Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik: Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des Irrtumsmerkmals in § 263 StGB [1 ed.] 9783428448678, 9783428048670

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Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik: Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des Irrtumsmerkmals in § 263 StGB [1 ed.]
 9783428448678, 9783428048670

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RAIMUND HASSEMER

Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrecbtsdogmatik

Schriften zum Strafrecht Band 40

Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des Irrtumsmerkmals in § 263 StGB

Von

Dr. Raimund Hassemer

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlln 65 Printed in Germany

© 1981 Duncker

ISBN 3 428 04867 9

Meinen Eltern

Vorwort Die Strafrechtswissenschaft hat in den letzten Jahren eine Veränderung und Erweiterung ihres Gesichtsfeldes erfahren. Waren es früher der Täter und die von ihm bewirkte Rechtsgutsverletzung, denen das primäre Interesse der Strafrechtsdogmatik galt, so tritt heute immer häufiger ein Drittes hinzu: die Frage nämlich, ob und - bejahendenfalls - wie das Verhalten des Verletzten bei der Würdigung der Tat zu berücksichtigen sei. Ursprung und Grund dieser Entwicklung sind zum jetzigen Zeitpunkt schwer auszumachen. Festzustehen scheint jedoch, daß die "Blickwendung vom Täter zum Opfer", die "Wiederentdeckung des Opfers für die Unrechtslehre" , wie Wil/ried Küper diese "Tendenzwende" in seiner Würdigung der 1979 erschienenen Festschrift für Paul Bockelmann genannt hat (GA 1980, S. 217 f.), im Begriffe sind, ein zentrales strafrechtliches Paradigma in Frage zu stellen. Die vorliegende Untersuchung fühlt sich dieser neuen Konzeption verpflichtet. Sie will versuchen, die rechtliche Gebotenheit und praktische Notwendigkeit einer das Opferverhalten reflektierenden und verarbeitenden Strafrechtswissenschaft aufzuweisen. Gleichzeitig geht es ihr darum, Möglichkeiten und Grenzen einer "viktimologisch" angeleiteten Rechtsfindung im Allgemeinen und Besonderen Teil unseres StGB zu demonstrieren. Das Manuskript der Arbeit, die im Sommersemester 1980 der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim als Dissertation vorgelegen hat, wurde im Frühjahr 1980 abgeschlossen. Es ist für den Druck geringfügig überarbeitet und - soweit möglich - auf den neuesten Stand von Rechtsprechung und Literatur gebracht worden. Mein aufrichtiger und herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Bernd Schünemann, Mannheim. Er hat nicht nur den Anstoß zur vorliegenden Untersuchung gegeben und sie auf ihrem oft schwierigen Weg mit solidarischer Kritik begleitet; er war mir auch in den bislang drei Jahren meiner Assistententätigkeit an seinem Lehrstuhl stets ein verständnisvoller und anregender Lehrer. Danken möchte ich weiterhin Herrn Prof. Dr. Wolfgang Frisch, Mannheim, der meiner Arbeit trotz mancher unterschiedlicher Position in vielen Gesprächen wertvolle Impulse gab. Mannheim, im November 1980

Raimund Hassemer

Inhaltsverzeichnis Teil A

Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz 1. Einleitung

......................................................

17

11. Die Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes als Voraussetzung der Zulässigkeit der Kriminalisierung; Vorläufige Abgrenzung zur SchutzVfÜrdigkeit des (}utes .................................... 19 III. Die individuelle Schutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers als "milderes Mittel" im Sinne des Erforderlichkeitsgrundsatzes ..........

22

1. Probleme der Ermittlung der individuellen Schutzmöglichkeit. .

25

IV. Die generelle (}efährdung; Begriff, Einflußgrößen und Tendenzen 26 V. Die Selbstschutzmöglichkeit; Begriff ............................ 1. Der Einfluß des menschlichen (}emeinschaftsbedürfnisses auf

die Selbstschutzmöglichkeit ..................................

29 29

2. Der Einfluß der gesellschaftlichen Entwicklung auf den Umfang der individuellen Außenkontakte ............................ 30 3. Der Einfluß der individuellen Außenkontakte auf den Umfang der Selbstschutzmöglichkeit .................................. 31 VI. Normative Kriterien der individuellen Schutzmöglichkeit ........

32

1. Der (}rundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Individuums..

34

2. Folgerungen hinsichtlich Art und Ausmaß der individuellen Außenkontakte ..............................................

36

VII. (}enerelle (}efährdung und Selbstschutzmöglichkeit in ihrem Zusammenwirken: die das Rechtsgut bedrohende (}efahrintensität ..

38

VIII. (}efahrintensität und Strafrechtsschutz de lege lata ..............

43

1. Schutztechnik bei Rechtsgütern, die Angriffen unterschiedlich

hoher (}efahrintensität ausgesetzt sind: der Schutzbereich

46

2. (}efahrintensität und besondere Werthaftigkeit des (}utes ....

49

IX. Zusammenfassung von Teil A ..................................

51

Inhaltsverzeichnis

10

Teil B

Rechtsgutsgefäbrdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers I. Gefahrintensität und Strafrechtsschutz de lege lata; Normtypen

des Besonderen Teils ............................................

52

1. Der kongruente Tatbestand ..................................

52

2. Der inkongruente Tatbestand ........................... . ....

53

3. Das Beziehungsdelikt ........................................

54

4. Das Zugriffsdelikt

55

11. Rechtsgut und Schutzbereich; Folgerungen aus der Typisierung der Tatbestände für eine Rechtsgewinnung mit Hilfe der teleologischen Methode .............................................. 56 1. Der Rechtsgüterschutz

als alleiniger Telos der Strafnorm: Schwinge ....................................................

56

2. Die Kritik Schaffsteins ......................................

57

3. Teleologische Methode und Schutzbereich .................... a) Die Auslegung kongruenter Tatbestände .................. b) Die Auslegung anderer Normtypen ........................

58 60 61

111. Rechtsgut, Rechtsgutsobjekt und Gefahrintensität ................

61

1. Die abstrakte Gefahrintensität als dem Rechtsgut typischer-

weise drohende Gefahr ......................................

62

2. Die konkrete Gefahrintensität als dem Rechtsgutsobjekt im Einzelfall drohende Gefahr .................................. 63 3. Eigene Einwirkungen des Rechtsgutsträgers auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität .............................. a) Einwirkungen bei Zugriffsdelikten ........................ aa) Einwirkungen auf die Selbstschutzwurzel der Gefahrintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Einwirkungen auf die Gefährdungswurzel der Gefahrintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Einwirkungen bei Beziehungsdelikten. . . . . . . . . . . ... . .. . . . .. aa) Einwirkungen auf die Selbstschutzwurzel der Gefahrintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Einwirkungen auf die Gefährdungswurzel der Gefahrintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Die Schutzbedürftigkeit des Opfers; Begriff und Bedeutung ...... 1. Die Abhängigkeit der Schutzbedürftigkeit vom Ausmaß der

konkreten Gefahrintensität .................................. a) Schutzbedürftigkeit und Schutzlosigkeit ....................

63 65 65 66 68 69 71 72 72 73

Inhaltsverzeichnis

11

V. Das Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers als Folge eigener Einwirkung auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität ....

75

1. Kriterien entfallender Schutzbedürftigkeit ....................

75

a) Der Normtyp ..............................................

77

b) Grundtatbestand, Qualifizierung, Privilegierung

77

c) Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Individuums

78

d) Konkretisierungen der Sozialadäquanz von Außenkontakten

78

VI. Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrecht ..................

79

1. Die Schutzbedürftigkeit des Opfers als Zulässigkeitsvorausset-

zung des Einsatzes strafrechtlicher Mittel im Einzelfall ........

80

2. Das Prinzip der Schutzbedürftigkeit des Opfers im Strafrecht und in der Strafrechtsdogmatik .............................. 81 a) Schutzbedürftigkeit und Auslegung ........................

82

b) Schutzbedürftigkeit und "Einwilligung in die Gefährdung"..

83

c) Schutzbedürftigkeit und Notwehrrecht ....................

88

d) Schutzbedürftigkeit und §§ 199, 233 ........................ 91 aal Exkurs: §§ 199, 233 in ihrer Bedeutung als Kriterien entfallender Schutzbedürftigkeit ...................... 92 VII. Einzelfragen .................................................... 1. Die subjektiven Voraussetzungen entfallender Schutzbedürftig-

93

keit ..........................................................

93

2. Die Zumutbarkeit alternativen Verhaltens ....................

94

3. Möglichkeiten der Kompensation ............................

95

VIII. Zusammenfassung von Teil B....................................

97

Teil C

Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand I. Das Irrtumsmerkmal in § 263 und das Problem des unter Zweifeln Verfügenden ..............................................

99

II. Geschichtlicher überblick ........................................ 101 1. Die Rechtsprechung des RG .................................. 101

2. Die Strafrechtswissenschaft bis 1945 .......................... 104 3. Die Rechtsprechung des BGH ................................ 106 4. Die Rechtsprechung anderer Gerichte ........................ 108

12

Inhal tsverzeichnis 5. Die Strafrechtswissenschaft nach 1945 ........................ a) Giehring .................................................. b) Lackner .................................................. c) Herzberg .................................................. d) Amelung .......................................... . ....... e) Frisch ....................................................

109 109 110 111 111 112

IH. Grundlagen einer eigenen Konzeption .......................... 113 1. § 263 als Beziehungsdelikt; Relevanz dieser Charakterisierung

für die Auslegung des Betrugstatbestands .................... 114

2. Die Konsequenzen der Charakterisierung des § 263 als Beziehungsdelikt .................................................. a) Der funktionale Zusammenhang zwischen "Täuschung" und "Irrtum" .................................................. b) Das Irrtumsmerkmal als Kriterium der Selbstschutzmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aal Einwände Herzbergs .................................. bb) Einwände Frischs ....................................

116 117 118 118 120

IV. Methodische Vorüberlegungen .................................. 122 1. Grammatikalische und historische Auslegung des

Irrtumsmerkmals .................................................... 122

2. Herzbergs Versuch einer systematischen Auslegung des Irrtumsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122 3. Methodische Konsequenzen der eigenen Konzeption .......... 126 V. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers und Irrtumsmerkmal des § 263 .................................................. 127 1. Inhalt und Grenzen der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechts-

gutsträgers .................................................. 128

2. Genauere Bestimmung der Grenze der Realisierung der Selbstschutzmöglichkeiten .......................................... 129 3. Verringerung der individuellen Selbstschutzmöglichkeiten und Entfallen der Schutzbedürftigkeit; die kognitiven Situationen des verfügenden Rechtsgutsträgers .......................... a) Diffuser Zweifel und subjektive Gewißheit .......... . ..... b) Konkreter Zweifel ........................................ c) Relevante Unterschiede dieser kognitiven Situationen ...... d) Ergebnis ..................................................

131 131 134 136 137

4. Erhöhte Gefahrintensität und strafrechtliche Reaktion a) Der sich subjektiv gewiß fühlende Rechtsgutsträger b) Der diffus zweifelnde Rechtsgutsträger .................... c) Der konkret zweifelnde Rechtsgutsträger .................. d) Vergleich und Bewertung der unterschiedlichen Situationen

137 138 140 140 141

Inhal tsverzeichnis 5. Exkurs: Die Situation des verfügenden Rechtsgutsträgers in entscheidungstheoretischer Sicht .............................. a) Der sich subjektiv gewiß fühlende Rechtsgutsträger ........ b) Der diffus zweifelnde Rechtsgutsträger .................... c) Der konkret zweifelnde Rechtsgutsträger .................. d) Vergleich und Bewertung der unterschiedlichen Situationen 6. Ergebnis

13

143 144 145 146 146 147

VI. Die Stellung der eigenen Ergebnisse im Vergleich zu den in der Literatur vertretenen Meinungen .............................. 147 1. Die Inkompatibilität der Konzeptionen ........................ 148 2. Kritik der in der Literatur vertretenen Meinungen ............ 150 3. Kritik der Konzeption Amelungs ............................ 152

4. Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Opfers ........ 154

VII. Kriminalpolitische Implikationen entfallender Schutzbedürftigkeit des konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers ...................... 1. Vorbemerkung: Die Unerheblichkeit von Art und Vermittlung der zum konkreten Zweifel führenden oder diesen beseitigenden Informationen .......................................... 2. Der konkrete Zweifel im Rahmen von Austauschbeziehungen des "normalen" Bürgers ...................................... 3. Der konkrete Zweifel im Rahmen von Austauschbeziehungen im geschäftlichen Bereich .................................... a) Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Erhebung weiterer Informationen ............................................ b) Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit des Absehens von der projektierten Verfügung .................................. 4. Die verbleibenden, aus dem Anwendungsbereich des § 263 auszuscheidenden Fälle .......................................... a) Der Fall der Trägheit ...................................... b) Der Fall des Risikos ......................................

155 156 157 159 159 160 161 162 163

VIII. Zusammenfassung von Teil C .................................... 166 IX. Anhang: Exemplifikation der eigenen Konzeption anhand des Fallmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Deputatkohlefall 2. Der Scheckkartenfall ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Der Kostenvorschußfall ...................................... 4. Die Lieferantenfälle 5. Die Prozeßbetrugsfälle .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Vorben1erkung ............................................ b) Die Spielarten des Prozeßbetrugs im einzelnen ............ 6. Die Konventionalstrafen- und Bettelbetrugsfälle .............. Literaturverzeichnis

167 168 171

173 174 175 176 177 180 181

Abkürzungsverzeichnis a.A.

aaO. Abs. a.F. Anm. AöR AP Art. AT ba.-wü. LBO BayObLG BB Bd. BGBl. BGH BGHSt. BT BTD BVerfG BVerfGE DAR DJ DJT DÖV DR DRiZ E 1962 GA GewO h.M. HRR Hrsg. JA JR JuS JW JZ Kap. KJ MDR MSchrKrim m.w.N.

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz alte Fassung Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Artikel Allgemeiner Teil Baden-württembergische Landesbauordnung Bayerisches Oberstes Landesgericht Der Betriebsberater Band Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Amtliche Sammlung Besonderer Teil Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Amtliche Sammlung Deutsches Autorecht Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Die öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Entwurf eines Strafgesetzbuches, 1962 Goltdammers Archiv für Strafrecht Gewerbeordnung herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristen -Zeitung Kapitel Kritische Justiz Monatsschrift für Deutsches Recht Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechts reform mit weiteren Nachweisen

Abkürzungsverzeichnis

15

m. zahlr. w. N. NJW OLG PrObTrib Rdnr. RdO

mit zahlreichen weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Oberlandesgericht Preußisches Ober-Tribunal Randnummer Die Rechtsprechung des Königlichen Ober-Tribunals in Strafsachen, hrsgg. von Oppenhoff Reichsgerich t RG RGBl. Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, AmtRGSt. liche Sammlung SchwZStrafrecht Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Strafrechtsreformgesetz StrRG VRS Verkehrsrechtssammlung VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP Zeitschrift für Schweizerisches Recht ZSchwR Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZStW zust. zustimmend Im übrigen folgen die Abkürzungen in dieser Arbeit Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 2. Aufl. 1968. Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB.

TeilA

Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz I. Einleitung Der Satz, daß Aufgabe des Strafrechts der Rechtsgüterschutz sei, provoziert spätestens seit den Zeiten des Alternativentwurfs 1 keinen erheblichen Widerspruch mehr. Er findet sich heute in so gut wie allen Lehrbüchern und Kommentaren zum StGB2 und ist auch von der Rechtsprechung akzeptiert worden s. Selbst Welzels Forderung nach einer als "Sicherung der elementaren Handlungswerte" verstandenen Aufgabe des Strafrechts4 gründet in der Auffassung, daß nur ein Strafrecht, das sich dieser "umfassenderen sozialethischen Funktion"6 bewußt bleibe, auf Dauer geeignet sei, den Rechtsgüterschutz zu gewährleisten 6 • Angesichts dieser Tatsache nimmt es nicht wunder, daß in den letzten Jahren die strafrechtliche Auseinandersetzung um den Rechtsgutsbegriff mit besonderer Intensität geführt und um eine Fülle von neuen Anregungen und Impulsen bereichert worden ist 7 • Diese Diskussion, die In dessen § 2 Abs. 1 dies ausdrücklich betont wird. S. nur Jescheck, Lehrbuch, S. 5 ff.; Baumann, Strafrecht, S. 9 f.; Maurach / Zipf, Strafrecht, AT 1, S. 277 ff.; Wessels, Strafrecht, AT, S. 2 f.; auo, Strafrecht, AT, S. 20 f.; Bockelmann, Strafrecht, AT, S. 10 ff.; Stratenwerth, Strafrecht, S. 13 ff.; Lenckner, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 8 ff. vor §§ 13 ff.; Lackner, StGB, Anm. II vor § 13; Rudolphi, in: SK, Rdnr. 1 ff. vor § 1; Jescheck, in: LK, Einl., Rdnr. 3 f. Vgl. auch atto, Rechtsgutsbegriff, S. 1; Rudolphi, Aspekte, S. 159 ff.; Arthur Kaufmann, Subsidiaritätsprinzip, S. 101 ff.; Roxin, ZStW 81, 622 ff.; ders., JA 1980, 546 f.; Sax, Grundsätze, S. 911; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 136 ff.; Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 197 ff.; Hanack, Revision, S. 32 ff.; Pasquay, Insemination, S. 23 ff.; Jäger, Strafgesetzgebung, S. 122; auo, Strafwürdigkeit, S. 54 f.; Volker Hassemer, Delictum sui g~neris, S. 50 f.; Winjried Hassemer, Theorie, S. 87 ff.; Marx, Rechtsgut, S. 60 f. et passim; Schall, Schutzfunktionen, S. 72; Müller-Emmert, GA 1976, 293; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 318 ff. et passim. 3 Etwa BVerfGE 32, 109; 39,46; 45,253 f. 4 Strafrecht, S. 4; vgl. auch Peters, ZStW 77, 473 ff. 5 Strafrecht, S. 4. 8 S. hierzu auch Peters, Grundlagen, S. 77 ff.; Jäger, Strafgesetzgebung, S. 23 ff.; Winjried Hassemer, Theorie, S. 92 ff. 1 Etwa durch die Arbeiten von Amelung, Rechtsgüterschutz; Winfried Hassemer, Theorie; Lampe, Rechtsgut; Marx, Rechtsgut; auo, Rechtsgutsbegriff; Rudolphi, Aspekte. 1

2

2 Hassemer

18

Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

hinsichtlich ihrer historischen Dimension in den Untersuchungen von

Sina S und insbesondere Amelung 9 eine kompetente Darstellung gefun-

den hapo, soll im folgenden in ihren heutigen Verästelungen nicht nachgewiesen, sondern weitgehend vorausgesetzt werden. Ein solches Verfahren erscheint trotz der teilweise erheblich differierenden Definitionen des Rechtsgutsbegriffs in Rechtsprechung und Literatur l l und ungeachtet der trotz gleicher Basissätze gegensätzlichen Ergebnisse bei der Lösung kriminalpolitischer Probleme der jüngeren Zeip2 deshalb zulässig, weil die hier zu erörternden Fragen von diesen Meinungsverschiedenheiten unberührt bleiben und in jede dem Rechtsgüterschutz verpflichtete Konzeption integriert werden können. Ist die strafrechtliche Schutzwürdigkeit eines Gutes nämlich festgeste1lt 13 , so ist die sich hieran notwendig anschließende Frage, ob strafrechtlicher Schutz auch tatsächlich zu gewähren sei, noch nicht entschieden. Zur besonderen Werthaftigkeit des Gutes muß vielmehr hinzutreten, daß gerade der Einsatz strafrechtlicher Mittel zu dessen Schutz geeignet 14 und erforderlich15 ist. Die vorliegende Untersuchung wird ihre Aufmerksamkeit insbesondere dem zweiten dieser beiden Rechtsgüterschutz. Rechtsgüterschutz. 10 Einen gerafften historischen überblick bieten auch Jäger, Strafgesetzgebung, S. 6 ff., und Schall, Schutzfunktionen, S. 42 ff. U Rechtsgüter sind, um nur willkürlich einige Definitionen herauszugreifen, "die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens" (BVerfG NJW 1975, 576), die "Grundwerte der Sozialordnung" (Jescheck, Lehrbuch, S. 5), "die wichtigsten Bereiche sozialen Zusammenlebens bzw. die sozial wichtigsten Interessen" (Baumann, Strafrecht, S. 9), "Objekte, die dem Menschen seine Selbstverwirklichung ermöglichen" (Marx, Rechtsgut, S. 62), "Sachverhalte(n), die als wertvoll im Hinblick auf die gedeihliche Existenz des Einzelnen oder der Gemeinschaft erlebt werden" (Schmidhäuser, Unrechtstatbestand, S. 444), "gewährleistende Elemente" der äußeren Friedensordnung (Roxin, Konzeption, S. 622) und vieles andere mehr. Vgl. auch etwa die Definitionen von Binding (Normen, S. 353 ff.) und Hirschberg (Schutzobjekte, S. 62). S. auch die Nachweise bei Otto, Rechtsgutsbegriff, S. 2 f. und die überlegungen bei Winfried Hassemer, Theorie, S. 61 ff. 12 Neben den später nochmals aufzugreifenden Bereichen etwa der Entkriminalisierung des Ladendiebstahls oder der Ausweitung des Wirtschaftsstrafrechts ist hier insbesondere der Problemkreis der Sittlichkeitsdelikte zu nennen (vgl. hierzu nur Jäger, Strafgesetzgebung, und Hanack, Revision). 13 Vgl. hierzu Hamann, Grundgesetz, S. 25 f.; Sax, Tatbestand, S. 10 ff.; Schünemann, ZSchwR 1978, 147 f.; ders., ZStW 90, 41 f. 14 Zum Grundsatz der Geeignetheit des Mittels s. etwa Lerche, übermaß, S. 75 ff.; Wittig, DOV 1968, 817; Tiedemann, Gutachten, S. 33 ff.; Schünemann, ZStW 90, 40 f.; ders., Verkehrsunfall flucht, S. 96 ff.; ders., ZSchwR 1978, 148; Badura, Stellungnahme, S. 1094 f.; Rudolphi, in: SK, Rdnr. 13 vor § 1; Günther, JuS 1978, 9 f. Vgl. auch BVerfG NJW 1978, 933 ff. ffi. w. N. aus der Rspr. des BVerfG. 15 Vgl. hierzu Hamann, Grundgesetz, S. 31; Badura, Stellungnahme, S. 1094 f.; Schünemann, ZStW 90, 41; Rudolphi, in: SK, Rdnr. 14 f. vor § 1; Baumann, Strafrecht, S. 27; s. auch BVerfGE 6, 433; 39, 46 f., jeweils m. w. N. 8

9

I.

Einleitung

19

Kriterien, der Frage der Erforderlichkeit des Strafrechtsschutzes, und damit einem Problemkreis widmen, der unter den Schlagworten der "Subsidiarität" und des "fragmentarischen Charakters" des Strafrechts 16 seit langem zum gängigen Repertoire der Dogmatik gehört. So betont etwa Arthur Kaufmann 17 , daß nur solchen Rechtsgütern strafrechtlicher Schutz gebühre, die anders nicht wirksam geschützt werden könnten; und Roxin 18 fordert die Zurückhaltung des Strafrechts überall da, wo die Aufrechterhaltung werthafter Zustände mit milderen Mitteln möglich sei. Trotz dieser weitgehenden Übereinstimmung im Grundsätzlichen ist es, soweit ich sehe, jedoch noch niemals in ausgearbeiteter Manier unternommen worden, das Kriterium der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes kriminal politisch und für strafrechtsdogmatische Zwecke fruchtbar zu machen 19 • Einen Versuch in diese Richtung will die vorliegende Arbeit wagen, indem sie die Schutzbedürftigkeit des Opfers als integralen Bestandteil der Erforderlichkeit des strafrechtlichen Schutzes erweisen und hieraus einige Hinweise zur Rechtsfindung im Besonderen Teil des StGB zu gewinnen suchen wird.

11. Die Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes als Voraussetzung der Zulässigkeit der Kriminalisierung Vorläufige Abgrenzung zur Schutzwürdigkeit des Gutes Das Prinzip der Subsidiarität strafrechtlichen Schutzes ergibt sich unmittelbar aus dem insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einem tragenden Pfeiler der grundgesetzlichen Ordnung entwickelten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit2o • Diese Rechtmäßigkeitsvoraussetzung jedes hoheitlichen Eingriffes 21 , die das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet 18 Vgl. nur Baumann, Strafrecht, S. 10, 27; Welzel, Strafrecht, S. 12; Jescheck, Lehrbuch, S. 3; Rudolphi, in: SK, Rdnr. 14 vor § 1; Jescheck, in: LK, Einl., Rdnr. 3; Peters, Begrenzung, S. 492, 502 ff., 507 ff.; ders., Strafprozeß, S. 35; Arthur Kaufmann, Tendenzen, S. 39 f.; Roxin, JuS 1966, 382 ff.; ders., ZStw 81, 620 ff.; ders., Kriminalpolitik, S. 23; ders., JA 1980, 547.

Subsidiaritätsprinzip, S. 102. JuS 1966, 382. 19 Ideenreiche, wenn auch überwiegend auf Rechtsfindungsprobleme konzentrierte Ansätze zu einer diesbezüglichen Forschung finden sich bei Amelung (Irrtum), Frisch (Funktion) und Schünemann (ZStW 90, 11 ff.; ZSchwR 1978, 131 ff.; Prolegomena). 20 BVerfGE 7, 397 ff.; 16, 202; 17, 117 f.; 19,348 f.; 20, 186; 23, 133; 24,404; 27, 218 ff.; 30, 20 ff.; 32, 379; 34, 246; 50, 174; s. auch die Nachweise bei Gentz, NJW 1968, 1601. 21 So besonders deutlich BVerfGE 16, 201 f.; s. auch BVerfGE 10, 173; 16, 172 f.; 20, 186 f. 17 18



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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

hat 22 , fordert in ihrer Ausprägung als Verbot des übermaßes 23 die Erforderlichkeit des gesetzlich vorgesehenen und im Einzelfall angewandten Mittels in dem Sinne, daß von mehreren in gleicher Weise geeigneten nur die mildeste Maßnahme zum Einsatz gebracht werden darf24 • Konkretisiert auf das im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehende Problemfeld bedeutet dies angesichts der überaus einschneidenden Eingriffsmöglichkeiten des Strafrechts die Unzulässigkeit der Kriminalisierung gutsverletzenden HandeIns dann, wenn solche Erfolge durch außerstrafrechtliche Mittel ebenfalls verhindert werden können 25 • Dieser Grundsatz der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes kommt auf der Ebene der Rechtsgutskonstitution zum Tragen, sobald die Existenz eines schutzwürdigen Gutes festgestellt ist. Erst wenn Konsens darüber besteht, daß es sich bei dem in Frage stehenden Gut 22 BVerfGE 19, 348 f.; 30, 20 ff.; s. auch Schachtschneider, JA 1978, 188; zu anderen Begründungsversuchen vgl. etwa Lerche, übermaßverbot, S. 29 ff.; Dürig, AöR 81, 117 ff.; ders., JZ 1953, 199; Häberle, Wesens gehalts garantie, S. 67 ff.; Wittig, DÖV 1968, 819 ff. 23 Die Terminologie in der öffentlich-rechtlichen Literatur ist insoweit nicht einheitlich. So subsumiert etwa Lerche (übermaßverbot, S. 21) dem Begriff des übermaßes auch den der Verhältnismäßigkeit i. e. S. Vgl. auch Wittig, DÖV 1968, 817; v. Krauss, Verhältnismäßigkeit, S. 5 f.; Grabitz, Freiheit, S. 84 f. 24 S. nur BVerfGE 7, 405 fi.; 14, 303; 16, 172 i.; 18, 327; 20, 295; 22, 123; 40, 383; aus der Literatur etwa v. Krauss, Verhältnismäßigkeit, S. 5 f.; Gentz, NJW 1968, 1603 i.; Götz, Ordnungsrecht, S. 74 fi. 26 Vgl. hierzu nur Pasquay, Insemination, S. 41 ff.; Hamann, Grundgesetz, S. 31 f.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 143 ff.; ders., Gutachten, S. 33 ff.; Hanack, Revision, S. 38; BVerfGE 6, 433 f.; 13, 50. Daß das Prinzip der Subsidiarität des Strafrechts keine Erfindung unserer Zeit ist, sondern bereits sehr früh erkannt und formuliert wurde, belegen in eindrucksvoller Weise die "Motive zu dem Entwurfe des Criminal-Gesetzbuches" aus dem Jahre 1828: "Daß ich unter Strafbarkeit blos die, aus dem Rechtsverhältnisse des Staates entspringende, Nothwendigkeit der Ahndung, und nicht die innere, moralische Strafwürdigkeit der Handlung verstehe, darf ich kaum bemerken; und doch muß ich einen Moment dabei verweilen, daß es selbst schädlich für die Moralität wirkt, wenn sie ihre Gränzen in das äußere Strafgebiet erweitert sieht. Wollte man dies nicht zugeben, so müßte man an dem Uebergewichte des besseren Prinzipes im Menschen überhaupt zweifeln. Durch die Strafe des Staates werden immoralische Handlungen mit dem äußeren Zeichen des Verbrechens versehen; es entsteht dadurch eine Kluft der Bescholtenheit, die es dem jenseits Stehenden bei weitem schwerer macht, sie zu überspringen, als die Rückkehr vom schlechten zum guten Lebenswandel sonst erfordert. Dem Staate muß daher, weit entfernt davon, daß er die mindeste Abweichung vom Pfade des Rechts schroff abgränzen will, daran gelegen seyn, nicht zu viele Bürger mit dem Zeichen des Verbrechens zu belegen.... - Das Strafgesetz ist nicht das Mittel zur Verbreitung der Sittlichkeit; es vermag blos da, wo es eine Störung der wesentlichen Rechtsinstitute, eine Störung des Staatsbedürfnisses findet, schützend vorzutreten. - Schon im Eingange dieses Vortrages habe ich die Sätze zu vertheidigen gesucht: daß keine Strafe statt finden darf, wo es noch andere Mittel der Verhinderung der Sicherheitsstörung giebt, besonders auch dann nicht, wenn das Strafgesetz störender wirken würde, als die Rechtsverletzung." (Motive, S.180).

11. Die Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes

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um ein so wesentliches, so zentrales und werthaftes handelt, daß strafrechtlicher Schutz grundsätzlich als angemessen erachtet werden muß, kann sinnvoll über das Problem debattiert werden, ob die besondere Situation des Gutes es nun tatsächlich auch erfordert, diesen Schutz einzusetzen. Diese Einsicht ist zwar heute ebenfalls weitgehend Gemeingut der Strafrechtswissenschaft geworden26 ; sie scheint mir indes in mancher Diskussion de lege ferenda nicht in gebührendem Umfang Berücksichtigung gefunden zu haben. So ist etwa in der intensiv und höchst kontrovers geführten Auseinandersetzung um eine Entkriminalisierung des Ladendiebstahls 27 häufig übersehen worden, daß eine solche gesetzgeberische Maßnahme nicht mit Schutzwürdigkeits-, sondern lediglich mit Schutzerforderlichkeitsargumenten begründet werden könnte. Die Annahme einer mangelnden Schutzwürdigkeit von in offenen Läden ausgelegten Waren jeweils geringeren Wertes würde nämlich voraussetzen, daß deren Werthaftigkeit geringer wäre als die aller anderen von § 242 geschützten Rechtsgutsobjekte - eine Annahme, die kaum begründbar und angesichts der durchgängigen zentralen Bedeutung des Privateigentums in unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung abwegig erscheint. Mit dieser Feststellung ist jedoch für die Vertreter einer Entkriminalisierung des Ladendiebstahls deshalb noch nichts verloren, weil des weiteren zu klären ist, ob die in unseren Selbstbedienungsläden anzutreffende Situation Strafrechtsschutz erforderlich macht, ob es also keine Schutzmöglichkeiten gibt, die bei geringerer Eingriffsintensität das Eigentum des Ladeninhabers oder seiner Lieferanten ebensogut oder gar besser als de lege lata vor Beeinträchtigungen zu wahren vermögen. Erweist sich bei einer solchen Untersuchung die gleiche Tauglichkeit eines milderen Mittels, so ist - trotz Schutzwürdigkeit der betroffenen Objekte - eine Entkriminalisierung des Ladendiebstahls wegen des Erforderlichkeitsgrundsatzes geboten. Als gesichertes Fundament unserer weiteren überlegungen kann also festgehalten werden, daß sich der Bejahung der Schutzwürdigkeit eines bestimmten Gutes immer die hiervon getrennt zu beantwortende Frage anzuschließen hat, ob die Situation des Gutes strafrechtlichen Schutz auch tatsächlich erfordert. Im Rahmen dieser überlegungen ist im Hinblick auf die Subsidiarität des Strafrechts zu klären, ob Mittel zur Vgl. die Nachweise in Fn. 2, 3 und 15. Die Spannweite der Diskussion läßt sich in exemplarischer Weise insbesondere den mündlichen Beiträgen zum einschlägigen Teil der Verhandlungen des 51. DJT entnehmen (Sitzungsberichte, Teil N). Neuere zusammenfassende Darstellungen der Problematik einer Entkriminalisierung des Ladendiebstahls finden sich bei Geerds (Ladendiebstahl) und Arzt (Entkriminalisierung); eine interessante kriminologisch-empirische Untersuchung hat jüngst Wagner (Ladendiebstahl) vorgelegt. 25

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

Verfügung stehen, die den Schutz des betreffenden Gutes auf weniger einschneidende, aber vergleichbar effiziente Art und Weise bewirken können.

111. Die individuelle Schutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers als "milderes Mittel" im Sinne des Erforderlichkeitsgrundsatzes Es kann in dieser Arbeit nicht unternommen werden, die den Begriff der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes konstituierenden Elemente in ihrer Gesamtheit zusammenzutragen. Die Untersuchung wird sich vielmehr darauf beschränken, aus der zur Zeit noch nicht einmal zu benennenden Zahl dieser Elemente ein einziges, nämlich die individuelle Schutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers, herauszugreifen und zu versuchen, dieses Kriterium sowohl für den Rechtsgutsbegriff als auch für einige Auslegungsprobleme fruchtbar zu machen. Daß der Frage der Schutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung überhaupt eine Bedeutung zukommen soll, erscheint prima vista einsichtig und befremdlich zugleich: Ist, wie wir soeben feststellen konnten, strafrechtlicher Rechtsgüterschutz nur da zulässig, wo andere Mittel nicht verfangen, so drängt sich einerseits die überlegung auf, daß als erstes dieser zu beachtenden alternativen Mittel die Möglichkeit des Rechtsgutsträgers in den Blick zu fassen ist, Beeinträchtigungen seiner Güter durch schützende Maßnahmen selbst zu hindern. Auf der anderen Seite ist jedoch nicht zu verkennen, daß die herkömmliche Auslegung des Erforderlichkeitsgrundsatzes der individuellen Schutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers zumindest ausdrücklich keine Relevanz zumißt28 • Dieses engere Verständnis des Erforderlichkeitsprinzips ist jüngst von Herzberg mit besonderer Prägnanz expliziert und - im Zusammenhang seiner noch detaillierter darzustellenden Auseinandersetzung mit Amelung über die Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals in § 263 in den Fällen des Zweifels des Verfügenden an der Wahrheit der ihm unterbreiteten falschen Tatsachenbehauptungen - verteidigt worden 29 • Der Grundsatz der Subsidiarität in seiner spezifisch strafrechtlichen Ausprägung verbiete den Einsatz des Strafrechts nur dann, wenn mildere staatliche Zwangsmittel zur Verfügung stünden; die Einbeziehung der individuellen Schutzmöglichkeiten der Rechtsgutsträger in den 28 Anders etwa Schünemann, ZStW 90, 32, 41; ders., Prolegomena, S. 130; im Ergebnis wohl auch: Arthur Kaufmann, Subsidiaritätsprinzip; ders., Tendenzen, S. 33 ff.; Raxin, JuS 1966, 382; ders., ZStW 81, 620 ff.; Badura, Stellungnahme, S. 1094 f.; Rudalphi, in: SK, Rdnr. 14 vor § 1; Müller-Emmert, GA 1976, 302. 29 Funktion, S. 294.

IH. Die individuelle Schutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers

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Kreis der relevanten Alternativverhalten sprenge die Grenzen dieses Grundsatzes und sei deshalb nicht haltbar30 • Diese Einschränkung des Subsidiaritätsprinzips auf alternative staatliche Zwangsmittel vermag jedoch einer genaueren überprüfung nicht standzuhalten. Zwar trifft es zu, daß im Rahmen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, aus dem wir das Prinzip der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes abgeleitet sahen, über die Ventilierung anderer staatlicher Eingriffsmöglichkeiten üblicherweise nicht hinausgegangen wird 31 • Eine unveränderte übertragung dieser Vorgehensweise auf die hier zu erörternde strafrechtliche Problematik ist jedoch schlicht deshalb nicht angebracht, weil hier wesentliche Unterschiede zu den üblichen verwaltungs rechtlichen Konstellationen zu verzeichnen sind: Das Ziel hoheitlicher Eingriffe in verwaltungsrechtlichen Situationen, die Aufrechterhaltung oder Herstellung rechtmäßiger Zustände etwa durch Abbruch eines materiell rechtswidrig errichteten Gebäudes 32 oder durch Untersagung weiterer Gewerbeausübung33 , kann nämlich - soweit der Betroffene nicht selbst entsprechend tätig wird - gar nicht anders als durch staatliche Maßnahmen erreicht werden, so daß die Beschränkung auf das Arsenal hoheitlicher Eingriffsmöglichkeiten hier sachadäquat ist. Demgegenüber ist der vom Strafrecht verfolgte und einzig legitim verfolgbare Zweck des Rechtsgüterschutzes durchaus auch mit anderen als staatlichen Mitteln, erst recht mit anderen als staatlichen Zwangsmitteln realisierbar. Würde dieser Befund nicht zutreffen, so wäre etwa der gesamten im Zuge der Reform des § 218 geführten Diskussion über flankierende sozialpolitische Maßnahmen und die Schaffung ausreichender ärztlicher und anderer privater Beratungsstellen für Schwangere völlig der kriminalpolitische Boden entzogen. Da also Rechtsgüterschutz auch mit nichtstaatlichen Mitteln betrieben werden kann und faktisch vielfach betrieben wird -, ist eine Begrenzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes auf ein Kriterium der Wahl zwischen ausschließlich staatlichen Verhaltensmöglichkeiten zumindest nicht von vornherein geboten. Sie ist auch nicht sinnvoll. Macht man nämlich mit der Forderung nach der Subsidiarität des Strafrechts, nach der Strafdrohung als "ultima ratio" des Rechtsgüterschutzes ernst, so können außerstaatliche Mittel und Möglichkeiten eines Schutzes der betroffenen Rechtsgüter Ebenda. Vgl. die Nachweise oben in Fn. 20, 22 und 24. 32 Zum Beispiel nach § 101 ba.-wü. LBO; vgl. zum Ganzen Schrödter, Bundesbaugesetz, § 31, Rdnr. 17; Neuffer, Landesbauordnung, § 101, Anm.; Schlez, Landesbauordnung, § 101, Rdnr. 8 ff. 33 § 35 GewO; hierzu Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 317. 30 31

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

nicht außer Anschlag bleiben. Und in der Tat verstrickt sich eine andere, enge Auslegung des Grundsatzes der Erforderlichkeit in schwer auflösbare Widersprüche: So ist nicht einzusehen, warum der Gesetzgeber auf Grund dieses Prinzips nach einhelliger Auffassung zwar gezwungen ist, unter mehreren gegebenen Verhaltensmöglichkeiten die nicht strafrechtlichen zu präferieren oder im Falle einer fehlenden Handlungsalternative eine möglichst milde Ausgestaltung der Strafdrohung zu statuieren, bei der Beantwortung der vorgängigen und nicht minder wichtigen Frage jedoch, ob das betreffende Rechtsgut seiner faktischen Situation nach staatlichen Schutz überhaupt braucht, plein pouvoir haben und jeder an fundamentalen strafrechtlichen Grundsätzen orientierten Kritik entzogen sein soll. Vielmehr muß der Gesetzgeber - ebenso, wie er bei der qualitativen Auswahl der mit strafrechtlichem Schutz zu umgebenden Rechtsgüter nicht frei, sondern auf die wertvollsten und elementarsten beschränkt ist - auch bei der Entscheidung über die tatsächliche Strafschutzgewährung für ein als ausreichend werthaft erkanntes Gut verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werden und darf nicht willkürlich beliebige, faktisch noch so wohlgeschützte Güter unter den Schutz des Strafrechts stellen. Verzichtet man hingegen auf eine Verlängerung des Erforderlichkeitsgrundsatzes bis in den Bereich individueller Schutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers hinein, so greift dieses normative Prinzip erst auf einer Stufe, auf der die relevanten Fragen unter Umständen bereits entschieden und keiner Korrektur mehr zugänglich sind. Unabhängig hiervon bleibt bei einer engen Auslegung des Erforderlichkeitsgrundsatzes auch ungeklärt, zu welchem Ende und mit welcher Legitimation die Kriminalisierung von Verletzungen solcher Rechtsgüter betrieben werden soll, die vor eben diesen Verletzungen durch ihre faktische Situation und insbesondere durch individuelle Maßnahmen ihrer Träger ausreichend geschützt sind. Kommt es hier nämlich im Einzelfall tatsächlich zu einer Beeinträchtigung des Gutes durch Dritte, so muß der Rechtsgutsträger notwendig von der Realisierung der ihm zu Gebote stehenden Schutzmöglichkeiten Abstand genommen und ein Verhalten an den Tag gelegt haben, das entweder als Einverständnis mit der letztlich eingetretenen Gutsbeeinträchtigung zu qualifizieren oder doch zumindest von äußerster Sorglosigkeit gekennzeichnet ist. Während im ersten Fall eine strafrechtliche Reaktion grundsätzlich völlig deplaziert wäre, scheint im zweiten der Einsatz strafrechtlicher Mittel mit ihren auch heute noch häufig existenzvernichtenden Konsequenzen zumindest höchst fragwürdig. Die Einbeziehung der individuellen Schutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers in den Kreis der im Rahmen des Erforderlichkeitsgrund-

111. Die individuelle Schutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers

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satzes relevanten Handlungsalternativen sichert diesem Prinzip mithin nicht nur einen hinreichend bedeutsamen Anwendungsbereich, sondern verdeutlicht auch einige Aspekte der Strafgesetzgebung. Die hier vertretene Auslegung dieses Prinzips liegt nämlich faktisch zumindest dem Grundsatz nach jedem strafrechtlichen Tätigwerden des Gesetzgebers - und, wie zu zeigen sein wird, dem Besonderen Teil unseres StGB zumindest unausgesprochen zugrunde, da üblicherweise niemand auf den Gedanken verfällt, strafrechtlichen Schutz für ein Gut auch nur zu fordern, das auf Grund der individuellen Schutzmöglichkeiten seiner Träger keinerlei Verletzungsgefahr ausgesetzt ist. Diese im weiteren Verlauf dieser Untersuchung noch mehrfach zu demonstrierende Vorfindlichkeit fraglos nicht gewährten Strafschutzes für individuell ausreichend geschützte Rechtsgüter ist es wohl, die den Blick darauf verstellt, daß solchen Gütern ein strafrechtlicher Schutz aus verfassungsrechtlichen Gründen auch gar nicht zugebilligt werden dürfte. Der hier vertretenen Auslegung des Erforderlichkeitsgrundsatzes kann - um einen zu erwartenden Einwand vorwegzunehmen - nicht entgegengehalten werden, daß sie im Ergebnis dazu führe, potentiellen Opfern einen Schutz ihrer Rechtsgüter zu versagen und diese gleichsam vogelfrei zu machen. Sie besagt vielmehr lediglich, daß der Gesetzgeber weder aufgerufen noch legitimiert ist, solchen Rechtsgütern kumulativ Strafrechtsschutz zu gewähren, deren Verletzung durch individuelle Maßnahmen ihrer Träger ohnehin gehindert werden kann. Sie macht potentielle Opfer somit nicht schutzlos, sondern nimmt deren vorliegende eigene Schutzfähigkeit ernst und begnügt sich mit dieser: Wo der Rechtsgutsträger seine Güter - in einem sogleich näher zu umschreibenden Rahmen - selbst schützen kann, braucht und darf das Strafrecht nicht schützen84 • 1. Probleme der Ermittlung der individuellen Schutzmöglichkeit

Steht somit die grundsätzliche Bedeutung der individuellen Schutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers für die Frage der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes fest, so ist das sich hieran anschließende Problem, wie diese zu bestimmen sind, noch nicht gelöst 35 • Eine erste Klippe bei dem Versuch ihrer Umschreibung muß in der Tatsache gesehen werden, daß die individuellen Schutzmöglichkeiten grundsätzlich als so gut wie völlig unbegrenzt gedacht werden können: Wer sich nach dem Vorbild Robinson Crusoes auf eine unbewohnte Insel zurückzieht, dort autark und von jeder menschlichen Umwelt abgesondert lebt und auch einen Freitag nicht auf seinem Eiland Fuß fassen läßt, kann durch 34 35

S. hierzu die Nachweise in Fn. 28. Vgl. zum folgenden auch Peter Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 118 ff.

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

strafrechtlich relevante menschliche Handlungen in seinen rechtlich geschützten Interessen nicht mehr gut verletzt werden. Er hat, durch totalen Abbruch aller Beziehungen zu seinen Mitmenschen, eine hohe Schutzmauer um seine Rechtsgüter gezogen; und auch da, wo eventuell eine Lücke in seinem Selbstschutzwall klafft, braucht er sich infolge der Abwesenheit weiterer Inselbewohner nicht der Möglichkeit zu versehen, daß diese entdeckt und zu einer Beeinträchtigung seiner Güter ausgenutzt werde. Die ins Auge springende Unbehe1flichkeit dieses Beispiels für das vorliegende Problem macht unmittelbar deutlich, daß die Frage nach der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes unter dem Aspekt der eigenen Schutzmöglichkeiten abgehoben von individuellen Besonderheiten und mit Blick auf die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens gleichsam als Schutztypus36 verhandelt werden muß. Gleichzeitig lehrt das Robinson-Beispiel, daß die Gefahrintensität für ein bestimmtes Gut nicht nur durch das Maß möglicher Selbstschutzmaßnahmen bestimmt wird, sondern gleichzeitig auch von einem hiervon zunächst abzugrenzenden Ausmaß an genereller Gefährdung. Der Text wird sich zunächst damit befassen, diese neu eingeführten Begriffe der "generellen Gefährdung", der "Selbstschutzmöglichkeit" und der "Gefahrintensität" voneinander abzugrenzen und zu bestimmen. Er ist dabei darauf angewiesen, die enge, schon assoziativerschließbare und später auszudifferenzierende Beziehung zwischen den unter dem Oberbegriff der "individuellen Schutzmöglichkeit" zusammengefaßten Phänomenen "generelle Gefährdung" und "Selbstschutzmöglichkeit" vorläufig im Interesse der übersichtlichkeit der Darstellung zu vernachlässigen und beide zunächst getrennt zu untersuchen.

IV. Die generelle Gefährdung Begriff, Einflußgrößen und Tendenzen Unter "genereller Gefährdung" soll im folgenden verstanden werden Art, Intensität und Wahrscheinlichkeit der zu erwartenden Angriffe auf das zu schützende Gut. Es liegt auf der Hand, daß dieses Phänomen in einem engen und unmittelbaren Zusammenhang mit den Lebensverhältnissen der je zu untersuchenden gesellschaftlichen Formation und deren geschichtlicher Entwicklung steht. Wie bereits unser RobinsonBeispiel deutlich macht, entsteht die Gefahr der Verletzung von schützenswerten Gütern uno actu mit menschlichem Zusammenleben überhaupt; sobald Menschen auch nur in die flüchtigste Berührung miteinander kommen, ist zugleich auch die Möglichkeit einer zumindest fahr36 Zur Denkfigur des Typus allgemein s. nur Winfried HassemeT, Tatbestand, S. 65 ff.; LaTenz, Methodenlehre, S. 443 ff.; Leenen, Typus, S. 25 ff.

IV. Die generelle Gefährdung

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lässigen Beeinträchtigung der individuellen Rechtsgüter gegeben. Diese Möglichkeit der Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter wächst in dem Umfang, in dem die Kontakte zwischen den Individuen - wie das etwa in den Industrie- und Massengesellschaften westlicher Prägung der Fall ist - aufgrund der zunehmenden sozialen und wirtschaftlichen Komplexität häufiger und intensiver werden 37 • Aus diesem Befund das Bestehen einer Interdependenz zwischen gesellschaftlicher Weiterentwicklung und Ausmaß der Rechtsgütergefährdung in dem Sinne zu folgern, daß sich diese Tendenz einlinear und ungebrochen im Auftreten immer neuer, additiver Gefährdungen realisiere, wäre allerdings falsch. Zwar geht etwa mit dichterer Besiedlung des Lebensraumes, elaborierteren Formen des wirtschaftlichen Verkehrs oder dem Einsatz bestimmter, hochentwickelter Technologien eine Steigerung des Gefährdungspotentials in seiner Gesamtheit einher. Im Hinblick auf einzelne Rechtsgüter sind jedoch durchaus Verschiebungen festzustellen, die diesen Trend beispielsweise dadurch abschwächen und modifizieren, daß mit dem Auftreten einer historisch neuen eine hergebrachte Gefährdungsmöglichkeit untergeht38 • So ist etwa eine Gefährdung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Geldverkehrs als gemeinsamen Rechtsguts der §§ 146 fPD durch die in § 150 a. F. unter Strafe gestellte Münzverringerung unter den Verhältnissen einer Wirtschaft, die weitgehend auf Münzen mit identischem Metall- und Nennwert verzichtet, kaum noch möglich. Obwohl das im 8. Abschnitt des StGB geschützte Rechtsgut generell nichts von seiner Bedeutung verloren hat, hat das EGStGB40 in Art. 19 Nr. 60 aus dieser Entwicklung Konsequenzen gezogen und das sogenannte "Kippen" und "Wippen", früher eine der Hauptquellen der Beeinträchtigung des Geldverkehrs, zumindest unter dem Aspekt der Falschmünzerei entkriminalisiert. Ist hier eine spezifische Gefährdungsmöglichkeit in Wegfall geraten, so läßt sich etwa am Beispiel des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit eine andere, in der Änderung des Schwerpunkts der Gefährdungsquellen liegende Variation aufzeigen. In diesem Bereich hat das lawinenartige Anschwellen des Kraftfahrzeugverkehrs in den letzten Jahrzehnten zu Gefährdungen geführt, von denen sich frühere Gesetzgeber, die mit dem Schlagwort "Gefahren des Verkehrs" eher blutEine anschauliche Exemplifikation dieses Satzes findet sich etwa bei Diebstahl. 38 Vgl. hierzu auch Winfried Hassemer, Theorie, S. 71 ff. 39 Rudolphi, in: SK, Rdnr. 2 vor § 146; Dreher / Tröndle, StGB, Rdnr. 2 vor § 146; atto, Grundkurs 2, S. 360; RGSt. 67, 297; BGH NJW 1954, 564. 40 Vom 2. März 1974 (BGBL I, 469). 37

Hall,

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

rünstige Straßenräuber als unaufmerksam fahrende Ehrenmänner assoziiert hätten, keine Vorstellung machen konnten 41 • In diesem Zusammenhang sind auch diejenigen Rechtsgüter zu nennen, denen der Gesetzgeber zwar umfassenden strafrechtlichen Schutz zugedacht hatte, die jedoch im Verlauf der gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Entwicklung neuen Gefährdungen ausgesetzt wurden, denen gegenüber der de lege lata gewährte Schutz versagte. Zu dieser Kategorie zählt etwa der dem § 248 c zugrundeliegende Sachverhalt 42 : Hier bestand die neue Gefährdung schlicht darin, daß der technische Fortschritt zur Entstehung eines Gutes führte, das zwar im Eigentum eines Berechtigten stehen, als Nicht-Sache jedoch nicht dem § 242 subsumiert werden konnte 43 • Wir finden hier also den sicherlich seltenen Fall, daß eine neue Gefährdungsmöglichkeit des geschützten Gutes aus seinem Auftreten in einer weiteren, neuen Ausprägung resultiert. Auf anderen Gründen, nämlich auf der Entstehung neuer Angriffsmöglichkeiten gegen ein unverändert gebliebenes Rechtsgut, beruht

beispielsweise die zur Schaffung des § 265 b führende überlegung, die - ob irrig und kriminalpolitisch verfehlt oder nicht44 - auch aus der Befürchtung hervorging, daß § 263 mit seinen typischen Anwendungsschwierigkeiten auf der Seite des subjektiven Tatbestandes gegenüber Gefährdungen neuer Art nicht mehr den ihm vom Gesetzgeber ursprünglich zugewiesenen Schutzzweck erfülle 45 • Von besonderem Interesse sind schließlich die Fälle, in denen der Gesetzgeber über das Entstehen einer neuen Gefährdungsmöglichkeit zur Normierung eines - im strafrechtlichen Sinne - völlig neuen Rechtsguts gelangt. Ein Beispiel hierfür liefert etwa § 201, der seine Existenz lediglich den teilweise zweifelhaften Errungenschaften der modernen Elektrotechnik verdankt. Das von § 201 geschützte Rechtsgut der Intimsphäre als Teil der persönlichen Lebens- und Geheimsphäre 46 mag, wenn man früher über die Unverletzlichkeit dieses Bereiches Vgl. hierzu nur die Bemerkungen von Welzel, Fahrlässigkeit, S. 5 f. Vgl. RGSt. 29, 111; 32, 165; 68,68. 43 A. A. etwa Radbruch, Grundzüge, S. 200. 44 S. hierzu nur Lenckner, in: Schönke / Schröder, § 265 b, Rdnr. 2 a; Haft, ZStW 88, 366 ff.; Löwer, JZ 1979, 621 ff. 45 Dreher / Tröndle, StGB, § 265 b, Rdnr. 1 ff., insbes. Rdnr. 3; Franzheim, GA 1972, 355 f.; Heinz, GA 1977, 214; Müller-Emmert / Maier, NJW 1976, 1659 ff.; Berz, BB 1976, 1438. 46 Nicht unstr.; vgl. Dreher / Tröndle, § 201, Rdnr. 2; Lenckner, in: Schönke / Schröder, § 201, Rdnr. 2; Lackner, StGB, § 201, Anm. 1; Samson, in: SK, § 201, Rdnr. 1; zusammenfassend: Arzt, Intimsphäre, S. 237 ff.; s. auch Schünemann, ZStW 90, 13 ff. 41

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IV. Die generelle Gefährdung

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diskurrierte, mitgedacht worden sein41 ; seine konkrete Anerkennung als strafrechtliches Schutzgut mit beachtlicher Sanktionsdrohung jedenfalls ist ohne den eine völlig neue Gefährdung schaffenden technologischen Fortschritt in den einschlägigen Gebieten nicht zu erklären. Die Kette dieser Beisiele ließe sich unter Einbeziehung der Reformdiskussionen etwa zu § 264 48 , den Problemen einer über § 14 hinausgehenden Vertreterhaftung als Reaktion auf die immer stärker werdende Repräsentation von anoynmen Großbetrieben im Wirtschaftsleben49 oder auch zu den im Zusammenhang mit den terroristischen Aktivitäten der letzten Jahre ventilierten und durchgeführten Gesetzesänderungen50 beliebig verlängern. Alle diese Exempel belegen unsere eingangs getroffene Feststellung, daß Art, Intensität und zahlenmäßiger Umfang der generellen Gefährdung eines konkreten Gutes von einer Vielzahl von Voraussetzungen abhängig und unter Umständen auch raschen Veränderungen ausgesetzt sind, auf die der Gesetzgeber, macht er mit der strafrechtlichen Aufgabe des Rechtsgüterschutzes ernst, je verschieden zu reagieren hat.

v.

Die Selbstschutzmöglichkeit; Begrüf

Wenden wir uns nun der Betrachtung des zweiten oben eingeführten Begriffes, der Selbstschutzmöglichkeit, zu. Hiermit soll bezeichnet werden die Fähigkeit des Rechtsgutsträgers, Beeinträchtigungen seines Rechtsgutes ohne die Zuhilfenahme des Strafrechtsschutzes mit eigenen Kräften selbst zu hindern. 1. Der Einfluß des menscblicben Gemeinscbaftsbedürfnisses auf die Selbstscbutzmöglicbkeit

Die Schaffung optimaler Selbstschutzmöglichkeiten bezüglich aller denkbaren Rechtsgüter unterliegt, wie schon das Robinson-Beispiel zeigte, der gleichen faktischen Beschränkung wie die Minimierung der generellen Gefährdung: Sie ist nur durch eine totale Isolierung vom Mitmenschen und den Exodus aus der menschlichen Gemeinschaft Z',.\ erreichen - ein Preis, den der Mensch, der in jeder Phase seiner EntVgl. die historischen Hinweise von Schünemann, ZStW 90, 15 f. Hierzu nur Dreher / Tröndle, StGB, § 264, Rdnr. 1 f.; Lenckner, in: Schönke / Schröder, § 264, Rdnr. 1 f.; Heinz, GA 1977,210, jeweils m. w. N. 49 Hierzu nur Schünemann, Unternehmenskriminalität, S. 171 f. et passim. 50 Hierzu etwa Fetscher, Terrorismus, S. 81 ff.; Schünemann, Politisch motivierte Kriminalität, insbes. S. 87 ff.; Wassermann, Sicherung, S. 130 ff.; Mensing, Offensivkonzept, S. 167 ff.; einen interessanten empirischen überblick über die Handhabung und Konsequenzen eines der neuen Tatbestände, § 88 a, gibt Wagner (in: ZRP 1979,280 f.). 47 48

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

wicklung auf die Existenz von Mitmenschen und auf einen Kontakt mit diesen angewiesen ist, nicht zahlen kann s1 • Dies gilt nicht nur für die anfälligsten ontogenetischen Phasen, das Kindes- und Greisenalter, sondern auch - in weniger radikaler Form - für die zwischen diesen Stadien liegenden Perioden, in denen das Individuum davon abhängig bleibt, daß sein Kontakt zur menschlichen Umwelt zumindest nicht für allzu lange Zeit abreißt. Das Individuum ist demnach schon wegen dieser ontologischen Vorgegebenheit dazu gezwungen, den permanenten Austausch mit seinen Mitmenschen zu suchen. Die hieraus resultierenden "Berührungen" möchte ich Außenkontakte nennen und unter diesen Begriff nicht nur die Kontakte subsumieren, die selbstbestimmt, bewußt und verantwortlich aufgenommen werden, sondern auch diejenigen, die sich bei der Befriedigung dieses existentiellen Bedürfnisses nach Gemeinschaft auch ohne entsprechende zielgerichtete Eigentätigkeit notwendig mitergeben. 2. Der Einfluß der gesellschaftlichen Entwicklung auf den Umfang der individuellen Außenkontakte

Hierbei sind Art, Umfang und Intensität der Außenkontakte, die gesucht oder ertragen werden müssen, abhängig von dem Entwicklungsstadium der Gesellschaft, der das Individuum angehört und mit der es in einem permanenten Prozeß gegenseitiger Einflußnahme steht. In dem Maße, wie sich die Formation weiterentwickelt, verändern sich mithin auch Art und Ausmaß der individuellen "Berührungen". So waren etwa die Außenkontakte des Mitgliedes einer Urhorde um der Deutlichkeit halber eine der phylogenetisch frühesten Formen menschlichen Zusammenlebens herauszugreifen - von vornherein beschränkt auf die restlichen Hordengenossen; Kontakte zu anderen Horden waren selten und nie von langer Dauer. Innerhalb der Horde selbst waren die Außenkontakte aufgrund deren einfacher Struktur, der relativ geringen Zahl ihrer Mitglieder und der nur schwach ausgeprägten Rollen- und Aufgabendifferenzierung ebenso übersichtlich wie stereotyp 52. Hält man neben dieses, mittlerweile beinahe schon idyllisch anmutende Bild das der Lebensbedingungen in einer modernen Industriegesellschaft, so springen die Veränderungen hinsichtlich Art und Ausmaß der Außenkontakte gleichsam ins Auge. Nicht nur die bewußt aufgenommenen Kontakte haben hier Dimensionen angenommen, die 51 Hierzu nur Düng, JZ 1952, 261; Arthur Kaufmann, Subsidiaritätsprinzip, S. 95 ff.; Lampe, Rechtsanthropologie, S. 207 ff. 52 Vgl. hierzu nur WeseI, KJ 1979, 235 ff.

V. Die Selbstschutzmöglichkeit

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hinsichtlich ihrer Zahl, ihrer Bedeutung und Komplexität mit denen des Urhordenmenschen kaum noch vergleichbar sind; auch der Umfang der ohne zielgerichtete Tätigkeit zustandekommenden Begegnungen also derjenigen Situationen, in denen Menschen durch zufällige und flüchtige Kontakte beispielsweise auf der Straße, im Fußballstadion oder beim Aneinandervorbeifahren im Verkehr in eine engere räumliche Beziehung zueinander geraten - hat sich unter dem Einfluß der Massengesellschaft vervielfacht. Menschliches Leben mit Außenkontakten der Art und des Umfangs, wie sie sich in der Urhorde als notwendig und ausreichend gezeigt haben, ist in solchen Gesellschaften nicht mehr denkbar. Dennoch sind diese Außenkontakte, die ich in Abgrenzung von den existentiellen die kulturell notwendigen nennen möchte, keine "Luxushandlungen" . Sie sind vielmehr die notwendige Folge der zunehmenden Komplexität entwickelter Gesellschaften und zum Überleben in diesen Formationen ebenso wichtig, wie es für das Urhordenmitglied ein ungetrübtes Verhältnis zum Hordenführer gewesen sein mag. 3. Der Einfluß der individuellen Außenkontakte auf den Umfang der Selbstsdlutzmöglhhkeit

Die vorstehenden Überlegungen gewinnen ihre Relevanz im Hinblick auf die negativen Auswirkungen, die der wachsende Umfang der individuellen Außenkontakte auf die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers hat 53 • Bereits die beschränkten "Berührungen" des Urhordenmenschen mit seinen Genossen hatten als unausweichliche Konsequenz die Durchlöcherung des monadisch-optimalen Selbstschutzwalls: Jeder Kontakt mit seinen Hordengenossen selbst auf dieser frühen Stufe menschlichen Zusammenlebens brachte auch den steinzeitlichen "Rechtsgutsträger" in Situationen, in denen etwa Verletzungen seiner körperlichen Unversehrtheit, seiner Ehre u. ä. möglich und auf längere Sicht sogar wahrscheinlich wurden. Durch die soeben beschriebene Zunahme der notwendigen Außenkontakte in entwickelten Gesellschaften verringert sich nun aber das Ausmaß der individuellen Selbstschutzmöglichkeit nicht linear, son53 Es liegt auf der Hand, daß die Zunahme individueller Außenkontakte nicht nur - sogleich darzustellende Konsequenzen hinsichtlich der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers hat, sondern auch unmittelbar das Ausmaß der generellen Gefährdung beeinflußt. Zur Vermeidung von Wiederholungen ist das Problem der Außenkontakte im Text lediglich unter dem Aspekt der individuellen Selbstschutzmöglichkeiten dargestellt; dieses Vorgehen legitimiert sich aus der im weiteren Verlauf der Untersuchung noch deutlich werdenden Tatsache, daß der Einfluß der zunehmenden Außenkontakte auf die individuellen Selbstschutzmöglichkeiten vergleichsweise bedeutungsvoller ist.

