Beteiligtenstrafbarkeit und »besondere persönliche Merkmale«: Ein Beitrag zur Harmonisierung des § 28 StGB [1 ed.] 9783428480173, 9783428080175

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Beteiligtenstrafbarkeit und »besondere persönliche Merkmale«: Ein Beitrag zur Harmonisierung des § 28 StGB [1 ed.]
 9783428480173, 9783428080175

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MANFRED HAKE

Beteiligtenstrafbarkeit und "besondere persönliche Merkmale"

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Hans Joachim Hirsch, Günter Kohlmann Michael Walter, Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 14

Beteiligtenstrafbarkeit und "besondere persönliche Merkmale" Ein Beitrag zur Harmonisierung des § 28 StGB

Von

Manfred Hake

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Hake, Manfred: Beteiligtenstrafbarkeit und "besondere persönliche Merkmale" : ein Beitrag zur Harmonisierung des § 28 StOB I von Manfred Hake. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften ; Bd. 14) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1993/94 ISBN 3-428-08017-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-08017-3

Meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters

Vorwort Die vorliegende Abhandlung hat im Wintersemester 1993/94 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis Dezember 1993 berücksichtigt. Mein aufrichtiger Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Hirsch, der die Arbeit angeregt und mit großem Engagement betreut hat. Für ihr Interesse am Entstehen der Arbeit möchte ich mich weiterhin bei dem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Jürgen Seier, und bei Herrn Prof. Dr. Klaus Bernsmann bedanken. Dank schulde ich auch all denen, die mir bei der Korrektur des Manuskripts und der Drucklegung zur Seite gestanden haben. Es sind dies Frau cand. iur. Silke Hagebaum, die Herren Referendare Mare Bartholomy und Christoph Hammel sowie nicht zuletzt meine Mutter. Ihr und dem Andenken meines zu früh verstorbenen Vaters ist auch die Arbeit gewidmet. Köln, im Dezember 1993

Manfred Hake

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · · · · · · · · · · · · B. Die gesdlicbtlicbe Entwicklung der Extraneostrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Von den Anfängen bis zur frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Lehre und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . l. Die gemeinrechtliche Lehre des 19. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . a) Die Vertreter der selbständigen Strafbarkeit eines jeden Beteiligten b) Die Vertreter der akzessorietätsorientierten Lösung . . . . . . . . . c) Die Auffassung v.Buris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gesetzgebungdes 19. Jahrhunderts ..... . . . . . . .... . ..

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. 6 . 6 . 7 . 10 . . . . . . . . . 12 . . . . . . . . . 13 . . . . . . . . . 14

Rechtsprechung und Lehre von 1871 bis 1943 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auffassungen in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die herrschende Lehre: Interpretation des § 50 RStGB im Siime der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Auffassung Kohlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Lehren von Birkmeyer und Kohlrausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Auffassung Zirnrnt!rls . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . • . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 18 22 22 24 25 27 28

IV. Die weitere Entwicklung bis zur Novelle von 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

C. Der gegenwärtige Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Unterschiedliche Rechtsfolgen in § 28 Abs. 1 und Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . 31 D. Generelle Nichtzurechnung besonderer persönlicher Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . I . Begründung der Nichtzurechnung persönlicher Merkmale ausgehend vom extensiven Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung der Nichtzurechnung persönlicher Merkmale aus dem Strafgrund der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darstellung der Argumentation Schmidhäusers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . .. .· . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Strafgrund der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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36 41 41 43 44

Inhaltsverzeichnis

X (1) (2) (3) (4) (S) (6)

Die Schuldteilnahmetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Unrechtsteilnahmetheorie Trechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie . . . . . . . . . . . . . . Die "reine" Verursachungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Formel vom "akzessorischen Rechtsgutsangriff" bei Roxin . . . . . . Die A-uffassung Schumanns: "Solidarisierung mit fremdem Unrecht" als Strafgrund der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Die eigene Auffassung vom Strafgrund der Teilnahme . . . . . . . . . . . (a) Die Brauchbarkeit des Kriteriums der "Solidarisierung mit fremdem Unrecht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Bedeutung der Rechtsgutsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Bedeutung der Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Das Verhältnis von Rechtsgutsverletzung und Akzessorietät . . . . . . bb) Konsequenzen für die Strafbarkeit des extraneo Teilnehmers . . . . . . . . . . 3. Stratlosigkeit des Extraneus mangels Eigenschaft als Normadressat (Bambach)

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SO 51 52 52 53 54 55 59 68 75 83

Streng akzessorische Behandlung aller Merkmale aus dem Unrechtsbereich . . . . . . . 86 1. Darstellung der Ansicht Grünwald5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Kritik: Kann das Fehlen persönlicher Merkmale beim Teilnehmer zu einer Unrechtsminderung fuhren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Die Ansicht von Ga/las . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Die Auffassung Roxins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 c) Lassen sich aus den zur Abgrenzung der besonderen persönlichen Merkmale vertretenen Auffassungen unrechtsmindernde Gesichtspunkte herleiten? . . . . . . 94 aa) Die Unterscheidung zwischen tat- und täterbezogenen Merkmalen . . . . . . . 94 bb) Die Unterscheidung zwischen wertbezogenen und wertneutralen Merkmalen (Herzberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 cc) Die "Einheitslösung" S chünemanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 dd) Stellungnahme: Die Unterscheidung anband der zum Strafgrund der Teil97 nahme entwickelten Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konsequenzen für die Behandlung der Unrechtsmerkmale . . . . . . . . . 100 aa) Die besonderen Pflichtenstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Grundsätzliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 107 (2) Die einzelnen von § 28 StGB erfaßten Pflichtenstellungen . . . . . bb) Die Eigenhändigkeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 S cc) Die unrechtsbezogenen Gesinnungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (I) Grundsätzliche Überlegungen zur deliktssystematischen Einordnung der Gesinnungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (a) Generelle Zuordnung der Gesinnungsmerkmalezum Unrecht . . . . 118 (b) Generelle Zuordnung der Gesinnungsmerkmale zur Schuld 119 (c) Die differenzierende Lösung der herrschenden Meinung . . . . . . . 120 (d) Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (2) Die Einordnung einzelner Gesinnungsmerkmale und Konsequenzen ihres Fehlens beim Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (a) Die Mordmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (aa) Die verbrechenssystematische Einordnung der Mordmerkmale 129 (bb) Die Rechtsgutsbezogenheitder Mordmerkmale . . . . . . . . . 133

XI

Inhaltsverzeichnis (b) Die "Böswilligkeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Leitlinien für die Behandlung weiterer Gesinnungsmerkmale dd) Weitere subjektive Tatbestandsmerkmale, insbesondere Absichten . . ee) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beide Absätze des § 28 StGB als Strafzumessungsregeln I. Darstellung der Auffassung von Cones Rosa . . . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

D. Konsequeozw der Strafzumessungslösung für die Deliktskategorien jenseits des Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Die Behandlung der Schuldmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Allgemeine Schulderfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Die Behandlung der speziellen Schuldmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Die h.M.: Anwendung des§ 28 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Einheitliche Behandlung aller Schuldmerkmale nach§ 29 StGB . . . . . . . . . . 156 c) Die Differenzierung bei HerWerg und Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Die Möglichkeit einer Differenzierung zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Begriff und Bedeutung der speziellen Schuldmerkmale . . . . . . . . . . . . . 160 cc) Weitere Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 D. Die Behandlung der persönlichen Strafausschließungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . 162

E. Konsequeozw der Strafzumessungslösung für weitere Fallgruppen . . . . . . . . . . 165 I. Nur der "Teilnehmer" weist ein strafschärfendes besonderes persönliches Merkmal auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eingrenzung der Problemfälle: Zu den Möglichkeiten mittelbarer Täterschaft . . a) Normative Tatherrschaft des Intraneus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbare Täterschaft bei Pflichtdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterlassungstäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tatherrschaftkraft Handlungsherrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Generelle Ablehnung mittelbarer Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . t) Stellungnahme und Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Lösung der Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Die Behandlung unrechtsmindernder besonderer persönlicher Merkmale . . . . . . . . 177 ill. § 28 Abs. 2 StGB und die Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 IV. Prozessuale Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

F. Zusammenfassung und Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

A. Einleitung "Wie ist es überhaupt zu rechtfertigen, daß zwar die strafausschließenden persönlichen Momente nur dem zugute kommen, bei dem sie vorliegen, die strafbegründenden hingegen auch den Teilnehmer benachteiligen, bei dem sie nicht vorliegen? ... Weshalb werden die strafschärfenden Momente nicht zugerechnet, während die strafbegründenden ausstrahlen? Wo ist das Konzept, das diese Regelung einsichtig macht?" Diese Worte Armin Kaujmanns 1 zeigen deutlich eines der Kernprobleme des § 28 StGB in der seit 1975 geltenden Fassung, sofern man die seit langem ganz vorherrschende Ansicht hinsichtlich der Interpretation dieser Vorschrift und ihrer Vorgängernormen zugrunde legt: Das Fehlen oder Vorliegen von "besonderen persönlichen Merkmalen" soll unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen, je nachdem, ob diesen nun strafbegründende oder strafmodifizierende Bedeutung zukommt. 2 § 28 Abs. 1 StGB sieht beim Fehlen strafbegründender besonderer persönlicher Merkmale eine bloße Strafmilderung vor, bei § 28 Abs. 2 StGB wird dagegen eine "Akzessorietätsdurchbrechung"3 im Wege einer "Tatbestandsverschiebung"4

1

ZStW 80 (1968), S. 36.

RGSt. 4, 184, 185; 6, 414, 415; 14, 102, 103 f.; 15, 396, 398; 22, 51, 53 f.; 25, 234, 236 f.; 25, 266, 267; 36, 148, 154; 55, 181, 182; 59, 140 (zu§ 50 in seiner ursprünglichen Fassung); BGHSt. 5, 75, 81; 6, 260, 261; 8, 205, 208 (zu § 50 Abs. 2 i.d.Fassungv. 29.5. 1943); BGHSt. 22, 375, 376 ff. (zu § 50 i.d.Fassung durch das EGOWiG v. 24.5.1968); BGHSt. 26, 53; BGH wistra 1988, 303 (zu§ 28 Abs. 1 n.F.); BGH wistra 1987, 30, 31; BGH StV 1992, 379 (Leitsatz) (zu§ 28 Abs. 2 n.F.); Baumann, NJW 1969, S. 1279 f.; Bockelmann!Volk, Allg. Teil, S. 200; Dreherffröndle, § 28 Rdn. 8; Grünwald, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, S. 563 ff.; Haft, Allg. Teil, S. 203; Jescheck, Allg. Teil, S. 595 (§ 61 Vß 4); Kaper, ZStW 102 (1992), S. 577 ff.; Lackner, § 28 Rdn. 8; Maurach/Gössel/Zipf, Allg. Teil ß, S. 390 f.(§ 52/126 ff.); SKSamson, § 28 Rdn. 24; Samson, ZRP 1969, 28; Schönke/Schröder/Cramer, § 28 Rdn. 28; Schröder, JZ 1969, 134; Wetzet, Lehrb., S. 120 f.; Wessels, Allg. Teil, S. 166 (§ 13 IV 2). 2

De lege lata halten auch die folgenden Autoren aus noch zu erörternden Gründen an der unterschiedlichen Interpretation der beiden Absätze des § 28 StGB fest, bestreiten aber die sachliche Berechtigung dieser Differenzierung: Hirsch, ZStW 88 (1976), S. 782; ders., LK, § 340 Rdn. 16; ders., Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, S. 143; Jakobs, Allg. Teil, S. 679 (23/2); ders., NJW 1969, S. 492; Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), S. 36; Stratenwenh, Allg. Teil I, S. 257 f. (Rdn. 936 ff.). 3

Maurach/Gössel/Zipf, AT ß, S. 388 ff. (§ 53/118).

I Hake

2

A. Einleitung

vorgenommen. Wer also beispielsweise als Außenstehender einen Amtsträger zu einer Rechtsbeugung anstiftet, ist unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB gemäß den §§ 336, 26 zu bestrafen, da die Amtsträgereigenschaft hier ein Merkmal ist, das die Strafbarkeit erst begründet. Im Gegensatz dazu soll gemäß § 28 Abs. 2 StGB derjenige, der einen Amtsträger zu einer Körperverletzung im Amt anstiftet, lediglich gemäß §§ 223, 26 StGB strafbar sein, da in diesem Fall die Strafbarkeit durch die beim Täter vorliegende Amtsträgereigenschaft modifiziert wird. Warum der Stellung als Amtsträger aber nur in Abhängigkeit von der mehr oder weniger zufalligen Antwort auf die Frage, ob für den Fall ihres Fehlens ein Grundtatbestand existiert, unterschiedliche rechtliche Bedeutung zukommt, leuchtet jedenfalls auf den ersten Blick nicht ein. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Gründe für diese Ungleichbehandlung strafbegründender und strafmodifizierender Merkmale zu untersuchen, abweichende Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen und auf ihre Durchführbarkeit hin zu untersuchen.

• Schönke/Schröder/Cramer, § 28 Rdn. 28.

