Besonderer Ort, poetischer Blick: Untersuchungen zu Räumen und Bildern in Statius’ Silvae [1 ed.] 9783666208706, 9783525208700

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Besonderer Ort, poetischer Blick: Untersuchungen zu Räumen und Bildern in Statius’ Silvae [1 ed.]
 9783666208706, 9783525208700

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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Ewen Bowie, Albrecht Dihle, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Karla Pollmann, Christiane Reitz, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 201

Vandenhoeck & Ruprecht

Gottfried Eugen Kreuz

Besonderer Ort, poetischer Blick Untersuchungen zu Räumen und Bildern in Statius’ Silvae

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortliche Herausgeberin: Karla Pollmann

Mit 3 Abbildungen und 2 Karten Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0085-1671 ISBN 978-3-666-20870-6

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Theaterszene, Fresko aus Herculaneum, 1. Jh. n. Chr. © picture alliance / Luisa Ricciarini / Leemage © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG , Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC , Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Medius videor discumbere in astris: Die panegyrischen Gedichte . . 49 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Silvae 1, 1: Equus maximus Domitiani . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) silv. 1, 1, 1–7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) silv. 1, 1, 8–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) silv. 1, 1, 22–31 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 d) silv. 1, 1, 32–60 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 e) silv. 1, 1, 61–83 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 f) silv. 1, 1, 84–90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 g) silv. 1, 1, 91–107 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 h) Zur Sakraltopographie des Equus maximus . . . . . . . . . . . 122 i) Zur Astraltopographie des Equus maximus (I) . . . . . . . . . . 136 j) Zur Astraltopographie des Equus maximus (II) . . . . . . . . . 145 k) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 l) Exkurs: Ergänzungen zu Domitians Bauprogramm im Bereich der Fora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Silvae 1, 6: Kalendae Decembres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Zum Raum der Kalendae Decembres . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. Das panegyrische Triptychon von silv. 4  . . . . . . . . . . . . . . . 201 5. Silvae 4, 1: Septimus decimus consulatus Imp. Aug. Germanici . . 203 a) Zum Raum des Septimus decimus consulatus . . . . . . . . . . . 213 6. Silvae 4, 2: Eucharisticon ad Imperatorem Augustum Germanicum Domitianum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) silv. 4, 2, 1–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) silv. 4, 2, 18–37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) silv. 4, 2, 38–56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 d) silv. 4, 2, 57–67 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 e) Exkurs: Zu Domitians Totenbankett (Cass. Dio 67, 9, 1–5) . . . 272

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Inhalt

7. Silvae 4, 3: Via Domitiana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) silv. 4, 3, 1–26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) silv. 4, 3, 27–39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) silv. 4, 3, 40–66 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 d) silv. 4, 3, 67–94 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 e) silv. 4, 3, 95–113 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 f) silv. 4, 3, 114–163 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 8. Nachtrag: Einige Gedichte im panegyrischen Umkreis  . . . . . . . 304 a) Silvae 4, 4: Epistula ad Vitorium Marcellum . . . . . . . . . . . 304 b) silv. 2, 5: Leo mansuetus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 9. Die panegyrischen Gedichte: Fazit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 II. Tu modo fige aciem: Im Spiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 2. Silvae 3, 4: Capilli Flavi Earini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a) Zur Motivik und Räumlichkeit von silv. 3, 4 . . . . . . . . . . . 329 b) Der Kaiser, der Gott und der Eunuch . . . . . . . . . . . . . . . 333 c) Der Spiegel als Zentralmotiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 d) Der gespiegelte Raum von silv. 3, 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 3. Silvae 2, 3: Arbor Atedi Melioris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 a) Zu Inhalt und Textgestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Zum Spiegelmotiv in silv. 2, 3 (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 c) silv. 2, 3, 62–77 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 d) Zum Spiegelmotiv in silv. 2, 3 (II) . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 4. Die Spiegelgedichte: Fazit?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 a) Vom Baum im Text zum Baum im Bild . . . . . . . . . . . . . . 394 III. Cernere si quis potuit: Die Villengedichte . . . . . . . . . . . . . . . . 406 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 2. Das Albanum als Kunstort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 3. Der Golf von Neapel als literarische Kunstlandschaft   . . . . . . . 414 4. Die Kunstlandschaft von silv. 2, 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 5. Silvae 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis . . . . . . . . . . . . . . . . 426 a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 b) silv. 2, 2, 1–35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 c) silv. 2, 2, 36–62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442

Inhalt

d) e) f) g)

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silv. 2, 2, 63–106 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Exkurs: Der Hercules Surrentinus Polli Felicis (silv. 3, 1) . . . . 462 Pollius in seiner Villa (silv. 2, 2, 107–146) . . . . . . . . . . . . . 469 Zwischenfazit: Die Villa des Philosophen . . . . . . . . . . . . . 477

6. Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci . . . . . . . . . . . . . . . 479 a) silv. 1, 3, 1–33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 b) silv. 1, 3, 34–89 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 c) silv. 1, 3, 90–110 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 d) Das beschriebene Haus: Standpunkte im Irgendwo? . . . . . . 490 e) Das gemalte Haus: Eine Villa im Nirgendwo? . . . . . . . . . . 505 f) Epikureischer Luxus durch Virtualität? . . . . . . . . . . . . . . 532 7. Die Villengedichte: Fazit?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 Anhang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 Bibliographische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 Silvae: Editionen und Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 Sekundärliteratur und Anderes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Textkritisches Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585

Vorwort

Zum Zustandekommen dieses Buches, das die Universität Salzburg im Herbst 2015 als Habilitationsschrift angenommen hat, haben zahlreiche Personen zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedene Weisen beigetragen. Nur in notgedrungen willkürlicher Auswahl und stellvertretend für so manche andere kann ich einzelne von ihnen nennen. Gedankt sei so zunächst Lehrerinnen und Lehrern, die meine akademische Laufbahn ermöglicht und begleitet haben wie (die Namen verstehen sich praemissis titulis) Ursula Wacker, Monika Klepp, Eva Köchl †, Claudia-Martina Perkounig, Manfred Riedesser, Adolf Primmer †, Kurt Smolak, Erich Woytek, Franz Römer, Christine Ratkowitsch, Elisabeth Klecker, Eugen Dönt, Georg Danek, Herbert Bannert und Paul Raimund Lorenz. Daß ich nacheinander an drei Universitäten jeweils die Chance hatte, meinen Studien zu Statius nachzugehen, verdanke ich außer dem schon genannten Kurt Smolak (Wien) auch und in besonderer Weise Barbara Feichtinger-Zimmermann (Konstanz) und Dorothea Weber (Salzburg): Ohne ihre dienstliche, wissenschaftliche und freundschaftliche Unterstützung wäre diese Arbeit wohl nie zu einem Abschluß gelangt. Zu vielfältigem Dank verpflichtet fühle ich mich auch all jenen Kolleginnen und Kollegen, die mögliche und unmögliche Anfragen meinerseits stets hilfreich beantworteten oder ihrerseits mit Vorschlägen und Ideen wesentlich zu dem, was dieses Buch vielleicht an Nützlichem enthält, beitrugen: Besonders hervorgehoben seien Doris Vickers, Sonja Reisner, Victoria ZimmerlPanagl und Lukas Dorfbauer in Wien; Joachim Fugmann und Andrea ThemannSteinke in Konstanz; Thomas Schirren, Nadia Koch, Margot Gelhaar und Margot ­Neger in Salzburg; Lisa Cordes in München; sowie die Teilnehmer jener privaten Lektürerunde zu den Silvae im Sommersemester 2007, von welcher meine Beschäftigung mit Statius ihren sehr vergnüglichen Ausgang nahm. Der grundlegendste Dank aber gilt meiner Familie und insbesondere meiner Frau Eva, die den gesamten Entstehungsprozeß dieser Studie mit Geduld, kritischem Blick und angemessener Skepsis gegenüber so manchen meiner Ideen begleitet hat. Schließlich sei, stellvertretend für das gesamte Herausgeberkomitee, Karla Pollmann für die Aufnahme der vorliegenden Studie in die Reihe ›Hypom­ nemata‹ gedankt, dem Verlag Vandenhoeck und Ruprecht für seine zuvorkommende und kompetente Betreuung, schließlich der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg für ihre generöse finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung. Salzburg, im Frühjahr 2016

λόγῳ ἀμείψασθαι τὴν θέαν (Lukian, De domo 2)

Einleitung

Mein Interesse gilt Phänomenen der Räumlichkeit in Texten, konkret in den ­Silvae des Statius. Abgesehen von dem speziellen gattungs- und überlieferungsgeschichtlichen Profil dieser Gedichtsammlung, das erst zu umreißen ist, er­ fordert dies eine Definition des Raumbegriffes, die offen genug ist, um die Untersuchung jener Texte nicht a priori in zu enge Bahnen zu lenken, und zugleich das Risiko, allzu moderne Konzeptionen gewaltsam über die antiken Texte zu stülpen, mindert. Ich fasse ›Raum‹ also, und zwar in bewußter Beschränkung der in den letzten Jahrzehnten vor allem durch metaphorische Verwendung und Befrachtung erreichten Breite seines Verwendungsspektrums,1 als jenes absolute Gefüge, das dem alltäglich-praktischen Raumverständnis nicht bloß heute noch zugrunde liegt, sondern in prä-newtonisch unausformulierter Form auch seit viel längerer Zeit schon, spätestens seit Seßhaftwerdung der Menschen, zugrundelag:2 Raum also als ein kontinuierliches, homogenes Etwas, in welchem alle Körper ihren Platz haben, in welchem sich jede Form der Wahrnehmung, insbesondere, wie sich erweisen wird, das Sehen, und ebenso jede Bewegung abspielt, und welches dadurch untrennbar mit der Zeit als seiner komplementären Kategorie verbunden ist.3 1 Ott (2003), 134–148, widmet ein eigenes Kapitel der »Vervielfältigung der Raumkonzepte in Moderne und Gegenwart (20.–21. Jahrhundert)«, die er uneingeschränkt positiv wertet, ohne die Haltlosigkeit macher dabei zur Anwendung kommenden Metaphorik zu berücksichtigen. 2 Vgl. Hartner (2012), 25 f. 3 Vgl. beispielsweise die Definition des Newtonschen Raumes bei Keill (1745), 15: »We conceive Space to be that, wherein all Bodies are placed, or, to speak with the Schools, have their Ubi; that is altogether penetrable, receiving all Bodies into itself, and refusing all Ingress to nothing whatsowever; that is immoveably fixed, capable of no Action, Form or Quality; whose Parts it is impossible to separate from each other, by any Force however great; but the Space itself remaining immoveable, receives the Successions of things in motion, determines the Velocities of their Motions, and measures the Distances of the things themselves.« (Den Hinweis verdanke ich Jammer [1960], 138). Freilich war der Antike der erst durch Gelehrte wie Biagio Pelacani da Parma († 1416) eingeführte und typischerweise durch das kartesische Koordinatensystem erfaßte mathematische Raum, ohne welchen die Newtonschen Theoreme nicht denkbar sind, als gedankliches Konstrukt unbekannt (vgl. Belting [2009], 161–166). Doch die alltägliche Raumwahrnehmung des Menschen, unabhängig von seiner

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Einleitung

Von dieser absichtlich schlichten Definition ausgehend sind Differenzen zwischen Darstellungen bzw. Erzeugungen von Räumen in Wissenschaften oder Künsten verschiedener Epochen kaum auf einen Wandel in der alltäg­ lichen Auffassung von ›Raum‹ zurückzuführen (für einen solchen gibt es keine Hinweise),4 sondern auf Verschiedenheiten der wissenschaftlichen oder künstlerischen Herangehensweisen: ob aus Unvermögen oder aus Intention, ist nicht unbedingt wichtig.5 Was immer auch ein Mensch der Antike, wenn er sich denn Gedanken darüber machte, theoretisch unter ›Raum‹ verstand, und wie immer Sozialisation, hat sich weder mit dem Aufkommen des Euklidischen noch des Newtonschen Raumes verändert, und auch nicht mit der Revolution des Raumbegriffes um 1910, die Henri Lefebvre in massiver Überschätzung des Einflusses von Philosophie und Wissenschaft als Angelpunkt heutiger Konzeptionen sieht (Lefebvre [1991], 25 f.): Die Newtonsche Physik war und ist bloß besonders gut dazu geeignet, die Alltagswahrnehmung der Welt plausibel zu erklären, sodaß der Eindruck entstehen konnte, einige Jahrhunderte lang habe die (mindestens: westlich-europäische) Menschheit Räumlichkeit auf der Basis von Newton oder Cartesius wahrgenommen – was aber kaum jemand tat, es sei denn er wollte seine Alltagswahrnehmung wissenschaftlich verbrämen wie Molières bourgois gentilhomme, der darüber staunt, ohne philologische Vorbildung sein Leben lang bereits die Kunst der Prosa beherrscht zu haben. Mich interessiert der Raum der Alltagswahrnehmung und die Gegenstände in ihm, denn beides ist die Grundlage auch des Raumes in der Dichtung. Entsprechend negiere ich auch die Existenz einer prinzipiellen Kluft zwischen poetischer und alltäglicher Sprache; wohingegen zwischen alltäglicher und wissenschaftlicher Sprache sehr wohl eine existieren kann, etwa wenn ein Philosoph Raum ausschließlich als mentales Konstrukt betrachtet, sich im Alltag aber wahrscheinlich doch recht unreflektiert in ihm zurechtfindet und über ihn artikuliert. Die Möglichkeit, daß ein Dichter Anleihen bei wissenschaftlicher Sprache und Konzeptionalisierung macht, besteht freilich, und sie wird auch bei Statius bisweilen begegnen: doch nur als pointierte Abweichung vom Gewohnten (sozusagen: als Ent-Mechanisierung), nicht als Regel. 4 Zugegeben: Wahrnehmung, Verständnis, Bedeutung, Verbalisierungskonventionen und Beziehungsgeflecht von konkreten Raumtypen, etwa ›Stadträumen‹, der ›Landschaft‹ oder auch ›Natur‹, dem ›Haus‹ oder auch ›Hof‹ usw. sind einem ständigen und oft tiefgreifenden Wandel unterworfen, und dieser ist gerade seit der als ›spatial turn‹ bezeichneten Verlagerung kulturwissenschaftlicher Interessensschwerpunkte zentraler Gegenstand zahl­ loser Untersuchungen. Doch es scheint, daß das alledem zugrundeliegende Verständnis von ›Raum‹ als Kategorie, jedenfalls soweit historisch faßbar, keine, oder nur unsignifikante Spuren von Veränderung zeigt. 5 So kann Martin Kemp pointiert und mit Recht das Fehlen von Hinweisen dafür konstatieren, daß Menschen des byzantinischen Kulturkreises ständig über ihre Möbel gestolpert oder sonst mit dem Raum, durch den sie sich bewegten, kollidiert wären, obwohl die Raumdarstellung ihrer Malerei solches eigentlich zwingend nahelegen müßte: Kemp (1997), 170. Ebensowenig machte es für die Art, wie ein Römer sich über das Forum bewegte, einen Unterschied, ob er als ›Raum‹ nun ein alle Körper gleichsam durchziehendes Kontinuum oder bloß den von Luft erfüllten Bereich zwischen den Dingen oder auch, falls er atomistischen Theorien anhing, das Vakuum zwischen Luft- und anderen Atomen auffaßte, ob er einen vollkommen leeren Raum (einen sog. absoluten oder Containerraum) für vorstellbar hielt oder sich Raum nur durch Beziehungen von Gegenständen und einzelnen Orten zueinander entstanden vorstellte (sog. relativistischer Raum): vgl. beispielsweise Jammer (1960), 9 f.; Dennerlein (2009), 60 f.

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er darüber zu sprechen pflegte (beides ist, wenn überhaupt, nur aus der Evidenz des Erhaltenen und insbesondere der erhaltenen Texte ableitbar: Da meine Untersuchung eben solch eine Ableitung versucht, wäre es methodisch verfehlt, mit einem mehr als alltäglichen, konzeptuell zugespitzten Raumbegriff an die fraglichen Texte heranzugehen), er organisierte ihn jedenfalls nach den auch heute geläufigen deiktisch organisierten, d. h. nur vom Standpunkt einer Wahrnehmungsinstanz aus formulierbaren, relationalen Oppositionen von oben / unten, vorn / hinten und links / rechts (dem Alltagsäquivalent des Koordinatensystems), sowie nach dem Gegensatz drinnen / draußen, der wesentlichsten Kategorie zur Ordnung und Einteilung von Räumen.6 Diese Mechanismen, relational zu einer Wahrnehmungsinstanz konstruierte Deixis und Inklusion bzw. Exklusion, sind es auch, nach denen es in Texten Ausschau zu halten gilt, um sich ihrer Räumlichkeit zu versichern: und zwar eben zunächst stets ihrer Räumlichkeit in eigentlicher Bedeutung.7 Daß dieser eigentliche Raum im Text (das Äquivalent zu jenem aktualen Raum, in dem wir uns täglich bewegen und der seinerseits für den Einzelnen ein problematisches und inkohärentes mentales Konstrukt ist, freilich eines, in welchem er 6 Eine Apologie dieser ›alltäglichen‹ Raumauffassung als Grundlage literarischen Raumverständnisses bietet Dennerlein (2009), 62; doch selbst Lefebvre (1991), 230 f., betrachtet die Natur, d. h. natürlich gegebenen Parameter des bzw. eines Raumes als das irreduzibelfaktische Fundament jeder Raumwahrnehmung und -konzeptualisierung, auch wenn er es (ebd., 234 f.) als »paradox« bezeichnet, wenn beispielsweise ein als heilig definierter Platz zugleich als Teil der Natur wahrgenommen wird. Daß diese räumlichen Begriffe regelmäßig und kaum vermeidbar von Konnotationen in der Art von ›oben ist gut, unten ist schlecht‹ begleitet werden, liegt auf der Hand und in der Natur der Sprache, hindert (pace Jurij Lotman) aber nicht daran, ›oben‹ auch einmal und sogar primär auch für ›oben‹ zu verstehen: vgl. Lotman (1973), 327–347; van Baak (1983), 15–131. Es ist signifikant, daß letztgenannter den größten Teil  der zitierten theoretischen Darlegungen zwar der Semantisierung räum­ licher Phänomene widmet, diesen selbst und den unmittelbar mit ihnen zusammenhängenden Problemen wie etwa der Standpunktfrage (in der er sich im wesentlichen an B. Uspenskij anschließt) aber nur wenige Seiten (120–131) gönnt, und zwar weil derlei Fragestellungen »touch upon the verbal surface of the text«: ebd., 125. Mein Interesse gilt nun aber eben der Textoberfläche und den Prozessen, die sich dort abspielen, wo z. B. ein in die Lüfte ragender Turm nicht sofort eine oben-unten-Beziehung im Sinne einer hierarchisch geordneten Gesellschaft bedeutet, sondern schlicht ein statisch hoffentlich zuverlässiges Bauwerk in der Welt, und das heißt auch: im Raum des Textes. 7 Diese basalen Kategorien haben zudem den Vorteil, die Diskrepanz zwischen ›griechischem‹ und ›römischem‹ Raumverständnis, welche manche Forscher ausgemacht haben wollen (am prononciertesten wohl: Lefebvre [1991], 237 f.; doch beachte man auch, daß Lefebvre ebd., 241, beispielsweise den athenischen Parthenon als regulären Tempel mit echter Kult­ praxis, dafür ebd., 244, das römische Pantheon als anscheinend normalen kultisch-architektonischen Vertreter des voraugusteischen Ziegel-Rom betrachtet), zu überbrücken: Mag auch die Agora des klassischen Athen ein gleichsam absolut-leerer Raum sein, das Forum Romanum hingegen ein Ensemble von funktionalisierten umbauten Kubaturen (d. h.: Gebäuden), so kennen doch beide, einmal vorausgesetzt, daß der Vergleich überhaupt zulässig und sinnvoll ist, zumindest ein Drinnen und ein Draußen.

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höchst körperlich über etwas stolpern kann)8 ständig und zumeist unvermeidbar mit einer Vielzahl von Bedeutungen und Verzerrungen befrachtet wird, die vom Raum an sich abstrahierbar und als metaphorische ›Räume‹ für sich untersuchbar sind wie ›politische Räume‹, ›soziale Räume‹, ›Geschlechterräume‹, ›Gedächtnisräume‹, ›symbolische Räume‹ usw., ändert nichts daran, daß solch metaphorische Räume immer noch auf einem eigentlichen und gewissermaßen präexistenten Raum begründet sein müssen, wenn die Metapher nicht in sich zusammenbrechen und zur austauschbaren, modischen Chiffre für beliebige mentale Konstrukte werden soll.9 So wie in der aktualen Welt der Raum an sich beispielsweise den ›politischen Raum‹ präzediert, insofern der Bergrücken, über den eine sichtbar markierte oder aber auch unsichtbar belassene politische Grenze gezogen wird, zunächst und diesfalls auch ohne menschliches Zutun vorhanden ist, so präzediert auch in der mentalen Repräsentation des Raumes, erst recht im frei erzeugten Raum der Literatur, der Raum an sich die ihm in weiterer Folge auferlegten Bedeutungen. Denn auch im Raum eines Textes kann beispielsweise eine Grenze nicht verlaufen, ohne daß es zunächst ein Terrain gäbe, welches durch diese Grenze zerteilt wird, gleichgültig wie detailliert und zu welchem Zeitpunkt (ob vor oder erst mit der ersten Erwähnung der ›Grenze‹) es durch den Text entworfen wird – es sei denn, man hätte es mit einer andersgearteten Grenze, etwa der zwischen ›normalen‹ und ›abnormalen‹ Menschen, also mit einer nicht (oder nur akzidentiell und in der Regel auch nur partiell) räumlichen Ausgrenzung zu tun: Eben dann gelangt man zu jenem inflationären Gebrauch des Raumbegriffs (›sozialer Raum‹ wäre im gegebenen Beispiel wohl ein naheliegender Ausdruck), der nicht mehr symbolisch oder metaphorisch befrachtete Räume bezeichnet, sondern ›Raum‹ selbst als oft höchst fragwürdige Metapher für ganz andere, an sich unräumliche Begriffe wie ›Struktur‹, ›Gesellschaft‹, ›Machtverhältnisse‹ usw. benützt. Einen derartigen Gebrauch werde ich konsequent zu vermeiden trachten.10 Jedoch will ich dieser Studie keine umfangreichere Abhandlung zur angewandten Methode vorausschicken, aus folgenden Gründen: Einmal, weil ich mir als Interpret, und eben nicht als Literaturtheoretiker, nicht anmaße, ein philosophisches Theorem zu entwerfen, das dann auf zumindest ein konkretes literarisches Werk angewendet werden sollte; einige Hinweise im weiteren Verlauf dieser Einleitung werden genügen, die Ansätze, auf die ich mich im all­ gemeinen stütze, abzustecken. Zum anderen sollte Textinterpretation zumin 8 Vgl. z. B. Goodman (1978), 20. 9 Es sei an den Wildwuchs des Begriffes ›Perspektive‹ erinnert, der in Zeiten vor dem ›spatial turn‹ zeitweise bis zur Penetranz praktiziert wurde. Zur sachlich (was bereits die Problematik zeigt) nahekommenden inflationären Verwendung und Befrachtung eines wieder anderen Begriffes, der ›Macht‹, stellen Arweiler-Gauly (2008), 7–10, ähnliche Überlegungen an. 10 Vgl. Lefebvre (1991), 3 f., zur Ablehnung solch diffuser Worthülsen.

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dest meines Erachtens vom Text ausgehen, nicht von der Methodologie: Texte verlangen nach Methoden, nicht umgekehrt. Freilich nicht im Sinne dessen, was James A. Willis in unnachahmlicher Schärfe als »the principles of Humpty-Dumpty« bezeichnet hat,11 und auch nicht mit dem Ziel, für jeden Text eine Methode zu entwickeln, die dann, wenn überhaupt, nur auf diesen einen Text anwendbar ist – wenngleich erfahrungsgemäß Philologen ebenso wie Literaturtheoretiker dieser Gefahr bisweilen erliegen. Doch ebensowenig erschiene es mir sinnvoll, mit einer vorgefertigten Methode, die womöglich noch zur ›einzig wahren‹ erklärt wird,12 an einen Text heranzugehen, erst recht nicht an ein so heterogenes Textcorpus wie die Silvae: Nicht nur, weil dadurch die Gefahr steigt, daß der Gegenstand der Untersuchung der angewandten Methode über das unvermeidliche Maß hinaus angepaßt wird und der Interpret in der Art eines Hypochonders Gefahr läuft, unabhängig von der Evidenz jedenfalls zu finden, was er sucht; auch nicht nur, weil die Exklusivität jeder ›einen‹ Methode zwangsläufig blinde Flecken und damit das Risiko des Übersehens wichtiger Elemente mit sich bringt; sondern weil auf einem Interessensgebiet wie dem meinen die apriorische Formulierung einer konkreten Fragestellung und deren Beantwortung durch eine präzis definierte Methode gar nicht sinnvoll möglich scheint.13 Denn der Frage nach dem Ob und Wie eines Prozesses geht hier, wie so oft, die Beobachtung dieses Prozesses bereits voraus, und gesucht sind zugleich und einander immer mehr näherkommend eine passende Fragestellung, dazugehörige Methoden, und fortschreitende Präzisierung der Beobachtung. Im Falle meiner Studie nun lag zunächst die unmethodische, dem bloßen ›Eindruck beim Lesen‹ entsprungene Beobachtung vor, daß Statius in manchen Gedichten ein experimentierfreudiges, kühnes Spiel mit den in diesen Texten entworfenen und bedeutungsvoll gestalteten Räumen treibt, und ich werde nachzuzeichnen und zu analysieren versuchen, in welcher Weise dies geschieht. Daß ich mich dazu, bei aller grundsätzlichen Kohärenz dieses Interessens­ feldes, je nach den Erfordernissen der konkreten Gedichte bald stärker um die Referentialisierbarkeit der geschilderten Räume auf ihre Pendants in der aktualen Welt bemühen, bald strukturelle Parallelen zu anderen Kunstgattungen 11 Willis (1966), 310. 12 Es erübrigt sich, Beispiele für derlei immer wieder begegnende apodiktische Methodologie anzuführen. Allein der Umstand, daß nach allem, was von antiker Literaturtheorie bekannt ist, antike Leser ebenso wie Autoren recht verschiedene und zum Teil gänzlich andere methodische Zugänge zu Texten pflegten, als heute (oder jedenfalls: derzeit) für gut gilt, und erst recht die unfreiwillige Komik, die sich regelmäßig ergibt, wenn man in der gleichsam kolonialherrlichen Pose des Gelehrten des zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahrhunderts die ursprünglichen Produzenten und Rezipienten (und meist auch alle zwischenzeitlich aufgetretenen Leser und Interpreten) jener Literatur, die man selbst erforscht, für inkompetent erklären will, warnen davor, methodische Flexibilität zugunsten starrer Doktrin aufzugeben. 13 Vgl. Hartner (2012), 11; vgl. ebd., 22.

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ins Licht rücken, also methodisch bis zu einem gewissen Grad eklektisch vorgehen werde, geschieht im Sinne des oben Gesagten.14 Daß ich von einer kommentierenden Lektüre der untersuchten Texte unter gelegentlichem Einbeziehen von Vergleichsbeispielen ausgehen werde, ergibt sich aus der Absicht, diese Texte, auch in ihren jeweiligen Besonderheiten, zu erfassen und zu einer unitarischen Interpretation zu gelangen.15 Auch textkritische Debatten können und sollen dabei nicht gemieden werden, zumal Statius᾽ Silvae aufgrund ihrer speziellen Überlieferungssituation keineswegs eine besonders zuverlässige Textgrundlage bieten;16 eine Liste jener Stellen, an denen ich von der Textgestalt der rezentesten Ausgabe, jener von Shackleton Bailey (2003), abweiche oder zumindest Zweifel an ihr hege, ist im Anhang beigegeben, ohne damit den Anspruch zu erheben, mehr als höchstens ephemere Beiträge zur Textgestalt der Silvae geleistet zu haben. Zugleich klammere ich indes aus der Kommentierung all jene Bereiche aus, die, außer in konkreten Einzelfällen, für mein Interessensfeld nicht von Belang sind, etwa recht weitgehend die Suche nach literarischen Quellen und inter­textuellen Bezügen:17 Nicht, weil kein Einfluß von intertextuellen Bezügen auf die Raumkonzeption eines Textes denkbar wäre, sondern weil nach meinen Beobachtungen Statius bei allem an den Tag gelegten Reichtum an Anspielungen auf Vorgängertexte und, etwas anders betrachtet, literarische genera, für den auf die inzwischen recht ermutigende Zahl der Kommentare zu den S­ ilvae verwiesen sei,18 von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch macht, 14 Quint. 1, 4, 3: Nam et scribendi ratio coniuncta cum loquendo est, et enarrationem prae­ cedit emendata lectio, et mixtum his omnibus iudicium est; vgl. Fearnley (2003), 614 f. 15 Daß literarisches Textverständnis prinzipiell immer nach Verwesentlichung, nach unitarischem Verstehen des Textes strebt, gehört zu den Grundlagen jeder Interpretation: vgl. Culler (1982), 81 u. ö. Im Falle der Silvae, also Einzelgedichten beschränkten Umfangs zu jeweils einem einzelnen, definierten Thema legt schon dieser Gestus der Texte holistisches Verständnis dringend nahe. 16 Die Überlieferung der Silvae ist schlecht und ruht, was den Text als Ganzes angeht, letztlich nur auf dem für Poggio Bracciolini in der Zeit des Konstanzer Konzils angefertigten Apographon eines danach wohl bald verschollenen Codex aus einem Kloster der Bodenseegegend. Von diesem leider auch seinerseits recht fehlerhaften Apographon, das heute in Madrid aufbewahrt wird (Bibl. nacional, ms. 3678; vgl. Anderson [2009], 1, 222 f.), stammen alle anderen Handschriften ab und bieten mit ihren Varianten im wesentlichen Humanisten­ konjekturen, aber kein älteres Material, sieht man von einigen intrikaten Annotationen in Texten des 15. und 16. Jhdts. ab, für welche in regelmäßigen Abständen eine Herleitung aus einer zweiten, verschollenen Überlieferungslinie postuliert wird, ohne daß indes ein positiver Beweis je gelungen wäre: vgl. Klotz (1903); Wasserstein (1953); Thielscher (1957), Wasserstein (1958); Reeve (1977); Laguna (1992), 36–38; Anderson (2009); Liberman (2010), 7–29. 17 Vgl. Vessey (1973), 68. 18 Seit der kommentierten Gesamtausgabe von Barthius (1674), den oft außerordentlich guten Notae von Markland (1728) und dem Gesamtkommentar von Vollmer (1898), der bei aller Fehlerhaftigkeit und Kritikwürdigkeit ein immerhin noch manchmal nützliches Hilfsmittel darstellt, sind hinzugekommen: Zu Buch 1 nach dem unergiebigen Kommentar von Illuminati (1941) und dem umfangreicheren Werk von Wasserstein (1951) vor allem der Ein-

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vielmehr zumindest jene Texte, in denen Räumlichkeit zentral thema­tisiert wird, bei allem Anspielungsreichtum19 in diesem Punkt auch ohne Kenntnis intertextueller Bezüge ›funktionieren‹ läßt – vielleicht geschuldet der ursprüng­ lichen meist mündlichen und einmaligen (damit in einem wesentlichen Punkt ›un-generischen‹)20 Publikationssituation, in welcher die Verstehbarkeit einer wesentlichen Pointe eines Textes nicht unbedingt durch die Notwendigkeit, dazu erst womöglich entlegene Bezugnahmen entdecken zu müssen, gefährdet werden sollte.21 Die Suche nach Gedichten, in denen Räumlichkeit thematisiert und gar ins Zentrum gerückt erscheint, bedingt eine tendenzielle Fokussierung auf deskripzelkommentar von Geyssen (1996) zu silv. 1, 1, ferner Pederzani (1995) zu silv. 1, 2; außerdem kündigt Marshall (2008) einen Kommentar zum ersten Buch an, der indes noch nicht erschienen ist; zu Buch 2: van Dam (1984) und Newlands (2011), außerdem Pederzani (1995) zu silv. 2, 3; ferner (doch nur bedingt hilfreich: vgl. u. III , Anm. 56) Krüger (1998) zu silv. 2, 2; zu Buch 3 Laguna (1992), sowie Pederzani (1995) zu silv. 3, 4; zu Buch 4: Coleman (1988), außerdem Bonadeo (2010) zu silv. 4, 6; zu Buch 5: Gibson (2006). Moderne und allgemein zugängliche Kommentierungen fehlen also nur noch zu Teilen des ersten Buches. Eine Gesamtausgabe mit außerordentlich reicher Dokumentation und immer wieder anregender Diskussion speziell der Textkritik (gleichsam ad usum editorum) bietet die künftighin unverzichtbare Ausgabe von Liberman (2010). 19 Exemplarisch sei auf Marshall (2011), 333–335, zu silv. 1, 1 verwiesen: Die dort aufgelisteten und zum Teil recht komplexen intertextuellen Bezüge bereichern zwar den Text, verschieben aber in der mich interessierenden Problemregion der textimmanenten Räumlichkeit und ihres Bezuges zu aktualen Räumen nichts. 20 Soferne es überhaupt eine nichts-weiter-als-generische Dichtung außerhalb reiner Schul­ übungen u. dgl. geben kann (was bezweifelt werden darf), gehören Gelegenheits­gedichte wie Statius’ Silvae jedenfalls nicht dazu: Denn sie entstanden nicht, weil ihr Verfasser ein genus bedienen, sondern weil er einen bestimmten Anlass mit einem Gedicht bedienen wollte, wofür er einzelne oder auch mehrere vorhandene Gattungslinien (d. h.: nach bestimmten Merkmalen gruppierte bzw. sich gruppierende Vorbildtexte, eventuell auch einschlägige Bau­ anlei­tungen in Rhetorikhandbüchern) heranziehen konnte, wenn er es nicht, wie mehrfach vorgefallen, vorzog, lieber gleich ein gänzlich oder teilweise neuartiges Gedicht zu schreiben. Die Silvae stehen also in einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen dem Ausschnitt aus der aktualen Welt, den sie verewigen, und einer möglichen Gattungszugehörigkeit, und der bedeutendere der beiden Punkte ist prinzipiell der erste. – Eine nicht in allen Punkten restlos überzeugende, aber anregende Stellungnahme gegen die im Gefolge von Cairns (1972) zeitweise omnipräsente und nach wie vor bisweilen vorschnell als Interpretationsschlüssel für jegliche hermeneutische Notlage verstandene generische oder gattungspoetologische, mithin rein text- oder zumindest literaturgeschichtsimmanente Betrachtung antiker Texte bietet Griffin (1981), 40 f. 21 Eines der Beispiele, die als Ausnahmen die Regel bestätigen, ist etwa der Bezug von silv.  4, 2, 18 tectum augustum, ingens, non centum insigne columnis auf Verg. Aen. 7, 170 ­tectum augustum, ingens, centum sublime columnis: vgl. u. 242–246. Nicht unerwartet handelt es sich dabei aber um ein sehr massives und zugleich ›prominentes‹, auch für einen durchschnittlich gebildeten Rezipienten beim bloßen Zuhören schon leicht nachvollziehbares Zitat, das als solches also keine Gefahr für das unmittelbare Textverständnis darstellte.

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tive Texte, auf Ekphraseis im weiteren Sinn (also nicht nur Kunstwerks-, sondern Beschreibungen beliebiger Gegenstände).22 So wie Narration sich in den Dimensionen der Zeit zuträgt, die Zeit daher der wesentliche Untersuchungs­ gegenstand der klassischen Narratologie ist, erfolgen Beschreibungen als »rhetorising of the view«23 in den Dimensionen des Raumes, dem damit das Hauptinteresse der ›Deskriptologie‹ zu gelten hat. Denn eine jede Beschreibung benötigt mindestens einen Standpunkt, den der Rezipient gemeinsam mit der Wahrnehmungs- bzw. Sprechinstanz im Text gemeinsam einzunehmen hat, und deiktische Bezugnahmen von diesem Standpunkt aus auf das Beschriebene.24 Verhalten sich solcherart Narratologie und ›Deskriptologie‹ symmetrisch zueinander, kann man allerdings mit Recht den Versuch machen, eine ›Narratologie des Raumes‹ zu entwerfen, wie es Katrin Dennerlein vor einigen Jahren in einer hilfreichen Überblicksstudie versucht hat. Auf das von ihr entworfenen Gerüst, besser gesagt (schon um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, meine eingangs an den Tag gelegte Skepsis gegenüber literaturtheoretischen Systemzwängen durch solcherlei methodischen Anschluß selbst zu unterlaufen) auf die grundlegendsten Elemente dieses Gerüstes, werde ich mich in meiner Untersuchung, wo notwendig, im wesentlichen stützen, ohne freilich Dennerleins bisweilen etwas sperriger Terminologie in allen Punkten zu folgen. Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen Raum als Produkt eines beschreibenden und Raum als Produkt eines Handlung referierenden Textes.25 Zwar sind weitere Sprechweisen über Raum denkbar, Dennerlein etwa schlägt Reflektieren, Argumentieren oder Kommentieren vor,26 doch handelt es sich in der Tat 22 Elsner (1995), 25, weist darauf hin, daß die rhetorischen progymnasmata der Kaiserzeit nie die Beschreibung von Bildern als Beispiel für Ekphraseis anführen, der Begriff also weit gefaßt wurde. – Zur Positionierung von Statius’ Silvae in der Geschichte ekphrastischer Texte vgl. Marshall (2011). 23 Elsner (1995), 35. 24 Klotz (2007), 81–85. 25 Dennerlein (2009), 115–163. In ihrer Terminologie wäre von ›Ereignisregion‹ und ›Raumbeschreibung‹ zu sprechen. Eine umfangreichere, doch irreführende Auflistung gibt Schwarze (1993), 172: Raum als Handlungsraum / Raum als Stimmungsträger / Anschauungsraum / Perspektivierung (d. h.: Figuren nehmen einen Raum z. B. als bedrohlich wahr) /  Kontrastierung (zwei Räume kontrastieren einander) / symbolisierende Funktion / Illusionsbildung / Raum als Kompositionselement / selbstzweckhafter Raum / Raum mit seinen Gegenständen und Requisiten. Es ist evident, daß hier einige Kategorien unzulässig vermischt werden, insofern ›Raum als Handlungsraum‹ und ›selbstzweckhafter Raum‹ der Dichotomie Ereignisraum / Raumbeschreibung entsprechen und damit die Technik der Erzeugung des Raumes im Text in den Blick nehmen, die meisten anderen Begriffe hingegen sich auf zusätzliche mögliche Funktionen von Räumen in Texten beziehen, während der letzte Punkt völlig aus der Reihe fällt, denn irgendwelche Ausstattungsstücke benötigt jeder Raum. Bemerkenswerter Weise erhält der ›selbstzweckhafte Raum‹, also der Raum ekphrastischer Texte, den kürzesten und unscheinbarsten Eintrag in jener Liste. 26 Dennerlein (2009), 132.

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bei den beiden Formen des Erzählens und des Beschreibens, der impliziten und der expliziten (thetischen) Darstellung, um die grundsätzlichen Pole, zwischen denen Raumerzeugung in Texten sich bewegt, auch in dem Sinn, daß nur selten eines oder das andere in reiner Form vorliegt. Beiden Darstellungs- oder Entwurftechniken gemeinsam sind ferner ihre Fundierung in der logischen Präsupposition des entworfenen Raumes zumindest auf seiner jeweiligen narrativen Ebene (widrigenfalls jede über ihn im Text getroffene Aussage unmöglich wäre)27 und die Bedeutung, welche der Position der Wahrnehmungsinstanz zukommt, mithin gegebenenfalls auch der Technik, die notwendig ist, die Wahrnehmungsinstanz in die benötigte Position zu bringen und sie, und mit ihr den Leser, plausibel und kohärent von einem Beobachtungspunkt zum nächsten zu manövrieren. Fehler auf diesem Feld, das mit den rhetorischen Begriffen der Plausibilität und der Anschaulichkeit (σαφήνεια und πιθανότης) eng verbunden ist, gehören zu den am schwersten verzeihlichen Stolpersteinen in Texten, wie das Beispiel der seit der Antike umstrittenen Helenaepisode aus Verg. Aen. 2, 567–588 lehrt. Ausgangspunkt für die Beschreibung solcher Vorgänge sollte also die Nachverfolgung des Standpunktes sein, aus welchem das Beschriebene wahrgenommen wird: Hier denkt man zunächst an Standpunktanalysen im Stile Boris Uspenskijs, der nicht unähnlich den klassischen Schematisierungen von Kameraeinstellungen im Film eine Reihe prinzipiell möglicher Perspektiven unterscheidet, von der Deckungsgleichheit des Standpunktes von Erzähler / Rezi­pient und einer Figur im Text bis zur Vogelperspektive.28 Wie geläufig Statius mit solchen Standpunktverschiebungen operiert, zeigt beispielsweise silv.  2, 3, 8–11 mit einem binnen weniger Verse rasant vollzogenen Wechsel von der Totale einer Überblicksdarstellung im imperfektiven Aspekt über die Nahbeobachtung des Pan bis zur Figurenperspektive der Pholoë. Auch das den Perspektivbegriff verfeinernde Instrumentarium der Differenzierung zwischen ›Narrator‹ und ›Focalizer‹, zwischen ›Wer formuliert?‹ und ›Wer nimmt wahr?‹, steht zur Verfügung, findet in den Silvae freilich nur bedingt geeignetes Einsatzgebiet;29 27 In zumindest einem Text spielt Statius auch damit: vgl. u. III , bei Anm. 344. Daß hingegen Räume, die auf einer narrativen Ebene existieren, auf einer anderen auch nicht existieren können, ist ein ganz gewöhnlicher Effekt: Zwischen dem physischen Leser eines fiktionalen Textes und dem textimmanenten Zuhörer liegt diese Diskrepanz immer und mit Selbstverständlichkeit, zwischen narrativen Ebenen des Textes kann sie ganz unproblematisch auftreten, etwa wenn eine Figur träumt, eine Lügengeschichte erzählt etc. Erzeugungsund Verhaltensweisen textimmanenter Räume bleiben auf allen denkbaren Ebenen aber dieselben, weshalb für meine Untersuchung von einer Berücksichtigung dieser Ebenen abgesehen werden kann; wozu kommt, daß die Gedichte der Silvae in der Regel ohnehin keine komplexen Verschachtelungen verschiedener narrativer Ebenen kennen. 28 Uspenskij (1975), 69–94. 29 Vgl. Hartner (2012), 59 f.; nicht unähnlich die Differenzierung zwischen ›narratorialen‹ und ›figuralen‹ Standpunkten bei Schmid (2008), 137–139.

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denn es entwickelte sich im Kontext narratologischer Konzeptualisierungen speziell zur Untersuchung von in Narrationen eingebettenen Ekphraseis, mithin vor dem Hintergrund der traditionell hierarchischen Ordnung von überlegener Narration und zweitrangiger, die Narration und damit den Zeitverlauf bloß vorübergehend aufhaltender Ekphrasis.30 Eben diese Hierarchie aber dekonstruieren Statius’ Silvae, indem sie (jedenfalls in den von mir untersuchten Stücken, doch ich habe den Eindruck, dass keines der Gedichte eine Ausnahme bildet) für sich stehende Ekphraseis bieten, die da und dort durch untergeordnete Narrationen unterbrochen und überdies, doch das ist eine Frage nur der konkreten Ausführung der Ekphrasis, selbst gern partiell als Vorgänge präsentiert werden, etwa wenn in Beschreibungen von Villen (silv. 1, 3 und 2, 2) das Entstehen des Gebäudes aus dem unberührten Naturzustand zuvor thematisiert wird.31 Damit entfällt das Problem der handlungsimmanenten Figur, die als Wahrnehmungsinstanz von etwas Beschriebenem fungiert, zu einem guten Teil, wenngleich nicht völlig: So wartet bereits silv. 1, 1 mit etwas auf, was gut und gern als ›deviant focalization‹ im Sinne Donald ­Fowlers gewertet werden kann,32 also als Auseinandertreten von Wahrnehmungs- und Formulierungsinstanz, wenn zu Beginn des Gedichtes verschiedene (falsche) Theorien zur Entstehung des Equus maximus vorgeschlagen werden, obwohl einige Verse später (silv.  1, 1, 61–65) derselbe Entstehungprozeß ›richtig‹ (d. h.: textimmanent richtig) referiert wird. Rechnet man jedoch mit einem Wechsel der Sprechinstanzen im Textverlauf, decken sich im Einzelnen Wahrnehmungs- und Sprechinstanz wieder, und das Zusammenfallen dieser beiden Rollen scheint mir in der Tat zumindest in den ekphrastisch zentrierten ­Silvae weithin gegeben. Auch ein Zusammenspiel verschiedener Perspektiven, typisch für narrative Texte, erscheint in den hier untersuchten Gedichten nur selten und, nicht unerwartet, nur in narrativen Einlagen wie den Handlungen der Venus und des Asclepius in silv. 3, 4 – doch da es sich dort eher um narrative Fragmente als um eine zusammenhängende Erzählung handelt, ergibt sich auch daraus nicht jenes »Verhandeln von Figurenperspektiven«, das ­Marcus ­Hartner als ein »rezeptionstheoretisches Basisphänomen« beschreibt, welches »in der anthropologischen Verfasstheit des Menschen wurzelt«33 und 30 Fowler (1990), 42 f. (mit Literatur); ders. (1991), 29; vgl. Hartner (2012), 2–6. Instruktiv auch das z. B. bei Schwarze (1993), 145 f., reproduzierte Schema der Struktur narrativer Texte von Seymour Chatman, das den Raum (›settings‹) als auf dritter Stufe nachgereihtes Element der Narration (›narrative‹) behandelt. In der Folge der bisweilen wohl sogar un­bewußten Gleichsetzung von ›Text‹ mit ›narrativem Text‹ ergibt sich die geringe Bedeutung, die man dem Raum im Text im Vergleich zur Kategorie der Zeit oft beimaß. 31 Vgl. Heinen (2013), 168–174 (mit Verweis auf Korrespondenzen zwischen dieser ekphrastischen Technik und entsprechenden Forderungen in antiker Rhetorik). 32 Fowler (1990), passim. 33 Hartner (2012), 4; vgl. ebd., 6–8 und 75–194.

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einen der unabänderlichen Parameter des Erzählens bildet – aber eben des Erzählens, nicht zwangsläufig des Beschreibens. Soweit zur Erschaffung, d. h. Darstellung des textimmanenten Raumes. Ein angesichts des hochliterarischen Charakters der Silvae jedenfalls, bei genauerem Hinsehen freilich auch bei ›nichtliterarischen‹ Texten unumgängliches Problem ist ferner das der Inkomplettheit fiktiver Welten,34 daher auch fiktiver Räume, über deren prekären ontologischen Status sich die Antike völlig im klaren war.35 Es wirft die Frage auf, ob und wie weit die unvermeidlichen Lücken eines text­ immanenten Raumes (bzw. weiter gefaßt: der im Text entworfenen Welt) durch Rückgriff auf Gegebenheiten der realen, besser: aktualen Welt, auf die der Text sich bezieht (referentialisiert), durch Inferenz aufgefüllt werden dürfen, selbst wenn man den Vorgang der Referentialisierung als solchen akzeptiert und sich nicht auf eine ausschließlich intrinsische Deutung des Textes beschränkt.36 Die Frage ist verknüpft mit der nach der Möglichkeit der klaren Trennung zwischen literarischen und nichtliterarischen (d. h. ungefähr: alltagssprachlichen)

34 Eine Übersicht über die diesbezügliche Literatur gibt Doležel (1998), 22; Vgl. Goodman (1978), 18 f., und Klotz (2007), 85: »Beschreiben verlangt also konkretes und geistiges Positionsbeziehen, die bewusste Einnahme eines Sehepunktes und die Klärung dessen, was durch die Beschreibung der Wahrnehmung zugeführt, was wie thematisiert werden soll.« 35 Kaum zufällig wird in Aristophanes’ Ὄρνιθες ›Wolkenkuckucksheim‹ als χαῦνόν τι bezeichnet (819), als – freilich staunenerregendes – Nichts. 36 Ein Beispiel, das auf Dennerlein (2009), 92, zurückgeht: Man denke sich einen typisch fiktionalen Text, etwa einen Kriminalroman, der in in einer nebligen Stadt namens ›London‹ spielt und in welchem eine ›Tower Bridge‹, eine ›Saint Paul’s Cathedral‹ und ein ›Buckingham Palace‹ als Toponyme vorkommen. Steht in dieser fiktiven Stadt dann auch eine ›Westminster Abbey‹? Nach Meinung beispielsweise Lubomir Doležels tut sie das nicht, genauer: Es kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob sie existiert oder nicht: vgl. Dolezel (1997), 22 f. und 169–184. Diese streng logisch korrekte, doch unpraktische und in gewissem Sinn weltfremde Haltung scheint mir durch den oben skizzierten pragmatischen Kompromiß immerhin so weit lockerbar, daß sie nicht zum Hindernis für die Textlektüre wird. Es sei auch daran erinnert, daß neue Welten, gleichgültig ob fiktive in der Literatur oder anders organisierte in wissenschaftlichen Konzeptionen, stets entworfen werden, indem man von einer vorhandenen, vertrauten Version (konkreter: deren mentaler Repräsentation) ausgeht und einen oder mehrere Parameter verändert (vgl. Goodman [1978], 97). Das Vorhandensein vertrauter Versionen ist also zwingend nötig, auf Autoren- wie auf Rezipientenseite, und es ist auf beiden Seiten beweisbar: dort, weil anders kein Text zustandegekommen wäre, hier, weil sonst kein einziges Wort des Textes verstehbar wäre. Freilich sind die vertrauten Versionen des Autors und des Rezipienten (selbst dann nicht, wenn ein Autor sein eigener Rezipient ist, aufgrund der zeitlichen Differenz zwischen Produktion und Rezeption) niemals völlig deckungsgleich: Doch die Fähigkeit, die bzw. eine eigene vertraute Version während der Lektüre eines Textes sukzessive der des Autors im Text anzunähern, bildet die Voraussetzung jedes Textverständnisses und funktioniert zumindest in textbasierten Kulturen außerordentlich zuverlässig  – und mit ihr jede Literatur. Ich sehe keinen Grund, dieses pragmatische Funktionieren logischer Totalität zu opfern.

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Texten, denn für das Verständnis sprachlicher Äußerungen im Alltag sind die Referentialisierung von Begriffen im Text auf ihre Entsprechungen in der aktualen Welt sowie die Ergänzung von Inkomplettheiten zwingend notwendig, und das gilt auch für die räumlichen Elemente. Eine Trennlinie zwischen Texten des Alltags und Texten der Literatur aber, wie sie in diesem Zusammenhang bisweilen gezogen wird, etwa dergestalt, daß der ›reading community‹ außer für Alltagstexte auch für einige besondere, angeblich faktuale statt fiktionale Darstellung pflegende literarische Genera wie die Autobiographie die Berechtigung zur Referentialisierung auf die Aktualität attestiert,37 sonst hingegen verwehrt wird, kann nur willkürlich gezogen und niemals zwingend erwiesen werden, gleichgültig welchen Gestus der Authentizität selbst die ›faktualste‹ Autobiographie an den Tag legt.38 Ich versuche mir mit einem Kompromiß zu behelfen, der auf eine sistierende Negation des Problems hinausläuft: Auch in literarischen Texten ist jedes vorkommende Element so lange als auf seine Entsprechung in der aktualen Welt referentialisierbar, und die notwendigerweise inkomplette Welt des Textes als aus der Aktualität bis zur wünschenswerten Komplettheit legitim supplierbar anzusehen, als der Text keine klaren Signale im Sinne eines ›preferred reading‹ dafür setzt, daß dem nicht so ist: das heißt solange er für sein eigenes Verhältnis

37 Dennerlein (2009), 91 f.; zum Begriff der ›reading community‹ vgl. Fish (1980), 171 f. 38 Das gilt auch für tendenziell stärker ekphrastische als narrative Texte wie die von mir näher untersuchten Gedichte aus den Silvae, obschon solche Texte eigentlich guten Anspruch darauf hätten, jener nonfiktionalen Textklasse zugeschlagen zu werden, die schlicht die aktuale Welt beschreibt, nicht aber selbst eine neue Welt entwirft (vgl. Doležel [1998], 2­ 4–28), womit anstelle einer Debatte über den ontologischen Status des beschriebenen Raumes bloß noch eine Rectifizierung oder Falsifizierung der im Text getroffenen Aussagen im direkten Vergleich mit der beschriebenen Aktualität nötig, sinnvoll und möglich wäre. Dreierlei spricht dagegen, dieser  – schon wieder  – willkürlich gezogenen Trennlinie Glauben zu schenken. Zum einen der ganz evidente Umstand, daß Texte, die in ihre Beschreibungen so hochgradig fiktionale Elemente wie auftretende Gottheiten, mythische Aitien und Prophetien menschlicher vates einbauen, a priori dem Verdacht unterliegen, auch dort fiktional zu sein, wo sie es prima vista nicht zu sein scheinen: Es empfiehlt sich also, die Möglichkeit von Fiktionalität nie auszuschließen. Zweitens mag ein Text noch so sehr darum bemüht sein, zu beschreiben, was sein Verfasser in der Aktualität wahrnimmt, er erzeugt doch im Rezipienten nichts als φαντασίαι, und mit diesen hat der Interpret es jedenfalls zu tun, gleichgültig, ob er zusätzlich noch die fraglichen Objekte in der aktualen Welt aufsuchen und mit seinen φαντασίαι vergleichen kann. Drittens aber zerfällt auch die zunächst zuverlässig wirkende Gegenüberstellung von Aktualität und aktualitätsbeschreibendem Text, wenn, wie im Falle des Statius, bald zweitausend Jahre vergangen sind und die fragliche aktuale Welt ihrerseits in vielen ihrer Züge rekonstruiert werden muß – freilich nicht bloß aus Texten, sondern auch aus inzwischen ungeheuren Mengen gut erforschter materieller Überreste. Dennoch bleibt gar nichts anderes übrig, als auch die ekphrastischsten Gedichte sicherheitshalber lieber als ›fiktional‹ denn als ›nichtfiktional‹ zu behandeln – und damit dringt das Fiktionalitäts­ problem auch hier ein; vgl. auch Laird (1996), 96.

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zur Aktualität das Gütekriterium des πιθανόν beansprucht.39 Dabei bedeutet ›Aktualität‹ genauer das Weltwissen des Rezipienten (insbesondere des Model­ lesers im Text), also an sich schon ein mentales Konstrukt, das primär von Lücken dominiert ist, in welchem aber bestimmte Bereiche in der Art von geläufigen semantischen Feldern abrufbereit vorliegen, auch überindividuell, insoferne zwar kein Stadtrömer des ersten Jahrhunderts sämtliche Straßen und Gebäude, aus denen diese Stadt zusammengesetzt war, bis ins letzte Detail kannte, doch jeder ihrer Bewohner und darüber hinaus eine Vielzahl weiterer Personen das Forum Romanum kannte und über die dort stehenden Gebäude grundsätzlich bescheid wußte.40 Wenn daher in silv. 1, 1 ein Forum Romanum (streng genommen freilich ein Latium forum: silv. 1, 1, 2) mit Caesartempel, zwei Basiliken, benachbarten Kaiserforen und noch einigen weiteren Bauwerken entworfen wird, doch ohne eine Curia, dann leite ich daraus die Berechtigung ab, dies als eine Lücke zu werten, die potentiell für das Textverständnis von Bedeutung ist.41 Denn auf dem Forum Romanum der Aktualität stand und steht nun einmal das Senatsgebäude, jedem auch nur oberflächlichen Kenner dieser Örtlichkeit bekannt. Unter dieser Voraussetzung fällt das Fehlen der Curia auf, doch nur, wenn im ›Rom‹ des Textes tatsächlich eine Curia steht, auch wenn sie nicht genannt wird – in einem panegyrischen Gedicht für einen Kaiser, dessen Verhältnis zum Senat nicht das allerbeste war, wird man auf die Berechtigung, diese Leerstelle als solche festzustellen und interpretatorisch auszuwerten, ungern verzichten wollen. Daß die Interpretation eines Textes primär von literarischen Gesichtspunkten auszugehen hat, steht dabei außer Frage: Doch es hieße sich die Sache erheblich zu leicht machen, wollte man im Sinne eines falsch verstandenen ›linguistic turn‹ dabei stehenbleiben42 und darauf verzichten, Texte vor ihrem zeithistorischen Hintergrund, in meinem Fall vor dem Hintergrund dessen, was über die aktualen Räume, auf die Statius’ Gedichte Bezug nehmen,

39 Dieser Versuch eines pragmatischen Ansatzes zur Erfassung des im Text entworfenen Raumes deckt sich in gewisser Weise wieder mit Feststellungen aus der semiotischen Schule Jurij Lotmans oder Joost van Baaks: vgl. etwa van Baak (1983), 46 f. 40 Zu Implikationen der Diskrepanzen zwischen allgemein bekannten und weniger oder nicht bekannten Lokalitäten für das Textverständnis vgl. Eco (1999). 41 Dennerlein (2009), 94 f., unterscheidet zwischen »Unbestimmtheitsstellen« und »Leerstellen«, und sieht nur erstere als legitim supplierbar an, letztere hingegen als die echten, durch nichts zuverlässig zu stopfenden Löcher fiktiver Welten. Allerdings ist, wie aus Dennerleins Ausführungen hervorgeht, die Grenze zwischen beidem Ermessenssache. 42 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an einen Ansatz David Vesseys, der eine passagenweise dithyrambische Erläuterung des Manierismus bei Statius liefert, dabei aber die Referentialisierbarkeit auf aktuale Gegebenheiten weitestgehend zurückdrängt: Vessey (1986), 2760. Ohne die Richtigkeit vieler von Vesseys Beobachtungen leugnen zu wollen, halte ich Gedichte wie die der Silvae nicht für solipsistische manierierte Gebilde, sondern für Texte, die mit ihrem zeitlichen Hintergrund in ständigem Dialog stehen.

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bekannt ist, zu lesen.43 Die Schwierigkeiten des daraus resultierenden interdisziplinären Ansatzes sind evident. So ist es mir nur in sehr begrenztem Rahmen möglich, die althistorischen, archäologischen oder auch kognitionspsychologischen (um nur einige der mir vergleichsweise weniger vertrauten Felder zu nennen) Erkenntnisse bzw. Theorien, auf die ich mich im Laufe meiner Unter­ suchung stützen muß, auf ihre Validität zu überprüfen. Dennoch: Es scheint der Mühe wert, auch dieses Risiko in Kauf zu nehmen, um zu einer umfassenden Lektüre der Silvae zu gelangen. Diese Lektüre findet ihr Gegenüber in der ›Lesbarkeit‹ der beschriebenen aktualen Räume für den heutigen und erst recht den zeitgenössischen Besucher, Bewohner, Betreter44 derselben. So findet beispielsweise David Frederick das flavische Rom im Unterschied zum augusteischen für das moderne Publikum »hard to read«,45 und man kann daraus den hypothetischen Schluß ziehen, daß 43 Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgt Lorenz (2002), 45, in seiner Arbeit zu Martial: Lorenz zufolge »erfordern die Kaisergedichte (scil. des Martial; Anm. d. Verf.) einen Interpretationsansatz, der nicht auf historischen Grundlagen fußt, sondern auf literaturwissenschaftlichen. Das heißt: Die panegyrischen Epigramme sollen in Hinblick auf ihr literarisches Konzept und die Art der Figurencharakterisierung untersucht werden. Andererseits lässt eine Interpretation von Dichtung ohne jeden Bezug auf deren Entstehungshintergrund auch keine befriedigenden Befunde erwarten. Meine Untersuchung soll daher von der Betrachtung des Epigrammkorpus als eines literarischen Werks ausgehen. Die Resultate der Untersuchung werden dann mit notgedrungen spekulativen Überlegungen zum historischen Hintergrund der Kaisergedichte kontrastiert.« Im Unterschied zu Lorenz kann ich für mich den kleinen Vorteil verbuchen, daß der räumliche Hintergrund, nach dem zu suchen ist, vielfach in handfester materieller Evidenz gegeben ist, durch archäologische Befunde. Es stellt sich also das in der Tat oft zu Zirkelschlüssen verleitende Problem, daß man Texte vor einem historischen Hintergrund zu deuten versucht, der zu einem erheblichen Teil seinerseits aus denselben oder ähnlichen Texten abgeleitet ist, nicht in derselben Schärfe. 44 ›Betreter‹ als Äquivalent zum ›Betrachter‹ eines Bildes oder dem ›Zuhörer‹ der Musik und in Anlehnung an Pinder (1948), 19–22, der »Erschreitbarkeit« als das wesentliche Merkmal der Architektur definiert. 45 Frederick (2003), 203–205.  – Ein instruktives Beispiel für solche erschwerte Lesbarkeit bietet Schall (2011), 180, welche die Domus Flavia auf dem Palatin folgendermaßen beschreibt: »Vom Westen kommend, betritt man die Anlage durch einen achteckigen Saal und gelangt ins Zentrum der Domus Flavia, deren architektonischen Blickpunkt ein riesiger viereckiger Hof bildet …« Das ist eine technisch gesehen richtige Beschreibung, die dennoch in ihrer (bei keiner Beschreibung je vermeidbaren) Interpretation des Beschriebenen m. E. in die Irre geht. Erstens ist der Begriff ›Blickpunkt‹ streng genommen falsch gesetzt, denn weder handelt es sich um einen Punkt (in dem Sinn, daß der Betreter des Palastes an nur einem ganz bestimmten Punkt stehenbleiben und eine Szenerie betrachten sollte, oder in dem, daß ein bestimmter Punkt anvisiert werden sollte), noch war dieser Innenhof überhaupt dazu gebaut, wie eine Kulissenarchitektur vornehmlich visuell wahrgenommen zu werden. Zweitens aber beruht dieser Versuch einer ›Lektüre‹ des Kaiserpalastes auf einer unplausiblen Raumvorstellung, denn jener als Peristyl mit einer Brunnenanlage in der Mitte gestaltete Hof war gar nicht das Besondere am flavischen Palast, war weder besonders groß noch funktional neu­

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auch für das Publikum der flavischen Zeit ein gewisser Diskussions- und Erklärungsbedarf bestand: Schließlich muß es kein Zufall sein, daß just in flavischer Zeit vom diesbezüglichen Diskurs bedeutend mehr sichtbar wird als in den Generationen davor. Mein Versuch einer Lektüre der Silvae unter Hauptaugenmerk auf die darin entworfenen Räume geht also dahin, ihm als einem solchen sich artikulierenden ›Leser‹ der Räume und nicht zuletzt der Architektur seiner Zeit zuzuhören. Dabei fällt auf, daß Statius durchaus nicht nur Räume beschreibt, die besonderer Beachtung ohne weiteres würdig erscheinen, etwa den Kaiserpalast in silv. 4, 2 oder das Reiterstandbild Domitians im Kontext des Forum Romanum in silv 1, 1. Private Bauten wie die Villen von silv. 1, 3 und 2, 2 oder gar der minimale, auch seinerzeit wohl nur einzelnen Lesern bekannte Raum von Baum und Teich im Garten des Atedius Melior (silv.  2, 3) gehörten kaum zu den Räumen, deren Lesbarkeit allgemeiner Diskussion gewürdigt wurde: Sie stellen vielmehr Musterfälle dar, anhand derer ein Autor zeigt, wie man beispielsweise oder vorschlagsweise mit derlei Räumen verfahren kann – und er zeigt es umso deutlicher, als Statius mit der Publikation der Silvae, wie er selbst in den praefationes zu deren einzelnen Büchern nicht müde wird zu be­ tonen, etwas im Literaturbetrieb seiner Zeit Neues schafft. Es wird zu zeigen sein, daß Statius᾽ Lektüre von Räumen, von prominenten und allgemein bekannten ebenso wie von privaten, die der Leser anzunehmendermaßen nur aus der Lektüre selbst kennenlernt und sich durch Referentialisierung des Beschriebenen auf allgemein Vergleichbares (etwa: typische Villen, typische Gärten) provisorisch zusammenstücken muß,46 wesentlich darauf hinausläuft, daß diese Räume zu Heterotopien im Foucaultschen Sinn werden: Zu Räumen, die in verschiedener Hinsicht aus der Normalität des Alltagsraumes herausgehoben und zu Kristallisationspunkten weiterreichender Konzeptionen werden. Zuvor aber gilt es, meine Auswahl aus den immerhin 32 Gedichte umfassenden Silvae zu begründen. Mein Interesse gilt, wie bereits skizziert, speziell solchen Texten, in denen Räumlichkeit eine besondere Rolle spielt, d. h. wo die Be­obachtung dieser Rolle bei der Interpretation des Textes diesem zumindest potentiell ein markanteres, deutlicheres Profil verleiht. Diese besondere Rolle ist die oben erwähnte Beobachtung, welche die Fragestellung präzidiert, in artig noch außergewöhnlich ausgestattet. Spannend waren vielmehr die Bauten, die man von ihm aus erreichte, die großen Repräsentationssäle des Palastes, womit der Hof eher die Funktion eines ruhigen und konventionellen Bindegliedes zwischen diesen als die eines selbständigen Blickfangs einnahm. Was in dieser Weise aus Grund- und Aufriß des archäologisch Erforschten unschwer abzulesen ist, wird durch den literarischen Befund bei Statius (vgl. u. den Abschnitt zu silv. 4, 2) bestätigt. 46 Heinen (2013), 161: »He often evokes ekphrastic topoi, only to reject the detailed explanation that the reader expects.«

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dem Sinn, daß aufgrund der Feststellung ungewöhnlicher oder zumindest ungewöhnlich intensiver Raumentwürfe – man könnte auch von Verwerfungungen im Raum sprechen – nach dem Funktionieren dieses Besonderen einerseits, nach den daraus ableitbaren Schlußfolgerungen für eine unitarische Interpretation des jeweils in Rede stehenden Textes andererseits gefragt wird.47 Das bedeutet, daß Gedichte, deren Räumlichkeit sich konventionell zeigt, nicht Gegenstand meiner Untersuchung sind. So wird beispielsweise in silv. 3, 2, 84–99, einem Propemptikon,48 die Reise des Maecius Celer proleptisch beschrieben, geographisch einigermaßen stimmig, d. h. unter Entwurf eines Handlungs- bzw. Ereignisraumes, der jedoch nicht mehr ist als das unvermeidliche Nebenprodukt eben jener Narration – denn Narration benötigt fast zwangsläufig einen Ereignisraum, dessen Erscheinen also per se keine Besonderheit darstellt.49 Im selben Gedicht, v. 101–122, folgt eine weitere Auflistung von Örtlichkeiten, wohin Celer eventuell gelangen wird, und diese ist immerhin insofern interessant, als Statius sich darin indirekt selbst charakterisiert, indem er entweder ausmalt, was er selbst alles gerne kennenlernen und erfahren würde, oder aber, was er selbst alles weiß, ohne wie Celer auf Reisen zu gehen: In beiden Fällen charakterisiert der Sprecher bzw., weitgehend deckungsgleich wie häufig in den Silvae, Autor im Text sich selbst als unmilitärischen Gelehrten, der die Leerstelle der kommenden Taten des Celer auf seine Weise füllt. Weitergehend freilich scheint die Räumlichkeit dieses Textes interpretatorisch nicht befrachtbar, d. h. sie bildet nicht den wesentlichen Kern, schon gar nicht die allenfalls zu postulierende Pointe des Textes, den ich daher unberücksichtigt lasse. Ähnlich weist silv. 1, 2, das epithalamium für Stella und Violentilla, schon aufgrund seiner passagenweisen Narration räumliche Elemente auf, welche auch bereits zum Gegenstand eingehenderer Überlegungen gemacht wurden.50 Doch auch hier gilt, daß dieser Raum nicht im Zentrum des Gedichtes steht, ebensowenig wie in den zahlreichen Epicedien der Sammlung (silv. 2, 1; 2, 6; 47 Den automatischen Drang jedes Textes zur unitarischen Deutung setze ich mit (beispielsweise) Culler (1982), 81, als axiomatischen Ausgangspunkt fest. Die Richtigkeit des Axioms kann allgemein mit gutem Recht bestritten werden, im Falle von Texten jedoch wie den in den Silvae enthaltenen, die durch mäßige Länge, thematische Konzentration auf jeweils genau ein Sujet, formale Geschlossenheit in sich und zugleich formale wie inhaltliche Varianz gegenüber den sie umgebenden Texten in der Sammlung deutliche Signale für unitarische Deutung setzen, während gegenteilige Signale nach meinem Erachten fehlen, scheint mir eine Herangehensweise mit dem Ziel holistischen Textverständnisses klar dem ›pre­ferred reading‹ der Texte zu entsprechen. 48 Zu diesem Gedicht vgl. Ganzenbacher (2015). 49 Auffällig wäre das Gegenteil, also Narration ohne Raum, wie sie nach meinem Dafürhalten als Ausnahmefall und aufgrund eines theologischen (also dezidiert außerlitera­ rischen) Konzeptes im ersten Teil der Psychomachia des Prudentius versucht wird: vgl. Kreuz (2010). 50 Newlands (2002), 93–105.

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3, 3; 5, 1; 5, 3; 5, 5), unter denen nur silv. 2, 7 als in mehrfacher Hinsicht besonderer Fall auch hinsichtlich seines Raumes hervorsticht und daher zumindest gestreift werden soll. Ähnlich wie dieses bilden auch silv. 3, 5 und 4, 5 Grenzfälle meiner Untersuchung, weil in ihnen (und in einigen kurzen Passagen von silv. 5, 3, das damit indirekt doch eine Rolle spielt) zwar Räumlichkeit nicht zum Thema gemacht, doch in einer allgemeineren Weise mit einem bestimmten Element, der Statius eigenen Darstellung seiner eigenen Habitate und besonders des Golfes von Neapel als künstlerisch-literarischer Ort(e), operiert wird. Hingegen existiert eine Reihe von Gedichten, in denen Räume direkt oder indirekt das Zentrum bilden, um das herum sich der gesamte Text gruppiert, also über die geläufige Funktion als bühnenartiger Hintergrund für Handlungen hinausgehen.51 Es sind dies neben den offenkundig hierhergehörigen weitgehend ekphrastischen Villengedichten silv. 1, 3 Villa Tiburtina Manili V ­ opisci und silv.  2, 2 Villa Surrentina Polli Felicis und den ihnen nahekommenden Gedichten silv.  3, 1 Hercules Surrentinus Polli Felicis und silv.  1, 5 Balneum Etrusci, die sich bei allen Unterschieden als zusammengehörige Gruppe betrachten lassen, vor allem die panegyrischen, auf Domitian bezogenen Gedichte silv. 1, 1 Equus maximus Domitiani Imperatoris; silv. 1, 6 Kalendae De­ cembres; silv. 4, 1 Septimus decimus consulatus Imperatoris Augusti Germanici; silv.  4, 2 Eucharisticon ad Imperatorem Augustum Germanicum Domitianum und silv. 4, 3 Via Domitiana. Sie alle operieren, selbst wenn nicht ein Bauwerk oder eine Lokalität unmittelbar das Thema des Gedichtes abgibt, ganz wesentlich damit, rund um den gepriesenen Kaiser einen Raum zu entwerfen bzw. den vorhandenen Raum durch die Präsenz des Kaisers neu zu begründen und neu zu deuten: ein Umstand, den man ohne weiteres in der grundsätzlichen Tendenz römischer religio zur räumlichen Fixierung begründet sehen kann,52 dem es aber jedenfalls nachzuspüren gilt. Merkwürdigerweise existiert zu beiden Gedichtgruppen je ein Seitenstück, dessen scheinbare thematische Zugehörigkeit durch gänzlich anders- und eigenartige räumliche Konzeption konterkariert wird: silv. 3, 4 Capilli Flavi Earini als Gedicht aus dem nahen Umkreis der Domitianpanegyrik, silv. 2, 3 Arbor Atedi Melioris als seinem Thema nach den ›privaten‹ Villengedichten verwandtes Gedicht. Gemeinsam ist diesen beiden das zentrale Motiv der Spiegelung und der aus diesem Motiv entwickelten eigentüm­lichen Räumlichkeit, weshalb ich sie als eigene Gruppe und – für die Ökonomie meiner Darstellung – als Spiegelachse zwischen panegyrischen und 51 Vgl. Fitter (1995), 40, der zwar skeptisch bezüglich einer vollen Emanzipation des Raumes von der Hintergrundfunktion in der Narration ist, doch ganz plausibel in der helle­ nistischen εἰδύλλια-Dichtung (die ihrerseits ja mit dem Mimiambus einen theatralischen Ursprung hat) den Beginn eines solchen Prozesses sieht: »Throughout antiquity landskip will never fully escape the condition of ›scaena‹, of elaborated backdrop, yet with Theocritus such specificity turns gain, as a ›poetry of place‹ is born.« 52 Vgl. Helgeland (1980), 1292.

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Villen­gedichten betrachten werde.53 Dabei entsprechen die beiden Großkapitel ›Panegyrik‹ / ›Villen‹ der historisch gewachsenen Trennung von öffentlichen Räumen und privaten, unter denen wiederum die Villen auf dem Land (d. h. abseits vom öffentlichen Raum der Stadt in der ›Natur‹)54 wieder die zentrale Rolle für die Selbstidentifikation und Selbstvergewisserung ihrer Trägerschicht spielten.55 Die ›Spiegelgedichte‹ scheinen weniger leicht aus dem zeitlichen Kontext begründbar, anders formuliert bilden sie, jedes auf seine Art, besonders krasse Fälle des Experimentierens. Dieses Experimentieren bildet die wohl spannendste Facette an Statius’ ­Œuvre, nicht nur an den Silvae:56 Man denkt etwa an die aus ovidischen Ansätzen entwickelte Eigenart der Thebais, Narration fast permanent in Bildhaftigkeit anzuhalten,57 auch an den ungewöhnlich eingeschränkten Raum jenes Epos, der sich, jedenfalls für die männlichen Helden (der weitere Aktionsradius einiger weiblicher Figuren, der Hypsipyle beispielsweise oder der nach Athen pilgernden argivischen Frauen, sticht deutlich davon ab), auf die beiden Punkte Theben und Argos sowie den Weg dazwischen mit Nemea als Ort einer nur en passant und zufällig eintretenden Ereigniskette, also entfernt dem Raum von silv. 3, 4 gleicht (vgl. u. 329–333). Erst recht erwartet man, in den als literarische Versuche deklarierten Dichtungen der Silvae Statius als poetischen Routinier, der sein Handwerk in der Schule des Vaters gelernt hat, und gleichwohl als experimentierfreudigen Dichter kennenzulernen.58 53 Damit stützt meine Studie sich übrigens auf eine ähnliche Zusammenstellung von näher analysierten Gedichten aus den Silvae wie Newlands (2002), aus intrinsischen Gründen: Ich habe jene Texte ausgewählt, die mir in räumlicher Hinsicht von Interesse zu sein scheinen, Newlands jene, an denen die »poetics of Empire« am besten zu zeigen sind – das verbindende Element liegt im Poetologischen, wofür diese Texte im Corpus der Silvae die aussagekräftigsten zu sein scheinen. Zugleich zeigt die Gegenüberstellung aber die Verschiedenheit der Herangehensweisen: Während Newlands brilliantes Buch der Postitionierung dichte­ rischer Werke im Machtgefüge der flavischen Zeit nachspürt, versuche ich den Umgang der gleichen Gedichte mit den Herausforderungen des Textraumes zu untersuchen. 54 In diesem Zusammenhang wird zumindest en passant auch auf Statius’ Verhältnis zur Natur einzugehen sein, denn mit pauschalierenden Äußerungen wie »Statius war eben ein alter Römer und hatte für die Natur einen unsentimentalischen Blick.« (Krüger [1998], 51, Anm. 171) wird man sich ungern zufriedengeben wollen. 55 Vgl. Zanker (2000), 409 f. 56 Vgl. Newlands (2012), 9; Bessone (2014), 296, weist besonders auf den »generic experimentalism« der Silvae hin. 57 Vgl. Hardie (2002), 173. 58 Um nur ein Beispiel abseits jeder Räumlichkeitsdebatte anzuführen: In silv. 5, 1, 135sq. vollzieht der Sprecher mithilfe eines Binnenprooemiums mitten in einem Epikedion einen Wechsel von der bisher recht freundlichen Stimmung des Gedichtes zu tiefer Trauer statt, wie eher zu erwarten wäre (und in anderen Epikedia in den Silvae auch erscheint) in umgekehrter Richtung von einem klagenden Beginn zu einem tröstlicheren Schlußteil: Ein offenkundiger Versuch, ob eine an sich konventionelle Gattung sich nicht auch einmal umgekehrt aufzäumen läßt.

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Wie kaum anders zu erwarten wurde in der Forschung, soweit sie von Statius überhaupt Notiz nahm,59 Experimentierfreudigkeit, die wichtigste Facette an Statius᾽ allgemeiner Tendenz zu radikalen Neuerungen, a priori weder erwartet noch gutgeheißen, sondern Abweichungen von wie auch immer begründeten literarischen Normen, wie sie sich in den Silvae selbst flüchtigem Blick allenthalben bieten, allzu leicht mit der von Statius selbst und vor allem in seinen praefationes bis zum Überdruß (und umso unglaubwürdiger) bedienten Stegreifdichtungstopik begründet:60 als Betriebsunfälle eines unsorgfältigen Schnellschreibers. So formuliert etwa der um die Silvae in verschiedener Hinsicht verdiente Abraham Wasserstein im Tonfall einer Entschuldigung: »After all, an occasional awkwardness and incongruity of expression and thought are blemishes to be expected in the Silvae.«61 Dazu paßt auch die irritierte Reaktion eines Rezensenten auf Hubert Canciks zwar nicht unproblematisches, aber für die Erforschung der Silvae in vieler Hinsicht grundlegendes Werk Untersu­ chungen zur lyrischen Kunst des P. Papinius Statius (1965): Es handle sich bei den Silvae schlechtestenfalls um Hofdichtung, bestenfalls um »a trifling conceit, a happy impromptu« oder »jeu d’esprit«, in jedem Fall aber seien diese Gedichte »only in a technical and limited sense poetic.«62 Allerdings ist, wie David V ­ essey in Anlehnung an Roland Barthes klarstellt, Statius mehr ein ›schreibbarer‹ als ein ›lesbarer‹ Autor, der Leser also dazu aufgerufen, sich seinen Statius selbst zu ›schreiben‹.63 In diesem Lichte ist interessant, daß jener Rezensent auch auf einer klaren Unterscheidung zwischen klassischer Kunst, etwa Vergil, und Statius bestand: Demzufolge sei nur Klassisches poetisch, bzw. der Grad der Poesie bemesse sich nach ihrer Klassiknähe. Mit solch aprioristischen Qualifikationen und den daraus ableitbaren Zirkelschlüssen ist nun freilich nicht weiterzukommen. Man mag Statius als rhetorisch, manieristisch, barock oder wie auch immer bezeichnen: Wichtig ist, daß seine Art, Texte zu verfassen, dem Wie der Darstellung – ihrem Stil, wenn man 59 Immerhin konnte noch Friedländer (1932), 215, feststellen: »Der römische Dichter ­Statius aus der Zeit des Titus und Domitian liegt mitsamt seinen Werken auf dem Friedhof der Literaturgeschichte begraben. Vermutlich gehörte selbst sein Name zu den allerun­ bekanntesten, wenn nicht der XXI . Gesang des Purgatoriums ihn mit Dante selbst und mit Vergil in einer unvergeßlichen Begegnung zusammenführte.« 60 Vgl. Döpp (1996), 322 f., Anm. 8; Johannsen (2006), 316–322; eine Lanze für den improvisierenden Charakter der Gedichte, der auch in die publizierte Sammlung unverändert übernommen worden sei, bricht zuletzt Liberman (2010), 14 f. 61 Wasserstein (1951), 82. 62 Kenney (1966), 332. 63 Vgl. Vessey (1986), 2802. Es ist zu bedenken, daß die antike Literatur Autor und Leser niemals in gleicher Schärfe voneinander trennt und antipodisch zueinander anordnet wie die moderne, ist doch ein antiker Lesevorgang stets erstens ein lautes, d. h. zumindest ansatzweise performatives, zweitens ein kritisches, d. h. sich den für richtig erachteten Text erst erschaffendes, Lesen.

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so will – vermehrtes Interesse widmet, dem Was relativ dazu (nicht aber absolut) weniger. Bisweilen gigantische Bedeutungsbefrachtung selbst belanglos scheinender Gegenstände ist dabei keineswegs ausgeschlossen. Spätestens hier ist, wie noch öfter im Verlauf meiner Studie, der horazische Brückenschlag zu anderen Kunstgattungen nötig, das Ut pictura poesis: Beim Betrachten eines Gemäldes beispielsweise von Cézanne ignoriert man ja auch zumeist die an sich alltäglichen Gegenstände wie Äpfel oder Birnen und konzentriert sich auf die »Rhetorik der Sichtweisen«, d. h. den Stil des Gemäldes.64 Ähnlich Statius’ Sil­ vae: Die Inhalte sind oft, absolut betrachtet, geradezu Bagatellen – was hat es schon für eine Wichtigkeit, wenn im Garten eines römischen Privatiers ein Baum schief über einen Teich hängt wie in silv. 2, 3? Umso mehr konzentrieren die Gedichte, auch auf formaler Ebene manieristisch und damit die Sprache aus ihrer Rolle als automatisiert funktionierendes Medium stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückend, sich auf die Sichtweise des Dargestellten. Die Form der Darstellung überwiegt oder äquilibriert zumindest den Inhalt, und es kommt, primitivierend gesprochen, darauf an, dem Autor dabei zuzusehen, wie er aus einem manchmal geringfügigen Gegenstand, unscheinbaren, doch unkonventionellen Sujets, raffinierte Texte macht.65 Man könnte einen Schritt weitergehen und Statius᾽ Silvae als Novellen in Versform betrachten, jedenfalls wenn man von einem (präskriptiv wie stets zumindest problematischen, deskriptiv aber für einen respektablen Teil existierender Novellen zutreffenden) Novellenbegriff ausgeht, der in einer ersten Annäherung an den Begriff das Kreisen um eine einzelne Begebenheit (so etwa Goethes Definition), die Fokussierung auf ein mit Bedeutung befrachtetes Einzelobjekt (Dingsymbol: Paul Heyse bzw. Hermann Pongs) und das Staunen über die Besonderheit von etwas unter anderen Umständen und unter anderer Betrachtung nicht Erstaunlichem (Robert Petsch) als wesentliche mögliche Charakteristika,66 die Verdichtung zur geschlossenen Form als jedenfalls nötigen formalen Rahmen67 nimmt: Statius’ Gedichte kreisen jeweils um ein einzelnes Objekt oder Ereignis und loten in zumeist literarisch unpräzedierter Weise das literarische Potential dieses Gegenstandes aus. Sie stehen jedoch, auch wenn sie passagenweise epischen Gestus zeigen, auf einer Vorstufe zur Narration, also 64 Wiesing (2007), 47. 65 Vgl. Goodman (1978), 67f: Ein Objekt, beispielsweise ein Stein oder eine Linie auf einem Blatt Papier, fungiert und funktioniert als Kunstwerk, wenn folgende Kriterien erfüllt sind: »syntactic density«, »semantic density«, »relative repleteness«, »exemplification« und »multiple and complex reference«. Statius’ Gedichte, als sprachliche Doubles ihrer ­außersprachlichen Sujets, befinden sich in der Zwitterposition, diese Kriterien selbst zu erfüllen und zugleich ihren Gegenständen, gerade wenn es sich um alltäglich nicht ›kunst­ verdächtige‹ handelt wie die Straße von silv. 4, 3 oder den Baum von silv. 2, 3, zuzuschreiben. 66 Vgl. Garrido Miñambres (2009), 15–28. 67 Vgl. z. B. Seidler (1959), 512.

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zur Epik – gerade als Epiker geriert sich Statius in den Silvae ja konsequent,68 wenn auch stärker noch als in der Thebais als professioneller Virtuose, der den topischen vates-Anspruch durch handwerkliche Brillanz ersetzt.69 Die Silvae bieten gleichsam Rohstoffe für denkbare Narrationen, ein zur Epik drängendes Gegenstück zur Thebais, diesem zur Statik und zur Ekphrasis drängenden Epos, in dem Narration fortwährend in Bilder gebannt, Tableaus arrangiert und Szenen expressis verbis beschrieben anstatt gut lessingisch erzählend ent­w ickelt werden.70 Immerhin: Das Epos zeichnet der Anspruch aus, die Totalität seiner Welt zu umfassen, sie restlos zu versprachlichen, nichts als unerheblich auszuschließen.71 Die Novelle verhält sich zum Epos (und zum Roman) insofern wie ein Teil  zum Ganzen, als sie den Totalitätsanspruch gegen die Ausschnittshaftigkeit eines erzählten besonderen Falles eintauscht, dabei aber ebensowenig wie das Epos Unerhebliches ausschließt, ja möglicherweise sogar zur Gänze auf etwas in großen Zusammenhängen wenig Erheblichem beruht, einer erzählten unscheinbaren Begebenheit, die erst durch die Fassung der Novelle wesent­lich wird. Ähnlich verhalten sich im Werk des Statius Silvae und The­ bais zu­einander: Epische Totalität hier, Kristallisation kleiner und kleinster Ausschnitte da. Doch im Unterschied zur gängigen Novelle, deren Erzählfluß »enggeführt durch den Ausnahmefall (…) heftiger, deutlicher und zielstrebiger als im Roman« wirkt,72 also an Rasanz gewinnt, zeigen die Gedichte der Silvae ihre Eigenart gerade nicht in narrativer Rasanz (wenn Rasanz in anderem Sinn dem technik- und fortschrittsbegeisterten Statius auch durchaus ein Thema abgeben kann wie z. B. in silv. 4, 3),73 sondern im Fehlen durchgängiger 68 Vgl. Marshall (2011), 325. 69 Vgl. die Übersicht bei Gibson (2006); zu Statius in den Silvae als vates vgl. Lovatt (2007) und Bessone (2014), 296–298. Insofern läuft auch eine Kritik wie die folgende ins Leere: »Wir stellen höhere Ansprüche an Lyrik, erwarten von ihr mehr Geheimnis, mehr Psychologie, eine Erwartungshaltung, die selbstverständlich ein statianisches oder horazisches Gedicht mit seinem trivialen Natursymbolismus, der eine uns in der Regel hausbackend (sic) anmutende Gefühls- und Gedankenwelt illustriert, nicht befriedigen kann.« (Krüger [1998], 56f). Abgesehen von zwei in horazischen Versmaßen gehaltenen Gedichten aber tritt Statius in den Silvae regelmäßig als Epiker, allenfalls noch als Epigrammatiker, doch, soweit ich sehen kann, nie als Lyriker auf. 70 Von Versteinerung der Epik (»petrification«) spricht Smith (1902), 93, in diesem Zusammenhang. 71 Klotz (2006), 107. 72 Klotz (2006), 124. 73 Unnachahmlich zu Statius᾽ Technikbegeisterung Newlands (2002), 216, konkret zu silv. 1, 5, doch ohne weiteres verallgemeinerbar: »The pure water of Callimachean inspiration springs here not from a secluded fountain but rushes along eye-catching, enormous struc­ tures«, nämlich Aquädukte. – Nicht unter ›Rasanz‹ zu verstehen ist in diesem Zusammenhang freilich die Raschheit des deskribierenden Pinselstriches, wie sie Vessey (1986), 2764 f., konkret der Ortsschilderung von silv. 1, 3 mit Recht attestiert.

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Narration, so narrativ einzelne Passagen wie eingelegte Kunstmythen oder geschilderte Szenen(folgen) aus diversen Feierlichkeiten auch sein mögen. Man könnte von a-narrativen Novellen sprechen, wäre nicht offenkundig, daß man die Bandbreite literarischer Möglichkeiten, die Statius in den Silvae ausbreitet, damit unzulässig vereinfachte. Denn bisweilen blitzt der Erzählgestus des Epikers gerade im Brennpunkt ekphrastischer Gedichte auf, etwa in silv. 2, 3, der Arbor Atedi Melioris, wenn zunächst die vor Pan fliehende Nymphe in bizarrem Zickzack den Raum des prähistorischen Roms, ihrer Lebenswelt, durcheilt wie ein epischer Held, der die Welt seines Epos durchmißt und damit den Lesern aufspannt. Prompt führt dieses Tun allerdings zu nichts, vielmehr sinkt die Nymphe bloß erschöpft in Schlaf oder Ohnmacht – ein poetologisch nicht uninteressantes Resultat. Reflexion erst ist es, diesfalls ganz praktisch durch einen verkehrtherum geflogen kommenden Pfeil der Diana bewerkstelligt, welche neue Handlung hervorbringt, und diese erfolgt mit der Rasanz eines Augenblicks: Die Nymphe springt ins Wasser, und Pan beugt zunächst sich, dann einen Stellvertreter in Gestalt eines Baumes über es bzw. sie. Diese minimale Handlung, zur vorangegangenen topischen und im nachgerade gelangweilt klingenden Imperfekt begonnenen Jagd des lüsternen Pan auf lustlose Nymphen sich verhaltend wie Novelle zu Epos, ist es, um die das ganze Gedicht sich dreht und die bezeichnenderweise, wie so viele Szenen in Statius᾽ Großepik ins Bild festgebannt, seinen Ausgangspunkt bildet: dazu vgl. u. 370–381. Dieses Novellistische und zugleich mit den Möglichkeiten der Narration, häufiger noch Möglichkeiten zur Narration Spielende ist der Charakterzug der Silvae, der nicht bloß ihre Einheit begründet, sondern auch ihren Titel: Nicht bloß eine bunte Versammlung von Texten, die gut und gerne als ›Wald‹, nicht weniger gut auch als ›Blumenwiese‹ oder ›poetischer Garten‹ oder dergleichen bezeichnet werden konnte, sondern silva als Lehnübersetzung zu ὕλη, der poetischen ›Materie‹, dem ›Stoff‹; sicherlich auch mit der Konnotation des Provisorischen, des Nicht-vollständig-Ausgeführten, des Rohmaterials, doch das ist nicht unbedingt der springende Punkt:74 Denn wer würde den einzelnen Gedichten der Silvae ernstlich Unausgegorenheit, Flüchtigkeit, kurz: mindere Qualität attestieren wollen?75 Es scheint mir eher, daß das Grundlagenhafte und 74 Vgl. die außerordentlich lehrreichen Ausführungen zum Titel Silvae durch Wray (2007); eine Kurzskizze der Debatte zur Bedeutung des Titels bietet Johannsen (2006), ­305–307. Für Martials Xenia und Apophoreta weist Culpepper (2006) ganz ähnliches Selbstverständnis nach. 75 Man wird einwenden, daß Statius doch selbst, d. h. als Autor im Text, in den Prosapraefationes zu den einzelnen Büchern der Silvae besonders deren rasche Verfertigung betont. Heißt es im Lichte solcher Aussagen den Texten nicht zu viel und vielleicht sogar Falsches abzuverlangen, wenn man sie dennoch als vollendete, ausgefeilte Kunstwerke betrachtet? Meine Antwort lautet: Nein, und zwar aus zweierlei Gründen. Einmal, weil ich bei aller Lektüre der Silvae, ihren schlechten Erhaltungs- und ihren selbst nach den guten Ausgaben von Courtney (1990) und Shackleton Bailey (2003) zweifellos immer noch verbesser-

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Vorläufige, das dem ὕλη-Begriff innewohnt, nicht so sehr den Ausführungsgrad der vorliegenden Gedichte bezeichnet, sondern deren Positionierung auf einer Stufe unterhalb derjenigen Literaturform, die Statius als Leitgattung pflegte und für die er, was sicherlich von Bedeutung ist, vor Publikation des ersten Buches der Silvae durch Veröffentlichung der Thebais bereits zumindest bekannt, eher wohl berühmt war: Material für Epik, auf das ihm innewohnende poetische Potential geprüft, doch eben in diesem Prüfungszustand belassen, nicht in die Welt eines großen Epos gestoßen.76 Im Falle der stärker ekphrastischen Gedichte könnte man auch formulieren: poetische Räume, denen, und das ist eine wesentliche Gemeinsamkeit dieser Texte, das Element des Zeitflusses fehlt, um episch zu werden. Umso kühner und genauer lotet Statius die Möglichkeiten solcher Räume als solche aus und schafft dabei zumeist überraschend neue, besondere Räume: Gerade so wie, um ein letztes Mal diesen Vergleich zu strapazieren, ein Novellist, der die Möglichkeiten einer erzählbaren Begebenheit auslotet und ihnen überraschende Neuigkeit abgewinnt.77 Anstatt in den Strom des Erzählens schreibt Statius sich also in die Heterotopie des Beschreibens: Den Begriff gebrauche ich in dem Sinn, den Michel Foucault vor über einem halben Jahrhundert ihm gegeben hat, als »Orte, die gleichsam Gegenorte darstellen, tatsächlich verwirklichte Utopien, in denen die realen Orte, all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden«78, verkürzt gesagt als reale Utopien, als Orte, an denen sonst unvereinbare Gegen­ baren editorischen Zustand in Rechnung gestellt, noch nie auf etwas gestoßen bin, was sich sinnvoll nur als Flüchtigkeitsfehler hätte erklären lassen; für manche der in der Forschung so gedeuteten Stellen versucht meine Arbeit entsprechende Erklärungen anzubieten. Zum anderen, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß ein Autor, dessen Gedichte wirklich fehlerbehaftet wären, sich dann noch der Schnelligkeit seiner Produktion rühmen würde – was ist schon bemerkenswert daran, wenn jemand ein schlechtes Gedicht in kurzer Zeit schreibt? Nur hohes Tempo, das dennoch zu qualitätvollen Resultaten führt, ist in dieser Weise rühmenswert. Vgl. auch silv. 1 praef. Manilius certe … Vopiscus … solet ultro quoque meo nomine gloriari villam Tiburtinam suam descriptam a nobis uno die. Damon (2002), 185, deutet das ganz richtig so, daß Vopiscus mithilfe von Statius’ Gedicht Reklame für seine Villa machte – doch dann wäre es kontraproduktiv gewesen, darauf hinzuweisen, daß man binnen eines Tages ein Gedicht auf sie schreiben könne, schließlich wäre die Villa dann offenkundig wenig spektakulär. Das uno die ist also eine Zusatzinformation seitens des textimmanenten Statius, nicht Bestandteil von Vopiscus’ Rede, und sie steht sogar im Widerspruch zur Qualität des Gedichtes, an welchem Vopiscus offenkundig nichts auszusetzen fand. 76 Vgl. Marshall (2011), 343 und passim zu den insbesondere zur Großepik führenden intertextuellen Bezügen, mit deren Hilfe Statius diese besondere Position seiner Texte innerhalb der literarischen Tradition verbalisiert. 77 Zu einer weiteren Facette des Silvae-Begriffs, den man aus Aristoteles᾽ Diktum τὰ γὰρ φαντάσματα ὥσπερ αἰσθήματά ἐστι, πλὴν ἄνευ ὕλης (Aristot. de an. 3, 8 [432a]) gewinnen kann, vgl. u. III , bei Anm. 243. 78 Foucault (2012), 320.

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sätze zusammengebracht werden. Man kann an Foucaults Heterotopiekonzept mit Recht monieren (und hat auch moniert), daß ihm eine gewisse Beliebigkeit eignet,79 insofern bei entsprechender Betrachtungsweise und Wahl der in den Fokus gerückten Kategorie(n) wahrscheinlich jeder Ort in irgendeiner Weise als Heterotopie angesprochen werden kann.80 Doch eben diese Beliebigkeit machen manche Texte des Statius sich zunutze, indem sie ganz im Sinne von Nelson Goodmans ›ways of worldmaking‹ durch Auswahl, Anordnung und Schwerpunktsetzung bestimmte Welten oder besser Teile von Welten, die sich als unter die poetische Lupe genommener Ausschnitt einer umfassenderen Welt verstehen, erzeugen:81 Das Amphitheater mag schon im allgemeinen Diskurs der römischen Gesellschaft ein besonderer Ort sein, an welchem die durch den Kaiser ermöglichte und garantierte Herrschaft des populus Romanus über den Erdkreis, seine Völker und Natur, rituell-räumlich inszeniert wird,82 und es mag nahegelegen sein, diesen Heterotopos noch ein wenig weiter auszudeuten (vgl. den Abschnitt zu silv. 1, 6). Das Forum Romanum war zwar ebenfalls kein x-beliebiger Ort im römischen Stadtbild, und insofern ebenfalls ein literarisch abrufbarer Heterotopos der römischen Gesellschaft (vgl. den Abschnitt zu silv. 4, 1), doch die Verwandlung, die es gleich zu Beginn der Sammlung im Equus maximus (silv. 1, 1) erfährt und die es in letzter Konsequenz zum zeitlosen Zentrum des Götter- und Sternenhimmels macht, führt meilenweit darüber hinaus. Wenn schließlich in silv. 4, 3 eine ganz normale Straße durch die Präsenz und das Wirken des Kaisers zum besonderen Ort wird, ist der Kern der panegyrischen Raumauffassung des Statius greifbar: die Gabe des Monarchen, nicht nur per se besondere (diese freilich erst recht), sondern beliebige Orte zu Heterotopien zu machen. Ebenso zeigen die Villengedichte, im wesentlichen also silv. 1, 3 und 2, 2, das Bestreben, einen Ort, der gesellschaftlich als unauffällig gelten müßte, zum Äquivalent ihres Schöpfers und seines Charakters, im Falle von silv. 1, 3 auch des sich in seinem Haus ausdrückenden Kunst­ wollens zu machen, und den Text selbst zum Äquivalent für beides: also wiederum die Hervorhebung eines besonderen Ortes als Kristallisationspunkt ganz anderer, hier aber verräumlichter Konzepte.83 Schließlich kann es kein Zufall 79 Vgl. Kruse (2012), 209 f., und Klass (2012). 80 Foucault (2012), 322–326, nennt als Beispiele aus früheren Zeiten das Gymnasium bzw. den Militärdienst junger Männer und die Hochzeitsreise für frischvermählte Frauen (»Krisenheterotopien«), aus der Gegenwart Krankenhäuser und Altersheime, Friedhöfe, Theater und Kino, schließlich Gärten in ihrer klassischen Funktion als Mikrokosmos, Mussen und Archive, FKK-Anlagen, Bordelle und, dieses wieder stärker historisch, bestimmte Formen von Kolonien (»Abweichungsheterotopien«) – eine bunte Reihe, wie man zugeben wird. 81 Vgl. Goodman (1978), 13 f. 82 Vgl. Hufschmid (2011), 275. 83 Vgl. auch Bessone (2014), 308–320, zur Selbstdarstellung Statius’ als neuer Amphion: Das Motiv des Erschaffens einer Stadt – mithin eines Ortes, d. h. Raumes – durch das poe­ tische Wort lag ihm wohl nicht nur qua Verfasser der Thebais nahe.

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sein, wenn das, was Foucault als die »gemeinschaftliche Erfahrung« von Utopie und Heterotopie bezeichnet84 und wovon seine Analyse der Heterotopie ihren Ausgangspunkt nimmt, auch in Statius᾽ Silvae erscheint, und zwar in einem Ausmaß, das bei keinem anderen antiken Autor eine Entsprechung findet: der Spiegel. Um ihn drehen sich die texträumlich vielleicht ambitioniertesten Gedichte des Statius (silv. 2, 3 und 3, 4), und in ihnen wird am deutlichsten, daß die wahren Heterotopien nicht in den in Texten beschriebenen Räumen liegen, sondern daß poetische Texte selbst Heterotopien sind, die »alle Beziehungen« zu den beschriebenen Orten, »die durch sie bezeichnet, in ihnen gespiegelt und über sie der Reflexion zugänglich gemacht werden, suspendieren, neutralisieren oder in ihr Gegenteil verkehren.«85 Der Heterotopiecharakter des sprachlichen Kunstwerkes steht in einem Zu­ sammenhang mit entsprechenden Charakterzügen auch aller anderen Kunstformen, also der Kunst schlechthin; insbesondere mit denjenigen Kunstgattungen, die ihrerseits besondere Räume erschaffen, wie dem Theater und der bildenden Kunst. Es ist also gar nicht zu vermeiden (und aus sachlichen Gründen oft sogar geboten), Texträume auch unter dem Aspekt ihrer Verbindung mit konkreten Werken, vor allem aber mit allgemeinen Prinzipien anderer Kunstgattungen zu betrachten. Für Statius᾽ Silvae liegen besonders Bezüge zur Malerei und Plastik nahe, also zu Gattungen, die er selbst in seinen Gedichten sogar thematisiert, etwa in den Standbildern von silv. 1, 1 und 4, 6, doch auch der Statuengruppe in silv. 5, 1, 222–246, ferner im Portrait des Earinus in silv. 3, 4, etc.: »Jeder Umgang mit gesprochenen, gesungenen und geschriebenen Texten gründet sich nicht nur auf, sondern generiert zugleich eine Vielzahl von Bildern: mentale und verbale, individuelle und kollektive, politische und ideologische Bilder. Das gilt zugleich vice versa: Ohne Texte sind weder der Entwurf noch die Rezeption von Bildern möglich.«86 Allerdings erhebt sich dabei die Frage, auf welche Elemente, welche Kategorien von Bildern ebenso wie von Texten man sich dabei mehr oder minder ausschließlich bezieht. So geht es mir einerseits nicht so sehr um das Auffinden motivischer Parallelen im Sinne einer Panofskyschen Ikonologie,87 eines Nachweises von Texteinflüssen auf bild­liche Darstellungen oder dgl., und andererseits auch nicht um das Nachzeichnen des antiken Kunstdiskurses in bezug auf bestimmte Werke.88 Mich interessieren 84 Foucault (2012), 321. 85 Foucault (2012), 320. 86 Schneider (2008), 149. 87 Vgl. Squire (2009), 77–79. 88 Koch (2007) erstellt im Zuge ihres Versuches, Verortungen des Kunstdiskurses in der Antike taxonomisch zu erfassen, folgende Liste möglicher Orte: das Kunstwerk selbst, die Künstlerwerkstatt (bzw. das Spannungsfeld zwischen konkurrierenden Werkstätten), die staatliche Kunstverwaltung und ihr öffentlicher Diskurs, Bibliotheken und Schulen (wo

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vielmehr strukturelle Parallelen, Parallelitäten also im Wie der Darstellung zwischen Texten und anderen Kunstgattungen, nicht im Was. Das erschwert freilich das Procedere. Parallelen zwischen Dichtung einerseits und Malerei, Plastik oder auch Architektur andererseits zu ziehen, ist eine althergebrachte Denkfigur, und zugleich eine problematische, wobei ein wesentlicher Angelpunkt in der durch metaphorischen Sprachgebrauch oft noch zusätzlich erschwerten Frage nach der Vergleichbarkeit bzw. Gleichsetzbarkeit von Strukturen aus verschiedenen Kunstsparten liegt: Darf man die Farben der Malerei guten Gewissens mit den colores rhetorici eines Textes gleichsetzen? Die Wanderung des Betrachterauges über die Details eines Gemäldes mit dem motivischen Verlauf eines Textes?89 Man läuft rasch Gefahr, sich in der Beliebigkeit anhaltspunktloser Postulation von Vergleichbarkeiten zu verlieren, wie es m. E. in einzelnen Punkten vor kurzem einer ambitionierten Studie zustieß, die hier kurz skizziert sei, weil ihr Ansatz sich bis zu einem gewissen Grad mit dem meinen deckt, allerdings (dies der Unterschied zu meinem gewissermaßen weniger riskanten Ansatz) mit der Zielsetzung einer universellen Erklärung des Verhältnisses von Literatur und bildender Kunst anstelle der Beschränkung auf Texte, die sich auch und primär inhaltlich um Räumlichkeit bzw. Bildlichkeit drehen.90 Andreas Grüner (2004) unternimmt den Versuch, die Entwicklung der Wandmalerei vom ersten bis zum dritten Stil im Sinne einer Mentalitätsgeschichte so eng mit der Entwicklung der römischen Literatur von den Neo­ terikern bis zu den Augusteern zu vergleichen, daß er geradezu kausale Zusammenhänge zwischen literarischer und malerischer Praxis annimmt, ausgehend von einem axiomatischen Grundsatz, den ich für akzeptabel, wenn auch nicht für den einzig möglichen halte: Es gehe »nicht nur darum, die Gegenüberstellung von bildender Kunst und Literatur zu legitimieren. Es geht vielmehr um den Nachweis, daß ein Kunstwerk nur dann angemessen bewertet werden kann, wenn ein solcher Vergleich überhaupt stattgefunden hat. Die Verflechtung eines Kunstwerkes mit seiner historischen Umgebung ist so eng, daß auf eine Kanones vorbildhafter Künstler festgelegt und der kunsthistorische Bestand dokumentiert werden), Kunstdebatten im Symposiumskontext, auf Bildungsreisen, schließlich, ausdrücklich als »atopisch« kategorisiert, die Künstleranekdote. Texte wie Statius᾽ Silvae, die mit keiner der genannten Verortungen gänzlich in Deckung gebracht werden können, fehlen bezeichnenderweise in der Liste, und mit Recht: Denn hier handelt es sich nicht um ein vom Kunstwerk in bestimmter Hinsicht abtrennbares Sprechen über dasselbe, sondern um das Erschaffen oder, wenn man so will, Nach-Erschaffen von Kunstwerken durch etwas, was selbst in seiner Art auch für sich ein Kunstwerk ist – dieses sogar immer, während die beschriebenen Gegenstände, entgegen der seit der Antike immer deutlicher gewordenen Einschränkung des Ekphrasisbegriffes auf Beschreibungen von Kunstwerken, bei Statius durchaus auch eine Straße, ein Baum oder ein Volksfest sein können, Objekte mit recht offenem Kunstwerkscharakter also. 89 Grüner (2004), 218–224; vgl. Solso (1994), 138 und 152. 90 Vgl. Grüner (2004).

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Auslotung seines Umfelds nicht verzichtet werden darf.«91 Grüners Vorgehensweise, Prinzipien der Architektur- und Architekturmalerei in sprachlichen Phänomenen bis auf die Ebene stilistischer Figuren wiederzuentdecken, stehe ich freilich skeptisch gegenüber. Wenn beispielsweise die Entwicklung des versus aureus (der Begriff ist übrigens gar nicht antik) wirklich in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Entwicklung des zweiten pompeianischen Stils stünde, so wäre nicht recht nachvollziehbar, weshalb die nachfolgenden Umschwünge in den Malereistilen nicht auch ihrerseits besonders bevorzugte Wortarrangements im Einzelvers hervorbrachten, vielmehr sich gerade dieser Verstypus ungebrochener Beliebtheit auch bei spätantiken und mittelalterlichen Dichtern erfreut, obwohl die Zielsetzungen und Möglichkeiten der bildenden Kunst zu ihrer Zeit ganz andere sind. Auch wird aus Grüners Argumentation nicht ersichtlich, weshalb beispielsweise dem ersten Stil mit seiner Mauerquader und Marmorplatten nachahmenden Malerei das sorgfältige Arrangement der Wör­ ter in den Versen der Neoteriker entsprechen soll,92 die verwirrenden und mit den Gesetzen der Statik spielenden Dekorationen des späten zweiten bzw. frühesten dritten Stils hingegen dem assoziativen, manchmal sprunghaften Arrangement der Motive in den Elegien v. a. Tibulls:93 Nach welchem Kriterium hier ganz verschiedene Textebenen und Kategorien jeweils zum literarischen ­Pendant eines außerliterarischen Phänomens erklärt werden, bleibt offen und führt bisweilen zu gewagten Verbindungen, etwa wenn der λεπτότης des dritten Stils ausgerechnet diejenige Catulls entsprechen soll – als ob beide chronologisch miteinander zu tun hätten, und als ob das Sich-Absetzen der (literarischen) Klassiker als den Zeitgenossen, Rezipienten und wohl bisweilen auch Auftraggebern der Malereien des dritten Stils von der überzogenen Form­ künstelei der Neoteriker nicht existierte. Doch das betrifft nur die konkrete Anwendung, nicht den Grundsatz von Grüners Theorie, die völlig zu Recht davon ausgeht, daß »in ihrer Motivik (…) die Wandmalerei des Zweiten Stils und die gleichzeitige Dichtung so gut wie nichts gemein« haben; umso auffälliger seien die strukturellen Übereinstimmungen.94 Nach solchen strukturellen (und eben gar nicht so sehr motivischen)95 Übereinstimmungen die Augen offen zu halten, doch dabei die vielen Ebenen eines literarischen Textes im Blick zu behalten und nicht beliebig miteinander zu vertauschen, erscheint mir, wenn schon nicht mit Sicherheit erfolgversprechend, so doch möglich. Im Falle des Statius aber treten zwei zusätzliche Legitima­ 91 Grüner (2004), 41. 92 Vgl. Grüner (2004), 76–110. 93 Vgl. Grüner (2004), 263–284. 94 Grüner (2004), 76. Eine umfassende Rezension bietet Koch (2005). 95 Eine Zurückweisung der klassisch-Panofskyschen Form der Suche nach motivischen Parallelen, womöglich gekoppelt mit der Annahme apriorischer Superiorität des Textes über seine diversen bildlichen Darstellungen, bietet auch Squire (2009), bes. 320 f.

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tionen hinzu, auf die Grüner in seiner Gesamtschau von Literatur und bildender Kunst einer Epoche nicht rekurrieren kann: Erstens die ausgesprochen visuelle Veranlagung und Beobachtungsgabe des Statius (des textimmanenten, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit doch auch des physischen), der auf seiten des gelesen werdenden Textes ein ständiger Drang zur Visualisierung entspricht. Sie fiel auch seinem literarisch noch weit routinierteren Kollegen Goethe auf, der, nachdem er erst relativ spät mit Statius᾽ Dichtung bekannt geworden war, dessen besondere ars rerum imagines percipiendi et re­praesentandi rühmte.96 Freilich: Gérard Simon zufolge verfügte ganz allgemein der Mensch der Antike nicht bloß über ein stärker ausgeprägtes Gedächtnis als Vertreter der modernen, von Flüchtigkeit und Aversion gegen ›Wissensballast‹ geprägte Kultur, sondern auch über eine intensivere optische Vorstellungskraft;97 doch ein Beweis dürfte hier schwerfallen. Zweitens die häufige direkte Bezugnahme der Texte auf materielle, insbesondere künstlerische Schöpfungen ihrer Zeit, die nun ohne jeden Vorbehalt dazu auffordern, dem Dialog zwischen Text und Bild oder Statue oder Gebäude zu lauschen (und nur solche Texte werde ich im Folgenden untersuchen). Denn daß Statius mit seinen Gedichten Format und Möglichkeiten des konventionellen dingbezogenen Epigramms weit hinter sich ließ und einen Meilenstein in der Entwicklung des ›Dinggedichtes‹ als eigene (Sub-)Gattung schuf, bedarf keiner Beweisführung. Hat man es indes mit einem Autor zu tun, der in manchen Gedichten Interesse und feinsinniges Gespür für Schöpfungen anderer Kunstgattungen nicht bloß zeigt, sondern ins Zentrum rückt, so ist nicht recht einzusehen, weshalb nicht auch dort, wo nicht wie im Equus maximus (silv. 1, 1) oder im mangels räum­ licher Intrikationen in diesem Buch fehlenden Hercules epitrapezios von silv. 4, 6 die Beschreibung eines bildlichen Kunstwerkes im Text jedenfalls dazu zwingt, Parallelen zwischen Statius᾽ Gedichten und der bildenden Kunst seiner Zeit wenigstens versuchsweise gezogen werden sollten. 96 Der wenig bekannte Bericht des Jenaer Philologen Ferdinand Gotthelf Hand (1786– 1851) über ein diesbezügliches Gespräch mit Goethe im Wortlaut: Eo tempore quod Vimariae degebam, quum aliquando cum Goethio convenissem, et ei de studiis meis quaerenti narras­ sem, me in recensendis Statii carminibus esse occupatum, ille subridens confitebatur sibi hunc poetam non cognitum, sed ignorantiam hanc vix excusabilem esse. Ne igitur illum bonarum artium recessum sibi occultum relinqueret, statim  e bibliotheca librum afferri iussit. Paulo post me ad se vocavit et, ille Statius, inquit, poeta est magnopere laudandus assiduoque studio nostro dignus: non me offendunt ea, quae luxuria quadam ingenii effudit, sed amiror in eo artem, qua res conspicuas mente comprehendere et exacte describere optimum quemque poetam decet. Vide quam accurate depingat illum equum Domitiani, quam fideliter reddat imaginem Herculis, quam subtiliter describat villarum regiones, balnei ornamenta. Omnes res, quas verbis designat, ante oculos nobis versari videntur: tanta est ei ars rerum imagines percipiendi et repraesentandi. (Gespräch vom 22. oder 23. März 1813, zitiert nach: Grumach [1949], 393 f. mit Anm. 1). 97 Simon (1995), 124 f.

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Ein solcher Sprung über die Gattungsgrenzen hat dennoch stets etwas Bedenkliches, nicht erst seit Lessing und trotz Horaz᾽ schon vorhin zitiertem ut ­pictura poesis (Hor. ars. 361);98 zumal es durchaus umstritten ist, ob und wie weit die Annahme eines die Kunstgattungen übergreifenden Kunstwollens oder Stilwollens in einer Zeit und Gesellschaft angenommen werden darf, schon gar in einer Zeit wie der der Flavier, wo in der Literatur und darüber hinaus durchaus Stilpluralismus festzustellen ist.99 Immerhin aber kann mit Peter Klotz zurückhaltend festgestellt (und zugleich als fester Punkt definiert) werden: »Die alte Frage, ob Kunst erst dadurch entsteht, dass über sie gesprochen und geschrieben wird – beschreibend, erläuternd, wertend –, ist pragmatisch zu bejahen.«100 Methodisch stütze ich mich dabei etwa auf folgendes Konstrukt: Zunächst ist  – die Terminologie tut an sich wenig zur Sache  – zwischen Vorstellung und Darstellung zu unterscheiden, also zwischen den mentalen Bildern, die wir uns auf Basis unserer Sinneseindrücke und unserer Erfahrungen (letzterer Begriff im umfassenden Sinn für alle psychischen Faktoren gesetzt, welche bei der Umwandlung der rein physischen Sinneseindrücke in interpretierende Wahrnehmungen eine Rolle spielen) von der Welt machen, und der bildlichen, d. h. konkret mit Meißel und Marmor oder Farbe auf Leinwand oder sonst einem Bildträger ausgeführten Repräsentation solcher Vorstellungen. Beides scheint miteinander zwar fest korreliert zu sein: hier die interne Repräsentation, dort die externe. Und doch zeigt sich, daß – zumindest in der westlichen Bild­tradition, die auch vor der Entwicklung der Zentralperspektive bereits den Anspruch erhob, die mentalen Vorstellungen von der dinglichen Außenwelt in die bildliche Repräsentation auszulagern (nur eben nicht in der Schärfe und daher auch nicht in der geometrischen Durchdringung, wie die entwickelte Zentralperspektive sie ermöglichte)  – ein grundlegender Unterschied zwischen beidem darin besteht, daß das externe Bild, also die Darstellung, zwangsläufig den Blick eines Betrachters in sich trägt und ihn im Extremfall, eben in der korrekt ausgeführten Zentralperspektive, sogar an einen streng definierten und aus dem Bild errechenbaren Punkt bannt. Anders ausgedrückt: Das gemalte Bild verlagert nicht bloß das mentale Bild des Malers nach draußen (und läßt es zugleich erstarren), es schafft auch ein implizites Double des nun seinerseits aus dem Bild nach draußen verlagerten idealen Betrachters / Malers: 98 Zwar weist Vogt-Spira (2002) und erneut (2011), 13–15, darauf hin, daß die Opposition zwischen Text und Bild antikem Verständnis nicht so scharf ausgeprägt erschien, wie sie seit der Aufklärung gezeichnet wird, doch es bleibt der Umstand, daß auch die Antike ständig und kaum zufällig mit dieser Opposition operiert, sie also sehr wohl annimmt. 99 Man denkt an die geläufige Opposition zwischen dem ›manieristischen‹ Epiker Statius und dem ›klassizistischen‹ Epiker Valerius Flaccus: vgl. Bardon (1971), der freilich ›barock‹ als Gegenbegriff zu ›klassizistisch‹ gebraucht. – Zum Stilpluralismus auf dem Feld der bildenden Kunst vgl. Preisshofen (1979), 276 f. 100 Klotz (2007), 78.

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wobei dieses letztere Draußen im Fall der Rezeption idealerweise zum mentalen Drinnen des Rezipienten wird. Nicht unwesentlich für das Funktionieren dieser Aus- und Einlagerungen aber ist das kollektive Einüben bestimmter Blickweisen, auf die Realität ebenso wie auf ihre bildliche Repräsentation.101 Nun ist evident, daß dieses – zugegebenermaßen: sehr grob – skizzierte Verhältnis zwischen Vorstellung und Darstellung und den dabei zwangsläufig ins Spiel kommenden Instanzen des Betrachters, des Malers, und wieder des Betrachters, in der Tat deckungsgleich ist mit den in der Narratologie an Texten festgemachten Instanzen von Autor als Betrachter, besser wohl Denker des zu schreibenden Textes, Autor als Verfasser (physisch sowohl als auch textimmanent), und Leser als erneutem Betrachter bzw. Denker des Geschriebenen; kollektiv eingeübte und verbindliche Sicht- bzw. Leseweisen leistet die schon zitierte ›reading community‹ durch Vorgänge, wie sie Ruurd Nauta beispielsweise für das der standardisierten Rezeption von Panegyrik zugrundeliegende ›Grundsatzabkommen‹ skizziert hat.102 Führt ferner der ins Bild gebannte Blick eines Gemäldes letztlich zu einem Sich-Kreuzen der Blicke von Bild und Betrachter, am manifestesten natürlich bei einem Portrait, doch letzten Endes bei jedem perspektivischen Gemälde, ergibt sich nicht so sehr eine deiktische Situation (das Bild zeigt etwas), als vielmehr eine dialogische.103 Parallel dazu sind auch Texte wie die der Silvae nicht rein deiktisch (ekphrastisch), sondern bis zu einem gewissen Grad dialogisch: In silv. 2, 2 treten einander nicht bloß ein Leser und ein Text über eine Villa und deren Hausherrn gegenüber, sondern der Leser begegnet einem textlichen Äquivalent von Villa und Hausherrn (daß just dieses Gedicht dann noch seinerseits mit dem Motiv des wechselseitigen Einander-Anblickens, wo man eine ein­seitige Wahrnehmung erwartet hätte, spielt, ist eine Zusatzpointe),104 und ebenso ist silv. 1, 1 nicht einfach ein Text über ein Monument, sondern es ist das Monument selbst, transponiert ins Textliche.105 Das zeigt sich auch an den überlieferten Titeln der einzelnen Gedichte, die ich gut und gern für authentisch, jedenfalls für in höchstem Grade passend erachte, weil sie gerade bei den vornehmlich beschreibenden Gedichten auf die geläufige Formulierung De … verzichten, also nicht einen Text beispielsweise de villa Tiburtina ankün 101 Vgl. Belting (2009), 283–285. 102 Vgl. u. I, Anm. 52. 103 Belting (2009), 100; für einen antiken Beleg dieses Topos vgl. Philostr. imag. 1, 23, 3, wo der Sprecher der Beschreibung den im beschriebenen Bild dargestellten Narcissus direkt anspricht und fragt, ob er denn erwarte, daß das von ihm bewunderte Spiegelbild anfange, mit ihm zu kommunizieren – eine Verdoppelung der dialogischen Situation. 104 Vgl. u. 455–456. 105 Damit erfüllen die Gedichte in exemplarischer Weise die im Kunstdiskurs der Kaiserzeit so zentrale Anforderung der ἐνάργεια, des lebensechten ›Vor-Augen-Stellens‹. Zu den Implikationen dieses Begriffes und seiner normativen Gültigkeit in der kaiserzeitlichen Literatur vgl. Vogt-Spira (2011).

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digen, sondern direkt und im Vollsinn des Wortes die Villa Tiburtina selbst.106 Freilich: im Vollsinn eben des Wortes. Denn, wie Peter Klotz richtig umreißt: »Das Medium Sprache taugt nur für die literarische Kunst. Sprache kann in ihrer pragmatischen Verwendung »Beschreiben« nie die Kunst sein, die sie beschreibt. Keine noch so vollkommen angestrebte und vielleicht ein Stück weit erreichte Anschaulichkeit kann dies leisten. Die Distanz bleibt nicht nur unüberbrückbar, sie ist notwendig. Es hieße an Möglichkeiten und Funktionen des Beschreibens vorbei zu denken, wenn diese Distanz als aufhebbar angesehen würde oder wenn der Versuch gemacht würde, sie zu unterlaufen. – Aller Erfahrung nach sind solche Versuche peinlich.«107 Peinlichkeit jedoch widerspräche Statius’ poetisch-handwerklicher Routine zutiefst. Seine Gedichte wollen keine simplen Doubles des Beschriebenen sein: Weder kann man nach einem der Villengedichte einen Grundriß des betroffenen Hauses, noch nach der Via Domitiana (silv. 4, 3) eine Straßenkarte oder auch einen Querschnitt durch das Straßenbett zeichnen, und selbst der Equus maximus (silv.  1, 1) beschreibt wenig mehr als den Prototypen eines Reiterdenkmals, angereichert mit einigen wenigen konkret-domitianischen Details. Aber durch den Sprechakt entsteht das Kunstwerk, und zwar doppelt, hier das Sprachkunstwerk des Gedichtes, dort der Equus maximus im Text, d. h. in der mens des Lesers oder der Leserin, nicht anders als beim Blick auf das aktuale Monument. Insofern sind Text und Beschriebenes in der Tat deckungsgleich, und wäre ein Titel wie De equo maximo geradezu unzutreffend, wenngleich konventionell. Statius’ Texte über bildliche Kunstwerke werden also, wie jede verbale Beschreibung eines Bildes, zu Neuschöpfungen derselben, ver­ schoben in den Bereich der Sprache.108 Freilich darf die Kluft der Gattungsgrenze, an der einander sprachliches und außersprachliches Kunstwerk solcherart auf Augenhöhe gegenüberstehen, nicht dazu verleiten, eines davon zu verabsolutieren: Vielmehr ist stets, und hier schließt sich der Kreis zu bereits Gesagtem, die Referentialisierbarkeit zwischen Textimmanentem und Aktualem stets im Auge zu behalten, sonst drohen in der Art dessen, was ich oben als falsch verstandenen ›linguistic turn‹ bezeichnet habe, überzogene Interpretationen wie die fast skurrilen Ausführungen, die man vor einigen Jahren in einer Monographie zu silv. 2, 2 lesen konnte.109 Derselben Monographie war auch über den Autor und sein Werk Über­ raschendes zu entnehmen: Die Silvae, »wunderliche Gebilde«, »entstanden bei 106 Heinen (2013), 161: » … the Flavian poet also obscures the distinction between poetic and material art through his ecstatic ekphraseis.«; ebd., 163: »It is not that the author tries to hide the object, but rather that he transforms it into a poetic representation of itself.«; vgl. u. I, Anm. 451. 107 Klotz (2007), 79. 108 Vgl. Laird (1996), 101. 109 Ich beziehe mich auf Krüger (1998): vgl. u. III , Anm. 56.

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den unterschiedlichsten Gelegenheiten, teilweise ex tempore, etwa in einem Schwitzbad oder im Zustand der Volltrunkenheit.« Damit nicht genug: »Das bunte Stilgemisch und das wilde Niveaugefälle in den statianischen ›Wäldern‹ spiegelt den Dichter als ein schwankendes Rohr in den Stürmen seiner Zeit, seine Orientierungslosigkeit in einer Welt, deren Fugen auseinander zu brechen drohten.«110 Zugegeben: Die Trennung von physischem Autor, Autor im Text und konkretem Sprecher im Text muß keineswegs die vollkommene Absage an biographistische Interpretation bedeuten, als Korrektiv derselben aber ist sie offenkundig und dringend vonnöten. Einige Worte daher zu Statius und den Silvae:111 P. Papinius Statius, geboren einige Jahre vor der Mitte des ersten Jhdts. n. Chr. in oder bei Neapel, entstammte einem vor allem von griechischer Sprache und Kultur geprägten Milieu. Der Vater war Leiter einer anscheinend überregional bekannten Schule und selbst als (griechischer) Dichter tätig, sodaß Statius sein poetisches Handwerk wohl als solches beim eigenen Vater erlernen konnte.112 Über Karrierestufen ist außer verstreuten Hinweisen auf Teilnahmen und bisweilen Siege bei literarischen Wettkämpfen nur bekannt, daß wohl schon früh Rom das Terrain seines Wirkens wurde, womit auch die Möglichkeit zu einem gewissen Naheverhältnis zum Hof der Flavier gegeben war. Mitte der 90er Jahre zog sich der Autor, zu diesem Zeitpunkt wohl auf dem Zenit seiner Anerkennung stehend, mit Frau und Tochter wieder an den heimatlichen Golf von Neapel zurück, um sich nach erfolgreicher Publikation der Thebais und inmitten des offenbar nicht völlig erfolglosen Veröffentlichens seiner Silvae der Arbeit an einem neuen Epos, der Achilleis, zu widmen: Dies jedenfalls das Bild, das er in den Silvae von sich selbst zeichnet. Nach dem Jahr 95 aber verstummen alle Nachrichten, und es scheint, als ob der Dichter seinen Kaiser Domitian, wenn überhaupt, dann nicht lang, oder aber in völliger Stummheit überlebt hätte. Interesse verdient Statius’ sozialer Status, den am schärfsten Carole New­ lands zusammenfaßt: »The epic poets of the first century AD from Ovid onwards were of aristocratic background. Statius was the exception, son of a parvenu grammaticus and poet.«113 Statius also als sozialer Sonderfall im elitären Club der Epiker des ersten Jahrhunderts. Was für das große Epos gilt, muß freilich nicht unbedingt auch für die ›Gelegenheitsdichtungen‹ der Silvae 110 Krüger (1998), 13 f. und 15. Worin das »wilde Niveaugefälle« liegt, vermochte ich nicht nachzuvollziehen. 111 Über die biographischen Daten, die fast ausnahmslos auf selbstbezüglichen Aussagen in den Silvae beruhen, unterrichten beispielsweise: Vollmer (1898), 1–21; Schanz-Hosius (1935), 531–546, bes. 531 f.; Hardie (1983), 2–72; van Dam (1984), 1 f.; Coleman (1988), xv–xx; Nauta (2002), 195–204; Nagle (2004), 1–3; Gibson (2006), xvii f.; Newlands (2011), 1–3. 112 Material zu Statius’ Vater stellt Laguna (1992), 3–5, zusammen. 113 Newlands (2012), 36; vgl. u. III , Anm. 9.

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gelten  – auf diesem wenig prestigeträchtigen Feld tummelten sich mutmaßlich zahlreiche Autoren noch bedeutend niedrigeren sozialen Herkommens als ­Statius. Doch keiner von ihnen, jedenfalls soweit erkennbar, wagte den Schritt zur Sammlung und Veröffentlichung solcher für den Augenblick bestimmter Texte, und spiegelbildlich dazu ist die Selbststilisierung des Autors der Silvae dezidiert die eines Epikers, nicht eines Kleindichters. Umso mehr gewinnt die Selbstpositionierung des Autors im Patronagesystem der Zeit an Bedeutung, von Ruurd Nauta vor einigen Jahren ausführlich beleuchtet,114 auch wenn der Grund, weshalb Statius gerade die vorliegenden Gedichte aus der wahrscheinlich großen Zahl seiner Gelegenheitsgedichte zur dauerhaften Publi­kation auswählte, nicht unbedingt darin zu suchen sein muß, daß er als textimmanenter Autor Aussagen im Sinne einer gesellschaftlich oder gar politisch engagierten Dichtung darin treffen wollte – worin läge schon die gesellschaftlich relevante Aussage in Gedichten wie der Arbor Atedi Melioris oder den Capilli Flavi Earini? Es muß etwas anderes sein, was diese Gedichte miteinander verbindet und sie publikationswürdig erscheinen ließ, und man braucht nicht auf formali­ stische Definitionen von Poesie zurückgreifen, um es zu benennen: der selbstreferentielle Charakter all dieser Texte als raffinierte sprachliche Kunstwerke, getragen von einer oft exuberanten Freude am intellektuellen Spiel mit Worten und Dingen. Benötigt man aber über das Vergnügen an Kunst hinaus einen Grund, Kunst zu genießen? Doch wohl nicht. Ebensogut könnte man fragen, welches Interesse ein Leser an Ovids Beziehung zu einer dem Leser unbekannten Dame namens Corinna gehabt habe. Auch dazu paßt der Gestus des Epikers, der Kunst unabhängig vom konkreten Anlaß schafft. Ergänzt wird dieser Gestus um das Element der Stegreifdichtung, der raschen, hingeworfenen Produktion, die Statius vor allem in den praefationes zu den ersten drei Büchern der Silvae fast penetrant betont, ohne damit die Plausibilität dieser Stilisierung zu steigern.115 Für die Interpretation der Gedichte jedenfalls ist es, solange keine offenkundigen groben Flüchtigkeitsfehler nachgewiesen werden können – und mir ist nichts dergleichen bekannt  – unerheblich, in welchem Tempo sie geschrieben wurden. Was hingegen ihre Datierung angeht, kann als communis opinio gelten, was Carole Newlands in ihrer jüngsten Monographie zu Statius zusammenfaßt: Nach der Publikation der Thebais etwa gegen Ende des Jahres 92 seien die 114 Nauta (2002); vgl. auch White (1974), bes. 61, der auf signifikante Differenzen zwischen Martials und Statius’ Haltung gegenüber patroni in den praefationes zu ihren Gedichtbüchern hinweist. Für das Verständnis des immer wieder als Freundschaft (und eben nicht als Patronage) definierte Verhältnis des (textimmanenten) Statius zu den Widmungsträgern seiner Gedichte vgl. auch Fürst (1997), bes. 422 f., soweit die Widmungsträger wie jene von silv. 1, 3 oder 2, 2 erkennbar als Epikureer gezeichnet werden. 115 Vgl. o. die Einleitung, Anm. 75.

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Bücher I–III der Silvae zugleich (oder, was wenig Unterschied macht, in sehr rascher Folge) im Jahr 93 publiziert worden,116 das vierte Buch im Jahr 95 mit deutlich markierter Zäsur zu den vorangegangenen dreien, das fünfte hin­ gegen nicht durch den Autor und vermutlich erst posthum durch einen un­ bekannten Herausgeber.117 Die Achilleis scheint schon zum Zeitpunkt von silv. 4, 7 bereits so weit gediehen gewesen zu sein, wie sie heute noch vorliegt, ihr fragmentarischer Zustand ist also nicht unmittelbar dem Tod des Autors mitten im Schaffensprozeß zuzuschreiben, sondern zunächst einer absichtlichen Unterbrechung desselben, was auch immer die Ursache dafür war.118 Betrachtet man die Datierungen der Silvae genauer, leuchtet unmittelbar ein, daß das fünfte Buch mit seiner untypisch nur das erste Gedicht einbegleitenden Prosapräfation und seiner inhaltlich von den anderen Büchern abstechenden und besonders persönlich getönten Zusammenstellung das Resultat eines post­ humen Veröffentlichungsprozesses sein dürfte, wann auch immer Statius starb. Das vierte Buch datiert sich durch sein erstes Gedicht anläßlich des siebzehnten Konsulatsantritts Domitians (1. 1.  95) selbst einigermaßen genau, wenngleich einige Details dazu raten, gegenüber einer allzu forschen Festlegung der Entstehung dieses Gedichtes auf den Beginn des Jahres 95 Skepsis walten zu lassen.119 Die Datierung der ersten drei Bücher hingegen hängt einerseits an dem einen oder anderen terminus post quem aufgrund erwähnter historischer Ereignisse, andererseits an einer Reihe von vor allem inhaltlichen Parallelen im Werk ­Martials, dessen über eine Reihe von Jahren hinweg regelmäßige und einiger­ maßen genau datierbare Buchpublikation gleichsam das Vergleichsgerüst abgibt.120 Allerdings ist Vorsicht angebracht: Die datierbaren Ereignisse, die jeweils als terminus ante quem non fungieren, lassen zum Teil erheblichen Spielraum, und andererseits gehen Datierungen aufgrund von Martialparallelen zwangsläufig erstens davon aus, daß Martials Epigramme zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung in Buchform brandaktuell waren (was nicht in jedem Fall zu­treffen

116 Vgl. auch Laguna (1992), 8–11, der die faßbaren Zeitanspielungen der Bücher I–III bis 93/94 reichen läßt, und Klodt (2005), 197 f. mit Anm. 38. 117 Zuletzt Newlands (2012), 2; vgl. Darwall-Smith (1996), 267–271; Nauta (2002), 2­ 85–289 und Appendix; Gibson (2006), xxviii–xxx; Johannsen (2006), 268 f. 273. 280, weist darauf hin, daß die praefationes der Bücher I bis III untereinander motivisch eng zusammen­hängen, ein gutes Stützargument für eine mehr oder minder gemeinsame Publikation dieses Triptychons; vgl. Newmyer (1979), 46–49; Bright (1980), 53 f.; Hardie (1983), 63–66; Coleman (1988), xvif.; Nauta (2008), 164 f.; gegen eine gemeinsame Publikation der ersten drei Bücher sprechen sich u. a. Frère-Izaac (1961), xiii–xxi; Vessey (1973), 15; van Dam (1984), 3–5, aus. 118 Vgl. Heslin (2005), 60 f. 119 Vgl. u. I, bei Anm. 504. 120 Die grundlegende Darstellung zu beidem bietet nach wie vor Wissowa (1921), nach Vorarbeiten durch Stobbe (1867).

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muß),121 und daß zweitens auch Statius mit seinen publizierten Silvae mehr oder minder up to date war (was schon gar nicht sicher ist). Ein Beispiel für die irritierenden Widersprüche, die sich auf diesem Feld ergeben können, ist die Datierung des ersten Buches der Silvae, die wesentlich an der von silv. 1, 4, der Soteria Rutili Gallici, als dem spätesten terminus post quem hängt. Nach allgemeiner Auffassung starb Rutilius Gallicus, nachdem er einige Zeit zuvor noch von einer Krankheit genesen war und aus diesem Anlaß das vorliegende Gratulationsgedicht des Statius empfangen durfte,122 im Jahr 92.123 Zum Zeitpunkt der Publikation des ersten Silvae-Buches war er bereits nicht mehr am Leben,124 woraus eben die Datierung des Buches auf ca. 93 resultiert. Nun ergibt sich der genaue Todeszeitpunkt des Rutilius freilich nur aus einem im Original verlo­ renen, in Humanistenabschrift bewahrten inschriftlichen Beleg, demzufolge im Jahr 92 ein gewisser Tettienus Serenus als sein Nachfolger in das Kollegium der Sodales Augustales Claudiales aufgenommen wurde.125 Weitere Inschriften bezeugen die Karriere des Rutilius, die neben den üblichen militärischen Kommanden zwei Konsulate und die Stadtpräfektur umfaßte.126 So weit scheint alles zusammenzupassen. 121 White (1974), passim, legt dar, daß Martials Epigramme vor der Publikation der dauerhaften Bücher in Form von tendenziell informellen, in der Regel auch kürzeren und je nach patronus wohl maßgeschneidert zusammengestellten libelli kursierten, also insgesamt einen dreistufigen Publikationsprozeß durchliefen, wohingegen Statius᾽ Silvae (deren einzelne Gedichte in den praefationes der einzelnen Bücher übrigens mehrfach als libelli bezeichnet werden, ebenso wie die Bücher als Ganzes freilich auch) nach ihrer Überreichung oder ihrem Vortrag beim ursprünglichen Anlaß nur eine weitere Stufe durchliefen, die der vorliegenden Bücher. Das dadurch bereits komplexe Bild der Datierbarkeiten verwischt sich bei Martial noch zusätzlich durch die nie auszuschließende Möglichkeit, daß so manches Epigramm im Widerspruch zum gerade skizzierten Prozeß doch erst für die letztliche Buchpublikation gedichtet, oder aber aus der sprichwörtlichen Schublade, in der es lange gelegen sein mag, hervorgezogen worden sein wird; was prinzipiell auch bei Statius möglich, wenngleich in einigen Fällen sehr unwahrscheinlich ist. Fazit: Die zahlreichen inhaltlichen Parallelen zwischen Martial und Statius verhelfen leider nur sehr bedingt zu zuverlässigen Datierungen einzelner Gedichte. Zum Begriff des libellus vgl. Tanner (1986), 3036 f. 122 Die Datierung dieser Krankheit fällt naturgemäß schwer; van Dam (2006), 189, plädiert aufgrund von Parallelen zum horazischen Carmen saeculare und inhaltlichen Bezugnahmen auf Domitians Säkularfeier für das Jahr 88; Nauta (2002), 207, kommt vorsichtiger auf den Zeitraum zwischen 89 und 92. 123 Wissowa (1921), 294; Syme (1984), 147; Eck (1985), 475. – Zu den konventionellen Datierungsproblemen der Karriere des Rutilius vgl. Syme (1984); Eck (1985); Henderson (1998). 124 Stat. silv. 1 praef.: Sequitur libellus Rutilio Gallico convalescenti dedicatus, de quo nihil dico, ne videar defuncti testis occasione mentiri; vgl zu einem ähnlichen Fall Damon (2002), 174. 125 CIL VI 1984 = ILS 5025. 126 Deren wichtigste ist ILS 9499: C·RVTILIO ·C·F / STEL· GALLICO / TRIB ·MIL·LEG ·XIII /  GEMINAE ·Q·AEDILI · CVRVLI / LEGATO ·DIVI· CLAVDI·LEG ·XV / APOLLINARIS ·PR·LEGA TO  / PROVINCIAE · GALATICAE  / SODALI ·AVGVSTALI  / CONSVLI ·DESIGNATO  / M ·AEM ILIVS ·M·F·PAL / PIVS ·PRAEF · COH·I·BOSP / ET· COH·I·HISP·LEGATO  – vgl. Hardie (1983),

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Allerdings beginnt Statius’ Gedicht auf Rutilius’ Genesung mit einem mächtigen Preis himmlischer Instanzen: Estis, io, superi, nec inexorabile Clotho /  volvit opus: videt alma pios Astraea Iovique / conciliata redit, dubitataque ­sidera cernit Gallicus (silv. 1, 4, 1–4). Astraea, die Jungfrau, ist an und für sich schon eine dem Sternenhimmel zuzuordnende Potenz, das nachfolgende dubita­taque sidera cernit Gallicus macht vollends deutlich, daß die zuvor angesprochene Vereinigung von Astraea und Jupiter nicht bloß konventionell-allegorisch für das Wiedereintreten einer Heilszeit stehen muß, sondern auch eben jenen konkreten Blick ans Firmament anregt, der Gallicus nun wieder bzw. weiterhin möglich ist.127 Wann also stand Jupiter im Zeichen der Virgo (die naheliegendste astronomische Interpretation von Astraea Iovi conciliata)? Ende des Jahres 83 gab es diese Konstellation (was für die Datierung des Gallicusgedichtes erheblich zu früh ist), danach erst wieder von Ende August 94 bis Mitte Dezember 95 sowie durch einen Epizykel von Ende März bis Mitte August 96. Genas Rutilius Gallicus also zwei oder gar vier Jahre nach seinem eigenen Tod von einer Krankheit? Lösungen für die historischen Schwierigkeiten, die sich aus einer Ernstnahme der astronomischen Selbstdatierung von silv. 1, 4 ergeben, gibt es viele, von der Annahme der Unzuverlässigkeit der nur in einer Renaissanceabschrift erhaltenen Liste der Sodales Augustales über den Versuch einer Aufspaltung des bislang einen Rutilius Gallicus auf zwei Personen bis zur ungewöhnlichen, aber nicht vollkommen ausschließbaren Möglichkeit, daß Rutilius (aus gesundheitlichen Gründen?) ausnahmsweise sein Amt als sodalis niedergelegt, danach aber noch einige Jahre weitergelebt haben könnte:128 Statius in seinem Gedicht erwähnt dieses Priesteramt immerhin nicht, obgleich sich damit eine gute Möglichkeit geboten hätte, Rutilius᾽ Loyalität gegenüber Domitian erneut zu unterstreichen.129 Für die Literaturgeschichte allerdings sind die Folgen erheblich, denn der terminus post quem des ersten Silvae-Buches würde nun, selbst wenn man die notwendige Zeitspanne zwischen der ge­ feierten Genesung und dem zum Zeitpunkt der Buchpublikation bereits eingetretenen Tod des Gallicus außer acht läßt, in Ermangelung eines störenden terminus ante quem auf den Herbst 94 rutschen, unter Berücksichtigung dieses 188 mit Anm.  36; Henderson (1998), 3–15 mit Abb.  1a–2d; Nauta (2002), 208; Coleman (2008), 37 f. Diese ephesische Inschrift beweist auch, daß Rutilius Gallicus in der Tat soda­ lis Augustalis war, daß also der in CIL VI 1984 genannte sodalis höchstwahrscheinlich mit ihm identisch ist. – Weitere Inschriften: ILS 9052: vgl. Hardie (1983), 188 mit Anm. 39; CIL V 6988–6990; ferner vgl. Nauta (2002), 210. 127 Abwegig Scott (1933), 253, der unter dubitata sidera den Kaiser verstanden wissen will. Doch welcher loyale Staatsbeamte, und Rutilius Gallicus wird als Paradeexemplar eines solchen gezeichnet, würde, selbst im Tod, den Kaiser in Zweifel ziehen? Außerdem schiene der Plural sidera, wenngleich poetisch stets möglich, in diesem Fall doch hart. 128 Für hilfreiche Diskussionen zu dieser Frage danke ich Herbert Graßl (Salzburg). 129 Coleman (2008), 36 f., weist auf Diskrepanzen zwischen den inschriftlichen Belegen der Ämter des Rutilius Gallicus und seiner (?) in silv. 1, 4 aufgelisteten Karriere hin.

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Umstandes gar gegen das Jahresende 94 zu. Angesichts der relativ genauen Datierung des vierten Buches ins Jahr 95 oder spätestens 96 (vor der Ermordung Domitians) bliebe für die dazwischenliegenden Bücher zwei und drei kaum noch Zeit, sondern die aus anderen Gründen schon oft vorgeschlagene gemeinsame Veröffentlichung der ersten Bücher wäre praktisch erwiesen. Ich belasse es dabei: Θεὸς δέ που οἶδεν εἰ ἀληθὴς οὖσα τυγχάνει (Plat. rep. 517b), und ob man einer längst verlorenen Inschrift oder einer erst durch Interpretation zu ge­ winnenden Anspielung auf den Sternenhimmel mehr Gewicht beimessen will, ist wohl vor allem Geschmackssache. Immerhin aber zeigt das hier kurz umrissene Problem einen Bereich auf, den man heute nur allzugerne übersieht: die starke Präsenz astraler Bezüge in antiken Texten, deren Rezipienten sich gemeinhin am Sternenhimmel bedeutend besser auskannten, als dem modernen Leser vorstellbar erscheint – Quintilian zufolge sind astronomische Kenntnisse zum Verständnis der poetae geradezu unabdingbar.130 Auch der Himmel aber ist ein Raum, und es wird schon in der ersten nachfolgend zu untersuchenden Gedichtgruppe zu zeigen sein, daß Statius von dieser antikem Denken so naheliegenden Möglichkeit, irdische Räume 130 Quint. inst. 1, 4, 4.  – Lehrreich in dieser Hinsicht: Brind’Amour (1981); Domenicucci (1996). Freilich bedeutet dies nicht, daß hinter jeder Erwähnung eines Himmelskörpers gleich eine Datierung vermutet werden soll: So wird in silv. 3, 2, 8–10 proferte benigna /  sidera et antemnae gemino considite cornu, / Oebalii fratres höchstens das Meer bildlich zum Sternenhimmel: vgl. Shackleton-Bailey (2003), 190–193 mit Anm. 4; ähnlich silv. 4, 8, 30sq. ubi nocte serena / admovere iubar mediae duo sidera lunae: auch hier wird man nicht nach einer konkreten, datierungstauglichen Konstellation suchen wollen. Hingegen weist silv. 1, 2 eine Formulierung auf, die man zumindest versuchsweise zur Datierung heranziehen wird, die Beschreibung einer Konjunktion von Mars und Venus im Bereich der Milchstraße: Forte serenati qua stat plaga lactea caeli / alma Venus thalamo pulsa modo nocte iacebat / am­ plexu duro Getici resoluta mariti (silv. 1, 2, 51–53). Konjunktionen der beiden Planeten gab es im fraglichen Zeitraum folgende: 14. 12. 86 im Steinbock; 6. 11. 88 im Schützen; 13. 8. 89 im Krebs; 3. 7. 91 im Krebs bzw. zwischen Krebs und Zwillingen; 20. 5. 93 in den Zwillingen. Nur zwei bis drei davon haben mit der Milchstraße zu tun, die der Jahre 88 (im Schützen) und 93 (in den Zwillingen); mit etwas Gewaltanwendung käme noch die des Jahres 91 in Frage, die freilich noch dazu schlecht sichtbar war. Davon scheidet das Jahr 93 jedenfalls aus, weil das inhaltliche Parallelgedicht Mart. 6, 21 mit dem sechsten Martialbuch sicher vor 93 publiziert wurde, wahrscheinlich etwa Ende 90: vgl. Grewing (1997), 20–23; gleiches gilt für die Konjunktion vom Jahr 91. Es bleibt somit nur jene vom November 88, d. h. etwa fünf Jahre vor der angenommenen Publikation des ersten Silvaebuches im Jahr 93. Zu berücksichtigen ist freilich noch, daß der so gewonnene Zeitpunkt nicht den Termin der Hochzeit definiert, sondern den, zu dem Statius᾽ Erzählung zufolge die Eheschließung in Gang gesetzt wurde: man erhält also zwar eine plausible Datierung, aber keine, die für die Verfassung des Gedichtes mehr als einen terminus post quem liefern müßte. Dafür standen die Planeten ausgerechnet im Schützen, der zwar im allgemeinen eher ein Kentaur sein mag, aber doch auch gut zum Bogenschuß Amors paßt, um den es sich unmittelbar nach der astronomischen Verortung der Verse 51–53 drehen wird: ein für Statius typischer Fall von polyvalenter Astronomie.

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um himmlische Bezüge zu erweitern, ja geradezu zu vervielfältigen, durchaus Gebrauch macht. Die inhaltliche Zusammengehörigkeit dieser ersten Gedichtgruppe leitet sich denn auch von dem ab, was am ehesten als irdisches Äquivalent zu astralen Poten­zen gelten kann, dem Kaiser. Denn obwohl die Silvae insgesamt von tagespolitischen Bezügen vergleichsweise frei sind,131 und obwohl sich andererseits panegyrische Elemente in vielen Gedichten der Silvae finden,132 je nach Anlaß und Adressaten innerhalb gewisser Grenzen variierend, liegt doch auf der Hand, daß die einzigartige Stellung des Kaisers in der römischen Gesellschaft, deren täglichem bzw. festtäglichem Leben eben die meisten dieser Gedichte entspringen, auch eine einzigartige Stellung der auf direkt ihn bezogenen bzw. an ihn sich richtenden Texte bewirkt. Ich werde mich zunächst dieser Gruppe von Gedichten zuwenden, d. h. konkreter der Frage, welche Auswirkungen die Präsenz des Kaisers auf Räume hervorrufen kann. In großen Zügen wurde die daraus prinzipiell resultierende Heterotopie bereits von David Vessey umrissen: »In the ›Silvae‹ (…) the last of the Flavian dynasty dwells in a supernatural and unchanging world, presiding, as Lord and God, over the confined but boundless empire of his own textuality.«133 Im folgenden werde ich versuchen, den Mechanismen, mit deren Hilfe Statius᾽ auf Domitian bezogene Gedichte solch eine besondere, um den Kaiser kreisende Welt aufspannen und deuten, im Detail nachzuspüren.

131 Newlands (2012), 4. 132 Vessey (1970), 515: »Statius knew how to flatter, and, what is more, almost any charac­ teristic is grist to his adulatory mill.« Dieser durchaus auch in malam partem auffaßbaren Bemerkung Vesseys, die sich übrigens auf silv. 4, 5 und damit auf eines der einem ›durchschnittlichen‹ cliens-patronus-Verhältnis entspringenden Gedichte in der Sammlung bezieht, ist freilich hinzuzufügen, daß die Gewandtheit, Positiva hervorzuheben und Negativa tendenziell zu unterdrücken (obwohl gerade in diesem Punkt Statius sogar hin und wieder erstaunlich freimütig verfährt), kein spezielles Merkmal des Statius ist: Solch handwerk­liches Können eines für jede Form von epideiktischer Rhetorik oder Dichtung trainierten Literaten, und ebenso solche Bereitschaft, vollmundiges Lob auch wirklich zu spenden, eignet vielmehr allen Autoren der Zeit, von denen Texte überliefert sind, die dem gesellschaftlichen Alltags­diskurs angehören, ob es sich um den jüngeren Plinius handelt oder um Martial; und nur der Zufall will es, daß uns beispielsweise kein Brief und keine Rede des jungen Tacitus an einen mächtigen, seiner Karriere eventuell förderlichen Gönner, womöglich Vespasian oder gar Domitian, erhalten ist – man würde wahrscheinlich bemerkenswerte Ähnlichkeiten zu ­Statius’ Elogien finden. 133 Vessey (1986), 2801.

I. Medius videor discumbere in astris: Die panegyrischen Gedichte

1. Vorbemerkungen Kein Bereich der Silvae ist so kontrovers diskutiert worden wie die Gruppe der unmittelbar auf Domitian bezogenen Gedichte (silv.  1, 1; 1, 6; 4, 1; 4, 2; 4, 3; deutlich kleiner, dem Epigramm nahestehend: silv. 2, 5; durchgehend, doch indirekt auf Domitian bezogen: silv. 3, 4),1 und eine ganze Reihe von Gründen ist dafür verantwortlich. Zum einen rückt ihr offiziöser Charakter bzw. Gestus diese Texte, mag er auch für die Bedeutung der Texte im Rahmen der Sammlung an sich wenig aussagekräftig sein, in ähnlicher Weise ins philologische und historische Rampenlicht wie beispielsweise die Augustusoden des Horaz im Unterschied zu manchen von seinen ›privateren‹ Gedichten.2 Zum anderen bietet sich hier am besten in den Silvae die Möglichkeit, in einer sogar chronologisch einigermaßen ordenbare Gruppe von mindestens fünf Gedichten ein einziges Grundthema, das Lob des regierenden Princeps, zu betrachten und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede, die Funktion dieser Gedichte im Gesamtcorpus etc. zu untersuchen:3 Nur noch die Consolationes (silv.  2, 1; 2, 6; 3, 3; 5, 1; 5, 3; 5, 5; der Sonderfall von silv. 2, 7 gehört nicht ohne weiteres hierher) sind ähnlich zahlreich vertreten, ziehen aber wegen ihres Bezugs auf zumeist anderweitig unbekannte Personen weniger historisches Interesse auf sich und scheinen auch im Corpus eine untergeordnete Stellung einzunehmen: Drei von ihnen gehören dem wohl posthumen fünften Buch an, können also hinsichtlich ­Statius’ Buchkomposition, Publikationsstrategien etc. wenig Auskunft geben, die übrigen sind an mehrheitlich unauffälligen Stellen in das zweite und dritte Buch eingestreut. Hingegen gelten die Domitiangedichte, die sich auch durch ihre besondere Sprechhaltung von den übrigen Gedichten der

1 Domitian spielt in zahlreichen weiteren Gedichten der Sammlung eine mehr oder minder wichtige Rolle: eine Liste gibt z. B. Taisne (1994), 330. Ich beziehe mich vorderhand nur auf die im engeren Sinn an ihn gerichteten. Zu diesen vgl. etwa Bishop (1966), 18: »The poems that are commonly supposed to be Statius’ worst are those that deal with the doings of the Emperor Domitian.« 2 Newlands (2012), 24. 3 Die nach wie vor grundlegende Analyse dieses Binnencorpus nach dem Gesichtspunkt der vorkommenden Motive bietet Scott (1933).

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I. Medius videor discumbere in astris

Sammlung abheben,4 nicht bloß einer historisch bedeutenden Person, sondern wurden auch ganz offensichtlich an Schlüsselstellen placiert: 1, 1 und 1, 6 fungieren als Rahmung des ersten Buches, das damit Statius zufolge einen sacro­ sanctus testis aufweist (silv. 1 praef.) und so die ganze Gruppe der ersten drei Bücher prominent eröffnet, wie eine Bemerkung am Beginn des Einleitungsbriefs zum vierten Buch zeigt; dieses wiederum setzt gleich mit einer Serie von drei Herrschergedichten ein, intensiviert also den schon zuvor erzielten Effekt noch. Vor allem aber ist es die Panegyrik selbst, die Aufmerksamkeit erregt und zu unterschiedlichsten Urteilen über diese Gedichte (und ihren Urheber) geführt hat, zumal sie mit Domitian ausgerechnet einen Kaiser von bekannt schlechtem Renommée zum Gegenstand des Herrscherlobes machen.5 Freilich: am traditionell tiefschwarzen Domitianbild hat die Historiographie inzwischen kräftig gerüttelt, und wenn auch nicht alle Versuche, ihn zum verkannten Ideal­ kaiser weißzuwaschen, restlos nachvollziehbar sind, kann man ein recht differenziertes Bild inzwischen wohl als communis opinio ansetzen:6 Im persön­ lichen Umgang nicht der einfachste Mensch, eher distanziert als leutselig, wenig rücksichtsvoll gegenüber Empfindlichkeiten anderer Kräfte in Staat und Gesellschaft, zugleich ein ungewöhnlich pflichbewußter Regent, der mit starker Hand und zumeist geschickter Personalpolitik eine funktionierende und saubere Verwaltung erzwang; selbst ungewöhnlich aktiv als Richter, Heerführer, Bauherr und Kulturpolitiker, dabei wirtschaftlich so weit erfolgreich, daß seine Nachfolger einen finanziell konsolidierten Staat von ihm erbten;7 schließlich kein Abenteurer, sondern durchaus fähig zum zähen Festhalten an maßvollen, weit­ blickenden Planungen – man denkt etwa an die Einrichtung des obergermanischen Limes. Vor allem aber wird man Domitian wohl als großen Exzentriker 4 Nauta (2008), 145, betont meines Erachtens zu stark den Gestus des epischen vates, den Statius zwar in zahlreichen Gedichten an den Tag legt, gerade in den panegyrischen Gedichten aber weitgehend unterläßt. Stattdessen spricht dort zumeist ein in der Volksmasse verschwindendes bzw. ihr Sprache verleihendes Ich, das sich von der Sprechhaltung priva­ terer Gedichte wie der Consolationes, Glückwunschgedichte etc. erkennbar unterscheidet: vgl. Nauta, ebd., 173. Nur wo Statius persönlich von Domitians Wirken betroffen ist, in silv. 4, 2 und andeutungsweise in 1, 6, kommt die eigene Stellung als (professioneller) Dichter mit Naheverhältnis zu Inspirationsgottheiten und Rückhalt in der poetischen Tradition ex­ pressis verbis zur Sprache, indes auch dort nur in den ›persönlicheren‹ Passagen; vgl. etwa u. 64–66 und 75 f. 5 Einen Kürzestüberblick über die Debatte gibt z. B. Newlands (2002), 47 f., rezenter Rühl (2006), 307–310. – Zu römischer Panegyrik vgl. allgemein Mause (1994), der (208–218) auch einen nützlichen Überblick über die in diesem Kontext bei Statius anklingenden Motive gibt. Zur damnatio memoriae vgl. Pailler-Sablayrolles (1994) und, immer noch grundlegend, Vittinghoff (1936). 6 Vgl. die drei Thesen zu Domitians Herrschaft bei Gering (2012), 347–354; weitere Literatur u. Anm. 66. 7 Zu diesem zeitweise umstrittenen Punkt, auf den ich des weiteren nicht eingehen werde, vgl. Gering (2012), 293–302.

Vorbemerkungen

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auf dem Kaiserthron bezeichnen dürfen,8 nicht in der Art eines Nero oder Caligula oder evt. noch Claudius, denen man auf bestimmten Gebiete handfeste Defizite attestieren konnte, ähnlicher schon dem Tiberius: Nicht willens, sich in die überkommene Rolle des princeps pressen zu lassen, sondern frei oder auch bloß stur genug, seinen persönlichen Stil auch gegen die Erwartungen seiner Um­ gebung durchzusetzen. Wie stets löste diese Exzentrizität zwei hauptsächliche Reaktionen aus: Aversion einerseits, Unverständnis andererseits. Beides zeigt sich in dem Bild, das der jüngere Plinius, Tacitus und Sueton sowie Juvenal (um nur die zeitlich nächststehenden Autoren zu nennen) von ihm zeichnen, zur Genüge, am deutlichsten vielleicht bei Sueton, dessen Domitianvita der wohl einzigartige Fall einer Tyrannenvita ist, die, auf die als Fakten berichteten Elemente reduziert, über die fragliche Person hauptsächlich Positives zu sagen weiß: als habe man sich nach Domitians Ermordung allenthalben erstaunt gefragt, was nun eigentlich, im Lichte der nachfolgenden Herrscher und aus einer gewissen Distanz besehen, so schlimm an diesem letzten Flavier gewesen sei. Doch wie auch immer: Das Domitianbild der modernen Historiographie mag differenzierter und positiver sein als das der antiken, die Einschätzung des Herrscherlobes als Gattung bleibt davon wesentlich unberührt. Von dieser Einschätzung aber hängt jede Interpretation solcher Texte, selbst hinsichtlich eines zunächst unpolitisch erscheinenden Elementes wie der Räumlichkeit, unmittelbar ab, weil zumindest Ansätze, die auf ein Nichternstnehmen des Textes in der Art nachfolgend zu umreißender ›two-voices‹-Konzepte hinauslaufen, zwangsläufig alles im Text fragwürdig werden lassen, den Raum ebenso wie die unmittelbar politischen Aussagen; erst recht, wenn man mit der Möglichkeit rechnet, daß auch dem Raum eine panegyrische Aussage abzugewinnen sein kann. Nun läuft zunächst Panegyrik als Thema, Werkintention oder Sprechhaltung (wie man will) den medialen Gepflogenheiten, wie ein Westeuropäer oder Noramerikaner der heutigen Zeit sie kennt, diametral entgegen,9 was im Kurzschluß 8 Mit anderen Worten: Domitian widerstand bis zu einem gewissen Grad dem auf jedem Menschen lastenden gesellschaftlichen Druck, sich in topische Rollenbilder pressen zu lassen und durch die Übernahme solcher Rollen eben jene Topik wiederum (und im Falle des im Licht der Öffentlichkeit stehenden Herrschers: umso autoritativer) zu bestätigen – aus welchen charakterlichen bzw. situationsbedingten Gründen auch immer. Solches einer Gesellschaft wie der römischen zutiefst suspekte Verhalten pflegt heutzutage gern als Drang zur Selbstbestimmung, als Verwirklichung persönlicher Freiheit betrachtet und gutgeheißen zu werden. Vielleicht ist dies der tiefere Grund für die positivere Bewertung, die Domitian in den Historiographien der letzten Jahrzehnte erfahren hat. 9 Fowler (1991), 28: »… the belief that one can ever free oneself from contemporary concerns is a delusion that critics have always to resist if they are to avoid self-deception.« Der two-voices-Ansatz in der Panegyrikdebatte scheint gerade solcher Selbsttäuschung entsprungen zu sein. Daß ich die Hoffnung hege, ihr hinsichtlich der Berechtigung von Panegyrik nicht zu erliegen, bedeutet freilich nicht, daß ich nicht Gefahr laufe, dafür an anderen Stellen in ähnliche methodische Fallen zu tappen: Dieses Risiko ist nie auszuschließen.

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verfahren zur Verdammung panegyrischer, d. h. affirmativ bestehende Gesellschaftsformen nachzeichnender und gutheißender Texte,10 bzw. zu einem vermeintlichen Rechtfertigungsdruck führt:11 Panegyrik als erzwungene Aussagen eines sonst in seiner Existenz bedrohten Autors, der zum bloß passiven Sprachrohr offizieller Propaganda wird;12 als entschuldbare Produkte einer politisch unbedarften reinen Künstlernatur (die aber der Literaturhistoriker um der Vollständigkeit willen doch nicht übergehen darf);13 oder als subversive

10 Vgl. Bengtson (1979), 146, wo im Hinblick auf Domitian Martial als »geradezu widerwärtiger Adulator« charakterisiert wird. – Die Beschränkung auf Texte übrigens ist nur meinem Gegenstand geschuldet. Selbstverständlich gilt gleiches für jede Form künstlerischen Schaffens, von der Musik Dmitri Schostakowitschs für Stalin bis zu den Plastiken Renato Bertellis für Mussolini, um nur zwei x-beliebige Beispiele anzuführen. 11 Einmal vorausgesetzt, man erkennt sie. Wie Mellein (1976), 380, von Statius’ Silvae behaupten kann, »Offizielles, historisch Relevantes« sei in dieser Sammlung »kaum anzutreffen; sogar Kaiser Domitian (reg. 81–96), mit dem Statius auf gutem Fuß stand,« müsse »auf eine ausdrückliche Huldigung verzichten«, ist mir völlig rätselhaft. 12 Vessey (1973), 35; vgl. Sauter (1934), 2, in bezug auf Martial, den er damit positiv vom sehr negativ charakterisierten Statius abstechen läßt; vorsichtiger und m. E. eher zustimmenswert die Definition Statius’ als ›licensed spokesperson‹, die Noelle Zeiner (2005), 45–74, bes. 47–51, in Anlehnung an Pierre Bourdieu vornimmt, doch mit Ersetzung des bei jenem gebrauchten Attributs ›legitimate‹ eben durch ›licensed‹, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, Statius sei gleichsam besoldeter Sprecher der Domitianischen Regierung, sondern um ihm neutral(er) den umfassenden Gebrauch der ›dominant language‹ zu attestieren, also der in Domitians Herrschaft als adäquat und konform empfundenen Ausdrucksformen (ebd. 264, Anm. 4). Dagegen ist allerdings einzuwenden, daß weder Ansprachen halbvermoderter Exheroen (wie in silv. 1, 1) noch Auftritte von Sibyllen in rauschhaften Zuständen (silv. 4, 3) zur ›dominant language‹ bzw. deren vorgesehenem Einsatzgebiet zu zählen sind, und ein allmähliches Versinken des poetischen Ich im Suff (silv. 1, 6) wohl auch nicht, mag es auch ausnahmsweise situationsadäquat sein, wie Nauta (2008), 147 richtig bemerkt. Zeiner greift also m. E. zu kurz, wenn sie Statius, der sicherlich zu Zeiten ein ›licensed spokesman‹ ist, nur dieses sein läßt. 13 In diese Richtung weist die heute kurios anmutende Charakteristik des Statius bei Schanz-Hosius (1935), 541: »Aber er hat dabei ein reines Gemüt, das nicht durch Laszivität zu kitzeln sucht; er hat guten Blick, eine lebendige Darstellungsweise, Sinn für Schönheit an Natur und Kunst. Er bückt sich tief vor dem Herrscher, vor dem sich alle beugen, aber er ist nicht zur Bettelhaftigkeit Martials herabgesunken.« Moderner formuliert Ähnliches Klodt (2001), 101 f., die Statius als »unpolitischen Menschen ohne tieferes Geschichtsbewußtsein« charakterisiert, seine Domitiangedichte als »artistische Pflichtübungen«, wobei sie das Argument für Statius’ Desinteresse an Politik aus dem Fehlen entsprechender Komponenten in der Thebais bezieht. Das ist methodisch unhaltbar: Zum einen bestand für Statius gar kein Grund, sein mythisches Epos um eine tagespolitische Dimension zu erweitern, bloß weil Vergil dies getan hatte, und zum anderen kann die Existenz der Domitiangedichte in den Silvae mindestens ebenso gut Statius’ Interesse an Politik beweisen wie die Thebais sein Desinteresse. Ganz abgesehen davon, daß die persönliche Interessenslage des physischen Autors dem Interpreten damals wie heute nicht eben gut zugänglich ist und sich auch im Laufe seines Lebens immer wieder gewandelt haben kann, ohne daß seine Texte davon erkennbar betroffen sein müssen; doch dies nur am Rande.

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Kritik am Herrscher, gut verpackt in Lippenbekenntnisse,14 und damit ›modernem‹ Empfinden wenigstens ›unter der Oberfläche‹ zumutbar.15 Gerade die letzte Variante, als two-voices-Theorie besonders aus der Vergilforschung geradezu sprichwörtlich, erfreute sich eine Zeitlang beachtlicher Beliebtheit und wurde, wie Franz Römer mit einer gewissen maliziösen Präzision feststellte, in den vorletzten Jahrzehnten buchstäblich auf alle poetischen Texte des ersten Jahrhunderts schon mindestens einmal angewandt, mit der einzigen wohl zufälligen Ausnahme der Aratea des Germanicus.16 Nur ein einziger positiv panegy­rischer Text also in einem vollen Jahrhundert? Das ist schon statistisch gesehen unwahrscheinlich, und darüber hinaus hat das two-voices-Prinzip mehrere methodische Haken, die zu großer Vorsicht mahnen, ehe man einem Werk solcherlei konträr-telische Doppelbödigkeit unterstellt.17 So fordert auch in der Nachfolge Römers Farouk Grewing, es müsse erst einmal »für solche Versuche der Text-Dekonstruktion ein theoretisches Fundament gelegt werden, das die Methode derartiger Deutungen transparent macht«, und warnt völlig zu Recht vor willkürlichen Interpretationen auf Basis nicht mehr objektivier­barer Behauptungen.18 Wo ungefähr liegen also die methodischen Schwierigkeiten einer two-voices-Theorie?19 Da ist zunächst die Frage nach Autor und Leser, und zwar nach den entsprechenden Instanzen im Text – denn daß mit der Publikation eines Textes dieser zur Interpretation durch das aktuale mehr oder minder breite Publikum gewissermaßen freigegeben und der Kontrolle des Autors entzogen ist, also legitime Deutungen abseits oder gar entgegen der vom Autor erwünschten zuläßt, liegt 14 Ahl (1984), der (ebd. 42) folgerichtig auch die zu Klodts These vom unpolitischen Dichter diametral entgegengesetzte Position bezieht. Ganz ähnlich Garthwaite (1978) und (1984); in der Nachfolge Ahls, dessen Interpretation von silv. 1, 1 sie für überzeugend erklärt, will Benker (1987, passim; bes. 7, Anm.  33, und 24 f.) Domitiankritik an Statius’ Achilleis nachweisen; Dominik (1994) versucht gleiches für die Thebais; vgl. auch Dihle (1989), 192, der in silv. 3, 4 »komisches Pathos« entdecken will, was nachzuvollziehen mir nicht so recht gelingen will. 15 Zum modernen grundsätzlichen Verständnisproblem von Panegyrik Römer (1994), 112 f., und Rühl (2006), 307 f., die ebd., Anm.  60, auch auf die guten Ausführungen Paul V­eynes zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Produktion und Rezeption von Panegyrik verweist: vgl. Veyne (1988), 442–462; erfrischend Vessey (1983), 211, dessen Skizze der panegyrischen Situiertheit der Silvae ich fast vorbehaltlos akzeptiere: nur seine Definition Statius’ als eines hundertprozentigen ›licensed spokesman‹ Domitians scheint mir etwas zu sehr vereinfacht. 16 Römer (1994), 96 f. 17 Wichtig dazu gerade für Statius: Nauta (2002), 425 f. 18 Grewing (1997), 34 f. 19 Eine Skizze dieser Interpretationsmethode mit Literaturverweisen bietet etwa Benker (1987), 34–36. Wer sich bei Lektüre dessen bestürzt auf den methodischen Stand der spät­ antiken Bibelallegorese zurückversetzt fühlen sollte, zuzüglich der Einführung des argumen­ tum ex silentio als wesentliches Instrument, hat mein volles Verständnis.

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auf der Hand und in der Kompetenz jedes beliebigen Lesers,20 jedoch nicht unbedingt in der des Wissenschaftlers, jedenfalls nicht, wenn sich die Philologie – wenigstens: auch – als historische Disziplin versteht. Auch daß ein Autor einen panegyrische Text beim Schreiben doppeldeutig ›meinen‹ kann, kann nicht bestritten werden, leider indes auch nicht nachgewiesen. Ein mit zwei Stimmen sprechender panegyrischer Text richtet sich nun wohl an zwei verschiedene abstrakte Leser, etwa einerseits an den abstrakten Gepriesenen (und seine mehr oder minder einflußreichen abstrakten Anhänger), der ihn an der Text­ oberfläche als freundliche Panegyrik rezipieren, und andererseits an den abstrakten Oppositionellen, der ihn zwischen den Zeilen als Kritik am Herrscher verstehen soll. Ein gefährlicher Schluß aber ist es, in solch einem Fall die Textoberfläche als Maske zu nehmen, unter der sich die ›wahre Meinung‹ des wirklichen Autors verberge: Eine wahre Autorenintention des wirklichen Autors ist in Textgattungen wie den in den Silvae vertretenen nie, jedenfalls nicht vollständig, zu fassen, während das Verfahren, einem Dichter zwei Stimmen zuzuschreiben, um ihn vom ›Vorwurf‹ der Panegyrik reinzuwaschen, methodisch eben dazu tendiert – eher schon sollte der Umstand, daß ein Text nach Meinung eines Interpreten zwei einander widersprechende ›Meinungen‹ erkennen läßt (also zwei einander entgegengesetzte ›preferred readings‹ signalisiert), davor warnen, dem Autor überhaupt eine zuschreiben zu wollen.21 Man erhält ja eben nicht zwei hierarchisch abgestufte Autoren, einen scheinbaren und einen wirklichen, sondern der (abstrakte) Autor eines Textes, also das was W. Schmid die »perso­nifizierte Werkintention« nennt,22 wird lediglich symmetrisch verdoppelt, wenn spiegelsymmetrisch zwei (abstrakte)  Leser anzusetzen sind.23 Hier aber zeigt sich 20 Stellvertretend für Viele sei Culler (1982), 130 zitiert: »Meaning is what we understand; and instead of exposing its lack of foundation or decisive authority we should simply say, with Wittgenstein, ›this language game is played.‹« Unbehagen bereitet mir dabei das Wort »simply«, haftet ihm doch die Nuance des Sich’s Leichtmachens an, die als Vorwurf gegen manche dekonstruktivistische Herangehensweisen an Texte von seiten derer, die einen Konnex zwischen Texten und ihrem historischen (usw.) Kontext zur Grundlage der Interpretation machen und damit zwangsläufig ›privilegierte Interpretation(en)‹ schaffen wollen, wohl doch erhoben werden kann. – Vgl. ferner Lorenz (2002), 48 f. mit nützlichen Literaturhinweisen. 21 Aufschlußreich dazu die exemplarische Untersuchung von silv. 4, 1, 10 bei Garthwaite (1978), 6 f.; vgl. die ausgewogenen Ausführungen bei Busch (2013), 65 f. 22 Schmid (2008), 60. Der Begriff ›Werkintention‹ ist dem scheinbar gleichbedeutenden ›Textintention‹ vorzuziehen, weil im Begriff ›Werk‹ immer noch die dahintersteckende intentionale Handlung des abstrakten und weiter des physischen Autors spürbar ist, der, so schwer greifbar er auch sein mag, doch nachweislich immerhin die Intention hatte, einen Text zu schreiben, und zwar in der Gestalt, wie er ihn schrieb – Ausnahmen bestätigen die Regel. Ein Text hingegen hat keine Intentionen, wie Schmid (ebd. 55) richtig moniert. 23 Diese gängige Hierarchisierung der abstrakten Autoren in einen ›echten‹ kritischen (d. h. schon prägnant: subversiv-kritischen) und einen ›falschen‹ panegyrischen läßt sich literaturtheoretisch etwa folgendermaßen fassen: Zunächst supponiert man (mit Recht), daß ein

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die nächste logische Fragwürdigkeit des two-voices-Konzepts. Denn hinter diesen beiden abstrakten Lesern, dem ›panegyrischen‹ und dem ›invektivischen‹, deren Zahl sich übrigens streng genommen von zwei auf vier erhöht, wenn man jeweils noch zwischen einem ›naiven‹ und einem ›aufgeklärten‹ Leser differenziert,24 erscheinen ja, sofern der Text überhaupt gelesen wird, wirkliche (physische) Leser, und es ist doch sehr zweifelhaft, daß diese sich auf eine bestimmte Leseweise einschränken ließen. Das funktioniert höchstens im Falle eines esoterischen Textes, der für ein vertieftes Verständnis ein bestimmtes Wissen (einen Schlüssel) voraussetzt, etwa in dem Sinn wie die Familie Mann sich über die ›Buddenbrooks‹, die sie an der jedermann zugänglichen Text­ oberfläche prinzipiell in derselben Weise lesen konnte wie jeder andere Leser auch, noch weitergehend amüsieren konnte als das breite Publikum, weil ihr die realen Vorbilder der im Roman erscheinenden Figuren bekannt waren – doch wer würde behaupten wollen, daß sich eine ›wahre Bedeutung‹ der ›Buddenbrooks‹ erst erschließe, wenn man Thomas Manns Verwandte und Bekannte genau kennt, in einer Weise genau kennt, wie sie nur unmittelbaren Zeitgenossen und persönlichen Bekannten überhaupt möglich ist? Literatur ist in den seltensten Fällen Kryptographie, und gerade der Sinn eines wirklichen twovoices-Textes muß ja darin liegen, daß auch ein nicht in arkane Quisquilien einpanegyrischer Text auf dem grundsätzlichen Gegensatzpaar von Loyalität und Herrscherfeindlichkeit aufbaut; letztere ist qua unterdrücktes Pendant ja selbst im panegyrischsten Text unvermeidlich mit im Spiel, und nichts hindert je daran, ihn entsprechend zu lesen, indem man beispielsweise sein Herrscherlob widerwärtig findet. Daraus resultiert als erforderlicher Schritt die Aufhebung dieses Gegensatzes und damit einer privilegierten Leseweise. So weit gut. Doch weil z. B. nach Culler (1982), 81 u. ö., literarisches Textverständnis nach Verwesentlichung, d. h. nach unitarischer Interpretation strebt, und weil im derzeit verbreiteten Weltbild die Opposition ›Loyalität – kritisches Hinterfragen‹ klar zugunsten der zweiten Hälfte gewichtet ist (Loyalität ist nach allgemeiner Auffassung zur Zeit Absenz von kritischem Denken, nicht umgekehrt), traut man der kritischen Stimme das höhere Verwesentlichungspotential zu und erhebt sie zur ›wirklichen‹ Textaussage. Der Gegensatz wird also gerade nicht aufgehoben, sondern lediglich (methodisch fragwürdig) umgekehrt, und die Interpretation bleibt so doktrinär wie zuvor, bloß daß man nun möglicherweise auch noch den Text gegen sich hat, wenn dieser die erwünschte weltanschauliche Gewichtung nicht oder nur unter Zwang mitmacht. 24 Man beachte, daß jeder Text mindestens potentiell stets ein ungleiches, weil auf zwei leicht unterschiedlichen Rezeptionsniveaus lokalisiertes Rezipientenpaar kreiert (vgl. Eco [2001b], 167f; ähnlich, doch begrifflich verkomplizierend, Schmid (2008), 102–104): Den (in meiner Terminologie) ›naiven‹ Leser, der dem Autor blindlings folgt, und den ›aufgeklärten‹, der die literarischen Techniken und Strategien, wie sie sich ihm im Text bieten, genießt, Täuschungsmanöver als solche würdigt, Anspielungen und deren Funktionsweisen nachsinnt usw. Wie weit beide Leserhaltungen einerseits einzeln völlig rein überhaupt eingenommen, andererseits beide durch ein und dieselbe physische Person zugleich und ohne einander zu beeinflussen eingenommen werden können, sei dahingestellt, aber prinzipiell können sowohl Leser, die einen panegyrischen Text panegyrisch verstehen, als auch solche, die ihn als Invektive auffassen, jeweils wiederum zwischen dem naiven und dem versierteren Zugang wählen.

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geweihter, doch aufmerksamer (physischer ebenso wie abstrakter) Leser seine zweite Stimme erkennen kann.25 Zugegeben: John Garthwaite hat recht, wenn er darauf hinweist, daß im allgemeinen Gesellschaften, in denen durch die Obrigkeit starker Zensurdruck auf die Literatur ausgeübt wird, darauf durch die Entwicklung eines besonders feinen Gehörs für gegenläufige Zwischentöne reagieren, der Philolog also in solchen Fällen der Rezipientenseite relativ viel ›zutrauen‹ kann.26 Doch wie will man beweisen, daß ein ›solcher Fall‹ vorliegt? Aus gegebener Presseunfreiheit ist methodisch nicht auf die subversive Intention eines konkreten Werkes schließbar, und historisch gesehen ist nicht nachweisbar, daß die zensorischen Verhältnisse unter Domitian signifikant schlechter waren als etwa unter seinem defacto-Nachfolger Trajan, dem zwar Plinius in seinem Panegyricus zenso­rische Liberalität und damit korrespondierende Geradlinigkeit der Kommu­nikation attestiert (Plin. paneg. 3, 4; cf. Tac. Agr. 1–3), dessen Regierung in seinem historiographischen Werk zu beschreiben aber selbst einem Tacitus mög­licherweise nicht tunlich erschien.27 Vielleicht sind ja die panegyrischen Aussagen des jüngeren Plinius bitterer Hohn auf den Tyrannen Trajan, und seine und seiner Zeitgenossen Verteufelung des toten Domitian nichts als eine two-voices-getragene sehnsuchtsvolle Rückerinnerung an die goldene Zeit unter seiner Regierung? Methodisch ist so kein Weiterkommen, jedenfalls nicht, wenn man aus postu­liertem Zensurdruck die Berechtigung, ja geradezu das Postulat, interpretatorisch stets das Gras wachsen zu hören, ableitet, und daraus im Zirkelschluß wiederum das Herrschen von Zensurdruck und den Trend zur Doppelbödigkeit beweist.28 Man schafft ihn sich damit vor allem selbst, etwa wenn (um ein fast 25 Völlig berechtigt der Einwand, den Robin Darwall-Smith (1996), 272, gegen die Annahme von subtilen Irreführungen des kaiserlichen Lesers durch doppelbödige Texte macht: »This deception has been so subtle that no previous age has noticed it. (…) This is an arid theory, searching for riddles where there are none.« Dabei kann ›no previous age‹ mit einiger Berechtigung für die ›interpretive community‹ im Sinne Stanley Fishs eintreten. 26 Garthwaite (1978), 9; vgl. Fearnley (2003), 616. 27 Zu Domitians diesbezüglichem Verhalten vgl. etwa die kurzen Diskussionen bei Johnson (1997), 38–41, und Gering (2012), 193–199, bes. Anm.  301.  – Bemerkenswert auch die von Pailler-Sabayrolles (1994), 23–25 untersuchte wahrscheinliche Entfernung des Namens ­Domitians aus dem Text von Plut. Pyth. orac. 29 (mor. 409BC), die belegt, daß entweder ­Plutarch die damnatio memoriae persönlich guthieß, doch ohne daß Gründe dafür bekannt wären, oder daß unter Domitians Nachfolgern der Zensurdruck selbst an relativ unauffälligen Stellen außerordentlich hoch war – ganz anders als etwa zu Zeiten des Augustus, der bekanntlich Livius dessen signifikant positive Schilderung des Pompeius mit gemütlichem Tadel durchgehen ließ (Tac. ann. 4, 34, 3). Zu Martials merkwürdigem Verhältnis zu Trajan vgl. die anregende Studie von H. Fearnley (2003). 28 Garthwaite selbst beschleicht angesichts dieses methodisch-logischen Fehlers ein ungutes Gefühl, sodaß er im abschließenden Teil seiner Studie (1978, 168–177) eingesteht, daß Domitian erstens ganz sicher nicht naiv, folglich zu entsprechender Literaturinterpretation durchaus befähigt war (ebd., 174), zweitens aber Martial und Statius ihre hochgradig subver-

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beliebiges Beispiel anzuführen) Carole Newlands die mehrere Gedichte durchdringende Darstellung des Familienglücks des Pollius und der Polla (silv. 2, 2; 3, 1; 4, 8) als Anspielung auf Domitians fragwürdiges Eheglück und seine Kinderlosigkeit verstehen will:29 Die Möglichkeit, daß Domitian zwischen seiner tristen persönlichen Situation und dem familiären Glück seiner Untertanen zu differenzieren wußte und vielleicht sogar mit Vergnügen beobachtete, wenn diese sich unter seiner Herrschaft vermehrten, wird anscheinend gar nicht in Er­ wägung gezogen, und ebensowenig die hohe Wahrscheinlichkeit, daß normale Römerinnen und Römer sich ihrer Kinder zumeist wohl erfreuten, ohne einen Gedanken an die familiäre Situation des Kaisers zu verschwenden. Weiters: Beide Stimmen eines two-voices-Textes müssen, wenn er einer sein will, prinzipiell für jeden Leser verständlich sein – und sind es damit auch für den (tatsächlich gar nicht existenten) vorgesehenen Rezipienten allein der Textoberfläche, im gegebenen Fall auf physischer Ebene: den Kaiser. Den hindert also nichts daran, auch die andere Stimme zu verstehen, und noch weniger hindert ihn daran, darauf in einem methodisch heute problematischen, seinerzeit aber normalen Schritt vom Text auf dessen physischen Autor zu schließen und diesen beispielsweise ebenso physisch in eine sehr entlegene Gegend des Imperiums zu relegieren;30 erst recht im Falle von Texten, die sich im Unterschied siven, kaiserkritischen Witze offenbar nicht übelnahm, demzufolge drittens seine Herrschaft jedenfalls Literaten gegenüber recht liberal war (ebd., 173). Daraus viertens den Schluß zu ziehen, daß damit aber auch der Anreiz für die Literaten, gegen den Kaiser Stellung zu beziehen, d. h. subversive two-voices-Literatur zu produzieren, recht gering gewesen sein muß (womit die ganze Theorie hinfällig würde), wagt Garthwaite begreiflicherweise nicht, sondern erklärt den Fehler im System damit, daß Domitian (gleichsam zähneknirschend) nichts anderes übriggeblieben sei, als Statius und Martial gewähren zu lassen, weil er keine anderen guten Dichter zur Verfügung gehabt habe und sich außerdem nicht noch aktiv blamieren wollte (ebd., 174 f.). Letzteres ist zweifelhaft, denn ein dauerhaft mundtot gemachter Kritiker kann unter Umständen schon eine vorübergehende Blamage wert sein, ersteres ist jedenfalls un­sinnig – als ob Domitian darauf angewiesen gewesen wäre, überhaupt literarisch verherrlicht zu werden, erst recht durch ihm persönlich nicht gar so nahe stehende Autoren wie Statius oder Martial! Und wenn ihm schon daran lag, dann fanden sich in den Heerscharen von Teilnehmern an seinen literarischen Wettbewerben jedenfalls genügend Talente, deren er sich bedienen hätte können, wenn er an jenen beiden etwas auszusetzen fand. Doch abgesehen davon, daß Statius einmal beim prestigeträchtigen kapitolinischen Agon nicht den ersten Preis errang und darob, jedenfalls laut eigenen Aussagen, einigermaßen erbost war (was er übrigens wohl nicht gewesen wäre, wenn er Texte produziert hätte, die seiner Ansicht nach dazu geeignet gewesen wären, auf Domitians Seite Stirnrunzeln auszulösen; doch dieses Argument funktioniert nur auf der Ebene des physischen Autors), ist keine negative Reaktion von kaiserlicher Seite bekannt. 29 Newlands (2002), 190. 30 Dieser Einwand auch bei Römer (1994), 102; vgl. Håkanson (1969), 32, Anm. 32: »That Statius, writing to or about the emperor, would not express himself in terms that could involve the risk ob being misunderstood in malam partem is, I think, selv-evident.« Vgl. dazu e contrario Benker (1987), die allen Ernstes die »Todesumstände des Verfassers« als Kriterium für die Mehrdeutigkeit seiner Werke (im Sinne des two-voices-Ansatzes) festlegt.

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etwa zu den Werken Ovids a priori und ausschließlich auf den Kaiser beziehen wie Statius’ panegyrische Gedichte, bei denen also die Entdeckung einer subversiven Gegenstimme doch schwerer wiegen müßte als das Erscheinen regierungskritischer Untertöne in einem Werk, das an der Textoberfläche ganz andere Themen behandelt.31 Daran schließt sich eine weitere Überlegung: Unter welchen Produktionsbedingungen eigentlich sollte ein two-voices-Panegyricus entstehen? Entweder unter Zwang und mit inkludiertem, doch kaschiertem Protest, oder freiwillig, um zugleich zwei unterschiedliche, miteinander verfeindete Adressaten zu erreichen. Die erste Möglichkeit scheidet mindestens de iure aus: Kein einziges von Statius’ panegyrischen Gedichten ist nachweislich auf Befehl Domitians entstanden, selbst silv. 1, 1 nicht, wenngleich die von den neueren Herausgebern häufig zu tradere ausus sum konjizierte Lesart tradere iussum im diesbezüglichen Abschnitt des Einleitungsbriefes zum ersten Buch prinzipiell auch auf ein tradere iussus sum zurückgehen könnte.32 Für die übrigen Gedichte fehlt vollends jeder Hinweis auf Zwang, für eines davon (1, 6) ist noch nicht einmal eine plausible Situation denkbar, in der es öffentlich rezitiert worden sein könnte,33 31 Nicht nachvollziehbar ist der Versuch Fredrick Ahls (1984, 81 f.), diesem Problem zu begegnen, indem er aus Quint. inst. 9, 2, 65–67 eine Anweisung zur two-voices-Methode entnimmt und einen Unterschied zwischen palam dicere ›offen sprechen‹ und apertum ›zweideutig‹ (sic!) macht; gelinge es, einen prinzipiell panegyrisch verstehbaren Text zu liefern, dann drohe keine Gefahr mehr, auch wenn ein gegenteiliger Sinn unschwer zu erkennen sei, weil der nur scheinbar Gelobte dann gute Miene zum bösen Spiel machen müsse (Wieso eigentlich?). Diesem Verständnis der Quintilianstelle kann ich nicht folgen. Quintilian grenzt dort rhetorische Schulübungen wie pactiones deponentium imperium tyrannorum, in denen man sich auch plumpe und leicht zu durchschauende Doppeldeutigkeiten erlauben könne (palam und apertum sind identisch!), weil ja keine Gefahr gegeben sei, von vera ne­ gotia (realen Prozessen) ab, in denen man sehr vorsichtig mit dieser Art des Sprechens umgehen müsse, weil man sonst seiner Sache eher schade als nütze – von epideiktischer Rede, zu der die Panegyrik grundsätzlich gehört, ist hingegen nicht die Rede, auch die erwähnten Schulübungen sind nicht ohne weiteres mit Invektiven in tyrannos (also dem ebenso epideiktischen Gegenstück zur Panegyrik) gleichzusetzen, was Ahl aber zu tun scheint. Quintilian warnt also gerade vor solchen schemata (Doppeldeutigkeiten), soweit es sich nicht um das Trockentraining des Schulunterrichts handelt: Nur dort könne man unbesorgt selbst im Kontext von Tyrannen und Bürgerkriegen in Doppeldeutigkeiten sprechen, auf freier Wildbahn aber müsse man schon in einem simplen Erbschaftsprozeß (Quint. 9, 2, 72sq.) sehr geschickt sein, um damit durchzukommen – von Tyrannen und Bürgerkriegsproblemen gar nicht zu reden; dies ungefähr der Duktus der Stelle. Vgl. die ausführlichere Widerlegung Ahls bei Römer (1994), 101 f. 32 Dazu vgl. unten 72–75. 33 Vgl. Nauta (2002), 362; Leberl (2004), 183; anders, doch ohne Belege anzuführen, Smolenaars (2006), 225, und Nagle (2004), 18. Allgemein sei davor gewarnt, die oft in suggestiver Weise aufgebauten Rezitationssituationen in den einzelnen Gedichten mit deren tatsächlicher ›Erstpublikation‹ gleichzusetzen, wie es oft geschehen ist: Weder ist es vorstellbar, daß der physische Statius die Trauergesten des Flavius Ursus beim Begräbnis von dessen jugendlichem Geliebten mit gedrechselten beschreibenden Hexametern begleitete und kommen-

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was aber im Falle einer Auftragsdichtung zu Propagandazwecken des Hofes doch eigentlich zu erwarten wäre. Mit Recht definiert Meike Rühl das Verhältnis zwischen Domitian und Statius als eine »von reziprokem Austausch geprägte Kultur« und damit als »Gabe oder Gegengabe für ein von der anderen Seite geleistetes beneficium;34 auf den gerade erwähnten Fall von silv. 1, 6 bezogen: Domitian gibt dem Publikum die Veranstaltung im Amphitheater, Statius gibt ihm als Gegengabe ihre Beschreibung, oder besser vielleicht: Interpretation, zurück.35 In solch einem Rahmen bedarf es weder eines Befehls zum Dichten, noch ist dort der Platz für subversive Sticheleien, mag auch das dif­ ficile est non scribere-Motiv, dessen Statius sich bisweilen bedient, um sich als passives Sprachrohr der ihn ohne oder gar gegen seinen Willen überkommenden Inspiration zu gerieren,36 nur ebenso unzuverlässige Rückschlüsse auf die tatsäch­liche Auftragslage erlauben wie der so oft genährte Stegreifdichtungstopos. Einzig das Gedicht auf die Haarlocke des jungen Eunuchen Earinus (silv. 3, 4), das zur Domitianpanegyrik im weiteren Sinn gezählt werden kann, deklariert Statius in silv. 3 praef. als Auftragswerk, ohne dabei aber ganz deutlich zu machen, ob Earinus oder Domitian der Auftraggeber war, und ohne von mehr als einem desiderium auf dessen Seite zu sprechen.37 Vor allem aber wird man diese im Kontext der panegyrischen Gedichte einmalige Bemerkung eher mit Statius᾽ Bemühen in Verbindung bringen, die selbst für seine Verhälttierte (silv. 2, 6), noch waren in der aktualen Welt die einzelnen Phasen des Abschiednehmens bei Maecius Celers Aufbruch in den Orient dazu geeignet, von Statius in der Art einer obstinat im Hintergrund spielenden Filmmusik untermalt zu werden (silv. 3, 2, bes. 50–60 und 78sqq.) – um nur zwei besonders krasse Beispiele zu nennen. Angesichts der Tatsachen nun, daß (1) kein einziges Gedicht der Sammlung genügend Anhaltspunkte bietet, zwingend eine bestimmte Rezitationssituation in der aktualen Welt zu erweisen, daß (2) diese Gedichte, mindestens die der ersten vier Bücher, eben als publizierte Sammlung und damit losgelöst von ihrer (möglichen) ›Urpublikation‹ vorliegen, daß (3) im Rahmen der Publikation als Sammlung vorgenommene textliche Veränderungen gegenüber jenen (möglichen) Erstfassungen stets denkbar sind, und daß (4) der vielen, wenn nicht allen, Gedichten in den Silvae zugrundeliegende pindarische Topos, der Dichter verhelfe durch sein Werk einem vergäng­ lichen, besonderen Moment zu ewiger Dauer, a priori von jeder ›ursprünglichen‹ Rezitationssituation ab- und auf die spätere Lektüre der Texte, wie auch der moderne Leser sie betreibt, hinlenkt – angesichts dieser Tatsachen also werde ich mich mit den verbalisierten Umständen möglicher ›Erstrezitationen‹, mögen sie auch in diesen Situationen selbst für die Rezeption des Vorgetragenen durchaus von Interesse gewesen sein (beispielsweise durch textliche Bezugnahmen auf räumliche Gegebenheiten am Vortragsort – den ich indes leider nie nachweisen kann), nicht auseinandersetzen. Zur allgemeinen Publikationssituation der Silvae in Abgrenzung von jener der Epigramme Martials vgl. White (1974). 34 Rühl (2006), 309 und 51–59; vgl. Newlands (2012), 24 f.; etwas unscharf Mause (1994), 206, der Statius zu sehr als Hofpoeten sieht. 35 Ganz ähnlich Gunderson (2003), 650, zu Martials Liber spectaculorum. 36 Markus (2003), 434 f. 37 Vgl. u. II , Anm. 135. Meines Erachtes zu zuversichtlich bezeichnet Vessey (1973), 28, ausdrücklich Domitian selbst als Auftraggeber; ausgewogen Henriksén (1997), 291.

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nisse entlegene Themenwahl zu erklären, als annehmen, er habe ernstlich eine Entschuldigung für das Erscheinen von Panegyrik in seiner Gedichtsammlung für notwendig gehalten. Bliebe nur die Möglichkeit, daß Statius von sich aus zugleich Domitian und dessen politische Gegner, also grob formuliert: oppositionelle Senatskreise bedienen wollte. Das paßte zwar vage zu der plausiblen Auffassung J. Leberls,38 derzufolge Statius’ Dichtungen mit ihrem elitären Publikumsanspruch trotz eher mittelständischer Sprecher-persona39 im wesentlichen an die Senatorenschicht gerichtet waren, also gleichsam den publizistischen Arm Domitians in diese und damit in eine für Domitian relativ unbedeutende Richtung bildeten – Domitians hauptsächliches Interesse galt bekanntlich dem Militär und dem, was man in der Revolution als ›dritten Stand‹ zum Schlagwort erheben sollte; gerade daran stieß der Senat sich ja.40 Eine solche Vorgehensweise des Dichters bliebe jedoch ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, weil, wie schon erwähnt, Domitian nicht daran gehindert werden konnte, auch das nicht für ihn Bestimmte zu verstehen; und obendrein bliebe die Un­ sicherheit, welcher der two voices dann in der Interpretation der Vorzug gegeben werden sollte: Vielleicht war der physische Statius ja überzeugter Domitian­ anhänger, sicherte sich aber durch einige anders deutbare Nebenbemerkungen für den Fall der Fälle auch Senatskreisen gegenüber ab? Solche Überlegungen also führen zu nichts. Noch ein zweites grundlegendes methodisches Problem stellt sich: Woran eigentlich ist die Existenz einer zweiten, gegenläufigen Stimme sicher festzu­ machen, d. h. worin bestehen die Signale, mit denen ein Text dazu auffordert, ihn auf dem Wege der Allegorese, der symbolischen Deutung, der Ausnützung von sprachlichen Ambiguitäten usw. anders zu verstehen, als die Textober­ fläche es nahelegt?41 In der Regel werden dazu die Begriffe der Übertreibung (Hyper­bel) und der Ironie herangezogen, meist sogar gekoppelt, denn nichtübertreibende ironische Formulierungen des Typs »… und der Kaiser ließ in 38 Leberl (2004), 111 f. 39 Newlands (2012), 5. 40 Vgl. die Rolle der Praetorianer nach Domitians Ermordung, knapp zusammen­gefaßt beispielsweise bei Flower (2001), 642–644. Man hat auch, um ein für die weitere Untersuchung wesentliches Themenfeld herauszugreifen, mit einigem Recht darauf hingewiesen, dass die Bauvorhaben der Kaiser sich zunehmend an breite Volksschichten als Zielpublikum wandten: vgl. u. I, Anm. 236. Statius’ Dichtung, soweit sie kaiserliche Bauten betrifft, würde dann zumindest unter anderem dem Zweck dienen, höher gebildeten, elitäreren Kreisen zu demonstrieren, welch raffinierte Deutungen sich dennoch aus ihnen entnehmen ließen; was einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Zusammenhalt der römischen Gesellschaft unter einem in gewissen Kreisen als problematisch empfundenen princeps darstellen würde. 41 Benker (1987), 35 gibt einen Überblick über ältere, d. h. der Hochblüte von two-voicesTheorien entstammende Literatur zu den von mir übernommenen Begriffen Allegorie / Symbol und Ambiguität in entsprechender interpretatorischer Funktionalisierung; vgl. ferner Cordes (2014a), 341 f.

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seiner Milde die nächsten zehn Senatoren hinrichten« sind gerade kein geeigneter Aufhänger für two-voices: man erhält dann ja nur eine einzige Stimme, die klar anti-panegyrisch ist, und damit ein sehr primitives literarisches Konzept. Viel eher geeignet erscheinen Fälle von Ironie, die aus scheinbar harmlosen Übertreibungen resultieren sollen. Doch von der Schwierigkeit, überhaupt eine konsensfähige Definition für ›Ironie‹ zu finden, ganz abgesehen: ›Übertreibung‹ deutet auf eine quantifizierende Kategorie und damit theoretisch auf etwas objektiv Meßbares hin, ›Ironie‹ hingegen ist ein qualifizierender Begriff und folglich in unangenehm hohem Maße Ermessenssache, auch wenn sie aus einer objektiv feststellbaren Übertreibung entspringen soll.42 Übertreibungen kommen in Panegyrik zweifellos vor, sie sind sogar ein konstituierendes Merkmal.43 Wann aber werden sie zur Ironie? Wer käme beispielsweise auf die Idee, die absurden Gefallenenzahlen (vor allem der Gegner) in alttestamentlichen Schlachtberichten oder auch in solchen der jüngeren römischen Annalistik als ironischsubversive Konterkarierung der Textoberfläche zu deuten? Und dabei besteht der Unterschied zwischen den beiden übrigens durchaus miteinander verwandten Gattungen Geschichtsschreibung und Panegyrik prinzipiell nur darin, daß die eine heute als unverdächtige Gattung gilt, während man der anderen, wie schon eingangs erwähnt, grundsätzlich mit Mißtrauen begegnet. Auch so ist methodisch nicht voranzukommen. Zuverlässiger als Übertreibungen können textimmanente44 Inkonsistenzen, also Durchbrechungen der signalisierten Tendenz zum ›preferred reading‹, zur 42 Instruktives Beispiel: Ahl (1984), 90: »His [= Statius’] praise of Domitian is so fulsome that its hollowness becomes quite obvious.« – »When Statius flatters Domitian, the results are so bizarre one must either conclude that this is mannerism gone mad or that his purpose is to hold the emperor up for the ridicule of later generations.« (ebd., 91). Die logische und methodische Unhaltbarkeit dieses interpretatorischen Amoklaufs hat schon Römer (1994), 104, herausgestrichen. Vgl. auch als Beispiel eine verbal scheinbar abgesicherte, doch prinzipiell gleicher Methode folgende Formulierung bei Newlands (2002), 323 (zu silv. 4, 3, 124–163): »The Sibyl’s fulsome speech provides an example of encomium that is extravagant in praise almost to the point of ridicule.« Interessanterweise zieht Newlands (ebd., 309–323) Schlußfolgerungen aus jener Sibyllenrede, die nur dann zuverlässig wären, wenn deren Rede nicht ›beinahe‹, sondern wirklich die Grenze zur Lächerlichkeit überschritte. 43 Vgl. z. B. Mause (1994), 23 f.  – Logisch betrachtet schließt schon der Umstand, daß Übertreibung ein konstituierendes Element jeder Panegyrik ist, die Möglichkeit aus, sie zum Nachweis von Doppelbödigkeiten heranzuziehen, wäre doch dann das Verfassen un-doppelbödiger Panegyrik schlicht ein Ding der Unmöglichkeit, nicht bloß aus der Warte des der­ zeitigen Interpreten (woran wenig liegt), sondern aus der Warte der Preisenden wie der Gepriesenen. Dagegen aber spricht der literaturgeschichtliche Augenschein vieler Jahrhunderte; vgl. auch u. I, Anm. 52. 44 Auf den Fall, daß mehrere an sich interpretatorisch eindeutige Texte durch Iuxta­ position in den Verdacht geraten, einander in der Deutung wechselseitig zu beeinflussen, gehe ich hier nicht ein, weil Statius’ Silvae keinen solchen Fall bieten. Für die in dieser Hinsicht interessanten Domitianzyklen bei Martial, etwa im sechsten und neunten Buch, hat Lorenz (2002), passim, unmißverständlich gezeigt, daß selbst hartes Aufeinanderprallen

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Postulierung von konträrlaufenden Zweitstimmen dienen, vorausgesetzt, diese Inkonsistenzen sind nicht ihrerseits bloß Produkte einer um jeden Preis nach ihnen suchenden Interpretation,45 und ebenfalls vorausgesetzt, daß das interpretatorische Streben nach Konsistenz durch den Text überhaupt gerechtfertigt wird.46 Wenn etwa in silv. 1, 1, 11–13 der Equus Domitiani mit dem trojanischen Pferd verglichen wird und dieses sogar noch übertrifft,47 dann besteht angesichts der notorischen Koppelung Römer-Trojaner und der fatalen Rolle, die das trojanische Pferd besonders aus Sicht der Aeneaden nun einmal spielt, in der Tat Erklärungsbedarf, und selbstverständlich schloß man aus der Stelle bereits auf subversive Domitiankritik: Der Kaiser, schlimmer noch als die Griechen?48 scheinbar widersprüchlicher Themen und Tendenzen nicht nur nicht zur Annahme subversiver Gegenstimmen zwingt, sondern sich sogar sehr gut im Dienste der Panegyrik auffassen läßt. 45 Vgl. speziell zu einem gleichartigen Phänomen im Bereich der Malerei bzw. Raum­ dekoration, Anm. 336. Hierher gehören auch Bemerkungen wie die von Dominik (1994), 150, Anm. 56, der im Kommentar von Coleman (1988) zu silv. 4, 1, 44–46 gerade diese Interpretationsform vermißt und pikiert feststellt, daß »indeed, Coleman in her commentary discerns nothing (even potentially) ambiguous in the Silvae.«; oder auch sonderbare Gedankenfolgen wie die von Frederick Ahl (1984), 48, bezüglich silv. 3, 4, 73 vorgetragene (Garthwaite [1984], 119 f., folgt ihm darin): Statius beklagt dort das grausame Schicksal, das Knaben drohte, bevor Domitians Milde einzugreifen begann. Milde aber, die einen Anfang habe, könne auch ein Ende haben: also eine subtile Kritik? Dieser Argumentation nach könnte also eine potentiell revokable Handlung niemals gutgeheißen werden, ohne zugleich ihre Revokabilität anzuprangern. Folglich hätte jeder, der seinerzeit Herrn Ahl zum Erscheinen seines Artikels gratulierte, damit zugleich und vor allem darauf hingewiesen, daß dieser ja auch wieder eingestampft werden könnte. 46 Vgl. etwa Culler (1982), 81. 47 »Dieses Pferd [scil. Domitians Reiterstandbild] hätte Pergamon auch nach Niederlegung der Mauern nicht aufnehmen können, nicht hätten es in gemischter Schar Knaben und unverheiratete Mädchen geleitet, nicht Aeneas selbst und nicht der große Hektor.« Dabei ist pueri innuptaeque puellae ein unverkennbares Zitat aus dem sechsten Aeneisbuch (v. 307) oder dem Georgicafinale (4, 476); die dort jeweils in der ersten Vershälfte erscheinenden magnanimi heroes führt Statius mit Aeneas und Hektor näher aus. Für so ungeschickt, wie Courtney (1984), 331, ihn im Kontext dieser Stelle erklärt, halte ich Statius freilich nicht: Nicht der Dichter stand vor dem Problem, daß ein Pferd, das Knaben und Mädchen nicht ziehen können, gar nicht besonders groß sein muß, und steigerte daher zu Hektors Zugkraft, sondern sein Sprecher. 48 Ahl (1984), 92; vgl. die gute Zurechtrückung dieser Überinterpretation bei N ­ ewlands (2002), 56 f., deren Konzept des »selective reading« sich mit meinem im folgenden vorzu­ schlagenden Ansatz weitgehend deckt. Skeptisch bin ich allerdings hinsichtlich Newlands weiterführender Interpretation (ebd., 57), der Text weise eben durch den Zwang zum ›selective reading‹ auf die leserseitige Notwendigkeit, behufs Interpretation auswählend vorzu­gehen, hin: Wenn ›selective reading‹, wie ich als gegeben nehme, Bestandteil eines ›Grundsatz­ abkommens‹ zwischen Autor und Leser panegyrischer Texte ist, kann es nicht problematisiert werden, indem ein Element im Text erscheint, das ›selective reading‹ erfordert. Eine Problematisierung wäre erst gegeben, wenn das fragliche Element trotz ›selective reading‹ (in der konventionellen Form des Herrscherlobes) problematisch, also unverständlich bliebe. Das ist hier aber nicht der Fall.

Vorbemerkungen

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Dabei warnt die Stelle selbst vor derlei Sophismen, wenn sie erst plakativ Vergilkenntnis demonstriert (doch ausgerechnet nicht aus dem zweiten Aeneisbuch zitiert, sondern aus dem sechsten), dann aber Hektor, der doch das trojanische Pferd gar nicht mehr erlebte, hypothetisch mit Hand anlegen läßt. Ein mythologischer Schnitzer? Offenkundig, und jedenfalls ein guter Grund, den Mythos vom trojanischen Pferd an dieser Stelle nicht zu sehr zu ›pressen‹. Denn selbst wenn, wie in diesem Fall, die sicherlich gegebene Inkonsistenz stark genug sein mag, um die Möglichkeit eines harmlosen Irrtums auf seiten des Dichters oder überzogener Hellhörigkeit auf seiten des Lesers unwahrscheinlich zu machen, bleiben noch verschiedene andere Möglichkeiten der Erklärung, ehe man zur Annahme einer echten Doppelbödigkeit gedrängt wird.49 Da ist zunächst der schnell hingeworfene, bis zur Stegreifdichtung gehende Charakter der Silvae, den Statius in seinen Einleitungsbriefen zu betonen nicht müde wird. Daraus ist zwar nicht zu folgern, daß die Texte, wie sie zumindest in den ersten vier Büchern publiziert wurden, nicht doch eine sorgfältige Nachbearbeitung erfahren haben, einmal vorausgesetzt, daß Statius’ stolze An­ gaben zum eigenen dichterischen Tempo überhaupt dem physischen Autor zugeschrieben werden dürfen und sollen50 – selbst in der Thebais, deren Gattung, Umfang und realistische Vortragssituation(en) noch viel stärker gegen alle Formen von Improvisation jenseits simpler Kürzungen oder vorbereiteter Ersetzungen bei allfälligen Rezitationen sprechen, bedient Statius sich dieses Topos.51 Doch es ist daraus zu folgern, daß die Gedichte Spuren von Unfertigkeit zeigen dürfen und wollen – etwa in Gestalt von schiefen Bildern wie oben dem trojanischen Pferd. Ob diese Spuren ›echt‹ sind oder ›unecht‹, spielt keine Rolle: Man fragt ja auch nicht, ob die zwei, drei unpassenden Objekte, die ein guter Gastgeber in den Empfangsräumlichkeiten ostentativ herumliegen läßt, um diesen statt unwohnlicher Perfektion den Charme benützbarer Gemütlichkeit zu verleihen, wirklich zufällig dort liegen oder zu besagtem Zweck drapiert wurden. Wichtig ist der entstehende Eindruck des nicht ganz Perfekten.52 Daß daraus

49 Zur Problematik dieses Vergleichs Domaitians mit dem trojanischen Pferd vgl. grundsätzlich die Ausführungen von Cordes (2014a), 347–349, und (2014b), 298 f. 50 Zu diesem Topos vgl. die kurzen Ausführungen bei Styka (2005), 36–40; ferner vgl. ­Johannsen (2006), 316–322. 51 Zur Thebais vgl. Markus (2003), passim.  – Es sei nur darauf hingewiesen, daß zumindest unter den panegyrischen Gedichten sich keines befindet, das sich auf einen für den physischen Dichter nicht mehrere Wochen, wenn nicht Monate lang schon vorhersehbaren Anlaß bezöge. Selbst für silv. 4, 2 wird man nicht annehmen, daß Domitian seine Gäste zu Großbanketten erst tags davor einzuladen pflegte. 52 Letztlich hierher gehört auch das von Ruurd Nauta (2002), 425 f. gut beschriebene ›Abkommen‹ zwischen Dichter und Publikum über den panegyrischen Verständnisrahmen der Texte, das es (im Sinne eines Abkommens, nicht einer mathematisch gegebenen Möglichkeit) etwa ausschließt, Übertreibungen als kritikwürdige Unwahrheit zu empfinden oder mytho-

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freilich kein Pouvoir des Interpreten resultiert, diese Texte, erst recht die ihm allein vorliegende schriftlich und im Rahmen einer Sammlung publizierte Form derselben, nicht ›für voll‹ zu nehmen und allenfalls zu entdeckende komposi­ torische Raffinessen mehr dem Zufall (und dem eigenen interpretatorischen ingenium) zuzuschreiben denn der handwerklichen Geschicklichkeit eines routinierten Autors, sei nur am Rande bemerkt:53 Statius selbst konterkariert diesen produktionsästhetischen Rapiditätstopos bei Gelegenheit, wenn er seinen mit leichter Hand ›hingeworfenen‹ Geburtstagsversen für Atedius Melior gleichwohl attestiert, sie seien parva quidem … dona, sed ingenti forsan victura sub aevo (silv. 2, 3, 62sq.).54 Gilt dieses für alle Gedichte der Sammlung,55 so tritt in den panegyrischen Gedichten noch ein zweites zu berücksichtigendes Element hinzu, das in der Sprechhaltung des Ich begründet wird. Ich erinnere an eine sehr gute Charakterisierung Statius’ aus der Feder J. H. Bishops: »Statius’ appeal is to the ordinary.

logische oder historische Anspielungen durch Einbeziehung nicht unmittelbar be­nötigter Facetten zur Lächerlichkeit zu treiben: Ein Kaiser kann zum Beispiel, so Nauta richtig, mit Caesar verglichen werden, ohne daß gleich dessen Ermordung mitzubedenken ist; und auch Plinius kann in paneg. 88, 10 Trajan mit Augustus vergleichen, ohne daß dessen blutiger Karriereverlauf, seine widrigen Familienverhältnisse, seine geringe militärische Begabung und schlußendlich die Varusschlacht gemeint wären. Ein solcher Vergleich ist demnach auch nicht als Inkonsistenz zu werten, auch wenn John Garthwaite (1978), 171 solches Vorgehen theoretisch zu rechtfertigen sucht und grenzenloses Einbeziehen aller nur denkbaren weiterführenden Linien etwa bei mythologischen Vergleichen geradezu fordert: »It is a sound and basic principle of literary criticism that no meaning can actually be considered impossible unless exact interpretation of the text rules it out.« Diesem Credo ist freilich hier wie überall entgegenzuhalten, daß ›exact interpretation‹ mit dem Suchen nach ›meaning‹ doch wohl identisch und damit als Korrektiv nicht recht geeignet ist: als solches kann nur die Kontextualisierung des Textes in die Rahmenbedingungen seiner Entstehung fungieren, und die entsprechen dem von Nauta skizzierten Grundsatzabkommen. Der Improvisationstopos bildet zusätzlich noch eine zweite Barriere gegen Überinterpretationen. 53 Ich beziehe mich auf Vessey (1986), 2762: »Those who have (…) sought to expose the structure of individual poems may in fact be doing nor more than in some instances revealing the heads of a prose outline from which the poet worked and in others only their own ingenuity and desire for meaningful order.« Zugegeben: Das bisweilen etwas überzogene Streben des Interpreten nach ›meaningful order‹ kann durchaus Ordnung in etwas hineinlesen, was genuin keine hat – ein geläufiges methodisches Problem. Völlig verfehlt aber wäre es, bloß aufgrund plakativer Stegreifbeteuerungen eines Autors im Text die Suche nach ›meaningful order‹ a priori zu unterlassen. 54 Vgl. Zeiner (2005), 237 und 245 f. 55 Ein illustratives Beispiel wäre silv. 3, 1, 6sq.: Der neue, einen recht bescheidenen Vorgängerbau ersetzende Herkulestempel von Sorrent ist so prachtvoll, als ob Herkules eine neue Apotheose auf dem Oeta erlebt hätte. Daß diese Apotheose relativ schmerzhaft war, ist ohne jeden Zweifel nicht mitzuhören, es sei denn man wollte annehmen, daß Statius den Tempel seines Bekannten und Landsmannes als architektonische Katastrophe veralbern hätte ­wollen.

Vorbemerkungen

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He is most apt in describing something familiar to us all in a way just a little better (but not all that much) than we could manage ourselves.«56 Diese Charakterisierung ist gerade auch auf die Domitiangedichte anzuwenden. Statius erscheint in keinem von ihnen als einzig autorisierter und beauftragter Sprecher des Kaiserhofes, was Inkonsistenzen in der Tat merkwürdig erscheinen ließe: auch hat man es, wie schon erwähnt, ja kaum mit Auftragswerken zu tun. Zugleich aber bleibt das Ich sonderbar blaß, gerade einmal in silv. 4, 2, dem Dankgedicht für eine Einladung zu einem kaiserlichen Bankett, wird es etwas greifbarer, hingegen verschwindet es in 4, 3 und in 1, 1 weitgehend, in 4, 1 zur Gänze, und in 1, 6 scheint es sich von Anbeginn an in der Volksmenge gleichsam aufzulösen und trennt sich erst gegen Schluß andeutungsweise wieder aus dieser (freilich im Vollrausch). Nicht ein gottbegnadeter vates (gerade in den panegyrischen Gedichten meidet Statius das in den Silvae sonst oft für sich in Anspruch genommene Wort vates vollständig!)57 tritt als eigenständige Persönlichkeit unverhüllt dem Kaiser gegenüber, der übrigens seinerseits vor allem fern ist,58 sondern das Ich scheint eine Stimme aus dem Volk zu sein, nur eben eine Stimme, die etwas besser formulieren kann als andere vielleicht.59 Und warum eigentlich nur eine einzige Stimme? Bisweilen, etwa in den bewundernden Fragen am Beginn von silv. 1, 1, läßt Statius ohne weiteres leicht unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen, die, miteinander logisch unverein­

56 Bishop (1966), 27; vgl. Coleman (2008), 28: »They (scil.: the Silvae; Anm. d. Verf.) hold up a magnifying mirror to the everyday details of contemporary life.« Nun mag nicht jedes durch Statius zum Gegenstand eines Gedichtes gemachte Thema dem alltäglichen Leben angehören, doch davon abgesehen wird man Coleman nur zustimmen können. 57 Dazu vgl. Hardie (1983), 141; ferner Lovatt (2007), 146, mit dem Hinweis auf die Differenz zwischen nur einem einzigen wenigstens indirekt auf Statius beziehbaren Erscheinen von vates in der Thebais (Theb. 10, 829), wo das sonst fast vierzigmal gebrauchte Wort regelmäßig Propheten wie Amphiaraus oder Teiresias meint, und 25 Belegen in den Silvae, wo vates in aller Regel ›Dichter‹ bedeutet, oft Statius selbst. Just die panegyrischen Gedichte (silv.  1, 1.  6; 2, 5; 3, 4; 4, 1.  2. 3) aber haben das Wort nicht, einzig in silv.  4, 3, 120 wird die das Gedicht beschließende Rede der Sibylle von Cumae eingeführt mit den Worten ­vates sanctior incipit, tacendum est. Kurz gesagt: Dem Kaiser gegenüber vermeidet Statius die va­ tes-Pose. 58 In diesem unten noch näher auszuführenden Punkt ist doch noch Frederick Ahl (1984), 47, recht zu geben, wenn er darauf hinweist, daß eine gewisse Ferne des Gepriesenen für Panegyrik notwendig ist – aus unmittelbarer Nähe besehen, oder mit dem vollen Kenntnisstand eines in die Arcana der aktuellen Regierung Eingeweihten, werden panegyrische Elemente freilich möglicherweise zu leicht durchschaubaren Halbwahrheiten. Doch weder Statius (der physische wie der abstrakte) noch sein Publikum (jedenfalls das abstrakte) be­ finden sich in solcher allzugroßen Nähe zu Domitian. 59 Zu einem fast gleichen Ergebnis kommt Rühl (2006), 317 und 320: Sie rechnet zwar mit einer (bis auf die Curtiusrede) durchgehenden Sprecherrolle des Autors im Text, doch mit einer so unbestimmt bleibenden, daß jeder beliebige Römer sich mit ihr identifizieren könnte. Diese Identifikation kann man, meine ich, vertrauensvoll in die Tat umsetzen.

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bar, dennoch alle die gleiche panegyrische Tendenz zeigen.60 Auch Inkonsistenzen wie das oben strapazierte trojanische Pferd können so erklärt werden: Was, wenn nicht dem (physischen oder abstrakten) Statius hier ein mythologischer Lapsus auf dem Niveau eines Halbgebildeten unterläuft, sondern als Sprecher eben solch ein Halbgebildeter als Vertreter des das Denkmal bestaunenden Publikums zu denken ist? Einer, der über den Trojamythos nur rudimentär informiert ist und gerade einmal weiß, daß das trojanische Pferd riesengroß, doch immerhin beweglich war (im Gegensatz zum unbeweglichen Equus Domitiani), und daß Hektor und Äneas die stärksten Trojaner waren, gleichgültig ob sie mit dem Pferd auch beide zu tun haben konnten? Dann erhält man einen sehr geschickten panegyrischen Schachzug: Nicht ein einzelner Dichter spricht, sondern das Volk, woran dem Herrscher ja auch mehr gelegen sein muß; und der Dichter läßt bei aller Raffinesse eines routinierten Autors einzelne naive Züge durchscheinen, die das Lob des Kaisers gerade im Unregelmäßigen aufrichtiger erscheinen lassen.61 Eine dritte, mit der vorigen aber teilweise kongruente Möglichkeit, Inkonsistenzen einfacher zu erklären als durch das Postulat unterschwelliger Herrscherkritik, besteht schließlich in der Überlegung, daß auch loyale Dichtung sich nicht scheuen muß, problematische Themen zu berühren, soferne sie dadurch eben nicht Kritik am, sondern Sorge um den Gepriesenen und positive Anteilnahme an seinem Geschick signalisiert; beobachtbare Ambiguitäten zeigen demnach keine subversiven Gegenstimmen an, sondern stellen positive Ergänzungen dar. In diesem Sinne etwa interpretiert Carole Newlands (2002) silv. 1, 1, und selbst für das Earinusgedicht (silv. 3, 4) wurde prinzipiell Ähn­ liches überzeugend vorgetragen.62 Erneut gilt, daß solch positive Betroffenheit nur gewinnen kann, wenn sie aus dem Munde des Volkes und nicht (nur) aus dem eines einzelnen Dichters verlautet. 60 Ahl (1984), 91 f. beutet diese Inkonsequenzen (ergebnislos) aus und erblickt (ebd., 97) sogar einen das Kaiserlob konterkarierenden Widerspruch zwischen dem Gedichtbeginn und der Beschreibung des Bauvorgangs in silv. 1, 1, 63–65; dazu vgl. bereits die Replik von Römer (1994), 103. 61 Man könnte noch einen Schritt weiter gehen und auf das in die Sprechsituation eines Menschen zu einem Gott gehörende Element der Aischrologie verweisen, mit dem der unendlich viel niedriger Stehende die ihn von der Gottheit trennende Distanz zum Ausdruck bringt, denn der Kaiser ist ein Gott, den von seinem menschlichen Lobredner eine gerade bei Statius immer wieder betonte Ferne trennt: Auch so wären manche Inkonsistenzen in der Panegyrik logisch erklärbar, doch würde eine solche Erklärung einen viel genaueren und vor allem konsensfähigeren Kenntnisstand rund um die Göttlichkeit des römischen Kaisers und ihre Auswirkung auf die Literatur voraussetzen, als er m. W. zur Zeit gegeben ist, trotz M. Clauss’ kompakteren (Clauss 1996) wie auch ausgedehnteren (Clauss 1999) Ausführungen zum Thema, auf die grundsätzlich verwiesen sei. 62 Zu silv 1, 1: Newlands (2002), 51–73; Cordes (2014a), 354 f.; speziell zum Problem der Ambiguität: Newlands (2002), 48 f. u. 59; zu silv. 3, 4: Verstraete (1989), passim.

Vorbemerkungen

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Ich will nicht den Fehler begehen, eine solche Leseweise als einzig wahre zu bezeichnen. Sie ist lediglich möglich, und sie erscheint mir plausibel, zum einen, weil das angedeutete und unten noch näher auszuführende Zurück­ treten des poetischen Ich ausgerechnet in den panegyrischen Gedichten, die sich auch darin vom Rest der Silvae deutlich abheben, a priori dazu auffordert, ihre Sprechhaltung zum Ausgangspunkt weiterer Überlegungen zu machen; zum anderen, weil diese Form des Sprechens in politisch engagierter Dichtung auch andernorts verbreitet ist: Man könnte bis zu Aristophanes zurückverweisen, dessen Figuren doch zuallermeist nicht die Meinung des Aristophanes vortragen wollen, sondern politische Ansichten vorbringen, wie sie der Athener auf der Straße eben äußert – und die sind manchmal völlig falsch und doch wieder klug zugleich. Viel näher aber liegt ein Blick auf Statius’ Kollegen und nicht unbedingt Antipoden Martial, für den Sven Lorenz in überzeugender Form ganz Ähnliches nachgewiesen hat: Panegyrik, die sich zum Vergnügen ihrer gebildeten, der Oberschicht angehörenden Leserschaft auf naive, derbe, volkstümliche Elemente stützt, dadurch aber hinsichtlich ihrer panegyrischen Aussage gerade nicht an Ernsthaftigkeit verliert.63 Statius ist gewiß nicht derb, und auch Naivität und Volkstümlichkeit bietet er nicht im gleichen Maß wie vielleicht Martial: Dagegen sprächen gattungstypische Unterschiede ebenso wie die durch das jeweilige Œuvre hinweg beobachtbare Selbststilisierung der Autoren (die wiederum in unterschiedlichen Naturellen ihrer physischen Autoren begründet sein mag, doch daran liegt nicht viel). Spuren solcher Elemente aber finden sich bei ihm, und ich halte es für notwendig, sie in die Interpretation einzubeziehen. Noch ein dritter Grund schließlich spricht m. E. gegen die Annahme, ­Statius’ Panegyrik übe auf einer zweiten, subversiven Textebene Kritik am Kaiser. Um von einer die (scheinbare?) Aussage des Textes konterkarierenden zweiten Textebene sprechen zu können, müßten möglichst alle thematisch einschlägigen Passagen, oder wenigstens eine signifikant große Anzahl, entsprechend polyphon bzw. doppeldeutig gebaut sein; erst recht im Falles eines an der Textoberfläche in seiner Gesamtheit dem Kaiserlob gewidmeten Gedichtes. Mir ist in der Gruppe der panegyrischen Gedichte der Silvae keines bekannt, das diese An­forderung erfüllte, und bisherige Versuche, in einzelnen davon durch teilweise gewagte Interpretationen eine den gesamten Text durch 63 Lorenz (2002), 208. 249 f.; ein gutes Gegenstück dazu bietet Ahl (1984), 85, wenn er die »smallness« (unbedeutende soziale Stellung) des Martial und des Statius apodiktisch behauptet, daraus deren im Vergleich zu prominenten Mitgliedern der Gesellschaft größere Sprechfreiheit und daraus wieder den doppelbödigen Charakter ihrer Panegyrik erschließt: Keiner dieser Schlüsse aber ist logisch zwingend, noch nicht einmal sehr wahrscheinlich. – Wichtig ferner die einige Schwachpunkte in Lorenz’ Argumentationsgang aufzeigende und zu weit gegriffene Folgerungen beschneidende Rezension von Christine Schmitz, in: Sehepunkte 5 (2005), Nr.  4 [15.04.2005], URL : http://www.sehepunkte.de/2005/04/6921.html (Stand: 1.2.2016).

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ziehende antipanegy­rische Linie herzustellen, vermögen nicht zu überzeugen:64 Die zu Ausgangspunkten gemachten Unstimmigkeiten sind durchwegs zu wenige, zu geringfügig oder untereinander zu wenig zur Deckung zu bringen, als daß sich zuverlässig von two voices sprechen ließe; hingegen ist mit anderen Äußerungen panegyrischen Inhalts aus derselben Zeit (literarischen, epigraphischen, numismatischen, bildhaften, architektonischen usw.) so weitgehende Deckungsgleichheit herstellbar, daß auch von seiten dieser Gegenprobe eine panegyrische Lektüre der panegyrischen Gedichte unterstützt wird. Das ist freilich kein Nachweis, daß eine two-voices-Hypothese für Statius auszuschließen sei – möglich wäre sie immerhin. Doch im Falle daß für ein beobachtetes Phänomen mehrere Erklärungsmuster gleichermaßen möglich sind, ist doch wohl dasjenige zu bevorzugen, das den Vorteil der größeren Einfachheit für sich hat, und ich habe den Eindruck, daß die ohnehin nicht sehr große Anzahl feststellbarer Inkonsistenzen in Statius’ Panegyrik sich auf die oben skizzierte Weise einfacher erklären läßt als durch die vergleichsweise komplexe Annahme von two voices; weshalb ich mich dazu entschieden habe, die Suche nach subversiven Zweitstimmen aufzugeben und im Sinne eines ›preferred reading‹ (die Über­ tragung dieses von Stuart Hall geprägten Konzeptes in die Forschung zur frühkaiserzeitlichen Panegyrik verdankt sich Lisa Cordes) den Texten keine Aus­ sagen nachzusagen, die sie nicht offenkundig machen wollen.65 Soweit einige einleitende Gedanken zur Problematik der Panegyrik bei Statius. Sie schienen mir nötig, weil zumindest in der nicht allzu reichen Sekundär­ literatur zu Statius Two-voices-Interpretationen immer noch den Stand der Forschung bilden, wie Geyssen (1996) zu silv.  1, 1 wohl am besten demon­ striert, mag auch der philologische Diskurs auf den Feldern stärker beforschter Autoren schon seit einiger Zeit von derlei Zugangsweisen abgerückt sein. Man könnte freilich auch einwenden, daß es für das Verständnis von Phänomenen der Räumlichkeit in Texten nicht ausschlaggebend sei, ob die panegyrische Aussage, in deren Zug sie erscheinen, durch anderslautende Gegenstimmen in Frage gestellt wird oder nicht. Dem ist jedoch, zumindest was die Annahme durchgängiger subversiver Gegenstimmen angeht, entgegenzuhalten: Um die panegyrische Textoberfläche (sit venia verbo) konsequent interpretieren zu können, muß ich die Annahme treffen, daß ihr (postulierter) logischer Zusammenhang ungestört ist, was nicht mehr der Fall ist, wenn eine Gegenstimme qua ›wahrer 64 Vor allem: Ahl (1984), zu silv. 1, 1. 65 Vgl. Cordes (2014a), passim, bes. 343 f., und (2014b), 296 f.  – Eine Ausnahme bilden m. E. nur die mythischen Exempla am Beginn von silv. 4, 2, die in der Tat in Relation zu dem, womit sie verglichen werden, eine gewisse Dissonanz nur schwer verleugnen können. Genauere Betrachtung aber zeigt auch dort, daß diese Dissonanz nicht zu Lasten des Kaisers geht, sondern die Person des Autors / Sprechers näher umreißt, also wiederum keinen Ansatzpunkt für die Annahme domitiankritischer Zweitstimmen abgibt; vgl. u. 227–236.

Vorbemerkungen

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Meinung‹ des Autors hinlänglich wichtig ist, um den Dichter Inkonsistenzen an der Oberfläche in Kauf nehmen zu lassen. Deformiert oder gar fragmentiert einmal ein gegenläufiger, die ›eigentliche Aussage‹ darstellender Gedankengang die Oberfläche, dann nimmt auch die Möglichkeit, die an dieser festzumachenden Phänomene (zum Beispiel der Räumlichkeit) in einen logischen Zusammenhang zu bringen und aufeinander zu beziehen, rapide ab. Außerdem erscheinen, wie im folgenden zu zeigen sein wird, einige räumliche Phänomene geradezu grundlegende Komponenten für Statius’ Herrscherlob zu sein: eine eindeutige Warnung davor, mit dem einen zugleich das andere zu untergraben. Noch eine Vorbemerkung zu einer bislang nur am Rande einbezogenen Instanz: dem Kaiser, im konkreten Fall: Domitian66 und seinem Verhältnis zur Literatur, deren erster und aus der Schar der übrigen mindestens theoretisch herausgehobener Rezipient er im Falle von Panegyrik ist.67 Von Bedeutung ist hier, wie weit ein Autor der Zeit ihm literarisches Verständnis zutrauen, und für wie belastbar er ihn im Hinblick auf ›Zumutungen‹ wie Unkonventionalitäten, Scherz oder gar Kritik halten konnte. Die antiken Quellen sind sich darin einig, daß Domitian in jüngeren Jahren selbst dichterisch tätig war, spätestens ab dem Zeitpunkt seiner Thron­ besteigung aber derlei Betätigungen vollständig einstellte68  – kein Wunder, stand doch der einzige bis dato aufgetretene Dichterkaiser Nero nicht eben im besten Nachruf, jedenfalls nicht in flavischen Kreisen.69 Die Information von diesen früheren poetischen Versuchen scheint auch verbreitet gewesen zu sein, sodaß Autoren wie Martial oder Statius ihrem Souverän doch wohl eine gewisse 66 Aus der Literatur zu Domitian seien besonders genannt: Bengtson (1979); Jones (1992); Urner (1993); Pfeiffer (2009); ferner Southern (1997), der eher domitianfreundlich den Autoren trajanischer Prägung mißtraut; dagegen Wilson (2003), der wiederum jeden Zweifel an der Zuverlässigkeit der domitianfeindlichen Aussagen trajanischer Autoren für verfehlt erklärt; schließlich Gering (2012), der 28–37 die aktuelle Forschungslage skizziert. Erfrischend unreflektierte (und wenn, dann häufig falsch zitierte) Übernahme jeglicher antiker Quellen bietet schließlich Schall (2011). 67 Vgl. allgemein Coleman (1986). 68 Quint. inst. 10, 1, 91sq.; Suet. Dom. 2, 2; Tac. hist. 4, 86; Sil. 3, 618–621; Val. Fl. 1, 12–14; Mart. 5, 5, 7; Stat. Achill. 1, 16sq.; vgl. Coleman (1986), 3088–3095. Den Interpretationen des Tacitus und des Sueton, wonach die literarischen Ambitionen des jungen Domitian bloß vorgetäuscht waren, braucht angesichts der Omnipräsenz des starren Charaktermodells gerade bei diesen beiden Autoren nicht sonderlich ernstgenommen zu werden; doch selbst wenn seine poetische Begabung möglicherweise geringer war, als er sich und / oder anderen in jungen Jahren vorgaukelte, bleibt der Umstand, daß er sich immerhin so intensiv mit Dichtung beschäftigte, daß diese Beschäftigung Eingang in die Historiographie fand. Daraus seine grundsätzliche Befähigung zum sinnvollen Umgang mit Literatur abzuleiten, scheint mir zulässig. Erwägenswert darüber hinaus der Vorschlag, den Franz Sauter (1934), 92 bringt: Domitian habe eventuell aufgrund seiner Neigungen zur Dichtung Minerva zu seiner privaten Schutzgottheit erwählt; vgl. Geyssen (1996), 46; Hardie (2003), 126. 69 Zum Nerobild in flavischer Zeit vgl. Nauta (2010).

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Vertrautheit mit Literatur und literarischen Techniken unterstellen mußten; für Martial etwa hat Sven Lorenz gezeigt, wie dieser schon im ersten Epigrammbuch einen textimmanenten Domitian aufbaut, der nicht nur Verständnis für Martials Form der Dichtung hat und gelegentlich das Spiel sogar mitspielt, sondern sich auch vom historischen Domitian kaum völlig unterscheiden konnte, egal wie weit die Deckungsgleichheit zwischen dem Kaiser und seinem literarischen Pendant nun wirklich reichte.70 Überliefert ist weiters, daß Domitian, der immerhin in ungewöhnlich hohem Maß durch die Veranstaltung literarischer Wettkämpfe die Literaturproduktion der Zeit ankurbelte und von offizieller Seite her protegierte,71 im Umgang mit Literatur, die sich in irgendeiner Weise auf ihn beziehen ließ, leicht von Mißtrauen gepackt wurde72 – denkbar schlechte Voraussetzungen also, falls jemand ernsthafte Kritik an ihm hätte äußern wollen, egal ob direkt oder indirekt; passable Voraussetzungen aber, wenn ein Autor Panegyrik schrieb, ohne sie unterschwellig zu entwerten, und sein literarisches handwerkliches Können stattdessen einsetzte, um aus programmgemäßem Herrscherlob etwas Besonderes, Neuartiges zu machen. Martial und Statius taten dies beide auf jeweils eigene Art, und gerade der Umstand, daß Domitian in ihnen seine Lobdichter fand, Augustus hingegen etwa in Vergil, Properz und dem (späteren) Horaz, zeigt noch ein weiteres: daß Domitian, der »­ tragic tyrant«73, neben manchen schwierigen Charaktereigenschaften doch ganz offenkundig Humor hatte – eine Familieneigenheit der drei Flavier übrigens.74 70 Lorenz (2002), 112–120. 71 Vgl. Coleman (1986), 3095–3100. 72 Mißtrauen gehört freilich zur Tyrannentopik, es überrascht also nicht, daß trajanische Autoren Domitian diese Eigenschaft zuschrieben, doch immerhin taten sie es unisono und mit einigem Nachdruck: Plin. paneg. 18, 3; 49, 1; Suet. Dom. 14, 1–4; 15, 1–3; 16, 1sq.; Tac. Agr. 1, 3 promptissimus quisque saevitia principis interciderunt. Recht besehen bezieht Tacitus an der zitierten Stelle gegen Two-voices-Interpretation im Kontext der Domitianpanegyrik Stellung: der Kaiser interpretierte offenbar in jenem Sinn, und handelte eben damit falsch. 73 So der prägnante Untertitel von Southern (1997). 74 In diese Richtung deutet Smolenaars (2006), 225. Gänzlich entgegengesetzt Ahl (1984), der Domitian apodiktisch folgendermaßen charakterisiert: »Domitian, for Statius and Martial, is, as he is for Juvenal, an oppressive but vulnerable ruler, as lacking in humor as in ­Augustan irony.« (85). Einem solchen Herrscher gegenüber habe Statius seine Panegyrik als iocus empfunden, als nicht ernst zu nehmenden Spaß (ebd., 88, in Interpretation von silv. 4 praef.). Darauf sind zwei Einwände jedenfalls notwendig: Erstens spricht Statius an jener Stelle gar nicht von Panegyrik, sondern von den Silvae als Kleindichtung, als nugae, die der Reputation des Dichters in mancher Augen schaden konnten. Zweitens aber hätte Statius die Publikation seines vierten Silvaebuches mit seinem Einleitungsbrief nicht überlebt, wenn ein mißtrauischer Leser wie Domitian (geschweige denn ein durchschnittlicher) dem Text ernsthaft eine Deutung im Sinne Ahls hätte geben können, auch wenn Ahl (ebd. 89) meint: »Neither he nor Domitian takes the matter very seriously.«, was sowohl Domitians überliefertem Mißtrauen als auch seiner kurz zuvor von Ahl postulierten Humorlosigkeit widerspricht.

Vorbemerkungen

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Abb. 1 Die römischen Fora zur Zeit der Silvae. (erstellt durch den Autor)

A Forum Romanum | B Forum Caesaris | C Forum Augusti | D Templum Pacis | E Forum Transitorium sive Forum Nervae | 1 Equus maximus Domitiani | 2 Aedes Divi Iuli | 3 Aedes & Atrium Vestae | 4 Aedes Castoris et Pollucis | 5 Basilica Iulia | 6 Aedes Saturni | 7 Templum Divi Vespasiani | 8 Aedes Concordiae | 9 Curia | 10 Basilica Paulli sive Aemilia | 11 Ianus geminus | 12 Lacus Curtius | 13 Rostra | 14 sog. Forumsgebäude des Domitian | 15 Templum Veneris Genetricis | 16 Templum Martis Ultoris | 17 Templum Minervae | 18 Templum Divi Marci, fortasse et Iovis Statoris | 19 Via Sacra | 20 Palatium.

Außerdem ist noch Vorsicht gegenüber der Einbeziehung Juvenals angebracht: Was immer der Grund für dessen angebliches Schweigen unter Domitian und seine bizarr rückwärtsgewandte Satirenproduktion in späteren Jahren ist, sein Fall liegt jedenfalls gänzlich anders (und wahrscheinlich komplizierter) als die des Martial und des Statius.

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Damit wende ich mich einer Untersuchung der fünf im engeren Sinn panegyrischen Gedichte in der durch ihre Publikation gegebenen Reihenfolge zu, zunächst der beiden das erste Buch rahmenden (Equus maximus Domitiani; Kalendae Decembres), sodann der drei das vierte Buch eröffnenden (XVII. con­ sulatus Imp. Aug. Germanici; Eucharisticon ad Imp. Aug. Germ. Domitianum; Via Domitiana), zuletzt der durch ihre Thematik und / oder ihr Format nicht unmittelbar zu den ›großen‹ Panegyrici zu zählenden, doch mit ihnen in der einen oder anderen Weise verbundenen Gedichte (2, 5; 3, 4; 4, 4).

2. Silvae 1, 1: Equus maximus Domitiani75 Primus libellus sacrosanctum habet testem: sumendum enim erat a Iove principium. Centum hos versus, quos in ecum maximum feci, indulgentissimo imperatori postero die quam dedicaverat opus tradere ausus sum. ›Potuisti illud‹ dicet aliquis ›et ante vidisse.‹ Respondebis illi tu, Stella carissime, qui epitahalmium tuum, quod mihi ini­ unxeras, scis biduo scriptum. (Stat. silv. 1 praef.) Das erste Büchlein hat einen geheiligten Zeugen: Es galt nämlich, mit Jupiter den Anfang zu machen. Die hundert Verse, die ich auf das große Pferd schrieb, wagte ich am Tag nach der Einweihung dem allergnädigsten Kaiser zu übergeben. Der eine oder andere wird einwenden: »Du konntest es ja auch vorher schon gesehen haben.« Darauf wirst ihm du, mein lieber Stella, die Antwort geben – du weißt ja, daß dein Hochzeitsgedicht, das du bei mir in Auftrag gegeben hattest, binnen zwei Tagen zu Papier gebracht wurde.

Ein textkritisches Problem: ausus sum oder iussus sum? Überliefert ist iussum, das durch Annahme einer Haplographie leicht zu iussus sum geändert wird, wie ältere Ausgaben es auch noch bieten.76 Håkanson plädiert, Sandström folgend, 75 Obwohl Angaben in den historiographischen Quellen fehlen, wird die Errichtung des Monuments heute mehr oder minder einheitlich auf den Beginn der 90er Jahre datiert: Winter 89/90: Nauta (2002), 422; Anfang 90: Geyssen (1996), 31, Anm. 4; Gering (2012), 160, Anm. 120; im Laufe des Jahres 91: Giuliani-Verduchi (1987), 142; Bergemann (1990), 164 (mit weiteren Literaturverweisen). Die ursprüngliche Entstehung des Gedichtes wird damit zeitlich zusammenfallen, seine Publikation im Rahmen der ersten Silvae-Dreiergruppe (vgl. o. 43–48) erfolgte also offenbar in einem gewissen zeitlichen Abstand. Für meine Interpretation ist diese Differenz von geringer Bedeutung, da auch zum Zeitpunkt der Errichtung des Monuments die einzige sonst neue topographische Gegebenheit, das Forum Transi­ torium, sich mindestens schon im Planungsstadium befand, also ohne weiteres einbezogen werden konnte, umgekehrt der Equus auch danach noch in Repräsentation und Propaganda Domitians präsent war, wie die u. Anm. 105 erwähnte Münzemission aus Domitians letzten Regierungsmonaten zeigt. Soweit erkennbar hatten sich also zwischen der Errichtung des Monuments und der Publikation von silv. 1, 1 keine für meine Fragestellung wesentlichen Parameter verschoben. 76 z. B. Markland (1728), Vollmer (1898), Phillimore (1905), Marastoni (1970); Klotz (1911) setzt ein rhythmisch besseres, doch unschönes est iussum. Zuletzt verfochten wurde

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für ausus sum,77 weil nur so das nachfolgende potuisti et ante vidisse als Einwand funktioniere,78 und überdies iussus sum zu indulgentissimo imperatori inhaltlich schlecht paßt – Herrscher, die einem Hofdichter (der Statius auch gar nicht war, auch wenn man ihn in verkürzender Perspektive bisweilen so bezeichnet hat79) befehlen, ein perfektes Gedicht auf ein bestimmtes Thema anzufertigen und am nächsten Tag abzuliefern (tradere iussus, nicht componere ius­ sus würde der Text ja lauten!), gehören eher in den Bereich des Märchens. Was hätte Domitian zu einem solch sonderbaren Befehl veranlassen sollen?80 Hinzu kommt noch, daß der hinter iussus sum stehende Befehlsgeber unklar bleibt: der Kaiser selbst? oder ein Dritter, etwa ein Mitglied des Hofes? Positiv für ausus sum spricht, daß damit aus potuisti et ante vidisse ein Reflex auf die Art wird, wie Statius sein Gedicht dem Kaiser präsentierte, nämlich eben als Stegreif­ geniestreich, was sich gut in den Kontext der Praefatio fügt. Hinzu kommt noch, daß iussus sum zum nachfolgenden, silv. 1, 2 betreffenden iniunxeras einen, wie mir scheint, unerwünschten Parallelismus ergäbe.81 Zwar stimmt die Rechnung, die Statius hier anstellt, auf jeden Fall – silv. 1, 1 hat gut 100 Verse, silv. 1, 2 mehr als doppelt so viele, sodaß das ›Duchschnittstempo‹ des Dichters bei 1, 2 sogar noch etwas höher lag –, aber es wäre doch etwas sonderbar, wollte Statius hier drauf hinweisen, daß ein kaiserlicher Auftrag in nicht einmal halb so vielen Versen erledigt wurde wie der des vergleichsweise bedeutungslosen Stella. die iussus  /  iussum-Variante durch Johannsen (2006), 259, doch ohne überzeugende Argumente beizubringen. 77 Håkanson (1969), 17f; vgl. Sandström (1878), 2. Traglia (1978), Courtney (1990) und Shackleton-Bailey (2003) folgen dem Vorschlag; zustimmend v. a. Rühl (2006), 316, Anm. 89; vgl. Liberman (2010), 60. 78 Håkanson (1969), 17: »What help would that have been to Statius, if he had no idea at all that he would have to write a poem until he got Domitian’s order on the day of the dedication?« Das Argument ist etwas unscharf, weil es voraussetzt, daß einerseits Statius von einem auf ihn zukommenden Befehl keine Ahnung haben konnte (was nicht gesagt ist), und daß der Befehlsgeber ebenfalls damit rechnen mußte, daß Statius das Standbild vor dem Tag der Einweihung, der auch der Zeitpunkt des iubere sein müßte, nicht gesehen habe (was ebenfalls nicht zwingend zutreffen muß). Genau darauf könnte nämlich potuisti et ante vidisse zielen: »Es bestand (in den Augen des Befehlsgebers) immerhin die Möglichkeit, daß du es schon zuvor gesehen hattest: so groß war die Zumutung als gar nicht.« Es bleibt aber der Kontrast zu indulgentissimo imperatori und die oben skizzierten Schwierigkeiten im Kontext. 79 Vgl. z. B. Garthwaite (1989), 82: »Statius’ literary, if not financial status, was based to a considerable extent on his association with the palace, as its poet and publicist.« Leider wissen wir in Wahrheit über Statius’ Finanzlage nahezu nichts, und auch über seinen gesellschaftlichen Status, v. a. nach Bekanntwerden der Thebais, liegen nur geringfügige Andeutungen in den Silvae vor, also in einer auf intensiven Selektionsprozessen durch den Autor selbst basierenden Bezeugung; vgl. Johannsen (2006), 337; Newlands (2012), 20–36. 80 Zur gar nicht so bedeutenden Rolle, die Domitian der Dichtung als Medium seiner Repräsentation beimaß, vgl. Gering (2012), 193–199. 81 Anders Johannsen (2006), 255–260, bes. 259, die gerade dem Parallelismus Beweiskraft zugunsten iussus sum oder iussum est zubilligt.

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Ist hingegen silv. 1, 1 mehr oder minder aus eigenem Antrieb entstanden, entfällt diese unerwünschte Vergleichbarkeit hinsichtlich des Herstellungsprozesses – also ausus sum.82 Allerdings: Hier wie überall ist zwischen dem abstrakten Autor, der sein Gedicht als Bravourstück seiner geläufigen Feder vorstellt, und dem physischen Statius zu unterscheiden, der selbstverständlich et ante vidisse potuit, denn eine optische Abschirmung der Baustelle bis zur ›Enthüllung‹ des Monuments ist, obwohl man derlei allen Ernstes vorgeschlagen hat, erstens technisch so gut wie unvorstellbar, zweitens nicht belegt, drittens im Gedicht selbst bei der Erscheinung des Curtius jedenfalls nicht vorausgesetzt.83 Doch so wie die Eröffnung einer Brücke jemandem die Möglichkeit gibt, sie ›als erster‹ zu befahren, obwohl zuvor schon wenigstens im Zuge von Bauarbeiten und Belastungstests hunderte von Fahrzeugen sie passiert haben (doch die zählen eben nicht), so gibt die Einweihung eines Denkmals zu einem mehr oder minder arbiträren Zeitpunkt den Startschuß zur öffentlichen Wahrnehmung und Interpretation desselben, und mit seinem Stegreifdichtungsanspruch greift Statius auf eben diesen Mechanismus zurück, mag er am Gedicht in Wahrheit vielleicht auch lange gefeilt haben: Das Wagnis (ausus sum) bestand schließlich darin, nach den mindestens 82 Ein zusätzlich stützendes Argument für ausus sum erhält man, wenn man eine Querverbindung zur Recusatio-Formulierung von Stat. Theb. 1, 18 nec Arctoos ausim sperare ­triumphos schlägt: Der Statius der Thebais wagt sich zwar (noch) nicht an das große, vollgültige Domitiansepos, jener der Silvae hingegen mit dem niedrigeren Anspruch der Stegreifdichtung wagt es schon, dem Kaiser eines dieser Produkte zu überreichen: vgl. Nauta (2006), 36. 83 Gegen Johannsen (2006), 257 f.  – Zwar: Enthüllungsvorgänge als zeremoniöse Akte sind für den antiken Kunstbetrieb bezeugt (für hilfreiche Hinweise danke ich Nadia Koch): Ael. var. 2, 44 berichtet von der durch Trompetenstöße untermalten Enthüllung eines Gemäldes des Theon von Samos, das einen Hopliten im Ausfallschritt darstellte; die Inszenierung war also mindestens teilweise dem Bildsujet geschuldet, der Krieger konnte gleichsam hervorbrechen und auf das Publikum losgehen. Auch die bekannte Anekdote vom Naturalismuswettkampf zwischen Zeuxis und Parrhasios (Plin. nat. 35, 64) setzt voraus, daß die Verhüllung eines Tafelbildes bis zum Zeitpunkt seiner ›Publikation‹ ein zumindest mög­ licher Vorgang war. Ähnlich die (in diesem Fall freilich nicht erstmalige, sondern habituelle) Sichtbarmachung eines Gemäldes des Apelles im Asklepieion von Kos durch Enthüllung bei Herod. Mimiamb. 4, 55sq.: ἡ θύρη γὰρ ὤικται / κἀνεῖθ᾿ ὁ παστός. – Wie sollte indes eine solche Abschirmung bei einem Monument wie dem Equus maximus funktionieren? Plankenwände von kolossalen Dimensionen? Ein haushohes Holzgerüst mit Segeltuchbespannung? In beiden Fällen hätte ein mäßiger Windstoß genügt, auf dem Forum Romanum lebensgefährliche Zustände zu schaffen. Ferner benötigte man für die Errichtung des tonnenschweren Monuments, egal in wie vielen Einzelteilen man es heranbrachte, ein starkes Gerüst und Hebevorrichtungen, außerdem Feuerstellen für eine Behelfsschmiede zur Endmontage: Sichtschutzwände welcher Art auch immer wären dabei nur als hinderlich empfunden worden, wollte man das Forum Romanum nicht großräumig sperren (was sich aus ganz praktischen Gründen aber nicht empfahl). Bis zum Abbau des Gerüstes wird man das Monument als Passant also, wie ein Gebäude im Errichtungsprozeß, sehr wohl wenigstens ausschnittsweise sehen, aber sicherlich nicht in der intendierten Form würdigen haben können.

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etliche Wochen in Anspruch nehmenden Bauarbeiten auf dem Forum dem Kaiser binnen vierundzwanzig Stunden eine Interpretation des Monuments vorzulegen, was dieser immerhin theoretisch auch in die falsche Kehle bekommen konnte, als Beweis für die leichte Verständlichkeit, ja Banalität seines Denkmals nämlich.84 Wirkliches Tempo konnte indes nur die letzte Kontrolle und gegebenenfalls Überarbeitung erfordern, wenn nämlich der Anlaß, für den solch ein Gedicht vorgefertigt wurde, in irgend einem wesentlichen Punkt sich anders entwickelte als vor(her)gesehen: Dann mußte in der wohl kurzen zur Verfügung stehenden Spanne zwischen diesem Ereignis und der möglichst raschen Übergabe des Gedichtes darauf reagiert werden, um kein ex post unpassend wirkendes Produkt zu bieten. Spuren solcher Adaptationen vermag ich in den Silvae freilich nahezu keine zu finden.85

a) silv. 1, 1, 1–7 Nun zum Gedicht selbst, das David Bright als angemessen kolossalen Beginn der gesamten Gedichtsammlung bezeichnet hat (wenngleich Bruce Gibson mit Recht darauf hinweist, daß nach dem das erste Buch der Silvae einbegleitenden Brief, der eine Sammlung kleinformatiger Stegreifgedichte erwarten ließe, ausgerechnet der Equus maximus doch einen geradezu epischen Beginn darstellt), Carole Newlands als das erste rein ekphrastische Gedicht der lateinischen Literatur  – beides trifft jedenfalls zu, auch wenn man mit Hanna Szelest nicht so sehr rein ekphrastische Gedichte annehmen wird als vielmehr eine neuartige Verbindung von Ekphrasis, Enkomion, anlaßbezogenen Wünschen und (nicht immer) Aitien,86 was wiederum John Henderson bezüglich 84 Skeptisch gegenüber der allenthalben gepflegten Stegreifdichtungsallüre des Statius Leberl (2004), 146; ferner Nauta (2002), 266 und 362; doch vgl. Markus (2003), passim, der auf die Bedeutung des Spontaneitätsmotivs für den Habitus des Dichters der Thebais einerseits, und bisweilen für deren Textgestalt andererseits hinweist. 85 Ein zwar entlegenes, doch immerhin, wie mir scheint, als Vergleich lehrreiches Beispiel für dieses Grundproblem von Anlaßpanegyrik habe ich in einer Studie zu den Res Da­ nicae des Erasmus Laetus (Kreuz [2007]) darzulegen versucht; dort scheiterte ein panegy­ rischer Text (zur Hochzeit eines Königs) an einer kurzfristigen, aber wesentlichen Änderung der Gegebenheiten (der König tauschte die Braut aus), auf die nicht mehr hinlänglich reagiert werden konnte. Von solchen Heimsuchungen blieb Statius, jedenfalls soweit die erhaltenen Gedichte erkennen lassen, verschont; zur einzigen möglichen Ausnahme, die den Publika­ tionstermin von silv. 4, 1 betrifft, vgl. u. I, bei Anm. 504. 86 Bright (1980), 18; Gibson (2006), 169 f.; Newlands (2002), 50; Szelest (1966), 195 f.  – Eine rasterartig aufgeschlüsselte Gliederung, die den regelmäßigen Wechsel von beschreibenden Partien, Glanz- und Sternmotiven sowie Mythen (Mythologemen) abbildet, bietet Cancik (1965), 95. Freilich halte ich seine Bezeichnung der Verse 1–7 als ›Prooemium‹ für unglücklich: Jedes Gedicht hat einen Beginn, aber nicht jedes ein Prooemium, worunter doch etwas in Sprechhaltung, Narrativität, Themenwahl oder einem ähnlich wesentlichen Punkt

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dieses »greatest of poemettes« von »the flash impressionistic word-painting of a ­lyric ›I‹ set loose on the invasion of public space by the dominating presence of a monster e­ ffigy of might« sprechen läßt.87 Es beginnt, ähnlich übrigens wie silv. 4, 3,88 mit einer Reihe von Fragen zu Wesen und Herkunft des anscheinend soeben in den Blick des Sprechers gekommenen Standbilds (1–7): ›Was steht da auf dem Forum für ein kolossales Gebilde?‹ – a) ›Ist dieses Werk vom Himmel geflossen?‹89 – b) ›Oder stammt es aus der Schmiede Vulkans?‹ – c) ›Oder hat Pallas, dich, Domitian, so abgebildet, wie dich der Rhein und das Dakerland gesehen haben?‹ John Geyssen weist richtig auf die vierstufige Fokussierung hin, die von der noch unklaren Wahrnehmung einer superimposito moles geminata colosso (1)90 über opus (3) und, schon präziser, effigies (4) zur Erkenntnis führt, daß es sich um den als Imperator dargestellten Kaiser auf seinem Sockel handelt.91 Der Umstand, daß es sich um eine Reiterdarstellung und damit um einen ganz bestimmten Bildtypus innerhalb des möglichen Repertoires kaiserlicher Repräsentation handelt, wird schließlich in Ver 6 (frena tenentem) fast bei­läufig nachgetragen.92 Das ist an sich kein sonderlich origineller Kunstgriff, eine Wahrnehmungsinstanz aufzubauen, die das fragliche Objekt immer schärfer in den Blick faßt, d. h. sich ihm auch immer mehr annähert. In Anlehnung an Peter Klotz könnte man formulieren, daß dem meistens notwendigen Sich-Einsehen eines Betrachters in ein ihm neues bildliches Kunstwerk das bei solch neuartigem Literaturwerk notwendige Sich-Einlesen des Silvae-Rezipienten entspricht, der nach dem einleitenden Brief nun (zumindest in der Fiktion) erstmals mit einem Gedicht dieses Typus konfrontiert ist.93 Statius bedient sich dieser Technik einer sich nähernden Wahrnehmungsinstanz öfters, z. B. am Beginn von silv.  1, 3 (vgl. u. 480 f.). Doch anders als dort wird das beobachtende Ich, dem die eröffnenden Fragen in den Mund gelegt sind, in silv 1, 1 nie als handelndes Subjekt hervom nachfolgenden Text Abgesetztes zu verstehen ist. Eine kürzere Gliederung bei John Geyssen (1996), 22, dessen Werk zugleich den einzigen rezenteren Kommentar bietet; vgl. auch Nauta (2002), 423, und Coleman (1999), 68. – Archäologische Basisinformationen zum Monument bietet am einfachsten Bergemann (1990), 164–166 (Nr. L 31). 87 Henderson (2003), 238. 88 Auf die Parallele weist Leberl (2004), 148, hin. 89 Marshall (2011), 327, weist darauf hin, daß fluxit opus, wenn man es in Verbindung zu dem knapp davor in der Präfatio des ersten Buches gefallenen Ausdruck fluxerunt (der dort die Produktion der eigenen Gedichte beschreibt), ebensogut das vorliegende literarische Werk meinen kann wie das Denkmal auf dem Forum, dass Statius also vom Beginn des Textes an das komplexe Verhältnis von Beschreibung und Beschriebenem verbalisiert. 90 Schon Polizian (1978), 61–64, erklärt richtig, daß moles den Sockel meint, superim­ posito colosso Pferd und Reiter in einem bezeichnet. 91 Geyssen (1996), 36. 92 Zur Symbolik der Reiterdarstellung unter Domitian und Trajan vgl. Kersten-Syré (2013), 426–431. 93 Vgl. Klotz (2007), 77.

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vortreten, und sei es auch nur im Sinne des ständigen Perzipierens von beispielsweise silv. 1, 3. Erst drei Verse vor Schluß, wenige Worte nachdem das in Vers 1 angeklungene colossus-Motiv wieder aufgegriffen wurde (104), fällt mit dicamus (105) überhaupt eine auf den Sprecher weisende Personalform, deren Plural im Kontext der Verse 99–107 nicht als dichterisch aufzufassen ist: Eine diffuse Menge, das Volk, oder genauer: populus magnusque senatus (cf. 99) spricht, und entsprechend können auch die Fragen des Gedichtbeginns nicht nur einem einzelnen Sprecher, sondern willkürlich zu Wort kommenden Vertretern der Menge in den Mund gelegt sein (vgl. o. 64–66).94 Mag zwischendurch, vor allem im Kontext der Ethopoiie des Curtius, diese Sprechsituation zugunsten auktorialen Erzählens verdrängt werden: Sie dominiert rahmend die Eckpunkte des Textes und läßt den abstrakten Autor im Mittelteil zwar zeitweise die Sprecherrolle übernehmen, doch nur als weiteren Vertreter der Menge, die man sich, passend zur Definition als populus magnusque senatus, auf dem Forum zu denken hat, eventuell zunächst, um die Verengung des Fokus in 1–7 performativ einzubeziehen, zur Betrachtung des Standbildeszusammenströmend.95 Konturen gewinnt diese Menge freilich nicht (dazu u. 134 f.), doch man wird nicht so weit gehen wollen, mit Claudia Klodt die von ihr beobachtete Unbelebtheit des Gedichtes aus einer Sprecherfunktion der die Statue umgebenden Gebäude zu erklären.96 94 Mit völliger Unbelebtheit des Forums rechnet, m. E. zu Unrecht, Klodt (1998), 22 (»Geisterstadt«) und 34 f.; Leberl (2004), 166 f. weist richtig auf die Erwähnung von Senat und Volk als Sprecher am Gedichtschluß hin, bewertet aber die Sprechfunktion der göttlichen Gestalten als Ersatz für den dem Kaiser nicht angemessenen Preis durch Menschenzungen, was im Widerspruch zur dem Kaiser prinzipiell ebenso dienenden Funktion dieser göttlichen Potenzen im Gedicht steht (vgl. u. 135); ebd. 145 f. charakterisiert er die Sprechhaltung im Gedicht als »Stimme der Römer«, ohne aber variierende Stimmen zu differenzieren; vgl. ebd. 243, wo eine Sprechhaltung als »gewöhnlicher, nichtprivilegierter Römer« für alle panegy­ rischen Gedichte der Sammlung mit Ausnahme von silv. 4, 2 in Anspruch genommen wird. 95 Am ehesten vergleichbar mit Statius’ Technik scheint mir eine moderne Reportage, in der der Reporter kurze Äußerungen an sich unwichtiger Passanten mit eigenen Kommentaren und Beschreibungen des am Schauplatz Gefilmten (wozu auch der Bericht vom un­ erwarteten Auftritt eines Heroen gehört) verflicht und damit, obzwar er selbst Regie führt und u. U. ein sehr einseitiges Bild zeichnet, den Eindruck von Authentizität und Unverfälschtheit erweckt – ein Eindruck, der für Panegyrik unabdingbar ist. 96 Claudia Klodt (1998), 34; ebd. Anm. 80: »… denn es erhebt sich im ganzen Enkomion nirgends eine menschliche Stimme.« Klodts in derselben Anmerkung gemachte Behauptung, Standort und Sichtweise, von wo und wie das Standbild wahrgenommen werde, seien gerade nicht die eines Menschen, ist mir unbegreiflich, so ingeniös der Gedanke, die Gebäude zu Sprechern zu machen, grundsätzlich sein mag; dreierlei spricht jedenfalls dagegen: die in vv. 1–7 erfolgende Bewegung des Beobachters auf das Denkmal zu, die sich aus dessen zunehmender Erkennbarkeit erschließen läßt; die nur zu Menschen als Sprechern passende Passage 99–107, bes. 105 quae tibi templa dicamus; und schließlich die Überlegung, daß eine so extravagante Sprechsituation dem Leser im Text denn doch signalisiert werden müßte. Zu­ gestanden sei allerdings, daß die Figur des Sprechers über weite Strecken hinweg derartig

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Wesentlich ist aber die Definition der Lokalität als Latium forum (silv. 1, 1, 2): Das neue Gebilde steht also im absoluten Zentrum römischen Selbstbewußtseins und römischer Selbstdefinition, das freilich im Laufe der Jahrhunderte im Zuge seiner immer höheren ideologischen Befrachtung einen Musealisierungsprozeß durchmachte, der es dem alltäglichen Treiben zunehmend entzog, bis das mittelalterliche Rom sein Stadtzentrum auf dem Marsfeld neu lokalisierte (dazu vgl. u. 219). Immerhin steht außer Zweifel, daß das alte Forum Roma­ num in der früheren Kaiserzeit nach wie vor der gegebene Raum für spektakuläre Auftritte römischer Kaiser war, ob es sich nun um die groß inszenierte Unterwerfung des Tiridates von Armenien im Jahr 66 handelte oder um Trajans ebenso inszenierte Szenen der Mildtätigkeit.97 Wer immer sich dort als Sprechinstanz der das Gedicht eröffnenden Verse bewegt, kann wohl kaum umhin, sich als Teil  der Selbstinszenierung des weltbeherrschenden Römertums zu fühlen. Auf der anderen Seite ist auch der Angesprochene nicht so einfach zu fassen: te (5) definiert den bis zum Schluß unveränderten Adressaten, der lediglich ­parallel zur Übernahme der Sprecherfunktion durch den Autor zeitweise zurücktritt, vor allem im Verlauf der Beschreibung des Standbildes (46–65), in der eingelegten Curtiusrede aber wieder massiv erscheint.98 Dieser Adressat ist das Standbild, und durch es in Folge der antiken Vorstellung von der Identität einer Statue mit dem durch sie ›Abgebildeten‹ Domitian selbst.99 Der Ausdruck unklar bleibt, daß man sich die Gebäude am Forum (oder die in ihnen manifestierten göttlichen Potenzen) unter der diffusen Menge der Sprecher gleichsam subsummiert durchaus denken könnte. 97 Zu Tiridates: Suet. Nero 13, 1sq.; zu Trajan: Hölscher (2006), 194 f. weist auf die sog. Anaglypha Traiani hin, zwei heute in der Curia aufbewahrte Reliefs, auf denen vor zwei symmetrisch gewählten Ausschnitten des Forum Romanum als Hintergründen mildtätige Handlungen Trajans dargestellt sind (Abb.: ebd. Taf. 30, 1 und 30, 2; vgl. Köb [2000], 130–139; Seelentag [2004], 475–484). Von besonderem Interesse ist dabei die erste der beiden Platten: Sie zeigt Trajan auf einer Rednertribüne vor dem Caesartempel, im Hintergrund den rechten Augustusbogen, die Aedes Castorum und die Basilica Iulia, am rechten Rand die Ficus ru­ minalis und den Marsyas; in der Mitte dieses umrissenen und von einer Volksmenge erfüllten Raumes aber steht ein Denkmal, das als Bild im Bild die Fürsorge Trajans für kinderreiche Familien preist: Es steht, soweit die naturgemäß nicht maßstabsgetreu wiedergegebene ­Szenerie erkennen läßt, auf dem Platz des Equus maximus! Vorausgesetzt, die Darstellung entsprach der Realität des Forums, hieße das, daß auch Trajan entweder der Versuchung nicht widerstehen konnte, die Südosthälfte des Forums bildlich unter seine Patronanz zu stellen, oder aber daß der entfernte Equus maximus ein spürbares Vakuum hinterlassen hatte, das es zu füllen galt: vgl. u. I, bei Anm. 458. 98 Zum Sonderfall nec si pater ipse teneres (40) vgl. u. 126. 99 Newlands (2002), 65; Graf (1995), 147 f. verweist auf den freilich viel späteren Nicolaus Rhetor, progymn. 69, der die Technik der Ekphrasis anhand eines drei- oder zweidimen­ sionalen Abbildes eines Menschen erklärt, wobei offenkundig ist, daß das Abbild nicht als solches, also etwa als Kunstwerk, interessiert, sondern nur stellvertretend für den Dargestellten eintritt.

