Besser - Weniger - Anders Bauen: Kreislaufgerechtes Bauen und Kreislaufwirtschaft: Grundlagen - Fallbeispiele - Strategien 9783035626346, 9783035621082

Sustainability is to become the guiding principle of social action and economic activity. At the same time, its ways and

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Besser - Weniger - Anders Bauen: Kreislaufgerechtes Bauen und Kreislaufwirtschaft: Grundlagen - Fallbeispiele - Strategien
 9783035626346, 9783035621082

Table of contents :
Contents
Vorwort
Nachhaltigkeit – Die Wichtigkeit einer ganz heitlichen Betrachtung
Prinzipien des kreislaufgerechten Bauens
Prinzipien der Kreislaufwirtschaft
Besser
Besser – Effizienz in der Bauwirtschaft
Rückbau statt Abriss
Kompetenz- und Wissensaufbau in der lokalen Wirtschaft
Neue Häuser aus alten Häusern
Verlust von Örtlichkeit, Zunahme von Verschwendung
Besser – Zielrichtung Ökoeffizienz
Infrastruktur für die Wiederverwendung
Richtlinien für den Rückbau in Portland, Oregon
Weniger
Weniger – Suffizienz als Innovation
Tragfähigkeit durch Geometrie und Materialeffektivität
Weniger – Zielrichtung Ökoeffektivität
Die Ökonomie des Urban Mining
Kohlenstoffabgaben und -dividenden in einer kreislaufgerechten Bauwirtschaft
Mit dem Verursacherprinzip in eine Verant wortungs gesellschaft
Anders
Anders – Konsistenz als Prinzip
Die Ökologie hat Vorrang!
Kendeda Building for Innovative Sustainable Design
Triodos Bank
Concular
Materialpässe
Das Urban Village Project
Anders – Zielrichtung disruptive Innovation
Kühlung als Dienstleistung
Ein Kreislaufansatz für Bodenbeläge
Sei vorsichtig was Du Dir wünschst
Besser + Weniger + Anders
Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit
Anhang
DANK
ÜBER DIE AUTOREN
ABBILDUNGSNACHWEIS
PERSONENREGISTER
REGISTER DER FIRMEN, INSTITUTIONEN UND INITIATIVEN
REGISTER DER PROJEKTE, PRODUKTE UND PUBLIKATIONEN
IMPRESSUM

Citation preview

KREISLAUFGERECHTES BAUEN UND KREISLAUFWIRTSCHAFT

KREISLAUFGERECHTES BAUEN UND KREISLAUFWIRTSCHAFT Dirk E. Hebel, Felix Heisel mit Ken Webster

BIRKHÄUSER BASEL

Besser 7 10

Vorwort

30

Besser – Effizienz in der Bauwirtschaft

Weniger 70

Weniger – Suffizienz als Innovation

Nachhaltigkeit – Die Wichtigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung

Einleitung zum kreislaufgerechten

Einleitung zum kreislaufgerechten

Bauen von Dirk E. Hebel und

Bauen von Dirk E. Hebel und

Einleitung von Dirk E. Hebel und

Felix Heisel

Felix Heisel

Felix Heisel

Prinzipien des kreislaufgerechten Bauens

Rückbau statt Abriss Bestandsbauten als Ressource im urbanen Kontext

Einleitung von Felix Heisel und

Beitrag von Gretchen Worth,

Dirk E. Hebel

Felix Heisel, Anthea Fernandes,

32 22

24

Prinzipien der Kreislaufwirtschaft

72

Tragfähigkeit durch Geometrie und Materialeffektivität Beitrag von Philippe Block

Jennifer S. Minner und Christine

Weniger – Zielrichtung Ökoeffektivität

O’Malley

Einleitung zur Kreislaufwirtschaft von

78

Mark Milstein

Einleitung von Ken Webster

38

Kompetenz- und Wissensaufbau in der lokalen Wirtschaft Das Rückbauprojekt Catherine Commons

80

Fallstudie von Felix Heisel und

Die Ökonomie des Urban Mining Das Modellprojekt Rathaus Korbach Beitrag von Anja Rosen

Allexxus Farley-Thomas

92 44

Neue Häuser aus alten Häusern Fallstudie von Kerstin Müller

Kohlenstoffabgaben und -dividenden in einer kreislaufgerechten Bauwirtschaft Beitrag von Ken Webster

52

Verlust von Örtlichkeit, Zunahme von Verschwendung Eine Warnung vor den Herausforderungen und Fallstricken der städtischen Mine aus der Sicht der Denkmalpflege  Kommentar von Andrew Roblee und Jennifer S. Minner

54

Besser – Zielrichtung Ökoeffizienz Einleitung zur Kreislaufwirtschaft von Mark Milstein

56

Infrastruktur für die Wiederverwendung Eine wesentliche Grundlage der Kreislaufwirtschaft Beitrag von Diane Cohen und Robin Elliott

62

Richtlinien für den Rückbau in Portland, Oregon Beitrag von Shawn Wood

96

Mit dem Verursacherprinzip in eine Verantwortungsgesellschaft Kommentar von Annette Hillebrandt

Anders 100

102

104

Anders – Konsistenz als Prinzip

Besser + Weniger + Anders Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit

155

Dank

Einleitung zum kreislaufgerechten Bauen von Dirk E. Hebel und

Fallstudie von Felix Heisel und

155

Über die Autoren

Felix Heisel

Dirk E. Hebel

157

Abbildungsnachweis

Kommentar von Annette Hillebrandt

158

Personenregister

Kendeda Building for Innovative Sustainable Design Handeln an der Schnittstelle von Klimaschutz, Gesundheit und Gerechtigkeit

158

Register der Firmen, Institutionen und Initiativen

159

Register der Projekte, Produkte und Publikationen

160

Impressum

142

Die Ökologie hat Vorrang!

Fallstudie von Joshua R. Gassman, RA

108

Triodos Bank Modellprojekt für Kreislaufgerechtigkeit und Ressourcenschutz Fallstudie von RAU Architekten

114

Concular Die Digitalisierung von Materialien in Gebäuden Fallstudie von Dominik Campanella

118

Materialpässe Erschließung geschlossener Stoffkreisläufe Fallstudie von Sabine Rau-Oberhuber

122

Das Urban Village Project Fallstudie von EFFEKT

128

Anders – Zielrichtung disruptive Innovation Einleitung zur Kreislaufwirtschaft von Mark Milstein

130

Kühlung als Dienstleistung Das Beispiel der Firma Kaer Fallstudie von Dave Mackerness

134

Ein Kreislaufansatz für Bodenbeläge Das Beispiel der Firma Interface Fallstudie von Erin Meezan

138

Sei vorsichtig was Du Dir wünschst Kommentar von Ken Webster

6—7

KREISLAUFGERECHTES BAUEN + KREISLAUFWIRTSCHAFT

In Form des sogenannten Green Deal hat die Europäische Union bereits im Jahr 2019 die Weichen gestellt, Europa als ersten Kontinent bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden zu lassen. Das bedeutet, die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren. Nicht minder relevant ist jedoch die Vorgabe des Green Deal, ebenfalls bis zum Jahr 2050 vollständig in die sogenannte Kreislaufwirtschaft eingestiegen zu sein und somit für physische Waren und Güter, deren Wiederverwendung, Wiederverwertung und natürliche Kompostierung, ein metabolisches Denken von Gesetzes wegen festzulegen. Während nachhaltiges Verhalten und Wirtschaften also zur alles übergreifenden Leitlinie gesellschaftlichen Handelns werden soll, sind aber zugleich ihre Mittel und Wege alles andere als eindeutig klar. Aus ihrem ganzheitlichen Verständnis heraus muss Nachhaltigkeit technisch-materielle, soziale, ökonomische, ökologische und auch ethische Strategien vereinen, zwischen denen es komplexe Wechselwirkungen und oft genug auch Ziel- und Prioritätskonflikte gibt. In keinem anderen Bereich lassen sich diese Zusammenhänge besser verstehen, darstellen und beeinflussen als im Bauwesen. Denn in Organisation, Planung und Realisierung der gebauten Umwelt bildet sich die Komplexität nachhaltigen Handelns eins zu eins ab, einschließlich aller Erfahrungen, Probleme und Lösungsstrategien. Zudem kann das Handeln auf dieser Ebene nicht nur den Blick nach vorn in eine – hoffentlich – bessere Zukunft werfen, sondern es muss sich auch mit einem enorm großen Bestand an Bauwerken beschäftigen, die lange vor diesen neuen Leitlinien gebaut wurden und somit den Zielvorgaben des Green Deal nicht entsprechen und daher anzupassen sind. Dies ist vor dem Hintergrund, dass das Bauwesen global für 50 % des Primärrohstoffverbrauchs und mindestens 40 % aller Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, eine beachtliche Aufgabe. Die Publikationsreihe, deren erster Band hier vorliegt, möchte diesen Weg begleiten und zentrale Themen des Prozesses und seiner interagierenden Abhängigkeiten aus einem wissenschaftlichen wie auch praxisorientierten Diskurs heraus betrachten. Besser – Weniger – Anders Bauen greift daher in jedem Band zwei Bereiche von Nachhaltigkeit auf, deren Wechselwirkungen besonders wichtig und zugleich besonders gut zu erfassen sind. Nach einführenden Überblicksdarstellungen werden für jeden Bereich etablierte Methoden, aktuelle Entwicklungen und akute Konfliktfelder beschrieben, analysiert und an internationalen Fallbeispielen im Detail dargestellt. Dies geschieht entlang der Nachhaltigkeitskriterien von Effizienz („besser“), Suffizienz („weniger“) und Konsistenz („anders“). So entsteht ein systematisch aufgebautes, immer wieder aktuelles Kompendium des nachhaltigen Bauens. Der erste Band stellt Konzepte, Methoden und Beispiele für Kreisläufe im Bauwesen und in der Wirtschaft dar. Hierbei steht die Ressourcenfrage im Vordergrund: Woher stammen die Rohstoffe für künftige Bauaufgaben, mit der Kenntnis von immer rascher auftretenden Engpässen und zur Neige gehenden Vorkommen? Welche Rolle spielt die Bioökonomie? Welche Methoden und Prozesse müssen erprobt, angewandt und schließlich auch politisch umgesetzt werden, um überhaupt die Zielvorgaben einer Kreislaufwirtschaft zu erfüllen? Urban Mining und kreislaufgerechtes Bauen sind unterschiedliche Umgangsweisen mit den Herausforderungen in Architektur und Städtebau. Sie werden mit Methoden des Rückbaus und des sortenreinen Konstruierens betrieben und von Werkzeugen wie Materialpässen und -datenbanken gestützt. Die Kreislaufwirtschaft erschöpft sich keineswegs im Recycling, sondern umfasst eine weite Spanne von lokalen Gemeinschaftsprojekten über neue Eigentums- und Unterhaltsmodelle bis hin zu Steuerungsmechanismen wie dem CO₂-Preis mit Klimaprämie. Den damit einhergehenden wechselwirkenden Abhängigkeiten gilt es auf die Spur zu kommen und zu verstehen, dass eindimensionales Säulendenken uns nicht weiterbringen wird. Die Publikation stellt sich der Herausforderung, diese Sachlage auf angemessene Weise zu vergegenwärtigen und transparent zu machen. Aus diesem Grund ist ihre Ordnung nicht nur als durchlaufendes Aneinanderreihen von Beiträgen zu sehen. Vielmehr lassen sich die Beiträge, Fallstudien und Kommentare auch in einem Beziehungsfeld aus „besser“, „weniger“ und „anders“ sowie Bauen und Wirtschaften und einem entsprechenden feldartigen Inhaltsverzeichnis (siehe S. 9) beispielhaft zueinander verorten, was eine Vielfalt von individuellen Lesearten unterstützt und hoffentlich auch provoziert. Zusätzliche Verweise an jedem

VORWORT

Artikelende sollen helfen, derartige erweiternde Beziehungen zu etablieren und damit die unterschiedlichen Themenfelder zu verknüpfen. Denn es gilt voneinander zu lernen und wirtschaftliche Modelle und Ideen auch in die Energie- und Ressourcenfragen des Bauwesens mit aufzunehmen und dort zu verankern, und umgekehrt. So stellt jedes Bauwerk nicht nur eine architektonische oder konstruktive Herausforderung dar, sondern soll auch relevante wirtschaftliche Modelle und Zusammenhänge aufgreifen und diskutieren. Diese Vorgabe macht das Arbeiten und Handeln in Kreisläufen innerhalb eines metabolisch geprägten Wirtschaftsmodells unabdingbar. So setzt sich die vorliegende Publikation aus ⬤ Einleitungen, ⬤ Beiträgen, ⬤ ⬤ Fallstudien und ⬤ Kommentaren unterschiedlichen Umfangs zusammen, um die inhärenten Beziehungen aufzuzeigen – aber auch neu einzuführen, und somit die wichtige Diskussion zur Umsetzung kreislaufbasierter Modelle weiter voranzutreiben. Das dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wird über die Frage entscheiden, ob es uns tatsächlich gelingt, konsistent, das heißt im Einklang mit natürlichen Kreisläufen und Prozessen unserer natürlichen Umwelt zu leben und zu agieren. Erst dann können wir die menschengedachte und menschengemachte Unterscheidung zwischen natürlicher und gebauter Umwelt aufheben und hinter uns lassen, und gemeinsam in Würde und ohne Ausbeutung des einen oder anderen auf diesem Planeten existieren. Dirk E. Hebel und Felix Heisel, im August 2022

8—9

KREISLAUFGERECHTES BAUEN + KREISLAUFWIRTSCHAFT

Kreislaufgerechtes Bauen

Einführung

Kreislaufwirtschaft Nachhaltigkeit – Die Wichtigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung S. 10

Prinzipien des kreislaufgerechten Bauens S. 22

Prinzipien der Kreislaufwirtschaft S. 24

Besser – Effizienz in der Bauwirtschaft S. 30 Rückbau statt Abriss S. 32

Besser Verlust von Örtlichkeit, Zunahme von Verschwendung S. 52

Weniger

Anders

Kompetenz- und Wissensaufbau in der lokalen Wirtschaft S. 38 Neue Häuser aus alten Häusern S. 44

Weniger – Suffizienz als Innovation S. 70

Tragfähigkeit durch Geometrie und Materialeffektivität S. 72

Triodos Bank S. 108

Besser – Zielrichtung Ökoeffizienz S. 54

Richtlinien für den Rückbau in Portland, Oregon S. 62 Weniger – Zielrichtung Ökoeffektivität S. 78

Kohlenstoffabgaben und -dividenden in einer kreislaufgerechten Bauwirtschaft S. 92 Mit dem Verursacherprinzip in eine Verantwortungsgesellschaft S. 96

Anders – Konsistenz als Prinzip Die Ökologie S. 100 hat Vorrang! S. 102 Kendeda Building S. 104

Concular S. 114 Das Urban Village Project S. 122

Infrastruktur für die Wiederverwendung S. 56

Die Ökonomie des Urban Mining S. 80

Anders – Zielrichtung disruptive Innovation S. 128

Kühlung als Dienstleistung S. 130

Materialpässe S. 118

Ein Kreislaufansatz für Bodenbeläge S. 134 Sei vorsichtig was Du Dir wünschst S. 138

Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit S. 142

NACHHALTIGKEIT Die Wichtigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung Einleitung von Dirk E. Hebel und Felix Heisel

1 James Cook, A Voyage Towards the South Pole and Round the World, Volume 1 (1777). Tredition Classics, 2011.

EINE BETRACHTUNG VON UNNACHHALTIGKEIT Um das Prinzip der Nachhaltigkeit zu diskutieren, hilft es, zuerst das Gegenteil zu betrachten – eine Situation, die wir als „unnachhaltig“ beschreiben und bezeichnen würden –, um daraus Prinzipien und Methoden eines nachhaltigen Handelns abzuleiten. Ein besonders eindrückliches Beispiel nicht-nachhaltigen Handelns stellen lang zurückliegende Ereignisse auf der Osterinsel im Südpazifischen Ozean dar. Am 5. April 1722, einem Ostersonntag – was den neuzeitlichen europäischen Namen (Paasch Eyland) erklärt –, erreichte ein Erkundungstrupp im Auftrag der niederländischen Westindien-Handelskompanie unter dem Kommando von Admiral Jacob Roggeveen die Insel. Eigentlich auf der Suche nach „Terra Australis“, war die Besatzung der drei Schiffe erstaunt und erschrocken über die Verhältnisse, in der die wenigen Menschen auf der Insel lebten. Viele hausten in Höhlen; die Kanus, mit denen die Einwohner ihnen entgegenpaddelten, waren klein, undicht und kaum seetüchtig. Die Insel war trocken und von der Sonne verbrannt, vor allem mit Gräsern und Büschen bewachsen, und es gab keine Pflanze, die höher als zwei Meter reichte. Bei einem Besuch 1774 schrieb Kapitän James Cook in sein Logbuch: „Nature has been exceedingly sparing of her favours to this spot.“ 1 Dass dies jedoch nicht immer so war, davon zeugen neben großen rechteckigen, steinernen Zeremonialplattformen (ahu) große Steinstatuen (Moai), die über die ganze Insel verteilt schon die ersten europäischen Besucher in Staunen versetzten. Insgesamt finden sich 887 Statuen, die höchste ist 21 m hoch und wiegt 270 t. Die aufrechtstehenden abstrakten männlichen Figuren mit großen Köpfen, fehlenden Beinen und anliegenden Armen sind wohl als Ahnendarstellungen zu verstehen und richten ihren Blick auf das Inselinnere, zu ihren Nachkommen. Die Frage, die sich den Europäern im Jahr 1722 und auch später noch stellte, war: Wie konnte man diese Statuen auf einer Insel, die außer Steinen weder Holz für Hilfskonstruktionen noch Bewuchs zur Herstellung von Seilen aufwies, überhaupt bewegen und aufstellen? Nach neuesten Erkenntnissen fand die ursprüngliche Besiedlung der Insel bereits im 9. Jahrhundert n. Chr. von den westlich gelegenen Polynesischen Inseln aus statt. Die Siedler brachten damals Pflanzen und Haustiere aus ihrer alten Heimat mit, darunter die Süßkartoffel, Yams, Taro, Bananen, Zuckerrohr und Hühner. Zudem ernährten sich die Bewohner von Delfinen, Muscheln sowie Land- und Seevögeln, die in großen Mengen vorhanden waren, da natürliche Fressfeinde fehlten. Gut versorgt durch Ackerbau, Kleintierhaltung und Fischund Vogelfang, wuchs die Bevölkerung kontinuierlich zu einer starken Gesellschaft in zehn Stämmen auf der Insel verteilt heran. Die Insel, obwohl von allen Polynesischen Inseln eine der trockensten (dies hat auch mit der eher flachen Geografie zu tun), windigsten und kühlsten, war ursprünglich voll bewaldet, mit einem artenreichen Wald, aus dem man bis heute aus Kohleresten 21 verschiedene Arten bestimmen konnte. Die eindrucksvollste Baumart stellte sicherlich die Gattung Jubaea dar. Diese Osterinselpalme konnte einen Stammdurchmesser von 2 m aufweisen und war auch zu damaliger Zeit die größte Palmenart auf den Polynesischen Inseln. Man geht heute davon aus, dass die Insel bis zu 10 Mio. Palmen und andere Baumarten auf ca. 172 km² beheimatete. Die Stämme und Fasern der Bäume boten somit die Grundlage für die Errichtung der Statuen, und es ist wohl davon auszugehen, dass ein großer Teil der Hölzer gebraucht wurden, um die kulturell-religiösen Darstellungen zu realisieren. Doch auch zum Hausbau, zum Schiffsbau, zur Gewinnung eines süßen Saftes sowie als Brennholz waren die Palmen und anderen Baumarten eine wichtige Lebensgrundlage der Bevölkerung. Ab dem 13. Jahrhundert stellte sich dann jedoch aus mehreren Gründen eine zunehmende Entwaldung der Insel ein. Die geografische Lage und das Klima beflügelten sicherlich keine schnelle Wiederaufforstung. Ein weiteres Problem stellten die mit der Besiedlung eingeschleppten Ratten auf der Insel dar, die sich ohne natürliche Feinde vermehren konnten und ebenfalls von den Sprösslingen der Palmen ernährten. Zahnspuren an Palmnüssen zeugen noch heute davon. Hauptsächlich jedoch erlebten die Inselbewohner aufgrund der fortschreitenden Übernutzung der natürlichen Ressourcen das Verschwinden ihrer eigenen Lebensgrundlage. Die entwaldeten Flächen waren durch die windigen und trockenen Gegebenheiten schnell der Erosion ausgesetzt. Zwar begannen die Bewohner mit dem Errichten von Steinwällen und sogenannten Steinmulchungen (das Ablegen von Steinen auf dem zu schützenden Boden, das

10 — 11

KREISLAUFGERECHTES BAUEN + KREISLAUFWIRTSCHAFT

die Feuchte im Boden hält, einen mineralischen Dünger darbietet und auch die Temperaturschwankungen von Tag und Nacht ausgleichen kann) den Versuch, das Ackerland zu retten, doch zunehmend mussten sie Ackerflächen und Siedlungen aufgeben. Auch waren sie nicht mehr in der Lage, größere Kanus zu bauen, was das Jagen von Delfinen auf dem offenen Meer unmöglich machte. Es blieben daher nur die eher kargen Bestände von kleinen Fischarten in Ufernähe als Nahrungsquelle. Und mit dem Verschwinden des Waldes und einer zunehmenden Rattenpopulation blieben auch Land- und Seevögel der Insel fern und fielen somit als Lebensgrundlage ebenfalls aus. Es fehlte letztendlich an Brennholz, an Baumaterial für Behausungen und den Bootsbau und an Nahrung, sodass sich die Bevölkerung wohl mehr und mehr in die Mitte der Insel in Steinhöhlen zurückzog. Zwischen dem 17. Jahrhundert und dem Eintreffen der ersten Europäer brach nach und nach das gesellschaftliche Miteinander zusammen, es kam zu kriegerischen Auseinandersetzungen und nachweislich zu Kannibalismus. Mit den Auseinandersetzungen ging auch der Glaube an die schützenden Kräfte der Ahnen verloren und rivalisierende Gruppen kippten die Steinstatuen um. Während man heute davon ausgeht, dass im 16. und 17. Jahrhundert bis zu 15.000 oder mehr Menschen auf der Insel lebten, waren es zum Ende des 18. Jahrhunderts gerade noch 2.000 Bewohner, und in der Mitte des 19. Jahrhunderts wohl nur noch mehrere hundert, wobei hier vor allem auch politische Gründe (z. B. Deportationen als Zwangsarbeiter) und eingeschleppte Krankheiten eine Rolle spielten. Die These des Kollapses durch den beschriebenen und nachweislichen ökologischen Raubbau, die Jared Diamond in seinem Buch Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen2 vertritt und welches hier als Grundlage der Beschreibung dient, macht besonders betroffen, da die Lage der Osterinsel inmitten des Pazifiks und die Unmöglichkeit des Austauschs mit anderen Menschen eine vollkommene Isolation und Hoffnungslosigkeit abbilden. Doch es gibt auch Zweifel an dem völligen ökologischen Untergang der Insel. Der Ökosystemforscher Hans-Rudolf Bork der Universität Kiel geht nicht von einem kompletten Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung aufgrund der Abholzung aus, das Anwenden der Steinmulchung verhinderte nach seiner Einschätzung den völligen Kollaps. Und dennoch: Wie in einem Laborexperiment, unter Ausschluss anderer Einflussgrößen und Parameter, lässt sich eine systemische Betrachtung beschreiben und bewerten. Das Beispiel der Insel im blauen Meer erinnert an das berühmte Foto der Apollo-Mission, das unseren Planeten erstmals als eine fragile (und endliche) Kugel umgeben vom schwarzen All zeigt – und eine ähnliche Betroffenheit auslösen sollte. Waren die Bewohner der Insel besonders rücksichtslos bei der Ausbeutung ihrer natürlichen Umwelt? Davon ist nicht auszugehen. Vielmehr verhielten sie sich wohl genauso, wie es auch ihre Urahnen in vielen Jahrhunderten zuvor bereits taten. Die enge Systemgrenze und besondere geografische Lage sowie die klimatischen Bedingungen ihrer Insellage waren ausschlaggebend dafür, dass keine nachhaltige Regeneration des zunehmenden Ressourcenverbrauchs stattfinden konnte. Und ähnlich wie bei unserem Planeten Erde gab es keinen Austausch mit anderen Systemen, welcher das Defizit hätte ausgleichen können. Heute leben wieder knapp 8.000 Menschen auf der zu Chile gehörenden Insel, die größtenteils vom globalen Tourismus und der Versorgung aus anderen Gebieten des pazifischen Raums leben. Auch heute ist die Insel noch zu großen Teilen unbewaldet – die Folgen der Katastrophe sind noch immer sichtbar.

BETRACHTUNGEN ZUR ÖKOLOGISCHEN UND ÖKONOMISCHEN NACHHALTIGKEIT Was wäre eine nachhaltigere Herangehensweise auf der Osterinsel gewesen? Verstanden die Menschen ihr eigenes Tun und Handeln in Abhängigkeit von ihrer Lebensgrundlage? Erstaunlicherweise gab es zu der Zeit, in der die Entwaldung der Osterinsel einsetzte, ähnliche Beispiele unreflektierten Handelns in vielen Regionen der Erde, zum Beispiel auch im Erzgebirge. Hier stand die ökonomische Gewinnmaximierung in Form von Silber- und Erzbergwerken im Vordergrund. Die Gewinnung der Metalle wurde, wie seit dem Mittelalter üblich, mit der Technik des „Feuersetzens“ vorangetrieben, eine Methode, welche mit Hilfe von großen Holzfeuern in Hohlräumen Spannungsrisse im Gestein herbeiführte. Oft wurde das erhitzte Gestein zudem mit Wasser abgekühlt, um den Effekt zu beschleunigen. Der Abbau der Metalle erfolgte dann mit Hilfe von Holzkeilen, die man in die Risse trieb und wiederum mit Wasser zum

2 Jared Diamond, Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Übers. Sebastian Vogel. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2005. Englische Originalausgabe: Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed. New York und London: Viking Penguin, 2005.

3 Hanns Carl von Carlowitz, Sylvicultura Oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht, Hrsg. Norbert Kessel, Reprint der Erstauflage von 1713. Leipzig: J. F. Braun, 2011.

Quellen übergoss. Die Folge war ein immenser Verbrauch von Holz, welches in den Wäldern im Umkreis der Minen geschlagen wurde. Und je ökonomisch erfolgreicher man sein wollte, umso mehr musste die natürliche Umwelt in Form von Holzeinschlag dafür herhalten. Zu jener Zeit war ein gewisser Hans Carl von Carlowitz (eigentlich Johann „Hannß“ Carl von Carlowitz) königlich-polnischer und kurfürstlich-sächsischer Kammer- und Bergrat sowie Oberberghauptmann des Erzgebirges. Die Familie Carlowitz gehörte zum sächsischen Uradel und bewirtschaftete und verwaltete dort große Waldflächen. Carlowitz verstand, dass es dort, wo kein Wald mehr ist, auch nichts zu verwalten gäbe, und kam zu der Überzeugung, dass nur der Schutz des Waldes die eigene wirtschaftliche Existenz wie auch die des ganzen Erzgebirges sichern konnte – zumal damals noch keine Regeln oder Gesetze zum Waldbau existierten. So verfasste er im Jahr 1713, also nur wenige Jahre vor dem Eintreffen der Europäer auf der Osterinsel, eine Schrift mit dem Titel Sylvicultura oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht.3 Hier beschrieb er detailliert den Zusammenhang zwischen dem kostbaren ökologischen Rohstoff und dem Bestreben nach Gewinnmaximierung. Heute würde man von einer Energiekrise sprechen, die der ungebremste Einschlag in den Wäldern verursacht hatte, auch um eine immer schneller wachsende Bevölkerung zu versorgen. Und so erklärte er: „Wird derhalben die größte Kunst ⁄ Wissenschaft ⁄ Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen ⁄ wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen, daß es eine continuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung gebe ⁄ weiln es eine unentberliche Sache ist ⁄ ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.“ Und obwohl er den Begriff „nachhaltende Nutzung“ nur ein einziges Mal auf den 432 Seiten der Schrift benutzt, gilt die Sylvicultura oeconomica als die Wiege der Begrifflichkeit und des – zumindest europäischen – Bewusstseins von Nachhaltigkeit. Nicht nur das Erzgebirge (durch Silber- und Erzabbau) war von der Entwaldung betroffen, auch der Schwarzwald erlebte gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine solche Epoche, bedingt durch anhaltend nicht-nachhaltige Nutzungen. So stellte zu jener Zeit die Waldweidehaltung von Vieh eine gängige Methode dar, wobei Tieren Waldfrüchte wie Bucheckern oder Eicheln gefüttert wurden. Allerdings wurde dabei auch der Großteil der jungen Baumtriebe gefressen und die natürliche Regeneration des Waldes verhindert (so wie durch die Ratten auf der Osterinsel). Zudem hatte die Verfloßung der groß gewachsenen Baumstämme aus dem Schwarzwald rheinabwärts begonnen. Das Holz war vor allem in den Niederlanden als Ressource sehr geschätzt und gut bezahlt und wurde so im großen Stil aus dem Oberrheingraben und dem Schwarzwald exportiert, vor allem um Gründungen für Deiche und Siedlungen in das weiche Marschland zu setzen. Die Kinzigtaler Flößer waren bekannt für ihre gefährliche Kunst, überlange Flöße zu binden und zu steuern. Jedoch wurde dadurch das Holz im Schwarzwald gegen Ende des 18. Jahrhunderts so knapp, dass vielerorts Zaunpfähle, Treppen, Wagen und andere hölzerne Gegenstände zur Winterzeit verbrannt werden mussten, um das Überleben der Bevölkerung zu sichern. Aus dieser Not erwuchs auch im Schwarzwald die Erkenntnis, dass die natürliche Ressource Wald zu schützen und zu bewahren sei und ein Einschlag nur in dem Maße stattfinden dürfe, wie der natürliche Nachwuchs dies sinnvoll erlaubte. Der weitaus größte Teil des Schwarzwaldes war allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits gerodet. Die auf die einsetzende Erosion folgenden kahlen Bergkuppen erzählen noch heute stumm von dieser Tragödie. Im Anschluss wurden Gesetze erlassen, die die Menge des Einschlags regulierten und das Waldweiden und Brandsetzen in Wäldern verboten – Gesetze, die noch heute größtenteils gelten. Gerettet hat den Schwarzwald jedoch in erster Linie nicht eine Erkenntnis zur Nachhaltigkeit, sondern ironischerweise vor allen Dingen eine technische Errungenschaft, die uns heute umso mehr zu bedrohen scheint: die Erfindung der Dampfmaschine und das Einleiten der Industriellen Revolution, welche die Nutzung vom Energieträger Holz zum Energieträger Kohle verlagerte – eine Entwicklung, die heute keine regionale, sondern eine globale Herausforderung darstellt. Aus den genannten Beispielen wird klar, dass es eine Verknüpfung und Abhängigkeit zwischen einem zu erreichenden wirtschaftlichen Ziel und den gegebenen ökologischen wie auch sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (lokal wie auch planetar) geben muss. Nur so kann ein nachhaltiges Handeln einsetzen, das nicht zur Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage führt.

12 — 13

KREISLAUFGERECHTES BAUEN + KREISLAUFWIRTSCHAFT

SOZIALE NACHHALTIGKEIT Im Jahr 1962 veröffentlichte die US-amerikanische Biologin Rachel Carson das Buch Der stumme Frühling,4 welches heute als Ursprung einer in der Gesellschaft verankerten Umweltbewegung gilt. Darin beschreibt sie zum ersten Mal einem breiten Publikum in Form eines Sachbuchs die Zusammenhänge zwischen in die Umwelt ausgebrachten toxischen Stoffen wie DDT und anderen Pestiziden und Herbiziden und den Folgen für Tier und Mensch innerhalb der Nahrungskette. Geschickterweise wählt sie eine fiktive amerikanische Kleinstadt als Handlungsort, um aufzuzeigen, dass die Thematik eine identifizierbare Gemeingültigkeit besitzt. Das Prinzip des ökologischen Gleichgewichts wird hier verknüpft mit der menschlichen, sozialen Perspektive, bis hin zum Sterben des Weißkopfseeadlers, dem Wappentier der USA, den Carson, obwohl nur beiläufig erwähnt, wohl gleichsetzt mit der amerikanischen Gesellschaft. Der Raubvogel sollte in den kommenden Jahren das Symbolbild für den Kampf gegen DDT werden, gerade wegen dieser Symbolhaftigkeit. Carson fügte damit neben der rein ökologischen (Osterinsel) und der ökonomischen (Carlowitz) eine dritte Dimension in die Fragestellung der Nachhaltigkeit ein: die ethische Verantwortung einer sozial ausgerichteten Gesellschaft. Alle drei Dimensionen bilden noch heute die drei akzeptierten Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziologie. Wie in einem System kommunizierender Röhren gilt es immer wieder diese drei Aspekte in Einklang und Überlappung zu bringen und gegeneinander abzuwägen. Vor allem diese Abwägung und auch die notwendige Priorisierung haben eine gesellschaftspolitische, dynamische Dimension. Rachel Carsons Buch erweckte diese gesellschaftliche Sicht auf eine kollektive Verantwortung. Im Jahr 1972 machte Harrison Schmitt, ein Astronaut der Apollo-17-Mission, die bis heute meistreproduzierte Fotografie der Welt: Blue Marble, so der Titel (die offizielle Bezeichnung lautet AS17-148-22727), zeigt die Erde aus einem Abstand von 45.000 km, perfekt beleuchtet von der Sonne im Rücken des Fotografen. Das Bild offenbart unsere Erde als verletzliches System, als Insel in einem schwarzen Nichts. Und es zeigt, wie dünn, fragil und ephemer die Atmosphäre um die Erde gelegt ist. Es zeigt einen schutzbedürftigen Organismus und evozierte damit ein weltweites „Wir-Gefühl“. Das Bild wurde millionenfach auf T-Shirts, Fahnen und andere Gegenstände gedruckt und wurde Begleiter einer weltweiten aufstrebenden Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewegung. Es beängstigt, darüber nachzudenken, was einer Bevölkerung von Milliarden von Menschen auf diesem einen Planeten passieren könnte, wenn wir nicht aus den Beispielen der Vergangenheit lernen und unser Verhalten der erkannten Situation anpassen und danach handeln.

EINE BERECHNUNG VON (UN)NACHHALTIGKEIT Bereits einige Jahre zuvor, im Jahr 1968, organisierten zwei andere Protagonisten dieser Bewegung, der italienische Industrielle Aurelio Peccei, damaliges Mitglied der Firmenleitungen von Fiat und Olivetti, und der Schotte Alexander King, damaliger Direktor für Wissenschaft, Technologie und Erziehung bei der in Paris ansässigen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), eine Konferenz zu Fragen der Zukunft der Menschheit – im Lichte einer stetig wachsenden Weltbevölkerung, erster Berichte einer zunehmenden Ressourcenknappheit und der Frage einer ökologischen Verantwortung dem Planeten gegenüber. Nach Abschluss dieser ersten Konferenz, die in der Accademia dei Lincei in Rom stattfand, waren die Initiatoren jedoch mit dem Resultat unzufrieden, da der erhoffte Aufbruch und eine globale Aufmerksamkeit für die Themen ausblieben. Es sollte noch lange Jahre dauern, bis die Weltgemeinschaft unter dem Dach der Vereinten Nationen dies nachholte. Sechs der Konferenzteilnehmer vereinbarten jedoch, die Ansätze gemeinsam voranzutreiben: Erich Jantsch, Alexander King, Max Kohnstamm, Aurelio Peccei, Jean Saint-Geours und Hugo Thiemann. Sie nannten sich fortan „Club of Rome“. Dennis L. Meadows, ein Informatiker des MIT, erinnerte sich später: „Es war ein Kreis von Intellektuellen, Wissenschaftlern, Industriellen und sonstigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens […]. 1970 kam der Club zu seinem ersten offiziellen Jahrestreffen in der Schweiz zusammen. Er hat lange herumdiskutiert und wollte ein Forschungsprojekt anstoßen, in dem es um die Zukunft der Welt gehen sollte. Es gab ein Mitglied des Clubs, der eine konkrete Idee hatte. Das war

4 Rachel Carson, Der stumme Frühling. Gütersloh: Bertelsmann, 1963. Englische Originalausgabe: Silent Spring. Boston: Houghton Mifflin, 1962.

WIRTSCHAFT

Eine gerechte Welt

SOZIALES

Nachhaltige Entwicklung Eine lebenswerte Welt

Eine überlebensfähige Welt

UMWELT

1 Nachhaltigkeit wird oft als ein holistisches Zusammenwirken der Bereiche Wirtschaft (Ökonomie), Umwelt (Ökologie) und Soziales verstanden. Das Ineinandergreifen und Überlappen der Felder generiert ein Verständnis für die gegenseitigen Abhängigkeiten und daraus abgeleiteten Zielvorstellungen. Eine zu einseitige Betrachtung nur eines Aspekts oder gar die Reduzierung auf nur ein Themenfeld führt zwangsläufig zu einem Ungleichgewicht innerhalb des Systems.

5 Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Dennis Meadows im Gespräch: ‚Wir haben die Welt nicht gerettet‘“, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/dennis-meadows-im-gespraech-wir-haben-die-welt-nichtgerettet-11671491.html, aktualisiert am 03.03.2012 (aufgerufen am 03.01.2022).

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN + KREISLAUFWIRTSCHAFT

Industrielle Produktion

Bevölkerung

Ressourcen

Ernährung

Umweltbelastung

1900

1950

2000

Jay Forrester, ein damals schon berühmter Professor vom MIT, dem Massachusetts Institute of Technology […]. Er schlug vor, dass seine Computermodelle helfen könnten, die künftige Entwicklung der Weltbevölkerung, der Industrialisierung und den Ressourcenverbrauch zu simulieren. […] Ich war damals bereits am MIT. Ich legte einen Vorschlag vor, wie man die Modelle von Forrester in der Computersprache Dynamo so verbessern könnte, dass man daraus ein sogenanntes ‚Weltmodell‘ entwickeln könnte. Die Idee war, das Systemverhalten der Erde als Wirtschaftsraum unter der Voraussetzung verschiedener Szenarien zu simulieren. Und zu gucken, wie lange die Ressourcen der Welt halten. […] Computerprogramme, die so genannte Systeme simulieren, also wechselseitige Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Variablen. Das war die große Leistung am MIT damals gewesen.“5 Diese Möglichkeit nutzend, beauftragte der Club of Rome eine Gruppe von Wissenschaftlern auf Grundlage der Vorarbeiten von Jay Forrester, eine Studie durchzuführen und eine Abschätzung zu treffen, wie lange das System Erde noch überlebensfähig sein kann – unter der Annahme wachsender Erdbevölkerung und zunehmender wirtschaftlicher Aktivitäten, aber bei einem gleichzeitigen Verständnis von den begrenzten natürlichen Ressourcen und deren zunehmender Ausbeutung. 1972 erschien das Buch The Limits to Growth,6 das diese Abschätzungen einem breiten Publikum nahebrachte. Autoren waren Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers und William W. Behrens III, welche ein Team von insgesamt 17 Wissenschaftlern repräsentierten. Das Ergebnis der Studie war niederschmetternd: Wenn es der Erdbevölkerung nicht gelänge, nachhaltiger mit natürlichen Ressourcen umzugehen und den Verbrauch radikal einzuschränken, sagte die Studie einen Kollaps des Systems Erde in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts voraus. Als Gründe hierfür wurden unter anderem die steigende Verschmutzung der Umwelt durch Feststoffe und gasförmige Emissionen, das Versiegen natürlicher Ressourcenquellen (bzw. ein Ende von wirtschaftlich abbaubaren Quellen), eine Abnahme der Produktivität von landwirtschaftlichen Böden und damit eine Abnahme des Nahrungsangebots auch durch die Verschmutzung der natürlichen Ökosysteme in Fauna und Flora angeführt. Folgen sind demnach eine stark sinkende Geburtenrate, eine Überalterung der Gesellschaft und vor allen Dingen eine starke Abnahme der industriellen Produktion und der Dienstleistungen. Das Buch wurde nach seiner Veröffentlichung heftig kritisiert, zeigte es doch einen Ausblick, der so nicht sein durfte. Daher entschied man sich sowohl 19927 als auch 2004,8 die Modelle neu zu rechnen, mit aktualisierten Daten und besserer Soft- und Hardware: Jedoch blieben die Resultate gleich. Wichtig war den Autoren und Initiatoren, die Abhängigkeiten der einzelnen Systeme und Einflussgrößen voneinander aufzuzeigen. Sie schrieben damit die Arbeiten von Carl von Carlowitz und Rachel Carson fort, wenn auch auf einem wesentlich höheren Komplexitätsniveau.

2050

2100

2 State of the World: In der Publikation The Limits to Growth veröffentlichten Wissenschaftler im Jahr 1972 ihre Berechnungen, wie lange der Planet noch seine existierenden Systeme erhalten kann, bevor ein Ungleichgewicht zu einer radikalen Neuordnung führt. Nach: Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers und William W. Behrens III, The Limits to Growth; A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind. New York: Universe Books, 1972. Deutsche Ausgabe: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1972.

6 Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers und William W. Behrens III, The Limits to Growth; A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind. New York: Universe Books, 1972. Deutsche Ausgabe: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1972. 7 Donella H. Meadows, Jørgen Randers und Dennis L. Meadows, Beyond the Limits. White River Junction, VT: Chelsea Green Publishing, 1992. 8 Donella H. Meadows, Jørgen Randers und Dennis L. Meadows, The Limits to Growth: The 30-Year Update. White River Junction, VT: Chelsea Green Publishing Co., 2004. Deutsche Ausgabe: Die Grenzen des Wachstums. Das 30-Jahre-Update. Stuttgart: S. Hirzel Verlag, 2006.

GESELLSCHAFTSPOLITISCHE FORDERUNGEN NACH NACHHALTIGKEIT Die 1970er und 1980er Jahre erlebten in der Folge global eine starke gesellschaftliche Bewegung, die die Frage von Nachhaltigkeit in das Zentrum politischer Forderungen stellte. Es bildeten sich diverse Initiativen, teils getragen von Antikriegs- und Friedensgruppierungen oder bunten und grünen Listen, die sich gegen die zivile oder militärische Nutzung von Atomkraft und die Plünderung der natürlichen Umwelt auflehnten. Im Jahr 1980 gründete sich infolgedessen in Karlsruhe die erste grüne Partei Deutschlands, die fortan zuerst auf kommunaler Ebene und letztendlich auch in der Regierungsverantwortung diese Themen vorantrieb und gesellschaftlich breit verankerte. International fand die Frage nach einem verantwortungsvollen und nachhaltigen Handeln ihren Widerhall. Im Jahr 1983 gründeten die Vereinten Nationen die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung9 mit Sitz in Genf als unabhängige Sachverständigenkommission. Ihre Aufgabe bestand darin, eine Studie zu entwickeln, auf welche Weise die Weltgemeinschaft unter Berücksichtigung ökonomischer und sozialer Aspekte nachhaltige und umweltschonende Entwicklungsziele anstoßen kann. Insgesamt gehörten der Kommission bei Gründung 19 Bevollmächtigte aus 18 Ländern an. Zur ersten Vorsitzenden wurde die frühere Umweltministerin und damalige Ministerpräsidentin von Norwegen, Gro Harlem Brundtland, gewählt. Der erste eingeforderte Bericht erfolgte im Jahr 1987 und lieferte eine bis heute einprägsame und weit verbreitete Definition von Nachhaltigkeit: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“1 0 Diese einfache perspektivische Beschreibung brachte die Verantwortung, die jeder Einzelne, aber auch die globale Gesellschaft trägt, prägnant und unmissverständlich zum Ausdruck. Der Kommission muss aber auch bewusst gewesen sein, dass eine solch verkürzte Beschreibung auf Widerstand in Fachkreisen stoßen würde, und sie fügte daher noch eine zweite, etwas ausführlichere hinzu: „Im Wesentlichen ist nachhaltige Entwicklung ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potential vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen.“1 1 In dieser zweiten Definition finden sich gleich mehrere bemerkenswerte Aspekte: Erstens erkennt der Report an, dass Nachhaltigkeit ein dynamisches System ist, das es stets neu zu verhandeln gilt. Zweitens erweitert die Definition, im Rahmen des Systems der kommunizierenden Röhren, die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales um die Begriffe der Technologie und der Politik (Institutionen) und stellt explizit die Ressourcenfrage.

DEFINITIONEN VON NACHHALTIGKEIT

9 World Commission on Environment and Development (WCED). 10 World Commission on Environment and Development, Our Common Future. Oxford: Oxford University Press, 1987. Kapitel 2, §1. Deutsche Ausgabe: Volker Hauff (Hrsg.), Unsere gemeinsame Zukunft: Der BrundtlandBericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven: Eggenkamp, 1987. 11

Ebd., Kapitel 2, Sektion I § 15.

12 The Natural Step Deutschland, https://www.thenaturalstep.de/de/ ansatz/ (aufgerufen am 05.01.2022).

Doch auch diese zweite Definition war einigen Experten nicht wissenschaftlich genug. So formulierte beispielsweise der schwedische Krebsforscher Karl-Henrik Robèrt 1989 mit einer Gruppe von 50 Wissenschaftlern einen weitergreifenden Ansatz, der auf der Thermodynamik fußt. „Die Biosphäre, der von Organismen (und damit dem Menschen) bewohnbare Raum der Erde, ist ein energetisch offenes System, das sich ständig mit der Atmosphäre austauscht: Die Biosphäre nimmt Energie auf, u. a. in Form von Sonnenlicht, und gibt einen Teil dieser Energie als Wärmestrahlung wieder ab. Ganz anders verhält sich die Biosphäre in Bezug auf Materie: Da Stoffe (= Materie) die Erde nicht verlassen können, bilden sie Kreisläufe, die geschlossen sind.“12 Innerhalb der Biosphäre, so die Beschreibung weiter, gibt es etablierte Kreisläufe, die unsere Lebensgrundlage bilden und garantieren. So produzieren Pflanzen mit Hilfe des Sonnenlichts Sauerstoff und Nahrung, die Mensch und Tier aufnehmen und CO₂ und Dünger (natürliche Ausscheidungen und biologische Kompostierung) wiederum für das Wachstum der Pflanzen bereitstellen. Die Biosphäre steht zudem in Abhängigkeit zur Lithosphäre, der Erdkruste. Es gelangen beispielsweise durch Vulkanausbrüche Materialien in die Biosphäre, die durch Biosynthese neu zusammengesetzt und in andere stoffliche Kompositionen verwandelt werden. Gleichfalls gelangen Stoffe durch Mineralisierung oder Sedimentierung von der Biosphäre in die Lithosphäre. „Diese natürlichen Kreislaufsysteme haben sich in Milliarden von Jahren entwickelt. Die Spezies Mensch hat sich im Zeitablauf

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN + KREISLAUFWIRTSCHAFT

Atmosphäre

Biosphäre

Gesamtheit des von Leben besiedelten Teils der Erde

Lithosphäre

als anpassungsfähig erwiesen und kann sich selbst organisieren, solange die gesellschaftlich-sozialen Grundbedürfnisse erfüllt sind: Menschen sind voneinander und von den sozio-ökologischen Systemen abhängig, die sie erhalten. Die große Herausforderung unserer Zeit besteht darin, dass die Spezies Mensch die natürlichen und sozialen Systeme mittlerweile in so starkem Maße negativ beeinflusst, dass diese auf globaler Ebene beschädigt und systematisch abgebaut werden. Die grundlegenden Ursachen lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen: 1.) [die] Entnahme relativ großer Stoffmengen aus der Erdkruste, 2.) [das] Einbringen und die zunehmende Konzentration von beständigen Chemikalien, die in der Natur nicht vorkommen, 3.) [die] physikalische Zerstörung der natürlichen Stoffkreislauf­ systeme, [und] 4.) [die] systematische Schwächung des sozialen Gefüges, speziell im Hinblick auf Gesundheit, Einfluss, Kompetenz, Unvoreingenommenheit und Sinnstiftung.“13 Nach diesen Grundsätzen, und unter Vermeidung und Bekämpfung der vier beschriebenen Ursachen, konzipierte Robèrt zusammen mit öffentlichen Institutionen, privaten Unternehmen, staatlichen Organen und Umweltverbänden in Schweden in der Folge ein Rahmenwerk nachhaltiger Entwicklung, welches mittlerweile als Lehrprogramm an allen Schulen Schwedens verteilt und dort eingeführt wurde und bis heute – nach eigenen Angaben – großen Einfluss auf die Agrarpolitik, die Energiepolitik und Forstwirtschaft des Landes hat. Zusammenfassend kann man formulieren, dass dieser wissenschaftliche Ansatz auf das Prinzip der Konsistenz unseres menschlichen Handelns innerhalb bestehender natürlicher Kreisläufe abzielt, die nicht zerstört werden dürfen.

BEMESSUNGEN DER NACHHALTIGKEIT Im Jahr 1997 veröffentlichten die beiden Autoren Mathis Wackernagel und William Rees das Buch Unser ökologischer Fußabdruck – Wie der Mensch Einfluß auf die Umwelt nimmt.1 4 Hierin beschreiben die Autoren den Versuch, das nicht-nachhaltige Verhalten der Menschheit zu quantifizieren und damit ein Instrument anzubieten, das jeder Einzelne, jede Kommune oder jedes Land als Vergleichsbasis zur Anwendung bringen kann. Die zugrunde

3 Das globale Klimasystem: Die Biosphäre als von Leben besiedelter Raum in wechselseitiger Abhängigkeit mit Atmosphäre und Lithosphäre in einem seit Milliarden von Jahren etablierten Kreislaufsystem; der Energieaustausch mit der Sonne und dem All ist das einzig offene System. Nach: The Natural Step Deutschland, Unsere Lebensgrundlage retten. Die negativen Entwicklungen stoppen. Planegg: Sustainable Growth Associates GmbH, 2016–2020.

13 

Ebd.

14  Mathis Wackernagel und William Rees, Unser ökologischer Fußabdruck. Wie der Mensch Einfluß auf die Umwelt nimmt, Übers. Mathis Wackernagel. Basel: Birkhäuser, 1997. Englische Originalausgabe: Our Ecological Footprint. Reducing Human Impact on the Earth. Gabriola Island, B.C.: New Society Publishers, 1996.

BIOLOGISCHER KREISLAUF

TECHNISCHER KREISLAUF

Herstellung

Herstellung

Produkt

Pflanzen

Produkt Technische Nährstoffe

Biologische Nährstoffe Rückbau Gebrauch

Gebrauch

Kompostierung 4 Das Cradle-to-Cradle-Prinzip unterscheidet einen biologischen und einen technischen Kreislauf, die nicht miteinander vermischt werden dürfen, um nicht die Kreislauffähigkeit von Nährstoffen, Produkten und Gütern und die dafür notwendigen Mechanismen zu zerstören. Nach: William McDonough und Michael Braungart, Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things. New York: North Point Press, 2002. Deutsche Ausgabe: Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren. Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag, 2008.

Wiederverwendung

liegende Methode war, das Konsumverhalten der Menschheit in Fläche umzurechnen und somit ein konzeptionelles Maß für den Naturverbrauch auf individueller, regionaler, natio­naler und globaler Ebene zu definieren. Hierfür zogen Wackernagel und Rees den Verbrauch sowohl von Land wie auch Wasserfläche heran, der notwendig ist, um sowohl das Konsumverhalten von Menschen zu decken als auch den entstehenden Abfall innerhalb des linearen Wirtschaftsmodells aufzunehmen. Unterschieden wird zwischen dem Verbrauch von Land und Wasser durch Energiefläche, Siedlungsfläche, Ackerland, Weideland, Waldfläche, Meeresfläche sowie Lagerfläche für Abfall. Das Maß dieses konzeptionellen Wertes nannten sie den ökologischen Fußabdruck. Damit gelang es Ihnen, einen Pro-Kopf-Verbrauch zu errechnen und diesen der ökologischen Produktivität unserer ­natürlichen Umwelt gegenüberzustellen. Es ist selbsterklärend, dass mit einer Bevölkerungszunahme auf dem Planeten gleichermaßen der Verbrauch an Fläche zunimmt. Doch ausgestattet mit diesem Instrument konnte nun errechnet werden, ob ein einzelner Mensch oder eine Gesellschaft unterschiedlichen Ausmaßes im Vergleich zu anderen mehr oder weniger Fläche verbraucht. Und es konnte berechnet werden, wann die ökologische Produktivität des ganzen Planeten überschritten wird. Wackernagel ist heute Gründer und Präsident des Global Footprint Network, der Organisation, welche jährlich den Zeitpunkt berechnet, an dem der Verbrauch von Ressourcen deren Bereitstellungs- bzw. Erneuerungspotenzial übertrifft. Es ist auffällig – und zutiefst beunruhigend –, dass dieser Tag (der sogenannte Earth Overshoot Day) immer früher im Jahr eintritt. Berechnete das Network diesen Punkt noch für das Jahr 1970 auf den 29. Dezember, war das Datum für das Jahr 2022 auf den 28. Juli fixiert. Ab diesem Tag lebt die Weltbevölkerung auf Kosten (und unter Akzeptanz der Zerstörung) unserer natürlichen Kreisläufe und des Wohlbefindens zukünftiger Generationen. Es ist ein Maß der Nicht-Nachhaltigkeit. Doch nicht nur das Maß eines nachhaltigen Verhaltens von Menschen kann konzeptionell berechnet werden, auch industriell hergestellte Objekte und Produkte, darunter Bauwerke, lassen sich anhand ihrer ökologischen Bilanz bewerten. Die sogenannte Ökobilanzierung stellt seit einigen Jahren eine immer wichtiger werdende Methode dar, um eine Vergleich-

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN + KREISLAUFWIRTSCHAFT

2015 COP21: Pariser Klimaabkommen

92,1

76,4 Während der vergangenen fünf Jahrzehnte haben sich die weltweit gewonnenen Materialmengen mehr als verdreifacht. 53,6

1972 Club of Rome: Die Grenzen des Wachstums

170–184

Globale Rohstoffentnahme in Millionen Tonnen (Gt)

Auf dem derzeitigen Entwicklungspfad würde sich die globale Gewinnung von Materialien bis 2050 nochmals verdoppeln.

42,9 34,0

5

27,0

7,0

Die globale Rohstoffentnahme als exponentiell wachsendes System in der Zeit von 1900 bis 2050.

1900

Nach: Circle Economy, The circularity gap report 2021. Amsterdam: Circle Economy, 2021.

1970

1980

1990

2000

2010

2015

2050

barkeit und Messung unserer gebauten Umwelt und Produkte zu erlauben. Hierbei unterscheidet man verschiedene Lebensabschnitte (Phasen) eines Produkts: von der Produktion (Rohstoffgewinnung, Herstellung, Konstruktion, Installation, Transport etc.) über die Nutzung (Betrieb und Unterhalt, unter Berücksichtigung von Reparatur und Austausch) bis zur Entsorgung (Abbruch, Transport, Deponierung oder Verbrennung). Die Bilanzierung soll die unterschiedlichen Wirkungsweisen auf die natürliche Umwelt in den verschiedenen Lebensphasen untersuchen und quantifizieren und somit eine verlässliche Grundlage einer Bewertung liefern. Außerhalb des gängigen Betrachtungshorizonts („cradle to grave“, „von der Wiege zur Bahre“) liegt nach wie vor die Frage von Wiederverwendung oder Wiederverwertung, welche sich bisher nur als ein Potenzial ausweisen lässt. Ein geschlossener Material­kreislauf ließe sich mit den gegebenen Mitteln technisch durchaus abbilden, leider ist es aber schwer vorherzusehen – und noch schwerer zu garantieren –, was mit einem Produkt am Ende der Nutzung tatsächlich geschehen wird, solange die Kreislaufwirtschaft nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Für eine Ökobilanzierung ist in erster Linie die Festlegung des Ziels und Untersuchungsrahmens wichtig: Welche Kenngrößen möchte man berechnen (z. B. den Energiebedarf oder

Bauen mit Bauen mit biobasierten Materialien

Bauen mit mineralbasierten Materialien

350 Mio. Jahre

1750

Schaffung des CO₂-Speichers 6 Bauen als globaler Kohlenstoffspeicher: Die Einlagerung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in die Erdkruste (Lithosphäre) begann vor über 350 Millionen Jahren mit Hilfe der Photosynthese. Seit der ersten Indus­ trialisierung und der Nutzung fossiler Energieträger wird Kohlenstoff wieder vermehrt an die Atmosphäre abgegeben, mit weitreichenden Folgen für unser Klima und die Bewohnbarkeit weiter Teile unseres Planeten. Gebäude könnten zukünftig als Kohlenstoffspeicher verstanden werden, in denen biologische Baumaterialien gezielt zur Einlagerung genutzt werden. Nach: G. Churkina, A. Organschi, C. P. O. Reyer et al., „Buildings as a global carbon sink“, Nature Sustainability, 3, 2020, S. 269–276, https://doi. org/10.1038/s41893-019-0462-4.

15  William McDonough und Michael Braungart, Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things. New York: North Ponit Press, 2002. Deutsche Ausgabe: Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren. Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag, 2008.

2020

Entnahme aus dem CO₂-Speicher

2050

Aufstockung des CO₂-Speichers

Ressourcenverbrauch), und was ist der Zweck dieser Bestimmung? Und wo zieht man die Systemgrenzen der Betrachtung: Nimmt man das Kreislaufpotenzial mit in den Betrachtungsrahmen auf oder nicht, und welche Annahmen sind dazu notwendig? Im nächsten Schritt werden eine Sachbilanz (die Bestimmung aller für das Produkt notwendigen Stoffe und Elemente und deren Herkunft wie auch die Emissionen und Abfallprodukte bei Herstellung, Transport und Einbau) sowie die Wirkungsbilanz dieser Stoffe auf den Menschen, die natürlichen Ökosysteme, das Klima oder unsere Ressourcen (Treibhauseffekt, Toxizität, Strahlung, Landverbrauch etc.) ermittelt. Doch obwohl diese methodischen Ansätze mittlerweile Teil nationaler und internationaler Normierungen sind, gibt es keine wissenschaftliche Grundlage dafür, die Ergebnisse von Ökobilanzen übergreifend zu globalen numerischen Werten zusammenzufassen, da die Wechselwirkungen der verschiedenen Systeme innerhalb der Betrachtungsebenen sehr komplex und individuell sind. Eine weitere bekannte Denkschule zum Kreislaufgedanken wurde Anfang der 2000er Jahre von William McDonough und Michael Braungart entwickelt, ebenfalls gegründet auf dem Verständnis, dass Materie sich nur verändern, aber nicht verbraucht werden sollte. In ihrem Buch Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren15 entwickeln die beiden Autoren daher das Modell zweier Kreisläufe, die es zu schließen und nicht zu vermischen gilt: auf der einen Seite der biologische Kreislauf, der dem ursprünglichen natürlichen Kreislauf aller biologisch konfigurierten Materie entspricht; auf der anderen der technische Kreislauf, in dem alle nicht-biologischen Produkte endlos zirkulieren, indem sie reparaturfreudig, neu konfigurierbar und sortenrein entworfen, produziert und konstruiert sind. Das Grundprinzip „Cradle to Cradle“ sieht vor, dass diese beiden Kreisläufe absolut getrennt voneinander zu behandeln und zu bespielen sind. Jede Mischung kommt einer Zerstörung des Kreislaufes und der enthaltenen Nährstoffe (biologisch oder technisch) gleich. Insofern propagieren die Autoren auch das Prinzip der materiellen Verschwendung, da alle Materialien ja am Ende der Nutzung wiedergewonnen und in den Kreislauf zurückgegeben werden. (Ein von den Autoren

KREISLAUFGERECHTES BAUEN + KREISLAUFWIRTSCHAFT

oft genanntes Beispiel hierfür ist der Kirschbaum, der eine Million Blüten produziert, jedoch nur 1.000 Kirschen. Die verwelkten Blütenblätter jedoch werden zur Nahrungsgrundlage für die Produktion neuer Blüten im nächsten Jahr.) Braungart und McDonough treten ebenfalls für eine Neuregulierung der Verantwortung von Produzenten und Verbrauchern ein. Ihre Hoffnung ist es, dass durch klare regulative Rahmenbedingungen für eine konsequente Kreislaufwirtschaft eine neue Generation von Handelnden auf die Bühne tritt, welche die Ideologie der linearen Wirtschaft hinter sich lassen und Abfall als Nährstoffe für die Herstellung zukünftiger Produkte verstehen.