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extraneostrafbarkeit Trotz der auffälligen Diskrepanz entspricht die unterschiedliche Behandlung der strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmale im Rahmen der Beteiligtenstrafbarkeitder hergebrachten Interpretation des§ 50 StGB in seiner ursprünglichen, bereits seit 1871 im StGB enthaltenen Fassung. Diese Vorschrift enthielt eine Regelung, die im wesentlichen dem heutigen § 28 Abs. 2 StGB entspricht. Es könnte sich deshalb schon aus der historischen Entwicklung ergeben, worauf die geschilderte Unterscheidung beruht. Auch der ursprüngliche § 50 StGB legte eine Differenzierung nahe, indem er nur von strafschärfenden und strafmildemden U nständen sprach und damit einen Ausschluß der strabegründenden Merkmale aus seinem Anwendungsbereich zum Ausdruck brachte. Er beließ dem Gesetzesinterpreten gleichwohl einen größeren Auslegungsspielraum als der heutige § 28 StGB, der in seinem Absatz 1 eine ausdrückliche Regelung für die strafbegründenden Merkmale enthält. Anders als heute wäre es also möglich gewesen, den Anwendungsbereich des § 50 StGB a.F. im Wege der Analogie auf strafbegründende Merkmale zu erstrecken, ohne sich dabei in Widerspruch zu anderen Vorschriften des geltenden Rechts zu setzen. Wenn das Reichsgericht und auch die ganz herrschende Auffassung gleichwohl zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmalen unterschieden, 1 so sollte dies - so meint man jedenfalls - seinen Grund nicht nur in der genannten positivistischen Argumentation haben. Das Verständnis der gegenwärtig zur Behandlung der Strafbarkeit des Extraneus herrschenden differenzierenden Ansicht könnte also möglicherweise durch einen Blick auf die geschichtliche Entwicklung in diesem Bereich der Beteiligungslehre erhellt werden. 2

1

Vgl. dazu die einzelnen Nachweise im folgenden Abschnitt.

Die Betrachtungen sollen allerdings auf den eng begrenzten Bereich der Bestrafung des Beteiligten beim Fehlen persönlicher Merkmale beschränkt bleiben. Einen Überblick über die Herausbildung der Beteiligungsformen im allgemeinen gibt Maiwald, Festschrift filr Bockelmann, S. 344 ff. Vgl. dazu auch Eb. SchmidJ, Einfilhrung, S. 35 f. {§§ 22, 23), 120 (§ 100), 73 f. (§ 61), 120 (§ 100), 175 f. (§ 164), sowie Schlutter, Dogmengeschichteder Akzessorietät, S. 13 ff. Zur 2

4

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstratbarkeit

I. Von den Anfängen bis zur frühen Neuzeit Die deutschrechtlichen Quellen erweisen sich als wenig ergiebig. Anhaltspunkte dafür, daß man sich mit der Frage der Berücksichtigung persönlicher Merkmale beschäftigte, sind nicht ersichtlich. In den überlieferten germanischen Volksrechten finden sich hinsichtlich des Umfangs der Strafbarkeit wegen Beteiligung an einem Verbrechen überhaupt nur kasuistische Regelungen. Für eine Auseinandersetzung mit dem hier behandelten Problem gibt es keinerlei Belege. 3 Auch in der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532 findet sich kein Hinweis darauf, daß man sich mit dieser Frage befaßte. Als große legislatorische Leistung der Carolina wird bekanntlich bereits angesehen, daß sie in ihrem Art. 177 überhaupt eine allgemeine Regelung über die Mitwirkung mehrerer an einem Verbrechen enthielt und sich von der in den Volksrechten vorherrschenden kasuistischen Beschreibung der Beteiligung bei bestimmten einzelnen Delikten löste.4 Es darf daher nicht überraschen, daß eine Regelung für das hier behandelte weitaus speziellere Problem nicht existierte. Anders verhält es sich aber mit den römischrechtlichen Quellen. Zwar findet sich keine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Problematik der Zurechnung persönlicher Merkmale, jedoch wird die Frage der differenzierten Bestrafung der Beteiligten für einige Spezialfalle angesprochen. 5 So findet sich bei Paulus eine Stelle, in der die Zurechnung der "offenen Begehung" des Diebstahls auf dessen Gehilfen abgelehnt wird/ während sich bei Ulpian die Aussage findet, daß auch derjenige, welcher als Nichtverwandter zu einem

Entwicklung des Anwendungsbereichs des § 50 StGB von 1871 im Hinblick auf den Begriff der persönlichen Eigenschaften und Verhältnisse siehe SchwerdJfeger, Unrechtsmerkmale, S. 51 ff. ' Vgl. dazu His, Strafrecht bis zur Karolina, S. 22 ff. Eb. SchmidJ, Einführung, S. 73 f.

(§ 61).

• Vgl. dazu Eb. SchmidJ, Einführung, S. 120 (§ 100). Zur Beurteilung der Mitwirkung mehrerer in den germanischen Volksrechten des Mittelalters ausführlich His, Strafrecht bis zur Karolina, s. 22 ff. 'Vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 100 ff.; Kohler, GA 51 (1904), S. 169; Krug, Besondere Umstände, S. 5 f. 6 Dig. 47, 2, 34. Der Gehilfe war also wegen Beteiligung an einem "heimlichen Diebstahl" zu bestrafen. Interessant ist auch, daß es sich bei der Begehungsweise des Diebstahls nach heutiger Auffassung um ein rein sachliches Merkmal handelt. Der Bereich der persönlichen Merkmale wird also in der genannten Quelle wesentlich weiter gezogen als dies heute der Fall ist.

I. Von den Anfängen bis zur frühen Neuzeit

5

Verwandtenmord Hilfe leistet, gleichwohl mit der strengeren Strafe des parricidums zu belegen sei. 7 Unter Rückgriff auf die genannten römischen Textstellen wird dann das Problem der Behandlung von nach heutiger Terminologie "besonderen persönlichen Merkmalen" erstmals in allgemeiner Form von den Postglossatoren behandelt. Unter ihnen war die Frage umstritten, ob das Vorliegen eines persönlichen Merkmals bei einem der Beteiligten auf die Strafbarkeit der übrigen Mitwirkenden Einfluß ausüben konnte, wobei die sich widersprechenden römischen Quellen je nach Standpunkt als Regel oder als Ausnahmevorschrift gedeutet wurden. Auch die beiden bekanntesten Postglossatoren waren sich in dieser Frage nicht einig: Während Baldus die Auffassung vertrat, daß die persönlichen Momente nicht ausstrahlen, nahm Bartolus den Standpunkt ein, daß das Vorliegen eines Merkmals bei nur einem der Beteiligten auch Wirkung für die übrigen Mitwirkenden am Delikt zeitigt. 8 Anzeichen dafür, daß in dieser Epoche zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmalen differenziert wurde, sind allerdings nicht ersichtlich. Bereits hier zeigt sich aber ein Zusammenhang, der sich über die folgenden Stadien der Entwicklung bis in die heutige Zeit hinein fortsetzt, nämlich der Nexus zwischen dem Verständnis von Wesen und Natur der Teilnahme und der Bestrafung des Teilnehmers im Hinblick auf die nur beim Täter vorliegenden persönlichen Merkmale. Baldus, der die Zurechenbarkeit persönlicher Merkmale des Täters auf den Teilnehmer verneint, geht davon aus, daß auch der Teilnehmer für die Begehung einer eigenen Tat zur Verantwortung gezogen wird: "mandantem puniri non ut accessorium quid a mandatarium, sed ut principale".9 Bereits in diesem Satz klingt die heute vor allem von Schmidhiiuser vertretene Lehre an, der Strafgrund der Teilnahme sei ausschließlich darin zu sehen, daß der Teilnehmer eigenes Unrecht verwirklicht habe, woraus er die Konsequenz zieht, daß persönliche Merkmale immer nur für den jeweiligen Beteiligten Wirkung entfalten dürfen. 10 Demgegenüber könnten sich die Vertreter der heute vorherrschenden akzessorietätsorientierten Auffassung vom Wesen der Teilnahme11 wohl ohne weiteres in den folgenden

7

Dig. 48, 8, 6. Weitere Quellennachweise bei Kohler, GA 51 (1904), S. 169.

Vgl. dazu ausführlich Krug, Besondere Umstände, S. 5 S. 60. 8

• Zitiert nach Krug, Besondere Umstände, S. 6. 10

Siehe ausführlich unten, S. 41 ff.

11

Vgl. unten, S. 50 f.

tr., sowie Bambach, Stratlosigkeit,

6

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstrafbarkeit

Worten des Bartolus wiederfinden: "Praestans opem dicitur teneri accessorie, quia factuni accedit facto. "12 Und ebenso wie die heutigen Vertreter dieser Auffassung folgert auch Bartolus, daß ein beim Täter vorliegendes Merkmal auch für den Teilnehmer Wirkung zeitigen müsse. 13 Nun soll hier nicht die These verfochten werden, daß sich die heutigen Auffassungen auch im einzelnen mit den Lehren der Postglossatoren vergleichen lassen. Interessant bleibt aber, daß die wesentlichen Linien der Entwicklung bereits im späten Mittelalter vorgezeichnet scheinen. Aus den darauffolgenden Jahrhunderten lassen sich dann wieder nur vereinzelte Stellungnahmen zu Fragen im Zusammenhang mit bestimmten Delikten finden, so etwa bei Carpzow, der sich gegen die Möglichkeit einer Anstiftung zum Diebstahl ohne eigene Zueignungsahsicht ausspricht. 14 Quellen, die sich von der Behandlung bestimmter deliktsspezifischer Merkmale lösen und die Thematik allgemein behandeln, sind nicht auszumachen.

n. Lehre und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert Größere Aufmerksamkeit findet die Frage nach der strafrechtlichen Behandlung bestimmter persönlicher Merkmale im allgemeinen dann im 19. Jahrhundert, und zwar sowohl in der Lehre als auch in der Gesetzgebung der deutschen Teilstaaten.

I. Die gemeinrechtliche Lehre des 19. Jahrhunderts Die Behandlung der Problematik persönlicher Umstände ist in der gemeinrechtlichen Lehre des 19. Jahrhunderts sehr intensiv. Bereits Kleinschrod ist der Ansicht, daß es Fälle gebe, in denen die Strafbarkeit von Täter und Teilnehmer unterschiedlich zu beurteilen sei. So soll entgegen der oben aufgeführten römischen Quelle der Anstifter zum Vatermord, der nicht selbst in verwandtschaftlicher Beziehung zum Getöteten steht, nur wegen Teilnahme am

12

Zitiert nach Krug, Besondere Umstände, S. 7.

13

Siehe dazu unten, S. 75 ff.

•• Practica Nova, S. 267 (qu.87, n.7).

II. Lehre und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert

7

einfachen Totschlag strafbar sein, womit sich Kleinschrod in dieser Frage auf die Seite des Baldus begibt. 15 Zur gleichen Zeit findet sich bei Grolmann die Unterscheidung zwischen allgemeinen Gehilfen (socii generales) und besonderen Gehilfen (socii speciales).16 Die Unterscheidung wird von ihm danach getroffen, ob der Gehilfe "nur ganz im allgemeinen" oder aber "auch an den einzelnen eigenthümlichen Haupttheilen der concreten Handlung" teilnimmt.17 Auch im Feuerbachsehen Lehrbuch findet sich die Unterscheidung zwischen dem "socius generalis" und dem "socius specialis", wobei die Besonderheit des ersteren darin bestehen soll, daß seine Gehilfenhandlung "dieselben Merkmale an sich hat" wie das vom Urheber begangene Verbrechen. 18 Anders als Kleinschrod knüpfen allerdings weder Feuerbach noch Grolmann an diese Unterscheidung irgendwelche Konsequenzen. 19 Es scheint sich daher bei ihnen um eine lediglich zu klassifikatorischen Zwecken getroffene Differenzierung zu handeln. Praktische Bedeutung haben diesem Bereich ausdrücklich erst wieder die nachfolgenden Autoren beigemessen.

a) Die Vertreter der selbständigen Strafbarkeit eines jeden Beteiligten Eine Reihe von Autoren des 19. Jahrhunderts vertrat die These von der generellen Nichtzurechenbarkeit persönlicher Umstände auf den Teilneher. 20 So findet sich etwa bei Köstlin die Auffassung, daß der Gehilfe ebenso wie der Urheber die strafbegründenden Merkmale aufweisen müsse, um strafbar sein zu können. Der Außenstehende, der beispielsweise zu einem "reinen Dienstvergehen"21 Hilfe leiste, sei nicht strafbar; enthalte das Dienstvergehen zugleich ein "gemeines Verbrechen", so sei der Gehilfe aus diesem zu bestra-

15

Systematische Entwickelung, S. 273 f.

Diese Differenzierung ist nicht zu verwechseln mit der zwischen gleicher und ungleicher Teilnahme, bei der es um die Verschiedenheit der Beteiligungsformen und ihre unterschiedliche Strafwürdigkeit geht. Vgl. dazu Zachariä, Archiv des Criminalrechts 1851, S. 209 ff. 16

11

Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft, § 64.

11

Lehrbuch, § 52.

19

Vgl. dazu auch die Arunerkung Minermaiers, Note des Herausgebers, S. 96.

20 Brackenhoeft, Archiv des Criminalrechts 1840, S. 421 ff.; Köstlin, System I, S. 283 ff.; Roßhin, Archiv des Criminalrechts 1851, S. 516 ff., inbes. S. 520. 21

Nach heutiger Terminologie wohl "echtes Amtsverbrechen".