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

dern gleichsam exponentiell. Dies liegt zum einen dar an, daß viele im Hinblick auf bestimmte Arten von Außenkontakten entwickelte Selbstschutzmaßnahmen mit dem zahlenmäßigen Anwachsen dieser Kontakte nicht mehr praktikabel sind. Mag das Urhordenmitglied noch gewußt haben, welcher seiner Genossen, als besonders cholerisch und deshalb zu körperlichen übergriffen neigend, mit kleinen Sticheleien klugerweise nicht zu behelligen sei, so entfällt selbst diese trivialste Art der Selbstschutzmöglichkeit in einer Gesellschaft, in der man alleine auf dem Weg von der Wohnung zum Arbeitsplatz mit Hunderten völlig fremder Menschen in zum Teil enge räumliche Berührung kommt. Zum anderen, und dies ist der interessantere Aspekt, zwingt die gesellschaftliche Entwicklung in anderen Bereichen zur Aufnahme von Außenkontakten, die eine eigentätige Öffnung der Individualsphäre voraussetzen. Wer sich beispielsweise seinen Sonntagsbraten nicht selbst erjagen, sondern nur im Laden kaufen kann, muß hierbei dem Händler notwendig Einflußmöglichkeiten auf eine Fülle seiner Rechtsgüter einräumen: Schon bei so alltäglichen Vorgängen wie dem Betreten des Verkaufsraumes, dem Austausch von Geld und Ware und dem späteren Verzehr der Lebensmittel eröffnet der Rechtsgutsträger dem Vertragspartner Möglichkeiten der Beeinträchtigung etwa seines Eigentums, seines Vermögens und seiner körperlichen Unversehrtheit. Beide Entwicklungen, sowohl die extern begründete Reduzierung von Selbstschutzmöglichkeiten qua Anwachsen nicht zielgerichteter Außenkontakte, als auch die durch eigentätige Öffnung der Individualsphäre bewirkte eingeschränkte Selbstschutzmöglichkeit führen zum gleichen Ergebnis: einem partiellen Kontroll- und Herrschajtsverlust des Rechtsgutsträgers, dem die Zunahme fremder Einfluß- und Beeinträchtigungsmöglichkeiten entspricht.

VI. Normative Kriterien der individuellen Schutzmöglichkeit Wir haben uns in dieser kurzen und holzschnittartigen Analyse von Entwicklung und Kontextabhängigkeit der generellen Gefährdung und der Selbstschutzmöglichkeiten der Rechtsgutsträger darauf beschränkt, die im Bereich des Faktischen anzusiedelnden Bestimmungsmomente der Gefahrensituation von Rechtsgütern darzustellen. Mit einer solchen, lediglich dem Tatsächlichen verhafteten Ermittlung der bestimmten Rechtsgütern drohenden Gefahren - etwa durch Lektüre der Kriminalstatistik, Befragung potentieller Täter oder ähnliche empirische Untersuchungen - darf es jedoch nicht sein Bewenden haben. Es kann nämlich nicht angehen, Art und Ausmaß individueller Schutzmaßnahmen sozialwissenschaftlich zu erheben und unhinterfragt kriminalpolitischen Entscheidungen zugrunde zu legen. Ein solches Procedere würde

VI. Normative Kriterien der individuellen Schutzmöglichkeit

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bewirken, daß etwa im Falle verbreiteter Nachlässigkeit bei der Wahrnehmung eigener Interessen und dem Schutz der individuellen Güter da dann der Erforderlichkeitsgrundsatz unter dem Aspekt der Schutzmöglichkeit der Rechtsgutsträger eben tendenziell gar nicht mehr greifen könnte - eine Hypertrophie strafrechtlichen Schutzes bei gleichzeitiger paradiesischer Sorglosigkeit des Einzelnen entstünde. Umgekehrt könnte ein solches Vorgehen aber auch das Ergebnis zeitigen, daß eine auf mangelndem praktischen Strafrechtsschutz beruhende Verängstigung und Verunsicherung in eine - in manchen westlichen Ländern örtlich bereits zu beobachtende54 - Selbstschutzhysterie mündet, die - dann auch noch gesetzlich festgeschrieben - über kurz oder lang die Gefahr des Erliegens menschlichen Zusammenlebens heraufbeschwören müßte. Es kann deshalb auf den Versuch, ein normatives Kriterium zu gewinnen, das Extreme im Umfang der individuellen Schutzmaßnahmen auszuscheiden vermag, nicht verzichtet werden. Auszugehen ist hierbei von der schon oben getroffenen Feststellung, daß strafrechtliche Eingriffe nur da zulässig sind, wo keine ausreichenden Schutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers bestehen. Dieses Prinzip fordert demnach die Auffindung einer je rechtsgutsspezifischen Grenze, jenseits derer der Rechtsgutsträger zum Schutze seines Gutes selbst fähig und damit die Gewährung strafrechtlichen Schutzes wegen Verstoßes gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz unzulässig ist. Bei der genaueren Bestimmung dieser Grenzlinie läßt uns jedoch das Erforderlichkeitsprinzip im Stich; hier müssen andere Kriterien entwickelt und angewendet werden. Offensichtlich ist zunächst nur, daß eine normative Bestimmung der individuellen Schutzmöglichkeiten ihre Augen nicht vor deren Bedingtheit, also insbesondere vor dem Ausmaß der kulturell notwendigen Außenkontakte, verschließen darf. Eine Rechtsordnung, die in völliger Verkennung der gesellschaftlichen Abläufe etwa Schutzmaßnahmen Robinsonscher Manier zum Ausgangspunkt ihres strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes machen wollte, würde sich uno actu selbst auflösen. Die folgende Untersuchung muß sich also im Spannungsfeld zwischen der weitestgehenden Abschottung des Individuums und seiner völligen, sorglosen Öffnung bewegen und nach Kriterien eines vernünftigen Ausgleichs zwischen diesen beiden Polen suchen. Dabei wird davon ausgegangen, daß weder das - im Rahmen des gesellschaftlich Möglichen - monadisch abgekapselte noch das um Voraussetzungen und Folgen seines Tuns völlig unbekümmerte Individuum dem Menschenbild un54 über solche Gegenden "der verriegelten Türen und Fenster" (Arzt, Referat, S. 47) berichten etwa Schneider, Viktimologie, S. 70 ff., und Villmow, Einstellung, S. 213 ff., m. w. N.

3 Hassemer

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

serer Rechts- und Gesellschaftsordnung entspricht. Während ersteres wohl außer Zweifel stehen dürfte 55 , bedarf die Ablehnung des zweiten Leitbildes einer zumindest kursorischen Begründung. 1. Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Individuums

Sowohl hinter der Abkehr vom ethisierenden Strafrecht als auch hinter der bürgerlich-liberalen Rechtsauffassung überhaupt steht als zumeist nicht explizit gemachtes Substrat die Vorstellung vom Menschen, der den von ihm beeinflußbaren Lebensbereich grundsätzlich eigenverantwortlich und anhand seiner eigenen Wertvorstellungen gestalten kann58 • In diesem Bereich ist er zum einen vor Eingriffen des Staates durch die ihm zustehenden Grundrechte, auf der anderen Seite gegen übergriffe Dritter durch die staatliche Friedensordnung geschützt. Diesen Schutz zu garantieren und, soweit dies ohne Eindringen in die Einflußbereiche anderer Individuen möglich ist, zu erweitern, ist die grundsätzliche Aufgabe und im Kern die ratio essendi des freiheitlichen bürgerlichen Rechtsstaates 57 • Die öffentlich-rechtliche Literatur diskutiert diesen Fragenkreis unter dem Begriff der Subsidiarität58 und bezeichnet damit den Grundsatz, "daß in erster Linie die kleinere Gemeinschaft wirken soll und mit staatlichen Mitteln erst einzugreifen ist, wenn es unausweichlich ist"59. Es ist hier nicht der Ort, die Genese dieses wohl in der christlichen Soziallehre wurzelnden Prinzips60 und die Versuche seiner dogmati55 S. nur Düng, JR 1952, 259 ff., der diese Feststellung u. a. mit einem Hinweis auf den Wortlaut des Art. 1 Abs. 11 GG begründet (aaO., S. 259); Hans Peters, Entfaltung, S. 47 f.; Gerber, AöR 81, 28; Stnckrodt, Menschenbild, S. 41 ff.; Klein, Grundrechte, S. 34 f.; aus der Rspr.: BVerfGE 4, 15 f.; 6, 36;

7,205; 8,329; 12,51; 45, 227 f. 58 S. nur Düng, AöR 81, 117 ff.; u. Jacobs, Benutzungszwang, S. 57 ff.; Maunz, Staatsrecht, S. 98 ff.; Arthur Kaufmann, Subsidiaritätsprinzip, S. 97 f. 57 Vgl. statt aller Goerlich, Wertordnung, S. 64 ff. m. w. N.; Klein, Grundrechte, S. 35, 48 ff.

58 Zu diesem Begriff und seiner Abgrenzung vom Erforderlichkeitsgrundsatz Zuck, Subsidiaritätsprinzip, S. 109 ff.; Lerche, übermaßverbot, S. 200 ff. S. in diesem Zusammenhang auch die interessante Entscheidung BGH JZ 1959, 776 mit Anm. Sax, aaO., 778 ff.; vgl. auch Maunz, Staatsrecht, S. 70; Düng, JZ 1953, 198; Arthur Kaufmann, Tendenzen, S. 33 ff. 5V BVerfGE 10,83. Vgl. auch BVerfGE 22, 200 f. GO So lautet etwa Nr. 79 von "Quadragesimo Anno": "Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die gesamte Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen." (Zit. nach Zuck, Subsidiaritäts-

VI. Normative Kriterien der individuellen Schutzmöglichkeit

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schen Ableitung aus dem Verfassungstext nachzuweisen61 • Für die Zwecke unserer Untersuchung ist lediglich von Bedeutung, daß der Grundsatz der Subsidiarität gleichsam janusköpfig ist, indem nämlich, wie es v. Münch formuliert hat 62 , "freie Verantwortlichkeit des Einzelnen ... für diesen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur vorzugsweisen Selbstgestaltung seines eigenen Lebensbereiches und damit zum Verzicht auf fremde Hilfe" beinhaltet. Dieses Prinzip der Eigenverantwortlichkeit, wie ich es im folgenden nennen möchte, weist dem Individuum demnach über das ausschließliche Recht am Gebrauch der ihm zugeordneten Rechtsgüter hinaus gleichzeitig auch die Pflicht zu, sie im Rahmen des Möglichen allein und ohne staatliche Unterstützung zu bewahren63 • Es bezieht jedoch seine normative Fundierung nicht nur aus dem allgemeinen öffentlichrechtlichen Subsidiaritätsgrundsatz und dem Menschenbild unserer Verfassung, sondern ist auch aus der strafrechtlichen Funktion des Rechtsgüterschutzes begründbar. Vor dieser Aufgabe nämlich muß das Strafrecht notwendig versagen, wenn ihr nicht das Bestreben der Rechtsgutsträger korrespondiert, für die Integrität ihrer Güter im Rahmen ihrer Möglichkeiten und insbesondere ohne einen Zwang zur Vernachlässigung anderer beachtlicher Zwecke selbst Sorge zu tragen. Dieses Bemühen um individuellen Rechtsgüterschutz - an dessen faktischem Vorliegen in der erdrückenden Mehrheit der Fälle kein Zweifel bestehen kann - bedarf jedoch einer normativen Absicherung: Würde diese fehlen, die individuelle Sorge um die eigenen Güter also völlig ins Belieben ihrer Träger gestellt und damit gegen eine auf welchen Ursachen auch immer beruhende Ablösung durch gröbste Nachlässigkeit nicht mehr gefeit, so müßte dies katastrophale Folgen haben. Das Strafrecht wäre dann, um seiner Aufgabe des Rechtsgüterschutzes gerecht werden zu können, gezwungen, auf immer mehr Gebieten, hinsichtlich einer stetig wachsenden Zahl von Rechtsgütern und sicherlich auch mit immer drakonischer werdenden Strafdrohungen zu versuchen, diejenigen Lücken im Schutz elementarer Rechtsgüter zu schließen, die die Träger dieser Güter zuvor ohne Not selbst gerissen haben. prinzip, Anhang; zur Bedeutung pieses Prinzips in der katholischen Soziallehre s. dort, S. 3 ff.); s. hierzu auch v. Münch, JZ 1960, 304 f. und Arthur Kaufmann, Subsidiaritätsprinzip, S. 89 ff. Zu anderen Begründungen des Subsidiaritätsprinzips s. etwa Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 35 ff. 11 Vgl. hierzu Zuck, Subsidiaritätsprinzip, S. 50 ff. IZ In: JZ 1960, 305; so auch: Arthur Kaufmann, Subsidiaritätsprinzip, S. 92 und - für den Bereich der von ihm so genannten "vorbeugenden Rechtspflege" - v. Mohl, Polizei - Wissenschaft 111, S. 204 ff. und passim. IS Peter Frisch (Fahrlässigkeitsdelikt, S. 119) spricht insoweit im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte von einer "Obliegenheit" des Rechtsgutsträgers "zur Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen durch Handlungen Dritter".

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

Dem Prinzip der individuellen Eigenverantwortlichkeit vermögen auch die üblicherweise als sozialstaatlich bezeichneten Aspekte unserer Rechtsordnung nicht Abbruch zu tun 64 • Bei dieser historisch relativ neuen Dimension des liberalen Staates, die in der Kritik konservativ ausgerichteter Autoren ja auch bezeichnenderweise als dem Rechtsstaatsprinzip widersprechend attackiert wird 65 , geht es nicht um die Beseitigung der dem obigen Befund zugrundeliegenden Tatsachen, sondern um den Versuch, die in dieser staatlichen und rechtlichen Ordnung liegenden Tendenzen des "laisser faire, laisser passer" hintanzuhalten. Diese soziale Seite unserer Rechtsordnung stellt somit nicht das Bild des freien und eigenverantwortlichen Individuums in Frage. Sie ist lediglich einerseits der - durch die Erfahrungen mit dem frühen und auch heute noch vielerorts anzutreffenden Manchestertum bewirktenEinsicht geschuldet, daß Maßnahmen, die bei kurzsichtiger und bornierter Betrachtung einen selbstschädigenden Charakter zu haben scheinen, auch durchaus im wohlverstandenen, längerfristigen Interesse von Staat und Gesellschaft liegen können. Und sie dient zum zweiten dazu, die individuelle Realisierung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte im Einzelfall auch tatsächlich zu ermöglichen66 • 2. Folgerungen hinsichtlich Art und Ausmaß der individuellen Außenkontakte

Die Bestimmung der individuellen Schutzmöglichkeiten hat also auszugehen zum einen von der Tatsache, daß von den Rechtsgutsträgern nicht die Einhaltung solcher Schutzmaßnahmen erwartet werden kann, die nur um den Preis des Abbaus von üblichen und sozialadäquaten Außenkontakten zu realisieren sind. Auf der anderen Seite verpflichtet jedoch der Grundsatz der individuellen Eigenverantwortlichkeit dazu, die Anforderungen an den Umfang des Individualschutzes des Rechtsgutsträgers sowohl im Hinblick auf die von ihm zu treffenden Selbstschutzmaßnahmen als auch unter dem - hiermit, wie noch näher darzustellen sein wird, eng zusammenhängenden - Aspekt der Vermeidung von Situationen starker Gefährdung möglichst hoch anzusetzen. 64 S. hierzu Grabitz, Freiheit, S. 37 ff.; Gerber, AöR 81, 1 ff.; Hesse, Grundzüge, S. 84 ff.; aus der Rspr.: BVerfGE 5, 198; 22, 204; 27, 283; 35, 235 f.; einen informativen überblick über die Rspr. des Bundesverfassungsgerichts zum Sozialstaatsprinzip bietet Zacher, AöR 93, 341 ff. 65 S. nur Forsthoff, VVDStRL 12, 8 ff.; ders., Lehrbuch, S. 4; Stern, DÖV 1961, 325 ff. (s. aber auch: ders., Staatsrecht, S. 619 f., 719 ff.); Brunner, Problematik, S. 23; Klein, ZgesStW 106, 404. Eine aufschlußreiche Darstellung des Meinungsstreites und seiner Entwicklung findet sich bei Menzel, DÖV 1972, 537 ff. 66 Hierzu etwa Düng, AöR 81, 132 f.; ders., JZ 1963, 197; Hesse, Grundzüge, S. 87; Klein, Grundrechte, S. 54 ff.

VI. Normative Kriterien der individuellen Schutzmöglichkeit

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Hieraus ergeben sich folgende - notwendig sehr abstrakte - Folgerungen: Im Bereich der sich im Rahmen menschlichen Zusammenlebens auch ohne zielgerichtete Eigentätigkeit ergebenden Außenkontakte ist die Möglichkeit, eine von der Faktizität abweichende normative Bestimmung des Ausmaßes der individuellen Schutzmaßnahmen durchzusetzen, von vornherein minimal. Sind gesellschaftliche Lebensbedingungen entstanden, in denen etwa Kraftfahrzeugverkehr und Massenveranstaltungen üblich geworden sind, so bestimmen diese das Ausmaß der Schutzmöglichkeiten so eindeutig, daß für eine abweichende normative Festlegung kein Raum bleibt. Gleiches hat auch im Bereich derjenigen Außenkontakte zu gelten, die eine eigenbestimmte zielgerichtete Tätigkeit des Individuums voraussetzen. Wir hatten bereits oben festgestellt 67 , daß jeder Außenkontakt in diesem Sinne notwendig zu einer partiellen Öffnung der individuellen Herrschafts- und Kontrollsphäre und damit auch zu einer größeren Einflußmöglichkeit Dritter führt. Diese Einflußmöglichkeiten tangieren den eigenverantwortlichen Bereich unmittelbar insofern, als hier die Möglichkeit, diese Sphäre faktisch und rechtlich unter Ausschluß Dritter zu gestalten, punktuell verringert wird. Dieses Phänomen wurde oben am Beispiel des Lebensmittelkaufs bereits kurz gestreift; hier soll nur nochmals betont werden, daß der Rechtsgutsträger bei jedem dieser in unserer Gesellschaft üblichen Außenkontakte, zu denen etwa auch die Bestellung eines Vertreters, der Abschluß eines Mietvertrages oder die Erteilung einer Bankeinzugsermächtigung zählen, seinem Partner zumindest faktisch die Möglichkeit einräumt, in seine Sphäre massiv hineinzuregieren. Auch im Bereich dieser Kontakte setzt der Stand der gesellschaftlichen Entwicklung Maßstäbe, hinter die eine normative Bestimmung der individuellen Schutzmöglichkeiten nicht zurückfallen kann. Eine Konzeption, die in einer auf Arbeitsteilung und - hieraus notwendig resultierendem - Austausch beruhenden gesellschaftlichen Formation die mit dem Abschluß von Verträgen einhergehende Öffnung der beiderseitigen Rechtssphären als mit dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Individuums kollidierend bezeichnete, würde sich selbst ad absurdum führen. Die normative Betrachtung hat diejenigen Außenkontakte, die sich in dem Zeitpunkt, zu dem sie angestellt wird, bereits etabliert haben, vielmehr hinzunehmen. Sie kann nicht unter Verweis auf welche Kriterien auch immer die historisch gewachsene Reduzierung von Schutzmöglichkeiten als unbeachtlich qualifizieren, den Strafrechtsschutz verweigern und die solche gängig gewordenen Außenkon67

In Kap. V, 3.

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

takte realisierenden Rechtsgutsträger gleichsam vogelfrei machen. Hier muß sich das Strafrecht mit der Einsicht bescheiden, daß es zur Verfolgung außerstrafrechtlicher Ziele über ein denkbar ungeeignetes Instrumentarium verfügt. Es ist also festzuhalten, daß der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit gegenüber Öffnungen der Eigensphäre, die im Sinne einer zumindest innerhalb der betroffenen Kreise anzutreffenden Verbreitung und unangezweifelten Üblichkeit sozialadäquat sind, auf der Ebene der Rechtsgutskonstitution kein kritisches Potential hat. Anders verhält es sich jedoch mit solchen Außenkontakten und hierdurch bewirkten Öffnungen der individuellen Herrschaftssphäre des Rechtsgutsträgers, die noch nicht als sozialadäquat im soeben umschriebenen Sinne zu charakterisieren sind, also etwa von einer die gesellschaftliche Entwicklung überflügelnden Gruppe erst etabliert werden sollen. Hier kollidiert der Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz nicht mit einer unüberwindlichen Kraft des Faktischen, so daß eine Selbstschutzaspekte berücksichtigende Kriminalpolitik unter Berufung auf diese Maxime Verhaltensweisen, die ohne Not die eigene Verantwortung für individuelle Rechtsgüter durch deren Überantwortung an beliebige Dritte unterminieren und damit das Gebot optimalen Individualschutzes verletzen, den Schutz des Strafrechts versagen kann. Mir will scheinen, als würde das aus dem Eigenverantwortlichkeitsprinzip fließende Verbot, ein Sich-davon-Stehlen aus der praktischen Verantwortung für die eigenen Rechtsgüter mit einer strafrechtlichen Kompensation der hiermit notwendig einhergehenden Verminderung der individuellen Schutzmöglichkeiten gleichsam noch zu prämiieren, zunehmend vernachlässigt. Aufgabe des Strafrechts kann es aber nicht sein, unbesehen diejenigen Schutzlücken zu schließen, die durch neu propagierte Formen individueller Außenkontakte entstehen und die davon betroffenen Rechtsgüter einer höheren Verletzungsgefahr aussetzen. Es ist vielmehr immer zu fragen, ob diese neu zu etablierenden Außenkontakte und die hierdurch bewirkten Öffnungen der individuellen Rechts- und Herrschaftssphäre überhaupt mit dem Grundsatz der persönlichen Eigenverantwortlichkeit vereinbar sind.

VII. Generelle Gefährdung und Selbstschutzmöglichkeit in ihrem Zusammenwirken: die das Rechtsgut bedrohende Gefahrintensität Das Anwachsen der kulturell notwendigen Außenkontakte und die hiermit einhergehende Verringerung der individuellen Selbstschutzmöglichkeiten müssen Kriminalpolitik und Strafrechtsdogmatik in den Blick fassen, wollen sie das Ziel des optimalen Rechtsgüterschutzes bei minimalen Eingriffen in die Freiheitssphäre des Einzelnen erreichen. Sie müssen dabei jedoch auch gleichzeitig das zweite hiervon beeinflußte

VII. Die Gefahrintensität

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Phänomen im Auge behalten, das oben als generelle Gefährdung bezeichnet wurde - also Art, Intensität und zahlenmäßigen Umfang der zu erwartenden Angriffe. Es kommt nunmehr also darauf an, die bislang aus heuristischen Gründen getrennt dargestellten Bereiche der generellen Gefährdung und der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers in eine sinnvolle und adäquate Beziehung zueinander zu setzen. Den Problemen des Vorliegens einer solchen Korrelation und der Art ihrer Ausgestaltung wird sich der Text im folgenden zuwenden. Wie bereits oben festgestellt 6s, ist die generelle Gefährdung eines bestimmten Rechtsgutes keine historisch konstante Größe, sondern unmittelbar beeinflußt von Art und Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, die ebenso zur Zunahme wie zur Abnahme oder zur Richtungsänderung der Gutsgefährdung führen kann. Es ist einsichtig, daß die ihrerseits wieder vielfältig determinierte individuelle Selbstschutzmöglichkeit von diesen Veränderungen auf der Gefährdungsebene nicht unberührt bleibt, sondern im Hinblick auf deren Modifikationen je neu diskutiert und festgestellt werden muß. So führte etwa, um ein schon oben strapaziertes Beispiel nochmals aufzugreifen, die Entstehung des modernen Massenverkehrs nicht nur zu einer noch vor einem Jahrhundert unvorstellbaren Gefährdung etwa des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit, sondern auch und gleichzeitig zu einer Verringerung der Selbstschutzmöglichkeiten des Individuums deshalb, weil gegen die spezifischen Gefahren des Straßenverkehrs - an dem teilzunehmen weitestgehend Bedingung des Lebens in unserer Gesellschaft ist - individuelle Selbstschutzmaßnahmen nur eine höchst eingeschränkte Wirksamkeit haben. Die Kette dieser Beispiele läßt sich beliebig verlängern: So ist etwa das ursprünglich Selbstschutzmaßnahmen so zugängliche Rechtsgut der "Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes" im Sinne des § 201 Abs. 269 angesichts der modernen Möglichkeiten, vertrauliche Gespräche mit Kleinstgeräten aufzunehmen und über weite Strecken zu übertragen, selbstschutzungeeignet geworden. Die Verschränkung zwischen neuer Gefährdung und abnehmender Selbstschutzmöglichkeit zeigt sich auch in dem hinter der Schaffung des § 264 stehenden Phänomen: Hier hat der zunehmende Umfang staatlicher Wirtschaftsförderungsmaßnahmen zu einer Gefährdung des öffentlichen Vermögens geführt, der die Subventionsgeber mit den Mitteln individuellen Selbstschutzes nicht mehr beikommen zu können schienen70 • Vgl. die Ausführungen oben in Kap. IV. Zur Definition des Rechtsguts des § 201 Abs. 2 vgl. die Nachweise in Fn.46. 88

sv

Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

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In ähnlichen Konstellationen gründen auch viele bereits zum hergebrachten Bestand des Strafrechts zählende Normen wie etwa § 266 Abs. 1, 1. Alt.: In gesellschaftlichen Formationen, die die hinter den in § 266 bezogenen Rechtsinstituten stehenden, durch verringerte Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers gekennzeichneten Außenkontakte nicht kennen, kann eine Gefährdung des Rechtsguts Vermögen auf dem in § 266 inkriminierten Wege überhaupt nicht auftauchen. Solche Gefährdungen sind vielmehr nur da denkbar, wo etwa die Möglichkeit, Verträge durch einen Vertreter bindend abzuschließen, durch die Rechtsgenossen genutzt und hierdurch dem Vertreter die Fähigkeit eingeräumt wird, über das Vermögen des Geschäftsherrn schädigend und dennoch wirksam zu verfügen. Schon diese wenigen Beispiele machen deutlich, daß zwischen der generellen Gefährdung und dem Ausmaß der Selbstschutzmöglichkeiten enge Interdependenzen bestehen, die es verbieten, beide Phänomene getrennt voneinander zu werten und aus diesem einseitigen Befund Schlüsse bezüglich der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes zu ziehen. Es kommt vielmehr darauf an, aus der Gesamtschau der diesen Begriffen zugrundeliegenden Sachverhalte wertend die Maßstäbe zu entwickeln, aus denen letztlich das konkrete, faktische Ausmaß der Gefahr für ein bestimmtes Rechtsgut gewonnen werden kann. So ergibt beispielsweise nur der Blick auf den enormen Umfang der generellen Gefährdung und die geringen Selbstschutzmöglichkeiten im Straßenverkehr gleichzeitig als Resultante aus diesen beiden Phänomenen ein Ausmaß an Gefahr, das allein es rechtfertigt, den strafrechtlichen Schutz der betroffenen Güter in einer Art und Weise vorzuverlegen, wie es etwa in §§ 315 c, 316 geschehen ist71 • Andererseits kann trotz hoher genereller Gefährdung das Bestehen einer ausreichenden Selbstschutzmöglichkeit zum Entfallen eines strafrechtlichen Schutzes führen. So ist nicht zweifelhaft, daß das Schutzgut etwa des § 178, die Freiheit der geschlechtlichen Selbstbestimmung72 , auch durch Drohungen verletzt werden kann, die nicht auf eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben hinauslaufen, sondern lediglich im Rahmen des § 240 von strafrechtlichem Interesse sein können. Diese Differenzierung kann rational nur dadurch gerechtfertigt werden, daß trotz vorliegender externer Gefährdung die Selbstschutzmöglichkeit Zu den kriminalpolitischen und verfassungsrechtlichen Bedenken gegen s. nur Samsan, in: SK, § 264. Rdnr. 16 ff.; Heinz, GA 1977, 210 ff.; Löwer, JZ 1979, 621 ff.; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 374 ff. n Dies wird in eindrucksvoller Weise betont von Lackner, JZ 1965, 92 ff., 70

§ 264

123 f.

72 Völlig h. M.; für alle: Lenckner, in: Schönke / Schröder, § 178, Rdnr. 1 m.w.N.

VII. Die Gefahrintensität

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des Rechtsgutsträgers gegenüber einem Verhalten, das die Droh-Intensität des § 178 nicht erreicht, als groß genug eingeschätzt wird, eine endgültige Verletzung des geschützten Gutes zu verhindern. Exemplarisch für die Behandlung der Interdependenzen zwischen genereller Gefährdung und individueller Selbstschutzmöglichkeit ist bei richtiger Auslegung auch § 203. Daß Privatgeheimnisse angesichts der menschlichen Neugierde und des weit verbreiteten Interesses an der Privatsphäre anderer ein höchst gefährdetes Gut sind, lehren die Lebenserfahrung und ein Blick in denjenigen Teil unserer Presse, der aus diesem grundsätzlich nicht einmal anstößigen Wunsch Woche für Woche offensichtlich erhebliches Kapital zu schlagen versteht 73 • Eine Betrachtungsweise, die es bezüglich der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes mit diesem hohen Maß an genereller Gefährdung sein Bewenden haben ließe, würde hier nicht umhinkommen, das Offenbaren von Geheimnissen ohne weitere Restriktion unter Strafe zu stellen. Schon ein flüchtiger Blick auf die individuellen Selbstschutzmöglichkeiten lehrt jedoch, daß jedes Individuum unserer Gesellschaft grundsätzlich in der Lage ist, nur solche Informationen in die Bereiche außerhalb seiner Privatsphäre gelangen zu lassen, an deren Geheimhaltung er kein Interesse hat; der strafrechtliche Schutz vor der Weitergabe solcher Sachverhalte, die der Betroffene selbst zuvor in schöner Unbekümmertheit ausgeplaudert hat, würde also die aus dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit resultierende Maxime mißachten, daß das Individuum einerseits zwar ein Recht auf Achtung seiner Privatsphäre hat, andererseits jedoch auch die Pflicht, ihre Verletzung im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren selbst zu hindern. Eine Kriminalisierung der Geheimnisoffenbarung durch Dritte müßte demnach trotz hoher genereller Gefährdung daran zu scheitern haben, daß der Rechtsgutsträger hier seine Selbstschutzmöglichkeiten nicht nur nicht pflichtgemäß ausschöpft, sondern sie sorglos vernachlässigF4. Mag das Vorangehende als Beschreibung alltäglicher Kommunikationsstrukturen angehen, so trifft dieses Bild bei solchen Außenkontakten nicht mehr, wo das Individuum aus welchen Gründen auch immer dazu gezwungen ist, Geheimnisse preiszugeben, um bestimmte andere, beachtliche Ziele zu erreichen. In einer solchen Situation befindet sich der Rechtsgutsträger im Kontakt mit denjenigen Berufsgruppen, die in § 203 Abs. 1 aufgezählt sind: Ob dem Arzt auf dem Wege der Anamnese eine treffende Diagnose, dem Rechtsanwalt durch Lektüre des Schrift73 Siehe hierzu nur Nutz, Regenbogenpresse; Kodron-Lundgreen / Kodron, Regenbogen, insbes. S. 34 ff.; Schünemann, ZStW 90, 41 ff. 74 Hierzu Schünemann, ZStW 90, 34 ff.; vgl. auch Blei, Strafschutzbedürfnis, S. 115 ff.

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verkehrs der Parteien eine erfolgversprechende Klageerhebung ermöglicht werden soll - in allen diesen Fällen wird der Rechtsgutsträger nicht umhin können, Geheimnisse preiszugeben, deren Bekanntwerden er in anderen Situationen unter allen Umständen zu vermeiden gesucht hätte. In allen diesen Fällen ändert sich am Ausmaß der generellen Gefährdung nichts Wesentliches; Unterschiede zeigen sich jedoch im Umfang der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers: Will er geheilt oder gerichtlich kompetent vertreten werden, so muß er seine einschlägigen Geheimnisse offenbaren und damit gleichzeitig zu einer empfindlichen Öffnung seines Herrschafts- und Kontrollbereichs beitragen75 • § 203 zieht aus diesen Konstellationen die unter dem Aspekt von Gefährdung und Selbstschutzmöglichkeit einzig rationale Konsequenz: Nicht die Weitergabe der vom Rechtsgutsträger ohne Not ausgeplauderten Informationen wird inkriminiert, sondern nur die Verwertung solcher Geheimnisse, deren Individualschutz im Einzelfall ohne Verzicht auf andere, erhebliche Interessen nicht bewerkstelligt werden kann76 • Diese Beispiele mögen ausreichend deutlich machen, daß mit der Feststellung des Ausmaßes der generellen Gefährdung oder der Festlegung der individuellen Selbstschutzmöglichkeiten allein für die Frage der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes noch nichts gewonnen ist. Unabdingbar ist vielmehr, daß aus diesen beiden Komponenten ein Korrelationskoeffizient gewonnen wird, den ich "Gefahrintensität" nennen möchte. Das Ausmaß dieser Gefahrintensität ist für jedes Rechtsgut je verschieden und aus dem Grad der generellen Gefährdung und den Möglichkeiten eines effektiven und normativ zumutbaren individuellen Selbstschutzes zu bestimmen. Eine lückenlose Ausfüllung dieses Programms, das vor allem auf der Gefährdungsebene auf ausführlichen empirischen Daten fußen müßte, kann im Rahmen dieser Untersuchung auch nicht ansatzweise geleistet werden; es soll im folgenden vielmehr lediglich versucht werden, unter den Aspekten der 75 Der von Lenckner (in: Schönke / Schröder, § 203, Rdnr. 3) gegen diese Sicht des § 203 erhobene Einwand, der Zwang zur Offenbarung privater Geheimnisse bestehe auch in von dieser Vorschrift nicht erfaßten Bereichen (etwa zur Ermöglichung des Abschlusses eines Arbeitsvertrages) überzeugt aus zwei Gründen nicht: Zum einen ist der faktische Zwang zum Offenbaren privater Geheimnisse in anderen als in den von § 203 genannten Bereichen typischerweise relativ geringer und weniger umfassend (was nicht zuletzt an den vom BAG entwickelten Grundsätzen zum Schweige- und Lügerecht des Arbeitsuchenden aufgezeigt werden kann). Und zum zweiten liefert der empirische Hinweis Lenckners für den Fall seiner Richtigkeit nicht Munition gegen die hier vertretene Konzeption, sondern ist kriminal politisch vielmehr dahingehend umzumünzen, daß de lege ferenda eben auch diese weiteren Bereiche vergleichbaren faktischen Offenbarungszwangs dem Schutz des § 203 unterstellt werden müssen. 78 Vgl. Schünemann, ZStW 90, 51 ff.

VII. Die Gefahrintensität

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Gefährdung und der Selbstschutzmöglichkeit wenigstens eine kategoriale Erfassung der im Besonderen Teil des StGB geschützten Rechtsgüter zu erreichen, die dann ihrerseits im Rahmen der Auslegungsprobleme ihre Fruchtbarkeit unter Beweis zu stellen hätte.

VIII. Gefahrintensität und Strafremtssmutz de lege lata Ist die Gefahrintensität eine Resultante aus genereller Gefährdung und individueller Selbstschutzmöglichkeit, so liegt notwendig zwischen höchster und fehlender Gefahrintensität eine gegen unendlich tendierende Zahl von denkbaren Konstellationen, die von höchster Gefährdung und fehlender Selbstschutzmöglichkeit bis zu fehlender Gefährdung und perfekter Selbstschutzmöglichkeit reichen und zwischen denen als Beispiel einer mittleren Gefahrintensität etwa der Fall von hoher Gefährdung bei gleichzeitiger großer Selbstschutzmöglichkeit anzusiedeln wäre. Es liegt auf der Hand, daß - Werthaftigkeit des zu schützenden Gutes etc. unterstellt - der Einsatz strafrechtlicher Mittel in den Fällen höchster Gefahrintensität unbedenklich und bei fehlender genereller Gefährdung oder bei perfekter individueller Selbstschutzmöglichkeit unzulässsig ist. So trivial diese Feststellungen klingen, so müssen sie doch bei der Diskussion de lege ferenda immer mitgedacht werden. So dürfte zum Exempel das Abhalten von Schwarzen Messen, in denen versucht wird, einem Dritten ein körperliches Gebrechen oder den Tod anzuhexen, zum Zwecke des Schutzes von körperlicher Unversehrtheit und Leben schon deshalb nicht kriminalisiert werden, weil von diesen Handlungen eine objektive Gefahr für diese Rechtsgüter nicht ausgeht 77 • Umgekehrt ist etwa die Selbstschutzmöglichkeit des Individuums hinsichtlich seines Vermögens als so hoch einzuschätzen, daß beispielsweise die Bewirkung einer lediglich mit Mitteln der überredung herbeigeführten Selbstschädigung des Rechtsgutsträgers nur unter Verstoß gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz sanktioniert werden könnte78 • 77 Vgl. demgegenüber aber etwa § 165 des 8tGB der VR China vom 1. 7. 1979 (abgedruckt in: China aktuell, 1979, 8. 825): "Wer als Geisterbeschwörer oder Hexe auftritt und in Ausnutzung abergläubischer Vorstellungen Machenschaften betreibt wie Ausstreuung von Gerüchten oder Prellung um Vermögenswerte, wird mit Gefängnis, Gewahrsam oder überwachung bis zu zwei Jahren bestraft; in schwerwiegenden Fällen wird Gefängnisstrafe von mindestens zwei Jahren bis zu sieben Jahren verhängt." In diesem Zusammenhang darf jedoch - worauf insbesondere Winfried Hassemer (Theorie, 8. 158 ff.) hingewiesen hat - nicht übersehen werden, daß die Kriminalisierung von Verhalten zumindest nicht ausschließlich objektive Gefährdungen der jeweiligen Rechtsgüter beantwortet, sondern in Einzelfällen auch Resultat eines objektiv unzutreffenden, aber gleichwohl durchsetzungsfähigen Bedrohungserlebnisses der Gesellschaft sein kann.

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

Die Behandlung beider Beispielsfälle ist so unmittelbar einleuchtend, daß die Beispiele selbst bereits als überflüssig erscheinen. Sie sind hier dennoch aufgeführt, um den Hinweis zu untermauern, daß solche die generelle Gefährdung und die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers betreffenden Überlegungen jeder Prüfung dieser Art zugrunde liegen: Die Werthaftigkeit der in den Beispielen angesprochenen Güter ist evident; daß niemand auf den Gedanken kommt, sie so unter strafrechtlichen Schutz stellen zu wollen, liegt im ersten Fall daran, daß das Gut nicht gefährdet, im zweiten, daß es gegenüber solchen Angriffen ausreichend selbstschutzbewehrt scheint. Sollen die entwickelten Kriterien jedoch bessere Früchte tragen als die, ohnehin Unproblematisches bewußter zu machen, so muß nunmehr geprüft werden, ob sie sich an die Art und Weise, wie die §§ 80 ff. den strafrechtlichen Rechtsgüterschutz zu realisieren versuchen, anlegen lassen. Es ist demnach zumindest exemplarisch zu klären, ob innerhalb des Besonderen Teils des StGB Phänomene aufzeigbar sind, die mit Hilfe unserer Kriterien wenigstens besser erklärt werden können. In diesem Zusammenhang ist zunächst von besonderem Interesse, ob es Tatbestände gibt, in denen die Gefährdungs- oder die Selbstschutzwurzel der Gefahrintensität von vergleichsweise stärkerer Bedeutung ist und wie diese Präponderanz ausgestaltet ist. Diesem Unterfangen steht zunächst die oben festgestellte Tatsache entgegen, daß zwischen der generellen Gefährdung und der individuellen Selbstschutzmöglichkeit eine ausgeprägte Interdependenz besteht. Es ist also vorgängig zu klären, mit welchen Mitteln zwei voneinander abhängige Variablen zum Zwecke der Untersuchung ihrer jeweiligen rechtsgutsspezifischen Präponderanz voneinander unabhängig gesetzt werden können, ohne daß man zu einem verfälschten, weil ihre quasidialektische Beziehung nicht berücksichtigenden, Ergebnis gelangt. Die Antwort ist evident: Die Untersuchung kann nur da ansetzen, wo das Vorliegen einer ausreichend hohen Gefahrintensität unzweifelhaft ist und die Bedeutung einer Variablen zumindest gegen Null tendiert; anschließend muß versucht werden, von hier aus die Entwicklung und die Strukturen im weiten Feld der Wirksamkeit zweier Variablen und ihrer gegenseitigen Beeinflussung zu extrapolieren. 78 In beeindruckender Deutlichkeit findet sich diese überlegung bereits in den Motiven zum 1. Entwurf eines Criminal-Gesetzbuches für die Preußischen Staaten aus dem Jahre 1828 (S. 7): "Die mittelbaren Eingriffe auf das Vermögen Anderer können entweder gradehin auf den Willen des Andern wirken, oder auf das Erkenntnißvermögen. In jenem Falle kann nur die Art der Einwirkung sie strafbar machen. Ist die Art eine erlaubte, so darf das Gesetz nicht eingreifen, ohne die Freiheit des Handelnden zu beschränken. Wer sich durch Bitten oder Schmeicheleien zu etwas Nachtheiligem bestimmen läßt, mag sich den Schaden selbst beimessen."

VIII. Gefahrintensität und Strafrechtsschutz de lege lata

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Aus dem Befund, daß von einem Rechtsgut auszugehen ist, das bei einer für den strafrechtlichen Schutz ausreichenden Gefahrintensität dennoch eine gegen Null tendierende Variable hat, ergibt sich zwanglos, daß diese Variable nur in der Selbstschutzmöglichkeit gesehen werden kann, da eine verschwindend geringe generelle Gefährdung eo ipso den Wegfall der Gefahrintensität und damit die Unzulässigkeit strafrechtlichen Schutzes zur Folge hätte. Es geht also zunächst darum, ein Rechtsgut des Besonderen Teils auszumachen, das nach der Meinung des Gesetzgebers bei ausreichender Gefahrintensität eine gegen Null tendierende Selbstschutzmäglichkeit aufzuweisen hat. Hierbei verbietet sich, da es sich gleichsam um die Rekonstruktion der gesetzgeberischen Erwägungen auf der Basis der entwickelten Kriterien handelt, ein sozialwissenschaftlich-empirisches Vorgehen, da zunächst nicht vorausgesetzt werden kann, daß sich der historische Gesetzgeber an solche Daten gehalten hat oder auch nur hätte halten können; es sind vielmehr aus der Formulierung des Gesetzes selbst Hinweise dafür zu gewinnen, daß der Gesetzgeber von hoher Gefahrintensität und gegen Null tendierender Selbstschutzmöglichkeit ausgegangen ist. Das Auffinden solcher Hinweise macht einige weitere Vorbemerkungen erforderlich: Es wurde oben festgestellt7 9 , daß der Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts strafrechtlichen Schutz da verbietet, wo ausreichende individuelle Schutzmöglichkeiten bestehen. Bislang wurde versucht, diesen Grundsatz für die Frage zu operationalisieren, wann individuelle Schutzmöglichkeiten den Schutz eines an sich werthaften Gutes auf dem Wege über das Sinken der Gefahrintensität für das Rechtsgut in seiner Totalität unzulässig machen. Hierbei kann die Untersuchung jedoch nicht stehenbleiben. Wenn es zutrifft, daß Gefährdung und Selbstschutzmöglichkeit qua Gefahrintensität die Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes präjudizieren, so macht nämlich von vornherein nichts die Annahme plausibel, daß die Frage nach dem ausreichenden Maß der Gefahrintensität im Hinblick auf das betroffene Rechtsgut nur global, also generell bejahend oder verneinend, beantwortet werden können sollte. Es spricht vielmehr alles dafür, daß es im Hinblick auf ein gegebenes Rechtsgut Bereiche gibt, in denen es nicht gefährdet ist oder aus faktischen oder rechtlichen Gründen gar überhaupt nicht gefährdet werden könnte, und solche, in denen der Rechtsgutsträger sich gegen jedweden Angriff selbst ausreichend zu schützen vermag. Das mit diesen Überlegungen angezielte Problem ist im Verlauf dieser Arbeit bereits einige Male angeklungen; es soll nunmehr etwas genauer betrachtet werden: 79

Oben Kap. III.

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

Bereits oben wurde anhand eines Beispielsfalles darauf hingewiesen, daß ein Straftatbestand, der das Vermögen gegen vom Berechtigten zwar "eigenhändig" vorgenommene, aber von einem Dritten lediglich durch die Anwendung seiner Überredungskünste bewirkte Selbstschädigung schützt, im positiven Recht weder existiert noch mangels Gefahrintensität existieren dürfte. Der Schluß, daß also das Vermögen kein strafrechtlich geschütztes Gut sei, wäre jedoch, wie schon ein Blick auf § 263 lehrt, grob fehlerhaft. Er wäre aber als "Umkehrschluß" naheliegend, wenn man den in vielen einschlägigen Lehrbüchern und Kommentaren an exponierter Stelle und uneingeschränkt formulierten Satz liest, daß das von § 263 geschützte Rechtsgut "das Vermögen" sei80 • "Das Vermögen" kann jedoch nicht durch § 263 schlechthin geschützt sein, sonst müßte dieser Schutz unzweifelhaft auch beim oben angeführten Sachverhalt greifen. In Wirklichkeit schützt § 263 das Vermögen gerade nicht global, sondern nur insoweit, als es in Bereicherungsabsicht durch Irrtumserregung oder -unterhaltung und hierauf beruhender Verfügung des Getäuschten beeinträchtigbar ist. Beruht die Verfügung nicht auf einem Irrtum, wird das Vermögen auf andere Art als durch eine Verfügung beeinträchtigt, handelt der Täuschende nicht in Bereicherungsabsicht etc., bleibt § 263 unanwendbar, das Vermögen also - zumindest nach dieser Vorschrift - strafrechtlich ungeschützt. 1. Schutztechnik bei Rechtsgiitern, die Angriffen unterschiedlich hoher Gefahrintensitit ausgesetzt sind: der Schutzbereich

Es ergibt sich demnach, daß die herkömmliche Sprechweise den in § 263 vorfindlichen Regelungsbereich und die hierin steckenden Probleme eher vernebelt als verklart. § 263 dient tatsächlich dem Schutz des Vermögens; dieser Schutz richtet sich jedoch nur gegen in der tatbestandlichen Umschreibung dieser Vorschrift genau abgegrenzte Angriffe. Erfüllt ein Angriff die in § 263 normierten subjektiven und objektiven Anforderungen nicht, so wird - zumindest im Rahmen des Betrugstatbestandes - das Vermögen in strafrechtlich relevanter Weise eben gerade nicht verletzt. Dieser Befund legt es nahe, von einem durch § 263 eröffneten Schutzbereich zu reden, innerhalb dessen die Beeinträchtigung des durch diese Vorschrift geschützten Rechtsguts allein strafbar ist. Es kann also festgehalten werden, daß der Schutzbereich im hier definierten Sinne bestimmt ist zum einen von einem zu schützenden Gut, 80 Etwa Dreher / Tröndle, StGB, § 263, Rdnr. 1; Lackner, StGB, § 263, Anm. 2; Samsan, in: SK, § 263, Rdnr. 1; Cramer, in: Schönke / Schröder, § 263, Rdnr. 1; Maurach / Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 400; Dtto, Grundkurs 2, S. 223; s. auch Sieber, Computerkriminalität, S. 198; Günter Merkel, Vermögensverfügung, S. 8 ff.

VIII. Gefahrintensität und Strafrechtsschutz de lege lata

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andererseits jedoch und gleich wichtig von einer bestimmten, gesetzlich umschriebenen Angriffsweise. Dies trifft nicht nur für § 263 zu, sondern für eine Fülle von Tatbeständen des Besonderen Teils. So schützt § 266

in der Alternative des Mißbrauchstatbestands das Vermögen nur vor Angriffen, die auf einer rechts- oder abredewidrigen Ausübung einer Rechtsbefugnis beruhen; § 249 schützt Eigentum, Gewahrsam und Willensfreiheit nur gegenüber Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben und versagt dort, wo Drohungen geringerer Intensität ausgesprochen werden; § 235 schützt die familiäre Gewalt gegen die Entziehung des Kindes durch List, Drohung oder Gewalt, nicht durch Versprechungen, Bitten oder ähnliche Verhaltensweisen, obwohl diese ebensogut - und in der Praxis wahrscheinlich häufiger - zu einer vergleichbar intensiven Beeinträchtigung der familienrechtlichen Gewalt führen können. All diesen Fällen ist gemein, daß ein von der Rechtsordnung als schutzwürdig anerkanntes Gut - denn sonst wäre strafrechtlicher Schutz ja apriori unzulässig - nicht global und allumfassend, sondern nur gegen je spezifische Angriffe geschützt wird, während die gesamte übrige Palette denkbarer Beeinträchtigungen des Gutes aus dem Schutzbereich ausgegrenzt bleibt. Diese Tatsache kann, soll der gesetzgeberischen Entscheidung nicht jegliche Rationalität abgesprochen werden, demnach nur damit erklärt werden, daß bei Angriffen andeter Art strafrechtlicher Schutz entweder nicht als geeignet oder nicht als erforderlich angesehen wurde. Da aber eine Ungeeignetheit des Strafrechts zum Schutz der oben genannten Rechtsgüter auch vor den de lege lata nicht kriminalisierten Angriffsarten nicht angenommen werden kann, vermag die vorliegende Gewährung nur partiellen Strafrechtsschutzes ihre Begründung mithin nur darin zu finden, daß der Einsatz strafrechtlicher Mittel gegen andere Angriffe als nicht erforderlich erachtet wird. Nachdem wir nun aber bereits oben feststellen konnten, daß die Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes sich nach dem Ausmaß der Gefahrintensität richtet, kann die geltende gesetzliche Regelung demnach nur der Tatsache Rechnung tragen, daß andere als die normierten Angriffsarten entweder weniger generell gefährdend oder aber durch ausreichende Selbstschutzmöglichkeiten blockierbar sind. Umgekehrt gibt es jedoch im Besonderen Teil des StGB auch Rechtsgüter, die einen globalen und umfassenden Schutz genießen. So macht zum Beispiel die tatbestandliche Fassung des § 223 deutlich, daß völlig gleichgültig ist, mit welchen Motiven welcher Täter welches Opfer wie körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt - tritt der Verletzungserfolg ein, so resultiert hieraus ohne weiteres die Tatbestandsmäßigkeit des HandeIns nach §§ 223 ff.81.

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

Der Täter gerät hierbei über die Zuschreibung der Verletzungshandlung hinaus grundsätzlich ebensowenig in den Blick wie etwa das Opfer oder die Handlungssituation: jede Beeinträchtigung des Rechtsguts ist tatbestandsmäßig; eine Überprüfung der Angriffshandlung und ähnliches erübrigt sich. In Fällen dieser Art kann demnach festgestellt werden, daß sich das durch die Strafrechtsnorm geschützte Rechtsgut und der durch die tatbestandlichen Anforderungen an die Verletzungshandlungen normierte Schutzbereich decken; eine Beeinträchtigung des Rechtsguts ohne gleichzeitige Verletzung des Schutzbereichs ist ausgeschlossen. Die Tatsache, daß die körperliche Unversehrtheit demnach also nicht partiellen, sondern globalen Schutz genießt, kann unter dem Gebot des Erforderlichkeitsprinzips in seinen bisher entwickelten Ausprägungen mithin nur damit begründet werden, daß dieses Rechtsgut aus allen denkbaren Richtungen einer ausreichend hohen Gefahrintensität ausgesetzt ist. Dies bedeutet gleichzeitig, daß hiernach keine denkbare Art von Angriffen existiert, gegen die sich der Rechtsgutsträger selbst hinreichend schützen könnte. Ist dies so, so besteht folgerichtig auch kein Grund, das Opfer in welcher Weise auch immer als agierendes in die tatbestandliche Fassung des § 223 einzubeziehen; dieses wird als gegenüber der generellen Gefährdung so machtlos erachtet, daß auf eine nähere Umschreibung seines Verhaltens im Tatbestand verzichtet werden kann. Umgekehrt scheinen alle Angriffe als so generell gefährdend, daß kein Anlaß besteht, bestimmte Angriffe als nicht ausreichend gefahrenträchtig aus dem Tatbestandsbereich auszugliedern. Betrachten wir diese Konstellation unter dem Aspekt unseres oben formulierten Erkenntnisinteresses, so erkennen wir nun in § 223 einen Fall, in dem die Selbstschutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers gegen Null tendiert: Es ist nach Meinung des Gesetzgebers keine typische Konstellation denkbar, in der individuelle Selbstschutzmaßnahmen gegenüber bestimmten denkbaren Angriffshandlungen so erfolgversprechend sein könnten, daß partiell ein unter dem Aspekt des Erforderlichkeitsgrundsatzes qualitativ relevantes Absinken der Gefahrintensität erwartet werden könnte. Wir haben es demnach bei § 223 mit einem Rechtsgut zu tun, dessen Gefahrintensität vor allem anderen aus der Wurzel der generellen Gefährdung erwächst. Diese Feststellung darf nicht dahingehend miß81 Die von der völlig h. M. getragene Annahme, daß ganz unerhebliche Beeinträchtigungen dem § 223 nicht subsumiert werden können (Dreher / Tröndle, StGB, § 223, Rdnr. 3; Eser, in: Schönke / Schröder, § 223, Rdnr. 3; kritisch Horn, in: SK, § 223, Rdnr. 6 f.) steht unseren überlegungen deswegen nicht entgegen, weil es sich hier ausschließlich um Versuche handelt, das geschützte Rechtsgut genauer zu definieren.

VIII. Gefahrintensität und Strafrechtsschutz de lege lata

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verstanden werden, daß die individuelle Selbstschutzmöglichkeit bei der Bewertung der Gefahrintensität nicht in Anschlag zu bringen sei; ein solches Procedere wäre nach dem oben Ausgeführten völlig verfehlt. Sie besagt vielmehr, daß das Ausmaß der generellen Gefährdung so hoch ist, daß eventuelle Selbstschutzmaßnahmen im Vergleich hierzu eine quantite negligeable darstellen. Vorläufig können wir mithin unter dem Blickwinkel von genereller Gefährdung und individuellen Selbstschutzmöglichkeiten zwei unterschiedliche Grundmuster von Tatbeständen des Besonderen Teils konstatieren. Es sind dies zum einen solche, in denen das Rechtsgut gegen jedwelche Angriffsart geschützt, also gleichsam eine Kongruenz von Rechtsgut und eröffnetem Schutzbereich gegeben ist; auf der anderen Seite sind es Tatbestände, in denen nicht jede Beeinträchtigung des Rechtsguts, sondern nur eine Verletzungshandlung strafbar ist, die um es bildhaft auszudrücken - den Weg zum Rechtsgut durch den Schutzbereich und nicht durch ein strafrechtlich irrelevantes Areal nimmt. Je stärker das zu schützende Gut von unterschiedlichen Angriffsarten mit jeweils ausreichend hoher Gefahrintensität bedroht ist, desto umfassender wird der Schutzbereich; umgekehrt schmilzt der Schutzbereich eines nur durch ausgewählte Angriffsarten gefährdeten und/oder gegen bestimmte Attacken selbstschutzgeeigneten Gutes entsprechend zusammen. 2. Gefahrintensität und besondere Werthaftigkeit des Gutes

Dieser erste Teil unserer Untersuchung soll nicht ohne den Hinweis geschlossen werden, daß es selbstverständlich nicht die Gefahrintensität allein ist, die den Umfang des Schutzbereichs eines Rechtsgutes determiniert. Von zentraler Bedeutung für dessen Dimensionierung ist vielmehr auch die spezifische Werthajtigkeit des jeweils zu schützenden Gutes 82 • Wie nämlich etwa die Schwere der angedrohten Strafe oder Art und Ausmaß der Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch die Schaffung von Gefährdungstatbeständen bzw. die Normierung der Versuchsstrafbarkeit in unmittelbarem Zusammenhang auch mit der jeweiligen Bedeutung des Rechtsgutes stehen, so ist bei besonders werthaften Gütern bereits die Hinnahme eines Gefahrintensitätsniveaus unerträglich, das bei anderen, weniger zentralen Rechtsgütern noch tolerabel erscheinen mag. Als Beleg für diese Überlegung kann etwa die unterschiedliche Ausgestaltung des Strafrechtsschutzes hinsichtlich eines so fundamentalen Rechtsgutes wie dem Leben auf der einen Seite und dem vergleichsweise weniger werthaften Gut "Eigentum" auf der anderen herangezo82

S. hierzu auch Winfried Hassemer, Theorie, S. 207 ff.

4 Hassemer

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Teil A. Rechtsgutsgefährdung und Rechtsgüterschutz

gen werden. Während ersteres in unserem Strafrecht einen globalen und - was beispielsweise die Höhe der angedrohten Strafe anbelangt - überaus massiven Schutz genießt, ist im Rahmen des § 242 durch das Merkmal der Zueignungsabsicht die Wegnahme einer Sache bei fehlendem Täterwillen zur dauernden Enteignung straflos gestellt. Da aber sowohl furtum usus als auch Sachentziehung das durch § 242 geschützte Eigentum ebenso empfindlich beeinträchtigen können wie eine mit Zueignungsabsicht durchgeführte Wegnahme, vermag die Normierung einer Absicht in dieser Vorschrift - und die dadurch bewirkte Verengung des Schutzbereichs - eine befriedigende Erklärung nur unter dem Gesichtspunkt der Gefahrintensität zu finden: Die Wegnahme einer Sache ohne die Absicht ihrer Zueignung ist augenscheinlich eine sehr untypische und außergewöhnliche Konstellation und realisiert deshalb nur eine relativ geringe Gefährdung, der man das Rechtsgut Eigentum aussetzen zu können glaubt83 - eine überlegung, die sich beim Rechtsgut Leben aus zu Tage tretenden Gründen verbietet84 • Dieser Befund wird auch durch die Tatsache untermauert, daß in den Bereichen, in denen - wie etwa beim unbefugten Gebrauch eines Kraftfahrzeugs - ausnahmsweise eine höhere Gefährdung des Rechtsguts Eigentum auch durch einen ohne Zueignungsabsicht wegnehmenden Täter erkannt wurde, ein Schutz der speziell betroffenen Angriffsobjekte normiert und damit gleichsam das Gefahrintensitätsniveau der §§ 242 ff. wieder nivelliert worden ist85 • Die somit festgestellte Kollinearität zwischen besonderer Werthaftigkeit des Rechtsguts und für tolerabel gehaltenem Ausmaß der jeweiligen Gefahrintensität beeinflußt jedoch nicht die Richtigkeit und Verwertbarkeit unserer überlegungen zum Zusammenhang zwischen Gefahrintensität und Schutzbereich. Sie macht lediglich deutlich, daß das Strafrecht nicht ein für alle Rechtsgüter gleiches Gefahrintensitätsniveau kennt, sondern dieses im Hinblick auf die differierenden Werthaftigkeiten der verschiedenen Güter jeweils spezifisch bestimmt. Es steckt damit also quasi den zwar in seinen Dimensionen unterschiedlichen, in seiner Struktur jedoch identischen Rahmen ab, innerhalb dessen die Frage der Gefahrintensität im Blick auf das geschützte Gut anhand der hier entwickelten Maßstäbe zu verhandeln ist.

83 Vgl. hierzu auch Schünemann, ZSchwR 1978, 155 f.; E. Wolf, Typen, S. 20 f.; Schmidhäuser, Zueignungsabsicht, S. 349; Tenckhoff, JuS 1980,723. 84 In diesem Sinne auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Fristenlösung, wenn es betont (E 39, 60), daß angesichts des hohen Wertes des Rechtsguts Leben hier "Experimente ... nicht zulässig" seien. 85 S. zu dieser überlegung auch Marx, Rechtsgut, S. 73 f.

IX. Zusammenfassung von Teil A

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IX. Zusammenfassung von Teil A Das Strafrecht darf zum Zwecke des Rechtsgüterschutzes unter der Herrschaft des Erforderlichkeitsgrundsatzes nur da eingesetzt werden, wo der Schutzzweck mit milderen als den strafrechtlichen Mitteln nicht erreicht werden kann. Als milderes Mittel kommt insbesondere die Möglichkeit des Rechtsgutsträgers in Betracht, seine Güter vor möglichen Beeinträchtigungen selbst zu schützen. Die Selbstschutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers ist mehrfach vermittelt: Sie ist zum einen abhängig vom Stand der Entwicklung der gesellschaftlichen Formation, der der Rechtsgutsträger angehört, auf der anderen Seite ist sie bestimmt durch Art und Ausmaß der generellen Gefährdung des Gutes, die ihrerseits historisch variabel ist. Die Anforderungen an den Umfang der individuellen Schutzmöglichkeiten müssen diesem Befund Rechnung tragen: Der Rechtsgutsträger darf nicht zu Schutzmaßnahmen gezwungen werden, die ihm die Teilnahme am gesellschaftlichen Prozeß innerhalb des geschichtlich gewachsenen und etablierten Rahmens verunmöglichen; der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Individuums, der den Rechtsgutsträger zur Optimierung seiner Schutzmaßnahmen verpflichtet, hat insoweit kein kritisches Potential. Lediglich bei Außenkontakten, die sich noch nicht in dieser Form verfestigt haben, bietet dieses Prinzip eine Handhabe, die Kriminalisierung bestimmter Gutsverletzungen de lege ferenda abzuweisen. Aus dem guts spezifischen Umfang der Selbstschutzmöglichkeiten und dem ebenso spezifischen Ausmaß der generellen Gefährdung resultiert die jeweilige Gefahrintensität, der das betreffende Gut ausgesetzt ist. Nur bei ausreichend hoher Gefahrintensität ist strafrechtlicher Schutz erforderlich und damit zulässig. Die Gefahrintensität variiert nicht nur bei unterschiedlichen Gütern, sondern auch bezüglich ein und desselben Gutes im Hinblick auf verschiedene Angriffsweisen; dem selben Gut geltende Angriffe geringerer Gefahrintensität sind deshalb aus dem kriminalisierten Bereich bereits de lege lata grundsätzlich ausgeschlossen mit dem Ergebnis, daß die Beeinträchtigung eines Gutes nur dann strafrechtlich relevant ist, wenn sie gleichzeitig auch den dem Rechtsgut zugeordneten Schutzbereich verletzt, also im Wege einer spezifischen, tatbestandlich umschriebenen Angriffsweise erfolgt.