BESSER – WENIGER – ANDERS BAUEN Nachhaltiges Planen und Bauen erfordert dieses ganzheitliche Denken in einer Vielzahl von Themen und Bereichen: Soziokulturelle, ökonomische, ökologische, funktionale und ästhetische, lokale wie auch globale Faktoren müssen als gleichwertig und in Wechsel­wirkung zueinander betrachtet und verstanden werden. Diese Komplexität macht es unmöglich, vereinfachte Rezepte und Antworten zu vermitteln oder allgemein gültige Anwendungen vorzuschlagen. Nachhaltiges Planen und Bauen ist vielmehr das Ergebnis einer unvoreingenommenen, kritischen Sichtweise und damit einer persönlichen Einstellung zur Aufgabe – basierend auf Erfahrungswerten aus der eigenen experimentellen Tätigkeit und einem vergleichsweise breiten Grundlagenwissen zu Themen der Nachhaltigkeit. Besser – Weniger – Anders Bauen zielt darauf ab, einen solchen Überblick aus dem Blickwinkel des Bauwesens zu vielen aktuellen Themen rund um die Frage der Nachhaltigkeit zu schaffen und jeweils zwei dieser Themen in einem eigenen Band gegenüberzustellen. In diesem ersten Band wird das kreislaufgerechte Bauen der Frage einer ökonomischen Kreislaufwirtschaft gegenübergestellt, um hier Gemeinsamkeiten, Überlappungen, Lerneffekte, Möglichkeiten, aber auch Differenzen, Risiken und Unmöglichkeiten aufzuzeigen und somit die Komplexität der Aufgaben, die vor uns liegen, abzubilden. Weitere geplante Gegenüberstellungen wie zum Beispiel die Energiefrage, die Digitalisierung, der Flächenverbrauch oder die Partizipation werden helfen, die Diskussion zu erweitern und voranzubringen. Als Gliederungsstruktur haben wir einen perspektivischen Ansatz gewählt: Ausgehend vom jeweiligen Status quo, diskutieren die Beiträge in jeder Themenwelt dessen Verbesserung (Effizienz), eine radikale Abkehr (Suffizienz) und einen Umbau hin zum bedingungslosen Handeln in Kreisläufen (Konsistenz). Diese Gliederung wird sich wie ein roter Faden durch die Bände ziehen und uns somit immer wieder an das erinnern, was unweigerlich geschehen muss: ein auf Wissen abgestütztes nachhaltiges Handeln.

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PRINZIPIEN DES KREISLAUF­ GERECHTEN BAUENS Einleitung von Felix Heisel und Dirk E. Hebel

1  Differenziert nach Fertigungsgrad der Güter wurden im Jahr 2015 rund 355 Mio. t Rohstoffe, 135 Mio. t Halbwaren sowie 152 Mio. t Fertigwaren eingeführt. Umweltbundesamt, „Inländische Entnahme von Rohstoffen und Materialimporte“, https://www. umweltbundesamt.de/daten/ ressourcen-abfall/rohstoffe-alsressource/inlaendische-entnahmevon-rohstoffen (aufgerufen am 20.06.2020). 2  Umweltbundesamt, „Ressourcen und Abfall“, https://www.umwelt bundesamt.de/daten/ressourcenabfall/abfallaufkommen#deutsch lands-abfall (aufgerufen am 20.06.2020). 3  Mitchell Joachim, „City and Refuse. Self-Reliant Systems and Urban Terrains“, in Dirk E. Hebel, Marta H. Wisniewska and Felix Heisel, Building from Waste. Basel: Birkhäuser, 2014, pp. 21–25.

Im September 2020 stellte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, in ihrer vielbeachteten Rede abermals das Ziel der Etablierung einer vollständigen Kreislaufwirtschaft innerhalb der Europäischen Union vor, wie es bereits im Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft im März des gleichen Jahres formuliert worden war. Explizit ging von der Leyen auf die Verantwortung des Bauwesens ein, das nach Angaben der Kommission im Jahre 2019 für 50 % des Primärrohstoffverbrauchs und gleichzeitig 36 % des Festmüllaufkommens innerhalb der EU verantwortlich war. Der Grund dafür ist in unserem gewohnten linearen Denk- und Wirtschaftsmodell zu suchen: Rohstoffe werden aus den natürlichen Kreisläufen entnommen, daraus hergestellte Produkte und Güter werden verbraucht und anschließend entsorgt. Dieser nach wie vor dominierende lineare Ansatz hat tiefgreifende Konsequenzen für unseren Planeten. So verändern wir in gravierender Weise bestehende Ökosysteme. Sand, Kupfer, Zink oder Helium werden bald nicht mehr auf technisch, ökologisch und ökonomisch vertretbare Weise aus natürlichen Quellen zu gewinnen sein. Im Gegensatz zu diesem linearen Konzept der Rohstoffzerstörung steht das von Frau von der Leyen eingeforderte Ziel, in geschlossenen, intelligent geplanten und mit Voraussicht entworfenen Materialkreisläufen zu operieren. Der Maßstab des Problems lässt sich am Beispiel Deutschlands erörtern: Die Bundesrepublik Deutschland gilt als rohstoffarmes Land. Auch deshalb führt Deutschland jedes Jahr rund 642 Mio. t an Gütern ein. Die benötigte Rohstoffmenge hierfür ist jedoch wesentlich größer, weil auch Halbzeuge und weiterverarbeitete Produkte (Güter) importiert werden, die einen wesentlich höheren Rohstoffverbrauch in den Produktionsländern haben, als das importierte Produkt vermuten lässt – und zwar um den Faktor 2,5.1 Die direkte Materialnutzung der deutschen Wirtschaft liegt daher bei einer Masse von 1,3 Mrd. t. So geht das deutsche Umweltbundesamt davon aus, dass die Masse der direkten Materialnutzung in Deutschland jährlich einem Würfel aus Beton mit der Kantenlänge von 800 m entspricht. Dieses Bauwerk ist mit Abstand das höchste Gebäude Deutschlands und verdrängt das bisherige – den Berliner Fernsehturm mit 368 m – chancenlos auf Platz zwei. Und zwar jedes Jahr aufs Neue. Dem gegenüber steht ein Berg von Abfall in Deutschland, der nicht minder imposant ist: So entsprach das Brutto-Abfallaufkommen im Jahr 2017 in Deutschland rund 412 Mio. t.2 Bau- und Abbruchabfälle (einschließlich Straßenaufbruch) machten mit 220,3 Mio. t 53,4 % des Brutto-Abfallaufkommens im Jahr 2017 aus, wobei der Bodenaushub als Löwenanteil mit 85 % zu Buche schlägt. Die Zahlen aus Deutschland stehen als Beispiel dafür, dass wir einerseits global seit Jahrzehnten ein unfassbar großes anthropogenes Materiallager aufbauen und andererseits relativ ideenarm sind, wenn es darum geht, dieses gigantische Materiallager zu nutzen und nicht nach Gebrauch zu deponieren oder zu verbrennen. Oder anders formuliert: Während unsere traditionellen Rohstoffquellen immer schneller zur Neige gehen, haben unsere Städte das Potenzial, sich zu neuartigen Minen der Zukunft zu entwickeln. Sie benutzen sich selbst zur eigenen Reproduktion, oder wie der New Yorker Architekt Mitchell Joachim es ausdrückt: „Die Stadt der Zukunft unterscheidet nicht mehr zwischen Abfall und Rohstofflager.“3 Die Betrachtung des anthropogenen Rohstofflagers als einen vorübergehenden Zustand in einem endlosen Kreislauf von Ressourcen stellt einen radikalen Paradigmenwechsel für den Bausektor dar. Das quantitative Potenzial der bereits bestehenden „urbanen Mine“ als Materiallieferant ist enorm hoch. Die Herausforderung besteht darin, neue Konstruktionsmethoden und Technologien zu entwickeln, um diese Materialien in eine neue Generation qualitativ nachhaltiger, das heißt ökologisch nicht schädlicher, technisch sortenreiner und ökonomisch attraktiver – weil endlos zirkulierbarer – Baumaterialien zu überführen. Es geht um die Neubewertung etablierter, auch liebgewonnener Materialien und Konstruktionsprinzipien im Licht einer vollständigen und konsequenten Kreislaufwirtschaft. Grundvoraussetzungen hierzu sind erstens die Sortenreinheit der eingesetzten Materialien und zweitens der Einsatz einfach lösbarer Verbindungstechniken, um den Rückbau samt Wiederverwendung oder Wiederverwertung aller Materialien und Bauteile ähnlich dem Aufbau planen und organisieren zu können. Als sortenrein gelten hierbei Baumaterialien, die gleiche Werkstoffeigenschaften aufweisen (auch wenn sie in sich eine Mischform darstellen mögen), im Gegensatz zu Verbundwerkstoffen. Verbundwerkstoffe sind demnach Materialien, die aus zwei oder

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

mehreren Materialien bestehen, welche unterschiedliche Werkstoffeigenschaften besitzen und miteinander durch Stoffschluss verbunden sind. Sortenreine Materialien sind nicht gemischt, eloxiert, laminiert, beschichtet oder anderswertig mit einem weiteren Material unterschiedlicher Werkstoffeigenschaften verbunden. Ähnliches gilt für kreislaufgerechte Konstruktionsmethoden und Fügetechniken. Viele Materialien, die eigentlich aufgrund ihrer Werkstoffeigenschaften als sortenrein gelten, können aufgrund von Verunreinigungen und kreislauf-ungerechten Fügetechniken nicht wiedergewonnen werden. Dies liegt größtenteils an der Art und Weise, wie diese Materialien und Produkte im Bauwesen miteinander verbunden werden. Verklebungen, Nassdichtungen, Vermörtelungen oder Verfugungen können solche Verunreinigungen der Materialien hervorrufen und dadurch einen sortenreinen, werterhaltenden und schadstofffreien Rückbau verhindern. Unglücklicherweise besteht der überwiegende Teil unserer bereits gebauten Umwelt genau aus derartig problematischen Materialienkombinationen und Konstruktionen und ist weder für einen Rückbau noch für die Wiederverwendung entworfen oder konstruiert. In diesem Sinne betrachtet das Urban Mining das anthropogene Rohstofflager als ein eigentlich unpassendes Konstrukt, aus dem nur Fragmente der verwendeten Materialien und Bauteile unter großer Kraftanstrengung und hohem Energieeinsatz zurückgewonnen werden können. Das kreislaufgerechte Bauen hingegen richtet sich auf die Zukunft und fordert die Einhaltung der oben genannten Prinzipien in allen Neu- und Umbauten. Derart erstellte Bauwerke stellen insofern keine urbane Mine mehr dar. Sie sind ein Materiallager für die Wiederverwendung und -verwertung in der Zukunft. Aus der ökonomischen Perspektive dieser Kreislaufprinzipien entwickeln sich bereits heute neue Geschäftsfelder, die dazu beitragen, den gängigen linearen Materialumgang zu durchbrechen. Beispielsweise gehen Firmen dazu über, ihre Produkte nicht mehr zu verkaufen, sondern nur noch deren Nutzung in Rechnung zu stellen. Nach Gebrauch führen sie das (sortenrein eingebaute) Material wieder in den eigenen Produktionsprozess zurück. Das Produkt stellt daher durch eine weitblickende Gestaltung und Zusammensetzung eine Rohstoffquelle dar. Dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft folgend, entwickeln diese Unternehmen neues Know-how und neue Technologien und vermarkten diese Innovationen. In diesem Umdenken liegt eine enorme Chance, den Bausektor zu revolutionieren sowie komplett neue Geschäftsfelder zu erschließen und zu entwickeln. Eine derart kreislaufgerechte Bauwirtschaft setzt ein radikales Umdenken in der Art und Weise voraus, wie Ressourcen innerhalb der Bauindustrie und der gebauten Umwelt verwaltet werden. Ähnlich einer Lagerhaltung müssen die Materialbestände und -flüsse von Gebäuden, Städten und Regionen im Auge behalten und antizipiert werden. Das Ziel muss es sein, sie zu inventarisieren, zu dokumentieren und zum richtigen Zeitpunkt zu kommunizieren, welche Materialien in welchen Mengen und Qualitäten wo und zu welchem Zeitpunkt in der Zukunft zur Wiederverwendung oder -verwertung verfügbar werden. Die Auswirkungen auf den Entwurfs- und Bauprozess, die Liefer- und Wertschöpfungsketten innerhalb der Bauindustrie sowie die Datengenerierung und -verwaltung sind erheblich und stehen derzeit im Mittelpunkt verschiedener globaler Forschungsinitiativen. Das kreislaufgerechte Bauen erfordert folglich detaillierte Datensätze, um Materialflüsse zu verstehen und deren Schließung zu Kreisläufen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist das Konzept der Materialpässe entstanden. Im Allgemeinen versteht man unter einem Materialpass ein digitales Inventar aller in einem Gebäude verbauten Materialien, Komponenten und Produkte, einschließlich detaillierter Informationen über Mengen, Qualitäten, Abmessungen und Positionen aller Materialien. Neben dieser gründlichen Dokumentation auf der Ebene des einzelnen Gebäudes liegt in der Standardisierung und zentralen Registrierung der Pässe auf Materialpass-Plattformen oder in offiziellen Katasterplänen eine Voraussetzung für ein zirkuläres Ressourcenmanagement auf regionaler Ebene. Die folgenden Beiträge erläutern die hier aufgezeigten Prinzipien des kreislaufgerechten Bauens anhand der drei Nachhaltigkeitsstrategien „Besser“, „Weniger“ und „Anders“, und sollen – in Kombination mit den Prinzipien einer Kreislaufwirtschaft – zu neuen, möglicherweise ungewohnten und unbedingt nachhaltigen Denk- und Handlungsweisen anregen.

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PRINZIPIEN DER KREISLAUFWIRTSCHAFT Einleitung von Ken Webster

Seit das Konzept der Kreislaufwirtschaft um 2011 in den westlichen Industriestaaten als Leitlinie für Planung, Materialwirtschaft und Geschäftsmodelle wieder aufkam, hat es sich weltweit verbreitet. Dabei kursierten viele unterschiedliche Beschreibungen und Definitionen. Die folgende, von der Ellen MacArthur Foundation publizierte Begriffsbestimmung liefert in Verbindung mit der Grafik, die die wesentlichen Elemente einer „Schließung des Materialkreislaufs“ zeigt, eine hilfreiche Basis: „Eine Kreislaufwirtschaft ist ein systemischer Ansatz für die wirtschaftliche Entwicklung, der den Unternehmen, der Gesellschaft und der Umwelt zugutekommen soll. Im Gegensatz zum linearen Modell ‚Entnehmen-Herstellen-Entsorgen‘ ist eine Kreislaufwirtschaft von vornherein regenerativ und zielt darauf ab, das Wachstum schrittweise vom Verbrauch endlicher Ressourcen abzukoppeln.“1 Bereits über ein Jahrzehnt zuvor beschrieben Braungart und McDonough in ihrem bahnbrechenden Werk Cradle to Cradle mehrere Kernideen des heutigen Verständnisses von Kreislaufwirtschaft. Dazu gehört das Postulat „Abfall ist Nahrung“, also die Abfallvermeidung bereits in der Planung und die Definition von Materialien und deren Bestandteilen als Nährstoffe für den nachfolgenden Prozess (siehe Diagramm), die Umstellung auf saubere Energie und erneuerbare Energiequellen, die Förderung der Vielfalt und das Ziel der Regeneration des Naturkapitals. Weitere Definitionen gingen von der Abfallwirtschaft und der stofflichen Verwertung aus und orientierten sich an den gängigen Vorstellungen von Ressourceneffizienz. Wieder andere betrachteten die Kreislaufwirtschaft als Komponente der sozialen Verantwortung von Unternehmen oder aber als ein weiteres Etikett für Greenwashing. Durch die Zusammenführung dieser verschiedenen Begriffe und Konzepte – und die Erfahrungen der vergangenen Jahre – ist mittler­ weile im Großen und Ganzen klar geworden, was Kreislaufwirtschaft in der Praxis ausmacht. Zusammenfassend beschrieben Stefano Pascucci und Kollegen ihre Erkenntnisse zur Debatte über die Kreislaufwirtschaft „in den folgenden drei Kernaussagen: i. Die Kreislaufwirtschaft führt die Grundlagen anderer Denkschulen zusammen2 und formuliert sie zu einem Narrativ, das Maßnahmen auf politischer Ebene anregen kann. ii. Die Kreislaufwirtschaft evoziert einen sozio-technischen Übergang zu vielfältigen Ordnungen, in denen gesellschaftliche und materielle Bedürfnisse durch innovative industrielle Systeme erfüllt werden.  iii. Die Kreislaufwirtschaft trägt zu den ökologischen und ökonomischen Dimensionen der Nachhaltigkeit bei, indem sie für industrielle Systeme einen Ansatz der Ökoeffektivität verfolgt.“3 

1  https://archive.ellenmacarthur foundation.org/explore/the-circulareconomy-in-detail. 2  Neben Cradle to Cradle beispielsweise Naturkapitalismus, industrielle Ökologie, Blue Economy (Pauli), Performance-Ökonomie. 3  Massimiliano Borrello, Stefano Pascucci und Luigi Cembalo, „Three Propositions to Unify Circular Economy“, in Sustainability, 12 (10), 2020, https://www.mdpi.com/20711050/12/10/4069/htm. Hervorhebungen durch den Autor.

Diese Zusammenfassung ist allgemein anerkannt und wird insofern bei niemandem ein Gefühl des Unbehagens auslösen. Diese vertraute Sequenz aus neuen, sehr stark an der Digitalisierung ausgerichteten Technologien wird zu einer Anpassung von Geschäftsmodellen und zu innovativer Produkt-, System- und Serviceplanung führen. Je nachdem, von welcher Seite die Frage aufgeworfen wird, unterscheiden sich natürlich die Ziele. Dem Kunden – beispielsweise dem Eigentümer oder Verwalter eines Gebäudes – wird damit auf gewohnte Weise ein Angebot gemacht. Dieses kann in der Attraktivität für Kunden und Nutzer liegen, oder auch in der Effizienz in Form von niedrigeren Personal-, Material- und Energiekosten für Instandhaltung und Nutzung. Als planungsorientierter systemischer Ansatz stellt es aber im guten Fall bestehende Gewohnheiten und Praktiken in Frage. Pascucci und Kollegen setzen nicht auf Effizienz, sondern auf Ökoeffektivität. Dies legt auch einen Perspektivwechsel nahe, denn Effektivität thematisiert den Zweck des betreffenden Systems: Welchem Zweck dient das Ganze? Und diese Frage richtet sich auch darauf, inwieweit das System selbst in die Zusammenhänge passt, in denen es agiert. Dabei können wir bis zu Darwin zurückgehen, der die Evolution keineswegs als Überleben des Stärkeren („besiege alle anderen, bis du als Letzter übrigbleibst“), sondern als Überleben „des am

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

BIOSPHÄRE Regenerative Stoffströme Nutzung sicher für Mensch und Umwelt

Ernte biobasierter Ressourcen für Biosphäre und Technosphäre

Kaskadennutzung

Regeneration durch natürliche Umwelt

MATERIAL­ HERSTELLUNG Ernte

Abbau (Urban Mining)

KOMPONENTEN­ HERSTELLUNG

Wiederverwerten Weiterverwerten

Weiterverwerten Aufbereiten T1

PRODUKT­ FERTIGUNG

B1.1 B1.2 B2

VERKAUF, KUNDENSERVICE UND VERTRIEB

B3

B4

Regeneration durch industrielle Prozesse

TECHNOSPHÄRE Bestandsbewirtschaftung Nutzung sicher für Mensch und Umwelt

REGENERATIVE ENERGIE

Wiederverwenden Reparieren Teilen Erhalten

T2

T3

T4

NUTZUNG, VERBRAUCH UND SAMMLUNG

1

KEIN ABFALL

Das Schmetterlingsdiagramm eröffnet einen eindrücklichen, ganzheitlichen Blick auf die Hauptannahmen, die für den Übergang in eine Kreislaufwirtschaft, die vorgeschlagenen Veränderungen und die Bandbreite an Lösungen für den Übergang maßgeblich sind. Nach: Growth within: a circular economy vision for a competitive Europe, 2015. – Ellen MacArthur Foundation und McKinsey Center for Business and Environment, sowie EPEA – Part of Drees & Sommer.

4  Stephen Jay Gould, „Darwin’s Untimely Burial“ (1976), in: Alex Rosenberg und Robert Arp (Hrsg.), Philosophy of Biology: An Anthology. John Wiley & Sons, 2009, S. 99–102. 5  Zitiert in: Ellen MacArthur Foundation (CE100), Circular Business Models for the Built Environment. Arup und BAM, 2017, S. 12.

besten an das System Angepassten“4 begriff. Wie könnte es auch anders sein – nun, da die Klimakrise offensichtlich ist und uns daran erinnert, was geschieht, wenn wir ganzheitliche Systemzusammenhänge aus dem Blick verlieren? Kontextbezogen ist auch die Vorstellung von den Wandel behindernden oder ihn fördernden Faktoren. Für die einzelnen Wirtschaftszweige gelten jeweils bestimmte Spielregeln. So sind im Bausektor einschlägige Vorschriften und Flächennutzungspläne alltägliches Wissen. Aber auch von Änderungen des Bodenwerts oder bei Steuern und Gebühren können starke Einflüsse ausgehen. Sicher wird es in absehbarer Zeit eine Kohlenstoffabgabe und -dividende in der einen oder anderen Form geben, und hohe Energiepreisschwankungen sind bereits gang und gäbe. Gleiches gilt für die Einsicht, dass an die Stelle der Abfall- eine Materialwirtschaft treten muss. Auch ist ein detailliertes Wissen darüber, aus welchen Elementen ein Gebäude oder ein Infrastrukturbauwerk besteht, praktisch unabdingbar. Mindestvoraussetzung einer Kreislaufwirtschaft ist eine geschlossene Verantwortungs­ kette für Produkte, Komponenten und Materialien, die an die Stelle des Konzepts von Beschaffung, Nutzung und Entsorgung tritt. Als Pioniere des Cradle-to-Cradle-Ansatzes schlagen Braungart und McDonough vor, Produkte, Komponenten und Materialien als Nährstoffe eines Systems zu betrachten, das Gebäude letztlich zu einem für die Umwelt positiven Beitrag werden lässt. In diesem Sinne erklärt Julie Hirigoyen vom UK Green Building Council: „Nach meinem Dafürhalten ist die Messung und Offenlegung der ökologischen und sozialen Auswirkungen über die gesamte Lieferkette hinweg der wichtigste Katalysator für nachhaltiges Bauen. Dies sollte zu innovativeren Beschaffungs- und Vertragsmodellen führen, die eine kreislauforientierte Planungspraxis und einen Lebenszykluskostenansatz für Entwurfsund Bauprozesse fördern.“5 Aus der Perspektive des Experten oder am Bau Beteiligten mag dies zu einem Großteil jenseits der Möglichkeiten des einzelnen Unternehmens liegen. Aus Sicht der Kreislaufwirtschaft erfordert diese Denkweise ein höheres Maß an Kooperation – wiederum gestützt durch zugrunde liegende Daten, also die digitalen Leitlinien der Materialwirtschaft, die die Basis für die Zusammenarbeit bilden. Diese Form der Kooperation könnte aber auch eine weitere Konsolidierung der Baubranche einläuten, denn dadurch wird der Wert, der in der Kontrolle des Materialkreislaufs – auch der Wiedergewinnung und -verwendung – liegt, zunehmend transparenter. Darüber hinaus könnten Baufinanzierer stärkeres Interesse daran zeigen, Immobilien als längerfristige Anlagen zu halten, die vielfältigere Ertragsströme generieren. Das können zum Beispiel Gebäude als Energiequellen, der Verkauf von Bausystemen als Dienstleistung oder das Bauen zu Vermietungs- statt zu Verkaufszwecken sein. In der Folge könnte sich die Umschlagshäufigkeit von Bestandsimmobilien und Neubauten verringern: Das Prinzip „Kaufen-Bauen-Verkaufen-Vergessen“ könnte dem Ansatz „Kaufen-BauenUnterhalten-Anpassen“ weichen. Aus Sicht der Kreislaufwirtschaft sind ganzheitliche (kontextbezogene) und längerfristige Betrachtungsweisen gefragt – Maßnahmen, die die Produktlebensdauer verlängern und die Materialintensität und -nutzung durch neu entwickelte Geschäftsmodelle erhöhen. Dazu gehört ein Übergang vom Verkauf von Produkten zum Verkauf von deren Nutzung ebenso wie eine umfassende Datenbank, die die Materialien und ihren Wert im Gebäude erfasst. Darüber hinaus sind alle genannten Punkte vor dem Hintergrund immer kostenintensiverer Materialien (aufgrund von Engpässen und globalen Lieferkettenproblemen und vor allem unter Berücksichtigung der realen Bepreisung von CO₂-Emissionen), teurerer Energie, explodierender Grundstückspreise sowie des Ziels und der Zweckmäßigkeit (und der Umweltvorteile) eines fußgängerfreundlichen (oder auf Mikromobilität ausgerichteten) urbanen Lebens zu sehen. All diese Erwägungen machen „Miete statt Eigentum“ zu einer Entscheidung, die über eine reine Anpassung des Lebensstils weit hinausgeht. Unabhängig

KREISLAUFWIRTSCHAFT

von möglichen sozialen Vor- oder Nachteilen dieses Trends ist augenfällig, dass er mit den breiteren Entwicklungen in Richtung einer Kreislaufwirtschaft im Einklang steht. Der vorliegende Band beleuchtet einige der genannten Veränderungen und Sichtweisen. Die folgenden Kapitel enthalten Überlegungen zu einer Kreislaufwirtschaft als tragender Säule einer Rentenökonomie/finanzialisierten Wirtschaft (S. 138), zu Materialdatenbanken (S. 118), zu Heizungs-, Kühlungs- und Lüftungssystemen als Beispiel für dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle (S. 130), zum Potenzial von Kohlenstoffabgaben/-dividenden und ihren Auswirkungen (S. 92) und vielem mehr – Aspekte, die im Zusammenhang mit der Debatte über kreislaufgerechte Bauverfahren hoffentlich noch an Relevanz gewinnen werden.

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BESSER

BESSER Effizienz in der Bauwirtschaft Einleitung zum kreislaufgerechten Bauen von Dirk E. Hebel und Felix Heisel

1  Siehe Annie Leonard, The Story of Stuff: How Our Obsession with Stuff is Trashing the Planet, Our Communities, and our Health – and a Vision for Change. New York: Free Press, 2010.

Das 20. Jahrhundert war durch ein bespielloses globales Wirtschaftswachstum gekennzeichnet, beschleunigt durch den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt und globale Handels­ beziehungen. Die Hoffnungen an das System waren geknüpft an internationale Bemühungen, Armut, Ungerechtigkeiten und Kriege zu bekämpfen und damit ein würdevolles Leben für alle zu befördern. Für das zugrunde liegende lineare („take, make, waste“1 ) und durch fossile Energieträger befeuerte Wirtschaftsmodell bezahlen wir allerdings heute einen hohen Preis. Im Bauwesen ist dies besonders sichtbar. So wird nach wie vor der weitaus größte Teil unserer Rohstoffe – sowohl die fossilen Energieträger wie auch die im Bau verwendeten Materialien – aus den endlichen Vorkommen der Erdkruste entnommen, benutzt und anschließend entsorgt oder verbrannt, unter Ausstoß großer Treibhausgasemissionen. Rohstoffe werden im wahrsten Sinne des Wortes konsumiert. Dieser nach wie vor dominierende lineare Ansatz unseres Wirtschaftssystems hat tiefgreifende Konsequenzen für unseren Planeten. Wir greifen gravierend in bestehende Ökosysteme ein: Der Klimawandel, aussterbende Fauna- und Florasysteme und auch zur Neige gehende natürliche Material­ reserven zeugen davon. Sand, Kupfer, Zink oder Helium, um einige wenige Bespiele zu nennen, werden bald nicht mehr technisch, ökologisch und ökonomisch vertretbar aus natürlichen Quellen gewonnen werden können. Die Preisentwicklung von Baumaterialien, wie sie zur Zeit des Verfassens dieses Buches auch unter Berücksichtigung politischer Gemengelagen für das Jahr 2022 greifbar ist, ist wohl nur ein Vorgeschmack auf zukünftige Anstiege. Für viele Familien ist der Wunsch, Wohnraum zu erwerben oder zu bauen, auch durch ebenfalls gestiegene Bodenpreise in Ballungsgebieten in weite Ferne gerückt, unser gesellschaftliches Selbstverständnis gerät ins Wanken, und eine soziale Nachhaltigkeit ist nicht mehr gewährleistet. Dabei war diese Entwicklung seit den Veröffentlichungen des Club of Rome (siehe S. 15) vor nun knapp 50 Jahren absehbar, denn sie ist im wirtschaftlichen System verankert: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, und eine Verknappung der natürlichen Reserven (genauer des technologisch, ökologisch, ökonomisch und ethisch verfügbaren Teils unserer Ressourcen) führt infolgedessen zwangsläufig zu Preissteigerungen, sofern hier nicht politisch gegengesteuert wird. In dieser Erkenntnis liegt aber auch einer von mehreren Lösungsansätzen, in denen nachhaltige Strategien im Bauwesen das Angebot erweitern, die Nachfrage reduzieren sowie Angebot und Nachfrage durch neue Geschäftsmodelle besser verknüpfen. Dem entsprechen die drei Kategorien Besser, Weniger und Anders. Mit Blick auf diese drei Strategien des nachhaltigen Handelns ist es eine Aufgabe unserer Zeit, neue und regenerative Materialquellen zu erschließen. Denn die zukünftige wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung hängt unumgänglich mit der Frage zusammen, woher unsere Ressourcen für zukünftige Aufgaben stammen. Da unsere natürlichen Minen versiegen und CO₂-Werte durch den Einsatz fossiler Energieträger alarmierende Werte erreichen, gilt es in allen Wirtschaftssektoren, bereits vorhandene und zukünftige Ressourcen besser zu nutzen. Hierbei kommt der gebauten Umwelt eine zentrale Rolle zu. Sie muss als zukünftiger Rohstofflieferant verstanden werden. Dieses anthropogene Lager wird oft als eine „urbane Mine“ beschrieben. Die Idee ist hierbei, bestehende Bauten und Infrastrukturen zu nutzen, um daraus – unter hohem Energieund Arbeitsaufwand – wiederum Baustoffe für weitere Aufgaben herzustellen. Im ersten Moment erscheint dies eine perfekte Lösung unseres Angebotsproblems: Wir benutzen das, was es schon gibt und was nicht mehr gebraucht wird, und können ansonsten existierende Denk- und Handelsweisen fortsetzen. Auf dem Weg zu einer vollständig kreislaufgerechten Bauwirtschaft kann „Urban Mining“ aber lediglich einen Zwischenschritt darstellen, da wir dadurch zwar das bestehende System etwas besser machen, aber nicht grundlegend ändern. Denn wie in einem herkömmlichen Bergwerk entstehen beim Schürfen von Rohstoffen aus der städtischen Mine Giftstoffe, Nebenprodukte minderer Qualität und Materialien, die die Kriterien des Kreislaufdenkens nicht erfüllen. Diese müssen (temporär) ausgeschleust werden – in der seit langem verankerten Hoffnung, dass sie in der Zukunft durch neue technologische Entwicklungen wieder in den Stoffkreislauf eingeschleust werden könnten. Hierzu gehören eine Unzahl gängiger Baumaterialien, die als Komposite oder Verbundmaterialien aus

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

mehreren untrennbaren Stoffen unterschiedlicher Materialkennwerte bestehen und insofern (nach heutigem Technologiestand) nicht sortenrein zurückgewonnen werden können. Ebenfalls betrifft dies Materialgruppen, welche durch synthetische Kleber, Schäume, Beschichtungen, Lackierungen oder andere Behandlungen verunreinigt wurden und nicht ohne starke Qualitätsverluste in den Kreislauf zurückgebracht werden können. Viele dieser aufgeführten Baustoffe werden heute deponiert oder verbrannt, was einer Zerstörung der Rohstoffe und unserer natürlichen Kreisläufe gleichkommt. Setzen wir diese Zerstörung fort, können wir den zukünftigen Bedarf an Baumaterialien nicht in geschlossenen Kreisläufen decken. In jedem bestehenden System, das man zunehmend optimieren möchte, gelangt man irgendwann an eine Systemgrenze, bei der Innovationen nur noch marginal erfolgen und mit hohem Aufwand bezahlt werden müssen. Eine Effizienzstrategie im Bauwesen – das bestehende System besser machen –, die sich auf den Materialkreislauf richtet, kämpft heute mit der Tatsache, dass die Materialquellen des Systems nachlassen und durch die bestehende gebaute Umwelt aktuell nur unzureichend und in geringen Teilen ersetzt werden können. Das Absurde hierbei ist, dass dieser Mangelzustand selbst die Folge einer Optimierungsstrategie ist. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich die Industrie darauf konzentriert, Materialien und Produkte zur Marktreife zu bringen, die immer höhere Qualitäten und verbesserte Merkmale versprechen: bessere und schnellere Verarbeitung, Dauerhaftigkeit und Langlebigkeit, einfache Anwendung, günstige Beschaffung, massenhafte Verfügbarkeit etc. Dabei außer Acht blieb die Frage, was mit diesen Materialien, zumeist Komposite und Verbundwerkstoffe, nach deren (de facto immer kürzerer) Nutzungsphase geschehen soll. Das lineare System hat diese Frage nicht gestellt. So entstand der heutige Gebäudebestand, der das Potenzial verloren hat, als direkte Materialquelle zu dienen. Und während es darum geht, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und ab jetzt anders und kreislaufgerecht zu bauen, geht es auch – und möglicher­ weise besonders – darum, besser mit dem Bestand zu arbeiten, um die sozialen, ökonomischen und ökologischen Schäden der Bauwirtschaft an unserem Planeten und dessen Bewohnern ins Positive zu drehen. Hierbei gilt es zwischen der Wiederverwertung von Materialien (durch bessere Aufbereitungsprozesse), der Wiederverwendung von Bauteilen und Produkten (durch einen Wandel vom Abriss zum Rückbau) und der Wiederverwendung von Bauwerken (durch Umbau statt Neubau, „Adaptive Reuse“) zu unterscheiden. Während diese drei Ansätze international durch regionale Förderschwerpunkte, politische Ausrichtungen und Unterschiede im Gebäudebestand verschieden gewichtet werden, sind sie als komplementär zu verstehen und auf verschiedenen Maßstabsebenen gemeinsam anzuwenden. Die letzten Jahre brachten auf all diesen Gebieten interessante Neuerungen. So erlaubt die Integration von Optical Computing, Augmented Reality und Machine Learning eine schnelle Erfassung und Sortierung von Bauabbruch in Fraktionen mit gleichbleibender und zertifizierbarer Qualität als Grundlage für neue Produkte; mobile Recyclinganlagen ermöglichen die sortenreine Wiederaufbereitung von Rohstoffen direkt auf der Baustelle; und Produktinnovationen feiern die ästhetische Qualität von hochqualitativen neuwertigen Bauprodukten aus sekundären Rohstoffen aus der urbanen Mine. Die zunehmende Anzahl von erfolgreichen Unternehmen im Sektor der Wiederverwendung, und damit verbundene neue digitale Geschäftsmodelle, zeugen von einem Umdenken der Bauherren und Architekten. Und die breite Forderung nach einer Umbauordnung in Deutschland zeugt von der materiellen, aber auch politischen und gesellschaftlichen Wichtigkeit des Bestands. Von derartigen Anstrengungen, die Nutzung der „Urban Mine“ zu optimieren und die darin enthaltenen (grauen) Werte – Energie, Wasser, Wissen, Geschichte – bestmöglich zu bewahren, berichtet dieses Kapitel.

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BESSER

RÜCKBAU STATT ABRISS Bestandsbauten als Ressource im urbanen Kontext Beitrag von Gretchen Worth, Felix Heisel, Anthea Fernandes, Jennifer S. Minner und Christine O’Malley

1  Environmental Protection Agency (EPA), Advancing Sustainable Materials Management: Fact Sheet 2018 (2020), https://www.epa.gov/sites/production /files/2021-01/documents/2018_ff_ fact_sheet_dec_2020_fnl_508.pdf (aufgerufen am 11.04.2021). 2 

Ebd.

3 

Ebd.

4  Die Aktivitäten von CR0WD basieren auf wissenschaftlichen Arbeiten zu den Themen Kulturerbe, Abfall und Kreislaufwirtschaft. Dazu gehört die Sonderausgabe „Heritage and Waste Values“ des Journal of Cultural Heritage Management and Sustainable Development, 10:1, 2020, insbesondere die Beiträge von Susan Ross und Victoria Angel („Heritage and waste: introduction“, S. 1–5) sowie Tina M. McCarthy und Eleni Evdokia Glekas („Deconstructing heritage: enabling a dynamic materials practice“, S. 16– 28). Siehe auch Gillian Foster und Halliki Kreinin, „A Review of Environmental Impact Indicators of Cultural Heritage Buildings: A Circular Economy Perspective“, Environmental Research Letters 15, No. 4, 15.04.2020: 043003; Luigi Fusco Girard und Francesca Nocca, „Moving Towards the Circular Economy/City Model: Which Tools for Operationalizing This Model?“, Sustain­ ability, 11, Nr. 22, 07.11.2019: 6253.

In Gemeinden in den gesamten USA stellen umweltbewusste Bürger:innen ihre leeren Flaschen und Dosen sowie Papier und Kunststoffverpackungen zur Abfuhr an den Straßenrand. Regelmäßig bringen sie ihre Küchenabfälle zu Sammelstellen für die Kompostierung von Resten.. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Kapazitäten für die Wiederverwendung landesweit deutlich erweitert, sodass ein kontinuierlicher Kreislauf von Möbeln, Hausgeräten, Computern, Kleidung, Büchern und Haushaltsgegenständen entstanden ist. Immer mehr Kommunen setzen sich anspruchsvolle Ziele für die Klimaneutralität, doch ein nachhaltiger, umweltschonender Umgang mit Bestandsbauten und der vorhandenen Infrastruktur ist darin meist noch nicht berücksichtigt. Pro Jahr fallen in den USA über 600 Mio. t Abfälle aus dem Bau und Abriss von Wohnund Geschäftshäusern, Straßen, Brücken und Gehwegen an.1 Dieser Bau- und Abbruchschutt liegt etwa bei der doppelten Menge der gewöhnlichen Siedlungsabfälle und stammt zu 90 % aus Abrissarbeiten.2 In begrenztem Umfang wird er einem Recycling (vor allem Metalle) oder Downcycling (vor allem Beton) zugeführt, doch landet viel auf Deponien und macht dort inzwischen den größten Teil aus.3 Die anfallenden Mengen sind enorm, was auch für den damit einhergehenden ökologischen, kulturellen und ökonomischen Wertverlust von Gebäuden gilt, die der Abrissbirne zum Opfer fallen. Das gigantische Volumen der Bau- und Abbruchabfälle zeigt eindrücklich, wie dringend wir diese Krise gemeinsam überwinden und Lösungen für eine nachhaltigere Zukunft finden müssen. Als Alternative zum Abriss kann der systematische Rückbau die Entstehung von Abfällen verhindern, Baustoffe in den Markt zurückführen und so das Paradigma der Kreislaufwirtschaft in der Baubranche fördern. Damit erfahren die im ursprünglichen Gebäude verkörperte Bau- und Handwerkskunst, die darin verwendeten Materialien und die mit ihm verbundene(n) Geschichte(n) eine angemessene Wertschätzung. Es lassen sich umweltfreundliche Arbeitsplätze schaffen und zusätzliche Kompetenzen entwickeln – verbunden mit der Per­ spektive, in der Arbeitswelt für größere Chancengerechtigkeit zu sorgen. Nichtregierungsorganisationen und Kommunen arbeiten an der Einführung neuer Strategien, Vorschriften und Anreizsysteme, um sich die Vorteile des vollständigen Rückbaus von Gebäuden und der Wiederverwendung von Baumaterialien zunutze zu machen. Das Partnernetzwerk Circularity, Reuse, and Zero Waste Development (CR0WD) wurde 2020 in Upstate New York von einem Bündnis aus Einzelpersonen und Organisationen verschiedener Disziplinen gegründet. CR0WD setzt sich für Rückbau, Wiedergewinnung und Wiederverwendung als Alternativen zum herkömmlichen Abriss ein und fördert die Grundsätze und Praktiken einer Kreislaufwirtschaft. Da sich bei CR0WD auch viele Denkmalpfleger engagieren, wird der Rückbau nicht nur als wichtige ökologische und wirtschaftliche Praxis verstanden, sondern es werden auch die Geschichte und Geschichten, die mit den Gebäuden verbunden sind, gewürdigt – selbst dann, wenn deren ursprüngliche Form verloren geht.4 CR0WD arbeiten mit mehreren Gemeinden im US-Bundesstaat New York zusammen, um gemeinsam die ökologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Vorteile der Verlängerung der Nutzungsdauer von Gebäuden und der Wiederverwendung von Baustoffen und Bauteilen zu realisieren. Zu den konkreten Zielen gehört die Umsetzung einer entsprechenden Kommunalpolitik in der in diesem Bundesstaat gelegenen Stadt Ithaca, um die anfallenden Bauschuttmengen messbar zu machen und sinnvoll zu reduzieren.

VOM ABRISS ZUM RÜCKBAU Ein Abriss lässt sich sowohl aus technischer wie aus handlungsorientierter Sicht als sicherer und effizienter Abbruch oder Entfernung eines Gebäudes oder einer anderen vom Menschen errichteten Struktur definieren. Dabei besteht das Ziel in der Beräumung des Grundstücks. Dem steht der Rückbau gegenüber, der sich als Technik und Prozess der sicheren, sorgfältigen und systematischen Demontage eines Gebäudes oder einer anderen vom Menschen errichteten Struktur fassen lässt – mit dem Ziel, die Rückgewinnung wertvoller Materialien und Bauteile zur Wiederverwendung oder -verwertung im Zuge der Räumung des Standorts zu maximieren. Zwar führen beide Ansätze letztlich zur Beseitigung des Bauwerks – doch mit völlig unterschiedlicher Zielsetzung.

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

1

VOLLSTÄNDIGER RÜCKBAU

ÖKONOMISCHER UND ÖKOLOGISCHER WERT

Geplanter, vollständiger Rückbau eines Gebäudes mit dem Ziel der größtmöglichen Gewinnung von Komponenten zur Wiederverwendung und -verwertung

Im Gegensatz zum Abriss und der Entsorgung auf Deponien erreicht ein vollständiger Rückbau Ziele in mehreren Wertekategorien.

TEILRÜCKBAU Entnahme und Wiederherstellung zusätzlicher Gebäudekomponenten und Bauelemente wie Vorbauten, Stützen, Türen, Fenster und Holzböden BEGRENZTE ENTNAHME/ WIEDERVERWENDUNG Schonende Entnahme einzelner Gebäudekomponenten und Bauelemente, die sich einfach ausbauen lassen, wie Einbaugeräte und -möbel ABRISS Nahezu alle Materialien werden abgebrochen und auf Deponien verbracht, mit Ausnahme minimaler Restmaterialien zur Weiterverwertung

SOZIALER UND KULTURELLER WERT

„Rückbau“ ist im Grunde ein neuer Begriff für ein seit langem bekanntes Verfahren. Während der behutsame Rückbau von Bauwerken über Jahrtausende hinweg gang und gäbe war, macht der Abriss heute im Wesentlichen das gesamte Marktsegment aus, denn die Verwendung von Baumaschinen, die Globalisierung der Materialströme und neue Investitionsstrategien haben dazu geführt, dass die Kosten für Land, Arbeit und Zeit nun höher als die Materialkosten sind und auch die mit der Gewinnung der benötigten Rohstoffe verbundenen sozialen und ökologischen Betrachtungen in den Hintergrund gerückt sind. Einer ausschließlich auf die Beräumung des Grundstücks konzentrierten Betrachtung mag ein Wirtschaftlichkeitsvergleich beider Verfahren noch einfach erscheinen – und höchstwahrscheinlich den Abriss als kostengünstigere Option favorisieren. Ein ganzheitlicher Vergleich dagegen, der die kommunalen und ökologischen Kosten und Nutzen berücksichtigt, plädiert für den Rückbau. Dieser lässt sich folglich sowohl als politische Maßnahme als auch als technischer Prozess auf der Baustelle begreifen. Diesem Gedanken folgend, definieren die Autoren in einem Bericht an das US-Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung aus dem Jahr 2001 den Rückbau als „innovatives Instrument, das zur Erneuerung der Gemeinschaft beitragen soll“. Die Argumentation umfasst alle genannten Vorteile des Rückbaus in größerem Maßstab: „Das Neue und Spannende daran ist, wie Gemeinden diesen Prozess – den Rückbau – nutzen können, um auch andere kommunalpolitische Ziele voranzutreiben und zu ergänzen. Der Rückbau kann (1) Ausbildungs- und Beschäftigungschancen für ungelernte und arbeitslose Menschen eröffnen, (2) die Gründung und das Wachstum von Kleinunternehmen fördern, die aus Rückbauprojekten wiedergewonnene Materialien verarbeiten, und (3) die Umwelt besser schützen, indem wertvolle Ressourcen nicht in bereits jetzt volle Deponien verbracht, sondern gewinnbringend wiederverwendet werden. So würde sich der Rückbau praktisch selbst finanzieren, indem er Erträge erwirtschaftet und Deponie- und Entsorgungskosten einspart.“5

5  NAHB Research Center, Inc., „Report on the Feasibility of Decon­ struction: An Investigation of Decon­ struction Activity in Four Cities“, OPC21289, T0004. Upper Marlboro, MD: U.S. Department of Housing and Urban Development Office of Policy Development and Research Washington, D. C., 2001.

BESSER

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Vorteile einer Kreislaufwirtschaft im Bereich Bauen und Konstruieren.

W de R E • ür LL rg W di E gu ew M ied at e ng inn W ER er rv u de ng ia er TE lie w r vo n ert Ge n sc un B hi a g un cht uel e e d un me -v n er d w Er te n en in n du ng eru vo n g n

2

DIE US-REGIERUNGSPOLITIK TRANSFORMIEREN

6  Europäische Kommission, „Der europäische Grüne Deal“, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen COM (2019) 640 final. Brüssel: Europäische Kommission; Svante L. Myrick, „Ithaca Green New Deal Summary“, City of Ithaca, Mayor’s Office, 2020; OneNYC, „OneNYC: The Plan for a Strong and Just City“, OneNYC, 2020. 7  architecture 2030 (Hrsg.), „The Carbon Issue“, ARCHITECT, Januar 2020. 8  architecture 2030, „New Buildings: Embodied Carbon“ (2019), https:// architecture2030.org/new-buildingsembodied/.

Im Zuge der Bemühungen globaler und lokaler Akteure, die Klimaproblematik anzugehen, entwickeln Kommunen, Regionen und Länder Strategien für die gebaute Umwelt, um bis 2050 oder sogar 2030 klimaneutral zu werden.6 Doch zielt der überwiegende Teil dieser Maßnahmen nach wie vor in erster Linie auf den mit dem Neubau und dem Betrieb verbundenen CO₂-Ausstoß ab und konzentriert sich auf die direkten und indirekten Emissionen aus der Beheizung, Kühlung und dem Betrieb von Gebäuden. Während sich diese betriebsbedingten Kohlenstoffemissionen im Laufe der Zeit ansammeln, entstehen die indirekten oder „grauen“ Emissionen hingegen bei der Produktion und Herstellung der Materialien und sind somit bereits ab dem ersten Tag der Nutzung eines Gebäudes vorhanden. Je kürzer der Betrachtungszeitraum, desto wichtiger werden diese vorgelagerten Emissionen. Gerechnet über einen Zeitraum von zehn Jahren – mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2030 – machen Materialherstellung, Transport und Errichtung 70 % des gesamten neubaubezogenen CO₂Ausstoßes aus.7 Andererseits bieten Bestandsbauten ein immenses Reservoir an Materialien, die sowohl für Neubau- als auch für Sanierungsprojekte genutzt werden könnten. Indem wir die gebaute Umwelt als Materialressource für den Bau der Städte der Zukunft aktivieren und auf den darin bereits gebundenen Kohlenstoff zurückgreifen, erschließen wir also nicht nur wertvolle lokale Baustoffquellen, sondern vermeiden möglicherweise auch bis zu 50 % der in der Branche durch Abriss, Transport, Deponierung und die Produktion neuer Materialien entstehenden Emissionen.8 In vielen Fällen wird die Nutzung von bereits gebundenem Kohlenstoff in der US-Regierungspolitik weitgehend ignoriert. Selbst in Städten, die für fortschrittliche, innovative Politikansätze bekannt sind, bleiben Bau- und Abbruchabfälle weitgehend unsichtbar. Viele bundesstaatliche und lokale Regierungen haben Strategien für intelligentes Wachstum entwickelt, mit denen Innenstadtbereiche nachverdichtet werden sollen, um die Zersiede-

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

RÜCKBAU

Maximale Wiedergewinnung

Dienst­ leistungen und Technologie

Schaffung von Arbeitsplätzen und Kompetenzen

Reduzierung von Deponie­mengen

Minderung von CO₂Emissionen

Verordnungen für Abriss-/ Aufschu­b­fristen

Erfassung und Veröffent­ lichung von Abrissdaten

Anreize für Rückbau und Wieder­ gewinnung

Anreize für Wieder­ verwertung/ -verwendung

Zielvorgaben für Reduzierung von Bauschuttmengen

3 Empfohlene Vorgehensweisen zum Erreichen einer Reihe von Zielen.

ABRISS

HANDLUNGS­ OPTIONEN DER POLITIK

lung zu verringern, fußgängerfreundliche Stadtzentren zu schaffen und die mit dem Auto zurückgelegten Strecken zu reduzieren. Vielerorts wurden Energieeffizienzvorschriften für Gebäude erlassen, und es werden Maßnahmen zur Verbesserung der Wiederverwertung und Kompostierung von Siedlungsabfällen getroffen. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Bauund Abbruchabfällen hat sich jedoch noch nicht durchgesetzt. Daher bedarf es gesetzlicher Regelungen, um einen solchen nachhaltigen Umgang mit Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen zu gewährleisten. Zweifelsohne ist es sinnvoll, Türen, Fenster, Fußböden und Einbauten aus Gebäuden zu bergen und wiederzuverwenden. Doch sollten der vollständige Rückbau und die weitestgehende Wiederverwertung und -verwendung der Materialien zur allgemein anerkannten Praxis werden. Dafür gibt es jedoch kein Patentrezept. Bei der Konzipierung ihrer Maßnahmen haben manche Kommunen einen datengestützten Ansatz verfolgt und Art und Alter der abgerissenen Gebäude, den Umfang des Abbruchs (vollständig oder teilweise) und die am stärksten betroffenen Stadtteile erfasst. Dabei wurden sowohl die für den Rückbau verfügbaren Kapazitäten am Arbeitsmarkt als auch die für die Umsetzung verfügbaren Kapazitäten in der Kommunalverwaltung und am Markt für Baustoffe berücksichtigt. Für einige Städte und Gemeinden hat sich ein stufenweises Vorgehen als erfolgreich erwiesen. So hat die Stadtverwaltung im kalifornischen Palo Alto im Juli 2020 damit begonnen, Rückbau anstelle von Abriss für alle Projektanträge vorzuschreiben, die eine vollständige Beseitigung eines Bestandsgebäudes beinhalten. Seit Januar 2022 ist der Rückbau für Projekte im Mindestwert von 100.000 US-Dollar vorgeschrieben. Bis Januar 2023 soll diese Schwelle weiter sinken, um auch Vorhaben ab 50.000 US-Dollar zu erfassen.9 Andere Kommunalverwaltungen haben sich darauf konzentriert, die Abfallströme umzuleiten. So dürfen seit 2020 in Austin im US-Bundesstaat Texas bei Gewerbebauten und Mehrfamilienhäusern mit einer Mindestfläche von 460 m² – gleich, ob neu- oder umgebaut oder abgerissen – mindestens 50 % der Bau- und Abbruchabfälle nicht mehr in Deponien abgelagert werden. Vor der Bauabnahme ist ein Bericht über die Wiederverwertung der Abfälle vorzulegen. Die Nichteinhaltung gilt als Ordnungswidrigkeit und wird mit einer Geldbuße von 2.000 US-Dollar pro Tag und Verstoß geahndet.10 Andere Gemeinden beginnen mit kleineren Interventionen, indem sie beispielsweise den Abriss zeitlich verzögern, um es auf Bergung und Wiederverwendung spezialisierten Unternehmen zu ermöglichen, leicht zu entfernende, hochwertige Materialien aus den Gebäuden wiederzugewinnen. Einige Städte haben ihre administrativen Abläufe so angepasst, dass der Rückbau gegenüber dem Abriss bevorzugt und schneller genehmigt wird. Wieder andere Kommunen haben begonnen, Basisdaten zu abgerissenen Gebäuden zu erheben, aus denen zukünftige Maßnahmen abgeleitet werden sollen – so zur Abfallmenge, den Materialkomponenten und der Entsorgungseinrichtung, in die die Materialien verbracht werden. CR0WD will möglichst viele Gemeinden im US-Bundesstaat New York bei ihren ersten Schritten und Pilotprojekten begleiten. Diese sollen in eine tiefgreifende, systematisch angelegte Stadtentwicklungspolitik münden, die den Umgang mit Bestandsbauten und Abfallströmen in den Kommunen neu gestaltet.

9  Maybo AuYeung, Zero Waste and Environmental Program Manager, City of Palo Alto. Seminar „Bay Area Decon­ struction“, 23.02.2021. 10  Construction and Demolition Recycling Ordinance, City of Austin, Texas, https://www.austintexas.gov/ department/construction-anddemolition-recycling-ordinance (aufgerufen am 11.04.2021).

BESSER

4 Ungetrennte biologische und mineralische Mischabfälle aus dem Gebäudeabriss. 5 Abriss mehrerer mehrgeschossiger Wohngebäude im Collegetown von Ithaca, 2022.

11  Mike Paruszkiewicz, Jenny H. Liu, Rebecca Hanes, Eric Hoffman und Peter Hulseman, The Economics of Residential Building Deconstruction in Portland, Oregon. Northeast Economic Research Center, 2016, https:// pdxscholar.library.pdx.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1000&context= nerc_pub (aufgerufen am 11.04.2021). 12  Tompkins County Climate and Sustainable Energy (CaSE) Advisory Board, Green Workforce Report, ­November 2020. 13  Ethan Pollack, Counting Up to Green: Assessing the green economy and its implications for growth and equity, Economic Policy Institute, 10.10.2012, https://www.epi.org/ publication/bp349-assessing-thegreen-economy (aufgerufen am 11.04.2021). 14  Mark Muro, Adie Tomer, Ranjitha Shivaram und Joseph Kane, Advanc­­ing Inclusion Through Clean Energy Jobs. Metropolitan Policy Program at Brookings, April 2019, https:// www.brookings.edu/wp-content/ uploads/2019/04/2019.04_metro_ Clean-Energy-Jobs_Report_MuroTomer-Shivaran-Kane.pdf (aufgerufen am 11.04.2021). 15  Environmental Protection Agency (EPA), Advancing Sustainable Materials Management: Fact Sheet 2018 (2020), https://www.epa.gov/sites/ production/files/2021-01/documents /2018_ff_fact_sheet_dec_2020_fnl_ 508.pdf (aufgerufen am 11.04.2021). 16  Tompkins County Climate and Sustainable Energy (CaSE) Advisory Board, Green Workforce Report, ­November 2020.

DEN LOKALEN ARBEITSMARKT WANDELN Der Rückbau bringt auch beträchtliche Vorteile für die Wirtschaft und die soziale Gerechtigkeit mit sich. Gut durchdachte und wirkungsvolle Rückbauprojekte erfordern die Schaffung von umweltfreundlichen Arbeitsplätzen und Qualifizierungsmaßnahmen zur Stärkung der lokalen Erwerbsbevölkerung. Jedem durch Abriss geschaffenen Arbeitsplatz stehen sechs bis acht gegenüber, die bei einem Rückbau entstehen.11 Der Beirat für Klima und nachhaltige Energie (CaSE) im Tompkins County, wo Ithaca liegt, definiert grüne Arbeitsplätze als „Arbeitsplätze mit familiengerechten Löhnen und Leistungen, die insbesondere auf die Beseitigung von Ungleichheit und die Bewältigung der Klimakrise abzielen, indem sie die Treibhausgasemissionen durch Energieeffizienz und saubere Energieerzeugung begrenzen sowie die Umwelt durch die Verringerung von Abfall und Verschmutzung, die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für den Klimawandel schützen“.12 Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach der COVID-19-Pandemie ist festzustellen, dass grüne Arbeitsplätze zunehmend als Chance begriffen werden, auch Fragen der Gerechtigkeit innerhalb einer Gemeinschaft anzugehen. Sie sind in der Regel auch für Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau zugänglich;13 zugleich ist die Einkommensungleichheit bei grünen Arbeitsplätzen im Vergleich zu anderen Sektoren geringer.14 Darüber hinaus sind umweltfreundliche Jobs dank ihres Charakters eher an die Gemeinde gebunden und generieren auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene in vielen Fällen höhere Steuereinnahmen als andere Beschäftigungssektoren.15 Zudem ermöglichen sie eine Qualifizierung direkt am Arbeitsort. Arbeitsplätze im Rückbau bieten die Möglichkeit, Beschäftigungsbarrieren zu überwinden, mit denen sich gerade jene Bevölkerungsgruppen konfrontiert sehen, die am stärksten von Umweltauswirkungen betroffen sind: Schwarze und indigene Menschen sowie People of Color (BIPOC), Veteranen, ehemals Inhaftierte, Frauen und LGBTQI+-Gruppen. Um diese Arbeitskräfte zu gewinnen und zu unterstützen, ist in der Beschäftigungspolitik ein höherer Grad an Inklusion erforderlich. Der CaSE-Bericht stellt fest: „Ob sich People of Color und Frauen auf grüne Jobs bewerben und ob sie langfristig dabei bleiben, wird von vielen Faktoren bestimmt: Einstellungsverfahren, Gesprächsführung, berufliche Qualifikationen, eine erschwingliche Ausbildung und die Barrierefreiheit des Arbeitsplatzes, die Reputation der Branche, die Kultur am Arbeitsplatz und Erfahrungen, die die Mitarbeiterbindung beeinflussen.“16

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

ABFALL NEU DEFINIEREN Das fortwährende Ersetzen des Gebäudebestands ist integraler und notwendiger Bestandteil des städtischen Wandels. Während dieser Prozess jedoch in der linearen Wirtschaft große Mengen an Abfall und damit einhergehende soziale und ökologische Schäden verursacht, bietet die Kreislaufwirtschaft eine alternative Perspektive, indem sie das Ende der Nutzung eines Gebäudes als Beginn seines nächsten Zyklus versteht – und zwar unabhängig von der Frage, ob die Veränderung in einer Nutzungsänderung, einer Modernisierung oder einem vollständigen Neubau besteht. Materialien, die am Ende der Nutzungsdauer verfügbar werden, sollten nicht als Abfall, sondern als Ressourcen17 begriffen werden, und der Umgang mit ihnen ist entsprechend anzupassen. Abfälle entstehen dann nur noch aus Planungs-, Entwurfs- oder Verarbeitungsfehlern oder wenn Schadstoffe bewusst ausgeschlossen werden – an Punkten also, an denen der Kreislauf unterbrochen wird. Zwar arbeiten wir schon jetzt auf eine vollständig kreislaufbasierte gebaute Umwelt hin, in der Gebäude für die Demontage ausgelegt sind und als Materialdepots für die künftige Nutzung verstanden werden. Doch genügen die meisten Bauwerke heute leider noch nicht diesen Bedingungen. Bei ihrer Umgestaltung scheint einzig der systematische Rückbau die genannten Anforderungen zu erfüllen. Dabei werden Materialien als Ressourcen betrachtet, ihre Rückführung in den Markt wird durch Wiederverwendung oder hochwertiges Recycling ermöglicht. Mit diesem Perspektivwechsel können wir unser heutiges Verständnis von Baustoffen erneuern und es mit der klugen Praxis des Rückbaus früherer Zeiten in Einklang bringen. Die Kommunen sollten die Chance ergreifen, eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu schaffen. In Upstate New York wie auch in den gesamten USA haben viele Menschen das Recycling von Papier, Kunststoffen, Glas und Metall zu einer positiven Gewohnheit gemacht. Die Wiederverwertung und -verwendung von Baustoffen sollte flächendeckend zu einer ebenso vertrauten wie selbstverständlichen Praxis werden.