8

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstrafbarkeit

fen. 22 In der Begründung für diese Auffassung findet sich die bereits oben im Zusammenhang mit den Postglossatoren aufgezeigte Verbindung zwischen dem Verständnis vom Wesen der Teilnahme und dem hier behandelten Problem wieder. So heißt es bei Köstlin: "Es ist hiernach ganz falsch, wenn man den Gehilfen abstrakt nur als accessorium der Haupttat auffaßt. "23 Die Betonung liegt auch bei Köstlin auf der selbständigen Natur der Teilnahme, aus der er die Forderung nach selbständiger Beurteilung der Strafbarkeit eines jeden Beteiligten herleitet: "Die Beihilfe ist eine verbrecherische nur insoweit, als die beförderte Handlung, auf den Gehilfen bezogen, als mögliches Verbrechen erscheint. "24 Bei Brackenhoeft geht die Betonung der selbständigen Strafbarkeit eines jeden Beteiligten sogar so weit, daß er auch solche Merkmale, die nach heutigem Verständnis eindeutig akzessorisch sind, nur dem jeweiligen Beteiligten zur Last legen will. Dies führt dazu, daß sich auch der Gehilfe, der sich an einem einfachen Diebstahl beteiligt, gleichwohl wegen Beihilfe zum bewaffneten Diebstahl verurteilt werden soll, sofern er selbst eine Waffe bei sich führt. Andererseits soll aber der Gehilfe, welcher selbst nicht bewaffnet ist, unter keinen Umständen wegen Beteiligung an einem Diebstahl mit Waffen strafbar sein.25 Neben der selbständigen Natur der Teilnahme findet sich als weiteres Argument für die Nichtzurechenbarkeit persönlicher Merkmale bei Köstlin, daß sich die Gegenauffassung nicht konsequent durchhalten lasse, da dann auch strafschärfende oder -mildernde Momente wie Jugend oder Rückfall des Täters auf die Gehilfenstrafbarkeit durchschlagen müßten. Diese Konsequenz könne

22

System I, S. 285. Ebenso Brackenhoeft, Archiv des Criminalrechts 1840, S. 423 f.

System I, S. 285 (Hervorhebung dort). Daß nur von Beihilfe, nicht hingegen von Anstiftung die Rede ist, beruht darauf, daß Köstlin diese ohnehin als (intellektuelle) Urheberschaft ansieht; vgl. dazu Köstlin , a.a.O., S. 299 ff., sowie die Nachweise zur gemeinrechtlichen Lehre S. 11 Fußn. 34. Die Ausruhrungen Köstlins sind aus heutiger Sicht allerdings mißverständlich, da er die Anstiftung als "Teilnahme" bezeichnet. Dies steht einer Deutung der Anstiftung als Form der Urheberschaft nicht entgegen, da die gemeinrechtliche Lehre unter Teilnahme alle Formen der Mitwirkung an einer Straftat verstand. Teilnahme in diesem Sinne entspricht nach heutiger Terminologie dem Begriff der Beteiligung. So heißt es beispielsweise bei Geib, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 317: "Theilnehmer heißen überhaupt Alle, die an der Hervorbringung eines Verbrechens - sei es körperlich oder geistig, sei es in dieser oder jener Intention - participiren. " 23

24

System I, S. 285.

Archiv des Criminalrechts 1840, S. 422. Demgegenüber nimmt Roßhin, Archiv des Criminalrechts 1851, S. 533, eine weitaus engere Position ein. Er beschränkt den Bereich der nicht zurechenbaren Merkmale auf die besonderen Dienstpflichten von Staatsdienern. 25

U. Lehre und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert

9

man aber nicht ziehen. 26 Hatte sich bereits oben der bis in die gegenwärtige Diskussion hineinwirkende Unterschied der Teilnahmetheorien angedeutet, so ist mit dem soeben genannten Argument Köstlins ein weiterer Gesichtspunkt angesprochen, der bis in die heutige Zeit die Beteiligungsdogmatik beeinflußt. Es handelt sich um die Tatsache, daß in gleicher Weise wie bei Köstlin auch heute noch häufig in ihrem Wesen sehr verschiedene Umstände unter dem Begriff der "besonderen persönlichen Merkmale" zusammengefaßt und einheitlich behandelt werden, obwohl beispielsweise zwischen der Gewerbsmäßigkeit einerseits und der Stellung als Amtsträger andererseits sachliche Unterschiede bestehen, die eine differenzierende Handhabung dieser Merkmale nahelegen. Die mangelnde Differenzierung führt dann dazu, daß durch die Unmöglichkeit, ein bestimmtes Merkmal akzessorisch zu behandeln, auf die Unmöglichkeit der akzessorischen Behandlung aller besonderen persönlichen Merkmale geschlossen wird. Die dargestellte Vorgehensweise erscheint für die Mitte des 19. Jalrrhunderts, einer Zeit, der die Unterscheidung der heutigen Deliktskategorien fremd war, verständlich. Ob allerdings eine derartige Zusammenfassung auch heute noch angängig ist, wird später noch Gegenstand ausführlicher Erörterung sein. 27 Und schließlich läßt sich bei Roßhirt auch zum ersten Mal eine ausdrückliche Differenzierung zwischen strafbegründenden und strafändernden Merkmalen konstatieren. Bei ihm heißt es: "Nur in den Fällen, in welchen ein gemeines Verbrechen nicht concurriert, sind die Theilnehmer am Dienstverbrechen, die außerhalb des Dienstverhältnisses stehen, strafbar. "28 Dies hätte zur Folge, daß die strafbegründenden Merkmale des Täters auf den Teilnehmer ausstrahlen, die strafbarkeitsmodifizierenden Umstände hingegen nicht. Ob es sich bei der zitierten Aussage aber wirklich um die von Roßhirt vertretene Ansicht oder um eine bloße, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfende Arbeitshypothese handelt, bleibt bei näherer Betrachtung unklar. Die daran anschließenden Ausführungen legen eher die letztgenannte Interpretation nahe, denn die dort angeführten Gründe für die Nichtberücksichtigung der Dienstpflichtverletzung gelten in gleicher Weise für das echte wie für das unechte Amtsdelikt. Insbesondere der unmittelbar im Anschluß an die oben genannte Textstelle angestellte Vergleich mit reinen Disziplinarverfalrren spricht gegen eine Bestrafung des extraneo Teilnehmers am echten Dienstvergehen: Roßhirt führt

26

System I, S. 283 f.

27

Siehe dazu unten, S. 153 ff.

28

Archiv des Crimina1rechts 1851, S. 532.

B. Die geschichtliche Entwicklung der ExtraDenstrafbarkeit

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an, daß es oft vom Zufall abhänge, ob eine Tat disziplinarisch oder auch strafrechtlich verfolgt werde. Der Gesetzgeber, der sich dazu entschlossen habe, eine Dienstpflichtverletzung strafrechtlich zu ahnden, dürfte kaum daran gedacht haben, ein solches modifiziertes Disziplinarverfahren auf den nicht bediensteten Teilnehmer auszudehnen. 29 Und an anderer Stelle referiert Roßhirt seine eigene Auffassung mit den Worten "während man die Strafbarkeit der Anstiftung zu Dienstverbrechen leugnet". 30 Es liegt daher nahe, daß er die Differenzierung zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmalen zwar als gedankliche Möglichkeit erwägt, im Ergebnis aber die Bestrafung des Extraneus wegen Teilnahme am Dienstverbrechen in beiden Fällen ablehnt. 31

b) Die Vertreter der akzessorietätsorientierten Lösung Überwiegend wird in der gemeinrechtlichen Lehre im Gegensatz zu der soeben referierten Position die Auffassung von der Zurechenbarkeit persönlicher Tätermerkmale auf den Teilnehmer vertreten. Unter den Verfechtern dieser Ansicht, die den Akzent auf die akzessorische Natur der Teilnahme legen und deshalb ein beim Täter vorliegendes Merkmal auch dem Teilnehmer zurechnen, sind zwei Richtungen zu unterscheiden. Von einem Teil des Schrifttums wird lediglich Beihilfe desjenigen für möglich gehalten, der ein täterschaftsbegründendes Merkmal nicht aufweist, Anstiftung desselben hingegen nicht. 32 Nur dem Gehilfen werden also die beim Haupttäter vorliegenden persönlichen M ...rkmale akzessorisch zur Last gelegt. Andere Autoren sind hingegen der Auffassung, daß sowohl im Falle der Beihilfe wie auch in dem der Anstiftung der Teilnehmer gänzlich akzessorisch zu bestrafen sei.33 In diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, daß die Anstiftung in der gemeinrechtlichen Lehre zumeist als intellektuelle Urheberschaft dem Bereich

29

A.a.O., S. 532.

""A.a.O., S. 535. 31

Anders interpretiert ihn aber Nagler, Teilnahme am Sonderverbrechen, S. 88.

32

Bemer, Theilnahme am Verbrechen, S. 207 ff., 305; Marezoll, Criminalrecht, S. 121 ff.;

StUbel, Ueber die Teilnahme mehrerer, S. 85 ff.

33 HtJlschner, System; S. 362 f. ; ders. Gemeines Deutsches Strafrecht, S. 436 f. ; Temme, Glossen, S. 106.

ß. Lehre und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert

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der Täterschaft zugeordnet wurde. 34 Unter diesem Blickwinkel verwundert es dann aber nicht mehr, wenn der intellektuelle Urheber des Verbrechens sämtliche Täterqualifikationen aufweisen muß, 35 denn für die Urheberschaft wurde naturgemäß die Erfüllung aller Merkmale des Delikts in der Person des Täters verlangt. 36 Demgegenüber soll nach einer weitergehenden Auffassung auch Anstiftung durch den Extraneus möglich sein, wobei dann aber die Anstiftung als Form der Teilnahme angesehen wird. 37 So betrachtet beispielsweise Temme, welcher die akzessorische Behandlung persönlicher Merkmale auch für die Anstiftung befürwortet, entsprechend der Regelung im preußischen StGB von 1851 diese als eine Form der Teilnahme und kann so ohne Schwierigkeiten auch in diesem Bereich zu einer am Gedanken der Akzessorietät orientierten Lösung gelangen. 38 Damit stellt sich die Frage der Erforderlichkeit aller Täterqualitäten auf seiten des Anstifters aber nicht mehr als Problem der Teilnahmelehre dar, sondern als solches der Täterlehre. Alle hier angeführten Autoren befürworten also letztlich eine akzessorische Bestrafung des Teilnehmers. Unklarheit herrscht lediglich über die Grenzen zwischen Urheberschaft und Teilnahme. Die hier zu behandelnde Frage wird dadurch letztlich nicht berührt.

34 Vgl. etwa Bemer, Theilnahme am Verbrechen, S. 269 ff. ; Feuerbach!Mirtermaier, Lehrbuch, § 45 sowie Note I. des Herausgebers; Geib, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 317 ff.; wohl auch Hejfter, Lehrbuch, S. 72 ff., der unter dem Oberbegriff "Haupttheilnehmer" Anstifter und Mittäter zusammenfaßt Differenzierend Marezoll, Criminalrecht, S. 120 ff., der die Anstiftung je nach Willensrichtung des Anstifters teils der Urheberschaft, teils der Beihilfe zuordnet.

35 Auf den Zusammenhang zwischen der Auffassung von der Natur der Anstiftung und der Wirkung persönlicher Merkmale weist hinsichtlich der Gesetzgebung im 19. Jahrhundert auch Birkmeyer, VDA ß, S. 41, hin.

36 Unklar, aber wohl weitergehend Hejfter, Lehrbuch, S. 78, der es für eine Zurechnung auf die übrigen "Genossen" genügen läßt, wenn lediglich der Täter in einem "bestimmten Verhältnisse zum Gegenstande des Verbrechens" steht. Ob Hejfter mit "Genossen" auch Täter oder nur Teilnehmer im heutigen Sinne meint, läßt sich seiner Definition der "Genossenschaft" nicht ausdrücklich entnehmen, vgl. Lehrbuch, S. 70 f. 37 Temme , Glossen, S. 100 f.; Hälschner, System, S. 362 f.; ders., Gemeines Deutsches Strafrecht, S. 436 f. m.w.Nachw.

" Glossen, S. 100 f. Vgl. dazu auch Goltdammer, Materialien, S. 316 ff.