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›Abgebildetes‹ verweist freilich schon auf die Prinzipien von μέθεξις und μίμησις, mit denen man philosophischerseits diese Identität problematisieren und theoretisch in den Griff zu bekommen versuchen kann, ohne aber die zumindest volkstümliche, letzten Endes aber jeden antiken Diskurs durchziehende Möglichkeit, zumindest im Kult Statue und Gottheit eins sein zu lassen, aus der Welt zu schaffen: »In antiquity, experiencing the divine was  a visually conceptualised phenomenon. What made epiphanies in the ancient world epiphanic was precisely the fact that the image mediating the divine could also be understood to embody it, making a good phenomenologically present.«100 Mit einem gewissen Recht hat man von einem Spiel gesprochen, das der griechische wie der römische Diskurs pflegten: »Let’s pretend they are gods«.101 Nun ergibt sich eine Sprechsituation, in der der Sprecher weitgehend entpersonalisiert, und der Angesprochene nur über einen wenn auch noch so vollgültigen Repräsentanten erreichbar, d. h. vom Beginn des Textes an schon in eine gewisse Ferne gerückt ist.102 Nicht nur, daß dadurch die Kommunikationssituation zwischen Volk und Monarchen in einer ausgebauten Monarchie und im Unterschied etwa zum alte, egalitärere Kommunikationsformen noch sehr bedachtsam wahrenden Prinzipat des Augustus umrissen ist – nur en passant sei auf die Belastungsprobe hingewiesen, der Tiberius den Prinzipat durch seinen Rückzug aus der Hauptstadt und die damit verbundene Verunmöglichung derartiger Kommunikation und Interaktion aussetzte. Es wird vielmehr noch zu zeigen sein, wie vielschichtig Statius gerade das Element der Ferne des Kaisers im Gedicht thematisiert. Vielschichtigkeit bieten die Verse 1–7 auch in räumlicher Hinsicht. Sie verengen nämlich nicht nur den Fokus auf das immer schärfer in den Blick genommene Standbild, sondern bieten mit den verschiedenen vorgeschlagenen Entstehungsszenarien auch eine (potentielle) Verankerung des Denkmals in unterschiedlichen Weltbereichen. Die moles des ersten Verses wird ja zunächst als stabil beschrieben (2: stat), sie umfängt gleichsam das Forum (2: complexa). Auf 100 Squire (2009), 115 f. Auch das frühe Christentum wird diesem Muster folgen, wenn es einen seiner geläufigsten apologetischen Topoi, den der Deteriorität des Judentums gegenüber dem sog. Heidentum, oft und oft aus dem Umstand ableitet, daß die Juden Christi Wirken mit eigenen Augen gesehen haben und dennoch nicht an ihn glauben, während (bekehrte) ›Heiden‹ ohne das Movens der Augenzeugenschaft, nur auf Basis der schriftlich und mündlich verbreiteten Lehre, glauben. 101 Gordon (1979), 17; vgl. ebd. 25 f., sowie 16: »People believed simultaneously that statues were gods and that they were not.«, worauf nicht oft genug hingewiesen werden kann. Für silv. 1, 1 instrumentalisiert diesen Gedanken bereits Leberl (2004), 143. 102 Zur Nähe bzw. Ferne des Kaisers vgl. u. 315 f. Unnötig darauf hinzuweisen, daß, egal wie sehr etwa im Kult und selbst bei manchen Staatsakten das Bild des Kaisers als dessen Ersatz gelten mochte (was an die Bejubelungspuppe Philipps II . von Spanien erinnert), der reale Kaiser denn doch davon unterschieden wurde: widrigenfalls Statius, der Domitian in Statuenform doch oft genug vor Augen hatte, nicht in 4, 2 seine Begeisterung darüber zum Ausdruck brächte, daß der Kaiser nun gleichsam ἀυτότατος mit ihm gespeist habe.

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den ersten Blick ist complexa ein Oxymoron, denn man würde erwarten, daß das Forum mit seinen Gebäuden das Denkmal umschließt, nicht umgekehrt, und entsprechend wurde daran auch Kritik geübt.103 Man sollte allerdings bedenken, daß der Autor von silv. 1, 1 einen Leser voraussetzt, der das Monument bereits gesehen hat – was dem heutigen Leser verwehrt ist, denn nur ein einziges Reiterstandbild Domitians hat, freilich in umgearbeiteter Form, die damna­ tio memoriae und die Zeiten überdauert.104 Immerhin legen die nachfolgende Beschreibung (bes. vv. 37–40) und wahrscheinliche Darstellungen des Equus auf Münzen105 nahe, daß die Armhaltung Domitians ähnlich der des MarcAurel-Standbildes auf dem Kapitol zu denken ist, also wohl eine relativ offene war, was das Bild einer Umarmung, d. h. eines Umfassens mindestens des Forumsraumes vor dem Denkmal nahelegen konnte; versetzte man das MarcAurel-Standbild an die Stelle des Equus Domitiani,106 dann befände jeder, der das Forum vom Vicus Tuscus oder von der Via Nova und dem Clivus Vestae her betritt, sich in dem durch den rechten Arm des Reiters umfaßten Raum; beim Betreten auf der Via Sacra zwischen Basilica Aemilia und Caesartempel sähe man immerhin noch den ausgestreckten Arm unverkürzt, könnte sich also miteinbegriffen fühlen.107 Für nahezu den gesamten südlichen Bereich des Forums 103 Vgl. etwa Klodt (1998), 31: » … das Riesendenkmal okkupiert den Platz und erdrückt ihn.«, eine Weiterentwicklung der Deutung bei Vollmer (1898), 215. 104 In einem 1968–1972 ergrabenen sacellum der Augustales in Misenum fanden sich aussagekräftige Reste (fast der gesamte Reiter, vom Pferd der Kopf und die erhobenen Vorderbeine)  eines lebensgroßen Bronzemonuments, das Domitian als Feldherrn zeigte, in der rechten Hand hoch eine Lanze schwingend, mit der linken die Zügel haltend. Das Gesicht des Reiters wurde nicht restlos erfolgreich zu einem Nerva umgearbeitet. Leider entspricht der Darstellungstypus in keiner Weise dem des Forumsmonuments; vgl. Cantilena – Rubino (1987); Bergemann (1990), 82–86 (Nr. P 31) mit Tafeln 56–58; Darwall-Smith (1996), 173 und 229 mit Abb. 61; Wohlmayr (2011), 265 mit Abb. 154. 105 BMCRE 2, Domitian 476 = RIC 414; vgl. Giuliani-Verduchi (1987), 121, Abb.  169; Bergemann (1990), 176 (Nr.  M 96) und Tafel 92d; Newlands (2002), 46 mit Anm.  1; Thomas (2004), 28 mit Abb. 5; Zanker (2009), 79, Abb. 17; Gering (2012), 161 mit Anm. 123. Die Darstellung zeigt ohne Legende den Kaiser auf schreitendem Pferd, unter dessen rechtem Vorderhuf möglicherweise ein Rhenuskopf zu erkennen ist, nach rechts, den rechten Arm erhoben, im Abschnitt die Angabe S – C. 106 Ich beziehe mich, was die Placierung des Equus betrifft, stets auf seine seit einigen Jahrzehnten geläufige Lokalisierung in der Südosthälfte des Forums, etwa mittig in der Achse des Caesartempels, wie sie durch Giuliani-Verduchi (1987) vorgeschlagen wurde. Zu einem rezenten andersartigen Vorschlag, den ich indes für verfehlt halte, vgl. u. 168–178. 107 Die großen Züge von Haltung und Gestik sind das erste, was ein Betrachter an einem Standbild registriert und interpretiert – erst recht in einer Kultur, in der ein nicht unerheb­ licher Prozentsatz der Bevölkerung dank unkorrigierbarer Fehlsichtigkeiten und schlecht heilbarer Augenkrankheiten zu scharfem Sehen gar nicht in der Lage war (man verzeihe den primitiven Hinweis). Vgl. zum Beispiel die ganz andersartigen und in ihrer Art jeweils typischen raumgreifenden Verhaltensweisen der beiden bekannten Standbilder des Eugen von Savoyen und des Erzherzogs Karl auf dem Wiener Heldenplatz: jener beherrscht die Zügel haltend, doch mit seiner Umgebung kaum in Kontakt tretend, dieser mit geraffter Fahne im

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also ist complexa nicht a priori nur übertragen zu verstehen.108 Dennoch bleibt diese Deutung (etwa: ›das Forum optisch beherrschend‹) gültig, und das Denkmal erscheint also im ersten Vers als eine außerordentlich massive irdische Gegebenheit. Woher stammt es aber? (a)  vom Himmel ähnlich dem trojanischen Palladion,109 (b) aus den unterirdischen Schmieden des Vulkan, (c) von der Hand der Pallas, d. h., wenn ein Analogieschluß zum einzigen unter Mit­ wirkung der Pallas Athene entstandenen Pferd, dem trojanischen nämlich (das hier bereits ins Spiel kommt) erlaubt ist, auf der Erde; in jedem Fall aber unter göttlicher Mitwirkung. Denn die beiden Kyklopen in Vers 5, die Statius auch silv. 3, 1, 131 noch einmal auftreten läßt, entstammen Verg. Aen. 8, 425, wo sie mit dem Schmieden der Blitze für Jupiter beschäftigt auftreten;110 Pallas hingegen ist die persönlich favorisierte Gottheit Domitians. Beide Götter werden im Gedicht noch zentrale Rollen spielen. Das Standbild aber, so eindeutig es proprie auf Erden angesiedelt ist, zeigt schon in den ersten Versen die Tendenz, gleichsam vertikal auf andere kosmische Ebenen zu verweisen.111

Angriffsbefehl spitz in den Raum vor sich stechend, als müßte er die eigene Hofburg, auf die er kurioserweise zielt, erobern. Demgegenüber lud das Domitianstandbild den Betrachter auf dem Forum weit eher dazu ein, mit ihm in Kommunikation zu treten, und silv. 1, 1 tut dies ja auch. 108 Vollmer (1898), 215 weist just diese Deutung zurück, weil in den ersten Versen des Gedichtes noch nicht von der genaueren Gestaltung des Monuments die Rede sei. Das trifft zwar zu, doch hindert den Autor nichts daran, ein solches Motiv, wenn es ihm wichtig erscheint, am Beginn schon anklingen zu lassen. Ausgerechnet Vollmers einzige relevante Parallelstelle, silv. 2, 3, 2, zeigt dieselbe Besonderheit: Aus der erst später folgenden Beschreibung der arbor Atedi Melioris (bes. 2, 3, 56: sperat et amplexus) wird das Zentralmotiv als arbor aquas complexa lacus am Gedichtbeginn bereits umrissen; vgl. Geyssen (1996), 41 f. mit Anm. 25. – Zu einer weiterführenden Deutung des complexa, die sich erst aus der weiteren Interpretation des Textes ergibt, vgl. u. 162. 109 Diese Anspielung vermutet schon Polizian (1978), 65, der (ebd., 67 f.) auch das fluxit des Verses 3 plausibel als ›sanftes, gebremstes Herabkommen‹ im Gegensatz zur hier sicherlich nicht intendierten Vorstellung staubaufwirbelnden Herabkrachens erklärt: das gleiche Motiv Ov. fast. 3, 373sq. 110 Newlands (2002), 53 weist darauf hin, daß ebendiese Kyklopen im achten Aeneisbuch in weiterer Folge zur Herstellung der neuen Rüstung für Aeneas, d. h. insbesondere seines Schildes abkommandiert werden; von wo sich eine Querverbindung zu silv. 1, 1 schlagen lasse, indem der vergilischen, freilich in ein Epos eingelegten Ekphrasis eines »symbol of Rome’s national identity« (ebd.) eine zum Gedicht verselbständigte Ekphrasis gegenübertrete, sogar noch überbietend (Vers 4: lassum). Dem ist nichts hinzuzufügen. 111 Geyssen (1996), 10 f. weist grundsätzlich auf die unterschiedlichen ›settings‹ des Denkmals und damit des Textes hin, zu denen die oben ausgeführte Beobachtung sich ohne weiteres fügt.

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b) silv. 1, 1, 8–21 Die schon angedeutete Parallele zum trojanischen Pferd wird in 8–16 weiter ausgeführt. Das tertium comparationis ›großes, pferdegestaltiges Artefakt, das inmitten einer Stadt steht‹ kam, so darf man jedenfalls vermuten, gerade in Rom, dem selbststilisierten Erben Trojas, im Volksmund oder -witz wohl anläßlich jeder Errichtung eines Reiterstandbildes zum Zuge; und der Equus Domitiani war ja keinesfalls der erste Vertreter dieses Typus.112 Weiter ist der Vergleich auch nicht zu belasten, auch wenn man es in der Forschung versucht hat:113 Davor warnen der schon oben umrissene mythologische ›Fehler‹, der Hektor in den Kontext des Pferdes versetzt, sowie die Formulierung, durch die der Blick vom Pferd auf dessen Reiter gelenkt wird: Adde, quod ille nocens saevosque ­amplexus Achivos, hunc mitis commendat eques (14sq.), aus der man einen Rückgriff auf moles … complexa (1sq.) entnehmen könnte – doch mit verheerenden Folgen für die Interpretation, denn in der Analogie zwischen trojanischem und römischem Pferd konterkariert ja der sichtbar und freundlich auf dem Pferd reitende Römer Domitian die feige und gefährlich im Pferd verborgenen Griechen: Domitians Pferd umfängt eben keine feindliche Macht (amplexus Achivos), sondern das römische Forum (complexa forum). Daraus sind zwei Schlußfolgerungen möglich: Entweder überbietet D ­ omi­tians Pferd das trojanische linear, indem es im Gegensatz zu jenem überhaupt nichts Feindseliges an sich hat, sondern einen freundlichen Reiter trägt und insgesamt das Forum behütet – dann sind amplexus und complexa kaum nennenswert aufeinander bezogen, und der Text spielt bloß mit einer möglichst viel­f ältigen Anwendung von Ableitungen dieses Wortstamms; oder aber man rechnet die Analogie scharf durch und kehrt zwangsläufig die Verteilung um, sodaß Domitians Pferd den Repräsentanten Trojas trägt und zugleich das nun als Gegenpartei zu denkende Forum umfängt – amplexus und complexa funktionieren parallel, und das römische Volk wird solcherart mit den Achivi gleichgesetzt. Doch wozu? Es scheint unwahrscheinlich, daß der Text plötzlich zur unterschwelligen Invektive gegen das römische Volk und wohl auch den Senat werden sollte. Fazit: Die vermeintlich beobachteten Inkonsistenzen des Vergleichs treten überhaupt erst als Folgen mutwilligen zu-weit-Treibens von Analogien auf, und daß es sich um Mutwillen handelte, zeigt der Umstand, daß die gewonnenen Interpretationen keineswegs in dieselbe Richtung weisen, sondern höchst inkonsequent einmal den Kaiser, einmal das Volk anzugreifen scheinen.114 Ich ziehe 112 Vgl. u. I, Anm. 146. 113 Vgl. o. 61–66 zu Frederick Ahls two-voices-Theorie. 114 Eine dritte Variante, derzufolge der Kaiser den Achivi entspräche, das Forum den Trojanern, scheidet a priori aus: erstens würde der Text diese Deutung selbst durch die beinahe-

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daraus den Schluß, daß der Versuch, aus silv.  1, 1 oder aus irgendeinem von ­Statius᾽ panegyrischen Gedichten einen Fall von ›two voices‹ zu machen, als gescheitert gelten muß, und werde im folgenden nur noch punktuell darauf verweisen; zum Verständnis vom complexa vgl. noch u. 161 f. Der Blick des Betrachters (oder der Betrachter) ist mit 15sq. beim Gesicht der Statue angelangt, das als erstes eine über die Feststellung des Vorhandenseins hinausgehende detailliertere Beschreibung erfährt  – ganz im Einklang mit der Natur des menschlichen Sehvorgangs, die ihn stets zuerst das Gesicht einer überhaupt in den Blick genommenen Person betrachten läßt; was wiede­ rum der Dichter offenbar einkalkulierte.115 Friedliebe und kriegerische Haltung malen sich zugleich auf seinen Zügen;116 diese knappe, Domitian zum Inbegriff der Herrschertugenden machende Bemerkung wird doppelt abgesichert, einmal durch die Feststellung nec veris maiora putes etc. (17sq.),117 dann durch den Vergleich mit dem nach erfolgreichem Kampf (18: exhaustis … armis),118 Wortwiederholung complexa  – amplexus konterkarieren, zweitens würde Domitian dann zugleich negativ (als Feind der Trojaner / Römer) und doch wieder positiv (er versteckt sich nicht im Pferd, sondern zeigt sich offen) gesehen, was ein völlig ziellose Aussage ergäbe. Entsprechend inkonsistent wird in diesem Punkt die Argumentation Frederick Ahls (1984, 92), der von den oben skizzierten einander widersprechenden Argumentationslinien nur jene Details stehen läßt, die in sein two-voices-Konzept passen, und den Rest für vage und unwichtig erklärt. 115 Vgl. Solso (1994), bes. 138 und 152 (Wiedergabe von Okulographien A. L. Yarbus’). 116 Für Courtneys Konjektur mixta notis bellum placidamque gerentia pacem besteht auch entgegen Liberman (2010), 64, kein Anlaß, nicht nur weil die Inkonzinnität bei einem Statius kein Argument gegen die Richtigkeit des überlieferten Textes ist, wie Courtney (1988), 43, selbst zugibt, sondern auch weil bellum placidamque gerentia pacem das ambivalente Gesicht eines Mannes beschreibt, der mit gleichsam 50:50 verteilter Wahrscheinlichkeit Krieg oder Frieden befiehlt, wohingegen der überlieferte Text Züge des siegreichen Kriegsherrn (ora mixta notis belli) an jemandem beobachtet, der doch grundsätzlich Frieden bringt (placidam gerentia pacem), den Frieden also den Krieg überwiegen läßt. Dies fügt sich m. E. besser zur Gesamtdarstellung des Kaisers, dessen dextra vetat pugnas (37) und dessen Schwert an der Seite zwar seine Wehrhaftigkeit demonstriert und auch den gewünschten Respekt verbreitet, immerhin aber quietus in der Scheide steckt (43–45). – Vorsicht ist angebracht gegenüber der Interpretation der Stelle, wie sie Dewars (2008), 72 f., vorschlägt, indem er die kriegerische Komponente des (immerhin als Feldherr dargestellten!) Kaisers weitgehend unterdrückt. 117 Vollmer (1898), 218, bezieht kurioserweise 17sq. auf das Pferd und erklärt die kurze Konzentration auf das Gesicht des Reiters zu einer nebensächlichen Parenthese im Zuge einer durchgehenden Pferdebeschreibung. Er übersieht dabei, daß das Pferd für sich in diesem ersten Teil  des Gedichtes noch gar nicht in den Blick genommen wird, sondern immer nur die aus Pferd und Reiter gebildete Gesamtheit (gerade auch im Unterschied zum trojanischen Pferd). 118 Die Veränderung des Textes zu exutis … armis bei Hand (1817), 50–52, entspringt einem Irrtum, der Annahme nämlich, daß Domitian, von dem in den Versen 43–45 beschriebenen Schwert abgesehen, unbewaffnet bzw. ungerüstet war. Ein solcher Darstellungstypus wäre freilich undenkbar, und das Vorhandensein eines Schwertes impliziert das Vorhandensein von Küraß und wahrscheinlich auch Beinschienen und passendem Schuhwerk.

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d. h. in einer an sich friedlichen Situation stolz dahingaloppierenden Mars (18–21).119 Geschickt wird so das Gesicht Domitians nicht bloß in den Fokus, sondern von ihm ausgehend wieder das Standbild als ganzes in den Blick genommen, und endlich gerade durch den Vergleich mit dem gewissermaßen im imperfektiven Aspekt der epischen Bildbeschreibung,120 also in steter Bewegung quasi-erstarrt und damit statuentauglich dahinsprengenden Kriegsgott im Leser ein Bildtypus evoziert, der dazu geeignet ist, eine Vorstellung vom Standbild in seiner Gesamtheit zu bekommen.121 Man kann schon an dieser Stelle festhalten, wie eng Statius jene Bewußtseins­ prozesse nachzeichnet, die im Menschen auf der Basis seiner Sinneseindrücke ›Welt‹ erschaffen: Ein erstes generalisierendes Erfassen des zur Debatte stehenden Objektes, das als Mensch (bzw. als Abbild eines solchen) identifiziert wird (1–7), und erste Reaktionen darauf (8–13 bzw. 15); sofortige Konzentration auf sein Gesicht (15–18), und dort wiederum nicht etwa eine Beschreibung phy­ siognomischer Eigentümlichkeiten oder gar eine Diskussion von Details der Mimik, sondern die blitzartige Erfassung dessen, was dieses Gesicht prinzi­ piell vor anderen auszeichnet, also dessen, was Ernst Gombrich als »mask« im Gegensatz zu »face« bezeichnet.122 Anscheinend erfüllte (jedenfalls in der Dar 119 Vgl. Cordes (2014a), 349. – Seit Polizian wird in v. 20 nec tardo beanstandet und ge­ legentlich zu nec tantus (Poliziano [1978], 102) oder nec tanto (Shackleton Bailey [2003], 30 u. 31, Anm. 5) geändert: vgl. zuletzt Marshall (2008), 602, Anm. 2, und Liberman (2010), 65. Dafür besteht m. E. kein Anlaß, denn nec verbindet hier keine Sätze, sondern verneint nur das völlig unverdächtige tardo: So auch Stange (1887), 6, der richtig mit ac citato cursu paraphrasiert, Vollmer (1898), 218 f., und Wasserstein (1951), 66. Der epische Vergleich bewegt sich, wie seit Homer üblich, von einem syntaktisch als Vergleich konstruierten Beginn zu einem eigenständigen Syntagma, das gegebenenfalls durch ein neuerliches ›so‹ oder ›nicht anders‹ wieder in die Narration übergeführt wird; diese bei jedem Gleichnis automatisch mit­zuhörende Verbindung läßt Statius jedoch aus bzw. ersetzt sie durch den starken Einschnitt nach Vers 21, der den das Domitianstandbild überblendenden Kriegsgott ohne Ende weitergaloppieren läßt. – Als Beispiele für solche syntaktisch sich verselbständigende Vergleiche seien nur wahllos Ov. met. 9, 39–41; Val. Fl. 4, 661–666; Sil. 4, 370–381 genannt; zu Verneinungen von Einzelbegriffen, wo man eine verneinende Satzverbindung erwarten könnte, führt Markland (1728), Not. 12 f., eine Reihe von Stellen an, von denen Stat. silv. 4, 2, 17 et non assurgere fas est besonders erwähnt sei; vgl. auch die aufschlußreiche Diskussion bei Hand (1817), 123–126. 120 Vgl. die stichprobenartige Analyse der Verbalaspekte in der homerischen Schild­ beschreibung bei Primavesi (2002), 196–199. 121 Geyssen (1996), 55 bemerkt mit Recht, daß der Marsvergleich mit seiner starken Bewegtheit einerseits die Unruhe des Gedichtbeginns wieder aufgreift, andererseits den ersten Block des Gedichtes abschließt. 122 Gombrich (1972), 13: »We generally do take in the mask before we notice the face.« Dabei bezeichnet ›mask‹ genauer die Rolle, die jemand spielt (und jeder Mensch spielt permanent Rollen, meist sogar sehr unoriginelle, topische) und die ihm Merkmale bietet bzw. ihn Merkmale zeigen läßt, durch die er sich von anderen signifikant unterscheidet. Im gegebenen Fall unterscheidet Domitian sich von Mars, weil er auch friedliche Züge aufweist.

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stellung des Statius’) Domitians Portrait auf dem Forum auch eine generelle Anforderung an gute Portraits, den Dargestellten eine Miene zeigen zu lassen, die in möglichst vielen denkbaren Situationen vorstellbar wäre, also eine vielfältige narrative Kontextualisierung des Bildes erlaubt: Auch daher wohl die additive Zusammensetzung des Gesichtsausdrucks aus widerstreitenden Merkmalen,123 die aber ohne weiteres auch das Essentielle des Gesichtes des lebenden Domitian (in Statius᾽ Darstellung) ausmachen kann, entspricht doch eine Mischung aus Kriegstauglichkeit und Friedfertigkeit dem stereotypen Idealbild eines (und nicht nur römischen) Monarchen.124 bei denen es sich übrigens an einer Statue aus technischen Gründen klärlich nur um in der Technik der Bronzeplastik darstellbare Elemente gehandelt haben kann, was dem andeutungsweise bezeugten zeitgenössischen Diskurs bezüglich Domitians auffällig roter Gesichtsfarbe und den damit verbundenen Implikationen a priori aus dem Weg geht.125 Die Mischung von Krieg und Frieden ist dabei nichts Einmaliges: Das bekannte Kopenhagener Portrait des Pompeius aus dem Grab der Crassi Frugi mit seiner Kombination von Alexanderfrisur und gutmütig-abgehobenen Gesichts­zügen wurde bereits ebenso gedeutet.126 Daß diese Mischung allerdings zu einem Jupiter mindestens so gut paßt wie zu einem (verbesserten) Mars, sei nur angemerkt.127 Später erst wird das Gedicht auf weitere körperliche Merkmale eingehen (32–60) und zuvor noch ein Sich-Umschauen des Betrachters, das die Lokalsierung des Monuments auf dem Forum ermöglicht, also die Kontextua­ lisierung des Betrachteten (22–31), inszenieren. Von zentraler Bedeutung im Rahmen dieser auf präziser Beobachtung eines realen Betrachtungsprozesses beruhenden Schilderung ist indes das Marsgleichnis der Verse 18–21, das, anders als spätere Gleichnisse und Vergleiche im Gedicht (44sq., 52–55, 59sq.), nicht das Resultat einer Detailbetrachtung bzw., auf Textseite, Detailbeschreibung ist, sondern als Grundlage im Textverlauf nicht mehr hat als den ersten Gesamteindruck und die Betrachtung der kriegrisch-friedlichen Gesichtszüge des Dargestellten. Denn Statius zeichnet nicht nur einen Bewußtseinsprozeß nach, er lenkt ihn zugleich in eine deutende Bahn. Nun mag man mit Recht einwenden, daß ein Autor solches, selbst wenn er wollte, gar nicht vermeiden könnte, mindestens infolge der zwangsläufigen Inkomplettheit jeder Beschreibung: So, wie jede Wahrnehmung notwendig 123 Gombrich (1972), 17. 124 Gombrich (1972), 3: »Perception always stands in need of universals. We could not percerive and recognise our fellow creatures if we could not pick out the essential and seperate it from the accidental – in whatever language we may want to formulate this distinction.« Die Wendung mixta notis belli placidamque gerentia pacem beschriebe demzufolge dieses »essential« von Domiatins Gesicht als dem Gesicht eines idealtypischen Kaisers. 125 Ihrig (2007), 257–290. 126 Giuliani (1986), 97–100. 127 Vgl. Stat. Theb. 1, 202: placido quatiens tamen omnia vultu (scil. Iupiter).

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selektiv ist, ist es auch jede sprachliche Äußerung über die wahrgenommene Realität (oder auch die imaginierte Fiktion). Doch Statius greift, wenn er Domitian (resp. sein Denkmaldouble) mit Mars vergleicht, zum unbestritten stärksten sprachlichen und literarischen Mittel der deutenden Beschreibung, dem Vergleich. Wie jeder Vergleich nimmt auch das Marsgleichnis das Beschriebene zunächst auseinander in sein (relativ bedeutungsleeres) Was (»Bild des Domitian«) und sein Wie (»wie der Gott Mars am Strymon«), um dann beides auf einer höheren Ebene wieder zu verschmelzen.128 Auf dieser höheren Ebene aber wird sich der restliche Text, jedenfalls die restliche Beschreibung zwangsläufig bewegen: Ab diesem Punkt ist das Beschriebene nicht bloß das Bild des Kaisers, sondern es ist zugleich der (freilich um eine friedenstiftende Kom­ponente erweiterte) Gott Mars. Gerade der Umstand, daß dieses Gleichnis so früh erscheint, ehe der Leser noch näher mit dem beschriebenen Monument vertraut gemacht ist, verleiht ihm besonderen Nachdruck: Es handelt sich offenbar um einen sich schon beim ersten Hinsehen aufdrängenden Vergleich, nicht um einen nach und nach erst erdachten. Die nachfolgende Beschreibung dient demnach nur noch zur Korrektur und Justierung der grundsätzlich bereits vorhandenen Vorstellung von einem kriegerisch wirkenden, doch nicht unmittelbar kämpfenden Reiter auf einem in deutlicher Bewegung befindlichen Streitroß. Von Interesse ist die Funktion des anzitierten Mythos, besser gesagt die Funktion des scheinbaren Zitates. Weder gibt es nämlich eine mythische Szene, in der Mars oder Ares auf feuerschnaubendem Roß just am Strymon dahinreitet, noch hat dieser zwischen ­Makedonien und Thrakien verlaufende Fluß unmittelbar etwas mit Domi­tians Siegen in Germanien und Dakien zu tun, die in Vers 6sq. bereits zum Anknüpfungspunkt für seine Darstellung als Imperator erklärt wurden. Nur ganz vage Verbindungen sind denkbar: Strymon ist nach einer Tradition ein Sohn des Ares, der sich allerdings aus Trauer über den Tod seines Sohnes Rhesos in den Fluß stürzt, dessen eponymer Heros er so wird (Ps.-Plut. De fluv. 11, 1 = mor. 1156E); der Strymon gilt als kalt (Aisch. Pers. 496sq.; Ov. trist. 5, 3, 21sq.; ähnlich Kallim. hym. 4, 26 in Del. 26: Boreas als Sohn des Strymon), was auf das Einfrieren des galoppierenden Mars in Form eines Standbildes weisen könnte, obwohl das als heiß zu denkende Schnauben des Pferdes das Kältemotiv aus­balancieren würde; und schließlich liegt Thrakien, woher auch der Bistonius ­sonipes (19) stammt,129 immerhin großgeographisch betrachtet in der Nähe D ­ akiens.130 128 Eykman (2003), 60. 129 Das Adjektiv im Zusammenhang mit Mars verwendet Statius auch Theb. 3, 221; 6, 665; 7, 7; cf. 2, 587. 130 Letzteres Geyssen (1996), 54.  – Barthius (1674), Animadv. 21, weist überdies darauf hin, daß der Strymon als besonders schnellfließender Fluß galt, der nun durch das Schnauben des Pferdes noch überdies vorangetrieben werde. Der Hinweis ist zweifellos zutreffend, reicht zur Erklärung indes wohl auch nicht aus.

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Nichts davon aber vermag interpretatorisch restlos zu überzeugen, einzig die von Adam Marshall beobachtete Anknüpfung des Bildes an den Giganto­ machiemythos bietet eine prinzipiell panegyrisch brauchbare, indes auch nicht weiterführende Assoziation.131 Im Gegenteil: Der Text soll m. E. an dieser Stelle beim Rezipienten gar nicht eine bestimmte Szene, sondern nur einen bestimmten Bildtypus evozieren, noch dazu einen frisch erfundenen, denn Darstellungen eines berittenen Mars sind, soweit ich sehen kann, gar nicht belegt:132 Statius’ Vergleich bringt also nicht etwas Neues (das Denkmal) mit etwas Bekanntem (einem gängigen Bildtypus) in Deckung, sondern Neues mit Neuem. Dazu bedient er sich einer zwar nicht dezidiert unpassenden oder unstimmigen (die dargelegten mehr oder minder vagen Verbindungen können ja immerhin mitschwingen, sind aber nicht weiter belastbar), doch gegenüber weiterzuspinnenden Interpretationen resistenten kunstmythischen Szene,133 übrigens einer wiederverwendbaren: Mars als mythische Entsprechung zum Bild eines Dahingaloppierenden hat Statius nocheinmal in silv. 5, 2, 113–117.

c) silv. 1, 1, 22–31 Das so gewonnene Bild wird im nachfolgenden Abschnitt (22–31) in der Situation des Forum Romanum (notabene: des aktualen – es gibt im Text erwartungsgemäß keinerlei Hinweis auf eine Diskrepanz zwischen der Geographie des Textes und der der Aktualität) verortet, und zwar gleichsam als Mittelpunkt eines Faden- oder Koordinatenkreuzes:134 Vorne öffnet sich ihm das Templum Divi 131 Marshall (2008), 603 f.; vgl. Sil. 1, 433sq. 132 Vgl. die Auflistung im LIMC 2, s. v. Ares / Mars. 133 Zu Funktionen des Mythos in den Silvae vgl. Szelest (1972), 309–317; Verstraete (1983), 195–205; van Dam (1984), 116; Coleman (1999). Eine weiterführende Deutung, die freilich den Anspruch extremer Gelehrsamkeit erhöbe, ließe sich m. E. nur folgendermaßen konstruieren: Falls die oben zitierte dubiose Schrift des Pseudoplutarch ernstzunehmende, d. h. schon vor ihrer Niederschrift existierende Information bietet, hätte der Fluß zuvor Παλαιστῖνος geheißen nach einem Sohn des Poseidon, der sich gleichfalls aus Trauer über den Schlachtentod wiederum seines Sohnes Ἁλιάκμων in den ursprünglich Κόνοζος genannten Fluß gestürzt habe. Daraus folgt, daß dieser Fluß erstens im Mythos eine notorisch negative Verbindung zu Kriegerischem hat, passend zum den nur kriegerischen Mars übertreffenden, weil Frieden gebietenden Domitian; daß zweitens Domitian einen Mars überbietet, der ausgerechnet an einem Fluß Palaestinus/(Strymon) dahinreitet, könnte zu einem Kaiser passen, dessen Bruder Titus seine Repräsentation als Kriegsherr praktisch ausschließlich auf das Iudaea-capta-Motiv gestützt hatte, durch Domitians Feldzüge in Obergermanien und Dakien aber klar überboten worden war. Ich halte eine so komplizierte Deutung allerdings für weitaus überzogen. 134 Rätselhaft ist mir, wie Dewar (2008), 77, Statius »loosely of the statue’s being sur­ rounded by many buildings of the Forum Romanum« sprechen lassen kann (ähnlich ebd., 76: »the vague phrasing of Statius«), außer, daß er darin Thomas (2004), 32, folgt, der freilich

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Iuli, dessen Vergöttlichung auf Betreiben seines Adoptivsohnes hervorgehoben wird;135 freilich ist er, der große Kriegsherr auch des Bürgerkrieges, Domitian unterlegen, weil dieser selbst fremden Völkern Frieden zu bringen imstande sei; wäre Domitian an seiner Stelle gewesen, hätten selbst Pompeius und Cato nichts dabei gefunden, sich seiner Herrschaft zu unterwerfen (22–28).136 Die Seiten des Denkmals behüten die Basilica Iulia und Aemilia, letztere ausdrücklich als Basilica Paulli bezeichnet (29sq.), und seinen Rücken betrachten Vespasian und Concordia mit liebevollem Blick (31), d. h. der Concordiatempel und der freilich zum Teil hinter dem (unerwähnten) Saturntempel verborgene Vespasian- (und evt. Titus-)tempel am Westende des Forums, wobei Concordia wirkungsvoll das Ende der Reihe bildet, ist doch der Domitian von silv. 1, 1 ein Bringer und Garant des Friedens.137 Ein Standpunkt, von dem aus der Sprecher dieser Verse dies betrachtet, ist nicht auszumachen,138 der ständige Bezugspunkt der Deixis ist vielmehr das Denkmal selbst, mit dem die Gebäude aus vier Himmelsseinerseits aus anderen Gründen gezwungen war, die Bedeutung des Statiustextes herunterzuspielen (vgl. u. 168–178): Mir ist selbst in antiker Prosa keine Passage bekannt, die ein beliebiges Monument präziser verorten würde als die vorliegende, von manchen Stellen bei Pausanias vielleicht abgesehen. Aus eben diesem Grund ziehe ich auch das überlieferte hinc in Vers 22, das diesen Verortungscharakter gleich eingangs signalisiert, dem von Courtney (1984), 329, verteidigten huic des Pomponius Laetus vor. Davon abgesehen scheint mir jene Konjektur auch für den Gedankengang eher hinderlich: »Dem Werk angemessen ist sein Aufstellungsort. Diesem öffnet sich das Tempel Caesars …« hat durch die erneute Fokussierung auf das Werk (operi) durch huic, wo man doch einen sprachlichen Kameraschwenk auf die sedes erwarten würde, für mein Empfinden einen holprigen Klang, der eher durch cui anstelle des hinc / huic auszumerzen wäre. Doch besteht m. E. gar kein Anlaß, das überlieferte hinc anzuzweifeln. 135 Zu Domitians Adoptionsplänen, auf die diese Erwähnung Caesars und Augustus’ anspielen kann, vgl. Geyssen (1996), 71–73. Zum Vergleich Domitians mit Caesar vgl. Leberl (2004), 153 f. mit berechtigten Korrekturen an der Interpretation bei Geyssen (1996), 65–86. 136 Illuminati (1941), 100, verweist auf eine enge Motivparallele bei Mart. 10, 15, 11–14. – Nur erwähnt sei die nach meinem Ermessen verfehlte Deutung Ahls (1984, 93), der im Vergleich mit Caesar eine subversive Anspielung auf Caesars Ermordung erkennen will und nebenbei, der Linie der antidomitianischen Schriftsteller trajanischer Zeit folgend, Domi­ tians militärische Erfolge in Germanien und Dakien für belanglos erklärt; letzteres ist längst ins Reich der Tendenzschriftstellerei verwiesen (vgl. z. B. die Überblicke bei Jones [1992], 126–159, Bérard [1994] und Southern [1997], 79–109), findet aber noch Eingang in Dominik (1994, 171), der in der betonten Milde Domitians eine boshafte Anspielung auf seinen unmilitärischen, d. h. unkaiserlichen Charakter sehen will. Allein der Umstand, daß Domitian trotz seiner unleugbaren zivilistischen Neigungen selbst ins Feld zog, kann und konnte aber ebensogut als Positivum ausgelegt werden, und silv. 1, 1 tut dies ja auch, wenn sie ihn eben nicht als ›Eisenfresser‹ (wie man etwa Trajan mit einigem Recht bezeichnen könnte), sondern als zum Frieden neigenden Kriegsherrn charakterisiert. 137 Geyssen (1996), 67 f. 138 Anders Vollmer (1898), 221, der einen Standpunkt des Sprechers vor dem Denkmal und diesem zugekehrt annimmt und sogar die Begriffe hinc und illinc (29sq.) mit ›links‹ und ›rechts‹ übersetzt: Dafür fehlt m. E. jede Grundlage.

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richtungen in Interaktion treten: obvia limina pandit (22) – tuentur (29) – videt (31);139 freilich in eine einseitige, denn die Reaktion des Domitian in den nachfolgenden Versen wird nicht unmittelbar ihnen gelten. Die Lage des Denkmals, wie Statius sie grob beschreibt,140 deckt sich mit dem archäologischen Befund. Über die Identifikation der Statuenbasis mit einem Ausschnitt im Pflaster des Forums, der späterhin, heute noch erkennbar, wiederum geschlossen wurde, herrscht, soweit ich sehe, weitgehende Einigkeit.141 Domitian, der ansonsten das Forum Romanum bis auf Renovierungen und die Vollendung des Templum Divi Vespasiani, dessen Dedikation er möglicherweise auf Titus ausweitete,142 unangetastet ließ und nur die Zugangswege an der Süd 139 Claudia Klodt (1998), 31 weist auf die Dominanz des Standbildes hin, dem sich die älteren Gebäude des Forums nur noch in »dienender Funktion« unterordnen, und zweifellos bedeutete die Errichtung jenes überlebensgroßen Standbildes auf dem Forum eine Neu­ definition und -interpretation dieses Platzes durch die zentrale Präsenz des Kaisers. Klodts Interpretation, wonach im Gedicht daraus letztlich »etwas Groteskes und Gespensterhaftes« (ebd., 35) resultiere, vermag ich indes nicht ohne weiteres zu teilen. Es ist keine dichterische Schrulle, sondern gleichsam poetische Notwendigkeit, die das Denkmal umgebenden Baulichkeiten irgendwie zu beleben und nicht, wie Klodt vorschlägt, den Leser mit »das Pferd reitet auf den Caesartempel zu. Es steht zwischen den beiden Basiliken und mit dem ­Rücken zum Vespasian- und Concordiatempel« (ebd., 31) zu langweilen. Auch ist an blando vultu videre ebensowenig etwas »Dienendes« wie an »Schon winkt auf hohem Bergesrücken /  Akrokorinth des Wandrers Blicken«. Man mag, wie sicherlich manche Zeitgenossen, Domitians Denkmal als Provokation und Usurpierung eines dafür nicht zu verwendenden Platzes ansehen: Das Gedicht aber tut, jedenfalls im Text des Statius, nichts, um diese Ansicht zum Ausdruck zu bringen. 140 Es gilt zu bedenken, daß nach Statius’ Angaben prinzipiell die gesamte östliche Hälfte des Forums als Aufstellungsort in Frage kommt, denn seine Angaben betreffen ja vor allem die Ausrichtung des Standbildes, nicht seine präzisen Koordinaten. Einzig die weiter unten erwähnte Nähe zum Lacus Curtius engt das Feld etwas ein. 141 Giuliani-Verduchi (1987), 118–122; Übersichtszeichnung ebd. 68, Nr. 17; F. Coarelli, Il Foro Romano (1985), 211–224; Geyssen (1996), 26 mit Anm. 14; Darwall-Smith (1996), 229 f. mit Abb. 106; Planzeichnung auch bei Claudia Klodt (1998), 24 und 26. Gegenüber der älteren Identifikation des Standortes mit einer etwas kleineren, unmittelbar südwestlich anschließenden Struktur hat diese Identifikation, von der relativen Chronologie der archäologischen Gegebenheiten abgesehen, einige Vorteile: Das Denkmal kommt nur mit seinem südöst­lichen Rand über den unterirdischen Gängen des Forums zu stehen, was angesichts seines Gewichtes ein Vorteil sein mußte (vgl. Planzeichnung bei Giuliani-Verduchi [1987], 54); es steht genau in der Mittelachse der Rostra und in einer Flucht mit den von GiulianiVerduchi (1987, 95–102; ebd. 68, Nr. 13) als tribunal praetorium und Standort des Marsyas identifizierten Lokalitäten, setzt also die augusteische Achsenbildung des Forums fort; und schließlich sind die seitliche Abstände zu den beiden Basiliken zwar nicht ganz gleich, doch immerhin deutlich symmetrischer als bei der früheren Lokalisierung (Klodt [1998], 27 f. mit Anm. 62). – Eine abweichende Lokalisierung (etwa an der Stelle der späteren Phokassäule) schlägt Thomas (2004) vor: dazu u. 168–178. 142 Thomas (2004), 26, Anm. 24, weist richtig darauf hin, daß Belege für eine Weihe des Vespasiantempels auch für Titus in Domitians Regierungszeit selbst dort fehlen, wo sie zu erwarten wären, etwa in den Arvalakten; Domitians gespanntes Verhältnis zu seinem älteren

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und Nordseite durch das Forum Transitorium zum Argiletum und durch den Forumsbau des Palatin zum Vicus Tuscus hin eindrucksvoll gestaltete,143 erhielt durch dieses von Senat und Volk ihm errichtete Monument eine symbolische Positionierung im Brennpunkt der römischen Öffentlichkeit – wie nicht zuletzt dessen fast schon rituelle Demolierung unmittelbar nach Domitians Ermordung schlagkräftig bewies.144 Daß nicht der Kaiser selbst der unmittelbare Auftraggeber war, auch wenn sein Einverständnis als gegeben anzunehmen ist, ist nicht außer Acht zu lassen:145 Bedenkt man, daß der Senat und / oder Volk zuvor auch schon einer Reihe anderer Personen, wenn auch kleinere, Reiterstandbilder auf dem Forum Romanum errichten hatten lassen, so reduziert sich die gerade am Equus Domitiani immer wieder attestierte Hybris des Monarchen auf ein erträglicheres Maß.146 Wie weit die Maße des Monuments selbst erträglich waren, ist unklar: Die Schätzungen schwanken von drei- bis fünffacher LeBruder ist bekannt. Es besteht also immerhin die Möglichkeit, daß die Erinnerung an Titus erst nach Domitians Tod im Form jener erst später bezeugten gemeinsamen Tempel­ dedikation kultiviert wurde. Wie man in der Zeit des Titus (und evt. des frühen Domitian) den Vespasiantempel als Gegenstück zum Caesartempel am anderen Ende des Forums verstehen hätte können, zeigt Thomas (2004), 26. 143 Darwall-Smith (1996), 251. 144 Newlands (2002), 65. Ähnlich auch das Herunterreißen der in der Kurie angebrachten clipei und imagines Domitians (Suet. Dom. 23): Lahusen (1983), 14; vgl. auch Darwall-Smith (1996), 230, der eine ingeniöse Querverbindung zu Mart. 11, 21, 1 zieht, auch wenn daraus keine sichere Datierungshilfe gewonnen werden kann: Daß die Reiterfiguren derartiger Monumente aus technischen Gründen an der Stelle ihrer Sitzfläche ein geräumiges Loch haben (worauf Martial sich bezieht), konnte Martial auch zuvor schon gewußt haben, das Jahr 96 bot bei der Zerstörung des Equus Maximus allenfalls eine Gelegenheit, dieses Wissen einer breiteren Öffentlichkeit zu Bewußtsein zu bringen. 145 Newlands (2002), 49. 146 Signifikant etwa Klodt (1998), 22–25, welche die Vorsicht früherer Kaiser vor Ein­ griffen in der Mitte des Forums stark betont und demgegenüber den Equus Domitiani als »Affront« (ebd., 25) und als »aufdringliche Dokumentation seines Alleinherrschertums mitten auf dem uralten Zentrum republikanischen Selbstverständnisses« (ebd., 28) bezeichnet. Zur Dedikation durch den Senat vgl. Darwall-Smith (1996), 232 f. – Eine Auflistung von Reiterstandbildern in Rom gibt Lahusen (1983), 56–61, und beweist damit gegen Klodt, daß die Errichtung eines Reiterstandbildes auf dem Forum im Auftrag von Senat und Volk republikanischem Selbstverständnis (den Anachronismus zum späten ersten Jhdt. n. Chr. einmal außer Acht gelassen) durchaus nichts Unzumutbares war, eher etwas Inflationäres; doch gilt es zu bedenken, daß insbesondere im Zuge der Umgestaltung des Forums durch Augustus eine Reihe solcher Monumente entfernt wurden: vgl. Muth (2012), 18–24; Paul Zanker (1997), 46, zählt immerhin vier kleinere, doch vergoldete Reiterstandbilder (Sulla, Pompeius, ­Caesar, Octavian) auf den Rostra auf, die dort offenbar nebeneinander existierten (vgl. Lahusen [1983], 56 mit Verweis auf Vell. 2, 61, 3), möglicherweise auch noch in domitianischer Zeit, während die Sachlage rund um das Reiterstandbild des L. Volusius Saturninus unklar scheint (Lahusen [1983], 17 und 20); vgl. Muth (2010), 491. Kritisch zu sehen Thomas (2004), 24 f., der den Eindruck erweckt, diverse republikanische (Reiter)standbilder seien in flavischer Zeit noch auf dem Forum gestanden, was indes wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat.

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bensgröße, also näherungsweise kolossalen Dimensionen,147 bis zu unauffälligen, bei Statius bloß dichterisch übertriebenen Ausmaßen.148 Bedenkt man den Nachdruck, mit dem Statius das Gewicht des Monuments schildert149, auch wenn dieses Gewicht zum Teil Domitians Göttlichkeit geschuldet ist,150 bezieht man das Erschrecken des Curtius über die ingentes habitus (71) und den maior equus (72) ein und bedenkt man die zum Vergleich herausfordernde Aufzählung von sicheren Kolossalstatuen der Verse 101–104, so wird man eher zur Annahme einer jedenfalls deutlich überlebensgroßen Figur gedrängt. Übrigens stellte eine solche im flavischen Rom keinen singulären Fall dar: Mindestens drei weitere Kolossalstatuen römischer Kaiser (Augustus, Tiberius 147 Klodt (1998), 25. Klodts einzige rechnerische Grundlage, die Abmessungen der Lücke im Straßenpflaster (12,20 x 7,80 m), führt in der Tat auf die Möglichkeit solcher Dimensionen, erlaubt aber keine Einschätzung, wie stark abgestuft der Sockel ausgeführt war und wie weit er wirklich die volle Aussparung im Pflaster beanspruchte: Ausgehend von dem mit 7,54 x 3,70 m gesicherter Grundfläche nur gut halb so großen Sockel des Equus Traiani wurden für diesen 10 bis 12 m Gesamthöhe errechnet (Meneghini [2015], 84 f.), die hier wie dort unbekannten Parameter der Sockelhöhe und des Maßstabes der Statue selbst sind also offenbar in recht weiten Grenzen verschiebbar. Übertrieben freilich wirkt die Vermutung Raimund Wünsches, demzufolge der etwa fünf- bis sechsfach überlebensgroße Equus Traiani auf dessen Forum das Domitiansmonument an Größe immerhin noch übertroffen habe: Wünsche (1999), 69. 148 Geyssen (1996), 24. Seine Argumente, das Forum sei für eine Kolossalstatue zu schmal gewesen, und der Reiter hätte vom Boden aus gar nicht mehr richtig betrachtet werden können, sind freilich nicht zwingend: Ob ein Standbild, kolossal oder bloß hoch oben angebracht, vom Boden aus gut betrachtbar ist, ist nicht unbedingt ein Kriterium dafür, daß man es überhaupt errichtet: Man denke an das von vorne so gut wie gar nicht sinnvoll betrachtbare Reiterstandbild Viktor Emanuels II . inmitten seines Siegesmonuments, unter dem nun die Nordflanke des Kapitols begraben liegt. Außerdem blieben immer noch das immerhin sieben Meter hohe Podium des Caesartempels (MacDonald [1986], 137), das des Dioskurentempels und die oberen Stockwerke der beiden Basiliken, besonders das dachterrassenartige obere Porticusgeschoß vor der Basilica Aemilia (Richardson [1992], 55; Lipps [2011], 124–127) als Aussichtsgalerien, so wie man etwa die Zeusstatue in ihrem Tempel in Olympia ja auch nicht nur von unten bestaunen konnte. Auch ein Mißverhältnis zwischen Forum und Monument hat wenig argumentatives Gewicht: einer freilich anderweitig nicht verbürgten Nachricht zufolge (HA . Alex. 28, 6) errichtete Alexander Severus auf dem viel schmaleren Forum Transi­ torium sogar eine ganze Serie überlebensgroßer Kaiserstatuen; vor allem aber liegt zwischen Equus Domitiani und dem Templum Divi Iuli, also an der Schau- und Vorderseite des Denkmals, eine Strecke von über 40 Metern, was selbst bei der größten vermuteten Höhe desselben von 18 m (Klodt [1998], 32, Anm. 75; Zanker [2009], 82) einen vertikalen Betrachtungswinkel von knapp 25° ergibt; bis zu den beiden augusteischen Bögen, von wo aus man als angenommener Betrachter das Forum am besten betrat, sind es sogar ca. 55 Meter mit noch niedrigerem Winkel; vgl. u. I, Anm. 159. Vgl. auch die Rekonstruktionszeichnung bei Zanker (2009), 81, Abb. 21, die mit kolossalen Dimensionen rechnet, ohne dabei den Eindruck übermäßiger Beengung des Forumsraumes zu erwecken. 149 Silv. 1, 1, 1 moles geminata superimposito colosso; cf. 11–13; 19sq. magnoque pondere (im Marsvergleich); 56–60 (die hohe Tragfähigkeit des Sockels). 150 Dazu u. I, bei Anm. 313.

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und Nero / Helios) zierten damals bereits das Stadtbild.151 Vergleicht man damit das erhaltene Monument des Marc Aurel auf dem Kapitol, das nur knapp doppelt lebensgroß ist und dabei den Platz, auf dem es steht und der dem Forum Romanum in der Breite ungefähr entspricht, nicht im geringsten beeinträchtigt, eher sogar zu klein wirkt, um den Raum wirklich zu dominieren, kann man dem Equus maximus ruhig drei- bis vierfache Lebensgröße attribuieren, ohne daß das Forum Romanum davon ernsthaft ›erdrückt‹ worden wäre – im Gegenteil: Susanne Muth trifft völlig das Richtige, wenn sie bemerkt, daß ein nichtkolossales Standbild in zentraler Position auf dem Forum Romanum geradezu lächerlich gewirkt hätte.152 Was die literarische Umsetzung dieser Größe angeht, ist schließlich festzuhalten, wie strikt Statius hier und in allen übrigen im engeren Sinn ekphrastischen Gedichten auf die Angabe meßbarer Größen wie Länge, Breite, Höhe etc. verzichtet, sich also weder der längst entwickelten Gattung der touristischen Kunstbeschreibung anschließt noch sie zu parodieren sucht, wie es vielleicht schon Kallimachos in seinem 7. Jambus tat.153 Selbst im Hercules epitrapezios (silv. 4, 6), wo das Spannungsverhältnis zwischen äußerer und innerer Größe eines Kunstwerks den Hauptgegenstand abgibt, vermeidet der Dichter vielmehr diese doch stets ein wenig banale Zugangsweise und konzentriert sich auf die Art der Darstellung, ihre angebliche Provenienz und ihr Verhältnis zu ihrem aktuellen Besitzer anstatt auf Höhe oder Gewicht.

d) silv. 1, 1, 32–60 Der Blickwinkel der Beschreibung verlagert sich nun, auf die poetisch belebten Verhaltensweisen der das räumliche Bezugssystem bildenden Gebäude antwortend, indirekt in das Standbild selbst, insofern beschrieben wird, was der Reiter zu betrachten scheint (32–36):154 den Palatin und / oder den Vestatempel,155 151 Zum Augustuskoloß auf dem Augustusforum: Lahusen (1983), 25 mit Anm. 158; der nur bei Phlegon, mirab. 13, sowie CIL X, 1624 bezeugte Tiberiuskoloß auf dem Caesarforum: ebd., 22, mit Anm. 140; skeptisch Köb (2000), 222; auf den bekannten Ex-Nerokoloß neben dem flavischen Amphitheater wird u. bei Anm. 380 noch näher einzugehen sein. Vgl. auch Welin (1953), 175–178, der mit einleuchtenden Gründen nachzuweisen versucht, daß eine oft als Beleg für den Augustukoloß auf dem Augustusforum herangezogene Martialstelle (8, 44) wohl eher auf das Domitiansmonument zu beziehen ist. 152 Muth (2010), 492 f. 153 Callim. frgm. 196 (Pfeiffer); vgl. Preisshofen (1979), 267 f. 154 Unnachahmlich die Formulierung, die Henderson (2003), 239, in seinem gleichwohl exzentrischen Artikel dafür findet: »This rider in the sky commands the cityscape with  a panoptic gaze of his own, watching the building sites deliver satisfying sights.« 155 Clauss (1999), 129, weist darauf hin, daß unter Domitian und noch bis in die Zeit Theodosius’ I. auch der Kaiserpalast als Tempel betrachtet wurde. Der Palatin bildet im Text also gerade kein ›weltliches‹ Einsprengsel in einer Reihe sakraler Bauwerke.

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beide vom Standpunkt des Denkmals aus sichtbar, der Vestatempel ausschnittsweise zwischen dem Templum Divi Iuli und der Aedes Castorum, der Palatin am ehesten auch in diesem Ausschnitt, da keinesfalls anzunehmen ist, daß das Denkmal die Höhe der genannten Tempel erreichte und über sie hinwegblicken hätte können: die beiden Angaben können also als Beleg für eine nach rechts gewandte Kopfhaltung des Reiters gelten. Dennoch ist die gemeinsame Erwähnung von Vestatempel und Palatin wohl nicht bloß den Zufälligkeiten der Forumsgeographie geschuldet, und es handelt sich auch nicht um zwei verschiedenen Sphären angehörende Komplexe. Beide verbindet ein wesentliches religiöses Element, das Palladium, das in republikanischer Zeit im Schutz des Vestatempels aufbewahrt, unter Augustus aber (im Original oder als Duplikat?) auf den Palatin in das dort seit Augustus existierende kleine Vestaheiligtum156 verlegt wurde und bei Domitians ausgesprochener Minervaverehrung eine besondere Stellung einnahm.157 Beides wird unten noch im Rahmen der ›Sakraltopographie‹ von silv. 1, 1 zu besprechen sein.

156 Ov. fast. 4, 949–954. 157 Hardie (2003), 136 mit Verweis auf eine domitianische Münzdarstellung Vestas mit Palladium (ebd. Anm.  56); vgl. D’Ambra (1993), 75 mit Anm.  94; Scott (1936), 184–188; Taddei (1967), Abb. 1–3. Mart. 1, 2, 8 nennt das Forum Transitorium sogar forum Palladium, die Verbindung zwischen Domitians Minerva und dem Palladium war also anscheinend offenkundig. Zum Palladium auf dem Palatin vgl. Francesca Prescendi, Art. Palladion, DNP 9 (Stuttgart 2000), 192 f.; mit dem inschriftlich auf einem spätantiken Stein aus Pivernum (CIL X , 6440sq.) bezeugten Palladium Palatinum bringt Paribeni (1964) vorsichtig einen auf dem Palatin ausgegrabenen und im Depot des Antiquariums dort quasi wiederentdeckten archaischen Athenekopf in Verbindung und äußert sich skeptisch zur Frage, wie weit man es ernstlich mit zwei Palladien zu tun gehabt hätte (ebd. 198). Zu beachten ist allerdings die Nachricht bei Herodian 1, 14, 4, wonach bei einem Brand 191 n. Chr. die Vestalinnen u. a. das Palladium aus dem Vestatempel, wo sich damals also offenbar eines befand, auf den Palatin trugen. – Auffällig ist eine freilich bloß motivische Parallele zwischen silv. 1, 34sq. und Ov. fast. 6, 439 flagrabant sancti sceleratis ignibus ignes: Statius spielt ebenso wie Ovid im unmittelbaren Kontext der Vesta und damit des Palladiums ›gutes‹ und ›böses‹ Feuer gegeneinander aus: ein Grund mehr, anzunehmen, daß das Palladium bei Statius mit dem Palatin in Verbindung steht. Übrigens scheint sich diese enge Verbindung, befördert vielleicht auch durch die klangliche Ähnlichkeit, dem Palatin dauerhaft mitgeteilt zu haben, wie das kleine, mindestens ins Frühmittelalter zurückdatierende Monasterium quod Palladium dicitur (auch: S. Maria in Pallara, SS . Sebastiano e Zotico) auf dem Palatin, genauer in der Vigna Barberini, bezeugt: vgl. Lanciani (1897), 170 f. und, auf das Kloster S. Cesareo bezogen, das als apud Pal­ ladium bezeichnet wird, ebd. 155; Morel (2006), 139 f. bezieht die mittelalterliche Namensgebung indes auf eine Aktion Kaiser Elagabals, der verschiedene Heiligtümer Roms, unter anderem das Palladium, in seinem Tempel in der Vigna Barberini konzentriert habe. Allerdings gälte es in deren Kontext auch noch einen kleinen Tempel just aus flavischer Zeit zu berücksichtigen, der dort am Fuße der Vigna das Eck der verlängerten Via sacra zum Platz des Kolosseums in unmittelbarer Nachbarschaft zur Meta sudans markierte, also einen sehr prominenten Platz besetzte und in gewisser Weise das sakralarchitektonische Gegenstück zum Vestatempel an der Mündung der Via sacra ins Forum Romanum bildete, d. h. gemeinsam

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Die schon in 22–31 bemerkte Belebung der das Standbild umgebenden Szenerie wirkt in 32–60 zunächst fort: Es sind Vorgänge, die der im Bild präsente Kaiser kontrolliert, hier den Wiederaufbau bzw. die Erweiterung des Palatins, dort die korrekte Bewachung des Feuers durch die Vestalinnen. Beides hat unverkennbare zeithistorische Bezüge, die Baumaßnahmen auf dem Palatin einerseits, Domitians hartes Vorgehen bei Verstößen gegen das Keuschheitsgebot der Vestalinnen andererseits.158 Zugleich knüpft die Beschreibung an die vorweggenommene Interpretation seines Gesichtsausdruckes (15sq.) an, wenn sie mit puro celsum caput aere saeptus (32) vom Gesicht auf den gesamten Kopf erweitert einsetzt,159 um dann von oben nach unten weitere wesentliche Merkmale des Reiters zu nennen, und zwar in hinlänglicher Deutlichkeit, um einem Leser, der einerseits mit geläufigen Formen von Reitermonumenten und andererseits mit der geläufigen Darstellungsweise Domitians vertraut ist, einen Gesamteindruck zu geben: Dass keine Beschreibung in der Art einer kunsthisto­rischen

mit diesem die Endpunkte der Nordostseite des Palatins gleichsam kultisch untermauerte: Welcher Gottheit er geweiht war, ist ungewiß, doch blieb er trotz massiver Veränderungen seines baulichen Kontextes die weitere Kaiserzeit hindurch anscheinend konsequent unangetastet; vorstellbar wäre, daß er ein nur wenige Schritte entferntes julisch-claudisches Heiligtum ersetzen sollte, das zwischenzeitlich einem Trakt von Neros Domus aurea zum Opfer gefallen war: vgl. Panella (1996), 40–91, und (2009), passim. Daß sich nur wenige Meter entfernt in einem ihn teilweise umgebenden Bauwerk vor einigen Jahren die dort sorgfältig deponierten kaiserlichen Insignien vermutlich des Maxentius fanden, mag Zufall sein, kann aber auch auf eine gewisse Bedeutung des kleinen Tempels in rompatriotisch-konservativen Kreisen der beginnenden Spätantike deuten: Wäre es also denkbar, dieses Bauwerk mit dem Palladium in Verbindung zu bringen? Vgl. Panella (2011), 129 (mit weiterführender Literatur). Coarelli (2009), 84, freilich will in diesem Heiligtum einen Augustustempel, und zwar den durch Livia an der Stelle von dessen Geburtsort erbauten, erblicken; wobei die eine Theorie die andere nicht ausschließen muß. 158 Ahl (1984), 94 vermutet hier wegen klanglicher Ähnlichkeit zwischen exploratas (36) und plorare versteckte Kritik, wohl an Domitians altväterischer Härte: richtig zurückgewiesen bei Geyssen (1996), 90 f. (mit Literaturverweisen). 159 Das zugrundeliegende Zitat (Verg. Aen. 1, 411 obscuro gradientes aere saepsit; cf. 1, 439 saeptus nebula)  interpretiert Ahl (1984), 93 f., als Witz auf Kosten Domitians, freilich ohne daß dessen Pointe klar würde. Geyssen (1996), 88 f., rückt die Interpretation der Vergilanspielung zurecht, verzichtet aber sonderbarerweise auf den einfachen Hinweis, daß ja schon der Ersatz des vergilischen obscuro durch puro unverkennbar auf eine Kontrastierung hindeutet. – Aus der Fügung könnte übrigens ein Hinweis auf die Mindesthöhe des Monuments gewonnen werden, wenn man ihn in dem Sinne versteht, daß für einen auf dem Forum, d. h. vorschlagsweise auf dessen südöstlicher Hälfte und nicht allzu unmittelbar am Fuß des Denkmals stehenden Betrachter der Kopf Domitians sich vor dem offenen Himmel abzeichnete, und nicht die umstehenden Gebäude den Hintergrund für sein Haupt bildeten. Dies würde gut zur Funktion des Monuments als Verweis über das Forum hinaus in höhere Sphären passen, auch wenn die Diktion (aere saeptus anstelle eines metrisch äquivalenten aethere saeptus) hier der irdischen Sphäre und zugleich dem vergilischen Vorbild verhaftet bleibt.

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Abhandlung intendiert sein konnte, versteht sich von selbst.160 Domitians Rechte, wohl ausgestreckt in der Art des Marc-Aurel-Standbilds auf dem Kapitol, gebietet Frieden,161 die linke wird von einer Statuette der Minerva nicht belastet. Statius spielt öfters mit dem Topos vom Gewicht der Götter (vgl. u. I, Anm. 313), hier freilich gleichsam um eine Schraubenwindung weitergedreht, denn so schwer Minerva auch wiegt, bedeutet sie für Domitians starke Hand doch keine Last.162 Über die genaue Gestaltung dieser mindestens bildtypologisch-funktional dem Palladium entsprechende Statuette wird kaum Sicherheit zu gewinnen sein,163 von Interesse ist vor allem 38sq. et sectae praetendit colla Medusae, / ceu stimulis accendit equum. Vollmer trennt die beiden Sätze und bezieht ceu … equum auf einen Speer, den Minerva als Promachos gehalten habe.164 Man würde in diesem Fall allerdings die Erwähnung des Speers erwarten, sodaß neuere Kommentatoren mit Recht ceu ein dem Verglichenen nachfolgen 160 Anders Johannsen (2006), 257, die der Ansicht ist, die Beschreibung sei so knapp, daß daraus ein Indiz dafür abgeleitet werden könne, daß Statius das Monument vor seiner Einweihung gar nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Das Argument ist m. E. nicht tragfähig, weil der Beschreibung ja jedenfalls nichts Wesentliches fehlt, ihr darüber hinausgehender Detailliertheitsgrad aber Ermessenssache des Autors war, egal ob er über Autopsie verfügte oder nicht. 161 Bergemann (1990), 6–8 gibt eine kurze Übersicht zur Typologie der erhobenen Rechten bei Reiterstandbildern und interpretiert den Gestus als symbolisiertes Handeln des Dargestellten. Auf Statius’ Schilderung des Equus maximus weist er dabei ausdrücklich hin (ebd. 8 mit weiterem Verweis auf Procop. aedif. 1, 2, der eine Parallele aus justinianischer Zeit bietet), freilich unter dem merkwürdigen Vorbehalt, daß Statius »viele Details der Reiterstatue speziell auf die Person des Kaisers und die Zeitumstände hin interpretiert.« Hier stand offenbar das kunsthistorische Denken in Typologien dem Umstand im Weg, daß selbst das ›typischste‹ Denkmal für eine realiter existierende Person niemals nur einen Typos darstellt, gar nicht darstellen kann, sondern zur Interpretation auf die dargestellte Person hin zwingt, ansonsten wäre es erstens kein Denkmal und zweitens nicht errichtet worden. 162 Anders Ker (1953), 2, der für Vers 38 ingravat statt non gravat vorschlug, was prima ­v ista einen glatteren Text, aber m. E. die mattere Pointe ergibt. – Vgl. auch Stat. silv. 3, 4, 61 ingentem … dextram für die Hand Domitians. 163 Ahl (1984), 94, denkt an eine auf den Schild Domitians aufgemalte Minerva. Es ist allerdings auszuschließen, daß der Reiter auf dem Forum einen Schild trug: Weder zeigen die o. Anm. 105 genannten Münzdarstellungen des Equus Domitiani solches, noch selbst das den Kaiser im Angriff abbildende Standbild von Misenum (o. Anm. 104); das schon mehrfach zum Vergleich bemühte Marc-Aurel-Standbild auf dem Kapitol hingegen trug, wie auch der Equus Traiani auf dessen Forum (Köb [2000], 288; Seelentag [2004], 342–348), höchstwahrscheinlich eine vergleichbare Statuette, wenngleich auch an eine Buchrolle gedacht wurde (Wünsche [1999], 60). Übrigens hätte ein Schild auch künstlerisch gravierende Nachteile, würde er doch wesentliche Teile des Standbildes für Betrachter von der Basilica Aemilia her verdecken. Bildtypologisch sind auch zahlreiche Darstellungen des römischen Gründungsheros Aeneas, der mit dem Palladium in der Hand aus Troja flieht, zu bedenken, etwa auf den bekannten Denaren Caesars und des jungen Caesar Divi filius: Albert (2003), 176, Nr. 1400, und 196, Nr. 1563; Zanker (1997), 44, Abb. 27a und 27b; vgl. u. I, Anm. 240. 164 Vollmer (1898), 223.

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des Gleichnisbild einleiten sehen, wie es auch andernorts bei Statius erscheint (e. g. Silv. 5, 2, 69sq.).165 Es bleibt freilich der Umstand, daß das Gorgoneion bzw., wie anzunehmen, die Aegis ein denkbar schlechtes Instrument scheint, um jemanden, in diesem Fall ein Pferd, zur Eile anzutreiben – es sei denn, es handle sich um eine Statue, also das notorische Produkt eines Gorgoneioneinsatzes.166 Solcherart verweist der Text auf die Verse 5–7 zurück: Minerva treibt das Pferd an und verwandelt es zugleich in eine Statue, stellt also eine Momentaufnahme Domitians als siegreicher Feldherr her und verweist damit auf die seit Homer geläufige ekphrastische Technik, Bilder bzw. Statuen nicht statisch sondern ›belebt‹ zu beschreiben, d. h. ihre ›erstarrten‹ Gesten (Lessing würde von ›Zeichen im Raum‹ sprechen) als Teil einer durch sie bedeuteten Bewegung und Handlung (›Zeichen in der Zeit‹)167 zu begreifen. Nur nebenbei  – da für meine Fragestellung hinsichtlich der Räumlichkeit nicht unmittelbar von Bedeutung – sei darauf hingewiesen, daß dieser Gegensatz von Starre und Bewegtheit, der mit den erregten Fragen des Gedicht­beginns (schon dort 2sq. das Pendantpaar stat – fluxit in pointierter Stellung jeweils am Versbeginn) eröffnet wird und seinen Abschluß in der Szenerie des nächtlichen Besuchs der göttlichen Verwandten (94–98) findet, das gesamte Gedicht durchzieht und so permanent auf die Spielregeln des genus ›Kunstbeschreibung‹ verweist.168 Auf die spezielle Signifikanz der Minerva als Domitians persönliche Schutzgottheit wird unten noch einzugehen sein, nicht zu übergehen aber ist eine frappierende Koinzidenz: Zu dem, wie erwähnt, in ganz ähnlichem Gestus dargestellten Marc Aurel auf dem Kapitol bemerkt Raimund Wünsche wörtlich, es sei »die intendierte Aussage des Standbilds …: Der siegreiche Kaiser gebietet Frieden.«169 Den Satz könnte man ebenso als Kurzfassung von Statius’ Inter­ pretation des Domitiansmonuments gelten lassen. 165 Geyssen (1996), 92; Shackleton Bailey (2003), 34 f. 166 Shackleton Bailey (2003), 34, Anm. 13 hält den beschriebenen Einsatz der Aegis für einen Irrtum des Dichters: »Since this should turn gazers to stone, something seems askew in the poet’s conception.« Nun gut: nicht Stein, aber Bronze. Als erstem fiel meines Wissens Barthius (1674), Animadv. 28, die Diskrepanz zwischen dem Medusenhaupt und dem Motiv des Anspornens auf; er fand sich mit der immerhin nachvollziehbaren Erklärung ab, Domitians Göttlichkeit habe dem Medusenhaupt die verderbenbringende Kraft genommen; eine eingehendere Diskussion bei Hand (1817), 86–88; vgl. auch Marshall (2011), 337.  – Stange (1887), 9, denkt an die Möglichkeit, daß der Kopf des Pferdes nach links zurückgewandt und solcherart Blickkontakt zwischen ihm und der Aegis, Voraussetzung für eine Versteinerung, gegeben war: Das ist zwar so nicht beweis-, aber prinzipiell denkbar, zumal der Reiter wohl leicht nach rechts blickte (silv. 1, 1, 34–36) und Gegenläufigkeit der Blickrichtungen von Roß und Reiter nicht weiter verwundern würde. 167 Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, Kapitel 16; vgl. Buch (1972), 41–46; Primavesi (2002), passim. 168 Vgl. Newlands (2002), 51 f. 169 Wünsche (1999), 60.

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Es fehlten in der Beschreibung des Reiters noch die breite Brust (41sq.), zweifellos gepanzert,170 die über den Rücken hängende Chlamys (der Text weist in diesem Bereich m. E. eine Lücke auf),171 und an der Seite das in seiner Scheide steckende Schwert, groß »wie die scharfe Waffe des Orion, mit der er droht und in Winternächten die Sternbilder erschreckt« (44sq.). Tatsächlich zeigt das Sternbild Orion unterhalb des charakteristischen Gürtels ja ein Schwert, und nur um das Sternbild, nicht aber um die mythische Figur geht es an dieser Stelle, wie Geyssen mit Recht moniert.172 Immer weiter abwärts gleitend173 geht die Beschreibung sodann zum Pferd über (wobei die en passant erwähnten Sporen in Vers 49 gleichsam als Nachtrag noch auf die Füße des Reiters hinweisen und zwischen ihm und seinem Reittier noch eine engere Verbindung her 170 Vgl. o. I, Anm. 118. 171 Vollmer (1898), 223, bemerkt zu silv.  1, 1, 41–45: »Die Diction wird knapp, asyn­ detisch.« Das ist zurechtzurücken: Die Verse 37–45 bieten eine regelmäßige Abfolge, in der, soweit der überlieferte Text etwas erkennen läßt, jeder in den Blick genommene Bestandteil der Domitianfigur einen voll ausformulierten Hauptsatz erhält, mit der schwachen Ausnahme eines elliptischen est zu latus securum in 43sq.; einzig pectora (41) bildet davon die asyndetische Ausnahme und gibt umso mehr Grund zum Verdacht, als das nachfolgende it tergo demissa chlamys der modernen Ausgaben (selbst bei Marastoni [1970] und Traglia [1978]; vgl Luberman [2010], 69) eine Humanistenkonjektur anstelle des überlieferten et tergo demissa chlamys ist: Wollte man die von Vollmer attestierte verkürzte Sprechweise beibehalten, wäre mindestens dem tradierten et tergo … der Vorzug zu geben, um pectora nicht als einzigen Begriff inmitten einer syntaktisch relativ gleichmäßigen Reihe ohne zugehöriges Verbum sonderbar ungeschlacht stehenzulassen: besonders plausibel klänge der Text mit seiner sonderbar losen Abfolge von pectora und chlamys indes auch so noch nicht. Noch dazu scheint die relativ wortreiche Beschreibung von pectora mit gleich zwei Relativsätzen (41sq.: quae mundi valeant evolvere curas / et quis se totis Temese dedit hausta metallis) eine kleine Pointe vorzubereiten, die indes nicht kommt: Die Brust, d. h. der Küraß der Domitianfigur, wird beim Guß nicht mehr Metall benötigt haben als sein Mantel oder seine Beine, doch es ist dies der mit Abstand größte, beim Fehlen von Beinschienen und Helm sogar der einzige Bereich eines solchen Feldherrnstandbildes, der nicht bloß qua Bronzemonument sondern auch proprie aus Bronze (oder zumindest aus Metall) angefertigt ist, also mimetisch gleichsam auf einer höheren Stufe steht (Metall tritt für Metall ein) als etwa aus Bronze nach­ geahmte Partien des menschlichen Körpers: daher wohl ausgerechnet an dieser Stelle die Betonung des Materials, die auch Thomas (2004), 27, hervorhebt. Ich halte es durchaus für möglich, daß ein entfallener Vers z. B. diesen Gedanken noch etwas weiter ausführte und zugleich eine Anknüpfung für das nachfolgend überlieferte et tergo demissa chlamys bot. 172 Geyssen (1996), 93 f.: gegen Ahl (1984), 94, der in dem Umstand, daß der Orion, wie ja auch Statius hervorhebt, ein Wintersternbild ist, eine boshafte Anspielung auf Domitians vielleicht nicht sehr erfolgreiche (Sommer)feldzüge sehen will. Doch gerade das hinzugesetzte hibernis (45) ließe ebensogut eine Kontrastimitation zu: ›Im Sommer schreckt der Kaiser die Barbaren wie Orion im Winter die Sterne‹. Man wird aber Ahls Interpretationsweg auch so nicht einschlagen wollen. Eine hoffentlich plausiblere Erklärung, weshalb Domitian hier mit Orion verglichen wird, werde ich u. 154–158 darlegen. 173 Zu diesem technischen Element der Statuenbeschreibung, dem Vorgehen vom Kopf abwärts, vgl. Wasserstein (1951), 69, mit Verweisen auf die entsprechenden Anweisungen seitens der Rhetorik.

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stellen), seinem mächtigen Habitus und dem unter dem (wohl: Vorder-)Huf niedergestreckten Flußgott Rhenus,174 dem Symbol des unterworfenen Barbarenlandes und damit der Erfüllung der wohl wesentlichsten Aufgabe eines römischen Herrschers durch Domitian.175 Auch hier wieder erscheint das Oxymoron aus Starre und Bewegung, konkret in 48sq. (sonipes) cui rigidis stant colla iubis vivusque per armos / impetus: Zwar könnte aus stant sylleptisch etwas wie currit zu vivus impetus ergänzt werden, naheliegender aber ist die (leicht zeugmatische) ἀπὸ κοινοῦ-Stellung von stant, also stat vivus impetus.176 Ein durch polyptotisches hunc (52) … hic (54) an einen in die dritte Person transponierten Hymnus erinnerndes Stück schließt den Abschnitt ab: Adrasts Pferd Arion hätte sich vor dem Pferd des Denkmals gefürchtet, der Cyllarus des Castor in der nahen aedes Castoris tut das effektiv (und unterliegt damit Domitians Equipierung),177 und im Gegensatz zu Arion, den Adrastus zu Wettkampf­ zwecken seinem Schwiegersohn Polynices borgt (Stat. Theb. 6, 316–325; 423–430 ist das Roß über diesen Wechsel freilich ungehalten, wird außerdem noch von Apoll in sportlich nicht ganz einwandfreier Weise mit einer Art Medusenhaupt erschreckt und entledigt sich daraufhin seines Lenkers in 491–512, sodaß es schließlich 528–530 als erstes, doch eben mit leerem Wagen, über die Ziellinie geht), und zu Cyllarus, der zwar häufiger dem Castor, doch auch dem Pollux zugewiesen wird,178 und vielleicht auch täglich abwechselnd im Gang der Gestirne bald Pollux, bald Castor zu dienen hat,179 wird Domitians Pferd nie seinen Reiter wechseln (52–54). 174 Genauere Analysen bieten Vollmer (1898), 224 f.; Geyssen (1996), 94 f. 175 Vgl. Zanker (2000), bes. 410 f. Die militante Aussage widerspricht in keiner Weise der im Text herausgestrichenen Friedfertigkeit des Herrschers, denn nur die ständige Kampf­ bereitschaft und, wenn nötig, Sieghaftigkeit des Kaisers garantiert ja den Frieden: vgl. Zanker (ebd.), 415 mit Abb. 3: Münzdarstellung der Pax, die einen Barbaren niedertritt, aus der Zeit Trajans. 176 Auf das Problem macht Otto (1887), 364, aufmerksam, konjiziert indes unnötig vivus­ que zu vivitque. 177 Stat. Ach. 1, 180sq. wird, wenigstens in einem Gleichnis, Cyllarus als erschöpftes Pferd mitsamt seinem Reiter buchstäblich baden geschickt, um den vor Ermüdung matt gewordenen Stern des göttlichen Zwillings wieder aufzufrischen: Gleichfalls etwas, was man – panegyrikintern – Domitian und seinem Roß nicht notwendig erachten möchte. – Wo genau sich die Cyllarusdarstellung am Forum Romanum befand, und ob es sich um eine Statue oder ein (Giebel?-)Relief handelte, geht aus dem Text nicht hervor: vgl. Döpp (1996), 321, der (ebd., 323 f.) auch plausibel dafür eintritt, das hunc … visum in Vers 52 aufeinanderzubeziehen und visum (scil. equum) als Partizip zu betrachten. 178 Verg. georg. 3, 89sq.; Servius erklärt ad loc., daß Vergil sich eine poetische Lizenz im Sinne der Austauschbarkeit der beiden Namen bzw. der möglichen Sammelbezeichnungen Castores und Polluces erlaubt habe. Es ist ohne weiteres möglich, daß Statius’ gelehrte Anspielung auf der Vergilphilologie schon seiner Zeit zu eben jener Georgicastelle beruht. Unplausibel hingegen Courtneys (1984), 329 f., Überlegungen zur Stelle. – Zu Castor gestellt erscheint Cyllarus etwa Sen. Phaedra 810sq.; Stat. Theb. 4, 215; 6, 326; Val. Flacc. 1, 425sq.; Mart. 8, 21, 5sq. 179 Döpp (1996), 324 f.

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Die Funktionen dieser überraschenden Formulierung, die auf den Vergleich Domitians mit Alexander und Caesar bzw. dem Alexander-Caesar-Standbild im weiteren Textverlauf (84–90) vorausverweist, hat John Geyssen übersichtlich dargelegt;180 daß der Arionvergleich Kennern der Thebais auch noch den Vergleichspunkt des monströsen, schlangenhaarigen Hauptes bietet (Theb. 6, 495: anguicomam monstri effigiem), vor welchem, wie Theb. 6, 498–501 ausgeführt wird, sogar die Pferde des Sonnengottes scheuen würden, wohingegen ­Domitians Pferd sich durch das ganz ähnliche Objekt in der Hand der Minerva nicht bloß nicht erschrecken, sondern sogar ›gleichsam anstacheln‹ läßt (silv. 1, 1, 39: ceu stimulis accendit equum), sei nur am Rande erwähnt. Wichtig ist vorderhand, daß nun auch noch der Castortempel und damit das letzte noch ausständige Forumsgebäude im unmittelbaren Umkreis des Equus Domitiani ins Spiel gebracht wird, im Verein mit der südöstlich ihm benachbarten und damit vom Equus Domitiani aus unsichtbaren Iuturnaquelle übrigens, die nicht nur der sagenhafte Ort der Epiphanie der ihre Pferde tränkenden Dioskuren ist, sondern auch mit archaisierenden Standbildern der Zwillinge und ihrer Rosse geschmückt war.181 Mit Rössern in Verbindung stand die Aedes Castorum ferner als Haltepunkt bei der jährlich am 15. Juli stattfindenden transvectio equitum, bei der die römischen equites sich und ihre Pferde vorführten:182 Ich erwähne dies, um zu zeigen, wie selektiv Statius hinsichtlich der anklingenden Motive vorgeht und wie freimütig er selbst Punkte, die sich geradezu für eine panegyrische Intsrumentalisierung aufzudrängen schienen, beiseiteläßt, indem er zum Dioskurentempel zwar auf ein etwas kompliziertes Problem mythischer Reittiere zurückgreift, nicht aber auf ein eigentlich viel näherliegendes, der aktualen Welt des Forums angehöriges Brauchtum. Der Blick des Sprechers macht auch hier noch nicht halt, sondern erfaßt schließlich auch noch den Sockel des Monuments, freilich weniger beschreibend als über seine unglaubliche Tragfähigkeit staunend, die hinlänglich wäre, um dem das Himmelsgewölbe stützenden Atlas zum Fundament zu dienen, mag auch mit unverkennbarem Homerzitat (silv. 1, 1, 57 subter anhelat humus: Hom. Il. 2, 95 ὑπό δὲ στεναχίζετο γαῖα) der Boden darunter ächzen (56–60).183 Nur en passant sei auf die ganz unterschiedlichen Herangehensweisen des Autors an die verschiedenen genannten Elemente der Forumslandschaft hin­ 180 Geyssen (1996), 95–97, in Korrektur zu Ahl (1984), 94 f. 181 Simon (2006), 63; Abb. der bruchstückhaft erhaltenen Standbilder bei Geppert (1996), Taf. 29, Abb. 108–113; Sauron (2013), 92, Abb. 78. Immerhin haben sich in Rom noch weitere vollplastische Dioskurendarstellungen erhalten, so die beiden auf dem Marsfeld ausgegrabenen, heute die Treppe zum Kapitolsplatz zierenden Exemplare aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert und die beiden deutlich bewegteren Standbilder auf dem Quirinal aus unklarer späterer Zeit: Geppert (1996), 44 und 66; Simon (2006), 65. 182 Köb (2000), 43. 183 Illuminati (1941), 101.

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gewiesen: Während der Equus eine detaillierte Beschreibung im engeren Sinn erhält, die immerhin dazu ausreicht, daß ein mit dem Phänomen ›Reiterstandbild‹ und darüber hinaus mit Portraitdarstellungen Domitians prinzipiell vertrauter Leser, auch wenn er den Equus maximus selbst noch nicht gesehen haben sollte, diesen sich anschaulich vorstellen kann (in eben dieser Position befindet sich zwangsläufig auch der moderne Rezipient), entfällt jede nähere Beschreibung der übrigen Bauwerke: Sie sind auf seiten des Rezipienten aus dessen ταμιεῖον αἰσθημάτων abzurufen,184 will er die gewünschte Anschaulichkeit (ἐνάργεια) seiner φαντασίαι erreichen. Dies fügt sich nicht nur glatt zur Gesamtsituation, einem längst vorhandenen baulichen Ensemble mit einem einzelnen, neu hinzugekommenen Element, welches das Thema des Textes bildet, sondern definiert auch den Leser im Text als einen Kenner der stadtrömischen Topographie, der dazu aufgerufen wird, das Hinzutreten jenes neuen Elementes (das er selbst ebensogut schon gesehen haben mag oder auch nicht) imaginativ und, wie noch zu zeigen sein wird, interpretatorisch nachzuvollziehen. Damit ist die eigentliche Beschreibung abgeschlossen, und das Gedicht nimmt eine andere Wendung.185 Ich nütze den Anlaß, um die bisher registrierten räumlichen Elemente zu rekapitulieren. Da ist zunächst die ein Koordinatensystem um das Monument aufspannende Vierergruppe Templum Divi Iuli – Basilica Iulia – Basilica Paulli (Aemilia) – Templum Divi Vespasiani und Aedes Concordiae, die in der Tat die realen Gegebenheiten des Forums zutreffend ­ omitians umreißt.186 Es folgen der Vestatempel und der Palatin als Ziel für D Blick, der Castortempel als Nachbar (53: ab aede propinqua) sowie im folgenden der Lacus Curtius ebenfalls als benachbarte Lokalität (Verse 66–83: vgl. u. 105–110). Hinzu tritt noch das Caesarforum mit seinem Figurenschmuck und dem Venustempel (84–90): also eine Vielzahl wesentlicher Bauwerke des Forumsbereiches. Fragt man umgekehrt, was fehlt, so ist die Liste relativ kurz: Auf dem Forum der Saturntempel, die Curia, die Bögen für Augustus an den Seiten des Caesartempels sowie eventuell einer des Tiberius nahe dem Saturntempel, die Por­ ticus Gaii et Lucii Caesaris, die aber wohl in der allgemeinen Wahrnehmung der Zeit nur als Teil der Basilica Aemilia begriffen wurde, ferner die Rostra, das 184 Diese aus Themistius’ Aristoteleskommentar stammende, die Funktion des mensch­ lichen Gedächtnisses als Schatzkammer von Wahrnehmungsinhalten, die zur Schaffung geistiger Bilder gleichsam aktiviert werden, umschreibende Formulierung verdanke ich Schirren (2009), 132: vgl. dort. Die Imagination des dem Leser des Gedichtes möglicherweise (noch) unbekannten Reiterstandbildes hingegen fiele unter den verschobenen φαντασίαBegriff, wie er bei Philostrat begegnet, etwa im Sinn von ›schöpferische Einbildungskraft‹: vgl. Primavesi-Giuliani (2012), 51 f. 185 Zur Beschreibung des Monuments vgl. auch Taisne (1994), 283. 186 Leberl (2004), 152: »… die einzelnen Gebäude … werden nur in ihrer räumlichen Relation zum Reisterstandbild geschildert.«

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präto­rische tribunal, das Heiligtum der Venus Cloacina und einige noch geringfügigere Elemente; in der näheren Umgebung der hinter der Basilica Iulia dzt. noch nicht ergrabene Tempel des Augustus,187 ferner das Augustusforum, das ­Templum Pacis188 und das zum Zeitpunkt der Errichtung des Equus sicherlich schon projektierte Forum Transitorium,189 außerdem das über dem Forum sichtbare Kapitol mit dem Jupitertempel. Einige dieser Punkte aber können als indirekt präsent gewertet werden: Augustus selbst wird in Vers 23 erwähnt, sein Forum zwar nirgends, doch immerhin Mars in 18–21 als Vergleichspunkt für Domitian; was insoferne bemerkenswert ist, als Mars innerhalb des Pomeriums streng genommen nicht am Platz ist, mit der einen Ausnahme des Mars Ultor-Tempels auf dem Augustusforum;190 die massive Betonung der pax, welche ­Domitians kriegerischen Habitus positiv ergänzt, kann eine Assoziation zu Vespasians Templum Pacis auslösen; und schließlich mag man bei der wichtigen Rolle, die Minerva in der ersten Hälfte des Gedichtes spielt, sowohl an das Atrium Minervae neben der Curia191 als auch an den Minervatempel des F ­ orum Tran­ sitorium denken,192 sodaß im Gedicht Verbindungen auch zu den Aus­sagen der 187 Richardson (1992), 45 f.: »… one of the thorniest problems in all of the topography of ancient Rome« – mit Auflistung der relevanten Stellen; vgl. Köb (2000), 114–119. 188 Zu diesem Bau vgl. zur Erstinformation insbesondere die im selben Sammelband zusammengefaßten Aufsätze von Tucci (2009), Gaggiotti (2009), Fogagnolo-Mocchegiani Carpano (2009) und Meneghini-Corsaro-Pinna Caboni (2009). 189 Immerhin erwähnt schon Mart. 1, 2, 8, also ein Gedicht des üblicherweise auf ca. das Jahr 86 datierten ersten zur Serie gezählten Buches, das Palladium forum, was Wissowa (1921), 291, in der nach wie vor grundlegenden Untersuchung zur Chronologie des Martial und des Statius bereits mit einer langen, doch keineswegs ungewöhnlich langen Bauzeit dieses Forums erklärt; vgl. auch u. I, Anm. 624 zu einer Planänderung am Forum Transitorium, die als Hinweis auf eine längere, möglicherweise sogar zwischenzeitlich unterbrochene Prozedur verstanden werden kann. 190 Zu diesem vgl. den älteren Forschungs- und Rekonstruktionsstand bei Anderson (1984), 65–100; Bauer (1987) und (1988), passim; Ganzert (2000), passim; die neuen, starke Veränderungen mit sich bringenden Grabungsergebnisse bei La Rocca (2001), 184–195 sowie Rizzo (2001), passim; zum in domitianischer Zeit erneuerten Kultbild des Mars Ultor vgl. Martin (1988), 255 f. mit Abb. 151; vgl. u. I, bei Anm. 406. 191 Dazu vgl. Torelli (2004). 192 Zu diesem Bauwerk vgl. Bauer (1988b); Darwall-Smith (1996), 115–120; La Rocca (1998), 4–10. Es sei darauf hingewiesen, daß nach den Ergebnissen La Roccas der Minervatempel des domitianischen Forum Transitorium ursprünglich an dessen anderem, zur Basi­ lica Aemilia weisenden Ende geplant, doch nie über die vom domitianischen Pflaster schon überdeckten Fundamente hinaus gebaut und offenbar spiegelbildlich an den zu diesem Zweck bedeutend verengten Nordosteingang des Forums an die Innenseite der Porticus ab­ sidata versetzt wurde: vgl. u. I, Anm. 624. Im Text von silv. 1, 1 wurde also zum Zeitpunkt von dessen Verfassung möglicherweise noch auf den ersten Minervatempel Bezug genommen, in weiterer Folge auf Rezipientenseite aber wohl, und mit gleicher Berechtigung, auf den tatsächlich fertiggebauten. Glücklicherweise entstehen durch diese Verschiebung keine interpretatorisch relevanten Diskrepanzen, man bleibt bei Domitians neuem Forum und dessen Position im Bezugsgeflecht der Kaiserforen.

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bis dahin gebauten oder geplanten Kaiserfora angelegt scheinen; hinzu kommt noch ein mögliches weiteres Minervaheiligtum unmittelbar neben oder hinter dem Augustustempel, das man versuchsweise mit S. Maria Antiqua identifiziert hat. Dieser Saalbau liegt, zufällig oder nicht, mit dem Minervatempel des Forum Transitorium einigermaßen in einer Flucht,193 woraus sich eine baulich realisierte ›Einspannung‹ des Forums zwischen zwei Minerva geweihte Eckpunkte ergäbe. Sicherer für die Interpretation von silv. 1, 1 aber ist folgendes: Von den am Forum Romanum gelegenen Baulichkeiten werden mit Ausnahme des Saturntempels (dazu u. 133) nur solche nicht erwähnt, die entweder signifikant zweitrangig (wie das Heiligtum der Venus Cloacina), oder nicht primär kultisch konnotiert sind (Curia, Rostra, Tribunal, Ehrenbögen).194 Bestätigt wird das durch die Gegenprobe: Alle erwähnten Gebäude sind entweder Tempel (Divus Iulius, Divus Vespasianus, Concordia; Castor) oder nach ›in den Himmel aufgenommenen‹ Personen benannte Bauten, die Basilica Iulia,195 deren zwischenzeitliche Benennung nach Gaius und Lucius Caesar sich à la longue nicht durchgesetzt hatte,196 evidentermaßen, die Basilica Aemilia, wenn man damit rechnet, daß ihre (gängige) Bezeichnung als Basilica Paulli nicht so sehr Assoziationen zum tatsächlichen Urheber dieses Namens wecken mußte, jenem relativ unwichtigen L. Aemilius Paullus, der die von seinen Vorfahren errichtete Basilika Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. unter finanzieller Hilfe Caesars renovieren ließ und in seiner recht passiven Verwicklung in die römischen Bürgerkriege das Bild eines Politamateurs zeigt,197 sondern wahrscheinlich für die Mehrzahl der Pas 193 Krause (1987), 786. 194 Zur Curia ist freilich zu bedenken, daß die Spannungen zwischen Domitian und dem Senat in den 90er Jahren so sehr zugenommen hatten, daß eine In-Bezug-Setzung von Equus und Curia einigermaßen schwierig sein mußte. Doch immerhin erscheinen im Gedicht (99) ausdrücklich Volk und Senat als Errichter des Denkmals – da fällt es denn doch auf, wenn die Curia fast ostentativ fehlt. Sakralrechtlich gesehen ist die Curia zwar ein templum, aber keine aedes, also nicht Wohnstätte einer konkreten Gottheit. Das wird in der Folge zu berücksichtigen sein. 195 Es mag nichts weiter als ein sonderbarer Zufall sein, daß die Bezeichnung der Basilica Iulia in Vers 29 als Iulia tecta (so im Codex Matritensis und in allen modernen Editionen) sich in manchen Handschriften in der Form Iulia templa findet. War hier der Interpreta­ tionsdruck des Textes stark genug, eine solche Veränderung zu bewirken (erst recht neben re­ gia, einem ähnlich hyperbolischen Ausdruck für eine Basilika)? Vgl. die Diskussion bei Hand (1817), 75–77. 196 Hinweise zu diesem Punkt verdanke ich einem Vortrag von Reinhard Wolters in Salzburg, März 2013. 197 Vgl. Reinhard Förtsch, Basilica Aemilia, in: DNP 2 (Stuttgart – Weimar 1997), 469 f.; Richardson (1992), 54–56; Gros (2001), 276f; Shackleton Bailey (2003), 32 f., Anm. 9 glaubt gar an einen Irrtum des Dichters. Dieser aber stand m. E. unter Zugzwang. Wollte er das Domi­ tiansmonument sakral-topographisch verankern, dann bildete die Nordostseite des Forums eine Lücke im System, während die gegenüberliegende Front mit dem Castortempel und der Basilica Iulia gleich zwei Monumente aufwies, die mit Göttern in Verbindung standen: Denn die an der Front der Basilica Aemilia entlanglaufenden kleinen sacella konnten doch schwer-

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santen auf dem Forum auf den gleichnamigen bekanntesten Vertreter derselben gens, den Sieger von Pydna L. Aemilius Paullus, verwies, der in der Basilika wahrscheinlich inschriftlich und möglicherweise auch in bildlicher Darstellung vertreten war und dessen himmlische Weiterexistenz durch Ciceros Som­ nium Scipionis hinlänglich verankert sein mußte.198 Der Text weist darauf auch hin: belligeri sublimis regia Pauli (30) ist, auch wenn regia technisch gesehen Lehnübersetzung für βασιλική sein kann,199 für eine allgemein bekannte Mehrzweck-Basilika ein recht volltönender, für das Monument eines in den Himmel der guten Staatsmänner Aufgenommenen aber ein passender Ausdruck, noch dazu wenn dieser als belliger bezeichnet wird, was zum Aemilius Paullus der Zeit Ciceros nur sehr schlecht paßt.200 Ferner konnten die nahezu die gesamte forumsseitige Länge der Basilika bzw. der ihr vorgelagerten Porticus begleitenden kleinen sacella, mochten sie zum Teil  auch von geringer Bedeutung sein, ohne weiteres dazu beitragen, der hinter ihnen aufragenden Basilika gleichsam eine sakrale Aura zu verleihen.201 Ich halte also fest, daß silv. 1, 1 sich bemüht,202 die Lage des Domitiansmonuments auf dem aktualen Forum Romanum in einer Weise zu interpretieren, daß daraus eine Positionierung im sakralen Raum des Forums resultiert: Das Forum wird gleichsam prägnant, es erhält eine religiöse Dimension; oder anders ausgedrückt: Die vorhandenen sakralen Elemente des Forumsraumes, die architektonischen Ausprägungen der ganz wesentlich räumlich orientierten römilich mit dominierenden Bauwerken wie dem Caesartempel oder der Basilica Iulia auf eine Stufe gestellt werden, mochte unter ihnen sich auch der Janusbogen befinden (dazu vgl. u. 213–216). Es blieb also nur die ›Divinisierung‹ der Basilica Aemilia. 198 Cic. rep. 6, 14–16. Hülsen (1902), 262 f. stellt die Reste eines ziemlich sicher auf den Sieger von Pydna zu beziehenden Elogiums aus der Basilica Aemila vor (CIL I2, p. 341; cf. ebd. p. 194) und möchte es aufgrund der Abmessungen eher zu einem Clipeus oder einer Büste als zu einer Statue stellen; er selbst zieht dabei die Verbindung zu silv. 1, 1, 30 belligeri subli­ mis regia Paulli. Reste marmorner clipei aus der Basilika wiederum verzeichnet Lipps (2011), ­151–156, ohne aber darüber zu spekulieren, welchem Zweck sie gedient haben könnten. 199 ThlL 7, 1767, 75, führt zwar regia als Synonym für basilica im Sinne von Bauwerken wie jenen am Forum Romanum an, doch ohne Belegstelle. Am nächsten kommen Suet. Aug. 31 undd Ascon. Scaur. pag. 27, 6sq. (Clark), wo jeweils unter der Bezeichnung regia theatri ein Baukörper im Komplex des Pompeiustheaters erscheint. Wie weit Statius’ Diktion von der Nähe der Basilica Aemilia zur Regia bzw. dem alten Atrium regium gefärbt ist, lasse ich dahingestellt; Freyberger (2012), 49–51, hebt in diesem Zusammenhang hervor, daß gerade die gens Aemilia sich auf Numa Pompilius zurückführte, den halbmythischen Stifter der römischen Religion und eben auch der Regia. 200 Honoris causa sei darauf hingewiesen, daß bereits Polizian in seinem Kommentar (vgl. Poliziano [1978] ad loc.) sich an dem Attribut belliger stieß, obwohl er im Vergleich zu modernen Interpreten noch nahezu keine Kenntnisse über das Forum Romanum oder römische Prosopographie und Chronologie besaß. 201 Zu diesen sacella, unter denen sich neben dem Heiligtum der Venus Cloacina immerhin auch der Ianus geminus befunden haben dürfte, vgl. u. I, Anm. 623. 202 Henderseon (2003), 239: »Statius’ dogged annexation of statue to location …«

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schen Religion,203 werden hervorgehoben und zum privilegierten Schlüssel für die Interpretation des neuerrichteten Denkmals in seiner Mitte gemacht. Daran schließt sich logisch die Frage, welche Rolle Domitian als das Zentrum dieses Sakralraumes spielt: Auch er kann nur ein Gott sein – welcher, bleibt noch näher zu untersuchen, doch jedenfalls in seinem Standbild ein numen praesens, wie er ja auch im Staat als Quelle von Herrschaft und Recht göttliche Mittelpunktfunktion hat.204

e) silv. 1, 1, 61–83 So wird er auch im Text sogleich bezeichnet. Mit Vers 61 springt das Gedicht unvermutet vom beschreibenden in den narrativen Gestus: ›Es gab keine Verzögerung: Die Anwesenheit des Gottes (62: forma dei praesens, mit praesens als potentiellem Zeugma – nach der vorangegangenen Einordnung des Equus in die Sakraltopogeraphie des Forums ist das keine Überraschung, sondern das Aussprechen einer logischen Konsequenz, zumal Domitian schon in 58 en passant als genius bezeichnet wurde)205 beflügelt die Arbeiter (61: iuvat, der Kaiser ist also ein numen iucundum – explizit als numen bezeichnet wird er in Vers 75), die Gerüste ächzen, und vom Getöse der Arbeiten hallen die sieben Hügel wider.‹ (61–65).206 Erstmals wird damit Handlung geschildert und das zuvor recht 203 Helgeland (1980), 1292: »As in prophetic and Christian religion the leitmotif was time, so in Roman religion it was space. Obviously, in either case one cannot live purely in time or space; but here the question is not whether either was exclusive but which one predominated.« Die Dominanz der räumlichen Komponente in der römischen Religiosität erklärt Helgeland im folgenden plausibel zur Grundlage des christlichen Heiligen- und Reliquienkultes. 204 Leberl (2004), 159; ebd. 161 die Verbindung zur inschriftlich unter Domitian bezeugten Vorstellung der Salus Augusta publica populi Romani Quiritium, die den Kaiser zum Heilsquell für den Staat, zu seinem alleinigen Mittler zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre macht. 205 Sauter (1934), 51, weist darauf hin, daß die ausdrückliche Bezeichnung Domitians als deus nur an dieser Stelle in den Silvae erscheine; der Stelle ist allerdings jedenfalls 4, 3, 128sq. en hic est deus, hunc iubet beatis / pro se Iuppiter imperare terris hinzuzufügen (hic est entspricht inhaltlich genau praesens), auch wenn dort die Sibylle als Sprecherin die Unmittelbarkeit der Aussage relativiert. Als ἐπιϕανέστατος αὐτοκράτωρ erscheint Domitian auch auf einer Inschrift aus Delphi: Dittenberger, Sylloge inscriptionum Graecarum, Leipzig 31915–1924, 821E; McCrum-Woodhead (1966), 463e. 206 Zum Echomotiv in 64sq., das in silv. 4, 3, 61–66 in genauer Strukturparallele wiederkehren wird, vgl. Taisne (1994), 25 f.; zu iuvat (61) ebd., 102; zum numen des Kaisers vgl. Sauter (1934), 47. Wasserstein (1951), 78, zweifelt in Vers 64 die Emendation culmina Martis für das überlieferte und nach Vers 59 gestaltete culmina montis an, weil nach septem ein Begriff wie culmina sich dem Schreiber aufgedrängt haben müsse und dieses Wort daher ebenso aus Vers 59 rühre wie montis. Das ist zwar logisch korrekt, doch fragt sich, was anderes nach septem denn gestanden sein sollte als eben ein Ausdruck für ›Hügel‹, jedenfalls wenn der beschriebene Lärm das Stadtgebiet von Rom und nicht etwa (beispielsweise)  alle sieben

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starre Bild der Denkmalsbeschreibung belebt, zugleich auf die Eingangsverse mit ihrer Frage nach der Entstehung des Monuments geantwortet.207 Die Handlung ruft auch sogleich eine Reaktion hervor, wenn auch in leichter zeitlicher Kontraktion verschiedener Phasen, der Errichtung des Monuments und seines vollendeten Dastehens:208 Um nachzusehen, was der Lärm bedeutet, taucht aus dem kaum zehn Meter entfernten Lacus Curtius dessen eponymer Heros M. Curtius auf, der sich einst als Opfer und Inbegriff des Besten, das Rom zu bieten hat, in den dadurch wieder geschlossenen Erdspalt stürzte (66–83).209 Der Szenentyp an sich, das plötzliche Auftreten einer Gottheit oder eines lokalen Heros, der eine direkte Rede an einen neu an den Platz der Erscheinung gekommenen Helden hält, ist gut episch, insbesondere vergilisch;210 die Wahl des Sprechers eine technisch raffinierte, da Curtius, am Lacus Curtius selbst ja im Relief dargestellt, in der als Bild aufgefaßten Situation des Forums prinzipiell die gleiche Rolle spielt, wie so manche Fluß- oder Quellgötter oder anderweitige Landschaftspersonifikationen auf Gemälden des späten Hellenismus: Bildliches Mittel zur Lokalisierung der eigentlich dargestellten Szenen und zugleich ins Bild gesetzter Betrachter, also Vermittlungsinstanz zum menschlichen Betrachter.211 Statius wird in silv. 4, 3 genau gleich verfahren, wenn er eine Reihe personifizierter landschaftlicher Entitäten der Handlung staunend zusehen, eine Planetensphären erfüllen sollte. Erwägenswert wäre höchstens der alte Vorschlag septem per culmina multus / it fragor): Hand (1817), 111 (wo in Anlehnung an silv. 4, 3, 62 auch noch longus it fragor in Rechnung gezogen wird). Doch es scheint mir, daß die culmina eher eines weiteren Attributs bedürfen als fragor: also Martis. 207 Rühl (2006), 319, Anm. 95, weist zu dieser Stelle mit Recht auf das öfters zu beobachtende Faible des Statius für technische Errungenschaften hin: vgl. u. I, bei Anm. 851. 208 Anders Stange (1887), 5, der aus diesen Versen schließen will, daß zum Zeitpunkt des Geschehens im Gedicht die Substruktionen des Denkmals noch nicht vollendet waren: keine angenehme Vorstellung für ein tonnenschweres Bronzemonument. 209 Liv. 7, 6, 1–6; Val. Max. 5, 6, 2; Plin. nat. 15, 78; Prop. 3, 11, 61; zwei weitere Curtii wurden in der Sage ebenfalls für den Lacus Curtius herangezogen, ein Sabiner namens Mettius Curtius aus den Kämpfen des Romulus rund um den Raub der Sabinerinnen (Liv. 1, 12; 7, 6, 5), ferner ein schattenhafter Konsul des Jahres 445, der ein Blitzmal an dieser Stelle einfriedete; alle drei bei Varro ling. 5, 148–150. Daß Statius sich ausschließlich auf Marcus Curtius bezieht, geht aus der gesamten Stelle eindeutig hervor. Vgl. Geyssen (1996), 104 f. (der aber irrig von »Manlius Curtius« spricht); Ahl (1984), 97 f. mit Anm. 51; Newlands (2002), 62, wo mir die rein theoretische Möglichkeit der beiden anderen Identifizierungen interpretatorisch zu sehr belastet erscheint. – Zu Lage und Gestaltung des Lacus Curtius vgl. Giuliani-Verduchi (1987), 105–116; Coarelli (2000), 85 f.; Köb (2000), 27–30. Auf die Fiktion des Gewässers, aus welchem Curtius emportaucht, obwohl in flavischer Zeit der lacus diesem Bild gar nicht mehr entsprach, weist bereits Hand (1817), 120, hin. – Sauter (1934), 47 u. 160, präzisiert die Erscheinung zu dem »Genius des Lacus Curtius«, ohne weiteres zulässig (wenngleich nicht unbedingt notwendig) angesichts von Statius’ saloppem Gebrauch der Termini genius (58), deus (62) und numen (75) jeweils für Domitian. 210 Taisne (1994), 195 f. 211 Vgl. von Hesberg (1988), bes. 355–359.

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von ihnen aber, den Flußgott Vulturnus, sich beleben und eine Festrede halten läßt.212 Die konkrete Erscheinung in silv. 1, 1 freilich trägt kaum verkennbar ironisierte Züge:213 Schon sacrata vorago (66) ist eine auffällige Junktur, das Haupt des Curtius (69sq.: horrida sancto ora situ), selbst wenn man situs nicht, wie Frederick Ahl, mit ›Moder, Zerfall‹ übersetzt,214 immerhin reichlich un­ gepflegt (horrida), vor allem aber erschrickt er vor dem riesenhaften Gehabe und dem Glanz des maior equus (72)215 und taucht zur Sicherheit gleich dreimal zitternd (73: trepidans) wieder unter, ehe er den Kaiser erkennt und laetus (73) zu sprechen beginnt:216 ›Sei gegrüßt, du Sproß und Vater großer Götter, Gottheit, von der ich schon aus der Ferne gehört! Jetzt erst ist mir mein Sumpf ehrwürdig, da ich dich und deinen unsterblichen Glanz aus der Nähe betrachten darf, du allgemeiner Friedensbringer. Ich selbst habe Rom nur einmal gerettet, du aber hast vier große Kriege beendet.217 Hättest du zu meiner Zeit gelebt, hättest du dich in den Abgrund gestürzt, während ich zurückgetreten wäre,218 doch Roma wäre dir in die Zügel gefallen!‹ (Paraphrase etwas gekürzt).

212 Vgl. u. I, bei Anm. 875. 213 Anders freilich Cordes (2014a), 353; vgl. auch Römer (1994), 103 f., der an der Erscheinung des Curtius keine komischen Elemente findet, allerdings in Reaktion auf Ahl (1984), 97–99, der seinerseits bloß alberne Witze auf Kosten Domitians erkennen wollte; letzteres weist Römer mit Recht zurück. Vgl. auch Newlands (2002), 61, die Curtius als humorvolle Einlage und als schäbig-veralterten Kontrastpunkt zur glanzvollen Gegenwart Domitians sieht; ähnlich Coleman (1999), 67, die Curtius als »timid and over-awed« bzw. »markedly unheroic« (ebd., 68) beschreibt und zu dem pointierten Schluß gelangt: »reality dwarfs myth.« (ebd. 69). Vgl. zum Gegensatz alt-neu auch u. bei Anm. 886. 214 Ahl (1984), 97. 215 Bei einer Sockellänge von über 12 Metern ist anzunehmen, daß Domitians Pferd überlebensgroß war. Zugleich war am Lacus Curtius vermutlich ein Relief des M. Curtius angebracht, das diesen zu Pferd zeigte, und zwar deutlich unterlebensgroß: Es wurde Mitte des 16.  Jhdts. mitten auf dem Forum gefunden, heute befindet es sich im Palazzo dei Conser­ vatori, Inv. Nr. 826; Inschrift: CIL VI , 1468; Datierung wohl in augusteische Zeit; eine Kopie ist derzeit an Ort und Stelle zu sehen; vgl. Giuliani-Verduchi (1987), 115 f. mit Abb. 157 f. Es spricht meine Erachtens nichts dagegen, in maioris equi in erster Instanz einen simplen Vergleich des Equus Domitiani mit diesem nächstliegenden Pferd auf dem Forum zu sehen; vgl. u. I, Anm. 218. 216 Ahl (1984), 97 deutet das Verhalten des Curtius als dreimaliges »re-enacting« seines einstigen Sprunges in den Abgrund: Keineswegs unmöglich, wenngleich der Text diese Pointe nicht sonderlich zu betonen scheint.  – Zum Motiv der Furcht angesichts des Gött­ lichen vgl. im Zusammenhang Sauter (1934), 160 und 164. 217 Vgl. Leberl (2004), 148 f. 218 Das oft diskutierte me non audente wird zumeist als Äquivalent zu einem Konditionalsatz verstanden, entweder als Realis / Potentialis (Geyssen [1996], 105) oder als Irrealis (Vollmer [1898], 228). Letzteres ist jedenfalls unnötig, denn das auffallend ängstliche Verhalten des Curtius in silv. 1, 1 ließe es ohne weiteres denkbar erscheinen, daß er sich im Rückblick über seinen seinerzeitigen Heldenmut wundert, erst recht im Selbstvergleich mit dem großen Reiter, dem eine solche Handlung viel eher zuzutrauen wäre: Die Möglichkeit, daß

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Dieses Kompliment des Curtius ist, wie auch Römer indirekt zugibt, einigermaßen gesucht, um nicht zu sagen: knapp am Rande der Beleidigung angesiedelt, denn die geringfügige Um- und Weiterformulierung des Gedankens, daß in der ›guten alten Zeit‹ Domitians Platz im Erdloch gewesen wäre, liegt nun wirklich nahe, jedenfalls wenn man annimmt, daß im römischen Diskurs des späten ersten Jahrhunderts eine ironische Sicht auf Helden der eigenen Frühzeit wie eben Marcus Curtius gang und gäbe oder zumindest möglich war.219 Und er soll auch naheliegen, abgesehen davon, daß sehr fraglich Curtius einstens zurückgeschreckt wäre, kann also durchaus als real gesehen werden. Übrigens paßt sie zu der o. Anm. 215 erwähnten Reliefdarstellung des Curtius, die ein in die Knie gehendes Pferd zeigt, eine Haltung, die man ebensogut als Zurückschrecken vor dem symbolisch durch einige Schilfhalme angedeuteten Abgrund-lacus interpretieren kann wie als Kräftesammeln vor dem eigentlichen Sprung; der viel erhabenere Gestus von Roß und Reiter des Equus Domitiani boten an sich schon einen heftigen Kontrast zu jener Darstellung des Curtius. Doch hat Vollmer (ebd.) zweifellos recht, wenn er me non audente gar nicht in erster Linie auf Curtius’ hypothetische Furcht vor dem Abgrund, sondern auf seine Scheu, sich vor Domitian zu drängen, bezieht. Nach Liv. 7, 6 konnte der Erdspalt auf dem Forum sich nur schließen und zugleich dem Staat Ewigkeit garantiert werden, wenn man darin etwas von dem versenkte, worin Roms Stärkte am meisten begründet lag: Eodem anno, seu motu ter­ rae seu qua vi alia, forum medium ferme specu vasto conlapsum in immensam altitudinem di­ citur; neque eam voraginem coniectu terrae, cum pro se quisque gereret, expleri potuisse, pri­ usquam deum monitu quaeri coeptum quo plurimum populus Romanus posset; id enim illi loco dicandum vates canebant, si rem publicam Romanam perpetuam esse vellent. Hätte nun Domitian zu Curtius’ Zeit gelebt, wäre zwangsläufig er die beste Verkörperung kraftvollen Römertums gewesen, und Curtius hätte es bei aller eigenen Bereitschaft zum Opfertod nicht gewagt, ihm diesen Rang streitig zu machen. Das aber führt auf eine andere grammatika­ lische Deutung, die bereits Stange (1887), 11, vorgeschlagen hat, nämlich me non audente als Äquivalent zu einem cum ego non ausus essem zu verstehen, d. h. ›Wenn du zu meiner Zeit gelebt hättest, wärest du gesprungen, während ich dir jedenfalls den Vortritt gelassen hätte.‹ – Das me non suadente, das Wasserstein (1951), 81 f., vorsichtig vorschlägt, bringt hingegen keine eindeutige Verbesserung. 219 Römer (1994), 104. Ahls (1984, 99) Interpretation des Metrums, das in Vers 83 flotte Daktylen bietet und damit das Eingreifen der Roma konterkariere, ist freilich völlig willkürlich: Ebensogut könnte man in der Rasanz des Verses das rasche Eingreifen der Roma widergespiegelt sehen. – Nur ein Hinweis, wie vorsichtig man mit der Annahme von habitueller Ironisierung altrömischer Heroen umgehen sollte, sei gestattet: Als Gianlorenzo Berninis Reiterstatue Ludwigs XIV. 1685 in Versailles eintraf, mißfiel sie so sehr, daß François Girardon den Auftrag erhielt, sie durch Beifügung von Flammen unter dem Roß und durch leichte Umarbeitungen am Kopf des Reiters zu einem Standbild des Marcus Curtius zu machen: vgl Berger (1981), 239–241. Notabene: Der Auftrag kam vom König, der sich offenbar nicht im geringsten daran störte, daß nun sein weiterhin wenig entfremdetes Abbild drauf und dran war, sich in einen Abgrund zu stürzen (wenn Berger, ebd. 246, vermerkt, die Intention der Adaptation des Standbildes sei gewesen »to assure  a conceptual distancing of the revides statue from its original identity«, unterschätzt er m. E. den von ihm selbst mehrfach hervorgehobenen Umstand, daß Berninis Werk vor seiner Umarbeitung fast zwanzig Jahre lang an prominenten Plätzen im Park von Versailles gestanden war und jedermann es als Darstellung des Königs kannte.

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ist, ob für Statius die alte Zeit eine gute gewesen sein muß  – in silv.  1, 6, 39 i nunc, saecula compara, vetustas! beispielsweise äußert er sich in gegenteiligem Sinn. Hier nun aber zeigt sich die eingangs umrissene Sprechhaltung der Panegy­rik, Stimmen aus dem Volk zu Wort kommen und auf ihre eigene ›unhöfische‹ Weise den Kaiser preisen zu lassen, noch um eine Stufe verstärkt, passend zur Abstufung auch der Sprecher von silv. 1, 1. Der Vertreter der ›guten alten Zeit‹ ist ja selbst einigermaßen grotesk, sein Kompliment entspricht der ­Eleganz seines Auftretens. Man ist versucht, eine Linie von Bemerkungen des Horaz im Augustusbrief über die ehrwürdigen, gleichwohl völlig überholten Ruditäten der frühen römischen Literatur (Hor. epist. 2, 1, 34–89) hierherzuziehen und auf Wendungen wie cinctuti Cethegi (Hor. ars 50) zu verweisen, die einen ähnlich spöttischen Umgang mit dem alten Römertum offenbaren – und das in augusteischer Zeit; die domitianische, vom Archaismus des zweiten Jahrhunderts noch wenig berührt, pflegte wohl einen noch distanzierteren Umgang mit derlei von sanctus situs gezeichneten Elementen. Vor allem aber signalisiert der Autor im Text von silv. 1, 1 selbst seine Entgeisterung über das entgleiste Kompliment des ungepflegten Alten: Als würde ein Reporter dem Befragten das Mikrophon schleunigst aus der Hand reißen, übernimmt er ohne Markierung des Sprecherwechsels selbst wieder Sprecherfunktion und wechselt ebenso hastig das Thema (84–90), wie Roma soeben (83) Domitian hypothetisch in die Zügel gefallen war.220 Er wechselt dabei auch räumlich: Der seitlich hinter dem Equus erschienene Reiter hat sich verbal vergaloppiert, also schwenkt Statius auf das auf dem Caesarforum befindliche Reiterstandbild als Vergleich.221 Die komische Zeichnung des Curtius ist übrigens kein Einzelfall. Vier solche eingelegten Reden erscheinen in den fünf panegyrischen Gedichten (silv. 1, 1: Curtius; 4, 1: Janus; 4, 3: Vulturnus und Sibylla), und es fällt auf, daß ihre Sprecher allesamt vergleichsweise niedrigrangige Figuren sind – immerhin scheut sich Statius andernorts in den Silvae nicht davor, Venus, Apoll, Diana oder

220 Daß der Sprecherwechsel bei 83/84 erfolgt, legen die Formen traderis (85), explo­ res (88), quis rudis (89) nahe, die alle aus dem Mund des Curtius einigermaßen unpassend klängen. Außerdem wird bis zum Gedichtschluß, der aber eindeutig nicht von ­Curtius gesprochen sein kann, keine weitere Stelle mehr eine Möglichkeit zum Sprecherwechsel bieten. 221 Cordes (2014b), 302–306, kommt zu einer etwas anderen Deutung der Curtiusrede: Selbst das republikanische Rom hätte Domitian nicht opfern wollen, hätte sich also seine Herrschaft als princeps gewünscht. Diese Deutung ist ohne weiteres möglich, scheint mir aber dem Unernst der Curtiuszeichnung in silv.  1, 1 nicht genügend Rechnung zu tragen. Ist es undenkbar, daß Statius die immerhin riskante Formulierung in zwei Richtungen pane­ gyrisch funktionsfähig hielt, einmal gegenüber Lesern, welche die humoristische Seite seiner Darstellung in den Blick nahmen, einmal (im Sinne Cordes’) gegen solche, die das nicht taten?

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Hercules zu Wort kommen zu lassen.222 Dazu kommt noch, daß auch die anderen panegyrischen Sprecher ihre sonderbaren Eigenarten aufweisen: Janus, der wegen seiner zwei Gesichter den Kaiser zweistimmig preist, was an so manche mit augenzwinkerndem Todernst bis zur Lächerlichkeit durchgerechnete göttliche Sonderbarkeit bei Ovid erinnert;223 der regulierte Flußgott Vulturnus, der sich für sein früheres ungestümes Verhalten geniert und sich nun endlich als ordentlicher Fluß fühlt, sich also ganz höflich fürs Zivilisiertwerden bedankt (4, 3, 72–94: übrigens eine strenge Motivparallele zum nunc mea felix, nunc veneranda palus des Curtius in silv. 1, 1, 75sq., und ebenso zur möglichen Inschrift auf dem Sockel des Equus maximus, derzufolge die Donau sanfter fließt, solange der mit Domitian identifizierbare Sprecher siegreich waltet: vgl. u. I, Anm. 315),224 oder die Sibylla, die kopfrollend die neueröffnete Straße entlangtaumelt und damit doch einen heftigen Gegensatz sowohl zum (textimmanent) hinzuzudenkenden Eröffnungskomitee als auch zum erwarteten Ziel­ publikum der neuen Straße bildet (4, 3, 114–163). Man gewinnt den Eindruck, daß, während sonst Gottheiten in den Silvae, wie Bright richtig bemerkt,225 gern im besten Sonntagsstaat auftreten, Domitians Anwesenheit in einem Gedicht einen gegenteiligen Effekt hat. Der Grund kann nur darin liegen, daß Domitian selbst ja ein Gott ist, und zwar ein mächtiger: entsprechend groß die Distanz zwischen einem Curtius oder Vulturnus und ihm.226 Distanz aber als Garant für Distinktion (was einer Tautologie nahekommt) ist eines der zentralen Elemente der Panegyrik des Statius (vgl. u. 75). Um sie herauszustreichen, läßt 222 Eine Auflistung aller eingelegten Reden in den Silvae gibt van Dam (1984), 507 f.; vgl. Taisne (1994), 194; Newlands (2002), 60, Anm. 50; wichtig ferner Coleman (1999), bes. 67–70 und 79 f. 223 Vessey (1986), 2800. 224 Coleman (1999), 69: Nicht der altehrwürdige Lacus Curtius verleiht dem neuen Denkmal durch seine Nähe Dignität, sondern umgekehrt. Domitian führt also die vorliegende römische Geschichte also zur Vollendung und verleiht ihr dadurch einen ›Mehrwert‹, ganz wie in christlicher Deutung das neue Testament das alte zurechtrückt und vollendet. 225 Bright (1980), 18: »… mythological divinities in full parade uniform«. 226 Geyssen (1996), 108, weist umgekehrt auf die Distanz zwischen diesen sprechenden Gottheiten und dem Dichter hin: die Wahl dieser Sprecher steigere die Autorität des Ge­ sagten. Technisch gesehen mag das stimmen, ist aber nicht der springende Punkt: Erstens ist es nach wie vor der Autor, der seine Sprecher auftreten und sprechen läßt, wie auch der römischen Leserschaft bewußt ist: nicht umsonst würde man den entsprechenden Vorgang in normalem Latein mit Statius Curtium loquentem facit beschreiben, Statius also zur wirklich handelnden und damit entscheidungsbefugten Instanz machen. Und zweitens wäre die Autoritätssteigerung doch umso größer, je autoritativer die gewählte Sprechergottheit an sich ist; doch ausgerechnet in den panegyrischen Gedichten der Silvae treten eben sonderbar zweitrangige Potenzen auf; einzige, diese Regel erst recht bestätigende Ausnahme: der Auftritt der Venus in silv. 3, 4, 32–45, wo aber nicht Domitian im Zentrum steht, sondern Earinus. Davon unbeschadet bleibt aber Geyssens grundsätzlich richtige Feststellung, die Rede des Curtius attestiere Domitian auch einen consensus temporum, eine Sympathiebekundung aller Zeiten (ebd., 109); vgl. die Auflistung bei Coleman (1988), 65.

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der Dichter vermenschlicht-niedrige Gottheiten oder, wie die Sibylla, eine den Göttern nahestehende, gleichwohl ein wenig absonderliche Person auftreten und sich in die Reihen der menschlichen Sprecher eingliedern.227

f) silv. 1, 1, 84–90 Das Gedicht fährt in der schon erwähnten etwas plötzlichen Weise mit einem Vergleich des Equus Domitiani mit der Reiterstatue Caesars auf dem Iulier­forum fort,228 die dort ebenso en face zum Tempel der Venus Genetrix stand wie das Domitiansmonument zum Caesartempel:229 eine Art monumentaler Stafettenlauf also, blickte doch Domitian als Reiter auf den Tempel des Begründers der römischen Monarchie230 wie dieser selbst als Reiter auf den Tempel seiner Ahnherrin, der Aeneadum genetrix.231 Die beiden Denkmäler unmittelbar aufeinandertreffen zu lassen ging freilich nicht an, doch ist immerhin interessant, daß die Symmetrieachse der beiden einander den Rücken zukehrenden Reiter – Caesar blickte nach Westnordwest, Domitian nach Ostsüdost – das von Domitian konzipierte und weitgehend auch errichtete Forum Transitorium ist: Wer beispiels 227 Taisne (1994), 284, nimmt freilich an, Curtius’ Erscheinung sei lediglich der räum­ lichen Nachbarschaft von Domitiansmonument und Lacus Curtius geschuldet; ähnlich Geyssen (1996), 108. Doch räumliche Nähe wäre mindestens ebenso gut zu den Dioskuren des Kastortempels, oder zum Caesar des Templum Divi Iuli und der Basilica Iulia gegeben gewesen – beides doch auch im poetologischen Sinn näherliegende Sprecher, um Domitian zu preisend anzusprechen, im Falle Caesars und seines Tempels sogar Aug in Aug, statt, wie im Falle des Curtius, von schräg rechts hinten. Bloßen Vollständigkeitsdrang, unterschiedslos möglichst alle göttlichen Potenzen des Forums zu versammeln, wird man angesichts anderer Absenzen (Venus Cloacina, Ianus geminus, Fons Iuturnae – um nur einige zu nennen) auch nicht als Ursache vermuten. Die Frage nach jener Qualität des Curtius, die ihn als Sprecher besonders geeignet erscheinen ließ, muß also gestellt werden. Und die Antwort kann nur in seiner Eignung als Vergleichsfigur – er ist immerhin selbst ein Reiter; vgl. o. I, Anm. 215 – mit komischem Potential (was ihn von Caesar oder den Dioskuren unterscheidet) liegen. 228 Das in Vers 84 überlieferte qui contra per transpositionem zu contra qui zu verändern, mag geschmäcklerisch erscheinen. Doch es besteht angesichts des notorisch schlecht überlieferten Textes der Silvae m. E. kein Grund, einen so offenkundigen und zugleich so leicht zu verbessernden Verstoß gegen die Gepflogenheiten klassischer und nachklassischer hexa­ metrischer Dichtung stehenzulassen. 229 Vgl. Lahusen (1983), 22 mit Anm.  139, der zwischen dem Alexander-Caesar-Monu­ ment des Lysipp und einer Bronzenachbildung von Caesars Streitroß ebenfalls auf dem Caesarforum unterscheidet; die dafür heranzuziehenden Stellen gesammelt bei Gaymann (1898), 10 f.; weitere Literatur bei Bergemann (1990), 160, Anm. 229. 230 Vgl. Leberl (2004), 154. Kaum zwanzig Jahre nach Domitian wird Sueton die Reihe seiner Kaiserviten mit Caesar eröffnen – um nur ein Beispiel für die ohne weiteres mögliche Hinzurechnung Caesars zur Kaiserreihe in der Sicht der Zeit um 100 n. Chr. zu geben. 231 Klodt (1998), 33; Leberl (2004), 152 und, zur Gegenüberstellung von Flaviern und Iuliern, 154. Zu einfach scheint es sich m. E. Dewar (2008), 72 f., zu machen, der hier mit einer einfachen Kontrastierung von kriegerischem Caesar und friedlichem Domitian rechnet.

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weise von der Porticus absidata im Nordosten her dieses durchschritt, konnte zunächst rechts einen Blick auf das Caesarmonument vor dem Venustempel auf dem von Domitian gründlich renovierten Caesarforum werfen,232 dann ein kleines Stück weitergehen und nach Betreten des Forum Romanum links mit Caesar­ tempel und Equus Domitiani die Gegenkonstellation vorfinden. Dieses Element des Durchschreitens und zugleich Durchdenkens, wozu der Rezipient (des Gedichtes, doch letztlich auch des Forums) durch ut viderit ­ambos (89) ja geradezu aufgefordert wird,233 halte ich übrigens für wesentlich: Das Forum Romanum und seine Umgebung, traditionellen und relativ unregelmäßigen Baulinien folgend (das alte Forum ist trapezförmig, die Gruppe der Kaiserforen liegt schräg dazu und ist in sich vor allem ein Konglomerat von­ einander unabhängiger, in sich selbst beschlossener Anlagen, von denen just Domitians Forum Transitorium als einziges den Versuch macht, Bezüge unter ihnen und darüber hinaus mit der städtischen Umgebung herzustellen,234 usw.), waren kaum dazu geeignet, durch übergreifende geometrisch definierte Achsen, insbesondere durch Sichtachsen akzentuiert zu werden, wie auf vogelperspektivischen Plänen basierende Stadtplanungen der Neuzeit es zu tun pflegen. Einzig die Meta sudans,235 als Brunnenbauwerk immerhin prominent genug, um auf Münzen zu erscheinen,236 setzte man neben dem Flavischen Amphi 232 Anderson (1984), 54–60. 233 Abstrakter könnte man formulieren, daß der imaginierende Rezipient seines Gedichtes bzw. der physische Rezipient des aktualen römischen Stadtzentrums dazu aufgefordert wird, aus der Vielzahl möglicher Bewegungs-, d. h. im narratologischen Sinn auch: Handlungsabläufe einen bestimmten herauszugreifen und zur Grundlage seines Verständnisses zu machen: vgl. Knoop-Rödl (2007), 84–86 und 138. Lediglich die Reihenfolge der berührten Punkte (zuerst das Caesarmonument oder zuerst das des Domitian?) bleibt offen: Dies entspricht, um wiederum im narratologischen Erklärungsrahmen zu bleiben, der Diskrepanz zwischen ›story‹ und ›plot‹, macht aber für den m. E. vom Text nahegelegten panegyrischen Bedeutungskern keinen Unterschied. 234 Zanker (1987), 485 f. – Zum Forum Transitorium alias Nervaforum vgl. zur ersten Einführung Köb (2000), 269–281; Knell (2004), 147–154; Darwall-Smith (1996), 115–124; zusammenfassend auch v. Blanckenhagen (1954) und Sablayrolles (1994), 127–130; zur geringeren, obschon vorhandenen, Bedeutung gebauter Durchblicksszenarien in der Monumentalarchitektur gerade von Forumsanlagen gegenüber der Privatarchitektur des römischen Hauses vgl. Drerup (195), 171–174. 235 Vgl. Coarelli (2009), 433–435. 236 Abb. bei Price-Trell (1977), 62, Nr. 112; vgl. ebd. 60, Abb. 110, und 67, Fig. 110; Gros (2001), 474 läßt das Bauwerk zwar aufgrund von Grabungsergebnissen erst domitianisch sein, weist aber zugleich auf die unter Titus geprägte Münze hin: Die logische Unmöglichkeit wird wohl durch eine Lockerung der archäologischen Datierung zu beheben sein, es sei denn, der Brunnen wäre beim Brand des Jahres 80 beschädigt und sogleich in prinzipiell gleicher Form wiedererrichtet worden. Was die Brunnenfunktion angeht, ist auf die u. Anm. 480 erwähnte Anlage im Bereich des Hauses der Malteserritter hinzuweisen, ferner auf die in der forma urbis eingezeichneten rechteckigen Strukturen auf dem Areal des Paxtempels, die durch neue Grabungen als Wasserbecken identifiziert werden konnten (Luschin [2010], 112; Me-

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theater am Fuße des zum Titusbogen hinaufführenden Abhangs genau in einer Flucht mit jenem praktisch zeitgleichen Monument. Damit schuf man einen extra schlanken, hohen Blickfang am Ende der ohne diesen eher unspektakulär schief auf das Kolosseum zulaufenden Verlängerung der Via Sacra, woraus auf der kurzen Strecke von gut 150 Metern und auf einem Abschnitt der konventionellen Triumphroute immerhin etwas wie eine ›flavische Achse‹ resultierte.237 Das Forum Romanum indes bot ganz andersartige Voraussetzungen für die Herstellung einer solchen Achse: So simpel die Konstellation am Südostabhang der Velia war, wo man letztlich nur ein gerades Straßenstück mit einem B ­ ogen am höchsten Punkt und einem Brunnen am tiefsten zu konzipieren hatte, so komplex war das Forum mit seinen unregelmäßigen Formen, gewachsenen Strukturen und seine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Bedeutungsträgern. neghini [2015], 54 f.), und auf ein jüngst entdecktes apsidales Nymphäum aus domitianischer Zeit im Zwickel zwischen Basilica Aemilia und der Südwestmauer des Templum Pacis (vgl. Meneghini [2015], 54): Offenbar bemühten sich die Flavier unter anderem auch darum, das römische Stadtzentrum mit Wasserspielen verschiedenster Formen angenehmer zu gestalten. Man kann in dieser eher der breiten Volksmenge als der römischen Elite zugutekommenden Maßnahme eine Tendenz erkennen, wie sie Knoop-Rödl (2007), 416, an dem wenig jüngeren Trajansforum im markanten Unterschied zum Augustusforum erkennen, die Zielorientierung kaiserlicher Architektur an breiteren Bevölkerungsschichten. Zugleich sind Brunnen wie die Meta sudans auch wesentliche Punkte zur Gliederung des städtischen Raumes, als monumentale Bedeutungsträger ebenso wie als angenehme Orte, an denen man sich während des Erschreitens dieses Raumes vorübergehend aufhalten kann. Das Rom der Flavierzeit wurde diesbezüglich also – durch kaiserliche Euergesie – gleichsam verdichtet; vgl. Mac Donald (1986), 99. Von Interesse wäre angesichts der Häufung von Brunnenanlagen, ob unter den Flaviern oder konkreter Domitian das fließende Wasser als solches evt. eine besondere (symbolische) Rolle in der Selbstdarstellung der Kaiser spielte, so wie unter Augustus bestimmte Pflanzen und allgemein das Einbeziehen der Pflanzenwelt in der Herrscherrepräsentation leitmotivische Verwendung fanden: Dazu vgl. Kellum (1994). Die Rolle des Garanten der luxuriösen Wasserversorgung nahm der Kaiser ja jedenfalls ein, und es muß kein Zufall sein, wenn mit Frontinus’ De aquaeductu (mag es auch knapp nach Domitians Ermordung erst entstanden sein) und reichlichen Erwähnungen etwa bei Martial (inklusive seiner und Statius’ Bemühungen um private Wasseranschlüsse bzw., was wichtiger ist, deren Publikmachung) just in flavischer Zeit die Wasserversorgung literarisch viel präsenter ist als in den Generationen davor oder danach. 237 Diese durch die Meta sudans prononcierte Achse bildete sicherlich auch ein weiteres flavisches Gegengewicht zur nach wie vor dominierenden Präsenz neronischer Bauten im Raum zwischen Kolosseum und Forum Romanum, zumal sie in ihrem Verlauf genau einer ›Verkehrsachse‹ von Neros Domus aurea folgte, der flavischen Neudeutung also besonders bedurfte: vgl. Panella (1996), Abb.  152; wichtig auch Panellas (ebd., 27–30 mit Abb.  7–11) Ausführungen, daß die Meta sudans über einem abgerissenen Trakt des neronischen Palastes errichtet wurde, der seinerseits einen Sakralbereich mit enger Verbindung zum julischclaudischen Haus überdeckt hatte. Vgl. zur topographischen Situation beispielsweise Panella (2011), 26; Dewar (2008), 68 zur ideologischen Stellung des Titusbogens; außerdem vgl. o. I, Anm. 157 (fin.) zum flavischen Tempel neben der Meta sudans, der übrigens möglicherweise an die Kulttradition des julisch-claudischen Heiligtums angeknüpft haben könnte; ferner vgl. Thomas (2004), 35.

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Dort eine Sichtachse zu errichten wäre wohl nur unter Zerstörung einiger dieser Bedeutungsträger möglich gewesen, vor allem aber gar nicht nötig: Denn Architektur wird, wie ich u. 168–178 noch näher ausführen werde, nicht in erster Linie visuell von einem bestimmten Punkt aus wahrgenommen, sondern im Zuge von Bewegung durch den durch sie gebildeten Raum.238 In diesem Sinne ist die gerade skizzierte Kaiserforenachse eine Schreit- und nicht in erster Linie eine Blickachse, und für die Sinneswahrnehmungen und die daraus ableitbaren Interpretationen einer so sich bewegenden und nicht von einem Punkt aus betrachtenden Wahrnehmungsinstanz ist es, um wieder zum Gegenstand der Untersuchung zurückzukehren, weniger von Belang, daß Kaiserforen und Forum Romanum um ca. 15° zueinander gedreht liegen und damit rechtwinklig-axiale Linienführungen torpedieren, als daß beim Durchschreiten von Transitorium und Argiletum sich zunächst rechts, dann links einander entsprechende monumentale Konstellationen fanden, die ein Geflecht wechselseitiger Bezüge ermöglichten. Eine denkbare Interpretation: Auf dem Forum Iulium steht das Standbild eines Gott-Herrschers (und zwar eines nicht gänzlich unumstrittenen, wenn man den Caesardiskurs des ersten nachchristlichen Jahrhunderts verfolgt)239 vor dem Tempel einer Gottheit. Auf dem Forum Romanum steht also, spiegelbildlich dazu, vor dem Tempel eben jenes GottHerrschers das Standbild einer unumstrittenen Gottheit.240 Und eben das ist Domitian im silv. 1, 1 ja auch. Daß der Reiter des Domitiansmonuments nicht bloß auf das Templum divi Iuli zielt, sondern auch auf die Lorbeerbüsche oder -bäumchen, von denen dieses dem archäologischen Befund nach umgeben war, 238 Entsprechend ist auch die Bedeutung der ›flavischen Achse‹ von Meta sudans und Titusbogen zu relativieren: Als Sichtachse ergab sie schließlich nicht viel mehr als einen netten vedutenhaften Anblick, wenn man von oben her die Meta durch die Öffnung des Titusbogens gerahmt, oder von unten her den Titusbogen hinter der Meta aufragen sah. Nur wenn man vom Tal zwischen Palatin und Caelius her den Weg der Triumphzüge e n t l a n g s c h r i t t (also sich bewegte), erhielt die Meta über die optische Funktion hinaus auch eine Bedeutung, insofern sie nach den zuvor passierten metae des Circus maximus und nach dem dortigen Titusbogen (vgl. Hölscher [2009], 50) nun den Punkt betonte, an welchem man nach links auf die Velia hinauf abzubiegen hatte. Mit anderen Worten: Ich bin der Überzeugung, daß die Meta sudans auch dann an ihrem Ort errichtet worden wäre, wenn die Straße zwischen ihr und dem Titusbogen auf der Velia in Schlangenlinien verliefe und keine Sichtachse ergäbe. 239 Zur Sicht Caesars in der frühen Kaiserzeit vgl. Marks (2010). 240 Noch dazu trägt Domitian in der Hand eine Minervastatuette, ähnelt bildtypologisch also dem aus Troja fliehenden und nach Italien gelangenden Aeneas, der zwar als Statuengruppe (und mit Anchises auf dem Arm, nicht mit dem Palladium) auf dem Augustusforum zu sehen war, auf dem Caesarforum aber immerhin als das mythische missing link zwischen der Venus Genetrix des Tempels und ihrem Abkömmling Caesar auf dem Platz davor präsent ist, jedenfalls wenn man der julisch-augusteischen Selbstdarstellung folgt: vgl. Zanker (1997), 204–213; zur Aeneasgruppe des Augustusforums als Erstinformation nützlich: de la BarreraTrillmich (1996); ferner o. bei Anm. 163. Zur Terminologie von templum Pacis und forum Pacis vgl. Anderson (1984), 110 f.

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ist dabei eine Zusatzpointe, die der Text gar nicht nahelegt, die zur Deutung des Standbildes auf dem aktualen Forum aber leicht herhalten konnte, einmal vorausgesetzt, die besagten Gewächse waren in domitianischer Zeit nicht gerade verdorrt oder vernachlässigt.241 Man könnte davon ausgehend fragen, wie weit diese interpretatorische Diagonale Caesarforum  – Osthälfte des Forum Romanum mit ihren tenden­ziell kriegerischen Monumenten nicht von einer zweiten, friedlicheren gekreuzt wurde, deren Pole der Paxtempel des vespasianischen Quasi-Forums242 sowie der Concordia- und Vespasiantempel der Westhälfte des Forum Romanum waren, mit dem schmalen Forum Transitorium als Symmetrieachse und dem von Domitian vielleicht am Südwestende dieses Forums errichteten Ianus Quadri­ frons als Kreuzungspunkt,243 freilich nicht im geometrischen Sinn und auf dem Stadtplan, doch für das Begriffsvermögen eines diesen Raum durchschreitenden Menschen (was wohl mehr interessieren dürfte).244 Mir ist keine antike Nachricht bekannt, die eine so weitgreifende Konzeption bezeugte, doch die Art, wie Statius in silv. 1, 1 Verbindungslinien erst innerhalb des Forum ­Romanum, dann über dieses hinausgreifend zieht, läßt es plausibel erscheinen, daß eine solche Form der Interpretation städtebaulicher Gegebenheiten im Diskurs der flavischen Zeit nicht bloß möglich, sondern sogar üblich war. Immerhin: Daß Bildprogramm und Architektur innerhalb einzelner Fora komplizierten Bezugs­ systemen folgten, kann als erwiesen gelten;245 auch daß der Vespasiantempel auf dem Forum Romanum für sich genommen ein Gegenstück zum Caesartempel am anderen Ende des Platzes bildete und damit schon vor Errichtung des Equus 241 Vgl. Kellum (1994), 213 (mit Literaturhinweisen). 242 Er wird als einziger in silv. 1, 1 nicht erwähnt, erscheint aber immerhin in 4, 1, 13 und 4, 3, 17. 243 Vgl. u. I, Anm. 624. 244 Entfernt Ähnliches deutet bereits Dewar (2008), 67, an, wenn er das Templum Pacis und das Forum Transitorium zu einer Art von flavischem Architekturcluster zusammenfaßt, der pax symbolisiere. Freilich scheint mir damit die Bedeutung des Forum Transitorium (dessen Bezeichnung, mag sie vielleicht auch nicht die ursprünglich intendierte sein, ich für gut gewählt halte) zu einseitig gesehen, denn es ergänzt nicht bloß den Paxtempel, sondern verbindet ihn mit anderen architektonischen Strukturen, die gleichwertig in die Interpretation einzubeziehen sind. 245 Vgl. Zanker (1968), 21 f. und passim. Speziell hingewiesen sei auf das Forum Roma­ num, dem Augustus nicht bloß durch den Tempel des Divus Iulius mit den beiden seitlichen Bögen im Lauf der Zeit einen betont einen ›julischen‹ Abschluß zur Velia hin gab, sondern auf dem auch der Concordiatempel mit seiner breit ausladenden Cella – deren über den ›Mittel­ risaliten‹ vorstehende Wände sogar durch große Fensteröffnungen durchbrochen waren  – ein optisches Gegenstück zum Divus-Iulius-Tempel und jenen Bögen darstellen konnte: Unbeschadet der strengen Geometrie zeigt sich schon unter Augustus also eine Tendenz zum Aufbau eines Bezugssystems, das auf optischer Ebene mehr oder minder variiert wieder­ kehrende Elemente anbietet, aus deren Zusammenschau sodann auf inhaltlicher Ebene ein interpretatorischer Gewinn gezogen werden kann. Diese Hinweise verdanke ich einem Vortrag Reinhard Wolters’ in Salzburg, März 2013.

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maximus eine flavische Neuinterpretation des Forumsraumes anregte, ist evident und paßt zu Domitians Versuchen, das museal erstarrende, für politische bzw. gesellschaftliche Diskurse längst nicht mehr übermäßig wichtige alte Fo­ rum Romanum neu zu akzentuieren und wiederzubeleben.246 Das allgemeine städtebauliche Programm Domitians aber, das mit dem Forum Transitorium ein starkes Signal zur Zusammen(be)ziehung der bereits vorhandenen Kaiserforen setzte,247 also den Versuch unternahm, »narrativen Raum nachträglich an die Interessen der Öffentlichkeit anzupassen«,248 scheint durchaus dazu ge­eignet, weitgehende Neudeutungen der gewohnten Forumsumgebung zwangsläufig nahegelegt zu haben.249 Daß Domitian darüber hinaus durch wohlplacierte Bauten in anderen, weniger veränderungsresistenten Stadtteilen nachgerade ein interpretatorisches Netz im flavischen Sinn über die ganze Stadt legte, ist hinlänglich bekannt und läßt den Schluß zu, daß auch eine intensivierte und flavierzentrierte Interpretierbarkeit des alten Stadt­zentrums jedenfalls in seinem Interesse lag.250 Übrigens besteht m. E. Grund zur Annahme, daß sein Nachfolger Trajan ihm wie in so vielem auch darin mindestens teilweise folgte.251 246 Vgl. Muth (2010), 487 und 490. 247 Gänzlich außer Betracht lasse ich die wohl schon unter Domitian begonnenen Arbeiten im Bereich des späteren Trajansforums, die zwangsläufig einen mindestens teilweisen Abriß des ans Caesarforum grenzenden alten Atrium Libertatis und eine Verlegung von dessen reicher Skulpturenausstattung mit sich bringen mußten (vgl. Richardson [1992], 41): Statius’ Text bietet wie auch die übrigen ›einschlägigen‹ Gedichte der Silvae keinen Hinweis auf dieses Bauprojekt, und Anfang der 90er Jahre kann es sich, wenn überhaupt schon in Angriff genommen, gerade erst im Stadium der Terrainsäuberung und Hügelabtragung (dazu vgl. die Schnittzeichnung bei Meneghini [2007], 22) befunden haben, bot also höchstens einen noch nicht sinnvoll interpretierbaren (und sehr staubigen) Leerraum; vgl. Anderson (1984), 21–26; Packer (2003), 176 f. Immerhin aber verschwand mit dem Atrium Libertatis ein nicht-kaiserliches Monument aus der unmittelbaren Umgebung der Kaiserfora, das Stadtzentrum wurde also gleichsam kompakt-kaiserlicher (vgl. Newlands [2002], 92): Insofern paßt das Fehlen jeder Anspielung auf diesen ehrwürdigen Baukomplex jedenfalls zu Statius’ Sicht der Dinge, ob das Atrium Libertatis nun noch stand oder nicht mehr. 248 Knoop-Rödl (2007), 445. Die beiden Autoren betrachten solches Vorgehen als Aus­ nahmeerscheinung im kaiserzeitlichen Rom, doch wird man zugeben, daß Domitians Bauprogramm im diachronen Verlauf kaiserlicher Eingriffe in die Stadt Rom seinerseits eher eine Ausnahme als die Regel darstellt. 249 Rühl (2006), 316. – Zum Vergleich zwischen Domitian und Caesar vgl. allgemein Geyssen (1996), 65–73. – Zur Frage der Achsenbildung im Bereich der Fora vgl. u. 168–178. 250 Sablayrolles (1994), 138: »… la propagande parfois lourde d’un pouvoir cherchant à quadriller l’Urbs de ses symboles installés aux points stratégiques que constituaient le P ­ alatin, le Champ de Mars, le Forum ou le Quirinal …« 251 Vgl. o. I, Anm. 247: Der Ersatz des Equus Maximus durch ein Trajansmonument hätte angesichts der etwa gleichzeitigen Errichtung des Trajansforums eine trajanische »Achse« eröffnet, deren Endpunkte die Polarität von Frieden (die Gruppe auf dem Forum Romanum) und Krieg (Trajans Reitermonument auf seinem eigenen Forum) repräsentiert und damit das von mir oben vorgeschlagene Schema zweier sich kreuzender Diagonalen, einer ›friedlichen‹ und einer ›kriegerischen‹, auf eine einzige Linie verknappt hätte.

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Der Vergleich mit dem Caesardenkmal ist noch aus einem weiteren Grund auffällig. Statius beschreibt, daß es sich dabei um ein Original des Lysipp handelte, eine Alexanderfigur, die durch Auswechselung des Kopfes zum Staunen des Nackens (87: mirata cervice) zur Caesarstatue mutierte.252 Man hat es sonderbar gefunden, daß Statius diesen Umstand erwähnt. Doch gilt zu bedenken, daß der Austausch des Alexander- durch einen Caesarkopf römischem Empfinden sicherlich keine kunsthistorische Untat bedeutete, nichts Einzigartiges war253 und auch nichts Komisches barg:254 Das Produkt des Lysipp wurde dadurch eher aufgewertet, stellte es doch nacheinander einen Großen der Geschichte, und dann einen noch Größeren dar, worüber ausgerechnt jene Körperpartie staunt (mirari, wie üblich, positiv zu verstehen), die beim Austausch des Kopfes die kritische Stelle bildete – der Hals – und für deren Gestaltung Lysipp gerade in bezug auf seine Alexanderstatuen ganz besonders gerühmt wurde: Die leicht schräge und ein wenig aufwärtsgerichtete Kopfhaltung Alexanders, die man beim Austausch des Kopfes entweder auch für Caesar beibehalten oder aber durch Umarbeitung bzw. Mitersatz des Halses normalisiert haben mußte (mirata cervice), wurde als dessen Markenzeichen von hellenistischen Herrschern gern nachgeahmt, begründete also eine Mode und war offenbar auch im kunsthistorischen Diskurs eine bekannte Größe.255 Caesar also als neuer 252 Vgl. Bergemann (1990), 160 (Nr. L 22). 253 Holz (2011), 40, stellt die Vermutung an, daß die Alexanderstatue in der großen Lysippischen Bronzegruppe, dem sog. Granikosmonument, das 146 v. Chr. durch Q. Caecilius Metellus aus Dion nach Rom gebracht und als Blickfang in seiner porticus aufgestellt wurde, einen Metelluskopf erhielt. 254 Es ist unnötig darauf hinzuweisen, mit welcher Selbstverständlichkeit gerade die Kunst der frühen römischen Kaiserzeit griechische Statuentypen mit römischen Köpfen kombinierte, sei es im Augustus von ad Gallinas (Primaporta), der recht ungeniert dem Doryphoros des Polyklet folgt, oder in dem für den modernen Betrachter (doch was heißt das schon?) ansatzweise skurrilen Standbild der (vermutlich) liberta Marcia Furnilla (Abb. bei Zanker [1979b], Abb. 4; Veyne [2009], 26), der die kapitolinische Venus Patin stand. – Etwas zu sehr gibt m. E. Newlands (2002), 66, der Verlockung nach, in der Umschaffung der Alexander- in eine Caesarstatue eine weitere Ambiguität des Gedichtes zu sehen; vgl. auch Newlands (2012), 31. 255 Zur charakteristischen Wendung des Halses bei Alexander: Plut. Alex. 4: … τὴν τε ἀνάτασιν τοῦ αὐχένος εἰς εὐώνυμου ἡσυχῆ κεκλιμένου καὶ τὴν ὑγρότητα τῶν ὀμμάτων; Plut. Alex. fort. 2 (mor. 335B): οἱ δ’ἄλλοι τὴν ἀποστροφὴν τοῦ τραχήλου καὶ τῶν ὀμμάτων τὴν διάχυσιν καὶ ὑγρότητα μιμεῖσθαι θέλοντες οὐ διεφύλαττον αὐτοῦ τὸ ἀρρενωπὸν καὶ λεοντῶδες. Besonders die letzte Stelle zeigt nicht bloß, wie sehr man gerade hinsichtlich der Kopfhaltung der Alexanderportraits Lysipp gegenüber ἄλλοι abgrenzte, sondern sie zitiert auch ein Distichon, das angeblich auf Lysipps erste Alexanderstatue gekritzelt wurde und die besagte Halsdrehung als sprechenden Gestus des Alexander gegenüber Zeus deutet. Dieser solle sich mit dem Himmel zufriedengeben, während Alexander an seiner Stelle auf Erden herrsche: Αὐδασοῦντι δ’ἔοικεν ὁ χάλκεος εἰς Δία λεύσσων, / Γᾶν ὑπ’ἐμοὶ τίθεμαι· Ζεῦ, σὺ δ’ Ὄλυμπον ἔχε.  – Den topisch schwimmenden Blick Alexanders übrigens wird Statius später für den jungen Achill reklamieren (Ach. 1, 161: niveo natat ignis in ore).

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Alexander, als Antitypos den Typos in sich begreifend, auf dem Boukephalos, der doch bekanntlich keinen anderen Reiter zu tragen gewillt war als Alexander.256 Domitians Standbild mit seinem ruhigen, militärisch abgesicherten Frieden suggerierenden Gestus übertrifft also nicht bloß das, soweit noch erkennbar, deutlich kriegerisch, aggressiver, bewegter (also eindimensional militanter) wirkende Lysippmonument,257 sondern insbesondere eine im Laufe ihrer gut vierhundertjährigen Vergangenheit additiv, kumulativ herangewachsene Super-­ Statue (zu einem ganz ähnlichen Motiv vgl. u. 121), sowohl im Vergleich der Pferde miteinander als auch im Vergleich der Reiter (90).258 Daß durch das auffällige ausus (85), das man mit dem freilich nur durch Konjektur gewonnenen ausus des Einleitungsbriefs zum ersten Buch der Silvae in Beziehung setzen kann, Statius zum Lysipp des Domitian werden kann – nur eben ein mit Worten ein Monument schaffender bzw. dem bronzenen Monument Ewigkeit verleihender, was gut zum unmittelbar nachfolgenden Abschnitt paßt –, bemerkt John Geyssen.259 Rechnet man zusammen, dann sind mit dem Cyllarus aus der Aedes Castorum (53sq.), der Erscheinung des Curtius und dem Caesarstandbild von dessen Forum nun alle irgendwie im Umkreis des Domi­ tiansmonuments verorteten oder wenigstens verortbaren Rösser, wenigstens mit 256 Ahl (1984), 99 f. denkt auch hier an subversive Kritik, einerseits weil damit signalisiert werde, daß auch der Kopf des Domitianmonuments vielleicht nicht unersetzlich sei, zum anderen weil der aktuale Domitian ein schlechterer Reiter war als der aktuale Caesar. Wie weit der im Text ausgebreitete Vergleich der beiden Standbilder aber unkontrolliert auf einen Vergleich der beiden Herrscherpersönlichkeiten ausgeweitet werden darf, ist wieder einmal sehr fraglich. Geyssen (1996), 78–81 weist diese Interpretation auch mit Recht zurück, rekurriert aber zur Erklärung des mirata cervice auf eine sonderbar verunglückte Notiz Vollmers (1898, 229), derzufolge es der Nacken des Pferdes sei, der sich über seinen neuen Reiter wundere. Das ist sprachlich zwar möglich, allerdings nur, wenn man in Vers 84 equus lediglich als ›Pferd‹ auffaßt und nicht, was aber doch der Sinn sein muß, als ›Reiterstandbild‹ – nicht umsonst trägt silv. 1, 1 den Titel Equus Domitiani; eine Aufspaltung in equos und regen­ tes bringt erst Vers 90. Außerdem entstünde, wenn man den gesamten Abschnitt nur auf die Pferde bezöge, die Gefahr, daß der Leser bei solcher Deutung von equus (84) sprachlich organisch den Kopf des Pferdes und nicht den des Reiters durch einen Caesarkopf ersetzt werden ließe (zweifellos mirata cervice); und nebenbei bemerkt bestand das ›Wagnis‹ des Lysipp (85sq.: ausus Pellaeo duci; dazu Vollmer [1898], 228) ja wohl nicht darin, Alexander die Statue eines Pferdes zu dedizieren, sondern ein Bild von Alexander (und zwar zu Pferd, aber das ist nicht der springende Punkt) anzufertigen. Vgl. auch Leberl (2004), 155. 257 Zum Aussehen jenes Standbildes vgl. Moreno (1995), 338–346. 258 Rühl (2006), 319, denkt eher an eine Überbietung des sekundärverwendeten Caesarmonuments durch das exklusiv für Domitian angefertigte analog zum Vergleich des Equus Domitiani mit dem zwei verschiedene Reiter duldenden Cyllarus in Vers 54. Mir scheint es indes sehr zweifelhaft, ob antike Betrachter das Caesarmonument tatsächlich als etwas Zweitklassiges wahrnahmen (was für Rühls Interpretation aber nötig wäre), nur weil es ein umgearbeitetes älteres Werk war: Hätte man es dann überhaupt für je Caesar aufgestellt? Vgl. auch u. bei Anm. 429. 259 Geyssen (1996), 81; 121. Leberl (2004), 153, Anm. 37 zeigt sich skeptisch.

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Ausnahme des o. Anm. 229 erwähnten, nicht mit restloser Sicherheit bezeugten reiterlosen Standbildes von Caesars Pferd auf dessen Forum, das in jeder Weise eine Ausnahme bildete, um ihn versammelt: Denn seit Augustus in seinem Bestreben, die bis dahin vielfältigen und miteinander konkurrierenden Deutungsangebote des von Bauten bzw. Denkmälern verschiedenster Privatpersonen geprägten Forumsraumes260 zugunsten einer einheitlichen Aussage im Sinne des Prinzipats verschwinden zu lassen und ältere Monumente dieser Art vom Forum kollektiv auf das Marsfeld versetzt hatte, waren höchstens einige Kleindenkmäler auf den Rostra noch übrig (o. Anm. 146), doch ohne daß deren Weiterexistenz bis in Flavische Zeit als gesichert gelten kann. In jedem Fall hätten sie als Vergleichspunkte zum monumentalen Equus Domitiani einen schweren Stand gehabt.

g) silv. 1, 1, 91–107 Diese nachfolgenden Verse (91–94) enthalten an die Sphragides der horazischen Odenbücher bzw. der ovidischen Metamorphosen angelehnte Ewigkeitstopoi, an denen nur die Erwähnung der Blitze Jupiters (91sq.) hervorgehoben sei, die ein am Gedichtbeginn (3sq.) unterschwellig angeklungenes Motiv wiederaufgreift und erkennbar die Ewigkeit des Denkmals mit der der Dichtungen des Statius verknüpft, Beschreibendes und Beschriebenes also ineinander übergehen läßt.261 Hatte Curtius in seiner Rede dem Domitiansmonument, und damit dem durch es Repräsentierten, historische Fundierung verliehen, so wird es nun zum Fixpunkt der römischen Zukunft.262 Die unmittelbare Zeitgeschichte, d. h. die durch die gens Flavia geprägte Gegenwart, kommt gleich darauf ins Spiel, wenn (94–98) nachts die verstorbenen Mitglieder der gens als Sterne vom Himmel herabsteigen und Domitian liebvoll umringen. Daß dieses einmalige Bild, mit dem der Haupteil des Gedichtes schließt (es folgen nur noch die Schlußbitten), für seine Interpretation zentral ist, wird noch zu zeigen sein. Zunächst aber ist auf das Aufgreifen des mirata cervice (87) in una locum cervix dabit omnibus astris (98) einzugehen, das zu uni serviet astro (55) nur in scheinbarem Widerspruch steht.263 So wie die Caesarstatue auf dem Iulierforum eine Caesarstatue ist, doch den weiland Alexander in sich begreift (oben habe ich das der christlichen Exegese entstammende Modell von Typos und Antitypos dafür verwendet), so ist der Domitian auf dem Forum Romanum ein eindeu­tiger Domitian, 260 Dazu vgl. Knoop-Rödl (2007), 69. 261 Geyssen (1996) 122 f.; Newlands (2002), 69 und 73; Nauta (2002), 424. 262 Geyssen (1996), 117 f. 263 Vollmer (1898) betrachtet das Bild als lächerlich, ohne dafür einen Grund anzugeben. Ahl (1984), dem mirata cervice (87) als Argument für seine two-voices-Theorie diente, bezieht 98 bezeichnenderweise nicht in seine Überlegungen ein.

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und doch umfaßt und bündelt er die gesamte gens Flavia.264 Daß zum Zeitpunkt der Entstehung des Gedichtes der Fortbestand dieser gens recht fragwürdig war und Domitian also bis dato auch den letzten seines Hauses repräsentierte, war keine ideale Startbedingung für Panegyrik, doch auch nichts, was man hätte verschweigen müssen: an anderen Stelle des Gedichtes erscheint dieser loyale Wunsch nach einem Fortbestehen des Kaiserhauses ausgedrückt (74: genitor deorum; 106sq.: tuos nepotes).265 Jedenfalls schließt die private Nachtszene der Verse 94–98 die Betrachtung des Equus wirkungsvoll ab, ohne pathetisch zu werden. Es folgen die das Gedicht beschließenden Wünsche an den Kaiser, der nun direkt angesprochen wird, nicht mehr auf dem Umweg über sein Monument. Gekoppelt damit erscheinen fiktive Reaktionen der Kunstwelt auf das nun sozusagen zur Diskussion freigegebene Monument, was gelegentlich den Eindruck unzusammenhängender Gedanken erweckt hat, auch wenn man eine Verbindung zu den das Gedicht eröffnenden Fragen nach der Entstehung des Monuments zog.266 Nicht bemerkt wurde offenbar die veränderte Sprechhaltung der Verse 99–107, in denen das Ich (resp. das Wir von 105) eine seit Gedichtbeginn getragene Maske ablegt, um darunter eine doch ein wenig andere zum Vorschein kommen zu lassen; denn der Schluß des Gedichtes ist vor allem eine direkte Rede von Stimmen des Volkes (durch den Autor gebündelt) an den Kaiser anläßlich der Präsentation seines Monuments; die Verse 1–98 hingegen erweisen sich demgegenüber nachträglich als um eine Stufe gebrochenere Sprechweise, als eine Art Impromptu über die Stimmen des Volkes. Der Autor tritt 264 Ähnlich Geyssen (1996), 96 f. 265 Dazu gut die Beobachtungen von Newlands (2002), 72, die auf die Möglichkeit anteilnehmender, loyaler Besorgnis des panegyrischen Ich gegenüber dem Gepriesenen hinweist, konkret auf die eben nicht subversiv zu deutende Sorge um den Fortbestand der Dynastie; freilich kann ich ihrer Annahme (ebd., 69), mit cervix (98) den schwächsten, verwundbarsten Punkt einer Statue bezeichnet zu sehen, weil man dort, wie im Fall des Alexander-­CaesarMonuments, deren Identität austauschen könne, nicht viel abgewinnen: Die göttlichen Verwandten des Kaisers legen sich zweifellos nicht wie das focale eines römischen Soldaten schützend um Domitians Nacken und Kehle, sondern umringen sein Haupt: der Nacken ist bloß stark genug, sie alle zu tragen (una locum cervix dabit omnibus astris). 266 Vollmer (1898), 230: »Die Gedanken reihen sich zum Schluß etwas unvermittelt an­ einander.«  – Geyssen (1996), 126, mit Verweis auf den Gedichtbeginn. Der Eindruck des mangelnden Zusammenhangs entsteht freilich auch dadurch, daß 99sq. utere perpetuum ­populi magnique senatus / munere inhaltlich den letzten drei Versen (105–107) entsprechen, mit 100–104 als potentiell störendem Einschub. Konjektural wäre dem leicht abzuhelfen, indem man anstelle des ohnehin ein wenig klotzigen utere perpetuum eher utere perpetuo ­populi magnique senatus / munere liest: perpetuo munere (›eine Gabe, die nie zurückgenommen werden wird‹) griffe die Ewigkeitsbeteuerung des Monuments aus 91–94 auf und würde glatt fortgesetzt durch die Gedanken zur Wirkung eben dieses Monuments (100–104), welche wiederum durch die Bitte um freundliche Aufnahme desselben bei Domitian selbst ­(105–107) ihren Abschluß fänden.

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damit paradoxerweise im Schlußteil eher zurück, da ja der artifizielle Charakter des Impromptus (das auch den erwähnten Lysippvergleich enthält!) den Künstler stärker durchscheinen ließ als die Schlußpartie, in der der Autor nur eine Stimme im Chor der Menge spielt. Ein ganz ähnliches Verfahren im Umgang mit der eigenen Sprecherrolle im Verhältnis zur Volksmenge wird in silv. 1, 6 zu beobachten sein. Zugleich enthält die andeutungsweise Gleichsetzung des Autors / Ich im Text mit Lysipp mög­licherweise eine pointierte poetologische Aussage, die den Schluß auch auf einer anderen Ebene verstehbar macht, sodaß die Aufforderung utere … (99) als Dedikation nicht allein des Denkmals sondern auch des vorliegenden Gedichtes (das demnach ebenfalls populi magnique senatus munus ist) verstanden werden kann. Einer (sicherlich bis zu einem gewissen Grad thanatographischtopischen, immerhin aber für ihn bezeugten) Nachricht zufolge starb Lysipp, indem er über der angestrengten, allzu konzentrierten Arbeit an den lineamenta einer projektierten Statue verhungerte.267 Nun ist Lysipp nicht zuletzt für seine Kolossalstatuen bekannt (vgl. u. 256 f.), in römischen Sammlerkreisen schätzte man aber auch erhalten gebliebene Disegnos von seiner (oder vergleich­barer) Hand, wie silv. 1, 3, 50sq. quicquid et argento primum vel in aere minori / lusit et ­enormes manus expertura colossos aus der Beschreibung des künstlerischen Inventars der Villa des Manilius Vopiscus zeigt. Dem dort mit lusit charakterisierten Vorgang entspricht auf dem Feld der Dichtung Statius’ Stegreifdichtungstopik: Doch sollte man, so scheint es, die künstlerische Qualität solcher rasch hingeworfenen Miniaturen, literarischer Disegnos, nicht unterschätzen, denn zum einen böten sie, gerade wenn der Kaiser ihr Thema ist, potentiell den Ausgangspunkt zur Schaffung von Kolossen (also wohl: Epik, Statius’ dichterisches Hauptterrain),268 zum anderen erfordern sie seitens des Künstlers unter Umständen ein Maß an Konzentration und Schaffenskraft, das über mensch­ liche Kräfte hinausgehen kann wie bei Lysipp.269 Über das Denkmal hat sich also Nacht gesenkt und es dem Blick des Lesers entzogen: Domitian selbst wird nun angesprochen und empfängt erstmals im Gedicht an ihn gerichtete Aussagen über sein Monument: Er möge sich ewig dieser Gabe des Volkes und des Senates erfreuen;270 Künstler wie Apelles

267 Petron. 88; den Hinweis verdanke ich Nadia Koch. 268 Vgl. u. III , bei Anm. 408. 269 Vgl. u. III , Anm. 214 und Anm. 390; ferner vgl. Myers (2000), 132 mit Anm. 125. 270 Daß damit die offiziellen Auftraggeber der Errichtung genannt sind, ist evident. Daß allerdings das Erscheinen der Buchstaben S  – C auf den den Equus Domitiani darstellenden Münzen einen weiteren Beleg dafür bilde, wie Geyssen (1996), 33, Anm. 24 suggeriert, ist ein Irrtum: es handelt sich lediglich um Buntmetallprägungen, die nominell der Kontrolle des Senats unterlagen; vgl. o. I, Anm. 105. Immerhin aber ist festzuhalten, daß das Motiv nicht auf Edelmetallprägungen erscheint, das von Senat und Volk gestiftete Monument

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und Phidias würden ihn malen bzw. als Statue darstellen wollen (100–102),271 Städte wie Tarent und Rhodos, die für ihre Kolossalstatuen des Zeus bzw. des Helios bekannt waren,272 würden lieber auch einen Equus Domitiani haben (102–104). Die Iuxtaposition der Motive ›Kolossalstatue‹ und ›Gemälde des Apelles‹ (die ja irgendwo ausgestellt werden müßten – vielleicht auf dem Forum Romanum in Nachbarschaft zum Equus Maximus?) stellt übrigens noch en passant einen wahrscheinlichen Bezug zum Augustusforum her, woselbst sich neben einer Kolossalstatue des Augustus ja auch zwei Gemälde ausgerechnet des Apelles, des Lieblingsmalers des Augustus, befanden:273 Es handelte sich ausgerechnet um zwei Darstellungen Alexanders des Großen, deren Gesichtern man unter Claudius die Züge des Augustus verliehen hatte. Die Parallele zum Reiterstandbild des Alexander-Caesar auf dem Caesarforum274 muß für jeden einigermaßen kundigen Betrachter der römischen Foren auf der Hand gelegen sein, und auch für den Text von silv. 1, 1 ergeben sich parallele Interpretations­linien: Mindestens die Südosthälfte des Forum Romanum wird per analogiam zu Caesar- und Augustusforum zum ›Domitiansforum‹ und macht abschließend noch dem im Text bisher weniger als das Caesarforum in den Blick gerückten Augustusforum (selbstverständlich überbietende)  Konkurrenz. Daran fügen sich die Bitten der Verse 105–107: Domitian möge auf Erden präsent bleiben und noch seine Enkel dies gerade eingeweihten Denkmal verehren sehen. Gerade aus den letzten Versen hat man auf eine Zugehörigkeit von silv. 1, 1 zur Gattung des Anathematikon geschlossen: Eine Gottheit wird gebeten, eine zu ihrer Verehrung bestimmte Statue und / oder Baulichkeit gnädig anzunehmen und in ihr auch wirklich gegenwärtig zu sein, wobei im vorliegenden Fall prima vista zugleich eine Ausweitung über das Forumsmonument hinaus auf eine unbestimmte Zahl von templa (silv. 1, 1, 105) zu Domitians Ehren erfolgt, der Kult also am Gedichtschluß von seinem den Gegenstand des Textes bildenalso auch nur auf Münzen erscheint, die (theoretisch) der Senat prägte. Zu einer ähnlichen Motiv­verteilung zwischen kaiserlichen und senatorischen Prägungen vgl. u. I, Anm. 282; zur Münzprägung Domitians allgemein vgl. auch Alexandropoulos (1994). 271 Die Textgestalt cerae (100) ist wohl die richtige, wenn man an die Technik der Enkaustikmalerei denkt: Vollmer (1898), 230. – Auf die poetologisch bedeutsame Verwendung des Wortes scribere in Vers 100 weist Marshall (2011), 332 f., hin. 272 Vollmer (1898), 231 mit Zusammenstellung der antiken Belege. Im Falle von Rhodos wäre es eine billige Pointe für Statius gewesen, darauf hinzuweisen, daß der dortige unter die Weltwunder gezählte Koloß wenig mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Errichtung bereits zusammengebrochen war, wohingegen dem Equus Domitiani in panegyrischer Selbstverständlichkeit ewige Dauer bevorsteht. Statius verzichtete auf eine Andeutung in diese Richtung, zufällig damit späterer interpretatorischer Häme ausweichend, die zweifellos bemerkt hätte, daß Domitians Standbild gerade ein Zehntel so lang aufrecht stand wie der Koloß von Rhodos. 273 Plin. nat. 35, 93sq.; vgl. o. I, Anm. 151; für den Hinweis danke ich Wolfgang Wohlmayr (Salzburg). 274 Vgl. o. 116–118.

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den Zentrum aus (idealiter: überallhin) verbreitet wird.275 Kern dieser Verbreitung aber ist das Forum, das sich schlußendlich ja selbst als templum verstehen läßt, mit dem Equus maximus als seinem Kultbild und durch dessen Errichtung nun Domitian geweiht: Ich glaube in der Tat, daß dies der eigentliche Sinn von quae tibi templa dicamus ist, im Vollsinn des nur poetisch pluralisierten Wortes templum als kultisch definierter, abgegrenzter (und mehr oder minder recht­ eckiger) Bereich. Damit erhält schließlich das Wort dicamus, das letzte Wort im Text, das etwas über die im ›Wir‹ einbegriffene Ich-Instanz prädiziert, geradezu den Charakter einer performativen Aussage: ›Erfreue dich des heiligen Bereiches, den wir dir hiermit, d. h. mittels des vorliegenden Gedichtes, weihen‹, was eben die Funktion eines Anathematikons ist. Im folgenden soll nun die Konstituierung dieses neudefinierten zentralen templum durch die Einbindung der Göttlichkeit Domitians in eine sakrale, alle ›weltlichen‹ Monumente ausblendende Topographie des Forums für sich genommen betrachtet werden.276

h) Zur Sakraltopographie des Equus maximus Der Equus und damit der in ihm repräsentierte Domitian bildet das Zentrum einer regelrechten Götterversammlung: Divus Iulius öffnet ihm willkommenheißend seine Tempeltüren und bewacht mit seiner Basilika auch die rechte Seite des Monuments, spiegelbildlich tut der durch Ciceros Somnium ­Scipionis vergöttlichte Aemilius Paullus dasselbe, von hinten blicken Concordia und Divus Vespasianus auf ihn (22–31). Er selbst wacht über die arkansten Heiligtümer der Stadt, das Feuer der Vesta und, implizit, das Palladium (32–36), und en passant gewinnt er auch noch im Vergleich mit den Dioskuren (53sq.); ferner adoriert ihn geradezu der aus seinem kleinen Ex-Abgrund herauf­gestiegene Curtius (66–83).277 Es wurde schon festgehalten, daß es sich bei all diesen Gott 275 Hardie (1983), 131. Besonders hebt Hardie das vom Sprecher ausgehend direkt epideiktische huic dono (107) hervor und weist auf templa … ipse colas (105sq.) hin, das Domitians Doppelrolle als Widmungsträger und als Einweihender oder mindestens bei der Einweihung offiziell Anwesender (silv. 1 praef.: dedicaverat opus) zum Ausdruck bringt. 276 Zum Motiv der Göttlichkeit des Kaisers in silv. 1, 1 vgl. Leberl (2004), 156–159, der aber zwischen Göttlichkeit und stellaren Motiven nicht recht trennt; eine Sammlung des Materials auch bei Scott (1933). 277 Überzogen scheint mir der Hinweis Newlands (2002), 63 (und [2012], 12), daß der ­Lacus Curtius der Ort der Ermordung Galbas war, Domitians Monument also an einem mit Bürgerkriegserinnerungen belasteten Platz stand (»The Lacus Curtius therefore was imprinted in recent memory with the stain of civil war.« (ebd.) – Erstens lag das Vierkaiserjahr über zwanzig Jahre zurück, zweitens hatte die Ermordung Galbas für die Flavier propagandistische Bedeutung, die sich schwer mit Newlands Interpretation vereinen läßt: Immerhin war Galba ohne Beteiligung Vespasians ermordet worden, der die ihm unterstellten Truppen sogar noch auf Otho und Vitellius vereidigte, ehe er Anfang Juli 69 selbst nach der Krone griff.

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heiten um vergleichsweise zweitrangige Potenzen handelt: Mochten die Dios­ kuren als Nothelfer, Vesta als Äquivalent der Hestia und Garantin für das Fortbestehen der Stadt auch noch so starke Verehrung genießen, im offiziellen Pantheon des Olymp, auch römischer Prägung, sind sie Nebenfiguren. Über sie ragt denn auch das Monument hoch empor (33: templa superfulges) und legt damit auch von seiner Seite her die Rangordnung fest, die durch die respektvolldienenden Funktionen der in ihren Gebäuden verkörperten Gottheiten (22–31) schon definiert wurden. Höherrangige Göttinnen und Götter erscheinen in einer zweiten, mehr indirekt auf Domitian bezogenen Reihe: Mars (18–21), Minerva (37–40), Venus (84sq.). Das Trio kann kein Zufall sein, sind doch die jeweils im Mittelpunkt stehenden Tempel der drei zu diesem Zeitpunkt existierenden Kaiserfora eben Mars (Augustusforum), Minerva (Forum Transitorium, zum Zeitpunkt des Gedichtes gerade im Entstehen begriffen) und Venus (Caesarforum) gewidmet; auf die Implikationen, die sich daraus für eine flavische Interpretation des römischen Stadtzentrums ergeben, wurde schon hingewiesen. Wichtig ist nun aber das Verhältnis dieser Gottheiten zu Domitian. Am einfachsten liegt der Fall bei Venus, die nur wegen des vor ihrem Tempel stehenden Caesarmonuments überhaupt Erwähnung findet und mitsamt diesem dem Equus Domitiani klar unterliegt. Mars bildet einen Vergleichspunkt zum im Feldherrngestus dahinsprengenden Kaiser, doch nicht auf gleicher Augenhöhe: zum einen werden nicht so sehr die beiden Reiter als die beiden Rösser verglichen, zum anderen macht die Beschreibung Domitians als Kriegs- und Friedensfürst in einem klar, daß Mars zum Vergleich nur der kriegerischen Seite herhalten könnte, also inkomplett und damit unterlegen ist.278 Die Ergänzung durch pax kann, wie gleichfalls schon erwähnt, das Templum Pacis topographisch einbeziehen. Schließlich Minerva, Domitians persönliche Schutzgottheit.279 Nicht weniger als drei Tempel errichtete Domitian ihr allein in Rom: Erstens jenen, der das Forum Transitorium beherrschte und auch das Programm der das ganze Damit wurde er in gewisser Weise zum Rächer Galbas, nicht nur more mathematico, sondern auch weil Domitian als Quasi-Stellvertreter seines Vaters und Prätor im Jahre 70 die Wiederherstellung der Ehren Galbas betrieb, also aktiv eine Linie von Galba zu Vespasian zog und die dazwischenliegenden Regenten ausblendete. Wenn also überhaupt eine Verbindung zwischen Equus Maximus und dem Ort der Ermordung des sechsten Princeps hergestellt werden konnte, dann mußte das Monument vor allem an die Beendigung des Bürgerkrieges der Otho-Vitellius-Zeit durch die Flavier, und gerade auch den jungen Domitian, erinnern. Vgl. Bengtson (1979), 65 f.; Tac. hist. 4, 40, 1. Kurz gesagt: Newlands überschreitet für mein Gefühl hier auf ihrer Suche nach Ambiguitäten im Text doch jene Grenze, die sie mit ihrer Forderung nach ›selective reading‹ (vgl. o. I, Anm. 48) selbst gezogen hat. 278 Domitians Doppelrolle als Kriegs- und Friedensfürst in silv.  1, 1 beschreibt Leberl (2004), 148–151. 279 Dazu ein allgemeine Übersichten bei Girard (1981) und Gering (2012), 125–127.

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Forum schmückenden Reliefs, soweit noch erkennbar, definierte;280 zweitens den der Minerva Chalcidica auf dem Marsfeld vor der Porticus Divorum, einem Vespasian und Titus geweihten Monument, woraus insgesamt ein signifikant domitianisches Ensemble resultierte, das Minerva und die göttlichen Flavier versammelte; drittens einen archäologisch unerforschten Tempel irgendwo zwischen der Aedes Castorum und dem Augustustempel, möglicherweise auch nur ein Anbau an eine schon bestehende Struktur bzw. die Umwidmung einer solchen, doch immerhin wichtig genug, um als Aufbewahrungsort für die Originale militärischer Diplomata das zuvor dafür herangezogene Kapitol zu ersetzen.281 Hinzu kommt eine ganz ungewöhnlich große Zahl von Münzprägungen, aus den ersten Regierungsjahren in den mindestens theoretisch dem Senat unterstehenden Buntmetallnominalen, ab 83 in Silber und Gold (d. h. geschlagen unter der direkten Aufsicht des Kaisers als Prägeherr), die Minerva auf dem Revers zeigen (womit übrigens Martial in 9, 3, 10 spielt, wenn er Minerva als einzige unter den Göttern noch liquid sein läßt);282 und einzelne Belege wie 280 Darwall-Smith (1996), 115–120; D’Ambra (1993), passim. Wichtig freilich der Hinweis bei Meneghini (2015), 76 f., demzufolge die früher für eine Minervadarstellung gehaltene Metope der sog. Colonacce, des letzten aufrecht stehenden Restes des Forum Transito­ rium, in Wirklichkeit die symbolische Darstellung eines unterworfenen Volkes, der Pirusti, sei. Das Bildprogramm dieses Forums wäre dann, grob gesprochen, als Verherrlichung des Wirkens der Minerva zu deuten, welchem durch die Iuxtaposition der Bilder auch die durch Unterwerfung diverser Völker erreichte pax Romana zuzuschreiben wäre. 281 Zu diesen beiden Tempeln vgl. Darwall-Smith (1996), 125–127. Der Augustustempel ist ebenfalls nur ungefähr lokalisiert: vgl. o. I, bei Anm. 187 und bei Anm. 193. 282 Morawiecki (1977), 185 und passim, mit Auflistung der einzelnen Darstellungs­t ypen und deren zeitlicher Verteilung; vgl. Darwall-Smith (1996), 127. Der Zeitpunkt des Umschwungs der Verteilung dieser Bildtypen auf Bunt- und Edelmetallprägung deckt sich nicht nur mehr oder minder mit Domitians bislang nicht recht erklärten (und vielleicht auch nicht erklärbaren) Währungsauf- und -abwertungsexperimenten der Jahre 82 und 85, die naturgemäß Anlaß zu begleitenden Neuerungen auch in der Gestaltung der Münzen geben konnten (vgl. Southern [1997], 60–62), sondern auch mit dem Mitte der Achtziger Jahre anzusetzenden Wechsel in der Politik des Kaisers von der bis dahin gepflogenen näherungsweisen Fortsetzung der Tradition Vespasians und Titus’ hin zur Ausprägung des typisch ›domitianischen‹ Regierungsstils: vgl. Jones (1992), 164. Jedenfalls erscheinen in den frühen Regierungsjahren noch gelegentlich Jupiter, genauer Jupitersymbole auf Edelmetallprägungen (BMCRE 2, Domitian 1. 8. 15. 26: Blitzbündel auf Thron, aus den Jahren 81 und 82; 49–53. 75: Adler mit Blitzbündel, aus den Jahren 81–85), Minerva auf Buntmetall (BMCRE 2, Domitian 260–264. 266. 268–270 vom Jahr 81; 271–283 vom Jahr 82), dann aber erfolgt eine strenge Trennung: Der zuvor nur einmal auf Buntmetall dargestellte Jupiter (BMCRE 2, Domitian 287 aus dem Jahr 82) wird auf die Aesprägungen beschränkt: BMCRE 294*. 327. 354. 362. 364† (Jahr 85); 373. 373*. 388* (Jahr 86); 395* (Jahr 87); 406 f. (Jahre 88/89); 439–442 (Jahre 90/91); 464. 464A (Jahre 92/94); 474 f. (Jahre 95/96). Minerva hingegen findet sich nur noch auf Edelmetall, dies aber massenhaft: vgl. die eindrucksvolle Auflistung der Typen bei Schmidt-Dick (2002) s. v. ›Minerva‹; Carradice (1983), 144, kommt zum selben Ergebnis. Der Sinn dieser Verteilung scheint mir mit Händen zu greifen: Der Senat prägt für DomitianJupiter die entsprechenden Darstellungen, Domitian hingegen, der als Jupiter nicht gut sich

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beispielsweise ein bei Historiographen bezeugtes sacellum der Minerva in ­Domitians Palast auf dem Palatin;283 ihr Erscheinen auf den sog. CancelleriaReliefs, zwei kurz vor dem zweiten Weltkrieg neben dem Hirtiusgrab entdeckten und aus unbekanntem Kontext herrührenden, nach Domitians Ermordung offenbar nur ansatzweise überarbeiteten, dann ausrangierten und dennoch zufällig erhaltengebliebenen Bildwerken;284 ferner die Dastellung Domitians auf einem nach Persien gelangten Silberspiegel mit einer palladionartigen Minerva am Halsansatz ähnlich einer Ägis;285 eine vorsichtig als Darstellung Domi­tians gedeutete Statue aus Aphroditopolis (heute im Museum von Kairo), wo der in Anlehung an einen Typus der Alexanderdarstellung präsentierte mutmaß­ liche Kaiser, sonst nackt, über dem linken Oberarm die Ägis mit dem Gorgoneion trägt;286 die Aufstellung einer legio I Minervia wohl im Jahr 83287 oder die Einführung der Quinquatria Minervae;288 schließlich der vermutlich als B ­ üste der Minerva mit Domitians Gesichtszügen zu interpretierende Kameo von St. ­Castor in Koblenz, jetzt im Pariser Cabinet des Médailles.289 Im Gedicht freilich spielt sie eine vergleichsweise untergeordnete Rolle: Sie ruht als (cum grano salis) Miniaturstatuette in dessen linker Hand und fühlt sich dort mindestens selbst adorieren kann, prägt (in Edelmetall) für seine persönliche Schutzgottheit Minerva. Immerhin kommen Mischformen vor, wenn etwa auf jährlich geprägten Standarddenaren der Jahre 83–96 Minerva mit Blitzbündel in der Hand dargestellt wird (Grundtyp: BMCRE 2, Domitian 42 vom Jahr 83); zu einem ähnlichen Typ, wo Minerva den mit Jupiters Blitz in der Rechten dargestellten Domitian bekränzt, vgl. Taeger (1960), 337, und Gering (2012), 149, 149 f. mit Anm. 57. 283 Suet. Dom. 15, 3; Cass. Dio 67, 16, 1; eine vielleicht dazu passende Darstellung auf einem Sesterz abgebildet bei Scott (1935), 71. 284 Magi (1945), mit Tav. I(sqq.) und Tav. agg. D (Rekonstruktionszeichnung); zur Auffindung der Platten ebd. 44–54 mit Fig. 43–52; Bendinelli (1949) mit Tav. Isq.; Darwall-Smith (1996), 128 und 172–177 mit Abb.  59 und 60; vgl. Hölscher (2009), 54–58; Gering (2012), 163–166. 285 Vgl. Taddei (1967); derselbe Spiegel, inzwischen ins Badische Landesmuseum Karlsruhe gelangt (Inv. 68/40), analysiert bei Radnoti-Alföldi (1976); vgl. u. II , bei Anm. 102. Zu Domitianportraits im Bereich der Glyptik und deren propagandistischen Einsatz vgl. Guiraud (1994). 286 Daltrop-Hausmann-Wegner (1966), 39 mit Taf. 23c. – Das Gorgoneion erscheint freilich auch auf den länglich-sechseckigen Schilden der sog. Trophäen des Marius, einem in domitianischer Zeit geschaffenen Paar monumentaler marmorner Tropaia, das nun den Aufgang zum römischen Kapitolsplatz ziert: vgl. Strocka (2010), Abb.  32. Die Beliebtheit bzw. Konventionalität des Motivs ließ Künstler bzw. Auftraggeber offenbar die leichte Sinnwidrigkeit in Kauf nehmen, daß das Unüberwindlichkeit signalisierende und mit dem regierenden Kaiser aufgrund von dessen Minervaverehrung noch besonders in Verbindung zu bringende Haupt der Medusa nun auf den symbolischen Schilden unterworfener Gegner prangte. 287 Cass. Dio 55, 24, 3; vgl. Bös (1958), 30. 288 Vgl. Caldelli (1993), 65. 289 Paris, Cab. Médailles 128: Guiraud (1994), 94 mit Abb. S. 98 (Nr. 15 im Katalog S. 105); Zwierlein-Diehl (1998), 83–85 mit Abb. 50a und 50b.

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so wohl, wie wenn ihr Vater selbst sie hielte (bildtypologisch kann man hier beispielsweise an die Zeusstatue von Olympia denken, die in der Rechten eine Nike trug, oder auch an die Athena Parthenos). Allein der Größenunterschied von Monument und Statuette macht bereits deutlich, wie die Rollen der beiden verteilt sind. Die wie die übrigen Aussagen im Kontext auch aus dem Munde eines oder mehrerer anonymer Betrachter gesprochen zu denkende Formulierung nec si pater ipse teneres (40) gibt aber auch einen weiterführenden Hinweis. An­ gesprochen ist klärlich Jupiter, und zwar eo ipso, nicht in Stellvertretung durch Domitian. Auf dem Forum ist Jupiter nicht präsent,290 dennoch legt die direkte Anrede gleichsam den Finger auf eine auffällige Absenz im Gedicht: das Kapitol, dessen Jupitertempel ja gut sichtbar das Forum überragte und dessen Gottheit von einem Betrachter der Minervastatuette auf Domitians linker Hand, den man sich also zwischen dem Monument und der Basilica Aemilia denken wird, ohne weiteres mit etwas erhobenem Blick angesprochen werden kann. Übrigens befindet sich der kapitolinische Jupitertempel, vom Südostbereich des Forums aus gesehen, gerade über dem Saturntempel – was Zufall sein mag, doch auch der Saturntempel fehlt im Gedicht. Zusammengefaßt erlauben diese Beobachtungen folgende Überlegungen: Daß der römische Kaiser Gott ist, und zwar speziell numen praesens, ist normal291 und findet sich bei Domitian in ganz besonders hellenistisch anmutender Manier betont, etwa auf der Inschrift seines Obelisken, der nun die Piazza Navona ziert.292 Dabei aber bleibt die persönliche Identität des Herrschers prinzipiell unberührt, mag er auch zum einen oder anderen der olympischen Götter 290 Kompliziert ist die Situation rund um den Tempel des Iupiter Stator, den man im Bereich vom clivus Palatinus bis zur Maxentiusbasilika lokalisieren wollte (vgl. u. I, Anm. 815), ehe neuerdings eine Identifikation mit dem offenkundig im Tempel des Antoninus und der Faustina (San Lorenzo in Miranda)  steckenden älteren Tempelbau versucht wurde (u. Anm. 816). In jedem Fall aber lag dieser Tempel knapp außerhalb des eigentlichen Forums im Bereich der Via sacra, von der aus man als Betrachter des Domitiansmonuments das Forum am besten betrat. Demnach befindet er sich textimmanent in einer ähnlichen Position wie der zwar weiter enfernte, doch vom Forum selbst aus besser sichtbare und prominentere kapitolinische Jupitertempel – er fehlt. 291 Dazu vgl. Clauss (1996) und (1999). Als Beispiel aus Domitians Zeit sei nur auf eine frappierende Inschrift aus Köln verwiesen, die im Schriftbild der Weihung an Iupiter Opti­ mus Maximus und den Genius des Kaisers das IOM des Gottes und das IMP des Kaisers graphisch gleich reguliert und damit aufeinander bezieht: Bös (1958), 29 und 35; skeptisch bezüglich Bös’ Schlußfolgerungen freilich Gering (2012), 124 f. 292 Dazu vgl. Darwall-Smith (1996), 145–150 (mit älterer Literatur); Newlands (2002), ­11–13; Grenier (2009). Zu Auswirkungen der damnatio memoriae auf den Inschriftenbestand und zur daraus resultierenden Unterschätzung der Bedeutung Domitians gerade für diesen Bereich der Herrscherrepräsentation selbst in moderner Literatur vgl. Pailler-Sablayrolles (1994), 43–45; das wohl krasseste Beispiel der sog. damnatio Domitians, die Dankesinschrift von Puteoli, analysiert Flower (2001).

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ein besonders Naheverhältnis pflegen, und mag auch ein prinzipieller Vergleich zwischen dem den Olymp beherrschenden Zeus und dem auf Erden herrschenden Monarchen seit jeher naheliegen und seit der Zeit des älteren S­ cipio immer wieder auch bemüht werden: Der Augustus der Wiener Gemma Augustea hat bei aller Vorsicht des Augustus gegenüber solchen Dingen bereits unverkennbar jovische Züge, und auch Darstellungen des mit Jupiters Blitzbündel aus­ gerüsteten Augustus existierten im ersten Jahrhundert nach Christus;293 Nero, von Seneca in De clementia mit Jupiter parallelisiert, läßt nicht bloß J­upiter im Laufe seiner Regierung immer häufiger auf Münzen, sondern auch sich selbst auf dem Kameo des Kölner Dreikönigsschreines als thronender ­Jupiter abbilden,294 und das Adlerszepter bildet seit Herausbildung der römischen Monarchie ein konstitutives Dingsymbol kaiserlicher Herrschaft,295 bis Trajan durch die Annahme des Titels optimus princeps sich mit dem nur scheinbar unscheinbaren optimus eine eindeutige Jupiterepiklese zulegt.296 Domitian freilich, wie aus zahlreichen unterschiedlichen Quellen bekannt ist, identifizierte sich in einer dieses gewohnte Maß wohl noch übersteigenden Weise mit Jupiter, d. h. er verstand sich als Jupiter auf Erden oder, ein nur gra­ dueller Unterschied, als vollkommener Stellvertreter Jupiters auf Erden:297 Es zeigt sich das in der Motivik seiner Münzprägungen;298 in seiner Bautätigkeit zur Wiederherstellung des kapitolinischen Jupitertempels, dem Ausbau eines Heiligtums für Iupiter Conservator und der Neuerrichtung eines Tempels für Iupiter Custos gleichfalls auf dem Kapitol299 (von weiteren gelegentlich für Do 293 Zur einer derartigen Bronzestatue des Augustus aus einem mit dem Kaiserkult in Verbindung stehenden öffentlichen Gebäude in Herculaneum vgl. Wallace-Hadrill (2012), 182 und 184 (Abb.). Vgl. auch Hor. epist. 1, 19, 43sq. Iovis auribus ista servas, wo himmlischer und irdisch-kaiserlicher Jupiter bereits überblendet erscheinen. 294 Zur Gemma Augustea: Zanker (1997), 232–239; zum Nerokameo: Zwierlein-Diehl (1998), 109–117. Im Dreikaiserjahr behält Jupiter seine Funktion als kaiserliches Identifikationselement, bis die Tendenz unter Domitian ihren Höhepunkt findet: vgl. o. I, Anm. 282. Auch Trajan knüpft ohne weiteres daran an und läßt sich etwa in Pergamon eine fast fünf Meter hohe Statue neben der gleich großen des Jupiter im gemeinsamen Tempel setzen (Clauss [1999], 309; einen literarischen Beleg zur Verbindung Trajan-Jupiter bietet e. g. Plin. paneg. 80, 4), Hadrian läßt sich wiederum auf Münzen als olympischer Zeus feiern (Metcalf [1974]), spätere Kaiser folgen in wechselnder Intensität, bis die Tetrarchie der beginnenden Spätantike noch einmal neu auf die Jupitertheologie als Stütze zurückgreift. Zu alledem vgl. Fears (1981), 44 mit Anm. 189 (Republik, Scipio); 55–66 (Augustus); 69–71 (Nero); 75 f. (Dreikaiserjahr); 77–80 (Domitian); 80–85 (Späteres); Weinstock (1971), 287–317, bes. 300–305 (bis Augustus). 295 Vgl. Panella (2011), 252–255 (mit Abb.), sowie den Aufsatz von Giacomo Pardini, ebd. 77–122, bes. 80–93 (mit Abb.). 296 Fishwick (1991), 473; Gering (2012), 357. 297 Eine Auflistung der Belege aus Statius’ Silvae bietet Scott (1933), 248. 298 Vgl. Taeger (1960), 337; Fears (1981), 78 f. zählt die einzelnen Typen auf und bietet eine kurze Interpretation. 299 Zu allen drei Bauten vgl. Arata (2009).

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mitian reklamierten Jupitertempeln, über die aber keine Sicherheit zu gewinnen ist, abgesehen);300 darüber hinaus mindestens einer ihn selbst darstellenden Statue, die er im kapitolinischen Jupitertempel aufstellen ließ, und in einer weiteren, die parhedrosartig neben der Jupiterstatue im Tempel des Iupiter ­Custos stand,301 wozu eine für das Jahr 88/89 bezeugte Eidesformel bei Jupiter und dem Genius des Domitian302 und allgemein die Bedeutung des auf die Ereignisse des Jahres 68 zurückgehenden defensor-Iovis-Motivs in Domitians Selbstdarstellung passen;303 in der Einführung des agon Capitolinus, dem Domitian selbst präsidierte, wobei seine Aufmachung keinen Zweifel an seiner Stellvertretung für die kapitolinische Trias (mit Jupiter im Zentrum: Domitians persönlicher Minervakult tritt nur ergänzend hinzu) aufkommen ließ;304 oder auch in der Umfunktionierung der sodales Flaviales zum Jupiterkult305 und der verstärkten Berücksichtigung Jupiters in den Arvalbrüderakten.306 Bei alledem und in Anbetracht weiterer literarischer Belege, die mit einem Naheverhältnis zwischen Domitian und Jupiter operieren,307 verwundert es nicht, wenn auch seine Stellung in silv. 1, 1 eine jupiterhafte ist, von den ersten Versen an, die durch Erwähnung der sonst für den höchsten Gott Blitze schmie-

300 Darwall-Smith (1996), 105–113. 301 Plin. paneg. 52; Suet. Dom. 13; Tac. hist. 3, 74; Mart. 9, 24: vgl. Lahusen (1983), 9 und 36. Mit Recht verweist Lahusen allerdings darauf, daß der bloße Umstand der Aufstellung einer Kaiserstatue in der Cella eines Tempels noch keine Besonderheit darstellte (ebd., 35–37), auch wenn gegenteiliges Verhalten einem Kaiser positiv als rühmenswerte Bescheidenheit aus­gelegt werden konnte, wie an der schon zitierten Stelle Plin. pan. 52. Verwiesen sei etwa auf die Statue, die Nero bei seinem Regierungsantritt im Mars-Ultor-Tempel errichtet bekam, neben dem und in gleicher Größe wie das Kultbild des Mars: Tac. ann. 13, 8, 1; vgl. Clauss (1999), 308; Fishwick (1991), 543 f. 302 CIL XVI , p. 146, Nr. 12: … testatus est iuratusque dixit per Iovem optimum maximum et genium sacratissimi Imperatoris Caesaris Domitiani Augusti Germanici …; vgl. Bös (1958); Caldelli (1993), 66 mit Anm. 69. 303 Domenicucci (1996), 169 f. (mit Stellenverweisen). – Die Propaganda der trajanischen Zeit bemühte sich nach Kräften, jene Vorgänge ins Lächerliche zu ziehen. 304 Suet. Dom. 4, 4; vgl. Taeger (1960), 340; Caldelli (1993), passim; Darwall-Smith (1996), 114 und 223–226. 305 Fears (1981), 78. – Eine nach wie vor nützliche Zusammenstellung von Stellen aus Statius und Martial für die Identifikation Domitians mit Jupiter gibt Sauter (1934), 54–78. Zu silv. 1, 1 wurde diese Identifikation mindestens seit Bright (1980), 43, allgemein für die Interpretation herangezogen. 306 Taeger (1960), 233 zu CIL VI , 2064 und 2066. 307 e. g.: Mart. 1, 6; 4, 1; 9, 91. Die Reihe zeigt exemplarisch eine Zunahme der Identifikation Domitians mit Jupiter über die durch Martials Epigrammpublikationen abgedeckten Jahre hinweg. Werden beide in Mart. 1, 6 noch einander kontrastierend gegenübergestellt, übertrifft Domitian in Mart. 4, 1 (das Buch scheint gegen Ende 88 publiziert worden zu sein: Moreno Soldevila [2006], 1 f.) bereits Jupiter, in Mart. 9, 91 vollends ist er meus Iuppiter; vgl. auch Mart. 9, 20 und 9, 39.

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denden Kyklopen das Jupitermotiv anklingen lassen,308 bis zum Schluß, wenn der Equus maximus die Zeusstatuen von Olympia309 und Tarent übertrifft: Das Standbild auf dem Forum repräsentiert also nicht bloß den (an sich schon göttlichen) Kaiser hienieden, es repräsentiert in einer noch viel kühneren Form von μίμησις Jupiter selbst (vgl. o. 78 f.), dessen irdische Verkörperung der Kaiser ist: Von »una totale identificazione« spricht Maria Caldelli,310 und Primus libellus sacrosanctum habet testem: sumendum enim erat a Iove principium formuliert Statius selbst in der Einleitung zum ersten Silvaebuch, was zwar für den metapoetischen Dialog zwischen Autor und Leser (im Text) auch den neuen Dichtungstyp der Silvae gleichsam von allerhöchster Stelle autorisiert,311 zunächst aber und in erster Linie eine aktive Rezeption dieses bedeutenden Elements kaiserlicher Repräsentation ist. Und mehr noch: Nach antiker Auffassung stellt das Abbild eines Gottes ja nicht bloß ein auf diesen verweisendes Zeichen dar, sondern die Gottheit ist in ihm persönlich präsent.312 Gerade Domitian operierte massiv mit dieser Vor 308 Vgl. Fears (1981), 79 mit Anm. 388: ein über Jahre hinweg vorkommender Reverstyp domitianischer Münzzprägungen zeigt den Kaiser als militärischen Sieger über die Chatti, mit einem Donnerkeil in der Hand: vgl. BMCRE 2, Domitian 345*. 362 || (S. 377). 396 ||; 410. 443. 465. 476. 309 Nach Pausan. 5, 11 waren auf Thron und Sockel des olympischen Zeus zahlreiche weitere Gottheiten abgebildet und boten dem Betrachter einen bildlichen Ansatzpunkt dafür, sich den Gott nicht bloß einsam für sich dasitzend, sondern »von seinem ganzen Göttergeschlecht umgeben«, wie Wieland es formuliert, zu imaginieren: vgl. Kreuz (2004), 86. Gerade die Differenz zwischen den kolossalen Dimensionen des Zeus und dem kleinen Format der übrigen Götter ermöglicht dabei eine bloß optionale ›Zuschaltung‹ der umgebenden Götter: Bevorzugt man eine Betrachtung des Gottes allein, drängen sie ihre Präsenz, jedenfalls auf der Ebene des Zeus, nicht auf. Das Verhältnis Domitian-Jupiters zu den ihn umgebenden Gottheiten in ihren Heiligtümern ist, der textimmanenten Bedeutungsperspektive nach, dasselbe. Daß damit über die physischen Größenverhältnisse zwischen Equus maximus und beispielsweise der Basilica Aemilia nichts ausgesagt ist, versteht sich von selbst. 310 Caldelli (1993), 65. 311 Newlands (2002), 53. Nicht folgen kann ich ihrer Deutung, wonach das auf Verg. ecl. 3, 60 und darüber hinaus auf Theocr. 17, 1 und Arat Phaen. 1 zurückführende a Iove principium (weitere Parallelen bietet Johannsen [2006], 249, Anm.  19) des Einleitungsbriefes genauer auf die ungewöhnliche, hellenistischer Dichtungsideologie entspringende Kürze des kallimacheischen Zeushymnus hinweise und sie mit der vergleichsweise geringen Länge des ersten Silvaegedichtes in Beziehung setze. Doch wieso ›vergleichsweise‹ (»a comparatively short poem« – ebd., 54)? Die Länge der übrigen Gedichte des ersten Silvaebuches, von denen immerhin 1, 5 und, wichtiger, mit 1, 6 auch der zweite panegyrische Text der Sammlung kürzer sind, hat wenig zu besagen, so verschieden sind ihre Themen von dem des ersten Gedichtes; und ein anderes Monumentalstatuenbeschreibungsgedicht, das unmittelbar zum Vergleich heranzuziehen wäre, also das Format des Epigramms überschreitet, existiert, jedenfalls in der literaturgeschichtlichen Umgebung des Statius, nicht: Walahfrid Strabos De imagine Tetrici wird man denn doch nicht mit dem Equus maximus vergleichen wollen, obwohl es in der Tat mehr als doppelt so lang ist. 312 Vgl. o. I, bei Anm. 101; weitere Literatur dazu bietet Klodt (2001), 52 f., Anm. 58.

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stellung, wenn er etwa einer durchaus glaubwürdigen Nachricht zufolge (Suet. Dom. 13, 2) für sich auf dem Kapitol Statuen nur aus Edelmetallen und von einem gewissen (wohl: Mindest-)Gewicht zuließ: Was dem modernen Leser als ein Akt der Hybris erscheinen mag, und wohl auch von manchen antiken Kritikern ähnlich gesehen wurde (Sueton zum Beispiel), ist eine logische Konsequenz aus der schon zu Lebzeiten gegebenen Göttlichkeit des Kaisers, dessen Statuen ihn, da sie mehr sind als bloße Abbilder, angemessen repräsentieren müssen – und Göttlichkeit drückt sich eben regelmäßig auch in erhöhtem Gewicht aus.313 Was für die Statuen der Götter und vergöttlichter Römer in ihren Tempeln am Forum Romanum oder in seiner Umgebung gilt, gilt auch für den Equus Maxi­ mus: Betrachtet man das irdische Personal, so ist unter ihm qua Standbild der Kaiser selbst präsent,314 umgeben von der Schar seiner römischen Untertanen, die im Gedicht ja auch vielfach zu Worte kommen und mit denen er, wenn man Paul Zankers verführerischem Versuch, einen Teil der Inschrift des Equus ma­ ximus zu identifizieren, sogar selbst in Dialog tritt.315 Doch das Forum ist auch von Gottheiten bevölkert, von den numina praesentia seiner Tempel und sonst an Götter und Vergöttlichte erinnernden Monumente: Den Mittelpunkt dieser göttlichen Bevölkerung bildet erneut der Equus, die forma dei praesens (62), d. h. das numen praesens Jupiters,316 demgegenüber sich gerade die vergleichsweise 313 Stellen zum kaiserlichen Bilderkult unter Domitian und bes. zur Präsenz des Kaisers in seinen Bildern sammelt Cancik (1965), 91 f. und 96 f. – Zum Motiv göttlichen Gewichts vgl. Barthius (1624), 89 f.; Sauter (1934), 42 f.; Taeger (1960), 348–351; Cancik (1965), 93–95; Nauta (2002), 424 f.; Klodt (2001), 53 f. Besonders plakativ Stat. Theb. 4, 802sq., wo Apoll schon als Kleinkind schwer genug ist, um, als er am Strand entlangkrabbelt, die noch im Meer treibende Insel Delos Schlagseite bekommen zu lassen. Zu bedenken ist freilich, daß ›Gewicht‹ (pondus) zumindest häufig doppeldeutig sein und nicht bloß das physische Gewicht eines Götterstandbildes, sondern zugleich dessen Bedeutungsschwere, seine Erhabenheit, sozusagen das ›gewisse Etwas‹, das ein Götterbild über eine rein menschliche Darstellung erheben soll, bezeichnet: vgl. Koch (2013), 61 f. mit Verweis auf Quint. inst. 12, 10, 7sq. 314 Es mag Zufall sein, dass die o. I, Anm.  105 erwähnte Sesterzemission den (vermutlich) Equus maximus ohne Sockel, nur auf einem wie ein Bildteiler zwischen Hauptfeld des Reverses und dem die Buchstaben S C zeigenden Abschnitt angebrachten Strich positioniert darstellt, also so, wie man auch einen Reiter auf einem graphisch angedeuteten Erdboden abbilden würde: Sollte durch die Wahl dieses Darstellungstypus die Grenze zwischen Statue und abgebildeter Person verwischt werden? Vgl. u. I, Anm. 745. 315 Zanker (2009), 82, weist auf eine derzeit unauffindbare, in Abschriften und Be­ schreibungen bei Petrarca, Pighio und Melisso aber überlieferte Inschrift in Distichen hin: … ad divortia Rheni / pervasi hostiles depopulatus agros. / Dum tibi bella foris (v.l. Roma decus) aeternaque sudo tropaea, / Hister pacatis lenior ibit aquis (CIL VI , 1207; Carm. Lat. epigr. 895). Es scheint keine wörtlichen Parallelen zwischen diesem Text und Statius’ Gedicht zu geben, die allein einen schlagenden Beweis für die Zuschreibung dieser Verse an den Equus maximus bringen könnten, aber wenn man Zankers Argumentation folgt, erhält man jedenfalls, passend zu Statius’ Interpretation, ein ungewöhnlich interaktives Monument. 316 Leberl (2004), 159, der freilich eher eine Parallelisierung als eine Identifikation Domitians mit Jupiter annimmt.

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zweitrangigen Gottheiten ebenso loyal und untertänig verhalten wie das römische Volk sich gegenüber seinem Monarchen. Mit anderen Worten: Der Raum des Forums wird gleichsam doppelstöckig, teilt sich in eine menschliche und eine göttliche Ebene, deren beider jeweiliger Mittelpunkt und zugleich Verbindungsglied der Equus Maximus ist;317 in ihm sind der Kaiser und Jupiter zugleich, je nach Betrachtungsweise, präsent, indem Kaiser und Jupiter eben zwar klar unterscheidbare Entitäten und doch eins sind, unvermischt und ungetrennt: Das Modell ähnelt in der Tat der Denkstruktur, die das Christentum des vierten und fünften Jahrhunderts zur Erklärung des Verhältnisses zwischen dem als historische Person in Raum und Zeit gestandenen Christus und dem als Gott über all dies erhabenen Gottvater finden sollte.318 Eine gewisse Reibungsfläche bleibt aber: Während das irdische Forum mit seinen Bauten nur einfach über sich hinausverweist, etwa die Aedes Castorum auf die Dioskuren selbst, verweist der Equus doppelt: als Abbild auf den Kaiser als lebendige Person, und weiter auf Jupiter. Mögen diese drei auch noch so eng in eins zu setzen sein, sie bleiben doch zumindest drei unterschiedliche Aspekte derselben Wesenheit, denen nur zwei Ebenen des Raumes gegenüberstehen; und wenn, wie später auszuführen sein wird, auch der Sternenhimmel noch ein­ zubeziehen ist, erweitert sich das Verhältnis rechnerisch auf vier zu drei: Dazu unten 145–146 mehr. Um noch im Rahmen des bisher Untersuchten zu bleiben und ihn nun auch auf Leerstellen hin zu untersuchen: Jupiter hat einen Vater, Saturn, der als Alterssitz bekanntlich Italien beherrscht und ihm eine goldene Urzeit beschert; gerade das Kapitol soll ursprünglich mons Saturnius genannt worden sein (Varro ling. 5, 42). Einer etwas eigenwilligen, indes immerhin bei Ovid ausgeführten Theorie nach trägt Latium sogar seinen Namen daher, daß Saturn sich vor Jupiter dort versteckte: dicta quoque est Latium terra latente deo (Ov. fast. 1, 238). Wenn man will, kann man also gleich im ersten Satz des Gedichtes mit seiner etwas ungewöhnlichen Bezeichnung für das Forum Romanum (Quae moles … stat Latium complexa forum?) eine zeitliche Polarität zwischen dem jüngsten Forumsmonument und den ältesten Uranfängen Latiums in saturnischer Zeit und damit zugleich ein leises Einbeziehen des expressis verbis nicht stärker betonten Saturn ins Gedicht erblicken.319 Es liegt nun nahe, den Vater Jupiters versuchsweise mit dem Vater Domi­tians zu parallelisieren, mit Vespasian: Beider Tempel liegen in der Nordwestecke 317 Richtig bemerkt auch Klodt (2001), 53, das Gedicht beziehe »von der Spannung zwischen lebendiger Gottheit und totem Material … seinen Reiz.« 318 Parallelen zwischen christlicher Religion und Kaiserreligion zu diskutieren, ist hier nicht der Platz: Es sei auf Ando (2003) verwiesen, der einen lesenswerten, auf eben diese Parallelität hinauslaufenden Überblick über die Problematik einer Religion für das gesamte Imperium gibt. 319 Den Hinweis verdanke ich Poliziano (1978), 65.

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des Forum Romanum eng beisammen, man erhält also für die Interpretation des Forums eine potentielle Opposition zwischen der Vätergeneration SaturnVespasian im Nordwesten und dem Domitian-Jupiter-Monument im Südosten. Außerdem ergibt sich als Nebeneffekt die völlige Aussparung von Vespasians Bruder Titus, dem der Vespasianstempel ja an sich gleichfalls geweiht war, denn silv. 1, 1, 31 spricht nur von pater, was Vespasian ebenso meinen kann wie Saturn, aber keinen Platz für einen Bruder läßt.320 Das in der Literatur vielleicht negativ überzeichnete, aber eventuell doch nicht ganz harmonische Verhältnis Domitians zu seinem älteren Bruder ist bekannt, und so wie Saturn im wesentlichen durch seinen jüngsten Sohn Jupiter beerbt wurde, nicht durch dessen Geschwister, verhält es sich auch im Flavischen Kaiserhaus, jedenfalls nach der Sichtweise Domitians. Doch es ergibt sich eine Reibungsfläche: Nach der gängigen Auffassung von der Herrschaft Saturns als ›guter alter Zeit‹, welche durch eine in vielen Punkten schlechtere und noch andauernde des Jupiter abgelöst wurde, liefe eine Parallelisierung Domitians mit Jupiter Gefahr, auf der Sandbank einer two-voicesTheorie zu stranden. Diese Parallelisierung war nun aber durch Domitians Selbstdarstellung vorgegeben. Die Aufgabe des Panegyrikers, die hier als Äquivalent einer Autorenabsicht logisch errechenbar ist, mußte also darin bestehen, das problematische Verhältnis zu Saturn mindestens abzuschwächen, besser noch ins Positive zu wenden. Statius schafft dies mit zwei Schritten: In silv. 1, 1 konzentriert er sich zunächst auf die in-eins-Setzung von Domitian und Jupiter, während Saturn namentlich nicht erwähnt wird; daß diese Absenz als Lücke in der sonst vollständigen Sakraltopographie des Forums trotz allem auffällig bleibt, wurde offenbar in Kauf genommen. Was blieb auch anderes übrig? Der Saturntempel des aktualen Forums war nun einmal vorhanden, mochte Statius’ Interpretation des Forumsraumes zu ihm passen oder nicht, folglich kann der Text das Heiligtum nur ausblenden und versuchen, den Leser von allzu penibler Ausübung seines Rechtes auf Ausfüllung dieser speziellen Leerstelle im Raum des Textes zurückzuhalten. Das tut er in einem zweiten Schritt. Betrachtet man die Charakterzüge, die silv. 1, 1 an Domitian als Herrscher hervorhebt, fällt vor allem einer auf, seine Milde und Friedliebe:321 mitis eques (15), placidam 320 Titus erscheint im gesamten Gedicht nur gegen Schluß in der Aufzählung göttlicher Flavier (97). Keine Erwähnung findet der Titusbogen auf der Velia, obgleich er vom Forum aus prinzipiell sichtbar war, wenn auch gerade nicht vom Platz des Equus maximus aus – da war der Caesartempel im Weg. Es entspricht diese Absenz wohl Domitians bekannt mäßiger Zuneigung zu seinem Bruder. 321 Vgl. o. I, bei Anm. 278. Leberl (2004), 154 weist richtig darauf hin, daß der Aspekt der Milde in silv. 1, 1 überdurchschnittlich stark betont wird, während er in den übrigen Domitiangedichten keine zentrale Rolle spielt (doch vgl. silv. 5, 1, 74, wo zum mitis genius domini praesentis gebetet wird!); ebd., 165 f., die Beobachtung, daß Mars in der Selbstdarstellung Domitians an sich keine große Rolle spielte, daß aber auch clementia kein vielgebrauchtes Schlagwort war. Statius operiert hier also einigermaßen selbständig. – Newlands (2002), 54 f.,

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gerentia pacem (16), mitior armis (25), vetat pugnas (37); ferner der in die gleiche Richtung gehende Vergleich mit Caesar (84–90) sowie der mitis Tarans (102sq.), der wohl, weil er mitis ist, lieber eine Kolossalstatue Domitians in seiner Stadt sähe als die dort bezeugte Statue ausgerechnet Jupiters.322 Milde Friedensherrschaft steht also nicht bloß in einem gewissen Gegensatz zum überwiegend militanten Charakter des Domitiansmonuments an sich, das Domitian ja immerhin als Feldherrn zeigte und damit seiner allgemein zu kriegerischer Motivik tendierenden Repräsentationslinie entsprach,323 sondern auch zu Jupiter, und in der Tat würde man sie weit eher mit dem goldenen Zeitalter der Herrschaft Saturns, zumal in Italien, parallelisieren wollen – es mag banal klingen, doch immerhin beherbergt der Saturntempel traditionell die Staatskasse, das aerarium, und ebenso beispielsweise die ›Urwaage‹, ein Referenzmodell für das römische Marktwesen:324 Mit dem Gott Saturn verband sich also in der Wahrnehmung des römischen Stadtraumes durch seine Bewohner zweifellos das Element des friedlichen Wohlstandes. Unausgesprochenermaßen also scheint Domitian in sich nicht nur Jupiter, dessen Opposition zu Saturn immerhin problematisch bliebe, sondern Jupiter und Saturn in einem zu begreifen: Domitian als besserer Jupiter also, auf den nicht bloß Concordia, sondern vielleicht auch sein Vater blando vultu (31) blicken kann. Rechnet man mit dieser im Text von silv. 1, 1 meines Erachtens klar angelegten Möglichkeit,325 dann erklären sich die Absenzen des Saturntempels und des kapitolinischen Jupitertempels plötzlich in gleicher Weise: Wer als numen praesens mitten auf dem Forum weilt, bedarf keines weiteren Tempels – er würde dadurch ja geradezu verdoppelt. Ein weiteres Movens dafür, die Gleichung mit Saturn nicht über eine direkte Anbindung an dessen Tempel zu vollziehen, mag übrigens in der Gestalt des Kultbildes zu suchen sein, das mit seinen wollenen Fußfesseln und seinem zählt die Opposition Krieg-Frieden neben Starre-Bewegtheit zu den tragenden Gegensätzen von silv. 1, 1; vgl. Geyssen (1996), 68–72; Literatur zu Domitians clementia bietet auch Ahl (1984), 48, Anm. 11. 322 Strab. 6, 3, 1. Im Text wird die Überbietung Jupiters durch Domitian verdoppelt, indem auch noch der olympische Zeus des Phidias ins Spiel gebracht wird (101sq.). Zur dritten Punkt dieser Kolossalstatuenreihe, dem Helios / Phoebus / Sol von Rhodos, vgl. u. 147. Leberl (2004), 145 wertet die Verse 100–104 nur als Gleichsetzung mit Jupiter, übersieht aber die überbietende Tendenz. 323 Newlands (2002), 47 mit Anm. 2. 324 Märtin (2012), 58. 325 Geyssen (1996), 96 mit Anm.  33 nimmt diese göttliche Doppelrolle jedenfalls für silv. 1, 6 an, es scheint aber, daß sie auch für 1, 1 wichtig ist. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch silv. 5, 1, 166–169, wo unverhohlen ausgeführt wird, daß, befände Domitian sich an Jupiters Stelle, d. h. in der Position eines Kosmokrators, das Los der Menschen allgemein ein besseres wäre, selbst der Tod wäre in weitere Ferne gerückt: was der traditionellen Sicht Saturns als des Beherrschers eines paradiesischen Italiens in goldener Zeit entspricht. – Etwas anders Sauter (1934), 62 f., der die Mischung von Kriegs- und Friedensmotiven einzig der zürnend-heiteren Doppelung des Wesens Jupiters zuschreiben möchte.

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möglicherweise aus Holz gefertigten roten Mantel einen eher urtümlichen Charakter zeigte.326 Immerhin ist auch kein Hinweis darauf überliefert, daß Domitian, der sich selbst mehrfach als Statue neben Jupiterkultbildern installieren ließ,327 Gleiches mit Saturn hätte vornehmen lassen: Vielleicht schreckte sein Verständnis von Flavischer Repräsentation vor derlei potentiell als schrullig zu empfindenden Atavismen zurück. Zum Glück können für die Gleichsetzung Domitians mit Saturn andere Texte herangezogen werden, vor allem silv.  1, 6, das mit der Schilderung eines wahrhaft saturnischen Herrschaftsmoments Domitians das erste Buch beschließt, wie Domitian vornehmlich als Jupiter es eröffnet hat, und es scheint nicht verfehlt, die beiden Texte so komplementär zueinander aufzufassen, wie ihre Stellung es nahelegt. Domitian ist Saturn und Jupiter zugleich, und sein Standbild vermittelt nicht nur zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Forum, sodaß das Forum Romanum mit dem Kaiser als Bezugspunkt zum Abbild des ›Himmels‹ mit Jupiter als Mitte wird, sondern er überbrückt auch den mythischen Gegensatz zwischen dem saeculum aureum des Saturn und der Herrschaft Jupiters. Domitian führt also nicht bloß eine Wiederkehr des goldenen Zeitalters herbei wie so mancher Potentat in an zyklischen Geschichts­ vorstellungen orientierter Panegyrik,328 sondern er vereint den problematischen Gegensatz, jede Zyklik damit letztlich aufhebend. Manifest wird dies alles im Zentrum der römischen Herrschaft, auf dem Forum. Die Göttlichkeit Domitians bringt freilich einen am besten von Carole New­ lands beschriebenen Effekt mit sich: seine Einsamkeit.329 Zwar ist er auf beiden Ebenen des Gedichtes von adorierenden Mengen umgeben, auf irdischer vom diffus bleibenden, doch längere Passagen des Gedichtes hindurch sprechenden Publikum des Forums,330 auf himmlischer von den ihn gleichsam in einem Reigen von Reverenzen umringenden Gottheiten, doch von beiden trennt 326 Macrob. Sat. 1, 8; vgl. Schollmeyer (2008), 103. 327 Vgl. o. I, bei Anm. 301. 328 Nauta (2002), 399 f. 329 Newlands (2002), 67: »… the divine majesty of the statue, standing in proud isola­ tion from ordinary mortals despite the public nature of the space. Here, in evoking the ­magnificent isolation of the statue, the text … evokes the essential isolation of the holder of power who exists far above his subjects, an isolation that Domitian himself seems to have encouraged in his aspirations to divinity.«; vgl. ebd. 70 f. 330 Newlands (2002), 67, übergeht dieses Element, wie ich meine zu Unrecht: vgl. o. die Einleitung bei Anm. 61–62. Bright (1980), 18 hatte bereits, richtiger, eine weitgehende Vergöttlichung jedes in den Silvae behandelten Themas beobachtet, die ein aus-dem-Blick-Kommen des menschlichen Personals der jeweils beschriebenen Welt mit sich bringe. Das ist zwar insofern überspitzt, als in silv. 1, 1 der / die Sprecher über weite Strecken hinweg nach wie vor Menschen sind (und erst recht die Leserschaft), und etwa in 1, 6 die Menschenmenge eines vollen Amphitheaters ganz massiv präsent ist, aber Bright ist darin zuzustimmen, daß ­Statius’ permanentes Überhöhen und Fokussieren auf Göttliches die menschliche Ebene bisweilen bis zur Durchsichtigkeit transparent werden läßt.

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ihn jeweils eine Distanz unendlicher Erhabenheit; selbst Minerva nimmt ihm gegenüber gerade einmal die Rolle der Tochter in der Hand eines übermächtigen Vaters ein. Zugleich wird die Vergegenwärtigungsfähigkeit Domitians im Standbild dadurch bis zum äußersten belastet: Das Verhältnis zwischen einer Statue und dem durch sie Dargestellten ist eine stets als problematisch empfundene Grenzverwischung oder gar -überschreitung,331 doch wie kann vollends der höchste Gott durch ein von Menschenhand geschaffenes Werk dargestellt werden, selbst wenn dieses Werk das beste sein mag, das Senat und Volk (die im Gedicht die Rolle der ausführenden Kunsthandwerker einnehmen)332 in diesem Sinne zu leisten imstande sind? Dieser Riß durchzieht silv. 1, 1 und äußert sich in ambigen Aussagen über den Equus, im Vergleich mit dem trojanischen Pferd etwa, oder auch in den möglichen Konnotationen des unten noch näher zu untersuchenden Orionvergleichs:333 Logischerweise müssen den sterblichen Deutern des Domitiansmonuments aufgrund der übermenschlichen Größe des Darzustellenden angemessene Worte fehlen, und ebenso auch den Schöpfern des Standbildes letztlich die Fähigkeit, Domitian wahrhaft abzubilden. Das wirft nun freilich die Frage auf, welcher Sphäre Domitian selbst überhaupt angehört, wenn er sowohl unter Menschen als auch unter Göttern letztlich nur in Einsamkeit thronen kann – was übrigens logische und durchaus beabsichtigte Konsequenz aus der in Statius’ Text formulierten (Selbst-)Definition Domitians ist, und nicht, wie Claudia Klodt andeutet, eine unbewußte Distanzierung des Dichters vom Herrscher:334 Die Antike, und noch viele nachfolgende Jahrhunderte, waren sich bei allen Versuchen von beispielsweise stoischer oder christlicher Seite zur Egalisierung der Bevölkerung vertikaler Distanzen in ihrer Gesellschaft als einer Selbstverständlichkeit vollkommen bewußt; erst der demokratische Ideologie der Aufklärung entsprang die Tendenz, Rangunterschiede theoretisch infragezustellen, wenngleich praktisch keineswegs abzuschaffen und damit jenes moderne Spannungverhältnis zwischen gesellschaftlicher Theorie und Praxis zu schaffen, das einen Interpretationsansatz wie den Klodts überhaupt erst ermöglicht. Darüber hinaus scheint es mir grundsätzlich recht riskant, entscheiden zu wollen, was ein Autor bewußt schreibt und was unbewußt. Es ist, ganz ohne Zynismus gesagt, schon viel erreicht, wenn ein Philologe unterscheiden kann, was in einem Text geschrieben steht und was nicht.

331 Vgl. Gordon (1979), 9 f. 332 Vgl. Leberl (2004), 143, der aber die Rolle der Götter bei der Herstellung des Monuments (aus silv. 1, 1, 2–7) überbetont, indem er Statius’ Fragesätze als Aussagen wertet. Richtig weist Darwall-Smith (1996), 233, auf die Rolle des Senates hin. 333 Vgl. Newlands (2002), 59. 334 Klodt (1998), 37.

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i) Zur Astraltopographie des Equus maximus (I) Nur an einer Stelle im Text wird diese Einsamkeit überbrückt: wenn gegen Schluß die Nacht sich auf das Forum senkt und die göttlichen, das heißt auch verstirnten Verwandten des Kaisers vom Himmel herabsteigen und ihn um­ ringen, umarmen und küssen.335 Dieses Nachtbild beschließt nicht nur wirkungsvoll das Gedicht und verleiht ihm eine minimale temporale Positionierung  – das ganze Gedicht über ist das Monument sichtbar, d. h. der Text ist (fiktiv) tagsüber gesprochen zu denken, und entsprechend entläßt er den Leser mit einem im Futurum formulierten Ausblick auf das Geschehen, das sich abspielen wird, wenn potentielle menschliche Beobachter längst schlafen –, es folgt auch einer einfachen inneren Logik: Sterne mögen ja zwar stets am Himmel stehen, sichtbar aber sind sie nur in der Nacht, und damit sind sie für menschliches Empfinden gleichsam ›nachtaktiv‹.336 Das bedeutet freilich nicht, daß Stern- und Lichtmotive im Gedicht auf diese eine Stelle beschränkt wären, im Gegenteil. Das Monument selbst, und damit Domitian, funkelt sternengleich: superfulges (33); lucem coruscam (71);337 tuum immortale iubar (77); si­ dereas imitantia flammas lumina (104sq.) sind einschlägige Formulierungen, und himmlisch-astrale Motive fügen noch der Orionvergleich für den Reiter (44sq.), der Cyllarusvergleich für das Pferd (53sq.) und der Vergleich mit dem caelifer Atlas für den Sockel (60) hinzu.338 Wenngleich die drei letztgenannten Punkte angesichts von Statius’ Gewohnheit, nahezu jede in seinen Gedichten angesprochene Gegebenheit mit einem Element des Mythos (im weitesten Sinn) in Verbindung zu setzen – über 250 solcher mythischer Verknüpfungen zählt H. Szelest in den Silvae –,339 nicht a priori schwer wiegen müssen, so fällt doch auf, daß jeder der drei Bestandteile des Denkmals, Sockel, Pferd und Reiter, mit Mythen verbunden werden, die auf den Himmel weisen. 335 Eine vergleichbare Szene bietet silv. 3, 1, 89sq., wo gleichfalls ein imaginärer (und transzendenter) Vorgang per allegoriam stark körperhaft beschrieben wird. Dasselbe Gedicht bietet (3, 1, 125–129) auch ein Beispiel für Statius’ Vorliebe, Götter nächtens, also normaler menschlicher Beobachtung entzogen aktiv werden zu lassen: Herkules baut nächtens an seinem Tempel mit; ein weiterer nachtaktiver Gott silv. 1, 3, 70–75: Anien im Park der Villa von Tibur. In allen drei Fällen bedeutet die gleichsam unsichtbare Epiphanie der Gottheit Zustimmung zum Tun der Menschen, welchem sie sich anschließen bzw. welches sie wohlwollend approbieren. 336 Vgl. Traglia (1981), 536. 337 Auf materieller Ebene wird damit zunächst das Funkeln der neugegossenen und polierten Bronze zum Ausdruck gebracht, wie Wasserstein (1951), 80, richtig anmerkt. Doch hindert nichts daran, den Ausdruck auch auf anderer Ebene gültig sein zu lassen. 338 Einen Überblick über das Gedicht, der die Glanz- und Sternmotivik besonders herausarbeitet, bietet Cancik (1965), 95; vgl. ebd., 98 f.; ferner vgl. Taisne (1994), 355. 339 Szelest (1972), 309.

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Und nicht jede dieser Verbindungen liegt auf der Hand, sodaß man sie für eine Art poetischen Automatismus und damit für belanglos erklären könnte (soweit das methodisch überhaupt zulässig wäre): Der Cyllarusvergleich motiviert sich freilich aus der Nachbarschaft zur Aedes Castorum, die für die Positionierung des Monuments in der sakralen Topographie des Forums ohnedies erwähnt werden mußte, wozu noch die gleichfalls mit Dioskurenstandbildern geschmückte Iuturnaquelle kommt. Angesichts der kulturbedingten vergleichsweisen Armut des klassischen Mythos an Reitern und Reitpferden wären andere Vergleichspunkte nicht einfach zu finden gewesen: Allenfalls käme Pegasus in Frage (etwa: Das neue Pferd wird seinen Reiter nicht abwerfen, zumal er ja selbst ein Gott ist und eben kein der Hybris verfallener Sterblicher wie Bellerophon), doch damit ist die Reihe theoretisch möglicher Reitervergleiche schon einigermaßen erschöpft. Doch gilt es zu bedenken, daß die Dioskuren auch außerhalb astronomisch-astrologischen Kontextes eine für mythische Figuren ungewöhnlich starke astrale Komponente haben: So zeigen etwa Münzen von Städten, die ein besonderes Naheverhältnis zu den Dioskuren pflegen, häufig nur ein Pferd mit einem Stern.340 Sonderbar hingegen ist die Einbeziehung Orions, denn als Vergleich für ›großer Krieger mit funkelndem Schwert an der Seite‹ wäre schließlich jeder beliebige Heros in Frage gekommen, und zugleich wäre das Problem der möglichen negativen Konnotationen, die Orion als sich nicht übermäßiger Sympathie erfreuende Figur eben mit sich bringt,341 entfallen: Ganz richtig weist Carole Newlands auf Teile dieser Problematik hin, auch wenn ich ihrer Folgerung, Statius habe absichtlich einen Vergleich gewählt, der den Kaiser in ein fragwürdiges Licht rückt, nicht folgen kann.342 Der Grund, weshalb diese Möglichkeit panegyrisch unpassender Assoziationen in Kauf genommen 340 Erich Bethe in RE V, 1 s. v. ›Dioskuren‹, 1107 f. nennt konkret Kyrene, Syrakus, Tyndaris und Tomi. Auch ihr thebanischer Kultname λευκὼ πώλω wird ca. als ›Lichtrosse‹ interpretiert (ebd. 1091 f. und 1096). 341 Immerhin erscheint Orion en passant auch silv. 3, 2, 77, und prompt negativ konnotiert: solito tunc peior Orion; vgl. carm. Anacreont. 4, 9: στυγνὸν Ὠρίωνα; auch Ap. Rhod. 3, 744–750 erscheint Orion in einer oft als Erfindung der Nacht in der Literatur gerühmten Passage und damit in düsterem Kontext, schlafen doch an jener Stelle ›Mütter, deren Kinder gestorben waren‹. 342 Newlands (2002), 59: »The comparison with Orion associates the emperor not only with military prowess and success over barbarians, a means of securing pax Romana, but also with ideas of excess and transgression that threaten the stability of that peace.« Diese Auffassung halte ich im Sinne meiner zu Eingang des Kapitels dargelegten Überlegungen zur Annahme von ›two voices‹ in den Silvae und in Einklang mit Newlands eigener Forderung nach ›selective reading‹ (vgl. o. I, Anm. 48) für ebenso überzogen, wie wenn jemand aus dem von Mythographen (z. B.: Hygin. astr. 2, 33) ausgesprochenen Unbehagen, den großen Himmelsjäger Orion ausgerechnet mit einem λαγωβόλον auszurüsten und den am Himmel zu seinen Füßen sichtbaren Hasen anstelle eines heroischeren Tieres jagen zu lassen, auf Spöttelei des Dichters über die Kriegserfolge des Kaisers über hochgefährliche Barbaren schließen wollte (was meines Wissens nicht einmal Frederick Ahl getan hat: vgl. o. I, Anm. 172).

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wurde, wird wohl in der astralen Komponente des Vergleichs zu suchen sein,343 wobei der Autor sogar eine gewisse Reibungsfläche riskiert: Denn das Schwert des Orion am Sternenhimmel ist im Verhältnis zu seinem Träger relativ klein, wohingegen die Formulierung magnus quanto mucrone minatur … Orion (silv. 1, 1, 44sq.) im Kontext eher an ein besonders großes Schwert denken ließe. Vollends zum Tragen kommt die astrale Tendenz schließlich, wenn dem Sockel des Monuments die Fähigkeit zugesprochen wird, einen ganzen daraufgesetzten Berg bzw. Atlas mitsamt dem durch diesen wiederum gestützten Himmel (was seit Atlas’ Versteinerung ohnehin identisch ist) zu tragen. Nicht die Hyperbel überrascht, wohl aber, daß erneut ein potentiell bedenklicher Vergleich – auch Atlas ist ja nicht gerade eine Lichtgestalt im Mythos – gewählt wurde, mit dem aber auf den Himmel verwiesen werden kann. Immerhin könnte man einwenden, daß bei genauer Durchrechnung des Vergleichs eine Identifikation Domitians mit Atlas nicht unbedingt notwendig ist: Entspricht der Sockel dem Erdboden unter dem Knie des Atlas, so korrespondiert Atlas eigentlich nicht mit Domitian, sondern mit dessen Pferd, der Kaiser selbst mit dem von Atlas getragenen Sternenhimmel.344 Man mag diese Berechnung ein wenig beckmesserisch finden, sie trifft aber genau den Kern des Problems: Denn Domitian ist nicht nur Kaiser und Gott, er ist auch ein Stern, und zwar nicht pro futuro, sondern hic et nunc et semper: ganz richtig weist A.-M. Taisne auf solche Vorwegnahme des postmortalen Katasterismos Domitians hin, freilich erst zu silv. 4, 2, dessen diesbezügliche Konzeption aber von der des Equus-maximus-Gedichtes nicht abweicht: als astrum wird Domitian hier ja explizit (silv. 1, 1, 55) bezeichnet.345 Was für Domitian gilt, gilt erst recht für seine vergöttlichten Familienangehörigen, deren umfassende Präsentation in der Öffentlichkeit schon eine der frühen Kampagnewellen Domitians in der Münzprägung der Jahre 82 und 83 besorgte:346 Vater Vespasian, Bruder Titus, Schwester Domitilla347 und schließ 343 Taisne (1994), 125: Der Orionvergleich bewirke die Assoziationen ›Größe‹ und ›Glanz‹. – Vgl. Marshall (2011), 338 f., dessen feinsinniger Deutung intertextueller Bezüge ich hier zwar nicht völlig zu folgen vermag, der indes ebenfalls zu der Schlussfolgerung kommt, der Orionvergleich diene wesentlich dazu, eine astrale Komponente ins Spiel zu bringen. 344 Atlas in der kaiserlichen Bildnisrepräsentation begegnet immerhin inschriftlich bezeugt: In Ostia gab es offenbar die Darstellung mindestens eines Atlas, der anstelle eines Himmelsglobus einen clipeus mit kaiserlichem Portrait trug: Fishwick (1991), 538. 345 Taisne (1994), 355. – Newlands (2002), 58, weist richtig auf die Verbindung zwischen dem Orionvergleich und der Verstirnung des Kaisers hin, nimmt letztere aber, wie ich glaube: zu Unrecht, ausschließlich erst für die Zukunft, d. h. nach dem Tod Domitians an. – Daß Domitian schon in der Situation von silv. 1, 1 ein Stern ist, notiert auch Shackleton Bailey (2003), 37, Anm. 16; vgl. u. 147 und 154–158. 346 Carradice (1983), 17–21. Zu dieser Serie gehört auch der u. Anm. 399 diskutierte Aureus bzw. Denar mit der Darstellung des Katasterismos des frühverstorbenen Domitianssohnes. 347 Clauss (1999), 123 f.

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lich, bei Statius gleich an erster Stelle genannt, der im Kindesalter verstorbene Sohn (97sq.: natus fraterque paterque / et soror).348 Das entspricht einem auch bei Martial zu findenden Motiv,349 doch Statius überbietet es in seiner Weise. Denn tua turba (95) wird zwar zunächst im Sinne von ›deine engsten Verwandten‹ erklärt (97sq.), das nachfolgende una locum cervix dabit omnibus astris aber erweitert die Vierergruppe von Sohn, Bruder, Vater und Schwester auf die Gesamtheit des Firmaments.350 Übrigens ergeben die vier Genannten, wenn man so will, ein einfaches geometrisches Muster, wenn man sich nämlich die genannten vier Personen rings um Domitian arrangiert denkt, nach Generationen geordnet, sodaß die drei Geschwister nebeneinander stehen:351 pater frater  Domitian  soror natus

Die Abfolge im Text ist dann jene, die sich ergibt, wenn man an einem Punkt beginnt, im konkreten Fall bei natus, und von dort ausgehend im Kreis herum alle Punkte durchläuft: Und ein solches Im-Kreis-herum-Durchlaufen wohnt dem Bild der den Kaiser Umringenden ja auch inne. Freilich: Die vier stehen nur als pars pro toto für weitere Sterne,352 letztlich den gesamten Sternenhimmel 348 Zur Zusammenstellung und zur Absenz der Mutter vgl. Traglia (1981), 536. 349 Frühestes Beispiel: Mart. 4, 3 (wohl Ende 88 ediert): Aspice quam densum tacitarum vel­ lus aquarum / defluat in vultus Caesaris inque sinus. / Indulget tamen ille Iovi, nec vertice moto /  concretas pigro frigore ridet aquas, / sidus Hyperborei solitus lassare Bootae / et madidis Heli­ cen dissimulare comis. / Quis siccis lascivit aquis et ab aethere ludit? / Suspicor has pueri Caesa­ ris esse nives. Das Gedicht scheint sich zwar auf den im Amphitheater sitzenden, dem Wetter trotzenden Domitian zu beziehen, doch lediglich wenn man das vorangehende Epigramm 4, 2 einbezieht. Sollte 4, 3 der wahrscheinlichen Zweitauflage der ersten Epigrammbücher Martials erst hinzugefügt worden und wegen des verbindenden Schneemotivs nach 4, 2 eingeschoben worden sein, wäre indes m. E. kaum daran zu zweifeln, daß das Gedicht sich auf den unbeweglichen Denkmalskaiser auf dem Forum bezieht (so auch Rosati [2006], 42), auch wenn die jüngsten Kommentatoren diese Möglichkeit auszuklammern scheinen: Moreno Soldevila (2006), 114–121; Lorenz (2002), 135 f. – Weitere wichtige Belege: Mart. 5, 65; 8, 36. 53; 9, 1. 20. 91. 101; cf. 9, 3. 34. Es fällt auf, daß das Motiv erst in den Büchern acht und v. a. neun gehäuft auftritt, deren Entstehung zeitlich mit der Errichtung und Einweihung des Templum gentis Flaviae zusammenfällt: vgl. Traglia (1981), 537; Richardson (1992), 181; Darwall-Smith (1996), 163. 350 Zur turba im Sinne einer kleinen, insbesondere familiären Personengruppe vgl. Stat. silv. 4, 8, 43; Ach. 1, 910; nahe kommt auch silv. 3, 1, 108sq. deorum turba. Für Hinweise danke ich Ruurd Nauta (Groningen). 351 Zu einer anderen geometrischen Anordnung der Sterne auf einer anderen Bedeutungsebene des Textes vgl. u. I, bei Anm. 412. 352 Hingewiesen wurde schon längst auf das Fehlen der Iulia Titi in der Aufzählung, deren Tod und Vergöttlichung eventuell vor der Entstehung von silv. 1, 1 und sicher vor der Publikation des ersten Buches erfolgte: vgl. schon Stobbe (1867), 57 f. Doch abgesehen von der fraglichen Beweiskraft eines argumentum ex silentio würde sich Iulia als Nichte schon nicht mehr so gut in den oben skizzierten Ring allernächster Verwandter fügen, ihre Absenz trägt

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(98: una locum cervix dabit omnibus astris), die Schar (turba) der Sterne, unter denen die katasterisierten Flavier nur als die prominentesten herausgehoben erscheinen. Wie Domitian das verbindende Element zwischen dem irdischen Forum und der göttlichen Sphäre des Olymp ist, so verbindet er auch Himmel und Erde, bzw. läßt das Forum zum Himmel werden. In einer exzellenten Studie hat Antonio Traglia dargelegt,353 wie die möglicherweise in das Jahr 94 zu setzende354 Einweihung des Templum gentis Flaviae auf dem Quirinal – es handelt sich um das zum Heiligtum umgebaute Geburtshaus Domitians, dessen Reste erst jüngst versuchsweise identifiziert wurden355 – sich bei Martial und Statius spiegelt, und wie stark gerade dieser spezielle Teil  domitianischer Repräsentation von astralen Komponenten durchsetzt ist: Wendungen wie addita Latio Flavia templa polo (Mart. 9, 3, 12) oder augusti Flavia templa poli (Mart. 9, 34, 2) weisen unmittelbar darauf hin. Vom bildlichen Schmuck dieses Tempels ist, soweit bekannt, nichts erhalten,356 man kann aufgrund der Formulierung Flavium caelum für diesen Tempel in silv. 4, 3, 19 und aufgrund der genannten Martialstellen aber mit einigem Recht an eine als stilisierter Sternenhimmel gestaltete (Kassetten-?)decke denken,357 die den himmlischen Anspruch der gens also zur Datierung des Gedichtes so wenig bei wie dieses für die Datierung ihres Todes. Zu den (problematischen) Gerüchten um Domitians mögliches Verhältnis mit seiner Nichte vgl. Jones (1992), 39. 353 Traglia (1981), 537. 354 Die Datierung erfolgt, solange keine eindeutige Identifizierung archäologischer Reste mit präziseren Datierungsmöglichkeiten vorliegt, ausschließlich über Erwähnungen bei Martial und Statius als terminus ante quem, wodurch man auf den üblichen Ansatz ›spätestens im Jahr 94‹ gelangt. Wenn das Heiligtum allerdings wirklich so kolossale Dimensionen hatte, wie Coarelli (2009), 94, annimmt, dann muß mit einer mehrjährigen Bauzeit und ebenso wohl mit mehrjährigem ideologischem ›Vorlauf‹ gerechnet werden, der ohne weiteres in die vermutete Zeit der Entstehung des Equus maximus zurückreichen kann. 355 Die antiken Angaben nennen die Örtlichkeit ad malum Punicum (Suet. Dom. 1, 1); vgl. Henriksén (2012), 12; Coarelli (2000), 243: vorsichtige Identifizierung mit flavischen Strukturen unweit der Alta Semita unter der an S. Susanna angrenzenden Kürassierkaserne in der Via XX Settembre; Coarelli (2009), 94, und La Rocca (2009), passim: zuversichtliche Iden­ tifizierung mit jüngst ergrabenen Resten im Bereich der Diokletiansthermen / San Bernardo; noch ohne Identifizierung: Richardson (1992), 181. Die gens Flavia erscheint als domus divina auch auf Weihinschriften, etwa CIL X, 1632: Taeger (1960), 249. 356 Am ehesten Anspruch auf Zugehörigkeit dürften die sog. Hartwig-Reliefs erheben: vgl. zuletzt Coarelli (2009), 94. 357 silv. 4, 3, 18sq.: qui genti patriae futura semper / sancit limina Flaviumque caelum. Dabei ist caelum eine hervorragende Konjektur Turnebus’ für das überlieferte sinnlose calvum: vgl. die Diskussion bei Markland (1728), Not. 201. Der noch ältere Ersatz des überlieferten lu­ mina durch limina hingegen ist nicht restlos vertrauenswürdig: limina (= templum) sancire ist eine ungewöhnliche Wendung, bezeichnet sancire doch die kultische Unverbrüchlichkeitserklärung eines Brauches, Zustands, Verhältnisses, nicht eine Einweihung. Doch korrespondiert es immerhin mit futura semper: ›er richtet den Tempel als etwas Ewigwährendes ein‹; vgl. 5, 1, 240sq. aeternae modo qui sacraria genti / condidit inque alio posuit sua sidera caelo. – Zum caelum Flavium vgl. auch Newlands (2002), 289.

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architektonisch umsetzte und damit die Bezeichnung des Tempels als caelum rechtfertigte.358 Freilich ist das noch nichts Einmaliges: Zur Domitiansvilla von Alba gehörte ein freistehendes, im Inneren rundes und überkuppeltes Nymphäum, über dessen Zweck und Gestaltung freilich wenig bekannt zu sein scheint, die heutige Kirche S. Maria della Rotonda in Albano; bautypologisch steht dieser jedenfalls im Kontext von Herrschaftsarchitektur errichtete, im Inneren durch eine Reihe an der Außenseite unsichtbarer Nischen erweiterte Raum in einer direkt auf das hadrianische Pantheon, für das man Sternen-/Blumendekor in den Kuppel­ kassetten sehr wahrscheinlich annimmt, zuführenden Tradition: die Überwölbung einer irdisch-runden Fläche durch einen künstlichen Sternenhimmel als Rahmen für den Kaiser.359 Dabei bildet die Kuppelwölbung aber keineswegs einen zwingend notwendigen Bestandteil, wie die zahllosen flachen Kassettendecken in Tempeln zeigen, und es sei noch auf ein wohlbekanntes, ebenfalls der flavischen Familie gewidmetes Monument Domitians hingewiesen, den Titusbogen.360 Dessen Tonnengewölbe, das geometrisch sicherlich keine Himmelskuppel nachbilden will, zeigt die Apotheose des Titus, der von einem Adler emporgetragen wird, umgeben von fast einhundert Kassetten, deren jede mit einer Blume verziert ist: Also auch hier ein Sternenhimmel, genauer die Himmelswiese, deren Blumen ja die Sterne sind;361 unter sie wird Titus in jenem Relief 358 Zum Motiv der sternengeschmückten Decke vgl. die bei Coleman (1988), 109 angeführten antiken Belegstellen. Über ornamental-geometrische Abstraktionen des Himmels, wie das regelmäßige Kassettengewölbe mit seinem Sternschmuck sie notgedrungen bietet, hinausgehende Himmelsrepräsentationen diskutiert Lehmann (1945), mit beiläufigem Verweis auf die Selbstverständlichkeit der abstrakten Sternendekorationen (ebd., 4). 359 Vgl. Godfrey-Hemsoll (1986), 204; Martini (2006), 38. 360 Vgl. Pfanner (1983), der sich freilich fast ausschließlich auf die Dokumentation und die Erforschung der Bau- und Restaurationsgeschichte beschränkt, hingegen nahezu keine Interpretationen bietet; zur Bauzeit vgl. Darwall-Smith (1996), 168–172. 361 Abb. bei Pfanner (1983), Tafeln 25–29 (Kassetten) und 68 f. (Scheitelrelief des Titus). – Das Motiv der Sterne als Blumen ist alt und erscheint von ägyptischen Totenbuch­ texten (  aḫaḫ ›Blumen des Himmels‹) über Lukian, der es explizit auf die goldgeschmückte Decke eines Saales anwendet (De domo 8: Καὶ τοίνυν ἡ τοῦδε τοῦ οἴκου ὀροφή (…) εὐπρόσωπος μὲν καὶ καθ᾿ἑαυτήν, τῷ χρυσῷ δὲ ἐς τοσοῦτον κεκόσμηται, ἐς ὅσον καὶ οὐρανὸς ἐν νυκτὶ ὑπὸ τῶν ἀστέρων ἐκ διαστήματος περιλαμπόμενος καὶ ἐκ διαλείμματος ἀνθῶν τῷ πυρί.), und Philostrat, der im Prooemium zu seinen Imagines damit spielt (Philostr. imag. prooem. 1: … διά τε τὰ ἐν γῇ εἴδη ὁπόσα τοὺς λειμῶνας αἱ Ὧραι γράφουσι, διά τε τὰ ἐν οὐρανῷ φαινόμενα) bis zur Spätantike: Mar. Victor. aleth. 1, 104 floribus aethe­ riis; Ambr. hex. 4, 2, 5 caelum velut quibusdam floribus coronatum; Nonn. Dion. 40, 385 ποικίλος … χαράσσεται ἄστρασι λειμών (scil. οὐρανοῦ); cf. Manil. 1, 532sq.; die Umkehrung des Motivs bei Colum. 10, 96 terrestria sidera flores; vgl. o. I, Anm. 358. Außerdem vgl. die Crypto­porticus von Domitians Albanum, deren nördlicher Abschnitt just mit sieben Kassettenreihen überwölbt war, was an die bei Sternen auch abseits der sieben beweglichen Himmelskörper häufig erscheinende Siebenzahl (u. Anm. 399) erinnert: Blanas (1990), 119 f. mit Abb. 4 f.; von Hesberg (2011), 219 und Abb. 5, 9 und 10.

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(das übrigens kaum zufällig in einer Bogenlaibung, also einer Durchgangssituation angebracht sein wird) aufgenommen und kehrt, um wieder dem Text von silv. 1, 1 zu folgen, nur nächtens im Verein mit ihnen auf die Erde zurück, um Domitian gleich einem Kranz, wenn man so will: einem Blumenkranz, den man auf dem Haupt trägt (98: locum cervix dabit), zu umgeben. Die resultierende Konstellation ist die gleiche wie die auf olympischer Ebene: Domitian im Zentrum als mächtigste Potenz, umringt von den dieser Sphäre angehörigen Wesen. In ganz anderem Zusammenhang greift Statius auf dieses Konzept nochmals zurück und formuliert es knapper: aeternae modo qui sacra­ ria genti / condidit inque alio posuit sua lumina caelo (5, 1, 240sq.). Traglia versucht in der erwähnten Studie zu beweisen, daß aliud caelum hier nicht wiederum das Templum gentis Flaviae meinen könne wie in 4, 3, 19, und denkt eher an einen abstrakten Über-Himmel, »un caelum ideale diverso dal nostro«,362 den er erst sekundär wieder mit dem caelum Flavium identifiziert. Näherliegend erscheint es, mit Shackleton-Bailey eine direkte Gleichsetzung mit dem gleichsam auf Erden manifestierten Sternenhimmel des Templum gentis Flaviae anzunehmen: ein aliud caelum eben im Vergleich zum gewohnten Firmament, an dem sich die vergöttlichten und katasterisierten Flavier ja ohnehin und schon längst befinden.363 Man erhält damit eine Übereinanderstapelung von irdischem Rom, flavischem Spezialhimmel und dem uns vertrauten Sternenhimmel, der mit der Sphäre des Götterolymps mehr oder minder verschmilzt, wie überhaupt diese Bedeutungsebenen nicht voneinander getrennt, sondern in eins gesehen werden wollen. Wird der im Monument präsente Domitian im Rahmen der ›Sakraltopographie‹ des Forums zu Jupiter/(Saturn) im Kreise der ihn devot umgebenden Götter, dann bedeutet nicht Domitian auf einer höheren Ebene Jupiter, sondern er ist es, und das Forum, bzw. Rom, dessen Zentrum eben die Foren bilden, ist der Olymp, genauer gesagt: es wird zum Olymp, durch den Kaiser als Bindeglied, Vermittler, Katalysator, wie man will; unter diesem jedes alltägliche, unpathetische, eventuell schmutzige, kriminelle, existenzbedrohte Leben der Metropole abstrahierenden Blickwinkel wird die Hauptstadt zu einer religiosa civitas (Symm. epist. 1, 71) ähnlich dem praktisch nur diesem Zweck dienenden, mehr oder minder theoretisch konstruierten und konzipierten Lavinium.364 Gleiches gilt für den Sternenhimmel: Nicht nur eine vertikale, meinethalben 362 Traglia (1981), 540. 363 Shackleton-Bailey (2003), 331, Anm. 24. Für Hinweise zum Thema danke ich Ruurd Nauta (Groningen). Die Fügung aliud caelum funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die Bezeichnung Domitians als noster Iupiter in Stat. silv. 1, 6, 27: noster ebenso wie aliud stellen dem gegebenen göttlichen bzw. himmlischen Element eine irdische Entsprechung gegenüber, und an beiden Stellen eher im Sinn einer Hypostase als eines allegorisch verweisenden Pendants. 364 Ando (2003), 334.

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allegorische Verbindung zwischen dem Forum und dem Himmel, manifestiert im hochaufragenden Monument auf dem Forum,365 wird geschlagen, sondern Rom wird durch Präsenz und Wirken Domitians ganz proprie zum Sternenhimmel, mit dem Kaiser in seiner Mitte als Zentralgestirn, um das sich omnia astra (silv. 1, 1, 98) gruppieren – man würde Athenaios’ Bezeichnung Roms als οὐρανόπολις (Athen. 1, 20C) hierherziehen wollen, beschriebe Athenaios mit ihr nicht vornehmlich metaphorisch den kosmopolitischen, gemischten Charak­ter der stadtrömischen Bevölkerung. Mit einem anderen Wort: Das irdische Rom selbst wird durch den Kaiser zum caelum Flavium. Daher die Bemühungen des Dichters, möglichst viele astrale Anknüpfungspunkte aus der Situierung des Monuments zu gewinnen. Einer davon aber ist immerhin genial: Trifft meine Interpretation insgesamt zu, dann ist es auch nicht pedantisch, in den Versen 95sq. die Reihe Sockel-PferdReiter mit der Abfolge Erdboden-Atlas-Himmel zu parallelisieren, also den Kaiser dem Sternenhimmel gleichzusetzen (vgl. o. 138): Denn in Domitian berührt der Himmel ja eben die Erde. Der Gedanke ist nicht einmalig, ist doch die längst heranwachsende und bis zu ihrer Vollendung in der Spätantike in immer weitere Höhen geführte kosmische Romidee sein selbstverständlicher Hintergrund.366 Doch daß der das irdische Rom transzendent begründende und zugleich widerspiegelnde Kosmos nun über die verbindende Funktion des Kaisers als Kosmokrator personalisiert, zum caelum Flavium oder, wenn man so will, zum Kosmos des Domitian wird, ist eine Kühnheit sondergleichen: Nicht der als Person (bei allem Respekt) austauschbare Kaiser als Amtsträger des auf den Kosmos verweisenden Roms, sondern die konkrete Person des T. Flavius Domitianus ist der Kosmokrator, seine Stellung also im Vollsinn eine messianische. Getragen wird all dies von dem, was Heinrich Drerup als den »Diaphancharakter« der römischen Architektur bezeichnet hat, die »durch sich hindurch auf Dinge, die außerhalb ihrer Existenz liegen«, verweist.367 Diesem Diaphancharakter spürt Statius in silv. 1, 1 und, wie noch zu zeigen sein wird, allenthalben mit ebensogroßem Einfühlungsvermögen wie Experimentierfreude nach. Diese an Feierlichkeit kaum noch zu überbietende Sicht auf die Dinge hat in diesen ihre handfeste Grundlage: Domitians die ganze Stadt umfassendes un­ 365 Es sei auf ein diesem Bild merkwürdig nahekommendes Detail verwiesen: Der Domitiansobelisk (vgl. o. I, Anm.  292 und u. I, bei Anm.  371) zeigt in seinem obersten Abschnitt, auf den Flächen des ihn abschließenden Pyramidions, die (ägyptischen, doch das ist mög­licherweise unwichtig angesichts des bei Grenier [2009], 238, herausgestrichenen solaren Charakters des Monuments) Götter, die Domitian huldigen: Newlands (2002), 290. Symbolisiert also jener Pfeiler, der zuoberst in die Göttersphäre ragt, ebenfalls die Verbindung von Himmel und Erde? 366 Vgl. Klingner (1927), bes. 24 f. 367 Drerup (1981), 196.

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geheures und in großer Hast durchgeführtes Bauprogramm,368 das wohl von keinem Kaiser vor oder nach ihm übertroffen wurde, und dem Statius, ausgehend vom Equus Maximus als Mittel- und Angelpunkt, interpretatorischen Ausdruck verleiht, einerseits; und der in der lateinischen Literatur längst gängige Topos, prunkvolle Bauten mit dem Olymp bzw. dem Himmel zu vergleichen, andererseits: Ich erinnere nur an Ov. met. 1, 168–176, wo bereits umgekehrt der Olymp an der Milchstraße zum römischen Nobelviertel wird (plebs habitat diversa locis: ebd. 173). So gesehen operiert Statius konventionell, mag das Gedicht auch in mancher Hinsicht ein Novum darstellen: Der Text zeigt lediglich, welch enormer interpretatorischer Dimensionsgewinn bei entsprechender Sicht auf die Dinge möglich ist. Etwa fünfundzwanzig Jahre später wird das Kaisertum mit dem Pantheon ein architektonisches Symbol des von Rom beherrschten Kosmos schaffen, das für den Kundigen in einem solchen Maß selbst spricht, daß es gar keiner poetischen Auslegung mehr bedarf – und auch keine mehr finden wird.369 Domitian hingegen findet schon in frühen Regierungsjahren370 sogar zu einer eine expliziten Verbalisierung seines gött­ lichen Anspruchs, nennt ihn doch die Inschrift auf dem heute die Piazza Navona zierenden Obelisken unter anderem »the good god, great of strength« (IIa), »the good god, the living image of Re« (IVb), »who makes sound the sanctuaries of the gods« (IIb), »living like Re all the time« (Ic und IVc; cf. IIIc), und stellt fest, daß »everything which is and is not being inundated with his life-force« (IIc).371 All diese Formulierungen mögen Bestandteile konventioneller Pharaoneninschriften sein, doch daß sie mitten in Rom zu lesen sind, ist ein denkbar mächtiger Gestus, wenn auch einer, der außer einigen Hieroglyphenspezia­ listen kaum jemandem aufgefallen sein wird:372 Man hat es nicht mit einem 368 Übersicht mit Literaturverweisen: Jones (1992), 82–84; auf das übertriebene Tempo der Errichtung vieler domitianischer Bauten weist z. B. Pfanner (1983), 103, hin. Eine Auf­ listung domitianischer Münzprägungen, die der Publikmachung dieses stadtrömischen Bauprogramms dienten, gibt Darwall-Smith (1996), 280 f. 369 Vgl. Sperling (1999), 287–297. Ich erkläre mich außerstande, allen von Sperling in seinem Buch dargelegten, oft ebenso komplexen wie spekulativen Gedankengängen folgen zu können. Doch schon die einfachsten Beobachtungen wie z. B. der anders nicht erklär­ liche Wechsel von der die Zylinderwandung regulierenden (irdischen) Achtzahl zur (himm­ lischen) Siebenzahl der 28 Kuppelsegmente, der Winkel des Pronaosgiebels just in der Größe der seinerzeitigen Ekliptikneigung usw. machen klar, daß das Pantheon durch eine Vielzahl arithmetischer und geometrischer Bezüge den Kosmos symbolisch in sich zu bündeln sucht, und zwar mitten in Rom. Vgl. auch Martini (2006), 33–37. 370 Strobel (1994), 363 f. 371 Ich folge der Übersetzung bei Darwall-Smith 1996, 146f; vgl. seine dort gegebenen Ausführungen und Literaturhinweise; ferner vgl. Pfeiffer (2010), 281–283 mit Anm. 33. 372 Inkorrekt Gering (2012), 170 f., der aus dem Umstand, daß der römische Steinmetz der Obeliskeninschriften offenbar schon seine liebe Not mit den ihm unverständlichen Hiero­ glyphen hatte, schließt, daß jene Inschriften a priori nur zu dekorativen Zwecken und ohne inhaltliche Bedeutung angebracht worden seien: Dann hätte man sich allerdings nicht die

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römischen Durchschnittskaiser zu tun, der sich gleichsam nebenberuflich auf dem Territorium Ägyptens in der dort aus Pharaonenzeiten geläufigen Titulatur als Pharao huldigen läßt, sondern mit einem göttlichen Pharao, der in Rom ein Monument errichtet, auch wenn es in der Praxis kaum jemand lesen konnte und infolgedessen auch nach der Ermordung Domitians niemand an seine Zerstörung dachte.373

j) Zur Astraltopographie des Equus maximus (II) Einige Fragen bleiben noch offen. Zum ersten: Wie ist der o. 131 skizzierten Ungleichgewichtung von vier Bedeutungsebenen auf seiten Domitians (Denkmal / Kaiser / Gott / Stern) gegenüber dreien seines Umfelds (Forum / Götterhimmel / Sternenhimmel) beizukommen? Nur, indem man das ›Forum‹ aufspaltet: Dem Kaiser im Denkmal entsprechen die Bauten ringsum – eben um eine Interpretation dieser baulichen Situation dreht sich ja der gesamte Text. Dem das Forum belebenden und, wie gezeigt werden konnte, vielfach Sprecherfunktion übernehmenden menschlichen und vielleicht auch noch halbgött­ lichen Personal aber entspricht selbstverständlich der physische, göttliche Kaiser, dessen Stellung unter, oder zutreffender: über den sein Reich bevölkernden Menschen ebenso selbstverständlich seine Position auf göttlicher und astraler Ebene abbildet und sich zugleich von dorther legitimiert. Mit anderen Worten: silv. 1, 1 zeigt nicht nur die Möglichkeit, wie die römische Bevölkerung die altgewohnte Umgebung des neuerrichteten Denkmals sozusagen telisch auf Domitians Herrschaft hininterpretieren kann und vielleicht auch soll, sondern das Gedicht bietet damit eine räumlich chiffrierte Definition des Herrscherwollens (um den auf Gottfried Semper zurückgehenden und von Erwin Panofsky präzisierten Ausdruck des Kunstwollens abzuwandeln374) Domitians, die sich wiederum unschwer auf die Ebene der Bevölkerung zurückbrechen oder, wenn man so will, herabprojizieren läßt. Solcherart wohnt dem Gedicht massive politische Bedeutung inne. Ein domitianfeindlicher Leser mag freilich ohne weiteres zu dem Schluß gekommen sein, der Text weise nun eben gerade auf den tyrannischen Herrschaftsanspruch Domitians hin; derselbe Leser hätte Mühe machen müssen, überhaupt eine auf Domitian passende Inschrift zu konzipieren. Das Verständnis eines ausführenden Handwerkers stellt im übrigen ganz grundsätzlich ein denkbar schlechtes Indiz für die Ernsthaftigkeit einer Aussageabsicht auf seiten des Auftraggebers dar. 373 Ein sonderbares Pendant dazu stellt der Umstand dar, daß ausgerechnet Ägypten jene Region des Imperiums ist, in welcher Domitians Inschriften verhältnismäßig am wenigsten von der damnatio memoriae erfaßt wurden: vgl. die Statistik bei Pailler-Sablayrolles (1994), 16 f. 374 Panofsky (1920).