6 Abriss des Chacona Block Building in Ithaca, 2020.

17  Dirk E. Hebel, Marta H. Wisniewska und Felix Heisel, Building from Waste. Recovered Materials in Architecture and Construction. Basel: Birkhäuser, 2014.

Weiterlesen ▶ Bau- und Abbruchabfälle, „Richtlinien für den Rückbau in Portland, Oregon“, S. 62 ▶ Rückbau, „Concular“, S. 114 ▶ Emissionen, „Kohlenstoffabgaben und -dividenden in einer kreislaufgerechten Bauwirtschaft“, S. 92

CIRCULARITY, REUSE, AND ZERO WASTE DEVELOPMENT (CR0WD) CR0WD ist eine engagierte Gruppe führender Persönlichkeiten aus Architektur, Stadtplanung, Denkmalschutz und Wiederverwendung, darunter an Hochschulen Lehrende und Studierende, die der Initiative wichtige Forschungsergebnisse und Daten zur Verfügung stellen. Ihre Gründung geht auf die große Zahl abgerissener Gebäude in der Finger Lakes Region im US-Bundesstaat New York und die gleichzeitige Forschung zu Kreislaufwirtschaft, Erhaltung und Wiederverwendung von Gebäuden sowie die laufenden Bemühungen um ein Engagement in der Gemeinde zurück. CR0WD lässt sich von erfolgreichen Praxisbeispielen außerhalb des Staates New York ebenso wie von den Stärken der eigenen Mitgliedsorganisationen inspirieren. Der kooperative Charakter

der nordkalifornischen Bay Area Deconstruction Working Group ist hier ebenso zu nennen wie die Mitwirkung der kommunalen Partner in Palo Alto (Kalifornien), Portland (Oregon) und San Antonio (Texas). CR0WD ist das Ergebnis der unterschiedlichen, aber aufeinander bezogenen Interessen seiner Partner in Bezug auf die gebaute Umwelt. Historic Ithaca ist eine Organisation, die sich für den Erhalt der Bausubstanz einsetzt und darüber hinaus das gemeinnützige Unternehmen Significant Elements betreibt, das sich der Wiedergewinnung und -verwendung von Bauelementen verschrieben hat und ein Berufsausbildungsprogramm für junge Erwachsene namens Work Preserve anbietet. Sowohl die Bewahrung von Bestandsbauten als auch die Wiedergewinnung sind auf der Motivation gegründet, für die materiellen Aspekte der gebauten

Umwelt Sorge zu tragen. In ähnlicher Weise fokussieren sich Finger Lakes ReUse und Cortland ReUse auf die Förderung der Wiederverwendung, indem sie gebrauchte Materialien und Elemente in eigenen Geschäften anbieten und Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Dabei setzen sie sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen mit existenzsichernden Löhnen und die Fortbildung der Arbeitskräfte ein. Das Susan Christopherson Center for Community Planning, eine neu gegründete Organisation, die CR0WD maßgeblich mitinitiiert hat, konzentriert sich auf Klimaresilienz, die gebaute Umwelt und Chancengleichheit. Die Aktivitäten von CR0WD entsprechen zu einem großen Teil den Zielen der Organisation. Darüber hinaus wurde CR0WD in Zusammenarbeit mit zwei Forschungslaboratorien der Cornell University innerhalb des College of

Architecture, Art, and Planning ins Leben gerufen und wird durch diese unterstützt. Im Circular Construction Lab von Felix Heisel lernen Studierende der Architektur die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft und die Zusammenhänge mit der architektonischen Entwurfspraxis kennen. Das Just Places Lab von Jennifer Minner verfolgt als Plattform für multidisziplinäre Forschung und kreatives Handeln das Ziel, die Öffentlichkeit zu inspirieren und ihre Beteiligung an der Erhaltung von Orten und der gebauten Umwelt zu fördern. Zum wachsenden Kreis der CR0WD-Partner gehören auch die Preservation Association of Central New York (PACNY) und eine zunehmende Zahl von Menschen, die sich CR0WD angeschlossen haben, weil sie sich für eine nachhaltigere gebaute Umwelt und eine Kreislaufwirtschaft in der Region einsetzen.

BESSER

KOMPETENZ- UND WISSENSAUFBAU IN DER LOKALEN WIRTSCHAFT Das Rückbauprojekt Catherine Commons Fallstudie von Felix Heisel und Allexxus Farley-Thomas

1  Ellen MacArthur Foundation, Towards the Circular Economy. London: Ellen MacArthur Foundation, 2015. 2  Circular Construction Lab, 2021, http://ccl.aap.cornell.edu. 3  Felix Heisel et al., CI:RCLE – Circular Ithaca: Researching Construction in the Local Economy. Engaged Public Purpose Grant. Ithaca, NY: Cornell Einhorn Center, 2020. 4  Felix Heisel, Joseph McGranahan und Andrew Boghossian, „ScanR: A Composite Building Scanning and Survey Method for the Evaluation of Materials and Reuse Potentials Prior to Demolition and Deconstruction“, in: Sustainable Built Environment Conference SBE 2022. Berlin: IOP Publishing, 2022.

Indem wir Produktions- und Verbrauchskreisläufe konsequent schließen, können wir nicht nur den Raubbau an wertvollen, endlichen Ressourcen beenden, sondern auch die Abhängigkeit von volatilen globalen Rohstoffmärkten reduzieren, Treibhausgasemissionen vermeiden, die Auswirkungen der Klimakrise mildern und neue Geschäftsmodelle und grüne Arbeitsplätze fördern. Definiert als ein „Wirtschafts[system], das sich selbst erneuert und stärkt und darauf abzielt, stets den höchsten Nutz- und Geldwert der enthaltenen Produkte, Komponenten und Materialien zu erhalten“,1 gebührt dem Konzept der Kreislaufwirtschaft zunehmende Aufmerksamkeit, denn damit lassen sich die sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme des derzeitigen linearen Wirtschaftssystems überwinden. Obgleich die theoretischen Grundlagen im Wesentlichen bereits in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt wurden, stehen wir bei der globalen Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft in die lokale Baupraxis gerade erst am Anfang. Diese erfordert einen grundlegenden Paradigmenwechsel dahingehend, wie wir unsere gebaute Umwelt entwerfen, bauen und betreiben. Doch fehlt es derzeit noch an aussagekräftigen Daten zur lokalen Verfügbarkeit von Baustoffen und planerischen Vorgaben, neuen Bauverfahren und -technologien sowie kreislauforientierten Geschäftsmodellen. In der Vergangenheit hat die Bauindustrie die Vorräte, Ströme, Spezifikationen und Wertentwicklung ihrer Materialien im Zeitverlauf nicht dokumentiert und entsprechende Daten auch nicht für eine künftige Verwendung aufbereitet. Nur was messbar ist, lässt sich auch steuern. Die Verfügbarkeit und Nutzung solcher Daten ist daher entscheidend für die Konzipierung von für die Kreislaufwirtschaft essenziellen Stoffkreisläufen. Eine negative Rückkopplung führt zu einer unzureichenden Infrastruktur für die Gewinnung, Verarbeitung und den Austausch von Wertstoffen. Die Wiederverwendung von Baumaterialien erfordert sowohl Lagerhaltungskapazitäten als auch entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte, die Teil der Wertschöpfungskette im Rückbau sind. Da das Baugewerbe in der Regel eher lokal und regional orientiert ist, kommt es für die Dekarbonisierung auf die Mitwirkung und das

Verständnis lokaler Akteure an, deren Wissen und Perspektiven die genannten umfassenden Datenerhebungen ergänzen und zu einer fundierten Entscheidungsfindung und Politikgestaltung beitragen. Um einige dieser Fragen konkret für die Stadt Ithaca im US-Bundesstaat New York zu beantworten, führte das Circular Construction Lab2 der Cornell University im Oktober 2020 eine Gruppe von Organisationen aus Wissenschaft und Kommunalpolitik als Partner für ein Forschungsprojekt zusammen mit dem Ziel, „die Kreislaufpotenziale der lokalen gebauten Umwelt zu untersuchen, indem Methoden für die Wiederverwendung und -verwertung von Materialien, reversibles Bauen, die Reaktivierung gebundener Werte, die Schaffung grüner Arbeitsplätze und die Umgestaltung der zugrunde liegenden Geschäftsmodelle in der Baubranche erforscht und vorgeschlagen werden“.3 Während des gesamten Jahres 2021 führte die Gruppe Befragungen von Interessengruppen, Forschungsseminare und Erkundungen vor Ort durch, um ein Verständnis der lokalen Gegebenheiten zu entwickeln. Gleichzeitig begann das Team mit der Erfassung von in Ithaca zum Abriss freigegebenen Gebäuden und schlug vor, diese Gebäude stattdessen in Fallstudien zu dokumentieren und rückzubauen, um alle gewinnbaren Materialien in lokalen und nachhaltigen Modellprojekten wiederverwenden zu können. Eines dieser Vorhaben ist das Rückbauprojekt Catherine Commons in der College Avenue. Dort sollten elf Wohngebäude aus dem Jahr 1910 abgerissen werden, um Platz für die Errichtung von 300 neuen Wohneinheiten zu schaffen. In enger Zusammenarbeit mit dem Bauträger begannen das Circular Construction Lab und Studierende des Department of Architecture an der Cornell University mit der Dokumentation und Katalogisierung der Bestandsbauten, um ihr Wiederverwendungs- und Rückbaupotenzial zu ermitteln. Hierfür kam ein neu entwickeltes Toolkit für die Bestandsaufnahme zum Zweck des Rückbaus und der Wiedergewinnung zum Einsatz. Der ScanR S&D Survey4 sorgt für einen hohen Automatisierungsgrad der Raum- und Bauteilvermessung, indem LiDAR-Gebäudescans mit Algorithmen verknüpft werden, welche die resultierenden Meshstrukturen analysieren. Indem die Stu-

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

1 Luftaufnahme des Abrisses der ersten vier von insgesamt zehn Wohnhäusern und der damit verbundenen unsortierten Bauabfälle, die vor ihrer Verbringung auf die Deponie zerkleinert werden. 2 Luftaufnahme der unmittelbar nebeneinander und gleichzeitig stattfindenden Abriss- und Rückbauprojekte.

BESSER

3 Luftaufnahme des Rückbauprozesses nach der Demontage des Dachs und Teilen des ersten Obergeschosses.

Dachsparren, alle ~ 40 cm ~ 5 × 24 × 585 cm

4 Beim Rückbau in Paneelen wird das Bauwerk in große Komponenten zerlegt, die an einem anderem Ort weiterbearbeitet werden. So lässt sich der Rückbauprozess auf der Baustelle beschleunigen.

Vollständige Wandkomponenten, z. B. Dachgauben

Vollständige Wandkomponenten, z. B. Giebelwand

Balken, alle ~ 40 cm ~ 5 × 24 × 435 cm

Feuertreppe aus Metall, L-Profile, geschweißt, in Segmenten

Ziegel, z. B. Schornstein

Standhölzer, alle ~ 40 cm ~ 4 × 10 × 230 cm

Einzigartige Elemente, z. B. Stützen Gebäudekomponenten, z. B. Türen oder Fenster

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

5↑ Paneele werden aus den Decken geschnitten, auf den Lkw gehoben und zur Materialaufbereitung ins Lager transportiert.

dierendenteams digitale und quantitative mit manuellen und qualitativen Erhebungsmethoden verknüpften, konnten sie das im jeweils untersuchten Gebäude bestehende Materialpotenzial umfassend bewerten. Unterstützt durch die Expertise des in Seattle ansässigen Building Deconstruction Institute, gelang es der Gruppe in einem breiten Bündnis lokaler Stakeholder, den Eigentümer dafür zu gewinnen, eines der Gebäude (206 College Avenue) rückzubauen, anstatt es wie ursprünglich geplant abzureißen. An fünf Tagen im Januar 2022 zerlegten bis zu acht Arbeiter das 420 m² große Gebäude mit 13 Zimmern methodisch von oben nach unten in einzelne Segmente. 2,5 × 5,5 m messende Dach-, Wand- und Bodenpaneele wurden auf einen Tieflader gehoben und zu einer örtlichen Lagerhalle transportiert. Dort werden die Materialien aufbereitet, wiedergewonnen und anschließend verkauft. Das gewählte Verfahren, das man als plattenbasierten Rückbau („panelized deconstruction“) bezeichnen könnte, ist eine Alternative zum traditionellen Rückbau, bei dem ein Bauwerk elementweise am ursprünglichen Standort demontiert wird. Durch den Einsatz von schwerem Gerät lässt sich so die auf der Baustelle benötigte Zeit minimieren, indem arbeits- und zeitaufwendige Arbeitsschritte von der Baustelle an andere Orte verlagert werden. Das Verfahren beruht auf sorgfältig abgestimmten Eingriffen, die das Gebäude auf sichere Weise in die größten (und rentabelsten) Paneele unterteilen, die für den Transport auf öffentlichen Straßen zu-

gelassen sind. Idealerweise werden dabei vor dem eigentlichen Rückbau alle nicht wiedergewinnbaren Materialien (z. B. Innenputze5 ) entfernt, um den bestmöglichen Zugang zu Bauteilen und -stoffen zu ermöglichen und das Transportgewicht zu reduzieren. Das Rückbauprojekt Catherine Commons ist einzigartig, da es einen direkten Vergleich von Abriss- und Rückbauprozessen an nahezu identischen Gebäuden innerhalb desselben wirtschaftlichen Umfelds ermöglicht. Die Fallstudie untersucht das lokale Potenzial des Rückbaus und dokumentiert dabei alle Parameter – von der Menge und Qualität der wiedergewonnenen Materialien bis hin zum Marktpotenzial für den Wiederverkauf, dem Zeit- und Arbeitsaufwand und den Gesamtkosten. Darunter fallen auch die sozialen und ökologischen Kosten, die in den Bau- und Abrissbudgets üblicherweise nicht berücksichtigt werden. Zum Redaktionsschluss des vorliegenden Beitrags ist die Datenauswertung noch nicht abgeschlossen, und es wird noch einige Zeit dauern, bis sich der monetäre Wert der geborgenen Materialien beziffern lässt. Der Wert des Projekts bemisst sich allerdings nicht nur an den Wiederverkaufspreisen. Laut Schätzung des Circular Construction Lab entsprechen die rund 8,2 t an strukturellen Bauteilen, die aus dem Gebäude geborgen wurden, 13,15 t an verkörpertem (und gebundenem) CO₂, das nicht auf eine Deponie verbracht wird. Vergleichbar ist diese Zahl mit den CO₂-Emissionen eines durchschnittlichen verbrennungsgetriebenen Pkw, der 1,3-mal

6↖ Ein Stapler mit Teleskopausleger befördert die abgetrennte Giebel­wand sicher zum Boden.

5  Im US-Bundesstaat New York gibt es aktuell kein Programm für die Wieder­ verwertung von Gips, Asphalt und Putz.

BESSER

7 ↑↑↑ Eine Studierende des Circular Con­ struction Lab scannt das Gebäude vor dem Rückbau mittels LiDARfähigem Tablet. 8 ↑↑ Gewerkschaftlich organisierte Arbeiter von Laborers Local 785 bereiten das Gebäude für den Rückbau vor, hier bei der Demontage von Fenstern und dem Abtragen des Innenputzes. 9↑ Im Modellprojekt zum Rückbau nimmt die Qualifizierung von Mitarbeitenden einen wichtigen Platz ein. Damit soll in Ithaca eine skalierbare und wirtschaftlich tragfähige Alternative zum Abriss geschaffen werden.

10 ↑↑ Wände und Decken werden ent­ sprechend der Gebäudekonstruktion als Paneele zugeschnitten, um das Wiederverwendungs­potenzial der Materialien zu m ­ aximieren. 11 ↑ Materiallager nach Abschluss des Rückbaus am Abend des fünften Arbeitstages.

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

12 Screenshot mit Darstellung des Gitternetzes und der Textur, die beim LiDAR-Scan des Gebäudes 206 College Avenue erfasst wurden.

um den Äquator fährt, oder mit dem Kohlendioxid, das pro Jahr in einer Teilfläche von etwa 0,4 ha des örtlichen Finger Lakes National Forest gebunden wird. Dabei sind die zusätzlichen Einsparungen durch wiedergewonnene Elemente wie Fußböden, Treppen, Heizkörper, Fenster und Schmuckelemente in den Zahlen noch nicht enthalten. Und über die natürlichen Ressourcen hinaus verkörpern die Materialien auch wichtige lokale Werte wie die Geschichte und die Bau- und Handwerkskunst. Der nicht quantifizierbare Wert der Beteiligung der Gemeinschaft bewegt mehr Menschen dazu, sich in den Prozess des Rückbaus einzubringen, und ermöglicht den Bewohnern die Mitwirkung bei der Erhaltung historischer, wiederverwendbarer Bauelemente.

Durch diese Möglichkeit, die genannten Prozesse genau nachzuvollziehen und zu verstehen, gewinnen wir die dringend benötigte Klarheit über die bestehenden Hindernisse und Beschränkungen, aber auch die potenziellen Vorteile des Rückbaus. Für ein tieferes wirtschaftliches Verständnis fließen die Ergebnisse auch in eine Geschäftsanalyse ein, welche sich mit der Skalierbarkeit des Prozesses und den Auswirkungen von Skaleneffekten auf deren Wirtschaftlichkeit befasst. Insgesamt werden die Forschungs­ ergebnisse dazu beitragen, auf lokalpolitischer Ebene Vorschläge zu formulieren, die im Falle ihrer Umsetzung Ithaca zu einer der wenigen Städte in den USA machen, die der Wiederverwendung von Materialien und Gebäuden Vorrang gegenüber dem Downcycling und der Deponierung einräumen.

Weiterlesen ▶ Kreislaufwirtschaft, „Prinzipien der Kreislaufwirtschaft“, S. 24 ▶ Investitionskosten, „Die Ökonomie des Urban Mining“, S. 80 ▶ Wiederverwendung, „Neue Häuser aus alten Häusern“, S. 44

PROJEKTBETEILIGTE Am Rückbauprojekt Catherine Commons haben das Circular Construction Lab der Cornell University, Dave Bennink vom Building Deconstruction Institute, Kasey Eiklor, Dave Marsh und Laborers Local 785, Gideon Stone und das Team von Trade Design Build sowie Diane Cohen und das Team von Finger Lakes ReUse mitgewirkt. Hinzu kommen zahlreiche weitere Unterstützer: Susan Holland und das Team von Historic Ithaca/Significant Elements, Gretchen Worth und das

Susan Christopherson Center for Community Planning, John Novarr und seine Partner, Jennifer Minner und das Just Places Lab, Roger Beck und Beck Equipment, Scott Hannan und Ithaca Urban Timber Salvage, Patti Earle und Arnot Realty, Tompkins County, die Stadtverwaltung von Ithaca, die Ithaca Urban Renewal Agency und natürlich die vielen engagierten Ehrenamtlichen. Das Projekt wurde vom Cornell Einhorn Center durch den Engaged Cornell Public Purpose Grant CI:RCLE finanziell gefördert.

BESSER

NEUE HÄUSER AUS ALTEN HÄUSERN Fallstudie von Kerstin Müller

Heute so zu bauen, dass Bauteile und -materialien morgen für einen weiteren Nutzungs­ zyklus in gleicher Qualität rückgebaut werden können, anstatt auf der Deponie oder in der Verbrennungsanlage zu enden, sollte selbstverständlich sein. Dennoch stammen zwei Drittel aller Abfälle in der Schweiz aus dem Bausektor. Die Folge dieses unwirtschaftlichen Handelns zeigt sich in der Tatsache, dass rund die Hälfte der in Europa eingesetzten Primärrohstoffe nach wie vor ins Bauwesen fließen. Eine Industrie, die derart viele Rohstoffe konsumiert und so viel Abfall produziert, kann nicht nachhaltig sein. Dieser verschwenderische Umgang der Bauindustrie mit endlichen Ressourcen ist mitverantwortlich für die Zerstörung der Lebensgrundlagen dieser Erde und nicht länger hinnehmbar.

AN MORGEN DENKEN – DEN KREISLAUF MITPLANEN Zirkuläres Bauen bedeutet vom Kleinen ins Große zu denken und zu handeln: Materialien, die heute zum Einsatz kommen, sind oft Mischprodukte. Sie bestehen aus verschiedenen Materialfraktionen, die zum größten Teil untrennbar miteinander verbunden sind. Die ursprünglichen Rohstoffe sind meist nicht oder nur unter großem energetischen und monetären Einsatz wiederzugewinnen. Sie wurden nicht für einen Kreislauf konzipiert und entworfen und landen so entweder in einer absteigenden Kaskadennutzung oder auf dem Restmüll. Verwenden wir hingegen sortenreine Materialien, stehen diese nach ihrem ersten Einsatz in dem Gebäude für weitere Nutzungszyklen zur Verfügung. Zentral bei der Planung einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen sind die Verbindungen zwischen Bauteilen und Materialien. Diese gilt es so zu konzipieren, dass Elemente und Materialien zerstörungsfrei und anhaftungsfrei rückgebaut werden können. Zu dieser Betrachtung gehört ebenfalls die planerische Systemtrennung. Eine separate und nicht in Bauteilen vergossene, verklebte oder nass gedichtete und damit vermischte Führung der notwendigen technischen Infrastruktur erlaubt einerseits eine leichte Zugänglichkeit für Wartung und Reparatur und andererseits eine einfache, sortenreine Rückbaubarkeit. Auch ein intelligent geplantes Tragwerk und die dadurch beeinflussten Grundrisse eines Gebäudes spielen eine wichtige Rolle

für die Nach- und Umnutzung bestehender Gebäude. Denken Planende bereits zu Beginn an zukünftige Umnutzungen, können sie Raumhöhen, Spannweiten und Nutzlasten so auslegen, dass diese einfach adaptierbar sind und die Grundrisse eine flexible Umgestaltung ermöglichen. Um ein Gebäude also möglichst kreislaufgerecht und nachhaltig nutzbar zu bauen, muss es und müssen seine Bestandteile lange nutzbar, adaptierbar sowie unterhalts- und wartungsfreundlich sein. Kann es am Ende seiner Nutzung zudem zerstörungsfrei und sortenrein rückgebaut werden, dient es als Ressource für folgende Generationen und wird dadurch zum Materialdepot der Zukunft. Doch werden kommende Generationen dieses Angebot, Gebäude als Materialdepots zu verstehen, auch annehmen? Erfolgt der Rückbau dementsprechend und werden Rohstoffe weiterhin genutzt? Oder bleiben Bauten auch zukünftig Wegwerfartikel? Aufgrund der sich verknappenden Ressourcen und des fortschreitenden Klimawandels ist davon auszugehen, dass den kommenden Generationen keine andere Wahl bleibt, als die gebaute Umwelt als Materialdepot und urbane Mine zu nutzen. Die Materialentnahme aus Materiallagern wird kostengünstiger, effizienter sowie sozial- und umweltverträglicher sein als der Rohstoffabbau aus konventionellen Minen – vorausgesetzt, unsere heutige Generation beginnt dieses Denken in die Tat umzusetzen.

GESTERN NICHT VERGESSEN – DAS WIEDERVERWENDEN Eine berechtigte Frage ist daher: Warum nicht heute schon tun, was morgen unerlässlich erscheint? Warum entnehmen wir nicht bereits heute rückbaubare Elemente aus den Minen des Gebäudebestands und überführen diese in einen neuen Nutzungszyklus? Warum ist es in der heutigen Architekturpraxis die seltene Ausnahme, mit wiederverwendeten Bauteilen zu planen und zu bauen, obwohl diese Strategie es ermöglicht, große Mengen an Treibhausgasen in der Erstellungsphase eines Bauwerkes einzusparen? Tatsache ist, dass Gebäude, die heute abgebrochen werden, nicht mit dem Ziel einer Wiederverwendung oder -verwertung errichtet wurden. In der Konsequenz ist ein Rückbau unter dieser Maxime auch nicht

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

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oder nur beschränkt möglich. Müssen heute Gebäude einem Ersatzneubau weichen, stehen theoretisch viele, häufig qualitativ hochwertige Bauteile und -materialien für einen Wiedereinsatz zur Verfügung. Gleichzeitig erscheint aber deren Entsorgung, im Vergleich zum Ausbau und der Wiederverwendung, fast immer einfacher und kostengünstiger. Gründe dafür sind einerseits, dass geltende Baunormen und -gesetze für Neubauten ausgelegt sind. Umbauen und Wiederverwenden werden dadurch systematisch benachteiligt. Der Wiedereinsatz von bestehendem Material war noch vor der Industrialisierung allgegenwärtig. Bauherrschaften griffen entweder aus finanziellen Gründen auf bereits Vorhandenes (Günstigeres) zurück, oder

Materialien standen neuwertig schlichtweg nicht zur Verfügung. Heute ist diese Praxis in Vergessenheit geraten. Grundlegende Fragen, wie zum Beispiel die Gewährleistung für wiederverwendete Bauteile, sind bisher noch ungeklärt. Während die Qualität des Einbaus durch die Handwerker garantiert wird, gibt es für das wiederverwendete Bauteil selbst keine Garantie mehr. Das schreckt ab – und hier müssen neue Lösungen gefunden werden. Weitere Hürden liegen im Selbstverständnis der Planenden. Das Arbeiten mit wiederverwendeten Bauteilen ändert den Planungsprozess deutlich. Dieser ähnelt dann eher dem eines Umbaus als dem eines Neubaus, wobei die vorgefundenen Eigenschaften des Bestandsgebäudes – oder eben des wieder-

1← Bauteilkatalogisierung und strukturelle Analyse für die Wiederverwendung. Aus: J. Brütting, J. Desruelle, G. Senatore und C. Fivet, „Design of Truss Structures Through Reuse“, Structures, 18, 2019, S. 128–137.

2↙ Primeo Energie Kosmos: Katalogisierung der Träger. 3↓ Primeo Energie Kosmos: Rückbau der Strommasten durch Swissgrid.

4. Stapel

3. Stapel

2. Stapel

1. Stapel

1401–1424 1165–1201 1032–1066 0927–0969 0787–0809

1397–1400 1270–1332 1109–1164 1007–1031 0884–0926 0747–0786

0575–0640 0480–0530 0100–0138

0552–0574 0435–0479 0194–0268 0001–0099

BESSER

4 Visualisierung Science- und Erlebniscenter Primeo Energie Kosmos.

verwendeten Bauteils – als Grundlage für den Weiterbau dienen. Dies stellt eine fundamentale Änderung zum bisherigen Planungsprozess dar, bei dem davon ausgegangen wird, dass alle Bauteile eines Entwurfs immer in der gewünschten Menge, Form und Qualität verfügbar sind. Für die Planenden bedeutet Bauen mit wiederverwendeten Bauteilen oder Materialien ein Umdenken. Nicht nur in Bezug auf Organisation und Gesetzgebung, sondern auch auf Ästhetik.

BEISPIELE DER WIEDERVERWENDUNG IN PLANUNG UND NEUBAU Wir können Bauteile heute wiederverwenden, die von unseren Vorgänger:innen in Gebäuden eingesetzt wurden. Dabei nutzen wir den Bestand als Materialdepot, genauso wie wir es von kommenden Generationen von Planenden erhoffen, wenn wir heute einen Neubau kreislaufgerecht erstellen.

Wir kommen selbst ins Handeln, übernehmen Verantwortung und profitieren von bemerkenswerten CO₂-Einsparnissen in der Erstellungsphase. Die folgenden Beispiele der Wiederverwendung im Stahl- und Betonbau beschreiben gesammelte Erfahrungen von Baubüro in situ und Zirkular: PRIMEO ENERGIE KOSMOS Für den Energieversorger Primeo in Münchenstein bei Basel bauten Rapp Architekten das Science- und Erlebniscenter Primeo Energie Kosmos. Die Gitterfassade besteht aus Stahlprofilen rückgebauter Strommasten, welche der Bauherr dem mit der Demontage beauftragten Recyclingunternehmen abkaufte. Das Baubüro in situ unterstützte die Bauherrschaft dabei, die Strommasten zu finden, und führte anschließend eine Katalogisierung durch. Auf Grundlage dieser Daten konnte anschließend ein an der EPFL im Rahmen einer Doktorarbeit

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

entwickelter Algorithmus eingesetzt werden, um aus den unterschiedlichen Profilen verschiedene Tragwerks- und Fassadenvarianten zu entwickeln. Diese Studien dienten den Planenden als Basis für den Entwurf der Fassade des 2022 eröffneten Museums. WETTBEWERB ERZ, STADT ZÜRICH Die Stadt Zürich plant den Neubau eines Entsorgungs- und Recyclingzentrums. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels ist ein entsprechender Wettbewerb ausgelobt mit dem expliziten Ziel, Bauteile aus eigenen städtischen Rückbauten zu einem hohen Anteil in die Neubauten zu integrieren. Zirkular unterstützt die Stadt Zürich bei der Erstellung eines Bauteilkataloges, welcher allen teilnehmenden Teams als Planungsgrundlage zur Verfügung gestellt wird. Die Bestandteile des Katalogs stammen aus diversen geplanten Rückbauten der Stadt Zürich. So wird etwa die Stahlkonstruktion einer be-

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stehenden Halle dreidimensional gescannt und in Form eines BIM-Modells digitalisiert und katalogisiert. TRIEMLI PERSONALHÄUSER Für den gleichen Wettbewerb wurden Elemente der Triemli Personalhäuser in Zürich zum Wiedereinsatz erfasst. Die Gebäude, deren Rückbau vorgesehen ist, wurden in den 1960er Jahren im Elementbau erstellt. Um die Wiederverwendung nach der Demontage zu gewährleisten, führte eine spezialisierte Firma Voruntersuchungen durch. Dabei wurden der Zustand des Betons, die Karbonatisierungstiefe sowie die Lage der Armierungen und deren Überdeckungshöhen geprüft und katalogisiert.

5 ERZ Entsorgungs- und Recycling­ zentrum Zürich. Digitale Erfassung der Halle.

BESSER

6 Stadtspital Triemli, vorfabrizierte Elemente der Zwischendecken und Innenwände. 7 Stadtspital Triemli, Personalhäuser.

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

LAGERPLATZ WINTERTHUR, AUFSTOCKUNG K118 Das momentan bekannteste Projekt von Baubüro in situ und Zirkular ist die Aufstockung des Kopfbaus K118. Das Ziel dieser Erweiterung einer bestehenden Lagerhalle in Winterthur war es, möglichst viele Bauteile aus Rückbauten zu verwenden. So besteht zum Beispiel die Struktur der Aufstockung aus einer Stahlkonstruktion, welche aus dem Teilabbruch der Coop-Verteilzentrale auf dem Lysbüchelareal in Basel gewonnen wurde. Die Erschließung der neuen Geschosse ermöglicht eine Außentreppe aus Stahl des abgebrochenen Bürogebäudes Orion in Zürich. UNTERSTAND ENERGIEVERSORGER PRIMEO Der Energieversorger Primeo in Münchenstein hat das Baubüro in situ und Zirkular damit beauftragt, für seinen Recyclingplatz eine überdachte Halle zu erstellen. Für die Konstruktion kamen Stahlträger aus dem Rückbau eines Hochregallagers zum Einsatz. Die verzinkten Stahlbleche stammen aus einer Kranhalle in Zürich. Lediglich die Knotenpunkte wurden aus neuem Material gefertigt. Als Sockel und Fundament kamen vorgefertigte Betonblöcke zum Einsatz.

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­Gegen Sog- und Windlasten wurden die Betonblöcke in zwei bis drei Schichten mit­ einander verschraubt. Die gesamte Konstruktion ist somit rückbaubar erstellt. All diese Projekte zeigen einerseits ein immer breiter werdendes Verständnis der Notwendigkeit des kreislaufgerechten Denkens und Planens. Dennoch bleiben es wenige Beispiele innovativer Organisationen und überzeugter Planungsbüros im Vergleich zu der gigantischen Masse an Bauaktivitäten, bei denen die beschriebenen Überlegungen noch keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielen. Viele Fragen, wie die der oben angesprochenen Gewährleistungen, sind noch zu klären und wirtschaftlich sowie politisch einzuordnen. Wenn es ein „Weiterso“ nicht mehr geben kann und soll, wie auch auf europäischer Ebene verankert, wird es Zeit, dass alle Akteure sich zusammenfinden und gemeinsam ein neues System definieren, das zukunftsträchtig und somit im wahren Sinn nachhaltig ist. Innovationen entstehen an den Rändern einer Disziplin, wir müssen sie aber als solche erkennen und entwickeln, damit daraus die Grundlagen unseres Wirtschaftsstandorts und unserer Gesellschaft werden – diesmal jedoch, ohne dabei Umwelt und Lebensgrundlage zu zerstören.

8 Stadtspital Triemli, Evaluation des Zustandes der Fertigbetonelemente der Fassade durch die EPFL. Skala für die Beurteilung des Erhaltungszustands ⬛ Guter Zustand ⬛ Akzeptabler Zustand ⬛ Ungleichmäßiger Zustand ⬛ Schlechter Zustand

Weiterlesen

⬛ Versagenszustand

▶ Kreisläufe planen, „Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit“, S. 142

Aus: J. Devènes, M. Bastien-Masse, C. Küpfer C. und C. Fivet, Zürich – Stadtspital Triemli Personal­­häuser – Resource assessment of structural elements. Fribourg: Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), 2022.

▶ Digitalisierung des Rückbaus, „Concular“, S. 114 ▶ Gewährleistung, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102

Literatur Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, ­Architekturbüro K. Pfäffli, Graue Energie und Treibhausgasemissionen von wiederverwendeten Bauteilen, https://www.stadt-zuerich.ch/hbd/ de/index/hochbau/bauen-fuer-2000watt/grundlagen-studienergebnisse/ 2022-01-nb-Graue-Energie-Bauteile. html. Martina Alig, Rolf Frischknecht, Luana Krebs, Livia Ramseier und Philippe Stolz, LCA of climate friendly con­ struction materials. Treeze Ltd. Zürich, Bundesamt für Energie BFE, Amt für Hochbauten der Stadt Zürich AHB, 2021, https://www. stadt-zuerich.ch/hbd/de/index/ hochbau/bauen-fuer-2000-watt/ grundlagen-studienergebnisse/202105-nb-oekobilanz-klima­optimierterbaumaterialien.html.

Andreas Abegg und Oliver Streiff (Hrsg.), Die Wiederverwendung von Bauteilen: ein Überblick aus recht­ licher Perspektive. Zürich: Dike, 2021. C. Küpfer und C. Fivet, Selektiver Rückbau – Rückbaubare Konstruktion: Studie zur Förderung der Abfallreduktion und der Wiederverwendung in der Baubranche. Lausanne: EPFL, 2021, https://www.epfl.ch/labs/sxl/indexhtml/research/selectivedeconstruction-reversibleconstruction/. Institut Konstruktives Entwerfen u. a. (Hrsg.), Bauteile wiederverwenden. Ein Kompendium zum zirkulären Bauen. Zürich: Park Books, 2021.

BESSER

9 ↑↑ + ↑ Rückbau im Lysbüchel-Areal, Basel.

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

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10 ← + ↙ Aufstockung Kopfbau K118 in Winterthur auf dem Lagerplatz in Winterthur. Wiederverwendung der Stahlstruktur aus dem Lysbüchel, Basel. Re-Use Außentreppe von einem Rückbau in Zürich.

11 ↓ + ↙ + ← Wiederverwendete Stahlträger und Trapezbleche im Unterstand des Energieversorgers Primeo. Verbindungen aus neuem Material wurden für die Demontage optimiert.

BESSER

VERLUST VON ÖRTLICHKEIT, ZUNAHME VON VERSCHWENDUNG Eine Warnung vor den Herausforderungen und Fallstricken der städtischen Mine aus der Sicht der Denkmalpflege  Kommentar von Andrew Roblee und Jennifer S. Minner

Ohne die Aspekte der Weiternutzung, Pflege, Instandhaltung und Modernisierung von Bestands­ bauten fehlt der Diskussion der Kreislaufwirtschaft ein entscheidendes Element. Im Kern jedweder Definition nachhaltiger Architektur- und Baupraxis muss der Erhalt historischer Substanz und die Weiterverwendung von Gebäuden stehen. Das in Veröffentlichungen zur Kreislaufwirtschaft vielfach angeführte Konzept des „Urban Mining“ von Baumaterialien für die Wiederverwertung in Neubauten ist insofern problematisch.1 Gemeinden, die auf einen intensiven Materialabbau und die Errichtung von Ersatzneubauten setzen, könnten negative ökonomische, ökologische und kulturelle Auswirkungen erleiden, wie sie mit dem konventionellen Bergbau einhergehen. Ansätze des Rückbaus drohen nur noch mehr Abbruch zu erzeugen und den Verbrauch grauer Energie in die Höhe zu treiben, wenn sie sich nicht vom Primat des Gebäudeerhalts in situ leiten lassen. Wenn es um die Bewahrung der historischen Bausubstanz geht, wie sie unter dem Begriff der Denkmalpflege gefasst wird, werden das rasante Tempo der Stadtentwicklung und die ständige Verfügbarkeit der gebauten Umwelt für neue Projekte seit jeher kritisch gesehen. Alternativen wurden entwickelt.2 In den USA hat sich die Perspektive der Denkmalpflege geweitet: Ging es zuvor um den Schutz von Baudenkmälern und die Schaffung von „Nationalheiligtümern“, wird heute ein breiteres Spektrum ethischer Fragen und Praktiken in den Blick genommen. Robuste Strategien, mit denen man ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit durch Pflege und Instandsetzung der gebauten Umwelt erreichen will, gewinnen zunehmend an Raum und Bedeutung.3 Doch trotz der Erweiterung der Denkmalpflege für ein breiteres Spektrum von Allianzen und Anliegen wird sie vielfach noch nicht als Wissensressource für die Verlängerung der Nutzungsdauer von Gebäuden und den Erhalt traditioneller Systeme passiver Energieeinsparung wahrgenommen. Als Wissensreservoir für die Kreislaufwirtschaft ist die Denkmalpflege nach wie vor weitgehend unerkannt und ungenutzt.4 Rückbau und Wiedergewinnung bieten die Chance, Baustoffe nachhaltig wiederzuverwenden, wenn Gebäude neuen Planungen weichen sollen. Für die Denkmalpflege, die Bestandsbauten bewahren will, mag die Bergung von Materialien wie ein kleiner, doch bedeutsamer Gewinn im Sinne des immateriellen Wertes einer Immobilie erscheinen. Doch könnte sich dies als Pyrrhussieg erweisen. Bevor ein Gebäude zerlegt und seine Bestandteile der Wiedergewinnung oder -verwertung zugeführt werden, sind unbedingt die ökonomischen, ökologischen und kulturellen Auswirkungen des Rückbaus im Vergleich mit der Weiternutzung des Gebäudes zu prüfen. Viele Konzepte zur Bewahrung des Kulturerbes sehen in der Demontage und dem Wiederaufbau eines Bestandsgebäudes eine Zerstörung der historischen Anknüpfungspunkte an den Ort. Wenn erst einmal ein praxistaugliches Rückbausystem etabliert ist, besteht die Gefahr, dass es zur weithin akzeptierten Standardlösung für Gebäude wird – ohne dass Optionen und Ansätze für die Weiternutzung überhaupt in Erwägung gezogen werden.5 Unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit könnten, je nach Ausmaß und Intensität des „Urban Mining“, Bestandsgebäude so zum Ziel einer offiziell sanktionierten kulturellen Plünderung und Zerstörung werden. Gebiete mit einem prekären wirtschaftlichen Umfeld, in denen es oft viele leerstehende und verfallende Gebäude gibt, könnten dem aus dem Bergbau bekannten „Paradoxon der Fülle“ zum Opfer fallen, bei dem Orte mit einem Ressourcenüberfluss unter den negativen Auswirkungen des Abbaus ebendieser Rohstoffe leiden. Wenn Orte zu reinen Ansammlungen leicht verwertbarer Materialien verkommen, folgt darauf die schiere Verwüstung – ohne klare Regeln, Grenzen und Leitplanken. Um die gebaute Umwelt als Ort wertzuschätzen, der für uns wertvolle Materialien birgt, muss die Gesellschaft die ungebremste Materialentnahme für Neubauten unterbinden, insbesondere wenn sich durch Weiternutzung der historischen Substanz der Abfallstrom auf die Deponien wirksamer eindämmen lässt.

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

Weiterlesen ▶ Bestandsbauten, „Neue Häuser aus alten Häusern“, S. 44 ▶ Urban Mining, „Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit“, S. 142 ▶ Regeln, Grenzen, Leitplanken, „Mit dem Verursacherprinzip in eine Verantwortungsgesellschaft“, S. 96

1  Dirk E. Hebel, Marta H. Wisniewska und Felix Heisel, Building from Waste. Recovered Materials in Architecture and Construction. 2  M. Holleran, Boston’s „Changeful Times“: Origins of Preservation and Planning in America. Baltimore: Johns Hopkins University Press, 2001. 3  Preservation Leadership Forum, Untapped Potential: Strategies for Revitalization and Reuse. National Trust for Historic Preservation, 2017. https://forum.savingplaces.org/ viewdocument/untapped-potentialstrategies-for?_ga=2.202468373. 564127705.1577992360-589692689. 1577992360. Auf der Seite veröffentlichte Berichte stammen aus dem Jahr 2017. Preservation Green Lab, The Greenest Building: Quantifying the Environmental Value of Building Reuse. The National Trust for Historic Preservation, 2011. https://livingfuture.org/wp-content/uploads/ 2016/11/The_Greenest_Build­­ing.pdf. Siehe auch Erica Avrami (Hrsg.), Preservation, Sustainability and Equity (Issues in Preservation Policy). New York: Columbia Books on Architecture and the City, 2020; und Jennifer Minner, „More than repairing cracks in the façade: Building systemic change in times of crisis“, in: Erica Avrami (Hrsg.), Preservation, Sustainability and Equity (Issues in Preservation Policy). New York: Columbia Books on Architecture and the City, 2021. 4  Zu den wenigen Ausnahmen gehören Gillian Foster und Halliki Kreinin, „A Review of Environmental Impact Indicators of Cultural Heritage Buildings: A Circular Economy Perspective“, Environmental Research Letters, 15, no. 4, 15.04.2020: 043003; Luigi Fusco Girard und Francesca Nocca, „Moving Towards the Circular Economy/City Model: Which Tools for Operationalizing This Model?“, Sustain­ability, 11, Nr. 22, 07.11.2019: 6253. 5  O. Wainwright, „The case for ... Never demolishing another building“, The Guardian, 13.01.2020, https:// www.theguardian.com/cities/2020/ jan/13/the-case-for-never-demolish­inganother-building. Siehe auch D. Ness, „Growth in floor area: The blind spot in cutting carbon“, Emerald Open Research, 02.02.2020, https://doi. org/10.35241/emeraldopenres.13420.3.

BESSER

BESSER Zielrichtung Ökoeffizienz Einleitung zur Kreislaufwirtschaft von Mark Milstein

In der theoretischen Betrachtung umfasst eine Kreislaufwirtschaft nur solche wirtschaftlichen Aktivitäten, bei denen alle Materialien, Produkte und Dienstleistungen kontinuierlich reduziert, wiederverwendet oder -verwertet werden. So soll die Erzeugung wertlosen Abfalls vermieden werden, der noch dazu der Gesellschaft als Ganzes erhebliche ökologische und soziale Kosten aufbürdet. In der Praxis verlangt der Geist einer Kreislaufwirtschaft danach, dass ein jeder Träger wirtschaftlicher Aktivitäten – Unternehmen, Branchen und Sektoren – prüfe, wo und wie Materialien reduziert, wiederverwendet oder -verwertet werden können, um erst gar keinen Abfall entstehen zu lassen. In der Welt der Wirtschaft kommen hierfür drei Optionen in Frage: 1) Dinge besser machen als in der Vergangenheit, 2) sich auf weniger konzentrieren, indem man Qualität über Quantität stellt, und 3) durch Innovationen zu Lösungen zu finden, die anders als die derzeit praktizierten Ansätze sind. Mit der Expansion der Wirtschaft in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gingen auch steigende Umweltbelastungen einher. Die Verschmutzung der Luft, Gewässer und Böden wurde zu einem akuten Problem: Smog erstickte die Städte, sogar Flüsse fingen Feuer, und ganze Landstriche wurden unbewohnbar. Während der 1970er und bis in die 1990er Jahre begannen die Unternehmen, bessere Alternativen für ihre Prozesse in den Blick zu nehmen. In der ersten Phase ging es dabei um den Weg des geringsten Widerstands – die Entwicklung von Verfahren zur Sammlung, Behandlung und Eindämmung giftiger Abfälle aus den Produktionsanlagen und der Landwirtschaft. Dabei zielte man zunächst darauf ab, die Abfallströme zu erfassen und so zu lenken, dass sie der Umwelt und den Gemeinden möglichst wenig schaden. So wollte die Industrie den immer strengeren Vorschriften für die Abfallwirtschaft Genüge tun und eine langfristige Haftung für die Auswirkungen der Umweltbelastung ausschließen. Diese sogenannten „End of Pipe“-Lösungen führten zu deutlichen Verbesserungen: Die Luft wurde sauberer, da Feinstaubemissionen aus Schornsteinen und Auspuffanlagen wegfielen. Die Gewässerqualität stieg, da man nun nicht mehr nur auf die Verdünnung der toxischen Stoffeinträge setzte. Und ein vorsichtigerer Einsatz von Chemikalien sowie Fortschritte bei der Handhabung von Giftmüll verhinderten, dass Gifte in den Boden gelangten. Doch sind Abfallbehandlung und -entsorgung kostenintensiv, und die Unternehmen kamen zu der Erkenntnis, dass sie die mit der Sammlung und Behandlung von Abfällen verbundenen erheblichen Kosten vermeiden konnten, indem sie die giftigsten Stoffe bereits auf vorgelagerter Stufe aus ihren Produkten und Verfahren eliminierten. Die Bewegung in Richtung Ökoeffizienz konzentrierte sich auf das Produktdesign und Prozessverbesserungen. Deren Ziel ist es, die Verwendung besserer Materialien zu favorisieren, bei denen die externen Effekte der toxischen Alternativen wegfallen, denn diese verursachen höhere ökologische und soziale Kosten, die über die Bilanz einzelner Unternehmen weit hinausgehen und sie zudem zukünftigen Haftungsrisiken aussetzen würden. Neben der Umsetzung der Ökoeffizienz kooperierten Unternehmen nun auch auf breiterer Basis mit dem öffentlichen Sektor, um eine Infrastruktur zu schaffen, die es erlaubt, wiederverwendbare Materialien zu erfassen und sie wieder in die Wirtschaftskreisläufe zurückzuführen. Auf kommunaler oder regionaler Ebene aufgelegte Recyclingprogramme boten Mechanismen für die Rückgewinnung, Wiederaufbereitung und Wiederverwendung von Wertstoffen wie Papier, Glas und Kunststoffen. Dadurch konnten nicht nur die stetig steigenden Entsorgungskosten für diese Materialien vermieden, sondern auch die Rentabilität gesteigert und neue Ertragsquellen für Unternehmen erschlossen werden, die in der Lage sind, Ausgangsstoffe aus kostengünstigeren Quellen zu beschaffen. Heute kommen im Rahmen der Informations- und Kommunikationstechnologie die Radiofrequenz-Identifikation (RFID) sowie Sensoren und weitere technische Lösungen zum Einsatz. Damit können Unternehmen Daten und Informationen generieren, die Erkenntnisse über die ablaufenden Prozesse liefern und es ihnen ermöglichen, Analysen durchzuführen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren, mit denen sich die Effizienz der Ressourcennutzung steigern lässt. Mit Hilfe der genannten Technologien lassen sich die bislang kleinteiligen, fragmentierten Netzwerke zu komplexeren Recycling- und Wiederverwendungskanälen weiterentwickeln, die auf regionaler und nationaler Ebene in bisher ungekanntem Umfang skalierbar sind.

KREISLAUFWIRTSCHAFT

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BESSER

INFRASTRUKTUR FÜR DIE WIEDERVERWENDUNG Eine wesentliche Grundlage der Kreislaufwirtschaft Beitrag von Diane Cohen und Robin Elliott

In der Kreislaufwirtschaft sind Konsumgüter, Baumaterialien und Komponenten so zu gestalten, dass sie in einem geschlossenen Kreislauf instandgehalten, repariert und wiederverwendet werden können. Dies erfordert als wesentliche Grundlage eine Infrastruktur, die die Wiederverwendung ermöglicht. Mit ihr lassen sich verfügbare Ressourcen erfassen und effizient und effektiv denjenigen zur Verfügung stellen, die deren Nutzung fortsetzen. Doch stellt sich die Frage, was diese Infrastruktur eigentlich ausmacht. Wie kann sie funktionieren, und welchen Umfang muss sie haben, um ein wirksames System zu bilden, das langlebige, reparierbare Güter in den Gemeinden hält? Die Wiederverwendung von Materialien trägt zur Verringerung des Abfallaufkommens und des Deponievolumens bei. Zudem wird dadurch der Verbrauch von Rohstoffen und die Herstellung von neuen Produkten reduziert. Wiederverwendung eröffnet wirtschaftliche Entwicklungschancen, schafft grüne Arbeitsplätze und erschließt wichtige lokale und kommunale Ressourcen. Sie bietet kostengünstige Alternativen zu Materialien oder Produkten, die vermeintlich zu einem niedrigen Preis angeboten werden, dabei aber hohe ökologische und soziale Kosten verursachen. Jeder verkaufte gebrauchte Gegenstand trägt zum einen dazu bei, die ansonsten energieintensive und häufig umweltschädliche Gewinnung und Produktion von Produkten sowie deren Transport zu vermeiden, und erschließt und stellt zum anderen Ausgangsstoffe für neue lokale Wirtschaftszweige bereit. Obwohl nach wie vor zahlreiche Produkte absichtlich so gebaut werden, dass sie vorzeitig veralten,1 sind viele davon dennoch in ihrer ursprünglichen Form wiederverwendbar oder können durch Reparatur oder Instandsetzung ihrer eigentlichen Funktion wieder zugeführt werden. Darüber hinaus können die Bestandteile von Produkten und die Materialien, aus denen sie hergestellt sind, für andere Zwecke wiederverwendet werden. Über die Frage, wie eine hinreichende Infrastruktur für die Wiederverwendung aussieht, bestehen weithin falsche Vorstellungen. Meist denkt man dabei an den örtlichen Secondhandladen und nimmt an, dass die verfügbaren wiederverwendbaren Materialien zum Großteil in solchen Geschäften landen, da es sie nun einmal gibt. Und darüber hinaus würden Flohmärkte oder Online-Marktplätze sicherlich ausreichende Absatzmöglichkeiten bieten. Doch weit gefehlt: In einer Welt, die sich vor allem mit Zeit und Kosten beschäftigt, wird konsequent ausgeblendet, dass der direkte Weg zur Mülltonne oft der bequemste und günstigste ist. Und das führt dazu, dass viel zu viele wertvolle Materialien unsortiert direkt auf Deponien oder in Müllverbrennungsanlagen landen.

BAUSTOFFE

1  Nigel Whitely, „Toward a ThrowAway Culture. Consumerism, ‚Style Obsolescence‘, and Cultural Theory in the 1950s and 1960s“, Oxford Art Journal, Bd. 10, Nr. 2, 1987, S. 3–27, https://www.jstor.org/ stable/1360444?mag=the-birth-ofplanned-obsolescence&seq=1# metadata_info_tab_contents. 2  Environmental Protection Agency (EPA), Advancing Sustainable Materials Management: the 2018 Fact­ sheet, Dezember 2020.

Während Textilabfällen und dem Thema „Fast Fashion“ bereits viel Aufmerksamkeit zukommt, gilt dies leider nicht für die Wiederverwendung von Baustoffen, die auf der Ebene des Einzelhandels und des traditionellen Secondhand-Geschäfts bislang vernachlässigt werden. Der US-Umweltschutzbehörde (Environmental Protection Agency) zufolge wurden in den USA im Jahr 2018 bei Bau- und Abbruchprojekten fast 145 Mio. t Abfall auf Deponien verbracht.2 Dabei stellen „Abfälle“ von Neubauprojekten, die auch überschüssige Materialien und Reste (beispielsweise Sperrholz- und Gipskartonplatten, Dämmstoffe, Fliesen, Betonsteine oder Bitumenschindeln) umfassen, zusammen mit den Materialien aus abgerissenen Gebäuden – wenn diese überhaupt erfasst werden – ein enormes wirtschaftliches Potenzial dar. Um diese Werte auch nutzbar zu machen, bedarf es jedoch Prozessen wie dem Rückbau sowie einer anderen Einzelhandels- und Lagerinfrastruktur, die wiederum zusätzliche Expertise erfordern. Die notwendigen Anfangsinvestitionen für Personal und Einrichtungen mit Laderampen, Hochregallagern und großen Verkaufsflächen lassen sich langfristig über den Verkauf der Materialien wieder einspielen. In Ithaca im US-Bundesstaat New York – einer kleinen, von ländlichen Gebieten umgebenen Universitätsstadt mit 100.000 Einwohnern – beschlossen Gemeindemitglieder ein Modell zu entwickeln, welches die Mitwirkung einer breiten Öffentlichkeit ermöglicht. Die vielen positiven Auswirkungen dieses bürgerschaftlichen Engagements sollen dabei nachvollziehbar demonstriert und Kapazitäten für die Erfassung einer breiten Palette von wiederverwendbaren Materialien – einschließlich Baumaterialien – geschaffen werden.

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

DAS MODELL DES COMMUNITY REUSE CENTER

1

Das Modell des Community ReUse Center (CRC) zielt als umfassender Ansatz darauf ab, regenerative Prozesse für die Wiederverwendung und Reparatur von langlebigen Gütern zu schaffen und damit zu verhindern, dass wiederverwendbare Materialien in die Abfallwirtschaft gelangen. Zudem kombiniert das CRC-Modell Strategien des einfachen Zugangs, der Erschwinglichkeit und der Sichtbarkeit, um eine möglichst hohe Bürgerbeteiligung zu erreichen. Es ist hyperlokal ausgerichtet, lässt sich flexibel anpassen und soll von der örtlichen Gemeinschaft getragen und betrieben werden. Die erzielten Einnahmen, geschaffenen Arbeitsplätze und angebotenen Programme und Entwicklungschancen kommen zum Großteil wiederum den Menschen vor Ort zugute. Das Konzept des Community ReUse Center wurde in Ithaca von Finger Lakes ReUse, Inc.3 entwickelt, einer gemeinnützigen, mit öffentlicher und privater Unterstützung gegründeten Organisation.4 Im Modell integriert sind mehrere Sozialunternehmen, Programme und Aktivitäten, die es für jede Einzelne und jeden Einzelnen einfach machen, sich zu beteiligen.

Judy und Marlene engagieren sich ehrenamtlich bei der Sortierung von Baumaterialien.

3 

https://ithacareuse.org.

4  Gründungspartner sind die Verwaltung des Tompkins County, das Ithaca College, die Cornell University und die Cornell Cooperative Extension des Tompkins County; siehe https:// ithacareuse.org/partners.

BESSER

2

US-Dollar

Entwicklung von Umsatzerlösen und Spenden/Fördermitteln, 2009-2021.

2.500.000

———

Umsatzerlöse aus Verkauf und Dienstleistungen in US-Dollar

——— Spenden und Fördermittel in US-Dollar

70 %

2.000.000

80 %

2021* Vorläufige Zahlen 1.500.000

72 %

79 %

78 %

1.000.000 74 %

30 % 28 %

500.000 92 % 0

8 % 2008

69 %

52 %

31 %

48 %

2009

2010

63 % 37 %

2011

68 % 32 %

2012

65 %

63 %

63 %

35 %

37 %

37 %

2013

2014

2015

26 %

2016

22 %

2017

21 %

2018

20 %

2019

2020

2021*

Das CRC-Modell umfasst eine Reihe von Komponenten: —­ Community ReUse Center (CRC), einfach zugängliche Einzelhandelsstandorte in gut sichtbarer Lage, die täglich geöffnet sind und eine Vielzahl von Materialien, Programmen und Dienstleistungen anbieten —­ Produkte wie Haushaltswaren, Möbel, Baumaterialien, Beleuchtung, Werkzeuge, Eisenwaren, Computer, Elektronik, Bücher, Medien, Kleidung, Textilien und vieles mehr —­ Dienstleistungen wie Lieferung, Abholung, Rückbau, Computerreparatur usw. —­ Spendenabgabestellen (in der Regel direkt in den CRC, aber auch zusätzliche Anlaufpunkte oder saisonale Veranstaltungen sind möglich), die den Bürgern bequeme Möglichkeiten bieten, Materialien zu spenden (mit Abholoption), und eine breite Palette von Materialien annehmen —­ Aufarbeitung und Reparatur von Computern und Zubehör —­ Gebäuderückbau und Materialwiedergewinnung —­ Super ReUsers erhalten 10 % Nachlass auf alle Käufe sowie Werbeankündigungen und andere Mitteilungen —­ Ithaca Fixers Collective, ein wöchentlicher Reparaturtreff ähnlich einem Repair-Café, aber häufiger und in oder bei den CRC stattfindend5 – von Ehrenamtlichen angeleitet, kostenlos, offen für alle —­ ReSET (ReUse Skills & Employment Training) – kostenlose Schulungen und bezahlte Lehrstellen für Menschen, die zusätzliche berufliche Qualifikationen erwerben möchten, und für Menschen mit Beschäftigungshindernissen aufgrund von Behinderungen, Wiedereingliederung in das Berufsleben nach Inhaftierung oder Drogenentzug usw. —­ ReMAP (ReUse Materials Access Program) – kostenlose Materialien für bedürftige Einzelpersonen und Familien —­ ReCreate – Workshops zur kreativen Wiederverwendung —­ Last Chance Saloon – Abverkaufsveranstaltungen für Gegenstände, die ansonsten auf der Deponie landen würden.

EINFACHER ZUGANG UND BEZAHLBARKEIT 5 

https://www.repaircafe.org/en.