TeilB

Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers I. Gefahrintensität und Strafrechtsschutz de lege lata Normtypen des Besonderen Teils Nachdem im vorangegangenen Teil versucht wurde, die allgemeinen Grundlagen einer Konzeption darzutun, die das Prinzip der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes auf die Schutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers hin verlängert, wird sich der Text nunmehr in einem zweiten Schritt dem Problem zuwenden, ob und wie die im Blick auf die Konstitution des Rechtsgutes und des Schutzbereichs gewonnenen ersten Einsichten für konkrete Auslegungsfragen des Besonderen Teils des StGB fruchtbar gemacht werden können. Zu diesem Zweck soll zunächst die bereits oben skizzenhaft umrissene Differenzierung der Tatbestände in solche, bei denen Rechtsgut und Schutzbereich dekkungsgleich sind, und solche, bei denen das Rechtsgut umfänglicher als der Schutzbereich ist, verdeutlicht und ausgebreitet werden. 1. Der kongruente Tatbestand

Zum ersten Tatbestandsmuster, das ich das kongruente nennen möchte, zählen diejenigen Strajbestimmungen, bei denen rechtsgutsbeeinträchtigendes Handeln immer auch schutzbereichsverletzend ist. Dies ist dann der Fall, wenn weder an den Täter noch an das Opfer noch an eine von ihnen unabhängige Situation Anforderungen gestellt werden, die über das die Rechtsgutsbeeinträchtigung Kennzeichnende hinausgehen, wenn also jede beliebige Verletzung des geschützten Rechtsgutes durch menschliches Handeln - unbeschadet der Bestimmungen des Allgemeinen Teils - den vollen objektiven Tatbestand der jeweiligen Norm erfüllt. Das in § 212 geschützte Rechtsgut beispielsweise ist strafrechtlich relevant verletzt, wenn ein Mensch durch einen anderen getötet wird; im Rahmen der Bestimmungen des Allgemeinen Teils ist unabhängig von der Handlungssituation, den Besonderheiten von Täter- und Opferpersönlichkeit oder -verhalten und vielem anderen mehr eine für die Anwendbarkeit des § 212 ausreichende Gutsverletzung eingetreten. Tatbestandsmäßiges Handeln ist hier also schlicht vom eingetretenen

I. Normtypen des Besonderen Teils

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Erfolg abhängig; in welcher Weise dieser im einzelnen herbeigeführt wurde, ist im Rahmen des § 212 völlig unerheblich. Gleiches gilt etwa für § 223 oder für § 303, bei denen mit der Verletzung des geschützten Rechtsguts immer auch die volle Erfüllung des objektiven Tatbestandes einhergeht!. 2. Der inkongruente Tatbestand

Anders verhält es sich jedoch bei § 242: Hier ist mit der Bejahung der Rechtsgüterbeeinträchtigung, nämlich dem Bruch des Gewahrsams und der Eigentumsverletzung durch die Wegnahme der fremden Sache, noch nicht allzu viel gewonnen. Hinzu kommen muß vielmehr etwas mit der Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht notwendig Zusammenhängendes, nämlich die Zueignungsabsicht des Wegnehmenden 2 • Ähnliches ist auch bei § 240 festzustellen, wo die Rechtsgutsverletzung - die Beeinträchtigung der Freiheit von Willensentscheidung und -betätigung3 - erst dann strafrechtliche Relevanz hat, wenn sie mit den Mitteln der Gewalt oder der Drohung mit einem empfindlichen Übel herbeigeführt wird. Es bietet sich an, solche, durch Unterschiede im Umfang von Rechtsgut und Schutzbereich gekennzeichneten Tatbestände als inkongruente zu bezeichnen, da Beeinträchtigungsmöglichkeiten existieren, die von der Strafvorschrift nicht erfaßt werden. Die normtechnischen Möglichkeiten zur Schaffung inkongruenter Tatbestände sind, wie ein Blick in den Besonderen Teil unseres StGB lehrt, außerordentlich vielfältig: So können etwa, wie in § 177, wo nur die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben ausreicht, bestimmte Angrittsintensitäten oder, wie in § 242 bezüglich der Zueignungsabsicht, bestimmte Tätermotivationen gefordert werden; ebenso sind, wie beispielsweise in § 203, besondere Anforderungen an die Person des Täters oder, wie in § 177 hinsichtlich des Geschlechts, die des Opfers normierbar. Schließlich kann, um die Reihe der Beispiele abzuschließen, eine besondere Mitwirkung des Opfers, wie etwa die Vermögensverfügung in § 263, statuiert werden. Es versteht sich, daß nicht jede bei der Sichtung der Strafnormen des Besonderen Teils festzustellende Inkongruenz gerade auf das Erforderlichkeitsprinzip, mit anderen Worten also auf die nicht ausreichende 1 Auch hier ist der Ausschluß ganz unerheblicher Beeinträchtigungen der fremden Sache in § 303 (hierzu nur: Lackner, StGB, § 303, Anm. 2; Stree, in: Schönke / Schröder, § 303, Rdnr. 8) nicht im Sinne der vorliegenden Untersuchung "handlungsbeschreibend" , sondern dient der Konturierung des Rechtsguts. 2 Vgl. hierzu neuestens Schmidhäuser, Zueignungsabsicht, insbes. S. 349 f. 3 S. nur Dreher / Tröndle, StGB, § 240, Rdnr. 1; Horn, in: SK, § 240, Rdnr.1, jeweils m. w. N.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

Gefahrintensität anderer als der nicht sanktionierten Angriffsweisen zurückzuführen ist. Vielmehr können selbstverständlich auch Erwägungen der Geeignetheit strafrechtlichen Schutzes oder überlegungen allgemeiner kriminal politischer Natur, die sich weder Erforderlichkeits- noch Geeignetheitskriterien zuordnen lassen, zur Inkongruenz von Tatbeständen führen. So hat der Gesetzgeber des 1. StrRG4 einen Schutzbereich für das Rechtsgut der von homosexuellen Einflüssen ungestörten sexuellen Entwicklung Minderjähriger in § 175 lediglich für männliche Jugendliche eröffnet und hierfür zum einen Argumente mangelnder genereller Gefährdung - nämlich die im Vergleich zu den männlichen Homosexuellen geringere Zahl der Lesbierinnen und ihren selteneren Partnerwechsel - ins Feld geführt; gleichzeitig stützt er die Einengung des Schutzbereichs aber auch auf die generelle kriminalpolitische überlegung, daß ausschließlich lesbische Beziehungen nicht in die Öffentlichkeit drängten5 . Worauf die Inkongruenz eines konkreten Tatbestandes im einzelnen zurückzuführen ist, muß auf der Ebene des geschützten Rechtsguts im Hinblick auf die Gefahrintensität, die jeweilige Ausprägung des Schutzbereichs und auf die tatbestandliche Schutztechnik also je unterschiedlich verhandelt und entschieden werden. 3. Das Beziehungsdelikt

Von besonderem Interesse sind im Zusammenhang der inkongruenten Tatbestände diejenigen Strafnormen, die ich in teilweiser Abweichung von der viktimologischen Terminologie Beziehungsdelikte8 nennen möchte. Hierunter sollen Delikte verstanden werden, die der Täter nicht vollenden kann, ohne den Rechtsgutsträger oder eine mit diesem in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang stehende Person zu einem dem deliktischen Vorhaben förderlichen Verhalten bewegt zu haben. Spezifikum dieser Delikte ist also, daß zwischen Täter und präsumtivem Opfer ein Kontakt stattfinden muß, der mehr und intensiver ist als nur das Bewirken des Erfolges oder die Vornahme einer Tätigkeit am Rechtsgutsträger oder den ihm zugeordneten Gütern - also z. B. die "Mißhandlung" oder die "Wegnahme" - , sondern vielmehr eine echte Interaktion zwischen beiden Seiten darstellt? • Vom 25. 6. 1969, BGBI. I, 645. BTD VI/3521, S. 33. I Zu diesem Terminus in der viktimologischen Literatur: Grob, Kriminalistik 1964, 7 ff.; Rössmann, Kriminalistik 1969, 421 ff.; Schultz, SchwZStrafrecht 1956, 171 ff.; Sigg, Begriff, S. 13 ff.; Paasch, Grundprobleme, S. 33 ff.; Amelunxen, Opfer, S. 50 f.; Weber, Psychodiagnostik, S. 26; Schneider, Opfer, S. 24 ff., 54 ff. 7 Vgl. hierzu auch Frisch, Funktion, S. 658 f. 6

I. Normtypen des Besonderen Teils

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Zu dieser Kategorie zählt etwa § 234 a in der Modalität der vom Täter hervorgerufenen Veranlassung des Rechtsgutsträgers, sich außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches des StGB zu begeben, ebenso wie das gewerbsmäßige Anwerben zur Prostitution im Sinne des § 180 a Abs. 3. Weitere Beispiele finden sich in § 263, der ohne die Verfügung des Getäuschten nicht vollendet werden kann, oder in § 302 a, wo die tatbestandliche Mitwirkung des Rechtsgutsträgers im Versprechen oder Gewähren der wucherischen Leistung zu sehen ist. Bei allen diesen Delikten kann nicht gut von "Handelndem" und "Betroffenem" in dem Sinne gesprochen werden, daß sich der Täter aktiv das passive Opfer zum Objekt mache; hier arbeiten vielmehr beide Seiten an der Verwirklichung des Tatbestandes, der ohne eine Aktivität des Opfers ja nicht vollendet werden kann, in einem später noch zu spezifizierenden Sinne eigentätig mit8 • 4. Das ZugriffsdeUId

Von dieser Kennzeichnung des Beziehungsdelikts aus können nunmehr negativ abgegrenzt werden die Zugriffsdelikte als Tatbestände, die eine Interaktion zwischen Täter und Opfer weder vor noch bei Begehung der Tat zur Voraussetzung haben. Dies besagt nicht, daß ein wie auch immer gearteter Kontakt zwischen Täter und Opfer nicht stattfinden darf, sondern lediglich, daß ein solcher von den tatbestandlichen Voraussetzungen her nicht zu erfolgen braucht9 • Das Opfer tritt im Rahmen der Zugriffsdelikte entweder, wie in §§ 212, 223, 242, überhaupt nicht oder doch, wie z. B. in §§ 187 a, 201 Abs. 1, zumindest nicht als zielgerichtet mit dem Täter handelndes auf; es wird aus der Sicht des Straftatbestandes vom Täterverhalten lediglich passiv betroffen10 •

8 Auf die sich in diesem Zusammenhang ergebende interessante Frage der möglichen Auswirkungen der hier entwickelten Konzeption auf die Lehre von der notwendigen Teilnahme kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung leider nicht eingegangen werden; hierzu nur Paasch, Grundprobleme, S. 95 ff. 9 Daß auch im Rahmen von Zugriffsdelikten das Opfer häufig erheblichen Anteil an der deliktischen Handlung hat, belegen die Erkenntnisse der Viktimologie; s. nur Schüfer, MSchrKrim 1962, 162 f.; Zipf, MSchrKrim 1970, 1 f.; Hauptmann, MSchrKrim 1978, 213 ff.; Eisenberg, GA 1971, 176 ff.; Grob, Kriminalistik 1964, 7 ff.; Schultz, SchwZStrafrecht 1956, 173 f.; Gasser, Victimologie, S. 20 ff.; Amelunxen, Opfer, S. 57 ff. et passim; Schneider, Viktimologie, S. 99 ff.; ders., JZ 1977, 623; ders., DRiZ 1978, 142 f.; Schüler-Spnngorum, Victimologie, S. 204 ff.; Sessar, Aussichten, S. 305 ff.; vgl. aber auch Weis, MSchrKrim 1972, 170 ff. 10 Vgl. hierzu auch Frisch, Funktion, S. 657 f.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

11. Rechtsgut und Schutzbereich; Folgerungen aus der Typisierung der Tatbestände für eine Rechtsgewinnung mit Hilfe der teleologischen Methode Bereits diese strukturelle Erfassung der in §§ 80 ff. anzutreffenden Normtypen, deren Verhältnis zueinander wir im weiteren Verlauf dieser Untersuchung jeweils am Problem bestimmen werden, liefert uns den Ansatzpunkt für eine Auseinandersetzung mit dem wohl wichtigsten und üblichsten Instrument der Rechtsfindung im Besonderen Teil des StGB, der teleologischen Methode 11 • Es ist evident, daß der praktische Ertrag einer Auslegungsmethode, der es zentral auf die Verwirklichung der "durch die Rechtssätze verfolgten Zwecke"12 ankommt, in unmittelbarer Abhängigkeit von der exakten Bestimmung des jeweiligen Telos der Strafnorm steht. Gerade in diesem Bereich hat sich jedoch eine Konzeption verfestigt, die den Normzweck ausschließlich im geschützten Rechtsgut als dem "vom Gesetzgeber in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannte(n) Zweck in seiner kürzesten Formel"13, der "Abbreviatur des Zweckgedankens"14 sehen zu müssen glaubt. 1. Der Rechtsgüterschutz als aIIeiniger Telos der Strafnorm: Schwinge

Diese Sichtweise, die wir unter anderem bereits bei Beling 15 angelegt finden, ist in aller Schärfe 16 formuliert in der - soweit ich sehe ersten monographischen Bearbeitung des in Frage stehenden ProblemfeIdes, Schwinges 1930 erschienener "Teleologische Begriffsbildung und Strafrecht". Zwar ist es für einen Verfechter der teleologischen Methode nur konsequent, wenn er dieser gegenüber der grammatikalischen ("Nach alledem kann es nicht mehr zweifelhaft sein, wer den Vorrang hat, wenn der Sinn, den der Sprachgebrauch einem Gesetzesausdruck beilegt, mit derjenigen Bedeutung im Widerspruch steht, die er durch die Beziehung auf das Rechtsgut des in Betracht kommenden Tatbestands erhält: Nach dem oben Ausgeführten kann die Entscheidung nur zugunsten der Deutung aus dem Rechtsgut ausfallen. Also nicht der Sprachgebrauch entscheidet im Zweifel über die begriffliche Aus11 Vgl. zur teleologischen Auslegungsmethode allgemein etwa Larenz, Methodenlehre, S. 298 ff., insbes. S. 322 ff.; Enneccerus / Nipperdey, Allgemeiner Teil, S. 323 ff.; Coing, Methodenlehre, S. 32 ff.; Engisch, Einführung, S. 78 ff., S. 85 ff.; Tröndle, in: LK, § 1, Rdnr. 46 ff.; Germann, Probleme, S. 79 ff.; Eser, in: Schönke / Schröder, § 1, Rdnr. 47 ff.; Schmidhäuser, Teleologisches Denken. 12 Engisch, Einführung, S. 79. 13 Honig, Einwilligung, S. 94. 14 Grünhut, Methodische Grundlagen, S. 8. lS Verbrechen, S. 215; s. auch Engisch, MSchrKrim 1934, 77 ff. lS Vgl. auch die Beurteilung von Dahm (MSchrKrim 1931, 764): "Den Zweck des Gesetzes setzt Schwinge gleich mit dem ,Schutzobjekt des Rechtsguts'."

11. Rechtsgut und Schutzbereich

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prägung, welche die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale erfahren, sondern die Rechtsschutzaufgabe, die dem betreffenden Rechtssatz gesetzt ist. Wortsinn und Sprachgebrauch schaffen immer bloß Indizien, haben stets nur heuristischen Wert für die strafrechtliche Begriffsbildung17 ."), der systematischen ("Führen Zweckbetrachtung und systematische Erwägung zu einander widerstreitenden Ergebnissen, so gibt auch hier der Zweck den Ausschlag 18 .") und der historischen Methode der Rechtsgewinnung LAuch die Entstehungsgeschichte hat nur heuristischen Erkenntniswert, letzthin entscheidend ist hier wie sonst das Zweckmoment 19 .") den eindeutigen Vorzug gibt. Schon in den in diesem Zusammenhang gebrauchten Formulierungen deutet sich jedoch an, daß Schwinge den durch die von ihm favorisierte Methode zu fördernden Zweck in einer ganz spezifischen, aus den beiden folgenden Passagen eindeutig rekonstruierbaren Weise definiert: "Wollen wir Inhalt, Tragweite und Herrschaftsbereich einer Strafrechtsnorm ermitteln, m. a. W. ihren Begriff gen au umreißen, so müssen wir also deren einzelne Tatbestandsmerkmale zu ihrem Rechtsgut oder Schutzobjekt in Beziehung setzen. Wir haben uns demnach zunächst zu überlegen: Welches Rechtsgut ist überhaupt Gegenstand des Strafrechtsschutzes dieser Norm? Sind wir darüber im Klaren, so ist alsdann zu prüfen, was erforderlich ist, damit die Strafbestimmung die Funktion, die ihr der Gesetzgeber zugewiesen hat: Schutz dieses Rechtsguts, erfüllen kann 20 ."; "Die bisherigen Untersuchungen haben zu zeigen versucht, daß leitendes Prinzip der strafrechtlichen Begriffsbildung der Rechtsgutsgedanke ist. Das bedeutet: Soll Inhalt, Geltungsbereich und Tragweite eines Strafrechtssatzes festgestellt werden, so muß dieser so, wie er im Gesetzbuch steht, in Beziehung zu seinem Rechtsgut gesetzt werden, wobei alsdann zu fragen ist, was unerläßlich ist, damit diese Vorschrift die ihr gesetzte Rechtsschutzaufgabe erfüllen kann21 .". 2. Die Kritik Schaffsteins

Vor den Konsequenzen einer solchen Reduktion des gesetzlichen Telos auf den Schutz des in der Norm bezogenen Rechtsguts hat schon kurze Zeit nach dem Erscheinen der Untersuchung Schwinges Schaffstein in seinem Beitrag für die Festschrift der Leipziger Juristenfakultät für Richard Schmidt aus dem Jahre 1935 eindringlich und überzeu-

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Begriffsbildung, S. 50 (Hervorhebungen im Original). Begriffsbildung, S. 54 (Hervorhebung im Original). Begriffsbildung, S. 55 (Hervorhebung im Original). Begriffsbildung, S. 22 f. (Hervorhebungen im Original). Begriffsbildung, S. 59 (Hervorhebung im Original).

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

gend gewarnt 22 . Unter Berufung auf die Hegler'sche Unterscheidung zwischen formal- und material-teleologischen Gesichtspunkten23 lehnt Schaffstein eine einlineare und lediglich am Rechtsgüterschutz orientierte Bestimmung des Leitmotivs des Gesetzgebers ab. Strafgesetzgebung sei immer Abwägung zwischen verschiedenen, teilweise gegenläufigen Tendenzen und Interessen, denen deshalb auch im Prozeß der Rechtsgewinnung nachzuforschen sei. Eine andere Konzeption würde "zu einem Schutz des Rechtsguts bis zum Extrem führen"24 und damit der gesetzlichen Intention zuwiderlaufen, die den widerstreitenden Interessen durch "eine ins Einzelne gehende Unrechtstypisierung"25 Rechnung zu tragen suche: "Ein Gesetz, das nur auf einen möglichst vollständigen Rechtsgüterschutz bedacht ist, würde sich ohne Vertatbestandlichung mit der Formel: Wer dieses oder jenes Rechtsgut verletzt, wird so oder so bestraft, begnügen können 26 ." Da eben dies aber nicht der gesetzlich verfolgte Zweck sei, müsse etwa im Rahmen des § 263 eine Auslegung, "welche Inhalt und Grenze der einzelnen Tatbestandsmerkmale ausschließlich unter dem Gesichtspunkt eines möglichst weiten Vermögensschutzes bestimmen wollte, ... dem Sinne des Gesetzes und den Absichten des Gesetzgebers geradezu zuwiderlaufen"27. 3. Teleologische Methode und Schutzbereich

Wenn, wie dies bereits Schünemann feststellt 28 , Schaffstein zwar eine nachhaltige Kritik an der in einer solchen spezifischen Verkürzung angewendeten teleologischen Methode geübt, aber keine Remedur geschaffen hat, so mag dies in der auch vom Autor selbst - in einem 1974 aus Anlaß des Wiederabdrucks seiner Arbeit erschienenen Nachwort 29 - beklagten Tatsache liegen, daß seine Untersuchung die zentrale Frage nach der konkreten Gewinnung der relevanten Maßstäbe und Kriterien - der formal-teleologischen Gesichtspunkte im Sinne Heglers so nicht zu beantworten vermochte. Daß die bisherigen Ergebnisse des vorliegenden Textes unmittelbar zur Lösung dieses Problems der Kriteriengewinnung in die Lage setzen 22 Begriffsbildung; s. auch Dahm, MSchrKrim 1931, 765 f. 23 Begriffsbildung, S. 387 f. 24 Begriffsbildung, S. 394. 25 Ebenda. 28 Ebenda. 27 Begriffsbildung, S. 394 f. 28 Prolegomena, S. 129, Fn. 49. 29 Begriffsbildung, S. 417. 30 Worunter Hegler in Abgrenzung von den material-teleologischen Zweckgesichtspunkten der einzelnen Rechtsinstitute und -bestimmungen die gleichsam vor die Klammer gezogene Zwecksetzung des Rechts als solchen versteht, also etwa Rechtssicherheit, Rechtsgleichheit etc. (ZStW 36, 20 (Fn. 4».

11. Rechtsgut und Schutzbereich

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würde, wäre sicherlich eine vermessene Behauptung; nicht zu verkennen scheint mir aber, daß die im Vorhergehenden geleistete Typisierung der einzelnen Tatbestände des Besonderen Teils und deren Rückführung auf grundlegende verfassungsrechtliche Prinzipien wenn nicht Maßstäbe, so doch vorläufig zumindest Ansatzpunkte zu einer Anreicherung der teleologischen Methode zur Verfügung stellen. Angesichts der Existenz und der großen Zahl inkongruenter Tatbestände im Besonderen Teil des StGB erscheint es nämlich ausgesprochen zweifelhaft, ob die von der herrschenden Meinung in Strafrechtspraxis und -wissenschaft nach wie vor vertretene Auffassung, nach der der Gesetzeszweck seinen Niederschlag im geschützten Rechtsgut gefunden haben sol1 31 , aufrecht erhalten werden kann. Eine ausschließlich am Rechtsgut orientierte teleologische Auslegung läuft, wie von Schaffstein prophezeit und in letzter Zeit auch auf dem Boden ganz anderer als der hier vertretenen Konzeption zunehmend erkannt und beklagt wird 32 , in der Tat Gefahr, über das wirkliche gesetzliche Ziel hinauszuschießen. Diese Tendenz liegt darin begründet, daß das Rechtsgut eben gerade nicht bei allen, sondern nur bei einer beschränkten Anzahl von Tatbeständen, nämlich den kongruenten, den gesetzgeberischen Zweck unter dem hier interessierenden Aspekt erschöpfend zu bestimmen vermag. Bei allen inkongruenten Tatbeständen aber ist dieser Zweck mit der Bezeichnung des Rechtsgutes nur höchst mangelhaft und in verhängnisvoller Weise einseitig beschrieben. Dies ist genauer zu begründen: Hierbei kann an die Überlegungen angeknüpft werden, die oben im Zusammenhang der Erwägungen zum Schutzbereich und den Gründen seiner Konstitution angestellt wurden 33 • Wir hatten dort festgestellt, daß es zur Konturierung eines vom Rechtsgut abweichenden Schutzbereichs unter dem hier interessierenden Aspekt dann kommt, wenn der umfassende Schutz eines Rechtsguts wegen der zu geringen Gefahrintensität bestimmter Angriffsweisen unzulässig ist. Der Gesetzgeber sucht in Fällen dieser Art also nicht nur die Frage zu beantwor31 Vgl. nur Maurach / Zipf, Strafrecht, AT 1, S. 282 f.; Dtto, Strafrecht, AT, S. 63 f.; Baumann, Strafrecht, S. 150; Eser, in: Schönke / Schröder, § 1, Rdnr. 52; Dtto, Rechtsgutsbegriff, S. 1; ders., Strafwürdigkeit, S. 61 f.; Rudolphi, Aspekte, S. 152 ff.; Schmidhäuser, Teleologisches Denken, S. 94 f.; Winfried Hassemer, Theorie, S. 57 ff. 32 S. etwa Blei, Strafschutzbedürfnis, S. 109 und S. 123; Reese, Täuschung, S. 82 ff.; Naucke, Betrug, S. 163 f.; Schünemann, ZSchwR 1978, 144 ff.; ders., Prolegomena, S. 118; Peters, Strafrechtsgestaltende Kraft, S. 19 f.; vgl. auch dens., Grundfragen, S. 27 ff.; Roxin, Kriminalpolitik, S. 23; Jäger, Strafgesetzgebung, S. 14; Hanack, Revision, S. 23 ff., insbes. S. 25; Bindokat, JZ 1969, 544 ff.; Giehring, Demonstration, S. 522; s. aber auch Eser, in: Schönke / Schröder, § 1, Rdnr. 52. 33 S. o. Teil A, Kap. VIII, 1.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

ten, wie der Schutz des betroffenen Gutes am effizientesten auszugestalten ist, sondern er hat sich wegen des Grundsatzes der Erforderlichkeit gleichzeitig auch die Frage zu stellen, welche Angriffsarten wegen zu geringer Gefahrintensität nicht kriminalisiert werden dürfen. Mithin liegt der gesetzgeberische Zweck bei einer solchen Konstellation nicht ausschließlich in der Gewährung strafrechtlichen Schutzes für bestimmte Güter, sondern ebenso auch darin, diesen Schutz nicht über das Erforderliche und verfassungsrechtlich Zulässige hinaus auszudehnen. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß unter dem Aspekt der vorliegenden Untersuchung der gesetzliche Zweck nicht im Rechtsgut, sondern im Schutzbereich seine - notwendig etwas weniger kurze - Formel gefunden hat 34 • Einer solchen Konzeption erscheinen diejenigen Tatbestandsmerkmale, die die Strafbarkeit rechtsgutsbeeinträchtigenden HandeIns einschränken, nicht als hinderlicher Ballast auf dem Wege zu einer scheinbar besseren Realisierung des gesetzlichen Zwekkes und möglichst restriktiv auszulegende Kautelen. Sie ermöglicht vielmehr, die Fassung der jeweiligen Strafnorm als harmonisches und konsistentes Produkt einer Abwägung zwischen Schutzwürdigkeits-, Geeignetheits- und Erforderlichkeitserwägungen zu sehen und Ansatzpunkte für eine Verlängerung der diese Abwägung tragenden Wertungen bis zum Einzelfall bereitzustellen. Ist demnach nicht das Rechtsgut, sondern der Schutzbereich die "Abbreviatur des Zweckgedankens"35, so bleibt zu fragen, welche Folgerungen hieraus für eine an der teleologischen Methode orientierte Auslegung der Tatbestände des Besonderen Teils hergeleitet werden können. a) Die Auslegung kongruenter Tatbestände

Diese Frage ist zunächst im Hinblick auf die kongruenten Tatbestände des StGB eindeutig dahingehend beantwortbar, daß hier die überkommene, auf das Rechtsgut als Formulierung des gesetzlichen Zwecks ausgerichtete Konzeption zumindest für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung ihre Bedeutung deshalb uneingeschränkt behält, weil sie in diesen Fällen das Ergebnis der Auslegung nicht zu verzerren vermag. Hier existieren wenigstens unter dem Aspekt der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes keine beachtenswerten, zu einer Abwägung drängenden und dem Rechtsgüterschutz widerstreitenden faktische oder rechtliche Interessen.

34 So im Ergebnis wohl schon Schaffstein, Begriffsbildung, S. 394 f.; Dahm, MSchrKrim 1931, 766. 35 GTÜnhut, Methodische Grundlagen, S. 8.

111. Rechtsgut, Rechtsgutsobjekt und Gefahrintensität

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b) Die Auslegung anderer Normtypen

Schwieriger gestaltet sich die Beantwortung dieser Frage im Rahmen der inkongruenten Tatbestände, wo ja die Strafbarkeit nicht von der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts als solcher abhängt, sondern noch eine bestimmte Art der Verletzung hinzutreten muß - der oben festgestellte doppelte gesetzliche Zweck der Schutzgewährung und der Schutzlimitierung seinen unmittelbaren Niederschlag also in der Normierung eines vom Rechtsgut differenten Schutzbereichs findet. Im Lichte der hier vertretenen Konzeption hat demnach die Beeinträchtigung des jeweiligen Rechtsguts in Fällen dieser Art gleichsam nur eine "Indiz"-Wirkung für die Erfüllung des Tatbestandes, die, um die Strafbarkeit endgültig bejahen zu können, durch eine Prüfung des Täterweges zur Gutsverletzung ergänzt werden muß. Bei diesem zweiten Arbeitsgang - zu dem im Rahmen der Beziehungsdelikte noch ein dritter, nämlich die Prüfung des Verhaltens des Rechtsgutsträgers hinzutreten muß - wird eine teleologische Auslegung vom Rechtsgut her jedoch notwendig versagen, da die zur Kriminalisierung nur begrenzter Angriffsarten führenden gesetzlichen Zwecke notwendig nicht vom Rechtsgut, sondern nur von der Gefahrintensität her verstanden und nachvollzogen werden können. Es geht in Fällen dieser Art ja eben gerade nicht um die Gewährung, sondern um die Begrenzung des strafrechtlichen Schutzes für ein Rechtsgut, um ein Telos also, das der herkömmlichen Zweckdefinition im Rahmen der teleologischen Auslegung zuwiderläuft. Genauer: Der gesetzliche Zweck besteht bei inkongruenten Tatbeständen im Schutz eines bestimmten Rechtsguts vor Angriffshandlungen ausreichend hoher Gefahrintensität und in der Versagung dieses Schutzes gegen weniger gefahrintensive Angriffsarten; der Versuch, diesen Zweck in der Arbeit am Tatbestand in Rechtswirklichkeit umzusetzen, muß sich demnach nicht wie bisher allein in die eine Richtung, zum Rechtsgut hin, orientieren, sondern ebenso sehr in die andere, zur Gefahrintensität der verschiedenen Angriffsarten 36.

111. Rechtsgut, Rechtsgutsobjekt und Gefahrintensität Zur genaueren Ortsbestimmung der nach dieser Auseinandersetzung mit der teleologischen Methode anzustellenden Überlegungen, die uns der "Schutzbedürftigkeit des Opfers" als Hauptthema unserer Untersuchung noch etwas näher bringen sollen, erscheint es zweckmäßig, nochmals einige Erkenntnisse des ersten Teils der vorliegenden Arbeit Revue passieren zu lassen: 38 Vgl. zu den zu ähnlichen Ergebnissen führenden Ansätzen der älteren Literatur die Nachweise in Fn. 34.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

Die Aufgabe des Strafrechts wurde darin gesehen, diejenigen Rechtsgüter vor Verletzungen zu bewahren, die durch individuelle Schutzmaßnahmen des Rechtsgutsträgers nicht oder zumindest nicht umfassend geschützt werden können. Das Ob, das Wie und das Wieweit strafrechtlichen Schutzes sahen wir dabei bestimmt durch die einem Gut drohende Gefahrintensität als Resultante aus den - ihrerseits wieder vom Ausmaß der sozialadäquaten Öffnung der individuellen Herrschafts- und Kontrollsphäre beeinflußten - Phänomenen der generellen Gefährdung und der Selbstschutzmöglichkeit. In all den Bereichen, in denen sozialadäquate Außenkontakte zu ausreichend hoher Gefahrintensität führen, ersetzt mithin - so hatten wir festgestellt - das Strafgesetz gleichsam verlorene Selbstschutzmöglichkeiten oder sucht die Erhöhung von Gefährdungen zu kompensieren. 1. Die abstrakte Gefahrintensit'" als dem Reclttsgut typisclterweise drohende Gefahr

Die praktische Umsetzung dieses Programms im Prozeß der Gesetzgebung nimmt - stellt man sie idealtypisch dar - demnach ihren Ausgang von der Wahrnehmung hoher Gefährdung eines bestimmten Rechtsgutes. Diese erste, von Noll als Problemimpuls bezeichnete Phase legislatorischer Aktivität 37 ist also gekennzeichnet von dem mehr oder minder kollektiven Bewußtwerden einer einem werthaften Gut drohenden Gefahr. Hieran schließt sich die Frage nach der grundsätzlichen Notwendigkeit und der Ausgestaltung strafrechtlichen Schutzes für das betroffene Rechtsgut an, deren Beantwortung ihrerseits voraussetzt, daß die typischen rechtsgutsbezogenen Ausgangspositionen von Täter und Opfer: die das in Frage stehende Rechtsgut bedrohenden typischen Angriffsweisen eruiert werden. In einem letzten Schritt gilt es schließlich, die Palette möglicher Angriffsarten nach dem Kriterium höherer oder niedrigerer Gefahrintensität zu staffeln und zu entscheiden, wo nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit und im Hinblick auf die konkrete Werthaftigkeit des fraglichen Gutes die Grenze der Zulässigkeit strafrechtlichen Schutzes zu ziehen ist 38 • Das Resultat dieses Prozesses, die Strafnorm, beschreibt demnach in abstrakt-genereller Form bestimmte typische Fälle einer durch sozialadäquate Öffnung bewirkten hohen Gefahrintensität und strebt die Schließung der durch diese Öffnung entstandenen - ebenso typischen - Lücken im Wall der individuellen Schutzmöglichkeiten an. Anders 37

Gesetzgebungslehre, S. 72 f.; vgl. auch Winfried Hassemer / Steinert /

Treiber, Soziale Reaktion, S. 12 ff.

38 Zu dem hier idealtypisch gezeichneten Prozeß der Schaffung von Strafrechtsnormen vgl. auch Waldmann, MSchrKrim 1979, 102 ff.; Amelung, ZStW 82,24 ff.

III. Rechtsgut, Rechtsgutsobjekt und Gefahrintensität

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gewendet: Die im gesetzlichen Tatbestand gekennzeichneten Situationen sind durch typische Verhaltensweisen von Täter und Opfer konstituiert und verfügen typischerweise über eine dem Erforderlichkeitsgrundsatz genügende Gefahrintensität39 • 2. Die konkrete Gefahrintensltit als dem Rechtsgutsobjekt im Einzelfall drohende Gefahr

Von dieser gesetzlich verarbeiteten, generellen Gefahrintensität muß wohl unterschieden werden die Gefahrensituation, in der sich ein bestimmtes Rechtsgutsobjekt 40 im Einzelfall vor, bei oder nach seiner Verletzung befindet und die ich als konkrete Gejahrintensität bezeichnen möchte. Daß generelle und konkrete Gefahrintensität nicht unbesehen in eins gesetzt werden dürfen, zeigt beispielsweise die Situation, in der sich Leben und körperliche Unversehrtheit eines maßgeblichen Politikers befinden: Die dem Rechtsgutsobjekt durch Attentate drohende erhöhte konkrete Gefährdung wird zwar durch verstärkte "Selbstschutz"-Maßnahmen wie beispielsweise Leibwächter und kugelfeste Kraftfahrzeuge zu kompensieren versucht; daß die konkrete Gefahrintensität trotz dieser Bemühungen höher als normal ist, macht aber bereits die Geschichte des politischen Mordes deutlich41 • 3. Eigene Einwirkungen des Rechtsgutsträgers auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensitit

Im Rahmen unserer auf das Problem der Schutzbedürftigkeit des Opfers gerichteten Untersuchung ist hinsichtlich der konkreten Gefahrintensität insbesondere die Frage nach der eigenen Einflußnahme des Rechtsgutsträgers auf dieses Phänomen von Belang. Daß der Rechtsgutsträger überhaupt auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität selbsttätig einwirken kann, lehren Kriminalstatistik und Alltagserfahrung: Die Ausübung einer kampfbetonten Sportart erhöht die Gefahr von Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit; die ohne jegliche Begleitung mittels Autostopp reisende Frau setzt sich einer vergleichsweise hohen Gefahr aus, Opfer eines Sittlichkeitsdeliktes zu werden42 ; 38 S. zur Typusproblematik nur LaTenz, Methodenlehre, S. 443 ff.; Leenen, Typus, S. 25 ff.; Winfried HassemeT, Tatbestand, S. 65 ff.; Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 160 ff. Mit dem Straftatbestand als Typus setzt sich in einer der hier dargelegten Konzeption verwandten Weise auch Sax (Tatbestand, S. 9 ff.) auseinander. 40 Worunter hier und im weiteren das Handlungsobjekt der jeweiligen Tat verstanden werden soll. n Einen informativen überblick liefert Schünemann, Politisch motivierte Kriminalität, S. 53 ff. (m. w. Nachw.). 42 Das hiermit angesprochene Problem der Wertung einer vorhergehenden Interaktion zwischen präsumtivem Opfer und Sittlichkeitstäter, das von der

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

die in unseren Selbstbedienungsläden anzutreffende Situation vergrößert die Wahrscheinlichkeit von Eigentums- und Vermögensdelikten 43 ; die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen zu notorischen Gaunern gefährdet in besonderem Maße eigene Vermögenswerte. Obwohl also in jedem dieser Fälle unzweifelhaft eine Abweichung des Ausmaßes der konkreten von der "normalen" Gefahrintensität festgestellt werden kann, bleibt doch - vor allem im Fall der alleinreisenden Frau und des Selbstbedienungsladens - höchst zweifelhaft, ob und in welchem Sinne hier eine relevante Einflußnahme auf den Umfang der Gefahrintensität stattgefunden hat. Dem Versuch der Klärung dieses Problems wird sich der Text im folgenden zuwenden. Für dieses Unterfangen ist zunächst von zentraler Bedeutung die Einsicht, daß Beeinflussungen der konkreten Gefahrintensität durch den Rechtsgutsträger grundsätzlich auf zwei, wohl zu unterscheidende Arten möglich sind: Der Rechtsgutsträger kann zum einen eine Sicherung seiner Kontroll- und Herrschaftssphäre vornehmen, also Selbstschutzmaßnahmen im eigentlichen Sinne ergreifen; er kann jedoch andererseits - und gleich wichtig - das Ausmaß der konkreten Gefährdung eines oder mehrerer seiner Güter beeinflussen, indem er sie in bestimmte Situationen verbringt 44 • Dabei macht ein Blick auf die oben 45 vorgenommene Differenzierung der Normtypen des Besonderen Teils in kongruente und inkongruente Tatbestände auf der einen sowie Zugriffs- und Beziehungsdelikte auf der anderen Seite deutlich, daß signifikante Unterschiede in der Valenz der Möglichkeiten zur Beeinflussung der konkreten Gefahrintensität vor allem im Hinblick auf das zweite Begriffspaar zu erwarten sein dürften. Setzen nämlich die Beziehungsdelikte - die ausschließlich in der Form von inkongruenten Tatbeständen auftreten - im Gegensatz zu den Zugriffsdelikten - die als kongruente wie als inkongruente Tatbestände gefaßt sein können eine Interaktion zwischen Täter und Opfer voraus, so kann vermutet werden, daß bei ersteren der Beeinflussung der konkreten Gefahrintensität auf dem Wege über die Selbstschutzmaßnahmen eine vergleichsweise größere Bedeutung zukommt. Rechtsprechung häufig zuungunsten des Opfers gelöst wird (hierzu nur ff., insbes. 233 ff.), kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung leider nicht vertieft werden. 43 S. etwa das von Naucke (Gutachten, S. 47 ff.) zusammengetragene und bewertete Zahlenmaterial. 44 Hierbei macht wohl bereits die Formulierung ausreichend deutlich, daß Einflußnahmen des Rechtsgutsträgers auf die konkrete Gefahrintensität nicht nur in Richtung auf deren Erhöhung, sondern auch in die - im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht weiter relevante - ihrer Verminderung möglich sind. 45 Vgl. Kap. I. Schapira, KJ 1977, 221

III. Rechtsgut, Rechtsgutsobjekt und Gefahrintensität

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a) Einwirkungen bei Zugriffsdelikten In der Tat läßt sich die Frage nach der relevanten Einflußnahme des Rechtsgutsträgers auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität im Rahmen der Zugriffsdelikte gleichsam eindimensional, nämlich nur im Blick auf deren Gefährdungswurzel stellen, da der Sicherung der individuellen Kontroll- und Herrschaftssphäre hier keine eigene, selbständige Bedeutung zukommt. aal Einwirkungen auf die Selbstschutzwurzel der Gefahrintensität Dies ergibt sich zum einen aus der legislatorischen Sicht der in Frage stehenden Sachverhalte: Der Normgeber hält in Fällen dieser Art eventuell gegebene zumutbare Selbstschutzmöglichkeiten im Vergleich zur generellen Gefährdung apriori für so aussichtslos und unbehelflich, daß er auf eine einschlägige Beschreibung eines diesbezüglichen Verhaltens des Rechtsgutsträgers völlig verzichtet, die Gefahrintensität mithin als durch die generelle Gefährdung hinreichend bestimmt erachtet. Dieser Befund ist andererseits aber auch durch eine Besinnung auf den Inhalt der individuellen Selbstschutzmöglichkeiten verifizierbar, welchen wir darin gesehen haben, daß der Rechtsgutsträger Beeinträchtigungen der ihm zugeordneten Güter durch Sicherung seiner Kontroll- und Herrschaftssphäre zu hindern vermag46 • Was nun aber die Sicherung und Stärkung dieser Sphäre anbelangt, so können sie bei anderen als Beziehungsdelikten - also: bei allen kongruenten und den Zugriffsdelikten unter den inkongruenten Tatbeständen - nicht eigenständig und isoliert in Anschlag gebracht werden. Zwar vermag der Rechtsgutsträger Vorkehrungen zu treffen, die - wie etwa das Anbringen von Sicherheitsschlössern oder das Tragen einer kugelsicheren Weste - umgangssprachlich als "Selbstschutz"-Maßnahmen bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang von einer Sicherung der individuellen Kontroll- und Herrschaftssphäre zu sprechen, ist jedoch - was unten bei der Darstellung der Selbstschutzmöglichkeiten beim Beziehungsdelikt noch deutlicher zu machen sein wird - deshalb wenig sinnvoll, weil solche Vorkehrungen in nuce nicht die Errichtung eines Selbstschutzwalls, sondern nur die Verringerung des Ausmaßes einiger dem betroffenen Rechtsgut geltender Gefährdungen bewirken. Am Beispiel: Ein Rechtsgutsträger, der aus Furcht vor Verletzungen der körperlichen Integrität seine Wohnung niemals ohne geladene Pistole verläßt, verringert - nicht: beseitigt - zwar die Gefahr einer vorsätzlichen Körperverletzung gleichsam "im offenen Kampf", kann 48

S. o. Teil A, Kap. V.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

aber dennoch ebenso gut wie jeder andere von hinten niedergeschlagen, von einem Automobil angefahren oder von seinem Zahnarzt gegen alle Regeln medizinischer Kunst malträtiert werden. Schon hieraus erhellt, daß der im Bereich der Zugriffsdelikte erfolgende "Selbstschutz" der betroffenen Rechtsgüter immer nur in eine einzige, höchstens in eine begrenzte Zahl von Richtungen wirkt und deshalb nur die Intensität der dem Gut aus eben diesen Richtungen drohenden Gefahr zu reduzieren vermag. Gegenüber allen anderen Angriffsarten ist er nutzlos oder - im Einzelfall - gar gefahrerhöhend, wenn etwa der Täter im Hinblick auf den mit einer kugelsicheren Weste ausstaffierten Polizisten nunmehr beschließt, diesen nicht zu erschießen, sondern lieber zu ertränken. Zwar mag es begrifflich nicht ausgeschlossen sein, auch bei Vorkehrungen dieser Art wenn nicht von Sicherung, so doch von einer Stärkung der individuellen Kontroll- und Herrschaftssphäre im Hinblick auf das in Frage stehende Gut zu sprechen. Auch dies scheint jedoch angesichts der Tatsache unangemessen, daß bei Zugriffsdelikten jede vom Rechtsgutsträger getroffene Maßnahme - auch da, wo sie prima vista auf die Armierung der eigenen Sphäre und nicht auf etwas von außen an diese Herangetragenes gerichtet scheint - unmittelbar und ohne Rest der Gefährdungswurzel der Gefahrintensität zugeschlagen werden kann. Ob der Rechtsgutsträger zur Minderung der seinen Gütern drohenden Gefahr nach Einbruch der Dunkelheit seine Wohnung nicht mehr verläßt, sein Haus mit einer Alarmanlage ausrüstet oder sich in der Kunst der Selbstverteidigung übt - in jedem dieser Fälle sind seine scheinbar auf Selbstschutz im eigentlichen Sinne gerichteten Maßnahmen faktisch nichts anderes als ein Vehikel zur Verringerung drohender Gefährdung. Die "Selbstschutz"-Möglichkeiten des Rechtsgutsträgers reduzieren sich nach alledem im Bereich der Zugriffsdelikte also in praxi darauf, Situationen erhöhter konkreter Gefährdung zu meiden und gefährdungsschwache zu suchen, so daß wir bei diesem Deliktstyp auf eine Differenzierung der individuellen Einflußmöglichkeiten auf die konkrete Gefahrintensität letztlich doch verzichten können. bb) Einwirkungen auf die Gefährdungswurzel der Gefahrintensität Realisiert sich mithin bei Zugriffsdelikten die Erhöhung des "Selbstschutzes" immer nur vermittelt, nämlich als Verringerung der konkreten Gefährdung, so kann die analoge Einflußnahme, die Gefährdungserhöhung, durchaus unmittelbar erfolgen. Diese zweite Einwirkungsmöglichkeit auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität liegt um unsere überlegungen an § 230 als gängigem kongruenten Zugriffsdelikt zu exemplifizieren - etwa im Falle eines Rechtsgutsträgers vor,

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der sich von einem betrunkenen Kraftfahrzeugführer chauffieren läßt und hierbei von diesem fahrlässig verletzt wird 47 • Bei der Würdigung der Handlungssituation unter dem Aspekt der Gefahrintensität ist zunächst der Blick auf den gesetzlichen Telos des § 230 zu richten, und dieser - angesichts der Charakterisierung dieses Tatbestandes als kongruent und unter Beachtung des Rechtsguts der §§ 223 ff. - dahingehend zu bestimmen, daß er den globalen und allumfassenden Schutz der körperlichen Unversehrtheit 48 bezweckt. Hieraus wiederum folgt unter der Herrschaft des Erforderlichkeitsgrundsatzes die Existenz einer alle innerhalb und mit der Gesellschaft lebenden Individuen betreffenden generellen Gefährdung der körperlichen Integrität, der nur so punktuelle und mangelhafte Selbstschutzmöglichkeiten gegenüberstehen, daß diese beim Schutz des in Frage stehenden Rechtsgutes nicht maßgeblich in Anschlag gebracht werden können. Vergleicht man nun diese in §§ 223, 230 verarbeitete Konstellation mit der des von einem betrunkenen Fahrzeuglenker fahrlässig verletzten Beifahrers, so lassen sich hinsichtlich der Selbstschutzwurzel der konkreten Gefahrintensität keine maßgeblichen Unterschiede ausmachen. Der Rechtsgutsträger in unserem Beispielsfall verfügt während der Fahrt über keine, zumindest nicht über auch nur annähernd erfolgversprechende Selbstschutzmöglichkeiten und hält sich somit völlig im gesetzgeberischen Vorstellungsbild. Er kann zwar aufmerksam das Verhalten des eigenen Chauffeurs und der anderen Verkehrsteilnehmer beobachten und in Situationen besonderer Gefahr etwa durch Zuruf an den Fahrer oder gar durch direktes Eingreifen in die Bedienung des Fahrzeuges (beispielsweise durch Ziehen der Handbremse oder einen Griff ins Steuer) Einfluß zu nehmen versuchen. Aber selbst wenn es ihm entgegen aller Lebenserfahrung gelingen sollte, durch ein solches Vorgehen auch nur das trunkenheitsbedingte Fehlverhalten des Fahrzeugführers zu neutralisieren, wäre er hierdurch nicht vor den "normalen" Gefahren des Straßenverkehrs, also etwa vor nicht auf den Alkoholgenuß zurückzuführenden Fehlern seines Chauffeurs und der anderen Verkehrsteilnehmer gefeit. Läßt sich somit auf der Selbstschutzseite der konkreten Gefahrintensität wie erwartet keine relevante Einflußnahme des Opfers konstatieren, so ist der vorliegende Fall in einer vorläufigen, zunächst nur die Tendenzen aufzeigenden Bewertung im Hinblick auf die konkrete 47 Vgl. zu dieser Fallage vorläufig nur Kohlhaas, DAR 1960, 348 ff.; Fuchs, DAR 1956, 149 ff.; Geppert, ZStW 83, 947 ff.; Bickelhaupt, NJW 1967, 713 f.

48 Völlig h. M.; vgl. nur Eser, in: Schönke / Schröder, § 223, Rdnr. 1; Dreher / Tröndle, StGB, § 223, Rdnr. 1; Maurach / Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 80 ff.; WesseIs, Strafrecht, BT 1, S. 25 f.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

Gefährdung anders zu beurteilen. Der umfassende strafrechtliche Schutz, den die körperliche Unversehrtheit im 17. Abschnitt des StGB erfahren hat, zielt nach unseren obigen überlegungen auf die Kompensierung derjenigen typischen Gefährdungen ab, die aus den sozialadäquaten Außenkontakten des Rechtsgutsträgers resultieren. In unserem Beispielsfall muß zum einen schon zweifelhaft sein, ob die Autofahrt mit einem betrunkenen Chauffeur und die hierdurch bewirkten Gefährdungen überhaupt Folge sozialadäquater Außenkontakte des Rechtsgutsträgers sind: Können sich nämlich der Charakterisierung einer individuellen Öffnung des Opfers als inadäquat im Einzelfall durchaus erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellen, so ist dieses Problem hier deshalb entschärft, weil die Kriterien solchen Verhaltens im Bereich des Straßenverkehrs nicht frei entwickelt werden müssen. In dieser Sparte menschlicher Außenkontakte liefern vielmehr die relativ weit ausdifferenzierten Regelungen des StVG und der StVO zumindest Anhaltspunkte für die Beurteilung der Sozialadäquanz bestimmter Verhaltensweisen insoweit, als sie etwa durch Geschwindigkeitsbegrenzungen Maßstäbe der gesellschaftlich für tolerabel gehaltenen generellen Gefährdung setzen49 • Bereits aus diesem Bedenken folgt auf der anderen Seite jedoch jenseits allen Zweifels, daß sich der Beifahrer eines betrunkenen Chauffeurs in eine Situation begeben hat, die sich hinsichtlich der konkreten Gefährdung von dem in §§ 223, 230 vorausgesetzten typischen Ausmaß genereller Gefährdung zumindest quantitativ merklich unterscheidet. Der Rechtsgutsträger beeinflußt durch dieses Verhalten also die konkrete Gefahrintensität via Einwirkung auf die Gefährdungswurzel, ohne relevante Veränderungen auf der Seite der konkreten Selbstschutzmöglichkeiten zu produzieren.

b) Einwirkungen bei Beziehungsdelikten Ist demnach bei Zugriffsdelikten zur Feststellung des Ausmaßes der konkreten Gefahrintensität das Hauptaugenmerk auf die konkrete Gefährdung zu richten, so muß diese Prüfung bei den - in jedem Falle als inkongruente Tatbestände aus geformten - Beziehungsdelikten notwendig komplexer ausfallen. Bereits die spezifische, das Opferverhalten mit einbeziehende Fassung dieses Tatbestandstyps signalisiert, daß der hierdurch bewirkte nur partielle Strafrechtsschutz die differente Gefahrintensität der verschiedenen Angriffsweisen verarbeitet, daß mit anderen Worten - bestimmte Angriffe entweder weniger gefährdend oder diesen gegenüber typischerweise erfolgversprechende Selbst49 Zu solchen "Gefährdungsverboten" vgl. etwa Schroeder, in: LK, § 59, Rdnr. 182 ff.; Schünemann, JA 1975, 576 f.; Peter Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 99 ff.

III. Rechtsgut, Rechtsgutsobjekt und Gefahrintensität

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schutzmaßnahmen möglich sind. Somit legt hier - anders als bei den Zugriffsdelikten - bereits der Normtext die getrennte Prüfung der individuellen Beeinflussung der konkreten Gefahrintensität von der Selbstschutz- wie von der Gefährdungsseite und damit die Frage nahe, ob das präsumtive Opfer entweder seine Selbstschutzmöglichkeiten in relevanter Weise verringert oder seine Güter einer übergroßen Gefährdung ausgesetzt hat. aal Einwirkungen auf die Selbstschutzwurzel der Gefahrintensität Die solcherart angezeigte Differenzierung der individuellen Einwirkungen auf die konkrete Gefahrintensität scheitert bei den Beziehungsdelikten auch nicht an einer mangelnden praktischen Eigenständigkeit der Selbstschutzwurzel. Wie wir oben bei der Charakterisierung dieses Deliktstyps festgestellt haben 50 , setzt die vollständige Erfüllung eines solchen Tatbestandes durch den Täter in jedem Falle ein Verhalten des Rechtsgutsträgers voraus, das das deliktische Vorhaben in jeweils unterschiedlicher Form unterstützt und fördert. Wenn dem so ist, der Täter also die Verletzung des Rechtsguts nicht - wie bei den Zugriffsdelikten - an der individuellen Kontroll- und Herrschaftssphäre vorbei bewirken kann, sondern sich gleichsam einen Weg durch diese hindurch suchen muß, so gewinnt der aktuelle Zustand dieser Sphäre, ihre - um im Bild zu bleiben - Porosität oder Dichte, natürlich seine besondere und von der Gefährdung abgrenzbare Relevanz. Wir wollen auch diese überlegungen an einem bereits eingeführten Tatbestand, nämlich an § 263 als klassischem Repräsentanten der Beziehungsdelikte, exemplifizieren, dessen Telos - der Schutz des Vermögens gegen eigentätige schädigende Verfügungen des Rechtsgutsträgers, zu denen ihn ein vom Täter bewirkter Tatsachenirrtum veranlaßt - wir bereits herausgearbeitet habens1 • Eine detaillierte Rekonstruktion des zu dieser spezifischen Schutztechnik des § 263 führenden legislatorischen Vorstellungsbildes unter dem Blickwinkel des Erforderlichkeitsgrundsatzes ist zwar diffiziler als in dem quasi eindimensionalen Fall der soeben behandelten Körperverletzungsdelikte. Es kann aber sicherlich ohne überstrapazierung der bislang entwickelten Kriterien festgestellt werden, daß die sprachliche Fassung des Betrugstatbestandes der Ausgrenzung derjenigen listigen Angriffe gegen das Vermögen aus dem Schutzbereich geschuldet ist, die - wie etwa die Täuschung über bloße Urteile52 oder die vom Täter veranlaßte schädiVgl. Kap. 1,3. Teil A, Kap. VIII; vgl. auch unten Teil C, Kap. III, 2. 52 S. hierzu nur eramer, in: Schönke / Schröder, § 263, Rdnr.9; Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 11 ff., jeweils ffi. zahlr. w. N. 50 51

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

gende Verfügung ohne Irrtumserregung auf seiten des Rechtsgutsträgers - über eine zu geringe generelle Gefahrintensität verfügen. Was zunächst die eigentätige Beeinflussung der konkreten Gefahrintensität durch direkte Veränderungen auf der Seite der individuellen Selbstschutzmöglichkeiten anbelangt, so ist diese etwa im Falle eines Rechtsgutsträgers gegeben, der Verfügungen im Sinne des § 263 auf dem Boden der Annahme tätigt, sein Vertragspartner werde für seine, des Rechtsgutsträgers, Belange schon ausreichend Sorge tragen. Die dieser Vorstellung entsprechende Devise, die ökonomische Sinnhaftigkeit der vorzunehmenden Verfügung und damit auch die Wahrheit der zu ihrer Grundlage genommenen Tatsachenbehauptungen des Täters keiner wie auch immer gearteten Prüfung zu unterziehen, präjudiziert notwendig das Ausmaß der Selbstschutzmaßnahmen des so agierenden Rechtsgutsträgers. Unbeschadet allen Zweifels an der Sozialadäquanz einer solchen Vorgehensweise unterscheidet sie sich nämlich im Hinblick auf ihre subjektiven Voraussetzungen offensichtlich erheblich von den typischerweise anzutreffenden Konstellationen, die insoweit normativ vom Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Individuums53 und faktisch - prinzipiell parallellaufend - von dem Bestreben der interagierenden Wirtschaftssubjekte bestimmt sind, im Rahmen von Austauschbeziehungen die eigenen Interessen selbst zu wahren und vor Beeinträchtigungen zu schützen. Die somit im Vergleich mit den typischen Konstellationen festgestellte Reduzierung der individuellen Selbstschutzmöglichkeiten durch den Rechtsgutsträger unseres Beispielsfalles hat bei den Beziehungsdelikten auch eine durchaus eigene Relevanz insofern, als sie sich in einer unmittelbaren Schwächung der Kontroll- und Herrschaftssphäre des Opfers niederschlägt. Zum einen wirken sich hier im Unterschied zu den oben behandelten Zugriffsdelikten Einflußnahmen auf die individuelle Schutzsphäre nicht punktuell aus - also: lediglich im Hinblick auf einige wenige Angriffsweisen, ohne das Gros der übrigen auch nur zu tangieren - , sondern haben einen gleichsam universellen Effekt deshalb, weil Angriffe ohne einen intensiven Kontakt mit dem Opferbereich ex definitione nicht auftreten können. Ist - um diese Überlegung anhand eines Zahlenspiels zu verdeutlichen - etwa im Rahmen eines Zugriffsdelikts durch besondere Anstrengungen des Rechtsgutsträgers eine vergleichsweise stärkere Sicherung der Eigensphäre gegen fünf Angriffsweisen gelungen, so ist das betreffende Rechtsgut noch immer gegen 100 andere Angriffsarten ungeschützt; demgegenüber wirkt sich eine besondere Sicherung oder Vernachlässigung der Kontroll- und Herrschaftssphäre bei Beziehungs53

Vgl. hierzu oben Teil A, Kap. VI, 1.

IH. Rechtsgut, Rechtsgutsobjekt und Gefahrintensität

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delikten gegen Angriffe jeder Manier und aus jeder Richtung aus, so daß hier tatsächlich von einem unumgehbaren Selbstschutzwall zu sprechen ist. Auf der anderen Seite können wir hier - auch dies im Gegensatz zu unserer oben für die Zugriffsdelikte gewonnenen Erkenntnis54, daß jede "Selbstschutz"-Maßnahme nichts anderes ist als eine verkappte Einwirkung auf die konkrete Gefährdung - durchaus individuelle Einflußnahmen auf die Selbstschutzwurzel der konkreten Gefahrintensität feststellen, die gegenüber der Gefährdungsseite abgrenzbar sind. Die als Konsequenz aus dem Verhalten des blauäugigen Rechtsgutsträgers in unserem Beispielsfall resultierende Beeinflussung seiner Selbstschutzmöglichkeiten etwa ist weitestgehend unabhängig davon, wie groß die von außen auf sein Vermögen einstürmende Gefährdung im Einzelfall ist. Ob er Austauschbeziehungen mit einem Heiligen oder einem notorischen Betrüger aufnimmt - in jedem dieser beiden Fälle wirkt die von ihm vorgenommene Reduzierung seiner konkreten Selbstschutzmöglichkeiten unabhängig vom unterschiedlichen Ausmaß der in den jeweiligen Situationen drohenden konkreten Gefährdung bei der Konstitution der konkreten Gefahrintensität selbständig mit. Sie kann deshalb auch autonom und isoliert in Anschlag gebracht werden. bb) Einwirkungen auf die Gefährdungswurzel der Gefahrintensität Lassen sich also bezüglich der individuellen Einflußnahme auf die Selbstschutzwurzel der konkreten Gefahrintensität erhebliche Unterschiede zwischen Zugriffs- und Beziehungsdelikten feststellen, so finden wir solche Differenzierungen auf der Gefährdungsseite nicht. Eine unmittelbare Einwirkung des Rechtsgutsträgers auf die Gefährdungswurzel der konkreten Gefahrintensität ist etwa - um bei § 263 zu bleiben - im Rahmen der sogenannten unsittlichen Rechtsgeschäfte 55 gegeben: Daß die konkrete Gefährdung des eigenen Vermögens im Dunstkreis von Prostitution und Schwarzmarktgeschäften oder beim Handel mit Abtreibungsmitteln und Rauschgiften höher ist als typischerweise, bedarf keiner besonderen Darlegung. Begibt sich das präsumtive Opfer in solche Situationen, so vergrößert es qua Erhöhung der konkreten Gefährdung die konkrete Gefahrintensität ebenso unmittelbar, wie dies oben beim Beifahrer des betrunkenen Chauffeurs der Fall war.

54 55

Vgl. den vorhergehenden Abschnitt 3, a) aal. Zur Kasuistik s. etwa Heiderich, Entwicklung, S. 17 ff.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

IV. Die Schutzbedürftigkeit des Opfers Begriff und Bedeutung Auf der Basis der vorstehenden Überlegungen zur deliktstypspezifischen individuellen Einwirkungsmöglichkeit des Rechtsgutsträgers auf die konkrete Gefahrintensität sind wir nunmehr endgültig im Stande, den Terminus "Schutzbedürftigkeit des Opfers" in den Text einzuführen und für die Zwecke unserer Untersuchung zu bestimmen: Es ist die Zuortbarkeit der konkreten Situation des Rechtsgutsträgers vor und/oder bei der Verletzungshandlung zu der vom Gesetzgeber zum Substrat der normativen Regelung genommenen typischen Gefahrintensität. Eine solche Zuordnung setzt demnach voraus, daß die konkret-individuelle Situation des Rechtsgutsträgers und seiner Güter die der Strafvorschrift als typisch zugrunde gelegte Konstellation gleichsam widerspiegelt, daß sich - mit anderen Worten - generelle und konkrete Gefahrintensität in einem noch' zu spezifizierenden Sinne entsprechen. Bereits hiermit wird deutlich, daß es sich bei der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes auf der einen Seite und der Schutzbedürftigkeit des Opfers auf der anderen um gleichsam komplementäre normative Kriterien der Zulässigkeit strafrechtlicher Sanktionierung handelt: Liefert der Erforderlichkeitsgrundsatz einen Maßstab für die verfassungs rechtliche Unbedenklichkeit der abstrakt-generellen Kriminalisierung von Angriffen auf bestimmte Rechtsgüter, so ist der konkretindividuelle Einsatz strafrechtlicher Mittel im Einzelfall von der Schutzbedürftigkeit des Opfers abhängig. Dieses Prinzip der Schutzbedürftigkeit des Opfers, als welches wir es nun bezeichnen können, ist demnach das dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geschuldete konkret-individuelle Pendant des Postulats der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes. 1. Die Abhlngigkeit der Sdlutzbedfirftigkelt vom Ausmaß der konkreten Gefahrfntensitlt

Aus dieser Definition der Schutzbedürftigkeit des Opfers als Zuortbarkeit der Verletzungssituation zum Typus der Gefahrintensität folgt unmittelbar ein enger Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der konkreten Gefahrintensität - also auch: dem Resultat der Einflußnahme des Rechtsgutsträgers auf seine Selbstschutzmöglichkeiten und die seinem Gut konkret drohende Gefährdung - und der Schutzbedürftigkeit: Jede Veränderung im Ausmaß der konkreten Gefahrintensität bewirkt eine entsprechende Variation auf der Seite der individuellen Schutzbedürftigkeit. Ergibt sich diese Abhängigkeit der Schutzbedürftigkeit von der konkreten Gefahrintensität als solche zwanglos aus unseren bisherigen Überlegungen, so ist die nähere Ausgestaltung des

IV. Die Schutzbedürftigkeit des Opfers

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Verhältnisses zwischen den beiden Phänomenen demgegenüber zumindest prima vista doch überraschend: Es besteht nämlich darin, daß die Schutzbedürftigkeit des Opfers im gleichen Maße abnimmt, wie die konkrete Gefahrintensität als Folge eigentätiger Einflußnahme des Rechtsgutsträgers wächst. a) Schutzbedürftigkeit und Schutzlosigkeit

Diese Behauptung wirkt nicht zuletzt deshalb befremdlich, weil sich durch den gesamten Besonderen Teil des StGB die Leitidee zieht, daß Rechtsgutsträgern in der Situation erhöhter Gefahr auch verstärkter strafrechtlicher Schutz zu gewähren sei. Dieser Gedanke läßt sich an § 243 Abs. 1 Nr. 6 ebenso nachweisen wie am Merkmal des hinterlistigen überfalls in § 223 a oder der Heimtücke in § 211 Abs. 2: In jedem dieser und in einer Vielzahl anderer Fälle zeichnet sich die gesetzlich beschriebene Situation jeweils dadurch aus, daß der Täter in einer durch - im Vergleich zum Grundtatbestand - erhöhte Gefährdung und/oder verminderte Selbstschutzmöglichkeit des Opfers gekennzeichneten Konstellation handelt 56 • Diese gesetzgeberische Grundentscheidung des erhaltenbleibenden oder gar verstärkten Strafrechtsschutzes trotz erhöhter Gefahrintensität steht zu unserer obigen Feststellung, wonach eigentätig erhöhte konkrete Gefahrintensität zur Verringerung der Schutzbedürftigkeit des Opfers führt, jedoch nur scheinbar im Widerspruch. Im Unterschied nämlich zu diesen soeben erwähnten Beispielen besonderer Hilflosigkeit des Opfers oder einer das normale Maß übersteigenden kriminellen Energie des Täters, die allesamt durch ihre Vertatbestandlichung zu einem eigenständigen gesetzlichen Typus genereller Gefahrintensität geronnen sind57 , geht es hier um die Bewertung einer selbsttätigen Einflußnahme des Rechtsgutsträgers auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität und die hierdurch bewirkten Differenzen zwischen der konkreten und der spezifischen, gesetzlich verarbeiteten Gefahrensituation. Daß der Gesetzgeber Konstellationen besonderer Schutzlosigkeit des Rechtsgutsträgers erkennt und sie - etwa wegen ihrer Häufigkeit oder der besonderen Werthaftigkeit des zu schützenden Gutes - zum Hierzu beispielsweise Horn, in: SK, § 223 a, Rdnr. 18 ff. Aus dieser Charakterisierung der genannten Tatbestandsmerkmale (auch) als Kriterien erhöhter Gefahrintensität ergibt sich_ gleichzeitig, daß die solcherart bezeichneten Situationen erhöhter Gefährdung und/Oder verringerter Selbstschutzmöglichkeiten einer Bewertung unter dem Aspekt der Schutzbedürftigkeit des Opfers ebenfalls offenstehen und bedürfen. Der aus dieser überlegung ableitbaren Frage, inwieweit z. B. "sträfliche" Arglosigkeit des Rechtsgutsträgers etwa "Heimtücke" oder das Vorliegen eines "hinterlistigen Überfalls" auszuschließen vermag, kann im Rahmen dieser Untersuchung leider nicht mehr nachgegangen werden. 58 57

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

Anlaß der tatbestandlichen Umschreibung einer spezifischen Gefahrensituation nimmt, ist eine Sache; eine andere ist, wie die durch eigentätige Einflußnahme des Rechtsgutsträgers geschaffene konkrete Gefahrintensität sich zu der in einem bestimmten Tatbestand abstrakt bezeichneten verhält. Eben diese eigentätige Erhöhung der konkreten Gefahrintensität durch das präsumtive Opfer nämlich ist es, die die Annahme einer hierdurch bewirkten Verringerung seiner Schutzbedürftigkeit normativ trägt und erzwingt. Die Richtigkeit dieser Aussage ergibt sich unter anderem aus der soeben getroffenen Feststellung, daß die Schutzbedürftigkeit des Opfers als konkret-individuelles Pendant der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes anzusehen ist. Hatten wir bei der Behandlung des letzteren Grundsatzes gesehen, daß es hinsichtlich eines bestimmten Rechtsgutes nicht auf eine wie auch immer zustande gekommene Gefahrintensität ankommt, sondern nur eine solche strafrechtlich relevant und kompensierbar ist, die in der Folge einer durch sozialadäquate Außenkontakte des Rechtsgutsträgers bewirkten Verringerung der Möglichkeiten individuellen Guts-Schutzes entsteht, so muß diese überlegung mutatis mutandis auch hier gelten. Eine eigentätige Erhöhung der konkreten Gefahrintensität ist nämlich regelmäßig die Konsequenz eines Außenkontakts des Rechtsgutsträgers, der sich zumindest aus dem Kernbereich der tatbestandlich verarbeiteten sozialadäquaten Außenkontakte entfernt und sich auf deren Grenze zubewegt. Wenn dem so ist, muß bei einer aus solchen Öffnungen resultierenden erhöhten konkreten Gefahrintensität das gleiche gelten wie bei der Konstitution des Rechtsguts und des Schutzbereichs: Das Strafrecht darf solche Gefahren zumindest nicht unbesehen zu kompensieren suchen und muß spätestens da, wo von der Sozialadäquanz eines Außenkontaktes nicht mehr die Rede sein kann, seinen Schutz versagen. Eine gegenteilige Auffassung, wonach also die vom Rechtsgutsträger durch eigenes zielbewußtes Handeln bewirkte Verstärkung der konkreten Gefahrintensität zu einer Erhöhung seiner Schutzbedürftigkeit führen würde, gelangt zu absurden Ergebnissen, weil sie etwa die fahrlässige Körperverletzung des betrunkenen Chauffeurs zu Lasten seines Beifahrers als besonders verwerflich zu qualifizieren hätte - ein Resultat, das auch auf der Basis ganz anderer Konzeptionen von der völlig herrschenden Meinung als widersinnig erkannt ist58 • Wenn diese überlegung über eine vordergründige Plausibilität verfügt, so deshalb, weil etwa in unserem Beispielsfall der Beifahrer angesichts der ihm drohenden, vergleichsweise höheren Gefahr von Verletzungen seines Lebens und seiner körperlichen Unversehrtheit faktisch schutzloser ist und dieser Befund den unkritischen Schluß auf eine dann auch gegebene 58 Vgl. hierzu näher unten Kap. VI, 2, b) und die Nachweise in Fn. 73 ff.

