlbar wird er, wenn er beim Sprechen über die Lippen geht, als geschmackliche Sinneserfahrung wird er wahrnehmbar über die Zunge, die ihn >schmeckteigentliche< Identität betrachtet: die Todesstunde als die letzte und größte Anfechtungssituation. Es flehtet fremde Hertzen offt dieses an / daß sie sagen: Ach wann es werde einmahl mit ihnen zum letzten kommen / sie würden die Schmertzen nicht außstehen können / sie würden vor schwere der Schmertzen in Ungedult und in Gefahr ihrer Seligkeit gerahten: der Teuffei werde sie alsdannn / da sie am schwächsten sind / leicht überwinden. Wann sie nicht mehr sehen und hören / und also kein Zuspruch vernehmen / so werde er ihnen innerlich zusetzen / und sie etwa gar zur Verzweifflung bringen. Damit würde es also vergebens seyn / daß sie so lang sich ritterlich gehalten hätten / da sie endlich zu letzt noch verlohren giengen. Ist eine Anfechtung / die sich offt bey frommen Seelen findet.548 Ä h n l i c h befürchtet das meditierende Ich in einer Todesbetrachtung Baxters e i n e selbstgefährdende Verwirrung, Verrückung und Verwüstung: Ja / ich weiß / (dan die tägliche Erfahrung lehrt es uns ) daß manche auffrichtige gnadenreiche Leute zufalliger weise ungeschickt und unvermöglich sind zu beten / wann ihr Tod heran nahet: sofern die Kranckheit so beschaffen / daß sie das Gehirn verwirret / oder mit gewaltigen Schmertzen angreifft / oder die Gedancken mit verrückenden Affecten einnimt / oder der Inbildungs krafft schadet / oder die Geister mercklich verwüstet und schwächet / alßdan ist es umbsonst zuverschaffen / daß ein solcher abgematteter Leib / in dieser / oder in einer andern Pflicht der Seelen dienen könne. 549 U m nicht durch eine nicht mehr zu integrierende A b w e i c h u n g v o n sich selbst die Identität im Tod zu gefährden, w e r d e n im 17. Jahrhundert nach d e m Vorbild d e s Kardinals B o n a v e n t u r a T o d e s m e d i t a t i o n e n in F o r m testamentarischer Texte zur Identitätsdefinition genutzt, indem der eventuelle Identitätsverlust in der Stunde des Todes prospektiv für nichtig erklärt wird. 5 5 0 Der Meditierende erklärt die aktuelle

548

549

550

Philipp Jacob Spener: Kräfftiger Trost In dem Leben / und förderlich in dem Sterben / Auß dem Herrlichen Kern=Spruch Joh. III. v. 16. Bey Ansehnlicher Leich=Begängnüß Deß [...] Herrn Henrich Julii von Ginsperg [...]. Frankfurt a.M. 1674, S. 30f. S. auch Pierre Nicole: Traité sur les quatre derniers fins de l'homme. In: Essais de Morale contenus en divers Traités sur plusieurs devoirs importants. Paris 3 1682 ('1672-1677), S. 30: »Combien y en a-t-il qui accablent tellement l'esprit par la violence de la maladie, qu'il n'est plus capable de penser sérieusement à rien, ny de pratiquer les actions de religion que d'une manière toute animale.« Richard Baxter: Letzte Arbeit auff dem Tod=Bette. oder Ein Christlicher Unterricht wie ein Gottseliger Mensch seine Seele dem Herrn JESU auff dem Tod=Bette anbefehlen soll. Anfänglich in Engelischer Sprache beschrieben von Herrn Richard Baxter / Nuhnmehro aber In das Hochteutsche übersetzet durch J. D. Cassel 1683 [Engl.: The last work of a believer, '1682], S. 158f. Sein »Testamentum, sive Praeparatio ad mortem« aus dem 13. Jahrhundert erschien als deutsche Übersetzung im Jahr 1676 unter dem Titel: Johannes Bona[ventura]: Vorbereitung zum Todt. Oder Geistliches Testament Cardinals Bona. In: Friedericus Mibes: Dreyfaches Ordens=Band / Oder Gründliche / eigentliche / und wohlgeordnete Nachricht / Beweiß und Underricht / Wichtigkeit / Observantz / und Schuldigkeit / auch Nutzbarkeit / Verdienst und Vortrefflichkeit / deren drey

321 Identität zur eigentlichen, er schreibt sich selbst fest. Der T o d e s m o m e n t wird dabei v o m Meditierenden insofern selbst bestimmt, als er meditativ zu dem Zeitpunkt bewältigt wird, zu d e m sich das Ich als eigentliches definiert. Nicht der reale Tod, sondern der Tod i m übertragenen Sinne als >Vollendung des Lebenssich selbst abzusterben< bereit ist und zu seiner eigentlichen Identität i m Glauben gefunden hat. Der tatsächliche Tod i m physischen Sinne ist für dieses Testament irrelevant. Eine solche testamentarische Identitätsfestschreibung soll hier zur Illustration vorgestellt werden. In den Todes=Gedanken

und

Todten=Andenken

d e s Protestanten Sigmund von Birken heißt e s nach d e m Glaubensbekenntnis unter der Überschrift

Testament=Schluß:552

NUN / HERR hi irdischer VATER! diß ist meiner Seele Testament und Letzter Wille / welchen ich mir selber gestellet / und dir hiemit demütig überreiche: des Christlichen Fürsatzes / durch deine Gnade / steif / beständig und unveränderlich darbey zu beharren / und darauf seelig abzu-

551

552

heiligen Ordens=Gelübden [...]. Köln 1710, S. 503-520. Das Verfassen des Glaubenstestamentes war bei Protestanten wie Katholiken eine verbreitete Form der meditatio mortis, die Übersetzung vom Lateinischen ins Deutsche zeugt von der Beliebtheit dieser Textsorte. In der Vorrede dieser Übersetzung heißt es: »Wisse / lieber Leser / daß dieses Geistreichen Cardinais Testament / kein irrdisches / kein politisches / kein weltliches; sondern ein geistliches Testament / und also gar wohl zuläßig / ja höchst ersprißlich seye / auch allen und jeden Christen [...]; dann er giebet darinnen eine schöne Form und Weiß / wie man könne und solle gottsfürchtig leben / und sich hirdurch eigentlich zu einem glückseligen Todt bereiten.« (Johannes Bona: Vorbereitung zum Todt, S. 502). Auch bei Bonaventura findet sich die für das Glaubens-Testament typische Identitäts-Festlegung: »Solte aber jemahlen etwas von mir geredet / oder geschrieben seyn / welches mit diesem Glauben und Lehr nicht thäte übereinstimmen / (welches ich doch gewiß niemahlen wissentlich und bedachtsamb gethan hab) solches wil ich für nicht gesagt / oder geschrieben haben. Und wann hernacher dergleichen etwas / insonderheit in schwerer Kranckheit aus meinen Mund solte gehöret werden / diß alles verdamme / und verwerffe ich hiemit / und erkläre / daß dergleichen aus meines Hertzens Gemüth niemahl / mit Beystand Göttlicher Gnad / ohne welche ich nichts bin / noch vermag / könne herkommen. [...] Diß ist mein letzter Will / welchen ich durch Gottes Hülff niemahl zuverändem gedencke / aber wohl alle Tag zuemeuem / ja alle Augenblick meines Lebens.« (Johannes Bona: Vorbereitung zum Todt, S. 507f. und 518). Jean Joseph Surin: Poésies spirituelles suivies des Contrats Spirituels. Hg. ν. Etienne Catta. Paris 1957, S. 167-169. Vgl. auch Jacques Philippe Lalemant: Testament spirituel, ou Prière à Dieu pour se disposer à bien mourir [...]. Paris 2 1669. Die folgenden Zitate stammen aus Sigmund von Birken: Todes=Gedanken und Todten=Andenken: vorstellend eine Tägliche Sterb-bereitschaft und zweyer Christi. Matronen Seelige Sterb-Reise. Nürnberg 1670, S. 335f.

322 drucken. Da ich auch hierinn gefehlet / oder etwas übergangen hätte: so wollest du es doch / als wäre es in der besten Form gestellet / gültig seyn lassen / auch in deiner himlischen Canzley beylegen und bestätigen.

Die Wortwahl lässt erkennen, mit welchem juristischen Ernst dieses Glaubens-Testament zu verfassen ist: es wird »überreicht«, seine »Form« wird reflektiert, und die »himlische Cantzley« bewahrt es auf und »bestätigt« es. Wie das weltliche Testament in der Absicht verfasst wird, zu Lebzeiten die mit dem Tod in Verbindung stehenden Dinge zu regeln, über die Nachwelt zu bestimmen und den eigenen Willen über den Tod hinaus wirksam zu machen, strebt auch das Glaubenstestament an, noch im Leben das eigene Sterben im christlichen Sinne >ordnungsgemäß< zu erledigen und dadurch auf das persönliche postmortale Schicksal Einfluss zu nehmen. Der Meditierende schreibt sich auf diese Weise gleichsam ins Jenseits ein und sich selbst als gültige Identität fest, um sich selbst über den Tod hinaus zu bewahren. Weiter versichert das über den Tod meditierende Ich bei Birken: »Diß Testament will ich / solang ich / nach deinem Willen / noch leben werde / täglich stückweiß wiederholen/jede Stunde für meine letzte halten / auf die Himmel-Heimfart mich freuen und vorbereiten / und es nimmermehr aus meinem Gedächtnis lassen.« Jede Stunde des Lebens »für die letzte zu halten« bedeutet, die zukünftige Sterbestunde zur Lebensform zu machen und sie ins Leben zu verlegen. Das Glaubens-Testament »täglich stückweiß wiederholen« und »nimmermehr aus meinem Gedächtnis lassen« hat das Ziel, sich der festgeschriebenen, als authentisch befundenen Identität permanent zu versichern, um die erlangte consciousness im Sinne Lockes durch meditativ-ruminierende Wiederholung zu erhalten. Solte mir aber / an meinem Ende / Sinn / Witz und Verstand entgehen / und ich (welches aber du / mein getreuer Gott und Vatter / um JESU Christi willen / gnädiglich verhüten / und mir ein vernünftiges Ende verleihen wollest /) in Wahnwitz gerahten: so soll doch dieses mein Testament kräftig verbleiben / und du wirst mich / wie ich gewiß traue / vätterlich dabey erhalten und darnach richten.553

Das sich hier äußernde Bedürfnis, alles vom aktuellen Beschluss und dem eigentlichen Ich eventuell zukünftig Abweichende auf den Verlust von »Sinn / Witz und Verstand« zurückzuführen und für nichtig zu erklären, setzt eine meditative Selbst-Reflexion voraus - eine Selbstreflexion, die die Definition der >eigentlichen< Identität zum Ziel und Inhalt hat. Die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt die eigentliche Identität zu verlieren, nicht mehr sich selbst zu entsprechen und ein scheinbar anderer zu sein,

553

Auch das meditierende Ich in Surins Glaubenstestament betont, dass der jetzige, aktuelle testamentarische Beschluss im »contrat spirituel« der eigentliche und wahre Wille ist: »[...] j'annule et revoque tout autre testament que ie pourrais avoir fait déclarant nulles toutes les dispositions et volontés que ie puis avoir en ce qui me concerne, voulant que toutes telles autres dispositions contraires a la presente soient nulles et pour non advenues et cassées par ce present acte comme estant celuy-cy mon vray testament et ma dernière volonté [...]«. (Jean Joseph Surin: Poésies spirituelles suivies des Contrats Spirituels. Hg. v. Etienne Catta. Paris 1957, S. 167-169).

323 wird als Bedrohung empfunden, der durch die testamentarische Selbst-Verfügung entgegenzuwirken ist. Die essentiellen Elemente dieses vorgestellten >Glaubens-Testamentes< sind nicht originell, sondern lassen sich auch in anderen Texten unter ähnlichen Titeln wie z.B. Tägliches Testament / Eines Gläubigen Christen / Damit ein Christ sich täglich kan zum Tode bereiten554 ausmachen: Glaubensbekenntnis, Schuldbekenntnis, Bitte um Sündenvergebung und für die Erlösung, die Bekräftigung des Testaments als Ausdruck des festen und freien Willens, die Absicht, das Testament >im Gedächtnis zu behalten< und die Selbst-Festschreibung als definitiv sowie die endgültige Verbindlichkeit des Testamentes gehören zu den konstitutiven Elementen des Glaubenstestamentes.555 Dies könnte zum Einwand führen, dass dieses Glaubens-Testament kein Ausdruck individueller Identitätsbestimmung und Identitätsbewahrung ist, sondern einem Modell entspricht, das gerade nicht die Selbsterkenntnis und Selbst-Festschreibung im individuellen Sinne, sondern nur die Einfügung in eine vorgegebene Rolle bedeutet. Doch ist auch hier zu bedenken, dass dieses Testaments-Modell durch individuelle Meditation zum eigenen Testament des Meditierenden wird. Er vollzieht individuell für sich das in der Meditationsliteratur vorgegebene, über-individuelle Muster nach und macht es sich meditativ zu eigen. Unter dem Vorzeichen der Meditation schließen sich Rolle und Individualität, Modell und individueller Nachvollzug nicht aus. Zu den meditativ-testamentarischen Texten gehört auch ein Gedicht von Margarethe Susanne von Kuntsch mit dem Titel Als nach einem harten Creutzes=Sturme / bey zunehmenden Leibs=Beschwerungen / sie gedachte / daß ihr Gebeth also erhöret wäre/daß sie sterben würde 1685. An ihre liebste Freunde.556 Les't mein Gedichte durch / und schätzt ihrs wehrt zuhören II So singe mans den Tag der mir zun letzten Ehren II In dieser Zeit bestirnt / wo aber es nicht taug II So schaffet / daß es sey entzogen iedem Aug/ II Und ieder Läster=Zung / die so geneigt zu richten. II Ich selbst bekenne frey man find in den Gedichten II Gantz keine Zierlichkeit / darauff ich nie studirt/ II Die reine Gottes=Lieb hat hier den Kiel geführt/ II Und meine Gunst zu euch / damit ihr noch ein Zeichen II Von meiner Huld empfiengt / wenn längsten meine Leichen II In ihrem Grabe fault; Und ihr o werthes Paar/ II Ein Beyspiel / welches Sinns die treue Mutter war/ // Folgt dem Exempel nach / liebt euren Gott und Tugendt/ // Beziert mit keuscher Zucht den Wandel eurer Jugend/ // Kehrt von der Eitelkeit euch zu dem Ewgen hin/ // So werd't ihr einsten gehn wohin ich gangen bin.

554

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Henricus Ammersbach: Tägliches Testament / Eines gläubigen Christen / Damit ein Christ sich täglich kan zum Tode bereiten / der Welt absterben / seine Seele / Leib / Freunde und gantze Christenheit Gott befehlen. Halberstadt 1666. So auch in der oben zitierten deutschen Übersetzung des Glaubenstestaments von Johannes Bonaventura]: Vorbereitung zum Todt. Oder Geistliches Testament Cardinais Bona. In: Friedericus Mibes: Dreyfaches Ordens=Band / Oder Gründliche / eigentliche / und wohlgeordnete Nachricht / Beweiß und Underricht / Wichtigkeit / Observantz / und Schuldigkeit / auch Nutzbarkeit / Verdienst und Vortrefflichkeit / deren drey heiligen Ordens=Gelübden [...]. Köln 1710, S. 503-520. Margarethe Susanne von Kuntsch: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720, S. 16f.

324

Der Titel des Gedichtes legt einerseits die Sprechsituation des lyrischen Ich fest: Es sind Worte auf dem vermeintlichen Sterbebett. Er nimmt zudem Bezug auf den der Gedichtsammlung vorangestellten selbstverfassten »Lebens=Lauff« der Autorin und lässt das Sprechen des lyrischen Ich als Sprechen der Autorin erscheinen. Das Jahr 1685, so Kuntsch in ihrem »Lebens=Lauff«, ist durch schmerzliche Ereignisse geprägt: Nur vier Tage nach der Geburt stirbt ihre Tochter Johanna Blandina, wenige Wochen später ihr Sohn Christoph Friedrich im Alter von sieben Jahren - »Welche bey de geschwind auf einander erfolgte Todes=Fälle mich schmertzlichst betrübet«, kommentiert die Autorin. Zwar hat sie bis zu diesem Zeitpunkt schon neun Kinder zur Welt gebracht (sie wird Mutter von insgesamt vierzehn Kindern, von denen letztlich nur Margarethe Elisabeth das Kindesalter überlebt), doch sind damals nur noch zwei von ihnen - Margarethe Elisabeth und Dorothea Friederica - am Leben. Die Gedichtüberschrift lässt mit dem Hinweis auf das nun vielleicht von Gott erhörte »Gebeth« auch den seit längerem gehegten >erlaubteninaußerhalb< des Ich, es lebt »an« ihm. Es ist mit ihm über den meditativ vergegenwärtigten Tod hinaus unmittelbar verbunden, haftet ihm an und kann dennoch vom lyrischen meditierenden Ich aus der Selbstdistanz der Selbstbeschreibung im Epitaph betrachtet werden. Eine Individualitätsthematisierung, die die spezifischen Charakteristika des Epitaphs als Textgattung sowie die spezifisch lyrisch-poetischen und meditativen Strukturen reflektiert und sich zunutze macht, ist in dem dreißig paargereimte Verse umfassenden Gedicht Epitaphe de l'Autheur515 von Pierre Patrix (1583-1671) zu sehen. Nachdem schon im Titel mit der Autorschaft im Doppelsinn von Gedicht-Autorschaft und Epitaphautorschaft gespielt wird, insistieren auch die ersten Zeilen auf der Identität zwischen Autor des Epitaphs und Begrabenem: »Passant, arrête un peu. Sous ces vers que tu lis, / Gisent de leur auteur les os ensevelis, / Qu'au bord de cette tombe, et tout prêt d'y descendre, / Lui-même il composa, pour en couvrir sa cendre: / Devoir triste et funèbre à ses mânes rendu, / Qu'il n'a, comme tu vois, de nul autre attendu.« (V. 1-6). Damit vertiefen sie die Anspielung auf die vier jeweils paarweise als identisch denkbaren Dimensionen von Gedichtautor auf der Metaebene des Gedichtes einerseits, Epitaphautor auf der textimmanenten Ebene andererseits, lyrischem Ich einerseits und dem Ich des Epitaphs anderseits. Auch die Sprechsituation wird in den ersten Zeilen festgelegt: Der Text bezieht den potentiellen und fiktiven das Epitaph lesenden Vorbeikommenden als unmittelbar angesprochenes Du ein. Für den »passant« muss beim Lesen des Epitaphs der Eindruck entstehen, der Tote im Grab spreche unmittelbar zu ihm. Die Ansprache des Du setzt ein ansprechendes Ich voraus. Da vom unter dem Epitaph Begrabenen nur in der dritten Person gesprochen wird, bleibt die Identität dieses Ich jedoch zweifelhaft. Die Epitaphe de l'Autheur thematisiert Identitätsbwusstsein somit ganz grundsätzlich durch die mangelnde Identitäts-Gewissheit des lyrischen Ich. Da in den ersten Versen die Identität

575

Zit. nach La poésie française de 1640-1680. Poésie religieuse, Epopée, Lyrisme officiel. Hg. v. Raymond Picard. Paris 1964, S. 156. S. Gedichtanhang.

332 von Epitaphautor und Begrabenem betont wird, ist zu schließen, dass das lyrische Ich bzw. das implizite Ich des Epitaphs sich im »Er« verfremdet oder sich von sich selbst distanziert. Dadurch wird der meditativ-lyrische Text als Meditation über sich selbst betont, das Ich oder besser: die eigene individuelle Identität ist Objekt der Betrachtung. Auch diese Perspektive auf sich selbst erfährt im Gedicht eine zusätzliche Dimension: Der »passant« als vorbeigehender Betrachter des Epitaphs doppelt das lyrische bzw. meditierende Ich als Selbstbetrachter, das sich ja explizit durch die Rede in der dritten Person vom betrachteten Ich distanziert. Und schließlich kann sich auch der Rezipient des auf Papier geschriebenen lyrischen Epitaphs mit dem textimmanenten am Grabstein vorübergehenden »passant« identifizieren. Das lyrische Ich betont, beim Verfassen des Textes >am Rande des Grabes< und >zum Herabsteigen bereit< gewesen zu sein. Diese Äußerung kann verstanden werden als topische Authentizitätsversicherung darüber, dass der Verfasser kurz vor seinem Tode die Zeilen entwarf. Eine interessantere Interpretationsvariante ergibt sich jedoch, indem man sie als Kontextualisierungstechnik deutet, die die Sprechsituation des lyrischen Ich unter das Vorzeichen der Todesmeditation stellt. Die nächsten vier Verse verdeutlichen die Intention der Grabschrift: »Des amis survivants l'oubliance ordinaire / Envers leurs amis morts l'obligea de le faire, / Sachant bien qu'une fois étant parti d'ici, / Les siens probablement en useraient ainsi.« (V. 7-10). Um dem üblichen Vergessen der überlebenden Freunde entgegenzuwirken, wird sie vom lyrischen Ich verfasst, in der Hoffnung, die Hinterbliebenen nutzten die Verse eines Tages als Epitaphtext. Der Wunsch, die Erinnerung an sich selbst zu erhalten, motivierte den fiktiven Dialog mit dem Vorbeigehenden am Erinnerungsort des lyrischen Ich. Die folgenden Zeilen manifestieren den beabsichtigten Konventionsbruch, der mit diesem Epitaphgedicht verbunden ist: »N'attends pas, néanmoins, Passant, qu'il te convie / D'apprendre ses vertus, ni son nom, ni sa vie, / Ce qu'il fut dans le monde ou ce qu'il ne fut pas, / La perte que son siècle y fit à son trépas, / Ni, bref, comme en laissant la terre désolée, / Tout d'un coup sa belle âme au Ciel s'en est allée. / Nouvel astre, augmenter les feux du firmament: / Ridicules discours, jargon de monument, / qui ne met point ici dessus sa sépulture / Pour le faire passer à la race future« (V. 11-20). Was das selbst geschriebene Epitaph von anderen Epitaphien unterscheiden soll, ist das Durchbrechen der Erwartungshaltung. Der »Passant« wird nicht - wie im Epitaph üblich (s.o.), - ein Lob auf die Tugenden des Verstorbenen und seine weltlichen Verdienste zu lesen bekommen und soll auch nicht erwarten, etwas über den durch den Tod zu beklagenden Verlust für die hinterbliebene Nachwelt zu erfahren. Auch über sein Sterben soll nichts preisgegeben werden, wie sonst so oft vom beispielhaften Tod< des Verstorbenen zu berichtet werden pflegt. »Ridicules discours« sind das nach Ansicht des meditierenden Ich, für Denkmäler typische Redeweisen, die keinesfalls (»ne [...] point«) übernommen werden sollen. Zur Begründung dieses Entschlusses wird die Selbsterkenntnis des Ich angeführt: »II en sait trop l'erreur, et qu'en sincérité, / Il n'a, maudit pécheur, nul honneur mérité. / Au contraire, sans cesse endurci dans son crime, / De cent folles amours l'éternelle

333 victime, / Et l'infâme jouet de mille vanités, / Furent, de son vivant, toutes les qualités.« (V. 21-26). Der Akzent wird somit von der biographischen Selbstbetrachtung auf die Selbstbetrachtung im Sinne einer Gewissensbetrachtung verschoben. Das Ich hat sich in seiner Todesmeditation als Sünder erkannt, der diese Ehren und unaufrichtigen Schmeicheleien nicht verdient. Diese nüchterne Erkenntnis gipfelt in dem emotionalen Ausruf: »O qu'heureux mille fois le Ciel l'aurait fait naître, / S'il s'en fût corrigé comme il les sut connaître!« - das meditierende Ich würde sich glücklich schätzen, wenn diese Selbsterkenntnis korrigierende Funktion im Sinne einer Besserung gehabt hätte. An dieser Stelle wird das Ende dieser multiperspektivischen Selbst- und Identitätsbetrachtung angekündigt, der »passant« wird mit der impliziten Aufforderung entlassen, für das unter dem Epitaph begrabene (meditativ eingebildete) Ich zu beten: »Passe, va ton chemin, et t'assure aujourd'hui / Que c'est prier pour toi que de prier pour lui.« Das empfohlene Gebet steht auch gemäß des üblichen Ablaufes der Meditation am Ende der eigenen Betrachtung am Rande des Grabes, die durch das fiktive Weiterziehen des »passant« aufgelöst und beschlossen wird. Da der angesprochene Vorbeikommende am Rande des Grabes zugleich auch Spiegelung des betrachtenden Ich ist, erfolgt mit diesen Worten auch eine Selbstaufforderung zur Beendigung der Selbstbetrachtung - auch das selbstbetrachtende Ich am Rande des eigenen meditativ vergegenwärtigten Grabes soll nun seiner Wege gehen. 576 Das Epitaph spiegelt eine meditative Todesvision, die in Form eines Epitaphs zugleich die posthume Sprech-Reichweite durch einen fiktiven Dialog verlängert und das Erinnertwerden testamentarisch auf dem Grabstein als Erinnerungsort verfügt. Die Absicht, einen nicht den Konventionen entsprechenden Text zu verfassen, macht die Epitaphe de l'Autheur zum Zeugnis individueller Selbst-Erinnerung im Rahmen über-individueller Epitaphien- und Testamentstradition. Vor allem aber wird mit der Epitaphe de l'Autheur eine Individualitätsthematisierung im neuen Sinne deutlich: In ihr werden die lyrischen Ebenen und die Form des Epitaphs reflektiert und zum Spiel mit Identität genutzt. Das Epitaph, das die Thematisierung von individueller Identitätserhaltung erwarten lässt, thematisiert die Diffusion von Identität. Darin besteht das eigentlich Unkonventionelle und das Durchbrechen der Erwartungshaltung, das im Epitaphgedicht explizit angekündigt wird. In dieser Todesmeditation verschwimmen die Identitäten von Autor des Gedichtes, Autor des Epitaphs, lyrischem impliziten Ich, implizitem Epitaph-Ich, betrachtetem >ErIdentitäten< im sich als Individuum erkennenden meditierenden lyrischen Ich zusammengeführt: eine Individualitätsbetrachtung im Kaleidoskop der meditatio mortis.

576

Vgl. Kap. 3.4ff.

334 3.3.1.4 Zwischenbilanz II. Die in den Kapiteln 3.2.2 und 3.3ff. untersuchten Texte haben gezeigt, dass die Individualitätsbetrachtung im Rahmen der meditado mortis motiviert ist durch die sich an die Selbsterkenntnis als Dekompositum anschließende Betrachtung des Erhalts, der Rekonstruktion und der Einheit des (lyrischen) Ich als individualitätsbewusste Ganzheit. Diese Betrachtung vollzieht sich im Spannungsfeld zwischen der Perspektive aus räumlich-zeitlicher Distanz von sich selbst und der aus der Wendung in sich selbst resultierenden Innenansicht auf das, was das Selbst umgrenzt und konturiert. Sie ist individuelle Selbsterinnerung im Zusammenspiel innerlich-meditativer Momentaufnahme und äußerlicher Kontinuitätsbetrachtung, die durch den ebenso punktuell-präzisen wie permanenten Schlag der Gewissens-Uhr angesichts des meditativ vergegenwärtigten Todes initiiert und motiviert wird. Das meditierende Ich gewinnt ein Kontinuitätsbewusstsein in simultaner und verschränkter Retro- und Prospektive auf sich selbst, und die postmortale In-dividualität wird in manchen Todesbetrachtungen auch durch die betrachtende Aneignung eines von sich selbst gespaltenen anderen Ich vergegenwärtigt. Die Todesbetrachtung ist hier erinnernde Vergegenwärtigung von Zukunft und Ewigkeit, die von der Sorge um Individualitätserhaltung getragen ist. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Bedeutung von Testament und Epitaph als Betrachtungsmedien des Selbst-Erinnerns, des Erinnert-Werdens und der Erinnerungsbestimmung gegen individualitätsgefährdende Verwirrung, Verwechslung und Vergessenheit des meditierenden (lyrischen) Ich deutlich gemacht.

3.4 Curiositas: Meditative Selbsterforschung und meditatio mortis als Gefahr Interessanterweise werden in unserem Untersuchungszeitraum auch Stimmen laut, die vor den Gefahren der Meditation warnen. Diese Warnungen beziehen sich insbesondere auf Todes- und Gewissensbetrachtungen. In den Anleitungen zur Meditation oder exemplarischen Betrachtungen findet eine Auseinandersetzung über die >richtige< Art des Meditierens statt, die für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit besonders interessant ist - es ist zu untersuchen, ob sich nicht gerade hinter diesen so genannten Gefahren der Betrachtung Selbstthematisierung i.S. von Individualität und Erinnerung verbirgt. Der Diskussion um das richtige Meditieren soll deshalb im Folgenden besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Frage nach der die Beliebtheit der Meditation auslösenden >KriseKrisenpotential< der Meditation und dessen Implikationen für die meditative Lyrik.

577

Vgl. Kap. 1.3.2.

335 Während ein Lager der T h e o l o g e n und Verfasser meditativer Literatur mit aller Härte G e w i s s e n und Tod meditiert s e h e n w i l l und den Drohcharakter der Betrachtung unterstreicht, plädiert die zweite Fraktion im Sinne einer Warnung vor der >falschen< Meditation für die B a l a n c e z w i s c h e n D r o h u n g und Trost angesichts des e i g e n e n G e w i s s e n s und Todes und fordert >sanfteres< Betrachten. Toute une littérature s'est efforcée de conseiller et d'apaiser les âmes inquiètes en leur indiquant les meilleurs remèdes contre la paralysie du scrupule: éviter l'excès de mortification, [...] savoir distinguer les péchés mortels des péchés véniels et la tentation du consentement, ne pas ressasser le passé, ne pas recommencer des confessions faites d'un cœur sincère, ne pas répéter des prières où des distractions se sont glissées [...], ne pas avoir une idée orgueilleuse de soi et savoir regarder sans trouble ses imperfections [...].578 Vor allem also ist das wiederkäuende Insistieren auf bereits betrachteten und bekannten Sünden, Erinnerungen und Gewissenslagen zu vermeiden - die eigene Unzulänglichkeit soll zwar erforscht, betrachtet und bekannt werden, d o c h darf der Meditierende nicht in d i e s e m Stadium verharren, sondern soll »sans trouble« und im Vertrauen auf Gottes Gnade seine individuelle Unzulänglichkeit in der Meditation erkennen. A u c h in B e z u g auf das Objekt der Betrachtung ist Vorsicht geboten, s o Daniel D y k e : Hiebey muß man aber in acht nehmen / dass unsere Meditationes nicht allzu weit hergesucht / oder sonsten von abergläubischen Sachen hergenommen werden / denn weit gesuchte Ding / und welche sich auff das gegenwertige Objectum nicht schicken / pflegen keinen Nachdruck zu haben / und kommen gar bald aus dem Sinn und Gedächtnis. Was aber abergläubische Ding anlangt / wenn wir das Fundament unserer Meditation auff verbottene / oder von Gottes Warheit abführende Sachen setzen / oder uns sonsten allzuhoch darinn versteigen / so können wir uns leichtlich versündigen / und bringet der Seelen mehr Schaden als Nutz. 579 578

579

Jean Delumeau: Le Péché et la Peur. La culpabilisation en Occident (XlIIe -XVIIIe siècles). Paris 1983, S. 356. Lewis Bayly: Praxis Pietatis. Das ist: Übung der Gottseligkeit: Anfänglich in Englischer Sprache beschrieben / Durch Herrn D. Ludwig Baili [...]; Und über dreyssigmal gedruckt: Jetzt seiner Würde halb umbgesetzt / und hervor gegeben. Ander Theil / In sich begreiffend die fürtreffliche Übung gottseliger und andächtiger Meditation [...]. Sampt einer nützlichen Vorrede von Prüfung des Gewissens / und etlich schönen Exempeln solcher Betrachtungen. Aus dem Englischen und Frantzösischen in unsere Teutsche Sprache gebracht. Lüneburg 1635, S. 24. Ebenso Otho Casmannus: Homo Novus: Das ist / Geistliche Anatomey oder Betrachtung deß newen Menschen / in welcher / allein auß Gottes Wort / die schöne und lehrreiche Vergleichung deß natürlichen Leibs unnd seiner Gliedern / mit dem innerlichen geistlichen Leib / das ist / mit der Seel und ihren Krafften / angezeigt / und außführlich erklärt wird. Sampt beygefügten Erinnerungen und Gebetten [...]. Zu hochnothwendigem Underricht und Ermahnung unserer Lebensbesserung/ zu Befestigung unsers Glaubens: Wie auch zu bestendiger und sighaffter Gegenwehr wider die Anfechtungen deß Teufels / deß Fleisches und der Welt. Bern 1606, S. 442f.: »Wir müssen aber uns unsers Heyls zuversichern und gewiß zu machen / nicht thun wie etliche / die sich selbs examinieren unnd prüffen / ob sie werth seyen / dass sie Kinder Gottes sollen genendt werden. Dann dieweil kein Mensch dessen würdig ist / noch auch werden kann / so muß endtlich dieser Zweyfel ihnen zur Verzweyflung gerathen. Andere aber die discurrieren unnd forschen / ob sie von der Zahl der Außerwehlten seyen / und ob ihre Namen in dem Buch deß Lebens geschriben standen / auff dass sie wissen möchten / ob sie Gott liebe / und für seine Kinder halte. Aber wir müssen nit so hoch steigen / sonder uns halten zu der Lehr deß heiligen Evangelii [...] und uns darauß gewiß machen sollen / ob uns Gott geliebet hab / ob er uns noch hebe / und uns für seine kinder in Jesu Christo halte.«

336 Maßhalten und (Selbst-)Beschränkung in jeder Hinsicht gehört zu den Regeln der >guten< Meditation - ein »excès«, das übermäßige Meditieren insbesondere über die Vier letzten Dinge, birgt Gefahren. Joseph Hall macht eine Einschränkung hinsichtlich der Quantität der Meditation: »[...] it is with meditations as with medecines, which, with over-ordinary use lose their sovereignty and fill instead of purging.«580 Bemerkenswert ist, dass hier die generelle Forderung, ständig zur Meditation bereit zu sein und sie zur sich Disposition zu machen, zurückgenommen wird - anscheinend liegt in der >ständigen< Meditation eine Gefahr. Crasset gehört zu denjenigen, die der permanenten meditatio mortis kritisch gegenüberstehen: Er hält es im allgemeinen für gefährlich, während des gesamten Lebens an dessen Ende zu denken - er hält es nicht für >gesundrichtige< Antwort der geistlichen Tochter ab, sondern entlässt sie ohne verbindliche Zusage aus der Tugend-Übung: Drumb lese täglich diese woch diß Capitel wie gesagt ist, damit du mir endlich auff die vorgehaltene Frag recht antworten könnest. Doch hüte dich vor allen dingen, so du villeicht etwas schließen wöltest, dass du ie nichts gelobest, noch dich verbindest, biß du zuvom dich mit deinem Beicht-Vatter besprochen habest. 585

Die Verantwortung für diese schwierige bzw. erst noch zu erarbeitende Antwort kann nicht der »geistlichen Tochter« allein überlassen werden. Der Beichtvater soll sowohl Aufrichtigkeit als auch Rechtmäßigkeit der »endlich« erbrachten Antwort kontrollieren. Um jegliche Gefahr zu bannen, trägt Spee der Befragten den Gesang eines Liedes auf. Der Gesang, so formuliert er an anderer Stelle, »erquicket« und »ergetzet« dann, wenn die in der Betrachtung möglicherweise ausufernden Affekte wieder gezügelt werden sollen.586 »Nun will ich's schließen, vnd dir deine ruh lassen, das du dich bedenckest: vnterdessen magstu gleichwol folgende verß beherzigen, vnd mit deinen gespielen singen.«587 Interessanterweise ist den Ergebnissen Fechners zufolge Spees Trutz-Nachtigall - die sich im Unterschied zum Güldenen Tugend-Buch nicht allein an Frauen wendet - nicht für den Gesang, sondern als Lektürebetrachtung konzipiert.588 Es stellt sich somit auch hier die Frage, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf meditative Gefahrdung und Gefahrenbewältigung gibt.589 Betrachtende Lektüre scheint bei Spee als ein vornehmlich >männliches< Meditationsmodell zu gelten, während Frauen vor den >Gefahren< der meditativen Lektüre durch den Gesang bewahrt werden sollen.590 Eine Gefahr der Meditation besteht auch darin, dass ihr traditioneller Ort die Einsamkeit ist - nicht zuletzt deshalb rät Spee wohl hier zum gemeinsamen Gesang mit den »gespielen«. Zwar bewahrt die Meditation vor dem gefährlichen Müßiggang in einsamen Stunden - doch das Fehlen von Gesellschaft kann den Meditierenden auch zu Fall bringen oder ihn im Fall hilflos machen. Dowman formuliert diese Skepsis gegenüber der Ambiguität der einsamen Betrachtung: Wir müssen uns mit sonderbarem Fleiß hüten für Müssiggang und Einsamkeit / und hergegen alle unsere Zeit theils zu den Wercken der Gottseligkeit / als beten / lesen / und andächtiger Betrachtung / theils zu guten Wercken unsers rechtmässigen Beruffs anwenden / und uns fleissig halten

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589 590

Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch, S. 346. Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch, S. 170, 173 und 327. Friedrich von Spee: Güldenes Tugend-Buch, S. 346; zum Verhältnis von Gesang und Betrachtung s. die Ausführungen in Kap. 4 zum pietistischen Lied. Jörg-Ulrich Fechner: Friedrich Spee »poeta sacer et doctus«. Zur geistlichen Dichtung in der Trutz-Nachtigall. In: Friedrich von Spee. Dichter, Theologe und Bekämpfer der Hexenprozesse. Hg. v. Italo Michele Battafarano. Gardolo di Trento 1988, S. 63-100, hier S. 75f. Vgl. auch Kap. 1.3.3. Vgl. dazu auch meine Ausführungen zum Verhältnis von Andacht und Gesang im Pietismus des 18. Jahrhunderts in Kap. 4.