6  A Reuse Center for Tompkins County, 2006 Surveys – Summary Report, 8 December 2006, https:// ithacareuse.org/wp-content/uploads/ 2021/01/ReuseSurveys.pdf.

In einer Reihe von Umfragen6 , die im Jahr 2006 unter Verbrauchern und Erzeugern von wiederverwendbaren Materialien in Tompkins County durchgeführt wurden, zeigten sich ein einfacher Zugang und die Bezahlbarkeit als wichtigste Faktoren für die Motivation zur Wiederverwendung. Um diesem Wunsch zu entsprechen, bieten Community ReUse Center eine tägliche und kostenlose Abgabe und Abholung von Materialien an. Im Kampf gegen Verschwendung und Wegwerfmentalität sind sie damit äußerst erfolgreich.

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

Die Community ReUse Center folgen einer „Priced to Move“-Strategie: Mit Hilfe eines farbcodierten Preisschildsystems durchlaufen die Materialien im Laufe mehrerer Wochen eine Reihe von Rabattzyklen, sodass die Bürger und der Markt über den Wert eines jeweiligen Artikels entscheiden können. Nach der letzten Runde mit dem höchsten Preisnachlass (oft 75 %) bleibt nur noch sehr wenig übrig. Dem Management steht es dann frei, den Preis der Materialien oder Gegenstände nochmals zu reduzieren, sie zu entsorgen oder auf einem „Last Chance Saloon“ ein ausdrücklich letztes Mal zum Verkauf anzubieten, bevor sie über mehrere Stationen und unter hohem CO₂-Ausstoß in der nächsten, 60 km entfernten Deponie entsorgt werden.

ZIELGRUPPE: ALLE Die CRC-Zielgruppe umfasst alle Verbraucher, Firmen oder Bauunternehmen, die Produkte kaufen und/oder nutzen und schließlich keine Verwendung mehr dafür haben. Die CRC bieten einfach zugängliche Dienstleistungen sowohl für Verbraucher als auch für Erzeuger von Wertstoffen. Die Wiederverwendung, zentrale Maßnahme der bekannten „3 R“ („Reduce, Reuse, Recycle“), wird nach wie vor häufig mit dem energieintensiven, oft umweltschädliche Nebenprodukte hervorbringenden Recycling in einen Topf geworfen. Ihr hohes Potenzial für die lokale Wirtschaft und Gesellschaft wird dabei verkannt. Wiederverwendung kann einen sehr großen Beitrag zur lokalen Wirtschaft leisten: einen Beitrag, dessen Wirkungen sich nahezu endlos ausbreiten – und der weit über die Abfallvermeidung hinausgeht, auf welche die Wiederverwendung unter der falschen Annahme, dass sie nur auf einen kleinen Teil des Abfallvolumens anwendbar wäre, häufig reduziert wird. Wiederverwendbare Materialien mögen einen relativ geringen Anteil an den Tag für Tag auf Deponien verbrachten Volumen ausmachen, doch ist der damit verloren gehende Wert bisher weitgehend unerfasst und verdient unbedingt Beachtung. Im Rahmen des Geschäftsmodells eines sozialen Unternehmens verfolgt das Community ReUse Center das dreifache Ziel,7 die Gemeinschaft, die Wirtschaft und die Umwelt durch Wiederverwendung zu stärken. Die Auswirkungen in jedem dieser Bereiche sind tiefgreifend und können in jeder Gemeinde weiterentwickelt werden.

7  https://www.economist.com/ news/2009/11/17/triple-bottom-line.

3↑ Cornell Park Fellows engagieren sich als Freiwillige im Ithaca ReUse Center. 4← Auszubildende erwerben ITKompetenz bei der Wieder­ gewinnung von Hardware­ komponenten.

BESSER

5↑ Rückbau eines Hauses im Cortland County. 6→ Eine jährlich im August statt­ findende Zelt-Verkaufsaktion des Ithaca ReUse Center. 7↘ Team von Finger Lakes ReUse im Jahr 2019.

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

EINFLÜSSE AUF DIE GEMEINSCHAFT Mit dem Konzept der Community ReUse Center lassen sich Einnahmen in beträchtlicher Höhe generieren, mit denen qualitativ hochwertige, existenzsichernde Arbeitsplätze geschaffen, Fähigkeiten und Fertigkeiten weiterentwickelt sowie Qualifikations- und Karrieremöglichkeiten angeboten werden können. Dabei lassen sich inklusionsorientierte Planungsstrategien umsetzen, um den Bedürfnissen verschiedenster Interessengruppen zu entsprechen und insbesondere denjenigen, die am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, Chancen und Zugangsmöglichkeiten zu eröffnen. CRC beziehen alle ein, auch benachteiligte und schwache Gruppen, und bieten ein respektvolles und faires Arbeitsumfeld, berufliche Bildung, Resilienztraining, erschwingliche Waren und kostenlose Materialien für Bedürftige. Wenn weniger neu hergestellte Materialien nachgefragt werden, trägt dies auch zum Gesundheitsschutz bei. Community ReUse Center sind wichtige Anlaufstellen, um Botschaften an ein breites Publikum zu vermitteln, das ansonsten oft schwer erreichbar ist. Viele Menschen kommen zunächst wegen der niedrigen Preise. Sobald sie aber angekommen sind, bietet sich die Chance, das Bewusstsein für schädliche Abbau-, Produktions-, Konsum-, Bau-, Sanierungs- und Abrisspraktiken zu schärfen und gesündere, nachhaltigere Alternativen aufzuzeigen, die in der lokalen Gemeinschaft und weit darüber hinaus die Menschenrechte stärken.

EINFLÜSSE AUF DIE WIRTSCHAFT Auch wenn die Gebühren für Abfall und Entsorgung regional sehr unterschiedlich sind: Für die Entsorgung von Materialien fallen in jedem Fall Kosten an, für Löhne und Gehälter, Transport und fossile Brennstoffe, die Instandhaltung von Deponien oder Verbrennungsanlagen usw. Im Gegensatz dazu verkauft Finger Lakes ReUse als Betreiber von zwei CRC Materialien zur Wiederverwendung zu einem geschätzten Preis von 2.000–3.000 US-Dollar pro Tonne. Anstatt kostenpflichtig entsorgt zu werden, bleiben wiederverwendbare Materialien in der Gemeinde und tragen auf lokaler Ebene zum wirtschaftlichen Wohlstand bei. Als soziales Unternehmen ist Finger Lakes ReUse stark gewachsen. Es begann im Jahr 2007 mit einer Anfangsinvestition von 700 US-Dollar durch die drei Mitglieder des Gründungsvorstands.8 Im Jahr 2021 belief sich der Umsatz auf 2,5 Mio. US-Dollar, was unter anderem auch weitere Investitionen in Form von öffentlichen und privaten Mitteln für die Schaffung qualitativ hochwertiger Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten mobilisierte.

EINFLÜSSE AUF DIE UMWELT Neben der Reduzierung des Abfallaufkommens und Deponievolumens wird durch die vermiedene Gewinnung von Holz, Mineralien und Metallen und Herstellung von Verbundwerkstoffen die Schädigung von Flora und Fauna verringert. Als lokales System vermindert die Wiederverwendung zudem Versand, Verpackung und Transport. Noch wichtiger dürfte aber sein, dass die Wiederverwendung – ergänzend zur großmaßstäblichen Umsetzung auf Unternehmensebene, in der kreislaufgerechten Produktgestaltung und im Bauwesen – auch als Aktivität auf der Verbraucherebene begriffen wird, die für jede und jeden einfache Möglichkeiten schafft, sich an der Kreislaufwirtschaft zu beteiligen. Weiterlesen ▶ Soziale Verantwortung, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102 ▶ Ökonomische Folgen, „Sei vorsichtig was Du Dir wünschst“, S. 138 ▶ Aufarbeitung und Reparatur, „Prinzipien der Kreislaufwirtschaft“, S. 24

8  Gründungsvorstände von Finger Lakes ReUse sind Mark Darling, Barbara Eckstrom und Tania Schusler.

BESSER

RICHTLINIEN FÜR DEN RÜCKBAU IN PORTLAND, OREGON Beitrag von Shawn Wood

Für die Wiedergewinnung wertvoller Baumaterialien rückt der Gebäuderückbau als wichtiger Bestandteil eines Kreislaufkonzepts für den Lebenszyklus unserer gebauten Umwelt zunehmend in den Vordergrund. Doch ist Rückbau unter Verzicht auf Baumaschinen nichts Neues. Bevor sich der maschinelle Abbruch und die damit verbundene Zerkleinerung und Deponierung von Materialien durchsetzte, wurden Gebäude stets von Hand abgebaut. Die gewonnenen Bauteile wurden gesammelt und in anderen Bauvorhaben wiederverwendet. Dabei verstanden sich die Materialien als wertvolle Ressource anstatt der heutigen Betrachtungsweise als Abfallprodukt oder finanzielle Belastung. Auf den ersten Blick erscheint der maschinelle Abbruch von Gebäuden vorteilhaft. Er geht schnell und erfordert lediglich einen geringen Personalaufwand. Zudem ist die Entsorgung der Abfälle dank der oft niedrigen Deponiegebühren relativ kostengünstig. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die tatsächlichen Kosten für die Beseitigung des Gebäudes bei diesem Vorgehen nicht eingepreist werden. Daraus ergeben sich für unsere gebaute und natürliche Umwelt Belastungen unter anderem durch Asbestrückstände, Staub aus bleihaltigen Anstrichen und den Verlust der in den Materialien enthaltenen grauen Energie. Der am Pazifik gelegene Nordwesten der Vereinigten Staaten ist bekannt für seine ausgedehnten Wälder und den noch immer vorhandenen ursprünglichen Baumbestand. Zwar sind nur wenige der Urwaldriesen in den Wäldern verblieben, doch leben sie fort in dem Holz, das in Städten wie Portland in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg für den Hausbau zum Einsatz kam. Vor mehr als 20 Jahren begann das ReBuilding Center, eine gemeinnützige Organisation für die Wiedergewinnung von Baumaterialien, mit dem Rückbau einiger viktorianischer Häuser in Innenstadtnähe. Die entnommenen Materialien wurden im Lager des Zentrums zu einem Bruchteil der Kosten für Neumaterialien verkauft. Durch den Rückbau konnten Materialien der ansonsten üblichen Deponierung oder Verbrennung zur Energiegewinnung entzogen und in der Gemeinde wiederverwendet werden. So blieb die in den Materialien gebundene graue Energie erhalten, der Verzicht auf schwere Maschinen reduzierte die Bleistaubemissionen, und verborgen eingebauter Asbest konnte aufgespürt und sicher entfernt werden. Dennoch wurde der Rückbau von Bauträgern als im Vergleich zum maschinellen Abbruch teuer und langsam angesehen. Entsprechend griff man zunächst nur selten und nur dann darauf zurück, wenn sich die Anwohner mit Nachdruck dafür einsetzten. Diese immer lauter werdenden Stimmen veranlassten die Stadt Portland, den Rückbau als reale Alternative zum maschinellen Abbruch voranzutreiben. Nach der großen Rezession der Jahre 2007 bis 2009 kam es in Portland zu einer regelrechten „Abrissepidemie“. Der Aufschwung des Immobilienmarktes führte dazu, dass immer mehr Häuser abgebrochen wurden, um Platz für Erweiterungen oder schlicht größere und teurere Bauten zu schaffen. Dass oft in Maßstab oder Charakter unpassende Neubauten an die Stelle der preisgünstigen Vorkriegshäuser traten, blieb in Portland nicht unbemerkt. Dass Altbauten binnen weniger Tage in Schutthaufen verwandelt wurden und dabei Wolken giftigen Staubs entwichen, schürte die Sorgen der Anwohner noch zusätzlich. 400 350 300 250

1→ Genehmigungsanträge auf Gebäudeabriss und -rückbau 2006–2021.

—— Abrisse —— Rückbauten 2 →→ Baustellenbeschilderung.

200 150 100 50 0 2006

2007

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

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BESSER

3 Deconstruction Advisory Group (DAG).

Ab dem Jahr 2014 konnte aus dem Rückbauprogramm des ReBuilding Center ein steter Zufluss wiedergewonnener Baumaterialien erzeugt werden. Ehemalige Mitarbeiter gründeten eigene Rückbauunternehmen und Einzelhandelsfirmen für geborgene Materialien. Doch überstieg die Nachfrage das Angebot bei weitem. Mitarbeiter der Stadtverwaltung begannen daher gemeinsam mit Rückbauunternehmen und weiteren am Bau Beteiligten, dieses Verfahren als Alternative zum maschinellen Abbruch gezielt zu fördern. In ersten Gesprächen wurden die Zertifizierung von Rückbauunternehmen und eine Rückbaupflicht ausgelotet. Aktivisten aus der Anwohnerschaft begannen an Stadtratssitzungen teilzunehmen und wandten sich gegen die steigende Zahl von Gebäuden, die mit Hilfe von Großgerät abgerissen wurden. Sie setzten sich für eine Neufassung der Vorschriften ein, welche den Rückbau als bevorzugtes Verfahren für die Grundstücksfreimachung vorsah. Die entschiedene Unterstützung aus der Anwohnerschaft führte Anfang 2015 dazu, dass der Stadtrat das Büro für Planung und Nachhaltigkeit (BPS) anwies, Empfehlungen zur Förderung des Rückbaus vorzulegen. In diesem entscheidenden Moment mündeten Aufklärung und Lobbyarbeit in eine politisch verfasste Richtlinie. Im Frühjahr 2015 berief das BPS eine vielfältige Gruppe von Interessenvertretern ein und bildete die Deconstruction Advisory Group (DAG). In diesem beratenden Gremium waren örtliche Bauunternehmer, Rückbauexperten, Gebrauchtmaterialhändler, Denkmalpfleger, Vertreter der Anwohnerschaft und Mitarbeiter der Genehmigungsbehörde vertreten. Die Bauunternehmen äußerten Bedenken wegen der Dauer von Rückbauprojekten und der zusätzlichen Kosten. Ihrer Auffassung nach müssten diese Kosten von den Hauskäufern getragen werden und würden insofern zu höheren Wohnkosten führen – in einer Region, die bereits damals zu wenig bezahlbaren Wohnraum aufwies. Die Rückbaubranche zeigte sich bereit, ihre Tätigkeit auszuweiten, benötigte aber Ressourcen für Ausbildung und Personal. Aktivisten aus den Wohnvierteln forderten, dass alle Häuser, die zum Abbruch vorgesehen waren, unabhängig vom Wert der Materialien zurückgebaut werden sollten. Die Bauunternehmen wiesen darauf hin, dass ein Überangebot an wiedergewonnenem Holz einen Preisverfall nach sich ziehen, die Position der Gebrauchtmaterialienhändler schwächen und letztlich zu höheren Rückbaukosten führen würde. Rückbau ist arbeitsintensiv und erfordert mehr Personal als der maschinelle Abbruch. In einem wettbewerbsorientierten Markt müssen rückbaubasierte Angebote auf den Wert und Erlös aus dem Verkauf der entnommenen Materialien zurückgreifen können, um die höheren Arbeitskosten auszugleichen.

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

4↑ Wiedergewonnenes und neu gehobeltes Holz. 5← Wiedergewonnenes Holz im Ausstellungsraum von Good Wood.

Man war sich einig, dass die Entwicklung in Portland in Richtung einer Rückbaupflicht gehen sollte, aber eine direkte Einführung wäre möglicherweise kontraproduktiv gewesen und hätte der Branche nicht genug Zeit für notwendige Anpassungen gelassen. Daher empfahl die DAG ein schrittweises Vorgehen: zunächst ein freiwilliges, anreizbasiertes Programm, gefolgt von rechtsverbindlichen Vorschriften, die im weiteren Verlauf ausgeweitet werden können. Der Stadtrat von Portland stimmte zu und bewilligte 50.000 US-Dollar als Beitrag zu einem Förderprogramm für Rückbauprojekte. Im September 2015 begann das BPS mit der Verwaltung des Förderprogramms und stellte für einzelne Rückbauprojekte zwischen 2.500 und 3.000 US-Dollar zur Verfügung. Jede am Projekt beteiligte Partei konnte diese Mittel beantragen, beispielsweise Bauherren, Rückbauunternehmen oder Hauseigentümer. Im Gegenzug schrieb das BPS sowohl eine entsprechende Beschilderung der Baustelle vor, in der auf das Programm hingewiesen wurde, als auch eine detaillierte Berichterstattung über die Kosten und geleisteten Arbeitsstunden des Projekts und die aus der Wiederverwendung erwirtschafteten Einnahmen oder aus Entsorgung/Recycling entstandenen Kosten. Einige Elemente des Förderprogramms wurden nachfolgend als wichtige Komponenten in die Verordnung zur Rückbaupflicht aufgenommen. Das Programm diente im Wesentlichen als Versuchsfeld für eine schrittweise und flächendeckende Einführung des Rückbaus. Dank zusätzlicher Mittel des Department of Environmental Quality, der Umweltschutzbehörde des US-Bundesstaates Oregon, konnte das Förderprogramm auch 2016 fortgesetzt werden. Inzwischen waren viele Mitglieder der DAG bereit, an der Entwicklung einer wirksamen Rückbauverordnung mitzuwirken. Die Verpflichtung musste anspruchsvoll, aber dennoch ausgewogen sein. Hinzu kamen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Arbeitskräfte. Unternehmen mussten für den Rückbau geschult und zertifiziert werden. Und es stellte sich eine weitere Frage: Ab welchem Baujahr sollten Häuser zurückgebaut werden müssen? Im Dezember 2015 sprach sich die DAG einstimmig dafür aus, den Rückbau für die ältesten, historisch wertvollsten Häuser mit Baujahr 1916 oder früher verpflichtend vorzuschreiben, wobei denkmalgeschützte Gebäude unabhängig von ihrem Alter ebenfalls unter die Richtlinie fielen. Der Stadtrat billigte den Beschluss und die daran anschließende Verordnung zur Rückbaupflicht einstimmig. Das BPS bot Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen für das beteiligte Personal an, und die Beteiligung von Frauen und People of Color wurde priorisiert.

BESSER

Das Stichjahr 1916 wurde nicht einfach wegen der runden Zahl von 100 Jahren gewählt. Vielmehr machte der Anteil der so definierten Häuser über die Jahre hinweg stets ein Drittel der jährlichen Abbrüche aus. Die Zahl der Rückbauprojekte und die daraus wiedergewonnenen Materialmengen waren zwar anspruchsvoll, aber ausgewogen im Hinblick auf die Volumina, die die Branche bewältigen konnte. Der Plan der DAG sah zudem vor, nach einer erfolgreichen Anlaufphase die Grenze im Jahr 2019 auf das Baujahr 1940 anzuheben. Auf Häuser, die 1940 oder früher gebaut wurden, entfielen durchgehend etwa zwei Drittel der jährlichen Abbruchprojekte. Häuser aus der Vorkriegszeit enthalten das wertvollste Material und lassen sich am einfachsten zurückbauen, während modernere Bauten, welche aus Holz aus Wirtschaftswäldern und unter Verwendung von Klebstoffen errichtet wurden, den Rückbau erschweren. Als landesweit erste Vorschrift ihrer Art trat die Rückbauverordnung in Portland am 31. Oktober 2016 in Kraft. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der lokalen Rückbauunternehmen von zwei auf 12, es wurden mehr als 90 Häuser zurückgebaut und zwei weitere Gebrauchtholzmärkte eröffnet. Die Verfügbarkeit von Fördermitteln in den ersten sechs Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung minderte das Risiko für neu am Markt vertretene Unternehmen. Die meisten von ihnen waren bereits zuvor im Bausektor tätig und sahen den Rückbau als zusätzliches Geschäftsfeld an. Zwei Unternehmen wurden ausschließlich infolge der Rückbauverordnung neu gegründet. Sie erkannten schnell, dass sie ihr Geschäftsmodell um einen Markt für Gebrauchtmaterialien ergänzen mussten, um aus dem entnommenen Holz möglichst viel Wert zu schöpfen. Je höher der erzielbare Wert des Holzes, desto niedriger konnten die Angebots­preise für Rückbauleistungen sein. Gemessen an der Anzahl von Projekten und der daraus gewonnenen Materialmenge sind diese beiden Unternehmen bis heute die erfolgreichsten. Seit 2016 sind die Kosten für den Rückbau gesunken, bei gleichzeitig steigenden Kosten für maschinellen Abbruch. Diese Entwicklung wurde maßgeblich durch den Wettbewerb und die Innovationskraft in der Rückbaubranche vorangetrieben. Auf der anderen Seite zogen zusätzliche Kontrollmaßnahmen und Vorschriften zur Eindämmung der Auswirkungen gefährlicher Stoffe bei maschinellem Abbruch weitere Kosten nach sich. Durch die Verringerung der Belastung der Anwohner durch gefährliche Stoffe gilt der Rückbau im US-Bundesstaat Oregon als Best Practice, weil dabei weniger Staub entsteht und in vielen Fällen verbauter Asbest aufgefunden werden kann. Die Rückbauverordnung betraf jedoch nur etwa ein Drittel aller Abbruchgenehmigungen. Für die verbleibenden zwei Drittel, also Projekte mit maschinellem Abbruch, wurden im Jahr 2018 daher neue Vorschriften erlassen. Diese legen fest, dass vor dem Abriss mit Großgeräten alle Außenanstriche nichttragender Bauteile (bei denen von bleihaltigen Farben ausgegangen wird) von Hand entfernt werden müssen. Die Demontage von Verkleidungen, Fenstern, Türen, Einfassungen und Geländern führt beim maschinellen Abbruch zu erheblichen Mehrkosten. Zudem wurden neue Vorschriften für die Bewässerung zur Staubniederschlagung während des Abbruchs und der Verladung eingeführt. Dafür braucht es eine zusätzliche Arbeitskraft, und der Vorgang erhöht das Gewicht des Bauschutts, was bei der Verbringung in Abfallbehandlungs- oder Recyclinganlagen Zusatzkosten verursacht. Die tatsächlichen Kosten des maschinellen Abbruchs werden durch die Vorschriften von 2018 nun besser erfasst. Auf den Direktverkauf von Gebrauchtholz zu Einzelhandelspreisen geht nur ein Teil der niedrigeren Rückbaukosten zurück. Die Händler werten das geborgene Holz auf, indem sie es für die Verwendung als Innenverkleidung oder Außenschalung aufarbeiten. Aus Holz in kleineren Abmessungen mit niedrigerem Wert werden Möbel wie Tische, Schreibtische und Regale hergestellt. Zertifizierte Rückbauunternehmen erweitern ihr Angebot nun auch um weitere Leistungen, sodass sie umfassende Angebote vorlegen können, ohne hierfür Subunternehmer heranziehen zu müssen, und die Arbeiten zu geringeren Kosten in Eigenregie ausführen können. In der Regel umfassen Rückbauprojekte die Asbestbegutachtung und -sanierung, den eigentlichen Rückbau und die Materialgewinnung sowie den maschinellen Abbruch und die Wiederverfüllung der Untergeschosse, um auf dem Grundstück Baufreiheit für das nächste Projekt zu schaffen. Zuvor war für jede dieser Leistungen häufig ein separates Unternehmen zu beauftragen. Manche Rückbauunternehmen haben diese Positionen in ihr Leistungsangebot aufgenommen oder umgekehrt die angebotenen Aushub- und/oder Sanierungsarbeiten um

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

6 Entnageln von Bohlen am Rückbauort.

den Rückbau ergänzt. Daher können sie dem Kunden ein Komplettangebot unterbreiten, das im Vergleich zu Angeboten, an denen mehrere Auftragnehmer beteiligt sind, konkurrenzfähiger ist. Dass der Rückbau auf der Kostenseite inzwischen mit dem maschinellen Abbruch mithalten kann, lässt sich auch daran ablesen, dass im Jahr 2019 etwa 10 % der Abbruchgenehmigungen für freiwillige, nicht der Verordnung geschuldete Rückbauten erteilt wurden. Die Genehmigungsfristen zeigen zudem, dass Rückbauvorhaben schneller genehmigt werden und der nachfolgende Neubau früher beginnen kann als bei maschinellem Abbruch. Im Januar 2020 hat die Stadt Portland wie angekündigt die Rückbaupflicht auf Gebäude mit Baujahr 1940 oder früher ausgeweitet. Rückbau ist hier inzwischen zum vorherrschenden Verfahren für die Baufreimachung von Grundstücken geworden: Etwa 66 % aller Abbruch­ genehmigungen entfielen im Jahr 2021 auf solche Vorhaben, und mehr als 400 Häuser wurden seit 2016 im Rahmen der jeweils geltenden Verordnung zurückgebaut. Über 1.800 t Holz konnten für die Wiederverwendung geborgen werden. Schätzungen der Umweltschutzbehörde des US-Bundesstaates Oregon zufolge reduziert ein durchschnittliches zurückgebautes Haus die CO₂-Emissionen gegenüber dem maschinellen Abbruch um 7,6 t CO₂-Äquivalente. Dies entspricht dem jährlichen Emissionsvolumen von 700 Pkw. Transport, Verkauf und Aufarbeitung der wiedergewonnenen Materialien resultierten in zahlreichen neuen Arbeitsplätzen und Unternehmen. Nachdem Portland als erste Stadt in den USA eine Rückbauverordnung erlassen hatte, haben inzwischen weitere Städte ähnliche Richtlinien beschlossen oder zumindest Anreize geschaffen und sich für eine Rückbaupflicht eingesetzt. Der US-Umweltschutzbehörde EPA kam bei der landesweiten Förderung des Rückbaus und der Zusammenführung von politischen Entscheidungsträgern und Praktikern eine entscheidende Rolle zu. Die erzielten Erfolge und gemeisterten Herausforderungen wurden zur Grundlage eines wechselseitigen Lernprozesses. Und das Konzept Rückbau wächst weiter – gleich den Jahresringen eines Baumes breitet sich das System mit jeder weiteren Initiative und Richtlinie aus und gewinnt an Stärke. Weiterlesen ▶ Rückbauverordnung, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102 ▶ Kreislaufwirtschaft als soziales Projekt, „Rückbau statt Abriss“, S. 32 ▶ Lokale Bauwirtschaft, „Kompetenz- und Wissensaufbau in der lokalen Wirtschaft“, S. 38

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WENIGER

WENIGER Suffizienz als Innovation Einleitung zum kreislaufgerechten Bauen von Dirk E. Hebel und Felix Heisel

Der Prozess des Bauens hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu einer Erfüllung technischer Vorschriften und Regulierungen entwickelt. Normierungen, die für das Bauwesen gelten, sind mannigfaltig, komplex und widersprechen einander sogar ab und zu. Das Bauen selbst ist dadurch unüberschaubarer geworden, was auch zu Fehlern und Frustration auf Seiten aller Beteiligten führt. Neben der Effizienz – das bestehende System besser machen – und der Konsistenz – unser Tun und Handeln zu ändern und in Gleichklang mit natürlichen Kreisläufen und Prozessen zu bringen – gibt es die Strategie der Suffizienz, die man auch mit „weniger“ umschreiben könnte. Was im ersten Moment nach Askese und Verzicht klingt, zielt jedoch einerseits auf eine Rückkehr zu leicht verständlichen Prozessen und Vorgaben im Bau (ohne Sicherheit und Schutz in Frage zu stellen) und andererseits auf technologische Innovation, die durch intelligentes Handeln das bestehende Wissen nutzt, um Ressourcen und damit Material- und Produkteinsatz und den damit einhergehenden ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Das einfache Bauen, das hier gemeint ist, berührt auch die Frage nach Komposition und Fügung von Bauteilen und Materialien und damit auch deren Sortenreinheit und Kreislaufgerechtigkeit, indem man intelligent über die einzelnen Schichten von Bauwerken nachdenkt. So werden zum Beispiel die Außenhüllen einer Konstruktion (sowohl Fassade als auch innere Wandverkleidungen) am häufigsten gepflegt, gewartet, renoviert oder ausgetauscht. Dahingegen sind statisch tragende Bauteile fast immer durch diese Schichten umschlossen und geschützt und bedürfen nur in Ausnahmefällen eines Zugriffs. Eine intelligente und einfache Planung bezieht sich auf diesen Umstand und erlaubt es über die Nutzungsjahre hinweg, die äußere und innere Hülle jederzeit ohne großen Aufwand zu erreichen und im Extremfall sortenrein zurückzubauen. Auch ist der Austausch technischer Anlagen umso einfacher, je klarer und getrennter sie konzipiert und installiert wurden. Das Weglassen von technisch aufgerüsteten Speziallösungen und integrierten Bauteilen stellt somit eine reparaturfreundlichere und damit robustere Herangehensweise im Vergleich zu vielen heutigen Verbundbausystemen dar, welchen diese Freundlichkeit, Langlebigkeit, Robustheit und damit Nachhaltigkeit nicht zu eigen ist. Hinzu kommt eine technische Einfachheit, die auf Innovation und intelligenter Steuerung beruht. Beispiele hierzu gibt es inzwischen viele, beginnend mit ganzen Gebäudesystemen, zu deren Betrieb die Abwärme von elektrisch betriebenen Küchengeräten sowie Arbeitsgeräten und von Menschen ausreicht. Oder intelligente Steuerungen, die das Gebäude vorausschauend in Beziehung zum Außenklima bringen, indem die Heiz- und Kühlsysteme auf Wetterprognosen reagieren und auf diese Weise ein perspektivisches und langsames Justieren – anstelle eines spontanen Reagierens unter großem Energieaufwand – erlauben. Andere technologische Strategien der Suffizienz sind auch auf der Bauteilebene zu finden. So gibt es Lichtschalter ohne die Notwendigkeit eines Kabelanschlusses: Durch die vom Menschen aufgebrachte Energie des Drückens wird wie in einem Fahrraddynamo elektrische Energie erzeugt, die genutzt werden kann, um einen Impuls zu senden, welcher das Licht an- bzw. ausschaltet. Oder es gibt Leuchtensysteme, die nur noch magnetische Haltepunkte nutzen und insofern mobil sind, was es erlaubt, den Bedarf mit sehr viel weniger Ausstattung gut und flexibel zu decken, ohne in jedem Raum ein Maximum an Lichtpunkten und Kabeln vorzuinstallieren. Das Gleiche gilt für Wärmepads, die zentral aufgewärmt und dann von den Nutzern an die Stellen gebracht werden können, welche sie gerade vereinnahmen, ohne den ganzen Raum oder Bereich wärmen zu müssen. Es gibt Wandputzsysteme, die sogenannte phasenverschiebende Materialien enthalten und damit zeitverzögert den Temperaturhaushalt in Innenräumen regeln können. All dies sind Beispiele einer technologischen Suffizienzstrategie. Neben technischen bietet unsere natürliche Umwelt eigene, inhärente und intelligente Suffizienzansätze, die es zu nutzen gilt. Dazu zählen Lehmbaustoffe, die zum Beispiel schon ab einer Stärke von 30 mm die Luftfeuchte in Innenräumen auf natürliche Art und Weise regeln und technische Anwendungen unnötig machen können. Oder Dämmstoffe, die durch ihre natürliche Zusammensetzung nicht mit chemischen Stoffen versetzt werden müssen, um Brandschutzbestimmungen zu erfüllen. Der umgekehrte Fall: Ein biologisches Dämm­ material, das mit krebserregenden Stoffen versetzt werden muss, um bautechnische Normen zu erfüllen, ist im Gegensatz dazu weder intelligent noch suffizient oder nachhaltig.

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

Über all diesen bautechnischen und materialspezifischen Überlegungen stehen ein intelligenter und nachhaltiger Entwurf und eine Planung, die unter anderem auf den Energieeintrag nach Himmelsrichtungen achtet, konstruktive Schutzmaßnahmen durch Überhänge und Überstände für Fenster und Gebäude vorsieht oder den Materialverbrauch in Wand- und Deckenstärken oder Bewehrungen durch konstruktives Wissen und adäquate Kraftableitung senkt. Suffizientes nachhaltiges Handeln liegt stark in der Verantwortung von Planern und Entwerfern, die gestalterische Möglichkeiten den technologischen Problemlösern vorziehen. Dieses Kapitel benennt und beschreibt einige dieser Ansätze.

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WENIGER

TRAGFÄHIGKEIT DURCH GEOMETRIE UND MATERIAL­ EFFEKTIVITÄT Beitrag von Philippe Block

1  C. De Wolf, „Low-carbon pathways for structural design: embodied life cycle impacts of building structures.“ PhD dissertation, Massachusetts Institute of Technology (MIT), Department of Architecture, 2017. C. De Wolf, E. Hoxha, A. Hollberg, C. Fivet und J. Ochsendorf, „Database of embodied quantity outputs: lowering material impacts through engineering“, Journal of Architectural Engineering, 26 (3), 2020. C. Fivet und J. Brütting, „Nothing is lost, nothing is created, everything is reused: structural design for a circular economy“, The Structural Engineer, 98 (1), 2020, S. 74–81. C. De Wolf, „Low Carbon Pathways for Structural Design.“ IASS Boston, 16.– 20.07.2018.

Während der letzten Jahrzehnte floss viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit in die Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden. Infolgedessen verfügen wir heute über viele intelligente Lösungen zum Heizen, Kühlen und Betreiben unserer Gebäude. Klar ist aber auch, dass die Optimierung des Energieverbrauchs für sich genommen ein zu eng gefasstes Ziel ist, insbesondere wenn wir aus den Augen verlieren, wie diese Energie erzeugt oder produziert wird. Letztlich müssen wir die mit der Energieerzeugung verbundenen Emissionen reduzieren und die damit im Zusammenhang stehenden ökologischen Probleme angehen, wie beispielsweise die Schädigung der Natur durch die Materialgewinnung. Um diese Ziele zu erreichen, muss die eingesetzte Energie aus grünen oder erneuerbaren Quellen stammen. Wir sind bereits auf dem besten Weg, das Problem der im Gebäudebetrieb erzeugten Emissionen zu lösen. Folglich verlagert sich der Fokus nun auf das nächste und vielleicht noch schwierigere Ziel: die Bedeutung der in Baustoffen und Bauteilen gebundenen Emissionen. Diese Herausforderung zu bewältigen, erfordert einen echten transdisziplinären Ansatz, der Fachwissen in den Bereichen Tragwerksplanung, Bauausführung, Vorfertigung, Materialkunde, Detailplanung und Entwurf miteinander verbindet. Auch hier müssen wir uns vergegenwärtigen, was wirklich wichtig ist. Dies bedingt eine differenziertere Debatte darüber, wie wir die gebundenen Emissionen effektiv reduzieren können, also eine offene Diskussion, die uns alle Aspekte, die sich grundlegend auf das Endergebnis auswirken, besser erfassen und verstehen lässt. Genau wie bei der Energiefrage bestehen einige große Missverständnisse fort. Insbesondere im aktuellen Kontext, in dem die Themen „Nachhaltigkeit“ und „Kreislaufgerechtes Bauen“ als groß angelegte Geschäftsmodelle begriffen und (falsch) genutzt werden, um Wettbewerbsvorteile zu generieren, besteht dringender Handlungsbedarf. Opportunistische oder triviale Fehlinformationen, also „Fake News“, dürfen keinesfalls unsere Entscheidungsprozesse bestimmen. In den letzten Jahren wurden drei Bereiche durch entsprechende Fehlinformationen oder falsch gesetzte Schwerpunkte beeinflusst. Zunächst betrifft dies das Bestreben, möglichst leicht zu bauen. Diese historische Faszination, die viele Bauingenieure empfinden, folgt den großen Verheißungen des Leichtbaus, die von Vorreitern wie Frei Otto mit seiner Membranarchitektur oder den Planern der Schalenkonstruktionen in den 1950er und 1960er Jahren ausgingen. Leichter zu bauen reicht als alleiniges Ziel aber nicht aus, da damit die Frage außer Acht gelassen wird, mit welchen Materialien dies erreicht werden soll. Die zweite Fehlannahme reduziert das Problem auf eine Materialfrage, was beispielsweise zu stur vertretenen Glaubenssätzen wie „Holz ist gut und Beton ist schlecht“ führt. Derartige durch die intensive Lobbyarbeit der Baustoffindustrie verbreitete Dogmen negieren den großen Einfluss eines gut durchdachten (konstruktiven) Entwurfs. Nachhaltigkeit im Bauwesen ist keine Frage der Materialien an sich. Vielmehr kommt es darauf an, wie die Materialien verwendet und aus welchen Quellen sie bezogen werden. Der dritte Aspekt betrifft die Fokussierung auf die Absolutwerte der Treibhausgasemissionen, die als berechenbare Größen für die Nachhaltigkeitsleistung herangezogen werden, während der Ressourcenverbrauch, die Abfallproduktion und damit zusammenhängende Probleme wie der Verlust der biologischen Vielfalt als zweitrangig betrachtet werden. Wie bei jeder Art von Bilanzierung führt dieser Schwerpunkt zu einer Optimierung, ja „Überdehnung“ des Systems – mit dem Ziel, für die der Besteuerung unterliegende Kennzahl eine höhere Punktzahl zu erreichen. Aussagekräftiger ist hingegen, die Daten zur CO₂-Intensität im Zusammenhang mit dem Lebenszyklus eines Gebäudes und darüber hinaus zu bewerten. Die folgende Formel hilft uns, die Herausforderung der gebundenen Emissionen auf angemessene Weise anzugehen: Umweltauswirkungen = Nutzungsdauer

Umweltauswirkungen Masse Anforderungen × × Masse Anforderungen Nutzungsdauer

Diese Gleichung1 verdeutlicht die Beziehung zwischen den Umweltauswirkungen eines Gebäudes im Zeitverlauf in Bezug auf kohlenstoffarme Materialien (Umweltauswirkungen/ Masse), materialeffiziente Systeme (Masse/Anforderungen) und die Flexibilität und Wieder-

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

verwendbarkeit eines Bauwerks und seiner Komponenten (Anforderungen/Nutzungsdauer). Daraus ist unmittelbar einsichtig, welche Strategien umzusetzen und welche Hebel zu betätigen sind, um die Umweltauswirkungen eines einzelnen Gebäudes oder einer Konstruktion tatsächlich vermindern zu können: — Reduzierung der Masse des Bauteils durch konstruktive Durchbildung und/oder Optimierung — Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der verwendeten Materialien durch die Auswahl emissionsarmer Lösungen, was häufig ein Überdenken der konstruktiven Logik und Detailausbildung erfordert; insbesondere besteht oft ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Festigkeit des Materials und dem in ihm gebundenen Kohlenstoffgehalt — Verlängerung der Nutzungsdauer des Gebauten Letztgenannter Punkt verdeutlicht, weshalb die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen ein so wichtiges Grundprinzip ist, um eine neue Stufe der Nachhaltigkeit zu erreichen. Für die Untersuchung der Möglichkeiten, einen geschlossenen Kreislauf von Baumaterialien zu entwickeln, erscheint das von der Ellen McArthur Foundation erstellte Schmetterlingsdiagramm für eine Kreislaufwirtschaft sehr nützlich (siehe S. 25). Geordnet nach zunehmender Zyklusgröße, also mit abnehmendem Nachhaltigkeits­ erfolg, enthält es die folgenden Strategien: — Gemeinsam nutzen: Neuartige Gebäudenutzungen mit höherem Anteil der gemeinsamen Nutzung sowohl in Bezug auf die Räume als auch auf die Zeit, die wir in ihnen verbringen — Reparieren: Berücksichtigung der Instandhaltungsplanung in der Entwurfsphase, um durch robuste und effiziente Reparaturen Langlebigkeit zu gewährleisten — Wiederverwenden (Gebäude): Verlängerung der Lebensdauer des Bauwerks, Planung für weitere (Um)nutzung, sodass die Wiederverwendung eher in Betracht gezogen wird als der Rückbau. Dies ist nicht nur eine Frage der Architektur, sondern wirkt sich

1 Striatus: 3D-gedruckte Mauerwerksbrücke aus Beton, Venedig, 2021. Projekt der Block Research Group (BRG) der ETH Zürich und der Zaha Hadid Architects Computation and Design Group (ZHACODE) in Zusammenarbeit mit incremental3D (in3D), ermöglicht durch Holcim.

WENIGER

2 Robotergesteuerter 3D-Druck von konstruktiv optimierten Vouten aus unbewehrtem Beton. 2  P. Block, T. Van Mele, M. Rippmann, F. Ranaudo, C. Calvo Barentin und N. Paulson, „Redefining Structural Art: Strategies, Necessities and Opportunities“, The Structural Engineer, 98 (1), 2020, 66–72. https://block.arch.ethz. ch/brg/files/BLOCK_2020_StructuralEngineer_Redefining-structural-art_ 1578310555.pdf. 3  S. Bhooshan, V. Bhooshan, A. Dell’ Endice, J. Megens, J. Chu, P. Singer, T. Van Mele und P. Block, „The Striatus arched bridge: Computational design and robotic fabrication of an unreinforced, 3D-concrete-printed, masonry bridge“, Architecture, Structures and Construction, 2022 (zur Veröffentlichung angenommen).

auch wesentlich auf die ingenieurtechnische Betrachtung aus, beispielsweise auf die zu berücksichtigenden Lastfälle — Wiederverwenden (Komponenten): Proaktives Entwerfen mit und für die Wiederverwendung, Entwicklung von Details und Verbindungen, die ohne chemische Verfahren (z. B. Kleben) zusammengefügt werden können und damit volle Reversibilität und Demontierbarkeit gewährleisten, was die zukünftige Wiederverwendung von Bauteilen ermöglicht — Wiederverwenden (Ressourcen): Verringerung des Anteils von Neumaterialien durch verstärkte Nutzung von Recyclingmaterialien wie z. B. Bauabfällen aus Gebäudeabrissen — Wiederverwerten: Einbeziehung des Endes der Lebensdauer eines Bauwerks durch Berücksichtigung des Abrisses und der Wiederverwertung in der Planung. Ein disziplinierter Entwurfsansatz mit Materialtrennung bietet beispielsweise eine saubere, energiesparende und damit möglicherweise wirtschaftlichere Lösung für das Ende der Nutzungsdauer des Gebäudes (und die darauffolgende Phase). Jüngste Arbeiten und gebaute Prototypen der Block Research Group versuchen diese Grundsätze zu berücksichtigen.2 Diese Ziele lassen sich zum Beispiel durch die Verwendung von 3D-gedrucktem Beton zur Herstellung von synthetischem Kunststein erreichen, der für die Errichtung von Mauerwerkswänden in Trockenbauweise eingesetzt wird. Ein gebautes Beispiel ist die Striatus-Brücke, die auf der Architekturbiennale 2021 in Venedig ausgestellt wurde und aus Komponenten besteht, die ohne Klebstoffe oder Mörtel mitein­ ander verbunden sind.3 Die Brücke lässt sich am Ende ihrer Nutzungsdauer demontieren und an anderer Stelle wieder zusammenbauen oder wiederverwerten. Der hochmoderne robotergestützte 3D-Betondruck ermöglichte die Realisierung von nicht-standardisierten konstruktiven Geometrien, ohne dass hierfür Schalungen erforderlich waren. Unbewehrter Beton wird entweder in schräg verlaufenden, nicht-parallelen Schichten präzise und nur dort eingebaut, wo er benötigt wird, oder orthogonal zum vorherrschenden Kraftfluss unter Verwendung einer leichten Aussteifung, um im Querschnitt einen Hohlraum zu schaffen und dabei die konstruktive Tiefe zu erhalten. Die Trockenbauweise und die saubere Trennung zwischen Druck in der Bogenbrücke und Zug im Spannglied, das die Fundamente verbindet, ermöglichen eine einfache Instandhaltungsstrategie, da alle Elemente zugänglich und somit bei Bedarf austauschbar sind. Dies steht in starkem Kontrast zur maroden Infrastruktur aus Stahlbeton, die vor 40 bis 50 Jahren errichtet wurde und in der die Korrosion der eingebetteten Bewehrung häufig zu irreparablen Schäden führt. Zudem ermöglicht die Konstruktion eine staubfreie Demontage und ein barrierefreies Recycling. Das Rippmann Floor System (RFS), das derzeit in Zusammenarbeit mit Industriepartnern zur Marktreife entwickelt wird, ist so konzipiert, dass Zug- und Druckkräfte sauber getrennt werden. Im Gegensatz zu den allgegenwärtigen Flachdecken aus Stahlbeton, die auf Biegung

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

3

100

Draufsicht eines frühen Prototyps eines diskreten, rippenversteiften, vollkommen unbewehrten funikulären Deckensystems als Vorläufer und Inspiration des RFS.

88,19 79,37 76,66

kg CO₂ e/m²

75

4 Vergleich des Treibhauspotenzials von Deckensystemen für ein Stützenraster von 8,10 × 8,10 m. Koeffizienten für gebundenes CO₂ aus KBOB, Ökobilanzdaten im Baubereich, 2009/1: 2016.

50

■ Oberflächen ■ Stahl ■ Holz 25

22,90

■ Spannglieder 19,45

■ Bewehrung/Verankerung ■ Beton

0 Flachdecke

SpannbetonFlachdecke

Brettsperrholz + Stahl

RFS (F90)

RFS (F60)

WENIGER

beansprucht werden und daher eine beträchtliche Menge an Bewehrungsstahl benötigen, um die entstehenden Zugspannungen aufzunehmen, wird diese gerippte Gewölbedecke auf Druck beansprucht – die direkteste und konstruktiv effizienteste Art des Lastabtrags auf die Stützen. Diese einfache, doch radikale Änderung der Geometrie ermöglicht eine erhebliche Verringerung der Masse des Deckenelements, da das Material nur dort eingebaut wird, wo es benötigt wird. Der Querschnitt und die Tragfähigkeit der Decke werden voll ausgenutzt, was die Spannungen in der Konstruktion deutlich vermindert. Daher können Materialien mit geringerer Tragfähigkeit und niedrigerem CO₂-Ausstoß verwendet werden. Darüber hinaus lässt sich das diskrete Tragsystem auf einfache Weise instandhalten, wiederverwenden und am Ende der Lebensdauer des Bauteils vollständig weiterverwerten. Die konstruktive Logik des Mauerwerks ermöglicht eine Trockenmontage der Komponenten mit einfachen, auf Druck beanspruchten Anschlüssen. Auch ist das Deckensystem langlebiger, denn es kommt kein eingebetteter, möglicherweise korrodierender Bewehrungsstahl zum Einsatz. Durch den Karbonatisierungsprozess gewinnt der Beton im Laufe der Zeit an Festigkeit und bindet zudem dauerhaft Kohlenstoff. In einem repräsentativen Beispiel eines Bürogrundrisses im üblichen Stützenraster von 8,10 × 8,10 m reduziert das funikuläre Leichtbau-Deckensystem im Vergleich zu einer herkömmlichen Stahlbetondecke die Betonmasse um 67–75 % (für eine Feuerwiderstandsdauer von 60 bzw. 90 Minuten) und die Bewehrungsstahlmenge um etwa 90 %. Zusätzlich zu diesen erheblichen Einsparungen beim Materialverbrauch lassen sich auch die im Beton gebundenen Kohlenstoffemissionen reduzieren: Aufgrund der geringen Spannungen in der Konstruktion kann ein Beton mit geringerer Festigkeit und einem um 30 % niedrigeren ECC-Wert verwendet werden. Weitere 70 % lassen sich durch Umstellung auf einen umweltfreundlicheren, kohlenstoffarmen Beton einsparen (z. B. mittels Substitution eines Teils des Zementklinkers durch Nebenprodukte aus anderen Industrien und Bauabfällen). Zusammengenommen senken diese drei Faktoren – reduzierte Masse, geringere Spannungen und weniger Klinker – das Treibhauspotenzial des RFS auf nur 22–26 % der heute gebräuchlichsten Lösung (also der Stahlbetondecke). Auch im Hinblick auf die Schalldämmung und die Speichermasse bietet das RFS Vorteile. Die (vibro)akustische Leistung eines funikulären Deckensystems wird durch seine konstruktive Steifigkeit erreicht, die sich aus der doppelt gekrümmten Geometrie ergibt. Der Einsatz oder die Hinzufügung von Masse ist hierfür nicht erforderlich. Daher reduziert die Leichtbaukonstruktion die Übertragung von Trittschall und niederfrequentem Luftschall. Das RFS kann sogar leichter als andere „Leichtbau“-Konstruktionen geplant werden, denn das für die Schalldämmleistung erforderliche Gewicht von 350 kg/m² muss gar nicht erreicht werden – das Systemeigengewicht von 180–230 kg/m² reicht hierfür bereits aus. Folglich ist das RFS beispielsweise 35–50 % leichter als Holzdecken, die diese Schalldämmmasse erreichen müssen (oder entsprechend geprüft und zertifiziert werden müssten). Schließlich verfügt das RFS über eine ausreichende Speichermasse, um den Energieverbrauch der Gebäudetechnik zu optimieren. Tatsächlich leisten die ersten 5–7 cm des Betons den größten Beitrag zur 24-Stunden-Heiz- und Kühlwirkung der durch den Beton bereitgestellten Speichermasse. Eine einfache Fallstudie verdeutlicht, wie sich der Ersatz der Stahlbetondecken durch RFS-Decken in einem typischen Gebäude mit 25 Geschossen und einer Grundfläche von 1.750 m² auswirkt. Zu beachten ist, dass durchschnittlich drei Viertel der Masse eines solchen Gebäudes auf die Tragkonstruktion entfallen, sodass diese sich hauptsächlich selbst tragen kann. Dabei machen die Decken mehr als die Hälfte dieser Tragwerksmasse aus, also über 40 % der Gesamtmasse des Gebäudes. Bei einem Hochhaus ist die Bereitstellung der erforderlichen Spannweiten mit Abstand am materialintensivsten. Deckenkonstruktionen tragen somit erheblich zu den in dieser Gebäudetypologie, die in einer immer weiter verdichteten und verstädterten Welt mehr und mehr an Bedeutung gewinnt, gebundenen Emissionen bei. Selbst wenn man den Einfluss des deutlich geringeren Gewichts des Haupttragwerks (z. B. der Stützen) und der Gründung außer Acht lässt, würde der Ersatz von Stahlbeton­decken durch RFS-Decken allein bei diesem Gebäude die verbaute Betonmenge um 7.800 m³ reduzieren. Zum Vergleich: Dies entspricht 1.200 Betonmischfahrzeugen, die nicht zu dieser Baustelle

76 — 77

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

fahren müssten. Außerdem ließen sich pro Geschoss etwa 20 km Bewehrungsstahl mit einem Durchmesser von 12 mm einsparen, also insgesamt über 600 km für das gesamte Gebäude. Die oben genannten Fallbeispiele veranschaulichen einen Entwurfs- und Konstruktionsansatz, den man auch als „besser und anders mit weniger bauen“ beschreiben könnte. Das verbindende Prinzip „Tragfähigkeit durch Geometrie“ führt sowohl zu einer Verringerung der Bauvolumina als auch zu einer Reduzierung der Spannungen. Noch effektiver wird es, wenn Materialien und Anschlussdetails am Ende ihrer Nutzungsdauer auch für die Wiederverwendung oder -verwertung ausgelegt sind. Wenn wir unsere gebaute Umwelt nach diesen drei Strategien entwerfen, bauen und instandhalten, sind wir vielleicht in der Lage, den Schwerpunkt von den im Betrieb erzeugten auf die im Bauwerk gebundenen Emissionen zu verlagern und damit einen Weg aufzuzeigen, auf dem wir die Veränderungen umsetzen können, die unser Planet so dringend braucht. Die Herausforderungen sind enorm, daher brauchen wir eine Vielfalt von Lösungen, um in unserer veralteten, der Umwelt schadenden Industrie Wandel zu bewirken – und vor allem brauchen wir sie jetzt! Weiterlesen ▶ Effektivität, „Weniger – Zielrichtung Ökoeffektivität“, S. 78 ▶ Umweltauswirkung, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102 ▶ Nutzungsdauer, „Sei vorsichtig was Du Dir wünschst“, S. 138

5 Das im HiLo im schweizerischen Dübendorf (Fertigstellung 2021) verbaute rippenversteifte funikuläre Deckensystem ist ein Vorläufer des Rippmann Floor System. Die 5 × 5 m messende Decke wird von einer Tragschale aus etwas mehr als 3 cm unbewehrtem Beton mit niedriger Festigkeitsklasse und hohem Recyclinganteil gestützt.

WENIGER

WENIGER Zielrichtung Ökoeffektivität Einleitung zur Kreislaufwirtschaft von Mark Milstein

1  M. Harsch, M. Schuckert, P. Eyerer, M. Finkbeiner et al., „Design for the Environment of Automotive Painting Concepts“, SAE Technical Paper 980477, 1998, https://doi. org/10.4271/980477.

Das der Kreislaufwirtschaft zugrunde liegende Konzept legt nahe, dass wir nicht nur effizienter mit den Ressourcen umgehen müssen, um die für uns gewohnten Dinge zu produzieren. Vielmehr gilt es auch zu hinterfragen, was wir wirklich brauchen und wie wir diese Wünsche am besten erfüllen können. In der Praxis stehen die Unternehmen damit vor der Herausforderung, mit Blick auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökologisch, sozial und ökonomisch) nicht nur ihre Effizienz, sondern auch ihre Effektivität zu steigern. Es besser zu machen bedeutet lediglich, effizienter zu werden. Hingegen heißt „weniger machen“ zum einen, die Funktionsweise der jeweiligen Branche oder des betreffenden Sektors neu zu denken und die Ansatzpunkte zu identifizieren, mit denen sich die Verhältnisse zwischen den Warenströmen so anpassen lassen, dass das System bereits dank seiner Funktionsweise die Nachfrage durch ein ausreichendes Angebot befriedigen kann. Zum anderen heißt es erkennen, dass es stets um die Menschen geht, die sich auf die Suche nach Waren und Dienstleistungen begeben, um ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen. Indem sich das Verhältnis der Menschen zu Waren und Dienstleistungen wandelt, werden auch Angebot und Nachfrage dahingehend beeinflusst, dass es zu Verhaltens- und Wirkungsänderungen kommt. Weniger bezieht sich daher sowohl auf Angebot wie auch auf Nachfrage, sowohl auf Produktion wie auch Verbrauch. Die Ökoeffizienz konzentriert sich auf das nachträgliche „Aufräumen“ bzw. die Minimierung des Einsatzes gesundheits- und umweltschädlicher Materialien. Dagegen zielt die Ökoeffektivität darauf ab, dass der Bedarf an Produkten und Verfahren, die überhaupt erst Abfall erzeugen, entfällt, da Abfall in jeglicher Form Zeit, Energie und Geld kostet. Um ökoeffektiv zu werden, sind nicht nur Produkte und Dienstleistungen genauestens zu analysieren, sondern auch die Art der Nachfrage nach denselben. So gelangen wir zu einem Verständnis der Probleme, denen sich die Menschen in ihrem Alltag gegenübersehen, und können dafür neuartige Lösungsansätze entwickeln. In diesem Kontext sind Unternehmen unter anderem dann erfolgreich, wenn sie ihre Geschäftsmodelle von der Fokussierung auf die reine Quantität der Dinge (Produkte) auf eine primäre Orientierung an der Qualität der Bedarfsdeckung (Dienstleistungen) umstellen. Hier ist vor allem ein Beispiel aus dem Automobilsektor zu nennen: In den 1980er Jahren hatten sowohl Automobilhersteller als auch Lackproduzenten Maßnahmen umgesetzt, um die Mengen der in ihren jeweiligen Produktionsprozessen entstehenden toxischen Abfälle zu verringern. Zur damaligen Zeit verkauften die Lackanbieter Farben an die Automobilhersteller, die diese dann auf die Karosserien auftrugen. Erstere maßen ihren Erfolg an den abgesetzten Mengen, letztere orientierten sich am niedrigsten Preis, der für die Lacke zu zahlen war. Das in der Automobilproduktion angewandte Lackierverfahren blieb dabei aber unverändert. In den 1990er Jahren suchte man dann nicht mehr nur nach einer weiteren, lediglich marginalen Verringerung des Lackverbrauchs, sondern passte das Geschäftsmodell für die Lackierung von Karosserien während des Fertigungsprozesses an.1 Beide Seiten gingen das Problem aus einer neuen Perspektive an und erkannten, dass es nicht vorrangig auf Mengen oder Preise ankam. Stattdessen waren die Automobilhersteller an einer gleichbleibend hohen Qualität der Lackierung ihrer Produkte interessiert, sodass die Kundenzufriedenheit beim Autokauf gesichert war. Den Lackproduzenten waren stabile Umsatzerlöse wichtig, auf deren Grundlage sie ihr zukünftiges Wachstum planen konnten. Der Lösungsansatz bestand darin, das Lackgeschäft von der bisherigen Fokussierung auf das Produkt hin zu einer Orientierung an der Dienstleistung weiterzuentwickeln: Die Lackproduzenten übernahmen die Verantwortung für eine qualitativ hochwertige Lackierung, und die Automobilhersteller verpflichteten sich, ihnen die Lackierung am Fließband zu überlassen. Dadurch verringerte sich der Lackverbrauch, denn die Lackproduzenten entwickelten effektivere und effizientere Verfahren, die eine kontinuierliche Verbrauchsminderung ermöglichten und dabei bessere Ergebnisse lieferten. In der Folge entstand für den Automobilsektor ein kostengünstigeres, aber dennoch hochwertigeres Produkt. Dieses Beispiel veranschaulicht, wie Unternehmen über den Aspekt der Effizienz eines bestehenden Systems hinausgehen und es in seiner Gesamtheit neu denken: Welche Inputs und Outputs gibt es? Welche Akteure sind daran beteiligt? Welche systemimmanenten

KREISLAUFWIRTSCHAFT

Beharrungskräfte stehen Veränderungen entgegen? Die umweltgerechte Produktgestaltung, das Ökodesign, die Ökobilanzierung und weitere Methoden zielen darauf ab, ein fokussiertes System abzubilden, interne Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu erfassen und zentrale Ansatzpunkte zu identifizieren, die zu Verhaltensänderungen bei Unternehmen, Lieferanten, Kunden, Aufsichtsbehörden und anderen Beteiligten führen und so die Art der Nachfrage und des Angebots wandeln können.

78 — 79

WENIGER

DIE ÖKONOMIE DES URBAN MINING Das Modellprojekt Rathaus Korbach Beitrag von Anja Rosen

Das Rathaus der Kreis- und Hansestadt Korbach liegt mitten in der Altstadt und bildet als prägendes Gebäude im Stadtbild seit vielen Jahrhunderten einen zentralen Anlaufpunkt für die Bürger des Ortes. Da das in den 1970er Jahren an das historische Rathaus angebaute Verwaltungsgebäude zahlreiche bauliche, funktionale und energetische Mängel aufwies, entschied sich die Stadt Korbach zu einer Neugestaltung (Abb. 1 und 2). Es sollte ein offenes und bürgerfreundliches Gebäudeensemble entstehen, das auch in puncto Energieeffizienz und Nachhaltigkeit überzeugt. Dafür wurde ein ganzheitliches Konzept zum Themenkomplex des Urban Mining entwickelt und umgesetzt.