V. Das Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers

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höhere Schutzbedürjtigkeit nahelegt 59 • Gerade hiervon kann jedoch bei normativer Betrachtung nicht ausgegangen werden, weil die durch eine solche Autofahrt bewirkten und zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen führenden Außenkontakte von denen, die § 230 zu schützen bezweckt, in einem später noch genauer zu untersuchenden Umfang abweichen.

v. Das Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers als Folge eigener Einwirkung auf da.s Ausmaß der konkreten Gefahrintensität Auf der Grundlage der bislang erarbeiteten Einsichten, wonach durch deliktsgruppenspezifische Arten der Einwirkung der Rechtsgutsträger das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität eigentätig zu beeinflussen und durch dessen Erhöhung den Grad seiner Schutzbedürftigkeit zu reduzieren vermag, stellt sich nunmehr als notwendige Konsequenz aus unseren vorangegangenen Überlegungen die Frage, ob und - bejahendenfalls - unter welchen Umständen ein Verhalten des Opfers nicht nur zur Verringerung, sondern gar zum völligen Entfallen seiner Schutzbedürftigkeit führen kann. Das erste mit dieser Fragestellung aufgeworfene Problem der grundsätzlichen Möglichkeit des Entfallens der Schutzbedürftigkeit des Opfers im konkreten Einzelfall läßt sich im Wege der Fortentwicklung der bisherigen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung relativ leicht lösen. Zum einen macht angesichts unserer Annahme der bei steigender konkreter Gefahrintensität abnehmenden Schutzbedürftigkeit des Rechtsgutsträgers nichts die Vermutung plausibel, daß diese quantitative Verringerung der individuellen Schutzbedürftigkeit nicht irgendwann einmal am Nullpunkt anlangen und damit gleichsam in Qualität umschlagen können soll. Auf der anderen Seite zeigt die im Text herausgearbeitete Koppelung des Ausmaßes der konkreten Gefahrintensität mit dem der Differenz der vom Opfer realisierten Außenkontakte zu den sozialadäquaten, daß bei einer völlig inadäquaten Öffnung der Sphäre des Rechtsgutsträgers auch nicht mehr von dessen Schutzbedürftigkeit ausgegangen werden kann.

1. Kriterien entfallender Schutzbedürftl,kelt Ist somit die grundsätzliche Frage, ob überhaupt ein Wegfall der Schutz bedürftigkeit denkbar erscheint, mit leichter Mühe positiv be59 Exemplarisch für ein solches Vorgehen ist die Argumentation von Lange (JR 1976, 183), Ladendiebstahl sei wegen des "Anvertrautseins" der in SBLäden ausgelegten Ware und des aus diesem Grunde bei einer Wegnahme gegebenen Vertrauensbruchs "nicht leichter, sondern schwerer zu bewerten als gewöhnliche Verstöße gegen § 242 StGB"; s. hierzu auch Blankenburg / Steinert / Treiber, KJ 1977, 139.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

antwortbar, so gestaltet sich die Lösung des zweiten Aspekts der oben formulierten Aufgabe wesentlich schwieriger. Die Resultate unserer bisherigen Überlegungen ermöglichen uns bei der Erarbeitung dieses Problems zunächst nur die höchst abstrakte Aussage, daß von einem Wegfall der Schutzbedürftigkeit des Opfers da ausgegangen werden muß, wo von einer Zuortbarkeit der konkreten zur generellen Gefahrintensität nicht die Rede sein kann, wo - mit anderen Worten - die dem Gut drohende extrem hohe Gefahr nicht Folge eines sozialadäquaten Außenkontakts des Rechtsgutsträgers ist. Für die Entscheidung eines konkreten Falles liefert jedoch die hieraus abzuleitende Folgerung, daß das Opfer hinsichtlich derjenigen Güter, die in der Folge eines sozialinadäquaten Außenkontaktes verletzt werden, nicht schutzbedürftig ist, nur ein sehr grobschlächtiges und kaum hantierbares Kriterium. Diesem Dilemma ist auch nicht mit dem Versuch einer - der Theorie der sozialen Adäquanz entlehntenDefinition zu entgehen, wonach sozialadäquat Verhaltensweisen sind, "die sich völlig im Rahmen der normalen, geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen, d. h. alle Betätigungen, die so mit unserem Sozialleben verknüpft sind, daß sie als völlig normal anzusehen sind"60. Denn unabhängig davon, daß man über die "Normalität" einiger von den Vertretern der Lehre der sozialen Adäquanz benannter Beispiele durchaus geteilter Meinung sein kann 6t, geht es uns um die - nicht lediglich im Wege eines Subtraktionsverfahrens erreichbare - Charakterisierung bestimmter Verhaltensweisen als gerade nicht sozialadäquate. Ermöglichen mithin unsere bisherigen überlegungen keine bessere Operationalisierung des Grundsatzes der entfallenden Schutzbedürftigkeit, so ist dies doch kein Zeichen für ihre Fehlerhaftigkeit oder mangelnde Tragfähigkeit, sondern dokumentiert ihre Konsequenz insofern, als das hier in Frage stehende Problem auf der abstrakten Ebene des derzeitigen Stadiums der vorliegenden Untersuchung notwendig nicht exakter angegangen werden kann. Ob die konkrete, im Verlauf der Rechtsgutsverletzung realisierte Gefahrintensität der generellen entspricht oder nicht, läßt sich nämlich nur dann entscheiden, wenn die spezifischen, vom Gesetzgeber als typisch erachteten und der Strafnorm zugrundeliegenden Konfliktsituationen rekonstruiert werden, so daß eine elaboriertere Antwort auf die hier aufgeworfene Frage für jeden einzelnen Tatbestand je verschieden erarbeitet werden muß. Der Text 60 Hirsch, ZStW 74, 79; vgl. auch Welzel, Strafrecht, S. 55 f.; Roeder, Einhaltung, S. 13 ff.; Zipf, ZStW 82, 633. 61 Zur mangelnden begrifflichen Bestimmtheit der "Sozialadäquanz" s. nur Naucke, Betrug, S. 165 ff.

v. Das Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers

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kann vorläufig im Hinblick auf diese Rekonstruktion also nicht eindeutige Entscheidungsregeln formulieren, sondern lediglich Topoi aufzeigen, die bei der Behandlung des Einzelfalles jeweils zu bedenken und untereinander abzuwägen sein werden. a) Der Normtyp

In diesem Zusammenhang ist zunächst von zentraler Bedeutung die Art und Weise, wie der Gesetzgeber den Schutz des betreffenden Rechtsguts ausgestaltet hat, in welche der oben differenzierten Deliktsgruppen der in Frage stehende Tatbestand also einzuordnen ist. Zwar bleibt der Ertrag einer solchen Vorgehensweise im Rahmen der kongruenten Tatbestände insofern dürftig, als aus der gesetzgeberischen Verwendung dieses Deliktstyps nur auf das Vorliegen einer generellen Gefahrintensität geschlossen werden kann, die hinsichtlich aller denkbarer Angriffsweisen dem Grundsatz der Erforderlichkeit gerecht wird. Schon im Bereich der inkongruent ausgestalteten Zugriffsdelikte jedoch ermöglicht der im Vergleich zur Gesamtheit der Beeinträchtigungsmöglichkeiten des Rechtsguts reduzierte Schutzbereich aussagefähigere Rückschlüsse auf die gesetzgeberische Sicht der unterschiedlichen Gefahrintensität bestimmter Angriffsweisen. Und schließlich bietet sich einem solchen Procedere ein, wie unten am Beispiel aufzuzeigen sein wird, besonders weites Feld im Bereich der Beziehungsdelikte, bei denen die zweifache individuelle Einflußmöglichkeit auf die konkrete Gefahrintensität in der Regel zu einer besonders aufschlußreichen Beschreibung des Opferverhaltens und damit auch zu einer relativ exakten Bezeichnung der - wenigen - ausreichend gefahrintensiven Angriffsweisen führt. b) Grundtatbestand, Qualifizierung, Privilegierung

Jenseits der Rekonstruktionshilfen, die aus dieser Kategorisierung der Tatbestände des Besonderen Teils zu erschließen sind, bieten auch die gleichsam vertikalen Differenzierungen der Delikte in Grundtatbestand, Qualifizierung und Privilegierung - soweit sie sinnvoll auf unterschiedliche Gefahrenlagen zurückgeführt werden können - im Einzelfall wertvolle Hinweise auf die vom Gesetzgeber jeweils als typisch verarbeitete Gefahrintensität. So ergibt sich etwa aus einem Blick auf § 223 a, daß die typische Gefahrenlage der einfachen Körperverletzung durch das Bild eines mit bloßen Händen einzeln und nicht hinterlistig angreifenden Täters bestimmt wird, während beispielsweise aus § 243 Nr. 1 und 2 erhellt, daß der Gesetzgeber die Schutzbedürftigkeit des Opfers in § 242 nicht von einer bestimmten Sicherung der Rechtsgutsobjekte abhängig gemacht hat.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers c) Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Individuums

Einen weiteren Anhaltspunkt für die Entscheidung des hier zur Debatte stehenden Problems liefert das bereits oben in ähnlichem Zusammenhang eingeführte Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Individuums 62 , das sich hier, bei der Behandlung des konkreten Einzelfalls, nur unwesentliche Einschränkungen durch die Normativkraft des Faktischen gefallen lassen muß. Hatten wir im Rahmen der Bestimmung der generellen Schutzmöglichkeiten noch festgestellt, daß dieser Grundsatz gegen sozialadäquat gewordene Formen der Außenkontakte wenig vermag63 , so setzt er sich hier deshalb tendenziell ungebrochen durch, weil im nunmehr behandelten Kontext nicht durch Normsetzung auf Sozial adäquates zu reagieren, sondern die Frage der Sozialadäquanz der Öffnung an der Norm zu messen ist. Trotz der sich hieraus ergebenden grundsätzlichen Eindeutigkeit des Prinzips ist es jedoch in seiner praktischen Verwertbarkeit dadurch eingeschränkt, daß es seinerseits recht abstrakt und nur schwer bis zur Einzelfallentscheidung zu verlängern ist. Dennoch sollte diese Schwierigkeit seine praktische Verwendung nicht zuletzt deshalb nicht hindern, weil sich die Strafrechtsdogmatik mit Teilen der hier angesprochenen Problematik auch in anderem Zusammenhang, nämlich im Rahmen der "Einwilligung in die Gefährdung" bezüglich der Frage nach der maßgeblichen Grenze der Risikoerhöhung, ebenfalls konfrontiert sieht64 - oder sich doch zumindest konfrontiert sehen müßte. d) Konkretisierungen der Sozialadäquanz von Außenkontakten

Schließlich bieten zum Zwecke der Beurteilung von Abweichungen der konkreten von der generellen Gefahrintensität diejenigen Konkretisierungen der Sozialadäquanz von Außenkontakten des Rechtsgutsträgers eine Orientierungshilfe, die sich in der Form von Gesetzen, Verordnungen, Gewohnheitsrecht, Handelsbräuchen oder anderen, zumindest in den betroffenen Kreisen anerkannten Verhaltensnormen im weiteren Sinne niedergeschlagen haben. Die Regelung, die zum Beispiel die oben schon kurz erwähnte Teilnahme am Straßenverkehr in unserer Rechtsordnung gefunden hat, läßt sich in diesem Zusammenhang exemplarisch nutzbar machen. Hier hatte der Gesetzgeber zunächst einmal davon auszugehen, daß der Straßenverkehr sozial üblich und notwendig, die durch ihn geschaffene Öffnung der Herrschaftssphäre der Verkehrsteilnehmer mit ihrer erhöhten Gefahrintensität für 82

83 U

S. oben Teil A, Kap. VI, 1. Vgl. etwa die Beispiele oben Teil A, Kap. VI, 2. Hierzu die Nachweise in Fn. 73 ff. sowie Jakobs, Risikogewöhnung.

S. 33 ff.

VI. Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrecht

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eine Fülle von Rechtsgütern sozial adäquat und deshalb hinzunehmen ist. Er hat bei dieser Sachlage lediglich versucht, zum einen eine noch weitergehende Verringerung der individuellen Selbstschutzmöglichkeiten einzuschränken und auf der anderen Seite die durch den Kraftfahrzeugverkehr ohnehin bewirkte Erhöhung der generellen Gefährdung in einigermaßen erträglichen Grenzen zu halten; diesem Ziel dienen Geschwindigkeitsbegrenzungen und überholverbote ebenso wie etwa Führerscheinprüfungen und Kontrolluntersuchungen von Kraftfahrzeugen 65 • Mit diesen Maßnahmen hat der Gesetzgeber aber den Umfang der sozial adäquaten Öffnung und damit auch der generellen Gefahrintensität normativ zumindest tendenziell konturiert und hierdurch unserem Beispielsfall des Beifahrers eines betrunkenen Fahrzeugführers eine sicherere und konsensfähige Basis gegeben. Im anderen Falle nämlich wäre der hier zur Entscheidung berufene Strafrichter zunächst einmal gehalten, die soziale Inadäquatheit des Chauffierens im betrunkenen Zustand und damit die erhöhte konkrete Gefahrintensität darzutun, bzw. bei einer eventuell vorliegenden "Sozialadäquatheit" des Fahrens unter Alkoholeinfluß deren Unbeachtlichkeit wegen Verstoßes gegen das Prinzip der individuellen Eigenverantwortlichkeit aufzuweisen. Hierüber darf zwar nicht übersehen werden, daß auch solche und ähnliche normative Anhaltspunkte für die Sozialadäquanz der Öffnung des Rechtsgutsträgers nicht in dem Sinne formalisierbar sind, daß etwa die überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um einen bestimmten Prozentsatz und die damit in der Regel verbundene Erhöhung der konkreten Gefahrintensität zu einem Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers zu führen habe. Dennoch liefern insbesondere diese normativen Regelungen in vielen Fällen ein konsensfähiges und leicht handhabbares Kriterium für die Beurteilung des Opferverhaltens.

VI. Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrecht Nachdem nunmehr die individuellen Einwirkungsmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität festgestellt und einige - im weiteren Verlauf dieser Untersuchung noch zu verfeinernde - Kriterien der Zuortbarkeit der konkreten zur generellen Gefahrintensität benannt sind, hat sich der Text in einem weiteren Schritt der Frage zu stellen, welche Folgerungen aus dem hier Erarbeiteten für Theorie und Praxis des Strafrechts gezogen werden müssen. 65 Zu dem hiermit angesprochenen Fragenkreis von Sozialadäquanz und Rechtskonformität vgl. nur Zipf, Einwilligung, S. 78 f.; ders., ZStW 82, 638.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers 1. Die Schutzbedürftigkeit des Opfers als Zullssigkeitsvoraussetzung des Einsatzes strafrechtlicher Mittel im EinzeUall

Ein erster Zugang zu der hiermit angesprochenen Problematik ergibt sich unmittelbar aus der oben vorgenommenen Charakterisierung der Schutzbedürftigkeit des Opfers als konkret-individuellen Pendants der - auf der abstrakt-generellen Ebene der Konstitution des Rechtsguts und des Schutzbereichs einschlägigen - Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes66 • Hatten wir im Zusammenhang der Erforderlichkeitsproblematik festgestellt, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe als sedes materiae des Erforderlichkeitsprinzips die Kriminalisierung von Gutsbeeinträchtigungen verbietet, die der Rechtsgutsträger durch individuelle Schutzmaßnahmen selbst hindern kann - die, anders gewendet, über keine ausreichende generelle Gefahrintensität verfügen -, so muß Entsprechendes auch in dem hier zu behandelnden Kontext gelten. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip untersagt nämlich unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht nur die Setzung einer gleichsam in sich unverhältnismäßigen Rechtsnorm, sondern ist ebenso auch Maßstab jeder hoheitlichen Maßnahme im konkret-individuellen Einzelfall, so daß auch der zwar aufgrund eines verfassungsrechtlich unbedenklichen Gesetzes ergangene, aber konkret unverhältnismäßige Eingriff rechtswidrig ist 61 • Auf das spezifische Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung zugespitzt, ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mithin die Zulässigkeit des Einsatzes strafrechtlicher Mittel in den und nur in den Fällen, in denen das konkret betroffene Rechtsgut vor der spezifischen, in Frage stehenden Beeinträchtigung nicht mit milderen als strafrechtlichen Mitteln, insbesondere also nicht durch dem Rechtsgutsträger mögliche und - was wir vorläufig vernachlässigen und erst unten68 detaillierter abhandeln werden - zumutbare Maßnahmen des Individualschutzes bewahrt werden kann. Eine solche Unmöglichkeit der Hinderung der Gutsverletzung im Einzelfall ist bei normativer Betrachtung ohne Frage dann gegeben, wenn die konkrete der generellen Gefahrintensität, die ja bereits am Kriterium der Erforderlichkeit gemessen und für ausreichend befunden worden ist, entspricht. Dies ist jedoch anders zu beurteilen, wenn die konkrete Gefahrintensität in der Folge eines durch den Rechtsgutsträger realisierten sozialinadäquaten Außenkontaktes gewachsen und der generellen nicht mehr zuzuordnen ist, wenn - mit anderen Worten - die Vgl. oben Kap. IV. Vgl. hierzu nur Grabitz, AöR 98, 610 ff.; Mössner, Staatsrecht, S. 111 ff.; Staff, Verfassungsrecht, S. 148 ff.; aus der Rspr.: BVerfGE 6, 439; 16, 201 ff.; 17,117 f.,; 27,219; 29,316; 32, 379 ff.; 34,380 ff.; 36,270; 45, 259 ff. 68 Kap. VII, 2. 66

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VI. Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrecht

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Schutzbedürftigkeit des Opfers entfällt. In diesen Situationen nämlich gibt es ein zum Schutz des betroffenen Rechtsgutsobjektes geeignetes und im Vergleich zu strafrechtlichen Maßnahmen milderes Mittel, da die letztliche Gutsbeeinträchtigung in ihrer konkreten Form und ihrem spezifischen Verlauf durch ein sozialadäquates Verhalten des Opfers verhindert werden kann. Wir treffen somit in den Fällen mangelnder Schutzbedürftigkeit des Opfers auf eine Situation, in der eine Beeinträchtigung der Rechtsgutsobjekte bei Aufrechterhaltung der "normalen" Gefahrintensität, also bei einer individuellen Öffnung des Rechtsgutsträgers nicht über das sozialadäquate Maß hinaus, nicht oder zumindest nicht so eingetreten wäre. Der Einsatz strafrechtlicher Mittel in Fällen dieser Art wird demnach von seiner Zweckbestimmung des Rechtsgüterschutzes, die allein die im Gefolge strafrechtlicher Sanktionen eintretenden massiven Beeinträchtigungen der Grundrechte des Täters legitimieren kann, nicht mehr gedeckt. Nach alledem können wir nun zusammenfassend also feststellen, daß strafrechtliche Mittel im Falle der mangelnden Schutzbedürftigkeit des Opfers wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht eingesetzt werden dürfen. 2. Das Prinzip der Schutzbedürftigkeit des Opfers im Strafrecht und in der Strafrechtsdogmatik

Dieses Ergebnis macht prima vista möglicherweise den Eindruck einer systemsprengenden und mit massiven Einbrüchen in die allgemeine Straftatlehre verbundenen Konzeption. Eine solche Konsequenz müßten Strafrechtspraxis und -wissenschaft auch hinzunehmen bereit sein, wenn mit der nahezu einhelligen Bestimmung der Aufgabe des Strafrechts als Mittel des Rechtsgüterschutzes auf der einen Seite und dem Grundsatz seiner Subsidiarität gegenüber anderen, auf das gleiche Ziel gerichteten milderen Maßnahmen auf der anderen nur um diesen Preis ernst gemacht werden könnte 69 • Bei gen aue rem Hinsehen wird allerdings sehr rasch klar, daß die in der vorliegenden Untersuchung entwickelten überlegungen nicht in diesem Sinne "destruktiv" sind, sondern vielmehr die Chance einer Systematisierung bisher bereits vorhandener gesetzlicher und wissenschaftlicher Tendenzen zur Bewältigung der hier angesprochenen Problematik und für deren Anbindung 89 Diese Konsequenz ist von Sax als conclusio aus zwei seiner früheren Veröffentlichungen (Bemerkungen; JZ 1975, 137 ff.) jüngst auch explizit gezogen worden: Da strafrechtliche Tatbestände unter der Herrschaft des Grundgesetzes immer nur Typen strafwürdiger Rechtsgutsverletzung sein könnten (Tatbestand, S. 11 f.), sei die Erfüllung des Tatbestandes beim Fehlen einer strafwürdigen Beeinträchtigung des Schutzzweckes der Norm immer ausgeschlossen (aaO., S. 9 et passim); vgl. auch bereits dens., Grundsätze, S. 923 ff.; ZStW 90, 936 ff.

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an ein einheitliches und rationales Prinzip - nämlich das der Schutzbedürftigkeit des Opfers oder, wie es Schünemann genannt hat: das viktimologische70 - bieten können. Der Text wird im folgenden versuchen, die Fruchtbarkeit einer solchen Vorgehensweise anhand einiger Beispiele vorzuführen. Hierbei werden wir uns dem Oktroi der jeweiligen straftatsystematischen Einordnung der zu behandelnden gesetzlichen und strafrechtsdogmatischen Konstrukte - soweit er nicht, wie etwa in § 32, gesetzlich normiert ist - bewußt nicht unterwerfen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß solche auf dem Boden ganz anderer Konzeptionen erfolgten Klassifizierungen den mit Hilfe der hier entwickelten Kriterien zu bewerkstelligenden Zugang zu den einzelnen Problemkreisen eher erschweren als erleichtern. a) Schutzbedürjtigkeit und Auslegung

Eine erste, aus dem Prinzip der Schutz bedürftigkeit des Opfers abzuleitende Konsequenz ist in ganz anderem Kontext bereits oben im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit der praktischen Handhabung der teleologischen Methode durch Gerichte und Strafrechts wissenschaft aufgefunden worden71 • Wurde der Versuch, dieses Hilfsmittel der Rechtsgewinnung aus seiner "Verkrüppelung"72 zu befreien und die Bestimmung des gesetzlichen Telos aus der verhängnisvollen Fixierung auf das geschützte Rechtsgut zu lösen, dort noch überwiegend unter normtechnisch-formalen Aspekten legitimiert, so sind wir beim nunmehr erreichten Stand unserer Überlegungen in der Lage, die Notwendigkeit einer alternativen Vorgehensweise auch inhaltlich zu begründen: Ein Verfahren der Rechtsgewinnung, das die in der vorliegenden Untersuchung konstatierte vergleichsweise komplexe Zweckbestimmung der Rechtsnorm und die häufig gegenläufigen, zur Statuierung des Rechtsguts auf der einen und des Schutzbereichs auf der anderen Seite führenden Tendenzen nicht in den Blick bekommt, ist apriori ungeeignet, dem Prinzip der Schutzbedürftigkeit des Opfers sinnvoll Rechnung zu tragen. Die auf einem solchen Wege gefundenen Ergebnisse müssen zwar auch unter "viktimologischem" Aspekt nicht notwendig falsch sein - und sind es, weil das hinter dem viktimologischen Prinzip stehende Phänomen häufig unbewußt mitverarbeitet wird, in den meisten Fällen wohl auch nicht -, sie sind jedoch von vornherein mit Hilfe eines unangemessenen Instrumentariums zustande gekom70 In: ZStW 80, 32; vgl. auch dens., Unternehmenskriminalität, S. 197 ff.; Prolegomena, S. 130. 71 Vgl. hierzu oben Kap. 11. 72 So Schünemann, Prolegomena, S. 129.

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men, das an jedem Punkt im Prozeß der Rechtsgewinnung die Gefahr einer falschen Weichenstellung birgt. Der erste und wichtigste Weg zu einer Rechtsanwendung unter Beachtung des Prinzips der Schutzbedürftigkeit des Opfers führt somit über eine durch die hier entwickelten Grundsätze geleitete Auslegung der gesetzlichen Tatbestände. Ist das tatbestandliche Zusammenspiel von strafschutzgewährenden und -einschränkenden Tendenzen erst einmal erkannt und verarbeitet, so führt dies im Verfahren wie im Ergebnis notwendig zu einer Auslegung, die innerhalb der Wortlautgrenze die Frage gegebener oder mangelnder Schutzbedürftigkeit des Opfers schon bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der einzelnen Tatbestandsmerkmale reflektiert und umsetzt. Da die Strafnorm nicht beliebige, sondern nur solche Angriffsweisen sanktioniert, die typischerweise über eine dem Grundsatz der Erforderlichkeit genügende generelle Gefahrintensität verfügen, indiziert die Erfüllung ihrer - in der soeben beschriebenen Manier ausgelegten - Tatbestände dann in der Tat gleichsam die Schutzbedürftigkeit des durch das Täterverhalten betroffenen Opfers - ein Ergebnis, das die bisherige Handhabung der teleologischen Methode zumindest nicht zu garantieren vermochte. Ist durch die Erfüllung des Tatbestands selbst im Falle einer an Schutzbedürftigkeitserwägungen orientierten Auslegung seiner Merkmale die Schutzbedürftigkeit des Opfers und damit die Zulässigkeit des Einsatzes strafrechtlicher Mittel nicht positiv festgestellt, sondern nur "indiziert", so erhebt sich der mittlerweile möglicherweise besänftigte Verdacht einer systemsprengenden Tendenz unserer überlegungen im Hinblick auf die übrigbleibenden Fälle mangelnder Schutzbedürftigkeit bei voller Tatbestandserfüllung unter Umständen aufs neue. Er ist jedoch auch hier wiederum deshalb nicht angebracht, weil diese Problematik der vollen Tatbestandserfüllung bei gleichzeitiger entfallener Schutzbedürftigkeit des Opfers von uns nicht im Wege einer exotischen Fragerichtung aus dem Hut gezaubert und als solche erst produziert wurde, sondern schon zuvor existierte und von der "herkömmlichen" Dogmatik in den verschiedensten Zusammenhängen und unter den vielfältigsten Bezeichnungen zu lösen versucht wurde. b) Schutzbedürftigkeit und "Einwilligung in die Gefährdung" Eine sehr signifikante Ausprägung dieser Problematik finden wir etwa in der bereits oben herangezogenen Beschreibung der Situation eines Rechtsgutsträgers angesprochen, der sich einem betrunkenen Kraftfahrzeugführer anvertraut und im Verlauf der Fahrt körperlich verletzt wird. Hier macht schon ein Blick auf die unterschiedliche Ru-

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brizierung dieses Fragenkreises in Lehrbüchern und Erläuterungswerken die heillose Zersplitterung und Uneinigkeit im Grundsätzlichen deutlich. Mag es im Hinblick auf die dogmatischen Vorschläge zur rechtlichen Lösung dieser Fallage noch relativ einfach sein, die Anhänger der verschiedenen Konzeptionen nach ihren jeweiligen Ergebnissen - wie etwa Verminderung der zuzumessenden Strafe73 , Verlust des Strafantragsrechts 74 oder Ausschluß der Rechtswidrigkeit7 5- in einige wenige Gruppen zusammenzufassen, so häufen sich die Schwierigkeiten, wenn es um eine Katalogisierung und Systematisierung der unterschiedlichen Lösungswege geht. Während die einen versuchen, Sachverhalte der beschriebenen Art an den Lehren der Theorie der sozialen Adäquanz zu messen 76 , sprechen andere von erlaubtem Risiko 77 , Teilnahme an einer Selbstgefährdung78 , von Gefahrengemeinschaft79 , Risikoübernahme 8o , einer Einwilligung in den Verletzungserfolg81 oder zumindest von einer Einwilligung in das Risiko oder die Gefährdung82 • Es ist hier nicht der Ort, die mittlerweile kaum noch überschaubare Flut von einschlägigen Untersuchungen aufzuarbeiten oder auch nur nachzuweisen83 ; bereits die erkleckliche Zahl der verschiedenen Lö73 So im Ergebnis für das Gros der hier interessierenden Fälle Geppert, ZStW 83, 988, 997 ff.; für die Fälle der (als nicht wirksam behandelten) Einwilligung in eine Lebensgefährdung etwa Noll, übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 76 ff.; Geerds, ZStW 72, 61 (Fn. 89); BayObLG NJW 1957, 1246;vgl. auch BGH MDR 1969, 194. 74 Dazu Zipf, Einwilligung, S. 69; Kohlhaas, DAR 1960, 350. 75 So die h. M.; s. nur Lenckner, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 102 vor §§ 32 ff.; Hirsch, in: LK, Rdnr. 105 vor § 51; Jescheck, Lehrbuch, S. 478 f.; Welzel, Strafrecht, S. 97, jeweils m. w. N.; aus der Rechtsprechung: BGHSt. 4, 88; 17,359. 76 Etwa Roeder, Einhaltung, S. 40 f.; Welzel, Strafrecht, S. 56 f.; im Ergebnis wohl auch weitgehend Maurach / Gössel, Strafrecht, AT 2, S. 81 ff. 77 Etwa Lenckner, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 100 ff. vor §§ 32 ff.; wohl auch Langrock, MDR 1970, 984; Preuß, Untersuchungen, S. 144 ff. 78 Hierzu Schroeder, in: LK, § 59, Rdnr. 201; Rudolphi, JuS 1969, 556 f.; ders., in: SK, Rdnr. 79 vor § 1; Cramer, in: Schönke / Schröder, § 15, Rdnr. 155; Roxin spricht von einer "einverständlichen Fremdgefährdung" (Schutzzweck, S. 249 ff.). 79 So die hier übernommene Bezeichnung von Dach (Einwilligung, S. 11) für die Konzeption von Peter Frisch (Fahrlässigkeitsdelikt, S. 116 ff.). 80 Zipf, Einwilligung, S. 64 f. 81 Vgl. etwa Kohlhaas, DAR 1960, 348 f.; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 162; Noll, übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 121; Preuß, Untersuchungen, S. 139; Eb. Schmidt, JZ 1954, 372; Stratenwerth, Strafrecht, S. 305. 82 Jescheck, Lehrbuch, S. 478 f.; Fuchs, DAR 1956, 151; Hirsch, in: LK, Rdnr. 105 vor § 51; Lackner, § 226 a, Anm. 1; Baumann, Strafrecht, S. 331; Welzel, Strafrecht, S. 97; Schaffstein, Handlungsunwert, S. 567; Dreher / Tröndle, StGB, § 226 a, Rdnr. 4; Schrey, Gegenstand, S. 55; Eser, JZ 1978, 372 f.; BGH DAR 1959, 300; BGH MDR 1962, 1002; BayObLG NJW 1968, 665; OLG Celle MDR 1969, 70; OLG Frankfurt MDR 1970, 695. 83 Die neuere Literatur ist nachgewiesen und verarbeitet bei Dach, Einwilligung, insbes. S. 7 ff.

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sungsansätze dürfte aber in ausreichendem Maße illustrieren, daß hier ein grundsätzlicher dogmatischer Dissens über das den beschriebenen Sachverhalten angemessene systematische und methodische Prinzip und die relevanten Wertungs gesichtspunkte besteht. Hieraus resultierend scheint der Versuch der rechtlichen Lösung der Fälle der "Einwilligung in die Gefährdung", wie wir sie hier einmal nennen wollen, bisher weitgehend darin zu bestehen, in anderen, zumindest partiell parallel gelagerten Zusammenhängen bewährte dogmatische Konstrukte auf die hier interessierende Konstellation zu übertragen und systematische Unzuträglichkeiten im Rahmen des Möglichen zu minimieren. In der Sprache der vorliegenden Untersuchung ist die mit unserem obigen Beispielsfall angesprochene Fallgruppe84 , zu der etwa die Ausübung besonders gefährlicher Sportarten, Mutproben oder Selbstexperimente innerhalb eines Wissenschaftlerteams85 zu zählen sind, von einer außerordentlichen Erhöhung der konkreten Gefährdung gekennzeichnet. Daß beim Fahren mit einem betrunkenen Chauffeur, beim Bestreiten eines Boxkampfs oder bei einer der Tell'schen Apfelszene nachgestellten Situation nicht mehr von einer der generellen entsprechenden konkreten Gefahrintensität ausgegangen werden kann - was im Ergebnis auch die bisherigen Lösungsversuche innerhalb ihrer jeweiligen Kontexte weitestgehend unproblematisiert annehmen - , liegt auf der Hand. Der hieraus resultierende Wegfall der Schutzbedürftigkeit des Opfers gegen die von der Gefährdungserhöhung betroffenen Angriffsweisen auf das jeweilige Rechtsgut macht somit wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Bestrafung des tatsächlich eine Gutsbeeinträchtigung herbeiführenden "Täters" unzulässig 86 • Aus diesem Ergebnis können wir - ohne unsere oben formulierte Neutralität in verbrechenssystematischen Fragen aufgeben zu müssen - in Übereinstimmung mit der völlig herrschenden Meinung folgern 87 , daß die Lehre, nach der das Verhalten des Verletzten nur im Rahmen der 84 Zu den einzelnen Fallagen s. etwa Geppert, ZStW 83, 980 ff.; Zipf, Einwilligung, S. 64 ff.; Dach, Einwilligung, S. 1 ff.; Schaffstein, Handlungsunwert, S. 563 f. 8& Dieses Beispiel findet sich bei Noll, übergesetzliche Rechtfertigungsgrunde, S. 86. 88 Vom Ansatz her weist die hier entwickelte Konzeption gewisse Ähnlichkeiten mit dem von Peter Frisch (Fahrlässigkeitsdelikt, S. 118 ff.) vorgeschlagenen Lösungsweg auf. Frisch geht angesichts einer von ihm angenommenen "Gefahrengemeinschaft menschlichen Zusammenlebens" von einer "Obliegenheit" des Rechtsgutsträgers aus, Verletzungen seiner eigenen Rechtsgüter durch Handlungen Dritter zu vermeiden (aaO., S. 119 ff.) und verneint bei einer Rechtsgutsverletzung, die aus einem unter Vernachlässigung dieser Obliegenheit zustandegekommenem Handlungskontext resultiert, einen Verstoß des Schädigers gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (aaO., S. 120 f.; vgl. auch Münzberg, Verhalten, S. 305 ff.). Zur Kritik s. etwa Dach, Einwilligung, S. 16 ff. 87 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 75.

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Strafzumessung zu berücksichtigen sei88 , ebenso abzulehnen ist wie eine sich mit dem Verlust des Strafantragsrechts begnügende Theorie89 • Von dieser negativen Feststellung abgesehen sollen die Grundlagen und Konsequenzen der hier vertretenen, an der Schutzbedürftigkeit des Opfers orientierten Konzeption nur noch an einem weiteren Streitpunkt des in Frage stehenden Problemfeldes verdeutlicht werden, der zum einen immer wieder Gegenstand harter Auseinandersetzungen gewesen ist 90 und an dem zum zweiten exemplifiziert werden kann, welche Weiterungen aus der Verwendung eines unangemessenen Instrumentariums zu resultieren vermögen. Gemeint ist die Frage, ob die "Einwilligung des Rechtsgutsträgers" - um uns der Terminologie der wohl herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung zu be dienen 91 - wirksam nur in die Gefahr der Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität oder auch in die der Verletzung seines Lebens erfolgen könne. Die Argumente gegen eine Einwilligungsmöglichkeit in ein lebensgefährdendes Risiko' beziehen ihre Munition überwiegend aus der rechtlichen Regelung, die eine vorsätzliche Tötung auf Verlangen des Opfers in § 216 gefunden hat und verlängern die aus dieser Normierung erschlossene gesetzgeberische Position zur mangelnden Dispositionsfreiheit des Trägers des Rechtsguts "Leben" bis zur Entscheidung der hier angesprochenen Fallage92 - ein Vorgehen, das sich im Rahmen der der Einwilligungslehre verpflichteten Lösungsversuche der herrschenden Meinung geradezu aufdrängt, das aber nur dann geboten wäre, wenn diese Lehre ein adäquates Instrumentarium zur Bearbeitung unseres Problems böte. Sieht man die Konstellation der "Einwilligung in die Lebensgefährdung" jedoch im Lichte der hier vertretenen Konzeption, so wird unmittelbar deutlich, daß § 216, auch wenn man ihm die Wirkung einer "für die gesamte Rechtsordnung verbindliche(n) Einwilligungssperre gegenüber aktiver Fremdtötung" beilegt9a , deshalb keine Anwendung Nachweise in Fn. 73. Nachweise in Fn. 74. 90 S. nur Geppert, ZStW 83, 953 f., 983, 986 f.; Zipf, Einwilligung, S. 71 ff.; Jescheck, Lehrbuch, S. 478; Bickelhaupt, NJW 1967, 713; Noll, übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 76 ff.; Roxin, JuS 1964, 379; BGHSt. 4, 93; 7, 114; BayObLG NJW 1957, 1245; OLG Hamburg VRS 35, 201 einerseits; Peter Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 25 f.; Schaffstein, Unrechtsgehalt, S. 571 ff.; Berz, GA 1969, 148; Kientzy, Mangel am Straftatbestand, S. 97 ff. andererseits; differenzierend Stratenwerth, Strafrecht, S. 305; Lenckner, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 104 vor §§ 32 ff.; Hirsch, in: LK, Rdnr. 101 vor § 51; zum Ganzen siehe Kellner, Einwilligung, S. 24 ff. mit interessantem rechtsvergleichenden Teil (S. 68 ff.). 9! S. die Nachweise in Fn. 81 und 82. 92 Hierzu nur Schaffstein, Handlungsunwert, S. 567 ff. 93 Eser, in: Schönke / Schröder, § 216, Rdnr. 13. 88

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finden kann, weil es sich hier schlicht nicht um Einwilligungen handelt. Die zu entscheidenden Fälle sind nicht solche des passiven Einverstandenseins des Rechtsgutsträgers mit einer Beeinträchtigung oder Gefährdung seines Gutes - was bereits die erheblichen konstruktiven Schwierigkeiten deutlich machen, mit denen die herrschende Meinung in diesem Bereich zu kämpfen hat 94 - , sondern ganz im Gegenteil Emanationen einer eigentätigen, aktiven und initiativen Haltung des präsumtiven "Opfers", das das Gut selbst in eine bestimmte riskante Umgebung verbringt. Die Situation des Beifahrers eines betrunkenen Chauffeurs oder des Betreibers einer kampfbetonten Sportart ist ihrem Wesen nach - so nahe dieses Mißverständnis inhaltlich und sprachlich auch liegen mag - nicht die der Einwilligung in eine wie auch immer zustande gekommene externe Gefährdung, sondern die einer eigentätigen Erhöhung der seinen Rechtsgütern drohenden konkreten Gefahrintensität etwa durch das Einsteigen in das Kraftfahrzeug des betrunkenen Fahrers oder das Antreten zu einem Rugbymatch 95 • Der Rechtsgutsträger muß zwar, worauf wir unten noch im einzelnen eingehen werden, um diese Auswirkungen seiner Handlung wissen, sie in Kauf nehmen, in sie, wenn man so will: "einwilligen" - mit den hinter der Lehre von der Einwilligung stehenden Phänomenen hat ein solches Verhalten aber nichts zu tun 96 • Das aus dieser Sichtweise der einschlägigen Konstellation resultierende Ergebnis - der Ausschluß der Anwendbarkeit des § 216 in Fällen wie den vorliegenden - hat auch dann Bestand, wenn man zwar der hier getroffenen Einschätzung dieser Situationen als solche entfallender Schutzbedürftigkeit des Opfers folgt, aber abweichend von unseren Überlegungen das Verhalten des Rechtsgutsträgers entsprechend der herrschenden Meinung 97 zumindest auch als Einwilligung in die Gefährdung charakterisiert und damit - gleichsam durch die Hintertür - der Sperre des § 216 doch wieder Raum zu geben versucht. Eine hieraus 94 Hierzu etwa Geppert, ZStW 83, 980 f.; Zipf, Einwilligung, S. 74 ff.; Peter Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 16 f., 21 ff.; Kohlhaas, DAR 1960, 349; Hirsch, in: LK, Rdnr. 105 vor § 51; Schaffstein, Handlungsunwert, S. 563 ff.; Eb. Schmidt, JZ 1954, 372 f.; Preuß, Untersuchungen, S. 134 ff.; Stoll, Handeln auf

eigene Gefahr, S. 93 f., 306 ff. 95 Vgl. zu dieser überlegung auch die teilweise abweichende Darstellung von Geppert, ZStW 83, 977 f.; im Ergebnis mit den hier angestellten überlegungen weitgehend übereinstimmend: Zipf, Einwilligung, S. 77; Rudolphi, JuS 1969,556 Fn. 57. 98 Vgl. hierzu auch die allerdings auf einer unterschiedlichen Grundkonzeption basierende - Argumentation von Peter Frisch (Fahrlässigkeitsdelikt, S. 130 ff.), der letztlich jedoch zu einem vergleichsweise restriktiven Ergebnis gelangt (aaO., S. 133). 97 Nachweise in Fn. 81 und 82.

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resultierende, auf § 216 gestützte Strafbarkeit des tötenden Täters würde aber wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip notwendig unzulässig sein, da von der Tat ja das Rechtsgut eines nicht schutzbedürftigen Opfers betroffen wäre. Hieraus wiederum folgt, daß ein solches, nach dem Vorangehenden ohnehin verfehltes Vorgehen nur unter der Voraussetzung haltbar wäre, daß man § 216 im Wege einer verfassungskonformen Auslegung 9S eine Sperrwirkung gegenüber fahrlässig herbeigeführtem Erfolg im Bereich der hier interessierenden Fälle abspricht und damit letztlich doch zur Straflosigkeit auch des tötenden Täters gelangt. c) Schutzbedürjtigkeit und Notwehrrecht

In einer weiteren Variation finden wir das Problem der vollen Erfüllung des Tatbestandes bei gleichzeitigem Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers auch im Bereich des § 32 wieder. So wird, so weit ich sehe, in der juristischen Literatur nirgendwo genauer der Frage nachgegangen, was im Rahmen des § 32 und ähnlich strukturierter Rechtfertigungsgründe über die vom Rechtsgefühl gedeckte und von atavistischeren Empfindungen geradezu geforderte Einschätzung des Verteidigungshandelns als rechtmäßig hinaus dieses Urteil heute legislatorischdogmatisch begründen kann 99 • Diese Frage wird um so dringender unter dem Aspekt, daß der Angegriffene grundsätzlich ja befugt ist, sein Verteidigungshandeln so auszugestalten, daß es das gleiche Rechtsgut des Angreifers schwerer oder gar höherwertige Angreiferrechtsgüter verletzt als dies die Angriffshandlung selbst getan hatl° o• Und sie wird schließlich für die Konzeption der herkömmlichen Dogmatik dann tendenziell unentwirrbar, wenn der Angegriffene zu einer Verteidigungshandlung greift, die zwar als solche erforderlich und also rechtmäßig ist, aber ungewollte Auswirkungen zu Lasten des ursprünglichen Angreifers herbeiführt, die das erforderliche Maß überschreiten101 • GS Hierzu nur Larenz, Methodenlehre, S. 329 ff.; Jescheck, Lehrbuch, S. 123; Tröndle, in: LK, § 1, Rdnr. 51 ff.; Eser, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 26 ff. vor § 1, jeweils m. w. N.; aus der Rspr.: BGHSt. 19, 329 f.; 22, 153 f.

99 Die etwa im germanischen und mittelalterlichen Recht anzutreffende Begründung aus der "Friedlosigkeit" des Angreifers (hierzu Sander, Begründung, S. 8 f.; Schmitt-Lermann, Lehre von der Notwehr, S. 13 f.) kann im Rahmen des heutigen Notwehrrechts natürlich nicht mehr herangezogen werden. Zur Begründung des Notwehrrechts in der klassischen Philosophie vgl. Sander, aaO., S. 14 ff.; s. neuestens auch Schmidhäuser, Wertstruktur; Krause, Notwehr. 100 Völlig h. M.; s. nur Maurach / Zipf, Strafrecht, AT 1, S. 383; Schmidhäuser, Strafrecht, S. 353; Samson, in: SK, § 32, Rdnr. 19; Dreher / Tröndle, StGB, § 32, Rdnr. 17; RGSt. 72, 58; BGH NJW 1969, 802, jeweils m. w. N. 101 So die Konstellation in einem jüngst vom BGH entschiedenen Fall (BGHSt. 27, 313 = NJW 1978, 955).

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Die Lösungsversuche der Strafrechtsdogmatik hinsichtlich dieses praktisch wohl nicht unerheblichen Problems zeichnen sich durch große Beliebigkeit und verkürzte Ableitungszusammenhänge aus. Während die herrschende Literaturmeinung die Bestrafung des Notwehrberechtigten für von ihm fahrlässig herbeigeführte schwere und nicht erforderliche Auswirkungen für eine unerträgliche Beschneidung des Notwehrrechts hält und deshalb ungewollte Erfolge jeder Art bis zur versehentIichen Tötung des ursprünglichen Angreifers selbst in Bagatellfällen als gerechtfertigt bezeichnetl°2 , schlägt eine Mindermeinung den genau umgekehrten Weg ein und läßt nur solche ungewollten Auswirkungen an der Rechtfertigung der eigentlichen Verteidigungshandlung teilnehmen, die der Angegriffene auch vorsätzlich hätte herbeiführen dürfen 103 • Die Übertragung der in der vorliegenden Untersuchung erarbeiteten Kriterien auf den Grund des Notwehrrechtes generell und auf das hier in Frage stehende Spezialproblem im besonderen scheint deshalb angemessen, weil die Notwehrsituation aus dem Blickwinkel des ursprünglichen Angreifers durchaus als durch erhöhte konkrete Gefahrintensität konstituiert angesehen werden kann: Wer seine Mißachtung der Rechtsgutsobjekte anderer durch einen Angriff auf diese manifestiert, erhöht hiermit die konkrete, seinen eigenen Gütern drohende Gefährdung deshalb, weil davon ausgegangen werden muß, daß der Attackierte dieses Verhalten nicht hinnehmen, sondern ihm zuvorzukommen oder es zumindest zu beenden suchen wird. Auf den Fragenkreis der ungewollten, über das Erforderliche hinausgehenden Auswirkungen einer an sich erforderlichen Verteidigungshandlung angewendet, bedeutet dies, daß beiden in der Strafrechtswissenschaft vertretenen Meinungen nicht zugestimmt werden kann 104 • Die Mindermeinung, die die Grenze der Rechtfertigung bei ungewollten Auswirkungen dort zieht, wo sie bei vorsätzlicher Erfolgsverursachung zu lozieren wäre, verkennt zum einen die spezifischen Handlungsgesetze einer typischerweise durch Angst, Aufregung und Hektik gekennzeichneten Notwehrsituation und sieht - was in unserem Kontext wesentlicher ist - insbesondere nicht, daß Art und Umfang der den Rechtsgütern des Angreifers drohenden und infolge seiner Attacke auf fremde Güter erhöhten Gefahrintensität - und damit: Kriterien für die Frage seiner diesbezüglich entfallenden Schutzbedürftigkeit - ob102 Baldus, in: LK, § 53, Rdnr. 23; Jescheck, Lehrbuch, S. 275; Maurach, Strafrecht, S. 553; Schmidhäuser, Strafrecht, S. 353; Welzel, Strafrecht, S. 86; Bockelmann, Notrechtsbefugnisse, S. 248; Niese, Finalität, S. 17. 103 Lenckner, in: Schönke / Schröder, § 32, Rdnr. 64; Baumann, Strafrecht, S. 314; Roxin / Schünemann / Haffke, Klausurenlehre, S. 55. 104 S. dazu ausführlich: Raimund Hassemer, JuS 1980, 416 f.

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jektiv aus dem Handlungskontext bestimmt werden müssen. Konkret: Schafft die auf den Angriff erforderlicherweise folgende Verteidigungshandlung des Notwehrberechtigten etwa eine erhöhte konkrete Gefahrintensität nur für die Willensbetätigungsfreiheit des Angreifers - indem dieser etwa durch eine Drohung am weiteren Vorrücken gehindert werden soll - so bleiben andere Angreiferrechtsgüter wie körperliche Unversehrtheit oder Leben, die hiervon ja zumindest nicht unmittelbar betroffen sind, gleichsam in einem Zustand "normaler" Gefahrlos. Läßt der Attackierende aber auf die gewaltlose Drohung hin nicht locker und zwingt den Notwehrberechtigten zum Einsatz seiner Fäuste oder gar eines gefährlichen Werkzeuges, so erhöht er die konkrete Gefahrintensität auch hinsichtlich der hierdurch betroffenen Rechtsgüter. Die erste Konsequenz aus dieser Analyse liegt zumindest insoweit zutage, als von einer entfallenden Schutzbedürftigkeit des Angreifers hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die durch seine Attacke keiner höheren Gefahrintensität ausgesetzt worden sind, unter keinen Umständen die Rede sein kann. Hiermit ist gleichzeitig die herrschende Literaturmeinung abgelehnt, die im Rahmen der ersten oben geschilderten Konstellation eines Notwehrberechtigten, der erforderlicherweise mit einer Pistole droht und dabei durch einen versehentlich gelösten Schuß den Tod des Angreifers verursacht, Straflosigkeit annehmen würde 106 ; dies deshalb, weil das ungewollt verletzte Rechtsgut "Leben" durch das Verhalten des Angreifers objektiv eben - noch - nicht einer zum Entfallen der Schutzbedürftigkeit führenden erhöhten konkreten Gefahrintensität ausgesetzt war. Demgegenüber betrifft die vom Angreifer in der zweiten oben beschriebenen Konstellation geschaffene erhöhte konkrete Gefahrintensität nicht nur seine körperliche Unversehrtheit, sondern auch sein Leben, mit der Folge, daß die etwa durch einen (erforderlichen) Hammerschlag bewirkte ungewollte Tötung des Angreifenden trotz Überschreitung der Erforderlichkeitsgrenze des § 32 Abs. 2 rechtmäßig ist. Dieses Ergebnis trägt der Tatsache Rechnung, daß, wie ein Blick auf die diese Überlegung verarbeitenden Erfolgsqualifikationen etwa der §§ 224, 226 zeigt, die Schaffung einer erhöhten konkreten Gefahrintensität hinsichtlich des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit typischerweise gleichzeitig zu einer Vergrößerung der Gefahr führt, daß in diesen Situationen entweder die körperliche Integrität schwerer als angenommen beeinträchtigt oder gar ein völlig anderes Rechtsgut, das Leben, verletzt wird 107 • Hier ist also, im Unterschied zum ersten Beispielsfall, 105 Vgl. zu einer solchen Fallage Roxin / Schünemann / Haffke, Klausurenlehre, S. 47 f. 106 Vgl. die Nachweise in Fn. 102. 107 Eben diese überlegung ist es nämlich, die die Strafschärfung der Er-

VI. Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrecht

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die Erhöhung der konkreten Gefahrintensität hinsichtlich der einzelnen Rechtsgüter nicht differenzierbar, so daß auch die ungewollte Verletzung eines zweiten Rechtsgutes wegen des Wegfalls der Schutzbedürftigkeit des Opfers nicht strafbar sein kann. d) Schutzbedürjtigkeit und §§ 199, 233 Bereits aus dem Vorstehenden erhellt, daß sich der Versuch der Verarbeitung von Situationen mangelnder oder zweifelhafter Schutzbedürftigkeit des Opfers bei gleichzeitiger Erfüllung aller Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes nicht nur in dogmatischen Konstrukten, sondern auch in gesetzlichen Normierungen nachweisen läßt. Unter diesem Aspekt sind von besonderem Interesse des weiteren auch die in §§ 199, 233 vorfindlichen Regelungen108 , die sich, an den Kriterien unserer Untersuchung gemessen, mühelos als Fälle problematischer Schutzbedürftigkeit des Opfers verstehen lassen: Wer etwa einen anderen ohrfeigt, schafft hiermit gleichzeitig einen Zustand höherer konkreter Gefährdung für seine Ehre oder seine eigene körperliche Integrität, da in solchen Situationen mit entsprechenden Reaktionen des ursprünglich Attackierten gerechnet werden muß. Der Gesetzgeber fordert den Entscheidenden, wie sich aus den Rechtsfolgen der beiden Vorschriften ergibt, hier also quasi dazu auf, die konkrete Schutzbedürftigkeit des zum Opfer Gewordenen im Einzelfall nochmals einer kritischen überprüfung zu unterziehen und von einer Bestrafung des Reagierenden dann abzusehen, wenn - in der Sprache unserer Untersuchung - das Verhalten des Erstangreifers zu einer relevanten Erhöhung der konkreten Gefahrintensität geführt hat. Auch in den Fällen der §§ 174 Abs. 4, 175 Abs. 2 Nr. 2, 213 109 ist der Richter gehalten, die Schutzbedürftigkeit des Opfers an dessen vorherigem Verhalten gegenüber dem späteren Täter unter dem Aspekt der Erhöhung der konkreten Gefahrintensität zu messen und zumindest seinen Strafausspruch hieran auszurichten. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber in den soeben angesprochenen Fällen explizit einen Fingerzeig in die im Text entwickelte Fragerichtung nach der Schutzbedürftigkeit des Opfers gibt und hiervon anderswo absieht, läßt sich zum einen damit erklären, daß es sich zumindest in den Fällen der §§ 199, 233 um häufig auftretende Situationen handelt, folgsqualifikationen normativ trägt. S. nur Lackner, StGB, § 226, Anm. 1; Horn, in: SK, § 224, Rdnr. 2; § 226, Rdnr. 3 f.; Maurach / Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 102 ff. Vgl. auch Raimund Hassemer, JuS 1980,417 f. 108 Hierzu unter viktimologischem Aspekt auch Zipf, MSchrKrim 1970, 4. 109 Hierzu etwa Zipf, MSchrKrim 1970, 4; Paasch, Grundprobleme, S. 92 ff.; Schüler-Spnngorum, Victimologie, S. 207 ff.; zur Situation in der Schweiz: Schultz, SchwZStrafrecht 1956, 186 ff.; Sigg, Begriff, S. 216 ff.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

und zum anderen, daß die Erhöhung der konkreten Gefahrintensität hier relativ leicht operationalisierbar, weil mehr oder weniger eindimensional bestimmt ist. Trifft dies zu, so handelt es sich bei diesen Vorschriften mithin nicht um extrasystematische Ausnahmeregeln mit allen hieran zu knüpfenden methodischen Konsequenzen -, sondern eben um den gesetzesförmigen Niederschlag des hier aufgezeigten Prinzips der Schutzbedürftigkeit des Opfers llO . aal Exkurs: §§ 199, 233 in ihrer Bedeutung als Kriterien entfallender Schutzbedürftigkeit Die soeben dargestellten Rechtsfiguren und Regelungen sind, unabhängig davon, daß sie zumindest ein starkes Indiz für die seit je durch Gesetzgeber und Strafrechtsdogmatik erfolgte - bewußte oder unbewußte - Berücksichtigung von Schutzbedürftigkeitserwägungen darstellen, für die Zwecke unserer Untersuchung auch in einer anderen Hinsicht von Interesse, indem sie nämlich Hinweise auf den relevanten Grad der Erhöhung der konkreten Gefahrintensität enthalten: Kann etwa die Situation der "Einwilligung in die Gefährdung" als tendenziell unangezweifeltes Beispiel für das Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers - damit also auch: für die vorgängige Realisierung sozialinadäquater Außenkontakte des Rechtsgutsträgers - gewertet werden, so bezeichnen § 199 und die anderen oben bezogenen Vorschriften offensichtlich den Bereich erhöhter Gefahrintensität, in dem nach der Meinung des Gesetzgebers trotz der Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale der Strafnorm von einer Schutzbedürftigkeit des Opfers und damit von der Strafbarkeit des Täters nicht unbesehen ausgegangen werden kann. Hier legt das Gesetz selbst dem Entscheidenden auch im Falle eines vorsätzlich handelnden Täters vielmehr nahe, die Schutzbedürftigkeit des Opfers einer besonders sorgfältigen Prüfung zu unterziehen und von einer Bestrafung des Täters im Falle ihres Fehlens Abstand zu nehmen. Auch diese Hinweise reichen selbstverständlich nicht aus, das für das Entfallen der Schutz bedürftigkeit relevante Ausmaß der Erhöhung der konkreten Gefahrintensität exakt zu quantifizieren. Sie beweisen jedoch, und dies ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, daß auch ein unter der Schwelle der "Einwilligung in die Gefährdung" liegendes Verhalten des Rechtsgutsträgers sozialinadäquat sein und zum Entfallen der Schutzbedürftigkeit führen kann. Aus der Fassung des Gesetzes in diesen oben angeführten Fällen kann gefolgert werden, daß der Gesetzgeber selbst in Situationen der dort umschriebenen Art den 110 Vgl. hierzu auch Schultz, SchwZStrafrecht 1956, 190 f.; Schüler-Springorum, Victimologie, S. 207 ff.

VII. Einzelfragen

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neuralgischen Punkt, in dem also die Quantität in Qualität umschlägt, vermutet, und hierauf, infolge mangelnder Entscheidbarkeit auf der abstrakt-generellen Ebene, den konkret-individuellen Entscheider hinweist. VII. Einzelfragen Zum Abschluß dieses Teils unserer Untersuchung bleibt noch auf einige Detailprobleme der Schutzbedürftigkeit des Opfers und ihres Entfallens einzugehen, die zwar im Vorangegangenen weitgehend schon angesprochen, nicht aber einer konsistenten Lösung zugeführt worden sind. Dies ist, bevor wir uns in einem letzten Teil der Arbeit einem konkreten Auslegungsproblem zu nähern versuchen werden, im folgenden nachzuholen. 1. Die subjektiven Voraussetzungen entfallender Schutzbedürftigkeit

In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, ob jede durch Eigentätigkeit des Rechtsgutsträgers bewirkte qualitative Erhöhung der konkreten Gefahrintensität zum Entfallen seiner Schutzbedürftigkeit zu führen hat oder ob eine solche Konsequenz vom Vorliegen besonderer Voraussetzungen auf der Seite des so agierenden präsumtiven Opfers abhängig zu machen ist. Einen ersten Ansatzpunkt zur Lösung dieses Problems können wir aus unseren obigen überlegungen zum Sinken der individuellen Schutzbedürftigkeit beim Ansteigen der konkreten Gefahrintensität destillieren, das wir aus der Tatsache erklärt haben, daß die erhöhte Verletzungsgefahr in Konstellationen dieser Art nicht - wie in den gesetzlich normierten Fällen etwa der §§ 223 a, 243 Abs. 1 Nr. 6 gleichsam extern begründet, sondern vom Rechtsgutsträger eigentätig herbeigeführt worden ist l11 • Die hiermit erfolgte Ablehnung einer durchgängigen Kollinearität des Ausmaßes der Schutzlosigkeit mit dem der Schutz bedürftigkeit kann im Rahmen unserer Rechtsordnung aber notwendig nur dann vertreten werden, wenn das zu erhöhter Schutzlosigkeit führende Verhalten aus einer verantwortlichen und autonomen Entscheidung des Rechtsgutsträgers resultiert. Hieraus folgt zunächst, daß ein Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers nur in den Fällen angenommen werden kann, in denen dieses die diesbezügliche Valenz seiner Handlung kennt, also weiß, daß sein Verhalten zu einer Verringerung seiner Selbstschutzmöglichkeiten und/ oder einer Erhöhung der konkreten Gefährdung führt 112 • Mit diesem Oben Kap. IV, 1, a). Die von Peter Frisch (Fahrlässigkeitsdelikt, S. 122 ff.) für die Fälle der "Einwilligung in die Gefährdung" vertretene Position, daß es grundsätzlich 111

112

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

Merkmal scheiden aus der Reihe strafrechtlich relevanter individueller Einflußnahmen auf das Maß der konkreten Gefahrintensität apriori alle diejenigen aus, die etwa von einem Unzurechnungsfähigen oder von einem Rechtsgutsträger vorgenommen werden, der aufgrund seiner strukturellen oder situativen Lage nicht fähig ist, sowohl das betreffende Rechtsgut als auch die aus seinem Verhalten resultierende erhöhte konkrete Gefahrintensität in ihrem jeweiligen Wesen zu erkennen oder - etwa durch Täuschung oder Drohung - daran gehindert ist, zu einer richtigen Erkenntnis zu gelangen oder ihr gemäß zu handeln. 2. Die Zumutbarkeit alternativen Verhaltens

Aus der Feststellung, daß die Erhöhung der konkreten Gefahrintensität die Folge einer verantwortlichen und autonomen Entscheidung des Rechtsgutsträgers zu sein hat, läßt sich als zweites ableiten, daß die Aufrechterhaltung einer der generellen entsprechenden Gefahrintensität zumutbar sein muß. Der Rechtsgutsträger etwa, der sich der Dienste eines betrunkenen Kraftfahrzeugführers nicht aus freier Entscheidung bedient, sondern auf diese in einem Notfall dringend angewiesen ist, erhöht zwar ebenfalls das Ausmaß der seiner körperlichen Integrität und seinem Leben drohenden Gefahrintensität, verliert hierdurch jedoch seine Schutzbedürftigkeit nicht113 • Eine genauere Bestimmung der Grenzen der Zumutbarkeit, die ohnehin nicht abstrakt, sondern nur im Hinblick auf die einzelnen Tatbestände vorgenommen werden könnte, würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Das Absehen von dieser Fixierung der Zumutbarkeitsgrenze ist jedoch nicht zuletzt deshalb unschädlich, weil keine Bedenken bestehen, sich in diesem Zusammenhang zur genaueren Begrenzung der infra ge stehenden Konstellationen der bereits vorhandenen dogmatischen Instrumentarien zu bedienen, nämlich etwa der Grundsätze, die Strafrechtspraxis und -wissenschaft zur Bestimmung der Zumutbarkeit im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte entwickelt haben114 • Dies liegt um so näher, als es hier wie dort um die unerheblich sei, ob und inwieweit der Rechtsgutsträger die Gefährdungserhöhung tatsächlich erkannt habe, kann demnach nicht gehalten werden (zur Kritik s. auch Dach, Einwilligung, S. 16 ff.). Frisch selbst schränkt denn auch dieses Ergebnis für einen nicht unerheblichen Teil der einschlägigen Fälle - immanent widersprüchlich - wieder ein (aaO., S. 123). 113 Vgl. hierzu auch den der Entscheidung BGH VRS 16, 81 zugrundeliegenden Sachverhalt (hierzu Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, S. 43). 114 S. nur etwa Rudolphi, in: SK, Rdnr. 31 vor § 13; Dreher / Tröndle, StGB, § 13, Rdnr. 16; Stree, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 155 vor §§ 13 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht, S. 243 f.; Maurach / Gössel, Strafrecht, AT 2, S. 162 ff., jeweils m. zahlr. w. N. Aus der Rspr.: RGSt. 58, 227; 73, 57; 77, 127 f.; BGHSt.