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konsequent, und mit dem gleichen Recht des Konsumenten (und eben nicht des Wissenschaftlers) auch das Denkmal selbst für eine von Senat und Volk intendierte Parodie auf Domitian erklärt (was Vertreter der modernen two-voicesInterpretation merkwürdigerweise noch nicht getan haben). Der Text selbst aber tut nichts, ein solches Verständnis nahezulegen: er stellt schlicht Gegebenheiten fest und artikuliert sie in ganz besonderer Weise.375 Ferner: Welche Rolle spielt Domitian nun eigentlich unter den Sternen? Man könnte sich freilich damit bescheiden, in ihm ebenso wie in seinen göttlichen Verwandten abstrakte Sterne anstelle definierbarer Himmelskörper zu sehen,376 doch eine gewisse innere Logik verlangt, daß, wer unter den Göttern Jupiter und unter den Menschen Kaiser ist, nicht unter den Sternen ein gerade noch mit freiem Auge sichtbares Pünktchen am Firmament ist. Die Antwort liegt auf der Hand, auch wenn der Text von silv 1, 1 wenig tut, um unmißverständlich auf sie hinzuweisen, von der Anrede Domitians als immortale iubar in Vers 77 und der schließlich perfekt zu Sol als dem Allsehenden passenden Wendung templa superfulges et prospectare videris (33), die in tua sidereas imitantia flammas ­lumina (103sq.) wiederkehrt,377 vielleicht abgesehen:378 Es kann sich, jedenfalls solange der Kaiser lebt, nur um die Sonne handeln, mit der Monarchen des Mittelmeerraumes spätestens seit dem Hellenismus regelmäßig gleichgesetzt werden. Auch die römischen Herrscher machen davon seit Augustus und anscheinend zunehmend Gebrauch, auch wenn sie nicht, wie Nero, ihres Horoskops wegen eine geradezu zwangsläufige Affinität zur und damit Indentifikabilität mit der Sonne aufzuweisen haben sollten.379 In silv. 1, 1 erscheint dieses Motiv 375 Vgl. o. I, bei Anm. 56. 376 Traglia (1981), 540: Das caelum Flavium sei »un cielo del tutto diverso dal nostro, ché nessuno di essi corrisponde ad alcuna stella di quelle che noi vediamo.« 377 Überkritisch Barthius (1624), 1307, der sich an imitantia stößt: Weshalb sollten die Rhodier sich mit einem Imitat zufriedengeben? Barthius (1674), Anmiadv. 41 f., nimmt diese Kritik teilweise zurück: Da ohnehin nur von Statuen die Rede sei, störe die Formulierung nicht so heftig, wie zunächst angenommen. 378 Bei Statius bezeichnet iubar etwa gleich häufig einen Stern (Theb. 7, 710; Ach. 1, 151; silv. 4, 8, 31) und die Sonne (Theb. 1, 342; 5, 296; 7, 45; silv. 2, 2, 46). Den Hinweis auf die Parallele zwischen Domitians Blick und Sol verdanke ich Geyssen (1996), 26; zur zwangsläufigen Junktimierung des Konzepts der optischen Wahrnehmung via Sehstrahlen mit der Vor­ stellung, daß Himmelskörper, allen voran die Sonne, dadurch, daß sie Licht verbreiten, mit der Fähigkeit des Sehens begabt seien, woraus die Vorstellung vom alles sehenden Sonnengott resultiert, vgl. Simon (1992), 35 f. 379 Schon die Geburt des Augustus wird in einem bis zu Suet. Aug. 94, 4 kolportierten (und damit sicherlich aus augusteischer Propaganda herrührenden) Traum seines Vaters zur Lichtgeburt ähnlich der des Mithras oder derjenigen Christi im Protevangelium Iacobi stilisiert; Augustus selbst wiederum adoptierte Tiberius am Sommersolstitium (26. 6.) des Jahres 4 n. Chr.: Schmid (2005), 262–267, und wurde nach seinem Tod auf Münzen mit derselben Strahlenkrone abgebildet, die ab Nero (BMCRE 1, Nero 120. 203. 198–210. 213–224) und wiederum verstärkt ab Domitian immer häufiger das Münzportrait lebender Kaiser

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eher impliziert als ausgebreitet, sieht man von einem Detail ab. John Geyssen beobachtet richtig, daß im Gedicht der Nero-Sol-Koloß, damals schon neben dem Flavischen Amphitheater placiert, nicht erwähnt wird, obwohl er sich als Kolossalstatue grundsätzlich zum Vergleich angeboten hätte, und zwar deutlich näherliegend als die gegen Ende des Gedichtes aufgelisteten Kolosse von Olympia, Tarent und Rhodos, und obwohl er vom Forum aus gut sichtbar gewesen sein muß;380 Filippo Coarelli schlägt sogar vor, daß das Domitians­ monument axial auf ihn ausgerichtet war: eine angesichts der nicht restlos zuverlässigen archäologischen Evidenz leider nicht beweisbare, prinzipiell aber nicht unvorstellbare Hypothese.381 Geyssens Erklärung für diese Absenz (die prinzipiell freilich auch einem Zufall oder einfach Neros schlechter Reputation geschuldet sein könnte), daß nämlich das Domitiansmonument einfach zu klein für einen Vergleich war, überzeugt nicht und wurde auch bereits, wenngleich mit zum Teil  schwachen Argumenten, zurückgewiesen.382 Wenn man sich schon auf eine Argumentatio ex silentio einlassen will, schiene es mir nahe­ liegender, die Absenz des Nero-Sol in der gleichen Weise zu erklären wie die des Saturn- und des kapitolinischen Jupitertempels: Wer selbst in Gestalt des Domitian(smonuments) präsent ist, benötigt keinen Tempel (vgl. o. 133), und auch keine weitere Repräsentanz; das gilt nun auch für Sol.383 Übrigens komplettiert sich damit auch die Reihe der Kolosse von Olympia, Tarent (jeweils Jupiter) und Rhodos (Sol) in den Versen 101–104: Jeder davon bildet nun, den Unterschied zwischen einer Kolossalstatue und einem Reitermonument einmal

schmückt: Bergmann (1993), 5 f.; Nero vollends, bei Sonnenaufgang geboren (Suet. Nero 6, 1), wird unverkennbar zur (aufgehenden) Sonne stilisiert, nicht nur bei Sen. apoc. 4; clem. 3, 6, 4; Carm. Eins. 1, 27sq., sondern auch in der bekannten Kolossalstatue des als Gott, und zwar vermutlich schon als Sol dargestellten Kaisers vor seinem Palast, die man nach seinem Tod zwar, soweit möglich, ent-neronisierte, aber naheliegenderweise nicht gut ent-solarisieren konnte: Bergmann (1993), 9 f.; Schmid (2005), 277–303; Coleman (2006), 21; zur architektonischen Umsetzung von Kaisertum und Solarität in Neros Domus aurea vgl. Voisin (1987); zur Solarkomponente des römischen Kaisers vgl. ferner Sauter (1934), 137–145; Berrens (2004), 213. 380 Geyssen (1996), 24–26. 381 Coarelli (2009), 83. Für den Hinweis auf diese Hypothese danke ich Ruurd Nauta ­(Groningen). 382 Leberl (2004), 164; irrig seine Behauptung, Statius vergleiche den Equus maximus nur mit Reiterstandbildern, der Nero-Sol-Koloß aber sei eine unberittene Statue gewesen: Zweifellos war er das, genauso wie die Kolosse von Olympia, Tarent und Rhodos, die Statius zum Vergleich heranzieht. 383 Die oben (110–113) skizzierte Anweisung an einen Besucher der Fora, diese betrachtend im hier vorgeführten Sinn zu interpretieren, gilt freilich zweifellos auch für derlei Absenzen: Man konnte einem Betrachter zwar nicht gut vorschreiben, optisch höchst präsente Gegebenheiten wie Kapitol oder den Solkoloß nachgerade auszublenden, aber er konnte sie im Standbild Domitians gleichsam konterkariert sehen.

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hintangestellt,384 einen adäquaten Vergleichspunkt für den Equus maximus und dessen μέγεθος, seine Größe.385 Damit ist der Himmel immerhin über sein leuchtkräftigstes Gestirn auf dem irdischen Forum präsent, doch es fehlen die Sterne ringsum.386 Ebenso wie bei den olympischen Göttern kann Statius aus äußeren Gründen weder Vollständigkeit anstreben, noch eine besonders ausgewogene Auswahl bezwecken: Die Gegebenheiten auf dem und um das Forum, die stets im Blick behalten werden mußten, sollte nicht zu viel Sand ins Getriebe der komplexen in-eins-SetzungsMaschine geraten, schränkten den Spielraum zweifellos ein. Immerhin erscheinen im Text folgende (potentielle) Himmelskörper oder Sternbilder: Mars (­18–21), Orion (45), Kastor und Pollux (via Cyllarus),387 Venus (en passant erwähnt in 384 Der Umstand, daß Sol häufig entweder als Wagenlenker oder als stehende Einzelfigur dargestellt erscheint (LIMC 4, s. v. Helios / Sol, Nr. 90–117 und Nr. 122–159), hindert wenig daran, das Reiterdenkmal auf dem Forum so zu interpretieren: Es sei beispielsweise an das freilich zweihundert Jahre jüngere Medaillon des Constantius Chlorus aus dem Schatzfund von Arras (Paris, Cabinet de Médailles) erinnert, das den berittenen, speertragenden Kaiser als (laut Beischrift) restitvtor lvcis aeternae zeigt: Abb. bei Bockius (2007), 12. 385 Zu diesem Motiv vgl. Koch (2013), 57–65. 386 Statius als Begründer des heliozentrischen Weltbildes avant la lettre? Parbleu! Doch vgl. zu derlei futuristischen Motiven Damsté (1925). 387 Courtney (1984), 329, will die Dioskuren in silv.  1, 1 im Sinne einer entlegenen Mythen­variante als Abend- und Morgenstern betrachten und beruft sich dafür auf silv. 4, 6, 15sq. Abgesehen davon, daß ich auch an jener anderen Silvaestelle keinen Anlaß sehe, Morgen- und Abendstern zwingend ins Spiel zu bringen, weil der viel besser bekannte Mythos vom täglichen Wechsel der Dioskuren zwischen Ober- und Unterwelt vollkommen zum Verständnis der Stelle ausreicht (Courtney selbst widerruft seine Ansicht [1988], 43: q. v.), scheint mir für silv. 1, 1 Shackleton Bailey (2003), 35, Anm. 16, das Richtige zu treffen, wenn er Cyllarus schlicht als das gemeinsame Pferd der Dioskuren auffaßt; der für Pollux gelegentlich belegte Xanthus erinnert an die Pferde des Sol, Xanthus und Aethon (Mart. 8, 21, 7), erscheint aber nur selten: Etym. Magn. 544, 54 zitiert Stesichoros, demzufolge Hera den Dioskuren die Rösser Kyllaros und Xanthos geschenkt habe. Auch für silv. 1, 1 sei auf Mart. 8, 21, 5sq. hingewiesen: Ledaeo poteras abducere Cyllaron astro: / ipse suo cedet nunc tibi Castor equo. Angesprochen ist Phosphorus, der Morgenstern, der anläßlich der Rückkehr Domitians vom Sarmatenfeldzug im Jänner 93 rascher aufgehen, d. h. den Tag der Heimkehr des Kaisers beschleunigen soll. Martial spielt darauf an, daß während dieses Feldzuges Venus (der Morgenstern) fast einen Monat lang (Mitte Juli bis etwa 11. August 92) im Sternbild der Zwillinge zu sehen war und wenige Tage darauf (14. 8. 92) in Konjunktion mit Jupiter (d. h. wohl auch hier: Domitian) stand; interpretierte man dies vielleicht panegyrisch in dem Sinne, daß Phos­ phoros den Dioskuren Cyllarus entführte, um ihn dem Kaiser für seinen Feldzug zur Verfügung zu stellen? Die alte Rolle der Dioskuren als berittene Nothelfer in Feldzügen würde dies nahelegen. Jedenfalls zeigt die Martialstelle, daß das Ausleihen des Cyllarus ein ohne weiteres mögliches Motiv ist, gerade wenn der Morgenstern mit keinem der Zwillinge identisch ist. Wie weit Mart. 8, 21 seinerseits vom wohl älteren silv. 1, 1 abhängt und am Motiv, Domitians Equipierung mit den Dioskuren in Verbindung zu bringen, weiterdichtet, sei dahingestellt. – Zur stellaren Komponente der Dioskuren, die bisweilen geradezu als ›berittene Sterne‹ dargestellt werden und damit einen hervorragenden Vergleich für das Domitiansmonument abgeben, vgl. o. I, bei Anm. 340.

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84), sowie Jupiter (passim), Saturn (nirgends explizit, doch vgl. o. 133) und Sol (103sq.).388 Alle diese Erwähnungen sind aus der Sakraltopographie der Forums­ umgebung entwickelt, die einzige Ausnahme bildet Orion. Und damit ergibt sich eine merkwürdige Koinzidenz ausgerechnet mit der Nativität Domitians. Domitian ist geboren am 24. 10. 51. Dem Betrachter bot sich zu dieser Zeit folgendes Bild am Himmel: Saturn stand im Wassermann, wie schon seit etwa anderthalb Jahren, Mars in den Zwillingen (Kastor und Pollux). Jupiter befand sich am Abendhimmel im Schützen, Venus zusammen mit dem Mond und Merkur im Bereich des Skorpions, wo klarerweise auch die Sonne stand.389 Gut am Himmel zu sehen war, wie stets im Winterhalbjahr, Orion, der etwa zugleich mit Mars aufging, auch wenn er als nicht zum Zodiak gehöriges Sternbild, das demnach auch keinen Wandelstern beherbergen kann, für astrologische Zwecke wenig Relevanz hat (wie übrigens auch die Frage, welche Planeten nun effektiv sichtbar nächtens am Himmel standen und welche tagsüber). Es liegt mir fern, nun nach irgendeiner antiken Methode aus dieser Konstellation zur Geburt Domitians berechnen zu wollen, was ein sie deutender antiker Astrologe möglicherweise damit angefangen hätte: Das würde schon daran scheitern, daß Domitians genaue Geburtsstunde nicht feststeht, sodaß nur allgemeine Aussagen zur himmlischen Konstallation, nicht aber Aszendent und Deszendent, die einzelnen Häuser, der daraus abzuleitende Glückspunkt etc., also kein echtes Horoskop gewonnen werden können.390 Eine einfache Zusammenschau der im Text erwähnten stellaren Elemente mit jenen, die bei der

388 Abzusehen ist von den nicht ohne weiteres einem konkreten Stern zuzuordnenden Verstirnten: Divus Iulius (22–28), evt. Aemilius Paullus (30), und jedenfalls die Flavier (97sq.). 389 Brind’Amour (1981), 341 gibt eine Tabelle nach Ptolemaios im Vergleich zu einer 1964 errechneten. Die von mir mithilfe des unter http://www.stellarium.org erhältlichen Programms berechneten Werte sind: Sonne: Mond: Merkur: Venus:

208° 54' 219° 03' 229° 19' 229° 36'

Mars: Jupiter: Saturn:

88° 11' 268° 21' 321° 25'

Dabei ist zu berücksichtigen, daß ich für die Abgrenzung der Zodiakalzeichen gegeneinander das Modell, demzufolge Aries den Abschnitt von 0° bis 30° (etc.) einnimmt, herangezogen habe. In der Tat ergäben sich, wenn man dem gleichfalls belegten Modell folgte, das mit 8° Verschiebung operiert (Aries = 352°–22°), nur zwei Verschiebungen: Mars käme im Krebs zu liegen, Jupiter im Capricorn. Ich erlaube mir ermangels jeglichen Anhaltspunktes, welche Berechnungsmethode im Umkreis Domitians möglicherweise beliebter war, für meine Argumentation diejenige heranzuziehen, die sich mit dem Text von silv. 1, 1 besser zur Deckung bringen läßt; vgl. Brind’Amour (1981), 340. 390 Eine besonders knappe, lehrreiche Einführung hierzu bietet Schmid (2005), 26 und 31; vgl. Hübner (2003), 12–24. Ausführlicher Barton (1994), 86–113 und, eine konkrete moderne Nativität mit antiken Methoden durchrechnend, 114–141. Der Zustand, daß die die Plane-

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Geburt Domitians astrologisch eine Rolle spielen mußten, genügt zum Glück völlig und ist im Sinne des interpretatorischen Strebens nach Konsistenz gerechtfertigt: Schließlich ist es nicht zu viel verlangt, Konsistenz nicht nur auf der Ebene des im Text beschriebenen Monuments, sondern auch in den hinzutretenden weiteren Dimensionen, also der Götterwelt und dem Sternenhimmel, zu erwarten; und zum Sternenhimmel gehört zwangsläufig auch die Beobachtung der Sternkonstellationen wesentlicher historischer Eckdaten, eine Selbstverständlichkeit für das antike Publikum; was dazu rät, die Nativität des Kaisers versuchsweise mit dem Text zur Deckung zu bringen.391 Domitian selbst nahm diese sehr ernst  – so sehr, daß ein Senator namens L. Pompusius Mettius (auch die Namensform Mettius Pompusianus ist überliefert) hingerichtet wurde, weil dessen Horoskop zu Mettius’ Unglück ein ›kaiserliches‹ war, ihm also den Thron voraussagte;392 auch seine Ermordung soll Domitian auf astrologischer Basis für den richtigen Zeitpunkt befürchtet haben.393 In einer astrotenkonstellation allgemein bekannt, der präzise Zeitpunkt aber unbekannt ist oder nicht angegeben wird, ist übrigens nicht bloß ein recht häufig sich ergebender, sondern selbst für die aktive Vorgangsweise kaiserlicher Repräsentation denkbar, wenn auch solches erst hundert Jahre nach Domitian belegt ist: Laut Cass. Dio 76, 11 ließ Septimius Severus auf die Decken der von ihm gebrauchten Säle auf dem Palatin seine Geburtskonstellation malen, jedoch ohne eindeutige Angabe der Geburtsstunde; vgl. u. I, Anm. 434. 391 Daß die immerhin passable Deckungsgleichheit die Nativität betrifft und nicht etwa die Himmelskonfiguration zur Zeit von Domitians Zeugung (wohl Jänner 51) oder auch an seinem Dies imperii (14. 9. 81), also anderen denkbaren Terminen, geht aus dem Text nicht hervor und ist nur durch Versuche feststellbar. In der zweiten Jännerhälfte 51 standen Venus in der Waage, der Saturn und (vorübergehend) der Mond im Wassermann, Jupiter im Krebs, die Sonne in Steinbock / Wassermann; am 14. September 81 fanden sich Venus und Jupiter im Schützen, Mars im Steinbock, Saturn im Wassermann, der Mond im Skorpion, die Sonne in der Jungfrau. Man sieht: An beiden Terminen kommen Elemente ins Spiel, die im Gedicht keine Erwähnung finden (der Steinbock zum Beispiel, oder der Krebs), und zugleich findet man im Gedicht benannte Himmelsphänomene (das Sternbild der Zwillinge etwa)  nicht, bzw. nicht aussagekräftig, d. h. durch keinen Planeten ›besetzt‹, am Himmel. Das beweist immerhin, daß die im Gedicht erscheinenden astralen Elemente nicht auf jeden x-beliebigen Termin zutreffen, sondern ausgerechnet auf den für astrologische Berechnungen wichtigsten, den Geburtstag, was meine Interpretation, so hoffe ich, ein wenig an Plausibilität gewinnen läßt. 392 Suet. Dom. 10, 3; Cass. Dio 67, 12, 3.  Zum Verbot, das kaiserliche Horoskop zu be­ rechnen, und zur spiegelbildlichen Gegenposition, die besagte, daß der Kaiser als einziger ohnedies den Sternen nicht unterworfen sei (Firm. mat. 2, 30, 4sq.), vgl. Domenicucci (1996), 146 f. 393 Suet. Dom. 16; cf. 14; Cass. Dio 67, 16, 3. Gegen Suetons Erzählung wurde freilich mit Recht eingewandt, sie sei wohl eher eine zur Geschichte ausgebaute vaticinatio ex eventu aus der Feder eines Astronomen, der beim Vergleich von Domitians Geburtshoroskop mit dem seiner Todesstunde gewisse Parallelen feststellte und daraus ein Lehrstück für die Zuver­ lässigkeit der Astrologie ableitete: vgl. Brind’Amour (1981), 342, Anm. 11. Es bleibt aber, daß ein mindestens zeitnahes Publikum Domitian offenbar für hinlänglich sternengläubig und -kundig hielt, um ihm eine solche Geschichte andichten zu können.

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logisch so aufgeladenen Zeit und vollends in einem Gedicht, das den Kaiser und seine Verwandten unter die Sterne einreiht, ist jedenfalls mit einschlägigen Anspielungen zu rechnen. Und in der Tat: Mars und die Zwillinge finden sich im Gedicht, Orion als das mythische Pendant zum Skorpion, Domitians eigenem Sternzeichen, ebenso, und vollends Jupiter, ausgerechnet (was astrologisch von Bedeutung ist und eine positive Deutung nach sich ziehen müßte) in seinem eigenen Haus,394 dem stets als Kentaur dargestellten Schützen stehend, paßt hervorragend zum Reiterstandbild eines Jupiter verkörpernden Kaisers; erst recht, wenn dieser Kaiser aus Mars und Jupiter zusammengesetzt erscheint, wie die Schilderung seines Gesichtes in silv. 1, 1, 16 ora mixta notis belli placidamque gerentia pacem klarmacht: immerhin standen Mars in den Zwillingen und Jupiter im Schützen in Domitians Horoskop in Opposition zueinander, gleichsam als Komplementärkontrast.395 Hinzu tritt noch der im Dreiecksaspekt zu Mars und wie Jupiter in seinem eigenen Haus, im Aquarius, stehende Saturn, den Domitian ja ebenfalls zu repräsentieren scheint: Man könnte, wenngleich völlig spekulativ, den Auftritt des Curtius aus seinem feuchten Loch (76: palus) auch von daher motiviert sein lassen. Und vollends das auffällige Gedränge von nicht weniger als vier Himmelskörpern (Sonne, Mond, Merkur, Venus) im Skorpion, Domitians Sternzeichen, erinnert allzu frappant an das Schlußbild des Gedichtes, das Domitian von Sternen umringt und geradezu geküßt werden läßt, um nicht eine interpretatorisch belastbare Parallele zu vermuten. Dazu ist nochmals etwas auszuholen. So problematisch es prinzipiell sein mag, zur Erklärung oder, noch fragwürdiger, zur Addition einer weiteren Bedeutungsebene zu einer aus sich selbst heraus ohne weiteres verständlichen Stelle in einem Gedicht auf ein anderes poetisches Werk desselben Autors zurückzugreifen, weil man diesem damit unterstellt, in unter Umständen grundverschiedenen Werken dennoch unwandelbar gleichen Konzepten folgen zu sollen: Hier erscheint trotzdem ein Rückgriff auf Statius’ Hauptwerk, die Thebais, angebracht, konkret auf Theb. 1, 24–30:         … licet artior omnis limes agat stellas et te plaga lucida caeli, Pleiadum Boreaeque et hiulci fulminis expers, sollicitet, licet ignipedum frenator equorum 394 Zur Zuordnung der Zodiakalzeichen zu den sieben beweglichen Himmelskörpern, von denen Sonne und Mond je eines regieren, die übrigen fünf je zwei, vgl. Barton (1994), 96. 395 Eine hochinteressante Parallele zu solchem dichterischen Vorgehen aus (jedenfalls vermutungsweise – das dornige Problem der Datierung des Calpurnius Siculus lasse ich hier unbeachtet) neronischer Zeit führt Schmid (2005), 289 f. an, wenn er auf Calp. Sic. 7, 83sq. hinweist: in uno et Martis vultus et Apollinis esse putantur  – in Neros Horoskop standen Sonne (Sol / Apoll) und Mars zwar nicht in Opposition, aber in Konjunktion, was, wie Schmid richtig bemerkt, der Ausgangspunkt für Calpurnius’ nicht eben naheliegende Formulierung sein dürfte.

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ipse tuis alte radiantem crinibus arcum imprimat, aut magni cedat tibi Iuppiter aequa parte poli …

Jene prooemiale Huldigung an Domitian macht Vorschläge zu seinem Katasterismos, der entweder (1) in einer plaga lucida caeli Pleiadum Boreaeque et hiulci fulminis expers (25sq.), oder (2) als Sol (27–29), oder schließlich (3) als Jupiter zu denken sei. Es fällt auf, daß die Punkte (2) und (3) als himmlische Identifikationen für Domitian auch in silv. 1, 1 unverkennbar gegeben sind; was es geraten erscheinen läßt, auch nach (1), der plaga lucida caeli, zu suchen. In einer beachtenswerten Analyse interpretiert Patrizio Domenicucci sie als Sternzeichen des Skorpions, also als eben jenes Sternbild, das in Domitians Nativität eine so große Rolle spielt; worauf Domenicucci übrigens nur insoweit eingeht, als er darauf hinweist, daß am 24. 10. 51 die Sonne im Skorpion stand.396 Ausschlaggebend für diese Interpretation ist die Erwähnung der Pleiaden an der Thebaisstelle, denn sie liegen im Sternbild des Stieres, dem Skorpion also genau gegenüber, in Opposition; die plaga lucida caeli freilich deutet Domenicucci mit nicht restlos überzeugenden Argumenten als Südregion und gelangt damit indirekt zum Skorpion als einem der südlicheren Tierkreiszeichen. Mir schiene ein anderer Weg zuverlässiger zum selben Ergebnis zu führen:397 Die nächstliegende Interpretation einer plaga lucida caeli, eines ›helleuchtenden Himmelsbereichs‹, ist doch wohl die Milchstraße,398 deren Schnittpunkte mit der Ekliptik, d. h. dem Zodiak, innerhalb dessen man sich einen Katasterismos schon aus astrologischem Systemzwang wohl am ehesten denken wird,399 zwischen 396 Domenicucci (1996), 169–173. 397 Domenicucci (1996), 156; ebd. 173 deutet er die oben vorgeschlagene Argumentationslinie als Alternative bereits an, ohne sie aber durchzuspielen. 398 Als Bezeichnung für die Milchstraße erscheint plaga noch bei Stat. silv. 1, 2, 51 plaga lactea caeli; ebenso Auson. 317, 7; Paul. Nol. carm. 14, 48. 399 Domenicucci (1996), 103–111 selbst weist für Augustus einen Katasterismos in der Waage nach, der seit Verg. georg. 1, 32–35 geradezu zum literarischen Allgemeingut gehört; übrigens kann ein Katasterismos Domitians im Skorpion nebenbei dazu dienen, gerade unter Bezug auf Vergil Augustus durch Domitian überboten werden zu lassen: Verg. georg. 1, 34sq. ipse tibi iam bracchia contrahit ardens / Scorpius et caeli iusta plus parte reliquit, auf die Abtrennung der Scheren des Skorpions als eigenes Sternzeichen, eben die Waage, anspielend, würde durch eine Verlagerung des Kaisertums in das Zeichen des Skorpions doch konterkariert, zumal Domenicucci, ebd. 153–161, nach Luc. 1, 45–59 auch noch für Nero die Waage als Ort der Verstirnung wahrscheinlich macht: Anscheinend also ist der Zodiak ein passender Himmelsbereich dafür, und speziell die Waage für das julisch-claudische Haus. Hingegen kann ich Domenicuccis Versuch, aus Mart. 4, 3 eine Verstirnung des frühverstorbenen Sohnes Domitians im großen Wagen / Bären, vorschlagsweise als Alcor, abzuleiten (173–180), nicht folgen: Die zum Vergleich herangezogene Reversdarstellung eines Aureus der Domitia (vgl. o. I, bei Anm. 346; Sutherland [1974], Abb. 346 f.; Carradice [1983], Taf. 1, Nr. 21; ­Gundel [1992], 293, Nr. 314; identisch Domenicucci [1996], 175; ein Exemplar mit anderem Stempel­ schnitt bei Kampmann [2004], 101, Nr. 15.3; BMCRE 2, Domitian 62 f.: Aureus und Denar)

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Taurus und Gemini sowie im Skorpion bzw. zwischen Skorpion und Sagittarius liegen. Demnach bezeichnet Theb. 1, 25 einen Bereich der Milchstraße, immerhin eines traditionellen Aufenthaltsortes verewigter Großer,400 der im Zodiak (was astrologisch einigermaßen notwendig ist) und weit entfernt von den Pleiaden liegt: den Skorpion. Daß dieser als vergleichsweise südliches Zodiakalzeimit dem vergöttlichten Kind auf der mit dem aus Zodiak und Himmelsäquator oder Zodiak und Milchstraße gebildeten Kreuzband gekennzeichneten Weltkugel (dazu vgl. Gundel [1992], 60–63; Latura [2012], passim, der auf Platon, Timaios 36b–c verweist und das Kreuzband als Milchstraße und sichtbares Zodiakallicht deutet) und sieben die Umschrift begleitenden Sternen, erlaubt keinen sicheren Rückschluß auf den großen Wagen, auch wenn ein des weiteren zum Vergleich herangezogener Denar des Jahres 74 v. Chr. (sic!) zufällig wirklich sieben Sterne in entsprechendem Sinn – der Münzmeister hieß L. Lucretius Trio und spielte offenkundig mit seinem Namen  – zeigt (Abb. bei Albert [2003], 159, Nr.  1290; Umzeichnung bei Domenicucci [1996], 177). Ebensogut könnten als nächstliegende Deutung die sieben beweglichen Himmelskörper (so Clauss [1999], 122; gestützt durch Carradice [1983], 18, der eine Stempelvariante mit sechs Sternen und einem Halbmond anführt), ferner die Pleiaden oder jede andere Siebenergruppe von Sternen gemeint sein, einmal vorausgesetzt, die Siebenzahl auf der flavischen Münze ist überhaupt über den allgemeinen Symbolismus dieser Zahl hinaus von Bedeutung: Gleiches gilt beispielsweise für die bekannten silbernen Gürtelbeschlagsscheiben aus Stabiae mit Darstellungen des Sol in einer Quadriga und der Luna in einer Biga, letztere qua nächtlich den Himmel durchfahrende Gottheit von ebenfalls sieben Sternen umgeben, sodaß sie selbst verdoppelt erschiene, wenn die sieben Sterne die beweglichen Himmelskörper bezeichneten: Neapel, Mus. Arch. Naz. inv. 5687 und 5688; Abb. bei Künzl (1977), 181, Abb. 2; Künzl (1988), 562 f., Abb. 388; Ortisi (2014), 30, Abb. 2.; vergleichbar eine Darstellung des Sol, von sieben Sternen begleitet, auf einer Gemme im Debreziner Déri-Museum, Inv. R XI 1.38: Abb. in LIMC 4, s. v. Helios / Sol, Nr. 188; vgl. auch den Kreuzbandglobus mit sieben just auf die vier Zwickel zwischen den Bändern verteilten Sternen auf der linken Seite einer kleinen Stele (darüber ein Adler mit Blitzbündel), deren Front die Felsgeburt des Mithras und deren rechte Seite eine Okeanosdarstellung zeigt, im Archäologischen Museum Frankfurt am Main, Inv. X 9354. Vor allem aber spricht gerade der Text des Martialepigramms gegen Domenicuccis Deutung, werden doch dort Bootes und der große Bär ausdrücklich genannt (Mart. 4, 3, 5sq.), und zwar, wie sich aus dem Duktus des Gedichts klar ergibt, als vorgeschlagene irrige Vermutungen, woher der Schnee komme, der auf das Domitiansmonument rieselt, denen jedoch sogleich die Richtigstellung folgt, es müsse der – also anderswo am Himmel zu denkende – vergöttlichte kleine Sohn sein, der da mit Schnee werfe. Damit aber fällt der einzige mir bekannte Beleg für einen kaiserlichen Katasterismos außerhalb des Zodiak fort. – Hingewiesen sei noch auf einige Edelmetallprägungen des Titus für den vergöttlichten Vespasian, die auf dem Revers ähnlich der gerade beschriebenen Münze einen Kreuzbandglobus zeigen, darüber zwei Capricorni, also massiv mit zodiakalen Elementen operiert: vgl. Gundel (1992), 293, Nr. 313; BMCRE 2, Titus 128– 134. Leider ist kein literarischer Hinweis darauf, wo man sich Vespasian am Sternenhimmel zu denken habe, aus der Zeit des Titus erhalten; eine Verstirnung Vespasians ohne nähere Spezifikationen erwähnt Mart. 14, 124, 2 dedit astra patri; cf. 9, 101, 21. Immerhin aber: In der Wahrnehmung des späten 1. Jhdts. folgten auf die Julier-Claudier, deren καταστερισμοί, soweit bekannt, in der Waage zu denken waren, die Flavier; am Firmament folgt auf die Waage der Skorpion. Ist es unwahrscheinlich, daß man im Diskurs der Zeit diese primitive Parallele zog? 400 cf. e. g. Manil. 1, 758–805.

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chen Boreae expers ist, bestätigt erfreulicherweise die Interpretation, während hiulci fulminis expers (Theb. 1, 26) meines Wissens noch keine einleuchtende Erklärung gefunden hat, zumal gerade die Junktur hiulcum fulmen, indem sie den Sternenhimmel mit einem eigentlich der erdnäheren Wettersphäre angehörigen Phänomen in Kontakt bringt, doch Anlaß zu Besorgnis gibt.401 In silv. 1, 1 erscheinen nun zwar nicht die Pleiaden, wohl aber Orion, zwar kein Zodiakalzeichen, doch genau auf dem in bildlichen Darstellungen gern mit dem Tierkreis kombinierten Himmelsäquator gelegen402 und zum Skorpion gleichsam in mythischer Opposition, die der Verteilung ihrer Auf- und Untergänge entspricht. Präziser formuliert ist seine Gegnerschaft zu Orion der einzige Mythos, der sich überhaupt an das Sternbild des Skorpions heftet. Ich habe schon oben (vgl. bei Anm. 343) auf die wahrscheinliche Funktion der Erwähnung Orions (silv.  1, 1, 45) zum Aufbau einer weiteren, himmlischen Bedeutungsebene hingewiesen; nun ziehe ich die Möglichkeit in Betracht, daß er analog zur Funktion der Pleiaden in der Thebais auch im ersten Gedicht der Silvae einen konkreten Hinweis auf einen Katasterismos Domitians im Sternbild des Skorpions enthält. Domitian nimmt in silv. 1, 1 eine göttliche Gegensätze überbrückende Rolle ein: Er ist, in seinem Horoskop bereits angelegt, Mars und Jupiter zugleich (silv. 1, 1, 16: vgl. o. I, bei Anm. 116 und Anm. 275); auch Jupiter und Saturn scheint er in sich zu vereinen (o. 133). Wäre es da nicht angebracht, die an sich überraschende Gleichsetzung mit dem als positiver Vergleich in der Literatur sonst kaum je bemühten Orion (44sq.) analog als Komplementärergänzung zum aus Domitians Nativität jedenfalls bedeutsamen und an der oben diskutierten Thebaisstelle sehr wahrscheinlich auch für seine Verstirnung vorgesehenen Skorpion aufzufassen? In diesem Fall erhebt sich die Frage, welcher Stern im scorpio konkret für Domitian vorgesehen sein kann, und glücklicherweise ist die Antwort, wie schon Patrizio Domenicucci gesehen hat,403 mit eini­ ger Zuverlässigkeit aus den inneren Gesetzen jeder Panegyrik errechenbar: Nur der hellste Stern kommt als Äquivalent für den Gepriesenen in Frage, also α Scorpii, besser als Antares bekannt  – der rot schimmernde Gegen-Mars, der also sogar seinem Namen nach zu Domitians Vereinigung diverser göttlicher Potenzen und erst recht zu seiner Rolle als besserer, nicht bloß im Krieg siegreicher, sondern zugleich Frieden gebietender Monarch paßt:404 ich verweise auf das Bild der Verse 18–21, den galoppierenden Mars, durch das erstmals im Gedicht das Forumsmonument in seiner Gesamtheit erfaßt wird, und auch darauf, daß schon Domitians Geburt durch ein seine lange Kaiserherrschaft anzeigen 401 ThlL 6, 2847, 65–69 bietet eine regelrechte Apologie dieser einmaligen Fügung. 402 Vgl. die in Anm. 399 erwähnten Darstellungen sogenannter Kreuzbandgloben; weitere Beispiele bietet Gundel (1992), passim. 403 Domenicucci (1996), 173, Anm. 135. 404 Vgl. u. I, bei Anm. 591.

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des Prodigium ausgerechnet an einer dem Mars heiligen Eiche begleitet worden sein soll.405 Ferner wurde bereits erwähnt, daß im Rahmen der Sakraltopographie der irdischen Fora Roms der Mars-Ultor-Tempel des Augustusforums die einzige Anknüpfungmöglichkeit für eine ›Marskomponente‹ Domitians bietet, da Mars als kriegerische ›Draußen-Gottheit‹ innerhalb des Pomeriums streng genommen fehl am Platz ist.406 Es trifft sich, daß ausgerechnet in flavischer Zeit das Kultbild dieses Tempels erneuert oder wenigstens in zeitgemäßer Form wiederholt und in Gestalt einer überlebengroßen Marmorstatue im 16.  Jhdt. im Bereich des Forum Transitorium / Augustusforum wiedergefunden wurde (heute: Kapitolinische Museen).407 Merkmale dieser Statue: Mars steht, die erhobene rechte Hand auf eine Lanze gestützt, die gesenkte Linke auf dem Rand eines auf den Boden gestellten Schildes, auf dem von einem mächtigen Bart umrankten Kopf, der keinerlei Portraitzüge erkennen läßt, einen Helm mit außerordentlich hoher Helmzier, ohne Schwertgurt und Schwert, dafür mit einem durch ein reliefiertes Greifenpaar verzierten Panzer inklusive Gorgoneion auf der Brust gewappnet, ein Mantel locker über den rechten Oberarm, den Rücken und den linken Unterarm drapiert, ohne Beinschienen, die Füße mit den reichverzierten Paradestiefeln römischer Imperatoren bekleidet (Mantel und Beine sind freilich neuzeitlich ergänzt, im Fall der fehlenden Beinschienen und der Fuß­ bekleidung nicht unbedingt korrekt).408 Ob es nun Zufall ist oder nicht, doch Statius᾽ Beschreibung zufolge bildete die Darstellung Domitians auf dem Forum Romanum in jedem wesentlichen Punkt das jeweilige Gegenteil: Der Domitian des Equus maximus war als Portrait zwangsläufig bartlos und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne Helm dargestellt, an der Seite ein Schwert, dafür ohne Schild, die rechte Hand nur halb erhoben, ohne in ihr etwas zu halten, in der Linken die hinlänglich bekannte Minervastatuette, der Panzer möglicherweise ohne Reliefverzierungen (zumindest deutet Statius nichts Derartiges an)409 und eventuell auch ohne Gorgoneion (denn das Haupt der Medusa trug ja bereits die Statuettenminerva, und es ist nicht unbedingt anzunehmen, daß das Motiv verdoppelt erschien), an den Füßen Sporen; höchstens die Draperie des Mantels (silv. 1, 1, 43: et tergo demissa chlamys) kann Ähnlichkeiten aufgewiesen haben. Wenn nun Statius zu Beginn seines Gedichtes, gleichsam als Reaktion eines Betrachters auf den ersten Gesamteindruck des Monuments, ausgerechnet eine Parallele zu Mars zieht, wo doch das nächststehende 405 Suet. Vesp. 5. 406 Vgl. o. I, bei Anm. 190. 407 Martin (1988), 255 f. mit Abb. 151; Zanker (1997), 203 mit Abb. 155a uns 155b; LIMC 2, s. v. Ares / Mars, Nr. 24a mit zugehöriger Abb. sowie Abb. 24b–d; Strocka (2010), 117–119. 408 Vgl. die Beschreibung in LIMC 2, s. v. Ares / Mars, Nr. 24a. 409 Die augusteische Kultstatue zeigte mit hoher Wahrscheinlichkeit einen unverzierten Panzer: Vgl. Zanker (1997), 199 f. mit Abb. 151.

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und im weiteren Umkreis einzige Kultbild des Mars, möglicherweise zeitgleich aufgestellt,410 doch einen augusteischen Typus nachahmend, in allen Punkten dagegenzusprechen scheint, dann erfolgt damit schon auf der irdischen Ebene der Bildwerke eine Positionierung des Kaisers als neuer, anderer Mars.411 Demzufolge kann es wenig überraschen, wenn derselbe Kaiser am Sternenhimmel als Ant-Ares seine Entsprechung findet. Dies als Hypothese gegeben, folgt, daß auch die in Vers 95–98 beschriebene Schar der verstirnten Flavier, die relicto caelo (95sq.) das Haupt des Equus Maxi­ mus umringt412 und ihn küßt, eventuell konkrete Entsprechungen am Sternenhimmel hat. Dazu ein Blick auf die fragliche Konstellation – ein völlig spekulativer, doch immerhin einer, den ein antiker Leser mit einiger Wahrscheinlichkeit auch durchgeführt hätte: Wie hätte er Domitian und allgemein die Flavier mit dem Sternbild des Skorpions in Einklang bringen können? Der beschriebenen Handlung zufolge müßte man die vier vergöttlichten Flavier (97sq.: natus fraterque paterque / et soror) im Bereich des Kopfes des Skorpions suchen: Und in der Tat nennt Ptol. Alm. 8, 1 in seinem auf Aristarch zurückgehenden Fixsternkatalog β, δ und π Scorpii als Stirn des Skorpions. Alle drei sind mit einer relativen Helligkeit von 2,3 bis 2,8 relativ gut sichtbar, wenn sie auch nicht an Antares, dessen scheinbare Helligkeit um 1,0 schwankt, heranreichen. Hinzuzunehmen wäre als vierter entweder noch der mit den dreien in einer Reihe gelegene, doch von Ptolemaios einem der Beine des Skorpions zugewiesene ρ Scorpii (Helligkeit 3,8) oder der auf einer Linie zwischen δ und α (Antares) nahe bei letzterem zu findende σ Scorpii (Helligkeit 3,0): In beiden Fällen erhielte man eine Gruppierung 3 + 1, die der Abfolge im Gedichttext entspricht,413 und im zweiten vorgeschlagenen Fall noch zusätzlich den Effekt, daß σ, soror und damit der (jüngeren) Domitilla entsprechend, zwar der licht 410 Zanker (1997), 203, datiert die Statue um das Jahr 90. 411 Immerhin ist darauf hinzuweisen, daß die flavische Mars-Ultor-Statue auf dem Panzer des Gottes außer den beiden Greifen auch eine Palmette mit ein wenig Rankenwerk sowie auf den Schulterklappen gekreuzte Füllhörner erscheinen, also Symbole eher einer fruchtbaren Friedenszeit (vgl. Zanker [1997], 203): Wird hier der kriegerische Mars andeutungsweise einem auf Frieden ausgerichteten Programm unterworfen? Daß zugleich, wenn auch recht indirekt, Augustus durch Domitian übertroffen wird, ergibt sich als panegyrisch mindestens nicht unwillkommener Nebeneffekt. 412 Von ›umringen‹ ist streng genommen im Text nicht die Rede (silv. 1, 1, 96–98: turba … miscebit oscula iuxta; ibit in amplexus …; una locum cervix dabit omnibus astris), das Bild liegt bloß sehr nahe, weshalb ich es oben (bei Anm. 351) auch für meine geometrische Anordnung der vier genannten Verwandten gebraucht habe. Bei naher Betrachtung ist damit aber nicht mehr ausgesagt, als daß diese sehr nahe beim Haupt des Kaisers bzw. beim Kaiser sich befinden. Die vorgeschlagene Identifikation mit den vorderen Sternen des scorpio tritt also nicht in Widerspruch zum Text. 413 Ausgeklammert bleibt hier die schon erwähnte Iulia Titi (vgl. o. I, Anm. 352), die zwar gut den fünften vor α Scorpii liegenden Stern abgeben könnte, im Gedicht aber nicht vorkommt.

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Abb. 2: Das Sternbild des Skorpions. (erstellt durch den Autor)

schwächste, doch der Domitian – dem Antares – am nächsten stehende Stern wäre; einmal vorausgesetzt, man darf Antares als cervix Scorpii betrachten: Ptolemaios zufolge (Alm. 8, 1) ist er vielmehr der mittlere Stern im aus σ, α und τ gebildeten Körper des Tieres, doch wage ich nicht zu entscheiden, wie klar differenziert bei diesem ab Antares aus einer einzigen Kette von Sternen bestehenden Sternbild (wie auch beim auf Erden vorkommenden Tier) von Kopf, Nacken oder Körper gesprochen werden kann. Sicherer ist, daß der himmlische Skorpion noch einen im Gedicht nur angedeuteten Vorteil für die Panegyrik birgt: Rechnet man damit, daß Domitian, so spät er auch selbst sterben mag,414 der Ahnherr einer langen Reihe weiterer flavischer Kaiser sein möge, die ihrerseits eines Tages einen Katasterismos erfahren sollen, dann böte die Konstellation 414 Unmittelbar nahe liegt das panegyrisch obligate Motiv des serus astra petere: Hor. carm. 1, 2, 45; Ov. met. 15, 868; Luc. 1, 46; Mart. 13, 4; Sil. 3, 626.

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von τ bis υ noch jedenfalls zehn weitere ansehnliche Sterne in ununterbrochener Linie, die dafür zur Verfügung stünden: Ein ausbaufähiges caelum Flavium also für jene Zeit, da nicht nur der noch lebende, sonnen- und evt. (astral) jupitergleiche Domitian zum Stern, möglicherweise Antares, geworden ist, sondern auch seine Nachkommen, deren jeder zu Lebzeiten eine neue Sonne sein wird, der Reihe nach als Verstirnte nach ihrem Tod den Himmel bevölkern.415

k) Zusammenfassung Es ist möglich, daß ich mich in Details, und besonders in den letzten tendenziell spekulativen Ausführungen irre. Daran aber, daß Statius’ Sakraltopographie des römischen Forums, aus welcher eine die irdische überblendende göttliche Ebene mit Domitian als Jupiter bzw. als Jupiter-Mars-Saturn im Zentrum resultiert, in ihrer um stellare Komponenten erweiterten Auswahl aus der realen Topographie des Forums auch am Himmel als dritter Ebene funktioniert und auf die Nativität des gepriesenen Kaisers hinweist, kann meines Erachtens wenig Zweifel bestehen: Nicht im Sinne sekundär auf einen proprie nicht mehr akzeptablen Text zu dessen Rettung aufgepfropfter Allegorese, wie sie zu Statius Zeit im Umgang mit dem griechischen Mythos oder auch dem Alten Testament geradezu standardmäßig praktiziert wurde, und schon gar nicht im Sinne einer ›wahren Bedeutung‹ hinter der dann tendenziell bedeutungslosen ekphrastischen Textoberfläche,416 sondern als die eigentliche Pointe gerade dieser E ­ kphrasis auch und vor allem in den Augen der Modellrezipienten seiner Zeit. Das Forum als Himmel auf Erden spiegelt Domitians kosmische Placie­ rung wider, es wird wahrhaftig zum caelum Flavium, mit Domitian als Kaiser, Jupiter (inkl. Saturn und Mars) und Sonne (evt. auch Jupiter und Saturn: 415 Ein originelles Detail am Rande sei nicht verschwiegen: Am 7. 12. 96, wenige Wochen nach Domitians Ermordung (die am 18. 9. 96, so betrachtet also gar nicht so unpassend erfolgte) trat, jedenfalls nach moderner astronomischer Abgrenzung der Sternzeichen voneinander (die astrologische Verteilung gewährt dem am Sternenhimmer tatsächlich recht beengten Skorpion mit ihrer gleichmäßigen Unterteilung in 30°-Abschnitte mehr Raum), der bekanntlich sehr langsam den Tierkreis durchlaufende Planet Jupiter ins Sternzeichen des Skorpions: Erlebte Domitian etwa trotz damnatio memoriae den geplanten Katasterismos? 416 Vgl. Sontag (1982), 97 f. Diese allegorische ›Stoßrichtung‹ der Ekphrasis ist, literarischtechnisch besehen, auch dafür verantwortlich, daß Statius’ Equus maximus weniger an die Imagines des Philostrat mit ihrer permanenten, fast penetranten Auflösung der Beschreibung in Narration und die daraus – angeblich – resultierende Übertreffung des visuellen Eindrucks durch die sprachliche Beschreibung (vgl. Vogt-Spira [2002], 29–33) erinnert als beispielsweise an die Tabula des Kebes: Statius’ erzählt keineswegs von Domitians Kriegstaten, obwohl die Anknüpfungspunkte dafür auf der Hand lägen (vgl. 1, 1, 6sq.), sondern ent­w ickelt seine statisch bleibende und nur en passant durch den Auftritt des Curtius narrativ belebte Ekphrasis in die Richtung eben der Allegorie; vgl. Elsner (1995), 46–48.

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restlose Durchrechenbarkeit muß nicht zwangsläufig gegeben sein)417 in seiner Mitte zu Lebzeiten, Stern (wohl im Skorpion) nach seinem Tod, manifestiert in dem durch Senat und Volk gestifteten Monument. Unmittelbar vor den Augen dieses Monuments schließt sich ja auch die Abfolge von Erde, Olymp und Sternenhimmel zum Kreis, prangt doch einer Münzdarstellung zufolge im Giebelfeld des Caesartempels, auf den Domitian zureitet, das sidus Iulium zur Erinnerung an die astrale Herkunft der römischen Monarchie,418 die offenbar also in Domitian ihre Vollendung findet. Und nicht nur sie: Streng genommen ist das altehrwürdige Forum Romanum selbst seit jeher ein caelum Flavium und präfigurierte (cum grano salis) Domi­ tians Nativität, denn der Kastor-und-Pollux-Tempel etwa, um nur eine der topographischen Gegebenheiten herauszugreifen, datiert ja lange vor Domitians Herrschaft zurück und wurde von ihm bloß renoviert.419 Man kann an diese telische Auffassung der Forumslandschaft den Gedanken knüpfen, daß Statius mit ihr der flavischen Architektur, zu der hier auch der Equus zu zählen ist, etwas verleiht, was ihr nach Meinung mancher Gelehrter im Kontrast zur augusteischen Architektur fehlte: den Charakter eines richtig erreichten Ziels, eines Abschlusses, einer Vollendung.420 Das Forum Romanum wird also gemäß Statius’ Darstellung durch die Errichtung des Equus maximus nicht einer Um 417 Man stößt hier auf das öfter begegnende Problem, daß schon einfache Gleichnisse oder auch Allegorien bei allzu genauer Durchrechnung zu Unstimmigkeiten führen, erst recht mehrstufige: Ausgehend von den gegebenen baulichen Verhältnis auf dem und um das Forum kann Statius zwar sowohl eine olympische als auch eine astrale Ebene entwerfen, doch ist kaum zu verhindern, daß dabei hier und dort Sand ins Getriebe kommt. Dies war aber in Kauf zu nehmen, weil auch das Nicht-Insistieren auf allzu penibler Durchrechnung zum Bereich des ›selective reading‹ (um mit Carole Newlands) oder des Abkommens zwischen Dichter und Leser (um mit Ruurd Nauta zu sprechen) gehört. Immerhin hat sich das Publikum auch nie daran gestoßen, daß Prudentius’ Psychomachia mit ihrer dreistufigen Allegorese von Kampf in und um die einzelne Menschenseele, historischem Kampf der Kirche gegen das Heidentum und apokalyptischem Endkampf nicht in jedem ihrer Punkte auf allen drei Ebenen überhaupt funktioniert: vgl. Hajdu (1998), 298 f. (mit weiteren Literaturhinweisen). 418 Ein Aureus vom Jahre 36 v. Chr.: Abb. bei Zanker (1997), 43; Albert (2003), 213, Nr. 1696; vgl. Domenicucci (1996), 29–85, bes. 62; eine entsprechende Rekonstruktion bietet z. B. Gros (2001), 157; Belege zum sidus Iulium u. Anm. 431. 419 Zu diesem Bauwerk vgl. Jande (1988). 420 Fredrick (2003), 205, spricht von »the absence of any conviction that Rome’s republican past leads inevitably to a fated Domitian present« – das Gegenteil ist der Fall, wenn das Forum, steingewordenes Zeugnis der römischen Vergangenheit, seit jeher auf Domitian vorausverwies. Freilich weist Frederick (ebd., 206) richtig darauf hin, daß die flavische Architektur in Rom tendenziell alte Strukturen eher aufbricht, überbaut, verschwinden läßt, statt sich sichtbar an sie anzuschließen. Doch es gilt zu bedenken, daß silv. 1, 1 eine mögliche Interpretation flavischen Bauwollens aus dem Mund eines jedenfalls nicht zum urbanistischen Planungsstab des Kaisers zählenden Dichters ist, geschrieben für ein elitäres Publikum, d. h. sicherlich auch für Senatskreise, denen derlei hervorgehobene Verknüpfungen neuer Bauten mit alten Traditionen eventuell wichtiger waren als weiten Teilen der Bevölkerung.

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wertung unterzogen, sondern es entfaltet endlich seinen immer schon in ihm liegenden, früherer Zeit aber nicht erkennbaren Bedeutungsgehalt.421 Man kann auch in andere Richtung einen Schritt weiter gehen: Macht seit ­Augustus die römische Monarchie in hellenistischer Tradition422 konsequent von Astrologie zur eigenen Legitimation und Präsentation Gebrauch, was schlechterdings eine Tatsache ist  – in zunehmendem Maß ja wird der durch ­Augustus gleichsam unter dem Schein des sidus Iulium neugegründete und neudefinierte Staat zur Epiphanie der kosmischen, in den Sternen (und nicht mehr primär in den römischen bzw. olympischen Göttern)423 begründeten ratio und damit zum imperium sine fine;424 werden seit Eudoxos und Platon, verstärkt 421 Objektiv besehen kann man freilich von einer Neudefiniton des Forums sprechen, vgl. Newlands (2012), 31: »The colossal equestrian statue visibly set the seal on the Flavian transformation of the Roman forum into a monument destined to exalt the new dynasty.« Ähnlich Cordes (2014b), 303, die von »revaluation of the site« spricht. Doch für die in silv. 1, 1 aus­ gebreitete Auffassung handelt es sich gerade nicht um eine Neudefinition, sondern um das Entfalten des seit jeher vorhandenen Bedeutungspotenzials. 422 Erinnert sei an das Grab des Antiochos I. von Kommagene auf dem Nemrut Dağı, das in einer Reliefdarstellung eine ungewöhnliche Planetenkonstellation (nicht eigentlich ein vollständiges Horoskop) eines konkreten Datums (der 14. Juli 109 v. Chr. und der 7. Juli. 62 v. Chr. wurden dafür als wahrscheinlichste Termine vorgeschlagen) präsentierte, welches variierend als Empfängnis- oder Geburtsdatum, als Zeitpunkt der Thronbesteigung oder als Gründungsdatum der Grabanlage interpretiert wird: vgl. Heilen (2005), passim; Domenicucci (1996), 25; Künzl (2005), 13 f. mit Abb. 1, 7; Märtin (2012), 132 f. Doch schon der Weltenmantel des Demetrios Poliorketes, den dieser sich nach Plut. Demet. 41, 4sq. anfertigen ließ, wird Sterne und Planeten vielleicht nicht in beliebiger Anordnung, sondern in einer für Demetrios wichtigen Konstellation gezeigt haben. 423 Es fällt auf, daß aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. noch zahlreiche ostentative Verkörperungen olympischer Götter durch politische Mächtige berichtet werden: Marius bei festlichen Gelegenheiten als Dionysos (Val. Max. 3, 6, 6), Augustus als Apoll (Suet. Aug. 70), Antonius als (Neos) Dionysos (Vell. 2, 82, 4), Sextus Pompeius als Sohn des Neptun (Cass. Dio 48, 19, 2; App. bell. civ. 5, 100), Munatius Plancus als Glaucus (freilich in fraglichem Kontext: Vell. 2, 83, 2), um nur einige Beispiele zu nennen. Hundert Jahre später verfolgt Domitian ein differenzierteres Konzept: Zwar läßt er sich, wie o. 126–131 skizziert, mit Jupiter in-eins-sehen, doch seine Mitverkörperung anderer göttlicher Komponenten (Mars, Saturn) deutet im weitesten Sinne in eine ähnliche Richtung wie die allgemein heno- oder monotheistischen Tendenzen philosophischer und religiöser Konzepte der sich entwickelnden Kaiserzeit, und entsprechend verschwinden auch Berichte von Impersonationen wie den oben aufgezählten, je weiter die Kaiserzeit fortschreitet. Die damit verbundene zunehmende Bedeutung der Astrologie fügt sich spiegelbildlich in diese Tendenz der Entrückung und Entmenschlichung des Göttlichen in immer höhere, transzendentere Sphären. 424 Es sei nur auf Augustus’ Publikation seines eigenen Horoskops im Jahre 11 n. Chr. verwiesen (Suet. Aug. 94, 12; Cass. Dio 56, 25, 5), das freilich offenbar schon am Beginn seiner Karriere eine wesentliche Rolle gespielt hatte und auf das – man denke an den einer plausiblen Theorie zufolge den Glückspunkt seines Horoskops markierenden Capricorn als omnipräsentes Emblem – während seiner gesamten Herrschaft immer wieder Bezug genommen worden war: vgl. Schmid (2005), 19 f.; Domenicucci (1996), 115–123. Augustus’ Nachfolger Tiberius ist hinlänglich für seinen bis zum eigenen Praktizieren gehenden Hang zur Astro­

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noch seit Aristoteles’ Kosmologie mit ihren auf die Planetenebene festgelegten πρῶται οὐσίαι, Götter und Gestirne zunehmend in eins gesetzt oder mindestens einander angenähert;425 und fügen sich beide Entwicklungen zu einem weltanschaulichen Ganzen zusammen in Symbiose mit der im Diskurs des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zweifellos ›marktbeherrschenden‹ Stoa und ihrem Konzept vom himmlischen Feuer, dessen feine Materie alle Seinsstufen durchdringt und ihren Zusammenhalt bewirkt gleich der sprichwörtlichen goldenen Kette Homers, mag auch die Mehrzahl der Stoaanhänger über eine recht simplifizierte Populärvariante dieser Philosophie nicht hinausgelangt sein; so resultiert daraus, daß Domitians Stellung im Gedicht mindestens strukturell der jener himmlisch-göttlichen Feuermaterie entspricht: als verbindendes Glied der kosmischen Ebenen vom Zentrum der im Zentrum des Kosmos ruhenden Erde bis zur Fixsternsphäre:426 Schon für die älteste erhaltene Weltkarte, jenes 1881 in Sippar gefundene Keilschrifttäfelchen ca. aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert, das heute zu den bekanntesten Ausstellungsstücken des Britischen Museums in London zählt (Kat.-Nr. 92687), wurde plausibel vermutet, daß das Loch, welches sich im Zentrum des dargestellten Erdenrundes befindet, nicht bloß die Spur des Zirkeleinstiches ist (die man im weichen Ton leicht hätte entfernen können), sondern »vielleicht eher eine Verbindung zwischen dieser Welt und der anderen« andeutet.427 Der Vergleich ist nicht so weit hergeholt, wie man vermuten könnte: Statius᾽ primär ekphrastische Gedichte stehen bildlichen Darstellungen zwangsläufig (und weder unbewußt noch unfreiwillig) nahe; ein kosmologischer Entwurf, wie ihn silv. 1, 1 zeichnet, ist somit von einer graphisch ausgeführten Weltkarte nur einen Schritt entfernt, mag sich die Welt im Equus maximus auch symbolisch auf ihren Mittelpunkt, das ­Forum ­Romanum, konzentriert finden. Resultat: Das traditionelle Zentrum Roms mit seiner auch in der frühen Kaiserzeit noch sichtbar gehaltenen urtümlichen Landmarke, die man mundus nannte,428 als Mittelpunkt des Kosmos, sein Kaiser nachgerade als quinta essentia, als die Sphären des Kosmos verbindende Achse, logie bekannt, und die Reihe ließe sich bis Domitian (und darüber hinaus) mühelos fortsetzen; theoretische, in ihrer Formulierung bisweilen freilich etwas dithyrambenartige Erwägungen zur Selbstdefinition des römischen Staates im oben angedeuteten Sinn bietet Schmid, ebd., 247 (mit Hinweis auf erste Ansätze bei Cicero); 275; 296 f.; 368–371. 425 Schmid (2005), 158–174. 426 Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, daß Statius realistischerweise nur mit einem geozentrischen Weltbild gerechnet haben kann. Einen Überblick über dieses und die römischen Quellen dazu gibt die immer noch lesenswerte Zusammenstellung von Soubiran (1979). 427 Brotton (2014), 20; Abb. ebd., 10. 428 Plut. Romul. 11, 2; vgl. Cancik (1985/86), 255. Zu weitgehende Folgerungen leitet Lefebvre (1991), 241–246, aus diesem mundus ab, denn daß deswegen eine jede urbs schon zum Symbol des Erdkreises geworden wäre und das römische Verhältnis zur Natur, das doch wesentlich ein herrschaftliches ist, sich von diesem einen mundus herrühre, scheint doch ein wenig weit hergeholt.

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kristallisiert im Equus Maximus, der – und das scheint mir die letztliche Bedeutung des eingangs (o. 79–83) diskutierten Verses 2 zu sein  – das Forum Romanum in seiner vollen, Domitians Herrschaft verkündenden Aussagekraft umfängt und bündelt, ihm als sichtbar gemachtes Interpretament zur Sprache verhilft: moles Romanum complexa forum.429 Eine wahrhaft erstaunliche Auffaltung des Raumes, den Statius so schlicht zu beschreiben scheint. Auf dem Forum, das durch das neue Standbild erst seine volle Bedeutung erhält,430 reiten Kaiser, Gott, Sonne und Stern, und der Raum füllt die ihm je nachdem zukommende Rolle auch wirklich aus.431 Kein Wunder, daß zwischen den im Gedicht Sprecherrollen übernehmenden Sterblichen oder auch dem mehr oder minder ehrwürdigen Curtius einerseits und dem Kaiser andererseits eine Distanz von, sit venia verbo, Lichtjahren sich auftut. Wie weit Gegner Domitians diese semantische Vollendung als Usurpation empfinden konnten, lehrt noch nach neunzehn Jahrhunderten die Bemerkung Gunnar Seelentags: »Der Flavier hatte die Semantik des gewachsenen öffentlichen Raumes auf dem Forum Romanum zerstört.«432 Wie weit man Semantik überhaupt zerstören kann, insoferne man zunächst wohl etwas Eindeutiges und Fixier 429 Detail am Rande: Der Equus maximus hat damit für das schon vorhandene Forum ­Romanum die gleiche Funktion wie der Caesarkopf für die zuvor schon vorhandene Alexanderstatue des Lysipp auf dem Caesarforum: Er vollendet eine zuvor bloß potentialiter vorhandene Bedeutung des Momuments bzw. des Ensembles und macht sie sicht- und lesbar. 430 Und nicht etwa andersherum das Standbild durch das Forum, wie Henderson (2003), 238, vorschnell vermutet: par operi sedes (silv. 1, 1, 22) – der Equus ist dem Text zufolge eine monadische Entität, auf die sein Umfeld sich bezieht und an der es gemessen wird. 431 Hier ist noch ein Nachtrag zum Vergleich des Equus Maximus mit dem Reiterstandbild Caesars auf dessen Forum (silv.  1, 1, 84–90 angebracht, den ich oben (89–92) auf der Ebene der göttlichen Topographie bereits untersucht habe. Überliefert ist, daß Augustus nicht bloß seinen eigenen Helm (Serv. Aen. 8, 681), sondern auch mindestens eine Caesarstatue mit dem sidus Iulium schmücken ließ: Plin. nat. 2, 94 spricht von einer durch Augustus errichteten Statue in foro, wobei nicht restlos klar ist, um welches Forum es sich handelt; zur ganzen Stelle vgl. Köves-Zulauf (1972), 177–206. Obseq. 69 und Suet. Caes. 88 geben keine Ortsangabe, Suetons Formulierung läßt aber die Möglichkeit zu, daß mehr als bloß eine bestimmte Statue von der Maßnahme betroffen war; Serv. ecl. 9, 46 nennt das Kapitol als Ort der / einer sternverzierten Statue (deren Errichtung: Cass. Dio. 43, 14, 6), Cass. Dio 45, 7, 1 den Venustempel wohl des Caesarforums, was mit der Pliniusstelle zur Deckung zu bringen ist und jedenfalls plausibel erscheint, war doch der junge Caesar Divi filius der Vollender dieses Forums. Es ergibt sich also eine sehr komplexe Situation: Auf dem Caesarforum ritt Caesar auf den Venustempel zu, in welchem wiederum Caesar dargestellt war, und zwar mit Stern, als (mehr oder minder) Parhedros der Venus, die ihrerseits als Morgen- und Abendstern eine naheliegende astrale Komponente aufweist. Auf dem Forum Romanum wiederum ritt ein neuer (und im panegyrischen Sinn noch hellerer) Stern auf den im Giebelfeld sternverzierten Tempel des Caesar, welcher also mit nicht weniger als drei Standbildern im Bezügesystem vertreten war, von denen schließlich nicht nur eines mit einem Stern bekrönt gewesen sein muß, sondern möglicherweise mehrere oder alle; vgl. Lahusen (1983), 35, Anm. 240, und 54; Domenicucci (1996), 30 f. und 62, Anm. 90; Clauss (1996), 414. 432 Seelentag (2004), 343.

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tes haben müßte, um es überhaupt zerstören zu können, bleibe dahingestellt: Der Equus Maximus jedenfalls bedeutete eine massive (und zentrale)  Akzentuierung der ›sacred landscape‹, die der römische Stadtraum seit jeher darstellte.433 Spätere Kaiser gingen offenbar behutsamer, doch nicht weniger eindeutig vor, etwa wenn Septimius Severus seine Nativität an die Decken der Repräsentationssäle auf dem Palatin malen, also alle Akte seines dort vollzogenen kaiser­lichen Waltens unter dem Schein dieser bestimmten Planetenkonstellation stattfinden ließ.434 Eine Bemerkung sei an dieser Stelle zur ekphrastischen Technik des Statius gestattet. Sie folgt, wenn man so will, im Verlauf des Equus maximus ­einem Stufenprozeß, wie ihn auch Peter Klotz in Anlehnung an die die kognitiven Ent wicklungsstufen Heranwachsender beschreibt:435 Der Text beginnt aperspek­ tivisch, indem aus unterschiedlichen Perspektiven für relevant gehaltene Einzelaspekte aufgelistet werden, aus denen sich additiv ein Eindruck des für relevant Gehaltenen ergibt. Mit dem Erfassen der genauen Lage des Monuments und der Verwendung von deiktischen Begriffen wird die Beschreibung perspek­ tivisch, der Standpunkt des Betrachters tritt fester hervor. Mit der Potenzierung des Forumsraumes in olympische und astrale Erweiterungen ist schließlich ein Abstraktionsgrad erreicht, der sich von der unmittelbar wahrnehmbaren Welt der Gegenstände entfernt und eine Gesamtschau riskiert, ein (mutatis mutandis) kartographischer Blick, der pars pro toto mit dem Forum Romanum eine Weltkarte entwirft.436 Diese Entwicklung des Blickes und damit der Beschreibungstechnik entspricht dem, was ich eingangs als das notwendige Sich-Einsehen in ein Kunstwerk bezeichnet habe,437 nur daß es sich, womit der Leser zu Beginn des Textes nicht unbedingt rechnen konnte, um ein Sich-Einsehen nicht bloß in das neue Monument, sondern in die gesamte vermeintlich längst bekannte Forumslandschaft handelt. Man sollte jedoch die Rolle des Zufalls nicht übersehen: Daß Domitians Nativität sich mit der Sakrallandschaft des Forums einigermaßen in Übereinstimmung bringen ließ, mit etwas Nachhilfe durch die Erwähnung Orions etwa, um indirekt das benötigte Sternzeichen Skorpion aufs Tapet zu bringen, ist nur 433 Cancik (1985/86), 260: »›Sacred landscape‹ carries a materialized memory of society and is a phenomenon of ›long duration‹.« Zur konzeptuellen Räumlichkeit der Stadt Rom vdl. allg. auch Hölscher (2006). 434 Cass. Dio 76, 11: Ἤιδει δὲ τοῦτο μάλιστα μὲ ἐκ τῶν ἀστέρων ὑφ᾿ὧν ἐγεγέννητο· καὶ γὰρ ἐς τὰς ὀροφὰς τῶν οἴκων τῶν ἐν τῷ παλατίῳ, ἐν οἷς ἐδίκαζεν, ἐνέγραψεν· ὥστε πᾶσι, πλὴν τοῦ μορίου τοῦ τὴν ὥραν φασιν ἐπισκοπήσαντος, ὅτε ἐς τὸ φῶς ἐξῄει, ὁρᾶσθαι. Τοῦτο γὰρ οὐ τὸ αὐτὸ ἑκατέρωθι ἐνετύπωσεν; vgl. o. I, Anm. 390. 435 Klotz (2007), 85–90. 436 Eine ähnliche Dreigliederung der Beschreibungsmöglichkeiten bietet Tappe (2000), 75: Rundumblick (doch aus externer Position), Route (aus streng geführter Perspektive) und Überblick (wiederum extern). 437 Vgl. o. I, bei Anm. 93.

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zum Teil der Leistung des Autors zuzuschreiben: Diese besteht vor allem darin, es bemerkt und, so gut es eben ging, davon Gebrauch gemacht zu haben. Wie weit man ferner den supponierten Lesern zutrauen kann, daß sie solchen Beziehungsreichtum auch erkannten, ist, wie stets, selbst Gegenstand der Diskussion, ich gehe indes davon aus, daß der Autor im Text, und hinter ihm der physische Statius, ihnen einiges zumuten zu können meinte: Daß antike Leser für astrologische Details durchgängig ein feineres Gehör besaßen als durchschnittliche moderne Interpreten, die bisweilen kaum die einfachsten Sternbilder am Himmel zu erkennen vermögen, kann schlankweg als Axiom gelten,438 und ebenso, daß Astrologie seit augusteischer Zeit nicht bloß Gegenstand des privaten Interesses von seiten römischer Kaiser, sondern ein wesentlicher Bestandteil des staatlichen Diskurses, d. h. auch der staatlichen Selbstpräsentation war.439 Der wichtigste dieser Leser, Domitian, besaß jedenfalls die erforderlichen Kenntnisse und Interessen und konnte – sollte wohl auch – eine besondere Reverenz des Dichters darin erblicken, wenn er im Gedicht zu dem wurde, was er einer guten Interpretation zufolge auch durch die Inschrift des o. bei Anm. 302 erwähnten Altars, und zweifellos durch zahllose andere Monumente jeder Art im ganzen Reich (deren prominentestes vielleicht eben der Equus Maximus sein mochte) wurde: »Gott im Himmel und Gott auf Erden«.440 Es ist noch darauf hinzuweisen, daß Domitians Nachfolger Trajan (Nerva als Übergangslösung außer acht gelassen) als dezidiert un-astrologischer Kaiser und damit zugleich als Ausnahmeerscheinung gilt.441 Wurde damit der Versuch unternommen, eine als Übertreibung empfundene Tendenz der domitianischen Zeit zu stoppen bzw. sich in einem besonders charakteristischen Punkt von ihr abzusetzen?442 Für die übrige Leserschaft, d. h. für das Zielpublikum derjenigen domitia­ nischen Repräsentationsschiene, auf der Statius mit seinen Gedichten sich bewegt, agiert der abstrakte Statius also als licensed ›spokesman‹ mit weitgehenden Vollmachten, bietet er doch nicht bloß eine Interpretation des eben eingeweihten Monuments, sondern macht es zum Mittelpunkt einer kom­plexen Interpretation des interpretatorisch ja nicht eben leicht in den Griff zu bekommenden

438 Vgl. Quint. inst. 1, 4, 4. 439 Vgl. Schmid (2005), 2–18 und passim. Es sei ausdrücklich auf die verdienstvolle Leistung Schmids hingewiesen, nicht bloß eine solide Gesamtdarstellung der augusteischen Astrologie zu geboten, sondern gezielt das wohl immer noch latent vorhandene Zerrbild, wonach Astrologie etwas a priori Dubioses, obendrein noch Orientalisches, also der classischen Antike letztlich Fremdes und Aufgepfropftes sei, an das man als Interpret höchstens nach ostentativem Anlegen von Schutzhandschuhen rühren dürfe, dekonstruiert zu haben. 440 Bös (1958) 35. 441 Schmid (2005), 267. 442 Man denkt etwa an Iuv. 3, 41–44: Quid Romae faciam? Mentiri nescio: librum, / si ­malus est, nequeo laudare et poscere; motus / astrorum ignoro: funus promittere patris / nec volo nec possum …

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römischen Stadtzentrums,443 also – pars pro toto – Roms, das durch Domitian zum Himmel auf Erden wird, und das in dieser Form Ewigkeit beanspruchen kann (silv. 1, 1, 91–94).444 Dieser enorme Macht- und vor allem Bedeutungsanspruch des römischen Herrschers ist freilich nicht das Auffällige an silv. 1, 1: Doch daß dieser Anspruch an einem einzelnen Objekt, wenn auch einem ohnedies schon bedeutungsgeladenen wie dem Equus maximus, demonstriert wird, ist die Novität. Man erinnert sich an ein Diktum Hubert Canciks: »Scheint es doch, als sei das statianische Gedicht poetischer Ausdruck eben des Kunstwollens, das den Reiterkoloß geschaffen hat. Derartige Übereinstimmungen zwischen dem Kunstschaffen und den Versuchen, dem Kunstwollen in Theorie und Literatur Ausdruck zu verleihen, sind in der römischen Kultur sehr selten, vornehmlich wohl deshalb, weil die Aussagen der Römer über ihre Kunst immer klassizistisch sind.«445 An der Ursache, die Cancik anführt, kann man zweifeln: Mir scheint sich die Einzigartigkeit, oder vorsichtiger: die Besonderheit des Statiustextes eher daraus zu ergeben, daß es aus der Antike grundsätzlich nur sehr wenige Texte gibt, die zeitgenössische Kunstwerke und insbesondere Bauwerke hinlänglich ausführlich beschreiben und deuten, uns also ein Beispiel für die zeitgenössische Sichtweise auf sie geben oder, wie Christoph E ­ ykman formuliert, uns den »nie abreißenden Dialog zwischen subjektiven Erfassungs­weisen« von Bildern nachvollziehbar machen.446 Erst recht fehlen Texte, die nicht bloß ein Kunstwerk an sich beschreiben, d. h. der (produktionsästhetisch gesehen) vom Beginn des künstlerischen Schöpfungsprozesses an vorgesehenen Aussage des Kunstwerks, seiner intendierten Wirkung auf den Betrachter, zur Sprache 443 Ganz richtig Dewar (2008), 69: »The Roman Forum proper was much harder to adapt to any consistent ideology, new or old. It was too small, too cluttered, too holy; and it had too many memories to be readily presssed into service in the same way …« 444 Besonders die Wendung stabit dum terra polusque, dum Romana dies (93sq.) listet deutlich die ontologischen Ebenen Roms auf. Vgl. dazu die Kritik an diesen Versen bei Kenney (1966), 333, die gut demonstriert, zu welchen Schlußfolgerungen eine Philologie kommen muß, welche die Meinung, ›court poetry‹ könne nicht ›poetry‹ sein, zum Axiom erhebt. Zur Rechtfertigung Kenneys sei freilich angeführt, daß er in jener Rezension eher (und nicht zu Unrecht) darauf bedacht war, Canciks (1965) bestenfalls eigenwillig zu nennende Methode zu enttarnen, als darauf, Statius’ Gedichte näher zu studieren. 445 Cancik (1965), 99 f. 446 Eykman (2003), 38; vgl. auch Henderson (2003), 238.  – Man dächte am ehesten an Ovids Fasti, die immerhin auf einige augusteische Bauwerke intensiv Bezug nehmen: und doch handelt es sich stets nur um relativ kurze Stücke, und auch kaum je um deskriptive Passagen in einer mit Statius vergleichbaren Weise – nicht umsonst gilt ja Statius als Archeget der beschreibenden Dichtung; und gerade für silv. 1, 1 wurde bereits auf die selbst für Statius’ Verhältnisse ungewöhnliche Breite und Anschaulichkeit der Beschreibung (und damit einhergehend: der Deutung) hingewiesen: Rühl (2006), 320. Vgl. auch das Diktum Gunnar Seelentags (2004), 339: »Statius schuf nämlich mit seinem Werk für seine Zeit eine neue Matrix der Interpretation der Statue. Anhand der entstandenen Sinn gebenden Beschreibung vermochte der Leser, der zugleich Betrachter war, den Equus besser zu verstehen, als es ihm durch die Betrachtung allein möglich gewesen wäre.«

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verhelfen (oder zu verhelfen meinen), sondern so weit gehen, ein Kunstwerk in seinem Kontext zu interpretieren und damit den Produktionsprozeß des Werkes auf die Entstehungszeit des gesamten Kontextes ausdehnen, wie Statius es mithilfe göttlicher und astraler Bedeutungsebenen tut. Wo doch einmal ausführliche Beschreibungen ganzer Kontexte auftreten, etwa in den Villenbeschreibungen des jüngeren Plinius (vgl. u. 494) oder, ab der Spätantike, z. B. in den Deutungen neuer Kirchenbauten, finde ich jedenfalls anders als Cancik weniges, woran sich irgendeine Form von Klassizismus überhaupt feststellen ließe. An Canciks Feststellung aber, daß Statius hier in bezug auf ein einzelnes bestimmtes Monument zum interpretierenden Sprachrohr (zum ›licensed spokesman‹) zwar nicht zwangsläufig Domitians, aber eines möglichen (offiziellen) Kunstwollens domitianischer Zeit wird, ist nicht zu rütteln.447 Statius liefert, um punktuell auf die Diktion Nelson Goodmans einzuschwenken, keine im absoluten Sinn ›realistische‹ und ›objektive‹ Beschreibung des Equus und des Forums (was prinzipiell auch gar nicht möglich wäre), sondern eine, die Rea­ litätsanspruch erhebt unter ungewohnten Rahmenbedingungen, in einem neuartigen Referenzsystem, welches wesentlich auf Domitian hin orientiert ist. Damit kommt sein poetisches Tun einer Enthüllung gleich.448 Diese Überlegungen zum verbalen Ausdruck des bildlichen Kunstwollens führen schließlich zur Gattungsgeschichte der für sich stehenden Ekphrasis, die lange vor Philostrats Imagines in Statius’ Silvae begründet vorliegt: Man ist seit Homer und vermehrt seit dem Hellenismus, zum Höhepunkt gebracht in der als zweite Sophistik bezeichneten Strömung der Adoptivkaiserzeit (man denkt etwa an die Romananfänge des Longos oder des Achilleus Tatios, oder an die Actaeongruppe bei Apul. met. 2, 4), daran gewöhnt, Ekphraseis, und insbesondere solche von Kunstwerken, als textinterne Mittel zur Fokussierung zentraler Gedanken und Motive zu verstehen und allenthalben auch zu finden.449 Die für sich stehende Ekphrasis geht dieser Funktion prinzipiell verlustig: Was keinen Kontext hat, kann auch keinen Kontext erklären oder sonstwie mit ihm in Beziehung treten. Statius’ Equus maximus aber scheint dieses Unmögliche 447 Es ist klar, daß die von mir versuchsweise beschriebene Erklärung des Forums ausgehend von dem zentralen Domitiansmonument (und damit vom zentralen Kaiser als Person) auch in die Gegenrichtung funktioniert, insoferne auch der Kaiser durch den Forumskontext in eine bestimmte interpretatorische Richtung gedrängt wird: Freilich scheint mir das eher ein durch Statius in Kauf genommener Nebeneffekt als, wie Newlands (2002), 104, andeutet, das wesentliche Spezifikum von silv. 1, 1 zu sein. 448 Goodman (1978), 131: »An ›unnatural‹ frame or system may be right in some circum­ stances through prevailing in another culture or winning adoption for special purposes. When a painter or a photographer makes, or discloses to us, erstwhile unseen aspects of a world, he is sometimes said to have achieved a new degree of realism by discovering and presenting new aspects of reality. What we have here, in representation under  a right system strange to us, is realism in the sense not of habituation but of revelation.« 449 Buch (1972), 16–24; Graf (1995), 151 f.; allgemein vgl. Klotz (2007).

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zu leisten: Im Unterschied zu den wohl ewig hinsichtlich ihrer ›Echtheit‹ (d. h.: ihrer Existenz in der aktualen Welt des als ›Philostrat‹ bezeichneten Autors; hinzu kommt als zweites die Frage, ob das Zielpublikum die fraglichen Bilder, selbst wenn sie existierten, kennen konnte und sollte) umstritten bleibenden Bildern der Imagines450 ist das in silv. 1, 1 beschriebene Kunstwerk zum Zeitpunkt der Publikation der Silvae im aktualen Rom sogar höchst präsent – im Negativabdruck seines Sockels im Pflaster des Forums sogar heute noch. Da kann nun das Gedicht zwar keine Gedanken oder Motive seiner textlichen Umgebung bündeln, bzw. wenn es das doch tut, so ergibt sich das nur sekundär daraus, daß die nachfolgenden panegyrischen Texte der Sammlung mit dem in silv. 1, 1 aufgebauten Aussage- und Beziehungsgeflecht rund um Kaiser Domitian weiter­ operieren. Doch so wie der Equus maximus des Forums durch μίμησις μέθεξις an Domitian hat, hat der Equus maximus der Sammlung zumindest μέθεξις am Denkmal, eher noch stellt er eine ihm ebenbürtig zur Seite stehende künstlerische Neuschaffung dar.451 Somit tritt der Kontext des Denkmals für den des Textes ein, und die Ekphrasis bündelt in geradezu herkömmlicher Weise dessen Aussagen bzw. lehrt exemplarisch, wie das Denkmal in seiner Umgebung zu sehen ist, oder zumindest gesehen werden kann.452 Wenn ich mich nicht täusche, dann ist damit möglicherweise chronologisch, jedenfalls strukturell ein Zwischenglied zwischen der traditionellen Ekphrasis als Bestandteil größerer narrativer Texte und der völlig verselbständigten Ekphra­sis der zweiten Sophistik oder auch der Spätantike (man denkt beispielsweise an Nemesian) gegeben, und nicht nur in silv. 1, 1: Kein einziges ekphrastisches Gedicht innerhalb der Silvae beschreibt, jedenfalls soweit erkennbar, etwas in der aktualen Welt nicht Existentes bzw. dem ursprünglichen Zielpubli 450 Eine gute Übersicht über den Verlauf der Debatte geben zuletzt Primavesi-Giuliani (2012), 35–49. 451 Zu diesem auf die wahrscheinliche Bedeutung des Titels Silvae zurückführenden Selbstverständnis dichterischen Tuns vgl. o. die Einleitung bei Anm. 74; Laird (1996), 101. Es mag eine grammatikalische Spitzfindigkeit sein, aber ich finde es bemerkenswert, daß die immerhin handschriftlich überlieferten und (jedenfalls nach meinem Dafürhalten) mit ­großer Wahrscheinlichkeit mehr oder minder direkt auf Statius oder zumindest seine zeitlich und wohl auch persönlich noch nahestehenden Herausgeber zurückgehenden Gedichttitel in den Silvae auch dann, wenn sie nicht mit einem Gattungsbegriff wie Epithalamion, Eucha­ risticon oder Epicedion gebildet sind, niemals mit De … beginnen: Das Gedicht b e h a n d e l t nicht den Equus maximus, es i s t der Equus maximus. Das Gedicht tritt vollinhaltlich für den beschriebenen Gegenstand ein: vgl. Hulls (2010), 91. Da überrascht es auch wenig, wenn etwa silv. 4, 3 sogar Ansätze zum Figurengedicht zeigt, indem es die Via Domitiana (so auch der Titel) durch seinen schmalen, langen Text ins Bild setzt: vgl. u. I, bei Anm. 927; zur Authentizität der tituli vgl. v. a. Schröder (1999), 180–189; ferner vgl. Coleman (1988), ­x xviii–xxxii; Courtney (1990), v–vi; Gauly (2006), 467; skeptisch zuletzt Liberman (2010), 31–35; nützliche Hinweise auch bei Wasserstein (1951), 60 f. 452 Die Funktion der Imagines des Philostrat als Schule des Sehens betont Elsner (1995), 29. Statius geht Philostrat darin voran.

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kum nicht aus eigener Anschauung Bekanntes; selbst der vergleichsweise komplexeste Fall von silv. 1, 3 überschreitet diese Grenze nicht. Der Kontext blieb also noch gewahrt – er wurde in gewissem Sinn sogar erst geschaffen, denn erst in der textimmanent getroffenen Auswahl, Gewichtung und Erklärung rundet sich der in der aktualen Welt unübersichtliche, stellenweise renovierungsbedürftige, schmutzige, lärmende, allzu bekannte Raum der fora zur ruhigen, stabilen, durch eine an die ekphrastische Technik der zu Statius᾽ Zeit wahrscheinlich schon vorliegenden Tabula Cebetis erinnernde allegorische Deutung klar erkennbaren Einheit des Kosmos. In miniaturisierter Form, wenn man so will, doch das ist unbedeutend, hat doch selbst Cyrano de Bergeracs noch viel kleinerer Apfel seine Sonne als Kern wie der Forumskosmos den Kaiser.453 Bedenkt man aber, daß dieser Forumskosmos seinerseits doch das Zentrum derjenigen Stadt ist, die das Lateinische ohne weiteres als die urbs schlechthin bezeichnet, dann wird klar, weshalb im letzten Regierungsjahr Domitians eine weit außerhalb Roms angebrachte, kurz darauf geradezu manisch zerstörte Inschrift in einer nur scheinbar unwesentlichen Abweichung von diesem Sprachgebrauch von Rom als der urbs eius ›seine (= Domitians) Stadt‹ spricht:454 Die urbs als das Zentrum des römischen Selbstverständnisses hat mit dem Equus Maximus ihrerseits ein Zentrum erhalten, das auf den verweist, der der Quell dieses Verständnisses ist: den Kaiser.455

l) Exkurs: Ergänzungen zu Domitians Bauprogramm im Bereich der Fora Ich habe für meine Untersuchung bisher die Placierung des Equus maximus auf dem Forum Romanum so vorgenommen, wie sie seit Giuliani-Verduchi (1987) üblich ist: Ein rechteckig abgegrenzter, offenkundig einer Reparatur zu verdankender Bereich im Forumspflaster, der, für Besucher derzeit kaum sichtbar, unmittelbar nordöstlich an eine früher für die Reste des Equussockels gehaltene

453 Vgl. Bachelard (2007), 157–159. 454 Die Dankesinschrift von Puteoli für die Errichtung der Via Domitiana: u. Anm. 842. – Ähnliche Formulierungen bieten silv. 5, 2, 169 suae … Romae und, analog zum geläufigen Wortspiel urbi / orbi, silv. 5, 2, 132 Caesaris … orbem. 455 Spätere Zeiten werden, erneut im Kontext des Straßenbaus, diese urbs imperatoris zum orbis imperatoris erweitern: So gibt ein Meilenstein Aurelians (270–275) an, daß dieser Kaiser miliaria orbis sui restituit (CIL VIII , 10374); gleichlautend ein Meilenstein des Tacitus (275–276: CIL VIII , 22474) und einer des Maximianus Herculius als Caesar (285–286: CIL VIII , 22477): vgl. Mrozewicz (2004), 356 f. Mit zunehmender Erhöhung, geradezu Sakralisierung der Romidee auf dem Weg zur Spätantike weitete sich ja in der Tat die einstige urbs zum orbis aus – erhalten noch heute im päpstlichen Segen urbi et orbi, der auch nicht zwei einander entgegengesetzte Begriffe vereint, sondern den einen für den anderen eintreten läßt.

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und auch dem heutigen Betrachter gut erkennbare Struktur anschließt.456 Nun scheint über die Datierung der einzelnen Pflasterschichten zwar nicht restlose Einigkeit zu herrschen, eine Neupflasterung des Forums unter Septimius Severus, die mit der Aufstellung seines (ebenfalls später verlorengangenen) Reitermonuments einhergegangen sein wird, wird aber offenbar angenommen.457 Demzufolge könnte die von Giuliani-Verduchi (1987) beschriebene Struktur nur den Negativabdruck des Sockels des Equus Severi bewahren, und für die Attribuierung derselben Stelle auch an das flavische Monument ist eine Hilfskonstruktion nötig, derzufolge der Equus Severi an dieselbe Stelle gesetzt worden sei wie der Equus Domitiani. Da archäologische Untersuchungen unterhalb des (severischen) Pflasters im fraglichen Bereich fehlen, ist diese Theorie bislang weder verifizierbar noch widerlegbar. Immerhin bestünde auch die Möglichkeit, daß vom Domitiansmonument der Sockel für sich überdauerte und in weiterer Folge für andere Monumente, etwa eine Alimentatiodarstellung Trajans, genützt wurde: Die Vorstellung erscheint plausibel und könnte die lokale Kontinuität erklären.458 Erwägenswerte Einwände gegen diese (in Details modifizierbare)  Theorie erhebt Michael Thomas und schlägt zugleich eine andere Lokalisierung des Equus maximus etwa an der Stelle der heutigen Phocassäule,459 die ihrerseits auf diokletianische Zeit zurückgeht, vor. Nun sei grundsätzlich festgehalten, daß eine solche Placierung des Denkmals, wenn sie denn eines Tages archäologisch bestätigt werden sollte, meine obigen Ausführungen zu Statius’ Interpretation der Forumslandschaft kaum behelligen würde: Zwar wäre dann die o. 113–115 skizzierte Überkreuzung zweier Bedeutungsachsen Vespasian­ tempel – Paxtempel und Domitiansmonument – Caesarmonument und damit die Strukturierung des Raumes in die Quadranten Caesarforum – südöstliche Hälfte des Forum Romanum versus Paxtempelareal – nordwestliche Hälfte des Forum Romanum nicht mehr in gleicher Weise gegeben, dafür würde der Umstand, daß Statius trotz gänzlich anderem Standort des Monuments doch die Basilica Aemilia ins Spiel brächte, meine Theorie vom (in diesem Punkt nachgerade etwas angestrengten) Aufbau einer Sakrallandschaft um den Equus maximus herum sogar bestärken. Doch auch ohne argumentatorische Notwendigkeit ist Thomas’ Hypothese einiges entgegenzuhalten. Zunächst zum negativen Teil seiner Argumentation: Ausgehend von der richtigen Feststellung, daß sichere archäologische Nachweise für Domitians Monument fehlen und auch eine Verbindung zwischen jenem geflickten Rechteck im Forumspflaster und dem Equus Severi nur hypothetisch sei, fragt ­Thomas, 456 Einen Überblick zur diesbezüglichen Forschungsgeschichte gibt Thomas (2004), 28 f. 457 Richardson (1992), 173; Giuliani (1995), 343 f. 458 Hammond (1953), 175 f.; Giuliani (1995), 228f; Seelentag (2004), 340; vgl. o. I, Anm. 97. 459 Vgl. Richardson (1992), 173.

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ob es realistisch sei, daß Septimius Severus ausgerechnet den Platz eines historisch so verrufenen Monuments wie des Equus Domitiani für sein Denkmal gewählt habe, und fährt fort: »Moreover, we have no evidence that the foundations of Domitian’s statue were even visible (or known) to Severus after more than one hundred years.«460 Nun widerlegt klärlich der zweite Punkt den ersten, denn wenn in severischer Zeit die Placierung des Domitiansmonuments (und damit doch wohl auch es selbst) längst vergessen war, konnte Severus sich um die angebliche Verrufenheit seines Vorgängers, die nach gut hundert Jahren kaum eine sehr präsente gewesen sein wird, auch nicht kümmern; von der Möglichkeit, daß der Sockel des Denkmals weiterexistierte und im Laufe des 2.  Jhdts. mindestens eine Statue des Trajan getragen hatte,461 abgesehen, und ganz zu schweigen davon, daß eine Fläche wie das Forum Romanum für die wirkungsvolle Aufstellung eines Denkmals nicht beliebig viele mögliche Punkte bietet, sodaß selbst die Möglichkeit einer städteplanerischen Spontanparallele nicht auszuschließen ist. Ferner sei, so Thomas weiter, die Beschreibung bei Statius vage, insoferne sie lediglich Gebäude rings um das Forum aufliste, aber keine genauere Positionierung als eben irgendwo im Mittelbereich des Forums erlaube.462 Dem ist entschieden entgegenzutreten: Was silv. 1, 1, 22–31 beschreiben, ist ein veritables Fadenkreuz und als solches meines Wissens ein einmaliger Fall von präziser Verortung in der römischen Literatur. Wenn Statius zufolge die Flanken des Pferdes (v. 29: laterum passus) von den beiden Basiliken behütet werden, liegt m. E. kein Grund vor, es zwischen Basilica Iulia und Curia zu lokalisieren: Weshalb sollte dann für die linke Seite des Denkmals die Basilica Aemilia überhaupt erwähnt werden und nicht beispielsweise der viel näherliegende Janusbogen oder, auf das Atrium Minervae neben der Curia und / oder auf den künftigen Minervatempel des Forum Transitorium bezogen, Minerva? Letzteres hätte sich in Statius’ Sakraltopographie sogar besser gefügt als die Basilika. Hinzu kommt, daß im Gedicht noch Cyllarus aus dem nahegelege­ nen (v. 53: ab aede propinqua) Dioskurentempel einen Blick auf das Domitiansmonument wirft (v. 53sq.), was zu einer Lokalisierung am Platz der Phokassäule bedeutend schlechter paßt als zur klassischen, weiter in die Forumsmitte und nach Südosten gerückten; außerdem wäre die starke Inbezugsetzung ­Domitians 460 Thomas (2004), 31. 461 Vgl. die o. I, Anm. 458, zitierte Literatur. 462 Thomas (2004), 31 f. Zu sonderbarer Haarspalterei versteigt sich Thomas, ebd., wenn er schreibt: »In Statius’ poem we are never told that the statue actually stood in the Forum but are instead provided with a detailed description of the buildings surrounding it.« Erstens scheint mir die Wendung Latium forum gleich im zweiten Vers des Gedichtes eigentlich hinlänglich auf das Forum Romanum zu verweisen, zweitens wüßte ich nicht, welche Lokalität sonst Statius mit seiner Beschreibung nach Auffassung auch nur irgendeines antiken Lesers meinen könnte.

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mit dem Caesartempel, die der Text eindeutig leistet, weniger nachvollziehbar, wenn der Kaiser gegenüber Giuliani-Verduchis Lokalisierung fast doppelt so weit von diesem entfernt und überdies noch aus dessen Mittelachse gerückt wäre.463 Thomas’ Lokalisierung hat also m. E. gleich in mehrfacher Hinsicht den Statiustext gegen sich, sodaß er diesen apodiktisch für vage und unzuverlässig erklären muß.464 Nun zu Thomas’ positiven Argumenten, die er für seinen Vorschlag, den Equus etwa an die Stelle der Phokassäule zu rücken, ins Treffen führt. Sie lassen sich mit Ausnahme eines Hinweises auf eine obskure Inschrift465 allesamt darauf zurückführen, daß der Equus dann in einer Sichtachse vom Argiletum und damit vom Forum Transitorium her stünde. Solche Sichtachsen seien kennzeichnend für flavische Architektur,466 und außerdem sei es unwahrscheinlich, daß Diokletian von alleine, d. h. ohne ein Vorgängermonument, auf die Idee gekommen wäre, eine Säule, eben die spätere Phokassäule, just in der Sichtachse des Argiletums zu positionieren.467 Das letztgenannte Argument entbehrt erkennbar der Sinnhaftigkeit,468 die Frage der Axialität flavischer Repräsentations­ architektur aber ist erwägenswert, denn immerhin weist Thomas mit Recht auf die Konstellation von Titusbogen, verlängerter Via Sacra und Meta sudans als eindeutiges Beispiel einer solchen (flavischen) Sichtachse hin, außerdem auf

463 Recht zu geben ist Thomas allerdings, wenn er eine andeutungsweise Beschreibung bei Plin. paneg. 52, 4, derzufolge man das Domitianmonument vom Clivus Capitolinus aus sah, für ungenau erklärt. Von dessen unterstem Abschnitt (die oberen kommen nicht in Frage) sieht man beim Hinaufsteigen, solange man noch nicht den Saturntempel im Blickfeld hat, uneingeschränkt das gesamte Forum, sodaß Plinius’ Bemerkung Thomas’ Hypothese in der Tat weder stützt noch schwächt. 464 Thomas (2004), 32. 465 Thomas (2004), 40, Anm. 77, zitiert eine 1817 im Bereich der Phokassäule gefundene Inschrift von einem Cippus mit dem Wortlaut ΑΘΑΝΑΙ ΑΠΟΤΡΟΠΑΙΑΙ EX ORACVLO (CIL VI 106) und schlägt vor, sie in den Kontext einer Kulttradition zu stellen, die sich von der Minervastatuette in der linken Hand des Reiters auf dem Denkmal herleite. Doch ist es erstens extrem unwahrscheinlich, daß nach der Zerstörung des Domitiansmonuments an jene Statuette doch noch eine Kulttradition anschloß, noch dazu wo man für einen Athenekult in nächster Umgebung das Atrium Minervae und den Minervatempel des Forum Transitorium hatte, zweitens gehört zu jener Inschrift ein Pendantcippus mit der Aufschrift AΠΩΣΙΚΑΚΟΙΣ ΘΕΟΙΣ EX ORACVLO (CIL VI 105), was vollends keinen Zusammenhang mit dem Equus maximus mehr erkennen läßt. 466 Thomas (2004), 34 f. 467 Thomas (2004), 43. 468 Noch dazu stand Domitian prinzipiell vor der gleichen Situation, denn ausgerechnt der Zugang zum Forum vom Argiletum her, in dessen Achse er Thomas zufolge sein Reitermonument positionierte, verlief spätestens seit der Renovierung der Basilica Aemilia und der Errichtung der Curia in augusteischer Zeit schon so, wie unter Domitian, und wurde durch die Errichtung des Forum Transitorium kaum verändert. Auch er hätte also eine längst vorgebildete Achse erst sekundär durch ein Monument hervorgehoben.

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axial, d. h. als Enfiladen konzipierte Raumfolgen in flavischer Architektur469 sowie auf ältere Versuche, archäologischerseits das Forum Romanum des späten ersten Jahrhunderts nach Sichtachsen zu organisieren, die immerhin einen Drang nach solchen Interpretationsmustern belegen.470 Dagegen ist freilich einiges einzuwenden. Einem Vergleich mit den Bauprinzipien römischer Häuser oder auch Palastanlagen, wo Durchblicke durch hintereinanderliegende (Innen- und Außen-)Räume mithilfe in einer Flucht gesetzten Öffnungen, deren Rahmen sich perspektivisch wie ein extrem tiefengestaffeltes Trichterportal zum Gesamtrahmen des sichtbaren ›Mittelmotivs‹ zusammenschließen (also Enfiladen) in der Tat ein wesentliches Element der architektonischen Gestaltung bildeten, ist a priori mit Skepsis zu begegnen: Nicht weil es keine Zusammenhänge zwischen der ›Außenarchitektur‹ eines Forums und der ›Innenarchitektur‹ eines Hauses gäbe,471 (die aus dem Haus hinaus ins Freie zielenden prospectus, die in den unten zu betrachtenden Villen­gedichten eine so große Rolle spielen werden, sind letztlich auch nichts anderes als gerahmte Blickachsen),472 sondern weil für echte Sichtachsen in der ›Außenarchitektur‹ die räumliche Erstreckung derjenigen Gegebenheiten, auf die hin der Blick des Betrachters durch die Achsenbildung kanalisiert und gleichsam diszipliniert werden soll, rasch zum Problem wird. Sie funktionieren als visuelle Kunstwerke für die Wahrnehmung von einem festen Standpunkt aus nur, wenn die der Reihe nach zu durchblickenden Kulissen nicht zu weit vonein­ander entfernt, und wenn die Durchblicksöffnungen außergewöhnlich groß sind, wie zum Beispiel die von Drerup herangezogenen Hausgrundrisse mit ihren außerordentlich breiten Rahmungsöffnungen (meist: fauces / atrium, atrium / tablinum

469 Beides Thomas (2004), 35 470 Z. B. weist Darwall-Smith (1996), 232, der den Equus nach der ›klassischen‹ Weise ­lokalisiert, extra darauf hin, daß eine direkte Achse vom Equus zum Forum Transitorium optisch kaum möglich gewesen sein kann: Offenbar erschiene auch ihm eine solche Sichtverbindung also wünschenswert, mindestens plausibel. 471 Vgl. Jung (1984), passim; Bek (1980), 181–194; nach wie vor grundlegend: Drerup (1959), der sich übrigens (ebd., 173) skeptisch gegenüber einer ähnlich starken Durchdringung von Monumentalbauten, insbesondere Forumsanlagen, durch Sicht- und Durchblicks­ achsen, wie sie im Bereich von villae und domus anzutreffen ist, ausspricht. Zu bedenken ist immerhin, daß das Forum Transitorium, auf das Drerup besonders Bezug nimmt, nur zehn Meter breiter ist als die Aula regia auf dem Palatin, also, zumal mit seinen tiefen Wand­ vorlagen, fast schon einer Größenordnung angehört, welche durch eine Balkendecke in einen Innenraum hätte umgewandelt werden können. Warum auch nicht? Die Idee wäre immerhin originell – ein Forum ohne Basilika und ohne echte Portikus, dafür selbst unter Dach und Fach, hätte sicherlich einige Vorteile geboten. Doch auch ohne diese Annahme mußte sich das Forum Transitorium mit seinen gleichförmig organisierten, hohen und reich geschmückten Wänden im Vergleich zu Plätzen wie dem Forum Romanum oder dem Templum Pacis wie ein Innenraum anfühlen. 472 Schneider (1995), 86 f.

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und tablinum / peristylium) zeigen.473 Sind die Öffnungen zu klein und / oder zu weit voneinander entfernt, ergibt sich zwar ein in die Tiefe des Raums gelenkter, gleichsam angesogener Blick, doch kein sinnvoller Bildausschnitt als dessen Ziel mehr; selbst der Tiefeneindruck leidet, weil die unverständlichen Winzigausschnitte, die das Auge von der jeweils nächsttiefer liegenden ›Kulisse‹ noch wahrnimmt, zu einer Interpretation der Größenverhältnisse und damit zu einer Einschätzung der Tiefendistanz nicht mehr ausreichen.474 Folglich bedeutet es auch nicht allzuviel, daß die Längs- und Symmetrieachse des Trajansforums (Trajanssäule – Mitte der Basilica Ulpia – Equus Traiani – Mitte des ›Eingangsgebäudes‹ vom Augustusforum her) ziemlich genau auf die Mitte des vespasianischen Paxtempels zuläuft und dabei die unterste Stufe des Minervatempels auf dem Forum Transitorium streift,475 denn wer immer beispielsweise auf dieser Stufe stand, konnte wegen der im Vergleich zur Tiefenerstreckung jedenfalls zu schmalen und zu niedrigen hintereinandergeschalteten Durchgangs- und -blicksöffnungen, und erst recht wegen des gerade nicht mit einem Mitteltor ausgestattenen Bauwerks zwischen Trajans- und Augustus­forum diese geometrische Achse gar nicht würdigen, geschweige denn daß er etwa vom Paxtempel aus die hinter der Basilica Ulpia verborgene Trajanssäule hätte sehen können, selbst wenn entsprechende Tore in einer Flucht vorhanden gewesen wären.476 Es gab nur zwei Punkte, von denen aus sich die Symmetrie dieser Anlage wirklich würdigen ließ: zum einen die Spitze der Trajanssäule, wenn man von dort aus zum Paxtempel blickte: gewiß nicht der alltäglichste Standpunkt normaler Forumsbesucher; zum anderen die Betrachtung des entsprechen 473 Beispiele etwa: Drerup (1959), 156 f. und 163; vgl. u. III , Anm. 296 und 124. 474 Ein praktisches Beispiel, wie es sich in fast jeder Stadt finden ließe: Theoretisch bilden die mittlere Einfahrt der ehemaligen Hofstallungen (Museumsquartier), das MariaThere­sien-Denkmal, das äußere Burgtor, die Durchfahrt des Leopoldinischen Trakts und die Michaelerkuppel der Wiener Hofburg eine Blickachse, die einem ca. vor dem Eck des Michaelerhauses auf dem Kohlmarkt stehenden Betrachter den Blick bis jedenfalls zum erwähnten Denkmal ermöglichen müßte. In der Praxis funktioniert diese von Kulisse zu Kulisse in die Tiefe geführte Blickachse indes nur auf sehr kurzen Teiletappen, niemals auf ihrer vollen Länge von über 700 Metern: als solche ist sie nur erschreitbar (wobei man immer noch um das Denkmal herum ausweichen muß wie in Rom um den Equus Traiani und die südöstliche Eingangskonstruktion des Trajansforums: vgl. La Rocca [2001], 175, fig. 4; Meneghini [2001], passim) oder im Stadtplan ablesbar. Vgl. zu einem ähnlich Problem einer Sicht(?)achse Forum Romanum – Mars-Ultor-Tempel La Rocca (2001), 178 f.; zu Elementen der römischen Kaiserfora, die vollends nur im Sinne von l’art pour l’art für Leser des Grundrisses von Bedeutung sind, vgl. v. Blanckenhagen (1954), 24. 475 v. Blanckenhagen (1954), 25, fig. 2; La Rocca (2001), 173. 476 Vor allem für die Tore zwischen Forum Transitorium und Paxtempel bzw. Transito­ rium und Augustusforum liegen m. W. keine archäologischen Erkenntnisse über ihre genaue Position vor; Anderson (1984), 77, bezeichnet allgemein die Frage nach der Erschließung der Fora für den Verkehr als »a worrisome problem for all modern reconstructors of the Imperial fora«; vgl. immerhin aber Knell (2004), 151 f.; ferner vgl. den Plan des Trajansforums bei Meneghini (2007), 84, und (2015), 81.

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den Grundrisses aus der Warte des Architekten: was zu einer typischen Reißbrettachse, aber noch zu keiner Sichtachse führt. Wesentliches Element jeder Architektur ist vielmehr ihre Erschreitbarkeit,477 die aber, anders als (antik gesprochen) der Sehstrahl eines Betrachters, keine geometrisch geraden, unbehinderten Durchblicke benötigt, sondern eher harmonische (wenn man so will: symmetrische) Räume und Raumteile, die sich im Zuge des Abschreitens, d. h. im zeitlichen Verlauf eines ›hodologischen‹ Wahrnehmungsvorganges478 mit sich permanent veränderndem Standpunkt und Blickrichtung, erfassen und zueinander in eine sinnhafte, sozusagen narrative Beziehung setzen lassen.479 Freilich mag auch ein solches Abschreiten bisweilen und soweit möglich entlang einer geometrisch geraden Linie erfolgen wie etwa, wenn ein antiker Betrachter von der Trajanssäule zum Paxtempel ging und damit ein Areal durchschritt, an dessen Gestaltung Domitian nachweislich großes Interesse hatte.480 Aber die Zahl der Wege, die ein Besucher innerhalb der stadtrömischen Forumslandschaft selbst bei einigermaßen zielstrebigem Gehen einschlagen konnte, und damit die Zahl der daraus potentiell resultierenden Interpretationsmuster ist so groß, daß die wenigen unter ihnen, die einer geometrisch geraden Linie folgen, kaum ins Gewicht fallen.481 Daß römische Stadtplaner vernünftigerweise eher mit Schreit- als mit Sicht­ achsen rechneten (der gängige Ausdruck dafür scheint platea gewesen zu 477 Pinder 1948, 19–22 (exempli gratia); vgl. auch Knoop-Rödl (2007), 139–149. 478 Zur Raumwahrnehmung mithilfe von ›routes‹ und ›landmarks‹, der diesem auf Architektur bislang freilich seltener als auf großgeographische Zusammenhänge angewandten Prinzip zugrundeliegt, vgl. Brodersen (1995), 44–48, und Gehrke (1998), 163–165; hilfreich auch Bergmann (1994), bes. 226. 479 Ein jedem Leser bekanntes Beispiel: Wer in einer dreischiffigen romanischen oder gotischen Kirche steht, wird von keinem fixen Punkt aus feststellen können, ob die beiden Seitenschiffe nun wirklich gleich breit, gleichartig ausgeführt, am Chorhaupt gleichartig zum Abschluß gebracht usw. sind (was aus verschiedensten Gründen, von der Baukonstruktion bis zur symbolischen Bedeutung des Gebauten, freilich häufig der Fall sein wird). Ein ganz wesentliches, für ein Bauwerk geradezu konstitutives Element kann also ohne weiteres auf optische Wahrnehmbarkeit entlang irgendwelcher Sichtachsen verzichten, ohne daß daraus ein Nachteil für die Verständlichkeit und Interpretierbarkeit des Baus resultierte. 480 Vgl. Meneghini (2007), 81 f., und (2015), 79 f., zur sog. Terrazza Domizianea, ­Resten von monumentaler Architektur im Zwickel zwischen der großen Nordwestexedra des Augustus­forums und dem Trajansforum, heute weitgehend überbaut durch das Haus der Malteserritter, die Meneghini vorschlagsweise als großen, von der Aqua Marcia her mit Wasser versorgten Brunnen anspricht, Biraghi (1951), 268 als in kaiserlichem Auftrag errichtetes Haus aus den letzten Regierungsjahren Domitians. Unabhängig von ihrer genauen Deutung zeigen diese und andere Reste flavischer Architektur im Bereich des späteren Trajansforums, wie sehr schon vor Trajan daran gearbeitet wurde, diese Region durch Monumentalarchitektur zu erschließen und damit die Kaiserfora in irgendeiner Form zu erweitern. Vgl. auch ­Packer (2003), 176 mit Anm. 61. 481 Anregende Gedanken zur Erschreitbarkeit des römischen Stadtraumes bietet MacDonald (1986), 267–269.

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sein),482 zeigt sich selbst dort, wo neugegründete Städte nach dem Prinzip zweier rechtwinklig in der Stadtmitte einander schneidender Straßenachsen, also im Stil eines idealen römischen Legionslagers, angelegt wurden, soweit die natürlichen Gegebenheiten dies zuließen. Gerade diese repräsentativen Hauptstraßen sind oft darauf angelegt, Eindruck auf einen sie entlangschreitenden Beobachter zu machen, Korrespondenzen aber etwa zwischen Decumanus und Cardo, die (außer im tatsächlich wahrnehmbaren unmittelbaren Kreuzungsbereich, wo sich prompt auch entsprechende Ansätze finden – aber eben nur dort) im aktualen Stadtbild einer menschlichen Wahrnehmungsinstanz gar nicht gleichzeitig sichtbar sein konnten und nur dem Leser eines Stadtplanes sich erschlössen, fehlen.483 Man fragt sich demnach, ob ausgedehntere Sichtachsen der vom Gedanken einer primär aus der Vogelperspektive wahrnehmbaren Stadt-Geometrie relativ unbehelligten Antike überhaupt nahelagen,484 jedenfalls wenn an ein archi 482 Gros (2001), 104. 483 Als wahllose Beispiele sei der relativ streng ›lagerförmige‹ Grundriß von Thamugadi /  Timgad angeführt: Der Kreuzungsbereich der beiden Hauptstraßen ist mit dem Zugang zum Forumsareal einigermaßen regelmäßig gestaltet, dem am Westende der einen Achse aufragenden Trajansbogen entspricht aber mitnichten ein anderes, symmetrisch zu ihm konzipiertes Monument, und ebensowenig wurden das Nordtor der Stadt und der Eingang zum Forum, obwohl beide die Endpunkte einer wichtigen Nordsüdachse bilden, architektonisch spürbar aufeinander bezogen. Ähnlich ist die Hauptstraße von Cuicul zwar im Abstand von gut hundert Metern durch Bogenmonumente gegliedert, die aber nicht gleich groß und zueinander auch um etwa 20° verdreht sind, also jeweils weit stärker in ihre unmittelbare Umgebung eingebunden als miteinander korrespondierend erscheinen; auch die drei Bogenmonumente, die in Cuicul aufs Südforum führten, waren einander weder im Sinn einer geometrischen Symmetrie zugeordnet noch in ihrer Gestaltung aufeinander bezogen (Kleinwächter [2001], 99 sowie Beilage 2). Selbst im relativ streng geplanten Lepcis / Leptis ­Magna kann höchstens die freilich noch nicht vollständig ergrabene Säulenstraße entlang dem Wadi Lebdah Anspruch auf ›unsichtbare‹, d. h. nur aus dem Plan ablesbare Symmetrie erheben, insoferne sie sich gleichartig beiderseits eines einen deutlichen Straßenknick markierenden Nymphäums zu erstrecken scheint. Selbst die bekannten Bogenmonumente von Lepcis sind zwar in Sichtachsen paarweise aufeinander bezogen, insoferne man jeweils vom einen zum nächsten sieht, doch weitergehende Symmetrien, etwa ein besonderes Monument auf halber Strecke zwischen zweien dieser Bögen oder zwei Bögen symmetrisch beiderseits eines die Mitte bildenden dritten fehlen auch hier (vgl. Kleinwächter [2001], 214). 484 Auch die Verwendung des Decumanus-Cardo-Systems an sich ist kein gewichtiger Einwand: Der Wunsch nach dem für die Landvermessung ebenso wie für die alltägliche Orientierung praktischen archidamischen System einerseits, und das selbstverständliche Bestreben andererseits, zwischen repräsentativen Haupt- und kleineren Nebenstraßen zu differenzieren und erstere sinnvollerweise nicht irgendwo durch die Randbezirke einer Siedlung zu legen, führte mit mathematischer Notwendigkeit zum Decumanus-Cardo-System, ohne daß darin die Absicht erkennbar wäre, eine besonders vogelperspektivtaugliche Symmetrie einer ganzen Stadt herzustellen: in welchem Fall man wohl auch die Umrisse der Siedlungen der Geometrie und nicht dem Geländeverlauf angepaßt hätte. – Eine geistvolle Parodie auf stadtplanerische Mystik in der Interpretation des Antikenwissenschaftlers bietet Sperling (2004).

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tektonisches Ausgreifen über einzelne in sich geschlossen konzipierte Anlagen wie etwa das Augustusforum hinaus gedacht werden müßte, dessen Axialität ebenso außer Zweifel steht wie, worauf schon Peter v. Blanckenhagen hingewiesen hat, daß einige seiner Symmetrien dem Besucher des aktualen Forums bedeutend weniger sicht- und wahrnehmbar waren als dem Betrachter seines Grundrisses.485 Sichtachsen im Vollsinn des Wortes erscheinen, wenn überhaupt, dann über weite Distanzen hinweg im Bereich des Auguralwesens, wenn etwa Marius seinen Tempel der Honos und Virtus auf der Velia betont niedrig bauen und Ti. Claudius Centumalus sogar sein Haus (wohl etwa in der gleichen Gegend) abreißen muß, um vom auguraculum auf dem Kapitol nicht den Blick zum Mons Albanus zu verstellen.486 Hier aber hat man es mit der Sichtverbindung zu Landmarken zu tun, die nicht mehr oder minder zufällig durch Architektur verstellt werden sollen, nicht mit absichtsvoll gebauten Strukturen zur disziplinierten Blickführung. Zur Frage der Achsenbildung im Bereich der Fora und der Rolle des Equus Maximus dabei scheinen eingehendere Untersuchungen seit v. Blanckenhagen (1954) weitgehend zu fehlen, wohl auch des im großen und ganzen unbefrie­ digenden Ergrabungszustandes wegen. Immerhin zeigt ein entsprechender unrealistischer Versuch durch Clemens Krause, daß solche Symmetrien bestenfalls im Bereich der Fora selbst zu suchen wären und nicht auch den Palatin, also das nächstliegende große flavische Bau- und Repräsentationsgebiet, einbezogen oder einbeziehen konnten.487 Ebenso vermag auch Mario Torellis Versuch, eine Achse Equus – Ianus Quadrifrons – Minervatempel von zwei längs über das F ­ orum Romanum laufenden Achsen Templum Divi Vespasiani – Titus­ bogen bzw. Vespasiantempel  – Equus  – Arcus Divi Vespasiani (der zu diesem Zweck hypothetisch unter der Maxentiusbasilika angenommen wird)  schneiden zu lassen, nicht recht zu überzeugen:488 Davon ist die Achse Minervatempel – Ianus quadrifrons zwar unproblematisch, insoferne sie nichts anderes als die Längsachse des Forum Transitorium ist, ihre Fortsetzung durch die Basilica Aemilia hindurch zum Equus maximus aber, die sich vielleicht sogar noch bis zu S.  Maria antiqua verlängern ließe,489 ist nur noch auf dem Stadtplan wahr 485 Vgl. v. Blanckenhagen (1954), 22 und 24. Wenn der Autor in weiterer Folge (ebd., 26) den Versuch unternimmt, inhaltliche Bezüge zwischen allen fünf Kaiserfora herzustellen, obgleich er selbst auf den mißlichen Ergrabungszustand gerade des römischen Stadtzentrums hinweisen muß, so hat sich an der Grundproblematik bis heute wenig geändert: von Blanckenhagens Theorie wäre, wenn bewiesen, eine willkomene Strukturparallele für meine Annahme einer vor allem inhaltlichen (und nicht auf exakt fluchtenden Mauern beruhenden) Achsenbildung, doch nach wie vor harren wesentliche Teile der Kaiserfora ihrer Er­ forschung; vgl. u. I, Anm. 249. 486 Cancik (1985/86), 252 f. 487 Vgl. Krause in: Bellwald (1985), 132 f. mit Abb. 142 (it.) / 97–98 (dt.). 488 Vgl. Torelli (1987), 580 f. 489 Vgl. o. I, bei Anm. 193.

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nehmbar. Von Torellis anderen beiden Achsen ist die vom Vespasiantempel zum Titusbogen insofern arbiträr, als zwei Punkte stets auf einer Geraden liegen,490 jene vom Vespasiantempel über den Equus maximus hinweg zum Arcus Divi Vespasiani Ergebnis eines Zirkelschlusses, da sie zunächst eine Lokalisierung jenes Bogens an einem eben durch diese gewünschte Achse bestimmten Punkt unter der Maxentiusbasilika voraussetzt. Mit anderen Worten: Weder konnte bislang irgendein Bestreben der F ­ lavier, das Forum Romanum nach Sichtachsen zu organisieren, glaubhaft gemacht werden, noch ist es aus inneren Gründen sonderlich wahrscheinlich, daß man überhaupt nach solchen Sichtverbindungen anstelle von (einfacher zu bewerkstelligenden und der Wahrnehmung eines Stadtraumes ohnedies angemesseneren) Korresponsionen zwischen architektonischen Bedeutungsträgern, die ein Passant im Zuge seiner Bewegung wahrnehmen und in gewünschter Weise inhaltlich gruppieren und verstehen konnte, trachtete;491 was mir Thomas’ einzig vom Streben nach einer Sichtachse getragener Hypothese den Boden zu entziehen scheint. Solch eine Achse wären im konkreten Fall auch einigermaßen sonderbar ausgefallen, weist doch Thomas abschließend ausgerechnet darauf hin, daß die Minervastatuette in der Hand des Reiters im Falle einer Placierung des Equus an der Stelle der Phokassäule direkt in der Blickachse des Argiletum einen von dort her kommenden Besucher sogleich gegrüßt hätte.492 Angesichts des Umstandes aber, daß sie das mit der mindestens apotropäischen, eventuell sogar petrifizierenden Ägis getan hätte, scheint mir dies geradezu ein guter Grund zu sein, den Equus lieber nicht dort zu positionieren. Nicht leugnen kann man aber Domitians Bemühen, die Forumslandschaft zu ordnen und klärend in sie einzugreifen: Das Forum Transitorium als Ganzes ist der beste Beweis dafür.493 Ich habe schon oben (90–92) anhand des Statiustextes 490 Davon abgesehen wäre zu eruieren, wie hoch das Haus der Vestalinnen und die dahinter bis knapp an den Titusbogen heranreichende Verbauung eigentlich ausgeführt waren, ehe man eine Sichtachse postuliert. 491 Ein gutes Beispiel für eine nicht von axial-geometrischem Denken, sondern von einer bewegten Wahrnehmungsinstanz ausgehende Interpretation der römischen Forumslandschaft, freilich auf einem eher arbiträr gewählten Pfad, bietet La Rocca (1998), 10. 492 Thomas (2004), 40: »With this location for the Equus Domitiani, the goddess greets visitors immediately as they enter the Forum Romanum from her Forum Transitorium.« 493 An dieser Stelle kann ich mir ein Gedankenexperiment nicht versagen, das auf folgender (vielleicht unwichtiger) Beobachtung beruht. Die beiden Gottheiten, denen Domitian auf dem Forum Transitorium Heiligtümer errichtete, Minerva und Janus, waren beide auf dem Forum Romanum schon vertreten, Minerva im baulichen Kontext von Curia und Atrium Minervae (dazu vgl. Torelli [2004]), Janus als Ianus geminus an der Ecke der Basilica Aemi­ lia zum Argiletum (vgl. u. 213–216). Domitian verdoppelte also beidemale ein kultisches Element aus nächster Nähe. Nun sind Bauarbeiten Domitians an der Curia literarisch überliefert, wenngleich archäologisch nur schwach bezeugt: Hier. chron. ad ann. 89; Chronogr. a. 354, in seiner Kaiserliste s. v. Domitianus; Anderson (1984), 122–125 rechnet mit starken Veränderungen der Curia (auch ihrer Lage) unter Domitian; skeptisch bis ablehnend hinge-

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die Hypothese einer Interpretation des zu diesem Zweck zweigeteilten Forum Romanum, des Forum Caesaris und des Paxtempels als ideologisch im Sinne der Opposition von Krieg und Friede einander gegenüberstehende Bereiche entwickelt: Sie scheint mir solchen Klärungsbestrebungen ebenso wie der Rolle des Forum Transitorium als wichtig gewordener ideeller Achse mindestens so gut zu entsprechen wie die Annahme, der Equus sei recht beliebig in der Flucht des schief und durch die Basilica Aemilia und deren vorgelagerte Porticus beengt aufs Forum treffenden Argiletum positioniert worden. Weshalb ich bei der gewohnten Lokalisierung des Equus maximus im Südosten des Forums bleibe.

3. Silvae 1, 6: Kalendae Decembres Ich wende mich nun dem Pendantgedicht zum Equus maximus zu, das mit diesem gemeinsam den Rahmen des ersten Silvaebuches bildet,494 auch wenn Statius selbst, wie so oft, im Einleitungsbrief des Buches keinen Hinweis zur Buchkomposition gibt, sondern sich im durch die Überlieferung verstümmelten letzten Satz des Briefes, wie dem Kontext zu entnehmen ist, wohl nur ergen Darwall-Smith (1996), 233 f. Daß solche Bauarbeiten im Zusammenhang mit den Arbeiten am Forum Transitorium und seinem Zugang, dem Argiletum, standen, kann vermutet werden, darüber hinaus ist auch denkbar, daß Domitian seiner persönlichen Schutzgottheit ein repräsentativeres Heiligtum verschaffen wollte als das beengte (und zugleich einen Ausbau der Curia beengende) Atrium Minervae. Wäre es nun möglich, daß Domitian beide alten Heiligtümer entfernen und durch neue im Kontext seines Forums ersetzen wollte, daß die entsprechenden Abrißarbeiten aber nie ausgeführt wurden, weil das Forum Transitorium zu seinen Lebzeiten unvollendet blieb, seine Nachfolger aber von der Demolierung alter Kultbauten möglicherweise Abstand nahmen? Denn sowohl das Atrium Minervae als auch der Ianus geminus scheinen die Zeit Domitians ja überdauert zu haben, zumindest erfährt man nichts von einem Abriß. Wäre es denkbar, daß Domitian auch einen Umbau, d. h. eine Verkleinerung der Basilica Aemilia mitsamt ihrer porticus plante, um das Argiletum zu verbreitern und die beengte Verkehrssituation zwischen Forum Romanum und Forum Transito­ rium / Kaiserfora zu verbessern? Eine solche Maßnahme, so einschneidend sie auch wirken mußte, wäre Domitians energischem Bauprogramm prinzipiell zuzutrauen und würde erklären, weshalb überhaupt ein neuer Janus benötigt wurde, denn der alte Ianus geminus hätte für ein erweitertes Argiletum ein merkliches Hindernis gebildet. Wahrscheinlich irre ich mich, aber daß die Fertigstellung des Forum Transitorium, wenn Domitian sie noch erlebt hätte, weiterführende Baumaßnahmen am Forum Romanum nach sich ziehen und damit erst das geplante Bauziel (und die gewünschte Lesbarkeit des umgestalteten Stadtzentrums in flavischem Sinne) erreichen hätte können, scheint mir durchaus denkbar. 494 Cancik (1965), 100. – Rühl (2006), 328–341 rechnet mit einer Pendantverbindung zwischen 1, 6 und 4, 2: vgl. u. I, bei Anm. 659. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß das Arrangement der Gedichte, das für die Bücher Nummer eins bis vier vom Dichter selbst stammt, die Herstellung eines Bezuges zwischen 1, 1 und 1, 6 zunächst eher nahelegt als zwischen 1, 6 und dem erst später publizierten Gedicht 4, 2, mögen auch inhaltliche Aspekte ein solches Naheverhältnis plausibel machen.

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neut zur Geschwindigkeit seines dichterischen Schaffens äußert.495 In der Forschung hat es deutlich weniger Interesse erweckt als der Equus maximus, in der Monographie von Alex Hardie (1983) wird es beispielsweise nicht einmal erwähnt, ebensowenig scheint es unter den bei Szelest (1966) kursorisch untersuchten beschreibenden Silvae auf, obgleich fast das gesamte Gedicht rein beschreibenden Charakter zeigt. Seine durch die Positionierung innerhalb des ersten Buches und durch seine auf Domitian zielende Thematik deutlich bezeichnete Rolle als Pendant zum Eröffnungsgedicht läßt freilich erwarten, daß dort beobachtete Eigentüm­lichkeiten sich in irgendeiner Weise – linear fortgeschrieben, zu Neuem verwandelt oder auch kontrastierend ins Gegenteil verkehrt  – in ihm wiederfinden müßten, wodurch allein schon einiges Interesse auf das Saturnalien­gedicht gelenkt wird. Auch in die Serie der fünf im engsten Sinn panegyrischen Gedichte (silv. 1, 1 und 6; 4, 1–3) reiht sich silv. 1, 6 nicht bloß qua Panegyrik ein: Mit Recht hat John Geyssen darauf hingewiesen, daß jedes dieser fünf Gedichte ein Monument ins Zentrum rückt, wenn auch in 1, 6 und 4, 1 in einer Weise, daß das betreffende Monument (hier mit großer Wahrscheinlichkeit das Kolosseum, jedenfalls ein Amphitheater, dort der Janusbogen) durch ein in ihm oder bei ihm stattfindendes Ereignis in einer Weise überlagert wird, daß das Ereignis selbst zum Monument wird, Bauwerk und Ereignis in ihrer Perennierung durch die Dichtung in eins verschmelzen.496 Das bedeutet in jedem Fall eine Reformulierung der etwas einseitigen Auffassung Hubert Canciks, demzufolge Statius das Kolosseum als Bauwerk egal sei,497 und es wird zu zeigen sein, daß selbst der gemeinsame Nenner Geyssens und Canciks, nämlich die im Hinblick auf Gedichte wie silv. 1, 1 geringere Bedeutung des zentralen Bauwerks in silv. 1, 6, das Cancik übrigens notorisch als Zirkus bezeichnet,498 durchaus infragegestellt werden kann. Immerhin aber sei zugestanden, daß die Kalendae Decembres in der Tat keine so ausgedehnte 495 In fine sunt ›Kalendae Decembres‹, quibus utique credetur: Noctem enim illam felicis­ simam et voluptatibus publicis inexpertam …: »Den Schluß bilden die ›Kalenden des Dezember‹, denen man immerhin Glauben schenken wird (scil. daß sie ad hoc geschrieben wurden – Anm. d. Ü.): Denn jene glückselige Nacht mit ihrer nie zuvor erlebten Volksbelustigung …« (›… beschrieb ich im Zustand der Volltrunkenheit, wie das Gedicht selbst beweist, und überreichte es dem Kaiser, noch ehe ich wieder ganz nüchtern war.‹ – So etwa könnte eine Ergänzung der Überlieferungslücke aussehen); vgl. Bright (1980), 31. 496 Geyssen (1996), 138 mit Anm. 3; vgl. Leberl (2004), 184, der dem gelegentlich geäußerten Gedanken, es habe eine mehr oder minder häufige Form von poetischem Festivitäts­ journalismus gegeben, woraus eben lediglich silv. 1, 6 als Einzelstück die Zeiten überdauert habe, mit Recht skeptisch gegenübersteht. 497 Cancik (1965), 107. 498 Cancik (1965), 101 ff. Es scheint sich um einen simplen Irrtum zu handeln, denn sowohl die im Gedicht genannten Darbietungen, die ins Amphitheater und nicht in den Zirkus gehören, als auch der in den Versen 85–88 geschilderte Lichterkranz, der media harena aufsteigt (Wo sollte das im Zirkus sein? Und wie sollte man dort mit einem einzigen Kranz das Auslangen finden?), zeigen deutlich, mit welcher Art von Gebäude man es zu tun hat.

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Bauwerksbeschreibung bieten wie silv. 1, 1 oder 4, 2 oder 4, 3; was auch nicht verwundern muß: Im Gegensatz zum Equus maximus, zur Via Domitiana, zur sog. Cenatio Iovis und zum in silv. 4, 1 erwähnten Ianus quadrifrons auf dem Forum Transitorium war das Kolosseum, das für 1, 6 durchgängig den Schauplatz abgibt, weder ein neu einzuweihendes noch ein unmittelbar mit Domi­ tians Person verknüpftes Monument – errichtet unter Vespasian als »Legitimationshilfe der flavischen Kaiser«499 und eröffnet unter Domitians Bruder Titus im Jahre 80, war es zwar zweifellos einer der wichtigsten Plätze für Massenveranstaltungen und die damit verbundene Repräsentation auch Domitians, d. h. für seine mehr oder minder ritualisierte Interaktion mit dem Volk,500 ohne aber noch darüber hinaus als sein eigenes Werk gelten zu können. Es lag also aus den inneren Zwängen jeder Panegyrik nahe, das Kolosseum nicht zum alleinigen Gegenstand eines Textes zu machen, sondern es mindestens in der von Geyssen beschriebenen Weise domitianisch ›aufzuladen‹. Denn eines macht der erste Augenschein klar: Bedeutung – welche, wird zu fragen sein – gewinnt das Amphitheater in silv. 1, 6 nicht primär aus sich, sondern weil Domitian in ihm anwesend ist. Damit zum Inhalt und zur Diskussion einiger problematischer Stellen des Textes, dessen Versmaß, der Phalaeceus, bei Statius übrigens sowohl noch ein weiteres Mal im Saturnalienkontext (silv. 4, 9) als auch im Kontext von Panegyrik (silv. 4, 3) erscheinen wird.501 Eine Anrede des Ich an die typischen lichten Gottheiten der Kunst – Phoebus, Pallas und die Musen – eröffnet das Gedicht mit der Bitte, sie mögen sich für dieses Mal entfernen und ihren Platz Saturnus und den gleichsam personifizierten December, Iocus und Sales, also lauter mit den Saturnalien zu verbindenden Entitäten überlassen, um den Festtag des Kaisers angemessen würdigen zu können.502 An den Kalenden des Jänner werde der Dichter sie zurückberufen: Eine Aussage, die dreierlei impliziert: Erstens, daß der Begriff saturnalia hier relativ weit gefaßt ist und nicht nur die sieben Tage des 17. bis 23. Dezembers bezeichnet, auf welche die Saturnalien maximal ausgedehnt worden zu sein scheinen, sondern der ganze Monat Dezember mehr oder minder unter der Patronanz Saturns steht.503 Zweitens, daß für den Schluß 499 Wegerhoff (2011), 139. 500 Eine kurze Skizze dieser Rolle des Amphitheaters / Zirkus als Ort symbolischer Kommunikation / Interaktion zwischen Herrscher und Volk bietet beispielsweise Newlands (2003), 501 f.; hilfreich die Materialzusammenstellung bei Weeber (1994), 145–155. 501 Dazu vgl. Rühl (2006), 99 f.; zu den Anwendungsbereichen des Phalaeceus bei Martial vgl. Watson (2006), 292–297. 502 Bright (1980), 57 und 59 weist richtig auf die Ähnlichkeit dieses Prooemiums zu dem von silv. 1, 5 hin; zu ergänzen ist silv. 2, 3, 6sq., weitere Parallelen nennt Johannsen (2006), 307–310. 503 Vgl. grundsätzlich Döpp (1993), bes. 146–148; unerklärlicherweise erscheint silv. 1, 6 trotz der Formulierung Saturnalia principis in Vers 82 freilich nicht in Döpps Übersicht über die lateinischen Texte karnevalesken Inhalts. Weitere Literatur zu den Saturnalien diskutiert

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des ersten Silvaebuches (wie übrigens auch für den des vierten, wo die Hende­ casyllabi iocosi ad Plotium Grypum die Saturnalienthematik wiederaufgreifen) ein heiterer, lockerer Ausklang gleich dem des Jahreskreises gewählt und zugleich – Iani vos revocabimus kalendis (v. 3) – eine Fortsetzung der Sammlung angekündigt wird. Drittens schließlich, daß Statius seine Sammlung entweder recht vorausschauend anlegte oder aber hinlänglich überlegt konzipierte, um aus späteren Büchern Verbindungslinien zu Anknüpfungspunkten in früheren zu ziehen, die erst dadurch zu Anknüpfungspunkten wurden; denn es ist nicht beweisbar, daß Statius zum Zeitpunkt der Publikation des ersten Silvaebuches bereits silv. 4, 1, das Gedicht auf Domitians Konsulatsantritt am 1. Jänner 95, plante, während sich in der Serie der panegyrischen Gedichte das Janus­gedicht 4, 1 ganz ungezwungen zur revocabimus-Ankündigung in 1, 6 in Rückbeziehung setzen läßt. Freilich: Angesichts der hohen Zahl von Konsulaten, die Domitian innehatte, war grundsätzlich damit zu rechnen, daß eher früher als später ein Gedicht wie 4, 1 nötig werden würde. Es wäre also sogar denkbar, daß Statius durch die ungewöhnlich lange Lücke der Jahre 93 und 94 in Domi­tians Konsulaten überrascht und fürs erste daran gehindert wurde, eine geplante Nahverbindung des Saturnaliengedichts mit einem Janusgedicht (etwa als Eröffnungsgedicht des zweiten Buches) auszuführen.504 Newlands (2002), 235 f.; vgl. Nauta (2002), 298, Anm. 66, sowie Leberl (2004), 185, der mit Recht darauf Wert legt, daß es sich eben um die Saturnalien D o m i t i a n s handelt, der aus kaiserlicher Machtvollkommenheit selbstverständlich den traditionellen Festkalender etwas adaptieren kann. Außerdem war dieser gerade in bezug auf die Saturnalien stets dehnbar: Rund um das eigentliche Fest am 17. Dezember gruppierten sich in wechselndem Maß und wohl auch nach privatem Ermessen weitere Feiertage: Macr. sat. 1, 10, 3 zitiert die Fügung veniunt septem Saturnalia des Atellanendichters Novius, nach einer Reduktion in augusteischer Zeit erscheinen in domitianischer Zeit quinque dies Saturni (Mart. 4, 88, 2; 7, 53, 1sq.; 14, 79, 2; 14, 142, 1), in byzantinischer Zeit wird die Festdauer bis in die letzten Novembertage auf einen ganzen Monat ausgedehnt werden (vgl. RE II A, 1, 210). Dies gleichsam vorwegnehmend findet sich schon in der frühen Kaiserzeit des öfteren die Bezeichnung decem­ ber für die Saturnalien, oder doch wenigstens prägnant als ›Saturnalienmonat‹: Hor. sat. 2, 7, 4; Mart. 5, 18, 1; 5, 49, 8; 5, 84, 9; 12, 62, 15; Iuv. 7, 97; vgl. auch Rühl (2006), 329, Anm. 125. 504 Leberl (2004), 187, rechnet damit, daß Statius’ Ankündigung in silv. 1, 6 sich auf verlorengegangene Gedichte des Typus von silv. 4, 1 bezieht, möglicherweise sogar auf solche anderer Literaten. Das ist wenig glaubwürdig. Erstens ist kein Grund ersichtlich, weshalb Statius mit revocabimus auf die Werke anderer Dichter Bezug nehmen sollte, und erst recht keiner, weshalb ein Leser das so auffassen sollte. Zweitens haben wir silv. 1, 6 als Bestandteil einer vom Autor planmäßig angelegten Sammlung überliefert, und auch wenn die Ankündigung Iani vos revocabimus Kalendis bei Lektüre bloß des ersten Buches noch gar nicht sicher als Ankündigung eines Kalendengedichtes erkennbar ist, ist sie doch jedenfalls bei Lektüre von 4, 1 ex post als solche aufzufassen. Einzig der Umstand, daß zwei volle Bücher dazwischenliegen, macht die Sachlage kompliziert, doch dies kann sich, wenn man überhaupt eine Erklärung dafür suchen will, in der Tat aus der Abfolge von Domitians Konsulaten ergeben haben: Seit dem Jahr 88 hatte er das Amt jedes zweite Jahr bekleidet (88 – 90 – 92), sodaß, als das erste Silvaebuch erschien (wohl im Laufe des Jahres 93: vgl. o. 43–48), ein Konsulat

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Wie auch immer. Mit Vers 9 setzt eine Linie ein, die ungebrochen bis Vers 97 führen wird, die Schilderung einer spendablen Massenveranstaltung im Amphitheater, welche sich offenbar von Tagesanbruch bis in die Nacht hinzieht. Die Erzählzeit ist dabei gegenüber der erzählten Zeit andeutungsweise verschoben, indem zunächst Vergangenheitstempora überwiegen: movebat (9); ­pluebant (10); profudit (11); cadebant (20); contudit (24).505 Doch schon diese Reihe wird durch das Präsens cadit (16) durchbrochen, und weiterhin herrscht bis zum Schluß konsequent Präsens vor, woraus der Eindruck resultiert, der Leser begleite das Ich des Textes, ein wenig nach Beginn der Festivität zu ihm stoßend und dabei das schon Vorgefallene nachtragend, des weiteren simultan durch den Tag. Daß diese Sprechhaltung ausschließlich fiktiv ist – wie, wo und wem hätte Statius denn sein Gedicht den Tag hindurch rezitieren sollen? – und das Gedicht also die Züge rein schriftlicher intendierter Rezeption trägt, sei nur en passant erwähnt.506 Die wesentlichen Stationen sind dabei:507 (1) das regenartige Herniederprasseln aller möglicher mehr oder minder exotisch-orientalischer Naschwaren, die zuvor an den Schnüren der Anfang Dezember natürlich nicht benötigten Sonnensegel aufgehängt waren, auf das Publikum (9–27); (2) eine reichlichere und vor allem konventionellere Speisung aller im Amphitheater Anwesenden, zu denen ausdrücklich auch der Kaiser zählt, durch ein Heer von Kellnern (28–50); (3) Kämpfe von Frauen sowie Zwergen in der Arena, also ein Belustigungsszenario im Sinne des zu den Saturnalien gehörigen Verkehrte-Welt-Topos (51–64); (4) eine weitere Verteilung von Gaben, diesmal an betont tiefe soziale Schichten, insbesondere Angehörige der Vergnügungsbranche (65–74); (5) weiteres Herabregnen von Lebensmitteln, passenderweise von Vögeln, was zu allgemeinem Saturnalienjubel und Akklamation des Kaisers führt (75–84) und schon das Abendmotiv anklingen läßt (76 und 81: astra); (6) nächtliche Beleuchtung des Amphitheaters durch einen gewaltigen Fackel- oder Pechkranz und Ausklang des nochmals zusammengefaßten Anfang 94 zu erwarten war, für welches silv. 4, 1 übrigens, das sich außer durch den Umstand, daß Domitian eben de facto erst am 1. 1. 95 wieder ein Konsulat antrat, durch nichts genau in das Jahr 95 datiert, auch ohne weiteres gedacht gewesen sein kann. Vielleicht hielt Statius ja diesen Text notgedrungen zurück, adaptierte ihn soweit notwendig und brachte ihn ein Jahr später als ursprünglich gedacht zum Einsatz, womit er ihn aber auch erst entsprechend später in der Sammlung publizieren konnte? Solche Überlegungen sind hochgradig spekulativ und führen zu keinem zuverlässigen Ergebnis, zeigen aber doch, daß die Produktionsbedingungen jedenfalls nicht gegen die Auffassung des revocabimus in 1, 6 als Ankündigung von 4, 1 sprechen. – Zur (Selbst-)Datierung von 4, 1 vgl. u. 205–207. 505 Leberl (2004), 188. 506 Vgl. Nauta (2002), 362; Leberl (2004), 183. 507 Die bei Cancik (1965), 31 und 101, gegebene Gliederung des Gedichtes in zwei Hauptteile vermag ich nicht nachzuvollziehen, da die dafür herangezogene Zäsur bei Vers 50/51 mir nicht stärker als etwa die Einschnitte 27/28 oder 64/65 erscheint. – Eine detailliertere Analyse einzelner Passagen bietet Newmyer (1979), 111 f.

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Festes (85–92).508 Der Dichter gibt nun vor, selbst zunehmend alkoholisiert und des Dichtens nicht mehr mächtig zu sein (93–97), gewinnt aber in den Schlußversen des solcherart zweigeteilten Epilogs (98–102) wieder Herrschaft über sich selbst509 und verkündet, die Erzählung hinter sich lassend, die Unvergänglichkeit dieses zum Monument gewordenen Ereignisses,510 das im übrigen in allen seinen Phasen stets auf den Kaiser als seinen Urheber rückbezogen wird.511 508 Hier ist auf die umstrittene Wendung quis dapes inemptas … canat (94) einzu­gehen, die Shackleton Bailey (2003), 388 sonderbar verquer erklärt: »The fare provided for the Emperor’s guests was not bought in any market; it was produced on his own land.« Das ist trotz gegebener sprachlicher Parallele zu Verg. georg. 4, 133 und Hor. epod. 2, 48, inhaltlich wie auch sprachlich unwahrscheinlich: Inhaltlich, weil bezweifelt werden darf, daß wirklich alle im Gedicht aufgezählten Viktualien auf notwendig im ganzen Reich verstreuten kaiserlichen Domänen produziert wurden, ganz abgesehen davon, daß eine solche Angabe im Text befremden müßte – dem Publikum konnte es schließlich egal sein, woher der Kaiser F ­ eigen und Flamingos bezog, sofern er sie dem Volk bloß gratis zur Verfügung stellte (so schon ­Baehrens [1873], 254 f.). Letzteres, den Euergesiecharakter der Veranstaltung, rückt übrigens ThlL 7, 1, 1292, 61sq. ins Zentrum, wenn er dapes inemptas als quae gratis dantur erklärt; was nach fast hundert Versen entsprechender Beschreibung pleonastisch und überdies im unmittelbaren Kontext geradezu peinlich wirken müßte: An anderer und passenderer Stelle wird auf diesen Umstand gerade einmal verhüllt hingewiesen: vgl. Vollmer (1898), 308 zu Vers 36. Sprachlich ist selbst gegen Håkanson (1969), 32, Anm. 32, mit Stange (1887), 37, auf die seit augusteischer Zeit zunehmend ausgeweitete Möglichkeit von Privativbildungen des Partizips Perfekt in der Art von invictus ›unbesieglich‹ zu verweisen: inemptus ›für Geld nicht zu haben‹ trifft gut den Duktus der Stelle und bedeutet die Neuinterpretation einer an den erwähnten Vergil- und Horazstellen vorgeprägten Junktur auf der Basis einer in über hundert Jahren Sprachgeschichte immer stärker genutzten semantischen Möglichkeit; vgl. HofmannSzantyr (1965), 392, § 209b, wo griechischer Einfluß des Typs ἀκίνητος, ἀσάλευτος etc. vermutet wird. 509 Newlands (2002), 254 f.; Newlands (2003), 516–519, interpretiert den Schluß mit seiner originellen recusatio post festum als »a quiet, urbane rhetorical gesture that allows the poet, under the guise of alcohol-induced drowsiness, to elude the emperor’s total control over the Saturnalia« (519), jedenfalls insofern, als er sich die Freiheit seines dichterischen Tuns bzw. Nicht-Tuns bewahrt. Das trifft eo ipso auf jeden recusatio-Topos zu, genügt indes nicht, von zwei unterschiedlichen Sichtweisen auf Domitians Machtanspruch in silv. 1, 6 (die der ›Wir‹ und die des ›Ich‹ am Schluß) zu sprechen, wie Newlands (2003), 501 bzw. 507, meint: Denn wer einem Gott gegenüber seine Unfähigkeit betont, dessen Göttlichkeit vollständig und angemessen zu preisen (silv. 1, 6, 93–97; wie oft attestieren nicht zum Vergleich Texte des christlichen Kultes Gott eine ineffabilis Eigenschaft?), betont doch damit nicht seine persönliche Freiheit und Abgrenzung vom Einfluß des Gottes, sondern eben seine Unterlegenheit  – und weiter nichts, höchstens noch seine Mühe, angemessenen Preis dennoch zu versuchen. Das ist dann fishing for (god’s) compliments, aber keine Dekonstruktion der Gottheit. 510 Nicht nachvollziehbar Leberl (2004), 162, der hier in Parallele zu den Schlüssen von silv. 1, 1 und 4, 3 Wünsche für die lange Dauer der Herrschaft Domitians finden will, wo doch nur von der Unvergeßlichkeit des Ereignisses die Rede ist, gewährt, wie der Sphragischarakter des Schlusses nahelegt, durch die Verewigung in der Literatur. 511 Rühl (2006), 333 f.

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Unverkennbar ist der symmetrische Aufbau, der sich gerade im Hinblick auf die Raumwahrnehmung im Text ergibt. Der oben als (1) gezählte Abschnitt ist gekennzeichnet durch permanente Bewegung von oben nach unten in Gestalt des Gabenregens: pluebant (10), profudit (11), cadit (13), cadit (16), cade­ bant (20), obruit (22), contudit (23), ferantur imbres (27). Einzig die Zeitangabe vix Aurora novos movebat ortus (9) und das fast verächtliche ducat nubila ­Iuppiter per ­orbem beschreiben ein Aufsteigen am Himmel und damit gegenläufige Bewegungen, doch beides bezeichnet ja Handlungen von außerhalb des Festes stehenden Handlungsträgern; der Festivität selbst hingegnet eignet in (1) eine einheitliche Bewegungsrichtung ›von oben herab‹. Umgekehrt ist der als (6) bezeichnete Abschnitt, soweit der Raum des Amphitheaters in ihm eine Rolle spielt, von einer zwar einzelnen, doch betont eindrucksvollen aufsteigenden Bewegung gekennzeichnet: escendit … flammeus orbis (86sq.), was doch wohl das Gegenstück zum ständigen Herabfallen des Anfangs bildet. Symmetrisch auch beschreiben die Abschnitte (2) und (5) Speisungen des Publikums, freilich in (5) erneut in Gestalt eines Speisenregens, womit dieses Motiv zum Bindeglied zusätzlich zwischen (1) und (5) wird. Den Kern der zwiebelschalenartigen Komposition bilden die in (3) geschilderten Kämpfe von Frauen und Zwergen in der Arena, wozu sich in (4), gleichfalls in der Arena, eine Gabenverteilung an Angehörige des Unterhaltungsgewerbes und benachbarter wenig angesehener Branchen512 wie die in 73sq. genannten Schwefelhausierer gesellt: Ihr tumultuöser Jubel über die d ­ ives sparsio (66) bildet ein Schauspiel ganz anderer Art als die Kämpfe in (3) und ergänzt diese damit komplementär.513 Rechnet man noch das 512 So können mit den Syri in 72 ohne weiteres die sonst wohl zum Warten draußen vor dem Amphitheater verurteilten Last- und Sänftenträger gemeint sein: cf. Mart. 7, 53, 10; 9, 2, 11; Iuv. 6, 351. 513 Wasserstein (1951), 229. Sicher falsch ist die von Vollmer (1898), 309, und ebenso von Shackleton-Bailey (2003), 93, Anm.  13 und 14, in Beiziehung von Mart. 8, 78, 9sq. vorgeschlagene Deutung, silv. 1, 6, 65–74 beschreibe die Verteilung von tesserae, also Jetons mit Gutscheinfunktion, an das Publikum, und die aufgelisteten Personen stünden für diejenigen Vergnügungen, die der glückliche Erhascher eines entsprechenden Jetons dafür bekommen könne: faciles emi puellae (67), Theaterschauspieler (68sq.), Lydiae tumentes (70; tumen­ tes erklärt White [2008], 111, gut als ›aufgeregt, echauffiert‹), Musiker aus Gades (71), agmina Syrorum (72), plebs scenica (74) und schließlich qui comminutis permutant vitreis gregale sul­ pur. Zweierlei hindert daran, der Jetontheorie zu folgen: Einmal, daß die genannten Personen allesamt Handlungen setzen, die im Kontext primär dazu geeignet sind, das einleitend gefallene Wort tumultus (66) näher zu spezifizieren: hic intrant (67), hic agnoscitur (68), plaudunt (70), illic … confremunt (71sq.). Demgegenüber scheint es wesentlich komplizierter, tumultus auf das hier nicht erwähnte Publikum auf den Rängen zu beziehen, und die Handlungen von intrant bis confremunt als virtuelle Ausmalung der in den Jetons schlummernden zukünftigen Genüsse zu deuten. Doch auch wenn dies immerhin möglich wäre, paßt doch die letzte genannte Personengruppe, die Schwefelhändler, die (cf. Mart. 1, 41, 4; 10, 3, 3; 12, 57, 14; Iuv. 5, 47sq.) zerbrochenes Glas einsammelten und dafür die zum Übertragen von Flammen etwa aus dem Herdfeuer auf eine Öllampe oder umgekehrt beliebten Schwefelfäden eintauschten, eventuell auch mit dem ihnen offenbar verfügbaren Schwefel zerbrochenes Glas reparierten

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Prooemium (1–8) und den Epilog des Gedichts, der zugleich wie eine versteckte Sphragis des ersten Silvaebuches wirkt, als Rahmen, wird klar, wie regelmäßig und ausgewogen das Gedicht im Gegensatz zu seinem scheinbar chaotischen, ungeordneten Inhalt komponiert ist.514 Da es auf Beschreibungen räumlicher Gegebenheiten relativ weitgehend verzichtet und das Kolosseum praktisch nur als Ereignisraum implizit auf­ faltet, bleiben an der Textoberfläche zunächst nur wenige Elemente dieser Art zu kommentieren. Zunächst die Auflistung der herabfallenden Naschereien (12–20), die Statius ausdrücklich als Mitgebringe des Eurus (11), also aus östlicher oder südöstlicher Richtung, bezeichnet. Dazu passen auch die aufgezählten Früchte: Nüsse vom schwarzen Meer (12), Früchte aus Palästina (13) und Damaskus (14), gefolgt von quod percoquit aebosia Caunos (15 in der (cf. Plin. nat. 36, 199; Plin. epist. 8, 20, 4), unmöglich in die Reihe – welche Leistung sollten sie im Tausch gegen einen Jeton (und eben nicht gegen Glasscherben!) eigentlich erbringen? Vollmer (1898), 310, flüchtet in die Erklärung »Wahrscheinlich verkauften diese Leute auch Spielzeug und trieben Gaukeleien«, was keiner weiteren Beachtung wert ist; auch Illuminatis (1941), 127, Hinweis auf Petron. 10, 1 vitrea fracta in der übertragenen Bedeutung ›Bagatellen, Nichtigkeiten‹ paßt nicht hierher, weil die angeführten Martialbelege zu sehr dazu raten, vitreis wörtlich für ›Glas‹ zu nehmen. An diesen Schwefelmännern scheitert also die Annahme einer sparsio tesserarum, der übrigens auch Newlands (2002), 243 f., nicht folgt. Ebenso unwahrscheinlich ist die Erklärung von Canali-Pellegrini (2006), 318, Anm. 257, die eine Aufzählung von Komödienfiguren erkennen wollen: Doch weder ist das Auftreten eines Schwefel-Glas-Verhandlers in einer Komödie bezeugt (was notfalls hinzunehmen wäre, auch wenn man doch eher an Nestroy oder Raimund erinnert würde als an das, was von der römischen Komödie bekannt ist), noch wird man die Aufführung einer Komödie in einem ­A mphitheater annehmen. Was die aufgezählten Personengruppen aber alle verbindet, sind ihr niedriger sozialer Status und ihr Tätigkeitsfeld im oder um das Amphitheater (wo man den Straßenstrich ebenso zuverlässig vermuten kann wie ein dichtes Auftreten von knapp über dem Bettlertum stehenden Kleinhändlern, etwa den Schwefel-Glas-Verhandlern). Es liegt also nahe, daß Domitian das römische Publikum auf den Rängen unterhält, indem er in der Arena jene Berufs- und sozialen Gruppen, die das Publikum normalerweise ent­ weder in oder um die Vergnügungsstätte gewissermaßen als deren Betreiber oder auch Zubehör erlebt, beschenkt, womit auch immer – am wahrscheinlichsten mit Geld, um das diese sich balgen und damit ein Schauspiel bieten. Zusammen mit den an die römische Bevölkerung im engeren Sinn verteilten Gaben ergibt sich daraus die Beschenkung aller nur vorstellbaren Personenkreise, was dem soziale Unterschiede kontrolliert aufhebenden Charakter der Saturnalien ebenso entspricht wie der panegyrischen Grundtendenz, den Gepriesenen nicht nur einzelnen Gruppen, sondern allen Menschen gegenüber zum Wohltäter zu machen. Ist die Arena sonst ein Ort der Exklusion (etwa des Verbrechers, der dort hingerichtet wird, oder auch der Gladiatoren als aus der normalen Gesellschaft ausgegliederte Gruppe), so wird sie durch Domitian zu einem der wenigstens temporären Inklusion: Zum Kontrast zwischen jener üblichen Nutzweise des Amphitheaters und der durch Domitian ›verkehrten‹ vgl. Coleman (1990), passim. 514 Anders Newmyer (1979), 111, der im Verlauf des Gedichtes jede Struktur verloren­ gehen sieht – das paßt zwar zum zunehmenden Alkoholisierungsgrad des Sprechers, trifft aber doch nicht vollständig zu.

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überlieferten Form).515 Daß von Feigen die Rede ist, wofür Kaunos berühmt war,516 ist relativ klar. Die Emendation Ebosea Caunos aber, die sich nach Markland (1728), Illuminati (1941) und Vollmer (1898) auch bei Shackleton-Bailey (2003) im Text findet, während Phillimore (1905) und Courtney (1990) c­ ruces setzen, kann unmöglich richtig sein, auch wenn Ibiza gleichfalls gute Feigen hervorbrachte (Plin. nat. 15, 82). Zwar das Argument, daß Ibiza ( Ἔβυσσος, Ἔβουσος, Ἔβοσος, Ἔβεσος, lat. Ebusus oder Ebosus) von Rom aus gesehen nicht im Osten liegt, vermag Vollmer unter Verweis auf die wenig weiter unten gleichfalls mit aufgezählten Äpfel oder Birnen aus Ameria (18: Amerina) zu neutralisieren, auch wenn jener Vers selbst nicht restlos verständlich ist.517 Doch was 515 Zur genauen Überlieferung siehe Wasserstein (1951), 222. Die phantasievollste Emendation, die mir bekannt wurde, bietet Barthius (1624), 1184: et quas praecoquit Ebosia cannas in der Bedeutung ›Zuckerrohr‹. Leider nahm v. Barth diesen Vorschlag in seinem Spätwerk wieder zurück: vgl. Barthius (1674), Animadv. 149. 516 Hehn (1911), 97; vgl. die bekannte Episode Cic. div. 2, 84. 517 Plin. nat. 15, 55 und 58 erwähnt die betont spät zu erntenden Äpfel und Birnen von Ameria. Allerdings ist nicht klar, wie weit Amerina im Sprachgebrauch der Zeit nicht ebensogut ohne Rücksicht auf deren tatsächliche Herkunft ›Spätobst‹ heißen kann – mala Persica kommen auch nicht zwangsläufig aus Persien, nur weil sie so heißen, und Beispiele dieser Art ließen sich für antike wie auch für moderne Gemüse-, Obst- oder Weinsorten in reicher Zahl beibringen. Noch weniger klar ist, was massis non perustis bedeuten soll: ›mit nicht vom Frost beschädigtem Fruchtfleisch‹ scheint eine verbreitete Auffassung zu sein (Shackleton Bailey [2003], 89, Anm. 6; ähnlich Wißmüller [1990], 36; ThlL 10, 1, 1890, 5sq. freilich ist zur vorliegenden Stelle expressis verbis ratlos), doch für massa ›Fruchtfleisch‹ führt der ThlL (VIII , 430, 8) nur eben silv. 1, 6, 18 als einzigen Beleg an, perustus wiederum bezeichnet primär ein Versengen durch Feuer, nicht durch Frost: die nicht zahlreichen Belege für letzteres in ThlL 10, 1, 1890, 41–53 entstammen, soweit sie nicht spätantike sind, landwirtschaftlichen Fachtexten, mit denen Statius’ Wortwahl nicht zwangsläufig konform gehen muß; Vollmers (1898), 306, und Newlands’ (2002), 241, Deutung des non perustis als ›unreif‹ läuft wiederum sowohl der Jahreszeit (Anfang Dezember sind Äpfel jedenfalls reif, erst recht im Mittelmeerraum) als auch dem panegyrischen Inhalt zuwider. Wäre nicht angesichts der im Bereich von Lebensmiteln weitaus gängigeren Bedeutung massa = ›Teig‹, noch dazu in einer Aufzählung unmittelbar nach gaioli (17; vgl. den hier sicher zutreffenden Kommentar von Vollmer [1898] ad. loc.; Malamud [2001], 25 f.) und vor mustaceus (19), also zwei Backwaren, eher an etwas wie ›Äpfel im Schlafrock‹ zu denken, also Äpfel (oder Apfelspalten oder -scheiben), die in einen Teig gehüllt oder getunkt und solcherart gebacken (doch eben nicht verkohlt: non perustis) werden? Mir ist kein Beleg für ein solches Rezept aus der Antike bekannt, doch kann man, daß eine derart primitive Form der Obstbäckerei praktiziert wurde, ohne weiteres annehmen: vgl. auch Wasserstein (1951), 223 f. Jedenfalls würde die Annahme gut zu Amerina passen, denn für derlei Gebäck wird jeder Koch auch heute aus praktischen Gründen festere Apfel- (oder Birnen-)sorten bevorzugen. Damit träte für Amerina die Bedeutung ›festes Spätobst‹ in den Vordergrund, die Herkunftsangabe hingegen würde weniger wichtig, sodaß sich auch Vers 18 prinzipiell in die Reihe der ex oriente importierten Genußwaren fügen könnte. Freilich kann eingewandt werden, daß ›nicht verkohlt‹ in panegyrischem Kontext eine ebenso deplacierte Charakterisierung der kaiserlichen Geschenke ist wie ›nicht vom Frost beschädigt‹ oder ›unreif‹: Streng genommen ist sogar jede denkbare verneinte Fügung panegyrisch bedenklich, denn es ist niemals angebracht, einer herrschaftlichen Gabe zu

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soll die Junktur Ebosea Caunos, das ›ibizische Kaunos‹, heißen, von der metrisch falschen Messung Ēbosea statt Ĕbosea ganz abgesehen? ›Das auf Ibiza gelegene Kaunos‹, so wie Haemonius Pylades (silv. 2, 6, 54) ›der Pylades vom Haemus‹, d. h. Patroklos?518 Das ist sprachlich unmöglich, denn man kann Ibiza schlecht als das ›Kaunos von Ibiza‹ bezeichnen, sowenig wie man im Hinblick auf den Ruf beider Städte als Zentren der klassischen Musikszene Salzburg das ›Wien von Salzburg‹ nennen kann  – ›das Wien an der Salzach‹ oder ›das Wien am Untersberg‹ oder dgl. wäre möglich, doch der zu umschreibende Name selbst kann bei derartigen Antonomasien definitionsgemäß gerade nicht gebraucht werden.519 Daß Ebosea Caunos umgekehrt Kaunos bezeichnet und dieses bloß attributiv als ›ibizaartig‹ beschrieben würde wie beispielsweise Pergamon in der Junktur Troiana Pergamus (silv. 1, 4, 99),520 ist sehr unwahrscheinlich, mindestens wäre der Sinn des Attributs unklar, es sei denn man nähme an, daß nun umgekehrt Ibiza für seine Feigen sprichwörtlich war, wofür aber ein einziger Beleg beim älteren Plinius nicht recht ausreicht. Von anderen vorgeschlagenen Konjekturen erscheint mir Albert Imhofs aestuosa Caunos521 paläographisch am plausibelsten. Damit bleibt man jedenfalls bei Kaunos und damit im Bereich des Eurus, den auch, wie o. Anm. 517 skizziert, die Amerina von Vers 18 nicht notwendigerweise verlassen. Der Text erhält also die Fiktion des vom Eurus hergewehten Gabensegens geographisch aufrecht und zeichnet im Unterschied zu einer Aufzählung etwa von Leckereien aus aller Herren Länder, wie man sie als topisches Motiv zur Umschreibung von Abundanz, Reichtum und Weltherrschaft ja ohne weiteres erwarten könnte, ein klares Bild: Mit der aufsteigenden Morgenröte bringt der sich erhebende Ostwind Gaben aus seiner Richtung mit sich. Offenkundig liegt dem Autor also trotz stark reduzierter räumlicher Beschreibung in silv. 1, 6 doch daran, seine Räumlichkeit nicht in Beliebigkeit zerfallen zu lassen. Gleiches gilt für eine Passage gegen Ende des Gedichts, die Illumination des Amphitheaters bei Einbruch der Dunkelheit durch einen aus der Arena zum ›Schnürboden‹ der Sonnensegelverspannungen hinaufgezogenen Lichterkranz attestieren, sie weise eine bestimmte negative Eigenschaft n i c h t auf: die bloße Erwähnung der Möglichkeit erregt schon Zweifel. Mein Vorschlag geht also dahin, paläographisch fast belanglos aus non perustis mit seinem problematischen non ein nuper ustis zu machen, in einer vorgeschlagenen Bedeutung ›frisch gebacken‹. Paläographisch weiter entfernt und mit massis im Sinne von ›Fruchtfleisch‹ schlägt Liberman (2010), 147, massis sole tostis vor. 518 Das Beispiel mit der Deutung auf Patroklos zieht Shackleton Bailey (2003), 387, zum Vergleich heran; vgl. Vollmer (1898), 306, der wie Canali-Pellegrini (2006), 317, Anm. 246, dem gleichen Irrtum erlag; ferner vgl. Liberman (2010), 146 f. 519 Vgl. die Analogiebildungen bei Wasserstein (1951), 222 f., die gerade diesem Problem (bewußt oder unbewußt) ausweichen. 520 Vollmer (1898), 306. 521 Zitiert im Apparat der Edition von Marastoni (1970), ad loc., sowie bei Wasserstein (1951), 223; übernommen bei Wißmüller (1990), 36, bei Anm. 6.

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(85–90),522 der »die Fackel der Krone von Knossos übertrifft«, also das Licht des kleinen Sternbildes der Corona am Himmel, deren hellster Stern, Gemma, vielleicht mit facem (88) gleichzusetzen ist. Daß als Vergleichspunkt für den himmelwärts gezogenen Lichterkranz der irdischen Festivität der himmlische Kranz herangezogen wird, ist an sich naheliegend und intensiviert die auf der Hand liegende Mikrokosmosfunktion des Amphitheaters,523 das wie jeder Mikrokosmos in linearer Verbindung zum Makrokosmos steht, vor allem aber stimmt es astronomisch, denn bei Einbruch der Nacht am ersten Dezember um etwa 17.30 Uhr steht die Corona in der Tat tief im Nordwesten, um etwa um 18.00 unterzugehen. Irdischer Lichterkranz und kranzgestaltiges Sternbild verhalten sich also spiegelbildlich: Während der eine hinaufsteigt, versinkt das andere. Soweit jedenfalls ist festzuhalten, daß Statius den räumlichen Gegebenheiten, diesfalls den astronomischen zum fraglichen Zeitpunkt, mit beiläufiger Präzision gerecht geworden ist. Von Interesse könnte indes auch sein, daß in den Jahren zwischen Domitians Regierungsantritt und dem vermuteten Erscheinen des ersten Silvaebuches (o. 43–48 sowie I, Anm.  75)  – die in silv.  1, 6 gepriesene Feier ist ja nicht auf ein bestimmtes Jahr datierbar524 – der Untergang der Corona bei Einbruch der Nacht von folgenden Planetenaufgängen begleitet war: 84 ging der Mond kurz vor dem Untergang der Corona auf, 88 der

522 Zur Technik dieser Seilverspannungen vgl. z. B. Meogrossi (2009), 125–129. 523 Newlands (2003), 503. 524 Leberl (2004), 197 f. schlägt sogar vor, von der Annahme einer besungenen konkreten Feier abzugehen und Statius’ Gedicht als Beschreibung eines idealen Festes zu lesen, zusammengesetzt aus Elementen verschiedener Festivitäten. Das ist zwar nicht mit Sicherheit als falsch zu erweisen, aber doch unwahrscheinlich: Erstens basieren alle übrigen panegyrischen Gedichte der Sammlung auf konkreten Ereignissen, wie für silv. 1, 1 sowie 4, 1 und 4, 3 aus der Sache erweisbar, für silv. 4, 2 auch ohne Beweisbarkeit nicht anders vorstellbar ist, wenn das Gedicht nicht zur Unverschämtheit gegenüber dem Kaiser werden sollte; einem konkreten Anlaß huldigen sicher auch silv. 3, 4 und höchstwahrscheinlich 2, 5, also die im weiteren Sinn panegyrischen Stücke. Zweitens scheinen mir die an jedem Punkt der Beschreibung betont ins Detail gehende und sich nie mit Allgemeinplätzen begnügende Darstellung, und ebenso der abschließende Preis des hic dies (98) doch sehr dafür zu sprechen, daß dem Text ursprünglich ein aktueller Anlaß zugrundelag, der im Text auch so beschrieben wird, daß die Rezipienten den Anlaß darin wiederzuerkennen vermochten. Daß in der historischen Überlieferung eine derartige Feier nicht erwähnt wird, zeigt vor allem einmal deren Lücken­ haftigkeit und kann unmöglich zum Ausgangspunkt eines argumentum ex silentio gemacht werden.  – Mit einem konkreten Anlaß rechnet auch Rühl (2006), 328–335; Nauta (2002), 398 f., schlägt vor, man habe es mit einer ›normalen‹ Veranstaltung zu tun, die erst durch das Publikum, mithin auch Statius, als ›Saturnalien‹ interpretiert worden seien. Das ist zwar trotz Vers 82 Saturnalia principis sonantes sicherlich möglich, doch ist damit auch nichts gewonnen, solange sich nicht im Text eine Differenz zwischen dieser Interpretation des Festes und seiner Intention auf seiten Domitians auftut und interpretatorisch nutzbar machen läßt (was nicht der Fall ist): So oder so hat man – ›nur‹ – einen Text, der eine von Domitian veranstaltete Saturnalienfeier beschreibt.

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Saturn etwas früher, 89 Saturn gleichzeitig, 90 Saturn etwa eine Stunde später, 91 Jupiter etwas vor dem Untergang der Corona, Saturn eine Weile danach, 92 Jupiter etwa eine Dreiviertelstunde nach Corona, Saturn wiederum hinterdrein. Bedenkt man, daß Domitian im Gedicht Jupiter und Saturn in einem ist, und daß er im Eröffnungsgedicht desselben Buches ganz unverkennbar zur stellaren Potenz avancierte, scheint es nicht abwegig, mit dem Aufsteigen des Lichtes im Amphitheater, das von einer regelrechten συμπάθεια des Sternenhimmels erwidert wird (89: collucet polus ignibus), eventuell auch einen Aufgang am Himmel zu parallelisieren. Der Mond des Jahres 84 scheidet klärlich aus – lunare Motive im Zusammenhang mit Domitianpanegyrik bietet Statius nie, und silv. 1, 6 enthält erst recht keinen Hinweis in diese Richtung –, doch ausgerechnet die Jahre unmittelbar vor der Publikation der Sammlung (im weitesten Sinn gefaßt: 88–92; doch vgl. o. 43–48) bieten in variierender Weise Saturn und / oder Jupiter im Aufgang, während die Krone der Ariadne untergeht. Für eine prä­zisere Datierung ist damit freilich nicht viel geholfen, doch möchte ich nicht unbedingt an einen Zufall glauben.525 Silvae 1, 6 bietet also Anhaltspunkte, seine Räumlichkeit auch ohne direkt beschreibende Passagen für genau konstruiert und bedeutsam zu nehmen. Damit wird das Gedicht auch in dieser Hinsicht potentiell zum Pendant von 1, 1; weshalb es lohnend scheint, dessen wesentliche Eckpunkte hierherzubeziehen. Diese waren: Der im Text aufgebaute Raum weist über sich hinaus auf mehrere zusätzliche, gleichfalls in ihrer Weise räumliche (Bedeutungs)ebenen, konkret die Welt der olympischen Götter und den Sternenhimmel. Auf jeder davon ist der Kaiser die Zentralfigur, und zugleich bildet er die Vermittlungs- und Verbindungsinstanz zwischen diesen Ebenen. Aus solch einzigartiger, polyvalen-

525 Von den astronomisch ›passenden‹ Jahren scheidet 90 wohl für meine Hypothese aus, weil in diesem Jahr Saturn erst deutlich nach dem Untergang der Corona erschien, also nicht mit ihr gleichzeitig am Himmel stand und also schwerlich ihr Leuchten übertreffen konnte, während Jupiter schon bei Einbruch der Nacht zu hoch am Himmel stand, um noch als aufgehender Himmelskörper gelten zu können. Auch der das Jahr 92 erscheint aus ähnlichen Gründen wenig passend, weil diesmal gar beide Planeten erst deutlich nach dem Untergang der Krone sichtbar wurden; abgesehen davon weilte Domitian am 1. 12. 92 gar nicht in Rom (Bengtson [1979], 205). Es blieben also die Jahre 88 und 89 (Saturnaufgang) sowie 91 (Jupiteraufgang, gefolgt von Saturn). Davon wiederum paßt 91 insofern am besten, als in diesem Jahr beide Planeten im Spiel waren, während 88 und 89 Jupiter zwar sichtbar, aber entweder schon fast im Zenit (89), oder sogar schon im Herabsinken begriffen war (88). Das Jahr 89 hat allerdings wiederum für sich, daß Domitian gegen Ende desselben seinen Triumph über Daker und Chatten feierte (Bengtson [1979], 204; Southern [1997], 108), in welchem Zusammenhang man sich eine Veranstaltung wie die von silv. 1, 6 ohne weiteres vorstellen kann. Ganz richtig weist jedenfalls Leberl (2004), 153, darauf hin, daß die Reihenfolge von silv. 1, 1 und 1, 6 innerhalb des Gedichtbuches nichts mit der Reihenfolge ihrer Entstehung zu tun haben braucht. Die gelegentlich als Vergleichspunkt herangezogene Schilderung eines approximativ ähnlichen Festes bei Cass. Dio 67, 8 trägt übrigens zur Datierung ebenfalls nichts bei.

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ter Stellung des Kaisers resultiert freilich spiegelbildlich seine Einsamkeit, oder besser vielleicht: Unnahbarkeit, deren Ausdruck die Sprechhaltung der IchInstanz in silv. 1, 1 als nicht näher spezifizierter Vertreter der Menge ist, stellenweise (zu Beginn des Textes) auch als Collage aus mehrereren solchen Stimmen aus dem Volk.526 Genau die gleiche Sprechhaltung wird man auch an silv.  1, 6 feststellen. Das namenlose Ich, also der Statius im Text, verschwindet vollkommen in der Menge der im Amphitheater Feiernden, artikuliert dieses auch, wenn er sich zu Beginn (1–8) von den üblichen Dichtergottheiten und damit von der göttlichen Distinktionsinstanz seiner Profession distanziert und an ihrer statt mit Saturn, December, Iocus und Sales göttliche bzw. quasi-göttliche Potenzen des Volks­ festes an seine Seite ruft.527 Entsprechend wird das Ich in weiterer Folge zum Wir: nostri (27) und nobiscum (48) sind die einzigen auf die erste Person verweisenden Ausdrücke im Gedichtverlauf, ehe in 97 das Ich, durch präliminarische rhetorische Fragen (93–95: Quis canat …?) vorbereitet, wieder in Erscheinung tritt, doch nur um, vom inzwischen geschilderten Geschehen nicht unberührt geblieben, seine bis zum weinseligen Wegschlummern vorgetriebene Alkoholisierung zu artikulieren.528 Erst wenn sich mit dem Epilog (98–102) der Kreis zum Prooemium schließt und eine nicht näher definierte Stimme (die man jedoch relativ zuverlässig als das Ich des Dichters im Text in seiner gewohnten Rolle als ›licensed spokesman‹ definieren kann) dem festlichen Ereignis jene Ewigkeit prophezeit, welche die Kunst gewähren kann, scheinen die eingangs beurlaubten Gottheiten der hohen Poesie reaktiviert ihren Beglaubigungsstempel unter das saturn(al)ische Gedicht zu setzen. So wie sich die Sprechhaltungen von silv. 1, 1 und 1, 6 gleichen, spielt auch der Kaiser in beiden etwa die gleiche Rolle. Zwar Stern oder Sonne ist er in silv. 1, 6 kaum, von der oben skizzierten möglichen astronomischen Parallele der emporsteigenden Planeten Jupiter und Saturn abgesehen, doch evidentermaßen ist er Kaiser und Gott, noch dazu eine Kombinationsgottheit, aus Jupiter und

526 Vgl. o. 75–76 und 119–120. 527 Nauta (2002), 397: »This time Statius could not write as a personal guest of the emperor, and consequently he does not foreground his own individual emotions as he does in Silvae 4, 2.« Die Beobachtung ist richtig, die Erklärung aber nicht nachvollziehbar, denn weshalb sollte der Massencharakter der Veranstaltung das Ich des Textes daran hindern, sein eigenes Empfinden zu artikulieren und in den Mittelpunkt zu stellen? Es handelt sich um eine davon unabhängige Entscheidung des Autors. Außerdem sei noch darauf hingewiesen, daß auch das silv. 4, 2 nicht gerade ein intimes Abendessen im kleinen Kreis, sondern immerhin noch eine Großveranstaltung in mehreren Sälen des kaiserlichen Palastes schildert  – dort wiederum hätte das Ich also ebensogut wie in 1, 6 sich in der Menge auflösen können, tut es aber gerade nicht, wiederum aus poetischer Entscheidung, nicht aus logischem Zwang. 528 Zur Stegreiffiktion dieser Verse (silv, 1, 6, 96sq.) vgl. den Verweis von Leberl (2004), 182 f., auf Vollmer (1898), 311.

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S­ aturn zusammengesetzt und damit beide übertreffend.529 Davon springt, obwohl der Name im Gedicht nie unmittelbar auf ihn bezogen wird, der saturnische Zug stärker ins Auge: Domitian beherrscht in silv. 1, 6 ja ausdrücklich die ›verkehrte Welt‹ der Saturnalien, nicht die ›normale‹ geordnete Welt Jupiters.530 Entsprechend erlebt das Publikum nicht bloß die Wiederkehr des saeculum au­ reum, in welchem es Naschwerk und gebratene Vögel vom Himmel regnet (9–27; 75–80), Frauen und Zwerge männliche Kämpfe austragen (51–64) und Nichtbürger ebenso freigebig beschenkt werden wie Bürger (65–74), es erlebt vor allem den Kaiser mitten unters Volk gemischt und (jedenfalls im Prinzip) mit ihm ohne Standesunterschiede an einem Tisch speisend (43–50):531 eine lineare Aus 529 Domitian als Jupiter: der Regen nostri Iovis in ausdrücklicher Opposition zu dem des als unterlegen gezeichneten ›echten‹ Jupiters (25–27); Domitian als Saturn: seine Festi­ vität und allgemein seine goldene Zeit übertrifft jene antiqui Iovis, d. h. Saturns (39–42); vgl. auch 34 Idaeos totidem putes ministros; 82 Saturnalia principis; 102 quod reddis Capitolium, das, mag es auch an der Textoberfläche bloß ein respektvoller Hinweis auf Domitians Bauund Renovierungsprogramm auf dem Kapitol sein, doch jedenfalls eine Verbindung zwischen ihm und Jupiter stiftet. Es fällt auf, daß Saturn in Vers 40 als antiquus Iupiter bezeichnet wird, die in Domitian präsente Synthese der beiden also schon auf sprachlicher Ebene angelegt ist. Zur Jupiterprädikation des Kaisers in silv. 1, 6 vgl. Sauter (1934), 73 f.; Newlands (2002), 241 f. weist besonders auf die durch Iovis ministros, also Ganymede (v. 34), und faci­ les emi puellae (67) umrissene sexuelle Omnipotenz Jupiters hin, derer im Zuge der Satur­ nalia principis die römische Bevölkerung vorübergehend teilhaftig werde; ähnlich bereits ­Malamud (2001), 27. 530 Die geordnete Welt Jupiters ist jene, auf welche das Iani vos revocabimus Kalendis von Vers 3 zielt. Im Corpus der Silvae entspricht ihr das Gratulationsgedicht an Domitian zu seinem Konsulatsantritt in silv.  4, 1 (der Kaiser als Herrscher). Demgegenüber erlebt man in silv. 1, 6 gleichsam Kalendae Saturni (der Kaiser als Veranstalter einer glückhaft verkehrten Welt). 531 Zwei textkritische Anmerkungen: (1) Phillimore (1895) will Vers 44 parvi femina plebs eques senatus auf der Grundlage von Otto (1887), 373, zu par vir femina plebs eques senatus ändern, doch ohne davon restlos überzeugt zu sein, wie eine ebd. mitgedruckte Bemerkung zeigt. Die Aufzählung würde dadurch immerhin regelmäßiger, indem dem Paar vir / femina das Triple plebs / eques / senatus folgte, andererseits schadet par dem Charakter des sonst reinen Katalogverses. Auch paßt m. E. gerade die Buntheit der überlieferten Aufzählung zum Geschehen der Saturnalien, dem überdies Otto und Phillimore zufolge die Kinder fehlen würden, während viri in plebs, eques, senatus ja wohl zur Genüge vertreten sind. Ferner wäre der zurechtkonjizierte Vers auch in gewisser Weise schief, müßte die Auflistung doch in zwei Teile getrennt und par ein zweites Mal ergänzt werden (i. S. v.: par vir et femina; par plebs, eques, senatus), um sinnlose Aussagen wie par femina et plebs zu vermeiden. Ich bleibe daher beim überlieferten Text. – (2) Die gleich auf diese Stelle folgende Frage quis hoc vocare / quis promittere possit hoc deorum? (silv. 1, 6, 46sq.) erweckt Verdacht durch das sperrige vocare, das selbst in der Deutung ›Wer vermöchte solch eine Einladung auszusprechen?‹ nicht recht überzeugt. Auch hier scheint mir der überlieferte Text zwar notdürftig tragbar, ich schlage aber vor, Phillimores Konjektur quis hoc vacare … in Erwägung zu ziehen (vgl. Liberman [2010], 151): ›Wer von den Göttern vermöchte Zeit für solches Sich-unters-Volk-Mischen zu haben, wer würde solches versprechen?‹ Immerhin entfiele damit die Verdoppelung des vocare durch promittere.

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weitung des althergebrachten Saturnalienbrauchtums innerhalb der familia auf die Ebene der Hauptstadt, d. h. letztlich des Imperiums, aus der konsequent die Anrede Domitians als dominus resultiert, mag er sich diese laut Vers 84 auch verbitten.532 Zugleich universalisiert der Monarch damit den unter früheren principes üblichen Brauch, sein Mahl im Kreise der Oberschicht einzunehmen, und weitet ihn auf das gesamte Volk aus.533 ›Mitten unters Volk gemischt‹ ist freilich eine doppeldeutige Fügung: Erstens läßt der Text den Leser in der Tat im unklaren darüber, wo genau sich der ­Kaiser eigentlich befindet: er verschwindet ähnlich in der Menge wie die Ich-Instanz, und gerade darin besteht sein dem Fest gemäßer saturnhafter, gött­licher Charakter, nie verbatim in den Blick genommen zu werden und doch als Urheber der Veranstaltung das (gedankliche) Zentrum zu bilden.534 Der Kontrast zwischen dem in gewisser Weise unbelebten, um einen präzis lokalisierten, als Blickfang konzipierten Kaiser herum errichteten Raum in silv.  1, 1 und dem überbelebten Raum von 1, 6 mit seinem in der Menge verborgenen, unlokalisierten Kaiser könnte kaum größer sein.535 Und doch hieße es die Zeichnung 532 Vgl. Rühl (2006), 331; Scott (1933), 249 f.; zur Problematik der Anrede dominus et deus vgl. Gering (2012), 130–139. – Ganz richtig hat Kircher (1977) die in Vers 84 berichtete Ablehnung des Dominustitels durch Domitian als Bestandteil des Verkehrte-Welt-Topos gedeutet; vgl. Newlands (2002), 248 f. Der Versuch Leberls (2004), 194–196, die Deutung vom Saturnalienkontext zu trennen, geht am Text vorbei. Es ist bei aller tendenziöser Unzuverlässigkeit der Quellen trajanischer Zeit, soweit sie Domitian betreffen, doch hinlänglich bezeugt, daß Domitian sich mit dem Fortschreiten seiner Herrschaft zunehmend als dominus an­reden ließ, also einen traditionell in den privateren Bereich der familia und des Hauswesens gehörigen Begriff auf staatliche Ebene verschob, mithin den Staat tendenziell zum kaiserlichen Hauswesen machte (dazu beispielsweise Taeger [1960], 353f). Diese Rolle hat er auch im Gedicht: Nur wer pater familias, also wer dominus ist, kann solche Saturnalia veranstalten, und nur wer dominus ist (und als Veranstalter ist er ja jedenfalls dominus, denn dafür wird dieser Titel schon in republikanischer Zeit selbstverständlich gebraucht: vgl. Illuminai [1941], 128), kann auch den Titel dominus in dieser Weise von sich weisen. Damit wird die gesellschaftliche Ordnung durch ihre vorübergehende Aufhebung dauerhaft bestätigt, und das entspricht dem oben skizzierten Saturn-Jupiter-Doppelgesicht des Kaisers. 533 Stein-Hölkeskamp (2005), 51–53, weist darauf hin, daß Domitian zwar offenbar häufig Vertreter der besseren Stände in den Palast zum Mahl lud, umgekehrt aber nie bezeugt ist, daß er selbst bei einem Senator oder Ritter gespeist hätte. Domitians bekannt gespanntes Verhältnis zu wichtigen Kreisen der Senatorenschicht und seine ebenso bezeugte Popularität bei der einfachen Bevölkerung finden sich auch in der Diskrepanz zwischen veranstalteter und sogar literarisch verewigter Volksspeisung und verweigerten privaten Adelsbanketts wieder. 534 Newlands (2002), 239 f.: »The strategy of ›privileged visibility‹ operates here largely through invisible presence.«; ähnlich Newlands (2003), 503 f.; 508. 535 Anders Nauta (2002), 402, der den Kaiser in silv. 1, 6 als »the focal point of a building symbolising the dominance of himself and his family« sieht. Das trifft für die Gesamtaussage der baulichen Situation sicherlich zu, und es ist auch richtig, daß im realen Kolosseum kein Besucher weiter als etwa 120 Meter Luftlinie vom Kaiser entfernt sitzen oder stehen konnte, der Kaiser also durchaus sichtbar blieb, mochte man auch seine Mimik zum Beispiel mehr ahnen als beobachten können. Doch im Gedicht wird davon gerade kein Gebrauch gemacht,

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­ omitians in silv. 1, 6 mißzuverstehen, wollte man in ihr nicht auch die Züge JuD piters erkennen. Denn gerade der nicht bloß rechnerisch die Gedichtmitte bildende Preis der Volksnähe Domitians (46–50)536 rückt ihn, ähnlich der rheto­ rischen Figur der Präteritio, erst recht ins Zentrum, wie ja auch in der verkehrten Welt einer römischen familia während der Saturnalien der pater familias trotzdem das Zentrum bleibt, gerade weil er seine sonstige Rolle interimistisch ruhen läßt. Erst die Wahl eines ›Saturnalienkönigs‹ wäre dazu geeignet, vorübergehend ein neues Zentrum zu schaffen, und im häuslichen Bereich ist dieser Brauch ja auch bezeugt;537 für die Saturnalienfeier Domitians (von Saturnalia principis spricht Vers 82 ausdrücklich; cf. 7sq.: diem beatum laeti C ­ aesaris) aber verlautet von einer solchen Gegenfigur bezeichnenderweise nichts – das Volk zeigt vielmehr, obwohl Zirkus, Theater und Amphitheater im Alltag der Zeit jene Örtlichkeiten sind, wo es sich dem oder den Herrschenden gegenüber am meisten herausnehmen könnte,538 Domitian gegenüber eine positive, dankbare Haltung, die dadurch umso mehr Gewicht gewinnt: ein ähnlicher Effekt wie die ›Stimmen aus dem Volk‹ zu Beginn von silv. 1, 1. Die gesellschaftliche Differenzierung der Herrschaft Jupiters – zweitens – wird also mit ­Domitians Festivität ihrer unangenehmen Facetten entkleidet und insofern ins Saturn(al)ische gewendet, zugleich aber und gerade dadurch als gefügte Ordnung bestätigt:539 Von »imperial adjustments to nature« spricht David Bright,540 wobei »nature« und die Ordnung der Welt unter Jupiter letztlich Synonyme sind; »tension between civility and hierarchy« macht Ruurd Nauta als wesentlichen Zug des im Gegenteil: Für einen »focal point« setzt Domitian im Text überraschend wenig Handlungen, genaugenommen nur eine einzige, und die zeigt ihn als Teil des Kollektivs – er speist zusammen mit allem Volk (48): dazu Newlands (2003), 511. 536 Nimmt man 1–8 als Prooemium und 93–97 sowie 98–102 als Epilog, bleiben 84 Verse eigentliche Schilderung der Festivität (9–92), deren Mitte bei Vers 50 liegt. 537 Sen. apoc. 8; Tac. ann. 13, 15; Epikt. diss. 1, 25, 8. 538 Vgl. etwa Tac. hist. 1, 72, 3: … in Palatium ac fora et, ubi plurima volgi licentia, in cir­ cum ac theatra … 539 Man könnte in Anlehnung an Flaig (2004), 255, von einer gelungenen Umstürzung des semantischen Gefüges des Arenarituals sprechen, als solche entfernt vergleichbar Neros Versuch, die Gladiatorenkämpfe zu hellenischen Sportagonen umzudeuten. Was aber jenen scheitern ließ, die hartnäckige Umdeutung der kaiserlichen Bestrebungen durch die ton­a ngebende Gesellschaft als karnevaleskes Verkehrte-Welt-Treiben, leistet Domitians Veranstaltung, die immerhin alle erdenklichen Volksschichten in cavea und arena zusammenfaßt und anstelle des für das Amphitheater konstitutiven kollektiven Urteils über missio oder Tod der unterlegenen Kämpfer nur noch eine einzige Meinungsäußerung zuläßt, die der Dankbarkeit gegenüber dem Wohltäter und princeps, in geschickter Weise durch die aus Vers 82 mit einiger Sicherheit erschließbare Bezeichnung für Domitians Festivität: Saturna­ lia principis, also eine vorübergehend durch den Kaiser als wirkmächtige Instanz hergestellte Aufhebung der gewöhnlichen Ordnung. 540 Bright (1980), 46 f.; zum Verhältnis von imperator und natura vgl. auch Sauter (1934), 166–170; Lewis (1956), 134 f.; Rosati (2006), 43–46.

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Gedichtes aus;541 auf die die normale Ordnung fortschreibenden Elemente des Spektakels, etwa das krude Sich-lustig-Machen über Schwächere wie die in der Arena kämpfenden Zwerge, weist Carole Newlands hin,542 sich dabei freilich ausschließlich auf die Jupiterfunktion Domitians konzentrierend.543 Dies kann man erweitern: Der Kaiser erscheint nicht als gewohnter, sondern als besserer Jupiter, weil er auch Züge Saturns trägt, doch ohne die Jupiters zu verwischen:544 Selbst das jahreszeitenunabhängige Gedeihen der Ackerfrüchte und damit eine wesentliche Facette des Goldenen Zeitalters führt er wieder herauf (silv. 1, 6, 39–42).545 Daß er darüber hinaus noch die Position des Bacchus besetze, meint Noelle Zeiner feststellen zu können: zu Unrecht, wie mir scheint, denn die fraglichen Verse (silv. 1, 6, 93–97) gebrauchen die Namen Lyaeus und Bacchus primär metonymisch als ›Wein‹ und nur sekundär als Bezeichnung einer Gottheit, die noch dazu als tuus Bacchus dem herrschenden Domitian untergeordnet ist.546 In der durch die Präsenz und das Wirken des Kaisers verbesserten Natur ist schließlich auch Platz für Luxus, der nicht mehr als gewaltsame Überschreitung natürlicher Grenzen und Vorgaben, sondern als Ausfluß der neuen Natur gesehen wird, und dem entgegen dem Luxusdiskurs früherer römischer Literatengenerationen nicht mehr gesellschaftszerstörerische, sondern einigende Kraft innewohnt, ergießt er sich doch, in silv. 1, 6 unmittelbar verbildlicht, gleichmäßig über alle Untertanen seines Garanten und S­ penders.547 541 Nauta (2002), 396; ebd., 400, argumentiert Nauta stark für eine vor allem jupiterhafte Rolle Domitians im Text, welcher gegenüber die saturnische praktisch gänzlich unterdrückt werde, was mir zu weit gegriffen scheint. 542 Newlands (2002), 244; ähnlich Newlands (2003), 510–512. 543 Newlands (2003), 510: »The depiction of Domitian as the new Jupiter asserts his superiority over the ancient Italian god.« (scil. Saturn) Das ist indes m. E. nur zutreffend, wenn sinngemäß ergänzt (was Newlands aber unterläßt): ›… und die Zeichnung Domitians als neuer Saturn läßt ihn in gleicher Weise den bislang geläufigen Jupiter übertreffen.‹ 544 Newlands (2002), 251 f., denkt daran, daß eine zunehmend labile politische Lage den Hintergrund für Domitians Veranstaltung abgegeben haben kann, wozu eine solche Demonstration von Garantie der gegebenen Ordnung bei gleichzeitiger Verbesserung derselben gut passen kann. 545 Unscharf dazu Pavlovskis (1973), 11, wo Jupiter mit dem Goldenen Zeitalter in Verbindung gebracht wird. 546 Zeiner (2005), 129; Zeiner folgt in Vers 96 der überlieferten Textform tuaque Baccho, die mir unverständlich ist und die Courtney (1990) zur Annahme eines Versausfalls zwingt, wohingegen tuo eine denkbar simple Verbesserung darstellt. Übrigens würde tua, wie immer der Text weiterging, vollends jede vorstellbare Gleichsetzung von Domitian und Bacchus sprachlich unterminieren, stützt also Zeiners Interpretation gerade nicht. 547 Rosati (2006), 52–58.  – Krüger (1998), 231, will in solchen Überbietungen der Natur durch den Kaiser (vgl. silv. 4, 3, 135: natura melior potentiorque) einen Fall von Verhöhnung des Kaisers durch abstruses Komplimentieren sehen. Doch weshalb eigentlich? Demnach wäre jeder, der beispielsweise heutigentages sich darum bemüht, geistig oder körperlich minder begabten Kindern gute Chancen im Bildungs- und Berufssystem zu geben, also in der Terminologie des Statius ›die Natur zu verbessern‹, als wahnsinnig zu kritisieren.

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a) Zum Raum der Kalendae Decembres Es stellt sich nun die Frage, wie weit der Ereignisraum des Gedichtes, das flavische Amphitheater, solche Tendenzen mitmacht, möglicherweise sogar symbolisch verstärkt. Daß das Amphitheater kein rein ›säkularer‹ Raum ist, falls man einen solchen in der Antike überhaupt vermuten dürfte, und daß es damit Raum für den Kaiserkult bietet, betont mit Recht Hubert Cancik,548 und die Funktion des (flavischen) Amphitheaters als herrschaftsbegründendes, -bestätigendes und -repräsentierendes theatrum mundi skizziert in einer außer­ordentlich anregenden Studie Erik Gunderson.549 Daß zwischen seinem Raum und der rö 548 Cancik (1965), 102–105. Canciks wortreiche Ausführungen sind freilich ein wenig zu relativieren. So kann etwa aus seinem grundsätzlich richtigen Hinweis auf die frühchrist­liche Polemik gegen das Spielewesen, die wegen des religiösen Charakters der Spiele auch theologisch motiviert gewesen sei (ebd., 104 mit Anm. 107), durchaus nicht auf die kontem­poräre Richtigkeit dieser christlichen Sicht auf Zirkus- und Theaterspiele geschlossen werden: Immerhin pflegte das Christentum aus Gründen der polemischen Praktik nicht so sehr gegen das ›Heidentum‹ seiner Zeit, zu dem der Unterschied oft nicht gar so groß war, sondern, per ignorationem elenchi, insbesondere gegen längst überlebte Formen des ›Heidentums‹ wie die homerische Götterwelt oder altrömische Bräuche zu Felde zu ziehen und damit bequem offene Türen einzurennen – nicht von ungefähr zitiert beispielsweise Augustinus in seiner Civitas Dei ständig Varros Antiquitates, während er sich selbstverständlich als Neuplatoniker up-to-date zeigt. Auch Canciks Hinweis auf das häufige Erscheinen kleiner sacella in Theatern vermag nicht sonderlich zu überzeugen: Die obligatorische Statue des Hl. Johannes Nepomuk auf oder neben so mancher älteren Brücke erhebt ebensowenig die Brücke zum religiösen Bauwerk, noch erlaubt sie eine Deutung des Überquerens der Brücke als kultische Handlung, weder zum Zeitpunkt ihrer Errichtung, noch in späteren Zeiten. Liest man hingegen beispielsweise Martials liber spectaculorum, so wird man nur recht geringe Spuren einer religiösen Konnotation der Darbietungen finden. 549 Gunderson (2003), passim. Der Autor beschränkt sich freilich auf die normalen Ver­ anstaltungstypen im Amphitheater und analysiert unter diesem Blickwinkel Plinius m ­ aior und Martials Liber spectaculorum. Für die Saturnalia von silv.  1, 6 liegen infolge des den Saturna­lien inhärenten Verkehrte-Welt-Gedankens die Verhältnisse freilich etwas anders, insbesondere die sonst obligatorische (und daher kaum noch erwähnenswerte)  Trennung zwischen Publikum und Arenapersonal, also die für das Amphitheater konstitutive Exklusion derer in der arena aus der Gemeinschaft derer in der cavea, erscheint hier in etwas anderem Licht. Auch setzt Gunderson den interpretatorischen Hebel vornehmlich beim fiktio­ nalen Charakter vieler Arenadarbietungen (reinszenierte Mythen u. dgl.) an, wodurch das Amphitheater zum wesentlichsten Umschlagplatz zwischen Realität und Fiktion und zugleich dadurch, daß gerade und nur der Kaiser das Spektakel veranstaltet, zu dem Platz werde, wo seine inszenierte Herrschaft Realitätscharakter annehme. Nun sind aber die in silv.  1, 6 geschilderten Darbietungen ausgerechnet nicht fiktional, sondern verzerren bloß normale Vorgänge wie Kämpfe oder das Verteilen von Gaben ins Komische, einmal wenn Frauen oder Zwerge gegeneinander antreten wie sonst geschulte Gladiatoren, ein anderesmal wenn das selbst schon reich beschenkte einfache Volk zusieht, wie sozial noch viel tiefer Stehende beschenkt werden und sich um die Gaben balgen. Domitians Veranstaltung zeigt also parodistische Züge, nicht aber fiktionale. Was hätte es denn auch für einen Sinn, Fiktionalität zum Ausgangspunkt für die verkehrte Welt der Saturnalien zu machen?

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mischen Gesellschaft nicht nur eo ipso, sondern auch im Text eine Verbindung besteht, zeigt Vers 35 orbem qua melior severiorque est, eine Anspielung auf das den Senatoren vorbehaltene podium und die nächsten, den Rittern vorbehaltenen Reihen (maenianum primum), möglicherweise auch auf Domitians zensorische Eingriffe sowohl in diese Stände als auch in deren offenbar etwas undeutlich gewordene Distinktion im Amphitheater, das hier direkt als ­orbis erscheint, wie es auch indirekt in Vers 87 dem Lichterkranz (orbis) die Form leiht.550 Im Gedicht bei aller Saturnalienhaftigkeit präsent gehalten ist also die horizontale Schichtung des Raumes, die im aktualen Rom der niedrigsten sozialen Schicht die Arena einräumt, in der sonst der Triumph des exemplarisch versammelten römischen Volkes über alle möglichen ihm nicht angehörenden Existenzen zelebriert wird, sodaß sie in gewisser Weise zum orbis terrarum im Taschenformat wird,551 und über welcher in krassem Gegensatz unmittelbar Kaiser und Senatorenstand ihre Plätze haben, nach oben hin gefolgt von den Rittern und weiter dem einfachen Volk bis zu den ganz oben gelegenen Reihen für die ›untersten‹, in diesem Fall aber de facto obersten gesellschaftlichen Ränge des Publikums: Der Zuschauerraum als »Spiegelbild des römischen Volkes in seinem gesellschaftlichen und politischen Aufbau«.552 In diesem geschichteten Raum nun erfolgen im Rahmen der einzelnen Textabschnitte merkwürdig einheitliche Bewegungen. Der erste (9–27) ist, wie schon oben festgehalten, von konsequenten Bewegungen von oben herab gekennzeichnet, während der zweite (28–50), mit dem Servieren der Mahlzeiten Handlungen eher von unten nach oben bringt (28 subit; 32 subvectant), dann zu räumlich nicht zielgerichteten Handlungen übergeht (43 vescitur; 48 dapes inisti). Die dritte Episode (51–64) zeigt Kampfhandlungen in der Arena, also im Prinzip ein Durcheinanderlaufen horizontaler Bewegungen auf der untersten Ebene des Kolosseums. Abschnitt Nummer vier (65–84), die dives sparsio (66) von Gaben unter die wohl in der Arena zu denkenden Schausteller, wird am ehesten von oben – aus der palatinseitigen Kaiserloge? Oder ringsum von der Brüstung des Senatorenpodiums?553  – herab erfolgen, bringt also eine Bewegung von oben nach unten und einen sich wesentlich horizontal abspielenden tumultus als Effekt, so wie das Servieren des Essens im spiegelbildlichen zweiten Abschnitt 550 Suet. Dom. 8, 3; vgl. Gering (2012), 216. 551 Vgl. Hufschmid (2011), 275; Wegerhoff (2011), 139 f. 552 Weeber (1994), 155; vgl. Weebers weitere Ausführungen, ebd.: »Wer das Theater betrat, der konnte tatsächlich den Eindruck gewinnen, dem gesamten römischen Volk gegenüber­ zustehen, und zwar einer nicht ›gleichgemachten‹, zufälligen Ansammlung von Zuschauern, sondern einem nach der gesellschaftlichen Schichtung sauber voneinander getrennten repräsentativen Querschnitt durch das römische Volk.« Was für das Theater gilt, gilt auch für das Amphitheater; vgl. auch Flaig (2004), 236f; Wegerhoff (2011), 139 f. 553 Eine geraffte Übersicht über die Verteilung des Publikums im Kolosseum gibt Packer (2003), 169 f.

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eine Bewegung von unten nach oben mit der prinzipiell ›ebenen‹ des Speisens verbunden hatte; hinzu tritt hier freilich noch die ›akustische Aufwärtsbewegung‹ des tollunt ad astra voces (81).554 Den fünften Abschnitt schließlich ­(85–92) dominiert die aufsteigende Bewegung des Lichterkranzes, der sich als neues Sternbild gen Himmel erhebt;555 man hat nicht zu Unrecht darauf hin­ gewiesen, daß diese Steigerung des Lichteffektes durch das Element der Bewegung im großen Stil der älteste Beleg für solche Lichtregie und zugleich das Äußerste ist, was die Antike in puncto künstlicher Beleuchtung zustandebrachte.556 Insgesamt ergibt sich nun folgendes Ablaufschema: (1) ↓↓ (2) ↑↔ (3) ↔ (4) ↓↔↑ (5) ↑↑ 554 Cordes (2014a), 361 f., erblickt in diesem ad astra ein Element, das die Selbstverständlichkeit der Göttlichkeit Domitians textlich untermauern soll. Angesichts der hohen Geläufigkeit der Junktur ad astra halte ich eine solche Deutung freilich für schwer nachweisbar. 555 Das überlieferte descendit kann unmöglich richtig sein, denn weder hätte man die wohl zahlreichen Lampen oder Fackeln eines Lichterkranzes ohne größte Schwierigkeiten oben auf der ›Ebene‹ der Sonnensegelverspannungen entzünden können, um den Kranz dann abzusenken, noch ist descendit media harena, wenn man es wörtlich auf den Sand­ boden bezieht, ein besonders sinnvoller Vorgang: Wozu sollte man einen Lichterkranz auf den Boden herablassen und damit die Arena, die durch unten aufgestellte sowie an den umlaufenden Wänden montierte Fackeln oder Kandelaber einfacher zu beleuchten war, blockieren? Hingegen konnte es keine Probleme bereiten, eine entsprechende Konstruktion auf dem Boden der Arena vorzubereiten, bedarfsweise sogar hinter irgendwelchen Kulissenelementen den Blicken der Zuschauer einigermaßen entzogen oder, falls es sich um einzelne Lampen handelte, sogar unterhalb der Versenkungsöffnungen des Arenabodens (vgl. Hufschmid [2011], 266–269), und dann mehr oder minder überraschend zum ›Schnürboden‹ hinauf­ zuziehen; der Umgang B des Untergeschoßes der Kolosseumsarena bot dafür viermal sieben Aufzugs- bzw. Versenkungsöffnungen, die, wollte man auf gleiche Abstände der Leuchten zueinander achten, noch um je eine an den Nebenscheiteln und je drei an den Hauptscheiteln der Ellipse zu ergänzen waren, also insgesamt 36 Leuchten und damit eine recht schöne Zahl ergeben hätte (vgl. Beste [1999], 267, Abb. 25): Der Konjektur von Stange (1887), 37, escen­ dit ist also jedenfalls zu folgen. – Newlands (2002), 246, und (2003), 513 f. (mit etwas skurrilem Verweis auf Luc. 1, 75sq., der eher das Gegenteil beweist), beläßt descendit und rechnet mit der Ankunft eines neuen Sternbildes vom Himmel herab: Der Effekt wäre freilich etwas eingeschränkt gewesen durch den Umstand, daß das Sternbild nicht von höher herab einherschweben konnte, als das Kolosseum eben hoch ist (also nur einige Meter über den Köpfen der obersten Zuseherreihen), und daß der extrem mühsame Entzündungsvorgang dieser Konstellation durch waghalsig über die Seilverspannungen kletternde Akrobaten bzw. Matrosen mit brennenden Kerzen oder Fackeln in den Händen hinlänglich gut beobachtbar gewesen wäre. Von unten herauf hingegen war die Wirkung zweifellos besser, zumal auch im Mythos neue Sternbilder ja üblicherweise von der Erde gen Himmel steigen, nicht umgekehrt: Eine derartige Abwärtsbewegung von Himmelskörpern, noch dazu in Verbindung mit einem menschlichen Akteur als Urheber dieser Bewegung, würde vielmehr in unangenehme Nähe zur topischen magischen Praktik des Herabziehens von Sternen oder Planeten kommen, könnte also eine durchaus unpassende Assoziation zu etwas dezidiert Negativem herstellen. – Vollmers (1898), 310 f., Kommentar ad loc. ist übrigens sinnlos und von tech­nischem Unverstand geprägt. 556 Held (1990), 58 f.

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Bedenkt man, daß der Herkunftsort des ›Regens‹ in (1) ideell der Himmel, praktisch der obere Rand des Kolosseums mit seinen Seilverspannungen ist, daß (3) jedenfalls Handlungen zuunterst in der Arena schildert, (2) hingegen in der Mittelzone der Publikumsränge angesiedelt ist, (5) schließlich eine Bewegung von ganz unten wieder dorthin vollzieht, wo (1) begonnen hatte, dann möchte man am liebsten Abschnitt (4) symmetrisch zu (2) in die Zone der cavea ver­ legen, was mir freilich aus inhaltlichen Gründen zwar nicht unmöglich, doch wenig plausibel scheint. Doch auch ohne dieses wird klar, was geschieht: Einerseits vollzieht der rhythmische Wechsel zwischen abwärts- und aufwärtsführenden Bewegungen im Rahmen des gesellschaftlich mindestens theoretisch streng geschichteten Amphitheaters die saturnalienhafte Durchmischung der Schichten nach, derer innerhalb der römischen Gesellschaft, doch auch derer, die den göttlichen Kaiser vom Volk abheben.557 Und andererseits resultiert aus den abstrahierten Bewegungsrichtungen eine Gesamtbewegung, die von oben her in das zum Himmel offene Rund des Kolosseums gleichsam einfällt, bis zum Boden der Arena vorstößt und schließlich zum Himmel aufsteigend es wieder verläßt. Was aber setzt diese Gesamtbewegung in Gang? Der größte gemeinsame Nenner der Handlungen aller fünf Abschnitte ist die Manifestationen des euergetischen558 Wirkens Domitians, der zu diesen im gleichen Verhältnis steht wie Aristoteles’ unbewegter Beweger zum Kreisen des ihn umgebenden Kosmos, in dessen Zentrum er (mutatis mutandis) ebenso unsichtbar, nur intelle­ gibel sitzt wie der Kaiser in der Volksmenge kaum noch sicht- und lokalisierbar, wohl aber als ihr Zentrum intellegibel ist. Wichtig erscheint mir auch, daß alle diese Bewegungen, mögen sie auch Bestandteil eines bestimmte gewohnte Grenzen verwischenden und damit vorübergehend eine ›verkehrte Welt‹ schaffenden Festes sein, für sich genommen natürlich verlaufen: Die Naschereien in (1) fallen wie Regen nach unten, der Lichterkranz in (5) steigt, wie es sich für feurige Materie geziemt, auf, usw.: Das göttliche Wirken des Kaisers zeigt sich also nicht in der Negation der Ordnung durch den Hokuspokus widernatürlicher Wunder, sondern indem es die natürliche Ordnung zugleich stärkt und transzendiert: Was herabregnet, sind Feigen und süßes Gebäck, was zum Himmel schwebt, ist ein neues Licht, das sich

557 Den imbres nostri Iovis (silv.  1, 6, 27) entfernt vergleichbar als vertikale meteorolo­ gische Grenzüberschreitung dieser Ebenengrenzen ist das schon zu silv. 1, 1 herangezogene Schneeepigramm Mart. 4, 3: vgl. o. I, Anm. 349. 558 Den Euergetismus des Kaisers als zentrales Thema von silv. 1, 6 rückt Leberl (2004), 182 und 193 in den Blickpunkt. Zeiner (2005), 131, weist auf den Gebrauch des Wortes ­beatus (›reich‹ / ›wohltätig‹) im Kontext dieses Euergesiegedankens hin. Auch ihre Deutung von ­novos luxus (silv. 1, 6, 51) nicht bloß als ›neuartig, exotisch‹, sondern auch als für so manchen ärmeren Teilnehmer an jenem Fest wirklich zum ersten Mal genossene Köstlichkeiten ist keineswegs abwegig (vgl. auch silv. 4, 2, 5 nova gaudia in gleichartiger Verwendung).

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zu den altbekannten Sternen gesellt. Erneut also vereint Domitian Jupiter und Saturn in sich.559 Das führt zur letzten im Gedicht erwähnten Lokalität, dem Kapitol: t­erris quod reddis Capitolium (101sq.). Unter Domitian war der endgültig wieder­ aufgebaute Tempel des Jupiter Capitolinus in der ersten Hälfte der 80er Jahre fertiggestellt worden, wozu noch die Bedeutung der als Kampf zur Verteidigung Jupiters dargestellten Ereignisse des Jahres 69 für die Selbstdarstellung Domi­ tians kam:560 Zweifellos Grund genug für eine Verbeugung vor dem Kaiser als Bauherrn, analog zu silv. 4, 3, 16 qui reddit Capitolio Tonantem. Doch beide Formulierungen gehen über die schlichte und jedenfalls gegebene Aussage ›Kaiser gibt den Römern den kapitolinischen Tempel wieder‹ ein wenig hinaus, nicht nur wegen des beide Male gebrauchten Präsens, das den permanenten Vollzug der Handlung und nicht den Rückblick auf einmal durchgeführte Baumaß­ nahmen insinuiert:561 In 4, 3 erhält das Kapitol Jupiter zurück, als ob dieser je abwesend gewesen wäre – man bedenke, daß selbst in Vergils Führung durch das noch gar nicht gegründete Rom das noch von Gestrüpp bedeckte Kapitol bereits von einem noch nicht namentlich faßbaren, doch mächtigen Gott bewohnt wird (Aen. 8, 347–354);562 umso eher wird in silv. 4, 3, 16 nicht so sehr die Präsenz des olympischen Jupiter als die Domitians auf dem Kapitol bzw. in Rom bezeichnet sein. Ähnlich hier: Daß Domitian nicht bloß der Stadt oder den Römern, sondern allgemein der Erde (terris) das Kapitol wieder gibt, läßt angesichts der dem Begriff terra(e) gerade im panegyrischen Kontext inhärenten und durch die im Text ausgesprochene Gegenüberstellung von Capitolium und terra betonte Opposition zu caelum den Eindruck aufkommen, daß der Urheber dieses reddere selbst nicht unbedingt auf der Erde zu suchen sein muß, sondern eher von außen, d. h. von oben her und damit als Gott der Welt das Kapitol wiederbringt. Wenig überraschend drängt auch diese Formulierung also Domitian in die gleiche jupiterhafte Rolle, die er durch die beiden Rahmengedichte des ersten Buches der Silvae hindurch permanent innehat. 559 Zeiner (2005), 72, weist gut auf Domitians Rolle als besserer, milderer, weniger unberechenbarer Jupiter hin, während Newlands (2002), 241 f., gerade die Ambivalenz des guten und zugleich drohend-übermächtigen Jupiter im Gedicht betont: Nicht restlos nachvollziehbar, wie mir scheint, wird doch diese Jupiter freilich allgemein innewohnende Ambivalenz im Text durch die ›Untermischung‹ von Zügen des Saturn unverkennbar konterkariert, wenn auch als Interpretationsmöglichkeit natürlich nicht aus der Welt geschafft. 560 Vgl. auch o. bei Anm. 303. 561 cf. Mart. 6, 4, 3 tot nascentia templa, tot renata, wo im selben Kontext genau zwischen abgeschlossenen Baumaßnahmen und solchen, die es nicht sind, unterschieden wird. Zur mutmaßlichen Entstehungszeit von silv. 1, 6 nicht allzulange vor dem Erscheinen des ersten Silvaebuches aber sind, wenn man nicht eine außergewöhnliche, obschon nicht unmögliche Frühdatierung des Gedichtes in die erste Hälfte der 80er Jahre ins Auge fassen möchte, keine aktuellen Baumaßnahmen auf dem Kapitol bezeugt. 562 Dazu vgl. Witek (2006), 213–218 (mit weiterführender Literatur).

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Diese beiden Gedichte sind dem Gesagten zufolge also fein aufeinander abgestimmte Pendants. Domitians Position als Kaiser, als Gott, als astrale Potenz ist prinzipiell in beiden die gleiche. Deren Manifestationen aber in den im Text erzeugten Räumen verhalten sich spiegelbildlich: Wo in silv.  1, 1 der allein in den Fokus genommene Denkmalskaiser gleich einem senkrechten Pfeiler (einem Lacanschen Phallus? Esto.) oder einem von oben herab einfallenden Lichtstrahl alle kosmischen Ebenen vom Boden des römischen Forums bis zur Fixsternsphäre als jeweiliger Mittelpunkt und gemeinsame Achse verbindet und dabei das Personal der einzelnen Ebenen geradezu in die Unsichtbarkeit drängt, öffnet sich in silv. 1, 6 das weite, schüsselartige Rund des Amphitheaters zum gegengleich dazu gewölbten Firmament,563 bevölkert von einer bunten Menschenmenge, die nun ihrerseits den Kaiser, gerade weil er in ihrer Mitte weilt, unsichtbar werden läßt und zugleich erneut als Mittelpunkt bestätigt. Diesen Mittelpunkt nimmt Domitian in beiden Texten aber nur in besonderer Form ein: dort repräsentiert durch sein Standbild, hier persönlich, doch eben im Verkehrte-Welt-Kontext der Saturnalien. Entweder also muß der Kaiser in die irdische Welt des uns geläufigen physischen Raumes durch ein Monument gleichsam übersetzt werden, oder er läßt in saturnalischer Weise die Erde zum Himmel werden: Dem in silv. 1, 1 auf Erden herabgestiegenen Monarchen entspricht die – vorübergehende und Pindars sprichwörtlichem Besuch bei den Hyperboreern (Pind. Pyth. 10, 29–36) gleichende Öffnung der Erde zum Himmel im Amphitheater von silv. 1, 6. Das Motiv ist übrigens nicht erst in flavischer Zeit bezeugt: Schon Nero ließ laut Plin. nat. 19, 24 himmelfarbene vela mit aufgemaltem Sternenhimmel über ein Amphitheater spannen und so die Allegorie des cavea-Raumes vollends sichtbar machen. Beide Gedichte unterstreichen so durch ihre Räumlichkeit die Distinktion des Monarchen gegenüber seinen Untertanen und machen ihn in einer Weise zum Zentrum des Raumes, die diesen in letzter Konsequenz transzendiert: Orientieren sich alle Topographica in 1, 1 radial auf ihn als Mittelpunkt, und erfolgen in 1, 6 alle das Amphitheater ausfüllenden und nachzeichnenden Bewegungen auf seine Veranlassung, so fügt er selbst sich doch beidemale nicht einfach ins Zentrum dieses Raumes, wird auch nicht (wie in Statius’ Liber spec­ taculorum) zum Betrachterstandpunkt, den auch der Leser einnehmen kann 563 Man ist fast versucht, an die Konzeption des eine knappe Generation jüngeren römischen Pantheons zu denken, dessen den Sternenhimmel symbolisierende Kuppel ja auf eine mitgedachte, doch baulich aus naheliegenden Gründen nicht ausgeführte gleich große ›Gegenkuppel‹ Bezug nimmt, also die kosmische Kugelgestalt in Architektur umsetzt. Und es ist wohl kein Zufall, daß Carlo Fontanas um 1700 erarbeiteter, doch nie ausgeführter Plan für den Einbau einer Märtyrergedächtniskirche in die Arena des Kolosseums, deren Aufrißgliederung mit den Etagen des Amphitheaters korrespondieren und so architektonisch auf dieses antworten hätte sollen, just eine Kuppelkirche vorsah, also eine christliche Gegenkuppel zum nach oben offenen Rund des Kolosseums; vgl. Wegerhoff (2011), 148 f. mit Abb. 9.

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und soll,564 sondern stellt zugleich und vor allem den Punkt dar, an dem dieser Raum mit höheren himmlischen, göttlichen Dimensionen verbunden ist – gerade dadurch ist er ja der Mittelpunkt.565 Auffallend verschieden sind die beiden Gedichte aber hinsichtlich ihrer Komplexität, steht doch dem vielschichtigen und beziehungsreichen Equus maximus mit den Saturnalia ein unverkennbar lockerer und einfacher konzipiertes Stück gegenüber. Doch das entspricht dem inhaltlichen Gegensatz: Dreht sich silv. 1, 1 um das wahre Sein des Kaisers, exemplifiziert an seinem Denkmal und dessen gesamter Umgebung, so feiert silv. 1, 6 das Wirken des Kaisers auf menschlicher, dadurch aber nicht mehr normal-menschlicher sondern in etwas Besonderes verwandelter Ebene – nicht von ungefähr ja hat silv.  1, 6 auch keine ›göttliche‹ Einlage wie die Curtiusrede von silv. 1, 1 zu bieten –, was ein leichteres Ausklingen des ersten Silvaebuches in der Art des ›Kehraus‹-Satzes mancher klassischer Symphonie ermöglicht; und außerdem herrschen ja Saturnalien, und der Dichter ist zunehmend betrunken …566

4. Das panegyrische Triptychon von silv. 4  Das zweite und dritte Buch der Silvae halten die panegyrische Thematik, von eingestreuten kürzeren Passagen abgesehen, nur mit je einem Gedicht präsent: Das kleine, wie ein im Ton des Statius weiterentwickeltes Martialepigramm erscheinende Gedicht 2, 5 (Leo mansuetus) und das im Vorwort zum dritten Buch als Auftragswerk deklarierte Propemptikon / Anathematikon für die Locke des Earinus (silv. 3, 4), der auch Martial ein kleines Gedicht widmete (Mart. 9, 17), sind die einzigen und im Vergleich zu silv. 1, 1 und 1, 6 eher indirekt auf den Herrscher bezogenen Texte. Bedenkt man noch, daß das Schlußgedicht des dritten Buches (silv. 3, 5), ein poetischer Brief des Statius an seine Frau, mindestens 564 Gunderson (2003), 652 f. 565 Eine ganz ähnliche Topologisierung einer Zentralfigur, diesfalls des Jesus von Nazareth, weist Huber (1999) an der Nathanaelperikope des zu Statius wohl etwa zeitgleichen Johannes­evangeliums nach  – ein willkommener Vergleichspunkt, weil er ein Stück weit wahrscheinlich macht, daß mein Interpretationsversuch nicht in überzogener Weise Statius literarische Konzepte aufbürdet, die diesem nie beigefallen wären. Bei einem dichterischhandwerklich so versierten und obendrein experimentierfreudigen Autor, wie Statius es jedenfalls ist, wird nicht überraschen, was dem Verfasser des Johannesevangeliums möglich war. 566 Verwandtes bietet übrigens der Schluß von Plut. quaest. conv. 5, 2 (mor. 675CD), wo der Sprecher auf detailliertere Ausführungen zu abgekommenen Disziplinen bei den Olympischen Wettkämpfen verzichtet, weil er in seiner schon etwas bezechten Verfaßtheit sich auf den Gewährsmann für seine Kenntnisse nicht mehr besinnen könne und befürchte, (ἐὰν) διαφύγῃ τὴν μνήμην ἐν οἴνῳ τὸ ὄνομα, καταγελάσιος γένωμαι. Für den Hinweis danke ich Anna Ginestí Rosell (Eichstätt) herzlich.

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den Autor im Text Rom den Rücken kehren und in seine neapolitanische Heimat zurückkehren läßt – der Einleitungsbrief zum vierten Buch gibt sich konsequenterweise als aus Neapel geschrieben, und es spricht meines Erachtens in diesem Fall nichts dagegen, die Angabe auch auf den physischen Statius auszudehnen, wie es in allen Literaturgeschichten zu geschehen pflegt –, so überrascht es umso mehr, daß das vierte Buch in mehrfacher Weise auf die panegyrische Rahmenstruktur des ersten zurückgreift:567 Erstens, indem wiederum das im Hexameter verfaßte Eröffnungsgedicht unmittelbar den Kaiser als Kaiser im Zentrum seiner Herrschaft, dem Forumsbereich, betrifft. Zweitens, indem das Schlußgedicht (silv.  4, 9) erneut ein im Hendecasyllabus gedichtetes Saturna­ lienstück ist. Drittens, indem silv.  4, 1 die Ankündigung von 1, 6, 3 Iani vos revocabimus Kalendis (endlich) erfüllt und, was aus der Ankündigung in 1, 6 nicht zu entnehmen war, das Datum des ersten Jänner selbst zum Thema macht. Mindestens ebenso signifikant aber sind die Unterschiede: So eröffnet nicht bloß ein einzelner Panegyricus das vierte Buch, sondern gleich eine Dreiergruppe von Gedichten, zusammen an die dreihundert Verse lang, und zwei davon (4, 1 und 4, 2) stechen gegenüber ihrer unmittelbaren Umgebung insofern ab, als sie sich selbst unmißverständlich in Rom lokalisieren, im Fall von 4, 2 sogar die Anwesenheit der Ich-Instanz dort voraussetzen, damit also in werkinternen Widerspruch zur in silv. 3, 5 artikulierten Übersiedlung nach Neapel geraten. Erst mit 4, 3 verlassen das Ich und der Leser Rom in Richtung Neapel, wofür praktischerweise die soeben eröffnete Via Domitiana zur Verfügung steht und nicht bloß das Thema für ein Gedicht gibt, sondern, wie ausdrücklich ver­lautet (4, 3, 20–39), die Reise auch merklich beschleunigt. Das verleiht den beiden ersten Gedichten des Buches einen etwas sonderbaren Charakter: silv.  4, 1, das sich selbst auf den 1. 1. 95 datiert und mit dem vierten Buch höchstwahrscheinlich noch im Jahr 95,568 jedenfalls aber vor Domitians Tod (18. 9. 96) publiziert sein muß, gerät infolge seiner Stellung nach 3, 5 ansatzweise zur panegyrischen Ferndiagnose, noch dazu einer, die aus einer in silv.  3, 5 mit unverkennbaren Zügen eines goldenen Zeitalters recht ideal gezeichneten und dennoch vom Hof des gepriesenen Herrschers entfernten Situation abgesandt wurde;569 567 Zum vierten Buch sei grundsätzlich auf den Kommentar von Coleman (1988) hin­ gewiesen. 568 Zur genauen Datierung des vierten Buches auf das Jahr 95 vgl. Coleman (1988), xixf. 569 Besonders auffällig silv. 3, 5, 87sq.: Nulla foro rabies aut strictae in iurgia leges: / Morum iura viris, solum et sine fascibus aequum. Freilich: Die Publikation des vierten Silvaebuches erfolgte zu einem späteren Zeipunkt als die des dritten, was die beiden in der überlieferten Sammlung unmittelbar bzw. nur durch den Einleitungsbrief des vierten Buches voneinander getrennt aufeinanderfolgenden Gedichte immerhin in die Lage versetzt, nicht zwangsläufig aufeinander bezogen werden zu müssen; aber ist es wirklich reiner Zufall, daß die fasces des Kaisers bzw. Konsuls gleich zu Beginn von silv. 4, 1 (8sq.) eine Rolle spielen?

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stärker noch ist die Diskrepanz bei silv. 4, 2, das als Nachtrag, als Aufarbeitung liegengebliebener panegyrischer Agenda, erscheint, ehe silv. 4, 3 die räumliche Verschiebung der Ich-Instanz weg aus Rom wirklich nachvollzieht und damit das Buch erst wirklich zu eröffnen scheint: Obwohl immerhin zugegeben sei, daß nur die Gedichte 4, 4, und 4, 8 sich eindeutig am Golf von Neapel lokalisieren, wohingegen silv. 4, 5 in Alba, silv. 4, 6 in Rom, silv. 4, 7 in Alba oder Rom spielen. Das das vierte Buch beschließende Saturnaliengedicht (silv. 4, 9) endlich, das keine Lokalisierung zuläßt, ist, der gravierendste Unterschied zum ersten Buch, nicht auf den Kaiser bezogen, sondern einer rein privaten Beziehung gewidmet und verlagert, wie Carole Newlands zeigt,570 die Saturnalienthematik auf die Ebene der Metapoesie einerseits, der privaten (und eben nicht kaiserlichen) Patronage andererseits. Was auch immer an biographischen Elementen sich dahinter verbergen mag:571 Im Duktus der Silvae wirkt die auf das erste Buch rückbezogene Komposition des vierten Buches wie ein Abschied nicht bloß von Rom, sondern auch von Domitian, ausgeprägt einerseits in dem massiven Schlußstrich, welchen die das Buch eröffnenden Gedichtgruppe unter die panegyrische Thematik zieht, andererseits durch die Absenz aller Panegyrik im offenbar auf 1, 6 rückzubeziehenden Schlußgedicht. Davon unberührt bleibt John Geyssens richtige Beobachtung, daß 4, 1–3 ein Triptychon bilden, das je unterschiedliche Facetten der Persönlichkeit Domitians hervorhebt, sein Herrschertum (4, 1), seine (cum grano salis) Privatsphäre (4, 2), seinen Euergetismus (4, 3);572 ob man darüber hinaus David Brights Bezeichnung des Triptychons als »sycophantic triad« folgen mag,573 ist Ansichtssache.

5. Silvae 4, 1: Septimus decimus consulatus Imp. Aug. Germanici Zur Gattungszugehörigkeit von silv 4, 1 wurden verschiedene Ansichten vorgetragen: Ein wenig zu kurz greift wohl die Auffassung, die nächsten Parallelen im Panegyricus Messalae und der Laus Pisonis zu sehen,574 evident hingegen ist die Nähe zum βασιλικὸς λόγος, der freilich für alle Panegyrik den rhetorischen und rhetoriktheoretischen Rahmen bildet.575 Plausibler schon folgendes: Es sei ein carmen gratulatorium, darin mit silv. 1, 4, ferner 4, 8 und 5, 2 vergleichbar, und seine Vorläufer seien etwa im Bereich der Elegie auszumachen,576 teilweise

570 Newlands (2002), 257–259. 571 Spekulationen dazu bietet Garthwaite (1989), passim. 572 Geyssen (1996), 110. 573 Bright (1980), 54. 574 Newmyer (1979), 41. 575 Hardie (1983), 192 mit Anm. 66. 576 Bright (1980), 10.

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auch in der Exildichtung Ovids,577 in etwas anderer Form in Vergils vierter Ekloge.578 In der von Anlaßpoesie nachgerade durchtränkten flavischen Ära mit ihrer angeblich so inflationären Ausübung des Konsulats durch die Kaiser579 stellte ein solches Gedicht zweifellos keinen Einzelfall dar, wahrscheinlich auch nicht im Œuvre des Statius,580 der freilich seine des weiteren noch denkbaren Gedichte auf nicht-kaiserliche Konsuln nicht gut neben 4, 1 in der Sammlung publizieren konnte;581 umgekehrt hat man es auch als Reflex auf die althergebrachte gratiarum actio eines sein Amt antretenden Konsuls an das Volk bzw., seit Augustus, den Kaiser gedeutet, wobei die Danksagung spiegelbildlich verkehrt und dem Gott Janus in den Mund gelegt sei, weil Domitian sich schließlich nicht gut selbst danken könne582  – eine etwas komplizierte Sichtweise, die aber dem Umstand Rechnung trägt, daß die Situation, wenn ein Kaiser, 577 Leberl (2004), 218, verweist auf Ov. Pont. 4, 4, zu dem gewisse Parallelen bestehen, und Pont. 4, 9. 578 Hardie (1983), 192. 579 Vgl. z. B. Garthwaite (1978), 4 f.: »Even though Domitian departed somewhat in his ­later years from his earlier custom of holding several consecutive consulships, his grand ­total of seventeen was, to say the least, a clear usurpation of senatorial privilege.« Der Verfasser zieht daraus ebd. den Schluß, silv. 4, 1 sei ein klarer Fall für ein von subversiver kritik unterminiertes two-voices-Gedicht. Diese Einschätzung ist freilich zu relativieren. Erstens war durch die jedes Jahr mehrfache Besetzung des Konsulats durch Suffektkonsuln die Zahl der Inhaber längst enorm erhöht worden, den ›normalen‹ Senatoren entging diese Krönung ihrer Durchschnittskarrieren als »senatorial privilege« also gewiß nicht. Zweitens war Domitian mit seinen siebzehn Konsulaten, die ersten sieben davon noch als Kronprinz (und davon fünf wenig prestigeträchtige Suffektkonsulate: zur Nachfolgepolitik Vespasians hinsichtlich seines jüngeren Sohnes vgl. Seelentag [2010]), nur zehn in seinen fünfzehn Jahren als Kaiser, längst nicht Rekordhalter: Bruder Titus, amor ac deliciae generis humani (Suet. Tit. 1, 1), brachte es auf acht, davon sechs als Kronprinz und alle als consul ordinarius, zwei in seinen beiden Regierungsjahren; Vespasian kam bei zehn Regierungsjahren auf acht Konsulate zuzüglich einem davorliegenden. Mit anderen Worten: Von den drei Flaviern übte Domitian als Kaiser das Amt verhältnismäßig am seltensten aus, und die zweijährige Pause der Jahre 93 und 94, auf die just das in silv. 4, 1 gefeierte letzte Konsulat folgte, steht in der gesamten flavischen Zeit überhaupt ohne Beispiel da: vgl. Gering (2012), 54 und 157, Anm. 107; ferner Strobel (1994), 361, der gezielt gerade Domitians seit 88 geübte Zurückhaltung in der Übernahme von Konsulaten hervorhebt. Und doch behielt der Senat Vespasian und sogar Titus, »als Kaiser ein ganz labiler Mensch« (Bengtson [1979], 177), in bester Erinnerung, kann sich also an deren fast permanenter Konsulschaft nicht gestoßen haben, ebensowenig wohl an den Konsulaten der frühen Regierungsjahre Trajans, konkret 98, 100, 101 und 103, die verhältnismäßig genau Domitians Häufigkeit entsprechen (10:15 = 4:6). Es zeigt sich, zu welch abenteuerlichen Fehldeutungen eine Interpretationsdoktrin, die selbst hinter der Überschrift von silv. 4, 1 schon ›two voices‹ vermutet, zwangsläufig führt. 580 Bishop (1966), 19, bezogen auf das siebzehnte Konsulat Domitians: »… admittedly not a promising subject, especially if similar poems had been written by our poet or by others for the previous sixteen occasions.« 581 Rühl (2006), 101, Anm. 58. 582 Hardie (1983), 193; Geyssen (1996), 74; Rühl (2006), 310 f.

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und erst recht ein autokratisch regierender wie Domitian, selbst das Konsulat antritt, eigentlich jede anläßlich normaler Amtsjahresanfänge übliche Sprechsituation obsolet macht: Denn weder hat dann die gratiarum actio des Konsuls an den Herrscher einen Sinn, noch die Gratulation eines Dritten an den Konsul, der sich als Herrscher ja selbst das Amt verliehen hat. Alles in allem also stellt silv. 4, 1 in Hinblick auf seine Einordnung in – wie auch immer legitimierte – Gattungsschemata einen Sonderfall dar. Trotzdem sind die einzelnen das Gedicht tragenden Elemente in einer an Martial gemahnenden Weise vorhersagbar, bringen also die Besonderheit der Situation durch anverwandelte topische Motive zum Ausdruck: die Aufforderung zu allgemeiner Freude anläßlich der Amtsübernahme (5–8), korrespondierend einerseits mit einer bestätigenden συμπάθεια der (übrigen) Götter ­(45–48),583 zu der sich auch, wenngleich eher beiläufig, die Unterwerfung der Natur fügt,584 andererseits mit der freilich nur nebenbei erwähnten und angesichts der rekordverdächtigen Zahl von sechzehn vorangegangenen Konsulaten auch wenig angebrachten recusatio oder, eher, Zurückhaltung des Amtsträgers (pudor: 10),585 schließlich die zum Beginn eines neuen Jahres passende astronomisch-chronologische Motivik:586 sie alle überraschen wenig, und nur der letzte Punkt erfordert per se eine genauere Untersuchung.587 Wenn gleich eingangs, noch im Rahmen der Umreißung des Themas, ausgesagt wird, daß der Kaiser und neue Konsul »aufgeht mit der neuen Sonne, mit den großen Sternen, selbst heller strahlend und größer als der erste Morgenstern«, dann ist dazu mehr zu sagen, als daß Domitian wieder einmal mit Jupiter gleichgesetzt wird,588 oder daß novus sol in verzeihlicher Ineinanderschiebung von Wintersonnenwende und erstem Jänner den Beginn des Wiederanstiegs der Sonne, primus Eous den besonders hell scheinenden Morgenstern unmittelbar bei seinem Aufgang bezeichnet.589 Darin eben liegt die Crux, denn unmittelbar bei oder nach seinem Aufgang ist der Morgenstern infolge des Lichtverlustes in der Atmosphäre

583 Hierher gehört auch, daß Domitians persönliche Schutzgottheit Minerva selbst sein Purpurgewand hergestellt hat, und zwar in der geflissentlichen Eile eines dienenden Geistes: properata tuae manibus praetexta Minervae (22); dazu vgl. Leberl (2004), 308, der richtig auf eine Parallele in Mart. 6, 13 hinweist. 584 Geyssen (1996), 40, weist zutreffend auf dieses Motiv in Vers 24 tepeant tibi sidera brumae hin. 585 Dazu vgl. u. 209–211. 586 Literatur bietet Coleman (1988), 66. Besonders hinzuweisen ist an diesem Punkt auf Vergils vierte Ekloge. 587 Hulls (2010), 93–95, bietet eine genaue Analyse der intertextuellen Bezüge dieser astronomielastigen Passage, ohne indes die Frage zu stellen, ob Statius᾽ Behauptung Entsprechungen am aktualen Sternenhimmel hatten. 588 Bishop (1966), 19. 589 Coleman (1988), 66 f.

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durchaus nicht heller als so mancher andere gleichzeitig hoch am Himmel stehende Stern, was übrigens mit freiem Auge leicht feststellbar ist und den Autor davor zurückhalten hätte sollen, unüberlegt Verg. Aen. 3, 588 oder 11, 4 zu zitieren, wo primo Eoo auch jeweils bloß ›bei Tagesanbruch‹ bedeutet – was für Statius’ Text unvorstellbar ist, denn der Kaiser strahlt ja wohl heller als das wenig lichtstarke erste Morgengrauen!590 Die astronomische Situationsschilderung ist streng gerechnet unlösbar, denn es gibt keinen Fixstern, der am ersten Jänner einigermaßen zugleich mit der Sonne (cum sole novo) aufgeht und die Venus überstrahlt. Wohl aber steht ein Himmelskörper, der die frischaufgehende Venus eindeutig an Helligkeit übertrifft und der mit Domitian enger verbunden zu sein scheint,591 schon seit etwa drei Uhr morgens am Himmel und nähert sich bei Sonnenaufgang allmählich dem Kulminationspunkt: Antares, der hellste Stern im zu dieser Zeit den späten Nachthimmel dominierenden Skorpion, in welchem Sternbild am 1.  Jänner des Jahres 94 auch noch Mars und der Mond ungefähr symmetrisch links und rechts von Antares standen (ist dies der Sinn der Wendung cum grandibus astris?)592 – woraus ein vager Hinweis darauf abzuleiten wäre, daß das Gedicht wirklich ursprünglich für das Jahr 94 entworfen und für das Konsulat von 95 bloß adaptiert wurde, in diesem Fall ziemlich wahrscheinlich (auch) durch Kürzungen bzw. Verallgemeinerungen nicht mehr zutreffender Details im astronomischen Exordium, was wiederum die ungewöhnliche Unvermitteltheit und Rasanz des Gedichtbeginns erklären könnte: Denn so lapidar wie hier beginnt kaum eines der Gedichte der Sammlung, erst recht keines der auf Domitian bezogenen. Freilich hat man für diese Kürze, die, wenn auch nicht in allen seinen Teilen, das Gedicht als Ganzes auszeichnet, auch äußere Gründe namhaft gemacht: So vermutet etwa M. Rühl, Statius habe sein Huldigungsgedicht kurz gehalten, um ihm in der postulierten Flut derartiger Gedichte, die Domitian und seine Umgebung wohl je länger, je seufzender (wenn überhaupt) zur Kennt-

590 Unwahrscheinlich die Erklärung von Coleman (1988), 67: »Before the dawn causes it to fade« – natürlich wird das Licht des Morgensterns scheinbar schwächer, je heller es tagt, aber niemand wird überhaupt von einem Stern erwarten, daß er tagsüber hell scheint. Bei Sternen bezeichnet primus, wie astronomische Texte zur Genüge belegen, stets entweder seinen ersten (sichtbaren) Aufgang im Jahreskreislauf, oder aber den Augenblick, da er nächtens über den Horizontrand steigt. 591 Vgl. o. 154–158. 592 Im Jahr 95 war derlei nicht gegeben. In beiden Jahren standen freilich Jupiter und Saturn die ganze Nacht über einigermaßen nahe beisammen am Himmel, 94 im Löwen, 95 in der Jungfrau: auch sie könnten allenfalls für die Wendung cum grandibus astris als Erklärung herhalten, würden damit aber nur zeigen, daß exoritur nicht allzu präzis zu nehmen ist, was wiederum indirekt die oben ausgesprochene Vermutung, auch in silv.  4, 1 sei der astrono­mischen Unschärfe des exoritur zum Trotz der künftige Katasterismos Domitians als ­A ntares vorausgesetzt, stützen würde.

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nis nahmen, eine Chance auf wirkliches Gelesenwerden zu geben.593 Das kann zutreffen oder nicht, es bleibt aber der Umstand, daß das Gedicht auch für die Publikation in der Sammlung nicht etwa stärker abgerundet und ausgebaut wurde, sondern auch uns in einer betont knappen Gestalt vorliegt – was wiederum dagegen spricht, daß ausschließlich die äußeren Umstände rund um den Antritt des Konsulats ausschlaggebend für diese Gestalt waren. Der astronomielastige Gedichtbeginn leistet nun jedenfalls, selbst wenn mein Versuch, ihn auf den konkreten Sternenhimmel Anfang 95 oder eher Anfang 94 zu beziehen, nicht zutreffen sollte, eine Erweiterung des im Gedicht entworfenen Raumes um die schon aus silv. 1, 1 und 1, 6 sattsam bekannte astrale Dimension, noch bevor dieser (irdische)  Raum sich überhaupt konstituiert. Mehr noch: Daß nicht der Sternenhimmel der hauptsächliche Ereignisraum des Gedichtes ist, erschließt sich dem Leser, so er nicht durch die Überschrift gleichsam auf den Boden der aktualen (stadt)römischen Gegebenheiten geleitet wurde, erst ab Vers fünf: der führt mit leges Latiae zunächst ein Abstraktum ein, mit curules ein Element der gewachsenen politischen Praxis,594 schließlich folgt mit Roma, in seiner Referentialisierbarkeit auf das aktuale Rom bestätigt durch septemgemino iugo, die Definition der Lokalisierung, erneut von einem ungewohnten Ende her, denn von Roma ausgehend dienen die Begriffe ­curules und leges zur Konkretisierung und verengen den Fokus auf das politisch re­levante Stadtzentrum, also im Prinzip das Forum. Der Text befrachtet also seinen Raum zunächst mit allegorischer Ausweitung (Sternenhimmel), dann mit Konkretisierung, bevor er ihn selbst noch definiert – ein etwas ungewöhn­ liches Verfahren, doch in der Serie der Kaisergedichte und nach silv. 1, 1, das die Polyvalenz des Forums ja bereits geradezu zelebriert hat, kein Ding der Unmöglichkeit, sondern ein Beweis dafür, daß Statius’ Sammlung keineswegs nur aus beziehungslos aneinandergereihten Einzelstücken besteht. Zugleich artikuliert der Text schließlich auch die Verbindung zwischen Erde und Himmel, die wie schon in silv. 1, 1 durch Domitian gestiftet wird, wenn er Rom auffordert, mit seinen Hügeln nun stolzer in den Himmel zu ragen bzw. an diesen zu stoßen (6: iactantior aethera pulset).595 Ein leichter Widerspruch liegt freilich in der Verknüpfung von septem­gemino iugo mit dem durch leges und curules sowie den aus der Überschrift erschließbaren Anlaß des Textes als Ereignisregion plausibel gemachten und durch die nachfolgende Janusrede auch erwiesenen Forum: Denn das Forum liegt nun einmal in der Talsenke und steht damit in einem gewissen Gegensatz zu den 593 Rühl (2006), 314, die damit Hardie (1983), 194, folgt. 594 Stange (1887), 15, plädiert dafür, Latiae zu curules zu stellen, freilich ohne nachvollziehbaren Grund. Daß ohne weiteres an ein Stellung ἀπὸ κοινοῦ zu denken ist, gebe ich aber gerne zu. 595 Vgl. Leberl (2004), 220.

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sieben Hügeln.596 Prompt verschiebt sich auch der Fokus, kaum daß er gewonnen wurde, nach oben: Ganz besonders, nämlich über die übrigen arces (~ Hügel) hinaus freuen solle sich der Palatin (7sq.), denn neue Fasces seien zu ihm hinaufgestiegen (8: subiere novi Palatia fasces), vom Forum her, wie anzunehmen ist.597 Sicher nicht zufällig erfolgt die Bewegung der fasces (sub­ iere) parallel zur den Text eröffnenden raumerzeugenden Handlung, dem oritur in Vers 3. Daß sie den realen Gegebenheiten entspricht, sei nur erwähnt: Zwar sind ausgerechnet die forumsnächsten Zugänge zum Palatin, die zur sogenannten Domus Tiberiana führende gewendelte Rampe des domitianischen Forumsbaus, in dessen südöstlichem Saal sich heute S. Maria Antiqua befindet,598 und die beim Vestaheiligtum beginnenden, zum Clivus Victoriae führenden Scalae Graecae für feierliche Prozessionen zum Flavierpalast jeweils nur bedingt geeignet, doch auch der eigentliche repräsentative Zugang zur auf betontem Sockel noch extra Höhe demonstrierenden domus Flavia,599 der auf deren der Velia zugekehrten Seite über den durch einen Bogen (Domitiansbogen?) überspannten Clivus Palatinus (der Begriff ist nicht zeitgenössisch) und die wie auch immer genau zu definierende Area Palatina und das vestibulum erfolgte, ist gleicherweise vom Forum und der Via Sacra oder der Via Nova her zu erreichen, und mit einiger Sicherheit muß man sich also die Liktoren auf diesem steilen und absichtsvoll als Monumentalisierung des Hinaufsteigens zum römischen Monarchen angelegten Weg denken.600 Statius übersetzt hier eine längst stattgefundene Veränderung der politischen Verhältnisse ins Räumliche: Für einen ›klassischen‹ Römer war es notwendig, wollte er politisch aktiv werden, von seinem anzunehmenderweise auf einem der Hügel gelegenen Ansitz auf das Forum hinabzusteigen (in forum descen­ dere); dieser Akt wurde gerade in der späten Republik regelmäßig zur rituellen Demonstration der eigenen dignitas und auctoritas genützt, wenn manch hochmögender Senator sich von Scharen seiner Klienten und Freunde fast rituell das Geleit hinab zum symbolischen Zentrum der Staatsmacht geben ließ, erst recht am ersten Tag des neuen Amtes. Bei Domitian aber liegen die Verhältnisse umgekehrt, verdeutlicht in der Umkehrung der rituellen Bewegung: Das Zentrum des Staates befindet sich auf dem Kapitol, und dorthinauf begeben sich die 596 Vgl. silv. 1, 1, 64sq.: Der Lärm der Errichtung des Equus maximus ist so groß, daß er vom Forum im Tal aus sogar die sieben Hügel erfüllt. 597 En passant sei darauf hingewiesen, daß durch die Formulierung ante alias Euandrius arces collis (7sq.) der Palatin selbst zur arx wird, wenngleich nur indirekt: Zu diesem sprachlichen Problemfeld vgl. Haensch (2012), 272. 598 Darwall-Smith (1996), 184 f. mit Abb. 63–68. Daß es sich um einen Zugang zum Palatin handelt, zieht Coarelli (2000), 90, in Zweifel. 599 Zur Problematik der gebräuchlichen Begriffe domus Flavia und domus Augustana vgl. Gros (2006), 252. 600 André u. a. (2004), 119–121 mit Karte ebd. 119; Zanker (2004), 96 f.

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Liktoren, in gewisser Weise als Abgesandte des Senates, der in diesem Zusammenhang preces (9) ausspricht, also eine Sprechhaltung einnimmt, die ebenfalls regulär von unten nach oben erfolgt.601 Problematisch ist freilich die weitere Entwicklung dieses Raumes, weil gerade die dafür entscheidende Stelle (9) in der Überlieferung unheilbar gestört ist. Das überlieferte subiere novi Palatia fasces / et requiem bis sextus honos preci­ busque receptis / curia Caesareum gaudet vicisse pudorem ergibt nur am Anfang und Schluß einen Sinn, et requiem bis sextus honos hingegen verlangt nach Konjektur, und von dieser wiederum hängt unmittelbar die Raumkonzeption des ganzen Gedichtes ab. Konjiziert man mit Shackleton Bailey (2003) und Markland (1728) zu et redit – en! – bis senus honos,602 so eröffnen sich für redire zwei Deutungsmöglichkeiten: Entweder verdoppelt es inhaltlich subiere (8), bezeichnet also die Wiederkehr der Fasces auf den Palatin, auf dem sie ja schon oft ihre Wohnung hatten  – was einigermaßen blaß klingt; oder redire beschreibt die Rückkehr der Liktoren vom Palatin, wo sie Domitian nach altem Brauch am Morgen des ersten Jänners abgeholt haben – was wahrscheinlicher ist. In letzterem Fall ergäbe sich ein pendelndes Auf und Ab zwischen Forum und Palatin im Gedicht: leges, curules (5): unten – septemgemino iugo, Euandrius collis (6–8): oben – subiere (8): hinauf – redit oder rediit (9): hinunter – precibus receptis (9): Betonung der Differenz unten / oben – curia (10) unten. Dabei wären die Sphären klar verteilt: Domitian und damit die göttliche Komponente oben auf dem Palatin, der Senat und damit das normalsterb­liche ›Bodenpersonal‹ unten auf dem bzw. am Forum. Zugleich könnte pudorem die Zurückhaltung des (Menschen) Domitian, das Amt zu übernehmen, bezeichnen und damit ebenso topisch wie deplaciert – beim siebzehnten Konsulat! – wirken. Die Crux dabei aber ist bis senus honos, denn während das überlieferte et requiem sicherlich ein grobes Mißverständnis ist, kann das überlieferte bis sextus seinerseits schon die Verschlimmbesserung einer unverständlichen Stelle durch einen Schreiber sein, der eine vage Vorstellung von der Anzahl der Liktoren eines Konsuls hatte. Domitian aber besaß (Cass. Dio 67, 4, 3) nicht zwölf, sondern vierundzwanzig, wie Statius zweifellos wußte, auch wenn S­ hackleton Bailey dies nolens volens in Frage stellen muß,603 und daran kranken auch alle 601 Zu dieser grundsätzlichen Verschiebung des räumlichen Machtzentrums vom ­›Draußen‹ der fora und comitia, denen freilich seit jeher ein elitäres ›Drinnen‹ in Gestalt der curia ent­ gegenstand (und sich im Gegensatz zu jenen sang- und klanglos abtretenden republikanischen ›Draußen‹-Instanzen auch eine Zeitlang heftig gegen seine Ersetzung durch ein neues, den Zeiten angemesseneres ›Drinnen‹ widersetzte) zum ›Drinnen‹ des kaiserlichen Palastes vgl. Frederick (2003), 207. 602 Markland (1728), Not. 188: et rediit; Courtney (1990), analog zu Courtney (1968), 56, et rediens. Die Verbesserung des sextus zu senus schlägt bereits Stange (1887), 15, vor und verweist auf Mart. 8, 66, 3 und 14, 17, 1; vgl. allgemein Liberman (2010), 320. 603 Shackleton Bailey (2003), 244, Anm. 2.

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Versuche, bis sextus zu erklären und durch bis senus notdürftig zurechtzubiegen.604 Schlimmer noch: Angesichts des Umstandes, daß Domitians vierundzwanzig Liktoren eine Neuerung darstellten, könnte subiere novi Palatia fasces / et redit, en, bis senus honos bedeuten, daß von vierundzwanzig hinaufgestiegenen Liktoren zwölf nicht mehr zurückkehrten  – ein erstaunlicher Schwund für solch kurze Strecke. Allerdings: Könnte es sein, daß Domitian als Kaiser gewöhnlich 24 Liktoren zum Einsatz brachte,605 sobald er aber das Konsulat übernahm, ihre Zahl auf die klassischen zwölf reduzierte und so seine Herablassung und zugleich seinen Respekt vor der Tradition sinnfällig zum Ausdruck brachte? Derartiges ist nicht überliefert, würde in Domitians aus autokratischem Selbstverständnis und traditionalistischen, bisweilen geradezu altvaterischen Tendenzen gemischtem Wesen aber eigentlich gut passen. Dann, und nur dann, wäre der Text, wie ihn Courtney und Shackleton Bailey erstellen, sicher haltbar, andernfalls bilden die vierundzwanzig Liktoren ein starkes Argument gegen ihn. Verzichtet man hingegen darauf, aus et requiem ein et rediit oder et redit en zu machen, bliebe die Möglichkeit einer Apposition zu f­asces, paläographisch unter Annahme einiger ungeschickt durcheinander­ gegangener Kürzungen (dergleichen soll vorkommen) einigermaßen plausibel etwa zu terrigenum dilectus honos zu konjizieren: Dann würde pudor die einen Gott wie den Kaiser von den Menschen trennende Barriere bezeichnen – zur Epiphanie muß der Gott eben erst gebeten werden, bedeutet sie für ihn doch einen Abstieg. Vor allem aber wäre dann dieser Abstieg im Text nur implizit zum Ausdruck gebracht, Domitian bliebe möglicherweise, wo er ist, auf dem Palatin, wohin fasces subiere, denn das nachfolgende curia gaudet reicht nicht unbedingt aus, den Kaiser im Text auch wirklich dorthin zu transferieren, und kann als bloßer Kommentar zum zuvor Beschriebenen aufgefaßt werden. Das hätte zur Folge, daß auch die nachfolgende Janusrede nicht auf gleicher Augen­höhe etwa an den auf seinem Weg zur Curia an ihm vorbeiziehenden Kaiser gerichtet würde, sondern von unten herauf an den weiterhin auf dem Palatin thronenden, das Gedicht also eine ganz besonders stark betonte permanente Bewegungsrichtung von unten nach oben erhielte. Das textkritische Dilemma ist meines Erachtens unlösbar. Soviel aber steht fest: Der Gegensatz von Palatin (oben) und Forum / Curia (unten) prägt und trägt das Gedicht. Er tut dies auch in Gestalt einer auffälligen Absenz: Zum Ritual des ersten Jänners gehört nicht nur das Geleit der neuen Konsuln zum Forum hinab, sondern auch die Prozession vom Forum aufs Kapitol zur Zeremonie vor dem Tempel des Iupiter Capitolinus. Diese fehlt nun im Gedicht 604 Verfochten von Courtney (1968), 56. 605 Cass. Dio 67, 4, 3 berichtet lediglich, daß Domitian unter anderem das Privileg genoß, vierundzwanzig Liktoren einzusetzen, nicht aber, wie und bei welchen Gelegenheiten er von diesem Privileg Gebrauch machte.

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völlig: Kein Wunder, wenn der Kaiser selbst Jupiter ist  – es wäre interessant zu wissen, wie Domitian eigentlich in der Praxis seiner zahlreichen Konsulate diese traditionellen Riten vollzog, wo er doch durch eine Statue an Jupiters Seite vertreten und das Kapitol geradezu zum regulären Ort des Kaiserkultes geworden war!606 Die Doppelung Iupiter Palatinus – Iupiter Capitolinus wird tatsächlich zwar den Gedichtschluß dominieren, vorderhand aber wird sie in eins gezogen und überspielt: denn subiere Palatia fasces (8) entspricht doch zu offenkundig der sonst üblichen Prozession aufs Kapitol, die hier vorverlegt und zum irdischen Jupiter auf dem Nachbarhügel umgeleitet erscheint. Es folgt die passenderweise607 dem Janus in den Mund gelegte Ansprache, die übrigens ausgerechnet mit Vers 17 beginnt und sich in 17 der Gegenwart ge­ widmete und weitere zehn die Zukunft betreffende Verse gliedert, offenbar also die zwar rekordverdächtige, aber zahlensymbolisch wenig ergiebige Zahl siebzehn des Konsulats wenigstens in den Verszahlen abbildet.608 In der Figur des Janus, der sich freilich angesichts des Anlasses und des mit diesem verbundenen Datums dafür anbot, bewahrheitet sich wieder einmal das schon festgestellte Prinzip, Domitian zur Betonung seiner erhabenen Distanz stets von göttlichen Potenzen der zweiten Garnitur preisen zu lassen,609 denn zwar wird Janus durch 606 Clauss (1999), 129; vgl. o. 126–131. 607 Vgl. besonders Erkell (1958), 174, der darauf hinweist, daß fasti in bzw. an Bögen (iani) angebracht zu werden pflegten, schon der Gedichtbeginn laeta bis octonis accedit purpura fastis also eine Assoziationsmöglichkeit zu Janus bietet. Gerade der Ianus geminus am F ­ orum Romanum aber kommt dafür wohl nicht in Frage, die Assoziation ist also bloß eine all­ gemeine. 608 Daß diese Ansprache mit 55,3 % der Gedichtlänge die verhältnismäßig längste unter den zahlreichen in Gedichte der Silvae eingelegten Reden ist, berechnet Szelest (1972), 316. – Die Rede scheint übrigens pythagoreischen Zahlensymbolismen zu folgen: Zehn, die ­Tetraktys, ist nicht nur eine Vollkommenheit bedeutende, sondern obendrein eine dem Janus zugewiesene, weil das ›Tor‹ zum Zahlenraum jenseits der Tetraktys bildende Zahl, jedenfalls nach Mart. Cap. 7, 742: Decas vero ultra omnes habenda, quae omnes numeros diversae virtu­ tis ac perfectionis intra se habet. Quae licet primi versus finis sit, secundi monadis implet auxi­ lium. Haec primi versus numerorum regulas, analogias, genera, species, differentias, perfectio­ nes et imperfecta concludit, daturque Iano, quamvis eam plurimi apocatastasin memorarint; vgl. Sperling (1999), 43–45 und 81. Die Janusrede ist also kombiniert aus der Zahl der schon absolvierten Konsulate und der weit darüber hinaus und zugleich auf Vollkommenheit verweisenden Zehnzahl. Wie sehr im gesamten Gedicht noch mit weitergehenden Zahlenspielen zu rechnen ist, lasse ich offen: Daß etwa die sechzehn Verse Einleitung (24 bzw. 42) vier Versen Schluß (22 bzw. 41) gegenüberstehen, muß nicht unbedingt auf Zufall beruhen, und in einem Gedicht, in dem wesentlich von Zeit und deren in Zahlen gemessenem Verstreichen gehandelt wird, würden derlei symbolische arithmetische Bezüge, für deren Analyse ich mich gleichwohl nicht kompetent fühle, prinzipiell nicht überraschen. Allerdings ist infolge der oben (206 f.) umrissenen Möglichkeit von Kürzungen vor allem am Gedichtbeginn große Vorsicht gegenüber derlei Spekulationen geboten. 609 Vgl. o. 108–110; die Parallele zur Figur des Vulturnus in silv.  4, 3 arbeitet Leberl (2004), 222, heraus.

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die Fügung immensi reparator maximus aevi (11) de facto mit dem göttlichen Aion gleichgesetzt und solcherart religiös überdurchschnittlich ›aufgeladen‹,610 doch zugleich erinnert die Pedanterie, mit der Statius die Doppelköpfigkeit des Gottes nicht weniger als vierfach ins Spiel bringt (12: vultus [Plural]; utroque a limine; 16: hinc atque inde manus; geminaque voce), eher an die Art eines Ovid, Eigenheiten der Götter in scheinbarem Ernst ad absurdum durchzuspielen und deren Erhabenheit damit zu demontieren.611 Solcherart rückt dieser Janus mit seiner zweistimmigen und von gedoppelter Gestik begleiteten Rede in die Nähe des halb-komischen Curtius aus silv. 1, 1, zumal er, für einen Gott ungewöhnlich, vom Kaiser Befehle entgegennimmt (13sq.: quem … iussisti componere bella novique / in leges iurare fori; vgl. silv. 4, 3, 9sq.) und auch, wie der weitere Verlauf des Textes zeigt, befolgt: Denn wenn er sich am Schluß des Gedichtes clauso ­poste (44) in seinen Bogen zurückzieht, läutet er damit den Frieden ein, seine zuvor gehaltene Rede hingegen ist die anbefohlene Ablegung des Huldigungseides an Domitian, mehr noch, sie ist, wie J. Leberl richtig feststellt, ein Gebet, also eine Sprechform, die von Natur aus von unten nach oben erfolgt und mindestens die soziale vertikale Distanz zwischen Sprecher und Angesprochenem ganz besonders betont.612 Sie ist auch räumlich gegeben, insoferne auf dem Forum Anfang des Jahres 95 ja nicht nur (vorübergehend) der physische Domitian anwesend ist, sondern auch (permanent und innerhalb der Silvae auch bereits hinlänglich vorbereitet) sein Denkmal, das den kleinen Janusschrein zweifellos mächtig überragte.613 Domitian verdoppelt sich damit mithilfe eines Bildes, so wie Theseus am Schluß der Thebais auf seinem Schild die Darstellung seiner selbst und seiner blutigen Taten trägt, sich also verdoppelt und gerade 610 Sauter (1934), 133 f.; Hardie (1983), 193 f. mit Anm. 77, der gut auf eine motivische Parallele in den Res gestae divi Augusti hinweist. Daß Janus als Gott des Beginns mit ›Zeit‹ zu tun hat, versteht sich von selbst; man denkt überdies an die für typische Janusstatuen, wohl auch die des Ianus geminus belegte Fingerhaltung, die laut Plin. nat. 34, 33 (ähnlich Ioh. Lyd. mens. 4, 1; Macrob. sat. 1, 9, 10; Suda s. v. Ἰαννουάριος) in der Weise des computus digitorum die Zahl der Tage des Jahres ausdrückte. – Eine noch viel weitergehende Überhöhung erfährt die Janusfigur bei Ov. fast. 1, 89–288, bes. 103–144: dazu vgl. Bömers Kommentar. 611 Man mag hier einwenden, daß diese Feststellung in gefährliche Nähe zu den von mir oben kritisierten Praktiken der two-voices-Interpreten kommt, willkürlich und oft mit überfeinem Spürsinn Übertreibungen und Unstimmigkeiten im Text zu suchen. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß das Ziel meiner Interpretation allerdings nicht darin besteht, den Text aus sich selbst heraus zu dekonstruieren, sondern ihn im Gegenteil aus sich selbst und mit sich selbst in Übereinstimmung zu erklären. Beobachtete Mißtöne, die sich dennoch in ein unitarisches Verständnis des Textes einfügen lassen, dürfen dadurch als richtige Beob­achtung bestätigt (und zugleich ›entschärft‹) gelten; solche allerdings, die sich nicht einfügen lassen, würden noch eine weitergehende Absicherung gegen die Annahme von Willkür auf seiten des Beobachters benötigen, um legitim den unitarischen Ansatz als solchen infrage zu stellen. 612 Leberl (2004). 613 Newlands (2002), 104 spricht von der »massive physical dominace of Domtian’s ­statue«.

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durch diese Verdoppelung besondere Furcht verbreitet.614 Im Falle Domitians auf dem Forum Romanum wird man eher von verdoppelter Ehrfurcht sprechen wollen als von terror, doch das zugrundeliegende Prinzip bleibt dasselbe.

a) Zum Raum des Septimus decimus consulatus Der Raum von silv. 4, 1 läßt sich also zwischenzeitlich folgendermaßen zusammenfassen: Der Gedichtbeginn greift auf die in silv.  1, 1 und 1, 6 aufgebaute komplexe Vielschichtigkeit des römischen Stadtzentrums mit seinen gött­lichen und astralen Komponenten zurück und macht davon selbstverständlichen Gebrauch, ohne aber Neues hinzuzufügen. Dann setzt eine Bewegung ein, die vom Forum ausgehend den Raum um den Kaiserpalast auf dem Palatin erweitert. Aus der aufwärts weisenden Tendenz dieser Bewegung wird konsequent Kapital geschlagen und die Höhendifferenz zwischen Palatin und Forum bzw. Foren zum tragenden räumlichen Motiv des ganzen Gedichtes. Mit ihr verknüpft sich zugleich eine relativ durchsichtige politische Symbolik in der oben skizzierten Weise des umgekehrten in forum descendere und der umgewandelten Prozession auf das Kapitol. Die den Hauptteil des Gedichtes bildende Ansprache des Janus hat außerordentlich wenige räumliche Hinweise zu bieten, im Gegenteil, sie dreht sich vorwiegend um zeitliche Gegebenheiten wie den Anbruch einer neuen Zeit (17–20), die hohe Zahl der Konsulate Domitians (27–34),615 die noch weiter fortgesetzt werden soll (34–39), schließlich seine Säkularspiele616 und die Monatsumbenennungen von September und Oktober in Domitianus und Germanicus617 (37sq. 614 Stat. Theb. 12, 665–676, bes. 672–674: Terror habet populos, cum saeptus imagine torva / ingreditur pugnas, bis Thesea bisque cruentas / caede videre manus. Für den Hinweis danke ich Dániel Kozák (Budapest). 615 Auf den hier enthaltenen Hinweis auf Domitians Nachfolgeregelung, die er ähnlich in die Wege zu leiten gedachte wie einstens Augustus, weist z. B. Hardie (1983), 192, hin. 616 In diesem Kontext wird, jedenfalls einer plausiblen Konjektur nach, die ara Tarenti erwähnt (38), doch ohne daß dadurch der Ereignisraum des Textes erweitert würde. Die Konnotation dieses nur im Zusammenhang mit Säkularspielen wichtigen, ansonsten etwas obskuren Heiligtums am Rande des Marsfeldes ist im Kontext eine rein zeitliche, in panegyrisch gesteigerter Weise Domitians noch lange andauernde Herrschaft bezeichnende; vgl. Richardson (1992), 377. Zur Textkritik vgl. Bishop (1954), 95 f. und (1960), 8; Erkell (1958), 174–182; Cancik (1965), 130, Anm. 68; Håkanson (1969), 106–110; Coleman (1988), 77 f. 617 Sauter (1934), 175 f.; Clauss (1999), 237–245, bes. 240 f.; Hulls (2010), 90; gut der Hinweis bei Hardie (1983), 194, daß unabhängig von den einzelnen Monatsnamen ja jedes Jahr, in dem Domitian eponymer Konsul war, als ganzes seinen Namen trug. – Zur Bedeutung des Beinamens Germanicus und seiner Fundiertheit in Domitians in der Tat ungewöhnlichem Stil der Herrschaftsführung – als erster Kaiser seit Augustus kommandierte er die Armee im Feld über längere Zeit hinweg, und vollends in Germanien hatte zuvor noch nie ein regierender Kaiser das Kommando riskiert – vgl. Strobel (1994), 366 f.

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und 42sq.). Nur wenig zum Ereignisraum des Textes tragen die Erwähnungen von Tempeln, Altären und Gestirnen der Verse 23–25 bei, sie fügen sich eher beiläufig in das durch Domitians Polyvalenz auf menschlicher, göttlicher und astraler Ebene automatisch sich ergebende Motiv der συμπάθεια ganzer Großbereiche des Kosmos mit der kaiserlichen Majestät. An συμπάθεια mangeln lassen es hingegen Baktrer, Babylonier, Inder, Araber und Serer, indem sie sich der römischen Herrschaft (noch) nicht unterworfen haben 40–42). Wenn Janus gegen Ende seiner Rede Domitian auffordert, gleich einem zweiten Alexander den nahen und fernen Osten zu unterwerfen und noch zehn weitere Siegesnamen zu erwerben, die dann die noch domitianfreien Monatsnamen ersetzen könnten,618 so erweitert sich auch damit nicht der Ereignisraum des Textes, sondern Janus erinnert lediglich an seine Funktion als Gott auch des Krieges, bevor er, dem kaiserlichen Befehl gehorchend,619 zum Zeichen des Friedens sich in seinen Bogen zurückzieht und das Tor schließt (44; vgl. 13–15). Dabei fällt auf, daß der als Sprecher eingeführte Janus eindeutig der ›klas­ sische‹ Ianus geminus ist, wenngleich seine Charakterisierung als vicina Pace ligatus (13) zunächst an den neuen Ianus quadrifrons des Forum Transitorium denken ließe. Seine Hervorhebung im Rahmen eines panegyrischen Textes auf seinen Bauherren würde auch keineswegs überraschen: Doch das mehr­fache Insistieren auf dem Motiv der Doppelung weist ebenso wie das traditionelle Schließen der Tore zum Zeichen des Friedens (44) klar auf den ›doppelten‹ Janus, nicht den ›vierfachen‹.620 Damit verschiebt sich der Ereignisraum gerade nicht weg vom traditionellen Forum Romanum, sondern bleibt wesentlich auf dieses beschränkt, konkret auf den Kreuzungsbereich der Via sacra mit dem Argiletum, wo nach jüngsten Erkenntnissen der Ianus geminus endlich loka­ 618 Coleman (1988), 78 f. 619 Hulls (2010), 102, ist der anregende Hinweis zu verdanken, daß omnia iussisti com­ ponere bella in Vers 14, separat betrachtet, auch poetologisch verstanden werden könnte, mit componere im Sinn von ›besingen‹. Dies würde freilich, wie Hulls auch ausführt, implizieren, daß Janus in silv 4, 1 ein Sprachrohr des Statius wäre, wovon ich nicht so recht überzeugt bin, da mir die Diskrepanz zwischen den friedfertigen Absichten des Kaisers und der martialischen Haltung des alten Janus nur schlecht zu den Figuren des Domitian und des Statius im Text der Silvae zu passen scheint, wie sie sich dem Leser allenthalben präsentieren. 620 Vollmer (1898), 443; Coleman (1988), 69–71; zum Schließen der Tore zuletzt Green (2000), passim; anders Canali-Pellegrini (2006), 336, Anm. 15, die freilich irrig von einem Abriß des alten Ianus geminus unter Domitian ausgehen. – Belege zur zweigesichtigen Kultfigur des alten Ianus geminus: Verg. Aen. 12, 198; Ov. fast. 1, 65. 89. 99; Plin. nat. 34, 33. Zur offenbar viergesichtigen Figur des neuen Tempels: Mart. 10, 28; Serv. Aen. 7, 607; Macrob. Sat. 1, 9, 13; Ioh. Lydus mens. 4, 1; Überlegungen dazu bei Turcan (1981), 385–387. Vier viergesichtige Hermen, die möglicherweise aus dem Kontext eines auf die Seeschlacht von Mylae (260 v. Chr.) zurückgehenden und unter Augustus und Tiberius restaurierten Janusheiligtums nahe dem Tiberufer stammen und von denen zwei heute ins Brückengeländer des Pons Fabricius eingefügt sind, belegen auch archäologisch die Möglichkeit viergesichtiger Bilder im Bereich des Januskultes: Richardson (1992), 206 f.