BESTANDSANALYSE Der Gebäudeentwurf der ARGE agn – heimspiel architekten nahm den Vorschlag der Stadt Korbach auf, den aus den 1970er Jahren stammenden Rathausanbau sowie zwei weitere Nebengebäude selektiv rückzubauen, das gewonnene mineralische Abbruchmaterial ortsnah wiederzuverwerten und es so weit wie möglich als ressourcenschonenden Beton (R-Beton) für den Neubau einzusetzen (Abb. 3). Alle Möglichkeiten eines konsequenten Urban Mining wurden evaluiert: von der Analyse der alten Bausubstanz, der Ermittlung wiederverwertbarer Massen und den spezifischen Einsatzmöglichkeiten des R-Betons bis hin zur konkreten Berechnung des Bedarfs an Sekundärrohstoffen und den logistischen Prozessen. Entscheidend sind immer die regionalen Möglichkeiten, wenn die Einsparung stofflicher Ressourcen mit den Zielen des Klimaschutzes und den ökonomischen Interessen des Bauherrn in Einklang gebracht werden sollen. Das Logistikkonzept berücksichtigte nicht nur die Kosten von Transporten und Aufbereitungsverfahren, sondern auch ökologische Aspekte wie etwa transportbedingte Emissionen. Weil das Bauen mit R-Beton noch nicht weit verbreitet ist, mussten zunächst geeignete Recyclingbetriebe in der Region Korbach und Transportbetonwerke recherchiert werden. Im nächsten Schritt wurde auf der Basis einer Preisabfrage für die Annahme und Aufbereitung des mineralischen Abbruchmaterials eine Wirtschaftlichkeitsberechnung erstellt. Wegen der Kosten für die Zwischenlagerung und Güteüberwachung sowie der eingeschränkt verwendbaren Korngrößen ist das hochwertige mineralische Baustoffrecycling heute oft teurer als die konventionelle Entsorgung und der Abbau neuer Rohstoffe. Deshalb wurden für die Umsetzung des Urban-Mining-Konzepts Mehrkosten in Höhe von ca. 0,5 % der Baukosten prognostiziert, die die Stadt Korbach bereit war zu tragen. Der Rückbau wurde daraufhin als selektiver Rückbau ausgeschrieben. In der Leistungsbeschreibung wurden nicht nur Art und Mengen der Abbruchmaterialien benannt und quantifiziert, es wurde auch formuliert, dass Beton- und Mauerwerksbruch nicht entsorgt werden sollten, sondern als rezyklierte Gesteinskörnung dem Rohbauunternehmen bzw. Transportbetonwerk zur Verfügung zu stellen waren.

UMSETZUNG DES URBAN MINING Nach einer Beräumung wurde der Bestand sorgfältig entkernt, vorgefundene Schadstoffe wurden fachgerecht entsorgt. Materialien wie Holz, Kunststoff, Glas etc. wurden den üblichen Verwertungswegen zugeführt. Das Mauerwerk der nichttragenden Wände sowie Estrich, Fliesen und andere Mineralik wurden entgegen der üblichen Vorgehensweise vor dem Rückbau des Betonskeletts ausgebaut und getrennt gelagert. Während des Rückbaus zeigten sich jedoch unvorhersehbare Hemmnisse in Bezug auf die sortenreine Trennbarkeit. So war eine Rippendecke über dem alten Ratssaal mit einer verlorenen Schalung aus Holz auf der Baustelle nicht wirtschaftlich sauber trennbar und musste am Stück abgebrochen werden. Der Betonbruch war deshalb mit Fremdbestandteilen verunreinigt, wodurch Qualitätseinbußen beim Rezyklat hingenommen werden mussten. Dies zeigt umso mehr die Bedeutung des kreislaufgerechten Konstruierens bereits in der Planung. Die mineralischen Abbruchmaterialien wurden in einer 30 km entfernten mobilen Recycling­ anlage im Trockenverfahren aufbereitet, da eine stationäre Anlage mit Nassaufbereitung, die eine bessere Sortenreinheit des Rezyklats gewährleistet, regional nicht verfügbar war. Der verunreinigte Betonbruch wurde deshalb mittels Windsichter nachsortiert, wobei allerdings

80 — 81

KREISLAUFWIRTSCHAFT

1↑ Neubau mit historischem Rathaus. 2← Rathaus Korbach vor dem Rückbau des aus den 1970er Jahren stammenden Anbaus.

WENIGER

Entsorgung Minimierung

Umbau, Rückbau/Abbruch

Aufbereitung

Ressourcenschonender Beton

3→ Urban-Mining-Konzept Rathaus Korbach, ARGE agn – heimspiel architekten.

Nutzung Rathaus Korbach

4↓ Selektiver Rückbau. 5↘ Recycling mit einer mobilen ­Brechanlage. 6 ↓↓ Herstellung des R-Betons.

Neubau/Erweiterung Rathaus Korbach

82 — 83

KREISLAUFWIRTSCHAFT

die Feinbestandteile mit aussortiert werden, sodass nur eine Korngröße von 8/22 mm gewonnen werden konnte – im Gegensatz zu der beabsichtigten Korngröße von 4/22 mm. Je nach Bedarf wurden die Rezyklate dann im Frischbetonwerk Korbach unter Zusatz von Wasser, Zement und primären Gesteinskörnungen zu Beton verarbeitet. Unter Anwendung der Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) für Beton mit rezyklierten Gesteinskörnungen (R-Beton-Richtlinie) wurden je nach Exposition bis zu 45 % der Gesteinskörnung durch Rezyklate ersetzt. Im Ergebnis konnten 61 % der mineralischen Abbruchmaterialien aus dem Bestandsgebäude in unterschiedlichen Qualitäten im Neubau verwertet werden, darunter 17 % für das Tragwerk. Aufgrund der eingeschränkten Korngrößen konnte nur die Hälfte der dafür vorgesehenen Betonbauteile aus R-Beton hergestellt werden. In Abb. 4 bis 7 ist der Prozess vom Rückbau bis zum Einsatz des R-Betons im Neubau dargestellt.

KREISLAUFGERECHTE NEUBAUPLANUNG Der Neubau soll zukünftigen Generationen wiederum als Rohstofflager dienen. So wurde großer Wert auf recyclingfähige Materialien und lösbare Verbindungstechniken gelegt. Auf Verklebungen wurde weitgehend verzichtet. Die Gründung besteht aus einer wasserundurchlässigen Betonsohle (WU-Beton) ohne weitere Abdichtung aus Bitumen oder Kunststoff. In der Garage im Sockelgeschoss wurde selbst auf eine Betonsohle verzichtet und stattdessen gepflastert. Unterhalb der Betonsohle wurde eine Wärmedämmschicht aus kapillarbrechendem Schaumglasschotter eingebracht – ein Material, das fast vollständig aus Altglas besteht. Die tragenden Wände sind aus Sichtbeton hergestellt, auf Putz wurde verzichtet, um die spätere Recyclingfähigkeit nicht einzuschränken. Die Fenster wurden aus hochwertigen Eichenholzprofilen gefertigt, die äußerlich mit einer Deckschale aus geklemmten Aluminiumprofilen geschützt wurden. Auf Montageschäume wurde verzichtet, stattdessen wurden die Fenster mit breitem Anschlag ausgeführt und mit Trockendichtungsbändern abgedichtet, die mit relativ geringem Aufwand lösbar sind. Die geschlossenen Paneele und Fensterflügel wurden materialhomogen aus zwei Multiplexplatten mit innenliegender Holzfaserdämmplatte anstelle des üblichen Polystyrols hergestellt, sodass nach Demontage der Aludeckschale eine stoffliche Verwertung der Holzpaneele möglich ist. Die Fassade, welche bereits im Wettbewerb als Sichtbetonfassade geplant war, macht das Urban-Mining-Konzept nach außen ablesbar. Die Architekturbeton-Fertigteile wurden im Siegerland mit Rezyklaten aus den Bestandsgebäuden hergestellt. Durch Strahlen der Oberfläche wird ein feiner roter Ziegelsplitt sichtbar, der aus den Tondachziegeln des mit abgebrochenen Nebengebäudes stammt (Abb. 8 und 9).

7 Decke über dem Erdgeschoss aus R-Beton.

8↑ Architekturbetonfassade. 9← Sichtbeton mit 25 % rezyklierter Gesteinskörnung.

WENIGER

Das Dach wurde als Sparrendach aus Baubuche mit Rauspundschalung konstruiert und mit einer Stehfalzdeckung aus Zinkblech bekleidet – eine „Closed-Loop-Konstruktion“. Sämtliche Hölzer stammen aus nachhaltiger Forstwirtschaft und sind unbehandelt, womit sichergestellt wird, dass der biologische Kreislauf auf natürliche Weise geschlossen werden kann. Die Böden im Bürgerforum und in den Fluren waren zunächst als Terrazzo geplant, wurden aber schließlich mit langlebigem Muschelkalk-Naturwerkstein bekleidet, der mit rein mineralischem Mörtel auf Zementestrich verlegt wurde – eine Wiederverwendung des hochwertigen Natursteins allein ist auf diese Weise zwar nicht möglich, aber immerhin eine stoffliche Verwertung gemeinsam mit dem Estrich. Auf ausdrücklichen Wunsch der Stadt Korbach wurden die Büros mit Linoleumboden ausgestattet, der aufgrund der Stuhlrolleneignung leider verklebt werden musste – ein Manko in der kreislaufgerechten Konstruktion. Auch der Plan, vollständig auf Kunstschaumdämmstoffe zu verzichten, konnte durch unglückliche Umstände in der Corona-Pandemie nicht eingehalten werden: Weil Mineralwolle über Monate nicht verfügbar war, wurde eine Trittschalldämmung aus Polystyrol eingebaut. Eine kreislaufgerechte, ungebundene mineralische Schüttung konnte aufgrund der frühzeitig festgelegten Bodenaufbauhöhen nicht realisiert werden.

ÖKONOMISCHE AUSWIRKUNGEN Die Verwertung des Bestandsgebäudes konnte auf wirtschaftliche Weise umgesetzt werden. Entgegen der Prognose in der Vorplanung sind keine Mehrkosten auf das Urban Mining zurückzuführen. Der öffentlichen Vergabe des Rückbaus lagen vier Angebote zugrunde, wobei das wirtschaftlichste Angebot innerhalb der Bepreisung im Leistungsverzeichnis lag. Die hochwertigen Materialien für den Neubau (Eichenholzfenster, Zinkdach, Natursteinbeläge) sind in der Herstellung sicherlich teurer als kurzlebige Materialien, führen aber zu geringeren Lebenszykluskosten, da sie geringere Instandsetzungs- und End-of-LifeKosten verursachen. Die Mehrkosten für diese Materialien wurden nicht beziffert, da sie schon im Entwurf berücksichtigt waren. Der R-Beton und die Schaumglasdämmung haben Mehrkosten von 0,3 % in Bezug auf die Gesamtbaukosten verursacht und haben damit relativ geringe Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit des Projekts. Nennenswerte Kostensteigerungen von 1,2 % der Gesamtbaukosten sind durch die Fassade begründet, die zusammen mit dem Rohbau ausgeschrieben war. Auf diese Ausschreibung haben – möglicherweise bedingt durch den Innovationscharakter, aber auch eingeschränkt durch regionale Marktbedingungen – nur zwei Rohbauunternehmer ein Angebot abgegeben, die zudem denselben Fassadenbauer als Subunternehmer angefragt haben. Damit wird deutlich, dass Urban-Mining-Konzepte zu einem eingeschränkten Wettbewerb mit entsprechend höheren Preisen führen können, solange sich die Recyclingprozesse nicht etabliert haben.

ÖKOLOGISCHE POTENZIALE DES URBAN MINING

1  C. Mostert, H. Sameer, D. Glanz, S. Bringezu und A. Rosen, Neubau aus Rückbau – Wissenschaftliche Begleitung der Planung und Durchführung des selektiven Rückbaus eines Rathausanbaus aus den 1970er-Jahren und der Errichtung eines Neubaus unter Einsatz von Urban Mining (RückRat). BBSR-Online-Publikation 15/2021, Bonn, August 2021.

Die Universität Kassel1 hat im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) das Projekt Korbach wissenschaftlich begleitet und die Umsetzung des UrbanMining-Konzepts hinsichtlich der Umweltwirkungen ausgewertet. Damit sollten beispielhaft die Bedingungen eruiert werden, unter denen Urban Mining zur klimaschonenden Nettoeinsparung von stofflichen Ressourcen (z. B. Sand und Kies) im Hochbau beitragen kann. Die Ergebnisse der Umweltanalysen sind auszugsweise in Abb. 10 dargestellt. Sie zeigen, dass durch den Einsatz von 35–43 % Recycling-Gesteinskörnung eine Reduzierung des Materialfußabdrucks des R-Betons um 31–37 % im Vergleich zu konventionellem Beton möglich ist. Die Auswirkungen in Bezug auf den Klimaschutz sind allerdings begrenzt: Durch die ortsnahe Wiederverwertung konnten auf Produktebene zwischen 1 % und 7 % Treibhausgasemissionen im Vergleich zum konventionell hergestellten Beton eingespart werden. Der weit überwiegende Anteil an Treibhausgasemissionen ist bedingt durch die Zementherstellung. Das Bindemittel Zement muss auch bei der Herstellung von R-Beton stets neu hinzugefügt werden. Auf Seiten der Transportbetonwerke herrscht teilweise große Unsicherheit im Umgang mit dem Zementanteil. „Sicherheitszuschläge“ führen dann – wie hier beim wasser-

84 — 85

KREISLAUFWIRTSCHAFT

KLIMAFUSSABDRÜCKE 350

GWI [kg CO₂-eq./m³ Beton]

RMI [kg Primärrohstoffe/m³ Beton]

MATERIALFUSSABDRÜCKE 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000

300 250 200 150 100

500 0

50

BAUwo

RCwo

BAUwu

■ A1 – Herstellung der Betonausgangsstoffe

0

RCwu

■ A2 – Transport zum Betonwerk

■ A3 – Betonherstellung

10 Materialfußabdrücke und Klimafußabdrücke der verwendeten Betone auf Produktebene.

RC = ressourcenschonender Beton BAU = konventioneller Beton (Business as usual) wo = Beton im trockenen Bereich wu = wasserundurchlässiger Beton

11 Systematik des Urban Mining Index. PRE-USE

USE

POST-USE

CLP Pre-Use in %

Wieder­ verwertete Materialien RC

Erneuerbare Rohstoffe zert./n. zert. RNc + RN

r +A

Fa

Nichterneuerbare Primär­rohstoffe PR

Selektiver Rückbau

ert h) nW lic aft sch t r i (w

Bauprodukt

Austausch

it

Energ. verwertbar, zertifiziert nachw. encr

re k to

(u n

Weiter­ verwertete Materialien DC

be

wi

rts

Re ch

st

aft

lic

h)

Weiter­ verwertbar, zertifizert nachw. dccr

Selektiver Abbruch

Weiterverwertbar dc

Energetisch verwertbar, erneuerbar enr Energetisch verwertbar, fossil enf Abfälle zur Deponierung w

LP Post-Use in %

LP Pre-Use in %

Wieder­ verwertbar rc

CLP Post-Use in %

Wieder­ verwendete Materialien RU

Wiederverwendbar ru

WENIGER

undurchlässigen Beton geschehen – zu einem unnötig höheren Zementanteil. Wissensvermittlung muss deshalb zentraler Bestandteil politischer Bestrebungen zur Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen werden.

12 Gründung entsprechend der ursprünglichen Planung.

BEWERTUNG MIT HILFE DES URBAN MINING INDEX

Aufbau und Massen kreislaufgerechte Planung[kg/m²] Linoleum, 3 mm

3,0

Zementestrich, 60 mm

90,0

Trennlagen, PE-Folien

0,4

Trittschalldämmung EPS, 80 mm

2,1

Abdichtung Bitumenbahnen, 2 × 5 mm

10,4

Bodenplatte, Beton C 25/30, 200 mm

493,3

Wärmedämmung XPS, 80 mm

2,8

Sauberkeitsschicht, Magerbeton, 50 mm

120,9

Hartsteinschotter, 150 mm

289,4

Fundamente, Beton C25/30

857,3

Bewehrungsstahl (gesamt)

102,0 1.971,4

160

250 Stahlbetonwand, d = 250 mm (gem. Statik) Bitumenabdichtung Wärmedämmung Polystyrol extrudiert, d = 160 mm

,

.

Bodenbelag (Absprache Bauherr) Schwimmender Estrich, d = 60 mm Trennlage, PE-Folie Dämmung, d = 80 mm Polymerbitumenbahn Stb.-Decke, d = 200 mm

80 60

-4,24 m

200 60

200

Hinterfüllschutz z. B. Noppenbahn

160

-4,08 m

800



Neben der Betrachtung der ökologischen Auswirkungen ist auch die wirtschaftliche Perspektive von Bedeutung: Für eine objektive Bewertung der Kreislaufkonsistenz von Baukonstruktionen müssen der Rückbauaufwand und die Wirtschaftlichkeit des selektiven Rückbaus, der Voraussetzung für die Rückgewinnung sortenreiner Wertstoffe ist, genauso messbar gemacht werden wie das Recyclingpotenzial der Materialien. Hierfür hat die Verfasserin eine Systematik entwickelt, mit der Kreislaufpotenziale von Baukonstruktionen und ganzen Gebäude gemessen und bewertet werden können: den Urban Mining Index (Abb. 11). Über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks werden alle eingehenden Materialien und alle daraus entstehenden Wert- und Abfallstoffe berechnet und nach den Qualitätsstufen ihrer Nachnutzung bewertet. Der Anteil der zirkulären Baustoffe an der Gesamtmasse aller im Lebenszyklus verbauten Materialien beziffert das Gesamtergebnis: den Urban Mining Indicator. Um diesen zu berechnen, werden die Zirkularitätsraten von Baumaterialien anhand spezifischer Kennwerte ermittelt: des Anteils an sekundären oder erneuerbaren Rohstoffen

-4,44 m

Perimeterdämmung, d = 80 mm WLG 040 PE-Folie Sauberkeitsschicht, d = 50 mm Kapillarbrechende Schotterschicht, d = 150 mm

86 — 87

KREISLAUFWIRTSCHAFT

und des zukünftigen Recyclingpotenzials. Die verschiedenen Qualitätsstufen der zirkulären Materialnutzung werden differenziert als Pre-Use und Post-Use (vor und nach der geplanten Nutzung) gewichtet. Materialien, die auf gleichbleibendem Qualitätsniveau in geschlossenen Kreisläufen geführt werden können (Wiederverwendung und Recycling), fließen in das Closed-Loop-Potenzial ein. Dagegen fließen Materialien, die nur unter Qualitätsverlust in offenen Kreisläufen weiterverwertet werden können (Downcycling), in das Loop-Potenzial ein. Eine besondere Aufmerksamkeit gilt der Rückbaufähigkeit. Die Wirtschaftlichkeit des selektiven Rückbaus, gemessen am Restwert der Materialien und dem Arbeitsaufwand für deren sortenreine Rückgewinnung am Ende der Nutzungsdauer, bestimmt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Material ein hochwertiges oder nachrangiges End-of-Life-Szenario erreicht. Für das Modellprojekt Rathaus Korbach wurden die Kreislaufpotenziale erstmals mit dem Urban Mining Index bewertet. Hierfür wurden die Hauptbauteile systematisch erfasst und die Mengen und Massen der Baustoffe auf der Ebene der Bauteilschichten berechnet. In Variantenbetrachtungen wurden die Details mit dem Urban Mining Index analysiert und optimiert. Hierbei wurde die Verwendung des R-Betons ebenso berücksichtigt wie die kreislaufgerechte Neubauplanung unter Betrachtung des Rückbauaufwands und des Werts der Materialien. Die Grafiken in Abb. 12 bis 18 zeigen die Varianten für die Gründung mit den durchgeführten Analysen.

650

13 Gründung entsprechend der kreislaufoptimierten Planung – mit reduzierter Materialvielfalt. Aufbau und Massen kreislaufgerechte Planung[kg/m²] Terrazzo, 65 mm 

97,5

Fundamentplatte, WU-Beton C 25/30 mit 35 % RC-Anteil in der Gesteinskörnung, 500 mm  Bewehrungsstahl Bodenplatte  Sauberkeitsschicht, PE-Folie 

1.134,5 115,0 0,2

Schaumglasschotter von 520 mm auf 450 mm verdichtet  Geotextilvlies, PET 

67,6 0,5



1.415,3

250 WU-Beton als Sichtbeton mit RC-Zuschlag und Zement mit niedriger Hydratationswärme, d = 250 mm (gem. Statik) Schaumglasschotterdämmung, d = 650 mm, lose verfüllt Geotextilvlies Verlorene Schalung Stahlmatte Fugenblech Verbundestrich (Terrazzo oder einfacher Estrich), geschliffen, d = 60 mm WU-Beton mit RC-Zuschlag und Zement mit niedriger Hydratationswärme (z. B. CEM III/B), d = 500 mm, Stahlanteil optimiert PE-Folie Schaumglasgranulat, abgezogen, d = 50 mm Schaumglasschotterdämmung, d = 450 mm, verdichtet von 520 mm Geotextilvlies -4,14 m

Drainage

450

50

500

60

-4,08 m

-4,39 m

WENIGER

14 Gründung entsprechend der umgesetzten Konstruktion.

40,0 97,5

Trennlage, PE-Folie

0,2

Trittschalldämmung, EPS

1,9

Fundamentplatte, WU-Beton C 25/30 mit 35 % RC-Anteil in der Gesteinskörnung, 500 mm 1.134,5 Bewehrungsstahl Bodenplatte Sauberkeitsschicht, PE-Folie Schaumglasschotter von 520 mm auf 450 mm verdichtet Geotextilvlies, PET RC-Schotter

115,0 0,2 67,6 0,5

Wandaufbau: WU-Beton als Sichtbeton mit RC-Zuschlag, d = 250 mm gem. Statik Schaumglasplatten, d = 200 mm nach Angabe Wärmeschutznachweis WLG 0,042 Geotextilvlies

680,0 2.137,4

Fugenblech

200

250

-4,08 m

Bodenaufbau: Natursteinfliesen, d = 20 mm Schwimmender Estrich, d = 65 mm Trennlage, PE-Folie Wärme- und Trittschalldämmung, EPS, d = 60 mm Fundamentplatte, WU-Beton C25/30 mit 35 % RC-Anteil in der Gesteinskörnung, d = 500 mm Bewehrungsstahl Bodenplatte Trennlage, PE-Folie Schaumglasschotterdämmung, von 520mm auf 450 mm verdichtet Geotextilvlies, PET Unterbauschicht, d = 400 mm, RC-Schotter Körnung 0-32 mm, zweilagig eingebracht

160

Zementestrich, 65 mm

[kg/m²]

- - 4,24 m

500

Natursteinfliesen, 20 mm

-4,74 m

450

Aufbau und Massen kreislaufgerechte Planung

Nach den Prinzipien einer kreislaufgerechten Planung wurde zunächst die Materialvielfalt reduziert, um bei einem späteren Rückbau die sortenreine Rückgewinnung der Baustoffe zu erleichtern (siehe Beispiel in Abb. 13). In der Ausführungsplanung wurde das Gründungsdetail noch einmal überarbeitet. Mit Blick auf die Umnutzungsfähigkeit des Bauwerks sollte auch eine Nutzung durch Dritte ermöglicht werden. Deshalb wurde eine zusätzliche Trittschalldämmung eingeplant. Außerdem wurde der Schaumglasschotter an der erdberührten Außenwand aufgrund eingeschränkter Platzverhältnisse an der Grundstücksgrenze durch Schaumglasplatten ersetzt. Abb. 14 zeigt das umgesetzte Detail nach der Überarbeitung. Es beinhaltet auch die Auffüllung des Plenums mit Recyclingmaterial für die Herstellung eines tragfähigen Untergrunds nach Entfernen der sehr tiefen Altfundamente.

.

88 — 89

KREISLAUFWIRTSCHAFT

ENTSORGUNGSKOSTEN UND VERWERTUNGSERLÖSE

15

Für die untersuchten Varianten wurden mit dem Urban Mining Index die nach derzeitigem Stand anfallenden Entsorgungskosten und Verwertungserlöse ermittelt. Bei einem Vergleich der Gründungsvarianten in Abb. 15 wird deutlich, dass die optimierte Konstruktion wesentlich geringere Entsorgungskosten verursachen würde als die ursprüngliche Planung. Die mineralischen Baustoffe könnten beim Rückbau ohne Störstoffe der Verwertung zugeführt werden. Für sortenreinen Betonbruch ist zur Zeit ein durchschnittlicher Annahmepreis von rund 10 €/t zu zahlen, während für gering verschmutzten Bauschutt durchschnittlich 30 €/t anfallen (Stand 2019). Durch den Stahlanteil, der einen Schrottwert von ca. 134 €/t hat, entstehen bei der optimierten Konstruktion insgesamt Verwertungserlöse statt Entsorgungskosten. Bei der realisierten Konstruktion führen die Kunststoffgemische (zwangsläufig eingesetzte EPS-Trittschalldämmung) zu leicht höheren Entsorgungskosten gegenüber der optimierten Variante.

Entsorgungskosten und ­Verwertungserlöse der ­Gründungsvarianten.

DARSTELLUNG DER KREISLAUFPOTENZIALE Die Kreislaufpotenziale werden in sogenannten Loops dargestellt, wobei der erste Loop jeweils die Pre-Use-Phase (vor der Nutzung/Herstellung) und der zweite Loop die Post-UsePhase (nach der Nutzung) abbildet. Im Variantenvergleich (Abb. 16 bis 18) wird erkennbar, dass der Anteil an wiederverwerteten Materialien bei der optimierten und der umgesetzten Konstruktion in der Pre-UsePhase deutlich größer ist, denn hier macht sich der R-Beton bemerkbar. Auch in der PostUse-Phase ist der Anteil recyclingfähiger Materialien dank des Verzichts auf Verklebungen und der damit verbundenen sortenreinen Trennbarkeit wesentlich größer. Es entstehen so gut wie keine Abfälle. Allerdings muss auch in der optimierten und der umgesetzten Variante davon ausgegangen werden, dass ein großer Anteil der Materialien nach dem Rückbau nur weiterverwertet werden kann. Hier wird das eingeschränkte Material-Loop-Potenzial des Baustoffs Beton sichtbar, denn nach derzeitigem Stand der Technik kann nur ein bestimmter Anteil der Rohstoffe durch Sekundärmaterialien ersetzt werden.

DER URBAN MINING INDICATOR Auf Gebäudeebene werden die Kreislaufpotenziale schließlich gewichtet. Um den Qualitätsverlust der in offenen Kreisläufen geführten Materialien abzubilden, geht deren Anteil nur zur Hälfte ein. Die Materialien dagegen, die in geschlossenen Kreisläufen geführt werden können, gehen voll in die Bewertung ein. Außerdem werden die Pre-Use- und die Post-Use-Phase zu einer Gesamtbewertung zusammengeführt und jeweils zu gleichen Teilen gewichtet. Das Ergebnis ist der Urban Mining Indicator. Durch die Optimierung der Planung hätte der Urban Mining Indicator für den Neubau des Rathauses Korbach von 32,7 % auf 50,2 % gesteigert werden können (Abb. 19). Allerdings konnten, wie zuvor erläutert, nicht alle Optimierungsmaßnahmen umgesetzt werden. Vor allem durch den eingeschränkten Ertrag geeigneter rezyklierter Gesteinskörnung aus dem Bestand und dem daraus resultierenden geringeren Einsatz von R-Beton beträgt der Urban Mining Indicator des Projekts final 42 %.

ERKENNTNISSE FÜR DIE ZUKUNFT In diesem Modellprojekt wurden erstmals die aktuellen Möglichkeiten zirkulären Bauens unter Beachtung wirtschaftlicher Aspekte an einem Praxisbeispiel untersucht und analysiert. Das Ziel war, Lösungsansätze für die Umsetzung des Urban-Mining-Gedankens in die Praxis aufzuzeigen. Anhand des Modellprojekts sollte die Durchführbarkeit des Bauens in möglichst geschlossenen Stoffkreisläufen unter den heutigen Rahmenbedingungen für ein öffentliches Bauwerk in Massivbauweise aufgezeigt werden. Wesentliche Bedingungen in der Praxis sind die marktwirtschaftlichen Gegebenheiten, die technischen und gesetzlichen Regularien sowie der Wissensstand der Beteiligten. Dies unterscheidet ein modellhaftes Praxisprojekt von einem Forschungsprojekt: Nicht das absolute Optimum, sondern das derzeit Machbare sollte hier eruiert werden, um daraus zu lernen und die Erkenntnisse auf zukünftige Bauvorhaben zu übertragen. Dabei sind die Transparenz der Ergebnisse und der Umgang mit besonderen Herausforderungen besonders wichtig.

■ Stahlschrott ■ Beton, sauber ■ Bauschutt, sauber ■ Bauschutt, gering verschmutzt ■ Kunststoff(-gemische) ■ Boden/Steine €/m² 20

10

0

-10

-20

-30

-40

-50

-60 -37,27 € Ursprüngliche Planung

2,78 € Optimierte Konstruktion

-1,33 € Umgesetzte Konstruktion

WENIGER

GRÜNDUNG ENTSPRECHEND DER OPTIMIERTEN PLANUNG

URSPRÜNGLICH GEPLANTE GRÜNDUNG

16,3 %

Pre-Use

8,3% 5,2 % 0,3 %

Post-Use

26,9 %

4,8 %

Pre-Use Post-Use Gesamt

Closed-Loop-Potenzial 5,5 % 24,6 % 30,1 % Loop-Potenzial 5,5 % 83,1 % 88,6 %

4,3 %

Pre-Use

58,2 %

0,3 %



UMGESETZTE GRÜNDUNG

18,2 %

Post-Use



34,9 %

68,2 %

30,4 %

2,7 %

Pre-Use

Pre-Use Post-Use Gesamt

Closed-Loop-Potenzial 30,4 % 31,2 % 61,6 % Loop-Potenzial 35,2 % 99,3 % 134,5 %

19,8 %



Post-Use 78,5 %

Pre-Use Post-Use Gesamt

Closed-Loop-Potenzial 19,8 % 20,9 % 40,7 % Loop-Potenzial 54,7 % 99,4 % 154,1 %

KREISLAUFPOTENZIALE AUF GEBÄUDEEBENE

Pre-Use × 0,5 + Post-Use × 0,5

CLP + (LP - CLP) × 0,5 Pre-Use

Pre-Use

Post-Use

Post-Use

42 %

2,7 %



Pre-Use Post-Use Gesamt

Closed-Loop-Potenzial 16,9 % 25,2 % 42,1 % Loop-Potenzial 26,9 % 97,5 % 124,4 %

16–18 ↑↑ Kreislaufpotenziale. 19 ↑ Gewichtung der Kreislaufpotenziale auf Gebäudeebene: Ergebnis der umgesetzten Kon­ struktion. Phase

Qualitätsstufen/Variable

Pre-Use ⬛ Wiederverwendete Materialien (Re-Use)

⬛ Wiederverwertete Materialien (Recycling)



⬛ Erneuerbare Rohstoffe



⬛ Weiterverwertete Materialien (Downcycling)



(nicht erneuerbar) ⬛ Primärrohstoffe

Wertstoffe (reusables) Post-Use ⬛ Wiederverwendbare

Wertstoffe ⬛ Wiederverwertbare (recyclables)



Wertstoffe aus ⬛ Weiterverwertbare z­ ertfiziert nachhaltig nachwachsenden Rohstoffen



verwertbare Wertstoffe aus ⬛ Energetisch zertifiziert nachhaltig nachwachsenden ­Rohstoffen



Wertstoffe ⬛ Weiterverwertbare



verwertbare Wertstoffe aus ⬛ Energetisch erneuerbaren Rohstoffen



verwertbare Abfälle, fossil ⬛ Energetisch



zur Beseitigung/Deponierung ⬛ Abfälle

Kreislaufpotenzial, gewichtet

Pre-Use Post-Use Gesamt 21,9 %

61,4 %

83,3 %

Urban Mining Indicator

42 %

Welche Lehren können nun aus dem Modellprojekt Korbach gezogen werden? Welche Handlungsempfehlungen können abgeleitet werden? — Recycling von Beton aus der urbanen Mine auf der Baustelle oder in ortsnahen Werken ist auch in Regionen möglich, in denen die dafür notwendigen Prozesse noch nicht etabliert sind. Die Aufbereitungstechnologien sind in der Regel vorhanden und die Wirtschaft stellt sich zunehmend den Herausforderungen der hochwertigen Wiederverwertung. Die Umsetzung stößt aber mit Bezug auf den Status quo, der in den meisten Bestandsgebäuden anzutreffen ist (Verunreinigungen, Einsatz von Verbundmaterialien, Schwierigkeiten bei der Demontage etc.), quantitativ an Grenzen. Eine vollständige Rückgewinnung von Rohstoffen kann konsequent nur dann erfolgen, wenn die Ziele der Kreislaufwirtschaft bereits in einer kreislauf­gerechten Planung und Konstruktion Niederschlag finden, um eine sortenreine Erfassung der Wertstoffe zu erreichen. — Die Stoffkreisläufe müssen nicht am selben Projekt geschlossen werden. In Korbach hätte ein höherer Anteil an Sekundärrohstoffen eingesetzt werden können, wenn güteüberwachtes Abbruchmaterial aus fremden Projekten mitverarbeitet worden wäre. Aufgrund des Modellcharakters war dies nicht beabsichtigt, sollte aber bei zukünftigen Projekten umgesetzt werden. — Bestehende technische Regeln müssen hinterfragt und überarbeitet werden. Beispielsweise wären höhere Recyclingraten von Beton unter Verwendung des Brechsandes bereits technisch möglich, bedürfen aber einer Zulassung im Einzelfall, die von Bauherren aus Zeit- und Kostengründen stets vermieden wird. — Gesetzliche Regularien müssen konsequenter angewendet werden. Beispielsweise lässt die Gewerbeabfallverordnung mit den Vorgaben zur Trennung von Bau- und Abbruchabfällen auf der Baustelle im Grunde nur einen selektiven Rückbau zu. Dieser muss somit

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KREISLAUFWIRTSCHAFT









zum Standard werden und darf keine höheren Kosten verursachen. Die Einhaltung der Verordnung wird aber von den Ländern und Kommunen nicht kontrolliert. Das kreislaufgerechte Bauen verursacht höhere Investitionskosten für hochwertige, langlebige und zirkuläre Materialien. Im Modellprojekt Rathaus Korbach hielten sich diese Mehrkosten mit 1,5 % in Bezug auf die Gesamtbaukosten in Grenzen. Mit höherem Aufwand hätten noch weitere Maßnahmen umgesetzt werden können, wie beispielsweise wiederverwendbare Holzdielenböden oder Parkett in den Büros. Dies war aber aufgrund der Marktlage und der dadurch bedingten Baupreissteigerung nicht durchsetzbar. Die Lebenszykluskosten wurden für das Modellprojekt zwar nicht untersucht, Erkenntnisse aus Analysen der Bergischen Universität Wuppertal2 zeigen aber, dass die Kosten kreislaufgerechter Konstruktionen über den gesamten Lebenszyklus unter Berücksichtigung von Instandhaltungs-, Rückbau- und Entsorgungskosten niedriger sind als diejenigen vergleichbarer konventioneller Konstruktionen. Die Planung für zirkuläres Bauens benötigt mehr Zeit. Insbesondere in der Ausführungsplanung müssen die Details sorgfältig geplant werden, bevor die Ausschreibung beginnt. Aufgrund von Zeit- und Kostendruck ist es heute üblich, diese beiden Leistungsphasen zu überlagern. Dies führt dazu, dass mit dem Rohbau Fakten geschaffen werden, die beispielsweise eine Anpassung von Bodenaufbauhöhen an zirkuläre Konstruktionen erschweren. Der Rückbau- und Bauprozess fordert stetige Überwachung hinsichtlich der Einhaltung der Kriterien des zirkulären Bauens. Beim Rückbau in Korbach hätten die Anteile hochwertig rezyklierbaren Abbruchbetons gesteigert werden können, wenn das Rückbauunternehmen die untrennbaren Verbundmaterialien aus der Rippendecke von den übrigen Abbruchbauteilen besser hätte separieren können. Beim Neubau wurden die Schaumglasplatten der erdberührten Außenwände trotz anderslautender Anweisung in der Ausschreibung punktuell verklebt. Dies zeigt, dass auf der Baustelle kurzfristig anders entschieden wird, wenn eine unabhängige Kontrolle, wie z. B. in Gebäudezertifizierungssystemen, fehlt. Das mineralische Baustoffrecycling bietet ein hohes Potenzial zur Einsparung endlicher stofflicher Ressourcen, kann aber nur einen geringen Beitrag zum Klimaschutz leisten, weil eine Rückgewinnung des klimaschädlichen Zements noch nicht möglich ist. Bestandsgebäude sollten deshalb bevorzugt erhalten werden, wenn eine flächeneffiziente Nachnutzung sinnvoll möglich ist. Bei der Planung neuer Gebäude muss der Anteil von Stahlbeton auf ein möglichst geringes Maß reduziert werden. Die eingesetzten Betonbauteile sollten im besten Fall so konstruiert sein, dass sie als Bauelemente ohne Zerstörung komplett wiederverwendet werden können. Hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes demontagefähiger Betonkonstruktionen besteht jedoch noch vielfältiger Forschungsbedarf.

Weiterlesen ▶ Kreislaufgerechte Neubauplanung, „Triodos Bank“, S. 108 ▶ Verwertungserlöse, „Richtlinien für den Rückbau in Portland, Oregon“, S. 62 ▶ Lokale Kreisläufe, „Verlust von Örtlichkeit, Zunahme von Verschwendung“, S. 52

PROJEKTANGABEN Das Urban-Mining-Modellprojekt wurde mit Unterstützung des Landes Hessen realisiert. Aus den Erkenntnissen soll ein Leitfaden für ressourcenschonendes Bauen erstellt werden. Die Anwendung eines solchen Leitfadens kann Grundlage für die Vergabe von Fördermitteln werden, um das zirkuläre Bauen in die Breite zu tragen.

2  Petra Riegler-Floors und Annette Hillebrandt, „Kostenvergleich konventioneller und recycling­gerechter Konstruktionen“, in: Annette Hillebrandt, Petra Riegler-Floors, Anja Rosen und Johanna Seggewies (Hrsg.), Atlas Recycling. München: Edition Detail, 2018, S. 120–133.

WENIGER

KOHLENSTOFFABGABEN UND -DIVIDENDEN IN EINER KREISLAUFGERECHTEN BAUWIRTSCHAFT Beitrag von Ken Webster

1  Damian Carrington, „Fossil fuel industry gets subsidies of $11m a minute, IMF finds“, https://www. theguardian.com/environment/2021/ oct/06/fossil-fuel-industry-subsidiesof-11m-dollars-a-minute-imf-finds.

Dieser Beitrag wirft einen Blick in die nahe Zukunft, er ist daher zwangsläufig mit Unsicher­ heiten behaftet. Mittlerweile zeichnen sich jedoch an der Schnittstelle zwischen der Verpflichtung zur Minderung von Kohlenstoffemissionen, der Sammlung und Nutzung von Material­ daten und der Kreislaufwirtschaft bestimmte Muster ab. Vom Zeitalter des Nehmens, Herstellens und Entsorgens, das dadurch gekennzeichnet war, dass am Verkaufs- oder Einbauort die Verantwortung für die Materialien weitestgehend abgegeben wurde, geht die Entwicklung hin zu einem kuratierten Materialmanagement, das sich als lückenlose Verantwortungskette beschreiben lässt. Dafür gibt es mehrere Beweggründe. Im Vordergrund steht der Klimanotstand, der bereits in sich die Notwendigkeit birgt, die Bepreisung fossiler Brennstoffe, Mineralien und materieller Ressourcen auf eine nachhaltige Basis zu stellen. Die der Industrie aktuell zugutekommenden Subventionen erscheinen höchst ärgerlich und unsinnig. Wenn man sich bei der Ressourcenallokation auf Märkte beruft, dann wären zumindest diejenigen Subventionen abzuschaffen, die Verkaufspreise unterhalb der Marktpreise ermöglichen. Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge, in dessen Statistik auch die ökologischen und sozialen Folgekosten (ca. 70 % der Gesamtkosten) einfließen, erhält die Industrie für fossile Brennstoffe pro Jahr Subventionen in Höhe von insgesamt fast 6 Billionen US-Dollar, was etwa dem Bruttoinlandsprodukt Japans entspricht.1 Die Einführung eines Preises für Kohlenstoff(-Emissionen) wird seit mehr als 30 Jahren diskutiert, ohne dass bislang nennenswerte Fortschritte erzielt wurden. Zwar gibt es derzeit weltweit etwa 35 entsprechende Programme (siehe nebenstehende Graphik), doch sind die daraus resultierenden Preisanpassungen bestenfalls gering. Auch werden die Regelungen häufig durch Schlupflöcher und Ausnahmen unterlaufen. Es geht in diesem Beitrag daher nicht um die Ausgestaltung dieser Programme, sondern vielmehr um die Lehren der vergangenen 30 Jahre und die Bedeutung einer Kohlenstoffbepreisung als Bestandteil eines ernsthaften Versuchs zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C. Ein zentrales Hindernis für eine realistische Kohlenstoffbepreisung sind, neben der Politik der Besitzstandswahrung, die gravierenden Auswirkungen von Energiepreissteigerungen auf die ärmeren Bevölkerungsschichten. Familien mit vergleichsweise niedrigem Einkommen verwenden einen größeren Teil ihres Einkommens auf Energie als Haushalte mit höherem Einkommen. Daher erscheint der reale Kohlenstoffpreis doppelt ungerecht, denn erstens verursachen die ärmeren Bevölkerungsschichten geringere Emissionen, entrichten aber zweitens einkommensanteilig höhere Abgaben. Dies ist die Herausforderung, die dem Konzept der Kohlenstoffabgabe und -dividende zugrunde liegt. Im Wesentlichen soll dadurch ein transparenter Geldkreislauf oder -fluss entstehen, der sowohl auf die ökologische Krise reagiert als auch für wirtschaftliche Gerechtigkeit sorgt. Konkret werden dabei fossile Brennstoffe als ein von der Erde zur Verfügung gestelltes Gut betrachtet – ein Gemeingut, aus dessen Erschließung zum Zweck der Ausbeutung auch folgern sollte, dass die Miteigentümer an den gewonnenen Überschüssen teilhaben. Gleiches gilt für die Erdatmosphäre: Wenn sie ein ebenso allgegenwärtiges, wenn auch unerschöpfliches Gemeingut darstellt, sollte sie dabei nicht beschädigt werden. Bisherige Maßnahmen für eine Kohlenstoffbepreisung beinhalten in der Regel eine Steuer, die auf den Preis der betreffenden Produkte oder Ressourcen aufgeschlagen wird. Die daraus generierten Einnahmen fließen in den allgemeinen Staatshaushalt. Diejenigen, die am meisten zahlen – oder alle Einkommensteuerpflichtigen, wenn im System wie beispielsweise in Kanada steuerliche Vergünstigungen gewährt werden –, werden dafür nicht unbedingt (ausreichend) entschädigt. Besser funktioniert ein System, in dem Abgaben mit einer Dividende verknüpft werden. Es weist zwei relativ neue Merkmale auf: Erstens fließen die Abgaben (es handelt sich nicht wirklich um Steuern), die möglichst am Anfang der Kette erhoben werden (also an der Quelle, der Mine oder dem Einfuhrhafen), in einen Fonds, über den die generierten Einnahmen als allgemeine Dividende ausgeschüttet werden. Auf den Begriff der Dividende kommt es an, denn damit werden die Eigentumsrechte der Begünstigten als Miteigentümer der Ressource anerkannt. Es handelt sich also nicht um eine Sozialleistung, sondern um eine

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

Vorteile

Konventioneller Emissionshandel

Emissions­ handel* und Dividende



★★★

Abgabe und Dividende

Abgabe und Steuer­ ausgleich

Emissions­ handel* und Blockzuschuss

Abgabe fließt in Steuerhaushalt

★★★ ★★

★ ★  ½

★★

★ ★  ½

Nicht regressiv (keine Nachteile für Arme und Mittelschicht) In sich einkommensneutral Keine Gewinner und Verlierer Erfasst gesamte fossile Brennstoffwirtschaft Legt theoretischen Emissionsdeckel fest Keine Begrenzung der Emissionsminderung Keine Zwischeninstanzen/Händler

Essenziell

Kohlenstoffpreis nicht volatil (aufgrund von Rezessionen, Technologie usw.) Kohlenstoffpreis vorher bekannt Bevölkerung akzeptiert hohen Kohlenstoffpreis (>= US-Dollar 100/t) Geschwindigkeit/Umfang der Emissionsminderung

* Auktionierung am Anfang der Kette (an Quelle, Mine oder Einfuhrhafen)

1 Verfahren der CO₂-Besteuerung: Weltweit bestehen bisher 35 Programme für eine Kohlen­ stoffabgabe. Diese gibt es beispielsweise seit 2008 in der kanadischen Provinz British Columbia, bereits seit 1991 in Schweden, und 2019 hat Südafrika als erstes afrikanisches Land eine solche Abgabe eingeführt. Nach: Daniel H. Miller und James E. Hansen, „Why Fee and Dividend Will Reduce Emissions Faster Than Other Carbon Pricing Policy Options“ (Response to the Request for Information from the United States House of Representatives Select Committee on the Climate Crisis), November 2019; Tabelle 1, S. 11, https://csas.earth. columbia.edu/sites/default/files/ content/Fee-and-Dividend-MillerHansen-20191110-1.pdf.

WENIGER

Ausschüttung. Wichtiger noch: Sie unterliegt infolgedessen keiner Bedürftigkeitsprüfung. Schließlich schreibt ja auch keine Regierung vor, ob und inwieweit Unternehmensdividenden an Aktionäre in Abhängigkeit ihrer bereits gebildeten Vermögen ausgeschüttet werden dürfen. Das zweite, damit zusammenhängende Merkmal ist der quasi-autonome Charakter des Fonds als treuhänderische Stiftung. Neben der Existenzsicherung und dem Kapitalerhalt besteht seine einzige Funktion darin, die ihm zufließenden Gelder auszuschütten. Die Stiftung ist in gewissem Sinne staatsfern (deshalb wird dieser Vorschlag eher von der politischen Rechten befürwortet), und im Fokus steht im Wesentlichen der finanzielle Vorteil für den Einzelnen. Sie findet aber auch bei der Linken Unterstützung, weil sie zu einer gerechteren Gesellschaft beiträgt. Als Vorbild wird hierfür oft der Alaska Permanent Fund genannt, der seit über 30 Jahren Erträge aus Investitionen ausschüttet, die auf den von Unternehmen der fossilen Industrie gezahlten Abgaben basieren (gemäß geltender Regelung sind etwa 5 % der Erträge an den Staat abzuführen), oder auch der norwegische Pensionsfonds. In den USA wurde bereits der Versuch unternommen, gesetzliche Vorschriften für ein System der Abgabendividende einzuführen. Die Regelungen des aktuellen Gesetzesentwurfs (Stand: August 2021) sind im nachstehenden Kasten aufgeführt. Aus den Daten geht klar hervor, dass eine Kohlenstoffabgabe und -dividende die Lebensumstände von etwa 60 % der US-Bevölkerung verbessern würde, da für diesen Personenkreis die Dividenden die Abgaben übersteigen würden. Das System schafft auch insgesamt Anreize für die Ressourcenschonung, da eine jährliche Steigerung des Preises pro emittierter Tonne CO₂ vorgesehen ist, was sowohl für die Endverbraucher als auch für die Industrie Planungssicherheit schaffen würde. Wenn der reale Kohlenstoffpreis und sein kontinuierlicher Anstieg wahrgenommen werden, ist dies für Branchen wie das Baugewerbe Grund genug, den Wandel voranzutreiben, selbst wenn damit Investitionskosten verbunden sind.

MODELLIERUNG DER KOHLENSTOFFDIVIDENDE IN DEN USA – EICDA-GESETZENTWURF (2021)  Der Energy Innovation and Carbon Dividend Act (EICDA) ruht auf drei Säulen:  — eine schrittweise steigende Kohlenstoffabgabe — eine Kohlenstoffdividende bzw. ein Kohlenstoff-Preisnachlass für Privathaushalte — ein Kohlenstoffausgleich an der Landesgrenze Der Preis beginnt bei 15 US-Dollar/t und steigt jedes Jahr um 10 US-Dollar.  „Die Einnahmen aus der Kohlenstoffabgabe gemäß EICDA werden sich in den ersten acht Jahren voraussichtlich auf über 1 Billion US-Dollar belaufen. EICDA legt fest, dass diese Einnahmen zu über 98 % als monatliche Dividende (d.  h. Vergünstigung) an die Haushalte auszuschütten sind. Demnach erhält eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern im ersten Jahr eine Kohlenstoffdividende von etwa 790 US-Dollar. Bereits im zehnten Jahr würde dieser Betrag auf fast 3.500 US-Dollar steigen. Ungefähr zwei Drittel der Haushalte würden Einkommensneutralität erzielen oder einen finanziellen Vorteil daraus ziehen […] EICDA wird die Kohlenstoffemissionen der Vereinigten Staaten bis 2030 um 50 % reduzieren und uns wieder auf Kurs in Richtung ‚Netto-Null‘ bis 2050 bringen.“2

2  John Cumbers, „This Climate Bill Would Actually Send Checks To Americans. Can It Help Save The Planet And Grow Our Economy?“ Forbes, 03.11.2021, https://www.forbes.com/ sites/johncumbers/2021/08/03/ this-climate-bill-would-actually-sendchecks-to-americans-can-it-helpsave-the-planet-and-grow-oureconomy/.

Die Kreislaufwirtschaft ergänzt das System aus Kohlenstoffabgabe und -dividende auf natürliche Weise, da sie den Schwerpunkt auf eine Wiederverwendung und verlängerte Produktnutzungsdauer sowie die Wiedergewinnung von Produkten, Komponenten und Materialien zu ihrem höchsten Nutzwert legt. Im Falle der Wiederverwendung ist der Umstand, dass keine Kohlenstoffabgabe auf diese Materialien erhoben wird, als klarer Vorteil gegenüber neu hergestellten Produkten zu bewerten. Außerdem gilt: Je weniger Aufbereitung, desto besser, vor allem wenn dabei fossile Energieträger oder ergänzende Neumaterialien zum Einsatz kommen. Die Erhebung von Abgaben, insbesondere an der Landesgrenze zur Sicherung der inländischen Produktion, setzt natürlich auch voraus, dass Unternehmen genau wissen, welche Materialien und Verfahren bei der Herstellung ihrer Produkte verwendet werden.

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

Dieses Wissen und die entstehenden Kosten führen gleichzeitig zu einer nachhaltigeren Produkt­gestaltung, um die Vorteile der Kreislaufwirtschaft von Anfang an nutzen zu können. Auch kann eine Kohlenstoffabgabe und -dividende sozusagen als treibender Keil für die künftige Entwicklung wirken. Primär davon betroffen ist die Energieerzeugung, in zweiter Linie die Produktion und Verwendung von Materialien. Sobald aber eine grundsätzliche Akzeptanz geschaffen ist, besteht die Chance, weitere Abgaben und Dividenden für andere privatisierte Gemeingüter einzurichten, die nachteilige Auswirkungen auf Atmosphäre, Wasser oder Gesundheit haben, insbesondere, im Kontext des vorliegenden Bandes, auf Mineralien und Metalle. In Anlehnung an den Ökonomen Paul Segal3 erkennt Rajesh Makwana zusätzliche, hohe Potenziale für ein System aus Abgaben und Dividenden in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommensniveau: „Segal plädiert dafür, dass die Regierungen der Entwicklungsländer Erträge aus ihren natürlichen Ressourcen als bedingungslosen Bargeldtransfer direkt an alle Bürger ausschütten sollten. Ein solches Programm würde Anreize für die Menschen schaffen, sich im Steuersystem zu registrieren, die staatlichen Kapazitäten stärken, die institutionellen Ursachen der Ressourcenfalle beseitigen und Korruption verringern. […] Vor allem hebt Segal die beträchtliche mildernde Wirkung hervor, die eine aus den Rohstofferträgen abgeleitete Sozialdividende auf extreme Armut haben könnte. Seinen Berechnungen zufolge könnte allein diese Maßnahme die weltweite Armut halbieren, wenn sie von allen Entwicklungsländern auf internationaler Ebene umgesetzt würde, und er kommt zu dem Schluss, dass das System‚ leichter umzusetzen wäre als die meisten bestehenden sozialpolitischen Maßnahmen‘.“4 Das System aus Abgaben und Dividenden ist im Kontext von Rohstofferträgen so zu gestalten, dass es erweiterbar ist und ausreichend an Dynamik gewinnt, damit die Wirtschaft darauf reagiert und sich entsprechend anpasst. Das gilt umso mehr im Zeitalter des Klimawandels und dem notwendigen Fokus auf Kohlenstoffemissionen. Materialdatenmanagement, Strategien der Kreislaufwirtschaft und die Kohlenstoffabgabe und -dividende bilden eine Symbiose bei der möglichen Neuausrichtung des Bauwesens. Was in Materialien und Gebäuden enthalten ist, wie es (wieder)verwendet werden soll und wie es von hier aus weitergeht, sind zentrale Fragen für alle Produkte, Komponenten und Materialien der Zukunft. Weiterlesen ▶ Klimanotstand, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102 ▶ Kohlenstoffbepreisung, „Mit dem Verursacherprinzip in eine Verantwortungsgesellschaft“, S. 96 ▶ Kohlenstoffdividende, „Sei vorsichtig was Du Dir wünschst“, S. 138

3  Paul Segal, Resource Rents, Redistribution, and Halving Global Poverty: The Resource Dividend (Oxford Institute for Energy Stud­ ­ies, Juni 2009), https://citeseerx. ist.psu.edu/viewdoc/download? doi=10.1.1.444.27&rep=rep1&type=pdf. 4  Rajesh Makwana, „From Basic Income to Social Dividend“, https:// www.centreforwelfarereform.org/ library/from-basic-income-to-socialdividend.html.

WENIGER

MIT DEM VERURSACHERPRINZIP IN EINE VERANT­ WORTUNGS­ GESELLSCHAFT Kommentar von Annette Hillebrandt

1  EU-Bauprodukteverordnung (Verordnung (EU) Nr. 305/2011), Anhang I „Grundanforderungen an Bauwerke“, Anhang I, Punkt 7, https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R0305&from=DE (aufgerufen am 04.09.2020). 2  Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG) vom 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212), zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes vom 27. Juli 2021 (BGBl. I S. 3146), https://www.lexsoft.de/ cgi-bin/lexsoft/justizportal_nrw. cgi?t=163688742424052457&session ID=2428027182130083489&chosen Index=Dummy_nv_68&templateID= document&source=context&source =context&highlighting=off&xid= 4769832,1 (aufgerufen am 14.11.2021). 3  https://de.wikipedia.org/wiki/ Top-Runner-Programm (aufgerufen am 14.11.2021). 4  Umweltschädliche Subventionen in Deutschland, Aktualisierte Ausgabe 2021, https://www.umweltbundesamt. de/sites/default/files/medien/479/ publikationen/texte_143-2021_ umweltschaedliche_subventionen.pdf (aufgerufen am 23.03.2022).

In allen Herstellungs- und Sanierungsprozessen von Bestandsertüchtigung bis Neubau bedeutet der Erhalt von zukünftigen Lebensgrundlagen vor allem Respekt vor der Gesundheit von Menschen und der Welt; er bedeutet Schonung der materiellen Ressourcen und Vermeidung von Abfall, auch in Form von CO₂. Gesundheit steht vor Schadstoffeinsatz, Wiederverwendung und Wiederverwertung vor Ressourcenverschwendung und Obsoleszenz. Es liegt in der Verantwortung der Politik, die Grundanforderungen an Gebäude der Landesbauordnungen aus dem Anhang 1 der EU-Bauprodukteverordnung, Punkt 71 sofort umzusetzen: Demnach muss das Bauwerk derart entworfen, errichtet und abgerissen (Anm. d. Aut.: gemeint müsste rückgebaut sein) werden, dass gewährleistet ist, dass das Bauwerk, seine Baustoffe und Teile nach dem Abriss (Anm. d. Aut.: gemeint sollte Selektiver Rückbau sein) wiederverwendet oder wiederverwertet werden können. Darüber hinaus muss das Bauwerk dauerhaft sein. Aus diesem vor Jahren formulierten Anspruch an die Kreislauffähigkeit und Dauerhaftigkeit von Gebäuden leitet sich eine Verantwortung von Planern und Herstellern ab: Konstruktionen sind nur noch genehmigungsfähig, wenn sie rückbau- und reparaturfähig sind, erstellt aus dauerhaften, erreichbaren und reparaturfähigen Komponenten unter Verwendung lösbarer Fügetechniken. Ebenso sagt die EU-Bauprodukteverordnung aus, dass für das Bauwerk „umweltverträgliche Rohstoffe und Sekundärbaustoffe“ verwendet werden müssen. Zusammen mit den in der Novellierung des deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetzes §§ 23–252 formulierten Anforderungen kann man daraus ableiten, dass die Regierung aufgefordert und ermächtigt ist, die Hersteller-Produkt-Verantwortung durchzusetzen. Und so – wie dort formuliert – die „Vermüllung der Umwelt“ einzuschränken. Das Inverkehrbringen von Bauprodukten kann daher nur noch bei nachgewiesener Gefahren- und Schadstofffreiheit erfolgen. Dies ist erstens die Voraussetzung für die Verträglichkeit von Baustoffen in der Nutzungsphase, zweitens ist es aber auch die Voraussetzung für eine hochwertige Nachnutzung und bewahrt uns vor Kontaminierungen, die in teure Entsorgungssackgassen führen (vgl. Asbest, HBCD). Aufgrund des dringenden Handlungsbedarfs liegt es ebenso in der Verantwortung der Regierung, Innovationen anzuregen, ja sie zu provozieren. Ein Mittel dazu ist es, Neuzulassungen, also das Inverkehrbringen von Bauprodukten nur noch nach dem „Spitzenreiter-Prinzip“3 zu erlauben. Dabei setzt das aktuell beste Produkt auf dem Markt den Standard, nur ein verbessertes erhält eine Neuzulassung und verdrängt damit automatisch das schlechteste aus dem Markt, das seine Zulassung verliert. Japan hat dieses Modell erfolgreich im Bereich energetischer Verbesserungen von Geräten eingesetzt, um das Kyoto-Protokoll von 1997 zu erfüllen, und damit in seiner Wirtschaft einen Innovationsschub ausgelöst. Parameter von Verbesserungen für Neuzulassungen gegenüber bereits auf dem Markt befindlichen Produkten sollten ein erhöhter Sekundärrohstoffanteil ohne Einschränkung der Recyclingfähigkeit sowie verringerte CO₂-Emissionen in Herstellung und Betrieb sein. Neuzugelassene Produkte müssen zu 100 % recyclingfähig sein. Hierbei muss der Problematik des Qualitätsverlustes im Recycling von Metalllegierungen (vor allem Aluminium) und Kunststoffen durch akkurates Sortieren begegnet werden. Und bei nachwachsenden Rohstoffen muss auf kompostierungsbehindernde Zusätze (z. B. Kunststoffe, Brandhemmer) verzichtet werden. Dabei kann der natürliche Kreislauf nur als ganz geschlossen angenommen werden, wenn die Materialien und Produkte zertifiziert nachhaltig kultiviert wurden. Die im Kreislaufwirtschaftsgesetz beschriebene Produktverantwortung muss angewandt werden, ein Inverkehrbringen von Neuprodukten darf nur möglich sein, wenn bereits ein Rücknahmesystem etabliert ist oder eine flächendeckende Rückgabemöglichkeit aufgebaut wird oder eine Herstellerrücknahmegarantie nach Gebrauch angeboten wird – welche für Nutzer und Käufer kostenfrei ist. Die Bauwende in Richtung Suffizienz und Konsistenz verlangt Korrekturen. Das deutsche Umweltbundesamt beziffert die klimaschädlichen Subventionen im Bau- und Wohnungswesen des Landes 2018 auf jährlich mehr als 3 Mrd. EUR4 – schaffen wir derartige Subventionen doch bitte ab!