Vgl

338 zur Gesellschafft solcher Leut die mit Christlicher Weißheit begäbet sind / und uns zur Zeit der Noth mit einem erbaulichen und tröstlichen Wort dienen können. Dann Müssiggang bereitet den Menschen zu allen Versuchungen / und macht das Hertz gleich einem ungebauten Grund / daß es zu nichts bequem ist als zu dem Unkraut der gottlosen Eingebung des Satans. Die Einsamkeit bringt in diesem Fall gar ein grosses Weh [...]. Dann wann ein schwacher Christ in dem Kampff der Versuchungen fallet / so hat er niemand der ihm außhilfft / da bekompt er in dem Gewissen eine Wunde nach der andern / sintemal er ist ganz untüchtig einigen Widerstand zu thun. 591

Andacht und Betrachtung sollen demnach nicht die gesamte Zeit beanspruchen, sondern neben »guten Wercken unsers rechtmässigen Beruffs« und der »Gesellschafft solcher Leut die mit Christlicher Weißheit begäbet sind« stehen. Das Verhältnis zwischen Einsamkeit und Geselligkeit würde sonst zum Missverhältnis geraten. Er stellt die zeitlich übertriebene Meditation hier sogar in die Nähe des Müßiggangs, der das Herz zu einem »ungebauten Grund« macht. Die Einsamkeit verursacht zumindest beim »schwachen Christen« Hilflosigkeit gegenüber dem eigenen Gewissen, in das in diesem Zustand »eine Wunde nach der andern« geschlagen wird. Zentraler Punkt bei der >richtigenungefáhrlichen< Meditation ist die Ausgewogenheit zwischen der Betrachtung des gerecht-strafenden und des gütig-erlösenden Gottes, zwischen Drohung und Trost. Charles Drélincourt legt den Akzent deutlich auf den Trostcharakter, indem er seine meditatio mortis mit den Worten Consolations de l'âme fidèle contre les frayeurs de la mort [...] betitelt. Die meisten Autoren betonen die Notwendigkeit der Rücksichtnahme auf die individuellen Bedürfnisse der Meditierenden - prinzipiell sei auf individuelle Angemessenheit zu achten. Nachdem Bayly zuvor davor gewarnt hatte, sich in der Meditation »allzuhoch [...] zu versteigen« oder »allzu weit hergesuchte« Betrachtungen zu praktizieren (s.o.), rät er im Sinne einer Warnung vor zu wenig freiheitsbewusster Meditation denjenigen, denen seine in »eilff Staffeln« aufgeteilte Meditationsstruktur »dunckel«, d.h. zu schwer verständlich erscheint, sich durch diese anscheinende Komplexität nicht beirren und »peinigen« zu lassen. Denn solcher weiß werden wir nichts außrichten / und werden nur überdrüssig werden: Und ist dannenhero in acht zu nehmen / dass dißfalls niemand an gewisse Reguln gebunden / denn die Übung und Gewonheit bringet eines und anders mit sich / und ist genug / dass einer ihme die Materi tieff einbilde / und sein Hertz / Begierden und affecten rechtschaffen auffmuntere / so wird sich das übrige wol geben. 592 591

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John Dowman: Christen=Kampf (in das Teutsche übersetzt und angehengt an Wilhelm Perkinsii Tractätlein von deß Menschen natürlichen Gedancken. In: Spener, Philipp Jacob: Drey Christliche Predigten von Versuchungen / sonderlich von der Anfechtung böser / gottloser und lästerlicher Gedancken / mit welchen Glaubige Kinder Gottes offters zu kämpffen haben [...]. Frankfurt a.M. 1673, S. 499. Lewis Bayly: Praxis Pietatis. Das ist: Übung der Gottseligkeit: Anfänglich in Englischer Sprache beschrieben / Durch Herrn D. Ludwig Baili [...]; Und über dreyssigmal gedruckt: Jetzt seiner Würde halb umbgesetzt / und hervor gegeben. Ander Theil / In sich begreiffend die fürtreffliche Übung gottseliger und andächtiger Meditation [...]. Sampt einer nützlichen Vorrede von Prüfung des Gewissens / und etlich schönen Exempeln solcher Betrachtungen. Aus dem Englischen und Frantzösischen in unsere Teutsche Sprache gebracht. Lüneburg 1635, S. 50. Vgl. auch Anthony Low: Love's Architecture. Devotional Modes in Seventeenth-Century English Poetry. New York 1978, S. 40.

339 Pierre le Moyne warnt in seiner Schrift La Devotion aisée, »Que la vraye Devotion doit estre proportionnée à l'estat & aux devoirs de chacun«.593 Daraus ergibt sich für ihn die Konsequenz, daß »tout qui n'est pas de cette forme, quelque belle apparence qu'il y ayt d'ailleurs, tout ce qui n'est pas dans cette mesure, de quelque étendue qu'il soit au delà, est une non-valeur qui couste, est une surérogation laborieuse & superflue, qui n'est point accepté de Dieu, & ne sert de rien à faire une personne devote.«594 Ebenso vertritt Crassei die Meinung: Was für den einen Sterbenden gut und richtig ist, kann dem anderen schädlich sein. Der (meditative) Umgang mit dem Tod erfordert Einfühlungsvermögen und ist auf individuelle Bedürfnisse abzustimmen: Tout n'est pas bon à toutes sortes de personnes; et ce qui est salutaire en un temps ne l'est pas en un autre. Il faut traiter les gens de bien autrement sur les pecheurs. Les premiers doivent estre consolés et les derniers intimidez. Les motifs de crainte sont bons à ceux-cy avant la confession; mais après il ne leur faut proposer que des motifs d'espérance, de consolation et d'amour; 595 La crainte est bonne pendant la vie, mais elle est dangereuse à la mort, principalement lorsqu'elle est eccessive; puisqu'elle trouble l'esprit, resserre le cœur, & l'empêche de produire les actes d'esperance & d'amour, si nécessaires en ce temps là: outre que le demon s'en sert pour jetter une ame dans le desespoir, en lui représentant l'enormité de ses crimes, & la liguer des Jugemens de Dieu. 596

Einschüchterung und Drohen sind nicht in jedem Fall geeignet, die rechte meditatio mortis herbeizuführen. Und wenn, dann sind Drohen und Warnen nur vor der Sündenbekenntnis bzw. Beichte angebracht - hat der Sterbende seine Sünde bekannt, müssen Hoffnung, Trost und Liebe die Vorbereitung auf den Tod thematisch bestimmen. Angstinduzierung angesichts des (meditierten) Todes kann bei manchen Menschen sogar dazu führen, die verzweifelte Seele dem Teufel in die Arme zu treiben, so der Jesuit. Wer das individuelle Maß der Meditation überschreitet, der bleibt in seiner Frömmigkeit nicht etwa nur erfolglos, sondern begibt sich auch in den Bannkreis der Sünde. Selbstbetrachtung und Todesmeditation des 17. Jahrhunderts bargen demnach Komponenten, die zur Verselbständigung der Betrachtung tendierten und sich vom vertrauten memento mori des Mittelalters zunehmend entfernten.

3.4.1

Die Feindin der memoria

Die hier exemplarisch vorgeführten Positionen, die konfessionsübergreifend in der meditativen Literatur des 17. Jahrhunderts immer wieder vorgebracht werden, lassen sich - wie im Folgenden gezeigt werden soll - auf einen gemeinsamen Nenner bringen: auf die Warnung vor der Gefahr der curiositas in der Meditation. Sie, und

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Pierre Le Moyne: La Devotion aisée. Paris 1652, S. 26. Pierre Le Moyne: La Devotion aisée, S. 28f. Jean Crasset: La douce et la sainte mort. Paris 1680, S. 263. Jean Crasset: Preparation à la mort. [...] Revûe & augmentée de nouvelles Préparations. Paris 5 1690, S. 73f.

340 nicht etwa das Vergessen, ist die Feindin der memoria: »In terms of mnemotechnic, it constitutes both >crowding< - a mnemotechnical sin because crowding images together blurs them and thus dissipates their effectiveness for orienting and cuing - and also randomness, having backgrounds without any order and thus without any >routes< (a problem that will inevitably lead to >errorUnordnung< im Gedächtnis, eine abschweifende Ziel- und Strukturlosigkeit. Sie trägt aber auch die Bedeutung des Sich-Verlierens in der Neugier,598 in der Gott-vergessenen Eigenmächtigkeit. War in dieser Arbeit bisher bei der Frage nach Individualität und Erinnerung die Perspektive des meditierenden Ich auf sich selbst in der (lyrischen) Todesmeditation als Wechselspiel von Wendung zu und Distanznahme von sich selbst bestimmend, so könnte man bei der curiositas in diesem strukturellen Sinne vom Verlust des betrachtenden Weitblicks und der Perspektive des übergeordneten, festen Standpunktes sprechen. Im Spannungsfeld dieser beiden möglichen Begriffsbedeutungen, unordentliche Ziel- und Strukturlosigkeit< und >Neugiergefährlichen< Todesmeditation und Selbstbetrachtung nachzugehen sein. Bereits in Kapitel 1.3.2 wurde angesprochen, dass die Notwendigkeit des starren Befolgens der Meditationsstruktur von Autoren wie François de Sales und Joseph Hall eingeschränkt wurde. Dass die Warnung vor zu peniblem Einhalten des Betrachtungsablaufs den Warnungen vor > strukturlosen Meditation nicht widerspricht, sondern ebenfalls auf die Abwendung der Gefahr der curiositas zielt, wird in der Introduction à la vie dévote von François de Sales deutlich. Im Kontext dieser Meditationsanleitung finden sich zudem auch Hinweise darauf, dass insbesondere weibliche Meditierende als anfällig für die Gefahr der curiositas galten. Wollte man das von François de Sales entwickelte Programm zur Einführung in die »vie dévote« beschreiben, so wäre vor allem die Vorsichtigkeit und Sanftheit in der meditativen Beschäftigung mit sich selbst hervorzuheben sowie eine betonte Freiheit im Umgang mit der Abfolge und Durchführung der Meditationsschritte: Selbsterforschung und Selbstzerknirschung ja - aber bitte nicht zu heftig, Orientierung an einer bestimmten meditativen Vorgehensweise ja - aber bitte nicht zu rigoros, imaginative Vergegenwärtigung ja - aber nicht unbedingt als unerfahrene Meditierende. 599 François de Sales zeigt sich als >Ignatius von Loyola für zarte 597

598

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Mary Carruthers: The Craft of thought: Meditation, Rhetoric, and the Making of Images, 400-1200. Cambridge MA 1998, S. 11. Die curiositas leitet sich ab von der lateinischen cura, der Sorge, Pflege oder Vorsichtigkeit. Im positiven Sinne kann sie deshalb auch »geistige Aufmerksamkeit bedeuten, erscheint dann aber eher unter dem Synonym der sollicitude (Mary Carruthers: The Craft of thought, S. 99). Zum Stellenwert der Imagination bei de Sales s. Philippe Legros: François de Sales - Une poétique de l'imaginaire. Tübingen 2004. Neil Kenny: Curiosity in Early Modern Europe Word Histories. Wiesbaden 1998 (Wolfenbiitteler Forschungen 81). Kenny betont in ihrer Untersuchung der Wortgeschichte von >curiositas< in der Frühen Neuzeit den Aspekt der Neugier, übersieht aber die Bedeutung der curiositas als Gefahr für die memoria.

341

Seelensanfte< Vorgehen de Sales' in seinem Kapitel mit der bezeichnenden Überschrift »De la douceur envers nous mesmes«: L'une des bonnes prattiques que nous scaurions faire de la douceur, C'est celle de laquelle le sujet est en nous mesmes, ne despitant jamais contre nous mesmes ni contre nos imperfections; car encor que la rayson veut que quand nous faysons des fautes nous en soyons desplaisans et marris, si faut il néanmoins que nous nous empeschions d'en avoir une deplaisance aigre et chagrine, despiteuse et colere. 601

Die »douceur«602 (umschreibend zu übersetzen mit Sanftheit, Milde, Seelenruhe, geistige Süße) wird im 17. Jahrhundert als innere Tugend verstanden, die der göttlichen douceur nachzufolgen trachtet. Sie ist als »fleur de la charité« 603 sowohl auf den Umgang mit dem Nächsten als auch auf den Umgang mit sich selbst bezogen - wer »rien d'amer en soi« hat, d.h. wer ein gutes Gewissen und inneren Frieden behält, der kann auch gegenüber dem Nächsten nichts als douceur empfinden. Douceur kann auch in der Bedeutung >geistige Süße< verstanden werden - die Süße in der göttlichen Hinwendung zum Menschen soll als Süße im Verhalten und in der Haltung des Menschen Widerscheinen.604 Bei François de Sales ist die douceur deshalb ein zentraler Begriff, weil er die Voraussetzung für einen Seelenzustand ist, der alle äußeren Bedrängnisse des alltäglichen Lebens zu überwinden imstande ist, um zur dévotion als innerer Disposition zu gelangen. Bitterkeit, Ärger und Wut sind deshalb nicht zuletzt als Hindernisse der dévotion zu vermeiden. Mildes, sanftmütiges und seelenruhiges Verständnis für die eigene Unvollkommenheit soll davor bewahren, dass die Meditation sich selbst den Weg versperrt, indem sie zu übertriebener Selbstzerknirschung und Selbstbetrübnis führt. Il faut donq avoir un deplaysir de nos fautes qui soit paisible, rassis et ferme; car comme un juge chastie bien mieux les meschans faysant ses sentences par rayson et en esprit de tranquilité,

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S. dazu Thomas Schueller: La femme et le Saint. La femme et ses problèmes d'après S. François de Sales, Paris 1970, S. 10. François de Sales: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 21961, Bd. 2, S. 12. Eintr. douceur. In: Dictionnaire de Spiritualité. Ascétique et Mystique. Doctrine et Histoire. Hg. v. Charles Baumgartner u.a. Paris 1937-1986, Sp. 1674-1685, Sp. 1681ff. Ausführlicher E. Hugon: Le Rôle de la douceur dans la vie spirituelle. In: Vie Spirituelle 18 (1928), S. 541-550 und A. Gardeil: Le don de piété et la béatitude de la douceur. In: Vie Spirituelle 35 (1933), S. 30-39. Vgl. François de Sales: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 2 1961, Bd. 2, Teil 3, Kap. VIII. und IX. Zur geistigen Süße s. Friedrich Ohly: Geistige Süße bei Otfried. In: ders.: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung. Darmstadt 1977, insbes. S. 97, 113 und 118.

342 que non pas quand il les fait par impétuosité et passion, d'autant que jugeant avec passion, il ne chastie pas les faustes selon qu'elles sont, mais selon il est luymesme; ainsy nous nous chastions bien mieux nous mesmes par des repentances tranquilles et constantes, que non pas par des repentances aigres, empressees et choleres, d'autant que ces repentances faittes avec impétuosité ne se font pas selon la gravité de nos fautes, mais selon nos inclinations. 605

Ruhige und beständige Buße ist erstrebenswerter und wirkungsvoller als bittere, verkrampft eifrige Reue und Raserei. Wer die innere Ruhe bewahrt, wer bedauert und bereut, ohne über sich selbst zu verzweifeln, tut sich nicht nur selbst einen Gefallen, sondern fördert auch den Erfolg der Selbsterforschung und die Behebung des Sündenübels, das mit klarem Kopf und nicht mit blinder Leidenschaft angegangen werden muss. Die wahre, ernsthafte und >effektive< Reue ist das Ziel der meditativen Selbsterforschung, nicht etwa ein inszeniertes Klagespektakel, das zwar laut und heftig, aber im Resultat mangelhaft verläuft. Anhand eines pädagogischen Beispieles illustriert François de Sales den meditativen Umgang mit sich selbst: Croyes-moy, Philothee, comme les remontrances d'un pere faittes doucement et cordialement, ont bien plus de pouvoir sur un enfant pour le corriger que non pas les choleres et courroux; ainsy, quand nostre cœur aura fait quelque faute, si nous le reprenons avec des remonstrances douces et tranquilles, ayans plus de compassion de luy que de passion contre luy, l'encourageans a l'amendement, la repentance qu'il en concevra entrera bien plus avant et le penetrerà mieux que ne feroit pas une repentance despiteuse, ireuse et tempestueuse. 606

Das meditierende Ich muss mit sich selbst ebenso verständnisvoll und pädagogisch rücksichtsvoll umgehen wie ein verständiger Vater mit seinem Kind - »douceur«, »cordialité« und »tranquillité« vermögen mehr auszurichten als »choleres et courroux« und jähzornige, ärgerliche und heißblütige Ausbrüche. Die väterliche Rolle François de Sales' gegenüber dem zu erziehenden >Kind< Philothee erscheint hier gespiegelt auf Philothee übertragen zu werden: Sie selbst muss wie ein erzieherisch geschickter Väter mit der eigenen Seele als ihrem >Kind< umgehen. Das meditierende Ich soll aufgrund seiner Sündhaftigkeit mehr Mitleid als Verzweiflung empfinden und dem Herz zu neuem Gottvertrauen und neuem Zutrauen zur eigenen Tugendfertigkeit aufhelfen: Relevés donques vostre cœur quand il tombera, tout doucement, vous humiliant beaucoup devant Dieu pour la connoissance de vostre misere, sans nullement vous estonner de vostre cheute, puisque ce n'est pas chose admirable que l'infirmité soit infirme, et la foiblesse foible, et la misere chetifve. Detestes néanmoins de toutes vos forces 1'offence que Dieu a receue de vous, et avec un grand courage et confiance en la misericorde d'iceluy, remettes-vous au train de la vertu que vous avies abandonnée. 607

Wo Schwachheit ist, ist keine Stärke zu erwarten, und wo nur Armseligkeit herrscht, sollte man kein Vermögen suchen. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Begriffe >faiblesse< und >infirmité< im 17. Jahrhundert unverblümt und auffallend

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François de Sales: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 21961, Bd. 2, S. 13. François de Sales: Introduction à la Vie dévote, Bd. 2, S. 13f. François de Sales: Introduction à la Vie dévote, Bd. 2, S. 12-15.

343 häufig zur Charakterisierung des Weiblichen herangezogen werden.608 Physische und moralische Schwäche werden nicht nur von den bereits erwähnten »antiféministes religieux« recht selbstverständlich den Frauen zugeschrieben. 609 Es könnte sich deshalb hier um einen speziell auf die Frauen ausgerichteten Rat handeln, ob ihrer Schwäche und moralischen Gebrechlichkeit nicht zu verzweifeln. Nimmt man diese Beobachtung ernst, so lässt sich die von de Sales propagierte »douceur« im Umgang mit sich selbst nicht so sehr als Rücksichtnahme auf allgemein-menschliches, sondern auf speziell-weibliches Ungeniigen deuten. Vor allzu selbstkritischer Vertiefung in sich selbst ist nach Ansicht de Sales' nur zu warnen - Ungeduld und übertriebene Wissbegierde in Bezug auf die Selbsterkenntnis soll Philothee vermeiden. Immer wieder betont François de Sales auch, dass das Erkennen des Übels bereits die halbe Heilung bedeutet und deshalb im Rahmen der Selbsterforschung kein Anlass zur Verzweiflung gegeben ist: [...] examinons donq nostre conscience si nous remarquerons en nous quelques [...] defautz. Mais notés, Philothee, qu'il ne faut pas faire cet examen avec inquietude et trop de curiosité; ains après avoir fidelement considéré nos deportemens pour ce regard, si nous treuvons la cause du mal en nous, il en faut remercier Dieu, car le mal est a moitié guéri quand on a descouvert sa cause. Si, au contraire, vous ne voyes rien en particulier qui vous semble avoir causé cette secheresse, ne vous amuses point a une plus curieuse recherche, mais avec toute simplicité, sans plus examiner aucune particularité. 610

Die den Philothees zugeschriebene Einfalt soll durchaus bewahrt bleiben, und so ist alle »plus curieuse recherche« zu vermeiden und stattdessen »avec toute simplicité, sans plus examiner aucune particularité« vorzugehen. Hier drängt sich durch das auffällige Insistieren de Sales' auf die zu bewahrende »simplicité« der Philothee der Verdacht auf, dass die grenzen- und schrankenlose Selbsterforschung als Gefahr gesehen wird, der Kontrolle des Mentors zu entgleiten. Dem (Bedürfnis nach) Wissen um sich selbst müssen, so scheint es, Grenzen gesetzt werden. Die an den Bereich der Wissenschaft und das Gelehrtentum erinnernden Begriffe >rechercheexaminer< und >particuliarité< entsprechen nicht den Fähigkeiten der Philothee, die hübsch auf dem Niveau ihres simple désir bleiben soll. Die Orientierung am Mentor und die Befolgung seiner Anweisung ist deshalb besonders wichtig: »[...] faites ce que je

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S. Thomas Schueller: La femme et le Saint. La femme et ses problèmes d'après S. François de Sales, Paris 1970, S. 267ff. Vgl. Linda Timmermans: L'Accès des femmes à la culture (1598-1715). Un débat d'idées de Saint François de Sales à la Marquise de Lambert. Paris 1993, S. 644. Die physische und moralische Schwäche wird z.B., so Timmermans, von Jean Chéron in seinem »Examen de la théologie mystique« (1657) herangezogen, um die Begabung und das Interesse der Frauen für die Mystik zu erklären bzw. abzuwerten. S. auch Eintr. femme. In: Dictionnaire de Spiritualité. Ascétique et Mystique. Doctrine et Histoire. Hg. ν. Charles Baumgartner u.a. Paris 1937-1986, Sp. 132-151, Sp. 140 und 145. François de Sales: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 21961, Bd. 2, S. 163.

344 vous diray«, heißt es im Anschluss knapp und deutlich.611 François de Sales steht mit seinem Misstrauen gegenüber der curiosité nicht allein - auch seine Zeitgenossen bemängeln die wachsende oder >anmaßende< Neugier besonders des weiblichen Geschlechts. »La curiosité est considérée comme un défaut typiquement féminin. Ce thème de la curiosité féminine - >dont Eve est la figure emblématique< - remonte très loin, on le sait: lieu commun de la satire antiféminine au moins depuis le Moyen Age, il n'a rien perdu de sa force au XVIIe siècle.« 612 Der Jesuit René de Ceriziers beschwert sich über das besonders die Religion betreffende »pourquoy ceci & pourquoy cela? les Dames mesmes ne sont pas exemptes de cette démangeaison si naturell à leur sexe, qui leur fait auoir plus souuent le cerueau sur la langue, que le fuseau sur les doigts.« 613 Die Unterdrückung dieser Neugier ist das vorrangige Ziel in der religiösen Erziehung der Frauen, um die weiblichen christlichen Tugenden nicht zu gefährden: Die Wissbegierde steht der Bescheidenheit, der Zurückhaltung, der Einfalt und der Frömmigkeit entgegen, aus denen die Frauen »doivent faire une profession plus particulière«.614 Im Dienste dieser Tugenden soll sich auch Philothee nach dem Willen ihres Mentors der Neugier und Wissbegierde enthalten, auch - oder insbesondere dann? - , wenn es sich um das Wissen um sich selbst handelt. Dass François de Sales ausgerechnet im Rahmen der meditativen Selbsterforschung auf die Gefahr der curiosité zu sprechen kommt, lässt vermuten, dass die auf sich selbst bezogene Neugier besonderer Führung und Grenzziehung bedarf. Die weibliche curiosité könnte der meditativen Beschäftigung mit sich selbst eine >beängstigende< Tendenz zu einer säkularen, egozentrischen statt theozentrischen Betrachtung verleihen. Meditative Selbsterkenntnis wäre dann nicht mehr Mittel zum Zweck der Gotteserkenntnis, sondern geriete zum Selbstzweck, der sich im Bewusstsein der eigenen Individualität selbsterinnernd erfüllt. Im Zusammenhang mit der Gefahr allzu curiöser und akribischer Selbsterforschung ist ein weiterer >typisch weiblichen Charakterzug von Bedeutung: Frauen scheinen nach Ansicht François de Sales' in besonderem Maße für Selbstkritik disponiert zu sein. »Notamment les femmes« neigen dazu, allzu hohe Ansprüche an die Wahrhaftigkeit und Echtheit ihres Gottesdienstes zu stellen und sich darüber zu betrüben, dass sich Sinn, Gefühl und innige Zärtlichkeit des Herzens nicht in zufrieden stellendem Maße an der Meditation beteiligen wollen. Das Gefühl spiritueller >Trockenheit< und >Unfruchtbarkeit< sollte jedoch, so der spirituelle Mentor, nicht zur Selbstverwerfung verleiten, sondern in ihrem besonderen Wert erkannt werden: Der erkämpfte Dienst an Gott, der angesichts der Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit dennoch geleistet wird, ist ein Beweis der Beständigkeit und Treue: 611 612

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614

François de Sales: Introduction à la Vie dévote, Bd. 2, S. 163. Linda Timmermans: L'Accès des femmes à la culture (1598-1715). Un débat d'idées de Saint François de Sales à la Marquise de Lambert. Paris 1993, S. 733. René de Ceriziers: La Sainte Curiosité, ou questions curieuses, sur les principaux articles de la foy, mystères de la religion, & cérémonies de l'Église. O. O. 1643, Préface, o. Pag. C. Du Pérou: Mémoires sur Madame de Maintenon recueillis par les Dames de Saint-Cyr. O.O. 1846, S. 276.

345 C'est donq un grand abus de plusieurs, et notamment des femmes, de croire que le service que nous faisons a Dieu, sans goust, sans tendreté de cœur et sans sentiment soit moins aggreable a sa divine Majesté, puisqu'au contraire nos actions sont comme les roses, lesquelles bien qu'estans fraisches elles ont plus de grace, estans néanmoins seches elles ont plus d'odeur et de force: car tout de mesme, bien que nos œuvres faittes avec tendreté de cœur nous soyent plus aggreables, a nous, dis-je, qui ne regardons qu'a nostre propre delectation, si est-ce qu'estans faittes en secheresse et stérilité, elles ont plus d'odeur et de valeur devant Dieu. Ouy, chere Philothee, en tems de secheresse nostre volonté nous porte au service de Dieu comme par vive force, et par consequent il faut qu'elle soit plus vigoureuse et constante qu'en tems de tendreté. Ce n'est pas si grand cas de servir un prince en la douceur d'un tems paisible et parmi les delices de la cour; mais de le servir en l'aspreté de la guerre, parmi les troubles et persecutions, C'est une vraye marque de constance et fidélité.615 Gott bewertet d e n g e l e i s t e t e n Gottesdienst nicht n a c h >weiblichen< M a ß s t ä b e n , sondern nach >männlichen< - nicht umsonst führt François de Sales hier für dieses Missverständnis ein veranschaulichendes Beispiel aus der >ästhetisch-weiblichen< Welt der B l u m e n und des organischen Lebens, für das richtige Verständnis des D i e n stes an Gott hingegen eines aus der Männer-Welt des Militärs an. Nicht w e i b l i c h e »douceur«, »delices« und »paix« sind hier gefragt, sondern »aspreté« in »troubles et persecutions«, die wahre Standhaftigkeit und Treue auf die Probe stellen. Der Kampf u m wahre Gottesliebe 6 1 6 soll auch v o n Philothee mit >männlicher< Stärke geführt werden - aber, s o betont François de Sales auch - mit >weiblicher< Einfühlsamkeit, Vorsicht und Gelassenheit. A u c h das Verhalten nach d e m meditativen Herzensgebet muss Rücksicht auf das zerbrechliche (weibliche) Herz nehmen. W i e ein Krug, angefüllt mit den meditativen Erfahrungen, ist es vorsichtig vor sich her zu tragen, u m nicht durch unachtsame Stöße die durch die Meditation 6 1 7 evozierten G e f ü h l e und A f f e k t e zu >verschüttenTod zu Lebzeiten< in der Meditation haben Anteil an einem mentalitätsgeschichtlichen Phänomen, das Delumeau als ein pathologisches Schuldgefühl beschreibt: Les documents [...] ne font ils pas clairement apparaître une angoisse pathologique devant le jugement de Dieu, une surenchère de scrupules, une rumination mentale du péché (originel, mortel ou veniel), une fixation sur la mort? Le diagnostic s'impose alors d'une névrose collective de culpabilité [...]. Par névrose de culpabilité on entend ici >la déviation religieuse et pathologique d'un Christianisme qui focalise son message sur le rappel du péché et qui se rétrécit en dispositif de lutte contre luiassiègent< l'esprit, s'imposent au sujet, l'entraînement dans une lutte inépuisable contre lui-même [...]. Il se débat dans d'incessants examens de conscience, se livre à une escalade de mortifications, fixe son regard intérieur sur la pensée de la mort. 625

Der pathologische Befund ergibt sich demnach aus der Potenzierung des Gewissenszweifels, aus der Fixierung auf den Todesgedanken und der Ausschließlichkeit und Permanenz, mit der Gewissen und Tod ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden.626 Diese Beobachtungen stellen die bisherigen Ausführungen und Ergebnisse, aber auch die Meditation in ein neues Licht: in das dunkle Licht der Melancholie. Um mögliche Verbindungslinien zwischen (Todes-)Meditation, Gewissen und Melancholie in unserem Untersuchungszusammenhang aufzudecken und in einem folgenden Schritt auf die Gefahr der curiositas zu beziehen, soll zunächst Robert Burtons im Jahr 1621 erschienene und allein bis 1651 (Ausgabe letzter Hand) fünf Mal aufgelegte Anatomy of Melancholy herangezogen werden. Burton sieht seine Schrift aus zweifachem Grunde motiviert: Zum einen schreibe er >aus eigener Erfahrung < und habe die Melancholie am eigenen Leibe erfahren: I write of Melancholy, by being busie to avoid Melancholy. [...] When I first tooke this taske in hand [...] this I aymed at; [...] to ease my minde by writing, for I had gravidum cor, foetum caput, a kind of Impostume in my head, which I was very desirous to be unladen of, and could imagine no fitter evacuation then this. 627

Außerdem - und das ist in unserem Untersuchungszusammenhang von besonderem Interesse - handele es sich bei der Melancholie um eine regelrechte Volkskrankheit, so dass deren Thematisierung über das persönliche Interesse hinaus von Belang sei: Moved thereunto for the generality of it, and to doe good, it being a disease so frequent [...]. Being then as it is, a disease so grevious, so common, I know not wherein to doe a more generali service, and spend my time better, then to prescribe means how to prevent and cure so universali a malady, an Epidemicall disease, that so often, so much crucifies the body and minde. 628

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Jean Delumeau: Le Péché et la Peur, S. 332. S. auch den Band Aufmerksamkeiten. Hg. ν. Aleida Assman und Jan Assmann. München

2001. 627

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Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. Hg. ν. Thomas Faulkner, Nicolas Κ. Kiessling u. Rhonda L. Blair. 3 Bde. Oxford 1989, Bd. 1, S. 7. S. auch G. Williams: Mutability, Decay and Seventeenth Cebtury Melancholy. In: ELH 2 (1935), S. 121-150. Robert Burton: The Anatomy of Melancholy, Bd. 1, S. 110.

349 Zur Risikogruppe der Melancholie zählen neben den von ihrem Temperament her prädestinierten M e n s c h e n [...] such as are solitary by nature, great Students, given to much contemplation, idle, lead a life out of action, are most subject to Melancholy. Of sexes both, but men more often; yet women misaffected, are farre more violent, and greviously troubled. Of seasons of the yeare, the Autumne is most melancholy. Of peculiar times, old age, from which naturali Melancholy is almost insearable accident; but this artificiali Maladie is more frequent in such as are of a middle age. 629 S c h o n hier deutet sich mit d e m Verweis auf Kontemplation, Gelehrtheit und Einzelgänger ein Zusammenhang zwischen Meditation und Melancholie an: Kontemplation kann als methodisch ungeregelte bzw. entgrenzte Meditation umschrieben werden, die Meditationsliteratur wurde überwiegend von Gelehrten und Theologen verfasst, und die Einsamkeit ist häufig und traditionell der Ort der Betrachtung. Sie hat, so Burton, sowohl als Auslöser wie als S y m p t o m zu g e l t e n . 6 3 0 Voluntary solitarinesse is that which is familiar with Melancholy, and gently brings on like a Siren [...] Most pleasant it is at first, to such as are Melancholy given, to ly in bed whole daies, and keepe their chambers, to walke alone in some solitary grove, betwixt wood and water, by a brook side, to meditate upon some delightsome and pleasant subject, which shall affect them most. 631 J o h n B u n y a n s » P i l g r i m « wird v o r diesem Hintergrund als Melancholiker erkennbar: Er gieng auch zuweilen einsam ins Feldt spatzieren bißweilen lesend / bißweilen betend / und dergestalt brachte er meist seine Zeit zu. Es geschach auch / daß wan er im Felde herumb gieng / und seiner Gewonheit nach in seinem Buch lase / daß er in seinem Gemiithe beängstiget ward / und also unter dem Lesen / gleich wie zuvor in diese klägliche Wort ausbrach: Was soll ich thun / daß ich möge selig werden? 632 Narren sind gegen die Krankheit der Melancholie immun - u.a. deshalb, weil ihnen das Gewissen nicht schlägt. D a s Gewissen bzw. der Gewissensbiss ist d e m n a c h aus der Sicht Burtons Voraussetzung der krankhaften S c h w e r m u t . 6 3 3

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Robert Burton: The Anatomy of Melancholy, Bd. 1, S. 165. Robert Burton: The Anatomy of Melancholy, Bd. 1, S. 142. Robert Burton: The Anatomy of Melancholy, Bd. 1, S. 243. John Bunyan: Eines Christen Reise Nach der Seeligen Ewigkeit / Welche in unterschiedlichen ayvrigen Sinnen=Bildern Den gantzen Zustand einer Bußfertigen und Gottsuchenden Seelen vorstellet / In Englischer Sprache bescrieben Durch Johann Bunian [...] und nun umb seiner Fürtrefflichkeit willen in die Hochteutsche Sprache übersetzet Durch J.L.M.C. Hamburg 1694 [Engl.: The Pilgrim's Process], S. 4f. Vgl. Markus Schär: Seelennöte der Untertanen. Selbstmord, Melancholie und Religion im Alten Zürich, 1500-1800. Zürich 1985, S. 154f. Allerdings ist an dieser Stelle auch auf die Schichtspezifik der Melancholiegefahr zu verweisen - so kommentiert Schär in Bezug auf melancholiegefährdende Selbstzweifel bei den Reformierten: »Die Lehre der Kirche, das nur einer kleinen Zahl Auserwählter das Himmelreich versprochen sei, während der grosse Haufen verdammt bleibe, beeindruckt allerdings nur wenige Untertanen. Das von den Geistlichen immer wieder verkündete

350 Melancholiker seien häufig mager, welk, hohläugig und runzelig. Zu den körperlichen Symptomen der Melancholie zählen außerdem Blähungen und Bauchgrimmen, Rülpsen, Niedergeschlagenheit, Ohrensausen, Schwindelgefühl, Benommenheit, Schlaflosigkeit, Angstträume, phantastische Visionen und Wahrnehmungsstörungen, Zittern, Herzrasen, kalter Schweiß, Zuckungen, Kopfschmerzen, Mattigkeit, Frösteln und Heraustreten der Adern.634 Die Melancholie ist demnach eine Krankheit, die sich auf der Grenze zwischen Somatik und Psyche abspielt - damit erinnert sie stark an die in Kap. 3.1.2 und 3.2.Iff. thematisierte körperliche Dimension< des Gewissens in der meditativen Lyrik. Eines der wichtigsten Melancholiesymptome ist die Angst - eine Angst, die sich auf Gewissen und Tod bezieht. Melancholiker werden von Gewissensbissen gepeinigt, haben >kein Vertrauen in die Gnade Gottesvon ihrem baldigen Ableben überzeugt^635 Burton beschreibt nennt ein weiteres Charakteristikum des Schwermütigen: zum Profil des Melancholikers gehört sein Hang zu übersteigerter Identifikation, der den Meditierenden förmlich gefangen hält und an seinen »Geschäften« des alltäglichen Lebens hindert. Er empfindet ein [...] most incomparable delight, it is so to melancholize, to build castles in the ayre, to goe smiling to themselves, acting an infinite variety of parts, which they suppose, and strongly imagine they represent, or that they see acted or done [...]. So delightsome these toies are at first, they could spend whole daies and nights without sleepe, even whole yeares alone in such contemplations, and phantasticall meditations, which are like unto dreames, and they will be hardly drawne from them, or willingly interrupt, so pleasant their vaine conceipts are, that they hinder their ordinary taskes and necessary businesse, they cannot addresse themselves to them or almost to any study or employment [...].636

Diejenigen Betrachtenden, die die Disposition zur Melancholie besitzen, sind gefährdet, >falsch< im Sinne zu intensiver Identifikation zu meditieren. Die Meditation verselbständigt sich »wie ein aufgedrehtes Uhrwerk«637 und dreht sich um sich selbst, ruminiert wieder und wieder nichts als widerwärtige Betrachtungsgegenstände:

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Dogma, dass der Mensch aufgrund der Erbsünde von Geburt an nach dem Bösen trachte, bietet dem Volk vielmehr die willkommene Gelegenheit, sich von Schuldgefühlen zu entlasten. [...] Das Problem der Erwählung und Verdammung stellt sich deshalb für den Volksglauben kaum [...]. [Sie] glauben, durch das getreue Erfüllen ihrer religiösen Pflichten mit Gewissheit die Seligkeit zu erlangen. Deshalb beschränkt sich ihre Frömmigkeit auf das peinlich genaue Ausführen ritueller Handlungen: Sie bitten Gott morgens, mittags und abends um den Sehen, lesen gelegentlich in der Bibel oder in einem Andachtsbuch, meist allerdings ohne den Text aufzunehmen, und besuchen regelmässig die Kirche.« (Markus Schär: Seelennöte der Untertanen, S. 162). Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. Hg. ν. Thomas Faulkner, Nicolas Κ. Kiessling u. Rhonda L. Blair. 3 Bde. Oxford 1989, Bd. 1, S. 409f. Robert Burton: The Anatomy of Melancholy, Bd. 1, S. 410ff. Robert Burton: The Anatomy of Melancholy, Bd. 1, S. 243. Im Gegensatz zu dieser negativen Verwendung der Uhr-Metapher beschreibt Friedrich Spee das Uhrwerk sogar als vorbildliches Meditationsmodell. Dazu Jörg Jochen Berns: »Vergleichung eines Vhrwercks, vnd eines frommen andächtigen Menschens.« Zum Verhältnis von Mystik und Mechanik bei Spee. In: Friedrich Spee. Dichter, Theologe und Bekämpfer der Hexenprozesse. Hg. v. Iralo M. Battafarano. Trento 1988, S. 101-126 und Jens Maienhof: Die Uhrenkapitel im »Güldenen Tugend-Buch« als Grundmuster für die Frömmigkeit und die seelsorgerlichen Anliegen Friedrich Spees. In: Spee-Jahrbuch 7 (2000), S. 103-120.

351 [...] these phantasticall and bewitching thoughts, so covertly, so feelingly, so urgently, so continually set upon, creepe in, insinuate, possesse, overcome, distract and detaine them, they cannot say goe about their more necessary businesse, stave off or extricate themselves, but are ever musing, melancholizing, and carried along, [...] they runne earnestly on in this labarinth of anxious and solicitous melancholy meditations, and cannot well or willingly refraine or easily leave off, winding and unwinding themselves, as so many clocks, and still pleasing their humors, untili at last the Sceane is turned upon a sudden, by some bad object, and they being now habituated to such vaine meditations and solitary places, can endure no company, can ruminate of nothing but harsh and distastful subjects. 638

Der Meditierende als Subjekt der Betrachtung wird zu dessen Objekt, mitgerissen im Strudel der ruminatio, die ihn selbst zu ruminieren scheint. Diese der Meditation innewohnende Gefahr, so ist Burton bemüht zu betonen, stelle jedoch nicht den Wert der Betrachtung im allgemeinen in Frage: [...] this infernali plague of Melancholy seazeth on them, and terifies their soules, representing some dismall object on their mindes [...]. I may not deny but that there is some profitable Meditation, Contemplation, and kinde of solitarinesse to be embraced, which the Fathers so highly commended, [...]; a Paradise, a Heaven on earth, if it be used aright, good for the body, and better for the Soule [...]. 639

So sehr die >gefáhrliche< Meditation höllische Qual bedeutet, so sehr kann die >ungefáhrliche< Betrachtung ein Paradies auf Erden sein.

3.4.3 Neugieriges (Selbst-)Betrachten, Stehenbleiben auf dem Weg der Meditation und Erinnerungsstörung Wie ist nun diese Beschreibung der nach Burton der Meditation impliziten Melancholie-Gefahr mit der curiositas in Zusammenhang zu bringen? Am naheliegensten ist der Zusammenhang von Burtons Anatomy of Melancholy und curiositas im Sinne von >NeugierFeindin der memoria< im Sinne von >Unordnung< und >Strukturlosigkeit< ist die curiositas in Bezug zu setzen zur Meditation. Tod und Gewissen nehmen, so haben die zitierten Textpassagen gezeigt, eine zentrale Stellung innerhalb Burtons Anatomy of Melancholy ein. Zu betonen ist hier die Peinigung des Melancholikers durch nicht zu bändigende Gewissensbisse, seine übersteigerte Einbildungskraft in Bezug auf >abstoßende und widerwärtige Gegenstände< (»harsh and distastful subjects«) sowie seine Identifikationsbereitschaft, die Grundlosigkeit seiner Ängste und sein Mangel an Vertrauen in die Gnade Gottes. Diese von Burton beschriebenen Gefahren der Meditation resultieren aus der curiositas: Der Meditierende vollzieht die Struktur der Betrachtung nicht geordnet nach, sondern bleibt bei der meditatio mortis auf dem Weg von der Selbsterkenntnis zur Gotteserkenntnis auf halbem Wege - bei sich selbst - stehen. Entsprechend heißt es warnend, es sei »[...] das Aug allein auf Gott als die Quelle aller Tugenden / keines

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Johann Arndt: Vier Bücher vom wahren Christenthum, Buch II, Cap. 52. In: Philipp Jacob Spener: Drey Christliche Predigten von Versuchungen / sonderlich von der Anfechtung böser / gottloser und lästerlicher Gedancken / mit welchen Glaubige Kinder Gottes offters zu kämpffen haben [...]. Frankfurt am Main 1673, S. 365ff, hier S. 425. Zum Verständnis der Meditation in ihrer kontrollierenden, assoziationsbändigenden Intention s. Harald Tausch: Crux meditationis. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 3 6 8 ^ 0 1 , hier S. 394 und 396. Pierre Nicole: Traité de l'oraison divisé en sept livres. Paris 1679, S. 126.