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lisiert zu sein scheint, jedenfalls wenn man Klaus Freybergers bestechender Hypothese folgt, derzufolge das nordwestlichste der auf den Stufen der Basilica Aemilia aufgereihten sacella, forumsseitig gerade vor dem Eckpfeiler der der Basilika vorgelagerten porticus und damit in einem archäologisch traditionell heiklen Areal gelegen,621 identisch mit dem bisher nur durch Abbildungen auf Münzen622 bekannten Ianus geminus sei.623 Immerhin ist zu bedenken, daß das Forum Transitorium zu Beginn des Jahres 95 zwar sicherlich bereits weit gediehen, von seiner Eröffnung aber noch etwa zwei Jahre entfernt war und damit als Hintergrund jedenfalls für die aktuale Konsulatsantrittszeremonie kaum her 621 Grabungsergebnisse scheinen zu diesem Bereich teils zu fehlen, teils seit Generationen unpubliziert zu verstauben, die wenigen bekannten Grabungsresultate wiederum ­decken sich kaum mit den in der Renaissance angefertigten Zeichnungen des damals noch Sichtbaren: Lipps (2011), 35 bei Anm.  172; ebd. 82, Anm.  457; ebd. 84, Anm.  469; die frühneuzeitlichen Zeichnungen versammelt bei Zampa (2005), bes. II .5.3 und II .5.5; vgl. Bauer (1988a), 206 f. Was Grundrisse betrifft, ist man nach wie vor angewiesen auf Hülsen (1905), 53–63, bes. die Zeichnungen 55 und 57: vgl. Lipps (2011), 83 f. mit Anm. 469; 24, Abb. 1; ebenso vgl. http://www.dainst.org/projekt/-/project-display/33836?p_r_p_16909095 78_redirectURL =http%3A%2F%2Fwww.dainst.org%2Fprojekte (Stand 1.2.2016). Rekonstruktionzeichnungen des Forums mit dem so lokalisierten Ianus geminus bietet Schneider (2008), Abb. 2 f. 622 Sutherland (1974), Abb.  309; zahlreiche Abb. etwa bei: http://www.acsearch.info s. v. ›Nero‹ und ›Ianus‹: Stand 1.  II . 2016; BMCRE 1, Nero 111–113. 156–167. 198–204. 225 f. 319–322. 338–349. 374 f.; in Gold: 64–66; einiges auch bei Turcan (1981), Tafel 1. 623 Freyberger (2012), 50–58 mit Abb. 1 und 3 dokumentiert jene sacella, von denen das als Nr. 11 gezählte, über dem sich derzeit das Wärterhäuschen der Soprintendenza erhebe, eben der Ianus geminus sei (ebd. 55–57). Ob seine Gleichsetzung dieser sacella mit den bei Cass. Dio 1, frgm. 6, 2 erwähnten ἀρχεῖα ἐν τῇ ἱερᾷ ὁδῷ (vgl. o. 102 f.) zutrifft, wage ich freilich zu bezweifeln, der Kontext der Stelle, soweit erhalten, legt eine solche Interpretation jedenfalls nicht zwingend nahe. Übrigens passen die Abmessungen der von Freyberger für den Ianus geminus beanspruchten Fundamente von ihren Dimensionen her zu dem bei Procop. Goth. 1, 25, 18–25 beschriebenen ganz aus Bronze verfertigten, im Inneren nicht viel über 5 Ellen hohen Janusschrein, der im 6. Jahrhundert noch auf dem Forum stand und dessen Entstehung beispielsweise noch Richardson [1992], 207 f., freilich ohne Angabe von Gründen, in nachdomitianische Zeit verlegte. Dieser These von massiven Eingriffen Domitians in die baulichen Gegebenheiten von Curia und Ianus geminus, vertreten vor allem durch Richardson (1978) und zuletzt Geyssen (1996), 68, der mit dem völligen Ersatz des alten Ianus gemi­ nus durch den neuen Ianus quadrifrons rechnete, hielt schon Darwall-Smith (1996), 233 f. allgemeine Erwägungen entgegen, Cozza (1989) überdies ein heute noch über seinen Fundzustand hinaus verstümmeltes Fragment der marmornen Forma urbis, das möglicherweise ein Stück der der Basilica Aemilia vorgelagerten porticus und jedenfalls die davor parallel zur Front des Gebäudes verlaufende Beschriftung …ANVS zeigt, von Cozza zu IANVS ergänzt: für sich genommen kein Beweis, doch in Kombination mit Freybergers sacellum Nr. 11 und Prokops Beschreibung ein ganz plausibler Hinweis darauf, daß Domitians Bautätigkeit am Ianus geminus nichts verändert hat; vgl. o. I, Anm. 493. Zu erwähnen ist, daß bereits Coarelli (2000), 68, ein »Gebäude aus Ziegelmauerwerk an der nordwestlichen Ecke der Basilica Aemilia« mit dem Janusbogen identifizierte; vgl. LTUR 3, 92 f., wo auf dieselbe Struktur hingewiesen wird.

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halten konnte. Daß überdies die Verteilung der Heiligtümer auf dem Forum Transitorium eine unter Umständen intrikate Angelegenheit ist, sei hier nur angedeutet.624 Hat die Erwähnung des neuen Janus nicht den Zweck, diesen zum Sprecher zu machen, verweist sie umgekehrt auf die Zähmung des alten, mit Krieg assoziierten Janus durch Domitian, dessen Selbstdarstellung ebenso wie seine Politik zwar wesentlich von militärischen Kampagnen, nicht aber von übersteigerter Expansionspolitik gekennzeichnet waren.625 Entsprechend martialisch ist denn auch die Rede des Gottes, wenn er zur Unterwerfung des Partherreiches und seiner Randzonen (dies die Gemeinsamkeit der in 40–42 aufgezählten Völker; Trajan wird einige Jahre später versuchen, dem Hinweis des Janus nach­zukommen.) auffordert, um sich dann aber, vicina Pace ligatus (13), in sein Heiligtum zurückzuziehen und die Tore zu schließen. Nur indirekt also deutet Statius hier in seiner Rolle als vielleicht ›licensed spokesman‹ eine Interpretation des noch nicht vollendeten Forum Transitorium an. Schon gar nicht auf das neue Forum beschränkt, sondern mindestens das gesamte Forum Romanum, wahrscheinlicher urbem et orbem umfassend ist die Reaktion auf Janus’ Rede und sein Verschwinden im Heiligtum: omnes ­patuere dei (45);626 eine ähnliche Junktimierung des Janus mit der Zugänglichkeit aller 624 Coleman (1988), 69–71 (mit Literaturhinweisen). Zur Archäologie: D’Ambra (1993), 27–30; La Rocca (1998), 7–9, wo die o. Anm. 192 erwähnte These Bauers (1988b) von einem als klassischer Tempel gestaltenen Janusheiligtum symmetrisch dem Minervatempel gegenüber widerlegt ist (der diesbezügliche Grundriß Bauers nebst einer Rekonstruktionszeichnung auch bei Gros [2001], 240; vgl. Viscogliosi [2009], 207, Abb. 8 und 9): Die am Süd­westende des Forums gefundenen und von Bauer zu einem echten Janustempel (nicht -bogen!) rekonstruierten Fundamente gehörten einem ersten, nie ausgeführten Tempel an, der möglicherweise ans andere Ende des Forums versetzt ausgeführt wurde, also evt. schon ein Minervatempel gewesen wäre; doch vgl. Meneghini (2007), 80, der mit zwei zugleich existierenden Tempeln an den Enden des Forum Transitorium rechnet. Wichtig ferner die Erkenntnis bei Bauer (1988b), daß auch der Minervatempel am Nordostende des Forum Transitorium ursprünglich kleiner und etwas weiter in Richtung Forumsmitte verschoben geplant war als der letztlich ausgeführte Bau. Entweder also erfolgten mehrere Planänderungen am Minervatempel hintereinander, oder aber das zu kleine Fundament am Nordostende war für ein anderes Bauwerk gedacht zu einer Zeit, als man den Minervatempel noch im Südwesten errichten wollte. Doch für welches? Für einen vierseitigen Bogen vielleicht, der mit den dann ohne weiteres zahlreicheren Eingängen in der Porticus absidata korrespondieren und zugleich ein Pendant zum alten Ianus geminus am Übergang des Forum Transitorium zum Forum Romanum hätte bilden können? 625 Vgl. Newlands (2002), 320, mit Verweis auf Jones (1992), 127. 626 Die Stelle ist ein Beispiel für textkritische Zweifel, die, einmal geäußert, zum Selbstläufer werden (vgl. Liberman [2010], 232 f.). Markland (1728), Not. 191, schlug tunc omnes plau­ sere fores vor, offenbar in Unkenntnis darüber, daß fores nicht überliefert, sondern nur tex­ tus receptus seiner Zeit (tunc omnes patuere fores) war. Seine Begründung, daß omnes auch die Türen des Janustempels einschließen müßte, ist freilich absurd, denn die topische Gegenüberstellung von ›alle‹ und ›einer aber‹ ist seit Homer so geläufig, daß sie gut und gern auch

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übrigen Götter hat bereits Ov. fast. 1, 171–174.627 Was der Text zum Ausdruck bringt, ist der normale Zustand des ersten Jänner (templa patent), vermehrt um die Schließung des Janusbogens als Resultat der kaiserlichen Friedens­ politik, also eine im Raum der Stadt Rom sichtbargemachte Verbindung von pax deorum und Friede unter den Menschen.628 Die schon in silv.  1, 1 aufgeeinmal verkürzt und / oder in umgekehrter Reihenfolge erscheinen kann; Marklands Hinweis aber, daß von selbst aufspringende Tempeltüren gemeinhin ein schlechtes Omen darstellen, ist immerhin erwägenswert. Indes ist davon im Text gar nicht die Rede, die Türen stehen bloß offen, und Marklands plausere wird ebenso wie das von Baehrens (1873), 259, vorgeschlagene favere zurecht als blaß zurückgewiesen von Courtney und Watt, die tunc omnes stupuere dei bevorzugen: Coleman (1988), 81, mit Verweis auf Watt (1988), 166 f. Zweifellos gibt stupuere prima vista einen guten Sinn: Die Götter sind verdutzt über die Bezähmung des kriegerischen Janus. Und aus lauter Verblüffung (so liest sich der Text dann weiter) verspricht Jupiter Domitian gleich langes Leben wie er selbst genießt? Das denn doch wohl nicht. Es bestand vielmehr von vornherein kein Grund, an patuere zu zweifeln, das schlicht Zitat ist, zwar nicht, wie Håkanson meinte, von Luc. 2, 1sq. (Håkanson [1969], 111; richtig zurückgewiesen von Watt [1988], 167), wohl aber von Ov. fast. 1, 181 templa patent ­auresque deum aus einer für silv. 4, 1 wichtigen Referenzpassage, einer Erklärung des auch dort als Sprecher fungierenden Janus (fast. 1, 178–182), daß so wie bei Auspizien der erste Vogel besonders bedeutungsvoll sei, so allgemein Anfänge jeder Art, und am ersten Jänner die Götter den Wünschen der Menschen besonders zugänglich: Die Motivkoppelung von göttlichen Zeichen und dem Zugänglich-Sein der Götter am ersten Jänner hat Statius übernommen. Die im selben Zusammenhang weiters erhobene Frage, ob in patuere dei und signa dedere polo nicht ein Widerspruch stecke, weil damit nicht klar sei, wo sich die Götter befänden, in ihren Tempeln oder im Himmel (Håkanson [1969], 110 f.; Coleman [1988], 81.), geht vollends fehl: Als ob irgendjemand, wenn ein römischer Priester vor dem Tempel einer Gottheit zu dieser betet, und daraufhin ein als bestätigend oder auch ablehnend interpretierbares Zeichen (Blitz, Donner, Vogelflug, was auch immer) am oder vom Himmel erfolgt, je die Vorstellung gehegt hätte, die Gottheit höre sich zunächst vom Tempel aus das Gebet an, begebe sich dann physisch an den Himmel und erzeuge, nun dort und nicht mehr in ihrem Tempel zu lokalisieren, ein signum. »It is disgraceful that one should need so to labour a point …« (Willis [1966], 312.) 627 Hierauf verweist bereits Polizian (1978), 652. 628 La Rocca (1998), 6 f. weist plausibel auf das betont friedliche Bildprogramm des F ­ orum Transitorium hin; ähnlich Knell (2004), 153. Freilich ist von den Reliefs nicht viel erhalten, es bleiben derartige Interpretationen also stark spekulativ, doch würde La Roccas Ansicht gut zu silv.  4, 1, 14sq. novi in leges iurare fori passen: Das Forum Transitorium wäre dann nicht nur durch seine Nachbarschaft zum vespasianischen Paxtempel oder -forum, sondern eo ipso mit ›Friede‹ zu assoziieren. Vorsichtiger dazu Darwall-Smith (1996), 120; grundlegend D’Ambra (1993), 47–77; vgl. Geyssen (1996), 68 zur Friedensthematik in silv. 4, 1. Zur Interpretation des auf dem Forum Transitorium dargestellten Arachnemythos vgl. Frederick (2003), 226 f., der freilich übersieht, daß die ovidische Variante des Mythos Arachne gerade n i c h t für ihr Kunstwerk bestraft werden läßt (Ov. met. 6, 129sq.: Non illud Pallas, non illud carpere Livor / possit opus), und ihre Metamorphose eher Minervas Mitleid mit Arachnes sinnlosem Stolz als einer Bestrafung entspringt. Friedensthematik in sehr römischem Sinn präsentierte, wenn man neueren Interpretationen Glauben schenken darf, das Fo­ rum Transitorium auch in einer Serie von Metopendarstellungen unterworfener Völker: vgl. Meneghini (2015), 76 f.

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baute Mehrschichtigkeit des Forums, seine Funktion als Abbild – man möchte fast sagen: Hypostase – des Himmels, bildet den Untergrund, aus dem sich dieses Verständnis des Gedichtschlusses zwanglos ergibt: Man kann, wie bereits vorgeschlagen,629 patuere dei daher auch auf das Motiv des Offenstehens des Himmels zurückführen, also eine bejahende himmlische συμπάθεια mit dem Konsulatsantritt des Kaisers. Daß Jupiter nun noch Domitian suos annos verspricht, ist angesichts der seit silv. 1, 1 konstanten und in silv. 4, 1, 17 mit magne parens mundi auch nochmals formulierten Deckungsgleichheit der beiden wenig überraschend und verlängert anzunehmenderweise den eingetretenen Friedenszustand ad infinitum.630 Es fällt auf, wie stark im Gedicht auf eine aktive Interpretation der räum­ lichen Gegebenheiten des Forum Romanum, ja auf jede Veranschaulichung derselben verzichtet wird: Die einzige Bemerkung, die an den ›licensed spokesman‹ von silv. 1, 1 mit seinem deutenden Herausheben einzelner baulicher Elemente erinnert, weist prompt auf das Forum Transitorium (13sq.), und der panegyrisch ergiebige Gegensatz von Forum / unten und Palatin / oben, der den Gedicht­anfang dominiert, legt zwar Rahmenbedingungen fest, innerhalb derer die auf dem Forum gesprochene Janusrede stattfindet, leistet aber nichts, um das Forum Romanum selbst, immerhin das althergebrachte Zentrum der Stadt und damit römischer Selbstdefinition, näher ins Blickfeld zu rücken. In diesem Sinne fungiert silv. 4, 1 als Korrektiv zu 1, 1 und weist auf die Grenzen der panegyrischen Ausdeutung räumlicher Gegebenheiten hin. Thema von silv. 1, 1 war das neuerrichtete Domitiansmonument auf dem Forum, das in Statius’ Deutung wie der Schlußstein zu einem Gewölbe fungierte und alle übrigen Bauwerken 629 Stange (1887), 18. 630 Für meine Belange unerheblich ist der Streit um rex magne oder dux magne in Vers 46: vgl. Bishop (1954), 96 f.; Håkanson (1969), 111 f.; Garthwaite (1978), 7 f.; Coleman (1988), 81 f.; wenig hilfreich Dominik (1994), 150. Angesichts der engen Koppelung Domitians mit Jupiter würde ich eine Übertragung traditioneller Wendungen wie deum pater atque hominum rex auf den Kaiser nicht für unmöglich halten, zugegebenermaßen aber widerspricht sie, jedenfalls in traditionalistischen Kreisen, der ›political correctness‹ römischer Ausdrucksweise hinsichtlich des Staatsoberhauptes. Marklands Konjektur dux hat also etwas für sich und wird auch durch silv. 3, 3, 52, wo ducibus für römische Herrscher erscheint, gestützt. Freilich erscheint silv. 3, 2, 92 die Wendung regis mei für Statius’ patronus (das Wort patronus gebraucht er freilich nie), was zweierlei nahelegt: erstens, daß die Bezeichnung rex für eine Person der Zeit an sich möglich ist, zweitens daß, wenn (wie in jenem Gedicht) Maecius Celer der rex speziell des Statius ist (regis mei), es noch mindestens einen anderen rex geben muß, was den Gedanken an den rex aller, den Kaiser, doch nahelegt; zumal dieser, wie schon erwähnt, als Jupiter ohnehin rex-Funktion hat – interessanterweise ist es ja auch ausgerechnet Jupiter, der hier seinem Double, dem rex magnus Domitian, ewige Jugend zugesteht: die Anrede rex magne kann ja sowohl vom Sprecher des Textes (also letzten Endes, da keine Trennung zwischen Sprecher und implizitem Autor erkennbar ist, dem impliziten Statius) als auch von Jupiter, der handelnden Person des Satzes, ausgehend verstanden werden. Ich ziehe es daher vor, am überlieferten Text nichts zu ändern.

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dort zu einer interpretatorischen Einheit, der Manifestation des von der gens Flavia regierten Reiches, wenn nicht des Kosmos, zusammenschloß. Doch mag auch Domitian der größte stadtrömische Bauherr unter den römischen Kaisern,631 und mögen der an sich schon beeindruckenden Liste seiner gesicherten Bauten wahrscheinlich auch noch Vorarbeiten und Planungen zu den wichtigsten Repräsentationsbauten seines »Testamentsvollstreckers« Trajan,632 zu dessen Thermen und vor allem seinem Forum, hinzuzufügen sein,633 wurde doch das Forum Romanum unter ihm wie schon vor seiner Regierung und wie auch in weiterer Folge bis zum Einsetzen des Verfalls im wesentlichen nur Renovierungen, aber keinen Umgestaltungen mehr unterzogen. So nahe Domitians Bauten auch an es heranrückten – das Forumsgebäude des Palatin im Südwesten,634 das Forum Transitorium im Nordosten und der Tempel des Iupiter Custos auf dem Kapitol sind wohl die nächstliegenden seiner Neubauten –, das Zentrum selbst blieb bis auf die Errichtung des Equus Maxi­ mus unangetastet. Es war gewissermaßen abgeschlossen, zur Unwandelbarkeit erstarrt als Monument der römischen Geschichte, abgeschlossen auch in seiner Interpretierbarkeit, die zwar durch die Hinzufügung des Equus noch einmal neu (und sehr vorübergehend, denn das Denkmal stand nur wenige Jahre auf seinem Platz) justiert wurde (verbalisiert in silv. 1, 1), die ansonsten aber in die interpretatorisch ausgereizte permanente Verfügbarkeit musealer Schätze übergegangen war.635 Dieser Prozeß ist schon unter Augustus spürbar, wenn etwa Horaz die Ewigkeit seines literarischen Nachruhms durch einen rituellen Ereignisraum umschreibt als dum Capitolium scandet cum tacita virgine pontifex (Hor. carm. 3, 30, 8sq.): Es setzt, wohl nicht zufällig zeitlich wie sachlich mit den religiösen Wiederbelebungsbestrebungen des Augustus koinzidierend, eine Art von Versteinerungsprozeß ein, der das römische Stadtzentrum mit seinen Bauten wie auch mit den dort verorteten performativen Akten kultischer und politischer Natur zunehmend in ein Museum verwandelt. Ständig vorhanden und verfügbar bildet dieses Antiquarium, das bis zur Spätantike immer drückender

631 »He is the one who restores what was desolate, and one who fills up what was found empty« prädiziert die derzeitige Nordseite des Domitiansobelisken auf der Piazza Navona über den Kaiser, und auch wenn sich dahinter vielleicht eine traditionelle ägyptische Formel verbergen mag, so hat sie doch jedenfalls für Domitian ganz besondere Berechtigung; vgl. Darwall-Smith (1996), 146. Zu Domitians ›Bauwut‹ vgl. Plut. Popl. 15, 5. 632 Taeger (1960), 365. 633 Anderson (1984), 148–150; Darwall-Smith (1996), 240–248; La Rocca (2001), 184, mit Anm. 57 (Literaturverweise); Meneghini (2015), 81, läßt die Abriß- und Planierungsarbeiten für das nachmalige Trajansforum bereits 95 beginnen. 634 Vgl. Coarelli (2009), 85 f. 635 Einen Überblick zur räumlichen Organisation, Wahrnehmung und Bedeutungsauf­ ladung speziell der stadtrömischen Topographie mit ihrem Zentrum im Forum gibt Hölscher (2006); vgl. auch Dewar (2008), 69.

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werden wird,636 den Hintergrund sowohl für einzelne Vorgänge wie den feierlichen Amtsantritt der Konsuln bei Jahresbeginn, als auch für Texte, die derlei Vorgänge zum Inhalt haben, und entsprechend wenig Mühe braucht silv. 4, 1 darauf zu verwenden, das Forum Romanum greifbar zu machen: Die Erwähnung der Curia, der Janusbogen und der Akt seiner Schließung sowie das Ereignis des Amtsantritts selbst evozieren die gesamte Forumsszenerie mitsamt dem ungeheuren Resonanzraum ihrer historischen und kultischen Bedeutung automatisch, ebenso das ewiggleiche Ritual des im Text ja nach der überlieferungsbedingt unklaren, doch jedenfalls nur andeutenden Notiz in Vers 9 gar nicht näher verbalisierten Amtsantrittszeremoniells; Domitian mit seinen (vermutlich) zwölf Liktoren fügt sich sozusagen brav in das historisch korrekte Bild, das seine Ewigkeit – und von Ewigkeit ist im Gedicht sehr viel die Rede – gerade daraus bezieht, daß man seine konkrete Ausführung des Jahres 95 nicht näher beschreiben muß, weil sie sich mindestens theoretisch mit allen früheren und allen späteren deckt. Dazu paßt auch die völlige Absenz eines poetischen Ich in silv. 4, 1, dessen gesamter Text von rein epischer Sprechhaltung eines persönlich in keinem Wort greifbaren Sprechers geprägt ist und sich folglich von zum Vergleich herangezogenen Texten wie Ov. Pont. 4, 4 oder auch dem Panegyricus Messalae grundlegend unterscheidet.637 Man hat dazu auf die Abwesenheit des physischen Dichters aus Rom hingewiesen,638 jedoch ob und welche Bitten Statius in dem Begleitschreiben vorbrachte, mit welchem zusammen er sein Gedicht doch wohl Domitian selbst vorlegte, wird sich nicht feststellen lassen. Das Gedicht selbst jedenfalls vermeidet jede Einbindung des Ichs, sodaß der vielleicht wichtigste Ausgangspunkt für Veranschaulichung der Szenerie fehlt.639 Was bleibt, ist das 636 Man vergleiche die Nachrichten von den raren Besuchen spätantiker Kaiser wie Constantius II . oder Honorius in Rom, nachgezeichnet etwa bei Gregorovius (1978), Bd. 1, 21 und 54 f., die jeweils von staunendem Bewundern einer zwar noch nicht versunkenen, aber gleichsam schon aus der Zeitlichkeit getretenen Welt sowie von der Erkenntnis geprägt scheinen, daß im allzudichten, übermäßig aufgeladenen Bedeutungsgeflecht dieser Stadt nicht mehr genügend Freiraum vorhanden war, um dort noch regieren zu können. Nicht umsonst ja setzten die Herrscher seit der Tetrarchie den keineswegs nur militärisch vernünftigen Schritt, die Residenzstadt nach Mailand, später nach Ravenna zu verlegen, und markierten durch diesen Verzicht auf den Nimbus der ehrwürdigen, in ihrer Zeitlosigkeit schon näherungsweise ewigen Stadt den Neueinsatz ihrer Reformtätigkeit stärker als durch irgendeine andere denkbare Maßnahme. 637 Rühl (2006), 311. Zu epischen Facetten der panegyrischen Gedichte vgl. auch Verstraete (1983), 196. 638 Leberl (2004), 219 u. 228, der das Fehlen persönlicher Bitten in einem Gedicht, das er dennoch aus persönlichen Motiven, d. h. aus materiellen Interessen geschrieben sein läßt, als »beredtes Schweigen« deutet. 639 Nauta (2002), 354 f. und 357 f. zeigt sich unsicher, was die Frage nach dem Auftragscharakter des Gedichtes angeht. Der Umstand, daß er selbst (358) richtig das Fehlen jedes klaren Hinweises auf eine offizielle Rezitationssituation feststellt, macht ein Auftragswerk freilich

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nicht veranschaulichte, weil in seiner ewiggleichen Weise ohnehin jederzeit in seiner Gesamtheit, d. h. auch mit dem benötigten jubelnden Staffagepersonal (im ganzen Gedicht kommen ja auch keine Menschen vor, gerade einmal der durch curules [5] und curia [10] angedeutete Senat und die durch fasces [8] bedeuteten Liktoren!)640 abrufbare Forum, das gerade durch diese Ewiggleichheit zur Legitimation des römischen Staates beiträgt – wie sich ja jede legale göttliche oder weltliche Macht stets aus Kontinuität und möglichster Ewigkeit legitimiert, und sei es in der oxymoren Form einer ›permanenten Revolution‹. Der legitimierende Akt des Amtsantritts also, den das Gedicht schildert, evoziert vollinhaltlich das Forum Romanum, selbst im durch den Einleitungsbrief zum vierten Silvaebuch als ›Ferndiagnose‹ definierten Gedicht eines nicht bloß im Text, sondern auch physisch aus Rom abwesenden Dichter-Ich.641 Dicht daneben aber läuft ein Riß durch den Text: Die interpretatorisch interessanten räumlichen Gegebenheiten, das Forum Transitorium, der Paxtempel und insbesondere der Palatin, gehören gerade nicht dem mit den Inaugurations­ ritualen verknüpften Raum an, liegen außerhalb. Im Kontrast zum vollendeten, erstarrten Forum Romanum repräsentieren sie nicht nur dynamische, sich gerade in den Jahren Domitians verändernde Räume mit entsprechend hohem freien Deutungspotential, sie weisen auch auf die tatsächlich längst vorgefallenen Bedeutungsverschiebungen im stadtrömischen Raum hin: Der Kaiser auf dem Palatin, dem wirklichen Zentrum des Reichs, geruht wieder einmal das Konsulat zu übernehmen und in dieser Rolle zu einer Veranstaltung herabzusteigen, die in vieler Hinsicht ein Anachronismus und dennoch zur Absicherung seiner Legitimität eine Notwendigkeit ist. Diesen Riß im Text markiert auch die Rede des Janus, die nicht nur vor allem gegen Ende in ihrer Ruhmredigkeit so weit geht, daß die logische Reaktion des Kaisers im Text, bleibt sie auch unausgesprochen, nur in bescheidener Zurückweisung bestehen kann bereits ein Stück weit unwahrscheinlich. Hinzu kommt noch, daß eine so harte Expression der kaiserlichen Macht, wie sie silv. 4, 1 bietet, nicht gut zu der Vorstellung paßt, das ins ­Visier genommene Publikum der kaiserpanegyrischen Silvae sei (grosso modo) der Senatorenstand gewesen (o. bei Anm. 38), denn gerade dann sollte man, jedenfalls in einem offiziell in Auftrag gegebenen Text, eine traditionalistischere Schilderung der Amtsantrittszeremonie erwarten. Es führt m. E. kein Weg an der Annahme vorbei, daß silv. 4, 1 ein, soweit das Bezugssystem der Literaturpatronage dies möglich machte, nicht auf Auftrag hin verfaßtes und dem Kaiser auch nicht im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie vorgelegtes oder vorgetragenes Werk ist. 640 Vgl. Mac Donald (1986), 267: »A physically complete but wholly empty town is useless, a cipher; only people can fulfill it, bring it and its buildings to life.« Diese Chiffrenhaftigkeit des stadtrömischen Raumes bildet den Ausgangspunkt für Statius’ Deutung desselben. 641 Nauta (2002), 354: »All Statius had to do was to give verbal form to a message already unambiguously expressed in urban design, architecture, and ceremony.« Damit ist eigentlich alles gesagt, sieht man davon ab, daß Statius im Fall von silv. 4, 1 eben nicht einmal sonderlich stark verbalisieren mußte – einige geringfügige Anspielungen genügten, weil das »urban design« sich bereits selbst hinlänglich zum Ausdruck brachte und interpretierte.

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(was ihm nebenbei mit quanta recusas, quanta vetas in Vers 33sq. auch indirekt nahegelegt wird),642 sondern die auch dem kaiserlichen Regierungsprogramm mindestens in einem Punkt genau zuwiderläuft: Wenn Domitian schon in Vers 13sq. Janus den Befehl erteilt, Frieden zu halten, dann ist dessen Aufforderung an den Kaiser, den nahen und mittleren Osten zu erobern und sich damit in die stereotype Rolle des Kaisers als invictus und Triumphator zu fügen (39–42),643 fehl am Platz, und das Zurückziehen des Janus in seinen nun geschlossenen Tempel ein Sieg Domitians über Janus in dem Sinn, daß Janus die Rolle eines zwar mit seinem Herrn nicht in jedem Punkt übereinstimmenden, doch in seiner Handlungsweise loyalen Staatsbeamten einnimmt – jene Haltung übrigens, an welche sich manche Mitglieder der römischen Senatsaristokratie partout nicht gewöhnen wollten, sehr zum Nachteil des Staates und – oft – auch zu ihrem eigenen.644 Daß der Dichter Janus sprechen läßt, beruht also in mancher Hinsicht auf dem Grundsatz des audiatur et altera pars, und die altera pars ist nun die alte Welt des Forum Romanum mit Senat und Janusbogen und den übrigen Bedeutungsträgern einer früheren Zeit. Doch bei allem Respekt, den der Kaiser dieser früheren Zeit erweist, etwa indem er ihrem Sprecher zuhört, erzwingt Domitian doch die Befolgung seiner eigenen, neuen Spielregeln – räumlich gesprochen: Der Palatin (und mit ihm die flavischen Foren und die übrigen den Stadtraum zunehmend bestimmenden Repräsentanten der Dynastie) lassen dem zum Museum gewordenen und damit gleichsam pensionierten Forum Romanum nur noch einen ehren- und bedeutungsvollen, doch realer Macht weitgehend entkleideten Platz an ihrer Seite. Man könnte in Anlehnung an Foucault von einer Heterotopieverschiebung sprechen: Was früher der monumentale Rahmen für den Brennpunkt sozialer und politischer Aktivität und für die Selbstdefinition v. a. der römischen Elite und insofern ein besonderer Ort war, wird nicht etwa zum Alltagsort degradiert, sondern in eine andere Form der Heterotopie überführt und zum Museum gemacht wie auch in neueren Zeiten so maches 642 Geyssen (1996), 74, greift wohl zu kurz, wenn er quanta recusas ausschließlich auf weitere Konsulate bezieht; vgl. Leberl 2004), der auf Domitians Triumphverzicht vom Jänner 93 nach dem zweiten Pannonischen Krieg (Suet. Dom. 6, 1) verweist. Man wird quanta recusas, quanta vetas also eher, auf Beispiele wie dieses gestützt, als Preis der in verschiedenen Punkten bescheidenen Haltung des Kaisers zu verstehen haben. 643 Clauss (1999), 260–262: Zur Frage, ob Domitian in seinen späten Regierungsjahren einen Ostfeldzug plante, vgl. Jones (1992), 159 (skeptisch); Gering (2012), 281, versammelt Indizien für eine in den letzten Regierungsmonaten anlaufende neue Kampagne gegen die Sarmaten an der unteren Donau, was einen geplanten Krieg im Orient erst recht unwahrscheinlich macht. 644 Nicht folgen kann ich Rühl (2006), 312, wenn sie meint, Janus hebe Domitian auf eine Stufe mit sich. Dagegen sprechen m. E. die Verse 15sq. sowie der Schluß der Janusrede, der im Widerspruch zu den von Janus vorgetragenen Kriegszielen in der Schließung, und nicht etwa in der Öffnung der Tore besteht.

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bauliche Relikt wirklich oder vermeintlich überlebter Gesellschaftsformen.645 Die freigewordene Heterotopierolle übernehmen andere Orte. Demnach ist es wohl auch kein Zufall, wenn die nachfolgenden beiden Gedichte des panegyrischen Triples von silv. 4, 1–3 nicht bloß ausführlicher, sondern vor allem den neuerrichteten Monumenten des Kaisers sowohl in Rom (4, 2) als auch außerhalb (4, 3) gewidmet sind. Es ist völlig egal, wie weit der physische Dichter Statius sich den Musealisierungsprozeß des alten Forums bewußt machte, oder auch jenen Prozeß, der die einstige Partizipation der römischen Oberschicht am öffentlichen Bauwesen seit Augustus zunehmend durch eine alleinige Kontrolle des städtischen Raumes durch den Kaiser ersetzte.646 Sein Text zeigt, welch feines Gespür und welch waches Auge er für die tatsächlichen Gegebenheiten seiner Umgebung besaß,647 und wie wenig er sich von literarischen oder historischen Konventionen oder rückwärtsgewandter Ideologie (von der beispielsweise ein Tacitus niemals frei ist) dazu verleiten ließ, seine Zeit in anachronistischem Gewand darzustellen, also etwa in seinem Gedicht eine Inaugurationszeremonie altrepublikanischen Zuschnitts und vor allem altrepublikanischer Bedeutung zu veranstalten.648 645 Muth (2010), 490, weist darauf hin, daß das Forum Romanum unter Vespasian vergleichsweise an Bedeutung verlor, zumindest von der kaiserlichen Selbstinszenierung wenig bis gar nicht berührt wurde. Domitians Versuch, durch diverse Baumaßnahmen bis zur Errichtung des Equus maximus das alte Zentrum aufzuwerten und neu zu akzentuieren, zeigt deutliche Züge moderner ›Wiederbelebungen‹ nicht mehr benötigter Repräsentationsorte. 646 Frederick (2003), 200 f. 647 Erneut ist auf das schon o. bei Anm.  56 zitierte Diktum J. H.  Bishops hinzuweisen, demzufolge Statius größte Stärke in der überdurchschnittlich geschickten Formulierung von allgemein bekannten Gegebenheiten besteht. In diesem Licht ist auch seine Aussage zu silv. 4, 1 zu sehen: »Such is this poem: its contents are in no way remarkable; it is a conventional piece that any competent poet could produce on demand …« (Bishop [1966], 20) – An der völligen Konventionalität des Gedichtes kann, wie ich zu zeigen versucht habe, durchaus gezweifelt werden, doch sein Inhalt ist in der Tat unauffällig, gibt er doch bloß die aktualen politischen Gegebenheiten unverzerrt wieder. 648 Hierher gehört auch ein Irrtum, dem Leberl (2004), 216, erlegen ist, wenn er meint: »Allerdings handelte es sich bei der Übernahme des Konsulats um einen abstrakten Vorgang, der als solcher, v. a. wenn der Kaiser nur zwei Wochen im Amt blieb, für den Alltag der Untertanen keinerlei Konsequenzen hatte. Daher bedurfte er der Ausschmückung durch In­ auguralfeierlichkeiten oder der poetischen Überhöhung. Da man den Konsulatsantritt anders als kaiserliche Feste oder Bauten nicht anschaulich beschreiben konnte, behalf sich der Dichter, indem er mit dem Auftritt des Janus ein dramatisches Moment einführte …« – nichts davon trifft m. E. zu. Die Inauguralfeierlichkeiten waren prinzipiell an jedem ersten Jänner die gleichen, ob nun der Kaiser zusammen mit einem dadurch besonders ausgezeichneten Senator das Amt übernahm oder zwei ›normale‹ Senatoren, und sie hätten genügend Stoff für poetische Darstellung geboten, angefangen mit der deductio, die immerhin sogar gestreift wird (8sq.), über das Forum mit seinen Bauten, die unschwer ins Spiel zu bringen gewesen wären, bis schließlich zu den kultischen Veranstaltungen vor dem kapitolinischen Jupitertempel. Es kann also keine Rede davon sein, daß Statius nichts anschaulich beschreiben hätte können – er tat es bloß nicht.

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Im Vergleich zu der kleinen, aber aussagekräftigen Momentaufnahme des Kaisertums in silv. 4, 1 (und auch, wie im folgenden zu zeigen sein wird, silv. 4, 2) wirkt beispielsweise der wenige Jahre später zu einem ähnlichen Anlaß entstandene Panegyricus des jüngeren Plinius passagenweise so realitätsfern, daß wohl Trajan selbst, in zahllosen Punkten der lineare Fortsetzer domitianischer Politik, diesen ihm vorgehaltenen Fürstenspiegel am meisten belächelt haben wird. Man kann silv. 4, 1 also ohne weiteres in die Reihe jener Gedichte stellen, in denen Statius zum mehr oder minder großen Erstaunen der Kommentatoren Facetten seines jeweiligen Themas, die manch anderer Dichter aus bestimmten zu erwartenden Rücksichtnahmen verschwiegen oder wenigstens marginalisiert hätte, zur Sprache bringt, gar zu wesentlichen Elementen seines Textes macht, wenn er sie einmal als hinlänglich wertvolles Material erkannt hat, um in seiner Kunst veredelt zu werden und damit den im Titel der Sammlung erhobenen Anspruch zu erfüllen.649 Freilich: Jene gegen die Mitte der 90er Jahre schon recht forsch-oppositionell gegen Domitian agierenden Teile des Senats,650 die im September 96 schließlich halb und halb die Oberhand gewannen, werden Statius für ein Gedicht wie silv. 4, 1 kaum Dank gewußt haben, und was auch immer der Auslöser dafür gewesen sein mag: Das vierte Buch der Silvae blieb Statius’ letzte Publikation, ob ihn nun der Tod oder eine gewisse quod dixi, dixi-Haltung davor bewahrte, in der Art des sich nach Bilbilis retirierenden späten Martial holprige Revokationsversuche früherer Glanzleistungen zu veranstalten.651 Denn silv. 4, 1 zeigt schließlich noch in außergewöhnlicher Weise die Stellung des Statius als vielleicht nicht permanenter, aber temporärer ›licensed spokesman‹ der Repräsentation Domitians.652 Der Umstand, daß er für dieses Gedicht auf vor allem in silv. 1, 1 aufgebaute Denkmuster zurückgreift, ist in 649 Vgl. etwa die Schilderung der Kastration des Earinus in silv. 3, 4, 65–77, oder auch die des Attentatsversuchs der Mutter auf den in silv.  5, 2 gepriesenen Crispinus (dort 77–97): dazu Verstraete (1989), bes. 409 f., und Bernstein (2007). – Zur m. E. dezisiven Erklärung des Titels Silvae vgl. Wray (2007), bes. 136 f.; ferner vgl. o. 32 f. 650 Zur Zusammensetzung der Opposition gegen Domitian und vor allem zur Unbrauchbarkeit von Konzepten wie ›stoische Opposition‹ oder ›intellektuelle Opposition‹ vgl. Jones (1992), 119–125, und Penwill (2003). 651 Zugegeben: der Umstand, daß das fünfte Buch der Silvae panegyrische Anspielungen auf Domitian enthält, also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vor dessen damnatio me­ moriae publiziert wurde, daß aber dasselbe Buch mit einiger Wahrscheinlichkeit posthum erschien, legt die Vermutung nahe, daß Statius noch vor Domitian starb. Ein sicherer Beweis ist hier aber, wie so oft, kaum zu führen. Allgemein vgl. das ausgewogene Urteil bei Vessey (1973), 7. – Zum späten Martial vgl. Fearnley (2003). 652 Leberl (2004), 226, schätzt Statius’ Stellung als Dichter zu gering ein, wenn er vermutet, daß oppositionelle senatorische Kreise seine Dichtung als politische Stimme nicht ernstgenommen hätten. Als Stimme eines Politikers sicherlich nicht, denn er war keiner, doch als politische Deklaration immerhin des Dichters der Thebais können Texte wie silv. 4, 1 a priori nicht gänzlich unbeachtet geblieben sein.

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nerhalb der sukzessive publizierten Gedichtsammlung nicht weiter auffällig, wohl aber wenn man die vorangehende ›Publikation‹ der Einzelstücke zu ihrem jeweiligen Anlaß betrachtet und davon ausgeht, daß diese ursprünglichen Formen von den schließlich in der Sammlung veröffentlichten Texten nicht grundlegend abwichen. Ob nun Statius seine panegyrischen Gedichte dem Kaiser selbst zu überreichen pflegte oder nur einer mehr oder minder hochgestellten Person aus dem Umkreis Domitians, es sind daraus nur zwei Schlußfolgerungen denkbar: Entweder rechnete er (und doch wohl nicht völlig grundlos) damit, daß der / die effektive(n) Leser von silv. 4, 1 frühere Gedichte wie 1, 1 und 1, 6 in der Tat gelesen und die dort entworfenen Konzepte auch im Gedächtnis behalten hatte(n) – dann stand Statius dem Kaiser bzw. seinem Hof sehr nahe und eignete sich von daher als ›licensed spokesman‹. Oder aber diese Konzepte entsprachen von vorneherein mindestens weitgehend der Interpretation, die Domitian selbst den Bauten Romes und seinen repräsentativen Akten in diesem Raum gegeben wissen wollte, und konnten deshalb auch ohne nähere Erläuterung zum Einsatz kommen – dann ist der Statius im Text erst recht ebenso weitgehend deckungsgleich mit dem Repräsentationswollen Domitians.653 Gerade daß silv. 4, 1 bereits vorhandene Interpretationsmuster so selbstverständlich abruft und nur punktuell darüber hinausverweist, macht es also zu einem nicht bloß wahrscheinlich, sondern nachweislich authentischen Dokument der spätflavischen Kaiseridee und deren Repräsentation, die ja allgemein von einem zuvor nie erreichten Grad der Professionalität gekennzeichnet war und mit einigem Recht als das Erreichen der ›Vollausbaustufe‹ der seit Augustus entwickelten römischen Monarchie gelten kann,654 weshalb sie denn auch ein letztes Mal Opposition gegen diese Staatsform an sich hervorrief und mit Domitian auch ein letztes Mal ein Opfer forderte, bezeichnenderweise freilich eher infolge einer nachträglich weltanschaulich verbrämten Palastintrige als durch das Tätigwerden einer ernstzunehmenden politischen Alternative: Eine solche gab es längst nicht mehr, doch Domitian war der erste, der den Mut (und den Anstand) besaß, dieses offen auszusprechen und in seiner Repräsentation, seiner Politik, auch seinen Bauten, offen zu zeigen. Nachfolgende Kaiser bis in die 653 Vgl. die m. E. zwar die Möglichkeit einer spielerischen Komponente in den Selbstaussagen des Statius zu wenig in Betracht ziehende, doch anregende Studie von Lovatt (2007). – Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß Newlands (2002) dem Gedicht als einzigem in der Gruppe der panegyrischen Gedichte kein eigenes Kapitel widmet, was man wohl dem Umstand zuschreiben wird, daß in der Tat dieses Gedicht von allen fünf am wenigsten neue Motive ins Spiel bringt. Weniger überrascht das völlige Schweigen der Monographie von Zeiner (2005), da das Gedicht gerade wegen seiner nur nonverbalen Anschaulichkeit nicht in Zeiners Untersuchungsrahmen paßte. 654 Vgl. punktuell zur Münzprägung unter Domitian und der dort sichtbaren Professio­ nalisierung und propagandistischer Effektivierung gegenüber früheren Kaisern: Alexan­ dropoulos (1994).

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Zeit der Reichskrise des dritten Jahrhunderts jedenfalls fügten diesem politischen Gebäude wenig mehr hinzu, sondern bedienten sich seiner, je routinierter, desto besser.

6. Silvae 4, 2: Eucharisticon ad Imperatorem Augustum Germanicum Domitianum Die Positionierung des Eucharisticon innerhalb der publizierten Sammlung, und speziell innerhalb der panegyrischen Gedichte, ist von einem vielfachen Beziehungsgeflecht gekennzeichnet.655 Als Mittelstück des Triptychons silv. 4, 1–3 ist es schon durch seine Stellung definiert, stärker noch durch inhaltliche Komponenten: Gegenüber den offiziellen Anlässen von 4, 1 und 4, 3 einem vergleichsweise privateren, exklusiveren Ereignis gewidmet,656 und gegenüber dem auf ein poetisches Ich praktisch verzichtenden Gedicht 4, 1 sowie dem das Ich nur ähnlich dem Großteil von silv. 1, 1 als passive Beobachtungsinstanz ins Spiel bringenden silv. 4, 3 merklich persönlicher, abschnittsweise von Ich-Aussagen geprägt,657 bildet es den ruhigeren Mittelsatz dieses dreisätzigen panegyrischen Konzerts. Zugleich greift es durch seine erneute Betonung vertikaler Beziehungen ein Motiv aus silv. 4, 1 wieder auf, verstärkt noch dadurch, daß in beiden Texten der Palatin eine wesentliche Rolle spielt: Dort als der Ort, von dem der Kaiser zur Übernahme des Konsulats huldvoll auf das Forum herabsteigt, hier als Ereignisraum des Textes selbst, welcher den Kaiser also endlich in seiner eigentlichen, wahren Umgebung zeigt: und zwar den Kaiser als Person,658 nicht als Amtsträger und aktuelle Ausprägung der römischen Staatstradition wie in silv.  4, 1, analog zum auch seinerseits stärker als Person und Sprecher in den Vordergrund tretenden Dichter. Doch auch zum ersten Buch lassen sich Verbindungslinien ziehen: In silv. 1, 1, 34 prüft der Blick des auf höherer Ebene von Göttern umgebenen Monumentalkaisers an nova contemptis surgant Palatia flammis, und auch in silv.  3, 4, ­47–49, also im Earinusgedicht, wird auf die gerade laufenden Bauarbeiten angespielt – in silv. 4, 2 nun erlebt das Ich diese Palatia fertiggestellt und unter 655 Zum Arrangement der einzelnen Bücher nach wie vor unverzichtbar: Newmyer (1979), 122–133. 656 Zu berücksichtigen ist freilich, daß gerade Domitian Gastmähler offenbar gezielt und wohl auch in großer Zahl zu Mitteln seiner Politik machte. Dies bezeugt die ungewöhnlich große Zahl literarischer Anspielungen auf derartige Veranstaltungen, mögen sie auch, soferne sie nach Domitians Ermordung entstanden, vom dann herrschenden politischen Gegendruck gefärbt sein: cf. Mart. 13, 91; 8, 39; 9, 91; 11, 8; Plin. paneg. 49, 6; Iuv. 4, 28–33. 657 Darauf weist besonders Newmyer (1979), 115, hin, der ebd., 114, auch eine Strukturanalyse des Gedichtbeginns bietet; vgl. Hardie (1983), 141. 658 Vgl. Geyssen (1996), 110.

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den Augen des lebendigen, von sichtbaren Göttern umringten Kaisers, nicht seines Abbilds; wie überhaupt die zentrale Funktion eines einzelnen (architektonischen bzw. der Sphäre der Architektur placierten) Monuments im Text eine Verbindung zwischen dem Equus Maximus und dem Eucharisticon stiftet. Silv. 1, 6 wiederum, die Speisung des Volkes im Amphitheater, steht der Speisung der Ritter in den Repräsentationsräumen des Palatin thematisch nahe und schärft damit den Blick für die starken Unterschiede der beiden Texte gerade im Hinblick auf die Wahrnehmbarkeit (und Wahrnehmung) des hier wie dort das Zentrum, die causa prima bildenden Herrschers.659 Man wird es ohne weiteres für möglich, ja für wahrscheinlich halten, daß Statius in den Jahren seiner dichterischen Tätigkeit im weiteren Umfeld Domitians eine Vielzahl panegyrischer Gedichte schuf: Die Auswahl, die er daraus für die publizierte Sammlung, genauer: die Sammlungen, traf, unterlag indes offenbar relativ strengen Kriterien, unter denen das Vorhandensein sinnstiftender Verbindungslinien einen wichtigen Platz einnahm. Zu diesen gehört schließlich auch, daß silv. 4, 2 typologisch im vierten Buch sozusagen die Stellung des obligaten Villengedichtes einnimmt, als Fortsetzung der Linie silv. 1, 3 – 2, 2 – 3, 1. Daß der Kaiserpalast jene Privatbauten, mögen sie auch noch so ambitioniert sein, übertrifft, versteht sich von selbst; vgl. u. 479. Das ungewöhnlich greifbare poetische Ich, das silv. 4, 2 im Rahmen der für die Sammlung ausgewählten panegyrischen Gedichte besonders auszeichnet, ist aber zugleich das erste Problem des Textes. Zunächst relativiert es die Aktualität des Textes: Entsprechend den Angaben im Einleitungsbrief zum vierten Buch, die ihrerseits durch das Schlußgedicht des dritten vorbereitet wurden, befindet sich Statius (jedenfalls der Statius im Text),660 als er Buch vier ver­öffentlicht, in seiner alten Heimat Neapel, in einer Gegend, die er auch andernorts (vgl. silv. 5, 3, 162–175) als Dichterregion par excellence charakterisiert. Schon für silv. 4, 1 bedeutete dies eine gewisse Brechung, indem zum stets gegebenen Abstand zwischen dem konkreten Anlaß des einzelnen Gedichtes, der 659 Besonders silv. 4, 2, 35–37 erinnert mit seiner angedeuteten Richtung des von-obenherab-Gleitens (sic orbita fluxit Triptolemi) an die Auflistung der herabregnenden Speisen in silv. 1, 6, 9–27; vgl. o. I, Anm. 494. – Einen Vergleich von silv. 1, 6 und 4, 2 stellt auch ­Malamud (2001) an, deutet das Eucharisticon aber als subversive Kritik an Domitian, weil sein Festmahl dem (schlechten) Epikureismus des Phäakenhofes nacheifere (ebd., 35) und weil die Gäste nichts zu essen bekämen (ebd., 36). Für beides finde ich im Text keine Anhaltspunkte. 660 Der physische freilich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch  – jedenfalls ist kein Anhaltspunkt ersichtlich, der dazu riete, zwischen beiden in dieser Frage zu differenzieren, im Gegenteil: Gerade der Umstand, daß 4, 1 und stärker noch 4, 2 sich nicht in die ›story‹ eines fiktionalen Rückzugs nach Neapel fügen, macht es unwahrscheinlich, daß eine solche ›story‹ aufgebaut werden soll; jedenfalls wären die daraus abzuleitenden Folgerungen deutlich komplizierter (und dennoch, soweit ich sehen kann, interpretatorisch unergiebig) als die Annahme, daß der physische Statius sich eben wirklich nach Neapel retirierte und dort eine Sammlung publizierte, die Gedichte aus seinen Tagen in Rom einbegriff.

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(theoretisch) auch Zeitpunkt und Situation der ›Ur-Publikation‹ bildete, und der Veröffentlichung (mehr oder minder) desselben Gedichts im Corpus der Silvae noch die explizite Entfernung des Autors vom Schauplatz kam: ein zusätzliches distanzschaffendes Moment also, durch das schon silv. 4, 1 den Charakter einer Ferndiagnose annähme, wäre nicht die Ich-Instanz gerade in diesem Gedicht so sehr ausgespart, daß dessen Lokalisierung in Neapel mit dem römischen Ereignisraum des Textes für den Leser nicht in Konflikt kommt, zumindest nicht kommen muß. Ganz anders silv. 4, 2, dessen markant ins Spiel gebrachtes Ich diesen Konflikt unvermeidbar macht. Da die Möglichkeit, Statius könnte aus Neapel zu einem Abendessen mit dem Kaiser nochmals rasch nach Rom gefahren sein, im Text keinen Anhaltspunkt findet und damit als unnötig kompliziert wohl ausscheidet,661 bleibt nur die Feststellung, daß das Eucharisticon als einziges unter den panegyrischen Gedichten den Finger deutlich auf die Distanz zwischen dem diesfalls eindeutig auch als Sprechsituation des Gedichtes fungierenden Anlaß und der Veröffentlichung legt.662

a) silv. 4, 2, 1–17 Dieses ad notam genommen, zeigt sich eine zweite Schwierigkeit bezüglich der Ich-Instanz von silv. 4, 2: ihre merkwürdig eingeengte Greifbarkeit. Denn was tut das Ich des Gedichtes in der durch den Text entworfenen Situation? (1) Es nimmt wahr: cerno (16), tueri (16), species (30), fessis … prendas visibus (30sq.), spectare (40), conspectum agnoscere (45), visus (52).663 (2) Es befindet sich, und zwar liegend und im ›Speisesaal‹:664 videor discumbere (10), iacens (16); non assurgere (17); cf. 30sq. (3) Es singt: celebrem, solvere grates (7), loquar (10), lo­ quor (52). Davon ist Punkt (3) für das Ich eines Gedichtes zwangsläufig gegeben, 661 Hardie (1983), 65, deutet den Text freilich so, m. E. ein überzogener Biographismus. 662 Folgerichtig überlegt Garthwaite (1978), 133–135 für silv. 4, 2 eine ursprüngliche Datierung in das Jahr 93, was ohne weiteres denkbar, freilich auch nicht nachweisbar ist. 663 Daß das Sehen im Gedicht alle anderen Sinneseindrücke in den Schatten stellt, bemerkt zu Recht Malamud (2007), 226–228 und, mit einer interessanten Diskussion einer Vergilreminiszenz, ebd. 229–232, doch ihre Folgerung, Domitians Veranstaltung sei also durch Verhungernlassen der Gäste bestimmt (die nur schauen, aber nicht essen dürfen), vermag ich nicht nachzuvollziehen. 664 Es ist dem Text nicht zu entnehmen, in welchem der großen Repräsentationsräume der Domus Flavia die geschilderte Szenerie sich zutrug, doch in jedem Fall mutierte der frag­ liche Raum, selbst wenn er sonst anderen Zwecken wie Audienzen oder Ratsversammlungen diente, in der Bankettsituation zum triclinium, falls er es nicht ohnedies war. Seine Dekoration aber blieb in jedem Fall dieselbe, was zur Theorie Lise Beks paßt, die zwischen privaten (auch kaiserlich-privaten) und offiziell-herrscherlichen triclinia unterscheidet und letztere architektonisch de facto mit Audienzhallen und Ähnlichem verschmilzt: Bek (1983), 82. 88 f. 102–105.

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(1) fast ebenso sehr, nur (2) also bietet Ich-Aussagen im engeren Sinn, und auch diese blieben unklar, wenn nicht die Fügung ego, cui sacrae Caesar nova gau­ dia cenae / nunc primum dominamque dedit contingere mensam (silv. 4, 2, 5sq.; cf. 63sq.)665 erhellte, daß der Statius im Text durch Domitian zur cena geladen wurde. Für ein prima vista persönlich motiviertes Gedicht ist es also erstaunlich wenig Information zur eigenen Befindlichkeit, zum eigenen Denken und Tun, die das Ich direkt mitteilt, sieht man davon ab, daß es sich über den Umstand, daß es sich eben in Gegenwart des Kaisers befindet und ihn mit eigenen Augen aus der Nähe sehen darf, nicht genügend wundern kann (5–17).666 Verläßt man freilich diese erste Ebene der Ich-Aussagen, findet man den Sprecher vom ersten Vers an in eine komplizierte mythische Entsprechungsreihe integriert: »Vergil rühmt das Gastmahl der Dido für Aeneas, Homer beschreibt das Gastmahl des Alkinoos für Odysseus. Ich aber, wie soll ich, zum Kaiser eingeladen, dieses Mahl besingen?« (silv. 4, 2, 1–8). Daraus resultiert jedenfalls eine Reihe Alkinoos  – Dido  – Domitian auf Gastgeberseite,667 eine Linie Homer – Vergil  – Statius auf seiten der Dichter, und ferner Odysseus – Aeneas  – Statius als Reihe der jeweiligen Gäste: nicht unpassend, da Odysseus und Aeneas ja beide, wenngleich erst nach dem Essen, jeweils von ihren Taten erzählen, Statius hingegen, selbst Dichter von Beruf, sozusagen sein eigener (doch auch Domitians) Homer bzw. Vergil sein muß: Daß er damit die jeweils herausragendsten Poeten beider Sprachen bezeichnet, liegt auf der Hand und paßt zu Statius’ Selbstvergleich im Einleitungsbrief zu silv. 1, wo er für die Berechtigung kleinerer Dichtung auch aus der Feder großepischer Dichter auf die Batrachomyomachia und den Culex hinweist, also wiederum Homer und Vergil bezeichnet.668 Nun freilich, angesichts des kaiserlichen Stoffes, ist die Herausforderung eine epische. Daß die Kräfte dafür nicht reichen, versteht sich zumindest topisch von selbst, auch wenn Homers angebliche Heimat Smyrna und Vergils Heimat Mantua ihm Kränze winden sollten: non si … nectat …, 665 Zur Textkritik von contingere vgl. Coleman (1988), 85 f.; erwägenswert wäre evt. noch das von Watt (1992), 81, vorgeschlagene discumbere, das eine besondere Nähe zu Vers 10 herstellen würde; für weitere Vorschläge vgl. Liberman (2010), 325. 666 Völlig verfehlt freilich ist Vössings (2004), 313, an silv. 4, 2, 32sq. festgemachter Ansatz, es sei mit Statius Beschreibung der Veranstaltung »offensichtlich nicht die gegenwärtige Feier gemeint; Statius stellt sich dieses riesige Bankett nur vor.« Auch die »gegenwärtige« Feier stellt sich der physische Dichter Statius bloß vor, insoferne er sie sein alter ego im Text, den ›impliziten Statius‹, erleben läßt, aber daß der Sprecher im Text, mit dem impliziten Autor recht gut kongruent, sich in der Bankettszenerie, der er selbst angehört, noch eine andere imaginiert, ist nicht bloß unsinnig kompliziert, sondern auch im Text durch nichts angedeutet. 667 Rätselhaft ist mir, wie Leberl (2004), 171, dazu kommt, Statius »für seinen Helden Domitian als Referenz die mythischen Heroen Aeneas und Odysseus« bezeichnen zu lassen: Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß die beiden Gleichnisse in dieser Weise funktionieren. 668 Vgl. Johannsen (2006), 244 und 323.

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digna loquar ist allerdings im Potentialis formuliert, nicht im Irrealis669 – die Gleichstellung mit Homer und Vergil liegt also nicht außerhalb des Bereichs des Möglichen, bloß für den gegebenen Anlaß reicht selbst dieses eventuell nicht, glaubt der Sprecher sich doch in der Sternensphäre mit Jupiter bei Tisch zu liegen und von Ganymed bedient zu werden (10–12). In seinem Leben bedeutet dies einen Höhe- und Wendepunkt: hic limina vitae (13), eine Wendung, die neben haec aevi mihi prima dies (13) auch an das gelegentlich anzutreffende Motiv der Verjüngung des Dichters durch Bekränzung seitens der Musen erinnert.670 Auch das fügt sich zu den herbeigezogenen Mythen, bedeuten doch die jeweiligen Bewirtungen bei Dido bzw. Alkinoos in der Tat die entscheidenden Wendemarken für Odysseus, der mit Hilfe der Phäaken aus der Märchenwelt seiner Irrfahrten wieder auftauchen, und für Aeneas, der von Karthago aus geraden Wegs nach Italien segeln wird (vgl. Vers 2). Hinzu kommt noch eine weitere Parallele: Bei den beiden mythischen Gastmählern tritt, wie jedem antiken Rezipienten des Statius bekannt war, jeweils zunächst, d. h. als Hintergrunduntermalung zum eigentlichen Mahl, ein Berufssänger auf, Demodokos bei Homer, Iopas bei Vergil, und beide sind sie in gewisser Weise ein alter ego ihrer jeweiligen Autoren: Demodokos als ἀοιδός, der vom trojanischen Krieg singt (Hom. Od. 8, 499sqq.), Iopas, dessen naturphilosophisches Lied neben Lukrez schließlich auch Vergils Georgica und das Lied des Silens aus dessen sechster Ekloge berührt (Verg. Aen. 1, 742–746), jedenfalls also die Spiegelung des Autors im eigenen Werk vormacht. Das führt letztlich zu folgenden Gleichsetzungen:671 669 Zur Textkritik von adoratas … laures vgl. Håkanson (1969), 113; Coleman (1988), 86. 670 Vgl. Hardie (2003), 143 f., mit Verweis auf Schol. Bern. zu Verg. ecl. 6, 70. 671 Vgl. Nauta (2002), der sonderbarerweise die Parallelen zu Demodokos und Iopas für unbeabsichtigt erklärt, und Rühl (2006), 336 f., die als einzige den Versuch einer angemessenen Deutung dieser zwei polyvalenten Gleichnisse unternimmt. Ihre Schlußfolgerung, daß Statius damit in direkte Konkurrenz zu den großen Epikern tritt, ist ohne Zweifel richtig, ob aber die Pointe der beiden Gleichnisse wirklich – so Rühl, ebd. – vor allem im Zusammenprall von Fiktion (Homer, Vergil) und Realität (Statius) liegt, möchte ich, obwohl diese Facette zweifelsohne eine Rolle im Gedicht spielt, in Zweifel ziehen: Denn das harte ast ego, mit dem Vers 5 das Ich des Textes von den vorgenannten beiden Figuren abhebt, ist doch vor allem im Kontext der ausgesprochenen Frage »Wie soll ich dieses Ereignis hinlänglich be­singen, da ich, anders als meine mythischen Vorgänger, mehrere Rollen zugleich über­ nehmen muß?« zu sehen, die aber die Opposition Fiktionalität-Realität nur sekundär ins Spiel bringt. Überhaupt: Trug Statius sein Gedicht wirklich beim wirklichen Essen vor, dann war dieser Gegensatz ohnedies gegeben, gleich ob er darauf verwies oder nicht; für den Leser der publizierten Sammlung aber war und ist höchstens ein gradueller Unterschied zwischen der Fiktionalität des Phäakenmahls und dem der Veranstaltung Domitians, was wiederum ihrem Veröffentlicher jedenfalls klar war.  – Nicht restlos überzeugt mich auch Newlands᾽ Gleichsetzung der Opposition Palatin / Olymp mit dem Begriffspaar Realität / Fiktion (New­ lands [2002], 269): Denn weder möchte ich entscheiden müssen, wie weit die Existenz des olympischen Götterhimmels für Statius und seinen idealen Leser in gleicher Weise fiktiv ist wie beispielsweise die Handlung eines Romans à la Chariton fiktional ist (ich bezweifle es aber), noch scheint mir dem Sprecher des Gedichtes der Palatin etwas sonderlich Reales zu

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Alkinoos Odysseus Demodokos Homer Smyrna Dido Aeneas Iopas Vergil Mantua Jupiter/Domitian Statius Statius Statius –

Die in-eins-Setzung von Jupiter und Domitian, noch dazu explizit auf der Ebene der Sterne, ist dabei eine lineare Fortschreibung des schon zu silv. 1, 1 beschriebenen und auch in den übrigen panegyrischen Gedichten beobachteten Konzepts der Verankerung Domitians als Zentralfigur auf allen Seinsstufen: dazu unten mehr. Statius hingegen erfährt eine erstaunliche Multiplikation: Als im eigenen Gedicht auftretender Sänger ist er Demodokos und Iopas, als Autor des Textes (und darüber hinaus als Autor der Thebais) Homer und Vergil:672 die Diskrepanz zwischen dem Statius im Text bei Domitians Gastmahl und dem Statius, der das vierte Silvaebuch publiziert, ist hier also geschickt im Mythos verankert, und ihre schon oben festgestellte Betonung in silv. 4, 2 wird nun selbst in der Spiegelung im Mythos noch verstärkt. Davon getrennt erscheint Statius indes noch ein drittes Mal, als Gast bei Tisch nämlich, für den diese Einladung den Beginn eines neuen Lebens (limina vitae: 13) darstellt;673 wobei seine poetischen Entsprechungen jeweils wieder selbst sich als großartige Sänger entpuppen, Odysseus in seinen ἀπόλογοι, Aeneas in den Büchern zwei und drei der Aeneis. Schließlich kann man noch, wie Carole Newlands es in überzeugender, wenngleich meines Erachtens den darin liegenden Machtanspruch des Dichters etwas zu sehr ins Zentrum rückenden Weise tut, die Sprecherrolle des Gedichtes pindarisch definieren, also als Ewigkeit verschaffender Künstler gegenüber einem nach Ewigkeit (gewissermaßen: κλέος) strebenden Menschen, diesfalls dem Kaiser, sehen: Ich verfolge diese für meine Interessen nicht ausschlag­ gebende Interpretationslinie hier nicht weiter.674 Weiters fällt eine Fehlstelle auf: Mantua und Smyrna, explizit erwähnt, finden zunächst keine Entsprechung auf der Ebene des Statius. Neapel wäre als Heimatstadt zu erwarten, und in der Tat dürfte Statius dort auch in jüngeren Jahren einen Kranz errungen haben (silv. 5, 3, 225–227), doch diese Information hatte ein Leser des vierten Silvaebuches nicht unbedingt, jedenfalls nicht aus den uns erhaltenen Publikationen des Statius. Textimmanent wird eine andere Lösung nahegelegt und zugleich ein Hinweis darauf, worin die limina vitae für Statius konkret bestehen. Der Gedichtschluß nimmt Bezug auf Statius’ sein, jedenfalls nichts, was seiner normalen realen Lebenswelt angehörte – sonst würde er nicht darüber, daß er sich im Palast und vor den Augen des Herrschers wiederfindet, in derselben Weise staunen wie jemand, dem sich eine göttliche Epiphanie ereignet. 672 Zu Statius’ interessantem Verhältnis zu Vergil qua epischer Dichter vgl. Rosati (2008), 175–184 et passim. 673 Etwas zu weit geht Bek (1983), 101, die in den Versen 13 f. »a note of mystical religion« vernehmen will. 674 Newlands (2002), 263. 265. 272 f. 277–279. 282 f.

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Krönung beim Dichterwettstreit in den Albanerbergen (Troianae sub collibus Albae: 65)675 und stellt das durch Ascanius gegründete Alba, die Mutterstadt Roms, überdeutlich in die durch Homer (Smyrna) und Vergil (Mantua) bezeichnete Trojatradition.676 Jener Sieg lag nun schon einige Zeit zurück (longo post tempore: 64),677 und die seither verstrichene Zeit charakterisiert der Sprecher als Durststrecke (steriles transmisimus annos: 12). Nun also Rom, nicht Alba, und zwar keine Dichterkrönung, doch immerhin ein Abendessen als gleichwertiger Ersatz (63–67). Das läßt daran denken, daß Statius bei den kapitolinischen Spielen des Jahres 90 und / oder 94 zu seinem Ärger gerade nicht den Siegespreis errungen hatte:678 silv. 3, 5, 31–33, also dasselbe Gedicht, das auch die Übersiedlung nach Neapel präludiert, wies unmißverständlich darauf hin.679 Auch die 675 Auf diesen Sieg nimmt Statius auch anderweitig Bezug: silv. 3, 5, 28; 4, 5, 22; 5, 3, 227; vgl. Vollmer (1898), 19, Anm. 10, der für diesen Sieg in Alba eine Datierung auf März 90 vorschlägt; ähnlich Coleman (1988), xvii. 676 Motivlich nahe kommt silv. 5, 3, 51–63: Das Ich malt sich aus, wie es auf seinem Landgut in Alba poetische Festspiele zu Ehren seines toten Vaters veranstalten, dabei eigene Dichtungen vortragen und dafür durch die personifizierte pietas Homer und Vergil gleichgestellt werden würde (vgl. u. 409–414). Daß diese Äußerung im Zusammenhang von Statius’ Sieg beim Literaturwettbewerb in Alba und seiner Niederlage in Rom zu sehen ist, liegt auf der Hand, wenn auch unterschiedliche Deutungen denkbar sind, je nachdem man mehr die Opposition zur Niederlage bei den kapitolinischen Spielen oder die Parallelität zum Sieg bei den Albanischen betont. 677 Die Wendung ist, wie schon Garthwaite (1978), 132, anmerkt, vergilisch (ecl. 1, 29); eine gute Interpretation der Reminiszenz bietet Newlands (2002), 281 f.: Statius parallelisiere sich mit dem Tityrus der ersten Ekloge, dem von seiten des göttlichen Herrschers die (Weiter)führung seiner (dichterischen) Existenz ermöglicht wird. Es sei allerdings darauf hingewiesen, daß diese Interpretation auch anders ausfallen könnte, wenn man berücksichtigte, daß dieselbe Wendung im selben Gedicht Vergils in ganz anderem Kontext als Binnenzitat nochmals erscheint, in der Klagerede des Meliboeus (ecl. 1, 67): Von dort ausgehend käme man unschwer zu den oben skizzierten Gedanken zu Statius᾽ Weggang aus Rom und seiner Distanziertheit auch gegenüber Domitian. Vgl. auch Hardie (1983), 65 und 216, Anm. 59. 678 Vollmer (1898), 19, Anm.  11; Coleman (1988), xviif., neigt aus nachvollziehbaren Gründen dazu, das Jahr 90 für jene Niederlage anzusetzen, freilich ohne letztgültigen Beweis; vgl. Hardie (1983), 13 sowie (2003), 142–147 mit dem nicht von der Hand zu weisenden Vorschlag, es könne sich um zwei Niederlagen gehandelt haben. Klodts biographistische Deutung, die Niederlage in Rom sei der wahrscheinliche Grund für Statius’ Entschluß zur Rückübersiedlung in seine Heimat gewesen (Klodt [2005], 212), kann ich nicht mit gleicher Zuversicht teilen: jedenfalls nicht für den physischen Statius außerhalb des Textes, und auch für den textimmanenten Statius nur mit Vorbehalt, sind doch die Signale, die in diese Richtung gesetzt werden, recht dürftig. 679 Vgl. Garthwaite (1978), 137–144. Seiner dem Konzept der two-voices-Theorie geschuldeten Deutung, der saevus ingratusque Iupiter von silv. 3, 5, 32sq. sei auf Domitian zu beziehen, ist freilich entgegenzuhalten, daß Domitian als ›Jupiter vom Palatin‹ (vgl. u. I, Anm. 751) durchaus nicht identisch mit dem alten Jupiter des Kapitols ist, sondern im Gegenteil durch die Einbeziehung saturnischer Charakterzüge über jenen hinausgeht (vgl. o. 131–134 und 191 f.). Und die Züge, die dadurch verändert werden, sind gerade die für Zeus / Jupiter grundlegende saevitia und ingratia, denn der traditionelle Jupiter ist nicht unbedingt ›gerecht‹

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mythischen Exempla passen dazu: Sowohl Iopas als auch Demodokos ernten von ihrem Publikum (inklusive den anwesenden Majestäten) ja großen Beifall, den Statius nun wohl ebenfalls für sich in Anspruch nehmen möchte. Das zweimal im Gedicht erscheinende Motiv der Dichterkrönung (silv.  4, 2, 8–10 und 65–67) läßt es plausibel erscheinen, daß Statius mit steriles annos (12) bzw. longo post tempore (64) die Zeit seit seinem Sieg in Alba, die eben auch jene Niederlage bei den kapitolinischen Spielen einschloß, bezeichnet, eine Niederlage, die nun kompensiert wird, freilich in verschobener Form: der Palatin hat das Kapitol ersetzt.680 Die Kompensation hat indes einen sonderbaren Beigeschmack, wenn man nochmals das mythische Beziehungsgeflecht des Gedichtbeginns betrachtet. Zunächst sind die jeweiligen Gastgeber Dido und Alkinoos nur bedingt geeignete Entsprechungen für einen preiswürdigen Herrscher, bedeutet für sie doch der Besuch des Odysseus bzw. Aeneas eine Wende zum Schlechten: Das Schiff, auf welchem die Phäaken Odysseus nach Ithaka bringen, wird bei der Rückkehr in Sichtweite des Hafens durch den zürnenden Poseidon versteinert, ihre Stadt von hohen Bergen umgeben, d. h. ihrer Gastlichkeit für die Zukunft ein Riegel vorgeschoben; Dido begeht bekanntermaßen Selbstmord. Einer vorschnellen Deutung, daß aus Statius’ Bewirtung sich für Domitian Unheil ergeben werde, kann allerdings durch den Hinweis auf Domitians Jupiterrolle begegnet werden: als solcher ist er vor der Rache niedrigerer göttlicher Potenzen denn doch wohl sicher. Ein ungutes Gefühl aber bleibt – Statius hätte schließlich ebensogut in pindarischer Weise ein hyperboräisches Mahl, oder sonst ein ohne negative Folgen verlaufenes mythisches Fest zum Vergleich heranziehen und dem Anlaß, seinem Gastgeber und nicht zuletzt sich selbst durch das daraus entstandene Lied Ewigkeit versprechen können, anstatt auf jene poetologisch zwar ergiebigen, weil ihrerseits schon um das Vortragen von Dichtung gerankten, aber in ihren Implikationen doch recht fragwürdigen Szenen zurückzugreifen.681 Ferner gilt es zu bedenken, daß das Land der Phäaken und Karthago für Odysseus und Aeneas zwar die Endpunkte ihrer jeweiligen Irrfahrten sind, aber immer noch Bestandteile derselben: Weder gehört Odysseus zu den Phäaken, in einem absoluten Sinn: Ohne noch auf den griechischen Zeus und dessen menschlicher Begrifflichkeit bis zu einem gewissen Grad entzogenes Verhältnis zur Gerechtigkeit zu rekurrieren, sei auf den gerade hinsichtlich seiner iustitia besonders problematischen und problematisierten Jupiter in Statius’ Thebais hingewiesen: vgl. Schubert (1984), 253–258. Domitian als neuer, besserer Jupiter ist ein anderer Fall: daher die Einladung zum Essen; vgl. auch u. Anm. 803. 680 Vgl. allgemein Haensch (2012), bes. 271. 681 Sider (1995), 50, weist allerdings darauf hin, daß das Mahl der Phäaken ein wichtiges Motiv im Werk des Philodem von Gadara bildet. Dieser wiederum ist für Statius’ Dichtung allgemein möglicherweise ein wichtiger Bezugspunkt, wie u. 539–544 noch anzudeuten sein wird. Doch reicht diese motivische Vorliebe des Philodem kaum aus, die vorliegende Stelle zu erklären.

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noch ist Aeneas in Karthago am rechten Platz: beide werden sie von diesem letzten falschen Ort aus schließlich den richtigen, ihre alte Heimat erreichen: auch die Fahrt der Trojaner nach Latium ist ja ein antiquam exquirere matrem (Verg. Aen. 3, 96). Statius wiederum hat, als er das vierte Silvaebuch publiziert, sich in seine Heimat Neapel begeben, die er in silv. 3, 5 als sein Ithaka stilisiert hat.682 Woraus denn also folgt, daß sein langjähriger Wirkungskreis Rom, und genauer der Kaiserhof, eine Irrung, einen falschen Ort darstellte? Daß er als Gast in Rom zwar gut bewirtet wurde und vieles gesungen hat (wie Odysseus und Aeneas auch), aber dennoch hier nicht bleiben will? Steriles transmisimus annos. Der Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen,683 und die nun schon mehrfach attestierte Betonung der Diskrepanz zwischen Anlaßsituation und Publikationssituation des Textes (und des Autors) in silv. 4, 2 vertieft sich damit vollends zum Graben. Statius, dem Carole Newlands so oft »anxiety« bezüglich Domitian und seiner Herrschaftsausübung nachweist,684 hatte zweifellos ein feines Gespür für gesellschaftliche Stimmungslagen. Es kann ihm nicht entgangen sein, wie in den letzten Jahren bzw. Monaten der Regierung Domitians in Senats- und Palastkreisen, d. h. in Kreisen, mit denen Statius vielfachen Kontakt hatte, die Opposition gegen den princeps immer forscher und bestimmter wurde, während der Handlungsspielraum des letzten Flaviers sich offenbar verengte oder wenigstens nicht geschickt genug genützt wurde. Man wird nicht so weit gehen wollen, anzunehmen, daß Statius mit seinem Text Domitian als dem Untergang geweiht bezeichnet, auch nicht, wenn in Vers 17 per Zitat noch König Latinus als weiterer Vergleichspunkt, und wiederum als einer mit tragischem Ende, hinzukommt (vgl. u. I, Anm. 710); doch daß für Statius Rom ein falscher Ort, die Heimat Neapel der richtige ist, liegt auf der Hand. Besonders bemerkenswert, daß im nächsten, dem dritten und letzten panegyrischen Gedicht des vierten Buches (silv. 4, 3) Domitian seinerseits Rom verlassen und sich nach Neapel aufgemacht haben wird, sogar beschleunigt durch eine neugebaute Straße: Ist Rom etwa auch für den Kaiser nicht unbedingt mehr der richtige Ort? 682 Vessey (1976/77), 139. 683 Jedenfalls meines Erachtens. Vessey (1983), 209, betrachtet ganz anders die beiden mythischen Exempla des Gedichtbeginns als arbiträre, belanglose Bilder: »The emperor had little or nothing in common with his epic prototypes, save the fact of sovereignity, just as Statius is no Aeneas or Ulysses: the general parallels, apt enough from a strictly literary point of view, are otherwise tangential. The poet had no fateful journey in front of him, …« – Letzteres ist falsch, sonst hätte Statius seinen Abgang aus Rom nicht im textuellen Vorfeld von silv. 4, 2 so klar ausgebreitet, und was das für ein »strictly literary point of view« sein soll, der Parallelen zwischen jenen zwei detailliert entworfenen und allgemein sehr bekannten mythischen Szenen und dem historischen Kontext von silv. 4, 2 sieht, die Divergenzen aber übersieht, will sich mir nicht recht erschließen. Völlig zustimmenswert aber Vesseys ebd. getroffene Feststellung, das gesamte Bankett in der Darstellung des Statius sei »a living myth«. 684 z. B.: Newlands (2002), 271; (2012), 6; in extremer Weise, die ich freilich nicht mehr restlos nachzuvollziehen vermag: (2002), 286–325: dazu u. I, Anm. 845.

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Ein Zwischenmonendum scheint angebracht: Es wäre übereilt, aus diesen Dissonanzen darauf schließen zu wollen, daß Statius das Gedicht nicht, oder nicht in der überlieferten Form, Domitian selbst zu Gehör gebracht haben kann. Freilich: Daß er es überhaupt vortrug  – beim Essen, und im Liegen? Einem Kaiser, der irgendwo zwischen den Klinen herumschlendert, oder irgendwo in Hörweite auf seiner eigenen liegt, oder freundlich schnell auf der Nachbarkline Platz genommen hat, um dem Dichter drei Minuten (etwa so lang dauert der Vortrag des Textes mindestens) zu widmen? Keine Idealsituation für eine Rezitation!685  –, ist weder besonders wahrscheinlich noch besonders unwahrscheinlich, schlicht unbeweisbar.686 Doch ähnlich der ›Stimme aus dem Volk‹ in silv. 1, 1, die mit ihrem danebengegangenen mythischen Exempel (vgl. o. 61–66) das kaiserliche Ohr weder beleidigen will noch beleidigt, könnte auch der kleine, zum Herrscher nur senkrecht von unten aufblickende Untertan Statius eine gewisse Ungeschicklichkeit angesichts der Majestät für sich in Anspruch nehmen – zum Beispiel. Auch sind diese scheinbar unpassenden mythischen Elemente dem Kaiser gegenüber nicht drohend, frech oder heraus­ fordernd, denn sie lassen sich letztlich auf die Festellungen reduzieren, daß Domitian ein idealer Gastgeber ist, der Gast aber dennoch an diesen Ort nicht gehört, sondern in seine Heimat strebt. Einzig der alte Ärger über die Niederlage beim kapitolinischen Wettkampf steht noch im Raum: Doch den kompensiert ja expressis verbis die besungene Festivität auf dem Palatin. Es lag mir daran, diese spezielle Note von silv. 4, 2 als erstes vorzuführen, weil sie, Anfang und Schluß des Gedichtes beherrschend, meines Erachtens wie eine getönte Scheibe wirkt, durch die alle übrigen Facetten des Textes zwar nach wie vor unbehindert sichtbar sind, indes stets ein wenig verschoben im Farbspektrum. Selbstverständlich ist silv.  4, 2 ein εὐχαριστικὸς λόγος, eine gratiarum actio, und damit ein relativ typisches Produkt römischer Gesellschaftsverhältnisse, speziell des Patronagesystems in seinen verschiedenen Ausprägungen.687 Selbstverständlich führt silv.  4, 2 mustergültig die Anverwandlung einer solchen gratiarum actio unter den Prämissen des Repräsentationswollens Domi­ tians vor.688 Und selbstverständlich ist silv. 4, 2 eines jener Kabinettstückchen, mit denen Statius seine Fähigkeit unter Beweis stellt, aus einem festlichen Anlaß 685 Vgl. u. 237–238. 686 Einige Überlegungen dazu bei Coleman (1988), 83 f.; fix mit mündlichem Vortrag im Unterschied zu den übrigen panegyrischen Gedichten rechnet Leberl (2004), 90, 109 f. und 169 f., vorsichtiger ebd. 130. Gegenteiliger Ansicht sind Nauta (2002), 336, und, besonders ausgewogen formuliert, Newlands (2002), 272. 277. 283. Nauta (2002), 358, beobachtet richtig das Schwanken zwischen zweiter und dritter Person, wenn vom Kaiser die Rede ist, und das zwischen Präsens und Vergangenheit hinsichtlich des geschilderten Banketts. Daß dadurch die Deixis unklar wird, sei zugestanden, doch ist daraus kein zwingender Beweis gegen eine Rezitation beim Mahl abzuleiten, wie Nauta (ebd.) es versucht. 687 Coleman (1988), 82; Nauta (2002), 335 f. 688 Dazu Vessey (1983), passim.

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und speziell aus dem ›setting‹ eines solchen Anlasses pointierte Gedanken und Bezugnahmen abzuleiten, also Dinge, die dem Publikum gut vertraut waren, einfach ein wenig besser zu sehen und ein wenig besser zu beschreiben.689 Doch all diese Aspekte werden merkwürdig relativiert, wenn wie hier das Ich zum besungenen Anlaß zugleich in Distanz tritt. Denn so eng, daß er sich einen Scherz à la Hor. epod. 3 hätte erlauben können, war das Verhältnis zwischen Statius und Domitian keinesfalls,690 und gerade silv.  4, 2 zeigt bei aller räumlichen Nähe die ungeheure persönliche Distanz zwischen dem poetischen Ich und seinem Kaiser.691 Die zeitlich nächstliegende überlieferte gratiarum actio, der Panegyricus des jüngeren Plinius an Trajan, zeigt vielmehr, welche Sprechhaltung ein solches panegyrisches Ich normalerweise (und begreiflicherweise)  einzunehmen hatte – und da ist von solcher Distanzierung keine Spur. Ich wende mich nun der räumlichen Situation im Text zu. Die unter anderen Gesichtspunkten soeben kursorisch besprochene Einleitungspassage (silv.  4, 2, 1–17) bringt zunächst nur einzelne, weniger den Raum umreißende als präliminarisch die in ihm gegebene Situation andeutende Elemente: Das Ich bezieht sich auf ein Gastmahl (5sq.), das offenbar gerade im Gange ist (Präsens in Vers 10sq.: videor discumbere … sumere) und im selben Atemzug (10sq.: in astris / cum Iove etc.) bereits überhöht wird: Manfred Clauss spricht zutreffend von einem »heiligen Bankett«.692 In dieselbe Situation gehört, wie das klar mit discumbere deckungsgleiche, doch die Untertänigkeit stärker hervorkehrende iacens (16) zeigt, die mit dem Sprechakt des fiktiven Sprechers gleichzeitig gedachte Wahrnehmung (cerno: 16) des gleichsam pleno titulo angesprochenen, gegenwärtigen Kaisers.693 Die beiden solcherart angeschlagenen Motive der Wahrnehmung des Kaisers höchstpersönlich und aus der Nähe (tene ego in Iuxta­position als Beginn einer dreifachen Anrede im Hymnenstil:694 14sq.; iuxta datur ora tueri: 16) und der liegenden Position des Ich (non assurgere: 17) werden abschließend nochmals zusammengefaßt. Die Präsenz des Kaisers dominiert alles und läßt Antworten auf berechtigte Fragen nach dem Wo und Wie

689 Bishop (1966), 27.  – Von der Sprechsituation her am nächsten kommt dem Gedicht wohl Lukians De domo, das allem Anschein nach als προλαλία zu einer oder mehreren Festrede(n) diente und auf die Ausstattung des prunkvollen Saales, worin sich all dies abspielte, eingeht, getragen von einem Grundtenor des Typus ›Wer solch einen Saal sieht und selbst ein kunstsinniger Mensch ist, wie könnte er darauf verzichten, dieses Bauwerk zu ­preisen?‹ 690 Nauta (2002), 335 f.; Leberl (2004), 344. 691 Newlands (2002), 262 f. 272. 692 Clauss (1999), 277; vgl. Cancik (1965), 69: »sacra cena«; vgl. die Übersicht bei Leberl (2004), 170. 693 Vessey (1983), 210: »an abbreviated aretalogy of the Lord of the Earth«. 694 Sauter (1934), 75 f.

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des geschilderten Ereignisses zurückgestellt werden.695 Radikaler noch als am Beginn von silv. 1, 1 also wird auch hier zuallererst der Kaiser, diesmal sogar leibhaftig, in den Blick genommen und sekundär erst lokalisiert, doch mit dem Unterschied, daß silv. 1, 1 bereits im zweiten Vers mit Latium … forum eine erste Basisinformation zum Schauplatz bietet, silv. 4, 2 hingegen siebzehn Verse lang darauf warten läßt. In diesem Zusammenhang sei kurz auf die leidige Frage hingewiesen, wo konkret man sich Domitian bei einer Veranstaltung wie der geschilderten zu denken hat. Paul Zanker etwa vertritt die Auffassung, für Domitian seien separate Klinen jeweils in der Apsis der großen Säle reserviert gewesen, von denen der Kaiser, im Laufe des Mahls von einem Raum in den nächsten wechselnd, entsprechend Gebrauch gemacht habe.696 Konrad Vössing teilt die Ansicht von der wechselnden Position des Kaisers, freilich habe dieser sich dezidiert unter die Gäste gemischt.697 Abgesehen davon, daß zwischen beiden Hypothesen jede graduelle Abstufung denkbar ist – Domitian kann selbstverständlich einen Ehren­platz in jeder der Apsiden gehabt, aber auf dem Weg von der einen zur anderen hier und dort ein paar Minuten unter den Gästen Platz genommen haben (zum Beispiel) –, gilt es vor allem zu bedenken, daß nicht das historische Verhalten des echten Domitian aus Statius’ Text zu entnehmen ist (jedenfalls nicht direkt), sondern nur jenes Verhalten, das die Ich-Instanz des Textes, also ›Statius‹, am im Text konstruierten ›Domitian‹ beobachtet. Und dieser ›Domitian‹ kann vina inter mensasque wahrgenommen werden (silv. 4, 2, 17), ›mitten unter Weinen und Tischen‹, noch dazu von einer Wahrnehmungsinstanz, die liegt, anstatt sich in Gegenwart des Beherrschers respektvoll erheben zu müssen, wie es in Stat. Theb. 1, 203–205 selbst die Götter in Jupiters Gegenwart tun, bis er sie dezidiert auffordert, platzzunehmen.698 Es ist egal, ob man diese etwas schiefe Juxtaposition von zwei auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen angesiedelten Begriffen aus dem Bankettkontext als ›zwischen Weinen und Speisen‹ bzw. ›zwischen den Gängen des Essens und dem Kreisen der Becher bei der anschließenden comissatio‹ auflöst,699 oder ob man vina metonymisch für ›Pokale‹ und 695 Vessey (1983), 214. 696 Zanker (2006), 95 (mit den dafür herangezogenen Stellen, die freilich alle nicht zwingend sind); vgl. Newlands (2012), 22. 697 Vössing (2004), 313. 698 Den Hinweis auf die Stelle verdanke ich Shearer Duncan (1913), 30 f.; vgl. Schubert (1984), 75–79. – Zu den Implikationen des Sitzens oder Stehens des Kaisers oder der Unter­ tanen in der frühen Kaiserzeit vgl. Stenger (2012), 153. 699 So ungefähr Vössing (2004), 313 f. mit Anm. 3, und 467 f., Anm. 3; vgl. ebd., 349–352 und 468–470. Vössing tendiert dazu, Statius auf präzise Banketterminologie festnageln zu wollen, und leitet aus der Wendung inter mensas, die er als Synonym für inter cenam versteht (d. h. mensae als ›Gänge, Tranchen‹, vina als comissatio: beides somit Bezeichnungen konkreter Phasen im Ablauf eines Banketts; übersehen ist dabei, daß nach Suet. Dom. 21 Domitian Veranstaltungen wie die bei Statius geschilderte üblicherweise ohne comissatio durchführte,

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allgemein jede Form von (Trink- und Eingieß-)gefäßen nimmt und die beiden Begriffe ›Becher und Eßtische‹ pars pro toto für das gesamte zum Essen gehörende Mobiliar und Geschirr stehen läßt, wodurch eine Raumausstattung bezeichnet wird, die erstens jeder Leser aus seiner eigenen privaten Lebenswelt kennt, und in welcher denn zweitens die Gegenwart des Kaisers umso überraschender wirkt, erlebt man ihn doch sonst, wenn überhaupt, nur in offizielleren Kontexten. In beiden Fällen, stärker vielleicht noch im zweiten, beschreibt gerade die leichte Schieflage der Junktur vina inter mensasque die Gesamtheit der Szenerie der Essenden und Trinkenden, und mitten in dieser Szenerie (inter ist das wesentliche Wort) befindet sich ›Domitian‹: also doch wohl nicht allein und unnahbar in der Apsis. Wo immer auch der physische Domitian im aktualen Speisaal sich aufhielt. Es gilt freilich hier wie überall, daß Panegyrik Dinge selektiv und überzeichnend, aber kaum frei erfunden bzw. in völligem Widerspruch zur Realität stehend darstellen kann. Will man Statius also nicht einen panegyrischen Kunstfehler attestieren, so kann man vorsichtig den Schluß ziehen, daß auch in der Realität Domitian wenigstens einzelne leutselige Anwandlungen zeigte und nicht entsprechend dem aus dem Panegyricus des jüngeren Plinius erschließbaren Bild ausschließlich separiert von allen Gästen diese tyrannisch belauerte,700 oder regelmäßig solchen Anwandlungen von schwarzem Humor nachgab, wie sie Cassius Dio 67, 9 schildert – notabene in einem Tonfall, der klar das Referat einer anekdotischen, kuriosen Begebenheit, mithin eines vereinzelten Vorkommnisses verrät; noch dazu eines insgesamt höchst unglaubwürdigen.701 was Vössing an anderer Stelle [ebd., 468, Anm. 2] sehr wohl berücksichtigt), die Bedeutung ›zu einem konkreten Zeitpunkt während der cena‹ im Unterschied zu einem (gedachten) super cenam ›die ganze cena hindurch‹ ab: Der Kaiser erscheine der Ich-Instanz also (nur) zu einem bestimmten Zeitpunkt, und auf diesen beziehe sich auch das non assurgere von Vers 17 (Vössing, ebd, 313, Anm. 7). Letzteres ist ohne weiteres einleuchtend, bloß bedarf es dazu keiner so heftigen Belastung der Formulierung ›inter mensas‹, die m. E. als (more mathe­ matico zu denkender) Beweis für die Richtigkeit einer ohne weiteres plausiblen Auffassung (und mehr als Plausibilität wird man nicht erzielen wollen) nicht taugt: immerhin lautet der Text eben nicht inter cenam, sondern inter mensas, und mensas muß keineswegs zwangsläufig eine zeitliche Phase bezeichnen, sondern kann ebensogut proprie zu verstehen sein. Der Zeitpunkt aber, zu dem ein non assurgere erwähnenswert ist, definiert sich einzig durch das Erscheinen des Kaisers, nicht durch die organisatorische Abfolge einzelner Bankettphasen. Vössings präzise Beweisführung schwächt seine Hypothese also nur, weil sie den Eindruck erweckt, daß diese ohne sie nicht plausibel sei – sie ist es aber sowieso, wie seine Ausführungen ebd. 349–352. zeigen. 700 Plin. paneg. 49, 6; vgl. Vössing (2004), 349 f., Anm. 5 f.; Gering (2012), 182–185. 701 Cass. Dio 67, 9, 1 (anschließend an die Beschreibung einer Volksbelustigung ähnlich der in Stat. silv. 1, 6 geschilderten): Τὸ μὲν οὖν πλῆθος οὕτως τότε ἐδείπνισεν, αὖθις δὲ τοὺς πρώτους τῆς γερουσίας καὶ τῶν ἱππέων τόνδε τὸν τρόπον …: Die Wörter τότε und αὖθις zeigen, daß Dio von einmaligen Ereignissen spricht, die man also im Gegensatz zu Jones (1994), 334 lieber nicht verallgemeinern wird. Zur Glaubhaftigkeit dieser Geschichte vgl. u. 272–276.

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b) silv. 4, 2, 18–37 Der Raum, dessen Schilderung solcherart hinausgezögert wurde, ist nun von vorneherein als ein die irdische Sphäre – jedenfalls in der Wahrnehmung des Sprechers bzw. deren (theoretisch simultaner) Deutung durch ihn – transzendierender göttlicher / astraler markiert.702 Das Prinzip der auf mehreren Ebenen bedeutsamen Räume in der Kaiserpanegyrik ist dem Leser spätestens seit dem Equus Maximus im ersten Buch geläufig, doch während es dort durch close reading und re-reading aus dem Text zu erarbeiten war, liefert silv. 4, 2 umgekehrt diese Deutung des Raumes noch vor dem Raum selbst. Was indes wie eine simple Umkehrung aussieht, bloße technische Variation eines handwerklich versierten Dichters, führt zu einer wesentlichen Veränderung der Darstellungsweise des Raumes. Im Gegensatz zur außerordentlich präzisen und detailreichen Beschreibung des Forums in silv. 1, 1 liefert silv. 4, 2, 18–37 eine betont impressionistische Serie von Einzeleindrücken, ohne jeden Anspruch darauf, dem Leser dadurch eine ›Beschreibung‹ der Lokalität im technischen Sinn in die Hand zu geben.703 Ob es die Präsenz des Kaisers ist, der alles überstrahlt und unwichtig erscheinen läßt, oder ob man produktionsästhetisch geltend machen will, daß es im Falle eines wirklichen mündlichen Vortrags an den Kaiser einigermaßen albern gewesen wäre, diesem eine minutiöse Beschreibung des Palastes zu rezitieren, in welchem sich Kaiser und Vortragender ohnehin gerade befanden und den der Kaiser zweifellos besser kannte als der Dichter,704 wohingegen interpretierende Hinweise auf einzelne Elemente des beide umgebenden Raumes eine situationsadäquate Würdigung der kaiserlichen Bautätigkeit und ein Beweis, deren Aussageabsicht im gewünschten Sinne verstanden zu haben, sein konnten: Dem Leser der publizierten Sammlung jedenfalls bietet sich damit die Möglichkeit, die bei der Lektüre von silv. 1, 1 eingeübten und in 1, 6 und 4, 1 wiederholten Denk­ figuren raumbezogener Panegyrik nun an einem Musterbeispiel mit vorangestellter Lösung erneut zu erproben und, wie zu zeigen sein wird, weiterzuspinnen. 702 Eine vom Ansatz her ähnliche Darstellung des Palatin hat schon Ov. trist. 3, 1, 33–68: vgl. Miller (2002), 131–139. 703 Vessey (1983), 216. 704 Die gleiche Begründung wird man auch dafür heranziehen, daß Statius im Unterschied zu anderen auf Gastmähler bezogenen Texten keine Details zu den servierten Speisen bietet: Vössing (2004), 313 f., Anm. 8, unter Rückverweis auf Coleman (1988), 83 f., leitet daraus ein Indiz dafür ab, daß das Gedicht vor dem tatsächlichen Essen verfaßt worden sei. Das ist möglich, aber wie wahrscheinlich wäre es andererseits, daß ein Gast seinem Gastgeber die Liste der gerade genossenen Speisen vorsingt, um ihn zu preisen? Das argumentum ex s­ ilentio funktioniert also hier nicht, auch nicht ein Verweis auf die Speisenauflistung in silv. 1, 6: Dort ist immerhin nicht der Kaiser direkt angesprochen, sondern ein innerer Monolog von (oder ein Gespräch zwischen) Besuchern der Festivität formuliert, der erst in den letzten Versen sich an den Herrscher richtet.

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Wichtig an dieser quasi-Beschreibung des Raumes ist zunächst eine Fehlstelle: Es gibt keine Bewegung des Ich im Raum, weder im Rahmen seines Sprechens noch außerhalb davon, wenn man von dem aus den Versen 5sq. und 32sq. ableitbaren Umstand absieht, daß das Ich in den fraglichen Raum zu Tisch geladen wurde und also auf irgendeine Weise von außen dorthingekommen sein muß, ihn auch mutmaßlich wieder verlassen wird. Gerade für die Beschreibung von Gebäuden, fast gleichgültig welcher Ausführlichkeit, ist ein durch alle Literaturen und alle Epochen der Literatur gleiches Schema längst fest­gestellt, das des fiktiven Gangs zum und durch das Gebäude, und eventuell auch wieder aus ihm hinaus.705 Das Schema resultiert letztlich aus der Vorstellung vom in der Opposition von Drinnen und draußen grundgelegten ›Containerraum‹ als B ­ asis räumlicher Vorstellung einerseits, und aus kognitionspsychologischen Konstanten (insoweit es über Jahrtausende psychologische Konstanten gibt) andererseits, und Statius selbst spielt nicht bloß in silv. 1, 3 und 2, 2 virtuos damit, sondern organisiert selbst den Beginn des Equus Maximus als implizite An­ näherung an das immer deutlicher zu erkennende Monument.706 Umso auffälliger, daß in 4, 2, wo mit dem Innenraum eines Palastes als Ereignisraum ein geradezu klassischer Anlaß für eine konventionelle Hausbeschreibung vorläge, die wahrnehmende Instanz sich dem Gebäude nicht annähert, es nicht betritt, den Weg zum Speisaal nicht zurücklegt, sich in ihm nicht vom Fleck ­bewegt und auch keine Anstalten macht, ihn wieder zu verlassen.707 Sie liegt einzig auf 705 Dazu ausführlicher u. 493–499. 706 Vgl. o. 76. 707 Einzig Klodt (2001), 45–47, glaubt, in den Versen 18–26a eine Beschreibung des Palasts von außen, in 26b–31 eine des Inneren erblicken zu können. Das ist insoweit zutreffend, als die Verse 18sqq. gewissermaßen grundsätzliche Angaben zum Gebäude machen (es ist sehr groß, hat Säulen, bildet ein Äquivalent zum Kapitol und wird von Domitian erfüllt), erst die Verse 26sqq. unverkennbar und nur den Innenraum betreffen. Daß aber 18–26 ausschließlich das Äußere beschreiben, vermag keines von Klodts sprachlichen Argumenten zwingend zu erweisen, im Gegenteil läßt sich tanta patet moles (23) wegen des nicht unbedingt Außenmaße bezeichnenden patet mindestens so gut auf den Innenraum beziehen, denn der steht schließlich offen (patet); und ebenso heißt amplexus (24) nicht ›überdecken‹, wie in Klodts Übersetzung (ebd., 46), sondern ›umfassen‹ (richtig: ebd., 50), was wiederum den Innenraum betrifft. Auch die Formulierung, das Beschriebene sei größer als ein freies Feld (23sq.), paßt besser zum Inneren, für den solches ein Adynaton und damit etwas Hervorhebenswertes ist, als zum Äußeren des Palastes, bei welchem der Vergleich ins Leere liefe: Niemand vergleicht ein aufragendes Gebäude als Ganzes mit einer flachen Wiese, wenn aber die Bedeutung intendiert sein sollte, daß die Grundfläche des Palastes (also seine zweidimensionale Erstreckung) größer sei als ein campus (so Klodt, ebd., 46 mit Anm. 38, und 59), so wäre das strenggenom­men nicht einmal sehr viel, denn im Rom der Flavierzeit stehen zahlreiche Gebäudekomplexe, die tausende von Quadratmetern bedecken. Schließlich ist auch dem Vergilzitat des Verses 18 (Aen. 7, 170), das Klodt (ebd., 46) ganz konkret auf den Kolonnadenvorhof des Flavierpalastes bezieht, nichts Dezisives zu entnehmen, denn auch bei Vergil bleibt unklar, ob mit centum columnis lediglich Säulen an der Außenseite gemeint sind oder die Gesamtheit der Stützen (und man darf mit Recht daran zweifeln, daß Vergil dazu überhaupt eine dezidierte Meinung

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ihrer Kline, bleibt also an einem fixen Punkt und nimmt von dort aus einzelne Elemente der Innenschale dieses im Gegensatz zum vollkommen passiven menschlichen Publikum durch den Kaiser und seine helfenden Gottheiten (11sq.; 32–37) durchaus belebten Raumcontainers in den Blick: ein Ansatz, der wieder einmal zeigt, wie un-episch und zugleich fast-episch die Silvae sich geben: Ich habe o. 30–33 versuchsweise von a-narrativen Novellen gesprochen, und hier nun liegt die Ichinstanz bei Tisch wie Odysseus bei den Phäaken, doch ohne die Einbettung in die Narration des Epos, und auch ohne selbst den Mund zur Narration seiner ἀπόλογοι zu öffnen. Die Kline, auf der der textimmanente Statius liegt, ist die Schwelle zur Narration, auf welcher die Silvae verharren. Übrigens kann dieses Liegen durchaus eine symbolische Komponente haben: Mag das ­Daliegen des Ich auch einen Hinweis auf besondere Wertschätzung seitens des anwesenden Herrschers enthalten (non assurgere fas est: 17), so kann das Liegen in Anwesenheit eines Oberen doch auch einen Unterwerfungsgestus bedeuten, am deutlichsten sichtbar in der der Kaiserzeit wohlbekannten, wenngleich nicht zu allen Zeiten gleich intensiv praktizierten προσκύνησις.708 Unvermittelt, wie das Ich und mit ihm der Leser sich in jenem Innenraum wiederfinden (zum Schaden der Archäologie übrigens, für welche gerade die Frage nach dem Zugang zum flavischen Kaiserpalast nach wie vor ein heikles Problem ist),709 setzt mit Vers 18 seine Beschreibung (cum grano salis) ein. Das Gebäude hatte). Vor allem aber befindet sich die Ich-Instanz schon vom ersten Vers an im Gebäude­ inneren und bezieht sich in den Passagen 1–17 und 26b–67, wo immer vom Gebäude die Rede ist und deiktische Begriffe die Position des Ich im Verhältnis zu ihm definierern, immer nur auf das Innere, ohne aber an den Übergängen von 17/18 und 26a/26b anzudeuten, daß nun die Perspektive wechselt. Wenn Klodt (ebd., 47) also ­Statius’ Palastbeschreibung in das geläufige und bei Statius anderweitig geflissentlich verwendete Haus­beschreibungsschema ›Annäherung der Ichinstanz an das Gebäude – ­Eintreten – ­Beschreibung des Inneren‹ (dazu u. 494) einpassen will, so sträubt sich leider der Text dagegen: Ein Eintreten gibt es nicht, die Annäherung von außen (also 18–26a in Klodts Interpretation) wird als solche nicht deklariert, es gibt überhaupt keine eine passende Bewegung zum Ausdruck bringenden Verben, kurz: Es fehlt (leider, wie ich zugebe) buchstäblich alles, was in solch einem Fall nötig wäre, um den Leser ›an der Hand zu nehmen‹ und ihn die notwendigen Standpunktwechsel des Ich mitvollziehen zu lassen. Konsequent spricht auch Rühl (2006), 335 (vgl. ebd., 337 f.) für die Verse 18–37 von ›impersonaler Perspektive‹, womit vor allem jene grundsätzlicheren Aus­ sagen zum Palast in 18–26a gemeint sein dürften, die eben gerade nicht deiktisch markiert sind. Der Sprecher also bleibt unentwegt im Inneren und macht in seinen Aussagen über den Palast gerade einmal Gebrauch von dem prinzipiellen Schema ›vom Großen zum Kleinen‹ bzw. ›vom Gesamteindruck zum Detail‹, wobei freilich qua ›Gesamteindruck‹ bzw. ›Großes‹ die jeweils eine Hälfte nicht ausschließlich auf das Innere festzunageln ist, ohne daß daraus aber ein Standpunktwechsel resultierte. 708 Vgl. Newlands (2002), 272. 709 Konventionell, doch etwas zu zuversichtlich angesichts des Ergrabungszustandes ­Packer (2003), 177. Nicht uninteressant nach wie vor der Vorschlag Finsens (1969), 9 f., der das normale Publikum (zu dem auch Statius zu zählen ist) über die der Domus Flavia im Nordosten und Nordwesten vorgelagerte Terrasse direkt in die großen Säle oder  – sicher-

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(tectum: schon mit dieser geläufigen Metonymie wird besonders die obere Partie des Raums in den Blick genommen) ist augustum, erhaben-kaiserlich, und riesengroß (ingens: 18). Der Vers ist ein ungewöhnlich umfangreiches Vergil­zitat aus der Beschreibung des Palastes des Latinus (Aen. 7, 170: tectum augustum, ingens, centum sublime columnis),710 leicht abgewandelt zu non centum insigne columnis mit dem Nachsatz sed quantae superos caelumque Atlante remisso /  sustentare queant (19sq.). Friedrich Vollmers lapidarer Kommentar zur Stelle, der quantae als quot versteht fand, soweit ich sehen kann, seither durchwegs Anerkennung,711 obwohl bereits Otto Stange mit guten Gründen dagegen aufgetreten war.712 Es spricht in der Tat nichts für eine solche Auffassung: Der Duktus des Textes verlangt lediglich nach einer Überbietung, doch nicht unbedingt nach einer hinsichtlich der Hundertzahl: Immerhin wird nach klassischer Vorstellung der Himmel ja eben von dem einen mächtigen Atlas getragen, nicht von einer Vielzahl von Stützen: Eine Überbietung des Atlas kann also sinnvollerweise gerade nicht darin bestehen, ihn durch eine meinetwegen enorme Anzahl von für lich die e­ legantere Lösung – durch das oktogonale vestibulum in der Mitte der Nordwestseite ins ­Peristyl und weiter in die Säle gelangen läßt. In diesem Fall sah Statius vom privateren Teil des Palastes, der Domus Augustana, buchstäblich nichts, was zur Absenz entsprechender Andeutungen im Text immerhin paßt. 710 Newlands (2002), 271, will darin einen Hinweis auf die Fragilität der Herrschaft Domitians erblicken, denn Aeneas brachte Latinus immerhin mehr oder minder den Untergang. Das ist zu relativieren: Erstens endet Latinus selbst zwar tragisch, seine Tochter ­Lavinia aber wird zur Stammutter Roms werden. Zweitens führt eine solche Leseweise gefährlich nahe an, wenn nicht schon über jene Grenze, die Nauta (2002), 425 f. für das interpretato­ rische Grundsatzabkommen zwischen Autor und Rezipient panegyrischer Literatur skizziert hat (vgl. o. I, Anm. 52). Drittens wäre nicht klar, wer im Statiustext eigentlich dem Aeneas entsprechen, von wem also die Gefährdung der Herrschaft des Domitian ausgehen sollte: Doch wohl kaum von der Sprechinstanz, dem Statius im Text? 711 Vollmer (1898), 447; Gaymann (1898), 30; ebenso Cancik (1965), 68 f. (dazu eine nicht ganz unverdiente Kritik: Kenney [1966], 332, der die Stelle freilich auch nicht besser deutet); Bek (1983), 101; Vessey (1983), 216; Wißmüller (1990), 100; Gibson-Delaine-Claridge (1994), 81 mit Anm. 27 (Versuch, die vermeintlich große Zahl der Säulen mittels mehrerer Säulenordnungen übereinander zu erhalten; in der Tat gab es mehrere Ordnungen, doch darauf bezieht sich der Gedichttext hier gar nicht); Darwall-Smith (1996), 196; Klodt (2001), 61; Newlands (2002), 268 f.; Frederick (2003), 215; Shackleton Bailey (2003), 251; Leberl (2004), 172; Zeiner (2005), 72 und 89 f.; Malamud (2007), 233; desgleichen Coleman (1988), 89, die etwas kryptisch von »paradoxical litotes« spricht und einige Parallelstellen anführt, von denen freilich Hor. carm. 1, 15, 10 und Prop. 4, 11, 12 eher Grenzfälle bilden. Doch gerade die übrigen angeführten Stellen, Stat. silv. 4, 3, 49 und Prop. 1, 5, 10, in etwas schwächerer Form auch Manil. 5, 170 und Luc. 9, 34, zeigen auch, daß von quanti für quot vor allem dann Gebrauch gemacht wird, wenn Verwechslungen, d. h. die eigentliche Bedeutung von quantus, nicht allzusehr nahe­liegen. Davon kann an der vorliegenden Stelle aber keine Rede sein: Vollmers Deutung ist also schon rein sprachlich bestenfalls möglich, aber keineswegs besonders wahrscheinlich. 712 Stange (1887), 20: »Immo quantae vocis propria vi servata ita rem explico: ›non centum quidem columnis tectum insigne est, sed (paucioribus, illis vero) tam crassis, tam altis, ut caelum sustentare queant‹.«

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sich allein genommen schwächlichen kleineren Trägern zu ersetzen, sondern der Ersatz muß selbst möglichst mächtig und idealiter als Einzelstück, oder jedenfalls unter Ausblendung der Anzahl, falls sie denn größer sein sollte, ausfallen. Auch ist mir kein einziges Gebäude der flavischen Zeit, und auch nicht der nächsten zeitlichen Umgebung, bekannt, in welchem man es als erstrebenswert, mithin preiswürdig erachtet hätte, einen Säulenwald zu errichten. Im Gegenteil: Die ­architektonische Aventgare der Zeit gefällt sich in der Konstruktion geo­metrisch komplexer Räume mit oft polygonalen, durch konvexe und konkave Rundungen belebten Grundrissen (also mit Wänden, die man aus allen möglichen Richtungen und insbesondere von der Raummitte aus sehen können soll und die ferner durch oft raffiniert gestaffelte Wandvorlagen und einen alles überziehenden Ornamentschmuck mit starken Licht-Schatten-Effekten gleichsam an optischer Kostbarkeit gewinnen),713 mit nicht-axialen Zugängen und dergleichen Raffine­ ments, zu denen als Leitmotiv vorhandene nicht erwartete sowie erwartete, aber verweigerte Durchblicksmöglichkeiten treten; doch sie zeigt wenig bis gar kein Interesse daran, Räume mit Säulen vollzustellen – worauf Vollmers Textverständnis aber hinausliefe.714 Einzig die wenige Jahre später errichtete B ­ asilica ­U lpia des Trajansforums zeigt einen solchen Wald aus immerhin 112  Säulen, noch dazu aus ägyptischem Granit anstelle konventionellen Marmors, kann aber nicht zum Vergleich herhalten: Ihre Breite von über fünfzig Metern war für die Antike durch eine freitragende Konstruktion kaum überspannbar, und außerdem folgte der Bau einem traditionell durch Serien von Säulenstellungen gekennzeichneten Typus. Ihm zuliebe nahm man es sogar in Kauf, daß die oft nachgeahmte Form des Gebäudes mit seinen beiden mächtigen Apsiden an den Enden sich einem Besucher im Inneren keineswegs besonders eindrucksvoll im Sinne architektonischen Raffinements präsentierte, erschwerten doch nicht weniger als drei Säulenreihen hintereinander den Blick aus dem mächtigen, doch ringsum optisch abgeschotteten Zentralschiff in die besagten Apsiden.715 Erst die Ent­deckung der Möglichkeiten, die Arkaden im Vergleich zum von den Griechen ­übernommenen 713 Vgl. Strocka (2010), 99: »Wenn sich in der Architektur der flavischen Zeit etwas ändert, dann ist es die Art der ›Verkleidung‹ des Baukörpers, seine Belebung, ja Verhüllung mit Säulenstellungen, verkröpften Gebälken, konstrastierenden Ordnungen, das Widerspiel verschiedener Reliefebenen und vor allem ein immer stärker wuchernder Schmuck der einzelnen Bauglieder.« 714 Besonders signifikant Grüner (2004), 144–160, der ausgehend von dem als »so viele« verstandenen quantae bei Statius eine regelrechte Wahrnehmungstheorie von Kolonnaden und Säulenwäldern entwickelt, bezogen just auf die Architekturmalerei des zweiten (sic!) Stils. Genau diese unzulässig überbrückte Diskrepanz von über hundert Jahren aber ist es, die den Unterschied zwischen Vergils centum columnis und Statius’ non centum columnis ausmacht. 715 Vgl. den Grundriß beispielsweise bei La Rocca (2001), 175, bzw. Meneghini (2001), Abb. 18a und 18b. Rekonstruktionszeichnungen, die in beschönigender Weise das Maximum an erreichbarem Durchblick durch die Säulenstellungen inszenieren bzw. sogar übertreiben, bieten Knoop-Rödl (2007), 107 f., Abb. 1.15 und 1.16.

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Kolonnadensysten boten, sollte der Spätantike jene atemberaubenden Raumschöpfungen ermöglichen, mit denen sie in Bauten wie San Lorenzo in Mailand, S. Stefano Rotondo in Rom oder San Vitale in Ravenna, doch auch in den großen christlichen Basiliken mit ihrer trotz Mehrschiffigkeit gewahrten optischen Transparenz die schon aus konstruktiver Defizienz stets beschränkten umbauten Räume der klassischen Antike weit hinter sich ließ.716 Auf diesem Stand ist die flavische Zeit gewiß noch nicht. Doch ihr Raumideal zielt offenkundig auf weite, gerade nicht von Säulenstellungen unterbrochene und kompartimentierte Räume.717 Schon ein Blick auf den Grundriß der flavischen Palastanlage auf dem Palatin beweist dies:718 Kein einziger der dort errichteten Räume folgt einem anderen Prinzip, und selbst in der sog. B ­ asilica 716 Es ist hier nicht der Ort, der Frage nachzugehen, wie weit antike Architekten eigentlich ihre Tätigkeit als das Schaffen von Räumen verstanden, wie heutige Architekten es üblicher­ weise tun – allerdings erst seit Gottfried Semper, wie Nerdinger (2012), 65–67 ausführt. Angesichts komplizierter, evident von innen nach außen geplanten Bautypen wie den Kaiser­ thermen oder den verschiedenen Arten christlicher Kirchen (Basilika, Zentralbau und Mischformen) würde ich für die Spätantike indes sehr wohl mit diesem Konzept rechnen. Dafür spricht auch die theoretische Durchdringung gerade des Kirchenbaus, die das Drinnen der Kirche schon in der Spätantike zum Äquivalent des Paradieses macht, den Innenraum also ganz massiv symbolisch bzw. allegorisch befrachtet und daraus wiederum Folgerungen für die Gestaltung der Architektur ableitet. Wer ein Stück Paradies schafft, schafft wohl auch einen Raum. 717 Meine Formulierung steht im Widerspruch zu Ott (2003), 120, wo es ungeniert heißt, in der römischen Architekturtheorie, verkörpert durch Vitruv (schon dazu ließe sich ­einiges anmerken), werde »Raum (spatium) nur als Zwischenraum zwischen Säulen gedacht«. In Anbetracht der hinsichtlich der Antike allgemein bodenlosen Qualität jenes Artikels scheint mir dieser Widerspruch unbedenklich; vgl. u. I, Anm. 728. – Interessant der Hinweis, den Hardie (2003), 132 f., auf das Odeum Domitians auf dem Marsfeld gibt: Selbst wenn dieser Bau möglicherweise im zweiten Jahrhundert noch eine Vergrößerung erfuhr, war er doch zum einen der Austragungsort der Dichtervorträge anläßlich der kapitolinischen Spiele, zum anderen die vielleicht kühnste (weil größte) freitragende Raumkonstruktion der Flavierzeit: vgl. u. I, Anm. 803. Beide Motive, die kapitolinischen Spiele und die atemberaubende Weite eines Innenraumes, in welchem noch obendrein der Gedichtvortrag zu denken ist, sind auch für silv. 4, 2 wesentlich, in welchem die Einladung zum Essen auf den Palatin den Nicht-Sieg bei den Ludi Capitolini kompensiert. 718 Solche Blicke ermöglichen beispielsweise: Finsen (1962), Beilage 2 (nur Nordosttrakt); Finsen (1969), Beilage (Domus Flavia und Domus Augustana); Giuliani (1982), 246–254; Darwall-Smith (1996), Abb. 69; Royo (1999), 330, Abb. 67; Zanker (2006), 88, Abb. 128, und 94, Abb.  138, sowie auf dem vorderen Vorsatz; Mar (2009), 256 f. mit Abb.  3 f.; Wulf-Rheidt (2012b), 8, Abb.  3.  Eine isometrische Darstellung (freilich hinsichtlich des Eingangsbereiches der Domus Flavia vom Clivus Capitolinus her spekulativ) bei Knell (2004), 157, Abb. 167; vgl. Wulf-Theidt (2012b), 10, Abb. 4. Einen knappen Überblick über die Grabungs- und Forschungsgeschichte gibt Royo (1999), 304–316. Ferner vgl. Klodt (2001), 42, Anm. 23 f. und 43, Anm. 26; Gros (2006), 252–259 mit Diskussion der problematischen Begriffe Domus Flavia und Domus Augustana ebd. 252. Aus jüngster Zeit vgl. auch Wohlmayr (2001), 263–265; WulfRheidt (2012a), 281–285, mit einer Skizze neuerer Forschungsergebnisse zur Bau­geschichte; Pflug (2014), mit neueren Ergebnissen zu Zugangssituationen und Wegeführungen.

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neben der Aula regia sind die ›Seitenschiffe‹ dermaßen schmal gehalten, daß die Säulen eher wie besonders tiefe, gleichsam ›hinterschnittene‹ Wandvorlagen wirken mußten.719 Was am Forum Transitorium vielleicht aus Platznot geschah, das Heranrücken der (theoretischen) Porticussäulen an die Außenwände und ihre Umwandlung zu Wandvorlagen mit entsprechend vorgekröpftem Architrav, das vollzog man also in den Innenräumen der Domus Flavia und ­Augustana in ähnlicher Weise und ohne Not. Kolonnaden scheint diese Architektur nur für das Draußen angewandt zu haben, wie das zentrale Peristyl der Domus Flavia oder auch die beiden barock gekrümmten Brunnenräume oder besser -höfe seitlich des großen Tricliniums zeigen.720 Die Säulen des Innenraums, in dem die Wahrnehmungsinstanz von silv. 4, 2 sich befindet, können also nicht sonderlich zahlreich sein, und noch weniger bestünde vor dem Hintergrund des Kunstwollens der flavischen Architektur Anlaß, dies gegebenenfalls preisend hervorzuheben. Eindrucksvoll können sie nur durch eine andere Qualität sein, durch ihre schiere, eventuell durch die Wahl farbigen Gesteins noch betonte Größe, die in den Sälen der Domus Flavia in der Tat gegeben war und die übrigens in einem Innenraum zwangsläufig noch ganz anders zur Geltung kam als etwa bei einer Tempelfassade.721 Eben dies ist der Sinn des quantae superos caelumque Atlante remisso sustentare queant (silv. 4, 2 19sq.): Die Säulen sind mächtig genug, um notfalls (und zwar durchaus: jede einzelne für sich) den Himmel zu tragen.722 Damit bedeutet das unscheinbare quantae (und nur deshalb habe ich so viel Platz dafür verschwendet) im Kontext ein Bekenntnis zu den Prinzipien der zeitgenössischen Architektur, oder vorsichtiger formuliert: eine ihrem Kunstwollen angemessene Beschreibung derselben. Statius’ Interesse an Ingenieurleistungen (nicht ganz zu Unrecht sprach man früher von ­›römischer

719 Cancik (1965), 77, spricht von Säulen, die »vom funktionellen Architekturglied zum Ausstattungsrequisit umbewertet sind«, in seiner dezent negativen Tönung offenbar ein Rest älterer, das Tragewerk griechischer Tempel als einzige legitime Verwendung von Säulen betrachtender kunsthistorischer Vorstellungen. 720 Vgl. die Rekonstruktionszeichnung bei Zanker (2006), 94, Abb. 13, sowie die genaueren Ausführungen bei Gibson-DeLaine-Claridge (1994), 87–92 (mit Grundriß ebd. 76, Abb. 9). 721 Eine genaue Durchrechnung der absoluten Größenwerte der Ausstattung des Tri­ cliniums (der sog. Cenatio Iovis) bieten Gibson-DeLaine-Claridge (1994), 80–87. Eine gute Beschreibung des – um den Semperschen Ausdruck zu gebrauchen- Kunstwollens, das sich in der Domus Flavia manifestiert, gibt Knell (2004), 158–162. 722 Man mache die Gegenprobe, um zu sehen, wie lächerlich quot klingen müßte: »Es stehe hier genügend Säulen, um damit notfalls den Himmel zu tragen«, also das Himmels­ gewölbe durch eine Unzahl kleiner Stützen (anstatt durch eine einzige monumentale) zu unterpölzen. Wahrlich eine Vorstellung von kaiserlicher Grandezza, die Newlands (2002, 270) mit Recht aus dem sed quantae ableiten will, wofür die Deutung als quot aber bloß hinderlich ist. Gar nicht zu folgen vermag ich Newlands (ebd.), wenn sie die Stelle als Variante des ­centum-linguae-Topos auffaßt und poetologische Schlußfolgerungen daraus ableitet: Für mein (vielleicht stumpferes) Sensorium sind columnae Säulen, und nichts weiter als Säulen.

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Ingenieurarchitektur‹, meinte sie damit allerdings abzuqualifizieren)723 und sein mit einiger Wahrscheinlichkeit wohlwollendes, jedenfalls tiefes Verständnis für neue Errungenschaften in Kunst und Technik spricht daraus. Zugleich erhält man anstelle einer plumpen Vergilüberbietung, die doch nur darin bestünde, daß Domitians Halle noch mehr Säulen hat als der Palast des Latinus in Aen. 7, 170, eine elegante Umdeutung der Formulierung: Domitians Palast hat nicht hundert Säulen wie der ehrwürdige, doch urtümlich-primitive Latinuspalast, sondern folgt modernen Vorstellungen. Daß dabei zugleich eine momentane, prononcierte Positionierung gegenüber dem mächtigen, doch nicht unbedingt übermächtigen Vorbild Vergil erfolgt, liegt auf der Hand und kann als Beleg für Statius’ allenthalben festgestellte Fähigkeit zur präzisen Beurteilung und Nutzbarmachung poetischer Vorgänger genommen werden.724 Daß ferner der ein­ geschobene Miniaturmythos, die Vorstellung einer Übernahme des Himmels von Atlas, an Herakles erinnert, der als einziger dies je getan hat, und der im weiteren Verlauf des Textes (und auch im Raum der kaiserlichen Bankettsäle) nochmals begegnen wird, sei vorerst nur am Rande erwähnt. Die nächsten konkreten Informationen zum Ereignisraum betreffen dessen Größe: tanta patet moles ähnelt moles in silv. 1, 1, 1sq. moles … complexa forum, nur daß diesmal auch physisch von einem Umfassen des Raumes durch diese moles gesprochen werden kann. Zugleich steht er aber nicht nur offen, sondern der ›Raumsog‹ der Halle wirkt weiter noch als ein offenes Feld:725 ­Shackleton Baileys Textgestalt effusique impetus aulae liberior campi (23sq.) ist, da a­ ulae eher auf ein Attribut verzichten kann als campi, eine Verbesserung gegenüber dem schon von Håkanson in der Interpunktion korrigierten Text.726 Nicht restlos überzeugt hingegen bin ich von der Richtigkeit des in der Überlieferung und in den modernen Editionen nachfolgenden multumque amplexus operti ­aetheros, weil amplexus und operti letztlich auf eine Tautologie hinauslaufen; 723 Vgl. noch die Apologie römischer Architektur bei Cancik (1965), 65 f. mit Anm. 62. Auf die immer wieder einmal anzutreffende Bewunderung griechischer Architektur zum Zwecke der Abqualifizierung der römischen, gegen die Cancik sich noch mit fast ängstlicher Vorsicht wendet, hat freilich schon Mart. 7, 56 kurz und pointiert geantwortet: Sollte Olympia für seinen von Phidias geschaffenen Zeus einmal eine brauchbare Behausung suchen, möge es sich bitte Domitians Palast, d. h. dessen große Repräsentationssäle, als Vorbild nehmen. 724 Bishop (1966), 18. Frederick (2003), 217, der quantae als quot auffaßt, gelangt zu einem anderen Schluß: Da Statius den Domitianspalast über Vergils Latinuspalast stellt, selbst aber nicht den Anspruch erheben kann, Vergil überboten zu haben, weise seine Überbietung auf architektonische Hybris Domitians hin. Was soll man dazu noch sagen? 725 Zu dieser raren Bedeutung von impetus, die sonst anscheinend nur bei Lucr. 5, 200 caeli … impetus ingens (cf. Lucr. 4, 416 und 5, 913sq.: Coleman [2003], 90) erscheint, vgl. ThlL 7, 604, 53–56. Nicht überzeugend Barthius (1674), Animadv. 363, der impetus aulae als mehr oder minder ›erschlagende‹ Wirkung der Halle auf die umstehenden Gebäude versteht: ­Spatium magnum, amoliens velut cum impetu vicina et obstantia aedificia. 726 Håkanson 1969, 113 f.; Shackleton Bailey (2003), 250 mit Anm. 8 und 394; Liberman (2010), 327.

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die alte Variante aperti aetheros, gegen die freilich schon niemand geringerer als Jeremiah Markland (1693–1776) auftrat,727 hätte außer dem beiläufigen, durch Assonanz hervorgehobenen Oxymoron von amplexus und aperti den Vorzug, die Halle nach dem vorigen ein zweites Mal ein Stück ›Draußen‹, ein Stück vom ›Freien‹ umfassen zu lassen, diesmal aber steigernd nicht campi sondern ­aetheros.728 Ich ziehe diese Textform also vor.729 Der Effekt, den der Autor hier umreißt, ist ein bekannter: Der Blick in den unendlichen Raum, der sich unserem Auge letztlich ständig bietet, ist bei weitem weniger aufregend als die Wahrnehmung eines zwar nicht unendlichen, aber eben sehr, sehr großen, vor allem hohen Raumes.730 Immerhin: Neuere Forschungen haben für die sog. Cenatio Iovis des Flavierpalastes eine Raumhöhe von 31,60 m errechnet,731 die Höhe der noch um etwas größeren Aula ­regia 727 Markland (1728), Not. 196. 728 Klodt (2001), 59, Anm. 77, und Coleman (1988), 90, halten freilich aperti wiederum für schwach und bevorzugen das Oxymoron operti aetheros, womit die Juxtaposition amplexus operti ihrerseits blaß wird: Es handelt sich also letztlich nur um die Frage, in welcher Richtung man das Oxymoron, in welcher die Tautologie bevorzugt. Mir scheint aperti auch wegen der sich ergebenden Assonanz ein wenig besser. Zur Fügung apertus aether vgl. z. B. Vitr. 1, 6, 8 ex aperto caeli spatio – nebenbei bemerkt eine Stelle, die Otts o. Anm. 717 zitierte Behauptung, spatium bei Vitruv bedeute nicht mehr als Interkolumnium, zu entkräften geeignet ist. 729 Wie Wißmüller (1990) freilich zur Übersetzung »Viel Land erfaßt es unter seinem Dach und viel Himmel ist über ihm« kommt, ist mir ein Rätsel. 730 Vgl. Adams (2005), 160; auf die eine oder andere »skurrile Übereinstimmung« mit Adams’ Trilogie weist auch Johannsen (2006), 369, Anm.  319, hin.  – Ein Beispiel von Raumwirkung eines Thronsaales aufgrund seiner Grundrißgeometrie bietet Arnold (2012), bes. 296 f. mit Abb. 5; von den Sälen des Flavierpalastes entspricht freilich nur die Cenatio ­Iovis dem dort dargelegten Grundmuster (näherungsweise quadratischer Raum und Eingang in der Mitte einer Seite gegenüber dem möglichen Aufenthaltsort des Herrschers). – Nicht nachvollziehbar ist mir Klodts (2001), 58 f., geäußertes Gefühl der Bedrückung, das sich infolge der Lektüre dieses Statiusverse beim Leser einstelle, und worin sie noch über D ­ ominik (1994), 163, hinausgeht. Daß Domitian das Gebäude erfüllt (implet: 26), und daß dieses selbst die Aetherregion erreicht (multum … amplexus aperti aetheros: 24sq.), sind Aussagen, die sich über jede gotische Kathedrale ganz genauso treffen ließen: ›von Gott erfüllt und bis in den Himmel ragend‹. Würde eine solche Beschreibung deswegen schon ein »Gefühl von Be­ drückung, Gefahr und Ausweglosigkeit« entstehen lassen? Vgl. auch Clauss (1999), 263 f. mit gutem Verweis auf Paneg. 11 (3), 13, 5.  731 Gibson-DeLaine-Claridge (1994), 86. Das bedeutet, daß der Besucher jedes dieser beiden Säle sich in einem Raum wiederfand, der, nahezu würfelförmig, so weit war wie eine dreischiffige gotische Kathedrale und auch ebenso hoch, nur eben ohne die Unterteilung in Schiffe. Zum Vergleich: Grundmaße der Aula regia: 32,10 x 31,44m (Darwall-Smith [1996], 187); sog. Cenatio Iovis: 31,55 x 29,05m (Gibson-DeLaine-Claridge [1994], 68; Abmessungen des Wiener Stephansdomes, einer dreischiffigen Staffelhalle: ca. 34m Breite bei 28m Höhe des Mittelschiffes. Bei der Basilica Ulpia des Trajansforums, dem der Domus Flavia zeitlich nächststehenden Monumentalbau, weist das Mittelschiff bei etwa 27m Breite sogar eine Höhe von 35m auf, auch hier übrigens getragen durch drei übereinandergestellte Säulenordnungen: A ­ pollodor von ­Damaskus versuchte anscheinend, das auf dem Palatin Erreichte in der Höhe noch zu überbieten, schränkte dafür aber die überspannte Weite etwas ein; vgl. Meneghini (2015), 90 f.

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wird sich in ähnlichen Dimensionen bewegt haben. Weiters waren beide Säle tagsüber hauptsächlich durch Oberlichten erleuchtet, nur bei der Cenatio Iovis kam indirekt einfallendes Licht durch die Fensteröffnungen zu den seitlichen Nymphäen und durch die (freilich nach Nordnordost gerichteten) Öffnungen zur Porticus des Peristylhofes hinzu. Das bedeutet, daß beide und insbesondere die Aula regia vor allem in ihrem oberen Bereich hell erleuchtet, auf Boden­ niveau aber selbst im Sommer nur mäßig erhellt waren.732 Dieser Umstand fügt sich gut zu Statius’ apertus aether, insoferne der Saal in seinem oberen Bereich wie von hellem Himmelslicht (eben αἰθήρ) erfüllt, unten aber dunkler wirkte.733 Man wird wohl dafür gesorgt haben, den Kaiser bei seinen Auftritten durch künstliches Licht oder durch die Wahl eines Zeitpunktes, wo doch einmal direktes Sonnenlicht passend einfiel, besser zu beleuchten, was wiederum im Sinne der Lichtregie eine Verbindung zwischen ihm und dem Licht der oberen, zum Himmel weisenden Raumzone herstellen konnte. Und sogleich hakt der Text auch nach: Einzig der Herr dieses Raumes ist noch größer als er (25),734 was, wenn man den oben heller, unten weniger hell erleuchteten Saal mit seiner aether-Zone als Mikrokosmos, als architektonisches Abbild des Kosmos begreift, den Kaiser wie schon in silv. 1, 1 zum Kosmokrator werden läßt. 732 Der mittägliche Einfallswinkel des Sonnenlichtes beträgt in Rom zur Sommersonnen­ wende etwa 72°, zur Wintersonnenwende ca. 25°. Bei der großen Höhe der Oberlichten über dem Boden und der nicht zu vernachlässigenden Mauerstärke (der freilich durch abgeschrägte Solbänke begegnet werden konnte: vgl. Ratzka [1990], 98 mit Abb. 2–4; Hillmann [2011], 176 mit einem Beispiel aus dem privaten Wohnbau) ergab sich, daß zur Mittagszeit und im Sommer höchstens relativ kleine Flächen des Bodens direkt Licht empfingen, zu Zeiten flacheren Lichteinfalls am Morgen, gegen Abend und allgemein abseits des Hochsommers aber das direkt durch die Oberlichten einfallende Licht eher nur die Wände und nicht den Boden erreicht haben wird, während diffus durch die Fenster einfallendes Licht ohnehin nur etwa die obere Raumhälfte erfüllte. Eine direkte Beleuchtung der Apsiswand der Aula regia durch die Oberlichten der gegenüberliegenden Südsüdwestwand (über deren Gestaltung nichts bekannt ist, sodaß selbst an ein einzelnes großes Fenster gedacht werden kann, wie die Rekonstruktion von F. Dutert es vorschlägt: Zanker [2006], 90, Abb. 131) ist zu passender Jahres- und Tageszeit aber möglich und kann ohne weiteres für die Lichtregie kaiserlicher Auftritte genützt worden sein.  – Ob die Fenster der kaiserlichen Säle verglast waren, scheint unbekannt zu sein, die technischen Voraussetzungen dafür waren im späten ersten Jhdt. jedenfalls gegeben, und inzwischen wurden Glasfenster für diese Zeit selbst im privaten Wohnbau mehrfach nachgewiesen: vgl. Bachmann (2011); wenngleich Zarmakoupi (2011), 166, vor der Annahme von zuviel Fensterglas im privaten Bereich warnt. Für die Beleuchtungssituation des Saales wäre dann auch ein nicht völlig transluzides und durch Unregelmäßigkeiten seiner Oberfläche und seiner Binnenstruktur variierende Lichtstreuungen bewirkendes ­Fensterglas zu berücksichtigen. 733 Einen hinsichtlich der Lichtregie recht nahekommenden Parallelfall, den Marmorsaal des Hanghauses 2 in Ephesos, analysiert Thür (2011), bes. 238 f. 734 Den gleichen Gedanken formuliert auch Mart. 8, 36. Eine gute Analyse dieses Motivs gibt Klodt (2001), 50–52. Eine vergnügliche Parodie auf erotomanisch-tiefenpsychologische Interpretationstechniken, die sogar in Penates (silv. 4, 2, 25) ein Wortspiel mit penis sieht und Domitian seinen eigenen Speisesaal penetrieren läßt, bietet Frederick (2003), 217.

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Es folgt eine Auflistung der für Wandverkleidungen, Säulen und Boden verwendeten verschiedenfarbigen, also Glanz und Farbigkeit zum Raumeindruck beisteuernden Steinsorten, deren Herkunftsorte Nordafrika, Kleinasien, die griechischen Inseln und mit Luna, also dem heutigen Carraramarmor, schließlich auch Italien abdecken, also en passant und pars pro toto den römischen Herrschaftsbereich in Domitians Repräsentationsraum versammeln (Verse 26–29). Die Auflistung kommt allgemein Statius’ Hang zu funkelnder Pracht – eine Art ›jewelled style‹ – entgegen,735 ohne aber im Einzelnen besonders exklusiv zu sein: ähnliche Auflistungen edler Marmorsorten erscheinen etwa auch in Statius’ Beschreibungen von Privatvillen.736 Die verknappte Wendung longa supra s­ pecies »Hoch darüber hinaus steigt der Blick« kann übrigens ein Argument für die Annahme einer oberen bzw. obersten, säulenfreien Wandzone sein, denn s­ upra (30) bezieht sich ja wohl nicht nur auf die eben genannten Säulenbasen (29), sondern auf die Säulen als Ganzes. Jedenfalls ermüdet die gewaltige Höhe den Blick (­ fessis … visibus: 30sq.), und man vermeint »die Kassettendecke des vergoldeten Himmels zu sehen« (31). Bezeichnet ist selbstverständlich eine Flachdecke, die sich an den Tramen des Dachstuhls ja leicht aufhängen ließ und die offenbar in gewohnter Weise mit Blumen, d. h. symbolischen Sternen verziert war, also damit und mit ihrer Vergoldung (31: aurati … caeli) in stilisierter Form den Himmel repräsentierte;737 die ältere Vorstellung von überwölbten, womöglich gar mit Tonnengewölben überspannten Hallen konnte für die zwei größten Räume der Domus Flavia längst eindeutig widerlegt, für die sog. Basilica mindestens in Frage gestellt werden, und Statius’ Text enthält auch keinen so zu verstehenden Hinweis.738 Damit ist die Beschreibung prinzipiell abgeschlossen, der Raum kann 735 Zur Textkritik von simul atra Syene siehe Watt (1988), 167; Liberman (2010), 327. Eine Auflistung der erhaltenen Säulen-, Architrav- und sonstigen Bruchstücke und der verwendeten Gesteine geben für die sog. Cenatio Iovis Gibson-DeLaine-Claridge (1994), 93–96. Eine Auflistung edler Gesteine bei Statius bieten Gaymann (1898), 28 f., und Zeiner (2005), 84–89. – Wie Newlands (2002), 269, auf den Gedanken kam, die bunten Marmorsorten der Verse 26–29 stünden allegorisch für verschiedene rivalisierende Cliquen der Hofgesellschaft, ist mit Recht schon Rühl (2006), 337, Anm. 153, unverständlich. Richtig Coleman (1988), 91: Die Steine verhalten sich menschlich, indem sie um die Gunst des Herrschers wetteifern. 736 Vgl. Newlands (2002), 184; ferner vgl. u. III , bei Anm. 169. 737 Vgl. o. I, bei Anm. 361; Zeiner (2005), 82 f. 738 Cancik (1965), 69–71 und 75, operiert freilich gerade wegen der Gleichsetzung von aula und caelum massiv mit der Vorstellung vom überwölbten Raum, ohne daß ganz klar würde, was das eine mit dem anderen zu tun haben muß, auch wenn Lehmann (1945) praktisch nur gewölbte Decken als Himmelsrepräsentanten bespricht. Canciks ansonsten im Prinzip richtige Interpretation kommt also auch ohne dieses bauliche Detail aus. Zur hölzernen (Flach-)Decke, die gerade für die größten der Säle als einzige statisch überhaupt denkbar zu sein scheint, vgl. beispielsweise Finsen (1962), 24 f.; Gibson-DeLaine-Claridge (1994), 76–80; Darwall-Smith (1996), 193–199; Knell (2004), 158 f.; zur Frage der Deckung der sog. B ­ asilica vgl. Royo (1999), 332 f. mit Anm. 134. Tonnen- oder Kreuzgratgewölbe schlägt für die Aula regia m.W. zuletzt Packer (2003), 178 f. und 194, Anm.  84, vor, doch ohne argumentative

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belebt werden: An tausend Tischen bewirtet Caesar hier Vornehme bzw. Ritter, und Ceres und Bacchus selbst beeilen sich als Servierpersonal. Die tausend Tische sind nicht wörtlich zu nehmen: Rekonstruktionen zeigen, daß selbst eine Zusammenfassung der großen Repräsentationsräume der Domus Flavia nur etwa 500 Gästen Platz zum Essen bietet – immerhin auch dies eine beachtliche Zahl.739 Das wesentliche Spezifikum des Raumes ist, wie schon im Vorfeld festgelegt, seine Fähigkeit zur Transzendenz in olympische und astrale Sphären. Der Kaiser als übergroße, privilegiert sichtbare, d. h. alle Augen auf sich ziehende Gestalt,740 wenngleich nicht näher lokalisiert (auf einer Sonderkline in der Apsis?741 Zwi­Ausführungen. Die in der Tat sehr kräftigen Mauern in den Ecken der Aula regia könnten dafür immerhin ein Indiz bilden, doch bliebe dann die Frage, weshalb die Wandvorlagen, die sich so, wie sie gestaltet sind, nicht sinnvoll auf ein nur auf den vier Eckpunkten aufliegendes Gewölbe, wohl aber auf die tragenden Balken einer flachen Deckenkonstruktion, beziehen lassen, eigentlich so kräftig ausgeprägt waren. Auch scheint es unvorstellbar, die Wände des im Unterschied zu den typischen Mittelsälen großer Kaiserthermen auch nur von zwei statt vier Seiten her durch Nebenbauten abgestützten Saales durch die für ein Kreuzgratgewölbe dieser Spannweite benötigten Schild- und Gurtbogenwände von über fünfzehn Meter Radius turmhoch in die Höhe zu treiben. Eine Aneinanderreihung mehrerer kreuzgewölbter Joche auf extrem oblongem Grundriß aber (längs 3:1, quer gar 5:1, und nur die zweite Variante ist statisch vorstellbar), die den Wandvorlagen der Längs- oder Querseite entsprächen, ergäbe ein völlig unantikes Schema, nämlich das eines mittelalterlichen Kirchenschiffs, und wäre wie dort ohne die Anwendung von Spitzbögen mindestens optisch nicht gut zu bewältigen. 739 Zanker (2006), 94 f. mit Abb. 138; Mar (2009), 260 f. mit Abb. 6; Mar Medina (2009), 343, schlagen vor, insbesondere den ca. 8m breiten Streifen des Innenhofs zwischen der umlaufenden porticus und dem zentralen Bassin zur Aufstellung von Klinen heranzuziehen: von dort aus sei dank der relativ offenen Nordnordwestfront der Cenatio Iovis der in deren Apsis speisende Kaiser jedermann gut sichtbar. Der Vorschlag scheint freilich nicht ohne weiteres praktikabel: Unter freiem Himmel hätten die Gäste nur in der wärmeren Jahreszeit, und dort wiederum nur gegen Abend, brauchbare klimatische Verhältnisse vorgefunden: Ob es dann aber aufgrund der Beleuchtungssituation der großen Säle (vgl. o. I, bei Anm. 732 f.) überhaupt noch gut möglich gewesen wäre, den Kaiser, über eine Distanz von bis zu 90 Metern und von draußen nach drinnen blickend, überhaupt zu sehen, wäre wohl erst zu untersuchen. 740 Newlands (2002), 262. 741 Dies scheint die verbreitetste Ansicht zu sein: Vössing (2004), 349 f. mit Anm.  5 f. (der sich freilich mit guten Gründen gegen sie ausspricht); Bek (1983), 91; Klodt (2001), 43 f.; ­Newlands (2002), 267 (vorsichtig) und 280 (affirmativ); Frederick (2003), 219; Leberl (2004), 181; Rühl (2006), 338; Zanker (2006), 95; Malamud (2007), 227. Sie ist denkbar, doch die Evidenz dafür ist gering, denn die literarischen Belege beschränken sich auf ein ex negativo aus Plin. paneg. 49, 6, während Statius’ Gedicht wenig zur Frage beiträgt (vgl. o. 237–238). Die a­ rchäologischen Belege wiederum zeigen nur, daß jeder der drei Repräsentationssäle der ­Domus Flavia eine Apsis hatte – zu welchem Zweck, ist unklar. Denn daß die Apsis eines solchen Saales als eminent sakrales Bauelement prinzipiell wohl dem Kaiser zugedacht war, bedeutet noch nicht, daß er zwangsläufig bei jeder Art von Veranstaltung, die in diesen Sälen stattfand, seinen Platz in der Apsis haben mußte. Gerade ein auf Fragen des Zeremoniells Gewicht legender Herrscher wie Domitian könnte ebensogut zwischen Veranstaltungen unterschiedlicher Typen und unterschiedlichen Feierlichkeitsgrades differenziert haben, beispielsweise durch die Benützung oder eben Nichtbenützung der Apsis. Vgl. Pflug (2014), 372–374, der erstens richtig darauf hinweist, daß eine Positionierung Domitians aus dem Grundriß-

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schen den Klinen umherschlendernd?742), umgeben von helfenden Gottheiten wie Bacchus und Ceres, spielt dieselbe Rolle wie Domitians Reitermonument im Kreise der Gottheiten der umliegenden Tempel in silv. 1, 1. Die Kassettendecke und die Feststellung medius videor discumbere in astris (10) wiederum bezeichnen explizit die in silv. 1, 1 schon so wesentliche astrale Ebene. Für die bewirteten Gäste hat das eine implizite Rückkoppelung, werden sie doch selbst zu Sternen bzw. zu Göttern und sogar von Göttern bedient. Die Gegenwart des Kaisers also erhebt seine Gäste enorm. Gerade die olympische Ebene aber bringt auch den Effekt mit sich, daß die Halle bzw. der ganze Palast zum Tempel wird.743 Ausdrücklich staunt im Text die regia (ein ›irdisches‹ Vokabel!) des Donnerers Jupiter über den Bau auf dem gegenüberliegenden Hügel, wo wiederum Statius cum Iove bei Tisch zu liegen meint; und umgekehrt wird der Kaiserpalast in der Literatur der Zeit immerhin bisweilen als Tempel bezeichnet oder wenigstens mit einem solchen in Paral­lele gesetzt.744 Architektonisch lag dies auch nahe, wenn man etwa die sog. Aula ­regia ins Auge faßt: Ein auf hohem Sockel aufragender viereckiger Hallenbau mit einer Apsis,745 der im wesentlichen deswegen existiert und dadurch sich befund unmöglich ableitbar ist, zweitens gerade die Flexibilität des flavischen Palastes, d. h. die Eignung des Gebäudes, ganz unterschiedlichen zeremoniellen Bedürfnissen angepaßt zu werden, hervorhebt; ferner vgl. Wulf-Rheidt (2012b), 14 f., die darauf hinweist, daß im Unterschied zu späteren Palast-aulae wie jener von Trier mit ihrer tiefen Apsis als Fluchtpunkt des langgestreckten Raumes die flachen Apsiden der näherungsweise quadratischen Säle der ­Domus Flavia gerade keine raumbildenden Merkmale sind. 742 Vgl. Sojc-Winterling (2009), 298–300: Der Versuch, jede hinlänglich große Nische der Domus Augustana mit Klinen zu befüllen, mag im Einzelnen diskutabel und möglicherweise übertrieben sein, aber das Grundprinzip der auf verschiedene Räume verteilten Gäste, die der Kaiser im Verlauf der Bewirtung reihum besuchte, wirkt plausibel, gerade weil es im Unterschied zu starren Anordnungen mit dem Kaiser an einem Fixpunkt dem Gastgeber die volle Bandbreite denkbarer sozialer Interaktionen ermöglicht. 743 Vgl. Vessey (1983), 209 u. 216 f.; umgekehrt Leberl (2004), 21: Die Beschreibung des ­Palastes stehe für Domitians Sakralität. 744 Etwas zu pauschalierend Zanker (2006), 89, ohne Stellenangaben; Lugli (1960), 181–190, führt zwar zahlreiche literarische Belege für den Domitianspalast an, doch nur Mart. 7, 56 und (noch indirekter) 9, 91, sowie eine Aufzählung von Vorzeichen vor Domitians Ermordung bei Suet. Dom. 15, 2 Tactum de caelo Capitolium templumque Flaviae gentis, item­ domus Palatina et cubiculum ipsius operieren explizit mit einer Parallelisierung von Palast und Tempel; vgl. aber auch Clauss (1999), 129. Viel häufiger ist etwa von aula die Rede (Mart. 7, 99; 8, 36; 9, 11. 79; 12, 15), was einen gewissen Rückschluß darauf erlaubt, welcher Bereich des weitläufigen Komplexes in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde; vgl. dazu prinzipiell Royo (1999), 346 f. und 356 f. 745 Zur Apsis vgl. Newlands (2002), 267. Zum Sockel der Domus Flavia auf ihrer der Area Palatina zugewandten Seite vgl. Zanker (2006), 89, mit Abb. 129. Zusätzliche Verwirrung stiftet eine seltene Sesterzemission aus Domitians letztem Regierungsjahr, die ein merkwürdig hoch aufgetürmtes, dreistöckiges architektonisches Ensemble zeigt und mit einiger Vorsicht als Ansicht der Aula regia gelten kann, doch ohne daß daraus mehr abzuleiten wäre als daß jene aula die angrenzenden Gebäudeteile an Höhe mächtig überragte, und daß dieser aufra-

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auszeichnet, daß eine göttliche Gestalt in ihm präsent und sichtbar ist, ist nach römischem Architekturverständnis eo ipso ein Tempel: Diese Interpretation des Gebäudes bedurfte also noch kaum des ›licensed spokesman‹ Statius.746 Sehr wohl aber bedurfte es seiner, diesen Tempel, der als solcher im Stadtbild Roms an sich noch kein Unikum darstellte, zum Ersatz für den einzigen Tempel Roms zu erheben, der, vom Vestaheiligtum vielleicht abgesehen, Unverwechselbarkeit und unüberbietbare Prominenz für sich Anspruch nehmen durfte: den gende Teil an seinen Außenseiten mit Säulen oder Halbsäulen sowie einem Giebel mit figürlichem Reliefschmuck (respektive zwei solchen Giebeln) verziert war: Darwall-Smith (1996), 190–193 mit Tafel XVIII , Fig. 30 (und Liste domitianischer Münzen mit architektonischen Darstellungen ebd. 280 f.); Royo (1999), 347–354 mit Abb. xvi; Zanker (1996), 91, Abb. 132; ablehnend dazu Torelli (1987), 566 f.; meine private Deutung, daß der Palatin in s­ tilisierter Gesamtheit gemeint ist, daß nämlich die unterste der abgebildeten Gebäude­zonen in kürzelhafter Weise die Domus Tiberiana oder, eher, die flavischen Substruktionen der Vigna Barberini, zeigt, über denen sich erst die Domus Flavia mit ihrem herausragenden Hauptsaal erhebt, gesehen etwa von der Gegend des späteren Venus-und-Roma-Tempels bzw. den Cari­ nae aus, wird, soweit ich sehen kann, von niemandem vertreten und eventuell dilettantisch sein; ich gebe aber zu bedenken, wie sehr die Kürzelhaftigkeit gerade von Münzdarstellungen das Dargestellte bisweilen verformt: Nähme man die o. Anm. 105 zitierte Sesterzemission mit der wahrscheinlichen Abbildung des Equus maximus für bare Münze, hätte das Denkmal keinen Sockel, keine Minervastatuette und evt. auch keinen unterworfenen Flußgott aufgewiesen – Elemente, die nach der Beschreibung bei Statius aber unzweifelhaft vorhanden gewesen sein müssen. Jedenfalls ergäbe sich, die Richtigkeit des wie auch immer zu denkenden Bezugs jener anderen Münzdarstellung auf die Domus Flavia vorausgesetzt, ein klarer Bezug des Palastes auf die Bautypologie römischer Tempel, die obendrein, etwa bei Vespasians Templum Pacis in Rom oder beim augusteischen Ensemble aus Apolltempel und querliegendem Peristyl auf dem Palatin, sowie bei Forumsanlagen verschiedener Größen (etwa, um ein beliebiges Beispiel der Flavierzeit zu zitieren, beim Forum von Cambodunum), auch die Möglichkeit der Integration des Tempels in einen Peristylhof kennt. Schließlich ist auch die Iuxtaposition mehrerer Tempel, oft einer Dreiergruppe, geläufig, dergestalt daß drei Tempel ohne oder nahezu ohne Zwischenräume zu einem dreigliedrigen Baukörper, oft auf gemeinsamem Sockel, zusammengefaßt werden: Beispiele bieten etwa das Forum von Pola (schmale Durchgänge zwischen den Tempeln, gemeinsamer Sockel, das Forum an seinen restlichen Seiten von Porticus umfangen: vgl. Letzner (2005), 39–48) oder, speziell aus flavischer Zeit, das über eine Porticus, doch einige Meter erhöht, dem Forum angeschlossene Kapitol von Brixia / Brescia (gemeinsamer Baukörper mit drei cellae: Angelelli [2006], 8 f.; Gros [2001], 184 f.): In beiden Fällen ist auch der Mitteltempel etwas größer als die beiden seitlichen. Einem Besucher der Domus Flavia also mußte oder konnte zumindest aus verschiedenen Gründen die Aula regia mit ihren annähernd symmetrischen seitlichen Nebenhallen (sog. Basilica und sog. Lararium) tempelähnlich erscheinen, gleichgültig ob er das Bauwerk von der Area Palatina aus auf seinem Sockel thronen sah oder sich ihm über den zentralen Peristylhof näherte. Niemand wird daran zweifeln, daß diese Ähnlichkeit beabsichtigt war. – Für zweckddienliche Hinweise sei an dieser Stelle besonders Eva Kreuz gedankt. 746 Es gilt auch zu bedenken, daß ein templum auguralrechtlich viereckig zu sein hatte, dann aber auch zur Durchführung offizieller Handlungen wie beispielsweise Senatssitzungen u. dgl. geeignet war. Zu weitergehenden Affinitäten zwischen domus und templum schon in der späten Republik vgl. Wiseman (1987), 395 f.; zur Tempelhaftigkeit der sog. Aula regia vgl. Gros (2006), 253.

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kapitolinischen Jupitertempel. Ihn konterkariert oder gar ersetzt D ­ omitians Halle, der Palatin also ersetzt oder konterkariert mindestens das Kapitol.747 Während jenes als regia, mag es auch regia Tonantis (20sq.) sein, verbal auf die alte Funktion der arx reduziert erscheint, ist der Domitianspalast von allen möglichen Gottheiten bevölkert, die sich dienend um Domitian scharen (34), konkret: er beherbergt Jupiter (11: cum Iove; cf. 14sq.: regnator terrarum or­ bisque subacti / magne parens … spes hominum … cura deorum). Hierher kann man noch Vers 60 templaque des habitesque domos ziehen, wo Coleman zwar richtig templa auf andere Götter, domos auf Domitians irdische Wohnung bezieht (und eben nicht domos prädikativ zu templa zieht, was sprachlich immerhin denkbar wäre),748 aber nach allem zuvor im Gedicht Gesagten ist dennoch klar, daß diese Verteilung bei im panegyrischen Sinn realistischer, d. h. nicht in götterfürchtigem Understatement die Frömmigkeit des Kaisers der Panegyrik überordnender Sichtweise umgekehrt zu sehen ist: Wo Domitian habitat, wird ­domus zu templum,749 während das templa dare gegenüber anderen Gottheiten in (panegyrischer) Wahrheit deutlich den Charakter einer hoheitlichen, geradezu karitativen Geste zeigt. Wer in solcher Weise Tempel spenden kann, zeigt selbst erhöhte göttliche Macht.750 Der Raum transzendiert also, wird zum Tempel, mithin Kapitol, mithin Olymp, und darüber hinaus noch, wie schon festgehalten, zur Sternensphäre, stets mit Domitian im Mittelpunkt, auf den sich zwangsläufig die Blicke aller richten.751 Übrigens auch der Blick des Kapitols, das 747 Und zwar das gesamte Kapitol, das mit Tonantis regia (silv.  4, 2, 20sq.) gemeint ist: ­Coleman (1988), 89 f.; vgl. Zeiner (2005), 90, die auf ein Baudetail (Holzflachdecke), das der Tempel des Iupiter Optimus Maximus und Domitians Säle teilten, hinweist.  – ­Newlands’ (2002, 269 f.) Idee, regia Tonantis primär auf den kleineren Tempel des Iupiter Tonans zu beziehen und erst sekundär von diesem auf das Kapitol zu übertragen, geht leider fehl, und ebenso die (ebd.) daraus gezogenen Schlußfolgerungen; vgl. Plut. Popl. 15, der einen ähn­ lichen Gedanken formuliert. 748 Coleman (1988), 100. 749 Vgl. Royos (1999), 366 f., Überlegungen zur prinzipiellen ›Banalität‹ der architektonischen Elemente, die im Palastbau Verwendung fanden: Nicht die Architektur macht prinzipiell den Palast, sondern seine Interpretation durch den Betrachter. Im Falle des Palatins aber war dies so nachhaltig der Fall, daß der Name des Hügels gerade in flavischer Zeit endgültig für »Residenz eines Kaisers« eintrat, wie ja auch der von Domitian geschaffene Palast ohne wesentliche Veränderungen und mit nur wenigen Ergänzungen seine Funktion erfüllte, bis das Kaisertum der Spätantike seinen Sitz aus Rom wegverlegte: Royo (1999), 376; vgl. auch Royo (1991), passim; Newlands (2002), 263; Märtin (2012), 19. 750 Vgl. Taeger (1960), 343 f.: Domitian übertrifft die Götter selbst, wird geradezu zum Weltheiland. Weshalb indes Taeger (ebd, 349 f.) behauptet, gerade in silv. 4, 2 werde Domitian nicht als Gott angeredet, ist mir ein Rätsel. Das kaiserkultische Programm des Gedichtes unterscheidet sich in keinem Punkt von dem an silv. 1, 1 entwickelten, wenn man davon absieht, daß das dort eher ausgesparte Kapitol hier dezidiert durch den Palatin ersetzt wird. 751 Domitian als Palatinus Tonans erscheint auch bei Martial: Mart. 9, 39, 1; 9, 86, 8; cf. 7, 99; 9, 24; 9, 65; 9, 91; 12, 15; Tonans noster: 6, 10, 9; 7, 56, 4. Zur Gewichtung seiner Jupiterhaftigkeit vgl. o. I, Anm. 679.

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deswegen ja stupet (silv. 4, 2, 20): Es muß nicht unbedingt Zufall sein, daß sich zwei der drei klassischen auguracula Roms auf der arx des Kapitols und auf dem Palatin (und zwar in dessen westlicher Hälfte, wo auch der flavische Palast liegt) befinden.752 Ein auguraculum ist a priori ein Ort, von dem aus man schaut, konkreter: mit religiöser Intention schaut, und das Schauen des Priesters kann unschwer auf die dafür gebräuchliche Örtlichkeit übertragen werden. Die beiden benachbarten Hügel betrachten einander dann gleichsam permanent gegen­ seitig und in religiöser Absicht, und gerade der Blick vom Kapitol aus, in republikanischen Zeiten behördlicherseits eifersüchtig von Verbauung freigehalten,753 verändert sich in flavischer Zeit kräftig, indem die anscheinend auguralrechtlich wichtige Landmarke des Mons Albanus nun zwischen dem Kolosseum und dem palatinischen Kaiserpalast hindurch anzupeilen ist. Kein Wunder, wenn sich dabei ein gewisser stupor einstellt.

c) silv. 4, 2, 38–56 Dieser Blickmagnet erfaßt ab Vers 38 auch den Text, der nur noch in Präteritio einige Ausstattungselemente und dienende Gestalten in diesem Raum streifen kann (38sq.), die sämtlich in ihrer gleißenden Pracht zur symbolischen Überhöhung des Ereignisses und vor allem seines Veranstalters beitragen,754 und sich schließlich auf den Kaiser selbst fokussiert.755 Dieser strahlt, wohl um seine 752 Das dritte befand sich auf dem Quirinal: vgl. Cancik (1985/86), 252. Es spielt im vorliegenden Gedicht keine Rolle, immerhin aber befand sich Domitians Elternhaus, das spätere Templum gentis Flaviae, auf dem Quirinal. Genau die drei Hügel also, die Domitian besonders wichtig waren, der Quirinal mit dem Familiensitz, das Kapitol, das er im Bürgerkrieg ›verteidigt‹ hatte, und der Palatin mit dem neuen Kaiserpalast, sind es auch, die für einen der wichtigsten sakralen Vorgänge im Stadtbild, das Einholen von Auspizien, benötigt werden. Angesichts von Domitians generell als konservativ beschriebener Religiosität kann diese ­Parallele ohne weiteres beabsichtigt sein. 753 Vgl. o. I, bei Anm. 486. 754 Zeiner (2005), 72 f. und 83–90. 755 Dazu prinzipiell richtig Klodt (2001), 47 mit Anm.  41 und Verweis auf Bek (1983): Während die triclinia von Privathäusern der Zeit ihren Gästen gerne Fenster mit Ausblicken anbieten, blickt die Ichinstanz des Textes permanent nur auf den Kaiser. Allerdings geht es zu weit, mit Bek (ebd., 90 f. und 101 f.) dem Ich einen ständigen Blick von außen nach innen zu attestieren: Beide sind im Inneren, das Ich und der Kaiser, und hinaussehen konnte keiner von beiden, weil zumindest die beiden größten Säle des kaiserlichen Palastes, von den zweimal drei Fenstern der Cenatio in die begleitenden Brunnenhöfe abgesehen, keine Fenster in den unteren Wandregionen haben, d. h. keinem der Anwesenden ein nennenswerter Ausblick geboten wurde: Der Blick bleibt also einfach im Inneren ›gefangen‹, während ein Betrachter von draußen (Bek, ebd., 90, bietet sogar einen Grundriß der Domus Flavia mit eingezeichnetem Sehkegel quer über das gesamte Peristyl hinweg; fiktiv übrigens, denn ein solcher Betrachter im hellen Draußen hätte vom relativ weit entfernten und dunkleren Gebäudeinneren

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­ äste nicht zu blenden, in künstlich gemilderter Form (silv. 4, 2, 42sq.) ähnlich G dem darin freilich erfolglosen Jupiter in Ovids Gestaltung der Semelegeschichte (Ov. met. 3, 302–309), vergleichbar auch dem gleichfalls dem Betrachter zuliebe seine Strahlenkrone ablegenden Sonnengott in Ov. met. 2, 40sq.: Es mag Zufall sein, aber gerade diese beiden Rollen, Sonne und Jupiter, definieren schon seit silv. 1, 1 Domitians Position auf astraler und olympischer Ebene, und wie stets übertrifft Domitian die möglichen mythischen Rivalen, sind doch seine ­Gäste im Gegensatz zu Semele und Phaeton bei Ovid unmittelbar wie auch mittelbar sicher. Dies garantieren tranquillum vultus und maiestas serena (womit die regulär auf Jupiter zu beziehende Wetterterminologie aufs Tapet kommt): Auch Martial bezeichnet Domitian einmal (Mart. 7, 99, 1) als placidus Tonans, das bei Statius entworfene Herrscherbild zum Oxymoron verdichtend. Im Bild des v­ exilla summittere wiederholt sich das Motiv des gemilderten Glanzes, das ­Coleman gut als militärisch-kaiserliche Anlehnung an die Wendung fasces summittere756 und als Äquivalent zum biblischen ›Sein Licht unter den Scheffel stellen‹ erklärt,757 das aber darüber hinaus m. E. eine weitere Facette enthält, wenn man den Plural vexilla dichterisch auffaßt. Vexillum proponere, also eine (rote) Fahne weithin sichtbar aufpflanzen oder hissen, und zwar an dem Standort des Kommandanten, bedeutet im römischen Militär das Signal, sich zum Kampf zu sammeln bzw. den Kampf zu beginnen,758 hat also eine aktive, aggressive Konnotation. Domitian, der selbst als Feldherr in Dakien und Germanien tätig gewesen ist, tut nun das Gegenteil, wenn er vexilla summittit: Er gibt sich friedlich, macht als Feldherr gleichsam Feierabend und erlaubt damit auch seiner Umgebung, sich’s gemütlich zu machen. Das Bild vom friedlichen Feldherrn entspricht damit genau dem des sanften Donnerers in den Versen davor.759 Dennoch ist er als Herrscher unverkennbar, sein dissimulatus honos glänzt auch in dieser Situation, selbst Barbaren nicht gar viel gesehen) irrelevant ist, denn bei der »performance to be staged« (Bek, ebd. 91), zu der das convivium als Repräsentationsveranstaltung des Kaisers im Laufe des ersten Jahrhunderts geworden ist, sind Schauspieler und Zuschauer ja gänzlich identisch und sämtlich im Saal anwesend und eingebunden. 756 Das ehrerbietige Senken des fasces bei der Begegnung mit einem höheren Magistrat (Cic. Brut. 22; Dion. Hal. 8, 44; Plin. nat. 7, 112), einer Vestalin (Sen. contr. 6, 8), einem Leichen­zug (Tac. ann. 3, 2, 2) oder bei Ansprachen eines Magistrats an das Volk (Liv. 2, 7, 7; Val. Max. 4, 1, 1). 757 Coleman (1988), 97. Es sei en passant auf die ungewöhnlich nahe kommende Motivkoppelung am Beginn des bekannten sechsten Kreuzhymnus des Venantius Fortunatus (Ven. Fort. carm. 2, 6, 1sq.) hingewiesen: Vexilla regis prodeunt, / fulget crucis mysterium … Hier wie dort ist das evozierte Bild das des Angriffssignals. 758 Caes. Gall. 2, 20, 1; Bell. Hisp. 28, 2; Bell. Alex. 45, 3; cf. Plut. Fab. 15, 1. 759 Eine sehr genaue Analyse der Wendung vexilla summittere bietet Hulls (2007), doch kann ich seiner These, das Bild spiele auf Domitians rötliche Gesichtsfarbe bzw. die rote Farbe auf dem Gesicht des Triumphators an (ebd., 202 f.), nicht recht folgen.

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würde ihn erkennen (43–45).760 Es ist nun völlig irrelevant, ob der historische ­Domitian wirklich über die seltene Gabe verfügte, in jeder beliebigen Umgebung und Situation erhebend auf seine Umgebung zu wirken und gleichsam Thronsaalatmosphäre zu verbreiten, oder ob ihm diese Fähigkeit bloß pane­ gyrisch-pflichtschuldig attestiert wird: Fazit ist, daß Statius’ Text in 38–45 konsequent Domitian in den Blick nimmt, bald direkt in den eigenen, bald hypothetisch in den der Barbaren.761 Mit Vers 46 setzt er dann zu einer Serie von mythischen Similia an: Nicht anders ruht Mars sich aus, dimissis equis (47) übrigens, was denn doch unverkennbar auf das Marsgleichnis in silv. 1, 1, 18–21 zurückverweist; eben so ruht sich Pollux vom Sport aus, ruht Bacchus am Ganges und rekreiert sich Herkules von seinen Taten (47–51). Da all diese Vergleiche nicht an D ­ omitian heranreichen (52), bietet schließlich der Götterfürst (dux superum) selbst im Kreise Apolls und der Musen (denen in der aktualen Situation als theoretisch aktiver Sänger nun freilich Statius entspricht, worauf Andreas Krüger hinweist) beim Opfermahl der Aethiopen den besten Vergleich (53–56).762 Die Reihe ist sonderbar: Einen Kaiser mit Mars oder Herkules zu vergleichen, ist zwar topisch und fügt sich gut zu Domitians kaiserlicher Selbstdarstellung,763 mag auch Mars dort nicht die zentrale Rolle spielen; was Herkules betrifft, ist übrigens auch auf die durch Plin. nat. 34, 40 und Strab. 6, 3, 1 auf dem Kapitol bezeugte, aus Tarent dorthin verbrachte Kolossalstatue des Herakles von der Hand 760 Newlands (2002), 274, macht dissimulatus zum Anknüpfungpunkt für Überlegungen zu Domitians »ambigous divinity«, denen ich nicht folgen will (vgl. auch ebd., 276), weil ich – vielleicht zu Unrecht – nicht hinter jedem irgendwie semantisch relevanten Wort eines Textes Ambiguitäten vermuten mag. Selbstverständlich weist dissimulatus honos darauf hin, daß Domitian (prägnant gesprochen) auch ganz anders auftreten könnte, wenn er wollte. Doch was ist daran ambig? Wenn in einem Text beispielsweise ein Polizist in Uniform friedlich beim Essen sitzt, ist daraus, solange der Text nicht Hinweise in diese Richtung setzt, auch nicht zu folgern, es solle damit ausgesagt werden, daß dieser Mann jeden Augenblick seine Dienstwaffe ziehen und alles um sich herum niederschießen könnte. Natürlich könnte er. Doch was tut das zur Sache? Ähnlich Frederick (2003), 219, der das et non assurgere fas est von silv. 4, 2, 17 mit der Bemerkung kommentiert: »Allowing them to recline, Domitian underscores the fact that he can compel them to stand.« Was hätte Domitian dann Herrn ­Fredericks Meinung nach erst getan, wenn er die Gäste stehen hätte lassen? 761 Geyssen (1996), 99 f. stellt fest, daß die Charakterisierung Domitians in silv. 4, 2 weiter entwickelt und differenzierter als jene in 1, 1 sei. Das mag zutreffen, vor allem aber ist zu bedenken, daß silv. 4, 2 eine ganz andere Wahrnehmung Domitians, und diesen in einer ganz anderen Situation, schildert: Demnach ergänzen einander die verschiedenen Versuche, ­Domitian in den Blick zu nehmen, eher, wie Geyssen (ebd., 110 f.) auch schließlich resümiert. Zur Blickfokussierung auf Domitian vgl. Frederick (2003), 218 f. 762 Krüger (1998) 233. Eine exzellente Deutung des Aithiopenbildes bietet Newlands (2002), 276 f. 763 Zu Domitian und Herkules vgl. das bei Garthwaite (1978), 147–167, versammelte Material.

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des Lysipp hinzuweisen, die als weiterer Anknüpfungspunkt für das Motiv des Palatins als Gegenstück zum und Ersatz für das Kapitol geeignet sein mag, und die damit übrigens den (freilich zu extrapolierenden) Anfangspunkt eines bis zum hand­lichen Format des Hercules epitrapezios von silv. 4, 6 führenden Motivbogens innerhalb des vierten Buches bilden könnte.764 Pollux freilich überrascht ein wenig, Bacchus befremdet vollends.765 Natürlich: Will man einen Kaiser als Allgott preisen, muß man ihn auch Gottheiten in sich begreifen lassen, deren spezielle Merkmale möglicherweise nicht sonderlich passend wirken, und eine solche Tendenz wäre an sich nicht auszuschließen – der mit Ekstase und Weichlichkeit assoziierte und auch zumeist so dargestellte Dionysos aber mag noch so sehr im Laufe der Kaiserzeit sich zum beliebten Erlösergott ent­w ickeln und letzten Endes für die Ikonographie Christi Pate stehen, zwischen Mars und Herkules ist er fehl am Platz. Oder er wäre es, wenn nicht Statius hier ein im Text durch (fast) nichts als eben die merkwürdige, scheinbar ungeschickt konzipierte Götterreihe signalisiertes Spiel triebe.766 Ein immerhin halbwegs gnädiger Zufall will es, daß von der sonst verlorenen figürlichen Ausstattung der Repräsentationsräume des Domitianspalastes, jener »baulichen Konkretisierung des Regiments dieses Princeps«,767 neben einem Relief mit bacchantisch-­genrehaften Szenen768 zwei Statuen und möglicherweise der Kopf einer weiteren bekannt sind, alle drei aus schwarzgrünem Basalt und doppelt überlebensgroß (bezo-

764 Vgl. Bright (1980), 69. 765 Vgl. Leberl (2004), 176, der dieses bemerkt, doch nicht erklärt, während Szelest (1972), 312, nur simples Lob des Betroffenen sehen will. Rätselhaft Newlands (2002), 275. Gut der Verweis auf Hor. carm. 3, 3, 9–16 bei Malamud (2007), 238, der freilich nicht ausreicht, zu erklären, weshalb Domitian hier direkt mit den genannten Göttern verglichen werden kann. 766 Ein zusätzlicher Hinweis kommt immerhin ins Spiel, wenn man in Vers 52 das von ­Coleman (1988; ebd., 99, weitere Vorschläge)  inter cruces gesetzte vultus, von Shackleton ­Bailey (2003) in angeblicher Nachfolge von Markland (1728) zu visus (nicht unproblematisch!) verändert, als richtige Textform akzeptiert, wie es Marastoni (1970) und Courtney (1990) tun; vgl. auch Liberman (2010), 329. Gerade die Wiederkehr des Wortes am über­ nächsten Versschluß (54), die bisweilen Grund zum Verdacht gab, legt, zugegebenermaßen etwas brutal, die in den beteiligten vultus liegende, im zu referentialisierenden realen Er­ eignisraum beobachtbare Pointe nahe: es geht eben um die Gesichtszüge des Kaisers und um die Frage, wo sie überall auftauchen. Übrigens findet sich, soweit ich sehen kann, bei Markland (1728) weder im Text noch im Kommentar, wo (Not. 198, col. 2, lin. 4sq.) sogar nochmals die überlieferte Textform (vultus) als richtig zitiert wird, ein Hinweis auf die Konjektur visus, auch wenn Coleman (1988, 99) und Shackleton Bailey (2003, 252, Anm. 52) dieses behaupten. 767 Strobel (1994), 369. 768 Dieses knapp zwei Meter lange Relief, in der zweiten Hälfte des 18.  Jhdts. mit der Sammlung des Kardinals Polignac nach Potsdam gelangt, zeigt Ariadne, Bacchus, Mänaden, einen Pan, Satyrn und einen Panther. Es dürfte als Basis einer Säulenordnung im Inneren eines der Säle des Domus Flavia gedient haben, vermutungsweise eines der oberen Register: vgl. Strocka (2010), 114 mit Abb. 26.

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gen auf menschliches Maß; vgl. auch u. Anm. 780). Die Statuen, im April 1724 in der sog. Basilica vor der Tür zur Aula regia gefunden und seit 1814 in Parma (jetzt im Palazzo della Pilotta, Museo Nazionale), stellen Herkules und Bacchus dar, der Kopf, schon 1594 entdeckt und derzeit anscheinend unauffindbar, doch aus demselben u ­ ngewöhnlichen Material und von gleicher Überlebensgröße, ist bzw. war angeblich der einer Jupiterstatue.769 Und was noch mehr wiegt: Der Kopf der Herkulesstatue zeigt(e) möglicherweise Gesichtszüge, die an die ­Domitians erinnern bzw. diese überhöhen.770 Es ist nun nicht mehr feststellbar, welchen der Säle konkret diese Statuen schmückten, denn ausgerechnet die sog. Basilica, wenngleich Fundort, scheint mit ihren engen Säulenabständen vergleichsweise schlecht für die Aufstellung von Statuen dieser Größe geeignet, doch da auch die genaue Lokalisierung des bei Statius beschriebenen Gastmahls – einer plausiblen Theorie zufolge wurden dafür die Aula regia, die Basilica und die Cenatio Iovis gemeinsam benützt771 – nur mit der Einschränkung möglich ist, daß die vergleichsweise kleine sog. B ­ asilica noch am wenigsten den Angaben im Text zu entsprechen scheint, Aula regia und Cenatio Iovis hingegen gleichermaßen mit ihnen in Einklang stehen,772 und da ferner nicht auszuschließen ist, daß der Autor, obzwar er die Wahrnehmungs­ 769 Cantilena-Rubino [1987], 60 mit Abb. 71 und 72; Veyne (1989), 180; Megow (1994), 74 f. mit Abb. 17–20; Darwall-Smith (1996), 186 f. mit Abb. 71; Zanker (2006), 98 f. mit Abb. 142; Mar (2009), 253, Abb. 2, und 259, Abb. 5; Strocka (2010), 119–122 mit Abb. 39–42. Lanciani (1897), 164, spricht sonderbarerweise von Herkules und Apoll, wohl irrtümlich.  – Cancik (1965), 71, bezeichnet das zentrale Peristyl als Fundort der beiden Statuen und zugleich möglichen Aufstellungsort, unbekannt, auf welchen Quellen fußend. Zur Auffindung des Jupiterkopfes vgl. Royo (1999), 363. 770 Darwall-Smith (1996), 187 mit Anm.  257 (skeptisch); doch vgl. die verlorene Statue des Herkulestempels an der Via Appia, die den literarischen Zeugnissen nach jedenfalls D ­ omitians Züge trug (dazu und zu weiteren Verbindungen zwischen Domitian und Herkules vgl. u. I, Anm. 788). Für Portraitähnlichkeit, doch in nur angedeuteter, dem Betrachter die Entscheidung offenlassender Weise, die auch die Weiterexistenz der Statue nach ­Domitians Ermordung erkläre, spricht sich Schulze (2003), 361, aus und verweist weiters auf eine Gemme der staatlichen Münzsammlung in München, die einen opfernden Herakles mit wiederum angedeuteten Zügen Domitians zusammen mit einem Adler zeigt (ebd.). ­Trajan ging offenbar wie so oft geschickter vor und ließ sich zwar mit Herakles’ Attributen, aber eben nicht unmittelbar als Herakles darstellen (Statue im Museo Nazionale Rom: Schulze, ebd., 362). 771 Zanker (2006), 93–96 mit Abb. 138. Der Ausdruck cenatio Iovis, der häufig für silv. 4, 2 in Anspruch genommen wird, stammt aus Hist. Aug. Pert. 11, 6, und kann daher nicht ohne weiteres auf Domitians Zeit übertragen werden. Möglich ist aber, daß ein zu Domitians Repräsentationslinien gut passender Jupiterbezug, in der Ausstattung des Raumes in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebracht (etwa durch eine Serie von Statuen, unter denen J­ upiter wohl eine zentrale Position einnehmen mußte), fortdauerte und damit auch Generationen später noch den Raum im Sinne seines Erbauers kennzeichnete. 772 Bek (1983), 102, bietet eine besonnene Argumentation dafür, den Text auf die Cenatio zu beziehen.

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instanz im Text auf einen einzigen Stand- oder besser Liegepunkt bannt, Elemente aus verschiedenen Sälen in ein einziges Bild zusammenzieht, verschlägt dies wenig.773 Die Deckungsgleichheit der aufgefundenen Bildwerke mit der ­Götterliste in silv. 4, 2, 46–56, die ihrerseits noch einer zusätzlichen Erklärung bedarf, ist zu eindeutig, um nicht den Schluß nahezu­legen, daß Statius den Kaiser und das ihn umgebende Statuenprogramm in eins zieht, gleichsam zusammensieht – wenn wirklich die individuell wirkenden Gesichtszüge der Herkulesstatue die des Domitian andeuten bzw. vor einer nach D ­ omitians Ermordung allenfalls denkbaren leichten Überarbeitung noch deutlicher als solche zu erkennen waren, dann ist die Sachlage vollends klar.774 Übrigens nimmt der Herkulesvergleich im Text mit zwei Versen immerhin mehr Raum ein als die vorangegangenen mit je nur ein bis anderthalb Versen, und ist zugleich durch seine Stellung vor dem freilich noch umfangreicheren und durch Vers 52 extra eingeleiteten Jupitervergleich hervorgehoben:775 Ihm kommt also wohl besondere Bedeutung zu, nicht bloß textimmanent, sondern auch hinsichtlich der Referentialisierung auf die besagten Statuen. Im Umkehrschluß ist zu folgern, daß auch mindestens eine Statue des ­Pollux bzw. Statuen der D ­ ioskuren einen der Säle schmückten, wohinzu noch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Apoll (silv. 4, 2, 56) und vielleicht auch die Musen (55) kamen.776 Mit letzteren konnte Domitian denn freilich nicht verglichen werden, und so kann auch erklärt werden, daß bis auf die indirekt ins Spiel gebrachten Musen nur männliche Gottheiten aufgelistet werden, während in einem auf Domitian zugeschnittenen Statuenprogramm seine persönliche Schutzgottheit Minerva (deren Kranz der Sprecher immerhin am Gedichtschluß verliehen bekommt!), und in einem als Gegenkapitol entworfenen Palatin schließlich auch Juno zur Komplettierung der kapitolinischen Trias schwerlich fehlen konnten.777 Weitere Kandidaten sind denkbar: Diana etwa als Gegenstück zu Apoll, Ceres (mit Triptolemos als Parhedros?) als Pendant zu 773 Lanciani (1897), 158, schlägt als plausibelste Lokalisierung die Säulenzwischenräume /  Nischen der Aula regia vor. An der Plausibilität wie an der Unbeweisbarkeit dieser Hypothese hat sich m. W. seither nichts geändert. 774 Eine derartige Verbindung zwischen Statius’ Text und den Parmenser Statuen sehen bereits Zanker (2006), 99, und Rühl (2006), 338. Vgl. Suet. Dom. 13, 2 sowie Mart. 1, 70, 5sq.: inde sacro veneranda petes Palatia clivo, / plurima qua summi fulget imago ducis. Taisne (1994) freilich zieht eine Verbindung zwischen silv. 4, 2, 51 gaudebat und 4, 6, 55 g­ audens und parallelisiert Domitian mit der Miniaturstatuette im Besitz des Novius Vindex. Mir erscheint die Parallelisierung des Kaisers mit dem überlebensgroßen Herkules in seinem ­eigenen Thronsaal offen gestanden näherliegend. 775 Sauter (1934), 84. 776 Zu Apoll vgl. u. I, Anm. 780. 777 Immerhin führte Domitians notorische Verehrung als Jupiter konsequent zur Gleichsetzung seiner Frau mit Juno: Clauss (1999), 126. Daß dies Effekte auf ein allfälliges Bildprogramm der kaiserlichen Residenz haben mußte, kann man annehmen.

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Bacchus.778 Das ergibt bei einigen Variablen eine freilich jederzeit erweiterbare Reihe von etwa fünf bis neun Statuen, also einen angesichts der mächtigen Größe der gefundenen Plastiken, doch auch der zur Verfügung stehenden Räume, durchaus plausiblen Wert.779 Denn nimmt man an, daß diese Statuen in irgendeiner Weise jeweils vor oder in den durch Säulen als Wandvorlagen abgegrenzten nischenartigen Kompartimenten eines der beiden größeren Säle standen, und zwar aufgrund ihrer eine Anbringung höher oben sehr unwahrscheinlich machenden Größe in einem einzigen Register in der untersten Raumzone,780 so findet man in der sog. Aula regia, also zunächst dem Fundplatz der Parmenser Plastiken, Platz für acht bis neun Statuen: Je drei an den Längswänden, je eine links und rechts der nordöstlichen Apsis, und nötigenfalls, doch höchstens für eine Jupiterstatue und damit vielleicht als Gegenstück zum bei bestimmten Anlässen in der gegenüberliegenden Apsis befindlichen Kaiser denkbar, noch eine in der südwestlichen Apsis; die übrigen Wandabschnitte 778 Vessey (1983), 216, spekuliert bereits darüber, ob die in den Versen 34–37 erwähnten Gottheiten auf Wandgemälde des Saals anspielen. Freilich ist von solchen nichts bekannt, es ist sogar eher unwahrscheinlich, daß ein Saal, dessen Wände mit Marmorplatten verkleidet waren, auch noch mit Fresken geschmückt war, von der Möglichkeit eines oberhalb der Marmorverkleidungen umlaufenden und damit vom Standpunkt des normalen Betrachters aus schon aufgrund seiner extrem hohen Anbringung nur schwer wahrnehmbaren Frieses vielleicht abgesehen. Mit Recht weist Vessey (ebd.) aber darauf hin, daß eine solche Ein­beziehung des Bilderschmucks in den Text strukturell dem medius videor discum­ bere in astris (10) ähnelt, das ja ebenfalls auf eine Gegebenheit des realen Raumes, die stern-/­ blumen­geschmückte Kassettendecke, Bezug nimmt. 779 Hinzu kommt als weiterer theoretischer Kandidat Neptun, auf den man in den Versen 53–56 einen indirekten Bezug erkennen könnte. Denn die Teilnahme Jupiters am Opfermahl bei den halbmythischen Aithiopen ist zwar ein gut homerisches Motiv (Hom. Il. 1, 423–425; cf. Il. 23, 205–207), doch im Lichte des Gedichtbeginns, wo die gegenständliche F ­ estivität mit Odysseus’ Bewirtung bei den Phaiaken gleichgesetzt wird, könnte man ebensogut an ­Poseidon / Neptun denken, der selbst ähnlich seinem Bruder Zeus bei den Aithiopen weilt (Hom. Od. 1, 22–26; 5, 282) und damit Odysseus’ Überfuhr von Ogygia zu den P ­ haiaken erst ermöglicht, wenn auch durch sein Dazwischentreten im letzten Moment noch einmal ver­ zögert. Nur die Wendung dux superum (silv. 4, 2, 55) macht im Text klar, daß primär Jupiter gemeint ist. 780 Die Möglichkeit eines zweiten Statuenregisters auf der Höhe der zweiten Wandzone, wie sie die Rekonstruktion der Aula regia von G. Gatteschi (1924) vorschlägt, kann freilich nicht ausgeschlossen werden (vgl. Abb. 139 bei Zanker [2006], 95), doch bietet der archäologische Befund der beiden großen Säle m. W. keine Indizien dafür. Immerhin aber weist Royo (1999), 357 f., Anm. 235, mit Recht auf die aus dem gleichen schwarzgrünen Basalt gemeißelte Statue des sog. Apollo Farnese hin (jetzt Neapel, Museo Nazionale, inv. 6262), die man mit Vorsicht dem gleichen Ausstattungsset zurechnen kann, deren Größe aber um über einen Meter geringer ist als die der beiden Parmenser Statuen: Zusammengehörigkeit vorausgesetzt, hat man es also entweder mit unterschiedlich großen Statuensets in verschiedenen Sälen zu tun, oder mit mehreren Registern von Statuen unterschiedlicher Größe in einem Saal. Der Text bietet dazu keine Entscheidungshilfe, da mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß Ausstattungsstücke von mehreren Sälen bei Statius in eins gezogen erscheinen.

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sind aufgrund von Türöffnungen nicht für die Aufstellung von Statuen geeignet. In der sog. Cenatio Iovis hingegen scheinen Aufstellungsmöglichkeiten für sechs bis sieben großformatige Plastiken geboten: Je drei an den Längswänden vor den Fensteröffnungen zu den seitlichen Brunnenhöfen,781 sowie eine weitere in der Apsis, was freilich implizieren würde, daß diese als Reservatbereich für den Kaiser damit nicht mehr ohne weiteres dienen konnte; wiederum stehen weitere Wandkompartimente aufgrund von Durchgängen nicht zur Ver­ fügung. Die Zahl der verfügbaren Plätze liegt in beiden Sälen innerhalb des aus dem Gedicht erschlossenen Rahmens  – die Beweisführung, daß Statius mit seiner sonderbaren Götterreihe sich nicht unmittelbar auf den Kaiser bezieht, sondern mittelbar auf dem Umweg über das Ausstattungsprogramm des Raumes, kann also mit gebührender Vorsicht zwar nicht als rektifiziert, doch ­immerhin als nicht falsifiziert gelten. Der Bezug auf den Kaiser bleibt freilich komplex: Entgegen den Beschreibungen in silv. 4, 2, 46–56 war selbstverständlich keine der Gottheiten liegend dargestellt  – das Element des Ruhens und ­Liegens bezieht sich auf den lebenden Kaiser, der im Kreise jener Gottheiten tafelt. Allerdings lag römischem Denken die Möglichkeit einer normalerweise stehenden, unter bestimmten Bedingungen aber doch liegenden und sogar speisenden Statue nicht fern, geschieht genau dieses doch bei einem l­ ectisternium, wenn Götterbilder (freilich nicht gerade überlebensgroße aus Basalt, doch das spielt keine Rolle) auf Polster (pulvinaria) gebettet und bewirtet werden. Gerade im Kontext eines göttlichen Mahles also erscheint die wesentlichste Eigenschaft einer Statue, ihre Versteinerung in einer bestimmten Haltung, a priori aufhebbar, was wiederum Statius’ Vergleichen zugutekommt.782 Für eine solche Beziehung der bildlichen Ausstattung eines Innenraumes auf die in diesem Raum anwesende und ihn durch ihre Präsenz interpretatorisch definierende Hauptperson läßt sich beineben noch eine Statiusparallele anführen: Im vorletzten Abschnitt des ausführlichen Epikedions für Priscilla (silv. 5, 1) beschreibt Statius deren Grab, das zunächst mithilfe eines episch-­topischen est locus … am Übergang der Via Appia über den Bach Almo783 lokalisiert (silv. 5, 1, 222–224), sodann teils als Ereignisraum der geschilderten Beisetzungszeremonie, teils durch direkte Beschreibung skizziert wird (225–246). Neben kostbarem Marmor, der hier wie in zahlreichen Architekturbeschreibungen des Statius ein zentrales Element sozialer Distinktion ist,784 rückt der Text besonders Darstellungen von Göttinnen ins Bild, die offenkundig die Grabkammer z­ ierten, 781 Deren heute noch sichtbare teilweise Vermauerung ist späteren Datums: Ungaro (1979), 108 und Abb. 7 (leider spiegelverkehrt); Photos dazu bietet Finsen (1969), 15, Abb. 3 und f. 782 Vgl. Clauss (1999), 245 f. – Zur Spannung zwischen Gottheit und Statue nach wie vor anregend: Gordon (1979), 16 f. 783 Heute etwas außerhalb der Aurelianischen Mauer kurz vor der Gabelung von Via Appia Antica und Via Ardeatina. 784 Zeiner (2005), 84–89.

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­konkret eine Bronzestatue der Ceres (232), eine weitere der Ariadne (232),785 eine aus Ton gefertigte Darstellung der Maia (233) und eine steinerne, d. h. wohl marmorne Venusstatue. Sie alle tragen die Züge der Verstorbenen, wie der Text überdeutlich ausspricht: mox in varias mutata novaris / effigies (231sq.) und ­accipiunt vultus non indignata decoros / numina (234sq.), und insgesamt resultiert aus dieser lebensnahen Bevölkerung des Grabes dessen Umwandlung in eine domus (237), in der auch regulärer cena-Betrieb stattfindet (235–237).786 Die Parallele zur Deutung des Saales auf dem Palatin liegt auf der Hand, und zu allem Überfluß schließt sich daran noch die schon o. bei Anm. 357 erwähnte Bezugnahme auf das aliud caelum der gens Flavia (silv. 5, 1, 239–241), das der Text ausdrücklich als Parallele zu Priscillas Grab bezeichnet: Demnach war der flavische Familientempel mit Götterstatuen ausgestattet, die ihrerseits die Züge verstorbener und vergöttlichter Flavier trugen – an sich keine ungewöhnliche Vorstellung, doch es wäre gerade im Hinblick auf die Literatur der Zeit interessant zu wissen, welcher Gott den einzelnen Familienmitgliedern jeweils zu­ geordnet war!787 Die Identifikation einer menschlichen Person mit den Bildwerken, die einen wesentlich um diese eine Person herum errichteten und interpretierbaren Raum ist also nicht nur allgemein etwas ohne weiteres Vorstellbares, sondern auch bei Statius nichts Einmaliges; daß er auch mit anderen bildlichen Sujets in raffinierter Weise umzugehen versteht, ohne auf den Zusammenhang mit bildlichen Darstellungen selbst expressis verbis hinzuweisen, wird im Kapitel zu den Villengedichten noch zu zeigen sein (vgl. u. 505–544). Dennoch bleibt die Frage, weshalb insbesondere Bacchus direkt mit dem Kaiser verglichen werden kann, zumal die heute in Parma befindliche Statue selbst keinerlei Portraitähnlichkeit aufzuweisen hat. Ein Vorschlag zur Antwort könnte folgendermaßen lauten: Die kaiserliche Repräsentation sah vor, den physisch selbst anwesenden Kaiser im Kreise der durch Statuen anwesenden Götter gleichsam zu multiplizieren, indem mindestens die Statue des Herkules Domitians Gesichtszüge trug. In der Tat ist gerade beim späten Domitian eine Tendenz erkennbar, sich nicht (mehr nur) als Jupiter, sondern (auch) als Herkules zu gerieren,788 die Steinmetz 785 Der Text macht nicht restlos klar, wohin in der Auflistung hoc aere Ceres, hoc lucida Cnosis, illo Maia luto (silv. 5, 1, 232sq.) das zweite hoc zu beziehen ist, zu aere oder zu luto: was freilich für die Interpretation des Textes auch nicht sonderlich von Belang ist. 786 Vgl. Gibson (2006), 165. 787 Vgl. Zeiner (2007), 179 f. 788 Cf. Mart. 9, 64. 65. 101 wohl aus dem Jahr 94: Domitian als Hercules maior; ähnlich indes schon Mart. 5, 65 aus den späten achtziger Jahren. Die drei Gedichte im neunten ­Martialbuch beziehen sich überdies konkret auf den durch Domitian an der Via Appia errichteten Herkulestempel (archäologisch unidentifiziert), dessen Kultbild Domitians Gesichtszüge trug: Darwall-Smith (1996), 133–136. Ferner: Den Brustpanzer der Reiterstatue von Misenum ziert eine Darstellung des kleinen Herkules mit den Schlangen (Darwall-Smith

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arbeit fügt sich also ins kaiserliche Programm, welches übrigens keineswegs besonders neuartig war.789 Für den menschlichen Betrachter war Domitian nun mindestens dreifach präsent: Als Domitian, als Herkules und, durch die kaiserliche Propaganda seit Jahren ununterbrochen verkündet, als Jupiter, auch wenn eine Jupiterstatue schon aufgrund des Bartes schwerlich besondere Ähnlichkeiten mit ­Domitians Zügen aufweisen konnte. Der Statius als Sprecher, der sich gerade im ­Aithiopenvergleich indirekt selbst in die Rolle Apolls und der Musen manövriert hat, die anwesenden Gäste in die der Aithiopen,790 verkündet also als ­›licensed spokesman‹, wie es dem Wahrheit kündenden Apoll zukommt, die Ausdeutung des Figurenprogramms im Sinn des Hausherrn, d. h. er demonstriert, daß er dieses begriffen hat. Was dann passiert, ist schon aus dem die panegyrischen Präliminarien absteckenden ersten Text der Sammlung bekannt: Der Sprecher, ­Domitian gegenüber in jeder Hinsicht unterlegen, vergaloppiert sich ähnlich dem M. Curtius in silv 1, 1, 66–83 (vgl. o. 105–110) und kommt vor lauter Ehr­erbie­ tung, indem er nämlich in jeder Statue Domitian abgebildet finden will (man beachte das mehrfach erscheinende vultus in 52 und 54, das sich ausgerechnet auf die Jupiterstatue bezieht, also jene, die neben Herkules in der Tat als erste in den Verdacht kommen mußte, Domitian abzubilden!) zu zum Teil absurden Ergebnissen, erweist sich also gerade nicht als allwissend, sondern bedarf im Sinne eines »Halt, so war es nicht gemeint!« der Korrektur durch den als impliziter Rezipient des Textes ja theoretisch auch zur Antwort befähigten Kaiser.791 Somit ist das panegyrische Normalverhältnis zwischen Sänger, der gleich im folgenden sich als minor bezeichnen wird (57) und nach Carole Newlands die Rolle eines [1996], 229; Cantilena-Rubino [1987], 57–60 mit Tafel VI). Der quadratische Brunnen des versenkten Peristylhofes in der Domus Augustana auf dem Palatin zeigt ein Muster, das Zanker (2006), 92, als vierfache Pelta und damit auf den Amazonensieger Herkules deutet; vgl. weiteres o. Anm. 770. 789 Herkules als mythischer ›Troubleshooter‹ (man verzeihe das häßliche Wort) und ansatzweiser Erlöser, zugleich als (halber) Mensch, der in den Kreis der Götter aufgenommen wird, ist ein guter und gern genützter Bezugspunkt für jeden römischen Kaiser: Sauter (1934), 78–85; vgl. etwa auch den Komplex der Augustales in Herculaneum, dessen dem vierten Stil zuzuordnende Fresken vor allem Herkules darstellen, in einem Fall sogar seine Aufnahme in einen durch Juno, Minerva und den in einem Regenbogen symbolisierten Jupiter umrissenen Olymp, also das Kapitol mit seiner Trias (auf diese Fresken verweist en passant schon Cancik [1965], 84). Die Parallelisierung Olymp-Kapitol sowie Kaiser-Herkules ist also schon in frühflavischer Zeit ohne weiteres anzutreffen. Vgl. auch Garthwaite (1978), 149–167, freilich mit notorischer Interpretation im Sinne des two-voices-Konzepts. 790 Leberl (2004), 169 zeichnet gut die Parallele zwischen der im Gedicht angenommenen Vortragssituation des Statius auf dem Palatin und der des Apoll bei den Aithiopen nach, freilich mit dem (methodisch problematischen) Ziel, daraus ein Indiz für den tatsächlichen Vortrag des Gedichtes durch Statius zu gewinnen. 791 Vgl. Newlands (2002), 269, die feststellt, Statius zeige sich »wittily pushing the limits of imperial praise«.

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naiven Außenseiters spielt,792 und Besungenem gewahrt. Außerdem ergibt logische Nachrechnung, daß, wenn Domitian dem in Statuen­gestalt gegenwärtigen Bacchus entspricht, die anwesenden Gäste, unter ihnen der Sprecher, in die Rolle des dieser Statue als kleine (also ebenfalls minor) Begleit­figur beigegebenen ­Silens schlüpfen, also gleichfalls einiges von ihrer römischen upper-­class-Würde einbüßen.793 Zugleich weist der Sprecher aber auch wiederum genaue Beobachtungsgabe nach: Die barbari hostes (cf. 44), die Domitian selbst dann erkennen würden, wenn er sich jovial und privat gibt wie beim Gastmahl, sind wohl nicht zuletzt die durch ihn unterworfenen Daker und Germanen. Nun zierte die Aula regia ein Fries, der, soweit die Fragmente noch erkennen lassen, figürliche Szenen aus kriegerischem Kontext, Viktorien und Waffen bzw. ­Tropaia zeigte, und zwar konkret dakische und germanischen Waffen.794 Es ist vielleicht nicht übertrieben, auch die Verse 44 f. solcherart mit dem tatsächlichen bildlichen Schmuck des zu referentialisierenden Raumes (bzw. der Räume, falls Statius Elemente aus mehreren ein eins zusammenzieht) in Verbindung zu bringen,795 womit man gleichzeitig Martha Malamuds geistvoller, doch irriger Theorie den Boden entzieht, Statius wolle gerade durch den Verweis auf den im Vergiltext ja ausdrücklich statuengeschmückten Palast des Latinus in silv. 4, 2, 17 den Domitian umgebenden Raum extra spürbar frei von Bildwerken halten, um ihn über vergilinterne Anspielungen (die ich freilich schon als solche nicht nachvollziehen kann: Wieso sollte bei Vergil der Palast des Latinus eine so negative Komponente erhalten?) weiter an die Höhle des Polyphem und damit 792 Newlands (2002), 363; vgl. Bishop (1966), 17: »… what we are seeing is a poet who was an ordinary middle-class man putting his hand to the sort of tasks he found congenial.« (ähnlich ebd., 27). Nun ist die Teilnahme an einem Bankett im Kaiserpalast sicherlich nichts, was dem Erfahrungshorizont des durchschnittlichen »middle-class man« angehört, und insofern ist Bishops Dictum jedenfalls für silv. 4, 2, letztlich aber für alle panegyrischen Gedichte des Statius mit Vorsicht zu betrachten. Doch daß der Dichter in diesen Texten immer wieder die Rolle des durchschnittlichen Untertanen spielt, ist ohne Zweifel richtig. 793 Vgl. die o. Anm. 769 zitierten Abbildungen. 794 Darwall-Smith (1996), 188; vgl. Coarelli (2009), 506.  – Newlands (2002), 275, sieht darin eine grundsätzliche Ambiguität dieses Palastes (»a highly ambigous architectural space«) und hat damit zweifellos recht, nur ist damit interpretatorisch nichts gewonnen. Denn diese Ambiguität wäre auch ohne militanten bauplastischen Schmuck gegeben, vereint der Hausherr doch so verschiedene Facetten wie die des dominus (vgl. Vers 6 dominamque … mensam) bzw. pater familias, des Armeeoberkommandanten, des pontifex maximus, ferner des gegenwärtigen Gottes, des Zentralgestirns im Kosmos usw., in sich. Die Ambiguität des Gebäudes ist also nicht weiter bemerkenswert, sondern spiegelt schlicht die tatsächlichen Verhältnisse rund um den Kaiser wieder. Geschähe dies hingegen nicht, bestünde wirklich Erklärungsbedarf. Eine Pfarrkirche mit angeschlossenem Pfarrhaus zum Beispiel ist durch die architektonische Repräsentanz zweier verschiedener Lebensbereiche des Pfarrers ebenso ambig, und gerade das ist vollkommen normal. Sonderbar wird es erst, wenn der Pfarrer in der Kirche wohnt, oder aber wenn ein Pfarrhof steht, wo gar keine Kirche ist. 795 Auch Leberl (2004), 179, sieht die Verbindung zwischen den Siegen Domitians und den Völkern in Vers 44, doch ohne den konkreten Raum einzubeziehen.

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Domitian an den Zyklopen anzugleichen.796 Im Gegenteil: Statius demonstriert am Beispiel von Domitians Innenraum seine Fähigkeit, gegebene Ausstattungselemente zu einem intelligenten Gesamtkonzept zu verweben, ohne sie sämtlich explizit aufzulisten: Ähnliches wird an silv. 1, 3 zu beobachten sein (vgl. u. 505–532), nur daß in silv.  4, 2 die Person des Hausherrn, d. h. des Kaisers, ungleich stärker im Mittelpunkt steht und von der ihn umgebenden Architektur gleichsam nur gerahmt wird, diese also als Blickfang und Bedeutungsträger übertrifft.797 Doch damit wird sie nicht unwichtig: Gerade das triclinium war in der römischen Architektur ein Raum, dessen sorgfältig konzipierte künstle­ rische Ausgestaltung nicht bloß einen allgemein dekorativen Effekt intendierte, sondern dem Hausherrn und seinen Gästen eine Bilderwelt bot, die – und von diesem gemeinsamen Punkt aus laufen ganz verschiedene Entwicklungslinien in verschiedene Richtungen auseinander  – den Akt des gemeinsamen Essens und Trinkens bzw. noch allgemeiner das Beisammensein in weitere Dimensionen ausdehnt und ihm dadurch fernere Bedeutung verleiht.798

d) silv. 4, 2, 57–67 Der Schlußabschnitt des Gedichtes bringt zwei Neueinsätze dieses Sprechers, auch das übrigens eine Parallele zum Equus maximus, wo die entgleiste Rede des Curtius ja ebenfalls durch einen Neueinsatz aufgefangen wurde (silv. 1, 1, 84): Allgemeine Bitten für den Kaiser (silv. 4, 2, 57–62), von denen das Motiv des Tempelbaus schon erwähnt wurde (vgl. o. 253) und die vor allem noch eine Verklammerung zu silv. 4, 1 herstellen, indem auf die Feiern zum Jahresbeginn bei Konsulatsantritt verwiesen wird (60sq.).799 Damit, d. h. mit Vers 62 als Schluß des einzigen Gebets für Domitian, das Statius in seinen Gedichten bietet, wäre das ­ eiterer Gedicht an sich zu einem guten Schluß geführt,800 doch folgt noch ein w 796 Malamud (2007), 233–237, bes. ebd. 234: »Domitian’s hall, as described by Statius, lacks not only imagines of the ancestors, but any form of representational artwork.« 797 Vgl. Bek (1983), 101 f.; Nauta (2002), 392. 798 Bek (1983), 85 zu einigen Beispielen von Triclinia aus dem zweiten Stil: » …the persons staying within the room must have felt themselves transposed into this higher sphere of art-born reality.« Gerade für die kaiserlichen triclinia des ersten Jahrhunderts stellt Bek (ebd., 104) aber ähnliche Tendenzen fest: Architektur und Dekoration wirken zusammen, um die Teilnahme am kaiserlichen Mahl zu überhöhen. 799 Vollmer (1898), 447 schloß (freilich nur als Vorschlag) daraus, daß das in silv. 4, 2 besungene Mahl im Zusammenhang mit dem Konsulatsantritt des Jahres 95 stand; ebenso Cancik (1965), 82. Die Hypothese ist zwar nicht unmöglich, aber auch nicht weiter nach­ zuweisen: Vössing (2004), 313, Anm. 1. 800 Symptomatisch etwa Vessey (1983), 220, der 57–67 als Schlußwendung für unerläßlich erklärt (was zutrifft), sich aber in seinen Ausführungen dazu ausschließlich auf 57–62 bezieht. Zum Gebetscharakter und zu inhaltlich vergleichbaren Passagen: Geyssen (1996), 127 f.

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Abschnitt, in dem der Autor sich selbst ungewöhnlich persönlich ins Spiel bringt. Diese an manche Gedichte des Horaz erinnernde Technik801 führt hier zu einer Ringkomposition, die auf den Beginn des Gedichts, den mythischen Gleichniskomplex rund um das Gastmahl und die Stellung des Ich bei demselben zurückführt, d. h. auch auf das Motiv der vergangenen, doch gleichsam alta mente re­ postum präsenten Niederlage bei den kapitolinischen Spielen: »Der Tag, an dem diese Bewirtung stattfand, hat mir nach langer Zeit (64: longo post tempore; cf. 12sq.) das Licht gebracht analog zu damals, als du mich zum Lohn für meine Dichtung über Deine Kriege in Alba zum Sieger im Dichtwettbewerb kröntest.« (63–67). Da tut sich also eine Enfilade von Gleichsetzungen auf, die abschließend die Quintessenz des Textes nochmals bündelt und zugleich überraschend auf die persönliche Situation des Ich umlenkt. Die Bewirtung auf dem zum Hauptgegenstand des Gedichtes gemachten Palatin mit ihrem (vielleicht fiktiven, doch das ist egal) Gedichtvortrag durch Statius entspricht der wirklich erfolgten Dichterkrönung in Alba und kompensiert bzw. ersetzt die nicht erfolgte auf dem Kapitol.802 Bedenkt man die sonderbar distanziert zu Rom konstruierte Situation des Autors im Text (vgl. o. 227–236), seinen Weggang nach Neapel, drängt sich freilich die Vermutung auf, daß diese Kompensation nicht bloß spät kam, sondern zu spät, und daß dieser Ersatz nicht hinreichte, Statius in Rom zu halten (falls irgendeinem der Beteiligten daran überhaupt gelegen war). Immerhin aber: Domitians Mahl auf dem Palatin ersetzt einen Sieg auf dem Kapitol, bzw. genauer im Odeum auf dem Marsfeld anläßlich der kapitolinischen Spiele.803 Das kann es, weil allgemein der Palatin das Kapitol ersetzt: Domitian als Jupiter im Kreise der olympischen Götter, wie man ihn in seiner Halle er 801 Ähnlich mehr oder minder unvermutete persönliche Schlußwendungen haben etwa Hor. carm. 1, 5. 14; 2, 1; 3, 3. 29; 4, 15. 802 Rühl (2006), 99, deutet etwas sehr Wesentliches an, wenn sie silv. 4, 2 »unter dem Stichwort ›Einladung‹ statt unter der ebenfalls denkbaren Einordnung zu ›Einweihung‹ rubriziert: Der den konkreten Anlaß bildenden Einladung auf den Palatin entsprang im Text die Interpretation des Palastes, die prinzipiell anlaßunabhängig ist. Aus ihr aber geht am Schluß des Gedichtes wiederum eine Einweihung hervor, die des Sprechers nämlich, in der Ummünzung der Einladung des Statius auf seine (mehr oder minder ersatzweise, doch wie auch immer) ›Dichterweihe‹. 803 Vgl. o. I, Anm. 717. Bedenkt man die Wirkung, die der ungewohnt große Innenraum des (durch ein freitragendes Dach geschlossenen) Odeums auf seine Besucher gehabt haben muß, und erst recht mit seinen gegenüber den gewohnten kleinen Innenräumen oder großen, doch offenen Theatern veränderten akustischen Möglichkeiten auf die dort auftretenden Sänger, faßt man möglicherweise eine weitere Facette des Kompensationscharakters der cena für jene Niederlage (oder Niederlagen: Hardie [2003], 144) ins Auge: Für das Ich des Textes ersetzt der Palastsaal nicht bloß den kapitolinischen Tempel, sondern auch das Odeum, das freilich als vergleichsweise unsakrales, niedrigerrangiges Gebäude unerwähnt bleibt. Hinzu kommt, daß die Formulierung saevum ingratumque dolebas / mecum victa Iovem (silv. 3, 5, 32sq.; vgl. Garthwaite [1989], 87 f.) den Gedanken nahelegt, daß Statius beim kapitolinischen Agon ein Gedicht auf Jupiter bzw. Domitian als Jupiter vortrug und dennoch den

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blickt, ist der Olymp, mithin in geläufiger Gleichsetzung das Kapitol.804 Schon zu silv. 4, 1 konnte gezeigt werden, wie dort die kaiserliche Präsenz den traditionellen Raum der Stadt Rom neu gewichtet, das Forumsich dem Palatin unterordnet. Das Kapitol wurde dort ausgespart (vgl. o. 210 f.): Umso eindeutiger beschäftigt silv.  4, 2 sich mit dieser im realen Stadtraum der flavischen Zeit unverkenn­ baren Verschiebung: Dem durch Domitian zwar prächtig ausgeschmückten,805 doch vergleichsweise kleinen Kapitol mit seinem altmodischen (und gerade damals alle paar Jahre nach einem Brand neu aufzubauenden,806 d. h. der Wahrnehmung der Zeitgenossen wohl eher als Dauerbaustelle denn als ehrwürdiges Kultzentrum geläufigen) Jupitertempel und seiner Ansammlung kleinerer, in keinem Fall besonders auffälliger Heiligtümer stand im Stadtbild in der Tat der weitläufigere, durch die Kaiserpaläste der claudischen und der flavische Zeit architektonisch ungeheuer überhöhte, optisch gleichsam aufgerüstete Palatin als übermächtiger Kontrapunkt gegenüber; erst recht, wenn man bedenkt, daß gerade in flavischer Zeit auch die sog. Domus Tiberiana mit einer vorgeblendeten Fassade zweifellos imposanter (da von tiefer unten emporragend) als zuvor gestaltet wurde,807 und daß zur Velia hin der Nordflügel des Domitianspalastes auf der mächtigen Terrasse der sog. Vigna Barberini diese Fassade mehr oder minder fortsetzte.808 Die kompakte Baumasse, zu welcher der Palatin dadurch wurde, interagiert denn auch im Text nicht mit ihrer Umgebung, sie wird bloß vom Kapitol bestaunt, selbst aber blickt sie – nicht unbedingt typisch für die Architektur der Zeit, aber vollkommen in Deckung mit dem baulichen Befund der RepräSieg nicht errang (zu Jupiter als Gedichtthema bei diesen Wettkämpfen vgl. Nauta [2002], 331): Wenn er nun durch Domitian / Jupiter bewirtet wird, kommt diesem Umstand dann noch weitergehender Kompensationscharakter zu. 804 Vgl. z. B. das o. 263 erwähnte Fresko aus der Kultstätte der Augustales in Herculaneum. 805 Frederick (2003), 200: »Domitian’s glittering Capitoline was a ready symbol of tyrannical abuse and moral decay.« Frederick trifft damit in der Tat eine mögliche Interpretation von Domitians Bauten durch die Zeitgenossen, nämlich durch jene in ihrer anachronistischen Sicht ihrer Gegenwart liebenswürdig weltfremde Opposition gegen den letzten Flavier, der etwa ein Tacitus angehörte. 806 Vgl. Packer (2003), 174. 807 Vgl. Klodt (2001), 40 f.; Die Sachlage scheint kompliziert: Krause (1987), 785, spricht nur für die Nordwestfront der Domus Tiberiana (immerhin die dem Kapitol zugewandte!) von einer »facciata di rappresentanza«, während die Nordostfassade, durch die domitia­ nischen Vorbauten immerhin stärker aus dem Hügel hervortretend, zu einer Art Hinterhoffassade geworden wäre. Über die Detailgestaltung dieser Front ist freilich nichts bekannt. Doch selbst wenn es sich um eine häßliche Feuermauer ähnlich der Außenmauer des ­Augustusforums gehandelt haben sollte, so zeigt doch das gerade erwähnte Beispiel, daß selbst fernsterlose Monumentalität Bestandteil eines Repräsentationsbauwerks sein konnte: vgl. Zanker (1987), 483–486. In Bezug auf die Domus Flavia hatten die Zubauten zur Domus Tiberiana ja optisch nur den Zweck, einen Unterbau zu liefern, und das leisteten sie in jedem Fall, vielleicht als unverzierte Sockelzone sogar besser als wenn sie den über ihr aufragenden Gebäuden hinsichtlich des Prunkes Konkurrenz gemacht hätten. 808 Vgl. André u. a. (2006), bes. 124 mit Abb. 172.

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sentationssäle der Domus Flavia – gerade nicht nach außen, sondern bildet vor allem einen auf sich selbst bezogenen Innenraum, der nur über das Bindeglied des Hausherrn über sich hinausverweist, nämlich auf andere Seinsstufen: den Olymp und den Sternenhimmel.809 Gerade dieser Abgeschlossenheitscharakter des Kaiserpalastes gegenüber seiner (physischen, nicht metaphysischen) Außenwelt rief prompt negative Reaktionen bei Domitians Gegnern hervor, die sich eher an eine Höhle mit darin vor sich hin brütendem Ungeheuer erinnert fühlten.810 Man fragt sich allerdings, was an solcher Abgeschlossenheit so auffällig war, denn sowohl der omnipräsente Bautypus der domus als auch verschiedene Arten öffentlicher Bauten zeichnen sich gerade durch ihre Abschottung vom Draußen aus, die so weit gehen kann, daß (außer im unmittelbaren Eingangsbereich) oft auf eine monumentale oder auch nur irgendwie ästhetische Fassaden­gestaltung verzichtet wird, die unverzierte Außenmauer geradezu zum betonten, doch deswegen noch nicht kritikwürdigen Trennungszeichen wird.811 Lockeres Interagieren mit der umgebenden Landschaft mithilfe von sich öffnenden Höfen, nach außen gewandten Kolonnaden sowie Durchblicksöffnungen aller Formate ist eher typisch für den Villenbau im außerstädtischen Bereich, dessen Baukonzept der flavische Kaiserpalast mindestens in dieser Hinsicht demonstrativ nicht folgte – immerhin galt es auch, sich von Neros Domus aurea abzusetzen, die als in die Stadt verpflanzte Villeggiatura bekanntlich auf heftige Kritik gestoßen war. Fazit: Der römische Kaiser konnte bauen, wie er wollte, es fanden sich in jedem Fall Kritiker, insbesondere wenn er der letzte seiner Dynastie war und die Kritiker schon die nächste bedienten.812 Vom Kapitol, das der jupiterhafte Domitian seiner eigenen Auffassung nach in den Kämpfen des Jahres 69 einst verteidigt und damit die Herrschaft der Fla 809 Vgl. Drerup (1959), 167 mit Anm. 86. 810 Plin. paneg. 48sq. 811 Vgl. das lehrreiche Beispiel der privaten domus des Vedius Pollio auf dem Esquilin, die nach dessen Tod durch die öffentlich zugängliche Porticus Liviae ersetzt wurde – was gleich blieb, war der Abschottungscharakter nach außen hin: Zanker (1987), 477–483. Auch die Kaiserforen zeigen derartige ostentative Abgeschlossenheit – weshalb also hätte ausgerechnet der Kaiserpalast sich atypisch verhalten sollen? Daß man von ihm auch nicht jene Art von Pseudooffenheit verlangen konnte, die an zahlreichen in Wirklichkeit abgeschotteten Gebäuden öffentlicher wie privater Natur dadurch erzielt wurde, daß man die Außenseiten für kleine Läden (tavernae) freigab, die aber ihrerseits mit dem eigentlichen Inneren des Komplexes in keiner Verbindung standen (ein besonders gutes Beispiel bieten die Gebäude unter SS . Giovanni e Paolo auf dem Caelius: dazu Brenk [2003], 82–113), versteht und verstand sich von selbst. – Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch der Umstand, daß die bekannte Exedra über dem Circus Maximus, die den Kaiserpalast mindestens optisch, aller Wahrscheinlichkeit nach mithilfe einer Brücke sogar auch physisch, zu diesem und damit zur Volksmenge hin öffnete, nicht dem ursprünglichen Palast Domitians angehört, sondern erst unter Trajan der Domus Augustana vorgeblendet wurde; diese war ursprünglich durch eine einfache Mauer gegenüber dem circus abgeschlossen: Märtin (2012), 20. 812 Vgl. Frederick (2003), 202 f.

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vier erst ermöglicht hatte (cf. Silv. 1, 1, 79: bella Iovis – man beachte, daß Apoll in silv. 4, 2, 56 ausgerechnet vom Gigantenkampf singt, also von der Verteidigung des Olymp durch die Götter mit Jupiter an der Spitze!),813 hat sich infolge des ­numen praesens (geradezu: ἐπιφανέστατον)814 Domitian das religiöse Zentrum der Stadt verschoben, bei gewissen Konstanten übrigens: Wie immer man die benötigten Identifikationen der zwei bis drei literarisch für jene Region überlieferten Jupitertempel vornimmt (Torelli etwa lokalisiert den Tempel des I­ upiter Victor seitlich vom Domitiansbogen am Clivus Palatinus und den des Iupiter Propugnator am Eingang dieses clivus schräg benachbart dem Titusbogen,815 während Richardson das letztgenannte Fundament dem Iupiter Stator zuweist, was den Tempel des Propugnator an die Stelle von Torellis Victor verschieben könnte):816 Jedenfalls ergibt sich so auch eine baulich-strukturelle Parallele einerseits zwischen dem als Tempel des Hauptgottes wahrgenommenen Kaiser­ palast auf der Höhe des Palatins mit jenen zwar im Detail unklaren, doch mit großer Wahrscheinlichkeit etwas tiefergelegen, ihm vorgeschalteten kleinen Jupiter­tempeln, und andererseits dem auf der Höhe des Kapitols thronenden Tempel der kapitolinischen Trias mit dem gleichfalls tiefergelegenen (und von Domitian errichteten) kleinen Tempel des Iupiter Custos sowie dem des I­ upiter Tonans. Auch verschob sich das religiöse Zentrum solcherart nicht irgendwohin, sondern an den Punkt, an dem diese Stadt gegründet worden war – die casa Romuli am Palatin war immerhin ein liebevoll gepflegter Bezugspunkt römischer Geschichte, der sich wohl nicht von ungefähr relativ rasch im baulichen Kontext der Kaiserresidenz wiederfand.817 Daß obendrein noch dieses Zentrum auch Zentrum des Kosmos wird, mit Domitian als Zentralgestirn, klingt im Gedicht nur en passant an, ist dem an den vorangegangenen panegyrischen Gedichten geschulten Rezipienten aber ohne weiteres klar.818 813 Vgl. z. B. Sablayrolles (1994), 114 f. 814 Zur Qualität des römischen Kaisers als ἐπιφανέστατος vgl. Ando (2003), 344 mit Anm. 70; vgl. auch o. Anm. 205. 815 Torelli (1987), 578–580. Den Tempel des Iupiter Stator verlegt Torelli hypothetisch unter die heutige Maxentiusbasilika; vgl. Royo (1999), 342. 816 Richardson (1992), 225; zur Lokalisierung des Iupiter-Propugnator-Tempels freilich ist Richardson (ebd., 224) skeptisch: »entirely unknown«, doch befand er sich jedenfalls irgendwo auf dem Palatin. Den Tempel des Iupiter Stator wiederum identifiziert Freyberger (2012), 58–66, hypothetisch, doch nachvollziehbar, mit dem im Tempel des Antoninus Pius und der Faustina aufgegangenen älteren Bau: das Kaiserpaar wäre als Parhedroi dem Iupiter Stator hinzugefügt worden und hätte in der Nomenklatur späterer Zeiten die ursprüngliche Dedikation verdrängt. 817 Nicht von ungefähr wohl die Bezeichnung der Gäste als Romulei proceres (32), und ebensowenig die bei Mart. 7, 56, 2 erscheinende Bezeichnung des Palastes als Parrhasia ­domus (ähnlich Mart. 7, 99, 3. 8, 36, 3. 9, 11, 8. 12, 15, 1: Parrhasia aula): dazu Royo (1999), 303 f. 818 Lapidar dazu Rühl (2006), 341: »Die Domus Flavia wird zum neuen Identifikationszentrum Roms erhoben.«

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Freilich darf bezweifelt werden, ob die Verschiebung des gefühlten Stadt- und Staatszentrums wirklich nur an der physischen Person des Kaisers hing, das Zentrum also immer dort war, wo er sich aufhielt, wie Brian Jones konstatieren wollte,819 oder ob nicht vielmehr der Palatin zum Zentrum wurde, weil er die stadtbildliche Repräsentanz des Kaisers war, gleichgültig ob dieser gerade dort weilte oder nicht. Auch wenn Domitian wesentliche Regierungsgeschäfte gelegentlich in seinen Villen in Alba, Circei etc. vornahm und damit retrospektiv an Tiberius auf Capri oder Nero in Subiaco anschloß,820 prospektiv beispielsweise auf Hadrian in Tivoli vorausverwies, waren solche Orte doch niemals dazu geeignet, einer stadtrömischen Lokalität als Zentrum den Platz streitig zu ­machen, dazu war der ideelle Druck der ›Haupt- und Residenzstadt‹ zweifellos zu groß.821 Wie elastisch gerade die Senatorenschicht auf die An- und Abwesenheit eines Kaisers reagieren konnte, zeigt das Beispiel des jüngeren Plinius, der sich einmal darüber echauffiert, daß Domitian der der Unkeuschheit beschuldigten Obervestalin Cornelia nicht etwa in Rom, sondern auf dem Albanum den Prozeß gemacht habe (Plin. epist. 4, 11, 6 – wollte Domitian vielleicht bloß Schadensbegrenzung betreiben und den Skandal wenigstens soweit möglich aus dem Rampenlicht der stadtrömischen Öffentlichkeit nehmen?), ein anderes Mal begeistert davon ist, persönlich zu Gerichtsverhandlungen Trajans in dessen Villa im etwa dreimal so weit von Rom entfernten Centumcellae beigezogen zu werden (epist. 6, 31, 1: Quid est enim iucundius quam principis iustitiam, 819 Jones (1994), 329: »… real power resided wherever the emperor was, wherever he chose to establish his court, and nowhere else; that was not necessarily on the Palatine«; et passim; vgl. Newlands (2002), 261. Es gilt aber zwischen faktischem und ideellem Zentrum zu unterscheiden: Daß das faktische Machtzentrum immer der Aufenthaltsort des Kaisers war, versteht sich von selbst, doch deswegen verschob sich noch längst nicht das ideelle Zentrum des Reiches nach Alba oder an sonst einen Ferienort. 820 Vgl. Darwall-Smith (1994), 157–159 et passim; Jones (1994), 332 geht freilich vollkommen in die Irre, wenn er den in Juvenals vierter Satire vorgeführten Kronrat über die Zu­ bereitung eines Steinbutts allen Ernstes als eine von zwei historisch bezeugten Sitzungen des Rates in der Albaner Villa wertet: Was immer der Sinn von Juvenals bizarr überzeichneten ex-post-Satiren auf die Zeit Domitians eigentlich ist (ich gestehe gern, diese Frage nicht beantworten zu können), in keinem Fall sind diese Texte dazu geeignet, aus ihnen histo­rische Informa­tionen in der Weise abzuleiten, wie Jones es tut. Festgehalten werden kann nur, daß in der Vorstellungswelt des Autors von Iuv. 4 Ratsversammlungen außerhalb der Stadt auf ­Domitians Landsitzen, für die die Albaner Villa offenbar ein besonders bekanntes Beispiel war, als historisches Faktum galten, auf das sich referentialisieren ließ. Mehr nicht. 821 Ähnliche Fälle dazu aus der jüngeren Geschichte: Der Louvre im Verhältnis zu Versailles, Fontainebleau etc., und ebenso die Wiener Hofburg im Verhältnis zum Neu­ gebäude, der Favorita, dem Augartenpalais, Schönbrunn, Laxenburg oder Hetzendorf. Intrikater das Verhältnis des Berliner Stadtschlosses im Verhältnis zu dem von Potsdam: Hier fehlte es an hinlänglicher hauptstädtischer Tradition, sodaß in der Tat eine teilweise Ersetzung des einen durch das andere eintrat. Logische Konsequenz: Die Barbarei der letzten Nachkriegszeit beseitigte beide.

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­gravitatem, comitatem in secessu quoque, ubi maxime recluduntur, inspicere?).822 Ebensowenig resultierte aus Feldzügen des Kaisers, die dessen Anwesenheit an oder gar jenseits der Reichsgrenze notwendig machten, bei Domitian immerhin ein etwa Fünftel seiner Regierungszeit hindurch, oder aus anders gearteten Reisen, wie vor allem Hadrian sie zwanzig Jahre später unternehmen wird, eine Demontage Roms und speziell der kaiserlichen Lokalitäten in Rom. Mit dem P ­ alatin fand die römische Monarchie ihre noch bis ins Mittelalter von so manchem Kaiser benützte Verortung in einer Weise, die selbst den Namen des Hügels zum Fachausdruck für die architektonische Versinnbildlichung monarchischer Präsenz werden ließ, genauso wie die Verlegung der Hauptstadt nach Mailand oder Ravenna in der Spätantike keinen allzu spürbaren Einfluß auf die Wahrnehmung Roms als des ›wirklichen‹ Zentrums hatte – selbst Konstantinopel kam gegen diesen ideellen Überhang der Stadt am Tiber erst an, als dort jede politische Gewalt zusammengebrochen war, und selbst dies nur als νέα Ῥώμη, also als Ersatz. Fazit: Eine Verschiebung des Zentrums innerhalb Roms, noch dazu die denkbar naheliegendste vom Kapitol auf den Palatin mit seinem seit Romulus vorhandenen und seit Augustus systematisch im Dienste des Kaisertums aufgebauten Bedeutungsgefüge,823 lag also für Domitian im Bereich des Möglichen, eine Verschiebung an einen gänzlich anderen Ort hingegen hätte Episode bleiben müssen, wie Tivoli oder Capri es geblieben sind. Von den vier in Rom lokalisierten panegyrischen Gedichten beschäftigt sich also nur eines (silv. 1, 6) nicht mit einer Interpretation des größeren Stadtraumes, sondern beschränkt sich auf ein einzelnes Bauwerk, wohingegen die drei übrigen (silv. 1, 1; 4, 1; 4, 2) jedesmal eine Neuinterpretation der Stadt unter den Prämissen der flavischen Herrschaft geben, freilich in zwei gegenläufigen Vorgangsweisen: silv. 1, 1 durch aktive Neuinterpretation der Forumsumgebung infolge der Errichtung des Equus maximus, der einen neuen, besser: wahren Bezugspunkt gibt; silv. 4, 1 und 4, 2 durch das Nachfühlen tatsächlich längst vor sich gegangener Bedeutungs- und Akzentverschiebungen im Stadtbild. Wenn es, wie oft vertreten wird, Merkmal von Kunst, speziell literarischen Kunstwerken ist, Sprache und Denken zu entautomatisieren, mithin allzu ein 822 Vgl. auch Darwall-Smith (1994), 160, der nicht ohne Ranküne nachrechnet, daß ­Domitians Albanum nur 14 Meilen von Rom entfernt war, wohingegen das Laurentinum des Plinius, das er als ideal gelegenes Standquartier für in der Stadt Beschäftigte preist (Plin. epist. 2, 17, 2), drei Meilen weiter vor der Stadt lag. Immerhin bietet die bekannte Fisch­satire Iuvenals (Iuv. 4) einen Anklang an das zumindest Teile der römischen Öffentlichkeit anscheinend irritierende Motiv des auf seinem Albanum regierenden Kaisers: dazu vgl. Jones (1994), 332, dessen Zuversichtlichkeit, aus der satirischen Überzeichnung auf Domitians tatsächliche Verhaltensweisen oder gar auf konkrete historische Vorkommnisse rückrechnen zu können, ich freilich nicht teile. 823 Zu dieser Entwicklung des Palatins und seiner Wahrnehmung vgl. Wiseman (1987), 399–413.

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geschliffene Sprech- und Denkmuster aufzubrechen, um zu einer neuen, hoffentlich ­richtigeren, klareren Sicht auf die Dinge zu verhelfen,824 dann zeigen Statius’ panegyrische Texte ein außerordentlich feines Sensorium für Elemente gerade im Raum der interpretatorisch so vielbefrachteten Stadt Rom, die einer neuen Sicht bedürfen, und eine ungewöhnlich hohe Bereitschaft, sich der künstlerischen Aufgabe zu stellen, solch eine neue Sicht zu entwickeln und auf ihre Konsistenz und Belastbarkeit zu untersuchen. Das hindert nun allerdings nicht daran, diese Texte beispielsweise verächtlich als »remarques courtisanes« zu bezeichnen,825 so man Panegyrik grundsätzlich ablehnt, d. h. eine Bewertung von Literarizität auf der Basis der dargestellten Inhalte vornehmen will (was methodisch wohl nicht ganz haltbar sein dürfte) – doch man setzt sich damit immerhin dem Vorwurf aus, der eigene Blick auf Statius’ Darstellung der Dinge sei vielleicht nicht so klar und entautomatisiert wie der Blick des Statius auf jene.

e) Exkurs: Zu Domitians Totenbankett (Cass. Dio 67, 9, 1–5) Daß die Bewirtung vor allem führender Kreise durch den Herrscher in hellenistischer Tradition ein wesentliches Element der Herrschaftsausübung und der sozialen Kommunikation war, steht außer Zweifel. Es fragt sich indes, ob es Zufall ist, daß ausgerechnet zu Domitians diesbezüglicher Praxis außer den beachtlichen Resten der dafür genützten Palasträumlichkeiten auf dem Palatin auch eine ungewöhnliche Anzahl und Bandbreite literarischer Reflexe erhalten blieb,826 neben Stat. silv. 4, 2 etwa Bemerkungen im Panegyricus des jüngeren Plinius, auf die mehrheitlich schon verwiesen wurde, die vierte Juvenal­satire und schließlich eine im Exzerpt erhaltene Passage aus dem Geschichtswerk des Cassius Dio (67, 9, 1–5), die folgende Begebenheit berichtet: Domitian habe einen Saal vollkommen schwarz ausschlagen und eine Reihe von Senatoren und Rittern nächtens, ohne begleitende Zusatzgäste und ohne Dienerschaft, dorthin zum Mahl berufen. Die Gäste fanden neben ihren kahlen, schwarzen K ­ linen Namenstäfelchen in Form von Grabsteinen mit je einem Öllämpchen darauf, was dem Saal den Charakter einer Grabkammer verlieh; schöne nackte

824 Ich beziehe mich, wie der Begriff Entautomatisierung zeigt, unter anderem auf den Formalismus Viktor Šklovskijs, doch zugleich auf die aristotelische Kunsttheorie, die ja gleichfalls im κάθαρσις-Begriff, jedenfalls in dem Verständnis dieses Begriffs, das mir am meisten einleuchtet und das ich wertvollen Erläuterungen Eugen Dönts verdanke, das Ziel der Kunst im klarerer, besserer Erkenntnis festschreibt. 825 Royo (1999), 308. 826 Eine knappe Gesamtdarstellung bietet Stein-Hölkeskamp (2005), 51–53; vgl. auch Malamud (2001).

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­ naben in gleicher Anzahl, doch gleichfalls schwarz angemalt, umtanzten sie K wie ­Toten­geister; die servierten Speisen entsprachen den typischen Grabspenden für Verstorbene; in der naturgemäß gedrückten Atmosphäre schlug der Kaiser ausschließlich das Gesprächsthema Tod und Mord an; schließlich wurden die verängstigten Aristokraten auch noch durch fremde Diener nach Hause gebracht, wo kurz darauf jeweils ein Bote vom Kaiser gemeldet wurde, der aber nun nicht etwa die Aufforderung zum Selbstmord (wie in Neros Zeiten; aus ­Domitians Regierung ist derlei meines Wissens nicht überliefert), sondern die bei Tisch gebrauchten Gefäße und die vermeintlichen Grabsteine, alles, wie sich herausstellte, von kostbarer Machart, dazu jeweils einen der (nun wieder weißgewaschenen) Knaben als Geschenk brachte.827 Es liegt auf der Hand, daß diese Geschichte sich bemüht, alle Topoi eines ­guten Banketts und eines guten Gastgebers ins Gegenteil zu verkehren, bis sich am Schluß die Spannung löst, wenn die üblichen Geschenke überreicht und als angemessen wertvoll erkannt werden; diesem Typus des ›verkehrten M ­ ahles‹ begegnet man in der antiken Literatur in verschiedenen Ausprägungen, er­ innert sei an Hist. Aug. Elag. 25, 9 und 27, 3–5. Auffällig ist, wieviel Augenmerk sie auf die räumliche Komponente des Vorgangs legt: Der schwarze Saal und seine Ausstattung werden minutiös beschrieben, ebenso das geisterhafte Servierpersonal, während Domitian nur in einem einzigen kurzen Satz in den Blick gerät (… καὶ Δομιτιανὸς πάντα ἔς τε θανάτους καὶ ἐς σφαγὰς φέροντα διελάλει). Dabei wäre es auch innerhalb der Narration beispielsweise von Interesse, in welchem Kostüm Domitian selbst auftrat und wie er sich abgesehen von der aparten Wahl seines Gesprächsstoffes verhielt. Doch ganz wie bei Statius sind auch hier der Saal und seine Staffage das wesentliche Objekt der Wahrnehmung, der Kaiser hingegen ist die Instanz, die diesen Raum schafft, dominiert, definiert, ohne daß es dazu aber mehr bedürfte als die Feststellung seiner Präsenz. Insoweit gleichen sich der Bericht bei Cassius Dio und Statius’ Eucharisticon. Man hat dieses Totenbankett anscheinend bislang für bare Münze genommen, obwohl es eher den Geschichten aus tausendundeiner Nacht entsprungen zu sein scheint als der Herrschaftspraxis des nicht gerade für melodramatische Inszenierungen berühmten Domitian.828 Zumal die Einbindung des Berichtes in den Kontext, die freilich auch dem Epitomator Cassius Dios angelastet werden kann, ist mehr als fragwürdig, denn wenn es stimmt, daß Domitian τοιαῦτα νικητήρια, ἢ ὥς γε ὁ ὅμιλος ἔλεγε, τοιούτους ἐναγισμοὺς ἐπί τε τοῖς ἐν τῇ Δακίᾳ καὶ ἐπὶ τοῖς ἐν Ῥώμῃ τεθνηκόσιν ἐποίησε, also lediglich eine etwas exzentrische Gefallenenehrung veranstaltete, dann hätte für die geladenen Gäste wenig 827 Frederick (2003), 211–214; Vössing (2004), 471. 828 Vössing (2004), 471, Anm. 3: »An der Historizität der bald berühmten Veranstaltung zu zweifeln (…), besteht kein Anlaß.« Skeptisch hingegen Stein-Hölkeskamp (2005), 51 f. Zur literarischen und praktischen Rezeption dieser Veranstaltung vgl. Bober (1991).

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Grund zur Furcht bestanden.829 Gerade auf diese Furcht aber legt der Text besonderen Wert, sodaß an eine Demonstration speziell gegenüber den Geladenen zu denken ist – doch welche? Fand jenes Mahl wirklich statt, muß Domitian für seine Veranstaltung mindestens einen triftigen Grund gehabt haben; ist sie erfunden, so muß in der Fiktion Domitian gleichfalls aus einer bestimmten Absicht handeln. Konrad Vössings Deutung, die dem Kontext bei Cassius Dio folgt und eine drastische Demonstration, wie glücklich sich die Überlebenden jener Kampfhandlungen preisen sollen, annimmt, scheint aus schon genanntem Grund unwahrscheinlich,830 abgesehen davon, daß nicht klar wäre, weshalb überhaupt Domitian derartigen Aufwand hätte treiben sollen, um eine populärphilosophische Platitüde szenisch zu verdeutlichen. David Frederick sieht vor allem eine ostentative Vergewaltigung der körperlichen Intergrität und der für römische Männer so wesentlichen Contenance gegeben, wenn Domitian seine Gäste dazu bringt, über Stunden hinweg vor Angst zu schlottern – das Prinzip einer Scheinhinrichtung, als Gastmahl kaschiert.831 Das kommt Domitians im Rahmen der kolportierten Handlung erreichtem Ziel zweifellos näher, doch es gilt noch einige Faktoren zu berücksichtigen: Erstens die Zusammensetzung der Gäste, die, übrigens ohne einen einzigen konkreten Namen zu nennen, als πρῶτοι τῆς γερουσίας καὶ τῶν ἱππέων (Cass. Dio 67, 9, 1) bezeichnet werden und die also mit einiger Wahrscheinlichkeit mit Domitians gern recht pauschal betrachteter (und sich nach seiner Ermordung wohl auch gern pauschal so gerierender) senatorischer und ›stoischer‹ ­Opposition gleichzusetzen sind;832 zweitens Domitians Gesprächsthema, Tod und Mord; drittens der Umstand, daß alles sich schlußendlich in einer sehr generösen herrscherlichen Geste auflöst833 und im Rückblick wie ein exzentrischer Aprilscherz anmuten konnte. Wollte Domitian das mythische Mahl des Damokles reinszenieren für jene Kreise, die recht unverhohlen meinten, selbst besser als er zur Herrschaft berufen zu sein? Wollte er Personen, von de 829 Es ist denkbar, daß die Verknüpfung der bizarren Totenbankettgeschichte mit jenen Gefallenenehrungen erst dadurch zustandekam, daß Cassius Dio oder seine Quelle die überlieferte Geschichte in einen wenigstens halbwegs plausiblen, d. h. thematisch passenden Kontext zu stellen versuchten, wofür sich die Totenehrung eben anbot. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, daß schon die Historiker des zweiten Jahrhunderts bezüglich der Glaubwürdigkeit der Geschichte gewisse Bedenken hegten. 830 Vössing (2004), 471. 831 Frederick (2003), 213 f. 832 Dazu allg. Gering (2012), 306–345. 833 Es gilt zu bedenken: Den Gästen gleich das gesamte Tafelgeschirr und die übrige Ausstattung des Saales sowie pro Kopf einen (noch dazu sexuell begehrenswerten) Sklaven zu schenken, geht weit über normale Gastgebergenerosität hinaus. Insofern weist die Geschichte zwei symmetrische Pole auf, zunächst die extreme Unannehmlichkeit des Mahles, dann die in gleicher Weise extreme Beschenkung der Gäste, die als Kompensation und als Versöhnungsangebot gelten kann.

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nen er (rückblickend betrachtet: mit gutem Grund)  annahm, daß sie ihn liebend gern selbst auf der Totenbahre sähen, drastisch vor Augen führen, wie es ihnen bei Beibehaltung dieses Kurses ergehen könnte, und wie, wenn sie sich kooperativ verhielten? Die Wahl seiner Gesprächsthemen könnte darauf hindeuten, die Überreichung der Geschenke ebenfalls – Peitsche und Zuckerbrot. Oder wollte der Herrscher seinen so oft sich als Paradestoikern gerierenden Oppositionellen am eigenen Leib demostrieren, wie weit es mit ihrer Unerschütterlichkeit gegenüber Unheil in Wirklichkeit her sei, indem er sie durch eine im Grunde kin­dische Theaterinszenierung einige Stunden lang vor Angst zittern ließ?834 Daß sich jenes Ereignis wirklich zugetragen hat, bezweifle ich, nicht nur seiner Melodramatik wegen, sondern auch, weil ein derart heftiger Verstoß gegen jede gesellschaftliche Etikette, noch dazu direkt gegen die römische Führungselite gerichtet, weder bei Plinius noch bei Juvenal oder dem doch so anekdotenlastigen Sueton Spuren hinterlassen hat – ein argumentum ex silentio und damit ein schwaches, wie ich zugebe, aber angesichts der sonst reichen Bezeugungen doch ein halbwegs qualifiziertes. Wenn die Geschicht erfunden ist, dann fragt sich, wann sie entstand. Daß Domitian, persönlich kein sehr geselliger Mensch, introvertiert und zunehmend mißtrauisch,835 kein besonders leutseliger Gast­ geber gewesen sein mag, ist vorstellbar.836 Gut möglich, daß Einladungen an seine Tafel, mindestens bei jenen, die häufiger das Vergnügen hatten, in zweifelhaftem Ruf standen. Vor einem solchen Hintergrund aber ist auch das Entstehen einer Geschichte, in der Domitian als alle Normen pervertierender Gastgeber auftritt, gut denkbar, kurz gesagt kann es sich ohne weiteres um eine zeitgenössische Erfindung handeln, um das Produkt eines offenkundig dichten Diskurses rund um Domitians Gastgeberqualitäten. Könnte es nun sein, daß Statius’ Eucharisticon auf diese oder ähnliche Schauergeschichten repliziert, indem ein als Augenzeuge auftretendes Ich erzählt, wie es wirklich an Domitians Tafel zugeht? Alles strahlt und glänzt (silv. 4, 2, 26–29), der Saal ist keine dunkle Grabkammer sondern multum amplexus aperti aetheros (24sq.), die Servier­ knaben sind vorhanden, aber nicht zu fürchten (11. 39), der Kaiser strahlt Entspannung aus (41–56) und bildet den glanzvollen Mittelpunkt, auch insoferne ihm am meisten Text gewidmet wird, schließlich bringt die Einladung zum Mahl der Ichinstanz Licht, lux (65), also just das Gegenteil zur schwarzen Katafalkatmosphäre bei Cassius Dio.837 834 Zu Domitians Umgang mit Philosophen vgl. Penwill (2003), 358–367. 835 Vgl. Strobel (1994), 371. 836 Vgl. Jones (1992), 32 f. 837 Die Verbindung zwischen beiden Texten stellt schon der exzentrische Artikel von Henderson (2007), 254, her, wenn er silv.  4, 2 als Reflex auf eine Einladung seitens »His ­Satanic Majesty« charakterisiert.

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Zu beweisen ist ein solcher Zusammenhang kaum, zu weit entfernt liegen beide Texte voneinander; persönlich halte ich ihn allerdings für recht wahrscheinlich. Doch es bleibt in jedem Fall die Feststellung, daß Domitians Gastmähler und insbesondere ihre räumliche Komponente, der auf dem Palatin errichtete neue Palast, dessen Inneres naturgemäß nur ein kleiner Bevölkerungsteil je wirklich zu sehen bekam und der daher zweifellos für abenteuerliche Gerüchte Stoff genug bot,838 die Zeitgenossen offenbar nachhaltig genug beeindruckt haben, um neben einer Reihe einzelner Belege zwei in sich kohärente, zueinander völlig konträre Darstellungen hervorzubringen.839 Ähnlich wie bei der Behauptung, Nero habe seine eigene Haupstadt (mitsamt seinem Palast und seinem privaten Besitz) niederbrennen lassen, staunt man als Leser vor allem darüber, welch atemberaubende Faszination einzelne römische Herrscher, und vielleicht nicht zufällig gerade solche, die das Stadtbild Roms durch ihre Großbauten prägten, auf die Bevölkerung ausgeübt haben müssen, wenn derlei Geschichten über sie erfunden wurden und, wie anzunehmen ist, reißenden Absatz fanden.

7. Silvae 4, 3: Via Domitiana a) silv. 4, 3, 1–26 Ähnlich silv.  1, 1840 beginnt das letzte der panegyrischen Gedichte mit einer Frage des Typus »Was ist das?« (vgl. o. I, bei Anm. 88), diesmal freilich nur einer einzigen: »Woher rührt der Lärm, der die Gegend erfüllt hat, wo die Via Appia das Meer streift?« (silv. 4, 3, 1–3).841 Wer da hört, bleibt ungewiß, und mit ihm 838 Zu diesem Grundtopos, teilweise auch Grundproblem kaiserzeitlicher Geschichtsschreibung und Geschichtswahrnehmung vgl. Flach (2013), 13–16. 839 Stange (1887), 19, weist auf Mart. 9, 91, hin, das sich ebenfalls gut in einen anzunehmenden Diskurs um Domitian als guter oder eben schlechter Gastgeber fügt: vgl. Henriksén (2012), 353. 840 Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen dem ersten und dem letzten panegyrischen Gedicht in den Silvae hob schon Vollmer (1898), 451, hervor. Rühl (2006), 326 f., führt einen einen prinzipiellen Unterschied an, insofern Domitians Standbild in silv. 1, 1 als Abbild selbst bereits eine Interpretation seiner Vorgaben, silv. 1, 1 also Interpretation der Interpretation sei, während eine Straße nichts abbildet, sondern die Via Domitiana in silv. 4, 3 gleichsam direkt interpretiert werde. Dem ist freilich entgegenzuhalten, daß die Bauwerke des Forum ­Romanum und seiner Umgebung in silv. 1, 1 prinzipiell keine wesentlich andere Grundlage für den Text bieten als die Straße in 4, 3: Sie alle bedürfen der Interpretation. Der Unterschied scheint mir eher darin zu liegen, daß silv. 1, 1 den Kaiser gleichsam definitorisch im Raum verortet und im Umkehrverfahren diesen Raum vom Kaiser ausgehend interpretiert, während silv. 4, 3 das Wirken des Kaisers (im Raum, soweit er von Bedeutung ist) zeigt. 841 Einen Überblick über den Aufbau des Gedichtes gibt Newmyer (1979), 105–108. – Einzelne Parallelen zur Victoria Sosibii des Kallimachos (Callim. frgm. 384 [Pfeiffer]) zeigen Smolenaars (2006), 231 f., und Lóio (2012, passim) auf, doch ist dem Umstand, daß hier wie

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auch der Sprecher, über den vorderhand nicht mehr gesagt werden kann, als daß er sich qua Wahrnehmungsinstanz mindestens theoretisch in der Gegend von Sinuessa befindet, dem Ort, bei welchem die wohl im letzten Regierungsjahr ­Domitians eröffnete Straße von der alten Via Appia abzweigte.842 Was am Beginn des Equus maximus in weitere Fragen, meiner Auffassung nach aus den Mündern verschiedener Sprecher, gekleidet war, folgt hier aber als Priamel: Nicht Hannibals Heereszug verursacht den Lärm (5sq.), auch nicht die Bauarbeiten Neros, der das Verkehrsproblem der kampanischen Küste durch das Projekt eines künstlichen Kanals unmittelbar hinter der Küstenlinie zu lösen beabsichtigt hatte,843 ähnlich den teils untereinander verbundenen schmalen Lagunen des Languedoc, die bis weit in die Neuzeit als von Seegang und Sturmgefahr relativ unbehelligte Verkehrswege genützt wurden: Statius bezeichnet dieses Vorhaben in Vers 8 als paludes sordidae, stellt also nicht bloß den letzten Sproß des dort ein Flußgott als dankender und zugleich preisender Sprecher auftritt, und daß das Siegesgedicht einem Sieger im Wagenrennen galt und damit der Straßenthematik von silv. 4, 3 einigermaßen nahesteht, angesichts der insgesamt überwiegenden Unterschiede für das Gedicht als Ganzes wenig Bedeutung beizumessen: Es gibt keinen Grund zur Annahme, das übrigens nur recht fragmentarisch überlieferte Epinikion des Kallimachos habe Statius in besonderer Weise als Referenztext gedient. Die bloße Erwähnung des Flusses Cinyps in ansonsten recht verschiedenen Kontexten ist kein zuverlässiges Argument für einen direkten Zusammenhang der beiden Texte, noch dazu angesichts der fast hunderprozentigen Verluste auf dem quantitativ wohl enormen Feld der Anlaßpoesie aus den Jahrhunderten zwischen Kallimachos und Statius, in denen Nordafrika inklusive Ägypten immer stärker ins Blickfeld römischen Interesses geraten waren, also wohl auch entsprechende Präsenz in der Literatur errungen hatten, und sei es unter dem Blickwinkel des Exotischen. Außerdem werden sich für solche Texte angesichts des im Prinzip täglich gegebenen Bedarfs über kurz oder lang wohl topische Strukturen herausgebildet haben, zu denen naheliegenderweise auch der Preis eines Herrschers (einer Polis o. ä.) durch Gottheiten aller Rangstufen und insbesondere topographisch naheliegende Potenzen, Sprecherwechsel innerhalb derartiger Gedichte zur vari­ ierenden Beleuchtung des Themas usw. zählten: Das ergibt sich schon theorieseitig, wenn man den λόγος ἐπιδεικτικός der Rhetorik mit den Möglichkeiten und Gebräuchlichkeiten kleinformatiger Dichtung kreuzt. Ich möchte die Bedeutung der Kallimachosparallele also nicht überbewerten; für ein vereinzeltes Detailproblem vgl. u. I, Anm. 884. 842 Zum Lärmmotiv vgl. auch u. Anm. 845. – Das Datum geht am klarsten aus einer freilich stark verunstalteten Inschrift hervor, auf der die Gemeinde von Puteoli sich für ihre verbesserte Verkehrsverbindung mit Rom bei Domitian bedankt, und zwar in dessen 15. Tribunat, also zwischen September 95 und September 96: Coleman (1988), 110, und (2008), 40; Abb. und Lesung der Inschrift bei Matthews (1965/66), 34 f., leicht korrigiert und ausführlich diskutiert bei Flower (2001), bes. 625–630, die zu folgendem Resultat kommt (Kürzungen von mir aufgelöst): Imperatori Caesari / divi Vespasiani filio / Domitiano Augusto /  Germanico ­Pontifici Maximo / tribunicia potestate XV imperatori XXII / consuli XVII censori perpetuo patri ­patriae / Colonia Flavia Augusta / Puteolana / indulgentia maximi / ­divinique principis / urbi eius admota. Flower (2001), 634 f., denkt an einen Bogen als ursprünglichen Anbringungsort der Inschrift: möglicherweise also der das Südende der Via Domitiana markierende arcus? Zur Signifikanz der Inschrift für das Verständnis der Stadt Rom in spät­ flavischer Zeit vgl. o. I, bei Anm. 454. 843 Plin. nat. 14, 61; Tac. ann. 15, 42; Suet. Nero 31.

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julisch-claudischen Hauses in die gleiche Stufe wie den ›Erbfeind‹ Hannibal, der ja gerade von Kampanien aus durch den Übertritt Capuas auf seine Seite Rom in größte Schwierigkeiten gebracht hatte, sondern folgt auch der gängigen fla­ vischen Sicht, wonach Neros Bauvorhaben notorisch sinnlos und / oder asozial gewesen seien.844 Solcherart an nur zwei Beispielen rasch geklärt habend, woher der Lärm nicht rührt,845 folgt die Lösung des Rätsels in einer mit 18 (11+7) Versen mehr als doppelt so langen Be- und Umschreibung der Person Domitians im Stil einer hymnischen Aretalogie mit nicht weniger als fünffach neu angesetz 844 Coleman (1988), 106; zum Nerobild der flavischen Zeit vgl. Nauta (2010). 845 Newlands (2002) 286–325, interpretiert den gesamten Text, ausgehend insbesondere vom Hannibal-Nero-Vergleich, sehr feinsinnig als Statius’ deutlichste Darstellung der Ambivalenz kaiserlicher Macht, die zwischen Euergesie und Gewalttätigkeit stets schwanke bzw. mit dem einen stets das andere in sich begreife. Bei allem Respekt vor Newlands’ genauer Kenntnis der Silvae scheint mir indes doch ihre Interpretation hier a priori nicht nachvollziehbar: Domitian ist am Beginn von silv. 4, 3 expressis verbis eben kein Hannibal, der Lärm also kein kriegerischer, sondern ein ziviler; und er ist kein Nero, sein Bauprojekt also sinnvoll und verwirklichbar: Domitian wird nicht mit Hannibal oder Nero verglichen, er übertrifft sie auch nicht, wie man Vorbilder übertrifft, sondern er ist weder der eine noch der andere: So die Aussage von silv. 4, 3, 4–8, wie sie etwa auch Leberl (2004), 206, richtig erkannt hat. Dies festgehalten, löst sich Newlands’ Annahme, es würde in Analogie zum durch Hannibal symbolisierten Militarismus der Straßenbau als Vergewaltigung der Natur durch den Kaiser thematisiert (z. B. ebd. 285. 291. 293), in Nichts auf, und auch die ergänzend beigebrachten ­Argumente trifft das gleiche Schicksal: Der Beobachtung etwa, daß das Fällen von Bäumen in der Literatur öfters als Frevel gewertet wird, die Newlands (ebd., 292; ebd. 299 wird dasselbe Motiv jedoch vollkommen anders gedeutet) mit silv. 4, 3, 50 in Verbindung bringt, ist entgegenzuhalten, daß erstens der Mittelmeerraum sich bekanntlich bis heute nicht von seiner fast totalen Abholzung in der Antike erholt hat, der Akt des Bäumefällens also wohl ein recht gängiger, und seine Frevelhaftigkeit eine ebenso literarisch-allürenhafte war wie jene der Seefahrt als Überschreitung natürlicher Grenzen durch den Menschen beispielsweise in Hor. carm. 1, 3, 9sqq.; und daß zweitens Statius gerade von solchen überkommenen Topoi, soweit sie die negative Sicht technischer Errungenschaften betreffen, allgemein außerordentlich frei ist, wie die Formulierung foedum nemus in Vers 126 zeigt; vgl. Smolenaars (2006), 229: »Statius never shows off as an ecologist.« Newlands selbst muß, da der Text des Gedichtes ihrer Interpretation eben zuwiderläuft, in ungewöhnlich dichter Folge zu Adversativ­ partikeln greifen, um der von ihr bevorzugten Deutung die jeweils aus dem Text sich organischer ergebende scheinbar ergänzend, de facto korrigierend gegenüberzustellen: z. B. ebd., 291, Z. 5 ›Otherwise …‹; 292, Z. 14 ›At the same time …‹; oder auch 294, Z. 1 ›Whereas …‹, wo der angebliche Unterschied der vergewaltigten Natur von silv. 4, 3 zur freudig gelehrigen von silv. 2, 2 durch einen einfachen Verweis auf die Worte des Vulturnus in silv. 4, 3, 72–84 zu widerlegen ist. Fazit: Die besonders seitens dekonstruktivistischer Interpreten in den letzten Jahrzehnten gern instrumentalisierte alte Erkenntnis, wonach Begriffe stets ihr Gegenteil, besser: ihre zahlreichen Gegenteile (je nach Hinblick) in sich begreifen, führt nicht bloß bisweilen zu interpretatorischer Willkür (denn weshalb sollte in silv. 4, 3 bloß das Begriffsfeld ›Macht‹ so ambivalent sein? das Wort umidus in Vers 67 nicht auf die Möglichkeit einer Dürre in der Campagna hinweisen? oder placidus in 150 auf die Mühen und Unannehmlichkeiten des Alterns?), sondern unter Umständen auch zu einem Systemzwang, der letzten Endes etwas produziert, das den irrationalen Zahlen in der Mathematik entspricht: theoretisch berechenbar, in der Natur (diesfalls: der Texte) aber nicht vorkommend.

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ten Relativsätzen (Verse 9–19), welche bisherige Taten des Kaisers auflisten,846 gefolgt von einer kurzen Skizze, welche neue Tat nun eben gerade erfolgt: Eine Straße wird gebaut und Baiae, d. h. der Golf von Neapel, der Hauptstadt nähergebracht (20–26).847 Womit die Antwort auf die eingangs gestellte Frage gegeben und, abgesehen vom Fehlen einer scharfen Pointe, der in sich geschlossene Gedankengang eines Epigramms erreicht, zugleich auch der Hymnus an sein Ende und sogar darüber hinaus geführt ist: Denn worum sonst im Sinne des ›Du hast schon die in der Aretalogie aufgelisteten Taten vollbracht, also hilf auch jetzt!‹ am Ende eines Hymnus gebetet wird, das erfüllt sich hier bereits, d. h. der Kaiser als εὐεργέτης ist αὐτόματος wirksam, es bedarf nicht einmal der Bitte. Das Gedicht könnte also an dieser Stelle bereits zu Ende sein und würde sich wenig von so manchem anlaßbezogenen Gedicht Martials unterscheiden. Dieser gewissermaßen modulare Aufbau wird charakteristisch für den gesamten Text bleiben: Streng genommen könnten die mit den Versen 27 (Hic quon­ dam …), 40 (Hic primus labor …), 67 (At flavum …) und 114 (Sed quam …) jeweils neu einsetzenden Abschnitte nahezu beliebig untereinander ausgetauscht werden, und auch das Fehlen des einen oder anderen von ihnen würde das Gefüge des Gedichtes nicht unbedingt zerstören. 846 Zu Vers 16 qui reddit Capitolio Tonantem vgl. o. 199. – Vollmer (1898), Courtney (1990) und zuletzt Shackleton Bailey (2003) halten das in der Haupthandschrift überlieferte quis (= quibus) in den Versen 11 und 13, Coleman (1988) folgt den recentiores, die jeweils qui bieten, m. E. der bedeutend bessere Text. Inhaltlich ergibt sich dadurch zwar keine nennenswerte Veränderung (Colemans diesbezügliches Argument ebd., 106, ist unbefriedigend), sprachlich erscheint mir indes ein Rückbezug von quis auf iustis legibus problematisch, weil das noch dazwischenstehende et foro, auf das sich quis wohl oder übel gleich mitbeziehen würde, stört: Domitians Agrar- und Kastrationsgesetztgebung hatten nichts mit der Errichtung des Forum Transitorium zu tun: entsprechend hält auch etwa Newlands (2002), 287, quis im Text, verkehrt aber in ihrer Übersetzung die Abfolge von legibus und foro, während Shackleton Bailey (2003), 257, mit der Wortwiederholung »… with just laws and a Forum, laws by which he restores …« dasselbe Problem anders kaschiert; auch Liberman (2010), 331, ist skeptisch gegenüber quis. – Eine gänzlich andere Lösung schlägt Stange (1887), 24, vor, indem er legibus zu sedibus ändert: eine erwägenswerte Konjektur, freilich nicht unbedingt eine zwingende. – Vorsicht ist gegenüber Nauta (2002), 429, angebracht, der aus der Erwähnung des Kastrationsverbotes schließt, daß dieses ein wesentlicher Bestandteil der Selbst­ präsentation Domitians in der Öffentlichkeit war. Das ist so leider nicht zu beweisen (und sachlich vielleicht auch nicht übermäßig wahrscheinlich), denn nach dem zur Gänze um dieses Motiv kreisenden Gedicht silv. 3, 4 kann ein erneutes Anklingen des Themas, das rein literarisch als Verweis über die Buchgrenzen hinweg gedacht sein kann, nicht überraschen. Es fügt sich außerdem in die silv. 4, 3 durchziehende Motivik der durch den Kaiser stets nur zum Besseren veränderten Natur (dazu vgl. im Sinne der vorigen Anm.  Newlands [2002], 290): vgl. o. I, bei Anm. 540 f.; u. I, Anm. 914, sowie u. 338–353 und 335 f. 847 Zum Motiv und geradezu zur Formulierung dieses Näherbringens vgl. die o. Anm. 842 zitierte Inschrift von Puteoli. Coleman (2008), 40, vermutet plausibel eine offizielle Sprach­ regelung im Zusammenhang mit diesem Bauprojekt als gemeinsame Quelle; vgl. auch Smole­ naars (2006), 227.

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b) silv. 4, 3, 27–39 Die Verse 27–35 skizzieren die extremen Schwierigkeiten, denen Reisende dort, wo nun die Via Domitiana verläuft, zuvor ausgesetzt waren: Nur einachsige, großrädrige Karren (cisia)  waren auf jener anscheinend nur schlecht  – wenn überhaupt – befestigten Piste einsetzbar, die Räder blieben im weichen Boden immer wieder stecken, das Fahrgefühl verursachte Seekrankheit, und die erreichbare Reisegeschwindigkeit war anscheinend deprimierend gering. Daß dennoch dieser Weg bisweilen benützt wurde, kann nur aus dem weiten und zeitraubenden Umweg erklärt werden, den es bedeutete, Puteoli, also den nördlichen Golf von Neapel und dessen in flavischer Zeit aufstrebendes wirtschaftliches Zentrum,848 von Rom her über die Via Appia und Capua zu erreichen;849 einem Umweg, den die Via Domitiana mit ihren maximal 33 Meilen850 laut Statius auf ›kaum zwei Stunden‹ reduzierte  – sicherlich für den Durchschnitts­ reisenden, der sich ohne Not kaum mit ca. 17 Meilen in der Stunde (also bei durchschnittlicher Stundenlänge ca. 25 km / h) fortbewegt und damit seine Pferde doch einigermaßen strapaziert haben dürfte, eine Übertreibung, aber immer noch weit unterhalb eines in gestrecktem Galopp erzielbaren Tempos: also keine ›sinnlose‹ Hyperbel, sondern ein im Rahmen des Realistischen gehaltenes Staunen über die nunmehr erzielbare Geschwindigkeit. Dieses Faible für Rasanz, die aus technischem Fortschritt bzw. genauer aus Adaptation natürlicher Gegebenheiten durch Technik entspringt,851 prägt den Text 848 Newlands (2002), 155, Anm. 5. 849 Vgl. die Karte bei Chevalier (1997), 182. 850 Laut der Tabula Peutingeriana: Sinuessa – Saphon 7 mp; Saphon-Volturnum 12 mp; Volturnum – Liternum 12 mp; Liternum – Cumae 6 mp; Cumae – Puteoli 3 mp: gesamt 40 Meilen; vgl. Vollmer (1898), 451. Das Itinerarium Antonini, das 122, 4 – 123, 2 die Route Tarracina –  Neapel verzeichnet, gibt für die Via Domitiana indes folgende Distanzen: S­ inuessa – Liternum 24 mp; Liternum – Cumae 6 mp; Cumae – Puteoli 3 mp; gesamt: 33 Meilen. Ein Blick auf die Landkarte (etwa den Barrington Atlas [2000], Tafel 44) lehrt, daß die Tabula Peutingeriana hier, wie auch andernorts (man denkt an das alte Problem des zweimal verzeichneten Noreia), Strecken irrig verdoppelt hat, denn die sieben Meilen von Sinuessa zum Flüßchen Saphon müssen Teil der Strecke von Sinuessa bis Volturnum sein und können keinen eigenen Abschnitt bilden. Auch scheint eine Teilung der 12 Meilen ­Sinuessa – Volturnum mithilfe des Saphon in 7+5 topographisch plausibel. Die Gesamtlänge der Via Domitiana betrug damit theoretisch 33 Meilen, von denen noch einmal ein wenig abzuziehen ist, da ihre Abzweigung von der Via Appia erst ein wenig südlich von Sinuessa lag. Viel mehr als dreißig Meilen wird man ihr also nicht zubilligen wollen. 851 Vgl. Pavlovskis (1973), 1–21; Newlands (2012), 8; Smolenaars (2006), 223, zieht dies­ bezüglich gar eine Parallele zu Gedichten Gabriele d’Annunzios. Szelest (1969), 343, weist darauf hin, daß nur ein Gedicht in den Silvae, das Propemptikon für Maecius Celer (silv. 3, 2), von einer traditionelleren, technikkritischen Sicht geprägt ist, ganz in der Tradition der Topik jener Gattung; für den Hinweis danke ich Simon Ganzenbacher (Altmünster).