VII. Einzelfragen

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Abwägung des Interesses des Rechtsgutsträgers am Unterlassen einer bestimmten Handlung auf der einen Seite und dem mehr oder minder rigiden Anspruch der Rechtsordnung auf deren Vornahme andererseits geht 115 • 3. Möglichkeiten der Kompensation

Als weiteres Spezialproblem im Rahmen der Schutzbedürftigkeit des Opfers ist die ebenfalls bereits angeklungene Frage anzusehen, ob bei den Beziehungsdelikten eine Kompensation erhöhter konkreter Gefährdung durch verstärkte individuelle Selbstschutzmaßnahmen - oder umgekehrt - im Rechtssinne möglich ist, und welche Konsequenzen hieraus gegebenenfalls zu ziehen sind. Das hier mit dem Terminus "Kompensation" bezeichnete Phänomen ist leicht zu beschreiben: Es ist - in der Spielart, die im folgenden pars pro toto abgehandelt werden soll - gekennzeichnet durch eine vom Rechtsgutsträger bewußt vorgenommene Erhöhung der konkreten Gefährdung, der er gleichzeitig konkret erhöhte, also das sozial adäquate Maß übersteigende Selbstschutzmaßnahmen gegenüberstellt. Ein Beispiel für eine solche Vorgehensweise liefert ein Rechtsgutsträger, der zwar einen - durch verstärkte konkrete Gefährdung im Vermögensbereich gekennzeichneten - Handel mit Rauschgiften betreibt, seine Selbstschutzmaßnahmen aber insofern "überobligationsmäßig" ausgestaltet, als er etwa die Vertrauenswürdigkeit seiner Geschäftspartner durch Privatdetektive und die Güte des von ihm zu kaufenden "Stoffes" durch einen diplomierten Chemiker überprüfen und feststellen läßt. Es liegt hier von vornherein auf der Hand, daß strafrechtlich relevant nur die Fälle sind, in denen die erhöhten Selbstschutzmaßnahmen entgegen der Hoffnung des Rechtsgutsträgers gerade nicht geeignet waren, die aus der Erhöhung der konkreten Gefährdung resultierende Verletzung des in Frage stehenden Gutes zu verhindern, da anders eine Erfüllung des Tatbestandes ohnehin nicht in Betracht kommen kann. Mit dieser Erkenntnis ist aber deshalb noch nicht allzu vi el gewonnen, weil hiermit noch nicht der erforderliche Nachweis dafür erbracht ist, daß die eingetretene Gutsbeeinträchtigung gerade aus der vom Rechtsgutsträger bewirkten und unzureichend kompensierten Erhöhung der konkreten Gefährdung resultiert. Angesichts der Tatsache nämlich, daß auch die Einhaltung einer der generellen entsprechenden konkreten 6, 57 f.; 7, 271; 11, 135 ff. Unerheblich ist im vorliegenden Zusammenhang, ob die Zumutbarkeit des HandeIns, was umstritten ist (Stree, aaO., m. w. N.), systematisch die Tatbestandsmäßigkeit oder die Schuld betrifft. 115 S. nur BGHSt. 6, 57 f.; 7, 271; 11, 135 ff.; Welzel, JZ 1958, 495 f.; Peters, JZ 1966, 457 ff.; Ulsenheimer, GA 1972, 1 ff.

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

Gefahrintensität die Verletzung des Rechtsgutes grundsätzlich nicht zu hindern vermag116 , kann von den Kompensationsmaßnahmen des Rauschgifthändlers unseres Beispielsfalles schlechterdings nicht verlangt werden, daß sie eine Beeinträchtigung des betreffenden Gutes gänzlich ausschließen. Sie müssen vielmehr lediglich gerade die spezifische Art und den konkreten Umfang der Erhöhung der Gefährdung neutralisieren, so daß es ausreicht, wenn konkrete Gefährdung und konkrete Selbstschutzmaßnahmen gleichsam pari passu beeinflußt, mithin die generelle Gefahrintensität in ihrer tatbestandlichen Ausprägung auf einem anderen Niveau, aber in vergleichbarem Ausmaß reproduziert wird 117• In allen anderen Fällen, in denen also eine Erhöhung der konkreten Gefahrintensität trotz intensivierter und das normale Maß übersteigender Selbstschutzmaßnahmen vorliegt, ist die Frage der Schutzbedürftigkeit des Opfers wie in jedem anderen Falle zu behandeln und somit bei sozialinadäquaten Außenkontakten - zu verneinen. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich notwendig das Problem, daß eine die Erhöhung der konkreten Gefährdung nicht neutralisierende Intensivierung der individuellen Selbstschutzmaßnahmen häufig darauf zurückzuführen sein wird, daß sich der Rechtsgutsträger zwar grundsätzlich der Erhöhung der Gefährdung bewußt ist, aber das tatsächliche Ausmaß dieser Erhöhung zu optimistisch einschätzt. Es ist dies also der Fall des Rechtsgutsträgers, der zwar für die von ihm vorgestellte erhöhte Gefährdung im Sinne einer Konstanz der Gefahrintensität ausreichende Selbstschutzmaßnahmen getroffen hat, sich in Wirklichkeit jedoch in eine wesentlich höhere Gefährdung begibt, der gegenüber seine intensivierten Selbstschutzmaßnahmen eben gerade nicht genügen - eine Konstellation, die im Rahmen unseres obigen Beispielsfalls also etwa von einem Rauschgifthändler verwirklicht 116 Unser Rauschgifthändler etwa ist ja nicht nur im Rahmen seiner kriminellen Transaktionen der Gefahr ausgesetzt, Opfer eines Betruges zu werden, sondern auch da, wo er "normale", nichtkriminelle Austauschbeziehungen etwa zu seinem Lebensmittelhändler oder einem Zeitschriftenwerber aufnimmt. 117 Die im Text angestellte überlegung ist wohl am einsichtigsten mit Hilfe eines Zahlenspiels zu exemplifizieren: Unterstellt man, daß das in § 263 geschützte Rechtsgut "Vermögen" einer generellen Gefahrintensität im Umfang einer angenommenen Maßzahl ,,8" ausgesetzt sei (wobei ,,1" geringste und ,,10" höchste Gefahrintensität bezeichnen soll), so muß im Falle einer eigentätigen Erhöhung der konkreten Gefährdung durch den Rechtsgutsträger dessen Kompensationsmaßnahme auf der Selbstschutzseite nicht ein Absinken der konkreten Gefahrintensität auf ,,6" oder gar ,,1" bewirken. Es reicht vielmehr aus, wenn in der konkreten, durch erhöhte Gefährdung und erhöhte Selbstschutzmaßnahmen gekennzeichneten Situation (also auf einer von der tatbestandlich verarbeiteten abweichenden Ebene) wiederum eine Gefahrintensität der Maßzahl ,,8" festgestellt werden kann.

VIII. Zusammenfassung von Teil B

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würde, der in Anbetracht der mit seinen Geschäften einhergehenden hohen Gefährdungen beim Warenkauf zwar die Reinheit des zu beschaffenden Rauschgiftes chemisch überprüfen läßt, aber nicht auf den Gedanken kommt, das ihm übergebene Quantum auch nachzuwiegen, und somit gegen eine spezifische Gefährdung nicht vorsieht. Halten wir im Hinblick auf diese Fallage an unserer obigen Erkenntnis 118 fest, daß die Erhöhung der konkreten Gefahrintensität immer bewußt herbeigeführt werden muß, so kann hier - da zumindest das faktisch vorhandene Ausmaß der Gefahrintensität nicht bewußt geworden war - ein Entfallen der Schutzbedürftigkeit zweifelhaft sein. Auf der anderen Seite steht jedoch jenseits allen Zweifels fest, daß der Rechtsgutsträger sich zumindest aus dem Kernbereich der normalen Gefährdung durchaus bewußt entfernt hat. Von dieser Überlegung muß auch die Lösung dieses Problems ausgehen, da maßgeblicher Bezugspunkt für die Bewußtheit der Erhöhung der konkreten Gefährdung auf der subjektiven Ebene immer nur das Ob der Gefahrintensivierung, niemals aber das Wie oder Wieviel sein kann. Denn bereits im Irrtum über das Ausmaß einer durch Einwirkung auf die Gefährdungswurzel bewirkten Erhöhung der konkreten Gefahrintensität realisiert sich ein Teil der erhöhten Gefährdung und der verringerten Selbstschutzmöglichkeiten, da hier der Rechtsgutsträger den Bereich der sozialadäquaten Außenkontakte und damit des von allen Gekannten, Praktizierten und Einschätzbaren verläßt. Wir können somit feststellen, daß die lediglich infolge eines Irrtums über das Ausmaß der Gefährdungserhöhung nicht ausreichend verstärkten konkreten Selbstschutzmaßnahmen den Wegfall der Schutzbedürftigkeit des Opfers nicht hindern.

VIII. Zusammenfassung von Teil B Der Rechtsgutsträger ist in der Lage, das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität bei Zugriffs delikten durch eigentätige Einwirkung auf die Gefährdungswurzel, bei Beziehungsdelikten durch Beeinflussung von Gefährdungs- und/oder Selbstschutzseite der Gefahrintensität zu bestimmen. Er ist dann schutzbedürftig, wenn die konkrete Gefahrintensität der generellen, in der Strafnorm verarbeiteten zugeordnet werden kann. Wächst infolge seiner Einflußnahme auf Gefährdungsund/oder Selbstschutzwurzel die konkrete Gefahrintensität, so sinkt seine Schutzbedürftigkeit. Sie gerät völlig in Wegfall dann, wenn konkrete und generelle Gefahrintensität sich in der Konsequenz eines sozialinadäquaten Außenkontaktes des präsumtiven Opfers nicht mehr entsprechen. 118 In diesem Kap., 1. 7 Hassemer

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Teil B. Rechtsgutsgefährdung und Schutzbedürftigkeit des Opfers

Da sich die Schutzbedürftigkeit des Opfers als konkret-individuelles Pendant der auf der Ebene der Konstitution von Rechtsgut und Schutzbereich zum Tragen kommenden abstrakt-generellen Erforderlichkeit des strafrechtlichen Schutzes darstellt, verbietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit den Einsatz strafrechtlicher Mittel in den Fällen, in denen die Schutzbedürftigkeit des Opfers wegen der mangelnden, auf individuellen Einfluß des Rechtsgutsträgers zurückzuführenden Zuortbarkeit von konkreter und genereller Gefahrintensität entfällt. Der aus diesem Befund abzuleitende Grundsatz, das viktimologische oder Prinzip der Schutzbedürftigkeit des Opfers, ist für die Rechtsgewinnung nicht nur im Bereich der Auslegung zu berücksichtigen, sondern bietet auch ein wichtiges systematisches Kriterium für die Bearbeitung anderer, bisher in den verschiedensten Kontexten abgehandelter Phänomene wie etwa der "Einwilligung in die Gefährdung". Die - im einzelnen nicht in abstracto, sondern lediglich in der Arbeit am Straftatbestand zu klärende - Voraussetzung eines Entfallens der Schutz bedürftigkeit des Opfers ist, daß der Rechtsgutsträger die konkrete Gefahrintensität bewußt erhöht, obwohl ihm ein alternatives Verhalten zumutbar ist. Tut er dies, so kommen ihm grundsätzlich auch etwaige Versuche, von ihm bewirkte Erhöhungen der konkreten Gefährdung durch Intensivierung der konkreten Selbstschutzmaßnahmen zu kompensieren, nicht zugute.

Teil C

Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand L Das Irrtumsmerkmal in § 263 und das Problem des unter Zweifeln Verfügenden In einem letzten Teil der Untersuchung soll nunmehr versucht werden, die bislang erarbeiteten Ergebnisse auf ein konkretes Auslegungsproblem des Besonderen Teils des StGB anzuwenden und dabei die im Text dargestellte Vorgehensweise exemplarisch vorzuführen. Als besonders taugliches Exerzierfeld für dieses Vorhaben erscheint hierbei ein Teilaspekt des Irrtumsmerkmals in § 263, nämlich die Frage, ob ein Irrtum im Sinne des Betrugstatbestandes vorliegt, wenn das präsumtive Opfer von der Wahrheit der ihm unterbreiteten Tatsachen nicht überzeugt ist, sondern an dieser in welcher Form und in welchem Umfang auch immer zweifelt. Die Gründe für die Auswahl gerade dieses Problemfeldes sollen, soweit sie sich nicht im weiteren Verlauf der Untersuchung unmittelbar erschließen lassen, einleitend kurz kenntlich gemacht werden: Zum einen ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit der Betrugstatbestand schon mehrfach als klassischer Repräsentant der Beziehungsdelikte hervorgehoben worden, die ihrerseits wiederum in unserer obigen Beschreibung der individuellen Einwirkungsmöglichkeiten auf das Ausmaß der konkreten Gefahrintensität deshalb als besonders interessant erkannt wurden, weil in ihrem Rahmen unmittelbare und autonome Einflußnahmen des Rechtsgutsträgers sowohl auf die Gefährdungs- wie auf die Selbstschutzwurzel der Gefahrintensität praktizierbar sind 1 • Es steht deshalb zu vermuten, daß bei einer genaueren Untersuchung eines zu diesem Deliktstyp zählenden Tatbestands besonders aufschlußreiche Ergebnisse zu erwarten sind, die dann auch für die Behandlung der "eindimensional" strukturierten Zugriffsdelikte fruchtbar gemacht werden können. Zum zweiten hat kein geringerer als Lackner noch in seiner 1979 erschienenen Kommentierung des § 263 eine beinahe durchgängige Vernachlässigung der Irrtumsproblematik durch Rechtsprechung und Literatur beklagt und dies "zu den Merkwürdigkeiten der Rechtsentwick1

s. o. Teil B, Kap. III, 3, b).

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

lung"2 gezählt. Trifft diese Feststellung für die Auseinandersetzung von Strafrechtspraxis und -wissenschaft mit der Gesamtproblematik dieses Merkmals zu, so galt sie - wie zu zeigen sein wird - bis in die jüngste Zeit in besonderem Maße für den zum Gegenstand unserer Untersuchung gewählten Fragenkreis des trotz Zweifels an der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen Verfügenden. In der Tatsache, daß Lackners Analyse hinsichtlich des hier interessierenden Aspekts der Irrtumsproblematik zwischenzeitlich obsolet geworden zu sein scheint, liegt schließlich der dritte Hauptgrund für das hier gewählte Anwendungsfeld. Im Gefolge einer Untersuchung Giehrings 3 zum Prozeßbetrug im Versäumnis- und Mahnverfahren aus dem Jahre 1973 entwickelte sich zu diesem Fragenkreis nämlich rasch eine ebenso rege wie kontrovers geführte Diskussion, die für unsere Zwecke insbesondere deshalb von besonderem Interesse ist, weil hier von den Befürwortern einer Abkehr von der bisherigen Rechtspraxis nicht zuletzt auch mit Erwägungen geringer oder mangelnder Schutzbedürftigkeit des trotz Zweifeln Verfügenden argumentiert wurde. Die Vertreter der überkommenen Meinung, die in Lackner ihren beredtesten Repräsentanten gefunden haben dürften, haben die insbesondere von Giehring und Amelung4 vorgetragenen Angriffe zwar zur Kenntnis genommen, aber - nicht zuletzt wohl im Hinblick auf die auch untereinander differierenden neuen Ansätze - trotz teilweise bekundeter Sympathie für eine alternative Bestimmung des Irrtumsmerkmals5 keinen Anlaß gesehen, ihre Konzeption aufzugeben6 • Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß die Theorie, nach der ein fürmöglich-Halten der Wahrheit der unterbreiteten Tatsachenbehauptungen das Merkmal "Irrtum" in § 263 erfüllt und ein für-wahrscheinlichHalten7 , für-überwiegend-wahrscheinlich-Halten 8 oder gar ein für-gewiß-Halten9 nicht zu fordern ist, nach wie vor die herrschende ist lO • Der Text will versuchen, auf der Basis der bislang erarbeiteten Kriterien 2 In: LK, § 263, Rdnr. 73; s. auch Amelung, Irrtum, S. 1; Frisch, Funktion, S: 647. S Prozeßbetrug. 4 Irrtum. 5 S~ etwa Samson, in: SK, § 263, Rdnr. 56 ff.; ders., JA 1978, 474; Frisch, Funktion, S. 655; Arzt, Strafrecht, BT, S. 134. 8 Die Konzeption Amelungs hat Zustimmung gefunden bei Blei (JA 1977, 91 f.; Strafrecht 11, S. 199) und Beulke (JR 1978, 390). 7 So Krey, Strafrecht, BT 2, S. 127. 8 So Giehring, Prozeßbetrug, S. 21 f.; Dästner, ZRP 1976, 37. g Hierzu Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 79. 10 Für alle: Cramer, in: Schönke / Schröder, § 263, Rdnr. 38 ff.; Dreher / Tröndle, StGB, § 263, Rdnr. 18; Samson, in: SK, § 263, Rdnr.58; Wessels, Strafrecht, BT 2, S. 86; Maurach / Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 409; Arzt, Strafrecht, BT, S. 133 f.; Lenckner, Prozeßbetrug, S. 104, jeweils ID. w. N.

H. Geschichtlicher überblick

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seine Position zwischen den "Fronten" zu bestimmen und einen Beitrag zur Lösung dieses Problems zu liefern; er wird sich zu diesem Zweck in einem gerafften Überblick zunächst der Behandlung des Irrtumsmerkmals in der Geschichte des StGB zuwenden. D. GesdJichtlicher Oberblidt Nach Meinung Giehrings ll ist die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Irrtumsbegriff gekennzeichnet durch eine zunehmende Abwendung von der engen Konzeption dieses Merkmals 12 zugunsten einer weiter gefaßten Begriffsbestimmung im Sinne des Ausreichens von Möglichkeitsvorstellungen13 • Wenn mit dieser Einschätzung das Bild einer rationalen, kontinuierlichen und in sich konsistenten Entwicklung verbunden sein soll, so tut sie der reichs gerichtlichen Rechtsprechung zu viel Ehre an: Die einschlägige Problematik des Irrtumsmerkmals wird vom Reichsgericht in keiner Entscheidung gesehen14 ; daß es seine Erkenntnisse mit unterschiedlichen sprachlichen Wendungen begründet, ist nicht einer jeweils anderen Sicht des Problems geschuldet, sondern infolge gerade des völligen Fehlens eines Problembewußtseins ein Zeichen für die Beliebigkeit und inhaltliche Leere dieser Formulierungen. Dies ist aufzuzeigen. 1. Die Rechtsprechung des RG

Das Problem der Auslegung des Irrtumsbegriffs lag insbesondere der zahlenmäßig recht umfänglichen Judikatur des Reichsgerichts zu den verschiedenen Spielarten des Prozeßbetrugs 16 inmitten. Hier stellte das Gericht von Anfang an darauf ab, ob die vorgebrachten falschen Tatsachen Gegenstand bloßer Partei behauptungen oder von den Parteien benannter Beweismittel waren; im letzteren Fall sah das Gericht den Tatbestand des § 263 regelmäßig als erfüllt an16 , während es dies bei unwahren Parteibehauptungen zunächst ablehnte17 • In all diesen Urteilen vermißt man jedoch ein mehr als nur formelhaftes Eingehen auf das ins Auge springende Problem, ob die Situation Prozeßbetrug, S. 11. Etwa in RGSt. 20, 392; 42, 410; 63, 39l. 13 Diese Auslegung liegt nach Giehring (Prozeßbetrug, S. 11 f.) insbesondere der Entscheidung RGSt. 69, 44 zugrunde. U So, wenn auch weniger pointiert, letztlich auch Giehring, Prozeßbetrug, S.11. 15 Hierauf soll hier nicht näher eingegangen werden; vgl. vielmehr etwa die Darstellung bei Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 304 ff.; Giehring, Prozeßbetrug. 18 Vgl. etwa RGSt. 2, 91; 5,322; 16, 195; 63,391; 69, 192. 17 So RGSt. 5, 322; 16, 195; 63, 391. 11

12

102

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

des erkennenden Gerichts im Sinne eines Irrtums beeinflußt war. Vielmehr lassen die Begründungen des Reichsgerichts erkennen, daß es sich über die Eigenständigkeit des Irrtums gegenüber dem Täuschungsmerkmal des § 263 keine Rechenschaft ablegt, sondern vielmehr aus dem Vorliegen einer Täuschungsabsicht unkritisch auf die Erfüllung auch des Merkmals "Irrtum" schließt 18. Bezeichnend hierfür ist eine recht frühe reichsgerichtliche Entscheidung über die Vorlage eines gefälschten, die Emigrationsabsichten des Schuldners behauptenden Briefes als Bescheinigungsmittel für die Gefährdung einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Forderung, die die Angeklagten zum Zwecke der Erwirkung eines gerichtlichen Arrestes einreichen ließen19. Die sich unmittelbar - vor allem im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen des Arrestverfahrens20 - aufdrängende Frage, ob ein solches Verhalten, auch wenn es noch so sehr von Täuschungsabsichten motiviert ist, generell oder wenigstens im konkreten Fall zur Hervorrufung eines Irrtums auf der Seite des den Arrest verfügenden Richters in der Lage sein könnte, wird vom 2. Senat überhaupt nicht erhoben, sondern bereits im Leitsatz als positiv beantwortet unterstellt: "Ist der Irrtum in welchen der Richter durch Vorlage falscher Bescheinigungsmittel behufs Erwirkung eines Arrestes versetzt wird, geeignet einen Betrug zu begründen?"21. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Weg, auf dem das Reichsgericht zunächst zur Ausgrenzung bloßer lügnerischer Parteibehauptungen aus dem von § 263 kriminalisierten Bereich gelangte: Seit einem bereits im ersten Band der amtlichen Entscheidungssammlung enthaltenen Urteil 22 lehnt das Gericht die Strafbarkeit der lügenden Partei deshalb ab, weil nicht die von dieser vorgenommene Täuschung, sondern die Pflichtwidrigkeit des diesem Vorbringen - entgegen den einschlägigen zivilprozeßrechtlichen Normen23 - Vertrauen schenkenden Richters für die letztlich eingetretene Vermögensschädigung ursächlich sei24 . Vgl. auch Schäfer, Prozeßbetrug, S. 23. RGSt. 2, 91. 20 S. § 920 Abs. 2 ZPO. 21 RGSt. 2, 91 (Hervorhebung von mir). 2! RGSt. 1,227. 23 Vgl. insbesondere § 286 ZPO und hierzu Baumbach / Lauterbach / AIbers / Hartmann, ZPO, § 286, Anm. 2 I A - C; Jauernig, Zivilprozeßrecht, 18

u

S. 165 f.

24 Vgl. aus der späteren Rspr. etwa RGSt. 5, 322; 16, 195 und die zusammenfassende Darstellung in RGSt. 63, 391 sowie hierzu Gaedel, Prozeßbetrug, S. 1700; eine recht informative Darstellung der früheren reichsgerichtlichen Rechtsprechung zum Prozeßbetrug findet sich auch bei Rammel, Betrug, S. 46 ff.

11. Geschichtlicher überblick

103

An dieser Argumentation ist nicht nur befremdlich, daß hier das Reichsgericht ganz offensichtlich den Anwendungsbereich der von ihm durchgängig vertretenen25 Bedingungstheorie verkennt, sondern auch und besonders, daß damit implizit die Kausalität eines Phänomens verneint wird, über dessen Vorliegen zuvor in keinem Falle positiv befunden worden war. Die weitere Entwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung beweist, daß der soeben dargestellte Lösungsweg nicht mit dem Ziel eingeschlagen wurde, etwa eine allzu frühe FestIegung im Rahmen der Irrtumsproblematik zu vermeiden, sondern daß dem Reichsgericht das Vorliegen des Merkmals "Irrtum" tatsächlich unproblematisch war. Die Wende in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung wird angedeutet in einem Urteil vom 21. 12. 193428 , in dem die Ablehnung des Kausalzusammenhangs zwischen Täuschungshandlung und Vermögensschaden bei pflichtwidrigem Verhalten des erkennenden Gerichts als gegen die Grundsätze der Bedingungstheorie verstoßend erkannt und diese Meinung ausdrücklich aufgegeben wird27 • Der erkennende 1. Senat sieht jedoch keinen Grund, die Vereinigten Senate anzurufen, da die geänderte Auffassung im zu entscheidenden Falle - es handelte sich um eine wissentlich falsche Zeugenaussage bei gleichzeitiger Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften durch den Richter - nicht relevant werden konnte 28 ; die Frage eventueller Auswirkungen dieser hinsichtlich der Kausalität neuen Rechtsprechung auf das Problem der durch bloße Behauptungen täuschenden Partei ließ der Senat ausdrücklich offen29 • Das - soweit ersichtlich - nächstfolgende einschlägige Urteil vom 11. 10. 1935 30 vollzieht die Wende nunmehr endgültig. Der 1. Senat betont, er habe bereits im Urteil vom 21. 12. 1934 "zum Ausdruck gebracht, daß bei folgerichtiger Durchführung der vom RG vertretenen Grundsätze über den Ursachenzusammenhang ("Bedingungstheorie") es auch möglich sein muß, durch Aufstellung bewußt falscher Behauptungen im Zivilprozeß einen Prozeßbetrug zu verüben, auch wenn diese Behauptungen nicht durch Benennung falscher Zeugen oder Vorlegung gefälschter Beweisstücke gestützt werden"31. Unabhängig davon, daß 25 Dies gilt für die gesamte Zeit seines Bestehens, s. nur RGSt. 1, 372 und RGSt. 75, 374; vgl. hierzu auch Welzel, Wahrheitspflicht, S. 19 f. und Lenckner, Prozeßbetrug, S. 92 ff. 28 RGSt. 69, 44 ff. 27 RGSt. 69,47 f. 28 RGSt. 69, 48 f. 29 Ebenda. 30 JW 1936, 196 = DJ 1935,1741. 31 Ebenda.

104

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

der Senat eine diesbezügliche Änderung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung im bezogenen Urteil vom 21. 12. 1934 eben gerade noch nicht vorgenommen hatte, überrascht dieses Urteil aber auch durch eine zweite Besonderheit: Zumindest im veröffentlichten Teil dieser wichtigen Entscheidung sucht man auch nur nach dem Terminus "Irrtum", zu schweigen von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihm, vergebens. Den Schlußpunkt hinter diese Entwicklung setzt das letzte Urteil des Reichsgerichts zu dem in Frage stehenden Problemkreis32 , in dem der 2. Senat der neuen Rechtsprechung unter Hinweis auf das am 1. 1. 1934 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten33 und die hierin normierte Wahrheits pflicht der Parteien beipflichtet34 • Der erkennende Senat verschwendet hierbei auf die Frage, ob in Fällen dieser Art auch das "selbständige Betrugsmerkmal"36 Irrtum gegeben ist, kein Wort und bestätigt damit ein weiteres Mal unsere eingangs formulierte Vermutung, daß dem Reichsgericht das Irrtumsmerkmal zumindest unter dem hier interessierenden Aspekt terra incognita geblieben ist. 2. Die Strafrechtswissenschaft bis 1945

Im Unterschied zum Reichsgericht haben Teile der damaligen Strafrechtswissenschaft den Intensitätsgrad der falschen Vorstellung als Problem des Irrtumsmerkmals in § 263 zumindest erkannt. Zwar bleiben frühere Äußerungen, etwa von Oppenhoff36 oder Rommel 37 - die beide keine feste Überzeugung von der Wahrheit der unterbreiteten Tatsachen fordern - , mehr kursorisch. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten 38 jedoch gerät das Problem des unter Zweifeln Verfügenden - wenn auch ausschließlich unter dem Aspekt des Prozeßbetrugs im weiteren Sinne3t - immer mehr in den Blick.

RGSt. 72, 113 ff. Vom 27.10.1933, RGBl. 1933, 780; vgl. hierzu Welzel, Wahrheitspflicht, S. 6 ff. 8f RGSt. 72, 115 f. 35 So mit besonderer Betonung Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 73. 30 Strafgesetzbuch, Anm. 57 zu § 263. 87 Betrug, S. 62. 38 S. Fn. 33. 38 Vgl. nur Koffka, Prozeßbetrug; Schönwiese, Betrug; Keunecke, Prozeßbetrug; Gebhardt, Prozeßbetrug; Welzel, Wahrheitspflicht, S. 19 ff.; Schäfer, Prozeßbetrug. 32

3S

11. Geschichtlicher überblick

105

Hierbei erkennen Koffka 40 und Keunecke 41 am deutlichsten, daß eine Kriminalisierung des Prozeßbetrugs - jenseits der neu eingeführten Wahrheitspflicht der Parteien42 - eine bestimmte Auslegung des Irrtumsbegriffs in § 263 voraussetzt, die die Zuordnung der häufig durch erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt des Parteivorbringens gekennzeichneten richterlichen Situation zu diesem Merkmal ermöglicht. Koffka fordert deshalb in ihrer Untersuchung aus dem Jahre 1935 unter ausdrücklicher Abwendung 43 vom allgemeinen Sprachgebrauch, wonach der Irrtum die "positive falsche Vorstellung von einer Tatsache" darstelle 44 : "Die Ungewißheit über die Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache muß dem Irrtum dort gleichstehen, wo sie Grundlage für eine Vermögensverfügung bildet, die bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht erfolgt wäre 46 ." Koffka begründet diese Auffassung nicht dogmatisch, sondern kriminalpolitisch in einem spezifischen, verkürzten Sinne, wie er für eine ausschließlich am Rechtsgüterschutz orientierte Auslegung bezeichnend ist: "Wollte man diesen Satz nicht anerkennen, so müßte ein Betrug bei falscher Partei- oder Zeugenaussage fast immer dann abgelehnt werden, wenn die Beweisperson die Behauptung der beweispflichtigen Partei nicht bestätigt, obgleich sie ihre Richtigkeit kennt, und andere Beweismittel nicht vorhanden sind. Nimmt man nämlich in diesen Fällen einen Betrug dann nicht an, wenn der Richter der Beweisperson keinen vollen Glauben schenkt, so kann man es auch nicht tun, wenn er ihr glaubt 46 ." Die Frage, ob es denn letztlich überhaupt sinnvoll und wünschenswert sein kann, zu einer Bestrafung wegen Betrugs zu gelangen, wenn der Richter dem lügenden Zeugen der beweispflichtigen Partei keinen vollen Glauben schenkt, wird nicht gestellt 47 •

Ungeachtet dessen ist der Gewinn der Untersuchung Koffkas sicherlich darin zu sehen, daß sie im Gegensatz zum Reichsgericht das Problem des unter Zweifeln Verfügenden explizit am Irrtumsmerkmal festmacht; dennoch gelangt auch Koffka nicht zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit Bedeutung und Funktion dieses Merkmals im Prozeßbetrug. Prozeßbetrug. 42 Koffka, Prozeßbetrug, S. 45; Keunecke, Prozeßbetrug, S. heitspflicht s. etwa Gebhardt, Prozeßbetrug, S. 18 ff. m. w. N.; heitspflicht, S. 19 ff. 43 Prozeßbetrug, S. 49. 44 Prozeßbetrug, S. 48. 45 Prozeßbetrug, S. 49; vgl. auch GTÜnhut, JW 1931, 3557 f. Prozeßbetrug, S. 34 f. 48 Prozeßbetrug, S. 48. 47 Zu dieser Art kriminalpolitischen Argumentierens im s. auch Naucke, Betrug, S. 127 f., und Lampe, NJW 1978, 681. 40 41

92; zur WahrWelzel, Wahr-

und Gebhardt, Betrugsbereich

106

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Zusammenhang des Betrugstatbestandes. Das Irrtumsmerkmal wird, wie der oben wiedergegebene und von Koffka im Original hervorgehobene Kernsatz deutlich macht, lediglich als Bindeglied der kausalen Verknüpfung zwischen Täuschung und Verfügung gesehen und erhält keine eigenen Konturen. Auch Keunecke betont in seiner 1940 erschienenen und von Hellmuth Mayer betreuten Dissertation, daß dem Irrtum das Bewußtsein der möglichen Unwahrheit eines Tatumstandes dann gleichstehen müsse, wenn eine zutreffende Information zum Unterlassen einer Vermögensverfügung geführt hätte48 • Auch bei ihm sucht man nach einer ausgearbeiteten dogmatischen Begründung für diese Auslegung des Irrtumsbegriffs vergebens49 ; hier wie bei Koffka überwiegt die Überlegung, daß die - wie selbstverständlich als notwendig und erwünscht unterstellte - Bestrafung des Täuschenden aus § 263 in solchen Fällen anders nicht bewerkstelligt werden könne und die neue Interpretation des Irrtumsmerkmals deshalb geboten sei50 • 3. Die Rechtsprechung des BGB

Wie das Reichsgericht, so hat auch der Bundesgerichtshof bis heute keine ausgearbeitete Position zum Irrtumsmerkmal des § 263 bezogen. Auch hier trifft die Einschätzung Amelungs51 zu, daß im Kern nur von Urteilen gesprochen werden kann, in denen das Vorliegen eines Irrtums an sich problematisch gewesen, nicht aber von solchen, in denen es wirklich problematisiert worden wäre. Schon das, soweit ersichtlich, erste Erkenntnis des Bundesgerichtshofs zu einem einschlägigen Sachverhalt, dem Deputatkohlefall52 , bleibt hinsichtlich einer - vom Sachverhalt her dringend gebotenen - Auseinandersetzung mit dem Irrturnsbegriff oberflächlich und formal 53 • Diese Entwicklung setzt sich in einigen späteren Urteilen zum Prozeßbetrug fort 54 und kulminiert Prozeßbetrug, S. 133. Eine einschlägige, etwa halbseitige Passage gipfelt in der Feststellung: "Die Betrugsvorschrift will eine von Täuschung freie Vermögensverfügung gewährleisten; es muß deshalb genügen, daß der Partei der Schwindel als solcher gelungen ist" (aaO., S. 133). Daß es im vorliegenden Zusammenhang um das Merkmal "Irrtum" und nicht um das der "Täuschung" geht, gerät nicht in den Blick. 50 S. insbesondere Prozeßbetrug, S. 134 ff. 51 Irrtum, S. 10, Fn. 50; in diesem Sinne auch Herzberg, Funktion, S. 290; Giehring, Prozeßbetrug, S. 11. 52 BGHSt. 2, 325. 53 S. die einschlägige Passage auf S. 326 f. dieser Entscheidung; zur Kritik vgl. nur Reese, Täuschung, S. 50 ff.; Sieber, Computerkriminalität, S. 206 ff.; Gross, NJW 1973, 601 f. Interessant auch die späteren Versuche einiger Oberlandesgerichte, von dieser Entscheidung abzurücken, s. etwa OLG Hamm AP, § 263 StGB, Nr. 1 mit Anm. Sax; OLG Celle GA 1955, 155. 48

49

11. Geschichtlicher überblick

107

schließlich in zwei Erkenntnissen zum Prozeßbetrug im Mahnverfahren56 und zum Betrug durch Mißbrauch einer Scheckkarte56 • Mit seiner Entscheidung zum Prozeßbetrug im Mahnverfahren führt der Bundesgerichtshof die vom Reichsgericht im Jahre 193751 einschlägig geänderte Rechtsprechung fort und bezieht unwahre Behauptungen des Antragstellers im Mahnverfahren trotz der beschränkten Prüfungspflicht des Rechtspflegers 58 in den Strafbarkeitsbereich des § 263 ein59 • Der erkennende 3. Senat betont, daß - was unstreitig sein dürfte - Täuschungshandlungen auch unter den besonderen Bedingungen des Mahnverfahrens möglich seien, verliert jedoch über die wesentlich zweifelhaftere und interessantere Frage der Irrtumserregung beim ausfertigenden Beamten kein Wort 60 und fällt damit selbst hinter das Niveau des Reichsgerichts zurück6t • Im Scheckkartenfall taucht im Unterschied hierzu zwar der Terminus "Irrtum" auf6!; die vom 2. Senat gegebene, insgesamt 13 Zeilen der amtlichen Sammlung umfassende Begründung für das Vorliegen dieses Merkmals auf seiten des getäuschten Schecknehmers dringt in die Problematik des Irrtumsbegriffs jedoch ebenfalls nicht im entferntesten ein: "In der dargelegten Weise hat der Angeklagte die einlösenden Geldinstitute getäuscht. Hierdurch wurde bei diesen ein Irrtum hervorgerufen. Gerade weil die Frage der Deckung für den Schecknehmer von Bedeutung ist, verbindet er mit dem schlüssigen Handeln des Täuschenden, der ihm Scheck und Scheckkarte übergibt, die Vorstellung, daß dieser sich im Rahmen der Scheckkartenbedingungen hält und nur bei einem entsprechenden Guthaben oder einem nicht ausgeschöpften Dispositionskredit zumindest im Zeitpunkt der Scheckvorlegung einen Scheck in den Verkehr gibt. Daß sein persönliches Interesse geringer ist, weil der Schaden einen Dritten trifft, und er sich deshalb wegen der Deckung keine besonderen Gedanken macht, ändert daran nichts 63 ." 54

S. etwa BGH NJW 1952, 1148; MDR 1956, 10; JR 1958, 106 m. Anm.

Schröder.

BGHSt. 24, 257. BGHSt. 24, 386. 57 RGSt. 72, 115. 58 Hierzu die Nachweise bei Giehring, Prozeßbetrug, S. 6 f., Fn. 29 ff. 5D BGHSt. 24, 260 f. so Vgl. etwa RGSt. 42, 411. BI Zur Kritik an dieser Entscheidung s. etwa Giehring, Prozeßbetrug, S. 3 f.; Gross, NJW 1973, 601 f.; Dästner, ZRP 1976, 37; eramer, in: Schönke / Schröder, § 263, Rdnr. 52; Maurach / Schröder, Strafrecht, BT 1, S. 410; zustimmend: Dreher / Tröndle, StGB, § 263, Rdnr. 22. 62 BGHSt. 24, 389; anders wiederum in BGH NJW 1969, 1260. 83 BGHSt. 24, 389 (Hervorhebung im Original); eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem, im Rahmen des Erkenntnisinteresses dieser Unter55 58

108

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Ergiebiger ist in dieser Richtung und insbesondere unter dem Aspekt der Verfügung unter Zweifeln eine unveröffentlichte Entscheidung aus dem Jahre 1955 64 • Hier trat ein Rechtsanwalt vor dem Amtsgericht auf, obwohl er den von seinen Mandanten eingeforderten Kostenvorschuß nicht bezahlt erhalten hatte; die ihm zustehenden Gebühren konnten auch im Wege der Zwangsvollstreckung nicht beigetrieben werden, so daß es zu einem Betrugsverfahren gegen die ehemaligen Mandanten kam. Der 5. Senat hob das Urteil des Landgerichts Hamburg auf, das die Angeklagten aus § 263 bestrafen wollte, und bezweifelte insbesondere das Vorliegen eines Irrtums bei dem getäuschten Rechtsanwalt: "Ohne nähere Begründung kann nicht angenommen werden, daß ein Anwalt einen Auftraggeber, der den verlangten Vorschuß nicht zahlt, für zahlungsfähig hält. Wenigstens müssen ihm Bedenken in dieser Richtung aufsteigen, die er jedoch in Kauf nimmt 65 ." Hier also begegnet zum ersten Mal zumindest ein Problembewußtsein bezüglich des unter Zweifeln verfügenden Rechtsgutsträgers und der Frage, inwieweit eine solche kognitive Situation dem Tatbestandsmerkmal "Irrtum" in § 263 subsumiert werden kann. Gleichzeitig muß jedoch aus der Tatsache, daß die Ansätze einer differenzierenden Betrachtung in der späteren Judikatur nicht weiterverfolgt werden, auf die Zufälligkeit und Beliebigkeit dieser Formulierungen geschlossen werden66 . 4. Die Rechtsprechung anderer Gerichte

In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte finden sich - soweit ich sehe - nur zwei Stellungnahmen zu dem hier interessierenden Fragenkreis. Das OLG Köln hält das Vorliegen eines Irrtums in dem Falle, daß der Getäuschte einen bereits mit zwei oder drei Raten aus einem früheren Kauf säumigen Schuldner einen weiteren Warenkredit gewährt (und Strafanzeige gegen diesen und andere Säumige formularmäßig stellt), für nicht "selbstverständlich"67. Die genaue Untersuchung suchung ohnehin nur am Rande einschlägigen, Urteil soll nicht erfolgen; insoweit kann auf die vielfältige Kritik verwiesen werden, die diese Entscheidung gefunden hat, vgl. nur etwa Heimann-Trosien, JZ 1976, 551 f.; Reese, Täuschung, S. 50 ff.; Giehring, Prozeßbetrug, S. 13 f.; Sieber, Computerkriminalität, S. 206 ff.; Gross, NJW 1973, 601 f.; Zahrnt, NJW 1973, 63 f.; Seebode, JR 1973, 117 f.; D. Meyer, JuS 1973, 214; Cramer, in: Schönke / Schröder, § 263, Rdnr. 50; Dreher / Tröndle, StGB, § 263, Rdnr. 19; Dfto, Grundkurs 2, S. 226. u 5 StR 595/54. 65 S. 7 des o. a. Urteils. 68 Auch in der neuesten, die Irrtumsproblematik berührenden Entscheidung des BGH (BGHSt. 29, 165) sucht man nach Aussagen zu dem hier interessierenden Fragenkreis vergeblich. 67 JZ 1968, 340; vgl. hierzu auch Naucke, Kausalzusammenhang, S. 118, Fn. 17, der diese Entscheidung fälschlich für die von ihm vertretene Adäquanztheorie reklamiert.

11. Geschichtlicher überblick

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des Vorstellungsbildes des Geschädigten sei nicht nur unter dem Aspekt der Irrtumserregung, sondern auch unter dem der Strafzumessung von Bedeutung, weil eine Leichtfertigkeit bei der Warenkreditvergabe zu einer Verringerung der Schutzbedürftigkeit des Opfers führe1l8 • In einem ähnlich gelagerten Fall betont jüngst auch das OLG Stuttgart die Zweifelhaftigkeit der Irrtumserregung eines Lieferanten, dem die dubiose Bonität seines Kunden bekannt war69 , ist aber gleichzeitig offensichtlich der Meinung, daß das Merkmal "Irrtum" erfüllt ist, wenn die Verfügung des Geschädigten vom Glauben an die Wahrheit der falschen Tatsache zumindest mitbestimmt worden sepo. Bereits dieser kurze Überblick über die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Irrtumsmerkmal des § 263 unter dem Aspekt des unter Zweifeln Verfügenden dürfte hinreichend deutlich gemacht haben, daß es den Gerichten nicht gelungen ist, den Irrtum als - wie zu zeigen sein wird - eigenständigen und gewichtigen Bestandteil dieser Vorschrift zu erkennen und zu konturieren. Wie zutreffend diese Analyse ist, zeigt unter anderem der E 1962: Hier wird in § 252 eine auf das Merkmal "Irrtum" verzichtende Neuformulierung des Betrugstatbestandes vorgeschlagen71 , gleichzeitig aber betont, daß der Entwurf "am Tatbestand des Betruges, wie er in einer langjährigen Rechtsprechung zu § 263 StGB entwickelt worden ist", nichts ändern möchte 72 • Dem ist nichts hinzuzufügen. 5. Die strafrechtswissensmaft nach 1945

a) Giehring

Die Auseinandersetzung um den hier interessierenden Aspekt des Irrtumsbegriffs in der strafrechtlichen Literatur der Nachkriegszeit beginnt mit Giehrings Untersuchung über den "Prozeßbetrug im Versäumnis- und Mahnverfahren" aus dem Jahre 1973 73 , die schon durch ihren Untertitel "Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des IrrtumsbeEbenda; s. auch die zust. Anmerkung von Schweichel, aaO. JZ 1978, 388 mit Anm. Beulke. 70 Ebenda; der Kontext dieser Passage der Urteilsbegründung spricht allerdings dafür, daß das Gericht mit dieser Formulierung nicht das Vorstellungsbild des Geschädigten, sondern die Kausalitätsfrage ansprechen wollte. 71 Die genaue Formulierung lautet: "Wer durch Täuschung über Tatsachen jemanden zu einer Vermögensverfügung bestimmt ...". 72 E 1962, S. 423; im gleichen Sinne auch Hellmuth Mayer (Strafrecht, S. 221): "In Wirklichkeit ist es mit dem ,Verursachen des Irrtums' gar nicht so ernst gemeint. Der Schwindel als solcher ist gelungen und das muß genügen." 73 GA 1973, 1 ff. . 68 69

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

griffs in § 263 StGB" die Abkehr von der wahllosen Rubrizierung dieses Problems in der Rechtsprechung deutlich macht.

Giehring interpretiert den Irrtumsbegriff, da ihm grammatikalische und systematische Auslegung unbehelflich scheinen74 , mit Hilfe der teleologischen Methode: § 263 bezwecke den Schutz des Vermögens gegenüber listigen Vorgehensweisen75 • Angesichts dieses gesetzlichen Telos und der Tatsache, daß bei Zweifeln des Opfers an der Wahrheit oder Vollständigkeit der ihm unterbreiteten Tatsachen die Gefährlichkeit dieses Angriffsmittels ebenso wie die Schutzwürdigkeit des Betroffenen abnehme, sei eine extrem weite Ausdehnung des Irrtumsbegriffs auf alle Arten von Möglichkeitsvorstellungen nicht zu halten7ft • Andererseits sei es jedoch kriminalpolitisch wie dogmatisch verfehlt, einen Irrtum im Sinne des § 263 nur beim Vorliegen einer überzeugung von der Wahrheit und Vollständigkeit der Tatsachen anzunehmen, so daß eine richtige Auslegung dieses Begriffs nur zwischen diesen beiden Polen gesucht werden könne 77 • Kriterien für die genaue Dislozierung des Punktes, an dem Zweifel des präsumtiven Opfers an der Wahrheit der Tatsachen die Anwendbarkeit des § 263 ausschließen, gewinnt Giehring aus der zur Bestimmung des Eventualvorsatzes entwickelten Wahrscheinlichkeitstheorie und gelangt solcherart zu folgender Definition des Irrtumsmerkmals: "Der Irrtumsbegriff des Betrugstatbestandes (läßt sich) in Ergänzung der gebräuchlichen Umschreibung kennzeichnen als die der Wirklichkeit nicht entsprechende Vorstellung, das Vorliegen (Nichtvorliegen) einer Tatsache sei sicher oder doch jedenfalls wahrscheinlicher als ihr Nichtvorliegen (Vorliegen)18." b) Laekner Dieser Konzeption hat Laekner in seiner Kommentierung des Irrtumsmerkmals 7G eine Auslegung entgegengesetzt, die von der Giehring 'sehen - trotz Anwendung der gleichen Interpretationsmethode und konsensueller Bestimmung des gesetzlichen Telos80 - in wesentlichen Teilen abweicht. Gerade aus dem Regelungszweck des § 263 ergibt sich nach Laekner, daß der auf der Basis auch erheblicher Zweifel Verfügende dem Schutz des § 263 zu unterstellen sei: "Der Getäuschte ist nämlich im Regelfall 74 75

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80

Prozeßbetrug, S. 16. Prozeßbetrug, S. 17. Prozeßbetrug, S. 18. Prozeßbetrug, S. 18 f. Prozeßbetrug, S. 22. In: LK, § 263, Rdnr. 73 - 93. LK, § 263, Rdnr. 80.

11. Geschichtlicher Überblick

111

des Betruges der List des anderen schon dann zum Opfer gefallen, wenn er die Vermögensverfügung trotz des Zweifels vornimmt; denn dadurch wird i. d. R. offenbar, daß auf Grund einer Abwägung der jeweiligen Interessenlagen die Erwartung der Wahrheit den Zweifel wirkungslos gemacht und dem Täter zur Erreichung seines Ziels verholfen hat 81 ." Nur dann, wenn der Verfügende zum Wahrheitsgehalt der ihm vermittelten Tatsachen überhaupt keine Position beziehe, das Verhalten des Täuschenden in ihm also nicht eine falsche, sondern eine völlig undifferenzierte Vorstellung "hervorrufe", könne von einem Irrtum im Sinne des § 263 keine Rede mehr sein82 • Das Giehring'sche Argument einer geringeren Schutzwürdigkeit des unter Zweifeln Verfügenden sei zwar nicht unbeachtlich; aber auch beim Zweifelnden überwiege dessen Schutzbedürfnis noch immer weit das rechtlich ohnehin mißbilligte Interesse des Täuschenden83 • c) Herzberg

Auch Herzberg hat sich in einer neueren Untersuchung über "Funktion und Bedeutung des Merkmals "Irrtum" in § 263 StGB" im Ergebnis zu dieser Auffassung Lackners bekannt84 • Er versucht dieser Konzeption jedoch im Wege einer systematischen Auslegung des Irrtumsbegriffs eine neue Grundlage zu geben, indem er die Willensmängel bei der Einwilligung und die hierzu von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze85 als sachlich-systematische Parallele zur Vermögensverfügung des Getäuschten heranzieht86 • Auf diesem Wege gelangt Herzberg zu einer autonomen und nicht aus dem Gesamtregelungszweck des § 263 abgeleiteten Funktionsbestimmung des Irrtumsmerkmals: seine Aufgabe ist es, "den Fall der mangelfreien Einwilligung in den Vermögensverlust aus dem Tatbestand des vollendeten Betrugs auszuscheiden" 87. d) Amelung

In diesem Versuch der Rekonstruktion gleichsam einer eigenen Teleologik des Irrtumsmerkmals trifft sich Herzberg mit Amelung und seiner Untersuchung über "Irrtum und Zweifel des Getäuschten beim Ebenda. LK, § 263, Rdnr. 81. 83 LK, § 263, Rdnr. 80. 84 GA 1977,289 ff. 85 S. hierzu nur Lenckner, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 45 ff. vor §§ 32 ff.; Samson, in: SK, Rdnr. 43 vor § 32; Schmidhäuser, Strafrecht, S. 275 f.; Baumann, Strafrecht, S. 335 f.; BGHSt. 4, 118; 16, 309. 86 Funktion, S. 295 f. 87 Funktion, S. 296. 81 82

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Betrug"BB. Amelung jedoch bemüht sich in expliziter Abwendung von einer Verbrechenskonzeption, die sich lediglich die vom Täter in Richtung auf den "Betroffenen" ablaufenden Aktivitäten zum Gegenstand nimmt, um eine "interaktionistische" , "viktimologische" Sicht der Beziehungen zwischen Täter und Opfer B9 . Mit Hilfe dieser Perspektive gelangt Amelung unter Aufnahme und Weiterentwicklung des schon von Giehring angeführten Topos der geringeren Schutzwürdigkeit des Zweifelnden90 und anhand der überlegung, daß sich der Zweifelnde der Schädigungs absicht des Täters leichter als der überzeugte erwehren könne, zu einer völlig neuen Funktionsbestimmung des Irrtumsmerkmals: "Aufgabe des Merkmals Irrtum im Betrugstatbestand ist es, dem Prinzip der Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes zur Geltung zu verhelfen91 ." Auf dem Boden dieser Konzeption gewinnen die Zweifel des Verfügenden an der Wahrheit und Vollständigkeit der ihm unterbreiteten Tatsachenbehauptungen notwendig eine neue Bedeutung: Kriterium ihrer Bewertung und Einordnung ist nunmehr die Frage, ob sie den Verfügenden instand gesetzt haben, sein Vermögen ohne Zuhilfenahme des Strafrechtsschutzes vor Beeinträchtigungen zu bewahren92 . Nach Amelung ist dies zu bejahen, wenn der Zweifel des Verfügenden auf konkreten Anhaltspunkten beruht, also zum einen über die allgemeine Unsicherheit bezüglich der Vertrauens- und Glaubwürdigkeit eines anderen hinausgeht 93 und sich zum anderen auf "äußerlich erkennbare" Anhaltspunkte stützt94 . e) Frisch

Die Darstellung des wissenschaftlichen Meinungsstandes zum Problemkreis des unter Zweifeln Verfügenden soll mit einem Referat der Untersuchung Frischs 95 abgerundet werden, der den hier interessierenden Fragenkreis konkret zwar nur kursorisch anspricht 96 , jedoch mit Hilfe einer "normativ-funktionalen Methode"97 ebenfalls eine autonome Inhaltsbestimmung des Irrtumsmerkmals unternimmt. B8

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GA 1977, 1 ff. Irrtum, S. 17.

90 Giehring, Prozeßbetrug, S. 18; Amelung schlägt jedoch den Terminus "Schutzbedürftigkeit" als geeigneter vor, Irrtum, S. 6. 91 Ebenda; vgl. auch schon Amelung, NJW 1975, 624. 92 Ebenda. 93 Irrtum, S. 6. 94 Irrtum, S. 7 f. 95 In: Festschrift für Bockelmann, S. 647 ff. 96 In einer kurzen Passage auf S. 665. 97 Funktion, S. 663.

III. Grundlagen einer eigenen Konzeption

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Für Frisch ist § 263 Repräsentant des eigenen Deliktstyps der Selbstschädigungsdelikte, dessen eigenständige Bedeutung gegenüber Tatbeständen, die ohne Zutun des Rechtsgutsträgers durch direkte Aktivitäten Dritter vollendet werden können, bislang zu wenig beachtet worden seiOS. Aus der Einordnung des Betrugs in die Klasse der Selbstschädigungsdelikte entwickelt Frisch eine Bestimmung der Funktion (nämlich: "aus dem weiten Feld von Bereitschaften eines Vermögensträgers zu unmittelbar vermögensbeeinträchtigenden Verfügungen durch das Erfordernis einer bestimmten kausalen Zurückführbarkeit dieser Bereitschaft einen engeren Kreis herauszuheben"D9) und eine Fragerichtung nach dem Inhalt des Irrtumsmerkmals als einer "Klasse von Verfügungsbereitschaften" 100, die vom Schutzgedanken des § 263 gedeckt werden101 •

III. Grundlagen einer eigenen Konzeption Der Versuch, im Kontext dieser Arbeit einen Zugang zu Funktion und Inhalt des Irrtumsmerkmals in § 263 zu erlangen und die hierbei gegebenenfalls gewonnenen Erkenntnisse auf das Spezialproblem des unter Zweifeln Verfügenden anzuwenden, muß, entsprechend der oben 102 entwickelten Konzeption, ausgehen von den gesellschaftlichen Konfliktsituationen, auf deren Regelung der Betrugstatbestand abzielt. Es würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, wenn hier der historische Werdegang des geltenden § 263 verfolgt und die veröffentlichten Motive für seine Schaffung im einzelnen dargestellt würden; insofern muß auf die einschlägige Literatur 103 , insbesondere auf die Untersuchung von Naucke 104 verwiesen werden. Der Text wird sich vielmehr darauf beschränken, in groben Zügen die historische Bedingtheit dieses Tatbestandes darzustellen und Detailprobleme nur dort aufgreifen, wo es zur Entwicklung und Begründung der eigenen Konzeption geboten erscheint. § 263 ist die gesetzliche Reaktion auf einen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung, die im hier interessierenden Bereich von der Notwendigkeit permanenten Austauschs zwischen den einzelnen Rechtsund Wirtschaftssubjekten geprägt ist. Dieses wirtschaftliche Phänomen ist als solches zwar historisch nicht gerade neu; die industrielle RevoluFunktion, S. 658 f. Funktion, S. 661. 100 Funktion, S. 662. 101 Funktion, S. 662 ff. 102 Hierzu Teil A, Kap. IH, 1 et passim. 103 Etwa Buschmann, Entwicklung, S. 5 ff.; Reese, Täuschung, S. 6 ff. loe Betrug, S. 69 ff.

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8 Hassemer

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

tion und die von ihr bewirkte ungeheuere Vermehrung der Produktivität der menschlichen Arbeit einerseits und der Arbeitsteilung, also der Spezialisierung der Arbeitenden, andererseits verleiht dieser Erscheinung jedoch eine völlig andere Dimension. Die häufige Vornahme von "rechtsgeschäftlichen" Austauschakten ist nicht mehr - wie noch im 18. Jahrhundert mit all seinen spätfeudalistischen Beschränkungen der individuellen Freiheit wie Leibeigenschaft, Standesprivilegien und ähnlichem - grundsätzlich eine Domäne bestimmter gesellschaftlicher Schichten oder Berufszweige, sondern entwickelt sich zu einer alle Mitglieder der Gesellschaft zunehmend ergreifenden Notwendigkeit. Es wächst nicht nur die Zahl der Austauschakte, sondern auch der Wert der von ihr betroffenen Güter, der Kreis der am Austausch Beteiligten sowie schließlich die Komplexität der rechtlichen und wirtschaftlichen Formen, in denen sie stattfinden. 1. § 263 als Beziehungsdelikt; Relevanz dieser Cbarakterisierung für die Auslegung des Betrugstatbestands

Es ist evident, daß mit zunehmender Bedeutung und steigender Anzahl der von einem Individuum zu vollziehenden Austauschakte eine zumindest in dieser Quantität - neue Gefährdung der Vermögenswerte eines Rechtsgutsträgers entsteht: Die zahllosen Verfügungsakte, die er nunmehr vornehmen kann und muß, können im Einzelfall nicht nur positive oder neutrale, sondern auch negative Konsequenzen für sein Vermögen haben. Diese historisch neue generelle Gefährdung jedoch ist in strafrechtlicher Sicht unter dem Aspekt der Erforderlichkeit des Strafrechtsschutzes zunächst ohne jede Relevanz: Es handelt sich bei den in Frage stehenden, kulturell notwendig gewordenen Außenkontakten um Austauschbeziehungen und hieraus resultierenden Vermögensverfügungen, um Handlungssituationen also, für die begrifflich Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit der beiderseitigen Aktionen konstitutiv sind 105 • Die Beeinträchtigung der Vermögenswerte eines Rechtsgutsträgers im Wege von in diesem Sinne definierten Austauschbeziehungen kann mithin nicht erfolgen, ohne daß dieser an der Verletzung seiner eigenen Interessen mitwirkt. Die somit auch außerjuristisch begründete Charakterisierung des solche Transaktionen anzielenden Betrugstatbestands als Beziehungsdelikt wirft nun zuvörderst unter dem Aspekt der Selbstschutzmäglichkeiten des Rechtsgutsträgers gewichtige Probleme auf. Ist das Opfer nämlich in die Verwirklichung des Tatbestandes integriert, kann der deliktische Erfolg ohne sein eigentätiges Handeln nicht verwirklicht werden, so kann vorderhand mangels ausreichender Gefahrintensität 105

Vgl. auch Tönnies, Ausdehnung, S. 76 ff.

III. Grundlagen einer eigenen Konzeption

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von einer Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes und von einer Schutz bedürftigkeit des Opfers deshalb keine Rede sein, weil seine Selbstschutzmöglichkeiten total und nicht überwindbar sind: Solange sich der Rechtsgutsträger nicht zu einer Interaktion mit dem Täter bereitfindet, solange er sich nicht in den Handlungsablauf integrieren läßt und sich weigert, zusammen mit dem Täter zu agieren, ist eine Verletzung des geschützten Rechtsgutes schlichtweg ausgeschlossen. Trifft dies zu, so kann die Kriminalisierung der den Beziehungsdelikten zugrundeliegenden Sachverhalte nur dann zulässig sein, wenn diese totale Selbstschutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers in einer spezifischen Art und Weise ausgeschaltet wird. Würde sie nämlich nicht in dieser Form neutralisiert, sondern vom Rechtsgutsträger ohne Not aufgegeben, so dürfte dieses Verhalten auf der Ebene der Konstitution des Rechtsgutes und des Schutzbereichs wegen des Grundsatzes der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes und im konkret-individuellen Einzelfall wegen des Schutzbedürftigkeitsprinzips nicht durch die Gewährung strafrechtlichen Schutzes prämiiert werden. Die für die Beziehungsdelikte notwendige Interaktion zwischen Täter und Rechtsgutsträger führt also nur dann nicht zu einer Unzulässigkeit strafrechtlichen Schutzes, wenn die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers gleichsam von innen heraus neutralisiert, ausgehöhlt oder eingeschläfert worden sind. Die Zugriffsdelikte unterscheiden sich - wi wir nunmehr feststellen können - von diesem Deliktstyp mithin zweifach: Zum einen treten hier totale Selbstschutzmöglichkeiten nicht auf, auf der anderen Seite werden etwaige Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers weniger neutralisiert als überwältigt 106 • p

In diesem Lichte gewinnen die Angriffstechniken, mittels derer ein Verletzungserfolg bei Beziehungsdelikten bewirkt werden kann, eine zentrale Bedeutung. Sie müssen, so läßt sich vorläufig zusammenfassen, den Rechtsgutsträger in den zur Verletzung führenden Handlungsablauf integrieren und den tatbestandlichen Erfolg gleichsam auf dem Weg durch und über das Opfer erreichen, ohne daß dieses seine Selbstschutzmöglichkeiten so vernachlässigt, daß vom Entfallen seiner Schutzbedürftigkeit ausgegangen werden müßte. Diese Voraussetzungen werden durch zwei spezifische Angriffsmodalitäten erfüllt: Die erste Angriffsart zeichnet sich dadurch aus, daß die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers durch eine an der Realität vorbeigehende Konditionierung seiner kognitiven Situation neutralisiert werden; in der zweiten Gruppe geschieht dies durch eine fremdbestimmte, übermächtige Konditionierung dieser Situation107 •

S. hierzu etwa Mohrbotter, GA 1975, 49 ff.; Frisch, Funktion, S. 657 ff. Vgl. hierzu bereits Hirschberg, Schutzobjekte, S. 147; s. auch Baumann, Schutz, S. 211 ff. 106 101

H6

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Als klassische Angriffstechniken im Rahmen von Beziehungsdelikten lassen sich somit die Täuschung und die Nötigung konstatieren; sie ziehen sich durch den gesamten Besonderen Teil des StGB. So taucht die Nötigung als Angriffsmittel etwa in den §§ 105, 106, 108, 113, 121, 177, 178, 181, 234, 234 a, 235, 237, 239 a, 239 b, 240, 241, 249, 250, 252, 253 und 255, wenn auch in unterschiedlichen Differenzierungen, auf. Die Täuschung finden wir, in ihren einzelnen Spielarten als "Täuschen", "Vortäuschen" und "Bewirken", etwa in §§ 107 b, 108 a, 109 a, 144,145,145 d, 164,263,264,265,265 a, 265 bund 271 108 • 2. Die Konsequenzen der Charakterisierung des § 263 als Beziehungsdelikt

Es stellt sich nunmehr also die Frage, ob und - bejahendenfalls welche Rückschlüsse aus unserer Charakterisierung des § 263 als Beziehungsdelikt mit der spezifischen Angriffsweise "Täuschung" auf Funktion und Inhalt von Täuschungs- und Irrtumsmerkmal im Betrugstatbestand gezogen werden können: Schon oben109 wurde betont, daß angesichts der grundsätzlich unüberwindlichen Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers bei Beziehungsdelikten das Vorliegen hoher Gefahrintensität vom Einsatz einer Angriffstechnik abhängig ist, die diese Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers ausnahmsweise zu neutralisieren vermag. Hieraus folgt, wie ebenfalls bereits festgehalten wurde llO , daß die allein durch das numerische Anwachsen der vom Rechtsgutsträger vorzunehmenden Austauschakte bewirkte neue Gefährdungssituation strafrechtlich unerheblich ist. Eine nur auf diese neu entstandene Gefährdung abstellende Norm etwa des Inhalts "Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch schädigt, daß er eine durch diesen bewirkte Vermögensverfügung annimmt ... " würde zwar möglicherweise die Gefährdungsseite dieser sozialen Vorgänge adäquat verar108 Darüber hinaus kriminalisiert das geltende Recht eine Reihe von Angriffsweisen auf bestimmte Rechtsgüter, die der Nötigung und der Täuschung zwar ähneln, aber von einer deutlich geringeren Intensität sind. Hierzu gehören die Tatbestandsmerkmale des Bestimmens (§§ 174, 176, 180), Einwirkens (§§ 176, 180 a), dazu Bringens (§§ 180 a, 181) oder Veranlassens (§ 234 a) ebenso wie die des Vornehmenlassens (§§ 174, 174 a, 174 b, 175, 176, 179, 180), Anwerbens (§§ 180 a, 181), Verführens (§ 182), Ausbeutens (§§ 180 a, 181 a, 302 a) und Mißbrauchens (§ 179 a). Eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Angriffsmitteln ist zwar im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich. Unzweifelhaft scheint mir jedoch, daß die hier entwickelte Konzeption in der Lage wäre, auch bei der Auslegung dieser Tatbestände fruchtbare Hinweise zu geben. S. zum Ganzen auch Bohnert, GA 1978, 353 ff. 109 In diesem Kap., 1. 110 Ebenda.