355 W e g e s aber auf sich selbsten / oder auf andere aus eigener Liebe herrührende Ursachen zu richten / w i e hiervon mit mehrern zu erinnern.« 6 5 1 Der B l i c k in den Spiegel meditativer Selbsterkenntnis ist gleichsam ins N e g a t i v e verzerrt und scheint auf der Ebene der Erkenntnis eigener Sündhaftigkeit zu verharren. Seine Einbildungskraft 6 5 2 führt ihm in d i e s e m Spiegel als p a s s i v e m Selbstbetrachter »harsh and distastful subjects« vor Augen, mit denen er sich - kraft seiner übersteigerten Identifikationsbereitschaft - identifiziert. D i e Selbsterkenntnis ist bei i h m somit entweder nicht Stufe auf d e m W e g zur Erkenntnis Gottes, sondern Endpunkt der Meditation, oder aber sie nimmt ausschließlich Gottes Gerechtigkeit in den Blick und ist mit betrachtendem Blick auf den Tod blind für seine Gnade und die Erlösungstat Christi. Deshalb warnt Christian Scriver in s e i n e m

Seelen=Schatz-

Wir müssen so unsere Sünde betrachten / und uns darüber betrüben / dass wir den Sünden Büsser Christum Jesum nicht auß den Augen und Herzen verlieren; Man kann sich auch in der Traurigkeit über die Sünde versündigen / wenn man nemlich der Sachen zuviel thut / die Sünde grösser achtet als Gottes grosse Gnade / dem Betrübniß allzu sehr nachhänget / und darüber das Vertrauen zu Gott in Christo Jesu verlieret [...].653 Im übertriebenen »Nachhängen« hinter der e i g e n e n Selbsterkenntnis, das das Heil »auß den A u g e n und Herzen« verliert, verwirklicht sich das Gefahrenpotential der potenzierten Selbstbespiegelung, die in Kap. 3 . 1 . 2 bereits angesprochen wurde und auf die nun zurückzukommen ist: D i e Selbstbetrachtung soll begleitet werden von einer Meta-Meditation, 6 5 4 in der der Meditierende sich im Hinblick auf Selbstaufrich-

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Anonymus: Das Gespräch des Hertzens / oder Das eiferige Gebet / welches aus geistlichen Betrachtungen veranlasst in dem Sinne / sonder Rede / zu Gott geschicket wird. Psalm 19/15. HERR / laß die wolgefallen das Gespräch meines Hertzens / HERR mein Hort und mein Erlöser!. Nürnberg 1704, S. 68. Zur Bedeutung der Einbildungskraft in der Meditation s. Kap. 1.3.2 und 2.5. Der französische Katholik Louis du Pont betont in seinen »Méditations sur les mystères de la foy« die zentrale Bedeutung der Imagination für die Meditation: »[...] l'imagination, de laquelle l'on peut dire, que comme elle est und des grands obstacles à l'Oraison lorsqu'elle n'a point de frein, qui l'empeche de courir indifféremment après toutes fortes objets, elle y sert aussi beaucoup, quand elle s'arreste à nous tracer une vive image des choses que nous voulons méditer. Car c'est comme si elle s'attachoit à un lieu, d'où elle ne voulust point sortir, & qu'elle se rendist ainsi immobile, pour faire à l'Ame une peinture du Mystere qu'elle contemple. De là vient qu'il importe extrêmement, avant que de se mettre en prière, d'appliquer son imagination le plus fortement qu'il est possible, à former ces fortes d'images & de figures sensibles.« (Louis Du Pont: Méditations sur les mystères de la foy, traduites de L'Espagnol par le R.P. Brignor, de la même Compagnie. Paris 1708, S. 61f.). Christain Scriver: Seelen=Schatz / Darinn von der menschlichen Seelen hohen Würde / tieffen und kläglichen Sündenfall / Busse und Erneuerung durch Christum / Göttlichen Heiligen Leben / vielfältigen Creutz / und Trost im Creutz / seligen Abschied auß dem Leibe / Triumphirlichen und frölichen Einzug in den Himmel / und ewiger Freude und Seligkeit / erbaulich und tröstlich gehandelt wird. [...] 5 Teile. Leipzig 1675-1694, Der Ander Theil: Von der Büß und Bekehrung der sündhafften Seele, S. 403. S. dazu Kap. 3.1.2, dort auch die Anleitung zur Meta-Meditation des Katholiken François de Sales. Hier zur Illustration ein Ausschnitt aus Scrivers »Seelen=Schatz«: »Prüfet euch denn / meine liebe Mit=Christen / und untersuchet euer Hertz / ob ihr diese heilige Sterbens=Lust in

356 tigkeit und Gelingen der Selbstbetrachtung überprüft. Diese beständige, ruminierende Selbstbetrachtung der Selbstbetrachtung als Mittel gegen die Selbsttäuschung des meditierenden Subjekts impliziert aber ihrerseits die Gefahr der perspektivisch auf sich selbst beschränkten Wendung in und u m sich selbst: » D a n n j e m e h r man den Gedancken nach henget / j e weniger man sich derselben entschlagen kan / sondern ist wie in einen Labyrinth und verworren Gebäu v e r s c h l o s s e n . « 6 5 5 François de Sales warnt v o r einer solchen mise en abîme

der Selbstbezüglichkeit - bei der (Todes-)

Betrachtung gilt es meditierende Einfalt zu bewahren, statt sich in der komplizierten Vielfalt der >Meditation der Meditation< und der >Erinnerung der Erinnerung< zu verwickeln: Vouloir par de continuels retours sur nous-mêmes réfléchir sur nos actes intérieurs, ce seroit nous engager dans un labyrinthe d'où nous ne pourrions pas sortir. Outre que l'attention seroit insupportable, et la gêne cruelle, s'il falloit par des actes réfléchis nous replier continuellement sur nous-mêmes, et penser que nous pensons, considérer que nous considérons, voir que nous

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demselben findet? Ob ihr mit den andern Geschöpften Gottes euch in der Eitelkeit ängstet / und nach der seligen Freyheit / die uns verheißen ist / seufftzet? [...] Ob ihr von Hertzen suchet / was da oben ist / nicht nach dem was auf Erden ist? Ob euer Hertz himmlisch= oder indisch gesinnet ist? [...] Ob ihr auch zuweilen / in der Betrachtung euers Jesu / und des unerforschlichen und unaussprechlichen Reichthums seiner Liebe / [...] eine süsse Bewegung / heilige Lust und seliges Verlangen empfindet / bald bey ihm zu seyn [...]? Ob euch zuweilen auch die Thränen ausgebrochen / aus liebreichen Verlangen nach ihm?« (Christian Scriver: Seelenschatz, Fünffter und letzter Theil: Von der gläubigen Seelen Verlangen nach dem Ewigen / Vorbereitung zum seligen Tode / frölichem Abschied aus der Welt / seligen Einzug in den Himmel / und Geniessung der ewigen Seligkeit / außführlich und erbaulich gehandelt wird [...]. Leipzig 1694, S. 319). Ebenso folgende Meditationsanleitung: »Also sollen alle Knechte Gottes nach vollfiihrtem Gebet betrachten / ob sie einige Lässigkeit und Fehler darbey einschleichen lassen? Ob sie solche zu ändern verhoffen? Ob sie / so viel an ihnen ist / erhörlich gebetet / oder Gott vielmehr den Rücken zugewendet / das ist / ohne Aufmerckung und Andacht / mit Gott gesprochen zu haben / bekennen müssen? [...] Im Fall sie nun sich hierinnen etwan straffbar zu seyn bekennen müssen / soll die eiferige Reue / der beständige Vorsatz solche Fehler zu vermeiden / und dann das Gespräch mit Gott wieder angefangen werden.« (Anonymus: Das Gespräch des Hertzens / oder Das eiferige Gebet / welches aus geistlichen Betrachtungen veranlasst in dem Sinne / sonder Rede / zu Gott geschicket wird. Psalm 19/15. HERR / laß die wolgefallen das Gespräch meines Hertzens / HERR mein Hort und mein Erlöser!. Nürnberg 1704, S. 85). Philipp Jacob Spener: Drey Christliche Predigten von Versuchungen / sonderlich von der Anfechtung böser / gottloser und lästerlicher Gedancken / mit welchen Glaubige Kinder Gottes offters zu kämpffen haben [...]. Frankfurt am Main 1673, S. 364f. Vgl. auch Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. Hg. ν. Thomas Faulkner, Nicolas Κ. Kiessling u. Rhonda L. Blair. 3 Bde. Oxford 1989, S. 244: »[...] this labarinth of anxious and solicitous melancholy meditations« und Dyke, der das »self-deceiving« als Methode zu Erforschung von »les entortillements et detours infinis de ce labyrinthe obscur qu'est le cœur de l'homme« bezeichnet. (Daniel Dyke: The Mystery of Selfe-Deceiving. Or a discovrse and discouery of the deceitfulnesse of Mans Heart. London 1615, Vorwort, o. Pag.; der Titel der französischen Übersetzung lautete »La sonde de la conscience«. Zit. nach Jean Delumeau: Le Péché et la Peur. La culpabilisation en Occident (XlIIe-XVIIIe siècles). Paris 1983, S. 618). Zum Gefangensein in der melancholischen Reflexion innerer Bilder s. auch Markus Bauer: Melancholie und Memoria. Zur Theorie von Gedächtnisschwund und fixer Idee im 17. Jahrhundert. In: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400-1750. Hg. v. Jörg Jochen Berns und Wolfgang Neuber. Tübingen 1993 (Frühe Neuzeit 15), S. 313-330, S. 328f.

357 voyons, discerner que nous discernons, nous ressouvenir que nous nous ressouvenons. Dans cette confusion de pensées notre esprit s'entortilleroit de manière à ne pouvoir s'en démêler. 656 In ähnlicher W e i s e wird bei Johann Arndt diese gefährliche selbstreflexive Wend u n g ins e i g e n e Innere beschrieben - hier sind es vor a l l e m die konzentrischen Kreise des ins Wasser g e w o r f e n e n Steines, die das Kreisen u m sich selbst bildlich beschreiben: Wenn aber ein Mensch solchen Gedancken nachhänget / so werden auß einem wohl zehen böse Einfalle / gleich wie / wenn man einen Stein ins stillstehende Wasser wirfft / so machet der Stein einen Circkel / und aus demselben werden ihrer viel / biß die Circkel alle gar ans Ufer stossen / also wenn wir stehen bleiben mit unsern imaginationibus über einem solchen visirlichen Gedancken / so wird immer ein Circkel und bunte seltzame Grill / grösser als die andere / und kömpt offt wol der Satan dazu / der uns gern auß leiblichem Creutz eine geistliche Seelen=Angst zurichtet [,..].657 D i e Selbstthematisierung spielt sich auf z w e i u m sich selbst kreisenden E b e n e n ab: die Überprüfung des eigenen, als unergründlich erkannten G e w i s s e n s und die Überprüfung der dabei n o t w e n d i g e n Selbstaufrichtigkeit. D a s e i g e n e Innere wird nun als kaum endgültig zu ergründender Abgrund erfahren. S o heißt es über eine französische Katholikin, die sich in ihrer ausschließlich zu sich selbst g e w e n d e t e n Selbstbetrachtung förmlich u m sich selbst und spiralförmig in sich hineindrehte: Quand elle croit que la plûpart des confessions qu'elle a faites sont nulles et sacrilèges, ses scrupules et ses peines s'augmentent d'autant plus qu'elle voit par une fausses persuasion, que ce qui lui devoit servir de remède, la rend plus malade que jamais [...]. C'est ce qui arrive presque toujours; elle apporte un temps non seulement suffisant, mais encore beaucoup plus long qu'il n'est besoin, pour examiner ses péchés qu'elle écrit avec une exactitude extraordinaire, et pour s'exciter avec la grâce à une véritable et sincère douleur de les avoir commis: et néanmoins, lorsqu'elle s'est entièrement confessée, non seulement elle relit son papier où ses péchés étaient écrits, mais fait encore un second examen de conscience, plus long que le premier, pour scavoir si elle n'a rien oublié, si elle s'est expliquée sur toutes les circonstances; et comme elle est dans les sécheresses, elle s'imagine qu'elle n'a pas la contrition nécessaire, parce que la contrition n'a pas été sensible.658 656

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François de Sales: Traité de l'Amour de Dieu. In: ders.: Œuvres [Introduction à la Vie dévote, 1608; Traité de l'Amour de Dieu, 1616; Entretiens spirituels], Hg. v. A. Ravier unter Mitarbeit von R. Devos, Paris 1969. Johann Arndt: Vier Bücher vom wahren Christenthum, Buch II, Cap. 52. In: Philipp Jacob Spener: Drey Christliche Predigten von Versuchungen / sonderlich von der Anfechtung böser / gottloser und lästerlicher Gedancken / mit welchen Glaubige Kinder Gottes offters zu kämpffen haben [...]. Frankfurt am Main 1673, S. 425f. Colomban Gillotte: Le directeur des consciences scrupuleuses, examinant tous leurs scrupules et enseignant la manière de les guérir selon la doctrine de Gerson, des théologiens et des Pères de la vie spirituelle. Paris 1697, S. 198f. Delumeau bemerkt zur attritio/contritio-Diskussion der katholischen Gläubigen: »Les catholiques de l'époque classique - et encore du XIXe siècle - étaient invités à se demander si, en se confessant, ils éprouvaient des sentiments de >contrition< ou seulement >d'attritionbroyeé< par la contrition ou >brisé< par l'attrition? Telle n'était pas vraiment la question. En revanche, ils devaient s'interroger sur le motif de leur repentir: était-ce l'amour de Dieu (la contrition)? Ou, plus prosaïquement, la laideur du péché et la peur de l'enfer (l'attrition)? Cette dernière suffisait-elle pour obtenir le pardon de Dieu dans le sacrement de pénitence?« (Jean Delumeau: L'aveu et le pardon. Les difficultés de la confession [XlIIe-XVIIIe siècles], Paris 1990, S. 54).

358 Diese ruminierende, letztlich unendliche Selbstüberprüfung im Subjekt-Bewusstsein eigener Unergründlichkeit, die eigentlich die Gefahren der Meditation bewahren soll, birgt also zugleich ein Gefahrenpotential.659 Bleibt der Betrachtende auf dieser Ebene der Selbsterkenntnis als Stufe der Meditation stehen und verliert bei dieser spiralförmigen Wendung in sich selbst die auf Gotteserkenntnis gerichtete Perspektive der Erlösung, so erliegt er der curiositas, der bei der auf sich selbst bezogenen Neugier ohne die >ordentliche< Struktur ihr Ziel abhanden kommt: die Gotteserkenntnis und die mit ihr verbundene Erlösungshoffnung. In diesem Sinne ist die Warnung vor >zu viel< und >zu wenig< Struktur der Meditation zu verstehen: [...] we may not be too curious in a precise search of every >place< and argument, without omission of any (though to be fetched in with racking the invention). For, as the mind, if it go loose and without rule, roves to no purpose, so, if it be too much fettered with the gyves of strict regularity, moveth nothing at all. [...] when we stick in the disposition of any of the >places< following (as if, meditating of sin, I cannot readily meet with the >Material an Formal CausesAppendances< of it), we rack not our minds too much with the inquiry thereof, which were to strive more for logic than devotion; but without too much disturbance of our thoughts, quietly pass over to the next. If we break our teeth with the shell, we shall find small pleasure in the kernel. 660

Auch hier ist zu betonen, dass diese Äußerung Halls nur scheinbar den Warnungen vor der >strukturlos-unordentlichen< Meditation widerspricht. Obwohl es auch nach Auffassung Halls eine Struktur und Ordnung in der Meditation geben muss, um sich nicht »loose and without rule« auf dem Betrachtungspfad zu bewegen und die meditative Progression von der Selbst- zur Gotteserkenntnis zu gewährleisten, impliziert - so wird in der zitierten Äußerung Halls deutlich - auch das verkrampfte Befolgen dieser Regeln die Gefahr der curiositas als Unordnung. Sowohl das regellose Betrachten, das bei der Selbsterkenntnis (genussvoll) verharrt, als auch das angestrengte Insistieren mit der Absicht penibler Erfüllung der Meditationsstruktur kann die Progression der Meditation zum Stocken bringen und die Wendung in sich selbst zum endlosen Hineindrehen in sich selbst geraten lassen. Das »racking of the mind« im Dienste 659

660

Wohl aus diesem Grunde steht Fénélon jeglichem Versuch der Veräußerlichung des Inneren durch die Schrift skeptisch gegenüber: »J'ai toujours cru qu'il fallait parler et écrire le plus sobrement qu'on pourrait sur les voies intérieures. Quoiqu'elles ne renferment rien qui ne soit manifestement conforme à la règle immuable de la foi et des mœurs évangéliqes, il me paraît néanmoins que cette matière demande une espèce de secret.« (François de Salignac Fénélon: Explication des maximes des saints. In: ders.: Œuvres. Hg. v. J. Le Brun. Paris 1983, Bd. 1, S. 1001). Joseph Hall: Arte of divine Meditation (1606). In: Joseph Hall: A Meditation of Death: According to the Former Rules. In: Frank Livingstone Huntley: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study With the texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). Binghampton/ New York 1981, S. 88f. Ebenso François de Sales: »II vous arrivera quelquefois qu'incontinent après la preparation, vostre affection se treuvera toute esmue en Dieu: alhors, Philothee, il luy faut lascher la bride, sans vouloir suivre la methode q u e j e vous ay donnee; car bien que pour l'ordinaire, la considération doit preceder les affections et resolutions, si est-ce que le Saint Esprit vous donnant les affections avant la consideration, vous ne deves pas rechercher la consideration, puisqu'elle ne se fait que pour esmouvoir l'affection.« (François de Sales: Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 2 1961, Bd. 1, S. 83f.).

359 der »strict regularity« kann - w e n n sie als S e l b s t z w e c k geübt wird - gerade die »disturbance of thoughts« zur F o l g e haben, die es zu vermeiden sucht. D a s s das K o n z e p t der Occasional

Meditations

ausgerechnet auf Joseph Hall

zurückgeht, gewinnt vor d i e s e m Hintergrund eine neue Bedeutung: D i e >Zufällige Andacht< vermindert durch Einmaligkeit und inszenierte Zufälligkeit die Gefahr des insistierenden, strukturversessenen »wracking of the mind« und ist somit als >ungefährlichesblinden< Mann zurück. Doch sein mahnendes Exempel soll dem textimmanenten Christen und dem Rezipienten von The Pilgrim's Progress als Meditierendem stets »vor dem Gedächtnis schweben« und eine »ewige Warnung« sein. Eine zusätzliche Steigerung der Erfahrung eigener Unergründlichkeit und des Stehenbleibens bei sich selbst in der Meditation liegt in der ambivalenten Bewertung der Melancholie begründet, in ihrer notwendigen aber schwierigen Abgrenzung zur protestantischen >wahren Bußeguten< zerknirschten Gewissens von der gefährlichen Melancholie, die das auf dem Meditationsweg stehen bleibende Kreisen um sich selbst in der Selbstbetrachtung bei so manchem Meditierenden noch geschürt haben dürfte: First, when the conscience is troubled, the affliction is selfe in the conscience, and soin the whole man. But in Melancholy, the imagination is disturbed, and not the conscience. Secondly, the conscience afflicted, hath a true and certen cause, whereby it is troubled, namely, the sight of sinne, and the sense of Gods wrath: but in Melancholy, the imagination conceiveth a thing to be so, which is not so: for it makes a man feare and despaire upon supposed and fained causes. Thirdly, the man afflicted in Conscience, hath courage in many other matters: but the melancholike man feares every man, [...] yea himself, [...] feares, where there is no cause of feare. Fourthly,

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M. Georg Dedeken: Praxis Conscientiarum, Das ist: Grundliche Beschreibung nach allem Unterricht / Lehr und Trost / Wie mit zerschlagenen Gewissen und betrübten Hertzen in Anfechtungen und grossen Nöthen zu handeln / so wol den Angefochtenen selbst / als andern / die bey ihnen sind / sehr nütz= und tröstlich zu gebrauchen. [...]. Eißleben 1668, S. 5.

361 imaginations in the braine caused by Melancholy, may be cured, taken away, and cut off by meanes of Physicke: but the distresse of Conscience, cannot be cured by anything in the world but one, and that is the blood of Christ, and the assurance of Gods savour.664

Hinzu kommt, dass die Melancholie einerseits Auszeichnung und Kreuz der besonders Frommen ist, andererseits aber auch Konsequenz mangelnder Gotteserkenntnis und teuflischer Gedanken. 665 Melancholie kann eine göttlich verhängte Anfechtung sein - entsprechend beschreibt Johann Arndt die Melancholie als Krankheit der »liebsten Kinder Gottes«, 666 aber zugleich auch das Teuflische dieser Anfechtung, die den Gläubigen für seinen Glauben und die Schrift als protestantische Grundfeste blind werden lässt: Es wird ein Mensch in dieser Noth so tieff in den Unglauben gestiirtzet / daß er seines Glaubens nicht kan gewahr werden. Es zeucht sich alle Krafft deß Glaubens in einem Punct / und in einem unaußsprechlichen Seufzen darinn noch der Glaube ihm unwissende verborgen ist / und dieser verborgene Glaub ist denn sein Unglaub / und ist seine Hölle und Marter. Er kan in dieser Hölle nicht glauben / daß ihm Gott gnädig sey / [...]. Die Schrifft kan ihn auch nicht trösten / biß das Ungewitter fürüber ist. Da lasset dann GOTT dem Menschen seine Nichtigkeit sehen / was er an ihm selber sey / damit er gar zu nicht werde an allen seinen Kräfften: [...]. Ob nun wol ein Mensch in dieser Angst / Marter und Zagen offt ungedultig ist / ja auch lästert / so rechnets ihm Gott doch nicht zu / denn es geschieht wider den Willen des Menschen / und ist seine höchste Probe / dadurch ihn GOTT läutert / und die Sünde außfeget. Ja es sind keine grössere heiligen und liebste Kinder Gottes / denn eben diese / sie solche Probe und Züchtigung außhalten / als

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William Perkins: Three bookes of Cases of Conscience. In: The Workes of that Famous and Worthy Minister of Christ in the Universitie of Cambridge, Mr. William Perkins. Newly corrected according to his own copies [...]. 3 Bde. London 1616, Bd. 2, S. 47. Luther thematisierte die Melancholie im Sinne der Dialektik seiner Rechtfertigungslehre neu: »Die Dialektik der Melancholie nämlich besteht sowohl für Luther als auch für die sich an ihn anschließenden Seelsorger der Orthodoxie darin, daß sie zwar einerseits Folge der Tatsache ist, daß der Glaubende noch den alten Adam und damit die Sünde an sich trägt, daß die Melancholie aber andererseits Teil und Ausdruck der göttlichen Traurigkeit (2. Kor 7, 10) ist, die eine Reue zur Seligkeit wirkt, die niemand gereut. [...] In der Schwermut wird sinnenfällig, daß der Mensch noch durch die verderbliche Macht der Sünde bestimmt ist, gerechtfertigt aber darin ist, daß Gott ihn als dieser Prüfung würdig befindet und ihm verheißt, ihn zu trösten.« (Johann Anselm Steiger: Melancholie, Diätetik und Trost. Konzepte der Melancholie-Therapie im 16. und 17. Jahrhundert. Heidelberg 1996, S. llff.). Die von den Reformatoren der Melancholie zugeschriebene Zweideutigkeit als göttliche Anfechtung und Auszeichnung stützte die Neubewertung der Melancholie im 16. und 17. Jahrhundert als schöpferische Kraft, die insbesondere für Literatur und Lyrik von großer Relevanz gewesen sein dürfte. Sie erscheint aber weniger als Resultat der humanistischen Rehabilitierung, sondern vielmehr als eigenständiges, paralleles frömmigkeitsgeschichtliches und mit der Forderung nach Selbstbetrachtung in Verbindung stehendes Phänomen. Über die »extensive und zugleich systematische Inanspruchnahme der Phantasie« (Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit. 5 Bde. Bd. 2: Konfessionalisierung. Tübingen 1987, S. 164) in der katholischen Meditation nach Loyola bestand auch für die Katholiken unseres Untersuchungszeitraumes ein Anknüpfungspunkt an die >positive< Melancholie als einen Zustand, der sich u.a. durch ein gesteigertes Einbildungsvermögen auszeichnet. Die von Aristoteles und der Platonischen Akademie zuerkannte positive Kraft der Melancholie wurde somit im 16. und 17. Jahrhundert gleichsam sakralisiert. Zur Melancholie als schöpferischer Kraft s. auch Wolfgang Weber: Im Kampf mit Saturn. In: Zeitschrift für Historische Forschung 17 (1990), H. 2, S. 155-192, S. 117 und 126.

362 wir an Job / David und Jeremía sehen / denn diese lernen den Glauben in der rechten Schulen / die zarten Creutzflüchtigen heiligen meinen / sie wollen den Glauben auffpolstem ohne Creutz lernen. 667 M ö g l i c h e r w e i s e sind aus d i e s e m Grunde die Bekenntnisse melancholisch A n g e f o c h tener häufiger in der protestantischen als in der katholischen Literatur zu

finden,668

während die Warnungen und strategischen Meditationsanweisungen zur Vermeidung der curiositas

in mindestens ebenso großer Zahl in der katholischen Meditationsli-

teratur zu finden sind. Die Papstkirche nahm die freimütig bekundeten Seelenqualen der Reformatoren zum Anlass, diese Häretiker als verzweifelte, Wahnsinnige und Besessene darzustellen, deren Wirken nur ebenso Verderbliches zur Folge haben könne. Die Trauer der Protestanten bewies für sie, dass es mit dem vielgepriesenen evangelischen Trost doch nicht so weit her sein konnte und demzufolge die Trost- und Gnadenmittel der alten Kirche eben doch nicht obsolet waren. Im Gegenzug versuchte die evangelische Seite ihr Argument der angeblichen teuflischen Selbstgewissheit und besessenen Fröhlichkeit der Römischen auszubauen. 669 Daraus zu schließen, die Melancholie sei tatsächlich ein rein protestantisches Phänomen gewesen, wäre jedoch verfehlt, w i e auch die in diesem Kapitel zahlreich zitierten Textbelege zeigen. Vielmehr spiegelt die Polemik die unterschiedliche Deutung und Wertung der Melancholie durch die einzelnen Konfessionen. Der Verlust der Heilszuversicht wird bei den Katholiken bedeutend undifferenzierter negativ gedeutet: Das fürnembste / welches der Teufel mit aller macht procurieret / ist / daß er den Krancken möge zur Verzweiflung bringen / seitemal er waiß / daß solches die allergröste Sündt ist. Und zu solchem endt / führet er dem Menschen alßdann alle Sündt zu Gemüth / die er inn seinem Leben hat begangen / und vil Sündt / die er alberait hat gebeicht / uberredet er ihn / daß er sie nicht habe gebeicht. 670 667

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Johann Arndt: Vier Bücher vom wahren Christenthum, Buch II, Cap. 52. In: Philipp Jacob Spener: Drey Christliche Predigten von Versuchungen / sonderlich von der Anfechtung böser / gottloser und lästerlicher Gedancken / mit welchen Glaubige Kinder Gottes offters zu kämpffen haben [...]. Frankfurt a.M. 1673, S. 365ff. So z.B. Scriver: » Zum Beschluß müssen wir auch noch einen Bericht abstatten zum Trost denen bußfertigen Sündern / welche offt in die betrübte Gedancken gerathen / als wenn ihre Busse nicht rechtschaffen wäre / man erfahrt es offt / dass manche Christliche hertzen / wenn sie von der wahren Bsse und der rechtschaffenen Reue über die Sünde hören / wenn sie berichtet werden / wie das Hertz in der Busse zermalmet / zerknirschet und zuschlagen werde / wie die göttliche Traurigkeit durch Marek und Bein dringet / wann sie lesen von den vielen Threnen / und dem grossen Leid= wesen der Bußfertigen / welche uns in heiliger Schriff fürgestellet werden / ihnen einbilden / sie seyn noch nicht bekehret / ihre Busse müsse falsch und betrieglich seyn [...].« (Christian Scriver: Seelen=Schatz / Darinn von der menschlichen Seelen hohen Würde / tieffen und kläglichen Sündenfall / Busse und Erneuerung durch Christum / Göttlichen Heiligen Leben / vielfaltigen Creutz / und Trost im Creutz / seligen Abschied auß dem Leibe / Triumphirlichen und firölichen Einzug in den Himmel / und ewiger Freude und Seligkeit / erbaulich und tröstlich gehandelt wird. [...] 5 Teile. Leipzig 1675-1694. Ander Theil: Von der Büß und Bekehrung der sündhafften Seele, S. 400f.). Wolfgang Weber: Im Kampf mit Saturn. In: Zeitschrift für Historische Forschung 17 (1990), H. 2, S. 155-192, S. 164. Petrus de Medina / Egidius Albertinus [Übers.]: Das Buch der Warheit, München 1648, S. 166.

363 Insofern war für katholische Meditierende die Todes- und Selbstbetrachtung in doppelter Hinsicht gefährlich: Im Gegensatz zu den protestantischen und reformierten Gläubigen war es ihnen verwehrt, eventueller melancholischer Verzweiflung positive Aspekte abzugewinnen. Ein weiterer für die Frage nach Erinnerung in dieser Untersuchung besonders relevanter Aspekt bleibt noch in Bezug auf die curiositas als Gefahrenpotential der Meditation hervorzuheben: Die curiositas als wahre Feindin der memoria macht Gott vergessen, sie führt den Angefochtenen - so Christian Scriver in seinem Seelen=Schatz - in der Meditation zur partiellen Amnesie: 671 Ein gleiches Bewandniß hats mit dem Gedächtniß solcher angefochtenen Leute / sie vergessen manchmahl ihr Brodt zu essen / es will ihnen auch kein Spruch der Schrifft / der ihnen Trost geben könnte / einfallen / und wenn er ihnen schon fürgehalten wird / will er nicht bey ihnen hafften [...]. Hergegen fällt ihnen alles bey / klein und groß / alt und neu / was ihr Betrübniß zu vergrössern helffen kann / da müssen alle Sünden der jugend herfür / wie auch alle Fehler und Schwachheiten ihres Lebens / da kömmt ihnen in den Sinn alles / was sie ehmals von schrecklichen harten Dräuungen des gerechten Gottes / oder von erfüllung derselben in seinen Gerichten / von kläglichen Trauerfällen / von plötzlichen schnellen Tode / von Verzweifflung und Selbst=Mord gehöret / gelesen oder erfahren haben. 672

Der auf sich selbst beschränkte, ausschließlich zu und in sich selbst gewendete Blick der Selbsterkenntnis bedarf des Über-Blicks, der betrachtenden Distanznahme zu sich selbst. Er ist in seinem Wechselspiel mit der Wendung zu sich selbst nicht nur Bedingung der meditativen Selbstbetrachtung als Individuum, wie in den bisherigen Ausführungen gezeigt wurde, sondern auch Präventiv gegen die Ordnungs- und Ziellosigkeit der Meditation, die Gott >vergisstfalsch< Meditierende, so Scriver, eine gesteigerte Erinnerungsfähigkeit in Bezug auf sein Gewissen und auf Gottes strafende Gerechtigkeit, die ihm unaufgefordert »beyfällt«. Die Gefahr der Selbst- und Todesbetrachtung besteht in der Gedächtnis- und Erinnerungsstörung:

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S. dazu v.a. Markus Bauer: Melancholie und Memoria. Zur Theorie von Gedächtnisschwund und fixer Idee im 17. Jahrhundert. In: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400-1750. Hg. v. Jörg Jochen Berns und Wolfgang Neuber. Tübingen 1993 (Frühe Neuzeit 15), S. 313-330. Christian Scriver: Seelenschatz, Fünffter und letzter Theil: Von der gläubigen Seelen Verlangen nach dem Ewigen / Vorbereitung zum seligen Tode / frölichem Abschied aus der Welt / seligen Einzug in den Himmel / und Geniessung der ewigen Seligkeit / außführlich und erbaulich gehandelt wird. [...] Leipzig 1694, S. 872f. Scriver berichtet über eine angefochtene Meditierende folgendes: »Die Engelländische angefochtene Jungfer Sara Wights erzählet von ihr selber / dass sie in ihrem geistlichen Trübsal des morgens mehr als zwanzig Capitel aus der Bibel zu lesen pflegen / ob sie etwa zu ihrer Seelen Trost etwas finden könnte; Wenn ich lase / spricht sie; so überlaß ich die Verheissungen Gottes öffters / ich konnte aber nichts davon behalten / wenn ich aber nur einen Titel lase von Gerichten Gottes / das behielt ich / und konnte den Versickel anziehen / da es stund; Zuletzt erschrack ich über die Verheissungen / weil sie meines Bedünckens vor alle anderen waren / nur für mich nicht.« (Scriver, Christian: Seelenschatz, S. 860).

364 im Vergessen der Gottes- und im Nicht-Vergessen-Können der Selbsterkenntnis.674 Genau diese Ambivalenz impliziert auch die gefährliche curiositas im Gegensatz zu ihrem positiv konnotierten Synonym der sollicitude. Sie bedeutet »distraction, a sort of extreme remembering (both overly much and overly little)«.675 Die >gefährliche< Selbstbetrachtung mit Blick auf den Tod resultiert aus dem Zusammenspiel eines Zuviel und Zuwenig des Erinnerns. Ziel der folgenden Ausführungen ist es zu zeigen, dass die lyrischen Todesvisionen und Selbstbetrachtungen die curiositas als Gefahr der Meditation auf implizite oder auch explizite Weise mitthematisieren. 3.4.4 »II me plaît [...] de voir esteindre ma vie« die Lust der Selbstbetrachtung im Tod Eine lyrische Todesmeditation des Benediktiners Dom Simplicien Gody (1600-1660), betitelt als Stances im vierten Band der Honestes Poesies (1632),676 der seine »Muse funebre« enthält, illustriert in besonderer Weise diese implizite curiositas-Thematisierung auf dem Grat zwischen >gefährlichen und >ungefährlichen Meditation, verweist aber auch auf das Spiel mit dem selbstbetrachtenden Ein- und Überblick. Das Gedicht umfasst fünfundzwanzig vierzeilige im Kreuzreim stehende Strophen, Zwölfsilbler und Siebensilbler wechseln sich ab. Die ersten beiden Strophen formulieren die Rahmensituation des Gedichtes und charakterisieren es als intimes Bekenntnis an ein angesprochenes, dem lyrischen Ich nahestehendes Du: »Pvis que tu veux scavoir mes pensers & secrets, / Mes pleurs & doleances, / Pour joindre tes soupirs avecques mes regrets, / le t'en donne ces Stances. // Seront mes tendres pleurs meslez parmy les tiens, / Qui traceront ces lignes, / De nostre sainct Amour, & de nos entretiens / Les effects, & les signes.« Tränen, Schmerz und Sorgen werden für die folgenden Stances angekündigt, Folge und Zeichen der »entretiens« des lyrischen Ich mit dem Du. Hinter dem nicht weiter definierten Du könnte sich Christus verbergen, der in Gebet und Meditation vertraulicher Ansprechpartner sein will, dessen Seufzer des Kreuzesleids sich mit den Sorgen des lyrischen Ich vereinen und dessen Tränen sich unter die des Meditierenden mischen. In der Vereinigung der Tränen des lyrischen meditierenden Ich mit den Tränen des

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Bauer zeigt in seinem Aufsatz sogar die Bedrohung personaler Identität durch den melancholischen Gedächtnisschwund (Markus Bauer: Melancholie und Memoria. Zur Theorie von Gedächtnisschwund und fixer Idee im 17. Jahrhundert. In: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400-1750. Hg. v. Jörg Jochen Berns und Wolfgang Neuber. Tübingen 1993 (Frühe Neuzeit 15), S. 313-330, S. 323 und 325f.). Mary Carruthers: The Craft of thought: Meditation, Rhetoric, and the Making of Images, 400-1200. Cambridge MA 1998, S. 99. Dom Simplicien Gody: Les honestes poesies de Placidas Philemon Gody. Divisées en cinq Livres. Paris 1632, Muse fvnebre. Livre quatriesme, S. 154-159. S. Gedichtanhang.

365 angesprochenen Du deutet sich das meditative Mitleiden mit dem Gekreuzigten an,677 dessen Spur sich durch das Gedicht zieht (»traceront ces lignes«). Das Versprechen erfüllt sich in den nächsten sieben Strophen - das lyrische Ich beklagt sein »martyre«, das durch Leben und Tod gleichermaßen genährt wird. Der Tag-Nacht-Kontrast zieht sich als Motiv durch diese Klage: Las! qu'il y a long-temps que la vie & la mort / Fournissent mon martyre. / Et que plein de douleur ie vay tirant au port, / Où tout le monde tire. // La nuict m'emplit de dueil & me fait souspirer/ Des angoisses sans nombre: / Si i'ay du mal le iour, ie le voy s'empirer / Parmy l'horreur à l'ombre. // L'Aube n'a que des pleurs, außi bien mon sommeil / N'attend pas qu'elle vienne: / La nuict basse sa cousse, & mon mal sans pareil / N'arreste point la sienne. // Le iour fait comme l'Aube; & mes regrets tousiours / N'y sont que des nuages: / le tourne pour pleurer, mes longues nuicts en iours, / Et mes iours en ombrages.// Le branle continu de chacune saison / Ne tourne point ma chance; / Le temps dit-on, apporte à tout mal guerison, / Mais rien ne m'en dispense.«(V. 9-28).

Auffallend ist hier die inhaltliche und wörtliche Nähe zu den Bußpsalmen: Wie im ersten und zweiten Bußpsalm ist die Nacht mit Tränen und Leid verbunden. 678 Die Tage des lyrischen Ich sind wie »ombrages«, und auch der Psalmist beklagt, dass seine Tage »dahin wie ein Schatten« sind.679 Im Unterschied zu den Bußpsalmen 680 verspricht aber auch die Morgenröte keine Hoffnung mehr (»L'Aube n'a que des pleurs«), das Leid des Psalmisten ist im lyrischen Ich gesteigert, weder Tages- noch Jahreszeit vermag Linderung zu versprechen. Durch die Nähe zu den Worten des Psalmisten werden die Stances mit Sündenerkenntnis und Buße assoziiert, der in den ersten beiden Strophen anklingende Bekenntnischarakter wird damit betont und ausgeführt. Die Bußpsalmen treten als meditativer Bezugstext umso deutlicher hervor, wenn in der folgenden Strophe die Komplizenschaft der gesamten äußeren Welt gegen das lyrische Ich beklagt wird: »En fin de mes douleurs les morts & les vivans, / Tout le monde est complice: / Et mes tristes pensers, m'allant par tout suivans, / sont par tout mon supplice.« (V. 29-32). Auch in den Bußpsalmen gehört die Bedrängnis durch die »Feinde« und »Übeltäter« zur Grundkonstellation.681 Ebenso spielen Blind- und Taubheit auf den ersten und dritten Bußpsalm 682 an: »Le iour m'est importun, importuns les discours, / Importune la veue, / Et ce qui veut flatter mes ennuis, qui sont sourds, / Ratte moins, qu'il ne tue.« (V. 33-36). Neben der >mitsterbenden< Identifikation mit dem Gekreuzigten in den ersten Gedichtversen vollzieht das lyrische Ich hier auch ein >mitsprechendes< Identifizieren mit dem Psalmisten683 - der von Burton explizierte übersteigerte Hang des Melancholikers zu Imagination und Identifikation deutet sich hier an. Die Stumpfheit des Gesichts- und

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S. Kap. 3.2.2.2. S. Ps 6, 7; Ps 32, 4. Ps 102, 12. S. Ps 130, 6; Ps 143, 8. Vgl. Ps 6, 9 u. 11; Ps 38, 12 u. 20; Ps 102, 9; Ps 143, 3; Ps 143, 9; Ps 143, 12. S. Ps 6, 8; Ps 38, 11 u. 14f. S.Kap. 3.2.1.