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B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstrafbarkeit

c) Die Auffassung v.Buris Die bislang dargestellten gemeinrechtlichen Auffassungen waren auch aus heutiger Sicht ohne große Mühe verständlich, in ihnen war sogar der gegenwärtige Meinungsstand in seinen Grundzügen zu erkennen. Nunmehr gilt es, eine Auffassung zu erörtern, für die dies nicht ohne weiteres zutrifft. Ausgehend von der von ihm etablierten Äquivalenztheorie kommt v.Buri in einer Abhandlung "Über Kausalität und Teilnahme" zu dem Ergebnis, daß es auch demjenigen möglich sei, Täter eines Delikts zu sein, der die erforderliche Täterqualifikation nicht aufweist. Der Grundgedanke lautet: "Wenn die bloße Mitwirksamkeit den ganzen Erfolg verursacht, so kann in dieser Weise auch derjenige einen Erfolg herbeiführen, welcher ihn als allein Handelnder nicht hätte verursachen können. "39 Dies führt ihn dann in der Konsequenz dazu, daß es auf die Möglichkeit, eine bestimmte Straftat als Alleintäter nicht begehen zu können, nicht ankommt: "Wer zu einem Kindsmord mitwirkt, der hat es verursacht, daß ein uneheliches neugeborenes Kind von seiner Mutter getötet wurde. Aber er hat es auch verursacht, daß das Kind von einem Fremden, nämlich ihm selbst, getötet wurde. Das Kind ist jedoch, ( ... ), nur einmal getötet worden, und es erscheint darum selbstverständlich, daß bei der Bestrafung die schwerste Beziehung zur Anwendung zu kommen hat, also die Tötung des Kindes durch den Fremden. Aber auch die Mutter würde für

gemeinen Mord einzustehen haben, weil sie es durch ihre Mitwirksamkeit verursacht hat, daß ihr Kind durch einen Fremden getötet wurde. "40

Diese These ist mit dem Grundsatz der Täterlehre, daß der Täter alle Strafbarkeitsvoraussetzungen in eigener Person erfüllen muß, offensichtlich nicht vereinbar. Die Auffassung v.Buris läßt sich nur damit erklären, daß nach der von ihm vertretenen subjektiven Theorie, derzufolge eine Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme nur aufgrund der inneren Einstellung des Beteiligten erfolgen kann, die Problematik der besonderen persönlichen Merkmale konsequent nur auf zwei Wegen gelöst werden kann. Entweder man verlangt, daß auch Anstifter und Gehilfen (die ja objektiv ebensogut Täter sein könnten)

•• ZStW 2 (1882), S. 294. Die Abhandlung erschien bereits unter Geltung des RStGB. Wenn sie gleichwohl im Zusammenhang mit der gemeinrechtlichen Lehre behandelt ist, so hat dies seinen Grund darin, daß v.Bun· sich - ganz in der gemeinrechtlichen Tradition - zur Begründung seiner Auffassung nicht auf das geltende Recht beruft, sondern dieses nur am Rande erwähnt und seine Lösung unabhängig davon zu begründen sucht. Er ist sich sogar des Widerspruchs seiner Thesen zur Iex lata bewußt: "Daß der § 50 des St.G.B. zu anderen Ergebnissen fiihrt, soll hier nicht weiter erörtet werden. " 40

A.a.O., S. 295 (Hervorhebung von mir).

U. Lehre und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert

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alle täterschaftsbegründenden Merkmale aufweisen müssen, um als Teilnehmer strafbar zu sein, was die nichtakzessorische Behandlung aller persönlichen Merkmale zur Folge hätte.41 Oder man reduziert mit v.Buri den Gehalt der Täterschaft auf die bloße Erfolgsverursachung, was zu den von ihm gezogenen Schlußfolgerungen führt. 42 Da v.Buri offenbar nicht bereit war, die Straflosigkeit desjenigen Beteiligten, der ein täterschaftskonstitutives Merkmal nicht aufweist, als Konsequenz seiner Lösung in Kauf zu nehmen, mußte er auf die verbleibende Alternative ausweichen. Daß letzteres aber aus heutiger Sicht nicht möglich erscheint, bedarf keiner Erläuterung. Und auch schon zu seiner Zeit ist v.Buris Lehre auf heftige Kritik gestoßen. 43

d) Resümee

Faßt man den Meinungsstand in der späten gemeinrechtlichen Doktrin zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Neben der singulär gebliebenen Ansicht v.Buris lassen sich zwei Strömungen ausmachen, die den bereits von den Postglossatoren geäußerten Lehrmeinungen im wesentlichen entsprechen: Entweder wird unter Berufung auf die Selbständigkeit der Teilnahme gegenüber der Haupttat die generelle Nichtzurechenbarkeit aller persönlichen Merkmale vertreten. Oder aber das Bekenntnis zur Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat führt dazu, daß die streng akzessorische Zurechnung eines jeden vom Haupttäter verwirklichten Merkmals auf den Teilnehmer gefordert wird. Eine Differenzierung zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmalen, nach deren Grund hier gesucht wurde, läßt sich - allerdings nur ansatzweise - in den Erörterungen Roßhirts ausmachen.

41 Dies legt nahe, daß ein Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Standpunkt bezüglich der Strafbarkeit des Teilnehmers und der Auffassung im Hinblick auf die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme besteht. Dieser Zusammenhang geht aber entgegen Krug, Besondere Umstände, S. 9 f. (ähnlich Birkmeyer, Teilnahme, S. 72), nicht so weit, daß alle Anhänger einer akzessorischen Lösung die objektive Theorie vertreten. So geht etwa bei Bemer die alczessorietätsorierte Auffassung mit einem Bekenntnis zur subjektiven Theorie einher; vgl. Theilnahme am Verbrechen, S. 171 ff. ; 207 ff. Ebenso verhält es sich bei der Rechtsprechung des Reichsgerichts. Siehe dazu unten, S. 18 ff.

42

Vgl. dazu auch schon Birkmeyer, Teilnahme, S. 72.

"Vgl. Birkmeyer, Teilnahme, S. 171 ff.; Krug, Besondere Umstände, S. 10.

14

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstratbarkeit

2. Die Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts Anders verhält es sich bei den zur gleichen Zeit in Kraft getretenen Strafgesetzbüchern der deutschen Einzelstaaten. Hier bietet sich ein vielfaltiges Bild gesetzlicher Festschreibungen, unter denen sich auch die bislang vergeblich gesuchten Anfänge der Differenzierung zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmalen finden lassen. Neben einigen Gesetzbüchern, die zu der hier behandelten Problematik überhaupt keine Stellung beziehen, 44 finden sich in vielen Kodifikationen und Entwürfen Regelungen, die sich mit der Behandlung persönlicher Umstände befassen. Unter ihnen existieren solche, die eine streng akzessorische Haftung des Teilnehmers anordnen, ebenso wie solche, die eine generell individuelle Zurechnung persönlicher Merkmale gesetzlich festschreiben. Und schließlich tauchen auch Bestimmungen auf, die zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmalen unterscheiden. Eine ausdrückliche Bestimmung im Sinne einer streng akzessorischen Haftung enthielten § 35 des preußischen Strafgesetzbuches von 1851 und Art. 87 des württembergischen Gesetzbuches von 1837. 45 Der preußische Gesetzgeber hielt es zudem für erforderlich festzuschreiben, daß sich die Strafbarkeit des Teilnehmers am Amtsverbrechen nach den allgemeinen Grundsätzen richtet (§ 331 Abs. 2 S. 1). 46 Andererseits gab es auch Einzelregelungen, welche die nichtakzessorische Behandlung bestimmter Merkmale anordneten, so etwa bei der Kindstötung (§ 180 Abs. 2) oder dem Verwandtendiebstahl (§ 228 Abs. 2). Der Entwurf zu einem Strafgesetzbuch der Freien Hansestadt Bremen enthielt in diametralem Gegensatz zu den bisher genannten Kodifikationen eine Regelung, welche die selbständige Beurteilung eines jeden Beteiligten vorsah. Sie lautete: "Die auf die Strafbarkeit der That Einfluß übenden Umstände,

44 So etwa das preußische Allgemeine Landrecht von 1794, das Sächsische Kriminalgesetzbuch von 1838, das Strafgesetzbuch filr das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach von 1839 oder das Kriminalgesetzbuch filr das Königreich Hannovervon 1840.

., Auch das französische Recht enthielt eine Bestimmung im Sinne der strengen Akzessorietät: "Les complices seront punis de Ia meme peine que les auteurs. " (Art. 59 c.p.). Zur Interpretation dieser Vorschrift durch Lehre und Rechtsprechung siehe Krug, Besondere Umstände, S. 12. •• Auch die oben erwähnten Gesetze, die keine ausdrückliche Regelung enthielten, sind zu denen zu zählen, die von der akzessorischen Natur der Teilnahme ausgehen, da dies der überwiegend filr richtig gehaltenen Ansicht entsprach. Siehe .dazu oben, S. 10 f., sowie Krug, Besondere Umstände, S. 11 f.; Maurach, JuS 1969, S. 249; Redslob, Persönliche Eigenschaften, s. 4 f.

U. Lehre und Gesetzgebung im 19. Jahrhundert

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welche nur in der Person des einen oder anderen Urhebers oder Teilnehmers vorhanden sind, sollen bei der Beurtheilung der Strafbarkeit der Uebrigen weder zum Vortheile noch zum Nachtheile derselben in Betracht gezogen werden, soweit das Gesetz nicht ein anderes bestimmt. "47 Der Wortlaut legt es nahe und die Motive bestätigen es auch, daß auf diese Weise die Strafbarkeit des Teilnehmers allein nach seinen persönlichen Verhältnissen gesetzlich festgeschrieben werden sollte.48 Entsprechend der auch von den oben angeführten Autoren in der gemeinrechtlichen Doktrin geäußerten Ansicht soll derjenige, der ein Delikt nicht als Täter begehen kann, daran auch nicht als Teilnehmer mitwirken können. Daneben gab es aber auch Kodifikationen, die zwar einerseits eine akzessorietätslockemde Bestimmung enthielten, deren Wirkung aber nur auf die strafmodifizierenden Merkmale erstreckten. So heißt es etwa schon in Art. 118 des bayerischen Strafgesetzbuches von 1813: "Mildernde oder beschwerende Umstände, welche aus der Beschaffenheit der Person oder ihrer besonderen Verhältnisse hervorgehen, kommen nur bei demjenigen zum Vortheile oder Nachtheile, in dessen Person sie gegründet sind." Ähnlich enthielt auch das Braunschweigische Strafgesetzbuch von 1840 eine Bestimmung, welche die individuelle Berücksichtigung mildemder oder erschwerender persönlicher Umstände vorsah. 49 Weitergehend spricht später das bayerische Strafgesetzbuch von 1861 in seinem Art. 65 Abs. 3 von "Gründen, die seine Strafbarkeit erhöhen, mindern, ausschließen oder tilgen". In all diesen Bestimmungen bleiben aber die strafbegründenden Umstände unerwähnt. Da der jeweilige Gesetzgeber für die strafmodifizierenden Merkmale eine akzessorietätslockemde Regelung für notwendig erachtete, kann man davon ausgehen, daß er von der grundsätzlich akzessorischen Haftung des Teilnehmers ausging und die Nichtberücksichtigung strafmodifizierender Merkmale für eine Ausnahmeregelung hie1t,50 es also hinsichtlich der strafbegründenden

47

Hervorhebungenvon mir. So übrigens auch schon§ 82 des Bremischen Entwurfs von 1861.

Vgl. Begründung zum Entwurf 1868, S. 47 f.; Begründung zum Entwurf 1861, S. 280. Auch Art. 55 des bayerischen Entwurfs von 1854 enthielt die Formulierung "die auf die Strafbarkeit der That Einfluß übenden Umstände". Ob damit allerdings auch die nichtakzessorische Behandlung strafbegründender Umstände erfaßt werden sollte, erscheint angesichts der Motive fraglich. Nach der Entwurfsbegründung, S. 244, soll der Art. 55 lediglich eine "mildere oder strengere Beurtheilung" zur Folge haben. 41

49

Vgl. dazu Goltdammer, Materialien, S. 319 Fußn. 1.

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B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstrafbarkeit

Merkmale bei der akzessorischen Haftung des Teilnehmers bleiben sollte.51 Für diese Interpretation der Vorschriften spricht außerdem, daß die akzessorische Lösung auch der in der Lehre überwiegenden Auffassung entsprach. 52 Die genannten Vorschriften sind also so zu verstehen, daß zwar die strafinodifizierenden Merkmale nur für oder gegen denjenigen wirken sollen, bei dem sie vorliegen, die strafbegründenden Merkmale hingegen nur beim Täter vorliegen müssen. Fehlt dem Teilnehmer ein solches Merkmal, ist er gleichwohl strafbar, und zwar aus dem Tatbestand, dem auch die Strafe des Täters zu entnehmen ist. Damit kommt es erstmals zu einer eindeutig feststellbaren Differenzierung zwischen strafbegründenden und strafinodifizierenden Merkmalen, und zwar mit noch erheblicheren Konsequenzen, als dies im heute geltenden Recht der Fall ist. Denn die betreffenden Strafgesetzbücher enthielten keine dem heutigen § 28 Abs. 1 StGB entsprechende Strafinilderungsmöglichkeit. Ähnlich wie die oben genannten Bestimmungen enthielt dann auch § 41 Abs. 3 des ersten Entwurfs eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund eine Regelung, die die individuelle Zurechnung straferhöhender und strafmindernder Merkmale anordnete, bezüglich der strafbegründenden aber schwieg. Diese Entwicklung setzte sich dann damit fort, daß im zweiten Entwurf aus dem § 41 Abs. 3 ein selbständiger § 48 wurde, und endete in der Schaffung des inhaltsgleichen § 50 RStGB, der in seiner ursprünglichen Gestalt lautete: "Wenn das Gesetz die Strafbarkeit einer Handlung nach den persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen desjenigen, welcher dieselbe begangen hat, erhöht oder vermindert, so sind diese besonderen Thatumstände dem Thäter oder demjenigen Theilnehmer (Mitthäter, Anstifter, Gehülfe) zuzurechnen, bei welchem sie vorliegen." Die in§ 50 RStGB a.F. getroffene Regelung ist demnach bei ihrem lnkrafttreten in der Gesetzgebung kein Novum, sondern war bereits in anderen Kodifikationen enthalten. Bei der Suche nach den Gründen der Differenzie-