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KREISLAUFWIRTSCHAFT

Und sie verlangt nach einer Finanzierung ihres Aufwandes. Es ist daher Zeit, das Verursacherprinzip anzuwenden. Verschwendung und „Vermüllung“ (auch in Form von CO₂) müssen besteuert werden: zum Beispiel Treibhausgasemissionen durch Steuern in Höhe der Umweltkosten (ca. 200 EUR/t CO₂)5 oder Mehrfachwohnsitze (im In- und Ausland) gemäß ihrer Wohnraumverschwendung oberhalb des aktuellen Durchschnitts (ca. 46,5 m²/ Einwohner)6 . Und für Abfallanteile bzw. Entsorgungskosten, mit denen zum Rückbau einer Immobilie am Nutzungsende zu rechnen ist, sollte eine Kaution schon zum Bauantrag hinterlegt werden müssen. „Glück auf“ aus der fossil-basierten Verschwendergesellschaft in eine umweltkonsistente Verantwortungsgesellschaft! Weiterlesen ▶ Recyclingfähigkeit, „Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit“, S. 142 ▶ Suffizienz, „Weniger – Suffizienz als Innovation“, S. 70 ▶ Konsistenz, „Anders – Konsistenz als Prinzip“, S. 100

5  https://www.umweltbundesamt. de/daten/umwelt-wirtschaft/ gesellschaftliche-kosten-von-umweltbelastungen#gesamtwirtschaftlichebedeutung-der-umweltkosten. 6 https://www.destatis.de/DE/ Themen/Branchen-Unternehmen/ Bauen/Tabellen/wohnungsbestanddeutschland.html (aufgerufen am 10.06.2020).

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ANDERS Konsistenz als Prinzip Einleitung zum kreislaufgerechten Bauen von Dirk E. Hebel und Felix Heisel

Das Prinzip der Konsistenz beruht auf dem Verständnis, dass unser menschliches Tun und Handeln mit den existierenden, seit Millionen von Jahren aufgebauten Kreisläufen unseres Planeten in Einklang zu bringen ist. Daraus ableitend sollten wir – wie in der Einleitung dieses Buchs beschrieben – damit aufhören, den Austausch zwischen Biosphäre und Lithosphäre zu stören, indem wir immer größere Mengen an Materie verschieben und immer mehr nicht-biogene synthetische Stoffe in die Systeme einbringen – mit ungeahnten Folgen für unsere Lebensgrundlage innerhalb dieser bestehenden Kreisläufe. Stattdessen gilt es die natürlichen Kreisläufe zu erhalten, zu pflegen und wo immer notwendig wiederherzustellen. Dieses konsistente Handeln ermöglicht es wiederum, ein soziales Miteinander zu schaffen, welches den gesellschaftlichen Zusammenhang stärken und gestalten kann. Dieses Handeln könnte man auch mit dem Begriff „kreislaufgerecht“ umschreiben. Das kreislaufgerechte Bauen versteht somit die gebaute Umwelt als eine Momentkonfiguration von Materie, die immer wieder mit Hilfe natürlicher, aber auch regenerativ angetriebener technologischer Prozesse neu konfiguriert werden kann. Unsere Aufgabe besteht somit darin, diesen Umwandlungsprozess zu ermöglichen, ihn weder zu gefährden noch zu stoppen. Dieses Verständnis führt uns zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass unsere zukünftige gebaute Umwelt als ein Materiallager zu verstehen und zu handhaben ist, aus dem sich sowohl der Mensch wie auch die Natur verlustfrei und ohne Gefährdung bedienen. Konkret bedeutet es, so zu konstruieren, dass alle Materie verlustfrei, werterhaltend und ständig wiederholend in eine weitere Verwendung (den Erhalt der Materie und der Konfiguration) oder Verwertung (dem Umbau der Materie unter Verlust der Konfiguration) überführt werden kann. Wenn jedoch ein natürlicher Prozess wie die Kompostierung durch das Einbringen nicht-biogener synthetischer Stoffe auf oder in biologische Stoffe (Lackierungen, Imprägnierungen, Verklebungen, Beimischungen in Holz, Gräser, Wolle etc.) verhindert wird, handeln wir nicht nachhaltig, sondern verantwortungslos gegenüber der Natur wie auch zukünftigen Generationen. Die Methode der Konsistenz wird auch oft als „Anders“-Handeln beschrieben. Dies sicherlich auch deshalb, weil der heutige Status quo im Bauwesen auf ein kreislaufgerechtes Praktizieren keinen Wert legt. Es beschreibt damit einen radikalen Ansatz, in dem wir grundsätzlich darüber nachdenken müssen, wie wir unsere Materialien und Bauteile so herstellen, bereitstellen und fügen, dass sie jederzeit wieder in natürlichen Kreisläufen aufgehen können. So stellt die Wiederverwendung sicherlich den schnellsten und einfachsten Kreislauf dar. Eine Vorkehrung hierfür ist das einfache und verlustfreie Fügen, das unbedingt auch reversibel geplant werden muss. Zudem bedingt Wiederverwendung aber auch auf der Produktebene ein Verhalten in der Herstellung, das die Reparatur und den partiellen Ersatz (Wiederaufbereitung) zur Maxime erklärt. Ebenfalls auf der Produkt- oder Bauteilebene gilt es, Komposite oder Verbundmaterialien zu vermeiden oder gar zu verbieten, die nicht mehr verlustfrei und werterhaltend aufbereitet werden können, zumal wenn sie toxische, nichtbiogene Stoffe enthalten (Kleber, Schäume, Nassdichtungen etc.). Diese Erkenntnis führt zu einer veränderten Wahrnehmung unserer Profession, was sich vor allem in der Entwicklung und Anwendung neuer Verbindungstechnologien, im Entwurf von verlustfreien und werterhaltenden Rückbauanleitungen und in einem radikal neuen Rollenverständnis aller Akteure in der Bauwirtschaft manifestiert. Anstatt darauf abzuzielen, am Ende der Nutzungsphase den Abfall zu reduzieren (dies wäre die Effizienz-Strategie), sollte eine Kreislaufwirtschaft die Entstehung von Abfall durch Innovation und Gestaltung bereits am Anfang des Lebenszyklus verhindern. Beim Entwurf von Gebäuden kommt hier also eine neue Komponente hinzu, die von Anfang an konsequent mitgedacht werden muss. Grundsätzlich gilt es, dabei unsere konstruktive Detailplanung neu nach den Grundsätzen der Kreislaufgerechtigkeit und damit den Prinzipien der Konsistenz auszurichten. Sortenreine Materialien sollten sortenrein gefügt werden, sodass der Aus- und Rückbau keinerlei Anhaftungen, Verunreinigungen oder Zerstörungen hervorruft. So wissen wir heute, dass Fensterglas in der EU nur zu einem einstelligen Prozentsatz wieder zu Fensterglas verarbeitet werden kann. Neben Fragen nach einer sortenreinen Trennung auf der Baustelle liegen die Gründe hierfür in „Verunreinigungen“ des Glases durch Nassdichtungen, Kleberanhaftungen

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oder Metallbedampfungen, die das konsistente Handeln und damit die verlustfreie und werterhaltende Wiederverwertung verhindern. So müssen wir die Detailplanung neu an den ökologischen und ökonomischen Prinzipien dieser Werterhaltung ausrichten. Wir müssen priorisieren. Neue, wirklich sortenreine und kreislaufgerechte Detailplanungen (im Fenster­ ­bau z. B. können auch Trockendichtungen eingesetzt werden) müssen Vorrang erhalten gegenüber denjenigen, die letztendlich als Deponiegut enden. Wir müssen Innovationen voranbringen und fördern, die ein wirklich sortenreines und einfach rückbaubares Materiallager schaffen können. Es müssen neue Technologien, Fügungsprinzipien, Verbindungsmittel und auch Materialien entwickelt werden, um den zukünftigen Baubestand in eine neue Generation qualitativ konsistenter, das heißt ökologisch unschädlicher, technisch sortenreiner, einfacher rückbaubarer und ökonomisch attraktiver – weil endlos in Kreisläufen nutzbarer – Bauwerke zu überführen. Dieses Kapitel erzählt von einigen dieser bestehenden Bemühungen und Beispiele.

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DIE ÖKOLOGIE HAT VORRANG! Kommentar von Annette Hillebrandt

1  Ernst Ulrich von Weizsäcker u. a., Faktor Fünf, München: Droemer, 2010, S. 356. 2  https://www.bundestag.de/ parlament/aufgaben/rechtsgrund lagen/grundgesetz/gg_02-245124 (aufgerufen am 14.11.2021). 3  Michael Kopatz, Ökoroutine, ­München: oekom, 2018, S. 131–132. 4  https://www.architects4future. de/news/a4f-umbauordnung (aufgerufen am 11.11.2021). 5  Annette Hillebrandt und Jan Martin Müller, „Berechnung von Kompensationsmaßnahmen für ein Bauen in der Weltkapazität“, „Urban-Loop-DesignChecklist“, http://www.urbanmining-design.de (abgerufen am 11.11.2021).

Unsere Nachhaltigkeitsbemühungen basierten bislang größtenteils auf einem Drei-SäulenModell. Es zielt darauf ab, die Anforderungen aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem gleichwertig zu einem Kompromiss zu führen. Dieses Modell funktioniert allerdings nicht mehr: Das Ringen um Kompromisse ist zu kompliziert und zu langsam. Unser Vorgehen muss sich daher ab sofort an einem Vorrang-Modell ausrichten: Dieses erkennt die Ökologie als wichtigsten Parameter an und ordnet ihr alle Entscheidungen, vor allem ökonomischer Art unter. Nur so können wir jetzt noch schaffen, den Klimawandel und seine Folgen zu begrenzen. Dazu ist es allerdings erforderlich, das Handeln unserer gesamten Gesellschaft an diesem Modell auszurichten – auch und vor allem das Bauwesen, welches in Europa für 40 % aller ausgestoßenen CO₂-Emissionen und anderen Treibhausgase verantwortlich ist. All unsere in einer anderen Mentalität und Zeit etablierten (Bau-)Gesetze gehören auf den Prüfstand: Stehen sie dem Klimaschutz im Wege, torpedieren sie ihn gar, so müssen sie sofort verändert oder abgeschafft werden! Von den Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz („besser“), Suffizienz („weniger“) und Konsistenz („anders“) ist die Konsistenz – hier die Vereinbarkeit des Bauens mit der (Um-) Welt und ihren Grenzen – die anspruchsvollste. Sie verlangt eine genaue Analyse und ein Verständnis der Umweltwirkungen. Das benötigt Zeit und Demut vor der Natur. Beides ist knapp. Maßnahmen der Suffizienz sind schnell und klar auszumachen, aber „Verwöhnten“ schlecht zu vermitteln. Dennoch ist der Verzicht die wirksamste Strategie, während der Glaube an die Effizienz – das Verbessern – selbst von Ernst Ulrich von Weizsäcker1 schon vor Jahren aufgegeben wurde: zu ineffizient und aufgefressen von Hyperkonsum und Reboundeffekten. Wir brauchen eine neue Kultur: Verantwortung statt Wegducken – Innovation statt einfach „weiter so“. Alles ist schon gedacht, alles schon geschrieben, wir müssen es nur machen! Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Artikel 20a steht: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen […].“2 Damit liegt es – zumindest in Deutschland – in der Verantwortung von Regierung, Land, Kreis und Stadt, Böden, Gewässer, (Mikro-)Klima, Biodiversität und Ressourcen zu schützen. Für das Bauwesen müsste daraus konsequenterweise ein Flächenmoratorium resultieren! Bei seit Jahrzehnten mehr oder weniger stagnierender Bevölkerungszahl sollten Neuerschließungen nur noch in Gemeinden mit Zuzug3 und Bauen nur noch auf bereits versiegelten Flächen wie Brachen oder im Tausch gegen Entsiegelungen möglich sein. Und aufgrund der ökologischen Vorteile braucht es einen sofortigen Schutz des Baubestands: Erhalt vor Neubau! Dazu müssen wir Umnutzungen und eine umfängliche Wiederverwendung ermöglichen, in Deutschland zum Beispiel die Umsetzung der Aufhebung der strikten Baunutzungstrennungen nach Baunutzungsverordnung (BauNVO). Und wir müssen den Bestandserhalt durch drastische Genehmigungsvereinfachungen fördern, wie sie unter anderem von Architects for Future Deutschland in ihrer „UmBauordnung“ erarbeitet wurden.4 Ein Bestandsabriss sollte nur noch als selektiver Rückbau erlaubt werden und wenn nachgewiesen ist, dass ein Neubau einen ökobilanziellen Vorteil gegenüber dem Altbau und dessen Abriss erbringt. Nach dem Vorrang-Modell dürfen wir Baugenehmigungen nur noch für Bauvorhaben erteilen, durch die „Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden“, wie es in einigen deutschen Landesbauordnungen bereits verankert ist, aber bislang nicht durchgesetzt wird. Dazu zählt auch der Nachweis, dass das Vorhaben ohne zusätzliche Flächenversiegelung realisiert werden kann (z. B. durch eine aufgeständerte Bauweise mit Versickerungsrigole), es mit Ausgleichsmaßnahmen zur Kühlung des Mikroklimas ausgestattet ist (helle Hüllflächen und Außenanlagen, Wasserflächen) und Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität (Begrünung)5 bereitgestellt werden. Zudem müssen alle zukünftigen Wohnneubauten mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen (als Energie-Plus-Gebäude).

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Baugenehmigungen sollten nur noch mit einem Rückbaukonzept und einer Rückbauplanung erteilt werden, versehen mit einer Ökobilanzierung und einer Lebenszykluskostenanalyse (inklusive der Instandsetzungs-, Rückbau- und Entsorgungskosten). Neubauten sollten als flexible, ressourcenschonende Strukturen wie dem Skelettbau ausgeführt sein (Built to ReUse)6 und müssen einen Ressourcen-Pass7 mit Abbildung des Kreislaufpotenzials in der Vor- und Nach-Nutzungs-Phase8 nachweisen. Der Neubau muss drastisch erschwert werden, damit die Bauwende gelingt! Weiterlesen ▶ Ressourcengerechte Strukturen, „Kendeda-Building for Innovative Sustainable Design”, S. 104 ▶ Materialpass, „Materialpässe“, S. 118 ▶ Rückbauplanung, „Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit“, S. 142

6 Ibid. 7  Forderungen nach einem Materialpass des Umweltbundesamtes: https://www.umweltbundesamt.de/ sites/default/files/medien/1968/ publikationen/uba_broschuere_ urbanmining_rz_screen_0.pdf, S. 56 (aufgerufen am 11.11.2021). 8  Berechnungen der Kreislaufkon­ sistenz mit dem Urban Mining Index, Anja Rosen, https://urban-miningindex. de/ (aufgerufen am 11.11.2021).

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KENDEDA BUILDING FOR INNOVATIVE SUSTAINABLE DESIGN Handeln an der Schnittstelle von Klimaschutz, Gesundheit und Gerechtigkeit Fallstudie von Joshua R. Gassman, RA

Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie natürliche Systeme funktionieren und dass ihnen möglicherweise der Kollaps droht, müssen wir bei der Erfüllung unserer zivilisatorischen Bedürfnisse gewissermaßen den Schalter umlegen. In der Konsequenz führt kein Weg an der Kreislaufwirtschaft vorbei. Dabei sollte für Materialien zunächst das Primat der Wiederverwendung und Umnutzung gelten. Recycling käme dabei lediglich als „Rückfalllösung“ in Betracht. Dies steht im Gegensatz zu vielen der heutigen Prozesse, bei denen die Wieder- und Weiterverwertung als die erste und einzige Antwort auf Ressourcenengpässe und Abfallerzeugung verstanden wird. Vorbild und zwingende Grundlage für unseren Umgang mit Materialien sollten die Systeme der Natur sein, in denen nichts verschwendet wird, da der Output des einen stets als Input eines anderen Systems dient. Zudem stellt sich die Frage, wie wir dabei den Aspekt der Gerechtigkeit berücksichtigen können, sodass das neue Paradigma nicht nur den privilegierten, sondern allen Mitgliedern der Gesellschaft zugutekommt. Dieser Wandel braucht zweifellos Zeit, daher kommt es darauf an, schon jetzt und jeden Tag kleine Schritte zu gehen. Machen wir die Kreislaufwirtschaft zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Je mehr Menschen kreislauforientiert denken und bauen, desto einfacher können ihnen andere folgen. Das Kendeda Building for Innovative Sustainable Design auf dem Campus des Georgia Institute of Technology in Atlanta im USBundesstaat Georgia bietet ein Fallbeispiel für mögliche Lösungen in diesem Bereich. Das Gebäude wurde von Lord Aeck Sargent und The Miller Hull Partnership entworfen und zwischen 2016 und 2019 von Skanska USA mit zahlreichen beratenden Experten errichtet. Im Zentrum stand die Frage, wie weit Interkonnektivität und rückgekoppelte Systeme im Rahmen des bestehenden Wirtschaftssystems umgesetzt werden können. Von Anfang an verstand sich das Projekt in erster Linie als Modellvorhaben für die Wiederverwendung von Materialien. Seitens des Kendeda Fund wurde die Living-BuildingZertifizierung als Vorgabe definiert, sodass die Minderung der CO₂-Emissionen, die Verringerung von auf Deponien verbrachten Materialmengen und der Grundsatz der Gerechtigkeit als Kernanforderungen in das

Projekt einflossen. Wichtig war auch die lokale Beschaffung von Holz, weil die Holzindustrie einer der größten Wirtschaftszweige des Bundesstaates Georgia ist. Bereits in der Frühphase des Projekts bot sich eine erste Möglichkeit, Materialien in großem Stil wiederzuverwenden: Am Rand des Universitätsgeländes sollte ein Gebäude abgerissen werden, um Baufreiheit für die Errichtung eines neuen Polizeireviers zu schaffen. Um 1950, als dieses Gebäude entstand, wurden ca. 15 cm breite und 2,5 cm dicke Bretter aus Kiefernholz für die Bedachung und Wandverkleidung verwendet. Hier bot sich eine wahre Fundgrube für Holz lokaler Herkunft, das trotz jahrelangem Leerstand in ansprechendem und gutem Zustand war. Das Projektteam konnte die Universität und das Bauunternehmen zu einem Teilrück­ bau bewegen, sodass die Kiefernbretter wiedergewonnen werden konnten. Sie finden sich nun im gesamten Kendeda Building wieder, einschließlich der Rampen, die Besucher vom Südeingang durch das Atrium führen. Auf interessante und schöne Weise vermag die Wiederverwendung von Materialien auch Neubauten mit der Geschichte des Grundstücks oder des Ortes zu verbinden. Das Kendeda Building bietet hierfür mehrere Beispiele, darunter die wiederverwendeten Granitplatten, die – neben anderen Materialien – aus dem Altbau der Georgia Archives geborgen wurden, einem architektonisch herausragenden Bauwerk am Rande des Stadtzentrums von Atlanta, das zum Abriss vorgesehen war. Sie markieren nun den Verlauf der Zuwegung zum Kendeda-Gebäude. Schieferschindeln aus einem anderen Gebäude der Georgia Tech, die als Bedachung das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht hatten, wurden in Zusammenarbeit mit dem Bauunternehmen vorsichtig und ohne zusätzliche Kosten entnommen und so zugeschnitten, dass keine Nagellöcher mehr sichtbar waren. Im Zusammenspiel mit Glas- und Keramikfliesen fungieren sie nun als Wandbekleidung in den Sanitärräumen des Kendeda Building. Auch die monumentale Treppe des Gebäudes besteht aus wiedergewonnenen Materialien. Als für den um 1880 errichteten Tech Tower der Universität eine umfassende Sanierung anstand, wurden zahlreiche ca. 6 cm dicke und über 30 cm breite Holzdielen entnommen und aufbewahrt, ein seltener

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Betonschicht ca. 7,5 cm

Platte aus Beton mit Makrofasern. Anteil ca. 4,5 kg/m³, Faserlänge 5,7 cm (Forta Fiber oder gleichwertig) Fertigfußboden Fußbodenheizung

1 Konstruktionsdetails der Holzböden und -decken in Brett­ stapelbauweise.

Schalldämmmatte Oberkante Ummantelung

Ummantelung siehe Plan

Anmerkungen: 1. Hölzer über 2 (versetzte) Reihen 3-Zoll-Nägel befestigt @ 45 cm Mittenabstand 2. Zwischen benachbarten Holzpaneelen Fuge 1,3–1,9 cm vorsehen

Alternierend Hölzer 2 × 4 und 2 × 6 Zoll. Hölzer 2 × 6 Zoll müssen auf tragenden Brett­ schicht­bindern aufliegen. Für 2 × 4 Zoll kann wiedergewonnenes Holz in beliebigen Längen verwendet werden

2 Konstruktionsdetail der Durchführung der Brettschichtstütze durch das Brettstapelelement.

Brettschichtstütze

8''"

Verblechung 0,6 cm, alle Stützenseiten beide Enden 0,5 cm Stützenabschnitt Stahlhohlprofil 20 × 15 × 0,6 cm, an Stützenlängsseite ausrichten

Grundplatte 1,9 cm Endplatte 1,9 cm

Oberkante Betonplatte Oberkante Ummantelung

8''

Typisch

0,5 cm

Blech 1 cm, typisch

Brettschichtbinder oder Binder-Obergurt

Brettschichtbinder Brettschichtstütze

Anmerkung: Alle Stahl-Brettschichtholz-Verbindungen mittels 1/4-Zoll-Sechskant-Holzschrauben

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3 Als Aufenthaltsbereich nutzbare Treppen und Rampe im Atrium.

Fund, denn sie bestehen aus heute praktisch nicht mehr neu beschaffbarem Kiefernkernholz. Die Dielen passten in Qualität und Größe nahezu perfekt für die Treppenstufen im Atrium. Dank der Bewahrung der Geschichte des Tech Tower im Treppenhaus schließt der Neubau an die Vergangenheit des Campus an und bewahrt und präsentiert dabei auch die Schönheit des Holzes. Am eindrucksvollsten lässt sich der Ansatz der Kreislaufwirtschaft wohl an der Beschaffung, Fertigung und Installation der tragenden Deckenelemente ablesen, die dem Prinzip der genagelten Brettstapelbauweise (Nail Laminated Timber, NLT) folgen. Um das im Gebäude gebundene CO₂ bzw. die CO₂-Äquivalente (CO₂e) zu verringern, entwickelte das Entwurfsteam ein Massivholztragsystem aus von Leimholzbindern und -stützen getragenen NLT-Platten. Diese bestehen aus abwechselnd angeordneten, hochkant stehenden sogenannten 2 × 4und 2 × 6-Zoll-Balken (tatsächlich 1,5 × 3,5 bzw. 1,5 × 5,5 Zoll / ca. 4 × 9 bzw. 4 × 14 cm). Um eine glatte Oberkante zu erzeugen, wurden die Platten in der Werkstatt auf den Kopf gedreht hergestellt, sodass auf der sichtbaren Unterseite der konstruktiven Holzbauteile ein geriffeltes Muster entstand. Aufgrund der Elementanordnung liegen nur die höheren 2 × 6-Balken auf den tragenden Brettschichtbindern auf, während die flacheren Hölzer im Wesentlichen nur die Zwischenräume ausfüllen. Diese Lösung offenbart nicht nur eine ästhetisch ansprechende Struktur; sie schafft auch eine Ober-

fläche, die den Schall verteilt und damit die Akustik im gesamten Gebäude verbessert. Am wichtigsten ist jedoch: Da die flacheren 2 × 4-Balken keine Tragfunktion haben, konnten sie aus wiederverwendetem Material beschafft werden. Durch die spezielle Anordnung entfiel das ansonsten geltende Normerfordernis einer statischen Prüfung von für konstruktive Anwendungen vorgesehenem Altholz. Das Projektteam kooperierte mit einer lokalen gemeinnützigen Organisation für Kreislaufwirtschaft, dem Lifecycle Building Center, das bei der Beschaffung und Bereitstellung der Hölzer mithalf. Aufgrund der bedeutenden lokalen Film- und Fernsehbranche konnten die 2 × 4-Balken – der Standard für den Innenausbau – von nahe gelegenen Produktionssets (etwa für den Film Rampage und die TV-Show 24) geborgen werden. Darüber hinaus waren die sämtlich FSC-zertifizierten 2 × 6-Balken auf die vorgesehene Spannweite der Tragkonstruktion abzulängen. Dadurch entstanden Tausende von ca. 45 cm langen Enden, die für die Sitztreppen im Atrium zum Einsatz kamen. Das freiliegende Hirnholz der tragenden Bauteile schafft eine langlebigere Oberfläche und verleiht zusätzliche Struktur. Das Projektteam nutzte die Werkstattfertigung der Brettstapelelemente auch als Ausbildungs- und Schulungsprogramm – in Kooperation mit der gemeinnützigen Organisation Georgia Works!, die zuvor obdachlose oder inhaftierte Männer beruflich qualifiziert, sodass sie wieder aus eigener Kraft ihre Existenz sichern können.

Weiterlesen ▶ Klimaschutz, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102 PROJEKTANGABEN

▶ Gesundheit, „Weniger – Zielrichtung Ökoeffektivität“, S. 78

Ca. 3.400 m² Bruttogeschossfläche, interdisziplinäres Universitäts­ gebäude, allgemeine Nutzung

▶ Gerechtigkeit, „Kompetenz- und Wissensaufbau in der lokalen Wirtschaft“, S. 38

Gesamtprojektbudget 25 Mio. US-Dollar; vollständig finanziert über eine Zuwendung des Kendeda Fund „Certified Living Building“ (28. Gebäude weltweit; erstes Gebäude im US-Bundesstaat Georgia) LEED Platinum v4, LEED Zero Water & LEED Zero Energy (in beiden Fällen das erste nach diesem Standard zertifizierte Gebäude im US-Bundesstaat Georgia)

4↗

5→

6 →→

Blick in Richtung Süden auf den der regenerativen Energie­ gewinnung dienenden Vorbau. Die Photovoltaikmodule überdachen den Eingangsbereich, b ­ ieten damit einen Wetterschutz und schaffen einen öffentlichen Gemeinschaftsraum für den Campus.

Blick aus dem Atrium in Richtung Norden: In Anpassung an das G ­ efälle wurden im Inneren unterschiedliche Gemeinschaftsräume angelegt.

Blick in Richtung Süden vom zweiten Obergeschoss des Atriums. Gebrauchtholz kam für die Trittstufen, die als Aufenthaltsbereich nutzbaren Treppen, die Tresen sowie für die Decke des Atriums zum Einsatz. Die Rhythmik der Konstruktion und das Brettstapelholz sind klar erkennbar.

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TRIODOS BANK Modellprojekt für Kreislaufgerechtigkeit und Ressourcenschutz Fallstudie von RAU Architekten

Die Triodos Bank gehört zu den führenden nachhaltig-ökologisch orientierten Kreditinstituten in Europa. Für den neuen Hauptsitz im niederländischen Driebergen-Rijsenburg sollte ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Natur, Kultur und Wirtschaft geschaffen werden, das die Standards und Werte der Bank widerspiegelt. Als weltweit erstes Bürogebäude entspricht das Projekt dem Ansatz des demontagegerechten Entwerfens. Der gesamte Bau oberhalb des Erdbodens, einschließlich der Erschließungskerne, besteht vollständig aus Holz. Alle Bauteile lassen sich wiederverwenden und wurden in einem Materialpass dokumentiert, um das Gebäude zu einer Materialbank zu machen. Das Energie -Plus-Gebäude fügt sich zurückhaltend in die umgebende Natur des historischen Anwesens ein. Das unmittelbare landschaftliche Umfeld ist so gestaltet, dass es die biologische Vielfalt in der Umgebung fördert.

ASPEKTE DER KREISLAUFGERECHTIGKEIT Das fünfgeschossige Gebäude mit einer Gesamtfläche von 12.994 m² entspricht der Kreislaufgerechtigkeit auf verschiedenen Ebenen. Dazu gehören nicht nur die bekannten Aspekte des Neudenkens, Wiederverwendens und -verwertens sowie Reduzierens, sondern auch eine Erweiterung des Konzepts von der reinen Materialebene auf andere Bereiche wie Energie, Wasser, Bio­ diversität und soziale Wirksamkeit. DEMONTAGE- UND WIEDERAUFBAUGERECHTE PLANUNG Auf der Materialebene kann das Gebäude vollständig demontiert werden. Beginnend mit dem Erdgeschoss, besteht es aus einer einzigartigen Holzkonstruktion. Diese umfasst 338 standardisierte Elemente, Böden, Erschließungsschächte und Stützen aus Holz, die mit 165.312 Schrauben zu drei Gebäudeteilen mit bis zu fünf Geschossen montiert wurden. Sollte die Bank jemals umziehen oder ihren Hauptsitz schließen müssen, lassen sich alle Bauteile leicht demontieren und wiederverwenden. Es wurden 1.615 m³ Brettschichtholz und über 1.000 m³ Brettsperrholz verbaut, und auch fünf Baumstämme wurden in die Konstruktion integriert. Das für die Möblierung und die Böden verwendete Holz stammt zum Großteil aus dem

­ enachbarten Waldgebiet. Beton kam ledigb lich im Untergeschoss wegen der erforderlichen Wasserdichtigkeit zum Einsatz. MATERIALPASS RAU Architekten definieren ein kreislaufgerechtes Gebäude als eine temporäre Anordnung von Produkten, Komponenten und Materialien mit nachgewiesenen Identitäten. Herkunft und geplante Wiederverwendung aller Produkte, Bauteile und Materialien wurden sorgfältig in einem Materialpass dokumentiert und im Madaster, einer Online-Datenbank für in der gebauten Umwelt verwendete Materialien, eingetragen (siehe S. 118). Für das Gebäude wurde ein digitaler Datensatz erstellt, in dem alle verwendeten Materialien, Bauteile und Produkte aufgeführt sind. So lassen sich die verschiedenen Bauteile zukünftig leicht wiedergewinnen und wiederverwenden. Das Gebäude der Triodos Bank stellt buchstäblich ein digital erfasstes und transparent kommunizierbares Materialdepot dar – eine Materialbank im doppelten Wortsinn, denn der finanzielle Restwert der verwendeten Materialien wird berechenbar erfasst. UMPLANEN Der offene Grundriss des Gebäudes ist um drei Erschließungskerne aus Holz angeordnet und erlaubt zusammen mit einem Trockenbausystem ein Höchstmaß an Flexibilität, sodass das Gebäude auch bei späteren Umplanungen zerstörungsfrei an einen sich ändernden Raumbedarf der Bank oder eines neuen Nutzers angepasst werden kann. WIEDERVERWENDEN UND -VERWERTEN Während der Schwerpunkt des Projekts auf der maximalen Wiederverwendung von Materialien in der Zukunft liegt, wurden auch wiederverwertete Materialien und Baustoffe verwendet, die in enger Kooperation mit dem niederländischen Urban Mining Collective aus Abbruchprojekten gewonnen wurden. So fanden etwa 10.000 m² Trockenbauwände im flexiblen Wandkonstruktionssystem neue Verwendung. Die Jalousien in der Kantine bestehen teilweise aus recyceltem Meeresplastik. Holzbalken aus einem Gebäude in Rotterdam wurden wiederverwendet, nachdem Teilnehmer eines Sozialprojekts die Nägel daraus entfernt hatten.

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1 Durch die Form des Gebäudes und seine Glasfassaden, die ein Maximum an Tageslicht hereinlassen und einen herrlichen Blick auf das umliegende Gelände bieten, arbeiten die Mitarbeiter nicht nur an, sondern auch in der Landschaft.

ANDERS

2↗ Eine Treppe in der Mitte eines der Holzkerne des Gebäudes. Das Design und die Produktion der Materialien basieren auf Strukturen aus der Natur. 3→ Die einzigartige Holzstruktur in der Decke verweist auf Pilzlamellen und unterstreicht die Beziehung des Gebäudes zur Natur. 4↓ Der mit ca. 3.300 m² Solarpaneelen ausgestattete Parkplatz versorgt das Gebäude mit Energie und verfügt über 120 bidirektionale Ladestationen zum Aufladen von Elektro- und Hybridautos.

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REDUZIEREN Das Gebäude umfasst einen hohen Anteil an vorgefertigten Bauteilen, die vor Ort montiert wurden. Die Bauzeit von 13 Monaten war fünf Monate kürzer als bei herkömmlicher Bauweise für ein Gebäude ähnlicher Größe. Just-in-Time-Anlieferung minimierte den Platzbedarf für Bau und Lagerung, sodass die empfindliche natürliche Umgebung des Grundstücks weniger beeinträchtigt wurde und die Baukosten gesenkt werden konnten. Das Bauen mit vorgefertigten Elementen trug wesentlich dazu bei, die Menge der Bauabfälle und aus Fehlern entstehende Kosten zu minimieren. Ein ausgeklügeltes Sortiersystem ermöglichte die hochwertige Wiederverwendung von Materialresten. Mit der Auswahl der Materialien und Baulösungen sollten die Lebensdauer der Produkte maximiert und der Instandhaltungsaufwand minimiert werden, indem für die Gesamtbetriebskosten (TCO) ein Zeithorizont von 40 Jahren zugrunde gelegt wurde. Hinzu kam, dass durch den Baustoff Holz 1.612 t CO₂ gebunden wurden, mehr als die bei der Vorfertigung und Errichtung verursachten Emissionen. ENERGIE Der Einsatz von Solarkollektoren in Kombination mit zwei unterirdischen Wärme-/ Kältespeichern lässt das Gebäude energiepositiv werden. Der Parkplatz ist mit einer der weltweit größten bidirektionalen Ladestationen ausgestattet, die als Energiepuffer für das Gebäude dient.

WASSER UND BIODIVERSITÄT Bereits in der Entwurfsplanung wurde darauf geachtet, das umliegende Waldgebiet zu respektieren und aufzuwerten. Bei der Formfindung des Gebäudes wurde der Flug der in der Gegend beheimateten Fledermäuse berücksichtigt. Die Fassade bietet Vögeln, Fledermäusen und Insekten Nistmöglichkeiten; ihre reliefartige Oberfläche vermeidet einen Orientierungsverlust der Vögel und Fledermäuse. Ein Gründach fängt Regenwasser für die WC-Spülungen auf, kühlt das Gebäude im Sommer und

bietet Lebensraum für Insekten und Vögel. Die Landschaftsgestaltung fördert die biologische Vielfalt, indem Teiche und Biotope angelegt und Teilbereiche mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt wurden, die Nahrung und Unterschlupf für Tiere bieten. Ein nach historischem Vorbild angelegter Gemüsegarten versorgt die Kantine der Bank mit Lebensmitteln.

NUTZER UND BESUCHER Die Gestaltung des Gebäudes stärkt die Beziehung zwischen Natur und Nutzern. Die Glasfassaden sorgen für ein Höchstmaß an natürlichem Lichteinfall und bieten prachtvolle Ausblicke auf die Umgebung. Es gibt keine „Rückseite“, sondern allseitig liegen gleichermaßen attraktive Arbeitsbereiche. Zudem fördert der Entwurf ein ressourceneffizientes Verhalten. Die geschossverbindenden Wendeltreppen bilden offene Räume und laden damit auf natürliche Weise zu ihrer Nutzung ein. Umkleideräume und Duschen sollen Pendler zum Radfahren bewegen, zumal der Standort in Bahnhofsnähe liegt. Die Wahl natürlicher Materialien für Gebäude und Innenausstattung folgt dem Leitgedanken von Gesundheit und Wohlbefinden.

VERANTWORTUNGSVOLLES HANDELN Kreislaufgerechtigkeit ist kein Selbstzweck, sondern hat eine gesunde, prosperierende Gesellschaft auf einem gesunden, blühenden Planeten zum Ziel. Daher muss jegliche (wirtschaftliche) Tätigkeit von einem langfristigen Denkansatz geleitet sein. Der Grundgedanke für die Gebäudeplanung lässt sich in einem Wort fassen: „Verantwortung“. Mit der Realisierung des Projekts wurde die Triodos Bank zum Verantwortungsträger nicht nur für die im Gebäude verbauten Materialien, sondern auch für den umliegenden Naturraum. Neben der Entwurfsplanung, die auf den langfristigen Erhalt aller Materialien, des Wassers und der Natur abzielt, wurde auch ein Konzept für die dauerhafte wirtschaftliche Stabilität des historischen Anwesens entwickelt, in dem der Neubau eine wichtige Funktion erfüllt.

Weiterlesen ▶ Demontage, „Rückbau statt Abriss“, S. 32 ▶ Biodiversität, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102 ▶ Nutzer, „Das Urban Village Project”, S. 122

ANDERS

5 Die begrünten Dächer sind insektenfreundlich, die Flugrouten von Fledermäusen wurden berücksichtigt, und auf dem Gelände wurden Tümpel angelegt, die große und kleine Tiere anziehen. 6 Einbindung des Gebäudes in die Umgebung. Die Bepflanzung wurde speziell als Biotop für ­lokale Insekten ausgewählt.

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UMFELD

GEBÄUDE

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

MATERIALPASS

Alle auf dem Grundstück verwendeten Elemente und Materialien sind in einem Bericht beschrieben, welcher Informationen zu Ressourcen, Höhe der Emissionen, Herkunft, Verbindungen und jeweils gültigen Zertifikaten enthält.

MATERIALPASS Materialpass für das Grundstück Alle auf dem Grundstück verwendeten Elemente und Materialien sind in einem Bericht beschrieben, welcher Informationen zu Ressourcen, Höhe der Emissionen, Herkunft, Verbindungen und jeweils gültigen ­Zertifikaten enthält.

FLEXIBEL

DEMONTIERBAR

Materialpass für das Grundstück

Demontierbar

Flexible Innenwände

Flexible Geschosswände

In der Holzkonstruktion finden sich ausschließlich trockene Verbindungen (z. B. 165.321 Schrauben), sodass alle Teile demontierbar sind.

Um flexible Innenräume zu schaffen, sind alle Innenwände so konzipiert, dass sie ausgetauscht oder entfernt werden können.

Die Geschosse sind in ihrer Konstruktion auf Demontie­rbarkeit ausgelegt.

DEMONTIERBAR Demontierbar Die Stahlkonstruktion über den Parkplätzen weist ausschließlich trockene Verbindungen auf, sodass Teile der Konstruktion demontierbar sind.

WIEDERVERWENDUNG Wiederverwendung der Sitzmöblierung

Wiederverwendung von Holzbalken

Wiederverwendung des Pflasterbelags

Die wiederverwendeten Parkbänke stammen von anderen Immobilien der Triodos Bank.

Die im Restaurant verbauten Holzbalken stammen aus anderen Gebäuden.

Pflastersteine von der Baustelle wurden zur Wegbefestigung verwendet.

7 Querschnitt und Zirkularität der Triodos Bank.

PROJEKTANGABEN Bauherr Triodos Bank N. V. Architektur RAU Architekten Leitende Architekten Thomas Rau, Erik Mulder, Dennis Grotenboer, Michael Noordam Landschaftsgestaltung Arcadis Innenarchitektur Ex Interiors Fläche 12.994 m² Baujahr 2019

ANDERS

CONCULAR Die Digitalisierung von Materialien in Gebäuden Fallstudie von Dominik Campanella

Die industrielle Förderung von natürlichen Ressourcen und die damit einhergehende normierte Herstellung von Baumaterialien haben in den vergangenen 150 Jahren einen weltweiten Bauboom ermöglicht. Ohne eine langfristige und holistische Nutzungsstrategie von Baustoffen und Gebäuden hat sich der Bausektor jedoch durch seine anhaltende „take-make-throw“-Mentalität zum größten Umweltverschmutzer und -zerstörer entwickelt.1 Um das von der Europäischen Union ausgegebene Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, genügt es allerdings nicht, nur die neu geplanten Gebäude „nachhaltig“ zu bauen. Die Lösung liegt vielmehr in der intensivierten Arbeit mit dem Bestand, um hier die vorhandenen Ressourcen zu nutzen und in Kreisläufen zu reaktivieren. Die aufkommende Digitalisierung der Baubranche bietet dabei Potenziale, auch skalierbare Lösungen für eine solche Ressourceneffizienz anzubieten. So sind in den letzten Jahren bereits mehrere Marktplätze für Baustoffe aus dem Rückbau entstanden. Ein Beispiel ist restado.de – mittlerweile der größte Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe in Europa. Als Mission hat sich restado der Verlängerung der Produktlebenszyklen von Baustoffen verschrieben. Auf digitalen Marktplätzen werden überschüssige und rückgebaute Baumaterialien angeboten und im Sinne einer Kreislaufwirtschaft durch den Verkauf in eine Wiederverwendung oder Wiederverwertung überführt.

CONCULAR

1  Global Alliance for Buildings and Construction und International Energy Agency, 2019 global status report for buildings and construction: Towards a zero-emission, efficient and resilient buildings and construction sector. United Nations Environment Programme, 2019, https://www.worldgbc. org/news-media/2019-global-statusreport-buildings-and-construction. 2  BAMB steht hier für das Europäische Forschungsprojekt Buildings as Material Banks.

Das Start-up Concular ist ein Pionier im Bereich der Wiederverwendung von Baumaterialien und das erste digitale Ökosystem für kreislaufgerechtes Bauen. Die Mission resultiert aus dem verschwenderischen Umgang mit Ressourcen und dem trägen Wandlungswillen der konventionellen Baubranche. Seit 2012 engagiert sich das Team hinter Concular und restado, gemeinsam mit engagierten Expert:innen für Architektur, Bauingenieurwesen, Software und Nachhaltigkeit, für die Kreislaufwirtschaft im Bausektor. Concular etabliert lokale Netzwerke aus Bestandshaltern, Architekturbüros, erfahrenen Rückbauunternehmen, motivierten Hersteller:innen und Projektentwickler:innen. Als Experten für kreislaufgerechtes Bauen unterstützen sie bei der Erfassung und Be-

wertung von Materialien und Bauteilen in neuen Gebäuden und dem Bestand. Außerdem ist eine Materialerfassung mit 3D-Scan in Planung​. Ihr Ziel ist es, alle Akteur:innen der Baubranche dabei zu unterstützen, Materialien und Produkte so oft wie möglich wiederzuverwenden, anstatt neues Material zu beschaffen. Die Ambition liegt in der 1 : 1-Substituierung von Materialien: Jedes Material, das wiederverwendet wird, muss nicht produziert werden und spart somit Ressourcen und Treibhausgasemissionen ein.

SOFTWARE VON CONCULAR Effiziente Ressourcen(wieder)verwendung ist nur digital gesteuert möglich. Daher hat Concular eine Software entwickelt, welche kreislaufgerechtes Bauen in die bestehenden Leistungsphasen integriert. Materialpässe, als Kernelemente der Kreislaufwirtschaft, werden aus Bestandsaufnahmen erstellt und ganze Gebäude können als digitale Zwillinge online verwaltet werden. So werden sowohl bestehende als auch neu gebaute Gebäude in Materialbanken nach BAMB-Vorbild umgewandelt.2 Materialbestimmende Eigenschaften werden genauso erhoben wie ökologische Parameter und monetäre Werte. Reparaturmaßnahmen, Umbauten oder Erweiterungen sind somit einfach und zuverlässig zu verwalten. Mit den resultierenden Datensätzen kann über den gesamten Materiallebenszyklus sicher geplant werden. Hierfür ist eine ständige Aktualisierung von großer Bedeutung. Die digitale Verfügbarkeit der Baustoffe ermöglicht es, mit ihnen zu planen und die Lücken zwischen Bestand und neuen Einsatzideen zu schließen. Das digitale Gebäude­ inventar kann über einen vergleichenden Algorithmus an andere Projekte innerhalb des Systems vermittelt und verkauft werden. Der Algorithmus erlaubt es gleichzeitig, benötigte Materialien für aufkommende Maßnahmen anzufordern, welche wiederum aus dem System gesucht und angeboten werden. Der digitale Ressourcenbestand in Deutschland wird somit durch jedes hinzukommende Projekt erweitert. Verlässliche Daten erleichtern die Entscheidungsfindung im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Alle Daten und Messwerte werden bei Bedarf von Concular als Bericht ausgearbeitet, welcher in den freiwilligen oder verpflichtenden

KREISLAUFGERECHTES BAUEN

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1 Bauteilaufmaß einer Tür.

ANDERS

Nachhaltigskeitsnachweisen (z. B. in Environmental-Social-Governance-Berichten (ESG) oder der Taxonomy for Sustainable Finance) Anwendung finden kann. Die Grundlage zur Bewertung der Kreislauffähigkeit von bestehenden Gebäuden ist eine umfassende Datenerfassung vor Ort. Dabei wird das gesamte Objekt begutachtet bzw. je nach Anforderung nur eine Baumassenaufnahme durchgeführt oder der Ausbau inventarisiert. Alle Materialien werden vermessen, gezählt und nach allen augenscheinlichen Eigenschaften beschrieben sowie fotografiert (Beispiele siehe Abb. 1-6). In der Software entstehen aus diesen Daten digitale Materialpässe und ein katalogisiertes Inventar. In Kooperation mit ausgewiesenen Instituten, Prüfanstalten und Zertifizierungsbetrieben werden nachträglich die Materialien auf ihre technischen Eigenschaften beprobt und zertifiziert. Diese Zertifizierung hebt gemeinsam mit allen anderen Daten das wiedergewonnene Material auf dieselbe Ebene wie entsprechende Neuware. Erfahrungsgemäß sind bis zu 80 % der verbauten Materialien wiederverwendbar. Gegebenenfalls können Baustoffe aber auch als Abbruch noch wiedergewonnen werden. Concular schafft mit seiner Software dazu eine wissenschaftlich fundierte und transparente Grundlage. Die nachweisbare Verlän2–4 ↑ Bauteildokumentation einer Tür. Bauteilaufmaß einer Tür. Bauteilaufmaß einer Glasbrüstung. 5→ Aufnahme eines Tischs in den Bauteilkatalog.

Weiterlesen ▶ Digitalisierung, „Materialpässe“, S. 118 ▶ Zertifizierung, „Mit dem Verursacherprinzip in eine Verantwortungsgesellschaft“, S. 96 ▶ Ökobilanzierung, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102

gerung des Lebenszyklus der Baumaterialien wird vom Unternehmen für jedes Projekt gemessen und ausgewertet. In einer gemeinsam mit der RWTH Aachen entwickelten Ökobilanzierung (Life Cycle Assessment, LCA) werden alle am Gebäude gelaufenen Prozesse bemessen sowie zukünftige Maßnahmen als Auswahl der nachhaltigsten Szenarien ausgewiesen. Die fundierten Berichte können von kooperierenden Architekturbüros in den internen Nachhaltigkeitsnachweis implementiert werden (Beispiel siehe Abb. 7). Neben dem Monitoring der nachhaltigen Performance hat dies die Gewinnung neuer und die Verbindung mit bestehenden Investor:innen bereits nachweislich vereinfacht. Vor allem die Verknüpfung von digitalen und nachhaltigen Lösungen bietet ein großes Potenzial. Wir werden in den nächsten Jahren ein beachtliches Wachstum an digitalen Lösungen für eine nachhaltige Bauwirtschaft erleben. Maßgeblich werden dabei die Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen werden, welche wiederum stark durch ein größeres Bewusstsein der Endverbraucher:innen beeinflusst werden. Die junge Generation von Start-ups, aber auch Entscheider:innen in der Baubranche werden daher das eigene Schicksal in die Hand nehmen, um der Klimaverantwortung gerecht zu werden.

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6↙ Eintragung der Daten in die Concular App. 7↑ Screenshot der Concular App.

Literatur BUND – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., Ressourcenschutz ist mehr als Rohstoffeffizienz. Materialien als Handreichung für Mitglieder und andere Interessenten. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V., Arbeitskreis Abfall und Rohstoffe, und Friends of the Earth Germany, 2015, https://www. bund.net/fileadmin/user_upload_ bund/publikationen/ressourcen_und_ technik/ressourcen_ressourcenschutz_ hintergrund.pdf.

Klaus Jacob und Rafael Postpischil, Analyse und Weiterentwicklung ressourcenpolitischer Kapazitäten. Abschlussbericht Zuwendung „Politiken zur Weiterentwicklung des Deutschen Ressourceneffizienzprogramms“. Freie Universität Berlin, Forschungszentrum für Umweltpolitik, 2020, https:// refubium.fu-berlin.de/bitstream/ handle/fub188/26706/Jacob%20 Postpischil%202020%20Abschluss bericht%20Kapazit%c3%a4ten%20 Ressourcenpolitik_final.pdf

Global Alliance for Buildings and Construction und International Energy Agency, 2019 global status report for buildings and construction: Towards a zero-emission, efficient and resilient buildings and construction sector. United Nations Environment Programme, 2019, https://www.worldgbc. org/news-media/2019-global-statusreport-buildings-and-construction.

Umweltbundesamt, „Bauabfälle“, https://www.umweltbundesamt.de/ daten/ressourcen-abfall/verwertungentsorgung-ausgewählter-abfallarten/ bauabfälle#verwertung-von-bau-undabbruchabfallen.

ANDERS

MATERIALPÄSSE Erschließung geschlossener Stoffkreisläufe Fallstudie von Sabine Rau-Oberhuber

1 Screenshot der MadasterPlattform mit einem Beispielgebäude.

1  Thomas Rau und Sabine Oberhuber, Material matters: hoe wij onze relatie met de aarde kunnen veranderen. Haarlem: Bertram + de Leeuw Uitgevers BV, 2016. Deutsche Ausgabe: Material Matters. Berlin: Econ, 2018. 2  Felix Heisel und Sabine Oberhuber, „Calculation and evaluation of circularity indicators for the built environment using the case studies of UMAR and Madaster“, Journal of Cleaner Production, 243, 2019.

Der große Philosoph Erasmus von Rotterdam sagte einst: „Wir sind auf dieser Welt Reisende, keine Bewohner.“ Wir sind also nur Gäste auf diesem Planeten, unsere physische Existenz ist vorübergehender Natur. Das heißt, dass alles vergänglich ist, insbesondere sind es alle Gegenstände, die wir herstellen oder produzieren. Trotz der begrenzten planetaren Ressourcen lassen wir daraus aber nach wie vor nutzlose Abfall- oder Schutthaufen entstehen, nachdem sie als temporäre Objekte einen vorübergehenden Bedarf erfüllt haben – und das oft nur für sehr kurze Zeit. Das hat nicht nur verheerende Folgen für unsere Erde, sondern bedroht auch unsere eigene Existenz. Wenn wir uns die Begrenztheit der Ressourcen und die Kurzlebigkeit unserer Bedürfnisse vergegenwärtigen, müssen wir unsere Produktions- und Konsumgewohnheiten hinterfragen, die Kategorie „Abfall“ abschaffen und dafür sorgen, dass die Menschheit Materialien permanent nutzen kann. Alle von uns hergestellten Objekte – von den kleinsten Dingen bis hin zu ganzen Gebäuden – sind also als Materiallager zu begreifen, deren Gestaltung und Dokumentation eine effektive Wiederverwendung aller Materialien gewährleisten.1

DATEN FÜR DAS SCHLIESSEN VON MATERIALKREISLÄUFEN Um einen kontinuierlichen Zugang zu den Materialien unserer gebauten Umwelt zu ermöglichen, müssen wir Gebäude als Materialquellen auffassen: Bestandsbauten als Materialminen und zukünftige Gebäude als Materiallager. Wenn wir das Wiederverwendungspotenzial aller Materialien maximieren wollen, reicht es nicht aus, neuartige Entwurfsprinzipien zu entwickeln. Ebenso wichtig sind detaillierte Datensätze, mit denen sich Materialkreisläufe erfassen, verwalten und schließen lassen. In den vergangenen zehn Jahren ist das Konzept der Materialpässe für Gebäude entstanden. Dabei handelt es sich um digitale Datensätze mit detaillierten Verzeichnissen aller im Gebäude verwendeten Materialien.2 Je genauer diese Informationen, desto höher ist der potenzielle Wert von Materialien oder Elementen in künftigen Wiederverwendungs- und -verwertungsszenarien.

MADASTER – EIN REGISTER FÜR MATERIALIEN UND PRODUKTE IN DER GEBAUTEN UMWELT Gebäudepässe reichen für sich genommen nicht aus, um die Materialströme im gesamten System zu steuern. Vielmehr

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

PRODUKTE Finanzielle Bewertung Material Passport Zirkularität Embodied Carbon

EXTERNE APPS

INPUT

Urban Mining Ökobilanzierung

Excel

Rohstoff-Marktplatz

BIM

Zertifizierung

DATENBANKEN Rohstoff Material Impact

bedarf es einer Standardisierung und zentralen Registrierung solcher Pässe auf entsprechenden Plattformen, um Ressourcen in der gebauten Umwelt nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft nutzen und verwalten zu können. Diese Registrierung erfordert nicht nur umfassende Daten zu Art, Abmessungen und Verwendung des jeweiligen Materials und Bauteils im gebauten Objekt, sondern auch Informationen zu Ort und Zeit seiner voraussichtlichen Verfügbarkeit für die Wiederverwendung.3 Madaster4 , das „Kataster für Materialien“, ist eine Plattform, die die zentrale, standardisierte und webbasierte Erstellung und Registrierung von Materialpässen ermöglicht und im Jahr 2017 eingeführt wurde. Übergreifendes Ziel war die Abfallvermeidung: Jedem in der gebauten Umwelt verwendeten Material sollte eine dokumentierte und registrierte Identität zugewiesen werden – dem Grundsatz folgend, dass Abfall „Material ohne Identität“ ist. Die Madaster-Plattform erstellt und registriert Materialpässe, die ein detailliertes Inventar mit Mengen, Qualitäten, Abmessungen und Einbauorten aller im jeweiligen Gebäude verwendeten Materialien, Elemente und Produkte enthalten. Darüber hinaus berechnet die Plattform einen finanziellen Wert (den aktuellen sowie

den erwarteten zukünftigen Rohstoff-Restwert) und einen Zirkularitätsindikator.5 Der Madaster-Materialpass lässt sich im Lauf der Zeit anpassen und erweitern, sodass eine dynamische Gebäudedatenbank entsteht. Der Datenbestand kann auch „archiviert“ werden, wodurch ein authentifizierter, mit einem Zeitstempel versehener und damit unveränderbarer Datensatz erzeugt wird. Die Objekte werden über einen Upload (MS Excel) oder vorzugsweise ein BIM-Modell registriert, aus dem die Plattform die Daten automatisch strukturiert und in Klassifizierungskategorien gruppiert, beispielsweise die Gebäudeebene oder die Materialart. Eine automatische Prüfung zeigt an, ob bestimmte Informationen fehlen, so zu Bauteilgeometrien, Materialien oder Produkten. Fehlende Daten können manuell ergänzt oder über Anpassungen der Quelldatei (BIM/IFC) eingespeist werden.

„DIGITALER ZWILLING“ – DIE PLATTFORM IN DER PRAXIS Madaster ermöglicht die Registrierung „digitaler Zwillinge“, die ausführliche Informationen über alle verwendeten Materialien und Produkte enthalten. Die Plattformarchitektur ist auf Vernetzung, Skalierung und Rechenleistung ausgelegt.

2 Die Madaster-Plattform versteht sich als Verbindungsglied zwischen Gebäudegeometrie und externen Datenbanken und Anwendungen.

3  Thomas Rau und Sabine Oberhuber, Material matters: hoe wij onze relatie met de aarde kunnen veranderen. Haarlem: Bertram + de Leeuw Uitgevers BV, 2016. Deutsche Ausgabe: Material Matters. Berlin: Econ, 2018. 4 

http://www.madaster.de.

5  Madaster, Madaster Circularity Indicator explained. Utrecht: Madaster Services B. V., 2018, https://docs. madaster.com/files/Madaster_ Circularity_Indicator_explained_ v1.1.pdf.

ANDERS

Dabei ist der Detaillierungsgrad grundsätzlich unbegrenzt; die tatsächliche Granularität der Daten wird von den Plattformnutzern und den vom Eigentümer oder Planenden/ Ausführenden des Objekts bereitgestellten Informationen bestimmt. Madaster ist mit mehreren externen Datenquellen verknüpft, sodass registrierte Informationen beispielsweise mit Material-, Umwelt- und Finanzdaten angereichert werden können. Die Plattform unterstützt die Ergänzung bestehender Datensätze um neu verfügbare Informationen, wie zum Beispiel (aktualisierte) Ökobilanzen von Produkten, die erst nach der Objektfertigstellung verfügbar werden. Zudem kann sich Madaster mit externen Datenquellen, die nicht gemeinsam nutzbar oder duplizierbar sind, verbinden und auch deren Informationen in die Berechnungen einbeziehen.

GEOGRAFISCHE SPEZIFIKA

6  Vincent Eckert, „Madaster and the Circular Economy“, Risk Perspectives Blog, Swiss Re Group, 17.10.2019, https://www.swissre.com/ risk-knowledge/risk-perspectivesblog/madaster-and-the-circulareconomy.html (abgerufen am 09.03.2020).

Gebäude mögen vielleicht überall auf der Welt prinzipiell ähnlich aussehen, doch unterscheidet sich die Herangehensweise an Planung, Bau, Instandhaltung und Überwachung von Region zu Region. Daher wird Madaster jeweils regionsspezifisch eingeführt, sodass trotz der weltweiten Verfügbarkeit der Online-Plattform lokale Abweichungen bei Bauweisen, Klassifizierungen und geltenden Vorschriften berücksichtigt werden können. Madaster wurde im Jahr 2017 in den Niederlanden eingeführt. Auf der Plattform sind aktuell Gebäude mit einer Gesamtfläche von über 14 Mio. m² registriert, die mehr als 10 Mio. Material- bzw. Produktpositionen enthalten. Nach dem Start in den Niederlanden ist Madaster nun auch in Deutschland, der Schweiz, Belgien und Norwegen verfügbar. Auch in weiteren Märkten wird die Registrierung unterstützt, derzeit jedoch nur auf Projektbasis.

VORTEILE VON MATERIALPÄSSEN Eine Dokumentation ermöglicht intelligente Entscheidungen über die Wiederverwendung von Materialien nach Instandsetzung, Austausch, Umbau oder Abriss. Dadurch lassen sich Abfälle vermeiden und CO₂Emissionen mindern. In der Planungsphase ermöglichen Materialpässe intelligente Entwurfs- und Materialentscheidungen, mit denen sich Stoffkreisläufe schließen und die Restwerte von Materialien maximieren lassen. Madaster kooperiert mit Experten, um das Modul für die finanzielle Bewertung so auszulegen, dass Gebäude nicht mehr auf null, sondern auf den Mindestrestwert der Materialien abgeschrieben werden können. Detaillierte Materialverzeichnisse ermöglichen beispielsweise den Sekundärhandel mit Baumaterialien, was sich positiv auf den Rohstoff-Restwert des Gebäudes am Ende seiner Nutzungsdauer auswirken kann. Zudem können Versicherer auf detaillierte Daten zu den in einem Bauwerk verwendeten Materialien zugreifen, um Sachrisiken deutlich genauer abzuschätzen. Sollten sich für ein bestimmtes Baumaterial Probleme ergeben, lassen sich die Risiken auf einfache Weise neu modellieren oder anpassen.6 Mit der Erstellung und Anwendung von Materialpässen lässt sich darüber hinaus ein Ökosystem von Anwendungen, Dienstleistungen und Lösungen entwickeln, die auf Daten zu Materialien, Produkten oder ganzen Objekten zugreifen müssen, beispielsweise Handelsplätze, Genehmigungsverfahren, Bewertungen bei Kauf- oder Verkaufstransaktionen oder das Berichtswesen (unter anderem zu den Auswirkungen auf den CO₂-Ausstoß oder zur Einhaltung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung).

Weiterlesen ▶ Geschlossene Kreisläufe, „Nachhaltigkeit – Die Wichtigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung“, S. 10 ▶ Materiallager, „Neue Häuser aus alten Häusern“, S. 44 ▶ Dienstleistungen, „Ein Kreislaufansatz für Bodenbeläge“, S. 134

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

3 Darstellung der Kreislaufgerechtigkeit der Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit (siehe S. 142) als Zirkularitätsindikator in der Madaster-Plattform.

4 Der Materialpass stellt die Materialmengen und Positionen der einzelnen Materialien innerhalb der Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit (siehe S. 142) dar.