366 Gehörsinnes markiert aber auch die Selbstreflexivität des meditierenden Ich, das sich auf sich selbst beschränkt, vom Außen abgrenzt und den Weitblick verliert und das Ziel der Betrachtung >vegisstLust< an Klage und Todesvorstellung offen aus, das gedankliche Kreisen um die Bilder des Todes durch Anspielung und Assoziation wandelt sich nun in ein offenes Auskosten der Bilder von Verwesung und Verfall in einer meditativen Todesvision. Das lyrische Ich schwelgt, um mit Burtons Anatomy of Melancholy zu sprechen, in der Selbstbetrachtung als »harsh and distastful subject«:684 Il me piaist de gemir, me plaindre & lamenter, / Et m'ennuyer de vivre, / Desseigner un tombeau, & tout seul feuilleter / Les plaintifs de ce Livre. // Il me plaist de rêver, songer, imaginer / Les ans que je regrette; / Et sur tout la saison, qui viendra me tourner / En un hydeux squelette.

Es >gefällt< dem lyrischen Ich zu klagen und zu stöhnen, sich dem Lebensüberdruss hinzugeben und sich ein Bild vom Grab zu malen, >ganz alleine< die Kümmernisse >dieses Buches< durchzublättern. Der Hinweis auf das Malen, die Einsamkeit und >dieses Buch< legt die Meditation als Rahmen fest, und die ganz selbstverständliche Nennung >dieses< Buches rekurriert auf die oben beschriebenen Anspielungen auf den Psalter bzw. die Passionsgeschichte. Das lyrische Ich genießt im Rahmen einer Todesmeditation die Erinnerung an die verflossenen Lebensjahre (»Les ans que je regrette«) und die Vorstellung der eigenen Verwesung als »hydeux squelette« auf der inneren Bühne der Meditation. Es gefällt ihm, De me fantaisier en ce temps définy / Quel sera mon visage, / Tenant en main la Croix, ou un cierge bény / Au poinct de ce passage. // Quels seront mes soupirs, mon sens, mon jugement, / Ma parole derniere, / Et la nuict qui fera par ce délogement / Ecclipser ma paupière. // Comme l'on s'en viendra tout autour de mon lict / Voir esteindre ma vie, / Ces Anges là sur tout, le Bon, & le maudit, / Qui l'ont tousjours suivie.// Comme i'expireray, mon Ame s'envolant/ De sa faible geôle: / Comme elle tombera dans un feu violant, / Ou ira sur le Pole. // le voy mon corps glacé, have, plombé, défaict, / Et tout méconnaissable: / I'oy comme on va disant, le pauvre homme! c'est faict, / Il a ioué sa fable. // Comme on m'ensevelit, comme on m'asperge d'eau, / Comme on me porte en terre, / Comme on ne me voit plus, logé dans un caveau, / Où la tombe m'enserre. // le me figure ainsi l'heure de cét abord, / Qui galoppe sans cesse. / Helas! comment vivrois-ie en ces ombres de mort, / Sans deuil & sans tristesse? 684

»[...] these phantasticall and bewitching thoughts, so covertly, so feelingly, so urgently so continually set upon, creepe in, insinuate, possesse, overcome, distract and detaine them, they cannot say goe about their more necessary businesse, stave off or extricate themselves, but are ever musing, melancholizing, and carried along, [...] they runne earnestly on in this labarinth of anxious and solicitous melancholy meditations, and cannot well or willingly refraine or easily leave off, winding and unwinding themselves, as so many clocks, and still pleasing their humors, untili at last the Sceane is turned upon a sudden, by some bad object, and they being now habituated to such vaine meditations and solitary places, can endure no company, can ruminate of nothing but harsh and distastful subjects.« (Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. Hg. v. Thomas Faulkner, Nicolas K. Kiessling u. Rhonda L. Blair. 3 Bde. Oxford 1989, Bd. 1, S. 244).

367 Das meditierende lyrische Ich versetzt sich mit Hilfe der Einbildungskraft (»fantaisier«) in die für es bestimmte Zeit hinein (»temps définy«) und stellt sich den eigenen »Anblick« (»Quel sera mon visage«) in diesem Moment des Übergangs (»Au poinct de ce passage«) vor. Nicht zu verleugnen ist die genussvolle Selbstinszenierung im meditativ eingebildeten Tod - die letzten Worte, die um das Sterbebett versammelten Freunde als Zuschauende und Kommentierende (»c'est faict, / Il a ioué sa fable«) und die beiden Engel unterstreichen den Spektakelcharakter des Todes, als dessen Hauptdarsteller685 sich das lyrische Ich gefällt, um zugleich als Zuschauer den eigenen Tod zu betrachten (»Voir esteindre ma vie«). Es wandert in diesen Versen auf dem Grat der gottvergessenden curiositas und verweilt genussvoll in der Selbstbetrachtung. Um dieser >gefahrlichen< Meditation nicht zu erliegen, betont das meditierende Ich die perspektivische Distanz zu sich selbst, die seinen in sich selbst gerichteten Blick hebt: Das lyrische Ich sieht sich selbst aus der Distanz des Betrachtenden (»Ie voy mon corps«), als Objekt eines heimlich Beobachteten Vorgehens (»I'oy comme on va disant«; »Comme on m'ensevelit, comme on m'asperge d'eau, / Comme on me porte en terre«). Deutlich wird die gleichsam vom Ich getrennte Beobachterposition bei der Vorstellung, begraben und deshalb nicht mehr sichtbar zu sein (»Comme on ne me voit plus«). Der eigene Tod wird in Bildern der Perspektive von außen imaginiert, als beobachte das meditierende Ich den Tod eines anderen - das Gefallen liegt in der Vorstellung, dieser Andere sei das Ich. Dennoch wird nicht nur die Außenperspektive des Todes, auch die Innensicht in der Meditation eingebildet: Seufzer als Gefühlsausdruck, Wahrnehmung und Urteilskraft gehören zum Spektakel auf der Innenbühne des Todes. Selbst-Erinnerung im Sinne einer Gewissensthematisierung klingt an, wenn vom guten und vom bösen Engel als beständigen Lebensbegleitern und die Rede ist und dezent die Frage nach Himmel (»Pole«) oder Hölle (»feu violent«) gestellt wird. Als wolle sich das lyrische Ich nach der Vorstellung des eigenen Todes als eines Zustandes ohne Trauer und Traurigkeit der eigenen lebendigen Leidens- und damit Empfindungsfähigkeit versichern, taucht es in den folgenden Strophen noch einmal lustvoll in die eigene Innensicht ein, die auch sprachlich durch die (Selbst-)Ansprache der eigenen Augen und des Herzens markiert wird: Pleurez mes yeux, pleurez, n'ecoutez point la voix / Qui vous en dissuade: / Qui lamente le moins, qui porte moins de Croix, / Est bien le plus malade. // Et toy mon cœur preBé, tristement languissant, / Dans le mal qui t'enyure, / Ne finy point ton deuil, ou bien le finissant, / Va commencer à vivre, // Ne t'amuse iamais aux fables d'icy bas, / Tu és en un voyage, / Où, c'est estre insensé de prendre ses ébas, / Et puis faire naufrage.

Das Kreuz Christi und die >Krankheit< des Psalmisten rufen zur Nachfolge auf - in der Hingabe an die eigenen Tränen des Leids bestärkt sich das lyrische Ich selbst 685

Zur Neigung des Melancholikers zur Aneignung von >Rollen< i.S. des Schauspielens s. Burton: »A most incomparable delight, it is so to melancholize, to build castles in the ayre, to goe smiling to themselves, acting an infinite variety of parts, which they suppose, and strongly imagine they represent, or that they see acted or done [...].« (Robert Burton: The Anatomy of Melancholy, Bd. 1, S. 243).

368 (»Et toy mon cœur«) in der Hoffnung, auf dem rechten Weg der Nachfolge Christi zu sein und auf seine Erlösungstat hoffen zu dürfen. Das meditierende Ich will den »deuil« nicht aufgeben, um im und nach dem Tod jenseits aller Trauer aufzuerstehen (»Va commencer à vivre«). Im Sinne der meditativen >Pendelstruktur< folgt auf diese Selbstansprache an das eigene Herz der gebetsähnliche Dialog mit Gott. Dabei beendet das lyrische Ich die Meditation bzw. tritt nun über sie hinaus, indem es die meditative Betrachtung metasprachlich aufgreift: En fin toy, ô bon Ciel! sois touché de mes pleurs, / Et me deviens propice: / Ton regard qui me voit consumé de douleurs, / Quelque iour les finisse. // Voilà mes entretiens que ie fais voir à tous / Dans ces plates peintures; / Toy, pratique-les bien, tu les verras plus doux / Que tu ne te figures. // Le temps te fera voir qu'il vaut mille fois mieux / gemir en telles choses / Que pour pleurer sans fin dans la perte des Cieux / Vivre parmy les roses.

Die Meditation als Selbstgespräch, eingerahmt durch den Dialog mit Gott, wird als »plates peintures«, als bebilderter und metaphorischer Text kommunizierbar. Das Gedicht ist Vollzug, Produkt und Anleitung einer Selbst- und Todesbetrachtung.686 Das Gefallen an der Todesvision (»II me piaist«) wird vom lyrischen Ich zur Nachahmung weiterempfohlen (»pratique-les bien«) - die meditative Einbildung und Aneignung von Tod und Verwesung ist »plus doux / Que tu ne te figures«, bringt unvermutete Süße mit sich. In den letzten Versen der Stances dominiert das Allgemeingültige, der individuelle Weg der Todesvision ist über die Empfehlung zur Nachahmung bei der über-individuellen Wahrheit angekommen: »Ainsi faut-il bastir sur la neceBité, / Qui est invariable: / Le voulant-nous, ou non; aucun n'est excepté / De vivre miserable.« Die individuelle Vision des eigenen Verfalls und Todes führt zur überindividuellen Einsicht in die »neceBité« aller Dekomposition. Diese lyrische Todesvision spiegelt die Gratwanderung des meditierenden Ich zwischen >gefährlicher< und >ungefährlicher< Selbstbetrachtung in den Bildern des Todes. Sie ist im Sinne der curiositas >gefährlichvergisstguten Tod< verweist. Die von der durch Christus erwirkten Erlösungshoffnung erfüllten Gläubigen sind »de tant plus disposez à mediter les biens de la vie future et éternelle, qu'ils se voyent environnez de misere en ceste vie caduque & transitoire. Puis les comparant ensemble, ils se trouvent rien plus aisé qu'achever doucement leur course, & d'estimer aussi plus l'une, qu'ils tiennent l'autre accomplie en toute félicité.« 690 In der Betrachtung der betrübten Zeit und freudenvoller Ewigkeit (1680) von Magdalena Sibylla Gräfin von Württemberg wird in einem gesonderten, von Ehrenreich Weissmann verfassten Kapitel »Der erlaubte / und unerlaubte Todes=Wuntsch« erläutert. Demnach gelten das Verlangen und »Hertzens=Begierde« nach dem Schauen Gottes und nach der Herrlichkeit des Himmelreiches sowie der Wunsch nach Erlösung von irdischem Leid, Anfechtung und Sünde als gerechtfertigte, erlaubte Todessehnsucht:691 [...] was ists dann Wunder / wann ein Christ in solchem eilfertigem höchstgefährlichem Creutz nach dem Befehl und instruction seines Heylands mit allem Emst und Andacht seuffzet; Herr erlöse uns von dem Übel. [...] Wer nun gleiches von seinem lieben Gott im kindlichen Vertrauen bittet / ohne Murren und Widerspenstigkeit des Hertzens / dessen Verlangen will Gott für Christlich und unsiindlich halten. 692

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Pierre de Primaudaye: Académie Françoise: En laquelle est traié de l'institution des Mœurs. O. O. 1548, S. 386. Vgl. dazu auch auch Pierre Lalemant: Les Saints désirs de la mort, ou Recueil de quelques pensées des Pères de l'Eglise, pour montrer comment les chrétiens doivent mépriser la vie et souhaiter la mort. Paris 1673. »Recht thun also in diesem Fall / welche ihnen selbsten den Tod wünschen 1. aus glaubiger andächtiger Begierde Gottes wunderschönes / und mit der allersüssesten Klarheit leuchtendes Angesicht zu schauen. [...]. Ohne Sünde wünschet man ihme den Tod auch 2. aus Verlangen / zu gemessen der Herrlichkeit der Kinder Gottes [...]. Es mag ihme ein Christ auch wohl den Tod wünschen 3. aus kindlichem in Gottes Willen resolvirtem Verlangen nach der endlichen Erlösung aus diesem sündlichen Sodom / und Tyrannischem Babylon [...] in welchem Kinder Gottes / [...] müssen [...] trauren / und seuffzen / und nicht wissen / wo sie theils wider ihre eigene Leibs= und Seelen=Anfechtungen / theils wider die allgemeine Noth / Hertzeleyd / und Elend genugsam wehren solle [...] Es thun auch der Sachen nicht unrecht / welche ihnen den Tod wünschen / 4. aus Christlichem Unwillen über die allzugrosse vanität und Eitelkeit aller Dinge / deren alle Menschen unterworffen sind. (M. Ehrenreich Weissmann: Der erlaubte / und unerlaubte TodesWuntsch. In: ders.: Die freuden=volle Ewigkeit und Betrachtung der zukünftigen Dinge. In: Magdalena Sibylle, Gräfin von Württemberg, Christliche Betrachtung der betrübten Zeit und freudenvoller Ewigkeit. Nürnberg 1680, S. 264-272). M. Ehrenreich Weissmann: Der erlaubte / und unerlaubte Todes-Wuntsch, S. 267 und S. 271.

371 Doch so einfach lässt sich die >erlaubte< Todessehnsucht nicht von der >unerlaubten< unterscheiden - eingehende Selbsterforschung ist notwendig, um die wahre Motivation des Wunsches an sich zu erkennen und somit Sünde von Todesbereitschaft zu trennen. Eine Metabetrachtung der eigenen Todesmeditation ist auch hier geboten: Ob nun gleich alle diese bemeldte Vota Mortis und Todten=Wünsche an sich selbsten recht und löblich / [...] so ist doch zugleich hoch vonnöthen / daß ein Christ hierinnen scharffe und genaue Achtung gebe auf sein Hertz / und dasselbe behutsamlich prüfe / ob seine also betende intention Gottes Ehre / der Seelen Freud und Gewissens Ruhe zum Zweck habe / oder ob nicht das Gifft menschlichen Unglaubens / und die Schwachheit der Ungedult praedominire / oder doch mit unterlauffe.693

Allzu groß ist die Gefahr der Selbsttäuschung in der Todesmeditation - hinter der frommen Absicht, sich vom Irdischen abzuwenden, die Nähe Gottes zu suchen und Seelenfrieden zu finden, kann sich irdischer Eigennutz und menschliche Schwäche verbergen, die sich des auferlegten Kreuzes auf Erden entledigen möchte: Wie kan sich dan ein Mensch versündigen wann er ihme selbsten den Tod wünschet? Antwort. Hierauf nun ist die Antwort leichtlich einzurichten / nemlich / so fern der Mensch seine reflexion nicht auf GOTT und seiner Seelen Heyl dirigiré / sondern auf zeitlichen Nutzen / und Ungedult / oder tragender grosser Creutzes=Last / um derentwillen der Mensch sein Leben möchte abgekürtzet wissen.694

Auch hier gilt: Der in der Betrachtung um sich selbst kreisende Meditierende, der den Blick auf sich selbst begrenzt, statt seine Perspektive auf die am Ende der Meditation stehende Gotteserkenntnis zu richten, meditiert unter dem Vorzeichen der gefährlichen curiositas. Zugleich ist in der Forderung nach Meta-Betrachtung der Meditation aber auch die Gefahr angelegt, sich in der eigenen Unergründlichkeit zu verlieren und insofern der curiositas zu verfallen. Auf diesem schmalen Betrachtungsgrat bewegt sich auch das lyrische Ich in einer Gedichttrilogie der Margarethe Susanna von Kuntsch und betrachtet zugleich Todeswunsch und Betrachtung des Todeswunsches. In Kap. 2.4 wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Gedichte Kuntschs lebenslaufbegleitend Zeugnisse ihrer Frömmigkeitspraxis und ihrer religiösen Auseinandersetzung mit Schicksalsschlägen darstellen. Sie sind gleichsam ein geistliches Tagebuch, in dem viele der Gedichte mit dem Datum und Anlass ihres Entstehens versehen sind und somit Autorin und lyrisches Ich in eine enge Beziehung setzen. Das Leben Kuntschs ist geprägt von einer ständigen Betrachtung des Todes in mehrfachem Sinne - beherrschendes Thema ihrer Gedichte ist die Klage über ihr »Creutz«: Sie bringt insgesamt 14 Kinder zur Welt, von denen nur ein einziges überlebt. Ihre Gedichte spiegeln das Aufflammen der Hoffnung bei jeder Geburt eines lebenden Kindes und die sich immer wieder

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M. Ehrenreich Weissmann: Der erlaubte / und unerlaubte Todes-Wuntsch, S. 273. M. Ehrenreich Weissmann: Der erlaubte / und unerlaubte Todes-Wuntsch, S. 274f.

372 wiederholende Trauer um dessen Verlust durch den Tod (sie erleidet vier Frühgeburten, zwei Kinder sterben kurz nach der Geburt, fünf ereilt der Tod als Babys oder Kleinkinder, ein Junge stirbt mit sieben, ein Mädchen mit elf Jahren). Doch nicht nur der Tod ihrer Kinder, sondern auch ihr eigener Tod bzw. ihr Todeswunsch ist Objekt permanenter lyrischer Meditation. Das lyrische Ich der hier zu untersuchenden Gedichte befindet sich durch die Klage über das ihm zu schwer gewordene und ständig sich wiederholende »Creutz« in einer typischen, in der Bibel durch die Gestalt des Hiob repräsentierten Konstellation, die nach der Ansicht Weissmanns für die >unerlaubte< Todessehnsucht anfällig macht: Unter den Kindern Gottes und getaufften Christen dringen sich offt solche betrübte Gedancken ein / sonderlich wann die Ungedult bey langwierigem und scharffem Creutz lang anhalten will. Schreckliche Wort hat der liebe bedrängte Job ausgestossen / da ihn Fleisch und Blut in seinem zwar unausdencklichen Hertzenleyd iiberstossen; Er verfluchte seinen Tag / und sprach / der Tag müsse verlohren seyn / darinn ich geboren bin. 696

Bemerkenswert und in unserem Untersuchungszusammenhang von besonderem Interesse ist, dass in den angesprochenen Gedichten die Worte Hiobs, der als biblischer Prototyp des vom Todeswunsch bedrängten Menschen gelten kann, betrachtend mitgesprochen werden. Sie werden dem lyrischen, betrachtenden Ich angeeignet und ruminierend auf den Leib geschrieben, um im Schutze des biblischen Wortes die Selbstbetrachtung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Todeswunsch zu vollführen und zugleich zum Betrachtungsobjekt zu machen. Dabei handelt es sich um eine Gedichttrilogie, deren erste beide Gedichte betitelt sind Sie hat eine sehnliche Begierde zu sterben697 und »Ein Auszug aus etlichen Capiteln des Buchs Hiob, bey einer langwierigen und schmertzlichen Unpäßlichkeit 1687. und 1688. aufgesetzt.«691 Das einleitende achtzeilige Gedicht wirkt wie ein Betrachtungsrésumé, in dem das lyrische Ich in den ersten vier Versen bekennt, sich den Tod zu wünschen, um in der zweiten Hälfte sich selbst zu demütiger Geduld zu ermahnen und die Hoffnung zu formulieren, nach dem Ertragen des schweren »Creutzes« eine umso schönere »Crone« tragen zu dürfen. Im zweiten Gedicht werden über 9 Seiten hinweg Passagen aus dem genannten Bibelkapitel genannt 698 und dann jeweils in Reimform paraphrasierend ausgedeutet. Dabei handelt es sich um die Klage Hiobs, der vom Satan versucht wird, indem ihm scheinbar Kinder und Knechte genommen werden und er selbst mit Geschwüren bedeckt wird. Hiob bewährt sich zunächst in schwerer Prüfung, wird dann aber schwach: Er bestreitet die Gerechtigkeit Gottes und die Sinnhaftigkeit des ihm unverdient auferlegten Kreuzes. Hiob vermag keine Erlösungshoffnung mehr in sich zu tragen - Gott straft ihn als Gottesfürchtigen sinnlos, so seine Klage. Er

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M. Ehrenreich Weissmann: Der erlaubte / und unerlaubte Todes-Wuntsch, S. 275. In: Margarethe Susanne von Kuntsch: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte. Hg. v. Christian Stockmann. Halle 1720, S. 23. In: Margarethe Susanne von Kuntsch: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte, S. 23-31. Hiob 3, 2-18; 3, 20-26; 6, 2-7; 6, llf.; 9, 17f, 27f.; 10, 8-12, 18, 21; 14, 1-12, 14, 17-19, 22; 29, 2f„ 5; 31, 16-18, 24, 27f.; 19, 25-27.

373 verflucht Gott für den Tag, an dem er geboren wurde und wünscht sich den Tod. In einem darauf folgenden, mit dem bescheidenen Titel Dergleichen699 versehenen Gedicht ist die Klimax der auch in den beiden ersten Gedichten hervorscheinenden Aneignung des Bibelwortes zur Verbalisierung der Gratwanderung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Todeswunsch zu erkennen, die im Folgenden erläutert werden soll. Hier wird in sechzehn Strophen zu jeweils acht kreuzweise gereimten Versen das Buch Hiob nicht paraphrasiert (im Unterschied zum zweiten Gedicht, das sich vor allem auf selektive Paraphrase gründet), sondern in relativer Ferne zum Text lediglich als Folie inhaltlicher Parallelisierung zur Situation des lyrischen Ich genutzt. Das meditativ in den betrachteten Text eingeschriebene Ich dominiert das ruminierend einverleibte Ich Hiobs. Von einer lyrischen Selbst- und Gewissensthematisierung kann insofern gesprochen werden, als sich das lyrische Ich im betrachtenden Vergleich mit Hiob auf die Qualität seines Todeswunsches hin erforscht und in der Betrachtung zugleich eine Metabetrachtung vollzieht. Strophe I. evoziert die Klage Hiobs: »Ich bin zum Unglück nur gebohren / Und seh' daran kein Ende nicht, / Der Himmel hat mich auserkohren / Zum Ziel dahin er Pfeile rieht, / Ich fühl der Donner=Keile Krachen, / Der keiner ie vergebens ist, / Ich darf mir keine Hoffnung machen / Als sey was guts vor mich erkiest.« Die Hinweise auf das Buch Hiobs erfolgen nur indirekt und setzen keine konkrete Textpassage, sondern setzen die Kenntnis der Hiobs-Geschichte voraus. So wird auf Hiobs Verfluchen seiner Geburt angespielt durch »zum Unglück nur gebohren« (V. 1). Die scheinbare Sinnlosigkeit des verhängten Kreuzes klingt durch die Worte »und seh daran kein Ende nicht« (V. 2) an, wie im Falle Hiobs gibt es »keine Hoffnung« (V. 7) für das lyrische Ich. Auch die »Pfeile« (V. 4) des Himmels und der »Donner=Keile Krachen« (V. 5) lassen die Hiobsgeschichte assoziieren. Während die ersten vier Verse der zweiten Strophe fern mit Kapitel 7 in Verbindung gebracht, aber auch als Selbst- und Sündenerkenntnis gelesen werden können, thematisiert die zweite Strophenhälfte eine Situation, die an die Biographie der Autorin erinnert und die Klage Hiobs frei variiert. Da der Gedichtsammlung der selbst verfasste »Lebens=Lauff« Kuntschs vorangestellt ist und auch in Titeln immer wieder explizit auf Daten und Ereignisse angespielt wird, erscheint eine autobiographische Deutung gerechtfertigt: »Ich bin ein Sklav', weil ich mich kenne, / Mich drücket des Verhängniß Bley, / Der Zwang der [sie!] ich mich dienstbar nenne / Läß't mich nie von der Ketten frey, / Was ich als süsse mir erwählet, / Das flieh't, und macht sich weit von hier, / Hergegen was mich kränckt und quählet / Bleibt allezeit gantz nah' bey mir.« Die beiden folgenden Strophen entfernen sich noch weiter vom Buch Hiob und verstärken autobiographische Anklänge in der Klage des lyrischen Ich - sie lassen sich als Beschreibung des sich wiederholenden Verlustes ihrer Kinder durch deren frühen Tod lesen, jede Geburt wird bald zum Anlass neuen Schmerzes: »Wohin

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In: Margarethe Susanne von Kuntsch: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte. Hg. v. Christian Stockmann. Halle 1720, S. 23.

374 ich ie mein Auge richte / Und bilde mir Vergnügung ein, / Dasselbe wird mir gantz zunichte, / Und eine Ursach neuer Pein, / Mein Hoffnungs=Hafen wird zum Felsen, / An dem mein Schiffgen scheitern muß, / Was ich gedachte zu umhälsen / Das bringt mir nichts als Uberdruß.« (Strophe III.); »Was andre als ein Schirm erquicket / In Creutzes=Hitze Schatten bringt, / Ist eine Last die mich sehr drücket / Und mir fast Blut und Marek auszwingt, / Wo andre in den Rosen sitzen / Und ihr Geruch sich dran ergetzt, / Fühl ich nur scharffe Dornen=Spitzen / Der iede mir das Hertz verletzt.« (Strophe IV.). Statt sich an der Zahl ihrer Kinder erfreuen zu können, bedeutet jedes verstorbene Kind eine neue »Dornen=Spitze« schmerzenden Verlusts. Die Strophen V. bis X. gestalten in unterschiedlicher Nähe zum Bibeltext Hiobs Klage über sein unverdientes Unglück. Während die Strophen V., VI. und XI. sich an keine konkrete Textpassage anzulehnen scheinen, sondern grundlosen Neid und üble Nachrede beklagen, erinnern die Strophen VII. und VID. an Hiobs Beteuerungen, stets ohne Fehl und Tadel sich um einen gottgefälligen Wandel bemüht zu haben (Hiob 29 und 31). In Strophe IX. ist die Engführung mit dem Bibeltext Hiob 9, 16f.700 besonders stark: »Such ich das Mittel, das ein ieder / Bey grösten Unglück braucht, hervor, / Werff vor des Höchsten Thron mich nieder, / Und fleh' zu seinem heiigen Chor, / Ziehn Donner=Wolcken doch zusammen, / Und statt der Hülff, die ich verlangt, / Seh' ich ein Wetter voller Flammen, / Das über meinen Häuptern hangt.« Ohne Überleitung folgt darauf eine Strophe, die in ebenso intensiver Weise auf die autobiographische Situation deutet - wie bei der meditativen >Pendelbewegung< verweist die Auseinandersetzung mit dem Bibelwort auf das eigene Ich: »Bald stürzt aus solcher düstern Wolcke / Ein Kranckheits=Sturm der mich verletzt, / Bald samlet sich zu seinem Volcke / Was einig meinen Sinn ergetzt, / Und muß ich den'η die Augen schliessen / Die nach der Ordnung der Natur / Mirs' solten thun, bald wird entrissen / Was mir gab neue Hoffnungs=Spur.« (Strophe X.). Der »Lebens=Lauff« Kuntschs, in dem sie das tragische Wechselspiel von Freude über Geburt und Trauer über den Tod ihrer Kinder bzw. eigene Krankheit zum Leitmotiv macht, wird hier lyrisch gestaltet. Hiob ist insofern implizit präsent, als auch seine erste Prüfung in der Nachricht vom Tod seiner Kinder und Sklaven besteht und auch er mit Krankheit geschlagen wird. Der Höhepunkt und gleichzeitiger Wendepunkt des Gedichtes folgt in Strophe ΧΠ.: »Das Urteil bleibt auch aus mit nichten, / Ein ieder will ob meiner Schuld / Damit ich's Creutz verdienet richten, / So daß mir öffters die Gedult / Will aus den engen Schrancken gehen / Die mich bißhero secundirt, / Ich kan auch fast nicht länger stehen, / Und wünsch: ach wiird ich abgeführt.« Hier wird ausdrücklich der Todeswunsch formuliert - begründet durch Schwäche und den bisher nicht gekannten Mangel an Geduld angesichts des »Urtheils«. Auffällig ist hier die assoziative Nähe zur Passionsgeschichte Jesu, die im »Creutz« (V. 3), in dem an Christi Zusammenbrechen unter

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»Wenn ich ihn auch anrufe, daß er mir antwortet, so glaube ich nicht, daß er meine Stimme hört, vielmehr greift er nach mir im Wettersturm und schlägt mir viele Wunden ohne Grund.«

375 dem Kreuz erinnernden Versagen der Beine (V. 7) und der Verhaftung (»abgeführt« als euphemistische Umschreibung des Todes, V. 8) anklingt. Vor allem aber ist in den Worten des lyrischen Ich eindeutig der >unerlaubte< Todeswunsch ausgesprochen - der, der nicht aus demütiger Sehnsucht nach Gottes Himmelreich, sondern aus menschlicher Ungeduld, Schwäche und eigenmächtigem Bestimmenwollen hervorgeht. Die vorangehenden Strophen bilden eine Klimax hin zum expliziten Wunsch des Todes, deren Stufen das Zweifeln an der Gerechtigkeit Gottes und die mangelnde Einsicht in die Sinnhaftigkeit des irdischen auferlegten Kreuzes in der Heilsordnung sind. Diese Strophe ist insofern aber auch Wendepunkt des Gedichtes, als das Aussprechen dieses >unerlaubten< Todeswunsches die Wendung in demütige Einsicht in die notwendige Unterwerfung unter Gottes Willen auslöst: Die Strophen XIII.-XVI. lenken in die >erlaubte< Todessehnsucht ein. Bis zu diesem Punkt hatte das lyrische Ich seiner Klage, der Thematisierung der eigenen Befindlichkeit bis hin zum Todeswunsch freien Lauf gelassen, nun aber hat es in seiner Meta-Betrachtung, die auch durch die souveräne Distanz zum Bibeltext ihren Ausdruck findet, die eigene curiositas erkannt. Das lyrische Ich verspricht, »Des Herren Willen« zu ehren (ΧΙΠ., V. 3) und abzuwarten, »biß er spricht und bricht« und »es ist genug« sagt (XIII., V. 4f.). Sollte sich das lyrische Ich durch die »Ketten« durch den ganzen »Lebens=Lauff« hindurch gefesselt sehen, so werde es auf die »Ruh« »nach der Zeit« hoffen, »Wenn unsere Seele von den Banden / Des irdschen Cörpers ist befreit.« Dort finden Klage und Leid ein Ende, eine »gerechte Waage« wird Urteil sprechen, Neid und Heuchelei werden ein Ende haben. Bemerkenswert ist, dass in den beiden letzten Versen der 13. Strophe durch die Verwendung des Femininums nachträglich das lyrische Ich als weibliches betont wird: Wird er der Ketten mich entschlagen, / So werd ich keine Sklavin seyn.« Durch dieses Textsignal werden retrospektiv autobiographische Anklänge aus vorangehenden Strophen unterstrichen. Die letzte Strophe formuliert die »Belohnungsidee«:701 »Da trägt die Tugend eine Crone / Die unter Lasten hie geschwitzt, / Da kriegt der Rosen genug zu Lohne, / Den hier des Creutzes Dorn geritzt, / Da hersch't den Fesseln hier gerieben / In mehr als Königlicher Pracht, / Da sind die Seufftzer aufgeschrieben, / Aus Thränen

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Irdisches Leid soll den Gläubigen durch die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits nicht nur erträglicher werden, sondern es soll den Gläubigen sogar als Verheißung gelten, umso mehr Lohn im Leben nach dem Tode zu erfahren - je größer das Kreuz auf Erden, so ist in vielen Meditations- und Erbauungsschriften zu lesen, desto größer der göttliche Ausgleich nach dem Tode. »Mustu auch bedencken die künfftige Gnaden=Belohnung / welche im Himmel desto grösser seyn wird / je länger du in dieser Welt gestritten / und dich gehorsamlich zu Gott gehalten hast. (M. Ehrenreich Weissmann: Der erlaubte / und unerlaubte Todes-Wuntsch. In: ders.: Die freuden=volle Ewigkeit und Betrachtung der zukünfftigen Dinge. In: Magdalena Sibylle, Gräfin von Württemberg, Christliche Betrachtung der betrübten Zeit und freudenvoller Ewigkeit. Nürnberg 1680, S. 282). S. dazu auch Elke O. Hedstr0m: Margarethe Susanne von Kuntsch (1651-1717): Eine unbekannte deutsche Dichterin aus der Barockzeit. In: Daphnis 19 (1990), H. 2, S. 223-246, hier S. 233.

376 Perlen=Schmuck gemacht.« Was hier auf den ersten Blick wie eine über-individuell formulierte Jenseitshoffnung erscheint, nimmt bei genauerer Untersuchung ausgerechnet auf diejenigen Strophen durch wörtliche Zitate Bezug, die in besonders deutlicher Weise autobiographische Anspielungen enthielten: Die »Drückende Last« aus Strophe IV. erscheint wieder in Vers 2, Die »Rosen«, in den Strophen IV. und XI. Metapher des Kindersegens, die nur andere durch ihren Geruch ergötzen und das lyrische Ich als »Dornen=Spitzen« quälen, werden in der letzten Strophe als Antiparallelismus zum »Lohne« dessen, den der »Creutzes Dom« auf Erden ritzte. Der »Zwang« und die »Ketten«, die das lyrische Ich in Strophe II. in Selbsterkenntnis spürt, werden hier noch einmal aufgegriffen und der zu erwartenden »Königlichen Pracht« im Jenseits entgegengestellt (V. 5f.). Die »Seufftzer« und »Thränen« (Strophe XVI.) verweisen zurück auf die Klage über die Trauer um die verstorbenen Kinder in den Strophen X. und XI. In diesem meditativen Gedicht kommt die ruminierende Einverleibung des betrachteten Hiob-Textes zum Ausdruck - eine Einverleibung, die das Verinnerlichte fast unkenntlich, in jedem Falle jedoch zu etwas Neuem macht. Die Klage und der >unerlaubte< Todeswunsch Hiobs ist die Folie, auf der eigene Klage und Todessehnsucht verbalisiert werden können. Ferne zum Text statt Paraphrase, autobiographische Anspielungen und deutliche Feminisierung des lyrischen Ich verweisen auf das meditative Aneignen des Bibelwortes im Dienste der Gewissens- und Selbstthematisierung. Durch das selektive Mitsprechen mit Hiob setzt das weibliche betrachtende Ich Schwerpunkte in der meditativen Rezeption, schreibt sich in den betrachteten Text ein und spricht - als Statthalter Kuntschs - mit den Worten Hiobs, die es sich in besonderer Weise meditativ zu eigen gemacht hat. Die Gottesanklage und Verzweiflung bis hin zum >unerlaubten< Todeswunsch werden lyrisch ausgesprochen im befreienden, aber auch legitimierenden Rahmen des Bibelwortes, um nach dem Wendepunkt des Gedichtes im Vollzug einer Meta-Betrachtung auch wieder zum >erlaubten< Todeswunsch gebändigt zu werden. Die in der letzten Strophe versteckten Rückbezüge auf diejenigen Strophen des Gedichtes, die in besonderer Weise durch betrachtende Selbstthematisierung geprägt waren, betonen die mehrfache Metabetrachtung des lyrischen Ich: Es verweist durch diese selbstreflexive Gedichtstruktur auf die eigene Unergründlichkeit als Subjekt, auf die Gefahr des letztlich endlos selbsterinnernden,702 gottvergessenden In-sich-Hineindrehens der Selbstbetrachtung im Zeichen der curiositas.

702

Interessant in diesem Zusammenhang auch eine Passage aus Christian Günters Gedicht »Als er zu sterben wünschte« - in Strophe IV. heißt es: »Auch diese Zeilen argem mich, / O könnt' ich doch nur nichts gedenken! Mein eignes wesen martert sich, / Ist Gott zu schwach, mir Trost zu schenken?« Zit. nach Bibliothek deutscher Dichter des siebzehnten Jahrhunderts. Hg. v. Karl Förster. Leipzig 1838, Bd. 10, S. 123f.

377 3.4.5 Erinnerungsstörung mit doppeltem Boden: Tod und Gewissen als Betrachtungs-Fixpunkt Auch in einem Gedicht der englischen Protestatin Anne Vaughan Lock (ca. 1534— 1590) mit dem Titel A Meditation of a Penitent Sinner Written in Manner of a Paraphrase Upon the 51st Psalm o David. The Preface, Expressing the Passioned Mind of the Penitent Sinner703 wird die curiositas eines meditierenden Ich als seine übersteigerte Selbsterinnerung bei gleichzeitiger gottvergessender Blindheit für die Perspektive auf Gott lyrisch thematisiert. Die souveräne Perspektive der Metaebene, aus der das lyrische Ich diese aus curiöser Meditation resultierende Erinnerungsstörung betrachtet, wird bereits in der metasprachlichen Qualifizierung des Gedichtes als Meditation deutlich, die zusätzlich in ihrer Abhängigkeit vom zu Grunde liegenden Betrachtungsobjekt, einem Bußpsalm, spezifiziert wird. In der ersten der insgesamt fünf Strophen zu jeweils 14 Versen beklagt das lyrische Ich in Anlehnung an Ps 51, 5 (»[...] denn ich erkenne meine Missetat, / und meine Sünde ist immer vor mir.«) seine erkannte Schuld. Allerdings liegt nicht allein in diesem betrachtenden Sünden-Leid der Grund der Klage, sondern in der Selbsterkenntnis der >unordentlichenordentlichen< Weg der Meditation hin zur gnadenhellen Gotteserkenntnis nicht mehr zu finden vermag: »Can not enjoy the comfort of the light / Nor find the way wherein to walk aright.« (I, 13f.) Die zweite Strophe wird bestimmt durch die Metapher der Blindheit für Gottes Gnade:

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Das Gedicht wurde im Anhang zu ihrer Übersetzung der »Sermons of John Calvin upon the Song that Ezechias Made (1560) publiziert. Im Folgenden zit. nach Female & Male Voices in Early Modern England. An Anthology of Renaissance Writing. Hg. ν. Betty S. Travitsky und Anne Lake Prescott. New York 2000, S. 115ff. S. Gedichtanhang.

378 So I, blind wretch - whom God's enflamed ire / with piercing stroke hath thrown unto the ground / Amid my sins - still groveling in the mire / Find not the way that other oft have found / Whom cheerful glimpse of GodMercy, mercyKriechen< des lyrischen Ich (II., V. 3, 11 und 12), das sich >zu Boden geworfen< sieht (II, V. 2) und im >Schlamm< der eigenen Sünde auf allen Vieren mit nach unten gerichtetem Blick qualvoll um ein Vorankommen bemüht ist. Wie entscheidend diese >gefährliche< Meditation durch die falsche Perspektive geprägt ist, zeigt sich in der Bedeutung, die dem Gesichtssinn in dieser Strophe zugeschrieben wird: Das lyrische Ich bezeichnet sich als »blind« (II., V. 1, 11 und 12) und irrt (»Find not the way«, II., V. 4) 704 im »Dunkel ewiger Nacht« (II., V. 8) in einem »ugly place« (II, V. 7) umher, während andere den >ungefährlichen< Weg der Meditation hin zur Erkenntnis Gottes Gnade gefunden haben. Durch einen wenn auch kurzen, streifenden Blick (»cheerful glimpse«, II., V. 5) auf das von Gott verheißene Heil wurden diese unbenannten anderen mit »shining light« (II., V. 6) zur ewigen Freude geleitet. Nur das lyrische meditierende Ich ist »blind for grace« (Π., V. 12) und von der Dunkelheit des Todes umgeben, weil es in der selbsterinnernden und gottvergessenden Drehung um sich selbst im Zeichen der curiositas betrachtet. Die >gefährliche< unendliche Iteration, die über die >ungefährliche< ruminatio hinausgeht und die curiositas ausmacht bzw. zur Folge hat, wird am Ende der Strophe durch Wortwiederholung und explizite metasprachliche Benennung im »again« beschrieben: »My fainting breath I gather up and strain / >Mercy, mercy/, to cry and cry again.« (II., V. 13f.). Aber dieser gefährliche Abweg der Meditation lässt das Schreien um Gnade wirkungslos, immer beschränkter wird die Pespektive der Selbstbetrachtung: But mercy while I found with shrieking cry / For grant of grace and pardon while I pray / Even then Despair before my ruthful eye / Spreads forth my sin and shame, and seems to say, / >In

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Hier besteht eine starke Reminiszenz an die Warnung Speners vor >gefährlicher< (Selbst-)Betrachtung: »Dann jemehr man den Gedancken nach henget / je weniger man sich derselben entschlagen kan / sondern ist wie in einen Labyrinth und verworren Gebäu verschlossen.« (Philipp Jacob Spener: Drey Christliche Predigten von Versuchungen / sonderlich von der Anfechtung böser / gottloser und lästerlicher Gedancken / mit welchen Glaubige Kinder Gottes offters zu kämpffen haben [...]. Frankfurt am Main 1673, S. 364f.). S. auch die von Burton beschriebene Melancholie-Symptomatik: »[...] these phantasticall and bewitching thoughts, so covertly, so feelingly, so urgently so continually set upon, creepe in, insinuate, possesse, overcome, distract and detaine them, they cannot say goe about their more necessary businesse, stave off or extricate themselves, but are ever musing, melancholizing, and carried along, [...] they runne earnestly on in this labarinth of anxious and solicitous melancholy meditations, and cannot well or willingly refraine or easily leave off, winding and unwinding themselves [...].« (Burton, Robert: The Anatomy of Melancholy. Hg. v. Thomas Faulkner, Nicolas K. Kiessling u. Rhonda L. Blair. 3 Bde. Oxford 1989, Bd. 1,S.244).