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auch andernorts, etwa wenn in 112sq. behauptet wird, daß, wer bei Tagesanbruch aus Rom abreist, abends auf dem Lucriner See bootfahren könne – sogar dies wäre im Falle eines Gewaltrittes zwar noch denkbar, doch fügt sich dieser schlecht zum navigare auf dem Lucriner See, das doch das sprichwörtliche otium des benachbarten Baiae signalisiert und damit der typischen Sichtweise der römischen Oberschicht entspricht, den Golf von Neapel, hauptsächlich als ›Urlaubsregion‹ wahrzunehmen, sogar als die otium-Region der römischen Oberschicht schlechthin,852 die dementsprechend großzügige archäologisch nachweisbare Um- und Neugestaltungen bzw. -bauten aufzuweisen hat,853 in domitianischer Zeit vielleicht auch als Reflexe auf den Vesuvausbruch des Jahres 79, der ein gewisses Investitionsvolumen in die in Mitleidenschaft gezogene Gegend gebracht haben mag.854 Der Via Domitiana eignet in der Darstellung des Statius, den man schon als Wohlfühl- oder Freizeitliteraten bezeichnet hat,855 also entschieden ein Charakter ähnlich dem moderner Autobahnen auf dem Weg in den Süden: Sie hat, mindestens gemäß der im Text manifestierten Wahrnehmung, die Funktion, das Erreichen des Sommerfrischeziels im Zuge der peregrinatio der römischen Oberschicht zu beschleunigen,856 Peripherie und Zentrum einander näherzubringen.857 Demnach ist sie Mittel zur Beförderung zum zu erreichenden Ziel, nicht so sehr zu ­betrachtendes Monument an sich, wie noch näher zu zeigen sein wird. 852 Am kürzesten formuliert wohl bei Ov. met. 15, 711sq.: Herculeamque urbem Stabiasque et in otia natam / Parthenopen … – Zum Konzept des otium vgl. grundlegend André (2006); Corti (1991), passim; Toner (1995), 22–33; zu seinen Auswirkungen im Bereich der Wohnkultur und Lebensführung vgl. ferner Drerup (1990), 116; Mayer (2005), 25–41. 853 Vgl. das in flavischer Zeit adaptierte und durch einen höchstwahrscheinlich dem ­Divus Vespasianus geweihten Tempel ergänzte Forum von Cumae oder auch den Vespasiantempel von Pompei: Fears (1975), 7 und 9, Anm. 38; ferner Dierichs (2007), bes. 36. – Zur Bedeutung des Golfes von Neapel, den Cicero als cratera illum delicatum bezeichnet (Cic. Att. 2, 8, 2), als Expositur der stadtrömischen Oberschicht, die sich hier in einiger Distanz von der Hauptstadt (und von deren tradiertem Verhaltenskodex) im griechischen Milieu praktisch eine eigene Parallelwelt, die der villae und vor allem villae maritimae, schuf, vgl. Mielsch (1987), 135–137; Kassar (2014), 24–26 und 85. 854 Zur Frage eines Beliebtheitsrückgangs der Golfregion in flavischer Zeit vgl. Schneider (1995), 16 mit Anm.  32; D’Arms (1984), 90–96, rechnet mit massiven Beeinträchtigungen durch den Vesuvausbruch, die zwar anscheinend durch Investitionen in domitianischer Zeit ein Stück weit hintan gehalten wurden, in nachflavischer Zeit aber zu einem Bedeutungsverlust der Region führten. 855 Newlands (2012), 16. 856 Schneider (1995), 24 f.  – Zur Problematik der Distanz zwischen einer villa und der Hauptstadt Rom vgl. Lafon (2001), 130–137, demzufolge der Golf von Neapel an sich recht am Rand einer noch als zumutbar empfundenen Distanz befindet. Umso erfreulicher, wenn durch eine neugebaute Straße diese Distanz, genauer die zu ihrer Überbrückung benötigte Zeit, verkürzt wird, und eben diese Funktion streicht Statius᾽ Gedicht wesentlich heraus. 857 Newlands (2012), 47, verweist auf Ov. fast. 2, 683sq.: Gentibus est aliis tellus data limite certo: / Romanae spatium est urbis et orbis idem. Diesem Ideal sich anzunähern hilft auch die Via Domitiana.

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c) silv. 4, 3, 40–66 Mit einem geographisch relativ bedeutungsfreien, eher der Bedeutung von ›in diesem Zusammenhang‹ sich annähernden hic, das sich analog dem hic aus Vers 27 auf die gesamte Länge der Baustelle beziehen muss und also ungewöhnlicher Weise gerade keine präzisere Determinierung des Schauplatzes bewirkt, d. h. auch die Lokalisierung der Sprecherinstanz nicht konkretisiert, beginnt die Beschreibung der Bautätigkeiten (40–60).858 Sie gilt als der ausführlichste Text zum römischen Straßenbau überhaupt und wurde als Quelle daher vielfach ausgewertet,859 ohne daß hier darauf näher einzugehen wäre: Es sei lediglich davor gewarnt, den beschriebenen Prozessen, ihrer Abfolge860 und insbesondere dem für einzelne Bauteile gebrauchten Vokabular allzu große Zuverlässigkeit beizumessen.861 Denn Statius mag zweifellos in einem für römische Dichter ungewohnten Ausmaß an technischen Errungenschaften interessiert gewesen und derlei Dingen in völliger Abkehr vom traditionellen Dekadenztopos eher mit Fortschrittsbegeisterung begegnet sein, doch niemand wird zu behaupten 858 Rühl (2006), 96, will aus dieser Beschreibung den Schluß ziehen, daß die Errichtung der Straße zum Zeitpunkt des Verfassens des Textes noch nicht lange zurücklag. Das ist zwar ohnedies anzunehmen (vgl. o. I, Anm. 842), doch wird mir der konkrete logische Zusammenhang nicht klar. 859 Symptomatisch sei auf Quilici (1990), 25–31, verwiesen, der seinen Überblick über die römische Trassierungstechnik aus eben dieser Statiuspassage und deren versuchsweiser Anwendung auf freilich sehr heterogene archäologische Befunde entwickelt. 860 Dazu vgl. als warnendes Beispiel silv.  3, 1, 118–124, wo einzelne Arbeitsschritte bei der Errichtung des Herkulestempels von Sorrent prononciert gleichzeitig bzw. durcheinander aufgelistet werden, endend ausgerechnet mit dem doch wohl ersten Schritt des e­ xscindere oppositas rupes. Ähnlich der Vorgang des In-See-Stechens des Maecius Celer in silv.  3, 2, ­25–32, der, wollte man ihn in der beschriebenen Reihenfolge der einzelnen Handlungsschritte vornehmen, dazu führen würde, daß das Schiff, dessen Ladeluken sonderbarerweise erst verschlossen werden, nachdem es sich in Bewegung gesetzt hat, noch obendrein über seinen eigenen Anker segelt (zum Detail der Ladeluken vgl. Casson [1968], 262): Und dies, obwohl Neumeister (1998), 165–167, ganz richtig darauf hinweist, daß die einzelnen Handlungen sämtlich vernünftig beschrieben und Bestandteile eines Ablegevorgangs sind. Kurz zusammengefaßt: Statius’ Texte bringen geschäftige Betriebigkeit des öfteren gerade durch das Verwischen der chronologischen Abfolge zum Ausdruck. Der Autor manövriert sich als Sprecherinstanz damit in die Rolle eines interessierten, indes von der Fülle scheinbar durcheinander ablaufender technisch-spezialisierter Vorgänge überforderten und daher beeindruckten Zuschauers. 861 Wenn etwa Chevalier (1997), 109, feststellt: »Les vers sont très précis malgré le style rhétorique et abrupt cher à Stace«, so ist einiger Zweifel angebracht: Leider kann man von einem Text nicht einfach seine rhetorische Komponente (oder seine stenogrammartige Kürze) subtrahieren, um auf einen ›eigentlichen‹ Restgehalt zu kommen, Statius’ Verse können also, gerade weil sie stilistisches Wollen verraten, gar nicht präzis im Sinne eines Straßenbauhandbuches sein.

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wagen, er sei Ingenieur und Straßenbauer gewesen: Man bedenke, daß der römische Straßenbau tendenziell Sache der Armee war, also einer Sphäre angehörte, mit der Statius nach allem, was man über ihn weiß, rein gar nichts zu tun hatte. Persönliche Kontakte, die bei entsprechendem Interesse als Informations­ quelle genützt werden konnten, sind freilich ohne weiteres möglich, außerdem mögen die Verhältnisse in Italien anders gewesen sein als in den Provinzen, wo der Straßenbau wohl vorwiegend Heeresangelegenheit war, während für die Via Domitiana auch private Unternehmen mit ihren Arbeitskräften vorgeschlagen wurden.862 Freilich reicht die etwas formaljuristische Begründung, in Italien hätten außer den Praetorianern gar keine Truppen stationiert sein dürfen, dafür nicht aus: Immerhin führte die Straße praktisch nach Misenum, dem wichtigsten römischen Flottenstützpunkt, wo wohl mit hinlänglicher militärischer Präsenz zu rechnen sein wird. Doch woher auch immer Statius seine technischen Informationen bezog – in der Thebais vergleicht er einmal dem im Ringkampf unter seinem Gegner begrabenen Tydeus mit einem Arbeiter in spanischen Goldbergwerken, der beim künstlich herbeigeführten Einsturz des Berges zu Tode kommt, und bringt damit technisches Wissen selbst im mythischen Epos unter –,863 sollte man seine Versiertheit in derlei Dingen doch nicht überschätzen: Daß auch eine als ­agger erhaben über das umgebende Terrain ausgeführte Straße, wie es die Via ­Domitiana wohl war, zu ihrer Dauerhaftigkeit eines Fundaments bedarf, welches man sinnvollerweise in einem ausgehobenen Graben anlegt, ist Gegenstand schon geringer technischer Bildung, und daß diese Schichten aus verschiedenen Materialien bestanden, ist gleichfalls eine Information, die jeder interessierte Lateinschüler heute noch weiß, geschweige denn Zeitgenossen. Das vermeintliche Fachvokabular des Statius aber hält kaum einer Überprüfung stand: So werden schon die limites des Verses 41 bald als Zufahrtswege zum angeblich die Straße begleitenden zenturierten Land,864 bald als die schon (wenigstens andeutungsweise) vorhandene, abzubauende Trasse der älteren Straße865 oder gar ein ganzes Netz älterer Wege,866 bald als stehengebliebene Bodenwülste zwischen den

862 Vgl. Heinz (2003), 44. 863 Stat. Theb. 6, 880–885. Eine Beschreibung dieser als ruina montium bezeichneten Bergbautechnik und ihrer Gefahren gibt Plin. nat. 33, 70–73, und es ist nicht undenkbar, daß Statius eben daher seine Kenntnisse bezog. Allgemein vgl. Lewis-Jones (1970); JonesBird (1972); Domergue (1990), bes. 354, wo auch auf Luc. 4, 297sq. verwiesen wird; ferner vgl. Stat. silv. 3, 3, 89. 864 Chevalier (1997), 109; vgl. die auf diesen Punkt bezogene Erwiderung J. Heurgons auf Duval (1959), ebd. 186. – Der Barrington Atlas (2002), Tafel 44, der solche Gegebenheiten mit einer gewissen Vorliebe verzeichnet, weiß indes nichts von Zenturiation entlang der Via ­Domitiana. 865 Coleman (1988), 112; doch woher dann der Plural? 866 Duval (1959), 178.

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ausgetieften sulci von Vers 40 erklärt,867 was eher den Eindruck einer gewissen poetischen Nebulosität als den eines an sich eindeutigen, dem heutigen Leser aber unbekannten Fachbegriffs erweckt;868 und vollends die vieldiskutierten Begriffe umbones und gomphi (silv. 4, 3, 47sq.), die in der ganzen Passage noch am ehesten Anspruch darauf zu haben scheinen, als präzis gesetzte termini technici zu gelten,869 werfen gerade die größten Probleme auf: Denn wenn die gängige, auch bei Coleman (2002) referierte Interpretation zutrifft, derzufolge umbones niedrige Begrenzungssteine am Rand sind, vergleichbar heutigen Randsteinen, gomphi hingegen höhere Steine, die in mehr oder minder regelmäßigen Abständen aus der Reihe der umbones herausragten,870 dann sind erstens die Bezeichnungen kurios – weshalb sollte man die relativ geraden, flach dahinlaufenden Randsteine ausgerechnet als ›Buckel‹ bezeichnen? Und erst recht die zwischen ihnen an manchen Straßen höher herausragenden, in ihrer Funktion umstrittenen Einzelsteine als gomphi,871 wenn γόμφος im Griechischen einen Dübel, insbesondere einen verdeckten (man denkt an die durch je zwei Querdübel fixier­ ten verdeckten Zapfen, mittels derer die Planken griechischer und römischer Schiffe untereinander verbunden waren) bezeichnet?872 Zweitens gerät dann 867 Schneider (1982), 32; ähnlich Vollmer (1898), 455 mit Berufung auf Barthius (1674), den er freilich auch noch mißzuverstehen scheint, wenn er von Barths interstitia als »Randstreifen« auffaßt. 868 Heinz (2003), 45, paraphrasiert einfach: »Grenzlinien, Begrenzungen, Trassen ›auf­ reißen‹ (rescindere)«, als ob es sich um drei identische Dinge handelte. 869 Coleman (1988), 114–116. 870 Coleman (1988), 115 (mit Bildern); Begründer dieser Erklärung ist wohl Duval (1959), 181. 871 Duval (1959), 181 f.; Quilici (1990), 29 mit Abb. 29 f. und 68 mit Abb. 56 zeigt Beispiele für diese Randgestaltung; ebd. 89, Abb.  81 aber ein Beispiel für lauter gleich hohe Randsteine; 73, Abb.  62 ein Beispiel für eine völlig unregelmäßige, eher zufällig erscheinende Anordnung höherer und flacherer Randsteine; 87, Abb. 77 möglicherweise ein Beispiel für eine Pflasterung völlig ohne Randsteine: Da erheben sich also heftige Zweifel daran, ob erstens der manchmal beobachtete rhythmische Wechsel von höheren und niedrigeren Steinen überhaupt einen praktischen Zweck verfolgte (die bei Heinz [2003], 46, und auch andernorts anzutreffende Meinung, es handle sich um Aufstiegshilfen für Reiter, übersieht, daß diese Steine manchmal nur wenige Meter voneinander entfernt erscheinen – wie viele Aufstiegs­ hilfen aber brauchte man eigentlich?), und ob zweitens die Existenz zweier termini technici für diese beiden Steinsorten wirklich plausibel ist. 872 Vgl. Bockius (2007), 26. Chevalier (1997), 109, erklärt gleichfalls umbones zu Randsteinen, welche den Steinplattenbelag der Straße vor dem seitlichen Auseinanderrutschen sichern sollten, rechnet aber damit, daß sie ihrerseits an der Außenseite durch senkrecht in den Boden geschlagene oder gegrabene steinerne Stützpfosten stabilisiert wurden; eine weitere Sorte keilförmiger Steine sei, wenn ich Chevalier richtig verstehe, zur Verspreizung zwischen beide noch hineingetrieben worden. Das führt nun bereits auf drei verschiedene Teile gegenüber den zwei Begriffen umbones und gomphi, deren letzterer aufgrund seiner Semantik wohl nur die letztgenannten, keilförmigen Steine bezeichnen kann. Das Konzept klingt vom technischen Standpunkt her nachvollziehbar, doch erstens fehlt dann in Statius’ Text mindestens eine Steinsorte (seine Präzision ist also recht beschränkt, seine Darlegung des Arbeitsprozesses lückenhaft), zweitens ist mir bei Durchsicht von Chevaliers höchst beachtenswerter

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Statius’ Technikverständnis in ein schiefes Licht, da er von crebris iter ­alligare ­gomphis spricht, also mit einer Verbindungsfunktion der γόμφοι rechnet – die aber bei jenen höheren Randsteinen in keiner Weise gegeben ist. Entweder also ist seine Wortwahl reichlich diffus bzw. mehr von poetischen als von tech­ nischen Bedürfnissen geprägt, oder aber unsere Kenntnis römischer Straßenbautechniken, die nebenbei bemerkt sehr variabel waren,873 reicht nicht aus, die Textstelle zu erhellen bzw. umgekehrt von ihr erhellt zu werden. In jedem Fall ist Vorsicht geboten. Was diese Passage viel bemerkenswerter macht, ist eine für mein Empfinden sonderbare Ungleichgewichtung. Wenn am Schluß bemerkt wird, daß solche Arbeiter, wie sie beim Bau der Via Domitiana tätig waren, auch ganz andere Verkehrswege schaffen könnten (konkret genannt werden der Durchstich des Athos, die Überbrückung des Hellespont oder Bosporus und der Durchstich des Isthmos von Korinth: man gewinnt demnach den Eindruck, daß Domitian über übermenschliche Arbeiter gebietet, ähnlich vielleicht wie Vulcanus über die ­Kyklopen), so korrespondiert dies noch einigermaßen mit den in v. 27–35 geschilderten natürlichen Widrigkeiten der Landschaft, die, mindestens in vager Logik, auch besondere konstruktive Schwierigkeiten mit sich bringen können. Dieses Terrain aber kommt in der Beschreibung des Bauprozesses (­40–55) gerade nicht in den Blick: Abgesehen von der en passant erfolgenden Erwähnung von montes, die freilich topisch wirken (denn Bauholz wird meist in Berg­wäldern geschlagen, nicht bloß in der Literatur, sondern auch in der aktualen von Menschen besiedelten Welt, welche Wälder eben in Berglagen zurückzudrängen pflegt) und für die Landschaft zwischen Sinuessa und ­Puteoli gerade nicht sonderlich bezeichnend sind, spielt sich der Straßenbau nämlich in einem völlig undefiniert bleibenden Raum ab: Nicht nur, daß Ortsnamen fehlen, es kommt die Umgebung der Straße so überhaupt nicht in den Blick, daß man den Eindruck gewinnt, sie werde absichtlich ausgeblendet.874 Erst ein Gesamtdarstellung römischen Straßenbaus just keine Skizze einer archäologisch dokumentierten römischen Straße begegnet, die auch wirklich so gebaut wäre: einzig ein Querschnitt durch die Via Tiburtina (ebd., 115; ebenso Quilici (1990), 26) böte prinzipiell die benötigten Voraussetzungen, doch fehlen darin jedenfalls die keilförmigen Verspreizungssteine, mit ­denen übrigens auch Schneider (1982), 32 f., rechnet, indem er sie überdies auch in der Art kleinerer Auszwickelungen die Steine der eigentlichen Pflasterung verklammern läßt: was immerhin Statius’ crebris iter alligare gomphis plausibel erklären würde; zur archäologischen Bezeugung dieses Verfahrens vgl. z. B. Esch (2011), 21, Abb. 16. 873 Chevalier (1997), 115, gibt beispielsweise eine Zusammenstellung unterschiedlicher Straßenquerschnitte; dieselbe Graphik bei Quilici (1990), 26; eine systematische Unter­ suchung zu einem bestimmten Gebiet (Oberitalien) gibt Rosada (2004). 874 Wenn Newlands (2002), 296, von einer kaiserlichen Invasion der Landschaft und daraus für den Leser erkennbaren Hinweisen auf die vielleicht ablehnenden Reaktionen der Anrainer spricht, ist daran m. E. zweierlei zurechtzurücken: Erstens gibt es im Text kaum eine Landschaft, sondern nur die Straße mit ihren Endpunkten Cumae / Puteoli und Sinuessa bzw.

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Nachtrag, der in Scharnierfunktion zum Auftritt des Vulturnus überleitet und der inhaltlich wie strukturell eine genaue Parallele zu silv. 1, 1, 63–65 ist – doch dort handelte es sich um ein eher nebensächliches Element in der reichen Fülle der Verortungs­signale des Equus maximus, hier hingegen steht dieses Element fast allein –,875 nennt den Gaurus und den Massicus, Cumae, Liternum und den Fluß Saphon (auch Safo oder Savo: 64–66), als würde eine an sich unlokalisierte und theoretisch auf jede Straße im Reich beziehbare Passage nachträglich verortet. Und wiederum ist die Verortung eine weitgespannte: Gaurus und Cumae befinden sich am Südende der Via Domitiana, Liternum weiter nördlich, den Saphon wiederum kreuzt die Straße einige Meilen südlich von Sinuessa, welches das Nordende der Straße markiert und am Fuß des Mons Massicus liegt. Das unlokalisiende hic, das den Abschnitt eröffnete, läßt sich also auch an ihrem Schluß nicht weiter als eben auf die volle Länge der Straße einschränken.876 Zugleich schlägt diese unauffällige kleine Passage aber einen originellen, gleichsam synästhetischen Bogen: Zunächst werfen Gaurus und Massicus als Berge das Echo des Baulärms zurück, fügen der vorangehenden etwas abstrakten Beschreibung der Arbeitsvorgänge also eine akustische Qualität expressis verbis hinzu: Fervent litora mobilesque silvae, / it longus medias fragor per urbes /  atque echo simul hinc et inde fractam / Gauro Massicus uvifer remittit (61–64). Die darauffolgenden abschließenden Verse aber wechseln gekonnt zur Evozierung eines geläufigen Bildtypus, also eines zwangsläufig sowohl stummen als auch unbewegten Mediums, zurück: Miratur sonitum quieta Cyme / et Literna palus pigerque Safon (65sq.) – das erinnert doch stark an die in der Malerei und Reliefkunst seit dem mittleren Hellenismus verbreitete Gewohnheit, dargeletztlich Rom; und zweitens gibt es schon gar keine Anrainer, die im Sinne moderner Bürger­ proteste gegen eine neue Autobahn aktiv würden: Wie realistisch ist es, daß die Bauern der Region erbost darüber waren, ihre Produkte nun bequemer zum Markt führen zu können, oder daß die Bewohner der kleinen Orte entlang der Via Domitiana sich über die neue Verkehrsanbindung aufhielten? Signifikant scheint mir dazu auch, daß von Schwierigkeiten mit lokalen Grundbesitzern, die für den Straßenbau ja den benötigten Streifen Land abtreten mußten, anscheinend aus der Antike keine Zeugnisse vorliegen: die Mehrwertsteigerung landwirtschaftlich genutzen Grundes, die sich durch dessen verbesserte Verkehrsanbindung jedenfalls ergab, wog wohl den Verlust einiger Meter Land mehr als auf; vgl. ­Schneider (1982), 30 f. 875 Vgl. o. I, bei Anm. 212. 876 Zur nicht-Verortung des Textes vgl. auch Leberl (2004), 201. – Die Annahme Geyssens (1996), 140 mit Anm. 8, silv. 4, 3 zeige gleiches Interesse an der Lokalisierung des im Text Geschilderten wie silv. 1, 1, entspringt einer überzogenen Betonung der Bedeutung der Sprecher für die Lokalisierung: Selbstverständlich entspricht Vulturnus in silv. 4, 3 dem Curtius des Equus Maximus, und auch die Sibylle des Gedichtschlusses paßt zur Lokalität. Doch ­Statius konnte schließlich, wenn er nicht örtlich ungebundene Figuren wie z. B. größere Götter als Sprecher verwenden wollte, nicht gut auf topographisch unpassende zurückgreifen. Sieht man nun aber von diesen beiden Sprechern ab, was bleibt an ›setting‹ in silv. 4, 3 dann noch übrig, verglichen mit der fast überreichen Einbeziehung der Forumslandschaft in silv. 1, 1?

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stellte Szenen durch Beifügung mehr oder minder natürlicher Gegebenheiten in personifizierter Form einerseits zu lokalisieren bzw. ihren Ereignisraum zu definieren, andererseits aber dadurch auch ins Bild gesetzte Beobachter jener Szenen zu gewinnen, mögen sie mit den Protagonisten interagieren oder nicht.877 Die Verse 61–66 haben damit dicht gedrängt mehrere Funktionen: Sie beleben das zuvor Geschilderte durch die Hinzufügung der akustischen Qualität, stiften aber sogleich auch wieder Ruhe und lassen die Schilderung der Bauarbeiten in ein angedeutetes, seinem Typus nach topisches Bild ausklingen: ein Gesamtgemälde freilich, das nach wie vor die Straße in ihrer Gesamtheit, mindestens in mehreren repräsentativen Ausschnitten umfaßt.878

d) silv. 4, 3, 67–94 Mit einem Schlag ändert sich dies, wenn ab Vers 67 der Flußgott Vulturnus auftritt – nicht ganz unvorbereitet immerhin, denn als Flußgott ist er den gerade erwähnten Gebräuchen der bildenden Kunst zufolge geradezu prädestiniert dazu, solch eine zwiefache Rolle als Lokalisierungs- und Betrachtungsinstanz zu spielen: Nur daß sich nach den in bloßem Staunen verharrenden Instanzen wie Cyme oder Safon mit Vulturnus wiederum der Wechsel vom ruhenden Bild zu belebten Szene vollzieht.879 Über die Eigenheit der panegyrischen Gedichte in den Silvae, Domitian stets durch angemessen inferiore göttliche ­Poten­zen preisen zu lassen, wurde schon gehandelt (o. 108–110);880 Vulturnus fügt sich in dieses System: Er ist weder optisch besonders präsentabel (67sq.: umidumque late crinem mollibus impeditus ulvis), noch als Sprecher wirklich hoffähig (71: raucis faucibus redundat, letzteres für einen Flußgott freilich passend), und auch daß er es sich an oder auf der Brücke über sein eigenes Gewässer bequem macht,881 entspricht wohl kaum der widmungsgemäßen Benützung der neuen Straße, eher schon einem an Ovid erinnernden Spiel mit Paradoxa, wie sie sich aus göttlichen 877 Vgl. von Hesberg (1988), bes. 355–359. 878 Vgl. zur dieser Technik des momentanen Anhaltens in pittoresken Bildern Dilke (1963), 503 mit weiterführender älterer Literatur; selbst den Ausdruck Versteinerung (›petrification‹) zog man hierfür bereits heran: Smith (1902), 93. 879 Zur Ikonographie von Flußgöttern vgl. Newlands (2002), 302 (mit weiterführender Literatur). 880 Ein in altrömischen Kultdetails bewanderter Leser hätte sich freilich fragen können, ob der Vulturnus des Statius nicht eventuell mit dem schon in augusteischer Zeit fast völlig vergessenen alten Gott Volturnus identisch sein könnte, den Varro ling. 7, 45 als Beispiel für nicht mehr verstandene Götternamen anführt. Gut hundert Jahre später wird man nicht mehr über ihn gewußt haben, doch vielleicht verlieh das rudimentäre Bewußtsein von der Existenz einer altrömischen Gottheit desselben Namens dem Flußgott in der Campagna ein wenig mehr Glanz? 881 Zu dieser Brücke vgl. zur Erstinformation Oleson (2008), 566 f.

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Naturen ergeben können; vor allem aber entspricht es einem grundsätzlichen Wesenszug der Welt der Silvae, wo man auf Schritt und Tritt mit Epiphanien diverser Gottheiten rechnen muß.882 Die Rede des Vulturnus ist ein prachtvolles Beispiel für die Ablösung des überkommenen Zurück-zur-Natur-Topos, der die lateinische Literatur mit Motivgruppen wie der Opposition von aurea aetas und Jetzt und der Interpretation dieser Differenz als Dekadenz durch die ganze frühere Kaiserzeit durchzieht (›Natur‹ dabei freilich nur von ihrer dem Menschen freundlichen, ungefähr­ lichen Seite betrachtet), durch einen gewissen Stolz auf die Bezwingung bzw. Verbesserung der Natur, insbesondere durch das Wirken des Kaisers: Denn Vulturnus, möglicherweise durch den Lärm der Bauarbeiten herbeigelockt wie sein strukturelles Pendant Curtius in silv. 1, 1, 66–70, geriert sich nicht etwa als unterworfener Wilder, der nur durch die Macht des römischen Herrschers niedergehalten wird wie beispielsweise der Rhenus unter dem Vorderhuf des Equus maximus (silv. 1, 1, 51) und seine zahlreichen Entsprechungen auf kaiserlichen Siegesdarstellungen jeder Art, sondern er bedankt sich dafür, durch das also kulturstiftende Wirken des Kaisers bezähmt, gleichsam domestiziert worden zu sein:883 Domitian ist camporum meorum conditor (72), insofern das bisher Überschwemmungen ausgesetzte Terrain beiderseits des Flusses nun landwirtschaftlich genutzt werden kann (vgl. 86sq.), sozusagen eine Wertsteigerung erfahren hat, und zwar eine Wertsteigerung im Sinne eines kommerziell oder, wenn man so will, imperialistisch verstandenen Fortschritts, der aus einem krummen Flußlauf einen geraden macht (75: recti legibus alvei), was durch den ins Spiel gebrachten Begriff leges noch auf eine ganz andere Ebene der kaiserlichen Repräsentanz verweist: auf den Kaiser als Garanten des Rechtes, der Krummes gerade zu machen vermag. Auch Schmutziges vermag er in Sauberes zu verwandeln,884 882 Gaymann (1898), 41, verweist außerdem auf eine Darstellung des Danubius auf der Trajanssäule, der in ähnlich panegyrischem Kontext (›Kaiser überschreitet Fluß auf einer durch ihn errichteten Brücke‹) dem Geschehen wohlwollend zusieht: vgl. Coarelli (2000), 129, Abb.  4.  Der vorliegende Statiustext ist zu knapp, als daß man aus ihm zuverlässig ­schließen könnte, daß der Autor sich in seiner Beschreibung des Flußgottes an einem bestimmten Bildtypus orientiert, doch angesichts der anderwärts massiven Parallelen zwischen den S­ ilvae und bildlichen Kunstwerken scheint Gaymanns Hinweis prinzipiell erwägenswert. 883 Auf eine ähnliche Diskrepanz der Darstellungsweisen weist Muth (2000), 473, hin: Darstellungen mariner ›Monster‹ in der römischen Kaiserzeit zeigen diese geflissentlich im Gestus des »gefügigen und vielleicht sogar bejahenden lebhaften Dienens«, nicht als zu unterwerfende bzw. unterworfene Repräsentanten der doch oft als unheimlich und feidlich empfundenen Welt des Meeres, als welche sie in Darstellungen aus früheren Jahrhunderten durchaus auch erscheinen. 884 Damit rückt er übrigens die Charakterisierung des Vulturnus durch Ovid (met. 15, 714: multamque trahens sub gurgite harenam) zurecht bzw. bringt die seinerzeit sicher zutreffende Beschreibung à jour. Colemans (1988) Textverbesserung der Verse 90sq. ­(qualis ­Cinyphios tacente ripa / Poenus Bagrada serpit inter agros anstelle des überlieferten C ­ inyphius

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zum Ausdruck gebracht durch das im Kontext alexandrinischer Dichtung fast zwangsläufig auch poetologisch konnotierte Bild vom klaren Fluß, der den schlammigen ersetzt (86–94),885 und bei näherer Betrachtung zeigen sich in diesen drei angeschlagenen Tönen – gesicherter Wohlstand, Gerechtigkeit, Sauber­ keit – Grundzüge eines hier zwar in die Sphäre der Landschaft beispielhaft übertragenen, doch unschwer davon abstrahierbaren politischen Programms, und zwar eines eher auf die Wünsche des sprichwörtlichen ›kleinen Mannes‹ denn auf die Privilegien der Nobilität zugeschnittenen, zugleich eines politisch außerordentlich leistungsfähigen: Man beachte, daß die ungefähren Gegenteile dieser positiven, der Jetztzeit angehörenden Begriffe direkt mit der Konnotation ›alt‹ junktimiert erscheinen, wenn im Gedicht die frühere Zeit (etwa des Nero, doch wohl über diesen hinausgreifend) als schmutzig, unbequem, unkultiviert charak­terisiert wird: 8 sordidas paludes; 29 maligna tellus; 32sq. impeditum iter; 35 repit, usw. – auf Statius’ Tendenz, das Begriffspaar neu / a lt positiv zugunsten des letzteren zu gewichten, wurde schon hingewiesen.886 … Poenos) ist entsprechend Lóios (2012, 284 f.) Ausführungen unbedingt zuzustimmen und führt auf die oben Anm.  841 angedeutete Parallele zum Epinikion des Kallimachos für ­Sosibios (Callim. frgm. 384 [Pfeiffer], v. 24), auch wenn dieses vermutete wörtliche Zitat das schwächste von Lóios’ Argumenten ist; zur Textkritik der Stelle vgl. die Ausführungen bei Liberman (2010), 337. Der wesentliche Inhalt der beiden Verse ist jedoch recht römisch: Nach der Erwähnung Hannibals in den Versen 5sq. übertrifft nun neuerlich das römisch beherrschte Campanien etwas Punisches bzw. verhält sich nicht mehr punisch, sondern gleicht einem einheimischen Fluß. Einzig flavus ist er des Schlamms / Sandes wegen nach wie vor (Vers 67), wie auch bei Sil. 9, 514: zu diesem topischen Zug von Flußgöttern vgl. ThlL 6, 1, 888, 20–37; zur gelehrten Anspielung auf den Schlangenkampf am Ufer des Bagrada in Sil. 6, ­140–297 mithilfe des serpit in silv. 4, 3, 91 vgl. Smolenaars (2006), 232 f.; auch Polizian (1978), 663, verweist auf die Stelle. 885 Newlands (2002), 299 und 306–308, weist richtig auf diese geschickte Motivverbindung hin: Der bislang schlammige Fluß ist, seit die neue Straße ihn kreuzt, zum reinen, klaren Gerwässer geworden, wird zusammen mit der Straße in silv. 4, 3 zum Gegenstand der Dichtung, abschnittsweise sogar zu deren Sprecher, und in dieser Dichtung wiederum findet auch der Kaiser seinen Platz (Vers 84: victor perpetuus legere, zweifellos nicht nur auf einer dort angebrachten Inschrift, wie Vollmer [1898], 457, und Coleman [1988], 125, meinen, sondern insbesondere in Gestalt des vorliegenden Gedichtes). Wenn Newlands in diesem Zusammenhang aber einen Ausdruck des Ressentiments über den verlorengegangenen elitären Anspruch der alexandrinischen Dichtung, symbolisiert im Bild der vielbefahrenen Straße, erkennen und dem Text damit weiterführende poetologische Aussagen zuschreiben will (ebd.), gestehe ich, ihr nicht mehr folgen zu können, ebensowenig wie wenn sie den fragor des Gedichtbeginns qua Geräuschentwicklung als Hinweis auf eine poetologische Dimension des Textes verstehen will (ebd., 286). Einfacher wäre wohl die Auffassung, Domitian biete durch seine Bautätigkeit Stoff, also ὕλη bzw. silva, für Dichtung nach alexandrinischen Maßstäben, was sich gut zum nachfolgenden Gedicht silv. 4, 4 fügt, an dessen Ende Statius pendantartig ankündigt, panegyrische Dichtung, und zwar vermutlich epischer Form, schreiben zu wollen: vgl. u. 308 f. 886 Vgl. o. 104–108; zur Übertragung der augusteischen prius-nunc-Topik in einen gänzlich gewandelten Kontext vgl. van Dam (1984), 213.

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Letztlich wird der Flußgott, der Domitian für eben dieses euergetische Programm preist, implizit zum Sprachrohr der römischen Bevölkerung: Wiederum ein Element, das besonders auf silv. 1, 1 zurückverweist, wo der göttliche Redner Curtius einerseits selbst einst ein römischer Bürger war, wo aber auch Stimmen aus dem zeitgenössischen Volk vernehmbar wurden (vgl. o. 75–77). Im Umkehrschluß darf man also auch die explizite Huldigung des Flusses an seinen Bezwinger in den Versen 81–84 sed grates ago servitusque tanti est, / quod sub te duce, te iubente, cessi, / quod tu maximus arbiter meaeque / victor perpetuus ­legere ripae als ungewöhnlich unverhüllte Huldigung des Volkes an den Herrscher Domitian verstehen – wohlgemerkt ist es nur das eine, letzte Wort ripae, das diesen immerhin vier Verse langen Satz überhaupt in der Sphäre der Flußlandschaft verankert.887 Coleman hat mit Recht darauf hingewiesen, daß ­Statius’ Vulturnus im Gegensatz zu sonst in der Literatur auftretenden Flußgöttern keinerlei prophetische Gaben zeigt, sondern sich auf einen Preis der domitia­ nischen Ingenieursleistung beschränkt, um nicht die Rede der Sibylle am Ende des Gedichts vorwegzunehmen.888 Diese Begründung trifft zweifellos auch zu, doch die thematische Verteilung der beiden Reden scheint mir nicht bloß in einer Gegenüberstellung von Flußgott, der über seine Uferbegradigung spricht, und Sibylle als Sprachrohr der Götter, die über den Herrscher und die Zukunft seines Haues spricht, zu bestehen, sondern in einer viel naheliegenderen Op­ position von menschlichem Preis des Kaisers (durch den Mund des Vulturnus zugleich ansatzweise vergöttlicht und rustikalisiert) und göttlicher Bestätigung des Kaisers (durch den Mund der Sibylle in die menschliche Sphäre transferiert) zu bestehen.889

887 Vgl. Nauta (2002), 389. 888 Coleman (1988), 120. Coleman (2008), 41 f. weist darauf hin, daß der auf der Brücke liegende Vulturnus hier mit den Worten maximus arbiter und victor perpetuus möglicherweise aus der Errichtungsinschrift eben jener Brücke zitiert: Das scheint ohne weiteres plausibel, kann indes nur mutatis mutandis gelten, denn eine inschriftliche Bezeichnung des römischen Kaisers als maximus arbiter ist undenkbar: censor perpetuus sowie die typische Reihe von Siegesnamen dürften die hinter diesen beiden ungewöhnlichen Formulierungen zu vermutenden echten Titel sein. 889 Cancik (1965), 32, trennt etwas mechanischer in den Dreischritt menschlicher Preis durch ›Statius‹, mythischer Preis durch Vulturnus, kosmischer Preis durch die Sibylle, was mir zu blockhaft erscheint, mögen auch die drei Seinsbereiche prinzipiell gut zu dem in und seit silv.  1, 1 aufgebauten panegyrischen Domitianbild passen.  – Cordes (2014a)  weist mit Recht darauf hin, daß die Sprecherinfunktion der Sibylle nicht zuletzt ein Instrument ist, um Domitians Göttlichkeit als Selbstverständlichkeit (und eben nicht als bloßen Reflex unter­ täniger Sprecher auf eine offizielle Propagandalinie) vorzustellen.

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e) silv. 4, 3, 95–113 Der nächste Textabschnitt (95–113) beschreibt die während der Vulturnusrede anscheinend mit göttlicher Leichtigkeit und Schnelligkeit vollendete Straße: plaga marmorata meint sicher diese, nicht bloß die Brücke, auf deren Bogen der Gott es sich ja bereits bequem gemacht hatte.890 Erneut kommt diese selbst aber nicht näher in den Blick, sondern zunächst der Bogen, der sie offenbar bei ihrer Abzweigung von der Via Appia überspannte und der vielleicht nicht nur seines marmornen Glanzes wegen (99) mit dem Regenbogen, also der besonders geschwinden himmlischen Verkehrsverbindung der Götterbotin Iris gleichgesetzt wird (100).891 Entsprechend rasch geht denn auch von diesem Punkt aus – und abgesehen von der sich von selbst ergebenden Lokalisierung der Vulturnusrede auf der Vulturnusbrücke ist dies der erste präziser definierte Ort seit Gedichtbeginn – die Reise beschleunigt vonstatten (103: tunc velocior acriorque cursus), und zwar offenbar bis ans Ende der Via Domitiana, wie die abschließende Bemerkung, die Reise von Rom bis zum Lucriner See sei nunmehr binnen eines Tages bewältigbar (112sq.), klarmacht. Dazwischen liegen freilich einige Verse, an deren richtiger Positionierung man bisweilen gezweifelt hat, weil sie eine Bewegungsrichtung von Süden her auf Rom zu auszudrücken (107–110) und damit der Gesamtrichtung der Passage von Sinuessa an den Lucriner See zuwiderzulaufen scheinen. Für eine Transposition besteht jedoch meines Erachtens kein Anlaß.892 Sie würde zwar die im Text zum Ausdruck gebrachten Bewegungsrichtungen ›von Rom – nach Rom –

890 So auch zuletzt Shackleton Bailey (2003), 261/263; anders Vollmer (1898), 458 – zu Unrecht, wie mir scheint. 891 Von diesem Bogen ist keine Spur mehr zu sehen, von seinem Pendant am anderen Ende der Straße möglicherweise eine Inschrift (o. Anm.  842), nur der Durchstich durch den Monte Grillo blieb erhalten (u. Anm.  898). Eine Übertrumpfung der domitianischen Repräsentation an der Via Appia unweit der Abzweigung der Via Domitiana führte erwartungsgemäß Trajan durch, indem er bei Tarracina (Anxur) den Straßenverlauf durch spektakuläres Abmeißeln eines Felssporns verlegen und wahrscheinlich auch die Stelle der Zusammenmündung von älterer und neuer Trasse durch ein Monument hervorheben ließ. Wer von Rom nach Süden reiste, wurde solcherart schon an Trajans Großartigkeit gemahnt, bevor er noch jenen Abschnitt erreichte, an dem die nach 96 vernichteten Monumente ­Domitians höchstens noch in der Erinnerung des Reisenden sichtbar waren: vgl. Eck (2004), 19 f.; Heinz (2003), 51 mit Abb. 48 und 49. 892 Köstlin (1876), 508, reiht 105, 106, 112, 113, 107, 108 usw., bezeichnet freilich die dann sich ergebende dichte Abfolge von primae (106), primo (112), primo (113) und nochmals primo (107) innert vier Versen als »in diesem durch Schönheit der äußeren und innern Form ausgezeichneten Gedichte eine widerliche Spielerei« und konterkariert damit die eigene Text­ verbesserung denn doch; zuletzt Coleman (1988), 129, deren Reihung 105, 106, 112, 113, 111, 107, 108 usw. lautet.

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von Rom‹ auf einen einfachen Wechsel ›von Rom – nach Rom‹ reduzieren, dafür aber käme der Beginn des nachfolgenden Sibyllenabschnitts, der klarerweise am Südende der Straße lokalisiert ist, unvermittelt, und es müßte erst wieder ein gedanklicher Sprung von Rom an den Golf von Neapel vollzogen werden – man gewinnt also gerade keine Vereinfachung oder Klärung der Passage, wenn man sie umarrangiert, sondern bliebt bei einem Hin und Her, das freilich der belebten Straße durchaus angemessen ist.893 Klärungsbedürftig aber ist sie in jedem Fall, denn die Aufforderung an orientalische Völker (107–109) und Siegesmeldungen aus dem Osten (110: Eoae laurus), nun schleunigst nach Rom zu strömen,894 wurde mit Recht als problematisch empfunden. Wer auf dem Weg aus dem Osten nach Rom Wert auf Schnelligkeit legte, etwa staatliche Kuriere, wählte weit eher die klassische Route über die Adria nach Brundisium, dann die Via Appia, anstatt um Italien herumzusegeln und in Puteoli an Land zu gehen; wer hingegen Rom bequem erreichen wollte, insbesondere Händler mit über Land nur mühsam zu transportierenden Gütern, steuerte direkt Ostia bzw. Rom selbst an, fallweise nach einer Zwischenlandung in Puteoli zwecks Umladung der Waren auf kleinere, küsten- und flußschiffahrtstaugliche Schiffe:895 ­Weder 893 Smolenaars (2006), 226, rechnet die im Gedicht vorkommenden Örtlichkeiten genauer durch und erhält als Resultat ein noch oftmaligeres Hin und Her entlang der Straße im Text. Das Motiv als solches scheint mir vollkommen plausibel, doch bezweifle ich, daß insbesondere die für mein Empfinden nur allgemein die Erstreckung der Straße abdeckenden Orts­ namen in den kurzen Katalogen silv. 4, 3, 24–26 und 64–66 jeweils eine bestimmte Bewegungsrichtung bedeuten sollten. 894 Einzig Stange (1887), 28, schlägt vor, den Aufenthaltsort des Dichters, also Neapel, als das Ziel dieser ›hierher‹-Bewegung zu verstehen: textimmanent zweifellos keine schlechte Lösung, doch für die breitere Leserschaft, die laurus doch eher nach Rom senden wird wollen, einigermaßen fernliegend. Sicherlich aber kann aus simplen geographischen Gründen die Aufforderung dann nicht lauten, die Völker aus dem Osten (bzw. die Siegesmeldungen von dort) sollten über Rom nach Neapel kommen: Man käme also auch in dieser Interpretation zu der Schwierigkeit, daß die Via Domitiana mit den laurus aus dem Osten überhaupt nicht logisch in Verbindung zu bringen ist. 895 Vgl. Rühl (2006), 323 f.; Neumeister (1998), 162 f.; anders Vollmer (1898), 459, der Puteoli als Verkehrsdrehscheibe Roms nach dem Osten auffaßt, und Coleman (1988), 129, die Puteoli als »chief port for eastern cargoes« bezeichnet: Unter den Städten am Golf von Neapel mag Puteoli diese Stellung behauptet haben, aber anzunehmen, daß man die große Masse der Handelsgüter, die aus dem östlichen Mittelmeerraum nach Rom strömten und sich dort im emporium und anderen Lagerhäusern in Flußnähe (sic  – und eben nicht bei der Porta Capena, wo die Straße von Süden die Stadt erreichte)  stapelten, von Getreide und Marmorplatten bis zu zerbrechlichen Glaswaren, in Puteoli ausgeschifft und dann in Ochsen­karren mühsam über mehr als zweihundert Kilometer bis Rom hätte holpern lassen, ist absurd: Gerade der explodierende Warenverkehr des der Bürgerkriegszeit entronnenen Weltreiches war es ja wohl, der Ostia in der frühen Kaiserzeit emporbrachte und Puteoli vom ersten Platz der italischen Häfen verdrängte, wie schon seit Dubois (1907), 80 f., nachgewiesen ist. Es ist gut vorstellbar, daß Neros in den Versen 7sq. angedeutetes Projekt eines küstenbegleitenden Kanals den Versuch darstellte, den überlasteten Hafen von Ostia

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als Fernhandelsroute noch als logistische Verbindungslinie (außer zwischen Rom und dem Flottenstützpunkt in Misenum) also hatte Domitians Straße eine sonderlich wichtige Funktion. Damit unterschied sie sich freilich von den klassischen großen römischen Straßen, die mit ihren etlichen zigtausend Kilometern Gesamtlänge nicht nur de facto die Nervenbahnen des Imperiums darstellten, sondern auch staatlicherseits als sichtbare Zeichen des bezwungenen und kontrollierten Raumes des riesigen Imperiums verstanden und präsentiert wurden,896 etwa wenn bisweilen Meilensteine nicht so sehr die Distanzen zu den nächstgelegenen Ortschaften angaben, obgleich dies für den einzelnen Reisenden die wichtigste Information gewesen wäre, sondern die Entfernung von Rom in Kombination mit dem vollen Namensformular desjenigen Kaisers, dessen Herrschaft sich über eine so weite (und eben durch Verkehrsadern tatsächlich überbrückte!) Distanz erstreckte.897 Die Via Domitiana paßte nur schlecht zu derlei Verständnis von Straßen­ bauten: Mit ihren 33 Meilen Länge war sie in keiner Weise rekordverdächtig, das durchfahrene Terrain bis auf den Durchstich des Monte Grillo kurz vor Cumae

durch einen Rückgriff auf Puteoli zu entlasten und außerdem vielleicht durch die Einrichtung eines T ­ reidelbetriebes den Schiffstransport wenigstens in diesem Abschnitt von widrigen Winden oder Flauten unabhängig zu machen. Doch selbst wenn dies der Fall war, bedeutet ­Domitians Entscheidung, die gleiche Verkehrsader als Straße auszubauen, daß man eine solche Ent­lastung für die großen Handelsvolumina nun in anderer Weise suchte: Etwa durch die Anlage eines zusätzlichen Tiberhafens, wie ihn Trajan, in vielen Fällen der Vollender domitia­nischer Planungen, in Portus verwirklichen sollte. Ist es undenkbar, daß er die grundsätzliche Idee hierfür gleichsam in Domitians Schreibtisch vorfand, so wie möglicherweise auch die Verlängerung der Via Domitiana bis Neapel, die 102 eingeweiht wurde (­ Flower [2001], 634)? Aus severischer Zeitschließlich stammt der Lückenschluß der Küstenstraße zwischen Terracina und Ostia, die Via Severiana, deren Hauptfunktion die Erschließung der Villae maritimae entlang der Küste Latiums und Kampaniens war (vgl. Esch [2011], 45 f. mit der in Anm. 112 genannten Literatur). Ob auch die Via Domitiana wesentlich dazu diente, Villae maritimae von der Landseite her zu erschließen? Vgl. die Karten bei Lafon (2001), 363, Abb. 89, und 370, Abb. 95. 896 Vgl. Schneider (1982), 25 f. mit Anm. 4 f.; Mrozewicz (2004), bes. 351–354, weist auf die Tendenz hin, auf Straßenmonumenten als jeweiligen Endpunkt nicht die dort liegende Stadt sondern den Oceanus oder einen der in der Wahrnehmung des durchschnittlichen Römers in ähnlicher Weise die Oikumene begrenzenden Flüsse anzugeben, um die Durchdringung des gesamten beherrschbaren Raumes durch die Bautätigkeit des jeweiligen Kaisers zum Ausdruck zu bringen. 897 Märtin (2012), 64 f. verweist instruktiv auf ein entsprechendes Beispiel aus Savaria (Steinamanger / Szombarthely); vgl. Kolb (2004), 151 f., und (2012), 81. Man fühlt sich auch an moderne Gegebenheiten erinnert, wenn auf süddeutschen Autobahnen die Distanz nach ­Berlin, oder irgendwo in Vorarlberg jene nach Wien angegeben wird: Auch dort steht wohl mehr der Wunsch, die Landschaft auf die Hauptstadt hin zu orientieren, hinter der Anbringung einer solchen Angabe, als der praktische Nutzen für die wenigen Reisenden, die vom fraglichen Punkt aus wirklich die Hauptstadt (und nicht ein nähergelegenes Ziel) er­ reichen wollen.

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unspektakulär,898 ein militärischer Gewinn damit nicht verbunden,899 ein kommerzieller nur in begrenztem Ausmaß.900 Bei aller Vorsicht vor Rückschlüssen auf die Produktionsweise eines literarischen Textes läßt sich doch vermuten, daß der Autor es tendenziell als Problem empfunden haben wird, den Nutzen der neuen Straße in einer an den aufgelisteten, naheliegenden Topoi orientierten Weise zu preisen. Die Textpassage nun, in der dies geschieht, ist just im fraglichen Bereich ihrerseits problematisch. Daraus könnte man den Schluß ziehen, daß die beiden Probleme miteinander zu tun haben. Mir scheint der Ansatzpunkt zum Verständnis des überlieferten Textes darin zu bestehen, daß man sich von der Vorstellung freimacht, die Verse 107–110 müßten sich auf die Via Domitiana beziehen.901 Genau genommen werden indes nur die Völker des Ostens und, mit ihnen in enger gedanklicher Verbindung stehend, die Lorbeeren des Ostens bzw. aus dem Osten aufgefordert, prono limite, also etwa ›auf flotter Bahn‹ nach Rom zu eilen. Daß dies auf der neuen Straße zu geschehen habe, ist ein naheliegender, doch darum nicht unbedingt korrekter Schluß, der auch durch nichts im Text erwiesen wird; eher im Gegenteil, denn die Aufforderung commeate, ›strömt zusammen‹, paßt besser zu einer aus allen Richtungen her auf ein gemeinsames Ziel zu erfolgenden Bewegung denn zur gemeinsamen Benützung derselben Straße in dieselbe Richtung. Ferner bliebe der doch wohl kausal zu denkende Zusammenhang zwischen dieser Aufforderung und dem nachfolgenden nil obstat cupidis, nihil moratur: /  qui primo Tiberim relinquit ortu / primo vespere naviget Lucrinum zu definie 898 Vgl. Heinz (2003), 20, mit Abb. 12. Schwierigkeiten können höchsten durch sandigen, nicht tragfesten Untergrund und die Notwendigkeit von Drainagierungen aufgetreten sein: Beides Dinge, mit denen römische Straßenbauer geflissentlich fertigwurden, die indes (erst recht beim Anblick der fertigen Straße) auch kein so publikumswirksames Potential in sich bargen wie andernorts Brückenschläge über große Ströme, schnurgerader Straßenverlauf in zerfurchtem Terrain oder die Überwindung von Gebirgsformationen. Entsprechend wirkt ja auch die Beschreibung der Bauarbeiten in silv. 4, 3, 40–55 ›höhepunktlos‹ und zeichnet eher ein Bild normaler Straßenbautätigkeiten als die Überwindung besonderer Hindernisse. 899 Anders Newlands (2002), 298, die im Sinne ihrer m. E. überspitzten Interpretation von silv. 4, 3 als Beschreibung eines brutalen, invasiven Aktes römisch-kaiserlicher Macht gegenüber einer griechisch-philosophischen Landschaft darauf bestehen muß, der Bau der Straße diene auch dazu, die Herrschaft der Flavier über die Campagna zu sichern. Doch was sollte man schon sichern in einer Gegend, die durch das römische Flottenhauptquartier in ­Misenum militärisch dominiert, ansonsten völlig zivilisiert und wirtschaftlich wesentlich vom Luxustourismus der stadtrömischen Oberschicht abhängig war? Einzig daß Misenum über die neue Straße von Rom aus besser erreichbar war, kann als militärischer Effekt verbucht werden, kommt aber bezeichnenderweise im Text von silv. 4, 3 gar nicht vor. 900 Irrig Myers (2000), die einen Gegensatz zwischen Statius’ Beschreibungen luxuriöser Villen etwa in silv. 1, 3 und 2, 2 und seinem Preis für die nützlich-technische Leistung des Straßenbaus in silv. 4, 3 erblicken will. Die beiden Motive sind vielmehr deckungsgleich: Die Villen sind ebensolche technischen Leistungen wie die Straße, und die Straße ihrerseits erschließt vor allem die Villen an der campanischen Küste. 901 Anders freilich Leberl (2004), 199.

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ren.902 Das Befahren des kleinen Lucriner Sees bei Baiae mit Booten ist eine von jedem kommerziellen oder politischen Zweck vollkommen freie Tätigkeit, ein Beispiel für reines otium.903 Die an der Via Domitiana gepriesene Eigenschaft besteht also darin, Urlauber aus Rom raschestmöglich zu ihrem otium zu bringen – als von quies geprägte Region hatte der Autor schon im Schlußgedicht des dritten Silvaebuches den Golf gepriesen.904 Ein solches otium aber ist grundsätzlich nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, d. h. wenn die pax Romana den Erdkreis beherrscht. Unter Domitian ist das zweifellos der Fall, schon gar in einem panegyrischen Text, und die Bezugnahme ausgerechnet auf die Völker des Ostens kann topisch sein, kann aber ebensogut ähnlich dem Schlußteil der Janusrede (silv.  4, 1, 40–42) der grundsätzlichen Erwartungshaltung an einen römischen Kaiser, den Erbfeind im Osten zu besiegen, entsprechen, mag auch Domitian keinerlei Anstalten gemacht haben, sich wirklich in einen Orientkrieg zu stürzen:905 In jedem Fall bleibt die dem modernen Leser vielleicht ungeniert imperialistisch erscheinende, doch keineswegs unnachvollziehbare Haltung, daß erstens der römische Kaiser durch Beherrschung möglichst weiter Räume der dem Zielpublikum der Silvae entsprechenden Bevölkerung bzw. Bevölkerungsschicht otium ermöglicht, und daß zweitens derselbe Kaiser durch den Bau eines Verkehrsweges nun auch noch die Infrastruktur dafür schafft, dieses otium auch ohne Verzögerung genießen zu können – sicherlich nicht zufällig wird das nachfolgende Gedicht (silv. 4, 4) aus der Position eines solchen otium-Genießers und als Einladung an einen Freund, dasselbe zu tun, formuliert sein. 902 Eine Motivparallele: Philostr. Apollon. 8, 10. – Das im Matritensis überliefert relinquit hat gegenüber der jüngeren Variante reliquit streng genommen den Nachteil einer nicht restlos präzisen Zeitenfolge; neben dem Konjunktiv naviget freilich verfängt dieses Argument nicht recht, sodaß ich der überlieferten Form relinquit den Vorzug geben möchte. 903 Man würde, stünden nicht drei Jahrhunderte zwischen Statius und Ammianus Marcel­ linus, dessen spöttische Schilderung der überzogenen Selbstwahrnehmung und -darstellung römischer nobiles zum Vergleich heranziehen wollen: Pars eorum, si agros visuri ­processerunt longius, aut alienis laboribus venaturi, Alexandri Magni itinera se putant aequiperasse vel ­Caesaris; aut si a lacu Averni lembis invecti sunt pictis Puteolos, velleris certamen, maxime cum id vaporato audeant tempore (Amm. 28, 4, 18). Immerhin: Die beiden Texte teilen die Kombination der Motive ›große, weite Reise‹ und ›harmlose Bootspartie am Golf von Baiae‹, im Urlaubsgebiet schlechthin (Lucriner- und Avernersee liegen nur einen Spaziergang weit voneinander entfernt, bloß daß der Lucrinersee noch bedeutend kleiner ist). Ist es also aus­ geschlossen, daß auch bei Statius ein leicht ironischer Unterton mitzuhören wäre, etwa als leises Kopfschütteln eines Einheimischen über die in Scharen und auf einer neu gebauten Auto­bahn herbeiströmenden Touristen? Zu diesen gehörte immerhin, wenn man Plin. paneg. 81, 1–4 Glauben schenken darf, auch Domitian selbst, der solcherlei Bootspartien anscheinend durchaus schätzte. 904 Stat. silv. 3, 5, 85sq.: Pax secura locis et desidis otia vitae / et numquam turbata quies somnique peracti; vgl. Dierichs (2007), 36. 905 Vgl. o. I, Anm. 643.

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Die Rasanz der neuen Zeit, konkretisiert in der Via Domitiana, ist also die Rasanz einer Transitroute für Urlauber, deren umgebende Natur dabei auf der Strecke bleibt, vielleicht nicht so drastisch wie in modernen Zeiten bei Ferienbeginn entlang mancher alpenquerender Strecke, doch jedenfalls textimmanent: Abgesehen von dem für seine Unterwerfung sich bedankenden Vulturnus, der, wie oben gezeigt, nicht einmal unbedingt nur als Flußgott spricht, besteht die Beteiligung der Landschaft das gesamte Gedicht hindurch höchstens darin, vom Baulärm widerzuhallen (silv. 4, 3, 61–66), und wäre zu Statius’ Zeiten der Überlandverkehr selbst ein relevanter Lärmerzeuger gewesen, würde man vielleicht sogar dies im Gedicht wiederfinden. In den Blick aber kommt die Landschaft nicht, so sehr Statius auch in anderen Texten Objekte mit ihrer Umgebung in Beziehung setzt und in diesem Bezugsgeflecht interpretiert: Die Via Domitiana rückt Rom (bzw. Sinuessa) und den Golf von Neapel näher zusammen, überbrückt also den dazwischenliegenden Raum, doch sie erschließt ihn nicht; sie ist als Weg gleichsam das Ziel des Textes. Daß der Textschluß dann doch noch ein geographisch definiertes Ziel erreicht und damit erstmals im Text eine Ichaussage und mit ihr eine klare Bezeichnung des Standortes der Ichinstanz bringt, bedeutet keineswegs eine Ergänzung dieser, wenn man so will, Defizienz, sondern lenkt den Blick auf ein ganz anders gearteten Bezugsgeflecht. Entsprechend dem Einleitungsbrief des vierten Buches und einer schon am Schluß des dritten aufgebauten Motivlinie hat der Autor – jedenfalls der implizite – Rom verlassen und sich mehr oder minder dauerhaft an den Golf von Neapel begeben (vgl. o. 227–236).906 Wenn er nun in den Versen 114–120 bzw. 123 als Wahrnehmungsinstanz wie als Sprecher hervortritt, so hat das seine innere Richtigkeit, lokalisiert sich doch der Rest des Textes auf der Via Domitiana in Sichtweite von Cumae; auch wenn zu bedenken ist, daß der Sprecher ebensogut unter den in den Versen davor aus Rom anreisenden ›Feriengästen‹ sich befinden könnte. Wesentlich ist, daß er seine beiden Funktionen, Wahrnehmungsinstanz und Sprecher, expressis verbis einnimmt: cerno (116), visu fallimur (117)

906 Wenn Cancik davon ausgeht, daß das gesamte Gedicht hindurch das poetische Ich auf der Straße von ihrer Abzweigung von der Via Appia nach Süden bis Cumae unterwegs sei, so ist das lediglich das Ergebnis selektiver Lektüre, wie die dafür angeführten Textstellen ­(Cancik [1965], 112: Via Appia in 1sqq., Savo in Vers 66, Vulturnus in 67sqq., Cumae ab Vers 114) zeigen, die alle dazwischenliegenden, die ›Bewegung‹ unterbrechenden Toponyme ausläßt: man beachte etwa die Verse 24–26, 61–66, 97–102; er selbst (ebd.) kommt mit seiner Deutung denn auch in Schwierigkeiten und muß Vers 97 als Fehler des Dichters erklären. Zustimmen könnte man allenfalls Canciks ebd. vorgeschlagener Interpretation von 114–118, worin er ein Näherkommen der Wahrnehmungsinstanz und damit verbunden ein immer klareres Erkennen der Sibylle sieht. Allerdings kann die Sache sich auch umgekehrt verhalten: Nachweislich bewegt sich ja jedenfalls die Sibylle (118: profert; 122: bacchatur), und sie kann das auch auf eine stehende Wahrnehmungsinstanz zu tun.

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und en (121) einerseits, cedamus (119), tacendum est (120) und die cedamus erläuternde Aufforderung chely iam repone cantus (119) sind der Gesamtbestand der Prädikate zur Ichinstanz, die also einerseits wahrnimmt, andererseits – verstummt, um einer vates sanctior das Wort zu überlassen. Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, daß der Sprecher in den panegyrischen Gedichten, von silv. 4, 2 abgesehen, als Ich sehr zurücktritt und eher Stimmen aus dem Volk hörbar macht, jedenfalls sich nicht in die Pose des gotterfüllten vates wirft.907 Insofern steigert vates sanctior hier wohl nicht einen vates sanctus noch weiter, sondern markiert den Wechsel von einem ›normalen‹ Sprecher zu einer echten vates;908 die übrigens, doch das gehört zu den geschickten Motivwiederholungen, von denen das Gedicht geprägt ist (vgl. unten zum Begriff putris), Chalci­ dicas laurus (118) mit sich und damit die Seherin der ehemals Chalkischen Kolonie Cumae textimmanent in eine Beziehung zu den Eoae laurus wenige Verse zuvor (110) bringt: Nicht als Gleichsetzung, doch als Ergänzung, denn was die Sibylle im folgenden zu verkünden hat, ist ebenso wie jene laurus Grundlage des otium, das Roms Bürger – und damit auch Statius, der sich dafür ja bereits geographisch in der richtigen Position befindet – genießen können. Daß Sibylle und Dichter in eins verschwimmen, ist bei alledem evident und wird andernorts von Statius sogar extra betont, wenn er (silv. 5, 3, 162–175) den Golf von Neapel zur Dichterregion schlechthin erklärt und die angehenden Dichter aus allen Richtungen zu seinem ja gleichfalls als Dichter tätigen und in Neapel dies Handwerk auch lehrenden Vater strömen läßt wie zur Sibylle.909

f) silv. 4, 3, 114–163 Doch noch jemandes Position ist von Bedeutung: Auch Domitian befindet sich, jedenfalls im Text, im Sichtbereich der Sibylle, mag dieser vielleicht auch etwas weiter sein als der normaler Sterblicher: veniet (124sq.), en hic est (128), hic (134, 136), ferner der auf eine Epiphanie verweisende Chairetismos salve (139) und die Rolle Domitians als Apostrophierter in den Versen 139–163 sind die wesentlichen textlichen Signale dafür.910 907 Vgl. o. 64 f. mit Anm. 57. 908 Vgl. Hardie (1983), 141. 909 Stat. silv. 5, 3, 172sq.: Sic ad Avernales scopulos et opaca Sibyllae / antra rogaturae venie­ bant undique gentes … 910 Das en hic est deus des Verses 128 bezieht Newlands (2002), 314, direkt auf Lucr. 5, 8 deus ille fuit, deus und leitet daraus eine Kontrastierung Domitians mit den (potentiell epikureischen) Philosophen des Golfs von Neapel ab. Mir schiene allerdings angesichts der schon oft festgestellten Bedeutung von zumindest Vergils erster und vierter Ekloge für silv. 4, 3 eine – sprachlich aber in jedem Fall recht vage – Parallele zu Verg. ecl. 5, 64 deus, deus ille ebenso so nahe zu liegen, wodurch Domitian in die Rolle der Zentralgottheit eines ­bukolischen

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Der Kaiser hat also Rom gleichfalls verlassen und befindet sich nun in der räumlichen Sphäre des Dichters, so wie dieser im vorigen Gedicht sich in der des Kaisers befunden hatte (vgl. auch o. 234). Die Anwesenheit des Herrschers freilich scheint weniger von otium gekennzeichnet, und auch ein bloßer Festakt zur Eröffnung der Straße, der in der aktualen Welt denkbarerweise den Rahmen für den Gedichtvortrag abgegeben haben kann, doch ohne daß dies plausible Spuren im Text hinterlassen hätte,911 wird als Anlaß nicht hervorgekehrt; von der Möglichkeit, daß ausschließlich eine Domitianstatue auf dem Arco ­Felice bezeichnet sei, einmal abgesehen, da eine solche Statue implizit ja doch wieder den leibhaftigen Domitian anwesend sein ließe.912 Vielmehr stellt die neue Straße eine weitere nützliche Funktion unter Beweis, wenn sie Rom und das Weissagezentrum der cumäischen Sibylle einander näherbringt, die Sibylle sogar aus ihrer Höhle in bzw. auf die nova spatia (121sq.) der Straße lockt, sodaß Rom, wie die Sibylle selbst formuliert, nicht mehr von den putres chartae (silv. 4, 3, 141) der alten sibyllinischen Bücher,913 also sozusagen von Konserven, abhängig ist, sondern direkten Zugang zur Prophetin bzw. zu ihren Weissagungen hat: einen Zugang, den Domitian kraft seiner Stellung und seiner erbrachten Leistungen auch verdient (144: ut mereris). Man wird das Motiv interpretatorisch nicht allzusehr belasten wollen: Erstens waren die sibyllinischen Büchern schon beim Brand des Kapitols in den ­sullanischen Wirren vernichtet und danach nur durch ein Surrogat ersetzt worden (von rezenteren Bränden ganz zu schweigen), zweitens war ihre Konsultation ein relativ seltener und zumeist durch eingetretene Katastrophen, die auf eine gestörte pax deorum deuteten, veranlaßter Vorgang; mithin einer, der unter Domitians segensreicher Regierung eigentlich gar nicht eintreten dürfte. Eine mit den Spielregeln der Panegyrik verträglichere Deutung des Motivs erhält man, wenn man Domitians Wirken schlichter als eine allgemeine Annäherung von Menschen und Göttern betrachtet: Immerhin ist er selbst auch in silv.  4, 3 nicht bloß ein überbietendes Supplement zu Vergils Aeneas ­(130–133), sondern ein Gott, ein irdischer Stellvertreter Jupiters (128sq.) und besserer Jupiter ­locus amoenus gedrängt würde  – nicht ganz unpassend angesichts des otium-Charakters der ­neapolitanischen Golfregion, und auch nicht unpassend angesichts der jedenfalls in der Spätantike stark ausgeprägten, vielleicht aber auf ältere Ansätze zurückgehenden Gewohnheit der Kaiser, repräsentative Auftritte im Rahmen eines u. U. sogar mit mechanischen Hilfsmitteln angedeuteten locus amoenus stattfinden zu lassen. Die Eklogenstelle ­zitiert ­Statius übrigens eindeutig in silv. 4, 6, 36, wo sie auf Hercules umgemünzt wird. – Zum Problem des hic est deus vgl. auch Sauter (1934), 74. 911 Vgl. Nauta (2002), 359 f.; Rühl (2006), 95 u. 326, scheint mit einem tatsächlichen Vortrag bei einem Festakt zu rechnen, doch ohne Nachweis; Leberl (2004), 201 f. und 215, bleibt skeptisch, m. E. mit Recht. 912 Smolenaars (2006), 235 mit indirektem Verweis auf Fears (1975), 8. 913 Vgl. Newlands (2002), 312 f.

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­(134–138) zugleich wie schon im Eröffnungsgedicht des ersten Silvae­buches.914 Wenn freilich die Konzeption des Equus maximus-Gedichtes ­Domitian vertikal getrennte Seinsbereiche miteinander verbinden ließ (Forum Romanum – Götter­ sphäre – Sternenhimmel), so projiziert Statius’ Deutung der Via Domitiana eine solche Verbindungsfunktion, diesmal, soweit ich sehen kann, ohne astrale Komponente, in die Ebene des irdischen Terrains (Rom – Cumae). Faßt man nun aber Cumae, das im Text ausdrücklich, wenn auch geographisch nicht ganz korrekt, mit dem Ende der Via Domitiana gleichgesetzt wird (silv. 4, 3, 114sq.), als Bestandteil einer nicht allzu präzis in unterschiedlich bedeutungtragende Orte differenzierten Region, nämlich des Golfes von Neapel mit Ortschaften wir Puteoli oder Baiae, auf, dann ergibt sich die Möglichkeit einer faszinierenden Überblendung von otium-Region und götternaher Region: Wer das otium an der Küste von Baiae genießt, ist den Göttern besonders nahe, gehört vielleicht selbst schon zu den ῥεῖα ζώοντες, mag Baiae im Text auch als aestuantes beschrieben und damit von der Assoziation mit kühlen elysischen Gefilden zugunsten klimatisch heißerer, belebterer, erotisch aufgeladenerer Situation etwas abrücken?915 Und gelangt nun einfacher in diesen Zustand dank Domitians Besorgnis um den Verkehr, die so auf einer anderen Bedeutungsebene geradezu eine (sit venia verbo) messianische Komponente erhielte?916 Das 914 Colemans Entscheidung, die überlieferte Versreihenfolge 135/136 beizubehalten, aber Vers 135 natura melior potentiorque durch Interpunktion von 134 zu trennen, ist prinzipiell nachvollziehbar, doch scheint mir Vers 135 am ehesten ἀπὸ κοινοῦ sowohl als Komplettierung zum vorangehenden hic paci bonus, hic timendus armis als auch als inhaltliche Grundlegung für das Nachfolgende zu verstehen zu sein. Die Junktur natura melior klingt meines Erachtens, wenn auch in geänderter syntaktischer Struktur, an Ov. met. 1, 21 hanc deus et me­ lior litem natura diremit an: jene den Kosmos ordnende melior natura kann ja gut und gern mit deus in eins gesetzt, et als expexegetisch verstanden werden, was übrigens am ehesten an stoische natura-Vorstellungen anknüpft: Sauter (1934), 23. Sie greift damit das für silv. 1, 6 konstitutive Motiv der Verbesserung gegebener Zustände durch den Kaiser auf, das, wie New­lands (2002), 290, richtig festhält, ein Grundmotiv von silv. 4, 3 ist. Skeptisch aber bin ich gegenüber Newlands’ (ebd., 314–316; ähnlich Rosati [2008], 187) Interpretation von Vers 136 hic si flammigeros teneret axes, es werde dadurch auf Phaeton angespielt und Domitian mit diesem parallelisiert, also sein Absturz als Möglichkeit in den Blick genommen. Phaeton indes kommt im Text nicht einmal andeutungsweise vor, sondern Domitian ersetzt (hypothetisch) Sol, mit dem er ja seit silv. 1, 1 in enger Weise geglichen wird; nur daß er selbstverständlich ein besserer Sol wäre, wenn er sich wirklich als Sonnenlenker versuchen wollte. Wenn man in dieser Gleichsetzung einen Platz für Phaeton finden wollte, dann müßte er irgend­ einem gescheiterten Vorgänger Domitians auf dem Thron entsprechen: Vitellius zum Beispiel? Oder etwa der ungeliebte Bruder Titus? Doch solch freies Assoziieren führt zu wenig; skeptisch gegenüber der Anspielung auf Phaeton auch Smolenaars (2006), 238 f. 915 Vgl. Newlands (2002), 288. 916 Vgl. die zutreffende Beobachtung Canciks (1965), 113, daß im Gedicht der Bau der Straße gerade mit den kultischen Bauten des Kaisers wie der Restauration des kapitolinischen Jupitertempels, der Fertigstellung des Templum pacis und die Errichtung des Templum gentis Flaviae parallelisiert, also das Bauwerk selbst per analogiam sakralisiert wird.

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ist vor allem deshalb von Interesse, weil mindestens der immanente Autor selbst ja seinen Wohnsitz bereits in diese himmelsnahe Region verlegt hat, und sein Zurücktreten vor der als Verkünderin göttlich autorisierter Aussagen berufeneren Sibylle damit ein wenig relativiert würde, insofern er selbst an dieser Götternähe einen gewissen Anteil erhielte. Darüber hinaus ist es relativ normal, den Kaiser bei seinem adventus – und ein solcher spielt sich strukturell jedenfalls ab, wenn man annimmt, daß Domitian auf der neuen via gen Süden unterwegs ist und von der Sibylle im Zielbereich der Straße (wo genau, wird sich kaum feststellen lassen, wenngleich J. Smolenaars mit gewissem Recht auf den sog. Arco Felice, also den monumental gestalteten Durchstich des Monte Grillo, als passende Szenerie hinweist)917 mit einer Festrede empfangen wird – als σωτήρ anzusprechen, die Bedeutung des adventus also zur Epiphanie zu erweitern.918 Σωτήρ aber ist man nicht eigentlich, weil man knappe fünfzig Kilometer Straße zur Verkürzung einer Reisedistanz gebaut hat, sondern es bedarf dafür schon umfassenderer göttlicher Leistungen. Die Rede der Sibylle dreht sich im wesentlichen um zwei Kerngedanken: (1) Hier ist der längst vorhergesagte neue Aeneas und irdische Jupiter, der die putres harenas (126) durch eine neue Straße überwunden und damit kraft göttlichen Wirkens die Natur verbessert hat. (2) Domitian hat noch eine lange, segensreiche Regierung und als imperator invictus Triumphe in allen dafür denkbaren Himmelsrichtungen vor sich,919 und erst recht eine sichere Reihe leiblicher Nachkommen und Nachfolger, begrenzt durch das zeitliche A ­ dynaton ›bis die Via Domitiana die Via Appia an Alter übertrifft‹, d. h. unbegrenzt.920 Daß er im Zuge dieser noch bevorstehenden Herrschaftsjahre den gesamten Erdkreis bereisen, und das heißt: unterwerfen wird, ist einerseits topisch und paßt andererseits mit seinem relativ beschränkten Vokabular (155: ibis; cf. 159 scandes belliger abnuesque currus, nämlich einerseits Streit-, andererseits Triumphal­wagen)921 917 Smolenaars (2006), 235. 918 Lehnen (1997), 169 mit Anm. 467 verweist für die flavische Zeit auf Ios. bell. Iud. 7, 71; zur gedichtimmanenten Bewegung des Kaisers nach Süden vgl. Nauta (2002), 359 f. mit Anm. 13. 919 Vgl. Sauter (1934), 153–159; Housman (1906), 44 f. (zusammengefaßt bei Coleman [1988], 134), erklärt die Verse 153–157 in Abhängigkeit von Verg. Aen. 6, 791–805 als Markierung äußerster Punkte im Osten und Süden; den Norden hat Domitian durch seine Kriege bereits bezwungen, der Westen ist, da Roms Herrschaft ohnedies bis an den Atlantik reicht, unwesentlich und fehlt demnach. Die an sich geläufige dichterische Technik, möglichst weitgespannte geographische Räume durch die Nennung weit entfernter Toponyme, die als solche weniger interessieren als eben ihre weite Entfernung, anzudeuten, hat naturgemäß einen Platz in der kaiserlichen Panegyrik: vgl. silv. 5, 1, 83–107, wo diverse entlegene Punkte die weltumspannende Reichweite der kaiserlichen Korrespondenz abstecken. 920 Vollmer (1898), 460, umschreibt ›Adynaton‹ als ›genau genommen der Rhetorik zu Liebe vorgebrachter Unsinn‹; vgl. Smolenaars (2006), 243. 921 Smolenaars (2006), 235, schlägt vor, wegen scandes … currus den Arco Felice durch eine Darstellung Domitians in einem Wagen bekrönt gewesen lassen zu sein; was möglich,

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zur Verkehrsthematik des Textes: Nimmt man an, daß Domitian am Gedichtschluß sich im Südabschnitt der Straße bei Cumae befindet, und daß er wohl von Norden her aus Rom dorthingekommen sein wird, dann verlängert sich durch dieses ibis die neue Straße perspektivisch ins Unendliche der noch zu erwartenden kaiserlichen Ruhmestaten. Auffälliger ist hingegen Punkt (1), der einerseits mit putres harenas (126) die maligna tellus von Vers 29 wieder aufgreift, andererseits aber durch die Verwendung desselben Wortes wenige Verse später für die sibyllinischen Bücher (141: putribus … chartis; man beachte auch den ungeschlachten, urtümlich wirkenden Versschluß Quindecimvirorum in Vers 142)922 eine Motivverknüpfung andeutet, wie sie auch im Anfangsteil des Gedichtes schon gegeben war, wo die neue Straße Neros sordidas paludes (8) gegenüber­gestellt erschien. Man kann daraus zwei in Opposition zueinander stehende Sphären zusammenfassen, von denen die eine die (vorflavischen bzw. vordomitianischen) Vergangenheit repräsentiert und sich mit Begriffen bzw. Bildern des Zerfalls und des zähen ›Steckenbleibens‹ verbindet, während die andere für die Gegenwart bzw. Zukunft steht und dieser nicht bloß eine Verbesserung der Natur zuschreibt, was im Sinne einer topischen Wiederkehr des goldenen Zeitalters noch nichts Ungewöhnliches wäre, sondern sie mit Rasanz und technischem Fortschritt verknüpft:923 Und aus diesem Fortschritt resultiert vermehrtes otium in einer Region, die – jedenfalls dem uns zugänlichen literarischen Diskurs nach – tendenziell als in menschenfreundlicher Weise besonders naturnahe und damit die Anforderungen eines locus amoenus erfüllende empfunden wurde:924 ein otium, das die Menschen den Göttern annähert. Eine außerordentlich modern wirkende Konzeption!925 Übrigens wird diese Konzeption, wenn ich recht sehe, auch formal ins Bild gesetzt. Ich habe oben schon darauf hingewiesen, daß die einzelnen Abschnitte von silv. 4, 3, so abgerundet und konzinn der aus ihnen zusammen­gefügte Text auch wirken mag, gleichwohl im einzelnen recht locker aneinander­gefügt, bisweilen nachgerade untereinander austauschbar wirken, jedenfalls als Abschnitte sehr deutlich markiert sind; nur die schwach angedeutete Gesamt­bewe­gung vor allem des Kaisers von der Via Appia her nach Süden, die sich aber genaugenommen erst aus der Lokalisierung des Schlußteils durch Rückrechnung ergibt, bildet ein vages Gesamtgerüst. Man hat also ein in relativ kurzen und flotten, um nicht zu sagen: rasanten Versen geschriebenes Gedicht von beachtlicher Länge vor sich, das erkennbar in einzelne Partien gegliedert ist: Es wurde bereits angesichts des danebenstehenden abnuesque aber nicht unbedingt zwingend erscheint. Das Wagenmotiv jedenfalls verdankt sich textimmanent wohl hauptsächlich der Straßenthematik, gleichgültig womit der Bogen nun geschmückt war. 922 Newlands (2002), 312. 923 Vgl. Rosati (2006). 924 Vgl. Fabre-Serris (1996), 41. 925 Zu Statius’ Umgang mit dem Gegensatzpaar alt / neu vgl. auch o. bei Anm. 213.

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vorgeschlagen,926 und ich halte es für sehr gut denkbar, daß S­ tatius im Sinne der seit dem Hellenismus beliebten Figurendichtung mit diesem langen, schmalen Text das Abbild einer Straße mit ihren unregelmäßig langen Abschnitten, wie man sie aus den Listen der Itinerare kennt, geben wollte: einer Straße, auf der man sich ebenso rasch bewegen kann, wie der Phalaeceus als Vers dahineilt.927 Der dem adventus-Motiv inhärente Gedanke der Nähe des Kaisers zu seinen Untertanen928, die ja proprie in erster Linie ein räumliches Phänomen ist, wirft die Frage auf, ob dieses Motiv bloß der naheliegenden Verbindung von ›Straße‹ und ›Ankunft‹ entspringt – was ja jedenfalls zutrifft –, oder ob sich eine diese Kaisernähe betreffende Motivlinie finden läßt, die durch die vorangegangenen panegyrischen Gedichte aufgebaut und in 4, 3 zum Abschluß gebracht wird. Die Frage berührt einen heiklen Punkt, hängt doch von ihr ein nicht unwesentlicher Aspekt der Beurteilung der Silvae als Gesamtwerk ab: Hat man es mit voneinander relativ unabhängigen, höchstens in sich durch Auswahl und Anordnung der einzelnen Gedichte gestalteten Büchern zu tun, oder gibt es über die Buchgrenzen hinweg kompositorische Verbindungen, die eine übergreifende Planung möglich erscheinen lassen? Daß der Beginn von silv.  1, 6 sich problemlos auf silv. 4, 1 beziehen läßt, wurde schon skizziert (o. 202 sowie bei Anm. 504); und wenn überhaupt, dann sind zweifellos die panegyrischen Gedichte im Rahmen der Sammlung diejenige thematische Gruppe, bei denen solch buchübergreifende Beziehungen am ehesten wahrscheinlich sind. Beobachtet man die Entwicklung der räumlichen Präsenz des Kaisers von silv. 1, 1 bis 4, 3, dann ergibt sich ungefähr folgendes Bild: Domitian ist in silv. 1, 1 persönlich nicht präsent, sondern in seinem Abbild verkörpert, mag dieses ihn auch (fast) vollgültig vertreten und zum Demonstrationsobjekt der irdischen, olympischen und astralen Stellung des Kaisers werden. Jenes komplizierte, mehr 926 Newlands (2002), 300. 309. 311 f.; weiters zum Metrum ebd. 307. 927 Immerhin lautet der Gedichttitel nicht De via Domitiana, sondern Via Domitiana, wie stets bei Statius und insbesondere bei allen seinen ekphrastischen Gedichten: vgl. o. I, Anm.  451.  – Zum phalaeceischen Hendecasyllabus als Rasanz zum Ausdruck bringendes Metrum bei Martial vgl. Watson (2006), 294 f. – Zu bedenken ist, daß nicht nur die Stichometrie der Verse zum bildhaften Charakter des Gedichtes beitragen konnte, sondern auch die verwendete Schrift. Wenn man annimmt, daß zumindest edler ausgeführte Ausgaben der Silvae und erst recht die einzelnen libelli, wie sie im Rahmen der ›Erstpublikation‹ an die betreffenden Adressaten überreicht wurden, wohl nicht in Kursive, sondern in einer sorgfältiger ausgeführten Majuskel geschrieben waren, einer Capitalis oder (was nicht gänzlich unmöglich wäre) einer sehr frühen Uncialis, so konnten die im Einzelnen verschieden geformten, doch in jedem Fall in Quadrate oder Rechtecke relativ raumgreifend eingepaßten Buchstabenformen bei entsprechend dichtem Zeilenspiegel einen optischen Gesamteindruck ergeben, der dem eines im Einzelnen variierenden, aber insgesamt doch blockhaft-regel­ mäßigen Straßenpflasters ähnelt. Einem so visuell veranlagten und zugleich experimentierfreudigen Autor wie Statius ist solch ein Übergang vom skripturalen zum pikturalen Gebrauch der Schrift prinzipiell wohl zuzutrauen. 928 Vgl. Lehnen (1997), 279 f.

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schichtige Beziehungs- und Bedeutungssystem, das der Equus maximus entwirft, wird in den nachfolgenden panegyrischen Gedichten immer wieder an­ zitiert, doch wie mir scheint in abnehmender Intensität: Ist Domitian in silv. 1, 6 noch ein zweiter Jupiter und vor allem zweiter Saturn, und finden sich in jenem Gedicht noch Bezugnahmen auf astronomische Gegebenheiten, so scheint diese Motivik in silv. 4, 1 und 4, 2 stärker in den Hintergrund zu treten, und in 4, 3 ist sie zwar nicht völlig verschwunden, aber bis auf einen Abschnitt der Sibyllen­rede (silv. 4, 3, 128–137) wenig präsent: Man hat den Eindruck, sie würde zunehmend als bekannt vorausgesetzt, und ein derartiges gleichsam pädagogisches Konzept würde gut zu der offenkundigen Rolle des Equus maximus als Eröffnungsgedicht passen, in welchem die Präliminarien für die nachfolgenden festgelegt werden. Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, daß der Haupttempel am Forum von Cumae, in domitianischer oder frühtrajanischer Zeit zum Kapitol umgebaut, seit samnitischen Zeiten ausgerechnet einem Iupiter Flazius geweiht war:929 Schon seit dem ersten panegyrischen Gedicht der Sammlung hat man es konsequent mit einem Iupiter Flavius zu tun, der sich vom traditionellen olympischen ­Jupiter freilich unterscheidet, genauer ihn übertrifft. Im letzten Gedicht nun wird seine Epiphanie ausgerechnet durch die Sibylle von Cumae gefeiert, wo man von alters her einen nur um einen einzigen Buchstaben differierenden Jupiter verehrte: Ob das ein Zufall ist, der dem Dichter möglicherweise gar nicht bewußt war, oder ob Statius dieses als Kryptopointe für Ortskundige durchaus einkalkuliert hat, kann am Text nicht nachgewiesen werden. Gegenläufig dazu steigt indes die persönliche Präsenz des Kaisers: Das das erste Silvaebuch beschließende Saturnaliengedicht nimmt ihn zwar nicht näher in den Fokus, zeigt ihn aber immerhin inmitten der Menschenmenge des Amphitheaters. Silv. 4, 1 bringt mit der Rede des Janus die erste Anrede des unmittelbar anwesenden Herrschers, wenn auch im Rahmen einer offiziellen, formalisierten Zeremonie. Daraus ergibt sich ein Steigerungspotential zu silv. 4, 2, wo man Domitian aus den Augen der Ichinstanz im weitaus intimeren Rahmen eines Palastbanketts aus der Nähe erblickt, notabene einer Ichinstanz, die sich gerade über diese Nähe wundert. Soweit wäre die Steigerung der Nähe eine gradlienige, erst silv. 4, 3 scheint der Linie zuwiderzulaufen, denn schließlich ist mit der Anrede der Sibylle an Domitian im Grunde keine andere Präsenz des Kaisers verbunden als mit der des Janus an ihn in silv. 4, 1. Hier aber scheint ein weiteres Element eine Rolle zu spielen: die seit dem Schluß des dritten Buches gegebene Abwesenheit des (impliziten) Autors aus Rom. Sie macht silv.  4, 1 und 4, 2 zu andeutungsweise gebrochenen, entweder chronologisch oder räumlich nicht restlos stimmigen Texten, jedenfalls nicht, wenn man mit dem grundsätzlichen Drang des Lesers nach unitarischer Interpretation ganzer Texte und auch, obzwar nicht mit gleicher Unbedingtheit, ganzer Textcorpora 929 Fears (1975), 5 f.

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rechnet. ­Beschreibt nun silv. 4, 1 eine Situation, in der der Kaiser zwar dem Volk und ebenso der Beobachtungsinstanz nahe ist, diese als Ichinstanz aber nicht greifbar wird, und skizziert silv.  4, 2 einen Besuch der Ichinstanz beim Kaiser, also auf dessen Terrain, so steigert silv. 4, 3 demgegenüber nochmals, wenn ­Domitian sich nun fast wie bei einem Gegenbesuch in die Sphäre des immanenten Autors, den Golf von Neapel, begibt und dort bei seinem adventus von einer expressis verbis das Ich als Sprecherin ablösenden Sibylle empfangen wird: Ist dieser adventus, wie beim römischen Kaiser stets, zugleich Epiphanie, dann ist Domitian am Schluß von silv. 4, 3 endgültig numen praesens, und die otiumLandschaft, die sich dort rings um ihn und dank ihm ausbreitet, wird man wohl nicht ganz ohne Berechtigung als irdisches Äquivalent zu jenem Götterund Sternenhimmel sehen, den Domitian seit silv. 1, 1 schon der Erde bzw. seiner römischen Bevölkerung näherbringt: Die Nähe des Kaisers ist die Nähe des Himmels. Ob dieser Himmel auch wirklich einer ist (und ob er es für jeden ist), wird im nachfolgenden Gedicht freilich ein wenig in Zweifel gezogen werden.

8. Nachtrag: Einige Gedichte im panegyrischen Umkreis  Die Gruppe der fünf im Vollsinn panegyrischen Gedichte in den Silvae wird ergänzt um drei weitere, die zur Gänze oder in Teilen die gleiche Thematik bedienen, sich aber von den vorgenannten in wesentlichen Merkmalen abheben: Der Leo mansuetus (silv. 2, 5), die Capilli Flavi Earini (silv. 3, 4) und schließlich die Epistula ad Vitorium Marcellum (silv. 4, 4). Auf das erste und dritte davon seien der Vollständigkeit halber kurze Blicke geworfen, obzwar keines von ihnen ähnlich komplexe räumliche Konzepte entwirft oder benützt, wie sie in den ›großen‹ Panegyrici zu beobachten waren. Das Earinusgedicht hingegen, inhaltlich der Domitianspanegyrik zuzuordnen, folgt einem so gänzlich andersartigen Konzept, daß seine Besprechung auf das nachfolgende Kapitel ver­schoben werden muß.

a) Silvae 4, 4: Epistula ad Vitorium Marcellum Das Gedicht bildet in mehrfacher Hinsicht das Epizentrum des vierten Buches. Erstens ist es als poetischer Brief an den Widmungsträger des gesamten Buches gerichtet, dem übrigens etwa zur selben Zeit auch Quintilian seine Institutio oratoria dedizierte, und damit wohl auch das einzige Gedicht im vierten Silvae­ buch, das gleichsam als Originalkomposition für die Publikation des Buches verfaßt wurde.930 In allen vier zu Lebzeiten publizierten Büchern der Silvae fin 930 Johannsen (2006), 326.

Nachtrag: Einige Gedichte im panegyrischen Umkreis 

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det sich jeweils mindestens ein dem Widmungsträger des Buches besonders zugeeignetes Gedicht (silv.  1, 2; 2, 1.  3. 4; 3, 1; 4, 4), deren Positionierung indes variiert: Nimmt der Hercules Surrentinus des Pollius Felix (silv. 3, 1) die Spitzenstellung ein, setzt also hinsichtlich der ins Licht gerückten Person den Einleitungsbrief zum dritten Buch gleich fort, so wird das zweite Buch von Texten zum persönlichen Umfeld des Atedius Melior geradezu dominiert, indem nicht nur der erste, sondern auch der dritte und vierte, also innerhalb des Buches auch noch der mittlere, Platz mit ihnen besetzt sind; in beiden Büchern rutschen auch jene Gedichte, die der Kaiserpanegyrik wenigstens im weiteren Sinn zuzurechnen sind, an vergleichsweise unprominente Stellen (silv. 2, 5; 3, 4) und bezeugen damit zugleich ihren geringeren Stellenwert, berechnet nach dem Maßstab der fünf großen Panegyrici: Sie halten zwar die panegyrische Thematik präsent (musikalisch könnte man von einem versteckt auch in den Büchern zwei und drei erscheinenden Leitmotiv sprechen), geben sich aber bescheiden. In den Büchern eins und vier hingegen stehen die Kaisergedichte jeweils am Beginn, im Falle des vierten Buches ausgeweitet zum Triptychon, im Falle des ersten ergänzt um das die Rahmung herstellende Schlußgedicht. Die Positionierung der Kaisergedichte an erster Stelle erinnert an die Eröffnung des ersten horazischen Odenbuches mit den ›offiziellen‹ Gedichten an Maecenas und A ­ ugustus, auf die auf dem dritten Platz das ›privatere‹, amikalere an Vergil folgt: Statius folgt diesem Muster, wenn er den Widmungsträgern des jeweiligen Gesamtbuches mit silv. 1, 2 und 4, 4 die Plätze unmittelbar nach dem offiziellen Eröffnungsteil einräumt. Diese klare Trennung in panegyrische Gedichte erster und zweiter Ordnung sowie stärker als Adresse auf gleicher Augenhöhe sich gerierende Gedichte an persönliche(re)  Freunde wird aber zweitens durchkreuzt durch den außer­gewöhnlichen Umstand, daß silv. 4, 4 sich unmittelbar an das vorangegangene Gedicht anschließt: Nur noch die beiden auf Atedius Melior bezogenen Gedichte 2, 3 und 2, 4 können einen Vergleichspunkt abgeben,931 doch scheinen sie außer der Person des Melior nicht allzuviel zu teilen – silv. 4, 4 hin­ gegen setzt trotz völlig veränderter sozialer Einbettung (der Wechsel vom Kaiserlob in silv. 4, 1–3 zum privaten Brief in 4, 4 ist ein heftiger) die Via ­Domitiana inhaltlich fort: auf ihr solle dieser Brief nun beschleunigt nach Rom gelangen. Die in silv. 4, 3 durch die Prophetie der Sibylle endgültig inaugurierte Straße ist also ihrem praktischen Zweck übergeben. Selbst der Einleitungsbrief des vierten Buches trägt dieser singulären Junktimierung zweier Gedichte rechnung, 931 Auf eine eher vage weitere Gedichtverbindung zwischen silv.  1, 3 und 1, 4 weist ­Henderson (1998), 109, hin. Allerdings ergibt diese Junktimierung sich nur, wenn man die Gedichttrennung übersieht, d. h. auch die zwischen den beiden Texten m. E. schon von der Hand des Autors her gesetzten Überschriften ignoriert, letztlich also auf Basis eine Mißverständ­nises. Wenn Henderson (ebd., 112) dann aber auch noch silv. 1, 5 mit 1, 4 verknüpft (die ­Bäder als Therapiestation für Rutilius Gallicus: »Just what the doctor ordered!«), scheint mir das undomestizierte Assoziieren den doch etwas zu weit getrieben.

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wenn, während sonst in allen vier Einleitungsbriefen stets (mindestens) eine abgeschlossene Periode einem Gedicht entspricht, ausnahmsweise zwei in einem behandelt werden: Tertio viam Domitianam miratus sum, qua g­ ravissimam ­harenarum moram exemit, cuius beneficio tu quoque maturius epistulam meam accipies, quam tibi in hoc libro  a neapoli scribo.932 Wiederum bilden nur die zwei Gedichte 2, 3 und 2, 4 die einzige weitere Ausnahme von dieser Regel, und in beiden Fällen wies Statius schon durch die im einleitenden Brief gewählten sprachlichen Mittel auf deren Ausnahmecharakter hin. Der Inhalt von silv. 4, 4 kann kurz gefaßt werden: Der poetische Brief soll auf der Via Domitiana und Appia nach Rom eilen, sich dort am noblen rechten Tiber­ufer in der Nähe der Naumachie zum Heim des Vitorius Marcellus begeben und ihm folgendes mitteilen (1–11): Es herrschen Sommerferien, auch ­Marcellus und der gemeinsame Freund Gallus haben sich möglicherweise aus Rom retiriert, während die Ichinstanz ohnedies am Golf von Neapel sitzt: die Kriege ruhen, Sportsiege gibt es auch keine, also pausiert auch die Dichtung ­(30–33), immerhin aber besteht ein Unterschied zwischen dem im Verkehrung des topischen Verhältnisses sorgenbeladenen, am Grab des Vergil singenden Dichter als Repräsentanten eine vita contemplativa und den beiden im Sinne einer vita ­activa tatendurstigen jungen Männern Marcellus und G ­ allus ­(12–55).933 An diesem Punkt schwenkt das Gedicht andeutungsweise auf eine pane­g yrische Linie ein: Marcellus, der als Prätor und Curator Viae Latinae bereits beachtliche politische Funktionen im Zivilbereich ausübt bzw. ausübte, wird unter der P ­ atronanz des noch über Jupiter zu stellenden Latius dux (silv. 4, 4, 57) ­Domitian noch große Kriegstaten vollbringen, sei es in Germanien, an der Donau oder am kaspischen Meer: Diese Taten des strahlenden iuvenis werde er, der dem Greisen­a lter sich zuneigende Dichter, besingen (56–77). Soweit der Inhalt dessen, was der Brief, in Rom angekommen, zu Marcellus sprechen soll. Daran schließt sich – der Text könnte ohne weiteres hier enden – merkwürdigerweise ein persön­liches, wiederum an Marcellus gerichtetes (78) Nachwort: Dieses habe er, Statius, gesungen am Golf von Neapel, wo noch immer die Spuren des Vesuv­ ausbruchs die Landschaft prägen: Wer wohl dereinst glauben würde, wenn das

932 Vgl. Johannsen (2006), 287. 933 Vessey (1970), 510, legt für mein Empfinden freilich zu viel Gewicht auf die Diskrepanz zwischen Statius’ dichterischem otium und dem politisch tätigen Leben des Marcellus in silv. 4, 4, zumal die schon im ersten vorchristlichen Jahrhundert bisweilen etwas künstlich wirkende Problematisierung des otium (Vessey zitiert ebd. just Catull als Vergleichspunkt für den hundertfünfzig Jahre später schreibenden Statius) im späten ersten Jahrhundert nach Christus jedenfalls nicht an Realitätsbezug gewonnen hatte – man vergleiche beispielsweise den rühmenden Tonfall, in welchem derselbe Statius im zweiten Buch die gerade dem otium gewidmete Lebensführung des Atedius Melior beschreibt: wie Vessey (ebd.), 511–513 auch selbst zugibt.

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Land einmal wieder grün und landwirtschaftlich genutzt sei, daß ganze Städte und deren Bevölkerungen hier begraben lägen? Solches Schicksal möge der Heimat des Marcellus erspart bleiben (78–86).934 Und falls dieser frage, wie es um Statius’ Dichtung bestellt sei: Die Thebais sei fertig, er beschäftige sich mit der Achilleis, doch Apoll und auch sein eigener Sinn trieben ihn dazu, Dichtung auf den Kaiser zu schreiben (87–100). Mit einem Lebewohl an den Freund, dessen Treue mit Theseus (gegenüber Peirithoos) und Achill (gegenüber Patroklos) verglichen wird, schließt das Gedicht (101–105). Die Bedeutung des eigentlichen Bindegliedes zwischen silv. 4, 3 und 4, 4, der Via Domitiana, für den restlichen Text von 4, 4 ist zugegebenermaßen gering und beschränkt sich auf den Gedichtbeginn: Immerhin aber ist es ja stets der Zweck einer Straße, Verbindungen herzustellen, und diesen erfüllt sie demzufolge. Die spätestens seit dem Schluß des dritten Buches aufgebaute Positionierung der Ichinstanz am Golf von Neapel (schon silv. 3, 2 beginnt indes damit, und auch die Sprechhaltung eines altgewordenen Dichters ist in jenem Gedicht für Maecius Celer eine ähnliche),935 der ohne weiteres ein Zurück­ziehen des physischen Statius ebendorthin entsprechen mag, wird dadurch jedenfalls als weiterhin gültig untermauert. Zugleich aber scheint das Gedicht b ­ estimmte zuvor aufgebaute Elemente dieser Positionierung zu demontieren. In silv.  3, 5 pries ­Statius seiner Frau den Golf von Neapel als idealen Aufenthaltsort, als Mischung aus locus amoenus und kulturellem Zentrum,936 an, rief sie in hymnischen Stil wie eine um Epiphanie gebetene Gottheit herbei und verlagerte sich selbst dorthin, übrigens noch ohne die geringste Erwähnung der Via ­Domitiana; das darauffolgende panegyrische Triptychon (4, 1–3) schlug aus diesem gegenüber den ersten drei Büchern vollzogenen Ortswechsel, wie zu zeigen war, Kapital, bis in silv. 4, 3 auch der Kaiser in den Kreis des Dichters kam. Doch während silv. 3, 5 in begeisterten Tönen schwelgte und selbst auf den Vesuv­ausbruch des Jahres 79 nur in positiver Weise anspielte (silv.  3, 5, 104: ­Stabiasque renatas), ist nun das symmetrisch zu jenem das panegyrische Triple flankierende Gedicht 4, 4 in merklich düstereren Tönen gehalten: Die immer noch als deserta (silv. 4, 4, 82) beschriebene Landschaft, also eigentlich eine Un-Landschaft und das krasseste Gegenteil sowohl zu einem locus amoenus als auch zu einer Hochburg der Kultur, hat ganze Städte unter sich begraben und droht auch weiterhin mit Gefahr (84sq.). In ähnlicher Weise ist auch das Ich recht herabgestimmt, es altert dahin (70), singt am Grabe Vergils (54), der stets der magnus magister bleibt (55) und dessen Grab übrigens ausgerechnet an der Verlängerung der im vorigen Gedicht 934 Zu dieser Passage vgl. Newlands (2010), 113–116. 935 Nauta (2008), 156: »… an elderly man, preferring to devote himself to the ›studies of ­inglorious quiet‹ in Naples.« 936 Stat. silv. 3, 5, 85–88 und 95–105.

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er­öffneten Via Domitiana von Puteoli nach Neapel lag,937 empfindet anscheinend die eigene Lebenswahl als Belastung (46sqq.) und wählt als Vergleichspunkte für die zwischen ihm und Marcellus herrschende amicitia ausgerechnet zwei mythische Beispiele für Freundestreue über den Tod hinaus, von denen eines auch noch den Schluß von Hor. carm. 4, 7, also Horaz’ zweitem, Vergänglichkeit und vanitas thematisierendem Frühlingsgedicht bildete,938 während es die aktive Jugend um die glänzende Zukunft zu beneiden scheint, die noch vor ihr liegt (vgl. silv. 5, 2, 158sq. nos fortior aetas / iam fugit). Es spielt nun keine Rolle, daß der physische ebenso wie, was wichtiger wäre, der textimmanente Statius vor seiner Übersiedlung nach Neapel im Jahre 95 bereits eine Vorstellung von den Verwüstungen des Vulkanausbruchs haben mußte: Jedenfalls, wenn er die in silv. 2, 2 besungene Sorrentiner Villa seit dem Jahr 79 mit eigenen Augen gesehen hatte (gleiches gilt für silv. 3, 1); es kann ihn folglich nicht nach seiner Übersiedlung erst Entsetzen über die so rüde veränderte Landschaft befallen haben, sondern das in silv. 3, 5 gezeichnete Bild muß ein absichtsvoll rosiges sein: vgl. u. 414–420. Es spielt auch keine Rolle, ob und aus welchen Gründen der physische Statius allmählich alterspessimistisch und trübsinnig wurde, oder ob er sich nur diese Maske aufsetzte. Für den textimmanenten Statius ergibt sich jedenfalls eine Linie, die von 3, 5 zu 4, 4 führt und das strahlende Bild der otium-Region am Golf um einige schwermütige Züge ergänzt. Die Frage ist, was man daraus folgern kann. Der Hebelpunkt liegt meines Erachtens in einer weiteren überraschenden Differenz. Im Schlußteil des Via-Domitiana-Gedichtes hatte das Ich, nachdem es kurzzeitig nochmals Gestalt angenommen hatte, mit den Worten tacendum est das Wort an eine vates sanctior übergeben (silv. 4, 3, 120). Nun aber, wiederum am Gedichtschluß, kündigt der Sprecher an, nach Vollendung der ­Thebais von der Arbeit an der Achilleis weg zum Schreiben eines panegyrischen Gedichtes zu tendieren.939 Damit könnten die drei vorangegangenen Gedichte gemeint sein, doch hieße das nicht bloß die Leserichtung des Gedichtbuches auf den Kopf zu stellen, es würde sich auch schlecht zu den in den Versen 88–94 genannten beiden Epen fügen, denen in der Ankündigung wohl ein drittes folgen soll; dem tacendum est von 4, 3 steht folglich die Ankündigung eines Domitian­epos in 4, 4 gegenüber. Seine Stimme verloren hat das Ich also keineswegs. Was verändert scheint, ist seine Haltung zu den Ereignissen: Der Rückzug aus Rom wird 937 Die beiden Gedichte sind also nicht bloß in der Sammlung Nachbarn, es grenzen auch ihre Räume unmittelbar aneinander. Innerhalb der Silvae ergibt sich ein solches Arrangement nur noch zwischen silv. 4, 1 und 4, 2: Zwei nach topographischen Gesichtspunkten gruppierte Paare folgen also unmittelbar aufeinander, und beidemale folgt auf ein pane­g yrisches, relativ unpersönlich gehaltenes eines, das das Autorich als Sprechinstanz stärker ins Licht rückt. 938 Coleman (1988), 157. 939 Zur Verbindung zwischen beiden Themen mithilfe des Ausdruckes magnus in silv. 4, 4, 94–96 vgl. Dilke (1963), 498.

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zum Rückzug aufs Altenteil, und der Panegyriker, der sich in silv. 1, 6 noch in der Volksmenge auflösen konnte, scheint durch sein fortgeschrittenes Alter zunehmend von der aktiven Generation distanziert: Schon das steriles ­transmisimus annos von silv. 4, 2, 12 schlug ja das Motiv der verstreichenden Zeit an, silv. 4, 4 vertieft es explizit. Statius’ Ankündigung neuer Domitian­panegyrik kann also nur im Sinne von ›soweit die Kräfte noch reichen‹ verstanden werden (vgl. die Verse 96–99), und ebendies unterscheidet ihn von Domitian, dessen praktisch ewige Jugend und dessen hohes zu erreichendes Alter er oft genug bald erfleht, bald verkündet hat. Während unter Domitians Führung eine neue Generation junger, aufstrebender Kräfte noch große Taten vollbringen wird, bleibt dem Ich nur, das Treiben von seinem Alterssitz aus zu beobachten und zu besingen, solange es ihm noch gegeben ist: An Vergänglichkeit gemahnt dieser Alterssitz ja hinlänglich, vom Grab Vergils bis zum Vesuv. Freilich: In der Realität betrug der Altersunterschied zwischen Domitian und Statius kaum viel mehr als ein Jahrzehnt, der physische Statius des Jahres 95 ist also gerade etwas älter als Vergil bei seinem Tod und etwa so alt wie Horaz bei dem seinen; der Umstand aber, daß der Tod des Dichters aller Wahrscheinlichkeit nach relativ bald auf die Publikation des vierten Silvaebuches folgte, steht zum sich verdüsternden Tonfall von silv. 4, 4 jedenfalls nicht im Widerspruch. Ausgerechnet mit der Einbeziehung des Todesmotivs gelingt nun aber Statius, wenn ich recht sehe, ein buchstäblich letzter panegyrischer Wurf. Es läge ja an sich nahe, aus der Betrachtung der vom Vesuv verschütteten Städte eine Relativierung der kaiserlichen Ewigkeit und Unvergänglichkeit abzuleiten, sie dadurch infragezustellen: Gerade diese Verbindungslinie aber meidet der Text peinlichst. Der Kaiser (jedenfalls der textimmanente der Panegyrik) ist von irdischer Vergänglichkeit selbstverständlich exempt, sein irdisches Personal hinwiederum wächst gleichsam nach in Gestalt junger Leute wie Marcellus; was vergeht, sind einzelne Menschen wie Statius, mag er auch durch seine Dichtung den essentiellen Beitrag zum Nachruhm anderer geleistet haben. Kaum sind einander Kaiser und Dichter in silv. 4, 2 und 4, 3 in unterschiedlichen Weisen nahegekommen, trennen sich ihre Wege auch schon wieder, und der Platz des Statius ist der der Vergänglichkeit. Man könnte mit dem Gedanken spielen, ob Statius in der Denkweise einer altrömischen devotio hier das Übel des Alterns auf sich zieht, um dem Kaiser das Weiterleben zu garantieren (was er durch die Dichtung ja jedenfalls tut). Sicher ist, daß vor diesem Hintergrund des Alterns der mit der jungen Generation verbundene Kaiser umso kräftiger strahlt. Der seit dem Ende des dritten Buches aufgebaute Raum des Golfes von Neapel also erweist sich nun als Inbild der Vergänglichkeit, weist fast wie Il Guercinos bekanntes Gemälde Et in Arcadia ego auf das Einbrechen der Zeitlichkeit in den locus amoenus hin. Der Kaiser aber unterliegt dieser Zeitlichkeit nicht in der gleichen Weise, denn er steht, wie schon seit silv. 1, 1, letztlich außerhalb von beidem, bzw. nicht in menschlicher Weise in beidem: Raum und Zeit.

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b) silv. 2, 5: Leo mansuetus Das kurze Gedicht, kaum mehr als ein breiter formuliertes Epigramm,940 schildert einen Vorfall im Amphitheater, den Tod eines zahmen Löwen in der Arena, der Domitian offenbar naheging. Obwohl also die räumliche Situation der von silv. 1, 6 entspricht und prinzipiell ja nichts dagegen spräche, ein Aufgegriffenwerden der räumlichen Implikationen jenes Saturnaliengedichtes nun auch im nächsten mehr oder minder panegyrischen Gedicht der Sammlung zu erwarten, wird man diesbezüglich enttäuscht: Denn silv. 2, 5 weist nicht die geringsten Ansätze zu Räumlichkeit über den sich aus der Schilderung der Handlung indirekt und zwangsläufig ergebenden Ereignisraum hinaus auf.941 Für meine Suche nach operational eingesetzten räumlichen Konzeptionen und Elementen selbst unergiebig, kann der Text also immerhin als Kontrast zu silv. 1, 6 dienen, um zu demonstrieren, daß die dort (wie ich hoffe: zurecht) beobachtete räumliche Bedeutungsaufladung des Amphitheaters umso weniger dem Zufall geschuldet ist.

9. Die panegyrischen Gedichte: Fazit? Was läßt sich nun abschließend zu Statius᾽ Umgang mit Räumlichkeit im Rahmen der panegyrischen Gedichte sagen? Zunächst, daß durch diese Gedichtgruppe wie auch durch alle anderen Gedichte der Sammlung eine relativ klare Grenze zwischen solchen Gedichten verläuft, die aktiv mit Räumlichkeit operieren und ihren Leser folglich dazu drängen, den Textraum in der Interpretation zu berücksichtigen, eventuell ihn sogar zum Hebelpunkt der Inter­pretation zu machen, und solchen, deren Raum gänzlich unauffällig bleibt. Denn während silv. 4, 4 und insbesondere silv. 2, 5 kaum besonderen Nachdruck auf das Wo des Textes legen – der Leo mansuetus gar nicht, die Epistula ad Vitorium ­Marcellum nur durch ein unaufdringliches Weiterspinnen des in anderen Gedichten durchaus prominenter aufgebauten Topos vom Golf von Neapel als Rückzugs- und Dichterregion –, werden silv. 1, 1 und 6 sowie silv. 4, 1–3 dominiert von räumlichen Signalen, die zusammengefaßt jeweils eine konzinne und mit den a priori zu supponierenden panegyrischen Absichten eines Dichters der Flavierzeit durchaus kongruente Interpretation erlauben. Das aber be 940 Zu diesem Gedicht vgl. Augoustakis (2007), dessen Ausführungen mir freilich hinsichtlich der Position des Dichters etwas zu weit zu führen scheinen; zu Motivparallelen vgl. Newlands (2011), 192 f.; ferner vgl. Vismara (1994). 941 Allgemein zum Amphitheater als zentralem Raum flavischer Repräsentation vgl. Gunderson (2003).

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deutet, daß Panegyrik für den Statius, den wir aus den erhaltenen Gedichten konstruieren können, stets und vor allem räumlich konnotiert ist oder, wenn man so will, räumlich aufgezogen wird: Denn die genannten räumlich interessanten Gedichte sind ja eben die fünf Panegyrici im Vollsinn des Wortes, während silv. 4, 4 und 2, 5 nur als beizuordnende Nebenprodukte verstanden werden können; das einzige noch ausstehende Gedicht dieses Themenbereichs, die ­Capilli Flavi Earini (silv. 3, 4), wird, soviel kann vorweggenommen werden, den Beweis für die Richtigkeit dieser Unterscheidung erbringen: Als ausführliches (anders als 2, 5) und stark auf Domitian blickendes (anders als 4, 4) Gedicht wird es in der Tat ein ganz eigentümliches Spiel mit seinem Textraum bieten, andererseits wird, möglicherweise weil es sich doch nicht um einen direkt auf Domitian bezogenen Panegyricus handelt, diese Räumlichkeit wesentlich anders aussehen als in den eigentlichen Domitiangedichten. Warum nun gerade panegyrische Gedichte bei Statius offenbar zwangsläufig mit bedeutungsgeladener Räumlichkeit einhergehen, ist eine heikle Frage, die an die Grenze dessen führt, was man überhaupt für beantwortbar halten wird. Immerhin erscheinen zwei allgemeine Überlegungen naheliegend, die, wenn schon keine präzise, so doch kaum gänzlich unzutreffende Antworten erlauben: Zum einen ist Statius unbestritten ein stark visuell veranlagter Autor, der gerne in Texten Bilder entwirft und Bilder der aktualen Welt in Text umsetzt; der immer wieder Freude daran findet, die Grenzen zwischen dem in der aktualen Welt Sichtbaren und dem im Text daraus Machbaren auszuloten. Wie weit er sich dieses bewußt machte, wird schwer festzustellen sein. Nimmt man indes an, daß dieses poetische Instrumentarium ihn besonders reizte, dann ist es nicht verwunderlich, wenn sich Spuren davon umso mehr finden lassen, je prominenter der einzelne Text ist, d. h. je mehr der Autor sich durch die (subjektiv empfundene, aber wohl nicht ausschließlich von subjektiven Kriterien determinierte) Wichtigkeit beispielsweise des Themas oder des Auftraggebers dazu veranlaßt sah, alle Register seines Könnens zu ziehen. Es kann kaum be­zweifelt werden, daß Gedichte für den regierenden Kaiser selbst objektiv gesehen solchen Anlaß boten, und eine domitianfeindliche Haltung des Statius, die geeignet gewesen wäre, dies zu konterkarieren, ist meines Erachtens nirgends in seinem Werk zu erkennen; vielmehr zeigen schon die prominenten Positionen, welche die Domitiangedichte innerhalb der Silvae einnehmen, daß der Dichter, unbeschadet seiner wie auch immer gearteten persönlichen politischen Ansichten, auf seine Panegyrici besonderen Wert legte – hätte er sonst, zur sekundären Publikation der Silvae ja durch nichts gezwungen, ausgerechnet den Equus ­maximus an den Anfang gestellt, wenn er ihn nicht auch für ein gutes Gedicht gehalten hätte, für eines, das geeignet war, von seinem künstlerischen Wollen und Können Zeugnis abzulegen? Zum anderen gibt es, wie längst beobachtet wurde, in der griechisch-römischen Kultur eine enge Junktimierung zwischen Kult und Raum, dahingehend,

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daß Religiosität wesentlich räumlich aufgefaßt wird (und umgekehrt jede Architektur, letztlich jeder Raum untrennbar mit kultischen Handlungen und Grenzabsteckungen verbunden ist),942 während beispielsweise das Judentum umgekehrt hauptsächlich die Zeitlichkeit in den Blick nimmt (und das Christentum zwangläufig beides vereint).943 Nun eignet panegyrischen Gedichten ein gewisser religiöser Zug, sobald ein Herrscher als numinose Potenz, letztlich als Gott oder Repräsentant einer Gottheit verherrlicht wird, was in Statius᾽ ­panegyrici ja auch geschieht, sogar in zentraler Weise. Dabei spielt wiederum die persönliche Religiosität eines Autors wenig Rolle: Wichtig ist, daß religiöse Thematik und Gedankengänge für ihn aufgrund seiner kulturellen Sozialisierung eng mit Vorstellungen von Räumlichkeit verbunden sind. Auch in diesem Sinne kann man es erklärlich finden, daß es aus Statius᾽ Feder zwar mit Räumlichkeit spielende Gedichte ohne panegyrischen Inhalt, aber keine panegyrischen Gedichte ohne Spiel mit der Räumlichkeit gibt. Diese Überlegung leitet über zur Frage nach dem größten gemeinsamen Nenner, den die panegyrischen Gedichte hinsichtlich des Textraumes bieten. Daß dieser nicht in einem bestimmten Raum besteht, lehrt die Mehrzahl der Schauplätze: Forum, Amphitheater und Palatin ließen sich immerhin als drei e­ inander eng benachbarte und in der Tat ganz unterschiedliche Facetten des öffentlichen Lebens und der römischen Selbstwahrnehmung abdeckende Elemente des römischen Stadtzentrums zusammenfassen, die Via Domitiana zum Golf von Neapel aber sprengt diesen Rahmen. Eher schon als Gemeinsamkeit anzusprechen ist die Art, wie die Beschreibungs- und Ereignisräume jeweils textimmanent gedeutet, oder besser: um welche Bedeutung(en) sie erweitert werden. Nimmt man das in silv. 1, 1 entworfene Konzept des über sich hinaus auf den Götterhimmel des Olymp und gar auf die Sphäre der Sterne verweisenden Forums als programmatisch, lassen sich unschwer ähnliche Strukturen in silv. 1, 6 und 4, 2 finden, teilweise auch in 4, 1. Die Via Domitiana freilich definiert zwar gleichfalls den Kaiser als Jupiter, verzichtet aber, soweit ich sehen kann, auf astrale Verweise, obwohl beispielsweise eine Vergleichung der irdischen via mit der plaga lactea caeli (silv. 1, 2, 51), der Milchstraße, oder ein Vergleich des auf der Straße fahrenden Kaisers mit der Sonne nicht eben außer Reichweite gelegen wären. Damit bleibt als gleichbleibendes Element nur noch der Kaiser selbst übrig: Durch ihn definiert sich jeweils der ihn umgebende Raum, mehr noch: Kaiser und Raum verschmelzen ineinander. So steht in silv. 1, 1 ja nicht bloß ein Abbild Domitians auf dem Forum, sondern das Forum, seit jeher auf Domitians Herrschaft vorausverweisend und sie auf allen kosmischen Ebenen symbolisierend, verschmilzt ebenso mit dem Denkmal wie dieses eo ipso mit dem Dargestellten. Kurz gesagt: Das Forum bedeutet Domitian, so wie umgekehrt Domitian das 942 Frederick (2003), 199. 943 Helgeland (1980); vgl. auch Ando (2003), 335–338.

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­ orum, das heißt die durch es baulich lokalisierte und repräsentierte SelbstdefiniF tion des Römertums aus seiner Geschichte, bedeutet. Der Vorgang dieser In-einsSetzung ist an sich nicht so außergewöhnlich, wie es scheinen könnte: außerhalb der Herrscherpanegyrik verschmilzt Statius beispielsweise in den ›Villengedichten‹ die Besitzer der beschriebenen Baulichkeiten zu einem hohen Grad mit diesen selbst, innerhalb von silv. 1, 1 hingegen ist auf die den Equus umgebenden Tempel und Basiliken zu verweisen, die gleichfalls mit ihrer jeweiligen Gottheit (mutatis mutandis die Basiliken mit ihren eponymen Stiftern) verschmelzen, sodaß dem von Bauwerken umgebenen Denkmal in anderer Betrachtungsweise ein von Göttern umgebener Domitian entspricht. Ein Unterschied besteht höchstens darin, daß die umgebenden Tempel jeweils in Bauwerk und Kultbild aufspaltbar wären, wohingegen das Domitiansmonument prima vista ohne Tempel auskommt – und auch wieder nicht, weil eben die gesamte Forumslandschaft zum ihn umgebenden Tempel wird, folglich mit ihm in Deckung zu bringen ist wie beispielsweise Caesartempel und D ­ ivus Iulius. Man könnte den Gedanken noch weiterspinnen: Wenn das F ­ orum ­Romanum bzw. die verschiedenen Fora in ihrer Gesamtheit einen Tempel bilden, dessen Kultbild der Equus maximus ist, dann werden die übrigen dort vertretenen Gottheiten in ihren kleinen ›Zusatztempeln‹ innerhalb (bzw. am umlaufenden Rand) des einen, großen Tempels praktisch zu göttlichen Begleitfiguren, wie man sie etwa in den Ädikulen des (eine Generation jüngeren) Pantheons finden konnte und wie sie Statius in den Statuen in den Nischen / entlang der Wände des kaiserlichen Bankettsaales in silv. 4, 2 nach meiner Interpretation auch wirklich fand. Man könnte also im Extremfall davon sprechen, daß nach der Deutung des Statius das Forum Romanum ein ungeheurer Innenraum ist, zu dem die es umgebenden Einzeltempel sich verhalten wie angeschlossene Aediculanischen, Oikoi, Exedren oder ähnliche für konkrete Detailnutzungen und -bedeutungen im Zusammenhang eines Gesamtbaus konzipierte Strukturen sich zu dem Innenraum verhalten, den sie punktuell erweitern. Bau­typologisch läge ein solcher Gedanke römischem Empfinden kaum fern: Man beachte nur, an wie vielen Stellen Vespasians Paxtempelareal durch derlei Annexe erweitert ist, von den Exedren des Augustus- und des immerhin auch seinerseits durch ein Reitermonument dominierten Trajansforums ganz zu schweigen; auf das Pantheon als innenräumliches Gegenstück wurde schon verwiesen: Immerhin diente dieses als Rahmen für Auftritte des Kaisers, der bei solchen Gelegenheiten zwangsläufig (und kaum unintentional) denselben Platz im Zentrum der in ihren Nischen ringsum stehenden Gott­heiten einnahm wie Domitian in Statius’ Interpretation auf dem Forum.944 Eventuell gibt es noch ein 944 Über das Programm der Götterstatuen im hadrianischen Pantheon ist außer der vermutlich auf den Bau des 2. Jhdts. zu beziehenden Erwähnung von Mars und Venus bei Cass. Dio 53, 27, 2 wenig bekannt: vgl. Martini (2006), 35 f. und, zur Verwendung des Pantheons, ebd., 37–43.

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weiteres verbindendes Element: Das Forum ist klärlich nach oben hin offen; das Pantheon bekanntlich auch, erst recht unter Einbeziehung seines langgestreckten Vorplatzes, der mit seinen ägyptischen Granitsäulen die ungewöhnliche Ästhetik des Inneren der seinerzeit rezenten Basilica Ulpia des Trajansforums gleichsam in den Außenraum übertrug;945 und der kaiserliche Bankettsaal auf dem Palatin, der rings um Domitian letzten Endes gleich ›funktioniert‹ wie das Forum rings um den Equus, ist ausdrücklich multum amplexus aperti aetheros (silv. 4, 2, 24sq.), mag er auch in Wirklichkeit ein Dach haben. Auffällig ist eher, wie konsequent diese Denkfigur alle fünf panegyrischen Gedichte durchzieht: Ebenso ist das Amphitheater von silv. 1, 6 Domitian, insoferne es seine Aktivität als Euerget und als neuer, um saturnhafte Züge er­ weiterter Jupiter repräsentiert. Sein Wirken ist dort vom ersten Vers des Gedichtes an fortwährend spürbar, er selbst als Person aber tritt nur flüchtig und vorübergehend in den Blick der sprechenden Ichinstanz, ohne näher lokalisiert oder beschrieben zu werden. Am stärksten ist die Deckungsgleichheit vom gepriesenem Herrscher und dem durch ihn definierten Raum möglicherweise in silv. 4, 1, spricht doch der Gott Janus einen Kaiser an, der im Wortlaut des Textes kaum auf dem Forum präsent ist, wenn man von seinem Denkmal absieht: Doch wenn meine oben vorgebrachte Deutung, wonach in silv. 4, 1 das Forum im wesentlichen als Raum gewordene Bündelung der römischen Tradition und Geschichte fungiert, so fällt auch hier das Forum mit dem Kaiser in eins, ist ­Domitian doch, wenn er das Konsulat übernimmt, die Person gewordene Bündelung derselben Gegebenheiten. Daß Domitian in silv. 4, 2 nicht bloß seinen Palast bewohnt, sondern daß er selbst in gewisser Weise dieser Palast ist, macht jenes Gedicht hingegen kdeutlich, wenn es in allen den Palast zierenden Bildwerken stets den Kaiser erkennt und wenn es das ganze Haus von seinem g­ enius erfüllt sein läßt. Schließlich die Via Domitiana: Es kann kein Zufall sein, daß gegen Ende des Gedichtes die Sibylle die Ankunft des Kaisers feiert, obwohl dieser, ähnlich wie in silv. 4, 1, als Person im Text kaum in Erscheinung tritt, weder als Gegenstand einer Beschreibung noch als handelnde oder sprechende P ­ erson. Er tut nur eines: Er kommt am Golf von Neapel an, wo die Sibylle von Cumae seinen adventus preist. Diese Ankunft aber ist just das einzige, das Kaiser und Straße gemeinsam haben: Die Straße wird damit nicht bloß zur Expression kaiser­licher Euergesie, sie wird vielmehr zum beständigen Sinnbild des Kaisers selbst, was wieder auf ein ganz ähnliches Konzept hinausläuft wie das am Equus maximus entwickelte.946 945 Martini (2006), 29–31. 946 Die strukturellen Ähnlichkeiten gerade zwischen dem ersten und dem letzten panegyrischen Gedicht in den Silvae hob schon Vollmer (1898), 451, hervor. Rühl (2006), 326 f., führt einen einen prinzipiellen Unterschied an, insofern Domitians Standbild in silv.  1, 1 als Abbild selbst bereits eine Interpretation seiner Vorgaben, silv.  1, 1 also Interpretation der Interpretation sei, während eine Straße nichts abbildet, sondern die Via Domitiana in

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So ist der Kaiser nicht bloß in seinen überall verbreiteten Portraits ἐπιφανέστατος und damit als integratives Element der Verehrung für das ganze Reich besser geeignet als lokal beschränkte Gottheiten, er wird letztlich durch alle im Raum sichtbaren Zeugnisse seines Wirkens (wie hier die neue Straße)  zum Ausdruck gebracht, denn eine εὐεργεσία ἐπιφανεστάτη tritt gut und gerne für einen εὐεργέτης ἐπιφανέστατος ein.947 In diesem Sinn ist silv. 4, 3 nicht bloß eine logische, sondern eine notwendige Ergänzung zu den vorangegangenen panegyrici, vollzieht das Gedicht doch die Ausweitung des bis dahin in Rom lokalisierten und durch Rom zum Ausdruck gebrachten Kaisertums (konkreter gesprochen: des Kaisers) auf den orbis terrarum. Ein letztes aber gilt es zu berücksichtigen: Mag der Kaiser in seinen Werken, d. h. in seinen den Raum definierenden, gestaltenden und dominierenden Abbildern und Bauten, auch präsent oder gar omnipräsent sein, gilt dasselbe nicht für die Person Domitians: Sie verschwindet hinter all diesen Repräsentanten des Kaisertums in eine Position der Ferne und Unnahbarkeit. Beschreibt S­ tatius Gesichtszüge und Gestus des Kaisers, dann handelt es sich nicht um die lebende Person, sondern um den bronzenen Reiter auf dem Forum (silv. 1, 1); sieht er ihn von Angesicht zu Angesicht und hebt diesen Umstand sogar noch hervor (silv. 4, 2), unterbleibt doch jede Beschreibung, und nur die den lebenden Kaiser umgebenden Götterstatuen vermögen als Gleichnisse, der ihn umgebende Palast als Größenskala einen indirekten Eindruck von ihm zu geben. Beschenkt der Kaiser das Volk, verschwindet er selbst in der Masse, seine euergetische Tat aber ist sicht- und im Gedicht verewigbar (silv. 1, 6); baut er eine Straße, begrüßt die Sibylle seine Ankunft, doch erneut wird er nicht sichtbar (silv.  4, 3); und tritt er das Konsulat an, so sieht man zwar die fasces der Liktoren, er selbst aber kommt nicht in den Blick, höchstens daß er erneut durch sein Denkmal vertreten wird (silv. 4, 1). Domitian kann mit einigem Recht als der Vollender der römischen Monarchie gelten:948 Als erster Herrscher entstammte er weder dem auf Venus und Aeneas zurückgehenden julisch-claudischen Haus noch konnte er wie sein Vater und Bruder auf erhebliche Leistungen vor seiner Thronbesteigung hinweisen; er verdankte den Thron einzig dem Vorhandensein des Kaisertums als Amt und dem Erbrecht vom letzten Inhaber dieses Amtes her. Daß er im Jahr 88 Säkularspiele abhielt und mit ihnen in etwas komplizierter Weise auf silv. 4, 3 gleichsam direkt interpretiert werde. Dem ist freilich entgegenzuhalten, daß die Bauwerke des Forum Romanum und seiner Umgebung in silv. 1, 1 prinzipiell keine wesentlich andere Grundlage für den Text bieten als die Straße in 4, 3: Sie alle bedürfen der Interpretation. Der Unterschied scheint mir eher darin zu liegen, daß silv. 1, 1 den Kaiser gleichsam defi­ nitorisch im Raum verortet und im Umkehrverfahren diesen Raum vom Kaiser aus­gehend interpretiert, während silv. 4, 3 das Wirken des Kaisers (im Raum, soweit er von Bedeutung ist) zeigt. 947 Vgl. Ando (2003), 343 f. 948 Sablayrolles (1994), 135.

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I. Medius videor discumbere in astris

die des Augustus 17 v. Chr. zurückverwies,949 ist symptomatisch: saeculum bedeutet ursprünglich jene Zeitspanne, an deren Ende alle zu ihrem Beginn Lebenden tot sind, jede direkte Erinnerung also erloschen ist.950 Entsprechendes galt nun also, durch die Abhaltung jener Spiele sichtbar gemacht, für die römische Monarchie, mochten auch konservative Senatorenkreise immer noch der libera res publica nachtrauern. Wie endgültig die Monarchie unter Domitian zementiert wurde, zeigt der Übergang der Herrschaft nach seiner Ermordung auf Nerva und vor allem Trajan, der das vollkommene Unvermögen des Senates bewies, das Kaisertum in seiner Machtfülle zu beschneiden oder auch nur effektiv auf seine Besetzung Einfluß zu nehmen – auf einen belanglosen Kompromißkandidaten folgte ein General aus Domitians Kaderschmiede. Es ist nicht die Person Domitian, die in Statius’ panegyrischen Gedichten vorgeführt wird, sondern das Amt, dessen zeitlicher Inhaber Domitian ist, mag auch ­Domitians eigene Bestrebung naturgemäß dahin gegangen sein, die Grenze zwischen diesem und jenem zu verwischen.951 Zwischen den Bauwerken des Kaisers und seiner Person besteht demnach gar kein so großer Unterschied: Beide sind konkrete Ausprägungen des abstrakten Kaisertums, das qua Abstraktum naturgemäß der menschlichen Sphäre weit entrückt ist. Bis zu einer Formulierung wie dem Grillparzerschen »Was sterblich war, ich hab es ausgezogen, und bin der Kaiser nur, der niemals stirbt.«952 ist es freilich noch weit, doch Statius mit seinem immer wieder zu beobachtenden feinen Sensorium für die Veränderungen der Zeit und seiner Tendenz, derlei auch abseits literarischer Konventionen zum Ausdruck zu bringen, beschreitet, bewußt oder unbewußt, einen neuen Weg der Panegyrik, wenn er nicht der auf Augustus direkt personalisierten Dichtung der Augusteer folgt, sondern mit indirekter Panegyrik die Leistungen des Kaisers, und damit direkt das Kaisertum als Amt preist. Man kann sich abschließend fragen, ob Statius auf diese Differenz zwischen Kaisertum und Kaiser absichtsvoll hinweist und damit den Finger auf einen nervus rerum seiner Zeit legt, oder ob es sich um einen automatischen Effekt seines die Gegebenheiten der Zeit nachzeichnenden Dichtens handelt, den er gar nicht hätte vermeiden können und dem folglich für die Interpretation weniger Gewicht beizulegen wäre. Folgt man den interpretatorischen Leitlinien der besten Kennerin des Statianischen Œuvres, Carole Newlands, wäre das bewußte Hinweisen auf dualistische Gegensätze, auf Risse, auf Licht- und Schattenseiten ein und derselben Sache geradezu der Kerngedanke all seiner erhaltenen Dichtungen. Bedenkt man aber, daß im Sinne Sausurrescher Semiotik ein Autor einen Begriff nicht gut ins Spiel bringen kann, ohne zugleich dessen Gegenteil 949 Jones (1992), 102. 950 Cens. 17, 2. 5. 951 Vessey (1983), 213 f. 952 Franz Grillparzer, König Ottokars Glück und Ende, 3. Akt.

Die panegyrischen Gedichte: Fazit? 

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bzw. alle sich von ihm in wenigstens einem Punkt unterscheidenden Begriffe ins Spiel zu bringen, fragt man sich, wie Statius derlei Dualismen überhaupt hätte vermeiden können.953 Was aber zwangsläufig eintreten mußte, kann schlecht zum Ausgangspunkt dienen, eine Autorenintention festzuhalten, solange der Text nicht expressis verbis beide Pole eines Dualismus e­inander gegenüberstellt. Auch daß im Sinne Derridaschen Umgangs mit derlei ­Différance ein Text a priori mit sich selbst in kontrapunktischem Widerstreit steht und als Maschine zur Erzeugung von Aussagen in einem nie festzunagelnden Bedeutungsgeflecht (das man sich nach dem Prinzip von simplen Bifurkationen, also Gegensatzpaaren, aufgebaut denken kann, was aber schon zu hinterfragen wäre) fungiert, ist und war auch zu Statius’ Zeit die Grundlage für die Kompetenz jedes Lesers, oder besser: Benützers eines Textes, ihn nach Gutdünken zu deuten, kann aber nicht im Sinne einer petitio principii als Autorenintention deklariert werden, wenn nicht wiederum der Text unzweideutig darauf hinweist (falls er dieses, wiederum im Sinne der Différance, überhaupt kann). Für eine historisch orientierte Hermeneutik ist damit jedenfalls wenig gewonnen. Kurz gesagt: Ich stehe der Annahme, Statius habe bewußt und absichtlich mit seinem Preis der kaiserlichen Macht auch deren Fragilität, mit seiner Anbetung der kaiserlichen Gottheit auch die Fragwürdigkeit des Göttlichen, mit seiner Verherrlichung des Kaisertums als wirkmächtige Institution auch die Einsamkeit, Unsichtbarkeit, Austauschbarkeit der kaiserlichen Person besingen und just die Klüfte zwischen jenen Begriffspaaren thematisieren wollen, skeptisch gegenüber, jedefalls halte ich es für ausgeschlossen, solch bewußte Absicht nachweisen zu können: Die Texte bieten dafür, soweit ich sehe, keine hinlänglichen Anhaltspunkte. Damit schließt sich der Kreis zu den zu Beginn dieses Kapitels angestellten Überlegungen rund um Statius’ ›wahre‹ Haltung als Kaiserpanegyriker oder Kaiserkritiker: Im Sinne der erwähnten Leserkompetenz ist sie unentscheidbar; von der Warte des Philologen habe ich versucht, eine unitarische, von der Textoberfläche ausgehende Interpretation dieser Gedichte nach Möglichkeit in Deckung mit außertextlichen, speziell räumlichen Gegebenheiten der Zeit zu bringen. Daß dieser Versuch bisweilen zu, wie mir scheint, plausiblen und zusammenpassenden Gedankenmustern, an keinem Punkt aber zu ernsthaften Widersprüchen geführt hat, ist mir Indiz genug dafür, daß meine Leseweise der panegyrischen Gedichte eine ist, welche diese Texte auch dem seinerzeit intendierten Publikum (den Lesern im Text der Zeit) mit einiger Wahrscheinlichkeit nahelegten.

953 Symptomatisch Newlands (2012), 46: »Dualism is central to Statius’ modes of thought.« Für welchen Autor bzw. überhaupt Sprecher aber gilt das nicht?

II. Tu modo fige aciem: Im Spiegel

1. Vorbemerkungen Zwei Gedichte sind es im wesentlichen, in denen Statius als der stark visuell veranlagte Poet, der er ist, den Blick auf die Dinge in seiner für antikes Vorstellungsvermögen gefährlichsten und zugleich spannendsten Form, der Spiegelung, selbst in den Blick nimmt und zum tragenden Motiv erhebt: Die ­Capilli Flavi Earini (silv.  3, 4) und die Arbor Atedi Melioris (silv.  2, 3).1 Zusammen mit dem ebenfalls nicht unintrikaten Erscheinen eines Spiegelungsvorgangs in silv. 1, 3, 18sq. (dazu vgl. unten 520) machen sie Statius, worauf Lilian Balensiefen mit Recht hingewiesen hat, zu demjenigen antiken Autor, der am häufigsten und intensivsten mit Spiegelungen operiert.2 Zugleich verläßt meine Unter­suchung mit den des weiteren zu betrachtenden Texten den Bereich des Offiziellen, der Herrscherpanegyrik, und betritt gleichsam privates Terrain, mit den Capilli Flavi Earini als Mittelding zwischen beidem, wo zwar das Lob des Kaisers eine zentrale Rolle spielt, der Leser im Zuge dessen aber Zutritt zu gänzlich intimen Szenen aus dem Leben des Freigelassenen und damit mehr oder minder Privatiers Earinus erhält. Auf diese Eigenart des Statius, durch seine Schilderungen gleichsam der Öffentlichkeit den Zutritt zum Privatleben der Hauptfiguren seiner (nicht-panegyrischen) Gedichte zu verschaffen, hat ­Cynthia Damon in einer Studie hingewiesen.3 Der Leser überschreitet damit beim Visualisieren dessen, was der Text ihm vor Augen stellt, eine Grenze, welche für ihn in der aktualen Welt in aller Regel unüberwindbar war oder zumindest sein sollte: ein gewisser voyeuristischer Zug ist dieser Form der Dichtung also nicht abzusprechen, und im Falle von silv. 3, 4 nimmt er, jedenfalls nach heutigen Wertigkeiten, Ausmaße an, die manchen Leser beunruhigen mögen. Just dieser Text indes verbalisiert auch selbst die Grenzüberschreitung eines Blickes und wirft die Frage auf, ob nicht erst durch sie richtiges Sehen möglich wird, und silv.  2, 3 kommt zu noch weitaus komplexeren Lösungen hinsichtlich der Frage, welche Grenze physisch oder optisch überschritten werden darf, und was daraus abzuleiten ist. Ich versuche also im folgenden, meinerseits einen Blick auf diese Texte zu werfen. 1 Cancik (1965), 48–64, verbindet bereits silv. 2, 3 und 3, 4 miteinander, freilich auf recht allgemeine Weise. 2 Balensiefen (1990), 16. 3 Damon (2002), 183.

Silvae 3, 4: Capilli Flavi Earini

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2. Silvae 3, 4: Capilli Flavi Earini Das vielgeschmähte Gedicht,4 zu welchem direkte Pendants aus Martials Feder existieren,5 würdigt die Übersendung einer beim Übertritt zum Erwachsenenalter abgeschnittenen Haarlocke6 des Flavius Earĭnus, eines zum Zeitpunkt der Publikation des dritten Silvaebuches freigelassenen7 Eunuchen, zuvor ­Sklaven 4 Butler (1909), 229: »Without being definitely coarse, it (scil.: the poem) succeeds in being one of the most disgusting productions in the whole range of literature. The emperor who can accept flattery of such a kind has certainly qualified for assassination.« Vgl. Vessey (1973), 28; Verstraete (1983), 199–201; selbst bei Laguna (1992) nimmt der Kommentar zu silv. 3, 4 nur etwas mehr als halb so viel Raum ein wie der zu dem annähernd gleich langen Gedicht 3, 5. – Anders Russel (2014), 89, der es als »wonderfully bizarre poem« bezeichnet. 5 Earinus erscheint bei Martial ausschließlich im neunten Buch, das Henriksén (1998 f.), 1, 11–13, und (2012), xi-xiii, im wesentlichen im Jahr 94 entstanden / a ngesammelt und etwa zu Beginn des Jahres 95 publiziert sein läßt. Die hierhergehörigen Epigramme sind: Mart. 9, 11–13 (jeweils Variationen über den Namen Earinus / Eiarinos); 16sq. (betreffend unmittelbar die Übersendung der Haarlocke und des Spiegels); 36 (Ganymed muß seine Favoritenrolle bei Jupiter weiterspielen, obwohl er schon zum Mann gereift ist, weil ihn im Olymp keiner ersetzen kann, wohingegen der Palatin nicht unter derlei Personalmangel leidet und Earinus also den Übertritt ins sichtbar gemachte Erwachsenenalter erlauben konnte). 6 Literatur zu diesem Brauch bietet Pederzani (1992a), 80, Anm.  3; vgl. auch Cancik (1965), 56–59, der freilich das ›Haarmotiv‹ (Pederzani, passim, übernimmt den Terminus) interpretatorisch viel zu sehr herausstreicht: Seine Annahme, nur »Epochen, deren Kultur man gern als ›feminin, verweichlicht‹ etc. bezeichnet, scheinen die Voraussetzung für die Aufnahme des Haarmotives in die Literatur zu gewähren« (Cancik [1965], 58), hätte nicht nur langhaarige Merowinger verblüfft, und auch die von ihm (ebd.) gesponnene motivische Verbindung zwischen ›Spiegelmotiv‹ und ›Haarmotiv‹ wirkt gezwungen. Zu Haaren allg. vgl. auch Polizian (1978), 614–621; zur depositio barbae vgl. Laguna (1992), 308 f. 7 Henriksén (1998 f.), 1, 91, und (2012), 55 f. Die Chronologie konstruiert Henriksén (1997), 282–289, von Leberl (2004), 231, kritiklos übernommen, wie folgt: Da das Gedicht nahelegt, daß Earinus ein θλιβίας = θλαδίας war (zur Terminologie vgl. Guyot [1980], 24, Anm. 26), also in eher frühem Alter durch Zerquetschen der Hoden nach vorausgehendem längerem heißen Bad entmannt worden war, da weiters Paulus Aegineta in der einzigen erhaltenen genaueren Beschreibung dieser Prozedur sie speziell auf ἔτι νήπια ὄντα τὰ παιδία (Paul. Aeg. epit. med. 6, 68) bezieht, und da Earinus im Jahr 94 die Schwelle zum Erwachsenenalter überschritt, müsse er im Jahre 94 mindestens 16 Jahre alt gewesen sein, wahrscheinlich zwischen 16 und 18, und die Kastration habe sich also kurz nach Domitians Regierungsantritt (81) abgespielt, als Earinus etwa drei Jahre alt war; damit wäre sie jedenfalls noch vor dem Kastrationserlaß erfolgt. Nichts davon ist zwingend. Das Kastrationsedikt wird zwischen 81 (Domitians Regierungsantritt) und 86/87 (erste Erwähnung: Mart. 2, 60) datiert, läßt also einigen Spielraum. Earinus’ Alter im Jahr 94 kann nach meinem Dafürhalten ohne weiteres deutlich über 16 liegen und sich sicherlich bis etwa 25 erstrecken – w ­ eshalb hätte ­Domitian seinen Liebling zum erstmöglichen Zeitpunkt erwachsen werden lassen sollen, wenn ihm an der erotischen Beziehung zu ihm etwas lag und Earinus’ Eunuchentum die verschiedenen pubertären Entwicklungsprozesse des Körpers ohnedies verhinderte bzw. stark einschränkte? Seine Kastration wiederum erfolgte sicherlich nicht im Kleinkinder­a lter, wenn

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II. Tu modo fige aciem

und je nach Diktion Favoriten oder Lustknaben Domitians,8 nach Pergamon. Der Auftraggeber des Textes, als der Earinus im Einleitungsbrief zu silv. 3 ausdrücklich bezeichnet wird, hebt sich damit hinsichtlich seines So­zial­prestiges von den meisten (freilich nie als solche bezeichneten) patroni der S­ ilvae ab, findet aber im libertus ab epistulis Flavius Abascantus von silv. 5, 1 ein wenigstens entfernt vergleichbares Pendant.9 Zu bedenken ist freilich, daß E ­ unuchen allgemein einem gewissen Maß gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt waren, egal in welcher Position sie sich befanden, und daß diese Diskriminierung bis in die Sphäre des Aberglaubens reichte: Kolportiert wird etwa, daß es als schlechtes Omen galt, morgens auf der Straße als erster Person einem Eunuchen zu begegnen10 – insoferne wohnt dem sozialen Verhältnis zwischen Auftraggeber und Dichter im Fall von silv. 3, 4 tatsächlich ein gewisses Spannungspotential inne, doch ohne daß dieses nachweisliche Folgen für den Text hätte. Denn daß Earinus, zu Domitians intimstem Kreis und wohl nur zu diesem gehörig, Statius persönlich kaum in gleicher Weise nahestand wie andere Adressaten der Silvae, sodaß auch im Gedicht wenig bis gar kein Bezug zwischen dem dichterischen Ich und seiner Hauptfigur aufgebaut wird, steht außer Zweifel, muß aber nicht eine innere Distanzierung des Dichters von seinem Thema und seinem Auftraggeber bedeuten – wie hätte er sich auch selbst ins Spiel bringen sollen, wenn er weder persönlich mit Earinus vertraut war noch mit dem zum sie – und soweit wird man Statius’ Text vielleicht trauen können – den Zweck verfolgte, seine Jugendschönheit möglichst zu bewahren. Wie sollte man diese an einem Dreijährigen feststellen, und weshalb sollte überhaupt der kaiserliche Hof einen Dreijährigen aus ­Pergamon als Sklaven importiert haben? Der Vorgang ist der gleiche wie noch im Europa der hohen Neuzeit die Kastration von Knaben mit schöner Singstimme, die auch erst bei Zehn- bis Zwölfjährigen entwickelt und fest genug ist, um ein halbwegs sicheres Urteil zu erlauben: und man pflegte sie, wie Berichte der Zeit lehren, beispielsweise nach der bei Johannes A ­ egineta beschriebenen Methode zu vollziehen. Sie wird bei Earinus also etwa zwischen dem zehnten und dreizehnten oder vierzehnten Lebensjahr erfolgt sein (man bedenke, daß die Pubertät in vielen früheren Kulturen später einzutreten pflegte als heute in westlichen Industrieländern). Auch weist Guyot (1980), 30, darauf hin, daß gerade Sklaven, die man zu sexuellen Zwecken kastrierte, eher spät, d. h. bei oder gar nach Eintreten der Pubertät erst entmannt wurden, um ihr Wachstum auf einer Stufe einer gewissen sexuellen Entwickeltheit gleichsam einzufrieren. Earinus kann also ohne weiteres beispielsweise im Jahr 85 als Zehn- bis Vierzehnjähriger entmannt worden sein, wäre demzufolge im Jahr 94 zwischen 19 und 23 Jahre alt und damit in einem Alter, in dem die depositio barbae unter normalen Umständen gerade fällig wäre: Obermayer (1998), 108 f., Anm. 55. 8 Material zu diesem geläufigen Phänomen bietet Guyot (1980), 59–66, speziell zu ­Earinus ebd. 203, Nr. 44. 9 Vessey (1973), 17 und 26; Nauta (2002), 234. Es besteht keinerlei Anlaß, mit Newlands (2002), 113 f. einen Akt der Überwindung auf seiten des Dichters anzunehmen, der für eine Figur wie Earinus habe dichten sollen oder müssen. 10 Guyot (1980), 42–44 zählt neben diesem noch zahlreiche weitere Beispiele auf, die allesamt eine diffuse Tabuisierung des Eunuchentums belegen, von welcher die persönliche Wertschätzung einzelner Vertreter der Art freilich, wie stets, unbeschadet bleiben konnte.

Silvae 3, 4: Capilli Flavi Earini

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Ausgangspunkt des Gedichtes genommenen Vorgang persönlich zu tun hatte?11 Was in einem Gedicht wie dem Equus maximus oder der Via ­Domitiana immerhin möglich war, daß nämlich das poetische Ich sich unter die Menge der Betrachter eines öffentlichen Bauwerks mischte und aus dieser Position seine Stimme als am Geschehen beteiligtes Ich erhob, entfiel bei einem Anlaß wie dem von silv.  3, 4 fast zwangsläufig; es sei denn, man will Statius, wie Meike Rühl vorgeschlagen hat, in der Weltbereichsreihe der Verse 102sq. als MitSprecher von Earinus’ Bitten für Domitian eingeschlossen sehen.12 Die Locke, verpackt in ein goldenes Gefäß, sollte als Dankes- und Weihegabe an Asklepios13 zugleich die Verbundenheit des Earinus mit seiner Heimatstadt unter Beweis stellen, außerdem als Surrogat für das sonst übliche, im speziellen Fall aber nicht gut mögliche Opfer der ersten geschorenen Barthaare dienen. Als (teilweises) Propemptikon bildet dieses vorletzte Gedicht des dritten B ­ uches ein klares Pendant zum zweiten Gedicht desselben, dem Reisegedicht für ­Maecius Celer.14 Ein jüngst unternommener Versuch, es mit dem zweiten Gedicht des ersten Buches, dem Epithalamium für Stella und Violentilla, in besondere Beziehung zu setzen und damit eine Verklammerung der ersten drei Bücher mithilfe der beinahe-Rahmengedichte zu erreichen, überzeugt weniger.15

11 Newlands (2002), 114, deutet im Vergleich mit silv. 1, 2 Statius’ persönliches Zurücktreten als Abgrenzung von der moralisch anderen Werten folgenden Hofgesellschaft. Was aber, wenn er bei der Hochzeit von Stella und Violentilla als Besucher persönlich zugegen und mit dem Brautpaar vertraut war, mit Earinus hingegen nicht? Dann ergibt sich der unterschiedliche Tonfall der beiden Gedichte von selbst, denn weder war es in einem Anlaß­gedicht sinnvoll, vorhandene persönliche Verbundenheit zu verschweigen, noch, sie vorzugaukeln, wo sie nicht existierte. Gegen die Existenz einer abgehobenen Hofgesellschaft wendet sich schon Strobel (1994), 369. 12 Rühl (2006), 347. 13 Man pflegt die depositio barbae (vgl. Obermayer [1998], 103–107) als einen typischen Übergangsritus zu betrachten, der zugleich Dank für das Erreichen dieses Alters und Bitte für die nächste Lebensetappe war, die Opfergabe also Dank- und Bittgeschenk in einem. Die Frage ist, wofür sich Earinus bedankt: Für das Erreichen des Erwachsenenalters im allgemeinen? Für das seinerzeitige Überleben der Kastration? Oder, und diese Möglichkeit ist nicht auszuschließen, für die Kastration selbst, die ihn zum Liebling des Kaisers machte und ihm die steilstmögliche Karriere eröffnete? Alles davon kann zutreffen. 14 Vessey (1973), 29; Gibson (2006), 177, rechnet das Gedicht ohne weitere Begründung nicht zu Statius’ Propemptika, zu denen noch silv. 5, 2 gehört. 15 Newlands (2002), 90 bzw. 88–118. Newlands versucht, die wesentliche Rolle, die das Haus der Violentilla in silv.  1, 2 für die Positionierung und Definition jener Frau spielt, auch in silv. 3, 4, 47–49 in der kurzen Erwähnung des Flavierpalastes wiederzufinden bzw. zum tertium comparationis beider Gedichte zu machen. Mir scheint freilich dieser Palast in 3, 4 nur eine recht untergeordnete Rolle zu spielen, jedenfalls keine, die dazu geeignet wäre, Earinus’ textimmanente Position und (Selbst)definition aus ihm abzuleiten, weshalb ich die junktimierte Betrachtung der beiden Gedichte bei Newlands  a priori für fragwürdig halte.

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II. Tu modo fige aciem

Daß dieses Gedicht ebenso wie seine Pendants bei Martial Interpreten zur Annahme subversiver Kritik an Domitian herausfordern mußte,16 liegt auf der Hand, nicht nur wegen Domitians kolportierter Sensibilität hinsichtlich Haarausfalls, die man wirklich schon als Argumentationsgrundlage herangezogen hat17 und die ihn der Überlieferung nach freilich bloß zu einer selbstironischen Replik in Gestalt einer Consolationsschrift an einen vom gleichen Los betroffenen Freund veranlaßte, was einmal mehr Domitians Humor bezeugt.18 Ebenso evident darf eine solche Interpretation inzwischen als überholt gelten. Daß ­Statius, anders als Martial,19 die ›unangenehmen‹ Facetten seines Gegenstandes, in diesem Fall die an dem Jungen einst vorgenommene Operation, nicht verschweigt, sondern, wenn auch in abgemildernder Form, erst recht thematisiert, ist ein auch anderwärts zu beobachtendes Phänomen;20 einen Anhaltspunkt für 16 Breit ausgeführt bei Garthwaite (1978), 63–86 (zu Martial) und 87–129 (zu Statius), der letztere Abschnitt leicht bearbeitet = Garthwaite (1984); vorsichtiger schon bald darauf Verstraete (1989) und Pederzani (1992a). Vernichtend hingegen Jones (1994), 334, nach einer absichtlich wegwerfenden und in der Feststellung »some passages are more significant than others« gipfelnden Skizze des Gedichtes: »What are we to make of this? As Statius’s survival indicates, all this was taken as a compliment: no flattery was too outrageous for Domitian.« 17 Vessey (1973), 29, und Jones (1994), 334; von Leberl (2004), 237, und selbst von Garthwaite (1978), 93, zurückgewiesen. Garthwaite (1978), 129 bzw. (1984), 124, geht allerdings so weit, Statius’ im nachfolgenden Gedicht silv. 3, 5 angekündigten Rückzug aus Rom als Resultat aus seiner in 3, 4 allzu heftig vorgetragenen Kaiserkritik, also letztlich als Verbannung zu interpretieren. Doch erstens stützt nichts im Text von silv. 3, 5 oder einem anderen Gedicht die Vorstellung, es könne Domitian je gegen Statius vorgegangen sein, und zweitens folgen auf silv. 3, 5 gleich drei panegyrische Gedichte, darunter eines, das gerade Statius’ persönliche Wertschätzung seitens des Kaisers thematisiert (4, 2). Von Kaiserkritik kann aber in silv. 3, 4 ohnedies keine Rede sein. 18 Suet. Dom. 18. 19 Anders Rühl (2006), 346, die ein Verschweigen der Kastration für unmöglich hält, doch ohne Martial in den Blick zu nehmen; vgl. Johnson (1997), 61. Garthwaite (1978), 84, leitet in einer logischen tour de force selbst aus Martials Zurückhaltung noch eine Domitianinvektive ab: Martial gehe davon aus, daß der Leser die unerwähnten Details selbst ergänzen und daraus die Kaiserkritik entspinnen könne. Sonderbarerweise baut Garthwaite aber seinen Versuch einer two-voices-Lektüre ausgerechnet auf der Prämisse auf, daß ein Autor bezüglich der Gedanken, die sein Publikum bei der Lektüre seiner Texte entwickelt, keine determinierende Rolle einnehmen könne: ebd., 4. 20 Vgl. o. I, bei Anm. 62. So erwähnt Statius ohne weiteres in silv. 3, 3, 154–171, daß Claudius Etruscus’ Vater durch den Kaiser verbannt worden war, freilich zugleich auch dessen spätere Begnadigung durch denselben Domitian; vgl. o. I, Anm. 649. Nicht recht überzeugend Veyne (1989), 170 f., der den Dichter bloß als Fortschreiber einer ohnehin schon erfolgten Diskussion und Zerpflückung der jeweils betroffenen Punkte in der absolut gesetzten öffentlichen Meinung sieht. Ratlos steht auch Verstraete (1983) dem Motiv gegenüber, das er (200) als »a major and tasteless interruption in the mythological fantasy« des Gedichtes und als Ungeschicklichkeit eines die Implikationen seiner Panegyrik nicht bedenkenden Autors (ebd., 200 f.) verurteilt. Verstraetes Verdikt geht freilich von der (falschen) Annahme aus, die Kastration eines jungen Sklaven habe ein römische Publikum ebenso schockiert wie ein modernes. Weit gefehlt: Sklaverei mit all ihren Folgeerscheinungen war eine normale Gegebenheit, Sexualität

Silvae 3, 4: Capilli Flavi Earini

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einen Angriff auf Domitians Doppelmoral, wie ihn John Garthwaite erkennen wollte,21 bietet der Statiustext indes nicht: Das zeitliche Verhältnis zwischen der Kastration des Earinus und dem Verbot von Kastrationen durch D ­ omitian ist nicht mit restloser Sicherheit zu bestimmen, doch selbst in dem Fall, daß diese nach jenem erfolgt sein sollte, resultiert daraus nicht unbedingt eine Invektive oder Satire (dazu vgl. unten 333–338). Die im Gedicht behauptete Zustimmung Domitias zu Domitians päderastischer Beziehung, womit sie sich in silv. 3, 4, 12–20 vorteilhaft von der notorisch auf Ganymed eifersüchtigen Juno abhebt, muß keineswegs eine erfundene Unmöglichkeit sein,22 mag sich auch die nicht in der Weise tabuisiert wie in der westlichen Welt seit der Aufklärung, Eunuchen waren keine große Seltenheit (van Dam [2006], 201, Anm. 38 mit gutem Verweis auf die bei Cass. Dio 67, 2, 2sq. kolportierte Vorliebe ausgerechnet des allenthalben so gepriesenen Kaisers Titus für E ­ unuchen), und was zigtausende Römer regelmäßig im Flavischen Amphitheater und ähnlichen Einrichtungen an Brutalitäten geboten bekamen (und genossen), darunter, wenn man Tertullian glauben darf, auch als mythische Volksbelustigung nachgestellte Attisentmannungen oder gar -selbstentmannungen (Tert. nat. 1, 10, 46; apol. 15, 5: vgl. Coleman [1990], 61), ging weit über die immerhin wohl in passenderer Umgebung und durch einen Fachmann durchgeführte Kastration eines Halbwüchsigen hinaus. Wenn Statius diesen also nicht ungewöhnlichen, sondern lediglich für den Betroffenen unangenehmen Vorgang dennoch thematisiert und mythisch überhöhend zugleich entschärft, ist daran nichts Geschmackloses zu erkennen, auch keine Verstörung auf seiten des Dichters, wie Bright (1980), 65 f., vorschlägt; eher wird man Russel (2014), 117, zustimmen, der dem Gedicht eine Haltung mitfühlenden Verständnisses attestiert. 21 Garthwaite (1984), 119 f.; vgl. o. I, Anm. 45. 22 Garthwaite (1978), 99 = (1984), 114: »… the bizarre and unlikely possibility that, in contrast to her Olympian counterpart Juno, the happily married Domitia actually welcomes her husband’s pederasty.« Warum eigentlich? Wie weit griechische oder römische Ehefrauen über (v. a. im griechischen Raum) klassisch-päderastische sowie über mit Sklavinnen und Sklaven ausgeübte sexuelle Aktivitäten ihrer Gatten erfreut waren, wird im Einzelfall wohl sehr variabel gewesen sein, angesichts der Omnipräsenz dieser Vorgänge aber sicherlich nicht stets zu Ehekrisen geführt haben: Immerhin scheint es nicht unmöglich (und erscheint auch in der Literatur, mindestens in aus männlicher Position geschriebener: cf. e. g. Mart. 12, 96), daß so manche Ehefrau, die, aus welchen Gründen auch immer (beispielsweise: persönliche Entfremdung; gesundheitliche Schwierigkeiten; Angst vor den Gefahren weiterer Schwangerschaften und Geburten), vorübergehend oder dauerhaft keinen ausschließ­ lichen ­erotischen Anspruch auf ihren Mann erhob, in einer Gesellschaft, die sexuelle Aktivität des Mannes außerhalb der Ehe ohnehin nicht sonderlich kritikwürdig fand, herzlich froh war, wenn nicht eine echte, d. h. freie weibliche Nebenbuhlerin ins Spiel kam (was freilich als stuprum oder gar, im Falle einer nicht bloß freien, sondern auch ihrerseits verheirateten Nebenbuhlerin, a­ dulterium auch dem Mann Kritik einbringen konnte), sondern Sklavinnen oder Sklaven: Immerhin konnte ihr daraus kaum echte Konkurrenz erwachsen: vgl. Williams (1999), 47–56 und, 245–252, wo freilich illustrativ auf das Beispiel des Sporus hingewiesen wird, der nicht bloß mit Nero verheiratet war, sondern auch nach dessen Tod offenbar keineswegs als ephemere Hinterlassenschaft eines kriminellen Exzentrikers gehandelt wurde, vielmehr unter Galba, Otho und Vitellius noch eine immerhin hinlänglich bedeutende Rolle spielte, um historiographische Aufmerksamkeit zu erregen. Im Falle ­Domitians und seiner Kaiserin deutet nun einiges dahin, daß Domitia Longina Earinus mindestens als kleinstes vorstellbares Übel zu schätzen wissen konnte, denn sie befand sich selbst in kei-

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Darstellung der kaiserlichen Eheharmonie primär panegyrischer Notwendigkeit verdanken;23 und auch gegen die durch ihn selbst erneut der Bevölkerung eingeschärfte augusteische Ehe- und Sexualgesetzgebung kann Domitian mit seinem Verhältnis zu Earinus nicht verstoßen haben: Die Lex Iulia ebenso wie die ältere Lex Scantinia, was auch immer genau sie regelten, galten, worauf etwa M. Johnson richtig hingewiesen hat,24 niemals für das Verhältnis eines Herrn zu seinen Sklaven oder Sklavinnen: Sexuelle Verfügbarkeit der Sklavinnen und Sklaven ist eines der wesentlichen Rechte antiker (jedenfalls: männlicher) Sklavenbesitzer, in das von gesetzgeberischer Seite her einzugreifen ein ganz außerordentlicher Schritt gewesen wäre, der denn auch nie erfolgt ist.25 Selbst die se-

ner ganz einfachen Situation, selbst wenn ihr kolportiertes Verhältnis mit Domitians Bruder ­Titus von ihr zu Recht eidlich geleugnet worden sein sollte (Suet. Tit. 10): Seit dem Tod des präsumptiven Thronfolgers – die Existenz einer gleichfalls früh verstorbenen Tochter scheint unsicher – war ihre Ehe mit Domitian seit rund fünfzehn Jahren kinderlos und Domitia selbst inzwischen gut vierzig Jahre alt, was zusammen schon hinlänglichen Grund für eine Neuvermählung des um die Nachfolge besorgten Kaisers abgegeben hätte, auch in den Augen der Zeitgenossen. Zudem hatte ihre angebliche Affäre mit dem Schauspieler Paris (83) sie ebenso angeblich zeitweise in die Verbannung gebracht und ihre im Blick der Öffentlichkeit stehende Ehe mehr oder minder stark belastet (dazu skeptisch Jones [1992], 34 f.), vielleicht zu einer bloß aus Repräsentationsgründen aufrechterhaltenen Fassade werden lassen, die jederzeit bröckeln konnte: Immerhin kursierte bezüglich der Kaiserin anscheinend der Vorwurf des adulterium, der schwerstmögliche Vorwurf, den die römische Gesellschaft in ­sexualibus gegen jemanden erheben konnte (Williams [1999], 113–119): Domitian wäre, die Richtigkeit des Vorwurfs vorausgesetzt, berechtigt gewesen, Paris in legitimer Privatrache zu töten (Cass. Dio 67, 3, 1 berichtet dies sogar, freilich in einer denkbar unplausiblen Weise)  oder zum E ­ unuchen zu machen (auch diese Praxis verbot ja erst sein eigenes Antikastrationsgesetz: Guyot [1980], 28; vgl. Mart. 2, 60), darüber hinaus aber wäre er selbst gezwungen gewesen, sich sofort und dauerhaft von Domitia scheiden zu lassen: Jones (1992), 35. Eine vielleicht auch nur aus dynastischen Gründen vorzunehmende Scheidung in den Augen der Öffentlichkeit so zu inszenieren, daß die immerhin mit mächtigen Senatskreisen versippte Domitia als die Schuldige dagestanden wäre, notfalls unter Rekurs auf die Kinderlosigkeit der Ehe, wäre Domitian also vermutlich sehr leicht gefallen, und Domitia muß sich dieses Umstandes bewußt gewesen sein: Die Paris-Oinone-Tragödie des jüngeren Helvidius Priscus, die angeblich Domitians Trennung von und, dies wohl der springende Punkt, seine Wiedervereinigung mit Domitia kritisierte und ihrem Autor das Todesurteil eingebracht haben soll (Suet. Dom. 10), beweist das zur Genüge. Einmal vorausgesetzt, daß Earinus sich ihr gegenüber respektvoll zu benehmen wußte, konnte der Kaiserin also streng genommen bedeutend Schlimmeres passieren, als daß Domitian, der den Berichten (etwa Tac. hist. 4, 2) nach wenigstens in jüngeren Jahren auch Frauen gegenüber kein allzu asketisches Dasein pflog, sich entweder Prostituierten (Suet. Dom. 22) oder auch beispielsweise einem Earinus zuwandte, anstatt eine vollgültige neue Ehe einzugehen, welche Domitia im Endeffekt die Stellung bei Hof gekostet hätte. Zum Verhältnis zwischen Domitian und Domitia vgl. Gering (2012), 101–114. 23 Vgl. Pederzani (1995), 238–240. 24 Johnson (1997), 68; Nauta (2002), 427 f. 25 Vgl. z. B. Grewing (1996), 342 f.; Walters (1997), 35 f. mit Verweis auf Dig. 48, 5, 6 pr., woraus in Kombination mit Dig. 47, 10, 25 sich die als Eigentumsrecht gewahrte sexuelle Ver-

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xuellen Verfügungsrechte über Freigelassene waren ein heikles, keineswegs klar entlang der Scheidelinie frei / unfrei entschiedenes Gebiet.26 Damit läuft auch die jüngste und an sich ingeniöse Interpretation des Gedichts durch Carole Newlands (auf die noch öfters zu verweisen sein wird) meines Erachtens ins Leere, soweit sie von der Vorstellung ausgeht, Domitians Sexualleben (pars pro toto für das einer abgehobenen, hellenistischen Bräuchen frönenden Hofgesellschaft stehend) müsse beim durchschnittlichen zeitgenössischen, in traditionellen römischen Wertvorstellungen sozialisierten (doch wie sicher ist das?) Leser jedenfalls auf Skepsis oder gar Ablehnung gestoßen sein, womit das Gedicht gleichsam den Finger auf einen die gesamte Gesellschaft durchziehenden, den Hof vom Volk trennenden Riß lege27  – ein solcher Riß wird überhaupt erst fühlbar, wenn man, wie David Vessey es tut, silv. 3, 4 als Norm für den ›Exotismusgrad‹ des Domitianhofes nimmt statt als eine zugegebenermaßen aufgrund von Earinus’ Eunuchentum tendenziell exotische Abweichung von der Norm28 – immerhin attestiert beispielsweise Martial Domitian relativ regelmäßig, und ohne daß Ironie an irgendeiner dieser Stellen besonders wahrscheinlich wäre, pudor, im vollen Bedeutungsspektrum von ›allgemein korrektes Verhalten zeigend‹ bis ›sexuell zurückhaltend‹, und auch bei Statius findet sich dieser Begriff in Bezugnahme auf den Kaiser.29 Kurz gesagt: weder problematisiert silv. 3, 4 Homosexualität als solche überhaupt,30 noch verweist das Gedicht in besonders nachdrücklicher Weise auf Domitians Fehlverhalten, nicht für den Fortbestand der Dynastie zu sorgen.31 Außerdem sind nicht weniger als drei weitere Gedichte unter den Silvae, zwei davon in den sicher durch Statius publizierten Büchern placiert (silv. 2, 1; 2, 6; 5, 5), dem Tod von fügbarkeit über die eigenen Sklaven ergibt; Obermayer (1998), 30; Williams (1999), 30–34. 114. 119–124. 26 Vgl. Johnson (1997), 68 mit Anm. 99. 27 Newlands (2002), 107 f.; 113 spricht sie deswegen von dem Gedicht als »a major diplo­ matic challange for Statius«. Vgl. auch Stephen Hinds Aperçu »even the most enthusiastic ­Statians seem embarrassed by the society that Statius praises.« (Hinds [2001], 238). 28 Vessey (1973), 28. 29 Pitcher (1990), passim. 30 Garthwaite (1978), 100–102 = (1984), 115, irrt, wenn er eine solche Problematisierung in dem Paradox gegeben sieht, daß Venus, die er als Göttin heterosexueller Liebe interpretiert, Earinus zu ihrem Schützling macht, doch ausgerechnet Domitian (anstelle einer Frau) als Partner für ihn auswählt. Erstens darf man mit Williams (1999), passim, heute zuverlässig davon ausgehen, daß die Kategorien ›homo-‹ und ›heterosexuell‹ römischem Denken, jedenfalls in der frühen Kaiserzeit, relativ fremd bzw. wenig wichtig sind, zweitens ist Venus selbstverständlich für jede Form von Erotik zuständig, wie beispielsweise der Schluß von Tib. 1, 9 beweist. 31 Newlands (2002), 105–118. Das Kernproblem dieser Interpretation findet man etwa ebd., 117, wo von einer »exalted distance of Earinus and his palatine home from traditional Roman mores and normative sexual practices« die Rede ist. Eben darin, was tatsächlich als normativ gelten konnte, scheint mir Newlands deutlich zu irren.

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pueri ­delicati gewidmet, wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung der ­erotischen Motivik – was den besseren Kreisen Roms und im Falle von silv. 5, 5 auch Statius selbst offenkundig recht war, durfte Domitian nur billig sein.32 Nun zum Inhalt des Gedichtes: Es beginnt mit einer dreifach anaphorischen Aufforderung an das Weihgeschenk, eben die Haarlocke, sich übers Meer zu begeben, potentiell unterstützt durch Venus (silv. 4, 3, 1–5: Ite … transcurrite … ite … ite; dabit cursus Cytherea … transferet … ducet). Daran schließt sich die Anrede an den iuvenis Phoebeius Aeskulap (6): Er solle das Geschenk des kaiser­ lichen puer (7) gnädig empfangen und gebührend bewundern bzw. durch Apoll, den ἀκερσεκόμης, würdigen lassen (6–11).33 Pergamon, nun als Heimat des ­Earinus benannt, kann sich glücklicher preisen als der Ida Ganymeds wegen, denn während dieser zwar Jupiters Liebe, aber Junos Groll auf sich zieht, schätzen der I­ uppiter Ausonius und seine Iuno Earinus in gleicher Weise (12–20).34 Wesentliche Themen sind damit bereits angeschlagen, das Feld abgesteckt: Das Gedicht ist eine Kombination aus Propemptikon und Anathematikon.35 Diese literarische Fixierung leisten die einleitenden Imperativreihen ite … und accipe … jedenfalls. Ferner steht die Person Earinus zu Domitian in gleichem Verhältnis wie Ganymed zu Jupiter, oder stand jedenfalls bis zu diesem Zeit 32 Grewing (1996), 350–352, stellt plausible Überlegungen zu dem Umstand an, daß homosexuelle Beziehungen zu Sklaven zumindest in der Literatur der flavischen Zeit deutlich häufiger positiv dargestellt werden als heterosexuelle zu Sklavinnen. Das Earinusgedicht bewegt sich also, was diesen wesentlichen Aspekt betrifft, in konventionellen Bahnen. – Zur allgemeinen literarischen Problemlage der Thematik, demonstriert am Beispiel von silv. 2, 1, vgl. Busch (2013), auch wenn einige seiner Ausführungen mir überzogen erscheinen (etwa die Erklärung von silv. 2, 1, 172sq. frigida … oscula als Fellatio, ebd. 83; oder die ­A nnahme einer erotischen Anspielung in silv. 2, 1, 204 steriles ramos, ebd. 92). 33 Das in Vers 9 überlieferte atque diu fratris putet esse Lyaei erscheint mir sonderbar, nämlich wegen der Diskrepanz zwischen sine ›laß es zu‹ (8) und diu ›lange‹: Also nicht, wie man erwarten sollte, ›sorge dafür, daß er lange sich täuscht (indem du ihn nicht aufklärst)‹, sondern ›laß zu, daß er sich lange täuscht‹ – Zuzulassen, daß jemand sich täuscht, ist möglich, aber wie läßt man zu, daß jemand sich lange täuscht? Und weshalb überhaupt ›lange‹? Den Orakelgott Apoll auch nur einen Augenblick lang zu täuschen, ist Triumph genug, eine (kunst)mythische Szene aber, in der Apoll stundenlang über die Provenienz einer Adespotos-Haarlocke nachsinnt, überschreitet für mein Gefühl die Grenze zur Kinderei. Die schon vorgebrachte Konjektur atque decus ist denkbar (Liberman [2010], 295), einfacher scheint es mir, sui anstelle von diu zu setzen, womit dem Wort immerhin die Eigenschaft bleibt, den hypothetischen Täuschungsvorgang noch zuzuspitzen, wenn nämlich betont wird, daß Apoll eine Verwechslung mit dem Haar seines eigenen Bruders unterläuft. 34 Das Spiel mit dem himmlischen und irdischen Jupiter sowie dem jeweiligen geliebten Knaben nützt auch Martial in seinen Earinusepigrammen: Mart. 9, 36. Zu dem mythischen Paar Jupiter-Ganymed und dessen geläufiger Anwendung auf päderastische Verhältnisse im römischen Kulturkreis, die wenige Jahre später in bezug auf Hadrian und Antinous erneut eine Rolle am Kaiserhof spielen sollte, vgl. Williams (1999), 56–61. 35 Zur Gattungstopik vgl. Hardie (1983), 121 f.

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punkt: Denn das rituelle Schneiden der für einen puer delicatus geradezu obliga­ torischen langen Haare, ein ebenfalls von Martial im selben Kontext bedientes Motiv, deutet darauf hin, daß die Rolle des Earinus im Wandel begriffen ist.36 An diesem Punkt greift der Text weit in die Vergangenheit zurück, im narrativen und letztlich epischen Gestus (Vers 21: Dicitur …) der den wesentlich a-narrativen Situationsschilderungen der Silvae immer wieder untergeordneten Erzählungen, in diesem Fall des Aitions: Einstens entdeckte Venus den jungen Earinus im Heiligtum von Pergamon, hielt ihn zunächst für einen ihrer ­Eroten, dann aber befand sie, daß ein solch schöner Knabe, der selbst Endymion, A ­ ttis, Narcissus und Hylas übertreffe,37 nur den Weltbeherrscher zum Herrn haben dürfe, was auf die aktuale Welt umgelegt wohl bedeutet, daß Earinus in das ­paedagogium des kaiserlichen Hofes, gerade unter Domitian eine mit einem gewissen Nachdruck betriebene Einrichtung, aufgenommen wurde,38 mit dem Zusatz, daß die erotische Komponente der ›Dienstbeschreibung‹ des Earinus von Anbeginn an klar ist: Palatino famulus deberis amori (silv. 3, 4, 38).39 Sie führte ihn selbst nach Italien und in den (noch im Bau befindlichen) Kaiser­ palast auf dem Palatin,40 schmückte und kleidete ihn in feinste Gewänder und 36 Mart. 9, 36, 1–6; vgl. Henriksén (1997), 286 mit der dort Anm. 12 zitierten Literatur; zur Haartracht von pueri delicati vgl. ferner Pollini (2003), 151–159; Vergleichsbeispiele aus der Anthologia Palatina zitiert Henriksén (1998 f.), 1, 111, und (2012), 79; vgl. auch Mart. 11, 78, 4: dazu Obermayer (1998), 27 f. und 89. 37 Vgl. Laguna (1992), 321 f.; zu Hylas vgl. ferner La Penna (2000), 193–212; zu den Mythen in diesem Gedicht: Russel (2014), 108–117. – Die Rede der Venus (silv. 3, 4, 28–44) nimmt eine Zwischenstellung zwischen den rein intradiegetischen Reden (wie etwa denen der Diana und des Pan in silv. 2, 3, 24–26 und 43–52) und den an die Widmungsträger der Gedichte gerichteten ›Festreden‹ etwa des Curtius in silv. 1, 1 oder des Vulturnus und der Sibylle in silv.  4, 3 ein, insofern sie zwar im Rahmen der mythischen Erzählung bleibt, jedoch als Adressaten das in eine mythische ›Vorzeit‹ verrückte Double des Widmungsträgers hat: vgl. Coleman (1999). 38 Fabre (1994), 344. 39 So der überlieferte Text. Für die Konjektur Palatino famulus deberis honori, die zuletzt Shackleton Bailey (2003) un Liberman (2010), 297, in den Text setzten, besteht meines Er­achtens keine Veranlassung – ein schöner Knabe, den Venus persönlich zum Dienst beim Herrscher (oder bei wem auch immer) auswählt, fällt in den Bereich des Wortes amor, nicht in den von honor. Denn es unterliegt angesichts des Sklavenstandes und der physischen Schönheit des Knaben ja sowohl im Text als auch in der aktualen Welt des ersten Jahrhunderts ohnedies keinem Zweifel, daß er amori debetur – die Frage ist nur, wer in den Genuß dieser Liebe kommen darf, der Kaiser (Palatinus amor) oder irgendein unbedeutender Glücklicher (plebeia iura): Insofern ist auch die Junktur Palatinus amor unverdächtig, denn Palatino steigert bloß amori. 40 Stat. silv.  3, 4, 47–49: … veterisque penates / Euandri, quos mole nova pater inclitus ­orbis / excolit et summis aequat Germanicus astris. Freilich: Die Formulierung kann ebensogut zeitlos aufgefaßt werden und Domitians gesamte Bautätigkeit auf dem Palatin summieren. Doch bedenkt man den zeitlichen Abstand zwischen dem ›Jetzt‹ des Gedichtes und der Ankunft des Earinus in Rom, ergibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß der Palast, den ­Earinus als seine neue Heimat vorfand, gerade erst eine Baustelle gewesen sein kann.

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präsentierte ihn dem Kaiser,41 dessen Favorit der Junge denn auch wurde (silv. 3, 4, 21–59); das Vokabular legt sogar nahe, daß Domitians Beziehung zu Earinus im Vollsinn eine Doublette zu seiner Ehe mit Domitia ist (53sq.). Nach einer kurzen preisenden Apostrophe an Earinus springt die Narration in eine weniger weit zurückliegende Zeitschicht (60–77): Um seine Jugend zu bewahren, unterzog man ihn der Kastration, zu welchem Zweck Aeskulap persönlich aus Pergamon kam und den Eingriff schmerzfrei vornahm. Noch nicht nämlich hatte damals, so der Text (73–77), das humane Verbot dieser Praxis durch Domitian Müttern die Furcht um das künftige Schicksal ihrer Söhne genommen. Mit nunc (78) ist als dritte Zeitstufe schließlich wieder die Gegenwart erreicht, das Kastrationsverbot dient als Scharnier: Heutzutage würde auch Earinus keine solche Gefahr drohen, so aber kann eben die Haarlocke nicht auch noch ein erster Bart begleiten. Immerhin hat Venus selbst42 diese Locke, welche als positiv konnotiertes Haarbüschel jene des Nisus und des Patroklos übertrifft (84sq.),43 bei ihrer rituellen und übrigens anscheinend mithilfe einer improvisierten Schere durchgeführten,44 obzwar dem Anlaß entsprechend ein 41 Zur epischen Tradition dieser Herausputzungsszene vgl. van Dam (2006), 196–198; zum Motiv des sic ornat crines (Vers 55) vgl. Pollini (2003), 154. Laguna (1992), 324, weist auf die Parallelen zwischen der geschilderten Präsentation des Earinus und dem Brauchtum bei der Präsentation einer römischen Braut durch die pronuba hin. – Courtney (1968), 55, ändert die zweite Hälfte von Vers 55 Tyrios sic fundit amictus zu Tyrios infundit amictus: Notwendigkeit besteht dafür, soweit ich sehen kann, keine. 42 Textkritisch scheinen mir die Epitheta der Venus in den Versen 82 und 88 etwas bedenklich, nämlich wegen der ungewöhnlich rasch aufeinanderfolgenden Wiederholung von Paphie (82) und Paphia cum matre (88), von denen die zweite Wendung nach der durch ihre griechische Form besonders herausstechenden Paphie sechs Verse früher für mein ­Gefühl a­ bfällt, mag auch Allitteration zum Satzschluß pectore ponunt pallia (89sq.) dadurch eintreten. Ich vermute, daß Paphia in 88 eine in den Text gedrungene Glosse für Cypria ist, also eine Worterklärung, die gut und gerne im Hinblick auf Paphie in Vers 82 dazugeschrieben worden sein kann, um auf Statius’ variatio bei gleichbleibendem Inhalt hinzuweisen. Immerhin erhielte man so ein sogar kleinräumigeres Klangspiel um den k-Laut: accurrunt ­teneri Cypria cum matre volucres / expediuntque comas et Serica pectore ponunt … (88sq.). Angesichts der inhaltlichen Belanglosigkeit aber verzichte ich darauf, die Konjektur in den Text zu setzen. 43 Garthwaite (1984), 121, sieht eine Ambiguität darin, ob Earinus’ Locke die beiden mythischen nun im Guten oder im Bösen übertreffe. Ich sehe dieselbe nicht. 44 Die schon bei Otto (1887), 538, ratlos diskutierte Wendung iunctis sagittis (90), ein offenkundiger Abl. instrumenti, kann nur das provisorische Zusammenfügen zweier Pfeile bzw. ihrer Spitzen mit scharfen seitlichen Kanten zu einer Art von Schere bezeichnen: vgl. Barthius (1674), Animadv. 333; Laguna (1992), 334. Der hier ins Mythische verlegte und damit der Überprüfung auf ›Funktionstüchtigkeit‹ enthobene Vorgang (Vollmer [1898], 427, nennt ihn einen »scherzhaften, niedlichen Zug«) hat in der römischen Antike insofern eine aktuale Parallele, als paarweise zusammengehörige Messer, die man freihändig als eine Art von Scherenersatz verwenden konnte, bildlich auf Grabsteinen und vielleicht auf einer der sog. Tanagrafiguren (Darstellung einer Friseurszene), sowie als archäologische Fundobjekte nachgewiesen sind: vgl. Haedeke (1998), 11–13 mit Abb. 1–3.

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wenig ›gegenderten‹ Schneidung aufgefangen und gesalbt (91sq.),45 und aus der Schar der pueri (ob das nun Diener im Flavierpalast oder Eroten sind, bleibt unklar und ist wohl auch kaum zu unterscheiden) kommt einer noch auf die Idee, ­Earinus einen Blick in einen goldenen Spiegel werfen zu lassen und, ­imagine rapta (98), ihn sogleich zu verschließen, um so dessen Bild begleitend zur Locke nach Pergamon schicken zu können (78–98).46 Zuletzt knüpft Earinus selbst eine Bitte an sein Weihgeschenk für Aeskulap: Domitian mögen ewige oder mindestens lange Jugend und langes Leben beschieden sein.47 Der Altar im A ­ sklepieion von Pergamon erzittert daraufhin zum Zeichen der Zustimmung (99–106).

a) Zur Motivik und Räumlichkeit von silv. 3, 4 Keines der Motive, die man in diesem Gedicht seiner Thematik nach erwarten durfte, fehlt: Earinus’ Schönheit und Jugendlichkeit, seine durch Venus protegierte erotische Beziehung zu Domitian, dessen Jupiterrolle und aus beidem abgeleitet der überbietende Vergleich mit Jupiter und Ganymed im Olymp,48 einige Informationen zur Biographie des Jünglings durchaus unter Einschluß seines Eunuchentums, ein Hinweis auf Domitians segensreiche Gesetzgebung, schließlich die gleichsam technisch-gattungsspezifischen Topoi eines Propemp-

45 Auch hier will Garthwaite (1978), 124–126 = (1984), 122 f., einen Seitenhieb erkennen, indem die helfenden pueri an Venus’ Tauben erinnern und gemeinsam mit dem seidenen ­Friseurumhang Earinus recht weich und eher mädchen- als jungenhaft erscheinen lassen sollen. Das trifft klärlich zu – doch worin liegt der Seitenhieb, wenn ein Eunuch als Eunuch dargestellt wird? Weder Earinus noch Statius’ präsumptive Leserschaft waren über Earinus’ Befindlichkeit im Unklaren, und so mancher der Leser aus besseren Kreisen wird selbst den einen oder anderen Eunuchen in seinem Personalstand besessen haben. Wozu also sollte der Dichter versteckenspielen? 46 Vessey (1973), 35, Anm. 2, denkt an die Möglichkeit, daß es sich um ein diptychonartig aufklappbares Portrait handelte, nicht um einen Spiegel: Der Text stützt eine solche Auffassung m. E. nicht. 47 Vgl. Hardie (1983), 124. – Garthwaite (1984), 123, will hierin einen boshaften Hinweis darauf erkennen, wie man sich den Erhalt von Domitians ewiger Jugend technisch vorzustellen habe, schließlich sei Aeskulap in der Kunst der Kastration ja nachweislich geübt. Sonderbar: Wäre es nicht weitaus kaiserkritischer, wenn Domitians Schützling nicht zum Gott um langes Leben und lang bewahrte Jugend für seinen Gönner betete? 48 Wenn man will, kann man die Erwähnung des Hylas wiederum über dessen Lieb­haber Hercules auf den Kaiser rückbeziehen, der ja nicht nur in seiner Selbstdarstellung in der aktualen Welt, sondern auch im Rahmen der Silvae (vgl. zu silv. 4, 2) nicht bloß als Jupiter, sondern auch als Hercules erscheint. Allerdings wird man die Parallele nicht zu sehr belasten wollen, denn während Jupiter fast ausschließlich mit Ganymed in Verbindung gebracht wird, finden sich in diversen mythischen Traditionen nicht weniger als vierzehn von Hercules geliebte Knaben, passend zu seinem Ruf als nicht bloß Arbeiten, sondern auch Vergnügungen in großen Dosen sammelndem Kraftprotz: vgl. Licht (1925), 30, mit Anm. 2.

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tikon bzw. Anathematikon; all dies in geläufiger Weise mit Anteilnahme und Mithilfe diverser Gottheiten verwoben, die diesmal, da Domitian selbst nur indirekt ins Spiel kommt, mit Venus, Aeskulap und Apoll sogar recht hochrangig sein dürfen. So gesehen ist das Gedicht ebenso konventionell und entspricht für den Kenner der beteiligten Personen und der Situation ebenso den Erwartungen wie Martials routiniert abgespulte Earinusepigramme.49 Auch daß aus diesen Motiven eines als Leitmotiv herausgehoben, die anderen ihm untergeordnet werden, ist keine ausgefallene Technik und spricht bloß für Statius’ Fähigkeit zur Organisation seines Materials. Was aber überrascht, ist, welches Motiv er dafür auswählte. Man würde beispielsweise Earinus’ Schönheit, das Schneiden der Locke als Zeichen seines offiziellen Erwachsenwerdens50 oder auch seine Beziehung zu Domitian erwarten, alles Themen, die im nächsten Umkreis des für sich genommen zwar ausgefallenen,51 doch möglicherweise etwas unergiebigen Motivs ›Eunuch weiht Haarlocke‹ reiches poetisches Betätigungsfeld böten;52 von der Möglichkeit, Earinus bloß zur transparenten ›Folie‹ und ­Domitian zum eigentlichen Hauptgegenstand des Gedichtes zu machen, ganz zu schweigen. Wie andernorts auch lehrt ein Blick auf das erste Wort des Gedichtes, was wesentlich ist:53 Ite … – tatsächlich ist der gesamte Text in rhythmischer Abfolge von Bewegungen durchzogen, die sich in einem nahezu nur aus zwei Polen bestehenden Raum abspielen: Erstens entdeckt Venus, von Italien zum 49 Wie der Redner auf einen in der Tradition der Rhetorik angehäuften Fundus von Motiven, Argumentationselementen etc. zurückgreifen kann, um zum gegebenen Thema bzw. Anlaß eine Rede zu entwickeln und den Angelpunkt für seine Argumentation festzusetzen (die sog. inventio), so muß man sich auch das Vorgehen des Anlaßpoeten vorstellen. S­ tatius selbst gibt in silv. 2, 1, 38–40 eine Zusammenfassung solch einer in der Art eines ›brainstorming‹ erstellten Themenliste zu einem konkreten Anlaß (Tod eines Jugendlichen): Hinc anni stantes in limine vitae, / hinc me forma rapit, rapit inde modestia praecox /  et ­pudor et tenero probitas maturior aevo. Doch analog zur Rhetorik besteht die eigentliche Kunst nicht darin, alle Punkte solch einer Liste gleichmäßig abzuarbeiten, sondern den einen auszuwählen, der sich als Hebelpunkt eignet und auf den hin orientiert sich die übrigen gruppieren lassen. Dafür nun einen prima vista extra unergiebig erscheinenden Punkt zu wählen und dann doch etwas draus zu machen, ist reinste l’art pour l’art, doch eben das zeichnet die Silvae in ihrer Spannung zwischen nicht zur vollen epischen Narration ausgeformter Materie und raffinierter Kunstfertigkeit ja aus (vgl. o. die Einleitung bei Anm. 74). 50 Zum im Vergleich mit Erwachsenen größeren Spielraum von pueri hinsichtlich ihrer sexuellen Rolle vgl. Williams (1999), 183–188. 51 Anders Verstraete (1983), 199: »… the relative triviality of the occasion …« 52 Vessey (1973), 31: »… a theme as basically jejune as that of Flavius Earinus’ tresses …«; vgl. Garthwaite (1978), 65. 53 Vgl. das Cernere … von silv. 1, 3, 1 (vgl. u. III , bei Anm. 197) und das Est villa … am Beginn von silv. 2, 2 (vgl. u. 545); ähnlich silv. 4, 1, 1: Exoritur … am Jahresbeginn; 4, 2, 1: Regia … am Beginn eines Gedichtes, das wesentlich Domitians Palast betrifft; vgl. auch 2, 4, 1: Psittace …

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troja­nischen Ida unterwegs, Earinus in Pergamon, führt ihn in einer Gegenbewegung von dort nach Rom, verpackt ihn gewissermaßen als Geschenk und überantwortet ihn Domitian. Zweitens begibt sich Aeskulap von Pergamon nach Rom, um Earinus’ Entmannung vorzunehmen; Venus ist dabei anwesend. Drittens übersendet Earinus mit Venus’ teils schon stattgefundener (silv. 3, 4, 91sq.), teils in der Art des bekannten ›Du hast ja schon einmal geholfen, also hilf auch nun!‹ zu erhoffender (silv. 3, 4, 3–5) Hilfe seine Haarlocke und sein Abbild, sogar ein in besonderer Weise wahrhaftiges Abbild – das Christentum wird für derartige Acheiropoietos-Gemälde den Begriff der vera ikon prägen –, aus Rom zu ­Aeskulap nach Pergamon, wobei einzelne Züge dieser mythisch überhöhten Fahrt, konkret das Motiv der Venus in der Muschel, an den Geburtsmythos des Venus, notabene aus den abgeschnittenen Geschlechts­teilen des Uranos, er­innern: Eine für Statius’ Mut gegenüber ungewöhnlichen Sujets kennzeichnende Parallele, auf die John Garthwaite hingewiesen hat, freilich um sie sogleich als subversive Ironie zu deuten, weil der mythischen Geburt der Fruchtbarkeitsgöttin der definitiv unfruchtbare Earinus gegenüberstehe.54 Diese Deutung ist zwar möglich, aber nicht zwingend: Ebensogut (und panegyrisch passender) mag man zur Erklärung die Bedeutung des Wortes ­venus ›erotische Schönheit‹ heranziehen, die in beiden Fällen aus einer Entmannung geboren wurde – entsprechend ist es ja auch Earinus’ venus bzw. Venus, die ihn dem Kaiser empfiehlt (silv. 3, 4, 50–59). Doch zurück zum Bewegungsmuster im Text: Nur die Fahrt der Venus vom Eryx auf Sizilien zum Ida, die sie in Pergamon unterbricht, um dabei den kleinen Jungen zu entdecken, bringt andere Orte ins Spiel, doch liegt sie auch chronologisch gewissermaßen außerhalb der Earinushandlung, gehört zur Vorgeschichte und deutet außerdem den Ersatz des mit Ganymed ebenso wie mit der Διὸς ἀπάτη der Ilias in Verbindung zu bringenden Ida durch Pergamon an, ein klarer Hinweis auf die Stellung des Earinus in Domitians Gunst.55 Davon abgesehen finden sich drei Bewegungen zwischen Rom und Pergamon, von denen die mittlere eine Sonderstellung einnimmt, die erste und dritte einander aber spiegelbildlich entsprechen: Earinus gelangte von Pergamon nach Rom, seine Locke und sein Bild nun von Rom nach Pergamon; beides geschah unter direkter Beteiligung der Venus, in beiden Fällen wird das fragliche Objekt in Gold gefaßt bzw. geschmückt dem Adressaten überbracht, in beiden Fällen nimmt dieser die Gabe an und hält sie besonders wert. Das dreimalige ite des Gedichtbeginns spiegelt damit ebenso Earinus᾽ einstige Fahrt von Pergamon nach Rom wie das accipe der Verse 5sq. den seinerzeitigen Empfang des schö 54 Garthwaite (1984), 112; dazu vorsichtiger Pederzani (1995), 227. 55 Laguna (1992), 318, weist darauf hin, daß das Bewegunsmuster der Venus am Beginn des Aitions dem Prinzip eines kletischen Hymnus entspricht: Die Gottheit wird von einem ihrer bevorzugten Kultzentren herbeigerufen und damit gleichsam aktiviert.

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nen ­Knaben durch Domitian. Die visitenartige Dienstreise des Aeskulap nach Rom dazwischen wiederholt (d. h. wiederum: spiegelt) in gewisser Weise dessen ­translatio nach Rom fast vierhundert Jahre zuvor, verdeckt zugleich den Umstand, daß man Aeskulap seither auf der Tiberinsel eigentlich ohnehin präsent hatte: Die Bedeutung des Earinus erforderte offenbar ein andeutungsweises ›­re-enactment‹ dieser göttlichen Bewegung, und das forcierte Engagement der Flavier gerade für das Aeskulapheiligtum von Pergamon56 mag ein weiterer der aktualen Welt entstammender Grund dafür sein, weshalb Pergamon im Gedicht eine so einzigartige Rolle spielt, daß die Welt fast nur noch aus einer ­aeskulapischen Achse Rom-Pergamon zu bestehen scheint.57 Nun ist es nicht so, daß Earinus, seit er nach Rom gekommen war, nichts als den Flavischen Kaiserpalast gesehen haben muß: Es ist kaum anzunehmen, daß Domitian einen jungen Lieblingssklaven nicht wenigstens auf diverse Landsitze wie das Albanum, möglicherweise sogar auf weitere Reisen und auf seine Feldzüge mitnahm, wie jedenfalls den unterwegs verstorbenen procurator praegustatorum Tib. ­Claudius Zosimus (möglicherweise der Dienstvorgesetzte des Earinus, falls dieser technisch gesehen zum Servierpersonal des Palatin zählte), dessen Grab sich in Mainz erhalten hat.58 Auf diesen unspektakulären Umstand hinzuweisen macht eine Interpretation Carole Newlands notwendig, die Earinus im Tempel von Pergamon, dann im Kaiserpalast, schließlich im Spiegel(bild)  eingeschlossen und damit permanent von außen her dominiert sieht.59 Das wird durch den Text zwar in der Tat nicht widerlegt, aber auch nirgends bestätigt: Denn nicht nur für Earinus ist der Textraum auf zwei Pole und die dazwischenliegende, freilich den dazwischenliegenden Raum nicht ausbreitende sondern übergehende

56 Dazu vgl. Habicht (1969), 6–8, der speziell unter der Herrschaft Domitians Pergamons großen Aufschwung beginnen läßt und dafür (ebd., 148, Nr.  151) auf ein Inschriftenfragment hinweist, das Domitian vermutlich als eponymen Stategen Pergamons nennt, damit ein beachtliches Maß kaiserlichen Interesses bekundet; Henderson (1998), 135 f., Anm. 195 (mit weiterführender Literatur); Gering (2012), 157 f. zur Tendenz gerade Domitians, sich allüberall mit möglichst seiner vollständigen Titulatur eponym zu verewigen. – Henriksén (1997), 291, denkt sogar an die Möglichkeit, daß es gerade Earinus war, der die überdurchschnittliche Förderung des Asklepieions von Pergamon unter dem letzten Flavier und damit dessen Aufstieg zum ersten Kurort des Reiches bewirkt habe: eine unbeweisbare, aber charmante Idee. 57 Weniger überzeugt mich die bei Newlands (2002), 110, vorgebrachte Ansicht, Earinus Kastration würde deshalb nicht mit der Tiberinsel in Verbindung gebracht, weil die Kastration sich nicht in die römische Religiosität füge. Es scheint mir aber unwahrscheinlich, daß Statius und seine Leserschaft dermaßen streng zwischen einem Asklepios von Pergamon und einem von Rom unterschieden. Außerdem war der Kult der Magna Mater, auch wenn die Galli wohl stets als etwas Exotisches galten, damals bereits ca. dreihundert Jahre in Rom etabliert, und zwar (sic!) auf dem Palatin. 58 Fabre (1994), 346; Vössing (2004), 524. 59 Newlands (2002), 115.

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Strecke beschränkt, sondern für alle Personen im Gedicht, das gar keinen anderen Ereignisraum kennt.60 Demzufolge fällt es schwer, Earinus stärker ›eingesperrt‹ zu sehen als etwa Domitian, Venus oder Asklepios, die textimmanent alle auf Rom und Pergamon beschränkt sind, in der aktualen Welt hingegen mehr oder minder frei beweglich. Entlang der einen Achse jedenfalls entwickeln sich alle Handlungen im Gedicht: Ein solches Hin und Her im Raum ist freilich ein denkbar einfaches räumliches Organisationsmittel des Textes und mit dem hochkomplexen Raum etwa des Equus maximus nicht zu vergleichen, doch es erlaubt einige weiterführende Überlegungen.61

b) Der Kaiser, der Gott und der Eunuch Wenn Earinus in Form seiner Locke und seines Bildes nun, so gut es geht, sich selbst nach Pergamon sendet, also seine frühere Fahrt in die Gegenrichtung wiederholt, und wenn Venus beidemale dabei assistiert, dann bleiben noch die beiden Zielpunkte der Bewegung als einander anzunähernde oder gar gleichzusetzende Pendants: Domitian und Aeskulap, die beiden Empfänger der jeweiligen Gaben. Nun gibt es im Text in der Tat Hinweise, die diese Parallele stützen könnten: Vor allem heilt hier auch Domitian, besser gesagt er verhindert Verwundungen, durch sein Kastrationsverbot nämlich, genauer möglicherweise durch sein Verbot der Kastration ohne Einwilligung des Betroffenen – die man im Falle des Earinus sich übrigens eventuell als gegeben vorstellen kann, selbst wenn nur der Wunsch, sich den mächtigsten Mann der Welt als Liebhaber auf Dauer zu sichern, der Vater des Gedankens gewesen sein sollte. Der Wortlaut des betreffenden Gesetzes ist nicht überliefert, weder ­Martials noch Statius’ Erwähnungen erhellen seinen genauen Inhalt,62 wohl aber lassen sich aus späteren, 60 Auf die Bedeutung des Reisemotivs für das Gedicht weist jüngst auch Russel (2014), 95, hin. 61 Von zwei räumlichen Polen sowie einer »Spiegelkomposition« spricht schon P ­ ederzani (1992a), 87 f. bzw. (1995), 229, und verweist ganz richtig auf deren Bündelung im Motiv des Spiegels (silv.  3, 4, 93–98). Freilich scheint mir Pederzanis Gruppierung dreier sich spiegelbildlich zueinander verhaltener und den Text damit in der Weise abc|cba symmetrisch gliedernder Textabschnitte 1–20 und 86–101; 21–46 und 78–85; 47–59 und 60–77 nicht glücklich. Anfang und Schluß des Gedichtes behandeln das Abschicken von Locke und Spiegel: Da liegt nicht so sehr eine Spiegelung zweier Passagen vor, sondern der Schluß greift ringkompositorisch (vgl. Newmyer [1979], 91) auf den Anfang zurück; 21–46 (Venus in Per­ gamon) hat zu der kleinen Scharnierpassage 78–85 (›Wärest du später geboren, könntest du auch die ersten Barthaare senden‹) gar keinen speziellen Bezug, und 47–59 (Venus bringt Earinus nach Rom) spiegelt auch nicht 60–77 (Aeskulap kommt nach Rom). Eine vielleicht der Spiegelmotivik gerechter werdende Gliederung des Textes werde ich u. 338–353 vor­ schlagen. 62 Vgl. z. B. Garthwaite (1978), 117 f.

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wohl als Ergänzungen bzw. Präzisierungen gedachten Gesetzen gewisse Rückschlüsse ziehen. Ein Reskript Hadrians in Dig. 48, 8, 4 erklärt Kastration allgemein zum schweren Verbrechen und schließt zugleich die Möglichkeit zur Einwilligung in die Kastration aus,63 eine constitutio desselben Herrschers erklärt, daß hi quoque, qui thlibias faciunt, … in eadem causa sunt qua hi, qui ­castrant (Dig. 48, 8, 5). Das legt den Verdacht nahe, daß vorangegangene gesetzliche Regelungen einerseits die ϑλῖψις nicht oder nicht in gleicher Weise unter Strafe stellten wie andere Formen der Kastration, andererseits die Einwil­ligung des zu Kastrierenden, auch wenn er Sklave war, vor Hadrian den Vorgang entweder ganz legalisierte oder mindestens strafmildernd wirkte.64 Von diesen vorangegangenen Regelungen ist nur ein dürftiges senatus ­consultum aus der Regierung Nervas (97) bekannt: Is, qui servum ­castrandum tradiderit, pro parte ­dimidia bonorum multatur (Dig. 48, 8, 6). Demgegenüber stellt ­Hadrians Reskript Dig. 48, 8, 4, das völligen Vermögenseinzug analog zur Lex Cornelia (wohl: de ­sicariis et veneficis) vorsieht, offenkundig eine Strafverschärfung dar, mehr aber ist dem Vergleich nicht zu entnehmen. Ob Nervas Gesetz seinerseits das des ­Domitian verschärfte, abschwächte oder bloß erneuerte, ist nicht fest­zustellen. Es bleibt aber die Vermutung, daß Earinus’ Kastration vermutlich durch ϑλῖψις einerseits,65 seine (hypothetisch als gegeben annehmbare) Einwilligung andererseits durchaus dazu ausreichen konnten, den freilich sowieso ante legem erfolgten Vorgang selbst als Gedankenspiel gar nicht unter D ­ omitians Verbot fallen zu lassen. Übrigens wird nirgends schlechthin behauptet, daß Earinus’ Kastration, wäre sie nach dem Erlaß von Domitians diesbezüglichem Gesetz erfolgt, eine Übertretung desselben dargestellt hätte, wie bereits postuliert wurde:66 Stat. silv. 3, 4, 73–81 wird lediglich festgestellt, daß dieses Gesetz damals noch nicht existierte, und daß Earinus’ Schicksal, wäre er einige Jahre später geboren, ein anderes gewesen wäre: Das kann aber ebensogut darauf verweisen, daß einerseits die Kastration als solche mit dem Erlaß jenes Gesetzes problema­ tisiert worden und ihre Frequenz damit allgemein zurückgegangen war, und daß andererseits, da dieser Rückgang letztlich Ausfluß der kaiserlichen Ablehung jener Praxis war, Domitian selbst inzwischen aus freien Stücken darauf verzichten würde, seinen Liebling entmannen zu lassen, auch wenn es in einer vom Gesetz noch erlaubten Weise geschähe, daß er also über sein eigenes 63 Dig. 48, 8, 4: Constitutum quidem est, ne spadones fierent, eos autem, qui hoc crimine arguerentur, Corneliae legis poenae teneri eorumque bona merito fisco meo vindicari debere … nemo enim liberum servumve invitum sinentemve castrare debet, neve quis se sponte castran­ dum praebere debet; at si quis adversus edictum meum fecerit, medico quidem, qui exciderit, capitale erit, item ipsi qui se sponte excidendum praebuit. 64 Vgl. Guyot (1980), 45 f. 65 Vgl. o. II , Anm. 7. 66 Garthwaite (1978), 64. 111–120 beruht auf dieser Annahme.

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Gesetz noch hinausgehen würde. Diese kaiserliche Ablehnung der Kastration entspränge seiner schon in silv. 1, 6 beobachteten Funktion als Korrektor pervertierter oder mindestens peiorisierter Zustände hin zu einer neuen, besseren Natur, und in diesem Sinne ist er zum einen Aeskulap; zum anderen wird ­Aeskulap in Vers 6 als iuvenis Phoebeie angesprochen: Doch der Heilgott wird in aller Regel als bärtiger Mann nicht unähnlich einem Jupiter dargestellt – eine interessante ikonographische Nähe, wenn man es mit einem notorisch jupiterhaften, freilich bartlosen Kaiser zu tun hat.67 Kann die zur Aeskulapikono­ graphie nur bedingt passende Bezeichnung iuvenis der am Gedichtschluß erflehten, gewährten, jedenfalls besonders betonten ewigen Jugendlichkeit ­Domitians geschuldet sein, die, sollten Kaiser und Heilgott sich ineinander spiegeln können, auch für Asklepios gelten muß? Der Gedanke, daß der Kaiser n ­ atura melior (silv. 4, 3, 135) die Weltordnung verbessern kann oder zumindest möchte, Pervertierungen aber verhindert, ist kein einmaliger Gedanke (vgl. o. 194) und kann im Kontext des Kastrationsverbotes naheliegen: Domitian also als neuer, sogar besserer Aeskulap.68 Daß Kastration als etwas der Heilkunst (jedenfalls unter bestimmten Umständen) Zuwiderlaufendes empfunden wurde, lehrt etwa die o. Anm. 7 schon zitierte Passage Paul. Aeg. epit. med. 6, 68, die mit einem Hinweis darauf beginnt, daß der Arzt aus äußerem Zwang manchmal auch derartige seinem Berufsethos eigentlich zuwiderlaufende Eingriffe durchführen und daher über sie bescheid wissen müsse; man denkt etwa an Hor. carm. 1, 37, 9sq., wo die ägyptischen Hofeunuchen als grex contaminatus turpium morbo virorum erscheinen.69 Insofern überrascht es nicht, wenn Domitian diese Praxis verbietet, wohl aber, wenn man Aeskulap selbst sie ausüben sieht. Selbstverständlich kann 67 LIMC 2, 1, s. v. Asklepios, zählt 869–871 nur verhältnismäßig wenige Darstellungen des Asklepios als Heros, d. h. als bartloser Jüngling auf (Nr. 9–40 mit den entsprechenden Abb.), hingegen mehrere hundert Darstellungen, welche die typisch zeusartigen Züge zeigen; vgl. auch Krug (1985), 125–128. 68 Ähnliche Überlegungen zu silv.  1, 4 bietet die konfuse, gleichwohl anregende Monographie von Henderson (1998), 88–96.  – Zum argumentatorischen Gewicht des natura-­ Begriffs im mehr oder minder zeitgenössischen Diskurs um Sexualität vgl. Foucault (1989), 255 f. und 273–279 sowie, auch auf Eunuchen bezugnehmend, Williams (1999), 234–244; ­i llustrativ insbesondere aber sein Verweis auf Sen. contr. 10, 4, 17 (ebd., 360, Anm. 31), wo die Kastration von pueri zum Zwecke der Verlängerung ihrer aus sexuellen Gründen erwünschten Jugendlichkeit ausdrücklich negativ beurteilt und in eine Reihe mit der Versklavung ausgesetzter Kinder bzw. deren Verwendung als Gladiatoren gestellt wird – notabene handelt es sich dabei jeweils um freigeborene Knaben, denen solcherart die ihnen zustehenden Rechte verwehrt bleiben, was der Sprecher der Passage in scharfen Kontrast zur Verstümmelung von Sklaven, einem vergleichsweisen Kavaliersdelikt, setzt. Die Frage, ob jemand frei oder unfrei geboren ist, ist für die Beurteilung dessen, wie man ihn secundum und wie contra ­naturam behandeln kann, also ebenso gewichtig wie die Frage, ob jemand als Mann oder als Frau ­geboren ist. 69 Vgl. Williams (1999), 180 f.

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die Opposition auf eine simple Überbietung des alten, nicht ganz perfekten ­Aeskulap durch den neuen, besseren, in Domitian verkörperten hinauslaufen. Es stellt sich aber die Frage, ob textimmanent Aeskulap nicht wenigstens teilweise eine Entlastung erfährt durch die doch etwas gesucht und für modernes Empfinden wohl beschönigend wirkende Formulierung puerum mollire (silv. 3, 4, 68) für ›kastrieren‹, die zwar auf Luc. 10, 133sq. necnon infelix ferro ­mollita iuventus atque execta virum zurückgehen mag,70 von dieser Junktur aber just das drastische execta virum streicht und die recht harmlos mit dem mollitiesTopos der Opposition männlich / weiblich im zeitgenössischen Diskurs operierende mollita iuventus übernimmt.71 Bedenkt man die beiden von Craig Williams ausführlich dokumentierten Basisregeln für als korrekt geltendes männliches Sexualverhalten in römischem Kontext,72 nämlich (a) stets die Rolle des Penetrierenden einzunehmen und (b) keinen Geschlechtsverkehr mit Freien beiderlei Geschlechts (außer der eigenen Ehefrau) zu suchen, dann ist tatsächlich vorhandene mollities auf seiten des Penetrierten insofern ein Vorteil, als sie den Mann, in diesem Fall Domitian, weniger der Gefahr aussetzt, in den Ruf zu gelangen, eben doch nicht allein die penetrierende Rolle aus­zuüben, also ein ­cinaedus zu sein, was insbesondere bei zunehmendem Alter des puer durchaus zu bedenken war: für Domitian ist zwar nichts Derartiges überliefert, es könnte aber sein, daß man eine vage Spur derartiger post mortem gegen ihn erhobener Vorwürfe in dem o. Anm. 144 zitierten Epigramm Mart. 11, 21, 1 fassen kann, mindestens kann man sich entsprechend anzügliche Witze der Beobachter bei der Zerstörung des Equus maximus gut vorstellen. Zu Lebzeiten aber scheint Domitian diesbezüglich auf das decorum geachtet zu haben, und erst recht bot ein Eunuch diesen Vorteil, denn eine für Domitian peinliche Verkehrung der Rollen war hier ausgeschlossen. Für den Eunuchen übrigens resultiert, wenn man von einer gewissen Übertragbarkeit griechischer Sexual­vorstellungen in römische Kontexte rechnet, paradoxerweise ebenfalls eine gewisse Steigerung seiner ›korrekten‹ ›Maskulinität‹ aus dem Umstand, daß ihm die im Kontext der griechischen Knabenliebe angeblich klassische Anforderung an den Knaben, seinerseits keine Erregung zu empfinden bzw. erkennen zu lassen (physiologisch wohl eine eher theoretische Anforderung, jedenfalls bei konsensuellem Geschlechtsverkehr), wenig Schwierigkeiten bereiten wird:73 Hinzu kommt, daß ein Eunuch zwar wie jeder (erwachsene) Mann, der sich beim Geschlechtsverkehr penetrieren läßt, als cinaedus deklassiert werden kann – und tatsächlich 70 Vollmer (1898), 426 71 Vgl. auch Pederzani (1992a), 92. 72 Williams (1999), 18 f. 73 Zu diesem fragwürdigen Topos der Sexualforschung im Bereich der antiken Kul­turen vgl. Foucault (1989), 282–285; Detel (2006), 155 f.; Obermayer (1998), 145–189. – Daß römisches Verständnis sich insbesondere an der ›unmännlichen‹ Rolle des beim Geschlechtsakt Passiven (und sehr viel weniger an der Rolle des Aktiven) stieß, zeigt auch das freilich ein

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verschwimmen die Begriffe cinaedus und Gallus oft ineinander74 –, ihm daraus aber gerade wegen dieses Ineinanderverschwimmens streng genommen weniger Vorwurf erwachsen kann, ist doch die Rolle des cinaedus die einem Gallus angemessene: sein ›unmännliches‹ Handeln entspringt nicht einer (theoretisch) freien Willensentscheidung zum gegebenen Zeitpunkt, sondern einem u. U. weit zurückliegenden Eingriff in seine Natur, mit der in ihrer veränderten Form es denn aber in Einklang steht: Folgerichtig bezeichnet Mart. 2, 43, 13 und 10, 98, 2 auch Ganymed (der infolge seiner langen mythischen Tradition ja eigentlich längst dem Knabenalter entwachsen sein und damit kritikabel sein müßte: als eigentlich schon erwachsen erscheint er denn auch in den Earinusepigrammen Mart. 9, 36, 5sq.) als cinaedus: Man kann sich vorstellen, daß Earinus sich von diesem cinaedus durchaus zu seinem Vorteil abhebt, nicht bloß weil er nun das Haar kurz trägt und gleichsam ins Erwachsenenalter entlassen wird, sondern eben weil er Eunuch ist und damit einer anderen gender-Kategorie angehört als ein unversehrter puer.75 Mag dies auch spitzfindiger gedacht sein als die durchschnittliche Betrachtungsweise des Phänomens der Galli bzw. cinaedi im zeitgenössischen Diskurs es vielleicht war, so bringt Earinus’ Kastration jedenfalls beiden Beteiligten gewisse Vorteile: Earinus kann der cinaedus-Vorwurf nicht mehr in voller Härte treffen, da, wie Jula Wildberger zutreffend bemerkt, »the boy has to become a man before he can become a woman because only the man has sexual desires that can be turned in the wrong direction.«76 – Earinus’ konnte nun gar keine Sexualität entwickeln, seine bisherige Rolle blieb vielmehr eingefroren auf dem Stand eines puer, und insofern völlig kongruent mit der Natur seines Verhältnisses zum Kaiser. Domitian seinerseits läuft dank Earinus’ Kastration nicht Gefahr, als cinaedus zu erscheinen, wie bei zunehmendem Alter des Earinus leicht zu erwarten gewesen wäre. Ist aber unter dieser Beleuchtung das Verhältnis eines Eunuchen zu einem Mann ›natürlicher‹ (bzw. sicherer natürlich, weil unmöglich pervertierbar) als das eines männlichen Nicht-Freien zu einem Mann, dann bedeutet Kastration eine Korrektur zwar nicht im Sinne der Natur des betroffenen Einzelsubjekts, aber im Sinne seiner sozialen Positionierung, und Vierteljahrtausend jüngere Gesetz Constantinus’ I. aus dem Jahr 326 (Cod. Theod. 9, 7, 3): Cum vir nubit in feminam viris porrecturam, quid cupiat, ubi sexus perdidit locum (…), das genau diese Asymmetrie in der moralischen und in weiterer Folge strafrechtlichen Einschätzung offenbart: vgl. 128 f. 74 Vgl. Williams (1999), 177. 75 Wichtig der Hinweis Russels (2014), 101–104, daß die Formulierung frangere sexum in Vers 74 nicht bloß einen medizinisch-materiellen Vorgang, sondern ebenso auch das Zer­ brechen oder Niederreißen von Earinus᾽ sozialem Geschlecht (gender) bezeichnet. Umso passender, wenn Domitians Gesetzgebung der Natur zu ihrem Recht verhilft, wenn er verbietet, jemandes soziale Geschlechterrolle gewaltsam zu verändern. 76 Wildberger (2010), 252.

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auch eine solche Korrektur darf wohl einem Aeskulap zugemutet werden. In diesem Fall wäre, was ich oben über das Verhindern von Pervertierungen der Natur durch den Kaiser gesagt habe, entsprechend zu adaptieren.77

c) Der Spiegel als Zentralmotiv Ich habe oben für das Verhältnis der Fahrt des Earinus nach Rom und der Fahrt der Locke nach Pergamon absichtlich den Begriff der Spiegelung gebraucht, denn ich halte es nicht für Zufall, daß in einem Text, dessen strukturierendes Motiv spiegelbildlich zueinander (wenn auch zeitversetzt) ablaufende Bewegungen sind,78 dann auch tatsächlich ein Spiegel eine Rolle spielt (silv. 3, 4, 93–98), ­übrigens nicht ganz unvorbereitet: Von den vier mythischen Vergleichspunkten für Earinus’ Schönheit in den Versen 40–42 ist immerhin Narcissus ganz unmittelbar mit einer Spiegelung (und in gewisser Weise sogar mit der Verewigung eines Spiegelungsvorganges)79 in Verbindung zu bringen, in etwas l­ockererer 77 Hinzuweisen ist noch auf eine mögliche Motivparallele zu silv.  3, 4, 60–77, der Beschreibung des puerum mollire, in Stat. Ach. 1, 325–331 (dazu La Penna [2000], 158 f.; vgl. Pederzani [1995], 224): Die dort geschilderte Verwandlung des jungen Achill in ein Mädchen durch seine Mutter Thetis bringt im Prinzip eine Komplementärergänzung zu auf den ­physischen Akt der Kastration beschränkten ›Verwandlung‹ des Earinus, auch dort unter Verwendung des Wortes mollire (326). So überraschend es auf den ersten Blick klingen mag, haben Earinus und der junge Achill doch einiges gemeinsam: Beide werden zu ihrem eigenen Besten temporär in eine passive / weibliche Rolle versetzt, beide legen zu gegebener Zeit diese Rolle ab. Darüber hinaus übertrifft indes Earinus Achill in allen Punkten: Während Thetis’ Ausweichmanöver als contra naturam gerichtete Handlung zum Scheitern verurteilt ist, handelt Aeskulap in silv. 3, 4 routiniert und erfolgreich, indem er Earinus de sexu transire iubet (71); während Achills Erwachsen (bzw. Mann-)werden schon schicksalsbestimmt seinen frühen Tod besiegelt, wird Earinus durch den gnädigen Weltenherrscher in ein (so hoffen wir) keinem jähen Todeslos unterworfenen Erwachsenenalter entlassen; und während Achill nach seinem Erwachsenwerden immerhin noch Geliebter des Patroklos sein wird (Plat. symp. 179e–180a; auf Patroklos Tod spielt Statius im Earinusgedicht, v. 85, denn auch an), steht ­Earinus mindestens theoretisch, d. h. insofern das Gedicht keine anderslautenden Schlüsse nahelegt, vor der Entscheidung, das Leben eines sich korrekt verhaltenden, d. h. nicht gegen sexuelle Regeln verstoßenden Mannes zu führen. 78 Um der bei Pederzani (1992a), 87, gegebenen Einteilung des Gedichtes (o. Anm. 61) zu begegnen, schlage ich vor, hauptsächlich die Verse 1–20 und 78–106 (Fahrt des Geschenkes von Rom nach Pergamon unter Venus’ Schutz) als Spiegelbild von 45–59 (Fahrt des ­Earinus von Pergamon nach Rom unter Venus’ Schutz) aufzufassen. Ein zweites, minder wichtiges Spiegelpaar kann 21–44 (Fahrt der Venus von ihrem Kultplatz Eryx nach Pergamon) und ­60–77 (Fahrt des Asklepios von seinem Kultplatz Pergamon nach Rom) sein. 79 Nach Ov. met. 3, 504sq. perpetuiert Narcissus sein Spiegeln in der Unterwelt, konkret im Wasser der Styx. Im Unterschied zu Earinus᾽ Portrait freilich erfolgt keine Trennung von Spiegelbild und Gespiegeltem; vgl. u. II , bei Anm. 113. Mit dem Motiv wird im sechsten Jahrhundert Ps.-Aristainetos, epist. 2, 10, sein Spiel treiben, indem er das wässerig-labile Spiegelbild des Narcissus gegen die Solidität eines gemalten Portraits ausspielt.

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Form auch Hylas, der sich gleichfalls zu sehr über das Wasser der Quelle beugte, aus der er Wasser schöpfen wollte – nur daß die Quelle in diesem Fall ihrerseits ihn ansah und an sich zog.80 Die fragliche Stelle, konkret die Aufforderung des puer an Earinus, sich im Spiegelbild zu verewigen, ist textkritisch nicht unumstritten: ›Hoc quoque demus‹ ait ›patriis nec gratius ullum / munus erit templis ipsoque potentius auro / tu modo fige aciem et vultus hic usque ­relinque (95–97). Courtney wendet ein, daß potentius durch (ipso)que nur zu ­gratius hinzugefügt sein könne, dabei aber eine Bruchlinie sich ergebe: ›Keine Gabe wird willkommener sein, und diese Gabe stärker als das Gold‹. Dabei ist freilich ›diese Gabe‹ sylleptisch zu ergänzen, weshalb Courtney zu ipsumque p­ otentius aurum emendiert.81 Ich halte dies nicht für notwendig, aus drei Gründen: Erstens könnte man die Bruchlinie sogar vermeiden, wenn man den Text ohne Syllepse als ›Keine Gabe wird willkommener sein, und auch keine stärker als dieses Gold (scil.: weil nur dieses Gold von deinem Blick getroffen wurde)‹ auffaßte. Daß in diesem Fall eine disjunktive Verbindung eleganter wäre als die Copula -que, wird man kaum als Argument anführen wollen, doch kommt mir ein solches Verständnis des Textes etwas zu banal vor.82 Zweitens kann man meines Erachtens Courtneys Annahme einer Syllepse folgen, ohne aber deswegen in den Text eingreifen zu müssen: Seine eigene Konjektur beweist das, krankt sie doch an derselben Bruchlinie, indem ihr Gedankengang nach ›kein Geschenk wird willkommener sein‹, wiederum durch Syllepse, doch diesmal durch eine noch härtere, zu ›und dieses Gold wird mächtiger sein‹ schwenkt. Drittens halte ich die richtig konstatierte Bruchlinie deswegen für entschuldbar, weil sie das Produkt einer ἀπὸ κοινοῦ-Formulierung ist, die nach beiden Seiten hin Zugeständnisse macht. Ich fasse potentius nämlich auch und vielleicht sogar primär als Adverb zu fige (97) auf: ›Keine Gabe wird willkommener sein; und du richte, stärker als das Gold, deinen Blick darauf.‹ Daß der Blick bzw. sein Ur­heber auro potentius sein 80 Die beiden anderen mythischen Figuren repräsentieren relativ leicht erkennbar ewige Jugend (Endymion: freilich im Schlaf, was wiederum an das fixierte Bild auf dem Spiegel erinnert) sowie die Figur des jugendlichen Geliebten und in weiterer Folge Eunuchen einer Gottheit (Attis). Beiden eignet auch ein der Position des Earinus gegenüber ­Domitian angemessener Zug der erotischen Passivität, im Attismythos klar erkennbar, bei ­Endymion als charakteristisches Element insbesondere der bildlichen Darstellungen dieses Mythos im Rahmen der kaiserzeitlichen Sarkophagplastik bekannt: vgl. die Ausführungen bei ­Sichtermann (1992), 134–138, zu einem in Ostia gefundenen, jetzt im New Yorker Metropolitan M ­ useum (Inv. Nr. 47.100.4) befindlichen Sarkophag, der diesen Zug der Passivität gleich mehrfach ins Bild setzt. 81 Courtney (1968), 55 f. Mit auro ist, soviel scheint dem Textduktus nach sicher zu sein, in irgendeiner Weise der Spiegel gemeint, nicht die Dose, in der die Haarlocke übersandt wurde; denn auf diese könnte nicht mit ipso auro Bezug genommen werden, nachdem unmittelbar zuvor der Spiegel als aus Gold gefertigt definiert worden war (94). 82 Pace Laguna (1992), 335, der unter Berufung auf Håkanson diese Variante favorisiert. Doch inwiefern ist ein munus als potens beschreibbar? Welche potentia wohnt einer Weihegabe den Göttern gegenüber inne?

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müssen, um das Bild gleichsam einzubrennen, liegt auf der Hand, man würde höchstens eher potentior erwarten anstelle des Adverbs, wie auch die mögliche Vorbildstelle Ov. am. 3, 8, 29 Iuppiter, admonitus nihil esse p­ otentius auro mit adjektivisch gebrauchtem potentius nahelegt. Ich glaube aber, daß S­ tatius mindestens ebensosehr Hor. carm. 3, 16, 9–11 im Blick hat: aurum per medios ire ­satellites / et perrumpere amat saxa potentius / ictu ­fulmineo: Dort kann potentius gut und gern adverbiell aufgefaßt werden, Earinus aber übertrifft nun jenen ictus fulmineus des Goldes noch durch seinen Blick, seine acies (97) also. Damit fungiert ipsoque potentius auro ἀπὸ κοινοῦ nach beiden Richtungen: Earinus blickt potentius auf die Spiegelfläche, überwindet diese also und zwingt sie, sein Bild dauerhaft zu tragen, zugleich aber (und damit bleibt das ›zweitens‹ meiner obigen Ausführungen bewahrt) ist in der Tat hoc munus (sylleptisch nach nec ullum munus) potentius auro (potentius diesfalls adjektivisch), weil munus ja vom Beginn der Periode an das Abbild meint, nicht bloß den Spiegel als Gegenstand:83 Sonst geriete auch die Aufforderung des Knaben hoc quoque demus … zu einer recht antiklimaktischen Hinzufügung einer vernachlässigbaren Draufgabe zum doch wesentlich höherrangigen Geschenk der abgeschnittenen Locke. Der Textfluß verlangt aber ein gleichwertiges Objekt, besser noch eine Steigerung, die eben im Konterfei des Earinus besteht, für das der Spiegel bloß das passende Medium ist. Fazit: Dem überlieferten Text ist hier Glauben zu schenken. Dem Text zufolge trifft Earinus’ acies (97), also sein von ihm ausgehender Sehstrahl, die Spiegeloberfläche potentius auro, brennt sich also regelrecht ein bzw., um es pointierender zu formulieren, penetriert den Spiegel. ­Shackleton Bailey führt dies zwar auf die Macht des von ihm sicherlich als Erot verstandenen puer (93) zurück,84 doch es spricht nichts dagegen, dem Blick des ­Earinus eo ipso besondere Kräfte zuzugestehen: Hätte er sonst den Kaiser, der selbst als notorische Sonne eigentlich Quell von Strahlen ist, hier aber offenbar sich mit einer anderen Quelle ganz ähnlicher Strahlen konfrontiert sah, der­gestalt zu fesseln vermocht?85 Immerhin deuten mehrere der hier fallenden Begriffe (silv. 3, 4, 96sq.: potentius, fige, evt. auch acies) in eine Richtung, die man mit einem ­Eunuchen nicht unbedingt in Verbindung bringen würde:86 sie alle würde man eher in einem ›männlich konnotierten‹ Kontext erwarten, Waffentaten zum Beispiel oder männlich-erotisches Gehabe (was ohnedies mindestens 83 So fasse ich auch den Kommentar von Pederzani (1995), 281, auf: »L’aggettivo [scil. ­potentius], che pertiene al lessico del potere, esprime iperbolicamente le proprietà dello specchio, superiori persino a quelle dell’oro (…)« 84 Shackleton Bailey (2002), 225, Anm. 9, mit Kryptozitat des Aufsatzes von Damsté (1925). 85 Das Motiv ist an sich nicht ungeläufig: vgl. z. B. Anth. Pal. 12, 127, 2sq: Διπλαῖ δ’ἀκτῖνές με κατέφλεγον∙ αἱ μὲν Ἔρωτος, / παιδὸς ἀπ’ὀφθαλμῶν, αἱ δὲ παρ’ἠελίου. Zur Konzeption des Sehstrahls und seiner Verwandschaft, ja geradezu Deckungsgleichheit mit dem Licht vgl. ­Simon (1992), 93–102. 86 Andres Rühl (2006), 345 f., die Earinus im Gedicht eine rein passive Rolle spielen läßt.

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in der Metaphorik oft ineinander übergeht). Die Diskrepanz ist dieselbe, die in der klassischen Literatur zwischen dem ›harten‹ erwachsenen Mann und dem noch ›weichen‹, der ›Härte‹ des Erwachsenen oft vergeblich nacheifernden puer oder ephebus liegt: Bei Vergil in dem Paar Nisus-Euryalus bereits angelegt, findet diese Opposition bei Ovid (met. 5, 47–73) eine schärfer konturierte Ausprägung, wie Antonio La Penna gezeigt hat87 – sie mündet ebenso wie bei Ovid in die Vernichtung des Jüngeren bzw. den gemeinsamen Tod. Solch dramatische Züge liegen silv. 3, 4 selbstverständlich fern, doch das topische Eigenschaftsbündel von puer / ephebus, mollities und damit Nähe zum weiblichen Geschlecht, das Statius in der Thebais mehrfach einsetzt88 und in seinem Achilleisfragment besonders gekonnt ausreizen wird89 (bzw. zur Zeit, da das Earinusgedicht entsteht, möglicherweise schon ausreizt), findet sich nun auch für die Gestalt eines ­Eunuchen anzitiert – kein Wunder, fehlten doch Topoi zur positiven, nicht-verächtlichen Darstellung eines Eunuchen in der Literatur, auf welche Statius hätte rekur­rieren können, soweit ich sehe, völlig. Hinzu kommt, daß auch der Spiegel an sich ein dezidiert weibliches Accessoire ist90 und damit, einem Mann beigegeben, diesen automatisch als unmännlich deklariert,91 wenngleich Spiegelung als solche prinzipiell auch zum Knaben paßt, freilich eher in einem Gewässer und in freier Natur: diese ist ohnehin, mindestens 87 La Penna (2000), 136 f. 88 Bestes Beispiel, bei La Penna (2000), 141–150, diskutiert: die Gestalt des Parthenopaeus. 89 Vgl. Wildberger (2010), 231–236. 90 Darstellungen von Spiegeln erscheinen fast stets dort, wo die Lebenswelt der Frau das Thema des Bildes ist: vgl. Balensiefen (1990), 28–30; Plut. con. praecept. 14 (mor. 139F–140A) wird sogar ausdrücklich gefordert, eine Frau solle selbst sein wie ein Spiegel (ihres Mannes nämlich). Unter den Gottheiten ist es vor allem Aphrodite, die mit einem Spiegel dargestellt oder mit ihm assoziiert wird: Apoll. Rhod. 1, 745sq.: vgl. Simon (1995), 135; Apul. met. 4, 31 wird eine Meerfahrt der Venus ausgemalt, bei der ihr ein Triton einen Spiegel voranträgt; Athenaios 15, 687C zufolge brachte Sophokles eine Aphrodite als Ἡδονή mit einem Spiegel in der Hand auf die Bühne; vgl. Balensiefen (1990), 31 f.; als Weihegabe an Aphrodite begegnet der Spiegel Philostr. imag. 1, 6, 7. Umgekehrt sind Aphrodite und / oder Eros mit knapp 50 bzw. über 80 Belegen die mit Abstand häufigsten Bildmotive auf griechischen Klapp­spiegeln, wie der motivisch-ikonograpische Index bei Schwarzmaier (1997), 356–358, zeigt; im Vergleich dazu findet sich nur ein einziger Spiegel mit einer Darstellung des Ganymed, allerdings existiert ein Bildtypus ›Aphrodite + nackter Jüngling‹, letzterer ohne Attribute, der ­unerklärt ist und theoretisch auch homoerotisch verstanden werden könnte (ebd.). 91 Eur. Or. 1111sq. werden die traditionell verweichlichten Phryger als ἐνόπτρων καὶ μύρων ἐπιστάτας bezeichnet: die Junktimierung von Spiegel und Parfum wird später topisch immer wieder begegnen, etwa Lucian. pisc. 45, wo sich im Rucksack eines Kynikers ausgerechnet μύρον … καὶ κάτοπτρον finden, was ihn als Scharlatan entlarvt; ähnlich betrachtete Gell. 6, 12, 5 zufolge Scipio jemanden, der cotidie unguentatus adversum speculum ornetur, als cinaedus; nach Dion. Hal. 7, 9, 5 gehören κάτοπτρα zu den Instrumenten, mithilfe derer Aristodemos die jungen Männer von Cumae absichtlich verweichlichen läßt; Iuv. 2, 99 spricht von speculum pathici gestamen Othonis; und laut Sen. nat. 1, 17, 10 sind die Zeiten so entartet, daß quicquid mundus muliebris vocabatur, sarcinae viriles sint.

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topisch, die für ihn vielleicht charakteristischste Umgebung.92 Einen Sonder­fall stellt die Spiegelung des jungen, noch unter Frauenkleidern verborgenen Achill im Rund eines blankpolierten Schildes dar, die in Statius᾽ Achilleis (1, 852–866) seinen Übertritt in die Welt der Männlichkeit markiert, gerade in der Kombination des kriegerischen Schildes mit dessen Einsatz als Toiletteartikel.93 Auch Athene als unweibliche weibliche Göttin verweigert den Gebrauch des Spiegels selbst dann, wenn er sachlich angebracht wäre, etwa im Vorfeld des Parisurteils, jedenfalls nach dem Bericht bei Callim. hym. 5, 17–22.94 Hin und wieder auch erscheinen Spiegel in den den geläufigen weiblichen Toiletteszenen entsprechenden Darstellungen von Hermaphroditen,95 darüber hinaus ist auf einen originellen Bildtypus zu verweisen, der einen stehenden Hermaphroditen zeigt, wie er mithilfe eines (Klapp)spiegels sein eigenes Hinterteil betrachtet und davon sichtbar sexuell erregt wird: Ein angesichts der Doppelgeschlechtlichkeit des ­Hermaphroditos recht komplex und, durchaus passend, gerade nicht eindeutig deutbares Motiv.96 Auf den Eunuchen Earinus ist hermaphroditische Motivik freilich nur mutatis mutandis übertragbar, denn gerade die topische Erregtheit des doppelgeschlechtlichen Wesens, die seiner sexuellen Polyvalenz entspricht, verkehrt sich hier ins Gegenteil, um sich, wenn auch nicht ganz aus freiem Willen, dem Ideal einer beherrschten, nicht ostentativ zur Schau gestellten Sexualität anzunähern. Schließlich scheint eine in der griechischen Epigrammatik ausgenütze Tradition zur älteren Lais zu bestehen, die im Alter als Abgesang auf ihre vergehende Schönheit ihren Spiegel der Aphrodite geweiht habe, etwa Anth. Pal. 6, 1: Ἡ σοβαρὸν γελάσασα καθ᾿Ἑλλάδος, ἡ τὸν ἐραστῶν   ἑσμὸν ἐνὶ προθύροις Λαῒς ἔχουσα νέων, τῇ Παφίῃ τὸ κάτοπτρον, ἐπεὶ τοίη μὲν ὁρᾶσθαι   οὐκ ἐθέλω, οἵη δ᾿ἦν πάρος, οὐ δύναμαι.97 92 Aufschlußreich dazu Sanna (2008), 206–214, der vor allem anhand von Thebaisstellen und mit Rückgriff v. a. auf ovidische Vorbilder zeigt, wie die häufigen literarischen Auftritte halbwüchsiger Knaben im Umfeld von Quellen, Flüssen und Seen wesentlich drei Facetten, ihre jugendliche Verspieltheit, ihre Gefährdetheit und Zerbrechlichkeit, und nicht zuletzt ihre Schönheit topisch (im Vollsinn des Wortes) bündeln: Zum Aspekt der Schönheit gehört freilich nicht nur der Anblick des nackt im Wasser Spielenden, wie er sich dem Auge eines außenstehenden Betrachters bietet, sondern auch die Möglichkeit der Spieglung, die ja nicht nur Heranwachsende aller Zeiten im Fortschreiten ihrer Selbstfindung fasziniert, sondern im Narcissusmythos bereits entsprechend komplex verankert erscheint. 93 Vgl. Russel (2014), 91 und 111 f., sowie passim zum Naheverhältnis zwischen silv. 3, 4 und der Achilleis. 94 Vgl. Schneider (1997). 95 Bekanntestes Beispiel: Fresko des vierten Stils aus Pompei, also Statius räumlich und zeitlich nahestehend: Balensiefen (1990), K 33 (Tafel 12, 1); vgl. auch ebd. 142–145 zur hermaphroditischen Elementen in Narcissusdarstellungen; dazu vgl. auch Elsner (1996). Eine Übersicht über weitere Darstellungen bietet Oehmke (2004), 60–64. 96 Oehmke (2004), 57–60 mit Kat.-Nr. 104. 107. 109. 111–113. 116. 97 Vgl. auch die spätantiken Epigramme Anth. Pal. 6, 18–20 zum selben Thema.

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Die Übersendung des metallenen Spiegels an Asklepios unterstreicht also einerseits die un-männliche Rolle, die Earinus bisher eingenommen hat: So interpretiert auch Martial den Vorgang, wenn er von dem orbis nitidus spricht, quo felix facies iudice tuta fuit (Mart. 9, 17, 5sq.). Andererseits gibt er eben diesen Spiegel nun aus der Hand, zusammen mit dem Schneiden der langen Haare ein Vorgang von nicht zu unterschätzender Symbolik, für den sich selbst biblische Parallelen ­ arinus anführen lassen.98 Zusätzlich noch ist dieser Spiegel, mit dessen Hilfe E zu kontrollieren pflegte, ob er für Domitian schön genug sei (wobei der Spiegel ja zum Double Domitians wurde: erschien Earinus im Spiegel schön, konnte er hoffen, auch in Domitians, des wirklichen iudex, Augen schön zu erscheinen), aus Gold, einem unzweifelhaften Herrschersymbol, und mit einiger Wahrscheinlichkeit (mindestens gedichtimmanent) auch ein Geschenk D ­ omitians an seinen Liebling.99 Man betritt hier das Feld der im Mittelalter so omnipräsenten gradus amoris,100 deren unterster (naheliegenderweise) visus, das Er­blicken des / der Geliebten, ist. Der Spiegel als Kontrollinstanz zeigte Earinus demzufolge, ob er in Domitian erfolgreich Liebe zu ihm wecken könne, und zugleich prädestiniert diese Funktion des Spiegels an der Wurzel der erotischen Beziehung ­zwischen Kaiser und Palastsklaven ihn dazu, nun als Dingsymbol für diese Beziehung zu dienen. Wenn nun Earinus potentius auro agiert und das fragliche Objekt als Weihegabe aus der Hand gibt, kann das sehr wohl seine Überwindung der durch den Spiegel symbolisierten Lebensphase und Rolle als puer delicatus zum Ausdruck bringen, eine Grenzüberschreitung also.101 Dazu kommt, daß die Dokumentation der Veränderung einer Frisur und anschließende Versendung des neuen Portraits, noch dazu in edlem Metall ausgeführt, typologisch ein Vorgang ist, den man vor allem mit dem römischen Kaiser verbinden würde: Vielleicht nur zufällig ist ein derartiger Vorgang in Gestalt ausgerechnet eines Silberspiegels mit einem signierten, also wohl auch autorisierten Kaiserportrait gerade aus

98 Exod. 38, 8 in der Liste der unter Moses für das neue Heiligtum angefertigten Objekte: Fecit (scil. Beselehel) et labrum aeneum cum base sua de speculis mulierum, quae excubabant in ostio tabernaculi. Im Kontext der Stelle – Exod. 36, 3–7 wurde beschrieben, daß es sich bei den verwendeten Materialien ausschließlich um private Spenden aus dem Volk handelte – ist klar, daß die genannten Frauen die für sie charakteristischen Wertobjekte von sich gaben, um sie einem höheren, d. h. nicht auf die körperliche Schönheit des Menschen bezogenen Gebrauch zuzuführen. Die feminine Konnotation des Spiegels scheint also kulturübergreifend gegeben zu sein. 99 Vgl. Taisne (1994), 34–36, zur Motivkoppelung von Glanz, Spiegelung und Steigerung der Schönheit. 100 Die wesentlichen Stellen aus der antiken Literatur bietet Friedman (1965/66), 171 f. 101 Vgl. Hor. carm. 1, 5, 13–16 für ein ähnliches Motiv, das freilich zusätzlich mit einem Gleichnis operiert anstelle direkt ein mit der Situation in Bezug stehendes Objekt zur Weihegabe zu erklären.

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­domitianischer Zeit belegt.102 Man kann in dieser Parallele einen weiteren besonderen Gnadenerweis des Herrschers sehen, geeignet dazu, seinem Schützling einen respektablen Status, eine gewisse Distinktion zu attestieren. So wie der Kaiser sein offizielles Konterfei in die Provinzen bzw. auf diplomatischem Wege auch ins Ausland verschickt, versendet auch Earinus sein wahres, in überwelt­ licher Weise zustandegekommenes Bild. Freilich: Ist dieses Attest bloß ein textimmanentes, oder bezieht der Text sich auf einen Vorgang der aktualen Welt? In diesem Zusammenhang wäre eben von Interesse, was der physische Spiegel nun eigentlich zeigte: Ob in der aktualen Welt, von Statius poetisch überhöht, vor seiner Übersendung in die bisher glatte Spiegelfläche ein Bild des Earinus eingraviert und der Spiegel so zugleich ›personalisiert‹ und der Verwendbarkeit entzogen wurde (was denkbar wäre, gerade bei einer Weihegabe), oder ob der übersandte Spiegel eben ein glatter Spiegel war, in den bloß in der Imagination des Lesers von silv. 3, 4 jene nur durch göttliche Kraft erklärbare ›Photographie‹ eingebrannt war, macht denn doch einen Unterschied für die historische Bewertung des Vorganges, der eventuell dazu geeignet gewesen wäre, Earinus nahezu zu kaiserlichen Ehren zu erheben, dann nämlich, wenn in der Tat sein Portrait eingraviert oder in sonst einer geeigneten Technik dem Spiegel hinzugefügt war und dieser dadurch zu einem Objekt gleich dem oben zitierten Karlsruher Domitianspiegel avancierte. Text­immanent hingegen zeigt der Spiegel in beiden Fällen seinem künftigen Betrachter, allen voran Asklepios, das Bild eines jungen Mannes mit kurz­ geschnittenem Haar und ohne Bart. Anders ausgedrückt: Der Spiegel zeigt dasselbe, was er bei jedem anderen jungen Mann auch zeigen würde, der zum Zeichen seines Erwachsenwerdens die erste Rasur vornimmt und sich das Haar schneidet. Von Earinus speziellem Status als Eunuch ist nichts zu erkennen, und das wesentliche, oder mindestens textimmanent und durch seine Wahl als Weihegabe ins Zentrum gerückte Emblem dieses Status, den Spiegel, hat er soeben aus der Hand gegeben. Einerseits also verschleiert der Spiegel: Er zeigt ein Gesicht von zweifellos großer Schönheit und verspricht damit Schönheit auch des restlichen Körpers,103 macht aber nicht darauf aufmerksam, daß es sich um das Bild eines Eunuchen handelt. Man fühlt sich an das Raisonnement Alain de ­Lilles er­innert: O nova picturae miracula: transit ad esse, / quod nichil esse ­potest, ­picturaque simia veri / arte nova ludens in res umbracula rerum / vertit et in verum mendacia singula mutat.104 102 Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Inv. 68/40; vgl. Taddei (1967), 42; Radnoti-Alföldi (1976), 17–20; Abb. auch bei Zanker (2006), 99, Abb. 143; Coarelli (2009), 420 f. 103 Zu diesem Topos vgl. beispielsweise Stat. Theb. 6, 571–573: Effulsere artus membrorum­ que omnis aperta est / laetitia, insignes umeri nec pectora nudis / deteriora genis, latuitque in corpore vultus (scil. Parthenopaei). 104 Alanus ab Insulis, Anticlaudianus 1, 122–125.

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Zeigt der Spiegel also andererseits, um erneut den oben schon gebrauchten christlichen Ausdruck heranzuziehen, Earinus’ vera ikon, sein wahres Selbst? Physikalisch tut er es jedenfalls, denn während die geläufige105 antike Vorstellung vom Sehstrahl – der hier als acies auch eine wesentliche Rolle spielt – dem im Spiegel Sichtbaren, d. h. modern gesprochen: dem durch Reflexion des Sehstrahls entstandenen Bild, antik gesprochen: den im Spiegel, also dort, wo sie nicht sind, gezeigten Dingen, einen ontologisch problematischen Rang zwischen Seiend und Nichtseiend zuweist (bei Platon letztlich auf der gleichen Ebene wie jede Form von Abbild lokalisiert),106 und ihm vom Standpunkt der Katoptrik gegenüber real existierenden Objekten wie Skulpturen oder Gemälden den sehr prekären und verdächtigen Status einer Augentäuschung zuschreibt (was nebenbei zwangsläufig zur Ansicht führt, daß ein Spiegel, auf den niemand blickt, auch nichts reflektiert, also im Vollsinn des Wortes blind ist),107 kann das p ­ erpetuierte 105 Einzig, soweit ich sehe, McCarty (1989), 165, meint eine Analyse antiker Vorstellungen und gedanklicher Implikationen bezüglich Spiegelungsphänomenen unter Ausschluß ­katoptrischer Theorien, zu denen an erster Stelle eben die vom Sehstrahl zählt, geben zu können. Nun ist evident, daß der antike Durchschnittsbürger mit der feineren Geo­metrie der Brechungsgesetze u. dgl. kaum in Berührung gekommen sein wird, doch anzunehmen, daß eben jene Durchschnittsbürger keine Vorstellung davon hatten, wie ein Spiegelbild zu­standekomme (MacCarty, ebd.), erscheint mir fragwürdig: Die Vorstellung muß ja nicht ­physikalisch richtig gewesen sein, aber vorhanden war sie sicherlich, und vermutlich bestand sie, analog zu zahllosen heutigentags im Alltag kursierenden Vorstellungen (beispielsweise meinen eigenen zum Funktionieren des Computers, an welchem ich diese Zeilen schreibe), in einer dem zeitgenössischen ›Stand der Forschung‹ zwar nicht stracks zuwiderlaufenden, aber ihn vereinfachend und vergröbernd und evt. stark reduzierend reproduzierenden Annahme. 106 Plato Soph. 240a erscheinen in einer Reihe τὰ ἐν τοῖς ὕδασι καὶ κατόπτροις εἴδωλα, ἔτι καὶ τὰ γεγραμμένα καὶ τὰ τετυπωμένα καὶ τἆλλα ὅσα που τοιαῦτ᾿ ἔσθ᾿ ἕτερα als Vertreter ­eines ontologischen Zwischenzustandes: κινδυνεύει … τινὰ πεπλέχθαι συμπλοκὴν τὸ μὴ ὂν τῷ ὄντι, καὶ μάλα ἄτοπον (240C). 107 Balensiefen (1990), 14; Simon (1992), 212–215; 237–240. Simon scheint mir freilich ein wenig zu weit zu gehen, wenn er seine insbesondere aus Ptolemaios’ Optiktraktat, also aus einer Statius’ Zeit nicht gar so fernliegenden Quelle, gewonnene tiefe Einsicht in das Verständnis antiker Diskursteilnehmer vom Sehvorgang und vom Status reflektierter, ge­broche­ ner etc. Bilder relativ geradlinig auf Bilder überträgt, deren Urheber nicht (nach antiker Auffassung) das Auge des Betrachters ist (etwa ein Spiegelbild), sondern eine fremde Hand. Sicherlich eignet auch einem gemaltem Bild, beispielsweise eines Hauses, der Charakter einer Täuschung, insoferne es dem Betrachter mehr oder minder erfolgreich die Existenz eines Hauses vorgaukelt, wo in Wirklichkeit keines ist. Doch ist der antike Mensch selbstverständlich dazu imstande, ein physisch existierendes Bild als solches (das heißt beispielsweise als Wand oder Holztafel mit Farben darauf) ontologisch richtig zu situieren und ent­sprechend zu deuten: Platons μίμησις-Begriff wäre andernfalls nicht möglich, streng genommen nicht einmal das Herstellen eines Bildes. Spiegelbilder aber, erst recht die der Antike technisch möglichen, mindestens durch polierte Metalloberflächen farblich getönten oder durch eine Wasseroberfläche immer wieder verwellten und verzitterten, rangierten zweifelsohne auf einer Stufe mit Sehfehlern oder anderen Täuschungen bis hin zum Traum.

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Bild des Earinus einen immerhin respektablen, gegenüber der letztgenannten Auffassung gehobenen ontologischen Status für sich in Anspruch nehmen: es ist ständig präsent, selbst wenn niemand den Spiegel anschaut, und es nimmt letztlich die Stellung einer imago ein wie ein Gemälde auch: Nicht identisch oder auf einer Ebene mit dem Dargestellten befindlich, aber durch μίμησις und μέθεξις mit ihm verbunden, im Falle göttlichen Einwirkens (wie hier) wohl sogar noch besonders legitimiert, was die im platonischen Sinn o ­ xymore Spannung der Fügung vera ikon zu überbrücken vermag.108 Das führt zu der Opposition zwischen dem vergänglichen Bild im Spiegel bzw. im Auge des Menschen und dem andauernden Bild in der Seele des Menschen, die sich schon aus Plat. Tim. 45b–46e ergibt und bei Aug. trin. 11, 2, 2sq. und 9, 16 breit ausgeführt erscheint.109 Es bildet auch die Grundlage des in carm. Anacreont. 22, 5sq. aus dem Munde eines Liebenden gesprochenen Wunsches, selbst ein Spiegel zu sein, damit die Geliebte stets ihn anblicke: ἐγὼ δ᾿ἔσοπτρον εἴην, ὅσως ἀεὶ βλέπηις με – ihr Bild hat sich offenbar bereits in seine Seele gebrannt, und nun will er die dazu passende Katoptrik gleichsam nachholen; wobei noch die Möglichkeit zu berücksichtigen wäre, daß es sich um eine außerordentlich selbstverliebte Frau handeln könnte, die mehr in den Spiegel als auf ihren Geliebten blickt. Das Motiv des Einbrennens übrigens führt auf ein weiteres Nebengeleise in dem komplexen Spiel, das Statius mit dem Spiegel des ­Earinus treibt. An anderer Stelle bezeichnet Statius einmal Farbe bzw. Malerei als lumen scriptum (silv. 3, 1, 95), niedergeschriebenes Licht (oder, wenn man mit dem weiter zu fassenden γράφειν als Ausgangspunkt für die Junktur rechnet: gemaltes Licht). Das ist dem Herstellungsverfahren des Earinus­portraits so unähnlich nicht, setzt man Licht- und Sehstrahl konzeptionell einander gleich, wie es sich für antiken Diskurs gebührt: Earinus schreibt mit seinem Blick. Nun trifft es sich, daß die mit lumen scriptum charakterisierte Malerei ausgerechnet die der Enkaustik ist:110 ἐγκαίειν aber bedeutet eben ›einbrennen‹. 108 Hinzuweisen ist freilich auf eine umgekehrte Sichtweise, die sich bei Apul. apol. 14 findet: Das Spiegelbild übertreffe alle anderen Formen von Bildwerken, eben weil es beweglich sei. Allerdings ist der argumentative Kontext der Stelle zu berücksichtigen, der dem Sprecher die Aufgabe und die Gelegenheit bot, in sophistischer Weise einen gängigen Topos zu de­ konstruieren. 109 Vgl. Grabes (1973), 87 f. 110 Stat. silv.  3, 1, 95: tot scripto viventes lumine ceras. Zur Enkaustik als Technik vgl. Koch (2000), 41–50.  – Dorothea Weber (Salzburg) verdanke ich den Hinweis auf Plaut. Pseud. ­20–74, wo der junge Calidorus seinem Sklaven Pseudolus einen von seiner Geliebten ­Phoenicium geschriebenen Brief zu lesen gibt. Da dieser auf einer Wachstafel geschrieben ist, ergeben sich Scherze wie Tuam amicam video, Calidore (…) eccam in tabellis porrectam: in cera ­cubat. (35sq.) als leicht nachvollziehbares Spiel mit der allgemeinen Auffassung, brief­ liche Korrespondenz sei eine Art Gespräch unter Abwesenden, der Brief also bis zu einem gewissen Grad Ersatz für die Person des Gesprächspartners (vgl. z. B. Plin. epist. 6, 7, 1). Nun ist aber der Schritt von Enkaustikmalerei zum Schreiben auf cerae kein sehr großer, sind doch

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Daß die bis heute nicht ganz rekonstruierte Enkaustiktechnik zwar anscheinend für Gemälde verschiedener Größe und selbst zum Farbauftrag auf so ungewöhnlichen Untergründen wie marmornen Architekturteilen oder Schiffswänden Verwendung fand, besonders aber offenbar für Portraits, von denen als ›Mumien­portraits‹ gerade aus der frühen und mittleren Kaiserzeit denn auch eine beachtliche Anzahl erhalten ist, paßt ebenso zu dem Resultat von Earinus’ wundersamem Malvorgang wie der Umstand, daß Portraits in Enkaustiktechnik bisweilen sogar auf Goldgrund gesetzt wurden.111 Außerdem wurden sie gerade wegen ihrer großen Haltbarkeit geschätzt – zwei weitere Vergleichspunkte zum Spiegel des Earinus. Nun soll daraus freilich nicht geschlossen werden, daß das, was Earinus nach Pergamon schickte, in Wirklichkeit ein Wachsgemälde war. Es sollte lediglich gezeigt werden, daß der Vorgang des Verfertigens eines Portraits und allgemein eines qualitätvollen Bildes gerade im griechischen Sprachgebrauch, also in Statius’ vermutlicher Muttersprache, eng mit dem Begriff des ἐγκαίειν verbunden ist und eine Übertragung dieses Vorgangs auf den Blick in den Spiegel, wo Begriffe wie acies und lumen eine Rolle spielen, also Begriffe, die in unmittelbarer Nähe zum Assoziationsfeld von Licht / Feuer / Sonne / Wärme stehen, nahelegen konnte: lumen scriptum.112 Übrigens sei daran er­ innert, daß der für Earinus prototypische Narcissus infolge der schon oben erwähnten Verewigung seiner Spiegelung in späterer Rezeption, konkret bei Leon Battista A ­ lberti (1404–1472), zum πρῶτος εὑρετής der Malerei ernannt wurde, und zwar ausdrücklich unter Berufung auf (wohl antike)  poetae: Es scheint die beteiligten Materialien, Holztäfelchen und Wachs (noch dazu häufig gefärbtes), prinzipiell dieselben. Auch kommen bildliche Darstellungen auf cerae vor, wie dieselbe Plautus­stelle zeigt, nämlich Abdrücke von Siegelringen, oft mit Darstellungen von Büsten oder Köpfen: hic r­eliquit symbolum,/ expressam in cera ex anulo suam imaginem (Pseud. 55sq.). Mög­ licherweise lag die Junktur lumen scriptum also auch aufgrund dieser Nähe von Schreiben und M ­ alen nahe. 111 Als Beispiel sei ein Mumienportrait in Enkaustik auf Goldgrund aus Fayûm (Mitte 2. Jhdt. n. Chr., Staatliche Museen Berlin, Inv. 31161, 3) erwähnt; ein ähnliches Exemplar gleicher Provenienz auch im Puschkin-Museum in Moskau, abgebildet bei Zibawi (2003), 124, Abb.  48. Auch die erhaltenen prä-ikonoklastischen Ikonen sind noch in Enkaustikmalerei angefertigt, und auch hier erscheint bereits der späterhin geradezu obligatorische, theologisch als transzendentes Himmelslicht gedeutete Goldgrund, etwa bei der Glykophilousa­ darstellung von S. Maria Nuova in Rom: vgl. ebd., 137 und 126, Abb. 50. 112 Hingewiesen sei noch auf die im Gedicht nicht spürbar präsente, doch antiker Vorstellung geläufige Nähe zwischen Spiegelbild und Schatten, die mit dem vergleichseweise höheren ontologischen Status zusammenhängt, den man jedenfalls im philosophisch unreflektierten Alltag der Finsternis (als etwas an sich existierendem, nicht bloß als Absenz von Licht) zuzubilligen geneigt war. Earinus’ Fixierung einer sonst flüchtigen Spiegelung wäre ein glattes Gegenstück zum Werfen eines (ebenso flüchtigen) Schattens, insoferne Licht hier nicht fehlt (bzw. durch Finsternis verdrängt wird), sondern, anzunehmendermaßen durch ein ­Earinus’ Augenstrahlen innewohnendes Übermaß an Licht bzw. deren besondere Kraft, sogar ein dauerhaftes Bild schafft: vgl. Meringer (1923), 24–27.

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nicht undenkbar, daß der außerordentlich belesene Alberti damit ein durch ­Statius begonnenes motivliches Spiel bewußt fortsetzte.113 Hat der Spiegel also bisher seinem Benützer, Earinus, ein Trugbild geboten, wie es seiner Natur als Spiegel entsprach, zeigt er nun als jungen Mann ohne Bart (der Grund für die Bartlosigkeit geht aus dem Bild nicht hervor) und mit kurzem Haar dessen wahres Abbild, und zwar dauerhaft. Nicht etwa eines, das er hätte, wenn er nicht der Kastration unterzogen worden wäre, denn das Bild zeigt ihn ja als Momentaufnahme tatsächlich so, wie er ist, wenngleich nur ausschnittshaft – dies eine Eigenheit antiker Spiegel, die stets zu berücksichtigen ist und die das Earinusportrait auf dem Spiegel fundamental von der Totalität beispielsweise der Darstellung auf dem Schild des Theseus in Theb. 12, 665–676 unterscheidet: Dort die umfassende erzählerische Darstellung vergangener Taten in ihrer Gesamtheit, hier hingegen ein Fragment des Jetzt, ins Bild fest­ gebannt und frei von jeder Narrativität, nur unmerklich Produkt der Vergangenheit des Earinus, ebensogut dazu geeignet, als Entrée seiner Zukunft zu fungieren. Man hatte die Wahl ja nur zwischen kleinen metallenen (und noch kleineren gläsernen) Spiegeln, die ein ausschnittshaftes und oft auch qualitativ nicht an moderne Glasspiegel heranreichendes Bild gaben,114 oder einer zwangs 113 Alberti, De pictura 26: … consuevi inter familiares dicere picturae inventorem fuisse poetarum sententia Narcissum illum, qui sit in florem versus … Quid est enim aliud p­ ingere quam arte superficiem illam fontis amplecti? Im antiken Diskurs erhält, soweit ich sehe, nur die Wasseroberfläche in solchem Kontext einmal zugesprochen, malend tätig zu sein, nicht aber Narcissus: vgl. Philostr. imag. 1, 21, 3 τὸ ὕδωρ γράφει (u. Anm. 115); ferner vgl. Bätschmann-­Schäublin (2000), 120, Anm. 93; Belting (2009), 246–257 (freilich mit problematischem Verständnis der ovidischen Variante des Mythos). Beltings Auffassung, die Instrumentalisierung des Mythos durch Alberti könne kein antikes Vorbild haben, »weil der Mythos damals negativ besetzt war« (ebd., 248), ignoriert freilich die Weiterführung des Mythos eben bei Statius. Pfisterer (2001), 308 und 314–319 stellt ebenfalls das Fehlen einer eindeutigen (und poetischen) Vorbildstelle fest und gelangt zu einer relativ komplexen Ableitung der Albertischen Behauptung aus der Nikomachischen Ethik des Aritoteles (ebd., 322–328). Die Möglichkeit, daß Alberti daneben auch die zu seiner Zeit längst wiederentdeckten Silvae kannte und sich von ihnen anregen ließ, wird man indes nicht ausschließen wollen. 114 Zugegeben: McCarty (1989), 167, hat nicht unrecht, wenn er schlankweg das Gegenteil behauptet: Er hätte als Begründung immerhin anführen können, daß Silber unter idealen Bedingungen etwa 95 % des sichtbaren Lichtes reflektiert und damit beispielsweise weit über dem Reflexionsvermögen der in zahlreichen barocken Schlössern zu findenden ›venezianischen‹ Glasspiegel des 18. Jhdts. liegt (59 % wurden etwa für die Originalspiegel des Grünen Gewölbes in Dresden gemessen), nur unwesentlich unter dem moderner Silbernitratspiegel, die auf 96 % kommen: vgl. Glaser (2006), 145. Für Gold freilich ist der Wert schon geringer (85,1 % bei gleichzeitig starker Bevorzugung der roten und gelben Farbtöne, also des längerwelligen Teils des sichtbaren Lichtspektrums), kleiner noch für Kupfer (70,1 %; die Werte sämtlich aus: http://www.spektrum.de/lexikon/physik/metalloptik/9662 (Stand 1.2.2016). Bei Bronze, dem verbreitetsten Spiegelmetall der Antike, bewegt man sich je nach Legierung gleichfalls höchstens in diesem Bereich: Genaugenommen erreicht selbst die bis ins 19.  Jhdt. verwendete, als ›Spiegelmetall‹ bekannte Mischung von etwa einem Drittel Zinn und zwei Dritteln Kupfer, abhängig von der Wellenlänge, nur Werte zwischen 72 % und 53 %

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läufig waagrechten Wasserfläche, die indes ebenfalls nur entweder einen relativ unverzerrten Ausschnitt, etwa Kopf und Schultern eines sich ebenso waagrecht über sie beugenden Menschen, oder das stark verzerrte Bild eines ganzen, beispielsweise an ihrem Rand stehenden Menschen, reflektieren kann,115 wozu noch Trübung des Wassers oder Bewegungen der Wasseroberfläche störend hinzukommen.116 Große Zimmerspiegel scheint es zwar gegeben zu haben, doch als außerordentliche Rarität, die weder archäologisch noch literarisch großen Widerhall gefunden hat.117 Als Notbehelf kommen gerade ab der frühen Kaiserzeit Konvexspiegel auf, sogar mit Metall (meist Blei) hinterlegte gläserne,118 die ein stark verkleinertes und zwangsläufig verzerrtes, immerhin aber umfassenderes Bild zu geben vermögen (oder, in antikeren termini gesprochen: die mehr vom r­ eflektierten Lichts, jedenfalls im Rahmen der Möglichkeiten, welche der Antike zur Herstellung glatter Metalloberflächen überhaupt zur Verfügung standen (Tolansky-­Donaldson [1947], 248): und in der Regel werden selbst diese Möglichkeiten nicht zur Gänze ausgeschöpft und Spiegel mit keineswegs ideal planen und ideal polierten Oberflächen hergestellt worden sein. Man denkt etwa an Vulg. 1 Cor. 13, 12: βλέπομεν γὰρ ἄρτι δι᾿ἐσόπτρον ἐν αἰνίγματι, τότε δὲ πρόσωπον πρὸς πρόσωπον· ἄρτι γινώσκω ἐκ μέρους, τότε δὲ ἐπιγνώσομαι καθὼς καὶ ἐπεγνώσθην. Es ist evident, daß Paulus hier in Anlehnung an das platonische Höhlengleichnis die diesseitige Erkenntnis mit dem aus dem Alltag offenbar vertrauten ungenauen Bild eines Spiegels vergleicht, welche im Jenseits der wahren Erkenntnis des facie ad faciem (so die Vulgata zur Stelle) weichen wird; vgl. McCarty (1989), 164. Eine ähnliche Reserviertheit gegenüber der Qualität von Spiegelungen zeigt auch Plut. quaest. conv. 8, 7 (mor. 728A): Εἴπερ οὖν δεῖ τὰ τοιαῦτα μὴ κατ᾿εὐθυωρίαν ἀλλ᾿ἀνακλάσαντας ὥσπερ ἐμφάσεις ἑτέρων ἐν ἑτέροῖς θεωρεῖν … 115 Vgl. Philostr. imag. 1, 21, 3: Das Bild zeigt das Spiegelbild des Flötenspielers Olympos, der sich, wahrscheinlich auf einem Uferfelsen sitzend oder liegend, über eine Wasserfläche beugt, die denn auch Kopf und Brust reflektiert; die tieferliegenden Körperpartien aber sind von (reflektierten) Felsen verdeckt; will man nicht annehmen, der Betrachter beuge sich von hinten über Olympos und sähe von diesem selbst daher höchstens den Hinterkopf – ein extrem ambitioniertes Sujet für ein antikes Bild, zumal dann noch das Spiegelbild des Betrachters ins Bild käme – ist an eine Abwandlung des gängigen Darstellungstypus des Narcissus zu denken: vgl. Balensiefen (1990), 50–52 mit Tafeln 26–35 (davon Tafel 27 evt. recht nahe­ kommend). Die von Schirren (2009), Taf.  XXIV/2, gebotene Illustration zeigt, welche Schwierigkeiten noch neuzeitliche Zeichner mit dieser Beschreibung hatten. Philostrat jedenfalls bemerkt dazu: Μέχρι τούτων σε τὸ ὕδωρ γράφει κατακύπτοντα ἐς αὐτὸ ἀπὸ τῆς πέτρας. Εἰ δὲ ἑστηκότα ἔγραφεν, οὐκ ἂν εὐσχήμονα τὰ ὑπὸ τῷ στέρνῳ ἔδειξεν· ἐπιπόλαιοι γὰρ αἱ μιμήσεις τῶν ὑδάτων ἀπὸ τοῦ συνιζάνειν ἐν αὐτοῖς τὰ μήκη. Stünde Olympos also frei, ohne von Felsen teilweise verdeckt zu sein, am Ufer und beugte sich stehend übers Wasser, sähe man ihn im Spiegel zwar ganz, doch Beine und Bauch, also alle nicht gebeugten Partien, stark verzerrt. Vgl. Balensiefen (1990), 15. 116 Stat. silv.  1, 5, 55 macht Gebrauch von diesem Motiv, wenn er dem Wasser in den ­Privatthermen des Claudius Etruscus nachrühmt, Narcissus hätte sein Spiegelbild darin besser sehen können als in seinem mythischen Waldteich. 117 Crowley (1915), 696, verweist auf einen Fund in San Remo. 118 Auf den Sonderfall flacher, dunkler Glasplatten, wie sie in mindestens einem Fall in die Wand eines pompeianischen Hauses eingelassen gefunden wurden, ist nur hinzuweisen: vgl. Nowotny (1910), 107.