"'Krug, Besondere Umstände, S. II f., schließt die Annahme, daß den Partikularstrafgesetzen stillschweigend eine im Grundsatz akzessorische Haftung des Teilnehmers zugrunde lag, daraus, daß diese zumeist von einer objektiven Täterlehre ausgingen. Wie bereits oben, S. 13 Fußn. 41, gezeigt, ist aber diese Verbindung keineswegs zwingend. Dies wird auch durch das von ihm selbst angefiihrte Beispiel des sächsischen Strafgesetzbuchs von 1855 belegt, welches auch unter Geltung einer subjektiven Täterlehre die akzessorische Teilnehmerhaftung anordnete. " Dieser Umkehrschluß spielt auch bei der Interpretation des § 50 RStGB eine wichtige Rolle; vgl. dazu unten, S. 17 ff. 52

Siehe oben, S. 10 f.

m. Rechtsprechung und Lehre von 1871 bis 1943

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rung bleibt man jedoch weitgehend auf Vermutungen angewiesen. So ist etwa Maurach bezüglich der Regelung im StGB für den Norddeutschen Bund der Auffassung, man habe zwar die Ungerechtigkeit einer generellen Zurechnung sämtlicher persönlicher Merkmale erkannt, der nüchterne Gesetzgeber habe sich aber nicht dazu entschließen können, die akzessorische Behandlung persönlicher Merkmale vollständig aufzugeben, da dies zu erheblichen Strafbarkeitslücken, insbesondere bei der Teilnahme am echten Amtsdelikt, geführt hätte. :53 Damit ist aber noch nicht geklärt, warum man überhaupt die akzessorische Zurechnung der persönlichen Merkmale zunehmend als ungerecht empfand. Die Materialien zum RStGB und zum StGB für den Norddeutschen Bund verweisen insoweit auf die Begründung zum Entwurf für das Bremische Strafgesetzbuch. Dort findet sich neben Rekursen auf das allgemeine Gerechtigkeitsgefühl vor allem eine klare Absage an die Auffassung von der akzessorischen Natur der Teilnahme. :54 Insoweit ist dann natürlich auch die generelle Nichtzurechnung persönlicher Merkmale konsequent. Warum allerdings das StGB für den Norddeutschen Bund und das RStGB, die eben diese akzessorische Natur zugrunde legten, gleichwohl unter Berufung auf den Bremischen Entwurf zu einer Durchbrechung der Akzessorietät kommen konnten, bleibt unklar.

ID. Rechtsprechung und Lehre von 1871 bis 1943 Bereits im Zusammenhang mit denjenigen akzessorietätslockemden Regelungen der Partikularstrafgesetze, die ebenso wie § 50 RStGB lediglich für strafschärfende und strafmildemde Merkmale eine individuelle Zurechnung anordneten, wurde auf den folgenden Umkehrschluß hingewiesen: Wenn der Gesetzgeber eine Regelung für notwendig erachtet, welche die höchstpersönliche Wirkung bestimmter Merkmale anordnet und diese Regelung auf den Bereich der straferhöhenden und strafmildemden Merkmale beschränkt, dann soll es für die strafbegründenden Merkmale bei der streng akzessorischen Haftung verbleiben. Da § 50 RStGB ebenfalls nur die strafschärfenden und strafmildemden Merkmale regelte, liegt es nahe, daß auch der Gesetzgeber des RStGB eine solche differenzierende Regelung treffen wollte. In der Tat sind sowohl das Reichsgericht als auch die überwiegende Lehre zu dem Schluß

53

JuS 1969, S. 250.

'"' Beglilndung, S. 48; ebenso schon Begrundung zum Entwurf eines Strafgesetzbuchs der Freien Hansestadt Bremen von 1861, S. 280. 2 Hake

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B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstrafbarkeit

gekommen, daß Teilnahme dann möglich und ungemildert strafbar ist, wenn dem Teilnehmer eine Eigenschaft, die zur täterschaftliehen Begehung erforderlich ist, fehlt. Nur im Falle straferhöhender oder strafmildemder Umstände sollte es zu einer individuell auf den jeweiligen Beteiligten bezogenen Berücksichtigung kommen.

I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1881, in der es sich um die Frage handelte, ob sich die nur beim Haupttäter vorliegende Gewerbsmäßigkeil bei § 260 StGB auch für den Teilnehmer strafschärfend auswirkt, geht das Reichsgericht ganz selbstverständlich davon aus, daß sich der Geltungsbereich des § 50 RStGB auf die von ihm ausdrücklich erfaßten strafmodifizierenden Umstände bezieht, es hinsichtlich der strafbegründenden Merkmale aber bei der streng akzessorischen Haftung verbleiben soll: "Der strafpolitische Grundsatz, daß einjeder lediglich nach dem Maß seiner Verschuldung bestraft werden soll, hat für die Fälle, wo zwar nicht die Strafbarkeit einer Handlung an sich - also den Thatbestand eines Gesetzes in seiner einfachen Form gedacht -, wohl aber die Erhöhung oder Verminderung dieser Strafbarkeit der Handlung nach persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen desjenigen sich bemißt, welcher dieselbe begangen oder dabei mitgewirkt hat, in § 50 St.G.B. 's zu der Bestimmung geführt, daß diese besonderen Umstände nur dem Thäter oder Teilnehmer ( ... ), bei welchem sie vorliegen, zugerechnet werden sollen. "55 Eine Begründung für diese Unterscheidung wird nicht gegeben, und es mutet etwas seltsam an, daß das Reichsgericht in der Bestrafung eines jeden Beteiligten nach seinen persönlichen Umständen oder Verhältnissen einen "strafpolitischen Grundsatz" sieht, dann aber trotzdem die Regelung in § 50 RStGB gleichsam als Ausnahmevorschrift betrachtet und auch dementsprechend anwendet. Der eigentliche Grundsatz wird also nicht in der Bestrafung eines jeden "nach seiner Verschuldung", sondern in § 48 Abs. 2 RStGB gesehen, der für den Anstifter die Bestrafung nach dem auf den Täter anwendbaren Gesetz vorschrieb. Dieser Ausnahmecharakter des § 50 RStGB wird dann in einer Entscheidung aus dem Jahre 1882 bestätigt. Hier ging es darum, ob die Teilnahme eines Außenstehenden am echten Amtsverbrechen (in concreto: Falschbeurkundung

"RGSt. 4, 184, 185 f. (Hervorhebungenvon mir).

m. Rechtsprechung und Lehre von 1871 bis 1943

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im Amt) strafbar ist. Bei der Bejahung dieser Frage nimmt das Reichsgericht ausdrücklich Bezug auf die in § 48 Abs. 2 RStGB enthaltene Bestimmung. Das Verhältnis dieser Vorschrift zu § 50 RStGB wird folgendermaßen beschrieben: "Von dieser Regel ist in §50 St.G.B. 's eine Abweichung dahin getroffen, ... "56 Und da diese Ausnahme ausdrücklich nur die strafmodifizierenden Umstände erfaßt, soll es im übrigen bei der Regel sein Bewenden haben: "Die Bestimmung des § 50 St.G.B. 's ist jedoch auf ihren Wortlaut zu beschränken; sie trifft daher nicht zu, wenn erst durch das Vorhandensein gewisser persönlicher Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafbarkeit des physischen Thäters an sich begründet wird, sie also ein notwendiges Merkmal der Strafthat bilden. "57 Diesen Standpunkt hat das Reichsgericht in zahlreichen weiteren Entscheidungen bestätigt und ist, soweit ersichtlich, nicht von ihm abgewichen. So wurde die Teilnahme an militärischen Vergehen und Verbrechen ohne weiteres für strafbar erachtet und, da die Eigenschaft als Militärangehöriger strafbegründend wirkte, eine analoge Anwendung des § 50 RStGB nicht in Betracht gezogen. 58 Besonders deutlich wird die Konzeption des Reichsgerichts an folgender Entscheidung aus dem Jahre 1891: 59 Der Angeklagte hatte den Eheleuten K. Beihilfe zur Kuppelei(§ 180 RStGB) geleistet, die für diese gemäß § 181 Nr. 2 RStGB qualifiziert war, da es sich bei der Verkuppelten um ihre Tochter handelte. Der Angeklagte machte nun geltend, daß für ihn nur eine Strafe wegen einfacher Kuppelei in Betracht käme, da er selbst nicht in einer ElternKind-Beziehung zu der Verkuppelten stand. 60 Das Reichsgericht verneinte eine Anwendung des § 50 RStGB mit folgender Begründung: Der Grundtatbestand des§ 180 RStGB setze neben dem- als solchen straflosen- Vorschubleisten der Unzucht voraus, daß der Täter "gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz" handele. Für die in§ 181 RStGB mit höherer Strafe bedrohte schwere Kuppelei sei ein solches gewohnheitsmäßiges oder eigennütziges Handeln nicht erforderlich. Da nun die Eltern oder die anderen in§ 181 Nr. 2 RStGB

56

RGSt. 6, 414, 415.

57

RGSt. 6, 414, 415 f.

"' RGSt. 15, 396, 398. Die Entscheidung betraf unmittelbar nur die (persönliche) Begünstigung, in den Entscheidungsgründen befil!wortet das Reichsgericht aber auch ausdrücklich die Möglichkeit von Anstiftung und Beihilfe. ,. RGSt. 22, 51. .., Auf den anzuwendenden Straftatbestand kam es besonders deswegen an, weil die einfache Kuppelei verjährt gewesen wäre. 2*

20

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstrafbarkeit

genannten Personen unabhängig von ihrem Antrieb der Strafe für schwere Kuppelei unterlägen, sei das Verhältnis des Täters zu der Person, mit welcher Unzucht getrieben worden ist, strafbegründender Natur. Und weil der § 50 RStGB auf solche Umstände nicht anzuwenden sei, sei der Angeklagte zu Recht wegen Beihilfe zur schweren Kuppelei verurteilt worden. 61 Eine ähnliche Argumentation findet sich in RGSt. 28, 100. Die Angeklagte hatte sich einen Brief von dem mitangeklagten Briefträger aushändigen lassen, um die Adresse des Briefes in Augenschein zu nehmen, ohne ihnjedoch zu eröffnen. Aufgrund dieses Sachverhaltes hatte die Vorinstanz sie wegen Anstiftung zu einer Tat nach§ 354 RStGB, der das Eröffnen oder Unterdrücken eines der Post anvertrauten Briefes oder Paketes durch einen Postbeamten unter Strafe stellte, verurteilt, da sie den Postbeamten bestimmt hatte, den Brief aus dem Postgang zu entfernen. Sowohl die Revision der Verteidigung als auch die der Staatsanwaltschaft rügten nun, daß unter Anwendung des § 50 RStGB lediglich eine Verurteilung wegen Anstiftung zu einer Tat nach § 299 RStGB (Unbefugtes Öffnen von Briefen) hätte erfolgen dürfen. Das Reichsgericht wies dies jedoch mit der Erwägung zurück, § 299 RStGB erfasse lediglich das Eröffnen eines Briefes durch jedermann, hinsichtlich des Unterdrückens einer Sendung sei die Eigenschaft als Postbeamter hingegen strafbarkeitsbegründend, und auf solche Eigenschaften oder Verhältnisse sei §50 RStGB nicht anwendbar. 62 Diese Entscheidung läßt vermuten, daß die unterschiedliche Behandlung strafbegründender und strafmodifizierender Merkmale für die Richter des Reichsgerichts eine feststehende und nicht anzuzweifelnde Tatsache war. Denn gerade der soeben geschilderte Sachverhalt hätte Anlaß zu Zweifeln an dieser Unterscheidung geben müssen. 63 Hätte die Angeklagte den Beamten nicht zu der an sich leichteren Begehungsweise des- zudem kurzfristigen- Unterdrückens angestiftet, sondern ihn dazu bestimmt, den Brief zu eröffnen, hätte das Reichsgericht sie unter Anwendung des § 50 RStGB wegen Anstiftung zu einer Tat nach § 299 RStGB bestraft. Es könnten hier noch zahlreiche weitere Beispiele angeführt werden, in denen das Reichsgericht die unterschiedliche Behandlung der strafmodifizierenden und der strafbegründenden Merkmale ausdrücklich aussprach oder stillschweigend voraussetzte. 64 Damit würde angesichts der einheitlichen und

61

RGSt. 22, 51 , 53 f.

"'RGSt. 28, 100, 101 f. 63

So auch bereits Bambach, Straflosigkeit, S. 8.