379 vain thou brayest forth thy bootless noise / To Him for mercy, O refused wight, / That hears not the forsaken sinner's voice. / Thy reprobate and foreordained sprite, / Foredamned vessel of His heavy wrath / /As self witness of thy unknowing heart / And secret guilt of thine own conscience saith), / Of His sweet promises can claim no part. / But thee, caitiff, deserved curse doeth draw / To Hell, by justice, for offended law.< (Strophe III)

Statt Gottes Gnade zu erkennen, sieht sich das betrachtende lyrische Ich der gefährlichen Anfechtung der Verzweiflung (III, V. 3) ausgesetzt. An Stelle der Gotteserkenntnis tritt wiederum Selbst- und Sündenerkenntnis (»my sin and shame«) vor das »ruthful eye« und verstellt den Blick (III., V. 1-4). Das Gewissen des lyrischen Ich erliegt der Erinnerungsstörung, es tritt ungefragt in den Weg der Betrachtung und präsentiert »geheime Schuld«, und die gefährliche Verzweiflung, so die Vision des betrachtenden Ich, prophezeit den Weg der Meditation als Weg zur Hölle: »But thee, caitiff, deserved curse doeth draw / To Hell, by justice, for offended law.« (ΙΠ, V. 13f.). Dieser (Todes-)Visionscharakter tritt in der nächsten Strophe noch deutlicher hervor, die gefährliche curiositas stört Erinnerung, Vergessen und Einbildungskraft in der Meditation. Das lyrische Ich ist dabei so gefangen in der permanenten MetaBetrachtung, in der spiralförmig-endlosen Wendung in und zu sich selbst, dass es diese Gefahr seiner Betrachtung kennt und auch formulieren kann, sie aber gleichwohl nicht zu bannen vermag: This horror when my trembling soul doth hear, / When marks and tokens of the reprobate, / My growing sins, of grace my senseless cheer / Enforce the proof of everlasting hate / That I conceive the heaven's king to bear / Against my sinful and forsaken ghost, / As in the throught of Hell, I quake for fear, / And then in present peril to be lost / (Although my conscience wanteth to reply, / But with remorse enforcing mine offense / Doth argue vain my not-availing cry) / With woeful sighs and bitter penitence / To Him from whom the endless mercy flows / A cry for mercy to relieve my woes.« (Strophe IV)

Der »horror« (IV, V. 1) lässt das lyrische Ich aufschreien vor Angst (»I quake for fear«, IV, V. 7): Die durch die Einbildungskraft vor Augen gestellte Vorstellung (»I conceive«, IV, V. 5) des Verdammtseins durch Gott bedeutet die Hölle auf Erden (»As in the throught of Hell«, IV, 7). 705 Der Schrecken dieser Vision wird bestimmt durch die Vorstellung der »marks and tokens of the reprobate« (IV. 2), die in der Erinnerung aufsteigenden »growing sins« (IV., V. 3) als Anzeichen und Andenken 706 der eigenen Verdammung. Die Sünden scheinen zu wachsen, weil die curiose Selbst-

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Vgl. Kap. 3.1.2, in dem die >wahre Hölle< als Verdammtsein zur Folter der Selbsterinnerung und der Einbildungskraft beschrieben wird: »Ihre ubelthaten / schweben ihnen stäts im Gedächtnis. [...] Ihre innerliche Sinne / stellen ihnen stäts zu betrachten vor / das Böse / so sie verseumet.« (Sibylle Ursula Herzogin zu Schleswig-Holstein: Himmlisches Kleeblat oder Betrachtungen Der Allerhöchstheiligsten DreyEinigen Gottheit: Von einer nunmehr HochSeeligsten HochFürstlichen Person hinterlassen. Nürnberg 1674, S. 357). »token« trägt im Englischen interessanterweise sowohl die Bedeutung >Zeichen< als auch Erinnerungsstück / Andenkens Die Verwendung des Begriffs an dieser Stelle unterstreicht die Rolle der durch die curiositas ausgelösten Erinnerungsstörung in dieser Schreckens vision.

380 betrachtung Sünden erinnern lässt, die nur eingebildet sind.707 Das lyrische Ich ist in seiner für Gnade unempfindlichen melancholischen Stimmung (»of grace my senseless cheer«, IV., V. 3) in akuter Betrachtungs-Gefahr, »in present peril to be lost« (IV., V. 8). Das Gewissen steht dem Blick auf die Gnade Gottes immer wieder entgegen und lässt das Flehen um Erlösung von diesem Betrachtungs-Leid (»my woes«, IV., V. 14) nutzlos erscheinen. Während die Verdammten in Dantes Divina Commedia noch unter dem Vergessen Gottes zu leiden hatten, 708 hat das meditierende lyrische Ich dieses Gedichtes an sich selbst zu leiden, weil es Gott vergisst: Es ist das selbstverdammende Subjekt einer inwendigen Hölle, die mit dem Feuer des erinnerungsgestörten meditativen Gewissens geheizt wird. In der letzten Strophe des Gedichtes scheint das lyrische betrachtende Ich einen kurzen »glimpse« der Gnade Gottes erhäschen zu können, die Perspektive der Meditation richtet sich vorsichtig suchend nach oben: And then not daring with presuming eye / Once to behold the angry heaven's face / From troubled sprite I send confused cry / To crave the crumbs of all-sufficing grace. / With faltering knee I falling to the ground, / Bending my yielding hands to heaven's throne, / Pour forth my piteous plaint with woeful sound, / With smoking sighs ond oft repeated groan / Before the Lord, the Lord, whom sinner I / 1 cursed wretch, I have offended so / That dreading in his wreakfull wrath to die / And damned, down to depth of Hell to go, / Thus tossed with pangs and passions of despair / Thus crave I mercy with repentant cheer. (Strophe V).

Zwar wagt es das Subjekt des Gedichtes kaum, die »anmaßenden« Augen aufzuschlagen (V., V. 1). Die gefährliche Betrachtung unter dem Vorzeichen der curiositas hat die Seele in Unordnung gebracht (»troubled sprite«, V., V. 3) und kann nur einen »confused cry« (V., 3) nach oben richten, um die gleichsam nach unten fallenden >Krumen< der Gnade zu erflehen (»the crumbs of all-sufficing grace«, V., V. 4). Schwankend und mit (den Bußpsalm mitsprechendem?) ruminierend-wiederholendem Seufzen (»repeated groan«, V., V. 8) fällt das lyrische Ich zu Boden, erhebt aber die Hände vorsichtig zu Gott (V., V. 6), um - geschlagen mit an die Passion Christi erinnernden Wunden und Verzweiflung (»tossed with pangs and passions of despair«, V., V. 13) - büßend Gnade zu erflehen. Das meditierende lyrische Ich dieses Gedichtes hat seine Erinnerungsstörung im Sinne der curiositas erkannt. In permanenter Selbstreflexion und Metabetrachtung begriffen, versucht es, den übersteigert erinnernden Blick von sich selbst abzuziehen, um ihn heben zu können und der vergessenen Gnade Gottes ansichtig zu werden.

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»[...] this infernali plague of Melancholy seazeth on them, and terifies their soules, representing some dismall object on their mindes [...].« (Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. Hg. v. Thomas Faulkner, Nicolas K. Kiessling u. Rhonda L. Blair. 3 Bde. Oxford 1989, Bd. 1, S. 244f. Dante (Alighieri): La divina commedia. Ital. Text mit wörtlicher Übersetzung und ausführlichem Kommentar. Dargeboten von Georg Hess. Duernau 1995. S. auch Harald Weinrich: Lethe. Kunst und Kriük des Vergessens. München 1997, S. 55.

381 Nicht das in der Meditation >gefühlte Gewissem, sondern das Bewusstsein des unwillkürlichen, gottvergessenden Erinnern-Müssens des mit Schuld beladenen Gewissens motiviert die Klage des Gedichtsubjektes. Am Ende der lyrischen Meditation steht die Aussicht, aus dem Zirkel der Selbstbetrachtung ausbrechen zu können - eine Aussicht, deren Bedingung und Bedrohung zugleich die Metabetrachtung des meditierenden (lyrischen) Ich ist.

4. Résumé und Ausblick Bei der Untersuchung der Betrachtungen des Todes wurde zunächst gezeigt, welche gattungsspezifisch-poetologischen Konsequenzen die Meditation als Textstruktur impliziert: Sie eröffnet die Perspektive auf eine Verschränkung von Individualitätsund Rollenbewusstsein in der meditatio mortis des 17. Jahrhunderts, die die Rede von einem (lyrischen) meditierenden Ich erlaubt, das jenseits von vanitas- und memento-mori- Topik sich selbst und den Tod betrachtet. Es sollte deutlich gemacht werden, dass die Meditation als individuell-aneignender, insofern subjektiver Erkenntnisweg zu einer iiber-individuell gültigen, rhetorisch-rollenhaften Erkenntnis literarische Texte prägen kann. Meditation bzw. meditative Literatur ist gekennzeichnet durch den über die Selbsterkenntnis verlaufenden Weg des meditierenden Ich hin zur Gotteserkenntnis. So wie die am Ende der Meditation stehende über-individuelle Gotteserkenntnis den Eigenwert des vorausgehenden individuellen meditativen Erkenntnisweges nicht schmälert oder verwirft, kann auch die rhetorische Wendung des betrachtenden Ich ins Exempelhafte oder Allgemeingültige nicht die Aufhebung des vorausgehenden literarischen bzw. lyrischen Ausdrucks individuell-subjektiver meditativer Aneignung bedeuten. Auch wenn das meditierende (lyrische) Ich sich in der Meditation seiner Rolle in der Heilsordnung bewusst wird, ist der meditative Weg zu dieser Erkenntnis gerade nicht rollenhaft, sondern als subjektiv-aneignender anzuerkennen, der die Untersuchung von Individualität und Erinnerung in meditativen Texten plausibel macht. Zudem wurde die Meditation in ihrer Bedeutung für die Herausbildung eines frühneuzeitlichen Gewissenskonzeptes aufgezeigt. Die komparatistische Ausrichtung der Untersuchung ermöglichte dabei die Erkenntnis, dass dieses >meditative Gewissen< ein interkonfessionelles Phänomen darstellt, das sich - allenfalls konfessionsspezifisch motiviert - in protestantisch-lutherischen und calvinistisch-reformierten Texten in ähnlicher Weise niederschlägt wie in der anglikanisch-puritanischen und katholischen Meditationsliteratur. Insgesamt ergab die komparatistische Untersuchung ein weniger konträres denn kohärentes Bild. Das Erfolgspotential der Meditation bzw. der meditativen Struktur scheint - ohne die im breit angelegten meditationsgeschichtlichen Überblick erarbeiteten und auch in den lyrischen Texten aufgezeigten Konfessionsspezifika zu unterschlagen - in ihrer Betonung überkonfessioneller Gemeinsamkeiten bzw. in ihrer konfessions- und sprachübergreifenden Adaptibilität bestanden zu haben. Diese Gemeinsamkeiten dürften zum einen in der interkonfessionellen Beeinflussung und Rezeption meditativer Literatur, zum anderen aber auch in der gemeinsamen Traditionslinie zur spätmittelalterlichen Meditation begründet liegen.

383 Vor allem ist zu betonen, dass die hier gezeigten, der Meditation impliziten Impulse individualitätsbewusster Selbsterinnerung jenseits aller Krisentheorien als mögliche Ursache der überkonfessionellen Popularität meditativer Literatur im späten 16. und 17. Jahrhundert zu bewerten sind. Das frühneuzeitliche Konzept des >meditativen Gewissens< wurde durch drei Aspekte konturiert, die das Vorgehen der Untersuchung bestimmten: durch die als körperlich-innerliches Leiden gefühlte bzw. zu kommunizierende permanente Selbsterinnerung, durch das selbstbetrachtende Wechselspiel von Wendung zu und Distanz von sich selbst sowie durch die geforderte Metaebene der Selbstbetrachtung. Diese Perspektiven des meditierenden Ich auf sich selbst stellten die zentralen Kategorien bei der Untersuchung literarischer und insbesondere lyrischer meditativer Texte dar. Durch die Inbezugsetzung der frühneuzeitlichen Todesbetrachtung mit diesem >meditativen Gewissen< ergaben sich drei Untersuchungsdimensionen. Zum einen wurde die meditative Todesvision des (lyrischen) Ich im Kontext der Bußpsalm- und Passiomeditation als >mitgesprochener< bzw. >mitgelittener< Tod behandelt. Aus der doppelten Sprechsituation< der Bußpsalmbetrachtung bzw. dem meditativen Mitleiden mit der Passion Christi resultiert ein metaphorisches Ausdrucksrepertoire zur Selbstthematisierung, das das meditative Gewissen als Gewissens-Passion und als körperlichen Verfall kommunizierbar werden lässt. Das >meditative Gewissen< ist ein verinnerlichter Anspruch an sich selbst, der zu permanenter Selbsterinnerung führt und bei Nicht-Übereinstimmung mit diesem als entstellende Selbstentfremdung empfunden und thematisiert wird. Das Zusammenspiel anatomisch-zergliedernder, zum eigenen Inneren gewendeter Selbsterforschung mit zu sich selbst in Distanz tretendem, kontextualisierendem Betrachtungs-Über-Blick ist strukturelles Merkmal der Selbst-Sicht als vom Außen abgrenzbares Innen. Diese Selbstthematisierung unter dem Signum des >meditativen Gewissens< zeichnet sich dadurch als individualitätsbewusste Selbsterinnerung aus, die sich weit vom inventarisierenden Sünden-Gedächtnis entfernt hat. Die Doppelperspektive von Ein- und Überblick auf sich selbst erwies sich auch in den lyrischen Todesbetrachtungen als maßgeblich, in denen eine Individualitätsund Identitätsreflexion in Bezug auf Zeit und Ewigkeit aufgezeigt werden konnte. Auch hier erfolgt individuelle Selbsterinnerung in der Wechselbeziehung innerlich-meditativer Momentaufnahme und äußerlicher Kontinuitätsbetrachtung. Die Gewissens-Uhr schlägt angesichts des meditativ vergegenwärtigten Todes ebenso punktuell-präzise wie zuverlässig-permanent. Das meditierende Ich gewinnt dieses Kontinuitätsbewusstsein in simultaner und verschränkter Retro- und Prospektive auf sich selbst, die postmortale In-dividualität wird in manchen Todesbetrachtungen auch durch die betrachtende Aneignung eines von sich selbst gespaltenen anderen Ich vergegenwärtigt. Für die Frage nach Selbst-Erinnerung in der Todesbetrachtung bedeuten diese Beobachtungen, dass sich die zeitliche Retro- und Prospektive im gleichsam über-zeitlichen meditativen Erinnerungsakt verschränken - die Todesbetrachtung ist hier erinnernde Vergegenwärtigung von Zukunft und Ewigkeit, die von der Sorge um Individualitätserhaltung getragen ist.

384 Die dem >meditativen Gewissem implizite Meta-Ebene der dispositiven Selbstüberprüfung im Sinne einer Betrachtung der Betrachtung< erwies sich insbesondere für die Untersuchung der Gefahren in der selbsterinnernd-individuellen Todesbetrachtung als relevant. Es konnte gezeigt werden, dass gerade dieser >doppelte Boden< der Meditation, der eigentlich die Progression des meditierenden Ich auf dem über die Selbst- zur Gotteserkenntnis verlaufenden Betrachtungsweg überprüfen und gewährleisten soll, das gefährliche Potential einer >Erinnerungsstörung< (curiositas) im Sinne gottvergessender, dafür übersteigert Sünden und Tod erinnernder Selbstbetrachtung impliziert: Die meditative Struktur birgt insofern die Tendenz zur Selbstzerstörung. In diesem Sinne sind sowohl die Warnungen vor zu viel wie vor zu wenig meditativer Struktur und Ordnung zu verstehen. Wer in der Meditation zu lange im Subjekt-Bewusstsein eigener Unergründlichkeit verweilt, gerät in die >Gefahr< strukturloser Selbsterinnerung. Vor dem Hintergrund der Warnungen vor meditativer curiositas erscheinen auch manche bereits unter anderen Aspekten untersuchte Gedichte in neuem Licht. Es wird nun deutlich, dass die Betonung des Wechselspiels von Wendung in sich selbst und Distanznahme von sich selbst durch das über Tod und Gewissen meditierende lyrische Ich nicht nur für unsere Frage nach individueller Selbstthematisierung von Bedeutung ist, sondern auch im Zeichen >ungefährlicher< Betrachtung steht. Wenn in Gryphius' Sonett An sich Selbst (Kap. 3.2.1.1) und Desportes' Prière en forme de Confession (Kap. 3.2.1.2) das Subjekt des Gedichtes aus der Vogelperspektive auf das eigene Sterbebett herabsieht, das lyrische Ich in Donnes Hymn to my God, in my Sicknesse (s. Kap. 3.2.2.3) gleichsam betrachtend über sich selbst als »flat map« der Kreuzigung schwebt, wenn das Subjekt des Gedichtes in Flemings Bekäntnüß das Schweben über sich und Wolken betrachtet (Kap. 3.3), das lyrische Ich bei Spee nach der anatomischen Zergliederung über den »gantzen Leib« meditiert (Kap. 3.2.2.3) und in dem Gedicht der Benediktinernonne von Cambrai (Kap. 3.3.1.2) selbst der Spiegel-Blick von innen auf die eigene Selbstumgrenzung als Panoramablick im Schein des Glaubens-Lichtes beschrieben wird, so werden damit Signale gesetzt, die auf Strategien zur Vermeidung der curiositas verweisen. Der zergliedernde, in und zu sich selbst gewendete Blick bedarf in der Meditation des späten 16. und 17. Jahrhunderts immer auch der übergeordneten und kontextualisierenden Gesamtansicht auf das Zusammenspiel des betrachteten Ganzen. Die meditative Struktur als individueller Weg zur über-individuellen Erkenntnis fordert als spezifische Erinnerungs- und Erkenntnisform der Frühen Neuzeit diese Verschränkung von Wendung in sich selbst und Distanznahme von sich selbst. Sie bietet eine Struktur, die den selbstbetrachtenden Ein- und Überblick ermöglicht, fordert und vereinbar macht. Die detaillierte Gewissens-Innensicht wird verschränkt mit dem einordnenden Überblick über sich selbst als Ganzes, als In-dividuum. Somit ist die Selbstbetrachtung unseres Untersuchungszeitraumes immer auch über das Sünden-Gedächtnis hinausgehende Selbst-Erinnerung, die das Gewissen nicht als summarische Sünden-Aufzählung, sondern als System versteht, das als Instanz der Selbsterkenntnis nach Kontexten und Bezügen fragt. Die Meditation fordert das

385 individualitätsbewusste Wechselspiel von nach innen gerichteter Detail- und von außen aufs Ganze gerichteter, distanzierter Gesamtansicht auf sich selbst. Meditative Erinnerung ist deshalb immer Detailgedächtnis und Kontexterinnerung zugleich. Für das meditierende Ich in literarischen Todesbetrachtungen der Frühen Neuzeit erwies sich das Perspektivenspiel zwischen Wendung in sich selbst und Distanznahme von sich selbst als frühneuzeitliche Performanz von Individualität. Als charakteristisch erwies sich aber auch die selbstreflexive Systematik und Methodik, die in der Meditation bei der Beschreitung des religiösen Erkenntnisweges gefordert wird. Sie konnte in ihrem lexikalischen, perspektivischen und strukturellen Zusammenhang mit der Anatomie als wissenschaftlicher Erkenntnismethode aufgezeigt werden: Die den Zustand von Magen, Milz, Leber und Nieren umfassenden Betrachtungen des Körpers Jesu am Kreuz, anatomisch-meditative Bühnenspektakel und die anatomische Verschränkung von zergliedernder Innensicht mit kontextualisierender Gesamtansicht umreißen die medizinisch-religiösen Selbstsichten der Meditierenden im 17. Jahrhundert. Wie nicht zuletzt die Warnungen vor der >falschen< Meditation zeigen, kann sich der analytische Zugriff der Todesbetrachtung des Verdachts nicht erwehren, den Tod bisweilen methodisch beherrschen und >wegmeditieren< zu wollen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die über den Rahmen dieser Untersuchung hinausweisende These, dass die anatomische Meditation< des 17. Jahrhunderts als religiöse Methode der (Selbst-)Erkenntnis die säkularen, rational-analytischen Erkenntnismethoden der Aufklärung vorbereitet bzw. sogar vorwegnimmt.1 Abschließend soll ein Ausblick auf die meditative Lyrik des 18. Jahrhunderts vorgenommen werden, der insbesondere den in dieser Untersuchung bisher vielleicht zum Erstaunen ausgeklammerten Pietismus berücksichtigen wird, aber auch die Beschränkung dieser Arbeit auf meditative Gedichte unter Vernachlässigung der Lieddichtung plausibel macht.2 Verinnerlichung des Glaubens und Individualisierung der Frömmigkeitspraxis zählen zu den zentralen Charakteristika des Pietismus. 3 Die meditative Andacht, insbesondere die »Beobachtung des Hertzens«, wird in der Erbauungsliteratur emp-

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S. Gerhard Kurz: Zur Bedeutung der »Betrachtung« in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Meditation und Erinnerung in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gerhard Kurz. Göttingen 2000 (Formen der Erinnerung 2), S. 219-250. Zum Spannungs- und Wechselverhältnis zwischen Säkularisierung und Religion im Wissenschaftsverständnis der Aufklärung s. auch Säkularisierung in den Wissenschaften seit der Frühen Neuzeit. Bd. 2: Zwischen christlicher Apologetik und methodologischem Atheismus. Wissenschaftsprozesse im Zeitraum von 1500 - 1800. Hg. v. Lutz Danneberg u.a. Berlin / New York 2002, S. 67-93. S. Stephanie Wodianka: Wege und Abwege der Betrachtung: Gottfried Arnold zur pietistischen »beobachtung des hertzens« als Gefahr. In: Tagungsband zum Ersten Internationalen PietismusKongress Halle 2001 [im Druck], S. Johannes Wallmann: Was ist Pietismus? In: Pietismus und Neuzeit 21 (1995), S. 12 und Johannes Wallmann: Der Pietismus. Göttingen 1990, S. 12.

386 fohlen, exempelhaft vorgeführt und in ihrem Nutzen beschrieben. 4 D i e auch für das 17. Jahrhundert bereits dargestellten Warnungen vor den >Gefahren< der Meditation finden sich auch in den pietistischen Schriften und scheinen sich dort i m 18. Jahrhundert zu verstärken. Besonders deutlich äußert diese S k e p s i s Gottfried Arnold, und zwar in seiner i m Jahr 1708 erscheinenden Schrift Abwege Versuchungen

gutwilliger

und frommer

Menschen.5

oder Irrungen

und

Worin das Gefahrenpotential der

Meditation nach Ansicht Arnolds bestand und inwiefern seine Warnungen in B e z u g auf meditative Lyrik und den pietistischen Gesang von Interesse sind, soll hier, am Ende der Untersuchung angekommen, kurz erläutert werden. Bei der Beschreibung pietistischer Frömmigkeitspraxis sind neben der genannten andächtigen Betrachtung Gesang und Lied zu nennen. Der große Stellenwert, der d e m » g e i s t r e i c h e n Gesang« 6 im Pietismus zukommt, zeigt sich zum einen in der Quantität der aus pietistischen Kontexten hervorgehenden Liedproduktionen und Gesangbücher. 7 Z u d e m wurde in einschlägigen Forschungsarbeiten bereits gezeigt, dass das Singen geistlicher Lieder fester Bestandteil der pietistischen Betrachtung war, 8 sei es i m Kreise der Familie zu Hause oder in der Gemeinschaft b e i m Gottesdienst. D a s Lied erleichtert das Finden der andächtigen Haltung, führt zur Betrachtung hin und erhebt das Herz zu Gott. D a s geistliche und kirchliche Lied ist aber auch Teil der

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Philipp Jacob Spener: Der innerliche und geistliche Friede Oder der Friede Gottes / So wol desselben mit uns / als unserer mit und und in Gott / samt dessen Beförderungs=mitteln und hinderniissen. Frankfurt a.M. '1686, S. 86, bezeichnet die »beobachtung unsers hertzens« als »mittel«, das »zu soviel anderem guten also sonderlich zu diesem [innerlichen und geistlichen] frieden ein treffliches thun kann.«. Ähnlich August Hermann Francke: Betrachtungen Wie ein Mensch in sich selbst gehen / und sein Leben bessern soll / Aus dem Italienischen übersetzet Und nebst einer Vorrede von [...] August Hermann Francke [...] in Druck herausgegeben. Halle 1699, Vorrede: »Unter solchen Mitteln [zum Sorgetragen für die Seele] ist nicht das geringste die Meditation oder Betrachtung.« Gottfried Arnold: Die Abwege Oder Irrungen und Versuchungen gutwilliger und frommer Menschen, aus Beystimmung des gottseeligen Alterthums angemercket [...]. Frankfurt 1708. Johann Freylinghausen: Geistreiches Gesang=Buch / Den Kern Alter und Neuer Lieder [...] in sich haltend [...]. Hg. v. Johann Anastasio Freylinghausen. Halle 1704; s. auch: »Geist=reicher« Gesang. Halle und das pietistische Lied. Hg. v. Gudrun Busch und Wolfgang Miersemann. Tübingen 1997. S. Friedrich de Boor: Der Nordhäuser Gesangbuchstreit 1735-1738. Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung im Kampf um das rechte Gesangbuch. In: Pietismus und Neuzeit. Hg. v. Andreas Lindt und Klaus Deppermann. Bielefeld 1974, S. 100-113, S. 103 sowie Albrecht Ritsehl: Geschichte des Pietismus in der lutherischen Kirche des 17. und 18. Jahrhunderts. Bonn 1886, Bd. 3, S. 386 und O. Wetzstein: Das deutsche Kirchenlied im 16., 17. und 18. Jahrhundert. Neustrelitz 1888, S. 167. Dazu auch Wilhelm Nelle: Geschichte des deutschen evangelischen Kirchenliedes. Hamburg 1909, S. 182. Irmgard Scheitler: Geistliches Lied und persönliche Erbauung im 17. Jahrhundert. In: Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit. Studien zur religiösen Literatur des 17. Jahrhunderts in Deutschland. Hg. v. Dieter Breuer. Amsterdam 1984, S. 129-155 (Chloe 2), S. 129 und Ingeborg Röbbelen: Theologie und Frömmigkeit im deutschen evangelisch-lutherischen Gesangbuch des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Göttingen 1957 sowie Hans-Georg Kemper: Deutsche Lyrik der Frühen Neuzeit. 5 Bde. Bd. 5/1: Aufklärung und Pietismus. Tübingen 1991.

387 Andacht und trägt zur Verinnerlichung des Betrachteten bei, und schließlich kann es auch selbst meditative Inhalte und Strukturen aufweisen. Vor dem Hintergrund der von Arnold beschriebenen Gefahren der Betrachtung hinterfragen meine Ausführungen das Verhältnis zwischen Meditation und pietistischem Lied, das meiner Ansicht nach ambivalenter war, als es zunächst scheinen mag. Gesang und Lied, so soll im Folgenden deutlich werden, waren nach Auffassung Arnolds nicht nur Teil und Stütze der andächtigen (Herzens-)Betrachtung, sondern dienten auch oder vor allem der Prävention und Bekämpfung des der Betrachtung innewohnenden gefährlichen Potentials. Gottfried Arnold verfasst im Jahr 1708 seine Schrift Die Abwege Oder Irrungen und Versuchungen gutwilliger und frommer Menschen, aus Beystimmung des gottseeligen Alterthums angemercket [...], in der er ein ganzes Kapitel den »Versuchungen bey der andacht / betrachtung und beschauung« widmet.9 In seiner Vorrede verweist er auf Philipp Jacob Speners Werk Natur und Gnade aus dem Jahr 1686 und Daniel Dykes Mystery of Selfe-Deceiving (1615), die er als Vorarbeiten zu seinem warnbeschilderten Wegweiser durch die Abwege und Irrwege christlichen Wandels bezeichnet. Er wehrt sich in seinem Vorwort durch die zustimmende Bezugnahme auf Spener nicht nur gegen das Abtun seines Anliegens als radikalpietistische Extremposition, sondern verweist auch betont auf die Abstraktion von aktuellem Theologenhader und seine Gründung auf die gerade nicht aktuellen Positionen der Kirchenväter. Er beschreibe nur diejenigen Irrwege, »die von alten Zeiten her bereits entdecket sind«.10 Arnold warnt vor der Eigendynamik einer Betrachtung, die statt Gott sich selbst zum Objekt der Meditation macht, die statt durch das göttliche Wort durch eigene Worte und statt durch göttliche Gedanken durch eigene Gedanken geprägt ist. Er rät den Meditierenden: Damit wir nun uns selbst nicht freyheit verstatten / vieles zu reden oder sich unmässig darüber zu freuen / so sollen wir am allermeisten die zeit im gebät und psalmen und in lesung der schrifft zubringen; denn damit gibt man dem hertzen nicht räum / daß es seine eigene worte (und gedankken) mit den Worten der gnade vermenge [...]. Ja auch zur zeit der betrachtung werden wir das hertz vor aller phantasie bewahren / und solche gedancken kriegen / auch kräffte erlangen / die wir zu Göttlichen betrachtungen anwenden mögen / und zugleich mit grosser demuth in wahrer Unterscheidung wachsen."

Die Betrachtung läuft Gefahr, zum »übermäßigen scrupulieren im geistlichen« zu werden, und sei »deßwegen sehr gefährlich [...] / weil des Menschen gedancken /

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Gottfried Arnold: Die Abwege Oder Irrungen und Versuchungen gutwilliger und frommer Menschen, aus Beystimmung des gottseeligen Alterthums angemercket [...]. Frankfurt 1708, Das X. Capitel, S. 200-220. Gottfried Arnold: Die Abwege Oder Irrungen und Versuchungen gutwilliger und frommer Menschen, S. 270. Gottfried Arnold: Die Abwege Oder Irrungen und Versuchungen gutwilliger und frommer Menschen, S. 208.

388 die da sich selbst gelassen / allzeit gefährlich sind / ihn leicht auff solche ab= und irrwege / auff solche eigene meinungen und concepten von Göttlichen dingen verleiten können / die er hernach nicht so leicht wieder auß dem gemüthe werffen möchte.«12 Gefahren lauern insbesondere dann, so Arnold, »wenn man von dem abgedruckten wort und grand der H. schlifft unvermerckt abweichet / und seinem eigenen geist folget / der unter dem schein der warheit offt mehr irrthum und betrug vorleget / als der mensch auß eigenliebe glauben wil.«13 Freiheit und Dominanz der eigenen, sich selbst überlassenen Gedanken und phantasiegeleitete Abweichung vom Weggeländer des »abgedruckten worts und grund der H. schrifft« machen den Andachtsweg demnach zum gefährlichen Abweg. Arnold warnt außerdem die zu »tiefsinnigkeit und scrupeln« geneigten Gemüter vor andächtiger Betrachtung, weil sie »offt in grossen seelenschaden kommen, wo sie ihnen selbs nachhängen [...]«.14 Wenn die Bewegung der Betrachtung nicht stetig auf Gott zuläuft, sondern der Betrachtende in der Andacht eine um sich selbst kreisende Bewegung vollzieht, gerät die Meditation zum gefährlichen Irrweg (vgl. Kap. 3.4.5). Und noch in anderer Hinsicht bedeutet für Arnold jegliches Stehenbleiben bzw. jede Kreisbewegung auf dem Weg der Betrachtung eine Gefahr: Die Betrachtung ist als Frömmigkeitspraxis immer nur eine Stufe auf dem Weg zur Praxis der Frömmigkeit, zum »thätigen Christenthum«: »Die meiste beysorge und warnung gehet wohl dahin / daß man auß solchen andachten / als an sich selbst guten mittein / doch nicht das haupt=werck mache / sondern sie nur zur förderung in der praxi lerne anwenden / das scrupulieren und nachgrübeln aber in Göttlichen geheimnüssen dabey ernstlich vermeide.«15 Die Gefahr der Betrachtung, so wird in Arnolds Schrift zu den »Abwegen oder Irrungen« deutlich, ist die genüssliche, sich narzistisch bespiegelnde und um sich selbst kreisende Selbstbetrachtung, die sich selbst genug und mehr praxis individualitatis als praxis pietatis16 ist. Bis hierhin ähneln sich die Warnungen Arnolds durchaus mit denjenigen, die im letzten Kapitel der vorliegenden Untersuchung bereits für das späte 16. und 17. Jahrhundert ausgemacht wurden. Hervorzuheben ist allerdings die programmatische Dichte, mit der nun, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, die >Gefahren
falscher< und gefährlichen Andacht ergeben. Gesang und Lied werden nicht nur als Teil der Andacht, sondern auch in ihrem Verhältnis zur Betrachtung thematisiert und dabei als Konzept domestizierter, ungefährlicher Andacht ausgewiesen. Gottfried Arnold führt den geistlichen Gesang - ob zu Hause oder in der Gemeinde - z.B. insofern als Gegenmodell der gefährlichen Andacht explizit aus, wenn er die »Hülffe im glaubigen Gesang wider die Anfechtungen« beschreibt und das »Lobsingen« der »Lieder der göttlichen Liebe« als »Artzney« bezeichnet, die »den Trauer=Geist aus dem Hertzen« vertreibt und damit die Melancholie als eine der von ihm aufgezeigten Gefahren der Betrachtung bannt.17 Ein weiteres domestizierendes Moment wohnt Gesang und Lied inne: Arnold weist mehrfach darauf hin, dass beim andächtigen Gesang »das im Hertzen seyn« müsse, »was auf dem Munde liegt [...]. Wenn du vor Gottes Angesicht Psalmen singst«, so Arnold weiter, »so erwäge das fein im Hertzen / was du mit der Stimm singst. Dein Gemüth muß mit der Stimme eins seyn. Denck nicht anders / als was du singst [...]«.18 Wenn dasjenige im Herzen ist, was beim andächtigen Gesang auf der Zunge liegt, ist auch umgekehrt gewährleistet, dass man hört und damit auch kontrollieren kann, was im Herzen ist. Der Gesang auf der Basis des Liedtextes hat bei ihm auch in diesem Sinne eine restriktive Funktion inne, die Inhalt und Progression der Andacht steuern. Arnold hatte, wie bereits zitiert, gegen die Betrachtung vorgebracht, sie könne dem Herzen gefährlichen »räum« geben, eigene Gedanken und Worte zu formulieren und zu betrachten und sich damit vom »außgedruckten wort« und dem »grund der H: schrifft« entfernen (s.o.). Das Singen geistlicher Lieder kann insofern als Prävention und Korrektiv >gefährlicher< Betrachtung gelten, als es durch den invariablen Text und die durch Rhythmus und Melodie vorgegebene Progression diesen Freiraum einschränkt. Schon der Jesuitenpater Friedrich Spee setzt ans Ende besonders >heikler
förmlichegefährlichen< Betrachtung zurückgehen. S. auch Udo Sträter: Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1995 (Beiträge zur historischen Theologie 91), S. 156-166 und Friedrich Vollhardt: Eintr. Geselligkeit. In: Lexikon der Aufklärung. Hg. v. Werner Schneider. München 1995, S. 152-154.

391 aufhob und stattdessen gefährliche betrachtende »Gruppenpoesie« 23 praktizierte.24 Gottfried Arnold bezeichnet seine Poetischen Lob= und Liebes=Sprüche / von der Ewigen Weißheit / nach Anleitung Des Hohenliedes Salomonis [...] 25 im Vorwort interessanterweise entsprechend als »zufallige und aus dem überfluß des hertzens ausgebrochene gedancken / andachten oder gesänge, wie man sie etwa nennen will« und stellt sie damit unter das Zeichen >ungefährlichereinsamen< Andacht weniger Raum für Melancholie,

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Angebunden an: Gottfried Arnold: Das Geheimnis der göttlichen Sophia. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von Leipzig 1700 mit einer Einführung von Walter Nigg. Stuttgart 1963. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass in der Forschungsliteratur zwar stets die Bedeutung des Pietismus für die Lyrik hervorgehoben, dabei aber meist ausschließlich oder zumindest vorwiegend auf die pietistische Lieddichtung eingegangen wird. Pietistische meditative Lyrik, d.h. Gedichte, die die Meditation als Textstruktur realisieren, sind nach meinem Wissen im Vergleich zur Lyrik des späten 16. und 17. Jahrhunderts bedeutend seltener. Meditative nicht sangbare Lyrik wird seltener in der Forschung thematisiert und scheint auch im späten 17. und 18. Jahrhundert im Vergleich zur Lieddichtung zurückgedrängt oder zumindest defensiver vertreten zu werden. Es wäre der Frage nachzugehen, ob dieser - in einer gesonderten Untersuchung zu verifizierende - Befund mit den Warnungen vor den >Gefahren< der Betrachtung zusammenhängt: Wenn die Betrachtung >gefährlich< ist, ist auch betrachtende Lyrik verdächtig, zumal sie nicht oder nicht in gleichem Maße über die genannten dem Gesang innewohnenden korrigierenden und domestizierenden Strukturen verfügt. Gottfried Arnold: Erste Liebe / Das ist / Wahre Abbildung der Ersten Christen Nach Ihren Lebendigen Glauben und Heiligen Leben / Aus der ältesten und bewährtesten Kirchen=Scribenten eigenen Zeugnissen / Exempeln und Reden [...]. Frankfurt a.M. 1712, S. 166. Johann Porst: Geistliche und Liebliche Lieder, Welche der Geist des Glaubens Durch Martin Luthern, Joh. Heermann, Paul Gerhard, und andere seine Werckzeuge, in den vorigen und jetzigen Zeiten gedichtet [...] worden; Nebst [...] einer Vorrede von Johann Porst [...]. Berlin 1763, Vorrede, o. Pag.

392 gefährliche, sich selbst iiberlassene eigene Gedanken, Entfernung vom »grund der H. schlifft« und vergnüglicher praxis individualitatis. Gesang und Lied sind in diesem Sinne nicht nur Teil und Stütze der Andacht, sondern korrigierendes, leitendes und domestizierendes Geländer auf den mitunter gefährlichen Wegen der Betrachtung. Das geistliche Lied - so sollten diese abschließenden Ausführungen zeigen - prägt nicht nur die pietistische Frömmigkeit, sondern ist auch Ausdruck und Folge von deren spezifischem und durchaus ambivalentem Verhältnis zur Meditation, das weiteres Forschungsinteresse verdient.