IH. Grundlagen einer eigenen Konzeption

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beiten, die Selbstschutzwurzel der Gefahrintensität jedoch vernachlässigen und wäre damit unzulässig. Zum zweiten folgt aus der Bestimmung des § 263 als Beziehungsdelikt, daß der Täuschung als spezifischer Angriffsweise mit hoher genereller Gefährdung 111 eine die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers tatsächlich neutralisierende Konditionierung des Opfers korrespondieren muß. Eine Vorschrift, die es mit der Beschreibung der Angriffstechnik sein Bewenden haben ließe und auf das Vorliegen einer entsprechenden Konditionierung verzichtete, würde dem Grundsatz der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes also ebenfalls nicht gerecht112 • a) Der funktionale Zusammenhang zwischen "Täuschung" und "Irrtum"

Es ergibt sich hieraus die Existenz eines funktionalen Zusammenhangs der Merkmale "Täuschung" und "Irrtum" in § 263, der dadurch gekennzeichnet ist, daß beide Tatbestandsmerkmale zusammen eine in einer spezifischen Handlungssituation angesiedelte spezifische Angriffsweise kennzeichnen, die grundsätzlich in der Lage ist, die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers zu neutralisieren und hierdurch eine ausreichend hohe Gefahrintensität hervorzurufen. Dabei ist davon auszugehen, daß das Merkmal der Täuschung als einer spezifischen Art des Angriffs insbesondere die Gefährdungswurzel der Gefahrintensität charakterisiert, während der von § 263 geforderte Irrtum des Rechtsgutsträgers vor allem die Selbstschutzseite des Handlungskontextes anzielt. Bezeichnet also das Täuschungsmerkmal bestimmte Angriffsmodalitäten vergleichbaren Gefährdungsausmaßes, so deutet das Merkmal "Irrtum" auf eine Opfersituation hin, die typischerweise deshalb durch mangelnde Selbstschutzmöglichkeiten gekennzeichnet ist; weil hier eine Fehlkonditionierung des Rechtsgutsträgers hervorgerufen wurde. Diese vorläufige Bestimmung der Funktion und des Wirkzusammenhanges von "Täuschung" und "Irrtum" in § 263 ist unter der Herrschaft des Erforderlichkeitsgrundsatzes zwingend: Kommt es nicht zu einer Fehlkonditionierung des Rechtsgutsträgers, irrt er also nicht und verfügt dennoch, so kann eine durch dieses eigentätige und zielgerichtete Handeln bewirkte Schädigung seines Vermögens den Gedanken an eine Schutz bedürftigkeit des "Opfers" ebensowenig wie etwa im Fall der Zerstörung oder Beschädigung einer eigenen Sache aufkommen lassen. Irrt der Rechtsgutsträger umgekehrt in einem von der Täuschung nicht 111 Hierzu etwa auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 76, 80, bei dem dieser Erkenntnis der "Täuschung" als Angriffsart jedoch keine explizite Untersuchung der in Frage kommenden "Abwehr"-Arten des Rechtsgutsträgers hinzugefügt wird. 112 Vgl. zu dieser überlegung auch die interessanten Ausführungen von Frisch, Funktion, S. 650 f.

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

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betroffenen Bereich, so gelangt man zwar bereits mit Hilfe des Kausalitätserfordernisses 113 zu einer Verneinung eines vollendeten Betruges. Die Notwendigkeit einer kausalen Verbindung von Täuschung und Irrtum läßt sich aber ihrerseits sinnvoll nur unter Heranziehung von Erforderlichkeitsüberlegungen begründen: Ein nicht auf eine Täuschung zurückzuführender Irrtum des Rechtsgutsträgers schafft deswegen keine ausreichend hohe Gefahrintensität, weil hier keine beachtliche Gefährdung realisiert wirdla.

b) Das Irrtumsmerkmal als Kriterium der Selbstschutzmöglichkeit Bezogen auf das im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehende Irrturnsmerkmal des § 263 läßt sich somit zusammenfassend feststellen, daß es auf dem Wege über die Beschreibung einer typischerweise durch mangelnde Selbstschutzmöglichkeiten gekennzeichneten Situation das Erfordernis einer ausreichend hohen Gefahrintensität zu gewährleisten hat. Seine Funktion ist es also - im Zusammenwirken mit dem die Gefährdungswurzel regelnden Täuschungsmerkmal -, Handlungssituationen mit mangelnder Gefahrintensität aus dem Strafbarkeitsbereich des § 263 auszugliedern und damit letztlich - mit einer Formulierung Amelungs - "dem Prinzip der Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes zur Geltung zu verhelfen"1l5. aal Einwände Herzbergs Gegen diese Funktionsbestimmung des Irrtumsmerkmals in § 263 sind in der Fassung, wie sie Amelung116 - wenn auch notwendig kursorischer als hier - entwickelt hat, insbesondere von Herzberg1l7 und Frisch 118 grundsätzliche Bedenken geäußert worden119 • Dreh- und Angelpunkt der Herzberg'schen Kritik an der von Amelung vertretenen Position - die im Ergebnis der Konzeption der vorliegenden Untersuchung ähnelt - ist die Umschreibung des strafrechtlichen Subsidiaritätsprinua Hierzu etwa Cramer, in: Schönke / Schröder, § 263, Rdnr. 42 f.; Samson, in: SK, § 263, Rdnr. 62; Dreher / Tröndle, StGB, § 263, Rdnr. 19; Maurach / Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 408; OLG Hamburg NJW 1956, 392; s. auch Naucke, Kausalzusammenhang, S. 118 f., und hierzu wiederum Tröndle, JR 1974,224.

Vgl. auch Amelung, Irrtum, S. 2. Irrtum, S. 6. Vgl. auch Naucke (Kausalzusammenhang, S. 116 f.), der auf dem Wege über ein "Regreßverbot" zu einem im Ergebnis vergleichbaren Resultat gelangt. 111 Irrtum, S. 6 ff. 117 Funktion, S. 291 ff. 118 Funktion, S. 654 ff. m Zu dieser Kritik wiederum: Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 80; WesseIs, Strafrecht, BT 2, S. 86. 114

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111. Grundlagen einer eigenen Konzeption

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zips als einer Forderung, die bei gleichzeitig gegebenen milderen staatlichen Zwangsmitteln die Anwendung der Kriminalstrafe unzulässig mache. Amelung benutze diesen Begriff jedoch nicht in diesem eingebürgerten und traditionellen, spezifisch strafrechtlichen Sinne, sondern in seiner klassisch-liberalistischen Bedeutung, wonach sich der Staat dort Passivität aufzuerlegen habe, wo das Individuum ebensogut wie dieser oder gar besser zu agieren vermöge 120 • Da der einzelne Staatsbürger im hier interessierenden Bereich jedoch das Untätigbleiben des Staates wegen der totalen Unfähigkeit des Einzelnen, spezial- oder generalpräventive Wirkungen zu entfalten, gerade nicht kompensieren könne, kann die von Amelung und - mit Abweichungen - auch hier vertretene Position nach Herzberg nicht gehalten werden121 • Was zunächst den grundsätzlichen Einwand Herzbergs anbelangt, daß nämlich das Prinzip der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes nur zu einer Umschau im Arsenal staatlicher Zwangsmittel dränge und die individuellen Schutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers bei der Auswahl des mildesten Mittels außer Betracht zu bleiben hätten, so scheint mir dessen Widerlegung bereits oben geleistet122 • Auch das nun zu erörternde zweite Argument Herzbergs, der Selbstschutz des Individuums könne wegen seines Unvermögens zur Bewirkung spezial- und generalpräventiver Effekte den strafrechtlichen Rechtsgüterschutz ohnehin niemals substituieren, scheint nur auf den ersten Blick überzeugend. Zwar kann vernünftigerweise nicht bezweifelt werden, daß individuelle Schutzmaßnahmen der Rechtsgutsträger nicht präventiv in einem strafrechtlichen Sinne wirken können. Es ist jedoch deshalb abwegig, dies als ein Manko individuellen Selbstschutzes anzusehen, weil in den Bereichen, in denen ausreichende faktische Möglichkeiten der Rechtsgutsträger zur Verhinderung der Verletzung ihrer Güter bestehen, für den wesentlich lückenhafteren Schutz strafrechtlicher Generaloder Spezialprävention nicht das geringste Bedürfnis zu sehen ist 123 • Haben etwa die Rechtsgutsträger die Fähigkeit, ihr Vermögen gegen ausschließlich mit Mitteln der Überredung herbeizuführende schädigende Verfügungen selbst zu schützen, so ist natürlich nicht ersichtlich, weshalb - angesichts dieses optimalen und schlicht unüberwindlichen Selbstschutzwalls - zu beklagen sein sollte, daß die Rechtsgutsträger keine darüber hinausgehenden "präventiven" Effekte zur Verhinderung solcher Angriffe auslösen können - die Tatsache, daß Attacken Funktion, S. 294. Ebenda; zust. etwa Röhmel, JA 1977,584 f. 122 In: Teil A, Kap. 111. 123 Denn zum Rechtsgüterschutz kommt nach einer Formulierung Welzels (Gesinnungsmoment, S. 297) das Strafrecht "gerade dort, wo es konkret in Aktion tritt, in der Regel zu spät". 120 121

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dieser Art immer zum Scheitern verurteilt sind, ist "Prävention" genug. Und umgekehrt folgt aus unseren überlegungen zur Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes zwingend, daß in den soeben angesprochenen selbstschutzgeeigneten Bereichen strafrechtliche Generalund Spezialprävention, die ja notwendig die Kriminalisierung einschlägiger Angriffsweisen voraussetzen würden, ohnehin unzulässig wären, so daß Herzbergs Argumentation - denkt man sie zu Ende darauf hinausläuft, den individuellen Schutzmöglichkeiten eine zu geringe Effizienz in einem Punkt vorzuwerfen, in dem Strafrechtsschutz ohnehin überhaupt keine haben könnte l24 • bb) Einwände Frischs Trotz grundsätzlicher Sympathie für Amelungs Bestreben, das Opferverhalten stärker in die dogmatische Erfassung des Sachverhaltes einzubeziehen, lehnt auch Frisch die Konzeption des Irrtumsmerkmals als Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips ab l25 • Wenn mit dem Begriff "Irrtum" das Kriterium einer mangelnden oder gegebenen Schutzbedürftigkeit bezeichnet sein solle, so wäre ein ungeeigneterer Terminus hierfür kaum denkbar l26 • Im übrigen sei das Subsidiaritätsprinzip nach Amelung ein das gesamte Strafrecht durchziehender Grundsatz und müsse deshalb auch in anderen Tatbeständen, etwa bei den von Frisch so genannten Fremdschädigungsdelikten 127 (in der Terminologie unserer Untersuchung wohl etwa: Zugriffs delikten) , seinen Niederschlag finden. Wenn damit das Subsidiaritätsprinzip jedoch in jeweils neuem sprachlichen Gewande auftauche, bleibe unerfindlich, warum sich der Gesetzgeber der Mühe unterzogen habe, für eine und dieselbe Sache jeweils andere Bezeichnungen zu wählen l2B • Diese Kritik mag gegen die notwendig wenig ausgearbeitete Untersuchung Amelungs verfangen; sie scheint mir jedoch auf der Basis der vorliegenden Arbeit widerlegbar: Hiernach ist das Irrtumsmerkmal in § 263 zunächst nicht unmittelbar dem Subsidiaritätsprinzip geschuldet, sondern setzt diesen Grundsatz vermittelt, nämlich auf dem Wege der Umschreibung einer Situation fehlender Möglichkeiten zum Selbstschutz durch. Aus der hinter dieser Konzeption stehenden Operationalisierung des Subsidiaritätsprinzips durch Gefahrintensitäts- und damit Gefährdungs- und Selbstschutzkriterien läßt sich eine Antwort auf Frischs Frage finden, warum der gleiche Grundsatz im Strafgesetzbuch in einer Fülle unterschiedlicher Verkleidungen erscheinen solle: Vgl. zum Ganzen auch Roxin, JuS 1966, 381 ff. m Funktion, S. 655. 126 Funktion, S. 656. 127 Funktion, S ..659. U8 Funktion, S. 656; vgl. hierzu auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 80. 124

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Dies liegt einfach daran, daß Gefährdung und Selbstschutzmöglichkeiten bei je unterschiedlichen Rechtsgütern je unterschiedlich auftreten und dementsprechend in der vergleichsweise plastischeren Sprache des Gesetzgebers je unterschiedlich benannt werden. Der Begriff "Irrtum" als Bezeichnung für eine Situation mangelnder Selbstschutzmöglichkeiten und hieraus resultierender hoher Gefahrintensität ist in diesem Lichte klug und zutreffend gewählt. Er benennt eine der kognitiven Konditionierungen des Rechtsgutsträgers, die im Rahmen der Beziehungsdelikte und der von diesen begrifflich geforderten Integration des Opfers in den Ablauf der Verletzungshandlung trotz selbstbestimmter und zielgerichteter Eigentätigkeit des Betroffenen nicht mit dem Grundsatz der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes kollidieren129 • Unter diesem Aspekt scheint mir auch der Befürchtung Frischs, daß durch eine solche Konzeption spezielle Gesetzesbegriffe funktional zu bloßen Vollstrecke rn allgemeiner Prinzipien denaturiert und nicht mit eigenem Sinngehalt aufgefüllt würden l30 , die Grundlage entzogen. Das Irrtumsmerkmal bezeichnet nach seiner hier vorgenommenen Funktionsbestimmung eine Situation des Rechtsgutsträgers, die von einer Neutralisierung seiner Selbstschutzmöglichkeiten und damit von einer hohen Gefahrintensität gekennzeichnet ist. Da diese hohe Gefahrintensität wiederum Voraussetzung für die Bejahung einer Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes ist, dient das Irrtumsmerkmal mittelbar tatsächlich dem Subsidiaritätsprinzip, ohne jedoch hierdurch einer eigenen Funktionszuweisung und eines eigenständigen Sinngehalts entkleidet zu sein. Von dieser Basis aus läßt sich vielmehr auch Frischs Forderung nach einer inhaltlichen Beschränkung spezieller Gesetzesbegriffe durch allgemeine Prinzipien131 in Wirklichkeit umsetzen: Weil zunächst strafrechtlicher Schutz nur da .erforderlich und zulässig ist, wo die Rechtsgutsträger sich selbst nicht schützen können; weil des weiteren von einer Unmöglichkeit des Selbstschutzes bei Beziehungsdelikten nur bei einer ausnahmsweisen Neutralisierung der grundsätzlich perfekten Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers gesprochen werden kann; und weil schließlich Mittel der Neutralisierung im Rahmen des 12t Eine zweite, diesen Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips genügende motivationale Situation ist die der Nötigung, wie wir sie etwa im ähnlich gelagerten Fall des § 253 vor uns haben. Hier liegt im übrigen eine weitere, wenn auch im Rahmen dieser Untersuchung nicht interessierende Funktion des Irrtumsmerkmals: Es zieht, zusammen mit anderen korrespondierenden Merkmalen der bei den Vorschriften, die Grenze zwischen § 253 und § 263. S. schon Glaser, Abhandlungen, S. 257 f. 130 Funktion, S. 656; ähnlich auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 80. 131 Funktion, S. 656.

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§ 263 der auf einer Täuschung beruhende Irrtum ist: deshalb müssen die sprachlich vom Irrtumsmerkmal erfaßten Sachverhalte darauf überprüft werden, ob sie tatsächlich eine Neutralisierung der Selbstschutzmöglichkeiten beinhalten und dem Irrtumsbegriff subsumiert werden können. Dieser Aufgabe wird sich der Text im folgenden zuwenden.

IV. Methodische Vorüberlegungen Es wird nunmehr also der Inhalt des Tatbestandsmerkmals "Irrtum" in § 263 zumindest so weit zu klären sein, als dies zur Lösung des Problemkreises "Verfügung unter Zweifeln" erforderlich erscheint. 1. Grammatikalische und historische Auslegung des Irrtumsmerkmals

Hierfür leistet weder eine grammatikalische noch eine historische Auslegung des in Frage stehenden Begriffs eine brauchbare Hilfestellung: Der Sprachgebrauch dürfte, entgegen der Auffassung Koffkas 132 , sowohl eine enge als auch eine weite Auslegung des Irrtumsmerkmals decken. Zwar legen die etwa im Großen Duden (Irrtum als "Differenz zwischen einer subjektiven Vorstellung und dem vorgestellten Sachverhalt in der Wirklichkeit"133) oder in der Brockhaus-Enzyklopädie ("ein für wahr gehaltenes, falsches, d. h. mit dem gemeinten Sachverhalt nicht übereinstimmendes Urteil"134) gegebenen Begriffsbestimmungen den Gedanken an eine restriktive Interpretation dieses Merkmals nahe 135 ; man wird aber dennoch wohl nicht völlig ausschließen können, daß mit den soeben genannten Definitionen auch eine Möglichkeitsvorstellungen mit einbeziehende Konzeption zu vereinbaren ist138. Und die Entstehungsgeschichte des § 263 bietet, soweit ersichtlich, für den hier interessierenden Fragenkreis ebenfalls keine unmittelbar verwertbaren Ansatzpunkte 137 . 2. Herzbergs Versuch einer systematischen Auslegung des Irriumsmerkmals

Angesichts dieser Situation hat Herzberg versucht, Funktion und Bedeutung des Irrtumsbegriffs mit Hilfe der systematischen Auslegungsmethode, und zwar anhand der zu den Willensmängeln bei der Ein132 Prozeßbetrug, S. 48. Im hier vertretenen Sinne auch Giehring, Prozeßbetrug, S. 16. 133 Das Große Duden-Lexikon, Stichwort "Irrtum". 134 Brockhaus Enzyklopädie, Stichwort "Irrtum". 135 So auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 80 unter Hinweis auf Amelung, Irrtum, S. 4, 16. Vgl. auch Gössel, Bedeutung des Irrtums im Strafrecht, S. 7 ff. 138 übereinstimmend etwa: Frisch, Funktion, S. 647; SiebeT, Computerkriminalität, S. 211. 137 Vgl. die Darstellung bei Naucke, Betrug, S. 69 ff.

IV. Methodische Voruberlegungen

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willigung entwickelten Grundsätze, näher zu bestimmen138 . Unabhängig von dem bereits durch Herzberg selbst vorweggenommenen Einwand139 , daß die Lehre von der Einwilligung und hierbei möglicherweise auftretenden Willensmängeln nicht Gesetz, sondern ein - überdies höchst umstrittenes 140 - dogmatisches Konstrukt ist, begegnet diese Konzeption jedoch weiteren grundlegenden und, wie ich glaube, durchgreifenden Bedenken:

Herzbergs Vorgehensweise steht und fällt mit der von ihm nicht näher begründeten Annahme, daß die Struktur des Betrugstatbestands und anderer Vermögensdelikte des Besonderen Teils zumindest unter dem Aspekt des unter Zweifeln Verfügenden gleich sei; erst diese Grundannahme setzt ihn instand, hier von einem sachlich-systematischen Zusammenhang zu sprechen und die Irrtumsproblematik in § 263 mit Hilfe der Frage: "Würde die vom Getäuschten unter Zweifeln vorgenommene Vermögensverfügung bei einem anderen Vermögensdelikt und vergleichbarer Fallage eine wirksame Einwilligung darstellen, die die Bestrafung wegen vollendeter Tat verböte?"141 einer Lösung zuführen zu wollen. Dieser von Herzberg behauptete und zum Ausgangspunkt seiner Argumentation genommene "enge sachlich-systematische Zusammenhang"142 des Irrtumsmerkmals in § 263 mit der Einwilligungsproblematik bei anderen Vermögensdelikten liegt jedoch zumindest in der von Herzberg vorausgesetzten Form nicht vor 143 . Die Problematik der Einwilligung des Rechtsgutsträgers in die Beeinträchtigung des ihm zugeordneten Gutes stellt sich, wie bereits oben angedeutet, insbesondere im Zusammenhang mit der Schutzbedürftigkeit des Opfers im Rahmen der typischen Zugriffsdelikte, bei Tatbeständen also, die eine Interaktion zwischen Täter und Opfer nicht voraussetzen und deshalb auch von vornherein nicht der Notwendigkeit Rechnung zu tragen haben, die die Rechtsgutsbeeinträchtigung fördernden Mitwirkungshandlungen des Opfers bereits auf der abstraktgenerellen Ebene anhand des Kriteriums der Erforderlichkeit strafFunktion, S. 295 ff. Funktion, S. 297. 140 Dies gilt sowohl hinsichtlich ihrer Wirksamkeitsvoraussetzungen (vgl. etwa Arzt, Willensmängel, S. 115 ff. sowie die Nachweise in Fn. 85) als auch hinsichtlich ihres verbrechenssystematischen Standorts (hierzu nur Lenckner, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 33 f. vor §§ 32 ff.; Samson, in: SK, Rdnr. 36 ff. vor § 32; Welzel, Strafrecht, S. 95; Wessels, Strafrecht, AT, S. 67 ff.; Geerds, GA 1954, 262 ff.; ders., ZStW 72,43 ff.; BGHSt. 17, 360; 23, 3 einerseits; Eser, Strafrecht I, S. 84; Schmidhäuser, Strafrecht, S. 267; Kientzy, Mangel am Straftatbestand, S. 65 ff.; Zipf, Einwilligung, S. 13 ff.; Roxin, ZStW 85, 100 f. andererseits.). 141 Funktion, S. 296. 142 Funktion, S. 295. 143 Vgl. hierzu auch Frisch, Funktion, S. 653 f. 138 138

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rechtlichen Schutzes explizit einzugrenzen. Wirkt der Rechtsgutsträger bei einem Zugriffsdelikt durch "Prostitution" seines Gutes an dessen Beeinträchtigung mit, so bedarf es - wegen des auf dem Ausnahmecharakter dieser Fälle beruhenden Mangels eines in den Tatbestand integrierten Korrektivs - eines gleichsam vor die Klammer des Besonderen Teils gezogenen Konstrukts, das, ähnlich wie etwa § 32, der Verletzungshandlung den Unrechts gehalt nimmt. Bei einer solchen Sicht der Einwilligung als Ausprägung des Schutzbedürftigkeitsprinzips insbesondere bei Zugriffsdelikten läßt sich also auch auf der Basis unserer Untersuchung ein gewisser Zusammenhang zwischen der Einwilligungsproblematik und dem Irrtumsmerkmal in § 263 in dem Sinne konstatieren, daß es jeweils darum geht, Fälle mangelnder Schutzbedürftigkeit des Opfers aus dem Bereich strafbaren Verhaltens auszugrenzen. Aus dieser Feststellung resultiert jedoch zugleich, daß diese weitgehend formal bleibende Parallelität der jeweiligen Fragerichtung nicht dazu legitimieren kann, die Irrtumsproblematik kurzerhand über den Kamm der Einwilligungslehre Zu scheren. Ein solches Vorgehen würde nach unseren bisherigen Ergebnissen voraussetzen, daß es sich bei den zu beurteilenden Situationen um Fälle vergleichbarer Gefahrintensität handeln müßte, die ihrerseits wieder aus jeweils vergleichbaren Quantitäten von Gefährdung und Selbstschutzmöglichkeiten zu resultieren hätte. Gerade hiervon kann jedoch angesichts der insbesondere für den Bereich der Selbstschutzmöglichkeiten aufgezeigten fundamentalen Unterschiede zwischen Zugriffs- und Beziehungsdelikten nicht ausgegangen werden, so daß Herzbergs Konstruktion insoweit die Grundlage entzogen scheint.

Herzbergs Auffassung kann jedoch auch einer immanenten Kritik nicht standhalten. Ein erster Einwand ergibt sich in diesem Rahmen bereits aus seiner Grundhypothese, wonach das Irrtumsmerkmal in §263 - zumindest auch - die Funktion habe, den Fall einer wirksamen Einwilligung in den Vermögensschaden tatbestandlich auszuscheiden144 • Warum der Gesetzgeber dann dieses Merkmal ausgerechnet beim Betrug und nicht auch etwa beim Diebstahl etc. in den Tatbestand aufgenommen hat und warum er überdies eine irreführende Bezeichnung wählte - "Irrtum" statt "Einwilligung" - bleibt unerfindlich. Die Unhaltbarkeit von Herzbergs Lösungsweg erweist sich auch an dem von ihm konstruierten Beispielsfall, in dem die Eigentümerin wertvoller Pretiosen diese ihrem Bekannten zwar mit der Maßgabe übergibt, sie zu verpfänden, aber begründete Zweifel daran hegt, ob dieser sich nicht mit den Schmuckstücken aus dem Staub machen werde; tatsächlich verkauft der Bekannte den Schmuck auf eigene Rechnung t4(

Funktion, S. 295 f.

IV. Methodische Vorüberlegungen

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und setzt sich anschließend ab 145 • Angesichts der hier von der völlig herrschenden Meinung getragenen Strafbarkeit des Bekannten aus § 246 146 hält es Herzberg für "kraß widersprüchlich", daß ein Täter, der sich - unter ansonsten gleichen Voraussetzungen - nicht den Gewahrsam an den Schmuckstücken verschaffe, sondern etwa ein Darlehen auszahlen lasse, auf der Basis einer engen Auslegung des Irrtumsbegriffs straffrei ausgehen soIle 147 • Dieses Ergebnis kann in der Tat dann schwerlich richtig sein, wenn es sich bei den beiden Fallkonstellationen - Verschaffung des Gewahrsams an den Schmuckstücken und deren spätere Zueignung hier, Vergabe einer Darlehenssumme da - um faktisch und rechtlich im wesentlichen gleichgelagerte Situationen handelt; gerade dies ist jedoch auch auf dem Boden der Herzberg'schen Auffassung - nicht der Fall. Selbstverständlich ist Herzberg darin beizupflichten, daß die unter Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit des Bekannten erfolgende Hingabe des Schmuckes durch die Eigentümerin nicht als eine die Rechtswidrigkeit der nachfolgenden Zueignungshandlung ausschließende Einwilligung zu qualifizieren ist. Dies folgt aber nicht aus der Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung, sondern schlicht daraus, daß in der Aushändigung des Schmuckes eine Einwilligung in Bezug auf das durch § 246 allein geschützte Rechtsgut überhaupt nicht gesehen werden kann. Insoweit macht die von Herzberg gewählte Handlungsabfolge das hier interessierende Problem nicht klarer, sondern nebulöser 148 : Im Rahmen des § 246 ist die gesamte Vorgeschichte - die Gewahrsamserlangung an den Schmuckstücken - im Hinblick auf die allein wesentliche Zueignungshandlung des Bekannten ohne jede Relevanz; sie spielt lediglich eine Rolle für die Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal "Anvertrautsein" und zur Abgrenzung gegenüber dem einen Gewahrsamsbruch fordernden § 242, also für Fragen, die ihrerseits wiederum für die Vergleichbarkeit mit der Irrtumsproblematik des § 263 belanglos sind. Streicht man dieses störende Beiwerk weg, so wird unmittelbar klar, daß die bloße Verschaffung des Gewahrsams durch die Eigentümerin weder nach der Willens erklärungs- noch nach der WillensFunktion, S. 296 f. Etwa Dreher / Tröndle, StGB, § 246, Rdnr. 11; Samson, in: SK, § 246, Rdnr. 52; Welzel, Strafrecht, S. 351; Baumann, NJW 1961, 1141 ff.; Bockelmann, JZ 1960, 621 ff.; a. A.: BGHSt. 14, 38; Lackner, StGB, § 246, Anm. 4 a bb; Otto, Struktur, S. 106 ff.; differenzierend Eser, in: Schönke / Schröder, § 246, Rdnr. 10; Schünemann, JuS 1968, 119 f., jeweils m. w. N. 147 Funktion, S. 297. 148 S. hierzu auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 80, Fn. 134. 145

148

126

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

richtungstheorie149 die Rechtswidrigkeit der späteren Zueignungshandlung betrifft. Die Eigentümerin berührt durch diese Handlung das Rechtsgut, um dessen Schutz es dem § 246 ausschließlich geht und wegen dessen Verletzung der Bekannte allein strafbar ist, nämlich das Eigentum, nicht im entferntesten. Sie überträgt vielmehr nur den Gewahrsam, den der Täter deshalb durch seine späteren Handlungen weder brechen kann, noch - unter dem Blickwinkel des § 246 - zu brechen braucht. Im Komplementärfall einer auf Schwindelei beruhenden Darlehensauszahlung zeigt sich demgegenüber eine grundlegend andere Konstellation: Hier betrifft die unter den gleichen Zweifeln vorgenommene Verfügung über die Darlehenssumme das durch § 263 geschützte Rechtsgut Vermögen unmittelbar, so daß hier tatsächlich - auf dem Boden von Herzbergs Auffassung - die Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung am Platze wäre. Wenn dem so ist, sind die beiden von Herzberg gegenübergestellten Beispielsfälle also zumindest in diesem Punkte wesensverschieden, so daß auch die Frage nach der jeweiligen Strafbarkeit unterschiedlich beantwortet werden kann, ohne den Vorwurf der Widersprüchlichkeit zu provozierenl50 • 3. Methodische Konsequenzen der eigenen Konzeption

Es bleibt nach alledem nur die Möglichkeit, den Inhalt des Tatbestandsmerkmals "Irrtum" in § 263 unter Benutzung einer dem Prinzip der Schutzbedürftigkeit des Opfers Rechnung tragenden Auslegung zu erschließen. Hierbei können wir die oben gewonnene Einsicht zugrunde legen, daß es Aufgabe des Irrtumsmerkmals in § 263 ist, Handlungssituationen mit mangelnder Gefahrintensität, also selbstschutzgeeignete Angriffe, aus dem Strafbarkeitsbereich dieser Vorschrift auszugrenzen. Der Text wird im folgenden also zum einen zu klären haben, welche Selbstschutzmöglichkeiten der Rechtsgutsträger im Rahmen des von § 263 angezielten Kontextes hat, und wird zum zweiten feststellen müssen, wann eine eigentätige Verringerung dieser Selbstschutzmöglichkeiten in der konkreten Situation zu einem Entfallen der Schutzbedürftigkeit des Opfers und damit zur Unzulässigkeit strafrechtlichen Schutzes führen muß. Hierbei folgt schon aus der soeben formulierten Funktionsbestimmung des Irrtumsmerkmals im Betrugstatbestand, daß die Qualifizierung einer Angriffshandlung als Täuschung und damit als listig im H9 Hierzu nur Lenckner, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 43 vor §§ 32 ff.; Sumson, in: SK, Rdnr. 42 vor § 32; Jescheck, Lehrbuch, S. 307; Schmidhäuser,

Strafrecht, S. 278 f., jeweils m. w. N. 150 So auch Samson, in: SK, § 263, Rdnr. 56.

V. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

127

Sinne des § 263 nichts darüber aussagen kann, ob nicht im Einzelfall auch gegenüber einem solchen Tätervorgehen ausreichende Selbstschutzmöglichkeiten bestehen, der Angriff also auf der Opferseite selbstschutzgeeignet ist: Würde der Gesetzgeber davon ausgegangen sein, daß alle listig vorgetragenen Angriffe die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers überwinden und demnach alle Angriffe dieser Art von ausreichend hoher Gefahrintensität sein könnten, so wäre die Aufnahme des Merkmals "Irrtum" in den Tatbestand des § 263 zumindest überflüssig, wenn nicht gar irreführend. Die Auffassung Lackners, daß § 263 das Vermögen gegen die besondere Angriffsart der überlistung zu schützen habe l5l , gibt den Zweck dieser Vorschrift also zwar nicht falsch, aber unvollständig wieder und bietet hiermit ein weiteres Beispiel für die schon mehrfach konstatierte verkürzte Formulierung des gesetzlichen Telos in der Dogmatik. Demgegenüber soll hier nochmals betont werden, daß der gesetzliche Zweck des § 263 darin liegt, das Vermögen gegen selbstschutzungeeignete listige Angriffe zu schützen, so daß die List des Täters allein zwar eine notwendige, aber keinesfalls eine hinreichende Bedingung für die Tatbestandsmäßigkeit der Verletzungshandlungen sein kann. Hieraus folgt zwanglos, daß im Rahmen der Irrtumsproblematik das Hauptaugenmerk der Auslegung darauf zu richten ist, ob im zu entscheidenden Fall dem Rechtsgutsträger ausreichende oder mangelhafte Selbstschutzmöglichkeiten zu Gebote standen. Mit dieser Erkenntnis rückt gleichzeitig die oben nur kursorisch angesprochene Frage nach Inhalt und Grenzen der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers im Rahmen der von § 263 angezielten gesellschaftlichen Handlungskontexte in den Mittelpunkt des Interesses. Diesem Problemfeld wird sich der Text demnach zuerst zuzuwenden haben.

v.

Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers und Irrtumsmerkmal des § 263

Unsere überlegungen können hierbei aufbauen auf der bereits oben152 vorgenommenen Beschreibung der gesellschaftlichen Vorfindlichkeiten, zu deren Regelung der Betrugstatbestand beizutragen bezweckt. Die dort konstatierte exorbitante Zunahme von einschlägigen individuellen Kontakten zwischen den Rechtsgutsträgern bildet den ersten Fixpunkt einer Untersuchung von Inhalt und Grenzen der Selbstschutzmöglichkeiten im Betrugsbereich; von ebenso grundlegender Bedeutung ist hierfür jedoch auch die in anderem Zusammenhang153 151 152 153

In: LK, § 263, Rdnr. 76, 80; S. o. Kap. III. Oben Kap. III, 1.

5.

hierzu auch Frisch, Funktion, S. 649 ff.

128

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

gewonnene Erkenntnis, daß § 263 zur Gruppe der Beziehungsdelikte zu rechnen ist. Das Zusammenwirken dieser beiden Einflußgrößen und dessen Konsequenzen sind im folgenden aufzuzeigen. 1. Inhalt und Grenzen der Selbstschutzmöglicb.keiten des Rechtsgutstrigers

Aus der Charakterisierung des § 263 als Beziehungsdelikt kann auf einer abstrakten Ebene zunächst gefolgert werden, daß die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers total, unüberwindlich und unbegrenzt zu denken sind: Ist die Verwirklichung des deliktischen Erfolges ohne zielgerichtete Mitwirkung des präsumtiven Opfers nicht möglich, so kann dieses durch eine prophylaktische totale Verweigerung potentiell einschlägiger Handlungen die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung apriori ausschließen; es errichtet einen perfekten, auch vom geschicktesten und gefährlichsten Angreifer nicht zu überwindenden Selbstschutzwall. Ein auch nur flüchtiger Blick auf die existentiellen Notwendigkeiten in fortgeschrittenen und entwickelten Gesellschaften lehrt jedoch, daß individuelle Selbstschutzmaßnahmen solchen Ausmaßes im Betrugsbereich zwar gedacht, nicht aber praktiziert werden können. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Prozeß auch nur im Sinne eines nackten überlebens ist mit einer totalen Weigerung, sich in Handlungskontexte der von § 263 angezielten Art zu begeben, schlechterdings nicht zu vereinbaren. Der freiwillige Austausch zwischen Rechtssubjekten ist vielmehr eine alle Mitglieder der Gesellschaft erfassende Notwendigkeit und, als Funktionsvoraussetzung des Wirtschaftsprozesses, auch für den Bestand der Gesellschaft selbst unverzichtbar. Eine diese Einsicht negierende und unvermittelt an die soeben umschriebene, virtuell totale Selbstschutz möglichkeit des Rechtsgutsträgers anknüpfende strafrechtliche Regelung des in Frage stehenden Bereichs wäre demnach sowohl unter individuellem wie unter gesamtgesellschaftlichem Aspekt höchst irrational. Festzuhalten ist jedoch, daß die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht den Inhalt der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers - nämlich: durch Verweigerung der Mitwirkung die Herbeiführung des deliktischen Erfolges zu vereiteln - betreffen, sondern nur seine Grenzen. An der bereits aus der Charakterisierung des § 263 als Beziehungsdelikt sich ergebenden Unüberwindlichkeit individueller Selbstschutzmaßnahmen ändert sich durch diese Entwicklung also nichts; was beeinflußt wird, ist lediglich das Ausmaß der Realisierungsmöglichkeit dieser an sich perfekten Maßnahmen: Der Rechtsgutsträger kann sich der Vornahme von Austauschakten nicht mehr total entzie-

V. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

129

hen - er kann diese im Einzelfall aber sehr wohl verweigern und damit eine Schädigung seines Vermögens verunmöglichen. 2. Genauere Bestimmung der Grenze der Realisierung der Selbstschutzmöglichkeiten

Die Frage nach den individuellen Selbstschutzmöglichkeiten spitzt sich mit dieser Erkenntnis auf das Problem zu, welche Maßnahmen dem Rechtsgutsträger im Einzelfall zu Gebote stehen, um eine Schädigung seines Vermögens zu verhindern, wie, mit anderen Worten, die Realisierungsmöglichkeit dieses grundsätzlich perfekten Selbstschutzpotentials zu bestimmen ist. Schon aus dem im ersten Teil dieser Untersuchung Ausgeführten 154 ergibt sich, daß eine Definition des zu fordernden Ausmaßes nur gleichsam zweispurig, nämlich zum einen faktisch aus der Betrachtung der zu regelnden Lebenssachverhalte, zum anderen normativ insbesondere unter dem Aspekt der Eigenverantwortlichkeit des Individuums, erfolgen kann. Als einziges wirklich durchgreifendes Mittel zur tendenziell totalen Realisierung der individuellen Selbst schutz möglichkeiten gerät auf der faktischen Seite ein Verhalten in den Blick, das wirtschaftliche Austauschakte nur auf dem Boden vollständiger und verifizierter Informationen155 über alle für die in Frage stehende Transaktion erheblichen Tatsachen vorzunehmen bereit ist 156 • Über ein solches Bestreben ist jedoch die gesellschaftliche Entwicklung zwischenzeitlich ebenfalls hinweggeschritten: Die große Zahl der vorzunehmenden Austauschakte, die Vielgestaltigkeit ihrer Gegenstände und die zunehmende Komplexität des gesamten wirtschaftlichen Geschehens selbst haben eine solche Strategie obsolet gemacht. Ein Rechtsgutsträger, der die Vornahme von Verfügungen im Sinne des § 263 in jedem Falle vom Vorliegen einer vollständigen und verifizierten Information über alle relevanten Tatsachen abhängig machen wollte, würde sich im Ergebnis aus dem für ihn unverzichtbaren Wirtschaftsprozeß ebenso ausgliedern wie bei einer totalen Verweigerung 157 • In Parenthese sei angemerkt, daß diese Feststellung eine interessante Parallele in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie findet, die in ihren Unterscheidungen zwischen "klassischer" und "moderner" Vgl. insbesondere Teil A, Kap. VI. "Information" wird hier alltagssprachlich gebraucht; zum Sprachgebrauch in der Informationstheorie s. etwa Attneave, Informationstheorie, S. 13; Klix, Information, S. 57 f.; Kirsch, Einführung 11, S. 78 ff. ISS Der Rechtsgutsträger würde sich dann also in der Sprache der Entscheidungstheorie - in einem Zustand vollkommener Information und damit absoluter Sicherheit befinden; s. nur SauteT, in: Irle, Attraktivität, S. 119. 157 Hierzu auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 80. 154

155

9 Hassemer

130

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Ausrichtung auf ihre Weise auf das gleiche gesellschaftliche Phänomen eine Antwort zu geben versucht 158 • Ging die klassische ökonomische Entscheidungstheorie noch vom Idealtypus des homo oeconomicus samt aller mit diesem Modell verbundenen Annahmen von Rationalität und insbesondere vollkommener Information aus 159, so beschäftigt sich die moderne Richtung ausschließlich mit dem Entscheidungsverhalten von Wirtschaftssubjekten, die - statt auf der Basis vollständiger Transparenz - mit Schätzungen und Wahrscheinlichkeiten zu operieren haben und demgemäß ihre Entscheidungen nicht unter Sicherheit160 , sondern lediglich unter Risiko 161 oder gar unter Unsicherheit 162 zu treffen vermögen. Es sind dies genau die Entscheidungsarten, die auch der schädigenden Vermögensverfügung im Sinne des § 263 vorausgehen. Würde der Rechtsgutsträger nämlich eine die Vornahme der Verfügung bejahende Entscheidung unter Sicherheit, also auf der Basis vollständiger Information treffen, so könnte der Anwendungsbereich des Betrugstatbestands niemals eröffnet sein: Der Rechtsgutsträger würde dann neben allen anderen Informationen auch über die verfügen, daß die Tatsachenbehauptungen des Täuschenden falsch sind, so daß hier ein Irrtum ex definitione auszuscheiden hätte 163 • Es zeigt sich also, daß der von § 263 angezielte Bereich der einer Entscheidung über die Vornahme einer Verfügung auf der Basis unvollkommener Information, mithin also einer Entscheidung unter Risiko oder Unsicherheit ist 164 • 158 Vgl. hierzu etwa Kirsch, Einführung I, S. 61 ff.; Kilian, Juristische Entscheidung, S. 150 f.; Hagen, Rationales Entscheiden, S. 23 ff.; Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 16 ff. 158 S. hierzu etwa Kirsch, Einführung I, S. 27 ff.; Thomae, Konflikt, S. 44 ff. 1110 Dies würde voraussetzen, daß der Entscheidende mit Sicherheit weiß, welche Konsequenz sich letztlich aus seiner Entscheidung ergibt; s. nur SauteT, in: Irle, Attraktivität, S. 128; Schlink, Juristische Entscheidungen, S. 323 f. 161 Eine Entscheidung unter Risiko ist dann gegeben, wenn das Entscheidungssubjekt über eine objektive Wahrscheinlichkeitsverteilung hinsichtlich der zu erwartenden Konsequenzen verfügt; s. etwa SauteT, in: Irle, Attraktivität, S. 128; Schlink, Juristische Entscheidungen, S. 323 ff.; Philipps, ZStW 85, 27 ff., insbes. 35 ff. 162 Entscheidung unter Unsicherheit ist nach der entscheidungstheoretischen Terminologie in den Situationen gegeben, in denen der Entscheidende nur eine subjektive Einschätzung der Eintreffwahrscheinlichkeit vornehmen kann; s. SauteT, in: Irle, Attraktivität, S. 128; Schlink, Juristische Entscheidungen, S. 323, 326; teilweise wird zwischen der Entscheidung unter Unsicherheit und der unter Risiko nicht unterschieden, s. etwa Raiffa, Einführung, S. 128. le8 Diese notwendige Implikation der Annahme einer vollständigen Information des Rechtsgutsträgers wird in der juristischen Literatur weitgehend übersehen; s. etwa LackneT, in: LK, § 263, Rdnr. 79. 164 Dies verkennt etwa Reese, Täuschuni, S. 135 f.

V. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

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Diese in dem Zwang zur Verfügung auch auf der Basis unvollkommener Information zu sehende faktische Grenze der Realisierung individueller Selbstschutzmöglichkeiten, die das Strafrecht weder negieren noch - als sozialadäquat gewordene - aufheben kann, ist jedoch gleichsam porös. Der Rechtsgutsträger ist nämlich grundsätzlich durchaus in der Lage, in konkreten Einzelfällen eine Verfügung vom Vorliegen solcher Informationen abhängig zu machen und bei deren Nichterreichbarkeit auf ihre Vornahme zu verzichten - wodurch er eine Verletzung seines Rechtsgutes unmöglich macht. Diese Porosität der faktischen Grenze der Selbstschutzmöglichkeiten wird dabei um so größer, je mehr das präsumtive Opfer - etwa wegen der besonderen Bedeutung der vorzunehmenden Verfügung, der Widersprüchlichkeit der vorliegenden Informationen, aus der Verarbeitung früherer Erfahrungen oder wegen der Leichtigkeit weiterer Informationsgewinnung - einen Anlaß zu ihrer überschreitung sehen kann l85 • Die Selbstschutzmöglichkeit des Rechtsgutsträgers im Rahmen des § 263 kann nach alledem endgültig benannt werden: Sie beruht zum einen auf der grundsätzlichen Fähigkeit des Rechtsgutsträgers, Angriffe auf sein Vermögen im konkreten Einzelfall und bei gegebenem Anlaß durch die Verschaffung weiterer Informationen oder die schlichte Nichtvornahme der Verfügung zu blockieren. Auf der anderen Seite ist sie praktisch begrenzt von dem Zwang, Verfügungen im Sinne des § 263 in der Regel auch ohne umfassende Information vornehmen zu müssen. 3. Verringerung der individuellen Selbstscl1utzmöglichkeiten und Entfallen der Scl1utzbedürftigkeit; die kognitiven Situationen des verfügenden Rechtsgutsträgers

Nachdem nunmehr also Inhalt und Grenzen der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers im Betrugsbereich feststehen, kann sich der Text der zweiten oben aufgeworfenen, normativen Frage zuwenden, wann nämlich eine Verringerung der konkreten Selbstschutzmaßnahmen zum Entfallen der Schutzbedürftigkeit und damit zur Unzulässigkeit strafrechtlichen Schutzes zu führen hat, wobei insbesondere das Problem einer Lösung zuzuführen ist, wann das präsumtive Opfer einen genügenden Anlaß hat, die Durchlässigkeit der faktischen Selbstschutzgrenze zu nutzen. a) Diffuser Zweifel und subjektive Gewißheit

Es erscheint sinnvoll, sich zur Vorbereitung der Beantwortung dieser Frage zunächst die konkrete kognitive Situation eines Rechtsgutsträ165 Hierzu Kirsch, Einführung I, S. 106 f.; Mag, Entscheidung, S. 161; Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 135 ff.



132

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

gers vor Augen zu führen, der das soeben abstrakt umschriebene Maß individueller Selbstschutzmaßnahmen realisiert: Sind die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers im Bereich des § 263 dadurch praktisch begrenzt, daß die überwiegende Zahl der Verfügungen im Sinne dieses Tatbestandes auf der Basis nicht vollkommener Information vorgenommen werden muß, so läßt sich eine erste dieser Beschränkung entsprechende Kognitionslage des Rechtsgutsträgers am treffendsten wohl mit dem Terminus "diffuser Zweifel"166 kennzeichnen: Der Rechtsgutsträger weiß hier also durchaus, daß die zur Grundlage eines Austauschaktes genommenen Tatsachen bezüglich ihrer Wahrheit und/oder Vollständigkeit von ihm nicht überprüft worden sind und er insoweit auf den guten Willen und die Lauterkeit des mit ihm Interagierenden angewiesen ist. Von dieser Situation bewußt erlebter Ungewißheit unterscheidet sich eine zweite, von der herrschenden Meinung mit dem Terminus "subjektive Gewißheit" bezeichnete Kognitionslage 167 nicht hinsichtlich der objektiven Güte des Informationsstandes, sondern lediglich in der hierzu bezogenen individuellen Position des Entscheidenden. Trotz faktisch vorliegender unvollständiger Information glaubt der Rechtsgutsträger hier, im Besitze sämtlicher für die Vornahme der von ihm beabsichtigten Handlung relevanter Informationen zu sein: Er schließt von vornherein und im Widerspruch zur Realität die Möglichkeit eines Irrtums vollständig aus, ist sich, mit anderen Worten, der Richtigkeit seiner Einschätzung der Situation gewiß. Grund für dieses subjektive Gefühl der Gewißheit bei objektiv bestehender Ungewißheit kann etwa ein blindes Vertrauen in die Glaubwürdigkeit des Austauschpartners ebenso sein wie die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Am häufigsten dürfte die subjektive Gewißheit aber in Bereichen begegnen, in denen - in der Terminologie der modernen psychologischen und betriebswirtschaftlichen Entscheidungsforschung - habituelle oder Routineentscheidungen168 getroffen werden. Solche Entscheidungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie rein nach dem Stimulus-Reaktions-Schema ablaufen und für ein Innehalten des Rechtsgutsträgers keinen Raum lassen; es werden vielmehr "weder alternative Handlungsmöglichkeiten gesucht noch Informationen über mögliche Konsequenzen gewonnen" 169.

181 Amelung bezeichnet das hier angesprochene Phänomen als "unbestimmten" Zweifel (Irrtum, S. 6 et passim). 187 So etwa Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 79. 168 Vgl. hierzu nur Kirsch, Einführung I, S. 65 f.; 11, S. 143. 16. Kirsch, Einführung I, S. 66.

V. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

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Es liegt auf der Hand, daß die Grenzen zwischen der etwa im Rahmen von Routineentscheidungen gegebenen subjektiven Gewißheit und dem diffusen Zweifel des die objektive Ungewißheit reflektiert reproduzierenden Rechtsgutsträgers in praxi nicht immer exakt zu ziehen sind. Der Rechtsgutsträger etwa, der am Zeitungskiosk seine Lieblingsillustrierte ersteht, wird sich angesichts der Alltäglichkeit dieses Austauschaktes wohl spontan dazu bekennen, bei dieser Transaktion bezüglich der Wahrheit und Vollständigkeit der vom Zeitschriftenhändler ausdrücklich oder konkludent abgegebenen Tatsachenbehauptungen subjektiv gewiß gewesen zu sein. Dennoch wird er im Zweifel nicht ausschließen können, daß sein Vertragspartner etwa die Aktaufnahme einer ihm besonders reizvoll erscheinenden Dame aus dem ihm verkauften Magazin herausgetrennt haben mag. Es zeigt sich also rasch, daß sich hinter der Maske der subjektiven Gewißheit in solchen Fällen nichts anderes verbirgt als eine als solche nicht realisierte und ins Bewußtsein gehobene Situation diffusen Zweijels 170 • Demgegenüber ist, wie nunmehr zusammenfassend festgestellt werden kann, der diffuse Zweifel in seiner typischen Form virulent in der Situation eines Rechtsgutsträgers, der eine Verfügung auf der Basis eines nicht genauer definierbaren und gleichsam konturenlosen Unbehagens vornimmt, das seinerseits in der Unsicherheit darüber besteht, ob die zur Voraussetzung des Austauschaktes genommenen Tatsachen auch tatsächlich vorliegen. Faktisch unterscheidet sich diese Konstellation von der soeben dargestellten also lediglich darin, daß beim Rechtsgutsträger - etwa aufgrund der individuellen Ungewöhnlichkeit des Austauschaktes, eines unspezifizierbaren Mißtrauens an der Glaubwürdigkeit des anderen o. ä. - die subjektive Position des Entscheidenden zum Informationsstand variiert. Beim diffusen Zweifel tritt eine subjektive Gewißheit entweder von vornherein nicht ein oder das präsumtive Opfer hinterfragt seinen anfänglichen Gewißheitseindruck und macht sich auf diesem Wege bewußt, daß er bezüglich der Wahrheit der relevanten Tatsachen nicht auf eigene Kenntnis, sondern etwa auf die Versicherungen des Vertragspartners angewiesen istt 71 •

170 S. hierzu auch Lackner, in: § 263, Rdnr. 77; Kühne, Geschäftstüchtigkeit, S. 51 ff. 171 Auch Lackner arbeitet im Kern mit diesem Phänomen des diffusen Zweifels, wenn er die Eingrenzung der Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals auf die Fälle der subjektiven Gewißheit mit der überlegung ablehnt, daß einem solchen Ergebnis "das allgemeine Wissen um die Unmöglichkeit absoluter Sicherheit und die allgemeine Erfahrung, daß man nie gegen Betrug gefeit ist", entgegenstünden (in: LK, § 263, Rdnr. 79).

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

b) Konkreter Zweifel Auf der nächstintensiven Stufe reicht der Zweifel des Rechtsgutsträgers, aus welchen Gründen auch immer, weiter. Im Unterschied zu der soeben dargestellten Situation führt er sich hier nicht mehr lediglich die Tatsache vor Augen, daß nicht alle erheblichen Fakten von ihm verifiziert worden sind, sondern zweifelt darüber hinaus in einer spezifischen Form an der Wahrheit einer ganz bestimmten relevanten Tatsache. Der Unterschied zwischen den bei den letztgenannten Situationen soll einleitend an einem Beispiel demonstriert werden: Ein Rechtsgutsträger, der sich einen Gebrauchtwagen kaufen will, ist sich üblicherweise von vornherein darüber im klaren, daß eine solche Transaktion einen geradezu idealen Nährboden für Täuschungsmanöver des Verkäufers bietet. Er wird sich also, soweit er reflektiert und rational zu Werke geht, bereits vor Eintritt in die Kaufverhandlungen bewußt machen, daß er tunlichst einen erheblichen Teil der Tatsachenbehauptungen des Verkäufers - beispielsweise dessen Angaben zu Unfallfreiheit und Kilometerleistung des Fahrzeuges - nicht einfach hinnehmen darf, sondern Zweifel an deren Wahrheitsgehalt geboten sind. Stellt er nun im Verlaufe einer Besichtigung des angebotenen Wagens fest, daß dieser neu lackiert ist oder über eine farblich nicht harmonierende Kühlerhaube verfügt, so erhält der schon zuvor bestehende, aus der allgemeinen Lebenserfahrung resultierende Zweifel an der Unfall freiheit von Gebrauchtwagen neue, speziell auf das angebotene Fahrzeug bezogene Konturen: Der diffuse Zweifel, mit dem belastet der Rechtsgutsträger in die Kaufverhandlungen eingetreten ist, hat sich nun in einer bestimmten Art und Weise und in eine definierbare Richtung konkretisiert, so daß wir ihn im folgenden als konkreten Zweifezt 72 bezeichnen wollen. Der Zweifel des Rechtsgutsträgers wird also dann zum konkreten, wenn sein Wissen um die Unsicherheit des Wahrheitsgehalts der Tatsachenbehauptungen seines Austauschpartners das Maß des "üblichen" Mißtrauens übersteigt und sich in irgendeiner Form zuspitzt. Der für die Vergabe von Kleinkrediten zuständige Sachbearbeiter einer Bank zum Beispiel ist sich auf Grund der üblichen hausinternen Statistiken sicherlich darüber im klaren, daß ein bestimmter Prozentsatz der Darlehensnehmer ihm den Willen zur Rückzahlung der empfangenen Summe nur vorspiegelt. Verarbeitet er diese Information richtig und bleibt sie ihm präsent, so wird er an den diesbezüglichen Tatsachen172 Den Terminus "konkreter Zweifel" benutzt auch Amelung (Irrtum, S. 7 et passim); er wird hier jedoch, wie unten noch detaillierter aufzuzeigen sein wird, in einem etwas anderen Sinne gebraucht. Vgl. vorläufig Engisch, Konkretisierung, S. 5 ff., 62 ff., 76 ff.

v. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

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behauptungen grundsätzlich jedes Kunden - und nicht etwa entsprechend der ermittelten Ausfallquote beispielsweise an denen nur jedes fünfzigsten - auch dann zweifeln, wenn sich im Verlaufe des Abschlusses des Darlehnsvertrages nicht der mindeste Hinweis auf eine eventuelle Unzuverlässigkeit des Bewerbers ergibt. Sein Zweifel resultiert hier lediglich aus der bereits vor Eintritt in die spezifische Handlungssituation zutreffend gewonnenen Erkenntnis, daß Kreditvergaben offensichtlich täuschungsanfällige Transaktionen darstellen, und verbleibt deshalb völlig im diffusen Bereich. Anders aber, wenn unser Sachbearbeiter bei der Durchsicht der Darlehensunterlagen etwa feststellt, daß an der vom Kunden vorgelegten Gehaltsbescheinigung Manipulationen vorgenommen worden sind. Diese im Verlauf der in Frage stehenden Handlungsabfolge gewonnene neue, zusätzliche Information führt - soweit sie perzipiert und adäquat verarbeitet wird - zu einem andersartigen und nicht lediglich die Einsicht in die generelle Unsicherheit solcher Geschäfte widerspiegelnden Zweifel in die Glaubwürdigkeit der Tatsachenbehauptungen des Gegenübers. Hier richtet sich der Zweifel nämlich auf einen bestimmten Ausschnitt des vom Geschäftspartner behaupteten Tatsachenkomplexes; er besteht nicht mehr ausschließlich in einem diffusen und unstrukturierten Gefühl mangelnder Gewißheit über das wirkliche Vorliegen der relevanten Tatsachen, sondern konkretisiert sich in dem Sinne, daß ein spezifischer Bezugspunkt der Unsicherheit hinzu gewonnen wird. Die vorstehenden Beispiele dürften - wie zu hoffen steht - ausreichend deutlich gemacht haben, daß eine genauere Bestimmung des konkreten Zweifels wesentlich im Wege einer negativen Abgrenzung vom diffusen zu erfolgen hat. Wenn letzterer das allgemeine und von jeder spezifischen Handlungssituation abgelöste Wissen um die grundsätzliche Unvollkommenheit der eigenen Informationsbasis bezeichnet, so ist konkret der im Verlauf gerade einer spezifischen Handlungssituation im Einzelfall gewonnene - und nur dort gewinnbare - Zweifel an der Wahrheit einer oder mehrerer bestimmter Tatsachenbehauptungen des jeweiligen Austauschpartners - ein Zweifel also, der in seiner spezifischen Form nicht der theoretischen Einsicht in die Täuschungsanfälligkeit von Austauschsituationen, sondern dem praktischen Erleben einer spezifischen Austauschsituation entspringt. Im Sprachgebrauch der vorliegenden Untersuchung ist - wie wir nunmehr zusammenfassend feststellen können - ein Zweifel mithin dann konkret, wenn er über den üblichen diffusen Zweifel hinausgeht und in dieser Form aus den spezifischen Besonderheiten der jeweiligen Situation resultiert. Der konkrete Zweifel setzt also voraus, daß sich die generelle Unsicherheit und Wachsamheit des Rechtsgutsträgers -

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

die, soweit es sich nicht um Fälle subjektiver Gewißheit handelt, grundsätzlich gegeben sind - in der Austauschsituation auf einen oder mehrere bestimmte Bezugspunkte konzentrieren und die Motivation hierzu aus eben dieser Situation geboren wird. c) Relevante Unterschiede dieser kognitiven Situationen

Sowohl im Falle des diffusen wie in dem des konkreten Zweifels am Wahrheitsgehalt der ihm unterbreiteten Tatsachenbehauptungen trifft der Rechtsgutsträger eine Entscheidung unter Unsicherheit, da ihm grundsätzlich nicht einmal eine objektive Wahrscheinlichkeitsverteilung bezüglich der zukünftig eintretenden Umweltsituation - konkret: des schädigenden oder nichtschädigenden Charakters seiner Verfügung - zu Gebote steht. Der Rechtsgutsträger ist bei diesen Konstellationen vielmehr gezwungen, seine Entscheidung über die Vornahme beziehungsweise Nichtvornahme einer Verfügung von einer völlig subjektiven Einschätzung der Eintreffwahrscheinlichkeit der für ihn relevanten Entwicklung abhängig zu machen. Obwohl also die Charakterisierung der Entscheidungssituation unter entscheidungstheoretischem Aspekt für die Fälle diffusen wie konkreten Zweifels identisch ist, ist im Hinblick auf unser Erkenntnisinteresse doch nicht zu verkennen, daß sich die Situation des diffus von der des konkret Zweifelnden erheblich unterscheidet. Der diffus zweifelnde Rechtsgutsträger kennt auf der einen Seite die Unsicherheit der von ihm zur Grundlage seiner Entscheidung genommenen Tatsachen; er weiß andererseits jedoch auch, daß er es zumindest generell nicht unternehmen kann, Zweifeln dieser undifferenzierten und unspezifizierten Art nachzugehen oder sie durch ein Absehen von der Verfügung gegenstandslos zu machen. Gerade in diesem Punkte unterscheidet er sich jedoch deutlich von dem von konkreten Zweifeln an der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen geplagten Rechtsgutsträger. Dieser zweifelt, aus welchem Grunde auch immer, am Zutreffen einer oder mehrerer konkreter, für ihn relevanter Tatsachenbehauptungen, hat also im Unterschied zum diffus Zweifelnden durchaus spezifische Ansatzpunkte und genügenden Anlaß zur Erhebung weiterer Informationen oder - falls ihm dies untunlich oder unmöglich erscheint - grundsätzlich auch zum Unterlassen der projektierten Verfügung. Die soeben beschriebenen denkbaren Situationen des Verfügenden stimmen nach alle dem also darin überein, daß die jeweilige Informationslage unvollkommen und demgemäß eine Entscheidung unter Sicherheit in keinem Falle möglich ist. Sie weisen jedoch deutliche Unterschiede hinsichtlich des Anlasses zur Erhebung weiterer Informa-

V. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

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tionen und der Möglichkeit ihrer Beschaffung auf: Während der sich subjektiv gewiß fühlende Rechtsgutsträger gar nicht auf den Gedanken kommt, weitere Informationen zu erheben, und der diffus Zweifelnde nicht weiß, in welche Richtung er sich bei seiner Suche warum wenden soll, unterläßt das konkret zweifelnde präsumtive Opfer schlicht die Beschaffung weiterer Informationen, obwohl er sich sowohl über die aktuelle Notwendigkeit wie über die Richtung einer diesbezüglichen Aktivität im klaren ist. d) Ergebnis

Die faktische Grenze der Realisierung der Selbstschutzmöglichkeiten besteht nun zwar, so hatten wir festgestellt 173 , darin, daß der Versuch der Verbesserung der Informationsbasis nicht bei jeder beliebigen Entscheidung über die Vornahme einer Verfügung unternommen werden kann; sie ist aber, wie wir ebenfalls sahen174 , porös in dem Sinne, daß nichts den Rechtsgutsträger hindert, seine Informationsbasis in einem einzelnen Falle anzureichern oder ausnahmsweise von der Verfügung gänzlich abzusehen. Die Durchlässigkeit dieser Grenze verstärkt sich nun im Falle des konkreten Zweifels deshalb, weil der Verfügende hier einen konkreten Anlaß zu ihrer überschreitung und damit zur Erhebung weiterer Informationen oder zum gänzlichen Verzicht auf die Verfügung sehen kann. Es liegt demnach auf der Hand, daß der trotz konkreter Zweifel an der Wahrheit der unterbreiteten Tatsachen auf die Wahrnehmung dieser Möglichkeiten verzichtende und ohne weiteres verfügende Rechtsgutsträger das Ausmaß seiner Selbstschutzmöglichkeiten reduziert und damit zugleich die konkrete Gefahrintensität erhöht. 4. Erhöhte Gefahrintensität und strafrechtliche Reaktion

Mit der Feststellung, daß der trotz konkreter Zweifel verfügende Rechtsgutsträger auf dem Wege über die Verminderung seiner Selbstschutzmöglichkeiten die konkrete Gefahrintensität negativ beeinflußt, ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, wie das Strafrecht hierauf zu reagieren hat. Der Text wird im folgenden deshalb auf der Grundlage der bereits erarbeiteten Ergebnisse über Inhalt und faktische Grenzen der SelbstschutzmögIichkeiten des Rechtsgutsträgers sowie der diesen entsprechenden kognitiven Situationen den Versuch unternehmen, diese Grenzen normativ zu bestimmen und damit den Bereich abzustecken, innerhalb dessen von einer Schutzbedürftigkeit des Rechtsgutsträgers ausgegangen werden kann. 173 174

S. o. Kap. V, 1 und 2. S. o. Kap. V, 2.

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Es ist demnach - mit anderen Worten - nunmehr die bereits oben bei der Charakterisierung des § 263 als Beziehungsdelikt getroffene Feststellung 175 zu differenzieren, daß die Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers gleichsam von innen heraus neutralisiert, ausgehöhlt oder eingeschläfert werden müssen, soll eine Kriminalisierung der zugrundeliegenden Lebenssachverhalte nicht dem Grundsatz der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes widersprechen. Als Mittel dieser Neutralisierung erwies sich im Rahmen des § 263 der listige Angriff, als die Neutralisierung bezeichnender gesetzlicher Terminus der "Irrtum". Im Mittelpunkt unserer Überlegungen steht jetzt also die Frage, ob im Falle des konkreten Zweifels bei normativer Betrachtung noch von einer solchen Neutralisierung und damit von einer bloß quantitativen Änderung oder vielmehr von deren Wegfall und damit von einem Entfallen der Schutzbedürftigkeit des "Opfers" auszugehen ist. Es erscheint sinnvoll, zu diesem Zweck die Situationen des diffus und des konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers nochmals kurz einander gegenüberzustellen: Im Falle des diffusen Zweifels weiß das Opfer zwar um seine unvollkommene Informationsbasis, sieht aber keine spezifizierten Ansatzpunkte für seine Unsicherheit und verfügt letztlich in dem Wissen um die Unmöglichkeit, in dieser Situation und lediglich aus diesen Gründen vollständige Aufklärung erreichen oder auf die in Frage stehende Verfügung verzichten zu können; der konkrete Zweifel hegende Rechtsgutsträger geht im Gegensatz hierzu einer an bestimmten Punkten festmachbaren Unsicherheit nicht nach und verfügt gleichwohl. Daß der so agierende Rechtsgutsträger seine Selbstschutzmöglichkeiten verringert und damit die konkrete Gefahrintensität erhöht, ist festgestellt; zu klären bleibt, ob er hierdurch seiner Schutzbedürftigkeit verlustig geht. a) Der sich subjektiv gewiß fühlende Rechtsgutsträger

Wir wollen versuchen, uns auch diesem Problem auf dem Wege einer Beschreibung der Situation eines nach allen vertretenen Meinungen176 zum Opfer eines Betruges gewordenen Rechtsgutsträgers zu nähern, der also auf der Basis eines Gefühls subjektiver Gewißheit bezüglich der Wahrheit und Vollständigkeit der relevanten Tatsachen verfügt. Erweist sich diese Verfügung im nachhinein als schädigend und nicht, wie das Opfer zu wissen glaubte, als (im weitesten Sinne) positiv, so zeigt sich, daß der im Regelfall faktisch gegebene und unter strafrechtlichem 175

s. o. Kap. IU, 1.