.. RGSt. 25, 234, 236; 265, 266; 36, 148, 154; 55, 181, 182; 59, 140, 141.

m. Rechtsprechung und Lehre von 1871 bis 1943

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konsequenten Linie, die das Gericht verfolgte, wenig Neues gewonnen. Bereits die genannten Beispiele haben gezeigt, daß das Gericht den Anwendungsbereich des § 50 RStGB nicht im Wege der Analogie auf die strafbegründenden Merkmale erweitern wollte. In entgegengesetzter Richtung hat das Reichsgericht seinen Umkehrschluß allerdings nicht für notwendig oder gar zwingend gehalten: Neben den strafschärfenden und den strafmildernden Merkmalen hat es auch die strafausschließenden Umstände nur bei demjenigen berücksichtigt, bei welchem sie vorlagen.65 Während man hinsichtlich der strafbegründenden Merkmale davon ausgegangen war, daß der Gesetzgeber durch sein Schweigen die akzessorische Behandlung dieser Umstände festschreiben wollte, gelangte man nun bei den Strafausschließungsgründen zum gegenteiligen Ergebnis: "Aus der Natur der Sache ergibt sich, daß das (scil. die individuelle Berücksichtigung persönlicher Merkmale) umsomehr bezüglich der strafausschließenden Momente gelten muß, und es wurde offenbar vom Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzt, daß diese jedem Beteiligten persönlich zu gute kommen müssen ( ... )Die in den Motiven zu § 50 St.G.B. 's betonte Absicht des Gesetzgebers, daß einjeder lediglich nach dem Grade seiner Verschuldung( ... ) bestraft werde, muß naturgemäß bei Strafausschließungsgründen nicht minder durchschlagend erscheinen als bei bloßen Schärfungs- oder Milderungsgründen. "66 So richtig die Entscheidung im Ergebnis ist, so auffällig ist auch der argumentative Widerspruch zu den Überlegungen, die das Reichsgericht im Rahmen der strafbegründenden Umstände angestellt hatte. Dort wurde ja ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber seine Absicht, daß jeder "nach dem Maß seiner Verschuldung bestraft werde", nur für die strafschärfenden und strafmildernden Umstände verwirklichen wollte. 67 Faßt man die vom Reichsgericht bei der Auslegung des § 50 RStGB verfolgte Linie zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Aus der gesetzlichen Beschränkung des Geltungsbereiches der Vorschrift wurde auf die streng akzessorische Haftung des Teilnehmers für beim Täter vorliegende strafbegründende Merkmale geschlossen. In entgegengesetzter Richtung hat das Reichsgericht diesen Umkehrschluß jedoch nicht gezogen, sondern die strafausschließenden Umstände nur dem jeweiligen Beteiligten zugute kommen lassen, der sie in eigener Person erfüllte.

65

RGSt. 14, 102, 103 f.

66

RGSt. 14, 102, 104 (Hervorhebungendort).

67

RGSt. 4, 184, 185.

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B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstrafbarkeit

2. Die Auffassungen in der Lehre Die Lehre bietet in dem hier interessierenden Punkt ein weniger einheitliches Bild. Wenn auch die meisten Autoren die Auffassung der Rechtsprechung jedenfalls im Grundsatz teilten, so gab es doch immer wieder Stimmen, die an einzelnen Punkten Kritik übten oder sich sogar entschieden gegen die vom Reichsgericht verfolgte Linie insgesamt aussprachen.

a) Die herrschende Lehre: Interpretation des §50 RStGB im Sinne der Rechtsprechung Die weit überwiegende Zahl der Autoren hat § 50 RStGB im Sinne der Interpretation des Reichsgerichts verstanden, soweit es um die Berücksichtigung strafbegründender Merkmale ging. Ohne größere Überlegungen sah man auch im Schrifttum § 50 RStGB als Ausnahmevorschrift an, deren Anwendungsbereich nicht auf die strafbegründenden persönlichen Merkmale erstreckt werden konnte. 68 Die Zustimmung zu der vom Reichsgericht verfolgten Linie war aber nicht uneingeschränkt. Ein beachtlicher Teil der Literatur hat der Rechtsprechung hinsichtlich der aus der Natur der Sache hergeleiteten Einschränkung der Akzessorietät im Rahmen der Strafausschließungsgründe69 die Gefolgschaft versagt und auch insoweit eine akzessorische Haftung des Teilnehmers befürwortet. Da der § 50 RStGB sich nur auf die strafschärfenden und strafmildemden Umstände beziehe, müsse ebenso wie bei den strafbegründenden Merkmalen der Umkehrschluß gezogen werden, daß ein beim Täter zu berücksich-

61 So etwa v.Bar, Gesetz und Schuld n, S. 666 ff. ; Beting, Lehre vom Verbrechen, S. 441 ff.; Bemer, Lehrbuch, S. 171; Frank, StGB, Vorbem. zum 3. Abschnitt, Anm. IV 1; v.Liszt, Lehrb. , S. 237; v.LisZJ/SchmidJ, Lehrb., S. 347 f.; M.E.Mayer, Allg. Teil, S. 410 f.; Meyer/Allfeld, Lehrb. , Allg. Teil, S. 211; Olshausen-Niethammer, §SO Anm. 3. Rob.v.Hippel, Lehrb., S. 168, hält beim Fehlen strafbegrundender Sondereigenschaften sogar Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft filr möglich, da dem Extraneus nur die Möglichkeit fehle, physischer Täter zu sein. Eine Auseinandersetzungmit dieser an v.Buri erinnernden Ansicht (siehe dazu oben, S. 12 f.) ist jedoch entbehrlich, da sie in der hier interessierenden Frage der Differenzierung zwischen strafbegliindenden und strafmodifizierenden Merkmale mit den übrigen genannten Autoren übereinstimmt.

69

Siehe oben, S. 21.

ll. Rechtsprechung und Lehre von 1871 bis 1943

23

tigender Strafausschließungsgrund auch zugunsten des Teilnehmers wirke. 70 Von anderen Autoren hat das Reichsgericht aber auch in diesem Punkte Zustimmung erfahren. 71 Die durch diese Kontroverse bedingte Unsicherheit führte schließlich dazu, daß gleichzeitig mit der Einführung der limitierten Akzessorietät im Jahre 1943 auch die strafausschließenden Merkmale ausdrücklich in die Akzessorietätslockerung einbezogen wurden und damit eine Klarstellung im Sinne der Interpretation der Rechtsprechung erfolgte.n Zu erwähnen ist auch noch eine weitere Ausnahme, die im Schrifttum von dem als richtig anerkannten Grundsatz gemacht wurde. Die Möglichkeit der Teilnahme am Sonderdelikt, die sich aus der akzessorischen Haftung des Teilnehmers für strafbegründende Merkmale ergab, wurde von einer Reihe von Autoren hinsichtlich der Teilnahme am Militärverbrechen bestritten.73 Die Gründe für diese Ausnahme lagen aber nicht in prinzipiellen Einwänden, sondern in den Besonderheiten des positiven Rechts. So wurde angeführt, daß zum einen das militärische Strafensystem für Zivilpersonen ungeeignet sei, zum anderen enthalte das militärische Strafrecht Sonderstrafbestimmungen hinsichtlich der Teilnahme Außenstehender, aus denen auf die grundsätzliche Nichtanwendbarkeit des MilStGB auf Zivilisten geschlossen werden müsse. 74 Faßt man die in der Lehre vorherrschende Konzeption der Interpretation des § 50 RStGB zusammen, so läßt sich grundsätzliche Zustimmung zu der vom Reichsgericht eingenommenen Position verzeichnen. Lediglich in Einzelfragen wird von dieser abgewichen. Vor allem hinsichtlich der Differenzierung zwischen strafbegründenden Merkmalen einerseits und strafschärfenden und strafmildemden Merkmalen andererseits besteht aber weitgehend Einigkeit. Innerhalb weniger Jahre hat sich damit eine Position durchgesetzt, die in der gemeinrechtlichen Lehre nur ein einziges Mal überhaupt erwogen wurde. Der Grund für diesen Umschwung muß wohl in dem Respekt gesehen werden, den

70 So etwa v.Bar, Gesetz und Schuld D, S. 667 Fn. 129; Olslwusen (7. Aufl.), § 50 Anrn. 2 a. Auch Mezger, Lehrb., S. 431, befiirwortete eine streng akzessorische Behandlung der persönli-

chen Strafausschließungsgliinde, wobei er allerdings zur Begrundung anfilhrte, es handele sich bei ihnen um Schuldgesichtspunkte. Für Mezger war die Grundlage seiner Auffassung also nicht ein Umkehrschluß aus § 50 StGB, sondern eine von der herrschenden Meinung abweichende Einordnung der persönlichen Strafausschließungsgrunde. 11 Frank,§ 50 Anrn. I; v.l.iszr, Lehrb., S. 237; v.l.iszr/SchmidJ, Lehrb., S. 346; M.E.Meyer, Allg. Teil, S. 410; Meyer/Allfeld, Lehrb., Allg. Teil, S. 212. 72

Vgl. dazu auch LK-Mezger (8. Aufl.), § 50 Anm. 12.

73

M.E.Mayer, Allg. Teil, S. 413 f.; ders., ZStW 28 (1908), S. 271.

74

M.E.Mayer, Allg. Teil, S. 413.

24

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstratbarkeit

sowohl Rechtsprechung als auch Schrifttum der positivrechtlichen Regelung entgegenbrachten. Gleichwohl hätte man eine kritischere Einstellung zu § 50 RStGB erwarten können, wenn berücksichtigt wird, daß diese Regelung letztlich auf einer inkonsequenten Übernahme der dem Bremischen Entwurf zugrunde liegenden Konzeption beruhte. Völlig unwidersprochen ist die herrschende Meinung aber doch nicht geblieben. Zu nennen sind hier insbesondere Kohler einerseits sowie Birkmeyer, Kohlrausch und Zimmerl andererseits, welche die herrschende Ansicht in entgegengesetzten Richtungen kritisieren.

b) Die Auffassung Kohlers Kohler ist der Meinung, § 50 RStGB müsse nicht so verstanden werden, als beschränke er die eigenständige Berücksichtigung persönlicher Umstände auf Strafmilderungen oder -schärfungen. Auch bei strafbegründenden Merkmalen existierten solche, die nur bei dem Beteiligten Berücksichtigung finden könnten, in dessen Person sie vorlägen. 75 Er unterscheidet deshalb zwischen persönlichen Umständen, welche die Erreichbarkeil des tatbestandlieben Rechtsgutes betreffen, und solchen, die lediglich eine persönliche Beziehung des Täters beschreiben. Im ersten Fall soll eine Teilnahme ohne weiteres und in vollem Umfang möglich sein. Zur Verdeutlichung weist er auf folgendes Beispiel hin: Zwar könne eine Frau nicht unmittelbar eine Vergewaltigung begehen, sie könne aber ohne weiteres zu einer solchen anstiften und auch mittelbare Täterio des Delikts sein. Ihr sei nur das Rechtsgut aufgrund ihres Geschlechtes nicht unmittelbar zugänglich.76 Demgegenüber würde aber beispielsweise bei den Amtsdelikten die Beamteneigenschaft nicht ein bestimmtes Rechtsgut charakterisieren, sondern eine persönliche Beziehung, in welcher der Amtsträger steht. Und in Fällen dieser Art sei die Beziehung auch erforderlich, um von Teilnahme an dem Amtsdelikt sprechen zu können: "Daraus ergibt sieb von selbst, daß weder von einer Anstiftung noch von einer Beihülfe oder von einer indirekten Täterschaft eines Nichtbeamten bei einem Amtsdelikte die Rede sein kann ( ... ) Die Beamteneigenschaft ( ... ) ist erforderlich, um ein gewöhnliches Delikt zum Amtsdelikt zu machen; sie ist auch

75

Studien, S. 137 ff.; ders. , GA 51 (1904), S. 169 ff.; ders. , GA 55 (1908), S. 1 f.

76

GA 51 (1904), S. 172; ders., Studien, S. 131.

ID. Rechtsprechung und Lehre von 1871 bis 1943

25

erforderlich, um etwas, das sonst kein Delikt wäre, zum Delikt zu erheben. n77 Den von der herrschenden Auffassung gezogenen Umkehrschluß aus § 50 RStGB hält Kahler für falsch. Daß diese Vorschrift nur von strafmildemden und straferhöhenden Umständen spreche, sei leicht zu erklären. Diese Tatsache beruhe darauf, daß die strafmildemden und -erhöhenden Eigenschaften "besonders hervortreten". Um seine Auslegung des §50 RStGB in Einklang mit der Iex lata zu bringen, nimmt er in kaum nachvollziehbarer Weise eine Interpretation der Vorschrift vor, die deren Sinn in sein Gegenteil verkehrt: §50 RStGB wolle in Wahrheit die von Kahler getroffene Unterscheidung der persönlichen Merkmale danach, ob sie die Erreichbarkeil des Tatobjektes oder eine besondere Beziehung des Täters beschreiben, gesetzlich festschreiben: "Es wäre unrichtig, daß ein Eidesunfähiger nicht zu einem falschen Zeugeneid, ein Nichtehegatte nicht zum Ehebruch, ein Nichtverwandter nicht zum Incest, ein Weib nicht zur Nothzucht anstiften könnte. Und eben dieses Mißverständnis sucht das Gesetz zu vermeiden. "78 Auffällig ist wiederum, daß auch bei Kahler die Forderung nach der höchstpersönlichen Berücksichtigung bestimmter Merkmale mit einem Bekenntnis zur selbständigen Natur der Teilnahme einhergeht. Auch Anstifter und Gehilfen seien Täter des Deliktes, eben nur in anderer Weise als der unmittelbar Handelnde. 79

c) Die Lehren von Birkmeyer und Kohlrausch Es verwundert deshalb nicht, daß die Vertreter der extremen Gegenposition, also diejenigen, die auch im Rahmen der strafschärfenden und -mildernden Merkmale die Zurechnung auf den Teilnehmer fordern, sich auf die akzessorische Natur der Teilnahme berufen.