Auswahl meditativer Gedichte (in der Reihenfolge ihrer Interpretation)

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Abb. 9

395 Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694) Je tieffer, je höher1

Erklärung des Kupffer=Bilds Des abends göldne zeit / mich reizte zu spazieren An einen silber=fluß der ganz krystallen rein Ein Landtschaft=spiegel war / in welchem sich verlieren / die Thiirme mahler=recht und künstlich fallen ein / als ob sie umgekehrt. Man siht die spitz in gründen: ie tieffer scheinen sie / ie höher sind sie nur. Das aug muß seine maß in ihrer tieffe finden. Es ist die niederkeit / der hoheit iuste spur. Die spitze / die mich fast den boden spissen dunkte / Ein woIken=ragen war / in unerreichter höh. Der sand=beküssend Gupf als wie ein sternlein funkte. Indem ich stehend diß / noch tieff=und höher geh In meiner denke=lust, find ich dass Jesus Christ / sein Macht= und Onmacht=stand / sein sitzen zu der Rechten In diesem Wasserbild mir vorgemahlet ist. Weil sie im Elend ihm sein' Ehre widerfechten / weist er hingegen sie zum hoheit=thron empor / Je tiefer ietzund war der menschheit=thurm gesenket / Ie mehr Erhöhung ihm nechst=künftig stund bevor. GOTT auch den Lebenslauf der Christen also lenket.

Catharina Regina von Greiffenberg: Je tieffer / je höher. In: dies.: Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina / Frau von Greiffenberg / Freyherrin auf Seysenegg / Zu Vermehrung der Ehre GOttes und Erweckung wahrer Andacht / mit XU. Sinnbild=Kupfem verfasset und ausgefertiget. Nürnberg 1672. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983, Bd. 9, S. 188f. [Yale Collection of German Literature, Beinecke Rare Book and Manuscript]. Vgl. Kap. 1.3.2.

396 Margarethe Susanne von Kuntsch (1651-1717) Über desselben [Erasmus Franciscis] letzte Rechenschafft beym erstenmahl durchlesen2 Mein Jesu laß mich stets derselben Zeit gedencken Darinn ich Rechnung soll von Wort und Wercken thun Und nicht mein Christenthum in Wissen nur beruhn Gehn Fehler wo mit ein / die wollest du mir schenken Durchstreich dieselben nur mit deinem theuren Blut Alsdenn besteh ich wohl / der Rechnungs=Schluß ist gut.

Als sie solches zum andern mahl durchlesen / Sonnet.3 O Donner=Wort das stets in meinen Ohren schallt: Steht Menschen=Kinder auf und kommet vor Gerichte O strenges Recht! Für dem wird all mein Thun zunichte O Urtheil das noch mehr als stärckster Donner knallt; Wie will ich Sünder stehn für dieses Spruchs Gewalt Der alles was ich thu / auch rede / oder dichte Ins lichte stellen wird vors Richters Angesichte Ich fühle daß mein Geist in mir zurücke prallt. Wenn ich es recht erweg / der Satan klagt mich an und mein Gewissen zeugt daß ich nicht recht gethan Ich fiel verzweifelt hin / wenn mich nicht dieß könnt laben Herr Jesu / dein Verdienst / dasselbe bleibet mein Du bist das Lebens=Buch / ach zeichne mich darein So werd ich meinen Fund zu meinem Richter haben.

Margarethe Susanne von Kuntsch: Über desselben [Erasmus Francisa] letzte Rechenschaft! beym erstenmahl durchlesen. In: dies.: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720 (postum), S. 54. Vgl. Kap. 2.4. Margarethe Susanne von Kuntsch: Als sie solches zum andern mahl durchlesen. Sonnet. In: dies.: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte, S. 54f. Vgl. Kap. 2.4.

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John Donne (1572-1631) Holy Sonnets: Batter my heart4 Batter my heart, three-person'd God, for you As yet but knock, breathe, shine, and seek to mend; That I may rise and stand, overthrow me, and bend Your force to break, blow, burn, and make me new. I, like an usurp'd town to'another due, Labor to'admit you, but oh, to no end; Reason, your viceroy in me, me should defend, But is captiv'd, and proves weak or untrue. Yet dearly' I love you, and would be lov'd fain, But am betroth'd unto your enemy; Divorce me, 'untie or break that knot again, Take me to you, imprison me, for I, Except you'enthrall me, never shall be free, Nor ever chaste, except you ravish me.

John Donne: Batter my heart. In: The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. v. Louis L. Maitz. New York 1963, S. 90f. Vgl. Kap. 3.2.1.1.

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George Herbert (1593-1633) The Aitar.5 A broken A L T A R , Lord, thy servant reares, Made of a heart, and cemented with teares: Whose parts are as thy hand did frame; No workmans tool hath touch'd the same. Α Η E A R Τ alone Is such a stone, As nothing but Thy pow'r doth cut. Wherefore each part Of my hard heart Meets in this frame, To praise thy name. That if I chance to hold my peace, These stones to praise thee may not cease. O let thy blessed S A C R I F I C E be mine, And sanctifie this A L Τ A R to be thine.

George Herbert: The Altar. Zit. nach The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. v. Loius L. Martz. New York 1963, S. 147. S. auch George Herbert: The Temple. Sacred poems and private ejaculations. Mit einer deutschen Versübersetzung von Inge Leimberg: Münster u.a. 2002. Vgl. Kap. 3.2.1.1.

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Thomas Traherne (1637-1674) 6 Sin! 0 only fatal Woe, That makst me Sad an Mourning go! That all my Joys dost Spoil, His Kingdom and my Soul Defile! 1 never can Agree With Thee! Thou! Only Thou! O Thou alone, (And my Obdurat Heart of Stone,) The Poyson and the Foes Of my Enjoyments and Repose, The only Bitter 111: Dost Kill! Oh! I cannot meet with Thee, Nor once approach thy Memory, But all my Joys are Dead, And all my Sacred Treasures fled; As if I now did Dwell In Hell. Lord! O hear how short I Breath! See how I Tremble here beneath! A Sin! Its Ugly face More Terror, then its Dwelling Place, Contains, (O Dreadful Sin!) Within!

Thomas Traherne: Sin! Zit. nach The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. v. Louis L. Martz. New York 1963, S. 474f. Vgl. Kap. 3.2.1.2.

400 Andreas Gryphius (1616-1664) An sich Selbst7 Mir grawet vor mir selbst / mir zittern alle glieder / Wen ich die lipp' und naß' und beider äugen kluft / Die blindt vom wachen sindt / des athems schwere luft Betracht / undt die nun schon erstorbnen augen=lieder: Die zunge / schwartz vom brandt felt mitt den Worten nieder / Undt lalt ich weis nicht was; die müde Seele ruft Dem grossen Tröster zue / das Fleisch reucht nach der gruft / Die ärzte lassen mich / die schmertzen kommen wieder. Mein Cörper ist nicht mehr als ädern / seel / und bein. / Das sitzen ist mein todt / das liegen meine pein. / Die schenckel haben selbst nun träger woll von nöthen! Was ist der hohe rühm / undt jugendt / ehr und kunst? Wen diese stunde kompt: wirdt alles rauch und dunst. Und eine noth mus uns mitt allem Vorsatz tödten.

Andreas Gryphius: An sich Selbst. Zit. nach Andreas Gryphius. Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983, Bd. 1, S. 61. Vgl. Kap. 3.2.1.2.

401 Jean Auvray (ca. 1580-1630) Un spectre, une carcasse...8 En extase je tombe, et sans sentir je sens Une insensible main qui dérobe mes sens, Tient mon ame en suspens, agilement transporte Moy-mesme de moy-mesme, et sur un mont me porte, Un mont épouvantable, horrible, où les corbeaux, Laidement crassans, déchiroient par morceaux Des corps suppliciez les entrailles puantes; Là n'estoient que gibets, que potences sanglantes, Qu'horreur, qu'effroy, que sang, qu'abomination, Que mort, que pourriture et désolation. Comme s'y pourmenoit mon ame épouvantée, Elle y vid une croix nouvellement plantée, Construite, ce sembloit, de trois sortes de bois; Un homme massacré pendoit sur cette croix, Si crasseux, si sanglant, si meurtry, si difforme, Qu'à peine y pouvait-on discerner quelque forme, Car le sang que versoit son corps en mille lieux Deshonoroit son front, et sa bouche et ses yeux; Toute sa face estoit de crachats enlaidie, Sa chair en mille endroits estoit toute meurtrie, Sa croix de toutes parts pissoit les flots de sang, Ses pieds, ses mains, son chef, et sa bouche et son flanc, En jettoient des ruisseaux, les cruelles tortures Luy avoient tout demis les os de ses jointures, Sa peau sanglante estoit cousue avec ses os, Et son ventre attaché aux vertebres du dos Sans entrailles sembloit, une espine cruelle Fichoit des aiguillons jusques dans sa cervelle, Dont les sanglots bouillons à mesure sechez Couloient, barbe et cheveux sur sa face couchez; Ce qui restoit encor de sa chair detranchée, Pendoit horriblement par lambeaux écorchée, Tous ces membres estoient ou playez, ou meurtris; Bref, comme en ces lepreux confirmez et pourris, L'on voy oit au profond de ses largues ulceres

Jean Auvray: Un spectre, une carcasse... Zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 138. Vgl. Kap. 3.2.2.

402 Ses veines, ses tendons, ses nerfs et ses arteres, L'on pouvoit aisément luy conter tous les os, Ce n'estoit qu'un squelet, qu'une seche Atropos, Un spectre, und carcasse, et pour bien dire en somme, Ce mort ressembloit mieux un phantosme qu'un homme, Sinon que de ses yeux morts et ensanglantez Rejallissoient encor tant de vives clartez, Tant de traits, tant d'attraits, que pour moy il me semble Que ce mort estoit vif, ou vif et mort ensemble...

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Claude Hopil (ca. 1585-1633) Contemplation de Iesus en Croix9 Qui meurt en ceste Croix si cruelle & si dure? le ne scay, ce Mourant n'a ny tein ny figure D'un vray homme en ce lieu: Est-ce un homme en effect que ceste mort devore? Un Ange ne meurt pas, un Dieu ne meurt encore, Non c'est un Homme-Dieu. Il meurt, las! Il est mort, & mon ame est pasmée, Dans l'excez de douleur, dans l'angoisse abysmée Quel prodige est cecy? La ioye est attristee, & la force affoiblie, L'estre va défaillant, helas morte la vie, Le Soleil obscurcy. C'est donc un Dieu qui meurt, celuy qui prit naissance Pour d'esternelle mort sauver l'humaine essence, Mais qui le fait mourir? Ceux mesmes qui de luy tenoient la vie & l'ame, Ne m'en dites rien plus, à ces mots ie me pasme Dans mon mourant souspir. Le voyant couronné de sanglantes espines, le dy, sont-ce les lys & les roses divines Digne d'un Espoux tel? Les espines il prend, pour me donner les roses, Il ne veut pas regner dans les mortelles choses Mais au cœur Immortel. Voyant ses belles mains saigner, ie n'ay plus l'ame, Voyant ses pieds clouez à la Croix ie me pasme. Disant ô cher Espoux Clouez si bien mon cœur par vostre amour tres-forte Sur la sanglante Croix que l'ame en moi soit morte Et vivante pour vous. Voyant du Corps sacré ruisseler cinq fontaines Les causes de ma vie & l'effet de ses peines

Claude Hopil: Contemplation de Iesus en Croix. In: ders.: Les doux vols de l'ame amoureuse de Iesus, exprimez en cinquante cantiques spirituels, tres propres à enflammer les ames à la devotion & à l'amour de Dieu. Paris 1629, S. 25f. Vgl. Kap. 3.2.2.2.

404 le m'escrie en pleurant, Ainsi coule le sang de mon cœur par mes larmes, Bien-heureux qui touché de ses amoureux charmes Meurt avec ce mourant! Mourant? las, il est mort, & ie suis mort encore Par la compaßion qui mon esprit devore, Non, ie meurs & ie vy, le meurs dedans sa mort & vy dans son mérite, Estant mort au peché, sa mort meressusite, D'amour ie suis ravy. L'amour donna la mort à l'autheur de la vie Sa mort me la donna, l'amour me la ravie Pour un temps seulement. La mort de Iesus Christ tot l'homme renouvelle, La vie prend naissance en l'ame qui par elle Vit éternellement. Par ce costé divin ouvert par une lance Comme une porte entre & soudain t'eslance Au cœur de Iesus Christ, Luy disant, recevez la Colombe mystique Laquelle s'envolant en ce nid Deifique Y veut rendre l'esprit. O Dieu que ce séjour est remply de merveille! le ne scay que je fay, ie dors & mon cœur veille, Helas ie meurs d'amour! O filles de sion, gardez qu'on ne resveille L'espouse de Iesus qui dans ce lict sommeille Iusqu'à tant qu'il soit iour.

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Jean de La Ceppède (1550-1623) Sonnet LXIII (Théorèmes)10 Aux monarques vainqueurs la rouge cotte d'armes Appartient justement. Ce roi victorieux Est justement vêtu par ces moqueurs gens d'armes D'un manteau, qui le marque et prince, et glorieux. O pourpre, emplis mon test, de ton jus précieux Et lui fais distiller mille pourprines larmes, À tant que méditant ton sens mystérieux, Du sang trait de mes yeux j'ensanglante ces carmes. Ta sanglante couleur figure nos péchés Au dos de cet Agneau par le Père attachés: Et ce Christ t'endossant se charge de nos crimes. Ô Christ, ô saint Agneau, daigne-toi de cacher Tous mes rouges péchés (brindelles des abîmes) Dans les sanglants replis du manteau de ta chair.

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Jean de La Ceppède: Sonnet LXIII. Zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 121. Vgl. Kap. 3.2.2.1.

406 Pierre Patrix (1583-1671) Estant un peu remis de sa crainte, il s'offfre à Dieu, pour mourir au pied de la Croix11 Un pied dans le sepulchre, et tout prest d'y décendre, Pour n'estre au premier jour que poussière et que cendre, Puis-je encores, Seigneur, fléchir vostre courrous, Et recourir à vous? N'ayant à vous offrir, pour expier mon crime, Que cette maigre, seiche et mourante victime: Quelle immense bonté pour elle vous avés, Si vous la recevés! O le don précieux! la magnifique offrande! Quel present je vous fais! que ma ferveur est grande! Et qu'il en est bien temps, quand déjà tout perclus, Le monde n'en veut plus. Cependant, mon Seigneur, en cét estât funeste, C'est tout ce que je puis, c'est tout ce qui me reste, Et mille repentirs d'avoir songé si tard A ce triste départ. M'y voilà parvenu, toute force me laisse; Je ne fais que tomber de foiblesse en foiblesse; Ma fin sans doute approche, et de peur d'expirer, N'ose plus respirer. Ah! voicy ce moment que mon ame apprehende: Au secours, mon Sauveur, permettés que je rende Et mes derniers soûpirs, et mes derniers abbois, Au pied de vostre Croix.

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Pierre Patrix: Etant un peu remis de sa crainte, il s'offre à Die pour mourir au pied de la Croix. Zit. nach La poésie française de 1640-1680. Poésie religieuse, Epopée, Lyrisme officiel. Hg. v. Raymond Picard. Paris 1964, S. 153.

407 Andreas Gryphius (1616-1664) Hertzens=Angst eines bußfertigen Sünders12 1. Mein Heyland! Was werd' ich beginnen! Ich gantz mit Lastern überhäufft / In tieffsten Unglücks=Schlam vertäufft. Jetzt werd' ich meiner Bosheit innen / Jetzt werd' ich durch mich selbst erschreckt: Indem mich deine Hand auffweckt. Und mir / wie hoch ich dich verletzet Und hart erzörnt / vor Augen setzet. 2. Wie wird mir / ach! ach! Mein Gewissen / Fühlt schärffster Wunden grimme Noth! Mein Hertz erschüttert ob dem Todt / Und wird vom innern Wurm durchbissen. Rinnt herbe Thränen Tag und Nacht! Rinnt / rinnt des Höchsten Donner kracht! O wann nichts übrig mehr / als Sterben! O könt ich in der Gruft verderben! 3. Ich leider bin von Gott geschieden! Durch eine Maur' ob der mir graut / Die ich von Missethat gebaut! Nun miß' ich Freude / Trost / und Frieden. Ich schau der Höllen offnes Hauß / Speit auf mich Glut und Marter aus! Des Höchsten Grimm will Urtheil sprechen / Und schon den Richterstab zubrechen. 4. Der Himmel wird mir / ach! Geschlossen / Er deckt mit Wolcken seine Zier / Die heiigen Wächter fliehn für mir / Kein Trost kommt mehr herab geflossen / Ich schaue nichts als Blitz und Nacht / Indem erhitzter Wetter Macht / Mit viel verhärter Donner=Rnallen Auf meinen Seitel dräut zu fallen.

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Andreas Gryphius: Hertzens=Angst eines bußfertigen Sünders. Zit. nach Andreas Gryphius. Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983, Werke, Bd. 2, S. 110-112. Vgl. Kap. 3.2.2.2.

408 5. Die Erd' ermüdet mich zu tragen / Bricht unter mir / ich schau die Klufft / In der man ewig Zetter rufft! Ich schau die Werckstatt grauser Plagen / Ich schau verruchter Seelen Pein! Ach! Was kann mehr erschrecklich seyn! Mehr schrecklich ists / dass in den Bränden Die Marter nimmermehr zu enden. 6. O grauser Anblick! kan ich sehen / hier schau ich was ich ie begieng / Und wider meinen Gott anfing; Was je gewünscht / gedacht / geschehen! Hier schau ich was ich unterließ / Was ich vor Gnade von mir stieß. Weh! weh mir! weh / mein ganzes Leben / War nur des Satans Dienst' ergeben / 7. Wie wickel' ich mich aus der Ketten Die Brust und Glieder schon umfast? Wer rettet mich von dieser Last? Darff ich vor GOttes Richtstul tretten? Was geb ich an? was wend ich vor / Ich der vor ihm stopfft Hertz und Ohr! Kann ich ihm wol auf tausend Fragen Auch nur ein' einig' Antwort sagen. 8. Ach Jesu die fall ich zu Fusse / Der du dich hast zum Heil der Welt In Noth und Marter eingestellt Ich komm in ernster Reu und Busse. Du hast ja des Gesetzes Fluch Und ungerechter Richter=Spruch / Daß ich nicht ewig möcht umkommen / Unschuldig über dich genommen. 9. Du hast als du vor mich gestorben Und dein gekröntes Haupt geneigt / Und dein eröffnet Herz gezeigt / Mir die Gerechtigkeit erworben Hat nicht dein Rosinfarbnes Blut Gelescht der Holl erhitzte Glut Ach komm denn / komm mich zu entbinden Komm dann / und tilge meine Sünden.

409 10. Ach komm und heile meine Wunden! Brich ein / was zwischen mir und Gott. Du hast ja durch den heiigen Todt Mit mir auf ewig dich verbunden. Wie könnt ich denn verlassen stehn! Wie könt ich Trostloß von dir gehen! Nein! Nein! Mit dir will ich obsiegen / Laßt Fluch und Sünde mich bekriegen!

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John Donne (1572-1631) Hymn to God my God, in my Sicknesse13 Since I am coming to that holy room, Where, with thy choir of saints for evermore, I shall be made thy music; as I come I tune the instrument here at the door, And what I must do then, think here before. Whilst my physicians by their love are grown Cosmographers, an I their map, who lie Flat on this bed, that by them may be shown that this is my south-west discovery Per fretrum febris, by these straits to die. I joy, that in these straits, I see my west; For, though their currents yield return to none, What shall my west hurt me? As west and east In all flat maps (and I am one) are one, So death doth touch the resurrection. Is the Pacific Sea my home? Or are The eastern riches? Is Jerusalem? Anyan, and Magellan, and Gibraltar, All straits, and none but straits, are ways to them, Whether where Japhet dwelt, or Cham, or Shem. We think that Paradise and Calvary, Christ's Cross, and Adam's tree, stood in one place; Look Lord, and find both Adams met in me; As the first adam's sweat surrounds my face, May the last Adam's blood my soul embrace. So in this purple wrapped receive me Lord, By these his thorns give me his other crown; And as to others' souls I preached thy word, Be this my text, my sermon to mine own, Therefore that he may raise the Lord throws down.

13

John Donne: Hymn to God my God, in my Sicknesse. Zit. nach The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. v. Louis L. Martz. New York 1963, S. 136f. Vgl. Kap. 3.2.2.3.

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Paul Fleming (1609-1640) Bekäntnüß 14 Mehr böse noch als bös' hab' ich bisher gelebet, bei kalter gottesfurcht mich brennend angestellt, den Himmel oft getäuscht, mehr mein Freund und der Welt, bin selten über mich und Wolken an geschwebet der schnöden Eitelkeit und Erden angeklebet. Ich habe das getan, das mir selbst nicht gefallt, ein Schuldner alles des, das Mosis Rechnung hält, der ich mit Eifer auch hab' öfter widerstrebet. Ich muß, will ich schon nicht, bekennen wider mich. Mein Urteil, meine Straf' und Todesart Sprech' ich. Ich hab' es so und so und ärger noch getrieben. Und was erzähl' ich viel die ungezählte Zahl von meinen Schulden her? Gott liest sie allzumal von meiner Stirnen ab, an der sie sind geschrieben.

14

Paul Fleming: Bekäntnüß. Zit. nach Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965, Bd. 1, S. 444. Vgl. Kap. 3.3.

412 Lady Elizabeth Delavai Upon the singing of a lark. Our time is in God's hand [ca. 1662-1671] 15 The early lark wellcomes the breake of day, But I (alass) drouse many hour's away. She to my God praises dos daily sing Reproaching thus my slothful sin; Whilest I do still neglect to worshipe him Till all the golden houer's of morning light Past a recall are vanish'd out of sight. O thou, who only lasting Joy's canst give, in mercy teach me a new life to live. Thou, who unfadeing pleasures dost command, Pleasures which ever are at thy right hand, Give me thy grace each minute to improve And fill my heart, O God, with heavenly love. Since time does fly too fast For me to call one moment mine Great and good God, what's thine Let me no longer wast.

15

Elizabeth Délavai: Upon the singing of a lark. Our time is in God's hand. Zit. nach The Meditations of Lady Elizabeth Delaval. Written between 1662 and 1671. Hg. v. D. G. Greene. Gateshead 1978, S. 44f. Vgl. Kap. 3.3.

413 Charles Drélincourt (1595-1669) Sur la Résurrection. Espérance du mourant16 Ainsi, Vase de terre, ainsi, Corps languissant, Portative Maison, Tabernacle fragile, Et d'un Tout précieus, Moitié foible et debile, Tu t'en vas fondre, enfin, tu t'en vas périssant. Mais en Toy je m'assure, ô Sauveur Tout-puissant! Ta parole, et ton bras, à tout est facile, M'enlevant du Tombeau, feront de cette Argile, Au Matin du grand jour, un Corps resplendissant. Ouy, que bien tôt mes yeus soient privez de Lumiere; Que mes mains et mes piez, dans l'affreuse poussiere, Servent et de victime et de pâture aus vers Ces yeus doivent un jour contempler ton Visage; Ces Mains t'aplaudiront, Juge de l'Univers; Et ces Piez te suivront au celeste Héritage.

16

Charles Drélincourt: Sur la Résurrection. Espérance du mourant. Zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, S. 167. Vgl. Kap. 3.3.1.2.

414 Jean-Baptiste Chassignet (1570-1635) L'eau change tous les jours 17 Assies toy sur le bort d'une ondante riviere, Tu la verras fluer d'un perpetuel cours, Et flots roulant en mille et mille tours Descharger par les préz son humide carriere. Mais tu ne verras rien de ceste onde premiere Qui n'aguiere couloit, l'eau change tous les jours, Tous les jours elle passe, et la nommons tousjours Meme fleuve, et mesme eau, d'une mesme maniere. Ainsi l'homme varie, et ne sera demain Telle comme aujourd'huy du pauvre cors humain La force que le tems abbrevie, et consomme; Le nom sans varier nous suit jusqu'au trespas Et combien qu'aujour-d'huy celuy ne sois-je pas Qui vivois hier passé, tousjours mesme on me nomme.

17

Jean Baptiste Chassignet: L'eau change tous les jours. Zit. nach Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 199. Vgl. Kap. 3.3.1.2.

415 Benediktinemonne im Kloster von Cambrai For the Use of Sister Anne Benedict of St Joseph [um 1560]18 Alone retired in my native cell, At home within myself, all noyse shut out, In silent mourning I resolve to dwell, With thoughts of death lie hang my walls about; All windows close, Faith shall my Taper be, At whose dim flame lie Hell and Judgement see. Reflected from these mirrours will appear The ugly face of Sin without his paint, And features borrowed only to endear The world to hearts impatient of restraint; All windows close, Faith shall my taper be, At whose dim flame lie fight to victory. To hunger after Justice shall be food, Unto my soul wean'd from the Egiption gust. My drink shall be thirst after Thee my God, My cloathing to be stript and rent from Dust; All windows close, Faith shall my Taper be, On Hope lie rest, and sleep in Charity.

18

Anonyma: For the Use of Sister Anne Benedict of St. Joseph. Zit. nach Early Modern Women Poets (1520-1700). An Anthology. Hg. v. Jane Stevenson und Peter Davidson. Oxford 2001, S. 358f. Das dreistrophige Gedicht wurde in einer Manuskriptsammlung der Klosterschwestern Gertrude und Bridget More (seit der Gründung des Klosters im Jahre 1623 Benediktinerinnen im Klosters von Cambrai) gefunden. Vgl. Kap. 3.3.1.2.

416 Paul Fleming (1609-1640) Herrn Pauli Flemingi der Med. Doct. Grabschrifft, so er ihm selbst gemacht in Hamburg, den XXIIX. Tag des Merzen MDCXL. auf seinem Todbette, drei Tag vor seinem seligen Absterben.19 Ich war an Kunst und Gut und Stande groß und reich, des Glückes lieber Sohn, von Eltern guter Ehren, frei, meine, kunte mich aus meinen Mitteln nähren, mein Schall floh über weit, kein Landsmann sang mir gleich, von Reisen hochgepreist, für keiner Mühe bleich, jung, wachsam, unbesorgt. Man wird mich nennen hören, bis daß die letzte Glut diß Alles wird verstören. Diß, deutsche Klanen, diß Ganze dank' ich euch. Verzeiht mir, bin ichs wert, Gott, Vater, Liebste, Freunde, ich sag' euch gute Nacht und trete willig ab. Sonst Alles ist getan bis an das schwarze Grab. Was frei dem Tode steht, das tu er seinem Feinde. Was bin ich viel besorgt, den Othem aufzugeben? An mir ist minder Nichts, das lebet, als mein Leben.

19

Paul Heining: Herrn Paul Remingi der Med. Doct. Grabschrifft, so er ihm selbst gemacht in Hamburg, dem XXIIX. Tag des Merzen MDCXL. Auf seinem Todbette, drei Tag vor seinem seligen Absterben. Zit. nach Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965, Bd. 1, S. 460. Vgl. Kap. 3.3.1.3.

417 Pierre Patrix (1583-1671) Epitaphe de l'Autheur 20 Passant, arrête un peu. Sous ces vers que tu lis, Gisent de leur auteur les os ensevelis, Qu'au bord de cette tombe, et tout prêt d'y descendre, Lui-même il composa, pour en couvrir sa cendre: Devoir triste et funèbre à ses mânes rendu, Qu'il n'a, comme tu vois, de nul autre attendu. Des amis survivants l'oubliance ordinaire Envers leurs amis morts l'obligea de le faire, Sachant bien qu'une fois étant parti d'ici, Les siens probablement en useraient ainsi. N'attends pas, néanmoins, Passant, qu'il te convie D'apprendre ses vertus, ni son nom, ni sa vie, Ce qu'il fut dans le monde ou ce qu'il ne fut pas, La perte que son siècle y fit à son trépas, Ni, bref, comme en laissant la terre désolée, Tout d'un coup sa belle âme au Ciel s'en est allée. Nouvel astre, augmenter les feux du firmament: Ridicules discours, jargon de monument, qui ne met point ici dessus sa sépulture Pour le faire passer à la race future. Il en sait trop l'erreur, et qu'en sincérité, Il n'a, maudit pécheur, nul honneur mérité. Au contraire, sans cesse endurci dans son crime, De cent folles amours l'éternelle victime, Et l'infâme jouet de mille vanités, Furent, de son vivant, toutes les qualités. O qu'heureux mille fois le Ciel l'aurait fait naître, S'il s'en fût corrigé comme il les sut connaître! Passe, va ton chemin, et t'assure aujourd'hui Que c'est prier pour toi que de prier pour lui.

20

Pierre Patrix: Épitaphe de l'Autheur. Zit. nach La poésie française de 1640-1680. Poésie religieuse, Epopée, Lyrisme officiel. Hg. v. Raymond Picard. Paris 1964, S. 156. Vgl. Kap. 3.3.1.3.

418

Dom Simplicien Gody (1600-1660) Stances21 Pvis que tu veux scavoir mes pensers & secrets, Mes pleurs & doleances, Pour joindre tes soupirs avecques mes regrets, le t'en donne ces Stances. Seront mes tendres pleurs meslez parmy les tiens, Qui traceront ces lignes, De nostre sainct Amour, & de nos entretiens Les effects, & les signes. Las! qu'il y a long-temps que la vie & la mort Fournissent mon martyre. Et que plein de douleur ie vay tirant au port, Où tout le monde tire. La nuict m'emplit de dueil & me fait souspirer Des angoisses sans nombre: Si i'ay du mal le iour, ie le voy s'empirer Parmy l'horreur à l'ombre. L'Aube n'a que des pleurs, außi bien mon sommeil N'attend pas qu'elle vienne: La nuict basse sa cousse, & mon mal sans pareil N'arreste point la sienne. Le iour fait comme l'Aube; & mes regrets tousiours N'y sont que des nuages: le tourne pour pleurer, mes longues nuicts en iours, Et mes iours en ombrages. Le branle continu de chacune saison Ne tourne point ma chance; Le temps dit-on, apporte à tout mal guerison, Mais rien ne m'en dispense. En fin de mes douleurs les morts & les vivans, Tout le monde est complice: Et mes tristes pensers, m'allant par tout suivans, sont par tout mon supplice. 21

Dom Simplicien Gody: Stances. In: ders.: Les honestes poesies de Placidas Philemon Gody. Divisées en cinq Livres. Paris 1632, Livre quatiesme: Muse Funebre, S. 154-159. Vgl. Kap. 3.4.4.

419 Le iour m'est importun, importuns les discours, Importune la veue, Et ce qui veut flatter mes ennuis, qui sont sourds, Flatte moins, qu'il ne tue. Il me plaist de gemir, me plaindre & lamenter, Et m'ennuyer de vivre, Desseigner un tombeau, & tout seul feuilleter Les plaintifs de ce Livre. Il me plaist de rêver, songer, imaginer Les ans que je regrette; Et sur tout la saison, qui viendra me tourner En un hydeux squelette. De me fantaisier en ce temps définy Quel sera mon visage, Tenant en main la Croix, ou un cierge bény Au poinct de ce passage. Quels seront mes soupirs, mon sens, mon jugement, Ma parole derniere, Et la nuict qui fera par ce délogement Ecclipser ma paupière. Comme l'on s'en viendra tout autour de mon lict Voir esteindre ma vie, Ces Anges là sur tout, le Bon, & le maudit, Qui l'ont tousjours suivie. Comme i'expireray, mon Ame s'envolant De sa faible geôle: Comme elle tombera dans un feu violant, Ou ira sur le Pole. le voy mon corps glacé, have, plombé, défaict, Et tout méconnaissable: I'oy comme on va disant, le pauvre homme! c'est faict, Il a ioué sa fable. Comme on m'ensevelit, comme on m'asperge d'eau, Comme on me porte en terre, Comme on ne me voit plus, logé dans un caveau, Où la tombe m'enserre.

420 le me figure ainsi l'heure de cét abord, Qui galoppe sans cesse. Helas! comment vivrois-ie en ces ombres de mort, Sans deuil & sans tristesse? Pleurez mes yeux, pleurez, n'ecoutez point la voix Qui vous en dissuade: Qui lamente le moins, qui porte moins de Croix, Est bien le plus malade. Et toy mon coeur preBé, tristement languissant, Dans le mal qui t'enyure, Ne finy point ton deuil, ou bien le finissant, Va commencer à vivre, Ne t'amuse iamais aux fables d'icy bas, Tu és en un voyage, Où, c'est estre insensé de prendre ses ébas, Et puis faire naufrage. Voilà mes entretiens que ie fais voir à tous Dans ces plates peintures; Toy, pratique-les bien, tu les verras plus doux Que tu ne te figures. Le temps te fera voir qu'il vaut mille fois mieux gemir en telles choses Que pour pleurer sans fin dans la perte des Cieux Vivre parmy les roses. Ainsi faut-il bastir sur la neceBité, Qui est invariable: Le voulant-nous, ou non; aucun n'est excepté De vivre miserable.

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Anne Vaughan Lock (ca. 1534 - nach 1590) A Meditation of a Penitent Sinner Written in Manner of a Paraphrase Upon the 51st Psalm of David. The Preface, Expressing the Passioned Mind of the Penitent Sinner22 The heinous guilt of my forsaken ghost So threats, alas, unto my feebled sprite Deserved death, and (that me grieveth most) Still stands so fixed before my dazzled sight The loathsome filth of my distained life, The mighty wrath of mine offended Lord My Lord whose wrath is sharper than the knife And deeper wounds than double-edged sword That, as the dimmed and fordulled eyn Full fraught with tears and more and more oppressed With growing streams of the distilled brine Sent from the furnace of a grief-full breast Can not enjoy the comfort of the light Nor find the way wherein to walk aright. So I, blind wretch - whom God's enflamed ire with piercing stroke hath thrown unto the ground Amid my sins - still groveling in the mire Find not the way that other oft have found Whom cheerful glimpse of God's abounding grace Hath oft relieved and oft with shining light Hath brought to joy out of the ugly place Where I in dark of everlasting night Bewail my woeful and unhappy case And fret my dying soul with gnawing pain. Yet blind, alas, I grope about for grace While blind for grace I grope about in vain. My fainting breath I gather up and strain >Mercy, mercyIn vain thou brayest forth thy bootless noise To Him for mercy, O refused wight, That hears not the forsaken sinner's voice. Thy reprobate and foreordained sprite, Foredamned vessel of His heavy wrath (As self witness of thy unknowing heart And secret guilt of thine own conscience saith), Of His sweet promises can claim no part. But thee, caitiff, deserved curse doeth draw To Hell, by justice, for offended law.< This horror when my trembling soul doth hear, When marks and tokens of the reprobate, My growing sins, of grace my senseless cheer Enforce the proof of everlasting hate That I conceive the heaven's king to bear Against my sinful and forsaken ghost, As in the throught of Hell, I quake for fear, And then in present peril to be lost (Although my conscience wanteth to reply, But with remorse enforcing mine offense Doth argue vain my not-availing cry) With woeful sighs and bitter penitence To Him from whom the endless mercy flows A cry for mercy to relieve my woes. And then not daring with presuming eye Once to behold the angry heaven's face From troubled sprite I send confused cry To crave the crumbs of all-sufficing grace. With faltering knee I falling to the ground, Bending my yielding hands to heaven's throne, Pour forth my piteous plaint with woeful sound, With smoking sighs ond oft repeated groan Before the Lord, the Lord, whom sinner I I cursed wretch, I have offended so That dreading in his wreakfull wrath to die And damned, down to depth of Hell to go, Thus tossed with pangs and passions of despair Thus crave I mercy with repentant cheer.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis Abbadie, Jacques: L'art de se connaître soy-même. Rotterdam 1696. Abraham [a Santa Clara, Pseudonym v. Johann Ulrich Megerle], s. Megerle. Albinus [Weiß], Johann Georg: Himmel=flammende Seelen=Lust, Oder: Hermann Hugos Pia Desideria, Das ist: Gottselige Begierden / Allen inbrünstig verliebten Jesus=Seelen / in hochteutscher gebundener und ungebundener Rede andächtig vorgestellet / von Johann Georg Albinus [...]. Frankfurt 1675. Albinus [Weiß], Michael: Zeit=Schatten der Ewigkeit. Sampt beygefiigten nützlichen Gedancken auf die Zeit gerichtet. Kürtzlich=Poetisch entworffen [...]. O.O. 1641. Albrecht, Bernhard: Donner vnd Wetterbüchlein / Das ist: Gründlicher Vnterricht / auß H. Göttlicher Schrift / woher die schwere vnd gefahrliche Donner vnd Wetter kommen / warumb Gott der HERR solche kommen lasse / vnd was er damit meyne / Auch wie man sich in dergleichen starcken Donnerwettern verhalten solle [...]. Leipzig 1622. Alemandi, Etienne: Conceptions théologiques sur le miserere mei, &c. Enrichies en ceste seconde Edition, de Meditations sur les larmes de David, contenues audit Psalme. Traduictes d'Italien en François par R.P. Estienne Alemandi [...]. Rouen 1605 ('1598). Alighieri, Dante: La divina commedia. Ital. Text mit wörtlicher Übersetzung und ausführlichem Kommentar. Dargeboten von Georg Hess. Duemau 1995. Amannus, Johann Ludwig: Jahrs=Zeit Predigten [...]. Zürich 1662. Ammersbach, Henricus: Tägliches Testament / Eines gläubigen Christen / Damit ein Christ sich täglich kan zum Tode bereiten / der Welt absterben / seine Seele / Leib / Freunde und gantze Christenheit Gott befehlen. Halberstadt 1666. Anonyma [Benediktinemonne im Kloster von Cambrai]: For the Use of Sister Anne Benedict of St. Joseph. In: Early Modern Women Poets (1520-1700). An Anthology. Hg. v. Jane Stevenson und Peter Davidson. Oxford 2001, S. 358f. Anonymus: Consideration de la mort. In: Taffin, Jean, Traicté de l'amendement de la vie, Compris en quatre Livres [...]. Genf 1621. - Geistliche Anatomia, Das ist: Beschreibung eines wahren Christen in seinem gantzen Wandel / nach allen seines Leibes Gliedmassen. Voll Geistücher Unterweisung / zu Erlangung des Ewigen Lebens. Budissin 2 1662. - Geistliches Donner= und Wetter=Büchlein: das ist / Zwölff schöne Christliche Gebettlein / zur Zeit des Donners und Ungewitters [...] sampt dreyen Dancksagungen nach glücklich=vergangenem Wetter [...] allen Christen nutzlich zugebrauchen. Straßburg 1659. - Zeit=Erkauff /oder was Gestalt ein Christ die Zeit seines Lebens wol anwenden müsse [...]. Bern 1670. - Das Gespräch des Hertzens / oder Das eiferige Gebet / welches aus geistlichen Betrachtungen veranlasst in dem Sinne / sonder Rede / zu Gott geschicket wird. Psalm 19/15. HERR / laß dir wolgefallen das Gespräch meines Hertzens / HERR mein Hort und mein Erlöser!. Nürnberg 1704. [s. auch Coster, Franciscus]: Heylsamer Spring=Brunn Zum Ewigen Leben / Das ist / Geistliche / Andächtige unnd trostreiche Weiß die Krancken und Sterbenden in ihren letzten Zügen zu besuchen und zu trösten. Denen Beicht=Vättern und Seel=Sorgern: Wie auch allen so den Krancken oder Sterbenden Beystehenden / sehr nützlich zu gebrauchen. Würzburg 1663.