ANDERS

DAS URBAN VILLAGE PROJECT Fallstudie von EFFEKT

1  S. Wetzstein, „The global urban housing affordability crisis“, Urban Studies, 54 (14), 2017, S. 3159–3177. 2  R. King, M. Orloff, T. Virsilas und T. Pande, „Confronting the urban housing crisis in the global south: adequate, secure, and affordable housing“, World Resources Institute Working Paper, 2017. 3  T. Abergel, J. Dulac, I. Hamilton, M. Jordan und A. Pradeep, Global Status Report for Buildings and Construction – Towards a Zero-Emissions, Efficient and Resilient Buildings and Construction Sector. United Nations Environment Programme, 2019. 4  J. Woetzel, S. Ram, J. Mischke, N. Garemo und S. Sankhe, A blueprint for addressing the global affordable housing challenge. New York: McKinsey Global Institute, 2014.

Das Urban Village Project liefert exemplarisch eine Antwort auf die Frage, wie wir zukünftig Häuser, Viertel und Städte planen, bauen und gemeinsam nutzen können – ausgehend von kreislaufgerechtem Bauen und geteiltem Wohneigentum. Dabei geht es nicht nur um dringliche Entwicklungsaufgaben der Menschheit, sondern auch um lebenswerteren, erschwinglicheren und nachhaltigeren Wohnraum für eine breite Bevölkerung. Weltweit stehen Städte vor großen Herausforderungen wie der rasch fortschreitenden Urbanisierung, dem demografischen Wandel, der Vereinsamung, dem Klimawandel und fehlendem bezahlbarem Wohnraum. Steigende Kosten infolge von Arbeitskräftemangel und Materialknappheit haben die Rentabilität von Immobilienprojekten verringert, sodass sich Bauträger nun auf das Luxussegment konzentrieren, das tendenziell einen höheren Gewinn abwirft. Dies hat zu einem weltweiten Mangel an erschwinglichem Wohnraum geführt – ausgelöst durch einen Anstieg der Immobilienpreise, der das Lohnwachstum in vielen urbanen Zentren der Welt übertraf.1 Angesichts dieser Herausforderungen geht man davon aus, dass bis zum Jahr 2025 geschätzt bis zu 1,6 Milliarden Menschen weltweit keinen Zugang zu bezahlbarem, angemessenem und sicherem Wohnraum haben werden.2 Da sich der globale Gebäudebestand bis 2050 voraussichtlich verdoppelt haben wird,3 gilt es neue Wege zu suchen, wie Wohnungen geplant, gebaut und finanziert werden, um in der gebauten Umwelt für mehr Chancengerechtigkeit, Qualität und Erschwinglichkeit zu sorgen. In diesem Spannungsfeld sehen EFFEKT das Urban Village Project als ein neues Modell für Planung, Bau und gemeinsame Nutzung unserer zukünftigen Häuser, Viertel und Städte – mit dem Ziel einer höheren Lebensqualität. Das Projekt basiert auf dem Konzept des „Home as a Service“ und stützt sich auf drei Hauptsäulen: 1. Ein modulares Holzbausystem, das vorgefertigt, raumsparend verpackt und demontiert werden kann, sodass für den Betrieb und den Lebenszyklus künftiger Gebäude ein kreislauforientierter Ansatz zum Tragen kommt.

2. Ein neuartiges Finanzierungsmodell, das durch eine Finanzierung auf Abonnement­ basis einen niedrigschwelligen Einstieg in den Wohnungsmarkt bietet, der es Wohneigentümern ermöglicht, Kapital in dem Maß aufzubauen, wie sie es sich leisten können. 3. Generationsübergreifende Nachbarschaften mit Zugang zu flexiblen, qualitativ hochwertigen Wohnungen und einer Vielzahl gemeinsam genutzter Dienstleistungen und Einrichtungen, die den Ressourcenverbrauch optimieren und die Lebensqualität im Alltag steigern. Herzstück des Projekts ist ein auf Materialkaskaden ausgerichtetes Bausystem, das der Wiederverwendung technischer Komponenten Vorrang einräumt, sodass Ressourcen mit ihrem höchsten Wertpotenzial erhalten werden können. Da die herkömmliche Abfolge vom Entwurf über die Ausschreibung auf die Baustelle kaum effiziente Lösungen für die weltweite Wohnungskrise bietet, setzt das Projekt auf Vorfertigung, um Lieferzeiten zu verkürzen und Kosten zu senken. Das Urban Village Project basiert daher auf einem modularen System, das sich im Werk fertigen, raumsparend verpacken und auf der Baustelle in wenigen Tage ohne schweres Gerät aufbauen lässt. Durch effizientere Bauverfahren wie die Vorfertigung und die Umstellung auf standardisierte Lieferketten könnten die Projektkosten um bis zu 30 % gesenkt und die Lieferzeiten um bis zu 50 % verkürzt werden.4 Das modulare Bausystem ermöglicht eine ganze Bandbreite von Wohneinheiten, die individuell konfiguriert und an verschiedene urbane Umgebungen und Familientypologien angepasst werden können. Die einzelnen Gebäudekomponenten wurden entsprechend ihrer Funktion und erwarteten Nutzungsdauer in konstruktive Schichten eingeteilt, sodass sich eine kreislaufgerechte Lieferkette realisieren lässt, in der Materialien wiederverwendet und im Rahmen von Rücknahmesystemen ersetzt werden können. Materialpässe gewährleisten die Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Bauteils, was die Instandhaltung, Renovierung und Umgestaltung der verschiedenen Gebäudeteile während der gesamten Nutzungsdauer erleichtert. Diese Strategie nutzt die zahlreichen Vorteile des Bauens mit Holz, um Kosteneffizienz, Flexibilität, Kohlenstoffbindung und biophile Qualitä-

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

ten zu gewährleisten. Die Kombination der Holzständerbauweise mit vorgefertigten Bauteilen bietet ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit, sodass das System für die gesamte Palette von Townhouses bis hin zu Hochhäusern geeignet ist. Das im Projekt verwendete Bausystem ist nicht nur entscheidend für dessen ökologische Eigenschaften, sondern auch für die Bezahlbarkeit durch ein neues Finanzierungsmodell auf Abonnementbasis. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen hat sich der Bau und Verkauf von Wohnraum in den letzten 50 Jahren kaum verändert.5 Das heute übliche Bauträgermodell geht von der spekulativen Annahme aus, dass sich in einem

günstigen Marktumfeld bis zur Fertigstellung geeignete Käufer oder Mieter finden. Der geringe Grad an Abstimmung zwischen Bauträgern und Endnutzern führt zu einer tiefen Kluft zwischen Angebot und Nachfrage, wodurch erschwinglicher Wohnraum noch knapper wird. Das Urban Village Project orientiert sich dagegen an einem kreislaufgerechten Wirtschaftsmodell, das auf gemeinschaftlichem Wohneigentum basiert. Bei dieser neuen Wohnform erhalten die Mitglieder im Gegenzug für ihre Investition Kapitalanteile. Dabei kaufen die Eigentümer nur den Teil, den sie zum Kaufzeitpunkt finanziell tragen können, und mieten den verbleibenden Anteil hinzu. Dadurch verringern

1 Das Urban Village Project: Eine Vision des gemeinschaftlichen Lebens von Menschen aus allen Altersgruppen, Hintergründen und Lebenssituationen.

5  J. Woetzel, S. Ram, J. Mischke, N. Garemo und S. Sankhe, Tackling the world’s affordable housing challenge. McKinsey Global Institute, 2014.

ANDERS

Gewinnung

Vorfertigung

Lieferung

Montage

Fertiges Haus

2 Das Bauen mit Holz aus nachhaltigen Quellen senkt die Kohlenstoffemissionen, beschleunigt den Baufortschritt, minimiert die Abfallmengen und sorgt für ein gesünderes Raumklima.

Werkzeugschuppen

Öffentliche Gärten

Energieerzeugung

Abfall­ behandlung Wohngemeinschaften Familien

Arbeiten/Wohnen

Makerspace Café

Getrennt Lebende

Veranstaltungsraum

Paare URBAN VILLAGE Gemeinschaftsküche

Gewächshaus

Carsharing Alleinerziehende

Gesundheitshaus

Lagerhaus

TV-/InternetRaum

Gemeinschafts­ raum

Minimarkt

Schrebergärten

Spielbereich

Fitness

Wäscherei

3 Durch den höheren Anteil gemeinschaft­ licher Nutzung und die Bündelung von Ressourcen sollen im Urban ViIlage Project die Lebenshaltungskosten für die Menschen sinken. So lassen sich die Alltagsbedürfnisse besser und kostengünstiger erfüllen.

Großfamilien

Mehr­ generationen

Singles

Gärten der Sinne

E-Bike-Station

Wasserlandschaft

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

4 Ein modulares, für die Vorfertigung geeignetes Bausystem, das sich für den Transport platz­ sparend verpacken lässt und zudem demontierbar ist, sorgt für einen kreislaufgerechten Betrieb der Gebäude während ihrer Nutzungsdauer.

5 Das Projekt bedient sich eines modularen Rasters, mit dem sich das Raumprogramm sehr flexibel anpassen und verändern lässt.

ANDERS

6 Das Urban Village Project ­fördert mit seinen integrierten Lösungen einen nachhaltigen Lebensstil. Dazu gehören Regenwassernutzung, ökologische Energieerzeugung, Wiederverwertung, lokale Lebensmittelproduktion und Kompostierung.

sich die anfänglichen Zahlungen, sodass die Mitglieder Beteiligungen in dem Maß erwerben können, wie sie es sich leisten können. Mit dem Modell der Kapitalbeteiligung lassen sich die Kosten entsprechend der Zahlungsfähigkeit umlegen: Finanziell besser gestellte Haushalte können mehr Kapitalanteile erwerben, was andere Wohnungen in der Gemeinschaft auch für Haushalte mit niedrigerem Einkommen bezahlbar macht. Wenn ein Mitglied ausscheidet, kann es seine Anteile verkaufen und so sein Kapital für den anderweitigen Kauf von Wohneigentum freisetzen. Das Beteiligungsmodell des Urban Village Project wird von einer digitalen Plattform gestützt, auf der die Eigentümer ihre monatlichen Kosten und Investitionen sowie ihr Verbrauchsverhalten im zeitlichen Verlauf nachvollziehen können. Dadurch entstehen ein hohes Maß an finanzieller Flexibi-

lität für die Endnutzer und ein stärker diversifiziertes Portfolio für die Anleger, sodass das Risiko für beide Seiten sinkt. Das Projekt geht der Frage nach, wie aus den Vorteilen des Wohnens in eng verbundenen Gemeinschaften lebenswertere Stadtviertel hervorgehen können. Dabei sollen generationsübergreifende Lebensgemeinschaften privat und gemeinschaftlich genutzte Räume verknüpfen. Dank der modularen Bauweise des Urban Village Project können die Bewohner aus einer breiten Palette von Wohneinheiten wählen und ihren Grundriss individuell gestalten. Wenn sich die Bedürfnisse ändern, lassen sich die Grundrisse dank flexibler Wände und anpassungsfähiger Möblierung während der Nutzung verändern. Die Gemeinschaft profitiert von einem breiten Angebot an gemeinsamen Dienstleistungen für alles, was

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KREISLAUFGERECHTES BAUEN

im Alltag nötig ist: Kinderbetreuung, Mobilitätsangebote, gemeinsame Mahlzeiten, Coworking-Spaces, Gesundheitsversorgung, Urban Gardening oder ein Fitnessstudio. Das Teilen von Ressourcen im materiellen und monetären Sinne fördert die soziale Interaktion innerhalb des Urban Village. Weiterlesen ▶ Vorgefertigte Modulbauweise, „Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit“, S. 142 ▶ Konstruktive Schichtung, „Die Ökonomie des Urban Mining“, S. 80 ▶ Gemeinschaftliches Wohneigentum, „Prinzipien der Kreislaufwirtschaft“, S. 24

7 Viele Einrichtungen und Dienst­ leistungen - Kinderbetreuung, urbane Landwirtschaft, Gemeinschaftsräume für Mahlzeiten, Fitness- und Mobilitätsangebote – werden von den Menschen gemeinsam genutzt. So lässt sich der Alltag besser gestalten, indem die vielfältigen Vorteile des Lebens in einer eng verbundenen Gemeinschaft zum Tragen kommen.

ANDERS

ANDERS Zielrichtung disruptive Innovation Einleitung zur Kreislaufwirtschaft von Mark Milstein

Ökoeffizienz fordert uns auf, das zu verbessern, was wir bereits tun. Ökoeffektivität zwingt uns zu bedenken, wie wir ähnliche Ergebnisse mit anderen Mitteln erreichen und so die von einem System ausgehenden negativen Einflüsse eliminieren können. Doch in ihrem Kern haben sowohl Ökoeffizienz („besser“) als auch Ökoeffektivität („weniger“) nur einen minimalen disruptiven Einfluss auf die am Markt verfügbaren Produkte und Dienstleistungen. Das Idealbild einer Kreislaufwirtschaft wird sich uns so lange entziehen, wie wir uns nicht auf die Prozesse und Investitionen einigen können, derer es bedarf, um wirklich disruptive Innovationen anzustoßen – die wiederum eine Wirtschaft ermöglichen, die sich radikal von unserem gewohnten Modell unterscheidet. Unternehmen tun sich mit der Vorstellung einer Kreislaufwirtschaft schwer, weil bei ihnen gegenwärtig kaum etwas als kreislaufgerecht einzustufen wäre. Überwiegend setzen sie auf Konstanz: Für ihre Angebote sollen auch zukünftig Absatzmärkte und entsprechende Vertriebskanäle bestehen. Da nur wenige Unternehmen ihre Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle so konzipiert haben, dass sie mit der Anpassung, Minderung oder Regeneration der sozialen, ökologischen und ökonomischen Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar sind, versuchen sie Zirkularität durch inkrementelle Maßnahmen zu erreichen, also durch kleinere Anpassungen ihres Handelns, um so die Auswirkungen und Veränderungen für das Unternehmen zu minimieren. Dabei blenden sie jedoch aus, dass Märkte und Volkswirtschaften dynamische Gebilde sind, die sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln, um sich an kulturelle, gesellschaftliche, technologische und wissenschaftliche Trends anzupassen und diese zu gestalten. Wenn Führungskräfte in der Lage sind, diese Entwicklungen zu erfassen und zu erkennen, an welchen Punkten es zu einer Konvergenz kommen könnte, können sie den notwendigen Rahmen für die strategischen Optionen abstecken, die Unternehmen dazu bewegen, Innovationen zu entwickeln – selbst dann, wenn diese die derzeitigen Grundlagen des Unternehmenserfolgs in Frage stellen. Einfacher noch: Langlebige Unternehmen sind letztlich deshalb erfolgreich, weil sie ihre Relevanz auch in einem – zwangsläufig – fundamental gewandelten künftigen Wettbewerbsumfeld bewahren können. Langfristige Profitabilität erfordert also Innovationen in allen Bereichen der Wertschöpfungs- und Lieferketten: von den Bedürfnissen, die ein Unternehmen zu befriedigen sucht, bis zu den Produkten und Dienstleistungen, die es dafür anbietet, und von der Art des Agierens des Unternehmens in der Welt bis zu der Frage, auf welche Weise es auf dem Markt Erträge erwirtschaftet. Bei disruptiven Innovationen kommt erschwerend hinzu, dass sie sich nicht auf ein rein technisches oder wissenschaftliches „Puzzle“ beschränken. Innovationen verkaufen sich nicht von selbst – wie gut gemeint, ausgeklügelt oder effektiv sie auch sein mögen. Politische, gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten sowie die Wettbewerbsdynamik am Markt entfalten enorme Beharrungskräfte. Diejenigen, die von den aktuell angebotenen Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen am stärksten profitieren, tun alles, um ihre Rentabilität und Wirtschaftlichkeit so lange wie möglich aufrechtzuerhalten – in der Regel weit über den Punkt hinaus, an dem der soziale, ökologische und ökonomische Nutzen von Veränderungen die Kosten der Beibehaltung des Status quo übersteigt. Unternehmen, die am meisten von der derzeit vorherrschenden Marktstruktur profitieren – in manchen Fällen sogar dieselben, die gleichzeitig die bahnbrechendsten Innovationen vorantreiben –, werden ihre Ressourcen primär für den Erhalt des Kerngeschäfts einsetzen. Und dabei kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit sie die sich zwangsläufig wandelnde Realität bereits akzeptiert haben. Eine disruptive Innovation am Markt erfolgreich einzuführen, zu verbreiten und für ihre Anwendung zu sorgen, ist stets eine multidisziplinäre und multisektorale Aufgabe. Dabei ist nicht nur eine Seite gefragt – vielmehr kommt es auf das Engagement und die Interaktion von privatem Sektor, öffentlichen Institutionen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, multilateralen Organisationen und weiteren Akteuren an. Jedem der Beteiligten kommt eine ureigene Rolle und Verantwortung bei der Markttransformation zu. Angesichts des beispiellosen globalen Ausmaßes und der Tragweite der heutigen sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen kommt es für die Realisie-

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rung einer Kreislaufwirtschaft auf die erfolgreiche Einführung disruptiver Innovationen an, die die Volkswirtschaften über das Mögliche oder Notwendige hinaus transformieren. Die Entwicklung und der Markterfolg neuartiger Materialien, deren Struktur und Verwendungszweck sich im Laufe der Zeit verändern können, sowie modulare Konzepte für die Demontage und Rekonfiguration im Nano-, Mikro- und Makromaßstab sind disruptive Innovationen, die führende Unternehmen vorantreiben, um Zirkularität von einer normativen Idee in die Praxis zu überführen.

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KÜHLUNG ALS DIENSTLEISTUNG Das Beispiel der Firma Kaer Fallstudie von Dave Mackerness

Im Fokus der Kreislaufwirtschaft steht die Frage, ob wir Dinge besitzen müssen oder aber lediglich die von ihnen geleisteten Dienste benötigen. Zweifellos hat das herkömmliche Eigentumsmodell seine Vorteile. Für Unternehmen kann es einerseits ein Gefühl größerer Sicherheit vermitteln, andererseits den Cashflow durch sofortige Umsatzerlöse optimieren. Dinge zu besitzen, kann aber auch mit Nachteilen verbunden sein, die für das lineare Wirtschaftsmodell charakteristisch sind, so die unzureichende Auslastung technischer Ausstattung bzw. Anlagen oder die Verwandlung veralteter Produkte in immer größere Abfallaufkommen. Zu einem Teil lassen sich diese Unzulänglichkeiten durch die Umstellung auf ein alternatives „Product as a Service“-Modell überwinden. Damit können technische Anlagen besser ausgelastet, Kundenbeziehungen verbessert und eine Leistungsoptimierung durch Rückkopplungseffekte erleichtert werden. Derartige nutzungsorientierte Geschäftsmodelle wurden bereits erfolgreich für so unterschiedliche Dienstleistungen wie Mobilität, Beleuchtung, Waschmaschinen oder Möblierung entwickelt.

MEHR KÜHLUNG IN EINER SICH ERWÄRMENDEN WELT

1  N. Shah, M. Wei, V. Letschert und A. Phadke, Benefits of Leapfrogging to Superefficiency and Low Global Warming Potential Refrigerants in Room Air Conditioning. Berkeley, CA: Lawrence Berkeley National Laboratory, 2015, https://escholarship.org/ uc/item/584131r9. 2  Alan Abela, Lorna Hamilton, Roger Hitchin, Andy Lewry und Christine Pout, Study on Energy Use by Air-Conditioning: Final Report. BRE Client Report for the Department of Energy & Climate Change, HPR218-1001 – Juni 2016. UK Department of Energy and Climate Change, 2016, https://www. bre.co.uk/filelibrary/pdf/projects/aircon-energy-use/StudyOnEnergyUseBy AirConditioningFinalReport.pdf.

Die weltweite Nachfrage nach Innenraumkühlung steigt rapide an: zum einen durch eine wachsende globale Mittelschicht, zum anderen aufgrund der steigenden Außentemperaturen. Prognosen des Lawrence Berkeley National Laboratory zufolge dürften bis zum Jahr 2030 ca. 700 Mio. Klimaanlagen installiert worden sein. Bis zum Jahr 2050 soll diese Zahl auf 1,6 Mrd. steigen.1 Davon dürfte der Großteil auf schnell wachsende Volkswirtschaften in warmen Ländern wie China und Indien entfallen, wo die Marktdurchdringung heute noch sehr gering ist. Eine neue Generation von Büroangestellten und Hausbesitzern erwartet und fordert ein komfortables Wohn- und Arbeitsumfeld, und die damit verbundene Entwicklung des städtischen Gebäudebestands wird die Installationen von Klimaanlagen erheblich vorantreiben. Gleichzeitig steigt die Nachfrage auch in Ländern wie dem Vereinigten Königreich, da dort Gebäude immer besser gedämmt sind und zugleich immer mehr wärmeabgebende Geräte wie Computer und Fernseher betrie-

ben werden. In Großbritannien könnten Kühlanlagen heute bereits einen Anteil von 10 % am Gesamtstromverbrauch ausmachen.2 Weltweit wird die steigende Nachfrage nach Klimaanlagen in den nächsten 15 Jahren eine Erhöhung der Energieerzeugungskapazität um 139 GW erfordern. Zum Vergleich: Diese Zahl liegt über dem aktuellen jährlichen Gesamtenergiebedarf Kanadas. Der entsprechende Anstieg der Treibhausgasemissionen wird mehr als das Dreifache der derzeitigen Gesamtemissionen Großbritanniens betragen. Der verstärkte Einsatz von Klimaanlagen aufgrund steigender Außentemperaturen ist ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie ein positiver Rückkopplungsmechanismus die Erderwärmung beschleunigen kann.

ÄNDERUNG DES GESCHÄFTSMODELLS, OPTIMIERUNG DES SYSTEMS Um sich diesen unbequemen Wahrheiten zu stellen, führte das in Singapur ansässige Unternehmen Kaer eine eingehende Untersuchung der im herkömmlichen Geschäftsmodell für Gebäudekühlung auftretenden Probleme durch. Zudem wurden die derzeit relevanten Planungsmethoden und Nutzungsverläufe analysiert und Ansätze für eine Reduzierung des Energiebedarfs und des mit der Klimatisierung verbundenen Materialverbrauchs entwickelt. Ergebnis dieses Prozesses war Kaer Air, ein Outsourcing-Konzept mit einem nutzungsorientierten Geschäftsmodell für die Raumkühlung, das die Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit dem Betrieb von Klimaanlagen wesentlich vereinfachen soll. Das CaaS-Modell („Cooling as a Service“) verlagert die Verantwortung vom Gebäudeeigentümer auf einen externen Spezialisten. Der Kunde muss sich keine Sorgen mehr um die Kühlung machen – im asiatischen Klima ein echtes Bedürfnis, denn ein Anlagenausfall kann sich enorm auf die Produktivität oder den Nutzerkomfort auswirken. Mit Kaer Air kann der Hausbesitzer die gewünschte Temperatur für sein Innenraumklima festlegen. Alle Aspekte rund um Planung, Installation und Instandhaltung der Klimaanlage werden an Kaer ausgelagert. Nach der Inbetriebnahme tritt an die Stelle von Vorlaufkosten für den Gebäudeeigentümer/Bauträger ein fester nutzungsabhängiger Tarif.

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1 Kaer-Kühlanlage zur Versorgung eines Datenverarbeitungszentrums in Singapur.

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2 Kaer-Steuerzentrale zur Über­ wachung eines Einkaufs- und Bürokomplexes in Singapur. 3 Kaer-Kühlanlage zur Versorgung eines Bürohochhauskomplexes mit Einkaufszentrum in Singapur.

Entscheidend für die Effektivität des zugrunde liegenden Geschäftsmodells sind eine kontinuierliche Datenerfassung mittels Internet-of-Things (IoT)-Technologie und entsprechende Analysen, um den Energiebedarf der Anlage im Betrieb zu optimieren. Nach der Installation und Inbetriebnahme werden Daten zu den Anlagenkomponenten und den betreffenden Innenräumen erfasst, sodass eine weitere Feinabstimmung und ein Betrieb im Optimalbereich ermöglicht werden.

EIN NUTZUNGSORIENTIERTES GESCHÄFTSMODELL IN DER KREISLAUFWIRTSCHAFT Nutzungsorientierte Geschäftsmodelle sind ein wesentlicher Bestandteil der Kreislaufwirtschaft. Für Gebäudekühlanlagen kann die Umstellung vom Verkauf der Geräte zum Verkauf der Nutzung derselben sehr vorteilhaft sein. Aus finanzieller Sicht sinken beispielsweise die Kosten in der Regel um 10–20 %, in manchen Fällen sogar um über die Hälfte. So wurde bei INSEAD, einer Wirtschaftshochschule in Singapur, der Betrieb der Klimaanlage auf dem Campus optimiert, wodurch der Energieverbrauch innerhalb von sechs Monaten um 70 % gesenkt und die CO₂-Emissionen erheblich gemindert werden konnten. Auch Kaer profitiert von den Energieeinsparungen: Wenn es gelingt,

die benötigte Energiemenge zu reduzieren, steigt die Gewinnmarge, zumal die Energietarife in vielen asiatischen Ländern bei Überschreitung bestimmter monatlicher Verbrauchsschwellen ansteigen. Sollte Kaer seine Anlagen also so betreiben können, dass diese Schwellenwerte stets unterschritten werden, profitiert das Unternehmen in noch größerem Umfang. Darüber hinaus beschleunigt Kaer den Übergang zu einer kohlenstoffarmen und anpassungsfähigen Zukunft, indem es die für den Kühlanlagenbetrieb benötigte Energie zunehmend aus erneuerbaren Quellen bezieht. Im Energiemix von Kaer liegt der Anteil erneuerbarer Energien aktuell bei lediglich 7 %; der übergroße Teil entfällt also noch auf nicht-erneuerbare Energieträger. Das Unternehmen will seinen Energiebezug jedoch umstellen und führt in Singapur und Indien Proof-of-Concept-Projekte durch, um die Machbarkeit nachzuweisen. Das CaaS-Geschäftsmodell ist als Partnerschaft ausgelegt, bei der beide Seiten profitieren. Es belegt auf eindrucksvolle Weise die Leistungsfähigkeit eines kreislaufgerechten Ansatzes. Allein durch die Erfassung von Nutzungsdaten und eine Änderung der Leistungserbringung lassen sich Kosten und CO₂-Emissionen halbieren – ohne Umbauten an den Anlagen.

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4 Kaer Air versorgt ein neu errichtetes Bürohochhaus im Zentrum von Singapur.

Weiterlesen ▶ Neue Geschäftsmodelle, „Ein Kreislaufansatz für Bodenbeläge“, S. 134 ▶ Investitionskosten, „Die Ökonomie des Urban Mining“, S. 80 ▶ Erneuerbare Energien, „Die Ökologie hat Vorrang!“, S. 102

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EIN KREISLAUF­ ANSATZ FÜR BODENBELÄGE Das Beispiel der Firma Interface Fallstudie von Erin Meezan

1 Sammlung von Verschnitt und Produktionsabfällen für die Rückführung in den Prozess. © Christopher Payne/Esto.

2 Sammlung von Verarbeitungsabfällen und gebrauchten Teppichböden als Materialressource. © Christopher Payne/Esto.

Seit dem Jahr 1994 hat der Bodenbelagshersteller Interface seinen Nachhaltigkeitsansatz beständig weiterentwickelt. Ausgehend vom Produktdesign ist dabei ein kreislaufgerechtes Geschäftsmodell entstanden, das sowohl technischen als auch wirtschaftlichen Anforderungen gerecht wird. Bei Interface umfasste die Einführung eines zirkulären Konzepts sowohl die Entwicklung von materialsparenden wie leistungsfähigen Produkten als auch eine Umstellung der verwendeten Rohstoffe und die Entwicklung von Technologien und Systemen, welche die Verwendung von wiederverwerteten Materialien ermöglichen. Zwar konnte das Unternehmen das anspruchsvolle Ziel, bis zum Jahr 2020 in allen globalen Märkten Produkte zurücknehmen zu können, nicht erreichen, doch ist man mit entsprechenden Technologien und Programmen zumindest auf einigen Märkten weit vorangekommen. In der Region Nord-, Mittel- und Südamerika deckt das unternehmenseigene ReEntry™-Recycling- und -Rücknahme­ programm 97 % des Vertriebsgebiets ab. Damit kann Interface Teppichfliesen und Luxus­ vinylfliesen (LVT) von Kunden zurücknehmen und die Materialien wiederverwenden oder -verwerten. In den Regionen Europa und Asien-Pazifik erfassen die ReEntry-Programme 69 % des Vertriebsgebiets. Interface verwendet heute für viele Teile seiner Teppichfliesen rezyklierte Materialien, darunter Nylon für die Nutzschicht und weitere Sekundärmaterialien in Träger- und Rückenschichten. Während im Jahr 1994 noch alle für die Herstellung von Teppichböden verwendeten Ausgangsstoffe Neumaterialien waren, stammten 2021 dagegen bereits 64 % aus der Wiederverwertung oder aus biobasierten Quellen. Um die Wiederverwertbarkeit der Produkte am Ende ihrer Nutzungsdauer zu optimieren, schloss das Unternehmen alle Inhaltsstoffe aus, die nicht recycelt werden dürfen oder können, darunter Phthalate, Formaldehyd und Fluorkohlenstoffe. In Zusammenarbeit mit seinem Zulieferer hat Interface den Recyclinganteil in den LVT-Produkten auf mindestens 39 % angehoben und plant, den Anteil wiederverwerteter Materialien im gesamten Portfolio der modularen elastischen Bodenbeläge weiter zu steigern. Vergleichbare Anstrengungen unternimmt Interface im 2018 über-

nommenen Kautschukbodengeschäft der Marke nora® und will den Anteil von Naturkautschuk und wiederverwerteten Materialien in allen nora-Produkten erhöhen. Derzeit stammen 8 % der in nora-Kautschukböden verwendeten Materialien aus biobasierten Quellen oder der Wiederverwertung.

SCHRITTE ZUM KREISLAUFGERECHTEN WIRTSCHAFTEN Doch stehen innovative Materialien lediglich am Anfang eines Kreislaufsystems. Für ein umfassendes Kreislaufkonzept bedarf es darüber hinaus der geeigneten Technologie und der Kapazitäten, um Materialien für die interne Wiederverwertung aufbereiten und von Kunden zurückgenommene Produkte dem Recycling zuführen zu können. Von der Konzeptionierung über die Herstellung bis hin zum Ende der Nutzungsdauer übernimmt Interface für jede einzelne hergestellte Teppichfliese Verantwortung. Mit der eigens entwickelten Technologie kann das Unternehmen seine Teppichfliesen und LVT-Produkte nach dem Nutzungsende für neue Teppichrücken wiederverwerten. Nach der Anlieferung im Werk werden die gebrauchten Teppichfliesen zerkleinert und mit anderen wiedergewonnenen Materialien gemischt, um daraus die CQuest™GBRückenschicht herzustellen. Die Umstellung auf andere Ausgangsstoffe war sowohl unternehmensintern als auch darüber hinaus Gegenstand einer intensiven Diskussion, da davon auch eine viel breiter gefasste Gruppe von Unternehmen außerhalb von Interface betroffen war. Das Unternehmen entwickelte Strategien, um auf eine Umstellung der Lieferkette hinzuwirken, darunter Veranstaltungen mit Zulieferern, die Weitergabe bewährter Verfahren aus der eigenen Technikabteilung an die der Lieferanten und umgekehrt, die bevorzugte Berücksichtigung von Zulieferern, die Recyc­ lingmaterialien anboten, und gemeinsame Investitionen in Technologien. Alle Ausgangsstoffe im gesamten Unternehmen auf wiederverwertete Materialien umzustellen, erfordert einen langen Atem, volles Engagement und langfristige Partnerschaften. So initiierte Interface bereits 1997 eine Kooperation mit dem Faserhersteller Aquafil®, um Prozesse und Programme für die Wiederver-

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3 Produktionsanlage für InterfaceTeppichfliesen in LaGrange im US-Bundesstaat Georgia. © Christopher Payne/Esto.

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wertung zu entwickeln, die den Zugang zu Sekundärnylon ermöglichten. Im Jahr 2010 hatte das Unternehmen sein Ziel dann erreicht, in der Teppichbodenherstellung ausschließlich Recyclingnylon zu verwenden.

HERAUSFORDERUNGEN AUF DEM WEG

Der vorliegende Beitrag ist eine bearbeitete Fassung der Publikation von Interface, „Lessons for the Future“, https://www.interface.com/US/ en-US/sustainability/our-journeyen_US.

Selbst wenn Rücknahmeprogramme eingerichtet und die entsprechenden technologischen Anpassungen vorgenommen wurden, erschweren Marktbarrieren in vielen Ländern die Verwertung gebrauchter Produkte. So stehen in einigen europäischen und asiatischen Märkten gesetzliche Vorschriften dem grenzüberschreitenden Versand gebrauchter Teppichböden an Wiederverwertungszentren im Weg. In US-Bundesstaaten, Städten und Gemeinden fehlen zumeist gesetzliche Bestimmungen, die die Deponierung von Teppichböden ausschließen, was deren Rücknahme am Ende der Nutzungsdauer erschwert. Trotz aller Anstrengungen, die Interface in den vergangenen Jahren unternommen hat, liegt der Anteil der für die Wiederverwertung zurückgenommenen gebrauchten Teppichböden unter 5 % der pro Jahr abgesetzten Gesamtmenge. Doch sind ungeachtet dieser Hindernisse auch Fortschritte zu verzeichnen. Seit 1995 hat Interface die Deponierung von über 136.000 t Teppichböden und -abfällen vermieden, darunter auch Böden von Mitbewerbern. Davon wurde ein Großteil für neue Produkte wiederverwertet. Allein in den letzten sechs Jahren hat Interface im Rahmen seiner ReEntry-Programme weltweit mehr als 18.000 t gebrauchte Teppichböden dem Recycling zugeführt oder wiederverwendet. Um die Voraussetzungen für kreislaufgerechte Ansätze zu schaffen, muss manchmal weit über das Unternehmen und die Branche hinaus gedacht werden. Im Jahr 2010 verabschiedete der US-Bundesstaat Kalifornien als weltweit erstes Rechtsgebiet ein Gesetz, das Bodenbelagshersteller verpflichtet, Programme zur Vermeidung der Deponierung von Teppichböden umzusetzen. Darüber hinaus wurden die Wiederverwendung und

das Recycling als vorrangige Ziele für das End-of-Life-Management festgelegt. In Kalifornien definierte man für die Recyclingquote eine anspruchsvolle Zielvorgabe, die auch fünf Jahre nach Einführung des Programms von den Herstellern noch nicht erfüllt wurde. Daraufhin verhängte der Staat im Jahr 2017 erstmals Geldstrafen gegen Teppichbodenhersteller, die das Gesetz nicht einhielten. Die nachfolgend geplante Verabschiedung einer Gesetzesnovelle mit der Intention, das Programm zu verbessern, bot der Branche die Gelegenheit zum Versuch, das Gesetz anzufechten und damit das Programm zu stoppen. Als der Branchenverband, das Carpet and Rug Institute, kundtat, gegen jegliche Anpassungen des Plans und der gesetzlichen Regelungen vorgehen zu wollen, forderte Interface die Organisation auf, dies zu überdenken. Doch der Verband folgte unbeirrt dem Weg, das Programm möglicherweise ganz zu Fall zu bringen. Daraufhin trat Interface unter Protest aus, engagierte einen unabhängigen Lobbyisten und schloss sich mit anderen kalifornischen und nationalen Interessenvertretern zusammen, um das Recyclingrecht in der zehntgrößten Volkswirtschaft der Welt zu stärken. Bis Oktober 2017 trugen diese Bemühungen maßgeblich dazu bei, das kalifornische Gesetz (AB 1158) zu novellieren und das staatliche Recyclingprogramm für Teppichböden zu verbessern. Seit 2018 wurden im unternehmenseigenen ReEntry-Programm fast 680 t Teppichböden aus Kalifornien zurückgewonnen.

ERFORDERLICHE KOOPERATION Interface vertritt die Auffassung, dass sich eine Kreislaufwirtschaft ohne eine weitreichende Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten des Systems nicht entwickeln kann. Dazu gehören Zulieferer, Design- und Innovationsführer, Produktionsbetriebe, Endverbraucher und Behörden. Dieser Weg ist zwar noch lang, doch hat das Unternehmen mit seinen Bemühungen bereits bedeutende Fortschritte erzielt. Interface lädt alle Beteiligten ein, sich dem Streben nach immer nachhaltigeren Praktiken anzuschließen.

Weiterlesen ▶ Kreislaufgerechtes Wirtschaften, „Prinzipien der Kreislaufwirtschaft“, S. 24 ▶ Sekundärmaterialien, „Richtlinien für den Rückbau in Portland, Oregon“, S. 62 ▶ Kooperation, „Infrastruktur für die Wiederverwendung“, S. 56

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4↖ Nahaufnahme der Produktion aus wiederverwerteten Materialien. © Christopher Payne/Esto.

5↑ Aufbereitung gebrauchter Teppichböden als Ausgangsmaterial für die Produktion von Teppichfliesen. © Christopher Payne/Esto.

6← Neue versandfertige Teppichfliesen. © Christopher Payne/Esto.

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SEI VORSICHTIG WAS DU DIR WÜNSCHST Kommentar von Ken Webster

1  World Economic Forum, „Welcome To 2030: I Own Nothing, Have No P ­ rivacy And Life Has Never Been Better“, Forbes, 10.11.2016, https:// www.forbes.com/sites/worldeconomicforum/2016/11/10/shopping-icant-really-remember-what-that-is-orhow-differently-well-live-in-2030/. 2  Ceri Parker, „8 predictions for the world in 2030“, World Economic Forum, 12.11.2016, https://www. weforum.org/agenda/2016/11/8predictions-for-the-world-in-2030/. 3  Reuters, „Fact check: The World Economic Forum does not have a stated goal to have people own nothing by 2030“, 25.11.2021, https:// www.reuters.com/article/uk-factcheck-wef-idUSKBN2AP2T0. 4  Finance Watch, „Hiding in Plain View: Why economists can’t see the obvious coming“, 12.04.2018, https:// www.finance-watch.org/hiding-inplain-view-why-economists-cant-seethe-obvious-coming/. 5  https://www.ft.com/content/ ad96da11-d012-440a-b1d9-05718 aac47a5. 6  A-Deus, „Energy as an asset“, https://www.a-deus.com/.

Im Jahr 2016 lud die Ellen MacArthur Foundation die dänische Politikerin Ida Auken ein, ein Szenario für das urbane Leben in naher Zukunft zu entwerfen, das Erkenntnisse aus der aufkommenden Debatte über eine Kreislaufwirtschaft aufgreift. Mit einem eher spielerischen Ansatz handelt es von einer möglichen Verschiebung vom Kauf langlebiger Güter hin zum Erwerb des Zugangs zu ihnen. Produkte als Dienstleistung also, insbesondere in den Bereichen Verkehr, Haushaltswaren und Kleidung. In Zukunft, so die Idee, werden wir außer Gegenständen, die mit einer persönlichen Geschichte verbunden sind – etwa Musikinstrumente, Schmuck, handwerkliche Unikate –, nur noch sehr wenig tatsächlich besitzen. Und doch, so sagt sie, könnten wir damit durchaus zufrieden und glücklich leben. Eine Kreislaufwirtschaft mit verlängerter Produktlebensdauer und auf Abruf bereitgestellten Werkzeugen und Dienstleistungen führt möglicherweise zu niedrigeren Kosten und wäre für die Anbieter dennoch rentabler.1 Das Weltwirtschaftsforum (WEF) nannte das Ziel „Alle Produkte werden zu Dienstleistungen“ eine von acht „Vorhersagen für die Welt im Jahr 2030“.2 Der Spruch „In der Zukunft wirst du nichts besitzen und [damit] glücklich sein“ begann zu kursieren – und die Vorhersage nahm damit eher dunkle Züge an.3 Mit „dunkel“ beziehe ich mich auf den Halbsatz „Du wirst glücklich sein“. Darin schwingt mit, dass jemand anders entschieden hätte, dass das eigene Glück mittelbar werden könnte, dass etwas zwischen einen selbst und die Gegenstände oder Werkzeuge, die man benutzt, und die Orte, an denen man lebt, treten könnte – und dies auf einer viel grundlegenderen Ebene als beispielsweise einer Smartphone-App. Tiefes Unbehagen herrscht darüber, dass an dieser Stelle möglicherweise mehrere Entwicklungen zusammenkommen, die in der Wirtschaft zu einer immer stärkeren Polarisierung zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen führen. Das betrifft Eigentum aller Art: vom Grund und Boden als Kernbestandteil der gebauten Umwelt über Gebäude und geistiges Eigentum bis hin zu den – zunehmend digitalen – Werkzeugen und bestimmten Kategorien von Produkten, Komponenten und Materialien. Jedoch sind Demokratie und Eigentum seit jeher grundlegend miteinander verbunden. Die Aneignung von verschiedenen Werkzeugen und Wissen, um sie zu etablierten Vermögensklassen hinzuzufügen, „nur“ weil dies einen Weg in eine ressourceneffiziente und klimafreundliche Zukunft verspricht, erscheint vielen als eine äußerst problematische Verschiebung. Und doch ist die Ressourcen- und Klimakrise zweifelsohne überwältigend … Im Zentrum dieser Diskussion steht der anhaltende Anstieg der Grundstückspreise. Maßgeblich befeuert wurde die kontinuierliche, beschleunigte Verteuerung von Vermögenswerten durch die Niedrigzinspolitik und die Interventionen der Notenbanken im Rahmen der quantitativen Lockerung, die mindestens von der globalen Finanzkrise 2008/09 bis zum beginnenden Konjunkturabschwung Anfang 2022 andauerte. In Großbritannien vergeben die Finanzinstitute 80 % der neuen Kredite für Immobilien. Der Preis eines Hauses – so vermutet die Forschung4 – ist vor allen anderen Faktoren von der Bereitschaft der Bank zur Kreditvergabe abhängig. Infolgedessen ist immer weniger bezahlbarer Wohnraum verfügbar, und junge Menschen sehen sich gezwungen zu mieten. In Anlehnung an die digitalen Werkzeuge, die für Waren und Dienstleistungen auf Abruf zur Verfügung stehen, sind verschiedene Formen des gemeinschaftlichen Wohnens entstanden. Zuweilen leicht verächtlich als „Studentenwohnheime mit besserer Möblierung“ bezeichnet, sollen sie die Nachfrage der digitalen Nomaden bedienen. Gleichzeitig zeigen Investoren großes Interesse an der Vermietung und der Errichtung von Wohnungen für Mietzwecke. Die Marktkapitalisierung des börsennotierten Wohnimmobiliensektors in Europa ist von 3,5 Mrd. EUR im Jahr 2006 auf fast 85 Mrd. EUR im Jahr 2019 gestiegen.5 Selbst Purpose-Unternehmen planen Wohneinheiten zur Miete, wie die Ankündigung von 7.000 bis 10.000 neuen Einheiten über die nächsten Jahre allein von John Lewis in Großbritannien zeigt. Warum also zu Verkaufszwecken bauen, wenn Kapitalgewinne winken und vorteilhafte Ertragsströme und Restwertentwicklungen vorstellbar geworden sind? Damit wird das Wohnen zur Dienstleistung – mit einer ganzen Reihe entsprechender Verträge in Bezug auf Haushaltsgeräte, Heizung und Klimatisierung sowie Möblierung. Gebäude werden zu Kraftwerken, durch Photovoltaik oder neuartige Wasserstoffaggregate für die Beheizung und Stromversorgung.6 Und weil Grundstücke den allem zugrunde liegenden Wert darstellen, können die demontage-

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gerechte Planung und der verstärkte Rückgriff auf Materialpässe die Neubebauung und Grundstücksfreimachung beschleunigen und möglicherweise auch zusätzliche Restwerte aus der Materialrückgewinnung freisetzen. Fußgängergerechtere Städte und die Wohnraumverdichtung führen zu einer größeren Zahl von Kunden und Mietern, unter Nutzung von immer ausgefeilteren digitalen Netzwerken, mit denen sich die Systeme und das Wer und Wie ihrer Nutzung besser überwachen lassen. Damit wird die Stadt zur digitalen Schatzkammer. Konzepte für eine Kreislaufwirtschaft fokussieren sich auf langlebige Wirtschaftsgüter, Produkte, Komponenten und Materialien als finanzialisierbare Anlageklassen. Sobald Materialpässe und -kataster in Gebäuden und Infrastrukturen ausreichende Verbreitung gefunden haben, lassen sich die voraussichtlichen Mengen bestimmter, in einem definierten Gebiet verfügbarer Materialien anhand historischer Daten vorhersagen. Damit werden Vermögenswerte geschaffen, auf deren Grundlage Verträge für die Zukunft eingegangen werden könnten. Anders ausgedrückt entstehen dadurch Vermögenswerte, die Teil der finanziellen Verfügungsmasse sind – vergleichbar mit Rohölladungen, die auf ihrem Weg vom Bohrloch zur Raffinerie viele Male gekauft und verkauft werden. Folgt man dieser Logik, so eröffnet ein zunehmendes Interesse an Produkten als Dienstleistungen in Verbindung mit einer Verengung der Eigentumsverhältnisse innerhalb einer Branche die aussichtsreiche Chance, Monopol- oder Oligopolrenten zu generieren. Gleichzeitig erführen die Anlagen tendenziell eine Wertsteigerung, da sich die allgemeinen Preis- und Verfügbarkeitsgrenzen auf den Ressourcenmarkt auswirken, während Regierungen über die Notenbanken weiterhin auf deren Wertentwicklung setzen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht erscheint es sinnvoll, den maximalen Wert eines Vermögensgegenstands durch kontinuierliches Eigentum zu schützen und zu erhalten – und/oder die wesentlichen Elemente der gesamten Wertschöpfungskette zu besitzen und zu kontrollieren. Nehmen wir einmal an, dass die Kreislaufwirtschaft richtig ausgerichtet ist, also auf den Kapitalerhalt oder, nach Walter Stahel, auf die „Bestandserhaltung“.7 In diesem Fall funktioniert sie durch die Schaffung von Produkt-, Komponenten- und Materialströmen, die jeweils in einer Verantwortungskette verbunden sind und zum Bestand zurückgeführt werden, anstatt ab dem Verkaufsort in ungesteuerter Verbreitung zu enden. Folglich ist die Kreislaufwirtschaft für Unternehmen attraktiv, die von den Vorteilen eines eingeschränkten Wettbewerbs (also Monopol- oder Oligopolgewinnen) profitieren wollen. Das Halten von Vermögenswerten und das Management der Verantwortungskette dienen der Schaffung von Knappheit (eine offensichtliche Parallele wäre hier das Land Banking) oder der Erhebung hoher Zugangsgebühren. Da sich die einzelnen Sektoren um einige wenige Hauptakteure herum konsolidieren, könnte das Ergebnis dieses Prozesses für andere Beteiligte eher unvorteilhaft ausfallen. Doch ist die Maxime „Mehr erwirtschaften, weniger verkaufen und dabei weniger Abfall erzeugen“ für eine Gesellschaft, die sich inmitten einer Klima- und Ressourcenkrise befindet, möglicherweise durchaus ein Ziel, auf das man sich einigen kann. Die düstere Prophezeiung „Du wirst nichts besitzen …“ findet also Resonanz. In einer Welt der Ressourcenknappheit, die sich auf die Erzielung von Monopolgewinnen oder sonstigen wirtschaftlichen Erträgen aus dem Eigentum an Vermögenswerten in bedeutender Höhe fokussiert, besteht ein echtes Verlustrisiko. Es setzt sich gleichsam parasitär auf die zunehmenden Unsicherheiten in Beschäftigung und Existenz für große Teile der Bevölkerung auf. Ceteris paribus beschleunigt eine Kreislaufwirtschaft den Niedergang von Autonomie und lässt eine Art von Technofeudalismus entstehen, wo die offensichtliche Materialverschwendung des Konsums abgelöst wird von einer kontrollierten Welt, in der den Nutzern nur noch eine Bittstellerrolle zukommt. Ein geringerer Ressourcenverbrauch könnte auch teuer erkauft sein. Weiterlesen ▶ Materialkataster, „Materialpässe“, S. 118 ▶ Eigentum, „Das Urban Village Project”, S. 122 ▶ Ressourcenkrise, „Nachhaltigkeit – Die Wichtigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung“, S. 10

7  Walter R. Stahel, „Radical innovation to enhance stock management“, in: Walter R. Stahel, Ellen MacArthur, The Circular Economy. London: Routledge, 2019.

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BESSER + WENIGER + ANDERS

DIE URBAN MINING AND RECYCLING (UMAR) UNIT Fallstudie von Felix Heisel und Dirk E. Hebel

1  M. Betts, G. Robinson, C. Burton, J. Leonard, A. Sharda und T. Whittington, Global construction 2030: a global forecast for the construction industry to 2030. London: Global Construction Perspectives and Oxford Economics, 2015. 2  materialflows.net, „Global trends of material use“, http://www.material flows.net/global-trends-of-materialuse/ (aufgerufen am 07.01.2018). 3  M. de Wit, J. Hoogzaad, S. Ramkumar, H. Friedl und A. Douma, The circularity gap report: an analysis of the circular state of the global economy. London: Circle Economy and shifting paradigms, 2018. 4  Dirk E. Hebel, Marta H. Wisniewska und Felix Heisel, Building from Waste. Recovered Materials in Architecture and Construction. Basel: Birkhäuser, 2014; M. Geissdoerfer, P. Savaget, N. M. P. Brocken und E. J. Hultink, „The circular economy – a new sustainability paradigm?“, Journal of Cleaner Production, 143, 2017, S. 757–768; A. Murray, K. Skene und K. Haynes, „The circular economy: an interdisciplinary exploration of the concept and application in a global context“, Journal of Business Ethics, 140, 2015, S. 369–380. 5  European Commission, Closing the loop – an EU action plan for the Circular Economy COM/2015/614 final. Brüssel: European Commission, 2015. 6  D. A. Ness und K. Xing, „Towards a Resource-Efficient Built Environment: A Literature Review and Conceptual Model“, Journal of Industrial Ecology, 21 (3), 2017, S. 572–592. 7  Empa 2015, „Introducing NEST“, https://www.empa.ch/web/nest/ aboutnest (aufgerufen am 07.11.2018).

Bei den globalen Investitionen im Bausektor, mit denen Gebäude und Infrastrukturen für eine wachsende Weltbevölkerung mit zunehmenden Möglichkeiten und Erwartungen finanziert werden, erwarten Experten einen Anstieg um 85 % auf jährlich 17,5 Billionen US-Dollar1 bis zum Jahr 2030. Dieser globale Erfolg wird allerdings auf Kosten der Umwelt sowie sozialer und gesundheitlicher Schäden der Gesellschaft erwirtschaftet. Allein seit den 1970er Jahren hat der globale Abbau von nicht-erneuerbaren, abiotischen Rohstoffen, insbesondere von Industrie- und Baumineralien, um 376 %2 zugenommen – eine Tendenz, die ohne einen kompletten Paradigmenwechsel erwartungsgemäß weiter anhalten würde: von 84 Mrd. t Material im Jahr 2015 auf geschätzte 170 bis 184 Mrd. t im Jahr 2050.3 Durch ein schnelles Umdenken vom vorherrschenden linearen Wirtschaftssystem zu einer vollständigen Kreislaufwirtschaft ließen sich die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen des Bauens jedoch lindern bzw. ins Positive wenden. Unglücklicherweise steckt die globale und flächendeckende Umsetzung der Kreislaufwirtschaft trotz zahlreicher akademischer Arbeiten4 und politischer Vorgaben5 bis heute in den Kinderschuhen.6 Es gibt wenige, wenn auch eine wachsende Anzahl von gebauten Beispielen, bei denen die konzeptionellen Vorgaben auch konsequent und bis ins Detail umgesetzt wurden. Eines davon ist die von Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel geplante und gebaute Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit im NEST Projekt der Empa Schweiz. Sie soll beweisen, dass es heute schon möglich ist, Gebäude im Sinne einer vollständigen Kreislaufwirtschaft zu planen, zu bauen, zu betreiben und wieder rückzubauen.

DAS NEST PROJEKT DER EMPA DÜBENDORF Das Wohn- und Arbeitslaboratorium NEST7 (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) an der Empa, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt im Schweizer Dübendorf, besteht aus einer zentralen Gebäudestruktur als infrastrukturelles Rückgrat mit frei auskragenden Plattformen. Es ist so konzipiert und gebaut, dass zukünftig in dieses zunächst leere „Regal“ mit vertikal aufeinandergestapelten Bauplätzen austauschbare

Wohn-, Büro- oder Funktionsmodule, sogenannte Units, eingeschoben werden können, die jeweils einen ganz spezifischen Forschungsansatz verfolgen, sich aber zudem durch das Rückgrat im gegenseitigen Austausch als interaktives Quartier begreifen lassen. NEST ist insofern eine modulare Forschungs- und Demonstrationsplattform, mit deren Hilfe neuartige und innovative Wohnund Arbeitskonzepte, Bauteile, Materialien, Technologien und Systeme (z. B. Information, Wasser, Energie) unter realen Bedingungen getestet, einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und optimiert werden können. Diese Rückgrat-Struktur des NEST Gebäudes wurde 2016 fertiggestellt. Die UMAR Unit wurde bis 2018 in das NEST Gebäude eingebaut und am 8. Februar eröffnet. UMAR ist sowohl Wohn- wie Forschungslabor: Während die Unit von zwei Studierenden der Empa bewohnt wird, die ihre Erfahrungen im Umgang mit den Materialien und deren Nutzung im Alltag festhalten, war UMAR in den vergangenen Jahren auch der Mittelpunkt mehrerer wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema. Gleichzeitig ist die Einheit für öffentliche Führungen und Veranstaltungen geöffnet und zieht durchschnittlich mehrere hundert Besucher pro Monat an. In dieser doppelten Rolle als lebendiges Labor und Schaufenster möchte UMAR die Prinzipien einer Kreislaufwirtschaft validieren und gleichzeitig Interessierten, Fachleuten und Spezialisten die Grundprinzipien, Vorteile, Auswirkungen, technischen Details und Ästhetik des kreislaufgerechten Bauens vermitteln.

DAS ARCHITEKTONISCHE KONZEPT Die UMAR Unit befindet sich zweiten Obergeschoss des NEST Gebäudes. Sie ist zwischen zwei freitragenden horizontalen Betonplatten eingebaut und wird im Nordosten vom strukturellen Rückgrat begrenzt und mit allen systemrelevanten Infrastrukturen versorgt. Die Ausrichtung ist nach Südwesten gewählt und bietet Blick auf die Alpen. Um die Privatsphäre der Bewohner zu erhöhen, befinden sich ihre beiden Schlafräume in den Außenbereichen der Einheit, verbunden durch einen gemeinsamen Bereich, in dem sich Küche, Ess-, Wohn- und Arbeitsfunktionen in offener Anordnung

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finden. Diese Nutzungen sind durch eine freistehende Drehwand trenn- oder kombinierbar. In unmittelbarer Nähe zum Rückgrat befinden sich zwei Bade­zimmer sowie der Technik- und Anschlussraum. Der Eingangsbereich in der Nähe der Verbindungstür zum NEST Gebäude dient gleichzeitig als Materialbibliothek für öffentliche Veranstaltungen. Die UMAR Unit ist in sieben vorgefertigten und voll ausgestatteten Modulen (2 × Schlafraum, 3 × Gemeinschaftsraum, 1 × Badezimmer/Technikraum, 1 × Flur) konzipiert, die in einem spezialisierten Werk auf einer neuartigen Produktionsstraße gefertigt wurden. Nach Anlieferung wurden diese Module innerhalb eines Tages von zwei Mobilkränen in das NEST Gebäude eingehoben und nach ihrer

genauen Positionierung lediglich über Steckverbindungen und Kupplungsvorrichtungen konstruktiv und infrastrukturell miteinander verbunden. Als „Fundament“ dient hierbei ein Schienensystem, was eine extrem einfache Montage sowie Demontage ermöglicht. Die Grundfläche der UMAR Unit beträgt 126 m², die Höhe zwischen Boden und abgehängter Decke misst 2,50 m. Die Innenräume sind größtenteils mit neutralen weißen Wänden versehen, wie es ein Großteil der Bauherren von zuhause gewohnt ist. Dennoch zielt das architektonische Konzept darauf ab, die Schichten der sehr unterschiedlich konstruierten, kreislaufgerechten Wandaufbauten klar zu zeigen und es dem Besucher dadurch zu ermöglichen, alle beim Bau verwendeten

1 Die UMAR Unit im NEST Gebäude der Empa Dübendorf.

BESSER + WENIGER + ANDERS

2 Innenansicht des Gemeinschaftsbereichs der UMAR Unit, die Drehwand im Hintergrund.

8  Die Materialbibliothek der UMAR Unit findet sich auch unter http:// www.nest-umar.net.

Materialien zu erleben. Im Rahmen dieses Ansatzes zielt die Unit darauf ab, eine Vielzahl von Materialien und Bautechniken vorzustellen und dabei alternative technische Möglichkeiten und Materialien aus dem biologischen und technischen Kreislauf einem breiten Publikum vorzustellen. Hierzu dient zudem die Mustersammlung am Eingang, die die im Bauwerk verwendeten Materialien jeweils in einer Musterschublade zusammenfasst und mit technischen Datenblättern und Herstellerangaben präsentiert.8

ENTWURFSPRINZIPIEN UND IHRE ANWENDUNG IN DER UMAR UNIT Der Name der Unit kombiniert zwei Konzepte, die sich auf zwei komplementäre Strategien der Ressourcenbeschaffung und -nutzung beziehen: den städtischen Bergbau (Urban Mining) und das kreislaufgerechte Bauen (hier: Recycling, als Oberbegriff für eine hochwertige Rückführung von Materialien in geschlossene Kreisläufe). Während sich Urban Mining auf eine möglichst optimierte Reaktivierung von Materialien be-

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3 Schnittzeichnung des NEST ­Gebäudes mit der UMAR Unit.

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4 Grundrisszeichnung der UMAR Unit.

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5 ↑↑ Schlüsselfertige Produktion der sieben Module in der Werkstatt. 6↗ Beim Einbau der Unit wurden die Module mit Hilfe von zwei Autokränen innerhalb eines Tages in Position gehoben. 7↑ Über ein Schienensystem wurden die Module an Ort und Stelle gerollt.

9  W. Stahel, „The Industrial Green Game: Implications for Environmental Design and Management“, in: The Functional Economy: Cultural and Organizational Change. Washington, D. C.: National Academic Press, 1997, S. 91–100.

zieht, welche in der städtischen Umgebung angesammelt sind, jedoch nicht speziell für die Wiederverwendung oder -verwertung konzipiert wurden, umfasst das kreislaufgerechte Bauen alle Materialien und Fügetechniken, die explizit dafür konzipiert wurden, verlustfrei, hochwertig und sortenrein in technischen oder biologischen Kreisläufen zu verbleiben. Dem von Walter Stahel formulierten Grundverständnis folgend, dass „Kreisläufe keinen Anfang und kein Ende haben“,9 verwendet die UMAR Unit Materialien, Bauteile und Fügetechniken aus verschiedenen Zuständen und Positionen unterschiedlicher Materialkreisläufe: von neugewachsenen biologischen Rohstoffen über wiederverwertete Materialien bis hin zur Wiederverwendung von Materialien, Produkten oder

Bauteilen. UMAR repräsentiert nicht nur ein aktives und flexibles Material­labor für die fortlaufende Forschung, sondern gleichzeitig ein Materiallager für zukünftige Konstruktionen – ein Zustand, den wir als ein Ziel für die gesamte gebaute Umwelt verstehen: dass Materialien in Gebäuden lediglich „lagern“ und für die Wiederverwendung in neuen – wiederum temporären – Nutzungen konstruktiv optimiert sind.