Birkmeyer ist der Auffassung, die Teilnahme entlehne ihre Strafbarkeit aus der Täterschaft. 80 Daraus folgert er, daß die akzessorische Haftung des Teilnehmers nicht nur im Rahmen der Strafbegründung, sondern auch für Modifi-

77 Studien, S. 135. Ebenso in GA 51 (1904), S. 169 ff., wo Kohler sich auch eingehend mit den konträren Auffassungen der Postglossatoren auseinandersetzt 78

Studien, S. 139.

79

Studien, S. 96 ff.; 113 ff.; ebenso auch ders., Leitfaden, S. 32 ff.

80

Teilnahme, S. 171; ders., VDA ll, S. II.

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extraneostrafbarkeit

26

kationen der Strafbarkeit gelten müsse. Die Tatsache, daß § 50 RStG etwas anderes bestimmt, erkennt er nicht an, da diese Vorschrift einen wesentlich begrenzteren Anwendungsbereich habe als vom Reichsgericht angenommen. "Die akzessorische Natur der Teilnahme würde es auch mit sich bringen, daß alle in dem Verbrechen selbst objektivierten persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisse des Täters auch auf den im Moment der Teilnahme sie kennenden Teilnehmer zurückwirken ( ... ) Der § 50 RStrGB hat diese Konsequenz der akzessorischen Natur durchbrachen, wenn es richtig wäre, daß in sein (sie) Bereich auch Qualifizierungs- und Privilegierungsmomente fallen, wie das RG ( ... ) annimmt. Richtiger Ansicht nach fallen aber unter § 50 nur persönliche Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe, wie etwa Rückfall und jugendliches Alter. "81 Auch Kohlrausch beruft sich auf die Akzessorietät der Teilnahme, um seine Auffassung zu begründen. Er gesteht zwar zu, daß bloße Strafschärfungs- oder -milderungsgründe wie etwa die Gewohnheitsmäßigkeit oder Gewerbsmäßigkeit individuell wirken müssen.82 Nach seiner Ansicht müßten aber entgegen der Rechtsprechung des Reichsgerichts auch solche Umstände, die eine Pflichtverletzung des Haupttäters charakterisieren, dem Teilnehmer zur Last gelegt werden, wenn sie die Strafe des Haupttäters modifizieren. 83 "Eine Sonderpflicht-Verletzung durch den Haupttäter kann für die Beurteilung des Teilnehmers niemals gleichgültig sein, einerlei ob jene Verletzung die Strafe begründet oder nur erhöht. "84 Anders als Birkmeyer schließt sich Kohlrausch allerdings hinsichtlich der Auslegung des § 50 RStGB der tradierten Auffassung an. Er hält eine Bestrafung des Teilnehmers jedoch gleichwohl für möglich, und zwar unter Anwendung des § 2 StGB in der damaligen Fassung, der auch die Analogie in malam partem für zulässig erklärte. 85 Zudem tritt er de lege ferenda für eine Umgestaltung des § 50 StGB ein. 86

11

VDA U, S. 157 (Hervorhebungendort).

Dies ist darauf zulilckzuführen, daß Kohlrausch , Festschrift für Bumke, S. 49, für die limitierte Akzessorietät eintritt, so daß Umstände jenseits der Rechtswidrigkeit nicht akzessorisch zu behandeln sein können. 12

13

ZAkDR 1939, S. 246; ders., Festschrift für Bumke, S. 50 f.

14

Festschrift fiir Bumke, S. 51.

15

ZAkDR 1939, S. 246.

•• Festschrift fiir Bumke, S. 50.

m.

Rechtsprechung und Lehre von 1871 bis 1943

27

d) Die Auffassung Zimmerls Auch Zimmert kritisiert die Differenzierung zwischen strafbegründenden und strafmodifizierenden Merkmalen. So heißt es bei ihm: "Die Regelung, welche die Wirkung eines Merkmals nicht von seiner rechtsinhaltlichen Natur, sondern von dem Zufall abhängig macht, ob es gerade bei dem in Betracht kommenden Deliktstypus die Strafbarkeit begründet oder bloß ändert oder ausschließt, ist eine typisch formal-positivrechtliche, würdig einer Begriffsjurisprudenz im übelsten Sinn des Wortes. "!rl Ausgehend von der von ihm befürworteten limitierten Akzessorietät der Teilnahme88 schlägt Zimmert statt dessen eine Differenzierung zwischen Merkmalen, die das Unrecht der Tat betreffen, und solchen, die sich lediglich auf die Schuld beziehen, vor: Beim Täter vorliegende Unrechtsmerkmale sollen stets streng akzessorisch jedem Beteiligten zugerechnet werden, während Schuldmerkmale immer nur persönlich wirken können. 89 So begründe oder erhöhe etwa die Beamteneigenschaft des Täters das Unrecht seiner Tat, was dazu führe, daß auch das Unrecht der Teilnahme begründet oder gesteigert werde. Demgegenüber könne es auf die Zurechnungsfahigkeit oder schuldsteigernde besonders verwerfliche Motivationen eines Beteiligten für die übrigen nicht ankommen. 90 Bemerkenswert an der Position Zimmerls ist, daß bereits zu der Zeit, als die lex lata noch die strenge Akzessorietät vorschreibt, mit dem Bekenntnis zur limitierten Akzessorietät die Forderung nach der streng akzessorischen Behandlung aller Unrechtsmerkmale einhergeht. Obwohl nur wenige Jahre nach der VeröffentlichtJng Zimmerls die gesetzliche Einführung der limitierten Akzessorietät erfolgte, ist die von ihm erhobene Forderung bis zum heutigen Tag nur selten wiederholt worden. 91

07

ZStW 54 (1935), S. 588.

•• ZStW 54 (1935), S. 584 ff. 89

ZStW 54 (1935), S. 586 ff.

90

ZStW 54 (1935), S. 587.

So vor allem Grünwald, Gedächtnisschrift filr Annin Kaufmann, S. 555 ff; siehe dazu ausfuhrlieh unten, S. 86 ff. In diese Richtung gehen auch die Ausfilhrungen von Piotet, ZStW 69 (1957), S. 31 ff. 91

28

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extranenstratbarkeit

e) Zusammenfassung Faßt man das Meinungsspektrum zu § 50 RStGB in seiner ursprünglichen Fassung zusammen, so läßt sich folgendes verzeichnen: Die Rechtsprechung und die herrschende Lehre interpretierten die Vorschrift entsprechend ihrem Wortlaut dahingehend, daß eine Akzessorietätslockerung nur für strafschärfende oder strafmildemde Merkmale in Betracht kommen könnte. Die Kritiker dieser Auffassung warfen ihr vor allem vor, daß diese Unterscheidung jeder sachlichen Grundlage entbehre. Je nach ihrer Grundauffassung vom Wesen der Teilnahme gelangten sie zu einer Ausdehnung des § 50 auf die strafbegründenden Merkmale oder zu einer Zurechnung aller oder einzelner strafmodifizierender Merkmale auf den Teilnehmer.

IV. Die weitere Entwicklung bis zur Novelle von 1969

Im Zuge der Einführung der limitierten Akzessorietät im Jahre 1943 wurde der heutige § 29 StGB (Bestrafung jedes Beteiligten nach seiner Schuld) als § 50 Abs. 1 StGB eingefügt, der bisherige § 50 wurde § 50 Abs. 2. Zugleich wurden auch die strafausschließenden Umstände in den Regelungsbereich der Vorschrift aufgenommen. 92 An der Rechtslage in dem hier interessierenden Punkt änderte sich dadurch allerdings wenig. Wie bereits zuvor wurde sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Lehre die nunmehr in § 50 Abs. 2 enthaltene Regelung des bisherigen § 50 RStGB als Ausnahmeregelung verstanden, dessen Geltung auf die dort genannten Merkmale beschränkt wurde,93 wenn auch die Stimmen, die eine einheitliche Behandlung aller persönlichen Merkmale unabhängig von ihrer strafbegründenden oder strafmodifizierenden Wirkung forderten, nie ganz verstummten. 94 Eine ledigliehe klarstellende Gesetzesänderung bestand darin, daß die bisher bereits von der Rechtsprechung und auch in der Lehre vertretene Auffassung,

92

Zu den Gliinden siehe oben, S. 22 f.

BGHSt. S, 7S, 81 f.; 6, 260, 261; 8, 20S, 208; Kohlrausch/Lange (42. Auf!.), §SO Anm. I.; lK-Mezger (8. Auf!.), § SO Arun. S; Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 226; Schönke/ Schröder(11. Auf!.), § SO Rdn. 20 ff.; Schwan/Dreher (29. Auf!.), § SO Arun. 2; Wetzet, Lehrb. (10. Auf!.), S. 116. 93

"'Vgl. etwa Kohlrausch/Lange (42. Auf!.), §SO Arun. 1.; Piotet, ZStW 69 (19S7), S. 19 ff. sowie insbesondere Bambach, Straflosigkeit, S. 18 ff., 39 ff. Zu dessen Auffassung siehe ausfilhrlich unten, S. 83 ff.

IV. Die weitere Entwicklung bis zur Novelle von 1969

29

daß auch die persönlichen Strafausschließungsgründe nur zugunsten des jeweiligen Beteiligten gelten dürften, 95 gesetzlich festgeschrieben wurde. Wichtiger war hingegen, daß in der Literatur eine Auffassung aufkam, die hinsichtlich der strafbegründenden Merkmale eine außergesetzliche Strafmilderung für den Beteiligten befürwortete, der dieses Merkmal nicht aufwies, um so die Ungleichbehandlung zwischen den Fällen des § 50 Abs. 2 StGB und den von dieser Vorschrift nicht erfaßten Konstellationen abzumildem. 96 Durch das Einführungsgesetz zum OWiG wurde dann die heute in § 28 Abs. 1 StGB enthaltene Strafmilderung beim Fehlen strafbegründender besonderer persönlicher Merkmale als § 50 Abs. 2 StGB eingeführt. Damit wurde dieser Forderung der Lehre Rechnung getragen. Der bisherige § 50 Abs. 2 wurde zum Abs. 3. Zusätzlich wurde der Anwendungsbereich der Vorschrift um die "persönlichen Umstände" erweitert, damit entgegen einer bis dahin weit verbreiteten Ansicht auch vorübergehende Merkmale erfaßt werden konnten. 97 Die heutige Fassung erhielten die §§ 28 und 29 StGB schließlich durch das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 4.7.1969. Im Zuge der Reform wurde die bisher in § 50 StGB enthaltene Legaldefinition der "besonderen persönlichen Merkmale" in den die Vertreterhaftung betreffenden § 14 StGB übernommen. 98 Der dem früheren § 50 Abs. 2 StGB entsprechende § 28 Abs. 1 StGB verweist auf diese Definition, so daß die Neufasung des Gesetzes nahelegt, eine inhaltliche Kongruenz zwischen den "besonderen persönlichen Merkmalen" in § 14 StGB und denen in § 28 StGB zu vermuten. Schon vor Inkrafttreten der Reform wurde aber aufgezeigt, daß die von § 28 StGB erfaßten Merkmale eine andere Funktion zu erfüllen haben als die Merkmale im Sinne des§ 14 StGB: Während es im Rahmen des§ 14 StGB darum geht, den Täter

95

Siehe oben, S. 21.

Welz.el, Lehrb. (9. Autl), S. 109; ders., Materialien I, S. 52; LK-Mez.ger, (8. Auf!.), § SO Anm. 13; Schönke/Schröder(13. Autl.), § 50 Rdn. 23; Lange, JR 1949, S. 172; dagegenjedoch Maurach, Allg. Teil (3.Aufl.), S. 607; H.Mayer, Allg. Teil, S. 337. Entsprechende Tendenzen sind in heutiger Zeit noch fiir das schweizerische Recht zu beobachten, das ebenso wie das deutsche StGB bis zur Novelle von 1968 lediglich die Nichtbetiicksichtigung strafmodifiZierender Merkmale vorsieht. Während die herrschende Meinung daraus schließt, daß beim Fehlen strafbegtiindender Merkmale der Strafrahmen des Sonderdeliktes gilt, fordert eine beachtliche Literaturmeinung eine übergesetzliche Strafmilderung; so bereits Germann, SchwZStrR 54 (1940), S. 373; ausjüngerer Zeit etwa Noll, Allg. Teil. I, S. 182; Trechsel, StGB, Art: 26 Rdn. 6 m.w .Nachw. auch zur Gegenmeinung. 96

97

Zum Streitstand ausfiihrlich Schönke/Schröder(13. Aufl.), §50 Rdn. 15.

Eine entsprechende Vorschrift war erstmals durch das EGOWiG als § 50a in das StGB gekommen. 90

B. Die geschichtliche Entwicklung der Extraneostrafbarkeit

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trotz Fehlen eines besonderen persönlichen Merkmals zu belasten, hat § 28 StGB gerade die Funktion, den Beteiligten beim Fehlen eines Merkmals zu entlasten. 99 Es entspricht deshalb heute herrschender Ansicht, daß der Begriff der besonderen persönlichen Merkmale in § 28 StGB unabhängig von der Auslegung des § 14 StGB ist. 100 Die Neufassung des § 28 StGB einschließlich des Verweises auf § 14 StGB stellt also ausschließlich eine - wenig geglückte - redaktionelle Änderung dar, welche die zuvor geltende sachliche Regelung unberührt ließ. 101

90

Blauth, Handeln filr einen anderen, S. 107 ff.; Gallas, ZStW 80 (1968), S. 21 f.