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fraglichen Objekt zu zeigen vermögen), offenbar das Resultat des Strebens nach Spiegelung ganzer Körper.119 So bedeutet Spiegelung immer auch Verzerrung, Fragmentierung oder beides zusammen,120 ein Umstand, der einem gewissen Mißtrauen gegenüber Spiegelungsphänomenen, mochten sie auch an sich nichts gar so seltenes sein,121 sicherlich Vorschub leistete. Doch das spezielle Spiegelbild des Earinus weist immerhin die Qualität der Dauerhaftigkeit auf und verwandelt damit gezielt das im oben zitierten Lais-Epigramm problematisierte Unvermögen eines Spiegels, der verblühten ­Hetäre die einstige Schönheit nochmals zeigen zu können, einerseits in die im Bild stattfindende Bewahrung ewiger Jugend an der Schwelle zum Erwachsenen­a lter, andererseits in die zumindest potentielle Aus-dem-Fokus-Rückung des Elementes der Kastration. Übrigens existiert zur selben erwähnten korin­t hischen Lais eine an den Helenamythos anklingende Tradition, derzufolge sie sich in einen Mann, sein Name wird als Eubotas von Kyrene tradiert, so sehr verliebt habe, daß er ihr, um ihrer absehbarerweise in Haß umschlagenden Liebe mindestens fürs erste zu entgehen, die Ehe versprochen, zum festgesetzten Termin aber nicht sie selbst sondern bloß ihr Bild nach Hause mitgenomen habe (Ael. var. 10, 2). Es scheint, als ob derlei bildliche Stellvertretung als Motiv sich ganz besonders an jene legendäre Hetäre geheftet habe. Von ihr aber, der für ihre Schönheit berühmten exklusiven Erotikfachfrau, oder allgemeiner formuliert: vom Motivkomplex des Hetärenwesens führt eine naheliegende Gedankenverbindung zu Domitians Lieblingssklaven. Nochmals ist, um möglichst alle Implikationen des Spiegelmotivs im Earinus­ gedicht zu fassen, auf die gerade zitierte Formulierung quo felix facies iudice tuta fuit (Mart. 9, 17, 5sq.) zurückzugreifen. Wie Willard McCarty anmerkt,122 gelten 119 Vgl. Adelheid v. Netoliczka-Baldershofen, Art. κάτοπτρον, RE XI /1, 29–45, bes. 44 f.; zu römischen Glasspiegeln immer noch grundlegend: Michon (1909) und Nowotny (1910). – Die bildliche Darstellung eines Ganzkörperspiegelungsvorganges in Verkleinerung durch einen Konvexspiegel bietet ein Fresko des vierten Stils in Pompei: Balensiefen (1990), K 36 mit Tafel 25; vgl. ebd. 56–59. 120 Dies scheint auch ein wesentliches tertium comparationis der wohl von Ovid vorgenommenen Koppelung des Echo- und des Narzißmythos zu sein: Echo wiederholt zwar, wie jedes Echo, jeden Schall, wahrnehmen aber kann der Sprecher, der selbst, solange er spricht, das Echo übertönt, davon nur die letzten Worte, also Fragmente: Ov. met. 3, 380–392. Ebenso fragmentiert oder verzerrt auch jeder Spiegel. 121 Zu weit geht McCarty (1989), 167, der Spiegelungsphänomene als etwas dem antiken Menschen nur selten Begegnendes, Außerordentliches betrachtet, weil selbst in der römischen Kaiserzeit Metallspiegel ein seltenes Luxusgut gewesen, Wasseroberflächen aber vor allem Stadtbewohnern nicht zur Verfügung gestanden seien. Letzteres ist keiner Widerlegung wert, die Vorstellung vom geringen Verbreitungsgrad metallener Spiegel hingegen entkräften beispielsweise Sprenger-Bartolini (1990), 65, wenn sie Spiegel bereits in der etruskischen Kultur »spätestens seit dem Hellenismus zu billigen Massenerzeugnissen für breite Bevölkerungsschichten« werden lassen. 122 Mc Carty (1989), 171.

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die Pupillen des Menschen nach antiker Vorstellung gewissermaßen als die ihm angeborenen Ur-Spiegel, spiegelt sich doch auf ihrer stark konvex gekrümmten Oberfläche bei entsprechender räumlicher Konstellation das Bild eines ganzen Menschen.123 Daraus folgt zunächst, daß der antiken Leserschaft das quid-proquo von Spiegel und Kaiser, demzufolge der Spiegel für Earinus durch die Jahre seines Aufenthaltes in Domitians nächster Umgebung eine Art Double (quo iudice …) seines Herrn war, keineswegs besonders gesucht erscheinen mußte: Auch im Liebesroman wurde beispielsweise das wechselseitige Spiegeln Liebender im Auge ihres jeweiligen Konterparts beschrieben (Achill. Tat. 1, 9, 4),124 ein Vorgang, der sich unschwer auf Domitian und Earinus umlegen ließe und in dem der Spiegel eben die zeitweise Ersatzrolle für Domitian spielte.125 Ferner aber ist der Ausdruck pupilla zu bedenken, der wie sein griechisches Äquivalent κόρη ›Mädchen‹ bedeutet und darauf hinweist, daß der Sehstrahl, die acies, als etwas vom Menschen Ausgehendes, Aktives, geradezu Waffenartiges,126 tendenziell als männlich eingeschätzt wird, der Spiegel hingegen, wie auch die pupilla einer ist, als etwas Rezeptives, von der acies Getroffenes, als etwas Weibliches.127 Demgegenüber verhält sich nun Earinus, wenn seine acies sein Bild in den Spiegel brennt, dezidiert männlich, also umgekehrt zu seinem bisherigen Verhalten Domitian gegenüber. Was ich aus dem Wortbestand von silv. 3, 4, 96sq. bereits abzuleiten versucht habe (vgl. o. 340), findet nun also auf einem zweiten Weg seine Bestätigung: Der an den Schluß der eigentlichen Narration des Gedichtes gerückte Vorgang des dauerhaften Spiegelns ist keine bloße Zutat, um 123 Plin. nat. 11, 55, 14: Media eorum (scil. oculorum) cornua fenestravit pupilla, cuius ­angustiae non sinunt vagari incertam aciem ac velut canali dirigunt obiterque incidentia ­facile declinant, aliis nigri, aliis ravi, aliis glauci coloris orbibus circumdatis, ut habili m ­ ixtura et accipiatur circumiecto candore lux et temperato repercussu non obstrepat. Adeoque his ­absoluta vis speculi, ut tam parva illa pupilla totam imaginem reddat hominis. Plat. Alcib. 1, 133a: Ἐννενόηκας οὐν ὅτι τοῦ ἐμβλέποντος εἰς τὸν ὀφθαλμὸν τὸ πρόσωπον ἐμφαίνεται ἐν τῇ τοῦ καταντικρὺ ὄψει ὥσπερ ἐν κατόπτρῳ, ὃ δὴ καὶ κόρην καλοῦμεν, εἴδωλον ὄν τι τοῦ ἐμβλέποντος. 124 Vgl. Grabes (1973), 87–92. 125 Vgl. auch Lucian, am. 48: … καὶ δυσχερὲς αἰσθέσθαι ποτέρου πότερος ἐραστής ἐστιν, ὥσπερ ἀπ᾿ἐσόπτρου τῆς τοῦ φιλήσαντος εὐνοίας ἐπὶ τὸν ἐρώμενον ὁμοίου πεσόντος εἰδώλου. Was hier beschrieben wird, die tendenzielle Ununterscheidbarkeit von aktiv Liebendem und passiv Geliebten, konnte in der Beziehung zwischen Earinus und Domitian freilich nicht vorkommen – Earinus war eben nicht bloß ein fragmentierender, sondern auch ein fragmentierter Spiegel. 126 Vgl. den Topos von den Strahlen des Sonnengottes als Pfeile, der klärlich in Apolls (und Dianas) Bewaffnung zum Ausdruck kommt: Lucr. 1, 147 non radii solis neque lucida tela diei (ebenso Lucr. 2, 60; 3, 92; 6, 40). 127 McCarty (1989), 177 f.; ebd., 182, ausgehend von den seiner Ansicht nach zwei grundsätzlichen im Spiegel vereinten Gegensätzen, Korrespondenz und Opposition: »… the symbolically female pole, correspondence, in which the beholder is metaphorically drawn into the catoptric medium and kept there.« Im Fall von Earinus’ perpetuierter Spiegelung liegt ein Seitentrieb dieser Variante vor.

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ein zweites nach Pergamon gelangtes Objekt gleichsam im Set noch mitzubehandeln, sondern ist der eigentliche Zielpunkt einer Entwicklung, die ­Earinus an einen Entscheidungspunkt gebracht hat, von dem aus er durch entsprechendes Verhalten und insbesondere dank der Erlaubnis seines Herrn ein (so gut wie) vollgültiger Mann werden kann.128 Wohlgemerkt: werden kann  – denn Earinus ist eben nicht, wie Carole Newlands interpretiert, »arrested in eternal youth, … destined to remain always different and unRoman«:129 Nur auf sein Bild im Spiegel trifft dies zu, wenigstens was die ewige Jugend betrifft.130 Daß vollkommenes Mannwerden ein Ding der Unmöglichkeit ist, wie Craig Russel betont, das Spiegelbild also jene Grenzüberschreitung vollzieht, die dem Gespiegelten, ewig im Grenzbereich Festgehaltenen, nicht in jedern Hinsicht möglich ist, ist allerdings nicht zu leugnen.131 Solcherart dokumentiert das Bild auch Domitians heilendes Wirken, hat er doch Earinus gleichsam seiner natürlichen Bestimmung zurückgegeben, indem er ihn (potentiell) erwachsen / zum Mann werden läßt. Daraus erklärt sich auch, weshalb keine andere Gabe dem Gott Asklepios lieber ist als gerade der Spiegel (silv. 3, 4, 95sq.): Zwar bringt Earinus’ Geschenk zum einen seinen Dank für Asklepios’ Schutz, insbesondere im Kontext der Kastration, zum Ausdruck,132 zum anderen aber und vor allem dokumentiert er seine neue, andersgeartete Genesung im Akt des Erwachwenwerdens. Wie es sich für panegyrische Gottheiten gehört, anerkennt Asklepios, der immerhin eigenhändig Earinus zum Eunuchen gemacht hatte, die Überlegenheit des Domitian, der diese Verletzung der Natur heilt, nicht nur pro futuro durch seine Gesetzgebung, sondern sogar 128 McCarty (1989), 169, verweist auf die angeblich weitverbreitete Ansicht, die Seele eines Menschen sei seine Spiegelung im Wasser oder in einem Spiegel. Für das Earinusgedicht böte diese Sichtweise gute Anknüpfungspunkte, doch die von McCarty beigebrachte antike Belegstelle (Hist. Aug. Pert. 14, 1sq.) scheint nicht recht dafür geeignet, die Existenz dieses Topos im römischen Diskurs zu belegen. Auch wenn Belting (2009), 251, meint, die »dunklen Bronze­spiegel« würden ihrem Betrachter die Zukunft enthüllen, »denn als Toter wird er schattenhaft in der Unterwelt leben und seinem gestorbenen Körper nur noch wie ein Bild gleichen«, fehlt mir dafür ein zuverlässiger antiker Beleg; doch vgl. immerhin o. Anm. 79 129 Newlands (2002), 110. 130 Es sei an die bei Plut. con. praecept. 25 (mor. 141), Apul. mag. 15, Gal. protr. 8 und Diog. Laert. 2, 5, 16 überlieferte Sokratesanekdote erinnert, wonach seine Schüler sich im Spiegel betrachten sollten: Fänden sie sich schön, sollten sie ihre Lebensführung so gestalten, daß sie der Schönheit keine Unehre machten, fänden sie sich häßlich, sollten sie mit ihrer Lebensführung diese Häßlichkeit überdecken. 131 Russel (2014), 102. 132 Insofern verhält sich der als Weihegabe für Asklepios recht ungewöhnliche Spiegel analog zu einem Weihegeschenk an Venus (vgl. o. II , Anm. 90), wo man etwa als Dank eines Mädchens für das glückliche Erwachsen- und (nicht zuletzt dank der durch Venus gewährten, durch den Spiegel kontrollierten und symbolisierten Schönheit) Verheiratetwerden den Spiegel erwarten würde. Bei Earinus trat jedoch Asklepios als Verleiher und Garant für (andauernde) Jugendschönheit und in weiterer Folge die Gunst des Kaisers noch hinzu.

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retrospektiv, jedenfalls soweit vorstellbar. Und da Earinus im Bild in seiner momentanen Erscheinung als junger Mann verewigt wird, ist es nur kongruent, wenn er in den anschließenden letzten Versen des Gedichtes an Asklepios die Bitte richtet, (auch) Domitian ewige Jugend zu verleihen, und dieser Bitte auch entsprochen wird (silv. 3, 4, 99–106).

d) Der gespiegelte Raum von silv. 3, 4 Die Wahl ausgerechnet des zunächst spröde erscheinenden (geographischen) Hin und Her als Hauptmotiv kann zuversichtlich als betonter Hinweis des ­Statius auf die eigene Kunstfertigkeit verstanden werden: Man berührt hier den im Begriff silvae zu fassenden Begriff von Künstlertum, das nicht bloß durch μίμησις Werke schafft, die ihr natürliches Vorbild auf ontologisch tieferer Stufe nachahmen, sondern in seinem Schaffensprozeß parallel zur Natur agiert und auf diesen Schaffensprozeß besonders hinweist, indem es das Ausgangsmaterial, die ὕλη, nie aus dem Blick verliert.133 Was Statius mit seinen prachtvollen Kunstmythen um Venus, Asklepios und Earinus erschafft, ist etwas, was auf nahezu gleicher Stufe mit dem Vorgang der aktualen Welt, der postalischen Versendung einiger Weiheobjekte von Rom nach Pergamon mit dazupassender Vorgeschichte, steht: ein Hin und Her im Raum. Freilich: Andernorts schwelgt Statius im Ausgestalten prächtiger, grandioser Materien, hier hingegen ist sie per se knapp und scheinbar unergiebig – umso virtuoser der Schaffensprozeß dessen, dem auch mit solcher silva genug ist.134 Immerhin ist durch den 133 Wray (2007), 136 f.; vgl. o. die Einleitung bei Anm. 74. 134 Eine vielleicht illustrative Parallele: Von Ludwig van Beethoven berichtet eine Anek­ dote, daß er in einer Gesellschaft beim Grafen Fries auf seinen wenig geschätzten Rivalen Daniel Steibelt traf und nach dessen Vortrag eigener Werke (die aber prompt Variationen über ein erst kürzlich von Beethoven variiertes Thema einschlossen) herausgefordert wurde, nun seinerseits über etwas aus dem gerade Gespielten zu improvisieren. Beethoven griff zu einem von Steibelts Notenfaszikeln, setzte ihn absichtlich verkehrt aufs Pult, trommelte sich aus dem auf dem Kopf stehenden Notenmaterial mit den Fingern auf dem Holz des Klavieres einen Rhythmus zurecht und benützte dann diesen als Ausgangspunkt für eine furiose Improvisation. Abgesehen nun davon, daß Beethoven auch in auskomponierten Werken bisweilen etwa das Material für die Durchführung in Sonatenhauptsätzen nicht aus den in der Exposition vorgestellten Themen sondern aus einer scheinbar belanglosen Überleitungswendung entwickelt, an derlei minimalistische Ausgangspositionen also gewöhnt war, bewies er in jener Szene zweierlei: Erstens die eigene Virtuosität, selbst aus dem sprödesten, reduziertesten Stoff noch gute Musik zu gewinnen; und zweitens, daß man Steibelts Kompositionen schon auf den Kopf stellen und auf das rhythmische Skelett reduzieren müsse, um überhaupt etwas Intelligentes draus zu machen (Steibelt verließ, noch bevor Beethoven zu Ende gespielt hatte, den Saal und verbat sich für die Zukunft jedes weitere Zusammentreffen); vgl. Wegeler-Ries (1838), 81 f. Ich könnte mir vorstellen, daß Statius’ Earinusgedicht im Sinne des ›zweitens‹ an Martials Adresse gerichtet war; das ›erstens‹ erfüllte er gewiß.

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­ inleitungsbrief des vierten Buches bezeugt, daß Earinus oder gar ­Domitian E selbst das Gedicht bei Statius in Auftrag gegeben hatten,135 und die Existenz der Parallelgedichte bei Martial belegt, daß der an sich ja entlegene und für Spontanparallelen kaum sehr plausibel geeignete Anlaß, die Übersendung einer Haarlocke an Aeskulap durch den beiden Autoren denkbarerweise nicht sonderlich nahestehenden Lieblingseunuchen des Kaisers,136 wohl eine größere Auftragswelle auslöste. Das Gedicht stand also bei seinem Erscheinen möglicherweise stärker im Blickpunkt einer wie auch immer gearteten Öffentlichkeit, als seine Thematik vermuten ließe: Grund genug, sich nicht mit Naheliegendem zufriedenzugeben.137 Ob Statius sich nun konkret von den in ihrer Vorhersagbarkeit etwas enttäuschenden Epigrammen Martials zum selben Thema (Mart. 9, 16. 17. 36) abheben, ob er pikantere Facetten des Themas, wenn er sie schon nicht verschweigen wollte / konnte,138 doch nicht ins Zentrum rücken wollte, oder ob er allgemeiner seine Versiertheit im Umgang mit spröder Materie unter Beweis stellen wollte, wird sich kaum entscheiden lassen: Jedenfalls resultierte daraus ein virtuoses Stück Literatur auf der Basis eines betont simplen räumlichen Konzeptes mit ­eigentlich nur zwei Punkten, Rom und Pergamon. Immerhin: Es ging um einen 135 Stat. silv. 3,praef.: Earinus praeterea Germanici nostri libertus scit, quam diu d ­ esiderium eius moratus sim, cum petisset ut capillos suos, quos cum gemmata pyxide et speculo ad Perga­ menum Asclepium mittebat, versibus dedicarem. Zur Ambiguität des grammatikalisch sicherlich auf Germanici nostri, doch im Duktus des Satzes naheliegenderweise auch auf E ­ arinus beziehbaren eius vgl. Laes (2010), 259 mit Anm. 35. Die Verzögerung wird wohl, wie S­ hackleton Bailey (2003), 175, Anm. 2, paraphrasiert, im Sinne des Stegreiftopos’ eine Nicht-Verzögerung sein (Housman [1906], 44; Pederzani [1995], 219: weitere Literatur bei ­Johannsen [2006], 278, Anm. 98 und 100) und nicht, wie Garthwaite (1978), 91–96 vorgeschlagen hat, der für Domitian extrem peinlichen Thematik geschuldet oder, Obermayer (1998), 106, zufolge, ein wirkliches Hinauszögern aus dem Grund, daß Domitian das ›Ausbrechen‹ des ­Earinus aus dem bisherigen sexuellen Verhältnis unangenehm gewesen sei: Obermayer rechnet hier wohl mit einer zu aktiven Rolle des Earinus, als ob dieser eine ostentative Macht­demostration gegen Domitian ins Werk gesetzt hätte, wo doch realistischerweise nur von einem Gnaden­erweis des Kaisers gesprochen werden kann; vgl. Rühl (2006), 342 f. 136 Henriksén (1998 f.), 1, 92, und (2012), 57, schließt aus der Absenz aller Erwähnungen des Earinus bei Martial außerhalb des neunten Buches und bei Statius außerhalb von silv. 3, 4 sowie aus dem Fehlen von »sentimental epithets« wie meus, carissimus u. dgl., daß zwischen Martial bzw. Statius auf der einen und Earinus auf der anderen Seite kein besonderes Naheverhältnis bestand. Das mag sein, doch ist einerseits dem argumentum ex silentio Mißtrauen entgegenzubringen, andererseits zu bedenken, daß die Person des Earinus (Sklave, Lustknabe, Eunuch) bei allem poetischen ›understatement‹ problematisch sein konnte und jedenfalls bei Statius nur mit einiger Vorsicht, etwa durch die Deklarierung als Auftragswerk gleichsam außer Konkurrenz gestellt, neben hochmögenden Widmungsträgern wie Rutilius Gallicus, Atedius Melior oder Pollius Felix erscheinen konnte. 137 Vgl. o. II , Anm. 49. 138 Für zeitliche Priorität der Martialepigramme und damit für eine Erwiderung des Statius auf Martial tritt in diesem Zusammenhang mit guten Gründen Henriksén (1997), 292 f., ein.

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Sklaven bzw. Freigelassenen, nicht um den Kaiser selbst: Da durfte und sollte denn wohl auch der Raum einfacher, weniger polyvalent sein als in den ›großen‹ panegyrici. Dieser vereinfachte Raum aber wird durch die Kongruenz von Kaiser und helfendem Gott wiederum nur von einem dominiert: von Domitian.

3. Silvae 2, 3: Arbor Atedi Melioris Vielleicht an keinem anderen Gedicht der Silvae wird die Modernität des ­Statius, verstanden als Potential seiner Texte, neuzeitlichen Literaten vielfältige Anknüpfungspunkte zu einem positiven Weiterschreiben, einem positiven Weiterentwickeln von darin Vorgefundenem zu bieten, so deutlich wie an diesem literarischen Kabinettstückchen.139 Als Dinggedicht im Vollsinn des W ­ ortes nur um ein einzelnes Objekt gerankt, noch dazu um eines, dessen poetische Verwertbarkeit weder in bestimmten Eigenschaften dieses Objektes an sich noch in einem offenkundigen Bezug zwischen dem Objekt und einem bestimmten als Anlaß für das Gedicht dienenden Ereignis begründet liegt, bildet es eine Premiere in der römischen Literatur, jedenfalls soweit größere Formen als die des Epigramms betroffen sind  – in diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß S­ tatius selbst dieses Gedicht und das nachfolgende Stück über einen toten ­Papagei desselben Atedius Melior als libellos quasi epigrammatis loco scriptos bezeichnet (silv. 2 praef.).140 Während anderswo beispielsweise eine Einladung der Ichinstanz in eine bestimmte Villa (silv. 1, 3; 2, 2; vgl. 3, 1 und 4, 6) oder gar zum kaiserlichen Mahl (silv. 4, 2) ein Motiv dafür bietet, die betreffende Örtlichkeit oder ein zu ihr gehöriges Objekt zum Gegenstand eines Gedichtes zu machen, und während die Einweihung eines Denkmals (silv.  1, 1) oder einer neuen Straße (silv. 4, 3) ganz automatisch eine Verbindung von Anlaß und Ding bieten, geht aus silv. 2, 3 an keiner Stelle hervor, weshalb der am Gedichtschluß angesprochene Anlaß, Atedius Meliors Geburtstag, es dem Dichter nahegelegt haben sollte, ausgerechnet ein Gedicht auf einen bestimmten krummgewachsenen Baum in dessen Garten oder Park zu schreiben. Wohlgemerkt: Es kann in der aktualen Welt des Atedius und des Statius und in ihrer anscheinend recht guten persönlichen Beziehung sehr wohl eine derartige Verbindung gegeben haben (Plin. nat. 16, 242 berichtet von dem als Liebesverhältnis gedeuteten ­Faible des Passienus Crispus zu einer Buche), doch der publizierte Text tut nichts, sie 139 Ein Diktum zur neuzeitlichen Wahrnehmung der Silvae: Mengelkoch (2010), 115: »Since Statius’s Silvae purport only to be occasional poems, they were often dismissed as trivial – and still are to some degree today. It is clear, however, that to Poliziano these poems were bold and dynamic literary devices, taking seemingly mundane events or objects and transforming them into energetic explorations.« 140 Vgl. Coleman (2008), 33. Anregende Interpretationen des Papageiengedichts bieten Myers (2002) und Krasser (2002).

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dem Leser der Gedichtsammlung zu erläutern; gleiches gilt für die übrigen Gedichte des kleinen Atedius-Melior-Zyklus im zweiten Silvaebuch.141 Der Leser ist demzufolge mit einem Text konfrontiert, der ohne explizite oder implizit naheliegende Begründung eine an sich unscheinbare Gegebenheit der aktualen Welt (von deren Existenz die meisten zeitgenössischen Leser der Sammlung auch durch diesen Text erst erfahren haben werden, wiederum ein Unterschied beispielsweise zum Equus maximus oder dem Palast von silv.  4, 2) thematisiert und diese Thematisierung erneut ohne Begründung als Geburtstagsgabe deklariert. Damit verlangen zwei Leerstellen nach interpretatorischer Schließung: (1) Haben der beschriebene Baum und das um ihn entworfene Aition, ein vollgültiges Epyllion,142 eine über das Ding selbst hinausgehende Bedeutung? (2) Läßt sich auf der Ebene dieser Bedeutung eine Verbindung zwischen dem genethliakonartigen Schluß des Textes und dem Vorangegangenen herstellen?143

a) Zu Inhalt und Textgestalt Das Gedicht beginnt mit einer stark an die Eröffnung von silv. 1, 1 erinnernden Formulierung (Stat … arbor aquas complexa lacus: vgl. Quae moles … stat Latium complexa forum?), doch nicht als Frage formuliert, sondern als Aussage des est-locus-Typs: Der Text steckt dieses Mal die örtlichen Gegebenheiten von Anbeginn an ab und entwirft sie solcherart für den Leser, während silv. 1, 1 sich darauf verlassen kann, daß der Leser, mindestens der durchschnittliche, mit den Verhältnissen auf dem Forum Romanum vertraut ist.144 Es steht also ein Baum und beschattet ein Gewässer, welches dem feinsinnigen (ungefähr so wird man nitidi Melioris im ersten Vers prima vista auffassen, wenn man nicht enallagetisch einen Bezug zu aquas herstellen will)145 Melior gehört. Dieser Baum wird 141 Vgl. z. B. Vessey (1981), 46. Etwas überzogen m. E. Hardie (2006), 207 f., der aus dem nachfolgenden Gedicht auf den toten Papagei für silv. 2, 3 einen Hinweis auf einen Statius »parroting his patron Melior« ableiten will. – Zu Atedius Melior vgl. allgemein White (1975), 272–275; Nauta (2002), 226 f. 142 Bishop (1951), 431: »This poem merits special attention as it combined features of unusual interest, and it seems to embody much that is logical development of the technique of the Epyllion.« – ebd. 432: »The Silvae are in fact more than an offshot of the Epyllion; they ­represent a further development and extension of the scope of the ›little epic‹.« 143 Vgl. das Verdikt von Verstraete (1983), 202 f.: Der Mythos (nach Verstraete nur fast als Epyllion zu bezeichnen) bilde das Hauptgewicht des Gedichtes und habe nichts mit dem Geburtstagsanlaß zu tun. – Eine Gliederung des Textes bietet Cancik (1965), 49. Zur Problematik der Gattungszugehörigkeit von silv. 2,3 zum Genethliakon vgl. Baumann (2013), 89; zu Geburtstagsritualen und deren literarischem Niederschlag vgl. allgemein Argetsinger (1992). 144 Vgl. Gauly (2006), 456. Parallelen zum stat des Gedichtbeginns listet Morzadec (2003), 92, auf. 145 Vgl. u. II , Anm. 215.

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sogleich näher beschrieben:146 Er wächst vom Boden her schon in einem Bogen auf das Wasser herab (2sq.: robore ab imo incurvata vadis) und biegt von der Wasseroberfläche her erst in die Höhe (3sq.: redit inde cacumine recto ardua), als ob er dort eine zweite Verwurzelungsstelle hätte (4: ceu mediis iterum ­nascatur ab undis), und zwar mit ›stillen‹ Wurzeln (5: tacitis radicibus), einer eigentümlichen Formulierung, die an die Stummheit von Fischen anklingen kann, durch J. H. Bishop indes nicht unplausibel (auch) mit der Virtualität dieser Wurzeln unter Wasser erklärt wurde.147 Im Rückblick wird damit das betonte stat des Gedichtbeginns etwas relativiert, denn von stare im Sinne eines Aufrechtstehens kann bei dem beschriebenen Gewächs schwerlich die Rede sein, doch ist die Funktion dieses stat ja auch weniger die, über die Akzidenzien der arbor etwas zu prädizieren, sondern die, thetisch die Existenz der arbor (bezogen auf die aktuale Welt) festzustellen bzw. (bezogen auf den Text) festzusetzen. Statius stellt mit dieser kurzen Skizze seinem Gedicht also als Fixpunkt ein Bild voran, welches der weitere Text diskutieren wird, ähnlich der Exposition des Themas am Beginn eines Sonatenhauptsatzes, dessen Verarbeitung in der Durchführung denn zu erwarten steht. Wie um diese Exposition noch stärker vom Nachfolgenden abzugrenzen, schiebt Statius ein freilich auf das Nötigste reduziertes (Binnen-)Prooemium ein: ›Weshalb soll ich Phoebus mit derlei Kleinigkeiten behelligen? Inspiriert ihr mich, ihr Naiaden und Faune!‹ (6f). Das erinnert einerseits an den Beginn von silv. 1, 6 (ähnlich 1, 5) und signalisiert wie dort die an den Tag gelegte Leichtgewichtigkeit des solcherart eingeleiteten Textes, stempelt diese Selbsteinschätzung aber andererseits als Untertreibung, indem die gewählte Form der Formulierung, die an Inspirationsgottheiten gerichteten Imperative dicite causas und date carmina, eigentlich hochepischer Diktion angehören, in die nur vermeintliche Kleindichtung jedoch spätestens seit Verg. ecl. 6, 13 pergite ­Pierides bereits übertragen.148 Die Erfüllung der Inspirationsbitte erfolgt freilich mit einer Promptheit, die den ovidischen Humor des ganzen Gedichtes erstmals anschlägt, wenn nach Vers 7 Naides et faciles (satis est) date carmina Fauni die Narration mit den Worten Nympharum tenerae fugiebant Pana catervae (8) einsetzt, die beiden angerufenen Instanzen also, wie es sich für den Raum eines 146 Vessey (1981), 49, Anm. 16, bietet eine sprachlich-stilistische Analyse der Beschreibung. 147 Bishop (1966), 28. – Es wäre durchaus interessant zu wissen, ob der Baum künstlich in diese ungewöhnliche Form gezwungen wurde oder von selbst so wuchs: Die Parallelisierung der Pflanzung des Baumes im Mythos mit dem Verhalten Atedius Meliors würde dadurch eventuell um ein Element bereichert: Vessey (1981), 47, weist darauf hin, daß Platanen durchaus in sonderbare Formen gestutzt wurden, jedoch kommt auch der natürliche Wuchs dieser Baumart dem von Statius beschriebenen Phänomen entgegen: Coleman (2014), 6 und 12 mit Abb. 0.1. 148 Vgl. silv. 4, 7, 3; 4, 8, 1sq.; 5, 3, 3; nahe kommt adsint in silv. 1, 6, 7 nach dem funktional entsprechenden, aber just das Gegenteil bezeichnenden Imperativ ite in 1, 6, 2.

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­ rivaten Gartens gehört,149 sogleich zur Stelle und in einem bewegten ­Tableau p arrangiert sind  – ein zweites Bild, das der Text dem Leser entwirft, ganz im Sinne von Statius’ auch in den Epen regelmäßig unter Beweis gestellte Fähigkeit »to make the reader stop and visualise a scene as if it were a picture.«150 Das entworfene Bild verhält sich etwa so, als würde zu Gedichtbeginn die arbor von einer Kamera erfaßt, die daraufhin, ohne selbst bewegt zu werden, in die Tiefe fokussiert und durch die bis zur Unsichtbarkeit verschwimmende arbor hindurch eine neue Szenerie sichtbar werden läßt: eine Szenerie, deren lapidares Imperfekt fugiebant etwa einem ›es flohen gerade wieder einmal Nymphen vor Pan‹ entspricht und damit dem aus Homer herrührenden Zielinskischen Gesetz vom Handlungsstrangwechsel im imperfektiven Aspekt Genüge tut, den ­epischen Anspruch also aufrechterhält, zugleich aber, da der Handlungsstrang ja ein neuer und nicht an einem früheren Punkt der vorliegenden Erzählung bereits einmal entworfen und verlassen worden ist, nun ganz massiv auf Ovids von lüsternen göttlichen Potenzen und notorisch (meist vergeblich) vor ihnen fliehenden weiblichen Figuren erfüllte Metamorphosenwelt Bezug nimmt: Was dort geschildert wird, kann als Dauerzustand gelten, in dem man jederzeit ›hineinzoomen‹ kann;151 Vers 8 kann also als impliziter Verweis ›Siehe Ovid‹ verstanden werden, und tatsächlich wird die nun folgende Geschichte, »una fantasia mitologica graziosa«,152 eine geistvolle Collage aus ovidischen Versatzstücken sein, vom Arethusamythos über Pan und Syrinx bis zu Aktäon und Pygmalion.153 Zugleich geschieht etwas, was wie eine Umkehrung der üb­lichen ovidischen Metamorphosenszenerien aussieht: Während, wie längst beobachtet wurde, Ovid seine um sexuelle Gewalt und Bedrohung körperlicher Integrität durch lüsterne göttliche Potenzen kreisenden Mythen in Landschaften lokalisiert, die er dafür gleichsam prädestiniert sein läßt,154 dreht Statius den Prozeß um und interpretiert eine gegebene örtliche Situation so, daß sie einer ­ovidischen Handlung den passenden Raum bietet.

149 Vgl. Hill (1981), 85 f.: Privatgärten wurden zumeist nicht mit Statuen der olympischen Götter oder sonst ›großer‹ Sujets dekoriert, sondern es überwiegen im archäologischen Befund, vom omnipräsenten Priapus abgesehen, Pan, die Nymphen und, in zweiter Linie, Darstellungen der Musen. 150 Dilke (1963), 503. 151 Eine weitere Bezugnahme ist auf Verg. ecl. 2, 1 Formosum pastor Corydon ardebat ­Alexin vorstellbar: So wie die vergilischen Hirten notorisch (daher im Imperfekt) lieben, und zwar Schönes [vgl. Schmidt (1987), 139–150 et passim], so fliehen ovidische Nymphen notorisch, und zwar vor plump-sexueller Bedrohung. 152 Pederzani (1992b), 168. 153 Vgl. Billerbeck (1986), 531 f.; eine etwas abweichende Aufzählung bietet Pederzani (1992b), 173, Anm. 15. Von »garden Ovidianism« spricht Hinds (2002), 147; vgl. auch M ­ orzadec (2003), bes, 91 f. 154 Vgl. Hinds (2002), bes. 130–136.

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Zur Erzählung: Pan verfolgt gezielt die Nymphe Pholoë (silv. 2, 3, 9sq.).155 Sie flüchtet vor ihm durch das Gebiet der sieben Hügel Roms – dazu unten mehr – und erreicht schließlich den Caelius (14: Caelica tesca subit),156 wo sie an der Örtlichkeit, an der im Jetzt des Gedichtes sich Meliors Haus und Park befinden (stant … lares in Vers 16 stellt die Verbindung zum stat … arbor des Gedichtbeginns her), erschöpft am Ufer des Gewässers niedersinkt und, sich noch ordnungsgemäß in ihr Gewand hüllend, in Schlaf fällt (11–17). Einiges ist zum Handlungsraum dieser kleinen Szene festzuhalten: Zunächst seine synästhe­ tische Erweiterung, die in Vers 11 nunc hirtos gressus, nunc improba cornua ­vitat nicht nur geschickt den Standpunkt des Erzählers (und mit ihm des Lesers) in den den Nymphe verlegt, die bald ein Horn des Pan über einen Busch ragen sieht, bald seinen Schritt im Unterholz hört, sondern mit gressus (die aber wieder die optische Qualität hirsutos erhalten) eine auditiv wahrnehmbare Komponente ins Spiel bringen, mit dem zu den optisch wahrnehmbaren cornua gestellten Attribut improba ferner eine moralische Qualität, die letztlich die Furcht der Nymphe vor der Vergewaltigung zum Ausdruck bringt: improbus ist natürlich ebenso wie hirsutus direkt auf Pan zu beziehen, und ob es sich wirklich nur um zwei Hörner, jene auf dem Kopf des Pan nämlich, handelt, bleibt der Phantasie des Lesers überlassen.157 Solcherart entwerfen die Verse 8–11 mit wenigen, aber sicher gesetzten Strichen einen Handlungsraum, dem bildhafte, akustische und sogar gefühlshafte Komponenten eignen. Ferner fällt auf, wie stark die zeitliche Situierung des Geschehens verwischt wird. Angesichts des einleitenden Nympharum tenerae ­fugiebant würde man eine ahistorische bzw. prähistorische Situation erwarten, also die Landschaft des noch nicht existierenden Rom: Literarisches Vorbild dafür wäre außer den letzten Büchern der ovidischen Metamorphosen vor allem Verg. Aen. 8, 315–365, die Fremdenführung, welche Euander für Aeneas durch das künftige Rom veranstaltet:158 Zumal letztgenannte Passage mit dem Hinweis haec nemora indigenae Fauni Nymphaeque tenebant in einer Weise einsetzt, auf die Statius’ Nympharum tenerae fugiebant Pana (Fauni im Vers davor) ­catervae offenkundig repliziert – demnach spielte Statius’ Epyllionhandlung also sogar im voreuandrischen Rom, zu einer Zeit als, wie aus Vers 12sq. atra Caci rura hervorgeht, die Felsen des Aventins von Cacus᾽ ­Feueratem geschwärzt waren, also mutmaßlich (vgl. Aen. 8, 251–258) nach Herkules᾽ Sieg über das Un­ geheuer: Eine vergleichsweise genaue ›Datierung‹ also, die zur a­ ugenzwinkernden 155 Zum Namen der Nymphe vgl. Pederzani (1995), 164. 156 Zum Begriff tesca, dem im Kontext der erzählten Handlung eine leicht proleptische Note eignet, vgl. Pederzani (1992b), 175, Anm. 20. 157 Barthius (1674), Animadv. 218, mit knebelbartstreichendem Humor: Dicas tertium aliquod cornu improbitatis nomine capiendum, quo nimium semper paratum fingebatur hoc spectrum [scil. Pan]. Sed vanum istud per me sit. 158 Zu bukolischen Elementen des vergilischen Euander-Roms vgl. Jones (2011), 54–56.

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­ bergenauigkeit o Ü ­ vidischer Mythologeme paßt.159 Die damit eröffnete zeitliche Diskrepanz prähistorisches Rom – aktuales Rom zur Zeit der Ichinstanz bei ört­ licher Gleichheit, die wie der Raum historischer Romane auf seiten des Lesers ein Rückrechnen aus dem heute bekannten Zustand des fraglichen Raumes der aktualen Welt auf einen früheren Zustand desselben Raumes erfordert, wird noch unterstrichen durch den Vermerk qua nunc Melioris aperti stant … lares.160 Andererseits verlegt Statius das Gewässer des Atedius Melior, gleichgültig ob es sich dabei um ein mit Stein eingefaßtes Bassin oder um einen naturbelassen wirkenden Gartenteich handelte, anscheinend unverändert zurück in die Vorzeit, obwohl die natürliche Existenz eines stehenden Gewässers auf dem Caelius nicht besonders wahrscheinlich ist:161 Es wird sich wohl um einen künstlich angelegten und vielleicht aus der Aqua Appia gespeisten Teich handeln, dessen niveae ­ripae (17) sich entweder einer (teilweisen?) Marmoreinfassung (vgl. silv. 1, 5, 51 niveo … margine) oder einer künstlichen Schotterung oder Sandaufschüttung mit entsprechendem Material verdanken, denn der steinige Untergrund Roms ist auch nicht weiß.162 Unter der Prämisse dieser Rückrechnung kann man sagen, daß in Meliors Park oder Garten die Zeit stehengeblieben ist, und das paßt auch zum weiteren Verlauf des Mythos, der mit dem perpetuierenden ›Ein­frieren‹ von Zuständen operiert. An dieser Stelle sei eine kurze Zwischenfrage gestattet: Von welchem Punkt aus werden der Teich und der im weiteren Verlauf des Gedichtes noch gepflanzte Baum eigentlich in den Blick genommen? Das Gedicht gibt keinen expliziten 159 Vgl. auch die anregenden Ausführungen bei Baumann (2013), 96–101. 160 Pederzani (1992b), 176; vgl. auch Morzadec (2003), 93. 161 Am Fuß des Caelius, vor allem im Tal zum Aventin hin und an der Südseite, d. h. im Großbereich der piscina publica, die man wohl nicht von ungefähr dort angelegt haben wird, müssen Quellen existiert haben, auf dem Caelius selbst wohl kaum. 162 Håkanson (1969), 67 f., will freilich niveus hier ausschließlich in der Bedeutung ›kühl‹ verstanden wissen. Nun mag dies ohne weiteres mitschwingen (weißer Untergrund ist auch bei Sonnenhitze gemeinhin kühler als dunkler), doch Håkansons angeführte Belege dokumentieren vor allem eines, nämlich daß diese Wortbedeutung praktisch nur in Kombination mit aqua erscheint (also etwa: ›Schneewasser‹), nicht aber bei beliebigen anderen Substantiven, weshalb eine Hilfskonstruktion nötig wird, derzufolge ripa hier das Wasser (mit) bezeichne. Hier gestehe ich, Håkanson nicht mehr folgen zu können: Welcher Leser sollte das noch verstanden haben, zumal wenn er die Örtlichkeit nicht aus Augenschein kannte und also gegebenenfalls nicht wissen konnte, daß das fragliche Ufer gar nicht weiß war, die Worte nivea ripa also eine andere Bedeutung haben mußten? Ausnahmsweise wird also Vollmer (1898), 357, recht haben, wenn er schlicht weißen Kies hinter nivea ripa vermutet (ebenso Wissmüller [1990], 54, Anm.  5). Selbst eine Marmoreinfassung erschiene indes denkbar, denn wie mag man nachweisen, bis zu welchem Grad Statius’ ahistorische Rückprojektion des Gewässers der domitianischen Zeit in die Urzeit ging? Weiteres zur Junktur niveae … ­ripae bei Watt (1988), 163 f. Hinzuweisen ist ferner auf silv. 1, 3, 65 albentes lacus, wo dasselbe Phänomen, ein mit der Farbe weiß in Zusammenhang gebrachtes Gewässer in einem herrschaftlichen Park, begegnet: vgl. u. III , bei Anm. 219.

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Hinweis darauf, was sonderbar genug ist, wenn man bedenkt, daß der Leser des in der Sammlung publizierten Textes ja nicht nur über die Existenz von Baum und Gewässer aufgeklärt werden muß, sondern auch über die Sprechsituation, die implizit nur aus dem deiktischen Gestus des Textes hervorgeht: So, wie der Standpunkt eines Lesers im Text, der dem Gespräch von Personen im Text folgt, notwendigerweise in Hörweite anzunehmen ist, also mehr oder minder an der Seite der Sprechenden,163 kann eine beschreibende Instanz nur in Sichtweite des Beschriebenen stehen, jedenfalls insofern, als der Leser sich imaginativ in Sichtweite begeben muß. Nur die Schlußverse des Gedichtes, in welchen der Text zum Geburtstagsgeschenkt für Melior erklärt wird, deuten die Sprechsituation des Textes überhaupt an, doch ohne den Rahmen des prinzipiell Möglichen weiter einzuschränken – Melior kann sich schließlich ebensogut im Garten zum Geburtstag gratulieren lassen wie beispielsweise in einem Triklinium mit Blick auf den hortus und die darin befindliche Gruppe von Baum und Teich; in letzterem Fall erhielte man, ohne daß der Text dies kenntlich machte, eine regelrechte ­prospectus-Beschreibung, gesprochen idealiter bei der cena anläßlich des Geburtstages, während der durch die passende Fensteröffnung gerahmte Blick von Dichter und Publikum auf das Beschriebene fällt.164 Ich halte das für durchaus möglich, wenngleich unbeweisbar: Es ist auch für einen Römer der Blick auf natürliche Gegebenheiten ohne vermittelnde ­prospectus-Öffnung immerhin möglich, auch wenn bisweilen Gegenteiliges behauptet wird.165 Höchstens wäre zu erwägen, ob das Verhältnis von Haus und Teich / Baum nicht näher bestimmt werden kann, jedenfalls im Sinne einer Plausibilität. Denn wenngleich die Möglichkeit besteht, daß Melior einen ausgedehn­ ten Park sein Eigen nannte und sich Teich und Baum weitab vom Haupthaus (das auch nicht näher zu charakterisieren ist – zwischen Stadthäusern und villa sub­ urbana sind schließlich allerlei Übergangstypen möglich) befanden, besteht doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß die Gruppe eher zentrales Zierelement eines hortus war, also eines unverzichtbaren und übrigens typisch römischen Bestandteils gehobener (und selbst weniger gehobener) Wohnkultur.166 Solch ein hortus kann in der Architektur römischer Villen und Privathäuser den von einem umlaufenden Peristyl umgebenen Raum füllen, er kann auch von einem U 163 Vgl. Uspenskij (1975), 69–71. 164 Zur gestalterischen Interaktionen von Gärten und den sie umgebenden Räumlichkeiten selbst in räumlich beschränkten Kontexten vgl. Zanker (1979a), bes. 470–480 (Analyse des Hauses Pompei II 5, 2). 165 Drerup (1959), 148–152; Kassar (2014), 37 f. 166 Grundlegende Hinweise zum Thema bieten: Jashemski (1981); Hill (1981); Littlewood (1987); Salza Prina Ricotti (1987); Purcell (1987); Schneider (1995), 35–52; Kassar (2014), 53 f.; Jones (2014), der (ebd., 805), die vielleicht kürzeste Zusammenfassung der Bedeutung (im doppelten Sinn) römischer Gärten formuliert: »Roman domestic garden architecture was to some extent the conscious expression of Roman ideas about life.«

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oder L-förmigen Haus bloß teilweise begrenzt sein; praktisch stets aber ist er das Ziel des prospectus aus mindestens einem Triklinium, wobei der Blick mehr oder minder raffiniert auf besondere ›Gustostückchen‹ der Gartengestaltung, nicht selten Wasserbecken und / oder -spiele, gelenkt wird. Ungefähr solch eine Konstellation wird man auch für den Teich annehmen, der sich einst dort befand, wo jetzt die lares aperti Melioris stehen (die einzige konkrete Ortsangabe): So sehr aperti im übertragenen Sinn ›offen‹, d. h. ›gastfreundlich‹ bedeuten mag, bleibt ungeschmälert die Möglichkeit, es proprie aufzufassen, sei es für einen vierseitig umschlossenen, doch durch porticus umgebenen und insofern mit dem Haus ›offen‹ verbundenen Peristylhof, sei es für eine L- oder U-förmige Struktur, die an sich schon ein ›Offenstehen‹ gegenüber der Außenwelt signalisieren würde. Übrigens bleibt die Möglichkeit, auch lares konkret zu fassen: Zwar wird man den Larenschrein im engeren Sinn eher im atrium als im peristylium bzw hor­ tus suchen, aber die Aufstellung von kleineren oder größeren Götter­bildern ist dort vollkommen gängig. Die Variante, daß Baum und Teich sich im unmittelbaren Nahebereich des Hauses bzw. gar in dessen Innerem befinden, und daß der Blick, den der Text auf sie richtet, beispielsweise der gewollte und inszenierte Blick aus einem Triklinium (oder sonst einem prospectus-tauglichen Raum) ist, gewinnt damit ein wenig an Wahrscheinlichkeit. Und immerhin ist es auch nicht unplausibel, daß Statius dem Gastgeber eher ein Gedicht auf den Blickfang in dessen hortus geschrieben habe als auf irgendeine zufällig im weitläufigen Landschaftspark herumstehende Formation. Zurück zum Text. Pan spürt die besinnungslos daliegende Nymphe selbstverständlich auf und beugt sich gierig-lüstern über sie, nimmt also die Haltung des Baumes über dem Wasser ein. Freilich wird er, noch bevor es zur ersehnten Vereinigung kommt, enttäuscht, auch dieses analog zum Wuchs der arbor: Diana, auf der Pirsch nach einer Hindin vom Aventin, platzt als köstliche Inversion des Aktäonmotivs in die Szenerie am Wasser und ist empört erstens über das, was sie gesehen hat (bzw. darüber, daß sie dies gesehen hat),167 zweitens darüber, daß ihr ohnehin schon dahinschwindendes Gefolge schon wieder um eine jungfräuliche Nymphe verringert werden soll, schon gar durch das petulans foedumque pecus Pan (25).168 Diana hat diesmal, anders als in ihrer eigenen 167 Das paenituit vidisse deam (silv. 2, 3, 23) ist zwar verbal auf Ov. met. 2, 49 paenituit iurasse patrem (scil. Solem) gestützt, verkehrt aber unverkennbar das Motiv des Erblickt­ werdens durch Aktäon ins Aktiv des Erblickens: War Diana in der Aktäonszenerie empört darüber, erblickt worden zu sein, und zwar in einer Wald-Teich-Szenerie ganz gleich der des mythischen Caelius von silv.  2, 3, so ist sie nun aufgebracht, weil sie selbst etwas gesehen hat. Zugleich stellt Dianas Reaktion Verg. georg. 2, 493sq. fortunatus et ille, deos qui novit ­agrestis / Panaque Silvanumque senem Nymphasque sorores in Frage: Diana kennt ihren Pan offenbar recht gut, doch ihr Glücksgefühl darob hält sich in Grenzen. 168 Pans Bezeichnung als pecus ist zweifellos unfreundlich, allerdings erscheint semideum pecus auch Stat. Theb. 6, 112, in einer keineswegs unfreundlichen, eher sentimental-rustikalen Passage.

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Bade­szene bei Ov. met. 3, 188, Pfeile und Bogen zur Hand hat, reagiert aber zum mindesten ungewöhnlich: Sie nimmt einen Pfeil, schießt aber nicht mit ihm, sondern wirft ihn, das stumpfe Ende voran (30: aversa … sagitta) und mit einer Hand, also etwa wie einen verkehrten Dartpfeil, auf die Nymphe. Dieser einmalige Vorgang,169 den man zunächst für eine symbolisch-antiphallische Aktion der jungfräulichen Jagdgöttin halten würde, insofern die topische Gleichsetzung des männlichen Phallus mit einer scharfen Waffe dazu verleiten könnte, solch eine Waffe zwecks Liebesapotreptik auch einmal umzukehren (freilich würde man dafür eher ein Schwert oder einen Spieß erwarten, nicht einen Pfeil), wird noch näher zu untersuchen sein. Wo genau Diana die Nymphe mit ihrem merkwürdigen Wurfgeschoß trifft, ist textkritisch problematisch,170 der Effekt 169 Am nächsten kommt, noch dazu im Œuvre des Statius, Theb. 6, 938–941: ein zu Wettkampfzwecken verschossener Pfeil wird durch einen Baum nicht bloß abgelenkt, sondern umgedreht, und kommt zurückgeflogen, um notae iuxta … ora pharetrae (941) zu landen. Doch fliegt dieser Pfeil immerhin ständig mit der Spitze voran, und überdies erfährt er sogleich eine Auslegung als übles Omen für den wenige Verse darauf mit Beginn der zweiten Thebaishälfte vollends anlaufenden Krieg. Umso eher wird man für den noch viel untypischer fliegenden Pfeil in silv. 2, 3 eine besondere Bedeutung vermuten. 170 Überliefert ist in 29sq. laevamque soporem / naidos aversa fertur tetigisse sagitta (vgl. allgemein Liberman [2010], 204). Shackleton Bailey (2003) folgt einer älteren Konjektur, wenn er laevamque soporae Naidos setzt: Doch weshalb ausgerechnet die linke Hand, wie Newlands (2011), 167, mit Recht einwendet? Noch dazu, wo sich die Ellipse laevamque hier nicht so reibungslos ergibt wie andernorts, wenn jemand laevā zu einem Werkzeug greift oder dextram austtreckt o. dgl., denn schließlich ist als Ziel eines Pfeils jeder Körperteil so gut wie der andere: Der Umstand, daß unmittelbar davor Diana una c­ ontenta manu war, erleichtert das Textverständnis nur unwesentlich. Ferner wendet Håkanson (1969), 69, mit Recht ein, daß soporus üblicherweise ›schlafbringend‹ heißt, nur selten aber ›schlafend‹. Die auf die jüngeren Handschriften zurückgehende Verbesserung laevumque soporem wiederum, für die auch Håkanson plädiert, krankt an der höchst ungewöhnlichen Verbindung eines p­ roprie gedachten tangere mit einem Objekt wie soporem. Von den Vergleichsstellen, die Håkanson (1969), 69, anführt, kommt überhaupt nur Stat. silv.  3, 3, 122sq. manuque / ipsa levi gravi­ dos ­tetigit fecunda labores (scil. Lucina) einigermaßen nahe, doch auch dort sind die gravidi ­labores, schon von der Junktur her eine klare Metonymie, viel leichter konkret zu denken als hier laevus somnus. Auch der bei Barthius (1674), Animadv. 219, und erneut in Forcellinis Lexikon begegnende Versuch, sopor als ›Schläfe‹ und damit konkret aufzufassen (White [2008], 112 f., folgt ihm), führt insofern nicht weiter, als das an sich nicht rare Wort niemals sonst in einer auch nur entfernt nahekommenden Bedeutung belegt scheint. Könnte der Fehler also in tetigisse liegen? Ein Wort wie pepulisse würde semantisch besser in den Zusammenhang passen und könnte leicht einer Verschlimmbesserung zum Opfer gefallen sein, wenn einmal ­laevum sich zu laevam entwickelt hatte, beeinflußt durch das im selben Vers vorangehende manu als ›linke Hand‹ verstanden wurde, und demzufolge pepulisse unpassend wirken mußte. Allerdings sei zugegeben, daß pepulisse für die betont vorsichtige Handlungsweise der Göttin ein recht starker Ausdruck ist: Weshalb ich gegenüber dieser Lösung skeptisch bleibe. – Für die Variante laevam ›linke Hand‹ spräche allerhöchstens eine gelehrte Diskussion, die sich an die Verwundung der Aphrodite an der als ἀβληχρή und damit nicht eindeutig als linke oder rechte gekennzeichneten Hand durch Diomedes in Hom. Il. 5, 336sq. (vgl. 5, 458 und 883) schloß, und auf die mich Thomas Schirren (Salzburg) dankenswerter Weise ­aufmerksam

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aber ist klar: Die Nymphe erwacht und erblickt zugleich den Himmel und den über sie gebeugten Pan: illa diem pariter surgens hostemque protervum vidit (31).

machte: Sie wird beispielsweise in den Homerscholien ad loc., bei Eustath. Il. 552, 41–45 und 568, 5–9, und am ausführlichsten bei Plut. quaest. conv. 9, 4 (mor. 739B–D: Ποτέραν χεῖρα τῆς Ἀφροδίτης ἔτρωσεν ὁ Διομήδης;) greifbar. Vergil entscheidet sich Aen. 11, 277 für die rechte Hand, spielt das gelehrte Spiel also ernsthaft oder auch augenzwinkernd mit. Man hätte es in silv. 2, 3 demnach mit der Punkt-für-Punkt-Umkehr eines unter Literaturkennern gern diskutierten Motivs zu tun: An die Stelle der Liebesgöttin tritt eine erotischen Annäherungen abgeneigte Nymphe, aus der rechten Hand wird (vor dem Hintergrund eines Streites unter Homerphilologen) die linke, aus dem Speer dein Pfeil und dieser auch noch in verkehrter Verwendung und ohne Verwundung, aus dem Kampfgeschehen wird ein Rettungskommando, und auch die Rangordnung der am Waffeneinsatz Beteiligten ist die Umkehrung der ­homerischen. Man gewänne damit eine Narration, deren wesentliche Komponente die totale Umkehr des Gewohnten wäre, was zur unten vorzutragenden Deutung der Stelle als symbolische Narrativierung eines Spiegelungsvorganges passen könnte. Doch ob die Verbindung zu Homer und eventuell Vergil, durch nichts als eben das (im Statiustext fragliche) Motiv der linken Hand, nahegelegt, hinlängliche Plausibilität für sich in Anspruch nehmen darf, kann durchaus auch bezweifelt werden. Eine gänzlich andere, freilich fast rein spekulative Möglichkeit bestünde hingegen in folgender Kombination: Nach Fest. 380, 25–31 (Lindsay) bzw. Fest.-Diac. 381, 2–5 (Lindsay) bezeichnet das Verb sororiare das Schwellen der weiblichen Brüste (ebenso sororire bei Plin. nat. 31, 66), und wenn auch sorores in der Bedeutung ›Brüste‹ meines Wissens ebenso­wenig belegt ist wie sopor als ›Schläfe‹, so ist eine solche Verwendung des sonst immerhin andere paarweise auftretende Objekte, auch Körperteile, bezeichnenden Wortes (vgl. z. B. Plaut. Poen. 417sq.; Moret. 28) wohl vorstellbar: Das würde zu laevamque sororem ›die linke Brust‹ führen, paläographisch die naheliegendste Konjektur, die außerdem die unbequeme Ellipse von eliminieren und einen dem Gesamttonfall der Passage angemessenen Eindruck ovidischer Übergenauigkeit in Details bewahren würde, den das Abstraktum ­laevus so­ por nicht zu bieten hat. Allerdings: eine nirgends sonst belegte Bedeutung in den Text zu konjizieren erscheint in jedem Fall etwas kühn. Doch ist sie nirgends belegt? Zwei p ­ lautinische Stellen deuten immerhin in die benötigte Richtung: (1) Plaut. frgm. 84 (= Fest. wie oben) tunc papillae primulum / fraterculabant – illud volui dicere, / sororiabant. Quid opus est verbis? Der plautinische Witz besteht offenkundig darin, daß der Sprecher sororiare für die beiden größer werdenden Brüste als passender empfindet als fraterculare. Der Grund dafür kann einfach im weiblichen Geschlecht der fraglichen Person liegen, das sich sozusagen auf die sie betreffende Lexik übertrüge, er kann aber auch darin liegen, daß der Vorgang des fraterculare paradoxerweise zu etwas führt, was als sorores bezeichnet werden kann, sodaß von vorneherein die Bezeichnung sororiare passender erschiene. Man denke sich die Plautusverse von entsprechender deskriptiver Gestik des Sprechers begleitet und sororiabant, wie aus dem Satzduktus zu erwarten, emphatisch vorgetragen, und man erhält eine Vorstellung, daß dem sororiare noch ein dem Publikum geläufiger passender Gebrauch von soror(es) entsprechen dürfte.  – (2) Im plautinischen Miles gloriosus gibt es eine seit langem als plautinische Zutat zur griechischen Vorlage, und zwar als besonders inepte, bekrittelte Passage (Plaut. mil. 1102–1113), in der soror (es handelt sich sogar um eine Zwillingsschwester) und mater die Schlüsselbegriffe bilden, und die erkennbar auf einen derb erotischen Witz hinausläuft ­(1111–1113). Ohne mich in die komplexe Diskussion dieser Stelle eindrängen zu wollen, schiene mir die einfachste Lösung ihrer inhaltlichen Probleme darin zu bestehen, daß man annimmt, die ganze Passage ab 1102 sei ein recht maskuliner Witz auf der Basis erotischer

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Die offenkundige Motivparallele zum Erwachen von Pygmalions geliebter Statue in Ovids Metamorphosen (Ov. met. 10, 293sq.: timidumque ad lumina lumen attollens pariter cum caelo vidit amantem) wird freilich schon wieder invertiert, denn Pholoë erleidet im Zuge dieses allerersten der gradus amoris171 bereits im Vollsinn des Wortes eine Panikattacke, stürzt sich mitsamt ihrem Gewand ins Wasser und verbirgt sich auf dessen Grund bzw. wird, so kann man annehmen, identisch mit dem Gewässer. Diana scheidet damit aus der Handlung aus, ähnlich übrigens wie in Ovids Aktäongeschichte – auch diesmal ist das Resultat ihrer Handlung ein recht fragwürdiges. Pan sieht sich in seiner Hoffnung betrogen, kann der Nymphe auch nicht folgen, da er, wie Statius in typisch ovidisch-übergenauer Detailfreude erläutert, von klein auf nie schwimmen gelernt habe,172 und klagt zunächst über immitem somnum, stagna invida et invida tela, also drei an seinem Pech unmittelbar beteiligte Elemente: den Schlaf, der die Nymphe zu früh verließ, den Teich, der der

Zweideutigkeit des verwendeten Vokabulars mater (~ vulva) und sorores (~ papillae); vgl zur Stelle Jachmann (1966), 186–191; Schaaf (1977), 37 f.; Zwierlein (1991), 163–167. – (3) Auch in einer von zarterer, aber um nichts weniger spürbarer Erotik durchzogenen Passage just bei Statius erscheint eine Formulierung, die im Kontext ohne weiteres doppeldeutig sein könnte, insoferne sororibus dort nach dem vorangehenden Abl. limitationis umeris nicht bloß als Dativ neben decori, sondern auch als weiterer Ablativ aufgefaßt werden könnte: Omnibus ­eximium formae decus, omnibus idem / cultus et expleto teneri iam fine pudoris / virginitas matura toris annique tumentes. / Sed quantum virides pelagi Venus addita Nymphas / obruit, aut umeris quantum Diana relinquit / Naidas, effulget tantum regina decori / Deidamea chori pulchrisque sororibus obstat … (Stat. Ach. 1, 290–296). – Hinzu kommt, daß die Wortfolge soror- / Naid- im Enjambement gute Vorläufer hat: Culex 18sq.: ite sorores / Naides; Ov. met. 3, 505sq.: planxere sorores / Naides. Nun: Pholoë ist keine Schwester der Diana, eine Textgestaltung wie laevamque sororis / Naidos verbietet sich demnach; doch verbietet sich auch die Annahme, daß Statius in einem von ovidischem Humor geprägten Epyllion von einer vorgefundenen Junktur Gebrauch machte, indem er sie auf der Basis eines vielleicht nur zu­f ällig selten bezeugten (oder: nur selten erkannten?) Wortspiels ein wenig umdeutete und umarrangierte? Ich lasse die Frage hier offen, rege aber an, der Semantik des Wortes soror an den oben zitierten (und evt. auch weiteren) Stellen nachzugehen. 171 Zu den gradus amoris vgl. Friedman (1965/66). Eine mit diesem möglicherweise zu ­berücksichtigenden Konzept Pointe von silv. 2, 3 kann darin liegen, daß gerade der Sprung der Nymphe in den Teich bzw. ihr Verschmelzen mit diesem den visus künftighin ermöglicht, sogar in ganz zentraler Funktion ermöglicht, denn ohne visus keine Spiegelung, und sogar noch das alloquium nicht verhindern kann. Sogar die nächste Stufe, das alloquium, mag man wiederfinden, denn Pholoë wird die Worte, die Pan in den Versen 43–52 an den Baum richtet, zwangsläufig mitanhören. 172 Pan wird dadurch in eine sonderbar spiegelbildliche Position zu Pholoë gerückt: Wenn, wie weiter unten auszuführen ist, das Eindringen ins Wasser des Teiches symbolisch einer Penetration beim Geschlechtsakt entspricht, dann zeigt sich hier die Nymphe zum Vollzug solch einer Penetration befähigt, Pan hingegen nicht: Eine originelle Verkehrung der Genderrollen, die das reflektierende Hin und Her, das als Grundmotiv das Gedicht trägt, ergänzt.

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Nymphe Asyl bietet, und den Pfeil, der sie aufschrecken ließ.173 Relativ unvermittelt aber besinnt er sich eines anderen (hat er Ovid gelesen und ist daher mit der korrekten Verhaltensweise in derlei Situationen vertraut?) und macht sich daran, eine Art physischer Memorialstiftung durchzuführen, indem er wie ein bildender Künstler, der nach dem fruchtbaren Moment in einem Handlungskontinuum sucht, durch dessen Abbildung sich die Vorgeschichte und der Ausgang der Handlung prägnant einfangen lassen, den Moment seines Scheiterns durch eine Art Stellvertretung dauerhaft in Szene setzt. Er pflanzt eine junge Platane (39–41: p­ rimaevam nisu platanum … deposuit),174 also passend zu seiner unfruchtbaren Liebe einen keine (für den Menschen brauchbaren) Früchte tragenden Baum,175 erweist sich als Ruralgottheit dabei sogar recht kompetent, wenn er die Erde bzw. den Sand ordentlich aufhäuft (41: vivamque aggessit 173 Überliefert ist immitem Bromium, doch weshalb Pan sich über Dionysos beklagen sollte, der in der Hadnlung keine Rolle spielt, konnte bislang nie erklärt werden. Scaligers ingeniöse Konjektur immitem Brimo würde Diana ins Spiel bringen, freilich auf eine solch gelehrte Weise, daß man sie, pace Newlands (2011), 168, dem zotteligen Rustikalgott Pan nicht unbedingt zutrauen wird: vgl. auch Liberman (2010), 204 f.; wußte er außerdem, woher der Pfeil kam? (vgl. Shackleton Bailey [2003], 139, Anm.  8). Neben zwei unmittelbar an Pans Unglück beteiligten Dingen kann eigentlich nur ein drittes stehen, und es scheint mir relativ naheliegend, dafür an somnum zu denken: Der Schlaf ist mild, wenn er kommt bzw. solange er bei einem ist (Bibac. carm. frg. 9: mitemque rigat per pectora somnum; Ov. met. 8, 830: lenis somnus; in Junktur mit placidus: Ov. rem. 575sq.; met. 6, 489; 7, 153; 11, 623; fast. 2, 635; 3, 185; 4, 549; Ilias Lat. 634; Stat. silv. 5, 4, 1: placidissime divum), entsprechend ist er immitis, wenn er flieht. Zumindest scheint mir auf diese Weise der Text vernünftig lesbar. 174 Überliefert ist in 39 visu, was mit Recht als falsch erkannt wurde (vgl. Watt [1988], 164; Liberman [2010], 205. Marastoni [1979] und Traglia [1978] setzten visu), denn weshalb sollte die Platane (nur) dem Augenschein nach jung sein? Die auf das 17. Jhdt. zurückgehende Konjektur nisu trifft sicherlich das richtige, freilich nicht zum Verbum deposuit gestellt in der Bedeutung ›er pflanzte unter Kraftaufwand‹ (so noch Coleman [2014], 7 f.), denn erstens stellt das Versetzen eines jungen Bäumchens für Pan wohl kaum eine körperliche Herausforderung dar, zweitens würde man nisu evellit o. dgl. erwarten, aber nicht nisu deposuit: zum ­deponere ist erst recht keine große Anstrengung nötig. Ich stelle nisu als Abl. limitationis zu primaevam platanum (wozwischen es ja auch steht) und fasse nisus als ›Emporstreben‹ oder ›Wuchs‹: eine hinsichtlich ihres Wuchses jugendliche Platane. 175 Die Platane dient auch in der Antike ausschließlich dem Schattenspenden und der ­ästhetischen Gartengestaltung, insbesondere in Zusammenhang mit Quellen und anderen Gewässern: vgl. Hehn (1963), 294–301; Schneider (1995), 37 mit Anm. 13; Luschin (2010), 26 f. Pan mag freilich auf die bekannte Platane am Ilissos anspielen, in deren Schatten Sokrates im Phaidros sitzt (Plat. Phaedr. 229a), doch wird man die Wahl des Baumes im Text nicht zu sehr zum Angelpunkt der Interpretation machen wollen, war Statius doch daran gebunden, den Gegebenheiten in Atedius Meliors Garten gerecht zu werden: Wenn ein Platonbezug vorlag, dann war er primär durch Melior (oder wen auch immer) beim Pflanzen des aktualen Baumes vorgenommen worden, sozusagen Platon in den κῆπος verpflanzend. Weiter ist die poten­tielle Anspielung wohl nicht belastbar, bei aller ikonographischen Nähe des bekanntlich etwas silenhaften Sokrates zu Pan (zu dieser vgl. Zanker [1995], 38–45 und 168). Es sei aber darauf hingewiesen, daß Statius durch die zentrale Rolle, die er dem Baum in seinem Gedicht zuweist, einerseits die Gefahr überzogener Luxuriosität in der Schilderung von Meliors Anwesen meidet

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harenam)176 und das versetzte Gehölz mit jenem Wasser gießt, nach dem (resp. nach dessen Nymphe) er selbst sich sehnt (42: optatis aspergit aquis),177 bevor er gleichsam den Stiftungszweck seines Arrangements verkündet: Der Baum soll als pignus memorabile (43) für Pans (vergebliches) Sehnen ein langes Leben haben und das Versteck der liebesfeindlichen Nymphe stellvertretend für Pan (45: tu saltem … ama) lieben: Wobei in ama zweifellos die sexuelle Komponente nicht zu kurz kommt, denn die Aufforderung an den Baum, sich über das Wasser zu beugen und mit seinen Zweigen das Wasser zu ›drücken‹ (45: preme) ist unverkennbar eine Aufforderung zum Koitus, wenn auch vielleicht nur zu einem andeutungsweisen.178 Die Nymphe, die nun offenbar mit dem Wasser in eins gesetzt wird bzw. eine Metamorphose zum Gewässer durchgemacht hat, habe ihr Los zwar verdient (46: meruit) – woraus nebenbei ein Rückschluß auf Statius’ Verständnis derartiger ovidischen Metamorphosen als Bestrafungen erlaubt ist179 –, doch der Baum soll versöhnlich dem Wasser Schatten spenden und (was nahe dem römischen Stadtzentrum ein Problem, und auf in der Nachbarschaft des Kaiserpalastes erst recht kein diplomatischer Akt wäre), andererseits aber dessen Haus von altväterischen villae rusticae abhebt, indem er einen unfruchtbaren Baum besingt. 176 Erneut eine textkritische Schwierigkeit: Das überlieferte vivamque … harenam, das zuletzt Shackleton-Bailey (2003) in den Text setzt und mit »fresh sand« übersetzt, wurde verschiedentlich angezweifelt: Courtney (1990) schlägt im Apparat flavamque vor, Watt (1988), 164, plädiert für bibulam, beides wenig überzeugend, das eine als offenkundige Notlösung, das andere, weil das Motiv des Bewässerns dadurch für mein Gefühl zu stark betont wird (pace Liberman [2010], 205). Auch Newlands (2011), 169, ist skeptisch und changiert zwischen ›not manmade‹ (für Sand freilich kurios) und ›containing the essence of life‹, also etwa ›wachstumsfördernd‹. Letzteres paßt gut in den Kontext, ist aber anscheinend ohne akkurate Parallele. Als Grundbedeutung genügt indes das für vivus oft bezeugte ›natürlich vorkommend‹, ›natürlich gewachsen‹: Verg. Aen. 1, 181 vivoque sedilia saxo; Ov. fast. 2, 315 pumice vivo; Mart. 12, 63, 5 greges ovium tincti colore vivo; Ov. am. 3, 6, 59 vivum in pectore ferrum; auch die gängige Junktur aqua viva (e. g.: Ov. fast. 2, 250; 4, 778) bedeutet ja nicht primär ›fließendes Wasser‹ (die Bewegungskomponente des vivus spielt nur sekundär herein), sondern ›Wasser, das seinem Ursprung noch nahe ist‹, so etwa Verg. georg. 2, 469 vivi lacus. Demnach ist harena viva der Sand, wie er von Natur aus in der Umgebung des neugepflanzten Bäumchens vorkommt. Daß ­harena dabei metonymisch für ›Erde‹ stehen wird, womit das von Newlands vorgeschlagene Element des Lebensspendens (~ ›fruchtbar‹) zu seinem Recht kommt, liegt auf der Hand, jedenfalls wenn die Platane das von Pan ihr versprochene hohe Alter auch wirklich erreichen soll. 177 Polizian (1978), 461 f. und 468, weist darauf hin, daß man Platanen bei besonderer Pflege mit Wein goß: Plin. nat. 12, 8; Macrob. Sat. 3, 13, 3. Wein würde Pan nun für gewöhnlich nicht schlecht anstehen, doch in unserem Gedicht sehnt er sich immerhin nach einer Nymphe resp. nach Wasser, und damit gießt er den Baum auch. Immerhin aber ist auf Anth. Pal. 9, 247 zu verweisen, wo eine umgestürzte Platane, mit Wein gegossen, sich (wohl ähnlich der in Atedius Meliors Park von einem zweiten Punkt im Verlauf ihres Stammes aus) kerzengerade wieder erhebt: den Hinweis verdanke ich Taisne (1994), 348. 178 Newlands (2011), 171. 179 Vessey (1981), 50, interpretiert den Sprung der Naiade ins Wasser ausschließlich als »salvation«, den Baum als Denkmal für diese Errettung: was mir dem meruit, mag es auch aus Pans Mund gesprochen sein, doch etwas zu widersprechen scheint. – Zur Frage der (bei Statius nur per Ovidparallelen angedeuteten) Metamorphose der Pholoe vgl. Baumann (2013), 92.

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es vor herber Witterung behüten; nur soll er zugleich daran denken, mit seinen Blättern das Wasser in Unruhe zu versetzen (47sq.: tantum spargere tu laticen et foliis turbare memento). Damit wird wohl kaum auf das herbstliche Herabfallen der Blätter Bezug genommen (denn da geschieht kein turbare, sondern bloß ein Zudecken der Wasseroberfläche),180 und auch kaum auf Blätter an Zweigen dicht am Wasserspiegel, die, vom Wind bewegt, kleine Wellen verursachen sollen, denn eine Vereinigung mit dem Wasser scheint dem Baum ja vollkommen verwehrt und würde auch das Spiegelbild zerstören, das, wie sich zeigen wird, die Pointe des Gedichtes ist. Vielmehr kann turbare nur das Erzeugen von beweg­ lichen Schatten und Lichtreflexen auf der Wasseroberfläche meinen, etwa durch im leichten Wind bewegte Blätter – vielleicht eine Vorsorge, daß Pholoë auch an ihrem Platz im Gewässer bleibt in der Meinung, ihr Verfolger sei nach wie vor anwesend? Unter diesen Bedingungen werde auch er, Pan, Baum und Wasser in gutem Angedenken bewahren und beide zu so hohem Alter geleiten, daß selbst Eiche und Lorbeer, Pappel und Fichte bzw. Kiefer staunen, also in absteigender Reihung die Bäume des Jupiter, Apoll, Bacchus und Pans selbst (49–52); den klassischen kultisch relevanten Bäumen (aus denen z. B. auch Kränze gewunden werden können) wird also ein neuer hinzugefügt. Was folgt, ist der Ringschluß zum Beginn des Gedichtes: Der Baum wächst im Laufe der Zeit (die zeitliche Diskrepanz kommt in Vers 53 in veteres zum Ausdruck) in diejenige Position und Form, welche den Ausgangspunkt des Gedichtes bildete (1–5).181 Für Leser, denen noch nicht klargeworden ist, daß die Spiegelung im Wasser zum zentralen Motivbestand des Textes zu zählen ist, leistet sich Statius nun sogar die Extravaganz, die Spiegelung mitzubeschreiben: Von 180 Anders Hardie (2006), 209 f.: »The falling leaves mimic the garlands left at the door by the exclusus amator.« Diese Parallele zu einem Praklausithyron vermuten auch Pederzani (1995), 188, und Newlands (2011), 171. Doch würde man von dem Kranz oder sonst einem Ding, das ein augesperrter Amant auf der Schwelle zurückläßt, sagen, daß es (wen oder was auch immer) turbat? Auch spargere laticen kann zwar analog zu Verg. ecl. 5, 40 spargite ­humum foliis, inducite fontibus umbras gut und gern ›etwas mit (abgefallenen) Blättern be­ decken‹ bedeuten, doch selbst die recht gut passende Vergilparallele zwingt nicht dazu, an der Statiusstelle nur diese Bedeutung zu akzeptieren. 181 Pederzani (1992b), 172, schlägt vor, Statius könnte durch Statuen oder Malereien in A ­ tedius Meliors Park zu seinem Epyllion angeregt worden sein; ähnlich schon Cancik (1965), 52; vgl. auch Bergmann (1999), 104–106, zu derlei Gartengestaltungen als mythische ›Bildungs­landschaften‹. Es ist nicht auszuschließen, daß Meliors Garten entsprechende Bildwerke aufwies, schließlich sind Nymphen, Satyrn und Verwandte gängige Gartengestaltungsmotive: vgl. Kruse (2012), 200 f. Der Text gibt indes keinen Hinweis darauf, sodaß für den impliziten Leser der publizierten Gedichtsammlung (die Erstpublikation anläßlich der Überreichung des Gedichtes an Melior kann, wie stets, außer acht bleiben), der die Örtlichkeit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht aus eigener Anschauung kennen konnte, eine derartige Anknüpfung wirkungslos und irrelevant sein mußte. Die Informationen, die der Text solch einem Leser gleich eingangs gibt, um ihn auf den benötigten Kenntnisstand zu bringen, betreffen ausschließlich den Baum und den Teich, von bildlichen Darstellungen ist keine Rede.

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ihrem schief über den Teich hängenden Stamm ausgehend (54: obliquo ­pendula trunco) legt sich die arbor, von Pans Liebesverlangen beseelt, auf das Wasser (55: incubat) und sucht mit ihrem Schatten etwas in den Wellen (55: ­umbris scruta­ tur amantibus undas), hofft auch auf eine Vereinigung mit dem Wasser (56: am­ plexus; vgl. 2: aquas complexa lacus), doch dieses weist ihn ab und duldet keine Berührung (56sq.). Also drängt der Baum wieder empor und hebt sich ingeniosa (59) dem Himmel entgegen (57–59), als ob er mit einem zweiten Stamm tief in den Teich eindringe (59sq.). Dies läßt auch die Naiade geschehen und lädt zu dieser Form der Vereinigung sogar aktiv ein (60sq.), mit einer gewollt doppeldeutigen Fügung: exclusos invitat gurgite ramos – soll man exclusos gurgite verstehen oder invitat gurgite?182 Die eigentliche Pointe an der Stelle, die Shackleton Bailey sonderbarerweise übersehen hat,183 ist die Vermischung von Baum und Spiegelbild: Die arbor wächst von der Wasseroberfläche wieder empor, als ob sie tief ins Wasser eindränge, denn sie ist ja ingeniosa (59): Kann die Vereinigung nicht physisch herbeigeführt werden, weil das Wasser auch Pans Stellvertreter (Pederzani spricht sogar vom Baum als Metonymie Pans)184 gegenüber abweisend ist, so hilft dem intelligenten Gewächs die Ausnützung katoptrischer Prinzipien – je höher der Baum vom Wasser aus emporwächst, umso tiefer dringt er im Spiegel in dieses ein:185 182 Hardie (2006), 211. Zu einfach scheint es sich m. E. Wissmüller (1990), 56, Anm. 1, zu machen, wenn er das Element des excludere herausstreicht und invitat als Effekt einer Täuschung durch Spiegelung begreift; originell Bishop (1966), 24: »… and the maid now woos the branches that once she spurned (…), realising perhaps from the depths of the pool that they represent her last chance.« 183 Shackleton Bailey (2003), 389 f., erklärt Teile der Passage für »sheer nonsense« mit dem Ergebnis: »The conclusion that the muddle was in the author’s mind seems unavoidable.« Vgl. ebd., 384: »Methodologically, temporary insanity is a defence of last resort at best, but as concerns the author of II .3.57–60 not absolutely to be excluded.« Der Schluß, daß Shackleton Bailey die Stelle nicht verstanden hat, scheint unvermeidlich, doch ging ihm darin der sonst so unbestechliche Markland (1728), Not. 102, voran, der sowohl scrutatur in Vers 55 als auch die beiden nachfolgenden Verse für absurd erklärt; Schwierigkeiten fand hier auch Köstlin (1876), 502, doch dezidiert ohne sie lösen zu wollen. Die Genannten stoßen sich mehr oder minder ausgesprochen jeweils an scrutatur, das die Komponente des Eindringens, Um­ wühlens enthalte und damit in Widerspruch zum Nicht-Eindringen des Baumes ins Wasser gerate. Der Widerspruch löst sich bei genauerer Lektüre von selbst: umbris amantibus ­scrutatur – und die Spiegelung, die man hier ohne weiteres unter umbris mitverstehen kann, dringt ja selbstverständlich (scheinbar) ins Wasser ein. 184 Pederzani (1992b), 174. 185 Pederzani (1992b), 179 f.; Hardie (2006), 210, denkt an eine zweite Möglichkeit, nämlich die Imagination des Betrachters, der sich den auf das Wasser zielenden Abschnitt des Stammes ins Wasser und unter diesem weiterwachsend vorstellen könne: Ich halte dies für unmöglich, wenn ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß das Wasser jede Berührung verhindert (56sq.: arcet nec patitur tactus), d. h. zwischen Baum und Wasseroberfläche, wie schon aufgrund der wahrscheinlich im Jahreslauf leicht schwankenden Pegelhöhe des Teiches nicht anders zu erwarten, ein geringfügiger ›Spalt‹ blieb. Auch wäre nicht klar, worauf sich dann ingeniosa (59) inhaltlich eigentlich beziehen sollte.

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Womit sich übrigens erneut ein Motiv ergibt, das zu silv. 3, 4 bereits festgestellt werden konnte, das des Penetrierens des (in diesem Fall: Wasser-)­spiegels durch denjenigen, der in ihn blickt.186 Ob man so weit gehen wird, mit Willard McCarty von einer grundsätzlichen »femaleness« des Spiegels zu sprechen, lasse ich dahingestellt: im vorliegenden Fall, in welchem eine mit dem Wasser(spiegel) mehr oder minder verschmolzene Nymphe mit einem begehrlichen Baumstamm konfrontiert ist, ist sie jedenfalls gegeben.187

b) Zum Spiegelmotiv in silv. 2, 3 (I) Solcherart erreicht Pan also zweierlei: Er stiftet memoria an sein Erlebnis in Gestalt eines lebenden Denkmals, das ähnlich einem tableau vivant die einstige Szene nachstellt und einfriert, zugleich aber gelingt nun der für Pan Stellvertreterfunktion einnehmenden Platane wiederum durch einen Stellvertreterprozeß, die Spiegelung, schließlich doch noch die ersehnte Vereinigung, also die obersten gradus amoris (osculum sowie factum oder actus); man kann sogar von einer einmaligen Durchkreuzung dieser an sich ja recht naturgegebenen Stufenfolge sprechen, wenn man von der Abfolge visus, alloquium, tactus, osculum und concubitus ausgeht: visus und alloquium erfolgen ›real‹ in der Welt der mythischen Erzählung;188 osculum und concubitus erfolgen virtuell mithilfe der Spiegelung, die wieder, wie schon in silv. 3, 4, nicht eine Spiegelung im modernen Sinn ist, also eine schlichte virtuelle Verdoppelung des Realen, sondern Spiegelung im antiken Sinn, also veränderte Wiedergabe des Realen, mit semiotisch ergiebiger Diskrepanz zwischen diesem und jenem. Die Symmetrieachse dazwischen ist tactus  – genau derjenige Vorgang, der dem Baum gegenüber der Wasseroberfläche um Haaresbreite nicht gelingt, was ihn zum ›Ausweichen‹ auf das virtuelle Gebiet der Spiegelung zwingt, und der im Text mit der zweideutigen Formulierung exclusos invitat gurgite ramos (61) umschrieben wird. Es geht also sehr indirekt zu in diesem scheinbar so einfachen, bloß harmlose bukolische und ovidische Motive um einen luxuriösen Privatgarten rankenden Text;189 worauf noch einzugehen sein wird. Vorderhand 186 Vgl. o. 340. 187 McCarty (1989), 177 f. mit Anm. 38. Richtig weist McCarty (ebd.) in diesem Zusammenhang auf den Mond als katoptrisch und symbolisch interessante Gegebenheit hin. 188 Vgl. o. II , bei Anm. 171. Zu den gradus amoris vgl. Friedman (1965/66), bes. 171 f.; eine typische Auflistung, der ich in der Wahl der Einzelbegriffe oben gefolgt bin, beispielsweise bei Porphyr. Hor. carm. 1, 13, 15. – Es sei nochmals an das o. II, Anm. 128 zitierte Motiv, die Seele eines Menschen liege in seinem Spiegelbild, erinnert. Es würde, wenn es sich den be­ legen ließe, gut zur seelischen (jedenfalls als Gegensatz zu: körperlichen) Vereinigung des Baumes mit dem Wasser / der Nymphe passen. 189 Zu einfach in diesem Sinn macht sich die Deutung beispielsweise Grimal (1969), 307: »Ainsi, la fiction de Stace transforme ce coin de jardin en un paysage hellénistique avec ses

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aber sei noch auf zwei textkritisch umstrittene, offenkundig in Zusammenhang miteinander stehende Stellen hingewiesen. In Vers 16 ist, bevor die Nymphe in Schlaf fällt, überliefert flavos collegit amictus. Daran wurde Kritik geübt, entweder weil die Farbe des Gewandes schließlich egal und deren Erwähnung folglich überflüssig sei, oder weil es sich um die falsche Farbe für eine Naiade handle. Man einigte sich auf fluxos amictus, was der Vorstellung von einem infolge des raschen Laufes der Naiade in Unordnung geratenen Gewand zweifellos gut entspricht.190 Es irritiert indes, daß der Text auf das an sich entbehrliche Motiv des Gewandes nicht bloß einmal, sondern noch ein zweites Mal eingeht, als P ­ holoë sich ins Wasser stürzt: sic tota cum veste ruit (33). Auch dort wurde textkritischer Zweifel angemeldet, Markland (1728) konjizierte zu sicut erat cum ­veste ruit, in diesem Fall aber konnte inzwischen die Richtigkeit des Überlieferten gezeigt werden.191 Offenbar also ist es im Text von Bedeutung, daß Pholoë sich nicht wie ihr vielleicht wichtigstes ovidisches Vorbild, Arethusa,192 nackt, sondern mitsamt ihrem Gewand, das zu diesem Zweck zuvor schon eingeführt wurde, ins Wasser stürzt, und das läßt die Frage aufkommen, ob die prima ­v ista unerwartete Angabe flavos amictus in Vers 16 nicht doch ihren Sinn hat. Zweier­lei steht fest: Erstens verschmilzt Pholoë im Endeffekt praktisch mit der untersten Zone des Teiches (34: ima lacus implicat alga), zweitens hat Statius, diese produktionsästhetische Behauptung kann man guten Gewissens wagen, sein Epyllion vom Ergebnis her, d. h. vom Teich des Atedius Melior, wie er ihn in der aktualen Welt mit eigenen Augen sehen konnte, gebaut, es also so angelegt, daß die darin beschriebene Aitionhandlung möglichst detailgenau auf die reale Gegebenheit seiner Zeit hinauslief. sources sacrées, sa fraîcheur, toute une »Arcadie«, évoquée pour ennoblir et »poétiser« le ­jardin d’un riche Romain.«; ähnlich ebd., 423: »… ce poème destiné à illustrer dans le style ­a rcadien un paysage de jardin.« Detail am Rande: Jones (2011), 32 f., beobachtet richtig, daß in Vergils Bukolik Platanen gar nicht vorkommen. Schon die Wahl des zentralen Baumes markiert also eine Differenz zur ›echten‹ Bukolik, die davor warnt, silv. 2, 3 zu unbesehen in jene Tradition einzureihen. 190 Ker (1953), 3; Håkanson (1969), 66 f.; Shackleton Bailey (2003), 137, Anm. 5; Newlands (2011), 164. Traglia (1978) setzt fluidos amictus; vgl. auch Liberman (2010), 202. 191 Håkanson (1969), 69 f. Ich gestehe allerdings, Marklands Konjektur sicut erat, die er (Markland [1728], Not. 100) mit Verweis auf Ov. met. 5, 601 sicut eram fugio sine vestibus aus dem Bericht der Arethusa geradezu wasserdicht belegt, nur deswegen nicht in den Text zu setzen, weil methodisch das Ersetzen eines nachvollziehbaren Wortlautes durch eine wenn auch noch so ingeniöse Konjektur allemal problematisch ist und im vorliegenden Fall eigentlich nur dem Wunsch nach Intertextualität folgt. Inhaltlich aber ergibt sich weder mit noch gegen Markland ein Unterschied. 192 Ov. met. 5, 594sq.: … molliaque impono salici velamina curvae / nudaque mergor aquis. Immerhin, diese Motive bleiben bei Statius allesamt bewahrt, bloß in veränderter Reihenfolge: Pholoë springt mitsamt dem ausdrücklich genannten Gewand ins Wasser, der gekrümmte Baum, der freilich einer anderen botanischen Spezies angehört, wächst erst hinterher. Zur Arethusaparallele vgl. Billerbeck (1986), 531 f.

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Zugegeben: Der moderne Interpret kennt diese nicht, sondern kann sie nur im Zirkelschlußverfahren wiederum aus dem Text gewinnen. Doch einiges immerhin ist bekannt: Der Teich scheint Ufer aus sehr hellem Material zu haben (17: niveae … ripae), das sich vielleicht auch unter Wasser ein Stück weit fortsetzt, er ist sonnenbeschienen (die Platane wird wohl ein Solitair sein und nicht Bestandteil einer ganzen Baumgruppe, außerdem benötigt die im Gedicht so wesentliche Spiegelung direktes Licht), auf dem Grund gibt es Algen. Die genannten Elemente lassen die Vermutung zu, daß der Boden des Teiches, der kaum sehr tief gewesen sein wird, dem Betrachter sichtbar war, und in diesem Fall war er mit einiger Wahrscheinlichkeit flavus, soweit er nicht mit Algen bewachsen war. Wurde also das Gewand der Nymphe zum Grund des Teiches und mußte deshalb von Anfang an dessen Farbe haben? Ich halte dies für ohne weiteres möglich. Statius’ Bemühen, möglichst viele Details aus der Aktualität in seine Fiktion zu übernehmen, würde die Wendung flavos amictus ebenso erklären wie die sonderbare, sonst bestenfalls als pedantisch zu bezeichnende zweite Erwähnung des Gewandes. Immerhin hält man so den überlieferten Text und erklärt ex post, weshalb schon im ersten Vers des Gedichtes die Qualität der Durchsichtigkeit an Meliors Gewässer besonders hervorgehoben wurde: perspicuas … aquas (silv. 2, 3, 1sq.). Trifft diese meine Interpretation das Richtige, so ergibt sich ein zusätzlicher Effekt. Daß der Baum mithilfe seiner Spiegelung den Teich penetriert, konnte schon dargelegt werden. Wiederum aber fällt eine Motivdoppelung auf, wenn auch nur eine kleine: stirpe alia steigt der Baum in imos lacus hinab (59sq.), wo zuvor die Nymphe ima alga ihre Seite, latus, verborgen hatte. Die überdies noch durch Assonanz miteinander verbundenen Zielpunkte der Bewegungen entsprechen einander offenbar: Beidemale wird imus gesetzt, stirpe alia korrespondiert im Sinne dieses virtuellen Geschlechtsverkehrs mit Pholoës latus (alga mag man einbeziehen: über die Toilettegewohnheiten von Naiaden liegen keine Daten vor). Dem Betrachter bot sich also der Eindruck, der virtuelle, nach unten wachsende zweite Stamm des Baumes würde den Seegrund erreichen und sich mit diesem vereinigen: ein Grund mehr, die Möglichkeit einer Gleichsetzung von flavus amictus und gelblichem oder ockerfarbigem Seegrund ernstzunehmen – schließlich konnte der Dichter, sollte seine Pholoë einem einigermaßen akzeptierten weiblichen Schönheitsideal entsprechen, nicht gut ihre Haut die Farbe des Seegrundes haben lassen; das Gewand war diesbezüglich unverfänglich. Damit liegt in silv. 2, 3 bei aller Bildhaftigkeit des Gedichtes etwas vor, was die antike Malerei, jedenfalls soweit sie noch überblickbar ist und soweit sie sich nicht mit technischen Tricks behalf, um immerhin einen nahekommenden Effekt zu erzielen,193 anscheinend nie gewagt hat, sondern woran sich erst die Ma 193 Zu denken ist an die Fischmosaike in der sog. Grotte der Lose von Palestrina (de facto wohl schlicht ein Nymphäum) und aus den Thermen einer republikanischen Villa unter dem Garten von San Lorenzo in Panisperna auf dem Viminal (Rom, Musei Comunali, Inv. 32359),

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lerei der Renaissance langsam herantastete:194 Die Darstellung nicht bloß einer Spiegelung im Wasser, sondern darüber hinaus die Einbeziehung des durch das (nicht zu tiefe)  Wasser hindurch bei angemessen steilem Betrachtungswinkel sichtbaren Grundes des Gewässers, wobei Spiegelung und Blick auf den Grund sogar interagieren. Doch: wessen Blick eigentlich, der des Betrachters (d. h. des Lesers im Text) oder der des Baumes? Prinzipiell zweifellos beide, kausativ ist aber in erster Linie der der Platane, die ja dei veteres animata calores ist (53), d. h. erstens belebt in einer höheren Weise als es gemeinhin Platanen vielleicht zukommen mag, zweitens als emotionales Double Pans in gleicher Weise bebeide aus dem 2.  Jhdt. v. Chr., die jeweils von einem schmalen Beckenrand umgeben und durch einen laufenden Zufluß ständig einige Zentimeter tief unter Wasser gesetzt waren, sodaß nicht nur ihre farbige Wirkung besser zur Geltung kam und die dargestellten Fische sich wahrhaftig unter Wasser befanden, sondern auch bei passendem Lichteinfall, wie er in der Grotte von Palestrina jedenfalls möglich ist, der Betrachter am Rande des Beckens (der in Palestrina sogar im Mosaik als Uferrand gestaltet ist) sich im Wasser spiegeln konnte: Woraus, da dieser Reflexionsvorgang ja eine echte Spiegelung des echten Betrachters in echtem Wasser ist, eine hochinteressante Spannung zum im überspülten Mosaik dargestellten künstlichen Wasser mit seinen ebenso künstlichen Bewohnern resultierte, vermehrt noch um den Effekt der Lichtbrechung: die Mosaikfische erschienen größer und, da durch das ständig zuund ablaufende Wasser dessen Oberfläche eigentlich ständig leicht bewegt gewesen sein muß, auch an wechselnden Orten und in wechselnder Tiefe, sie erschienen also andeutungsweise lebendig; vgl. Andreae (2003), 127–159. Freilich: Der Grund des (im Mosaik dargestellten) Gewässers kommt hier ebensowenig in den Blick wie im mehr als ambitionierten Fall einer mit den Hinterhufen im seichten Wasser stehenden Kuh auf einem der Tieremblemata aus der Hadriansvilla von Tivoli (Rom, Vatikanische Museen, Inv. 423): Die unter Wasser befindlichen Hufe sind sichtbar (und sogar durch zurückgenommene Farbigkeit und angedeutetes Wellengekräusel extrem kunstfertig dargestellt), zugleich aber werfen die über das Wasser ragenden Beine und der daran anschließende Leib des Tieres einen Schatten auf dessen Oberfläche, wenn auch von der Spitze der Hufe statt vom Punkt des Eintauchens ins Wasser ausgehend – der einzige Fehler dieser sonst so überragenden Darstellung; vgl. Andreae (2003), 284. 194 Das älteste mir bekannte Beispiel ist die in London (National Gallery, Inv. NG665) befindliche Taufe Christi im Jordan des Piero della Francesca aus Borgo San Sepolcro (um 1450): Christus scheint am Rande eines Gewässers zu stehen, bei näherem Hinsehen aber steht er im seichten Wasser, das sich um seine Knöchel kräuselt, doch ist im Vordergrund, wo der Blick des (richtig positionierten) Betrachters in einem steilen Winkel auf die Wasseroberfläche fallen würde, der Grund des Flusses dargestellt, erst weiter gegen den Hintergrund zu, wo der Blick des Betrachters flacher einfällt, die Wasseroberfläche mit ihren Spiegelungen. Freilich: Piero zieht zwischen beiden Zonen eine scharfe Grenze, während in Wirklichkeit ein fließender Übergang zu malen gewesen wäre, doch immerhin zeigt er ein Bewußtsein für das Phänomen der nur teilweisen Reflexion an der Wasseroberfläche. Spiegelungen interessierten ihn in diesem Bild offenbar überhaupt, denn der weitere Flußlauf des Jordan in den Bildhintergrund zeigt eine Reihe von ›zufälligen‹ Spiegelungen (der Landschaft sowie von Personen im Hintergrund), geht also auch darin über das in der antiken Malerei Erreichte (wovon Piero freilich kaum etwas wissen konnte) hinaus; vgl. Kemp (1997), 225– 237 mit Farbtafel 13; http://www.nationalgallery.org.uk/paintings/piero-della-francesca-thebaptism-of-christ (Stand: 1.2.2016).

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gehrlich, das heißt auch: begehrlichen Blickes über die Nymphe bzw. deren neue Gestalt bzw. neue Wohnstätte gebeugt. Schließlich war es ja auch dieser Blick des Pan, der die Nymphe zum Sprung in den Teich veranlaßte, in Kombination mit dem dazwischenkommenden Pfeil der Diana (auf den unten noch einzugehen ist). Was sich daraus ergeben hat, ist ein dauerhafter Zustand: der stets über das Wasser geneigte Baum, die stets darin verborgene Nymphe, ein unaufhörliches virtuelles, da in der Spiegelung sich abspielendes, Wechselspiel zwischen beiden: Dafür kann nur ein permanenter Blick verantwortlich sein, da nach antiker Auffassung ein Spiegel ja nur dann etwas zeigt, wenn ihn ein Blick trifft: hier also der des Baumes. Diese Perpetuierung des Blickes und der Spiegelung fügt sich gut in die antike bildliche Darstellungstradition von Spiegelungsvorgängen, die gleichfalls so gut wie immer die im Bild dargestellte Spiegelung aus dem Blick einer im Bild dargestellten Person (und nicht des Betrachters des Bildes) entspringen läßt. Hier ist freilich ein wenig auszuholen, denn ausgerechnet zu diesem Punkt existiert eine genau entgegengesetzte Auffassung, vertreten durch die verdienstvolle Sammlerin der erhaltenen antiken Spiegelungsdarstellungen, Lilian Balensiefen.195 Sie kommt letztlich zum Schluß, daß Spiegelbilder in Darstellungen in der Regel auf den Betrachter des Kunstwerks hin konzipiert seien und das auch direkt Dargestellte lediglich verdoppeln, oft in fehlerhafter Weise, d. h. ohne Rücksichtnahme auf die in der dargestellten Konstellation von Gespiegeltem, Spiegel und Betrachter physikalisch gesehen notwendigen Verzerrungen, Verkürzungen und Ergänzungen / Auslassungen, etwa wenn ein Spiegel theoretisch die dem Betrachter der Darstellung abgewandte Seite des Gespiegelten zeigen müßte, jedoch bloß die dem Betrachter der Darstellung zugewandte Seite verdoppelt. Diese Bezogenheit auf den Betrachter hin sei »sicherlich die Ursache dafür, weshalb man auf vielen Bildern ein deutliche optisch-visuelle Zuordnung 195 Freilich entspricht die weitere Ausführung nicht immer dem durch das Sammeln errungenen Verdienst: Wieso man einen in einem Text vorkommenden Spiegel, der »nicht eine den Handlungsablauf mitbestimmende narative Funktion« innehat, als »poetisches Motiv« bezeichnen sollte, ist mir weder terminologisch noch hinsichtlich des zugrundeliegenden Unterscheidungskriteriums nachvollziehbar: jedenfalls scheinen mir Narrativität und ­Poesie kein rechtes Gegensatzpaar zu bilden (Balensiefen [1990], 15 f.); die Theorie, die Griechen machten das ἀτρεκές einer Spiegelung zum springenden Punkt, während die Römer deren trügerischen, irrealen Charakter hervorhöben, beruht auf insgesamt viel zu wenigen und überdies statistisch schief verteilten und zufälligen Belegen (vgl. ebd., 16–18); und schließlich die damit zusammenhängende Annahme einer chronologischen Entwicklung von ›realistischen‹ Spiegelungen hin zu ›trügerischen‹, von denen letztere aber auf einem höheren Re­flexionsgrad seitens des Rezipienten beruhten (ebd., 18) halte ich für extrem unwahrscheinlich, zumal gerade der Bereich, wo sich dies nach Balensiefen am deutlichsten zeige, der Illusionismus der römischen Wandmalerei, einer ist, in dem die Frage nach ›realistisch‹ und ›trügerisch‹ nicht beantwortbar ist, bedingt das eine doch das andere und ist von ihm weder zu trennen noch zu unterscheiden.

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von Spiegelbild und realem Gegenüber vermißt«,196 also die im Bild dargestellte Person selbst nicht in den Spiegel blickt. Nun seien technische Unzulänglichkeiten zugestanden: Die korrekte male­ rische Wiedergabe eines Spiegelungsvorganges, womöglich gar an einem in schiefem Winkel zur Bildebene gezeichneten und / oder gekrümmten Spiegel  – an beidem versuchten antike Künstler sich –, ist etwas so unerhört Schwieriges, daß selbst die Maler der Neuzeit, denen immerhin schon qualitätvollere Spiegel relativ leicht zur Verfügung standen, derlei Darstellungen als Bravourstück an­ sahen. Davon abgesehen aber schätzt Balensiefen meines Erachtens das Kunstwollen der antiken Maler falsch ein, denen es nur in den seltensten Fällen darum zu tun gewesen zu sein scheint, im gemalten Spiegel das darzustellen, was der physische Betrachter der Darstellung in diesem sähe, wenn die Szenerie und mit ihr der Spiegel real wären: Einzig die bei ihr als K54197 und K43198 erfaßten Darstellungen erfüllen einigermaßen diese Anforderung, und bezeichnenderweise bilden beide auch in anderer Hinsicht eine Ausnahme, stellen sie doch im einen Fall – eine Seltenheit – gespiegelte Tiere,199 im anderen Fall – ein Unikum – für sich allein gespiegelte unbelebte Gegenstände dar.200 Alle übrigen Darstellungen von Spiegelungsvorgängen lassen sich in zwei Gruppen gliedern: solche, in denen die dargestellte Person in den dargestellten Spiegel blickt, um sich selbst201 oder, ein spezieller Seitentrieb dieser Variante, etwas anderes, konkret das Haupt der Medusa,202 darin zu sehen; und solche, in denen die dargestellte Person gerade nicht in den Spiegel blickt sondern beispielsweise aus 196 Balensiefen (1990), 84. 197 Es handelt sich um eine Ufer-Wasser-Szenerie mit Tieren und Pflanzen, die teils Spiegelbilder, teils Schlagschatten hervorrufen: letzteres zwar trotz Gombrich (2009), passim, keine absolute Rarität, aber doch ein Hinweise darauf, an welch ausnahmsweiser Darstellungsform der ambitionierte Mosaizist sich versuchte. 198 Eine Reliefdarstellung auf einem Silberskyphos, wo in einem als Spiegel dienenden Tympanon in der Tat ein Ausschnitt aus der dem Betrachter des Gefäßes sichtbaren Szenerie spiegelverkehrt verdoppelt (und im Relief!), doch nicht wirklich gespiegelt, dargestellt erscheint: Doch geht es, wie Balensiefen anmerkt, in diesem Bild insgesamt »nicht ganz mit rechten Dingen zu«, nicht zuletzt der selbst reflektierenden Metalloberfläche halber: ­Balensiefen (1990), 68–70; Zitat: 70. 199 Zu erinnern wäre an die sich beim Trinken im Wasser spiegelnde Ziege auf den Odyssee­f resken vom Esquilin: vgl. Biering (1995), Tafel IV. 200 Die zufällige Spiegelung von Gegenständen könnte freilich auch im Falle eines Mo­ saiks aus Tor Bella Monaca (Rom, Museo Nazionale Romano, Inv. 423108) vorliegen: Im Bild beugt sich der auf seinen Speer gestützte Hylas mit einem Krug in der Hand zur Quelle hinab, deren Nymphe ihn am Arm ergreift. Es scheint, daß sich der Krug und ein nicht näher definierbarer Ausschnitt des Hylas im Wasser spiegeln, leider recht unvollkommen ausgeführt – man bedauert, daß das dem Mosaik zugrundeliegende Gemälde, auf dem die fragliche Zone sicherlich klarer zu erkennen war, nicht erhalten ist; vgl. Andreae (2003), 272. 201 Hierher gehören die zahlreichen Toiletteszenerien wie beispielsweise K 2–4 und K 20–22; vgl. K 31 und K 33. 202 Balensiefen (1990), K 13–15. 17. 23–26. 35.

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dem Bild heraus auf den Betrachter, im dargestellten Spiegel aber erscheint, als blicke sie in ihn.203 Im ersten Fall zeigt die dargestellte Spiegelung dem Betrachter des Bildes das, was die dargestellte Person sieht, mag dies auch physikalisch meist unmöglich sein, selbst wenn man bedenkt, daß antike Bilder bei allen Ansätzen zu perspektivischen Elementen den Betrachter doch nie so dezidiert auf einen bestimmten Standpunkt festnageln wie neuzeitliche Malereien – erst in einem solchen Kontext hätte eine Nachrechnung der physikalischen Richtigkeit der gemalten Spiegelung aber überhaupt einen Sinn. Immerhin aber leistet diese Darstellungsform etwas Wesentliches, indem sie die Funktion des Spiegels bezogen auf die dargestellte Szenerie ins Bild rückt: Blickt im Bild eine sich schmückende Frau in den Spiegel, so ist die Funktion des Spiegels  – und der Sinn des gesamten Vorganges –, daß im Spiegel ihr Gesicht erscheint, und diese Funktion ist es, die dargestellt wird.204 Im zweiten Fall könnte man auf den Gedanken kommen, daß das gemalte Spiegelbild fiktiv durch den Blick des Betrachters des Bildes entsteht, nicht durch den des Dargestellten. Doch weshalb betreffen diese Spiegelungen dann, von den zwei oben genannten Ausnahmen abgesehen, stets nur mehr oder minder frontal abgebildete Gesichter, ob es sich nun um die zahlreichen Darstellungen des Narcissus am Wasser handelt oder um den Perser auf dem Alexanderschlachtmosaik, den man freilich auch der ersten Gruppe zurechnen könnte?205 Da eine funktionalistische Darstellung des Spiegels, wie die erste Gruppe sie aufweist, hier nicht nötig wäre, entfällt jeder Grund sowohl für die Reduktion des dargestellten Spiegelbildes auf ein Gesicht als auch für die Außerachtlassung physikalischer Gesetze: Wenn antike Maler ›zufällige‹ Spiegelungen inszenierten, weshalb sollten diese stets katoptrisch falsch sein und außerdem stets nur Gesichter oder allenfalls Brustbilder von Personen betreffen?206 Die Antwort kann nur lauten: auch in der zweiten Gruppe entsteht das Spiegelbild ausschließlich durch den Blick der dargestellten Person. Der gemalte Spiegel zeigt, was diese Person sieht, wenn sie in ihn blickt, genauso wie in der ersten Gruppe, mit der die zweite somit weitgehend wieder zusammenfällt: Narcissus, um er-

203 Hierher gehören die meisten der bei Balensiefen (1990), 230–232, als K32 versammelten Fresken mit Darstellungen des Narcissusmythos, dazu eine weitere Darstellung im Stuckrelief aus Stabiae: ebd., 237 f., K 38; Mielsch (1975), 45 f., K 34, 1 (jew. mit Abb.); vgl. auch die bekannte Statue im Vatikan: Balensiefen (1990), Taf. 39; Büttner (2006), 186, Abb. 13. 204 Insofern ist es auch falsch, wenn Balensiefen (1990), 87 in bezug auf eine Darstellung des Parisurteils, die Hera in einen Spiegel blickend und in dem Spiegel eben Heras Konterfei zeigt (K7), von einem »weder für die Göttin Hera noch für die Gesamtaussage dieser Darstellung unbedingt notwendigen Detail« spricht: Der Spiegel war gewiß nicht notwendig, aber da er einmal dargestellt wird, ist es notwendig, daß er auch spiegelt. 205 Balensiefen (1990), 45–48. 206 Vgl. die Zusammenfassung einer typischen Narcissusdarstellung bei Philostr. imag. 1, 23, 1: Ἡ μὲν πηγὴ γράφει τὸν Νάρκισσον, ἡ δὲ γραφὴ καὶ τὰ τοῦ Ναρκίσσου πάντα.

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neut auf dieses beliebteste mythische Motiv an Pompeis Hauswänden zurückzugreifen, sitzt ja nicht am Ufer, damit der Betrachter sein Spiegelbild sieht, sondern um sich selbst zu spiegeln. Daß er in zahlreichen Darstellungen dennoch den Betrachter anblickt, mag man dem altbekannten Phänomen zuschreiben, daß antike Künstler verschiedene Phasen eines Vorgangs ins selbe Bild setzen können: Narcissus blickt auf und den Betrachter an, das Wasser aber zeigt unverändert, was es zuvor gezeigt hat und auch weiterhin zeigen wird, sobald der Jüngling wieder das tut, was er eben zu tun hat: sich spiegeln. Modernes, am Photographischen orientiertes Bildverständnis mag sich daran stören, der antike Betrachter gewiß nicht. Daraus resultiert eine m. E. wesentliche Korrektur der Auffassung Balensiefens, gemalte Spiegelungen seien auf den Betrachter bezogen: Mit Ausnahme der genannten Sonderfälle sind sie es gerade nicht, oder nur insoferne, als das Bild insgesamt schon dadurch, daß es existiert, mit einem wie auch immer gearteten Betrachter rechnet. Das Entstehen der gemalten Spiegelbilder aber ist stets dem Blick der sich bildimmanent spiegelnden Person in den Spiegel geschuldet, egal ob dieser Blick auch als Vorgang, als Interaktion von Spiegel und Gespiegeltem, ins Bild gesetzt wird oder nicht. Dies einmal festgehalten, fügt sich eins zum anderen, wenn man berücksichtigt, daß nach antiker Auffassung (die per Augenschein erst mit der Erfindung der Photographie widerlegt werden konnte) ein Spiegel nur dann etwas spiegelt, wenn jemand in ihn blickt, weil es der Sehstrahl des Schauenden ist, der durch den Spiegel reflektiert und auf das fragliche Objekt gelenkt wird, nicht umgekehrt. Die gemalten Spiegel machen keine Ausnahme: Auch sie sind, um spiegeln zu können, angewiesen auf einen Blick, und zwar auf einen, der derselben ontologischen Stufe angehört wie sie selbst, einen Blick im Bild, nicht einen Blick ins Bild. Darin gleichen sie (ein oft übersehener Grund dafür, daß Ovids Koppelung der Mythen des Narcissus und der Echo so genial ist)207 dem akustischen Echo, das eine aktive Schallquelle, etwa einen Rufenden, benötigt, dessen Schallwellen es dann zurückwirft: Ebenso wirft der Spiegel den aktiv ausgesandten Sehstrahl zurück. Ich halte also fest: In Analogie zu den typischen und topischen bildlichen Darstellungen von Spiegelungsvorgängen ist es auch in der in silv. 2, 3 beschriebenen pittoresken Szenerie der Blick des in der Szenerie ins Wasser Schauenden, also des Baumes, der für die Spiegelung verantwortlich ist, während der Blick des Betrachters (des Lesers) erst in zweiter Linie bedeutungsvoll ist. Nun gilt es, bevor noch der Schluß des Gedichtes und damit eine andere Interpretationsebene des Textes in den Blick genommen wird, einige weitere Elemente des Pholoë-­ Pan-Epyllions näher zu betrachten. Da ist zunächst das höchst ungewöhnliche Motiv des verkehrten Pfeils der Diana, ja eigentlich schon deren Auftreten

207 Vgl. Hardie (2002), 152.

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selbst,208 hat das Ich des Textes doch eingangs Phoebus als μουσαγέτης und Inspirationsgottheit zugunsten einer im Milieu der Faune und Naiaden angesiedelten Narration fortgewiesen (6sq.): Umso erstaunlicher, daß mit Diana Apolls Schwester eine nicht unwichtige Rolle im Gedicht spielt, und daß auch Pholoë mit dem für die Dianas Gefolge bildenden Nymphen höchst ungewöhnlichen (genauer: einzigartigen) Epitheton Phoebeia Nais (60) bezeichnet wird,209 übrigens ganz am Schluß der Narration, als der Endzustand ihrer virtuellen Vereinigung mit Pans Stellvertreterbaum via Spiegelung bereits erreicht ist. Stehen Pan und Baum als Entsprechungen füreinander, dann müssen auch die jeweils ihre Ver­ einigung mit dem Gegenstand ihrer Sehnsucht verhindernden Elemente einander entsprechen: Dianas verkehrter Pfeil einerseits, der Pan in die Quere kam, und andererseits die Wasseroberfläche, an der der Baum sich zurück in die Höhe biegen muß. Ist es vermessen, Dianas verkehrt fliegenden Pfeil als Symbol für ›Reflexion‹ zu begreifen? Noch dazu, wo sie als Mondgöttin selbst ja eine höchst reflektierende Instanz ist, indem sie stets das von ihrem Bruder Apollo / Phoebus empfangene Licht, das an zahllosen Stellen als ›Pfeile des Sonnengottes‹ verstanden wird, zurückwirft, sozusagen aversa sagitta (30)?210 Pan kommt demnach im Vollsinn eine Reflexion in den Weg, und es ergibt sich ein höchst komplizierter Zusammenhang: Der Baum, der physisch das Wasser nicht berührt, sondern sich wieder erheben muß, wie der über Pholoë gebeugte Pan, den Dianas verkehrter Pfeil hindert; der Baum, der ins Wasser blickt und (ingeniosa: 59) seine Spiegelung bis auf den Grund eindringen sieht, also die Reflexion für sich zu nützen versteht und sich immerhin auf diese Weise mit der just hier als Phoebeia bezeichneten Naiade vereint: jeder Spiegel zeigt nach antiker Auffassung Objekte dort, wo sie nicht sind  – hier weiß das fragliche Objekt sich genau diesen Umstand zunutze zu machen; schließlich der Baum, der effektiv ins Wasser und bis auf dessen Grund blickt, wo die Naiade sich 208 Billerbeck (1986), 532, weist zutreffend darauf hin, daß auch in der Statius᾽ Epyllion wesentlich zugrundeliegenden ovidischen Arethusaepisode Diana durch die Nymphe um Hilfe angerufen und dabei ausdrücklich daran erinnert wird, wie treu Arethusa für die Göttin stets Köcher und Bogen getragen habe: Ov. met. 5, 618–620. Doch erstens läßt Statius seinen Mythos doch einen recht anderen Verlauf nehmen, wenn Pholoë einschläft oder in Ohnmacht sinkt und Diana sie rein zufällig findet, zweitens besteht innerhalb von silv. 2, 3 auch, wenn man auf Ovid rekurriert, jedenfalls die oben beschriebene Spannung zwischen dem Auftreten Dianas und der Wegweisung des Phoebus in Prooemium, drittens erklärt die Ovidparallele nicht, weshalb Diana ein so sonderbares Mittel wählt, Pholoë aufzuwecken. 209 Newlands (2011), 175. Ist es ein Zufall, daß dasselbe Adjektiv auch im zweiten Gedicht der Sammlung, das sich um einen Spiegelungsvorgang dreht, erscheint (silv. 3, 4, 6: iuvenis Pheobeie), mag es dort auch inhaltlich durch den Bezug des gesamten Textes auf Asklepios a priori näher gelegen sein? 210 Das an sich konventionelle Pfeilmotiv für die Strahlen der Sonne, doch auch des Mondes, begegnet nochmals Stat. Theb. 9, 648sq. bei einer Begegnung Apolls und Dianas: ­occursuque sacro pariter iubar arsit utrimque / et coiere arcus et respondere pharetrae. Auch dort also spielt Statius mit dem Motiv.

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verborgen hält, mit seinem Sehstrahl also den Spiegel doch durchdringt (was an die p­ otentius-auro-Qualität von Earinus’ Blick in silv.  3, 4, 96sq. erinnert: vgl. o. 340). Diese komplizierte Situation, die im Garten des Atedius Melior mit hoher Wahrscheinlichkeit eben gegeben war, wird freilich völlig in Narration aufgelöst, sodaß sich auch das Quid Phoebum tam parva rogem des Gedicht­ beginns (6) in einem weiteren Sinn deutet: ›Was soll ich den Gott des Lichtes, d. h. auch: eine an katoptrischen Theorien orientierte Analyse der Teich-BaumSituation, für solch eine Kleinigkeit heranziehen? Eine Geschichte von Faunen und Nymphen leistet das Gleiche in viel angemessenerer Form.‹ Man kann noch einen Schritt weiter gehen und versuchen, antike katoptrische Vorstellungen mit dem in silv. 2, 3 Entworfenen in Deckung zu bringen: immerhin ist nicht a priori auszuschließen, daß ein einerseits stark visuell veranlagter, andererseits technischen (im modernen Sinn) Dingen gegenüber nicht unaufgeschlossener Autor wie Statius ein gewisses Interesse für dieses Gebiet zeigte. Der wichtigste, immerhin in Übersetzung aus zweiter Hand erhaltene antike Optiktraktat, der des Ptolemaios, geht beispielsweise gelegentlich auch auf das Phänomen einer ›zerrissenen‹ Spiegelung bzw. Brechung im Falle einer bewegten, gekräuselten Wasseroberfläche ein, deren Effekt es sei, die scheinbare Distanz zwischen Spiegeloberfläche und Spiegelbild bald zu verlängern, bald zu verkürzen (Ptolem.-Eugen. 2, 112); für die Lichtbrechung gilt per analogiam dasselbe. Das könnte zu Pans Aufforderung an den Baum, mit seinen Blättern das Wasser zu bewegen (48: turbare), passen: Tut der Baum das in geeigneter Weise, kann ihm der Teichgrund und mit ihm die Nymphe näher erscheinen. Hinzu kommt der der Antike gleichfalls bekannte Effekt, daß im Wasser befindliche Gegenstände einem in luftigem Milieu befindlichen Betrachter infolge der Brechungsgesetze größer bzw. näher erscheinen (cf. Ptolem.-Eugen. 5, 77 mit der dazugehörigen Beweisführung): erneut kann damit gerechnet werden, daß der optische Effekt dem Verlangen des Baumes gleichsam entgegenkommt, jedenfalls indem ihm die Nymphe scheinbar entgegenkommt: in dem zu ihrem bisher gezeigten Verhalten ja nicht gänzlich stimmigen invitat gurgite ramos Pholoës könnte eine psychologisierende Deutung dieses Phänomens vorliegen. Ein weiterers auffälliges Element ist der zu Beginn des Epyllions beschriebene Weg der Nymphe, den sie über die sieben Hügel zurücklegt. Ein Ausgangspunkt wird nicht genannt, doch als Stationen erscheinen folgende Toponyme:211 belli­ 211 Vgl. Newlands (2011), 162 f. – Mehr oder minder bedeutungsvolle Bewegungen fiktiver Personen durch die stadtrömische Topographie sind in der so sehr um diese eine Stadt kreisenden lateinischen Literatur der Antike keine Seltenheit, es sei nur etwa auf das erfolglose Im-Kreis-Laufen des Schnorrers Selius bei Mart. 2, 14 hingewiesen, oder auch auf die vorgeschlagene ›Cruisingroute‹ für einen angehenden Amanten in Ov. ars 1, 67–88. Offenbar rechnen römische Autoren mit einer Leserschaft, die imstande ist, derlei Topographica problemlos zu lokalisieren und sich die resultierenden Routen vorzustellen. Für Hinweise zum Thema danke ich Margot Neger (Salzburg).

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gerum Iani nemus (12), eine umstrittene Angabe, die aber irgendwo in den innersten Stadtbereich (Argiletum? Porta Ianualis?) zu führen scheint, also in den näheren Umkreis des Forum Romanum;212 sodann atra Caci rura (12sq.), der Aventin; schließlich Quirinales … agros (13), der Quirinal, als letzte Station, ehe Pholoë den Caelius erreicht. Das ergibt eine wilde Zickzackbewegung durch das Terrain des prähistorischen Rom, und daran ist zweierlei bemerkenswert: Zum einen erinnert die Bewegung der Nymphe im Raum der (noch nicht existenten) Stadt, auf einen Plan übertragen, an die Bewegung des Baumes, einfacher gesagt: hier wie dort ist ein wildes Hin und Her das wesentliche Element. Hin und Her aber ist schließlich in einem so stark mit katoptrischen Motiven spielenden Text nichts anderes als eine Spiegelung: Schon bevor sie in den Teich flüchtet bzw. mit ihm verschmilzt, bewegt Pholoë sich in einer Weise, die ebenso ­›reflexiv‹ (im Sinne von: scharf zurückgebogen) ist wie der Wuchs des Baumes, dessen Analogie zur Spiegelung ich oben schon unterstrichen habe. Pholoë und der Baum teilen demnach die Eigenschaft, in der Narration das reflektierende Hin und Her des Spiegelungsvorgangs typologisch vorwegzunehmen und in konkrete Handlung umzusetzen. Auch Pan ist mit von der Partie, immerhin hat er Pholoë ja anzunehmendermaßen auf demselben Weg verfolgt, und wenn denn Pans stellvertretende Platane als Endzustand einen Wuchs annimmt, der dem Verfolgungspfad durch Roms Topographie ähnelt, ist das ebenso angemessen wie der erreichte Endzustand der Nymphe, der nicht ihre Flucht über die sieben Hügel verewigt, sondern ihren finalen Sprung ins Wasser. Hinter alledem steht in etwas diffuser Form die Qualität des stadtrömischen Raumes als ›sacred landscape‹, einerseits weil ein römischer Leser bei der Beschreibung von Pholoës Fluchtroute gar nicht anders kann als auf die mentale Landkarte Roms, über die er verfügt, zurückzugreifen, und die ist zweifellos zu einem wesentlichen Teil von im weitesten Sinne sakralen Landmarken geprägt; andererseits, weil durch den Kunst­ mythos von silv. 2, 3 mit seiner aitiologischen Komponente in typischer Weise ein neuer Beitrag zur Entwicklung dieser Sakrallandschaft geleistet wird.213 Statius’ Baumgedicht und das thematisch verwandte Earinusgedicht weisen also zweitens eine wesentliche konzeptuelle Parallele auf. Das Motiv der Spiege 212 Es gilt zu beachten, daß gerade der Gott Janus bei Ov. fast. 1, 191–208 eine Beschreibung des noch nahezu unverbauten Ur-Roms gibt, und zwar in einer durch Statius öfters herangezogenen Passage (vgl. o. I, Anm. 626): insofern wäre denkbar, daß das Iani nemus gar keinen konkreten Punkt, sondern bloß den allgemeinen Urzustand des römischen Stadtzentrums bezeichnet. Das Attribut belligeri aber, abgesehen von Luc. 1, 62 kein stereotypes ­Epitheton des Janus und auch auf die Ovidpassage nicht zurückzuführen, deutet wohl auf eine speziellere, wenn auch dem heutigen Leser nicht mehr eindeutig nachvollziehbare Verknüpfung mit dem Mythos und damit wohl auch auf eine konkrete Ortsangabe hin: weiteres vgl. Newlands (2011), 162. 213 Cancik (1985/86), 253: »Sacred landscape is a constellation of natural phenomena constituted as a meaningful system by means of artificial and religious signs, by telling names or etiological stories fixed to certain places, and by rituals which actualize the space.«

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lung, das dem Autor anscheinend besonders reizvoll erschien (es ist die offenkundige grundsätzliche Disposition des Statius zur literarischen Verarbeitung visueller Elemente zu bedenken), ist in silv. 3, 4 und silv. 2, 3 jeweils so stark, daß es die Narration durchdringt und wesentliche Teile derselben dominiert: Im ­Earinusgedicht resultiert daraus die Beschränkung des Handlungsraumes auf eine ›Achse Pergamon-Rom‹, an der entlang bzw. an deren Endpunkten sich sämtliche Vorgänge abspielen, im Baumgedicht reicht der Bogen vom Verfolgungsweg des Beginns über das Auftreten Dianas und ihr Eingreifen mithilfe eines verkehrten Pfeiles bis zur Erreichung des Schlußtableaus, der ständig sich abspielenden Spiegelung des Baumes im Wasser in der aktualen Welt des Autors (die produktionsästhetisch gesehen natürlich selbst der Ausgangspunkt war, zu dem die Narration erfunden wurde). Bedenkt man, daß silv. 3, 4 mit größter Wahrscheinlichkeit nach der Arbor Atedi Melioris entstand, so gewinnt man den Eindruck, daß der Autor als Routinier zu einem schon einmal erdachten und erfolgreich angewandten Schema griff, als er mit dem Auftrag konfrontiert wurde, Earinus’ Locke und Spiegel zu besingen  – die Auftraggeberseite mag eher einen Rückgriff etwa auf die Traditionslinie der Locke der B ­ erenike (die für silv. 3, 4 indes gerade keine große Rolle spielt) und eine nur beiläufige Erwähnung des Spiegels erwartet haben, Statius hingegen konnte mit einer innovativen Verarbeitung des Themas aufwarten, die er nichtsdestoweniger bei anderer Gelegenheit in ihrer Hauptsache schon einmal erprobt hatte. Ein wesentlicher Unterschied liegt aber in der Komplexität der jeweiligen Konstrukte: Während silv. 3, 4 es mit der Durchdringung der Narration durch das Spiegelmotiv genug sein läßt, geht silv. 2, 3 einen Schritt weiter, indem aus der katoptrischen, in Worte gegossenen Reflexion schließlich eine poetologische Reflexion wird. Dazu ist der Blick nun auf den Schluß des Gedichtes zu richten.

c) silv. 2, 3, 62–77 Hier folgt die Widmung des Gedichtes: Es wird als die kleine Gabe deklariert, die das Ich dem Adressaten zu dessen Geburtstag schenkt, die indes vielleicht langen Ruhm ernten wird (62sq.): Das Motiv der Verewigung eines glücklichen, doch vergänglichen Moments in der Kunst ist topisch (man denkt an Pindars Sieges­lieder, die fast notorisch mit diesem Topos aufwarten) und muß nicht unbedingt als Hinweis darauf verstanden werden, daß das Gedicht (jedenfalls in der vorliegenden Form) schon für die Veröffentlichung in einer größeren Gedichtsammlung, die vielleicht mehr Anspruch auf künftige Dauerhaftigkeit erheben könnte als ein Einzelgedicht, konzipiert wurde.214 Atedius Melior, der zu Gedichtbeginn als eleganter, mit den Motiven des Lichtes und der D ­ urchsichtigkeit klaren Wassers in 214 Anders Nauta (2002), 254 f.

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Verbindung gebrachter Feinschmecker (silv. 2, 3, 1: perspicuas n ­ itidi M ­ elioris … aquas) eingeführt wurde,215 wird als Mann der aurea mediocritas geschildert, ein Philosoph ohne überzogene Strenge, der sein Leben gemütlich, l­ ocker und leutselig, zugleich aber nach einer unaufdringlichen, stabilen Ordnung führt,216 Reich 215 Zur mitklingenden Enallage des nitidus, das im größeren Kontext auch das klare Wasser des Teiches beschreiben kann, vgl. Baumann (2013), 94 f.; ferner vgl. Pederzani (1992b), 171 (vgl. ebd. 172, Anm.  12): »… l’aggetivo ›nitidus‹ = splendente, elegante, che assorbe  e ­rifrange verbalmente l’immagine pittorica dominante nei primi versi di luminosità e transparenza.« Es scheint mir wesentlich, daß mit nitidus Melior eine Qualität zugesprochen wird, die ebenso Statius’ Gedicht selbst zukommt, sodaß der Rezipient ein zu ihm passendes Geschenk erhält, resp. eines, das er richtig würdigen kann, weil er es mit den richtigen Augen betrachtet: vgl. die bei Koch (2007), 177, zitierte Anekdote aus Stob. 63, 3 bzw. Ael. var. 14, 7. 216 Dies muß ungefähr der Sinn der umstrittenen Verse 68sq. sein, deren Text folgendermaßen überliefert ist: incorrupte fidem nullosque experte tumultus / et secrete, palam quod ­digeris ordine vitam. Verdacht erregen gleich mehrere Momente (vgl. Liberman [2010], 208; für eingehende Diskussionen zur Stelle danke ich Dorothea Weber): die Bezeichnung einer Person als secretus, meines Wissens ohne Parallelen (Vollmer [1898], 359, verweist auf die Direktive λάθε βιώσας, was inhaltlich stimmen mag, sprachlich aber nichts beiträgt; ­Newlands [2011], 177, schwankt zwischen der Auffassung als Vokativ und als Adverb, hat damit freilich für letzteres die Metrik gegen sich), und die nachklappende Beifügung dieses Vokativs mit et nach den beiden Vokativen incorrupte und experte des vorigen Verses, die ihrerseits schon zweifelhaft sind: sie folgen hart und unvermittelt auf eine Serie von im Nominativ stehenden, dem Atedius mithilfe eines Dativus possessivus beigelegten Eigenschaften (66: cui nec pigra quies etc.), während der nachfolgende, seinerseits einen Konstruktionswechsel mit sich bringende Nominativ contemptor (70) immerhin durch idem syntaktisch als Neueinsatz markiert wird; die Passage macht gerade wegen dieser Vokative einen höchst unregelmäßigen, unschönen Eindruck, wohinzu noch die absonderliche Konstruktion incorrupte ­f idem kommt – ein dermaßen harter Accusativus Graecus scheint mir zumindest bedenklich. ­Newlands (2011), 177, weist selbst den Weg zur Korrektur, wenn sie als Parallele Hor. carm. 1, 24, 7 cui pu­ dor et i­ustitiae soror / ­incorrupta fides nudaque veritas heranzieht, denn selbstverständlich ist auch bei Statius der Dativus possessivus syntaktisch weiterzuziehen: cui nec p­ igra quies (…), / ­incorrupta fides nullosque experta tumultus ergibt einen gleich in mehrfacher Hinsicht verbesserten Text. Auch der dritte vermeintliche Vokativ, secrete, ist unmöglich zu halten, zumal neben der sonderbaren doppelten Charakterisierung des digeris durch ­palam und ordine, die auch inhaltliche Schwierigkeiten bereitet – was bedeutet vitam palam ordine digerere? Was bedeutet überhaupt ordine, ohne hinzugesetztes Attribut? Jedenfalls nicht so ohne weiteres ein prägnantes deutsches ›in Ordnung‹ oder englisches ›in order‹, was hier aber notwendig wäre, um überhaupt irgendeinen Sinn zu erhalten. Schließlich das auch für Statius’ Verhältnisse harte Oxymoron, das aus der Verbindung von secrete und palam mithilfe der Kausalpartikel quod entsteht: Mindestens letzteres müßte entschärft werden, etwa durch Vollmers quom di­ geris oder eher cum digeras, die übrigen Schwierigkeiten blieben davon aber unberührt. Meine Vermutung geht dahin, daß in der problematischen Wortgruppe et secrete palam ein Attribut zu dem sonst nichtssagenden ordine verborgen liegen muß, möglicherweise auch eines zu vitam, wie Markland (1728), Not. 103, schon vorschlug, womit man, passend zum Inhalt, nahezu einen Versus aureus erhielte. Ich werte daher et secrete als Diplographie (wahrscheinlich einer Kürzel), sodaß secreto … ordine metrisch möglich wird, und suche anstelle des palam ein Attribut zu vitam, welches inhaltlich entweder eine Doublette oder in irgendeiner Hinsicht ein Gegenstück zu secreto ordine bilden sollte. Ich schlage ohne Anspruch auf eine endgültige Lösung, doch um den Text fürs erste lesbar zu machen, placidam vor, welches sich gut

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tum nicht wichtig nimmt, aber auch nicht in kynischer Weise ostentativ von sich weist (64–71). Weniger expressis verbis gepriesen als durch entsprechende Signalbegriffe wie quies und potentia (66) angedeutet wird der Umstand, daß Melior sich von der Politik offenbar fernhält, indem er das Leben eines Privatiers führt, der seine Interessen und Energien auf kulturelle Aktivitäten bündelt.217 Ihm wird langes Leben gewünscht (72–74), und diesen selben Wunsch haben auch bereits Meliors in hohem Alter verstorbene Eltern erfolgreich den Parzen gegenüber geäußert, ebenso der hochherzige Blaesus, dessen Ruhm dank Melior fortdauert (75–77). Diese letzten Worte des Gedichtes bringen also nochmals ein unerwartetes Element ins Spiel, den Nachruhm des Blaesus (77: ­gloria Blaesi),218 dessen Verhältnis zu Melior sich außer aus einem vorangegangenen Gedicht der Silvae (silv. 2, 1, 189–207), wo er als bereits verstorbener intimer Freund des Atedius in die durch quod digeris … immerhin zu gebende Begründung für nullos experta tumultus einfügt, und erinnere an Lucr. 5, 1150–1155: Hanc ob rem est homines pertaesum vi colere aevum. / Inde metus maculat poenarum praemia vitae: / circumretit enim vis atque iniuria quemque / atque, unde exortast, ad eum plerumque revertit, / nec facilest placidam ac ­pacatam degere vitam / qui violat factis communia foedera pacis. Auch paläographisch führt von ­placidam ein immerhin denkbarer Weg zum überlieferten palam. Man mag freilich einwenden, daß placidam nach placido … pectore in Vers 64 einer Wortwiederholung recht nahekommt: Doch andererseits scheint es nicht sinnlos, wenn dem placidum pectus des Melior auch in der Praxis eine placida vita entspricht; außerdem ist Statius, was derlei Wortwiederholungen angeht, auch sonst nicht heikel: vgl. silv. 2, 2, 9 und 13, oder auch silv. 3, 1, 139 und 149 (jeweils placidus verdoppelt). 217 Vessey (1981), 48 f., bietet eine gute Skizze, betont m. E. aber zu stark die Möglichkeit, daß Atedius Melior trotz seiner Verweigerung politischen Engagements bei Domitian schlecht angeschrieben stehen könnte, was Statius᾽ Preis seiner fides (68) einen stark apolo­ getischen, letztlich an den Kaiser gerichteten Unterton verliehe. Mir scheint kein hinlänglicher Grund vorzuliegen, eine solche Aussageabsicht im Text zu vermuten, zumal sie zu skurrilen Kosequenzen führen würde: Wenn die ›Rettung‹ der Nymphe (dazu o. II, Anm. 179) wirklich, wie Vessey (1981), 50 f., vorschlägt, eine Parallele zu der Sicherheit ist, welche ­Melior durch seine Beschränkung auf das Dasein eines Privatiers gewann, und Diana einer dem heutigen Leser naturgemäß unbekannten Person entspricht, die ihm dazu riet, diesen Weg einzuschlagen, dann ist die Gefahr, welcher Melior damit ausweicht, nämlich die kaiserliche Ungnade (also letztlich der Kaiser), mit Pan gleichzusetzen. Domitian als phallischer Ruralgott, harmlose Bürger über die sieben Hügel hetzend? Das denn doch wohl nicht, auch wenn Vessey (1981), 52 just an diesem Punkt seines Gedankenganges festhält: »We must not press ­a nalogies too far.« Für ein politisches Engagement oder gar eine daraus resultierende Gefährdung Meliors jedenfalls fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Vgl. jedoch auch White (1975), 272, der aus der Junktur nec pigra quies (silv. 2, 3, 66) den Schluß ziehen will, daß Melior sich eben doch nicht gänzlich vom öffentlichen / politischen Leben fernhielt, und einen Zusammenhang mit der Rebellion des Saturninus Ende der 80er Jahre herstellt. Doch schiene es mir höchst sonderbar, jemandem (unbeschadet der textkritischen Probleme der Stelle) zu attestieren, nullos … tumultus erfahren zu haben (68), wenn er mit einer spektakulär gescheiterten Verschwörung gegen den Kaiser zu tun hatte. Vgl. auch Billerbeck (1986), 533 f., die derlei politische Interpretationen von silv. 2, 3 plausibel zurückweist; vorsichtig abwägend Nauta (2002), 312–315. 218 Zum Begriff der gloria als »Kern der eigenen Existenz« vgl. Gauly (2008), 189 f.

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Melior erscheint, aus Mart. 8, 38 näher bestimmen läßt:219 Melior hatte eine Art Stiftung ins Leben gerufen mit dem Ziel, das Andenken an jenen verstorbenen Freund und offenbar auch Dichter (ob er zugleich auch Meliors jugendlicher Geliebter war, scheint kaum festzustellen, wurde aber, wohl in Analogie zum Verhältnis von Pan und Pholoë, vermutet)220 wachzuhalten, und eben diese Zielsetzung kommt auch im Schlußvers von silv. 2, 3 in einer Weise zum Ausdruck, die nicht bloß zur Baumthematik des Gedichtes paßt (77: ardua magnanimi revirescet gloria Blaesi), sondern ostentativ klarlegt, worin das verbindende Element zwischen dem Baumepyllion und dem Schlußteil des Gedichtes gesucht werden muß: Nicht in einer Analogie zwischen der zum Ausgangspunkt des Mythos genommenen natürlichen Gegebenheit von Teich und Baum und dem Charakter des Hausherren, wie Philip Hardie vorschlug,221 und auch nicht, oder nur in zweiter Linie, in einem Charakterzug des Hausherrn, der sich gleichsam retrospektiv der nun in seinem Besitz befindlichen Örtlichkeit mitgeteilt hätte,222 sondern in einer Analogie, deren Angelpunkt das Stiften von memoria ist. Diese Analogie ergibt sich auch zwanglos: Melior stiftet (man könnte sagen: pflanzt) durch einen wie auch immer gearteten Akt memoria einerseits für die Person und das Werk des Dichters Blaesus, andererseits, untrennbar damit verbunden, für das freundschaftliche Verhältnis zwischen ihm und Blaesus. Ebenso stiftet Pan memoria für Pholoë bzw. für das Verhältnis zwischen ihm und der Nymphe. 219 Der Wortlaut des Martialepigramms: Qui praestat pietate pertinaci / sensuro bona li­ beralitatis, / captet forsitan aut vicem reposcat: / at si quis dare nomini relicto / post manes tumulumque perseverat, / quaerit quid nisi parcius dolere? / Refert sis bonus an velis videri. /  Praestas hoc, Melior, sciente fama, / qui sollemnibus anxius sepulti / nomen non sinis interire Blaesi, / et de munifica profusus arca / ad natalicium diem colendum / scribarum memori piaeque turbae / quod donas, facis ipse Blaesianum. / Hoc longum tibi, vita dum manebit, / hoc et post cineres erit tributum. Vgl. Baumann (2013), 105. 220 Canali-Pellegrini (2006), 320, Anm. 43, und 323, Anm. 93. 221 Hardie (2006), 208 und 214, sieht eine Analogie zwischen dem Spiegelmotiv von Baum und Wasser einerseits und dem als oxymor aufgefaßten Charakter des Hausherrn, d. h. H ­ ardie (ebd., 208) zufolge: »the two framing descriptions, of physical landscape feature and abstract qualities of soul, reflect each other.« Ich halte dies für doppelt unzutreffend, denn zum einen wird Melior m. E als Vertreter einer aurea mediocritas gerühmt (vgl. z. B. Vers 77: sed medius per honesta et dulcia limes), also als jemand, der zwischen Extremen die Mitte hält, die Extreme an sich also nicht aufzuweisen hat; ein Oxymoron hingegen wäre die Verbindung gegensätzlicher Extreme, die beide vorhanden bleiben und eben darum Spannung zwischen sich aufbauen – aurea mediocritas aber ist wesentlich ein Zustand der Spannungsfreiheit. Zum anderen, und unbeschadet hiervon, halte ich den Vorgang einer Spiegelung / Reflexion weder für ein Oxymoron noch für die Einnahme einer Mittelposition für ein ge­eignetes Bild: Zwischen einem Objekt und seiner Spiegelung besteht keine Spannung wie zwischen einem Gegensatzpaar, und ebensowenig kann die Oberfläche eines Spiegels nach meinem Dafürhalten metaphorisch für etwas wie einen goldenen Mittelweg eintreten; das Bild paßt einfach nicht. 222 Pederzani (1992b), 176–178: Der Teich mit seiner mythischen Vorgeschichte entspreche Melior, d. h. im modernen Rom (der Zeit des Statius) hätte Pholoë sich ins Haus des Melior flüchten können und wäre dort ebenso in Sicherheit gewesen wie seinerzeit in ihrem Teich.

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Die beiden Vorgänge verhalten sich in der Tat spiegelbildlich zueinander. Doch über das bloße Analogon hinaus, das immer noch den Zerfall des Gedichtes in zwei zwar aufeinander beziehbare, doch wenig verbunden aneinandergereihte Teile nicht verhindern könnte, stiftet ein dritter Vorgang Einheit des Textes und zugleich erneut memoria, nämlich für Atedius Melior bzw. für das Verhältnis zwischen dem Ich des Textes und Melior durch den Akt des Dichtens, durch das Verfassen und Überreichen von silv. 2, 3.223 Der Text bringt das auch klar zum Ausdruck, wenn das Versprechen Pans, dem Baum langes Leben zu verschaffen (49–52: diu recolam … illaesa tutabor utramque senecta etc.) kurz darauf, zu an die Ewigkeit grenzenden Zeiträumen gesteigert, auch als Charakteristikum des vorliegenden Gedichtes wiederkehrt (63: ingenti forsan victura sub aevo).224 Es resultiert also folgende Analogiereihe (mit einer Fehlstelle, weil die genauen Umstände von Meliors Stiftung für Blaesus nicht bekannt sind):225 Pan

stiftet memoria

für Pholoë /  das Verhältnis Pan-Pholoë

durch den Baum.

Melior stiftet memoria

für Blaesus /  das Verhältnis Melior-Blaesus

durch …

Statius stiftet memoria

für Melior /  das Verhältnis Statius-Melior

durch das Gedicht.

Verdichtet wird diese Analogiereihe, in welcher Melior in stets wechselnden Positionen sogar auf allen Ebenen vorkommt (denn der Baum wird durch Pan ja in seinem Garten gepflanzt, mindestens prospektiv), dadurch, daß das letzte Mittel der memoria-Stiftung, Statius’ Gedicht, seinerseits den Baum betrifft, ja ihn in seinem Bedeutungsumfang erst erschafft: Insofern unterscheidet sich silv. 2, 3 wesentlich von anderen Dinggedichten des Statius wie dem Equus ­maximus (silv. 1, 1) oder dem Tibur Manili Vopisci (silv. 1, 3), wo jeweils die Deutung des Objektes, die im Gedicht ausgebreitet wird, zwar nicht in allen Details vorgegeben, aber doch hinsichtlich ihrer Richtung relativ genau festgelegt war, der Spielraum des dichterischen ingenium für seine inventio also recht eingeschränkt war.226 Zugleich ähnelt das Gedicht selbst aber dem Baum, den es betrifft, auch in poetologischer Hisicht: Denn so wie der Baum durch seinen Wuchs die einstige Verfolgung der Nymphe und die Haltung des über sie gebeugten Pan räumlich nachzeichnet, zeichnet Statius’ Epyllion, wie gezeigt werden konnte, selbst im räumlichen Duktus der Narration, also gleichsam in s­ einem Wuchs oder V ­ erlauf, 223 Billerbeck (1986), 535; Morzadec (2003), 102. 224 Pederzani (1992b), 180. Zur Motivik des Ewigkeitstiftens durch die Dichtung vgl. auch Marshall (2011), 344. 225 Vgl. Baumann (2013), 105 f. 226 Hardie (2006), 213.

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wiederum diese Form nach: Nichts hindert daran, die dem Baum gerade des­ wegen zugesprochene Qualität des ingeniosa (59)227 demzufolge auch der silva zuzusprechen, die dann selbst dei veteres animata calores (53) ist.228

d) Zum Spiegelmotiv in silv. 2, 3 (II) Wie verhalten sich aber Text und Spiegelung zueinander? Denn die Ingeniosität des Baumes besteht ja nicht bloß darin, wie eine lebende Figur eine bestimmte Haltung einzunehmen, sondern darin, diese mit der Reflexion derselben im Wasser so zu verknüpfen, daß daraus letztlich doch das gewünschte Ergebnis resultiert. Worin liegt aber die Ingeniosität des Textes, die über das bloße Nachzeichnen der einstigen Begebenheit, mag sie auch der inventio des Dichtes entsprungen sein, hinausgeht und die etwas, was durch dieses bloße Nachzeichnen nicht erzielbar wäre, erreicht? In welcher Weise spiegelt der Text? Dazu ist nach meinem Dafürhalten nochmals auf die Frage zurückzugehen, was ein Spiegel in der Antike leistet. Moderne Spiegel bieten, soferne sie groß genug sind, ein unverzerrtes, in seiner Helligkeit und Farbigkeit nahezu völlig dem sich Spiegelnden entsprechendes Abbild, ein katoptrisches Double. Daß diese ordinäre Verdoppelung von etwas Vorhandenem, deren Existenz, anders als die beispielsweise eines Doppelgängers, auch noch streng daran gebunden ist, daß der sich Spiegelnde nicht einen Schritt beiseitetritt und den Spiegelungsvorgang für seine Person beendet (der Spiegel spiegelt natürlich weiterhin, was immer sich ihm gegenüber befindet), hat für ihre poetische und poetologische Verwendbarkeit recht einschränkende Folgen, so groß auch die Fas­zination, die für manche Autoren vom Spiegelungsmotiv an sich ausgeht, prima ­v ista sein mag. So finden ›normale‹ Spiegel in narrativen Genres wie dem Roman oder dem Film, soweit ich sehe, im wesentlichen nur dann Verwendung, wenn entweder eine Person nach Selbstbestätigung oder Selbsterkenntnis strebt und dieser Vorgang bildlich zum Ausdruck gebracht werden soll, oder wenn die psychische Verfaßtheit einer Person durch die Inszenierung ihres besonderen, gespiegelten Blickes auf die Welt charakterisiert werden soll.229 In beiden Fällen ist es das 227 Zu ingeniosus 3 als spezifisch ovidischem Begriff gerade im Überschneidungsbereich von Narration und Poetologie vgl. Hardie (2006), 211. 228 Hardie (2006), 212. 229 Einige Beispiele gängiger Szenentypen: Im ersten Fall blickt beispielsweise eine alternde Frau (und der Leser oder Filmbetrachter mit ihr) in einen Spiegel, der mithilfe etwas zu starker und kalt-ungemütlicher Belichtung schonungslos alle Altersspuren ihres Gesichtes abbildet, im zweiten Fall erblickt ein Cowboy im Spiegel über der Bar, daß hinter seinem R ­ ücken ein Revolverheld den Saloon betritt, oder eine Autofahrer beobachtet im Rückspiegel seines Fahrzeuges, daß ein anderes ihn verfolgt. Stets aber zeigen diese Spiegel nur, was actualiter vorhanden ist und durch eine um 180° gedrehte Kamera ebensogut proprie gezeigt werden könnte, sind also ›Spiegel als Prothesen‹ (Eco [2001], 35–37). Diese Spiegelungsvorgänge ­machen ­lediglich

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Wie des Blickes auf die Welt, das durch Spiegelung eine Veränderung erfährt, nicht aber das Erblickte. Man müßte, um heutigentags Spiegeln eine über ihren gewohnten Photorealismus hinausgehende Aussage abzugewinnen, schon auf Zauberspiegel ausweichen, wie sie in Märchen und Sagen ihr selten ganz ge­ heures (Un)wesen treiben. Doch nicht jeder Text verträgt Zauberspiegel. Auch poetologisch sind moderne Spiegel anscheinend unergiebig. Umberto Eco spricht von »starren Denominatoren« und bestreitet mit Recht, daß einem solchen Spiegelbild Zeichenstatus eigne  – womit es als Begriff zur Beschreibung literarischer oder allgemein künstlerischer Phänomene praktisch ausscheidet.230 Höchstens der Vorgang einer Kopie eins zu eins ließe sich damit beschreiben, doch gerade dieser als semiotisches Nullsummenspiel ist poetologisch ebenso uninteressant wie in der Praxis inexistent – schon die Lektüre eines bloßen Gebrauchstextes bringt weitaus komplexere Mechanismen im Wechselspiel zwischen Leser, Text, Thema und Kontext des Textes (geschweige denn seinem Autor) ins Spiel, als daß es einen Sinn hätte, irgendetwas davon mit dem Begriff der Spiegelung belegen zu wollen. Andererseits wird niemand Alanus ab Insulis dafür kritisieren wollen, wenn er in den Eröffnungsversen seiner ›Rosensequenz‹ Spiegel in eine Reihe mit Texten und gemalten Bildern stellt: Omnis mundi creatura / quasi liber et pictura / nobis est et speculum. Der Grund ist, wie so oft, eine Begriffsverschiebung, die den modernen Sprecher unter einem Spiegel etwas gänzlich anderes verstehen und ihn ihm daher ganz andere Funktionsweisen und Qualitäten zuschreiben läßt als seinen mittelalterlichen oder gar antiken Vorgänger. Denn was leistet ein antiker Spiegel? Er läßt den Betrachter Dinge sehen (Gérard Simon weist ganz richtig darauf hin, daß die erhaltene lateinische Fassung der Optik des ­Ptolemaios niemals einen Spiegel imagines erzeugen, sondern ihn stets die Dinge selbst zeigen läßt, jedoch eben dort, wo sie nicht sind),231 in verzerrter und / oder Aussagen über die Wahrnehmung und eventuell die ihr zugrunde­liegende psychische Verfaßtheit der Wahrnehmungsinstanz: Die in die Jahre gekommene Frau macht sich vielleicht erstmals ihr Altern bewußt, indem sie absichtlich in den Spiegel blickt; der Cowboy hat vielleicht einfach Glück, daß dort ein Spiegel hängt – oder er beweist seine Überlegenheit, indem er diese katoptrische Hilfe und das Risiko, das ein indirekter Blick auf die Realität im Unterschied zu einem direkten mit sich bringen kann, lässig einkalkuliert; und der verfolgte Autofahrer ist vielleicht a priori ängstlich und bemerkt nur deshalb überhaupt, daß das Fahrzeug hinter ihm ständig das gleiche ist (bis es dann doch harmlos abbiegt und die durch den gespiegelten Vorgang, doch nicht durch den Spiegel, aufgebaute Spannung sich löst). 230 Eco (2001a), 39–43. 231 Simon (1992), 213 f.; vgl. z. B. Ptolem.-Eugen. opt. 2, 109 locus in quo res apparet (= der Punkt, wo sich das virtuelle Bild im Spiegel konstituiert): res apparet ist Eugenius’ Standardformulierung für ›etwas wird gespiegelt‹. Allerdings gebraucht Eugenius die Begriffe figura und forma für virtuelle Bilder, und zwar relativ häufig dann, wenn (zumindest: auch) von Konvex- und Konkavspiegeln die Rede ist: opt. 3, 2: … dicere de figuris que fiunt in superficie speculorum; opt. 3, 4: si in superficie uniuscuisque eorum (scil. speculorum) signaverimus punctos in locis, quibus apparent res vidende, et texerimus eos, non utique apparebit tunc

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fragmentierter und / oder farblich getönter Weise, und er tut dies nach gängiger Auffassung nur, wenn jemand in ihn hineinblickt.232 Ebenso läßt ein Echo eine Stimme hören, die dort, wo sie herkommt, keinen Sprecher hat, fragmentiert und verzerrt das Gesprochene, und tut dies selbstredend nur, wenn jemand spricht: Daher die schon erwähnte, auf strengster Analogie beruhende Koppelung des Echo- und Narcissusmythos in Ovids Metamorphosen. Darüber hinaus können antike Spiegel, soweit es sich um die typischen Handspiegel des römischen Haushaltes handelt, mit ihren bildlichen Beiwerken auf Griff und Rückseite das gespiegelte Bild mit ganz anderen Bildern in Verbindung bringen.233 Ebenso aber verhält sich auch ein Text, erst recht ein literarischer, keinem fremden Zweck unterworfener:234 Er entwirft Dinge (Bilder von Objekten, Klänge, Gerüche: jede Art von Sinneswahrnehmung bzw. Vorstellung kommt in Frage), die nicht dort, wo er sie entwirft, nämlich im Denken des Lesers, existieren, sondern möglicherweise ganz woanders in Raum und Zeit der aktualen Welt.235 Er fragmentiert, und er verzerrt und färbt: denn zum einen ist jede in einem Text entworfene Welt inkomplett (jedenfalls in ihrem Verhältnis zur aktualen Welt), forma rei vidende; opt. 4, 1: … habitus formarum que apparent in speculis planis et curvis. Beides aber sind Wörter, die etwa eine Mittelposition zwischen res und imago bezeichnen – man denkt an Ovids figuras in nova corpora mutatas (met. 1, 1sq.) – und erscheinen bei Eugenius auch im synonymen Austausch mit res videnda, also der gespiegelten Sache selbst: Quoniam, cum superficies (scil. aquae) fuerit lenita et exquisite equalis, fit forma rei, que in ea videtur, una et similis ipsis rebus in figura, quoniam impossibile est tunc reverberationem fieri nisi in uno loco plane superficiei. Et cum superficies fuerit inequalis et non lenita, possibile est tunc rem videndam apparere in pluribus locis … (opt. 2, 112). 232 Balensiefen (1990), 14; Simon (1992), 212–215; 237–240. Damit liegt die antike Vorstellung von dem, was ein Spiegel leistet, jenseits jener Grenze, »die wir instinktiv so gut zwischen Katoptrik und Semiose gezogen haben« (Eco [2001], 49), besser gesagt: sie negiert die Existenz solch einer Grenze. Insofern ist auch Hardie (2002), 161 f., nicht zuzustimmen, wenn er in Ovids Koppelung der Narcissus- und Echo-Mythen eine Asymmetrie sieht, insofern die Spiegelung im Wasser inhaltsleer (also als ›starren Denominator‹ im Sinne Ecos), Echos wiederholte Satzschlüsse hingegen sinnerfüllt seien: Die Asymmetrie wäre nur gegeben, wenn Ovid von einem modernen Spiegelbegriff ausginge. 233 Too (1996), 144. 234 Man beachte: Der Baum, dessen Blick in silv. 2, 3 die Spiegelung auslöst, ist just eine Platane, also ein ›unwirtschaftliches‹, keinem anderem Zweck als der Ästhetik, der Gartengestaltung, letztlich also: der Kunst dienendes Gewächs. 235 Vgl. Plat. rep. 598ab, demzufolge der Verfasser von Texten Abbilder herstellt, die so ­unwirklich sind wie die Bilder in einem Spiegel. Auch den Produktionsvorgang selbst läßt Platon als Spiegelung funktionieren, wenn er rep. 597de und 600e den Künstler bei der Herstellung eines Kunstwerks gleichsam in einen Spiegel blicken läßt, der seinerseits die eigentlichen Dinge in der sinnlichen Welt reflektiert. Platons Auffassung von Spiegelung ist zwar, wie nicht anders zu erwarten, etwas ›abbilder-lastig‹ gegenüber der offenbar allgemein verbreiteteren Auffassung, Spiegel lieferten nicht so sehr virtuelle Bilder sondern bögen eher den Sehstrahl auf das betrachtende Subjekt zurück, das sich somit selbst abtaste und deswegen auch selbst und nicht ein Bild seiner selbst im Spiegel sähe; für meinen Versuch, Statius’ ­Poetologie der Spiegelung nachzuzeichnen, ist der Unterschied aber nicht bedeutsam.

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zum anderen ist kein Textverständnis ohne die interpretierende Beteiligung des Rezipienten möglich: das liegt in der Zeichenhaftigkeit der Sprache begründet, was schon der Semiotik der Stoiker ohne weiteres klar war. Die Parallele geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn man berücksichtigt, daß Statius in silv. 2, 3 ausgerechnet den Wasser-Spiegel eines Teiches und nicht einen bronzenen oder silbernen Handspiegel zum Dingsymbol des Textlichen macht: Denn der Teich zeigt dem Betrachter zweierlei, den ›Inhalt‹ des Teiches (die Nymphe, zu der der Baum vordringen will), und das Spiegelbild des Betrachters (des Baumes). Ein gutes Emblem des literarischen Rezeptionsvorganges: Der Betrachter, d. h. der Leser, erhält ein Bild vom Inhalt des Textes, mit allen oben skizzierten Einschränkungen: Fragmentierung, Verzerrung, T ­ önung; zugleich aber erhält er, und auch hier gelten die besagten Einschränkungen, ein Spiegelbild seiner selbst. Beide solcherart übereinandergeblendeten Bilder, ›Textinhalt‹ und ›Rezipientenich‹, ergeben erst zusammen die Rezeption. Dieser modern oder, wenn man so will, postmodern anmutende Gedanke verweist unverkennbar auf die ›zweite Sophistik‹ voraus: Es wäre ein lohnendes und spannendes Unterfangen, zu untersuchen, wie weit Statius als wichtiger Vorläufer dieser Geistesrichtung zu verstehen ist. Schließlich tut ein Text all dies nicht von sich aus und selbsttätig, wodurch er einem modernen Spiegel bzw. Spiegelungskonzept ähneln würde, sondern er tut es nur, wenn jemand ›in ihn hineinschaut‹, d. h. wenn jemand ihn liest; zumal Lesen als – zumeist – lautes und überdies idealerweise ständig textkritisches Lesen in der Antike ein aktiverer oder zumindest aktiver wirkender Vorgang ist als das heutige, stärker passiv verstandene Lesen. Jeder dieser Gedanken, selbst wenn ihre Formulierung moderner Terminologie geschuldet sein mag, war einem antiken Literaturtheoretiker ohne weiteres zugänglich, sodaß ich mich nicht scheue, sie gemeinsam als dasjenige Bündel von poetologischen Auffassungen vorzuschlagen, das es Statius auch gegenüber seinem Leser im Text ermöglichte, Spiegelung und Dichtung einander gleichzusetzen.236 Wie so oft bei 236 Auf einen verwandten Text, wo ein Spiegelbild »geradezu als Metapher der Phantasia aufgefaßt werden« könnte und als »Widerschein des Realen« dem »Aisthema (…), das in eidetischer Reduktion in die Seele des Betrachters gelangt«, entspricht, weist Schirren (2009), 139 hin: Philostrats Beschreibung des Olympos-Gemäldes (imag. 1, 21: vgl. o. II , Anm.  115), in der auch, wenn man Schirrens plausibler Interpretation folgt, Platz für die Einbeziehung affektischer Einwirkungen ist, denen die φαντασία unterliegt: Auch bei Statius erfolgt die Deutung des Spiegelbildes durch die ingeniosa arbor ja nicht gerade unaffektisch. Der antike Spiegel ist also sehr wohl dazu geeignet, mit seiner Hilfe und metaphorice poetologische Aussagen zu treffen. – Hinzu kommt noch der Verewigungseffekt von Literatur, der mit den im Text vorgeführten Ver-Spiegelungen kongruent ist: Earinus wird im Spiegelbild perpetuiert, das Verhältnis Pan-Pholoë desgleichen. Letztlich erinnert beides erneut an den ­ovidischen Echo-NarcissusMythos, dessen leichte Asymmtrie darin liegt, daß von Echo infolge ihres Dahinschwindens die abstrakte Echofunktion auf Erden erhalten bleibt, wohingegen N ­ arcissus sich, insofern gleich ihr perpetuiert, nur in der Unterwelt auf ewig weiterspiegelt: auf Erden bleibt von ihm

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Ovid, ist auch hier das Resultat der im Text geschilderten Metamorphose ein Kunstwerk, und zwar in Gestalt des Textes selbst.237 Solch eine Gleichsetzung aber ermöglicht schließlich auch, den narrativen Epyllionteil von silv. 2, 3 und den dedikatorisch-epainetischen Schluß des Gedichtes gleichsam fugenlos aufeinander zu beziehen. Die Stiftung von m ­ emoria durch Ins-Leben-Rufen einer Spiegelung, wie Pan sie im Text betreibt, entspricht der Stiftung von memoria durch das Verfassen dieses Textes, wie Statius es betreibt. Auch die mittlere der drei oben aufgelisteten Stufen, das Stiften von memoria für Blaesus durch Atedius Melior, würde sich aller Wahrscheinlichkeit nach ins Analogon fügen, wäre bekannt, was genau Melior zu diesem Zweck eigentlich tat. Ich würde allerdings die Vermutung riskieren, daß Meliors Handlung zum Andenken an seinen Freund Blaesus wesentlich darin bestand, daß er (wohl in angemessen großem Rahmen) dessen Werke rezitierte oder rezitieren ließ, wozu noch das Vortragen neu angefertigter Texte auf die Person des Blaesus gekommen sein mag:238 nicht nur, weil das eine relativ naheliegende Vorgehensweise ist, das Andenken an einen Dichter wachzuhalten, erst recht in der durch eine reiche Rezitationskultur geprägten flavischen Zeit, sondern weil dadurch erneut das Element der Aktualisierung eines Textes durchs Gelesenwerden ins Spiel käme. Demzufolge gelänge es Melior, durch das Rezitieren von Texten ­ingeniosus eine Verbindung zu dem prinzipiell gleich der Nymphe unter ihrem Wasserspiegel unerreichbaren Verstorbenen herzustellen, wie der Baum es durch den Blick ins Wasser tut. Statius wiederum, der als physische Person natürlich des Gedichtes nicht bedarf, um eine Verbindung zwischen sich und dem Melior der aktualen Welt herzustellen, sorgt mit seinem Gedicht dafür, daß künftige Leser durch den Akt des Lesens die freudige Situation von ­Atedius M ­ eliors Geburtstag und Statius als seinem Gast (ähnlich Pindars hyper­ boreischem Mahl in Pyth. 10, 29–36) als etwas heraufbeschwören, was wie das Gespiegelte nach antiker Auffassung zwar ein Ding an einem anderen als seinem wirklichen (auch: zeitlichen) Ort ist, denn Atedius’ Geburtstag ist längst vorüber, immerhin aber dieses Ding selbst und nicht bloß ein virtuelles Abbild, was auf einen ausnehmend hohen Grad an Wieder-Vergegenwärtigung hinausläuft. anscheinend nicht etwa die prinzipielle Befähigung des Wassers zum Spiegeln zurück, wie das genaue Analogon zu Echos Metamorphose lauten müßte, sondern eine Blume, wenngleich eine, deren Form das Sich-übers-Wasser-Neigen des Narcissus nachahmt. Es kann gut sein, daß ­Statius diese Asymmetrie der ovidischen Junktimierung erkannt hat und von beiden Gesichtspunkten Gebrauch macht: Die Platane in silv. 2, 3 entspricht in ihrem Verhalten der im Mythos entstehenden Narzisse, sein Text aber mit seiner Befähigung zur Aktualisierung durch jeden künftigen Leser steht in analogem Verhältnis zu Echos abstrahierender Metamorphose. 237 Vgl. Solodow (1988), 203–231, bes. 203: »Metamorphosis results in a form – a bird, a tree, a stone – which shares the essential properties of a work of art.« 238 Dasselbe Silvaebuch, in dem sich die Arbor Atedi Melioris findet, enthält mit dem Ge­ nethliacon Lucani ad Pollam ein Beispiel für einen zu solch einem Zweck verfaßten Text – was nicht unbedingt Zufall sein muß.

Silvae 2, 3: Arbor Atedi Melioris

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Autor und Leser, jeweils im Text sowohl als außerhalb desselben, kommen damit wie so oft auf gleicher Position zu stehen. Die materielle Grundlage all dessen, die ὕλη, aber bildet letzten Endes das sehr lebendige Holz des Baumes auf dem Caelius: Kein anderes Gedicht in Statius’ Sammlung wird dem Titel S­ ilvae und seinen Implikationen so gerecht wie dieses.239 In der Einleitung zu diesem Buch habe ich formuliert, daß Statius᾽ Silvae in gewisser Weise ­a-narrative Novellen sind. Anhand einer von Volker Klotz geprägten Metapher, der ›Diametrik des Epos‹, läßt sich dies nun präzisieren. Klotz zufolge verhalten sich epische Hauptfiguren als Diameter, indem sie die im Epos entworfene Welt von einem Ende zum anderen durchmessen und sie dem Leser damit in ihrer ungeheuren Gesamtheit vorführen.240 Auf eine der un-epischen Eigentümlichkeiten der Thebais, ihren extrem eingeschränkten Raum, wurde schon einleitend hingewiesen.241 Auch daß die Handlung der Thebais immer und immer wieder zum Stillstand kommt, sich für kurze oder auch lange Momente in Bilder, Tableaus, Anblicke verfestigt, widerspricht epischer Tradition und führt in die Nähe der Silvae. Umgekehrt ist der Statius der Silvae, so sehr diese Gedichte deskriptive Momentaufnahmen oft ohne eigentliche Handlung sein mögen, in unerwartet hohem Grade Epiker. Denn der auf zwei Punkte und das dazwischen sich abspielende Hin und Her reduzierte Raum des Earinusgedichtes, eine Parallele zum bloß aus einer Straße zwischen zwei Orten bestehenden Raum der Thebais, gerät nicht etwa zum ebenfalls in zwei diametral einander entgegengesetzte Punkte gebannten Verhältnis von Antagonisten auf der Tragödienbühne (ohne eine ganze Welt zwischen ihnen, im direkten Auf­ einanderprall der Gegensätze),242 sondern der Diameter selbst und seine Bewegung kristallisieren sich als das eine Wesentliche heraus, das es zu erfassen gilt. Ebenso wird die ziellose, in jeder Hinsicht zu nichts führende Narration des Irrlaufs der fliehenden Nymphe in silv. 2, 3 zunächst durch ihren Schlaf aufgehoben, dann durch Reflexion gekappt. Was folgt, der Sprung ins Wasser, ist hingegen im zu Beginn definierten Mikroraum dieses Gedichtes, der nur vom Grund eines Teiches bis zur Krone eines Baumes darüber reicht, ein vollgültiger Diameter durch die ganze Tiefe dieses Raumes, eine vergleichsweise winzige Bewegung und doch das wesentliche Geschehen, das seinerseits und passenderweise in Reflexion verewigt wird. Diese eine Bewegung, der eine Sprung, ist also Narration genug, um potentiell Keimzelle für großes Erzählen zu sein, auch wenn die Silvae diesen Schritt zur Epik gerade nicht vollziehen, sondern das Material dafür nur gleichsam tiefgekühlt in der Unbewegtheit des Beschriebenen bereithalten: als ὕλη, als silva. 239 Zur Bedeutung des Titels vgl. Wray (2007), 136 und passim. 240 Klotz (2006), 283–285. 241 Vgl. o. 28. 242 Klotz (2006), 284.

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4. Die Spiegelgedichte: Fazit?  Stimmt meine Vermutung, daß der Spiegelungscharakter von Dichtung das verbindende Element von Hauptteil und Schlußteil in silv. 2, 3 ist, dann zeigt sich hier noch stärker als in silv. 3, 4, dem Earinusgedicht, daß der Text selbst narrativ den Finger auf das legt, was er ist, indem die gesamte Narration des PanPholoë-Epyllions erstens inhaltlich um das Phänomen der Reflexion kreist und zweitens strukturell an ihm entwickelt ist. Selbst der Titel der Gedichtsammlung scheint dabei mitzuspielen, denn für die φαντασίαι oder φαντάσματα, die der Spiegel zeigt ebenso wie für jene, die durch die Lektüre des Textes erzeugt werden, gilt: τὰ γὰρ φαντάσματα ὥσπερ αἰσθήματά ἐστι, πλὴν ἄνευ ὕλης.243 ­Statius᾽ Silvae, als Texte an sich immateriell par excellence (und insofern kann der Titel Silvae fast wie ein Philologenscherz anmuten), ersetzen auf ihre Weise die ὕλη des jeweils Beschriebenen, werden zu seinem Double, und sind eben dadurch in der Lage, in gleicher Weise wie die αἴσθησις des aktualen Objekts die φαντασία des Rezipienten zu mobilisieren. Immerhin: die Spiegelung in M ­ eliors Garten ist bei aller Herleitung aus dem Mythos eine, bei der es mit irdischen Dingen zugeht, wohingegen Earinus’ im goldenen Spiegel verewigter Blick einen Sonderfall darstellt, der nur auf das Einwirken göttlicher Macht, sei es der Venus, sei es der kaiserlichen Majestät, zurückzuführen ist: nicht umsonst ist dort, entgegen der o. bei Anm. 231 beobachteten Formulierung des Ptolemaios für Spiegelungen (und eben nicht Spiegel-›Bilder‹), von einer imago die Rede (silv. 3, 4, 98: imagine rapta). Doch beiden Gedichten ist gemeinsam, daß der in ihnen entworfene Raum, als Raum im Text notwendigerweise fragmentarisch, wesentlich duch eine Selektion aus den Gegebenheiten der aktualen Welt, auf die er referentialisiert, zustandekommt, die ihrerseits an einem im narrativen Teil des Gedichtes zentral erscheinenden Motiv, der Spiegelung, orientiert ist, das m. E. die Hauptbedeutung des Gedichtes in sich trägt (silv. 3, 4: Symbol für Earinus’ bisheriges und künftiges Leben, gebündelt im Moment der Entscheidung; silv. 2, 3: das Wesen von Dichtung). Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den im vorigen Abschnitt betrachteten panegyrischen Gedichten: Diese nehmen jeweils mehr oder minder intensiv einen in der aktualen Welt gegebenen Raum möglichst vollständig in den Blick, so vollständig, daß selbst die Frage nach dem Vorhandensein beispielsweise des im Text unerwähnten Heiligtums der Venus Cloacina auf dem textimmanenten Forum Romanum von silv. 1, 1 legitimerweise mit ›ja‹ beantwortet werden könnte, und interpretieren die räumlichen Gegebenheiten entlang von Linien, die durch die kaiserliche Selbstexpression bis zu einem gewissen Grad vorgegeben waren, jedenfalls nicht mit ihr in Konflikt geraten sollten. 243 Aristot. de an. 3, 8 (432a). Den Hinweis verdanke ich Vogt-Spira (2002), 35.

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Die Spiegelgedichte hingegen kehren diesen Prozeß zumindest teilweise um. Zwar sind auch ihre Räume an Gegebenheiten der aktualen Welt orientiert, und auch hier wäre es bloß logisch, aber nicht sinnvoll, zu postulieren, daß es beispielsweise in silv. 3, 4 zwar ein Rom und ein Pergamon gäbe, dazwischen aber keine Balkanhalbinsel – erstens würde kein Leser auf diese Annahme, zu der ihn der Text durch nichts anregt, kommen, zweitens funktioniert das so konstitutive Hin und Her jenes Gedichtes dann am besten, wenn ›Rom‹ und ›­Pergamon‹ sich räumlich zueinander etwa so verhalten, wie sie es im aktualen Mittel­ meeraum auch tun. Aber die Behandlung dieser Räume ist doch eine gänzlich andere, wenn die durch ein bestimmtes fast abstraktes Motiv, das der Spiegelung, dominierte Narration den Raum jeweils völlig auf die für dieses Motiv benötigten Punkte beschränkt: Rom und Pergamon hier, Meliors Teich und Baum nebst einer vom sattsam bekannten Hin und Her als großräumlichem Äqui­ valent eines Spiegelungsvorgangs geprägten Auswahl aus der stadtrömischen Topographie da. Hier Deutung eines gestalteten Raumes, dort Gestaltung eines bedeutenden Raumes. Die Bruchlinie zwischen beidem verläuft wohl nicht zufällig ebenso unscharf wie die Verteilung der jeweiligen Adressaten oder Auftraggeber: die eigentlichen Domitiangedichte nur zur ersten Variante gehörig, das an einen dezidierten Privatmann und (wahrscheinlich) persönlich guten Bekannten gerichtete Baumgedicht klar ein Vertreter der zweiten Variante, das Earinusgedicht mit seinem etwas komplexeren Gefüge von mäßig bedeutendem Auftrageber, hinter welchem aber letztlich Domitian sichtbar wird, in einer Mittelposition, die sich auch dadurch vom Raum von silv. 2, 3 abhebt, daß mit ›Rom‹ und ›Pergamon‹ ohne weitere Umstände auf als bekannt vorauszusetzende Örtlichkeiten der aktualen Welt, auf öffentlichen Raum, rekurriert wird, wohingegen dem Leser von 2, 3 durch die Eröffnungsverse des Gedichtes mit ihrer Abzirkelung der räumlichen Gegebenheiten, des (vergleichsweise) privaten Raumes einer Vorstadtvilla, diese zuerst erschaffen werden, ehe mit ihrer Verarbeitung begonnen werden kann. Zunehmende Distanz zwischen Dichter und Adressat bedeutet offenbar zunehmende Identität des Textraumes mit der Gesamtheit der aktualen Welt: Kein Wunder, herrscht Domitian doch wenigstens theoretisch über diese, d. h. sein Handlungsraum als Person ist gleich der Totalität des Aktualen; ihn auf einen Ausschnitt zu beschränken, käme einem Zweifel an seiner Allmacht gleich. Atedius Melior hingegen, der gastfreundliche Privatier in seinem Garten, beschränkt seinen Handlungsraum auf ein Fragment der aktualen Welt und gestaltet sein Leben durch diese Selektion in gewisser Weise selbst als Kunstwerk, das einer Spiegelung durch Statius’ Dichtung würdig ist – wenn man mir diese zugegeben schon recht spekulative Reflexion über die Bedeutung der Spiegelung in silv. 2, 3 gestattet.

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a) Vom Baum im Text zum Baum im Bild Von hier aber führt jedenfalls ein nur kurzer Weg zur dritten Gruppe der Gedichte, die mein räumliches Interesse wecken, und unter denen die Umsetzung des ihre Lebensführung ähnlich wie ihren Umgang mit Räumen prägenden Kunstwollens der jeweiligen Adressaten in das Medium des Gedichtes ein wesentliches verbindendes Element darstellt. Schon silv.  2, 3 zeigt diesen Zug deutlich. Ich habe bisher nur das Spiegelmotiv in den Blick genommen, doch der Raum bzw. die Szenerie der Arbor Atedi Melioris hat durchaus auch eine pittoreske Qualität. Schon der Gedichtbeginn mit seinem ekphrastischen, im Vollsinn des Wortes statischen Einsatz Stat … arbor tut ja streng genommen nichts anderes, als ein Bild zu beschreiben, besser gesagt: vor dem Augen des Rezipienten (im Text und hoffentlich auch außerhalb desselben) mithilfe der φαντασία und deren Rückgriff auf den Fundus der αἰσθήματα in seinem Gedächtnis ein Bild zu entwerfen,244 das prinzipiell ebensogut das Abbild einer in der aktualen Welt von Statius und Melior gegebenen Lokalität sein kann wie das Abbild eines Bildes (dessen Existenz in der aktualen Welt dann erneut zur Diskussion stünde, wie bei so vielen Bildbeschreibungen). Nun liegt im Falle von silv. 2, 3 keinerlei Grund vor, an der Existenz des Baumes und des Gewässers auf dem aktualen Caelius der flavischen Zeit zu zweifeln, sodaß man mit Recht einwenden könnte, daß keine der beteiligten Instanzen, weder der Autor noch der Leser, seinerzeit durch irgendetwas im Gedicht veranlaßt worden wären, sich bei seiner Lektüre gedanklich an irgendwelche bildliche Medien zu wenden, anstatt sich einfach im Schatten der arbor selbst oder in deren Sichtweite niederzulassen (gedanklich oder physisch) und das im Text Beschriebene mit den aktualen Gegebenheiten zu vergleichen, d. h. in Beziehung zu setzen: Atedius Melior, der Widmungsträger, und sein engerer Freundeskreis, den man wohl als die Leserschaft im Text zum Zeitpunkt der Überreichung des Geburtstagsgedichtes identifizieren wird, waren dazu ohne weiteres imstande, ja geradezu aufgerufen. Daß demgegenüber der moderne Leser, der diese Möglichkeit nicht mehr hat, über seine eigene Vorstellung von Teichen und Gärten und Platanen hinaus recht rasch auf antike Bildquellen wie Gartenfresken und Landschaftsreliefs zurückgreifen wird, um vor seinem geistigen Auge ein gleichsam historisch stimmigeres Bild zu erhalten (ein methodisch gesehen recht fragwürdiges Zeitkolorit übrigens – wer würde sich schon die Land 244 Vgl. Vogt-Spira (2002), 34. – Quint. inst. 6, 2, 29: … φαντασίας Graeci vocant (nos sane visiones appellemus), per quas imagines rerum absentium ita repraesentantur animo, ut eas cernere oculis ac praesentes habere videamur. Der Begriff φαντασία wird bei Quintilian wie auch andernorts in den Bereich der ἐνάργεια (~›Anschaulichkeit‹) gesetzt bzw. unter dieser subsummiert; deren vielleicht knappste Definition findet sich bei Ps. Iul. Ruf. schem. dian. 15: Ἐνάργεια est figura, qua formam rerum et imaginem ita oratione substituimus, ut lectoris oculis praesentiaeque subiciamus.

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schaft und die Architektur des elften Jahrhunderts im Stil des Teppichs von ­Bayeux vorstellen wollen?), ist eine behelfsmäßig-krückenhafte Form von Rezeption, die ihre Berechtigung nur hat, solange man sich warnend bewußt hält, daß der Autor im Text sie seinem Leser im Text in keiner Weise nahelegt. Oder tut er es doch? Zweierlei läßt in diese Richtung denken. Zum einen dreht sich der Text zwar um eine in der aktualen Welt des ersten Jahrhunderts (theoretisch) unschwer nachprüfbare, sichtbare Lokalität, auf welche die Rezipienten also ebenso leicht referentialisieren konnten, doch Statius bevölkert sie, indem er dem Baum eine Vorgeschichte, ein Aition, andichtet,245 mit Nymphen und Gottheiten, die kaum dem Erfahrungshorizont der Leserschaft in ihrer aktualen Welt angehört haben dürften: jedenfalls nicht als lebende Wesen, wohl aber als Statuen und als Personal von Bildern. Programmgemäß verwischt der Text dadurch die Grenze zwischen der aktualen Welt von Baum und Teich und der Welt der Fiktion, die nur in Form von Zeichen, sprachlichen oder bildlichen, Aktualitätsstatus gewinnen kann. Zum anderen stellt sich die Frage, wie weit das Publikum der publizierten Gedichtsammlung, darin dem heutigen Leser dieser Sammlung prinzipiell gleich, in der Lage gewesen sein sollte, Atedius Melior in seinem Garten zu besuchen, so gastfreundlich dieser auch war. Anders als beim Equus maximus oder auch beim Hercules epitrapezios Novi Vindi­ cis ist die Arbor Atedi Melioris weder ein jedermann wenigstens potentiell sichtbares Monument noch ein recht gängiger, verbreiteter Statuentypus, den man sich vorstellen konnte, auch ohne das konkrete Exemplar im Besitz des Novius Vindex zu kennen. Der Dichter, der einen Text auf einen konkreten Baum in einem konkreten und noch dazu privaten Garten publiziert, mutet mindestens dem Großteil auch seines zeitgenössischen Publikums zwangsläufig zu, nicht auf die aktuale Gegebenheit, sondern auf Repräsentanten ähnlicher Gegebenheiten (bzw. Teile davon) zu referentialisieren: ob aber auf echte Platanen oder auf bildliche Darstellungen von Gartenszenerien, liegt nicht im Ermessen und auch kaum in der Hand des Autors. Von daher ist sehr wohl die Frage zu stellen, ob zwischen silv. 2, 3 und (einigermaßen zeitgenössischen) bildlichen Darstellungen von Gartenszenerien nicht eine genuine Verbindung besteht, also über den oben als krückenhaft bezeichneten Einsatz zufällig übriggebliebener ­antiker Bilder durch moderne Leser hinaus. Ohne Anspruch auf umfassende Kenntnis des erhaltengebliebenen Materials zu erheben, scheint mir die Sache etwa folgendermaßen zu liegen. Seit jedenfalls augusteischer Zeit existieren einige recht deutlich voneinander abgrenzbare 245 Vgl. die interessante Beobachtung Darice Birges zu den (raren) Erwähnungen einzelner Bäume bei Pausanias: Solche fänden nur statt, wenn sich an den betreffenden Baum ein historisches oder mythisches Ereignis knüpfe, etwa wenn Paus. 2, 28, 2 ein Ölbaum an der Straße Epidauros – Asine erwähnt wird, für dessen verdrehten Wuchs einer Lokalsage nach Herakles verantwortlich gemacht werde: Birge (1994), 234 f.

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Klassen von Landschafts- bzw. Naturdarstellungen in der römischen Malerei und ihren benachbarten Gattungen wie dem Relief in Stein, Stuck oder Ton oder auch dem Mosaik: Gartenfresken wie jenes der Liviavilla von ad Gallinas (Primaporta) im römischen Museo Nazionale, bukolisch-sakrale Landschaften, Villendarstel­ lungen (in der Regel zugleich Seelandschaften), Landschaften in mythischen Darstellungen (die mit den bukolisch-sakralen bestimmte Vesatzstücke durchaus teilen können), sog. Nillandschaften, etc.246 Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie nie den Anspruch darauf erheben, Landschaftsdarstellung im neuzeitlichen, dokumentarischen oder quasi-dokumentarischen Sinn zu bieten, sondern daß sie stets auf eine mehr oder minder stilisierte Repräsentation von Landschaft in der Kunst zielen,247 auch dann, wenn Gärten in ihrer Gesamtheit und mit präzis erscheinenden Details gleichsam als Luftbild dargestellt werden.248 Da nun die arbor von silv. 2, 3 auf dem Caelius wächst, höchstens einige hundert Meter vom Circus maximus entfernt, also zwar nicht eben im Stadtzentrum, doch in einer weitestgehend urbanen Umgebung, wo man eher von einem Garten als von einer offenen Landschaft sprechen wird, wäre zunächst an die Darstellungen von Gartenszenerien als Vergleichspunkt zu denken.249 Man wird indes enttäuscht: Ob auf dem im botanischen und z­ oologischen Sinn a­ kribisch genauen Gartenfresko von ad Gallinas (Primaporta),250 auf den mit raffinierter Blickführung, farblicher Verfremdung und Interaktion von gemalten und echten Pflanzen operierenden Fresken der Poppaeavilla von Torre A ­ nnunziata / Oplontis251 oder auf den Bildern im sog. Haus der Venus mit der Muschel in Pompei,252 stets werden Gärten als relativ dichtes, gewollt arrangiertes Geflecht regelmäßig gewachsener Pflan 246 Vgl. nach wie vor Rostowzew (1911); Mielsch (2001), 179–188; La Rocca (2008), 29–61, bes. 34–38. Zur bukolisch-sakralen Variante gibt Silberberg (1980) den breitesten Überblick; sie betont auch, daß es sich bei den erhaltenen Bildern dieses voll entwickelten Typus um Malerei handelt, die von römischen Künstlern in römischem Milieu für römische Auftraggeber entwickelt und ausgeführt wurde: Silberberg, ebd. 24. 247 La Rocca (2008), 8: »L’arte greca  e romana, in assoluto interessata al problema del corpo umano e di corpi singoli, o in gruppo, nello spazio, sembra non aver construito un vero genere ›paesaggio‹ come riproduzione del reale.« 248 Auf diesen speziellen Typus meist kleinformatiger, vedutenhafter Gartendarstellungen weist Bergmann (2014) hin. 249 Auflistungen von Gartendarstellungen geben Jashemski (1993), 313–404; Luschin (2010), 99–108. 250 Settis (2002); Baldassare u. a. (2002), 151–154; vgl. auch Mielsch (2001), 193–196. 251 Jashemski (1979), 306–309 mit Abb.  470–475; Johannowsky (1986), 60–69; Andreae (1996), 25–34 mit Taf. 6–8; vgl. auch Zarmakoupi (2011), 164. Zu solchen Interaktionen zwischen ›echter‹ und ›unechter‹ Natur vgl. auch Lefèvre (1977), 524, mit Hinweis auf Plin. epist. 5, 6, 22. 252 Pompei II , 3, 3; Andreae (1996), Taf. 13 f.; Mielsch (2001), 196, Abb. 232; vgl. auch die Darstellungen in Pompei IX , 7 (13), 3, wo hinter recht aufwendigen Vordergrundarchitekturen die Baumkronen eines dahinter liegenden Gartens zu sehen sind, auch sie in völliger Gleichmäßigkeit und ohne jeden Ansatz zum Bizarren oder einzeln-Verzerrten: Rostowzew (1911), Abb. 26 f.

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zen dargestellt, mögen auch Einzelbäume zur Bildgliederung dienen.253 Dem entspricht der archäologische Befund realer Gärten kleiner und großer domus der frühen Kaiserzeit: eine durch geschnittene Hecken, in Reih und Glied gepflanzte Büsche und Sträucher sowie architektonische Gliederungselemente (eingefaßte Wasserkanäle, Ädikulen usw., gern in perspektivischer Anordnung) geordnete und gebändigte Natur, oft um ein besonders hervorgehobenes Zentrum symmetrisch angeordnet, scheint das vornehmliche Ziel der Gartengestaltung gewesen zu sein.254 Allenfalls erscheinen abstrahierte Darstellungen von Zweigen und Vögeln in der Art eines Tapetenmusterrapports wie im sog. Haus des P ­ ropertius in Assisi.255 Ein Motiv aber, das dem wohl alleinstehenden, bizarr gewachsenen Baum von silv. 2, 3 entspräche, findet sich in diesem Kontext nirgends. Notorisch hingegen sind Einzelbäume, und oft auch schief, verdreht, verkrüppelt gewachsene, in den sog. Sakrallandschaften (›sacred landscapes‹ oder ›sacral-idyllic landscapes‹), zu deren beliebtesten Versatzstücken sie zählen.256 Zwar: Ob diesen frei komponierten, oft in rasantem Pinselstrich und merkwürdig randlos mitten auf eine Wandfläche gezauberten pittoresken Aperçus wirklich ein so sakraler Zug eignet, wie Michael Rostowzew vor über hundert Jahren etwas apodiktisch annahm, mag man bezweifeln – eher könnte man von einer glücklichen Interaktion menschlicher Kultur und freier Natur in einer an das goldene Zeitalter anklingenden schwebenden Selbstverständlichkeit sprechen, die durch die gewählten architektonischen, kultischen und natürlichen Versatzstücke zum Ausdruck gebracht wird.257 Immerhin: Der Terminus an sich besagt 253 Das Gartenfresko der Liviavilla von ad Gallinas (Primaporta) beispielsweise zeigt in der Mitte jedes Wandabschnittes einen durch seine Stellung und durch die auf ihn Bezug nehmende Gartenarchitektur besonders hervorgehobenen Einzelbaum, meistens übrigens Nadelbäume, doch ohne daß diesen deswegen ein so singulärer Charakter eignete wie der in silv. 2, 3 beschriebenen Platane: Sie dienen als Blickfang und setzen vertikale Akzente in der sonst wesentlich entlang horizontaler Linien angelegten Szenerie, aber sie verdrängen nicht die übrigen Gewächse in die Unsichtbarkeit, sondern reihen sich bei längerer Betrachtung recht umstandslos unter diese ein; vgl. Settis (2002), 11 mit Abb. im Anhang. 254 Vgl. die Ausführungen bei Settis (2002), 42–47; Jung (1984), 106–114. Entsprechend finden sich Gartenfresken etwa im vierten Stil besonders häufig ausgerechnet an Wänden, die unmittelbar oder mittelbar einen echten Garten umfassen: Die Freskendarstellungen erweitern in diesen Fällen den aktualen Raum und / oder ergänzen ihn um die gemalten Ausführung teurerer Dekorationselemente wie Statuen oder Brunnenbecken: vgl. Mielsch (2001), 195; Baldassarre u. a., 194 und 196 (Pompei, Casa del Bracciale d’Oro, triclinium: Darstellung eines Gartens mit Brunnen und ägyptisierender Statuette bzw. zwei Sphingen im Vordergrund, außerdem mitten ins Gebüsch gepflanzte Pinakes mit bildlichen Darstellungen: vgl. Settis [2002], 54 und 58 f.). 255 Squire (2009), 265 f., Abb. 4.9 und 4.10. 256 Bergmann (1992b), 22–30; Schneider (1995), 111–143; vgl. die Auflistung bei Vitr. 7, 5, 2. 257 Vgl. beispielsweise Rostowzew (1911), 37: »Es kann nicht bezweifelt werden, dass wir es überall mit sakralen Bauten zu tun haben, mit heiligen Bezirken. Die Typen der einzelnen ­sakralen Gebäude sind uns alle bis auf die verschiedenen Variationen des ­v iereckigen Turmes bekannt. Vollständig fehlen richtige Tempel, ebenso Porticus und Gebäude, die als ­Wohngebäude gedeutet werden könnten.« Man beachte: Tempel kommen keine vor, dafür

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wenig, solange man zwischen ›sacred landscape‹ als Konzept zur Erfassung des aktualen Raumes und ›sacred landscape‹ als Sujet der chorographischen, ganz oder weitgehend fiktionalen, d. h. topothetischen Malerei unterscheidet.258 Ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig und zugleich beliebig das gesuchte Baummotiv auf ›sacred landscapes‹ im letzteren Sinn ist – W. Peters betrachtet es sogar als das wichtigste Element überhaupt –,259 bietet die Villa von Boscotrecase aus den letzten Jahren vor der Zeitenwende. Zwei ihrer ergrabenen Räume sind mit Sakrallandschaftsfresken geschmückt: Die drei Bilder im ›schwarzen Zimmer‹ zeigen Kompositionen von kleinen architektonischen Elementen jeweils rund um einen zentralen Baum von asymmetrischen, teil schiefem Wuchs; einer davon (Ostwand) wächst mit einem seiner zwei Äste oder Stämme sogar durch die Öffnung eines ›heiligen‹ Tores hindurch, interagiert also in recht wilder, unkultivierter Weise mit einem Artefakt der Kultur.260 Hingegen zeigen die Wände des ›roten Zimmers‹ zwar gleicherweise sakral-bukolische Landschaften mit mindestens ein Bauwerkstypus, der mit nichts Sakralem in Verbindung zu bringen ist (wohl aber mit Parkgestaltung, wie der Turm des Maecenas auf dem Esquilin oder Hadrians Turm von Roccabruna bei seiner Villa nahe Tibur zeigen), dennoch aber soll das Element des Sakralen das wichtigste, ja einzige Definiens derartiger Landschaftskompositionen sein; vgl. auch Silberberg (1980), 8 f. Immerhin: Die Darstellungen zeigen in der Tat zahlreiche kultische Elemente und Handlungen, und alle diese Elemente und Handlungen ließen sich unter dem griechischen Terminus ἄλσος subsummieren, wie ihn Pierre Bonnechere (2007), 19 f., taxativ umreißt, insofern ist der Terminus ›Sakrallandschaft‹ oder ›Sacral-idyllic land­scape‹ durchaus zuverlässig. Völlig verfehlt wäre bloß, aus dem Erscheinen dieser Bilder irgendwelche Rückschlüsse auf die Religiosität ihrer Auftraggeber oder Maler ziehen zu wollen – wer sich, um ein anderes Beispiel zu bringen, die Überwindung des Minotaurus durch Theseus an die Wand malen ließ, glaubte im ersten Jhdt. n. Chr. auch kaum mehr daran, daß der M ­ inotaurus je existiert hatte, oder definierte gar seine persönliche Religiosität über derlei Sagen. 258 Darauf zielt Cancik (1985/86), 260, wenn er ›sacred landscape‹, wie er den Begriff gebraucht, gerade nicht als Analogon zu einem Begriff wie locus amoenus verstanden wissen will: Was Malereien seit augusteischer Zeit darstellen, sind hingegen sehr wohl loca amoena mit kultischen, religiösen Elementen, und sie gleichen dem locus amoenus der Rhetorik und der Dichtung gerade auch in der kanonhaften Beschränkung und immer neuen Kombinierbarkeit und Wiederholbarkeit der einzelnen Elemente, aus denen sie zusammengesetzt sind: vgl. Silberberg (1980), 7. 259 Peters (1963), 63. 260 von Blanckenhagen-Alexander (1962), 18–37 mit Taf. 29–31 (Ostwand: Tafel 31). Das Motiv des durch eine Toröffnung wachsenden Baumes begegnet häufiger, etwa auf einem Fresko in Pompei VII , 3, 25 (Abb. ebd., Taf. 53/2; dasselbe verlorene Bild auch bei R ­ ostowzew [1911], Abb.  18, aber wohl richtig Pompei VII , 2, 18 zugewiesen: vgl. Pompei. Pitture  e ­mosaici, vol. VI , Roma 1996, VII , 2, 18, Abb. 18 f.; auf einem Stuckrelief von einer Zimmerdecke aus dem Haus unter der Villa Farnesina am rechten Tiberufer (Rom, MN, Inv. 1071: Rostowzew [1911], 36 f. mit Abb. 13; Bragantini-de Vos [1982], Taf. 72); auch ein Fresko aus einem Korridor desselben Hauses zeigt das Motiv (Rom, MN, Inv. 1230: Bragantini-de Vos [1982], Taf. 238); ebenso ein kleines, heute in der Münchener Glyptothek (Inv. 455) befind­ liches Relief aus augusteischer mit der Darstellung eines Bauern mit seiner Kuh vor einer halbruinösen Heiligtums(?)kulisse: Zanker (1997), 287 f. mit Abb. 226.

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einzelnstehenden Bäumen als zentrales Bildmotiv, doch sind hier die Bäume jeweils aufrecht, symmetrisch, gleichmäßig gewachsen.261 Eine Begründung für diese Diskrepanz scheint nicht gegeben, möglicherweise waren schlicht die Vorlieben der einzelnen Maler ausschlaggebend, und daß die Vorliebe des Malers des ›schwarzen Zimmers‹ kein vereinzelter Spleen war, beweisen zahlreiche weitere Landschaftsdarstellungen mit ›ungewöhnlichen‹ Einzelbäumen.262 Fazit: Solche eher als ›wildromantisch‹ oder ›bizarr‹ zu bezeichnende Gewächse gehören zum Inventar eines wichtigen, weit verbreiteten Bildtypus, und auch Wasser, gleichgültig ob als Teich oder Bach / Kanal, begegnet ­häufig.263 Beide Facetten, die man diesem gemeinhin attestiert, der (mehr oder minder ernsthaft gegebene) sakrale Charakter und der Zug ländlicher, fast romantischer Natürlichkeit, der indes mit den tatsächlichen Gegebenheiten italischer Agrarbetriebe der Zeit ebensoviel zu tun hatte wie Marie Antoinettes Hameau de la Reine in Versailles mit dem Landleben des 18. Jhdts.,264 lassen sich unschwer auf die Gartengestaltung des Atedius Melior beziehen, soweit diese aus S­ tatius’ Gedicht hervorgeht und soferne man dieses als einigermaßen zuverlässige Artikulation des gartengestalterischen Wollens des Atedius werten kann: Der Grundbesitzer vom Caelius ist offenbar reich und / oder in kaiserlicher Gunst vorgerückt genug,265 um sich nicht mit der Anlage eines typischen strengen Gartens begnügen zu wollen, wie ihn selbst Angehörige des Mittelstandes in mehr oder minder miniaturisierter Form in den ›Hinterhöfen‹ ihrer domus anzulegen pflegten und wie man sie auf den typischen Gartenfresken wiederum abzubilden pflegte, sondern er leistet sich die Extravaganz eines echten rus in urbe,266 eines Stückes 261 von Blanckenhagen-Alexander (1962), 18–37 mit Taf. 32–39. 262 Vgl. z. B. ein Relief mit einer bukolisch-erotischen Szene, deren Hintergrund sich um einer reichlich einseitig, fast im Zickzack von silv. 2, 3 gewachsenen Baum arrangiert: Zanker (1997), 286 f. mit Abb.  225 (Turin, Museo Archeologico); ferner die Landschaften des ›schwarzen Zimmers‹ aus dem Haus unter der römischen Villa Farnesina, wo schief gewachsene Bäume ganze Gebäude überragen können: Rom, MN, Inv. 1080; Bragantini-de Vos (1982), Taf. 134 und 136. 263 Bergmann (1992b), 23; vgl. Salza Prina Ricotti (1987). 264 Erst die mittlere Kaiserzeit und die Spätantike werden Landschaftsdarstellungen mit der relativ unverzerrten Darstellung bäuerlicher Arbeiten als Bildsujet entdecken: vgl. Mielsch (2001), 191 f. Aus flavischer Zeit hingegen, mag die extreme Überhöhung gerade ›ländlicher‹ Sujets aus augusteischer Zeit auch nicht mehr en vogue sein, scheinen noch keine Ansätze hierzu bekannt. 265 Häuber (1994), 218 f., beschreibt den ›Grüngürtel‹, den die seit der Mitte des 1. Jhdts. sämtlich in kaiserlichem Besitz befindlichen horti um das römiche Stadtzentrum legten, und weist darauf hin, daß diese riesenhaften ehemals privaten Parkanlagen teilweise parzelliert und an kaiserliche Günstlinge vergeben wurden. Die Annahme, daß auch Melior seinen Park auf diese Weise erworben hat, liegt nahe; vgl. auch Kruse (2012), 195. 266 Die Wendung rus in urbe, die Andreae (1996) mit guter Berechtigung zum Leit­motiv seiner Darstellung der (stadt)römischen Gartenkultur erhebt, stammt aus Mart. 12, 57, 21; zur Bedeutung von rus, das nicht ›freie Natur‹ im romantischen Sinn sondern ›landwirtschaftlich nutzbares Gelände‹ meint, vgl. Purcell (1987), 187–190.

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offenen Landes mitsamt dem dazugehörigen quasi-ruralen Charme,267 zwar nicht so ostentativ mitten in Rom wie eine Generation früher Nero mit seiner domus aurea und in bedeutend kleinerem Ausmaß, doch immerhin nur wenige Gehminuten näher am Stadtrand. Ist es Zufall, daß Statius mit dem bizarr gewachsenen Baum ausgerechnet jenes Motiv ins Zentrum seines Gedichtes rückt, das auch auf den meisten Darstellungen typischer ›Sakrallandschaften‹ im Zentrum steht? Wohl kaum, und für die Positionierung des Textes im Diskurs der Zeit ist es letztlich unerheblich, in welchem Verhältnis die Selbstdefinition eines Gartenbesitzers im aktualen Rom durch die Art seiner Gartengestaltung einerseits und die künstlerische Darstellung idealisierter (doch nicht surrealer) Landschaften auf Bildern, die wiederum die Häuser der gartenbesitzenden Schicht schmückten, andererseits zueinander standen, denn beides hing a priori zusammen und bedingte einander.268 Statius᾽ aitiologische Erzählung, die Stiftung der Szenerie durch Pan selbst, verleiht dem locus amoenus nun allerdings eine Anknüpfung in der mythische Frühzeit Roms und verkehrt so gewissermaßen die hochmoderne Extravaganz des Melior, also das rus in urbe der Flavischen Zeit, zur traditionsbewußten Bewahrung eines alten, sakralen Platzes.269 Und wie schon beim Motiv der Spiegelung, die in silv. 3, 4 und 2, 3 nicht bloß ein Gegenstand des Textes sondern auch ein strukturelles Vorbild für dessen Entwicklung ist (›Entwicklung‹ dabei primär mediopassivisch im Sinne der Beobachtung des Sich-Entwickelns durch den Leser verstanden, doch dahinter verbirgt sich zwangsläufig das aktive Entwickeln des Textes durch den Autor, dem man ein allzuhohes Maß an Ignoranz gegenüber seinem eigenen poetischen Handwerk doch nicht zumuten wird), so ist nun auch zwischen den Sakrallandschaften der Malerei und jener des Textes über das Motivliche hinaus eine strukturelle Parallele festzustellen. Fresken mit ›sacred landscapes‹ zeichnen sich insbesondere im dritten Stil, teilweise aber auch noch im vierten und damit in flavischer Zeit, dadurch aus, daß sie nicht den Blick auf umzäunte, g­ egenüber dem Draußen abgegrenzte Haine, also ἄλση in ihrer Gesamtheit, bieten, sondern aus einzelnen, oft relativ dicht gedrängten Elementen kom­ponierte ›Anzi 267 Jones (2011), 26 und 34, weist darauf hin, daß in der Welt der Bukolik Bäume in der Regel nicht vereinzelt, sondern als Gruppen oder gleich als Haine oder Wälder auftreten. Die anzunehmendermaßen einzelnstehende Platane des Atedius Melior ebenso wie die Einzelbäume der ›sacred landscapes‹ bilden in diesem Punkt also einen Kontrast zur ›stadtferneren‹ Welt der Bukolik. 268 Daß das Auftreten eines ›wilden‹ Baumes in einem üblicherweise domestizierten Kontext derlei Signalfunktion haben kann, beweist ein zweites, weniger auffälliges Auftreten des Motivs bei Statius, wenn in silv. 1, 3, 59–61 ein alter Baum beim Bau der beschriebenen Villa nicht etwa gefällt, sondern von dieser umgeben und in sie einbezogen wurde. Lediglich der große Kontext ist dort insofern ein anderer, als eine Villa in Tibur im Vergleich zu einem stadtrömischen Domizil doch a priori offener für rurale Elemente ist oder mindestens sein kann; vgl. u. III , bei Anm. 218. 269 Vgl. Baumann (2013), 100 f.

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tierungen‹ von ἄλση in die Mitte einer die Umgrenzung oder gar die Umgebung des dargestellten Ortes gerade nicht darstellenden, damit auch die Geometrie des Tiefeneindrucks verweigernden Bildfläche setzt:270 Deren Ergänzung, und ebenso die Ergänzung einer optischen Verbindung zwischen Betrachter und Bild, etwa durch Deutung als Blick aus einem Fenster, blieb in ungewöhnlichem Ausmaß dem Betrachter überlassen, während andere und bisweilen dieselben Wände oder wenigstens dieselben Häuser schmückende Formen der Malerei, etwa die geläufigen Architekturdarstellungen mit ihren k­ omplexen Durchblickskonstruktionen, ihren wesentlichen Ausgangspunkt von einer Definition dessen nehmen, welchen Bildausschnitt der Betrachter zu sehen meinen soll, und worin das Zustandekommen gerade dieses Ausschnittes begründet liegt: Nicht umsonst erreicht gerade diese Richtung der Malerei ja Vorstufen zu geometrisch korrekter perspektivischer Darstellung.271 Diese Eigentümlichkeit gemalter Sakrallandschaften findet sich im Text der Arbor Atedi Melioris wieder:272 In den Blick genommen wird vom ersten Vers an ausschließlich ein bestimmtes Ensemble von Elementen (Baum, Ufer, Teich), das in keiner Weise in seine Umgebung eingebettet wird: Mehr, als daß man sich auf dem Caelius befindet, erfährt der Leser nicht, und auch die Hügellandschaft der Verfolgungsjagd entwirft zwar einen Raum, sogar einen für jeden Rom­ kenner leicht vorstellbaren, tut aber nichts, Baum und Teich in diesem zu positionieren; deren Hintergrund bleibt also diffus, muß ergänzt werden. Auch jede 270 v. Blanckenhagen (1962), 54: »Each object appears in its own perspective, that which is most informative and in which its shape and volume may be comprehended most easily.« sowie Silberberg (1980), 31: »The sacral-idyllic landscapes are not intended as a trompe l’oeil. Space and depth are not represented, they are suggested.« Ferner vgl. Bergmann (1992b), 34 f. 271 Gänzlich abweichend auch die freskierten Gartendarstellungen, die nie einen Blick in die Weite bzw. in einen grenzenlos definierten Raum zeigen, sondern im Gegenteil den Blick in einen präzis abgegrenzten und umschlossenen Raum, eben den Garten: Settis (2002), 15 f. und 37. Auch tendieren die Gartenfresken dazu, die Stellung des Betrachters gegenüber dem Bild deutlich zu machen: Im sog. Auditorium des Maecenas auf dem Esquilin werden rechteckige Nischen mit Gartenfresken geschmückt, als ob man es mit Ausblicken aus Fenstern zu tun hätte (Settis [2002], 17–20), in der Casa dei cubicoli floreali in Pompei blickt man durch eine Scheinarchitektur aus extrem überlängten, verdünnten Säulen in den Garten, befindet sich also in einer Porticus, einem Oecus Cyzicenus oder sonst einem architektonischen ›Drinnen‹ (Settis [2002], 21–23), und selbst das in dieser Hinsicht sparsame Gartenfresko von ad Gallinas (Primaporta) vermittelt immerhin durch einen Zaun und ein Marmorgeländer zwischen dem gemalten Gartenraum und seinem aktualen Betrachter (Settis [2002], passim); zahlreiche weitere Gartenfresken folgen diesem Beispiel (vgl. die u. Anm. 332 aufgelisteten Beispiele). Die Sakrallandschaften hingegen unterlassen solche Definitionen des Verhältnisses zwischen Betrachter und Bild zumeist. 272 Daß die Beschreibung eines aktualen Ortes sich an bildlichen Darstellungen desselben (oder von etwas, was mit dem fraglichen Ort eine gewisse Ähnlichkeit aufweist) orientiert, ist an sich kein einmaliger Vorgang: Bergmann (1999), 104 mit Anm. 78, verweist instruktiv auf Ios. bell. Iud. 3, 419–421, wo die Bucht von Ioppa mit ihrer mythischen Sehenswürdigkeit, den Ketten der Ariadne, ähnlich den einschlägigen Bildern beschrieben wird.

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Begrenzung fehlt: Man kann mit Fug und Recht annehmen, daß Meliors Garten oder Park auf dem Caelius in geeigneter Weise von seiner Umgebung abgegrenzt war, etwa durch eine Mauer oder einen Zaun: aus praktischen Gründen ebenso wie aus kultischen, haben im Denken eines Römers doch Grenzen aller Art geradezu die wichtigste Funktion zur Organisation und Auffassung des ihn umgebenden religiösen Raumes;273 doch auch davon findet sich im Text keine Spur: Pholoë erreicht eben nicht die schützende Umzäunung eines τέμενος oder auch ἄλσος, sondern bloß einen Punkt im Gelände, der sich prinzipiell irgendwo befinden kann und nur durch das sich nun zutragende Geschehen bzw. dessen Valenz als Aition zu Bedeutung gelangt274 – als Punkt allein, nicht als Ort in Korrelation zu seiner Umgebung, wie die Sakrallandschaften oder, eigentlich zutreffender, Sakralensembles der Malerei.275 Auch die Bevölkerung der Örtlichkeit paßt ins Bild: die Nymphe und Pan beleben sie als genii loci, doch auf einer anderen Ebene stehen Blaesus, Melior und schließlich der Autor selbst untereinander in einem Beziehungsverhältnis, das durch die Pflege der memoria des jeweils anderen definiert ist, also durch eine pietätvolle, im weitesten Sinn religiöse Handlung, so wie auch die Personen auf den sakral-idyllischen Landschaftsdarstellungen der frühen Kaiserzeit mehrheitlich mit irgendwelchen andeutungsweise kultischen Verrichtungen beschäftigt sind:276 Melior und auch

273 Helgeland (1980), 1299; speziell zu Gartenbegrenzungen: Bergmann (2014). Auf symbolische Bedeutungsmöglichkeiten solcher Gartenbegrenzung in Ovids Erzählung von ­Pomona und Vertumnus (umgrenzter Garten: Jungfräulichkeit der Pomona)  weist Segal (1969), 69, hin; man wird die Möglichkeit solcher Gedankenverknüpfung auch für silv. 2, 3 nicht von der Hand weisen wollen. 274 Allerdings ist zu bedenken, daß das sich zutragende Geschehen, der im Spannungsfeld zwischen Liebe und Tod sich zutragende Übergang Pholoës in eine neue Daseinsform, als solcher gut in den abgegrenzten, besonderen Raum eines ἄλσος oder eines κῆπος paßt: vgl. ­Calame (2007), 44 f. Gewissermaßen begründet demnach die aitionhafte Handlung den künftigen Gartencharakter der Örtlichkeit. 275 Man berührt hier das intrikate Verhältnis von antikem Raumverständnis einerseits, also der Problematik des Raumkontinuums, und dem Verhältnis von bildlich dargestellten Körpern und ihrem Bildhintergrund in der antiken Malerei andererseits, das im Laufe der Kaiserzeit in einer Weise entwickelt wird, die Riegl (1927), 34 f., folgendermaßen charakterisiert: »Den Dingen wird im Kunstwerk volle Dreidimensionalität zugestanden. Damit erscheint auch die Existenz des Raumes anerkannt, aber nur soweit, als er an den stofflichen Individuen haftet, das heißt als undurchdringlich abgeschlossener, kubisch meßbarer Raum, nicht als unendlicher Tiefenraum zwischen den stofflichen Einzeldingen … Das Entscheidende ist, daß die einzelnen stofflichen Individuen ihre bisher stets festgehaltene taktische [d. h.: haptische; Anm. d. Verf.] Verbindung mit der Grundebene aufgeben und sich damit von der Ebene isolieren, wenngleich sie in Reih und Glied mit derselben verharren.« 276 Silberberg (1980), 9. – Beachtung verdient in diesem Zusammenhang, daß die Lokalität von Baum und Teich im Text durch die Fügung qua nunc placidi Melioris aperti / stant sine fraude Lares (silv. 2, 3, 15sq.) umrissen wird, also durch einen Verweis gerade auf die kultische Komponente des römischen Hauses.

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der Statius des Textes selbst fügen sich also ebenfalls ins Bild, als würden sie den im Text entworfenen Raum als ihr eigenes Staffagepersonal beleben. Schließlich bleibt noch eine letzte Parallele zwischen Konventionen der Malerei und dem Text von silv. 2, 3: Wenn Bettina Bergmann mit ihrer Analyse von Ensembles mythischer Landschaftsgemälde in frühkaiserzeitlichen Wohnräumen recht hat, derzufolge ›Bewegung‹ ein mögliches wichtiges und verbindendes Element sowohl in den zur Darstellung ausgewählten mythischen Episoden als auch für deren Wahrnehmung (als Wechsel zwischen Natur und Kunst, Mythos und Realität usw. – Wechsel aber bedeutet stets Bewegung) durch den Betrachter war, dann ist es nur passend, daß Statius als Kunstmythos ausgerechnet eine Verfolgungsjagd, eine denkbar heftige Bewegung, erfand.277 Daß er dabei dicht im Kielwasser der ovidischen Mythenerzählungen, vonehmlich der Metamorphosen, fuhr, hat seine innere Berechtigung – schließlich wurde bereits des öftern auf die große Nähe zwischen Ovids Schilderungen und der Malerei seiner Zeit hingewiesen.278 Dieses relativ grundlegende momentum der inventio, den textlichen Rückbezug auf bildliche Darstellungen, brauchte Statius also (was auch niemand je behauptet hat) nicht extra zu erfinden. Interessant ist jedoch, daß die Verbindung der zwei in silv. 2, 3 wichtigen und für sich genommen jeweils aus der bildenden Kunst bekannten Elemente, der Sakrallandschaft einerseits und des Spiegelungsmotives andererseits, genuin Statius’ inventio sein dürfte: Schief gewachsene oder sonstwie eigentümliche Einzelbäume haben, wie gezeigt, weitreichende Wurzeln in der Bildlichkeit der frühen Kaiserzeit, und auch Wasser­ ober­f lächen kommen in derlei Bildern, wenngleich nicht häufig, vor. Man würde sich aber täuschen, wenn man annähme, daß dies auch für das zentrale Element von silv. 2, 3 gelte, die Spiegelung des Baumes im Wasser – zumindest ist mir keine bildliche Parallele dazu bekannt. Auch in topischeren Wasser­szene­rien wie den sog. Nildarstellungen und, etwas später auftretend, dem häufig durch eine Wasserfläche gebildeten Vordergrund von Villendarstellungen (dazu vgl. u. 511) wird, soweit ich sehe, aus dem prinzipiell naheliegenden Motiv eines übers Wasser hängenden Baumes nie pittoreskes Kapital geschlagen.279 Diesbezüglich ist die Annahme erlaubt, daß der Autor in der Tat und v­ ornehmlich auf eine aktuale 277 Bergmann (1999), 84 f. 278 Bergmann (1999), 103; Hardie (2002), 173 et passim. 279 Ansätze gibt es, doch schwache: In der sog. Casa del Centenario (Pompei IX , 8, 6 bzw., nach anderer Zählung, IX , 8, 3.7) ragt immerhin einmal im Rahmen einer ungeklärten mythischen Darstellung ein extrem schief gewachsener (dürrer?) Baum über eine Wasserfläche: Rostowzew (1911), 54 f. mit Abb 30; Pompei. Pitture e Mosaici, vol. IX , Roma 1999, IX , 8, 3.7, Abb. 130 f. – Ähnlich beugt sich in der Casa dei Ceii (Pompei I, 6, 15) eine Palme über das Gewässer einer Mischung aus Sakrallandschaft und Nildarstellung, doch ohne eine Spiegelung hervorzurufen: Bragantini-de Vos (1982), 64 mit Abb. 59; Pompei. Pitture e Mosaici, vol. I, Roma 1990, I, 6, 15, Abb. 105 und 107 f.; Silberberg (1980), Kat. Nr. 105.

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II. Tu modo fige aciem

Gegebenheit, eben den aktualen Baum in Atedius Meliors Garten oder Park, rekurriert bzw. von diesem angeregt wurde, ihn in einer zu den Bäumen der ›Sakrallandschaften‹ analogen Weise zu interpretieren bzw. ihn zum Zentrum einer solchen Landschaft im Text zu machen. Das Fehlen eines genau passenden Vergleichsstückes im Bereich der Bildlichkeiten hat damit auch den beruhigenden Nebeneffekt, die seinerzeitige Existenz der nun schon zur Genüge traktierten Platane wahrscheinlich zu machen und das forsche Stat, quae … des Gedichtbeginns denn doch als textimmanent zwar notgedrungen thetische, hinsichtlich ihrer Referentialisierbarkeit aber doch auf die aktuale Welt zurück­ zuführende Aussage und nicht etwa als Ansatz zu einer Kunstwerksbeschreibung aufzufassen. Daß sich der Rezipient dessen anderweits freilich nicht immer so sicher sein kann, wird im letzten Kapitel zu zeigen sein. Um zu einem Zwischenergebnis zu gelangen: Es existiert eine m. E. offenkundige Parallelität zwischen den Konzeptionen von silv. 3, 4 und 2, 3, jedenfalls soweit ihr Raum und damit in engem Zusammenhang ihre zur Visualisie­rung drängenden Komponenten betroffen sind, und Konzeptionen, die in der Natur der gewählten Themen begründet liegen; begründet liegen nicht im Sinne einer autonomen Natur und ihrer Gesetze, sondern im Sinne einer zutiefst durch Konventionen geleiteten Auffassung von Gegebenheiten der aktualen Welt im Diskurs ihrer Wahrnehmer zur Zeit des Statius: der Vorgang einer Spiegelung mit all seinen Implikationen, oder auch die Wahrnehmung ›natürlicher‹ Gegebenheiten durch die Brille der Landschaftsmalerei, genauer: durch die gleiche (oder eine sehr ähnliche) Brille, die auch das Entstehen jener Formen der Landschaftsmalerei bedingte. Statius’ Zugriff auf Gegebenheiten der aktualen Welt ist ein exemplarisch indirekter: Er blickt nicht so sehr direkt auf den Baum in Atedius Meliors Park, sondern er paßt die Art, wie er über diesen spricht, an die Art an, wie man in der Malerei der frühen Kaiserzeit derlei Gegebenheiten darzustellen pflegt: Zwischen den Text und die Aktualität, auf die er referentialisiert, schiebt sich eine starke Trennschicht, die wie ein Polarisationsfilter nur Licht bestimmter Wellenrichtung passieren läßt. Diesem gefilterten Licht aber werden alle Strukturen des Textes anpaßt, vom praktisch nur aus zwei Punkten bestehenden Spiegelungsraum des Earinusgedichtes und dem Zickzackraum des Gedichtes über einen zickzackwachsenden Baum bis zur Kongruenz von beschriebener Aktualität und konventioneller Darstellung solcher Aktualitäten im selben Text. Hierin eines jener Elemente zu sehen, die Statius’ Dichtungen seit jeher das Etikett und allzuoft den Vorwurf des Manierismus eingetragen haben,280 trifft sicherlich das Richtige. Doch wie auch immer man persönlich zu Manierismen in der Kunst- und Literaturgeschichte steht, bleibt 280 Vgl. die aufschlußreichen Ausführungen zum Manierismusbegriff bei Vessey (1986), 2760. Weniger überzeugend gerade im Hinblick auf silv. 2, 3 die etwas mechanisch-taxative Auflistung manieristischer Züge bei Cancik (1965), 51 f.

Die Spiegelgedichte: Fazit? 

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doch festzuhalten, daß Statius’ Texte dem selbstgestellten Anspruch – und manieristische Kunstwerke tendieren dazu, sich sehr hohe Anforderungen zu stellen – in außerordentlicher Weise gerecht werden, wenn sie bis in ihre grundsätzlichsten Strukturen von fein aus ihrem jeweiligem Thema abgeleiteten, geradezu herausgesponnenen Prinzipien durchdrungen sind, also so weit irgend möglich sprachliche Äquivalente zum Be- oder Umschriebenen werden. Der Text beschreibt nicht einen Gegenstand, er ist (in gewisser Weise) dieser selbst. Wie schon öfter ist auch hier auf die möglicherweise originalen, jedenfalls zutreffenden Titel der Gedichte hinzuweisen: Capilli Flavi Earini, nicht De capillis; Arbor Atedi Melioris, nicht De arbore.281 Doch endet diese Analogie der Textakzidenzien, bevor das Wesen des Textes von ihr betroffen wäre. Der Handlungsraum des Earinusgedichtes mag aus nur zwei durch eine Achse verbundenen Punkten bestehen, der der Arbor der bizarren Zickzackform des Baumes nachgestaltet sein. Doch als Ganzes betrachtet, das Propädeutikum des ›close reading‹ also übersteigend, bietet weder silv. 3, 4 einen in zwei Teile zerrissenen, noch silv.  2, 3 einen zerzackt-verkrüppelten Text: Vielmehr führt der allgemeine axiomatische Drang jedes Textes zur unitarischen, holistischen Interpretation ebenso wie die konkrete Ausformung der behandelten Gedichte jeweils zu geradezu exemplarisch gerundeten, geschlossenen Konstrukten, gerade durch die Engführung der Themen und Gestaltungen. Earinus hat eine wesentliche Phase seines Lebens dank kaiserlicher Huld abgeschlossen und steht am Beginn einer neuen, deren Verlauf sich erst weisen wird und auch nicht eigentlich Thema des Gedichtes ist – der Blick zurück aber zeigt den harmonischen Verlauf eines ›runden Daseins‹. Und ebenso ruht das Dasein des Atedius Melior, des Statius und sogar des toten Blaesus (wohlweislich: im Text – wo auch sonst?) im perfekten Gleichgewicht harmonischer Wechsel-, wenn man so will: Spiegelungsbeziehungen. Ist es ein Zufall, daß ­Gaston B ­ achelard sein Werk über die Poetik des Raumes, genauer: die poetische Phänomenologie des Raumes, ausgerechnet mit einem Kapitel zur Rundheit des Daseins beschließt, deren Symbol der kosmosgleich gerundete Baum aus Rilkes Gedichten an Jeanne de Sépibus ist?282

281 Vgl. o. I, Anm. 451. 282 Bachelard (2007), 231–236.

III. Cernere si quis potuit: Die Villengedichte

1. Vorbemerkungen Nicht ohne Grund gilt die römische villa bzw. die sich an sie heftende und um sie drehende spezielle Kultur als eine der eigenartigsten, charakteristischsten und folgenreichsten Entwicklungen der römischen Zivilisation, wurzelnd noch in der späteren Republik, zur vollen Ausprägung gelangt im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit und bis in die Spätantike mit ihren bisweilen riesenhaften, kleineren Städten entsprechenden Landgütern weitergepflegt und gesteigert: Sie bildet mit den um sie gruppierten Verhaltensnormen, ihrer zugehörigen Bilderwelt und ihrem Potential zu bestimmten Formen der Repräsentation den Gegenpol zum Bereich der öffentlichen Räume, wie ihn Statius’ panegyrische Gedichte zeichnen.1 Wie sehr die Selbstdefinition und Repräsentation besserer römischer Kreise sich auf die Zahl, Größe, Lage und Ausstattung der jeweils besessenen Villen stützte, ist gut bekannt.2 Die Selbstpositionierung dieser Villenkultur in Opposition zur Stadtkultur einerseits, zum rein landwirtschaft­ lichen Betrieb eines Bauerngutes andererseits, zur nach modernem Empfinden freien, nach antikem Empfinden vor allem feindlichen und zu unterwerfenden Wildnis unkultivierter Natur dritterseits,3 all dieses vor dem Hintergrund des otium-Begriffes und des Konzeptes der humanitas und der mit ihr verbundenen urbanitas4 mit all seinen Implikationen, rückt sie in ein mehrpolares Span 1 Vgl. Zanker (2000), 409. 2 Ältere, wesentliche Literatur vereint der Sammelband von Reutti (1990); ferner vgl. zur Einführung McKay (1980), 95–127; Mielsch (1987); Smith (1997) und Romizzi (2001) (besonders zur Typologie der Grundrisse); Dyson (2003); speziell zur Villa als otium-Lokalität sammelt Littlewood (1987) die literarischen Belege; vgl. auch Myers (2000), bes. 106–108. 3 Zur daraus resultierenden militanten Metaphorik von Villenbeschreibungen vgl. die Stellensammlung bei Myers (2000), 114, Anm. 42; ferner vgl. Pavlovskis (1973), 7, Anm. 22; Schneider (1995), 98–101. 4 Vgl. Ramage (1973), bes. 111–143; eine Analyse des otium-Begriffes, besonders seiner sozialen Komponenten, gibt Toner (1995), 22–33; vgl. ferner Drerup (1990), 116; Mayer (2005), 25–41; Tombrägel (2012), 192–225 zur Entwicklung der otium-Villen in republikanischer Zeit; interessant auch Grüner (2004), 137–141 mit Verweis auf Varros Satire Ταφὴ Μενίππου, deren Fragmente sich zum Teil (Varro sat. frgm. 56. 530–534 Cèbe) wie ein ins Negative gewandter Katalog all dessen lesen, was Statius an diversen Villen positiv hervorhebt: Peristylia mit Baumbestand, Fließwasser im Inneren, Marmorverkleidungen, Boden-

Vorbemerkungen 

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nungsfeld, das offenkundig für sich genommen bereits ausreicht, eine Motivation für die Produktion von Texten und gegebenenfalls deren Arrangement zu liefern. So folgt wohl nicht von ungefähr auf das dezidiert städtischste und dem öffentlichen Raum der hohen Politik gewidmete Gedicht, den Equus maximus (silv.  1, 1), und das gleichfalls vor einem städtischen Hintergrund spielende, doch private Handlungsweisen im städtischen Raum bzw. in der städtischen Gesellschaft im Zuständigkeitsbereich der domus als symbolische Form5 umreißende Epithalamion in Stellam et Violentillam (silv.  1, 2) mit der Villa Ti­ burtina Manili Vopisci bereits ein dem Bereich der Villeggiatura und damit einer völlig anderen Sphäre angehöriges Gedicht (silv. 1, 3), als wollte der Autor, wie am Beginn von Gedichtsammlungen üblich, eine möglichst breitgefächerte Palette seiner Werke vorstellen: breitgefächert hinsichtlich ihrer Anlässe, ihrer Lokalisierungen, ihrer Themen.6 Es überrascht nicht im geringsten, daß im Werk eines Autors, der so sehr darum bemüht ist, seinen Finger auf die springenden Punkte sozialer Distinktion zu legen und alles, was dieser förderlich ist, tunlichst ins Licht zu stellen, Villen eine bedeutende Rolle spielen, sei es als Thema eines ganzen Gedichtes, sei es als Hintergrund eines der Villensphäre zuzurechnenden Textes. Eher schon überrascht es, daß der Autor im Text nahezu keinen Versuch unternimmt, sich selbst als Villenbesitzer zu präsentieren und so seine eigene Distinktion zu untermauern – hundert Jahre nach Horaz’ Sabinum und hundertfünfzig Jahre nach Cicero mit seinen mindestens acht zum Teil sogar literarisch verewigten Landgütern7 wäre es nur natürlich, wenn ein Dichter, der immerhin einen Ansitz in Alba sowie mindestens ein Haus am Golf von Neapel sein Eigen nennt,8 daraus auch entsprechendes poetisches bzw. poetisch-soziales Kapital schlüge. Und in der Tat erscheinen die genannten Elemente bisweilen in den Silvae, doch in einer bemerkenswert untergeordneten Rolle, wie ja überhaupt Selbstaussagen des Statius zu seinem sozialen Status außerorentlich rar mosaiken und, nicht zu vergessen, die Wandmalerei: ein Musterbeispiel für den Luxus­ villendiskurs der spätesten Republik. Dessen späten Abglanz bietet noch Lefèvre (1977), 519, wenn er zur Sammlung luxuriöser Ansitze des jüngeren Plinius allen Ernstes entschuldigend bemerkt: »Obwohl er [scil. Plinius] … die seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. immer stärker werdende Neigung der Römer zu ungemäßem Bauluxus … erkennen läßt, kann doch kein Zweifel daran sein, daß der Besitz und die Nutzung dieser Villen bei Plinius einem inneren Bedürfnis entsprachen und eine notwendige Voraussetzung für die Durchführung seiner Studien darstellten.« 5 Vgl. Newlands (2002), 91 f. (mit Literaturverweisen). 6 Henderson (2007), 277, Anm. 59: »His last project, the lyrics of domesticity.« Newlands (2002), 119, betrachtet Statius als den Begründer der Gattung »villa or country-house poem«. 7 Vgl. Littlewood (1987), 11 f.; Lafon (2001), 190 (tabellarische Übersicht); Schmidt (1972), bes. 42–62, zu Ciceros drei Villen am Golf von Neapel bei Puteoli, Pompei und C ­ umae nahe dem Lucriner See. 8 Dazu vgl. D’Arms (1970), 218 f.

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III. Cernere si quis potuit

sind:9 kein einziges Gedicht wird von diesem Themenkomplex dominiert, und auch die Verteilung der wenigen immerhin passagenweise ihn betreffenden Gedichte ist signifikant, kommen sie doch, von silv. 3, 1, 61–64 abgesehen (wo das Ich sich auch dezidiert nicht in Alba lokalisiert, den Ort also bloß ex negativo nennt), sämtlich nach silv. 3, 5 zu liegen, also nach jenem Gedicht, das die Abkehr des textimmanenten Statius’ von Rom und seine Übersiedlung an den Golf von Neapel einläutet. Prima vista scheint das in sich stimmig zu sein, doch zumindest solche Texte, die das Albanum betrafen, hätten ohne weiteres schon vor 3, 5 eingereiht werden können. Es scheint also, daß der Autor Statius den zumindest ansatzweisen Aufbau einer solchen außerstädtischen ›Villenfacette‹ seines Doubles im Text erst im vierten Buch in Angriff nahm, und es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob die Publikation weiterer Bücher durch ihn even­ tuell einen noch stärkeren Trend in diese Richtung mit sich gebracht hätte, als es durch das fünfte Buch in seiner vorliegenden Form, wo silv. 5, 3 das Thema mehrfach anklingen läßt, bereits geschieht. Doch immerhin: Ein präliminarischer Blick auf jene Texte, in denen der textimmanente Statius sich selbst im Sinne eines Wohnsitzes und Mittelpunktes seines Schaffens verortet, kann möglicherweise dazu dienen, die Eigenarten der größeren Villengedichte besser hervortreten zu lassen. Rasch wird sichtbar werden, wie wenig die Verortung des Ich mit dem konkreten Raum der dreidimensionalen Aktualität zu tun hat.

9 Vgl. Myers (2000), 128 f. (mit Literaturhinweisen). Myers Annahme, Statius sei nicht einmal Ritter und damit durch seinen niedrigen sozialen Status gegenüber höherrangigen Dichtern wie Martial benachteiligt gewesen, kann ich freilich nur mit einiger Skepsis teilen: Daß er dem Ritterstand nicht angehörte, ist Folgerung aus einem argumentum e silen­ tio, daß er an Dichterwettkämpfen teilnahm, braucht bei einem dem griechischen Milieu entstammenden Autor nicht viel zu bedeuten, und immerhin wurde er einmal durch Domitian auf dem Palatin bewirtet (silv. 4, 2), ein anderes Mal mit einem Auftrag aus der unmittelbaren Umgebung des Kaisers bedacht (silv. 3, 4). Daß Martial und der jüngere Plinius ihn nicht namentlich erwähnen, ist gleichfalls wenig aussagekräftig – was Martial angeht, beruht die Nichtnennung auf Gegenseitigkeit, obwohl die Werke beider Autoren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufeinander replizieren; Plinius hingegen war hinlänglich bemüht, seine domitianische Vergangenheit (seine eigenen dichterischen ›Jugendsünden‹ fielen in diese Zeit, er war also wie Manilius Vopiscus oder Pollius Felix einer der prominenten Amateur-Dichterkollegen des Statius) hinter der sorgfältig errichteten Fassade seines Briefcorpus vergessen zu machen und hatte wohl wenig Anlaß, eine Verbindung zwischen sich und einem so prononcierten Vertreter der Domitianzeit erkennen zu lassen: Eine interessante σύγκρισις von Statius und Plinius führt Newlands (2010) vor. Ich würde höchstens den Umstand, daß Statius sich bei aller Positionierung im patronus-cliens-Geflecht gerade nicht in eine Bettelpoetenpose wirft, als Argument für bescheidene Verhältnisse gelten lassen, denn nur ein wohlhabender Mann wie Martial konnte es sich leisten, solch eine Maske aufzusetzen, ohne sich damit selbst zu deklassieren. Übrigens gebraucht Statius den Begriff patronus nie, wie Marastoni (1958), 3–6, bemerkt. Zum Verständnis von Klientel und Freundschaft in Rom vgl. auch Konstan (1995).

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2. Das Albanum als Kunstort Im vierten Buch ist es vornehmlich die Ode lyrica ad Septimium Severum (silv. 4, 5), die eine deutliche Lokalisierung ihrer Sprechsituation in Alba erhält und in deren Verlauf diese Lokalisierung, was das Entscheidende ist, auch eine gewisse Rolle spielt.10 Ihre Eingangsverse zitieren recht eindeutig hora­zisches Kolorit, wenn auch nicht präzis eine bestimmte Stelle: Parvi beatus ruris hono­ ribus / qua prisca Teucros Alba colit Lares … ist ebenso auf Hor. carm. 2, 18, 14 satis beatus unicis Sabinis zu beziehen wie auf epod. 2, 1 beatus ille qui pro­ cul negotiis, es bleibt dem Leser also anheimgestellt, mehr die ›typisch horazische‹ Pose des mit einem schlichten ländlichen Refugium zufriedenen Dichters oder mehr die Selbstironie, die in einem Rückbezug auf den faenerator Alfius der zweiten Epode läge, zum Hintergrund seiner Lektüre zu machen.11 Wie auch immer diese interpretatorische Schwerpunktsetzung ausfällt, es erfolgt zu Beginn des Gedichtes eine Selbstdefinition des Sprechers durch den von ihm bewohnten, d. h. wohl auch: bevorzugten Raum. Dabei ergänzen sich für den zeitgenössischen Leser die positiv konnotierten Begriffe rus, honos, prisca und Teucros lares noch um eine unausgesprochen in der Nennung des Ortes Alba liegende Facette, die Nähe zum Kaiser: Denn gerade das Albanum scheint ­Domitians bevorzugte Residenz außerhalb Roms gewesen zu sein und wurde dadurch im Diskurs der Zeit zum Inbegriff der Verortung seiner Regierung, soweit dafür nicht der flavische Palast auf dem Palatin herhielt.12 Auf diese der Gegend des heutigen Castel Gandolfo innewohnende besondere Bedeutung steuern die nächsten Strophen zu,13 die in geschickter Weise die Topoi eines locus amoenus und die einer Frühlingsschilderung (erneut kann man sich an Horaz erinnert fühlen) mit aparten Paradoxa der Formulierung kombinieren: hiems obruta solibus mag eine Weiterformulierung von Verg. georg. 4, 51sq. pulsam hiemem sol aureus egit / sub terras sein, wie Vollmer kommentierend anmerkt, vor allem aber scheint im Alba des Textes das Sonnenlicht das zu tun, was sonst der Schnee des Winters tut, nämlich Dinge zudecken und 10 Zu Alba bzw. dem Albaner See als typische und prominente Villenregion vgl. Darwall-Smith (1994), bes. 147 f.; wichtig auch der Hinweis bei Hardie (2003), 136, auf Cass. Dio 65, 3, 4: Domitian scheint die Jahre seiner relativen politischen Unterbeschäftigung ab etwa dem Jahr 70 zu einem beträchtlichen Teil in Alba verbracht zu haben. Das verlieh der Region schon damals, und noch mehr wohl ab dem Zeitpunkt seiner Thronbesteigung, ein gewisse zusätzliche Prominenz. 11 Nauta (2002), 202. – Zu horazisch-satirischen Elementen bei Statius und ihrer Vereinbarkeit mit dem allgemein nicht eben satirischen Grundzug der Silvae vgl. Laguna Mariscal (2006); ferner vgl. Hardie (1983), 180. 12 Vgl. o. I, bei Anm. 820. 13 Zur Textkritik bzw. Bedeutung von silv. 4, 5, 12 vgl. White (2008), 114 f.

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damit der Sicht zu entziehen.14 Dazu paßt ein weiteres Oxymoron in Vers 14: culmen multo lumine sordidum. Auch hierfür hat Vollmer eine patente Erklärung, nämlich die Schwärzung der Decke bzw. der Dachinnenseite durch den Rauch des winterlichen Herdfeuers: lumine also im Sinn von igni.15 Die einzige Lösung ist dies indes nicht, mindestens zwei weitere sind denkbar: Es könnte einerseits der jedem bekannte Effekt gezeichnet sein, daß ungewöhnlich stark und in unüblichem Winkel einfallendes Licht Schmutzflecken, Spinnweben oder ähnliche längst vorhandene, doch nie bemerkte Unzuträglichkeiten gnadenlos hervortreten läßt, was in genrehafter Weise die Nachwinterstimmung der im Text geschilderten Situation ergänzen würde; andererseits ist einem Text, in welchem gerade das Sonnenlicht etwas ›zugeschüttet‹ hat, ohne weiteres auch zuzutrauen, daß er die hellen Sonnenflecken, die das Frühjahr nach dem vergleichsweise diffusen, matten Licht des Winters auf Wände, Böden und Decken zu zeichnen vermag, ebenso paradox als Beschmutzung des ohne dieses gleichförmigen Untergrundes auffaßt. Ich würde diese letzte Deutung vorziehen wollen, denn dem iam pontus ac tellus renidet von Vers 7 der gegebenen Situation kann nicht sinnvollerweise ein bis zur Verrußung gehender Einsatz künstlichen Lichtes gegenüberstehen.16 Dazu gehört auch das solantur von Vers 15: In einer Wintersituation wäre es naheliegend, darunter die Kompensation der draußen herrschenden Kälte durch Herdfeuer und Wein zu verstehen, also erneut ein horazisches Analogon (zu carm. 1, 9) herzustellen; doch in der gegebenen Frühlingsstimmung besteht kein Anlaß, die herrschende Witterung zu kompensieren, und auch Vollmers Vorschlag, die nachfolgende Schilderung der dürftigen Verhältnisse hier vorweg­ genommen zu sehen, scheint zwar nicht unmöglich, läuft dem Duktus des Textes gerade dieser Vorwegnahme wegen aber doch zuwider.17 Vielmehr denke ich, daß solantur auf die vergangenen Unbilden des in den Versen 5sqq. teils direkt, teils als Kontrast vorschwebenden Winters rückzubeziehen ist: Die Annehmlichkeiten des Frühjahres, zu denen auch das viele (Sonnen-)Licht zählt, das ›Flecken‹ überallhin zaubert, gleicht den Winter wieder aus. Soweit liegt eine in konventionellen Topoi, wenn auch teils gesuchten, wenn man so will: manierierten Formulierungen gehaltene Situation vor, die eine Verortung des Sprechers freilich weniger an einem bestimmten aktualen Ort als in einer von horazischem Kolorit geprägten Umgebung erlaubt. Immerhin ist silv. 4, 5 auch das erste im Vollsinn lyrische Gedicht der Sammlung.

14 Zu diesem nicht völlig einmaligen Motiv vgl. Coleman (1988), 161. 15 Beides: Vollmer (1898), 469. 16 Stat. Theb. 9, 229 claraque armorum incenditur umbra wird vielfach reflektiertes Licht als umbra bezeichnet, eine ähnlich gewagte Formulierung. 17 Vollmer (1898), 470; ähnlich Coleman (1988), 163.

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Auch die fünfte Strophe scheint diesen Duktus fortzusetzen und im Geleise horazischer Genügsamkeit zu bleiben: non mille balant lanigeri greges, / nec vacca dulci mugit adultero (silv. 4, 5, 17sq.) erinnert mit der quantitativen Note des mille etwa an Hor. carm. 2, 18, 1sq. non ebur neque aureum / mea renidet in domo lacunar (womit übrigens nachträglich das Motiv des von der Decke zurückstrahlenden Lichtes per Zitat gleich nochmals erschiene, mit einer wört­ lichen Parallele zum renidet von silv. 4, 5, 7). Doch die Periode nimmt eine unerwartete Wendung: Ob die Herden nun vorhanden sind oder nicht, wichtig ist bloß, daß die Landschaft schweigt, wenn der Statius des Textes singt, bzw. daß sie sein Lied im Echo zurückwirft: mit mutus ager domino reclamat (20) ist der Serie der Oxymora ein weiteres hinzugefügt – man gewinnt den Eindruck, daß sich die Selbstcharakteristik des Gedichtes als non solitis fidibus gesungen (4) nicht bloß auf die im publizierten Œuvre erstmals auftretende lyrische Form, sondern auch auf die ungewöhnlich starke Tendenz zu paradoxen Formulierungen bezieht. Daß zugleich nach dem zweimaligen Auftreten des Motivs der Lichtreflexion (7: renident; 14: multo lumine sordidum) nun die akustische Reflexion des Echos ins Spiel kommt, erinnert an die im vorigen Kapitel besprochenen Gedichte. Zugleich gerät das Ich in eine Parallele zu den in Vers 10–12 erwähnten Vögeln, die im Winter schwiegen,18 nun aber wieder singen. Insgesamt schließt sich so der erste Teil des Gedichtes zur Schilderung einer idealen Dichterlandschaft zusammen, einer Landschaft, die der Produktion von Dichtung förderlich ist, die sich ganz wesentlich aus literarischen Versatzstücken insbesondere horazischer Provenienz zusammensetzt, und in der zuguterletzt Dichtung auch angemessen gewürdigt wird: Denn hier wurde Statius für seine Werke bei Domitians Literaturwettbewerb belohnt (21–24) und schätzt daher gerade diesen Ort ganz besonders hoch. Von da an wendet das Gedicht sich dem Adressaten zu, einem vermutlich gebürtigen Nordafrikaner,19 dem der Sprecher insbesondere, ja fast ausschließlich nachrühmt, daß man ihm seine Herkunft nicht anmerke, daß er vielmehr ein geradezu idealer Italus sei (vgl. die geradezu vehemente Formulierung des Verses 46), der auch Gefallen an seinen ländlichen Besitzungen bei Veii, ­Anagni und im Sabinerland finde. Auch ist er selbst literarisch tätig, sodaß das Gedicht schließlich in eine Aufforderung zu gemeinschaftlichem Singen mündet. Es fällt auf, wie stark beide im Gedicht erscheinenden Personen durch räumliche Komponenten definiert erscheinen: Das Ich durch seinen Ansitz in Alba, das den Hintergrund für poetisches Schaffen bildet, Severus durch seine voll 18 Zur Textkritik von Vers 12 vgl. Coleman (1988), 162; doch scheint mir das letzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen. Der Sinn immerhin, daß während des Winters kein Vogelgesang zu vernehmen war, liegt auf der Hand. 19 Coleman (1983), passim, und (1988), 158 f., zur problematischen Herkunft des Septimius Severus; ferner vgl. Nauta (2002), 218–220.

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kommene Einfügung in den italischen Raum, auch Kulturraum. Der Schlußteil bringt beide Personen in ein nicht bloß freundschaftliches, sondern auch wesenhaftes Naheverhältnis: Severus verfaßt selbst Texte, und zwar in ländlicher Umgebung, wie der Statius des Gedichtes an dessen Beginn. Doch diese Parallelität weist sogleich eine interessante Lücke auf: Hat man eingangs (a) ein dichtendes Ich auf einem amönen Landsitz, dann (b) einen mehr oder minder Fremden, der jedoch aufgrund innerer Werte und Haltung ein wahrer Italus ist,20 schließlich (c) denselben als Schriftsteller auf einem bzw. mehreren Landsitzen, dann erwartet man neben der offenkundigen Parallele (a)-(c) auch eine Enstprechung zu (b) auf seiten des Statius zu finden. Immerhin befindet der Dichter sich in einer sonderbaren Position, wenn er Septimius Severus, der immerhin paternis sedibus (54) im Umland Roms wohnt, also kein peregrinus im Sinne eines vor kurzem erst aus einem völlig anderen Kulturkreis nach Italien geratenen Fremden sein kann bzw. jedenfalls nicht als solcher gezeichnet wird, in geradezu überschwenglichen Worten als Einheimischen preist, während er selbst als gebürtiger Grieche aus Neapel seinem lateinischsprachigen Publikum selbst nicht unbedingt als Italus erscheinen dürfte, jedenfalls nicht als Italus im strengen Sinn der Abgrenzung von Galliern, Etruskern (dies freilich im ersten nachchristlichen nur noch historisch) und den Städten der Magna Graecia.21 Offenbar definiert der Text also für beide, Statius und Septimius Severus, den Raum Italien und die Wesenheit eines Italus neu, oder legt zumindest den Finger auf die Frage, was einen Italus eigentlich ausmacht: Nicht die Herkunft offenkundig, sondern einerseits die persönliche Verbundenheit mit Italiens Boden (heute würde man sagen: der Wohnsitz), andererseits innere Werte, zu denen nicht von ungefähr Beschäftigung mit der Literatur und das literarisch versierte Sich-Bewegen in den Bahnen der lateinischen Sprache gezählt wird.22 Man kann damit ja sogar Preise erringen, wie Statius in Alba. Was hingegen nicht erscheint, sind die ›unintellektuellen‹ Vergnügungen, für die Alba durchaus berühmt war, wie die hämische Beschreibung einer Bootspartie Domitians bei Plin. paneg. 82 zeigt.23 Es liegt Statius offenbar nicht daran, diese dem stadt­ 20 Nur en passant sei auf die Verse silv. 4, 5, 46–48 hingewiesen: externa non mens: Ita­ lus, Italus. / Sunt urbe Romanisque turmis / qui Libyam deceant alumni. Gegenüber der Richtigkeit des so in den neueren Ausgaben gebotenen Textes hege ich gewissen Bedenken, zumal die einzig relevante Handschrift sunt turbae und qui libram bietet: Weder leuchtet mir ein, weshalb an dieser Stelle eine so grundsätzliche, von der konkreten Person des Septimius ­Severus ablenkende Aussage stehen sollte, noch, weshalb Statius das Lob ›Du bist kein Ausländer, sondern ein echter Italus‹ mit der Bemerkung ›Es gibt Römer, die Libyen zu Ehren gereichen können‹ doch recht exzentrisch fortsetzen sollte. 21 Einen Gegensatz zwischen der eigenen Herkunft und Latium baut Statius beispielsweise in silv. 4, 7, 17–20 auf, also im zweiten lyrischen Gedicht der Sammlung, das schon in dieser Eigenschaft zum Vergleich mit silv. 4, 5 einlädt; vgl. auch Bessone (2014), 305 f. 22 Vgl. Zeiner (2005), 51 f. 23 Vgl. Darwall-Smith (1994), 156 f.

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römischen Publikum zweifellos bestens bekannten, zwei bis drei Stunden Fahrt auf der Via Appia von der Hauptstadt entfernt zu findenden Freizeitvergnügungen hier in den Vordergrund zu rücken. Das Albanum erscheint mindestens noch ein weiteres Mal in den Silvae, freilich (nach der nur auf Latium einengbaren, doch immerhin nicht explizit auf die Stadt Rom weisenden Lokalisierung von silv.  4, 7) in größerem Umfang erst im fünften Buch, also im höchstwahrscheinlich posthum herausgegebenen Nachlaßmaterial. Das mindert zwar nicht die Berechtigung des Lesers, versuchsweise eine Linie von silv. 4, 5 dorthin zu ziehen, doch die Berechtigung, aus deren Funktionstüchtigkeit auf die Intention des Autors rückzuschließen, sinkt vollends gegen null. Jedenfalls konstruiert der Sprecher des außer­gewöhn­ lich persönlich gehaltenen, auch an keinen externen Adressaten gerichteten Klage­gedichtes über den Tod des eigenen Vaters (silv. 5, 3) Alba als sein Refugium. Laut silv. 5, 3, 51sqq. würde der Statius des Textes, der in den vorangehenden Versen (29–40) seine durch den erlittenen Verlust eingetretene Schreibhemmung ausgebreitet hat, am väterlichen Grab in Alba am liebsten Dichterwettkämpfe zu Ehren des Toten abhalten, dort eigene Dichtungen vortragen und dafür durch Pietas mit Vergil und Homer gleichgesetzt, also wohl mit dem Siegespreis belohnt werden (41–63). Abgesehen von der offenkundigen Parallele zu silv. 4, 2, 1–10, die aber für die räumliche Komponente des Textes wenig Bedeutung hat, finden sich hier gleich mehrere Motive, die bereits in silv.  4, 5 festgestellt werden konnten, wieder: (1) Alba als persönliches Refugium, nun anzunehmendermaßen noch wertvoller durch das dort situierte Grab des Vaters, durch welches der Ansitz geradezu den Charakter von paternae sedes (vgl. silv. 4, 5, 54) annimmt.24 Das damit verbundene Element der Verwurzelung des Sprechers im italischen Boden kommt auch in dem silv. 5, 3, 47–50 anzitierten Gründungsmythos von Alba zum Ausdruck: Mit Ascanius verfügt Alba über einen Gründer, der als Sohn eines aus der Fremde (und übrigens mit dem Golf von Neapel als letzter Station vor dem Ziel) Zugereisten und in Latium ansässig Gewordenen eine ähnliche Position einnimmt wie Statius im Verhältnis zu seinem aus Neapel stammenden, nach Rom gelangten Vater. Das Element des Landfremden und das des Alteingesessenen erscheinen hier geschickt kombiniert. (2) Der Charakter Albas als Stätte dichterischen Schaffens und dichterischen Wettkampfes, letzteres auch ohne direkte Nennung unschwer als Reflex auf Domitians Veranstaltungen und ­Statius’ Sieg gerade in Alba zu erkennen (vgl. o. I, bei Anm. 675 f.). Mit anderen Worten: In immerhin zwei Gedichten, silv. 4, 5 und 5, 3, unternimmt der Autor gewisse in gleiche Richtung tendierende Anstrengungen, sein Albanum zum bedeutenden Topos, zur räumlichen Manifestation seines poe 24 Zur Villa als Monument, das memoria stiftet, und daher auch als sinnvoller Ort für Gräber vgl. Bodel (1997), 18–26.

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tischen Schaffens aufzubauen. Beidemale indes steht diese Positionierung der Ichinstanz nicht für sich allein, sondern problematisiert zugleich das Gegensatzpaar ›fremd‹ gegenüber ›einheimisch‹ bzw. Latinus oder Italus gegenüber externus (silv. 4, 5, 46: externa non mens). Das hat zur Folge, daß jedesmal der Blick auch auf die Herkunftsregion des Sprechers, den Golf von Neapel, gelenkt wird: schon in silv. 3, 1, 61–64, wenn der Sprecher sich zwar beim Kaiser für die Genehmigung eines privaten Aquäduktanschlusses in Alba bedankt, trotzdem aber sich am Golf von Neapel aufhält statt auf dem Albanum; im Falle von silv.  4, 5 implizit, jedenfalls wenn meine oben angedeutete Interpretation zutrifft; im Falle von silv. 5, 3 explizit, wenn keine hundert Verse nach der gerade zitierten Passage die Avernales scopuli und opaca Sibyllae antra (silv. 5, 3, 172sq.) einen prachtvollen Auftritt haben.

3. Der Golf von Neapel als literarische Kunstlandschaft  25 Denn der in silv. 5, 3 beklagte Vater des Dichters und Sprechers, selbst Literat und in diesem Metier auch lehrend tätig, hatte es der Darstellung des Sohnes zufolge durch die Qualität seiner Lehre dahin gebracht, daß aus dem weiten Umkreis Schüler nach Neapel strömten, ähnlich dem Zusammenströmen derer, die bei der unweit entfernt lokalisierten Sibylle von Cumae Rat suchten (silv. 5, 3, 162–175). Erst danach hatte der ältere Papinius seine Tätigkeit nach Rom verlagert (176–180).26 Das ist gerade der umgekehrte Prozeß, den der Statius der ­Silvae selbst im Laufe der Gedichtsammlung durchläuft, und auch der Vergleich mit der Sibylle, hier auf den Vater angewandt, fand sich schon in silv. 4, 3, wo die Prophetin in gewisser Weise zum Sprachrohr des soeben selbst an den Golf (rück)übersiedelten Ich wurde. Vorbereitet wird diese Bewegung durch das Abschlußgedicht des dritten Buches, also das letzte Gedicht des in sehr rascher Folge, möglicherweise en bloc publizierten ersten Teils der Sammlung.27 Dort fordert der Sprecher seine im hymnischen Gestus angesprochene Frau auf, ihm aus Rom an den Golf zu folgen, und preist diese Region als Rom in allen wesentlichen Punkten ebenbürtig. Interessant ist, mit welchem Motiv der Sprecher sie zunächst in den Blick treten läßt: Das Ehepaar Statius hat eine Tochter, aller Tugenden reich, deren Verheiratung über kurz oder lang ins Auge zu fassen ist 25 Vgl. Newlands (2012), 136–159. 26 Zu diesem Gedicht vgl. die Bemerkungen bei Önnerfors (1974), 91–132. – Auf die vage Vermutung, unter den Schülern des älteren Papinius in Rom könnte sich auch der junge ­Domitian befunden haben, weist zuletzt Newlands (2012), 27, hin. 27 Eine Übersicht über das Gedicht geben Vessey (1976/77) und Burck (1986) und (1987), in jüngerer Zeit insbesondere Klodt (2005). Auf seinen nicht zu unterschätzenden Sphragis­ charakter weist Henderson (2007), 261, hin; vgl. Nauta (2008), 164 f. Zu möglichen Motiven für Statius’ Verlagerung von Rom nach Neapel vgl. Garthwaite (1989).

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(silv. 3, 5, 54–69); doch nicht nur in Rom lassen sich geeignete Schwiegersöhne finden, auch der Golf von Neapel biete sie in reicher Auswahl, da der Vesuvausbruch die Gegend längst nicht vollkommen entvölkert habe (69–74).28 Noch bevor die Gründungsheroen genannt werden, darunter Capys für das mit Rom rivalisierende Capua (74sq.), erscheint also der Vesuv als das ›Markenzeichen‹ der Gegend, sein Ausbruch als ein so einprägsames, allgemein bekanntes Ereignis, daß man damit beim Leser das gewünschte Assoziationsbündel ›Golf von Neapel‹ hervorrufen kann. Das gilt auch für alle die übrigen Gedichte, in denen Statius die Golfregion thematisiert: Zwar steht die Erwähnung des Vesuvausbruches in silv.  2, 6, 62 bloß im Rang eines Vergleichs und instrumentalisiert das katastrophale Ereignis des Jahres 79 so beiläufig wie etwa der zeitlich nahestehende Silius bis­ weilen in seinem Epos (Sil. 8, 653–655; 12, 152–154; 17, 592–594), doch die weiteren Nennungen (Stat. silv. 4, 4, 79–85 sowie 5, 3, 104sq. und 205sq.) fallen eben in jenen Gedichten, in denen der Golf ganz oder passagenweise den räum­lichen Hintergrund des Textes abgibt: Zu silv. 4, 4 als Gegenstück zu silv. 3, 5 und als Anschluß an silv. 4, 3 wurde schon oben 304–310 kurz gehandelt. Damit sind alle Gedichte, in denen das poetische Ich sich selbst am Golf von Neapel lokalisiert und diese seine Lokalisierung auch ins Zentrum des Gedichtes rückt (anders also als in den Gedichten auf die Villa Surrentina und den dortigen Herkulestempel: dazu unten mehr), versammelt. Es fehlt nur noch silv. 4, 8, ein kleines Gratulationsgedicht an den in Neapel ansässigen Iulius Menecrates zur Geburt eines Sohnes.29 Auch hier ist der Vesuvausbruch das hervorstechende Ereignis, und seine Erwähnung läßt nur wenige Verse lang auf sich warten: Die Geburt des Kindes tröstet über die beim Vulkanausbruch angerichteten Schäden hinweg (silv. 4, 8, 5).30 Neben all den Positiva, welche Statius an seiner Heimat rühmt, sticht dieses eine, offenbar unverzichtbare Motiv deutlich hervor.31 Die Milde des Klimas (silv. 3, 5, 83sq.), die Sanftheit des Meeres (silv. 3, 5, 84), die Gastfreundlichkeit und Weltoffenheit der Region (silv. 3, 5, 75sq.; 4, 4, 52sq.), ihr Charakter als ruhige otium-Landschaft (silv. 3, 5, 85sq.; 4, 3, 65 und 112sq.; 4, 4, 51),32 der 28 Vgl. Newlands (2010), 112, die nicht unplausibel in dieser Bemerkung eine Antwort auf Mart. 4, 44 sieht. 29 Vgl. Newmyer (1979), 82 f. (zum Aufbau); Rühl (2006), 226–228. 30 Hierher gehört meines Erachtens auch die kaum richtig überlieferte Junktur secreta Neapolis in silv.  4, 8, 6: vgl. Watt (1988), 168. Es ist das Verdienst von Courtneys Edition (1990), zumindest im Apparat die Variante recreata Neapolis anzuführen (zurückgehend auf: Otto [1887], 542), eine bestechende Konjektur unmittelbar nach den damna Vesevi des vorangehenden Verses und eine gute Parallele zu silv. 3, 5, 104 Stabiasque renatas. 31 Vgl. die instruktiven Ausführungen bei Newlands (2010); ferner Newlands (2012), 146–148, zur Rolle des Vesuvmotives bei Silius Italicus. 32 Vgl. auch Iuv. 3, 2 vacuis … Cumis, von Fears (1975), 1–4 überzeugend als Synonym für die quieta Cyme in Stat. silv. 4, 3, 65 erklärt.

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in einzelnen Zügen bis zur Vergleichbarkeit mit dem goldenen Zeitalter geht (silv. 3, 5, 87sq.), schließlich ihre Ebenbürtigkeit mit Rom selbst (silv. 3, 5, 76. 89–96) sind enkomiastische Elemente, die in der Beschreibung einer Örtlichkeit wie des Golfes von Neapel ohne weiteres zu erwarten waren; und auch die Aufzählung diverser Attraktionen (silv. 3, 5, 95–104; 4, 3, 115 der Apolltempel von Cumae; 4, 4, 54 das Grab Vergils; auch die Sibylle von silv. 4, 3, 114–163 wird man hierherzählen) bzw. agrarisch-kulinarischer Berühmtheiten wie dem Massicus mit seinem Wein (silv. 4, 3, 64) gehört zum topischen Bestand von Texten, deren moderne Nachfolger unter anderem Reiseführer und Tourismusbroschüren darstellen. Vulkanausbrüche hingegen zählen nicht zur Topik, wenn man vom notorisch, doch meist schadensfrei grollenden Ätna als Spezialfall absieht, und dennoch vermeidet Statius es nie, auf die durch den Vesuv angerichteten Verwüstungen hinzuweisen – der Preis der Golfregion in silv. 3, 5 wird vielmehr sogar davon gerahmt: in den Versen 72–74 leitet die oben zitierte Bemerkung zur Opferzahl des Ausbruchs überhaupt erst zur Beschreibung des Golfes über, in Vers 104 beschließen die Worte Stabiasque renatas die Passage und spielen mit der Erwähnung der ›Wiedergeburt‹ von Stabiae indirekt zwangsläufig auf dessen Untergang an.33 Ähnlich eröffnet die Aufforderung an Parthenope / Neapel, ihr vom plötzlichen Staub des Vulkans halbverschüttetes Haupt zu erheben,34 33 Um mich en passant methodisch zu rechtfertigen: Ich unterliege hier, so hoffe ich, keineswegs der Verführung des o. 49–72 infragegestellten two-voices-Ansatzes, als dekonstruktive Interpretationstechnik bei Nennung einer Sache prinzipiell deren Gegenteil mitzuhören und dieses sogar möglichst in den Vordergrund zu rücken: Anders nämlich als beispielsweise bei der Aussage, ein Herrscher lasse Milde walten, wo das Mithören der Aussage, er könne ebensogut auch ungnädig verfahren, kontextabhängig nicht unbedingt notwendig ist, kann an der vorliegenden Stelle das Mithören des Gegenteils aus logischen Gründen gar nicht vermieden werden: Wenn eine Ortschaft ›wiedererstanden‹ ist, dann muß sie zwangsläufig früher schon einmal existiert haben und zwischenzeitlich zerstört oder sonstwie aufgegeben worden sein. Die Bezeichnung Stabiaes, für das sich schließlich zahllose andere Epitheta hätten finden lassen, ausgerechnet als renatae weist demnach zwangsläufig und, wie ich annehme, nicht irrtümlich auf den Vesuvausbruch hin; davon abgesehen, daß es sich um eine Anspielung auf Ov. met. 15, 711sq. Herculeamque urbem Stabiasque et in otia natam / Parthe­ nopen … handelt. Die otia sind nach dem Vulkanausbruch nun offenbar wiederhergestellt. 34 Die Stelle ist textkritisch intrikat und in der Edition Shackleton Baileys (2003) zwar immerhin in eine lesbare Form gebracht, doch nicht unbedingt sicher geklärt: Exsere semiru­ tos subito de pulvere vultus, / Parthenope, crinemque afflatu montis adustum / pone …: Dabei erscheint die auf Heinsius (vgl. Gibson [2006], 306) und Håkanson (1969), 143, zurückgehende Verbesserung des überlieferten afflato monte sepultum, das zuletzt Courtney (1990) und Gibson (2006) im Text hielten, ohne weiteres plausibel, doch dem von Otto (1887), 545, vorgeschlagenen ablato monte sepultum (Otto verweist dazu auf Vers 207sq. cum pater ex­ emptum terris ad sidera montem / sustulit et … deiecit) mindestens in paläographischer Hinsicht nicht unbedingt überlegen. Ferner bleibt die eigenartige Junktur subito de pulvere: Sie mag das unvermutete Hereinbrechen der Eruptionswolke beschreiben, doch Heinsius’ bei Markland (1728), Not. 296, zitierte Konjektur Vesuvino pulvere ist zumindest bedenkenswert.

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die den Golf von Neapel und das dort seinen Anfang nehmende Leben des Papinius senior betreffende Passage in silv.  5, 3, 104sq., während hundert Verse später über das Ende seines Lebens ausgesagt wird, er sei gerade mit Planungen zu einem Gedicht über den Vesuvausbruch beschäftigt gewesen, als der Tod ihn ereilte (silv. 5, 3, 205–208). Was in immerhin zwei ganz verschiedenen Themen gewidmeten Gedichten als rahmendes Motiv Verwendung findet, kann kein gänzlich unbedeutendes Element sein. Freilich: Daß Statius als gebürtiger Neapolitaner und Kenner der Region von der Mondlandschaft, als die sich die vom Ausbruch des Jahres 79 stärker betroffenen Landstriche wohl noch Jahre später präsentiert haben müssen (Tac. ann. 4, 67, 2: prospectabat [scil. Caprea] pul­ cherrimum sinum, antequam Vesuvius mons ardescens faciem loci verteret; cf. Stat. silv.  4, 4, 82),35 persönlich beeindruckt und erschüttert war, kann angenommen werden; auf jene Katastrophe anzuspielen lag ihm zweifellos näher als Autoren ohne engeren Bezug zur Landschaft. Was aber die Golfregion für den in den Silvae sich artikulierenden Statius so besonders anziehend macht, und was ihr neben der zweifellos poetischer Produktion (und vielleicht auch der wünschenswert damit verbundenen Lebensführung) zuträglichen quies hinaus die Möglichkeit gibt, andeutungsweise ein besseres Rom zu sein,36 zeigt aufschlußreich die letzte der zitierten Stellen: Statius’ Vater habe die Bürgerkriegsereignisse des Jahres 69 zum Gegenstand einer epischen Dichtung gemacht; zumindest legt die Formulierung Phlegraea proelia (silv.  5, 3, 195sq.) nahe, Papinius senior habe das, was sein Sohn als bella Iovis bezeichnet (Theb. 1, 22; silv. 1, 1, 79) und damit schon in die Nähe der mythischen Gigantomachie rückt, unter Ausnützung derselben Möglichkeit zur Mythisierung bzw. Parallelisierung mit einem Mythos gestaltet. Dieselbe Parallele schreibt Statius dem unmittelbar anschließend umrissenen letzten dichterischen Projekt seines Vaters zu, einem Gedicht auf den Vesuvausbruch des Jahres 79: Ein vor unkonventionellen Formulierungen nie zurückschreckender Autor, konfrontiert mit einer im Erfahrungshorizont der Zeit einmaligen Katastrophe, und der resultierende Text so unzuverlässig überliefert, wie es in den Silvae eben der Fall ist – kaum die solideste Grundlage für textkritische Entscheidungen. 35 Nach derzeitigem Kenntnisstand hatte der Vulkanausbruch des Jahres 79, insbesondere die dabei aufgetretenen pyroklastischen Ströme, eine Fläche von ca. 300 km2 für zumindest einige Jahrzehnte nachhaltig zerstört und damit ein nicht zu übersehendes Loch in die kampanische Landschaft gerissen: vgl. Barth (2013), 102. 36 Newlands (2002), 154–159 und 297. Der scharfen Zeichnung der Diskrepanz zwischen Rom und Neapel, die Newlands vornimmt und aus der sie in den Silvae regelrecht den Aufbau Neapels zum herausfordernden Gegenentwurf zu Rom erkennen will, stehe ich freilich skeptisch gegenüber: Wenn beispielsweise Pollius Felix in silv. 2, 2 ein Leben führt wie ein römischer Kaiser, nur eben in verkleinertem Maßstab und am Golf von Neapel, dann erblicke ich darin nicht notwendig eine Konterkarierung des Herrschers (Newlands [2002], 177), sondern primär eine Nachahmung, die, ob sie Domitian nun schmeichelte oder nicht, jedenfalls das Herrschaftsverständnis Roms und die Funktionsweisen seiner Gesellschaft bestätigte; vgl. z. B. auch o. I, Anm. 899.