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L'esprit, les consolation de la foi et les devoirs qu'elle impose a l'époque des calamités publiques, et surtout des maladies contagieuses, suivi de l'art de bien mourir, par le cardinal de Bellarmin. Genf 1832. Zeit=Erkauff / oder was Gestalt ein Christ die Zeit seines Lebens wol anwenden müsse. Bern 1670. Arndt, Johann: Vier Bücher Von wahrem Christenthumb / Heilsamer Busse / Hertzlicher Rewe und Leid ober die Sünde und wahrem Glauben: auch heiligem Leben und Wandel der rechten wahren Christen [...]. Magdeburg 1610. Arnd's Vier Bücher vom wahren Christenthum, nebst dessen Paradiesgärtlein. Stuttgart o.J. Auslegung des gantzen Psalters Davids des Königlichen Propheten / Also daß über jeden Psalm gewisse Predigten und Meditationes gestellet seyn [...]. Lüneburg 1644. Vier Bücher vom wahren Christenthum, Buch II, Cap. 52. In: Spener, Philipp Jacob: Drey Christliche Predigten von Versuchungen / sonderlich von der Anfechtung böser / gottloser und lästerlicher Gedancken / mit welchen Glaubige Kinder Gottes offters zu kämpffen haben [...]. Frankfurt am Main 1673, S. 365ff. Johann Arnds [...] Paradiesgärtlein voller Christlicher Tugenden wie solche zur Uebung des wahren Christenthums durch andächtige, lehrhafte und trostreiche Gebete in die Seele zu pflanzen [zuerst 1612]. In: Johann Arndt: Sechs Bücher vom Wahren Christenthum; Nebst dessen Paradies=Gärtlein [...]. Hg. v. August Francken [...]. Halle 1743. Arnold, Gottfried: Das Geheimnis der göttlichen Sophia. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von Leipzig 1700 mit einer Einführung von Walter Nigg. Stuttgart 1963. Die Abwege Oder Irrungen und Versuchungen gutwilliger und frommer Menschen, aus Beystimmung des gottseeligen Alterthums angemercket [...]. Frankfurt 1708. Erste Liebe / Das ist / Wahre Abbildung der Ersten Christen Nach Ihren Lebendigen Glauben und Heiligen Leben / Aus der ältesten und bewährtesten Kirchen=Scribenten eigenen Zeugnissen / Exempeln und Reden [...]. Frankfurt a.M. 1712. Arnstein, Johannes Henrich: Evangelische Creutz= und Todesschule / mit seinem im Creutz und Todt gehenden Jesu. Gotha 1680. Augustinus, Aurelius: Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen übertragen und mit einer Einführung von Wilhelm Thimme. München '2000. Confessiones - Bekenntnisse. Übersetzt v. Joseph Bernhart. München 1955. De vera Religione. In: Augustinus. De Libero Arbitrio. De vera Religione. Übersetzt und erläutert v. Wilhelm Thimme. Zürich 1962. Sancti Aureli Augustini. De Sermone Domini in Monte. Libros duos. Hg. ν. Almut Mutzenbecher Turnhout. O.O. 1967 (Corpus Christianorum. Series Latina. Bd. 35: Aureli Augustini Opera. Teil VIL, 2). Auvray, Jean: Un spectre, une carcasse... In: Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 138. Bacon, Francis: The Works of Francis Bacon. Hg. v. James Spedding. Stuttgart 1963 [Reprint der Ausgabe London 1858]. Baldovius, Johannes: Geistliche AnatomiKammer / Darinnen Das Hertz des Königlichen Propheten Davids / und aller Heiligen Gottes [...] Auß dem 25. Psalm Davids vorgezeiget wird / Bey Christlicher Sepultur und Begräbniß/ Des Weiland Ehrnhafften [...] Ottonis Schmidten [...]. Reinteln 1643. Bartholinus, Thomas: Neu-verbesserte Künstliche Zerlegung deß Menschlichen Leibes / In vier absonderliche Bücher eingetheilet [...]. Nürnberg 1677 Í 1 1651). Baxter, Richard: The Saints everlasting Rest [...]. London 1650. Nun / oder Niemals. Aus dem Englischen ins Deutsche [...]. Hamburg 1678. Eines Glaubigen Letzte Arbeit auff dem Tod=Bette. oder Ein Christlicher Unterricht wie ein Gottseliger Mensch seine Seele dem Herrn JESU auff dem Tod=Bette anbefehlen soll. Anfänglich in Engelischer Sprache beschrieben von Herrn Richard Baxter / Nuhnmehro aber In das Hochteutsche übersetzet durch J.D. Cassel 1683 [Engl.: The last work of a believer, Ί 6 8 2 ] . Sterbens Gedancken Uber Phil: 1.23. Zu seinem eigenen Nutzen in der letzten Zeit seiner vielerley leiblichen Schmertzen und Schwachheiten beschrieben. Und auff begehren auß der Englischen in die Hoch=teutsche Sprach treulich übergesetzet. Cassel 1685 [Engl.: Dying Thoughts, '1683].

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Drey Bücher Von der wahren Selbst-Erkänntniß, Worinnen das Übel und die schädlichen Früchte, so daraus entstehen, wenn der Mensch sich selbst nicht erkennet, Und im Gegenteil Der herrliche und unvergleichliche Nutzen der wahren Selbst-Erkäntniß ausführlich vorgestellet wird. Hamburg 9 1726. Dying thoughts. In: The Practical Works of Richard Baxter. Bd. 4. London 1838. Bayly, Lewis: The Practise of Pietie Directing a Christian how to walke that he may please God. London ·1613. Praxis Pietatis: Das ist / Vbung der Gottseligkeit [...]. Erstlich / in Englischer sprach vber die dreyssig mahl; hernacher Frantzösisch zu unterschiedenen malen außgegangen: anjetzo aber [...] auch in die teutsche Sprach gebracht. Basel 1628. Praxis Pietatis. Das ist: Übung der Gottseligkeit: Anfänglich in Englischer Sprache beschrieben / Durch Herrn D. Ludwig Baili [...]; Und über dreyssigmal gedruckt: Jetzt seiner Würde halb umbgesetzt / und hervor gegeben. Ander Theil / In sich begreiffend die fürtreffliche Übung gottseliger und andächtiger Meditation [...]. Sampt einer nützlichen Vorrede von Prüfung des Gewissens / und etlich schönen Exempeln solcher Betrachtungen. Aus dem Englischen und Frantzösischen in unsere Teutsche Sprache gebracht. Lüneburg 1635. Becon, Thomas: The Sicke Mans Salve. London 1561. Bellarmin, Robert: De arte bene moriendi. Coloniae Agrippina 1620. Benewitz, Otto: Pathologia Passionalis, oder Christliche Betrachtung derer / In dem Blutschmertzlichen Leiden Jesu Christi / nach Beschreibung derer heiligen vier Evangelisten / entdecketen Hertzens=Gedancken In XIV. Predigten nächst vorhergehender Ausklärung des Textes / Allen Jesum liebenden Seelen / zu schmertzlicher Busse / und hertzlichem Tröste / einfältiglich abgehandelt [...]. Freyberg 1667. Bergmann, Michael: Tremenda Mortis Hora, das böse Stündelein / und Betrachtung der Todes=Stunde. Wittenberg 1664. Bertier, Antoine: Le combat spirituel. Composé en Espagnol par Dom Jean de Castagniza Religieux de l'Ordre de S. Benoist et traduit en françois sur l'original manuscrit. Paris 1675. Bèze, Théodore de: Chrestiennes Méditations (1581). Hg. v. Mario Richter. Genf 1964. Birken, Sigmund von: Todes=Gedanken und Todten=Andenken: vorstellend eine Tägliche Sterbbereitschaft und zweyer Christi. Matronen Seelige Sterb-Reise. Nürnberg 1670. Teutsche Rede-bind-und Dicht-Kunst / oder Kurze Anweisung zur Teutschen Poesy / mit Geistlichen Exempeln: verfasset durch ein Mitglied der höchstlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft / Den Erwachsenen. Nürnberg 1679. Die Tagebücher des Sigmund von Birken. Bearbeitet von Joachim Kröll. 2 Bde. Würzburg 1971 (Quellen und Darstellungen zur fränkischen Kunstgeschichte 5). Blanchard, Antoine: Nouvel essay d'exhortations pour les états differens des Maladies [...]. On y joint les gémissements d'un pecheur touché de Dieu dans sa maladie. Paris 1718. Böhme, Jakob: Morgen-Röte im Aufgangk / Das ist: / Die Wurzel oder Mutter Der Philosophiae / Astrologiae / und Theologiae / Aus rechtem Grunde. / Oder Beschreibung der Natur / Wie Alles gewesen und im anfangk worden ist: wie die Natur und Elementa Creatürlich worden seind; auch von beyden qualitäten Bösen und Guten / woher alle Ding seinen Vrsprung hat / und wie es am Ende dieser Zeiten werden wirdt: Auch wie Gottes und der Höllen-Reich beschaffen ist / und wie die Menschen in jedes Creatürlich wirken [...]. Amsterdam 1656 ('1634). Sämtliche Schriften. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730 in elf Bänden. Neu hg. v. WillErich Peuckert. Stuttgart 1957. Bolton, Richard: Sommers=Arbeit / Auff künfftige Ewigkeit / und Spiegel der vier letzten Dinge / Das ist: Nothwendige Vorbereitung / und deutliche Betrachtung / Deß Todes und Gerichts / Der Höllen und Himmels. Anfänglich durch Robert Bolton in englischer Sprach beschrieben / nunmehr aber in Teutsche Mutter=Sprach zu gemeiner Erbauung übersetzet / Durch J.H.H.V.D.M. Frankfurt 1673. Bonaventura], Johannes: Testamentum, sive Praeparatio ad mortem. Lugduni 1676. Vorbereitung zum Todt. Oder Geistliches Testament Cardinais Bona. In: Mibes, Friedericus: Dreyfaches Ordens=Band / Oder Gründliche / eigentliche / und wohlgeordnete Nachricht / Beweiß und Underricht / Wichtigkeit / Observantz / und Schuldigkeit / auch Nutzbarkeit / Verdienst und Vortrefflichkeit / deren drey heiligen Ordens=Gelübden [...]. Köln 1710, S. 503-520.

426 Bossuet, Jacques Bénigne: Méditation sur la brièveté de la vie. Paris 1921. - Méthode pour passer la journée dans l'oraison en esprit de foi et de simplicité devant Dieu. Paris 1921. Sermon sur la mort et méditation sur la brièveté de la vie. Paris 1921 (entst. 1649-1690, H7721790). - Oraison funèbres. Hg. v. Jacques Truchet. Paris 1960. - Oeuvres complètes. Paris 1961. Bourdaloue, Louis: Sermon sur la pensée de la mort. In: ders.: Oeuvres complètes de Bourdaloue de la Compagnie de Jésus. Paris 1846, S. 227ff. Brébeuf, Georges de: De quelle manière le péché anéantit l'Homme, et de la resistance que la grace trouve en luy. In: ders.: Entretiens solitaires. Hg. v. René Harmand. Paris 1912. - Entretiens solitaires. Hg. v. René Harmand. Paris 1912. Brockes, Barthold Hinrich: Das Irdische Vergnügen in Gott / bestehend in Physikalisch- und Moralischen Geschichten. 9 Bde. Hamburg 1721-1748. Bruno, Vincenz: The Practical Methode of Meditation, prefixed to Gibbons' translation: An Abridgement of Meditations of the Life, Passion, Death, and Resurrection of our Lord and Saviour Iesus Christ. Written in Italian by the R. Father Vincentius Bruno of the Society of Iesus. O.O. 1614. Bunyan, John: Eines Christen Reise Nach der Seeligen Ewigkeit / Welche in unterschiedlichen ayvrigen Sinnen=Bildern Den gantzen Zustand einer Bußfertigen und Gottsuchenden Seelen vorstellet / In Englischer Sprache beschrieben Durch Johann Bunian [...] und nun umb seiner Fürtrefflichkeit willen in die Hochteutsche Sprache übersetzet Durch J.L.M.C. Hamburg 1694. - Grace abounding to the Chief of Sinners [...]. In: The Complete Works of John Bunyan (1658). Hg. v. Henry Stebbing. 4 Bde. Hildesheim 1970, Bd. 1, S. 1^12 (Reprint der Ausgabe von 1859/1860). - The Pilgrim's Progress. Introduction and Notes by G. B. Harrison. London 1967. Burton, Robert: The Anatomy of Melancholy. Hg. v. Thomas Faulkner, Nicolas K. Kiessling u. Rhonda L. Blair. 3 Bde. Oxford 1989 ('1621 / 1651). Calvin, Jean: Vingt deux sermons de M. Jean Calvin, ausquels est expose le Pseaume cent dixneufieme contenant pareil nombre de huictains. Genf 1562. - Institution de la Religion Chrestienne. Hg. v. Jacques Pannier, Paris 1961. Calvoer, Caspar: Güldenes Klee-Blat Drey erbaulicher Büchlein. Als I. Catechismus-Milch / Für die Kinder und Einfältige / Sonderlich auß D. Lutheri und Gesenii Catechißmus gezogen. Π. Speise der Starcken. Für die Erwachsene. III. Gebahnter Weg zu der Ruhe in GOTT; Oder / Andacht ohn Buch. Zur Ehre Gottes und Befoderung des Christenthumbs. Claußthal 1691. Camus, Jean Pierre: A Sprituall Combat: A Tryall of a Faithfull Soule or Consolation in Temptation. Douay 1632 [Übers.: Thomas Carre]. - L'Esprit du Bienheureux François de Sales. In: François de Sales. Oeuvres complètes. Hg. v. J. P. Migne. O.O. 1861, Bd. 2. Casmannus, Otho: Homo Novus: Das ist / Geistliche Anatomey oder Betrachtung deß newen Menschen / in welcher / allein auß Gottes Wort / die schöne und lehrreiche Vergleichung deß natürlichen Leibs unnd seiner Gliedern / mit dem innerlichen geistlichen Leib / das ist / mit der Seel und ihren Krafften / angezeigt / und außführlich erklärt wird. Sampt beygefügten Erinnerungen und Gebetten [...]. Zu hochnothwendigem Underricht und Ermahnung unserer Lebensbesserung / zu Befestigung unsers Glaubens: Wie auch zu bestendiger und sighaffter Gegenwehr wider die Anfechtungen deß Teufels / deß Fleisches und der Welt. Bern 1606. Ceriziers, René de: La Sainte Curiosité, ou questions curieuses, sur les principaux articles de la foy, mystères de la religion, & cérémonies de l'Église. O.O. 1643. Chassignet, Jean Baptiste: Le Mespris de la vie et consolation contre la mort (1594). Krit. hg. v. Hans-Joachim Lope. Paris 1967. - Paraphrases sur les cent cinquantes pseaumes de David, mis en vers François. Lyon 1613. - L'eau change tous les jours. In: Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 199. Chéron, Elizabeth-Sophie: Essays de Pseaumes et Cantiques mis en vers et enrichis de figures. Paris 1694.

427 Chéron, J.: Examen de la théologie mystique. 0 . 0 . 1657. Cicero, Marcus Tullius: M. Tulli Ciceronis Epistulae. Bd. 2: Epistolae ad Atticum. Pars posterior. Libri IX-XVI. Oxford 1961. - Gespräche in Tusculum. Lateinisch - Deutsch. Eingeleitet und neu übersetzt v. Karl Bürger. Zürich 2 1966. Cole, James: Of Death A True Description: And Against it a good Preparation: together with A sweet Consolation, for the surviving Mourners. London 1629. Columbus, Realdus: Anatomia, Das ist: Sinnreiche / Künstliche / Begründete Auffschneidung / Theilung / unnd Zerlegung eines vollkommenen Menschlichen Leibs und Cörpers / durch alle desselbigen innerliche und eusserliche Gliedtmassen und Gefäß [...]. Darauß das hohe / scharpffsinnige Wundergebäw deß Menschlichen Leibs beyder Gestallt zu erlernen / welcher Form / Bildmuß / Proportz und Gestallt der gantze menschliche Leib Cörper [...] durch den Allmächtigen Schöpffer Anfangs plasmiert und erschaffen [...]. Frankfurt a.M. 1609. Coster, Franciscus: Fünfftzig Betrachtungen / Von der gantzen History / deß bittern Leidens und Sterbens / unsers geliebten Herrn und Seligmachers Iesu Christi. Durch [...] Franciscum Costerum [...] im Latein beschrieben [...]. Dillingen 1588. - Schatzbüchlein voller Wegweiser der gnadenreichen Sodaliter der H. Mutter Gottes Mariae. Münster / Westphalen 1614. - Heylsamer Spring=Brunn Zum Ewigen Leben. Dillingen 1663. Cramer, Nicolaus: Steg und Weg zum ewigen Leben [...]. Leipzig 1600. Crasius, Ludovicus: Passion=Spiegel / Oder Vortrab Zum Buch deß Lebens. Worinnen Zehen Haubt=Geheimnussen deß bittern Leyden und Sterbens / in der Persohn CHRISTI, Durch anmüthige Klag=Figuren Auff ein newartende Weiß. Einerseits von der Lieb / und anderseits von den Schmertzen. [...] Zu mitleydigen Augen / und Dancksichtigen Hertzen wol zubetrachten und hochzuachten: Sonderlich durch die Heilige Fasten=Zeit [...]. Sampt einem Zusatz Von Verehrung der allerheiligsten fünff Wunden Jesu Christi / oder ein andächtig Weiß / in disen zeitlich und ewig zuwohnen. Wien 1671. Crasset, Jean: La douce et la sainte mort. Paris 1680. - Preparation à la mort. [...] Revûe & augmentée de nouvelles Préparations. Paris s 1690. Czepko, Daniel von: Werke. Hg. v. Werner Milch. Bd. 1: Geistliche Schrtiften. Darmstadt 1963. - Consolatio ad Baronissimam Cziganeam. In: ders.: Werke. Hg. v. Werner Milch. Bd. 1: Geistliche Schrtiften. Darmstadt 1963, S. 120. - Rede Auß seinem Grabe. In: ders.: Werke. Hg. v. Werner Milch. Bd. 1: Geistliche Schriften. Darmstadt 1963, S. 391-398. D'Aubigné, Agrippa: Méditations sur les pseaumes. Genf 1630. Dedeken, M. Georg: Praxis Conscientiarum, Das ist: Gründliche Beschreibung nach allem Unterricht / Lehr und Trost / Wie mit zerschlagenen Gewissen und betrübten Hertzen in Anfechtungen und grossen Nöthen zu handeln / so wol den Angefochtenen selbst / als andern / die bey ihnen sind / sehr nütz= und tröstlich zu gebrauchen. [...]. Eißleben 1668. Delaval, Elizabeth: The Meditations of Lady Elizabeth Delaval. Written between 1662 and 1671. Hg. v. D. G. Greene. Gateshead 1978. - Upon the Singing of a Lark. In: The Meditations of Lady Elizabeth Delaval. Written between 1662 and 1671. Hg. v. D. G. Greene. Gateshead 1978, S. 44ff. Descartes, René: Philosophische Werke. Neu übersetzt und hg. v. Artur Buchenau. O.O. 3 1908. Desportes, Philippe: Pseaumes de David mis en vers françois. Rouen 1603. - Prière en forme de Confession. In: ders.: Poésies Chrestiennes. Rouen 1629, S. 65-69. Die Bibel. Einheitsübersetzung. Gesamtausgabe. Psalmen und Neues Testament. Ökumenischer Text. Kommentar von Eleonore Beck. Stuttgart 1996. Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Hg. v. d. Evangelischen Kirche Deutschlands. Stuttgart 1985. Dieterich, Conrad: Predigt Salomons von der Zeit. Ulm 1639. Dieterich, Cunrad: Poenitentialia Davidica, Die Sieben Bußpsalmen des KöniglichenPropheten Davids / in unterschiedenen Predigten erkläret und ausgelegt [...]. Erster Theyl / Darin die drey ersten Buß=Psalmen begrieffen/ [...]. Franckfurt 3 1660 (>1624). Dilherr, Johann Michael: Zeit=Predigten [...]. Nürnberg 1617.

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Betrachtung des Todes / und des Gerichts / fürgestellet in etlichen kurtzen Wochenpredigten. Nürnberg 1648. - Freud / in Leid: Vnd Lebendiger Trost / wider den zeitlichen Tod / Vnd wider die Anfechtung im Absterben ungetauffter Kindlein. Nürnberg 3 1653. Donne, John: Batter my heart. In: The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. ν. Louis L. Martz. New York 1963, S. 90f. - Devotions Upon Emergent Occasions. In: Divine Poems, Devotions, Prayers. New York 1953, S. 67-106. - Hymn to God my God, in my Sicknesse. In: The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. v. Louis L. Martz. New York 1963, S. 136f. Dowman, John: Christen=Kampf (in das Teutsche übersetzt und angehengt an Wilhelm Perkinsii Tractätlein von deß Menschen natürlichen Gedancken). In: Spener, Philipp Jacob: Drey Christliche Predigten von Versuchungen / sonderlich von der Anfechtung böser / gottloser und lästerlicher Gedancken / mit welchen Glaubige Kinder Gottes offters zu kämpffen haben [...]. Frankfurt a.M. 1673, S. 453ff. Drechsel, Jeremias: Christlicher Trismegistus Das ist: Dryfacher Tractat / Wie man Dem Gewissen abwarten / Die Heiligen verehren / Deß Leibs pflegen soll. [...] Nun aber dem gemeinen Nutz zu gutem in die teutsche Sprach ubersetzt. Augsburg 1626. - Kreutz Schuel In welcher die Gedult gestärckt; hülff und trost an die Hand gegeben wird. [...] verteutscht durch Ioachim Meichel. München 1631. Sonnenwend das ist / Gleichförmigkeit deß Menschlichen Willens mit dem Willen Gottes [...] durch Joachim Meichel verteutscht. München 1631. - Richter Stuel Christi Oder Sonderbare Fürfordern / und gehaimes Gericht aines jeden Menschen in seiner Sterbstund [...] von Loachim Meichel verteutscht. München 1633. - Zodiacus Christianus das ist Christlicher Himmelcirckel oder Zwölf Zeichen, bey welchen ein ieder Christ erkennen und schliessen kan, ob er von Gott zum ewigen leben fürsehen, und erwälet oder nicht. Wie dann in diesen Figuren aida XII bemelte Zeichen für äugen gesteh werden. [...] von Thomas Kern verteutscht [...]. München 1640. - Der Ewigkeit Vorbott, deß Todts Heroldt. So Gesunden, Kranckhen, und Sterbenden Menschen sich woll zum Sterben zu beraiten zugeschickt wirdt. [...] durch Johan Jacob Schulpl ubersetzet [...]. Wien 1642. - Zähr. Der Ewigkeit vergossen und aufgeopffert. Das ist: Ein schönes Geistliches Lied / von der unendtlichen und unbegreifflichen immerwehrenden und nimmer auffhörenden Ewigkeit. Zu nutz und Warnung allen frommen Gottliebenden Christen / welche sich befleissen ein Christliches Gottseliges Leben anzustellen / damit sie die erschröckliche und unglückselige Ewigkeit in der Holl vermeyden / und die hocherwünschte und glückselige in dem Himmel erlangen / und in alle Ewigkeit besitzen und genießen mögen [...]. O.O. 1644. Drélincourt, Charles: Les Consolations de l'âme fidèle contre les frayeurs de la mort. Avec les Dispositions & les Préparations nécessaires pour bien mourir. Nouvelle Edition, revue exactement, & augmentée par l'auteur, Paris 1669 ('1651). - Sonnets chrétiens. Hg. v. A. Schmidt. Paris 1948 ('1677). - Sur la Résurrection. Espérance du mourant. In: Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 167. Du Moulin, Pierre: Théophile ou De l'Amour divin. Traité contenant cinq dégrés, cinq marques, cinq aides de l'Amour de Dieu. Par P. du Moulin, Ministre de la Parole de Dieu, en l'église de Paris. Sedan 1613. Du Moulin, Pierre le fils: Semaine de Méditations et de Prières. Avec une preparation pour la Sainte Cene. Paris 1671. Du Pérou, C.: Mémoires sur Madame de Maintenon recueillis par les Dames de Saint-Cyr. O.O. 1846. Du Pont, Louis: Méditations sur les mystères de la foy, traduites de L'Espagnol par le R.P. Brignor, de la même Compagnie. Paris 1708. Dueller, Thomas: Grabmahl Der Allerdurchleuchtigsten / und Großmächtigen Kayserin Mariae Leopoldinae [...]. Wien 1649. Dunte, Ludwig: Wahre und rechtmessige Übung Des Christenthumbs / welche bestehet in Gottse-

429 ligem Leben / öffentlichem Gottesdienst / demütiger Busse / würdigem Gebrauch des heiligen Abendmahls / und seeligem Abschied von der Welt / In sieben Bücher ordentlich verfasset [...]. Wittenberg 1678 ('1630). Duplessis Momay, Philippe de: Meditations Chrestiennes sur les Psaumes VI., XXV., X X X . , & XXXII. La Rochelle 1586. Dyke, Daniel: The Mystery of Selfe-Deceiving. Or a discovrse and discouery of the deceitfulnesse of Mans Heart. London 1615. Ebert, Johannes: Einfeltige Wetterpredigt / Bey erbärmlicher Leich=bestattung sieben Christlicher Personen [...] Welche semptlichen zu Rohra / den 27. Aprilis / dieses lauffenden 1607. Jahrs / umb vier uhr nach Mittag / unter weerendem schrecklichen Ungewitter durch eine uhrplötzliche Wasserflut überfallen / und [...] jemmerlich umbkommen. Schleusingen 1607. Egard, Paul: Spiegel dieser gegenwärtigen Zeit [...]. Lüneburg o.J. Eines Sämmtlichen Stadt=Ministerii zu Halle Neu eingerichtetes Und mit einem Anhang vermehrtes Gesang=Buch, voll Alter und neuer Vor andrem Geistreicher Lieder / Zu Beförderung der Ehre Gottes, auch Erbauung der Christlichen Gemeinde [...]. Halle 1717. Ertlin, Johann: Christliche Leichpredig / Bey der Besingung deß Hochwirdigen Fürsten und Herrn / Herrn Ernesti / Bischoffen zu Bamberg hochlöblicher Gedächtnuß [...]. Ingolstadt 1592. Feinler, Gottfried: Gottfried Feinlers Poetische Betrachtung Der IV. letzten Dinge / oder geistliche Madrigalen / [...] / Vermittels welcher Tod / Jüngstes=Gericht / Hölle und ewiges Leben Vorgestellt wird [...]. Jena 1692. Fénélon, François de Salignac: Explication des maximes des saints. In: ders.: Œuvres. Hg. v. J. Le Brun. Paris 1983, Bd. 1. Fleming, Paul: Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965. Bekäntnüß. In: Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965, Bd. 1, S. 444. Herrn Paul Flemingi der Med. Doct. Grabschrifft, so er ihm selbst gemacht in Hamburg, dem XXIIX. Tag des Merzen MDCXL. Auf seinem Todbette, drei Tag vor seinem seligen Absterben. In: Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965, Bd. 1, S. 460. Klagegedichte über das unschuldigste Leiden und Tod unsers Erlösers Jesu Christi. In: Paul Flemings deutsche Gedichte. Hg. v. J. M. Lappenberg. 2 Bde. Darmstadt 1965, Bd. 1, S. 15-27. Forner, Rudolph: Thesauriolus Meditationum. Das ist: Schatzkämmerlein gottseliger Gedanken / und andächtiger Betrachtungen / der fürnembsten Artickel und Puncten / denen ein jeder Christ frömblich zu leben / und seeliglich zu sterben / billich stäts und fleissig nachsinnen soll. Allen eyfferigen Gottsfürchtigen Hertzen sich darinn zu üben / und lehrhafften Trost darauß zu schöpffen / so wol auß heiliger Schrifft / als Weltlichen Scribenten / erstmals in Frantzösischer Sprach zusammen getragen Durch Herrn Rudolphum Fomerium [...]. An jetzo aber auffs trewlichst ins Teutsch übergesetzt Durch Jo. Ludovicum Gottofridum. Frankfurt 1625. Fox, Johann: Gottselige Gedancken von der Zeit und Ewigkeit. O.O. u. J. Francisci, Erasmus: Die Letzte Rechenschafft Jeglicher und aller Menschen abzulegen / Zu den Füssen der Ewigen Majestet: In vier und sechzig Bedenckungen Deß Sonderbaren Seelen=Gerichts / und Allmenschlichen End=Gerichts abgehandelt: [...] Denen Unbußfertigen heilsam=schrecklich / den Bußfertigen Trost=erfreulich fürgestellet / auch mit vielen neuen Liedern und Sinnbildern geziert [...]. Nürnberg 1681. Francke, August Hermann: Einfältiger Unterricht / Wie man die H. Schrifft zu seiner wahren Erbauung lesen solle / Für diejenigen / welche begierig sind / ihr gantzes Christenthum auff das theure Wort GOTTes zu gründen [...]. Halle 1694. Betrachtungen Wie ein Mensch in sich selbst gehen / und sein Leben bessern soll / Aus dem Italiänischen übersetzet Und nebst einer Vorrede von [...] August Hermann Francke [...] in Druck herausgegeben. Halle 1699. François de Sales s. Sales, François de Freylinghausen, Johann: Geistreiches Gesang=Buch / Den Kern Alter und Neuer Lieder [...] in sich haltend [...]. Hg. v. Johann Anastasio Freylinghausen. Halle 1704. Fritsch, Ahasver: Im Nahmen Jesu! Der Biß aufs Blut jämmerlich gegeisselte J E S U S Der

430 einig=geliebteste Sohn Gottes. Item In der traurigen Leidens=Nacht wachende JESUS / Zu heiliger und erbaulicher Betrachtung Vorgestellet [...]. Frankfurt a.M. 1660. Der Sündliche Kirchen-Schlaffer. Zur Warnung vorgestellet [...]. Jena 1672. Im Nahmen des Gecreutzigten! Geistlicher Myrrhen=Püschel / zwischen zweyen Brüsten hangend / Das ist / hertzbeweglichste Ermahnung / zu täglicher und ohnabläßiger innigster Betrachtung Des bittern Leidens und Sterbens Jesu Christi / Des Sohns Gottes unsers einigen Heylandes Mittlers und Erlösers Nebst einigen anderen Passions=Andachten [...]. Breslau 1680. Im Nahmen Jesu ! MEMENTO MORJ, Oder XXXII. Christliche und erbauliche Todes=Gedancken / [...] / Denen beygefügt / der Aufferweckte Lazarus / [...]. Nürnberg 1684. Drey Nützliche und Erbauliche Tractätlein / Deren das I. Die leider! heutiges Tages verschmähete Heilige Pietät / Und Wahre Gottesfurcht. II. Das von Türcken und Heyden Beschämte Christenthum. Wie auch III. Die Qvaal der Frommen [...]. Leipzig 1690. Geier, Martin: Zeit= und Ewigkeit=Postill [...]. Leipzig 1672. Gerhard, Johann: Meditationes Sacrae (1603/1604). Krit. hg. und kommentiert v. Johann Anselm Steiger. Stuttgart 1998. Meditationes Sacrae (1606/1607). Lateinisch-deutsch. Kritisch hg., kommentiert u. mit einem Nachwort versehen von Johann Anselm Steiger. 2 Bde. Stuttgart - Bad Cannstatt 2000. Ein und fünfftzig gottselige, christliche evangelische Andachten oder geistreiche Betrachtungen. Poetisch bearbeitet von Burcard Großmann (1608). Hg. v. Johann Anselm Steiger. Stuttgart - Bad Cannstatt 2001. Christliche Leichpredigt Bey der ehrlichen und Volckreichen Leichbestattung deß weyland Ehrwirdigen [...] Herrn Melchioris Bischoffs / Pfarrern zu Koburg [...]. Coburg 1615. Schola Pietatis. Das ist: Christliche und Heilsame Unterrichtung / Was für Ursachen einen jeden wahren Christen zur Gottseligkeit bewegen sollen / auch welcher Gestalt er sich an derselben üben soll. [...]. Nürnberg 1709 (>1622). Gibbons, Richard: The Practical Methode of Meditation. In: ders.: An Abridgement of Meditations of the Life, Passion, Death, and Resurrection of our Lord and Saviour Iesus Christ. Written in Italian by the R. Father Vincentius Bruno of the Society of Iesus. O.O. 1614, § 3. Gillotte, Colomban: Le directeur des consciences scrupuleuses, examinant tous leurs scrupules et enseignant la manière de les guérir selon la doctrine de Gerson, des théologiens et des Pères de la vie spirituelle. Paris 1697. Gody, Dom Simplicien: Les honestes poesies de Placidas Philemon Gody. Divisées en cinq Livres. Paris 1632. Stances. In: ders.: Les honestes poesies de Placidas Philemon Gody. Divisées en cinq Livres. Paris 1632, Livre quatriesme: Muse Funebre, S. 154-159. Gombauld, Jean Ogier de: Poésies chrestiennes. Paris 1646. Comme en songe. In: Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 2, S. 92. Sonnets Chrestiens IV. In: Poètes Français de l'âge baroque. Anthologie (1571-1677). Hg. v. Jean Serroy. Paris 1999, S. 302. Götze, Georg Heinrich: Memento mori ! Todtenbibliothec: bei christlicher Beerdigung TM. Hn. M. Thomae Honstedts [...]. Hamburg 1704. Grawer, Albrecht: II. Predigten / wie man zur Sterbens=Zeit das Ziel deß menschlichen Lebens recht betrachten sol. Jena 1613. Greiffenberg, Catharina Regina von: Geistliche Sonnette / Lieder und Gedichte / zu Gottseligem Zeitvertreib / erfunden und gesetzet durch Fräulein Catharina Regina / Fräulein von Greiffenberg / geb. Freyherrin von Seyßenegg: Nunmehr Ihr zu Ehren und Gedächtniß / zwar ohne ihr Wissen / zum Druck gefördert / durch ihren Vettern Hanns Rudolf von Greiffenberg / Freyherrn zu Seyßenegg. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983, Bd. 1 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe 1662). Des Allerheiligst= und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi Zwölf andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina / Frau von Greiffenberg / Freyherrin auf Seysenegg / Zu Vermehrung der Ehre GOttes und Erwekkung wahrer Andacht / mit XII. Sinnbild=Kupfem verfasset und ausgefertiget. In: Catharina

431 Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Martin Bircher und Friedhelm Kemp. New York 1983, Bd. 9 und 10 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1672). Griebner, Daniel: Betrachtung Des Anderen und Ewigen Todes / Darinnen nach Anleitung unterschiedlicher Biblischer Sprüche so wohl die ausführliche Höllenbeschreibung als auch die klügliche Höllen=Entfliehung deutlich und schrifftmässig fürgestellet wird. Leipzig 1683. Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von: Continuatio des abentheuerlichen Simplicissimi oder Der Schluss desselben. In: Grimmelshausen. Werke II. Hg. v. Dieter Breuer. Frankfurt a.M. 1989, S. 555-699. Großgebauer, Theophil: Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion. Frankfurt a.M. 1661. Griibner, Daniel: Todes=Gedancken / in XXX. Predigten vom zeitlichen Tode. Leipzig 1679. Gryphius, Andreas: Dissertationes fúnebres, Oder Leich=Abdanckungen. Leipzig 1667 ('1666). - Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983. - An sich Selbst. In: Andreas Gryphius. Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell, Tübingen 1963-1983, Bd. 1, S. 61. - Hertzens=Angst eines bußfertigen Sünders. In: Andreas Gryphius. Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983, Bd. 2, S. 110-112. - Morgen Sonnet / Mittag / Abend / Mitternacht. In: Andreas Gryphius. Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983, Bd. 1, S. 65ff. - Über Abraham Orteis Parergon. In: Andreas Gryphius. Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell. Tübingen 1963-1983, Bd. 1, S. 54f. Guilloré: Retraite de huit jours pour une religieuse. In: La Manière de conduire les âmes dans la vie spirituelle (1676), suivie d'une Retraite de huit jours pour une religieuse, et d'une Retraite pour les dames (1684). Lyon 1861. Hainzmann, Johann Christopherus: Himmlische Nachtigall / Singend Die Gottselige Begirden der Wissenden / heiligen und verliebten Seel. In Hoch=Teutsche Sprach übersetzt und verfaßt [...] Durch Joannem Christophorum Hainzmann. Weingarten 1684. Hall, Joseph: A Meditation of Death: According to the Former Rules. In: Huntley, Frank Livingstone: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study With the texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). Binghampton/ New York 1981 S. 109-118. - The Arte of Divine Meditation (' 1606). In: Huntley, Frank Livingstone: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study With the texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). Binghampton / New York 1981. - Occasional Meditations ('1633). In: Huntley, Frank Livingstone: Bishop Joseph Hall and Protestant Meditation in Seventeenth-Century England: A Study With the texts of The Art of Divine Meditation (1606) and Occasional Meditations (1633). Binghampton / New York 1981. Harsdorffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst / ohne Behuf der Lateinischen Sprache / in XI Stunden einzugiessen. Hildesheim 1971 (Reprograf. Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1648-1653). - Nathan und Jotham: Das ist Geistliche und Weltliche Lehrgedichte / Zu sinnreicher Ausbildung der waaren Gottseligkeit / wie auch der aller löblichen Sitten und Tugenden / vorgestellet: Samt einer Zugabe benamt SJMSON Begreiffend hundert vierzeilige Räthsel. Zweyter Theil / Durch ein Mitglied der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft. Nürnberg 1651. - Frauenzimmer Gesprächspiele. Hg. v. Irmgard Böttcher. Tübingen 1969 (Barock 20). Sehnsucht nach dem Kreuze. In: Bibliothek deutscher Dichter des siebzehnten Jahrhunderts. Hg. v. Karl Förster. Leipzig 1838, S. 55f. Hayward, John: Davids tears, or an Exposition of the Poenitential Psalmes. London 1623. - Lachrimae Davidis. Oder Thränen Davids. Das ist: Geistreiche Betrachtungen über den VI. und XXXII. wie auch CXXX. Buß=Psalmen: Anfänglich in Englisch beschriben / Durch Johann Hayward [...] jetzund aber in unser Teutsche Spraach übergebracht [...]. Bern 1659. Heermann, Johann: Crux Christi. Die schmertzliche und trawrige Marter=Woche / unsers hochverdienten Heylandes Jesu Christi / Daraus zu sehen / wie Blutsawr es ihm worden / uns zu erlösen.

432 Betrachtet aus dem schönen Passion=Büchlein der vier Evangelisten / Und in Eilff Lehr= und Trostreichen Predigten erkläret [...]. Leipzig 1618. Güldene Sterbekunst Gezeiget in zwölff Predigten/ Aus dem anmuthigen schönen Sterbe=Gesänglein Hertzlich thut mich verlangen / nach einem seligen End [...]. Leipzig 1659. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832— 1845 neu edierten Ausgabe. Bd. 3: Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M. 1969-1979. Heiler, Günther: Passions=Harfe / Das ist Andächtige Betrachtungen des allerheilsamsten Leidens Christi / Allen Gottseligen Jesus=Liebhabern fürgestellet [...]. Straßburg 1676. Geistlicher Blumen=Garten Uber das bittre Leiden und Sterben Jesu Christi, Darauß ein jeder Gottesfurchtiger und bedrängter Christ / in allerley Creutz und Elend / Jammer und Trübsal / Noth und Todt / mancherley schöne Blümlein zu seyner Labung und Stärckung abbrechen kann. Frankfurt 1669. Wohl gelebt / wohl gestorben / Oder Süsse Lebens= und Sterbens=Gedancken / Welche Nach Anleitung allerhand schönen Glaubens=Artikeln / zur Ehre Gottes und zur seligen Erbauung / in Christlichen Gemüthern erwecken / und in Druck verfertigen Wollen D. Günther Heiler [...]. Frankfurt a.M. 1681. Henning, Johannes: Todes=Gedancken / Das ist: Christliche Betrachtung Der Menschlichen Sterbligkeit Denen Rohen Welt=Kindem Zur Aufmunterung und Erinnerung: Frommen Christen aber Zu Trost und Erquickung In Noht und Tod vorgestellet [...]. Braunschweig 1691. Herberger, Valerius: MAGNALIA DEI de JESU, Scripturae nucleo & medulla. [...] Gefasset Durch fleissiges Gebet / Lesen und Nachdenken / Hertz / Mund und Feder / VALERU HERBERGERI, Predigers in Frawstadt. [...]. Theil 1-12. Hamburg 1661. Herbert, George: The Altar. In: The Meditative Poem. An Anthology of Seventeenth-Century Verse. Hg. ν Louis L. Martz. New York 1963, S. 147. The Temple. Sacred poems and private ejaculations. Mit einer deutschen Versübersetzung von Inge Leimberg. Münster u.a. 2002. Hermann, August: Einfaltiger Unterricht / Wie man die H. Schrifft zu seiner wahren Erbauung lesen solle / Für diejenigen / welche begierig sind / ihr gantzes Christenthum / auff das theure Wort Gottes zu gründen [...]. Halle 1694. Herrenschmidt, Jacob Adam: Zeit=Predigten [...]. Nürnberg 1652. Hoby, Margaret: The Diary of Lady Margaret Hoby 1599-1605. Hg. v. Dorothy M. Meads. London 1930. Hopil, Claude: Les doux void de 1'ame amoureuse de Iesus, exprimez en cinquante cantiques spirituels, tres propres à enflammer les ames à la devotion & à l'amour de Dieu. Paris 1629. Contemplation de Iesus en Croix. In: ders.: Les doux vols de l'ame amoureuse de Iesus, exprimez en cinquante cantiques spirituels, tres propres à enflammer les ames à la devotion & à l'amour de Dieu. Paris 1629, S. 25f. Hornstein, Jacob: Ein Christlich Catholische Beichtpredig / Von den stummenden Beichtvättern unnd Beichtkindern / auch von dem Gewalt eines getrewen Catholischen Beichtvatters / welchem ein jeder Büsser und Todsünder / mit mündlicher / volkömmlicher / Sakramentalischer Beicht underworffen ist / ausser welcher sonsten kein Gnad / Verzeyhung noch Seligkeit zuerhoffen [...]. Ingolstadt 1591. Hugo, Hermann: Pia desideria (Antwerpen 1624). Hg. v. John Horden. Scolar Press 1971. - / Stengel, Carolus [Übers.]: Gottselige Begierde Aus lautter Sprüchen der Heiligen Vättern Zusammen gezogen Und mit schönen Figuren gezieret durch R.P. Herrn Hermannum Hugonem S.J. Verteutscht durch Carolum Stengelum [...]. Augsburg 1626. - / Wencel Scherffer von Scherffenstein [Übers.]: Hermanni Hugonis S.J. Gottsäliger Verlangen Drey Bücher (1662). Hg. v. Michael Schilling. Tübingen 1995. - / Presson, Andrea [Übers.]: Das Klagen Der büssenden Seel Oder die so genannte Pia Desideria Erstlich von P. Hermanno Hugone der Societ. Jesu [...] Anietzo von Magistro Andrea Pressson Volcacente Francone [...] in hochteutsche Poesin [...] auch sambt betrachtung der lateinischen Carminum mit schönen anmüthigen Melodeyen neuen Kupfferstichen und annotationen [...] gezieret [...]. Bamberg 1672. - / Hainzmann, Johann Christopherus [Übers.]: Himmlische Nachtigall / Singend Die Gottselige Begirden der büssenden / heiligen und verliebten Seel. In Hoch=Teutsche Sprach übersetzt und verfaßt [...] Durch Joannem Christophorum Hainzmann. Weingarten 1684.