Blaulh, a.a.O.; Gallas, a.a.O.; Jakobs, Allg. Teil, S. 600 (21/11); Jescheck, Allg. Teil, S. 207 (§ 23 VI 3); Laclcner, § 14 Rdn. 9; LK-Roxin, § 14 Rdn. 8, 15 ff.; Schönke/Schröderl Lenclcner, § 14 Rdn. 8; Maurach/Gössel!Zipf, Allg. Teil ß, S. 257 (§ 47/124); SK-Samson, § 14 Rdn. 9 ff. 100

101

Vgl. zur Entstehungsgeschichtedes § 28 auch LK.-Roxin, § 28 Rdn. 1.

C. Der gegenwärtige Meinungsstand Der Blick auf die historische Entwicklung hat gezeigt, daß die schon in § 50 RStGB enthaltene Differenzierung auf einer nicht in letzter Konsequenz durchgehaltenen Übernahme der Regelung des BreiDisehen Entwurfs von 1868 beruhte und sich dann in Rechtsprechung und Schrifttum eingebürgert hat. Für ihre sachliche Berechtigung ist damit aber noch nichts gewonnen. Erweist sich die herrschende Meinung, die eben diese Differenzierung weiterhin befürwortet, gleichwohl als zutreffend? Oder kann die Ungleichbehandlung strafbegründender und strafmodifizierender Merkmale nicht vielleicht abgemildert werden, etwa indem man den Anwendungsbereich des § 28 entsprechend der Regelung des BreiDisehen Entwurfs auf die strafbegründenden Merkmale erstreckt, oder dadurch, daß man auch § 28 Abs. 2 StGB im Sinne einer Strafzumessungsregel versteht? Im folgenden soll versucht werden, diese Fragen zu beantworten.

I. Unterschiedliche Rechtsfolgen in§ 28 Abs. 1 und Abs. 2 StGB Indem die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum nur in § 28 Abs. 1 StGB eine Strafzumessungsvorschrift, in § 28 Abs. 2 StGB hingegen eine Tatbestandsverschiebung sieht, 1 befindet sie sich in Einklang mit der tradierten Interpretation der Vorgängervorschriften dieser Norm.2 Auffällig ist allerdings, daß sich nur selten eine Begründung für diese These findet

1 BGHSt. 22, 375, 376 ff.; 26, 53; BGH wistra 1987, 30, 31 ; 1988, 303; BGH StV 1992,379 (Leitsatz); Baumann, NJW 1969, S. 1279 f.; Bockelmann/Volk, Allg. Teil, S. 200; Dreher! Tröndle, § 28 Rdn. 8; Grünwald, Gedächtnisschrift filr Armin Kaufmann, S. 563 ff.; Haft, Al1g. Teil, S. 203; Jescheck, Allg. Teil, S. 595 (§ 61 VD 4); Küper, ZStW 102 (1992), S. 577 ff. ; Lackner, § 28 Rdn. 8; Maurach!Gössel!Zipf, Allg. Teil D, S. 390 f.(§ 52/126 ff.); SK-Samson , § 28 Rdn. 24; Samson, ZRP 1969, 28; Schönke/Schröder!Cramer, § 28 Rdn. 28; Schröder, JZ 1969, 134; Welz;el, Lehrb. , S. 120 f.; Wessels, Allg. Teil, S. 166 (§ 13 IV 2). De lege1ata halten auch die S. 32 Fußn. 3 genannten Autoren an dieser Interpretation fest. 2

Vgl. dazu oben, S. 17 ff.

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C. Der gegenwärtige Meinungsstand

und viele Autoren der damit verbundenen inhaltlichen Aussage sogar sehr kritisch gegenüberstehen. 3 Bei anderen wiederum findet eine Auseinandersetzung mit dieser Frage ausschließlich in Form der Ablehnung der Argumente der Gegenansicht statt.4 Sofern einige Vertreter der herrschenden Meinung eine positive Begründung für ihre Interpretation des § 28 StGB geben, 5 stellt sich der Gedankengang wie folgt dar: Die völlige Abhängigkeit der Teilnehmerstrafbarkeit von der des Täters sei ungerecht, da das "die Strafbarkeit ändernde Moment in so hohem Maße an die Person gebunden sein kann, daß es nur denjenigen Beteiligten belasten oder entlasten darf, bei dem es vorliegt. "6 Sie würde zu "offenbaren Ungerechtigkeiten führen, wenn der Haupttäter den Straftatbestand nur mit Rücksicht auf bestimmte personale ('täterschaftliche') Elemente verwirklichen konnte, die in der Person des Teilnehmers fehlen. "7 Dementsprechend sei in § 28 Abs. 2 StGB vorgesehen, daß solche strafmodifizierenden Umstände nur demjenigen zuzurechnen seien, in dessen Person sie vorliegen. Für den Bereich der strafbegründenden Merkmale sei dies aber "aus Akzessorietätsgründen "8 nicht möglich gewesen, da die Teilnahme einen "Bezugstatbestand"9 benötige. Bei Jescheck heißt es dazu: Die strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmale werden von § 28 Abs. 2 StGB nicht erfaßt, "weil sie in der Person des Täters gegeben sein müssen, damit überhaupt der Tatbestand eines Verbrechens vorliegt. Ihr Fehlen kann daher beim Teilnehmer nur als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden. " 10 Es wird deutlich, daß der an und für sich richtige Grundsatz in der in§ 28 Abs. 2 StGB enthaltenen Aussage gesehen und § 28 Abs. 1 StGB mit den Strafbarkeitstücken erklärt wird,

3 So insbesondere Hirsch, Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, S. 143; ders., ZStW 88 (1976), S. 782; ders., Festschrift für Tröndle, S. 35; Jakobs, Allg. Teil, S. 691 (23/34); ders., NJW 1969, S. 492; Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), S. 36; SK-Samson, § 28 Rdn. 6 f. Stratenwerth, Allg. Teil I, S. 257 f. (Rdn. 936 ff.). Die heute in § 28 Abs. 2 StGB enthaltene Regelung wurde auch schon von Hardwig, GA 1954, S. 65 ff., heftig kritisiert.

• So beispielsweise bei Schönke/Schröder/Cramer, § 28 Rdn. 28. Ohne jegliche Begrundung vertreten die Interpretation des § 28 Abs. 2 als Tatbestandsverschiebungetwa Haft, Allg. Teil, S. 203; Wessels , Allg. Teil, S. 166 (§ 13 IV 2). 5 BauT11il111t/Weber, Allg. Teil, S. 579 f. (§ 37 ill 2 b); Jescheck, Allg. Teil, S. 595 ff. (§ 61 VII 4); Maurach/Gössel/Zipf, Allg. Teil II, S. 389 ff., 398 (§ 53/91 ff.).

6

Jescheck, Allg. Teil, S. 595 (§ 61 VII 4).

7

Maurach/Gössel/Zipf, Allg. Teil II, S. 390 (§ 53/98) (Hervorhebung dort).

1

BauT1Ul111t!Weber, Allg. Teil, S. 580 (§ 37m2 b).

• Maurach/Gössel/Zipf, Allg. Teil II, S. 398 (§ 53/166). 10

Allg. Teil, S. 597 (§ 61 VII 4 d) (Hervorhebungvon mir).

I. Unterschiedliche Rechtsfolgen in § 28 Abs. 1 und Abs. 2 StGB

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die bei konsequenter Durchführung dieses Prinzips entstehen würden. Man betrachtet die grundsätzliche Strafbarkeit des Extraneus beim Fehlen strafbegründender Merkmale als sachlich angemessen und kriminalpolitisch geboten. Dies läßt sich aber nur erreichen, wenn dem Extraneus diese Merkmale auch dann zugerechnet werden, wenn er sie selbst nicht aufweist. Der dargelegte Gedankengang entspricht auch den Überlegungen des Reformgesetzgebers bei der Schaffung des§ 28 StGB. So geht etwa Gallas im Jahre 1954 als Mitglied der Großen Strafrechtskommission bei seinenÜberlegungende lege ferenda davon aus, daß für die strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmale "aus kriminalpolitischen Gründen" ausschließlich eine Lösung auf der Ebene der Strafzumessung in Frage kommt. 11 Bei näherer Betrachtung stellt sich diese Argumentation als äußerst inkonsequent heraus: Ein Merkmal, das, sofern ihm lediglich strafmodifizierender Charakter zukommt, "in so hohem Maße an die Person gebunden ist", daß es "nur denjenigen belasten ... darf, bei dem es vorliegt"12 , dürfte auch dann, wenn es beim Täter strafbegründend wirkt, den Teilnehmer nicht belasten. An einem Beispiel verdeutlicht heißt dies: Wenn die Amtsträgereigenschaft so eng an die Person des Amtsträgers selbst gebunden ist, daß sie im Rahmen der Strafbarkeit eines außenstehenden Teilnehmers an einer Tat nach § 340 StGB nicht berücksichtigt werden darf, dann müßte sie auch dann nicht in Ansatz gebracht werden können, wenn es nicht um eine Körperverletzung, sondern um eine Falschbeurkundung geht. 13 Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen der Behandlung strafbegründender und strafmodifizierender Merkmale an folgendem Beispiel: T ist gegenüber 0 Schutzpflichtiger im Sinne des § 223b StGB. Er mißhandelt 0 indem er 1. ihm erhebliche Schmerzen zufügt. 2. ihn erheblich seelisch quält. Hierzu wurde er jeweils durch den gegenüber 0 nicht schutzpflichtigen A angestiftet.

11

Materialien I, S. 150 f. ; ebenso ders., Athen-Beiheft zur ZStW, S. 39.

12

Jescheck, a.a.O.

Auch das schweizerische Bundesgericht weist darauf hin, daß es einen Widerspruch darstellt, die Beamteneigenschaft unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, ob ihr strafmodifizierende oder strafbegründende Wirkung zukommt; vgl. BGE 81 (1955) IV, 285, 289; 95 (1969), 113, 116. Ob allerdings daraus zwingend die vom schweizerischen Bundesgericht, a.a. 0., gezogene Konsequenz folgt, die Beamteneigenschaft generell nicht als besonderes persönliches Merkmal zu betrachten, soll hier noch unbeantwortet bleiben. Siehe dazu ausfilhrlich S. 101 ff. 13

3 Hake

C. Der gegenwärtige Meinungsstand

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T hat sowohl im ersten als auch im zweiten Fall eine Mißhandlung Schutzbefohlener nach § 223b StGB begangen, da diese Vorschrift anders als die §§ 223, 223a StGB auch das Zufügen seelischer Qualen erfaßt. 14 Betrachtet man aber die Strafbarkeit des A, so ergibt sich folgende Differenzierung: Im Fall 1 hat sich A unter Zugrundelegung der hergebrachten Auslegung gemäß § 28 Abs. 2 StGB wegen Anstiftung zur Körperverletzung(§§ 223, 26 StGB) strafbar gemacht, da § 223b für den Bereich körperlicher Mißhandlung eine Qualifikation zu § 223 StGB ist. ts Im Fall 2 hingegen ist A unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB gemäß den §§ 223b, 26 StGB zu bestrafen, da die Eigenschaft als Schutzpflichtiger bei der Zufügung bloß seelischer Qualen die Strafbarkeit erst begründet. Die Fragwürdigkeit der dargelegten Differenzierung wird hier besonders deutlich. Zunächst stellt sich die schon oben aufgeworfene Frage, warum das Fehlen desselben Merkmals in einem Bereich zur Anwendung eines anderen Tatbestandes führen, in anderer Hinsicht aber nur im Rahmen der Strafzumessung zu herticksichtigen sein soll. Dies um so mehr, wenn diese "Bifunktionalität" sich in einem einzigen Tatbestand niederschlägt. Hinzu kommt vorliegend aber noch folgende Überlegung: Der Gesetzgeber hält die Zufügung seelischer Qualen außer in den Fällen des § 223b StGB nicht für ausreichend, um die Schwelle strafwürdigen Unrechts zu erreichen. Stiftet ein Außenstehender einen Intraneus zu dieser Begehungsform des § 223b StGB an, erscheint diese Vorschrift gleichwohl im Strafausspruch. Im Vergleich dazu erfolgt die Verurteilung desjenigen, welcher zu der - aus den genannten Gründen schwereren - Begehungsform der körperlichen Mißhandlung angestiftet hat, nur aus dem Grunddelikt des § 223 StGB. Hierin liegt ein nur schwer aufzulösender Wertungswiderpruch. 16

•• lK-Hirsch, § 223b Rdn. 12 m.w.Nachw.

Dies entspricht zumindest der Oberwiegenden Meinung: RGSt. 70, 357, 359; 71, 363, 364; BGH NJW 1951, 368 (Leitsatz); Blei, Strafrecht U, S. 50; Dreherffröndle, § 223b Rdn. l; Laclcner, § 223bRdn. 1; Welzel, Lehrb., S. 292; Wessels, Bes. Teil I, S. 65 (§ 5 VI 1). DieGegenansicht (U