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III. Cernere si quis potuit

Iamque et flere pio Vesuvina incendia cantu mens erat et gemitum patriis impendere damnis, cum Pater exemptum terris ad sidera montem sustulit et late miseras deiecit in urbes. (silv. 5, 3, 205–208)

Mehreres fällt an diesem Text auf: Zunächst ist offenkundig, daß der Ausbruch des Vesuvs mit seiner aus der Darstellung des jüngeren Plinius hinlänglich bekannten Gesteins- und Aschewolke zum Hochheben und Schleudern des ganzen Vulkans durch den pater Jupiter wird, also dem Sieg Jupiters über das Ungeheuer Typhon / Typhoeus entspricht, das seither unter dem Ätna begraben liegt. Mit dem Typhonmythos aber befindet man sich im unmittelbaren Umkreis der Gigantomachie. Sodann leistet die in ihrer Kürze zwangsläufig selektive Beschreibung und Nebeneinanderstellung gerade dieser beiden väterlichen Werke durch Statius etwas, was in jenen verlorenen Texten selbst keineswegs angelegt gewesen sein muß, nämlich eine panegyrische Verbeugung vor der Macht ­Domitians, der in der Darstellung des Kampfes um das Kapitol im Dreikaiserjahr doch wohl als Jupiters irdisches Double gewirkt haben muß.37 Ohne entsprechendes Signal an den Leser aber – und ein solches unterbleibt im Text in jeder Hinsicht – ist auch der pater, der wenige Verse später den feuerspeienden Berg hochhebt und auf die Städte herabschleudert (207), nicht scharf von Domitian zu trennen: freilich nicht in dem Sinn, daß Domitian eine Schuld am Vesuvausbruch zugeschrieben würde (was selbst seinen eingefleischtesten Gegenern wohl albern erschienen wäre), sondern mit dem Ziel, die über menschliches Maß hinausgehende Macht des Kaisers zu umreißen, Gutes sowohl wie Böses zu stiften und dabei nicht immer begreiflichen Gründen und Maßstäben zu folgen. Letztlich ist diese Fähigkeit des Kaisers, einen Weltenbrand zu entfachen, doch auch ihn zu löschen, ja bereits in silv 1, 1, 16 mixta notis belli placidamque geren­ tia pacem enthalten, dort freilich ohne die Übersteigerung des Mythos: Durch die Einbeziehung des Typhoeusmythos bzw. das tertium comparationis der Gigantomachie wird der Vulkanausbruch, dem auch anderwärts mit irae (silv. 4, 4, 79; vgl. 3, 5, 72sq. diri montis), minari (4, 4, 84), fato pari dahingerafften Völ 37 Es ist müßig, über Details eines verlorenen und bloß im möglicherweise verfremdenden Referat des Sohnes bezeugtes Werk des älteren Papinius zu spekulieren, doch eine Bemerkung sei gestattet: Der mit der Gigantomachie mehr oder minder eng verknüpfte Typhoeusmythos bot das immerhin ungewöhnliche Motiv einer Gefangennahme Jupiters, der sich aus vorübergehender Gefangenschaft zunächst befreien muß, ehe er das Monster besiegen kann, und allgemein kommt es im Kontext von Typhon und Giganten zu unrühmlichem Fluchtverhalten der Götter (vgl. Ov. met. 5, 318–331). Nun war auch der junge Domitian während der Kämpfe um das Kapitol dazu gezwungen, sich vorübergehend zu verstecken und eine keineswegs heroische Pose einzunehmen, ehe der Sieg dann doch gelang: Ob der verschollene Text von dieser Parallele Gebrauch machte? Dann würde der bei Statius nur mit dem Vesuv in Verbindung gebrachte Typhon / Typhoeus als gemeinsame wichtige Figur eine noch engere Beziehung zwischen dem Bürgerkrieg des Dreikaiserjahres und dem Vulkanausbruch stiften.

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kern (4, 4, 83sq.) und schließlich Wahnsinn (4, 8, 5 insani … Vesevi) regelmäßig Motive und Begriffe angepaßt werden, die typisch für epische Kriegstaten und -helden sind, so zum Äquivalent kriegerischen Tuns, also zum epischen Stoff schlechthin.38 Daraus aber läßt sich auch ableiten, aus welchem Blickwinkel der Statius der Silvae den Golf von Neapel für so besonders geeignet hält, ihm gleichsam den Hafen für seinen Lebensabend zu bieten. Sicherlich ist es nicht Neapel als »eigenständige kulturelle Macht«, als »neue Urbs, das geistige Zentrum der modernen Römer«, wie Andreas Krüger phantasiert.39 Es sind auch nicht so sehr die persönlichen Umstände, die dem physischen Autor wohl eine Heimkehr ins elterliche Haus oder zumindest die heimatliche Landschaft nahelegten, denn darüber erfährt der Leser bemerkenswerter Weise nichts – das einzige Mal, daß Statius über seinen konkreten Aufenthalt am Golf Auskunft gibt (von den Besuchen in Sorrent der Gedichte 2, 2 und 3, 1 abgesehen), sitzt er höchst literarisch-topisch am Grab Vergils und singt (silv. 4, 4, 54sq.); als persönlicher Aufenthaltsort wie auch als repräsentativer Besitz bleiben Haus und Grund am Golf, obwohl sie vorhanden gewesen sein müssen, noch weitaus ungreifbarer als das seinerseits schon nicht eben übergenau skizzierte Albaner Gut: Sie liegen vor allem auf dem ›Land‹, jedenfalls nicht in der Hauptstadt, und sind allein dadurch für poetisches Schaffen topisch prädestiniert.40 Vielmehr ist es die Literarizität der Landschaft, die ins Zentrum gerückt wird: Ihre zahlreichen Attraktivitäten, ihre Weltoffenheit bei gleichzeitigem Grundcharakter als otiumRegion, schließlich sogar der Vulkanausbruch als hochepisches Kapital,41 wenn 38 Statius selbst macht in Theb. 10, 913–917 davon Gebrauch, wenn er die Begleitumstände einer epischen Kampfhandlung, und zwar einer, an der Jupiter selbst beteiligt ist, im Gleichnis mit einem Vulkanausbruch parallelisiert, ausdrücklich die Insel Inarime (Ischia) und den Aetna als Berge / Vulkane anführend, die hypothetisch in die Luft fliegen könnten – wie der Vesuv eben. 39 Krüger (1998), 16. 40 Vgl. Riikonen (1976). 41 Vgl. Newlands (2010), 107, mit Verweis auf Sen. epist. 79, 5, wo die Ausbrüche des Aetna als Paradesujet für Epiker charakterisiert werden. Anders Newlands (2012), 144 f.  – Greift man hier einen antiken Versuch, das Renommée der Golfregion als luxuriöses Ferienreservat, das durch die Vulkankatastrophe wohl doch ein wenig gelitten hatte, durch eine instrumentalisierte Umdeutung dieser Katastrophe wieder aufzupolieren? Immerhin fehlten, wie Pappalardo (2007), 27, bemerkt, zumindest im Nahebereich des Vesuv seit dem Jahr 79 die Voraussetzungen für den Fortbestand bzw. die Wiedererrichtung der zuvor dort so zahlreichen luxuriösen Villen, und auch die phlegräischen Felder büßten im Lauf des 1. Jhdts. offenbar an Popularität ein. Andererseits scheint die Villentradition außerhalb des Kernbereichs der Eruption bis in die Spätantike fortbestanden zu haben, der Vesuvausbruch also keinen vollkommenen Rückgang eingeleitet zu haben, und auch Infrastrukturprojekte wie die in silv. 4, 3 besungene Via Domitiana unterstützten wohl zumindest zeitweilig das neuerliche Prosperieren der Region. In diese Phase des Wiederaufschwungs wird man auch Statius’ auf den Golf bezogene Texte einreihen können.

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auch unter Zähmung und Zivilisierung des dem Epischen innewohnenden zerstörerischen Moments.42 Diese Landschaft hat in ihrer Gesamtheit das Potential, Literatur hervorzubringen, weil ihr Literarizität a priori innewohnt. Somit erscheint der Rückzug des Dichters aus Rom, wenn es denn ein Rückzug ist, als ein Rückzug nicht bloß in die physische Heimat, sondern in eine literarische Landschaft, in letzter Konsequenz als Rückzug in die Literatur selbst.43 Woraus zu schließen ist, daß Rom bei all seinen unbestreitbaren Qualitäten nicht in der Lage ist, dieses in gleichem Ausmaß zu bieten. Werden bei Statius Elemente der Stadt Rom zum Gegenstand der Dichtung, so handelt es sich in der Mehrzahl der Fälle entweder um Elemente kaiserlicher Provenienz, ob Bauwerke oder Handlungen: der Kaiser als derjenige, dessen Tun den Stoff für Literatur erst schafft, ist ein geläufiger Topos, doch in silv. 4, 3 hat auch der Kaiser Rom verlassen und sich an den Golf von Neapel verfügt; oder aber es handelt sich um alokale Vorgänge (hier ist an diverse Epicedien und andere ›römische‹ Anlaßgedichte zu denken), in denen gleichwohl dem Handlungsraum über die grundlegendste Notwendigkeit hinaus, eine Handlung nur schwer unter Verzicht auf ein ›setting‹ ablaufen lassen zu können, keine weitere Bedeutung zukommt.44 Es ist schon viel über das Verhältnis zwischen den beiden zeitgleichen Antipoden Statius und Martial geschrieben worden, zumeist mit dem Ergebnis, daß die beiden Autoren, so eng sie einander gesellschaftlich auch nahegestanden sein müssen und so sehr sie auch bisweilen gleiche Anlässe zu Themen ihrer Dichtungen machten, einander offenbar in ihren Texten weitestgehend auswichen, sowohl hinsichtlich persönlicher Nennungen als auch hinsichtlich der bedienten Gattungen. Daß der späte Statius dem den Stadtraum Roms mit lustvoller Intensität in seinen Epigrammen verarbeitenden Martial dieses Terrain, das er ihm ohnedies kaum je ernsthaft streitig gemacht hatte, überließ und sich in die Literaturlandschaft Neapels verlagerte, fügt sich prinzipiell ins Bild dieses sonderbaren Künstlerverhältnisses. In der extreme Bedeutungsaufladung der Forumsgegend in silv. 1, 1 mag man freilich als ein an Martial gerichtetes Lehrstück sehen, was sich nach Statius’ Meinung aus dem Equus maximus und seiner Umgebung ›herausholen‹ ließ – bezeichnenderweise verzichtete Martial darauf, die Enthüllung des Monuments zum Gegenstand von Epigrammen zu 42 Dazu anregend Newlands (1991), 446–449. 43 Ob Statius je auf den Gedanken kam, daß die anarrativ-novellistischen Momentauf­ namen seiner Silvae mit ihren Gegenständen jeweils ähnliches taten wie die meterhohen Eruptionsablagerungen des Vesuvausbruchs, die so manches Haus in Pompei und Herculaneum mitsamt den kleinsten Kleinigkeiten ihrer Ausstattung und gelegentlich sogar ihren Bewohnern für die Ewigkeit ›einfroren‹ oder ›versteinerten‹, ist seinen Texten leider nicht zu entnehmen. 44 Eine hinzutretende Facette beleuchtet Nauta 2008), 165: Mit silv. 3, 5 mache Statius publik, daß er für Dichtung in der Art der Silvae in Rom nicht mehr zur Verfügung stehe, wohl aber in den Ferienregionen des Golfes von Neapel.

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machen.45 Daß nur ein literarischer, der aktualen Welt bis zu einem gewissen Grad entrückter Raum der angemessene Aufenthaltsort für einen Literaten ist, insbesondere für einen alternden Dichter, der es sich leisten kann, sich dem Getriebe des kommerziellen Literaturbetriebs etwa der Hauptstadt zu entziehen, zeigt sich, wenn man einen Schritt darüber hinausgehend die Verortung eines toten Dichters betrachtet: nicht so sehr des Blaesus von silv. 2, 3, obwohl auch dieser Tote letzten Endes vor allem im Text des Gedichtes, also in der Literatur, überdauert, denn immerhin existiert dort mit der bedeutungstragenden Platane ein dezidierter Anknüpfungspunkt im aktualen Raum; sondern vielmehr des verehrten Vorgängers als Großepiker und Allrounddichter, von dessen Werken eines sogar den Titel Silvae getragen haben soll, Lukan.

4. Die Kunstlandschaft von silv. 2, 7 Denn in silv. 2, 7, dem Gedenkgedicht an den Dichter Lukan anläßlich von dessen offenbar regelmäßig gefeiertem Geburtstag,46 gewidmet der Witwe Polla,47 geht Statius nun noch weiter in die Richtung einer rein literarischen, auf aktuale Gegebenheiten nicht referentialisierbaren Räumlichkeit. Das Gedicht,48 das übrigens als einziges der Sammlung über die gemeinsame Überlieferung der ­Silvae hinaus auch das Schicksal einer – völlig versprengten – Einzelüberlieferung erfahren hat,49 beginnt sogleich mit einer Umschreibung von ›Dichtertum‹ oder zumindest literarischem Interesse durch ein Geographicum: Wer immer 45 Vgl. o. II , bei Anm. 134 zu einem vielleicht ähnlichen Fall von Übertrumpfung des kleinformatigen Rivalen. 46 Zu Geburtstagsritualen allgemein vgl. Argetsinger (1992); zu posthumem Dichterkult vgl. Plin. epist. 3, 7, 8: der luxuriös am Golf von Neapel lebende Silius Italicus feiert regel­ mäßig Vergils Geburtstag (u. Anm.  117); vgl. auch Mart. 11, 48sq.  – Ein sprachliches Detail, das zeigt, wie sehr Statius den Geburtstag Lukans als im Festkalender verankerten, jährlich wiederkehrenden Feiertag ansieht, ist der ohne semantische Motivation innerhalb von 20 Versen doch einigermaßen harte Wechsel vom Maskulinum dies in Vers 1 zum Gebrauch des Wortes als Femininum in Vers 20: an letzterer Stelle ist die Rede vom jährlichen Termin. – Anders freilich White (1975), 280, der aufgrund des nunc-Topos der Verse silv. 2, 7, 133–135 annimmt, Statius habe sein Gedicht zu einer ganz besonderen, eben nicht jedes Jahr so gefeierten Wiederkehr von Lukans Tod komponiert. Ich würde die Bedeutung dieser Verse, immerhin der Schlußverse des Gedichtes, freilich nicht in solchem Sinn auffassen, vielmehr das nunc auf die Vollendung des vorliegenden Gedichtes bzw. die daraus erhoffte Wirkung beziehen: bisherige Feiern zum selben Anlaß kommen solcherart gar nicht in den Blick, weder überbietend noch linear fortschreibend. 47 Zur Person der Polla vgl. White (1975), 280–286; Nisbet (1978), 2–8; Nauta (2002), ­223–225. 48 Einen nach wie vor zuverlässigen Überblick gibt Buchheit (1960). 49 Einzige Handschrift: Florenz, BML 29.32, saec. ix: vgl. Anderson (2009), 1, 104 f. – Zum Aufbau von silv. 2, 7 vgl. Newmyer (1979), 75–80. – Parallelen hinsichtlich Thema und Anlaß existieren ferner in Gestalt von Mart. 7, 21–23: vgl. White (1975), 280 mit Anm. 23.

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aus der Hippokrene getrunken hat, und zwar aus der korinthischen (eine schon einigermaßen gelehrte Anspielung auf eine mythische Nebenvariante), und wer von der ›gelehrten Stechfliege‹ (3: docto oestro) dazu angestachelt ist,50 möge den speziellen Tag des Lukan feiern (silv. 2, 7, 1–4), allen voran Mercurius als Erfinder der Lyra, Dionysos, Apoll und die Musen. Hier wird also nachgerade alles mythische Personal, das in bezug auf Dichtung Rang und Namen hat, versammelt, ein konträrer Fall zu Gedichtanfängen wie jenen von silv. 2, 3 oder 1, 6, wo aus unterschiedlichen Gründen gerade solche hochrangigen poetologischen Instanzen nicht eingeladen bzw. fortgebeten werden.51 Von Interesse aber ist der Raum, in welchem dieses Pesonal sich versammelt: docti amnes sollen reicher fließen (12), die Aoniae silvae sich stärker belauben (13), jeder potentielle Schattenplatz sich mit komplettiertem Laubengeschlinge vollends zum dichtungstauglichen Platz entwickeln (14sq.); in den Hainen von Thespiai sollen hundert duftende Altäre stehen, mit ebensovielen Opfertieren vom Kithairon oder der Dirkequelle (16–18): all das zu Ehren des sacerdos Ro­ 50 Vgl. Newlands (2011), 226, und van Dam (1984), 457. Unzutreffend Malamud (1995), 5, die hier einen absichtsvoll angelegten Widerspruch zu Stat. Theb. 1, 32sq. Tempus erit, cum Pierio tua fortior oestro / facta canam (scil. facta Domitiani) sieht, indem an der Silvaestelle eben jene Form von Dichtung vorausgesetzt werde, die Statius am Beginn der Thebais zurückweise. Doch Statius weist in Theb. 1, 32sq. nichts zurück, sondern kündigt bloß an, ein Epos auf Domitian später erst schreiben zu wollen – ob er nur zu diesem Zweck des oestrus bedarf, oder ob dieses Tierchen bzw. der durch es metonymisch hervorgerufene Wahnsinn ihn in gleicher Weise auch schon zum Dichten der Thebais beflügelt, geht aus dem Text gar nicht hervor; womit die Diskrepanz in sich zusammenfällt. 51 Freilich: Gegen die in der Tat unglückliche Aufspaltung der Adressaten des zwei­ maligen favete in den Versen 19sq. (Lucanum canimus, favete linguis! Vestra est ista dies, ­favete Musae!), wie sie van Dam (1984), 464, vorschlägt, bezieht Malamud (1995), 3 mit Anm.  5, mit Recht Stellung, doch von einem Schweigegebot an die Musen, wie Malamud, ebd., den Text auffaßt und, ausgehend von dieser in der Tat auffälligen Idee, das Gedicht zu dekonstruieren versucht, kann keine Rede sein. Hier wie überall bedeutet das am besten aus Hor. carm. 3, 1, 2 bekannte favete linguis, analog dem εὐφημεῖτε des griechischen Kultes, nicht ›Schweigt!‹, sondern ›Sprecht nur kultisch Positives!‹ (analog dazu Hor. carm. 3, 14, 11sq.: male nominatis parcite verbis), und bloß die antiken ebenso wie modernen Erklärern anscheinend leichter von der Hand gehende Definition ex negativo ›Sprecht nichts, was die Kulthandlung stören würde!‹, bzw. der naheliegende Gedanke, daß der antike Teilnehmer an einer heiligen Handlung auf die εὐφημεῖτε-Aufforderung hin im Zweifelsfall am besten bis auf weiteres gar nichts mehr äußerte, bringt ein scheinbares Schweigegebot aufs Tapet: ThlL VI , 1, 376, 78 – 377, 21 versammelt die Stellen, worunter besonders hervorzuheben die genaue Umschreibung bei Serv. auct. Aen. 5, 71 praeco magistratu sacrificante dicebat ›favete linguis, favete vocibus‹, hoc est ›bona omina habete aut tacete.‹ und die Erklärung bei Sen. dial. 7, 26, 7 ut rite peragi possit sacrum nulla voce mala obstrepente (und eben nicht bloß: nulla voce obstrepente); entsprechend bedeutet favere in anderen Junkturen (etwa manu favere) ja auch ›applaudieren, Beifall bekunden‹, also gerade das Gegenteil von ›schweigen‹. Entgegen Malamud (1995) sehe ich also keinen Anlaß, Statius die exzentrische Idee unterzuschieben, er verböte den Musen zu Beginn eines Gedichtes den Mund; vgl. im gleichen Sinn Newlands (2011), 230 f.

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mani chori Lukan (19–23). Zugegeben: Die (vor allem symbolischen) Toponyme dieses Raumes weisen, wie Martha Malamud feststellt, signifikant stark in die Gegend von Statius’ Thebais, weniger in die der Schauplätze der Pharsalia.52 Doch erstens scheint es keineswegs unangebracht, wenn ein Dichter, der den Nachruhm eines lang zurückliegenden Vorgängers in Worte gießt, dessen in die Performanz einer andeutungsweise Kulthandlung übertragenen Preis, der damit einen Ereignisraum benötigt, in der Landschaft seines eigenen Dichtes, sozusagen auf seiner poetischen bzw. poetologischen ›mental map‹ lokalisiert anstatt beispielsweise auf dem Schlachtfeld von Pharsalos  – Statius’ Gedächtnisgedicht ist ja auch von zahlreichen Gottheiten und minderen mythischen Potenzen bevölkert, sehr im Unterschied zur Welt von Lukans Pharsalia. Und zweitens sei warnend darauf hingewiesen, daß Statius’ Gedicht expressis ­verbis auf eine ganze Reihe von Lukans Dichtungen Bezug nimmt, dem modernen Leser intertextuelle Verbindungen aber bloß zu dessen Bürgerkriegsepos, dem einzigen erhaltenen Werk, sichtbar werden  – der Raum des Gedichtbeginns kann also theoretisch aus lauter lukanischen Versatzstücken zusammengesetzt sein (und die Wahrscheinlichkeit dafür ist gar nicht gering, schließlich fordert das Thema ›Dichter preist Dichter‹ zu intertextuellen Bezügen geradezu auf), ohne daß dies noch kenntlich wäre.53 Der Raum, der sich hier eröffnet, ist ein gänzlich fiktiver, und er ist es noch stärker, wenn man im Weiterlesen den Kontrast zum unmittelbar nachfolgenden Preis der Baetica (24–35) feststellt, die als das Herkunftsland Lukans mit immerhin einigen knappen Strichen skizziert wird: sie liegt weit im Westen am Meer (25–27) und produziert gutes Olivenöl (28sq.). Dem literarisch selten begegnenden Landstrich weitergehendes Profil zu verleihen hält der Autor anscheinend für überflüssig, und der Text entfernt sich auch rasch von jeder enge­ ren Lokalisierung, wenn des weiteren Lukans Biographie und besonders die Liste seiner Werke als direkte Anrede der Calliope an den Neugeborenen abgearbeitet werden (36–106).54 Erst der Schluß des Gedichtes greift in gewisser 52 Malamud (1995), 4–7. 53 Rühl (2006), 278, weist mit Recht auf den Widmungsbrief des vierten Silvaebuches hin, in welchem der Dichter die Wahl des Hendekasyllabus für das Lukangedicht ausdrücklich damit begründet, diesem nicht auf dem Feld der hexametrischen Dichtung Konkurrenz machen zu wollen: insofern ist eine Bezugnahme speziell auf Lukans Epik gegeben, doch keine exklusive. Zu weiteren interpretatorischen Schwierigkeiten hinsichtlich Statius’ Auflistung lukanischer Werke vgl. Bright (1980), 36 f. 54 Zu dieser Musenrede und der darin vorgenommenen raffinierten Überblendung von Lukan und Orpheus vgl. Lovatt (2007), 152 f.; Malamud (1995), 7, sieht freilich im Vorliegen einer Musenrede zwangsläufig eine Diskrepanz zum (irrig) beobachteten Schweigegebot an die Musen zu Gedichtbeginn. Zutreffend hingegen Hardie (1983), 116: Nicht die Musenrede an sich widerspricht dem favete linguis der Verse 19sq., sondern ihre Tränen (105sq.) und ihre Parzenschelte (89) – insofern läßt Statius tatsächlich eine Art von kontrollierter Ent­gleisung zu.

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Weise auf den fiktiven Raum des Beginns zurück (107–135), wenn Lukan entweder gen Himmel schwebend und aus der Region der animae potentiores (109) auf die Erde herabblickend, oder aber im unterweltlichen Elysium singend vorgestellt wird, also entweder in der Situation des sechsten Aeneisbuches oder in der des Somnium Scipionis. Da Lukan eingangs ausdrücklich als Dichter und Prosaschriftsteller gepriesen wurde (silv. 2, 7, 21sq.), überrascht diese doppelte Anknüpfung an die beiden wohl prominentesten literarischen Darstellungen des Jenseits, speziell des schönen Jenseits, nicht. Solcherart rahmen zwei Passagen von intensiver, doch rein fiktiver, oder besser: literarischer Räumlichkeit den Hauptteil des Gedichtes mit seiner konkreteren Lokalisierung im aktualen Raum des imperium Romanum, die gleichwohl bloß ein Accidens der referierten Biographie und schriftstellerischen Leistung ist. Beide Sphären bleiben streng voneinander geschieden, mit dem einzigen verbindenden Element der Feiernden, zu denen auch der Sprecher sich zählt: Sie erscheinen auch in der literarischen Welt des Gedichtbeginns und -schlusses, vollziehen textimmanent also dieselbe Grenzüberschreitung nach, die sich in der aktualen Welt durch die Umwandlung der realen Feier für Lukan in ein Gedicht vollzog. Stärker noch als in der Deklaration des Golfs von Neapel zum Literaturraum, wo doch immerhin der aktuale Golf noch ein nicht wegzudiskutierender Anknüpfungspunkt in der Aktualität bleibt, leistet sich Statius hier die Extravaganz eines nicht bloß fiktiven (falls denn ›fiktiv‹ für derlei eher allegorische Konstrukte überhaupt das richtige Wort ist: ist denn eine Allegorie fiktiv, nämlich im gleichen Sinn fiktiv wie ein per est-locus-Topos erfundener Schauplatz irgendeiner fiktiven Handlung?), sondern völlig un-örtlichen Raumes, der sich bloß aus Elementen poetologischer Metaphern zusammensetzt: poetische Flüsse, Musenwälder, diverse Schattenplätze, Altäre und Opfertiere vom Kithairon (der mit Dionysos ebenso wie mit den Musen in Verbindung zu bringen ist) oder der durch Dionysos gestifteten Dirkequelle als literarischer Schauplatz der Feiernden, die sublunare Sphäre des Somnium Scipionis oder das Elysium Vergils als ebenso literarischer Aufenthaltsort des toten Dichters, alles vereint in einem Stück Literatur, das sich seiner Sprechhaltung nach performativ in eben diesem literarischen Raum zu verwirklichen scheint. Ein literarischer Raum übrigens, in dem auch die Adressatin Polla sich permanent zu bewegen scheint, ist sie doch, einer plausiblen Hypothese zufolge, nicht bloß Witwe Lukans und möglicherweise selbst Enkelin eines griechischen Epigramatikers, sondern zum Zeitpunkt des Entstehens des Gedichtes auch erneut verheiratet, erneut mit einem Poeten, freilich eher einem Amateur, dem tendenziell dem Epikureismus zuneigenden Pollius Felix.55

55 Nauta (2002), 223–225; Rühl (2006), 227 mit Anm. 23.

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Es fällt schwer, hier nicht erneut an die zur Interpretation der Arbor Atedi Melioris (silv. 2, 3) herangezogenen ›sacral-idyllic landscapes‹ der Wand­malerei zu denken, die sich in vergleichbarer Weise un-örtlich, d. h. ohne lokalisierende Einbindung in eine reale oder fiktionale Topographie, aus Versatz­stücken wie Hainen, Altären, Opfertieren und Adoranten zusammensetzen. Gegenüber silv.  2, 3 aber stellt 2, 7 eine Steigerung insofern dar, als die entworfene Sakrallandschaft nicht mehr Interpretament einer aktualen Szenerie ist, sondern abstrakte Literarizität, metaphorisch verräumlicht. Freilich: die Entkoppelung von der aktualen Welt gelingt nicht restlos, denn jeder im Text ent­worfene Raum drängt danach, in der Vorstellung des Lesers imaginiert zu werden, und wenn der Text so wie hier Anknüpfungspunkte für konkrete Referentialisierungen verweigert (die wenigen vorkommenden Toponyme wie die Dirkequelle oder der Kithairon sind selbst für Leser, die jene Örtlichkeiten im aktualen Griechenland zufällig kennen, leicht als Metonymien für literarische Topoi zu erkennen), bleibt immer noch der Rückgriff auf passende Bildtypen – wie ich selbst es mit meinem Hinweis auf die Sakrallandschaften der Malerei gerade getan und damit möglicherweise ein Denkmuster zeitgenössischer Rezipienten getroffen habe. Doch die damit bezeichnete Spannung ist lediglich die unvermeidbare Kluft zwischen Abstraktion und anschaulicher Konkretisierung, die gerade ein poetischer Text, jedenfalls ein nach klassischen Maßstäben poetischer, zwangsläufig überbrücken muß. Davon abgesehen bezeichnen die rahmenden Passagen von silv. 2, 7 den Extrempunkt, an den Statius die Abstraktion des Textraumes treibt, gleichsam die poetologische Utopie. Nach diesem zugegeben knappen präliminarischen Rundblick über die im Fortschreiten der Gedichtsammlung immer mehr auf literarische anstelle von räumlich-aktualen Topoi (im Doppelsinn des Wortes) sich verlagernde Selbstpositionierung des Autors im Text wende ich mich einer kleinen Gruppe von Texten zu, die thematisch in unmittelbarer Nachbarschaft etwa zu dichterischen Verarbeitungen des eigenen Albaner Gutes oder der eigenen Wohn­situation am Golf von Neapel stehen könnten, es aber dezidiert nicht tun: Denn dem poetologischen Raum der im vorigen umrissenen Gedichte steht in den nun zu behandelnden, nicht unähnlich den räumlichen Grundlagen der panegyrischen Gedichte, wiederum massive Referentialisierung auf teils bis ins Detail beobachtete und zum Gegenstand des Textes gemachte aktuale Örtlichkeiten gegenüber, freilich, wie bei Statius kaum anders zu erwarten, in intelligenter Weise weit über das Niveau simpler Beschreibung hinausgehend. Zwei Gedichte sind es im wesentlichen, die hier zu betrachten sind, mit jeweils einem Annex: Die Villa Surrentina Polli Felicis (silv. 2, 2), zu der sich als Ergänzung oder Fortsetzung der Hercules Surrentinus (silv. 3, 1) gesellt; und die Villa Tiburtina M ­ anili Vopisci (silv. 1, 3), deren Lektüre meines Erachtens durch einen Seitenblick auf das im selben Buch publizierte Balneum Claudi Etrusci (silv.  1, 5) an Tiefenschärfe gewinnt. Aus keinem anderen Grund, als weil ich die Villa Tiburtina

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für das ambitioniertere und komplexere der beiden Villengedichte im engeren Sinn halte, wende ich mich zunächst der Villa Surrentina zu, mag sie auch das im Verlauf der Sammlung später erscheinende Gedicht sein.

5. Silvae 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis a) Vorbemerkungen Eine ganze Reihe von Gedichten schrieb Statius für die Familie des Pollius Felix: silv. 2, 256 und 3, 1 als direkte Hommagen an ihn als Bauherrn und Patron, ferner, wenn die Gleichsetzung von Pollius Gattin mit der Witwe des Lukan zutrifft,57 silv. 2, 7 und 4, 8 zu privaten Anlässen der Familie im etwas weiteren Sinn: es scheint also zwischen Pollius und Statius ein Verhältnis bestanden zu haben, das über das zwischen Gelegenheitsdichter und gelegentlichem Auftraggeber hinausging und zumindest den Charakter einer ›Stammkundschaft‹ annahm – entsprechend beklagt der textimmanente Statius sich auch in silv. 4, 8, 32–42 darüber, daß Pollius’ Schwiegersohn Menecrates ihm die Geburt seines Jüngsten, also das Thema des Gedichtes, nicht umgehend angezeigt habe: worauf er mindestens in seiner Position als ständiger Dichter der Familie, vielleicht

56 Eine Übersicht über das Gedicht gibt am kürzesten Cancik (1965), 27 f.; vgl. ­Nisbet (1978), passim; Newlands (2002), 154–198. – Es sei ferner darauf hingewiesen, daß zu silv. 2, 2 eine eigene monographische Arbeit vorliegt, unter den Gedichten der Silvae, wenn man von Geyssen (1996) zum Equus maximus absieht, gewiß ein nicht eben häufiger Fall: K ­ rüger (1998). Diese Arbeit allerdings bietet neben manchen guten Beobachtungen eine solche Fülle absonderlicher, methodisch wie inhaltlich bedenklicher Über- und Fehlinterpretationen, daß ich es vorziehe, nur gelegentlich auf sie zu verweisen, zumal ich Krügers Methode a priori für verfehlt halte: »Die Villa des Pollius in Silve 2,2 ist ein Sprachkunstwerk. Es können Koinzidenzen zwischen der poetischen Stilisierung dieses Bauwerkes und den Intentionen ihrer Architektur bestehen, aber sie machen das Gedicht nicht plausibler … Ergebnisse der archäologischen Forschung können zwar die statianische Konzeption der Polliusvilla hier und da begründen, aber sie werden kein Gutachten für ihre ›Richtigkeit‹ ausstellen können und sogar auf eine philologische Interpretation hemmend wirken, wenn das poetische Bild nur nach textinternen Maßstäben gestaltet ist.« (Krüger [1998], 22). Bei einem Interpreten, der nach angeblich textinternen Maßstäben in silv. 2, 2, 102 eine nachts zwecks ›Traubendiebstahl‹, d. h. zu erotischen Zwecken, die Klippen hinaufkletternde Nereide erstens, weil sie partout das Gegenteil des übernächsten Wortes (dulces) bedeuten muß, ›bitter‹ sein läßt, sie zweitens zum Symbol eines Seesturms bzw. gar einer Sturmflut macht und drittens ihre (so überlieferten) rorantia lumina als »glühende Augen« (notabene der Sturmflut) deutet, hätte man sich allerdings beim philologischen Interpretieren doch die eine oder andere Hemmung gewünscht. Vgl. Krüger (1998), 30 mit Anm. 82. 126 f. 132. 163 f.; ferner vgl. u. III , bei Anm. 141. 57 Vgl. die o. III, Anm.  55 zitierte Literatur. Zu Pollius als Villenbesitzer am Golf von Neapel vgl. D’Arms (1970), 220–222.

Silvae 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis 

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aber auch in der eines Freundes, ein gewisses Anrecht zu haben glaubte. Den Hintergrund der Mehrzahl dieser Gedichte bildet  – und damit kehre ich aus der abstrakt-literarischen Welt des Genethliacon Lucani wieder in die des normalen, auf Gegebenheiten der Aktualität referentialisierbaren Raumes zurück – der Golf von Neapel bzw. die gesamte Golfregion: und zwar keineswegs bloß im allgemeinen Sinn, sondern so konkret, daß beispielsweise zum Gegenstand von silv. 2, 2, der Villa Surrentina Polli Felicis, eine versuchsweise Identifikation des beschriebenen Gebäudekomplexes mit einer bestimmten Fundstätte vorgenommen werden konnte, man sich also ein Rekonstruktionsmodell als Surrogat für die echte Villa von einst vor Augen stellen kann.58 Die Situation des Interpreten, der sich nicht mit bloß intrinsisch festgemachten Beobachtungen und Deutungen des Textes bescheiden will, gleicht also in mancher Hinsicht der der rombezogenen panegyrici mit ihrer soliden Evidenz im Bereich der materiellen Überlieferung, wenn auch die Fundlage andere Charakterzüge aufweist. Denn an die Stelle der konkreten Strukturen der römischen fora und Kaiserpaläste, relativ gut erforscht und für das Textverständnis der dem öffentlichen bzw. herrscherlich-repräsentativen Raum Roms gewidmeten Gedichte auch im einzelnen von Bedeutung, tritt bei den dem privaten Raum bestimmter Villen gewidmeten beschreibenden59 Texten als Bezugs-, d. h. Referentialisierungspunkt in der Aktualität neben den einzelnen Grabungsergebnissen speziell von Sorrent oder Tibur (silv. 1, 3) die Summe der Erkenntnisse über vergleichbare Villen des späten ersten Jahrhunderts: nicht bloß als Surrogat für den im Vergleich zu den Kaiserpalästen und Forumsbauten Roms ungleich schlechteren Erhaltungs- und Erforschungszustand der fraglichen archäologischen Strukturen, was im besten Fall als interpretatorischer Not­nagel zu gelten hätte, sondern als legitime Grundlage des Textverständnisses auch 58 Abbildung bei Pappalardo (2007), 25, Abb. 7; Kassar (2014), Abb. 217. Zur Identifikation der Villa von silv. 2, 2 mit jener auf der Punta della Calcarella vgl. u. III , Anm. 77. 59 Der Begriff ›Beschreibung‹ wird hier weit gefaßt. Statius gibt in der Tat keine durchgehende Beschreibung im engen Sinn, sondern vermischt klassisch beschreibende Passagen (›Die Villa liegt steil über dem Meer …‹ ) mit solchen, in denen der Raum der Villa als Ereignisraum aufgefaltet wird, jedoch fast ausschließlich durch eine bestimmte intentionale Handlung der Ichinstanz: durch dessen Schauen, in zweiter Linie noch durch das Hören. Nun ist der rein perzeptive Akt des Schauens aber eine aufs Minimum reduzierte Handlung und zugleich die Grundlage für jede als solche formulierte Beschreibung: Denn die Beschreibung einer in den Bereich des Sichtbaren fallenden Gegebenheit impliziert, daß jemand diese Gegebenheit gesehen hat, sei es auch nur mit dem geistigen Auge. Die beiden Komponenten liegen also so eng beisammen, daß ich mich berechtigt fühle, sie des weiteren unter einem etwas locker gefaßten Beschreibungsbegriff zusammenzufassen. Auch ex negativo kann man feststellen, daß silv. 2, 2 wie auch das am nächsten kommende Pendantgedicht 1, 3 kaum etwas enthält, was narratologisch als ›Ereignis‹ gewertet werden könnte, mithin kein im Vollsinn narrativer Text ist  – womit man wieder bei der Klassifizierung als Ekphrasis anlangt.

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III. Cernere si quis potuit

im Hinblick auf zeitgenössische Rezeptionsmöglichkeiten. Schließlich können Texte, in welchen auf den öffentlichen Raum der Hauptstadt Bezug genommen wird, mit deutlich höherem Recht und mit höherer Wahrscheinlichkeit darauf bauen, daß ihre Rezipienten diesen Raum aus eigener Anschauung oder zumindest aus einer Reihe von anderen literarischen, bildlichen etc. Bezugnahmen mehr oder minder gut kennen, wohingegen das Erscheinungsbild bestimmter Privatvillen wie jener von Sorrent oder Tibur zwar den ursprünglichen Adressaten der betreffenden Gedichte, d. h. ihren Besitzern, selbstverständlich vertraut, den Lesern der publizierten Sammlung aber  – und nur deren Position kann mit einiger Aussicht auf Erfolg nachvollzogen werden – in der Regel wohl unbekannt war. Es verschieben sich also der Zwang zur Informationsvergabe auf seiten des Autors, die Möglichkeit zur φαντασία auf seiten des Rezipienten: Der Text muß größere Anstrengungen unternehmen, den beschriebenen Raum und seine Elemente im Denken des Lesers auch wirklich und in wünschenswert kontrol­lier­ ter Form zu erzeugen (vgl. o. 356 f. und 392–405 zur Arbor Atedi Melioris), dieser wiederum rekurriert in Ermangelung genau zutreffender Erfahrungen /  αἰσθήματα (Kenntnis der konkreten beschriebenen Villa) auf approximativ ähnliche, typologisch passende Erfahrungen, etwa auf das mehr oder minder abstrakte Bild einer ›typischen‹ Villa der Zeit bzw. auf ein Konglomerat von Versatzstücken aus einer wahrscheinlich großen Anzahl irgendwann einmal kennengelernter Villen. Zeitgenössische Leser befanden sich also in den meisten Fällen in keiner prinzipiell anderen Ausgangsposition zum Verständnis von Gedichten wie silv. 2, 2 oder 1, 3 als moderne, die sich aus Angaben im Text und einer Vielzahl von Informationen über ähnliche Anlagen (und konkreten Grabungsergebnissen in Sorrent und Tivoli, was die Informationsbeschaffungsmöglichkeiten antiker Leser potentiell sogar bereits übersteigt!) ein Bild vom Beschriebenen zu machen versuchen.

b) silv. 2, 2, 1–35 Entsprechend dem gerade angedeuteten Druck, eine dem Leser potentiell unbekannte Gegebenheit zunächst thetisch herzustellen, ehe mit ihr und über sie weiter gehandelt wird, d. h. analog zum Beginn von silv. 2, 3 (Stat arbor …), hebt die Villa Surrentina Polli Felicis mit einer nachgerade schulhaft korrekten Ausführung des est-locus-Topos an:60 ›Es gibt eine Villa, zwischen dem Städtchen der Sirenen (1: Surrentum / Sorrent in falscher etymologischer Anlehnung an

60 Zu den Horazanklängen insbesondere des Gedichtbeginns, die hier nicht näher auszuführen sind, vgl. Newlands (2002), 160–163.

Silvae 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis 

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S­ irenes) und dem Minervatempel auf dem Kap von Misenum (2) gelegen, welche über den Golf von Neapel hinwegblickt (3), in einer Gegend, die dem Dionysos lieb ist und Wein hervorbringt, der den Vergleich mit edlem Falerner nicht zu scheuen braucht (4sq.).61 Hierher kam ich nach Abschluß der alle vier Jahre stattfindenden Wettkämpfe in Neapel (die sog. Augustalia oder Σεβαστά, eingerichtet 2 n. Chr.), eigentlich schon im Begriff, auf der Via Appia nach Rom zurückzukehren,62 eingeladen vom redegewandten (oder: literarisch interessierten – vgl. dasselbe Attribut für Manilius Vopiscus in silv. 1, 3, 1) Pollius und seine jugendschöne, oder besser vielleicht: gut erhaltene63 Gattin Polla (6–12). Doch der Aufenthalt war die Verzögerung wert und wurde zum Genuß‹ (13): sed iuvere morae. In nuce ist hier alles versammelt, was man von einer anschließend in die Beschreibung einer Lokalität übergehenden Einleitung erwarten möchte  – von einer Einleitung übrigens, die, wenn man neueren Untersuchungen Glauben schenken darf, ein mögliches Vorbild für das ähnlich aufgebaute und ein­

61 Die Textgestalt der Verse silv. 2, 2, 4sq. im Codex M überzeugt mich nicht restlos, auch wenn die mir bekannten Editionen und Kommentare sie nicht beanstanden: qua ­Bromio dilectus ager collesque per altos / uritur et prelis non invidet uva Falernis ist überliefert (von einer vielleicht bedeutungslosen Großschreibung Uritur abgesehen: vgl. den Apparat bei Marastoni [1970]). Daß das Trikolon ein unechtes ist, insofern uva Subjekt zum mittleren und dritten Glied ist, wäre noch hinzunehmen, doch die unter diesen Umständen eigentüm­liche Verbindung von erstem und zweitem Glied mit -que, das eher eine konzinne Fortführung des Vorangehenden erwarten ließe, tatsächlich aber eine anders konstruierte Wortfolge einleitet, die bis zum Erscheinen von uva im dritten Glied völlig unverständlich bleibt, sowie die anscheinend einmalige Verwendung von uri im Sinn von ›von der Sonne wünschenswert beschienen werden, reifen‹ erwecken aber doch Zweifel: vgl. van Dam (1984), 196, der versucht, ein Wortspiel im Sinne von invidia uri und damit einen Gegensatz zum non invidet im dritten Glied aufzubauen (also: uritur, sed non invidet), was etwas zu bemüht wirkt, um verständlich zu sein, und außerdem im Lateinischen eher uritur nec prelis tamen invidet uva Falernis und solcherart mühelos einen Vers ergäbe; Newlands (2011), 123, folgt van Dam ungefähr. Noch dazu warnt ausgerechnet Ovid, ein Hauptbezugsautor des Statius, vor dem Versengen der Trauben: Ne nascens usta sit uva, time! (Ov. rem. 568) – die einzige Stelle in der römischen Literatur übrigens, an der uri und uva aufeinander bezogen erscheinen. Es bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder Statius rekurriert auf Ovid, die Trauben bei Sorrent werden tatsächlich unbarmherzig versengt, doch der resultierende Wein ist trotzdem gut: Dann ist für die Interpretation des Textes und seines Raumes gleich eingangs ein Signal ungewöhnlicher Härte zu vermerken, das den in einer Villenbeschreibung prinzipiell zu erwartenden Zügen eines locus amoenus zuwiderläuft. Oder aber uritur ist falsch überliefert: In diesem Fall würde sich dahinter am ehesten das Subjekt des Mittelgliedes des Trikolons, parallel zum ager (scil. est) des ersten Gliedes verbergen. In Ermangelung einer überzeugenden Konjektur folge ich, doch mit Vorbehalt, dem überlieferten Text. 62 Die Via Domitiana, in silv. 4, 3 errichtet und eröffnet, war also offenbar noch nicht gebaut, was angesichts der absoluten Chronologie der Bücher nicht überrascht. 63 Vgl. Newlands (2011), 124; Nisbet (1978), 2–8; zum Motiv der näherungsweise ewigen Jugend, das auch in Statius’ Domitianpanegyrik eine Rolle spielt, vgl. Smolenaars (2006), 241.

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geführte ›setting‹ des Imagines des Philostrat abgibt:64 Die Existenz des zu Beschreibenden wird festgestellt und seine Lage umrissen, ein Anflug von Narration erklärt, wie der Sprecher überhaupt dorthin kam und mit welchem Personal er (und das heißt auch: der Leser) es dort zu tun hatte bzw. haben wird.65 Zugleich leistet dieser Einstieg unmerklich noch etwas, was für die kommende Beschreibung entscheidend ist: Zusammen mit dem aus Neapel einen freundschaftlichen Abstecher zu Pollius und Polla machenden Statius des Textes setzt sich auch der Leser in Bewegung und nähert sich von außen kommend (etwa: aus Neapel) der Villa oder zumindest dem Raum, in welchen die Villa eingebettet ist, an. Man könnte sogar einen Schritt weiter gehen und die Verse 10–12 als Aufforderung an den Leser deuten, seinerseits durch das Lesen des Textes einen Abstecher zur Villa des Pollius zu machen, obwohl es ihn vielleicht schon nach Rom, d. h. zum nächsten Gedicht, das tatsächlich in Rom ›spielt‹, zieht: Der Aufenthalt, d. h. die Lektüre könnte sich lohnen (sed iuvere morae). Das hätte insofern seine Berechtigung, als der Widmungsträger des zweiten Buches, Atedius Melior, als besondere Instanz neben und zwischen den allgemeinen Lesern der publizierten Sammlung und den Widmungsträgern der einzelnen Gedichte, soweit sie nicht mit ihm deckungsgleich sind, zu berücksichtigen ist. Immerhin sind das vorangehende und das nachfolgende Gedicht (der Glaucias Atedi Me­ lioris und die schon besprochene Arbor) Atedius Melior gewidmet und in ihrer Sprechhaltung an ihn gerichtet, es wäre also nur zu verständlich, wenn er als Modelleser dazu tendierte, silv. 2, 2 zu überblättern, und extra dazu eingeladen werden müßte, einen kleinen détour nach Sorrent zu unternehmen, erst recht in seinem Zustand der Betrübtheit nach dem in silv. 2, 1 breit thematisierten Todesfall des geliebten (mehr oder minder) Ziehsohnes. Die Frage, wie weit der Leser der publizierten Gedichtsammlung der Silvae nicht bloß die in den einzelnen Gedichten angepeilten textimmanenten Adressaten bzw. Leser, sondern auch jeweils die Widmungsträger der Bücher als textoder besser sammlungsimmanente Instanzen (wenn man so will: ­Doubles) 64 Diesen ebenso überraschenden wie m. W. bisher unbekannten Fall von Silvae-Rezep­ tion wollen Primavesi-Giuliani (2012), 26 f. und 70 f., beobachtet haben, freilich (aufgrund der Sprachdifferenz zwangsläufig) ohne eine wörtliche Parallele und mit apodiktischen ­Folgerungen für die Möglichkeiten der Interpretation dieses intertextuellen Verweises bei Philostrat (ebd., 71), die ich angesichts der Fragwürdigkeit des Zitates nicht in gleicher Schärfe teilen würde. 65 Krüger (1998), 189 f., errechnet, daß Statius Ende August nach Abschluß der neapolitanischen Spiele nach Sorrent kam und dort zumindest bis in den Spätherbst blieb, weil die in silv. 2, 2, 48sq. beschriebenen Schatten nur bei sehr tief- und weit im Süden stehender Sonne auftreten. Die Beobachtung als solche ist zweifellos richtig, doch kann Statius ebensogut Eindrücke, die er bei verschiedenen, auch früheren Besuchen in Sorrent empfangen hatte, in das vorliegende Gedicht integriert haben, ohne sich viel um jahreszeitlich exakte Beleuchtungs­ situationen zu kümmern. Von einer Auswertung der Stelle für das (dürftige) Kalendarium der Statiusbiographie ist abzuraten.

Silvae 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis 

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seiner selbst betrachten soll, führt zu einer faszinierenden Vielfalt denkbarer Kombinationen, freilich nicht unbedingt zu Gewißheiten im Sinne eines Erkenntnisgewinns – allein die Diskrepanz zwischen dem Kaiser als Adressaten der rahmenden Gedichte des ersten und der ersten drei Gedichte des vierten ­Buches und dem Umstand, daß keines dieser Bücher als solches Domitian de­ diziert ist, würde hinlänglich Stoff für Spekulationen bieten, ohne aber in zuverlässigen Ergebnissen zu resultieren; ich verfolge sie daher hier nicht weiter. Doch es gilt die Möglichkeit, daß silv.  2, 2 nicht bloß zufällig und nach dem Prinzip der variatio in der Sammlung zwischen zwei Gedichten an Melior zu stehen gekommen ist, sondern daß es sich an Leser richtet, die alle drei Gedichte als an sich gerichtet verstehen sollen und die damit zwangsläufig in die Position ­Meliors als Widmungsträger geraten, im Auge zu behalten. Doch selbst wenn diese Deutung dem Text zu viel zumuten sollte, es bleibt der Umstand, daß die Ichinstanz und mit ihr der Leser (im Text) sich etwa in Vers 12, narrativ in eine unbestimmte, doch wahrscheinlich nicht ferne Vergangenheit verschoben und sogar mit einer Art von Datierung versehen,66 in Bewegung auf die Villa zu befinden bzw. sich ihr erfolgreich genähert haben, und zwar am ehesten per Boot über das Wasser: die beiden in den Versen 1sq. genannten Landmarken, der Minervatempel und das Städtchen Surrentum,67 müssen vom Meer aus sichtbar, die Villa halbwegs zwischen ihnen gelegen gewesen sein, und zwar an oder in einer Bucht, die nun unter Zuhilfenahme deiktischer Begriffe (14: hinc atque hinc; 19: hic; 30: inde), d. h. unter Fortführung der narrativen Fiktion, der Sprecher nähere sich der Villa immer mehr an, beschrieben wird: sie ist halbmondförmig und von gegenseitiger Durchdringung von Land und Meer gekennzeichnet. Was in der aktualen Welt recht gut der Wahrnehmung eines sich dem Land nähernden Seglers entspricht (denn vom Wasser her nehmen sich Landvorsprünge wie Halbinseln oder Kaps und zwischen solchen liegende Buchten stets ›tiefer‹ aus als auf der aus der Vogelperspektive 66 Vollmer (1898), 6 f.; van Dam (1984), 3 mit Anm. 32 sowie 197 f. (demzufolge silv. 2, 2 kurz vor dem 13. August 90 entstand); Newlands (2011), 121. 67 Die Lage von Surrentum / Sorrent ist unproblematisch, die des Minervatempels hingegen unklar: Doch ist zweifellos van Dam (1984), 195, und Newlands (2011), 122, zuzustimmen, die jeweils einen Minervatempel auf der Halbinsel von Sorrent, tendenziell auf deren westlichem Ende, annehmen, während Shackleton Bailey (2003), 122, Anm. 2, an den Minervatempel von Misenum denkt: Dann würde aber Statius’ Lokalisierung buchstäblich die gesamte Küstenlinie des Golfers von Neapel inklusive des Nebengolfes von Puteoli / Baiae umfassen, wäre also denkbar ungenau. Zwar: Die Möglichkeit, daß Statius die Villa absichtlich nicht präzis definieren, sondern sie gerade durch eine nur vage Lokalisierung zum ideal­ typischen Vertreter der von ihm so gepriesenen Golfregion machen wollte, kann nicht ausgeschlossen werden. Doch ist aus anderen Angaben im Text (auch silv. 3, 1 ist dafür heranzuziehen) die Lage nahe bei Sorrent evident, konkret etwas westlich – womit eine Angabe ›zwischen den Mauern von Sorrent und dem Kap von Misenum‹ streng genommen noch dazu falsch wäre, weil die Villa außerhalb des umrissenen Bereichs läge.

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gezeichneten Landkarte), bildet auch ein Stereotyp der Präsentation vergleichbarer villae maritimae auf zeitgenössischen bildlichen Darstellungen, wo häufig im Vordergrund ein landendes Boot erscheint, dessen Insassen einerseits als Repoussoirgestalten die Tiefenwirkung erhöhen, zugleich aber den Betrachter dazu einladen, seinen vom Meer her auf die Schauseite der Villa fallenden Blick mit dem ihren zu identifizieren und ihnen nun gleichsam von der Landung an zu folgen.68 Wieder einmal begegnen einander textliche und bildliche Darstellung ein und desselben Sujets in struktureller Hinsicht – das Ich im Text entspricht den gemalten Ankömmlingen, der Leser dem Bildbetrachter. Textlich ist die Passage indes nicht unumstritten: Das überlieferte placido lu­ nata recessu / hinc atque hinc curvas perrumpunt aequora rupes (silv. 2, 2, 13sq.) wurde beanstandet, erstens weil ein sich gewaltsam an Felsen brechendes bzw. sie sogar landeinwärts durchbrechendes Meer (curvas perrumpunt aequora r­ upes) schlechter zur anzunehmendermaßen ungefährdeten Lage einer Villa passe als umgekehrt durch (vorragende)  Felsen gebrochenes Meer (curvae ­perumpunt aequora rupes), zum anderen weil in einer sichelmondförmigen Bucht die Wendung hinc atque hinc naheliegenderweise auf die ›Hörner‹ des Mondes, also auf die beiden vorspringenden Halbinseln, zu beziehen sein müßte.69 Nun scheint mir das erste dieser Argumente nicht zuverlässig. Der Gegensatz zwischen Meer und Land bildet eines der tragenden Motive des ganzen Gedichtes,70 und ebenso der wohl ein wenig überscharf gezeichnete Gegensatz zwischen dem wilden (hohen) Meer und der quies im Bereich der villa. Da erscheint es wenig überraschend, wenn eingangs dem Meer die Fähigkeit der rupes perrumpere (~ in terras irrumpunt aequora)71 zugesprochen wird, um dann umso kontrastreicher die Ruhe rings um die Villa zeichnen zu können. Das zweite Argument hingegen kann entkräftet werden, wenn man den fraglichen Küstenabschnitt näher betrachtet: 68 Vgl. Stierlin (1996), 123; Mielsch (2001), 184, Abb. 218; Moormann (2007), 111, Abb. 3; Kassar (2014), Abb. 42–45; Bergmann (1992a), 52 f. Es ist darauf hinzuweisen, daß die Villa von Punta della Calcarella, soweit noch feststellbar, zum Typus der Portikusvilla gehört (Kassar [2014], 33), also nicht in erster Linie um ein Peristyl herum geschlossen, sondern unter Zuhilfenahme vorgeblendeter porticus breit geöffnet, und zwar zum Meer hin geöffnet, daliegt. Diese Seite ist als die Schauseite, also auch als jene einer ›idealen Annäherung‹. 69 Shackleton Bailey (2003), 389; von ihm stammt auch die Konjektur curvae; vgl. White (2008), 112; Liberman (2010), 184 f. 70 Newlands (2011), 125, weist richtig auf die Spannung zwischen placido recessu und per­ rumpunt hin, in welcher das Motiv in nuce schon zusammengefaßt erscheint. 71 van Dam (1984), 202, weist auf diese Deutung hin, bevorzugt aber eine, derzufolge perrumpere ein echtes Durchbrechen dünner, vorstehender Felsformationen mit dem Ergebnis von torartigen ›Löchern‹ bezeichne. Das Phänomen als solches ist an den steinigen Küsten des Mittelmeerraumes öfter zu beobachten, bei der Punta della Calcarella aber scheint es nicht zu existieren und auch (die fragliche Felsformation könnte inzwischen ja zerstört worden sein) für antike Zeiten nicht belegt zu sein.

Silvae 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis 

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Abb. 3: Die Küste bei Sorrent. (erstellt durch den Autor)

Die ungefähren Bereiche der archäologisch dokumentierten Villenanlagen sind schraf­ fiert dargestellt.

Zwischen dem Capo di Sorrento und dem Capo di Massa öffnet sich eine näherungsweise gerundete Bucht, die man mit dem placidus recessus bzw. den lunata aequora des Textes gleichsetzen könnte. Pollius’ Villa befindet sich jedoch auf der Punta della Calcarella, also einem kleinen, annähernd in der Mitte der Bucht in diese vorspringenden Sporn, und dessen Existenz kann der Text schlechterdings nicht übergehen  – daß dort überhaupt eine Villa errichtet wurde, verdankte sich ja wohl gerade dem Umstand, daß eine Halbinsel ausreichender Größe zur Verfügung stand. Man hat es also eigentlich mit zwei Buchten zu tun, links und rechts der Villa des Pollius, und darauf beziehe ich das hinc atque hinc: auf beiden Seiten (hinc atque hinc) branden mondsichelförmig gekrümmte Wasser (lunata aequora), also die beiden ›Teilbuchten‹, an die entsprechend (d. h.: gegengleich) gekrümmten Felsenküsten (curvas rupes perrumpunt), wobei die Krümmung dieser beiden Buchten und damit auch des Meeres (man beachte die Wortstellung placido lunata recessu) in sanftem Zurückweichen erfolgt (placido recessu), also das Element des grimmigen perrumpere durch ein gänzlich entgegengesetztes ausbalanciert: die Natur hat hier von selbst etwas geschaffen, was einen erfreulichen Anblick bietet, wohlgefällige Gestaltung aufweist – ganz ähnlich preist Statius in silv. 1, 3, 15 das ingenium mite der Landschaft. Da nun die beiderseits anschließenden Küstenabschnitte skizziert sind, richtet sich der Blick des Näherkommenden auf die Mitte: Hier bietet die Natur ei-

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nen (Bau)platz (15: dat natura locum), ein feuchter Strand unterbricht die sonst direkt ins Meer abfallenden Hänge (15sq.: montique intervenit udum / litus)72 und läuft an Land aus – Sprecher und Leser nähern sich vom Wasser her, daher die ungewöhnliche Vorstellung, daß der Strand ›an Land hinaus‹ übergeht statt ›ins Meer hinaus‹ –, wo dann der Steilbereich der Küste beginnt, auf dem droben die Villa thront (16: in terras scopulis pendentibus exit). Darin besteht denn auch die erste, grundlegende gratia der Örtlichkeit:73 Im geschwungenen, links und rechts von der Villa (cum grano salis) symmetrischen Verlauf der Küste, und in dem Umstand, daß gerade an der Punta della Calcarella (genauer: an deren Seiten, südwestlich bei der Marina di Puolo, nordöstlich in der Bucht zwischen Punta und Kap von Sorrent) sich kleine Strände finden, wozu noch eine breite Felsplatte zu Füßen des eigentlichen Felsens (der mit den scopuli pendentes von Vers 16 bezeichnet sein dürfte),74 kommt, während die beiden großen Kaps von Sorrent und Massa selbst, auch ihrerseits mit herrschaftlichen Villen überbaut, nichts Gleichwertiges zu bieten haben. Der Text rückt also, wie kaum anders zu erwarten, vornehmlich die Besonderheiten der Villa des Pollius ins Blickfeld, also jene Elemente, die zur Distinktion der Anlage und mittelbar zu jener des Hausherren beitragen. So hatte beispielsweise die benachbarte und möglicherweise größere Villa auf dem Kap von Sorrent75 vielleicht keinen amönen Strand zu ihrer Verfügung,76 dafür aber eine spektakuläre Anlaufstelle in Gestalt eines kleinen Sees oder Felsbeckens gerade an der schmalsten Stelle der Halbinsel, den man durch einen künstlich geschaffenen oder zumindest aus­gebauten Durchbruch in der Weise eines Tunnels oder Tores mit dem Meer verbunden hatte; eine 72 Zur Korrektur des überlieferten unum zu udum sei auf Shackleton Bailey (2003), 123, Anm. 7, verwiesen; allgemein vgl. Liberman (2010), 185. 73 Ich beziehe gratia prima loci (17) als Apposition zum Vorangegangenen und interpungiere demgemäß. Entgegen den Kommentaren von van Dam (1984), 203, Krüger (1998), 78 f. (mit absurden Folgerungen), und Newlands (2011), 126, kann ich ähnlich wie Vollmer (1898), 342, dem Gedanken, gratia prima loci im Sinne von ›die erste Attraktion des Ortes sind die Privatthermen‹ nichts abgewinnen. 74 Vgl. Mingazzini-Pfister (1946), Karte V; Kassar (2014), Abb. 215–217. 75 Vgl. Mingazzini-Pfister (1946), 121–132 mit Karten III und IV sowie Taf. VII–XII . Die Ausdehnung der mutmaßlich zur Villa auf der Punta della Calcarella gehörigen Mauerreste erreicht in N-S-Richtung übrigens immerhin gut 250m, sodaß man sich Pollius᾽ Villa durchaus als normal große villa maritima zu denken hat. 76 Es wäre näher zu untersuchen, ob Strände für antike Vorstellungen überhaupt etwas Erstrebenswertes sind, in dem Sinn nämlich, daß man als römischer Villenbesitzer sich dort aufhalten und womöglich schwimmen gehen möchte. Vermutungsweise wäre letzteres als exzentrisch empfunden worden, und waren Strände abseits von Bootsanlegestellen vor allem durch Fischer und allenfalls badende Jugendliche der unteren Schichten der ortsansässigen Bevölkerung belebt – möglicherweise eine pittoreske Augenweise, aber eine, an der der vornehme Römer nicht teilnahm. Allerdings veranstaltet ausgerechnet Pollius Felix in silv. 3, 1, 38 ein Strandpicknick, bezieht das litus udum also in den Raum seine Villeggiaturaaktivitäten ein.

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Treppe, vermutungsweise eine Holzkonstruktion, führte von der Villa hinab in diesen Privathafen, den Statius – hier ist das argumentum ex silentio zulässig, weil die spektakulärste Attraktion solch einer Villa schlechterdings nicht übergangen werden konnte – zweifellos wortreich gepriesen hätte, wenn jene Villa sein Gegenstand gewesen wäre (was bisweilen schon vermutet wurde).77 Daß im Villenbereich auch noch ein Bach ins Meer mündet (18sq.), gehört ebenso dazu, kompensiert das leicht verfügbare Süßwasser doch die im Vergleich zu den beiden Nachbarvillen nicht so dramatisch exponierte Lage der Polliusvilla.78 Entsprechend bevölkern auch alle möglichen mythischen Potenzen die Gewässer vor derselben (19sq.) und geleiten, gleichsam als göttliches Empfangspersonal, den Betrachter an Land: ›Vor dem Haus (21: ante domum) hält N ­ eptun Wache, Hüter unschuldiger Heimstatt – sein Tempel wird von der Gischt bespritzt. Das Festland behütet Herkules: so haben Meer und Land jeweils ihre schützende Verbindung ins Numinose.‹ (21–25). Dabei bezeichnet domus (21) sicherlich die höhergelegene Villa in ihrer Gesamtheit,79 als dem Meer mit dem noch halb und 77 So etwa Beloch (1964), 271–274, der freilich Capo die Sorrento und Punta della Calcarella zu einer einzigen riesenhaften Villa zusammenziehen wollte; Johannowsky u. a. (1986), 37–41. Die Argumentation, weshalb silv. 2, 2 sich nur auf die Villa der Punta della Calcarella beziehen kann, folgt im Prinzip drei Linien und ist am übersichtlichsten dargelegt bei Mingazzini-Pfister (1946), 54–70: (1) Die in den Versen 76–84 aufgelistenen prospectus sind am besten von diesem Punkt aus möglich, von den benachbarten Villen (Capo di Sorrento und Capo di Massa) aus kämen überdies noch Capri bzw. der Vesuv ins Blickfeld, also Land­ marken, deren Absenz im Text befremden würde. (2) Den benachbarten Villen fehlen jeweils bestimmte im Text erwähnte Elemente: am Capo di Massa fand man keine Reste von Thermen in Strandnähe; zum Capo di Sorrento liegen mir diesbezüglich keine Angaben vor, es fehlen dort außerdem hangaufwärtsführende porticus. (3) Das oben skizzierte Problem, daß zumindest die Villa vom Capo di Sorrento mit ihrem eindrucksvollen Binnenhafen etwas besonders Spektakuläres aufzuweisen hatte, das in silv. 2, 2 aber nicht erscheint. Diese Villa scheidet also gleich aus mehreren Gründen aus, jene von Capo di Massa ebenfalls, wenn auch nicht mit derselben Sicherheit. Vgl. Kassar (2014), 112–116 mit der angeführten Literatur, bes. Kirsten (1975), 269 f. mit Abb.  25; D’Arms (1984), Taf. 11; Mielsch (1987), 60 f. mit Abb. 61; Romizzi (2001), 230, Nr. 49; ferner vgl. Gros (2006), 308 f. mit. Abb. 333. 78 Vollmer (1898), VII , in einem Addendum zu 339, und Krüger (1998), 190, weisen jeweils darauf hin, daß dieser Bach im Sommer kein Wasser führe, die Verse 18sq. also eine künstliche Wasserleitung bezeichnen müssen, oder aber Statius’ Besuch im Winterhalbjahr erfolgt sei. Letzteres ist sicherlich möglich, wird dem (nicht ortskundigen) Leser aber nirgends eindeutig signalisiert, ist also für die Interpretation des Textes von untergeordneter Bedeutung – bei der ›Villa im Text‹ strömt eben immer ein Bach. Von einer Wasserleitung jedenfalls hat sich meines Wissens noch keine Spur gefunden, hingegen ist allgemein zu bedenken, daß der Wasserhaushalt einer Landschaft, erst recht einer inzwischen so heftig abgeholzten wie der Mittelmeerküsten, sich im Laufe der Jahrtausende ändern kann. 79 Gegen Vollmer (1898), 342, van Dam (1984), 206, und teilweise auch gegen Newlands (2011), 127, die jeweils andere Lösungen vorschlagen, jedoch mit Håkanson (1969), 55, Anm. 73. Denn was erblickt der Besucher bei seiner Landung (nachdem er die Villa in ihrer gesamten Erstreckung ja schon vom Meer aus gesehen hat, besser wahrscheinlich sogar als unmittelbar vom Ufer aus), wenn er sich anschickt, zum Haus hinaufzusteigen? Ein Heilig-

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halb ihm angehörenden Strand entgegengesetzte Entität; dieser Gegensatz spiegelt sich in den zwei genannten Heiligtümern für Neptun und Herkules, letzteres nach seinem Umbau Gegenstand von silv. 3, 1 (vgl. 462 f.). Die Blickrichtung dieser Verse ist interessant: Sie ist landwärts gerichtet, entsprechend der Bewegungsrichtung des Gelandeten oder gerade Landenden, die vom Ufer her zur Villa erfolgt und dabei als erstes auf das Neptunsheiligtum stößt. Die nachfolgenden Verse hingegen werfen einen Blick auf das Meer zurück, bringen also ein nicht verbalisiertes Sich-Umdrehen der Wahrnehmungsinstanz: ›Das Meer ist wunderbar ruhig, Stürme haben hier nichts zu melden, und der Meeresstille entspricht der Charakter des Hausherrn‹ (26–29). Die beschriebene μαλακία bzw. γαλήνη, die man als ἀταραξία ins Moralphilosophische übersetzt hier erkennen kann, kennzeichnen den Hausherrn zwar unpräzis – ausgeglichene Gemütslage ist prinzipiell ein Ziel so mancher philosophischen Richtung, von der Stoa bis zum Epikureismus, und über die Mittel, wie dieser Zustand herbeigeführt werden soll, verlautet zunächst nichts –, doch immerhin erkennbar als Weisen, der sein otium in der Meervilla sicherlich nicht bloß zu kostspieligen Zuchtexperimenten von Speisefischen vergeudet, wie es ja immerhin denkbar wäre.80 En passant bemerkt: Nicht nur scheinen archäologische Funde von Fischzuchtbecken just an der Punta della Calcarella zu fehlen, was wenig zu besagen hat, da die moderne Ortschaft Marina di Puolo mit ihrem kleinen Hafen entsprechende Strukturen längst überbaut bzw. beseitigt haben kann, sondern es erscheint von diesem wohl luxuriösesten und für viele Besitzer von v­ illae ­maritimae anscheinend obligatorischen Tun keine Spur im Text von silv. 2, 2: Eine unauffällige Leerstelle, die aber immerhin zeigt, daß der Autor, und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch der physische Hausherr Pollius, derlei nicht wichtig nahmen;81 umso plausibler Pollius’ Stilisierung zum Philo­sophen. tum, ob kleiner Tempel oder Schrein ist prinzipiell gleichgültig (templa in Vers 23 kann beides bezeichnen), des Neptun, der das Haus bewacht, gewissermaßen Pförtnerfunktion hat, also am Ufer positioniert ist. Dabei können domus (21) und innocui laris nur gleichgesetzt werden: Einen winzigen Schrein mit Statue davor würde man nicht unbedingt als domus bezeichnen, war das Neptunheiligtum aber ein regelrechter Tempel, dann stand das Standbild des Gottes doch wohl in ihm, nicht vor ihm; ebenso kann innocuus lar nur die Villa des Pollius bezeichnen – oder sollte Statius extra betonen, daß ein Heiligtum eines der obersten olympischen Götter frei von Schuld und Frevel ist? 80 Zur eminenten Bedeutung dieses – wenn man so will – Hobbys für die Besitzer von ­villae maritimae vgl. Mielsch (1987), 23–32; Schneider (1995), 63–66; Kassar (2014), 57–64. 81 Allerdings fehlen, soweit bekannt, an der Punta della Calcarella überhaupt Hinweise auf Anlagen zum Zwecke irgendwelcher Produktion: entgegen Mansuelli (1990), 357, scheint es sich um eine reine Luxusvilla gehandelt zu haben, die bestenfalls in einzelnen Bereichen autark war, aber kaum Bedeutung als landwirtschaftliche Produktionsstätte besaß; vgl. auch D’Arms (1970), 161 f., und (1981), 72–96 der den villae maritimae des Golfs von Neapel zwar ebenfalls eine gewisse Produktivität zusprechen möchte, sie aber doch im Unterschied zu den Villen anderer, auch näher an Rom gelegener Regionen als vergleichsweise am stärksten dem Luxus geweihte Bauten betrachtet.

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Es ist festzuhalten, daß diese Stilisierung ein erstesmal an jenem Punkt des Gedichtes erfolgt, an welchem beim Übergang vom Meer aufs feste Land, doch noch bevor man die Villa selbst betritt, die Gesamtheit von Haus, Strand und Wasser retardierend und gleichsam abwägend betrachtet wird: Nicht bestimmte bauliche oder topographische Details finden ihre Entsprechungen in der Lebensart des Hausherrn, sondern das Ensemble in seiner Gesamtheit ist dafür zum Vergleich heranzuziehen.82 Nun setzt die Bewegung sich fort: Vom Strand aus ›kriecht‹ (30: erepit) eine porticus den Hang hinauf, ein ›Stadtwerk‹, d. h. eines, das man in solch gediegener Ausführung in einer Stadt suchen würde (31: urbis opus),83 und bezwingt mit seinem langen Rücken die rauhen Felsen.‹ (30sq.) – die Sachlage ist hier ausnahmsweise eindeutig: Die ebenso wie die griechische bzw. hellenistische hauptsächlich auf waagrechten Untergründen, im unebenen Gelände also praktisch stets auf künstlichen Plateaus über entsprechenden Substruktionen bauende römische Architektur, die Abhänge tendenziell in horizontale Terrassen zerlegt, gebraucht längst das Element der schrägen Rampe oder auch Stiege nicht mehr bloß als notwendiges Übel zur Überbrückung von Höhendifferenzen, sondern als wesentliches, zur Grandezza der Architektur beitragendes Element, zumal gerade villae maritimae aus einer gezielt auf zumindest zwei Niveaus verteilten Differenzierung ihrer Gesamtanlage (zumeist: Strand / Terrasse darüber) architektonisches Kapital zu schlagen pflegten:84 Die Villa di Bazzano in Sperlonga ist heute noch durch eine spektakulär über eine Straße hinweggeführte Rampe mit dem Meer verbunden,85 und zwischen den am steilen Hang entlanglaufenden Terrassen des Fortunaheiligtums von Praeneste vermitteln zwischen zwei Geschoßebenen einmal sogar doppelläufige, überwölbte Rampen aus Gußmauer­ werk.86 Ähnliches scheint auch für die Villa bei Sorrent anzu­setzen zu sein,87 denn Statius weist ausdrücklich darauf hin, daß der früher staubige und der 82 Gauly (2006), 457 f. 83 Vgl. Plin. epist. 2, 17, 16: cryptoporticus prope publici operis. Weniger plausibel, obgleich originell, Barthius (1674), Animadv. 204, der urbis opus erklärt als Cui tantum impen­ sum est, ut urbs eodem pretio construi potuisset. 84 Schneider (1995), 74 f. 85 Mielsch (1987), 50–52 mit Abb. 25; Gros (2006), 304. 86 Vgl. die Rekonstruktionszeichnung beispielsweise bei Stierlin (1996), 29. 87 Übrigens muß es sich dabei nicht um etwas Einmaliges gehandelt haben, auch nicht in der näheren Umgebung: Schon die Nachbarvilla von Capo di Massa hatte, wie Grabungsergebnisse zeigen, im Zickzack verlaufende Stiegen und / oder Rampen, die zwischen Ufer und Hauptgebäude vermittelten, möglicherweise sogar aus flavischer Zeit: Lafon (2001), SUR 12; Minganzzini-Pfister (1946), 134–142 mit Karten VI und VII sowie Taf. XIII–XVII; Johannowsky u. a. (1986), 41–43. An der Punta della Calcarella sollen zwar Reste einer Marmortreppe gefunden worden sein, genauere archäologische Erkenntnisse liegen aber anscheinend nicht vor: vgl. Mingazzini-Pfister (1946), 133 (im Plan als E bezeichnet); Cancik (1968), 63; Krüger (1998), 193, Anm. 579.

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Sonne ausgesetzte Weg zwischen Strand und Villa nunmehr voll Genuß zu begehen sei,88 und verweist vergleichend auf die überdachten Gänge entlang der Straße von Lechaion (am Meer) nach Korinth,89 ein in mehrfacher Hinsicht ergiebiger Vergleich, denn zu den offenkundigen Vergleichspunkten (Weg von einer Landungsstelle zu einer höhergelegehen Siedlung, architektonische Gestaltung) gesellt sich noch der Umstand, daß unmittelbar neben dem durch eine Treppenanlage und einen prunkvollen Torbau gebildeten Abschluß der Lechaion­ straße, wo sie das Forum von Korinth erreicht, die Peirenequelle liegt, immerhin eine der traditionellen Musenquellen (vgl. z. B. Pers. prol. 4; Stat. silv. 1, 4, 27). Auf die Villa von Sorrent umgelegt bedeutet dies: Man steigt, umgeben von prunkvoller Architektur, vom Hafen hinauf zu noch grandioserer Architektur und trifft dort oben auch noch auf eine Heimstätte dichterischer Inspiration; was wiederum sowohl ein Kompliment an den Hausherrn als auch ein geschicktes Symbol dafür ist, daß eben diese Villa den Stoff für das vorliegende Gedicht bietet, Statius also von dem, was ihn am oberen Ende der porticus erwartet, inspiriert wird. Daß der Leser aufgefordert ist, mit ihm in seiner Imagination den gedeckten Gang hinaufzusteigen, um auf die Ebene der eigentlichen Villa zu gelangen, liegt auf der Hand. Weniger auf der Hand liegt, was per obliquas arces in Vers 30 bedeuten soll – streng genommen ist die Junktur arx obliqua ein Oxymoron, da arx, gleichgültig ob proprie für Gebäude mehr oder minder fortifikatorischen Charakters vorzugsweise auf einer Anhöhe, oder übertragen für die Anhöhe als solche verstanden, kaum ›schief‹ (obliqua) sein kann.90 88 Krüger (1998), 84 f., glaubt irrig, die Verbesserung der Situation habe darin bestanden, daß vorher Staub die Sonne verdunkelt habe, man nun aber in praller Sonne, d. h. »im Sonnenlicht der Wahrheit« (ebd., 85), den Hang hinaufsteigen könne. Das wäre denn auch die erste porticus im heißen Mittelmeerraum, die keine Schattenspenderfunktion gehabt hätte. 89 Vgl. Gros (1996), 104. Auch das Attribut Inoo … Lechaeo (35) fügt sich zu dieser konkreten Straße, wo nach Paus. 2, 3, 4 Ino / Leukothea mit Poseidon und Melicertes / Palaemon bildlich dargestellt war: zum zugrundeliegenden Mythos vgl. van Dam (1984), 215; Statius bringt die offenbar topische Assoziation in kenningartig verhüllter Form noch Theb. 7, 97. – Es besteht kein Grund, culmen in Vers 35 als ›Akrokorinth‹ zu verstehen und eine Portikus­ anlage vom Meer bis auf die fast 600 m aufragende Akropolis zu postulieren bzw. abzulehnen, wie Krüger (1998), 180, es tut: Erstens kann subire auch bedeuten, daß man zum Fuß des Burgberges, d. h. zur Stadt Korinth selbst, hinaufsteigt; zweitens liegt dieses Korinth selbst schon auf einem höheren Plateau, das mit culmen gemein sein könnte; und drittens wäre die Lechaionstraße immer noch der erste Wegabschnitt, denn ein Wanderer auf dem Weg von diesem Hafen nach Akrokorinth zurücklegen müßte. Daß Statius als Bezugspunkt ›in Wirklichkeit‹ nicht Korinth, sondern die Villa Iovis auf Capri gemeint habe, wie Krüger (1998), 194, ist vollkommen haltlos. 90 Die Kommentare übergehen das Problem: van Dam (1984), 212, denkt ebenso wie New­lands (2011), 129, an eine Metonymie i. S. v. ›Felsen‹, beide folgen damit Vollmer (1898), 343, und zuvor schon Markland (1728), Not. 89. Liberman (2010), 188, verweist zwar für die Junktur obliquas arces auf Avien. orb. 843, doch fragt sich, ob der Kontext bei Statius die Metonymie zu ›Berg(gipfel)‹ und weiter zu ›Abhang‹ ebenso nahelegt wie jener der mehrere Verse langen Beschreibung des Taurusgebirges bei Avien. Vgl. die übernächste Anm.

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Hinzu kommt, daß innerhalb einer rein architektonischen Strukturen gewidmeten Beschreibung (30sq.: inde per obliquas erepit porticus arces, / urbis opus, longoque domat saxa aspera dorso) ein Wort wie arces nur als architektonischer Begriff aufgefaßt werden kann, während nichtarchitektonische Elemente wie Felsen sinnvollerweise mit ihren eigentlichen Bezeichnungen belegt werden (31: saxa). Wie aber kann eine porticus über arces kriechen? Sie kann nicht, und die bei Vollmer zitierte Konjektur per obliquas artes (Krohn)91 trifft zwar sicher nicht das richtige, zeigt aber, daß das Wort arces schon als Problem empfunden wurde.92 Umso mehr verwundert es, daß die auf der Hand liegende Konjektur per obliquos arcus noch nicht vorgeschlagen worden zu sein scheint. Eine schräg den Hang hinaufführende Rampe (und eine solche muß dem Text nach vorhanden gewesen sein; passende Reste hat man im oberen Hangabschnitt der Punta della Calcarella tatsächlich gefunden, weiteres mag im Laufe der Zeit verschwunden sein) kann, wenn sie nicht aus abgetreppten waagrechten Teil­ abschnitten besteht, ohnedies nicht als porticus im engeren Sinn mit Architrav über Säulen ausgeführt sein – sie widerspräche sonst dem grundlegendsten Verständnis dieser Architekturteile –,93 sondern muß auf das Element des Gewöl 91 Vollmer (1898), 343; Klotz (1911) verweist im Apparat auf diese offenbar mündliche oder briefliche Konjektur. 92 Laguna (1992), 135, zieht eine Parallele zu silv. 1, 3, 19sq. deus attulit arces erexitque suas, das in der Tat auffällig ist, doch immerhin als Metonymie für das dort besungene Bauwerk insgesamt aufgefaßt werden kann. Einen letzten Endes nur bei Statius bezeugten und nur in silv. 2, 2 für das Textverständnis notwendigen Sprachgebrauch (»una acepción exclusiva de Estacio«) im Sinne von saxa, wie Laguna ebd. durch Kombination der beiden Silvaestellen vorschlägt, würde ich nicht vermuten wollen. 93 Freilich: Das ursprünglich rein additive Verständnis, wonach »eine Säule zu stehen und zu tragen, ein Architrav zu überspannen« hatte (Berve-Gruben [1961], 166), war schon seit der griechischen Klassik einer zunehmend organischen Auffassung des Gesamtbauwerks gewichen, dennoch blieben die Grundfunktionen der einzelnen Elemente insofern maß­ gebend, als man in der Antike nie den Versuch unternommen zu haben scheint, sie anders einzusetzen: So wie keine schräge Säule bekannt ist, sondern Säulen stets vertikal zu stehen hatten (minimale, aus ästhetischen Gründen gewählte Neigungswinkel außer acht gelassen), wäre auch die Vorstellung einer abgetreppten Serie von Säulen mit darüberliegendem, dem Neigungswinkel der Abtreppung folgendem schrägem Architrav absurd, selbst wenn sie sich baulich realisieren ließe. Auch der Umstand, daß solche Bauten aus Holz nicht bloß möglich waren, sondern sicherlich auch oft errichtet wurden, führte, anders als beim ursprünglich auch vom Holzbau mit seinem Balken- und Stützenwerk ausgehenden Tempelbau, indes anscheinend kaum zu einer ›Versteinerung‹ deartiger Bauformen: Drerup (1957), 19, verweist in diesem Zusammenhang freilich auf die abgeschrägten Kapitelle und schiefen Architrave an den Innenwänden der Rampenaufgänge zwischen dritter und vierter Ebene des Fortunaheiligtums von Praeneste, allerdings im Sinne einer Ausnahme, welche die Regel bestätigt; vgl. Fasolo-Gullini (1953), 95–97 (mit Abb.); Böttcher-Ebers (2012), 139 mit Anm. 619. Immerhin scheint der Bruch mit der formgeschichtlichen Tradition dort insofern gemildert, als die Interkolumnien jener Aufgänge von Praeneste mit opus incertum vermauert waren, sich insgesamt also eher das Bild einer geschlossenen, tragenden Wand mit angedeuteten Halbsäulen ergeben haben muß, was dem Eindruck der statischen Unmöglichkeit wohl entgegenwirkte.

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bes bzw. Bogens zurückgreifen; erst recht in flavischer Zeit, als man sich mit Behelfslösungen wie der gerade angedeuteten Möglichkeit einer Überwindung der Höhendifferenz durch Stückelung ebener Portikusabschnitte und vermittelnde Stufen zwischen ihnen gar nicht erst aufzuhalten pflegte, sondern mithilfe des billigen, enorm belastbaren und auf unebensten Untergrund noch aufsetzbaren Gußmauerwerkes Rampen und Stiegenhäuser durch dem Neigungsverlauf folgende Tonnen überwölbte und, wenn gewünscht, die seitlichen Wände wie bei waagrecht verlaufenden cryptoporticus vom Boden bis hoch in die Gewölbezone mit Belichtungsöffnungen fast beliebiger Größe versah,94 was bis zur Auflösung der seitlichen Wand in eine Arkadenstellung über gegossenen Pfeilern führen konnte, also bautypologisch den Schritt zu den gleichfalls bereits geläufigen Arkaden über Säulen vollzog;95 in welchem Fall dann freilich Kreuzgratebensogut wie Tonnengewölbe denkbar sind. Etwas von dieser Art dürfte die Villa des Pollius aufgewiesen haben, und ob nun per obliquos arcus die schräg ansteigende Tonne des gedeckten Ganges oder meerwärts gerichtete Bogen­ öffnungen mit tendenziell der Neigung folgend verzogenen (auch das kann obliquus 3 heißen) Bögen über Belichtungsöffnungen und / oder schräglaufende flache Bögen zur Stützung der Rampe in evt. freitragend überbrückten Bereichen bezeichnet,96 oder ob mehreres davon zugleich zutrifft: Mir scheint per obliquos arcus eine so evidente und auch zum diesbezüglichen Selbstverständnis römischer Architektur97 passende Textverbesserung, daß nur der positive Nachweis, an der Punta della Calcarella habe es derartige bauliche Strukturen nie gegeben, effektiv gegen sie sprechen könnte. Auch die Angabe im PendantLagen hingegen Wandöffnungen vor, blieb man offenbar in der Horizontalen, bis Gewölbe und Arkaden statisch und ästhetisch befriedigende Lösungen zur Bewältigung auch schiefer Ebenen mit sich brachten. 94 Zeiner (2005), 80, schlägt sogar prospectus-Öffnungen vor, zweifellos eine Möglichkeit im Trend der flavischen Architektur. 95 Arkaden-porticus gibt es bereits in den Vesuvstädten sowohl als Bauwerke als auch als Element der Architekturmalerei: vgl. Gros (1996), 111. 96 Ein typisches Beispiel für einen arcus obliquus (jedenfalls für etwas, was man so bezeichnen könnte), der anstelle eines durchgehenden steinernen Holms den Lauf einer Treppe trägt (übrigens im architektonisch unambitionierten Kontext eines durchschnittlichen Hauses in Ostia), bietet Adam (1994), 174, Abb. 416. 97 Gauly (2006), 459: »Gerade das Gewölbe, das gewaltige Lasten zu tragen vermag, wird zum Bild für den römischen Willen, Widerstrebendes gefügig zu machen.« (mit Verweis auf Plin. nat. 36, 101 und 104–108). Wichtig auch die ebd., 462, zitierten Senatsbeschlüsse, welche einen gewissen Druck von staatlicher Seite belegen, auch private Gebäude so großzügig zu errichten, daß sie der prosperierenden Lage des Imperiums angemessen wirkten. Vgl. auch Böttcher-Ebers (2012), 41 f., zum ostentativen Gestus des Rundbogens als Fassadenelement, das einerseits die Mächtigkeit von Substruktionen (also der basis villae) betont, andererseits auf die Möglichkeit der Passage hinweist. Beides trifft an der Punta della Calcarella zu: die überwölbte Rampe gehört im weiteren Sinne zum Bereich der basis villae, und sie ermöglicht einen Zugang.

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gedicht, dem Hercules Surrentinus, es handle sich um porticus auf Säulen, paßt dazu, leider ohne präzisierend zu wirken. Denn die Formulierung distinctis stat porticus alta columnis, / ne sorderet iter (silv. 3, 1, 99sq.)98 macht zwar klar, daß von demselben überbauten Weg zwischen Villa und Meer die Rede ist wie hier, doch muß damit nicht unbedingt dessen gesamter Verlauf beschrieben sein: schließlich zerfiel der den Hang (im Zickzack?) hinaufführende Weg wohl in verschiedene Abschnitte von evt. auch recht verschiedenem Neigungsgrad, die nicht unbedingt alle baulich gleich gelöst worden sein müssen. Es bleibt also bei der Vermutung, per obliquos arcus bezeichne grundsätzlich eine ansteigende, überwölbte (crypto)porticus, gleichgültig ob und wo genau Arkadenstellungen im Spiel waren.99 Die nachfolgende Apposition urbis opus paßt ebenfalls dazu: Anders als an den Vorbildstellen (Verg. Aen. 5, 119; Ov. fast. 6, 641) bedeutet die Wendung bei Statius nicht so sehr ›groß wie eine Stadt‹, wobei Ovid schon nicht ausschließlich auf diese nur an der Vergilstelle eindeutige Erklärung festzulegen ist, sondern eher ›passend zu einer Stadt‹, d. h. die geschilderte Architektur zeigt Züge, die man eher an städtischer, also wohl: großformatiger, repräsentativer Architektur erwarten würde.100 Und schließlich paßt auch die Junktur longo … dorso, von Vollmer auf den gepflasterten Weg, von den neueren Kommentatoren zustimmenswerter auf den gedeckten Gang als Ganzes bezogen,101 gut zum gewölbten ›Rücken‹ einer langen Schrägtonne, die ja nicht einmal unbedingt zusätzlich noch überdacht gewesen sein muß. Der Betrachter / Leser ist nun also am Ziel angekommen, durch das Gleichnis der Ankunft in Korinth vom Hafen in Lechaion aus vielleicht sogar noch verdeutlicht: Denn es gibt keine archäologische Evidenz für eine (übrigens schon aufgrund der Länge extrem unwahrscheinliche)  porticus von Lechaion nach 98 Laguna (1992), 162, erklärt distinctis plausibel als ›aus farbigen Steinsorten gemacht‹; vgl. die nachfolgende Anm.  99 Die archäologischen Erkenntnisse sind so spärlich wie verwirrend, vgl. MingazziniPfister (1946), 66: »Una rampa a zig-zag sotto un portico di colonne di marmo conduceva alla palazzina. Le due colonne rinvenute nel 1863 nella marina ed ora conservate all’albergo Sirena sono forse l’ultimo avanzo di tanta magnificenza.«; ebd., 133, werden der von örtlichen Bauern bloß berichtete Fund einer marmornen Treppe zwischen Villa und Strand sowie das Vorkommen von Buntmarmorfragmenten im Bereich dieser inzwischen verlorengegangenen Treppe referiert. Doch gehörten die luxuriösen farbigen Gesteine wirklich zum Treppen­ aufgang, oder gerieten sie (die gleiche Frage kann man sich auch zu den beiden gefundenen Säulen stellen) bei späterer Plünderung der Villa oder schlicht durch Abrutschen von Teilen des Gebäudes in den Hangbereich? Immerhin gehören Buntmarmore sowohl ihres Wertes als auch ihres optischen Effektes wegen vornehmlich in schwächer belichtete Innenräume: vgl. Hoepfner (1990), 112 mit Anm. 6. 100 Newlands (2011), 129; skeptischer van Dam (1984), 213, der die Wendung wie bei Vergil verstanden wissen will; vgl. zum ›städtischen‹ Charakter des Bogens bzw. einer von Rundbögen getragenen und ausgezeichneten Architektur auch Böttcher-Ebers (2012), passim. 101 van Dam (1984), 213; Newlands (2011), 129.

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Korinth oder gar Akrokorinth: Derlei Bauwerke können also nur Teilabschnitte des Weges überfangen haben. Ebenso ist aber auch nicht gesagt, daß Pollius Felix jeden Meter des Weges von der Landungsstelle am Meer bis zum Eingang der Villa durch einen gedeckten Gang bewältigte: Die Assoziation steigert die kurze Wegstrecke auf der Punta della Calcarella also in die Dimension bzw. die Qualität einer städtischer Architektur (erneut: urbis opus), bei näherungsweise gleichgebliebenen Details – mehr ist von einem Gleichnis nicht zu erwarten.102

c) silv. 2, 2, 36–62 Die unterschwellig zum Ausdruck gebrachte Bewegung der Ichinstanz ist nun an der Schwelle zur Villa selbst angelangt, und der Text markiert diesen Eintritt ins Innere durch eine breite, mythisch verbrämte und durch zunächst erfolgende Auflistung von Inspirations-Quellen im wörtlichen Sinn (36–41) an die gerade indirekt erwähnte Peirenequelle von Korinth angeschlossene Ausführung des ferrea-lingua- oder centum-ora-Topos: ›Selbst wenn alle gött­lichen Inspirationsinstanzen mir zu Hilfe kämen, könnte ich die zahllosen Anblicke (41: innumeras species) und die ästhetischen Gestaltungen der einzelnen Örtlichkeiten (41: cultus locorum) nicht in angemessenen Versen beschreiben‹ (36–42).103 Was auf diese episch-gewichtige Ankündigung folgt, ist abgesehen von einer gängigen Hyperbel ein klassischer Beleg für die zwei an der Würdigung von Architektur beteiligten Sinne, das Auge einerseits, das menschliche Orientierungsvermögen in Verbindung mit der ›Erschreitung‹ eines Gebäudes andererseits:104 ›Kaum genügten meine Augen angesichts der langen Reihe (42: ordine longo), kaum genügten meine Beine, als man mich durch die einzelnen Bau- und Räumlichkeiten führte (43: dum per singula ducor). Welch eine Vielfalt (43: rerum turba)!‹ Daß die Führung durch das Haus mit ihren zahlreichen Zwischenstopps sich möglicherweise in den drei Monosyllaba des Verses 43 vix dum per sin­ gula ­ducor widerspiegelt, wurde ebenso schon beobachtet wie der Umstand, daß Statius mit ordine longo (42) und der Bezeichnung des Geschauten als turba (für Immobilien immerhin ein ungewöhnlicher Ausdruck) auf Verg. Aen. 6, 753sq. anspielt, der Blick des Hausbesuchers also in humorvoll-übertreibender Weise mit dem Blick des Aeneas über die Schar der künftigen Römer parallelisiert wird.105 Der springende Punkt aber für die Frage, wie im Text Raum erzeugt wird, scheint mir, daß erneut auf eine in der aktualen Welt des Statius 102 Vgl. Newlands (2011), 130 f. 103 Zur Ausführung dieses Topos vgl. van Dam (1984), 216–219; Myers (2000), 133 f. 104 Vgl. Pinder (1948), 19–22. 105 Newlands (2011), 132 f.; Hinds (2001), 252.

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und seiner Leser reguläre, ja geradezu kanonische Weise des Sehens, des Wahr­ nehmens, Heimito von Doderer würde sagen: des ad-notam-Nehmens rekurriert wird; daß also der Text nicht bloß, wie jeder Text, der Imagination des Rezipienten Begriffe liefert, welche diesem ein Referentialisieren auf Passendes im Fundus der eigenen Erfahrungen und Erinnerungen ermöglichen, sondern darüber hinaus noch die Art, wie er diese Begriffe liefert, parallelisierend auf die Art und Weise zurückgreift, wie man die betreffenden Dinge in der aktualen Welt wahrzunehmen pflegt. Wenn, wie der Text mit seinem anaphorischen Asyndeton bimembre vix … vix nahelegt, zwischen ordine longo und dum per singula ducor ein Gegensatz besteht, so muß ordine longo das weit in die Tiefe und durch eine Serie von ›Kulissen‹ hindurch- bzw. an einer Reihe von Objekten entlanggeführte Schauen von einem mehr oder minder fixen Punkt aus bedeuten (auch der Aeneas der zitierten Römerschau steht auf einem Hügel, als er longo ordine die turba seine Nachfahren mustert!), im Kontrast zur ›Erschreitung‹ der einzelnen Räumlichkeiten (per singula ducor), die zwangsläufig eine Vielzahl von Richtungsänderungen und veränderlichen Blickrichtungen mit sich bringt.106 Nun pflegen römische Häuser bei aller Variabilität ihrer konkreten Ausführung relativ stereotyp so angelegt zu sein, daß sich dem Eintretenden praktisch von der Haustür aus eine Sichtachse beispielsweise durch fauces, atrium, tablinum und peristylium bis zur Öffnung eines (freilich bei Tageslicht hinter dem Peristyl zwangsläufig finsteren) oecus oder einer vergleich­baren Struktur eröffnet;107 Beweis für die Wichtigkeit, die man solch einer Blickachse beimaß, sind Fälle, in denen zu ihren Gunsten auf anderweitige, für sich genommen durchaus auch erstrebenswerte Symmetrien verzichtet wurde, etwa indem man die Interkolumnien des Peristyls im Bereich der besagten Sichtachse ungleich bemaß, um den Blick nicht zu verstellen, oder indem man den rück­ wärtigen oecus am Peristyl aus dessen Mitte gerückt eben in der Flucht der Eingangstür anbrachte und eventuell noch die Gartengestaltung im Peristyl ebenso asymmetrisch auf den Blick vom Eingang her berechnete.108 Eine in der römischen Kultur sozialisierte Person konnte mithin, sobald er oder sie ein auch nur halbwegs anspruchsvoll gebautes Privathaus betrat, nahe­zu sicher sein, daß ihn beim Betreten ein bestimmter, besonders eindrucksvoller Blick erwartete, ein Blick durch eine Enfilade von Räumlichkeiten, 106 Annähernd richtig van Dam (1984), 221: »whether looking around over the whole or walking past the single sights«; ich würde freilich nicht von ›looking around‹ sprechen wollen, denn was sich ordine longo dem Auge bietet, ist sicherlich kein Panoramablick, sondern eine wahrscheinlich einzige, architektonisch geführte Blickachse. Unzutreffend Newlands (2011), 132, die ordine longo auf die Bewegung der Ichinstanz durch die Villa beziehen will. 107 Drerup (1959), passim; Drerup (1990), 126 f. mit Abb. 11; hilfreich auch Förtsch (1993), 19, Anm. 84. 108 Vgl. Förtsch (1993), 84, der zugleich jedoch vor überzogenen Rekonstruktionen von Sichtachsen warnt.

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bald Zimmer, bald Höfe, und wahrscheinlich erwartete man diesen Blick bereits unbewußt, sobald man sich nur einer Haustür von außen näherte. Immerhin spielen geschickte Architekten sogar damit: Die gegenüber der Welt der Silvae nur eine Generation jüngere Hadriansvilla von Tivoli etwa leistet sich den Luxus, Besucher im äußeren, der offiziösen Repräsentation des Herrschers gewidmeten Bereich, zwar zunächst mit einer Blickachse vom Eingang über die portikusgesäumte ›Palästra‹ (übrigens stark aus deren Mittelachse verschoben) in ein durch eingestellte Säulen optisch komplex wirkendes Dreikonchengebäude zu empfangen, also mit einem Blick ähnlich dem quer über ein Peristyl hinweg in einen dahinterliegenden oecus, wo man gewohnheismäßig den Hausherrn vermuten dürfte;109 doch müssen die Besucher, wenn sie den beschriebenen Blick gehend nachvollzogen haben, erkennen, daß der Endpunkt der Sichtachse mitnichten der Platz des Herrschers ist. Vielmehr haben sie sich inmitten des Dreikonchengebäudes um neunzig Grad nach links zu wenden, um durch eine der seitlichen Apsiden, die zuvor kaum sichtbar waren, einer neuen Achse in den eigentlichen Palast und nun (vielleicht) auch zum Kaiser zu folgen. Womit man aber in so raffinierter Weise spielen kann, das muß fester Bestandteil der Gewohnheiten des Publikums sein. Bisher wurden der Blick vom Eingang her durch die Villa und das Durchschreiten derselben zum Ausdruck gebracht: Man befindet sich nun also im Inneren, und zwar in unbestimmter Weise, denn per singula ducor steht als Sammelbegriff. Der Leser kann nun also imaginär keinen bestimmten Standpunkt mehr einnehmen, etwa im Sinn von ›und ich erreichte das Sommertriklinium‹, sondern muß sich ab Vers 44, genau ab dem die bisher einem präzisen Weg folgenden guided tour freigebenden Ausruf quae rerum turba!, mit einem diffusen ›Drinnen‹ zur Lokalisierung begnügen.110 Dazu fügt sich die nun folgende Auflistung von Richtungen aus der Villa nach Draußen, also die multiple Umkehrung des Eingangsblickes (eine genauere Auflistung von prospectus wird in 73–84 folgen): ›Soll ich die Genialität der Topographie oder jene des Hausherrn bevorzugt bewundern? Dieser Trakt (45: domus) blickt gen Sonnenaufgang, jener gen Untergang, dieser ist dem Meeresrauschen zugewandt, jener der Stille des Festlandes‹ (44–51). Die aktiven Verben aspicit (46), detinet (47), fremunt (50), ignorant und malunt (51) entsprechen der Befindlichkeit der Ichinstanz im Inneren der Villa: Das Haus ›schaut‹, d. h. er schaut mit ihm, nach Sonnenaufgang, usw. – Es ergibt sich entweder ein mehr oder minder rechtwinkliges 109 Mielsch (1987), 76, Abb.  49; ebd., 80, wird der Raum freilich als Privattriklinium Hadrians bezeichnet – eine sehr unwahrscheinliche Annahme, wenn man bedenkt, wie nahe dem Eingang zu seinem Villenkomplex der speisende Kaiser sich dann befunen hätte – streng genommen sogar zwischen dem Wohnbereich und dem Eingang, in einem Durchgangsraum, also in einer keineswegs besonders ›privaten‹ Position. 110 Myers (2000), 119: » … only a general and schematic idea of the villas’ appearance …«

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Achsenkreuz der Himmelsrichtungen, wenn man Sonnenauf- und -untergang mit Ost und West, Meer und Festland mit Nord und Süd gleichsetzt, oder aber, wenn Meer und Festland gleichfalls Westen und Osten bezeichnen, eine doppelt, zunächst qua Licht, dann qua akustische Eindrücke zum Ausdruck gebrachte Ostwestachse.111 Da Häuser stets mehrere Seiten haben, kann der Sinn der Aussage nur darin bestehen, durch die Einspannung der Villa in die Welt­ richtungen den nachfolgend zum Ausdruck gebrachten Herrschaftsanspruch der Villa, die Unterwerfung des Bodens (und damit eines Stücks Welt, wobei pars pro toto nicht ganz auszuschließen ist) unter den Hausherrn mithilfe der Architektur, vorzubereiten. Weiter im Text: ›Manche Stellen hat schon die Natur passend geschaffen (52: his favit natura locis), mancherorts wurde sie unterworfen (52sq.: victa ­cessit) und bequemte sich gelehrig an eine ungewohnte Bestimmung.‹ Neben dem Gegensatz von Meer und Land, von Sturm und Ruhe, prägt auch jener von natura und ars das Gedicht: wobei die Natur ingenium aufweist (45) und prinzipiell einmal Raum bietet (15: dat natura locum), durch menschliches Handeln aber zugleich unterworfen und veredelt wird – man denkt an das amnis esse coepi des Flußgottes Vulturnus in silv.  4, 3, 80. Nicht nur die schon öfters statuierte positive Haltung des Statius gegenüber technischem Fortschritt und sein Übergehen des längst nur noch theoretischen Luxusdiskurses, wie ihn die späte Republik gerade im Hinblick auf Villen und ähnliche otium-Elemente führte, sondern allgemein der ›imperialistische‹ Habitus des Römers gegenüber der Natur kommt hier klar zum Ausdruck,112 wie es in der aktualen Architektur gerade auch der Villen am augenfälligsten durch mächtige Substruktionen, die Schaffung künstlicher waagrechter Plattformen selbst an Stellen, wo solcher Aufwand technisch gesehen kaum nötig gewesen wäre, sichtbar wird, in der seit Cic. Quint. 3, 1, 5 so genannte basis villae: ›Wo du jetzt eine ebene Fläche siehst, war ein Berg, und Wald war, wo du jetzt unter ein Dach trittst. Wo du jetzt hochragende Wälder (d. h.: hohe Baumkronen) siehst, da war

111 Krüger (1998), 189 f., weist darauf hin, daß an der Punta della Calcarella nur in den Wintermonaten die in den Versen 48 f. beschriebenen Schatten / Spiegelungen des Berges und der Nachbarvilla von Capo di Massa auf dem Wasser möglich sind: cum iam fessa dies et in aequora montis opaci / umbra cadit vitreoque natant praetoria ponto; dazu vgl. die Abb. bei Krüger (ebd.), 261, und Skizze II . Die Gleichsetzung von Spiegelbild und Schatten hat bereits Ov. met. 3, 434 repercussae … imaginis umbra. 112 Vgl. van Dam (1984), 227 f. Zu ernst nimmt Newlands (2002), 175, die in der Literatur oft konventionellerweise zum Ausdruck gebrachte Diskrepanz zwischen moralisch-traditionellen Anforderungen und architektonischem Villenluxus: Kaum ein Villenbesitzer der flavischen Zeit (und auch kein Villenbesucher) wird es mehr als Überschreitung naturgegebener Grenzen betrachtet haben, wenn er eine von abertausenden Villen in spektakulärer, der Natur abgerungener Lage besaß oder besuchte. Man war daran seit etwa zweihundert Jahren gewöhnt.

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nicht einmal Erde:113 Der Hausherr hat alles unterworfen, Felsen geformt, sie erobert, und freudig folgte ihm fruchtbarer Boden.114 Die Klippen lernten ein Joch zu tragen, Gemäuer trat auf den Plan (59: intrantes domos), und befehlsgemäß wich der Berg zurück. Du übertriffst (jedenfalls insofern du ein rezenteres Beispiel bist) Arion, Amphion und Orpheus, denn auch dir folgen gehorsam hochragende Wälder‹ (48–62). Die Fiktion der Führung durch die Anlage, wenn sie auch inzwischen keine nachvollziehbare Richtung mehr verfolgt, bleibt nicht nur durch die erstmalige Anrede an eine Du-Instanz, also den Leser im Text, und durch die in dieser Passage ganz besonders dicht gesetzten deiktischen Begriffe wie hic u. ä. aufrecht, sondern auch durch die Art der Information. Denn während alles zuvor Beschriebene nur eine Auflistung von Dingen war, welche der sprechende Villenbesucher eben sehen konnte, kann er, der ja offenbar zum erstenmal jene Villa betritt, das Wissen darum, wie der Bauplatz ausgesehen hat, bevor er einer wurde, nicht aus eigener Anschauung haben, sondern nur von einer entsprechend informierten Instanz, naheliegenderweise dem Hausherrn, der ihn stolz durch sein Anwesen führt und zugleich beschreibt, welche technischen Anstrengungen zu dessen Errichtung nötig waren. Die in der Du-Form gehaltene Rede (54 mons erat hic, ubi plana vides, etc.) entspricht also inhaltlich den Worten des Pollius an Statius, weitergegeben durch Statius, d. h. den Sprecher im Text, an dessen Leser, der aber wiederum in erster Instanz Pollius ist – am Schluß der Rede (62: et tu saxa moves, et te nemora alta sequuntur) ist er ja unverkennbar der Angesprochene. Einfacher gesagt: Pollius bekommt Teile dessen, was er Statius erzählt hat, echoartig zurück – eigentlich eine sonderbare Sprechsituation, gerade im epideiktischen, panegyrischen ge­ nus der Rede aber kein unmögliches: Dinge zu verbalisieren, die der Angesprochene selbst am besten weiß, gehört zum Repertoire, mit dessen Hilfe eine Situation festlich in Worte gefaßt werden kann. Der Vergleich mit Amphion und Orpheus verleiht dem Text schließlich unverkennbar auch eine poetologische Dimension. Statius’ Gedichte sind textliche Äquivalente zu den in ihnen beschriebenen Objekten, umgekehrt wird hier das Errichten einer Villa mit mythischen Dichtern in Verbindung gebracht; vgl. auch silv. 1, 3, 9 tecum scripsisse. Der Vorgang in der aktualen Welt und der Akt des Dichtens sind solcherart deckungsgleich, wie schon bei Ovid die Metamorphose zugleich ein Kunstwerk, nämlich das des Textes, ist.115

113 Gemeint ist vermutlich der Gegensatz Felsen  – fruchtbarer Boden, nicht jener zwischen Meer und Land; denn von Aufschüttungen ins Meer hinaus verlautet im Text sonst nichts, und auch archäologisch scheint kein Hinweis darauf vorzuliegen: vgl. Newlands (2011), 135. – Zu silvae als Bestandteil von Villegiaturen vgl. Förtsch (1993), 76–78. – Zur ba­ sis villae vgl. Fehr (1969). 114 Zu diesem Motiv vgl. Heinen (2013), 169 f. 115 Vgl. Solodow (1988), 203–231.

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d) silv. 2, 2, 63–106 Einige spezielleren Themenbereichen gewidmete Passagen runden die Beschreibung der Villa ab:116 (a) Als angedeutete Präteritio (›Was soll ich mir die Mühe machen, dies und jenes aufzuzählen …?‹) ihre Innenausstattung durch Gemälde und Statuen berühmtester Künstler bzw. Kopien davon (wozwischen selbstverständlich kein Unterschied gemacht wird), besonders die Portraits wichtiger Philosophen, an denen Pollius sich in seiner Lebensführung orientiert (63–72).117 – (b) In gleicher Weise als Präteritio gestaltet eine Auflistung der prospectus, die sich von der Villa aus ergeben (72–84; dazu unten mehr). – (c) Die luxuriösen farbigen Steinsorten, mit denen das Haus ausgestattet ist (84–97).118 – Schließlich, ein drittesmal als Präteritio formuliert, (d) die Gartenanlagen (98–106). Bei aller Buntheit und Varianz im Detail zeigt die Passage große Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit: Zum einen rhythmisieren die gleichartig fragenden PräteritioBeginne der Abschnitte (a), (b)  und (d)  die Passage, zum anderen beginnen (b) und (c) jeweils mitten im Vers (72 und 85), hängen also durch Enjambement stark mit dem jeweils Vorangehenden zusammen. Abschnitt (d)  freilich setzt wieder am Versbeginn ein, so sehr sich er auch durch seine Formulierung (98: quid nunc … dicam …?) an das Vorangegangene angleicht, doch wird dadurch zugleich eine inhaltliche Verschiebung markiert: Denn während die Abschnitte (a), (b) und (c) unverkennbar im Gebäudeinneren ›spielen‹, betrifft (d) die Außen­ anlagen, fruchtbares Land am Meeresufer und Weinstöcke an den Hängen. Diese Überschaubarkeit ist kennzeichnend für das gesamte Gedicht. Jederzeit ist klar, wo der Sprecher / Betrachter / Leser sich befindet, zumindest nach den prinzipiellen Kategorien des Drinnen und Draußen. Seit Vers 43 (bzw. seit der Scharnierpassage 36–45) ist die Ichinstanz im Inneren der Villa, auch wenn Statius auf eine penible Auflistung einzelner Räumlichkeiten verzichtet und das Wahrgenommene bzw. zu Imaginierende nach Sachgruppen statt in der Reihenfolge der Wahrnehmung beim tatsächlichen Durchschreiten des Gebäudes arrangiert: Denn es ist kaum anzunehmen, daß jemand ein ihm unbekanntes Haus ein erstes Mal durchschreitet und dabei nur auf die Statuen und Gemälde achtet, dann ein zweites Mal mit dem Augenmerk auf die Ausblicksszenarien 116 Die wesentlichen Merkmale dieser Passage, ihre Kataloghaftigkeit und ihre strenge Trennung zwischen Drinnen und Draußen, stellt bereits Bergmann (1992a), 51, fest. 117 Vgl. Plin. epist. 3, 7, 8 zu den Lebensverhältnissen des Silius Italicus: Multum ubique li­ brorum, multum statuarum, multum imaginum, quas non habebat modo, verum etiam vene­ rabatur, Vergili ante omnes, cuius natalem religiosius quam suum celebrabat, Neapoli ma­ xime, ubi monimentum eius adire ut templum solebat. 118 Krüger (1998), 209, übersieht offenbar, welch stolze Luxusansage die Auflistung der zum Teil astronomisch teuren Marmorsorten im Text bedeutet, wenn er der Villa jede »Assoziation an Luxus und Reichtum« abspricht.

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durch alle Räume geht, ein drittes Mal unter spezieller Betrachtung der bunten Marmorverkleidungen. Vielmehr bedeutet die Aufgabe der genauen Nachvollziehbarkeit des Standortes der Wahrnehmungsinstanz beim Betreten des Hauses zugleich eine Freigabe des Arrangements der Wahrnehmungen, die neu geordnet werden können, ohne daß der Rezipient Gefahr liefe, den Überblick zu verlieren, denn auf jeden Fall befindet er sich im ›Drinnen‹, was für die Lokalisierung des Ich genügt: Wie ich einleitend zur Frage der Inkomplettheit fiktiver Räume ausgeführt habe (vgl. o. 21–24), ist der Rezipient ja dazu aufgerufen, Fehlstellen im textimmanenten Raum durch sein eigenes Wissen aufzufüllen, mit der Plausibilität als Richtschnur: Selbstverständlich kann dem Text nicht die Aussage aufgezwungen werden, die Villa des Pollius habe genau vier Tri­ klinien gehabt, eines davon mit einer halbrunden, fensterdurchbrochenen Apsis mit Meerblick. Doch der Rezipient, dem nichts Gegenteiliges signalisiert wird, kann mit Recht erwarten, daß in dieser Villa alle Raumtypen, Ausstattungselemente und sonstige Charakteristika typischer zeitgenössischer Villen (etwa Fensteröffnungen, die bestimmte prospectus gewährleisten) sich befinden. Der Text überläßt es in den Versen 45–97 dem Rezipienten, sich nach eigenen Vorstellungen eine villa maritima zu konstruieren, sozusagen die abstrakte Idee solch einer Villa, und begnügt sich damit, sie, geordnet nach einzelnen Kategorien, auszustatten und zu dekorieren. Übrigens ist das kein Einzelfall: Die kurze Skizze des Hauses der Violentilla in silv. 1, 2, 147–157, vereint in nuce ebenso alle wesentlichen, hervorhebenswerten Elemente jenes Gebäudes wie edle Marmore, kühlende Baumbestände und Brunnen, in diesem Fall jedoch bloß als kurzes beschreibendes Stück, das in die fortlaufende Narration (Venus kommt nach Rom, begibt sich ins Haus der Violentilla und überredet sie, eine neue Ehe einzugehen) in typischer Weise, d. h. mithilfe einer sich bewegenden Wahrnehmungsinstanz eingeklinkt ist. Auch dort kann der Text seinem Leser zumuten, sich selbst ohne spezielle Ortskenntnisse ein vornehmes Haus im allgemeinen vorzustellen und es mit den erwähnten Besonderheiten zu schmücken. Erst der letzte Abschnitt (98–106) führt ins Draußen und übrigens, wenn man die novalia ponto iniecta (98sq.) gemäß Friedrich Vollmer mit der heute Marina del Puolo genannten Örtlichkeit zwischen Punta della Calcarella und Capo di Massa gleichsetzt,119 vielleicht wieder an den Landungspunkt des Bootes zurück, jedenfalls zurück ans Meer. So beendet der Text mit Vers 106 in einer Art von angedeuteter Ringkomposition die seit Gedichtbeginn andauernde Beschreibung der Villa, die sich ausnahmslos in dem kanonischen Schema von Beschreibung der allgemeinen Lage – Annäherung – Eintreten in das Gebäude – Inneres des Gebäudes – Verlassen desselben entwickelt hat, ja als Musterbeispiel dieser Text­ sorte gelten kann, gerade weil sie die notwendigen Bewegungen der Wahrnehmungsinstanz gleichsam automatisch ablaufen läßt und auf explizit angeordnete 119 Vollmer (1898), 350.

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Verschiebungen des Standortes (Typus: ›Dann ging ich weiter und erreichte …‹, oder: ›Gehst du von dort den Hang hinauf, findest du …‹) verzichtet. Der Rest des Gedichtes wird den Hausherrn zum Gegenstand der Betrachtung machen. Zuvor indes noch Anmerkungen zu zwei der beschreibenden Abschnitte der Verse 63–106. Da ist zum einen die paarweise geordnete Auflistung der prospectus,120 welche Pollius’ villa maritima zu bieten hat (72–84), nach moderner Terminologie: Ischia (76) und Procida (76), Kap von Miseno (77) und Nisida (77sq.), Pizzofalcone (79) und Castel del’Uovo (80), schließlich eine weitere, Limon genannte Villa des Pollius (81sq.) irgendwo im Umfeld des Posillipo121 und Parthenope / Neapel (83–84), als wichtigster prospectus gekennzeichnet.122 Inter 120 Zu prospectus als zentralem Element des Villenbaus vgl. Schneider (1995), 76–93; vgl. auch bei Drerup (1990), 139–144, den Hinweis darauf, daß sich große Villen in ihren Grundrissen bisweilen geradezu aufsplittern, nur um die gewünschten prospectus zu erzielen; man nahm also sowohl konstruktive Erschwernisse als auch architektonisch u. U. fragwürdige, zumindest ›schiefe‹ Lösungen in Kauf, wenn dadurch der Ausblick verbessert wurde. Drerup (ebd.), 130, weist außerdem richtig auf die Häufigkeit von Formulierungen des Typus villa prospectat hin, worin sich ein grundsätzliches Verständnis davon, was an einer villa von Bedeutung ist, abzeichnet. Problematisch hingegen erscheint der Begriff ›Panoramavillen‹, den Mansuelli (1990), 334 f., vorschlägt, denn ein Panorama ist etwas anderes als die säuberlich voneinander getrennten, das Panorama geradezu absichtlich zergliedernden prospectus, nach denen der Villenbau strebt: vgl. u. III , bei Anm. 125. Ob man freilich so weit gehen wird, mit Bergmann (1992a), 65, anzunehmen, ›Landschaft‹ habe für Römer überhaupt nicht bzw. nur als additive Ansammlung von τόποι, also eher loci als loca, existiert, lasse ich dahingestellt. 121 Gemäß einer in Wachstafelschrift ausgeführten Ritzinschrift im Verputz eines Aquädukttunnels, den man bei einem Durchstich des Posillipo im Zuge des Straßenbahnbaus im späten 19. Jhdt. bei Piedigrotta anschnitt, nahm jener Tunnel bzw. Aquädukt seinen Anfang bei jener Villa: Macrinus Diadumeni Aug[usti] l[iberti] proc[uratoris] Antoniani disp[ensator] hic ambulavit a villa Polli Felicis quae est Epilimones usque ad emissarium Paconianum Nerva et Vestino co[n]s[ulibus], d. h. im Jahr 65 (genau am 12. Jänner, wie aus zwei weiteren gleichartigen Inschriften hervorgeht): ILS 5798; vgl. Mommsen (1883). Leider scheint diese ungewöhnlich präzise Hilfestellung noch zu keinen archäologischen Folgerungen im Sinne einer Identifikation der Polliusvilla ›ἐπὶ λειμῶνες‹ (eine sonderbare Fügung, die am ehesten als Nachbildung eines lateinischen ad prata zu deuten ist) geführt zu haben, doch wird man wahrscheinlich nicht allzuweit entfernt vom Posillipo mit ihr zu rechnen haben. 122 Anders Krüger (1998), 104 f., der 7 + 3 statt 7 + 1 prospectus zählt, indem er den letzten Punkt, Neapel, verdreifacht (ebd., 195, korrigiert er auf 7 + 1). Völlig absurd seine Interpretation der Passage: Die ersten sieben Ausblicke bedeuteten die Vergangenheit des Pollius (ebd., 105), der Neapelausblick des Marmorzimmers seine Gegenwart, zugleich repräsentiere letzteres Zimmer seine Gattin Polla, sie sich auch dort aufhalte, obwohl der Ausblick »auf Neapel nicht der Realität zu entsprechen scheint«, weil der Text die Vermutung nahelege, »daß dieser Raum auf Puteoli, die Heimat des Pollius, blickt.« (ebd., 195), was Polla freilich nicht daran hindert, in symbolischer Vertretung durch die Marmorsorten der Verse 85–93 (ebd., 117 f.) die in den turres von Neapel (94) angelegte »Manifestation trutzigen Kolonisationsgeistes« zu grüßen, womit sie als Vertreterin des ›weichen‹ Epikureismus der »arx mentis ihres [allerdings nur Krüger, nicht dem Gedicht zufolge: Anm. d. Verf.] stoischen Gatten ihre Verehrung bezeugt.« (ebd., 124). Ebenso unnachvollziehbar ist, weshalb nach Krüger, ebd., 107 f., die ersten sieben prospectus Bilder einer »düsteren und bedrohlichen

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essant ist zunächst eine originelle Umkehrung der Blickrichtung beim vorletzten Punkt, wenn die Limon-Villa ihrerseits auf die Sorrentiner blickt und sich grämt, weil ihr Herr dort weilt anstatt in ihr; zum Motiv der um die Anwesenheit ihres Herrn wetteifernden Villen vgl. silv. 1, 3, 4. Es begegnen einander hier also zwei Blicke,123 und zwar, da die Limon-Villa anzunehmendermaßen auch ihrerseits über prospectus-Fenster verfügt, ein symmetrisches Einander-Anblicken der beteiligten Fenster. Darauf wird noch einzugehen sein, doch noch zwei weitere Dinge fallen an dieser Auflistung auf: Zum einen bemüht sie sich offenkundig, die präzis definierten prospectus in strenger topographischer Anordnung zu bringen, woraus geschlossen werden kann, daß der Betrachter seinen Stadnpunkt nahe an den fraglichen Fenstern, etwa in einem für derlei prospectus gebauten Raum, hat; andernfalls wären durch die prospectus-Öffnungen nur winzige, für sich allein aussagelose Landschaftsausschnitte wahrnehmbar.124 Die Meereslandschaft« bieten sollen, angefangen mit dem Namen der Insel Ischia, Inarime (statt dem geläufigeren Aenaria), den Krüger (ebd.) mit dem Wort inanis in Verbindung bringt (so freilich schon Pavlovskis [1973], 15), statt, wie richtig, von einer schon bei Vergil vorgefallenen Deutung einer Homerstelle (Il. 2, 783 wird Typhoeus εἰν Ἀρίμοις erschlagen, woraus Aen. 9, 716 der Name Inarime wurde, wie Krüger beispielsweise Heynes Vergilkommentar hätte entnehmen können). Abgesehen von ein wenig vulkanischer Aktivität (78sq.: malignum aera respirat pelago circumflua Nesis – solche kleinen Fumarolen kommen am Golf von Neapel vor, manchmal auch bloß temporär – enthält die Reihe der prospectus nichts Unheimliches, sondern listet im wesentlichen einen Kurort nach dem anderen auf. Selbst Nesis / Procida war immerhin bekannt für eine Villa des Brutus (Cic. Att. 16, 1, 1; 16, 2, 3; 16, 3, 6; 16, 4, 1) und die Qualität seiner Spargelzucht (Plin. nat. 19, 146). 123 Bek (1983), 99: »an instance of ›interspectability‹ even more sophisticated than that related by Vitruvius« (mit Bezug auf Vitr. 6, 3, 10). 124 Dieses simple physikalische Phänomen gilt es auch zu berücksichtigen, wenn man prospectus-Fenster am Ende langer axialer Durchblicksachsen durch ganze oder halbe Gebäude annehmen will, wie Bek (1980), 176, und Lefèvre (1977), 530 f., es für das Lauren­ tinum des jüngeren Plinius, letzterer (ebd.) auch für das sog. Teatro marittimo der Hadriansvilla tun. Was das Laurentinum betrifft, erfordert solch eine Hypothese die Annahme baulicher Kunststücke: Der Planskizze bei Bek (ebd.) nach müßten die Interkolumnien des D-förmigen Hofes ungefähr das Neunfache der Säulendurchmesser betragen, um einen Öffnungsgrad des möglichen prospectus-Blickes von knapp 6° zu ermöglichen – eine statische Kühnheit, und auch vom Standpunkt der Ästhetik her kein sehr wahrscheinliches Szenario. Im Falle des Teatro marittimo, über dessen Grundriß keine Uneinigkeit herrscht, kann unschwer nachgemessen werden, daß die einzige für einen Ausblick in Betracht kommende Öffnung, die Eingangstür, die für einen Betrachter in der kaiserlichen ›Bettnische‹ des Teatro bei einer Distanz von über vierzig Metern einen seitlichen Öffnungsgrad von gerade einmal 3° ermöglicht, nicht mehr bietet als ein vergleichsweise winziges Loch im von komplexer, doch nach draußen undurchdringlicher Architektur geprägten Gesichtskreis, durch das maximal ein nischenförmiger kleiner Bau auf der vorgelagerten Terrasse vor dem Hintergrund von ein wenig Grün und Blau als Chiffre für ›Landschaft‹ wahrnehmbar ist, aber kein echter prospectus ins Land hinaus: vgl. http://vwhl.clas.virginia.edu / v illa / maritimetheater.php (Stand: 1.2.2016), wo sich solch ein Blick virtuell nachvollziehen läßt. Man denkt an den humorvollen Ratschlag eines Baumeisters an Cicero, er solle doch, um aus den Fenstern seiner Villa wirklich etwas sehen zu können, näher zum Fenster gehen: vgl. u. III , bei Anm. 372.

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Abb. 4: Der Golf von Neapel. (erstellt durch den Autor)

strichliert: ungefähre Begrenzung des Ausblicks von der Punta della Calcarella durch die benachbarten Kaps. 1 Inarime / Ischia | 2 Prochyta / Procida | 3 Misenum | 4 Nesis / Nisida | 5 Venus Euploea / Pizzofalcone | 6 Megaris / Castel del’Uovo | 7 Villa Limon: unlokalisiert | 8 Parthenope / Neapel

etwa einhundert Winkelgrad, die ein auf der Punta della Calcarella positionierter Betrachter zwischen den vorspringenden Capi di Massa und di Sorrento an Ausblickspanorama zur Verfügung hat, reichen vom Meer südlich von Ischia bis etwa Herculaneum; Capri im Südwesten liegt ebenso außerhalb des einsehbaren Bereiches wie der Vesuv im Nordosten, jedenfalls wenn man die beiden Kaps als Begrenzungen des Gesichtsfeldes gelten läßt – von einem höheren Gebäude der Villa aus (die Existenz eines Turmes ist keineswegs unmöglich) mag etwa der Gipfel des Vesuv über das Kap von Sorrent hinweg ohne weiteres sichtbar gewesen sein, doch galt vielleicht solch ein Blick auf einen Berg, der halb hinter einem anderen verborgen liegt, nicht als erstrebenswerter prospectus; auch daß das verschüttete Herculaneum nicht erwähnt wird, erscheint selbstverständlich, und da weder das offene Meer südlich von Ischia noch das flache Land östlich von Neapel markante Blickfänge zu bieten haben, bleibt nur ein relativ enger Ausschnitt von ca. 60 Winkelgrad, von Ischia bis Neapel, der Stoff zur Beschreibung bietet. Innerhalb dieses Ausschnittes nun erfolgt die Auflistung streng von West nach Nord, wobei zwischen den ersten vier genannten Landmarken, soweit

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man ganze Inseln wie Ischia oder Procida auf einen geometrischen Punkt reduzieren kann, dreimal fast derselbe Winkel liegt (etwa 12°), zwischen Nisida und dem als fünfter Punkt genannten Hügel von Pizzofalcone nur wenig mehr (etwa 19°). Diese Regelmäßigkeit muß nicht unbedingt Zufall sein. Denkt man sich normal auf diese Blickachsen stehend jeweils eine prospectus-Öffnung, um den Ausblick zu rahmen, erhielte man eine aus fünf regelmäßig zueinander geknickten Abschnitten bestehende Wand, die dem Sechstel, also 60°, eines weiteren oder engeren Kreisbogens folgt und mit entsprechenden Fensteröffnungen (75: diversis … fenestris) das Panorama in Einzelansichten zergliedert, also im Prinzip eine Apsis mit einer ungeraden Anzahl von Fenstern, d. h. mit einem Mittelfenster, wie man es für eine repräsentative und auf Symmetrie bedachte Architektur erwarten möchte.125 Just solche apsidal vorspringenden Konstruktionen aber sind in der römischen Villenarchitektur gut bezeugt, es sei nur auf das spektakuläre prospectus-Halbrund der Villa Iovis auf Capri verwiesen.126 Weniger wahrscheinlich, aber nicht unmöglich, wäre die Annahme eines dann 125 Vgl. die Beschreibung des Laurentinums bei Plin. epist. 2, 17, 5: … triclinium satis pulchrum, quod in litus excurrit ac, si quando Africo mare impulsum est, fractis iam et novis­ simis fluctibus leviter adluitur. Undique valvas aut fenestras non minores valvis habet atque ita a lateribus, a fronte quasi tria maria prospectat; dazu vgl. Lefèvre (1977), 521–523. Eine gleichartige Zergliederung des Kontinuums eines Meerpanoramas in diesfalls nicht tria, sondern quinque maria bietet offenbar Pollius’ Villa. Zu dieser Art der Zergliederung eines Panoramas vgl. Ehrhardt (1991), 35 f. 126 Vgl. Giuliani (1982), 238 f. mit Abb. 3; Krause (2003), 63–78 mit Abb. 98 f., 103 f. und 107, sowie 86–91 (zur Bautypologie derartiger Hemizyklen im Villenkontext); auch die wahrscheinlich ebenfalls dem Tiberius zuzuweisende Villa von Damecuta auf Capri verfügt als Hauptelement über eine halbrund nach außen geschwungene Front: McKay (1980), 107, mit Abb. 100. – Bergmann (1992b), 39, Abb. 22: Photographisch festgehaltener Blick durch drei apsidal angeordnete Fenster im Haus des Fabius Rufus in Pompei, Mitte 1. Jhdt. n. Chr. Ähnliche Konfigurationen finden sich schon an spätrepublikanischen Villen: Die Mysterienvilla bei Pompei erhielt »wohl im früheren 1. Jahrhundert v. Chr.« eine halbrunde Exedra mit drei Öffnungen, allerdings raumhohen, nur durch Säulen voneinander getrennten: die Konstruktion glich also eher einem Pavillon (Mielsch [1987], 40, mit Abb. 15; Jashemski [1979], 317, Abb. 493 f.). Auch die Villa des Diomedes aus annähernd der gleichen Zeit erhält einen apsidalen Raum mit drei in unterschiedliche Richtungen weisenden Fenstern angestückt, ganz offenkundig mit dem Ziel, unterschiedliche Ausblicke vom selben Raum aus zu inszenieren (ebd., 41 f. mit Abb. 17; Jashemski [1979], 316, Abb. 492). Ferner scheint die der Polliusvilla benachbarte Villa auf Capo di Massa mindestens einen halbkreisförmig vorspringenden Aussichtspavillon besessen zu haben (ebd., 60; vgl. Bergmann [1992a], Taf. 2–12). Gleich drei über-halbrunde (hufeisenförmige) Apsiden oder Altane mit je fünf prospectus-Öffnungen erhielt die Villa von Weilerbüsch / Fließem in der Eifel in ihrer zweiten Bauphase an ihrer Nordwest-, Südwest- und Südostecke angestückt: Oelmann (1990), 182–184; vgl. McKay (1980), 191, Abb. 172. Nicht weniger als vier jeweils dreifenstrige Apsiden schließlich zeigt der sog. Gartensaal der sog. Akademie der Hadriansvilla von Tivoli (ebd., 84 mit Abb. 57), und auch bildliche Darstellungen entsprechender Bauten existieren, wie eine Villendarstellung im Haus des Lucretius Fronto (Rostowzew [1990], 43 f.) und ein Relief im römischen Palazzo Spada (Krause [2003], 91, Abb. 138) beweisen.

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freilich von rechts nach links durchlaufenen konkav gekrümmten Belvederes, gleichfalls eine in der Villenarchitektur gängige Struktur.127 Ein Beweis, daß Pollius’ Villa über solch ein Architekturglied verfügte, ist freilich nicht zu gewinnen,128 und die aufgelisteten Blicke können sich theoretisch von ganz verschiedenen Räumen aus ergeben haben – es sei nur auf die erstaunliche geometrische Regelmäßigkeit hingewiesen, die meines Erachtens so am einfachsten zu erklären ist.129 Übrigens ergibt sich sogar eine geschickte, ansatzweise symmetrische Verteilung der Bildausschnitte: Das Kap von Misenum als ›Motiv‹ des hypothetischen Mittelfensters (Bild bzw. Fenster Nr. 3 in der obenstehenden Karte), links und rechts davon die beiden kleinen Inseln Prochyta und Nesis (Nr.  2 & 4), während der Blick durch die äußersten Fenster einmal auf die Landmasse von Ischia / Inarime fiele, einmal auf das Festland bei Neapel (Nr. 1 & 5): ein rhythmischer Wechsel von größeren und kleineren Landmassen im Bild; gleichzeitig teilt sich die Ausblicksserie auch in eine linke Hälfte, wo das offene Meer den Hintergrund bildet (Ischia, Procida), eine rechte, wo das Festland den Horizont bestimmt (Nesis, Neapel), und in der Mitte Misenum, zwar zum Festland gehörig, doch wegen seiner Lage auf einer 127 Beispiele verschiedenster Größe bietet Mielsch (1987), 54 mit Abb. 28 (Villa von Anguillara Sabazia); 54 f. mit Abb.  29 (Villa von Anzio); 68 mit Abb.  39 (Villa von Pianosa); 70–72 mit Abb. 41 und 43 (Domitiansvilla von Sabaudia: vgl. auch von Hesberg [2009], 332, Abb. 8). 128 Bergmann (1992a), 52, will freilich im archäologischen Befund tatsächlich Reste einer exedra ausmachen, doch ohne nähere Ausführungen. 129 Zugegeben: Die präliminarische Bemerkung sua cuique voluptas / atque omni pro­ prium thalamo mare, transque iacentem / Nerea diversis servit sua terra fenestris (73–75) kann dahingehend verstanden werden, daß lauter Ausblicke aus verschiedenen Zimmern aufge­listet werden, nicht solche aus einem einzigen Aussichtsraum; Gauly (2006), 456 f. und 463, scheint dieser Deutung zu folgen. Der Text zwingt allerdings nicht dazu: Erstens ist anzunehmen, daß jeder Raum, der irgendwie in passende Richtung blicken konnte, auch ein prospectus-taugliches Fenster erhielt, sich also bestimmte prospectus mehrfach aus verschiedenen Räumen boten; meine Vermutung eines ungefähr apsisartigen Ausblicksraumes widerspricht also nicht der Angabe, daß (auch) die einzelnen Räume ihre speziellen Ausblicke boten. Zweitens wäre es architektonisch gar nicht einfach, bloß lauter Einzelräume anzu­legen, deren Ausrichtung voneinander jeweils wenig mehr als zehn Grad abweicht: jedenfalls nicht in der europäischen, stark an rechten Winkeln orientierten Architekturtradition. Drittens drängt die streng von West über Nordwest nach Nord verlaufende Aufzählung dazu, ein ebenso regelmäßig organisiertes Schauen mehr oder minder von einem Punkt aus anzunehmen: Jedenfalls hätte die Auflistung derselben Landmarken, wären sie jede für sich aus einem anderen Raum und womöglich einem anderen Trakt der Villa nur möglich gewesen, nicht zur Einhaltung einer so strengen Reihenfolge veranlaßt, eher wohl sogar zu einem bunten Durcheinander, etwa: ›Hier sieht man das Kap von Misenum, dort Ischia, von hier aus den Posillipo, von da Procida‹  – eine Art der Reihung, die mit Statius’ Stil der oft rhetorisch-atemlosen, gleichsam aus dem Mund eines überforderten Betrachters gesprochenen Beschreibungen völlig vereinbar wäre, nicht im mindesten überraschen würde; doch sie erfolgt so eben nicht.

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Halbinsel von Sorrent aus betrachtet vom Meer hinterfangen, gleichsam das ›missing link‹ zwischen den ›Meerausblicken‹ links und den ›Landausblicken‹ rechts. Solche thematische Gliederung der prospectus scheint, anders als völlig freie varietas, ein erstrebenswertes Ziel der Wohnarchitektur gewesen zu sein: zumindest kann man eine entsprechende Aufzählung bei Plin. epist. 2, 17, 21 a pedibus mare, a tergo villae, a capite silvae: tot facies locorum totidem fenestris et distinguit et miscet [scil. zotheca perquam eleganter recedens] in diesem Sinn deuten.130 Zum anderen endet die Beschreibung (und das ist nun gleichsam die Ausnahme, welche die soeben aufgestellte Regel bestätigen kann) mit einer Gruppe von Punkten, die alle mehr oder minder demselben prospectus angehören: Der Tempel der Venus Euploea auf dem Hügel von Pizzofalcone, die kleine Insel ­Megaris, heute Castel del’Uovo oder dell’Ovo (wegen ihrer geringen Größe und ihrer großen Nähe zum Festland in der Karte oben nicht gezeichnet),131 und Parthenope liegen, von Pollius’ Villa aus betrachtet, praktisch in einer Flucht bzw. so eng beieinander, daß sie nicht auf verschiedene Fenster aufgeteilt wahrgenommen werden können; die Limon-Villa ist unidentifiziert, ist aber ent­ weder relativ nahe bei Parthenope / Neapel oder deutlich westlich am Posillipo, also näher bei Nisida zu suchen; einen eigenen prospectus, der keinen der anderen Punkte zugleich erfaßte, kann sie kaum gehabt haben. Es liegen also mindestens drei, vielleicht sogar vier nur gemeinsam erfaßbare Punkte vor: Hier obwaltet offenbar ein anderes Prinzip, demzufolge dem Blick auf Neapel besondere Bedeutung zukommt. Dazu paßt auch, daß nur zum letzten Punkt der Aufzählung (82–84: Parthenope) ein besonderer Raum erwähnt wird, der aus allen diaetae hervorrage, eben weil er den schnurgeraden Blick (83: derecto li­ mite) auf Neapel bzw. Parthenope (den Unterschied zwischen beiden wird man, wie meist, vernachlässigen können) ermögliche.132 Zusammengefaßt erhält man im einfachsten Fall  – kompliziertere sind in beliebiger Zahl erdenklich, ohne daß daraus etwas zu gewinnen wäre – einerseits die schon erwogene gerundete oder polygonale prospectus-Architektur mit (wahrscheinlich) fünf Öffnungen, die zum Aufzählen des Sichtbaren von links nach rechts, also in Leserichtung, 130 Vgl. Lefèvre (1977), 534. 131 Es scheint, als ob die Insel im Altertum größer und damit auch über weite Distanz besser sichtbar gewesen wäre als heute, ein angesichts der geologischen Verhältnisse (der Untergrund der Insel besteht nur aus Tuff) und des die ganze Gegend prägenden und immer wieder massiv verändernden Vulkanismus nicht überraschender Umstand: vgl. Scottus (1824), 35–37, Anm. 2. 132 Zur Geschichte des Namens Parthenope in der Literatur, die ausgerechnet mit den Epigrammen des Philodem von Gadara zu beginnen scheint, also mit einem wichtigen epikureischen Philosophen und Literaturtheoretiker, der etliche Generationen vor Statius in derselben Region wirkte, wo Pollius Felix nun als Epikureer eine Villa bewohnt, vgl. Sider (1995), 43 mit Anm. 7.

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einlud (76–80 bzw. 82), andererseits eine diaeta, die speziell den prospectus auf Neapel bot.133 In diesem Zusammenhang ist nun noch das Augenmerk noch auf die Umkehr der prospectus-Blickrichtung in 80–82 zu lenken. Man könnte mit einigem Recht den prospectus, den durch einen (Fenster)rahmen umgrenzten Ausblick auf die Landschaft, in den Rang einer ›symbolischen Form‹ der römischen Antike im Panofskyschen Sinne erheben134 – umso auffälliger ist die Umkehrung der Blickrichtung solch eines prospectus. Im allgemeinen blickt der in der Villa befindliche Mensch durch das Fenster nach draußen, d. h. metonymisch blickt die Villa mit ihren Fenstern auf die Landschaft: vgl. die erste Charakterisierung der Villa Surrentina als speculatrix in Vers 3.135 Das führt in der aktualen Landschaft dazu, daß ein Wanderer in villenreichen Regionen oder ein See­fahrer entlang einer villenbebauten Küste sich praktisch permanent angeblickt, als Gegenstand eines prospectus wähnen muß. Es führt indes auch dazu, daß sich selbst im Innenraum die Blickrichtung bisweilen umkehrt, denn Villen bilden ja auch ein mögliches Sujet für bildliche Darstellungen an den Wänden repräsentativer Räumlichkeiten (zu diesem Bildsujet vgl. u. 511) und erscheinen oft gleich zu mehreren im selben Raum. In diesem Fall wird beispielsweise der Speisende in einem triclinium aus den zahlreichen Fensteraugen der ringsum auf­ gemalten Villen beobachtet und wird selbst zum prospectus, während er einen solchen zu genießen glaubt.136 Genauer besehen wird er dies jedoch selbst dann, 133 Daß die im lateinisch-griechischen Kulturkreis übliche Leserichtung der Grund für die Reihenfolge des Aufgezählten ist, muß zugegebenermaßen Vermutung bleiben. Durch nichts im Text belegt aber ist die Ansicht von Krüger (1998), 115, diese Anordnung »sukzessiv von West nach Ost« entspreche »dem Bewegungslauf eines aus Griechenland kommenden Schiffes, das nach Einfahrt in den Golf diese Orte linkerhand passiert, bevor es in Neapel landet.« Erstens entspräche die Anordnung auch der Bewegung eines aus Gallien, Spanien oder Afrika einlaufenden Schiffes, denn der Golf bleibt stets derselbe, zweitens ist von einem Schiff im Text keine Rede – weshalb sollte die Beobachtungsinstanz, expressis verbis hinter den prospectus-Fenstern der Villa von Sorrent positioniert, sich plötzlich an Bord eines Schiffes verlagern? 134 Vgl. Panofsky (1974); die Kritik daran zusammengefaßt beispielsweise bei Büttner (2007), 201–205; wichtig auch Schneider (1995), 80 f., die richtig die bisweilen vorgetragene Ansicht zurückweist, ästhetische Landschaftswahrnehmung sei erst in der Neuzeit aufgetreten, und vor einem Rückschluß vom Auftreten von Landschaftsmalerei auf das Praktizieren landschaftlichen Sehens warnt. Zur Idee, in anderen Zeiten bzw. Kulturen nach anderen ›symbolischen Formen‹ zu suchen, vgl. Belting (2009), 16 f. und 23–36. 135 Vgl. ferner silv. 1, 3, 39–42. 136 Freilich spielt die räumliche Distanz eine Rolle, denn es macht schließlich einen Unterschied, ob ich durch mein prospectus-Fenster dem wenige Meter entfernten Nachbarn voyeuristisch zusehen (und ihm damit lästigfallen) kann, wie vice versa auch er mir, oder ob sich in vielen Kilometern Entfernung die eine oder andere Villa als weißer Punkt in der Landschaft abzeichnet. Ein Nymphäum der Domitiansvilla von Alba besaß einen Eingang, der beim Blick von drinnen nach draußen genau den Blick auf den mons Albanus und die zahlreichen villen an seinem Abhang zum Krater des Albaner Sees rahmte: »wild enough, even when a

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wenn er bloß mit den prospectus-Fenstern des Raumes, in welchem er sich befindet, konfrontiert ist. Eine solche Fensteröffnung mit ihrem Bildausschnitt ist schließlich nichts wesentlich anderes als ein gemaltes Bild mit seinem Rahmen, ein Bild aber, insbesondere ein um Nachahmung der Realität (d. h. der gewohnten menschlichen Sicht auf dieselbe)  bemühtes, ist definitionsgemäß ein materialisierter Blick, und nicht zwangsläufig einer nur in eine Richtung.137 Man denkt an ein Diktum des großen Kunstkritikers der viktorianischen Zeit, John Ruskin (1819–1900): »A room without pictures is like a face without eyes.«138 So besehen also ist der gegenläufige Blick der Verse 80–82 etwas ständig Gegebenes, das Statius nur zum Besonderen macht, indem er den Vorgang auf verschiedene Instanzen aufspaltet, quer über den Golf von Neapel hinweg.139 Freilich: Die Distanz ist groß, die Wahrnehmung eher eine theoretische Möglichkeit. Aber angesichts der dichten Verbauung der kampanischen Küste und anderer typischer Villenregionen mit herrschaftlichen Villen ist der Gedanke nicht ganz von der Hand zu weisen, daß so mancher kühn ins Land hinausstechender prospectus an der nahen Gartenmauer der Nachbarvilla ein jähes Ende fand,140 oder aber womöglich wirklich eine nachbarliche Ausblicksöffnung ungeniert und in nicht widmungsgemäßer Richtung passierte.

gleaming villa occupied every site with a fine view round the crater edge« (Purcell [1987], 195). Offenbar suchte man gar nicht den Ausblick auf absolut unberührte Wildnis, sondern setzte menschlich besiedeltes Land in Szene. 137 Vgl. Belting (2009), 23 f. und 100. 138 Lambourne (1999), 27. 139 Kenner der deutschen Literatur werden sich hier evt. an Heimito von Doderers Roman Die erleuchteten Fenster erinnert fühlen, der in raffinierter Weise mit derlei Blickrichtungen und -richtungsänderungen spielt: vgl. Klotz (2006), 102–118. Zum einen entspricht in jenem Roman die nach drei Seiten befensterte Wohnung des Amtsrates a. D. Julius Zihal funktional den prospectus-Räumen römischer Villen, und sein Versuch, die sich ihm bietenden Aus- und vor allem Einblicke in totalitärer Weise zu erfassen, ähnelt dem Feldherrnblick des antiken Villenbesitzers: vgl. die Beschreibung bei Doderer (2006), 22. Daß es sich dabei, anders als bei antiken Villen, um nächtliche prospectus mit dem Ziel von inspectus handelt, nämlich um Blicke in anderer Leute Stuben, fügt sich zunächst durchaus in die Grundkonstellation, macht allerdings deren Asymmetrie deutlich. Zum anderen aber sieht sich Amtsrat Zihal ebenso wie Pollius Felix der Gefahr ausgesetzt, durch Umkehrung der Blickrichtung und Ausgleich jener Asymmetrie nun seinerseits zum Gegenstand der Betrachtung zu werden: vgl. Doderer (2006), 74–76 (gegenseitige Beobachtung aus gegenüberliegenden Fenstern als Kampf zwischen Sehstrahlgeschützen). Auch Pollius kann nicht verhindern, daß er selbst zum Objekt der Betrachtung wird, und das ausgerechnet seitens der prospectus-Augen seiner eigenen Villa am anderen Ufer des Golfes. 140 Vgl. die an Zänkereien unter Kleingartenbesitzern gemahnende Drohung Ciceros an Clodius, er werde sein durch Clodius zwischenzeitlich demoliertes Haus auf dem Palatin so hoch wiederaufbauen, daß Clodius der Ausblick auf die Stadt genommen werde: … tol­ lam altius tectum, non ut ego te despiciam, sed tu ne aspicias urbem eam quam delere voluisti (Cic. har. 33).

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Eine nicht mit Fragen der architektonischen Gestaltung der Villa, sondern mit der Konstitution des Textes und der aus dieser resultierenden textimmanenten Deutung der Villa als Ort des lustvollen otium zusammenhängende Schwierigkeit bietet hingegen der letzte, den Gartenanlagen gewidmete Abschnitt (98–106). Ausgehend von einer Erwähnung der am felsigen Hang gezogenen Weinstöcke (98sq.) entwickelt Statius eine Art mythisches Genrebild, dessen überlieferte Form wie folgt lautet: 100 105

Saepe per autumnum iam pubescente Lyaeo conscendit sopulos noctisque occulta sub umbra palmite maturo rorantia lumina tersit Nereis et dulces rapuit de collibus uvas. Saepe et vicino sparsa est vindemia fluctu et Satyri cecidere vadis nudamque per undas Dorida montani cupierunt prendere Panes.

Es ist relativ offenkundig, daß in dieser Passage die in Pollius’ Villa geglückte Verbindung von Meer und Land / Fels personalisiert zur Begegnung zwischen weiblichen Meer- und männlichen Landwesen aus der zweiten Reihe des mythischen Personals wird – eine Art ἱερὸς γάμος (oder zumindest der Versuch dazu) in burlesker Abwandlung. Was stört, ist der schwer verständliche Vers 102.141 Faßt man lumina tersit als ›sich die Augen (aus)wischen‹, erhebt sich die Frage, weshalb sie das tun, und vor allem weshalb Statius es extra schildern sollte.142 141 Am verblüffendsten verfährt Shackleton Bailey (2003), 131, Anm. 29, mit der Stelle: Sie sei bei näherem Hinsehen unsinnig, »but I doubt if Statius gave the question a thought.« Die Erklärung Vollmers (1898), 350 (die Nereide nascht direkt mit dem Mund die Beeren vom Stock, streift dabei mit ihrer noch vom Meer nassen Wange ans Weinlaub), weisen schon Ker (1953), 3, und Håkanson (1969), 60 f., als unsinnig zurück. Kers Konjektur vimina tersit (ebd.) überzeugte bereits Håkanson (ebd.) nicht, der ein immerhin erwägenswertes munera carp­ sit vorschlägt, ohne daß aber nachfolgende Editionen wie Courtney (1990) oder eben Shackleton Bailey (2003) ihm darin gefolgt wären, wohl weil, wie Newlands (2011), 146, anmerkt, diese Formulierung den nachfolgenden Vers inhaltlich verdoppeln würde. Auch das tegmina tersit von Watt (1988), 163, wirkt unplausibel, auch wenn es vornehmlich als diagnostische Konjektur für ›Blätter‹ gedacht war. Vollends ins Abstruse gleitet die Erklärung bei Krüger (1998), 132: »Die Licht- und Aufstiegssymbolik der Portikus ist hier verkehrt: Keine Gestirne verklären die finstere Nacht (…); es leuchtet nicht das ›Licht‹ der Wahrheit, sondern es glühen die Augen-›lichter‹ der Nereide aus Gier nach den Trauben …« (mit Verweis auf Ov. met. 4, 347 flagrant quoque lumina nymphae) –Es scheint mir ebenso absurd wie unbezeugt, daß jemand, dessen Augen von heißem Verlangen ›brennen‹, zum Weinblatt greift, sie sich zu wischen, statt vor allem einmal nach dem Gegenstand des Verlangens; abgesehen davon, daß mir das Attribut rorantia für ›glühende Augen‹ nicht recht einleuchten mag. Vgl. o. III , Anm. 56. 142 Freilich sind die Augen bei einer stets im Wasser lebenden Nereide potentiell naß: so Barthius (1674), Animadv. 211. Doch weshalb sollte sie sich das Wasser erst aus den Augen wischen, wenn die Kletterei bereits vollzogen ist, und nicht gleich bei Verlassen des Wassers? Håkanson (1969), 60: »And one may perhaps also ask if a water creature, like this Nereid, is ­likely to be troubled at all by water in her eyes.«

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Da die Stelle ihrem Duktus nach einen erotischen Zwischenton haben,143 zugleich aber auf der Ebene der nicht-erotischen Handlung ebenfalls verständlich sein sollte, läge es nahe, zum Zwecke der konjekturalen Verbesserung nach einem Begriff zu suchen, der einerseits etwas bezeichnet, was die Nereide, die ja immerhin aus dem Meer kommt und außerdem beim Klettern vielleicht vom Tau der Nacht naß geworden ist, sinnvollerweise ab- oder trockenwischen kann, also prinzipiell ein beliebiger Körperteil oder (weniger wahrscheinlich, weil kaum mithilfe eines palmes abzuwischen) ein Gewandstück;144 und der andererseits eine Doppeldeutigkeit zuläßt, welche in der Fügung palmite ­maturo rorantia … tersit den palmes maturus des Weinstockes, der seit Vers 100 ja ­pubescit, metaphorisch gereift zum Phallus macht. Die Leserin bzw. der Leser sei dazu aufgerufen, nach einem passenden Begriff (den der Verfasser der vorliegenden Studie nicht zu finden vermochte) zu suchen.145 Ein anderer Versuch, den überlieferten Text doch zu halten, könnte folgendermaßen unternommen werden. Betrachtet man die oben zitierten sieben Verse, zeigt sich eine Abfolge zweier je in drei Schritte gegliederter Handlungen, die miteinander korrespondieren, wie das anaphorische saepe (100 und

143 So auch Krüger (1998), 129 f., wenn auch mit fragwürdigen Schlußfolgerungen: Die »sexbesessenen Naturdämonen scheinen also Allegorien zu sein für lasterhafte Menschen, die im Jenseits ihr unseliges Leben weitertreiben.« (ebd., 133) – zweifellos hat Statius die Traubenraubszene deshalb im Tonfall eines heiter-leichten Schlußbildes und ohne Adversativ­ verbindung ans Ende der Villenbeschreibung gestellt. 144 Derlei sonderbare Abwischvorgänge kommen vor, etwa Stat. Theb. 6, 7 pulvereumque fera crinem detersit oliva, worauf van Dam (1984), 255, hinweist. 145 Man könnte, paläographisch immerhin vorstellbar, an femina ›Schenkel‹ denken: Einerseits würde die Nereide sich dann die Schenkel trocknen, die recht gut beim Gehen bzw. Klettern vom Tau benetzt worden sein können (oder vom Meer her noch naß sind), den ­palmes also wie ein Handtuch gebrauchen. Andererseits erhielte man eine dezente Andeutung des sexuellen Genusses, den die Begriffe palmes maturus und pubescente Lyaeo auch ohne absichtlich ›schlüpfrige‹ Interpretation der Stelle dem Leser nahelegen. Die motivische Engführung von fruchttragender, reifer Pflanze und sexueller Potenz bedarf dabei keines Beweises, man kann den Bogen von Vulg. cant. 2, 3sq.: Sicut malum inter ligna silvarum, sic dilectus meus inter filios; sub umbra illius, quam desideraveram, sedi, et fructus eius ­dulcis gutturi meo bis zu Nemesians dritter Ekloge spannen, wo in breiter Darstellung das Heranwachsen des Lyaeus zur Geschlechtsreife und das Reifen der Weintrauben übereinandergeblendet erscheinen (Nemes. ecl. 3, 35–40). Diese Symbolik könnte übrigens auch erklären, weshalb bei Statius die Nymphe just eine fruchttragende Weinranke zum Abwischen gebraucht (ob der Augen oder welches Körperteils auch sonst, ist gleichgültig) anstelle eines Zweiges, der nur Blätter trägt, woran sich schon Ker (1953), 3, stieß: Für die erotische Bedeutungsebene mußte es sich jedenfalls um einen palmes maturus handeln, auf der anderen stören die baumelnden Trauben zwar ein wenig, geraten in der Fügung palmes maturus aber nur indirekt, d. h. nicht allzu stark fokussiert, ins Bild – Begriffe wie uva oder baca fallen ja immerhin nicht.

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104) nahelegt: (1a) Nereide steigt hinauf; (1b) palmite maturo rorantia lumina tersit; (1c)  Nereide raubt Trauben.  – (2a)  Meerwasser bespritzt die Trauben (im Kontext der Weinlese, falls vindemia nicht rein metonymisch gebraucht ist); (2b) Satyrn fallen herab; (2c) Satyrn versuchen die Nereide Doris zu fangen. Es ist offenkundig, daß (1a) und (2b) einander pendantartig entsprechen: ›Meerwesen‹ steigt hinauf – ›Weinwesen‹ fällt herab. Ebenso können (1c) und (2c) als Gegenstücke zueinander aufgefaßt werden, wenn dem rapere der Trauben der Versuch der Satyrn entspricht, ihrerseits die Nereide zu fassen (rapere liegt als Begriff auch hier nahe). Bei alledem verschwimmen die metonymischen Funktionen von Nereide / Meer / Wasser und Satyrn / Wein / Trauben ineinander. Übrig bleibt (2a), dem nach meiner versuchsweisen Rechnung chiastisch das unklare (1b) entsprechen sollte. Nun ist das Bespritzen reifer Trauben mit Salzwasser (2a) sicherlich kein der Qualität des Weines zuträglicher Vorgang, eher eine Art nachbarschaftliche Stichelei seitens des Meeres, die entsprechende Reaktionen seitens der Satyrn auslöst. Demzufolge müßte hinter noctisque oc­ culta sub umbra / palmite maturo rorantia lumina tersit (1b) sich umgekehrt ein für die Nereide unangenehmer Vorgang verbergen, der sie indes nicht daran hindert (vielleicht sogar dazu anfeuert), Trauben zu stehlen. Was spricht gegen die Annahme, der Nereide geriete beim nächtlichen Hinaufklettern im Weinberg ein palmes in die Augen, die dadurch zu tränen beginnen (roran­ tia als ὕστερον πρότερον, palmite maturo als Abl. causae zu rorantia)? Man müßte tersit als Reaktion auf solch einen unintentionellen Vorgang auffassen, was nicht undenkbar ist. Immerhin ermöglicht es diese Interpretation, wenn auch nicht über jeden Zweifel erhaben, den überlieferten Text an dieser Stelle zu halten. Übrigens hat die in jedem Fall erotisch durchzogene Passage die Funktion, die gesamte Beschreibung in einer Art von heiterer Mythisierung ausklingen zu lassen, ganz ähnlich dem nächtlichen Bad des Anien in silv. 1, 3, 70–74, und ähnlich auch dem nächtlichen Herabsteigen der verstirnten Flavier in silv. 1, 1, 94–98. Offenbar handelt es sich um eine Form des Ausklingenlassens, von der Statius öfters Gebrauch macht, und zwar jedesmal am Schluß eines beschreibenden Hauptteils und unmittelbar vor der Hinwendung zum Adressaten, an den in allen drei Gedichten die Schlußpassage gerichtet ist. Zwischenbilanz: Was ist nun von der Villenbeschreibung in silv. 2, 2 zu halten? Daß sie nicht die Absicht verfolgt, den Rezipienten eine präzise ›archäologische‹ Beschreibung zu bieten und solcherart die Anfertigung eines Grundrisses zu ermöglichen, liegt auf der Hand; abgesehen davon, daß ein solches Unterfangen bei einem so ausgedehnten und wahrscheinlich asymmetrischen, komplexen Bauwerk wie einer großen villa maritima an sich ein Ding der Unmöglichkeit wäre, erst recht im Rahmen der Dichtung – selbst die Villenbriefe des jüngeren Plinius schaffen, obgleich sie ungleich mehr und genauere Details auflisten, das Kunststück nicht, verbales Äquivalent auch nur zum einfachsten

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Grundriß zu sein.146 Gerade der Vergleich mit den zeitlich nahestehenden Pliniusbriefen aber zeigt, wo Statius’ Schwerpunkte offenbar liegen, und welcher Mechanismen er sich im Zuge der Beschreibung bedient: 1) Die Beschreibung folgt in ihrem Gesamtduktus dem einfachen Prinzip einer sich linear, d. h. ohne Auslassungen (›Sprünge‹) oder Vertauschung von Teilstrecken in der erzählten Reihenfolge, bewegenden Wahrnehmungsinstanz, die sich in die Abschnitte (a) Beschreibung der allgemeinen Lage und An­ näherung an das Gebäude von außen – (b) Eintritt – (c) Durchschreiten des Inneren  – (d)  Verlassen des Gebäudes gliedern läßt. Diese Abfolge ist für Hausbeschreibungen im weitesten Sinn nahezu obligatorisch und kommt auch in der antiken Literatur regelmäßig zur Anwendung, sooft das um­ fassende Bild eines Hauses oder Palastes gezeichnet werden soll.147 2) Nach dem Betreten der Villa weicht Statius’ Beschreibung von der Konvention freilich insofern ab, als er an die Stelle des eigentlich zu erwartenden Ganges durch das Gebäude mit sprachlicher Markierung der Abfolge der Räume und fallweiser Bifurkationen des Weges eine thematische Gruppierung einzelner besonders hervorzuhebender Sehenswürdigkeiten der Villa von Sorrent setzt: (a)  die Innenausstattung mit Statuen und Gemälden (­ 63–72), (b) die prospectus (72–84), (c) die farbigen Steine (Buntmarmore) der Wandverkleidungen und der Bauplastik (84–97), schließlich (d) die Gartenanlagen (98–106). Anders als beispielsweise der jüngere Plinius in seinen Villenbriefen verweist Statius also für das allgemeine Inventar der Villa, sowohl was die vorkommenden Raumtypen als auch was deren Ausstattung betrifft, per Leerstelle auf die gemäß dem Erfahrungshorizont des Lesers in Text zu erwartenden typischen, ›normalen‹ Elemente einer villa maritima. Fragen, die dem modernen Bauforscher durchaus wesentlich erscheinen, bleiben dadurch unbeantwortet: Ob beispielsweise die Villa des Pollius Felix ein traditionelles Atrium aufwies oder ob sie zugunsten eines zentralen Peristyls oder auch eines völlig freien Arrangements ihrer Baulichkeiten darauf verzichtete, ist dem Text nicht zu entnehmen. 3) Eine vorsichtige Schlußfolgerung scheint indes möglich: Aus der Nicht­ erwähnung eines Atriums kann, wie einleitend dargelegt (vgl. o. 21–24), nicht der Schluß gezogen werden, die ›Villa im Text‹ habe ein solches Bauglied nicht  – einer solchen Erhebung des argumentum  e silentio zur logischen Regel zufolge hätte die Villa auch ebensowenig ein Triclinium, was sie zu einem völlig bizarren Stück Architektur machte. Vielmehr ist daraus zu 146 Lefèvre (1977), 532, weist freilich mit Recht darauf hin, daß dies auch gar nicht in der Absicht der Texte bzw. ihrer Verfasser lag, denn um die prospectus-Möglichkeiten der einzelnen Räume, nicht um deren grundrißhafte Organisation drehen sich die Beschreibungen vornehmlich; vgl. auch Stahl (2008), 211 f. 147 Vgl. u. 494.

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schließen, daß diese Elemente, und ebenso alle übrigen zum Normalbestand einer villa maritima gehörigen, doch im Gedicht nicht hervorgehobenen, in der aktualen Villa, welche der Villa im Text entspricht, in einer Weise gestaltet waren, die sie nicht per se zu erwähnenswerten Objekten machte. Die bunten Steinverkleidungen, die Statuen und Portraitbüsten, die prospectus gehören ohne jeden Zweifel in Räume wie atrium, triclinia oder diverse oeci, doch scheinen diese Räume, von besagten Einzelelementen abgesehen, nicht ›der Rede wert‹ gewesen zu sein. Nimmt man nun an, daß Statius’ Gedicht nicht bloß ein Impromptu über diejenigen Punkte darstellt, die den physischen Dichter bei seinem Sorrentbesuch zufällig am nachhaltigsten beeindruckt hatten, sondern daß dieses Gedicht in seinem sozialen Kontext, im Rahmen einer sich (auch) durch Literatur selbst bestätigenden und ihrer selbst vergewissernden Gesellschaft und im Rahmen des durch reziproken Austausch sinnvoller Gaben geprägten Patronagesystems wahrscheinlich weitestgehend im Einklang damit steht, wie Pollius Felix seine Villa gesehen und gewürdigt wissen wollte,148 dann kann man aus dem Text ein ›Profil‹ dessen erstellen, was an dieser Villa auffiel und was nicht – ein hypothetisches Profil, ebenso hypothetisch wie unendlich viele denkbare andere, doch diesen gegenüber ausgezeichnet dadurch, daß es den Text nicht gegen sich hat. Mit einiger Vorsicht kann also vermutet werden, daß die Villa Surrentina als Bauwerk, vereinfacht gesagt in ihrem Grundriß, unambitioniert, konventionell, unauffällig war; nur die am Gedichtbeginn so groß herausgestrichenen por­ ticus-Rampen oder -stiegen zwischen Strand und Eingangsgeschoß der Villa stachen offenkundig hervor, vielleicht nicht durch ihre bloße Existenz, denn auch andere villae maritimae verfügten über solche Verbindungsgänge, eventuell aber durch die Qualität ihrer Architektur (urbis opus). Extravagant erschienen hingegen die oben aufgelisteten Elemente: zumindest scheint es Pollius Felix nicht gestört zu haben, daß an seiner Villa gerade die skulpturale Ausstattung, die prospectus etc. gepriesen wurden. 4) Wichtig ist in diesem Zusammenhang noch die Beobachtung, daß der Text, wenngleich er keine zusammenhängende ›Führung‹ durch das Gebäude, keinen Überblick über seine Anlage gibt, dennoch auch nach dem virtuellen Betreten der Villa an dem skizzierten Schema von Annäherung, Eintreten, Durchschreiten und Verlassen festhält, gehören doch die Punkte (a) bis (c) der obigen Auflistung ausschließlich dem Gebäudeinneren an, während (d), der Weingarten, expressis verbis dem Draußen angehört. Seine Beschrei 148 Myers (2000), 125 f. Doch vgl. auch Fürst (1997), 422 f.: Gerade die zentralen Element des Patronagesystems, der Schutz durch den patronus, den der cliens genießt, und die darauf begründete Loyalität des cliens, definieren nach Epikur den wahren Freundschaftsbegriff, und als Freunde, nie als patroni, spricht Statius Widmungsträger seiner Gedichte wie Pollius Felix an.

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bung signalisiert, daß die Beobachtungsinstanz das Haus wieder verlassen hat: womit denn auch das Ende der ekphrastischen Passage erreicht ist. Zu jedem Zeitpunkt also (wenn man im Rahmen dieser ja nur anfänglich andeutungsweise in Narration aufgelösten Beschreibung doch einen zeitlichen Verlauf erkennen will, zumindest auf der Grundlage der Erzählzeit) ist klar, ob der Beobachter im Text und mit ihm der Leser sich drinnen oder draußen befinden – die grundlegendste Kategorie jeder Räumlichkeit bleibt also in konsequenter Weise gewahrt.

e) Exkurs: Der Hercules Surrentinus Polli Felicis (silv. 3, 1) Als einmaliger Fall innerhalb der Silvae existiert zur Villa Surrentina ein Pendantgedicht, das heißt ein zweites, mehr oder minder dieselben Baulichkeiten beschreibendes Gedicht, das sich als im Abstand etwa eines Jahres nach silv. 2, 2 entstanden deklariert. Dabei ist die tatsächliche Zeit der Abfassung, zu der bereits übergenaue Spekulationen angestellt wurden,149 nicht von Belang: nur die relative Chronologie, in welche die beiden Texte sich stellen, wird man mit einiger Sicherheit auch für ihre Entstehung und Erstpublikation (d. h. ihre wie auch immer geartete Überreichung an Pollius Felix) gelten lassen können, weil kein rechter Grund ersichtlich ist, weshalb der Autor sein Publikum, und allen voran Pollius Felix, durch falsche Angaben hätte irritieren sollen. Dieser zeitliche Abstand, aus dem auch in Kombination mit den wahrscheinlichen Erscheinungs­ daten der ersten drei Silvaebücher (vgl. o. 43–48) nicht der geringste Anhaltspunkt für eine absolute Datierung der beiden Gedichte zu gewinnen ist, bildet zugleich das Grundthema des Hercules Surrentinus: Vordergründig als von epischen Motiven strotzende150 Festouverture zur Einweihung eines binnen Jahresfrist errichteten Herkulestempels auf dem Areal der Polliusvilla komponiert, thematisiert der Text vor allem eines, die Veränderung eines bestimmten Raumes im Verlaufe der Zeit. Dieser Gedanke liegt Statius auch sonst nicht fern: Schon der Equus maximus (silv. 1, 1) operiert mit einer zeitlichen Dimension, wenn er den historisch gewachsenen Bau- und Heiligtumsbestand der Forums­ umgebung durch die Errichtung des Reitermonuments seine Vollendung finden läßt, und ganz deutlich weist die Via Domitiana (silv. 4, 3) auf die Diskrepanz zwischen dem früheren und dem neuen Zustand derselben Örtlichkeiten hin (vgl. besonders silv. 4, 3, 27–39): gerade im Bewirken solcher Veränderungen – zum Besseren, versteht sich – besteht ja eine wesentliche Komponente von Domitians gepriesenem herrscherlichen Wirken. In ähnlicher Weise zieht auch 149 Vgl. o. III , Anm. 66; ferner vgl. Laguna (1992), 122. 150 Vgl. van Dam (2006), 203 f.; höchst anregend zur poetologischen Seite des Gedichtes Newlands (1991). Eine Inhaltsübersicht mit Einteilungsschema gibt Laguna (1992), 117–120.

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die Villa Surrentina (silv. 2, 2, 52–62) einen Vergleich zwischen dem Zustand der Landschaft vor Errichtung der Villa und dem aktuellen, durch ihren Bau veränderten, der sich teils durch gewaltsames Bezwingen widerspenstigen Terrains (56: domuit possessor), teils durch das Entgegenkommen der Natur, deren ingenium zur Veredelung durch den Villenbau geradezu drängte (53: docilis), ergeben hat.151 Doch daß die in einem ekphrastischen Gedicht als aktuell – und selbstverständlich ideal  – gezeichneten Verhältnisse in einem nachfolgenden Gedicht verändert und, nochmals verbessert, neu gezeichnet werden, begegnet sonst nicht. Es scheint dem Autor auch daran gelegen zu sein, diese Besonderheit gebührend herauszustreichen, denn nicht bloß dreht der Hercules Surrentinus selbst sich mindestens ebensosehr um das Phänomen ›Zeit‹ wie um den beschriebenen Raum, sondern auch die Stellung des Gedichtes innerhalb der Sammlung ist dazu geeignet, gleichsam den Finger auf diese Komponente zu legen: Die zwischen silv. 2, 2 und 3, 1 liegende Buchgrenze, nicht unähnlich der Aktgrenze eines Bühnendramas, hat offenbar die Aufgabe, die zeitliche Diskrepanz im Verlauf der Sammlung zu markieren, während die Stellung des Herkulesgedichtes gleich zu Beginn des dritten Buches (das insgesamt Pollius Felix gewidmet ist) dazu geeignet ist, die im Gedicht beschriebene Raschheit des Tempelbaus zu unterstreichen – kaum ist ein Jahr vergangen, schon steht der fertige Tempel am Strand. Der Effekt wäre jedenfalls geringer ausgefallen, wäre der Hercules Surrentinus an einen späteren Platz im dritten Buch verschoben worden. Immer weiter fortschreitende Verbesserung durch bauliche Maßnahmen, beeindruckende Geschwindigkeit dieser Vorgänge: Auch hier greift man die positive Haltung des Statius (jedenfalls des Autors im Text, doch weshalb sollte sie sich grundlegend von der des physischen Autors unterscheiden?) gegenüber dem technischen Fortschritt und der – sozusagen – Rasanz der Zeit, in der er lebt; und sie wirkt sich sogar auf das Arrangement der Silvae aus. Der Inhalt von silv.  3, 1 ist rasch wiederzugeben. Ein Prooemium legt das Thema (Einweihung von Pollius’ neuerrichtetem Herkulestempel) und die Sprechhaltung (an Herkules gerichtet) fest (1–7), und ein erstes Raisonnement über den rasch zur Vollendung gelangten Bau und die Veränderung, welche diese Architektur für den bis dahin ›naturbelassenen‹ Platz mit sich brachte, legt den Ort der Sprech- und Wahrnehmungsinstanz vage auf die nächste Umgebung des Tempels fest, jedenfalls insoferne die Schilderung nur die Existenz des Tempels als solche sowie seine äußere Erscheinung behandelt (8–22).152 Es folgt (23–48) eine Epiphaniebitte, genauer die Aufforderung an den Gott, seine 151 Eine hervorragende Diskussion dieser speziellen Facette an Statius’ ekphrastischer Technik bietet Heinen (2013). 152 Zu den literarischen Traditionen, auf welche der Beginn von silv. 3, 1 repliziert, vgl. Myers (2000), 135.

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neue Wohnstatt zu beziehen: Huc ades et genium templis nascentibus infer. Dieses infer führt geschickt ins Innere des Tempels, den man sich zwar nicht allzugroß zu denken haben wird (archäologisch erfaßte Spuren scheinen bis dato völlig zu fehlen, was bei einer Lage in Ufernähe freilich nicht verwundert; auch ist an die Möglichkeit einer Überbauung durch das heutige Hafendorf westlich der Punta della Calcarella, Marina di Puolo, zu denken),153 der aber als felix simplexque domus fraudumque malarum / inscia et hospitibus superis dignis­ sima sedes erscheint: ein Kompliment an die moralischen Qualitäten des Pollius Felix, dessen Villa damit zu etwas wie einem modernen Äquivalent zur Hütte des Philemon und der Baucis stilisiert wird. Entsprechend dem ins Tempel­ innere verlagerten Standpunkt können nun auch ein mit Akanthusranken besticktes pulvinar und ein elfenbeingeschmückter torus Erwähnung finden, dazu ergänzende Angaben wie die jährliche Abhaltung kleiner sportlicher Wettkämpfe (durch Pollius anläßlich des Tempelneubaus gestiftet?) und die Einsetzung des noch in zartem Alter stehenden Polliusenkels, dem in Vers 47sq. eine für Statius typische Kleinkind-Genresezene gewidmet ist,154 als Herkulespriester. Beides bringt erneut das Element der Zeit aufs Tapet: Die Wettkämpfe perpetuieren mit ihrem Rhythmus (45: annua … certamina) vielleicht nicht zufällig die Jahresfrist der Erbauung des Tempels, und der noch kindliche Priester weist einerseits auf die Veränderungen des Laufs der Zeit hin, schließlich ist ihm zu wünschen, daß er erwachsen wird und des weiteren ein langes Leben vor sich hat, durch seine Stellung als Enkel des Pollius aber andererseits auf das (im Idealfall ewige) Fortbestehen der Familie am Ort. Die Verse 49–51 bieten ein humorvolles, dem zuvor angeschlagenen jovialen Tonfall Herkules gegenüber entsprechendes Binnenprooemium, das zugleich einen starken Wechsel der Sprechhaltung markiert. Aus der bisherigen Ansprache an den Gott wird für etwa hundert Verse eine Narration, die Erzählung der Vorgeschichte durch den Sprecher, der wiederum als Sprachrohr der Calliope fungiert. Die Narration beginnt bezeichnenderweise mit den Worten Tempus erat … (52), also dem zeitlichen Äquivalent zum geläufigen Est-locusTopos; und da der Sprecher, also der Statius im Text, sich selbst als Teilnehmer 153 Bei aller literarischer Überhöhung braucht der neue Tempel nicht mehr als die Größe beispielsweise eines modernen Zimmers gehabt zu haben, während sein Vorgängerbau gerade groß genug war, daß sich einige (wenige) Personen bei Regen mehr schlecht als recht in ihn flüchten konnten: etwa in der Art der 1885 nahe S. Martino ai Monti in Rom gefundenen und gleich darauf demolierten Fortuna-›Kapelle‹, deren Inneres nur etwa einen Quadrat­ meter Platz zuzüglich einer apsidalen Nische mit dem Kultbild bot: vgl. Vermeule (1967), 190 f. Solch einem kleinen Heiligtum gegenüber konnte selbst ein sehr moderat ausgefallener Tempel, der auch nur entsprechend geringfügige archäologische Spuren hinterlassen zu haben braucht, bereits als großartige Steigerung erscheinen; vgl. die Auflistung der einander gegenübergestellten Merkmale des alten und des neuen Tempels bei Laguna (1992), 129 ad v. 3.  154 Vgl. etwas die kindlichen Genreszenen in Stat. Theb. 4, 793–803 und 5, 499–504, oder auch silv. 3, 1, 47sq.

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an den nun zu schildernden ein Jahr zurückliegenden Ereignissen zeichnet (bes. 61–67), spannt sich von hier sammlungsimmanent der Bogen zurück zu silv. 2, 2: Gleichgültig, ob diese Angaben historisch besehen genau zutreffen, kann der Leser guten Gewissens annehmen, daß der textimmanente Statius jene Ereignisse im Rahmen des in silv. 2, 2 verewigten Besuchs erlebt hat. Jedenfalls kam es, so die Erzählung, zu einem heftigen hochsommerlichen Gewitterguß, als die Ichinstanz, Pollius und eine Anzahl von Begleitern und Dienern gerade ein Picknick unter Bäumen am Strand veranstalteten (68–81). Man flüchtete sich, obgleich die in silv. 2, 2 so hervorgehobenen porticus eigentlich einen trockenen Fluchtweg vom Meer hinauf zur Villa hätten ermöglichen können (vielleicht mündeten sie just an der falschen Stelle, d. h. eben nicht in der Umgebung des Herkulesheiligtums? Vers 80sq. könnte darauf hindeuten), in das nahegelegene Herkulesheiligtum, damals noch ein unscheinbarer, beengter Bau, der gar nicht alle Beteiligten zu fassen vermochte (88): der Gott selbst genierte sich für dieses Offenbarwerden seiner unangemessenen Behausung (89) und umarmte Pollius (90),155 ihn zugleich zum Bau eines würdigeren Tempels auffordernd. Diese Aufforderung durch den Gott (91–116),156 das Herzstück und einigermaßen auch die numerische Mitte des Textes, breitet Pollius’ bisherige bau­liche Leistungen in Sorrent aus, repetiert in kurzgefaßter Form also das in silv.  2, 2 schon Beschriebene: fastigia (93: Gebäude), virides lucos (94: Grünanlagen), saxa imitantia vultus aeraque (94sq.: Statuen aus Marmor und Bronze), schließlich scripto viventes lumine ceras (95: Gemälde in Enkaustiktechnik: vgl. silv. 2, 2, 63).157 Auch die Veredelung des Baugrundes durch den Bauvorgang erscheint gegenüber der Villa Surrentina kurz zusammengefaßt (96sq.), wobei wiederum die durch porticus überdachten Wege (97–100) besonders hervorgehoben werden, schließlich die Thermen am Meer (100sq.) als dezidierter Abschluß der Auflistung (102: vix opera enumerem). Diese hält gegenüber silv. 2, 2 bei gleich 155 Man könnte heitere Spekulationen darüber anstellen, wie die vor dem Gewitter flüchtende Gesellschaft sich in den viel zu kleinen Herkulesschrein drängte, bis Pollius, dem man ja wohl den Vortritt gelassen hatte, im Innersten des Gebäudes praktisch gegen das Kultbild gedrückt und solcherart von ihm ›umarmt‹ wurde: Statius’ verspielter Genremalerei, die er in der gesamten Erzählung ausbreitet, wäre solch augenzwinkernde Andeutung durchaus zuzutrauen. Doch sei beispielsweise auf den sicherlich nicht burlesken Schluß des Equus maxi­ mus verwiesen, wo die verstorbenen Verwandten Domitians nächtens vom Himmel herabsteigen und ihn umarmen und küssen (silv. 1, 1, 94–98): Offenbar ist Statius allgemein bereit, transzendentale Vorgänge sehr weitgehend in die Begrifflichkeit zwischenmenschlicher, auch körperlicher, Interaktion zu übersetzen: vgl. z. B. Theb. 7, 193sq. Völlig verkehrt Krüger (1998), 203, der hier allen Ernstes an eine Umstilisierung des Herkules zum effeminatus und an Geschlechtsverkehr zwischen Pollius und einem ›Lustknaben‹ Herkules denkt: »seine Begegnung hätte jedem römischen Sittenmuffel peinlich sein müssen.« Vgl. auch Laguna (1992), 127, der ausdrücklich auf die humoristischen Facetten des Gedichtes hinweist. 156 Zu Gottheiten als Sprechinstanzen bei Statius vgl. Coleman (1999), bes. 73–76. 157 Zu dieser Formulierung vgl. o. 346 f.

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bleibenden Elementen genau die umgekehrte Reihenfolge ein, also, wenn man einen imaginären Gang der Betrachtungsinstanz daraus ableitet, aus den Grünanlagen (94), von denen aus man natürlich allgemein tot fastigia (93) wahrnehmen kann, durch das Innere der Villa (94sq.) und durch die porticus-Treppen oder -Rampen (97–100) hinab an den Strand (100sq.), dorthin, wo die Beobachtungsinstanz in silv. 2, 2 anfänglich gelandet war. Natürlich: Herkules’ Ansprache an Pollius ereignet sich am Strand im (alten) Schrein des Gottes, der Hausherr und seine Entourage waren, wie außer allgemeiner Plausibilität auch die Verse 68–70 nahelegen, von der Villa zum Picknick an den Strand hinabgestiegen: Die dort ausgelassene Beschreibung des dabei zurückgelegten Weges und vor allem des dabei Gesehenen holt Herkules in seiner Aretalogie des Pollius nun nach. Denn es ist ein Hymnus mit Verkehrung von Sprecher- und Adressatenrolle, den Herkules hier spricht, und passend zu den Gesetzen dieser Gattung leitet er aus der Aufzählung bisheriger Taten des Gepriesenen die Aufforderung, nun auch ihm zu helfen, ab: Auch ihm solle nun ein angemessener Tempel errichtet und dabei selbst der Umstand, daß eine Felsklippe (110–113) hinderlich im Weg stehe, nicht gescheut werden, denn Herkules selbst werde am Bau mitwirken (103–116). Es folgt eine Schilderung der Bautätigkeit (117–138), deren Eigentümlich­ keiten sich völlig im Rahmen des anderwärts schon Beobachteten bewegen: Sie ist, was die Reihenfolge der genannten Arbeitsschritte betrifft, ebenso absichtsvoll wirr wie die Schilderung des Straßenbaus in silv.  4, 3 (vgl. o. I, bei Anm.  860), und zur obligaten mythischen Überhöhung durch Vergleiche mit Zyklopen, Vulcanus und Minerva gesellt sich der selbst tätig werdende Herkules,158 dessen Auftritt sich gemeinmenschlicher Wahrnehmung dadurch entzieht, daß er im Dunkel der Nacht agiert (127) wie die göttlichen Verwandten Domitians in silv. 1, 1, 94sq., die gierige Nereide in silv. 2, 2, 100–103 oder auch Anien in silv. 1, 3, 71: diese nächtlichen und tendenziell genrehaften Auftritte göttlicher Potenzen haben an allen genannten Stellen auch schlußbildende Funktion. Nachdem der Bau solcherart in kaum einem Jahr vollendet wurde (135sq.: vix annus anhelat alter), kann er nun, durch iam (139) mit der Sprechzeit des Gedichtes synchronisiert, eingeweiht und Herkules dazu aufgefordert 158 Krüger (1998), 238, will hier einen Witz auf Kosten des Herkules sehen, der »als ein etwas altersschwacher Hilfsarbeiter« auftrete, indem er »dabei ins Schwitzen gerät und soviel Krach macht, daß der ganze Golf von Neapel davon widerhallt« (silv. 3, 1, 125–135). Doch daß der Gott insudat (126), ist vor allem ein Hinweis auf seine ebenfalls unter großen Mühen, nicht durch leichten göttlichen Wink vollbrachten zwölf Taten, denen sich nun der Tempelneubau gewissermaßen hinzugesellt: in Vers 166 wird durch die Fügung meos imitate labores ähnliches für Pollius in Anspruch genommen. Und wie sollte der ganze Golf von Neapel widerhallen, wenn man es mit einem »altersschwachen Hilfsarbeiter« zu tun hätte? Daß Herkules eine zu rabulistischem Radau neigende Figur ist, weiß man spätestens seit der Alkestis des Euripides, und in diese Topik fällt auch der vielleicht stärker als unbedingt nötige Baulärm, den er verursacht.

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werden, sein neues Quartier zu beziehen (139–162). Außer dem an silv.  2, 2, 100–103 erinnernden, weil auch diesmal zumindest partiell an Erotik interessierten Verhalten der anwohnenden Nereiden (silv. 3, 1, 144–146) ist an der Passage in räumlicher Hinsicht nur ein kurzer Katalog personifizierter Örtlich­ keiten von Interesse, welche den beim neuen Tempel veranstalteten Spielen (welche selbstverständlich die kanonischen vier hellenischen Großveranstaltungen übertreffen: 140–143) zusehen, also eine Serie umgekehrter, sternförmig auf die Villa Surrentina zulaufender statt von ihr ausgehender prospec­ tus, wie es einen schon in silv. 2, 2, 81sq. gegeben hatte. Die genannten Punkte sind: der Gaurus (147), Nesis (148), Limon mit seiner dem Pollius gehörigen Villa (149), der Tempel der Venus Euploea (149), ein Tempel der Venus Lucrina (150), Misenum (151) und Neapel (152). Abgesehen von der bei Vollmer (1898), 391 f., behandelten Frage, ob der Gaurus selbst von der Punta della Calcarella aus eigentlich gut sichtbar sei oder nicht, und der anscheinend nicht genauer vorzunehmenden Lokalisierung der Venus Lucrina,159 für die man ersatzweise die Umgebung des Lucriner Sees einsetzen wird, zeigt die Auflistung vor allem eines nicht, nämlich keine durchgehend geordnete Abfolge: Zwar ergeben Gaurus – Nesis – Limon (?) – Venus Euploea mehr oder minder eine von West nach Ost fortschreitende Reihe (wobei Gaurus und Nesis eigentlich in einer Linie peilen), der Lucriner See und Misenum aber bedeuten einen Sprung zurück nach Westen, Neapel abschließend wiederum einen nach Osten. Im Vergleich zur prospectus-Liste von silv. 2, 2 fehlen also nicht bloß die Inseln Ischia und Procida, was immerhin noch auf die mangels archäologischen Nachweises der Örtlichkeit nicht genau definierbaren Sichtverhältnisse im Bereich der palae­ stra zugeschnitten sein mag, sondern auch die Abfolge wirkt beliebig, mit den auch durch wortreichere Formulierungen hervorgehobenen Punkten Misenum und Neapel am Ende eher dem rhetorischen Gesetz der Klimax verpflichtet als besonderer Rücksichtnahme auf die Geographie. Umso weniger wird man im Vergleich die Reihenfolge der prospectus in silv. 2, 2 für Zufall nehmen wollen. Es zeigt sich also: Der Hercules Surrentinus greift in allem, was er über die Örtlichkeit aussagt, auf das in silv. 2, 2 Ausgebreitete zurück, fügt außer dem Herkulestempel selbst nichts Neues hinzu, bemüht sich aber, das schon einmal Geschilderte wenigstens in der Disposition zu variieren, einmal durch genaue Umkehr der Reihenfolge, einmal durch nahezu beliebige Permutation bei gleichzeitiger leichter Variation: diesem Umstand verdanken wohl Gaurus und Venus Euploea ihr Erscheinen, Megaris und die freilich mit Parthenope notorisch gleichgesetzte Neapolis ihr Verschwinden im Vergleich der beiden pro­ spectus-Listen. Der Leser darf also einerseits ständig mit schon Bekanntem operieren, ist in der Villa Surrentina seit der Lektüre von silv.  2, 2 ja auch 159 Beloch (1964), 178, lokalisiert das Heiligtum im Bereich der Punta Epitaffio; vgl. Vollmer (1898), 392; neuere Erkenntnisse scheinen keine vorzuliegen.

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gewissermaßen zu Hause, wird aber gerade dadurch permanent an die eine große Veränderung seit jenem ersten Besuch gemahnt, den neuen Tempel. Passend dazu artikuliert sich in der Schlußpassage des Gedichtes denn auch der Gott selbst, dem die bisherige Sprechinstanz dazu in 163–165 ähnlich dem Sprecherwechsel von silv. 4, 3, 114–123 das Wort erteilt: Hercules faßt nochmals die Meliorisation des Ortes zusammen, welche der Tempelbau und überhaupt die architektonischen Leistungen des Pollius bedeuteten, und belohnt ihn dafür, indem er verspricht, die Fäden der Parzen zu Pollius’ und seiner Familie Gunsten langzuziehen, der Familie glückliche und fruchtbare Zukunft zu sichern und schließlich dem Tempel selbst Ewigkeit zu verleihen. Eine kühne, doch nachvollziehbare symmetrische Entsprechung: Pollius hat innerhalb kurzer Zeit den Raum verbessert – Herkules wird für diesen Raum bzw. sein Personal, die Familie des Pollius, die Zeit verbessern.160 Damit zeigt sich erneut, daß silv. 3, 1 entgegen seinem Titel, den man zunächst räumlich-konkret allein auf das Bauwerk des Tempels zu beziehen geneigt ist, nur in zweiter Linie den Raum, in erster Linie aber das Phänomen Zeit in den Blick nimmt: Der Raum ist der schon in silv. 2, 2 beschriebene, seine punktuelle Veränderung und Verbesserung aber der Ausganspunkt dafür, ihn mit der Dimension der Zeit zu verknüpfen: Ein Jahr liegt zwischen beiden Gedichten, derselbe Zeitraum sah die Errichtung des Tempels; die Wettkämpfe auf der palaestra werden künftighin im Jahres­abstand das vorgefallene Ereignis perpetuieren; und die Gegengabe des Gottes für den ihm geweihten Raum besteht in Zeit. Es wäre nicht uninteressant, eine Unter­ suchung zum Verhältnis von Raum und Zeit als Ausrdruck des Verhältnisses von Menschen und Göttern – denn beides hängt offenkundig zusammen – bei Statius und allgemein in der römischen Literatur anzustellen, doch der Rahmen der vorliegenden Studie würde dadurch gesprengt. Es bleibt festzuhalten, daß silv. 3, 1 zu den Fragen der Räumlichkeit von silv. 2, 2 wenig bis nichts Neues beiträgt, sondern wesentlich dazu dient, dem Raum Veränderlichkeit und damit Zeitlichkeit zu geben: Womit auch klar wird, weshalb eigentlich dieses zweite Gedicht in die Sammlung aufgenommen wurde – mit einem Gedicht allein, jedenfalls einem in der Art der übrigen Silvae-Stücke mit ihrer Gebundenheit an bestimmte Momente, wäre dieses Ziel nur schlecht zu erreichen gewesen, mag auch Zeitlichkeit, wie noch zu zeigen sein wird, schon in silv. 2, 2 eine gewisse Rolle spielen. In gewisser Weise bildet das Gedichtpaar 2, 2 – 3, 1 also die Ausnahme, welche die Regel der A-Narrativität der Silvae bestätigt.

160 Zur Äquivalenz von Pollius und Hercules vgl. van Dam (2006), 203–205.

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f) Pollius in seiner Villa (silv. 2, 2, 107–146)161 Ähnlich anderen vordergründig ekphrastischen Gedichten unter den Silvae, etwa die Arbor Atedi Melioris, der Equus maximus, die Via Domitiana oder auch die noch zu betrachtende Villa Tiburtina, mündet auch die Villa Surren­ tina in eine preisende Betrachtung der Person des primären Adressaten, im konkreten Fall des Hausherrn Pollius und seiner Gattin Polla.162 Diese gegen Ende in der Überlieferung beschädigte Schlußpassage muß hier nicht im einzelnen vor­geführt werden:163 Zur Rolle des otium-Begriffes in diesem Kontext sei auf Rossella Cortis Studie verwiesen,164 wesentliche Züge dieser Charakterskizze eines Villenbesitzers hat ferner Bardo Maria Gauly vor wenigen Jahren in einer höchst lesenswerten Studie dargelegt:165 Ausgehend nicht zuletzt von Pollius cognomen Felix – die Begriffe felix bzw. non … infelix erscheinen im Gedicht immerhin viermal, davon dreimal in der mit Sis felix, tellus (107) eingeleiteten Schlußpassage  – wird das Bild eines reichen, kultivierten Privatiers gezeichnet, der sich auf der Basis philosophischer Erkenntnis, speziell im Einklang mit epikureischen Maximen,166 aus dem in jüngeren Jahren durchaus betriebe 161 Grundsätzlich sei für eine umfassende Skizze der Rolle des Pollius in silv. 2, 2 (und deren Sichtweise im Text des Statius) auf Hinds (2001), 237–246, verwiesen. 162 Für meine Untersuchung ist die bemerkenswert gleichrangige Stellung, die Polla im Text neben Pollius einnimmt, von untergeordneter Bedeutung, im Kontext der epikureischen Philosophie aber, der Pollius sich zu widmen scheint, ist darauf hinzuweisen, daß es geradezu als Eigenheit des Epikureismus gilt, die Idealrolle der Frau als philosophische Partnerin ihres Mannes zu betonen: vgl. Sider (1995), 52. 163 Einzige textkritische Anmerkung: In Vers 124 ist entgegen Courtney (1990), Shackleton Bailey (2003) und Liberman (2010), 196, mit den Humanistenhandschriften wohl tenent zu lesen. Zwar kann das terent des Matritensis eventuell als lectio difficilior gelten, es ist indes trotz der scheinbaren Parallele deprendet in Vers 128 zu fragen, was eigentlich das Futurum an der fraglichen Stelle zu bedeuten habe, immerhin im Kontext einer präsentischen Zustandsschilderung: Denn seit Pollius in offenbar deutlich zurückliegenden Jahren auf seine politischen Ambitionen verzichtet hat, ziehen ihn als gegenwärtiger Zustand weder Gerichtshöfe noch Kriegstaten in ihren Bann bzw. halten ihn vom Philosophieren ab. Die paläographisch ebenso wie inhaltliche unbedenkliche Verbesserung zu tenent verdient demgegenüber Beachtung.  – Originell der Vorschlag bei Newlands (2002), 187, hinter der Verstümmelung des Textes im Bereich des Pollalobes den Reflex einer Tendenz zur Unterdrückung von Frauen in der Überlieferung lateinischer Texte zu sehen. 164 Corti (1991), bes. 199–201. 165 Gauly (2006); auf Horazrezeption in der Charakterzeichnung des Pollius weist Laguna Mariscal (2006), 253 f., hin. 166 Dieser Rückzug ins Private und die prominente Nennung des Gargettius auctor in silv. 2, 2, 113 bilden die Grundlage dafür, daß man Pollius als Epikureer betrachtet. Wie weit es sich allerdings bei ihm um einen reinen Epikureer handelte oder um einen Eklektiker, der ebensogut auch stoische Elemente in seine persönliche Philosophie und Lebensführung einbezogen haben kann – das Bild vom aufgewühlten Meer, über welches er erhaben ist, kann

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nen (lokal)politischen Leben zurückgezogen hat und nun analog zum Weisen am Beginn des zweiten Lukrezbuches in seiner stillen Villa über dem unruhigen Meer thront.167 Daß der erwähnte Rückzug aus dem öffentlichen Bereich im Fall des Pollius nicht als ostentative Distanzierung vom Kaiser gedeutet werden darf, insoferne nämlich der Text nicht das geringste tut, eine solche Deutung nahezulegen (abgesehen davon, daß es sich um Munizipialämter am Golf von ­Neapel handelte, welche Pollius ablehnte, nicht um Posten auf der Ebene der Reichsregierung), stellt Gauly ebenso richtig fest,168 wie er auch die Frage, in welcher Hinsicht Pollius im Gedicht nun felix ist, plausibel differenzierend beantwortet: einerseits ist er glücklich aufgrund seines Reichtums und seiner Familienverhältnisse, andererseits ist er felix, indem er durch den Bau der Villa und ihrer begleitenden Anlagen die Natur unterwirft (freilich eine nicht in jedem Fall unkooperative Natur) und damit, nicht ganz unähnlich dem mythischen Aufräumer unter Ungeheuern und sonstigen Störenfrieden Herkules, der aus seinem kleinen Tempelchen schon in silv. 2, 2, 23 felicia rura tuetur und in silv. 3, 1 durch einen prächtigen Neubau noch weit höher geehrt wird, kulturstiftende Funktion ausübt. Darin unterscheidet er sich zwar graduell, aber nicht prinzipiell vom Tun des römischen Kaisers, der seinerseits freilich erst den Rahmen schafft, in welchem kleinere Größen wie Pollius Felix tätig werden können.169 Wie in der neuplatonischen Hypostasenfolge verbreitet sich dem-

ebensogut epikureisch (vgl. die folgende Anm.) sein wie stoisch, und gleiches gilt beispielsweise für die Aussage, Pollius verlache aus seiner erhabenen Position normalmenschliche Freuden (132: despicis errantes humanaque gaudia rides) –, wird sich nicht feststellen lassen. 167 Lucr. 2, 1–4: Suave, mari magno turbantibus aequora ventis, /  e terra magnum alte­ rius spectare laborem: / non quia vexari quemquamst iucunda voluptas, / sed quibus ipse malis ­careas quia cernere suave est; vgl. Newlands (2002), 170 f. – Zum Topos der Villa als Ort geistiger Betätigung im Rahmen des otium vgl. Schneider (1995), 33 f.; konkret zu otium in den Silvae vgl. Corti (1991), passim. 168 Gauly (2006), 466 f. 169 Bemerkenswert, wenn auch möglicherweise etwas zu scharf argumentiert, ist der Hinweis auf eine Aussage, welche dem Katalog der Buntmarmorsorten in silv. 2, 2, 85–94 mög­ licherweise zu entnehmen ist (Gauly [2006], 465 f.): Wenn es zutrifft, daß der Handel mit den besonders wertvollen Sorten giallo antico (aus Numidien / Tunesien) und pavonazzetto (aus Phrygien) ausschließlich unter kaiserlicher Kontrolle erfolgte, dann kann vermutet werden, daß Pollius sein Steinmaterial der kaiserlichen Marmorbehörde und vor allem der persönlichen kaiserlichen Gunst verdankte. Freilich: Ob in der aktualen Welt die im späten ersten Jhdt. n. Chr. schon recht geläufige Verwendung bunter Marmorsortenfür den luxuriöseren Privatbereich wirklich in jedem Einzelfall auf eine kaiserliche Sondergenehmigung zurückging, darf bezweifelt werden – dafür waren die einschlägigen Handelsvolumina wohl doch zu groß und die Kontrollmöglichkeiten zu gering. Wie wollte man verhindern, daß gerade ein Besitzer einer Villa maritima, unter Umständen ein sehr reicher und einflußreicher Mann, sich passendes Steinmaterial aus welcher Quelle auch immer unter der Hand beschaffte (kleine, nicht staatlich betriebene Steinbrüche; liegengebliebenes Material zweiter Wahl; sekundärverwendetes Material aus älteren Bauten, erst recht im erdbebenreichen Kampa-

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zufolge kulturstifterisches Tun, ausgehend bzw. absteigend von der einen Zentralfigur, in welcher das imperium sich manifestiert: »Die felicitas des Pollius ist von der felicitas des Reiches und der Zeit nicht zu trennen. So betrachtet, ist das Glück des Pollius Felix das Glück des Untertanen.«170 Die Verbindung zwischen dem ekphrastischen und dem ›persönlichen‹ Teil des Gedichtes erfolgt dabei freilich nur über einen Umweg: Im römischen Verständnis sei Architektur eine »Metapher für Macht und Wohlfahrt des Reiches«,171 mit anderen Worten: Jede Beschreibung von Architektur führt auf dem Assoziationsweg automatisch zu einem imperialen, Staat und Gesellschaft in letztlicher Fokussierung auf das Kaisertum zur Bedeutungsebene deklarierenden Deutungsmuster; dadurch wiederum wird Pollius’ Verhalten (ersichtlich an seiner Architektur) im Gefüge der römischen Gesellschaft beleuchtet. Nun kann die Möglichkeit einer solchen Deutung nicht von der Hand gewiesen werden, doch es bleibt die Frage, ob zwischen der beschriebenen Architektur und ihrem Hausherrn wirklich nur diese Verbindung besteht. Gauly selbst rückt sie ins Zentrum, weil er von der Frage ausgeht, welches Interesse die nicht mit Pollius persönlich bekannte (oder mit ihm identische) Leserschaft eigentlich an solch einem Gedicht gehabt habe.172 Diese Frage führt naheliegenderweise auf eine Interpretation im Sinne allgemein gesellschaftsrelevanter Themen, etwa als Selbstvergewisserung und Selbstbestätigung der römischen Elite in ihrem Anspruch auf nicht bloß militärische und finanzielle, sondern insbesondere auch geistige Beherrschung des orbis terrarum. Doch ist die Frage nach dem Publikumsinteresse legitim? Schließlich stellen die Silvae, eine kleine Auswahl aus wahrscheinlich einem Meer von solchen und ähnlichen ›Gelegenheitsgedichten‹ aus der Feder des Statius, ja recht offenkundig einen literarischen ›Probeballon‹ dar (vgl. o. 43), kaum mit dem Ziel, tagesaktuelle Aussagen zu perpetuieren, sondern um Kunstwerke vor dem Untergang zu retten, die unabhängig vom vorübergehenden anlaßbezogenen Interesse ihren Wert zu zeigen vermögen. Auch der Preis des Hausherrn sollte also für den Leser der Gedichtsammlung in irgendeiner Weise von Interesse sein, selbst wenn er diesen nicht persönlich kennt. nien; schließlich die stets mögliche Korruption auch in kaiserlichen Produktionsstätten, die sicherlich so manches ›versickern‹ ließ – die Palette der Möglichkeiten ist groß) und zu Schiff direkt zu seiner Villa liefern ließ, ohne erst lange in Rom anzufragen? Doch das spielt text­ immanent keine Rolle: Durch die Verwendung dieser exklusiven Materialien wird Pollius zu einer Art römischem Kaiser im Miniaturmaßstab und nimmt gerade dadurch einen wichtigen Platz als loyaler Untertan der gehobenen Schicht ein. Zu derlei Marmorkatalogen vgl. auch Newlands (2002), 183 f. und 210. 170 Gauly (2006), 469. 171 Gauly (2006), 458 f. 172 Gauly (2006), 458, in Auseinandersetzung mit Damon (2002), Zeiner (2005) und Newlands (2002).

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Demzufolge müßte der Text der Villa Surrentina, um nicht in zwei Hälften zu zerfallen (und im Sinne des allgemeinen Drangs eines Kunstwerks, unitarisch interpretiert zu werden, wird man das zu vermeinden trachten), auch eine intrinsische Verbindung zwischen Villenbeschreibung und Preis des Hausherrn aufweisen, nicht bloß eine über den Umweg der Rombedeutung, und auch Gauly weist en passant darauf hin:173 Das Gedicht zieht ja expressis verbis Parallelen zwischen Architektur und Hausherrn, den man sich auch als Bauherrn zu denken hat.174 So liegt das anderwärts aufgewühlte Meer an der Landungsstelle selbst ruhig da und imitiert damit Pollius’ Charakter (silv. 2, 2, 28sq.: nul­ loque tumultu / stagna modesta iacent dominique imitantia mores; vgl. auch 9 placidi … Polli mit 13 placido … recessu);175 dieser hat sich nach früheren Irrungen in den Hafen philosophischer Lebensführung gerettet, während andere, zu denen sich auch die Sprechinstanz des Textes selbst rechnet, noch den Stürmen ausgesetzt sind (138–142), und blickt von der stolzen Burg seines Geistes auf die Wirrnis unphilosophischer Existenzen hinab (131sq.: celsa tu mentis ab arce /  despicis errantes humanaque gaudia rides). Das Bild wird sogar noch eine Stufe weiter verfolgt, denn nicht nur ist Pollius (gemeinsam mit Polla)  auf seinem Felsen in Sicherheit, sondern sein fortwährendes Tun verbreitet geradezu den ἀταραξία- oder γαλήνη-Zustand, den er selbst genießt, auf seine Umgebung: Wenn er selbst künstlerisch tätig wird (112), d. h. wenn er epikureische Texte liest und wohl auch selbst schreibt (113), oder wenn er Dichtungen verfaßt, Elegien oder Jamben (114sq.), dann kommen selbst die Sirenen und Minerva, also die beiden in den ersten Versen des Gedichtes als geographische Markierungen genannten göttlichen Potenzen, gleichsam seine Nachbarn links und rechts, zuhörend herbei: Der Wind und das Meer werden ruhig (118sq.: tunc rapidi ponunt flatus, maria ipsa vetantur / obstrepere), und es breitet sich die nicht von ungefähr an die kaiserzeitliche Sarkophagplastik erinnernde Heiterkeit spielender Delphine aus. Kurz zusammengefaßt: Der Bezwingung der Natur durch den Bau der Villa entspricht per analogiam die Bezwingung seiner selbst durch weise Lebensführung, der celsa arx des philosophischen Geistes die Villa über dem Meer.176 Dieser Analogie ist auch eine leichte Diskrepanz zuzuschreiben, welche den Text an mehreren Stellen durchzieht. Auf der Ebene der Architekturbeschreibung stehen einander einerseits eine zur Veredelung durch den Villenbau drän 173 Gauly (2006), 457. Auch Krüger (1998), 208, setzt an einem ähnlichen Punkt an: »Pollius wird … zum Produzenten seines eigenen Gleichnisses: am Bau seines Landsitzes demonstriert er, was er an sich selbst geleistet hat.« 174 Auf die hohe Bedeutung der persönlichen Faktoren für Bau und Gestaltung römischer Villen weist Mansuelli (1990), 342, hin; vgl. auch Bodel (1997), bes. 18–26: die Villa als memo­ ria-stiftendes Bauwerk, oft auch als Begräbnisort. 175 Zum imitatio-Motiv vgl. Heinen (2013), 175. 176 Vgl. Newlands (2002), 169–174.

Silvae 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis 

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gende, entgegenkommende Natur,177 andererseits die nachgerade herkulische Bezwingung kantiger, widerstrebender Natur durch den an ein Wunder grenzenden Akt des Bauens gegenüber, gipfelnd in den eigentlich oxymoren Versen 52–58: His favit Natura locis, hic victa colenti / cessit et ignotos docilis mansue­ vit in usus /…/ Domuit possessor, et illum / formantem rupes expugnantemque secuta / gaudet humus. Nunc cerne iugum discentia saxa …178 Der Villenbau als militante Unterwerfung und Verkehrung der Natur in ihr Gegenteil179 durch das römische Ingenieurswesen (Plinius gebraucht auffällig häufig das Wort ser­ vire, wenn vom Verhältnis der natürlichen Umgebung zur villa die Rede ist),180 zugleich aber als geradezu αὐτόματον zu denkende Entwicklung von etwas a priori im ingenium des Platzes Angelegtem.181 Diese Diskrepanz kann auf die Ebene der philosophischen Lebensführung des Pollius übertragen werden: Sie liegt dort nicht etwa zwischen seinem privaten Epikureertum182 und dem imperialistischen (und damit vielleicht weniger privaten) Gestus der Natur- und vielleicht auch Weltbeherrschung,183 denn für römische Auffassung lag gerade dazwischen wohl kein Widerspruch – ob der κῆπος, in welchem der Weise lebt, schon von sich aus vorhanden war, oder ob er unter Zuhilfenahme von Dynamit aus dem Felsen gesprengt wurde, macht für den Epikureer schließlich wenig 177 silv. 2, 2, 13: placido … recessu; 15: dat natura locum; 17: gratia prima loci (vgl. o. III , Anm. 73); 18–20: e terris occurrit dulcis amaro / nympha mari. Levis hic Phorci chorus udaque crines / Cymodoce viridisque cupit Galatea lavari; 26sq. mira quies pelagi etc.; 44sq.: loci inge­ nium (cf. silv. 1, 3, 15 ingenium quam mite solo). 178 silv. 2, 2, 30: erepit porticus; 31: domat saxa aspera; 32sq.: qua prius obscuro permixti pulvere soles / et feritas inamoena viae …; 50: pelagi clamore fremunt (scil. tecta); 54: mons erat hic, ubi plana vides; 56–59: domuit possessor etc.; 98sq.: ponto novalia iniecta. Zum Motiv der Landschaftsunterwerfung durch Bautätigkeit vgl. Purcell (1987), 191–194. 179 Pavlovskis (1973), 14, weist darauf hin, daß die in den Versen 54–59 beschriebenen Verbesserungen im Gelände typischen Adynataformulierungen gleichen. Der Ingenieur macht’s möglich. 180 Vgl. Lefèvre (1977), 526 f. 181 Vgl. Schneider (1995), 98–101; Nauta (2002), 319 f.; Newlands (2002), 156 und 178–181; zur ingenieurshaften Facette des römischen Architekturverständnisses vgl. Drerup (1966), passim; – Woher Krüger (1998), 98, wissen will, daß Pollius seine Villa »ohne Baupläne, technische Hilfsmittel und Bauarbeiter« errichtete (auch textimmanent verlautet nichts von solchem konstruktiven Eskapismus), bleibt ein Rätsel. 182 Die ins Private zurückgezogene Lebensführung des idealen Epikureers ist durchaus kein unveränderlicher Bestandteil jener Philosophie. Schon den epikureischen Philosophen Aristion hatte, wie Appian feststellt, seine Philosophie nicht daran gehindert, sich zum Tyrannen Athens zu machen und sich bei der Verteidigung der Stadt gegen Sulla mehr als un philosophisch zu gebärden: Appian. Mithr. 5, 28; Plut. Sulla 12–14, bes. 13, 1. Auch an die Rolle, welche gerade epikureische Kreise bei der Ermordung Caesars spielten, braucht kaum er­innert zu werden: vgl. Momigliano (1941), 151–157. 183 Zum den privaten Rahmen des Villenbesitzers überschreitenden Imperialismus in silv. 2, 2 vgl. Newlands (2002), 154–191, bes. 158: Auch wenn mir Newlands Interpretation die politischen Implikationen von silv. 2, 2 etwas zu stark zu betonen scheint, sind Ankänge in diese Richtung zweifellos gegeben.

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Unterschied, erst recht nicht aus den Augen und dem Mund eines Autors, dessen Vorliebe für technische Errungenschaften außer Zweifel steht.184 Ein römischer nobilis vermochte sehr wohl zwischen seiner privaten Moralphilosophie und seiner gesellschaftlichen Stellung (und gesellschaftlichem Anspruch) unter den Mächtigen des weltbeherrschenden Volkes trennen. Vielmehr wird Pollius dafür bewundert, den Zustand eines unerschütterlichen Weisen erreicht zu haben, während alle anderen, den Sprecher des Gedichtes nicht ausgenommen, noch auf dem wilden Meer herumgetrieben werden (129–132). Die Erreichung dieses Zustandes ist als schwierige, mit einem hohen Maß an Askese (ἄσκησις im kaiserzeitlich-philosophischen Sinn von ἐπιμέλεια ἑαυτοῦ als Ansich-selbst-Arbeiten)185 verbundene Tätigkeit zu denken, zugleich aber ist anzunehmen, daß Pollius nach den Gesetzen panegyrischen Sprechens über ideales ingenium für seine intellektuellen und philosophischen Bestrebungen verfügt: locine ingenium an domini mirer prius? (44sq.) Einzig seine früheren Ansätze zu kommunalpolitischer Tätigkeit kann Statius als Belege für die geistige Entwicklung des Pollius anführen, sogar in überraschend heftigen, negativen Worten (132–139), die nicht davor zurückschrecken, Pollius error recti (137) und einstige Befangenheit in rerum caligine (138) nachzusagen.186 Daß diese überraschende Diktion Pollius’ eigener Sicht und z. B. gesprächsweisen Darstellung seiner früheren Haltung und Tätigkeit entsprochen haben wird, ist anzunehmen, jedenfalls wenn man von der Theorie ausgeht, daß das vorliegende Gedicht ihm prinzipiell Freude bereiten sollte; vor allem aber zeigt sich so, wie genau die Villa und ihr Herr miteinander korrespondieren, zur höheren Einheit zusammengefaßt durch das Gedicht des Statius.187 Es läßt sich demnach festhalten (und wurde auch längst festgestellt),188 daß silv. 2, 2 ein allegorischer Zug eignet, insofern die Ekphrasis der Villa auf einer zweiten Bedeutungsebene, die im Schlußteil des Gedichtes an die Textoberfläche dringt, den Charakter des Pollius nachzeichnet oder, im weitesten Sinn, widerspiegelt. Das wirft die Frage auf, ob über die schon erwähnten allgemeinen Elemente wie die ruhige Lage der Villa über dem potentiell unruhigen Meer hinaus auch die im Detail beschriebenen Elemente dieser Villeggiatura allegorisch aufgefaßt werden wollen. Immerhin gibt es einige Ansatzpunkte da 184 Zeiner (2005), 178 f., sieht m. E. einen zu scharfen Gegensatz zwischen Epikureismus und Unterwerfung der Natur. 185 Foucault (1989), 60–94. 186 recti ist eine gute Konjektur Courtneys für das überlieferte absurde plectri: vgl. Shackleton Bailey (2003), 133, Anm. 37. Die Verteidigung von plectri errore i. S. v. ›poetische Jugendsünden‹, wie sie Argenio (1970), 195, vorschlägt, überzeugt nicht. 187 Damon (2002), 186, weist gut darauf hin, daß Pollius’ Rückzug aus der Öffentlichkeit durch die Öffentlichkeit, die Statius’ Gedichte seiner Zurückgezogenheit verschaffen, kompensiert, wenn nicht überkompensiert wird. 188 Einen Überblick gibt Zeiner (2005), 178–190.

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für, die zusammengenommen ein stimmiges Bild ergeben, gerade wegen ihrer Reihenfolge: Zunächst beschreibt der Text (30–35) die porticus vom Meer hinauf zur Villa, durch welche notabene nicht der Hausherr (der doch wohl oben in der Villa residiert), sondern die Ichinstanz und mit ihr der Leser den Aufstieg bequem und umgeben von geschmackvoller architektonischer Gestaltung bewältigen können. Wenn man der plausiblen Deutung der Verse 112sq. hic ubi Pierias exercet Pollius artes, / seu volvit monitus quos dat Gargettius auctor, /  seu …, derzufolge Pollius in Prosa oder, eher, Versen epikureische (Lehr)texte verfasse,189 folgt, resultiert daraus eine Parallele zwischen Pollius schriftstellerischer und architektonischer Tätigkeit, denn mit beidem ermöglicht er anderen den Aufstieg, den physischen hier, den philosophischen dort – und zwar in beiden Fällen einen bequemen und stilistisch qualitätvollen, wie anzunehmen ist. Daß, wenn meine Konjektur arcus in Vers 30 zutrifft, es ein dezidiert römischer Weg ist, den Pollius errichtet und über den jemand wie Statius, dem Herkunftsmilieu nach Grieche, zu den Höhen der Philosophie zu gelangen vermag, ergibt ein beiläufiges Kompliment, das sich ohne weiteres in den Gesamteindruck fügt. Ist man bereit, diese sich m. E. geradezu aufdrängende Parallele zu akzeptieren, klärt sich der weitere Ablauf des Gedichtes über das der Ekphrasis zugrundeliegende Prinzip der Hausbeschreibung mittels bewegter Beobachtungs­ instanz hinaus auch auf der Ebene der allegorischen Deutung. Auf den Aufstieg der Verse 30–35, der, wie schon erwähnt, just auf einen Vergleich hinausläuft, in welchem Pollius’ Villa in ein Naheverhältnis zur korinthischen Peirene und damit zu literarischem Schaffen gerückt wird (vgl. 438), folgt zunächst ein emphatischer Preis der Villa als Ganzes und der Schwierigkeiten, die es zu ihrer Errichtung bedurfte (36–62): Diese Passage, in welcher der skizzierte Widerspruch zwischen natürlichem ingenium und asketischem Kampf seinen Platz hat, läßt sich ohne weiteres als Preis des erreichten Zustands philosophischer Abgeklärtheit verstehen. Ebenso die nachfolgenden Punkte der Ekphrasis: die Gemälde und Statuen, unter denen nur eine Gruppe besonders hervorgehoben wird, jene der Philosophenportraits (69sq.: sapientumque ora priorum, / quos tibi cura sequi, quos toto pectore sentis): Man muß nicht so weit gehen, anzunehmen, daß Statius damit auf die Schriften des Pollius anspielt, in welchen er möglicherweise ja nicht bloß Epikur verarbeitete, doch daß die Auflistung der die Villa zierenden Kunstwerke explizit mit der Belesenheit und der philosophischen Ernsthaftigkeit des Hausherrn in Verbindung gebracht wird, steht außer Zweifel. Es folgt die Liste der prospectus (72–84): Vor Detailallegorisierungen wird man sich hüten, doch die Platitüde, daß ein philosophischer Standpunkt mannigfaltige Aus- und Einblicke gewährt, kann hier ohne weiteres mitgehört 189 Nisbet (1978), 1; van Dam (1984), 261; Newlands (2011), 149.

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werden  – die Villa ist eine speculatrix (3), gerade auch ihrer zahlreichen pro­ spectus wegen, und auf Pollius Denken wird man dieses Motiv mehr oder minder gut umlegen können: Wie stets gilt das caveat, daß Allegorien, je ausführ­ licher sie werden, und zumal wenn ein allegorischer Text den Anspruch erhebt, auf beiden (oder gar mehr als zwei) Bedeutungsebenen konsistent und plausibel zu bleiben, meist nicht in allen Punkten gleich gut funktionieren. Die Auf­ listung der prospectus, ganz unallegorisch der Stolz so manchen Villenbesitzers, war möglicherweise im Sinne einer Villenbeschreibung nicht zu entbehren, mochte sie auch zur Ebene des Pollius und seiner Philosophie wenig beitragen. Umso besser paßt zu dieser der nachfolgende Katalog der Marmorsorten, dessen Beginn und Schluß jeweils der dick aufgetragene Hinweis darauf bildet, daß es sich um griechische Materialien handelt, für deren Verwendung Pollius abschließend besonders gelobt wird (85–97, bes. 95sq.)  – dabei stammt mindestens einer der Marmore aus Phrygien (87–89), ein weiterer gar aus Numidien (92: hic Nomadum lucent flaventia saxa), auch der rote Granit von Syene /  Assuan in Ägypten (86) gehört nur in recht weitem Sinn der griechischen Welt an. Nach alledem erhält jenes abschließende Lob macte animo, quod Graia pro­ bas, quod Graia frequentas / arva (95sq.), das im Kontext der Stelle etwas sperrig wirkt, eine viel ungezwungenere Bedeutung, wenn man es auf anderer Ebene als ein Lob dafür auffaßt, daß Pollius griechische Literatur und Philosophie rezipiert.190 Der letzte Punkt der Ekphrasis schließlich, die Grünanlagen und Weingärten der Villa (98–106), kann auf allegorischer Ebene einen geschickten Abschluß bilden: Nicht nur kommen offenbar Bewohner des Meeres  – die 457 f. besprochene Nereide steht exemplarisch dafür –, um von Pollius’ Früchten zu genießen (schon wieder ein Aufstieg aus dem Meer, freilich diesmal ein rustikalerer), wesentlich scheint mir, daß es diese Früchte überhaupt gibt. Unmittelbar daran schließt sich ja der direkt gesprochene Preis des Pollius, scharnierartig eröffnet mit den Worten Sis felix, tellus (107): Nicht nur spielt der Text hier, wie 190 Zugegeben: Die Weiterführung des Satzes erlaubt es, das quod Graia frequentas arva als Aufenthalt Pollius’ am Golf von Neapel und konkret in Puteoli (evt. auch Neapel) deuten. Doch die Ausruf macte animo, quod Graia probas, wenige Verse nach der Einleitung des Marmorkatalogs mit den Worten hic Grais penitus desecta metallis saxa (85sq.), legt doch nahe, diese beiden Punkte aufeinander zu beziehen. Auf der Ebene der Marmorsorten funktioniert dies nur mühsam: Erstens stammen diese gar nicht alle aus Griechenland, zweitens kann zumindest quod Graia frequentas arva nicht gut bedeuten, daß Pollius persönlich griechische Steinbrüche bereist, um sich sein Baumaterial zu suchen. Auf der Ebene seiner philo­ sophisch-literarischen Tätigkeit hingegen löst sich die Schwierigkeit unproblematisch: sowohl quod Graia probas als auch quod Graia frequentas arva sind dort leicht verständlich, und daß Statius einige im Diskurs der Zeit als besonders wertvoll und erstrebenswert geltende Steinsorten, die er, wenn sie in der aktualen Villa nun einmal vorhanden waren, nicht gut übergehen konnte (vgl. dazu Gauly [2006], 463–465), pauschalierend unter Graia verbuchte, erinnert ein wenig an den seit der Antike verbreiteten Gedankengang, philosophische Leistungen müßten, mindestens im Zweifelsfall, immer auf Griechen zurückgehen.

Silvae 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis 

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schon erwähnt, mit dem Namen des Hausherrn, sondern er weist auch über das seit dem Aufstieg durch die porticus erreichte Niveau der Villa / der philosophischen Lebensführung hinaus, wenn Pollius’ Erde nun – felix, d. h. fruchtbar – Früchte trägt, und diese Früchte auch ihre Konsumenten finden. Ist es abwegig, darin auch den Preis zu erblicken, daß Pollius’ nicht bloß eine solipsistischphilosophische Daseinsform pflegt, sondern daß er auch dazu behilflich ist, anderen zu gleichermaßen beglückendem Dasein zu verhelfen? Als Verweis über das Erreichte hinaus jedenfalls hätte diese Passage auf allegorischer Ebene die gleiche Funktion wie auf der der Villenbeschreibung, wo sie das Verlassen der Villa, das Hinaustreten aus dem Drinnen ins Draußen, anzeigt. Man erhielte also, die Bewegung des Sprechers durch den Raum der Ekphrasis nun auf anderer Ebene nachzeichnend, zunächst sein Erreichen des ›philo­sophischen Hafens‹ nach Fahrt über das Meer, sein Aufstieg mithilfe der von Pollius geschaffenen Hilfestellungen, das Erreichen der celsa mentis arx (vgl. 131) mit ihren Ausblicken, bevölkert von Philosophen(portraits) und geschmückt mit edlem griechischen Material, um schließlich dazu zu gelangen, daß all dies auch Früchte trägt. Ob der Fruchtgenuß durch die direkt über die Felsen (und anscheinend nicht durch die besagten porticus) heraufgekletterte ungenierte Nereide ganz widmungsgemäß ist, oder ob damit ein humorvolles Bild vom möglichen Genuß philosophischer Früchte durch solche, die nicht den eigentlich vorgesehenen Weg des Aufstieges genommen haben und eher nur ein wenig naschen oder stehlen statt wirklich in der celsa arx wohnhaft werden wollen (in welchem Fall das halbgöttliche Naturwesen mit seinen erotischen Implikationen ein Parallelfall zum Papageno aus Mozarts ›Zauberflöte‹ würde), lasse ich dahingestellt und setze dem allegorischen Deuten an diesem Punkt ein Ende. Pollius jedenfalls hat als idealer Weiser eine Position erreicht, die ihn im epikureischen Sinn den Göttern im Himmel (auch dies kann man unter celsa mentis arx verstehen) gleichmacht, und gerade von einem solchen von vollkommenen Menschen bewohnten Himmel aus hat man, wie Ciceros Somnium ­Scipionis lehrt, bekanntlich weite prospectus auf die zu Füßen liegende Welt und die dort sich abmühenden Menschen.

g) Zwischenfazit: Die Villa des Philosophen Folgt man den oben skizzierten Interpretationslinien, dann resultiert für die räumliche Konzeption von silv. 2, 2 ungefähr folgendes Bild. Auf der Ebene der Ekphrasis folgt die Erzeugung des Raumes dem geläufigen Schema der bewegten Beobachtungsinstanz, von einer allgemeinen Einführung in die groß- und kleingeographische Lage über die Annäherung an die Villa (Landung und Aufstieg) zur Villa selbst und schließlich aus dieser wieder hinaus (Grünanlagen, Weigarten). Der theoretisch mögliche, freilich für Textgattungen wie die von

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Statius in den Silvae gepflegten wohl zu pedantische ›Gang durch das Haus‹ als normale Form der Beschreibung eines Gebäudeinneren (dazu vgl. u. 494–501) wird durch eine thematische Abhandlung wesentlicher Elemente ersetzt, in deren Auswahl sich unschwer das Bestreben erkennen läßt, die ›Highlights‹ der konkreten Villa ins Licht zu rücken, Gängiges und Unspektakuläres hingegen vorauszusetzen und zugleich beiseitezulassen. Insoweit entspricht der Text anzunehmendermaßen den Wünschen des Hausherrn, an seiner Villa insbesondere jene Punkte hervorgehoben zu wissen, auf welche er im Vergleich zu anderen Besitzern solcher villae maritimae besonders stolz sein konnte. Diese in sich stimmige und nach allen Regeln der Kunst ausgeführte, wenn auch vielleicht nicht sonderlich ambitionierte Konzeption wird indes von Beginn an durch eine zweite überlagert, die im leider beschädigten Schlußteil des Gedichtes ab Vers 107 zur Textoberfläche wird und mindestens beim neuerlichen Lesen sich auch am beschreibenden Teil Punkt für Punkt festmachen läßt, nicht überall gleich gut, doch insgesamt schlüssig und ohne Widersprüche im Einzelnen: Das literarische, insbesondere philosophische Wirken des Pollius, einerseits hinsichtlich seiner eigenen Person, die den über den Dingen schwebenden Zustand philosophischer Abgeklärtheit erreicht hat, andererseits hinsichtlich der Ichinstanz bzw. des Lesers, also pauschalierend ausgedrückt: seiner Umgebung. Im Rahmen dieser Konzeption fungieren die Villenbeschreibung, und durch sie die Villa selbst, als Allegorie für das philosophische Dasein, die Erreichung desselben und schließlich seine Verbreitung.191 In diesen beiden letzten Punkten spielt jeweils das Element der Zeit eine wesentliche Rolle: Während eine philosophische Lebensführung an sich zeitlos stattfinden, jedenfalls so dargestellt werden kann, bedeuten ihre Erreichung ebenso wie ihre Weitergabe Veränderungen, die den Verlauf der Zeit ins Spiel bringen. Dieses Motiv, in silv. 2, 2 bereits angelegt, wird zum verbindenden Element zwischen diesem Gedicht und seinem Pendant, dem Hercules Surren­ tinus, und nimmt dabei die wichtigste Stellung ein: Denn jenes Gedicht schließt an die Räumlichkeit von silv. 2, 2 linear an, ergänzt sie lediglich um den neuerrichteten Herkulestempel, thematisiert damit aber vor allem die Veränderung im Laufe der Zeit, welche Pollius bewirkt. Damit wird die außergewöhn­ liche Position, in die er dank der Philosophie gelangt ist, bis an die Schwelle zur Göttlichkeit gesteigert: Pollius ist selbst der Zeitlichkeit in geringstmöglichem 191 Vgl. Bergmann (1994), 225 f.: Das römische Haus als »extension of the self«, scil. des Hausherrn; ähnlich Myers (2000), 109: »… we learn that Roman villas themselves were constructed as monuments of their owners, that their conception is as much literary as architectural.« Statius’ Gedicht als Äquivalent zur Villa beschreibt auch Newlands (2002), 196, freilich in etwas wildromantischer Zeichnung: So wie Pollius’ Villa über dem stürmischen Meer thront, verhalte sich auch Statius’ ambitionierte, neuartige, kühne Dichtung. Ich persönlich bezweifle ein wenig, daß Statius seine Dichtung wirklich als kühne Bezwingung der Natur sehen wollte, ganz auszuschließen ist diese Implikation freilich nicht.

Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 

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Maß unterworfen (silv. 2, 2 127–129), stiftet aber im Verlauf der Zeit, und sogar in staunenerregender Geschwindigkeit, Veränderungen, selbstverständlich solche zum besseren (silv. 3, 1). So gerät der reziproke Geschenkeaustausch zwischen ihm und Herkules am Schluß von silv. 3, 1 zu einem Wechselverhältnis auf Augenhöhe.

6. Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci Die Stellung dieses Gedichtes im Rahmen des ersten Silvaebuches läßt bereits darauf schließen, daß dem Raum dieses Textes eine gewisse Bedeutung zukommt: Er bringt nach zwei ›städtischen‹ Gedichten die Villa als neuen topischen Ort (man verzeihe die Katachrese) aufs Tapet, zugleich nimmt die Villa Tiburtina unter den drei vornehmlich Örtlichkeiten beschreibenden Gedichten des ersten Buches, also den jeweils ungeraden Nummern im Gegensatz zu den vornehmlich Anlässe, d. h. Vorgänge thematisierenden Gedichten an zweiter, vierter und sechster Stelle, die Mittelstellung ein.192 Überdies spannt sich ein Bogen ins zweite Buch, wo mit der Villa Surrentina (silv. 2, 2) eine weitere Villenbeschreibung zum Vergleich einlädt, nicht bloß des identischen Grundthemas wegen, sondern auch, weil sich in beiden Fällen die vordergründige und den eröffnenden Hauptteil des Gedichtes bildende Beschreibung der Villen jeweils unter Einbeziehung der philosophischen Neigungen und des durch sie gekennzeichneten Charakters des jeweiligen Hausherren vollzieht. Nimmt man den Hercules Surrentinus (silv. 3, 1) seinerseits als Weiterführung von silv. 2, 2, so erhält man eine wohl nicht absichtslose Verteilung der ›Villengedichte‹: Jedes der ersten drei Bücher erhält genau ein Stück dieser Gattung. Wenn man das aller Wahrscheinlichkeit nach posthume fünfte Buch beiseiteläßt, bleibt nur Buch vier scheinbar ohne Villengedicht: Doch kann mit einer gewissen Berechtigung silv. 4, 2 mit seiner Beschreibung des Kaiserpalastes als Fortsetzer dieser sammlungsinternen ›Tradition‹ gelten, ähnelt es doch typologisch den ›normalen‹ Villengedichten stark: Eine Ichinstanz beschreibt bzw. preist ein herrschaft­ liches Gebäude, in welches sie im Zuge einer Einladung durch den sozial stets zumindest etwas höhergestellten Hausherrn gekommen ist, wobei das Gedicht jeweils auch die Funktion des Dankes für diese Einladung übernimmt. Für die Wahrnehmung der Domus Flavia auf dem Palatin, die damit trotz aller Versuche Domitians, gerade nicht an Neros Domus aurea anzuknüpfen, dennoch in einer Linie mit einer villa suburbana und einer villa maritima erscheint, ist dieses Arrangement der Gedichte vielleicht nicht ganz uninteressant. Narratologisch besehen bewegt sich silv. 1, 3 ebenso wie die übrigen ›ekphrastischen‹ 192 Bright (1980), 55; Newmyer (1979), 124. – An weiterer Literatur zu silv. 1, 3 sei hervorgehoben: Cancik (1978); Newlands (1988); Myers (2000).

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III. Cernere si quis potuit

Gedichte in den Silvae im Graubereich zwischen reiner Beschreibung des fraglichen Raumes und seiner Auffaltung als Ereignisraum zumindest durch eine angedeutete Bewegung der Beobachtungsinstanz durch diesen Raum. Dieser Technik gilt es im folgenden besonderes Augenmerk zu widmen.193 Daß die Villa Tiburtina darüber hinaus mit einigem Recht schon als das für Statius vielleicht typischste, kabinettstückchenartig auf die Spitze getriebene Gedicht unter den Silvae bezeichnet wurde,194 spiegelt sich gewissermaßen auch in der vorliegenden Studie, in der ihr die Schlußposition eingeräumt sei.

a) silv. 1, 3, 1–33 Dazu rät schon der Gedichtbeginn dieses jeu d’esprit:195 Cernere facundi T ­ ibur glaciale Vopisci … (silv. 1, 3, 1: ›[Glücklich, wer] das eisige Tibur(-gut) des sprachgewandten Vopiscus sehen konnte …‹), mit den Begriffen cernere und facundus in der Spitzenposition.196 Daß gerade die ersten Worte mancher Gedichte in den Silvae programmatische Funktion haben, konnte schon festgehalten werden (vgl. o. II, Anm.  53), und eine solche könnte der Leser auch hier zumindest probeweise vermuten:197 Das Schauen scheint in diesem Gedicht eine besondere Rolle zu spielen, und sein ursprünglicher Adressat, Manilius V ­ opiscus, wird zuvörderst als facundus charakterisiert, d. h. wohl nicht bloß als Absolvent rhetorischer Bildung, sondern als literarisch interessierter, eventuell auch selbst produktiver Mann,198 mithin als jemand, dem man zutrauen kann, daß er 193 Eine Aufbauanalyse des Gedichtes, die vor allem die mythischen Additamenta hervorhebt, gibt Cancik (1965), 29 f. 194 Ramage (1973), 120: »Any attempt to select the one poem of the Silvae that best reveals itself as a product of urbanity immediately brings to mind Statius’ hexameters on Vopiscus’ villa at Tibur (…) Almost every line exudes refinement, and it is no wonder, for the piece is written by a sophisticated poet for a genteleman.« 195 So die – dort aber abwertend gemeinte – Charakterisierung des Gedichtes bei Kenney (1966), 332. 196 Vgl. Newlands (2002), 129. 197 Freilich: Daß Statius cernere bloß aus metrischen Gründen an den Anfang gestellt und um eines Daktylus willen die »ganz krause Wortstellung der folgenden Verse« in Kauf genommen habe, wie es Vollmer (1898), 265, beliebte, wird niemand als ernstzunehmende Erklärung gelten lassen. Immerhin aber trifft Vollmers Beobachtung zu, daß die in der Tat selbst für Statius’ Verhältnisse von Hyperbata nur so durchzogene Formulierung des Gedichtbeginns wesentlich daran hängt, daß cernere in die Spitzenposition gerückt wurde. Umso mehr wird man nach dem Grund dafür fragen. 198 Vgl. ähnliches Lob in silv. 2, 2, 9 placidi facundia Polli; 3, 1, 65 facundique … Polli; 4, 5, 3 fortem atque facundum Severum; cf. 2, 7, 46sq. eloquente / cantu purpureum trahes se­ natum; zum Begriff facundus im Rahmen der Silvae vgl. Basile (2012), 79–85. Was Vopiscus anbetrifft, ist die Sachlage unklar: Da der historische Vopiscus (den es aus dem Text ja erst einmal zu postulieren gilt, doch spricht der Charakter der Silvae, sich in allen nachprüfbaren Fällen auf realiter existierende Personen zu beziehen, für die Legitimität dieses Schrittes)

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gute Literatur zu schätzen und angemessen zu würdigen weiß. Woraus im Umkehrschluß zu entnehmen ist, daß der nun beginnende Text möglicherweise einiges Raffinement zu biten hat – auch dafür dient das Wort facundi als Signal. Der Gedichtbeginn mit seinem emphatischen Ausruf enthält darüber hinaus eine indirekte Lageskizze der gegenständlichen Villa: Sie liegt in Tibur (1), dem wohl bekanntesten noblen Villeggiaturenhabitat im näheren Umkreis Roms,199 nicht bloß in antiken Zeiten; die Gebäude verteilen sich beiderseits des Anien, ohne aber durch ihn ernsthaft voneinander getrennt zu sein (2–4); schließlich herrscht dort keine Spur von sommerlicher Hitze, im Gegenteil (1: Tibur ­glaciale; 5–8). Venus selbst soll mit eigener Hand beim Bau tätig geworden sein (hier ist der Text durch lacuna gestört, doch der Zusammenhang klar; außerdem vgl. silv. 1, 5, 31–33) und es zu einer dauerhaften Wohnstätte ihrer Amoretten gemacht haben (9–12). Mit einem neuerlichen Ausruf (13sq.: O longum memoranda dies! Quae mente reporto / gaudia, quam lassos per tot miracula visus!) bringt der Sprecher sich selbst als Beobachtungsinstanz ins Spiel, und zwar als erschöpfte: Erneut wird das Moment des Schauens (lassos … visus) und des Genusses, den man daraus gewinnt (gaudia), betont.200 Im Anschluß an das Exordium des Gedichtes mit seiner ersten groben Skizze der Lage der Villa kann man den Standpunkt des Sprechers zum Zeitpunkt des Sprechens also außerhalb der Villa und auf dem Rückweg (eine ungewöhnliche Situation!), im Verlauf der nachfolgenden Beschreibung hingegen ebenfalls zunächst außerhalb der Villa und sogar in einiger Entfernung von ihr, doch in Bewegung auf sie zu begriffen vermuten: der passende Ausgangspunkt für das schon an silv. 2, 2 beobachtete klassische Hausbeschreibungsschema, das zunächst eine verbalisierte Annäherung an das fragliche Gebäude benötigt. Entsprechend kommen bestimmte Qualitäten desselben, doch ausschließlich das Äußere betreffende, immer detaillierter in den Blick: Die Örtlichkeit ist zum locus amoenus prädestiniert (15: ingenium quam mite solo) und war bereits schön, noch bevor Menschenhände sie kulturstiftend zu überformen und zu veredeln begannen (15sq.) – anders als in silv. 2, 2 steht diesem Entgegenkommen der Natur, die hier geradezu sich selbst eine Freude bereitete (16sq.: non largius usquam / indulsit natura sibi), nicht ihre nirgends sonst erscheint, ist es müßig, über Art, Umfang und Qualität seiner Dichtungen zu spekulieren; doch sogar daß er überhaupt gedichtet hat, wird gelegentlich bestritten, obwohl m. E. nichts dagegen spricht, ihn unter die zahllosen, von Martial als Landplage verspotteten Amateurdichter der Zeit zu rechnen: Bei Teuffel (1920), Bd. 2, 318 (§ 324, 2) wird er solcherart noch geführt, die neuere Literaturgeschichtsschreibung scheint skeptischer zu sein. Vgl. ferner Nauta (2002), 226 199 Vgl. Mayer (2005), 102–106; den detailliertesten Überblick gibt Giuliani (1970), passim. 200 Irrig Rühl (2006), die longum memoranda dies mit der im Einleitungsbrief zum ersten Buch der Silvae behaupteten Abfassungszeit des Gedichtes (villam … descriptam a nobis una die) in Verbindung bringen will.

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militante Unterwerfung gegenüber, wenn man von der beiläufigen Formulierung ante manus artemque (16) absieht, dem ingenium loci kommt also das Übergewicht zu. Wälder neigen sich über raschfließende Wasser, und ihr Schatten flieht darüber hin (17–19). Das leitet über zu einer näheren Schilderung des schon eingangs skizzierten Verhältnisses zwischen Villa und Fluß: Der Anien, sonst ein wildes Gewässer, strömt hier ruhig und stört nicht die Musentage und die ›liedererfüllten Träume‹ des Vopiscus (20–23). Zu beiden Seiten dieses sanften Wasserlaufs stehen Gebäude, ohne indes wirklich durch das Wasser bzw. die beiden Uferzonen voneinander getrennt zu werden (24–26),201 die Situation 201 Das in Vers 24sq. überlieferte litus utrumque domi nec te mitissimus amnis / dividit ist unmöglich. Die alte Konjektur clementissimus wurde von Håkanson (1969), 38 f., akzeptiert, von Marastoni (1970), Traglia (1978) und von Shackleton Bailey (2003) in ihren Ausgaben verworfen, ohne jedoch plausible Erklärungen für das überlieferte te geben zu können: Statius spricht im Verlauf des Gedichtes zwar auch die Villa bzw. Teile von ihr an, doch wird diese besondere Sprechsituation stets eindeutig markiert (vgl. 39sq.); hier hingegen käme die Apostrophe völlig überraschend. Courtneys (1990) litus utrumque domi; tectum mitissi­ mus amnis dividit gibt zwar einen Sinn, leider indes nicht den benötigten, denn daß die Häuser durch den Fluß getrennt werden, ist im Text schon zuvor zur Genüge klargemacht worden, hier ist die gegenteilige Aussage erforderlich: ›Zwar ist ein Gewässer dazwischen, doch das bedeutet keine wirkliche Trennung‹; die Konjektur wurde bereits durch Eden (1993), 94, zurückgewiesen. So bleibe ich bei clementissimus. Unbegreiflich aber ist mir, weshalb bislang kaum jemand in weiterer Konsequenz an domi Anstoß genommen hat: »Beide Ufer befinden sich daheim« (litus utrumque domi est) ist an sich schon eine bizarre Aussage, »Beide Ufer bilden das Zuhause« ist sprachlich vollends unmöglich, und ein nachfolgendes »und der milde Fluß trennt nicht« ohne Objekt läßt in beiden Fällen den Satz nur sehr holprig zu Ende gehen. Libermans eleganter Vorschlag litus utrumque colis, nec te mitissimus amnis / dividit (Liberman [2010], 110) ist durchaus erwägenswert, ich selbst versuche es mit der paläographisch noch näherliegenden Form litus utrumque domum nec clementissimus amnis / dividit: Die Konjektur domum benötigt lediglich die Kulanz, eine gerade in der Dichtung des späteren 1. Jhdts. gelegentlich bezeugte Reihe des ›weder-noch‹-Typs mit unterdrückter erster Verneinung (bzw. ἀπὸ κοινοῦ-Stellung des zweiten nec)  anzunehmen: vgl. Hofmann-Szantyr (1965), 517, § 283, Zus. β. – Ebenfalls problematisch ist in Vers 26 das überlieferte non externa sibi fluviorum obstare queruntur (auch dazu vgl. Liberman [2010], 110). Håkanson (1969), 39 f., folgt Polizians fluviumve, zieht freilich praetoria non externa sibi ›einander nicht fremde Paläste‹ zusammen (ebenso Shackleton Bailey [2003]) und muß dann kompliziert ebenso die seltsame Verbindung durch -ve nach dem zu externa gestellten non erklären wie die unüb­ liche Verwendung von externa mit Dativ. Mir scheint es weitaus natürlicher, non und -ve auf einer Ebene anzusiedeln und sibi als Objekt zu obstare zu stellen, womit externa substantiviert gebraucht sein muß: vgl. ThlL V, 2, 2020–2024, wo folgende Beispiele angeführt werden: Liv. 44, 46, 7 oppugnante externo ›aufgrund des Hindernischarakters der äußeren Umgebung‹, Sen. nat. 2, 13, 4 ab externo ›durch eine Kraft von außen‹, Heges. 4, 27 ab externo ›vom Umland her‹; vgl. Liv. 34, 9, 9; übertragen Ov. met. 8, 879 quid moror externis ›Was halte ich mich mit fremden Angelegenheiten auf?«: also eine große Bandbreite der Bedeutungsnuancen. Übrigens ist so auch strukturell eine bessere Parallele zum von Håkanson selbst (ebd., 40 f.) in der Nachfolge Vollmers (1898), 269, beigebrachten möglichen Vorbildvers Hor. sat. 2, 3, 54 ut rupes fluviosque in campo obstare queratur zu erzielen: mit -ve bzw. -que werden einfach zwei Objekte verbunden: Die Palais beschweren sich nicht darüber, daß ihnen der Fluß oder etwas Drittes, nicht zum Ensemble Gehöriges (externa), im Weg stehe.

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übertrifft damit den von Leander eben doch nicht durchschwommenen Hellespont (27sq.). Überall herrscht hier Stille (29sq.). Man kann Blicke, Worte und fast Berührungen mit der Hand über den Wasserlauf hinweg austauschen, so schmal ist er und ähnelt damit (die notorische Amplifikation durch mythische oder großgeographische Exempla gerät hier zwangsläufig ein wenig paradox) den Meerengen des Euripus von Euböa bzw. der Straße von Messina (29–33). Es ist offenkundig, daß diese Passage zumindest zwei Funktionen gleich­ zeitig erfüllt. Zum einen führt sie das Panorama vor Augen, das sich der Ich­ instanz bei Annäherung an die Villa bietet, mit zunehmender Reduktion der Distanz, denn ob es ›beinahe möglich ist, einander über das Wasser die Hand zu reichen‹ (31), kann doch wohl nur an Ort und Stelle erprobt werden, nicht aus größerer Entfernung. Unvermerkt also ist man unmittelbar an die Gebäude der Villenanlage herangekommen. Zum anderen räumt der Text damit offenkundig dem größten Highlight der Villa, ihrer ungewöhnlichen Lage zu beiden Seiten eines Wasserlaufes, die Spitzenstellung ein. Zum Vergleich: In silv. 2, 2 wird zwar nach dem gleichen deskriptiven Verfahren zunächst die Lage der Villa von außen in den Blick genommen, ohne aber besonders wortreich gepriesen zu werden – villae maritimae in andeutungsweise spektakulärer Lage über einigen Metern Steilabfall zum Meer gab es schließlich hunderte allein entlang der kampanischen Küste. Was für die Villa Surrentina die überwölbten porticus vom Strand hinauf zum Hauptgebäude sind, ist hier die Verteilung des Hauptgebäudes auf zwei Ufer: das jeweilige architektonische Glanzstück, das gleich zu Beginn der Beschreibung gehörig herausgestrichen wird. An dieser Stelle ist für eine nicht bloß textimmanent vorgehende Interpretation zwangsläufig die Frage zu stellen, wie es mit einer Identifikation des Tibur Vopisci mit archäologisch bekannten Strukturen in Tivoli aussieht: Immerhin könnte die dem Text zu entnehmende eigenartige Lage des Bauwerks zu beiden Seiten des Anien oder Anio eine solche ermöglichen, wenn man davon absieht, daß der Anien selbst mit Statius’ Beschreibung kaum in Einklang zu bringen ist. Denn in Tibur und seiner näheren Umgebung ist dieser nirgends so schmal, daß man ›beinahe die Hand hinüberreichen‹ könnte, und die Wasserfälle von Tivoli mit ihren etwa 160 Metern Fallhöhe wird man auch nicht akkurat als ruhiges Gewässer bezeichnen. Gerade diesem Widerspruch verdankt sich aber eine plausible und, soweit ich sehe, unwidersprochene Lokalisierung, die besonders durch Cairoli G ­ iuliani vertreten wird:202 Er identifiziert die Villa des Vopiscus, wie schon ältere Forscher, mit den leider recht mageren Resten zweier Baulichkeiten auf dem Gelände der Villa Gregoriana in Tivoli. Für diese Lokalisierung spricht außer dem 202 Giuliani (1970), 267–287, bes. 284–287, mit Gesamtplan Abb. 330; in seiner Nachfolge die kurzen Einträge bei Romizzi (2001), 245, Nr. 292; Marzano (2007), 582 (Nr. L299); und Böttcher-Ebers (2012), 249–251 (Nr. 72).

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bei Giuliani Angeführten noch folgendes bislang, soweit ich sehen kann, nicht beachtetes Argument: Der die Villa durchfließende Wasserlauf wäre ein als La Stipa heute noch bekannter und funktionierender Kanal, der als Bypass bzw. Entlastungsgerinne einer relativ engen Flußschleife fungiert.203 Demnach wäre die westliche Hälfte der Doppelvilla, von der freilich nur einige in den steilen Hang geschlagene Höhlen und Tunnel mit sehr spärlichen Mauerresten unmittelbar am Steilhang erhalten sind, die keinen Rückschluß auf die eigentlichen architektonischen Strukturen erlauben, tatsächlich auf einer aus dem gekrümmten Hauptbett des Anio und dem sehnenartig verlaufenden Kanal gebildeten Insel gelegen, der östliche Teil auf dem ›Festland‹. Das sagt nun Statius zwar nirgends explizit – verwunderlich angesichts der Bedeutung des Wasserund Flußmotivs für das gesamte Gedicht. Doch erklärt sich so der insbesondere Shackleton Bailey204 irritierende und von Courtney205 eher schwach als Unachtsamkeit des Dichters verteidigte Vergleich des die Villa durchfließenden Gewässers mit der Straße von Messina und dem Euripus von Euböa (31–33):206 Denn der Vergleichspunkt zwischen dem Wasserlauf von Tibur (man nannte solch ein längliches Wasserbecken in Privatgärten nicht umsonst euripus) und dem Euripus von Euböa bzw. der Straße von Messina ist erstens nicht die Ruhe des Wassers, in welchem Fall der Vergleich mit jenen für ihre Gefährlichkeit bekannten Meerengen tatsächlich nur ex negativo funktionieren könnte und man, wie Shackleton Bailey es tut, zu nec – nec korrigieren müßte, sondern die kurze Distanz zwischen den beiden Ufern, wie das den Vergleich auslösende datur hic transmittere visus / et voces et paene manus (30sq.) beweist. Zweitens trennen beide Meerengen jeweils eine Insel vom Festland ab, was strukturell den Ge­ gebenheiten von Tibur entspricht.207 Umgekehrt kann ipse Anien, der als in­ fraque superque saxeus beschrieben wird (20sq.: die eigentümliche Wortwahl, die schon Caspar von Barth irritierte,208 wird noch zu besprechen sein) den nicht mit La Stipa identischen Hauptfluß oberhalb der Abzweigung bzw. unterhalb der Einmündung des Kanals bezeichnen. Diese Identifizierung des Tibur Vopisci hat indes auch ein bis zwei Haken: La Stipa, unmittelbar zwischen den fraglichen Gebäuden ruhig fließend,209 203 An einen Kanal denkt bereits Cancik (1978), 117 f. 204 Shackleton Bailey (2003), 384 (eine sehr lesenswerte, wenngleich meines Erachtens am Problem vorbeigehende Diatribe); vgl. ders. (1987), 273 f.; in die richtige Richtung wies hingegen schon Vollmer (1898), 269–271. 205 Courtney (1984), 330 f. 206 Shackleton Baileys Konjektur nec  – nec in den Versen 31 f., die bereits von White (2008), 110 f., für überflüssig erklärt wurde, zerstört diesen m. E. sehr sinnvollen Vergleich nur. Zur Textkritik vgl. Liberman (2010), 111 f. 207 Hand (1817), 386, erklärt expellunt (32) ganz richtig in diesem Sinn. 208 Vgl. Barthius (1674), Animadv. 98; eine ausführliche Diskussion auch bei Hand (1817), 370–373. 209 Giuliani (1970), 285; ebd., Abb. 349 ein Bild des Stipa-Wasserfalls.

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stürzt(e) nur wenige Meter vor den beiden annähernd rechtwinklig zueinander zu denkenden, also eine Art offenen Hof bildenden Trakten der Villa, praktisch im Zentrum dieses hakenförmigen Hofes, als Wasserfall ca. 30 m in die Tiefe – zweifellos nicht ohne Geräusch; im Gegenteil, das ständige Rauschen und Brausen muß geradezu Bestandteil dieser Villeggiatura gewesen sein. Das fügt sich nur schlecht zur immer wieder im Gedicht betonten Ruhe der Örtlichkeit.210 Ferner bemängelt Cancik,211 daß Statius nicht einmal die Akropolis von Tibur mit ihren beiden Tempeln erwähne, die doch von einer Villa im Bereich der Villa Gregoriana aus unübersehbar und wahrscheinlich das wichtigste prospec­ tus-Motiv dieses Villenbaus gewesen sein müßten. Zwar wird Canciks daraus abgeleitete Verallgemeinerung, daß Statius auf das prospectus-Motiv schlechthin verzichte, im Gedichttext schon durch die Verse 39–42 eindeutig widerlegt, doch es bleibt festzuhalten, daß sowohl für die akustische als auch für die optische Wahrnehmung eine Gleichsetzung des Tibur Vopisci mit den Gebäuderesten im Park der Villa Gregoriana Probleme aufwirft.

b) silv. 1, 3, 34–89 Mit einem geradezu erschöpft klingenden Ausruf Quid primum mediumve ­canam, quo fine quiescam? (34; vgl. die lassos visus in Vers 14) betritt der Sprecher virtuell die Villa, kenntlich daran, daß die nun folgenden Details, die seine ekphrastische Gabe so sehr überfordern, mindestens fürs erste alle dem Inneren angehören: vergoldete Balken (35), d. h. prachtvolle Kassettendecken, wie sie Horaz in den Zeiten, als es noch üblich war, privaten Luxus in Gedichten von sich zu weisen, gerade nicht hat (Hor. carm. 2, 18, 1sq.: Non ebur neque ­aureum / mea renidet in domo lacunar; cf. Sen. dial. 12, 10); allenthalben Türgewände aus afrikanischem Zitrusholz (35), Wandverkleidungen aus geädertem Stein, also etwa dem als besonders edel geltenden pavonazzetto (36),212 und Wasserspiele in ›allen Zimmern‹, d. h. in den für Besucher zugänglichen repräsentativen Räumen, man denkt am ehesten an Sommertriklinien (37).213 Angesichts dieser Fülle fällt anscheinend die Auswahl schwer: Huc oculis, huc mente

210 Unbegreiflich Cancik (1978), 119: »… knapp die Hälfte aller Verse befassen sich mit dem Rauschen, Ruhen, Dampfen, Kühlen, Fallen des Wassers.« Dampf erscheint im Gedicht, soweit ich sehen kann, nur einmal (silv. 1, 3, 43), Rauschen, soweit ich sehen kann, überhaupt nicht. 211 Vgl. Cancik (1978), 124, Anm. 50. 212 Vgl. zur Hierarchie der Marmorsorten Zeiner (2005), 84–90 und Gauly (2006), ­464–466 (mit Literaturhinweisen). 213 Zu diesem Element der Wohnkultur vgl. Salza Prina Ricotti (1987); Rühl (2006), 259, deutet cubilia als ›Schlafzimmer‹, was mir fragwürdig erscheint.

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trahor (38), und im gleichen atemlosen Tonfall des ›Was soll ich zuerst beschreiben‹ setzt sich die Aufzählung fort: altehrwürdige Haine (39), eine aula, die auf den Fluß hinabblickt, und eine andere, die (offenbar: in die Gegenrichtung) zu den schweigenden Wäldern schaut (39–42), ferner Privatthermen auf grasigem Hügel am Wasser, die mit ihren Heizanlagen die Nymphen im Fluß zum Keuchen bringen (43–46). Mit diesem Katalog von Sehenswürdigkeiten scheint der Sprecher sein erstes Gefühl des Überwältigtseins ein Stück weit überwunden zu haben, denn der Tonfall der Beschreibung wird merklich ruhiger: ›Ich sah Kunstwerke von der Hand alter Meister, Metallfiguren in lebensechter Ausführung‹ (47sq.), goldene Statuetten, Elfenbeinschnitzereien, Gemmen, die es wert wären, zu Ring­steinen gefaßt zu werden (48sq.), ferner Miniaturstatuetten aus Silber und Bronze, die anscheinend die Funktion von Disegnos für Kolossalstatuen hatten  – ein gewiß recht elitäres Sammelgebiet (50sq.),214 dem sich Vopiscus widmet und dessen Früchte er seinen Gästen vermutlich eingehend präsentierte: entsprechend vollständig mußte die Auflistung im Gedicht wohl auch ausfallen, um dem Stolz des Hausherrn gerecht zu werden.215 Die musealen Betrachtungen des Sprechers werden freilich unterbrochen, als er sich bewußt wird, dabei sogar auf Reichtum bzw. einem Kunstwerk zu stehen, konkret einem ἀσάρωτον-Mosaik,216 das durch raffinierte Beleuchtung auch noch entsprechend in Szene gesetzt ist ­(52–57) und das den Schauplatz dieser Verse relativ sicher auf ein triclinium oder zumindest einen als triclinium nutzbaren Raum festlegt, da andernorts jener spezielle Mosaiktypus mit seinen Darstellungen liegengebliebener Speise­reste wenig passend erscheinen müßte. Auf das calcabam necopinus opes (53) folgt die erschrockene Reaktion: expavere gradus (57).

214 Solche Disegni erscheinen auch noch silv.  4, 6, 44–46. Zu einer poetologischen Implikation des Miniaturen- oder Disegnomotivs vgl. o. 120. Auch hier kann man, wenngleich der Text nicht eben dazu drängt, eine ähnliche Linie ziehen: Statius’ angeblich so rasch hin­geworfene, in Wahrheit raffiniert durchdachte Gedichte ähneln den Disegni großer Bildhauer und sind durchaus ebenbürtiges Äquivalent zu kolossaler Ausführung, also etwa zur hohen Dichtung des Epos. Freilich sind sie dem privaten Bereich der Silvae eher angemessen – welcher Privatier sammelt schon Kolossalstatuen? Umso besser fügt sich solch eine leicht hingeworfene Skizze wie silv.  1, 3 dafür, einen gewissen cross-over der Kunstgattungen in Rechnung gestellt, in die Disegnosammlung des Vopiscus ein; vgl. auch u. Anm. 390. 215 Zum Kunstsammlertum römischer Villenbesitzer vgl. Vermeule (1967), passim; Neudecker (1988), 91–104. 216 Die Begriffserklärung bietet Plin. nat. 36, 184; das Wort an sich erscheint außer hier in Vers 56 in der Dichtung nur noch bei Sidon. carm. 23, 58 – ein typischer Befund, der noch dadurch verstärkt wird, daß auch in der Prosa Plinius den einzigen Beleg bietet: ein gutes Beispiel für das Naheverhältnis des Statius zu technischen Details. Vgl. z. B. Andreae (2003), 47 f. mit Abb. 46–51.

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In der Art einer Präteritio (›Wozu soll ich folgendes noch besonders be­ staunen?‹) folgen noch weitere Elemente der Villa: Nicht näher definierbare Bauteile (57sq.: iungentia … aut … partitis distantia tecta trichoris)217; ein Baum, um welchen offenbar die Villa herumgebaut wurde, sodaß eine Naiade oder Hamadryade nun, wie Statius raisonniert, möglicherweise Vopiscus ihr (Weiter-) Leben verdankt, weil dieser den Baum nicht fällen, sondern mediis penatibus (59) bestehen ließ (59–63) und damit also sogar Odysseus übertraf, der sein Schlafgemach auf Ithaka gemäß Hom. Od. 23, 190–204 zwar auch um einen Baum herum anlegte, jedoch nur um dessen Stumpf, der sodann als Träger des Bettes diente;218 ferner ein Sommertriclinium am Wasserlauf (64) und Teiche mit Springbrunnen (65),219 schließlich eine offenbar im Dükerverfahren unter dem Fluß hindurchgeführter Ast der Aqua Marcia, deren Bleileitung zum mythischen Vergleich mit der das ionische Meer unterquerenden Arethusa einlädt (66–69). Der Gott Anien persönlich pflegt im Dunkel der Nacht zum Bad hierherzukommen, Tiburnus ruht hier im Schatten und Albula, die Göttin der heutigen Solfatara di Tivoli, schätzt es, hier ihr schwefelgelbes Haar zu waschen (70–75). Die schlußbildende Funktion solcher nächtlich-genrehafter Göttererscheinungen wurde bereits festgestellt (vgl. 466), und auch hier ist die Beschreibung sowohl inhaltlich an ihr Ende gelangt als auch, weil sich nun Nacht über die Szenerie gebreitet hat. Entsprechend appendixartig wirken die nachfolgenden Verse 76–89, die ein Mittelding aus allgemeinem abschließendem Preis der Villenanlage (›Dieses Haus könnte Egeria von Diana trennen und Pan vom Lykaiosgebirge herlocken‹: 76–78) und hinzugefügten weiteren ekphrastischen Punkten, speziell den Grünanlagen, darstellen: auch über pomaria, einen Obstgarten, verfügt Vopiscus in Tibur, und dieser Wohnsitz übertrifft denn auch alle anderen, über die der wohlhabende nobilis verfügte und die Statius in 83–89 mit 217 Die parallelenlose Formulierung ist schwer zu deuten: Corti (1991), 189 f., denkt an eine »galleria«, also wohl eine porticus, was immerhin naheliegt. Bek (1983), 99, liest offenbar triconchis und denkt an ein triclinium, was ebenfalls möglich ist; vgl. auch Courtney (1984), 332 f. Interessant der Vorschlag bei Illuminati (1941), 110, demzufolge trichorum ein drei­ stöckiges Gebäude bezeichne und als Wort noch im Mittellateinischen erhalten sei (was sich meiner Nachprüfung freilich entzog, jedenfalls in dieser Wortbedeutung). 218 Das richtige Verständnis der Stelle verdankt sich Otto (1887), 370. Daß man nicht bloß Einzelbäume, sondern sogar Baumgruppen im ›Hausinneren‹ hegte – bei hinlänglich großem Peristyl an sich keine Schwierigkeit –, kritisiert bereits Hor. epist. 1, 10, 22 nempe inter varias nutritur silva columnas; auf die Bedeutung solcher hausinterner oder zumindest hausnaher silvae in der Villenmalerei weist Mansuelli (1990), 347 f. hin. 219 Eine textkritische Anmerkung: Das in Vers 65 überlieferte albentesque lacus ist mit Courtney (1990) und gegen Shackleton Bailey (2003), der algentes bevorzugt, wohl im Text zu halten. Es erinnert an die weißen Ufer des Teiches der Arbor Atedi Melioris (vgl. o. II , bei Anm. 162), und metonymisch kann auch hier albentes lacus einen oder mehrere Teiche mit einem weißen Ufer (Steineinfassung?) bezeichnen, so gut auch Heinsius’ Konjektur algentes zur unten noch vorzustellenden Deutung des Kältemotivs im Gedicht passen würde.

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einer gewissen Lust am katalogischen Aufzählen auflistet.220 Man hat den Eindruck, daß es Manilius Vopiscus wichtig war, seinen Reichtum in Statius’ Gedicht möglichst umfassend vorgestellt zu sehen, und so hat diese Scharnierpassage, die von der eigentlichen Villenbeschreibung zur Charakterisierung des Hausherrn überleitet, auch einen gewissen Überwältigungseffekt: Ein Leser, der durch die zuvor aufgelisteten Wunder des Tiburtiner Gutes noch nicht hinlänglich beeindruckt ist, ist es spätestens, wenn er beiläufig erfährt, daß dies nur eine von acht villae ist, in denen Vopiscus nach Belieben residiert; falls es nicht sogar noch mehr waren und der Sprecher einige weniger prominente Ortschaften bescheiden beiseitegelassen hat. Gerade die Erwähnung der pomaria im letzten Abschnitt macht deutlich, daß die grundsätzliche Technik der Hausbeschreibung, wie sie an silv. 2, 2 beobachtet wurde, auch in silv. 1, 3 in großen Zügen gewahrt ist, jedenfalls insoferne auf eine allgemeine Lage- und Umgebungsskizze, während derer sich die Beobachtungsinstanz immer mehr dem Gebäude annähert, die Ekphrasis der Villa selbst mit ihren einzelnen Teilen und ihrem Interieur folgt, abgeschlossen durch eine Erwähnung der Gartenanlagen, welche dem Leser dazu verhilft, an der Hand des Beschreibenden die Villa auch wieder zu verlassen. Vergleichende Lektüre der beiden Gedichte hinterläßt höchstens einen zunächst unbestimmten Eindruck, daß die Beschreibung von silv. 1, 3 unübersichtlicher, chaotischer sei; und daß solche Unübersichtlichkeit in gewissem Widerspruch zur allenthalben beschworenen Ruhe, der Grundstimmung des Tibur Vopisci (laut Statius), steht. Diesem Eindruck wird nachzugehen sein.

c) silv. 1, 3, 90–110 Ehe ich mich jedoch nochmals der Villenbeschreibung und ihren tatsächlich höchst intrikaten Implikationen zuwende, sei ein rascher Blick auf die Schlußpassage des Gedichtes geworfen. Auch sie gleicht motivlich und strukturell sehr ihrem Gegenstück in silv. 2, 2, freilich in einer auf das Nötigste reduzierten Form. (1) Ebenso wie Pollius Felix ist auch Manilius Vopiscus als Philosoph zu sehen, genauer als Epikureer (die fast obligatorische Erwähnung des senior Gargettius erfolgt in Vers 94: vgl. silv. 2, 2, 113), der es versteht, Reichtum für nichts und virtus für wesentlich zu halten, wenn auch ohne den verbissenen Ingrimm des Stoikers (90–92).221 Freilich: Den sich aufdrängenden Gedanken, daß Reichtum leicht zu verachten ist, wenn man über mindestens acht Land 220 Genannt werden: Tusculum, Ardea, Baiae, das Kap von Circei, Anxur, Caieta und Antium, letzteres die Winterresidenz des Vopiscus; vgl. Marshall (2008), 604–608, mit zutreffender Zurechtrückung der Interpretation von Newlands (1988), 104 f. 221 Zu Manilius Vopiscus vgl. Nauta (2002), 226.

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schlösser verfügt, kann Statius schlechterdings nicht verhindern, er versucht es auch gar nicht, sondern wandelt den zuvor so ostentativ ausgebreiteten Luxus des Vopiscus in sein geistiges Äquivalent um: sanus nitor und luxu carentes de­ liciae seien es, welche ihn wirklich auszeichnen (92sq.), sodaß selbst Epikur seinen κῆπος gerne mit dem Tibur Vopisci vertauschen würde. – (2) ›Dieses Haus sehen zu dürfen ist ein Vergnügen, für das es sich lohnte, selbst Winterstürme auf der Ägäis unter dem Zeichen der Hyaden und der Capella, zwei topischen Signalsternbildern für die kalte, regnerische Jahreszeit, auf sich zu nehmen, Kap Malea zu umschiffen und die Straße von Messina zu durchfahren: Weshalb weiß man naheliegende Sehenswürdigkeiten so wenig zu schätzen?‹ Dieser Gedankengang ist zwar logisch konsistent und läuft auf eine Aufforderung an das italische und besonders stadtrömische Publikum hinaus, nach Möglichkeit jene Villa zu besichtigen, ein wenig sonderbar aber wirken die gewählten Beispiele für meteorologische Mühsal, die man in Kauf nehmen sollte: Sie gehören alle in die Winterszeit, also eine Zeit, zu der erstens, wie knapp zuvor erläutert wurde (88sq.) Vopiscus gar nicht in Tibur ist (was man freilich nicht unbedingt mithören muß), zu der zweitens aber Tibur selbst, mit seinen kühlen Temperaturen und mit seiner Fülle an Wasser ein typisches Sommer­refugium, sich kaum von seiner besten Seite präsentieren kann. – (3) Hier pflegt Vopiscus seine literarischen Ambitionen und verfaßt pindarische, epische und satirische Verse sowie stilistisch und / oder inhaltlich ›funkelnde‹ Briefe (99–104).222 Von diesen Produkten eines wohl jener zahlreichen Hobbypoeten, welche man vor allem aus Martial als Phänomen der flavischen Zeit gut kennt, ist keine Spur erhalten geblieben, doch es besteht kein Grund zur Annahme, Statius habe ihm die schriftstellerische Tätigkeit bloß angedichtet.  – (4) ›Du bist der Reichtümer eines Midas und Krösus und Perserkönigs wert, weil du über bona animi verfügst: Hermus und Tagus, zwei topisch (und realgeographisch) goldführende Flüsse, sollten an deinem Grund vorbeifließen!223 Mögest du also docta otia pflegen und ohne Sorgen224 ein hohes Alter erreichen, mehr noch als Nestor.‹ (105–110). 222 Die Textgestalt von Vers 104 seu tua non alia splendescat epistula cura ist insofern in Zweifel zu ziehen, als non alia cura, von Shackleton Bailey (2003), 71, mit »no less care« nur unscharf übersetzt, im Kontext eigentlich nur auf den vorangegangenen Punkt der Aufzählung zu beziehen ist, also Vers 103 sive / liventem saturam nigra rubigine vibres. Also satirische Briefe? Wohl kaum. Die Konjektur seu tua non ulla splendescat epistula cura (›glänzend, obwohl keine besondere Sorgfalt angewandt wurde‹), die Otto (1887), 371, vorschlägt, kann also durchaus in Erwägung gezogen werden, wenigstens im Sinn der Diagnose eines Textproblems; zu meiner Freude kommt auch Liberman (2010), 120, dessen Werk mir erst kurz vor Drucklegung des vorliegenden zugänglich wurde, zum selben Schluss. 223 Zum Tagus als topisch goldführendem Fluß vgl. Domergue (1990), 8 mit Anm. 47. 224 Die Textgestalt von Vers 109 ist fragwürdig: Das überlieferte, wenig plausible detectus wird verschiedentlich verbessert: Shackleton Bailey (2003) setzt detertus, während Håkanson (1969), 44 f., für detersus plädiert. Über ein non liquet ist wohl kaum hinauszukommen, doch scheinen mir Håkansons Argumente schlüssig: daher detersus; vgl. auch Liberman (2010), 121.