Vgl. nur Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 79 ff. und die Nachweise in Fn.167. 176

V. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

139

Aspekt vorauszusetzende Wille 177 des Rechtsgutsträgers, sein Vermögen nicht zu beschädigen, auf dem Wege einer spezifischen Fehlkonditionierung ausgeschaltet wurde. Diese Fehlkonditionierung besteht schlicht darin, daß der Rechtsgutsträger glauben gemacht wird, die von ihm vorzunehmende Verfügung kollidiere nicht mit seinem Willen zum Unterlassen von Selbstschädigungen, sondern sei im Gegenteil dazu geeignet, diese Absicht zu realisieren178. Was in diesem unstreitigen und gleichsam im Begriffskern des Irrturnsmerkmals gelegenen Bereich des Betrugstatbestands also geschieht, ist objektiv nichts anderes als ein Außerfunktionsetzen des präsumtiven Opfers als homo oeconomicus 179 unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung von dessen Fassade: Die vom Rechtsgutsträger entsprechend diesen Grundsätzen zweckrational vorgenommene Verfügung erweist sich infolge ihrer nicht durchschauten Steuerung durch einen Dritten in Wirklichkeit als eine Handlung, die wegen ihrer Ungeeignetheit zur Erreichung des subjektiv intendierten Zieles objektiv höchst irrational ist. Ein Agieren als homo oeconomicus wird dem Rechtsgutsträger in Konstellationen dieser Art also apriori verunmöglicht, seine Rationalitätserwägungen laufen leer. Diese Deutung des Kernbereichs des Betrugstatbestandes ist alles andere als neu; bereits Merke I forderte in seinen Kriminalistischen Abhandlungen aus dem Jahre 1867 diesbezüglich "einen rechtlich allein relevanten Zusammenhang ... , welcher in der Sphäre des geschäftlichen Verkehrs nur da vorliegt, wo der Eine dem Andern falsche Bestimmungsgründe für seine Handlungen unterschiebt, und dieselben so zu unfreien macht, nicht da, wo er ihm nur Gelegenheit gibt, den eigenen Vorstellungen und Absichten entsprechend zu verfahren, mögen nun diese auf Gewinn oder auf Verlust für ihn hinausführen"18o. Auch wenn Merke I betont, daß die Verfügung des Getäuschten ihre Erklärung "in einem die verletzende Qualität der Handlung verbergenden Irrthume finden"181 und die Verletzung "in äußerlichem Einklang mit 177 Diese Voraussetzung folgt unmittelbar aus dem Schutzbedürftigkeitsprinzip. 178 Vgl. auch die Formulierung von Binding (Lehrbuch, Bd. 1, S. 344): "Das dem Betrug Charakteristische ist sein Mittel, den Willen Dessen, der über jene Vermögensrechte disponirt, durch Täuschung zum Bundesgenossen des Betrügers zu machen." 179 Dieser Begriff wird hier und im folgenden in einem engeren Sinne gebraucht, als dies etwa in der Entscheidungstheorie der Fall ist (vgl. hierzu oben Kap. V, 3 und die Nachweise in Fn. 159). Er bezeichnet hier lediglich das durch diese Idealfigur umschriebene Streben nach Wahrung und Förderung der individuellen Rechts- und Vermögensgüter, ohne die Rationalitätsimplikationen der klassischen Betriebswirtschaftslehre zu umfassen. 180 Abhandlungen, S. 141. 181 Abhandlungen, S. 207.

140

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

dem Willen des Verletzten"182 verübt werden müsse, kann dies nur im Sinne des Textes verstanden werden183 .

b) Der diffus zweifelnde Rechtsgutsträger Vergleichen wir auf der Basis der vorstehenden überlegungen die Situation des diffus zweifelnden mit der des sich subjektiv gewiß fühlenden Rechtsgutsträgers, so treten Parallelen und Unterschiede unmittelbar zu Tage. Zwar erkennt das Opfer hier, daß auf die Wahrheit der ihm unterbreiteten Tatsachen nicht unbedingt Verlaß ist; dennoch ist er wegen der oben!!!4 dargestellten faktischen Begrenzung seiner Selbstschutzmöglichkeiten nicht in der Lage, seine Informationsbasis zu vervollständigen und zu optimieren. Der dieser sozialen Vorfindlichkeit Rechnung tragende Verzicht auf die Erhebung weiterer Informationen ist deshalb nicht ein Verstoß gegen die aus der Figur des homo oeconomicus ableitbaren Verhaltens anweisungen, sondern entspricht ihnen insofern, als das für wahr Unterstellen nicht überprüfter Tatsachenbehauptungen in den festgestellten Grenzen Bedingung der Teilnahme am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verkehr ist 185 . Aus diesem Grunde ist der Rechtsgutsträger auch im Falle des diffusen Zweifels taugliches Opfer eines Betrugs: Die von ihm vorgenommene Verfügung ist das Produkt der auf Täuschung beruhenden Manipulation eines Dritten, die vom Opfer zwar im Ausnahmefall, nicht aber in der Regel hätte durchschaut und blockiert werden können, so daß auch hier von einer Fehlkonditionierung im eigentlichen Sinne gesprochen werden muß. c) Der konkret zweifelnde Rechtsgutsträger

Somit bleibt nur noch die Frage nach der Situation des Rechtsgutsträgers in den Fällen, in denen er sich trotz eines konkreten Zweifels an der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung nicht der Mühewaltung unterzieht, diesem Zweifel auf den Grund zu gehen und ihn durch das Einholen weiterer Informationen oder durch den vorsorglichen Ver182 Abhandlungen, S. 192. 183 Vgl. auch Glaser (Abhandlungen, S. 258), der betont, daß der "Schade, welcher für den Verletzten aus dem Verbrechen entsteht, aus seinem eigenen Willen erwächst, durch seine Einwilligung herbeigeführt wird, und daß die eigentliche strafbare Handlung eben darin liegt, daß er auf widerrechtliche Weise bestimmt wird, in dasjenige einzuwilligen, was der Natur der Sache nach ihm widerstreben muß". S. a. Cramer, Vermögensbegriff, S. 207; ders., JZ 1971, 415; Schröder, NJW 1962, 722; Lenckner, NJW 1971, 600; Ellscheid, GA 1971, 165; Busch, NJW 1960, 951, und die Kritik von Frisch, Funktion, S. 651 ff.

184 Kap. V, 1 und 2. 185 So auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 79.

V. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

141

zicht auf die geplante Verfügung quasi zu erledigen. Das präsumtive Opfer erkennt hier also aus Gründen, auf die im einzelnen noch später einzugehen sein wird 186 , daß die Wahrheit bestimmter vom Täter behaupteter Tatsachen dubios ist; er ist konkret darauf aufmerksam geworden, daß die durch ihn zu exekutierende Vermögensverfügung nicht die von ihm angestrebten - und normativ: anzustrebenden - positiven, sondern infolge der als möglich erkannten Unwahrheit einer bestimmten, von ihm als wahr behandelten Tatsachenbehauptung vielmehr negative Konsequenzen für sein Vermögen haben kann. Der Rechtsgutsträger wird demnach in Situationen dieses Zuschnitts an der Realisierung seiner grundsätzlich perfekten Selbstschutzmöglichkeiten - Versuch der Verifizierung der unterbreiteten Tatsachen oder Unterlassen der Verfügung im Einzelfall - nicht dadurch gehindert, daß er konkrete Bezugspunkte für solche Nachforschungen nicht erkennt; er hat diesen, den diffusen Zweifel kennzeichnenden Bereich vielmehr weit hinter sich gelassen. Was hier im Kern geschieht, ist dadurch gekennzeichnet, daß der Rechtsgutsträger eine virtuell vermögensschädigende Wirkung seiner Verfügung klar sieht, sich jedoch in diese Gefahr nicht mangels greifbarer Handlungsalternativen, sondern aus anderen Gründen bewußt begibt. d)

Vergleich und Bewertung der unterschiedlichen Situationen

Trifft dies zu, so kann von einer Fehlkonditionierung des Rechtsgutsträgers, von seinem Außerfunktionsetzen als homo oeconomicus, nicht mehr gut gesprochen werden. Die Einflußnahme des Täuschenden führt in Fällen des konkreten Zweifels zwar ebenfalls auf dem Wege über die Integration des Opfers in die Verletzungshandlung zum schädigenden Erfolg; diese Integration ist hier jedoch qualitativ anders: Der Rechtsgutsträger läßt sich nicht - wie im Falle der subjektiven Gewißheit in vollem Vertrauen auf die Wahrheit der unterbreiteten Tatsachen oder - wie im Falle des diffusen Zweifels - mangels praktikabler Verhaltensalternativen in die Handlungsabfolge einbeziehen, sondern wählt zwischen verschiedenen Möglichkeiten und entscheidet sich dann für seine Integration in den Handlungsablauf. Der auf der Täuschung beruhende Einfluß des Täters auf das Verhalten des Rechtsgutsträgers wird also gebrochen: Er setzt sich nicht mehr durch, ohne daß der Rechtsgutsträger - wie in den Konstellationen subjektiver Gewißheit und diffusen Zweifels - zur konkreten Täuschung und ihrem Gegenstand überhaupt Stellung bezieht; vielmehr erkennt der konkret Zweifelnde die spezifische Möglichkeit einer Täuschung, kalkuliert und entscheidet. Im Verlauf dieses Erkenntnis- und Kalkulationsprozesses ent188

Vgl. insbesondere unten Kap. VI, 3.

142

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

zieht sich aber der Rechtsgutsträger zumindest zeitweise dem direkten Einfluß des Täuschenden und setzt hierbei an die Stelle von dessen Steuerung des Handlungsablaufes seine eigene. Entscheidet er sich hiernach für die Vornahme einer Verfügung, so mag äußerlich kein Unterschied zum Verhalten eines auch im Gefühl subjektiver Gewißheit verfügenden Opfers feststellbar sein; sein Anteil an der Gestaltung des weiteren Handlungsablaufes ist aber erheblich größer. Diese Überlegungen sollen an einem Beispiel verdeutlicht werden: Ein Kunstfreund kauft ein Aquarell eines bekannten Malers zu einem äußerst günstigen Preis einmal von seinem Bruder, dem er vollständig vertraut, das andere Mal von einem Unbekannten, der die niedrige Kaufsumme nicht sehr überzeugend mit einem momentanen finanziellen Engpaß erklärt. Ergibt sich nach der Abwicklung der Transaktion, daß das Bild, wie sowohl Bruder als auch Unbekannter wußten, lediglich eine gute Kopie darstellt, so ist der vom Täuschenden geplante Erfolg zwar in beiden Fällen eingetreten. Ein Vergleich der jeweiligen Situation des Rechtsgutsträgers in den beiden Fallkonstellationen ergibt jedoch relevante Unterschiede: Der von seinem Bruder kaufende Kunstfreund ist aufgrund seines blinden Vertrauens in dessen Glaubwürdigkeit in den Tatplan des Täuschenden auf eine höchst rigide Art und Weise eingebunden. Er überläßt sich aus subjektiv guten und normativ nicht anfechtbaren Gründen weitestgehend dessen Führung, nimmt die Tatsachenbehauptungen als wahr hin und erkennt und ventiliert infolgedessen auch keine einschlägigen Handlungsalternativen. Aus der Sicht des Täters ist die Konstellation geradezu ideal, da Störungen des von ihm geplanten Handlungsablaufes durch das Opfer nicht auftreten können: Vom Bewirken der Täuschung bis zur Vornahme der schädigenden Verfügung durch den Rechtsgutsträger laufen das objektiv rationale Verhalten des Täters und das objektiv unrationale Verhalten des Opfers nebeneinander her, ohne daß sich letzteres der Frage nach der Vernünftigkeit und Richtigkeit dieser Handlungsweise stellt. Anders jedoch die Situation des von einem Unbekannten kaufenden Rechtsgutsträgers: Zweifelt dieser etwa aufgrund der äußeren Umstände des Rechtsgeschäftes an der Echtheit des ihm angebotenen Bildes, also an einer bestimmten Tatsachenbehauptung des Täuschenden, so verändert er damit sein Verhältnis zu dessen Handlungsplan grundlegend. Seine Entscheidung über die endgültige Vornahme der schädigenden Verfügung ist vom Täterverhalten nicht etwa im Sinne des Auslösens einer Kausalkette gleichsam einlinear bestimmt. Der Zweifel des Getäuschten stellt für diesen subjektiv vielmehr den Hinweis auf einen Scheideweg dar, bis zu dem ihn der Täter zwar geführt hat, an

v. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

143

dem dessen unmittelbarer, bestimmender Einfluß jedoch zunächst endet. An diesem Scheideweg befand sich etwa der kunstbegeisterte Rechtsgutsträger der zweiten Fallalternative, der sich - im Unterschied zum Opfer des ersten Falles - der Notwendigkeit einer diesbezüglichen Entscheidung bewußt und dadurch in die Lage versetzt wurde, die für und gegen die Vornahme einer Verfügung sprechenden Gründe zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Die trotz konkreter Zweifel an der Wahrheit der unterbreiteten Tatsachen für eine Verfügung sprechenden Gründe, als welche sich etwa die Möglichkeit eines hohen Gewinns, Rücksichtnahme auf eine bislang gute Geschäftsverbindung und ähnliches vorstellen lassen, mögen im einzelnen in ökonomischer oder gesellschaftlicher Sicht höchst rational und ehrenhaft sein. Aber selbst wenn man solche Motive konzediert, vermag dies nichts daran zu ändern, daß die Betrugssituation, sollen Erforderlichkeits- und Schutzbedürftigkeitserwägungen die gebotene Beachtung finden, ausschließlich unter dem Aspekt der Kognitionslage des Rechtsgutsträgers hinsichtlich der Wahrheit der vorgespiegelten Tatsachen beurteilt werden muß. Das "Opfer" mag für eine Verfügung in diesen Fällen eine Fülle noch so guter und nachvollziehbarer Gründe haben: als homo oeconomicus ist es hier, wie wir vorläufig im Grundsatz und unbeschadet späterer Differenzierungen feststellen können, nicht außer Funktion gesetzt.

5. Exkurs: Die Situation des verfügenden Reehtsgutsträgers in entscheidungstheoretischer Sicht

Die vorstehenden Überlegungen zu Parallelen und Unterschiedlichkeiten in der Situation des sich subjektiv gewiß fühlenden, des diffus und des konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers lassen sich anhand eines Instrumentariums verdeutlichen und präzisieren, das die psychologische und betriebswirtschaftliche Entscheidungsforschung zur Verfügung stellt. Was zunächst dessen grundsätzliche Anwendbarkeit auf das hier zu erörternde Problem anbelangt, so steht diese außer Frage: Der schädigenden Verfügung des Rechtsgutsträgers geht in jedem Falle ein Entscheidungsverhalten187 voraus, im Verlaufe dessen über die Vornahme oder Nichtvornahme der Verfügung befunden wird. Im Rahmen dieses Entscheidungsprozesses - denn als Prozeß und nicht als Akt stellt sich das "Entscheiden" dar 188 - durchläuft das Entscheidungssubjekt in der Regel einmal oder gar mehrfach eine auch für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung interessante Phase, in der 187 Zur Definition der Entscheidung siehe nur Biasio, Entscheidung, S. 39; Klaus Kaufmann, Kognitiv-hedonistische Theorie, S. 47. 188 S. nur Feger, KonflikterIeben, S. 87 ff.; Kirsch, Einführung I, S. 72 ff.

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

es sich über Umfang und Valenz der zur Grundlage der Entscheidung genommenen Informationen klar zu werden und hieraus Konsequenzen für das weitere Vorgehen abzuleiten sucht 189 • Den Abschluß einer solchen Phase bildet jeweils eine sogenannte Intormationsentscheidung 190 , also eine Stellungnahme des Entscheidungssubjekts zu der Frage, ob und bejahendenfalls wie der Versuch der Beschaffung weiterer Informationen unternommen werden soll, bevor die endgültige oder Handlungsentscheidung191 getroffen wird. Die Tendenz zu einer positiven, also auf die Erhebung weiterer Informationen gerichteten, Informationsentscheidung wird insbesondere beeinflußt zum einen von der subjektiven Einschätzung der bislang vorliegenden Informationsbasis und andererseits von den Informationskosten, also von dem für die Beschaffung weiterer Informationen erforderlichen Aufwand an Zeit, Geld und anderen Gütern192 • Je mangelhafter und widersprüchlicher nach der Beurteilung des Entscheidungssubjekts der Informationsstock.193 und je geringer die Informationskosten, desto größer ist demnach ceteris paribus die Tendenz des Entscheiders zum Fällen einer positiven Informationsentscheidung 194 • a) Der sich subjektiv gewiß fühlende Rechtsgutsträger

Eine Anwendung dieser Erkenntnisse der Entscheidungsforschung auf das im Mittelpunkt unserer Interessen stehende Problem ergibt hinsichtlich des sich subjektiv gewiß fühlenden Rechtsgutsträgers, daß - liegt die Situation subjektiver Gewißheit vor oder ist sie nach der Beseitigung anfänglicher Zweifel erst einmal erreicht - eine subjektiv erfahrbare Notwendigkeit zur Gewinnung weiterer Informationen nicht oder nicht mehr gegeben ist. Der Rechtsgutsträger geht unangefochten vom sicheren Vorliegen einer Umweltsituation - der Wahrheit der ihm unterbreiteten Tatsachen - aus und sieht in Anbetracht seines Gewißheitseindruck.s selbstverständlich keinen Anlaß, weitere, nach seiner Einschätzung ja dann notwendig redundante Informationen zu beschaffen.

189 Kuhlmann (Entscheidungsverhalten, S. 161) beschreibt dieses Phänomen als Rückkoppelung, wobei "die Ist-Werte der bereits gesammelten Informationen mit den Soll-Werten der gewünschten Informationen verglichen werden und bei Abweichung die Suche fortgesetzt wird". 190 Zum Begriff: Mag, Entscheidung, S. 161; Gäjgen, Theorie, S. 126 ff. 191 Hierzu: Gäjgen, Theorie, S. 126 ff. 192 Vgl. hierzu nur Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 94 ff. 193 Zum Begriff s. Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 47. 194 Mag, Entscheidung, S. 161; Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 135 ff.; Kirsch, Einführung I, S. 106 f.

v. Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers

145

b) Der diffus zweifelnde Rechtsgutsträger

Demgegenüber ist sich der diffus zweifelnde Rechtsgutsträger über die Unvollkommenheit seines Informationsstocks sehr wohl im klaren und damit in der Regel auch darüber, daß sich die Konsequenzen der von ihm vorzunehmenden Verfügung nicht mit Sicherheit einschätzen lassen. Eine positive Informationsentscheidung bleibt hier jedoch grundsätzlich deshalb außer Betracht, weil im Hinblick auf das diffuse und unstrukturierte Informationsfeld 1u5 - d. h. die Summe aller für die Handlungsentscheidung relevanten Informationen - die Informationskosten196 zu hoch wären. Der Versuch des Rechtsgutsträgers, in Fällen dieser Art die Basis seiner Informationen zu erweitern, gleicht dem berühmten Stangenstochern in dichtem Nebel: Da er keine verläßlichen Anhaltspunkte dafür hat, welche der ihm unterbreiteten Tatsachenbehauptungen glaubwürdig sind und wo sein Informationsstock besonders ergänzungsbedürftig ist, bleiben seine Versuche zur Gewinnung weiterer relevanter Informationen beliebig und in der Regel auch unergiebig. So kann etwa der diffus zweifelnde Gebrauchtwagenkäufer in unserem obigen Beispielsfall den Zustand des Motors durch eine Kompressionsmessung oder den der Bremsen durch einige Bremsproben überprüfen und damit die Basis seiner Informationen verbreitern. Nach der Vornahme dieser Prozeduren ist er jedoch nicht wesentlich klüger als zuvor, weil er mit diesen Aktionen nicht einmal die hiervon unmittelbar betroffenen Bestandteile des Kraftwagens, geschweige denn andere wichtige Elemente wie etwa die elektrische Anlage oder das Getriebe umfassend durchgecheckt hat. Er befindet sich also nach diesen Maßnahmen der Informationsgewinnung nach wie vor in einem Zustand mangelhafter Information und diffusen Zweifels, den er nur dann beseitigen könnte, wenn er den Wagen von Mechanikern in seine Einzelteile zerlegen und jedes Schräubchen kontrollieren ließe. Mit diesen Überlegungen soll, dies ist zu betonen, nicht belegt werden, daß der über die Verbesserung des Informationsstocks führende Weg vom diffusen Zweifel zu subjektiver oder gar objektiver Gewißheit als Pendants einer als vollkommen vorgestellten oder einer tatsächlich vollkommenen Informationslage nicht gangbar sei. Es geht vielmehr lediglich um den Nachweis, daß den Rechtsgutsträger in solchen Situationen Informationskosten träfen, die zum einen außer Relation zu dem zu erwartenden Erfolg stünden und die zweitens die Kapa1U5 Unter diesem Begriff wird in der Entscheidungstheorie die Gesamtheit aller Informationen verstanden, die zur Lösung des Entscheidungsproblems benötigt werden; vgl. nur Mag, Entscheidung, S. 25; Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 25. 19& Hierzu: Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 94 ff.

10 Hassemer

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zität jedes Verfügenden - sofern er solche Überprüfungen generell und ohne besonderen Anlaß durchführt - weit übersteigen müßten. Wenn dem so ist, dann ist die Entscheidung des Rechtsgutsträgers, in solchen Fällen auf den Versuch der Verbesserung des Informationsstocks zu verzichten, nicht bewußte Beschneidung seiner Handlungsalternativen, sondern zutreffende Einsicht in deren sozialadäquate Beschränkung 197 • c) Der konkret zweifelnde Rechtsgutsträger

Wesentlich anders stellt sich demgegenüber die Situation des konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers dar. Er verfügt - im Gegensatz zum diffus Zweifelnden - über einen, wenn auch nur vorläufigen Bezugspunkt seiner Unsicherheit, der ihm einen Anlaß zu positiven Informationsentscheidungen gibt und auch zu einer zumindest partiellen Strukturierung des Informationsfeldes verhilft u8 • In diesem Teil des InformationsfeIdes kann der Rechtsgutsträger also grundsätzlich mit vergleichsweise geringen Kosten eine Verbesserung seiner Informationsbasis erreichen und damit die Entscheidung über die Vornahme seiner Verfügung auf eine festere Grundlage stellen. Zweifelt er, um unser obiges Beispiel einer komplexen Entscheidungssituation ein weiteres Mal zu strapazieren, bei ansonsten gleichem Informationsstand nicht nur global an der Glaubwürdigkeit von Gebrauchtwagenverkäufern, sondern konkret an der behaupteten Unfallfreiheit des Fahrzeugs, so engt sich der Bereich der von ihm zur Behebung dieses spezifizierten Zweifels zu gewinnenden Informationen beträchtlich ein: Er braucht den Wagen nur optisch genau zu untersuchen und unter Umständen vermessen zu lassen, um zumindest die wichtigsten hierfür relevanten Informationen zu erheben. d) Vergleich und Bewertung der unterschiedlichen Situationen

Wir können also auch aus entscheidungstheoretischer Sicht einen relevanten Unterschied zwischen den Situationen des sich gewiß fühlenden und des diffus zweifelnden Rechtsgutsträgers auf der einen und der des konkret zweifelnden auf der anderen Seite feststellen. Der konkret zweifelnde Verfügende befindet sich in einer doppelt privilegierten Situation: Er hat zum einen erheblich größeren Anlaß für die Gewinnung weiterer Informationen und verfügt zweitens über ein stärker strukturiertes Informationsfeld, so daß er diese Informationen in der Regel mit geringeren Kosten erheben kann. Diese Einschätzung findet sich auch bei Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 79. Vgl. etwa Biasio, Entscheidung, S. 63; Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 52, 161 f. Ig7

IgS

VI. Kritik der in der Literatur vertretenen Konzeptionen

147

Wenn wir die vorstehenden entscheidungstheoretischen Überlegungen nunmehr wieder in die strafrechtsdogmatische Bewertung der Schutzbedürftigkeit des trotz konkreter Zweifel verfügenden Rechtsgutsträgers einmünden lassen, so finden wir unser bereits mit den Mitteln der Rechtsdogmatik gewonnenes grundsätzliches Ergebnis bestätigt: § 263 schützt den Rechtsgutsträger in Situationen, in denen er wegen des gesellschaftlichen Zwangs zur Vornahme von Austauschakten entsprechende Handlungsentscheidungen treffen muß, ohne über vollkommene Information zu verfügen. Diese Einschränkung der Selbstschutzmöglichkeiten wird von § 263 dort zu kompensieren versucht, wo der Rechtsgutsträger vorgängige positive Informationsentscheidungen entweder gar nicht (Fälle der subjektiven Gewißheit) oder zumindest nicht sinnvoll (Fälle des diffusen Zweifels) treffen kann und deshalb darauf angewiesen ist, die ihm vom Täuschenden durch Tatsachenbehauptungen vermittelten Informationen seiner Handlungsentscheidung zugrunde zu legen. Da jedoch, wo ihm eine durch konkrete Zweifel vermittelte Strukturierung des Informationsfeldes gelingt, ist er grundsätzlich zu einer positiven Informationsentscheidung veranlaßt und befähigt, die er gemäß dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Individuums dann auch wahrnehmen muß.

6. Ergebnis Wir können als Ergebnis unserer Überlegungen also im Grundsatz festhalten, daß ein Rechtsgutsträger, der trotz konkreter Zweifel an der Wahrheit der vorgespiegelten Tatsachen verfügt, seine Selbstschutzmöglichkeiten in so erheblichem Umfange reduziert, daß vom Entfallen seiner Schutzbedürftigkeit ausgegangen werden muß. Er wird hierdurch, weil seine kognitive Situation dem Tatbestandsmerkmal "Irrtum" nicht mehr subsumiert werden kann, zu einem untauglichen Opfer, so daß der Täuschende zumindest wegen vollendeten Betruges nicht bestraft werden kann.

VI. Die Stellung der eigenen Ergebnisse im Vergleich zu den in der Literatur vertretenen Meinungen Nachdem nunmehr also eine eigene Konturierung der vom Irrtumsmerkmal des § 263 erfaßten Sachverhalte entwickelt worden ist, kann sich der Text in einem weiteren Schritt der Frage zuwenden, in welchem Verhältnis diese Konzeption zu den bislang in der Literatur vertretenen Meinungen steht, die zu diesem Zweck nochmals in aller Kürze rekapituliert werden sollen. Als Befürworter einer weiten Auslegung des Irrtumsmerkmals sei hier ein weiteres Mal Lackner angeführt; in seiner Kommentierung des 10·

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§ 263 stellt er zwar fest, daß der Getäuschte die vorgespiegelte Tatsache für wahr halten müsse, betont jedoch gleichzeitig, daß hierunter nicht eine subjektive Gewißheit verstanden werden dürfe l99 • Erforderlich und ausreichend sei vielmehr, daß das präsumtive Opfer die Wahrheit der ihm unterbreiteten Tatsachen für möglich halte 20o •

Krey und Giehring halten diese Auffassung für zu weit. Während Krey fordert, daß der Getäuschte die Wahrheit der vorgespiegelten Tatsachen für wahrscheinlich oder nicht unwahrscheinlich hält 20 \ will Giehring das Irrtumsmerkmal des § 263 nur dann als erfüllt ansehen, wenn das Betrugsopfer von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Zutreffens der Tatsachenbehauptungen des Täters ausgeht 202 • 1. Die Inkompatibilität der Konzeptionen

Schon ein flüchtiger Blick auf die hier und die in der Literatur bezeichneten Sachverhalte und die jeweils benutzten Begrifflichkeiten zeigt die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Zuordnung der beiden Konzeptionen. Eine konditionale Beziehung etwa in dem Sinne, daß aus dem Vorliegen eines diffusen Zweifels ein für überwiegend-wahrscheinlich-Halten, aus der Existenz eines konkreten Zweifels lediglich ein für-möglich-Halten zu folgen hätte, kann ebensowenig festgestellt werden wie irgendwelche andere direkte Zusammenhänge. Daß diese Inkompatibilität nicht zufällig ist, läßt sich mit Hilfe einiger Einsichten der Entscheidungstheorie leicht aufzeigen. Nach deren Erkenntnissen ist die endgültige Handlungsentscheidung des Individuums das letzte Glied in einer mehr oder weniger langen Kette kognitiver Leistungen des Entscheidenden, zu der die Identifizierung des Problems ebenso zählt wie etwa die Generierung von Alternativen oder das Fällen von Informationsentscheidungen203 • In diesem Prozeß der Entscheidungsfindung vergewissert sich das entscheidende Subjekt auch ein oder mehrere Male über den ihm zur Verfügung stehenden Informationsstock und seine Fähigkeit, auf der Basis dieser Informationen die Eintreffsicherheit oder -wahrscheinlichkeit bestimmter relevanter Umweltsituationen - also beispielsweise die tatsächliche Bonität des seine Zahlungsfähigkeit behauptenden Schuldners vorauszusagen; es trifft also, in der Sprache der Entscheidungstheorie, In: LK, § 263, Rdnr. 79. Ebenda. 201 Strafrecht, BT 2, S. 127. 202 Prozeßbetrug, S. 21 f.; ihm folgend Dästner, ZRP 1976,37. 203 Zu den Phasen des Entscheidungsprozesses s. etwa Biasio, Entscheidung, S. 39 ff., insbesondere S. 47, 60 ff.; Frey / Ochsmann, in: Irle, Attraktivität, S. 21 ff.; unter dem Blickwinkel juristischen Entscheidens: Lautmann, Rolle, S. 395 ff. 199

200

VI. Kritik der in der Literatur vertretenen Konzeptionen

149

ein Sicherheitsurteil 204 • Diese Sicherheitsurteile wiederum, also gleichsam das Produkt eines sich Vergewisserns des Entscheidenden über die ihm zur Verfügung stehenden Informationen, bilden die Basis für einen weiteren Teilakt des Entscheidungsprozesses, der entweder - im Falle einer als ungenügend eingeschätzten Informationsbasis - in einer positiven Informationsentscheidung oder - im entgegengesetzten Fall - in einer negativen Informationsentscheidung und einer Handlungsentscheidung besteht205 • Es ist nunmehr leicht auszumachen, daß sowohl die herrschende Literaturmeinung als auch Krey und Giehring bei der Auslegung des Irrtumsmerkmals im entscheidungstheoretischen Sprachgebrauch mit Sicherheitsurteilen arbeiten, ihr Augenmerk also auf die individuelle Stellungnahme des Entscheidenden zur Valenz der vorliegenden Informationen richten. Demgegenüber steht im Mittelpunkt der Argumentation der vorliegenden Untersuchung auf der einen Seite ein dem Sicherheitsurteil vorgelagerter Teilakt des Entscheidungsprozesses, der konKrete Zweifel, andererseits eine diesem nachfolgende Phase, die Informationsentscheidung. Die Gründe für diese abweichende Konstruktion sollen in der Auseinandersetzung mit den bislang in der Literatur vertretenen Meinungen im folgenden nochmals verdeutlicht werden. Wie oben festgestellt 206 , ist eine den Anwendungsbereich des § 263 eröffnende Verfügung Folge einer Handlungsentscheidung des Rechtsgutsträgers, die immer und in jedem Falle auf der Basis unvollkommener Information getroffen wurde, so daß die diese Informationslage würdigende Charakterisierung durch das Entscheidungssubjekt nie ein objektives Gewißheitsurteil 207 darstellen kann; das Sicherheitsurteil stellt also, mit anderen Worten, im Betrugsbereich immer objektive Unsicherheit fest 208 • Hieraus folgt, daß alle zu einer positiven Handlungsentscheidung und hieraus resultierender Verfügung führenden Sicherheitsurteile des Entscheidungssubjektes - abgesehen von dem unproblematischen Fall der subjektiven Gewißheit - auf einem Kontinuum etwa zwischen "höchst unwahrscheinlich" und "höchst wahrscheinlich" liegen müssen. Für alle auf das Sicherheitsurteil abstellenden Lehren gewinnt deshalb das Merkmal "Irrtum" in § 263 lediglich 204 Zu diesem subjektiven Urteil über Art und Wahrscheinlichkeit der Entwicklungen in der Außenwelt s. nur Schaefer / BorcheTding, in: Irle, Attraktivität, S. 133. 205 Vgl. nur Kuhlmann, Informationsverhalten, S. 67 ff. 208 Kap. V, 2. 207 Eine objektive Gewißheit würde voraussetzen, daß der Entscheidende exaktes Wissen über die eintretende Umweltlage hätte; s. nur Mag, Entscheidung, S. 46; SauteT, in: Irle, Attraktivität, S. 116 f., 119. 208 Wobei hier dahingestellt bleiben kann, woraus diese Unsicherheit im einzelnen resultiert; s. hierzu etwa SauteT, in: Irle, Attraktivität, S. 118 ff.

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

unter dem Gesichtspunkt Relevanz, ob es entweder die für den Betrugstatbestand maßgebliche Grenze dieses Kontinuums in Richtung auf das größte Maß der Wahrscheinlichkeit absteckt - und bejahendenfalls: wo die Grenze verläuft - oder ob es die gesamte Bandbreite einschließlich des Extrempunktes "höchst unwahrscheinlich" dem § 263 unterstellt - worauf mir die von Lackner repräsentierte Auslegung hinauszulaufen scheint. Eine solche Sicht wird der Problematik dieses Tatbestandsmerkmals jedoch aus mehreren Gründen nicht gerecht. 2. Kritik der in der Literatur vertretenen Meinungen

Ein erstes Argument gegen die Verfahrensweise der Literaturmeinungen ergibt sich bereits aus deren Grundansatz: Alle Spielarten der herrschenden Lehre stellen ausschließlich auf das Sicherheitsurteil als solches - also auf eine ausschließlich subjektive und keinerlei Korrektur durch objektive Kriterien zugängliche Einschätzung209 - ab, ohne dessen Genese und weitere Verarbeitung im Entscheidungsverhalten des Verfügenden in den Blick zu fassen. Sie übersehen dabei notwendig das Prozeßhafte der Entscheidungsfindung210 und, damit zusammenhängend, ebenso notwendig alle wahrgenommenen oder versäumten Möglichkeiten des Rechtsgutsträgers, das Ausmaß seiner Informationsbasis zu verbreitern. Gerade hier aber, so haben wir festgestellt, liegt gleichsam die sedes materiae der Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers und damit unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten der Schlüssel zu einer zutreffenden Auslegung des Irrtumsmerkmals. Zum zweiten reduziert sich, da das Sicherheitsurteil im Betrugsbereich ja in jedem Fall auf Unsicherheit lautet und deshalb keine qualitativen Abstufungen kennt, für die Literaturmeinungen die Frage nach dem Anwendungsbereich des Irrtumsmerkmals auf ein quantitatives Hantieren mit mehr oder weniger großen Stücken des Urteilskontinuums. Kriterien für die Bemessung der dem Merkmal "Irrtum" zu subsumierenden und der auszuscheidenden Teilbereiche können aus dem Kontinuum selbst natürlich nicht gewonnen werden. Es sind jedoch - von Plausibilitätserwägungen abgesehen - auch keine Maßstäbe ersichtlich, die an das Kontinuum von außen herangetragen werden könnten. Insbesondere versagen hier auch Selbstschutzerwägungen, da sich lediglich anhand des vom Rechtsgutsträger getroffenen Sicherheitsurteils die Frage nach einer möglichen Reduzierung seiner konkreten Selbstschutzmöglichkeiten natürlich nicht beantworten läßt. 209 S. hierzu nur Mag, Entscheidung, S. 58; Sauter, in: Irle, Attraktivität, S. 129 f.; Kirsch, Einführung I, S. 44 f. 210 Vgl. hierzu die Nachweise oben in Fn. 188.

VI. Kritik der in der Literatur vertretenen Konzeptionen

151

Dieser völlige Mangel an inhaltlichen Kriterien einer Grenzziehung im Urteilskontinuum, der von einigen Vertretern der herrschenden Meinung ausdrücklich zugestanden wird 211 , ist nicht zuletzt deshalb besonders mißlich, weil eine an der grammatikalischen Methode orientierte Rechtsfindung eher eine enge als die weite Auslegung des Irrtumsmerkmals durch die überkommene Lehre nahelegt. Der aus dieser Negierung einer solcherart angezeigten gesetzlichen Tendenz resultierenden "Darlegungslast" für die Richtigkeit oder zumindest größere Vernünftigkeit ihrer Position kann die herrschende Meinung jedoch aus den soeben dargestellten Gründen nicht gerecht werden. Wie unbefriedigend des weiteren etwa die Lackner'sche Auffassung bei auch nur immanenter Betrachtung ist, wird deutlich, wenn man sein Konzept des Ausreichens eines für-möglich-Haltens auf der Folie der völlig einhellig vertretenen Meinung sieht 212 , nach der der Irrtum die falsche Vorstellung über Tatsachen ist oder, wie es Lackner selbst formuliert, ein "Widerspruch zwischen einer Vorstellung und der Wirklichkeit"213. Der Rechtsgutsträger nämlich, der die Wahrheit einer Tatsache für möglich hält, muß notwendig auch etwas anderes, etwa deren Unwahrheit oder Irrelevanz, für möglich halten, wenn die Formel Lackners Sinn machen soll. Man mag dem ersten hieraus ableitbaren Einwand, daß dann von einer Vorstellung gar nicht mehr gesprochen werden kann, Übersubtilität oder Formalismus entgegenhalten. Es bleibt dann jedoch für die herrschende Meinung noch immer zu klären, warum nach Exekution der schädigenden Vermögensverfügung durch den Rechtsgutsträger ausgerechnet die falsche und nicht eine - nach den Grundsätzen der Äquivalenztheorie 214 sicherlich mitverursachte - richtige Vorstellung der Wirklichkeit für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals "Irrtum" herangezogen wird215 . Ein anderes, nicht weniger gewichtiges Problem der dargestellten Meinungen ist, worauf bereits Amelung216 hingewiesen hat, das der forensischen Reproduzierbarkeit von Phänomenen wie für-möglich-, für-wahrscheinlich- oder für-überwiegend-wahrscheinlich-Halten. Der 211

S.21.

Etwa von Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 80; Giehring, Prozeßbetrug,

212 Für alle: eramer, in: Schönke / Schröder, § 263, Rdnr. 33; Dreher / Tröndle, StGB, § 263, Rdnr. 18; Arzt, Strafrecht, BT, S. 131; Welzel, Strafrecht, S. 371. 213 In: LK, § 263, Rdnr. 79. 214 S. hierzu nur Lenckner, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 73 ff. vor § 13; Dreher / Tröndle, StGB, Rdnr. 17 vor § 1; Baumann, Strafrecht, S. 224 ff.; Maurach / Zipf, Strafrecht, AT 1, S. 257 ff., jeweils m. zahlr. w. N. 215 Zu diesem Argument auch Blei, Strafrecht 11, S. 199. 218 Irrtum, S. 8.

152

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Versuch etwa, die häufig auftretende Handlungssituation des konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers in unserem obigen Gebrauchtwagenfall in der Terminologie dieser Konzeptionen gerichtlich zu reproduzieren - und sie, wohlgemerkt, nicht einfach zuzuschreiben - ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es erscheint sogar höchst zweifelhaft, ob der handelnde Rechtsgutsträger selbst in der Lage wäre, seinen kognitiven Zustand im Zeitpunkt der Vornahme des Verfügungsaktes auf die Begriffe des für-möglich-, für-wahrscheinlich- oder für-überwiegend-wahrscheinlich-Haltens zu bringen217 • Er wird sich wohl nur dahingehend äußern können, daß ihm die Sache mit der Unfall freiheit des Fahrzeugs "faul" erschienen, daß hier nach seinem Empfinden etwas nicht "in Ordnung" gewesen sei, und dadurch die Situation des konkreten Zweifels hinreichend kennzeichnen. 3. Kritik der Konzeption Amelonp

Zu dem Ergebnis, daß im Rahmen der Auslegung des Irrtumsmerkmals in § 263 lediglich auf den Zweifel des Rechtsgutsträgers abzustellen sei, gelangt in der strafrechtlichen Literatur auch Amelung218 . Er will allerdings nur jenen Zweifel aus dem Irrtumsbegriff ausscheiden, der sich auf konkrete, dem Rechtsgutsträger äußerlich erkennbare Anhaltspunkte stützt; solche Anhaltspunkte können sich nach Amelung etwa ergeben "aus der Unwahrscheinlichkeit oder Widersprüchlichkeit der Behauptungen des Täuschenden, aus ihrer Unvereinbarkeit mit anderen Informationen des Verfügenden, aus den Umständen des Geschäfts (Verkauf eines angeblich echten Teppichs an der Haustür), in besonderen Fällen auch aus bestimmten Eigenschaften der Person des Geschäftspartners" 219. Auf die Frage, ob der Zweifel des Rechtsgutsträgers von konkreten Ansatzpunkten im Amelung'schen Sinne ausgeht oder nicht, kann es im Bereich des Irrtumsbegriffs jedoch letztlich nicht ankommen. Denn unabhängig davon, daß, wie schon Samson 220 moniert hat, verläßliche Kriterien für die Feststellung einer ausreichenden oder nicht genügenden Konkretheit solcher Anhaltspunkte nicht zur Verfügung stehen, geht das Erfordernis der Konkretheit von Ansatzpunkten an der hier entwickelten - und auch von Amelung vertretenen - Bestimmung der Funktion des Irrtumsmerkmals in § 263 vorbei. Z17 Dieses Bedenken äußert im Hinblick auf die Konzeptionen von Krey und Giehring auch Lackner (in: LK, § 263, Rdnr. 80); er zieht hieraus allerdings die Folgerung, daß alle Möglichkeitsvorstellungen dem Irrtumsmerkmal zu subsumieren seien. !t8 Irrtum, S. 7 ff. !lU Irrtum, S. 7. %20 In: SK, § 263, Rdnr. 57; s. auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 80; Krey, Strafrecht, BT 2, S. 127.

VI. Kritik der in der Literatur vertretenen Konzeptionen

153

Wenn dieses Merkmal tatsächlich die Aufgabe hat, die listigen Angriffe auf das Vermögen des Opfers in selbstschutz geeignete und selbstschutzungeeignete zu scheiden, so ist entsprechend unseren oben221 entwickelten Grundsätzen zur Bewußtheit der individuellen Verminderung der Selbstschutzmöglichkeiten ausschließlich auf die interne kognitive Situation des Rechtsgutsträgers, mithin auf die Konkretheit des Bezugspunktes, nicht des Ansatzpunktes des Zweifels abzustellen; von Interesse ist in diesem Zusammenhang also nur die Frage, wie das Opfer zur Wahrheit der vorgespiegelten Tatsachen steht. Weshalb es eine bestimmte Position zu einer Tatsachenbehauptung des Täuschenden einnimmt, ist demgegenüber unter keinem Aspekt von Belang. Der Rechtsgutsträger mag durch die Behauptung objektiv noch so unglaubwürdiger Tatsachen in einen Irrtum im hier vertretenen Sinne verstrickt worden sein oder aufgrund irgendwelcher Umstände an der Wahrheit einer mit größter Raffinesse vorgespiegelten Tatsache zweifeln - relevant ist im Rahmen des Irrtumsmerkmals immer nur das kognitive Ergebnis solcher Abläufe und die hieran anzuknüpfende Frage nach der konkreten Schutzbedürftigkeit des betroffenen Opfers 222 • Diese Anbindung des Irrtumsmerkmals ausschließlich an die subjektiv-kognitive Situation des Rechtsgutsträgers, die in anderer Manier ja auch von der herrschenden Meinung und ihren Kriterien des fürmöglich-, für-wahrscheinlich- und für-überwiegend-wahrscheinlichHaltens intendiert wird, ist gerade für eine an der Schutzbedürftigkeit des Opfers orientierte Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals des § 263 unausweichlich. Für die Schutzbedürftigkeit des Opfers - nicht: für seine, sogleich noch näher zu behandelnde Schutzwürdigkeit - kann das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte nach beiden Richtungen nur völlig irrelevant sein; irrt es im hier dargelegten Sinne, so ist es schutzbedürftig - irrt es nicht, so entfällt auch seine Schutzbedürftigkeit. Daß diese überlegung zutrifft, läßt sich deutlich aufzeigen, wenn man Amelungs Argumentation in eine umgekehrte Richtung extrapoliert und nach der Schutzbedürftigkeit eines Rechtsgutsträgers fragt, der trotz des Fehlens eines konkreten Anhaltspunktes die ihm unterbreitete Tatsachenbehauptung für höchst zweifelhaft hält: hier von einer Schutzbedürftigkeit des Verfügenden auszugehen, liefe auch dem von Amelung selbst verfolgten Zweck diametral entgegen m . Die konkreten Ansatzpunkte im Amelung'schen Sinne haben im Rahmen der hier entwickelten Konzeption also zwar keine eigenständige Vgl. oben Teil B, Kap. VII, l. Vgl. hierzu auch die Bemerkungen von Giehring, Prozeßbetrug, S. 5 f. !23 Amelung hat ein solches Ergebnis allerdings zumindest explizit nicht ausgeschlossen. 221

!2Z

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

und die Anwendbarkeit des § 263 unmittelbar präjudizierende Bedeutung; sie sind jedoch sicherlich insoweit von Belang, als das Vorliegen solcher Merkmale zum einen wohl typischerweise tatsächlich zu einem diesbezüglichen konkreten Zweifel des Rechtsgutsträgers führen dürfte und zum anderen dem Tatrichter Anlaß geben wird, die Kognitionslage des Verfügenden mit besonderer Aufmerksamkeit zu ermitteln224 . 4. Sdtutzwürdigkeit und Schutzbediirftigkeit des Opfers

Von dieser sich aus unseren überlegungen notwendig ergebenden Schutzbedürftigkeit des sich gewiß fühlenden oder diffus zweifelnden Opfers auch in Fällen plumper und leicht durchschaubarer Täuschungen muß selbstverständlich wohl unterschieden werden die Frage, ob hier noch von einer Schutzwürdigkeit des Rechtsgutsträgers ausgegangen werden kann. Der Rechtsgutsträger realisiert in Konstellationen dieser Art zwar die typische Gefahrintensität des § 263 und kann deshalb nicht aus diesbezüglichen Erwägungen aus dem Schutzbereich des Betrugstatbestandes gelöst werden; ob die Rechtsordnung jedoch ihren Schutz in den soeben angesprochenen Fällen, auf die die kriminologische und insbesondere die viktimologische Literatur immer wieder hinweist225 , gewähren soll, ist nicht Gegenstand der in dieser Untersuchung angestellten überlegungen, sondern betrifft die Frage der hier insoweit vorausgesetzten - Konstitution des Rechtsguts226 . Daß es sich bei der Schutzwürdigkeit und der Schutzbedürftigkeit um zwei wohl zu sondernde unterschiedliche Phänomene handeIt227, kann etwa durch einen Vergleich der hier dargestellten mit den in § 240 verarbeiteten Konstellationen verdeutlicht werden. Ist dort hinsichtlich der Empfindlichkeit der Drohung nach völlig herrschender Meinung nicht ein völlig subjektivierter, sondern der Maßstab eines besonnenen Menschen anzulegen228 , so besagt dies nichts über die mangelnde Schutzbedürftigkeit eines überängstlichen oder neurotischen Rechtsgutsträgers, sondern macht lediglich deutlich, daß der Gesetzgeber nicht jede beliebige, sondern nur die durch typischerweise taugliche Mittel bewirkte Beeinträchtigung der individuellen Willensentschließungs- oder -betä224 Angesichts dieser lediglich mittelbaren Relevanz des "konkreten Ansatzpunktes" ist die von Samson (in: SK, § 263, Rdnr. 57) monierte schwere Bestimmbarkeit der "Konkretheit" eines Ansatzpunktes weitestgehend unschädlich. 22& S. nur Schultz. SchwZStrafrecht 1956, 172 ff.; Amelunxen, Opfer, S. 95 ff.; Ehrlich, Betrüger, S. 15 ff.; Lenz, Der Betrogene, S. 133 ff. et passim. 2!8 So im Ergebnis auch Amelung, Irrtum, S. 9 f. 227 Was etwa von Lac7mer (in: LK, § 263, Rdnr. 80) übersehen wird. 228 S. nur Dreher I Tröndle, StGB, § 240, Rdnr. 5; Eser, in: Schönke I Schröder, § 240. Rdnr. 9, jeweils m. w. N. Zum Rechtsgut des § 240 siehe auch Jakobs, Nötigung, S. 75.

VII. Kriminalpolitische Implikationen entfallender Schutzbedürftigkeit

155

tigungsfreiheit als eine Verletzung des Rechtsguts behandelt wissen möchte, daß - mit anderen Worten - verletzbares Rechtsgut im Sinne des § 240 nur die Willensfreiheit des besonnenen, nicht des konkret überängstlichen Rechtsgenossen ist. Der Nachweis einer solchen gesetzlichen Wertentscheidung etwa in dem Sinne, daß Rechtsgut des § 263 nur das Vermögen eines alerten, nicht aber dasjenige eines blauäugigen Verfügenden sei, ist aber nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit, die, wie bereits mehrfach betont, die Rechtsgutsfrage als gelöst voraussetzt. Gegenüber der vereinzelt propagierten Ausgrenzung von ungeschickten und grundsätzlich leicht durchschaubaren Täuschungshandlungen aus dem Anwendungsbereich des § 263 229 - auf die mir im übrigen auch Amelungs Forderung nach konkreten Ansatzpunkten230 im Ergebnis hinauszulaufen scheint - verfügt unsere Untersuchung demnach über keine unmittelbare kritische Potenz. Wohl aber läßt sich aus unserem Befund, daß auch - und gerade - das Opfer einer Täuschungshandlung schutzbedürftig bleibt, das aus Dummheit, Bedenkenlosigkeit, Unerfahrenheit oder Profitsucht selbst gegenüber solchen durchsichtigen Manipulationen tatsächlich im Zustand subjektiver Gewißheit oder diffusen Zweifels verharrt, ein weiterer Beleg für die m. E. zu Recht konstatierte und beklagte "sozialdarwinistische" Tendenz dieser Lehre gewinnen 231 •

VII. Kriminalpolitische Implikationen entfallender Schutzbedürftigkeit des konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers In einem letzten Schritt wird sich der Text nunmehr der Aufgabe zu stellen haben, die kriminalpolitische Vernünftigkeit der gewonnenen Ergebnisse aufzuzeigen, mithin darzutun, daß mit dem erarbeiteten Instrumentarium die überzeugendste und sozial angemessenste Regelung der vom Betrugstatbestand angezielten Handlungskontexte erreicht werden kann232 • Im Zentrum unserer überlegungen soll dabei der Kernpunkt zu erwartender kriminalpolitisch begründeter Einwände stehen, nämlich die Frage nach den faktischen Verhaltensmöglichkeiten eines konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers233 • 229 Etwa Naucke, Kausalzusammenhang, S. 109 ff.; tendenziell wohl auch Mohrbotter, GA 1975, 50 f.; Hirsch, ZStW 74, 130. 230 Irrtum, S. 7 ff. 231 S. etwa Tröndle, JR 1974, 224; Arzt, Strafrecht, BT, S. 121 mit Fn. 4; Maurach / Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 408; OLG Hamburg NJW 1956, 392; grundsätzlich zum Problem der leichtgläubigen Betrugsopfer: Amelung, Irrtum, S. 9 f. 232 Zu dem hiermit angesprochenen Fragenkreis des Verhältnisses von Kriminalpolitik und Strafrechtsdogmatik s. nur Roxin, Kriminalpolitik; Bloy, Bedeutung, S. 239 ff.; Winfried Hassemer, Strafrechts dogmatik, passim; Zipf, Kriminalpolitik, S. 3 ff.

156

Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Die Schutzbedürftigkeit des Rechtsgutsträgers entfällt, so hatten wir festgestellt 23 4, wenn er trotz Vorliegens konkreter Zweifel an den Tatsachenbehauptungen des Täuschenden weder weitere Informationen erhebt noch prophylaktisch von der Vornahme der Verfügung gänzlich absieht. Die überprüfung dieses Ergebnisses auf seine krimin al pol itische Tragfähigkeit macht einige verdeutlichende Vorbemerkungen erforderlich. 1. Vorbemerkung: Die Unerheblichkeit von Art und Vermittlung der zum konkreten Zweifel führenden oder diesen beseitigenden informationen

Zunächst ist es für die Frage der Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals in seiner hier entwickelten Auslegung irrelevant, ob die dem Rechtsgutsträger vom Täuschenden qua falscher Tatsachenbehauptung gegebenen unzutreffenden Informationen explizit oder konkludent235 vermittelt worden sind. Ebenso ist ohne Bedeutung, mit Hilfe welcher Art der Informationsverschaffung das präsumtive Opfer die Basis seiner Informationen zu verbreitern trachtet: Hierfür mag ein nochmaliges Nachhaken beim Täuschenden ebenso geeignet sein wie etwa die Befragung unbeteiligter Dritter oder die Beauftragung einer Detektei. Von Belang kann im Rahmen des Irrtumsmerkmals nämlich immer nur sein, ob ein konkreter Zweifel entstanden ist und ob - nicht: wie dieser durch die Gewinnung weiterer oder eine neue Bewertung bereits gegebener Informationen in Wegfall gerät. So ist es etwa dem an der - konkludent oder explizit behaupteten Unfallfreiheit des Gebrauchtwagens zweifelnden potentiellen Käufer anheimgestellt, ob er den Verkäufer zu einer nochmaligen Beteuerung auf Ehre und Gewissen bewegt oder das Fahrzeug in einer Werkstatt untersuchen läßt. Entscheidend ist allein, ob sein Zweifel nach Abschluß dieser Prozeduren in der alten Form weiterbesteht oder ausgeräumt ist, wobei letzteres nicht in dem Sinne verstanden werden darf, daß das präsumtive Opfer nunmehr zumindest im einschlägigen Teilbereich einen Zustand objektiver Gewißheit geschaffen haben müßte. Es reicht vielmehr aus, daß, soweit der Zweifel aus einem konkreten Anhaltspunkt im Sinne Amelungs 236 resultierte, dieser eine harmonierende Erklärung findet, und daß in den - zahlenmäßig sicher geringen Fällen konkreter Zweifel ohne konkreten Anhaltspunkt die Zweifels233

Hierzu (im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Konzeption Ame-

lungs): Herzberg, Funktion, S. 292 f.

Oben Kap. V, 4, d); 5, d); 6. Zur Abgrenzung siehe nur eramer, in: Schönke I Schröder, § 263, Rdnr. 13 ff.; Dreher I Tröndle, StGB, § 263, Rdnr. 6 f.; Muuruch I Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 404 ff.; Krey, Strafrecht, BT 2, S. 117 ff. 236 Irrtum, S. 7. 2U

235

VII. Kriminalpolitische Implikationen entfallender Schutzbedürftigkeit

157

motivation neutralisiert wird, kurz: der Zweifel des Rechtsgutsträgers auch in diesem Punkte die in § 263 vorausgesetzte Unsicherheit nicht mehr übersteigt. Am Beispiel: Bezieht der Rechtsgutsträger seine Zweifel an der Unfallfreiheit des angebotenen Kraftfahrzeugs aus der Tatsache eines farblich abgesetzten Kotflügels und beantwortet der Verkäufer seine diesbezügliche Frage glaubwürdig damit, daß dieses Teil durch die Hammerschläge eines Randalierenden beschädigt und daraufhin ausgewechselt wurde, so findet der ursprünglich auf einen Verkehrsunfall hindeutende Ansatzpunkt eine Erklärung, die mit den zuvor erhaltenen Informationen bezüglich der Unfall freiheit des Wagens harmoniert. Weist das Fahrzeug keine solchen Merkmale auf und zweifelt der potentielle Käufer dennoch an seiner Unfallfreiheit - weil ihm etwa der Gesamtzustand des Fahrzeugs irgendwie suspekt erscheint -, so ist die überzeugende Beteuerung des Verkäufers, daß er als Staatsbeamter "solche krummen Dinger nicht drehen würde", möglicherweise durchaus geeignet, die einschlägigen Befürchtungen des präsumtiven Opfers zu beschwichtigen. Dennoch werden sich beide Rechtsgutsträger in vielen Fällen auch nach Erhalt dieser Informationen nicht subjektiv - geschweige denn: objektiv - gewiß bezüglich der Unfallfreiheit des Fahrzeugs fühlen. Unter entscheidungstheoretischem Aspekt ist jedoch eine relevante Veränderung eingetreten: Durch den "Wegfall" des Ansatzpunktes im ersten Beispielsfall und durch die Beschwichtigung der spezifischen Befürchtung im zweiten steht der Rechtsgutsträger nach Beendigung der jeweiligen Aktivitäten vor einem nunmehr auch in diesem Teilbereich unstrukturierten Informationsfeld und realisiert damit auch hier die Situation diffusen Zweifels, weil er zum Beispiel nicht ausschließen kann, daß der Wagen trotz der Wahrheit der den Kotflügel betreffenden Erklärung dennoch einen Unfall hatte, der nur durch optisches Vermessen feststellbar ist. 2. Der konkrete Zweifel im Rahmen von Austauschbeziehungen des "normalen" B6rrers

Im umgekehrten Fall, in dem also die auf weitere Informationsgewinnung gerichtete Aktivität nicht zur Beseitigung des konkreten Zweifels führt, sondern dieser andauert, ist der Rechtsgutsträger unter Schutzbedürftigkeitsaspekten seiner Pflicht zu einer neuerlichen positiven Informationsentscheidung grundsätzlich nicht enthoben. Er hat demnach vielmehr den Versuch der Gewinnung weiterer Informationen so lange fortzusetzen, bis sein konkreter Zweifel an der ihm unterbreiteten Tatsachenbehauptung ausgeräumt ist. Diese nach dem Grundsatz

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

der Schutzbedürftigkeit des Opfers unabdingbare Forderung scheint auf den ersten Blick: rigide. Sie wird aber unter Einbeziehung der Tatsache handhabbar, daß von der Existenz konkreter Zweifel überhaupt nur bei einem minimalen Bruchteil der von § 263 vor Täuschung geschützten Verfügungen auszugehen ist. Bei der weitaus überwiegenden Zahl der Transaktionen des "normalen" Bürgers, also etwa beim Kauf von Ver- und Gebrauchsgegenständen und bei anderen üblichen Rechtsgeschäften, taucht ein konkreter Zweifel so gut wie nie auf 237 • Und selbst bei nicht alltäglichen Verfügungen wie etwa dem Kauf eines Neuwagens oder einer Wohnungseinrichtung gehört das Vorhandensein eines konkreten Zweifels an den Tatsachenbehauptungen des Vertragspartners sicherlich zu den Ausnahmeerscheinungen, denn kein Käufer wird grundsätzlich etwa bezweifeln, daß der ins Auge gefaßte Wagen über die angegebene Motorleistung verfügt oder eine Sitzgarnitur aus "echtem Leder" tatsächlich aus diesem Material ist. Konkrete Zweifel dürften deshalb in erheblicherem Umfang nur auftauchen zum einen bei völlig außergewöhnlichen Transaktionen, etwa beim Abschluß von Wohnungsmiet- oder Arbeitsverträgen oder beim Kauf eines Hauses, und auf der anderen Seite bei Geschäften, die, wie etwa der Kauf eines Gebrauchtwagens oder die Darlehnsaufnahme bei bestimmten Kreditbanken, von vornherein etwas anrüchig sind. Trifft diese Annahme zu, so verliert die Forderung nach Nichtvornahme einer Verfügung beim Vorliegen konkreten Zweifels zumindest im Hinblick auf den nicht im Geschäftsleben stehenden Bürger den Anschein der Rigidität und beschreibt lediglich Verhaltensweisen, die von der überwiegenden Mehrzahl der Betroffenen ohnedies praktiziert werden. Kommen dem Rechtsgutsträger bei der Vornahme alltäglicher Verfügungen ausnahmsweise konkrete Zweifel - weil beispielsweise der Lebensmittelhändler häufig verdorbene Konserven anbietet oder der Heizmaterialienhändler im letzten Winter nasse Kohlen geliefert hat - so wird er üblicherweise die zu kaufende Ware genauer überprüfen oder von Transaktionen mit dem Betroffenen gänzlich absehen, kurz: sich entsprechend der obigen Verhaltensanweisung gerieren. Und nicht alltägliche Verfügungen sind ex definitione für den "normalen" Bürger so außergewöhnlich und - denkt man beispielsweise an den Kauf eines Hauses - häufig auch so existentiell, daß er hier konkrete Zweifel ohnehin um jeden Preis zu eliminieren suchen wird.

237 Dies folgt bereits daraus, daß es sich hierbei zumeist um Routineentscheidungen handeln dürfte (s. hierzu oben Kap. V, 3, a) und die Nachweise in

Fn.168).