SORTENREIN RÜCKBAUBARE KONSTRUKTIONSDETAILS Der Rückbau und das anschließende Wiederverwenden oder -verwerten von in Gebäuden gelagerten sortenreinen Material­fraktionen ist heute nur in sehr seltenen Fällen ein wesentlicher Bestandteil des architektonischen und konstruktiven

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8 Beispielhafte Kreisläufe für Wiederverwendung, Wiederverwertung und Kompostierung in der UMAR Unit.

9 Rückbauplanung der UMAR Unit in sortenreinen Materialschichten. 1 NEST Unit Urban Mining and Recycling 2 Die Unit wurde in sieben Modulen vorgefertigt und vor Ort gekoppelt

4

3 Schienensystem zum Ein- und Ausfahren der Module im NEST

5

4 Diagonalschalung, Weißtanne 5 Primärkonstruktion, Weißtanne

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6 Dämmung, Steinwolle 7 Dämmung, Denim (Jeans)

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8 Dämmung, Hanf 9 Holzständer, Weißtanne

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10 Dampfsperre, PE überlappend geklemmt 11 Leitungsebene sortenrein metallisch und Solarthermie

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12 Heiz-/Kühldecke, Aluminium 13 Abwasserleitungen, PE

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17 Dielenboden, Braunkernesche 18 Fußbodenwanne Badezimmer, Edelstahl 19 Trockenbauplatte, Lehm

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20 Unterputz, Lehm 29

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16 Teppichfliesen, Desso

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15 Unterkonstruktion, Weißtanne

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14 Trägerplatte, ECOR

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21 Feinputz, Lehm 30

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22 Dämmplatten, MycoFoam 23 Wandverkleidung, Filz

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24 Trägerplatte, ReWall

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25 Akustikpaneele, Reapor

4

27 Backsteine, StoneCycling

10

29 Portalrahmen, Kupfer

26 Rahmen, Stahl

4

28 Stahlrechen

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30 Schiebetüren, Weißtanne 31 Türglas 32 Fensterglas 33 Klemmprofile, Aluminium

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34 Absturzsicherung, Edelstahl 35 Wandverkleidung, Black Dapple

4

36 Wandverkleidung, Magna Glaskeramik 37 Klemmhalterungen, Edelstahl

3

38 Rückwand analog 4, 7, 9, 10 39 Materialschubladen 40 Materialmuster und Datenblätter

BESSER + WENIGER + ANDERS

10 Die Türklinken von Jules Wabbes in der UMAR Unit.

10  W. McDonough und M. Braungart, Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things. New York: North Point Press, 2002. Deutsche Ausgabe: Einfach intelligent produzieren: Cradle to Cradle: Die Natur zeigt, wie wir die Dinge besser machen können. Gebrauchsanweisungen für das 21. Jahrhundert. Berlin: Berliner Taschenbuch Verlag, 2003.

Planungs­prozesses. Und selbst wenn tatsächlich ein Rückbau (also nicht ein Abbruch) vor­genommen wird, scheitert eine Reaktivierung der Rohstoffe oft aufgrund nicht-lösbarer Verbindungsdetails oder Fügetechniken und dadurch auftretender Verunreinigungen. Um diese Probleme von vornherein zu vermeiden, wendet die UMAR Unit verschiedene sortenreine Konstruktionsprinzipien auf allen Maßstäben an: von der bereits beschriebenen Steckverbindung raumbildender Module über die Verwendung von Trockendichtungen in den Nassräumen zur Vermeidung von Silikonen oder Mörtel bis hin zur Umplanung der Herstellungsprozesse bestehender Heiz-/Kühldeckensegel oder der Neuentwicklung von monomateriellen Wasserhähnen im 3D-Metalldruckverfahren. In der gesamten Unit wurde auf Klebeverbindungen verzichtet (mit Ausnahme eines zu 100 % biologisch abbaubaren Produkts für die Verbindung von Holz zu Holz im Möbelbau). Alle Anschlüsse sind reversibel durch Schraub-, Steck-, Klemm- oder Verriegelungsverschlüsse ausgebildet, leicht zugänglich und zur Vorbereitung des geplanten Rückbaus gut dokumentiert.

TRENNUNG DER BIOLOGISCHEN UND TECHNISCHEN KREISLÄUFE Mit dem Cradle-to-Cradle-Prinzip10 wurde die getrennte Betrachtung der biologischen und technischen Kreisläufe eingeführt (siehe S. 18). In ersterem zersetzen unsere natürlichen Ökosysteme biologische Materialfraktionen und spalten diese in Nährstoffe für einen erneuten Wachstumsprozess anderer Pflanzen oder Lebewesen auf. In zweiterem zirkulieren wertvolle synthetische und mineralische Nährstoffe in geschlossenen Kreisläufen durch industrielle Prozesse. Gemische aus biologischen und technischen Nährstoffen, welche am Ende der Produktnutzungsdauer nicht zerlegt werden können, landen als sogenannte Hybridfraktionen normalerweise auf Mülldeponien oder in Verbrennungsanlagen, was einer Zerstörung der Nährstoffe gleichkommt. Hierzu zählen unter anderem auch biologische Materialien, die mit nicht biologisch abbaubaren Lackierungen, Lasuren oder Imprägnierungen behandelt wurden. In der UMAR Unit wurde auf alle Hybridmaterialien oder -produkte verzichtet. Dieses Prinzip ist schwieriger zu befolgen, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Es gibt heute eine erschreckend große Vielzahl an biologisch/technischen Hybridmaterialien in der Bauindustrie, einschließlich vieler Stan-

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11 ↑ Badezimmer mit einer Wandverkleidung aus wiederverwerteten Windschutzscheiben. 12 ← Badezimmer mit einer Wandverkleidung aus wiederverwerteten HDPEKüchenschneidebrettern.

BESSER + WENIGER + ANDERS

13 Die Ziegelsteine der Drehwand bestehen aus mineralischen Bauabfällen, klein gemahlen und farblich neu kombiniert.

dardprodukte wie zum Beispiel der typischen OSB-Platte, den Faserplatten oder mit Fungiziden und flammhemmenden Salzen oder Kunststoffen beschichteten Holzelementen. Derartige Plattenwerkstoffe haben unter anderem den funktionalen Vorteil, dass sie sowohl diagonalaussteifend wirken als auch wind- und diffusionsdicht sind, und finden daher häufige Anwendung. Im Falle der UMAR Unit musste insofern jede Materialentscheidung und jedes Detail auf Kreislaufgerechtigkeit geprüft

und oftmals neu gedacht werden. Die UMAR Unit ist in Holzständerbauweise konstruiert. Derartige Module werden normalerweise aus den angeführten Gründen mit Plattenwerkstoffen verkleidet. Neu gedacht wurde die notwendige Diagonalaussteifung der Wände, Böden und Decken nun mit unbehandelten Vollholzbrettern, welche durch ein Nut- und Federsystem die notwendige Winddichtigkeit sowie den Rauchschutz garantieren. An den Außenwänden wurde zusätzlich eine Dampfsperre aus sorten-

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14 ↑ Blick ins Schlafzimmer, in der hinteren rechten Ecke sind die Dämmpaneele auf Mycelbasis sichtbar. 15 ←

reinem Polyethylen eingezogen – nicht wie üblich mit einem Klebeband fixiert, sondern an allen Stößen 30 cm überlappend durch Pressleisten aus Holz abgedichtet.

SCHLIESSEN DER KREISLÄUFE Innerhalb der zuvor beschriebenen Kreisläufe können je nach Größe der jeweiligen Schleife zwei Zirkulationsmethoden unterschieden werden: die Wieder- und Weiterverwendung und die Wieder- und Weiterverwertung. Besonders im technischen Kreislauf gilt dabei: je kleiner die Schleife, desto effektiver die gewählte Methode hinsichtlich des Erhalts und Einsatzes von Energie, Ressourcen und Arbeitsaufwand.11 Im technischen Kreislauf liegt der Fokus insofern auf Methoden wie der Reparatur, Aufbereitung, Nachrüstung oder hochwertigen Verwertung. Der biologische Kreislauf erlaubt einen größeren Betrachtungshorizont, beispielsweise in Form einer Kaskaden-Verwertung von biotischen Materialien, solange gegeben ist, dass jeder Schritt die Lebenszeit des Materials verlängert, ohne die sortenreine Kompostierung am Ende zu verhindern.12

WIEDERVERWENDUNG Eine Wiederverwendung bedingt die stoffliche sowie physiognomische Beibehaltung des Materials bei gleicher Funktion. 1974 beauftragte die Générale de Banque in Brüssel den renommierten Designer Jules Wabbes mit der Ausgestaltung ihres Hauptsitzes. Um die Zuverlässigkeit der Bank widerzuspiegeln, wählte Wabbes für seinen Entwurf wertvolle und hochwertige Materialien wie Granit, Bronze oder Messing und eine klare Formensprache, um eine Langlebigkeit der Elemente zu garantieren. Als BNP Paribas Fortis als neuer Eigentümer des Gebäudes 2016 von der Stadt die Erlaubnis erhielt, das Gebäude zugunsten eines Ersatzbaus abzureißen, wurde diese an die Bedingung geknüpft, dass im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie alle Objekte von Jules Wabbes einer Wiederverwendung zugeführt würden.13 Infolgedessen übernahm die Firma Rotor Deconstruction das Inventar. Alle Objekte wurden vorsichtig demontiert und auf dem virtuellen Marktplatz der Firma zum Verkauf angeboten. Auf diesem Wege fanden zehn Türgriffe von Jules Wabbes ihren Weg in die UMAR Unit. Als Leihgegenstände kehren diese Griffe nach Ablauf ihrer Nutzungszeit vertraglich zu Rotor Deconstruction zurück, um die kontinuierliche

Die innovativen Ziegelsteine sind zudem mörtelfrei gefügt, sodass sie direkt und schadenfrei wiederverwendbar sind.

11  W. Stahel, Circular Economy for Beginners. Genf und London: Ellen MacArthur Foundation, 2018. 12  Arup, Circular economy in the built environment. London: Arup, 2016. 13  Montagne du Parc Warande­berg, „Héritage“, https://www. montagneduparc-warandeberg.be/ en/news/2015/09/03/heritage (2017, aufgerufen am 29.09.2018).

BESSER + WENIGER + ANDERS

16 Lichtschalter. 17 Gemieteter Teppichboden im Schlafzimmer.

Wiederverwendung der Gegenstände in einem weiteren Gebäude sicherzustellen. Ein weiteres Beispiel für eine Wiederverwendung in der Unit ist deren Kupferfassade, für welche eine lokale Dachdeckerei Kupferelemente aus dem Rückbau eines Hoteldachs mit Produktionsverschnitten aus anderen Projekten zu einem einmaligen Farbenspiel aus oxidierten dunklen, mit Grünspan überzogenen und rötlichen neuwertigen Platten kombinierte.

als Dämm- und Putzträgerplatten eingebaut. Die Paneele wurden punktuell und reversibel an der Unterkonstruktion der Wand fixiert und können am Ende der Nutzungsdauer vollständig kompostiert werden. Sie liefern damit erneut Nährstoffe für das Wachstum von biologischen Organismen und potenziellen Baumaterialien. Um eine schadstofffreie Kompostierung zu gewährleisten, sind alle biologischen Materialien in der UMAR Unit unbehandelt.

WIEDERVERWERTUNG Eine Wiederverwertung bedingt die stoffliche Beibehaltung des Materials unter geänderter Physiognomie. Das deutsche Unternehmen Magna Glaskeramik produziert neuartige Paneele aus 100 % wiederverwertetem Verschnitt- und Behälterglas. Dabei verwendet das Unternehmen nur so viel Energie und Zeit wie nötig, um in einem Sinterprozess einzelne Scherben des Rohmaterials zu einem neuen und homogenen Paneel zusammenzuschmelzen. Es entstehen 20 mm dicke, ästhetisch einzigartige, transluzente Glaskeramikplatten. Neben vielen anderen hochwertig wiederverwerteten technischen Materialien wie sortenreinen Kunststoffen, Metallen oder Mineralien verwendet die UMAR Unit Magna Glaskeramik (Produktname Ice Nugget) in der Küche als Arbeitsplatte und im Badezimmer als Wandverkleidung.

WENIGER MATERIAL

KOMPOSTIERUNG Eine Kompostierung bedeutet die Aufspaltung der Stofflichkeit und der Physiognomie eines biologischen Materials bis auf die Molekularebene. Neben den vielen kompostierbaren Holzbauteilen in der UMAR Unit beherbergt sie ein besonders eindrückliches Beispiel biologisch abbaubarer Baumaterialien: Pilzorganismen. Die Gesamtheit der fadenförmigen Zellen eines Pilzorganismus bezeichnet man als Myzel, eine schnell und dicht wachsende Matrix, die als biologischer Klebstoff nutzbar gemacht werden kann. Auf der Suche nach Nährstoffen in pflanzlichen Abfallprodukten, in diesem Fall Sägemehl und Stroh, verdichtet sich das Myzel-Netzwerk und bindet das zur Verfügung stehende Substrat zu einem rein biologischen Verbundwerkstoff.14 In der UMAR Unit wurden Produkte auf Myzelbasis

PRODUKTE ALS DIENSTLEISTUNG

Das Nachhaltigkeitsziel der Suffizienz strebt danach, weniger Material unter Beibehaltung einer gleichen Funktionalität einzusetzen. Die so bei der Planung von Gebäuden eingesparte Materialmenge muss gar nicht erst produziert, verbaut und anschließend wieder einem biologischen oder technischen Stoffkreislauf zugeführt werden. Die UMAR Unit wendet dieses Konzept zum Beispiel auf die interne Verkabelung an, indem nach Möglichkeit drahtlose Anwendungen präferiert wurden. So erzeugen zum Beispiel die Lichtschalter selbst mit Hilfe eines kleinen internen Dynamos im Moment des Drückens auf den Schalter die notwendige elektrische Energie zum Versenden eines Signals an die Gebäude­automation, welche in der Folge das Licht an- oder ausschaltet. Die Schalter kommen auf diese Weise sowohl ohne Kabel als auch ohne Batterien aus.

Unter diesem Begriff versteht sich die Nutzung eines Materials oder Produkts in Form einer Dienstleistung, ohne dass man dessen Besitzer ist. Derartige innovative Geschäftsmodellkonzepte15 versprechen einen hohen ökologischen und sozialen Nutzen durch ökonomische Anreize. Aus der Sicht des Herstellers ist das Konzept „Produkt als Dienstleistung“ profitabel, da (sobald ein kreislaufgerechtes Produkt entwickelt und produziert wurde) das Eigentum an Wissen, Arbeitskraft, Energie und Rohstoffen im Unternehmen verbleibt, was Planungssicherheit und Unabhängigkeit von einem zunehmend unsicheren Rohstoffmarkt gewährleistet. Folglich werden einfache Rückgabekonzepte, rückbaubare Konstruktionen, Reparaturfreundlichkeit, Langlebigkeit (nur dann ist das Produkt wirklich rentabel) und Wieder-

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verwendung zu integralen Elementen langfristiger Geschäftsmodelle. Dadurch wächst beim Hersteller und Designer auch das Bewusstsein für Produkthaftung, Haltbarkeit, Materialauswahl und Entsorgungskosten. Im Produktdesign und in der Mobilität haben solche Geschäftsmodelle die Wirtschaft bereits nachhaltig verändert, mit prominenten Sharing-Diensten für Musik, Filme, Autos, Fahrräder oder Kleidung. Im Baugewerbe gewinnen Produkt-als-Dienstleistung-Konzepte rasch an Interesse, jedoch haben noch nicht viele solcher Bauelemente den Markt erreicht. Ein Beispiel: Teppiche der niederländischen Firma DESSO/Tarkett wurden als Dienstleistung in der UMAR Unit installiert. Rücken und Schlaufen sind sortenrein und trennbar gefertigt und können somit zu 100 % wiederverwertet werden. Auch wird der Teppich am Boden nicht verklebt, sondern nur verspannt bzw. geklemmt und weist somit nach Rückbau keine Verunreinigungen durch Klebereste auf. Warum also das Material aus der Hand geben? Die ausgebauten Teppichböden kehren wieder zum Hersteller zurück, um am Ende einer Nutzungszeit wieder zu neuen Teppichen verwertet zu werden.

NEUARTIGE MATERIALDATENBANKEN Die UMAR Unit wurde als Prototypologie16 für einen Paradigmenwechsel zum kreislaufgerechten Bauen entworfen und gebaut. Daher ist die Dokumentation des Entwurfsprozesses, der Konstruktionsdetails und der Fabrikationsmethoden sowie der eingesetzten Materialien und Produkte ein entscheidender Aspekt des Projekts. In der Einheit bietet eine Materialsammlung mit weiterführenden Angaben Muster aller im Bau verwendeten Materialien. Diese Beispiele sind zusätzlich mit einer digitalen Materialbibliothek mit weiterführenden Informatio-

nen, Datenblättern und Kontaktdaten auf der Projektwebsite17 verknüpft. Zusätzlich verfügt die Unit über digitale Material- und Gebäudepässe, welche die Materialeigenschaften, Dimensionen, Verbindungen und Wertigkeiten der eingebauten Produkte speichert.18 Eine derartig detaillierte Dokumentation auf Gebäudeebene versteht sich als ein erster Schritt zur Schaffung eines städtischen Bestandsmanagements kreislaufgerechter Materialien und Konstruktionen. Es soll Auskunft darüber geben, welche Materialien in welchen Mengen und Qualitäten wann und wo wieder zur Verfügung stehen werden. Dabei treten jedoch schnell Fragen zu Big-Data-Management, Datensicherheit, Dateiformaten, Gerichtsbarkeit und vielen weiteren Aspekten einer solchen Unternehmung in den Vordergrund. Der UMAR Datensatz wurde aufgrund der einzigartigen Konsequenz des Projekts und der Vollständigkeit der Daten bereits mehrfach zur Grundlage aktueller Forschungsarbeiten, beispielsweise zur Frage, ob sich Materialpässe in der Blockchain besser speichern und kontrollieren lassen oder wie sich mehrere Nutzungszyklen eines Materials in einer neuartigen Ökobilanz gerechter abbilden lassen. Weitere Forschungen umfassen zum Beispiel eine fortlaufende Analyse der Nutzung der Unit als bewohntes Labor sowie die Haltbarkeit und Handhabung verwendeter Materialien in verschiedenen Nutzungszyklen. Eine weitere und finale Aufgabe dieses Projekts wird sicherlich die geplante Demontage der Unit und die anschließende Wiedereinführung von Materialien und Produkten in ihre jeweiligen Materialkreisläufe sowie die Dokumentation und Bemessung dieses Vorgehens durch interdisziplinäre Teams der Empa, des Karlsruher Instituts für Technologie und der Cornell University werden.

Weiterlesen ▶ Materialeinsparung, „Tragfähigkeit durch Geometrie und Materialeffektivität“, S. 72 ▶ Produkte als Dienstleistung, „Kühlung als Dienstleistung“, S. 130 ▶ Biologische und technische Kreisläufe, „Nachhaltigkeit – Die Wichtigkeit einer ganzheitlichen ­Betrachtung“, S. 10

14  F. Heisel, K. Schlesier, J. Lee, M. Rippmann, N. Saedi, A. Javadian, B. Philippe und D. E. Hebel, „Design of a load-bearing mycelium structure through informed structural engineering: The MycoTree at the 2017 Seoul Biennale of Architecture and Urbanism“, in: Proceedings of the World Conference on Sustainable Technologies. Cambridge: WCST, 2017. 15  W. Stahel, The performance economy. London: Palgrave Macmillan, 2. Aufl. 2010; T. Rau und S. Oberhuber, Material Matters. Berlin: Econ, 2018. 16  Felix Heisel und Dirk E. Hebel, „Pioneering Construction Materials through Prototypological Research“, Biomimetics, 4 (3), 2019, S. 56. 17  Urban Mining and Recycling, https://www.nest-umar.net (aufgerufen am 29.09.2018). 18  Felix Heisel und Sabine Rau-Oberhuber, „Calculation and Evaluation of Circularity Indicators for the Built Environment Using the Case Studies of UMAR and Madaster“, Journal of Cleaner Production, 243 (Sonderheft „Urban Mining“).

PROJEKTANGABEN Konzept, Entwurf und Bauplanung Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel, Stuttgart und Karlsruhe, Deutschland (Projektmanagement: Werner Sobek Group, Bernd Köhler, Frank ­Heinlein) Generalunternehmer Kaufmann Zimmerei und Tischlerei GmbH, Reuthe, Österreich (Matthias Kaufmann) Gebäudetechnik Amstein-Walthert AG, Zürich, Schweiz (Projektmanagement: Simon Büttgenbach) Bauträger Empa Eidgenössische Material­ prüfungsanstalt, Dübendorf, Schweiz (Enrico F. Marchesi, Reto Fischer)

Anhang

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ANHANG

DANK

ÜBER DIE AUTOREN

Unser Dank gilt zuerst allen Autoren dieses Buchs: Ken Webster, Gretchen Worth, Anthea Fernandes, Jennifer S. Minner, Christine O’Malley, Allexxus Farley-Thomas, Kerstin Müller, Andrew Roblee, Mark Milstein, Diane Cohen, Robin Elliott, Shawn Wood, Philippe Block, Anja Rosen, Annette Hillebrandt, Joshua R. Gassman, RAU Architekten, Dominik Campanella, Sabine RauOberhuber, EFFEKT, Dave Mackerness und Erin Meezan. Ohne deren Bereitschaft, ihre Überzeugungen, Aufrufe, Visionen, Arbeiten, Recherchen und Forschungsergebnisse hier zu präsentieren, wären dieses Buch und der daraus entstehende Diskurs nicht möglich gewesen. Unser Dank geht zudem an beide Teams des KIT in Karlsruhe und der Cornell University in Ithaca: Elena Boermann, Katharina Blümke, Daniel Lenz, Sebastian Kreiter und Damun Jawanrudi, für ihren unermüdlichen Einsatz, die Grafiken zu zeichnen und zu verbessern, die Texte zu redigieren und zu korrigieren und den intensiven Austausch mit unseren Autoren zu pflegen. Wir bedanken uns bei unseren Universitäten, dem Karlsruher Institut für Technologie KIT und dem Cornell College of Architecture, Art, and Planning und deren Fakultäten für Architektur für die motivierende Unterstützung. Und ein besonderer Dank gilt unserem Lektor Andreas Müller und dem Birkhäuser Verlag sowie dem Grafiker dieses Buchs, Tom Unverzagt, für ihr Vertrauen, ihre Passion und ihre herausragende Kreativität.

Dirk E. Hebel ist Professor für Nachhaltiges Bauen und Dekan der Fakultät für Architektur am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er ist Autor zahlreicher Buchpublikationen, zuletzt Urban Mining und kreislaufgerechtes Bauen (Fraunhofer IRB, 2021, mit Felix Heisel). Er ist Mitbegründer und Partner von 2hs Architekten und Ingenieur Part GmbB Hebel Heisel Schlesier und praktiziert Architektur mit einem Fokus auf ressourcengerechtes Bauen und kreislaufgerechten Materialeinsatz. Seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt, jüngst in Plastic: Remaking our world, Vitra Design Museum Weil am Rhein (2022), und Environmental Hangover von Pedro Wirz (beide mit Nazanin Saeidi, Alireza Javadian, Sandra Böhm und Elena Boerman), Kunsthalle Basel (2022), sowie Sorge um den Bestand, BDA, Berlin und andere Orte (2020–). Als Fakultätsverantwortlicher gemeinsam mit Prof. Andreas Wagner gewann er den ersten in Deutschland ausgetragenen Solar Decathlon Wettbewerb 2022 in Wuppertal als Teil des Teams RoofKIT (Regina Gebauer und Nicolas Carbonare). Felix Heisel ist Architekt und forscht an einer systematischen Neugestaltung unserer gebauten Umwelt als Rohstofflager in einem endlosen Kreislauf von Nutzung und Rekonfiguration. Er ist Assistenzprofessor an der Fakultät für Architektur und Direktor des Circular Construction Lab am College of Architecture, Art, and Planning der Cornell University. Heisel ist Gründungspartner des Netzwerks Circularity, Reuse, and Zero Waste Development (CR0WD) im US-Bundesstaat New York sowie von 2hs Architekten und Ingenieur PartGmbB Hebel Heisel Schlesier in Deutschland, einem Büro, das sich auf die Entwicklung kreislaufgerechter Prototypologien spezialisiert hat. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, und er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Fachartikel zum Thema, darunter Urban Mining und kreislaufgerechtes Bauen (Fraunhofer IRB, 2021, mit Dirk E. Hebel), Cultivated Building Materials (Birkhäuser, 2017, mit Dirk E. Hebel) und Building from Waste (Birkhäuser, 2014, mit Dirk E. Hebel und Marta H. Wisniewska). Felix Heisel ist Absolvent der Universität der Künste Berlin und lehrte und forsch-

te international an Hochschulen wie dem Berlage-Institut, dem Ethiopian Institute of Architecture, Building Construction, and City Development, dem Future Cities Laboratory in ­Singapur, der ETH Zürich und der Harvard Graduate School of Design. Ken Webster ist Visiting Fellow an der Cranfield University und war zuvor als Head of Innovation bei der Ellen MacArthur Foundation tätig. Sein Buch The Circular Economy: A Wealth of Flows (Ellen MacArthur, 2. Aufl. 2017) zeigt die Zusammenhänge zwischen dem Denken in Systemen, Chancen auf makro- und mikroökonomischer Ebene und dem Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft auf. Er ist Mitglied der Transformational Economics Commission des Club of Rome und Mitautor von Earth For All (2022). Er trägt regelmäßig zu Konferenzen, Workshops und Seminaren auf der ganzen Welt bei. Philippe Block ist Professor am Institut für Technologie in der Architektur (ITA) der ETH Zürich, wo er gemeinsam mit Dr. Tom Van Mele die Block Research Group (BRG) leitet. Er ist Direktor des Schweizerischen Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Digitale Fabrikation und Gründungspartner von Foreign Engineering. Philippe Block studierte Architektur und Bauingenieurwesen an der Vrije Universiteit Brussel und am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo er 2009 promovierte. Seine Forschungstätigkeit in der BRG konzentriert sich auf die computer­gestützte Formfindung, Optimierung und Konstruktion von gekrümmten Oberflächenstrukturen, wobei der Schwerpunkt auf unbewehrten Mauerwerksgewölben und Betonschalen liegt. Dominik Campanella ist Mitgründer von Concular und restado. Concular ist eine digitale Plattform für kreislaufgerechtes Bauen und restado ist der europaweit größte Marktplatz für wiedergewonnene Materialien. Er verfügt über einen Bachelor-Abschluss in Informatik (Universität Mannheim) und einen Master-Abschluss in Management (HEC Paris). Nachdem er mehrere Jahre in verschiedenen Positionen und Ländern für Google tätig war, gründete er im Jahr 2020 Concular. Dominik Campanella ist Mitglied der Leadership Group der EU Circular Economy Stakeholder Platform

und des Fachbeirats für kreislaufgerechtes Bauen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Diane Cohen ist Geschäftsführerin von Finger Lakes ReUse, Inc., einer gemeinnützigen Organisation, die im Jahr 2007 gegründet wurde, um zur Reduzierung des Abfallaufkommens beizutragen und die lokale Wertschöpfung durch Reinvestitionen vor Ort zu fördern. Seit 2001 ist sie im Bereich des Wertstoffmanagements tätig. Im Jahr 2021 erhielt Diane Cohen den Lifetime Achievement Award von NYSAR³ (New York State Association for Reduction, Reuse and Recycling). Finger Lakes ReUse hat mehrere weitere Auszeichnungen erhalten, darunter den New York State Environmental Excellence Award, den Environmental Champion Award der US-Umweltbehörde (Environmental Protection Agency; EPA) und den „Best of the Best“ Readers Choice Award des Ithaca Journal für das beste Kaufhaus. EFFEKT ist ein forschungsbasiertes, multidisziplinäres Architektur- und Planungsbüro mit Sitz in Kopenhagen. Das Unternehmen wurde 2007 gegründet und beschäftigt derzeit 55 Vollzeitmitarbeitende unter der kreativen Leitung der beiden Gründungspartner Tue Foged und Sinus Lynge. Wie auch im Deutschen steht das dänische Wort „EFFEKT“ für „Auswirkung“. Dem Büro zufolge geht es in der Architektur und Stadtplanung vor allem darum, eine dauerhaft positive Auswirkung auf unsere Umwelt und unseren Planeten zu erzielen. In den letzten Jahren hat sich EFFEKT in der nationalen und internationalen Architekturszene durch mehrere prestigeträchtige und preisgekrönte Projekte hervorgetan, darunter der Camp Adventure Forest Tower, das Urban Village Project, GAME Streetmekka Viborg, ReGen Villages sowie einige der größten Stadtentwicklungsprojekte in Dänemark: Rosenhøj, Gellerup und Vinge. Robin Elliott lebt in Ithaca im USBundesstaat New York und ist seit 2016 bei Finger Lakes ReUse aktiv. In ihrer derzeitigen Funktion als Associate Director bei Finger Lakes Re­Use ist sie vor allem mit Fundraising, Kommunikation und Gemeinschaftsprogrammen befasst. Sie interessiert sich leidenschaftlich für

alles, was mit dem Thema Gerechtigkeit als Paradigma für eine nachhaltigere Zukunft verbunden ist. Allexxus Farley-Thomas erwarb ihren Master of Architecture an der Cornell University im Jahr 2021. Während ihres Studiums arbeitete sie als Research Assistant im Robotic Construction Lab und als Werkstattassistentin und spezialisierte sich auf Arbeitsabläufe und Werkzeuge für 6-Achsen-Roboter. Nach ihrem Abschluss verbrachte sie sechs Monate als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Circular Construction Lab, wo sie sich mit neuen Trends in Architektur, Bau- und Ingenieurwesen sowie der robotergestützten Fertigung für die Wiederverwendung von Materialien befasste. Derzeit ist sie als Architectural Designer tätig und forscht in den Bereichen Fertigung und Datenwissenschaft für den Aufbau neuer Datenbanken im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft. Anthea Fernandes ist Stadtplanerin und arbeitet mit Gemeinden, kommunalen und bundesstaatlichen Behörden in den USA zusammen, um Studien zur Mobilitätsplanung, Strategien für die Stadtplanung und Straßeninfrastrukturen zu entwickeln, die Quartiere lebenswert und resilient machen. Dabei sollen Orte durch entsprechende Planung und Mobilisierung der Gemeinschaft sicher und inklusiv gestaltet werden. Anthea Fernandes erwarb an der Cornell University einen Master of Regional Planning mit dem Nebenfach Denkmalpflege. Während ihres Studiums erhielt sie von der Cornell University das Alan Black Transportation-Related Grant (2020/2021) – ein Stipendium für ihre Forschungsarbeit zu geschlechterspezifischen Erfahrungen, Mobilität und Sicherheit im öffentlichen Raum – sowie den Outstanding Student Project Award des New York Upstate Chapter der American Planning Association (APA) im Jahr 2021. Als ausgebildete Architektin und Denkmalpflegerin engagiert sie sich für das Just Places Lab und das Netzwerk Circularity, Reuse, and Zero Waste Development (CR0WD) an der Cornell University. Joshua Gassman, RA, LEED AP BD+C, ist Principal und Sustainable Design Director des in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia ansässigen Architektur- und Planungsbüros Lord Aeck Sargent Planning and Design.

Das Büro widmet sich der ganzheitlichen Ausführung komplexer, auf Nachhaltigkeit ausgerichteter Projekte. Mit einem breit gefächerten Portfolio unterschiedlichster Auftraggeber konzentriert sich Joshua Gassman in seiner beruflichen Laufbahn auf technisch anspruchsvolle Vorhaben mit großen, multidisziplinären Beratungsteams. Er verfügt über umfassende Kenntnisse des LEED-Systems (Leadership in Energy and Environmental Design) des U.S. Green Building Council (USGBC) sowie der Living Building Challenge (LBC) des International Living Future Institute (ILFI). Joshua Gassman verfügt über Abschlüsse der Arizona State University und der Washington University in St. Louis. Er ist akkreditierter LEED-Experte (BD+C), verfügt über eine NCARB-Zertifizierung und ist Mitglied mehrerer Fachverbände, darunter des AIA Atlanta Committee on the Environment, der Georgia Solar Energy Association, des Southface Energy Institute, des I²SL (International Institute for Sustainable Laboratories), des USGBC und des International Living Future Institute (ILFI). Er ist Mitglied des Vorstands von Georgia Audubon und Co-Vizepräsident des Georgia Chapter des I²SL. Annette Hillebrandt ist seit 1994 freischaffende Architektin und derzeit, nach seit 2001 wahrgenommenen Professuren in Kaiserslautern und Münster, Inhaberin des Lehrstuhls für Baukonstruktion | Entwurf | Materialkunde an der Bergischen Universität Wuppertal. Als Partnerin von in Köln ansässigen Planungsbüros wurde sie für ihre Entwürfe mehrfach ausgezeichnet. Neben Mitgliedschaften in Entwurfsprüfungsgremien und Preisgerichten engagierte sie sich von Beginn an in der Expertengruppe „Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit“ der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Für ihr Engagement wurde sie 2015 mit dem Urban Mining Award und 2020 mit dem Hans Sauer Award geehrt. Annette Hillebrandt forscht und publiziert zu den Kreislaufpotenzialen im Bau­ wesen (www.urban-mining-design. de; Handbuch Recycling, Edition DETAIL, 2018) und ist Initiatorin einer öffentlich zugänglichen Informationsplattform für Baustoffe (www. material-bibliothek.de, seit 2010) sowie Mitinitiatorin eines bundesweiten Studierendenwettbewerbs (www.urbanminingstudentaward.de, seit 2018). Sie ist Gründungsmitglied

der Initiative „Bauhaus der Erde“, Mitglied des hochrangigen Workshops zum Thema Forschung und Innovation für das „New European Bauhaus“ sowie Mitglied der Kommission Nachhaltiges Bauen am Umweltbundesamt (KNBau, seit 2022). Dave Mackerness leitet das Customer Success Team der Kaer Pte Ltd, wo er für die Markenpräsenz des Unternehmens für das regionale „Airconditioning as a Service“-Portfolio verantwortlich ist. Ausgehend von seiner Spezialisierung auf das Endverbrauchermarketing und von über zehn Jahren Erfahrung in der Bauindustrie legt er seinen Schwerpunkt auf die Gewinnung von Daten und Informationen zur Kundenzielgruppe, die in die Produktentwicklung und die Plattform zur Kundenbindung von Kaer einfließen. Als Verfechter der Kreislaufwirtschaft und des „Product as a Service“Ansatzes gibt Dave Mackerness regelmäßig seine Erfahrungen an große multinationale Unternehmen und Start-ups weiter, die eine Umstellung auf dieses bahnbrechende Geschäftsmodell planen. Erin Meezan ist Pionierin der Nachhaltigkeit und gefragte Referentin zu den Themen nachhaltiges Wirtschaften, Klimaschutz und Dekarbonisierung der gebauten Umwelt. Sie verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Begleitung der Nachhaltigkeitsstrategie der Firma Interface, Inc., und ist dort derzeit Vice President und Chief Sustainability Officer. Im Unternehmen leitet sie ein globales Team, das technische Unterstützung für das weltweite Geschäft des Unternehmens anbietet und sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auf allen Ebenen befasst. Zudem ist es ihr Anliegen, im Rahmen der aktuellen Nachhaltigkeitsmission des Unternehmens, Climate Take Back™, für Interface und andere Beteiligte Möglichkeiten zu schaffen, auf eine Umkehrung der Erderwärmung hinzuwirken. Mark Milstein ist Clinical Professor für Management und Direktor des Center for Sustainable Global Enterprise an der Samuel Curtis Johnson Graduate School of Management der Cornell University. Er betreibt angewandte Forschung und leitet die Tätigkeit des Zentrums in den Bereichen Markt und Unternehmensgründung, Unternehmensentwicklung, Vermarktung ökologischer Techno-

logien und nachhaltige Finanzierung. Dr. Milstein begreift die sozialen und ökologischen Herausforderungen als bislang unbefriedigte Marktbedürfnisse, die von der Privatwirtschaft durch Innovation und unternehmerisches Denken effektiv erfüllt werden können. So können Unternehmen finanziellen Erfolg erzielen, indem sie Probleme wie Klimawandel, Zerstörung von Ökosystemen und Armut auf kreative Weise angehen. Er hat Fördermittel von der National Science Foundation, der Bill & Melinda Gates Foundation, der Rockefeller Foundation, der World Bank und anderen Trägern erhalten und mit mehr als 100 Unternehmen in einer Reihe von Branchen zusammengearbeitet, darunter erneuerbare Energien und CO₂-Handel, Biowissenschaften und nachhaltige Landwirtschaft sowie Finanzwesen und internationale Entwicklung. Jennifer S. Minner ist Associate Professor an der Fakultät für Stadtund Regionalplanung der Cornell University. Sie leitet das Just Places Lab, eine interdisziplinäre Plattform für Forschung und kreatives Handeln mit Fokus auf Gemeinschaftsgedächtnis, öffentliche Vorstellungskraft und die sozial gerechte Bewahrung von Orten. Ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit konzentriert sich auf die Bereiche Flächennutzung und Raumplanungsmethoden, Denkmalschutz und Wiederverwendung von Gebäuden und Baumaterialien sowie gerechte Stadtentwicklung und kreative Ortsgestaltung. Sie ist eine der Gründungspartnerinnen des Netzwerks Circularity, Reuse, and Zero Waste Development (CR0WD). Jennifer S. Minner ist National Conference Chair der Association of Collegiate Schools of Planning und gehört dem Redaktionsbeirat des Journal of the American Planning Association an. Kerstin Müller ist Dipl.-Ing. Architektin und hat an der Universität Stuttgart sowie an der École d'architecture de Lyon Architektur studiert. Sie arbeitete ab 2013 im Baubüro in situ, Basel, als Architektin und begleitete dort mehrere Wiederverwendungsprojekte. Zuvor sammelte sie langjährige internationale Erfahrung in Vancouver und Wien. Ab 2019 war sie Mitglied der Geschäftsleitung der baubüro in situ ag. Seit 2020 ist sie Geschäftsführerin der zirkular gmbh, Basel, Zürich, Fachplanung für Kreislaufwirtschaft und Wiederverwendung im Bauwesen.

156 — 157

ANHANG

Sie verantwortet bei zirkular die inhaltliche Ausrichtung und vertritt die Wiederverwendungsprojekte in der Öffentlichkeit. Sie ist im Vorstand des Vereins Cirkla, Schweiz, der die Wiederverwendung von Bauteilen fördert. Zudem vertritt sie die deutsche Architektenkammer im Klimabeirat der Stadt Lörrach und ist Mitglied der Strategiegruppe „Klima Energie Nachhaltigkeit“ der Architektenkammer Baden-Württemberg. Im Jahr 2022/2023 hat sie an der KIT-Fakultät für Architektur in Karlsruhe eine von der Sto-Stiftung finanzierte Gastprofessur inne, zum Thema „Sustainable Materials for a New Architectural Practice – Entering a Circular Economy“. Christine O’Malley ist für Historic Ithaca tätig. Ihre Aufgaben umfassen Denkmalpflege und Forschung, und sie leitet die Aktivitäten der Organisation in den Bereichen Bildung, Interessenvertretung und bürgerschaftliches Engagement. Sie hat erfolgreich lokale Verfahren zur Ausweisung von Baudenkmälern und Nominierungen für das National Register durchgeführt. Christine O’Malley ist ehemaliges Vorstandsmitglied des Vernacular Architecture Forum und hat auf mehreren nationalen Konferenzen und Symposien Vorträge zu Themen der Erhaltung und Wiederverwendung sowie der Geschichte der US-amerikanischen Architektur gehalten. Als Mitglied des Netzwerks Circularity, Reuse, and Zero Waste Development (CR0WD) beteiligt sie sich an den laufenden Aktivitäten zur Förderung von Wiedergewinnung, Rückbau und Nachhaltigkeit. RAU Architekten/Thomas Rau ist Architekt, Unternehmer, Innovator und anerkannter Vordenker für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Sein Büro RAU wurde als führend bei der Entwicklung innovativer, CO₂-neutraler, energiepositiver und kreislauforientierter Gebäude als Norm gewürdigt. Thomas Rau wurde zum niederländischen Architekten des Jahres 2013 gewählt und für seinen umfassenden Beitrag zur Förderung und Umsetzung nachhaltiger Architektur und zur Sensibilisierung für die Kreislaufwirtschaft durch auf internationaler Ebene gehaltene Vorträge, TV-Dokumentationen, TED-Talks und Publikationen mit dem ARC13 Oeuvre Award geehrt. Im Jahr 2016 wurde er für den Circular Economy Leadership Award des Weltwirtschaftsforums nominiert.

Er erhielt den Circular Hero Award 2021 von dem in den Niederlanden zuständigen Ministerium für Kreislaufwirtschaft für seine tatkräftige und bahnbrechende Arbeit zur Etablierung einer Kreislaufwirtschaft. Sabine Rau-Oberhuber ist Ökonomin und Geschäftsführerin von Turntoo, das im Jahr 2010 als erstes niederländisches Unternehmen mit dem Ziel der Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft gegründet wurde. Turntoo arbeitet mit Herstellern zusammen und berät Kunden, um neue Prozesse und Methoden zu fördern, die Materialabfälle reduzieren oder vermeiden. Darüber hinaus unterstützt das Unternehmen Kommunen bei Strategien für die kreislaufgerechte Stadt und bei der Raumplanung. Turntoo betrachtet die notwendige Transformation auf vier Ebenen: das Design von Produkten und Lieferketten, die damit verbundenen Finanz- und Geschäftsmodelle, die den Wandel unterstützende Daten- und IT-Infrastruktur und die mentale Transformation, die zu einer neuen Denkweise führt. Das multidisziplinäre Team von Turntoo berät Kunden, die ihre Tätigkeit auf ein regeneratives Modell umstellen wollen. Zusammen mit Thomas Rau ist Sabine Rau-Oberhuber Koautorin des Buches Material Matters (deutsche Ausgabe Econ, 2018), das unsere derzeitigen linearen Systeme von Produktion, Konsum und Abfall analysiert und kritisch beleuchtet und ein neues Wirtschaftsparadigma vorschlägt, um den Status quo radikal zu verändern. Andrew Roblee ist President der Roblee Historic Preservation, LLC, und verfügt über umfassende Qualifikationen in der denkmalpflegerischen Planung und der Bewertung historischer Ressourcen. Bevor er an der Cornell University seinen Master-Abschluss in denkmalpflegerischer Planung erwarb, war er zehn Jahre im Baugewerbe tätig und blickt mit Stolz auf diese Zeit zurück, denn dadurch konnte er sein Verständnis für Bausysteme und Denkmalschutz ergänzen und erweitern. Sein Geschichtsstudium und sein nachhaltiges Interesse am Handwerk und an Bausystemen führten ihn zur Denkmalpflege. Er hat im US-Bundesstaat New York Vorträge über Denkmalpflege und ökologische Nachhaltigkeit gehalten. Andrew Roblee ist derzeit Vorsitzender der Preservation Association of Central New York (PACNY)

sowie Gründungspartner des Netzwerks Circularity, Reuse, and Zero Waste Development (CR0WD). Anja Rosen ist Architektin und hat als Geschäftsführerin der energum GmbH (agn-Gruppe) das UrbanMining-Konzept für das Rathaus Korbach entwickelt. 2022 gründete sie mit Frauke Kaven in Münster die C5 GmbH. 2020 promovierte sie an der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) mit dem „Urban Mining Index“ und wurde dort 2021 zur Honorarprofessorin für zirkuläres Bauen berufen. Dr. Rosen ist Gründungsmitglied der re!Source Stiftung e. V. und setzt sich auch als aktives Mitglied der DGNB für eine Ressourcenwende in der Bauwirtschaft ein. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet: So gewann sie 2021 mit dem Urban Mining Index die DGNB Sustainability Challenge in der Kategorie Forschung. Der von ihr mitverantwortlich verfasste Atlas Recycling (Edition Detail, 2018) wurde 2020 mit dem Hans Sauer Award ausgezeichnet. Shawn Wood ist als Spezialist für Bauabfälle im Büro für Planung und Nachhaltigkeit der Stadt Portland tätig. Er hat an der Virginia Tech Architektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung studiert und verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Planung und Entwicklung in regionalen und kommunalen Behörden sowie im Privatsektor. Seit acht Jahren konzentriert sich Shawn Wood auf die Entwicklung und Umsetzung von Richtlinien für den Rückbau und die Wiederverwendung von Baumaterialien sowie auf die Beratung anderer staatlicher Stellen und Organisationen, die ähnliche Maßnahmen zur Reduzierung des in der gebauten Umwelt gebundenen CO₂ verfolgen. Gretchen Worth ist Projektleiterin am Susan Christopherson Center for Community Planning, das mit Gemeinden im US-Bundesstaat New York zusammenarbeitet, um deren Bemühungen um eine gerechtere und klimaresilientere gebaute Umwelt zu unterstützen. Das Christopherson Center ist einer der Gründungspartner des Netzwerks Circularity, Reuse, and Zero Waste Development (CR0WD).

ABBILDUNGSNACHWEIS Arcadis landschapsarchitectuur, Timo Cents  110: 4 ARGE agn – heimspiel architekten  82: 3; 86: 12; 87: 13; 88: 14 baubüro in situ  45: 2 Block Research Group  75: 4 Elena Boerman, Sebastian Kreiter, Tom Unverzagt  14: 1; 15: 2; 17: 3; 18: 4; 19: 5; 20: 6; 25: 1 Zooey Braun  143: 1; 144: 2; 148: 10; 149: 11, 12; 150: 13; 151: 14; 152: 16, 17 Christina Bronowski  45: 3 Jan Brütting, SwissGrid AG  45: 1 Sean Campbell, Robyn Wishna, Robin Elliott, Diane Cohen  57: 1; 58: 2; 59: 3, 4; 60: 5, 6, 7 Concular/Thomas Jones  115: 1; 116: 2, 3, 4, 5; 117: 6, 7 EFFEKT  123: 1; 124: 2, 3; 125: 4, 5; 126: 6; 127: 7 Empa  151: 15 Allexxus Farley-Thomas, Circular Construction Lab  40: 4 Anthea Fernandes, Just Places Lab  33: 1; 34: 2; 35: 3 Good Wood  65: 5 Felix Heisel  36: 4, 5; 41: 5, 6; 42: 7, 8; 121: 3, 4; 147: 8 (mit Laura Mrosla); 9 (mit Sara Schäfer) Jonathan Hillyer  106: 3; 107: 4, 5, 6 incremental3D  74: 2 Jason Koski, Cornell UREL  39: 1, 2; 40: 3; 42: 9 Juney Lee  77: 5 Lord Aeck Sargent und Uzun & Case  105: 1, 2 David Mackerness, Kaer Pte Ltd  131: 1; 132: 2, 3; 133: 4 Madaster  118: 1; 119: 2 Joseph McGranahan, Circular Construction Lab  42: 10, 11; 43: 12 Jennifer Minner  37: 6 naaro  73: 1 Northwest Deconstruction Specialists  63: 2; 67: 6 Antje Paul  83: 7 Christopher Payne/Esto  134: 1, 2; 135: 3; 137: 4, 5, 6 Portland BPS  62: 1, 64: 3 Preton AG  48: 6 (aus Schweizerische Bauzeitung, 35, 1966) Rapp Architekten/Lichtbox Basel  113: 7 Matthias Rippmann  75: 3 Anja Rosen  81: 1; 82: 4, 5, 6; 84: 8, 9; 85: 11; 89: 15; 90: 16, 17, 18, 19 Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel  145: 3, 4 Structural Exploration Lab, EPFL  49: 8 Christian Thomann, agn  81: 2 Universität Kassel/CESR  85: 10 Alexander van Berge  109: 1; 110: 3

Ossip van Duivenbode  110: 2; 112: 5, 6 Shawn Wood  65: 4 Wojciech Zawarski  146: 5, 6, 7 Martin Zeller, Basel  50: 9; 51: 10, 11 Zirkular  47: 5; 48: 7

PERSONENREGISTER Auken, Ida  138 Bastien-Masse, Maléna  49 Beck, Roger  43 Behrens, William W. III  15 Bennink, Dave  43 Block, Philippe  72–77 Bork, Hans-Rudolf  11 Braungart, Michael  18, 20, 21, 24, 26 Brundtland, Gro Harlem  16 Brütting, Jan  45 Büttgenbach, Simon  153 Campanella, Dominik  114–117 Carlowitz, Carl von  12, 13, 15 Carson, Rachel  13, 15 Churkina, Galina  20 Cohen, Diane  43, 56–61 Cook, James  10 Darwin, Charles  24 Desruelle, Joseph  45 Devènes, Julie  49 Diamond, Jared  11 Earle, Patti  43 Eiklor, Kasey  43 Elliott, Robin  56–61 Erasmus von Rotterdam  118 Farley-Thomas, Allexxus  38–43 Fernandes, Anthea  32–37 Fischer, Reto  153 Fivet, Corentin  45, 49 Forrester, Jay  15 Gassman, Joshua R.  104–107 Grotenboer, Dennis  113 Hannan, Scott  43 Hansen, James E.  93 Hebel, Dirk E.  10–23, 30, 31, 70, 71, 100, 101, 142–153 Heinlein, Frank  153 Heisel, Felix  10–23, 30–43, 70, 71, 100, 101, 142–153 Hillebrandt, Annette  96, 97, 102, 103 Hirigoyen, Julie  26 Holland, Susan  43 Jantsch, Erich  13 Joachim, Mitchell  22 Kaufmann, Matthias  153 King, Alexander  13 Köhler, Bernd  153 Kohnstamm, Max  13 Küpfer, Célia  49 Mackerness, Dave  130–133 Makwana, Rajesh  95 Marchesi, Enrico F.  153 Marsh, Dave  43 McDonough, William  18, 20, 21, 24, 26 Meadows, Dennis L.  13, 15 Meadows, Donella H.  15 Meezan, Erin  134–137 Miller, Daniel H.  93 Milstein, Mark  54, 78, 79, 128, 129 Minner, Jennifer S. 32–37, 43, 52, 53 Mulder, Erik  113 Müller, Kerstin  44–51 Noordam, Michael  113 Novarr, John  43

O’Malley, Christine  32–37 Organschi, A.  20 Otto, Frei  72 Pascucci, Stefano  24 Payne, Christopher  134, 135, 137 Peccei, Aurelio  13 Randers, Jørgen  15 Rau, Thomas  113 Rau-Oberhuber, Sabine  118–121 Rees, William  17, 18 Reyer, C. P. O.  20 Robert, Karl-Henrik  16 Roblee, Andrew  52, 53 Roggeveen, Jacob  10 Rosen, Anja  80–91 Saint-Geours, Jean  13 Schmitt, Harrison  13 Segal, Paul  95 Senatore, Gennaro  45 Sobek, Werner  142, 153 Stahel, Walter  139, 146 Stone, Gideon  43 Thiemann, Hugo  13 von der Leyen, Ursula  22 Wabbes, Jules  148, 151 Wackernagel, Mathis  17, 18 Webster, Ken  24–27, 92–95, 138, 139 Wood, Shawn  62–67 Worth, Gretchen  32–37, 43

REGISTER DER FIRMEN, INSTITUTIONEN UND INITIATIVEN

Accademia dei Lincei  13 agn  80, 82 Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft 22 Amstein-Walthert AG  153 Arcadis 113 Architects for Future Deutschland  102 Arnot Realty  43 Baubüro in situ  46, 49 Baunutzungsverordnung (BauNVO)  102 Bay Area Deconstruction Working Group 37 Beck Equipment  43 Block Research Group (BRG)  73 BNP Paribas Fortis  151 Building Deconstruction Institute  41, 43 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)  84 Büro für Planung und Nachhaltigkeit Portland (BPS)  64, 65 CaaS (Cooling as a Service), Kühlen als Dienstleistung  130–133 Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 11 Circularity, Reuse, and Zero Waste Development (CR0WD)  32, 35, 37 Circle Economy  19 Club of Rome  13, 15, 19, 30 Concular 114–117 COP21: Pariser Klimaabkommen  19 Cornell Einhorn Center  43 Cornell Circular Construction Lab (CCL) 38, 41, 43 Cornell Just Places Lab  37, 43 Cornell University  153 Cortland ReUse  37 Deconstruction Advisory Group (DAG) 64–66 DESSO/Tarkett 153 Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) 83 Deutsches Kreislaufwirtschaftsgesetz 96 EFFEKT 122–127 Ellen MacArthur Foundation  24, 25, 73, 138 Empa (Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt)  142, 143, 153 Energy Innovation and Carbon Dividend Act (EICDA)  94 EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer 25 EPFL Lausanne  46, 49 ETH Zürich  73 EU-Bauprodukteverordnung 96 Europäische Kommission  22 Europäische Union  7, 22, 114

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ANHANG

Ex Interiors  113 Fiat 13 Finger Lakes ReUse  37, 43, 57, 60, 61 Frischbetonwerk Korbach  83 Générale de Banque  151 Georgia Institute of Technology  104 Global Footprint Network  18 Green Deal der Europäischen Union  7 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 102 heimspiel architekten  80, 82 Historic Ithaca  37, 43 Holcim 73 Ice Nugget  152 incremental3D (in3D)  73 INSEAD Asia Campus  132 Interface 134–137 Interface ReEntry™-Recycling-undRücknahme-Programm 134–137 Internationaler Währungsfonds (IWF) 92 Ithaca Community ReUse Center (CRC)  57–59, 61 Ithaca Urban Renewal Agency  43 Ithaca Urban Timber Salvage  43 Kaer 130–133 Karlsruher Institut für Technologie (KIT) 153 Kaufmann Zimmerei und Tischlerei GmbH 153 KBOB 75 Kendeda Fund  104 Kyoto-Protokoll 96 Laborers Local 785  42, 43 Lawrence Berkeley National Laboratory 130 Lifecycle Building Center  106 Lord Aeck Sargent  104 Madaster 118–121 Magna Glaskeramik  147, 152 Massachusetts Institute of Technology (MIT)  15 Miller Hull  104 Niederländische WestindienHandelskompanie 10 Norwegischer Pensionsfonds  94 Olivetti 13 Oregon Department of Environmental Quality (DEQ) 65, 66 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)  13 Preservation Association of Central New York (PACNY)  37 Primeo Energie Kosmos  45, 46, 49, 51 Rapp Architekten  46 RAU Architects  108–113 ReBuilding Center, Portland  62 restado.de 114 Rotor Deconstruction  151 RWTH Aachen  116 Significant Elements  37, 43

Skanska USA  104 Stadtspital Triemli  47–49 Susan Christopherson Center for Community Planning  37, 43 Sustainable Growth Associates GmbH 17 Swissgrid 45 The Natural Step Deutschland  17 Tompkins County Beirat für Klima und nachhaltige Energie  35 Trade Design Build  43 Triodos Bank  108–113 UK Green Building Council  26 Umweltbundesamt  22, 96 Universität Kassel  84 Urban Mining Collective  108 US-Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung  33 US-Umweltschutzbehörde  56, 67 Vereinte Nationen  13, 16 Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 16 Weltwirtschaftsforum (WEF)  138 Werner Sobek Group  153 Work Preserve  37 Zaha Hadid Architects Computation and Design Group (ZHACODE) 73 Zirkular 46, 47, 49

REGISTER DER PROJEKTE, PRODUKTE UND

PUBLIKATIONEN 206 College Avenue 41, 43 24 (TV-Show) 106 Aufstockung Kopfbau K118, Winterthur 49–51 Blue Marble (Schmitt) 13 „Buildings as a global carbon sink“ 20 Catherine Commons Rückbauprojekt, Ithaca, New York 38–43 Chacona Block Building, Ithaca, New York 37 Cradle to Cradle: Einfach intelligent produzieren (McDonough und Braungart) 20, 24 Der stumme Frühling (Carson) 13 ERZ Entsorgungs- und Recyclingzentrum, Zürich 47 Georgia Archives Building, Atlanta, Georgia 104 Good-Wood-Ausstellungsraum, Portland, Oregon 65 Growth within: a circular economy vision for a competitive Europe (Ellen MacArthur Foundation und McKinsey Center for Business and Environment) 25 HiLo, Dübendorf 77 Kendeda Building for Innovative Sustainable Design, Atlanta, Georgia 104–107 Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen (Diamond) 11 Lysbüchel-Areal, Basel 49–51 Modellprojekt Rathaus Korbach 80–91 Nail Laminated Timber (NLT) 106 NEST Gebäude, Dübendorf 142, 143, 145, 147 nora®-Kautschukböden 134 Ökobilanzdaten im Baubereich, 2009/1 (KBOB) 75 Primeo Energie Kosmos Scienceund Erlebniscenter, Münchenstein 46, 47 Primeo, Unterstand, Münchenstein 49, 51 Rampage (Film) 106 Ressourcenschonender Beton (R-Beton) 80, 82–84, 87, 89 Rippmann Floor System (RFS) 74–77 Striatus-Brücke, Venice 73, 74 Sylvicultura oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht (Carlowitz) 12 Tech Tower, Atlanta, Georgia 104 The Circularity Gap Report 2021 (Circle Economy) 19 The Limits to Growth, Die Grenzen des Wachstums (Meadows, Meadows, Randers and Behrens III) 15, 19

Triemli Personalhäuser, Zürich 47–49 Triodos Bank, Driebergen-Rijsenburg 108–113 Unser ökologischer Fußabdruck – Wie der Mensch Einfluß auf die Umwelt nimmt (Wackernagel und Rees) 17 Unsere Lebensgrundlage retten. Die negativen Entwicklungen stoppen (The Natural Step Deutschland) 17 Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit, Dübendorf 121, 142–153 Urban Mining Index 86, 87, 89 Urban Village Project 122–127 Why Fee and Dividend Will Reduce Emissions Faster Than Other Carbon Pricing Policy Options (Miller und Hansen) 93 Zürich – Stadtspital Triemli Personalhäuser – Resource assessment of structural elements (Devènes, Bastien-Masse, Küpfer und Fivet) 49

IMPRESSUM Layout, Covergestaltung und Satz: Tom Unverzagt Übersetzung der Texte von Ken Webster, Gretchen Worth/Felix Heisel/Anthea Fernandes/Jennifer S. Minner/Christine O’Malley, Felix Heisel/Allexxus Farley-Thomas, Andrew Roblee/Jennifer S. Minner, Mark Milstein, Diane Cohen/Robin Elliott, Shawn Wood, Philippe Block, Joshua R. Gassman, RAU Architekten, Sabine Rau-Oberhuber, EFFEKT, Dave Mackerness und Erin Meezan ins Deutsche: Steffen Walter Lektorat: Andreas Müller

Lesbarkeit nötig ist, die männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies ist im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen. In diesem Buch werden etwa bestehende Patente, Gebrauchsmuster, Warenzeichen u.ä. in der Regel nicht erwähnt. Wenn ein solcher Hinweis fehlt, heißt das nicht, dass eine Ware oder ein Warenname frei ist.

ISBN 978-3-0356-2108-2 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2634-6

Herstellung: Heike StrempelBevacqua

© 2022 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz

Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH

Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Papier: 120 g/m² Amber Graphic Dieses Buch ist auch als E-Book PDF (ISBN 978-3-0356-2634-6) sowie in englischer Sprache (Print ISBN 9783-0356-2109-9, e-book PDF ISBN 978-3-0356-2635-3) erschienen. Library of Congress Control Number: 2022945644 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Auf die Lesbarkeit unserer Texte legen wir großen Wert. Aus diesem Grund wird im vorliegenden Buch in Fällen, wo es für die leichtere

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