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Die Motive (1), (3) und (4) decken sich weitestgehend mit ihrer breiteren Ausführung in der Schlußpassage von der Villa Surrentina, lediglich die als (2) gezählte verhüllte Aufforderung, sich die Villa doch anzusehen, findet dort keine Entsprechung. Sie führt indes auf den Beginn des Gedichtes zurück, der jene glücklich preist, die das Tibur Vopisci sehen konnten (cernere … si quis … potuit: silv. 1, 3, 1–3), und gipfelt in der Frage (98): cur oculis sordet vicina voluptas?225 Es scheint daher angebracht, dem Motiv des Sehens im Verlauf des Gedichtes besonders nachzuspüren.

d) Das beschriebene Haus: Standpunkte im Irgendwo? Hinweise darauf, daß das Schauen als Vorgang im Gedicht eine größere Rolle spielt als jene, die ihm im Rahmen der Ekphrasis einer in erster Linie optisch wahrnehmbaren Gegebenheit zwangsläufig zukommt, verteilen sich seit der Eröffnung des Gedichtes mit dem Wort cernere über den gesamten Text: Das Ich ist vom Schauen ganz erschöpft (14: lassos … visus), und als er das Haus betreten hat, wird der Sprecher von den sich bietenden optischen Eindrücken geradezu hinundhergerissen (38: huc oculis, huc mente trahor); er sieht Kunstwerke (47: vidi), streift schauend umher und läßt seine Blicke über alles gleiten (52: va­ gor aspectu visusque per omnia duco), schließlich wundert er sich darüber (98: cur oculis sordet vicina voluptas?), weshalb man naheliegende Sehens-Würdigkeiten nicht schätze. Auch andere Instanzen als der Sprecher und Beobachter schauen bisweilen: das Sternbild Löwe in Vers 6 (aspexit), die beiden aulae der Villa (40: cernis / respicis); hinzu kommen noch weniger eindeutige, doch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ebenfalls dem Bereich des Sehens zuordenbare Begriffe wie noscere (3); splendor etc. monstravere solum (53–55); auch Begriffe wie imago (18), picta … humus (55sq.), figura (56; 48) fallen in den optischen Bereich, und schließlich erscheint visus auch noch im Zuge der Beschreibung des schmalen Wasserlaufs (30sq.: datur hic transmittere visus et voces et paene manus): sachlich unauffällig, eher überrascht, daß der Begriff überhaupt angeführt wird, denn der Kanal zwischen den beiden Villenhälften müßte schon enorm breit sein, daß man mit jemandem am anderen Ufer nicht einmal Blicke wechseln könnte. Zum Vergleich: In der Beschreibung der Villa Surrentina erscheinen Begriffe aus dem semantischen Feld des Schauens fast nur im Zusammenhang mit den dort so bedeutenden prospectus-Szenarien, 225 Mayer (2005), 105, ist der Ansicht, Statius wolle mit dieser Frage den Hausherrn Vopis­ cus unterschwellig auffordern, seinen Reichtum doch vernünftig einzusetzen. Das erscheint mir unzutreffend, denn Adressat der Frage ist gerade nicht Vopiscus (dessen effektiv vorhandene und seitens ihres Besitzers doch wohl auch geschätzte vicina voluptas Statius ja gerade besucht), sondern die Leserschaft des Gedichtes.

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sonst nur beiläufig in der für Ekphraseis typischen Weise.226 Hier hingegen durchziehen sie fast das ganze Gedicht, und erreichen einen emphatischen Höhepunkt am Beginn des Abschnittes, der das Innere der Villa zeichnet: Huc ocu­ lis, huc mente trahor (38). Möglicherweise gilt es also, dem Vorgang des Schauens im Mittelteil der Ekphrasis (34–63) näher zuzusehen, ab dem Punkt also, an dem der Sprecher das Gebäude betritt. Zunächst eine Frage zur Vergewisserung: Was ist von einer Hausbeschreibung eigentlich zu erwarten, und worauf stützt sich diese Erwartung? Zunächst besteht aufgrund des bis zu einem gewissen Grad narrativen Charakters der Beschreibung – eine Ichinstanz berichtet von dem, was sie im Zuge eines Besuches gesehen hat – zumindest per literarischer Konvention die Notwendigkeit, daß der autodiegetischer Erzähler, wie Statius’ Text ihn bietet, zwangsläufig selbst so durch den Raum bewegt werden muß, daß sein Wahrnehmungsraum ausreicht, dem Leser die Gegebenheiten wünschenswert nahezubringen, und dies noch nach Möglichkeit in ökonomischer Weise, also ohne allzu viele Umwege, die ja als Positionsveränderung des Ich-Erzählers in irgendeiner Form verbalisiert werden müßten: also eine sogenannte progressive Landschaftsskizze.227 Freilich: Ein Nahebringen im Sinne einer präzisen, zur Grundlage einer Rekonstruktion taugenden Beschreibung ist von einem Text kaum je, und von einer dreißig Verse langen poetischen Passage ganz sicher nicht zu erwarten. Hier gilt es auf der einleitend skizzierten Grundannahme hinsichtlich der Referentialisierbarkeit auf aktuale Räume aufzubauen, und zwar muß, da selbst im Falle einer erfolgreichen archäologischen Lokalisierung der Villa in Tibur nur undeutlichste Reste der einstigen Aktualität mehr vorhanden wären, für den modernen Leser so wie schon für die meisten antiken Leser der publizierten S­ ilvae, denen das Tibur Vopisci aus eigener Anschauung ebensowenig bekannt war, die Annahme einspringen, das fragliche Haus werde, wo nicht extra darauf hingewiesen wird, in seiner Anlage, Ausstattung usw. nicht allzu weit von bekannten vergleichbaren Objekten abweichen: Was zum Textverständnis prinzipiell völlig ausreicht. Es gilt also die notwendig inkomplette fiktive Welt des Gedichtes zu komplettieren, durch Rückgriff auf die aktuale Welt, und zwar 226 Ausdrücke im Kontext von prospectus: silv. 2, 2, 3: villa speculatrix; 45sq.: domus ­ortus aspicit; 73: visendi vices; 76: videt / paret; 82: spectat; 84: ingerit (zu welchem noch weitere variierend für ›prospectus bieten‹ gesetzte Ausdrücke aus den Versen 77–84 zu stellen wären); schließlich das der villa speculatrix entsprechende despicis der philsophischen Haltung des Hausherrn in Vers 132, der die Wahrheit schaut (ähnlich 138sq.: discussa rerum caligine verum / aspicis). Nur die Bemerkung vix ordine longo suffecere oculi (silv.  2, 2, 42sq.) erinnert an die erschöpften visus des Tibur Vopisci, während man ein beiläufiges hic, ubi plana vides (54) bzw. ubi nunc nemora ardua cernis (55) oder cerne iugum (58) eher dem oben erwähnten Automatismus zuschreiben wird, demzufolge Ekphraseis optisch wahrnehmbarer Gegenstände kaum gänzlich ohne Seh-Vokabular auskommen könnten, selbst wenn man es versuchte. 227 Witek (2006), 36.

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sowohl hinsichtlich zeitunabhängiger Gegebenheiten (etwa die Gültigkeit der Naturgesetze) als auch hinsichtlich zeitlich bedingter (der gegebene Kenntnisstand von Architektur und Gesellschaft der Flavierzeit).228 Statius’ Gedicht wird in großen Zügen der oben umrissenen Konvention gerecht und verfolgt das schon an silv. 2, 2 beobachtete Grundmuster zum Raumaufbau: Die Annäherung an die Villa als erste Phase wird zwar nicht explizit als solche geschildert, kann aber aus der Beschreibung der Umgebung (silv. 1, 3, 13–23 und 24–33) zwanglos vermutet werden. Spiegelbildlich dazu mag man die Erwähnung der Gartenanlagen mit ihren Wasserspielen (64–75 und 76–89) für das Sich-Entfernen der Wahrnehmungsinstanz vom Haus nehmen. Es bleibt die Beschreibung des Hauses selbst, und die erscheint zwar an der erwarteten Stelle in der Mitte, ist aber in sich problematisch. Ich habe schon oben auf den chaotischen Eindruck, den sie auf den Leser macht, hingewiesen, Alex Hardie bezeichnet sie als »a somewhat breathless description« und attestiert dem Ganzen überhaupt eine »aura of unreality«;229 Heinrich Drerup schließlich bezeichnet die Architektuschilderungen des Statius pauschal als »seltsam unanschaulich«.230 Dieser Eindruck ist zweifellos nachvollziehbar und erinnert an das harte Verdikt Friedrich Vollmers, daß Statius in silv. 1, 3 nicht einmal das simpelste Mittel, eine Hausbeschreibung zu gestalten, einzusetzen gewußt habe, nämlich den logisch nachvollziehbaren Gang von Zimmer zu Zimmer  – die zugrundeliegende Beobachtung Vollmers ist entgegen einer freilich nur en passant getätigten Bemerkung Kathleen Colemans, Statius könne Grundrisse mit großer Prä­zision 228 Positiv gestützt werden derlei Annahmen im Gedicht naturgemäß nicht (sie werden es in Texten so gut wie nie), sodaß der Einwand, die Villa von silv. 1, 3 könne doch ebensogut sehr atypisch ohne Außenwände, meinetwegen ohne Dach oder gar in einem der Schwerkraft nicht unterworfenen Raum gebaut sein (obwohl dagegen notfalls das Fließen des Anien und das Verb calcabam [53] stünden), theoretisch möglich ist. Doch mit dieser Form des ar­ gumentum ex silentio ist, wie schon o. 21–24 beim ›Westminster-Abbey-Problem‹, nichts außer logischen Plusterungen zu erreichen. (Das Wort verdanke ich Heimito von Doderer, dem als einem der großen Raumentwerfer der deutschen Literatur auch in der Diktion gelegentlicher Tribut zu zollen ist). 229 Hardie (1983), 176; ähnlich übrigens Cancik (1978), 129 f., der von »atemlosem Staunen« spricht. Mit dem Ausdruck ›unreality‹ (ebd. 179) bezieht sich Hardie freilich eher auf die religiös-philosophische Ebene des Gedichts, nicht auf die gebotene oder eben nicht gebotene Räumlichkeit. Doch wird noch ansatzweise zu zeigen sein, daß die beiden Bereiche sehr wohl miteinander zusammenhängen. 230 Drerup (1957), 9 f.: »Es ist dies der gleiche Dichter, der in seinen Villenbeschreibungen dort, wo er den Blick auf die ungebundene Natur wirft, in gedrängten Worten und mit echter Poesie ein bewaldetes Flußtal, die Felsküste mit spiegelndem Meer und Fernsicht, kurz Lage und Eigenart einer Landschaft vor Augen führt und auch in der Beschreibung eines plastischen Kunstwerks das Gegenständische nicht übersieht. Sobald die Beschreibung jedoch der Architektur welcher Art auch immer sich zuwendet, wird sie seltsam unanschaulich. Die leitenden Themen sind jetzt einmal die Kraft und Kühnheit, mit welcher der Bauherr sich das Gelände unterjocht hat, ist vor allem die das Auge ratlos machende Ausstattung.«

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verbalisieren,231 korrekt,232 auch wenn er damit, wohl ohne dies zu wollen, Statius den geistigen Entwicklungsstand eines Siebenjährigen unterstellt.233 Dagegen polemisiert zwar, um eine Ehrenrettung des Statius’ bemüht, Hubert Cancik234 mit dem Argument, es gäbe gar keine zu erwartende Konvention eines Gangs durch ein Haus anläßlich derlei Beschreibungen, also könne Statius auch nicht mit ihr gebrochen haben, irrt damit aber meines Erachtens: Denn die fragliche Konvention, wie die Beschreibung eines Gebäudeinneren anzulegen ist, nämlich als Gang einer wie auch immer definierten Wahrnehmungsinstanz235 von der Eingangstüre weg durch alle (relevanten) Räume, existiert sehr wohl, sie ist sogar außerordentlich stabil; dies zeigen linguistische Studien236 231 Coleman (2008), 29: »He can describe a floor-plan or a cityscape with elaborate precision …« – Die genaue Beschreibung einer Stadtlandschaft wird man Statius aufgrund von silv. 1, 1 zugestehen, auch wenn seine Selektivität im Umgang mit den Gebäuden am Forum Romanum einen Fall für sich darstellt. Doch wo Statius je den Grundriß eines Hauses präzis verbalisieren soll, ist mir nicht nachvollziehbar: jedenfalls in keinem der Villengedichte, und auch sonst nirgends in den Silvae, nicht einmal in silv. 1, 5, wo mit einer privaten Thermenanlage wahrscheinlich der einfachste Grundriß zu beschreiben gewesen wäre. 232 Vollmer (1898), 262–281, bes. 263: »Nicht einmal eine dem Laien genügende Verbindung der Einzelheiten, etwa unter der Fiction eines Ganges durch das Ganze, giebt Statius; über das rhetorische Aufzählungsschema mit seinen schwerfälligen Verbindungen kommt er nicht hinaus.«; ähnlich 271 im Kommentar zu Vers 35; vgl. auch Hardie (1983), 179: »Statius’ personal entry makes us see the villa through the eyes of an excited visitor, recalling highlights.« – ›excited‹ ist dabei wohl vornehme Umschreibung für ›rhetorisches Aufzählungsschema‹, ›highlights‹ Synonym für ›unzusammenhängendes Durcheinander‹. Der Meinung schließen sich auch Szelest (1966), 186–197, bes. 189 f., und Newmyer (1979), 99 f., an. 233 Vgl. Gauvain-Rogoff (1989). 234 Cancik (1978), 118; vgl. ders., (1965), 120, Anm. 24. Die von ihm als Belege für ›ungeordnete‹ Hausbeschreibungen angeführten Passagen aus Vitruv (6, 1–5) und Columella (1, 4–6) vermögen nicht zu überzeugen, da die kontextuellen Rahmenbedingungen dieser Beschreibungen resp. ihr Zweck ein völlig anderer ist: Jene beiden Autoren wollen nicht eine konkrete Villa beschreiben, sondern die wesentlichen Bauelemente einer Villa im allgemeinen auflisten. Das verringert die Notwendigkeit der Anschaulichkeit und eröffnet zugleich die Möglichkeit, die Beschreibung z. B. eher nach sachlichen Zusammengehörigkeiten denn nach räumlichen Anordnungen anzulegen. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die konkrete Bausituation eines Hauses ebenso wie spezielle Wünsche des Bauherrn eine große Fülle möglicher Varietäten bewirken können, denen die Texte Vitruvs und Columellas gleichwohl einigermaßen gerecht werden wollen. 235 Fowler (1991), 29, weist auf die Zwangsläufigkeit dieses Standpunkteinnehmens hin, das er ganz zu Recht aus dem diachronen Verlauf jeder sprachlichen Äußerung ableitet. 236 Grundlegend nach wie vor: Linde-Labov (1975); umfassender dargestellt in: Linde-­ Labov (1985); wichtig ferner: Ullmer-Ehrich (1979); Tappe (2000). Das Modell ist inzwischen auch in der Kognitions- und Entwicklungspsychologie anerkannt und in der Nachfolge der Forschungen J. Piagets als Anzeiger für den Grad der Verbindung zwischen kindlicher Raumerfassung und Erwerb von Kompetenzen im Gebrauch konventioneller Kommunikationsformen zur Darstellung räumlicher Sachverhalte erforscht: vgl. z. B. Gauvain-Rogoff (1989). Freilich könnte man einwenden, daß der Begriff ›konventionell‹ nicht eben die Umlegbarkeit dieser Beobachtungen auf antike Gegebenheiten sowie allgemein auf literarische

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ebenso wie die Evidenz literarischer Hausbeschreibungen inner- und außerhalb der römischen Literatur.237 Einige Beispiele: Die Beschreibung der regia Solis am Beginn von Ovids zweitem Metamorphosenbuch (met. 2, 1–31) folgt dem simplen Bewegungsschema Annäherung (in die dafür nötige Bewegung kommt der als Wahrnehmungsinstanz fungierende Phaëton noch am Ende des ersten Buches) – Durchschreiten der Tür – Durchschreiten des Palastes (dessen Inneres dabei in den Blick kommt) bis zum Thron des Sol, dem letztlichen Fluchtpunkt der zunehmenden Fokussierung. Diese Hausbeschreibung, die in ihrer Art keineswegs allein steht,238 unterscheidet sich von Texten wie silv. 1, 3 freilich insofern, als diesen genau jene Fokussierung auf ein bestimmtes, allein wichtiges Ziel im Inneren des Gebäudes fehlt. Während der Palast des Sol narrativ nur deshalb von Bedeutung ist, weil dort Sol residiert, zu welchem Phaëton gelangen möchte, sodaß nur der Weg vom Palasteingang zum Thron des Sol interessiert (und entsprechend als verzweigungslose und gerade Linie gezeichnet wird), versuchen Hausbeschreibungen im eigentlichen Sinn bei prinzipiell gleichbleibender Technik – verbalisierte Bewegung einer Beobachtungsinstanz – eine Darstellung des fraglichen Gebäudes in seiner Gesamtheit und mehr oder minder um seiner selbst willen. Entsprechend ausführlicher ist Plinius’ des Jüngeren Beschreibung seiner Laurentiner Villa (epist. 2, 17), auch wenn Reinhard Förtsch »keine durch­ gehende Systematik« erkennen will239 – sicherlich lag es nicht in der Absicht des jüngeren Plinius, ausreichende Informationen zur Anfertigung eines eindeutigen Grundrisses zu geben (der denn auch bis heute nicht gelungen ist),240 und auch Heinrich Drerups Hinweis darauf, daß für Plinius offenkundig die Frage, wohin welcher Raum seiner Villa blickt (prospectat), mehr Gewicht besaß als Texte garantiert: vgl. Hartner (2012), 25 f. Dagegen jedoch ließen sich die oben aufgelisteten Beispiele ebenso ins Treffen führen wie der Umstand, daß das Lateinische genau für die fragliche Sprechsituation mit dem Dativus iudicantis sogar eine eigene grammatikalische Verankerung bietet, während das Deutsche sich mit jenem sonderbaren wenn-Satz behelfen muß, der Ullmer-Ehrich (1979), 66, zu etwas ratlosen Erwägungen veranlaßt. 237 Vgl. Elsner (1995), 79 f.; Fowler (1991), 29, verwendet sogar den Typus ›Hausbeschreibung‹ als Musterbeispiel für die Notwendigkeit organisierter Führung der Wahrnehmungsinstanz; ferner vgl. Szelest (1966), 187, Anm. 7; Szelest verkennt aber die Situation, wenn sie die Ungenauigkeit der Villenbeschreibung des Statius einer Tradition ungenauen Beschreibens zuschreibt: ebd., 195. 238 Hingewiesen sei auf Ovids Beschreibung der Höhle des Somnus in met. 11, 592–616, wo die bewegte Wahrnehmungsinstanz, diesfalls die Götterbotin Iris, in gleicher Weise nach erfolgter Allgemeinbeschreibung von der Eingangstür direkt ins Innerste des Palastes geführt wird, übrigens durch eine Szenerie, der die Villenbeschreibung von silv. 1, 3 hinsichtlich der schweigend-schlafenden Grundstimmung viel zu verdanken hat. 239 Förtsch (1993), 26. Zu Plinius’ Laurentinum vgl. allgemein auch Swoboda (1995); ferner vgl. Lefèvre (1977). 240 Zur Geschichte der Grundrißrekonstruktion zu Plinius’ Villen vgl. Philipp (2006), 103–107.

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deren Anordnung im Grundriß zueinander, hat seine Richtigkeit,241 aber das Grundprinzip ›von außen nach innen‹, und sogar darüber hinaus noch eine Fülle detaillierterer Angaben zu Richtung und Gruppierung oder Zusammenhang einzelner Bauglieder sind jedenfalls gegeben: Der mehrere Seiten lange Text beginnt mit Angaben zur Lage der Villa und ihrer Erreichbarkeit von der Via Laurentina und der Via Ostiensis aus: also Annäherung der Wahrnehmungsinstanz an die Villa; ferner operiert er durchgehend mit deiktischen, d. h. standpunktabhängigen Referenzen des Typs deinde (epist. 2, 17, 4 et passim), huius a laeva (6), inde (11), hinc (16) usw., die eine sinnvolle Reihe vom Haupteingang der Villa bis zu Plinius’ eigenen Privatgemächern im hintersten Bereich des Gebäudes ergeben: also ein virtueller Gang durch die Villa, der noch durch zahlreiche Angaben zu den Ausblicken (prospectus) die man aus den einzelnen Zimmern genießen könne, intensiviert wird. Ebenso wird die tuskische Villa desselben Autors beschrieben (epist. 5, 6): Zunächst Schilderung der klimatischen Bedingungen und der Landschaft, dann der Lage der Villa im Gelände. Die im vorigen festgestellten Elemente der Gebäudeführung (deiktische Raumreferenzen einerseits, zahlreiche Angaben zu Aus- und Durchblicken andererseits) finden sich ebenso zahlreich auch hier. Im Unterschied zu epist. 2, 17 wird jedoch hier das Funktionieren des Textes als virtuelle Führung durch die Anlage explizit zum Ausdruck gebracht: Vitassem iam dudum, ne viderer ar­ gutior, nisi proposuissem omnis angulos tecum epistula circumire. Neque enim verebar, ne laboriosum esset legenti tibi, quod visenti non fuisset, praesertim cum interquiescere, si liberet, depositaque epistula quasi residere saepius posses (epist. 5, 6, 40sq.).242 Offenkundig mit diesem Beschreibungsmodus, dessen Stabilität dafür aber Voraussetzung ist, gespielt wird bei Apul. met. 5, 1–4 in der Beschreibung des Palastes des Amor: Zunächst wird nur der Leser an den Palast heran-, in und durch diesen geführt, eventuell sogar wieder heraus, worauf die Abfolge cubi­ cula – porticus – valvae hindeuten kann (5, 1); dann Psyche, für die der Palast nun, wenngleich unkörperlich, bevölkert wird (5, 2–3); schließlich kommt der Gott (5, 4), und sein Eindringen in den Palast, der diesmal freilich nicht mehr beschrieben wird (nebenbei bemerkt ist es zu diesem Zeitpunkt der erzählten Handlung finster) ist ein zielgerichtetes, vollzieht sich doch explizit in dieser 241 Drerup (1990), 139. 242 Zu beiden vgl. Philipp (2006). Philipps Feststellung, die beiden Villen des Plinius hätten »wahrscheinlich nie existiert« (ebd., 89), kann ich freilich nicht mit gleicher Zuversicht nachvollziehen – es ist methodisch schon schwierig genug, die Existenz von etwas in einem Text Beschriebenen in der aktualen Welt zu beweisen, aber umgekehrt im Falle der Beschreibung von etwas so Gängigem wie einer Villa deren Nichtexistenz beweisen zu wollen, erscheint mir unvertretbar. Ferner vgl. Stahl (2008), 209–211 und Myers (2000), 127 mit der richtigen Beobachtung, daß im Gegensatz zu den Pliniusvillen die Existenz jener in den ­Silvae beschriebenen noch nie in Frage gestellt wurde.

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einen Bewegung der Parusie Psyches Entjungferung. Das deckt einen Zusammenhang auf, auf den schon anläßlich der panegyrischen Gedichte hingewiesen wurde (vgl. o. 316): die teilweise Identität von Palast und demjenigen der darin legitim residiert. So wie die Domus Flavia auf dem Palatin architektonische Repräsentanz, d. h. auch: Stellvertretung Domitians ist, und so wie in silv. 2, 2 die Villa Surrentina allegorisch, also wiederum repräsentierend, für Pollius Felix steht (ob gleiches auch in silv. 1, 3 gilt, wird noch zu überlegen sein), ist Psyche in jener Passage ebenso deckungsgleich mit Amors Palast, wie der Palast des Sol bei Ovid letztlich nur die Natur und Macht des Sonnengottes zum Ausdruck bringt. Doch zurück zur Technik der Hausbeschreibung: Selbst Sonderfälle wie die Beschreibung des Junotempels von Karthago (Verg. Aen. 1, 441–493) folgen ansatzweise dem Schema: Lage des Tempels (441–445), sein Podium mit Stufen (448), die trabes (Säulen bzw. Gebälk: 449), schließlich die Eingangstür (449): Doch bleibt die Beschreibung hier stehen und wechselt, durch lustrat (453) markiert, die Richtung, um die Darstellungen an der Außenwand des Tempels durchzugehen, bis der Betrachter wieder bei der Tür und damit vor Didos Thron landet (505). Mit einer gleichartig angelegten Tempelbeschreibung hat man es auch in Prop. 2, 31 zu tun, wo der imaginäre Gang zum und in den Tempel durch die Tempora der Verben präzis in die Phasen einer Handlung, der Bewegung der Wahnehmungsinstanz durch den Raum gegliedert wird: Darauf weist Claudia Klodt in einer Studie hin, die umso berücksichtigenswerter ist, als die Autorin diese Beschreibungstechnik nicht als etwas Topisches ansieht, sondern sie lediglich am Properztext selbst beobachtet.243 Intrikat ist der Fall des Palastes der Venus bei Sidon. carm. 11, 1–49, denn hier wird vor dem Einsetzen einer für die ›Fremdenführung‹ hilfreichen Bewegung (Ankunft der Venus und, später, Amors) der Palast im Text erst errichtet – und dennoch bleibt wenigstens das Grundschema, das mit der weiteren Umgebung beginnt, dann den Blick auf das Gebäude verengt und zu Details übergeht. Noch eine zweite Hausbeschreibung bietet Sidonius (epist. 2, 9), und diese wahrt das gewöhnliche Schema ungefähr, umrankt es aber mit zahllosen nicht dazugehörigen Informationen, die das Bild verunklären: ein nicht unübliches Phänomen der spätantiken Literatur ist ja, daß klassisch-literarische Topoi bzw. Techniken neu be-, manchmal überfrachtet werden, was jedoch nur dadurch möglich ist, daß sie eben nach wie vor nicht bloß vorhanden, sondern auch hinlänglich tragfähig für derlei Experimente sind. Statius selbst zeigt in einem den Villengedichten strukturell ähnlichen Gedicht, dem dritten in der Serie der beschreibenden Texte des ersten Buches, wie klar er drinnen und draußen zu trennen vermag. Das Balneum Claudi Etrusci,

243 Klodt (1998), 1–38, bes. 7–9.

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so der Titel von silv. 1, 5,244 wird nach einer prachtvoll-weitschweifigen, mythologisch verbrämten poetologischen Einleitung (silv. 1, 5, 1–28),245 in welcher die Grundmotive des Gedichtes, Wasser und Feuer, bereits anklingen und worin auch eine klare Themenangabe (12sq.: nitidis canimus gemmantia saxis / balnea) enthalten ist, gleichsam texträumlich eröffnet: vestra est, quam carmine molli /  pando domus (28sq): prononciert steht dabei pando am Versbeginn. Ab diesem Zeitpunkt befindet sich der Betrachter unzweifelhaft im Inneren der Thermen, wie die aufgelisteten Elemente beweisen (33: heißes Wasser, topisch durch die Fackel Amors entzündet; 34–41: edelste Marmore an den Wänden, Tür­stöcken, Schwellen;246 42sq.: Glassteinchen an den Gewölben; 45sq.: Fenster, durch welche Licht einfällt; 47–50: silberne Becken). Daraus ist keinerlei Grundriß dieses luxuriösen Privatbades abzuleiten, doch da Statius mit einem Publikum rechnen kann, welches die immer gleichen Grundelemente solcher Thermenanlagen kennt, kann der Text getrost auf solche Informationen verzichten und damit rechnen, daß der Leser imstande ist, sich eine passende Gruppe von Thermen-Innenräumen zuzüglich der aufgelisteten Dekorationselemente vorzustellen. Danach verlagert der Text mit einem wiederum die Spitzenstellung im Vers einnehmenden extra autem … (51) den Standpunkt hinaus, nimmt den vorbeifließenden Fluß in den Blick, den Ballspielplatz und das Heizhaus mit seiner aufsteigenden Rauchwolke. Ein kurzer, überbietender Vergleich mit Baiae und den Nerothermen (60–63) und eine nach der breiten Einleitung des Gedichtes überraschend kurze Schlußwendung von zweieinhalb Versen, worin der junge Besitzer des Bades angesprochen und das neuerrichtete Thermengebäude zum hoffnungsfrohen Symbol für seine ebenso aufzubauende Zukunft erklärt wird,247 führen das Gedicht in strukturell gleicher Weise zu Ende wie die aus 244 Am ausführlichsten dazu: Newlands (2002), 199–226 (ebd., 200, Anm.  3sq.: weiterführende Literatur). Einen lesenswerten Überblick bietet nach wie vor Holtsmark (1973/73), auch wenn ich seine Vermutung, Statius habe absichtlich ein fast grotest disproportioniertes Gedicht geschrieben, um die Sinnlosigkeit der verschwenderischen Bautätigkeit des Claudius Etruscus zu spiegeln, für etwas kühn (wenngleich nicht undenkbar) halte. 245 Vgl. Marshall (2008), 613–616. 246 Worin die von Krüger (1998), 221, im Zusammenhang mit den Marmorsorten festgestellte »laszive und perverse Atmosphäre, in welcher der Dichter dieses Bad vorstellt«, besteht, ist mir unerfindlich: Denn daß der phrygische Marmor seine rötlichen Adern vom Blut des Attis hat (silv. 1, 5, 36sq.), der sich die Geschlechtsteile abschnitt (ohne Anästhesin und wahrscheinlich nicht mit einem Hieb, wie Krüger, ebd., in schwüler Weise ausmalt), ist ein topischer Mythos und wird die Besucher des Bades kaum erschauern haben lassen. 247 Zu Claudius Etruscus und der Schlußwendung des Gedichtes vgl. Nauta (2002), ­229–233 und 310–312; Newlands (2002), 219–221; sowie nach wie vor White (1975), 2­ 75–279, Holtsmark (1972/73), 219 f., und Weaver (1965); nicht restlos nachvollziehbar Newlands (2012), 17, welche die kolportierte Verbannung von Etruscus’ lange Jahre im Staatsdienst gestandenem Vater in die Campagna (erst kurz vor seinem sich vielleicht schon abzeichnenden Tod wurde er zurückgerufen) als Beispiel für die Unsicherheit und Willkürlichkeit betrachtet, der sich Staatsdiener unter Domitian ausgesetzt sahen. Doch wer sagt, daß Etruscus

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führlicheren Anreden an Manilius Vopiscus und Pollius Felix in silv. 1, 3 und 2, 2. Immerhin: So reduziert das Balneum Claudi Etrusci gegenüber den größeren Villengedichten ausfällt, die Orientierung des Lesers im Textraum wird streng gewahrt. Auch aus dem epischen Werk des Statius lassen sich zumindest zwei Beispiele für technisch korrekte Hausbeschreibungen anführen (und keine für ›inkorrekte‹). Zunächst der Palast des Mars in Theb. 7, 47–69, in welcher Statius ganz unbemerkt die Wahrnehmungsinstanz, diesfalls den als Boten an Mars gesandten Mercurius, durch den Raum bewegt: Aus dem Tor springt ihm die Allegorie des impetus entgegen (47sq.: primis salit Impetus amens /  e foribus), dann kommen Wächterfiguren in den Blick, die wohl im Eingangsbereich, und zwar an einer Engstelle, zu denken sind (49sq.: occultisque ensibus adstant /  Insidiae …), schließlich ist eine aula erreicht (51), die von Minae widertönt, wo tristissima Virtus in der Mitte steht (52: stat medio), und wo Furor und Mors sitzen (53: sedet). Daß es sich bei dieser aula kaum um eine Halle, eher um einen Hof handelt, erhellt aus dem unmittelbar Folgenden, denn die nachfolgend beschriebenen Trophäen und Reliefdarstellungen besiegter Völker gehören, wie die Ortsangabe circum et fastigia templi zeigt, der Außenseite eines Tempels an. Schließlich springen Tore auf (68sq.: clausaeque adamante perenni / dissiluere fores), und Mars selbst erscheint. Das ergibt als Raum eine Abfolge Außenbereich – Eingangstor – Hof mit Tempel – Eingang des Tempels, d. h. die architektonische Situation eines Heiligtums. Man könnte sogar auf das Augustusforum mit seinem Tempel des Mars ultor verweisen, dessen Anlage soweit demselben hellenistischen Prinzip folgt, und selbst das vergleichsweise lange Verweilen der Narration im Bereich der aula (51–63) kann in solcher Referentialisierung auf einen geläufigen Bautypus (oder, auf seiten des Autors, einen konkreten Vertreter desselben) verankert sein, wenn man berücksichtigt, daß erstens die solch einen Tempelhof umgebenden porticus bzw. der Hofbereich selbst gern zum Aufstellen von Kunstwerken und Denkmälern benützt wurden, es dort also vergleichsweise viel zu sehen gibt, und daß zweitens die Zugangssituation v. a. älterer Heiligtümer oft nicht entlang einer Geh- und Sichtachse erfolgte, sondern ›ums Eck‹, sodaß mindestens eine Richtungsänderung noch nach dem Eingang und folglich ein ausführlicheres Erschreiten des Bereichs zwischen Temenosmauer und Tempel nötig war; der Text würde dieses Verweilen, umgerechnet in eine entsprechend große Versanzahl, nachzeichnen. s­ enior unschuldig war? War jene denkbar harmlose Verbannung in die beliebteste aller Urlaubsregionen und anschließende Begnadigung noch vor seinem Tod nicht vielleicht eher die sanfteste Art, in der ein Kaiser gegen einen der Korruption oder sonstiger Verfehlungen Überführten vorgehen konnte? Wie schon einleitend skizziert (vgl. o. 55 f.): Es führt interpretatorisch zu nichts, aus angeblichem Zensurdruck zur Zeit z. B. des Domitian die Berechtigung abzuleiten, geringfügigste Kleinigkeiten überzubewerten.

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Ähnlich verhält es sich mit dem Theb. 10.  84–117 entworfenen Palast des Somnus: Dieser locus wird zunächst thetisch sozusagen in den Raum des Textes gestellt wie der Baum am Beginn von silv. 2, 3: Stat super occiduae nebulosa cubi­ lia noctis / (…) lucus iners (Theb. 10, 84–86); dann verengt sich der Blick auf eine dort befindliche Höhle (86sq.: subterque cavis grave rupibus antrum / it vacuum in montem), wobei das In-den-Berg-Hineinführen der Höhle (it) unmerklich die Lenkung der Wahrnehmunginstanz mit sich bringt. Die Schwelle des eigent­ lichen Palastes tief im Berg (89: limen) wird von Allegorien bewacht, im Foyer (91: vestibulo) sitzen weitere, im Innersten des Palastes schließlich (104: interius tecti in penetralibus altis) schläft Somnus selbst. Die Technik ist die gleiche wie in der Beschreibung des Palastes des Mars, der Effekt jedesmal eine sorgfältige und überschaubare Lenkung des Lesers bzw. seiner Imagination. Aus alledem ergibt sich der Schluß, daß nicht bloß Gebäudebeschreibungen in der Literatur konventionellerweise mithilfe einer Schilderung aus der Perspektive einer sich an das Gebäude annähernden und es auf sinnvollem Weg durchschreitenden Wahrnehmungsinstanz gestaltet werden, sondern daß auch Statius diese Technik perfekt und unauffällig zu handhaben weiß, wenn er will. Allgemein gilt auch: Je genauer die Beschreibung sein soll, umso präziser wird gerade im Gebäudeinneren die Bewegung der Wahrnehmungsinstanz nach­ gezeichnet. Nur wenn ein Gebäude ausschließlich aus der Distanz in den Blick genommen wird, unterbleibt naturgemäß diese regelmäßige Führung des Beobachterstandpunktes: Man denkt etwa an den Palast des Rhadamantys in Verg. Aen. 6, 548–558.248

248 Weitere Beispiele aus jüngeren Zeiten wären übrigens leicht beizubringen, ob man nun Heinrich Drendorfs ersten Besuch im Rosenhaus in Stifters Nachsommer heranziehen will, die Burg zum schlimmen Abenteuer in Hartmann von Aues Iwein, oder Jonathan Harkers Ankunft auf der Burg des Grafen Dracula bei Bram Stoker: Wo immer ein Gebäude eine wichtige Rolle spielt, ist es offenbar das Nächstliegende, es zu entwerfen, indem man eine Wahrnehmungsinstanz es von außen betreten und sodann durchschreiten läßt. Ausnahmen bestätigen freilich auch hier die Regel, so die eher an einem Grundrißplan orientierte Skizzierung der neuen Wohnung des Amtsrates Julius Zihal in Heimito von Doderers Erleuchte­ ten Fenstern (vgl. o. III , Anm. 139), oder die ähnlich angelegten Angaben zu Dr. Roylotts bedeutsamer Zimmerflucht in Sir Arthur Conan Doyles The Speckled Band. Doch wäre nichts gewonnen, wollte man hieraus seinerseits eine Regel machen: Denn erstens scheint es, daß diese bei Doderer und Doyle beobachtete Beschreibungstechnik, wenn überhaupt, dann nur auf sehr kleine räumliche Gegebenheiten angewendet wird (in beiden Fällen dreht es sich um exakt drei nebeneinander- bzw. hintereinanderliegende Zimmer), während die Verbalisierung eines komplexeren Grundrisses höchstens als sprachliches Bravourstück einmal vorkommen mag, in der Regel aber vermieden bzw. eben durch den Gang durchs Haus ersetzt wird; zweitens widerspricht solches Grundrißdenken  a priori dem Prinzip einer im Text wahrnehmenden Ich-Instanz, wie sie praktisch alle mir bekannten Ekphraseis von Gebäuden oder vergleichbaren Strukturen (Gärten, Höhlen, …) und eben auch Statius’ Gedichte ganz eindeutig prägt.

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Man wird Canciks oben zitierter Meinung, Statius habe mit einer literari­ schen Konvention, die es nicht gab, auch nicht brechen können, hier also nicht folgen wollen, zumal diese Konvention vom Dichter ja nicht eine minu­tiöse route-Beschreibung mit dem Ziel der völligen Rekonstruierbarkeit des beschriebenen Gebäudes verlangte, sondern lediglich eine in groben Zügen nachvollziehbare Kameraführung möglichst im Sinne einer ungebrochenen, auf das Haus zu, in es hinein, durch es und eventuell wieder aus ihm hinaus laufenden Bewegung – silv. 2, 2 zeigt, daß Statius dazu ohne weiteres imstande war, und ähnlich die oben zitierte Thebaispassage. Ebensowenig wird man mit Hanna Szelest Statius’ Hausbeschreibungen einfach als »ungenau« abtun.249 Vielmehr ermöglicht die Rückkehr zu Vollmers Kritik an der mangelnden Beherrschung dieser konventionellen Technik in silv. 1, 3 eine viel bessere Ehrenrettung des Dichters, wenn man sich der Frage stellt, weshalb er denn diese Konvention brach und was er damit erreicht.250 Ironischerweise war Vollmer mit seinem giftigen Spott unbewußt auf einer richtigen Spur, als er nämlich der Hausbeschreibung des Statius ein »rhetorisches Aufzählungsschema« attestierte.251 Hätte Vollmer den Begriff ›rhetorisch‹ nicht bloß pejorativ gebraucht, hätte ihm auffallen müssen, daß ein so rhetorisch geschulter Autor, wie Statius es zweifelsohne ist, doch sicher auch die verbreitetste aller im Rhetorikunterricht gelehrten Mnemotechniken gekannt haben wird, den virtuellen Gang durch ein Haus, auf dessen Zimmer der Redner seinen Stoff verteilt, um ihn von jedem beliebigen Punkt seiner Argumentationskette her rasch und vollständig abrufen zu können: Die Technik beschreibt etwa Quint. inst. 11, 2, 18–20.252 Umso eher hätte 249 Szelest (1966), 195. 250 Hinzuweisen ist auch auf Rühl (2006), 258–260, die zwar völlig zutreffend auf die intensive Blicklenkung des visualisierenden Lesers im Gedicht hinweist, aber die Inkonsistenz der Blickfolge nicht beachtet und davon spricht, daß »Statius den Rezipienten wie ein ›Fremdenführer‹ durch das Anwesen des Vopiscus geleitet«. Fremdenführer pflegen aber von ihren vorzuführenden Gebäuden weder selbst bis zur völligen Verwirrung überwältigt zu werden, noch stolpern sie necopini (silv. 1, 3, 53) über absolute Highlights. Das Ich des Textes ist, wenn man schon bei Rühls Bild bleiben will, eher das eines Touristen, der von einer auf Überwäl­ tigung angelegten Führung programmgemäß erschlagen wurde. 251 Vollmer (1898), 263. 252 Vgl. ferner Rhet. Her. 3, 16, 29 – 24, 40 und Cic. de or. 2, 86, 351–354, wo die Grundlage dieses Verfahrens, die Verknüpfung einzelner zu memorierender Elemente mit imaginierten loci, erläutert wird; dazu Lausberg (1960), § 1083–1090; Leach (1988), 75–78 (wo zu den Bezie­hungen zwischen dem römischen Verhältnis zu Raum und Landschaft und dieser rhetorischen Mnemotechnik Überlegungen angestellt werden; doch vgl. die Kritik bei Schneider [1995], 8 f. mit Anm. 13); Knoop-Rödl (2007), 182–185; Stahl (2008), 214–216. Vgl. ferner ­Elsner (1995), 77–80, freilich mit einer etwas kühnen Schlußfolgerung, derzufolge, wenn Rhetorik funktioniere wie ein Gang durch ein Haus, umgekehrt auch römische Häuser wie Rhetorik funktionieren müssen: »… the Roman house … is one representation of the structure of Roman rhetoric. Romans thought by means of their houses …« (ebd., 78). Dem ist entgegenzuhalten, daß, wenn auch Quintilian konkret die Mnemotechnik des Ganges durch ein Haus zitiert, Römer zweifellos ebensogut in der Lage waren, dieselbe Technik beispielsweise

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Vollmer sich fragen müssen, weshalb Statius hier, wo es sich proprie um ein Haus handelt, diese Technik so augenfällig unterlief. Nebenbei beweist übrigens das Vorhandensein dieser Mnemotechnik im Rhetorikbetrieb die Umlegbarkeit der Ergebnisse etwa von Linde und Labov (o. III, bei Anm. 236) auf die griechisch-römische Kultur, denn man wird als Gedächtnisstütze selbstverständlich einen jedem Menschen vertrauten Gedankengang gewählt haben, nicht einen, der seinerseits ungewohnt oder mit irgendwelchen Anstrengungen verbunden gewesen wäre. Der Schlüssel zu dem mich interessierenden Problem des Gedichtes liegt nun meines Erachtens schon in seinem ersten Wort cernere und in dem damit beginnenden Leitmotiv, das (vgl. o. III, bei Anm. 197) vom ersten Vers an in allen möglichen Tonlagen wiederkehrt. Dieses Schauen, so mühsam es auch ist (14: lassos … visus), wird mit gaudia mente reporto (13sq.) in eins gesetzt:253 also ein geistiges Vergnügen am Sehen, an welchem der Leser wohl teilhaben soll, indem er die Wanderung des Sprechers durch die Villa nachvollzieht: Sie ist der literarischen Konvention nach zu erwarten und in der immer näher an das Haus heranführenden fokussierenden Bewegung der Verse 1–34 auch angelegt, brauchte also nach Überschreiten der Schwelle ins Innere der Villa nur fort­ gesetzt zu werden. Und sie verspricht spannend zu werden, wird doch der Hausherr, Vopiscus, bereits im selben ersten Vers als facundus und im weiteren Verlauf des Gedichtes als Literaturliebhaber und Amateurdichter charakterisiert. Ob der physische Statius ihn ernsthaft als Dichterkollegen empfand oder nicht, bleibe dahingestellt, doch signalisiert der ›abstrakte‹ Statius von silv. 1, 3, daß er anhand eines virtuellen Spaziergangs durch ihren Garten oder einer Fahrt auf einer wohlbekannten Straße abzuwandeln, ohne daß diese dadurch sogleich zu vollgültigen Äquivalenten römischer Denkstruktur werden müssen. 253 Stefan Hagel (Wien) danke ich für eine Diskussion darüber, wie weit mit reporto die Situation angedeutet wird, in welcher der Statius des Gedichtes dieses spricht: auf dem Heimweg. Freilich hat das an sich wenig Auswirkungen auf die weitere Interpretation: Denn daß das poetische Ich sich das in Tibur Geschaute vergegenwärtigt, liegt auf der Hand, und es ist, da zu seiner aktuellen Situation weiter kein Bezug hergestellt wird, letztlich nicht von Bedeutung, wann und wo es dies tut. Zugegebenermaßen aber paßt die Vorstellung, der von all dem Gesehenen erschöpfte, geradezu erschlagene Dichter verfertige sein Poem auf dem Heimweg, um es wie ein Dankeschönbillet mit der nächsten Post nach Tibur zu schicken und überdies eine Kopie für die Sammlung aufzubewahren, gut zu dem schon oft festgestellten und auch in bezug auf silv. 1, 3 im Widmungsbrief des Buches erscheinenden Extempore-Gestus des Statius, der sein Image, selbst in den unmöglichsten Situationen noch raffinierte Gedichte schreiben zu können, nachgerade kultivierte – ganz gleich, ob es der Realität entsprach oder nicht. Festzuhalten ist aber, daß das poetische Ich jedenfalls selbst in seiner φαντασία bereits visualisiert und nicht etwa (was ja nebenbei bemerkt eine ziemlich unmögliche Sprechsituation wäre) das Gedicht während seines Villenbesuchs selbst von sich gibt. Darüber hinaus aber ist es völlig verfehlt, mit Cancik (1978), 120, kühn festzustellen, das Gedicht sei »an einem einzigen Tage beim Abschied geschrieben; das Gedicht selbst bestätigt die Richtigkeit dieser Behauptung.«, wofür Cancik sich auf das eine Wort reporto bezieht.

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ihm Verständnis für ein gewisses literarisches Raffinement zutraut. Und nicht nur der abstrakte, sondern auch der physische Statius hatte, wie Claudia Klodt zurecht feststellt, »einen feinen Sinn für optische Effekte.«254 Doch kaum ist man im Inneren der Villa angelangt, markiert durch die Nennung des ersten eindeutig dem Drinnen angehörigen Elements, einer ver­ goldeten Kassettendecke (35), und nachdem der Leser noch ausdrücklich auf die Bedeutung der Reihenfolge des nun zu Schildernden hingewiesen wurde (34: Quid primum mediumve canam, quo fine quiescam?), setzt eine recht sonderbare Auflistung ein: Türgewände, Marmorverkleidungen und Zimmerbrunnen (35–37), also, auf das Gebäude bezogen, Inneres; die alten Bäume im Park und zwei Höfe oder Hallen mit Blick auf den Fluß bzw. auf die schweigenden Wälder (38–42: Äußeres, von innen gesehen); die hauseigenen Thermen am Flußufer (43–46: Äußeres); diverse zur Schau gestellte Kunstwerke, Gemmen, Miniaturen255 (47–51: Inneres); ein dramatisch beleuchtetes Bodenmosaik, das der Ich-Erzähler auf seinem Rundgang betritt – er bewegt sich also doch fort, zählt nicht bloß auf! (52–57: Inneres); eine etwas unklare architektonische Angabe, die vielleicht eher eine Außenansicht ganzer Trakte der Villa bringt (57sq.); schließlich ein Innenhof mit einem beim Bau der Villa verschonten alten Baum (59–63: Äußeres im Inneren). Erst danach verlegen sich der Blick und wohl auch der Standpunkt des Betrachters endgültig nach draußen, um sich in lockererer Form den Außenanlagen der Villa zu widmen.

254 Klodt (2001), 101. 255 Sonderbar ist, daß Cancik (1978), 119, ebenso wie Vollmer (1898), 273, diese Kunstwerke in den zuvor erwähnten Thermen lokalisiert: Es scheint mir etwas unwahrscheinlich, daß die aufgezählten betont kleinen Objekttypen (von lebensgroßen Statuen o. dgl., wie sie zumindest in öffentlichen Thermen tatsächlich aufgestellt zu werden pflegten, verlautet im Text nichts, auch wenn Zeiner (2005), 94, und ebenso Willis (1966), 312–316, die in Vers 51 erwähnten Kolossalstatuen zu meiner Überraschung gleichfalls in der Villa des Vopiscus ansiedeln möchte) ausgerechnet im Bade- und Wellnessbereich aufbewahrt worden sein sollten. Eher schon wird man sich die Zurschaustellung von Miniaturen und kunsthandwerklichen Kostbarkeiten irgendwo im Bereich von tablinum, peristylium oder triclinium zu denken haben, wo sie besser (und ungefährdeter) aufbewahrt, beim geselligen Beisammensein betrachtet und vielleicht zum Ausgangspunkt convivaler Gespräche gemacht werden konnten. Das ἀσάρωτον-Mosaik gehört jedenfalls sinnvollerweise dorthin. Daß der Standpunkt der Wahrnehmungsinstanz damit im selben Satz zwischen dem balneum, wo man am ehesten die in 53–55 beschriebenen Mosaiken im Deckenbereich erwarten würde, und dem triclinium (oder einer entsprechenden baulichen Struktur) wechselt, könnte als weiteres chaotisches Element in der Räumlichkeit dierser Villenbeschreibung verbucht werden, wenn es denn sicher wäre, daß novis asarota figuris technisch präzis ein Mosaik mit dargestellten Speiseresten bezeichnet und nicht von Statius bloß im Sinne von ›täuschend naturalistisch gemachtes Mosaik mit ungewöhnlichen Darstellungen‹ verwendet wird – in diesem Fall könnte ebensogut etwa eine Unterwasserszenerie mit Darstellung verschiedener Fische gemeint sein, wie sie in Thermen häufig vorkommen.

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Was irritiert, ist vor allem der rasante Wechsel von drinnen und draußen,256 der es unmöglich macht, die jeweiligen Standpunkte des Beschreibers einzunehmen und zu einem sinnvollen Gang durchs Gebäude zu verbinden, wie er nach allem vorher Gesagten zu erwarten wäre. Wohlgemerkt: Der Blick, der sich dem Besucher eines ›typischen‹ römischen Hauses bei dessen Betreten bot, war traditionell ein absichtsvoll komplexer und reichte im (nicht selten wirklich begegnenden) Idealfall nacheinander durch Drinnen (fauces), Draußen im Drinnen (atrium), Drinnen (tablinum) und Draußen (peristylium) bis zur Rückwand bzw. -porticus des Peristyls, um dort womöglich noch ein neues Drinnen in Form eines Sommertricliniums, einer diaeta oder sonstiger annex­artiger Räumlichkeiten im Hintergrund der porticus zu erahnen.257 Das betraf indes nur den Blick: Der Standpunkt des Schauenden wurde dadurch nicht in Frage gestellt, im Gegenteil: gerade die absichtsvolle Blickführung, welche die Architektur des römischen Hauses gern in Bezug auf einen das Haus Betretenden inszeniert, positioniert den Betrachter in ähnlich intervenistischer Weise wie ein zentralperspektivisch gemaltes Bild. Zugleich bedeutet dieser Inter­venismus indes auch, daß ein Gast zumindest potentiell auf den ersten Blick all jene Teile eines Hauses erfaßt, die für ihn von Bedeutung sind: der unmittelbare Eingangsbereich, das atrium als traditionelles Zentrum des Hauses, das tablinum als (theoretisches) Büro des Hausherrn, und dahinter der obligatorische Garten und ein Speisezimmer, wohin der Gast möglicherweise geladen ist; private Räumlichkeiten der Hausbewohner, Wirtschaftsräume etc. sind aus solcher Blickachse verdrängt, und auch wenn oft genug der Gast beim weiteren Vordringen feststellen muß, daß der erste Blick eben doch nicht alles zeigte, was für ihn von Bedeutung ist – manch ein Haus ist größer, als man meinen möchte, und spielt damit auch –, so vermittelt diese Blickführung doch eine Form von Übersicht, die vor allem einem Erstbesucher willkommen sein wird. Erstbesucher eines Hauses ist mutatis mutandis auch der Leser von silv.  1, 3, doch die Kontrolle über seinen Standpunkt und die zu erwartende Übersichtlichkeit büßt er gerade mit dem Betreten der Villa vollkommen ein, wie die Verteilung des im Text Aufgelisteten lehrt: Reines Innen (35–37; 47–51; 52–57), wahrscheinlich reines Draußen (43–46), Äußeres im Inneren (59–63) und Blick von Innen nach Außen (39–42) gehen, um katachrestisch noch die dritte Dimension ins Spiel zu bringen, drunter und drüber. Und genau an dem Punkt, da dies erstmals auffällt, nämlich nach der ersten Schilderung des Gebäudeinneren, die 256 Irrig Zeiner (2005), 79, die sich zu einseitig auf die Blicke nach draußen, die prospectus, konzentriert. 257 Jung (1984), 73–82; wichtig auch ebd., 102, der Hinweis auf das Haus des Labyrinths in Pompei (VI , 11, 10), dessen im zweiten Stil ausgeführte Malereien offenkundig gebaute und gemalte Architektur so kombinieren, daß sie gerade für den durch die Haustür Eintretenden ihre maximale Wirkung entfalten; vgl. Bek (1993), 147 mit Abb. 8.

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der Leser ja noch für die Wiedergabe des ersten Eindrucks nach Betreten des Hauses halten könnte (auch wenn cuncta cubilia in 37 nicht recht dazu paßt), steht ein sonderbarer Satz: Huc oculis, huc mente trahor (38). Was bedeutet das? Fest steht, daß huc – huc nur zwei entgegengesetzte Richtungen bezeichnen kann, also ›hierhin – dorthin‹, nicht etwa zweimal ›hierher‹: Das geht aus dem Kontext und seinem Tonfall eindeutig hervor.258 Also: ›Hierhin ziehen mich meine Blicke, dorthin mich mein Denken.‹ Doch wie fügt sich eine Diskrepanz zwischen Sehen und Denken in die davor und danach aufgelisteten utrum-an-Fragen, was der Erzähler nun alles besingen solle? Gar nicht, denn alle Gegebenheiten sind gleichwertige visuelle Gegebenheiten, keine von ihnen kann plausibel mit mente trahor in Verbindung gebracht werden.259 Auch die Möglichkeit, den Gegensatz auf den Gang der Ichinstanz durch das Haus anzuwenden, etwa im Sinn von ›Meine Blicke sind so überwältigt, daß ich die Marmortäfelung im Vestibül bestaune (oculis), während mir mein Denken (mente) sagt, ich sollte eigentlich den Hausherrn in seinem Empfangssalon aufsuchen‹, scheidet aus: Der Text gibt sonst keinerlei Evidenz für einen derartigen Gedanken, dem überdies eine unangenehme Banalität anhaftet, welche Statius’ Texte üblicherweise sorgfältig meiden. Vorderhand bleibt demzufolge festzuhalten, daß Statius inmitten einer Aufzählung visueller Gegebenheiten einen Gegensatz zwischen dem, was er sieht, und dem, was er denkt, feststellt, und daß diese Aufzählung ihrerseits ein nicht sehr logisches Durcheinander von Drinnen und Draußen darstellt, welches es unmöglich macht, den Standpunkt der Beobachtungsinstanz zu definieren, auch nicht in der reduzierten Weise von in silv. 2, 2, deren Mittelteil mit seinen thematisch arrangierten Motiven zwar keinen ›Gang durchs Haus‹, doch

258 Vgl. Hand (1817), 389; Nauta (2008), 143–174, bes. 162. Das den Abschnitt einleitende Quid primum mediumve canam, quo fine quiescam? (34), die verschiedene Möglichkeiten anbietenden Fragen im Vorfeld (35–37) und ebenso die nachfolgenden, gleichartigen Fragen (38–42) legen an sich schon nahe, huc – huc nicht parallel, sondern divergierend aufzufassen. Zugleich ergäbe ›Hierher ziehen mich meine Augen, hierher mich auch mein Sinn‹ bestenfalls eine gemütlich-innige Aussage des Typs ›Hier fühle ich mich rundum wohl‹, die zwar schmeichelhaft für den Hausherrn, aber völlig unmöglich für den Kontext wäre. 259 Laguna (1992), 131, weist richtig auf die Parallele zu silv. 3, 1, 8 vix oculis animoque ­f ides hin: Beide Gedichte formulieren eine Diskrepanz zwischen Schauen und Denken, zwischen Geschautem und Bedachtem, doch in silv.  3, 1 ist kontextbedingt klar, daß das Gedachte die Erinnerung der Wahrnehmungsinstanz an den früheren Zustand des nun neu errichteten Herkulestempels ist, die Differenz also zwischen früher Geschautem (und mental Gespeichertem) und jetzt Geschautem liegt: ›Ich traue meinen Augen kaum, weil mein ani­ mus mir aufgrund früher gemachter Wahrnehmungen sagt, daß ich ein ganz anderes Bild zu erwarten hätte‹. Der in silv. 1, 3 beschriebenen Diskrepanz hingegen liegt, soweit der Text erkennen läßt, keine solche zweite Zeitschicht zugrunde, sondern sie ergibt sich simultan zwischen oculi und mens. Zu fragen ist daher, inwiefern Schauen und Denken zu unterschied­ lichen Ergebnissen gelangen.

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immerhin ausschließlich Elemente des Drinnen als geschlossenen Block bietet, säuberlich getrennt von den im Draußen sich abspielenden Phasen der Annäherung und des Hinausgehens.260

e) Das gemalte Haus: Eine Villa im Nirgendwo? Noch einen weiteren Punkt gilt es zu beachten. So viele Dinge die chaotische Auflistung der Verse 34–63 bietet, es fehlt doch etwas, worüber die Villa ohne jeden Zweifel verfügte: die Wandmalerei. Freilich: Auch die Beschreibung der Villa Surrentina geht auf dieses Ausstattungselement nicht ein, wenn man von der Möglichkeit absieht, daß es sich bei den in silv. 2, 2, 64 erwähnten Apellesgemälden nicht unbedingt um Originale, sondern um Kopien gehandelt haben wird, möglicherweise in Freskotechnik an den Wänden und in diesem Fall fast sicher in wandfüllende Architekturmalerei integriert.261 Malerisch gestaltete Wände gehören anscheinend zu jenen Elementen auch nur halbwegs gehobener Wohnkultur, die so selbstverständlich sind, daß Statius in seinen Beschreibungen keinen Anlaß sieht, extra auf sie hinzuweisen, sondern es der Imagination des Rezipienten überläßt, sich, soferne er die gegenständliche Villa nicht persönlich kennt, eine durchschnittliche Villa mit allem, was ›dazugehört‹ (also eben auch Wandfresken), vorzustellen und die im Text näher beschriebenen Elemente als Besonderheiten additiv in dieses Bild zu integrieren. Und es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß ein Gebäude, dessen Besitzer sich den extravaganten Luxus eines ἀσάρωτον-Mosaiks, und angeblich sogar eines neuartigen, gegenüber gewohnten Ausführungen dieses Typus übersteigerten, leistet (55sq.), an seinen Wänden mindestens in den repräsentativen Bereichen

260 Pavlovskis (1973), 31–33, weist darauf hin, daß in den Villenbeschreibungen des jüngeren Plinius ein ähnliches Durcheinander herrscht, freilich nicht so sehr entlang der Grenze drinnen / draußen, sondern entlang der Linie Natur / Gebäude. 261 Sieht man von einem wenig glaubwürdigen älteren Versuch ab, die fehlende Erwähnung der Malerei durch heftiges Konjizieren in Vers 51 unterzubringen (vgl. Willis [1966], 312–316), der lediglich beweist, daß die Absenz dieses Motivs in silv. 1, 3 schon längst als solche bemerkt wurde, bleibt nur die Formulierung vidi artes veterumque manus (47), die sich auf Malereien beziehen könnte, jedoch, wie veterum manus deutlich macht, nur auf klassische (Tafel)gemälde entweder im Original oder als Kopien, die dann naturgemäß wiederum auch als Teil der Wandmalerei ausgeführt sein könnten. Die Wanddekorationen in ihrer Gesamtheit können damit freilich nicht gemeint sein.  – Unentschieden ist picturata lucentia marmora vena (36): Die Fügung kann echten, buntgeäderten Marmor ebenso bezeichnen wie in Freskotechnik gemalten und mit Wachs o. dgl. ›auspolierten‹ oder gleich in Enkaustiktechnik hergestellten Scheinmarmor. Daß Statius freilich dieses Element extra erwähnt, deutet darauf hin, daß es sich um etwas Besonders handelt, also wohl doch echten Marmor: vgl. Zeiner (2005), 86.

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in irgendeiner Form mit Fresken ausgemalt war.262 Mein Unbehagen gegenüber der Absenz dieses Ausstattungselementes im Text betrifft also nicht die Leerstelle an sich, sondern den Umstand, daß silv. 1, 3 relativ oft Begriffe aus dem Feld der Bilder und sogar der Malerei gebraucht und so in Kombination mit der leitmotivischen Funktion des Sehvorgangs einen gewissen Erwartungshorizont schafft – zur Sphäre des Schauens gehört eben ganz wesentlich jede Form der bildlichen Darstellung, ob es sich um picturata lucentia marmora vena (36) handelt oder um die picta humus des Mosaiks (55sq.) oder schließlich um die fal­ lax imago der Bäume im fließenden Wasser (18sq.): dies übrigens die erste motivlich einschlägige Formulierung im Lauf des Gedichtes.263 Allenthalben also Bild­liches, Gemaltes – bloß keine Wandmalereien? Ich gehe davon aus, daß Vopiscus’ Villa über solche verfügte. Ob es sich dabei um rezente Bilder des sog. vierten Stils handelte, oder ob das Gebäude ältere Dekorationen aufzuweisen hatte, kann selbstverständlich nicht nachgewiesen werden, obwohl, wie noch zu zeigen sein wird, einiges für den vierten Stil spricht: Wichtig ist, daß die Entwicklung der römischen Wandmalerei264 in ihren mich nun interessierenden Facetten von zwei Entwicklungen gekennzeichnet ist: Erstens einer pendelartigen, welche im zweiten Stil die geschlossenen Wände des ersten265 öffnet und Ausblicke auf (Architektur)landschaften freigibt, im dritten Stil die Wände wieder schließt und in trompe-l’oeil-Manier scheinbar als 262 Natürlich könnte man mit der einmaligen Schrulle eines bilderfeindlichen Hausherrn rechnen, doch sie erscheint unwahrscheinlich – schon wieder der Schritt der Komplettierung des inkomplett-Fiktiven. Das römische Haus selbst tendiert jedenfalls von seiner Anlage her gewissermaßen zur (Architektur)malerei, besteht es doch aus vielen kontinuierlichen, kaum je durch Fenster unter- und durchbrochenen Mauern. Ergo ist nicht nur viel Platz für Malereien gegeben, sondern auch ein gewissermaßen inhaltliches Movens, die Ausblicke, die man aus verschiedenen technischen Gründen durch echte Maueröffnungen nicht bewerkstelligen kann oder will, stattdessen aufzumalen und zur Vermittlung mit Scheinarchitektur zu umgeben: vgl. Clarke (1991), 32. 263 Zur an Ovid erinnernden Junktur fallax imago vgl. Solodow (1988), 208 f. 264 Zur ersten Einführung seien genannt: Rostowzew (1911); Wirth (1934); Peters (1963); Eristov (1994); Mielsch (2001); Baldassare u. a. (2002); Mazzoleni-Pappalardo (2005); La Rocca (2008). 265 Die relativ komplizierteste Form der Schein-Architektur, die im ersten Stil begegnet, findet man wohl im Haus des C. Iulius Polybius in Pompei (2. Jhdt. v. Chr.): Eine gemalte (Palast)-Außenfassade mit Scheintür und Scheinfenster. Freilich setzt damit nicht schon hier das Spiel mit Drinnen und Draußen voll ein, denn die besagte Scheinfassade ist just an eine der Wände des Atriums gemalt, also jenes Bereiches im römischen Haus, der noch am ehesten als Draußen angesehen werden kann und der demzufolge noch am ehesten ›fassadentauglich‹ ist; vgl. Mazzoleni-Pappalardo (2005), 25 f. Hinzuweisen ist auch auf das Haus der Ariadne in Stabiae, das in einem Raum komplizierte Scheinmarmorverkleidungen in fünf verschiedenen Farben in Kombination mit architravartigen Zierleisten (Eierstäbe, Zahnschnittleisten, beides mit angedeuteten Schlagschatten) und einem ebenfalls gemalten kassettierten Vordach auf Scheinsäulen aufzuweisen hat: vgl. Bonifacio-Sodo (2001), 92 f.

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Tafelbilder vor der Wand hängende (Architektur)veduten bevorzugt,266 und im vierten die Wände erneut zu Durchblicken öffnet;267 zweitens einer linearen, welche die in der malerischen Fiktion zum eigenen Haus gehörigen Architekturelemente immer unrealistischer, das heißt statisch unhaltbarer, funktionsloser, des öfteren geradezu unmöglich werden läßt,268 bis schließlich nur noch dünne vertikale Striche etwa als Zitat eines ehemaligen Säulenmotivs übrigbleiben.269 Gerade im vierten Stil, besonders in seiner ›theatralischen‹ Variante,270 ist dabei ein Zustand erreicht, in welchem die Scheinarchitektur nur noch den einen Sinn hat, möglichst komplizierte Aus- und Durchblicke ins Leere, auf Landschaften, bisweilen auf mythische Szenerien zu gewähren, ohne selbst noch als ›realistische‹ Architektur nachvollziehbar sein zu wollen:271 Das geht so weit, daß bis 266 Auch im 2. Stil begegnen schon gelegentlich Bilder, die als scheinbare Tafelbilder auf Simsen aufgestellt oder sonstwie plausibel mit der Scheinarchitektur in Verbindung gebracht werden und ihrerseits gelegentlich als Blick aus einem Fenster funktionieren: Vgl. MazzoleniPappalardo (2005), 46 (Rom, Via Cavour). 267 Vgl. etwa Clarke (1991), 65; Mielsch (2001), 79. 268 Die Entwicklung wird im dritten Stil greifbar: vgl. etwa in Pompei das Haus des M. Lucretius Fronto mit seinen überlängten, hauchfeinen Quasi-Architekturdekorationen: Mazzoleni-Pappalardo (2005), 274–278; Mielsch (2001), 73–76; Baldassare u. a. (2002), 200; La Rocca (2008), 106 f. 269 Vgl. etwa die Malereien im Gebäudekomplex von Murecine bei Pompei (früher 4. Stil), deren dargestellte Architekturen zwar statisch noch irgendwie vorstellbar sind, in der aktualen Welt aber ziemlich sinnlos wären und schon hauptsächlich dazu dienen, Durchblicke zu ermöglichen: Mazzoleni-Pappalardo (2005), 320–323. Völlig losgelöst von jedem Zwang, realistische Architektur darstellen zu sollen, sind die Malereien der Casa del Gran Portale in Herculaneum, wo man es mit einem Architekturfiligran gleich dem Gespränge eines gotischen Altars zu tun hat: Mazzoleni-Pappalardo (2005), 368–370. Doch schon Neros Domus Aurea wies diesen Weg: vgl. Baldassarre u. a. (2002), 225; Mielsch (2001), 83–86. Hier findet sich z. B. eine Darstellung, bei der nicht nur das obere Register einer Scheinarchitektur statisch unbekümmert in der Luft hängt, sondern obendrein noch eine Durchblickskette eröffnet, die scheinbar von draußen nach drinnen und weiter wieder nach draußen funktioniert, bei näherem Hinsehen aber von draußen nach draußen und nochmals weiter nach draußen: vgl. Wirth (1934), 39, mit Tafel 7 oben. 270 Zur Unterscheidung der nebeneinander herlaufenden Arten des 4. Stils (tapestry manner, plain manner, theatrical manner) vgl. Clarke (1991), 65–72. Lehrreich Eristov (1994), wo selbst unter den einzelnen architektonischen Grundelementen, aus denen sich die Scheinarchitekturen des 4. Stils zusammensetzen, das eine oder andere gefunden wird, das an sich schon unrealistisch ist (»… s’éloigne totalement de toute architecture possible …«: ebd. 120) – vollends unmöglich sind dann erst die Zusammensetzungen dieser Elemente. 271 Man vergleiche zum Kontrast etwa mit der dem 2. Stil zuzurechnenden Villa des Publius Fannius Synistor (Mazzoleni-Pappalardo [2005], 78–83): In deren Triclinium findet man neben anderem den Blick auf die Außenfassade eines Heiligtums dargestellt, hinter welcher sich das Innere dieses Gebäudekomplexes mit Innenhof und Porticus noch andeutungsweise erkennen läßt. Hier ist also, anders als o. in Anm. 265, tatsächlich in einem eindeutigen aktualen Drinnen (Triclinium) ein Draußen (Außenfassade) aufgemalt, das einen partiellen Durchblick in ein (relatives) Drinnen freigibt: Das Gemälde in sich funktioniert ›richtig‹, d. h. man könnte von dem dargestellten Heiligtum jederzeit einen ungefähren Grundriß etc. zeichnen, und dieser entspräche einer möglichen, ja sogar einer ziemlich normalen baulichen Situation.

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weilen Ausblicke nicht mehr von drinnen nach draußen, sondern von drinnen nach draußen und nochmals weiter nach draußen erfolgen, wobei noch gar nicht gesagt ist, daß nicht die Scheinarchitektur des ›Drinnen‹ ihrerseits eher die einer Außenfassade, also schon wieder eines Draußen ist.272 Zwar wird man die allen Ernstes angesichts dieser Form der Architekturmalerei schon erhobene Frage, »wie psychisch krank … der griechisch-römische Manierist« gewesen sei, und ob » ein ›normaler‹, seelisch und geistig völlig intakter Mensch etwas schaffen« könne, »was den Normen der Natur Hohn spricht«,273 weder für beantwortbar noch für sinnvoll halten: Wäre die menschliche Phantasie an die Normen der Natur gebunden, wäre es schlimm um sie bestellt, und aus dem bloßen Umstand, daß manche der gemalten Architek­ turen des vierten Stils eher an Zeichnungen M. C. Eschers erinnern, ist nicht unbedingt auf pathologische Zustände ihrer Auftraggeber oder Maler zu schließen.274 Übrigens sind auch Fälle dokumentiert, in denen man offenbar, freilich gebunden an die Gesetze der Statik (um welche sich die gemalten Architekturen nur wenig kümmern), den Versuch unternahm, derlei Durchblicksarchitekturen auch wirklich zu bauen:275 Ein plakatives Beispiel ist die der Mitte des 1. Jhdts. n. Chr., also einer Zeit, als der vierte Stil in der Malerei gerade aufkam, entstammende Gestaltung der Prozessionsstraße von Aphrodisias:276 Sie wird von dreigeschoßigen porticus gesäumt und an ihrem einen Ende durch eine Tor­ architektur abgeschlossen, die praktisch keine Wandelemente aufzuweisen hat, sondern ausschließlich aus einem Filigran von Säulen bzw. (hintereinander an 272 Ein gutes Beispiel für diese »phantastischen Spielereien« (Mazzoleni-Pappalardo [2005], 47) ist das bekannte Ixionzimmer im Haus der Vetii (Pompei, 4.  Stil): MazzoleniPappalardo (2005), 334–337; Clarke (1991), 69–72 mit Abb. 228; Mielsch (2001), 86–90, bes. Abb. 96; Baldassarre u. a. (2002), 230. Ein weiteres, wahllos herausgegriffenes Beispiel kann der Hauptempfangsraum des »Hauses mit dem tuskanischen Säulengang« in Herculaneum abgeben: vgl. Wallace-Hadrill (2012), 237. – Auf ein ähnliches Spiel mit den Kategorien Drinnen und Draußen in einem anderen Sujetbetreich der Malerei, den kleinformatigen Darstellungen ganzer Gärten aus der Vogelperspektive, auf welche Bergmann (2014) aufmerksam machte, wurde in der ihrem Referat folgenden Diskussion (ebd., 291 f.) hingewiesen. 273 Krüger (1998), 222. 274 Als krasses Beispiel sei auf ein Fresko im sog. Haus des D. Octavius Quartio (Pompei II , 2, 2) hingewiesen, das eine nicht bloß bizarr filigrane, sondern auch logisch vollkommen unmögliche dreistöckige Scheinarchitektur bietet; vgl. Pompei. Pitture  e mosaici, vol. III , Roma 1991, II , 2, 2 (p. 42–108), mit Abb. 27 und 35. 275 Die Frage, ob hier gebaute Architektur sich an gemalter orientiert oder umgekehrt, ist schwer zu entscheiden: vgl. Elsner (1995), 71–74. 276 Vgl. die Rekonstruktionszeichnung bei Gros (1996), 109, Abb. 112. Der Zusammenhang mit dem aufkommenden vierten Stil ist freilich nicht überzubewerten, denn schon im zweiten Stil zeigen Architekturmalereien ganz ähnliche Szenerien: vgl. den oecus Nr. 15 in der Villa der Poppaea von Torre Annunziata / Oplontis: Johannowsky u. a. (1986), 60–69 mit Abb.  54–59, bes. Abb.  55 f., wo die Belichtungssituation ersichtlich wird; Baldassarre u. a. (2002), 99; auch das Triclinium derselben Villa zeigt eine verwandte Ansicht: Mielsch (2001), 39, Abb. 25.

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geordnet) Säulenpaaren, Architraven, teilweise vorgekröpft wie an Domitians Forum transitorium, und einem zentralen Sprenggiebel besteht. Dem sich von außen nähernden Betrachter bietet sich demnach eine Kulis­ senarchitektur,277 die nur dazu da ist, zahlreiche architektonisch gerahmte Öffungen auf mehreren Ebenen zu bieten, durch welche der Blick wiederum ins Draußen, nämlich der Prozessionsstraße mit ihren perspektivisch in die Tiefe laufenden mehrstöckigen porticus, fällt. Daß dabei die aus dem Alltag vertrauten architektonischen Elemente ›Türöffnung‹ und ›Fensteröffnung‹ zweck­ entfremdet wurden, insoferne Türen meistens, Fenster praktisch immer die Grenze zwischen einem Drinnen und einem Draußen durchbrechen, damit aber auch markieren. Die Gesetze der logischen Nachvollziehbarkeit scheinen also bei derlei gebauter Architektur, und stärker noch (da von den Zwängen der Statik unabhängig) in der Architekturmalerei des vierten Stils, bewußt außer Kraft gesetzt; gleichzeitig treten echte und gemalte Durchblicke wechselseitig füreinander ein und ergänzen einander in verwirrender Weise,278 bisweilen auch dadurch, daß der Blick aus einer Villa hinaus doch wieder auf diese selbst und in deren Inneres geführt werden kann, etwa wenn wie in Val Catena auf der Insel Brijuni eine Villa um eine kleine Bucht herum errichtet ist, sodaß der Blick aus dem einen Flügel übers Wasser hinweg auf den gegenüberliegenden anderen fällt,279 oder wenn vorspringende apsidale Pavillons an den Enden eines geraden Gebäudetraktes auch die Möglichkeit eröffnen, aus dem innersten Fenster des einen an der Außenfassade entlang zum anderen Pavillon und womöglich in diesen und durch diesen hindurch zu blicken, wie es bei der Villa von Weilerbüsch / Fließem in der Eifel der Fall ist,280 wodurch sich schon recht unübliche Abfolgen von Drinnen und Draußen ergeben, der Architekturmalerei kaum nachstehend. 277 Es empfiehlt sich kaum, hier von einer ›Schaufassade‹ zu sprechen, denn der Fassadenbegriff setzt doch ein Mindestmaß von ›Wandhaftigkeit‹ voraus. Das Bauwerk von Aphrodisias aber weist, struktural gleich dem Stahlträgerskelett eines modernen Hochhauses, in welches noch keine Wandelemente eingefügt sind, eben nur ein Netz aus Säulen und Architraven auf, wenn auch ein durch Verkröpfungen ansatzweise tiefengestaffeltes  – doch das ändert nichts daran, daß diese Architektur kein Drinnen umschließt, sondern nichts als ein stein­ gewordenes und sehr durchlässiges Absperrgitter ist. 278 Schneider (1995), 93, spricht von einer »eigenartigen Angleichung von Ausblicken und prospekthaft gestalteten Wandgemälden«. Als literarisches Beispiel sei hingewiesen auf Plin. epist. 5, 6, 21 Est in hac diaeta dormitorium cubiculum, quod diem, clamorem, sonum ex­cludit, iuncta que ei cotidiana amicorumque cenatio: areolam illam, porticus alam eademque omnia quae porticus adspicit. Die (umstrittene) Richtigkeit dieser Leseweise des Textes vorausgesetzt, wird anscheinend ein Blick prinzipiell von drinnen nach draußen beschrieben, doch einer, der auf seinem Weg durch einen Innenhof und eine porticus gelenkt wird, also verschiedene Grade von ›Innen‹ und ›Außen‹ mitmacht; vgl. Lefèvre (1977), 527. 279 Vgl. den Grundriß bei Drerup (1990), 140; Jung (1984), 120 f., Abb. 44. 280 Vgl. Oelmann (1990), 182–184; McKay (1980), 191 mit Abb. 172.

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Gesteigert wurde deren ›Unrealität‹ noch durch die Beleuchtungssituation, die nicht mit den heutigen musealen Präsentationen solcher Fresken vergleichbar ist: Die meisten der solcherart ausgemalten Triklinien, oeci etc. erhielten bestenfalls ein gedämpftes, diffuses Tageslicht etwa aus dem Schattenbereich eines Peristyls, sowie flackerndes punktuelles Licht aus Lampen, Kerzen oder Feuerbecken. Hinzu kommt, daß ihre Oberflächen kaum jemals absolut plan, sondern unregelmäßig leicht gewellt, und obendrein oft mit Wachs oder vergleichbaren Substanzen auf Glanz poliert waren.281 Solch eine eher schwache und alles andere als gleichmäßige Ausleuchtung, die dennoch einzelne Glanzlichter (doch ohne Zusammenhang mit dem Dargestellten) zeigte, muß optische Effekte noch verwirrender gemacht haben.282 Diese Tendenz zu einer aus für sich genommen realistischen Versatzstücken, etwa den verwendeten Architekturgliedern wie Säulen, Architraven und Fensteröffnungen, zusammengesetzten Unrealistik lenkt, wie jeder Manierismus, das Bewußtsein des Rezipienten von der rein denotierenden Sichtweise des Bildes (›Dargestellt ist ein Gebäude.‹) auf dessen Stil, d. h. die Sichtweise selbst (›Wie ist es dargestellt?‹), ähnlich dem ›Entautomatisierungsprozeß‹ von poetischer Sprache im formalistischen Sinn: Durch gezielte Störung der rein denotierenden Kommunikation bzw. Rezeption wird der Blick auf das gelenkt, was dann eben schon nicht mehr bloß Medium der Darstellung, sondern wesentlicher Gegenstand ist: das Malen an sich, das ›Wie‹ der Darstellung,283 das, wiederum auf das Feld der Textlichkeit verschoben, Philostrat in seinen Imagines so deutlich vom ›Was‹ der Darstellung trennt, indem er die textimmanente Zuhörerschaft in den am ›Was‹ der Bilder interessierten zehnjährigen Knaben und die am ›Wie‹ der rhetorischen Darstellung interessierten Studenten aufspaltet.284 Man kommt hier auf das Feld Dufrennescher Ästhetik: Betrachte ich einen gemalten Gegenstand, so sehe ich nicht das Realobjekt, wie es ist (dazu wäre es nötig, dieses selbst anzusehen), sondern ich sehe, wie es sein kann – und werde zugleich darauf verwiesen, daß es auch anders sein könnte, woraus das Bild an ›Ausdruck‹ (»sentiment«) gewinnt gegenüber dem flachen, gleichsam ordinär so-seienden Gegenstand der aktualen Welt.285 Wie weit solches »sentiment« durch Transformation in Sprache mitteilbar ist, ist ein Problem für sich: Bild­ beschreibungen sind gegenüber ihrem Bild notwendigerweise stets unvollständig und selektiv. Doch das sind Bilder, soferne sie reale Gegenstände abbilden,

281 Zur Technik der γάνωσις (Auspolieren von Statuen oder Wandgemälden mit Wachs) vgl. Koch (2000), 46–48. 282 Für Hinweise zu diesem Thema danke ich Ulrich Gotter (Konstanz). 283 Vgl. Wiesing (2007), 40. 284 Vgl. Primavesi-Giuliani (2012), 76–79. 285 Vgl. Eykmann (2003), 20–23, mit guter Zusammenfassung der Theorien Mikel Du­ fren­nes (1910–1995).

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ihrerseits auch – das Problem der Inkomplettheit fiktiver Welten betrifft Malerei und Literatur gleichermaßen.286 Allerdings liefert Statius in silv. 1, 3 kaum eine Bildbeschreibung, eher eine auf sprachliches Feld verschobene Parallelschöpfung zur Architekturmalerei seiner Zeit: insofern stellt sich das Problem nicht in gleicher Schärfe. Neben alledem ist noch festzuhalten, daß römische Villen nicht nur pro­ prie als Träger von Architekturmalereien dienen, sondern ihrerseits auch zu einem der beliebtesten Sujets der Malerei geworden sind:287 Ich spreche von den zahlreichen bald bunt, bald als Grisaillemalerei ausgeführten, manchmal geradezu an Chinoiserien erinnernden Architekturveduten des dritten und vierten Stils, die zumeist Phantasievillen in typischen, offenbar als erstrebenswert erachteten landschaftlichen Situationen zeigen – Gewässer spielen etwa eine wesentliche Rolle in diesem Bildtyp,288 und mit Recht weist Bettina Bergmann darauf hin, daß schon das Eröffnungsbild von silv. 2, 2 die Villa Surrentina in einer Weise präsentiert, die typischen Villendarstellungen in der Malerei entspricht.289 Er taucht nach einigen Vorläufern seit der Mitte des 1. Jhdts. v. Chr. um das Jahr 40 vermehrt auf, im vierten Stil ist er allgegenwärtig und zunehmend auch bevölkert,290 sodaß sich etwa über die gemalten Wasserläufe hinweg mithilfe von Brücken oder Booten ein gewisser Verkehr zwischen den gemalten Villen abspielt: ein Szenentypus, der frappierend an die sociae commercia ripae

286 Vgl. dazu als locus classicus den klagenden Ausbruch des Sprechers von Carm. Ana­ creont. 17, 38–40 φθονερὴν ἔχεις δὲ τέχνην, / ὅτι μὴ τὰ νῶτα δεῖξαι / δύνασαι: In diesem Gedicht finden gleich zwei Medienwechsel statt, vom originalen Bathyllos zu seinem Bild und von dort weiter zur Bildbeschreibung (sogar zur präskriptiven). Die zwangsläufige Unvollständigkeit der sprachlichen Beschreibung gegenüber dem Bild wird freilich durch die ero­ tische Vorstellungskraft des Lesers ausgeglichen, der sich das Bild des nackten Knaben schon passend ergänzen wird – und in weiterer Folge auch den Rücken dazuergänzen kann, über das imaginäre gemalte Bild auf den ebenso imaginären realen Bathyllos zurück- und zugreifend. Ein intelligentes Wechselspiel von Reduktionen und Supplementierungen also. 287 Grundlegend dazu nach wie vor Rostowzew (1990). 288 Rostowzew (1911), 72; ders. (1990), 53 f.; Ling (1977), 7 und 12, äußert zwei bezeichnende Beobachtungen an den Villenlandschaften des dritten und vierten Stils: Sie erscheinen immer wieder in Kombination mit Fluß-, Seen- und Meerszenerien, und sie wirken aufgrund der Inkonsistenz ihrer Perspektive gewissermaßen traumhaft. Beides paßt gut zu silv. 1, 3; vgl. auch ebd., Taf. V, Abb. 3: eine Villa in Kombination mit einem Flußübergang, also eine ähnliche Szenerie wie im Gedicht. Nicht daß von diesem speziellen Bild aus irgendeine Beziehung zu Statius konstruiert werden sollte: Aber man empfand diese Kombination aus Villa und Gewässer offenbar als reizvoll genug, um sie zum Gegenstand der Kunst zu machen. Ferner vgl. zwei wohl aus Herculaneum stammende Villenfriese des 4. Stils (Neapel, MN 9610. 9496), die in natürlichen Farben Villen links und rechts eines Wasserlaufes zeigen: Rostowzew (1911), 90–92 mit Taf. VI , 1 und VI , 2; Peters (1963), 165 f. mit Abb. 158 f. sowie, noch dem 3. Stil angehörig, Abb. 94–102 mit Erläuterungen 110–120. 289 Bergmann (1992a), 51 f.; vgl. Myers (2000), 118; vgl. Peters (1963), Abb. 95 und 98–102. 290 Vgl. Ling (1977), 1–16.

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von silv. 1, 3, 3 bzw. die genauere Schilderung derselben in den Versen 24–33 erinnert. Diese Entwicklung in der Malerei spiegelt eine Tendenz wider, die die römische Villa seit der späten Republik und bis in die Spätantike zu der architektonischen und zugleich sozialen Struktur machte, die der Landschaft ohne jeden Zweifel den stärksten Stempel aufdrückte: Römische (Kultur)landschaft ist, zugespitzt formuliert, wesentlich ein Netz oder, im Falle der Küste mit ihren villae maritimae, eine Art ›skyline‹ von Villen,291 und entsprechend dominiert das Motiv auch die ›Landschaftsmalerei‹ an den Wänden der Villa selbst.292 Die aktual gebaute römische Villa wird als Bildträgerin derartiger Darstellungen also zunehmend zur Meta-Villa (um einen unschönen Neologismus ein­ zuführen). In Statius’ Gedicht fehlt nun diese für eine römische Villa so unabdingbare und ihrerseits so sehr um das Thema der Villa kreisende Malerei, andererseits weist der Text selbst Parallelen zu dieser Malerei auf: das unlogische Wechseln zwischen drinnen und draußen wurde ja an der Hausbeschreibung ebenso festgestellt wie das Erscheinen des Aus- und Durchblicksmotivs, das für die Scheinarchitekturen des vierten Stils in gleicher Weise zentral ist293 wie für die tatsächlichen Bauten der Zeit: Michael Stahl spricht von einer »Obsession des Blicks, der sich immer von innen nach außen oder durch Architekturprospekte hindurch bewegt«.294 Welche Bedeutung man in jener Zeit dem prospectus beimaß, zeigen die schon erwähnten Pliniusbriefe, etwa die geradezu pedantische Auflistung der Ausblicke in epist. 2, 17: cubiculum … quod altera fenestra admittit 291 Vgl. Zarmakoupi (2011), 168: Villen mit ihren Kolonnaden seien »monumental markers whose volumes played with the sun’s light and signified and accentuated the presence of the villas in the landscape.« 292 Dyson, (2003), 13–35, bes. 19 f., faßt diese dominierende Rolle des Phänomens ›Villa‹ gut zusammen und verweist wie schon Percival (1976), 183–199, auf das spätere und zumindest im westlichen Bereich ganz wesentlich aus der Villenkultur und -architektur entwickelte Phänomen ›Kloster‹ als einzige Struktur von vergleichbarer sozialer, ökonomischer, landschaftsprägender und symbolischer Bedeutung. Das scheint umso plausibler, wenn man bedenkt, daß das Kloster als Konzept sich wenigstens zum Teil wiederum aus einer Kombination des asketischen Einsiedlerideals mit dem Prinzip der Villa erklären läßt, wie eine Reihe von Klostergründungen der Spätantike bis hin zu Cassiodors Vivarium zeigt. – Schon für die augusteische Zeit zieht Leach (1988), 255, eine Verbindung zwischen der Villenlandschaft als Villendekor und den in der aktualen Welt gebauten Villen als Brennpunkte für die Selbstdarstellung reicher und einflußreicher Römer. 293 Stellvertretend für viele sei die Dekoration der Versammlungshalle des Isistempels von Pompei hervorgehoben (4. Stil, nach 62). Die Scheinarchitektur rahmt hier als Mittelfeld eine Darstellung des Iomythos, während sich links und rechts sogar noch etwas größere gemalte Durchblicke auf Landschaften öffnen. Vgl. Peters (1963), 167–172 mit Abb. 163–167 sowie 168 (Gesamtdarstellung); vgl. auch ebd. Abb. 168 bzw. Rostowzew (1911), Abb. 20, aus der Casa dell’Ara Massima, wo der Durch- und Ausblick sogar noch durch einen halbrunden Vorhang gegenüber den üblichen Fensteröffnungen gewissermaßen theatralisiert wird. 294 Stahl (2008), 212.

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orientem, occidentem altera retinet, hac et subiacens mare longius quidem, sed securius intuetur (6); triclinium … hortum et gestationem videt, qua hortus in­ cluditur (13); cenatio … cingitur diaetis duabus a tergo, quarum fenestris subiacet vestibulum villae, et hortus alius pinguis et rusticus (15); heliocaminus quidem alia xystum, alia mare, utraque solem, cubiculum autem valvis cryptoporticum, fenestra prospicit mare (20); a pedibus mare, a tergo villae, a capite silvae: tot fa­ cies locorum totidem fenestris et distinguit et miscet (scil. zotheca: 21); gelegentlich gesteigert zur Schilderung einer ganzen Durchblicksreihe: … a fronte quasi tria maria prospectat (scil. triclinium), a tergo cavaedium, porticum, aream, por­ ticum rursus, mox atrium, silvas et longinquos respicit montes (5).295 Nebenbei sei darauf hingewiesen, daß gemalte und gebaute Architektur selbstverständlich in vielerlei Hinsicht in einem Zusammenhang standen, der den Wechsel vom Drei- zum Zweidimensionalen oder umgekehrt a priori nahelegen konnte, wie ja der durch die Fensteröffnung gerahmte prospectus grundsätzlich ein Äquivalent zu einzelnen Landschaftsdarstellungen an der geschlossenen Wand ist.296 Aufschlußreich ist etwa die Beobachtung v. Blanckenhagens, daß das unter Domitian begonnene und unter seinem Nachfolger eröffnete Nervaforum seinem Betrachter einen Anblick bot, der strukturell ganz mit einem Standardschema der zeitgleichen Architekturmalereien übereinstimmte: Eine zentrale aedicula (der Minervatempel), an den sich links und rechts zwei niedrige Querwände schlossen, die über sich hinweg Ausblicke und im Falle der rechten Wand auch einen Durchblick eröffneten (auf der linken Seite war ein Durchblick durch die Nordostapsis des Augustusforums versperrt), flankiert wiederum von den höheren Quasi-Portiken der Seitenwände, die mit ihrer reich gegliederten Säulen- und Architravarchitektur perspektivisch zwischen dem Betrachter und der Tiefe des Bildes vermittelten; gerade die Gliederung dieser Umfassungsmauer sei eigentlich nur mit der Gliederung gemalter Innendekorationen der Zeit vergleichbar. Doch wäre es verfehlt, ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Malerei und Architektur anzunehmen: Vielmehr liege 295 Ähnliches auch in Plin. epist. 5, 6. 296 Vgl. Bergmann (1992b), 38 f.; Bek (1993), 142–147. Grundlegend dazu nach wie vor Drerup (1959). Drerups Hauptthesen, soweit hier von Interesse: Durchblicke gehören auch nach dem archäologischen Befund zu den wichtigsten Parametern des römischen domusund villa-Baues. Das im Vergleich zu den Griechen subjektivere Verhältnis des Römers zur Welt sei der Grund für die Vorliebe für Durchblicke (ebd., 152), weil der Durchblick eine Möglichkeit ist, sich die Landschaft zu unterwerfen (148; 152), indem aus dem Blick in die Tiefe des Panoramas ein gerahmtes Bild wird, also nahezu eine Reduktion in die Zweidimensionalität erfolgt, während die oft vielfach hintereinandergestaffelten Durchblicksbegrenzungen diesem Bild oder seinen gemalten Äquivalenten diesseits eine in Schritte unterteilte Tiefe vorlagern (155–161). – Vgl. die u. III, Anm. 343 zitierte Feststellung Pavlovskis’, sowie Zeiner (2005), 79 f., wo zutreffend die Bedeutung des prospectus-Motivs für silv. 1, 3 und der diesbezügliche Unterschied zu silv. 2, 2 (diese Villenbeschreibung weist präzise Angaben zu den Ausblicken auf, silv. 1, 3 wirkt diffuser) angedeutet wird.

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beiden Realisierungen gleiches Kunstwollen zugrunde.297 Einen ähnlichen Befund zeigt zuvor schon das im Jahre 79 verschüttete Forum von Pompei mit seinen seitlichen Kolonnaden, zentralem Tempel und dazwischen eingeschobenen, freilich links und rechts in unterschiedlicher Tiefe gestaffelten Bögen, die einerseits Durchblicke auf weitere und mehr oder minder in die Tiefe führende architektonische Gegebenheiten, andererseits über sie hinweg Ausblicke auf den Vesuv freigaben. Andere Fora bis hin zum Forum Romanum selbst, wo zumindest das Südostende durch Caesartempel und seitliche Bögen Ansätze zu derlei Gestaltung aufwies, ließen sich als Beispiele anführen: Stets handelt es sich um Konstellationen, die enge Parallelen auch in der gemalten Architektur finden. Wenn also davon auszugehen ist, daß zwischen gebauter Architektur und Architekturmalerei ein enger Zusammenhang besteht, so ist nicht einzusehen, daß eine solche Verbindung nicht auch zur Architekturbeschreibung in der Literatur existieren sollte: nicht bloß in dem Sinn, daß die Beschreibung eines aktualen Bauwerks wie der Domus Flavia oder des Tibur Vopisci zwangsläufig in Zusammenhang mit dem Beschriebenen steht, sondern darüber hinaus im Sinn des zugrundeliegenden Kunstwollens, um diesen schon öfters verwendeten Begriff Gottfried Sempers auch hier ins Spiel zu bringen.298 Freilich: der Gattungssprung von der Architektur zur Malerei ist kleiner als der von der Architektur oder von der Malerei zur Literatur, was an der unterschiedlichen Zeichenhaftigkeit von Sprache und Malerei liegt – dies die Schwierigkeit, die schon Lessing im ›Laokoon‹ zu unscharfer Argumentation hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Text und Bild zwang.299 Doch bedeutet dies schließlich auch, daß ein ambitionierter Autor eine besondere Herausforderung darin sehen mag, die vergleichsweise höhere Barriere, die ihm seine Kunstgattung entgegensetzt, zu überwinden und eine Beschreibung nicht bloß durch ihren Inhalt, sondern durch ihre Struktur, ihren tenor, zum Äquivalent des Beschriebenen zu machen. Wie schon mehrfach ist auch hier auf die m. E. auf Statius zurückgehenden Gedichttitel hinzuweisen: Ein Text, der sich selbst Villa Tiburtina Manili Vopisci nennt, erhebt nicht bloß den Anspruch, über die villa Tiburtina zu referieren, sondern er ist, auf dem Feld der Literatur, die Villa. Und wenn man Statius zu Recht als Manieristen bezeichnet – ich würde dazu neigen, diesen Begriff, so problematisch er auch sein mag, doch zu verwenden –,300 dann war es ihm mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Anliegen, entsprechend

297 von Blanckenhagen (1940), 158–160. 298 Bek (1983), 105, sieht sogar einen möglichen Kausalzusammenhang zwischen der Architekturmalerei und einer Grundtendenz der Literatur jener Zeit: »In fact, the growing ­awareness of the view in literature may be due to the confrontation of the writers with in­ creasingly refined devices of architecture.« 299 Vgl. Buch (1972), 41–46. 300 Vgl. Friedrich (1963), passim; Vessey (1986), 2757–2759.

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der oben angedeuteten ›Entautomatisierung‹ der Wahrnehmung in manieristischer Malerei seinerseits solche Prozesse auf sprachlichem Gebiet in Gang zu setzen (jemand, der ›Leiter‹ als innumeros … gradus, gemina latus arbore clusos, aerium … iter bezeichnet, tut das ja jedenfalls: Stat. Theb. 10, 841sq.),301 mög­ licherweise einen, der analog zu dem in der Malerei beobachteten verläuft. Ich halte es demnach für möglich, daß Statius’ Text über das Zufällige und das Motivische302 hinausgehende strukturelle Parallelen zu der Architektur­ malerei seiner Zeit und deren Prinzipien (wenn man so will: ihrem Kunstwollen) aufweist, und das nicht unbedingt nur in dem Abschnitt, der am nächsten mit der Malerei zu tun haben müßte, nämlich in der Beschreibung des Gebäudeinneren.303 Diese strukturellen Parallelen ergeben sich meines Erachtens daraus, daß das beschreibende Ich Architekturmalerei, das heißt ihren beabsichtigten trompe-l’oeil-Effekt, wörtlich nimmt:304 huc oculis, huc mente trahor: ›Meine Augen sagen mir, daß ich hier edle Architektur und herrliche Ausblicke vor mir habe, mein Gehirn sagt mir, daß es sich nur um eine bemalte Wand handelt‹ – dies scheint mir der richtige Sinn von Vers 38 zu sein. Es handelt sich dabei um ein bewußtes Wörtlichnehmen, nicht um ein wirkliches Getäuschtwerden durch photorealistische Malerei, denn selbstverständlich wird kaum jemals ein Betrachter durch ein römisches Architekturfresko ernsthaft getäuscht und zu der Meinung verleitet worden sein, es mit realer Architektur bzw. realen Ausblicken zu tun zu haben: Ein solcher Effekt, wie er allenfalls in einer zufällig schlecht ausgeleuchteten Barockkirche sich ergibt, wo zumindest die Grenze zwischen gebauter und gemalter Architektur (genauer: zwischen dreiund zweidimensionaler Architektur, denn gemalt ist im Barock beispielsweise oft auch der scheinbar ›gebaute‹ Marmor) manchmal schwierig festzustellen sein kann, war auch gar nicht intendiert. Höchstens das vage Gefühl, mittels gemalter Architektur den gegebenen und evt. recht beengten Raum zu erweitern, mag eine Rolle gespielt haben.305 Doch es gehört zur gesellschaftlichen Konvention im Umgang mit solcher Malerei ebenso wie zur rhetorischen Würdigung derselben, sie als täuschend zu betrachten, und zur intendierten Form

301 Die Stelle verdanke ich Curtius (1965), 280. 302 Dies die Bezüge, wie sie Bergmann (1992a), passim, für silv. 2, 2 herausarbeitet: zutreffend, wie mir scheint. Mein Ansatz widerspricht in gewisser Weise dem Verdikt Andrew Wallace-Hadrills (1983), 182: »It would be more honest to admit that in style and mood ­Roman painting and poetry had very little in common.« Doch nennt Wallace-Hadrill selbst Statius und Martial als relative Ausnahmen (ebd. 182f). 303 Auf grundlegende Gemeinsamkeiten von Malerei und Dichtung, vor allem der als manieriert bzw. barock bezeichneten Richtung, zur flavischen Zeit wies bereits Bardon (1962), 741, hin. 304 Am nächsten scheint Sara Myers (2000), 134, dieser Hypothese gekommen zu sein: »The extravagant artifice of his Silvae imitates the architectural artifice of his patrons.« 305 Vgl. Bek (1983), 83.

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des Kunst­genusses, das Wie dieses Täuschungsmanövers auszukosten:306 eine ähnliche stillschweigende Übereinkunft zwischen Produzent und Rezipient wie jene, durch welche panegyrische Texte vor überinterpretierender Zerzausung geschützt sind.307 Die Malerei der Zeit paßte freilich auch dazu, jedenfalls wenn Fritz Wirths Interpretation stimmt, der in den späten Jahren Domitians, also gerade in der Zeit der Silvae, ein zunehmend romantisches Verschmelzen von realer und aufgemalter Architektur beobachten will.308 Jedenfalls scheint unbestritten, daß die in den Vesuvstädten dokumentierten Tendenzen des 4. Stils sich bis zum Ende der Flavierzeit weiter fortsetzten, sogar noch gesteigert wurden, ehe in trajanischer und vollends in hadrianischer Zeit auch eine künst­ lerisch etwas andere Richtung eingeschlagen wurde. Man sollte natürlich nicht den Fehler begehen, aus der Darstellungsweise von Räumen, wie die Malerei sie zu bestimmten Zeiten aufweist, auf die Sehgewohnheiten der Zeitgenossen im Alltag schließen zu wollen309 Doch wo alltäglicher Raum absichtsvoll gestaltet wird, wo er also wenigstens ansatzweise zum Kunstwerk wird, ist selbstverständlich damit zu rechnen, daß etwa ein Architekt oder Gartengestalter des Zeitalters der alles dominierenden Zentralperspektive andere Zielsetzungen entwickelt und Gestaltungsmöglichkeiten genützt haben wird als ihre Vorgänger beispielsweise im Rom der Licht-Schatten-Architektur der Spätantike oder auch der Vexierdurchblicke des vierten Stils. Betroffen ist hiervon also die Wahrnehmung des gestalteten Raumes (der Villa) als Kunstwerk, nicht als alltägliches, aus begehbaren und nicht begehbaren Flächen und aus Mauern mit oder ohne Öfnnungen bestehendes Objekt. Kunstwerke aber wecken stets den Drang, die Spielregeln, nach welchen sie funktionieren, aufzudecken, sei es expressis verbis, sei es durch kreatives Spiel mit denselben. Statius’ Gedicht verfährt meines Erachtens nach in der zuletzt genannten Weise und gerät so zur gegenseitigen Durchdringung von Architektur und Text entlang gemeinsamer poetologischer Linien.310 Welche Indizien im Text lassen sich dafür anführen, von der schon genannten Strukturparallele hinsichtlich der Unlogik von Drinnen und Draußen und von der in Anm. 261 angeführten Junktur picturata vena (36) einmal abgesehen?

306 Bek (1983), 85 f., bezogen speziell auf Fresken in triclinia: »Now what matters is the ­v isual enjoyment of the artistic conception of a nobler world on the part of the diners instead of their virtual transgression into it.« 307 Vgl. o. I, bei Anm. 52. 308 Wirth (1934), 48. 309 Vgl. o. die Einleitung, Anm. 5. Man denkt an das Aufkommen der Zentralperspektive, das sicherlich das Blickverhalten der Kunstgenießer beim Betrachten von Bildern und ganz zweifelsohne das Verhalten der Maler selbst beeinflußte, nicht aber die alltägliche Raumwahrnehmung: Kemp (1997), 170. 310 Vgl. Newlands (2002), 202 (zu silv. 1, 5): »interpenetration of architecture and poetics«.

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Vor allem weise ich auf das ungewöhnliche Schweigen der Natur im gesamten Gedicht hin, das Interpreten schon verschiedentlich auffiel:311 aeterna quies (29), numquam fervor (30), silvas … tacentes (40), quies (41),312 silet (42); ähnlich rabiem … spumosaque ponit / murmura (21sq.), und nec … latravit (5) gehört in gewisser Weise auch hierher. Damit soll nicht gesagt sein, daß Ruhe und Friede nicht Pluspunkte eines römischen Landrefugiums gewesen wären:313 In silv. 4, 5, 53 erscheint das Motiv beispielsweise en passant in dieser konventionellen Form, und schon der flüchtige Vergleich zeigt, um wieviel stärker es in silv. 1, 3 ausgeprägt ist.314 Doch zwischen der Stille eines klassischen locus amoenus, der immerhin das Murmeln einer Quelle oder eines Baches, Vogelgezwitscher und Bienensummen als akustische Mermale regelmäßig aufweist und mit alledem 311 Cancik (1978), 131 f. (mit Anm. 85 zu aeterna quies), will in diesem Schweigen einen Reflex melancholischer Sehnsüchte des alternden Dichters erkennen, sofern es sich nicht, wie als Alternative angedeutet wird, um ein Versehen (jedoch um ein authentisches, wie Cancik betont) des Stegreifdichters Statius handle. Die zweite Möglichkeit scheint mir unglaubwürdig, die erste ist natürlich auch neben meiner Interpretation im Sinne einer weiteren Verständnisebene des Textes möglich; wenngleich ich gestehe, dieser Deutung nicht viel abgewinnen zu können, es sei denn, man wollte Statius eine Gemütslage wie weiland Johannes Brahms zuschreiben, von dem es hieß, daß der Höhepunkt an Ausgelassenheit, dessen er fähig sei, darin bestünde, sich ans Klavier zu setzen und »Das Grab ist meine Freude« zu spielen. – En passant übrigens weist Cancik selbst auf die Parallelen zwischen der Villa des Vopiscus und römischen Malereien mit Architekturlandschaften hin, doch ohne die m. E. gegebene Tragweite dieser Querverbindung zu sehen: vgl. ebd., 126 (mit Anm. 62). – Anders Newlands (1988), 108 f., die in dem geisterhaften Schweigen einen Hinweis auf unterschwellige Kritik eine Stütze ihrer two-voices-Theorie sehen will, doch ohne daß ich recht nachvollziehen könnte, in welcher Verbindung das Schweigen der Landschaft und die von Newlands angenommene Kritik an Vopiscus’ (Pseudo)epikureismus zueinander stehen könnten. Immerhin wissen wir von diesem Epikureismus bloß aus dem vorliegenden Text, und es besteht durchaus die Möglichkeit, daß Statius dem millionenschweren Besitzer von mehr als einem halben Dutzend Villen, der in Wirklichkeit ohne weiteres ein ›knallharter‹ Geschäftsmann und nur ›nach Feierabend‹ ein Philosoph und Literat gewesen sein mag, ein wenig mehr intellektuelle Betätigung attestiert, als wirklich stattfand. Umso weniger konnte dann Kritik an ihr geübt werden. 312 Das überlieferte qua tibi tota quies (41) wurde bereits durch Polizian zu qua tibi tuta quies verändert. Die Konjektur, der zuletzt auch Courtney (1990) und Shackleton Bailey (2003) folgten, ist plausibel und würde sich auch mit meiner Interpretation des Gedichtes vertragen. Wenn ich sie dennoch nicht in den Text setze, so deswegen, weil tota quies zwar eine ungewöhnliche Junktur ist (und insofern jedenfalls keine semantisch motivierte Ver­ änderung im Laufe der Überlieferung: Schließlich mußte tuta quies, wenn es die ursprüngliche Form war, selbst dem schlechtesten Schreiber einleuchten), doch keine unmögliche: ›dort, wo nichts als Stille herrscht‹, und zwar für jedermann: Denn das von Shackleton B ­ ailey inter cruces gesetzte tibi bezieht sich zwar kaum auf die zuvor angesprochene Halle, doch auch nicht eindeutig und ausschließlich auf Vopiscus, sondern entspricht eher einem ›man‹. Weitergehende Überlegungen und den Vorschlag secura quies anstellte von tibi tuta quies bietet Liberman (2010), 112. 313 Taisne (1994), 97, listet Parallelen dazu aus Statius’ Werken auf. 314 Eine andere, ähnliche Stelle: silv. 3, 5, 85sq.: vgl. Myers (2000), 130.

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auch als guter Ort für poetische Produktion gilt,315 und dem totalen Schweigen der im Gedicht aufgebauten Szenerie ist denn doch ein Unterschied, der den Verdacht nahelegt, daß diese unnatürliche Stille sich mehr der literarischen Konstruktion des locus verdankt als seiner aktualen Beschaffenheit. Immerhin läuft selbst die Formulierung, mit welcher der chaotische Mittelteil des Gedichtes eingeleitet wird, auf ein quiescere hinaus, das dadurch fast als das τέλος der Vopiscusvilla verstanden weren kann: Quid primum mediumve canam, quo fine quiescam? (34).316 Noch markanter sticht das damit verwandte Motiv der Kühle ins Auge, die an sich in einem mediterranen Land natürlich etwas positiv Hervorhebenswertes ist. Doch schon Tibur glaciale im ersten Vers geht darüber hinaus (›eisiges Tibur‹),317 und ebenso die weitere Häufung derartiger Begriffe: hiems (7), frigora (8), Pisaeum non aestuat annum (8):318 Die Szenerie ist nicht bloß kühl wie etwa in der Bandusiaode des Horaz, das im Kontext der besungenen Quelle mit ähnlichen Begriffen aufwartet (Hor. carm. 3, 13, 6sq.: gelidos rivos; 10: frigus ama­ bile – man beachte die Schwächung des horazischen frigus zu amabile, während silv. 1, 3, 7sq. improba frigora aufweist), sie wirkt vielmehr ›eingefroren‹. Auch die mythischen und geographischen Vergleichspunkte, die Statius heranzieht, sind mehrfach durch Kälte ausgezeichnet: Vopiscus’ Villeggiatura könnte die Dryaden vom ›frierenden Taygetus‹ (77sq.: algentia … Taygeta) herbeilocken,319 sie übertrifft das winterliche Antium (88sq.) und wäre es wert, daß man ihretwegen Aegeas hiemes Hyadumque nivosum / sidus (95sq.) auf sich nähme. Eine natura morta geradezu, die denn auch gut zur sonderbaren Wendung

315 Newlands (2002), 295, vertritt in der Tat die Ansicht, das in silv.  1, 3 ausgebreitete Schweigen sei die richtige Hintergrundsituation für das Entstehen von Dichtung; vgl. ebd., 132; ähnlich Myers (2000), 119. Doch scheint mir dichterisches Tun kaum möglich, wenn Stille zur Todesstille wird: vgl. auch silv. 2, 1, 204, wo stumme Vögel die Unterwelt bevölkern und offenkundig derselben Gedankenverbindung Schweigen – Tod folgen wie die Situation der Villa Tiburtina. Eher wird man für positiv besetzte Stille etwa auf silv. 5, 4, 1–6 hinweisen: Jene Goethes ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹ präfigurierende Passage zeigt, daß leiser Klang, nicht absolutes Schweigen, angebracht ist, wo von natürlichem, willkommenem Schlaf die Rede ist. 316 Nur in Vers 42 erscheinen murmura, allerdings in einem geradezu pervertierten Sinn, sodaß man die Stelle kaum als Gegenargument ins Treffen führen kann: vgl. u. III , Anm. 322. – Zu einem anders gelagerten, doch entfernt vergleichbaren Fall von schweigender Natur vgl. Zeitlin (1994), bes. 162. 317 Dominique Goguey, La paysage dans les Silves de Stace: conventions poétiques et observation réaliste, Latomus 41 (1982), 602–613, erklärt (605) glaciale Tibur und improba fri­ gora für bloße Überbietungen gegenüber Martials gelidum Tibur (1, 12, 1; 4, 64, 32). 318 »Nicht schwitzt man hier wie zur Wettkampfzeit in Olympia«: Dasselbe Motiv Stat. Theb. 1, 421sq. 319 Die Konjektur algentesque lacus in Vers 65, auf die o. Anm. 219 bereits hingewiesen wurde, würde sich sehr gut in diesen motivlichen Kontext fügen, ist aber m. E. nicht nötig.

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nigros … somnos (42) paßt: Niemals würde man den süßen Schlaf an einem lo­ cus ­amoenus als niger bezeichnen, dazu ist das Wort viel zu düster besetzt; es würde sich vielmehr, soweit ich sehen kann, selbst innerhalb des Œuvres des Statius um die einzige Stelle handeln, an der niger positiv oder zumindest neutral aufzufassen wäre; die schon oben erwähnte Beschreibung des Palastes des Somnus in Theb. 10, 84–117, wo in der Tat nigrantia armenta (Theb. 10, 97sq.) schlafen und niger vapor (Theb. 10, 109sq.) aus dem Mund des schlafenden Schlafs strömt, bildet hier keine Ausnahme, ist doch der Schlaf dort des Schlafes Bruder (Theb. 10, 105: et cum Morte iacet), einerseits topisch, andererseits aus Gründen der Handlungsführung innerhalb der Thebais, denn Somnus wird schon wenige Verse später die Voraussetzungen für ein grausiges Gemetzel an künstlich in Schlaf versetzten Thebanern schaffen.320 Das bestätigt geradezu den Eindruck, den man bei Lektüre von silv. 1, 3 hat: Eine tote Szenerie, eine Friedhofsruhe (29: aeterna quies), das ist der Effekt, den der Text hervorbringt,321 wenn selbst das in einer wald- und wasserreichen Gegend der aktualen Welt doch stets zu erwartende leise Rauschen / Säuseln / Murmeln nigros somnos, den schweigenden Schlaf des Todes, nachahmt, also verstummt: nigros imitantia murmura somnos (42).322 Fürwahr, eine sonderbare Weise, die Lieblichkeit einer Villeggiatura zu umreißen, selbst wenn man mit einer gewissen Affinität zwischen den Motiven des Gartens und des Todes rechnet:323 immerhin erscheinen Gartendarstellungen 320 Beispiele für die negative Konnotierung von niger 3 zählt Willis (1966), 311 f., auf. 321 Vgl. Krüger (1998), 94 f. Seine Erklärung, Statius habe Vopiscus entweder nicht gemocht oder es sei sein neapolitanische Lokalpatriotismus mit ihm durchgegangen, sodaß er Tibur möglichst negativ zeichnete, ist freilich nicht hilfreich, die Beobachtung an sich indes richtig. 322 So die überlieferte Form des Verses 42 (freilich schlecht lesbar, auch mutantia wäre paläo­graphisch denkbar: Shackleton Bailey [2003], 64; ferner vgl. Liberman [2010], 112 f.), oft angefochten und meist vorschnell zurechtkonjiziert: vgl. Willis (1966), 310–312: teneros in­ vitant; Gilbert (1974): nigros minitantia; Watt (1988), 159: gratos invitant; Eden (1993): pigro minitantia murmura somno; die Ausgabe Courtneys (1990) bietet gar pigros mutantia mur­ mura somnos: vgl Courtney (1984), 331 f.; Corti (1991), 190 f., Anm.  4. Shackleton Bailey (2003) setzt aut pigros invitant; vgl. auch Cancik (1978), 131 f., Anm. 84, wo die Formulierung nigros somnos leichthin zum authentischen Versehen des improvisierenden Dichters erklärt wird. Die Hauptprobleme, die zu diesen Verbesserungsvorschlägen führten: (1) niger kann nur negativ konnotiert sein (niger somnus ~ Todesschlaf: Belege bei Willis [1977], 312), könne demnach nicht hierherpassen; (2) imitantia sei sinnlos, weil Murmeln, welches Schlaf imitiert, höchstens auf Schnarchen hinauslaufen könne (Willis, ebd.): Daher das unter Editoren beliebte, an Ov. met. 11, 604 erinnernde invitant sowie die zahllosen Änderungen an ni­ gros. Ich halte, auch auf die Gefahr hin, unter die von Willis (ebd.) so eloquent vernichteten Durchschnittseditoren der Silvae gezählt zu werden, die Überlieferung hier für korrekt, denn ich glaube nicht, daß von normalem Schlaf lebender Wesen die Rede ist, jedenfalls nicht auf allen Bedeutungsebenen des Gedichtes, sondern von der unbewegten, nachgerade toten Stille einer im Bild repräsentierten Landschaft. 323 Vgl. Myers (2000),119 mit Anm. 72; Cancik (1978), 132; Grimal (1969), 330–335.

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auch im Sepulkralbereich, doch man könnte einwenden, daß Sepulkraldarstellungen nicht unbedingt den Tod symbolisieren müssen, sondern ebensogut etwas im allgemeinen als lebendig Empfundenes ins Bild rücken können.324 Aber eine sehr zutreffende Methode, wenn man es, wenigstens teilweise, mit gemalter Architektur, gemalter Natur, gemalter Szenerie zu tun hat, noch dazu mit nahezu menschenleerer: Denn abgesehen von der als Sprecher fungierenden Wahrnehmungsinstanz bewegen sich durch dieses Gedicht, das übrigens auch auf ein Referat, wie diese Villa eigentlich erbaut wurde, durch mythische Sublimierung des Vorgangs (9sq., leider durch Lücke entstellt), soweit erkennbar, verzichtet und damit eine Phase des Lärms und der Bewegtheit ausblendet,325 auch keine Personen. Selbst Vopiscus, die einzige überhaupt erwähnte menschliche Figur, scheint geradezu zu schlafen (22sq.: Vopisci / Pieriosque dies et ha­ bentes carmina somnos – was ist nun eigentlich der Unterschied zwischen dies und somnus?) und nur vor sich hin zu sinnen wie der unbewegte Beweger der aristotelischen Metaphysik.326 Selbst dort, wo Bewegung unvermeidlich scheint, kommt sie zum Stillstand: Die Fügung fallax responsat imago / frondibus et lon­ gas eadem fugit umbra per undas (18sq.) hat, abgesehen von ihrem nicht bloß klanglichen Spiel zwischen umbra und unda,327 wegen des eadem manchen

324 Als Beispiel sei das Grab des Patron von der Porta Capena genannt, dessen Innenwände über einem Sockel aus Scheinmarmor in einem hohen Fries eine Reihe von Bäumen mit Vögeln zeigte, in einem niedrigeren darüber eine Prozession der trauernden Angehörigen, wiederum durch eine baumbestandene Szenerie: Jashemski (1993), 386 f. mit Abb. 467; Baldassarre u. a. (2002), 170–172; Settis (2002), 28. 325 Ein wichiger Unterschied zu silv.  2, 2 und 3, 1, wo jeweils die Bautätigkeit des Pollius kräftig herausgestrichen wird; vgl. Newlands (2002), 146, zur Abwesenheit des Echos in silv. 1, 3. 326 Abermals ist Cancik (1978), 128, nahe daran, die m. E. zentrale Pointe des Gedichtes zu erkennen, wenn er vom »Eindruck einer gewissen Kühle und Leere, der den Leser überfällt«, spricht und im gleichen Atemzug die Abwesenheit allen Personals mit Ausnahme einerseits des Vopiscus und andererseits mythischer Figuren wie Eroten, Nymphen, Flußgötter und Naiaden feststellt – also eben solchen Personals, das ein reicher Römer der Zeit sich an die Wände malen läßt. Canciks Charakterisierung dieses Umstandes als »aesthetisierende und mythisierende Verdrängung der (Sklaven-)Arbeit« in Kombination mit »technischem Bewußtsein« und »Natursentimentalität« überzeugt mich freilich nicht, denn die mythischen Figuren im Text arbeiten ja nicht, sondern vergnügen sich im Park oder schwimmen im Fluß. Ähnlich kommt er auch mit seiner Vermutung, ›Vopiscus‹ sei weniger eine reale Person als eine Wunschvorstellung des Dichters, und das ›Tibur‹ nicht nur, aber auch ein Wunschort des Statius (ebd., 119–121 und 131), meiner Interpretation ein Stück weit entgegen, bemerkt aber nicht, daß er damit zunächst nur die selbstverständliche Divergenz zwischen physischem und abstraktem Autor, zwischen aktualem und gedichtimmanentem Tibur erfaßt, und stellt folglich keine weiterführenden Überlegungen an. 327 Die beiden klanglich einander nahestehenden Begriffe müssen aufgrund ihrer alltäg­ lichen Koppelung – Spiegelbilder, und umbra ist ein reguläres Wort dafür, begegnen dem antiken Menschen am häufigsten auf Wasseroberflächen – zu Iuxtapositionen eingeladen haben,

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Interpreten schon Schwierigkeiten bereitet, weil man es mit Recht banal fand, eadem umbra als ›derselbe Schatten‹328 im Sinn von ›der Schatten der zuvor erwähnten Blätter‹ aufzufassen; vielmehr müsse eadem als ›stets gleichbleibend‹ gedeutet werden.329 Das ist zutreffend, denn zieht ein Gewässer völlig glatt dahin, ist auch der Schatten von darüberragenden Zweigen unbewegt;330 wirft das Gewässer aber auch noch so kleine Wellen auf, wird der Schatten sogar sehr beweglich, bleibt jedoch im Kern stets derselbe: eine mögliche Erklärung für eadem umbra. Vollends eadem aber bleibt der Schatten, wenn er ebenso wie der Fluß Bestandteil eines Gemäldes ist – sowohl Wasser als auch Bäume bleiben dann ewig gleich, und das wiederum paßt zu der im Kontext ganz unverdächtigen, doch auch doppeldeutig auffaßbaren Beschreibung der nie fruchtlosen Obstbäume in 81sq.: vosque, / qui numquam vacui prodistis in aethera, rami. Immerhin: Darstellungen von fruchttragenden Obstbäumen in der römischen Malerei sind schon aufgrund ihres Symbolgehaltes nicht selten, nicht nur im Rahmen von Gartenfresken wie jenem der Liviavilla von ad Gallinas (Primaporta),331 sondern auch im bildlichen Kontext gemalter Gebäude.332 Und übrigens sorgen auch die zahlreichen kleineren und größeren mythischen Ele­ mente,333 die den Text hier und da bereichern und scheinbar beleben, nicht

es sei aber auch an Ov. met. 3, 417 erinnert, wo zum gut überlieferten corpus putat esse quod umbra est auch die Lesart quod unda est existiert, sonderbarerweise beides gut zur referierten Narcissusgeschichte passend. 328 Die Gleichsetzung von Schatten und Spiegelbild begegnet bereits Ov. met. 3, 434; vgl. o. II , Anm. 112. 329 Vgl. Newlands (2002), 146. – Immerhin erwähnt werden soll Richard Bentleys inge­ niöse, doch zweifelhafte Konjektur fugit unda per undas: Hall (1989), 8, 116. 330 Das fugit die Differenz zwischen dem fließenden Wasser und dem am Ort verharrenden Spiegelbild oder Schatten beschreibt, die bei entsprechendem Hinblicken auch umgekehrt aufgefaßt werden kann, kann als sicher angenommen werden; unwahrscheinlich die Auffassung von Barthius (1674), Animadv. 98, der an das Wandern des Schattens mit dem Sonnenstand im Tagesverlauf dachte. 331 Vgl. z. B. Kellum (1994). 332 Zur Liviavilla vgl. Settis (2002); weitere Gartenfresken bieten beispielsweise das ›schwarze cubiculum‹ der Casa del Frutteto von Pompei: Baldassarre u. a. (2002), 193; Mielsch 2001), 195, Abb.  231; das triclinium der Casa del Bracciale d’Oro gleichfalls in Pompei (ebd., 194–196); ferner die Gartenwand der Casa di Venere von Pompei: Mielsch, ebd., 196, Abb.  232; in Torre Annunziata / Oplontis die Villa der Poppaea mit ihren Pflanzendarstel­ lungen vor farblich verfremdetem Hintergrund und in Verbindung mit echten und scheinbaren Durchblicksöffnungen: Baldassarre u. a. (2002), 265; ein Gartenfresko aus der Casa delle Amazzoni von Pompei, das deswegen bemerkenswert ist, weil es über, d. h. räumlich hinter der üblichen Komposition aus vordergründigem Zaun und Baumbestand einen Schrein mit zwei Figuren sowie, noch weiter im Hintergrund, mehrere Villen zeigt, also die Elemente einer Villenbeschreibung wie silv. 1, 3 in einem Bild zusammenfaßt: Settis (2002), 40. 333 Eine Zusammenstellung quer durch die Silvae bietet Szelest (1972); ferner vgl. Clarke (1991), passim; Bergmann (1992a), 55.

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zwangsläufig für Bewegung: Gerade im vierten Stil treten gemalte Durchblicke auf Landschaften und Villendarstellungen334 meistens in Kombination mit mythologischen Bildern auf oder sind selbst mythisch bevölkert,335 und zwar, wie Katharina Lorenz feststellt, tendenziell in affirmativen Kombinationen, also in Zusammenstellungen, die aus unterschiedlichen dargestellten Szenen eine gemeinsame und gleichgerichtete Aussage erschließen lassen, welche ihrerseits wohl der Repräsentationsabsicht des Besitzers entspricht.336 Das ist genau die Funktion, die man unabhängig von Architektur und Malerei den kleinen mythischen Motiven im Gedicht ohnehin unterstellen wird.337 Außerdem könnte man auch darauf hinweisen, daß dieses mythische Personal, von der beim Bau mithelfenden Venus abgesehen, sich nur im Wasser des Anien (46) und im Park mit seinen Wasserspielen (70–75) herumtreibt, man es also ganz gut entweder mit einer im Text belebten Statuenausstattung des Parks im aktualen Tibur zu tun haben kann – also Bildlichkeit auf erster Ebene –, oder aber mit gemalten Statuen im Rahmen eines Gartenfreskos oder eines ähn­ lichen Bildes, also Bildlichkeit auf zweiter Ebene.338 Selbst die in 47–51 genann-

334 Drerup (1959), 154, verdanke ich den Hinweis auf Plin. epist. 5, 6, 13 hin: magnam capies voluptatem, si hunc regionis situm ex monte prospexeris; neque enim terras tibi, sed formam aliquam ad eximiam pulchritudinem pictam videberis cernere: ea varietate, ea de­ scriptione, quocumque inciderint oculi, reficientur. Da wird explizit eine Landschaft, und zwar die Umgebung einer Villa, gerühmt, wenn und weil sie wie ein Landschaftsgemälde aussieht, also pittoresk ist. In silv. 1, 3 liegt m. E. der an sich ›normalere‹ Ansatz vor, daß eine gemalte Landschaft als trompe-l’oeil (als perfekte μίμησις) zur echten wird bzw. von der / einer echten nicht mehr zu unterscheiden oder zu trennen ist. 335 Vgl. Bergmann (1999). Als Beispiele genügen hier die o. III, Anm. 293 zitierte Dekoration des Isisheiligtums von Pompei (mythische Darstellungen plus Durchblicke auf Landschaften) oder auch das bereits zitierte Ixionzimmer des Casa dei Vettii (mythische Darstellung plus Vexierspiel von Durchblicken, aber ohne Landschaft). 336 Zur Wahrnehmung des römischen Hauses und seines (mythologischen) Bildbestandes grundlegend: Bergmann (1994). Lorenz (2008), 278, weist darauf hin, daß zwecks konsistenter Aussage die einzelnen Mythen »auf wenige, letztlich nur die sublimierende Potenz der einzelnen Charaktere herausstreichende Elemente reduziert« werden: ein wertvoller Hinweis, den man vom Lesen einer Bilderserie gut auf das Lesen eines Textes übertragen kann, wo ungebremstes Weiterrechnen zu entlegensten Gedankenkombinationen praktisch jeden mythischen oder historischen Vergleich einer deductio ad absurdum zuführen würde: Vgl. o. I, bei Anm. 45. 337 Vgl. Zanker (2000), 421. 338 Vgl. Myers (2000), 111. – Aufgemalte Statuen und sogar Pinakes mit dem Bild eines Stieres sowie Darstellungen liegender Frauengestalten mitten im (gemalten) Gebüsch bietet das Sommertriklinium der Casa del Bracciale d’Oro von Pompei: Baldassarre u. a. (2002), 196; Settis (2002), 54 und 58 f. Zwar wird man das Erscheinen des Tafelgemäldes im Gartenfresko eher als ein auf Abwege geratenes Element des dritten Stils deuten, das sonst der Dekoration geschlossener Innenwände vorbehalten war, doch sein Erscheinen im Gartenkontext zeigt immerhin, wie nahe der Gedanke, bildliche Kunstwerke im Garten zu positionieren und zu präsentieren, lag. Statuen als Teil von gemalter Villen-Außenarchitektur erscheinen

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ten Kleinkunstwerke müssen nicht unbedingt der Aktualität angehören, denn auch Beispiele für das Erscheinen derartiger Objekte im Wandbild sind zwar nicht zahlreich, doch immerhin vorhanden.339 Die Auswahl, die der Sprecher aus allem, was er als tatsächlicher Besucher einer tatsächlichen Villa an Eindrücken zur Verfügung haben müßte, ist perfekt darauf zugeschnitten, nicht aus dem Rahmen potentieller Bildhaftigkeit zu fallen.340 Hier ist auch nochmals auf das Problem des Anien saxeus (20sq.) einzugehen. Daß die Junktur etwas eigentümlich ist, wurde schon erwähnt. Dennoch fügt beispielsweise auch auf Villenfresken des dritten und vierten Stils: Neapel, Museo Nazionale 9482 (Peters [1963], Abb. 98); Museo Nazionale 9610 (Peters, ebd., Abb. 158); vgl. Jashemski (1993), 368 mit Abb. 428 und 432 f. 339 Einige Beispiele: Mitten in einer dreimal gleichartig wiederholten komplexen Durchblicksarchitektur erscheinen je zwei kleine bronzene Reiterstandbilder an den Wänden einer Exedra der Casa della Caccia antica: vgl. Pompei. Pitture  e mosaici, vol. VII , Roma 1997, VII , 4, 48, Abb. 53 und 55 zu Raum Nr. 15; Allison-Sear (2002), 49 mit Abb. 217, 220 und 224; kleine Statuen auf Podesten als Bildteiler in einem Fries in Pompei, Villa Imperiale: Mielsch (2001), 69, Abb. 72; wichtig die häufig im 3. Stil, doch auch davor und danach erscheinenden Kandelaber, Dreifüße, mehr oder minder ägyptisierende Hermen(pilaster) u. dgl., die gerne die Scheinarchitektur ergänzen (z. B. Mielsch, ebd., 75, Abb. 77) und im Detail Fundgruben für Miniaturplastikedarstellungen abgeben, etwa in Pompei, oecus q der Casa dei Vettii: Baldassarre u. a. (2002), 231: Satyrhermen und Statuette einer Mänade; aus demselben Raum eine Szene mit geschäftigen Eroten, die neben zahlreichen Gerätschaften auch eine Miniaturstatue in einem geöffneten Kasten zeigt: Baldassarre u. a., ebd., 232 f.; eine Miniatur­statuette als Teil  einer Mänadenszene auch im Peristyl der Casa dei Vetii von Pompei (Mielsch, ebd., 89, Abb. 100); vgl. auch die in Gartendarstellungen beliebten Brunnenschalen etc.: z. B. Baldassarre, ebd., 265. Ferner: Darstellung eines Tisches mit metallenen Kultgerätschaften aus Boscoreale: Mielsch, ebd., 199, Abb. 235; einer Silberkanne und eines Beckers nebst Löffel oder simpuvium aus dem Haus der Iulia Felix von Pompei: Mielsch, ebd., 200, Abb. 238; eines reliefierten Silbergefäßes sowie eines Glasbechers und eines Kanne: Neapel, Mus. Naz. 8647 (aus Herculaneum; Mielsch, ebd., 201, Abb. 239); eines Tisches mit kompletten Silberservice (aus Pompei, freilich aus einem Grab: Mielsch, ebd., 171, Abb. 202; Baldassarre, ebd., 235); einer prunkvollen situla (aus dem Peristyl der Villa von Boscoreale: Mielsch, ebd., 38, Abb. 23); zweier turibula als Raumdekoration zwischen Wandvorlagen (aus dem Atrium der Villa von Oplontis / Torre Annunziata: Mielsch, ebd., 39, Abb. 24); diverse ›Stilleben‹ von Geschirr und Lebensmitteln versammelt Squire (2009), 397–404, Abb. 6.24–6.29. 340 Was Statius in Worte kleidet, sind also nur scheinbar die ungeordneten auf ihn eindringenden Eindrücke, die »Melange aus unmittelbaren Wahrnehmungen und damit einhergehenden Assoziationen, wie sie für das visuelle Erkennen typisch ist.« (Kemp [1997], 68.) Vielmehr hat man es bei aller Stegreifpose selbstredend mit dem Ergebnis ausführlicher Reflexion zu tun, die eine ganz bestimmte rote Linie durch den Fundus der möglichen Assoziationen des Betrachters resp. Besuchers der Villa legt: Evident zum Beispiel ist, daß, obwohl in einer luxuriösen Villa der Flavierzeit ohne jeden Zweifel mit figürlichen Malereien, mit mythischen Darstellungen an den Wänden mindestens der wichtigeren Räume zu rechnen ist, diese nicht thematisiert werden (von der oben angedeuteten Möglichkeit, sie verbärgen sich hinter den eingestreuten Miniaturmythen, abgesehen). Ein viel einfacherer Hinweis betrifft die Absenz nicht bloß des Schalles (alles schweigt), sondern auch jeder anderen Sinnes­ empfindung, des Geruchssinns zum Beispiel, mit der einzigen Ausnahme des Wortes calca­ bam (53), auf das noch einzugehen sein wird.

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sich saxeus gut in die Reihe jener oben aufgelisteten Begriffe, welche die Szenerie so überaus starr erscheinen lassen, denn ein ›steinerner Fluß‹ ist eben mehr als ein ›steiniger‹, ist im Grunde schon ein versteinerter.341 Ein ungewöhn­licher Zustand für einen Fluß in der aktualen Welt, aber der Normalzustand für einen an die Wand gemalten: Er verhält sich damit ebenso wie der bildlich dargestellte Ebro auf dem Schild des Hannibal in Sil. 2, 449 extrema clipei stagnabat ­Hiberus in ora, kommt also zum Stillstand – was wiederum an die stagnantia rura des Gedichtschlusses (silv. 1, 3, 106) erinnert. Zugleich verkehrt sich das ohnehin etwas dick aufgetragen wirkende miranda fides! (20) zur ironischen Bemerkung: ›Der Anien, schon ober- und unterhalb eine versteinerte Angelegenheit, ist hier, welch ein Wunder, völlig stumm.‹ Das ist nun sicherlich nicht die an der Text­ oberfläche intendierte Interpretation – man wird den Ausruf eher als die Minimalvariante des angesichts von Statius sonst großem Interesse an technischen Errungenschaften eigentlich zu erwartenden Preises der mit dem Kanalbau verbundenen Leistung verstehen –, aber ein immerhin möglicher ins Gedicht eingeflochtener Witz, mit dem im Geleise des ›normalen‹ Textverständnisses absichtlich nicht ganz lupenreinen saxeus als Weiche, über die man je nach Wunsch in die andere Interpretationsweise wechseln kann. Rechnet man als Arbeitshypothese mit der Möglichkeit, daß Statius nicht bloß eine Villa, sondern eine Villa mitsamt ihrer malerischen Ausstattung beschreibt, ohne dies extra anzukündigen (ein gewisses Raffinement traute er, wie erwähnt, dem literarisch versierten Hausherrn wohl zu, doch immerhin verwendet er einige Energie darauf, immer wieder auf die Bedeutung des ›Schauens‹ hinzuweisen),342 kommt man sogleich zur entscheidenden Frage nach der Grenze zwischen ›real‹ und ›gemalt‹ – wo hört die ›echte‹ Villa auf, wo beginnt der schöne Schein? Und zwar, was die Sache verkompliziert bzw. zum Jong­lieren 341 Willis (1966), 308 f., lehnt saxeus explizit deswegen ab, weil es ›immobility‹ bezeichne; ich halte es eben deshalb für richtig. Hingewiesen sei auch auf den Amor cruciatus des Auso­nius, wo man ganz ähnlich tacitos sine labe lacus, sine murmure rivos (Auson. 325, 7 [Souchay]) vor Augen geführt bekommt, und zwar nach einer Prosaeinleitung, die ausdrücklich das Sujet des Gedichtes auf ein Wandgemälde zurückführt. Die erst in den letzten Versen erhellte Pointe jenes Gedichtes, daß es sich bei allem Beschriebenen um einen Alptraum des Amor handelt (eine nebula picta, wie Ausonius im Vorwort formuliert), der sich daraufhin erleichtert durch die elfenbeinerne Pforte davonmacht, kann als Vergleichspunkt zu Statius᾽ Beschreibung dienen: Daß ein komplettes Gedicht damit spielt, daß Beschriebenes text­ immanent unter Umständen auf einer anderen ontologischen Stufe angesiedelt sein kann, als der Leser zunächst annimmt, sowie die Problematisierung von Fiktionalität (d. h. auch: Referentialisierbarkeit von Textimmanentem auf Aktuales oder zumindest textimmanent ontologisch Höherstehendes) durch die Erwähnung der elfenbeinernen Pforte, sind beides Raffinements, die Ausonius und Statius einander vergleichbar machen. 342 Vgl. o. 256–265 zu silv.  4, 2: Auch dort bezieht sich der Text zumindest abschnittsweise auf die Ausstattung des Flavierpalastes mit Bildwerken, ohne auf diese Bezugnahme aber expressis verbis hinzuweisen.

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mit zu vielen Variablen macht, einerseits und vor allem im Text, andererseits aber möglicherweise auch in der gebauten Villa der aktualen Welt.343 Die Frage ist eine sehr grundsätzliche, denn sie betrifft die Grundstein des Raumverständnisses auf seiten eines Lesers, (1) Präsupposition des Raumes, (2) Referentialisierung auf die aktuale Welt, soweit möglich, und (3) Zurecht­ finden im imaginären Raum durch Nachvollziehen des Standpunktes der beschreibenden Instanz.344 Von diesen dreien wird der dritte im Text ganz offenkundig demontiert, im genre-atypischen Chaos der Standpunkte während der Hausbeschreibung. An Nr. 2 wird nun erheblich gerüttelt, gerade durch das Fehlen einer Grenze zwischen ›echter‹ Villa und ›unechter‹, also durch das Infragestellen jenes dualistischen Konzeptes, von welcher, wie Carole Newlands gezeigt hat, das Gedicht auf verschiedenen Ebenen so stark geprägt ist:345 Würde klar, von welchem Punkt an das Gedicht ein Bild beschreibt, wäre die Referentia­ lisierbarkeit teils auf eine Villa, teil auf Architekturmalerei ja kein Problem; und selbst wenn nachweislich das gesamte Gedicht nur ein Bild beschriebe und es die Villa des Vopiscus in der aktualen Welt der Flavierzeit gar nicht gäbe, wäre immerhin noch interpretatorische Klarheit zu gewinnen:346 So könnte man Vopiscus im Extremfall als mittellosen Schöngeist betrachten, der von der Villa zu schwärmen pflegt, die er sich bauen würde, wenn er könnte, und Statius’ Text als Replik auf diese Marotte; silv. 1, 3 käme damit in die Nähe der Alfiusepode des Horaz und könnte damit sogar in einer literarischen Traditionslinie verankert werden. Originellerweise gibt es sogar eine Stelle im Text, welche sich durch diese extreme Annahme am besten erklären ließe, und sie befindet sich just dort, wo auch in der Alfiusepode gleichsam ›die Karten aufgedeckt‹ werden: am Schluß. Denn was bedeutet eigentlich die Bemerkung des Sprechers, der phi-

343 Vgl. Pavlovskis (1973), 5: »What is more, their country estates have been developed in such ways that their dwellers do not rightly know where nature ends and art begins, and consequently can enjoy the illusion of holding nature in a kind of magical grasp, completely at their command.« Beides trifft auf silv. 1, 3 zu: das Verschwimmen der Grenze zwischen Natur und Kunst, zwischen realem Durchblick und Malerei; und ebenso das Element einer dem Hausherrn botmäßig gemachten Natur, das Drerup (1959) ja als das τέλος der Organisation von Aussicht als Durchblick, mithin als Bild definiert. Interessant auch die Formel, die Bergmann (1992a), 63, für eine Passage des verwandten Gedichts silv. 2, 2 bringt: »The inter­penetration of outside and inside and the shifting focus between art and nature create a blurred, hallucinatory experience in which vista and vision are confused.« Für silv. 1, 3 würde ich leicht verschoben von ›shifting focus between outside and inside‹ und dadurch erzielter ›interpenetration of art and nature‹ sprechen. 344 Vgl. o. 17–19. 345 Newlands (2002), 146–148. 346 Vgl. Elsner (1995), 35, bezogen auf die Imagines des Philostrat: »The very transgression of the boundary of image and the real is simultaneously the relentless reassertion of that boundary.« Gerade diese ›reassertion‹ vermeidet Statius᾽ Gedicht, das eben nicht klarmacht, wo jene Grenze liegt und an wechem Punkt oder welchen Punkten sie überschritten wird.

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losophisch existierende Vopiscus sei würdig der Schätze des Midas, und seine stagnantia rura seien es wert, daß goldführende Flüsse wie der Hermus und der Tagus an ihnen vorbeiströmten (105–108)? Als Besitzer von mehr als einem halben Dutzend Villen in Italien hat Vopiscus weiteren Reichtum kaum nötig (freilich: ›Wer hat, dem wird gegeben‹ – doch ist das der volle Sinn der Stelle?). Die Erwähnung des Midas, dessen Berührung alles in Gold verwandelte und damit auch versteinerte, paßt zur Motivlinie der Unbewegtheit und auch zu den stagnantia rura, denn stagnare stellt semantisch eine geschickte Verbindung zwischen den Begriffen ›Wasser‹ und ›Starre‹ her, doch die beiden goldführenden Flüsse passen nicht recht in dieses Bild. Oder soll damit am Ende doch angedeutet werden, daß die im gesamten vorangehenden Text beschriebene Villa nur ein Bild von einer Villa ist, egal ob an einer Wand oder im Traum, ebenso eine fallax imago wie die Schatten der Bäume als Bilder in diesem Bild (18) – und daß Vopiscus würdig wäre, über das nötige Geld zu verfügen, sich diese Villa auch wirklich leisten zu können?347 Freilich: Die Deutung wäre eine extreme, und mit etwas gutem Willen kann der Text auch nicht mehr besagen, als daß angesichts des enormen und vernünftig genützten Reichtums des Vopiscus nur noch Goldvorkommen in den Gewässern seiner Villeggiatura fehlten, um das Bild insgesamt stimmig zu machen. Weitere Kombinationsmöglichkeiten, die eine Unterscheidung zwischen dem Vopiscus des Gedichtes und dem der aktualen Welt eröffnet, mögen dem Geschmack jedes Lesers überlassen werden, doch es bleibt das Problem, daß der Text jeder eindeutigen Interpretierbarkeit ausweicht, sogar in, wie ich meine, spöttischer Manier: Denn just dort, wo, von huc oculis huc mente trahor (38) abgesehen, das Prinzip des trompe-l’oeil im Text direkt angesprochen wird (55sq.: das ἀσάρωτον-Mosaik, das ja als trompe-l’oeil par excellence gilt),348 steht auch das einzige Wort des Textes, das die Existenz eines real gebauten Hauses in der Welt des beschreibenden Ichs beweist oder zumindest sehr nahelegt: calcabam (53) – als hätte Statius die Auffassung Wilhelm Pinders349 vor 347 Zugegeben: Die panegyrische Grundtendenz der meisten Gedichte in den Silvae würde in diesem Fall geradezu parodistisch in ihr Gegenteil verkehrt werden. Daß ein so ungewöhnlicher, doppelt gebrochener Text nahe dem Beginn der Sammlung positioniert wäre, die ›normale‹ Villa Surrentina hingegen erst im zweiten Buch, wäre noch zusätzlich sonderbar. Man würde eher erwarten, daß dem Leser zuerst das konventionelle Stück, dann erst die neuartige Bearbeitung desselben Sujets geboten würde. Die oben angeführte Interpretationsvariante ist also höchstens eine rechnerisch mögliche, doch keine sehr wahrscheinliche. 348 Besonderes Kennzeichen des trompe-l’oeil-Charakters ist der im Mosaik dargestellte Schlagschatten der scheinbar auf dem Boden herumliegenden Objekte; vgl. Gombrich (2009), 47 mit Abb. 25; vgl. Jashemski (1979), 96 mit Abb. 151. 349 Er sei hier nur als Beispiel für diese in der Kunsttheorie vielfach und oft als communis opinio geäußerte Definition genannt: Pinder (1948), 19–22; vgl. aus neuer Zeit z. B. Bergmann (1994), 226. Auch ein zweites bekanntes Dictum dieses Kunsttheoretikers kann zu silv. 1, 3 gezogen werden und das Verhältnis von dreidimensionaler aktualer und zweidimensiona-

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wegnehmen wollen, derzufolge das Charakteristikum von Architektur (im Unterschied zu Malerei und Plastik) ihre Erschreitbarkeit sei. Also doch eine reale Villa im Text? Gegen alle übrigen angeführten Momente? Auch so löst sich das Rätsel nicht, schon gar nicht an der fraglichen Stelle: Statuen, Miniaturen, Gemmen werden dort hastig aufgezählt, ein Bodenmosaik, dazu sogar noch reflektierende Steinchen an Wänden und / oder Decke (53sq.) als weiteres luxuriöses, vielleicht sogar selbst künstlerisch gestaltetes Element,350 ringsum also Kunstwerke, wohin das Auge nur blickt, bis es davon erschöpft ist (lassos visus: 14) – als gäbe es nur noch Kunst, kaum noch eine Villa an sich.351 Trifft meine Interpretation zu, dann muß damit eine (eventuell: die) wesentliche Pointe des Gedichtes erfaßt sein. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß diese Pointe prinzipiell zwei unterschiedliche Ausprägungen zeigen kann: Das Ich des Textes könnte ja einerseits die Rolle des Clowns spielen, der sich ler gemalter Landschaft beleuchten: »Das in Wirklichkeit weniger Ausgedehnte kann also das in Wirklichkeit Ausgedehntere geistig in sich aufnehmen, das Zweidimensionale kann das Dreidimensionale geistig spiegeln – nicht umgekehrt! Der Dimensionsverlust im Wirklichen bedeutet einen Dimensionsgewinn im Geistigen.« (ebd. 37). Man vergleiche damit die Verse 13sq.: quae mente reporto / gaudia, quam lassos per tot miracula visus: die Augen sind erschöpft von dem ihnen Zugemuteten (trompe-l’oeil?), ein geistiger Gewinn aber hat sich jedenfalls ergeben. 350 Es ist nicht ganz klar, welcher Vorgang mit splendor ab alto defluus et nitidum re­ ferentes aëra testae / monstravere solum (53sq.) beschrieben wird: Fällt das Licht von oben auf die Steinchen des ἀσάρωτον (testae), sodaß das Mosaik gut sichtbar wird, oder handelt es sich bei testae um reflektierende Steinchen oder Glasmosaikplättchen an den Wänden bzw. der Decke, welche das in der oberen Raumzone einfallende Licht streuen? Der Text legt eher die zweite Variante nahe, weil andernfalls testae monstravere solum zum selbstbezüglichen Vorgang im Sinn von ›die Steinchen auf dem Boden zeigten den Boden‹ würde, während im zweiten Fall splendor und testae zwei auf gleicher Ebene stehende, daher mit et verbundene, Gründe dafür wären, weshalb der Boden gut zu sehen ist. Übrigens beschreibt Statius andernorts ohne jeden Zweifel die schon in Neros Domus aurea mit ihren gelgentlichen Mosaiken und auch Goldmosaikflächen im Gewölbebereich praktisch in die Architektur eingeführten und seit Plin. nat. 36, 64 auch literarisch bezeugten Glassteinchen im Deckenbereich, nämlich an den Gewölben des balneum Claudi Etrusci (silv.  1, 5, 42sq.: effulgent camerae, vario fastigia vitro / in species animata nitent), wobei in species animata nur bildliche Darstellungen von Lebewesen bezeichnen kann; wenige Verse später hingegen (silv. 1, 5, 45sq.) ist klar von durch Fenster einfallendem Licht die Rede. Zu Beleuchtungssituationen unter Einbezug von Glas-tesserae vgl. Bachmann (2011), 130 und passim. 351 Nur en passant sei darauf hingewiesen, daß calcabam necopinus opes (53) auf einer anderen Deutungsebene auch eine humorvolle Parallele zu Vopiscus᾽ Umgang mit Reich­ tümern ist: Als epikureischer Philosoph, der luxu carentes deliciae kultiviert, ›tritt‹ auch er in antiker Diktion ›Reichtümer mit Füßen‹ (calcare divitias). Ich würde mich nicht wundern, wenn dieser Wortwitz keine Erfindung des Statius, sondern ein ›running gag‹ in der wohlhabenden und sich zugleich doch recht verbreitet philosophisch gebenden römischen Gesellschaft gewesen wäre: Sobald jemand sich ein luxuriöses Mosaik legen ließ, mußte das Bonmot, nun könne er endlich seinen Reichtum wirklich mit Füßen treten, doch eigentlich naheliegen.

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im trompe-l’oeil der gebauten und mit Architekturfresken bemalten Villa nicht zurechtfindet, während der Leser den nervus rerum vorgesehenermaßen erfaßt und sich über die Verwirrung des Sprechers amüsiert. Andererseits könnte ein durchaus souveränes Ich dem Leser die Erfassung dieses nervus rerum nach Kräften erschweren und damit mutatis mutandis ihn in die Rolle des Clowns manövrieren. Die beiden Varianten schließen einander aber gar nicht aus: Souverän ist ja jedenfalls der abstrakte (und auch der physische) Dichter Statius, das Verhältnis zwischen dem Ich des Textes und seinem Leser aber verändert sich in dem Ausmaß, in dem der Leser das Spiel durchschaut und bei neuerlicher Lektüre die Differenz zwischen dem in der Tat etwas clownesken, von den Eindrücken der Villa überforderten Ich und der daraus sprechenden Souveränität des Statius zu genießen beginnt, mit der dieser auch die oben als (1) gezählte, grundsätzlichste Prämisse jedes Raumverständnisses in der Literatur, ja jedes Literaturverständnisses überhaupt in Frage stellt. Denn unabhängig davon, ob etwas in einem Text Erscheinendes eine Entsprechung in der aktualen Welt hat oder nicht, also unabhängig von der Frage nach der Fiktionalität eines Textes, gilt für die Welt im Text, daß dieses Etwas existieren muß, mindestens auf einer Ebene des Textes: Wenn in einem Text eine Person einer anderen auf Ebene A eine für wahr (nichtfiktional) deklarierte Geschichte (Ebene B) erzählt, dann kann sich durchaus früher oder später herausstellen, daß manches oder auch alles an dieser Geschichte falsch (fiktional) ist – in Relation zu Ebene A, denn in sich, d. h. auf Ebene B, stimmt die Geschichte ja jedenfalls, solange sie in sich widerspruchsfrei ist. Was aber, wenn sich herausstellt, daß es die Person des Erzählers auf Ebene A gar nicht geben kann, und auch keine weitere Ebene, auf der er doch noch vorkommen, gleichsam verankert sein könnte? Dann rüttelt der Text am Prinzip der logischen Präsupposition, d. h. der auto­ matischen Grundannahme, welche die meisten alltäglichen Sprechakte erst ermöglicht: Sobald jemand über etwas eine Aussage trifft (etwa: »Mein Hund ist krank.«), darf angenommen (supponiert) werden, daß es dieses Etwas (den Hund) auch gibt. Stellt sich dann heraus, daß der Betreffende gar keinen Hund hat, wird die getroffene Aussage zur logischen Unmöglichkeit, ähnlich einer Division durch Null in der Mathematik. Diesem logischen Zwang entkommen auch Texte, die sich selbst als fiktional deklarieren, nicht. Bestimmte genera wie Krimi oder Thriller operieren oft gerade damit, den Leser, jedenfalls bei der ersten Lektüre, eine Zeitlang in die Irre zu führen, bis an irgendeinem Punkt die Neuorganisation des Textverständnisses erforderlich wird, etwa indem etwas bisher für existent Gehaltenes nun als inexistent verbucht wird. Doch wenn das Problem in der Schwebe bleibt, wenn nämlich der Text beweiskräftige Signale für beides (Existenz und Nichtexistenz) gibt, dann ist der Zustand eines logischen Vexierspiels erreicht, wie es Statius in der Villa Tiburtina meines Er­ achtens spielt. Denn gegen eine Grenzziehung, was im Gedicht nun gebaute

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Villa ist und was Bild, wehrt der Text sich erfolgreich.352 Ist es angesichts dessen Zufall, daß, kaum daß sein Sprecher sich der Villa auch nur anzunähern beginnt, eine fallax imago erscheint (18), als sollte der Leser darauf hingewiesen werden, daß es rund um die Bildlichkeit hier nicht ganz mit rechten Dingen zugeht? Jaś Elsner attestiert den Wanddekorationen vor allem des 3. und 4. Stils an sich eine im wesentlichen dekonstruktivistische Note – Statius scheint mit seiner Dekonstruktion des ganzen Hauses folgerichtig den in der Malerei bereits eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen.353 Doch wozu eigentlich der Aufwand? Wenn man die beiden Extremposi­ tionen, daß entweder (a)  das Gedicht ausschließlich eine seinerzeit wirklich existierende Villa in Tibur beschreibt und bloß ungeschickt und zufällig ständig in die Nähe einer Bildbeschreibung kommt, oder daß (b)  das Gedicht lediglich eine fiktive Villa ähnlich der Alfiusepode des Horaz beschreibt, als unpraktikabel ausschließt, so steht man vor der Frage, weshalb der Text eine bis zu ­einem gewissen, wenngleich für den Leser unbestimmten Grad wirklich existierende Villa nicht bloß beschreibt, sondern sie in ein Vexierspiel verwandelt. Die Antwort ist wohl in dem zu suchen, was Meike Rühl als die Zielsetzung dieses und auch der meisten anderen Gedichte unter den Silvae definiert: Ihr zufolge hat silv. 1, 3 das Ziel, die auf Selbstdarstellung angelegte Villa des Vopiscus deren Besuchern zu deuten, gleichsam eine Musterinterpretation dieses gebauten (ich ergänze: beziehungsweise ge- und bemalten) Gesamtkunstwerks zu liefern, und sich damit selbst dem Hausherrn zu empfehlen.354 Nichts spricht gegen die Annahme, daß der immerhin als kunstsinnig gezeichnete Vopiscus 352 Bemerkenswert ist dabei, wie ungleich verteilt die Signale sind: Den zahlreichen Signa­ len zugunsten einer Bildbeschreibung (Starre, Kälte, Stille usw.) steht das eine calcabam (53) mit dem dazugehörigen expavere gradus (57) entgegen (reporto in Vers 13 ist indifferent, weil es nichts darüber aussagt, ob der Sprecher nun von einem Villenbesuch oder einer Bild­ betrachtung zurückkehrt). Hier spielt zweifellos die Konvention der ›reading community‹ die entscheidende Rolle: Von einem Gedicht, das mit Villa Tiburtina betitelt ist und in einer Sammlung wie den Silvae publiziert wird, erwartet wohl jeder Leser die Beschreibung einer real existierenden Villa: Entsprechend heftig läuft der Text gegen diese Konvention an. Das calcabam hat demgegenüber nur den Zweck, das Textverständnis nicht kippen zu lassen, sondern das Vexierspiel offenzuhalten. – Von anderer Seite her näherte sich Nauta (2008), 162, bereits dem Problem, indem er auf eine auffällige Zurückgenommenheit der Diktion hinwies: »But in spite of all the first-person verbs like ›I wander‹ or ›shall I praise‹, Statius acquires no individuality beyond that of guest and poet.« Das läßt sich noch differenzieren, denn im Vergleich zu den zahlreichen Verben des Typus canam (34), dicam (38), memorare (48), mirer (57) und referam (64) treten die der ›Besuchshandlung‹ zuzuordnenden sehr zurück: die oben genannten Begriffe reporto (13), calcabam (53) und expavere gradus (57) sind die einzigen. Der Grund liegt auf der Hand: Wollte Statius gebaute und gemalte Villa verschwimmen lassen, mußte er seine eigenen gedichtimmanenten Handlungen als Sprecher auf das beschränken, was gegenüber Bauwerk und Bild gleichermaßen möglich ist: Sehen (cernere: das Zentralmotiv) und Dichten. 353 Elsner (1995), 85–87. 354 Rühl (2006), 257–262, bes. 261 f.

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das Zusammen- und Ineinanderwirken von gebauter Architektur und Scheinarchitektur, von realen Durchblicken und gemalten Durchblicken, das ich dem Gebäude aufgrund der Eigenheiten von silv. 1, 3 zuschreibe, als den Haupt­clou seiner Villa betrachtete. Übrigens wäre das gar keine sonderlich exzentrische Allüre, eher nur die Zuspitzung einer im Wohnbau der Zeit konventionellen Tendenz. Der Adressat des Gedichtes ist dabei freilich nicht der echte Besucher in der aktualen Welt, denn der bekam die Villa wohl durch den Hausherrn selbst am kompetentesten präsentiert, sondern zum einen der imaginäre Besucher, als welcher sich der Leser der Silvae für die Dauer von silv. 1, 3 fühlen darf, zum anderen Vopiscus selbst. Statius verbalisiert also den notwendigen externen Betrachter, der die raffiniert gestaltete Villa des Vopiscus richtig interpretiert und ihm damit über diese Anerkennung seines Geschmackes Distinktion verschafft.355 Was ich oben 515) provisorisch als Statius’ ›Wörtlichnehmen‹ der Villa bezeichnet habe, ließe sich nun reformulieren: Statius baut sein Gedicht in Analogie zu den Intentionen, die Vopiscus in seinem Landpalast verwirklicht und verstanden sehen wollte,356 indem er nicht etwa explizit darauf hinwies, wie köstlich verwirrend und reich an bizarren Durchblicksspielereien die male­ rische Ausstattung der Villa sei, sondern indem er seinen Text selbst zum ver­ balen trompe-l’oeil machte und ihn ebenso zwischen Realistik und Unlogik changieren ließ, wie die Architekturmalerei seiner Zeit es mit ihren Möglichkeiten tut.357

355 Zeiner (2005), 22 und 79. Verfehlt Johannsen (2006), 353, Anm. 296, wenn sie silv. 1, 5, 30 pando domus ausschließlich an das Publikum der publizierten Sammlung, das die Thermen des Claudius Etruscus nicht aus eigener Anschauung kannte, gerichtet sein läßt. Auch den Freunden des Etruscus, erst recht diesem selbst, wird das Bauwerk ›eröffnet‹, d. h. ›dar­ gelegt‹, um nämlich den Beweis zu erbringen, daß der Sprecher das Bauwerk verstanden hat, es zu würdigen und sinnvoll auf seinen Erbauer zu beziehen weiß. 356 Das die Repräsentationswirkung einer solchen Villa begründende Verhältnis zwischen Hausherrn und Haus ist nicht als einseitiges zu denken, sondern der Hausherr darf gegenüber den künstlerischen und, wenn man so will, intellektuellen Anforderungen, die sein Haus erhebt, nicht seinerseits eine Antiklimax sein. So schon Cic. off. 1, 139: Ornanda enim est dignitas domo, non ex domo tota quaerenda, nec domo dominus, sed domino domus hone­ standa est. (vgl. Lorenz [2008], 16). Auf die diesfalls anscheinende Koppelung von raffinierter Villa und raffiniertem Besitzer reagiert der Besucher, das Ich des Gedichtes, in angemessen raffinierter Weise. 357 Dazu paßt auch die von Vessey (1986), 2764, beobachtete Rasanz, die das Gedicht in bestimmter Hinsicht auszeichnet, nämlich in der Atemlosigkeit des Sprechers, die zugleich in krassem Gegensatz zur Stille und Bewegungslosigkeit des Geschilderten steht. Ist es erlaubt, eine Parallele zum oft wild bewegten Pinselstrich der Freskomalerei zu ziehen – Bewegung auf seiten des Künstlers, aber Unbewegtheit auf seiten des Kunstwerkes: das Verhältnis ist dasselbe wie zwischen dem Sprecher, der mit bewegten Worten die textimmanente Villa schafft, und dieser selbst.

Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 

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Bemerkenswert ist dabei, daß der Text nicht etwa triumphal darauf hinweist, welch perfektes Gesamtkunstwerk dem architektonischen und gestalterischen Ehrgeiz des Vopiscus mit seiner Villa Tiburtina gelungen sei, sondern daß diese traumhaft unwirkliche Villa aus der Natur der Örtlichkeit selbst entsprossen zu sein scheint: Kein besonderes Befremden auslösender Zug bei dem nie scharf zwischen Natur und Kunst trennenden, sondern in der Natur stets einen ihr innewohnenden Drang zur Kunst erblickenden Dichter,358 doch einer, den man nicht unterschätzen sollte. Vielerlei Elemente durchdringen einander auf diese Art: Des Hausherren hauptsächliche Tätigkeit scheint im Schlafen und Träumen zu bestehen, und zwar träumt er Gedichte (23: habentes carmina som­ nos); Statius schreibt nun ein Gedicht, dessen Raum sich traumhaft der Realität, spröder gesagt: seiner Referentialisierbarkeit auf die Aktualität, entzieht; und die Villendarstellungen, die seit dem dritten Stil in so großer Zahl die Wände aktualer Villen schmücken, zeigen parallel zu all ihrer Plausibilität in den Details insgesamt einen charakteristischen Zug ins Traumhafte.359 Das bedeutet jedoch nicht, daß ein verwirrendes Verschwimmen von im allgemeinen unantastbaren Grenzen, wie das Gedicht es vor Augen führt, nicht möglicherweise auch seine unheimliche Seite hat: Nochmals sei an Vers 42 nox silet et (scil. silent) nigros imitantia murmura somnos hingewiesen. Was hier imitiert wird, ist ja nicht diesseitiges Schlafen, sondern der Tod – und in diesem einen Punkt, dem Tod, wird ein Vergleich (imitantia)  des der akustischen Sphäre angehörenden murmura mit dem sonst eher ›Unbewegtheit‹ als ›Geräuschlosigkeit‹ signalisierenden somnus möglich, und kommt umgekehrt murmura in die Sphäre der Unbewegtheit – der es ja ohnehin angehört, als Bestandteil einer zum Bild erstarrten Landschaft. Diese schon oben diskutierte cross-over-Formulierung bringt als solche letztlich vor allem eine Zuspitzung des Grundgedankens des Gedichtes. Daß diese Note des Unheimlichen freilich auch wiederum ›nur‹ Bestandteil rhetorischer Courtoisie sein kann (im Sinne von: Vopiscus’ Gesamtkunstwerk ist so perfekt, daß selbst der Interpret zu schaudern beginnt), braucht nicht extra betont zu werden.

358 So charakterisiert Wray (2007), 136 f., den Dichter. 359 La Rocca (2008), 45: »Inserite in un contesto figurativo che nega volutamente il vitale, e popolatissimo, ambiente delle coste tirreniche, queste ville dipinte sono in effetti sogni architettonici che prendono talvolta spunto da architetture esistenti, ma più spesso sono esse stesse un modello che si tentò di realizzare al vero. Non sono gli elementi singoli ad essere privi di riscontri, ma la loro giustapposizione in uno spazio di fantasia, più simile ad una memoria poetica che non ad un’adesione oggettiva al reale.«

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f) Epikureischer Luxus durch Virtualität? Wie schon zu dem prinzipiell gleichartig gebauten Pendantgedicht silv. 2, 2 ist auch zur Villa Tiburtina im Sinne einer unitarischen Interpretation des Textes die Frage zu stellen, in welcher Weise die beiden Teile des Gedichtes, Villenbeschreibung und preisende Charakterisierung des Hausherrn, zusammenhängen. Freilich: Daß das Impromptu des Statius über die Villa der Deutung, welche Vopiscus selbst ihr gegeben wissen wollte, mindestens nicht widersprochen haben wird, kann aufgrund der sozialen Verhältnisse von physischem Dichter und physischem Millionär angenommen werden: doch ist dieser Zusammenhang zwischen räumlichem Vexierspiel und Hausherrn kaum hinreichend, dem Rezipienten des publizierten Gedichtes die Einheit des Textes plausibel zu machen. Auch der Umstand, daß, anders als in der Villa Surrentina, die Charakteristik des Hausherrn in silv. 1, 3 recht kurz ausfällt und damit stärkeren Annexcharakter hat als die Darstellung des Pollius Felix im zweiten Buch,360 braucht nicht gegen eine tiefergegründete Verbindung der beiden Teile zu sprechen. Zunächst läßt sich aus der die Villa als epikureische Idealbehausung zeichnenden Formulierung der Verse 91–93 hic premitur fecunda quies virtusque se­ rena / fronte gravis sanusque nitor luxuque carentes / deliciae, die nach tradi­ tioneller Interpretation des Gedichtes als Preis einer aktual so wie beschrieben existierenden luxuriösen Villa zumindest irritieren und erwartungsgemäß auch schon als Ironie gedeutet wurden,361 eine Stütze meiner oben umrissenen Interpretation gewinnen. Denn ist eine Villa an sich gar nicht übertrieben luxuriös, sondern weist Luxus wenigstens partiell in Form der bildlichen Darstellung von Luxus auf, so könnte man ganz ohne Ironie darin sanus nitor erblicken – visuell wahrnehmbaren Prunk (nitor), doch in vernünftig bleibenden Maßen (sanus).362 Das Phänomen wäre keineswegs ungewöhnlich, und man braucht 360 Zur Topik dieser Charakterskizzen vgl. Nauta (2002), 308–323. 361 Newlands (1988), 97. – Zur Junktur fecunda quies und ihren Parallelen bei Seneca vgl. Corti (1991), 193, Anm. 9. 362 Zeiner (2005), 132, weist auf die Schwierigkeit der Festlegung hin, was eigentlich Statius nun als überzogen luxuriös empfand und was nicht. Die Schwierigkeit sei zugegeben, doch es bleibt der Umstand, daß die im Gedicht gezeichnete Villa des Vopiscus nach unserem Kenntnisstand von römischem Wohnbau der Zeit jedenfalls eine außerordentlich exquisite Anlage war, sodaß sanus nitor und luxu carentes deliciae problematisch bleiben. – Newlands (1988), 97, versteht sanus nitor als »radiance of soul«, nimmt also Metabole im Sinne von nitens sanitas an, und dieses als Pendant zu 54sq. nitidum … solum. Ich kann dem nicht folgen, wie ich überhaupt Newlands Versuch, aus silv. 1, 3 ein Exempel für two-voices-Theorie zu machen, mit Skepsis gegenüberstehe. Als Grundlage dafür muß nämlich eine postulierte pauschale Bezugnahme auf Horaz herhalten, die nur in einem einzigen Punkt, nämlich drei Motivparallelen zwischen dem Statiusgedicht und Hor. epist. 1, 10, einigermaßen plausibel erscheint (Newlands, ebd., 101 f. Die Verszahlen: Hor. 19 – Stat. 55sq.; Hor. 20sq. –

Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 

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gar nicht bis zu den in der frühen Neuzeit bisweilen an die Wände von Festsälen gemalten Schaugerüsten mit ebenso gemaltem Tafelsilber gehen, die als zweidimensionales, ständig vorhandenes und obendrein preiswertes Surrogat für die Zurschaustellung echter Kostbarkeiten dienten,363 um auch in der antiken Wandmalerei die Grundtendenz des ›Mehr Scheinen als Sein‹ zu finden  – schon die Schein-Marmorvertäfelungen des ersten Stils folgen diesem Grundsatz, ebenso die freskierten Schein-Tafelgemälde auf Schein-Staffeleien des dritten Stils und die Schein-Durchblicke des vierten, welche bei aller Wertschätzung, die man der Malerei als Kunstform entgegenbrachte, doch immer zu einem gewissen Teil Surrogat für kostspieligere echte, gebaute Durchblicks­ architekturen waren.364 Diese durch den Text unmittelbar nahegelegte Verbindung zwischen Villenbeschreibung und philosophischer Komponente des Gedichtes regt dazu an, nach weiteren Elementen des Epikureismus zu suchen, die im Gedicht eine Rolle spielen könnten. Die Argumentation wird an diesem Punkt freilich notgedrungen um eine Stufe spekulativer, denn daß dem textimmanenten Vopiscus die Beachtung ethischer Forderungen Epikurs attestiert wird, muß nicht bedeuten, daß er (und ebensowenig der physische Vopiscus) deswegen auch in anderen Bereichen der epikureischen Lehre folgte, der Physik etwa oder der Literaturtheorie. Erstens besteht und bestand gerade für Amateurphilosophen, wie man sich Vopiscus wohl zu denken hat, immer die Möglichkeit zum Eklektizismus, zweitens tendierten die philosophischen Systeme des Hellenismus allgemein dazu, nur ausschnittsweise rezipiert zu werden: gerade die Beschränkung auf das Feld der Ethik wäre im römischen Umfeld nicht überraschend, und es kommt auch nicht von ungefähr, daß diese Beschränkung noch heute die allgemeine Wahrnehmung von Stoa und Epikureismus dominiert. Freilich: Selbst wenn der physische Vopiscus nichts vom Atomismus hielt, mußte dies Statius Stat. 66sq.; Hor. 22  – Stat. 59–63), die vor allem aber den sozialen Gegebenheiten der domitianischen Zeit kaum gerecht wird. Der kühle, Schlichtheit zelebrierende und oktroyierende Klassizismus der augusteischen Zeit war vorüber, und vieles von dem, was zu Horaz’ Zeiten als dekadent gegolten hatte, war in Schichten wie denen, welche Statius᾽ Gedichte betrafen und wo auch seine Leser zu suchen sind, Normalität, oft geradezu gesellschaftliche Pflicht geworden – palastartige Villenanlagen zum Beispiel: vgl. Myers (2000), 107 f. Wenn daher der allgemein (ganz unhorazisch!) so technik- und zivilisationsbegeisterte Statius auf Ansätze bei Horaz repliziert, dann mit größter Wahrscheinlichkeit im Sinne einer ins Positive gewendeten Überbietung (Myers, ebd., 113, gibt eine Liste solcher anti-horazischer bzw. anti-klassischer Positiva bei Statius), nicht um Vopiscus dafür zu kritisieren, daß er nicht die altväterische Lebensweise überzeugter Augusteer wiederbelebt: vgl. Pavlovskis (1973), 2 et passim; ferner ebd., 19, den hierhergehörigen Hinweis auf gaudet humus in Vers 56; Littlewood (1987), 21.  363 Ein besonders prächtiges Beispiel bietet der Palazzo Altemps in Rom: vgl. ScoppolaVordemann (1997), 54–57, Abb. 54–60. 364 Vgl. Zanker (1979a), passim, zum Einsatz gerade (im weitesten Sinn) illusionistischer Malereien im räumlich sowie finanziell beschränkten Rahmen städtischer domus.

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nicht daran hindern, ihm ausgehend von Vopiscus’ ethischem Epikureismus obendrein noch mit Bezugnahmen auf andere Bereiche dieses philosophischen Systems dichterisch entgegenzutreten, man jongliert also mit der Variablen des Eklektizismus auf seiten des Vopiscus’ einerseits, der einer diesbezüglichen Differenz zwischen Vopiscus und Statius andererseits, und eine Interpretation des Gedichtes auf solcher Basis kann bloß Spekulationscharakter für sich in Anspruch nehmen. Doch versuchsweise kann für die Interpretation von silv. 1, 3 auch die epikureische Physik, konkret ihre Wahrnehmungslehre, einen Angelpunkt abgeben. Immerhin bildet der Vorgang des Sehens ein Leitmotiv des Gedichtes, und dieser fällt nicht in den Bereich der Ethik, sondern in den der Physik, und im Rahmen des Epikureismus bildet just die Optik einen der schon in der Antike am stärksten umstrittenen Aspekte.365 Bekanntlich bedeutet bildliche Wahrnehmung nach Epikur bzw. Lukrez, daß von allen sichtbaren Gegenständen sich ständig lösende, hauchfeine, gleichwohl materielle Bildchen wie Folien durch die Luft schwirren und ans Auge des Betrachters gelangen. Der Tiefeneindruck entsteht dabei, so Lukrez, durch die vor den Bildchen hergeschobene Luft, die an der Pupille vorbeiströmt und durch ein dieser innewohnendes Sensorium quantitativ gemessen wird: je mehr Luft, umso weiter her das simulacrum, und umso weiter entfernt vom Auge der Gegenstand, von welchem das simulacrum ausgesandt wurde.366 Nun gilt das simulacrum / εἴδωλον in allen antiken Optiktheorien als etwas ontologisch relativ Eigenständiges, jedenfalls für modernes Empfinden: die Präsenz der Erscheinung, wie Gérard Simon formuliert, ist sein wesentliches Charakteristikum und macht es weitgehend unabhängig vom Licht und vom Blick eines Be­ trachters;367 erst die Optik Alhazens wird ein Jahrtausend nach Statius den Schritt von der Bildtheorie zur Lichttheorie vollziehen.368 Im speziellen Fall der atomistischen simulacra-Lehre aber geht diese Präsenz noch einen Schritt weiter, weil verschiedene unerklärte und auf diese Weise wohl auch unerklärbare  – nicht umsonst ist die auf Demokrit zurückgehende emanistische Sehtheorie anscheinend stets Fragment geblieben und erwies sich einer logisch stringenten, durch geometrische Reduktion gestützten Konzeptionsbildung gegenüber widerspenstig  – Punkte dazu drängen mußten, aus einem zwangsläufig drei­ dimensionalen Strom von simulacra inklusive davor hergeschobener Luft eine zweidimensionale Projektion abzuleiten, wie ich es oben mit dem Begriff ›Folie‹ 365 Vgl. grundsätzlich Simon (1992), 46–52; Jürß (1992), 37–43. Eine Verbindung zwischen der Wandmalerei des ersten nachchristlichen Jahrhunderts und der lukrezischen Optik zieht schon Begmann (1992b), 40, andeutungsweise in Betracht, ohne den Ansatz indes weiterzuverfolgen. 366 Die chronologische Abfolge des Eintreffens der Bildchen entsprechend ihrem zurückgelegten Weg betont Lucr. 4, 275–278. 367 Simon (1992), 52. 368 Belting (2009), 104–126.

Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 

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auch bereits angedeutet habe. Erstens bilden die Oberfläche der Pupille ebenso wie die Netzhaut des Auges zwar gekrümmte, doch immerhin Flächen, an welchen die eindringenden Bildchen, selbst wenn sie nicht bereits zweidimensional sind, schließlich ›flachgedrückt‹ werden müssen: d. h. die Rezeption der simulacra erfolgt jedenfalls in der Zweidimensionalen. So muß ja auch der permanente Strom von simulacra (Epikur spricht von ῥεῦσις συνεχής)369 aus verschiedenen Tiefen des Raumes zwangsläufig dazu führen, daß schon länger unterwegs befindliche simulacra auf ihrem Weg zum Auge sich in gleicher Ebene mit gerade erst aufgebrochenen Emanationen von näher bei Betrachter befindlichen Objekten wiederfinden und entsprechend gleichzeitig als ›Bildebene‹ das Auge erreichen,370 dabei sogar zu ›Trugbildern‹ miteinander verschmelzen können, deren Trugstatus freilich nur ein relativer und vom Status der ›wahren‹ simulacra nicht grundsätzlich verschieden ist.371 Zweitens weist der Bildbegriff selbst auf eine weitere Problemstelle im atomistischen Konzept hin, auf die Unerklärbarkeit der Tiefeneindrucks in illusionistischer Malerei: Denn was sich von einer glatten, bemalten Fläche, beispielsweise einer freskierten Wand, ablöst, kann bei allem trompe-l’oeil der Malerei doch nichts anderes sein als eine ›Folie‹, ebenso flach wie die Wand, und kann Tiefenempfindung also nicht durch unterschiedliche Quanten bewegter Luft erzeugen. Wie man sich pragmatisch im Umgang mit solchen Widersprüchen behalf, wenn man doch irgendwie am atomistischen Sehkonzept festhalten wollte, ist infolge der trüm 369 Epicurus, Herod. 48. 370 Soweit die sehr knappen Ausführungen Epikurs im Herodotbrief 46–52 erkennen lassen, nimmt er die Ausbreitungsgeschwindigkeit der εἴδωλα als die höchste in der Natur vorkommende Geschwindigkeit an, und zwar als Konstante. Von der Distanzmessung mithilfe des vor dem εἴδωλον hergeschobenen Luftstromes, wie Lukrez doziert, liest man bei ihm nichts, und das lukrezische Modell hält auch logischer Überprüfung nicht stand, selbst wenn man von der Frage, weshalb die extrem feinen Atome der simulacra die ungleich gröberen Luftatome überhaupt in Bewegung versetzen sollten, und wie der Mensch eine auf ihn eindringende Luftbewegung von der Geschwindigkeit der simulacra überhaupt aushalten sollte, absieht: Entweder es gelangt fortwährend ein Kontinuum von Bildchen (ῥεῦσις συνεχής) in gleicher Geschwindigkeit ans Auge, dann empfindet dieses nichts als einen immer und überall gleichen kontinuierlichen Luftstrom, aus welchem gar nichts abzuleiten ist. Optische Wahrnehmung bedeutet in diesem Fall bloß, daß mithilfe der Fläche der Netzhaut eine (streng genommen gekrümmte) Schnittebene durch das Kontinuum der εἴδωλα gelegt, also aus deren dreidimensionalem Strom eine zweidimensionale Reduktion gewonnen wird. Oder aber Lukrez nimmt an, daß simulacra aus großer Distanz schneller zum Auge fliegen als solche von naheliegenden Gegenständen, sodaß die Geschwindigkeit des Luftstromes als Indikator für die Distanz dienen kann: Dann können die unterschiedlichen Geschwindigkeiten aber nur den Effekt haben, daß die simulacra trotz verschieden weiter zurückgelegter Distanzen gleichzeitig beim Auge eintreffen, d. h. sich von selbst zur zweidimensionalen Fläche arrangieren. Wie man es dreht und nimmt, die simulacra werden jedenfalls zweidimensional wahrgenommen. Übrigens atestiert Cyril Bailey just der zugrundeliegenden Lukrezpassage nicht ohne Grund, sie sei ziemlich nachlässig geschrieben: Bailey (1963), 3, 1212. 371 Büttner (2006), 131.

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merhaften Überlieferung kaum noch festzustellen, doch das Vorhandensein emanierender simulacra welcher Gestalt auch immer bildete wohl den Fixpunkt, auf den, schon zur Abgrenzung von konkurrierenden Erklärungsmustern, nicht zu verzichten war. Es scheint also legitim, in einem an einen Epikureer gerichteten Gedicht, das vornehmlich vom Sehen handelt, nach diesem Motiv zu suchen. Auch kann gezeigt werden, daß in den Kreisen gebildeter Villenbesitzer intellektuelle Debatten und auch Scherze auf der Grundlage konkurrierender Optikkonzepte im konkreten Kontext des Villenbaus durchaus vorkamen. Der eindrucksvollste Beleg ist freilich über ein Jahrhundert älter als die Silvae und entstammt einem Brief Ciceros an Atticus, welcher anscheinend die zu klein dimensionierten Fenster in einem neuen Villenbau Ciceros kritisiert hatte:372 Fenestrarum angustias quod reprehendis, scito te Κύρου παιδείαν reprehendere. Nam cum ego idem istuc dicerem, Cyrus aiebat viridariorum διαφάσεις latis luminibus non tam esse suavis. Etenim ἔστω ὄψις μὲν ἡ Α, τὸ δὲ ὁρώμενον τὸ ΒΓ, ἀκτῖνες δὲ ΑBΓΑ – vides enim cetera. Nam si κατ᾿ εἰδώλων ἐμπτώσεις videremus, valde laborarent εἴδωλα in angustiis; nunc fit lepide illa ἔκχυσις radiorum. Cetera si reprehenderis, non feres ta­ citum, nisi si quid erit eius modi quod sine sumptu corrigi possit. (Cic. Att. 2, 3, 2)373 Was Deine Kritik an der geringen Dimensionierung der Fenster angeht, sei Dir bewußt, daß Du an der Bildung des [Architekten] Kyros herumkrittelst. Denn als ich ihm genau dasselbe sagte, meinte Kyros, daß die Durchblicke auf die Parkanlagen bei breiten Fenstern nicht so hübsch wären. Wenn nun nämlich der Blickpunkt A ist, das Gesehene BΓ, die Sehstrahlen aber ABΓA – den Rest siehst Du selbst. Denn würde unsere optische Wahrnehmung nach dem [epikureischen] Prinzip des Einfalls von Bildern funktionieren, dann würden diese Bilder an der Engstelle [des Fensters] ziemlich in Schwierigkeiten kommen; in Wahrheit aber geht [auch bei einem schmalen Fenster] die Ausbreitung der Sehstrahlen ganz elegant vonstatten. Solltest Du noch weiteres auszusetzen haben, werde ich Dir die Antwort schon nicht schuldig bleiben, falls es nicht etwas ist, was ohne Mehrkosten korrigiert werden kann.«

Die Witzelei über die εἰδώλων ἐμπτώσεις ist klärlich einer auf Kosten der Epikureer, deren Wahrnehmungslehre eben hier einen ihrer vielen wunden Punkte aufweist. Die gelehrten Erklärungen des Architekten aber, die Cicero nur in angedeuteter und wahrscheinlich ironisierter Form bringt, vielleicht seine Überwältigung durch einen Schwall euklidischer Weisheit andeutend, gingen, soviel scheint noch erkennbar, in zwei leicht unterschiedliche Richtungen. Erstens: Wären die Fenster breiter, wären die Durchblicke nicht mehr so suavis. Damit kann eigentlich nur gemeint sein, daß durch die engen Fenster bestimmte 372 Den Hinweis verdanke ich Drerup (1959), 150, dort freilich mit teilweise falscher Paraphrase; vgl. ferner Fehr (1969), 56–63; Ehrhardt (1991), 33 f. 373 Bemerkung zum Text: Das korrupt überlieferte † ΑΙΤΑ † der geometrischen Sehstrahlenbeschreibung habe ich entsprechend der obenstehenden Skizze angepaßt.

Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 

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Abb. 5: Skizze zu Ciceros Fensterproblem. (erstellt durch E. Kreuz)

akzentuierte oder wenigstens voneinander klar getrennte, als Einzelbilder taugliche Ausschnitte geschaffen wurden, wohingegen größere Fenster bloß ein künstlerisch weniger spannendes Allerweltspanorama böten:374 Man schätzte, wie auch die Auflistung in silv.  2, 2, 72–84 zeigt (vgl. o. 449–456), das nahe Nebeneinander verschiedener Ausblicke, soweit sich dies eben machen ließ. In der künstlerischen Umsetzung hatte man denn auch keine Hemmungen, selbst mäßig große Wände mit völlig verschiedenen Ausblicken nebeneinander zu bemalen.375 Die geometrische Demonstration nach euklidischem Muster freilich scheint Cicero der zweiten Argumentationslinie zuzurechnen, wie auch das nach vorne hin etwas stärker trennende etenim und das nach hinten hin enger verbindende nam zeigen. Diese zweite Argumentation wird getragen von Spöttelei über die epikureische Optik, etwa entlang folgenden Gedankenganges: Würden wir wirklich so sehen, wie Epikur meint, dann hätten Bilder von großen Gegenständen allerdings Schwierigkeiten, durch ein kleines Fenster zu passen; da wir aber das Konzept des Sehwinkels kennen, kann unser Gesichtsfeld sich auch bei engen Fenstern nach Belieben ausweiten – wir brauchen nur näher zum Fenster zu gehen, um den Winkel zu vergrößern. Zweierlei ist daran faszinierend: Erstens daß Cicero, bei all seiner philosophischen Belesenheit in Fragen der Optik 374 Drerup (1959), 151, verweist dazu passend auf Plin. epist. 2, 17, 5 und Stat. silv. 2, 2, 74. 375 Ein krasses Beispiel das bekannte cubiculum der Villa des P. Fannius Synistor von Boscoreale (2. Stil) im Metropolitan Museum von New York, dessen Längswände nicht bloß für sich genommen jeweils mehrere miteinander unvereinbare prospectus nebeneinander bieten, d. h. Ansichten, die, wenn man sich die die Durchblicksöffnungen voneinander trennenden gemalten Pilaster und Säulen wegdächte, niemals ein zusammenhängendes Panorama ergeben könnten, sondern wo dieselben vier prospectus auch noch spiegelsymmetrisch verdoppelt einander an gegenüberliegenden Wänden gegenübergestellt erscheinen und so jede Fiktion eines wirklichen Ausblicks vollends ad absurdum geführt wird; vgl. Mielsch (2001), 34, Abb. 19 f.; Ehrhardt (1991), 42–46.

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sicherlich kein Fachmann, eine zwar bloß angedeutete, doch wissenschaftlich nach den Maßstäben der Antike solide Aufschlüsselung der an einem Seh­ vorgang dieser Art beteiligten Faktoren gibt, ausgehend natürlich vom konventionellen Konzept des vom Auge ausgehenden Sehstrahls.376 Und zweitens, daß der Baumeister offenbar auf Ciceros Vorschlag, die bereits fertigen Fenster doch ein Stück größer auszubrechen (was immerhin grobe statische Schwierigkeiten und jedenfalls eine Menge Arbeit mit sich bringen konnte), in sehr naheliegender Weise reagierte: »Wenn Sie mehr sehen wollen, dann gehen Sie eben näher zum Fenster.« – allerdings in wissenschaftlichen Maskierung, wie sie dem gelehrten Griechen im Gespräch mit einem römischen Konsular geziemte. Geht man davon aus, daß Diskussionen auf derlei Niveaus, vom ›Anwenderbereich‹ des gebildeten Architekten bis zum Amateurphilosophen, auch im späten ersten Jahrhundert vorkamen,377 ist anzunehmen, daß der Punkt, an welchem sich Villenbau und Optik am stärksten berührten, der prospectus, der wesentlichste Gegenstand einschlägiger Erörterungen war. Geht man weiter davon aus, daß für eine Auseinandersetzung zwischen den beiden hauptsächlichen Optikkonzepten der Zeit, zwischen Sehstrahl und simulacra, im wesentlichen diese beiden Schlagworte genügten, kann man versuchen, in einem Gedicht wie silv. 1, 3, das letzten Endes ein Text gewordener Blick ist (so wie ein perspektivisch gemaltes Bild ein Bild gewordener Blick ist),378 nach beidem zu suchen. Nun besteht nach Epikur zwischen dem materiellen Bildchen, das sich von einem sichtbaren Objekt, etwa von einer Fassade, löst, und dem materiellen Bild, das ich erhalte, wenn ich auf eine glatte Wand eine Scheinfassade male, kein grundlegender Unterschied, bloß einer in der Feinheit der Materie – die freskierte Wand ist sehr viel massiver, sie ist sozusagen eine vergröberte Variante dessen, was auch den Sehvorgang einer aktualen dreidimensionalen Gegebenheit ausmacht: eine zweidimensionale Folie. Bildchen versus Bild: huc oculis, huc mente trahor? Die Ichinstanz des Gedichtes befleißigt sich freilich einer ganz anderen Sehweise: Derselbe Satz, der mit dem oben besprochenen Wort calcabam das wichtigste Signal für die bauliche Existenz der beschriebenen Villa im Text von silv. 1, 3 gibt, zeigt auch, daß der Sprecher selbst sein Sehen als Wahrnehmung mithilfe eines vom Auge ausgehenden Sehstrahls versteht: Dum vagor aspectu visusque per omnia duco / calcabam necopinus opes (52sq.): Zwar vagor aspectu ist wegen des mehrdeutigen Ablativs unklar, doch visus ducere, offenkundig eine inhaltliche Verdoppelung des vorigen, kann nur das Lenken des Seh 376 Dazu vgl. Simon (1992), 230–240. 377 Die kuriose Idee, des jüngeren Plinius, zwei seiner Villen am Comosee Tragoedia und Comoedia zu nennen, weil die eine hoch oben wie auf einem Kothurn, die andere tiefer unten am Ufer lag, ist ein Beleg immerhin für eine mäßig intellektuelle Durchdringung des Phänomens ›Villa‹. 378 Belting (2009), 24.

Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 

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strahls bezeichnen. Das Interessante ist, daß die beiden in diesem Satz vereinten Handlungen einander nicht ganz unähnlich sind: Der Sehstrahl, dieses »QuasiOrgan«, dieser »Auswuchs der Seele (…), der mit dem Licht und dem Feuer verwandt ist und die Dinge sozusagen auf Distanz betastet«379, tut prinzipiell das gleiche wie die Füße des Sprechers – er tastet die Umgebung ab. Greift man hier ein Stück zeitgenössische Kontroverse um Sehstrahl und emanistische Wahrnehmungslehre? Kritisierte man an letzterer, daß ihre simulacra nicht bloß denkbar unhandlich seien, sondern auch zwischen drei- und zweidimensionalen Objekten nicht zu unterscheiden wüßten, während den Verfechtern des Sehstrahlmodells wiederum vorgehalten wurde, daß ihre ›Geistfinger‹380 doch recht unplausible Körperorgane darstellten? Besitzt beispielsweise Vopiscus eine Villa, in welcher allerlei kostbarer Zierat bloß aufgemalt ist, nicht bloß aus ethischer Reserviertheit gegenüber materiellem Reichtum, sondern auch aus der epikureischen Überzeugung, daß für die optische Wahrnehmung ohnedies kein Unterschied zwischen ›echt‹ und ›aufgemalt‹ besteht  – das emanierende simulacrum ist ja doch das gleiche? Und wirft sich der Sprecher und Villen­ besucher demgegenüber in die Pose desjenigen, der dies zu würdigen versucht (optisch und intellektuell) und dabei gleichsam über seinen Sehstrahl stolpert, erstens weil es für diesen sehr wohl einen Unterschied macht, ob er auf eine bemalte Wand oder auf eine dreidimensionale Szenerie trifft (huc oculis, huc mente trahor), zweitens weil die zweidimensionalen simulacra sich nicht auf die Wände beschränken, sondern sogar die Bodenfläche bedecken, des Sprechers körperliche Füße aber nicht über dieselbe optische Sensibilität verfügen wie sein Geistfinger? Es scheint mir gut denkbar, wenngleich weitgehend spekulativ, in solchen oder ähnlichen Elementen eine mögliche Anregung zu sehen, die Statius das in silv. 1, 3 verfolgte Konzept nahegelegt haben könnte. Jedenfalls bietet allein der Kontrast aus epikureischer Wahrnehmungslehre und einer Wendung wie visusque per omnia duco hinlängliche Anknüpfungspunkte für Gedankengänge, welche Villenbeschreibung und Gedichtschluß miteinander verbinden. Nun zum zweiten mutmaßlich naheliegenden epikureischen Verbindungselement zwischen dem jeweiligen Lob des Hausherrn als Philosophen in silv. 1, 3 und 2, 2 und den Gedichten in ihrer Gesamtheit, d. h. den Villenbeschreibungen: Folgen diese Dichtungen erkennbar epikureischen Vorstellungen von Literatur? Laut Plutarch (Non posse suaviter vivi secundum Epicurum, mor. 1095C) hat Epikur in den Διαπορίαι behauptet, der Weise sei ein φιλοθέωρος, einer der gern sieht. Damit repliziert er auf Plat. rep. 475d–476d, wo ein Unterschied zwischen φιλοθεάμονες und φιλήκοοι einerseits und φιλόσοφοι andererseits gezogen wurde, natürlich zugunsten der φιλόσοφοι. Epikur zufolge strebt der Weise nach dem Schauen der Wahrheit, aber der Weg dorthin führt über das 379 Simon (1992), 207 und 232. 380 Den Ausdruck verdanke ich Kreuz (2004), 80–85.

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­Betrachten des Visiblen (bzw. allgemein den Einsatz der Sinne)  und das Erlangen einer richtigen Meinung über die Sinneswahrnehmungen.381 In diesem Sinn sind die beiden Gedichte auf epikureische Villenbesitzer und ihre Villen ausnehmend epikureisch, wenn sie das, was man sieht, zum Ausgangspunkt nehmen, ein tieferes Verständnis des Gesehenen zu erarbeiten. Dabei steht nicht etwa philosophischer Gewinn im Vordergrund. Offenbar deklariert Philodem von Gadara, die hauptsächliche Quelle für epikureische Literaturtheorie und offenbar auch wirklich eine Autorität auf diesem Gebiet, Dichtung als potentiell nutzlos und dennoch zugleich potentiell ausnehmend wertvoll,382 indem er das Kriterium für gute Dichtung nicht vorzugsweise in ihrem Inhalt, d. h. in ihrer moralisch belehrenden / nützenden Funktion,383 doch auch nicht allein in ihrer Form,384 sondern in der passenden und durch den poetischen Akt (die δύναμις) des Dichters erzeugten Verbindung von Inhalt und Form (um die vergröbernden bzw. den Blickwinkel verschiebenden modernen Begriffe zu gebrauchen) bzw. von ὑπόθεσις / ὕλη / τὰ πράγματα / τὰ νοήματα / τὰ νοούμενα /  ἡ ὑποτεταγμένη διάνοια385 und der σύνθεσις sieht.386 Diese Verbindung ist dann gut, wenn die zum Gegenstand passende Diktion, die λέξις οἰκεία, gewählt wurde,387 was dem Zusammenhang zwischen Gegenstand und sprachlichem Ausdruck Gewicht verleiht; auch die Wichtigkeit des παραλλάττειν, ›variieren‹,

381 Asmis (1995a), 19 f. 382 Philod. De poematis 5, col. 1, 10–18 (Jensen) wirft Heraclides Ponticus vor, er verbiete Dichtung bloß aufgrund ihrer Nutzlosigkeit: … κ[αὶ] διότι τὰ κάλλιστ[α] ποιήματα τῶν [δο] κιμ[ω]τάτων ποητῶ[ν] διὰ τὸ μηδ᾿ἡντινοῦν ὠφελίαν παρασκευ[ά]ζειν, ἐνίων δὲ καὶ [τὰ] πλε[ῖ] στα, τινῶν δὲ πά[ν]τα [τ]ῆς ἀρετῆς ἐκρ[απ]ίζει (scil. ὁ Ἡρακλείδης); ebd., col. 31, 9–17 (Jensen), weist er das Kriterium der Nutzanwendung als mit Dichtung inkommensurabel zurück, weil der Kritiker dadurch viele schöne Gedichte zuunrecht verwerfe, schlechtere hingegen bloß ihres Inhalts wegen für gut erkläre; vgl. Asmis (1995a), 26 f.; (1995b), 154. 383 Dies wäre beispielsweise die stoische Position, ausgehend von dem Grundsatz daß in irgendeiner Hinsicht gut nur sein kann, was moralisch gut ist: vgl. Asmis (1995b), 151. 384 Also kein formalistischer Ansatz; vgl. Philod., P.Herc. 1676, col. 18 (7), 12–17: τὸ δ᾿ α[ὐ]τὴν ψυ[χα]γωγ[ε]ῖν σύνθεσιν κ[αθ᾿ α]ὑτήν, ἕτερο[ν] οὐδὲν ε[ἰσφ]ερομέν[η]ν ἀγαθόν, [ἀ] πίθανόν ἐστι: zitiert nach Asmis (1995b), 165. 385 Der bekannt problematisch erhaltene Text des Philodem gebraucht gerade dafür eine überraschende Vielzahl von Begriffen, geschuldet wohl dem Umstand, daß die meisten erhaltenen Abschnitte fremde Lehrmeinungen referieren und widerlegen und dabei wohl häufig auch fremder Diktion folgen. 386 Porter (1995), 125–133; Vgl. auch Philod. De poematis 5, col. 29, 17–19: καὶ διότι κἂν ὠφελῇ, κα[θὸ πο]ήματ᾿ οὐκ ὠφελεῖ: Wenn ein Gedicht schon einmal (inhaltlich, d. h. etwa: didaktisch) nützt, dann nicht, weil es ein Gedicht ist – im Gegenteil, dieser Zweck wäre stets durch Prosa besser zu erreichen gewesen; vgl. Asmis (1995a), 28; Sider (1995), 45 f. Jedoch sei inhaltlicher / moralischer Nutzen oder Schaden durchaus möglich (Philodem wendet sich ausdrücklich gegen anderslautende Meinungen), habe aber nichts mit der Qualität des Textes als Kunstwerk zu tun: Asmis (1995b), 155. 166. 175. 387 Philod. De poematis, P.Herc. 1676. col. 12 (1), 15: zitiert nach Asmis (1995b), 156.

Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 

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wird in diesem Kontext betont,388 und gleichgültig ob damit bloß Variationen der syntaktischen Struktur gemeint sind oder ob nach Philodem auch auf anderen Ebenen variiert werden soll, betont dies denselben Zusammenhang. George Karamanolis hat vor einigen Jahren nach meinem Dafürhalten plausibel nachgewiesen, daß Philodem nicht bloß seine Epigramme als Buch publizierte, sondern daß er in mehreren Fällen thematisch pendantartig zusammengehörige Gedichte schuf, also gleichsam dem Typus des ›tema con variazioni‹ huldigte: etwas, was man auch Statius’ Silvae bis zu einem gewissen Grad attestieren wird, gerade etwa im Hinblick auf die Villengedichte.389 Zugleich kritisiert Philodem indes, daß der oft gebrauchte Vergleich des einen Stoff in Text verwandelnden Dichters mit einem einen Gegenstand abbildenden Maler oder Bildhauer nicht ohne weiteres zulässig ist, weil die zugrundeliegende ὕλη sich zum Schaffensprozeß unterschiedlich verhalte: Denn während der Bildhauer beispielsweise den Stein als solchen vorfindet, und dieser Stein den Bearbeitungsprozeß hindurch auch derselbe Stein bleibt, erschafft der Dichter seine ὕλη (jedenfalls möglicherweise)  selbst, und zugleich ist die einfache Opposition zwischen Materie und Form, die eine Statue ermöglicht, im Text nicht gegeben, da ein Gegenstand und sein sprachlicher Ausdruck sich nicht so leicht voneinander trennen lassen.390 Vielmehr scheint Philodem der Ansicht zu sein, daß der Poet gleich einem Schöpfergott Dinge erschafft bzw. sie, um es atomistisch auszudrücken, aus elementa, angefangen mit den Buchstaben, zusammensetzt.391 Außerdem überbrückt Philodem in seinen eigenen, durchwegs kleinforma­tigen Dichtungen die allgemein als Stereotyp des Epikureismus angesehene Kluft zwischen Philosophie und Poesie, indem er seine poetischen Texte nicht so sehr in einen intertextuellen Dialog mit älterer Dichtung stellt als vielmehr Bezugnahmen auf philosophische Positionen einfließen läßt.392

388 Philod. De poematis, P.Herc. 1676, col. 15, 24sq.: zitiert nach Asmis (1995b), 159. 389 Karamanolis (2005). 390 Philod. De poematis, P. Herc. 1081, col. 7, 2–12: zitiert nach Asmis (1995b), 171 f. Interessanterweise bezieht sich Philodem in diesem Zusammenhang auf eine fremde Position, die ausdrücklich nicht bloß Malerei und Bildhauerei, sondern auch die Glyptik in diesen Vergleich einbezog, ihn sogar vornehmlich an der Gemmenschneidekunst festmachte: vgl. ­Asmis (1995b), 160–162, die plausibel hinter dieser speziellen Gestaltung des Analogons den hellenistischen Topos der edlen, kleinformatigen Dichtung sieht (und übrigens den im erhaltenen Text nicht genannten Urheber der von Philodem referierten Position versuchsweise mit Heracleodorus identifiziert). Ob Philodem selbst auch von diesem Punkt Gebrauch machte, ist unbekannt, doch man kann diesen offenbar kursierenden Vergleich gut mit den silv. 1, 3, 49 genannten dignas digitis contingere gemmas in Beziehung setzen, die unmittelbar vor den ganz offenkundig auch poetologisch aufzufassenden Miniatur- und Disegnostatuetten (50sq.) in der Sammlung des Vopiscus aufgelistet erscheinen: vgl. o. 120 und III , Anm. 214. 391 Armstrong (1995). 392 Sider (1995).

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III. Cernere si quis potuit

All das steht zu Statius’ Silvae und im engeren Sinn zu den beiden Villengedichten zumindest nicht in Widerspruch: Statius’ allenthalben feststellbare starke visuelle Veranlagung, seine genaue Beobachtungsgabe, die ihn selbst in epischer Dichtung bisweilen bis zur exkursartigen Ausmalung von Einzel­heiten gehen läßt,393 läßt ihn ebenso als φιλοθέωρος erscheinen wie seine textimmanenten Leser, denn nur wer Lust am Schauen hat, sowohl am physischen als auch am imaginierenden, wird Dichtungen wie die Silvae überhaupt schätzen; vgl. das o. Anm. 96 zitierte Diktum Goethes. Und wenn meine Vermutung, daß das komplexe Spiel um Räumlichkeit und Bildlichkeit von silv. 1, 3 im Lichte von Debatten um die Natur des Sehvorganges gesehen werden sollte, zutrifft, dann gilt nicht bloß solche φιλοθεωρία für Manilius Vopiscus und das ihm gewidmete Impromptu über seine Villa Tiburtina in besonderem Ausmaß, sondern man findet dann auch ein ähnliches lockeres Verweisen auf philo­sophische Themen oder Positionen wie in den Gedichten Philodems. Ferner scheint dieser die Position vertreten zu haben, der Weise dürfe zwar kein Berufsdichter oder -musiker sein, musische Betätigung im Sinne eines (positiv verstandenen) Dilettantismus aber sei durchaus nicht abzulehnen, zumal ja einem Philosophen Dichtung sicherlich nicht schaden könne.394 Dies fügt sich nicht nur zu den literarischen Aktivitäten, die Statius seinen vornehmen Freunden und Gönnern, gerade auch Pollius Felix und Manilius Vopiscus, häufig attestiert, sondern es paßt auch zum Charakter der Silvae, deren Gedichte sich notorisch als leichtgewichtige, en passant hingeworfene Skizzen gerieren, also ernsthafte, professionelle dichterische Produktion geradezu verneinen. Freilich: Statius konnte schwerlich verleugnen, ein geradezu einzigartig professioneller Dichter zu sein. Doch distanzieren sich die Silvae besonders im ersten Buch von der zur selben Zeit fertiggestellten bzw. publizierten Thebais bisweilen in markanter Weise, deklarieren sich als etwas völlig anderes.395 Greift man hier eine Selbststilisierung des Dichters, der den Schritt vom professionellen Dichter zum Philosophen vollzogen hat und infolgedessen – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, doch theoretisch ein lohnendes Ziel  – nur noch zur Unterhaltung ›unprofessionelle‹ Gedichte verfaßt?396 In jedem Fall hat man es mit keiner vollkommenen Stilisierung zu tun, denn dieselbe Gedichtsammlung verweist bisweilen ohne jede Distanzierung auf die Thebais, 393 Vgl. beispielsweise die minutiöse Schilderung der Vorbereitungen eines Diskuswerfers vor dem Wurf in Theb. 6, 670–681, oder auch die Aufwärmübungen von Läufern vor dem Start (Theb. 6, 587–592), meines Wissens die einzige antike Beschreibung von Kniebeugen. 394 Asmis (1995a), 30–33. 395 Stat. silv. 1, praef. 5–10; 1, 5, 8sq. 396 Dazu würde sogar die Interpretation bei Krüger (1998), 66 f., passen, derzufolge silv. 2, 2, 6–12 symbolisch für ›Statius am Scheideweg‹ stünde und sein Abstecher nach Sorrent demnach das Einschlagen des schmalen Weges zur philosophischen Kontemplation sei. Leider wird sie durch nichts im Text nahegelegt.

Silvae 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 

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ebenso auf die im Entstehen begriffene Achilleis.397 Doch was hindert einen Autor daran, so wie jeder Mensch wechselnde und bisweilen auch einander widersprechende Positionen der Selbststilisierung und -definierung einzunehmen? Auch die Haltung Philodems bezüglich der Gewichtung von Inhalt und Formulierung trifft sich mit einem Grundsatz der Silvae: Die Themen der einzelnen Gedichte mögen, und noch nicht einmal nur vom Standpunkt der Philo­ sophie her, mäßig bedeutend, bisweilen gänzlich unbedeutend sein, doch das ist nicht der Angelpunkt: Wichtig ist zum einen (manchmal) die Novität des Sujets, denn nicht wenige der Gedichte in den Silvae stellen jeweils den ersten bekannten Beleg für poetische Texte zum jeweiligen Gegenstand dar, mehr noch die ingeniöse poetische Gestaltung des Gegenstandes, aus der letzten Endes ein Kunstwerk resultiert, dessen διάνοια dem Leser erlaubt, den Gegenstand in seiner Gesamtheit (oder vorsichtiger ausgedrückt: in einer möglichen Gesamtheit) zu erfassen.398 Der Text wird dadurch zu einem sehr weitgehenden Repräsentanten seines Gegenstandes, geradezu zu seinem Double, das der Autor aus elementa aufbaut, wie Vopiscus und Pollius ihre beschriebenen Villen aus Steinen aufgebaut haben – kein Wunder, wenn dann beispielsweise die verwirrende Räumlichkeit von Architekturmalerei des späten ersten Jahrhunderts in eine analog verwirrende verbale σύνθεσις übersetzt erscheint, oder wenn eine villa maritima in das Eröffnungsbild des zweiten Lukrezbuches eingefügt und zum Dingsymbol der philosophischen Haltung wird.399 Auch der Anforderung des παραλλάττειν, des Variierens, werden die Silvae gerecht, kann man sie doch als Einzelstücke ohne weiteres nach der musikalischen Form des Tema con variazioni bzw., um dem ständig betonten Stegreiftopos gerecht zu werden, als Variantionsimpromptu, auffassen, in der Gesamtheit der Sammlung hingegen wohl nicht von ungefähr immer wieder verschiedene Ausführungen ähnlicher oder mindestens einander nahestehende Themen (epicedia, Villenbeschreibungen, Gratulationsgedichte, …) miteinander vergleichen. Ungefähr in dieser Weise halte ich einen Zusammenhang zwischen der expliziten Bezugnahme von silv. 1, 3 und 2, 2 auf epikureische Philosophie und den speziellen Charakteristika dieser beiden Gedichte für möglich. Daß da­ 397 Stat. silv. 3, 2, 40. 142 f.; 4, 4, 87–100; 4, 7, 21–28; 5, 5, 36sq.; unentscheidbar: 3, 5, 36. 398 Anders (und, wie ich meine, absurd) Krüger (1998), 36 f., der der römischen Dichtung schon der Klassik »totalen Strukturalismus« und absolute Dominanz der Form bei völliger Bedeutungslosigkeit des Inhalts attestiert: »Wir lesen eine horazische Ode unwillkürlich strukturell, ihr Inhalt, wenn überhaupt, interessiert nur beiläufig …« (ebd.) – mich, wie ich beschämt gestehe, schon. 399 Angesichts dieser Haltung, die ich Statius sehr wohl zuschreiben würde, erscheinen Bemerkungen wie die folgenden umso absurder: »Statius’ existentieller Zweifel am Wert der Kunst und sein Minderwertigkeitskomplex vor dem Mann der Tat … Diese sensationelle Bruchstelle im Selbstverständnis eines antiken Künstlers … Seine ganze Lebenskraft für etwas opfern, das man im Grunde seines Herzens verachtet, ist ein grausames Schicksal …« – alles Krüger (1998), 18 f.

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III. Cernere si quis potuit

neben der reiche Götterapparat, der diese Gedichte wie auch alle übrigen in den Silvae auszeichnet, ein nicht oder nur schwer mit epikureischem Denken (und auch mit Philodem) vereinbares Element ist, und daß sich deren wahrscheinlich weitere finden ließen, sei nicht geleugnet.400 Ich führe die Überlegungen hier jedoch nicht weiter, denn sie müßten rasch auch auf die übrigen Gedichte der Silvae übertragen werden und zum Versuch einer Einordnung des Statius in den poetologischen Diskurs der Zeit, d. h. weit weg vom Interessensfeld der vorliegenden Studie führen.

7. Die Villengedichte: Fazit?  Daß die Villengedichte des Statius mit ihrer von Luxuskritik (weitestgehend) freien Durchdringung des Phänomens villa ein Novum in der lateinischen Literatur sind, steht außer Zweifel.401 Dabei meint ›Durchdringung‹ zunächst ein Ausloten der Möglichkeiten, inwieweit diese Villen über sich hinausverweisen und zum Symbol ihres jeweiligen Herrn, und mit ihm zusammen zu Repräsentanten grundsätzlicher philosophischer Werte werden können. Wahrscheinlich entsprach die Art, wie Statius diese Auslotung vornahm, mehr oder minder genau der Art und Weise, wie ein Pollius Felix oder ein Manilius Vopiscus selbst seine baulichen Gesamtkunstwerke gedeutet wissen wollte: Selbstverständlich brauchten diese intellektuellen Bauherren nicht darüber aufgeklärt zu werden, nach welchen Gesichtspunkten sie ihre eigenen Villen konzipiert hatten.402 Ihnen vielmehr zu zeigen, daß man ihre Intentionen begriffen hatte, und dieses Begreifen der Architektur in ein textliches Äquivalent zum Gesehenen bzw. Gebauten umzuwandeln, ist die grundsätzliche Funktion der Villengedichte, so wie schon der Equus maximus zeigt, daß das Domitiansdenkmal ›richtig‹ verstanden wurde, und zugleich dem Monument durch seine Neuschöpfung in der Literatur eine neue Garantie auf Dauer, wenn nicht sogar Ewigkeit, gibt.403 Um es mit Cairoli Giuliani zu formulieren: »L’architettura è un fatto di atmosfera, di idee, di spazio, di tempo, non di piante o di alzati, di ordini o elementi decorativi.«404 Dies führen Statius’ Villengedichte besonders eindringlich vor Augen, indem sie die beschriebenen Orte zu Heterotopoi erheben und selbst zu solchen werden. Denn nicht weniger wichtig als die inhaltliche ist die poetologische Auslotung, die Statius an den Villen von Sorrent und Tibur vornimmt. 400 Vgl. Obbink (1995), 206–209. 401 Vgl. Bodel (1997), 16 f.; ähnlich Krüger (1998), 20 f., Anm. 35, freilich in überzogener Polemik gegen die Versuche, Ursprünge dieser Sichtweise von Horaz herzuleiten. Die klassischen Elemente der Villen-Luxuskritik zusammengefaßt bei Drerup (1957), 5–9. 402 Krüger (1998), 22. 403 Vgl. Rühl (2006), 262: »… eine Affirmation der Selbstaussage des Gedichtempfängers«. 404 Giuliani (1982), 233.

Die Villengedichte: Fazit?  

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Man mag sich fragen, ob die beiden Villengedichte im engeren Sinn, silv. 1, 3 und 2, 2, mit ihren ähnlichen Strukturen und ihrer Tendenz zur Deutung des jeweils beschriebenen Gebäudes im Rahmen der Vorliebe des jeweiligen Hausherrn für epikureische Philosophie (Sara Myers spricht in diesem Zusammenhang von der »metaphorical nature of real Roman villas«,405 die sich analog in Statius’ Villenbeschreibungen wiederfindet) trotz ihrer Verteilung auf zwei verschiedene Bücher der Silvae als aufeinander bezogenes Gedichtpaar gelesen werden will. Ich würde diese Frage verneinen, jedenfalls soweit sie sich auf eine so enge Bezugnahme richtete, daß die Lektüre des einen Textes ohne Kenntnis den anderen ganz oder teilweise unmöglich wäre. Die beiden Gedichte projizieren vielmehr unterschiedliche Facetten des Philosophentums auf die beschriebenen Gebäude und gelangen dadurch zu exemplarischen, unterschiedlichen Sichtweisen auf jene Villen. Für den Rezipienten wird dadurch in der Gesamtheit ein breiteres Panorama dessen abgesteckt, was das Phänomen der villa zu bedeuten vermag, ohne jedoch daß im geringsten der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben würde. Gemeinsam ist beiden Gedichten ferner die starke Bedeutung des Unterschieds zwischen Drinnen und Draußen, mögen auch die jeweiligen Implikationen unterschiedlich sein: In silv. 2, 2 das Drinnen desjenigen, der zu philosophischer Erkenntnis und Lebensführung gelangt ist, im strengen Gegensatz zum Draußen derer, die dessen noch nicht teilhaftig sind, in silv. 1, 3 hingegen das Durcheinander von Drinnen und Draußen als literarisches Äquivalent zur zeitgenössischen Architekturmalerei. Daß es gerade dieses Motiv ist, das die beiden Texte verbindet, kann man auf die grundsätzliche Funktion (und Wahrnehmung) der römischen Villa im allgemeinen zurückführen, denn sie bildet stets mehr oder minder ein Drinnen im Draußen, eine zivilisatorische Keimzelle in der nicht unbedingt feindseligen, aber doch tendenziell stets als Wildnis empfundenen freien Natur: silv. 2, 2 macht das ja auch deutlich. Immerhin aber scheint es, als ob der zweite Text in einem Punkt doch auf den ersten reagieren würde. Es scheint kein Zufall zu sein, daß die Villa Surrentina ausgerechnet mit dem eher der Sphäre des Epos angehörenden thetischen estlocus-Topos anhebt, sogar in der fast grobschlächtig anmutenden Form est … villa (silv. 2, 2, 1–3). Daß schon das nachfolgende Gedicht, die Arbor Atedi Me­ lioris, in ähnlicher Weise beginnt (vgl. o. 356 u. 404), ändert nichts daran, daß dieses est villa wie eine Rückversicherung des Autors gegen eine mögliche Prorogation der Interpretation von silv. 1, 3 wirkt. Denn um nochmals zum räumlich-bildlichen Vexierspiel der Villa Tiburtina zurückzukehren: Die letzliche Unmöglichkeit, zu entscheiden, ob und wo im Gedicht nun nur eine reale Villa ohne Rücksicht auf ihre malerische Ausgestaltung beschrieben wird, eine reale Villa mit ihrer Architektur- und Ausblicksmalereien, oder gar nur ein Bild, das eine solche Villa darstellt, egal wo dieses Bild seinerseits sich befindet, hebt, in 405 Myers (2000), 111.

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III. Cernere si quis potuit

antiken Termini gesprochen, die Unterscheidbarkeit zwischen topographia (Beschreibung realer Räume) und topothesia (Beschreibung fiktiver Räume)406 auf und dehnt die topothesia dabei noch bis zur Bildbeschreibung aus, nicht nur hinsichtlich eines kleinen est-locus-Abschnitts in einem längeren und fiktionalen Text, für den man sich mit einem non liquet schon begnügen mag (ob es beispielsweise den sehr abstrakt geschilderten Ort des Hinterhalts von Verg. Aen. 11, 522–531. im aktualen Italien der Antike je gab, oder ob er Vergils Erfindung ist, ist von untergeordnetem Interesse), sondern hinsichtlich eines in seiner Gesamtheit einem einzigen Raum gewidmeten Textes. Ich zweifle nicht daran, daß dies eine Ursache für das Unbehagen war, das dieses Gedicht Interpreten bisweilen schon bereitet hat. Versucht man jedoch, die schwebenden Dissonanzen des Gedichtes als solche zu genießen, gewinnt man ein eines Statius würdiges Kabinettstückchen der Literatur, worin der Dichter mit seinen Lesern ein Vexierspiel der Visualisierungen treibt, und das gleichwohl gerade in seiner Unfaßbarkeit das Kunstwollen, welches hinter der Symbiose von gebauter und gemalter Architektur in der römischen Villenkultur des ausgehenden ersten Jahrhunderts steckt, besser zum Ausdruck bringt, als eine ›normale‹ Beschreibung es vermöchte.407 Was man verliert, ist, jedenfalls tendenziell, die Aussicht, die Villa des Vopiscus eines Tages zuverlässig zu lokalisieren und alle von Statius erwähnten Elemente durch Ausgrabungen zu bestätigen, wie man es für die Villa von silv. 2, 2 einigermaßen zuversichtlich annehmen kann: Denn ob und wie jene Grundmauern im Park der Villa Gregoriana von Tibur nun mit der in silv. 1, 3 entworfenen Villeggiatura zusammenhängen, ist nach dem oben Gesagten gar keine methodisch gerechtfertigte Fragestellung. Doch wiegt dieser Verlust nicht schwer. Schließlich macht der Erhaltungszustand der aktualen Villa Surrentina seinerseits aufgrund der Unauffindbarkeit just jenes Herkules­ tempels, der die für sich genommen im Vergleich mit silv. 1, 3 weniger ambitionierten Gedichte 2, 2 und 3, 1 miteinander verbindet und durch die Schilderung einer Veränderung das Element der Zeit und damit die Basis jener Narrativität ins Spiel bringt, welche die Silvae sonst meiden, seinerseits die Frage nach der Fiktionalität dieser Narration unvermeidlich: Als hätte die Tücke der Überlieferung bzw. Erhaltung es sich angelegen sein lassen, die ontologische Diskrepanz zwischen den beiden textimmanenten Villen kompensierend auszugleichen. Die Silvae des Statius bilden nach wie vor einen relativ weißen Fleck auf der Landkarte der römischen Literaturgeschichte, wofür neben allgemeinen alten 406 Zu dieser antiken Terminologie vgl. La Rocca (2008), 29–33 mit den dort eingangs zitierten Stellen Serv. Aen. 1, 159 und Schol. Stat. Theb. 2, 32. 407 Ich erinnere an das oben (Anm. 237) zitierte Diktum aus Philipp (2006), 89, wonach die beiden Villen des jüngeren Plinius in der aktualen Welt der trajanischen Zeit wahrscheinlich nie existiert hätten. Sollte diese Ansicht zutreffen (wovon ich freilich zu meinem eigenen argumentatorischen Nachteil nicht überzeugt bin), dann böte Plinius zwei recht nahekommende Vergleichsfälle.

Die Villengedichte: Fazit?  

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Ressentiments gegenüber der sog. ›silbernen Latinität‹ und dem diffus, doch stets abwertend begriffenen Feld der ›Gelegenheitsdichtung‹ die schlechte Qualität der Textüberlieferung und die oft unglaubliche Experimentierfreude, Verspieltheit, Bizarrerie (man verzeihe mir nun meinerseits den einen oder andere diffusen Begriff) der Texte wohl die Hauptursachen sein mögen. Daß meine Interpretation von silv. 2, 2 und vor allem 1, 3 gleichfalls zumindest unkonventionell erscheinen kann, ist mir bewußt. Ob sie dem Text vielleicht gerade deshalb angemessen ist, mögen Leser und Leserinnen dieser Studie entscheiden.

Schlußbetrachtung

Daß in ekphrastischen Texten beschriebene Objekte metaphorisch für das Gedicht selbst stehen, ist konventionell und bei Statius auch evident, etwa wenn in den Villengedichten der Kühnheit der Bauten (silv. 1, 3, 67: audaci … plumbo; 3, 1, 114: aude; vgl. 2, 2, 31: domat; 56: domuit possessor) die Kühnheit des eigenen dichterischen Tuns entspricht (silv. 1 praef. 19: ausus sum; 22: audacter; silv. 2, praef. 27: timui; silv. 3 praef. 3sq.: temeritatem … audaciam); auch einzelne Motive innerhalb der Ekphraseis bieten sich bisweilen als poetologische Chiffren an: So fällt es etwa schwer, in den miniaturhaften Disegnos von Kolossal­statuen, welche Vopiscus in silv. 1, 3, 50sq. sammelt, keine Inbilder der Silvae in Relation zur Thebais zu sehen.1 Die Beziehung der Silvae zu ihren Gegenständen ist indes enger als solch konventionelles Auftreten poetologischer Metaphern. Die Gedichte verstehen sich in ihrem vollen Umfang als verbale Äquivalente der aktualen Objekte bzw. Vorgänge, die sie in die Welt des Textes übersetzen, zum Ausdruck gebracht sogar in den Titeln der einzelnen Gedichte.2 Anders ausgedrückt: Beschriebene Landschaften, Gebäude und (oft: künstlerische) Objekte fungieren als räumliche Metaphern für den künstlerischen Text selbst, transzendieren den jeder Metapher zugrundeliegenden Vergleich aber, bis aus Vergleichung Gleichheit wird. Umgekehrt kann so die Herstellung der beschriebenen Objekte bisweilen in der Terminologie poetischer Produktion formuliert werden: Die Errichtung der Villa Tiburtina scheint als Schreibakt bezeichnet worden zu sein (silv. 1, 3, 9: scripsisse, leider durch Textausfall unklar), die Bautätigkeit des Pollius Felix in Sorrent wird in silv. 2, 2, 60–62 mit Orpheus und Amphion gleichgesetzt, Symbolfiguren für die Macht der Dichtung,3 und selbst das abschließende Utere perpetuum populi magnique senatus munere von silv. 1, 1, 99 betrifft zwar primär das neuerrichtete Denkmal, bezieht sich aber ebensosehr auf den vorgelegten Text, der damit dem Kaiser dediziert wird (im unmitelbar nachfolgenden Vers silv. 1, 1, 100 fällt der Ausdruck scribere denn auch wirklich, und zwar als Analogon zu γράφειν in der doppelten Bedeutung ›malen‹ und ›schreiben‹).4 Gerade das Spannungsverhältnis zwischen Aktualität und Text aber ist es, das den Silvae, so selbstreferentiell und autark sie gerade im Lichte ihrer poetologischen Deutbarkeit erscheinen mögen, ihre viel

1 Vgl. o. 120; Myers (2000), 117; 132 mit Anm. 125. 2 Vgl. o. I, bei Anm. 108 und Anm. 451. 3 Vgl. Myers (2000), 134–136. 4 Marshall (2011), 332 f.

Schlußbetrachtung

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stimmige Resonanz gibt – die Aussagen, die rein textimmanente Interpretation aus silv. 1, 1 oder 1, 3 im Sinne des einleitend gestreiften Problems der Referentialisierung und der Inkomplettheit fiktiver Welten entnehmen dürfte,5 ergäben nichts als die mit einigen Mythen und historischen Vergleichen verbrämten und im wesentlichen ungenauen Beschreibungen eines Denkmals und einer Villa, also Texte von solch mäßigem Interesse, wie es ihnen denn auch schon oft nur entgegenschlug. Vielleicht ist es mir gelungen zu zeigen, welcher interpretatorische Gewinn aus der Einbeziehung von Gegebenheiten, die aus der Aktualität zu supplieren sind und deren Supplierung die Texte meines Erachtens auch nahelegen, vom Geburtstag Domitians bis zu den Prinzipien der flavischen Malerei, geschöpft werden kann. Daß ich mein Interesse sich dabei speziell auf Elemente der Räumlichkeit beschränkt hat, bedeutet nicht, daß unter anderen Gesichtspunkten nicht vergleichbare Zugewinne, auch für alle übrigen Gedichte der Silvae, denkbar wären. Stets sind die im Gedicht beschriebenen Dinge Repräsentanten des jeweiligen Herrn, offenkundig im Falle des Equus maximus oder des Spiegelbildes als Double des Earinus (silv.  3, 4), in anderen Fällen implizit durch symbolisches Eintreten des Objektes für seinen Herrn, wie die Villengedichte oder auch silv. 2, 3 es zum Ausdruck bringen. Der poetische Schaffensakt des Statius bedeutet also nicht bloß eine gleichrangige Nach- und Parallelschaffung zum jeweiligen Objekt, also ein Denkmal in Worten oder eine Villa in Worten, sondern er bedeutet auch, zumindest indirekt, die Erschaffung des jeweils gepriesenen Kaisers oder Privatmannes, jedenfalls im Sinne der ›möglichen Welt‹ des Bewußtseins der ihre Wahrnehmungen interpretierenden und zum Ausdruck bringenden Sprechinstanz der flavischen Zeit,6 in der altertumswissenschaftlichen Praxis des Überbrückens zweier Jahrtausende und des Schließens überlieferungsbedingter Lücken freilich auch im Sinne der ›möglichen Welt‹ der Geschichte. Dichterisches Tun im Beschreiben, das beschriebene Objekt und der Adressat und (im weitesten Sinn) Besitzer jenes Objektes treten damit wechselseitig füreinander ein, mit einem gewissen Vorrang des Dichters und seines Tuns vor den beiden anderen Instanzen, insoferne es seine Texte sind, die uns vorliegen. Das an sich alte Motiv des »Was bleibet aber, stiften die Dichter« wird damit gleichsam enggeführt und die persönliche Beziehung zwischen Statius und seinen jeweiligen Adressaten so eng wie nur möglich gemacht.7 Nur eines der Vehikel, diese Engführung zu erreichen, ist die räumliche Struktur: Objekte existieren im Raum, der sie beschreibende Text muß diesen also nachzeichnen. In allen untersuchten Fällen geschieht das dadurch, daß der entworfene Textraum sich völlig um die Person des jeweiligen Adressaten orga

5 Vgl. o. 21–24. 6 Vgl. Hartner (2012), 70–74. 7 Vgl. Marshall (2011), 344.

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Schlußbetrachtung

nisiert: In den panegyrischen Gedichten ist es der Kaiser, der vorhandenen Raum mit Bedeutung auflädt, die in ihm enthaltenen Objekte in der Art einer Bedeutungsperspektive selektiv hervorhebt oder verschwinden läßt (man denkt an das Fehlen des Senatsgebäudes in silv. 1, 1) und ihm zusätzliche Dimensionen bis in die Sphäre der Götter und Sterne verleiht. In den Spiegelgedichten sind Verhaltensweisen des Atedius Melior und des Earinus jeweils Ausgangspunkt dafür, das Spiegelmotiv ins Zentrum des Textes zu rücken, und davon ausgehend wiederum dessen Raum zu organisieren und zu begrenzen. In den Villengedichten schließlich erfolgt teils eine an die panegyrischen Gedichte erinnernde Bedeutungsaufladung des Raumes und der Objekte in ihm (silv. 2, 2 und 3, 1 sowie, einfacher gebaut, silv. 1, 5), teils (silv. 1, 3) eine Durchbrechung des normalen Textraumes durch strukturelle Nachahmung von Unräumlichkeit, woraus geradezu gezieltes Verschwinden oder zumindest Erosion des Text­raumes resultiert. All diese Prozesse lassen sich unter dem Gesichtspunkt zusammenfassen, daß Statius den beschriebenen Räume einerseits den Status Foucaultscher Hete­ rotopien abgewinnt, sie also nach besonderen, nur ihnen eigenen Regeln neu definiert und aus ihrer ›normalen‹ Umgebung heraushebt. Zugleich aber stehen die Regeln, die hier zur Anwendung kommen, im Einklang mit Themenbereichen des zeitgenössischen Diskurses zu bildender Kunst, Architektur und Literatur, verzichten also gerade auf die römischem Denken (jedenfalls dem, was sich aus der Literatur gemeinhin als ›römisches Denken‹ ableiten ließe) naheliegendste Form, Heterotopien zu gewinnen, die Durchbrechung der Zeit. So überrascht es beispielsweise nicht, mit Ausnahme einiger streng technischer Details alle Elemente, die Heinrich Drerup einmal als typisch für römische Architektur aufgelistet hat und denen man in der Literatur der ›goldenen‹ und ›silbernen‹ Latinität, wenn überhaupt, dann in Aufzählungen zum Zwecke der Luxuskritik begegnet, in Statius’ Gedichten in positiver Bewertung wiederzufinden.8 Selten 8 Drerup (1966), 182: »Hingewiesen sei, um einiges herauszugreifen, auf den vorher unbekannten Mörtelverband, auf die entsprechend kleinteilige Mauerfügung und die damit verbundene Möglichkeit, Mauerzüge bogig herumzuführen; weiter auf die beeindruckenden Bogen- und Gewölbekonstruktionen, deren Prinzip schon vorher im griechischen Raum bekannt war, die aber nun erstmals bewußte und breiteste Anwendung finden. Hingewiesen sei auf die Zusammenfassung ursprünglich getrennter Baueinheiten zu übergeordneten, in sich gegliederten Baukomplexen, auf das Gliederungsprinzip der Axialität und Frontalität, auf Monumentalität, Fernwirkung und bildhaft gerahmte Fernsicht, umgekehrt auch einen Materialluxus und Detailreichtum, der an die Architektur geradezu kleinkunsthafte Vorstellungen heranträgt, schließlich an die folgenrteiche Herausbildung des Innenraumes.« Man denkt an die Innenraumschilderung von silv. 4, 2, an den Materialluxus von silv. 1, 5 und den Villengedichten, an die prospectus in silv. 1, 3 und 2, 2, an die (freilich sich einer Konjektur verdankende) Bogenarchitektur von silv. 2, 2, 30, an die Monumentaldarstellungen von silv. 1, 1 und 4, 2 (das Amphitheater von 1, 6 gehört indirekt ebenfalls hierher), usw. Hinzu tritt der Ingenieurleistungscharakter der römischen Architektur (vgl. Drerup, ebd., passim), den in reinster Form silv. 4, 3 feiert, der aber auch in den Villengedichten mit ihrer Betonung der Bezwingung der Natur immer wieder durchschimmert.

Schlußbetrachtung

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findet man in der Antike einen Autor, der dem Druck einer topischen Tradition, d. h. einer gesellschaftlich als richtig normierten Sprechweise so erfolgreich widersteht und sein Ohr so sehr am Puls der Zeit hat wie Statius.9 Und nicht nur sein Ohr, denn das vornehmliche Sinnesorgan, mit welchem Statius die Welt wahrnimmt, die er neu entwerfen will, ist das Auge. Man hat Philostrat nachgerühmt, er habe in seinen Imagines »den Grund zur euro­ päischen Kunstessayistik und Kunstkritik« gelegt, indem er sich die in Rede stehenden Bilder innerlich aneignet und produktiv nacherlebt.10 Die Bedeutung Philostrats für die gesamte Tradition des sprachlichen Umgangs mit Kunst ist unbestreitbar, ebenso unbestreitbar aber ist, daß Statius in manchen seiner Gedichte für ein gleichartiges Publikum11 gleiche Ziele und mit vergleichbaren Methoden verfolgt: eine Schule des Sehens und, untrennbar damit verbunden, des Artikulierens des Betrachteten.12 So mag es kein Zufall sein, daß die S­ ilvae ebenso wie die Imagines nach der Spätantike erst an der Schwelle zur Neuzeit ihren Weg zurück ins Bewußtsein kunstinteressierter Denker fanden, war doch die Rolle der Künste, ihr Verhältnis zueinander und die Frage, wie über sie gesprochen werden könne, das vielleicht wesentlichste, zentrale Anliegen der Renaissance, das Verstehen und Beherrschen der bildlichen Wahrnehmung ihr Kerngebiet. Solches Wahrnehmen bedeutet stets eine Kombination aus Sehen und Interpretieren, aus dem physischen Eindruck und der intellektuellen Verarbeitung desselben: Statius in seinen Texten tut umgekehrt dasselbe, und zwar sehr explizit.13 Er erfüllt damit jene schlichte und doch im Lichte eines ut p­ ictura poesis intrikate Formulierung, zu welcher Lukian einige Zeit nach ihm in De domo finden wird, um den ihm gewährten Anblick eines prachtvollen Saales zu vergelten, und welche ich diesem Buch vorangestellt habe: λόγῳ ἀμείψασθαι τὴν θέαν.14 Der Leser seinerseits ist aufgerufen, in seiner Phantasie ebenso wie in seiner erneuerten Sicht auf die Dinge um ihn die Umkehrung zu versuchen: θέᾳ ἀμείψασθαι τὸν λόγον.

9 Wollte man diesen Gedanken weiterverfolgen, könnte es scheinen, als ob zumindest einzelne Partien in Statius᾽ Silvae Vorstufen zu jener ab dem 17. Jahrhundert aufkommenden und seit dem 19. Jahrhundert weit verbreiteten Form der Utopie darstellten, die man beispielsweise aus den Romanen Jules Vernes und aus der Science-Fiction-Literatur kennt (vgl. Claeys [2011], 151–173). In der Tat findet man einige charakteristische Elemente bei ihm versammelt: Positive Bewertung technischer Errungenschaften, Annahme und Bejahung eines aus diesen resultierenden Fortschrittes, und dessen Konkretisierung in besonderen Räumen – nur eben in heterotopischen, nicht in utopischen. 10 Schönberger (1995), 172. 11 Römer als Zielpublikum der Imagines des Philostrat nehmen zuletzt Primavesi-Giuliani (2012), 26 f., an. 12 Vgl. Elsner (1995), 29. 13 Vgl. Belting (2009), 9 f. 14 Lukian, De domo 2.

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583

Textkritisches Register  

Textkritisches Register Bemerkung: Ich folge prinzipiell dem Text Shackleton Baileys (2003). Aufgelistet sind im folgenden die Stellen, an denen ich von ihm abweiche oder zumindest Zweifel hege, mit Verweis auf jene Anmerkungen, in denen ich die betreffenden textkritische Probleme skizziere.

silv. 1, 1: Equus maximus Domitiani 16 20 42 84 99

mixta notis belli placidamque gerentia pacem pondere, nec tardo raptus prope flumina cursu lacuna post versum 42 cedat equus, Latiae contra qui templa Diones utere perpetuo populi magnique senatus

vgl. I, Anm. 116. vgl. I, Anm. 119. vgl. I, Anm. 171. vgl. I, Anm. 228. vgl. I, Anm. 266.

silv. 1, 3: Villa Tiburtina Manili Vopisci 24 26 31 f. 41 42 104 109

litus utrumque domum nec clementissimus amnis non externa sibi fluviumve obstare queruntur sic Chalcida fluctus … sic dissociata … qua tibi tota quies offensaque turbine nullo nox silet et nigros imitantia murmura somnos seu tua non alia splendescat epistola cura otia, sic omni detersus pectora nube

vgl. III , Anm. 201. vgl. III , Anm. 201. vgl. III , Anm. 206. vgl. III , Anm. 312. vgl. III , Anm. 322. vgl. III , Anm. 222. vgl. III , Anm. 224.

silv. 1, 6: Kalendae Decembres 15 18 46 86

et quod percoquit aestuosa Caunos et massis amerina nuper ustis et tu quin etiam (quis hoc vacare … escendit media nitens harena

vgl. I, bei Anm. 521. vgl. I, Anm. 517. vgl. I, Anm. 531. vgl. I, Anm. 555.

silv. 2, 2: Villa Surrentina Polli Felicis 5 14 15 30 124

uritur et prelis non invidet uva Falernis. hinc atque hinc curvas perrumpunt aequora rupes dat natura locum montique intervenit udum inde per obliquos erepit porticus arcus non leges, non castra tenent, qui pectore magno

vgl. III , Anm. 61. vgl. III , bei Anm. 69. vgl. III , Anm. 72. vgl. III , bei Anm. 90–101. vgl. III , Anm. 163.

584

Anhang 

silv. 2, 3: Arbor Atedi Melioris 16 29 38 39 41 69

stant sine fraude Lares, flavos collegit amictus vgl. II , bei Anm. 190. emisit contenta manu laevamque †soporem† (an sororem?) vgl. II , Anm. 170 immitem somnum, stagna invida et invida tela vgl. II , Anm. 173. primaevam nisu platanum, cui longa propago vgl. II , Anm. 174. deposuit iuxta vivamque aggessit harenam vgl. II , Anm. 176. secreto placidam quod digeris ordine vitam vgl. II , Anm. 216.

silv. 3, 4: Capilli Flavi Earini 9 38 88

comparet atque sui fratris putet esse Lyaei iura: Palatino famulus deberis amori accurrunt teneri Paphia cum matre volucres

vgl. II , Anm. 33. vgl. II , Anm. 39. vgl. II , Anm. 42.

silv. 4, 1: Septimus decimus consulatus Imp. Aug. Germanici 9 45 46

† et requiem bis sextus † honos precibusque receptis tunc omnes patuere dei laetoque dederunt signa polo, longamque tibi, rex magne, iuventam

vgl. I, bei Anm. 602–605 vgl. I, bei Anm. 626. vgl. I, Anm. 630.

silv. 4, 2: Eucharisticon ad Imp. Aug. Germ. Domitianum 6 24 27 52

nunc primum dominamque dedit contingere mensam liberior campi multumque amplexus aperti mons Libys Iliacusque nitent, simul atra Syene parva loquor necdum aequo tuos, Germanice, vultus

vgl. I, bei Anm. 665. vgl. I, bei Anm. 727–729. vgl. I, Anm. 735. vgl. I, Anm. 766.

silv. 4, 3: Via Domitiana 11 13 91 112

qui castae Cereri diu negata qui fortem vetat interire sexum Poenus Bagrada serpit inter agros qui primo Tiberim relinquit ortu

vgl. I, Anm. 846. vgl. I, Anm. 846. vgl. I, Anm. 884. vgl. I, Anm. 902.

Stellenregister  

585

Stellenregister Die Angaben beziehen sich auf die Seitenzahlen. Um das Register nicht zu überfrachten, wurden innerhalb jener Kapitel, die ganzen Gedichten aus den Silvae gewidmet sind (im Fettdruck angegeben), keine Detailangaben gemacht. Orientierungshilfen bieten dort das Inhaltsverzeichnis und das textkritische Register.

Statii opera Achilleis 1, 16sq.  69 1, 151  146 1, 161  116 1, 180sq.  98 1, 190  139 1, 290–296  365 1, 325–331  338 1, 852–866  342 Silvae silv. 1 praef.  33, 45, 50, 72–75, 542, 548 silv. 1, 1  17, 20, 23, 25. 27, 34 f., 38, 41, 49 f., 52 f., 58, 65 f., 68, 72–178, 179, 183, 188, 190, 192 f., 200 f., 207, 212 f., 218 f., 224–226, 231, 237, 239, 251, 255 f., 271, 276, 286, 290, 299, 302–304, 309–315, 327, 355 f., 385, 392, 407, 420, 462, 493, 549 f. 1sq. 246 2 23 11–13 62 16 418 18–21 256 34 226 51 288 61–65 20 63–65  66, 286 64sq. 208 66–70 288 66–83 263 79  269, 417 84 265 94–98  459, 465 f. 99sq. 548 silv. 1, 2  26, 73, 305, 321, 407 51  152, 312

51–53 47 147–157 448 silv. 1, 3  20, 25, 27, 31, 40 f., 43, 76 f., 168, 227, 240, 265, 294, 305, 355, 385, 407, 425, 427 f., 479–544, 545–550 1  330, 429 4 450 9  446, 548 15  433, 473 18sq. 318 19sq. 439 39–42 455 50sq.  120, 548 59–61 400 65 360 67 548 70–75  136, 459 71 466 silv. 1, 4  45–47, 203, 305, 335 1–4 46 27 438 31–33 481 99 187 silv. 1, 5  27, 129, 180, 305, 425, 493, 550 1–9 355 1–29 497 8sq. 542 30 530 33–50 497 42sq. 527 45sq. 527 51  360, 497 55 349 60–63 497

586

Anhang 

silv. 1, 6  27, 34, 49 f., 52, 58 f., 65, 129, 133 f., 178–201, 207, 213, 225, 227, 238 f., 271, 299, 302 f., 309–312, 314 f., 335, 422 1–8 357 3 202 9–27 227 27 142 39 108 silv. 2 praef.  355, 548 silv. 2, 1  26, 49, 305, 325 f., 430 38–40 330 172sq. 326 189–207 383 204  326, 518 silv. 2, 2  20, 25, 27, 34, 40, 43, 57, 227, 240, 278, 294, 355, 417, 419, 425, 426–479, 483, 488, 491 f., 496, 498, 500, 504, 511, 513, 515, 520, 525, 532, 543, 545–547, 550 1–3  330, 545 3 491 6–12 542 9  383, 480 13 383 30 550 31 548 42sq. 491 45sq. 491 46 146 60–62 548 64 505 72–84 537 73 491 77–84 491 113 488 132 491 139sq. 491 silv. 2, 3  25, 27, 30, 32, 35, 43, 305 f., 318, 355–391, 392–405, 421 f., 425, 549 1 428 2 81 6sq. 180 8–11 19 15sq. 402 17 487 24–26 327 43–52 327

56 81 57–60 369 62sq. 64 silv. 2, 4  305 f. 1 330 silv. 2, 5  49, 65, 72, 188, 201, 304 f., 310 f. silv. 2, 6  26, 49, 59, 325 54 187 62 415 silv. 2, 7  27, 49, 421–426 46sq. 480 silv. 3 praef.  59, 320, 354, 548 silv. 3, 1  27, 57, 227, 305, 308, 355, 419, 425 f., 431, 436, 462–468, 520 550 6sq. 64 8 504 38 434 61–64  408, 414 65 480 89sq. 136 95 346 99sq. 441 108sq. 139 114 548 118–124 282 125–129 136 139 383 149 383 silv. 3, 2  59, 280, 307 8–10 47 25–32 282 40 543 50–60 59 77 137 78sq. 59 84–122 26 92 218 142 f.  543 silv. 3, 3  27, 49 52 218 122sq. 363 154–171 322

Stellenregister   silv. 3, 4  20, 27 f., 35, 43, 49, 53, 59, 65 f., 72, 188, 201, 279, 304 f., 311, 318, 319–355, 370, 381, 392 f. 400, 404 f., 408, 549 6 378 32–45 109 47–49 226 61 95 65–77 224 73 62 96sq. 379 98 392 silv. 3, 5  27, 201 f., 234, 307 f., 319, 322, 408, 415, 420 28 232 31–33 232 36 543 52sq. 415 54–69 415 72sq. 418 72–74 416 75sq. 415 76 416 83sq. 415 85sq.  295, 415, 517 85–88 307 87sq. 416 95–105  307, 416 104  415 f. silv. 4 praef.  70 silv. 4, 1  27, 34, 49, 65, 75, 108, 179–182, 188, 191, 202 f., 203–226, 227 f., 239, 265, 267, 271, 302–305, 307 f., 310–312, 314 1 330 8sq. 202 10 54 13 114 40–42 295 44–46 62 silv. 4, 2  25, 27, 49, 63, 65, 68, 77, 79, 138, 178–180, 188, 190, 202 f., 223 f., 226–276, 302–305, 307–313–315, 322, 329, 355 f., 408, 524, 550 1 330 1–10 413 5 198 8 17

587

12 309 17 84 24sq. 314 silv. 4, 3  27, 30 f., 34, 41, 49, 52, 65, 76, 105 f., 108, 179 f., 183, 188, 202 f., 211, 223, 226, 236, 276–304, 305, 307–310, 315, 327, 355, 414, 419 f., 429, 462, 466, 550 9sq. 212 16 199 17 114 18sq.  140, 142 20–39 202 27–39 462 49 242 61–66  104 f. 64 416 65 415 72–94 109 80 445 112sq. 415 114–123 468 114–163  109, 416 115 416 120  65, 308 124–163 61 128sq. 104 135 194 silv. 4, 4  72, 203, 289, 295, 304–309, 310 f. 415 51 415 54 416 54sq. 419 79 418 79–85 415 82 417 83sq. 419 84 418 87–100 543 silv. 4, 5  27, 48, 203, 409–414 3 480 22 232 53 517 silv. 4, 6  35, 38, 92, 203, 257, 355 15sq. 148 36 298 44–46 486 55 259

588 silv. 4, 7  44, 203, 413 3 357 17–20 412 silv. 4, 8  57, 203, 415 1sq. 357 5  415, 419 6 415 30sq. 47 31 146 32–42 426 43 139 silv. 4, 9  180, 202 f. silv. 5, 1  27, 49, 320 74 132 83–107 300 135 f.  28 166–169 133 240sq.  140, 142 222–246  35, 261 f. silv. 5, 2  203, 321 69sq. 96 77–97 224 113–117 87 132 168 158sq. 308 169 168 silv. 5, 3  27, 49, 408, 413 f. 3 357 29–40 413 47–50 413 51–63  232, 413 87sq. 202 104sq.  415, 417 162–175  227, 297, 414 176–180 414 195sq. 417 205sq. 415 205–208  417 f. 225–227  231 f. silv. 5, 4 1 366 1–6 518

Anhang  silv. 5, 5  27, 49, 325 f. 36sq. 543 Thebais 1, 18  74 1, 22  417 1, 24–30  151 1, 25sq.  153 f. 1, 32sq.  422 1, 202  85 1, 203–205  237 1, 342  146 1, 421sq.  518 2, 587  86 3, 221  86 4, 215  98 4, 793–803  464 4, 802sq.  130 5, 296  146 5, 499–504  464 6, 4  458 6, 112  362 6, 316–325  98 6, 326  98 6, 423–430  98 6, 491–512  98 6, 498–501  99 6, 528–530  98 6, 571–573  344 6, 665  86 6, 670–681  542 6, 880–885  283 6, 938–941  363 7, 7  86 7, 47–69  498 7, 97  438 7, 145  146 7, 193sq.  465 7, 710  146 9, 229  410 9, 648sq.  378 10, 84–117  499, 519 10, 841sq.  515 10, 913–917  419 12, 665–676  213, 348 Scholia in Thebaidem 2, 32  546

Stellenregister  

Alii auctores Achilleus Tatios 1, 9, 4  351

Aristainetos, Pseudoepist. 2, 10  338

Aelianus, Claudius var. 2, 44  74 var. 10, 2  350 var. 14, 7  382

Aristophanes Aves 819  21

Aischylos Pers. 496sq.  86 Alanus ab Insulis Anticlaud. 1, 122–125  344 Omnis mundi creatura 387 Alberti, Leon Battista De pictura 26  347 f. Ambrosius hex. 4, 2, 5  141 Ammianus Marcellinus 28, 4, 18  295

Aristoteles de an. 3, 8 (432a)  33 Asconius Scaur. p. 27, 6sq. (Clark)  103 Athenaios 1, 20C  143 15, 687C  341 Augustinus trin. 11, 2, 2sq.  346 trin. 11, 9, 16  346 Ausonius 317, 7  152 325, 7  524

Anthologia Palatina 6, 1  342 6, 18–20  342 9, 247  367 12, 127, 2sq.  340

Avienius orb. 843  438

Apollonios Rhodios 1, 745sq.  341 3, 744–750  137

Bellum Hispaniense 28, 2  255

Appianos bell. civ. 5, 100  160 Mithr. 5, 28  473 Apuleius apol. 14  346 mag. 15  352 met. 2, 4  166 met. 4, 31  341 met. 5, 1–4  495 f. Aratos Phain. 1  129

Bellum Alexandrinum 45, 3  255

Bibac. carm. frg. 9 366 Biblia Sacra (vulgatae editionis) Exod. 36, 3–7  343 Exod. 38, 8  343 Cant. 2, 3sq.  458 1 Cor. 13, 12  349 Caesar Gall. 2, 20, 1  255 Calpurnius Siculus 7, 83sq.  151

589

590

Anhang 

Carmina Anacreontea 4, 9  137 22, 5sq.  346 17, 38–40  511

Corpus iuris civilis Dig. 47, 10, 25  324 Dig. 48, 5, 6 pr.  324 Dig. 48, 8, 4–6  334

Carmina Einsidlensia 1, 27sq.  147

Culex 18sq. 365

Cassius Dio 1, frgm. 6, 2  215 43, 14, 6  162 45, 7, 1  162 48, 19, 2  160 53, 27, 2  313 55, 24, 3  125 56, 25, 5  160 65, 3, 4  409 67, 2, 2sq.  323 67, 3, 1  324 67, 4, 3  209 f. 67, 8  189 67, 9  238, 272–276 67, 12, 3  150 67, 16, 1  125 67, 16, 3  150 76, 11  150, 163

Diogenes Laertios 2, 5, 16  352

Censorinus 17, 2  316 17, 5  316 Cicero Att. 2, 3, 2  536 f. Att. 2, 8, 2  281 Att. 16, 1, 1  450 Att. 16, 2, 3  450 Att. 16, 3, 6  450 Att. 16, 4, 1  450 Brut. 22  255 de or. 2, 86, 351–354  500 div. 2, 84  186 har. 33  456 off. 1, 139  530 Quint. 3, 1, 5  445 rep. 6, 14–16  103, 424 Codex Theodosianus 9, 7, 3  337 Columella 1, 4–6  493 10, 96  141

Dionysios Halikarnasseus 7, 9, 5  341 8, 44  255 Epikuros Herod. 48  535 Epiktetos diss. 1, 25, 8  193 Euripides Or. 1111sq.  341 Eustathios Il. 552, 41–45  364 Il. 568, 5–9  364 Festus/Festus-Diaconus 380, 25–31 (Lindsay)  364 381, 2–5 (Lindsay)  364 Firmicus Maternus math. 2, 30, 4sq.  150 Galenos protr. 8  352 Gellius 6, 12, 5  341 Germanicus Arat. 53 Hegesippus 4, 27  482 Herodas Mimiamb. 4, 55sq.  74 Herodianos 1, 14, 4  93

Stellenregister   Historia Augusta Alex. 28, 6  91 Elag. 25, 9  273 Elag. 27, 3–5  273 Pert. 11, 6  258 Pert. 14, 1sq.  352 Homeros Il. 1, 423–425  260 Il. 2, 95  99 Il. 5, 336sq.  363 Il. 5, 458  363 Il. 5, 883  363 Il. 18, 478–608  84 Il. 23, 205–207  260 Od. 1, 22–26  260 Od. 5, 282  260 Od. 8, 499sqq.  230 Od. 23, 190–204  487 Horatius ars 50  108 ars 361  39 carm. 1, 2, 45  157 carm. 1, 3, 9sqq.  278 carm. 1, 5  266 carm. 1, 5, 13–16  343 carm. 1, 14  266 carm. 1, 15, 10  242 carm. 1, 24, 7  382 carm. 1, 37, 9  335 carm. 2, 1  266 carm. 2, 18, 1sq  411, 485 carm. 2, 18, 14  409 carm. 3, 1, 2  422 carm. 3, 3  266 carm. 3, 3, 9–16  257 carm. 3, 13, 6sq.  518 carm. 3, 13, 10  518 carm. 3, 14, 11sq.  422 carm. 3, 16, 9–11  340 carm. 3, 29  266 carm. 3, 30  118 carm. 3, 30, 8sq.  219 carm. 4, 7  308 carm. 4, 15  266 epist. 1, 10, 19  532 epist. 1, 10, 20sq.  532 epist. 1, 10, 22  487, 532 epist. 1, 19, 43sq.  127 epist. 2, 1, 34–89  108

epod. 2, 1  409 epod. 2, 48  183 epod. 3  236 sat. 2, 3, 54  482 sat. 2, 7, 4  181 Hyginus astr. 2, 33  137 Ilias Latina 634 366 Inscriptiones AE 1973, 137  277 Carm. lat. epigr. 895  130 CIL I2 341  103 CIL V 6988–6990  46 CIL VI 105sq.  171 CIL VI 1207  130 CIL VI 1468  106 CIL VI 1984  45 f. CIL VI 2064  128 CIL VI 2066  128 CIL VIII 22474  168 CIL VIII 22477  168 CIL X 1624  92 CIL X 1632  140 CIL X 6440sq.  93 CIL XVI p. 146, 12  128 ILS 5025  45 ILS 5798  449 ILS 9052  46 ILS 9499  45 SIG 821E  104 Iohannes Lydos mens. 4, 1  212 f. Iosephus Flavius bell. Iud. 3, 419–421  401 bell. Iud. 7, 71  300 Iulius Rufianus, Pseudoschem. dian. 15  394 Iuvenalis 2, 99  341 3, 2  415 3, 41–44  164 4  270 f. 4, 28–33  226

591

592

Anhang 

5, 47sq.  184 6, 351  184

Sat. 1, 10, 3  181 Sat. 3, 13, 3  367

Kallimachos frgm. 196 (Pfeiffer)  92 frgm. 384 (Pfeiffer)  289 hym. 4, 26  86 hym. 5, 17–22  342 iamb. 7  92

Manilius 1, 532sq.  141 1, 758–805  153 5, 170  242

Livius 1, 12  105 2, 7, 7  255 7, 6, 1–6  105–107 34, 9, 9  482 44, 46, 7  482 Lucanus 1, 45–49  152 1, 46  157 1, 62  380 1, 75sq.  197 2, 1sq.  217 4, 297sq.  283 9, 34  242 10, 133sq.  336 Lucretius 1, 147  351 2, 1–4  470 2, 60  351 3, 92  351 4, 275–278  534 4, 416  246 5, 8  297 5, 200  246 5, 913sq.  246 5, 1150–1155  383 6, 40  351 Lukianos am. 48  351 De domo  236 De domo 2  11, 551 De domo 8  141 pisc. 45  341 Macrobius Sat. 1, 8  134 Sat. 1, 9, 10  212 Sat. 1, 9, 13  214

Marius Victorius aleth. 1, 104  141 Martialis 1, 2, 8  93, 101 1, 6  128 1, 12, 1  518 1, 41, 4  184 1, 70, 5sq.  259 2, 14  379 2, 43, 13  337 2, 60  319, 324 4, 1  128 4, 2  139 4, 3  139, 152 f., 198 4, 64, 32  518 4, 88, 2  181 5, 5, 7  69 5, 18, 1  181 5, 49, 8  181 5, 65  139, 262 5, 84, 9  181 6, 4, 3  199 6, 10, 9  253 6, 13  205 6, 21  47 7, 21–23  421 7, 53, 1sq.  181 7, 53, 10  184 7, 56, 2  269 7, 56, 4  253 7, 99  251, 253 7, 99, 1  255 7, 99, 3  269 8, 21, 5sq.  98. 8, 21, 5–7  148 8, 36  139, 248, 251 8, 36, 3  269 8, 38  384 8, 39  226 8, 44  92 8, 53  139 8, 66  209

Stellenregister   8, 78, 9sq.  184 9, 1  139 9, 2, 11  184 9, 3  139 9, 3, 10  124 9, 3, 12  140 9, 11  251, 219 9, 11, 8  269 9, 12  319 9, 13  319 9, 16  319 9, 17  201, 319 9, 17, 5sq.  343, 350 9, 20  128, 139 9, 24  128, 253 9, 34  139 9, 36  319, 326 f. 9, 36, 5sq.  337 9, 39  128 9, 39, 1  253 9, 64  262 9, 65  253. 262 9, 79  251 9, 86, 8  253 9, 91  128, 139, 226, 253, 276 9, 101  139, 262 9, 101, 21  153 10, 3, 3  184 10, 15, 11–14  88 10, 28  214 10, 98, 2  337 11, 8  226 11, 21, 1  90, 336 11, 48sq.  421 11, 78, 4  327 12, 15  251, 253 12, 15, 1  269 12, 57, 14  184 12, 57, 21  399 12, 62, 15  181 12, 63, 5  367 12, 96  323 13, 4  157 13, 91  226 14, 17, 1  209 14, 79, 2  181 14, 124, 2  153 14, 142, 1  181 Martianus Capella 7, 742  211

Moretum (App. Verg.) 28 364 Nemesianus ecl. 3, 35–40  458 Nonnos Dion. 40, 385  141 Obsequens, Iulius 69 162 Ovidius am. 3, 6, 59  367 am. 3, 8, 29  340 ars 1, 67–88  379 fast. 1, 65  214 fast. 1, 89  214 fast. 1, 89–288  212 fast. 1, 99  214 fast. 1, 171–174  217 fast. 1, 178–182  217 fast. 1, 191–208  380 fast. 1, 238  131 fast. 2, 250  367 fast. 2, 315  367 fast. 2, 635  366 fast. 2, 683sq.  281 fast. 3, 185  366 fast. 3, 373sq.  81 fast. 4, 549  366 fast. 4, 778  367 fast. 4, 949–954  93 fast. 6, 439  93 fast. 6, 641  441 met. 1, 1sq.  388 met. 1, 21  299 met. 1, 168–176  144 met. 2, 1–31  494 met. 2, 40sq.  255 met. 2, 49  362 met. 3, 188  363 met. 3, 302–309  255 met. 3, 504sq.  338 met. 3, 505sq.  365 met. 3, 380–392  350 met. 3, 417  521 met. 3, 434  445, 521 met. 4, 347  457 met. 5, 47–73  341 met. 5, 318–331  418

593

594 met. 5, 594sq.  371 met. 5, 601  371 met. 5, 618–620  378 met. 6, 129sq.  217 met. 6, 489  366 met. 7, 153  366 met. 8, 830  366 met. 8, 879  482 met. 9, 39–41  84 met. 10, 293sq.  365 met. 11, 592–616  494 met. 11, 604  519 met. 11, 623  366 met. 15, 711sq.  281, 416 met. 15, 714  288 met. 15, 868  157 met. 15, 871–879  118 Pont. 4, 4  204, 220 rem. 568  429 rem. 575sq.  366 trist. 3, 1, 33–68  239 trist. 5, 3, 21sq  86 Panegyrici Latini 11 (3), 13, 5  247 Paulinus Nolanus carm. 14, 48  152 Paulos Aiginetes epit. med. 6, 68  319, 335 Pausanias 2, 3, 4  438 2, 28, 2  395 5, 11  129 Persius prol. 4  438 Petronius 10, 1  185 Pindaros Pyth. 10, 29–36  200, 390 Philodemos P.Herc. 1081, col. 7, 2–12  541 P.Herc. 1676, col. 12 (1), 15  540 P.Herc. 1676, col. 15, 25sq.  541 P.Herc. 1676, col. 18 (7), 12–17  540

Anhang  poemat. 5, col. 1, 10–18 (Jens.)  540 poemat. 5, col. 29, 17–19 (Jens.)  540 poemat. 5, col. 31, 9–17 (Jens.)  540 Philostratos Apollon. 8, 10  295 imag. prooem. 1  141 imag. 1, 6, 7  341 imag. 1, 21  389 imag. 1, 21, 3  348 f. imag. 1, 23, 1  376 imag. 1, 23, 3  40 Phlegon von Tralleis mirab. 13  92 Platon Alcib. 1, 133a  351 Phaedr. 229a  366 rep. 475d–476d  539 rep. 517b  47 rep. 597de  388 rep. 598ab  388 rep. 600e  388 symp. 179e–180a  338 Soph. 240a–c  345 Tim. 36b–c  153 Tim. 45b–46e  346 Plautus frgm. 84  364 mil. 1102–1113  364 Poen. 417sq.  364 Pseud. 20–74  346 f. Plinius maior nat. 2, 94  162 nat. 7, 112  255 nat. 11, 55, 14  351 nat. 12, 8  367 nat. 14, 61  277 nat. 15, 55  186 nat. 15, 58  186 nat. 15, 78  105 nat. 15, 82  186 nat. 16, 242  355 nat. 19, 24  200 nat. 19, 146  450 nat. 31, 66  364 nat. 33, 70–73  283 nat. 34, 33  212, 214

Stellenregister   nat. 34, 40  256 nat. 35, 64  74 nat. 35, 93sq.  121 nat. 36, 101  440 nat. 36, 104–108  440 nat. 36, 184  486 nat. 36, 199  186

con. praecept. 25 (mor. 141)  352 de fluv. 11,1 (mor. 1156E)  86 non pos. suav. (mor. 1095C)  539 Pyth. orac. 29 (mor. 409BC)  56 quaest. conv. 5, 2 (mor. 675CD)  201 quaest. conv. 8, 7 (mor. 728A)  349 quaest. conv. 9, 4 (mor. 739B–D)  364

Plinius minor epist. 2, 17  450, 494 f. epist. 2, 17, 2  271 epist. 2, 17, 4  495 epist. 2, 17, 5  452, 512, 537 epist. 2, 17, 6  495, 511 f. epist. 2, 17, 11  495 epist. 2, 17, 13  513 epist. 2, 17, 15  513 epist. 2, 17, 16  437, 495 epist. 2, 17, 20  513 epist. 2, 17, 21  454, 513 epist. 3, 7, 8  421, 447 epist. 4, 11, 6  270 epist. 5, 6  513 epist. 5, 6, 13  522 epist. 5, 6, 21  509 epist. 5, 6, 40sq.  495 epist. 6, 7, 1  346 epist. 6, 31, 1  270 epist. 8, 20, 4  185 paneg. 3, 4  56 paneg. 18, 3  70 paneg. 48sq.  268 paneg. 49, 1  70 paneg. 49, 6  226, 238, 250 paneg. 52  128 paneg. 52, 4  171 paneg. 80, 4  127 paneg. 81, 1–4  295 paneg. 82  412 paneg. 88, 10  64

Porphyrio Hor. carm. 1, 13, 15  370

Plutarch bzw. Ps.-Plutarch Alex. 4  114 Demet. 41, 4sq.  160 Fab. 15, 1  255 Popl. 15  253 Popl. 15, 5  219 Romul. 11, 2  161 Sulla 12–14  473 Alex. fort. 2 (mor. 335B)  116 con. praecept. 14 (mor. 139F–140A)  341

Prokopios aedif. 1, 2  95 Goth. 1, 25, 18–25  215 Propertius 1, 5, 10  242 2, 31  496 3, 11, 61  105 4, 11, 12  242 Ptolemaios Alm. 8, 1  156sq. Ptolemaios-Eugenius opt. 2, 109  387 opt. 2, 112  379, 388 opt. 3, 2  387 opt. 3, 4  387 opt. 4, 1  388 opt. 5, 77  379 Quintilianus inst. 1, 4, 3  16 inst. 1, 4, 4  47, 164 inst. 6, 2, 29  394 inst. 9, 2, 65–67  58 inst. 9, 2, 72sq.  58 inst. 10, 1, 91sq.  69 inst. 11, 2, 18–20  500 inst. 12, 10, 7sq.  130 Rhetorica ad Herennium 3, 16, 29 – 24, 40  500 Scholia Bernensia in Vergilium ecl. 6, 70  230 Seneca maior contr. 6, 8  255 contr. 10, 4, 17  335

595

596 Seneca minor apoc. 4  147 apoc. 8  193 clem. 3, 6, 4  146 dial. 7, 26, 7  422 dial. 12, 10  485 epist. 79, 5  419 nat. 1, 17, 10  341 nat. 2, 13, 4  482 Phaedra 810sq.  98 Servius/Servius auctus Aen. 1, 159  546 Aen. 5, 71  422 Aen. 7, 607  214 Aen. 8, 681  162 ecl. 9, 46  162 Sidonius Apollinaris carm. 11, 1–49  496 carm. 23, 58  486 epist. 2, 9  496 Silius Italicus 2, 449  524 3, 618–621  69 3, 626  157 4, 370–381  84 6, 140–297  289 8, 653–655  415 12, 152–154  415 17, 592–594  415 Stobaios 63, 3  382 Strabon 6, 3, 1  133, 256 Suetonius Aug. 31  103 Aug. 70  160 Aug. 94, 4  146 Aug. 94, 12  160 Caes. 88  162 Dom. 1, 1  140 Dom. 2, 2  69 Dom. 4, 4  128 Dom. 6, 1  222 Dom. 8, 3  196 Dom. 10  324

Anhang  Dom. 10, 3  150 Dom. 13  128 Dom. 13, 2  130, 259 Dom. 14, 1–4  70 Dom. 15, 1–3  70 Dom. 15, 2  251 Dom. 15, 3  125 Dom. 16  150 Dom. 16, 1sq.  70 Dom. 18  322 Dom. 22  324 Dom. 23  90 Nero 6, 1  147 Nero 31  277 Nero 13, 1sq  78 Tit. 1, 1  204 Tit. 10  324 Vesp. 5  155 Symmachus epist. 1, 71  142 Tacitus Agr. 1, 3  70 Agr. 1–3  56 ann. 3, 2, 2  255 ann. 4, 34, 3  56 ann. 4, 67, 2  417 ann. 13, 8, 1  128 ann. 13, 15  193 ann. 15, 42  277 hist. 1, 72, 3  193 hist. 3, 74  128 hist. 4, 2  324 hist. 4, 40, 1  123 hist. 4, 86  69 Tertullianus apol. 15, 5  323 nat. 1, 10, 46  323 Theokritos 17, 1  129 Valerius Flaccus 1, 12–14  69 1, 425sq.  98 4, 661–666  84 Valerius Maximus 3, 6, 6  160

Stellenregister   4, 1, 1  255 5, 6, 2  105 Varro ling. 5, 42  131 ling. 5, 148–150  105 ling. 7, 45  287 sat. frgm. 56  406 sat. frgm. 530–534  406 Velleius Paterculus 2, 61, 3  90 2, 82, 4  160 2, 83, 2  160 Venantius Fortunatus carm. 2, 6, 1sq.  255 Vergilius Aen. 1, 181  367 Aen. 1, 411  94 Aen. 1, 439  94 Aen. 1, 441–493  496 Aen. 1, 742–746  230 Aen. 2, 567–588  19 Aen. 3, 96  234 Aen. 3, 588  206 Aen. 5, 119  441 Aen. 6, 307  62 Aen. 6, 548–558  499 Aen. 6, 753sq.  442

Aen. 6, 791–805  300 Aen. 7, 170  17, 240, 242, 246 Aen. 8, 251–258  359 Aen. 8, 315–365  359 Aen. 8, 425  81 Aen. 11, 4  206 Aen. 11, 277  364 Aen. 11, 522–531  546 Aen. 12, 181  214 ecl. 1, 29  232 ecl. 1, 67  232 ecl. 2, 1  358 ecl. 3, 60  129 ecl. 5, 40  368 ecl. 5, 64  297 ecl. 6, 13  357 georg. 2, 469  367 georg. 2, 493sq.  362 georg. 3, 89sq.  98 georg. 4, 51sq.  409 georg. 4, 133  183 georg. 4, 476  62 Vitruvius 1, 6, 8  247 6, 1–5  493 6, 3, 10  450 7, 5, 2  397 Walahfrid Strabo De imag. Tetr.  129

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