VII. Kriminalpolitische Implikationen entfallender Schutzbedürftigkeit

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3. Der konkrete Zweifel im Rahmen von Austauscbbeziebungen im gescblftlicben Berelcb

Diese Analyse kann zwar wegen des - soweit ich sehe - völligen Mangels an rechtstatsächlichen Forschungen in diesem Bereich238 nicht mit Zahlen belegt werden; sie scheint mir jedoch von der individuellen Alltagserfahrung bestätigt. Trifft sie zu, so könnte ein Entfallen der Schutzbedürftigkeit bei der Vornahme einer Verfügung trotz konkreter Zweifel wegen überspannung der Selbstschutzanforderungen zu kriminalpolitisch unerwünschten Konsequenzen also von vornherein fast ausschließlich im Bereich des geschäftlichen, kaufmännischen Verkehrs führen. Da sich angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität des modernen Wirtschaftslebens hier Erwägungen der oben bezüglich des Normalbürgers angestellten Art verbieten, muß sich der Text dieser Frage überwiegend abstrakt-theoretisch widmen, wobei diese überlegungen selbstverständlich auch Geltung für die Fälle beanspruchen, in denen das Verhalten des "normalen" Bürgers im Einzelfall nicht nach dem soeben dargestellten typischen Muster abläuft. Der Grundsatz der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes zwingt den Rechtsgutsträger im Betrugsbereich, entweder seine konkreten Zweifel durch weitere Maßnahmen der Informationsbeschaffung abzubauen oder prophylaktisch auf die geplante Verfügung - zumindest zu diesem Zeitpunkt und bezüglich des konkreten Empfängers - völlig zu verzichten. Aus dieser doppelten Reaktionsmöglichkeit des präsumtiven Opfers folgt, daß es zu Friktionen nur in dem Falle kommen kann, in dem eine - sogleich näher zu bestimmende - Möglichkeit zur Gewinnung ausreichender Informationen oder zum Absehen von der Verfügung nicht besteht. a) Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit

der Erhebung weiterer Informationen

Von einer Unmöglichkeit weiterer Informationsgewinnung kann in einem strengen Sinne zunächst da gesprochen werden, wo neue, den Gegenstand des konkreten Zweifels betreffende Informationen schlicht nicht erlangbar sind, wenn also zum Beispiel der Täuschende ein Informationsmonopol bezüglich der in Frage stehenden Tatsache besitzt. Diesem Fall muß es gleichstehen, wenn dem Rechtsgutsträger die Erhebung weiterer Informationen nicht zugemutet werden kann. Auf die Einführung dieses normativen Kriteriums zur Begrenzung der Informationspflichten des konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers kann insbesondere deshalb nicht verzichtet werden, weil die Abfolge: kon238 Die vorliegenden kriminologischen Untersuchungen wenden dieser Frage soweit ersichtlich keine Aufmerksamkeit zu.

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

kreter Zweifel - positive Informationsentscheidung - Versuch der Informationsgewinnung - konkreter Zweifel grundsätzlich als unendlich gedacht werden kann und über keinen eigenen Maßstab des "übermaßes" verfügt239 • Die vorliegende Untersuchung muß sich darauf beschränken, die Zumutbarkeit als Korrektiv einer nur um den Preis eines Verlustes der Schutzbedürftigkeit zu vernachlässigenden Pflicht des Rechtsgutsträgers zu weiterer Informationsgewinnung zu benennen, ohne dieses Kriterium inhaltlich aufzufüllen. Eine exaktere Bestimmung der Grenzen der Zumutbarkeit dürfte nur kasuistisch möglich sein und ist im Rahmen unserer überlegungen wohl auch deshalb verzichtbar, weil die Fixierung und Handhabung einer Zumutbarkeitsgrenze für Strafrechtspraxis und -wissenschaft in den verschiedensten Bereichen altbekannte Aufgaben sind. So können - nicht zuletzt wegen der partiellen strukturellen Ähnlichkeit der jeweiligen Regelungsbereiche - bei der inhaltlichen Bestimmung dieses Korrektivs etwa die Kriterien herangezogen werden, die Rechtsprechung und Lehre bei ihren intensiven Bemühungen um die Konturierung des Zumutbarkeitsmerkmals im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte erzielt haben240 • In die hiernach vorzunehmende Abwägung ist auf der einen Seite das Prinzip der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes einzustellen, andererseits etwa die Bedeutung der geplanten Verfügung, die Eilbedürftigkeit der Entscheidung oder hohe finanzielle Kosten der Informationsgewinnungsversuche bei unsicherem Ergebnis ebenso wie beispielsweise die durch die Beauftragung einer Detektei zu erwartende Düpierung eines langjährigen und wichtigen Geschäftspartners. b) Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit des Absehens von der projektierten Verfügung

Demgegenüber sind Konstellationen, in denen die Verweigerung einer geplanten Verfügung unmöglich ist, nicht ersichtlich, da es gerade die Freiwilligkeit ist, die den Begriff der Verfügung mitkonstituiert 241 • Hierauf weist insbesondere auch Gäfgen hin (Theorie, S. 128 f.). Hierzu Stree, in: Schönke / Schröder, Rdnr. 155 vor §§ 13 ff.; Rudolphi, in: SK, Rdnr. 31 vor § 13; Dreher I Tröndle, StGB, § 13, Rdnr. 16; Maurach / Gössel, Strafrecht, AT 2, S. 162 ff.; Baumann, Strafrecht, S. 243 f.; Welzel, Strafrecht, S. 206; Schmidhäuser, Strafrecht, S. 697 f.; Stratenwerth, Strafrecht, S. 289 f. Aus der Rspr.: RGSt. 58, 98, 227; 72, 19, 23; 73, 57; 77, 127 f.; BGHSt. 2, 204; 6, 57 f.; 7, 271; 11, 135 ff. Auf die umstrittene Frage, ob es sich bei der Zumutbarkeit des HandeIns um ein Problem der Tatbestandsmäßigkeit oder der Schuld handelt (hierzu: Stree, aaO., m. w. N.) kommt im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung nichts an. 241 Vgl. hierzu die Ausführungen oben Kap. IH, 1. 239 240

VII. Kriminalpolitische Implikationen entfallender Schutzbedürftigkeit

161

Auch hier kann die Unmöglichkeit eines Alternativverhaltens im Rechtssinne jedoch daraus resultieren, daß ein Absehen von der projektierten Verfügung die Grenzen der Zumutbarkeit übersteigen würde. Eine solche - sicherlich nur in seltensten Ausnahmefällen gegebene Situation mag dann vorliegen, wenn die Verfügung synallagmatisch mit einer Leistung verknüpft ist, die zum einen für den Rechtsgutsträger von existentieller Bedeutung ist und die er zum anderen nicht unter entscheidungstheoretisch besseren Voraussetzungen in einem anderen Kontext erhalten kann. Demgegenüber scheinen mir etwa ein besonders günstiges Verhältnis von Leistung und Gegenleistung oder die Schwierigkeit, die Leistung von einem anderen Austauschpartner zu beziehen, angesichts des hohen Wertes des Erforderlichkeitsgrundsatzes nicht auszureichen, um den Verzicht des Rechtsgutsträgers als unzumutbar qualifizieren zu können. 4. Die verbleibenden, aus dem Anwendungsbereich des § 263 auszuscheidenden Fälle

Als Ergebnis kann also fest gehalten werden, daß der Rechtsgutsträger bei einer Verfügung trotz konkreten Zweifels seiner Schutzbedürftigkeit dann - und: nur dann - nicht verlustig geht, wenn weder die Erhebung weiterer, ausreichender Informationen noch ein Absehen von der ins Auge gefaßten Verfügung möglich oder zumutbar ist. In jedem anderen Fall ist der konkret zweifelnde Rechtsgutsträger kein taugliches Opfer einer Betrugshandlung, weil er nicht im Sinne dieses Tatbestandes irrt. Aus alledem folgt, daß die hier entwickelte Auslegung des Irrtumsmerkmals in § 263 zur Verweigerung strafrechtlichen Schutzes da führt, wo der Rechtsgutsträger weitere Informationen nicht sucht, obwohl er es könnte, und dennoch verfügt, obwohl er nicht müßte. Die mangelnde Subsumierbarkeit der Situation des "Opfers" unter das Merkmal "Irrtum" im Betrugstatbestand kann also im Falle konkreten Zweifels zum einen aus einem Unterlassen weiterer Informationsgewinnung trotz Möglichkeit und Zumutbarkeit und andererseits aus einer trotz Ungeklärtheit oder Unklärbarkeit der Informationslage und trotz Zumutbarkeit eines alternativen Verhaltens vorgenommenen Verfügung resultieren. Es sind also, in verkürzter Formulierung, die Fälle der Trägheit und des Risikos 242 , die den Verfügenden nach der hier vertretenen Konzeption zum untauglichen Opfer eines Betruges machen. Die Aus242 Hierunter sollen hier nicht die sog. "Risikogeschäfte" verstanden werden, bei denen beide Parteien von der Zweifelhaftigkeit bestimmter Tatsachen ausgehen, sondern ausschließlich die Fälle nur opferseitigen Zweifels; zum Ganzen: Amelung, Irrtum, S. 13 f.

11 Hassemer

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

gliederung beider Konstellationen aus dem Schutzbereich des § 263 erscheint mir unter kriminalpolitischem Aspekt sinnvoll und geboten. a) DeT Fall deT TTägheit

Der Fall der Trägheit dürfte insbesondere im Bereich der Bagatellverfügungen auftreten, bei denen der Verfügende von der Erhebung weiterer Informationen also deshalb absieht, weil er diese im Verhältnis zu dem in Frage stehenden Vermögenswert für zu aufwendig hält. Es ist dann jedoch auch unter keinem Aspekt einzusehen, weshalb ein Einsatz strafrechtlicher Mittel gegen einen Täuschenden am Platze sein sollte, der in den Genuß der schädigenden Vermögensverfügung nur deshalb gelangt, weil dem Geschädigten eine Durchkreuzung von dessen Plänen zu mühsam erschien 243 . Diesem Ergebnis kann nicht mit LackneT244 entgegengehalten werden, daß dem - wenn auch im Vergleich zum subjektiv sich gewiß fühlenden Rechtsgutsträger geringeren - Schutzbedürfnis des Verfügenden gegenüber "dem ohnehin rechtlich mißbilligten Interesse des lügenden Täters"245 der Vorzug zu geben sei. Denn Rechtsgut des § 263 ist nicht mehr, wie noch bei vielen einschlägigen älteren Regelungen246 , die Wahrheit oder die Lauterkeit des geschäftlichen Verkehrs zwischen den Rechtsunterworfenen, sondern der Schutz des Vermögens in den Fällen, in denen es der Rechtsgutsträger nicht selbst hinreichend vor Schädigungen bewahren kann. Gilt es dem Verfügenden im Einzelfall so wenig, daß er trotz konkreten Zweifels nicht einmal die zumutbare Mühe der Erhebung weiterer Informationen auf sich nimmt, so widerspricht es dem Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts247 , wenn diese Nachlässigkeit gleichsam noch prämiiert wird. Allein aus der Tatsache, daß die Rechtsordnung das Verhalten und das Ziel des Täuschenden mißbilligt, kann also hier wie in jedem anderen Fall auf eine Strafbarkeit nicht geschlossen werden.

243 Die hinter einem solchen Verhalten stehende Denkweise hat bereits

Binding (Lehrbuch, BT 11, 1, S. 182, Anm. 1) in treffender Manier charakteri-

siert: "Die Bequemlichkeit erhebt aber überhaupt gern Ansprüche an das Strafrecht, die zu ihrer Lässigkeit in gar keinem Verhältnis stehen". 244 In: LK, § 263, Rdnr. 80. 245 Ebenda. 246 Vgl. etwa die Nachweise bei Buschmann, Entwicklung, S. 5 ff.; Naucke, Betrug, S. 65 ff.; Merkel, Abhandlungen 11, S. 19 ff.; Hirschberg, Schutzobjekte, S. 144; Kempermann, ZStW 57, 126 ff., insbes. 131 f. Zur Bestimmung des Rechtsguts des § 263 unter dem Nationalsozialismus s. die Nachw. bei Heiderich, Entwicklung, S. 13. 247 Hierzu oben Teil A, Kap. 11.

VII. Kriminalpolitische Implikationen entfallender Schutzbedürftigkeit

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b) Der Fall des Risikos Der Fall des Risikos zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, daß der Rechtsgutsträger trotz konkreter Zweifel und zumutbarer Handlungsalternative deshalb verfügt, weil ihm der zu erwartende Gewinn im Falle des tatsächlichen Zutreffens der angezweifelten Tatsachenbehauptungen reizt. Das so agierende "Opfer" tappt nicht blauäugig in die Falle des zynisch kalkulierenden Lügners, sondern sieht die Gefahr und nimmt sie in Kauf, weil es sich etwas davon verspricht. Zu dieser Kategorie zählt etwa der Rechtsgutsträger, der die Echtheit eines billig angebotenen Bildes bezweifelt, es aber dennoch kauft, weil sein Gewinn im Falle der Wahrheit der Verkäuferbehauptungen groß und sein Verlust im umgekehrten Falle wegen der Güte der Kopie nicht allzu erheblich wäre. Parallel hierzu liegt auch der bereits oben dargestellte Fall des Warenversandhauses, das einem schon mehrfach säumig gebliebenen Schuldner weiterhin Waren auf Ratenzahlungsbasis überläßt. Auch hier wird das konkrete Risiko der Nichteintreibbarkeit der Forderung durchaus gesehen und in Kauf genommen. Aus welchem Grunde der in dieser Weise Kalkulierende "betrogen" sein soll, wie Lackner feststellt2 4B , ist nicht einsichtig. Wen die Aussicht auf guten Gewinn, Nervenkitzel und Abenteuer reizt, mag immerhin Geschäfte der in Frage stehenden Art abschließen; er soll aber im Falle ihres Mißlingens nicht darüber zu lamentieren beginnen, daß er das bedauernswerte Opfer eines gewissenlosen Betrügers geworden sei. Echte Wirkursache der vermögensschädigenden Verfügung ist nämlich in diesen Fällen des kalkulierten Risikos häufig nicht so sehr die unwahre Tatsachenbehauptung des Täuschenden als vielmehr der Versuch des Rechtsgutsträgers, aus der gegebenen Situation Kapital zu schlagen. Der aus diesem Ausscheiden des mißlungenen Risikogeschäfts aus dem Schutzbereich des § 263 zu erreichende Effekt scheint mir höchst erstrebenswert. Die Entwicklung des geschäftlichen Gebarens mancher Wirtschaftszweige geht in der jüngeren Zeit zunehmend in die Richtung, dem jeweiligen Vertragspartner einen - häufig auch explizit so bezeichneten - "Vertrauensvorschuß" einzuräumen. Beispiele für diese Tendenz finden sich in reichem Maße: Sie reichen von der generösen Vergabe von Scheck- und Kreditkarten über das großzügige Einräumen von Dispositions- und anderen Krediten bis zur freigiebig gebotenen Möglichkeit, Ratenkäufe größeren Umfangs bei kleinsten oder gar ohne Anzahlungen tätigen zu können. Es liegt auf der Hand, daß in jedem dieser Beispielsfälle die Möglichkeit des jeweiligen Vertragspartners, unter Ausschluß des Berechtigten 248

11·

In: LK, § 263, Rdnr. 80.

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in dessen Rechts- und Vermögenssphäre hineinzuregieren, außerordentlich groß ist. Zwar dürften solche Verhaltensweisen mittlerweile weitgehend sozialadäquat geworden sein, so daß das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Individuums 249 vor ihnen versagt. Es bleibt aber immerhin bedenklich, wenn in Zeitungen Kredite mit der ausdrücklichen Zusicherung angeboten werden, sich über die Vermögenslage des Darlehensnehmers nicht erkundigen zu wollen, wenn Versandhäuser Warenpakete im Werte von mehreren hundert Mark zu Ratenzahlungsbedingungen an Interessenten versenden, von denen sie nicht mehr als die Adresse kennen25o , oder wenn etwa - wie im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Scheckkartenfall251 - eine Bank ihrem Kunden nicht nur eine Scheckkarte, sondern gleich auch noch mindestens 236 (!) Scheckformulare anvertraut 252 • Es muß hier nicht ausdrücklich festgestellt werden, daß zu diesen am äußersten Rand eigenverantwortlichen HandeIns angesiedelten Praktiken nicht eine uneigennützige Beglückungsabsicht motiviert, sondern kühl kalkulierender Geschäftssinn, der beispielsweise die Chance nutzt, nicht nur am Verkauf der Waren, sondern gleichzeitig auch an den Zinsen des vom Käufer zu ihrer Anschaffung aufgenommenen Kredits zu verdienen. Festgehalten werden soll aber, daß Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft durch eine entsprechende Anwendung des Betrugstatbestandes und unter mangelnder Beachtung des Eigenverantwortlichkeitsgrundsatzes mit dazu beigetragen haben, diese Praktiken zu sozial adäquaten werden zu lassen und damit gleichzeitig ein Geschäftsgebaren tolerierten, das mit gutem kaufmännischem Brauch in vielen Fällen keine auch nur entfernte Ähnlichkeit mehr hat 253 • Über die durch die Entwicklung und Etablierung dieser Geschäftspraktiken bewirkte Zunahme der Verurteilungen aus § 263 gibt es - soweit ersichtlich - keine empirischen Untersuchungen; sie dürften jedoch, insbesondere im Bereich der Ratenzahlungsverkäufe unter Eigentumsvorbehalt, beträchtlich sein 254 • Die hier angesprochenen Transaktionen sind also faktisch schon dann ausgesprochen riskante Geschäfte, wenn der Verfügende keinen konkreten Zweifel etwa an Zahlungswillen und -fähigkeit seines Kunden hat, sondern nur, etwa aufgrund der zu Kalkulationszwecken erstellten Statistik über das Verhältnis der zahlenden zu den nichtzahlenden 249 250 251 252 253 254

S. hierzu oben Teil A, Kap. VI, l. Zum Abzahlungsbetrug s. die Nachweise bei Naucke, Betrug, S. 144 f. BGHSt. 24, 386. S. auch die Beispiele bei Reese, Täuschung, S. 82 ff. S. zu dieser Tendenz auch Tönnies, Ausdehnung, S. 95 ff. Vgl. die Hinweise bei Reese, Täuschung, S. 82 f. und bei Naucke, Betrug,

S. 129 ff.

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Schuldnern, diffus zweifelt. Nimmt er im Einzelfall jedoch Anlaß, hieran konkret zu zweifeln, so muß hiermit die Grenze des Anwendungsbereichs des § 263 unter Selbstschutzgesichtspunkten endgültig überschritten sein. Verleiht der Staat auch in diesen Fällen noch strafrechtlichen Schutz, so wird er völlig zu dem, als was er von den betroffenen Wirtschaftssubjekten schon heute häufig benutzt wird: zum mit strafrechtlichen Zwangsmitteln ausgestatteten Über-Gerichtsvollzieher 255 • Wie unbefriedigend und unvertretbar die heutige Ausdehnung des Betrugstatbestandes in diesem Bereich ist, läßt sich treffend mit der Zeugenaussage des Sachbearbeiters eines Möbelhauses vor einem bayerischen Amtsgericht aufzeigen, der die Frage, ob der Angeklagte und ehemalige Kunde beim Kauf seinen Zahlungswillen tatsächlich nur vorgespiegelt habe, im Brustton der Überzeugung bejahte. Als Begründung führte er an, daß der zum Angeklagten avancierte Kunde bereits vorher in zwei Fällen nur mit der Drohung einer Strafanzeige wegen Betruges zur Zahlung hätte bewegt werden können. Es soll mit den vorstehenden Ausführungen weder behauptet werden, daß solche Konstellationen in den in Frage stehenden Geschäftssparten zum Alltag gehörten, noch, daß diese Geschäftszweige das Monopol auf Risikogeschäfte hätten, während "Normalbürger" hieran nicht beteiligt wären. Unbestreitbar scheint mir jedoch, daß sowohl von der Zahl wie von der verfolgten Strategie her die hier angesprochenen geschäftsmäßigen Praktiken von unverhältnismäßig größerer Bedeutung sind. Der "Private" wird sich im allgemeinen wegen des drohenden finanziellen Verlustes und nicht zuletzt auch wegen des zeitlichen und pekuniären Aufwands bei nachfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen davor hüten, sich auf ein Risikogeschäft der hier beschriebenen Art einzulassen. Alle diese Überlegungen spielen bei den Angehörigen der behandelten Geschäftssparten mit ihren Mahn- und anderen Rechtsabteilungen und vor allem ihrer Fähigkeit, die durch zahlungsunfähige Schuldner entstehenden finanziellen Einbußen in Grenzen von vornherein in den Preis ihrer Leistungen einzukalkulieren, eine wesentlich geringere Rolle. Zwar kann vernünftigerweise nicht bezweifelt werden, daß ein wenn auch sicherlich nur in den seltensten Fällen zynisch kalkuliert erfolgendes - Ausnutzen der nach alledem so freigiebig eingeräumten Möglichkeiten zum Zwecke eigener Bereicherung sozialethisch zu mißbilligen und keineswegs förderungswürdig ist. Aus diesem Befund aber schließen zu wollen, daß die Verweisung des Geschädigten auf den Zivilrechtsweg unzureichend, vielmehr kumulativ das scharfe Schwert des Strafrechts zum Einsatz zu bringen sei, würde der Komplexität der 255

Hierzu Naucke, Betrug, S. 146 ff.

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in solchen Fällen zur Gutsbeeinträchtigung führenden Interaktion der Beteiligten sicher ebenso wenig gerecht. Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft sollten sich deshalb davor hüten, zugunsten des Schutzes von schon im Ansatz durch größte Sorglosigkeit gekennzeichneten Verhaltensweisen den Anwendungsbereich des Betrugstatbestandes immer weiter auszudehnen256 • Die Beschränkung des Irrtumsmerkmals auf Fälle, in denen der verfügende Rechtsgutsträger die Wahrheit der ihm unterbreiteten Tatsachenbehauptungen höchstens diffus bezweifelt, scheint mir hierzu ein geeignetes Mittel.

VIII. Zusammenfassung von Teil C Der Auffassung der herrschenden Meinung, daß für die Frage der Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals im Betrugstatbestand die Existenz von Zweifeln des Verfügenden an der Wahrheit der ihm vom Täuschenden unterbreiteten falschen Tatsachenbehauptungen nicht von Belang sei, kann nicht gefolgt werden. Einer am Kriterium der Schutzbedürftigkeit des Opfers orientierten Auslegung des § 263 erschließt sich nämlich, daß dem Irrtumsmerkmal im Rahmen dieses als Beziehungsdelikt zu qualifizierenden Tatbestandes die Aufgabe zukommt, solche gegen das Rechtsgut gerichteten Angriffe aus dem Schutzbereich auszuscheiden, denen gegenüber das präsumtive Opfer über ausreichende Selbstschutzmöglichkeiten verfügt. Aus dieser Funktionsbestimmung des Irrtumsmerkmals folgt zwingend, daß Angriffshandlungen, die die - im Rahmen des § 263 grundsätzlich unüberwindlichen, in ihrer Realisierung jedoch faktisch durch die Notwendigkeit von Verfügungen auch auf der Basis unvollkommener Information beschränkten - Selbstschutzmöglichkeiten des Rechtsgutsträgers nicht neutralisieren, vom Betrugstatbestand nicht erfaßt werden. Eine solche Neutralisierung der Möglichkeiten des Individualschutzes ist dann anzunehmen, wenn sich der Rechtsgutsträger der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen subjektiv gewiß ist oder wenn er an ihr diffuse, also lediglich die objektiv gegebene Unvollkommenheit seines Informationsstocks reflektierende Zweifel hegt. Zweifelt der Rechtsgutsträger jedoch konkret an der Wahrheit der relevanten Tatsachen und übersteigt sein Mißtrauen demnach das Maß des üblichen, so kann von einer Neutralisierung seiner Selbstschutzmöglichkeiten deshalb keine Rede sein, weil ihn diese kognitive Situa258 Zur Ausweitung der Betrugs-Strafbarkeit vgl. nur Reese, Täuschung, S. 87 ff.; Naucke, Betrug, S. 101 ff.; Giehring, Prozeßbetrug, S. 12 ff.; Tönnies, Ausdehnung; Bockelmann, DR 1942, 1114; Gross, NJW 1973, 601 ff.; Peters, Begrenzung, S. 490 ff.; Arzt, Referat, S. 55 ff.

IX. Anhang

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ti on in die Lage versetzt, die faktischen Grenzen der Realisierung seines Individualschutzes im Einzelfall dadurch aufzuheben, daß er weitere Informationen sucht oder von der projektierten Verfügung vorsorglich gänzlich absieht. Ergreift hier der Rechtsgutsträger, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist, diese Verhaltensalternativen nicht, so entfällt seine Schutzbedürftigkeit und damit eine Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals mit der Folge, daß zumindest eine Bestrafung wegen vollendeten Betruges außer Betracht zu bleiben hat.

IX. Anhang: Exemplifikation der eigenen Konzeption anhand des Fallmaterials Die Überprüfung und Exemplifikation der vorstehend entwickelten Konzeption zur Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals im Falle des Zweifels des Verfügenden an der Wahrheit der ihm unterbreiteten falschen Tatsachenbehauptungen anhand der bislang von der Rechtsprechung entschiedenen Fallagen ist nicht unproblematisch. Zum einen hat, wie bereits oben vermerkt werden mußte 257 , weder das Reichsgericht noch der Bundesgerichtshof einen Zugang zum hier interessierenden Aspekt des Irrtumsmerkmals im Betrugstatbestand gefunden, so daß die diesbezüglichen Ausführungen der Gerichte fast ausnahmslos höchst formal gehalten und damit kaum konterkarierbar sind. Auf der anderen Seite hat unsere Untersuchung gezeigt 258 , daß auch das Interesse der Strafrechtswissenschaft an der Zweifelsproblematik relativ jungen Datums ist, weshalb eine Rezeption und kritische Verarbeitung der neu entwickelten Ansätze - die im übrigen auf eine exemplarische Demonstration ihrer Lösungsmethoden und Ergebnisse mit Hilfe von Fallmaterial weitgehend verzichtet haben - durch die Judikatur noch aussteht. Dies hat die mißliche Konsequenz, daß die im Hinblick auf das Irrturnsmerkmal getroffenen und mitgeteilten Feststellungen der erkennenden Gerichte höchst lückenhaft und unergiebig sind. So hat der Bundesgerichtshof im Deputatkohle- 259 und im Scheckkartenfa1l 26o von einer Klärung der wirklichen motivationalen und kognitiven Situation des Verfügenden völlig abgesehen und die jeweils erfolgte Bejahung des Irrtumsmerkmals lediglich in einem spezifischen Sinne normativ, nämlich mit den Prüfungspflichten des Getäuschten, begründet. Unabhängig davon, daß eine solche Vorgehensweise sich nicht einmal vor den Anforderungen der in der Literatur vorherrschenden Meinung legi257 258 259 280

Vgl. oben Kap. 11, 1 und 3. Oben Kap. 11, 5. BGHSt. 2, 325. BGHSt. 24, 386.

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timieren kann - die, insoweit in völliger übereinstimmung mit der hier vertretenen Position, auf die richterliche Feststellung der tatsächlichen subjektiven Stellungnahme des Verfügenden zu der Tatsachenbehauptung ja gerade nicht verzichtet 261 - , ist damit aus zu Tage tretenden Gründen eine Rekonstruktion der Opfersituation anhand unserer Kriterien apriori erschwert. Anliegen der folgenden überlegungen kann demnach nicht sein, die zu besprechenden Fälle "richtig" zu entscheiden. Es soll vielmehr lediglich der Versuch unternommen werden, im Rahmen bekannter Fallkonstellationen die praktische Umsetzung der hier entwickelten Kriterien und die hieraus resultierenden Lösungswege vorzuführen, wobei sich unsere Untersuchung auf die unmittelbar mit der Zweifelsproblematik zusammenhängenden Fragen beschränken und davon absehen wird, zu anderen, im Rahmen der zu behandelnden Fälle ebenfalls streitig gebliebenen Punkten Stellung zu nehmen. 1. Der Deputatkohlefall

An der Argumentation des Bundesgerichtshofs im Deputatkohlefall 262 läßt sich das soeben konstatierte formale Hantieren der Rechtsprechung mit dem Irrtumsmerkmal des § 263 exemplarisch aufzeigen. Die Anwendbarkeit des Betrugstatbestands wird, nachdem der 4. Senat zuvor das - ebenfalls nicht unproblematische - Vorliegen einer Täuschungshandlung bejaht hat, letztlich mit einem Satz begründet: "Da die Zuteilung der Kohlen nur auf Grund des Tarifvertrages beantragt werden darf, muß der Zechenbeamte als selbstverständlich davon ausgehen, daß der Antragsteller die Kohle zu dem im Vertrage vorausgesetzten Zwecke verlangt 263 ." Und da der solcherart begründete Irrtum auch kausal für die in der Zuweisung der Deputatkohle zu sehende Verfügung sei, müsse eine Strafbarkeit des bezugsberechtigten Bergmannes aus § 263 bejaht werden. Daß dem Urteil hinsichtlich des hier allein interessierenden Irrtumsmerkmals in seiner Begründung auf der Basis unserer vorstehenden überlegungen nicht gefolgt werden kann, bedarf keiner weiteren Darlegung264 ; dennoch ist das Erkenntnis in seinem Ergebnis nicht notwendig falsch. Ein Irrtum des verfügenden Zechenbeamten ist nämlich, soweit er innerlich zu den Absichten des Antragstellers überhaupt Position bezieht, mit Sicherheit nicht allein aufgrund der von der VorinStatt aller: Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 73, 84 m. w. N. BGHSt. 2, 325. 263 BGHSt. 2, 326. 264 Zur Kritik an dieser Entscheidung s. auch Sieber, Computerkriminalität, S. 206 ff.; Reese, Täuschung, S. 50 ff.; Grass, NJW 1973, 601 f.; Giehring, Prozeßbetrug, S. 12 f. 261 262

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stanz hervorgehobenen Tatsache ausgeschlossen, daß Mißbräuche des Bezugsrechts an Deputatkohlen nicht unüblich und auch dem Zechenbeamten bekannt gewesen seien265 • Vielmehr befindet sich der dieses Faktum realisierende und dennoch verfügende Beamte grundsätzlich geradezu im Kernbereich der Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals, indem er nämlich eben aufgrund dieses Wissens bei jedem Zuweisungsakt vernünftigerweise an der Wahrheit der schlüssig vorgetragenen Tatsachenbehauptung des Bergmannes zweifelt, die Kohle vertragsgetreu zu verwenden, dieser Unsicherheit im Einzelfall jedoch nicht auf den Grund gehen kann. Abweichungen von dieser, die übliche Situation der Unsicherheit von Verfügenden reproduzierenden Kognitionslage sind nun grundsätzlich in zwei Richtungen denkbar: Die erste kann anhand des Falles exemplifiziert werden, daß ein um sein Deputat ersuchender Bergmann dem Zechenbeamten seit mehreren Jahren als außergewöhnlich zuverlässiger und ehrlicher Kumpel bekannt ist und dieser deshalb ausschließen zu können glaubt, daß sich gerade jener beim Kohlenbezug unlauterer Machenschaften bediene. Stellt sich später heraus, daß es sich bei dem vermeintlichen Ehrenmann nur um einen besonders gewieften Schwindler gehandelt hat, so ist angesichts der vorliegenden subjektiven Gewißheit auf der Seite des verfügenden Beamten das Irrtumsmerkmal des § 263 ebenfalls erfüllt. Eine Abweichung in die andere Richtung wäre etwa dann zu konstatieren, wenn der Zechenbeamte an einen Bergmann gerät, der beispielsweise schon mehrfach bei der Weiterveräußerung von Deputatkohle ertappt worden ist oder der sich eine Kohlenmenge zuteilen läßt, die er bei der Größe seiner Wohnung unter keinen Umständen all eine verbrauchen kann. Kennt und verarbeitet der Zechenbeamte diese Fakten, so wird sich seine Kognitionslage von der normalen - in der ihm also nähere Informationen über die Person des Deputatberechtigten nicht zu Gebote stehen - insofern unterscheiden, als er sich hier nicht mehr nur gleichsam die statistische Wahrscheinlichkeit eines Deputatmißbrauchs vor Augen führt, sondern ganz konkret an den lauteren Absichten seines Gegenübers zweifelt. 285 Etwas anderes müßte unter Umständen dann gelten, wenn der weitaus überwiegende Teil aller Deputatberechtigten die ihnen gelieferten Kohlen vertragswidrig verwendeten und dies dem Zechenbeamten bekannt wäre. Zwar würden aus dieser Konstellation keine unmittelbaren Folgerungen hinsichtlich des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines Irrtums auf seiten des Zechenbeamten gezogen werden können. Relevante Entwicklungen wären hier jedoch im Bereich der Gefährdungswurzel zu vermerken, weil die Gefährdung des Rechtsguts Vermögen in Handlungssituationen, in denen eine Täuschung durch den Austauschpartner nicht, wie sicherlich ansonsten üblich, die Ausnahme, sondern die Regel darstellt, natürlich exorbitant hoch ist.

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Als mit Hilfe der hier erarbeiteten Kriterien gewonnenes Ergebnis kann somit vorläufig festgehalten werden, daß eine Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals nur bei der dritten, der Konstellation des konkreten Zweifels auf der Seite des Zechenbeamten auszuschließen wäre. Auch dies ist jedoch nur insoweit unproblematisch, als nicht - worauf sich vor allem Sax in einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zu den Deputatkohlefällen beruft266 - die vertragliche Lieferungspflicht der Zeche auch beim stärksten und fundiertesten Zweifel an der Lauterkeit des Berechtigten bestehen bleibt. Setzt nämlich die Versagung der Deputatlieferung nach dem zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis nicht den bloßen Verdacht, sondern den individuell geführten Nachweis der Mißbrauchsabsicht des Bergmannes voraus, so finden wir den Zechenbeamten im Fall konkreten Zweifels und gleichzeitiger Nichterweislichkeit eines geplanten vertragswidrigen Verhaltens in einer durch Ambivalenz gekennzeichneten Situation: Während er unter strafrechtlichem Aspekt bei einer Verfügung auf der Basis konkreter Zweifel seiner Schutzbedürftigkeit verlustig zu gehen droht, sieht er sich zivilrechtlich einem "Zwang" ausgesetzt, der zwar nicht geeignet ist, seinem Verhalten den Charakter der Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit abzusprechen - mithin: das Vorliegen einer Verfügung begrifflich auszuschließen -, seinen Handlungsspielraum aber doch beträchtlich einengt. Die Lösung dieser - im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen oder etwa auflösend bedingten Verträgen wohl nicht allzu selten auftretenden - Fallage ist in unseren obigen Überlegungen zur Zumutbarkeit des Absehens von einer projektierten Verfügung 267 zwar noch nicht formuliert, aber angelegt: Dem Rechtsgutsträger, dessen Situation hier von der vorgängig übernommenen zivilrechtlichen Pflicht zur Leistung auch auf der Basis konkreter Zweifel gekennzeichnet ist, kann nicht angesonnen werden, auf eine solche Verfügung zu verzichten. Eine solche Verhaltensweise würde nämlich zu der unzumutbaren Konsequenz führen, daß er, vom Berechtigten auf Leistung verklagt, unter Übernahme einer möglicherweise erheblichen Kostenlast schließlich die Wegnahme eben dessen zu dulden hätte, was herzugeben er sich zuvor weigerte. Nach alledem wäre, von der hier nicht interessierenden Konstellation einer völlig fehlenden Vorstellung des Zechenbeamten von den Verwendungsabsichten des Bergmannes abgesehen, eine Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals nur dann ausgeschlossen, wenn der Verfügende sich des geplanten Mißbrauchs der Deputatkohle völlig sicher ist, ohne 266 267

In seiner Anmerkung zu OLG Ramm AP, § In Kap. VII, 3, b).

263

8tGB, Nr.1.

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dies allerdings nachweisen zu können. Hier kann auch auf dem Boden der auf ein für-möglich-Halten abstellenden herrschenden Meinung 268 von einem "Irrtum" im Sinne des § 263 nicht mehr gesprochen werden, so daß eine Bestrafung des Antragstellers zumindest wegen vollendeten Betrugs außer Betracht zu bleiben hat 269 • 2. Der Scheckkartenfall

Auch die Lösung des Scheckkartenfalls270 anhand der im Text entwickelten Kriterien kann wegen des völligen Mangels an tatsächlichen Feststellungen zur Kognitionslage des Verfügenden im einschlägigen Urteil des Bundesgerichtshofes nur alternativ erfolgen. Der erkennende 2. Senat hat sich hier ebenfalls damit begnügt, die Existenz eines Irrtums auf der Seite des verfügenden Bankbeamten "normativ" aus dessen Prüfungspflicht abzuleiten: "Gerade weil die Frage der Deckung für den Schecknehmer von Bedeutung ist, verbindet er mit dem schlüssigen Handeln des Täuschenden, der ihm Scheck und Scheckkarte übergibt, die Vorstellung, daß dieser sich im Rahmen der Scheckkartenbedingungen hält und nur bei einem entsprechenden Guthaben oder einem nicht ausgeschöpften Dispositionskredit zumindest im Zeitpunkt der Scheckvorlegung einen Scheck in den Verkehr gibt 271 ." Es liegt auf der Hand, daß diese Begründung der Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals unter keinem Aspekt tragfähig ist 272 • Noch stärker als im Deputatkohlefall drängt sich hier nämlich zunächst das - im Rahmen unseres Erkenntnisinteresses allerdings nicht zentrale - Bedenken auf, daß das Verhalten des Scheckeinlösers beim Bankangestellten nicht eine wie auch immer falsche, sondern überhaupt keine positive Fehlvorstellung hervorgerufen hat, weil dieser sich entsprechend der einschlägigen Entlastungsfunktion der Scheckkarte über die Deckung des Schecks schlichtweg überhaupt keine Gedanken machte 273 • Ist dem so, so können wir, unsere Überlegungen zur Struktur des Betrugstatbestandes auf ein bisher nicht explizit diskutiertes Problemfeld verlängernd, das Vorliegen eines Irrtums von vornherein ausschließen: Führt das Manöver des Scheckkartenberechtigten nicht zu einer Fehlvorstellung des Verfügenden, bleibt also die - hier einmal unterstellte Täuschungshandlung ohne Einfluß auf dessen Kognitionslage, so realisiert das Verhalten des Täuschenden im Einzelfall eben gerade nicht Hierzu die Nachweise in Fn. 10. Vgl. auch Arzt, Strafrecht BT, S. 134. 270 BGHSt. 24, 386. 271 BGHSt. 24, 389. 272 Zur Kritik vgl. außer den in Fn. 63 Genannten auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 321. 273 Hierzu auch Giehring, Prozeßbetrug, S. 13 ff. 288

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das Maß an konkreter Gefährdung des Rechtsgutsobjektes, das die Anwendung des Betrugstatbestands voraussetzt. Die nachfolgenden überlegungen erfolgen demnach auf dem Boden der im konkreten Fall gerichtlich aufzuklärenden Annahme, daß der Schecknehmer nicht nach der Devise handelt: "Wer mir Scheck und Scheckkarte vorlegt, bekommt sein Geld; alles andere interessiert mich nicht", sondern daß er zur Berechtigung des Einlösers individuell Position bezieht. Auch hier lassen sich alsdann anhand unserer im Text entwickelten Kriterien wiederum drei Kognitionstypen unterscheiden, dessen erster, die subjektive Gewißheit, etwa in einem Fall gegeben ist, in dem ein dem Bankangestellten als seriös bekannter Geschäftsmann den Schalterraum betritt. Die Situation des diffusen Zweifels wird der Schalterbeamte demgegenüber dann realisieren, wenn er mit Kunden konfrontiert ist, über die er keine näheren Informationen hat und die in ihm den Eindruck des üblichen und Gewohnten hervorrufen, so daß auch hier die Einlösung eines ungedeckten Schecks bei ihm einen Irrtum im Sinne des § 263 hervorrufen kann. Von einem konkreten Zweifel und damit einer überschreitung der Anwendbarkeitsgrenze des Irrtumsmerkmals ist jedoch etwa dann auszugehen, wenn der Bankbeamte erkennt und verarbeitet, daß der Kunde schon mehrfach ungedeckte Schecks eingelöst hat oder wenn er beispielsweise dunkel in Erinnerung zu haben glaubt, daß die ihm vorgelegte Scheckserie gesperrt ist. Verzichtet er in diesen Fällen auf die Realisierung zumutbaren Individualschutzes, indem er etwa davon absieht, tele phonisch bei der bezogenen Bank Rückfrage zu halten, in seine Unterlagen Einsicht zu nehmen oder die Verfügung prophylaktisch gänzlich zu unterlassen, so ist vom Verlust der Schutzbedürftigkeit und damit vom Ausschluß der Anwendbarkeit des Betrugstatbestandes auszugehen. Das Vorliegen eines Irrtums im Sinne des § 263 dürfte in den Scheckkartenfällen nach dem Vorhergehenden faktisch nur in den seltensten Ausnahmefällen zu bejahen sein: Zum einen ist wohl angesichts der garantierten Einlösung des Schecks durch das bezogene Bankinstitut die Zahl derjenigen, die sich über einen eventuellen Mißbrauch keine positive Vorstellung bilden, überaus groß. Auf der anderen Seite, und dies ist unter dem Blickwinkel unserer Untersuchung der vergleichsweise interessantere Aspekt, kann nicht verkannt werden, daß das Interesse des Verfügenden an der optimalen Ausnutzung der Selbstschutzmöglichkeiten im Falle des konkreten Zweifels dann relativ gering ist, wenn der Schaden nicht an seinen, sondern an den Rechtsgütern eines Dritten eintritt. Es kann aber hieraus - entgegen den offensichtlichen Intentionen des Bundesgerichtshofs, diese faktische Differenz im Selbst-

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schutz interesse des Rechtsgutsträgers auf der einen und eines mehr oder minder zufällig involvierten Dritten auf der anderen Seite durch normative Zuschreibungen einzuebnen274 - kein Argument dafür geschmiedet werden, die Kriterien der Schutzbedürftigkeit des Opfers in Fällen wie dem vorliegenden zu modifizieren oder gar völlig über Bord zu werfen. Wie die Scheckkartenkonstellation als besonders "extreme" Repräsentantin des Dreiecksbetrugs verdeutlicht, zeichnen sich nämlich solche Situationen dadurch aus, daß der Rechtsgutsträger die Chance eigener Ausübung von mehr oder weniger großen Bereichen seiner individuellen Schutzmöglichkeiten aufgibt und an einen - in den Scheckkartenfällen nicht einmal bestimmbaren - Dritten delegiert. Ein normativ oder kriminalpolitisch fundiertes Argument, die im Rahmen einer solchen Delegation regelmäßig entstehende vergleichsweise größere Lücke im individuellen Selbstschutzwall nicht dem delegierenden Rechtsgutsträger zuzurechnen, sondern durch Ausdehnung des Strafrechtsschutzes zu kompensieren, ist nicht ersichtlich; vielmehr muß auch hier davon ausgegangen werden, daß der Rechtsgutsträger das Risiko einer Öffnung seiner individuellen Kontroll- und Herrschaftssphäre zunächst einmal selbst zu tragen hat 275 • 3. Der Kostenvorscltußfall

Die bereits oben kurz dargestellte und - soweit ich sehe - unveröffentlicht gebliebene Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Falle des trotz Nichtzahlung des vereinbarten Kostenvorschusses gerichtlich vertretenden Anwalts 276 verdient im Unterschied zu den beiden vorhergehenden Urteilen in ihrer Begründung Beifall. Die zentrale Passage des Erkenntnisses des 5. Strafsenats, dem zu diesem Zeitpunkt auch Else Koffka angehörte, soll hier nochmals in ihrem Wortlaut wiedergegeben werden: "Angesichts der Tatsache, daß Rechtsanwalt B als Anwalt tätig geworden ist, obwohl der angeforderte Kostenvorschuß nicht eingegangen war, erscheint es schon bedenklich, ob in ihm durch die Angeklagten ein Irrtum erregt worden ist. Ohne nähere Begrün274 "Daß sein (des Schecknehmers, R. H.) persönliches Interesse geringer ist, weil der Schaden einen Dritten trifft, und er sich deshalb wegen der Deckung keine besonderen Gedanken macht, ändert daran nichts." (BGHSt. 24, 389; Hervorhebung im Original.) Hierzu auch Kühne, Geschäftstüchtigkeit,

S. 53 f.

275 Eine ganz andere, wenn auch hier im einzelnen nicht mehr abhandelbare Frage ist allerdings, welche Konsequenzen aus einer solchen "viktimologischen" Sicht des Dreiecksbetrugs für die im Schrifttum nach wie vor höchst kontroverse Bestimmung der Position des getäuschten Verfügenden im Verhältnis zum Geschädigten zu ziehen sind. Vgl. hierzu auch die Anmerkungen von Amelung, Irrtum, S. 14 f. 27S 5 StR 595/54 vom 25. 3. 1955.

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dung kann nicht angenommen werden, daß ein Anwalt einen Auftraggeber, der den verlangten Vorschuß nicht zahlt, für zahlungsfähig hält. Wenigstens müssen ihm Bedenken in dieser Richtung aufsteigen, die er jedoch in Kauf nimmt 277 ." Die Formulierung des Senats macht jenseits allen Zweifels deutlich, daß er hier der in der Literatur vorherrschenden Meinung eines für die Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals ausreichenden für-möglich-Haltens 278 nicht folgt. Wäre das Gericht der Auffassung, daß ein für-möglich-Halten der Wahrheit der vorgespiegelten Tatsache die Erfordernisse eines Irrtums im Sinne des § 263 erfüllt, so käme auf die "Bedenken" des Rechtsanwalts deshalb nichts an, weil hierdurch allein selbstverständlich nicht ausgeschlossen würde, daß der Anwalt Zahlungsfähigkeit und -willen seiner Mandanten nach wie vor für möglich, wahrscheinlich oder gar überwiegend wahrscheinlich hält. Der Senat umschreibt vielmehr sehr prägnant eine Situation des Rechtsgutsträgers, die, soweit er sie erkannt und zutreffend verarbeitet hat, im Sprachgebrauch der vorliegenden Arbeit durch die Existenz eines konkreten Zweifels charakterisiert ist. Dies deshalb, weil der Anwalt hier den Bereich der üblichen Unsicherheit bezüglich der Zahlungsfähigkeit der von ihm zu betreuenden Klientel verlassen und einen konkreten Hinweis auf die Zweifelhaftigkeit der wirtschaftlichen Bonität seiner neuen Mandanten erhalten hat. Es soll allerdings, worauf in der Auseinandersetzung mit der Position Amelungs bereits genauer eingegangen wurde 279 , hier nochmals betont werden, daß es mit der Feststellung dieses konkreten Hinweises allein nicht sein Bewenden haben kann. Zu fordern ist im Hinblick auf einen Ausschluß der Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals vielmehr, daß der Rechtsanwalt diese Informationen tatsächlich in Richtung auf ein das normale Maß übersteigendes Mißtrauen verwertet hat und nicht weil nach seinen Erfahrungen etwa mangelnde Zahlungsdisziplin beim Kostenvorschuß nicht mit Zahlungsunfähigkeit bei der endgültigen Gebührenabrechnung korreliert - im Zustand subjektiver Gewißheit oder diffusen Zweifels verharrt. 4. Die Lieferantenfälle

In die gleiche Richtung wie die soeben besprochene unveröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs weisen, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, zwei Urteile der Oberlandesgerichte Stuttgart 280 277 278 279 280

S. 7 des Urteils. Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 10. Vgl. oben Kap. VI, 3. In: JR 1978, 388 (m. Anm. Beulke).

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und Köln 281 . In dem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall ging es um die fortgesetzte Lieferung von Waren an eine Firma, deren Wechsel bereits zu Protest gegangen waren, während das OLG Köln über die Konstellation zu entscheiden hatte, daß einem Abzahlungskäufer weitere Lieferungen zugesendet wurden, obwohl sich dieser bereits mit Ratenzahlungen aus einer früheren Bestellung in Rückstand befand. Beide Gerichte hoben das aus § 263 verurteilende Erkenntnis der Vorinstanzen mit der Begründung auf, daß der tatrichterlichen Feststellung der Kognitionslage des Getäuschten keine ausreichende Aufmerksamkeit zugewendet worden sei. Den Urteilen ist beizupflichten. Adäquate Verarbeitung der Situation unterstellt, befinden sich hier die verfügenden Firmen jeweils in einem Zustand konkreten Zweifels an der Wahrheit der zumindest konkludent erklärten Zahlungsfähigkeit ihrer Kunden, der die Anwendbarkeit des § 263 ausschließt. Auch hier ist jedoch darauf hinzuweisen, daß nicht allein aus der Tatsache des Wechselprotests oder des Ratenzahlungsverzugs unvermittelt auf die Existenz eines konkreten Zweifels geschlossen, dieser vielmehr nur tatrichterlich ermittelt werden kann. Ergibt sich hierbei, daß das Mißtrauen der Lieferfirmen durch die vorhergehenden Ereignisse auf ein übernormales Maß gesteigert worden ist, so bleibt für eine Anwendung des Irrtumsmerkmals und damit für eine Bestrafung aus vollendetem Betrug kein Raum. 5. Die Prozeßbetrugsfälle

Eine weitere zur Exemplifikation des hier entwickelten Ansatzes heranzuziehende Fallgruppe ist die des Prozeßbetrugs. Die Darstellung der Entwicklung der Rechtsprechung zu den verschiedenen Spielarten dieser Fallage ist bereits oben erfolgt 282 und soll hier nicht wiederholt werden. Bemerkenswert ist jedoch auch im Rahmen dieser Fallgruppe die überlegung, mit der der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung, die den Terminus "Irrtum" nicht einmal erwähnt, die Anwendbarkeit des § 263 bei einer vom Antragsteller im Mahnverfahren erhobenen falschen Tatsachenbehauptung "begründet": "Er (der Rechtspfleger, R. H.) müßte den Erlaß eines Zahlungsbefehls ablehnen, den ein Antragsteller für eine nach seiner eigenen Eröffnung schon getilgte oder gar nicht entstandene Forderung beantragen würde. Infolgedessen wird er durch die bewußt unwahre Behauptung anspruchsbegründender Tatsachen getäuscht und durch diese Täuschung zum Erlaß des Zahlungsbefehls veranlaßt283 •" 281 282 283

In: JZ 1968, 340 (m. Anm. Schweichel). S. Kap. Ir, 1 und 3. BGHSt. 24, 260 f.

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

Daß mit dieser Argumentation die Probleme des Prozeßbetrugs generell und die des Betruges im Mahnverfahren im besonderen kaum berührt, geschweige denn gelöst werden, ist in der Literatur schon mehrfach moniert worden284 und braucht hier im einzelnen nicht ein weiteres Mal vorgeführt zu werden. Unter dem Blickwinkel des im Text erarbeiteten Topoiarsenals ist die Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals im Betrugstatbestand für die Fälle des Prozeßbetrugs jedoch insbesondere unter zwei Aspekten problematisch. a) Vorbemerkung

Zum einen kann, was im neueren Schrifttum allerdings kaum noch reflektiert wird285 , grundsätzlich zweifelhaft sein, ob § 263 mit seiner Ausrichtung auf die zwischen zwei autonomen Individuen stattfindenden wirtschaftlichen Austauschakte im Rahmen des durch ganz andere Vorgaben gekennzeichneten Zivilprozesses überhaupt ein sinnvolles Anwendungsfeld finden kann286 • Wie fundamental sich die Situationen eines verfügenden Richters und die eines beliebigen Individuums voneinander unterscheiden, vermag gerade anhand der im Text erarbeiteten Maßstäbe deutlich aufgezeigt zu werden: So steht dem Richter im normalen Zivilprozeß nicht die Möglichkeit zu Gebote, im Falle konkreten Zweifels von einer Verfügung gänzlich abzusehen; er hat, was etwa im Mahnverfahren oder bei Erlaß eines Versäumnisurteils nur besonders deutlich wird, aber auch im streitigen Erkenntnisverfahren zu konstatieren ist, nicht die im Verlauf unserer Untersuchung als besonders relevant erkannte Möglichkeit, alle erforderlichen positiven Informationsentscheidungen zu treffen; der Richter ist - damit zusammenhängend - in der Wahl des Zeitpunkts seiner Handlungsentscheidung nicht frei, sondern vom Verhalten der Parteien abhängig; seine Beziehung zum letztlich beeinträchtigten Rechtsgutsobjekt ist weder unmittelbar noch - wie im Normalfall des Dreiecksbetrugs - durch ein wie auch immer zu definierendes, auf zurechenbares Verhalten des Geschädigten rückführbares Näheverhältnis 287 charakterisiert, sondern lediglich durch seine Stellung bestimmt; und schließlich gewinnen alle diese Unterschiede eine noch verstärkte Relevanz deshalb, weil wohl gerade beim Richter die Entstehung konkreter Zweifel im Verlaufe des Entscheidungsprozesses nicht exzeptionell, sondern die Regel sein dürfte. 284 Vgl. außer den in Fn. 61 Genannten auch Lackner, in: LK, § 263, Rdnr.314. 285 Zur älteren Literatur s. die Nachw. bei Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 305, Fn. 461; Lenckner, Prozeßbetrug, S. 6 ff. 286 S. hierzu auch Amelung, Irrtum, S. 15 f. 287 Hierzu nur Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 112 ff. m. zahlr. Nachw. aus Lit. und Rspr.

IX. Anhang

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Die aufgezeigten massiven Unterschiede in den situativen und kognitiven Bedingungen des "normalen" und des richterlichen Verfügenden setzen zwar nicht in die Lage, die Strafbarkeit von Täuschungsmanövern im Zivilprozeß unter dem Aspekt des Betrugstatbestands a limine zurückzuweisen; sie ermöglichen aber - soweit sich die hier entwikkelte Konzeption grundsätzlich als tragfähig erweist - folgende Feststellungen: Es ist zum einen verwunderlich, daß die strafrechtsdogmatischen und kriminalpolitischen Bedenken gegen eine Subsumtion des Prozeß-"Betrugs" unter § 263 gegenüber dem wohlfeilen Argument ansonsten drohender unerträglicher Strafbarkeitslücken so völlig ins Hintertreffen geraten sind. Zum zweiten ist konstatierbar, daß der Prozeßim Vergleich zur normalen Austauschsituation ein Ausnahmecharakter zukommt; hieraus wiederum folgt, daß das insbesondere im Schrifttum zu beobachtende Procedere, den Inhalt des Irrtumsmerkmals am Beispiel des Prozeßbetrugs zu bestimmen und dann auf andere, "normale" Konstellationen zu übertragen288 , verfehlt ist, weil es das Regel-Ausnahme-Verhältnis verkennt. Im Zusammenhang damit ist schließlich festzuhalten, daß, wo stringente normative Gründe für eine alternative Bestimmung von Tatbestandsmerkmalen des § 263 im Rahmen der Vorgänge im Zivilprozeß nicht aufzeigbar sind, die rechtliche Beurteilung dieser Ausnahmesituation nach den Kriterien des Regelfalles zu erfolgen hat. b) Die Spielarten des Prozeßbetrugs im einzelnen

Auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung zugespitzt, bedeutet dies, daß kein Anlaß besteht, von der bisher durchgängig verfolgten Anbindung der Zweifelsproblematik an die subjektive kognitive Situation des Verfügenden abzugehen. Soweit also, was insbesondere im Mahnverfahren grundsätzlich zu verneinen sein wird289 , der Verfügende überhaupt eine positive Vorstellung vom Wahrheitsgehalt der Tatsachenbehauptungen des Täuschenden hat, ist diese unseren Kognitionstypen des sich subjektiv gewiß fühlenden, des diffus und des konkret zweifelnden Entscheiders zuzuordnen und die Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals vom hierbei gewonnenen Befund abhängig zu machen. Der subjektiv von der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen überzeugte und der hieran nur diffus zweifelnde Verfügende ist mithin bei jeder Spielart des Prozeßbetrugs - also auch im Mahnverfahren oder bei Erlaß eines Versäumnisurteils - taugliches Objekt der Täuschungshandlung, wenn und soweit es gerade auch diese Kognitionslage ist, Dies wird zutreffend auch von Amelung beklagt (Irrtum, S. 15). Zum Vorstellungsinhalt des Verfügenden in diesem Falle s. nur Giehring, Prozeßbetrug, S. 5 ff. 2BB

2B9

12 Hassemer

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Teil C. Irrtum und Zweifel im Betrugstatbestand

die ihn zur konkreten Verfügung motiviert. Im gegenteiligen, also im Falle einer durch den Irrtum nicht einmal mitverursachten Verfügung bleibt eine Bestrafung des Täuschenden aus vollendetem Delikt deshalb außer Betracht, weil es nicht gerade die durch die falsche Vorstellung bewirkte Neutralisierung der individuellen Schutzmöglichkeiten des Verfügenden ist, die die Beinträchtigung des geschützten Gutes bewirkt. Die in solchen Fällen gleichwohl eintretende Gutsverletzung hat dann ihren Grund also nicht in der durch Täuschung und Irrtum bewirkten hohen konkreten Gefahrintensität der Handlungssituation, sondern in durch die Gefahrenquelle nicht beeinflußten Bereichen. Mit dieser letzteren überlegung ist gleichzeitig zu der wesentlich intrikateren Frage nach der Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals im Falle eines konkreten Zweifels des verfügenden Richters übergeleitet, deren Beantwortung deshalb besonders problematisch ist, weil das Gericht grundsätzlich weder autonom positive Informationsentscheidungen fällen noch prophylaktisch von der Verfügung gänzlich absehen kann. Vergleicht man diese Situation mit dem oben geschilderten Handlungsspielraum des "normalen" konkret zweifelnden Rechtsgutsträgers, so wird unmittelbar deutlich, daß hier das Ausmaß der Realisierungschancen individueller Schutzmöglichkeiten an den neuralgischsten Punkten entscheidend beschnitten ist; von diesem Befund haben die nachfolgenden überlegungen auszugehen, wobei zwei Wertungsgesichtspunkte untereinander abzuwägen sind. Die Tatsache, daß es sich im Falle des durch die eine Partei getäuschten und zu Lasten der anderen schädigend verfügenden Richters um einen Dreiecksbetrug handelt, legt zunächst die bereits oben im Rahmen der Besprechung des Scheckkartenfalls290 formulierte Annahme nahe, daß hier wie dort die vergleichsweise reduzierte Realisierungschance individueller Schutzmöglichkeiten beim Dritten dem Risikobereich des Rechtsgutsträgers zuzurechnen sei; dies hätte beim Prozeßbetrug die Konsequenz, daß sich das präsumtive Opfer auf die verringerten Schutzmöglichkeiten des konkret Verfügenden nicht berufen könnte, so daß letztlich vom Entfallen seiner Schutzbedürftigkeit ausgegangen werden müßte. Die unveränderte übertragung dieses Grundsatzes auf die hier zu beurteilende Situation würde jedoch übersehen, daß im Rahmen des Zivilprozesses die Wahrnehmung der Selbstschutzmöglichkeiten nicht - wie im Scheckkartenfall - vom Rechtsgutsträger an den Richter als Dritten quasi delegiert wurde, sondern die Einflußmöglichkeit des Gerichts auf die Vermögenswerte des präsumtiven Opfers aus dessen rechtlicher, extern gesetzter Befugnis resultiert. Die vergleichsweise 2UO

In diesem Kap., 2.

IX. Anhang

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geringere Möglichkeit der Realisierung individueller Selbstschutzmaßnahmen ist hier also nicht faktisch begründet und Folge einer zu rechenbaren Öffnung der Herrschaftssphäre des Rechtsgutsträgers, sondern Konsequenz bestimmter, von den Parteien nicht unmittelbar beeinfl ußbarer rechtlicher Regel ungen291 . Aus diesem Grunde kann normativ eine Überwälzung des durch die vergleichsweise geringeren Schutzmöglichkeiten des Richters hervorgerufenen Risikos auf den Rechtsgutsträger und Geschädigten nicht begründet werden. Hieraus wiederum folgt, daß - wenn dem Richter, auf dessen Person nach alledem allein abzustellen ist, aufgrund der einschlägigen zivilprozessualen Vorschriften auch im Falle konkreter Zweifel nicht die üblichen Selbstschutzmaßnahmen zu Gebote stehen die Schutzbedürftigkeit des Rechtsgutsträgers auch bei einer richterlichen Verfügung trotz konkreten Zweifels an den Tatsachenbehauptungen der täuschenden Partei nicht entfällt. Die Anwendung der in der vorliegenden Untersuchung entwickelten Kriterien auf die Fälle des Prozeßbetruges ergibt demnach folgendes Bild: Von einer Strafbarkeit des Täuschenden aus § 263 kann unter keinem Aspekt die Rede sein, wenn die wahrheitswidrige Tatsachenbehauptung entweder - wie insbesondere wohl im Regelfalle des Mahnverfahrens - überhaupt keine positive Fehlvorstellung beim Verfügenden erregt oder wo sie zwar zu einem Irrtum geführt, dieser aber die letztliche Entscheidung nicht zumindest mitbestimmt hat: Hier werden keine ausreichenden konkreten Gefahrintensitäten realisiert. Unbeschadet dieser globalen Einschränkung, deren Voraussetzungen - um dies nochmals zu betonen - gerichtlich festgestellt werden müssen und nicht, beispielsweise mit dem Hinweis auf § 286 Abs. 1 ZP0292, normativ zugeschrieben werden dürfen, ist eine die Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals eröffnende Kognitionslage grundsätzlich bei allen Verfahrensarten denkbar. Dies gilt sowohl für das Mahnverfahren, wenn der verfügende Rechtspfleger ausnahmsweise zu einer positiven, der Wirklichkeit widersprechenden Vorstellung gelangt und von ihr zu seiner Verfügung zumindest mitbestimmt wird, als auch für richterliche Entscheidungen nach Säumnis einer Partei, bei unbestrittenem Vorbringen, Geständnis oder nach Beweislastregeln. Daß der Richter in diesen Fällen häufig konkrete Zweifel an der Wahrheit der ihm unter281 Daß die Annahme einer solchen rechtlichen, also nicht vom Rechtsgutsträger erteilten, Befugnis eines getäuschten Dritten, über das Vermögen des präsumtiven Opfers zu verfügen, handgreiflich mit der konsensuellen Charakterisierung des § 263 als Selbstschädigungsdelikt (hierzu nur: Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 94; Frisch, Funktion, 5. 658 ff.) kollidiert, stellt eine weitere Aporie der h. M. zum Prozeßbetrug dar. 292 So aber letztlich Lackner, in: LK, § 263, Rdnr. 311.

12·

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breiteten Tatsachenbehauptungen haben wird, schließt die Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals dann nicht aus, wenn ihm nach den Grundsätzen des Zivilprozesses weitergehende Möglichkeiten des Individualschutzes nicht zu Gebote stehen. Eindeutig in den Anwendungsbereich des Irrtumsmerkmals fällt schließlich die richterliche Verfügung nach einer - ob durch Beweismittel oder schlichtes Parteivorbringen bewirkten - Täuschungshandlung im kontradiktorischen Verfahren, da eine solche Entscheidung des Richters (von zivilprozeßwidrigen Ausnahmefällen abgesehen) immer subjektive Gewißheit oder höchstens diffuse Zweifel des Gerichts zur Grundlage hat. 6. Die Konventionalstrafen- und Bettelbetrugsfälle

Mit den bislang dargestellten und an den hier entwickelten Kriterien gemessenen Entscheidungen ist unser Streifzug durch die zur Irrtumsproblematik ergangene Rechtsprechung beendet. Die anderen in der Literatur zur Klärung der Zweifelsproblematik vereinzelt herangezogenen Fallagen des Betrugs bei Vereinbarung einer Konventionalstrafe für den Täuschungsfa1l 293 und des Bettelbetrugs294 geben für unser Erkenntnisinteresse nicht allzu viel her. Während dies für die Bettelbetrugskonstellation offensichtlich ist, scheint prima vista für die Fälle der Konventionalstrafe etwas anderes zu gelten. Es zeigt sich aber recht schnell, daß der Rechtsprechung hier zumindest im Ergebnis zu folgen ist und die Anwendbarkeit des Irrtumsmerkmals lediglich aufgrund dieser vertraglichen Besonderheit nicht ausgeschlossen werden kann: Wenn, wie wir gesehen haben29 5, gerade die "normale" Verfügungssituation durch diffuse Zweifel an der Wahrheit der einschlägigen Tatsachenbehauptungen gekennzeichnet ist, so stellt die Festlegung einer Vertragsstrafe für den Fall einer Täuschung des Vertragspartners nicht mehr als den Versuch dar, vertragswidriges Verhalten nach Möglichkeit zu verhindern und seine negativen Folgen in Grenzen zu kompensieren. Insofern ist die Vereinbarung einer Konventionalstrafe als solche für die Bestimmung der Kognitionslage des Verfügenden und die Frage deren Zuortbarkeit zum Irrtumsmerkmal ohne Relevanz; wenn überhaupt, so können Art und konkrete Ausgestaltung der einschlägigen vertraglichen Passagen höchstens Indizien für die anhand ganz anderer Kriterien zu eruierende kognitive Situation des präsumtiven Opfers liefern. 293 294 295

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