433 Ignatius von Loyola: Geistliche Übungen. Übertragung und Erklärung v. Adolf Haas. Freiburg i. Br. 1967. Iulien, Dorothée de: Élévations à Jesus-Christ, sur des textes du Nouveau Testament, Avec quelques Reflexions sur divers sujets. A quoy l'on a ajoûté quelques Poesies chrétiennes. Montpellier 1689. Junghans, Johannes: Sermones de tempore. Teutsch. Gera 1652 / Jena 1669. Jurieu, Pierre: Traité de la Dévotion [...]. Quevilly 1675. - La Pratique de la Dévotion, ou Traité de l'amour divin [...] A l'usage de tous les Fidèles & particulièremenzt de ceux qui souffrent pour Christ. Rotterdam 1700. Kegel, Philipp: Zwölf Geistliche Andachten / darin gar schöne trostreiche Gebet begriffen / Welche die recht bewehrte Mittel / dadurch man ein gnedigen Gott / ein friedsames fröhliches Gewissen / und endtlichen die Krön deß ewigen Lebens erlangen kan. Allen frommen Christen zu mehrer Beförderung ihrer Zeitlichen und Ewigen Wolfahrt aus einem Christlichen Eyffer gestellet und zusammen getragen. Goßlar 1622. Khlesel, Melchior: Christliche unnd Catholische Leichpredig. Uver die Hochkläglich unnd schmertzlich Begräbnuß / der Durchleuchtigisten Fürstin und Frawen / Frawen Elisabeth [...] Königin zu Franckreich [...]. Wien 1592. Riesling, Johann: Christliche Lebens= und Sterbenskunst. Das ist: Wie sich ein frommes Christen=Hertz dem höchsten Gott / täglich in seinen Schutz und Schirm befehlen; Auch wann es von dem selben / mit Melancholey / Creutz / Anfechtung und Leibes=Krankheiten überfallen; Oder in Sterbens=Läufften heimgesuchet wird / verhalten / und zu einem seeligen Abschied / von dieser Welt schicken und bereiten soll. [...] zusammengetragen durch [...] Kießling. Nürnberg 1662. - Geistreiches Wetter=Büchlein / Das ist: Gottselige Erinnerung / wie sich ein jedes frommes Christen=Hertz / bevorab in schweren Wetters=Zeiten [...] Christlich verhalten soll. Darinnen auch allerhand Trostreiche Sprüch= Gebet= und Seuftzerlein; Deßgleichen auch schöne Klag= Buß= und Dancklieder / vor / in / und nach gefährlichem Hagel= und Donner=Wetter [...] begrieffen. Nürnberg 1673. Kuntsch, Margarethe Susanne von: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte [...]. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720 [postum]. - Als nach einem harten Creutzes=Sturme / bey Leibs=Beschwerunbgen / sie gedachte / dass ihr Gebeth also erhöret wäre / dass sie sterben würde 1685. An ihre liebste Freunde. In: dies.: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte [...]. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720 [postum], S. 16. - Ein Auszug aus etlichen Capiteln des Buchs Hiob, bey einer langwierigen und schmertzlichen Unpässlichkeit 1687. und 1688 auffgesetzt. In: dies.: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte [...]. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720 [postum], S. 23-31. - Dergleichen. [Ein Auszug aus etlichen Capiteln des Buchs Hiob, bey einer langwierigen und schmertzlichen Unpässlichkeit 1687. und 1688 auffgesetzt]. In: dies.: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte [...]. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720 [postum], S. 32-37. - Sie hat eine sehnliche Begierde zu sterben. In: dies.: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte [...]. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720 [postum], S. 23-31. - Über desselben [Erasmus Franciscis] letzte Rechenschafft beym erstenmahl / zum andern mahl durchlesen. In: dies.: Sämmtliche Geist= und weltliche Gedichte [...]. Hg. v. Christian von Stockmann. Halle 1720 [postum], S. 54f. La Ceppède, Jean de: Théorèmes (1613/1621). Hg. v. Yvette Quenot. 2 Bde. Paris 1988-1989. - J'ensanglante ces carmes. In: Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 121. Labadie, Jean / Spener, Philipp Jakob [Übers.]: Kurtzer Underricht von Andächtiger Betrachtunge / Wie solche Christlich und Gottselig angestellet und geübet werden solle. Verfasset in einem Sendschreiben H. Johann von Labadie, und Auß der Frantzösischen den Teutschen zum besten in unsere Sprach übersetzet. [...]. Frankfurt a.M. 1667. Lalemant, Jacques Philippe: Testament spirituel, ou Prière à Dieu pour se disposer à bien mourir [...]. Paris 2 1669. - Les Saints désirs de la mort, ou Recueil de quelques pensées des Pères de l'Eglise, pour montrer comment les chrétiens doivent mépriser la vie et souhaiter la mort. Paris 1673.

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Les saints désirs de la mort ou recueil de quelques pensées des Pères de l'Eglise, Brüssel 1713. Le Masson, Innocent: La Psalmodie intérieure. Sujets de Méditation sur les sept pseaumes de la Pénitence, et sur les huit Beatitudes, avec des reflexions sur les sept Dons du Saint Esprit. Par un Supérieur de plusieurs Monastères de Religieuses Seconde Partie. Lyon 1696. Leade, Jane: Eine Bey lebendigem Leibe gehaltene Leich=Predigt: Oder Der im Leben Christi überwundene und ersäuffte Tod. Samt einer fernem Beschreibung derer mancherley Stände abgeschiedner Seelen. In Ansehung desjenigen nehmlich / was sie zu erwarten / das nach dem Tode erfolgen möge / sie seyn in Christo / oder ausser Christo. Durch Jane Leade Im Englischen beschrieben und nun denen Liebhabern zu Gefallen in unsre Mutter=Sprache übersetzet. [...]. Amsterdam 1703 [gehalten 1702]. Le Moyne, Pierre: La Devotion aisée. Paris 1652. Lintzner, Georg: Memento mori. Das ist: Heilsame Todes-Gedancken Wie nemlich ein wahrer Christ seinen Tod stets betrachten und sich durch ein christlich Leben zu demselben bereiten: Sonderlich aber mit kräfftigen Trost-Sprüchen wider seine letzten Feinde ausrüsten soll; Auf daß er Christ-ritterlich überwinden und endlich die Crone des Ewigen Lebens überkommen möge. Samt einem Anhange von der Seligen und Unseligen Ewigkeit zum Trost und Warnung. Nürnberg 1675. Lipenius, Martin: Bibliotheca Realis Theologica. Omnium Materiarum Rerum et Titulorum, Ordine Alphabetico disposita, cum indice autorum & scriptorum copiosissimo. Frankfurt a.M. 1685. Lipsius, Justus: Manuductonis ad Stoicam Philosophiam Libri Tres. L. Annaeo Senecae aliisq. Scriptoribus illustrandis (1604). In: ders.: Opera histórica, politica, philosophica et epistolica. Antwerpen 1596-1625, Bd. 6. Von der Bestendigkeit [De constantia]. Hg. v. Leonard Forster, Stuttgart 1965 (Faksimiledruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der 2. Auflage von ca. 1609). Lobwasser, Ambrosius: Der Psalter deß Königlichen Propheten Davids / In deutsche reymen verstendiglich und deutlich gebracht / mit vorgehender anzeigung der reymen weise / auch eines jeden Psalmes Inhalt [...]. Und hierüber bey einem jeden Psalmen / seine zugehörige vier stimmen / und laut der Psalmen / andechtige schöne Gebet. Leipzig 1576. Lock, Anne: A Meditation of a Penitent Sinner Written in Manner of a Paraphrase Upon the 51st Psalm of David. The Preface, Expressing the Passiones Mind of the Penitent Sinner. In: Female & Male Voices in Early Modem England. An Anthology of Renaissance Writing. Hg. v. Betty S. Travitsky und Abbe Lake Prescott. New York 2000, S. 115-117. Locke, John: Versuch über den menschlichen Verstand. Übersetzt und erläutert von J. H. Kirchmann, Leipzig 2 1894 [Engl.: Essay on Human Understanding, Ί 6 9 0 ] . Luckerbecker, Simon Wilhelm: Christliche Betracht= und Überdenckung / des Todes zu Besserung des Lebens / Uber die Worte Mosis / [...] / Lehre und bedencken / daß wir sterben müssen / auffdaß wir klug werden. Aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzet von S.W.L.B. Bremen 1669. Luther, Martin: S. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Weimar 1966 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Weimar 1883). Lütkemann, Joachim: Der Vorschmack göttlicher Güte. Wolfenbüttel 1653. Madame de Blémur: Exercice de la mort contenant diverses pratiques de dévotion très utiles pour se disposer à bien mourir. Paris 1677. Massillon, Jean Baptiste: Œuvres. 3 Bde. Paris u.a. 1870. Mauritius, Casparas: Der Beste Weg Zur Reinigung / Erleuchtung / und Vereinigung [...]. Hamburg 1676. Mayer, Johann Friedrich: Das schwer angefochtene und von Herzen betrübte Kind Gottes so seine Klage / ach und wehe für Gott ausschüttet / und aus denen Evangeliis wider solche Schwermuth kräfftig gestärcket wird. Leipzig 1698. Megerle, Johann Ulrich: Besonders meublirt- und gezierte Todten=Capelle / Oder Allgemeiner Todten=Spiegel [...]. Würzburg 1710. Melanchthon, Philipp: Corpus Reformatorum. Philippi Melanchthonis Opera, quae supersunt omnia. Halle 1843ff. Meyfart, Johann Matthäus: Tuba Novissima, Das ist / Von den vier letzten Dingen des Menschen / 5

435 nemlich von dem Todt / Jüngsten Gericht / ewigen Leben vnnd Verdamniß / Vier unterschiedliche Predigten / gehalten zu Coburgk [...]. Coburg 1626. Moller, Martin: Soliloquia de Passione Iesu Christi. Wie ein jeder Christen Mensch das allerheyligste Leyden und Sterben unsers Herrn Iesu Christi / in seinem Hertzen betrachten / Allerley schöne Lehren / und heylsamen Trost darauß schöpffen / und zu einem Christlichen Leben / und seligen Sterben / nützlich gebrauchen sol. Aus heiliger Göttlicher Schlifft / und den alten Vätern / mit fleiß zusammen getragen. Görlitz 1587. -

Manuale de Praeparatione ad mortem. Das ist: Sonderlicher Handgriff Zur Heilsamen Todes=Bereitung. Aus Gottes Wort gewiesen [...]. Stade 1688. Meditationes sanctorum Patrum. Schöne / Andechtige Gebet / Tröstliche Sprüche / Gottselige Gedancken / Trewe Bußvermanungen / Hertzliche Dancksagungen / vnd allerley nützliche vbungen des Glaubens. Aus den heyligen Altvätern Augustino, Bemhardo, Taulero vnd andern / fleissig vnd ordentlich zusammen getragen vnd verdeutschet [...]. Görlitz 1590 ('1584). Altera pars Meditationum ex sanctis Patribus. Ander Theyl Andechtiger schöner Gebet [...]. Allen andechtigen Hertzen / zum Christlichen Leben und seligen Sterben / gantz nützlich zubrauchen. Görlitz 1591. Manuale de praeparatione ad mortem. Heysame und sehr nützliche Betrachtung, wie ein Mensch christlich leben und seliglich sterben sol. Görlitz 1595. Praxis Evangelionim. Einfeltige erklerung und nützliche betrachtung der Evangelien so auff alle Sontage und vornemesten Fest jährlich zu predigen verordnet sind. Für alle fromme Hertzen / die sich in jetzigen letzten Zeiten vom sündlichen Welt Laufft absondern / und auff die Erscheinung unsers Herrn Iesu mit Frewden warten. Görlitz 1601. Montaigne, Michel de: Essais. Neu hg. v. V.-L. Saulnier. Paris 1965. Montfort, Grignon de: Oeuvres complètes, Paris 1966. Moore, John: A Lively Anatomie of Death: Wherein you may see from whence it came, what it is by name, and what by Christ [...]. London 1596. Moore, John: A Mappe of Mans Mortalitie. Clearly manifesting the originali of Death, with the Nature, Fruits, and Effects thereof, both to the Unregenerate, and Elect Children of God [...] against the combat of Death, that they may wisely and seasonable prepared against the same. London 1617. Mornay, Philippe de, s. auch Duplessis Mornay, Philippe de Mornay, Philippe de: Discours de la vie et de la mort. Par P. de Mornay Gentil-homme François. Revue & augmenté: Auquel est adiousté les meditations de I. Sauonarole sur les Pseaumes traduicts par iceluy de Mornay. Pour mourir bien heureux à vivre faut apprendre. Pour vivre bien-heureux à mourir faut entendre. Paris 1584. Pour mourir bien heureux à vivre faut apprendre. Pour vivre bien-heureux à mourir faut entendre. Paris 1584. Moscherosch, Hans-Michael: Insomnis Cura Parentum. Christliches Vermächtnuß. Oder / Schuldige Vorsorg Eures Trewen Vatters. bey jetzigen Hochbetrübten Zeitten den seinigen zur letzten Nachricht hinderlassen. Straßburg 1643. Moulin, Pierre: Héraclite ou de la Vanité et Misère de la vie humaine. Par P. Dr. Moulin. Ministre de la Parole de Dieu, en l'église de Paris. Sedan 1613. Müller, Heinrich: Geistlicher Dankaltar. Frankfurt 1694 ( Ί 6 6 9 ) . Himmlischer Liebes=Kuß / Oder Vbung deß wahren Christenthumbs / fließend auß der Erfahrung Göttlicher Liebe. Erfurt 1742 (>1659). Muthreich, Martin: Hertz=durchdringende Buß=Glocke / So da auffmuntert Zu einem gottseeligen Leben: Insonderheit aber zur recht Christlicher Bußfertiger Vorbereitung / die man anzustellen / wegen würdigen Gebrauchs des Hochheiligen Abendmahls / Worzu gehörig / 1. Ernste Rew und Leyd über die Sünde / 2. Wahrer Glaube an Christum / 3. Besserung des sündlichen Lebens; Begriffen / In den Sieben Buß=Psalmen des Königes und Propheten Davids: Welche in LIX. Predigten [...] Erkläret worden [...]. Cüstrin 1662. Nasser, Bartholomäus: Geistlicher Posaunen Schall: Das ist: Neunzehen Straff= und Bußpredigten / [...]. So dann Außführliche Erklärung der sieben Bußpsalmen Davids / in vier und zwantzig Predigten verfasset und begriffen: Zu diesen hochbetrübten Zeiten sehr nothwendig und aufferbawlich [...]. Straßburg 1623.

436 Nicolai, Philipp: Frewden Spiegel deß ewigen Lebens. Das ist: Gründtliche Beschreibung deß herrlichen Wesens im ewigen Leben / sampt allen desselbigen Eygenschafften vnd Zuständen / auß Gottes Wort richtig vnd verständlich eyngeführt. [...]. Allen betrübten Christen / so in diesem Jammerthal / das Elendt auff mancherley Wege bauwen müssen / zu seligem vnd lebendigem Trost zusammen gefasset [...]. Frankfurt a.M. 1599. Nicole, Pierre: Traité de l'oraison divisé en sept livres. Paris 1679. - Traité sur les quatre derniers fins de l'homme. In: Essais de Morale contenus en divers Traités sur plusieurs devoirs importants. Paris 3 1682 ('1672-1677). Nierenberg, Johannes Eusebius: Waagschaln der Zeit und Ewigkeit. Köln o. J. Nietzsche, Friedrich: Werke in drei Bänden. Hg. v. Karl Schlechta. Bd. 2: Zur Genealogie der Moral. München 1955. - Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. In: Sämtliche Werke. Hg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari. 15 Bde. München 1999, Bd. 5. Nouet, Jacques: Retraite pour se préparer à la mort. Paris 1684. Opitz, Martin: Herrn Martin Opitzens Erzehlung Des Leidens und Sterbens unsers Heylandes. Beneben ΧΠ. Geistlichen Betrachtungen des allerheiligsten Todes JESU Christi [...] auffgesetzet Von Thomas Stegem / Prediger zu Leipzig. Leipzig 1659. Ortelius, Abrahamus: Theatrum oder Schawplatz des erdbodens, warin die Landttafell der gantzen weldt, mit sambt aine der selben kurtze erklärung zu sehen ist. O.O. 1573 Outreman, Philippe de: Le vray pédagogue chrétien, Lyon 1686. Parsons, Robert: The Christian Directory. The First Booke of the Christian Exercise, appertayning to Resolution (1582). Hg. v. Victor Houliston. Leiden 1998. Patrix, Pierre: La Miséricorde de Dieu, sur la conduite d'un pécheur pénitent [...]. Blois 1660. - Epitaphe de l'Autheur. In: Raymond Picard: La poésie française de 1640-1680. Poésie religieuse, Epopée, Lyrisme officiel. Paris 1964, S. 156. - Etant un peu remis de sa crainte, il s'offre à Die pour mourir au pied de la Croix. In: Raymond Picard: La poésie française de 1640-1680. Poésie religieuse, Epopée, Lyrisme officiel. Paris 1964, S. 153. Perkins, William: A Salve for a Sicke Man, or, A treatise containing the nature, differences, and kindes of death, as also the right manner of dying well. Cambridge 1595. - Three bookes of Cases of Conscience. In: The Workes of that Famous and Worthy Minister of Christ in the Universitie of Cambridge, Mr. William Perkins. Newly corrected according to his own copies [...]. 3 Bde. London 1616, Bd. 2, S. 1-167. - A Declaration of the true Manner of knowing Christ crucified. In: The Workes of that Famous and Worthy Minister of Christ in the Universitie of Cambridge, Mr. William Perkins. Newly corrected according to his own copies [...]. 3 Bde. London 1616, Bd. 1, S. 625-635. - Of the nature and practise of Repentance. In: The Workes of that Famous and Worthy Minister of Christ in the Universitie of Cambridge, Mr. William Perkins. Newly corrected according to his own copies [...]. 3 Bde. London 1616. Petersen, Henning: Eine geistliche Anatomi oder Beschawung des [...] Hertzens Hiobs, welche [...] bey [...] Leich Bestaetigung [...] Herrn Philippi Erben zu Norwegen [...] da S. Fuerstl. Durchlaucht den 27sten Septemb. Des verflossenen 1663. Jahres [...] verschieden / Zu betrachten fürgestellet hat [...]. Schleswig 1664. Petrucci, Pier Matteo: Kurtzgefaßter Tractat Von Uberwindung der Unordentlichen Gemüths=Bewegungen [...] ins Teutsche übersetzet Durch M.J.G.H. Köln 1688. Petrus de Medina / Egidius Albertinus [Übers.]: Das Buch der Warheit/ Begreifft drey Theil. Im ersten wird man unterwisen / was gestalt die Ehr / Reichthumb und Wollustbarkeiten der Welt sollen werden verachtet [...]. Im andern / was der Mensch seye/ was Gott ist [...] Im dritten wird gehandlet von dem Todt: Warum die Menschen sterben: Was gestalt sie in ihrem letzten End versuecht werden von dem Sathan / und was man thuen müsse zum seligen Sterben. Es wird auch erkläret das sonderbare und allgemeine Gericht / die Straff der Gottloosen / und Glory der Frommen. München 1648. Pfanner, Tobias: Christlicher Büß- und Lebens-Weg. Aus denen alten Kirchen-Lehrern und andern erbaulichen Schriften. Leipzig 1711. Picardet, Anne: Odes spirituelles sur l'air des chansons de ce temps. Paris 1619.

437 Porst, Johann: Geistliche und Liebliche Lieder, Welche der Geist des Glaubens Durch Martin Luthern, Joh. Heermann, Paul Gerhard, und andere seine Werckzeuge, in den vorigen und jetzigen Zeiten gedichtet [...] worden; Nebst [...] einer Vorrede von Johann Porst [...]. Berlin 1763. Praschius, Daniel / Lilian, Wolfgang: Grabschrifften Buch / Dass ist / Dritter und Letster Theil / der fiimembsten unnd Schönesten Teutschen Grabschrifften / welche Inn diser löblichen Reichs Statt Augspurg Biß dato gefunden worden / deren Nutzbarkeiten Die Vored an den Christlichen Leser anzeigen wird. Augsburg 1626. Presson, Andrea: Das Klagen Der biissenden Seel Oder die so genannte Pia Desideria Erstlich von P. Hermanno Hugone der Societ. Jesu [...] Anietzo von Magistro Andrea Pressson Volcacente Francone [...] in hochteutsche Poesin [...] auch sambt betrachtung der lateinischen Carminum mit schönen anmüthigen Melodeyen neuen Kupfferstichen und annotationen [...] gezieret [...]. Bamberg 1672. Primaudaye, Pierre de: Académie Françoise: En laquelle est traité de l'institution des Mœurs. O.O. 1548. Quintilian, Marcus Fabius: De institutione oratoria. Hg. u. übers, v. Helmut Rahn. Darmstadt 1975. Rappolt, Friedrich: Meditationes Mortis, Oder Christ-Selige Todes-Gedancken. Leipzig 1677. Reuß, Heinrich: Die Sterbens-Erinnerung des Heinrich Posthumus Reuß (1572-1635). Konzeption seines Leich-Prozesses. Transkription und Kritischer Bericht Heike Karg. Aktenband Cb Nr. 4 im Bestand Gemeinschaftliche Regierung Gera des Thüringischen Staatsarchivs Greiz. Jena 1997. Roberus, Paul: Zeit=Predigten [...]. Frankfurt 1666. Rogers, Richard: Seven Treatises Containing such Direction as is Gathered out of the Hohe Scriptures [...] called the practice of Christianitie, The Second Treatise, Shewing at Large what the Life of the True Beleever is. London 1603. Rudinger, Esromus: Sterbe=Kittel gesponnen auß dem Paradieß zur Rechten deß Creutzes Christi [...]. Nürnberg 1591. Sabbattini, Nicola: Pratica di Fabricar Scene, E Machine Ne' Teatri. Ravenna 1638. Saint-Amant, Antoine Girard de: Fragment d'une Méditation sur le Crucifix. In: Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 141-143. Sainte-Beuve: Charles Augustin: Port-Royal. Hg. v. L. Leroy. 3 Bde. Paris 1953-1955. Saint-Louis, Pierre: La Madeleine au désert de la Sainte Baume, poème spirituel et chrétien. Lyon 1668. In: Anthologie de la poésie baroque française. Textes choisis et présentés par Jean Rousset. 2 Bde. Paris 1961, Bd. 1, S. 145. Sales, François de: Anleitung zum frommen Leben. Übersetzt von Franz Reisinger. Eichstätt 1959 [Frz.: Introduction à la vie dévote, 1609]. - Introduction à la Vie dévote. Hg. v. Ch. Florisoone. 2 Bde. Paris 2 1961. Oeuvres [Introduction à la Vie dévote, 1608; Traité de l'Amour de Dieu, 1616; Entretiens spirituels], Hg. v. A. Ravier unter Mitarbeit von R. Devos. Paris 1969. Scherffer von Scherffenstein, Wenzel: Hermanni Hugonis S. J. Gottsäliger Verlangen Drey Bücher (1662). Hg. v. Michael Schilling. Tübingen 1995. Schmidt, Johann: Libellus Repudii Oder Schrecklicher Scheid= vnd Absagbrieff deß eiverigen / gerechten Gottes / an alle Unbußfertige vnd Heuchler. Begriffen im Buch der Richter cap. 10. Ich wil nicht mehr helffen / gehet hin & c. Hiebevor in Neun vnterschiedenen Predigten öffentlich erkläret / Vnd jetzo fümemlich Dem grossen sichern / gottlosen Hauffen dieser letzten argen Welt / welcher ohn auffrichtige hertzliche Büß ganz vergeblich auff Göttliche Hülffe und Frieden wartet / zur trewhertzigen wolmeynenden Warnung [...]. Straßburg 1640. - Zelus Pietatis Oder Eiverige Übung wahrer Gottseligkeit / worinn dieselbe bestehe / welcher gestalt sie anzustellen vnd fortzusetzen [...]. Vnd jetzo Gottselig=einfältigen Hertzen zum Vnterricht vnd Trost: Den Heuchlern aber / welche den blossen Schein eines Gottseeligen Wesens führen / zu trewhertziger Warnung [...]. Straßburg 1641. Schmidt, Joseph: Spiegel der Anatomy Darinn zusehen alle Innerliche und Äusserliche Gliedmassen des Menschlichen Leibs, Auff das kürtzest verfast [...]. Augsburg 1646.

438 Schopper, Jacob: Sterbkunst / Das ist: Christliche Form Die Krancken und Sterbenden Menschen / auß der H. Göttlichen Schrifft / und auß dem Christlichen Catechismo zu berichten / zu vermahnen / und zutrösten. Nürnberg 1549. Schottelius, Justus Georg: Eigentliche und Sonderbare Vorstellung Des Jüngsten Tages und darin künfftig verhandenen Grossen und Letzten Wunder=Gerichts Gottes: Wie es ordentlich nach denen uns geoffenbarten Umständen / alsdan daher gehen / endlich nach ausgesprochenem Uhrtheile / die Gottlosen samt den Teufelen zur Hölle / die Auserwehlten samt dem Herrn Jesu zu Himmel fahren / auch Himmel und Erde darauf samt den Elementen im Feuer vergehen werden. Nachdenklich in Teutscher Sprache beschrieben / mit nötigen Erklärungen und schönen Kupfer=Stükken. Braunschweig 1668. Ethica. Bern / München 1980 (Reprint der Auflage Wolfenbüttel 1669). Sonderbare Vorstellung Von der Ewigen Seeligkeit In Teutscher Sprache Nachdenklich beschrieben / Samt kurtzem Vorberichte Von der Zeit und Ewigkeit. Braunschweig 1673. Grausame Beschreibung und Vorstellung von der Hölle und der Höllischen Qwaal / Oder Des andern und ewigen Todes. In Teutscher Sprache nachdenklich / und also vor die Augen gelegt / daß einem gottlosen Menschen gleichsam die höllischen Funken annoch in dieser Welt ins Gewissen stieben / und Rükk-Gedanken zur Ewigkeit erwekken können. Mit etzlichen Schrekkniß-vollen Kupfferstükken zugleich vorgebildet. Wolfenbüttel 1676. Sonderbare Vorstellung / Wie es mit Leib und Seel Des Menschen werde Kurtz vor dem Tode / In dem Tode / und nach dem Tode bewandt seyn. Braunschweig 1675. Schütz, Daniel: Die Sieben Wort Christi am Creutz. Stettin 1570. Scriba, Friederich: Der Beruff des Weiblichen Geschlechtes / und der ihm wol=anstehende Tugend=Schmuck / mit sich führende die ewige Seligkeit / In einer Christlichen Leich= und Trostpredigte [...]. Bey sehr trauriger / doch ansehnlicher und Volckreicher Leich=Begängnis / Der Weylandt Edlen / Groß=Ehr und Tugendreichen Frauen / Ernestinen Catharinen Busch [...]. Lemgo 1675. Scriver, Christian: Gottholds zufällige Andachten bei Betrachtung mancherlei Dinge zur Ehre Gottes und Uebung der Gottseligkeit abgefasst. Rengshausen 1861 (unvollst. Nachdruck der Ausgabe Magdeburg '1663). Seelen=Schatz / Darinn von der menschlichen Seelen hohen Würde / tieffen und kläglichen Sündenfall / Busse und Erneuerung durch Christum / Göttlichen Heiligen Leben / vielfältigen Creutz / und Trost im Creutz / seligen Abschied auß dem Leibe / Triumphirlichen und frölichen Einzug in den Himmel / und ewiger Freude und Seligkeit / erbaulich und tröstlich gehandelt wird. [...] 5 Teile. Leipzig 1675-1694. Gottholds Siech= und Siegs=Bette / Erster Theil. Beschrieben und zum Trost und Erbauung der Christlichen Kirchen ausgefertiget von Christian Scriver [...]. Nürnberg 1687. Seelenschatz, Fünffter und letzter Theil: Von der gläubigen Seelen Verlangen nach dem Ewigen / Vorbereitung zum seligen Tode / frölichem Abschied aus der Welt / seligen Einzug in den Himmel / und Geniessung der ewigen Seligkeit / außführlich und erbaulich gehandelt wird [...]. Leipzig 1694. Scupoli, Lorenzo: Combattimento spirituale, ordinato da un servo di Dio. Venedig 1589. Seckendorff, Veit Ludwig von: Christen=Staat / Worinn von dem Christenthum an sich selbst, und dessen Behauptung wider die Atheisten und dergleichen Leute; Wie auch von der Verbesserung so wohl des Welt- als Geistlichen Standes, nach dem Zweck des Christenthums gehandelt wird. Leipzig 1716 (>1685). Seneca, Lucius Annaeus: Epistolae morales ad Lucilium. Lateinisch und deutsch. Hg. v. Franz Loretto. Stuttgart 1996. Serroy, Jean: Poètes français de l'âge baroque. Anthologie (1571-1677). Paris 1999. Sherlock, William: A Practical Discourse Concerning Death. O.O. 1689. William Sherlocks erbauliche Betrachtung des Todes / aus dem englischen übersetzet. Leipzig 1695. Sibylle Ursula Herzogin zu Schleswig-Holstein: Himmlisches Kleeblat oder Betrachtungen Der Allerhöchstheiligsten DreyEinigen Gottheit: Von einer nunmehr HochSeeligsten HochFürstlichen Person hinterlassen. Nürnberg 1674. Sidney, Mary / Sidney, Philip: The Psalms of Sir Philip Sidney and the Countess of Pembroke. Hg. v. J. C. A. Rathmell. New York 1963.

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Namenregister* Abbadie, Jacques 154 Abaelard, Petrus 127 Abraham (Johann Ulrich Megerle) 172 Albertinus, Egidius 297 Albinus (Weiß), Gohann Georg 34-36 Alemandi, Etienne 150 Aleotti, Andrea 251 Ambrosius 191 Ammersbach, Henricus 323 Anselm von Canterbury 23, 31 Arndt, Johann 31f„ 47, l l l f . , 115, 135, 137f„ 197-200, 227f„ 347, 353f., 357, 361f. Arnold, Gottfried 386-391 Augustinus 21-23, 126, 191, 210, 309 Auvray, Jean 232, 401 Bèze, Théodore de 99,185-190 Bartholinus, Thomas 231f., 260, 263 Baxter, Richard 46f., 50f., 175, 294, 301-305, 320 Bayly, Lewis 39, 48, 335, 338 Beer, Johann 34 Bellarmin, Robert 163, 168 Benewitz, Otto 248 Benediktinernonne von Cambrai 314, 384, 415 Bernhard von Clairvaux 23, 31, 75 Birken, Sigmund von 97, 321f. Böhme, Jacob 225 Bonaventura], Johannes 128, 320 Bossuet, Jacques Bénigne 181f., 268f., 316f., 353 Bouvier de la Mothe-Guyon, Jean Marie 34, 71 Brathurst, Anne 70 Brébeuf, Georges de 207 Bunny, Edmund 39 Bunyan, John 99, 154, 157, 349, 359 Burton, Robert 178, 347-351, 354, 365f. Calvin, Jean 29, 49, 99, 128, 156, 185f. Calderari, Cesare 150 Camus, Jean Pierre 39,75 *

Casmannus, Otho 181, 295-297 Ceppède, Jean de la 103, 237, 405 Ceriziers, René de 344 Charmoisy, Mme de 73, 75-77, 82, 86 Chassignet, Jean-Baptiste 313, 414 Chrysostomus 191 Cicero, Marcus Tullius 126 Collin, An 71 Columbus, Realdus 178, 231 Coster, Franciscus 273 Crashaw, Richard 4 Crasius, Ludovicus 245, 247, 249f., 263 Crasset, Jean 168, 336, 339 Czepko, Daniel von 97, 305f. Dante (Alighieri) 380 D'Aubigné, Agrippa 188, 190 Dedeken, M. Georg 352, 360 Délavai, Elizabeth 71, 273, 281-289, 412 Descartes, René 291 Desportes, Philippe 214f., 217, 384 Dieterich, Cunrad 197 Dilherr, Johann Michael 174 Donne, John 4, 98, 201, 203-206, 258f„ 262f„ 384, 397, 410 Dowman, John 337f. Drechsel, Jeremias 34, 158, 166 Drélincourt, Charles 298-300, 317f., 338, 413 Drélincourt, Laurent 300 Du Moulin, Pierre 32, 48, 159, 178 Du Moulin, Pierre le fils 32, 144, 160 Dunte, Ludwig 47 Dyke, Daniel 39, 159, 162, 335, 347, 387 Fécamp, Jean de 23 Hemming, Paul 34, 169, 239, 278, 328, 384, 411,416 Fourier, Pierre 73 Francisci, Erasmus 34, 115, 117-123, 396 Freud, Sigmund 132 Freylinghausen, Johann 386 Friedrich III. 185

Erfasst werden die im Fließtext erscheinenden Personen.

460 Gansfort, Wessel 24, 37, 109 Gerhard, Johann 33, 47, 49, 115, 150f„ 197, 200, 227f., 273 Gerson, Johannes 46f., 336 Gibbons, Richard 160f. Gillotte, Colomban 357 Gody, Dom Simplicien 103, 364, 366, 369, 418 Greiffenberg, Catharina Regina von 32, 46, 70f., 97, 230f„ 395 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von 42 Groote, Gerhard 24 Gryphius, Andreas 34, 97, 104, 109f., 176f., 220, 251, 309f., 313, 316, 384, 400, 407 Guilloré, François 67, 78 Hainzmann, Johann Christopher 34, 36 Hall, Joseph 4, 17, 39-44, 46, 48, 63, 104f.,107, 141, 170, 174, 189, 206, 210f„ 288, 336, 340, 347, 352f„ 358f. Harsdörffer, Georg Philipp 34, 41, 94, 97 Heermann, Johann 97, 294 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 11 Henning, Johannes 173 Herberger, Valerius 31, 255 Herbert, George 4, 201, 203-206, 398 Hopil, Claude 235, 403 Houlbrooke, Ralph 319 Hornstein, Jacob 130 Hoyers, Anna Ovena 71 Hugo, Hennann 33-36, 191, 194 Hunold, Friedrich (Menantes) 113, 324 Ignatius von Loyola 24-27, 37-39, 46, 109, 340f., 346 Jurieu, Pierre 32, 141, 144, 157 Kegel, Philipp 31, 33 Riesling, Johann 134-137 Kuntsch, Susanne Margarete 71, 113-115, 117, 119, 123, 281, 323f„ 371-376, 396 Lanckisch, Michael von 141, 153, 158 Lay mann, Paul 131 Leade, Jane 70f. Leibniz, Gottfried Wilhelm von 11, 270 Le Masson, Innocent 194-196 Lilian, Wolfgang 327 Lintzner, Georg 115 Lipenius, Martin 165 Loarte, Gaspar 39 Lobwasser, Ambrosius 185 Locke, John 9f„ 270f„ 292, 307, 322

Lucilius 126 Luis de Granada 39 Luther, Martin 15, 27-30, 60f., 112, 128, 133, 137, 226, 228 Lütkemann, Joachim 31 f., 115 Mage de Fiefmelin, André 294 Magdalena Sibylla Gräfin von Württemberg 370 Marot, Clément 99,185 Moller, Martin 31, 227f„ 236 Mombaer, Jean 24, 33, 37, 109 Montaigne, Michel de 10, 84, 272 More, Bridget u. Gertrude 314 Mornay, Philippe de 169, 186f., 189, 219, 369f. Moscherosch, Hans-Michael 65, 325 Moyne, Pierre le 339 Mühlpfort, Heinrich 34 Muthreich, Martin 198 Müller, Heinrich 32, 115 Nasser, Bartholomäus 210 Nicole, Pierre 77, 152, 172, 269, 353f. Opitz, Martin 97, 239 Ortelius, Abraham 309-311 Outreman, Philippe de 244 Parsons, Robert 39, 199, 298f. Patrix, Pierre 245, 331, 406, 417 Perkins, William 68, 150, 152f., 243, 360f. Petersen, Henning 180 Petrarca, Francesco 312 Petrucci, Pier Matteo 267, 269 Petrus de Medina 297, 362 Picardet, Anne 71 Porst, Johann 391 Praschius, Daniel 327 Presson, André 35 Primaudaye, Pierre de 370 Quarles, Francis 34 Rappolt, Friedrich 267, 275-278 Rist, Johann 97 Rousseau, Jean-Jacques 84 Sabbattini, Nicola 251 Saint Louis, Pierre de 257 Sales, François de 38^tt>, 46, 68, 72-87, 91 f., 131f„ 161, 206, 340-347, 356f., 369 Schede, Paul 99, 185 Scherffer von Scherfferstein, Wencel 34 Schmidt, Johann 47, 55, 62f., 134

461 Schmidt, Joseph 177f. Schottelius, Juliana 69 Schottelius, Justus Georg 36, 47, 115, 145-150, 153, 158, 266, 290-293, 297 Schwarz, Sybille 71 Sciba, Friedrich 68 Scriver, Christian 41f., 347, 355, 363 Seneca 126 Sidney, Mary 71 Simonides 312 Sokrates 132, 140 Spee, Friedrich von 6, 34, 37, 68, 72, 86-92, 98, 102, 153, 255f., 280, 336f., 384, 389 Spener, Philipp Jakob 14, 47, 320, 356, 387 Sponde, Jean de 187f., 190 Stengel, Carolus 34f. Stockmann, Christian von 113 Stucken, Johann Wilhelm 33 Surin, Jean-Joseph 321 Sybille Ursula zu Schleswig-Holstein 152 Sydney, Mary 198f.

Tauler, Johannes 31 Thomas von Aquin 128 Thomas von Kempen 24, 31 Titius, Martinus 134 Toussaint, Daniel 49, 62 Traherne, Thomas 217, 399 Tumer, Jane 70f. Ussher, James 67, 141 Vaughan, Henry 4 Vaughan Lock, Anne 377, 421 Vesalius, Andreas 176, 182 Weckherlin, Georg Rudolf 211 Weise, Christian 267 Weissmann, Ehrenreich 370-372 Zamorienses, Aegidius 154 Zesen, Philipp von 34 Zinzendorf, Ludwig von 390